Videotechnologie im Strafverfahren [1 ed.] 9783428586226, 9783428186228

Die Videotechnologie im Strafverfahren ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus des Gesetzesgebers gerückt. Die

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Videotechnologie im Strafverfahren [1 ed.]
 9783428586226, 9783428186228

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Schriften zum Prozessrecht Band 283

Videotechnologie im Strafverfahren Von

Tamara Rapo

Duncker & Humblot · Berlin

TAMARA RAPO

Videotechnologie im Strafverfahren

Schriften zum Prozessrecht Band 283

Videotechnologie im Strafverfahren Von

Tamara Rapo

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-18622-8 (Print) ISBN 978-3-428-58622-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Oktober 2021 von der Juristischen Fa­ kultät der Eberhard Karls Universität Tübingen als Dissertation angenom­ men. Die Disputation fand am 16. Februar 2022 statt. Rechtsprechung und Literatur konnten bis Ende des Jahres 2021 berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Bernd Heinrich, an dessen Tübinger Lehrstuhl ich während der Zeit mei­ nes Referendariats und meiner Promotion als Akademische Mitarbeiterin ­tätig war. Er hat mich von Beginn an in meinem Promotionsvorhaben be­ stärkt und mir dabei ein hohes Maß an wissenschaftlicher Freiheit und Ver­ trauen entgegengebracht. Mit seiner Fachkompetenz und seiner steten Hilfs­ bereitschaft hat er mich in allen mit dem Dissertationsprojekt zusammenhän­ genden Angelegenheiten unterstützt. Durch die jederzeitige Ansprechbarkeit und Diskussionsbereitschaft hat er wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit bei­getragen. Für die herausragende fachliche und persönliche Betreuung und für die langjährige Zusammenarbeit bin ich ihm sehr verbunden. Weiter danke ich herzlich Herrn Prof. Dr. Jörg Eisele, der mir die An­ regung zu diesem Thema gab, für den offenen und bereichernden Gedanken­ austausch und für die ausgesprochen zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Weiterhin danke ich herzlich Prof. Dr. Hans-Jürgen Kerner, der mir mit wertvollem fachlichen und persönlichen Rat zur Seite stand. Ich habe von den Fachgesprächen mit ihm sehr profitiert. Für seine konstruktiven Ideen gebührt ihm besonderer Dank. Ein ganz besonderer Dank gilt auch der Friedrich-Ebert-Stiftung, die das Dissertationsprojekt großzügig mit einem Promotionsstipendium förderte und mir neben einer finanziellen Unterstützung auch fachliche und persön­liche Weiterentwicklung bot. Von ganzem Herzen danke ich schließlich meinen Eltern, Lidija und Zelj­ko, für ihren immerwährenden Rückhalt und ihre grenzenlose Unterstüt­ zung. Sie standen mir auf meinem ganzen bisherigen Lebensweg, aber auch vor allem während der Ausbildungszeit, in jeder erdenklichen Weise zur Seite und haben immer an mich geglaubt. Mein besonderer Dank gilt weiter meinem Bruder Alen, der stets ein offenes Ohr für mich hatte und diese Ar­ beit mit wertvollen Anregungen unterstützt hat. Schlussendlich bedanke ich mich ganz besonders bei meinem Verlobten Mike für die akribische Durch­

8 Vorwort

sicht des Manuskripts und für seine Liebe und bedingungslose Unterstützung in allen Lebenslagen. Ihnen allen ist diese Arbeit gewidmet. Tübingen, im April 2022

Tamara Rapo

Inhaltsübersicht Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Kapitel

Das Strafverfahren im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgungsinteresse und Grundrechtsschutz 

29

§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 § 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtsin Vernehmungssitu­ ationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Kapitel

Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren – Rückblick und aktuelle Praxis 

94

§ 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 § 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3. Kapitel

Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung 

126

§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnungder Zeugenverneh­ mung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 § 2 Die Regelungen der §§ 136 Abs. 4 StPO, 70c Abs. 2 JGG zur Videoauf­ zeichnung der Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . 182 4. Kapitel § 1 § 2 § 3 § 4 § 5

Die Protokollierung von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren  Protokollierungspflicht de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Defizite des status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möglichkeiten zur Optimierung der Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Vernehmungsdokumentation im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231 231 239 252 259 269

10 Inhaltsübersicht 5. Kapitel

Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen in die Hauptverhandlung 

271

§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung nach § 255a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 § 2 Die Einführung der videodokumentierten Beschuldigtenvernehmung nach § 254 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 6. Kapitel

Die Video-Simultanübertragung 

299

§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung der Zeu­ genvernehmung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 § 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung einer Zeugen- und Sachverständigenvernehmung in der Hauptverhandlung . . . . . . 320 § 3 Ein Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen . . . . 358 7. Kapitel

Die Videodokumentation der Hauptverhandlung 

374

§ 1 Die Dokumentation der Hauptverhandlung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 § 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung? . . . . . 386 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Kapitel

Das Strafverfahren im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgungsinteresse und Grundrechtsschutz 

§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Feststellung und Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs . . . . . B. Die Erforschung der materiellen Wahrheit in einem justizförmigen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die materielle und prozessuale Gerechtigkeit im Strafverfahren . . . . . . . D. Die Wiederherstellung des Rechtsfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29 29 32 36 44 50

§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechtsin Vernehmungssitu­ ationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 A. Verfassungsrechtliche Grundlagen und praktische Bedeutung des Allge­ meinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Ein historischer Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 II. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . 54 III. Verfassungsrechtliche Einordnung der Videodokumentation . . . . . . 60 B. Persönlichkeitsschutz in Vernehmungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I. Die Zeugenvernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Zeugenrechte und -pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2. Vernehmungsablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Vernehmung als Kommunikationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. Sonstige verfahrensrechtliche Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . 77 a) Vernehmungsprotokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Hinweis auf besondere Schutzwürdigkeit des Opferzeugen . 78 c) Einsatz von Videotechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. Die Beschuldigtenvernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Sicherung der Beschuldigtenrechte und Vernehmungsablauf . . . 80 2. Sonstige verfahrensrechtliche Schutzmaßnahmen . . . . . . . . . . . . 89 a) Vernehmungsprotokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Einsatz von Videotechnologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 C. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

12 Inhaltsverzeichnis 2. Kapitel

Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren – Rückblick und aktuelle Praxis 

94

§ 1 Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 A. Entstehung des ZSchG (1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 B. Übersicht über die Vorschriften des ZSchG (1998) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 § 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Erfahrungsberichte, Einschätzungen und Untersuchungen aus den Jahren 1997–2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Erfahrungsberichte, Einschätzungen und Untersuchungen aus den Jahren 2004–2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Erfahrungsberichte, Einschätzungen und Untersuchungen aus den Jahren 2011–2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Erfahrungsberichte, Einschätzungen und Untersuchungen aus den Jahren 2015–2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

102 103 113 117 118 122

3. Kapitel

Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung 

§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnungder Zeugenverneh­ mung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Gesetzgebung im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die schonende Vernehmung des „schutzbedürftigen Zeugen“ als Leitgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Opferrechtsreformgesetz (2004)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. 2. Opferrechtsreformgesetz (2009) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Miss­ brauchs (2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens (2019) . . . . . . . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Befugnistatbestände des § 58a Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die fakultative Aufzeichnung nach § 58a Abs. 1 S. 1 StPO . . . . . . . 1. Geltungsumfang und Anwendungsbereich  . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abwägungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufzeichnungsgebot nach § 58a Abs. 1 S. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einbeziehung weiterer besonders schutzbedürftiger Personen­ gruppen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Duldungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126

126 126 126 129 131 133 134 136 138 139 139 139 152 152 152 156 159 160

Inhaltsverzeichnis13 III. Aufzeichnungspflicht nach § 58a Abs. 1 S. 3 StPO . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzesstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkung auf die Straftatbestände der Sexualdelikte  . . . . . 3. Zustimmungsvorbehalt und Widerspruchsmöglichkeit . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Umfang der Aufzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zuständigkeit und praktische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Verwendungsbeschränkungen und Löschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Die Regelungen der §§ 136 Abs. 4 StPO, 70c Abs. 2 JGG zur Videoauf­ zeichnung der Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . A. Die Gesetzgebung im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videotechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren (2013)  . . . . . . . . . . II. Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens (2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren (2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Befugnistatbestände der §§ 136 Abs. 4 StPO, 70c Abs. 2 JGG . . . . . I. Duldungspflicht des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschränkung auf vorsätzliche Tötungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Aufzeichnungspflicht im Falle besonders schutzbedürftiger Beschuldigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die fakultative Aufzeichnung nach § 136 Abs. 4 S. 1 StPO und § 70c Abs. 2 S. 1 JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Umfang der Aufzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Grenzen der Aufzeichnungspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Verwendungsbeschränkungen und Löschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Besonderheiten des § 70c Abs. 2 S. 2 JGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

163 164 165 166 170 171 173 173 175 180 182 182 182 184 186 190 191 193 199 201 205 206 208 213 214 218 220

4. Kapitel

Die Protokollierung von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren 

231

§ 1 Protokollierungspflicht de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 A. Inhalt und Form eines richterlichen Vernehmungsprotokolls . . . . . . . . . . 232 B. Inhalt und Form eines ermittlungsbehördlichen Vernehmungsprotokolls . 237 § 2 Defizite des status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

14 Inhaltsverzeichnis A. Selektions- und Verfälschungsproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Praktische Unzulänglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

239 242 245 247

§ 3 Möglichkeiten zur Optimierung der Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Anerkennung des Videoprotokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einführung eines Ergebnisprotokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Gesetzesvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252 252 255 257

§ 4 Die Vernehmungsdokumentation im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. England und Wales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

259 260 261 262 264 268

§ 5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 5. Kapitel

Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen in die Hauptverhandlung 

271

§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung nach § 255a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 A. § 255a StPO im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 B. § 255a StPO im Kontext des Unmittelbarkeitsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . 274 C. Die Gleichstellung von Videoaufzeichnungen mit schriftlich fixierten Zeugenaussagen nach § 255a Abs. 1 StPO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 II. Videovorführung und nachträgliche Zeugnisverweigerung  . . . . . . . 279 D. Ersetzung der Vernehmung in der Hauptverhandlung nach § 255a Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 I. Erfordernis einer richterlichen Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 II. Begrenzung auf Katalogstraftaten und bestimmte Zeugengruppen . 284 III. Gelegenheit zur Mitwirkung und Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . 287 IV. Widerspruchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 V. Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 § 2 Die Einführung der videodokumentierten Beschuldigtenvernehmung nach § 254 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 A. Anwendungsbereich und Regelungsgehalt des § 254 StPO . . . . . . . . . . . 293 B. Vorhalt der Videoaufzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

Inhaltsverzeichnis15 6. Kapitel

Die Video-Simultanübertragung 

§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung der Zeu­ genvernehmung im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die schonende Vernehmung des „schutzbedürftigen Zeugen“ als Leit­ gedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Geltungsumfang und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Subsidiaritätsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Durchführung der Vernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung einer Zeugen- und Sachverständigenvernehmung in der Hauptverhandlung . . . . . . A. § 247a StPO im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Videovernehmung des Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematischer Vergleich mit § 247 S. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefährdete Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslandszeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Defizite der audiovisuellen Kommunikation . . . . . . . . . . . . . 5. Videoaufzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zuständigkeit und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ausschluss der Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Videovernehmung des Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Ein Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen . . . . A. § 185 Abs. 1a GVG – Dolmetscher per Videokonferenz . . . . . . . . . . . . . . B. § 115 Abs. 1a StVollzG – Anhörung des Gefangenen . . . . . . . . . . . . . . . . C. § 58b StPO – Zeugenvernehmung außerhalb der Hauptverhandlung . . . . D. § 118a Abs. 2 S. 2 StPO – Durchführung der mündlichen Haftprüfung . . E. § 138d Abs. 4 S. 2 StPO – Anhörung des Vorstands der Rechtsanwalts­ kammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. § 233 Abs. 2 S. 3 StPO – Vernehmung des abwesenden Angeklagten . . . G. § 463e StPO – Anhörung des Verurteilten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299

299 299 300 309 313 317 320 320 323 324 324 327 332 337 342 342 345 348 350 353 355 357 358 360 362 364 366 368 369 370

16 Inhaltsverzeichnis 7. Kapitel

Die Videodokumentation der Hauptverhandlung 

374

§ 1 Die Dokumentation der Hauptverhandlung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 A. Die Beurkundung der Hauptverhandlung nach § 273 StPO . . . . . . . . . . . 375 B. Verbot von Ton-, Fernseh-Rundfunk- und Filmaufnahmen (§ 169 Abs. 1 S. 2 GVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 C. Zulässigkeit von Tonaufnahmen zu wissenschaftlichen oder historischen Zwecken (§ 169 Abs. 2 GVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 D. Zulässigkeit von Ton-, Fernseh-Rundfunk- und Filmaufnahmen bei Entscheidungsverkündungen des BGH (§ 169 Abs. 3 GVG) . . . . . . . . . . 380 E. Ton- oder Bild-Ton-Aufzeichnungen zu justizinternen Zwecken . . . . . . . 381 F. Fazit: Defizite des status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 § 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung? . . . . . 386 A. Ein Stimmungsbild: Online-Befragung unter Praktikerinnen und Prakti­ kern der Justiz in Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 I. Hintergrund und Ziel der Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 II. Erhebungsmethode: Online-Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 III. Zielgruppe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 IV. Fragebogenkonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 V. Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 VI. Datenaufbereitung und -auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 B. Chancen und Risiken einer Videodokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 I. Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 II. Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 1. Praktische Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 2. Beeinflussung des Aussageverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 3. Allgemeines Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 4. Revisionsaspekte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 A. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 B. Gesetzentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 A. Auswertung der Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 B. Freitextantworten zu Frage 9 und 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Abkürzungsverzeichnis A Aussage a. A. andere Ansicht ABE Achieving Best Evidence ABl. Amtsblatt abl. ablehnend Abs. Absatz a. E. am Ende AE Alternativ-Entwurf a. F. alte Fassung AG Amtsgericht Anm. Anmerkung AnwBl. Anwaltsblatt AnwK-StPO AnwaltKommentar zur Strafprozessordnung AöR Archiv des öffentlichen Rechts ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz Art. Artikel ASJ Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juris­ ten Aufl. Auflage Bd. Band BeckOK-GG Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz BeckOK-GVG Beck’scher Online-Kommentar zum Gerichtsverfassungsgesetz BeckOK-JGG Beck’scher Online-Kommentar zum Jugendgerichtsgesetz BeckOK-StGB Beck’scher Online-Kommentar zum Strafgesetzbuch BeckOK-StPO Beck’scher Online-Kommentar zur Strafprozessordnung BeckOK-StVollzG Beck’scher Online-Kommentar zum Strafvollzugsrecht Bund BeckRS Beck-Rechtsprechung BDP Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen BDSG Bundesdatenschutzgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGE Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts

18 Abkürzungsverzeichnis BGH Bundesgerichtshof BGHSt.

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BGH in Straf­ sachen

BGHZ

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des BGH in Zivil­ sachen

BfJ

Bundesamt für Justiz

BlgNR

Beilage(-n) zu den stenographischen Protokollen des National­ rates

BMJ

Bundesministerium der Justiz

BMJV

Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

BRAK Bundesrechtsanwaltskammer BR-Drucks.

Deutscher Bundesrat – Drucksachen

BT-Drucks.

Deutscher Bundestag – Drucksachen

BT-PlPr.

Deutscher Bundestag – Plenarprotokoll

BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfas­ sungsgerichts

BVerfGK

Amtliche Sammlung der Kammerentscheidungen des Bundes­ verfassungsgerichts

BW Baden-Württemberg BZRG Bundeszentralregistergesetz bzw. beziehungsweise CCTV

closed-circuit television

CDU

Christlich Demokratische Union Deutschlands

COVID-19

coronavirus disease 2019 (Coronavirus-Krankheit-2019)

COVuR

COVID-19 und Recht

CPP

Code de procédure pénale

CSU

Christlich-Soziale Union

DANA

Datenschutznachrichten (Zeitschrift)

DAV

Deutscher Anwaltverein

DDR

Deutsche Demokratische Republik

d. h.

das heißt

diff.

differenziert, differenzierend

DIJuF

Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht

Diss. Dissertation djb

Deutscher Juristinnenbund

DJT

Deutscher Juristentag

DNA Desoxyribonukleinsäure Dr. Doktor

Abkürzungsverzeichnis19 DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DSGVO Datenschutz-Grundverordnung DSV

Deutscher Strafverteidiger Verband

DuD

Datenschutz und Datensicherung (Zeitschrift)

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

DVJJ

Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshil­ fen

E Entwurf EEA

Europäische Ermittlungsanordnung

EG

Europäische Gemeinschaft

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGMR-E

Deutschsprachige Sammlung der Rechtsprechung des Europäi­ schen Gerichtshofs für Menschenrechte., 4 Bände [Band, Seite]

Einl. Einleitung EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EU

Europäische Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EU-GrCh

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

EU-RhÜbk

Übereinkommen – gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Euro­ päische Union vom Rat erstellt – Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

e. V.

eingetragener Verein

f./ff. folgende FDP

Freie Demokratische Partei

FG Festgabe FGO Finanzgerichtsordnung FKP

Forum Kritische Psychologie

FS Festschrift GA

Goltdammer’s Archiv für Strafrecht

gem. gemäß GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GfK

Gesellschaft für Konsumforschung e. V.

Gola/Heckmann- BDSG

Gola/Heckmann Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz

GP Generalprokurator GS Gedächtnisschrift GSZ

Zeitschrift für das Gesamte Sicherheitsrecht

20 Abkürzungsverzeichnis GVG Gerichtsverfassungsgesetz GzeupAdS Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens GzFdS Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften GzMdS Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens HansOLG Hanseatisches Oberlandesgericht HbGR Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa HK-GS Handkommentar zum Gesamten Strafrecht HK-StPO Heidelberger Kommentar zur Strafprozessordnung HRRS HöchstRichterliche Rechtsprechung im Strafrecht hrsg. herausgegeben i. d. F. in der Fassung i. e. S. im engeren Sinne IPbpR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte i. R. im Rahmen IRG Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen i. R. d. im Rahmen des i. S. im Sinne i. S. d. im Sinne des i. V. m. in Verbindung mit JA Juristische Arbeitsblätter JGG Jugendgerichtsgesetz JI Justiz und Inneres JM NRW Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart JR Juristische Rundschau JURA Juristische Ausbildung jurisPR-ITR juris PraxisReport IT-Recht JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift JZ Juristenzeitung Kap. Kapitel KG Kammergericht KJ Kritische Justiz KK-StPO Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung KMR Kleinknecht, Müller, Reitberger (Kommentar) KriK Kriminalpolitischer Kreis KriPoZ Kriminalpolitische Zeitschrift

Abkürzungsverzeichnis21 KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswis­ senschaft

KUG

Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie

LG Landgericht LR Löwe-Rosenberg LTO

Legal Tribune Online

m. mit MAH

Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung

MarkenG Markengesetz MDR

Monatsschrift für Deutsches Recht

medstra

Zeitschrift für Medizinstrafrecht

MschrKrim

Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform

MüKo-StGB

Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch

MüKo-StPO

Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

nacdl

National Association of Criminal Defense Lawyers

NF

Neue Folge

NJ

Neue Justiz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NK-StGB

NomosKommentar zum Strafgesetzbuch

Nr. Nummer NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NStZ-RR

Neue Zeitschrift für Strafrecht Rechtsprechungs-Report

NSU

Nationalsozialistischer Untergrund

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

o. D.

ohne Datum

OLG Oberlandesgericht OpferRRG Opferrechtsreformgesetz Ö-StPO

Österreichische Strafprozessordnung

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

P. paragraph para paragraphe PatG Patentgesetz PKS

Polizeiliche Kriminalstatistik

Prof. Professor PsychPbG

Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafver­ fahren

22 Abkürzungsverzeichnis RdJB

Recht der Jugend und des Bildungswesens

RefE Referentenentwurf RegE Regierungsentwurf RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RHiAngeklStärkG Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe RiStBV

Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren

RiVASt

Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten

RL Richtlinie Rn. Randnummer ROTI

Record of Tape Recorded Interview

ROVI

Records of Video Interview

R&P

Recht und Psychiatrie

RPsych Rechtspsychologie Rspr. Rechtsprechung RuP

Recht und Politik

RV Regierungsvorlage RW Rechtswissenschaft S. 

Satz, Seite

SchlHA

Schleswig-Holsteinische Anzeigen

schwStPO

Schweizerische Strafprozessordnung

Sec. Section SGB Sozialgesetzbuch SGG Sozialgerichtsgesetz SJZ

Schweizerische Juristen-Zeitung

SK-StPO

Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SSW-StPO

Satzger/Schluckebier/Widmaier – Strafprozessordnung mit GVG und EMRK Kommentar

StGB Strafgesetzbuch StORMG

Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Miss­ brauchs

StPO Strafprozessordnung StraFo

Strafverteidiger Forum

Abkürzungsverzeichnis23 StrÄndG Strafrechtsänderungsgesetz St. Rspr. ständige Rechtsprechung StV Strafverteidiger SVR Blätter Straßenverkehrsrecht TSO The Stationery Office u. a. unter anderem UAbs. Unterabsatz UN United Nations UN-BRK Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinde­ rungen (UN-Behindertenrechtskonvention) Univ. Universität UN-KRK Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechts­ konvention) u. U. unter Umständen v. von, vom v. a. vor allem Var. Variante VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche VO Verordnung vs. versus VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechts­ lehrer VwGO Verwaltungsgerichtsordnung WisteV Wirtschaftsstrafrechtliche Vereinigung e. V. wistra Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht ZAP Zeitschrift für die anwaltliche Praxis z. B. zum Beispiel ZIS Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik ZJJ Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZSchG Zeugenschutzgesetz ZSHG Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zugl. zugleich

Einleitung Der Dissertation soll ein Zitat des Gesetzgebers aus dem Jahre 1997 vor­ angestellt werden, das die Vorzüge und die Gefahren der Videotechnik im Strafverfahren prägnant zusammenfasst: „Bild-Ton-Aufzeichnungen fixieren dauerhaft Aussageinhalt und Aussageverhalten und ermöglichen deren grundsätzlich unbegrenzte Reproduzierbarkeit.“1

Die Videotechnologie ist unserer heutigen Strafprozessordnung nicht mehr fremd. In zahlreichen Vorschriften der Strafprozessordnung (§§ 58a Abs. 1, 58b, 118a Abs. 2 S. 2, 136 Abs. 4 S. 1 und 2, 161a Abs. 1 S. 2 [vgl. die Verwei­ sung auf §§ 48 ff. StPO], 168e S. 1 und 2, 233 Abs. 2 S. 3, 247a Abs. 1 S. 1 und 4, 463e Abs. 1 S. 1 StPO) finden sich Befugnisse zur Erstellung audiovisueller Aufzeichnungen von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen2 sowie von Anhörungen des Beschuldigten und Verurteilten im Rahmen des strafrecht­ lichen Ermittlungs-, Haupt- und Strafvollstreckungsverfahrens. Zusätzlich re­ geln die §§ 254, 255a StPO die Vorführung einer audiovisuell aufgezeichneten Erklärung des Angeklagten bzw. die Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung der Zeugenvernehmung in der strafrechtlichen Hauptverhandlung. Die Ermächtigungsgrundlage zur audiovisuellen Aufzeichnung einer Zeu­ genvernehmung im Ermittlungsverfahren ist heute in § 58a StPO geregelt. § 58a StPO wurde durch das Zeugenschutzgesetz (ZSchG) vom 30.04.19983 in die Strafprozessordnung eingeführt. Dieses am 01.12.1998 in Kraft getre­ tene Gesetz markiert eine Zäsur in der strafprozessualen Gesetzgebungsge­ schichte. Der Gesetzgeber hatte sich im Jahre 1998 erstmals für eine deutli­ che Ausweitung des Zeugen- und Opferschutzes entschieden und Möglich­ keiten zur Nutzung von Videotechnik in der Strafprozessordnung vorgesehen. Durch diesen Schritt wurde der (technische) Weg zu mehr Zeugen- und Op­ ferschutz endgültig geebnet. Das ZSchG bildete jedoch nur den Ausgangs­ punkt einer ganzen Reihe von Gesetzesänderungen mit Blick auf die Video­ 1  BT-Drucks.

13/7165, S. 6. Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden das generische Masku­ linum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist. 3  Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafver­ fahren und zur Verbesserung des Opferschutzes; Zeugenschutzgesetz), BGBl. I S.  820 ff. 2  Aus

26 Einleitung

technik. Eine besondere Beachtung verdient diesbezüglich das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017.4 Der Gesetzgeber betonte in seinem Gesetzentwurf5 die vom BVerfG konstatierten Aufgaben des Strafprozesses, hier vor allem die Wahr­ heitserforschung und den prozessordnungsgemäßen Nachweis von Tat und Schuld, und die sich hieraus ergebenden praktischen Schwierigkeiten ange­ sichts der hohen Arbeitsbelastung der Gerichte sowie der Bindung an das Beschleunigungsgebot.6 Der Staat sei vor diesem Hintergrund von Verfas­ sungs wegen dazu verpflichtet, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, „ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann“.7 Ausgehend von dieser Prämisse wurden mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Gestaltung des Strafverfahrens zahlrei­ che Regelungen erlassen, die der Verfahrensvereinfachung und -beschleuni­ gung dienen sollen. Als funktionstüchtiges Mittel zur Erforschung des wah­ ren Sachverhalts wurde insbesondere eine neue Regelung zur audiovisuellen Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren befürwortet.8 Im Fokus der strafprozessualen Reform standen somit nicht mehr die (Opfer-)Zeugen, sondern die Beschuldigten. Die dazugehörigen Vorschriften fanden sich auf der Grundlage des bisherigen Rechts in §§ 163a Abs. 1 S. 2, 58a Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 3, 58b StPO.9 Die Neuregelung wurde hingegen in § 136 Abs. 4 StPO verortet.10 Die Vorschrift gilt unmittelbar nur für richterliche Beschuldigtenvernehmungen; sie findet jedoch über § 163a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2 StPO auch für staatsanwaltliche und polizeiliche Beschuldigtenvernehmungen entsprechende Anwendung. § 136 Abs. 4 S. 1 StPO lässt – wie bislang fakultativ – die Aufzeichnung aller Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren zu. Zusätzlich besteht nun aber eine grundsätzliche Aufzeichnungspflicht, wenn dem Ver­ fahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen (§ 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StPO). Unter den Begriff der vorsätzlichen Tötungsdelikte fallen dabei die Delikte der §§ 211 bis 221 StGB im Falle einer vorsätzlichen Begehungsweise sowohl im Sta­ 4  BGBl. I

S. 3202 ff. 18/11277, S. 1. 6  Vgl. BVerfGE 9, 167 (169); 74, 358 (371); BVerfG NJW 2013, 1058 (1060). 7  BVerfGE 33, 367 (383); 122, 248 (272); 130, 1 (26). 8  BT-Drucks. 18/11277, S. 1 f. 9  § 163a Abs. 1 S. 2 StPO wurde durch Art. 3 Nr. 23 a) des Gesetzes zur effektive­ ren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017 aufge­ hoben, BGBl. I S. 3202 (3209). Die Regelung ist am 01.01.2020 in Kraft getreten, BGBl. I S. 3202 (3213). 10  BGBl. I S. 3202 (3208). 5  BT-Drucks.

Einleitung27

dium des Versuchs als auch der Vollendung. Erfasst sind ferner erfolgsquali­ fizierte Delikte, sofern der Vorsatz auch auf den Eintritt der schweren Folge gerichtet war.11 Eine Aufzeichnungspflicht besteht ferner, wenn dies der besseren Wahrung schutzwürdiger Interessen von minderjährigen Beschul­ digten dient oder von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden (§ 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 StPO). § 136 Abs. 4 StPO enthält damit die bislang weitreichendste Regelung zur Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmun­ gen. Die Vorschrift ist allerdings erst am 01.01.2020 in Kraft getreten12, um den Ländern eine Übergangsfrist für die Anschaffung der erforderlichen Technik einzuräumen.13 Im Anschluss an die Gesetzesreform aus dem Jahre 2017 ist das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 am 13.12.2019 in Kraft getreten.14 Der Gesetzgeber knüpfte hiermit ausdrücklich an die obigen Regelungsziele an15 und sah erstmals eine – unter gewissen Voraussetzungen geltende sowie unter einem Zustimmungsvorbehalt des Zeugen stehende – verpflichtende Regelung zur audiovisuellen Aufzeichnung der Zeugenverneh­ mung in § 58a Abs. 1 S. 3 StPO vor.16 Ferner wurde dem Zeugen auch ein Widerspruchsrecht im Hinblick auf die vernehmungsersetzende Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung in der Hauptverhandlung eingeräumt (§ 255a Abs. 2 S. 1 a. E. StPO).17 Neuerdings wurde mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozess­ ordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021, das am 01.07.2021 in Kraft trat18, auch eine Ermächtigungsgrundlage zur Bild- und Tonübertragung von mündlichen Anhörungen im Vollstreckungsverfahren geschaffen (§ 463e StPO).19 Durch den Verweis des § 136 Abs. 5 StPO auf § 58b StPO und die Folgeänderung in § 163a Abs. 4 S. 2 StPO wurde zudem ausdrücklich geregelt, dass nicht nur der Zeuge, sondern auch der Beschul­ 11  BT-Drucks.

18/11277, S. 27. S. 3202 (3213). 13  Die Anschaffungskosten in den Ländern werden auf 8.510.000 € geschätzt, vgl. hierzu BT-Drucks. 18/11277, S. 17. 14  BGBl. I S. 2121 (2127). 15  BT-Drucks. 19/14747, S. 1. 16  BGBl. I S. 2121. Zu den Folgeänderungen in § 255a Abs. 2 StPO, vgl. BGBl. I S. 2121 (2122). 17  BGBl. I S. 2121 (2122). Macht ein Zeuge von der ihm eingeräumten Wider­ spruchsmöglichkeit Gebrauch, schließt dies nach Ansicht des Gesetzgebers aber nicht die (vollständige oder teilweise) Vorführung der Videoaufzeichnung ergänzend zur Zeugenvernehmung aus; BT-Drucks. 19/14747, S. 35. 18  BGBl. I S. 2088 (2113). 19  BGBl. I S. 2099 (2107); BT-Drucks. 19/27654, S. 44, 114 ff. 12  BGBl. I

28 Einleitung

digte im Ermittlungsverfahren im Wege der Bild- und Tonübertragung ver­ nommen werden kann.20 In Anbetracht der Fülle von strafprozessualen Vorschriften zur Bild-TonAufzeichnung müsste der Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren bereits Rechtswirklichkeit geworden sein. Viele Anhaltspunkte sprechen jedoch da­ für, dass die strafprozessuale Option einer Videovernehmung in den letzten Jahren nur zögerlich genutzt wurde. Zahlreiche Studien und Befragungen sowie Einschätzungen in der Literatur weisen darauf hin, dass die Umset­ zung der Videotechnik in der Rechtspraxis eher rückläufig ist.21 Die Zurück­ haltung im Umgang mit dieser neuen Technik wirft dabei zahlreiche Pro­ bleme auf. So stellt sich zunächst die Frage, inwiefern diese Studien und Befragungen in ihrer Zusammenschau ein repräsentatives Abbild der heutigen Videokultur in Strafverfahren darstellen. In einem zweiten Schritt muss er­ gründet werden, ob die Etablierung einer neuen Kultur der Videotechnik im Strafverfahren lediglich eine Eingewöhnungszeit benötigt oder die Vorschrif­ ten der Strafprozessordnung in ihrer jetzigen Fassung für eine rechtsprak­ tische Umsetzung zu eng gefasst sind (bzw. überhaupt untauglich sind). Vor diesem Hintergrund müssen die Regelungen des § 136 Abs. 4 StPO und § 58a StPO einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Die Erweiterung der Möglichkeiten für audiovisuelle Aufzeichnungen von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren hängt zu­ dem untrennbar mit der Frage der Zulässigkeit ihrer Einführung in die Haupt­ verhandlung zusammen. Die Arbeit soll sich daher auch mit den Möglichkeiten des Beweistransfers aus dem Ermittlungs- in das Hauptverfahren befassen (vgl. §§ 254, 255 StPO). Des Weiteren sind die sich von einer Videodokumentation der Hauptverhandlung versprochenen positiven Auswirkungen auf das Straf­ verfahren, aber auch die gewichtigen Bedenken, denen sich eine solche Do­ kumentationsform ausgesetzt sieht, in den Blick zu nehmen. Mithilfe einer ­Online-Befragung soll schließlich die Einstellung der Praktikerinnen und Prak­ tikern der Justiz in Baden-Württemberg zu dieser Thematik erfasst werden. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt damit auf der Frage, ob das Strafverfahren durch die derzeitigen Regelungen über den Einsatz der Video­ technologie tatsächlich effektiv und rechtskonform ausgestaltet wurde. Ein besonderes Augenmerk wird hierbei auf den schmalen Grat zwischen der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs einerseits und der Wahrung und Verwirklichung von Grundrechten andererseits gelegt. 20  BGBl. I

S. 2099 (2103); BT-Drucks. 19/27654, S. 38, 82. nur Altenhain, ZIS 2015, 269 (271 f.); Dieckerhoff, S. 226, 233, 240; Hartz, KJ 2006, S. 74 (77); Höttges, S. 159 ff., 239 ff., 266 ff.; KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 3; Scheumer, S. 108, 279; von Schlieffen, Freispruch 5/2014, 1; Schöch, FS MeyerGoßner (2001), S. 365 (367 ff.); Swoboda, S.  132 ff.; H. Vogel, S.  257 ff. 21  Vgl.

1. Kapitel

Das Strafverfahren im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgungsinteresse und Grundrechtsschutz § 1 Die Ziele des Strafverfahrens Die Auseinandersetzung mit den Zielen des Strafverfahrens ist für das Verständnis strafprozessualer Institute und Vorschriften unerlässlich. Der Er­ lass jedes neuen strafprozessualen Regelungskonzepts muss von der Prämisse ausgehen, einen Beitrag zur Verwirklichung der Verfahrensziele zu leisten. Die Notwendigkeit einer Rückbesinnung auf die Ziele des Strafverfahrens erlangt daher insbesondere vor dem Hintergrund der fortschreitenden Euro­ päisierung und Digitalisierung eine besondere Bedeutung.1

A. Die Feststellung und Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs „Strafnormen und deren Anwendung in einem rechtsstaatlichen Verfahren sind Verfassungsaufgaben.“2

Das BVerfG spricht dem rechtsstaatlichen Postulat der Aufrechterhaltung einer „funktionsfähigen Strafrechtspflege“ – entsprechend dem oben zitierten Grundsatz – Verfassungsrang zu.3 Es erkennt insbesondere die wirksame Aufklärung schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag eines rechts­ staatlichen Gemeinwesens an.4 Neben dem grundsätzlichen Erfordernis, den staatlichen Strafanspruch durchzusetzen5 folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip 1  Vgl.

Murmann, GA 2004, 65. 107, 104 (119). 3  BVerfGE 33, 367 (383); 51, 324 (344); BGHSt 31, 304 (309); HK-StPO/Gercke/ Temming, Einl. 3; a. A. Grünwald, JZ 1976, 767 (772 f.); ders., StV 1987, 453 (457); Hassemer, StV 1982, 275 ff.; Jahn, S. 189 ff.; kritisch auch Klawitter, StraFo 1990, 18 (19): Das „Zauberwort“ der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege sei eine „Nebelschwade“, hinter der Grundrechtsabbau betrieben wird; zur Funktionstüchtig­ keit der Strafrechtspflege als Argumentationstopos und der sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die subjektive Rechtsstellung des Einzelnen Sanchez, S.  163 ff. 4  Vgl. BVerfGE 77, 65 (76); 100, 313 (389); 107, 299 (316); 109, 279 (336). 5  BVerfGE 51, 324 (343 f.). 2  BVerfGE

30 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

dementsprechend aber auch ein Justizgewährleistungsanspruch des betroffe­ nen Bürgers.6 Ein Anspruch auf bestimmte einklagbare Maßnahmen ergibt sich hieraus jedoch nicht. Ebenso kennt die Rechtsordnung in der Regel keinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf eine Strafverfolgung Dritter durch den Staat.7 Die Befugnisse des Verletzten beschränken sich insofern regelmäßig auf das Strafantragsrecht (§ 158 Abs. 1 StPO, §§ 77–77e StGB) bei absoluten (z. B. §§ 123, 185, 194 StGB) und bei relativen Antragsdelikten (z. B. §§ 229, 230 StGB), das Privatklagerecht (§§ 374–394 StPO) und das Nebenklagerecht (§§ 395–402 StPO). Zudem kann der Verletzte seine bürgerlich-recht­lichen Ersatzansprüche gegen den Straftäter, die er an sich vor dem Zivilgericht ver­ folgen müsste (§ 13 GVG) schon im Strafverfahren geltend machen (Adhä­ sionsverfahren, §§ 403–406c StPO).8 Im Übrigen kann er auch im Wege des Klageerzwingungsverfahrens (§§  172 ff. StPO9) gegen die Einstellung des ­Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gem. § 170 Abs. 2 StPO vorgehen. Das Klageerzwingungsverfahren bezweckt dabei die (gerichtliche) Kontrolle des Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO)10 und ermöglicht dem 6  Der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch sichert den Zugang zu den Ge­ richten auch außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs des Art. 19 Abs. 4 GG; vgl. BVerfGE 108, 341 (347 f.). Das BVerfG stützt diesen Anspruch auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten, insbe­ sondere mit Art. 2 Abs. 1 GG; vgl. BVerfGE 54, 277 (292); 81, 347 (356); 88, 118 (123 f.); 93, 99 (107); 107, 395 (401); 119, 292 (295 f.); 122, 248 (270 f.). Ausführlich zum allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch Knauff, NVwZ 2007, 546 (547 f.); Maurer, FS Bethge (2009), S. 535, (540 ff.); Remmert, JURA 2014, 906 ff. 7  BVerfGE 21, 245 (261); 51, 176 (187); BVerfGK 17, 1 (5); BVerfG NJW 2002, 2861; 2015, 150; 2015, 3500 (3501); Holz, S. 115; Weigend, RW 2010, 39 (45 ff., 50 ff.). 8  Vgl. zur statistischen Anwendungshäufigkeit MüKo-StPO/Grau, § 403 Rn. 3 ff., der aufgrund den amtlichen Erledigungsstatistiken davon ausgeht, „dass das Adhäsi­ onsverfahren in deutschen Gerichtssälen immer noch eher eine Randerscheinung darstellt“; zur älteren Rechtslage Jescheck, JZ 1958, 591 (593): „totes Recht“; Köckerbauer, NStZ 1994, 305: „keinerlei praktische Bedeutung“; Scholz, JZ 1972, 725 (726): „praktische Scheinexistenz“. 9  Ausnahmsweise kommt i. R. des Verfahrens nach §§ 172 ff. StPO auch die An­ weisung an die Staatsanwaltschaft in Betracht, Ermittlungen überhaupt erst aufzuneh­ men und durchzuführen, wenn die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht rechtsfeh­ lerhaft verneint („Ermittlungserzwingungsverfahren“); vgl. OLG Hamm StV 2002, 128 (129); OLG Köln NStZ 2003, 682 (683): „Minus zur Anordnung der Erhebung der öffentlichen Klage“; OLG München NJW 2007, 3734 (3735); KG JZ 1991, 46 mit Anm. Eisenberg und Wohlers, NStZ 1991, 300; KG NStZ-RR 2014, 14 f.; MeyerGoßner/Schmitt, § 172 Rn. 1; a. A. OLG München StraFo 2014, 422. 10  Da das Gesetz die Antragsberechtigung von einer persönlichen Betroffenheit abhängig macht, geht eine nicht unbeachtliche Meinung im Schrifttum davon aus, dass die §§ 172 ff. StPO nicht nur der Verwirklichung des Legalitätsprinzips, sondern auch dem Schutz des Verletzten dienen; vgl. Beulke/Swoboda, Rn. 532; Deiters,



§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens31

Verletzten trotz des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft (§ 152 Abs. 1 StPO), diese unter bestimmten Voraussetzungen zur Anklageerhebung zu zwingen (§ 175 StPO).11 Das private Verfolgungsinteresse kann allerdings nur soweit geltend gemacht werden, wie der öffentliche Verfolgungszwang reicht (vgl. § 172 Abs. 3 S. 3 StPO12).13 Dies begegnet keinen verfassungsrecht­ lichen Bedenken, da der „Quasi-Rechtsbehelf“ nach §§ 172 ff. StPO inso­ fern – über die grundrechtlichen Gewährleistungen hinaus – „überobligato­ risch konstituiert“ wurde.14 Im Übrigen können verfassungsrechtliche Wertentscheidungen auch un­ mittelbar auf die Ausgestaltung des Straf- und Strafprozessrechts einwirken. So kann sich der Einzelne ausnahmsweise auf einen „Anspruch auf eine ef­ fektive Strafverfolgung“ berufen, wenn erhebliche Straftaten gegen höchst­ persönliche Rechtsgüter15 im Raum stehen und ein Strafverfolgungsverzicht im Einzelfall zu einer „Erschütterung des Vertrauens in das Gewaltmonopol des Staates und einem allgemeinen Klima der Rechtsunsicherheit und Ge­ walt“ führen könnte. In einem solchen Fall kann sich der Einzelne auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 und S. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG berufen und ein Tätigwer­ den der Strafverfolgungsorgane verlangen.16 Die wirksame Strafverfolgung stellt insoweit eine Ausprägung der staatlichen Schutzpflicht dar.17 S. 284; Frisch, JZ 1974, 7 (10); Krumm, StraFo 2011, 205; ders., NJW 2013, 2948; MüKo-StPO/Kölbel, § 172 Rn. 2: „kompromisshafte Doppelfunktion“; Vogel, wistra 1996, 219 (221); Walther, JR 2008, 405 (406); ausschließlich auf den Schutz der subjektiven öffentlichen Rechte des Verletzten abstellend Holz, S.  138 ff.; Roxin/Schünemann, § 41 Rn. 2; a. A. LR/Graalmann-Scheerer, § 172 Rn. 1 m. w. N.; Wohlers NStZ 1990, 98 (99). 11  KK-StPO/Moldenhauer, § 172 Rn. 1; vgl. zu den geringen Erfolgsaussichten eines Klageerzwingungsverfahrens Bischoff, NStZ 1988, 63 (64), der jedoch darauf hinweist, dass das Verfahren bereits durch seine Existenz eine „nicht zu unterschät­ zende Präventivwirkung“ für die Einhaltung des Legalitätsprinzips entfalte; vgl. hierzu auch die tabellarische Darstellung bei Meyer-Krapp, S. 101. 12  Der Antrag ist gem. § 172 Abs. 2 S. 3 StPO unzulässig, wenn das Verfahren ausschließlich eine Straftat zum Gegenstand hat, die vom Verletzten im Wege der Privatklage (§ 374 StPO) verfolgt werden kann, oder wenn die Staatsanwaltschaft nach einer der in § 172 Abs. 2 S. 3 StPO genannten Bestimmungen von der Verfol­ gung der Tat aus Opportunitätsgründen absieht. 13  MüKo-StPO/Kölbel, § 172 Rn. 2. 14  MüKo-StPO/Kölbel, § 172 Rn. 3. 15  Das BVerfG bezieht sich hierbei vor allem auf die Rechtsgüter Leben, körper­ liche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung und Freiheit der Person; vgl. BVerfG NJW 2015, 150; 2015, 3500 (3501). 16  Vgl. BVerfGE 39, 1 (36 ff.); 49, 89 (141 f.); 53, 30 (57 f.); 77, 169 (214); 88, 203 (251); 90, 145 (195); 92, 26 (46); 109, 190 (236); BVerfG NJW 2015, 150; 2015, 3500 (3501); OLG Bremen StV 2018, 268 (270); Dölling, GS Brugger (2013), S. 649 (659); SSW-StPO/Beulke, Einl. Rn. 6; vgl. zum Anspruch auf effektive Strafverfol­ gung nach der Rspr. des BVerfG Giehring, FS Ostendorf (2015), S. 353 ff.

32 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

B. Die Erforschung der materiellen Wahrheit in einem justizförmigen Verfahren Im Zentrum der Feststellung des staatlichen Strafanspruchs steht die Suche nach der materiellen Wahrheit: Im Gegensatz zum zivilrechtlichen Verfahren, das vom Dispositions- und Verhandlungsgrundsatz beherrscht wird und in dem die Entscheidung auf Grund einer vom Parteivorbringen abhängigen (formellen) Wahrheit ergeht, gilt im Strafverfahren für die Staatsanwaltschaft und das Gericht der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit (§§ 160, 244 Abs. 2 StPO).18 Demzufolge hat das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (§ 244 Abs. 2 StPO). Gegenstand der Aufklärungspflicht sind insbesondere diejenigen Tatsachen, die als Grundlage für die Anwendung des materiellen Rechts (und damit für die Entscheidung über den Schuld- bzw. Freispruch) relevant sein können.19 Der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich dabei nach den konkreten Umständen der jeweiligen Tat (§ 264 StPO) und dem bisherigen Verfahrensablauf.20 Das Gericht ist zudem verpflichtet, sich stets um den bestmöglichen Beweis zu bemühen21 und sich der Wahrheit so weit wie möglich anzunähern.22 Erforderlich ist mithin die Rekonstruktion des tatsächlich historischen Geschehensablaufs und nicht die bloße Feststellung des Sachverhalts, wie er sich aus Sicht der Verfahrensbeteiligten darstellt.23 Andernfalls könnte das materielle Schuldprinzip (nulla poena sine culpa) als zentrales Anliegen des Strafprozesses nicht verwirklicht werden.24

17  Vgl.

BVerfGK 17, 1 (6); BVerfG NJW 2015, 150; 2015, 3500 (3501). Einl. Rn. 10; vgl. auch Schünemann, FS Fezer (2008), S.  555 (559 f.); Schünemann, StV 1998, 391 ff.; Trüg, S.  203 ff.; Weigend, FS Rissingvan Saan (2011), S. 749 (751 ff.). 19  LR/Becker, § 244 Rn. 40; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 52. 20  BeckOK-StPO/Bachler, § 244 Rn. 11. 21  BVerfGE 57, 250 (277). 22  KK-StPO/Krehl, § 244 Rn. 28. 23  Eckhardt, S. 6; vgl. auch Habermas, FS Schulz (2016), S. 212: „Wir können jeder Aussage einen Sachverhalt zuordnen, aber wahr ist eine Aussage dann und nur dann, wenn sie einen wirklichen Sachverhalt oder eine Tatsache wiedergibt“; kritisch zur strukturellen Vereinbarkeit der Verständigung im Strafprozess (§ 257c StPO) mit dem Untersuchungsgrundsatz Fezer, NStZ 2010, 177 (181): „beispiellose Demontage eines zentralen Verfahrensgrundsatzes“; vgl. hierzu auch LR/Stuckenberg, § 257c Rn. 15: „strukturelle Gefährdung der Wahrheitssuche“; zur grundsätzlichen Verein­ barkeit von Konsens und Wahrheit Theile, NStZ 2012, 666 (667 ff.). 24  BVerfGE 57, 250 (275); BVerfG NStZ 1987, 419; Stoffer, S. 40. 18  Meyer-Goßner/Schmitt,



§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens33

Das Ziel, die materielle Wahrheit zu erforschen, ist jedoch nicht mit einem „absoluten Wahrheits- und Richtigkeitsanspruch“ verbunden.25 So wies be­ reits der Erste Strafsenat des Reichsgerichts im Jahre 1927 auf die Grenzen hin, die menschlichem Erkenntnisvermögen gezogen sind und betonte, dass „ein ‚absolut sicheres Wissen‘ […] der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen“ sei. Ein solches „absolut siche­ res Wissen“ könne einem Richter nicht abverlangt werden, da ansonsten „eine Rechtsprechung so gut wie unmöglich“ wäre.26 Aufschlussreich sind auch die Ausführungen des Dritten Strafsenats des Reichsgerichts aus dem Jahre 1932: Die richterliche Überzeugung werde „nicht durch das Bewusst­ sein ausgeschlossen, dass jedes auf menschlicher Erkenntnis beruhende Ur­ teil, mag es auch noch so sicher erscheinen, allen Fehlern und Irrtümern unterworfen ist, die durch die Unzulänglichkeit dieser Erkenntnis bedingt sind“. Objektive Wahrheit sei demnach nur „gedanklich vorstellbar“. Ihr Nachweis durch menschliche Erkenntnis sei „begrifflich unmöglich“, da diese an die erkennende Person gebunden und damit „von Natur subjektiv, also relativ“ sei. Dem Richter sei demzufolge „die Findung absoluter Wahr­ heit verschlossen“.27 Obwohl die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur richterlichen Beweiswürdigung nicht einheitlich war28 und auch der BGH ZIS 2014, 558 (560). 61, 202 (206); 72, 75, 372 (374); so schon RGZ 15, 338 (339): „Vermöge der Beschränkung der Mittel menschlichen Erkennens kann niemand […] zu einem absolut sicheren Wissen von der Existenz eines Thatbestandes gelangen. […] Wer die Schranken des menschlichen Erkennens erfaßt hat, wird nie annehmen, daß er in dem Sinne zweifellos von der Existenz eines Vorganges überzeugt sein dürfe, daß ein Irr­ tum absolut ausgeschlossen wäre“; RG JW 1928, 116 (117); 1935, 543, kritisch zur Terminologie Herdegen, FS Hanack (1999), S. 311 (313). 27  RGSt 66, 163 (164 f.); vgl. auch RG JW 1933, 454; 1935, 543; kritisch Herdegen, FS Hanack (1999), S. 311 (312): Die Entscheidung betreibe eine Art „Wortma­ gie“, da der Begriff der Wahrheit mit dem Prädikat ‚subjektiv oder relativ‘ versehen und „die so relativierte Wahrheit mit dem Repräsentationsgehalt der richterlichen Überzeugung gleichgesetzt“ werde. 28  Der Erste Strafsenat des Reichsgerichts setzte in RGSt 61, 202 (206) die Be­ griffe Wahrheit und Wahrscheinlichkeit im Wege einer Fiktion auf eine Stufe, indem er feststellte, dass sich der Richter „mit einem so hohem Grad von Wahrscheinlich­ keit begnügen“ müsse, „wie er bei möglichst erschöpfender und gewissenhafter An­ wendung der vorhandenen Mittel der Erkenntnis“ entstehe. Dieser Grad von Wahr­ scheinlichkeit gelte „als Wahrheit“, und das Bewusstsein des Erkennenden von dem Vorliegen dieser hohen Wahrscheinlichkeit gelte als die „Überzeugung von der Wahr­ heit“. Der Dritte Strafsenat des Reichsgerichts bezeichnete diese Gleichsetzung von Wahrheit und Wahrscheinlichkeit in RGSt 66, 163 (165) als „begrifflich schief und ungenau“ und präzisierte den Begriff der richterlichen Überzeugung wie folgt: Kei­ nesfalls genüge die Überzeugung der Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung. Das Urteil müsse vielmehr erkennen lassen, „dass der Tatrichter von der Schuld des An­ geklagten voll überzeugt ist“. Da dem Richter „die Findung absoluter Wahrheit ver­ 25  Weßlau, 26  RGSt

34 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

mehrfach versuchte, die Anforderungen an die Bildung der richterlichen Überzeugung zu präzisieren29, blieb unumstritten, dass der Begriff der „Wahrheit“ nicht als „absolute Wahrheit“, d. h. einer objektiv abbildenden Erkenntnis der Wirklichkeit, zu verstehen ist.30 Die strafprozessuale „Wahr­ heit“ existiert vielmehr nur relativ zu den erkennenden Personen und den

schlossen“ sei, könne er sich nur auf Grund einer „Abwägung des Für und Wider zu einer subjektiven oder relativen Wahrheit, nämlich zur richterlichen Überzeugung“ durchringen (RGSt 66, 163 (164)). Ausführlich zur historischen Entwicklung Herdegen, NStZ 1987, 193 (194 ff.); Mengler, S.  112 ff.; Paulus, FS Fezer (2008), S. 243 (244 ff.). 29  In BGH NJW 1951, 122 setzte der Bundesgerichtshof die Rechtsprechung des Reichsgerichts fort und präzisierte die Anforderungen an die richterliche Überzeu­ gungsbildung wie folgt: Für die richterliche Überzeugungsbildung sei es „erforder­ lich, aber auch genügend, daß ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, dem gegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr laut werden kön­ nen“. „Die bloße ‚theoretische‘ oder ‚abstrakte‘ Möglichkeit, daß der Angekl. nicht der Täter war, kann seine Verurteilung nicht hindern. Da eine solche Möglichkeit bei der Unzulänglichkeit menschlicher Erkenntnis nie ganz auszuschließen ist, wäre jede richterliche Wahrheitsfindung unmöglich“. Weitere Präzisierungen finden sich in BGH NJW 1951, 83: Der Richter könne seine Aufgabe nur dann sachgemäß erfüllen, „wenn er die ihm unterbreiteten Sachverhalte nicht mit abstrakt-theoretischen, son­ dern mit den Maßstäben des menschlichen Vermögens beurteilt“. Aufgrund der „be­ schränkten Mittel menschlichen Erkennens“ sei „ein absolut sicheres Wissen über sie kaum je erlangbar und die abstrakte Möglichkeit des Irrtums so gut wie immer vor­ handen“. Die richterliche Überzeugung dürfe daher „keine mathematische, jede Mög­ lichkeit des Gegenteils ausschließende Gewissheit voraussetzen“. Diese Thesen er­ reichten ihren Höhepunkt schließlich in einer dogmatisch fundierten Darstellung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung in BGH, GA 1954, 152 f. und insbesondere in BGHSt 10, 208 (209): Freie Beweiswürdigung bedeute, „daß es für die Beantwortung der Schuldfrage allein darauf ankommt, ob der Tatrichter die Über­ zeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht“; „diese persön­ liche Gewißheit“ sei „für die Verurteilung notwendig, aber auch genügend“. Der Be­ griff schließe „die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhaltes nicht aus“; vielmehr gehöre es gerade „zu ihrem Wesen, daß sie sehr häufig dem objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt“. Der menschlichen Erkenntnis sei bei „ihrer Unvollkommenheit ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang […] verschlos­ sen“. Es sei daher „die für die Schuldfrage entscheidende, ihm allein übertragene Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht“. Auf dieser Grundlage hat die subjektive Gewissheit des Tatrichters in der Rechtsprechung Aner­ kennung als notwendiges und auch genügendes Kriterium für die richterliche Über­ zeugungsbildung erlangt; vgl. nur BGHSt 26, 56 (63); 29, 18 (19 f.); BGH NStZ 1984, 180; 1986, 549 (550); 1988, 236 (237); 2010, 292 (293); BGH NJW 1988, 1680 (1681); 1990, 2073 (2074); BGH BeckRS 2016, 21250, Rn. 10; BGH NStZ-RR 2016, 380 (381). 30  Vgl. RGSt 66, 163 (164); BGHSt 10, 208 (209).



§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens35

Umständen des Erkenntnisvorgangs.31 Erschwerend kommt die mit der Wahrnehmung eines Vorgangs notwendigerweise verbundene Selektivität hinzu. So können Zeugen, auf deren Aussage der Tatrichter in erheblichem Maße angewiesen ist, zwangsläufig nur einen Ausschnitt aus der (subjekti­ ven) Wirklichkeit präsentieren.32 Womöglich treten auch Wiedergabemängel unbewusster oder bewusster Art im Rahmen der Sachverhaltsbeschreibung auf.33 Die Schwierigkeit der Sachverhaltsfeststellung obliegt sodann dem Tatrichter. Auch wenn die absolute Wahrheit damit für den erkennenden Richter un­ erreichbar ist, muss in ideeller Hinsicht dennoch das Bemühen darum sicher­ gestellt sein, dass jede Strafverfolgung und Verurteilung auf einer wahren materiellen Grundlage beruht.34 Im Hinblick auf das Rechtsstaatsgebot darf die Wahrheitssuche im Strafprozess jedoch keinesfalls um jeden Preis betrie­ ben werden.35 Sie darf vielmehr nur auf „justizförmige“ Weise, d. h. in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren erfolgen.36 Dies wird auch durch die Vielzahl der geltenden (meist ungeschriebenen) Beweisverwertungsverbote37 bestätigt. Die Erforschung der materiellen Wahrheit liegt dem Strafprozess 31  Hassemer, KritV 1990, 268 f.; HK-StPO/Gercke/Temming, Einl. Rn. 8; ausführ­ lich zum strafprozessualen Wahrheitsbegriff auch Krauß, FS Schaffstein (1975), S.  411 ff.; Stamp, S.  15 ff.; Weßlau, ZIS 2014, S. 558 ff. 32  Leitmeier, JR 2013, 64 (65); vgl. auch Gerrig, S. 159: „Eine Wahrnehmungser­ fahrung als Reaktion auf ein Reizereignis ist eine Reaktion der ganzen Person. Zu­ sätzlich zu den gelieferten Informationen, die durch Stimulation der sensorischen Rezeptoren entstehen, hängt unsere letztendliche Wahrnehmung davon ab, wer wir sind, wer um uns ist und was wir erwarten, wollen und wertschätzen“; ferner Schlüchter, S. 2. 33  Schlüchter, S. 2; vgl. auch Gerrig, S. 273, 274: „[Die] Genauigkeit der Erinne­ rung“ hänge davon ab, „wie sorgfältig der Gedächtnisinhalt enkodiert wurde“ und wie groß die „Übereinstimmung der Umstände beim Enkodieren und beim Abruf“ sei. […]. „Wenn Augenzeugen berichten, was sie gesehen haben“, dann seien „diese Gedächtnisinhalte“ insbesondere „störanfällig gegenüber Verzerrungen durch später hinzugekommene Informationen“. Diese neuen Informationen treten dann in Wech­ selwirkung mit den ursprünglichen Erinnerungen. Als Beispiele werden u. a. gezielte Fragestellungen, die neue Informationen enthalten und der Austausch mit anderen Zeugen genannt; vgl. zu den Fehlerquellen bei der Codierung, Speicherung und Wie­ dergabe von Informationen auch Artkämper/Floren/Schilling, Rn.  21 ff. 34  Vgl. Stoffer, S. 40. Dieses Bemühen schlägt sich in prozessualer Hinsicht insbe­ sondere in den Wiederaufnahmegründen nach § 359 Nr. 5 StPO (Beibringung neuer Tatsachen oder Beweismittel) und nach § 362 Nr. 4 StPO (glaubwürdiges Geständnis eines Freigesprochenen) nieder; vgl. Keiser, S. 107. 35  Vgl. BGHSt 14, 358 (365); 31, 304, (309). 36  Vgl. BVerfG StV 1990, 1 (2); BGHSt 14, 358 (364 f.); 31, 304 (309); Rieß, FS Schäfer (1979), S. 155 (168, 171, 192). 37  Zu den Voraussetzungen eines (unselbstständigen) Beweisverwertungsverbots Neuber, NStZ 2019, 113 ff.

36 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

insofern zwar als Zielvorgabe zugrunde (vgl. §§ 160, 244 Abs. 2 StPO); sie wird jedoch letztlich durch das Erfordernis einer prozessordnungsgemäßen Entscheidung in nicht unerheblichem Maße relativiert.38 Eine Beeinträchti­ gung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ist hiermit indes nicht verbunden.39 Vor dem Hintergrund rechtsstaatlicher Anforderungen ist eine Einschränkung des Begriffs der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege allein auf die effiziente Strafverfolgung nicht angebracht. Infolgedessen sind auch sämtliche verfahrensrechtliche Schutzfunktionen (z. B. Beweisverwer­ tungsverbote) integrale Bestandteile der Strafrechtspflege und keine Störun­ gen derselben. Ein anderes Ergebnis würde dem Rechtsstaatsprinzip, der jede Verfahrensordnung durchdringt, nicht gerecht.40 Abschließend bleibt somit festzuhalten, dass ein rechtsstaatliches Verfahren die ideelle Forderung nach einer absoluten Wahrheitsfindung nicht erfüllen kann. Dies ist aber der „Preis“, den ein Rechtsstaat (mit gutem Gewissen) „zu zahlen“ hat. Am Ende des Strafprozesses lässt sich daher kein unmittelbares Abbild der Realität, sondern nur eine „möglichst plausible Version der Wahrheit“ ergründen.41

C. Die materielle und prozessuale Gerechtigkeit im Strafverfahren Darüber hinaus steht auch das Verfahrensziel der Gerechtigkeit in einem engen Zusammenhang mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Ge­ bot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege: So hat das BVerfG mehrfach betont, dass der Staat von Verfassungs wegen gehalten sei, eine funktions­ tüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, „ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann“42. Die höchstrichterliche Rechtsprechung räumt der Gerechtigkeit hiermit zwar einen ausdrücklichen Platz im Strafverfahren ein; die einzelnen Elemente einer gerechten Ent­ scheidung können diesem Topos jedoch nicht entnommen werden. Auch 38  Heghmanns, Rn. 712; vgl. auch Beulke/Swoboda, Rn. 10: Das prozessordnungs­ gemäße Zustandekommen der Entscheidung sei daher eine weitere Aufgabe des Straf­ verfahrensrechts, die gleichberechtigt neben dem Erfordernis einer effektiven Straf­ verfolgung steht; Hassemer, S. 153: „Was er [der Richter] herausfindet, ist nicht die materielle Wahrheit, sondern die auf formalisiertem Wege gefundene, die ‚forensische Wahrheit‘ “; Volk, S. 194: „Die erstrebenswerte ‚Wahrheit‘ wird zum Ergebnis einer Güterabwägung“. 39  A. A. Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387 (399): „Sand im Getriebe“. 40  So auch Neumann, ZStW 101 (1989), 52 (62); vgl. zur Formalisierung des Strafverfahrens und zur rechtsstaatlichen Relevanz der „schützenden Formen“ des Verfahrensrechts Hassemer, S.  136 ff. 41  Vgl. Jahn, Richterliche Überzeugung, LTO (11.01.2011). 42  BVerfGE 33, 367 (383); 122, 248 (272); 130, 1 (26).



§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens37

wenn einige Rechtswissenschaftler den Begriff der Gerechtigkeit schlichtweg für nicht subsumtionsfähig halten43, ist angesichts der sich stetig wandelnden Gesetzgebung44 zumindest ein Versuch seiner Konkretisierung unverzichtbar. Rückblickend ist der Begriff der Gerechtigkeit bereits seit der griechischen Antike Gegenstand philosophischer Debatten gewesen.45 Die klassische Ge­ rechtigkeitsformel „Jedem das Seine“ geht in ihrem Ursprung auf die Antike zurück und beschreibt seit Platon einen allgemeinen Grundsatz, wonach jeder Einzelne das erhalten soll, was ihm auch tatsächlich gebührt.46 Eine aus­ drucksvolle Umschreibung des Begriffs bietet ferner das formale Vergel­ tungsprinzip des Alten Testaments: „Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß.“47 Aristoteles verstand die ausgleichende Gerechtig­ keit48 hingegen als eine proportionale Wiederherstellung einer gerechten Verteilung von Gewinn und Schaden bzw. Verlust. Der geschuldete Ersatz sollte die ursprüngliche Situation so gut wie möglich wiederherstellen und einen angemessenen Ausgleich schaffen.49 Gerechtigkeit und Proportionalität waren hiernach eng miteinander verbunden.50 Im Laufe der Zeit wurde die Idee der Gerechtigkeit als Ordnungs- und Verteilungsprinzip in den unter­ schiedlichsten philosophischen Strömungen aufgegriffen und fortentwickelt.51 Auffällig war hier bereits die fehlende Beständigkeit einer festen Maßgröße in Bezug auf die gerechte Strafe.52 Der stetige Wandel des Gerechtigkeits­ S. 161; vgl. auch Jung, JZ 2004, 1155 (1156). den aktuellen Entwicklungen der Strafgesetzgebung unter dem Fokus der Strafgerechtigkeit Zabel, ZRP 2016, 202 ff. 45  Näher zur Klassifizierung der Gerechtigkeitstheorien Tschentscher, S.  80 ff. 46  Vgl. Platon, S. 169: Ein jeder solle „nur eine einzige Aufgabe im Staat überneh­ men, nämlich die, zu der seine Natur am besten geeignet ist“. Ferner: „Gerechtigkeit“ sei es, „wenn jeder seine Aufgabe erfüllt und nicht alles Mögliche treibt“ [433a]; Cicero, S. 20, 21: „suum cuique“; „jedem Einzelnen das zuzuteilen, was ihm zu­ kommt“ [15]. 47  2. Buch Mose 21, Vers 24. 48  Aristoteles unterscheidet zwei Arten von Gerechtigkeit: die Verteilungsgerech­ tigkeit und die ausgleichende Gerechtigkeit. Während sich die Verteilungsgerechtig­ keit auf die gerechte Verteilung von Gütern bezieht, betrifft die ausgleichende Ge­ rechtigkeit die Abwicklung vertraglicher Verhältnisse. Unter den Begriff der „vertrag­ lichen Verhältnisse“ werden hierbei sowohl willentliche (z. B. Kauf, Verkauf, Miete) als auch unwillentliche „Vertragsbeziehungen“ (z. B. Diebstahl, Mord, Beleidigung) subsumiert; vgl. hierzu auch Wolf, S.  102 ff. 49  Vgl. hierzu Wolf, S.  107 ff. 50  So auch Eichenhofer, NJW 2008, 2828 (2831); weitergehend Schünemann, FS Yamanaka (2017), S. 501 (503): „Rechtsverletzung verlangt Rechtswiederherstellung, nicht aber zwecklose Verletzung des Verletzers“. 51  Vgl. hierzu den Überblick bei Coing, S.  193 ff.; Kaufmann/von der Pfordten, S.  126 ff.; ferner Höffe, S.  6 ff. 52  Jung, JZ 2004, 1155 (1157). 43  Ellscheid, 44  Zu

38 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

postulates wurde schließlich auch durch die Abschaffung der Todesstrafe of­ fenbar.53 Im Zuge der zunehmenden Verrechtlichung des Straf- und Strafver­ fahrensrechts war mithin fraglich, auf welche Art und Weise Gerechtigkeit im Strafverfahren verwirklicht werden kann. Im Verhältnis zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit erlangte die von Gustav Radbruch im Zuge der strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Zeit im Jahre 1946 formulierte These (sog. Radbruch’sche Formel) Berühmtheit.54 Radbruch wendete sich mit seiner These ausdrücklich gegen den Rechtsposi­ tivismus55, nach dem jeder beliebige Inhalt Recht sein konnte. Zwar lässt die Radbruch’sche Formel die Geltung ungerechten und unzweckmäßigen Rech­ tes grundsätzlich unberührt; sie setzt dem positiven Recht jedoch eine „äu­ ßerste moralische Grenze“.56 Radbruch war sich hierbei bewusst, dass die

53  Während die Todesstrafe im Zeitalter des Nationalsozialismus noch als „Terror­ instrument“ eingesetzt wurde, vollzog sich in der Nachkriegszeit ein Systemwechsel, der vor allem von dem Bemühen geprägt war, sich von der nationalsozialistischen Diktatur abzugrenzen; vgl. Maunz/Dürig/Kersten, GG, Art. 102 Rn. 1, 3, 7. Neue verfassungspolitische Grundentscheidungen führten schließlich am 23.05.1949 zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der verfassungsrechtlich verankerten Abschaffung der Todesstrafe in Art. 102 GG; hierzu Maunz/Dürig/Kersten, GG, Art. 102 Rn. 9; zur Entstehungsgeschichte und Diskussion von Doemming, JöR, NF Bd. 1 (1951), 739 ff.; zur Abschaffung der Todesstrafe auch BVerfGE 18, 112 (116): Dieser Wortlaut [des Art. 102 GG] bringe zum Ausdruck, dass hier eine „grundsätz­ liche Entscheidung von besonderer, endgültiger Bedeutung“ getroffen wurde; ferner Koch, RuP 2005, 230 ff.; ders., JZ 2007, 719 ff.; Scholz, S. 88. 54  Vgl. Radbruch, SJZ 1946, 105 (107): „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat […] wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur unrich­ tiges Recht‘, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur“; kritisch zur Radbruch’schen Formel mit Blick auf das Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) aber Dencker, KritV 1990, 299, (304 ff.); Dreier, VVDStRL 51 (1992), 137; Isensee, VDDStRL 51 (1992), 136; Pieroth, VVDStRL 51 (1992), 102 ff. 55  Näher zum Rechtspositivismus Kelsen, S. 200 f.: „Eine Rechtsnorm gilt nicht darum, weil sie einen bestimmten Inhalt hat […], sondern darum, weil sie in einer bestimmten, und zwar in letzter Linie in einer von einer vorausgesetzten Grundnorm bestimmten Weise erzeugt ist. Darum und nur darum gehört sie zu der Rechtsord­ nung, deren Normen dieser Grundnorm gemäß erzeugt sind. Daher kann jeder belie­ bige Inhalt Recht sein. Es gibt kein menschliches Verhalten, das als solches, kraft seines Gehalts, ausgeschlossen wäre, Inhalt einer Rechtsnorm zu sein“; vgl. hierzu auch Hart, S.  14 ff.; Hoerster, S. 9 ff.; ferner Kuch, S.  287 ff.; Pawlik, S.  17 ff. 56  Laskowski, JA 1994, 151 (154).



§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens39

Existenz „gesetzliche[n] Unrecht[s]“57 eine Gefährdung für die Rechtssicher­ heit eines Staates hervorrufen könnte. Er hoffte jedoch, dass die Anwendung dieses Begriffs auf die NS-Zeit als „einmalige Verirrung und Verwirrung des deutschen Volkes“ beschränkt bleibe.58 In der Folgezeit bezogen sich auch der BGH59 und das BVerfG60 in Einzelfällen auf ein übergeordnetes nicht kodifi­ ziertes Naturrecht61. Im Rahmen der Beurteilung vorsätzlicher Tötungshand­ lungen von Grenzsoldaten der DDR an der Berliner Mauer versuchte der BGH sogar, die Formulierungen Radbruchs zu konkretisieren und einen entspre­ chenden Prüfungsmaßstab zu entwickeln.62 Insofern erlebte die Naturrechts­ lehre als Reaktion auf die Gewaltherrschaften des 20. Jahrhunderts immer wieder eine kurze Renaissance, ist aber heutzutage (nach dem Erlass einer modernen Verfassung, insbesondere der Gewährleistung individueller Grund­ rechte) in den Hintergrund rechtsphilosophischer Diskurse gerückt. Das grundsätzliche Dilemma zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit be­ schäftigt die Rechtswissenschaft jedoch bis heute noch.63 Gesetzgebung und Rechtsprechung waren dabei stets gewillt, das Spannungsverhältnis zwischen 57  Vgl.

zum Begriff Alexy, S.  22 ff.; Laskowski, JA 1994, 151 (161 f.). SJZ 1946, 105 (107). 59  BGHSt 39, 1 (15  ff.); 41, 101 (106 ff.); 41, 157 (164 ff.); 41, 247 (255 ff.); BGHZ 3, 94 (107). 60  Vgl. BVerfGE 1, 418 (429); 3, 58 (119); 3, 225 (232); 3, 288 (319 f.); 6, 132 (198 f.); 23, 98 (106). 61  Ausführlich zur Naturrechtslehre Ellscheid, S.  155 ff.; Kirste, S.  15 ff. 62  Vgl. BGH NJW 1993, 141 (144 f.): „Der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit muß so unerträglich sein, daß das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat (Radbruch, SJZ 1946, 105, 107). Mit diesen Formulie­ rungen […] ist nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft versucht worden, schwerste Rechtsverletzungen zu kennzeichnen. Die Übertragung dieser Ge­ sichtspunkte auf den vorliegenden Fall ist nicht einfach, weil die Tötung von Men­ schen an der innerdeutschen Grenze nicht mit dem nationalsozialistischen Massen­ mord gleichgesetzt werden kann. Gleichwohl bleibt die damals gewonnene Einsicht gültig, daß bei der Beurteilung von Taten, die in staatlichem Auftrag begangen wor­ den sind, darauf zu achten ist, ob der Staat die äußerste Grenze überschritten hat, die ihm nach allgemeiner Überzeugung in jedem Lande gesetzt ist. […] Heute sind kon­ krete Prüfungsmaßstäbe hinzugekommen: Die internationalen Menschenrechtspakte bieten Anhaltspunkte dafür, wann der Staat nach der Überzeugung der weltweiten Rechtsgemeinschaft Menschenrechte verletzt. Hierbei ist der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 (BGBl II 1973, 1534 – IPBPR –) von besonderer Bedeutung […]“. 63  Vgl. Volk, S. 196; ders., S. 198: Plakativ ausgedrückt: Die „Möglichkeit von Unrecht“ erscheint „bereits durch die Setzung von Recht bedingt“; ferner Peters, S. 191, der insbesondere auf die Bestimmungen in § 244 Abs. 3–6 StPO (Grundsatz der Gebundenheit an die Beweisanträge) verweist. Die Vorschrift habe die Absiche­ rung der Wahrheitsfindung und damit die Einzelfallgerechtigkeit durch Bindung des Richters zum Ziel. 58  Radbruch,

40 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

den Grundsätzen zu lösen.64 Beispielhaft können hier die §§ 359 ff. StPO an­ geführt werden, die für den Fall der Wiederaufnahme eines durch rechtskräf­ tiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens eine Lösung dieses Konflikts anbie­ ten.65 An dieser Stelle lässt sich daher festhalten, dass das Streben nach größt­ möglicher Gerechtigkeit im Strafverfahren ohne das Korrektiv der Rechts­ sicherheit zu kurz gedacht ist. Beide Grundsätze verdienen ihre Verwirklichung im Strafprozess und müssen daher zu einem Ausgleich gebracht werden. Eine weitere Bezugsgröße der Gerechtigkeit stellt das Prinzip der Wahrheit dar: Der Richter ist nach § 244 Abs. 2 StPO verpflichtet, sämtliche ihm zur Verfügung stehende Erkenntnisquellen in seine Entscheidung miteinzubezie­ hen.66 Kern der richterlichen Aufklärungspflicht ist es daher, die Wahrheit in Bezug auf die in Rede stehende Tat zu erforschen.67 Da ein gerechtes Urteil ohne die Ermittlung der entscheidungsrelevanten Tatsachen nicht vorstellbar ist, ist Wahrheit zugleich Voraussetzung der Gerechtigkeit.68 Der wesentliche Maßstab einer gerechten Entscheidung orientiert sich infolgedessen an der Erforschung und Feststellung des wahren Sachverhalts, mithin auf einer retro­spektiven Betrachtung der Handlungen des Angeklagten.69 Auf die Idee der Gerechtigkeit bezieht sich auch der Schuldgrundsatz („nulla poena sine culpa“).70 Hiernach darf niemand für eine Tat bestraft werden, wenn ihn keine Schuld trifft.71 Das BVerfG sieht die Grundlage des Schuldgrundsatzes in der von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Würde und der Eigenverantwortlichkeit des Menschen72 sowie im Rechts­ 64  Nach Volk, S. 198, ist mit den Instituten der Rechtsmittel, der Rechtskraft und der Wiederaufnahme auch eine typisierende Lösung dieser Abwägung vorgezeichnet. 65  BVerfG MDR 1975, 468 (469); BGH NJW 2003, 1261 (1262); vgl. hierzu auch Schmidhäuser, FS Schmidt (1961), S. 511 (513 ff.); Stock, FS Mezger (1954), S. 429 (447 f.). 66  BGH NJW 1987, 660 (661). 67  BGH BeckRS 2009, 21219, Rn. 8. 68  Neumann, ZStW 101 (1989), 52; Radtke, S. 145; Schmidhäuser, FS Schmidt (1961), S. 511 (512). 69  So auch Kröpil, JR 2013, 553 (555), Schönke/Schröder/Kinzig, Vor §§  38 ff. Rn. 16. 70  Vgl. Adam/Schmidt/Schumacher, NStZ 2017, 7 (13): „Das Schuldprinzip gehört zu den wesentlichen Gerechtigkeitsprinzipien unserer Rechtsordnung“. 71  Vgl. BVerfGE 20, 323 (331); 25, 269 (285). Während die Strafe an das Schuld­ prinzip gekoppelt ist und die Verfolgung präventiver Zwecke nur beschränkt zulässt, sind die Maßregeln der Besserung und Sicherung (§ 61 StGB) auf die Zukunft gerich­ tet und dienen dem Schutz der Allgemeinheit vor dem gefährlichen Täter (sog. Zwei­ spurigkeit des Strafrechts), näher Lackner/Kühl/Heger, § 61 Rn. 2. 72  BVerfGE 25, 269 (285); 45, 187 (259); 57, 250 (275). Der Schuldgrundsatz gehört folglich zur „Verfassungsidentität“, die durch Art. 79 Abs. 3 GG vor Änderun­ gen geschützt ist, BVerfGE 123, 267 (413).



§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens41

staatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).73 Seine verfassungsrechtliche Verankerung ist in Art. 103 Abs. 2 GG niedergelegt, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.74 Der Schuldgrundsatz hat ferner Niederschlag in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB gefunden.75 Hiernach ist die „Schuld des Täters […] Grundlage für die Zumessung der Strafe“.76 Gemessen an der Idee der Gerechtigkeit hat die Strafe folglich die Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein.77 Dies impliziert, dass Straftatbestand und Rechtsfolge sachgerecht aufeinander ab­ gestimmt sind78 und die Strafe in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Grad der persönlichen Schuld des Täters steht.79 Die mate­ rielle Gerechtigkeit des Strafverfahrens versteht sich folglich als eine Art der vergeltenden Gerechtigkeit, in der der Schuldige zu einer schuldangemesse­ nen Strafe verurteilt und der Unschuldige freigesprochen wird.80 Neben dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit sind zunehmend auch Aspekte prozessualer Gerechtigkeit in den Fokus der Rechtswissenschaft geraten.81 Die Anerkennung einer prozessualen Gerechtigkeit im Strafver­ fahren hängt allerdings mit der Frage des Verhältnisses von materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht zusammen: Mit der Durchsetzung des staat­ lichen Strafmonopols geht zwar primär die Verwirklichung des materiellen Strafrechts einher.82 Richtigerweise besitzt das Strafprozessrecht gegenüber dem materiellen Strafrecht jedoch nicht nur eine dienende Funktion. Das Strafverfahren wird vielmehr durch das Zusammenspiel von materiellem und 73  BVerfGE

20, 323 (331); 95, 96 (140); 120, 224 (253). BVerfGE 25, 269 (285). 75  MüKo-StGB/Maier, § 46 Rn. 29. 76  Die Grundlagenformel des § 46 Abs. 1 S. 1 StGB wurde aufgrund ihrer Unbe­ stimmtheit jedoch in der Literatur vielfach kritisiert; vgl. Baumann, GS Kaufmann, S. 513 (518): Die gesetzliche Regelung sei „nur sehr wenig hilfreich“ und „bewußt unklar gehalten“; Lackner, S. 7: „[D]er Richter sieht sich einer weder im Gesetz noch in der Rechtslehre geklärten Aufgabe gegenüber, wenn er die Strafe zumessen soll“; NK-StGB/Streng, § 46 Rn. 19: „erscheint als einigermaßen unbestimmt“; Stratenwerth, S. 13: „gesetzgeberische Fehlleistung von besonderem Rang“. 77  BVerfGE 45, 187 (253 f.); 109, 133 (173); 120, 224 (253 f.). 78  BVerfGE 20, 323 (331); 25, 269 (286); 27, 18 (29); 50, 205 (214 f.); 120, 224 (241). 79  Vgl. BVerfGE 6, 389 (439); 45, 187 (228); 73, 206 (253); 86, 288 (313); 96, 245 (249); 120, 224 (254). 80  Neumann, ZStW 101 (1989), 52 (53); Radtke, S. 132, 146. 81  Vgl. bereits Geerds, SchlHA 1964, 57 ff.; Henckel, S.  9 ff. 82  Die Verwirklichung des materiellen Strafrechts wurde insbesondere in der älte­ ren Literatur als ein wesentliches Verfahrensziel angesehen, vgl. Grunsky, S. 11; Weigend, S. 191 ff.; vgl. aus der neueren Literatur HK-GS/Dölling, Vor §§ 1 ff. StPO Rn. 1; MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 5; NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn.  199 f. 74  Vgl.

42 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

prozessualem Recht geprägt, sodass auch dem Strafprozessrecht ein eigen­ ständiger normativer Charakter zugesprochen werden kann.83 Man denke nur an Beweisverwertungsverbote oder das Institut der materiellen Rechts­ kraft im Falle eines materiell-rechtlich unrichtigen Urteils84. In beiden Fällen setzen sich letztlich verfahrensrechtliche Regeln gegenüber dem materiellen Recht durch. Aufgrund der normativen Eigenständigkeit des Strafprozess­ rechts erscheint es daher nur konsequent, auch den Verfahrensregeln eigene Funktionen der (Verfahrens-)Gerechtigkeit zuzuschreiben. Ausprägungen dieser Verfahrensgerechtigkeit sind daher etwa der in den Rang eines allge­ meinen Prozessgrundrechts erhobene Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG)85 und seine Teilgewährleistungen, beispielsweise der Grundsatz der Waffengleich­ heit86, das Recht des Beschuldigten, sich des Beistands eines Verteidigers zu bedienen (vgl. § 137 Abs. 1 S. 1 StPO)87 und der Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG).88

83  Vgl. Hörnle, ZStW 117 (2005), 834: „Nicht nur der Inhalt strafrechtlicher Ur­ teile, sondern auch die Art und Weise ihres Zustandekommens kann expressive Funktionen [im Sinne der Vermittlung von Werten und Einstellungen, über die sich eine Gesellschaft definiert] erfüllen“; Murmann, GA 2004, 65 (66 f.); Volk, S. 192 f., 201; zu den funktionalen Wechselwirkungen von Strafrecht und Strafprozessrecht Perron, FS Hanack (1999), S. 475 ff.; näher zu den Problemen einer rein instrumentellen Deu­ tung des Strafverfahrensrechts Neumann, ZStW 101 (1989), 52 (54 ff.). 84  Vgl. zu weiteren Beispielen Neumann, ZStW 101 (1989), 52 (54 ff.). 85  Vgl. BVerfGE 26, 66 (71); 38, 105 (111); ferner BVerfGE 57, 250 (274 f.); BVerfGE 64, 135 (145); vgl. zum Grundsatz des fairen Verfahrens auf europäischer Ebene Art. 6 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EU-GrCh; grundlegend zum fair trial-Prinzip EGMR-E 1, 100 (101); EGMR-E 2, 321 (325 f.); EGMR NStZ 1999, 47 (48); Jahn ZStW 127 (2015), 549 (559 ff.). 86  Nach dem Prinzip der Waffengleichheit („principle of equality of arms“) haben die sich im Verfahren gegenüberstehenden Personen gleiche oder zumindest gleich­ wertige Befugnisse bei der Wahrnehmung ihrer Interessen. Zugleich stehen ihnen damit auch gleichwertige Möglichkeiten zur Einwirkung auf die Entscheidungsfin­ dung zur Verfügung; näher hierzu EGMR-E 1, 100 Rn. 28 f.; BVerfGE 38, 105 (111); 110, 226 (253); BVerfG StV 2002, 578 (580); LR/Esser, Art. 6 EMRK (Art. 14 IPBPR) Rn. 202 ff.; SK-StPO/Rogall, Vor § 133 Rn. 106 ff.; SK-StPO/Meyer, Art. 6 EMRK, Rn.  151 ff. 87  Vgl. BVerfGE 39, 238 (243): „Der Anspruch auf ein faires Verfahren umfaßt das Recht des Beschuldigten, sich im Strafprozeß von einem gewählten Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen […]“; ferner OLG Dresden NStZ-RR 2012, 213; vgl. auf europäischer Ebene nur EGMR NJW 2009, 3707 (3708): „Das Recht jedes Beschuldigten, sich wirksam durch einen Rechtsanwalt verteidigen zu lassen, der notfalls von Amts wegen bestellt wird, ist zwar nicht absolut, zählt aber zu den wesentlichen Elementen eines fairen Verfahrens“. 88  Vgl. Sachs/Sachs, GG, Art. 20 Rn. 163; vgl. auf europäischer Ebene nur EMGRE 4, 450 Rn. 102: „Im strafrechtlichen Bereich impliziert ein ‚faires Verfahren‘ i. S. v.



§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens43

Die Gerechtigkeit einer Entscheidung bemisst sich somit jedenfalls auch danach, ob sie unter Verstoß gegen wesentliche Verfahrensrechte zustande gekommen ist. Die Verfahrensgerechtigkeit stellt jedoch „nur eine notwen­ dige, nicht aber eine hinreichende Bedingung“ einer gerechten Entscheidung dar.89 Die Entscheidung muss darüber hinaus auch auf einer wahren Tat­ sachengrundlage beruhen und sich durch die sachgerechte Anwendung der materiellen Strafrechtsnormen kennzeichnen. Zwar lässt sich hierbei – be­ sonders im Hinblick auf das Spannungsverhältnis der Verfahrensprinzipien „Gerechtigkeit“ und „Rechtssicherheit“ – keine allumfassende Gerechtigkeit im Strafverfahren erreichen.90 Dennoch muss in ideeller Hinsicht das ernst­ hafte und gewissenhafte Bemühen darum sichergestellt sein, dass jede Straf­ verfolgung und Verurteilung auf Gerechtigkeit ausgerichtet ist und diese auch mithilfe der strafprozessualen Instrumente bestmöglich verwirklichen kann. So werden etwa jene Entscheidungen als gerechter empfunden, die auf der Grundlage eines kommunikativen Prozesses zustande kommen, in denen sich sowohl der Angeklagte als auch der Opferzeuge in hinreichender Weise zur Sache äußern können.91 Die Akzeptanz von Verfahren und Strafe ist zu­ dem am größten, wenn auch die Allgemeinheit die richterliche Strafzumes­ sung „als gleichermaßen gerecht [erlebt]“.92 Schließlich müssen sich bereits die mit der Strafverfolgung beschäftigten Ermittlungsbehörden am Idealziel einer gleichmäßigen Überführung der Straftäter orientieren; eine einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Tätergruppen ist insofern unzulässig.93 Gerechtigkeit zeichnet sich daher vor allem durch eine gleich­ mäßige Rechtsanwendung gegenüber allen Bürgern in der Weise aus, dass Art. 6 Abs. 1, dass für den Angeklagten die Möglichkeit besteht, über die zu umstrit­ tenen Tatsachen eingeholten Beweise zu diskutieren “; näher Gaede, S.  302 ff. 89  So Neumann, ZStW 101 (1989), 52 (70), der sich gegen die Theorie einer rei­ nen Verfahrensgerechtigkeit ausspricht, nach der es keinen vom Verfahren unabhängi­ gen Maßstab für das richtige Ergebnis gibt; a. A. Habermas, S.  219 f.; Rawls, S.  106 f.; einen soziologischen Ansatz vertritt hingegen Luhmann, S. 25 ff., indem er auf die Legitimation durch das Verfahren und die faktische Anerkennung der Entscheidung abstellt. 90  So im Ergebnis auch Niese, S. 111: „Wie jedes Ideal ist die Gerechtigkeit als Ganzes niemals vollständig zu verwirklichen, auch nicht dadurch, daß man ihr im Einzelfall ungehemmt immer wieder nachjagt; Sauer, Allgemeine Prozessrechtslehre, S. 3: „Der Prozeß […] ist möglichste Realisierung der Gerechtigkeit“; Schmidhäuser, FS Schmidt (1961), S. 511 (514): „Gerechtigkeit ist ideales Ziel, letztlich immer un­ erreichbar“; plakativ Jung, JZ 2004, 1155 (1160): Der „Griff nach der Gerechtigkeit“ habe „mit den ‚hölzernen Handschuhen des Rechts‘, zumal des Strafrechts, fast schon die Qualität eines untauglichen Versuchs“. 91  Jung, JZ 2004, 1155 (1159); vgl. für das Jugendgerichtsverfahren Pfeiffer, S. 251; zu den Grenzen eines Konsensualprozesses Duttge, ZStW 115 (2003), 539 ff. 92  Schmidhäuser, S. 95. 93  Schmidhäuser, S. 96.

44 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

der Staat nicht willkürlich wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Un­ gleiches gleich behandeln darf (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG).94

D. Die Wiederherstellung des Rechtsfriedens Als weiteres übergeordnetes und absolutes Ziel des Strafverfahrens wird in der Literatur vielfach der Topos von der Wiederherstellung (bzw. Schaffung oder auch Sicherung) des Rechtsfriedens angeführt.95 Auch das BVerfG be­ tonte, dass die „Sicherung des Rechtsfriedens“ durch das Strafrecht seit jeher eine wichtige Aufgabe staatlicher Gewalt sei.96 Ebenso bekannte sich der BGH in seinen Entscheidungen ausdrücklich zu dem Prozessziel des Rechts­ friedens.97 Was unter dem Begriff des „Rechtsfriedens“ zu verstehen ist, erschließt sich allerdings nicht ohne weiteres. Der Ausdruck des „Friedens“ wird zwar generell benutzt, um einen Zustand des inner- oder zwischenstaat­ lichen Zusammenlebens in Ruhe und Sicherheit bzw. einen Zustand der Eintracht, Harmonie und Ruhe zu beschreiben.98 Der hier zu untersuchende Friedensbegriff muss jedoch in zweckmäßiger Weise eingeschränkt werden, da er sich nur auf den rechtlichen Frieden als Ziel eines Strafverfahrens be­ zieht. Er kann demnach nur eine spezielle Konfliktlage in einem konkreten Strafverfahren betreffen.99 Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses be­ darf der Begriff jedoch einer (weiteren) inhaltlichen Annäherung, um als sinnvolle Zielvorgabe wirken zu können.100 94  Neumann, FS Ellscheid (1999), S. 118 (122); Keiser, S. 113; vgl. zur Berücksich­ tigung des Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) im Strafverfahren auch Eser, ZStW 104 (1992), 361 (373); Zipf, FS Peters (1974), S. 498; vgl. ferner die Ausführungen des BVerfG zur lebenslangen Freiheitsstrafe in BVerfGE 45, 187 (260 f.): Die absolute Strafdrohung stelle „einen Beitrag zur Rechtssicherheit und gleichmäßigen Bestrafung der Straftäter“ dar. Bei einem schwerwiegenden Verbrechen (hier Mord) sei es „ein durch das Gebot der materiellen Gerechtigkeit gerechtfertigtes Anliegen auf eine mög­ lichst gleichmäßige Strafpraxis hinzuwirken“; ähnlich Jung, JZ 2004, 1155 (1157), der insbesondere auf den Dreiklang „Humanität, Maß und Gleichheit“ abstellt, um sich dem Begriff der Strafgerechtigkeit anzunähern; vgl. auch Zabel, ZRP 2016, 202, der unter Strafgerechtigkeit einen „gesetzlich-verfahrensförmige[n] Unrechtsausgleich“ versteht. 95  Vgl. nur Kröpil, JR 2013, 553 (555); Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 4; Paeff­ gen, S.  30 f.; Rieß, FS Schäfer (1979), S. 155 (170); ders., JR 2006, 269 (270 f.); Roxin/Schünemann, § 1 Rn. 3; Schmidhäuser, FS Schmidt (1961), S. 511 (516 ff.); Volk, S.  183 ff., Weigend, S. 195; Wolter, GA 1985, 49 (53). 96  BVerfGE 107, 104 (118). 97  Vgl. BGHSt 43, 195 (209); BGH NStZ-RR 2017, 105 (106). 98  Dudenredaktion (o. D.), „Friede, Frieden“, Duden online. 99  Vgl. Keiser, S. 119. 100  Kritisch MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 10: Der Begriff „Rechtsfrieden“ bringe „keinen wirklich neuen Erkenntniswert“; zur Problematik der abstrakten Friedens­ funktion auch Murmann, GA 2004, 65 (69 f.).



§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens45

Die Idee des Rechtsfriedens hat ihren Ursprung ebenso wie jene der Wahr­ heit und Gerechtigkeit im Rechtsstaatsprinzip.101 Daher verwundert es nicht, dass der Begriff des Rechtsfriedens häufig auch mit einem elementaren We­ sensmerkmal des Rechtsstaatsprinzips, der Rechtssicherheit102, in Verbindung gebracht wird: So soll der Strafprozess nach Sauer „Rechtsfrieden stiften, Rechtssicherheit gewähren, eine neue Ordnung schaffen“.103 Radbruch setzt beide Begriffe sogar gleich: „Rechtssicherheit, d. h. die Ordnung, der Frie­ de“.104 Eine ähnliche Verknüpfung zeigt sich auch bei Niese: „Neben der Sehnsucht nach Gerechtigkeit steht das Bedürfnis nach Rechtsfrieden und Rechtssicherheit. Um seinetwillen bietet die Rechtsordnung dem Streben nach Gerechtigkeit schließlich einmal Einhalt mit Hilfe der Rechtskraft.“105 Eine Durchbrechung der Rechtskraft von Strafurteilen lassen die §§ 359 ff. StPO, die der Lösung des Zielkonflikts zwischen der Rechtssicherheit und den Grundsätzen der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall dienen106, nur in engen Grenzen zu. Trotz des nicht von der Hand zu weisenden sachlichen Zusammenhangs von „Rechtsfrieden“ und „Rechtssicherheit“ und ihrer in­ haltlichen Überschneidungspunkte im Bereich der Rechtskraft, verbietet sich aber eine völlige Gleichsetzung der Begrifflichkeiten. Die Wiederherstellung des Rechtsfriedens erschöpft sich gerade nicht in der Produktion von Rechts­ kraft; ihr liegt darüber hinaus eine gewisse soziale Funktion zugrunde.107 Auch kann bei Vorliegen eines rechtskräftigen Fehlurteils weder aus der Sicht des zu Unrecht Verurteilten noch mit Blick auf die staatliche Schutz­ pflicht gegenüber der Allgemeinheit von einer Wiederherstellung des Rechts­ friedens gesprochen werden.108 „Rechtsfrieden“ wird daher zwar oft mit einer gewissen Rechtsbeständigkeit einhergehen, muss dies aber nicht zwingend tun. Es bedarf daher weiterer grundlegender Maßstäbe für die Zielfixierung. Einen Maßstab mit sozialer Dimension bietet etwa Schmidhäuser an, in­ dem er seiner Begriffsbestimmung die durch eine Straftat ausgelösten nega­ tiven Folgen in einer Gemeinschaft zugrunde legt und den Rechtsfrieden 101  Vgl.

Hesselberger, GG, Art. 20 Rn. 29. Rechtssicherheit als Element des Rechtsstaatsprinzips Maunz/Dürig/Grzeszick, GG, Art. 20 Rn. 50 ff. 103  Sauer, Allgemeine Prozessrechtslehre, S. 3. 104  Radbruch, S. 169. 105  Niese, S. 111. 106  BVerfG MDR 1975, 468 (469); BGH NJW 2003, 1261 (1262). 107  Die Rechtskraft einer Entscheidung kann als reines „Produkt“ des Strafverfah­ rens daher auch nicht selbst als Verfahrensziel betrachtet werden; vgl. hierzu Weigend, S. 197 ff., 199: Rechtskraft erkläre „zwar das Wohin, nicht aber […] das Wes­ halb des Prozesses“; Volk, S. 200; a. A. Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage, S. 151; ähnlich Sauer, Grundlagen des Prozessrechts, S. 249. 108  So auch Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 431. 102  Zur

46 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

demzufolge als einen Zustand begreift, „bei dem sich die Gemeinschaft beruhigen kann im Hinblick auf den Verdacht eines Rechtsbruches, der Strafe […]; oder besser: […] als ein[en] Zustand, bei dem von der Gemeinschaft vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich über den Verdacht ei­ ner Straftat beruhige“.109 Rechtsfrieden stelle insofern die „subjektiv-geistig gesehene Seite eines Teilbereiches der Rechtsordnung“ dar.110 Schmidhäuser kann jedenfalls insoweit zugestimmt werden, als er maßgebend auf die allge­ meine Erwartungshaltung gegenüber der Gemeinschaft („vernünftigerweise erwartet werden kann“) und nicht auf einen (nur schwer messbaren) fakti­ schen Zustand der Gemeinschaftsmitglieder abstellt. Der Begriff des Rechts­ friedens ist daher richtigerweise normativ zu verstehen.111 Unter welchen Bedingungen von der Rechtsgemeinschaft vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich über den Verdacht einer Straftat beruhigt, mithin Rechts­ frieden als normatives Konstrukt eintritt, bleibt jedoch nach wie vor fraglich. Da die Entscheidungen des Gesetzgebers aber im Wege einer ununterbroche­ nen Legitimationskette auf die Rechtsgemeinschaft zurückzuführen sind, können in den gesetzlichen Ausformungen des Rechtsfriedens zugleich auch entsprechende Leit- und Werteentscheidungen der Rechtsgemeinschaft selbst erblickt werden. Die Forderung nach Rechtsfrieden kommt in strafprozessualer Hinsicht etwa in den vom Opportunitätsprinzip beherrschten §§ 153 ff. StPO112 zum Ausdruck. Im Bereich der Bagatellkriminalität kann ein Strafverfahren ein­ gestellt werden, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht (§ 153 StPO). Die Mög­ lichkeit einer Verfahrenseinstellung besteht auch nach Erfüllung zuvor ange­ ordneter Auflagen und Weisungen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht (§ 153a StPO). Ob ein öffentliches Interesse an der Straf­ verfolgung i. R.d. § 153 StPO besteht, ist insbesondere danach zu beurteilen, ob die den Verdacht auslösende Straftat eine erhebliche Störung des Rechts­

109  Schmidhäuser, FS Schmidt (1961), S. 511 (521, 522) [Hervorhebungen durch die Verfasserin]; ähnlich Weigend, S. 215: Ziel des Strafverfahrens sei die „Wieder­ herstellung des Rechtsfriedens durch Klärung des Tatverdachts“, entgegen Schmid­ häuser müsse das Verfahren jedoch darauf gerichtet sein, die Beunruhigung, die der ungeklärte Verdacht einer Straftat bewirkt, auch tatsächlich aufzuheben; kritisch Murmann, GA 2004, 65 (70). 110  Schmidhäuser, FS Schmidt (1961), S. 511 (522). 111  So auch Duttge, ZStW 115 (2003), 539 (543); Volk, S. 201. 112  Die Strafverfolgungspflicht besteht nur „soweit gesetzlich nichts anderes be­ stimmt ist“ (§ 152 Abs. 2 StPO). Näher zu den Einschränkungen des Legalitätsprin­ zips SK-StPO/Weßlau/Deiters, Vor §§  151 ff. Rn.  7 ff.



§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens47

friedens ausgelöst hat.113 Im Bereich des § 153a StPO muss hingegen ein zunächst bestehenden öffentliches Interesse durch bestimmte Leistungen des Beschuldigten wieder kompensiert werden können.114 Befürwortet z. B. der Nebenkläger die Einstellung des Strafverfahrens, kann dieser Umstand ein Indiz für ein verringertes (kompensierungsfähiges) öffentliches Interesse sein.115 Eine wesentliche Anknüpfung an den Begriff des öffentlichen Inte­ resses ist überdies in den in §§ 374 ff. StPO geregelten Vorschriften zum Privatklageverfahren gegeben: Nach § 376 StPO wird eine öffentliche Klage wegen der in § 374 StPO bezeichneten Straftaten von der Staatsanwaltschaft nur dann erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Ein öffentliches Interesse ist dabei in der Regel gegeben, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört ist bzw. dem Verletzten wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter die Erhebung der Privatklage nicht zugemutet werden kann und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist (vgl. Nr. 86 Abs. 2 RiStBV116). Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch die Besonderheit des erfolglosen Sühneversuchs als Zulässigkeitsvoraussetzung der Privatklage (§ 380 StPO). Durch die au­ ßergerichtliche Streitbeilegung soll – neben der Entlastung der Strafgerichts­ barkeit und der Entkriminalisierung des Täters – auch der Rechtsfrieden wiederhergestellt werden.117 Das materielle Strafrecht trägt der Friedensfunktion vor allem durch das Institut der Strafverfolgungsverjährung (§§ 78 ff. StGB)118 und die Existenz absoluter und relativer Antragsdelikte (vgl. §§ 77 ff. StGB) Rechnung.119 Hervorzuheben sind ferner die Bestimmungen zum Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a StGB)120, die den Fokus stärker auf die Belange der Opfer richten und

113  MüKo-StPO/Peters, §  153 Rn. 29; SK-StPO/Weßlau/Deiters, § 153 Rn. 20; vgl. auch die Bestimmung in Nr. 86 Abs. 2 RiStBV, die nach MüKo-StPO/Peters, § 153 Rn. 27 indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines öffentlichen Interesses ha­ ben kann. 114  Zu den Kriterien LR/Mavany, § 153a Rn. 40 ff. 115  LG Frankfurt am Main NJW 1997, 1994. 116  Maßgebliche Kriterien sind hierbei das Ausmaß der Rechtsverletzung, die Roh­ heit oder Gefährlichkeit der Tat, die rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe des Täters oder die Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben, Art. 86 Abs. 2 S. 1 RiStBV. 117  Vgl. KMR/Stöckel, § 380 Rn. 1; SK-StPO/Velten, § 380 Rn. 1. 118  Zur Einbeziehung des Rechtsfriedens als Funktion der Verjährung OLG Karls­ ruhe StraFo 2017, 162 (163); Bloy, S. 189 f.; SK-StGB/Wolter, Vor § 78 Rn. 13; kri­ tisch Hörnle, FS Beulke (2015), S. 115 (121 f.). 119  Vgl. Schmidhäuser, FS Schmidt (1961), S. 511 (524). 120  Die entsprechenden strafprozessualen Vorschriften finden sich in §§ 155a, 155b StPO.

48 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

hierdurch die „friedensstiftende Wirkung“ des Strafverfahrens „ergänzen“.121 Insofern kann auch auf das Institut der Auflagen hingewiesen werden: Nach § 56b Abs. 1 S. 1 StGB kann das Gericht dem Verurteilten Auflagen erteilen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen. Die Erbringung der Auflage dient in diesem Fall der Wiederherstellung des verletzten Rechtsfrie­ dens.122 Schließlich trägt auch die (resozialisierungsfeindliche)123 kurzzeitige Freiheitsstrafe (§ 47 Abs. 1 StGB) der Friedensfunktion insoweit Rechnung, als eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur verhängt werden darf, wenn dies „zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich“ ist. Zur „Verteidigung der Rechtsordnung“ ist die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe wiederum geboten, „wenn eine Aussetzung der Vollstre­ ckung […] für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müßte und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts und in den Schutz der Rechtsordnung vor kriminellen Angriffen da­ durch erschüttert werden könnte“.124 Die Gesetzesfassung („besondere Um­ stände“, „unerlässlich machen“) und die amtliche Überschrift des § 47 StGB („Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen“) bringen jedoch die gesetzge­ berische Entscheidung zum Ausdruck, kurze Freiheitsstrafen nur als ultima ratio zuzulassen.125 Die aufgeführten Beispiele verdeutlichen, wer an dem strafrechtlichen Konflikt beteiligt ist: Es handelt sich im Wesentlichen um eine Auseinander­ setzung zwischen der Rechtsgemeinschaft und dem Tatverdächtigen.126 Die tatsächliche Mitwirkung des Opfers bzw. die unmittelbare Interaktion zwi­ schen Täter und Opfer ist demgegenüber nur in Einzelfällen relevant (vgl. §§ 376, 380 StPO, § 46a StGB).127 Im Rahmen dieser Konfliktlösung stellt die Gedankenformel von der „Wiederherstellung des Rechtsfriedens“ ein ideelles Ziel dar, dessen Verwirklichung seitens aller Justizakteure angestrebt werden sollte. Neben den aufgeführten materiellen und prozessualen Bestim­ 121  BT-Drucks.

12/6853, S. 21. OLG Hamm StV 2014, 100 (101): Das unmittelbare Tatopfer wird in die­ sem Fall „über die bloße zivilrechtliche Wiedergutmachung hinausgehend auch zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens stellvertretend für die Rechtsgemeinschaft ent­ schädigt“; LG Essen BeckRS 2018, 29232, Rn. 8; MüKo-StGB/Groß/Kett-Straub, § 56b Rn. 2. 123  Vgl. BGHSt 22, 192 (199) zur „Wirkungslosigkeit und kriminalpolitische[] Verfehltheit der Verbüßung sehr kurzer Freiheitsstrafen“; zu den unbeabsichtigten Nebenwirkungen von Verurteilung und Vollzug auch BGHSt 24, 40 (42 f.). 124  So BGHSt 24, 64 (66); weitergehend BGHSt 24, 40 (44): „spezielle General­ prävention“; ausführlich zu den Zweckgesichtspunkten Dreher, JR 1970, 228 ff.; Schönke/Schröder/Kinzig, § 47 Rn. 14. 125  Vgl. BT-Drucks. V/4094, S. 6; NK-StGB/Streng, § 47 Rn. 6. 126  Weigend, S. 218. 127  Weigend, S. 219. 122  Vgl.



§ 1 Die Ziele des Strafverfahrens49

mungen, die zur Friedensfunktion des Strafverfahrens beitragen, kommt hierbei auch dem Strafverfahren selbst (und nicht nur der staatsanwaltlichen oder richterlichen Entscheidung) eine zentrale Bedeutung für die Wiederher­ stellung des Rechtsfriedens zu. Zeichnet sich ein Strafverfahren etwa durch den Einsatz verbotener Vernehmungsmethoden aus, kann dieses Verfahren dagegen nicht für sich in Anspruch nehmen, dem Rechtsfrieden gleicherma­ ßen zu dienen wie ein Strafverfahren, dass seitens der Strafverfolgungsorgane durch das Streben nach einer gerechten Wahrheitsfindung geprägt war. Ebenso kann die Versöhnung zwischen dem Täter und der Rechtsgemein­ schaft durch die Verletzung des rechtlichen Gehörs oder des Grundsatzes der Waffengleichheit zwischen den Verfahrensbeteiligten behindert werden. Der Weg zum Rechtsfrieden erfordert daher als notwendiges Zwischenziel das ernsthafte und gewissenhafte Streben nach Gerechtigkeit.128 Bei der Errei­ chung dieses Zwischenziels spielen nicht zuletzt auch Aspekte der Verfahren­ stransparenz eine Rolle, da jene als grundlegende Voraussetzung für die Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz einer Entscheidung angesehen werden können.129 Ob am Ende eines Strafverfahrens die Entscheidung getroffen werden kann, es herrsche nunmehr Rechtsfrieden, beurteilt sich daher nicht nur an­ hand des Verfahrensergebnisses, sondern auch anhand des Verfahrens selbst. Die Wiederherstellung des Rechtsfriedens vollzieht sich dabei nicht in Form einer Naturalrestitution i. S. d. § 249 BGB130, vielmehr wechselt der Zustand der Rechtsgemeinschaft kraft normativer Feststellung von dem Zustand der Unruhe in jenen des Friedens.131 Abgesichert wird die durch das Verfahren erlangte Konfliktlösung schließlich durch die Rechtskraft einer Entscheidung, 128  Schmidhäuser, FS Schmidt (1961), S. 511 (523, 524): „[D]er Rechtsfriede läßt sich nur […] über ein Verfahren [erreichen], das schon als Verfahren das rechte Ver­ hältnis von Staat zu einzelnem zu verwirklichen sucht“; vgl. auch Würtenberger, FS Peters (1974), S. 211: „[D]ie den Frieden stiftende und gewährleistende Funktion des Rechts [wird] auf Dauer gesehen nur erfüllt, wenn zugleich auch den Maßstäben der Gerechtigkeit Genüge geschieht“; ähnlich Weigend, S. 216: „Rechtsfrieden wird also nicht durch ein möglichst ‚schneidiges‘, einseitig auf rücksichtslose Beweissammlung ausgerichtetes Verfahren erreicht, sondern eher durch einen Prozeß, der Fairneß de­ monstriert“. 129  Dies kommt grundlegend bereits in dem Öffentlichkeitsgrundsatz zum Aus­ druck (§ 169 GVG); zum Zweck des Öffentlichkeitsgrundsatzes als Kontrolle des Verfahrensgangs durch die Allgemeinheit BGHSt 27, 13 (15); vgl. auch BGH NStZ 1988, 467 (468). 130  Das zivilrechtliche Schadensersatzrecht ist durch den Grundsatz der Natural­ restitution geprägt (§ 249 Abs. 1 BGB): „Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre“. 131  Keiser, S. 121.

50 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

die als „außenstehender Faktor“ grundsätzlich132 und idealerweise133 zur Rechtsverbindlichkeit des wiederhergestellten Friedens und einem entspre­ chenden Vertrauen der Rechtsgemeinschaft in die Beständigkeit des Zustan­ des führt.

E. Schlussfolgerung Die aufgeführten (Teil-)Ziele des Strafprozesses zeigen in ihrer Gesamtheit die Funktionsordnung des deutschen Strafprozesses auf. Als zusammenfas­ sendes Ziel des Strafprozesses kann danach die Feststellung und Durchset­ zung des staatlichen Strafanspruches in einem auf die materielle Wahrheit gerichteten sowie Gerechtigkeit und Rechtsfrieden schaffenden justizförmi­ gen Verfahren bezeichnet werden. Der Strafprozess wird folglich von vielfäl­ tigen, sich teilweise ergänzenden, teilweise auch gegenläufigen ideellen Zie­ len geleitet. Diese Ziele können zwar nicht bei jeder Entscheidung erreicht werden; in jedem Falle ist aber das ernsthafte Bemühen der Zielerreichung durch verfahrensrechtliche Instrumente sicherzustellen. Die Rechtsanwender werden sich hierbei vielfach in Situationen wiederfinden, in denen sie die einzelnen Zielelemente gegeneinander abwägen und sodann prüfen müssen, welchem Ziel sie im Einzelfall den Vorrang einräumen134, vorausgesetzt, der Gesetzgeber hat den Zielkonflikt nicht selbst gelöst (wie z. B. in §§ 359 ff. StPO). Hierbei ist stets zu berücksichtigen, dass sich die Zielerreichung nicht nur anhand des Verfahrensergebnisses, sondern maßgebend anhand des Ver­ fahrens selbst beurteilt, sodass bereits dem Gesetzgeber die Aufgabe obliegt, jedes neue verfahrensrechtliche Instrumentarium daraufhin zu prüfen, ob es sich nahtlos in die bisherige Funktionsordnung des Strafprozesses einfügt. Dies gilt insbesondere für die geltenden und zukünftigen Vorschriften zur Anwendbarkeit von Videotechnologie im Strafprozess. Da die Rechtferti­ gungsanforderungen bei Eingriffen in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht je nach konkreter Eingriffsintensität variieren, ist im Ergebnis von folgender Prämisse auszugehen: Je tiefer der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich ge­ schützte Rechte des Einzelnen eingreift und je unausweichlicher sich die Si­ tuation für den Betroffenen darstellt, desto höhere Anforderungen sind auch an die Wertigkeit des zu schützendes Gutes und das Ausmaß der Zielverwirk­ lichung zu stellen.

132  Eine Ausnahme

StPO.

gilt im Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 359 ff.

133  Im Falle der Verurteilung eines Unschuldigen kann von einer Wiederherstel­ lung des Rechtsfriedens nicht ausgegangen werden; vgl. oben S. 45. 134  Vgl. Kröpil, JR 2010, 96 (97); ders., JR 2013, 553 (554).



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 51

§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Vernehmungssituationen Die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs kann in einem Rechts­ staat (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht absolut gelten. Die Mechanismen der Straf­ verfolgung greifen tief in das Leben und die Rechte des Beschuldigten und anderer Verfahrensbeteiligter ein, sodass ein wirksamer Schutz vor unver­ hältnismäßigen Eingriffen unabdingbar ist. Sie dürfen nicht zu bloßen Objek­ ten des Verfahrens degradiert werden und sind daher in der Strafprozessord­ nung und in der Verfassung mit Rechten ausgestattet, die die Wahrheitserfor­ schung behindern oder sogar gänzlich ausschließen können.135 Besondere Bedeutung kommt hierbei dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und seinen vielfältigen Ausprägungen zu.

A. Verfassungsrechtliche Grundlagen und praktische Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts I. Ein historischer Rückblick Die Geschichte des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts geht weit über hun­ dert Jahre, konkret auf die berühmte Bismarck-Entscheidung des RG vom 28.12.1899136, zurück: Zwei Journalisten verschafften sich widerrechtlich Zugang zum Sterbezimmer von Otto von Bismarck und fertigten von ihm Lichtbildaufnahmen unmittelbar nach seinem Tod an („Bismarck auf dem Sterbebett bzw. auf dem Totenbett“). Das RG hatte sich in der Folge u. a. mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Kinder von Otto von Bismarck die Vernichtung der Lichtbildaufnahmen sowie die Untersagung ihrer Verbrei­ tung verlangen konnten. Es prüfte den Fall nach dem gemeinen deutschen Recht137, da der damals in Hamburg bis zum Inkrafttreten des BGB (1900)

135  BGH

NStZ 2014, 596 (597). 45, 170. 137  RGZ 45, 170 (172 f.): „Da nun weder die Hamburger Statuten, noch der im preußischen Kreise Herzogtum Lauensburg geltende Sachsenspiegel noch sonst ein hierher gehöriges Partikulargesetz hier einschlagende Normen enthalten, so ist, abge­ sehen von etwa eingreifenden Reichsgesetzen jedenfalls nur das gemeine deutsche Recht zur Anwendung zu bringen“. 136  RGZ

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geltende „Sachsenspiegel“138 auf die Problematik einer solchen Momentauf­ nahme keine Antwort gab, und löste den Rechtsstreit (auf Grundlage des von den Journalisten begangenen Hausfriedensbruchs) schließlich mithilfe des Bereicherungsrechts. Im Ergebnis erkannte das RG, das Verlangen der Klä­ ger, die Abbildung vernichten zu lassen und ihre Verbreitung zu untersagen, als berechtigt an.139 Obwohl das RG seine Entscheidung – anders als die Vorinstanz140 – nicht auf eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts gestützt hatte, beeinflusste die Geschichte um Bismarcks Totenbild fortan die Ent­ wicklung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes.141 Der spektakuläre Vorfall führte insbesondere zur Regelung eines Teilbereiches des Allgemei­ nen Persönlichkeitsrechts, nämlich des Rechts am eigenen Bild, in dem Ge­ setz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie vom 09.01.1907 (KUG)142. Die erkennbar gewordene Rege­ lungslücke im Bereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts sollte durch die neu geschaffenen §§ 22 ff. KUG geschlossen werden, die einen Ausgleich zwischen der Achtung der Persönlichkeit und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit herzustellen suchten.143 Seit 1907 galt demzufolge der Grund­ satz, dass Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen (§ 22 S. 1 KUG). Wenngleich die Einführung der §§ 22 ff. KUG den gesetzlich geregelten Bildnisschutz einlei­ tete, dauerte es noch viele Jahre, bis das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als solches von der Rechtsprechung anerkannt wurde. Berühmtheit erlangte in­ sofern die Leserbrief-Entscheidung des BGH vom 25.05.1954144: In der Wochenzeitung „Welt am Sonntag“ wurde am 29.06.1952 ein Artikel über den früheren Reichsbankpräsidenten und Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht veröffentlicht. Anlässlich der von ihm neu gegründeten Außenhan­ delsbank setzte sich der Artikel vor allem mit seiner politischen Vergangen­ 138  Vgl. zu den Wirkungen des Sachsenspiegels auf die Rechtsentwicklung im Deutschen Reich Schroeder, JuS 1998, 776 ff. 139  Vgl. RGZ 45, 170 (174). 140  Vgl. hierzu die Ausführungen des Landgerichts Hamburg vom 08.09.1898, abgedruckt in Kohler, S. 69 f.: „Es ist, der Regel nach, ein Eingriff in die Rechte der Persönlichkeit der Hinterbliebenen, weil eine Verletzung ihres Pietätsgefühls, wenn man es unternimmt, ohne ihre Zustimmung ein Bildnis eines ihnen theuren Verstorbe­ nen anzufertigen, um es der Oeffentlichkeit zu übergeben. […] Die vorstehende Erör­ terung führt in ihrer Anwendung auf den vorliegenden Fall zu dem Schlusse, daß die von den Photographen […] vorgenommene photographische Aufnahme der Leiche des Fürsten BISMARCK schon deshalb als eine widerrechtliche Handlung sich dar­ stellt, weil sie ohne Genehmigung der Kinder des verstorbenen Fürsten erfolgt ist“. 141  Vgl. Seifert, NJW 1999, 1889 f.; Süß, JURA 2011, 610 (612 f.). 142  RGBl. S.  7 ff. 143  BVerfGE 101, 361 (387). 144  BGHZ 13, 334.



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heit während des nationalsozialistischen Regimes und der Nachkriegszeit auseinander. Hjalmar Schacht forderte daraufhin am 04.07.1952 über seinen Rechtsanwalt (und unter Berufung auf das geltende Presserecht in Verbin­ dung mit dem BGB und dem Urheberrecht) den Abdruck einer Berichtigung. Die Zeitung druckte das Schreiben des Rechtsanwalts anschließend in ge­ kürzter Form am 06.07.1952 in der Rubrik „Leserbriefe“ ab, so dass der Eindruck entstand, dieser habe sich als bloßer Leser an einem Diskussions­ beitrag beteiligen wollen. Der Rechtsanwalt erblickte in dieser Art der Veröf­ fentlichung seiner Aufforderung wiederum eine Verletzung seiner Persönlich­ keitsrechte und beantragte, die beklagte Verlagsgesellschaft zu verurteilen, in ihrer nächsten Ausgabe unter der Rubrik „Leserbriefe“ ihre Behauptung zu widerrufen, dass er einen Leserbrief eingesandt habe. Der BGH folgte schließlich dem Antrag des Klägers und sah durch die gewählte Art der Ver­ öffentlichung des Berichtigungsschreiben unter Weglassung wesentlicher Teile dieses Schreibens dessen persönlichkeitsrechtlichen Interessen als ver­ letzt an.145 Von besonderer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang die Ausführungen des BGH zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Er entwi­ ckelte das Allgemeine Persönlichkeitsrecht im Wege der richterrechtlichen Rechtsfortbildung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und erkannte dieses erstmals als verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht an. Hier­ durch wurde die Geburtsstunde des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts einge­ läutet: „Nachdem nunmehr das Grundgesetz das Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde (Art. 1 GrundG) und das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit auch als privates, von jedermann zu achtendes Recht anerkennt, soweit dieses Recht nicht die Rechte anderer verletzt oder gegen die verfassungsmäßige Ord­ nung oder das Sittengesetz verstößt (Art. 2 GrundG) muß das allgemeine Persön­ lichkeitsrecht als ein verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht angesehen werden. […] Jede sprachliche Festlegung eines bestimmten Gedankeninhalts ist, und zwar auch dann, wenn der Festlegungsform eine Urheberschutzfähigkeit nicht zugebilligt werden kann, Ausfluß der Persönlichkeit des Verfassers. Daraus folgt, daß grundsätzlich dem Verfasser allein die Befugnis zusteht, darüber zu entschei­ den, ob und in welcher Form seine Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden […].“146

In späteren Entscheidungen bemühte sich der BGH wiederholt um eine Konkretisierung der generalklauselartigen Weite des Allgemeinen Persön­ lichkeitsrechts.147 Diese Rechtsfortbildungen wurden seitens des BVerfG

145  BGHZ

13, 334 (338). 13, 334 (338 f.). 147  Vgl. nur BGHZ 15, 249 (258 ff.); 20, 345 (352 ff.); 26, 52 (67 f.); 26, 349 (354 ff.); 27, 284 (286 ff.); 31, 308 (311 ff.); 35, 363 (367 ff.). 146  BGHZ

54 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

auch gebilligt.148 Aufgabe des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist es seit­ her, „im Sinne des obersten Konstitutionsprinzips der ‚Würde des Menschen‘ (Art. 1 Abs. 1 GG) die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen“.149 Der In­ halt des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts wurde durch diese Begriffsbe­ stimmung jedoch nicht abschließend und für alle Zeit feststehend umschrie­ ben. Die einzelnen Ausprägungen des Grundrechts wurden vielmehr jeweils anhand des konkret zu entscheidenden Falles herausgearbeitet, sodass im Laufe der Zeit eine umfangreiche Kasuistik entstand.150 So sind als Ausprä­ gungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts u. a. anerkannt: die Achtung der Intim-, Geheim-, Privat-, Sozial- und Öffentlichkeitssphäre151, das Recht der persönlichen Ehre und das Verfügungsrecht über die Darstellung der ei­ genen Person152 sowie das Recht am eigenen Bild153, und am gesprochenen Wort154.

II. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Vor dem Hintergrund moderner Entwicklungen und neuer Gefährdungsla­ gen entstand zunehmend die Notwendigkeit eines weitergehenden Persön­ lichkeitsschutzes des Einzelnen.155 Eine Möglichkeit, den Grundrechtsschutz in diesem Sinne auszuweiten, bot sich dem BVerfG schließlich in seiner Grundsatzentscheidung zur Volkszählung vom 15.12.1983156: Anlass dieser Entscheidung war der geplante Vollzug des Gesetzes über eine Volks-, Be­ rufs-, Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung (Volkszählungsgesetz 1983) vom 25.3.1982.157 Die durch das Gesetz angeordnete umfassende Datenerhe­ bung158 löste eine nicht unerhebliche Beunruhigung in der Bevölkerung und 148  BVerfGE

34, 269 (271 ff.). 54, 148 (153). 150  Vgl. Seifert, NJW 1999, 1889 (1891). 151  Vgl. zur Sphärentheorie BVerfGE 27, 344 (350 f.); 32, 373 (378 f.); 35, 35 (39 f.); 44, 353 (372); 80, 367 (373); BVerfG NJW 2000, 2189; OLG Stuttgart NJW 2016, 2280 (2282) m. Anm. Cornelius, NJW 2016, 2280 (2283); Schertz, NJW 2013, 721 (723); Wenzel/Burkhardt/Peifer, S.  215 ff. 152  BVerfGE 35, 202 (220); 99, 185 (193 f.). 153  BVerfGE 35, 202 (224); 101, 361 (381). 154  BVerfGE 34, 238 (246). 155  Vgl. BVerfGE 54, 148 (153). 156  BVerfGE 65, 1. 157  BGBl. I S. 369. 158  Die Volks- und Berufszählung sollte nach § 2 des Volkszählungsgesetzes (VZG) folgende Daten erfassen, BGBl. I S. 369, 370: „1. Vor- und Familiennamen, 149  BVerfGE



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die Furcht vor einer unkontrollierten Persönlichkeitserfassung aus, sodass in der Folge mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das Volkszählungsgesetz erhoben wurden.159 Das BVerfG erklärte daraufhin zahlreiche Vorschriften des Gesetzes wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung für nichtig.160 Es erkannte das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als einen Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit als ein selbstständig vom Grundgesetz geschütztes Rechtsgut an und betonte die herausragende Bedeutung dieses Rechts für die Gewährleis­ tung einer freiheitlich demokratischen Grundordnung wie folgt: „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschafts­ ordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. […] Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. Hieraus folgt: Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfaßt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“161 Anschrift, Telefonanschluß, Geschlecht, Geburtstag, Familienstand, rechtliche Zuge­ hörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft, Staatsangehörigkeit; 2. Nutzung der Wohnung als alleinige Wohnung, Haupt- oder Nebenwohnung (§ 12 Abs. 2 des Melderechtsrahmengesetzes); 3. Quelle des überwiegenden Lebensunter­ haltes; 4. Beteiligung am Erwerbsleben, Eigenschaft als Hausfrau, Schüler, Student; 5. erlernten Beruf und Dauer der praktischen Berufsausbildung, höchsten Schulab­ schluß an allgemeinbildenden Schulen, höchsten Abschluß an einer berufsbildenden Schule oder Hochschule sowie Hauptfachrichtung des letzten Abschlusses; 6. bei Er­ werbstätigen sowie Schülern und Studenten Namen und Anschrift der Arbeits- oder Ausbildungsstätte; 7. bei Erwerbstätigen Geschäftszweig des Betriebes, Stellung im Beruf, ausgeübte Tätigkeit, Arbeitszeit, landwirtschaftliche und nichtlandwirtschaft­ liche Nebentätigkeit; 8. im Anstaltsbereich die Eigenschaft als Insasse oder die Zuge­ hörigkeit zum Personal oder zum Kreis der Angehörigen des Personals“. 159  Vgl. BVerfGE 65, 1 (3 f.). 160  BVerfGE 65, 1 (71): „Da die Absätze 1 bis 3 des § 9 VZG 1983 mit dem Grundgesetz unvereinbar sind und die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art 1 Abs. 1 GG verletzen, sind diese Vorschriften gemäß § 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG für nichtig zu erklären“. 161  BVerfGE 65, 1 (43); vgl. auch BVerfGE 84, 192 (194); 92, 191 (197); zur Bedeutung des Volkszählungsurteils für die Datenschutzdiskussion Hufen, JZ 1984, 1072 ff.; Simitis, NJW 1984, 398 ff.

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Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stellt dementsprechend nicht nur ein grundrechtliches Abwehrrecht des Einzelnen, sondern auch ein konstitutives Merkmal einer freiheitlich demokratischen Grundordnung dar. Vor dem Hintergrund der modernen Datenverarbeitung und der Notwendig­ keit eines umfassenden Grundrechtsschutzes schützt es daher vor jeder Form der staatlichen Erhebung, Speicherung, Verwendung, Weitergabe oder Veröf­ fentlichung von persönlichen Daten.162 Der Begriff der persönlichen Daten entspricht hierbei dem Begriff der „personenbezogenen Daten“ in § 46 Nr. 1 Hs. 1 BDSG und Art. 4 Nr. 1 Hs. 1 DSGVO: Umfasst sind daher alle Infor­ mationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare163 natürliche Person beziehen.164 Ein Eingriff in den Schutzbereich ist hierbei unabhängig davon zu beurteilen, ob die erhobenen und verwerteten Daten der Privatoder Intimsphäre des Einzelnen zuzuordnen sind; die „qualitative Aussage­ kraft“ der persönlichen Informationen ist irrelevant. Mithilfe der modernen Informationstechnologie kann durch die Zusammenlegung vielfältiger (und auf den ersten Blick belangloser) Daten sogar ein umfassendes Persönlich­ keitsprofil über eine Person erstellt werden.165 Berühmtheit erlangte insofern auch die Metapher vom „gläsernen Menschen“, die Ausdruck eines dystopi­ schen Weltbildes in Form einer zunehmenden „Durchleuchtung“ des Men­ schen seitens eines Überwachungsstaates ist.166 Die Gefahren der modernen Informationstechnologie waren nicht zuletzt auch dem BVerfG bewusst, das in seiner Entscheidung zur Volkszählung betonte, dass es „unter den Bedin­ gungen der automatischen Datenverarbeitung kein ‚belangloses‘ Datum mehr [gibt]“.167

162  Vgl. BVerfGE 65, 1 (43); 67, 100 (143); 92, 191 (197); 103, 21 (32); Maunz/ Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 176 m. w. N. 163  § 46 Nr. 1 Hs. 2 BDSG: „[A]ls identifizierbar wird eine natürliche Person an­ gesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser Person sind, identifiziert werden kann“; vgl. auch Art. 4 Nr. 1 Hs. 2 DSGVO. 164  Vogelgesang, S. 25. 165  Näher Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 174. 166  In diesem Zusammenhang wird häufig George Orwells dystopischer Roman „1984“ zitiert, in der ein totalitärer Überwachungsstaat dargestellt wird („Big brother is watching you.“). Vgl. zum Begriff des „gläsernen Menschen“ und zu den Gefahren der „Wißbegier des Staates“ für die verfassungsrechtliche Grundordnung von Westphalen, Die Neue Ordnung 1983, 37 (2), 136 ff. 167  BVerfGE 65, 1 (45).



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 57

Mit Blick auf die Werteordnung des Grundgesetzes ergeben sich jedoch auch grundlegende Einschränkungen des Rechts auf informationelle Selbst­ bestimmung: Eine Gesamtschau der Art. 1, 2, 12, 14, 15, 19 und 20 GG verdeutlicht, dass das Grundgesetz nicht von dem Menschenbild eines „iso­ lierten souveränen Individuums“ ausgeht.168 Der Mensch ist vielmehr in eine soziale Gemeinschaft eingebunden; er entfaltet seine Persönlichkeit, indem er mit anderen in Kommunikation tritt.169 Durch sein Handeln wirkt er auch auf andere Personen ein und berührt deren persönliche Sphären oder Interes­ sen der Gemeinschaft.170 Dies verleiht seinem Verhalten eine soziale Bedeu­ tung.171 Dem Einzelnen kann aufgrund seiner „Gemeinschaftsbezogenheit“ und „Gemeinschaftsgebundenheit“ daher hinsichtlich einer personenbezoge­ nen Information – als „Abbild sozialer Realität“ – keine uneingeschränkte Herrschaft zustehen.172 Dies führt zu einem Spannungsverhältnis zwischen dem Individuum, das selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Daten entscheiden möchte und der Gemeinschaft, die im konkreten Fall auf die Preisgabe und Verwendung dieser Daten angewiesen sein kann. Dieses Span­ nungsverhältnis ist im Einzelfall unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu lösen.173 Dieser mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Wesen der Grundrechte selbst, die als „Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur so weit be­ schränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist“.174 Schlussendlich sind auch die Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich aus der dogmatischen Anknüpfung des Rechts auf informationelle Selbstbe­ stimmung in Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ergeben: Der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Schutz der Menschenwürde wirkt mit zunehmender Nähe zum absolut geschützten Persönlichkeitskern (Art. 1 Abs. 1, 19 Abs. 2 GG)175 verstärkt auf den Schutzbereich ein. Die eingreifende Maßnahme steht damit unter umso höheren Rechtfertigungsanforderungen, je intensiver sie in den engeren persönlichen Bereich des Betroffenen eingreift.176 Diesen 168  BVerfGE

4, 7 (15 f.). 35, 202 (220); 65, 1 (44). 170  BVerfGE 35, 202 (220). 171  BVerfGE 80, 367 (374). 172  BVerfGE 65, 1 (43 f.). 173  Vgl. BVerfGE 65, 1 (44); 67, 100 (143); 80, 367 (379 f.); 92, 191 (197); 96, 171 (182); 103, 21 (33). 174  BVerfGE 19, 342 (348). 175  Vgl. BVerfGE 80, 367 (373 f.). 176  Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 130; vgl. auch v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 89; Sachs/Rixen, GG, Art. 2 Rn. 103. 169  BVerfGE

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Grundsätzen entsprechend hat das BVerfG auch die sog. Sphärentheorie177 entwickelt und dem Einzelnen einen unantastbaren Kernbereich privater Le­ bensgestaltung („Intimsphäre“) zugesprochen, der dem Staat verwehrt blei­ ben muss.178 Eine Abwägung nach den Maßstäben des Verhältnismäßigkeits­ grundsatzes findet hier nicht statt, da der Kernbereich der Persönlichkeit durch die unantastbare Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt ist.179 In dieser Sphäre „besitzt der Mensch sich selbst und muss sich dorthin ohne Zutrittsmöglichkeit der Umwelt, insbesondere der öffentlichen Gewalt, zurückziehen können“.180 Die Reichweite der einzelnen Sphären ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch nicht rein formalistisch zu verste­ hen. So wertete das BVerfG in seinem Beschluss vom 31.01.1973 eine heim­ lich hergestellte Tonbandaufnahme als der Privatsphäre (und nicht als der Intimsphäre) zugehörig, da das heimlich aufgezeichnete Gespräch lediglich eine geschäftliche Unterredung betraf. Es stellte zudem klar, dass die Ver­ wertung einer heimlich hergestellten Aufnahme unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebotes zulässig sei, wenn sie durch überwiegende Inte­ ressen der Allgemeinheit (etwa in Fällen schwerer Kriminalität) zwingend geboten ist.181 Selbst schriftlich niedergelegte Tagebuchaufzeichnungen seien nach einem umstrittenen und nur mit Stimmengleichheit182 ergangenen Be­ schluss des BVerfG vom 14.09.1989 nicht ausschließlich intim183: Die Tage­ buchaufzeichnungen gaben Aufschluss über die Vorgeschichte eines Mordes und seiner wesentlichen Ursachen; sie lieferten hiernach „den Schlüssel zum Verständnis des eigentlichen Tatgeschehens“. Damit verließen sie jedoch zu­ 177  Vgl. zur Sphärentheorie BVerfGE 27, 344 (350 f.); 32, 373 (378 f.); 35, 35 (39 f.); 44, 353 (372); 80, 367 (373); BVerfG NJW 2000, 2189; OLG Stuttgart NJW 2016, 2280 (2282) m. Anm. Cornelius, NJW 2016, 2280 (2283); Schertz, NJW 2013, 721 (723). 178  Vgl. BVerfGE 6, 32 (41); 27, 1 (6); 27, 344 (350); 32, 373 (378 f.); 35, 35 (39); 80, 367 (373). 179  Vgl. BVerfGE 34, 238 (245); 80, 367 (373). 180  Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 158. 181  BVerfGE 34, 238 (248 ff.). 182  Vgl. hierzu § 15 Abs. 4 S. 3 BVerfGG: „Bei Stimmengleichheit kann ein Ver­ stoß gegen das Grundgesetz oder sonstiges Bundesrecht nicht festgestellt werden“. 183  BVerfGE 80, 367 (374 ff.). Die Entscheidung erging mit vier zu vier Stimmen; zum Votum der vier überstimmten Richter BVerfGE 80, 367 (380 ff.); vgl. jedoch auch BGHSt 57, 71 (76 f.): „Auf den Inhalt der Gedankenäußerung und dessen mehr oder weniger großen Sozialbezug kommt es […] bei Selbstgesprächen nicht entschei­ dend an. Insoweit gilt etwas anderes als bei der Fixierung von Gedanken in einem Tagebuch oder bei der Erfassung des Gesprächs eines Beschuldigten mit Dritten. […] Spielte in der Tagebuchentscheidung die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes keine Rolle, weil der Betroffene seine Gedanken dort im Tagebuch fixiert […] hatte, so erlangt die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes als Abgrenzungskriterium im vor­ liegenden Fall besonderes Gewicht“.



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gleich den Kernbereich privater Lebensgestaltung, da ihr Inhalt (durch den engen Zusammenhang zur Straftat) Belange der Allgemeinheit betraf und sie durch die schriftliche Dokumentation aus dem „beherrschbaren Innenbereich entlassen“ und „der Gefahr eines Zugriffs preisgegeben“ worden seien. Be­ reits diese beiden Entscheidungen des BVerfG verdeutlichen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung die Sphären vor allem nach ihrem mate­ riellen Inhalt und Sozialbezug abgrenzt; maßgeblich ist dabei wiederum die Wertigkeit der gefährdeten Allgemeininteressen.184 Insofern vermittelt die Sozialsphäre einen weitaus geringeren Schutz als die Privat- oder Intim­ sphäre. Erfasst ist hier der Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung des Einzelnen im Kontakt mit seiner Umwelt vollzieht.185 Aufgrund ihres Sozialbezugs werden daher auch strafrechtlich relevante Verhaltensweisen nicht dem privaten Lebensbereich, sondern der Sozialsphäre des Einzelnen zugerechnet. Da dem allgemeinen Informationsinteresse in diesem Bereich ein hoher Rang beizumessen ist186, können im Rahmen eines Strafverfahrens grundsätzlich auch erhebliche Einschränkungen des Allgemeinen Persönlich­ keitsrechts einer Rechtfertigung zugänglich sein.187 Es bleibt festzuhalten, dass die Belange der Allgemeinheit, insbesondere die Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämp­ fung, maßgeblichen Einfluss auf die konkrete Sphärenzuordnung ausüben. Eine Abstufung nach einzelnen Schutzsphären kann vor diesem Hintergrund eine grundsätzliche Hilfestellung bei der praktischen Fallbearbeitung bieten. Um der facettenreichen Praxis genügen zu können, wird seitens der Recht­ sprechung eine allzu schematische Anwendung der Sphären jedoch vermie­ den. Insofern kann die Sphärentheorie eine einzelfallbezogene Güterabwä­ gung keinesfalls ersetzen.188 Der Einzelne wird Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung somit nur im überwiegenden 184  Maunz/Dürig/Di

Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 161. NJW 2003, 1109 (1110). Aufmerksamkeit erlangte in diesem Zusam­ menhang vor allem die Frage der Verwertbarkeit von Videoaufzeichnungen im Stra­ ßenverkehr, vgl. hierzu nur OLG Stuttgart NJW 2016, 2280 ff.; OLG Celle NStZ 2018, 293 ff. 186  Vgl. SK-StPO/Weßlau, Vor § 474 Rn. 7; Wenzel/Burkhardt/Peifer, S.  232 f. 187  SK-StPO/Weßlau, Vor § 474 Rn. 7; vgl. auch Keyssner, S. 41 f., der bereits im Jahre 1896 auf die Notwendigkeit einer weitergehenden Einschränkung des Allgemei­ nen Persönlichkeitsrechts hinwies: „Jedes Bildniß und selbst die Unzahl der Photo­ graphieen von Personen werden gemacht, um diese darauf wiederzuerkennen. Die Polizei- und Strafrechtspflege hat erkannt, welche Dienste die Photographie dem ­Sicherheitsdienst zu leisten vermag. Zur Feststellung der Personenfrage, Ermittelung der Verbrecher werden Photographien von Personen entnommen. Wo nun solche Bildentnahme im Dienste des öffentlichen Rechts nothwendig ist, muß das Abbild gewährt werden“. 188  Vgl. BVerfGE 35, 202 (221); Fechner, 4. Kap., Rn. 19 f. 185  BVerfG

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Allgemeininteresse und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismä­ ßigkeit hinnehmen müssen. Der staatliche Eingriff darf mithin nicht weiter­ gehen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen im konkreten Einzelfall un­ erlässlich ist.189 Unter Berücksichtigung des rechtsstaatlichen Gebotes der Normenklarheit ist weiterhin zu fordern, dass der Gesetzgeber den Verwen­ dungszweck einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung „bereichsspezifisch und präzise bestimmt“.190 Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die Verwendung der erhobenen Daten auf den gesetzlich fixierten Zweck be­ grenzt wird.191 Angesichts der Gefahren, die sich aus der Nutzung der auto­ matisierten Datenverarbeitung ergeben, hat der Gesetzgeber auch „mehr als früher […] organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu ­treffen, welche der Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts ent­ gegenwirken“.192 Der Topos vom „Grundrechtsschutz durch Organisation und Verfahren“ verdient hier also besondere Beachtung.193 Als verfahrens­ rechtliche Schutzvorkehrungen sind insbesondere Aufklärungs-, Auskunftsund Löschungspflichten, aber auch Weitergabe- und Verwertungsverbote zum Schutz gegen eine zweckentfremdete Nutzung vorzusehen.194 Die Anforde­ rungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung an eine in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifende Ermächtigungsgrundlage stellt, sind damit insgesamt als relativ hoch anzusehen.195 Dies gilt umso mehr, wenn die Erhebung und Verwendung individualisierter oder individua­ lisierbarer Daten im Raum steht.196

III. Verfassungsrechtliche Einordnung der Videodokumentation Die soeben dargestellten Grundsätze gewinnen vor dem Hintergrund der Modernisierung und Digitalisierung des Strafverfahrens zunehmend an Be­ deutung. Im Fokus steht hierbei insbesondere die Videodokumentation197 von 189  BVerfGE 65, 1 (44); 67, 100 (143); 84, 239 (279 f.); 85, 219 (224); BVerfG NJW 2001, 2320 (2321). 190  BVerfGE 65, 1 (46); vgl. auch Vogelgesang, S.  71 f. 191  BVerfGE 65, 1 (46); Jarass, NJW 1989, 857 (861). 192  BVerfGE 65, 1 (44), vgl. auch Vogelgesang, S.  79 ff. 193  Näher hierzu BVerfGE 35, 79 (121); 49, 220 (243); 52, 380 (389 f.); 53, 30 (65); 63, 131 (143). 194  BVerfGE 65, 1 (46). 195  Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 181 m. w. N.; zu den Anforde­ rungen an eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage auch Vogelgesang, S.  66 ff. 196  Vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 184. 197  Die Begriffe „Videodokumentation“, „Videoaufzeichnung“, „audiovisuelle Auf­ zeichnung“ und „Bild-Ton-Aufzeichnung“ werden im Folgenden als Synonyme ver­ wendet.



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 61

Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen im ermittlungsbehördlichen und gerichtlichen Strafverfahren. In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage nach dem betroffenen Schutzgut des Einzelnen im Falle einer Video­aufzeichnung. Durch die audiovisuelle Aufzeichnung einer Vernehmung werden sowohl optische als auch akustische Informationen der vernommenen und (idealer­ weise auch) der vernehmenden Person gespeichert und gegebenenfalls weiter­ verarbeitet. Diese Informationen sind sowohl im Falle der bildlichen Auf­ zeichnung als auch im Falle des gesprochenen Wortes als personenbezogene Daten zu qualifizieren, da sie persönliche Angaben einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person enthalten.198 Konkret greifen die Ermächti­ gungsgrundlagen zur audiovisuellen Dokumentation der Vernehmung daher in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen ein. Glei­ chermaßen ist aber auch der Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild sowie des Rechts am gesprochenen Wort199 betroffen.200 Ob den beiden letzteren Ausprägungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts im konkreten Fall eine eigenständige Bedeutung neben dem Recht auf informationelle Selbstbestim­ mung zukommt, ist jedoch fraglich. Problematisch erscheint insbesondere die 198  Vgl. zum Begriff der „personenbezogenen Daten“ § 46 Nr. 1 BDSG, § 4 Nr. 1 DSGVO; ferner Gola/Heckmann-BDSG/Schulz, § 46 Rn. 10, der als Beispiele für personenbezogene Daten „Fotografien“ und die „Sprechweise“ nennt; vgl. allgemein für Videoaufzeichnungen EuGH EuZW 2015, 234 (235). 199  Das Recht am gesprochenen Wort gewährleistet die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person im Rahmen der Kommunikation mit anderen. Der Schutz umfasst insbesondere die Befugnis, selbst zu bestimmen, wer sein Wort auf­ nehmen soll und vor wem seine auf Tonträger aufgezeichnete Stimme abgespielt werden darf; vgl. BVerfGE 34, 238 (246 f.); 106, 28 (39). 200  Der Gesetzgeber begnügt sich im Rahmen der konkreten Eingriffszuordnung mit der Feststellung, dass die „Anfertigung einer audiovisuellen Aufzeichnung von der Vernehmung grundsätzlich einen eigenständigen Eingriff in das allgemeine Per­ sönlichkeitsrecht der Betroffenen aus Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 GG [begründet]“; BT-Drucks. 796/16, S. 23; so auch bereits BT-Drucks. 13/7165, S. 5 f.; vgl. ferner Maaß, S. 50, die einen Eingriff in das Recht auf informa­ tionelle Selbstbestimmung, das Recht am eigenen Bild und das Recht am eigenen Wort annimmt; so auch Altenhain, ZIS 2015, 269 (275) für § 58a StPO; vgl. aber auch AnwK-StPO/v. Schlieffen, § 58a Rn. 1: Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort; ebenso Leitner, S. 45; Lüske, S. 169 f.; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 10; SSWStPO/Tsambikakis, § 58a Rn. 1; nur auf das Recht am eigenen Bild abstellend BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7a; vgl. auch Thoma, S. 87: Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Recht am eigenen Bild; Weigend, Audio-visuelle Aufzeichnung, S. 49 (52): Interesse an der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes und auf informationelle Selbstbestimmung; vgl. ferner auch Gerson, S. 886 ff., der im Falle einer audiovisuell aufgezeichneten Beschuldigtenver­ nehmung einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Selbstbezichtigungsfreiheit annimmt.

62 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

Frage nach dem Verhältnis des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Rechts am eigenen Bild. Das Recht am eigenen Bild gewährleistet dem Einzelnen Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Anfertigung und Verwendung von Fotografien oder anderen bildlichen Auf­ zeichnungen seiner Person durch andere.201 Es schützt damit insbesondere vor ungewollten Aufnahmen seines Abbildes durch Fotografie oder Film sowie deren Darbietung, Verbreitung oder sonstiger Verwertung.202 Demgegenüber schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Einzelnen vor jeder Form der staatlichen Erhebung, Speicherung, Verwendung, Weitergabe oder Veröffentlichung von persönlichen Daten203; es gewährt damit vor allem Schutz vor den technischen Möglichkeiten der Datenerfassung und -verarbei­ tung. Die Schutzrichtungen beider Rechtspositionen sind damit nicht völlig deckungsgleich. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wurzelt in dem Schutzbedürfnis des „gläsernen Menschen“; es bietet Schutz vor staatli­ cher Überwachung und soll einem Verzicht auf die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten entgegenwirken.204 Das Recht am eigenen Bild bezieht sich demge­ genüber auf das Bildnis selbst als abgebildeten „Gegenstand“ und die hierauf bezogene Verfügungsbefugnis. Das Recht am eigenen Bild ist demnach „ge­ genstandsbezogen“, während das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine darüber hinausgehende und das Recht am eigenen Bild vorgreifende „psychologische Komponente“ aufweist.205 Ein Teil der Literatur sieht das Recht am eigenen Bild daher nur als besondere Ausprägung bzw. als Unterfall des Rechts auf informationelle Selbst­bestimmung an206 oder setzt die beiden Ausprägungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts in praktischer Hinsicht gleich, da sich die Schutzbereiche jedenfalls überschneiden.207 Richtigerweise „liegt“ das Recht auf informa­tionelle Selbstbestimmung gleichsam „quer“ zu den zuvor anerkannten Ausprägungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts,

201  BVerfGE

101, 361 (381). Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 193. 203  Vgl. BVerfGE 65, 1 (43); BVerfGE 67, 100 (143); BVerfGE 92, 191 (197); BVerfGE 103, 21 (32); Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 176 m. w. N. 204  Vgl. BVerfGE 65, 1 (43); Büllesfeld, S. 125. 205  Büllesfeld, S.  125 f. 206  Gola, DuD 1989, 442; vgl. auch Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 193 mit Verweis auf BVerfGE 101, 361 (381), wonach das Recht am eigenen Bild letztlich auch als Konkretisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestim­ mung angesehen werden könne, da sich das Schutzbedürfnis vor allem aus den tech­ nischen Möglichkeiten ergebe, „das Erscheinungsbild eines Menschen in einer be­ stimmten Situation von diesem abzulösen, datenmäßig zu fixieren und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren“. 207  Vgl. Weichert, DANA 1988, 30. 202  Maunz/Dürig/Di



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 63

die sich auf personenbezogene Daten beziehen.208 Vor dem Hintergrund der technischen Möglichkeiten der datenmäßigen Erfassung personenbezogener Daten durch eine Videokamera und den hieraus resultierenden Gefahren für das Allgemeine Persönlichkeitsrecht kommt dem Recht am eigenen Bild auf­ grund seines begrenzten Schutzumfangs daher nur eine untergeordnete Bedeu­ tung zu. Gleiches gilt für das Recht am gesprochenen Wort. Die Dimension des Eingriffs wird im konkreten Fall der audiovisuellen Aufzeichnung einer Vernehmung mithin alleine durch das Recht auf informationelle Selbstbestim­ mung vollständig erfasst, sodass die beiden anderen Einzelausprägungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Folgenden außer Betracht bleiben.209 Festzuhalten bleibt, dass die gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen zur audiovisuellen Aufzeichnung einer Vernehmung einen erheblichen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG darstellen, dessen Rechtfertigung sich vornehmlich nach dem verfolgten Zweck und der Eingriffsintensität richtet. Die Prüfung der praktischen Umsetzbarkeit und Sinnhaftigkeit der bestehenden audiovisuel­ len Elemente im Strafverfahren ist allerdings untrennbar mit dem allgemei­ nen Vernehmungsablauf, insbesondere mit der differenzierenden Behandlung der verschiedenen Verfahrensbeteiligten und der sich hieraus ergebenden Unterschiede im Bereich des Persönlichkeitsschutzes, verbunden. Die Begut­ achtung der gegenwärtigen Vernehmungsstruktur geht der Prüfung der beste­ henden audiovisuellen Elemente im Strafverfahren bzw. der Frage ihrer Er­ weiterung daher notwendigerweise voraus.

B. Persönlichkeitsschutz in Vernehmungssituationen Nachfolgend soll in einem Überblick auf die gegenwärtige Vernehmungs­ situation des Zeugen im Vorverfahren eingegangen werden. Ein besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Vorschriften gelegt, die persönlichkeits­ schützenden Charakter aufweisen. 208  V. Münch/Kunig/Kunig/Kämmerer, GG, Art. 2 Rn. 76; vgl. auch Gola, DuD 1989, 442; Saeltzer, DuD 1997, 462; zum Meinungsstand Dreier/Dreier, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 79; Kloepfer/Breitkreuz, DVBl. 1998, 1149 (1150). 209  Ähnlich VGH BW NVwZ 2004, 498 (500), der im Rahmen der Videoüberwa­ chung öffentlicher Räume allein auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung abstellt: „Ob die streitgegenständliche Maßnahme daneben auch einen Eingriff in das Recht des betroffenen Bürgers am eigenen Bild […] darstellt […], kann offen blei­ ben. Denn wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist auch das Recht am eigenen Bild letztlich eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts […]. Deshalb lässt sich bezogen auf die Videoüberwachung nicht feststellen, dass das Recht am eigenen Bild geeignet wäre, einen weitergehenden Schutz zu vermitteln als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“.

64 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

I. Die Zeugenvernehmung 1. Zeugenrechte und -pflichten Zeugen sind aufgrund ihrer subjektiven und selektiven Wahrnehmungen nur bedingt zuverlässige (persönliche) Beweismittel im Strafprozess. Die allgemeine Fehleranfälligkeit einer Zeugenaussage stellt eine altbekannte Schwäche des Zeugenbeweises dar.210 Gleichwohl ist der Zeugenbeweis als Erkenntnismittel unverzichtbar, da durch die Aussage eines Zeugen das Strafverfahren häufig erst in Gang gesetzt wird und der Zeuge im Laufe des Verfahrens nicht selten das einzig zur Verfügung stehende Beweismittel ist. Die meisten Fälle werden in rechtspraktischer Hinsicht allein über den Zeu­ genbeweis gelöst.211 Umso wichtiger ist es, sich nicht nur den Beweiswert von Zeugenaussagen, sondern auch die Rechte und Pflichten des Zeugen zu vergegenwärtigen. Ein Zeuge ist eine Beweisperson, die in einem nicht gegen sich selbst ge­ richteten Strafverfahren persönliche Wahrnehmungen über Tatsachen bekun­ det.212 Die Fähigkeit, Zeuge zu sein, hat jeder Mensch, sofern er nur zur Wahrnehmung von Tatsachen und ihrer Wiedergabe in der Lage ist.213 Grundsätzlich können daher auch Kinder Zeugen sein, wenn von ihnen eine

210  Vgl. hierzu plakativ Bender/Häcker/Schwarz, Rn. 32: Der Mensch sei „[a]ls Zeuge eine ‚Fehlkonstruktion“; ferner Brause, NStZ 2007, 505 (506): „Die mensch­ liche Wahrnehmung unterliegt Fehlern und Irrtümern, sie wird möglicherweise inte­ ressengesteuert bewertet und zielgerichtet wiedergegeben“; KK-StPO/Ott, § 261 Rn. 95; Kühne, NStZ 1985, 252: Ausgangspunkte für falsche Zeugenaussagen seien insbesondere auf drei Ebenen zu finden: „der der Wahrnehmung, der des Erinnerns und der der Übermittlung“; Miebach, NStZ-RR 2014, 233: Die Zeugenaussage sei „das am wenigsten zuverlässige Beweismittel“; MüKo-StPO/Miebach, § 261 Rn. 218: Die Beweiskraft von Zeugenaussagen sei kritisch zu überprüfen, da diese (im Gegen­ satz zu objektiven Beweismitteln wie z. B. Urkunden) „Unvollkommenheiten und subjektive Unsicherheitsfaktoren“ aufweisen, so insbesondere im Hinblick auf die „Aussagetüchtigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit und Erinnerungsfähigkeit“, aber auch wegen einer „möglichen bewussten oder unbewussten Motivation“ (z. B. Handeln aus Rache, Eifersucht oder um als Kronzeuge Vorteile i. R. der eigenen Strafzumessung zu erhalten); Undeutsch, FG Peters (1984), S. 461; zu den Auswirkungen von Falsch­ aussagen auf den Prozessausgang Lange, S.  83 ff.; Peters, S. 161 ff., 171. 211  Vgl. BVerfG NJW 1975, 103 (104): „Die Möglichkeiten justizförmiger Sach­ aufklärung beruhen im wesentlichen auf dem Zeugenbeweis“; Lange, S. 83; Leitmeier, JR 2013, 64 (65); Peters, S. 207; Undeutsch, FG Peters (1984), S. 461. 212  Vgl. RGSt 52, 289; BGHSt 22, 347 (348); LR/Ignor/Bertheau, Vor § 48 Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 48 Rn. 1; Radtke/Hohmann/Otte, § 48 Rn. 1. 213  Vgl. BGHSt 2, 269 (270); MüKo-StPO/Maier/Percic, Vor § 48 Rn. 9; Radtke/ Hohmann/Otte, § 48 Rn. 16.



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 65

verständliche Aussage zu erwarten ist.214 Gegenstand des Zeugenbeweises sind persönlich wahrgenommene vergangene oder gegenwärtige Tatsachen, wobei die Tatsachen auch negativer oder eigenpsychologischer Art sein kön­ nen. Werturteile, Rechtsfragen, Schlussfolgerungen oder Mutmaßungen un­ terliegen hingegen nicht dem Zeugenbeweis.215 Die wesentlichen Pflichten des Zeugen bestehen darin, auf Ladung vor der Staatsanwaltschaft (§ 161a Abs. S. 1 StPO), in deren Auftrag vor der Polizei (§ 163 Abs. 3 S. 1 StPO)216 und vor dem Gericht (§ 48 Abs. 1 StPO) zu er­ scheinen und zur Sache auszusagen. Diese Pflichten können auch zwangs­ weise durchgesetzt werden (§§ 161a Abs. 1, Abs. 2, 163 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 4, 48 Abs. 1, 51, 70 StPO). Insofern besteht ein grundlegender Unterschied zur Aussagefreiheit des Beschuldigten (§§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 3 S. 1, 243 Abs. 5 S. 1 StPO). Mit der Pflicht des Zeugen, bei der Aufklärung von Strafta­ ten zur Verfügung zu stehen, korrespondiert grundsätzlich auch die Pflicht, wahrheitsgemäß und vollständig Angaben zu seiner Person sowie zur Sache zu machen (§ 57 S. 1 StPO217).218 Diese Zeugenpflicht ist zwar prozessual nicht erzwingbar; sie kann jedoch materiell-rechtlich relevant werden, d. h. der Zeuge kann sich bei einer falschen Aussage strafbar machen (z. B. nach §§ 153, 154, 145d, 164, 257, 258 StGB).219 Des Weiteren kann er bei Vorliegen beson­ derer Voraussetzungen auch vor Gericht vereidigt werden (§ 59 StPO)220, so­ fern nicht Ausnahmen vorgeschrieben oder zulässig sind (§§ 60, 61, 65 StPO). 214  Vgl. BGH NStZ 2015, 419; zur Zeugeneignung von Kindern und Jugendlichen Gley, StV 1987, 403 (405 ff.). 215  Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1003; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 48 Rn. 2. 216  Mit der am 24.08.2017 in Kraft getretenen Änderung des § 163 StPO durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017 (BGBl. I S. 3202) sind Zeugen nunmehr verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Vernehmung und Ladung ein konkreter Auftrag zugrunde liegt. Die ratio legis der Vorschrift besteht insbesondere darin, die Staatsanwaltschaft vor dem Hin­ tergrund knapper Ressourcen und unnötiger Verfahrensverzögerungen zu entlasten, vgl. BT-Drucks. 18/11277, S. 30; vgl. zu den Bedenken gegen die Ausweitung der polizeilichen Kompetenzen im Ermittlungsverfahren Beck, ZRP 2011, 21 (23 f.); DAV-Stellungnahme Nr. 19/2010, S. 6 ff. 217  § 57 StPO gilt für alle richterlichen Vernehmungen im Ermittlungs-, Zwischenund Hauptverfahren. Für die polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Zeugenverneh­ mung gilt § 57 S. 1 StPO entsprechend über §§ 161a Abs. 1 S. 2, 163 Abs. 3 S. 2 StPO, vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 12; KK-StPO/Bader, § 57 Rn. 2; MüKo-StPO/ Maier, § 57 Rn. 3 ff. 218  Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1084; vgl. auch MüKo-StPO/Maier/Percic, Vor § 48 Rn. 32, 35. 219  Vgl. KMR/Neubeck, Vor § 48 Rn. 9; Radtke/Hohmann/Otte, § 48 Rn. 6. 220  Vgl. zur Abschaffung der Regelvereidigung und zur Einschränkung des Eides „als Mittel der Wahrheitsfindung“ BT-Drucks. 15/1508, S. 23.

66 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

Diese Zeugenpflichten sind zugleich staatsbürgerliche Pflichten221, die von der Strafprozessordnung nicht erst begründet, sondern vielmehr voraus­ gesetzt werden222, nunmehr aber auch gesetzlich normiert sind.223 Zu diesen „Hauptpflichten“ können auch vereinzelte „Nebenpflichten“ hinzutreten, so beispielsweise die Duldung von körperlichen Untersuchungen (§ 81c StPO), die Teilnahme und Mitwirkung an Augenscheinseinnahmen224 oder die Dul­ dung von Gegenüberstellungen im Ermittlungsverfahren (§ 58 Abs. 2 StPO) oder im Hauptverfahren (§ 244 Abs. 2 StPO)225.226 Soweit der Zeuge zur Aussage verpflichtet ist, hat der Gesetzgeber ferner grundsätzlich darauf verzichtet, die Zulässigkeit der Erstellung einer Bild-Ton-Aufzeichnung von einer ausdrücklichen Einwilligung des zu Vernehmenden bzw. seines gesetz­ lichen Vertreters abhängig zu machen.227 Infolgedessen wird in der Literatur vielfach vertreten, dass der Zeuge auch eine angeordnete Bild-Ton-Aufzeich­ nung seiner Vernehmung als Bestandteil seiner Aussagepflicht zu dulden habe.228 Ungeachtet dieser prozessualen Verpflichtungen darf der Zeuge aber kei­ nesfalls zum bloßen (Verfahrens-)Objekt des Staates degradiert werden.229 221  BVerfGE 38, 105 (118); 49, 280 (284); BVerfG NJW 1988, 897 (898); NJW 2002, 955. 222  Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 48 Rn. 5; MüKo-StPO/Maier/Percic, Vor § 48 Rn. 32. 223  Diese Pflichten bestehen für alle deutschen Staatsangehörigen (auch wenn sie sich im Ausland aufhalten) und jedenfalls für Ausländer und Staatenlose, solange sie sich im Inland aufhalten, näher KK-StPO/Bader, Vor § 48 Rn. 2 m. w. N. 224  BGH GA 1965, 108 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 48 Rn. 6; Radtke/Hoh­ mann/Otte, § 48 Rn. 7. 225  Näher Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1188 ff. 226  Eingehend zu den Nebenpflichten des Zeugen Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn.  1184 ff. 227  Vgl. BT-Drucks. 13/7165, S. 6 zu § 58a a. F. StPO: „Gleichwohl erscheint es ratsam, daß sich der Vernehmende um ein kooperatives Verhalten des Zeugen be­ müht. Denn brauchbare auf Video aufgezeichnete Aussagen sind nur dann zu erwar­ ten, wenn der Zeuge mit einer solchen Maßnahme einverstanden ist“. 228  Vgl. Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1311a; KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 8; KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 19; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7a; MüKo-StPO/ Maier, § 58a Rn. 30. Näher hierzu S. 160 ff. 229  Vgl. BVerfGE 27, 1 (6); 38, 105 (114); 56, 37 (45); kritisch Dahs, NJW 1984, 1921 (1923 f.): „Teilhaberechte am Verfahren im Sinne des status activus hat er [der Zeuge] nicht; er ist eben – wenn man es etwas überspitzt ausdrückt – nur ein Beweis­ mittel, das vom Gericht und den Verfahrensbeteiligten benutzt wird, mithin ein ‚Ob­ jekt der Beweisaufnahme‘. […] Die Rechtsposition des ‚Verletzten‘ in der Zeugen­ stellung ist nur in den relativ seltenen Fällen besser, in denen er zugleich (anwaltlich vertretener) Nebenkläger ist“; diff. Jung, GA 1998, 313 (326, 327): „Die Verwendung des Begriffs ‚Prozeßsubjekt‘ suggeriert […] einen partizipatorischen Status oder […] den Status eines (Haupt-)‚Akteurs‘. […] Opferzeugen haben als Verletzte einen sol­



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 67

Das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtliche geschützte Persönlichkeitsrecht des Zeugen ist insofern „den Einwirkungen des Verfah­ rensrechts und seiner Anwendung durch die Verfahrensbeteiligten ent­ zogen“.230 Verbotene Vernehmungsmethoden sind dementsprechend auch im Rahmen einer Zeugenvernehmung unzulässig (§§ 69 Abs. 3, 136a StPO).231 Darüber hinaus stehen dem Zeugen in Vernehmungssituationen insbesondere die sog. Weigerungsrechte (§§ 52 ff. StPO) zu: So ist der Zeuge nicht zur Aussage verpflichtet, d. h. die Zeugnispflicht entfällt, wenn ihm ein Zeugnisverweigerungsrecht (§§ 52–53a StPO) zusteht oder er sich auf das Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) berufen kann.232 Letzteres beruht ausschließ­ lich auf der Achtung vor der Persönlichkeit des Zeugen.233 Als Folge des rechtsstaatlichen Grundsatzes, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare), gewährt § 55 Abs. 1 StPO dem Zeugen das Recht, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem der in § 52 Abs. 1 StPO bezeich­ neten Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.234 Sinn und Zweck des Aus­ sageverweigerungsrechts ist es mithin, dem Zeugen diesen (persönlichkeits­ relevanten) Konflikt zu ersparen.235 Über die Zeugnis- und Auskunftsverwei­ gerungsrechte ist der Zeuge vor jeder Vernehmung zu belehren (§§ 163 Abs. 3 S. 2, 161a Abs. 1 S. 2 StPO, 52 Abs. 3 S. 1, 55 Abs. 2 StPO). chen Status. Der ‚bloße‘ Zeuge ist […] nicht in derselben Lage. Seine Beteiligung ist auf seinen ‚Auftritt‘ im Rahmen der Beweisaufnahme in und außerhalb der Hauptver­ handlung beschränkt“. 230  BVerfGE 38, 105 (114). 231  Ausführlich hierzu Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 943 ff., 1024 ff.; zur Zuläs­ sigkeit neuer Vernehmungsmethoden (u. a. Polygraphie, Hypnose und neurowissen­ schaftliche Erforschung der Gehirnaktivitäten) dies., Rn.  945 ff. 232  Weitere Weigerungsrechte ergeben sich z.  B. aus dem Beratungsgeheimnis (§ 43 DRiG), aus dem Wahlgeheimnis (Art. 38 I GG) oder aus der Eigenschaft als Abgeordneter (Art. 47 S. 1 GG), vgl. LR/Ignor/Bertheau, Vor § 48 Rn. 24; MeyerGoßner/Schmitt, Vor § 48 Rn. 9. 233  BGHSt 11, 213 (216). Nur ganz ausnahmsweise kann sich eine Begrenzung des Zeugniszwangs auch unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erge­ ben, wenn die Vernehmung wegen der Eigenart des Beweisthemas in den grundrecht­ lich geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung des Zeugen, insbesondere in seine Intimsphäre, eingreifen würde, vgl. BVerfGE 33, 367 (374); ferner BVerfGE 38, 312 (325); BVerfG NJW 79, 1286. Die Rechtsprechung wird jedoch nur „äußerst selten“ Veranlassung dazu haben, eine verfassungsrechtliche Begrenzung des Zeug­ niszwangs in Erwägung zu ziehen, so z. B. „bei der Verfolgung bloßer Bagatelldelikte oder Ordnungswidrigkeiten von geringer Bedeutung, BVerfGE 33, 367 (375). Die Grenzen des Zeugniszwangs sind danach grundsätzlich dem einfachen Recht zu ent­ nehmen. 234  BVerfGE 38, 105 (113); BVerfG NJW 2002, 1411 (1412). 235  Vgl. BGHSt 11, 213 (217).

68 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

Zur Absicherung seiner Rechte kann sich der Zeuge schließlich in jeder Lage des Verfahrens eines anwaltlichen Beistands bedienen (§ 68b Abs. 1 S. 1 StPO). Dem Zeugenbeistand ist für die Dauer der Vernehmung die An­ wesenheit gestattet, sofern keine Ausschlussgründe nach § 68b Abs. 1 S. 3, 4 StPO eingreifen. Kann ein Zeuge seine Befugnisse bei der Vernehmung nicht selbst wahrnehmen, ist unter den besonderen Voraussetzungen des § 68b Abs. 2 StPO die Bestellung eines Zeugenbeistandes sogar verpflichtend.236 Dieses Recht gewährleistet dem Zeugen „um der Chancengleichheit willen“ die Möglichkeit, seine prozessualen Rechte sachgerecht und seinen Interes­ sen entsprechend wahrzunehmen und auf den Gang seiner Vernehmung Ein­ fluss zu nehmen.237 Auch für den Verletzten sieht § 406f Abs. 1 StPO das Recht vor, sich des Beistands eines Rechtsanwalts zu bedienen oder sich durch einen solchen vertreten zu lassen238; dem nach § 395 StPO nebenklageberechtigten Verletzten werden aufgrund seiner besonderen Schutzbedürf­ tigkeit hierbei zusätzlich die in § 406h StPO geregelten Rechte eingeräumt.239 Auf Antrag des Verletzten ist auch einer zur Vernehmung erschienenen Ver­ trauensperson die Anwesenheit gestattet, es sei denn dies gefährdet den Un­ tersuchungszweck (§ 406f Abs. 2 StPO). Dies kann insbesondere für Opfer von Gewaltdelikten eine wesentliche Erleichterung bei der Vernehmung mit sich bringen.240 Ergänzt werden diese Vorschriften schließlich durch die in § 406g StPO geregelte psychosoziale Prozessbegleitung als „nicht rechtliche Unterstützung“ des Verletzten.241 Der Beistand eines psychosozialen Prozess­ begleiters242 soll zum einen die mit der Durchführung eines Strafverfahrens verbundene Belastung für den Verletzten verringern und eine Sekundärvikti­ misierung vermeiden; zum anderen soll sie die Aussagetüchtigkeit des Ver­ letzten stärken und so letztlich auch für die Justiz einen Nutzen entfalten.243 236  Die Beiordnung eines Zeugenbeistandes soll nach dem Gesetzgeber jedoch nur im Ausnahmefall erfolgen. In Betracht komme eine Anwendung des § 68b Abs. 2 daher „nur in außergewöhnlichen Situationen, z. B. bei der Vernehmung von beson­ ders unreifen oder psychisch beeinträchtigten Personen“; BT-Drucks. 16/12098, S. 17, 18. 237  BVerfGE 38, 105 (114 f.). 238  Dem Verletztenbeistand steht gem. § 406f Abs. 1 S. 2 StPO ein Anwesenheits­ recht bei der Vernehmung zu. Das Anwesenheitsrecht bezieht sich hierbei – entspre­ chend § 68b Abs. 1 StPO – auch auf die polizeiliche Vernehmung, BT-Drucks. 16/12098, S. 36. Näher zu den sonstigen Befugnissen des Beistands KK-StPO/ Zabeck, § 406f Rn. 3. 239  BT-Drucks. 10/5305, S. 19. Zu den Befugnissen des „qualifizierten Verletzten­ beistandes“ SSW-StPO/Schöch, § 406f Rn. 4 ff. 240  BT-Drucks. 15/1976, S. 18. 241  BT-Drucks. 18/4621, S. 30. 242  Vgl. zu den Anforderungen an die Qualifikation § 3 PsychPbG. 243  BT-Drucks. 18/6906, S. 25.



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 69

Im Übrigen sehen die Regelungen der §§ 161a Abs. 5, 163 Abs. 7 StPO auch die entsprechende Geltung des § 185 Abs. 1 und 2 GVG vor und stellen da­ mit klar, dass für Zeugen im Bedarfsfall auch ein Dolmetscher zuzuziehen ist. Dieses Erfordernis ergibt sich jedoch bereits aus dem Amtsaufklärungs­ grundsatz.244 2. Vernehmungsablauf a) Vernehmung als Kommunikationsprozess Eine Vernehmung liegt nach allgemeiner Definition vor, wenn der Verneh­ mende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in die­ ser Eigenschaft von ihr Auskunft verlangt.245 Die Vernehmung der Aus­ kunftsperson bezweckt dabei neben der Wahrheitserforschung in Bezug auf den Sachverhalt und den Tathergang auch die Erfassung bzw. Dokumentation der diesbezüglich relevanten Informationen.246 Ob sich die Vernehmung hin­ sichtlich dieser Ziele als ertragreich darstellt, hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab, die zum einen sicherlich das juristische Wissen, zum anderen aber auch die sozialen Fähigkeiten des Vernehmenden betreffen: Einer Ver­ nehmung liegt häufig eine Art „Zwangskommunikation“ zwischen der Aus­ kunftsperson und dem Vernehmenden als Repräsentant des Staates zu­ grunde247, sodass die Grundbedingungen eines Kommunikationsprozesses – verglichen mit der Kommunikation im Alltagsleben – deutlich erschwert sind. Vor diesem Hintergrund ist es umso bedeutender, dass der Vernehmende die Grundregeln kompetenter Kommunikation beherrscht: Erstes Ziel muss es sein, bei der Auskunftsperson überhaupt erst die Bereitschaft zu erzeugen, eine „sinnvolle Kommunikation mit dem Vernehmenden zuzulassen“248; nicht der Vernehmende, sondern die Auskunftsperson definiert nämlich ihre Aussagebereitschaft und entscheidet über die Art ihrer Wissenspreisgabe.249 Hat der Vernehmende nach der ersten Kontaktphase einen Zugang zur Aus­ kunftsperson gefunden, folgt daraufhin die eigentliche Kunst der Kommuni­ kation im Rahmen einer Vernehmung: die „Beziehungsarbeit“.250 Der Ver­ 244  BT-Drucks.

18/4621 S. 25; SSW-StPO/Rosenau, § 185 GVG Rn. 25. 40, 211 (213); 42, 139 (145); BGH NStZ 2011, 596 (597); kritisch Jahn, NJW 2018, 1986 (1988 f.). 246  Vgl. Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 276. 247  Vgl. Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 501. 248  Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 551. 249  Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 556. 250  Vgl. hierzu die Beispiele bei Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 566 ff. mit Ver­ weis auf Mohr/Schimpel/Schröer, S.  25 ff., 31 ff., 38 ff. 245  BGHSt

70 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

nehmende sollte seinen Kommunikationsstil während der Vernehmung flexibel, situationsgerecht und vor allem authentisch gestalten können251; die Echtheit des Verhaltens ist insoweit Voraussetzung für eine gelungene Bezie­ hungsarbeit.252 Er sollte sich der Auskunftsperson zudem als „normaler Mensch“ präsentieren, um Barrieren abzubauen253 und zugleich den Kommu­ nikationsstil wählen, der die größtmögliche Informationsgewinnung gewähr­ leistet.254 Eine gelungene Vernehmung erfordert als Kommunikationsprozess mithin nicht nur Fach-, sondern auch Sozialkompetenz. Förderlich ist auch eine Grundeinstellung des Vernehmenden, die sich an einer humanistischen Wertordnung orientiert.255 Schließlich ist der Vernehmende auch an die me­ thodischen und rechtlichen Grundlagen einer Vernehmung gebunden, deren rechtmäßige Umsetzung gleichermaßen Voraussetzung für ein optimales Vernehmungsergebnis ist.256 Besondere Bedeutung kommt hierbei den straf­ prozessualen Spielregeln zu, die im Folgenden näher zu beleuchten sind. b) Rechtliche Rahmenbedingungen Die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Zeugenvernehmung ergeben sich aus den §§ 68–69 StPO.257 Hiernach gliedert sich die Zeugenverneh­ mung in die Vernehmung zur Person (§ 68 StPO258) und die zur Sache (§ 69 StPO). Am Beginn jeder Zeugenvernehmung steht die Feststellung der Per­ sonalien (§ 68 Abs. 1 StPO). Gegen einen Zeugen, der diese Angaben ohne gesetzlichen Grund verweigert, kann eine Geldbuße nach § 111 OWiG ver­ Rn. 527. Rn. 590. 253  Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 544. 254  Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 527. 255  Roll, Kriminalistik 2008, 666 (667). 256  Zum Erlangen der „Vernehmungskompetenz“ ist daher ein interdisziplinärer Ansatz erforderlich, vgl. Roll, Kriminalistik 2008, 666 (667 f.). 257  §§ 68–69 StPO gelten im Ermittlungs- und im Hauptverfahren bei allen rich­ terlichen, staatsanwaltlichen (§ 161a Abs. 1 S. 2 StPO) und polizeilichen (§ 163 Abs. 3 S. 2 StPO) Zeugenvernehmungen; ebenso für Vernehmungen durch den beauf­ tragten oder ersuchten Richter, vgl. BGHSt 32, 115 (128); BGH NJW 1953, 231; LR/ Ignor/Bertheau, § 69 Rn. 2; MüKo-StPO/Maier, § 68 Rn. 10, § 68a Rn. 6, § 68b Rn. 4, § 69 Rn. 3. Für die Zeugenbefragung in der Hauptverhandlung sind ergänzend die §§ 239–242 StPO zu beachten. 258  § 68 StPO ist eine reine Ordnungsvorschrift, deren Verletzung grundsätzlich nicht mit der Revision gerügt werden kann. Eine Missachtung des § 68 StPO kann jedoch im Zusammenhang mit einer Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 244 StPO) oder einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (§ 338 Nr. 8 StPO) relevant werden, vgl. RGSt 40, 157 (158); 55, 22 (23); BGHSt 23, 244 (245); BGH NStZ 2012, 168. 251  Artkämper/Floren/Schilling, 252  Artkämper/Floren/Schilling,



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 71

hängt werden.259 Ausnahmen von dieser Identifizierungspflicht sind im Falle eines begründeten Anlasses zur Besorgnis einer Personengefährdung oder -beeinflussung in § 68 Abs. 2–3 StPO vorgesehen.260 Die entsprechenden Unterlagen unterliegen während der Dauer der Gefährdung auch nicht der Akteneinsicht (§ 68 Abs. 4 S. 3, 4 StPO).261 Ist dem Zeugen nach § 68 Abs. 3 S. 1 StPO gestattet worden, Angaben zur Person nicht oder nur über eine frühere Identität zu machen, darf er zudem sein Gesicht entgegen § 176 Abs. 2 S. 1 GVG ganz oder teilweise verhüllen (§ 68 Abs. 3 S. 3 StPO).262 § 68 Abs. 5 S. 1 StPO stellt schließlich klar, dass das Ende der Zeugenge­ fährdung nicht automatisch mit dem Abschluss der Zeugenvernehmung ein­ hergeht. Insofern ist im Rahmen der Akteneinsicht nach § 147 StPO bzw. der Erteilung von Auskünften und Akteneinsicht nach §§ 474 ff. StPO auch dar­ auf zu achten, dass bereits aktenmäßig erfasste Daten anderen Personen nicht bekannt werden, wenn eine Gefährdung i. S. d. § 68 Abs. 2 oder 3 StPO nicht ausgeschlossen erscheint (§ 68 Abs. 5 S. 2 StPO).263 Im Anschluss an die Vernehmung zur Person ist der Zeuge zunächst über den Untersuchungsgegenstand und die Person des Beschuldigten zu unter­ richten (§ 69 Abs. 1 S. 2 StPO). Danach ist er auf seine Wahrheitspflicht, die strafrechtlichen Konsequenzen einer unvollständigen oder unrichtigen Aus­ sage und über möglicherweise bestehende Zeugnis- oder Auskunftsverweige­ 259  Die Festsetzung von Ordnungsmitteln i. S. d. § 70 Abs. 1 StPO kommt hinge­ gen nicht in Betracht, wenn im konkreten Einzelfall die Identität des Zeugen zwei­ felsfrei feststeht und keine sonstigen Besonderheiten eine Sachaufklärung zu diesen (Personal-)Angaben gebieten; HansOLG Hamburg NStZ 2002, 386. 260  Näher SK-StPO/Rogall, § 68 Rn. 2, 26. 261  SSW-StPO/Franke, § 68 Rn. 17. 262  § 68 Abs. 3 S. 2 StPO wurde zum Zwecke eines umfassenden Zeugenschutzes für besonders gefährdete Personen mit Wirkung zum 12.12.2019 durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 in die StPO eingefügt, BGBl. I, S. 2121; vgl. zur Gesetzesbegründung BT-Drucks. 532/19, S. 25 f. 263  BeckOK-StPO/Monka, § 68 Rn. 10. Erwähnenswert ist in diesem Zusammen­ hang auch das Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen (ZSHG) vom 11.12.2001 (BGBl. I S. 3510), das als Grundlage für polizeiliche Zeugenschutz­ programme zugunsten gefährdeter Zeugen, seiner Angehörigen und sonst nahestehen­ den Personen dient. Zeugen, die sich bereit erklärt haben, bei den Strafverfolgungs­ behörden auszusagen, können – trotz der Vorkehrungen nach § 68 Abs. 2–5 StPO – einer hohen Gefährdung von Leib und Leben bzw. einem vergleichbaren Druck seitens der Täter ausgesetzt sein. Um die Aussagewilligkeit und -fähigkeit wichtiger Zeugen auch in diesen Fällen aufrechtzuerhalten, ist es erforderlich, den Zeugen und seinen nahestehenden Personen einen umfassenden und wirksamen Schutz anzubie­ ten, BT-Drucks. 14/638, S. 1. Daher kann es sogar geboten sein, Urkunden oder sons­ tige Dokumente zum Aufbau oder zur Aufrechterhaltung einer vorübergehenden Identität (Tarndokumente) herzustellen (§ 5 Abs. 1 ZHSG). Die zu schützende Person darf unter dieser geänderten Identität auch am Rechtsverkehr teilnehmen (§ 5 Abs. 3 ZSHG).

72 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

rungsrechte zu belehren.264 Sodann ist ihm Gelegenheit zu geben, selbst im Zusammenhang zu berichten, was ihm über den Gegenstand seiner Verneh­ mung bekannt ist (§ 69 Abs. 1 S. 1 StPO). Die Befolgung dieser wesentli­ chen, auch für die Revision beachtlichen Verfahrensvorschrift265, stellt sicher, dass der Zeuge eine von Fragen und Vorhalten unbeeinflusste Aussage tätigen kann.266 Sie gewährt dem Zeugen damit gleichsam das Recht, sein Wissen zur Sache im Zusammenhang vorzutragen.267 Zwar wird dieses Recht nicht durch „Vorhalte, Zwischenfragen oder andere lenkende Hinweise“ seitens der Vernehmungsperson beschnitten, wenn die Unterbrechungen zur Erlangung einer wahrheitsgemäßen und vollständigen Aussage angezeigt erscheinen.268 Jedoch wird sich regelmäßig erst durch einen längeren zusammenhängenden Bericht des Zeugen feststellen lassen, ob dieser aus seiner eigenen bildhaften Erinnerung heraus ausgesagt hat oder Lügensignale aufgetreten sind.269 Inso­ fern dient § 69 Abs. 1 S. 1 StPO auch der Wahrheitsfindung.270 Vor diesem Hintergrund erheben sich wichtige Anhaltspunkte für den Beweiswert einer Zeugenaussage gerade aus „offensichtliche[n] Abschweifungen“ und „neben­ sächliche[n] Rahmenumstände[n]“.271 Tatsächlich erlebte Zeugenbekundun­ gen zeichnen sich – im Gegensatz zu konstruierten Lügen – nämlich oftmals durch einen größeren Detailreichtum aus. Der wesentliche Unterschied liegt hierbei vor allem in der konkreten Art der Detailschilderung: Die Darstellung eines realen Erlebnisses wird regelmäßig bedeutungslose Details enthalten, die im Zusammenhang mit dem persönlichen Empfinden des Zeugen stehen. Erzählungen, die auf einer Lüge beruhen, „entbehren üblicherweise dieser Rn. 1171. BGH NJW 1953, 35; 1953, 231; ferner bereits RGSt 62, 147 (148); näher zu den Voraussetzungen der Rüge einer Verletzung des § 69 Abs. 1 S. 1 StPO LR/ Ignor/Bertheau, § 69 Rn. 18. 266  MüKo-StPO/Maier, § 69 Rn. 1. 267  BVerfG NJW 1975, 103 (104); Radtke/Hohmann/Otte, § 69 Rn. 4; zur Vorge­ hensweise der Verteidigung bei einer rechtsfehlerhaften Vernehmungsweise Kassebohm, NJW 2009, 200. 268  BGH BeckRS 1978, 31113425 m. w. N.; kritisch zu Recht Prüfer, DRIZ 1975, 334 (335): „Hält ihm der Richter, der sich […] schon ein vorläufiges Bild vom Tat­ hergang gemacht hat, eine bestimmte Deutungsmöglichkeit durch Zwischenfragen vor, so wird der Zeuge dadurch verleitet, nicht nur hier, sondern auch im weiteren Verlauf seiner Aussage tatsächliche Erinnerungslücken mit nicht authentischem Mate­ rial zu füllen […]. Der Richter hat damit dem Zeugen einen Teil der Beweiswürdi­ gung überlassen“. 269  MüKo-StPO/Maier, § 69 Rn. 12 f.; vgl. auch BGHSt 3, 281 (284): Es müsse erkennbar werden, „was der Zeuge über einen Vorgang aus lebendiger Erinnerung zu berichten weiß und was er erst bekunden kann, nachdem seinem Gedächtnis in ir­ gendeiner Weise nachgeholfen worden ist“. 270  MüKo-StPO/Maier, § 69 Rn. 1. 271  Prüfer, DRiZ 1985, 334. 264  Artkämper/Floren/Schilling, 265  Vgl.



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 73

persönlichen Note“, da sie vor allem von Zweckmäßigkeit und Konsequenz bestimmt sind.272 Die nach § 69 Abs. 1 S. 1 StPO gewonnenen Angaben eig­ nen sich demnach besonders als Grundlage einer Glaubhaftigkeitsanalyse.273 Dem Vernehmenden kann daher nur geraten werden, den Zeugen im Rahmen der Vernehmung zur Sache lieber großzügig aussprechen zu lassen als seinen gegebenenfalls abschweifenden Bericht zu verkürzen.274 Weitere Fragen sol­ len nur „nötigenfalls“ gestellt werden zur „Aufklärung und zur Vervollstän­ digung der Aussage sowie zur Erforschung des Grundes, auf dem das Wissen des Zeugen beruht“ (§ 69 Abs. 2 StPO). Diese Vorgehensweise entspricht auch der allgemeinen Vernehmungs- und Fragetechnik, wonach dem Zeugen das tatsächliche Ziel der Befragung erst einmal nicht offengelegt werden soll, damit dieser seine Angaben zum Geschehnis nicht an (gegebenenfalls fälsch­ licherweise gehegten) Erwartungen ausrichten kann.275 Hierbei sind offene Fragestellungen hilfreich (z. B. „Was können Sie hierüber erzählen?“ „Was haben Sie gesehen?“ „Wie fing es an?“ „Was passierte danach?“), da sie die S. 123. Kassebohm, NJW 2009, 200; KK-StPO/Slawik, § 69 Rn. 4; MüKo-StPO/ Maier, § 69 Rn. 11 f.; Prüfer, DRiZ 1975, 334; ausführlich zur inhaltsorientierten Glaubhaftigkeitsanalyse Arntzen, S.  25 ff.; Bender/Häcker/Schwarz, Rn.  323 ff.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1427c ff.; Gley, StV 1987, 403 (404 ff.). 274  Vgl. Hellwig, S. 241; ferner Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 618, 619, wonach der Vernehmende die „ungeordnete“ und „chaotische“ Schilderung des Wahrgenom­ menen erst einmal hinnehmen müsse; im Anschluss daran habe er einzelne relevante Phasen herauszugreifen und erneut „im Sinne eines Trichters zunächst offen und da­ nach ggf. geschlossen“ abzufragen (sog. „Trichterbefragung“); vgl. auch das Beispiel bei Prüfer, DRiZ 1975, 334: „Nach einem tödlich verlaufenen Verkehrsunfall wird die Zeugin, die mit dem Opfer befreundet war, über den Unfallhergang und das spä­ tere Verhalten des Autofahrers befragt, dem auch Unfallflucht zur Last gelegt wird. Die Zeugin, eine alte Frau, beginnt ihren Bericht mit Einzelheiten aus dem Leben ihrer Freundin. Sie wird unterbrochen und aufgefordert, den Unfall zu schildern. Hie­ rauf will sie über ihre nachdrücklichen Bemühungen berichten, nach dem Unfall rasch die Feuerwehr zu alarmieren, um das Leben ihrer Freundin zu retten. Erneut unterbrochen, erzählt sie den Unfallhergang in Übereinstimmung mit dem polizeili­ chen Protokoll, wodurch der Angeklagte schwer belastet wird. Ihre Darstellung über seine Flucht steht jedoch zu dem Protokoll über ihre frühere polizeiliche Vernehmung in zahlreichen Einzelheiten in Widerspruch. Der Angeklagte wird auch vom Unfall­ vorwurf mit der Begründung freigesprochen, die Zeugin habe sich bei ihren Angaben zur Flucht in solche das Kerngeschehen der Flucht betreffende Widersprüche verwi­ ckelt, daß ihre gesamte Aussage angezweifelt werden müsse. Hätte die Zeugin voll­ ständig berichten dürfen, so hätte sich dabei ergeben, daß das, was strafrechtlich für den Fluchtvorgang ‚Kerngeschehen‘ war, von ihrem Standpunkt aus ganz untergeord­ nete Bedeutung hatte, so daß hier nicht Vollständigkeit und Beständigkeit, sondern Lücken und Ungenauigkeiten der Erinnerung zu erwarten waren. Der Schluß auf eine allgemeine Unzuverlässigkeit des Erinnerungsvermögens dieser Zeugin war vermut­ lich falsch“. 275  Kassebohm, NJW 2009, 200 (201). 272  Trankell, 273  Vgl.

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Antwortmöglichkeit des Zeugen nicht von vornherein beschränken und den Zeugen zu einer freien Rede anregen.276 Wird hingegen eine gezielte Festle­ gung des Zeugen angestrebt, sind Alternativfragen oder Ja/Nein-Fragen vor­ zugswürdig.277 Dringlichst zu vermeiden sind jedenfalls suggestive Fragen, da diese das Erinnerungsbild und den Gedächtnisinhalt des Zeugen beein­ flussen können (z. B. „Hatte der Mann nicht eine Waffe in der Hand?“ oder „Die Frau hatte dunkelblonde Haare, nicht wahr?“ „War das Auto grün?“).278 Das an den Bericht folgende Verhör (§ 69 Abs. 2 StPO) dient schließlich der Vervollständigung und Überprüfung des Berichts sowie der Aufklärung, auf welche Art und Weise der Zeuge sein Wissen erlangt hat.279 Durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) vom 26.6.2013280 wurde zudem klargestellt, dass Zeugen, die durch die Straftat verletzt sind, Gelegenheit zu geben ist, sich zu den Auswirkungen, die die Tat auf sie hatte, zu äußern (§ 69 Abs. 2 S. 2 StPO).281 Diese ergän­ zende Regelung soll gewährleisten, dass dem Interesse des Verletzten, im Strafverfahren Gehör zu finden, auch fühlbar entsprochen wird, „soweit dies vom jeweiligen Untersuchungszweck [§§ 160, 244 Abs. 2 StPO] abgedeckt ist“.282 Dieses Schutzinteresse des Verletzten wird nochmals durch Nr. 19a Abs. 1, 2 RiStBV283 konkretisiert, der darauf hinweist, dass dem Opferzeu­ 276  Kassebohm, NJW 2009, 200 (201); Prüfer, DRiZ 1975, 334 (335): „Anstoßfra­ gen“; vgl. auch Artkämper/Floren/Schilling, Rn.  604 ff. 277  So Kassebohm, NJW 2009, 200 (201), der jedoch zugleich die Gefahren dieser Technik hervorhebt: „Sie [die „geschlossenen Fragen“] können allerdings Fehler pro­ duzieren, wenn der Zeuge z. B. die richtige, aber nicht vorgegebene Antwort über­ sieht“; vgl. auch Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 614, die darauf hinweisen, dass sich die Auskunftsperson schnell auf „geschlossene Fragen“ einstellen könne (die ihr eine Ja/Nein-Antwort erleichtern); infolgedessen sei „eine Rückkehr bzw. ein Umschwen­ ken auf offene Fragen regelmäßig schwer und in manchen Fällen gar nicht möglich“. 278  Zur Gefahr der Suggestion im Rahmen polizeilicher Vernehmungen Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 620 ff., 1341, 1384 f.; Reinhold/Schweizer/Scheer, Krimina­ listik 2016, 120 ff. 279  Im Rahmen der Beweiswürdigung ist von wesentlicher Bedeutung, ob der Zeuge sein eigenes Wissen bekundet oder lediglich fremde Äußerungen wiedergege­ ben hat. Gleiches gilt für die Unterscheidung von Wahrnehmungen und Schlussfolge­ rungen des Zeugen; vgl. LR/Ignor/Bertheau, § 69 Rn. 8; MüKo-StPO/Maier, § 69 Rn. 16. 280  BGBl. I S. 1805. 281  Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 69 Rn. 6: „im Hinblick auf § 244 II und § 46 II an sich eine Selbstverständlichkeit […]“; dem folgend KK-StPO/Slawik, § 69 Rn. 6a; vgl. ferner MüKo-StPO/Maier, § 69 Rn. 27. 282  Vgl. BR-Drucks. 213/11, S. 12. 283  Nr. 19a RiStBV lautet: „(1) 1Ist erkennbar, dass mit der Vernehmung als Zeuge für den Verletzten eine erhebliche psychische Belastung verbunden sein kann, wird ihm bei der Vernehmung mit besonderer Einfühlung und Rücksicht zu begegnen sein;



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 75

gen mit besonderer Einfühlung und Rücksicht zu begegnen ist; insbesondere soll er keinen größeren Belastungen ausgesetzt werden, wenn es im Interesse der Wahrheitserforschung nicht unbedingt erforderlich ist. Weitere Grenzen des Fragerechts sind als Ausfluss des Allgemeinen Per­ sönlichkeitsrechts in § 68a StPO vorgesehen: Nach § 68a Abs. 1 Var. 1 StPO sollen Fragen nach Tatsachen, die dem Zeugen oder einem seiner Angehöri­ gen i. S. d. § 52 Abs. 1 StPO „zur Unehre284 gereichen können“, d. h. „geeig­ net [sind], ihren guten Ruf zu gefährden“285 bzw. „[ihre] sittliche Bewertung […] in der Gesellschaft nachhaltig beeinflussen können“286 nur gestellt wer­ den, wenn es unerlässlich ist, d. h. wenn die Fragen zur Wahrheitserforschung notwendig sind287. Die Vorschrift schließt die dort genannten Fragen mithin nicht schlechthin aus; vielmehr stellt sie diese unter den „Vorbehalt der Un­ erlässlichkeit“, der sich nach dem Sachaufklärungsinteresse richtet.288 Ob eine Tatsache entehrend ist, muss hierbei im Rahmen einer objektiven Beur­ teilung beantwortet werden; auf das persönliche Empfinden des Zeugen kommt es nicht an.289 Damit kann eine im Einzelfall bestehende besondere Empfindlichkeit eines Zeugen nicht berücksichtigt werden.290 Überdies ist fragwürdig, ob die als Soll-Vorschrift ausgestaltete Norm aufgrund ihrer Klassifizierung als bloße Ordnungsvorschrift dazu geeignet ist, dem Ehren­ schutz des Zeugen zur Durchsetzung zu verhelfen.291 Von der Vorschrift geht auf §§ 68a, 68b StPO wird hingewiesen. […] (2) 1Bei der richterlichen Vernehmung des Verletzten wirkt der Staatsanwalt durch Anregung und Antragstellung auf eine entsprechende Durchführung der Vernehmung hin. 2Er achtet insbesondere darauf, dass der Verletzte durch Fragen und Erklärungen des Beschuldigten und seines Ver­ teidigers nicht größeren Belastungen ausgesetzt wird, als im Interesse der Wahrheits­ findung hingenommen werden muss“. 284  Vgl. zum Begriff der „Unehre“ SK-StPO/Rogall, § 68a Rn. 23  ff.; kritisch hierzu Dähn, JR 1979, 138 ff. 285  BGHSt 13, 252 (254). 286  BeckOK-StPO/Monka, §  68a Rn. 2; ähnlich Meyer-Goßner/Schmitt, § 68a Rn. 3; vgl. auch SSW-StPO/Franke, § 68a Rn. 2: Ehrenrührige Tatsachen seien hier­ nach solche, die, wenn sie vorlägen, „den sozialen Geltungsanspruch des Betroffenen oder eines seiner Angehörigen i. S. d. § 52 Abs. 1 […] mindern würden“. 287  Hierzu BGHSt 13, 252 (254); vgl. auch BGHSt 21, 334 (360); BGH NStZ 1990, 400. 288  MüKo-StPO/Maier, 68a Rn. 10. 289  KK-StPO/Slawik, § 68a Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, § 68a Rn. 3; SK-StPO/ Rogall, § 68a Rn. 23. 290  BeckOK-StPO/Monka, § 68a Rn. 2. 291  Ein Revisionsgrund könnte sich allenfalls ergeben, wenn der Verstoß gegen § 68a StPO zu weiteren Rechtsverletzungen führt (z. B. Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO, unzulässige Beschränkung der Verteidi­ gung nach § 338 Nr. 8 StPO), näher hierzu BGH NStZ 1990, 400; KK-StPO/Slawik, § 68a Rn. 7; LR/Ignor/Bertheau, § 68a Rn. 3, 16; MüKo-StPO/Maier, § 68a Rn. 26 ff.

76 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

letztlich nur folgender Appell für den Ehrenschutz aus: Ein Zeuge soll nicht ohne einen zwingenden Grund bloßgestellt werden.292 Weiterhin sind Fragen nach Vorstrafen nur zulässig, um die Voraussetzun­ gen eines Vereidigungsverbotes nach § 60 Nr. 2 StPO zu klären oder wenn die Kenntnis über etwaige Vorstrafen notwendig ist, um die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu beurteilen (§ 68a Abs. 2 S. 2 StPO). Die Regelung bezweckt, den Zeugen nicht durch unwesentliche Erörterungen seiner Vorstrafen vor der Öffentlichkeit bloßzustellen.293 Sofern die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 BZRG294 erfüllt sind, darf sich der Zeuge auch als unbestraft bezeich­ nen.295 Im Übrigen sind Fragen nach Umständen, die die Glaubwürdigkeit des Zeugen in der vorliegenden Sache betreffen nur zu stellen, soweit dies erforderlich ist (§ 68a Abs. 2 S. 1 StPO). Von praktischer Relevanz ist hier insbesondere die Abklärung der Beziehung des Zeugen zu dem Beschuldig­ ten oder Verletzten und die sich hieraus ergebende Entscheidung über das Bestehen der Weigerungsrechte nach §§ 52, 55 StPO oder das Recht zur Ei­ desverweigerung nach § 61 StPO.296 Daneben kommen auch Fragen nach seinem Vorleben, seiner geistig-seelischen Verfassung und seinen körper­ lichen Fähigkeiten in Betracht.297 Die Vernehmungsperson darf durch die Art und Weise der Fragestellung aber keinesfalls die in § 68 Abs. 1 bis 3 StPO vorgesehenen Zeugenschutzmaßnahmen unterlaufen.298 Der Einhaltung der Ermessensgrenze („soweit dies erforderlich ist“) kommt daher im Rahmen einer Gefährdungslage wesentliche Bedeutung zu. Ein weitergehender Schutz des Privat- und Intimlebens von Opferzeugen wurde vor allem mit der durch das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986299 eingefügten Alternative in § 68a Abs. 1 Var. 2 StPO bezweckt.300 Fragen 292  BGHSt

13, 252 (254). § 68a Rn. 11. 294  § 53 Abs. 1 BZRG lautet: „Verurteilte dürfen sich als unbestraft bezeichnen und brauchen den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenba­ ren, wenn die Verurteilung 1. nicht in das Führungszeugnis oder nur in ein Führungs­ zeugnis nach § 32 Abs. 3, 4 aufzunehmen oder 2. zu tilgen ist“. Vgl. für Maßnahmen nach dem Jugendstrafrecht auch § 64 Abs. 1 BZRG: „Eintragungen in das Erzie­ hungsregister und die ihnen zugrunde liegenden Sachverhalte braucht die betroffene Person nicht zu offenbaren“. 295  LR/Ignor/Bertheau, § 68a Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, § 68a Rn. 7. 296  Meyer-Goßner/Schmitt, § 68a Rn. 6c. 297  BeckOK-StPO/Monka, § 68a Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, § 68a Rn. 6b. 298  Vgl. BeckOK-StPO/Monka, § 68a Rn. 5; Hilger, NStZ 1992, 457 (459); KMR/ Neubeck, § 68a Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, § 68a Rn. 6a; Radtke/Hohmann/Otte, § 68a Rn. 5; SK-StPO/Rogall, § 68a Rn. 34. 299  Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren, BGBl. I S. 2496. 300  Vgl. BT-Drucks. 10/5305, S. 8 ff. 293  LR/Ignor/Bertheau,



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 77

nach Tatsachen, die den persönlichen Lebensbereich des Zeugen oder eines seiner Angehörigen i. S. d. § 52 Abs. 1 StPO betreffen, sollen hiernach nur gestellt werden, wenn es unerlässlich ist. Zu dem persönlichen Lebensbe­ reich gehören insbesondere private Eigenschaften oder Neigungen des Zeu­ gen, sein Gesundheitszustand, seine religiösen oder politischen Überzeugun­ gen sowie Tatsachen aus der Intimsphäre und dem Familienleben des Zeu­ gen.301 Zu beachten ist jedoch, dass eine den persönlichen Lebensbereich betreffende Frage nur dann unter § 68a Abs. 1 Var. 2 StPO fällt, wenn sie keinerlei Zusammenhang mit dem konkreten Strafverfahren aufweist (feh­ lende Konnexität).302 Besondere Bedeutung kommt der Regelung daher na­ mentlich im Bereich der Sexualstraftaten zu: Hier sollen Opferzeugen nicht ohne erkennbaren Zusammenhang mit der zu verhandelnden Tat über ihr Sexualleben befragt werden können.303 3. Sonstige verfahrensrechtliche Schutzmaßnahmen a) Vernehmungsprotokolle304 Das Vernehmungsprotokoll dient vornehmlich der prozessualen Weiterver­ wendung der Zeugenaussage und soll daher nicht nur das Ergebnis der Un­ tersuchungshandlungen, sondern auch die ordnungsgemäße Durchführung der Vernehmung dokumentieren.305 Letztere trägt wiederum zur Sicherung der Zeugeninteressen und -rechte sowie der Offenbarung etwaiger verbotener Vernehmungsmethoden (§§ 69 Abs. 3, 136a StPO) bei. Über die ermittlungsbehördliche Vernehmung des Zeugen durch die Polizei und die Staatsanwalt­ schaft soll daher ein Protokoll nach § 168a StPO gefertigt werden, soweit dies ohne erhebliche Verzögerung der Ermittlungen geschehen kann (§ 168b Abs. 2 S. 1 StPO). Für richterliche Untersuchungshandlungen (insbesondere Vernehmungen) gilt die in §§ 168, 168a StPO normierte Protokollierungs­ pflicht unmittelbar.306 Ausreichend ist hierbei jedoch auch ein Inhaltsproto301  Meyer-Goßner/Schmitt, § 68a Rn. 4; vgl. auch Rieß, NStZ 1987, 145 (150), der hierunter nicht alle personenbezogenen Daten subsumiert, sondern „namentlich sol­ che Tatsachen, nach denen üblicherweise im Sozialleben nicht gefragt zu werden pflegt und die in der Regel nicht spontan und unbefangen mitgeteilt werden“. 302  Vgl. BGH NJW 2005, 1519 (1521); MüKo-StPO/Maier, § 68a Rn. 8. 303  BT-Drucks. 10/5305, S. 10; vgl. auch BGH NJW 2005, 1519 (1521). 304  Ausführlich hierzu 4. Kap. 305  MüKo-StPO/Kölbel, § 168a Rn. 5. 306  Die in § 168 StPO normierte Protokollierungspflicht gilt im Falle richterlicher Untersuchungshandlungen im Ermittlungs- und Zwischenverfahren sowie im Rahmen kommissarischer Vernehmungen; für die Hauptverhandlung finden die spezielleren §§ 271–274 StPO Anwendung, vgl. SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168 Rn. 1.

78 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

koll.307 Einzig für die Belehrung des Zeugen über sein Zeugnisverweige­ rungsrecht nach § 52 StPO und sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO sieht Nr. 65 RiStBV308 eine verpflichtende Aktenkundigmachung vor. Eine lückenlose Dokumentation der Zeugenvernehmung sieht das Gesetz in den §§ 168 ff. StPO mithin nicht vor. b) Hinweis auf besondere Schutzwürdigkeit des Opferzeugen § 48a Abs. 1 StPO gilt als „zentrale Einstiegsnorm für die Feststellung einer entsprechenden Schutzbedürftigkeit und der daraus folgenden Not­ wendigkeit besonderer Schutzmaßnahmen zugunsten des Verletzten“.309 Die Vorschrift verpflichtet die Ermittlungsbehörden sowie Gerichte in § 48a Abs. 1 StPO Vernehmungen und sonstige Untersuchungshandlungen stets unter Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit des Opferzeu­ gen durchzuführen. Dies gilt ausweislich des § 48a Abs. 1 S. 2 StPO insbe­ sondere für die Maßnahmen nach §§ 168e, 247a, § 171b Abs. 1 GVG und für die Begrenzung des inhaltlichen Fragerechts nach § 68a Abs. 1 StPO.310 Der praktische Nutzen der Vorschrift ist jedoch zweifelhaft, da die genann­ ten Regelbeispiele allesamt vor Einführung der Vorschrift311 gesetzlich nor­ 307  Vgl. noch zur alten Rechtslage BeckOK-StPO/El Duwaik, § 168a Rn. 1; KMR/ Plöd, § 168a Rn. 3; MüKo-StPO/Kölbel, § 168 Rn. 1. Ein Inhaltsprotokoll enthält nur den wesentlichen Inhalt der Vernehmung, der vom Vernehmenden „frei formuliert niederlegt“ wird, BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 5b RiStBV Rn. 11. Hiervon zu unter­ scheiden ist das Ergebnisprotokoll, bei dem lediglich das Ergebnis der Untersu­ chungshandlung festgehalten wird (so beim Augenschein nach § 86 StPO), KMR/ Plöd, § 168a Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, § 168a Rn. 3. Bei einem Wortprotokoll wird hingegen der exakte Wortlaut der Aussage festgehalten, BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 5b RiStBV Rn. 7. Die Möglichkeit der Erstellung auch (nur) eines Inhaltsproto­ kolls wird seit dem Inkrafttreten von Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften am 01.07.2021 explizit durch § 168a Abs. 2 S. 1 StPO geregelt, BGBl. I S. 2099 (2104, 2113). 308  Nr. 65 RiStBV lautet: „1Die Belehrung des Zeugen über sein Zeugnisverweige­ rungsrecht nach § 52 StPO und sein Auskunftverweigerungsrecht nach § 55 StPO (§ 163 Abs. 3 Satz 1, § 161a Abs. 1 Satz 2 StPO) ist aktenkundig zu machen. 2Ent­ sprechendes gilt für eine Belehrung seines gesetzlichen Vertreters“. 309  BT-Drucks. 18/4621, S. 23 zu § 48 Abs. 3 StPO a. F. 310  § 48a StPO ist über die Bezugnahmen in §§ 161a Abs. 1 S. 2, 163 Abs. 3 S. 2 StPO auch für das staatsanwaltschaftliche und polizeiliche Ermittlungsverfahren an­ wendbar. 311  § 48 Abs. 3 StPO a. F. wurde erst durch das Gesetz zur Stärkung der Opfer­ rechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) vom 21.12.2015 in die StPO eingefügt, BGBl. I S. 2525. Die Regelung wurde anschließend durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom 16.06.2021 aus der Grundnorm des § 48 Abs. 3 StPO a. F. herausgelöst und als eigene Vorschrift in den neuen § 48a StPO überführt, BGBl. I S. 1810 (1813), BT-Drs. 19/23707, S. 44.



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 79

miert waren. Der Vorschrift dürfte daher lediglich Appellcharakter zukom­ men.312 c) Einsatz von Videotechnologie Neben den ausgeführten altbekannten Maßnahmen setzt der Gesetzgeber in letzter Zeit vermehrt auf audiovisuelle Elemente als Mittel eines wir­ kungsvollen Zeugenschutzes. Der Einsatz von Videotechnik bietet dem Zeu­ gen hierbei (zumindest in der Theorie) vielfältige Schutzmöglichkeiten: So können insbesondere die häufig belastenden Mehrfachvernehmungen beson­ ders schutzbedürftiger Zeugen vermieden werden, indem bereits im Ermittlungsverfahren eine verwertbare Bild-Ton-Aufzeichnung ihrer Vernehmung erstellt wird (vgl. § 58a Abs. 1 S. 2 StPO).313 Dies gilt besonders für solche Zeugen, die durch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174– 184j StGB) verletzt worden sind (vgl. § 58a Abs. 1 S. 3 StPO). Entsprechende Regelungen zur Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung in der Hauptver­ handlung finden sich schließlich in § 255a StPO, wobei § 255a Abs. 2 StPO sogar die Ersetzung einer unmittelbaren persönlichen Zeugenvernehmung durch die Vorführung einer früheren richterlichen audiovisuellen Vernehmun­ gen unter den dort genannten Voraussetzungen für zulässig erklärt. Die Regelung des § 168e StPO knüpft hingegen nicht an die Aufzeichnung selbst, sondern vielmehr an die konkreten Modalitäten einer Zeugenverneh­ mung an: So kann es im Ausnahmefall angebracht sein, die Vernehmung von den Anwesenheitsberechtigten314 getrennt durchzuführen. In Anlehnung an die Voraussetzungen des § 247 S. 2 Var. 2 StPO setzt § 168e S. 1 StPO für eine Beschränkung der Anwesenheitsrechte voraus, dass eine dringende Ge­ fahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen besteht, wenn er in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird und diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Die Vernehmung wird den (erschienenen) Anwesenheitsberechtigten in diesem Fall zeitgleich in Bild und Ton, d. h. im Wege der Videokonferenztechnik übertragen (§ 168e S. 2 StPO).315 Über die Verweisung in § 168e S. 4 StPO auf § 241a StPO sind auch im Rahmen dieser Vernehmungssituation die besonderen Schutz­ 312  Vgl. KK-StPO/Bader, § 48 Rn. 14a: Die Vorschrift genieße nur „symbolischen Charakter“ zu § 48 Abs. 3 StPO a. F.; so auch Ferber, NJW 2016, 279; ähnlich Meyer-Goßner/Schmitt, § 48 Rn. 12 zu § 48 Abs. 3 StPO a. F. 313  BT-Drucks. 13/7165, S. 7. 314  Bei der richterlichen Vernehmung eines Zeugen ist der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten und dem Verteidiger die Anwesenheit gestattet (§ 168c Abs. 2 S. 1 StPO). 315  Meyer-Goßner/Schmitt, § 168e Rn. 6.

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vorschriften zu Gunsten minderjähriger Zeugen zu beachten. Im Übrigen findet auch § 58a StPO entsprechende Anwendung (§ 168e S. 4 StPO). Schließlich besteht auch die Möglichkeit, die Zeugenvernehmung dergestalt durchzuführen, dass sich der Zeuge an einem anderen Ort als die Verneh­ mungsperson aufhält und die Vernehmung zeitgleich durch den Einsatz von Videokonferenztechnik übertragen wird (§ 58b StPO). Diese Vorgehensweise dient vor allem dem Schutz von Opferzeugen und der Abwehr der Gefahr eines Beweismittelverlustes316 und kann beispielsweise angezeigt sein, wenn einem kranken oder gebrechlichen Zeugen die Anreise zum Vernehmungsort nicht zumutbar ist oder eine nochmalige spätere Aussage höchstwahrschein­ lich nicht mehr zu erlangen ist.317

II. Die Beschuldigtenvernehmung 1. Sicherung der Beschuldigtenrechte und Vernehmungsablauf Die Stellung eines Beschuldigten – mit der Folge seiner Ungeeignetheit als Zeuge – hat nur der Tatverdächtige, gegen den das zuständige Strafrechts­ pflegeorgan ein Verfahren als Beschuldigter betreibt.318 Seine konkrete Be­ zeichnung variiert dabei je nach Verfahrensstadium (vgl. § 157 StPO). Die Angaben des Beschuldigten zählen zwar nicht zu den förmlichen Beweismit­ teln im Strengbeweisverfahren; dies bedeutet jedoch nicht, dass ihnen nur ein vergleichsweise geringeres Gewicht beizumessen wäre. Das Gericht würdigt und gewichtet die Angaben des Beschuldigten (Angeklagten) vielmehr im Rahmen seiner richterlichen Beweiswürdigung, ohne an die Regeln des Strengbeweises gebunden zu sein.319 Das rechtliche Instrumentarium zur Si­ cherung der Subjektstellung des Beschuldigten ist jedoch im Ermittlungsver­ fahren weitergehender ausgestaltet als jenes des Zeugen: Im Ermittlungsverfahren kann die Strafverfolgungsbehörde dem Beschul­ digten nur in einfach gelagerten Verfahren mit überschaubarem, leicht ver­ ständlichen Sachverhalt320, die Möglichkeit einräumen, sich schriftlich zum Tatvorwurf bzw. zu den Tatvorwürfen zu äußern (§ 163a Abs. 1 S. 3 StPO). Im Übrigen ist der Beschuldigte spätestens vor dem Abschluss der Ermittlun­

316  BT-Drucks..

17/1224, S. 13. § 58b Rn. 16. 318  BGHSt 10, 8 (12); 34, 138 (140). 319  Vgl. KK-StPO/Ott, § 261 Rn. 49; MüKo-StPO/Schuhr, Vor § 133 ff. Rn. 38. Dies wird insbesondere im Falle eines Geständnisses von Relevanz sein. 320  KK-StPO/Griesbaum, § 163a Rn. 11. 317  MüKo-StPO/Maier,



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 81

gen zu vernehmen, sofern nicht eine Einstellung des Verfahrens321 beabsich­ tigt ist (§ 163a Abs. 1 S. 1 StPO). Hierbei ist die Durchführung einer unmit­ telbaren förmlichen Beschuldigtenvernehmung erforderlich; rein informelle Anhörungen sind nicht ausreichend.322 Die Vernehmung muss sich zudem auf alle Taten i. S. d. § 264 StPO erstrecken, die Gegenstand der Anklage werden sollen.323 Dieses Erfordernis dient sowohl der Sachaufklärung als auch der Information des Beschuldigten über den gegen ihn erhobenen Tat­ vorwurf.324 § 163a Abs. 1 S. 1 StPO sichert insoweit den Anspruch des Be­ schuldigten auf rechtliches Gehör und ist Ausdruck seiner Subjektstellung.325 Aus dem Normzweck (rechtliches Gehör) und dem Wortlaut („spätestens“) lässt sich zudem schlussfolgern, dass die Vernehmung alsbald nach der Ein­ leitung des Ermittlungsverfahrens stattfinden sollte. Ebenso sieht Art. 6 Abs. 3 a) EMRK das Recht des Beschuldigten vor, über Art und Grund des gegen ihn erhobenen Tatvorwurfs „innerhalb möglichst kurzer Frist“ unter­ richtet zu werden.326 Berücksichtigt man die ermittlungstaktischen Erwägun­ gen der Staatsanwaltschaft, die einer sofortigen Unterrichtungs- und Verneh­ mungspflicht entgegenstehen könnten, muss der Staatsanwaltschaft im Hin­ blick auf den konkreten Zeitpunkt der Vernehmung indes ein Ermittlungser­ messen zustehen.327 Nur eine Vernehmung, die keinen Einfluss mehr auf die Abschlussentscheidung der Staatsanwaltschaft nehmen kann, verfehlt ihren Zweck. Die Vernehmung muss daher spätestens vor dem Abschlussvermerk der Staatsanwaltschaft nach § 169a StPO erfolgen.328 Unterbleibt die Gewäh­ rung des rechtlichen Gehörs gänzlich, kann der Vorsitzende des Gerichts nach Anklageerhebung die Nachholung der Vernehmung bei der Staatsan­ waltschaft anregen.329 Eine Heilung dieses Verfahrensfehlers tritt jedenfalls durch die Aufforderung zur Erklärung nach § 201 StPO ein330, sodass der Verstoß gegen § 163a Abs. 1 S. 1 StPO in rechtspraktischer Hinsicht kaum Relevanz haben dürfte. 321  Näher zu den Voraussetzungen der Verfahrenseinstellung MüKo-StPO/Kölbel, § 163a Rn. 18. 322  MüKo-StPO/Kölbel, § 163a Rn. 17. 323  KK-StPO/Grießbaum, § 163a Rn. 1. 324  Meyer-Goßner/Schmitt, § 163a Rn. 1. 325  MüKo-StPO/Kölbel, § 163a Rn. 1. 326  Näher hierzu Frister, StV 1998, 159 (162); LR/Esser, Art. 6 EMRK (Art. 14 IPBPR) Rn.  534 ff. 327  Vgl. HK-StPO/Zöller, § 163a Rn. 7; LR/Erb, § 163a Rn. 43; vgl. auch KMR/ Plöd, § 163a Rn. 7: „Grundsatz der freien Gestaltung des Ermittlungsverfahrens“; krit. SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 163a Rn. 9. 328  LR/Erb, § 163a Rn. 34; MüKo-StPO/Kölbel, § 163a Rn. 7. 329  Meyer-Goßner/Schmitt, § 163a Rn. 1. 330  KK-StPO/Griesbaum, § 163a Rn. 34; Meyer-Goßner/Schmitt, § 163a Rn. 1; a. A. LR/Erb, § 163a Rn. 121; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 163a Rn. 11.

82 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

Schließlich kann die Staatsanwaltschaft die Beschuldigtenvernehmung selbst durchführen (§ 163a Abs. 3 StPO), oder die Polizei (§ 161 Abs. 1 S. 1 StPO) oder in besonderen Fällen auch den Ermittlungsrichter (§ 162 Abs. 1 StPO) darum ersuchen. Als Anklagebehörde obliegt ihr insofern ein Ermitt­ lungsermessen.331 In der Regel wird die Polizei im Rahmen des ersten Zu­ griffs (vgl. § 163 Abs. 1 StPO) auch die Beschuldigtenvernehmung durchfüh­ ren.332 Die Vernehmung wird grundsätzlich durch eine Aufforderung an den Beschuldigten vorbereitet, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem be­ stimmten Ort zur Vernehmung zu erscheinen.333 Wird der Beschuldigte von der Staatsanwaltschaft zum Erscheinen aufgefordert, ist er verpflichtet, einer (ordnungsgemäßen334) Ladung Folge zu leisten (§ 163a Abs. 3 S. 1 StPO). Er kann bei einer entsprechenden Androhung sogar zwangsweise vorgeführt werden (vgl. §§ 163a Abs. 3 S. 2, 133 Abs. 2, 134 Abs. 1 StPO, Nr. 44 Abs. 2 RiStBV). Das Gleiche gilt auch für richterliche Beschuldigtenvernehmungen (§§ 133 Abs. 2, 134 Abs. 1 StPO, Nr. 44 Abs. 2 RiStBV). Der Polizei steht ein eigenes Vorführungsrecht hingegen nur in den eng begrenzten Fällen der §§ 127, 163b StPO zu335, da die §§ 133–134 StPO auf polizeiliche Beschul­ digtenvernehmungen nicht anwendbar sind.336 Die polizeiliche Ladung stellt für den Beschuldigten demnach lediglich eine unverbindliche Aufforderung (oder Bitte) dar.337 Der konkrete Ablauf der Beschuldigtenvernehmung ergibt sich sodann aus § 136 StPO.338 Die Vernehmung beginnt auch hier mit der Vernehmung zur Person. Der Beschuldigte ist insbesondere verpflichtet, seine Personalien an­ zugeben (vgl. § 111 OWiG). Anschließend sind ihm die zur Last gelegte Tat und die anwendbaren Strafvorschriften339 zu eröffnen (§ 136 Abs. 1 S. 1 StPO). Der vorgeworfene Sachverhalt ist dem Beschuldigten hierbei „zumin­ 331  KK-StPO/Griesbaum,

§ 163a Rn. 6; MüKo-StPO/Kölbel, § 163a Rn. 16. § 163a Rn. 6. 333  BeckOK-StPO/von Häfen, § 163a Rn. 17. 334  Vgl. zu den Voraussetzungen § 133 StPO, Nr. 44 RiStBV. 335  Vgl. BGH NJW 1962, 1020 (1021) m. w. N.; MüKo-StPO/Schuhr, § 133 Rn. 6. 336  MüKo-StPO/Schuhr, § 133 Rn. 6. 337  LR/Erb, § 163a Rn. 82; MüKo-StPO/Kölbel, § 163a Rn. 31. 338  § 136 StPO gilt unmittelbar für die erste richterliche Beschuldigtenvernehmung vor und außerhalb der Hauptverhandlung; HK-StPO/Ahlbrecht, § 136 Rn. 2; SKStPO/Rogall, § 136 Rn. 2. Für staatsanwaltschaftliche Vernehmungen findet die Vor­ schrift entsprechende Anwendung, § 163a Abs. 3 S. 2 StPO. Auch für polizeiliche Beschuldigtenvernehmungen gilt § 136 StPO nahezu uneingeschränkt; lediglich die Angabe der in Betracht kommenden Strafvorschriften ist hier nicht erforderlich, § 163a Abs. 4 S. 2 StPO. 339  Im Rahmen der polizeilichen Vernehmung ist eine Aufklärung des Beschuldig­ ten über die anwendbaren Strafvorschriften nicht erforderlich (vgl. § 163a Abs. 4 S. 1 StPO, der insoweit einen abweichenden Wortlaut enthält). 332  KK-StPO/Griesbaum,



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 83

dest in groben Zügen“ zu erläutern.340 Im Übrigen obliegt die konkrete Ausge­ staltung der Eröffnung des Tatvorwurfs dem Vernehmenden, dem insoweit ein Beurteilungsspielraum zukommt. Einerseits soll sich der Beschuldigte hier­ durch sachgerecht verteidigen können (dies wird er nur können, wenn er weiß, dass und aus welchem Grund ein Strafverfahren gegen ihn geführt wird); an­ dererseits soll die Aufklärung des Sachverhalts und damit die Effektivität der Strafverfolgung nicht unter einer umfangreichen Mitteilung aller bis dahin bereits bekannten Tatumstände leiden.341 Im Anschluss daran ist der Beschul­ digte über sein Aussageverweigerungsrecht zu belehren (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO). Die Belehrung soll dem Beschuldigten verdeutlichen, „daß es ihm frei­ steht, nicht auszusagen, obwohl ihn ein Richter, Staatsanwalt oder Polizeibe­ amter in amtlicher Eigenschaft befragt“; sie stellt sicher, dass der Beschuldigte nicht irrtümlicherweise von einer Aussagepflicht ausgeht.342 Das aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Aussageverweigerungsrecht ist Ausdruck des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur se ip­ sum accusare“)343 und der rechtsstaatlichen Grundhaltung der Strafprozess­ ordnung344. Mit der Gewährleistung dieses Schweigerechts wird insbesondere der Achtung der Menschenwürde entsprochen und das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten geschützt.345 Dementsprechend unterliegt der Beschuldigte, wenn er sich zu einer Aussage entschließt, – in Abgrenzung zum Zeugen – auch nicht der Wahrheitspflicht346 und kann nicht nach § 70 StPO zu einer

340  Vgl. BGH NStZ 2012, 581 (582): „Hinsichtlich der Ausgestaltung der Eröff­ nung im Einzelnen hat also der Vernehmende einen gewissen Beurteilungsspielraum. Dessen Grenzen sind jedoch überschritten, wenn dem Beschuldigten eines Gewaltde­ likts der Tod des Opfers nicht eröffnet wird. Ohne Hinweis auf diesen die Tat prägen­ den Gesichtspunkt ist sie nicht einmal in groben Zügen eröffnet“. Nach BeckOKStPO/Monka, § 136 Rn. 6 genügen auch „schlagwortartige Bezeichnungen der De­ liktsgruppe (Erpressung, Betrug, Diebstahl)“ regelmäßig nicht. 341  BGHSt 62, 123 (140). 342  BGHSt 42, 139 (147). 343  Vgl. BVerfGE 56, 37 (43); BVerfG NJW 2013, 1058 (1061); BGHSt 14, 358 (364 f.); 38, 214 (220 f.); MüKo-StPO/Schuhr, Vor §§ 133 ff. Rn. 74. Daneben werden auch das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip (vgl. BGHSt 14, 358 [364]; BGHSt 31, 304 [308]) und der Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. EGMR BeckRS 2003, 05512, Nr. 50; BGHSt 38, 214 [220]) als weitere Grundlagen der Selbstbelastungsfreiheit aufgeführt. Zudem beinhaltet Art. 14 Abs. 3 g) IPbpR ein ausdrückliches Verbot des Selbstbelastungszwangs. 344  BVerfGE 56, 37 (43); BGHSt 14, 358 (364); vgl. auch BGHSt 38, 214 (220). 345  BGHSt 38, 214 (220). 346  BGHSt 3, 149 (152). Der Beschuldigte hat jedoch auch kein „Recht zur Lüge“; insbesondere kann er sich nach den allgemeinen Regeln strafbar machen (z. B. 145d, 164 StGB), vgl. BGH NStZ 2005, 517 (518); OLG Koblenz NJW 1956, 561; KKStPO/Diemer, § 136 Rn. 20.

84 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

Aussage gezwungen werden.347 Folge der verfassungsrechtlich gewährleiste­ ten Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten ist jedoch nicht nur eine straf­ prozessuale Aussage-, sondern auch eine Mitwirkungsfreiheit: Der Beschul­ digte muss zwar gegebenenfalls die Vornahme gewisser Maßnahmen (z. B. die Entnahme einer Speichelprobe nach § 81a StPO) dulden, er ist jedoch nicht zur aktiven Mitwirkung an der Sachaufklärung verpflichtet.348 Darüber hinaus ist auch jede Beeinträchtigung der Willensentschließung und Willensbetäti­ gung durch Zwang, Misshandlung, Täuschung, Drohung mit einer unzulässi­ gen Maßnahme und ähnlichen Mitteln verboten (§ 136a Abs. 1 StPO; vgl. auch § 343 StGB). § 136a StPO stellt insoweit die Kernvorschrift zum Schutz der Aussage- und Mitwirkungsfreiheit dar.349 Mit der Belehrung über seine Aussagefreiheit geht zudem der Hinweis ein­ her, dass sich der Beschuldigte jederzeit, insbesondere schon vor seiner Ver­ nehmung, des Beistands eines Verteidigers bedienen darf (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO, vgl. auch § 137 Abs. 1 S. 1 StPO, Art. 6 Abs. 3 c) EMRK). Das Recht der jederzeitigen Verteidigerkonsultation gehört neben der Aussagefreiheit zu den wichtigsten Rechten des Beschuldigten in einem Strafverfahren. Hier­ durch wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur bloßes Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte (insbesondere zur Be­ ratung über die Geltendmachung seines Schweigerechts350) auch auf den Ver­ lauf und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluss nehmen kann.351 Dem Ver­ teidiger ist im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung zudem die Anwesenheit gestattet (§§ 163a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 3, 168c Abs. 1 und 5 StPO).352 Liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung (§ 140 Abs. 1 und 2 StPO) vor, ist der Beschuldigte gem. § 136 Abs. 1 S. 5 Hs. 1 StPO auch darauf hinzuweisen, dass ihm ein Anspruch auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers (nach Maß­ gabe des § 141 Abs. 1 StPO und des § 142 Abs. 1 StPO) zusteht.353 Er ist da­ bei auf die Kostenfolge des § 465 StPO hinzuweisen (§ 136 Abs. 1 S. 5 Hs. 2 StPO). Der Gesetzgeber hat durch die Bezugnahme des § 163a Abs. 5 StPO 347  BVerfG

NJW 2000, 3775 (3776); BGH NJW 1997, 1591. BVerfGE 56, 37 (43 f.); BGHSt 24, 125 (129); 34, 39 (45); 34, 324 (326); 45, 367 (368); BGH NStZ 2009, 705; näher zur Mitwirkungsfreiheit MüKo-StPO/ Schuhr, Vor §§  133 ff. Rn.  74 f. 349  Vgl. Rogall, S.  50 f., 105 f. 350  BGH NJW 2002, 975 (976); OLG Hamm NStZ-RR 2006, 47. 351  BGHSt 38, 372 (374), vgl. auch BVerfGE 9, 89 (95); 26, 66 (71); 46, 202 (210); 63, 380 (390). 352  Der Verteidiger ist von dem Termin vorher zu benachrichtigen, sofern der Un­ tersuchungserfolg nicht durch die Benachrichtigung gefährdet würde (§§ 163a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 3, 168c Abs. 5 S. 1, 2 StPO). 353  Mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019, BGBl. I S. 2128, wurde ein eigenständiges Antragsrecht des Be­ schuldigten in § 141 Abs. 1 S. 1 StPO vorgesehen, vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 36 ff. 348  Vgl.



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 85

auf die für das gerichtliche Verfahren geltenden Regelungen der § 187 Abs. 1 bis 3 und § 189 Abs. 4 GVG überdies klargestellt, dass der Beschuldigte, nicht nur in der Hauptverhandlung, sondern auch im Rahmen einer polizeilichen oder staatsanwaltlichen Vernehmung Anspruch auf unentgeltliche Dolmet­ scher- und Übersetzungsleistungen hat, soweit dies zur Ausübung seiner straf­ prozessualen Rechte erforderlich ist und er diesbezüglich zu belehren ist (vgl. auch Art. 6 Abs. 3 e) EMRK).354 Der Dolmetscher oder Übersetzer soll über die Umstände, von denen er bei der Ausübung seiner Tätigkeit Kenntnis er­ langt, schließlich Verschwiegenheit wahren.355 Nach der Vernehmung zur Person und der Erteilung der jeweiligen Beleh­ rungen bzw. Hinweise nach § 136 Abs. 1 StPO schließt sich sodann das Kernstück der Vernehmung an: Die Vernehmung zur Sache. Dieser Teil der Vernehmung dient in erster Linie der Wahrheitsermittlung und Beweissiche­ rung.356 Dem Beschuldigten soll hier aber auch Gelegenheit gegeben werden, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen (§ 136 Abs. 2 StPO i. V. m. §§ 163a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2 StPO). Insofern wird ihm rechtliches Gehör gewährt.357 Indes zwingt die Vorschrift nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut („soll“) nicht dazu, sämtliche Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden gegenüber dem Beschuldigten sogleich in der ersten Vernehmung preiszuge­ ben; insbesondere können auch hier ermittlungstaktische Erwägungen gegen die Bekanntgabe des konkreten Ermittlungsstandes sprechen.358 Zudem ist eine konkrete Art der Vernehmung – anders als bei der Zeugenvernehmung (vgl. § 69 StPO) – gesetzlich nicht vorgeschrieben. Der Beschuldigte hat somit insbesondere keinen Anspruch auf eine ungestörte Sachverhaltsschilde­ rung.359 Auch hier bietet es sich jedoch aus vernehmungstaktischen Gründen an, den Rechtsgedanken des § 69 StPO fruchtbar zu machen und den Be­ schuldigten zunächst zu veranlassen, seine Aussage in einem zusammenhän­ genden Bericht zu tätigen. Zur Aufklärung und Vervollständigung des Sach­ verhalts sind sodann gegebenenfalls weitere Fragen zu stellen.360 354  Vgl.

KK-StPO/Griesbaum, § 163a Rn. 30b. Abs. 4 GVG stellt jedoch lediglich eine reine Ordnungsvorschrift dar, BR-Drucks. 816/12, S. 5, 15, BT-Drucks. 17/12578, S. 7, 14; Christl, NStZ 2014, 376 (382); krit. BeckOK-GVG/Allgayer, § 189 Rn. 10: „[M]it diesem Inhalt wäre die Norm überflüssig und verzichtbar“. 356  BeckOK-StPO/Monka, § 136 Rn. 19. 357  BGHSt 25, 325 (332). 358  Vgl. BeckOK-StPO/Monka, § 136 Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, § 136 Rn. 13. 359  Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 1594. 360  Vgl. BeckOK-StPO/Monka, § 136 Rn. 20. Nach Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 618, 619 bietet sich auch hier die sog. „Trichterbefragung“ an, wonach der Ver­ nehmende die „ungeordnete“ und „chaotische“ Schilderung des Wahrgenommenen 355  § 189

86 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

Zur Vernehmung des Beschuldigten zur Sache gehört schließlich auch die Feststellung der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten, soweit diese für die Schuld- oder Straffrage relevant sind (§§ 163a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 3 StPO).361 Beispielhaft können hier die in Nr. 13–15 RiStBV genannten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten sowie die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat bedeutsamen Umstände aufge­ führt werden. Diese persönlichen Umstände gehen über die verpflichtende Angabe der Personalien (§ 111 OWiG) hinaus; infolgedessen muss der Be­ schuldigte vorab über sein Schweigerecht (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO) belehrt werden.362 Zudem dürfen die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten nur insoweit ermittelt werden, als sie für das weitere Strafverfahren von Bedeutung sein können.363 Auch darf der Eingriff in die Privatsphäre nicht außer Verhältnis zur Schwere des Tatvorwurfs und dem Verdachtsgrad stehen.364 Zwar markiert das Übermaßverbot insofern die Grenze zulässiger Befragung; da der Vernehmungsperson jedoch ein weites Ermittlungsermessen einge­ räumt ist365, wird dieses in praktischer Sicht nur in offenkundigen Fällen über­ schritten sein. Eine weitergehende strafverfahrensrechtliche Persönlichkeitsermittlung ist schließlich für Jugendliche und Heranwachsende366 (vgl. § 109

erst einmal hinnehmen und erst im Anschluss hieran einzelne relevante Phasen her­ auszugreifen und erneut „im Sinne eines Trichters zunächst offen und danach ggf. geschlossen“ abzufragen habe; näher zur strukturierten Beschuldigtenvernehmung dies., Rn.  475 f. 361  MüKo-StPO/Schuhr, § 136 Rn. 50. 362  KK-StPO/Diemer, § 136 Rn. 21. 363  Vgl. hierzu den Wortlaut von Nr. 13 Abs. 1 S. 4 RiStBV: „Können die Eintra­ gungen im Bundeszentralregister für die Untersuchung von Bedeutung sein und ist eine Registerauskunft bei den Akten, so ist der Beschuldigte auch hierüber zu verneh­ men“ und Nr. 15 Abs. 1 S. 1 RiStBV: „Alle Umstände, die für die Strafbemessung, die Strafaussetzung zur Bewährung, die Verwarnung mit Strafvorbehalt, das Absehen von Strafe, die Nebenstrafe und Nebenfolgen oder die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung, des Verfalls oder sonstiger Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) von Bedeutung sein können, sind schon im vorbereitenden Verfahren aufzuklä­ ren“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]. 364  KK-StPO/Diemer, § 136 Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt, § 136 Rn. 16; MüKoStPO/Schuhr, § 136 Rn. 51. 365  Vgl. Nr. 13 Abs. 1 S. 4 RiStBV, Nr. 15 Abs. 1 S. 1 RiStBV („von Bedeutung sein können“). Als weiteres Beispiel kann Nr. 13 Abs. 5 RiStBV aufgeführt werden: Hiernach darf der Beschuldigte nach dem Religionsbekenntnis gefragt werden, „wenn der Sachverhalt dazu Anlass gibt“. Unter welchen Umständen der Sachverhalt Anlass hierzu gibt, bleibt freilich auch hier dem Ermittlungsermessen des Vernehmenden überlassen. 366  Zu den Begriffen § 1 Abs. 2 JGG: „Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vier­ zehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist“.



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 87

Abs. 1 JGG) in § 43 JGG367 geregelt. Die Vorschrift sieht eine umfangreiche Ermittlung der Persönlichkeit des Beschuldigten vor und ist Ausprägung des im Jugendstrafrecht vorherrschenden Erziehungsauftrags (§ 2 Abs. 1 JGG).368 Die Persönlichkeitsermittlung obliegt hier in erster Linie der Jugendgerichts­ hilfe (vgl. §§ 43 Abs. 1 S. 4 JGG, 38 Abs. 6 JGG).369 Das Übermaßverbot setzt der Nachforschungstätigkeit aber auch hier Grenzen: Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Persönlichkeitssphäre des Beschuldigten müssen stets in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen.370 Auch ist zu beachten, dass die Befragung durch den Vertreter der Jugendge­ richtshilfe in strafprozessualer Hinsicht eine Vernehmung darstellt, sodass der Beschuldigte gem. § 2 Abs. 2 JGG, §§ 163a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2, 136 Abs. 1 S. 2 StPO vorab über seine Aussagefreiheit und sein Recht zur Vertei­ digerkonsultation zu belehren ist. Eine Pflicht des Beschuldigten zur Mitwir­ kung an der Ermittlungsaufgabe (insbesondere zur Teilnahme an einem Ge­ spräch mit dem Vertreter der Jugendgerichtshilfe) besteht damit nicht.371 In Bezug auf die konkrete persönliche Interaktion mit dem Beschuldigten sind keine gesetzlichen Vorgaben vorhanden; entsprechende Regelungen fin­ den sich – im Gegensatz zur Zeugenvernehmung372 – auch nicht in der 367  § 43 JGG: „(1) 1Nach Einleitung des Verfahrens sollen so bald wie möglich die Lebens- und Familienverhältnisse, der Werdegang, das bisherige Verhalten des Beschuldigten und alle übrigen Umstände ermittelt werden, die zur Beurteilung seiner seelischen, geistigen und charakterlichen Eigenart dienen können. 2Der Erziehungs­ berechtigte und der gesetzliche Vertreter, die Schule und der Ausbildende sollen, so­ weit möglich, gehört werden. 3Die Anhörung der Schule oder des Ausbildenden un­ terbleibt, wenn der Jugendliche davon unerwünschte Nachteile, namentlich den Ver­ lust seines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, zu besorgen hätte. 4§ 38 Abs. 6 und § 70 Abs. 2 sind zu beachten. (2) 1Soweit erforderlich, ist eine Untersuchung des Beschuldigten, namentlich zur Feststellung seines Entwicklungsstandes oder anderer für das Verfahren wesentlicher Eigenschaften, herbeizuführen. 2Nach Möglichkeit soll ein zur Untersuchung von Jugendlichen befähigter Sachverständiger mit der Durchführung der Anordnung beauftragt werden“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]. 368  Vgl. BeckOK-JGG/Schneider, § 43 Rn. 9; Eisenberg/Kölbel-JGG, § 43 Rn. 9. 369  Vgl. Eisenberg/Kölbel-JGG, § 43 Rn. 16 ff. Näher zum Datenschutz BeckOKJGG/Gertler/Schwarz, § 38 Rn. 165 ff. 370  Vgl. BT-Drucks. 11/5829, S. 23; BeckOK-JGG/Schneider, § 43 Rn. 10. 371  Vgl. BGH NStZ 2005, 219; BeckOK-JGG/Gertler/Schwarz, § 38 Rn. 92; Eisenberg/Kölbel-JGG, § 38 Rn. 63 m. w. N. 372  Vgl. Nr. 19a RiStBV: „(1) 1Ist erkennbar, dass mit der Vernehmung als Zeuge für den Verletzten eine erhebliche psychische Belastung verbunden sein kann, wird ihm bei der Vernehmung mit besonderer Einfühlung und Rücksicht zu begegnen sein; auf §§ 68a, 68b StPO wird hingewiesen. 2Einer Vertrauensperson nach § 406f Abs. 2 StPO ist die Anwesenheit zu gestatten, wenn der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird. (2) 1Bei der richterlichen Vernehmung des Verletzten wirkt der Staatsanwalt durch Anregung und Antragstellung auf eine entsprechende Durchführung der Ver­ nehmung hin. 2Er achtet insbesondere darauf, dass der Verletzte durch Fragen und

88 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

RiStBV. Besondere Verhaltensanforderungen sind einzig in der Polizeidienst­ vorschrift (PDV) 382 zur „Bearbeitung von Jugendsachen“373 in Nr. 3.4 und Nr. 3.6 im Zusammenhang mit der Belehrung und Vernehmung minderjähri­ ger und heranwachsender Tatverdächtigter374 geregelt: So sind Jugendliche vor der ersten Vernehmung zunächst „in einer ihrem geistigen Entwicklungs­ stand angemessenen Weise“ über ihre Rechte gem. §§ 163a Abs. 4, 136 StPO zu belehren.375 Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Jugendliche den Sinn der Belehrung nicht versteht, die Tragweite seiner Entscheidung nicht erken­ nen kann oder die entsprechende Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht hat, so darf eine förmliche Belehrung und eine Vernehmung als Beschuldig­ ter nicht erfolgen.376 Die Vernehmung selbst soll in einer vertrauensvollen Atmosphäre stattfinden. Sie ist mit einem Gespräch über die persönlichen Verhältnisse und Interessen des Minderjährigen bzw. Heranwachsenden ein­ zuleiten. Im Rahmen der Befragung minderjähriger Tatverdächtiger ist hier­ bei vor allem auf das persönliche und soziale Umfeld vor der Tat einzuge­ hen.377 Bei der Vernehmung zur Sache ist diesem sodann „ausführlich Gele­ genheit zu einer zusammenhängenden Schilderung zu geben“.378 Zum Schluss ist zu vermerken, welchen persönlichen Eindruck der Vernehmende von dem Minderjährigen bzw. Heranwachsenden gewonnen hat und auf wel­ chen Beobachtungen dieser Eindruck beruht. Festzuhalten sind vor allem die Tatsachen, die für eine spätere Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Rele­ vanz sein können. Von einem eigenen Urteil des Vernehmenden über die

Erklärungen des Beschuldigten und seines Verteidigers nicht größeren Belastungen ausgesetzt wird, als im Interesse der Wahrheitsfindung hingenommen werden muss. (3) Eine mehrmalige Vernehmung des Verletzten vor der Hauptverhandlung kann für diesen zu einer erheblichen Belastung führen und ist deshalb nach Möglichkeit zu vermeiden“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]. 373  Hierbei handelt es sich lediglich um eine Verwaltungsvorschrift, d. h. Binnen­ recht der Verwaltung. 374  Kinder können keine Beschuldigte sein, da sie strafrechtlich nicht verantwort­ lich sind (§ 19 StGB). Jugendliche sind strafrechtlich verantwortlich, wenn sie zur Zeit der Tat nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug sind, das Un­ recht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§ 3 JGG). 375  PDV Nr. 3.4.2 (abgedruckt in DVJJ-Journal 1/1997, S. 11); vgl. auch Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 1762. 376  Vgl. PDV Nr. 3.4.3. (abgedruckt in DVJJ-Journal 1/1997, S. 11). 377  PDV Nr. 3.6.8 (abgedruckt in DVJJ-Journal 1/1997, S. 5 ff.); vgl. zur Protokol­ lierung PDV Nr. 3.6.12 (abgedruckt in DVJJ-Journal 1/1997, S. 14): „Alle Aussagen sind möglichst wortgetreu zu protokollieren. Bei schwerwiegenden Vernehmungs­ inhalten oder kindlicher Ausdrucksweise ist die Vernehmung in Frage und Antwort niederzuschreiben“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]. 378  PDV Nr. 3.6.10 (abgedruckt in DVJJ-Journal 1/1997, S. 14).



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 89

Glaubwürdigkeit des Minderjährigen bzw. Heranwachsenden „ist [aber] abzusehen“.379 Weitere Vorschriften zur persönlichen Interaktion mit dem Beschuldigten sind in den Polizeidienstvorschriften nicht enthalten. Die Wahl des konkreten Kommunikationsstils (z. B. aggressiv-entwertend im Sinne einer „Oberhand­ technik“380, distanziert, bestimmend-kontrollierend, mitteilungsfreudig-dra­ matisierend, bedürftig-abhängig oder helfend381) obliegt daher dem einzelnen Vernehmungsbeamten. Dieser Umstand ist nicht zuletzt der Einzelfallpraxis und dem Bedürfnis nach einer situationsgerechten und flexiblen Handlungs­ weise geschuldet. Nichtsdestotrotz ist im Rahmen der Vernehmung darauf zu achten, dem Beschuldigten stets mit Respekt zu begegnen und ihn (ohne seine Taten billigen zu müssen), als Mensch zu akzeptieren. Akzeptanz und Respekt sind insofern Voraussetzungen für eine ehrliche Kommunikation.382 2. Sonstige verfahrensrechtliche Schutzmaßnahmen a) Vernehmungsprotokolle Im Ermittlungsverfahren sind sämtliche vor den Vernehmungen nach § 136 Abs. 1 StPO sowie § 163a StPO vorzunehmenden Belehrungen zu dokumen­ tieren (§ 168b Abs. 3 StPO, vgl. auch Nr. 45 Abs. 1 RiStBV). Gleiches gilt für die Entscheidung des Beschuldigten, ob er vor seiner Vernehmung einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen möchte, und für sein Einver­ ständnis nach § 141a S. 1 StPO zur Durchführung einer Vernehmung vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers (vgl. § 168b Abs. 3 S. 2 StPO). Im Übri­ gen soll über die ermittlungsbehördliche Vernehmung des Beschuldigten ein Protokoll nach den § 168a StPO gefertigt werden, soweit dies ohne erheb­ liche Verzögerung der Ermittlungen geschehen kann (§ 168b Abs. 2 S. 1 StPO). Für richterliche Untersuchungshandlungen (insbesondere Vernehmun­ gen) gilt die in §§ 168, 168a StPO normierte Protokollierungspflicht unmit­

379  PDV

Nr. 3.6.14 (abgedruckt in DVJJ-Journal 1/1997, S. 14). Kommunikationsstil zeichnet sich durch eine Selbstdarstellung der Stärke und Unverletzlichkeit dar („Mir kann keiner!“). Die kommunikative Grundhal­ tung kann als „anklagend und „beschuldigend“ beschrieben werden; sie enthält die Botschaft „klein beizugeben“, vgl. Schulz von Thun, S. 136; ferner Artkämper/Floren/ Schilling, Rn. 526: „Bei einer oberflächlichen Betrachtungsweise […] scheint bei Vernehmungen der aggressiv-entwertende Stil im Sinne einer Oberhandtechnik domi­ nant; diesem Gefühl muss entgegen getreten werden“. 381  Vgl. zu den unterschiedlichen Kommunikationsstilen Schulz von Thun, S.  65 ff. 382  Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 598, 1604. 380  Dieser

90 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

telbar.383 Ausreichend ist aber auch hier die Erstellung eines Inhaltsprotokolls384, sodass eine vollständige inhaltliche Dokumentation der Beschuldig­ tenvernehmung nicht stattfindet.385 b) Einsatz von Videotechnologie Der Sicherung der Beschuldigtenrechte dienen schließlich auch die Rege­ lungen zur audiovisuellen Dokumentation der Beschuldigtenvernehmung, da diese eine weitergehende Transparenz und Nachprüfbarkeit in Bezug auf die Einhaltung des verfahrensmäßigen Vernehmungsablaufs gewährleisten kön­ nen. Die entsprechenden Voraussetzungen sind § 136 Abs. 4 StPO zu entneh­ men.386 Eine verpflichtende audiovisuelle Aufzeichnung der Beschuldigten­ vernehmung ist hiernach (nur) vorgesehen, wenn dem Verfahren ein vorsätz­ lich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen (1) oder die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwer­

383  Die in § 168 StPO normierte Protokollierungspflicht gilt im Falle richterlicher Untersuchungshandlungen im Ermittlungs- und Zwischenverfahren sowie im Rahmen kommissarischer Vernehmungen; für die Hauptverhandlung finden hingegen die §§ 271–274 StPO Anwendung, vgl. SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168 Rn. 1. 384  Vgl. noch zur alten Rechtslage BeckOK-StPO/El Duwaik, § 168a Rn. 1; KMR/ Plöd, § 168a Rn. 3; MüKo-StPO/Kölbel, § 168 Rn. 1. Ein Inhaltsprotokoll enthält nur den wesentlichen Inhalt der Vernehmung, der vom Vernehmenden „frei formuliert niederlegt“ wird, BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 5b RiStBV Rn. 11. Hiervon zu unter­ scheiden ist das Ergebnisprotokoll, bei dem lediglich das Ergebnis der Untersu­ chungshandlung festgehalten wird (so beim Augenschein nach § 86 StPO), KMR/ Plöd, § 168a Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, § 168a Rn. 3. Bei einem Wortprotokoll wird hingegen der exakte Wortlaut der Aussage festgehalten, BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 5b RiStBV Rn. 7. Die Möglichkeit der Erstellung auch (nur) eines Inhaltsproto­ kolls wird seit dem Inkrafttreten von Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften am 01.07.2021 explizit durch § 168a Abs. 2 S. 1 StPO geregelt, BGBl. I S. 2099 (2104, 2113). Vgl. aber auch Nr. 45 Abs. 2 RiStBV: „Für bedeutsame Teile der Vernehmung empfiehlt es sich, die Fragen, Vor­ halte und Antworten möglichst wörtlich in die Niederschrift aufzunehmen. Legt der Beschuldigte ein Geständnis ab, so sind die Einzelheiten der Tat möglichst mit seinen eigenen Worten wiederzugeben. Es ist darauf zu achten, dass besonders solche Um­ stände aktenkundig gemacht werden, die nur der Täter wissen kann. Die Namen der Personen, die das Geständnis mit angehört haben, sind zu vermerken“ [Hervorhebun­ gen durch die Verfasserin]. 385  Vgl. hierzu auch S. 231 ff. 386  § 136 gilt hierbei für alle richterlichen Vernehmungen vor und außerhalb der Hauptverhandlung, KK-StPO/Diemer, § 136 Rn. 3; LR/Gleß, § 136 Rn. 1; SK-StPO/ Rogall, Vor § 133 Rn. 1.



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 91

wiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können (2).387

C. Zusammenfassung und Bewertung Nach den dargestellten Grundsätzen können folgende Leitsätze für die weitere Bearbeitung der Arbeit aufgestellt werden: (1) Dem staatlichen Informationsinteresse ist im Bereich strafrechtlich re­ levanter Verhaltensweisen ein hoher Rang beizumessen, sodass Zeugen und Beschuldigte hier gegebenenfalls eine weitergehende Einschränkung ihrer Grundrechte hinnehmen müssen. Ein erhöhtes Schutzbedürfnis besteht für die Betroffenen jedoch im Rahmen von Vernehmungen, wenn durch gezielte Fragen seitens der Vernehmungsperson in ihre grundrechtlichen Gewährleis­ tungen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen wird. Die Rechtsprechung stellt daher an eine in das Recht auf informationelle Selbst­ bestimmung eingreifende Ermächtigungsgrundlage relativ hohe Anforderun­ gen. Dies gilt vor allem, wenn die Erhebung und Verwendung personenbezo­ gener Daten im Raum stehen. Die gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen zur audiovisuellen Aufzeichnung einer Vernehmung stellen daher einen er­ heblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dar. (2) Zweck der Beschuldigten- und der Zeugenvernehmung ist vornehmlich die Aufklärung des Sachverhalts und damit die Wahrheitserforschung von Amts wegen.388 Dieser Wahrheitserforschung sind jedoch rechtsstaatliche Grenzen gesetzt, die für die Beschuldigten- und die Zeugenvernehmung glei­ chermaßen in den §§ 136a, 69 Abs. 3 StPO (verbotene Vernehmungsmetho­ den) geregelt sind. Im Übrigen sind die gegenläufigen Interessen des Beschul­ digten im Verhältnis zum staatlichen Aufklärungsinteresse stärker zu gewich­ ten als jene des Zeugen.389 Dies kommt bereits in dem aus dem nemo-teneturGrundsatz statuierten Schweigerecht (vgl. §§ 136 Abs. 1 S. 2, 163a Abs. 3 S. 1, 243 Abs. 5 S. 1 StPO) zum Ausdruck, das alleine dem Beschuldigten zukommt; insofern besteht ein grundlegender Unterschied zum Zeugen, dem als staatsbürgerliche390 (und zwangsweise durchsetzbare) Pflicht auferlegt wird, grundsätzlich zu Vernehmungen zu erscheinen und zur Sache auszusa­ gen (vgl. §§ 161a Abs. 1, Abs. 2, 163 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 4, 48 Abs. 1, 51, 70 387  Vgl.

hierzu S. 190 ff. Meyer-Goßner/Schmitt, § 136 Rn. 14; MüKo-StPO/Maier, § 69 Rn. 1. 389  Vgl. MüKo-StPO/Schuhr, Vor §§ 133 ff. Rn. 39. 390  BVerfGE 38, 105 (118); 49, 280 (284); BVerfG NJW 1988, 897 (898); NJW 2002, 955. 388  Vgl.

92 1. Kap.: Im Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Grundrechtsschutz

StPO). Der Beschuldigte kann sich Eingriffen in sein Allgemeines Persönlich­ keitsrecht – im Gegensatz zum Zeugen – mithin freiwillig entziehen. (3) Da der Zeuge grundrechtsrelevante Eingriffe im Rahmen der Verneh­ mung nur bedingt abwehren kann (etwa durch die Geltendmachung eines Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrechts nach §§ 52, 55 StPO), ist in sei­ nem Fall eine detaillierte gesetzliche Ausformung des Vernehmungsablaufs erforderlich. Dem liegt zugrunde, dass der Zeuge unabhängig von seiner prozessualen Funktion einen Anspruch darauf hat, in seinen Belangen, vor allem aber in seinem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich, ge­ schützt zu werden.391 Diesem Grundsatz verleihen insbesondere die zeugen­ schützenden Vorschriften der §§ 68 Abs. 2–5 (Beschränkung von Angaben), 68a (Beschränkung des Fragerechts aus Gründen des Persönlichkeitsschut­ zes), 68b (Zeugenbeistand), 69 Abs. 1 (Recht des Zeugen, sein Wissen zur Sache im Zusammenhang vorzutragen) Ausdruck. Entsprechende detaillierte Regelungen sind hinsichtlich des Ablaufs der Beschuldigtenvernehmung nicht vorgesehen, da sich der Beschuldigte den Fragen der Vernehmungsper­ son aufgrund seiner Selbstbelastungsfreiheit jederzeit entziehen kann. Hin­ sichtlich des konkreten Vernehmungsablaufs bietet sich hier trotzdem eine Orientierung an § 69 StPO an. Im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung wird demnach – neben der Sachverhaltsaufklärung – vor allem auf die ord­ nungsgemäße Belehrung des Beschuldigten über seine Aussagefreiheit (§§ 136 Abs. 1 S. 2, 243 Abs. 5 S. 1 StPO) und die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; §§ 136 Abs. 2, 163a Abs. 1 S. 1 StPO) Wert gelegt.392 Die Gewährung rechtlichen Gehörs spielt im Rahmen der Zeugen­ vernehmung hingegen nur eine untergeordnete Rolle, wie sich aus einem Umkehrschluss zu § 69 Abs. 2 S. 2 StPO ergibt. (4) Die geltenden Rahmenbedingungen einer Vernehmung tragen in viel­ fältiger Weise zum Persönlichkeitsschutz des Betroffenen bei: Persönlich­ keitsschützende Maßnahmen sind insbesondere während der Vernehmung (z. B. Selbstbelastungsfreiheit, Recht auf einen zusammenhängenden Bericht, Dolmetscher- und Übersetzerleistungen, Einschränkungen der Anwesenheits­ rechte von Verfahrensbeteiligten), zum anderen aber auch schon vor der Vernehmung (z. B. Belehrungs-, Unterrichtungs- und Informationspflichten) vorgesehen.393 Das Gesetz sieht in den §§ 168 ff. StPO jedoch bislang keine 391  BVerfG

NJW 1975, 103 (104). KK-StPO/Diemer, § 136 Rn. 1 diene die Beschuldigtenvernehmung in erster Linie „Verteidigungszwecken“ und der „Sicherung des Anspruchs auf rechtli­ ches Gehör“; die Sachverhaltsaufklärung sei demgegenüber nur ein nachrangiger Zweck der Vernehmung; so auch LR/Gleß, § 136 Rn. 57. 393  Persönlichkeitsschützende Maßnahmen finden sich aber auch nach der Verneh­ mung in den Regelungen zur Akteneinsicht, z. B. §§ 147, 385, 406e, 474 ff. StPO. 392  Nach



§ 2 Die Bedeutung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts 93

vollständige inhaltliche Dokumentation der Zeugen- und Beschuldigtenver­ nehmung vor. Hinzu kommt, dass der Einsatz von Videotechnik bislang nur punktuell geregelt ist. Dies führt bei der Verletzung persönlichkeitsschützen­ der (aber auch anderer verfahrensrechtlicher) Vorschriften im Rahmen der Vernehmung insgesamt zu einer Erschwernis in der Beweisführung. Die be­ schränkte inhaltliche Dokumentation der Vernehmung verleiht den reinen Ordnungsvorschriften (z. B. § 68a StPO) ferner eine zusätzliche Komponente der Unverbindlichkeit. Vor dem Hintergrund des Persönlichkeitsschutzes sollte eine Ausweitung der Videotechnik daher zumindest erwogen werden: Der Einsatz von Videotechnik ist kein Selbstzweck und beschränkt sich nicht auf einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen. Vielmehr können mit seinem Einsatz vielfältige Zwecke ver­ folgt werden, besonders solche die (wiederum) dem Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Vernommenen dienen können, indem sie der Pro­ blematik der Mehrfachvernehmungen entgegenwirken oder etwaige Persön­ lichkeitsverletzungen dokumentieren. Soweit der Einsatz der Videotechnik den Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einer­ seits vertieft, andererseits aber auch dessen Schutz dient, verfolgt er einen ambivalenten Zweck. In diesem Falle können das Eingriffs- und das Schutz­ gut auf derselben Stufe (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) verortet werden. (5) Die vorstehenden Ausführungen zur Videotechnik geben Anlass zu ei­ ner umfassenden Bestandaufnahme und zur Frage, ob eine Erweiterung der audiovisuellen Dokumentation von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmun­ gen sinnvoll und zielkonform ist. Dies soll in den folgenden Kapiteln unter Berücksichtigung der erwähnten grundrechtlichen Anforderungen und den Vor- und Nachteilen der bisherigen Dokumentationsweise geprüft werden.

2. Kapitel

Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren – Rückblick und aktuelle Praxis § 1 Entstehungsgeschichte Jeder gelungenen Gesetzesreform ist die Reflektion der vergangenen Rechtslage immanent, sodass nachfolgend zunächst die vom Gesetzgeber verfolgten Motive in ihrer Gesamtheit, d. h. auch hinsichtlich der früheren Regelungen zur Videotechnologie, nachvollzogen und einer kritischen Be­ trachtung unterzogen werden müssen.

A. Entstehung des ZSchG (1998) Das ZSchG vom 30.04.19981 markierte eine Zäsur in der strafprozessu­ alen Gesetzgebungsgeschichte. Erstmals verfolgte ein Gesetz das Ziel, durch den Einsatz von Videotechnologie sicherzustellen, dass schutzbedürftige Zeu­ gen bei einer Vernehmung „weitestgehend geschont werden“.2 Die Gründe für den Erlass des ZSchG waren hierbei vielfältiger Natur: Zum einen wurde dem Problem des unzulänglichen Zeugenschutzes in der Vergangenheit zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.3 Erst seit dem Strafverfahrensände­ rungsgesetz 19794 wurden die Opfer- und Zeugenrechte bzw. der Schutz von Opfer- und Zeugeninteressen kontinuierlich erweitert bzw. gesteigert5, 1  Der offizielle Titel lautet: Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung und der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes; Zeugen­ schutzgesetz), BGBl. I S. 820. 2  BT-Drucks. 13/7165, S. 1. 3  Vgl. Ahrens, DRiZ 1986, 355 (356); Dahs, NJW 1984, 1921 (1923 f., 1926); Hartz, KJ 2006, 74 (75); Herrmann, ZIS 2010, 236; Rebmann, NJW 1989, 1185; Zacharias, S. 87; diff. Meier, JZ 1991, 638 (645). 4  BGBl. I 1978, S. 1645. 5  Vgl. zur stärkeren Berücksichtigung von Opfer- und Zeugenbelangen nur: Ers­ tes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opfer­ schutzgesetz) vom 18.12.1986, BGBl. I S. 2496; Gesetz zur Bekämpfung des illega­ len Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminali­ tät (OrgKG) vom 15.07.1992, BGBl. I S. 1302; Gesetz zur Verbesserung der Rechte



§ 1 Entstehungsgeschichte95

sodass das ZSchG im Jahr 1998 nur als logische Konsequenz einer stets fortschreitenden (und im Hinblick auf das moderne Zeitalter auch anpas­ sungsfähigen) Gesetzgebungsentwicklung angesehen werden kann. Die Ein­ führung des Einsatzes von Videotechnologie im Strafverfahren wurde insbe­ sondere vor dem Hintergrund entsprechender Erfahrungen mit der praktizier­ ten Technik in den angelsächsischen Ländern gefordert.6 Hinzu kommt, dass in den 1990er Jahren mehrere Missbrauchsprozesse u. a. in Worms7, Münster8 und Flachslanden9 in den Fokus der Öffentlichkeit gerieten. Im Anschluss an von Verletzten im Strafverfahren vom 24.06.2004, BGBl. I S. 1354 (Opferrechtsre­ formgesetz); Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz) vom 28.10.1994, BGBl. I S. 3186; Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfah­ ren vom 29.07.2009, BGBl. I S. 2280; Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Straf­ verfahren vom 21.12.2015 (3. Opferrechtsreformgesetz), BGBl. I S. 2525; vgl. ferner die Übersicht bei Swoboda, S.  62 ff. 6  Laubenthal, JZ 1996, 335 (340); Weigend, S. 462 ff.; vgl. zu den Erfahrungen im Ausland ferner Albrecht, Kindliche Opferzeugen, S. 20 ff.; Bohlander ZStW 107 (1995), 82 (88 ff.); Brocker, MschrKrim 1996, 406 (408 ff.); Köhnken, StV 1995, 376 ff.; Mildenberger, S.  61 ff.; Richter, Der Kriminalist 1990, 360; Volbert/Pieters, S.  37 ff. 7  Als „Wormser Missbrauchsprozesse“ werden drei vor dem LG Mainz von 1994 bis 1997 andauernde Strafverfahren (Worms I, Worms II, Worms III) bezeichnet. Sie galten als die „größten Missbrauchsprozesse der deutschen Rechtsgeschichte“: 25 Erwachsene wurden angeklagt, insgesamt 16 Kinder sexuell missbraucht oder Bei­ hilfe hierzu geleistet zu haben. Die drei Strafprozesse endeten im Jahre 1996/1997 mit 24 Freisprüchen (eine Angeklagte verstarb während der Untersuchungshaft). Der Vorsitzende Richter Hans Lorenz leitete die Urteilsbegründung des letzten Strafpro­ zesses mit folgenden Worten ein: „Den Massenmissbrauch von Worms hat es nie gegeben.“ und ergänzte später: „Bei allen Angeklagten, für die ein langer Leidensweg zu Ende geht, haben wir uns zu entschuldigen.“ Zum Wormser Missbrauchsprozess Deckers, NJW 1999, 1365 (1366, 1370); Friedrichsen, Der Spiegel, 26/1997, S. 78 f.; dies., Der Spiegel, 9/2005, S. 50 ff.; Lorenz, DRiZ 1999, 253 ff.; ders., Videoverneh­ mung, S.  144 f.; Schade, StV 2000, 165 ff.; Steller, RuP 1998, 11 ff. 8  Der „Montessori“-Prozess war ein von 1992 bis 1995 andauerndes Strafverfah­ ren vor dem LG Münster, in dem ein Erzieher zweier Montessori-Kindergärten wegen sexuellen Missbrauchs von 63 Kindern angeklagt wurde. Das Strafverfahren endete nach zweieinhalb Jahren Dauer mit einem Freispruch für den Anklagten. Der Vorsit­ zende Richter Klaus-Dieter Walden begann seine mündliche Urteilsbegründung mit folgenden Worten: „Die Befriedigung aller Beteiligten, auch ein Ziel des Strafprozes­ ses, wird wohl nicht zu erreichen sein“. Zum „Montessori“–Prozess Deckers, NJW 1999, 1365 (1370); Duve, Der Spiegel, 8/1996, S. 52 ff.; Düx, ZRP 2006, 82 (83 f.); Friedrichsen/Mauz, Der Spiegel, 21/1995, S. 76  ff.; dies., Der Spiegel 22/1995, S.  82 ff.; Köhnken, PdR, Sonderheft 1/2000, S. 4 ff.; Schulz-Hardt/Köhnken, PdR, Sonderheft 1/2000, 60 ff.; Wittlich/Wolfsgruber, Focus Magazin, 21/1995. 9  Als „Flachslanden-Prozesse“ werden mehrere vor dem LG Ansbach von 1993 bis 1995 andauernde Strafverfahren bezeichnet, indem insgesamt 13 Angeklagte we­ gen sexuellen Missbrauchs mit bis zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurden.

96

2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

die Revision eines im „Flachlanden-Prozess“ Verurteilten wies der BGH in seinem Grundsatzurteil vom 30.07.1999 schließlich auf die Gefahr suggesti­ ver Einflüsse der vernommenen Zeugen hin10 und stellte methodische Min­ deststandards zur Begutachtung von (kindlichen) Zeugen auf.11 Neben Defi­ ziten im Bereich des allgemeinen Ermittlungswesens und der Begutachtung (kindlicher) Zeugen12 wurde jedoch auch ein weiteres Problem eklatant: Die kindlichen Zeugen wurden in den Missbrauchsprozessen mehrfach von der Allgemein zu den Flachlanden-Prozessen Friedrichsen, Der Spiegel, 32/1994, S.  46 ff.; dies., Der Spiegel, 12/1995, S. 84 ff. 10  BGHSt 45, 164 (171 f.): „Darüber hinaus ist stets zu beachten, daß die Real­ kennzeichen ungeeignet sind, zur Unterscheidung zwischen einer wahren und einer suggerierten Aussage beizutragen. […] Beispielsweise wird ein Kind seine Angaben, die objektiv nicht zutreffen, weil es sie unbewußt auf die Erwartungen des verneh­ menden Erwachsenen ausgerichtet hat, subjektiv für wahr halten. Dementsprechend gibt es keine empirischen Belege dafür, daß sich erlebnisbasierte und suggerierte Aussagen in ihrer Qualität unterscheiden“; vgl. ferner BGHSt 45, 164 (173): „Im Rahmen der Fehlerquellenanalyse wird es in Fällen, bei denen – wie hier – (auch unbewußt) fremdsuggestive Einflüsse in Erwägung zu ziehen sind, in aller Regel er­ forderlich sein, die Entstehung und Entwicklung der Aussage aufzuklären“. 11  Zu berücksichtigen sei insbesondere die sog. „Null-Hypothese“, wonach ein „zu überprüfende[r] Sachverhalt […] so lange zu negieren [sei], bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist“. Der Sachverständige [nehme] daher bei der Begutachtung der Aussage zunächst an, die Aussage sei unwahr“, BGHSt 45, 164 (167 f.). Dieses der Unschuldsvermutung dienende wissenschaftliche Grundprinzip wird naturgemäß in der Öffentlichkeitsdiskussion nicht immer eingehal­ ten. Schaefer fasst diese Problematik im Anschluss an die obige Entscheidung des Bundesgerichtshofs in NJW 2000, 928 prägnant zusammen: „Gelegentlich hat die öffentliche Diskussion über sexuellen Missbrauch an Kindern […] fast hysterische Züge. Es besteht die Gefahr, dass in dieser dann aufgeheizten Stimmung und in dem Bedürfnis, schnell zu überzeugenden Ermittlungserfolgen zu kommen, Fehler passie­ ren, die sonst nicht passieren, Ermittlungen die nötige Gründlichkeit vermissen lassen oder sogar unterbleiben, notwendige begleitende Dokumentationen nicht oder nicht ausreichend gemacht werden und im Extremfall der Verdächtigte fälschlich belastet wird“. 12  Vgl. zu den gesellschaftlichen und historischen Hintergründen der „Massenbe­ schuldigungsverfahren“ der 1990er Jahre sowie zur Erforderlichkeit der Aufstellung einer Alternativhypothese bei Vorwürfen sexuellen Missbrauchs Böhm, FKP 54, 35 ff.; Dittmann, FS Wiprächtiger (2011), S. 223 (224): Die o. g. Strafverfahren haben (ins­ besondere im „Montessori-Prozess“) aufgezeigt, welche „Dynamik zwischen zahlrei­ chen beteiligten Eltern, selbsternannten Aufklärern und natürlich auch den Kindern“ entstehen könne, „die sich im Nachhinein als unentwirrbares Konglomerat mit nicht mehr kontrollierbaren suggestiven Einflüssen auf die teils noch sehr jungen Kinder“ erweise; bezugnehmend hierauf auch Deckers, S. 406, der die benannten Strafverfah­ ren dementsprechend als „Lehrstücke“ begreift; zu den Fehlern suggestiver Aufde­ ckungsarbeit am Beispiel der Wormser Missbrauchsprozesse Steller, RuP 1998, S. 11 (15 f.); vgl. hierzu auch Schaefer, NJW 2000, 928: Der neuen Entscheidung des BGH vom 30.07.1999 sei zu verdanken, „dass […] Professionalität, Rationalität und Nüch­ ternheit auch in stark emotional belasteten Verfahren wieder mehr in den Vordergrund



§ 1 Entstehungsgeschichte97

Polizei, der Staatsanwaltschaft und/oder dem Ermittlungsrichter und schließ­ lich noch wenigstens einmal vor dem erkennenden Gericht zum Tatgesche­ hen befragt. Den Prozessen waren damit – ungeachtet des konkreten Verfah­ rensergebnisses – jedenfalls die psychisch belastenden Vielfachbefragungen der Zeugen gemeinsam.13 Eine Strafkammer des LG Mainz versuchte dieses Problem zumindest im Rahmen der Hauptverhandlung zu entschärfen und schlug einen bis dahin unkonventionellen Weg ein: Sie beschloss am 15.05.1995 im Einvernehmen mit allen Verfahrensbeteiligten, die kindlichen Zeugen außerhalb des Gerichtssaals mithilfe des Einsatzes von Videotechnik zu vernehmen (sog. „Mainzer Modell“). Der Vorsitzende Richter hielt sich zu diesem Zweck mit dem Zeugen in einem Nebenraum auf. Die von ihm durchgeführte Vernehmung wurde mittels Videoprojektion auf eine Leinwand in den Gerichtssaal übertragen. Über eine ständige Telefonverbindung zwi­ schen dem Gerichtssaal und dem Vernehmungszimmer konnten dem Vorsit­ zenden jederzeit Anträge und Beanstandungen übermittelt werden.14 Die Strafkammer ging hierbei von einer Vereinbarkeit ihrer Vorgehensweise mit den Grundsätzen des Strafprozessrechts, insbesondere den Prinzipien der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweisaufnahme aus.15 Sie entschied sich damit bewusst für eine zeitgemäße und am Wohl des Kindes orientierte, wenn auch zu diesem Zeitpunkt für die Strafprozessordnung fremde Verneh­ mungsmethode.16 Die richtungsweisende Entscheidung des LG Mainz ebnete damit zugleich den Weg zu einer verbesserten Rechtsstellung der (Opfer-) Zeugen mithilfe des Einsatzes von Videotechnologie. In der Folge rückten die durch den Einsatz von Videotechnologie im Straf­ prozess eröffneten Möglichkeiten zunehmend in den Mittelpunkt des rechts­ wissenschaftlichen Diskurses.17 Dies blieb auch dem Gesetzgeber nicht verborgen: Die SPD-Fraktion brachte am 28.11.1995 den Entwurf eines Ge­ setzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von Deliktsopfern und zum Ein­ satz von Videogeräten bei Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung18 in den Bundestag ein. Der Gesetzentwurf verfolgte das vom LG Mainz praktizierte sog. „Mainzer Modell“, bei dem der Vorsitzende den Verhand­ lungssaal mit dem Zeugen verlässt und die Vernehmung getrennt von den treten“; die „Rückbesinnung auf spezifisch juristische Tugenden“ sei „angesichts der Katastrophen in den Wormser Prozessen ausdrücklich zu begrüßen“. 13  Deckers, NJW 1999, 1365 (1370); Hussels, NJW 1995, 1877. 14  LG Mainz NJW 1996, 208. 15  LG Mainz NJW 1996, 208 (209). 16  Eingehend hierzu Laubenthal, JZ 1996, 335 (340 f.). 17  Vgl. Herrmann, ZIS 2010, 236 (239); Rieß, StraFo 1999, 1; Schöch, FS MeyerGoßner (2001), S. 365 (366); ders., Videovernehmung, S. 10; vgl. zur Entwicklung auch Laubenthal, JZ 1996, 335 (340 f.). 18  BT-Drucks. 13/3128.

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2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

anderen Verfahrensbeteiligten vornimmt, weiter.19 Die Vorgehensweise nach dem „Mainzer Modell“ beschränkte sich nach dem Gesetzentwurf der SPDFraktion aber nur auf die Vernehmung von Zeugen unter sechzehn Jahren und auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184b StGB a. F.).20 Einen umfangreicheren und ausdifferenzierteren Gesetzentwurf brachte schließlich der Bundesrat mit seinem Gesetz zur Änderung der Straf­ prozeßordnung (Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen) am 19.06.199621 in den Bundestag ein. Vornehmliches Ziel dieses Gesetzentwurfes war es, dem Schutzinteresse kindlicher und jugendlicher (Opfer-)Zeugen stärker als nach geltendem Recht Rechnung zu tragen.22 Zu diesem Zwecke enthielt der Ent­ wurf mehrere fakultative Regelungen für den Einsatz von Videotechnologie bei der Zeugenvernehmung im Ermittlungs- und Hauptverfahren. Er be­ schränkte sich mithin nicht nur auf die Einführung des „Mainzer Modells“ in der Hauptverhandlung, sondern sah das Modell auch bei richterlichen Zeu­ genvernehmungen im Ermittlungsverfahren vor.23 Neben den Straftaten ge­ gen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184c StGB a. F.), nahm der Entwurf zudem auch Straftaten gegen das Leben (§§ 211 bis 222 StGB a. F.) und die Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 223b StGB a. F.) in seinen Anwendungskatalog auf.24 Auf eine breite Zustimmung in den Gesetzesbe­ 19  Vgl. BT-Drucks. 13/3128, S. 6: „Es ergibt sich […] aus den Erfahrungen von Strafverfahren, in denen Frauen und Kinder als Opfer/Zeugen auftreten müssen, die Verpflichtung, […] Vernehmungen möglichst schonend durchzuführen. Die moderne Kommunikationstechnik ermöglicht heute Übertragungsmöglichkeiten der Verneh­ mung durch den Vorsitzenden – wie gegenwärtig vom LG Mainz praktiziert –, ohne die Rechte des Angeklagten, der Verteidigung oder der Staatsanwaltschaft einzu­ schränken. An diese Form der Vernehmung konnte der frühere Gesetzgeber nicht denken. Die Vorschrift des neuen [§ 250] Absatzes 2 soll dem Vorsitzenden, bei Wi­ derspruch dem Gericht, ermöglichen, die Vernehmung außerhalb des Gerichtssaals durchzuführen“. 20  Vgl. BT-Drucks. 13/3128, S. 3, 6. 21  BT-Drucks. 13/4983. 22  BT-Drucks. 13/4983, S. 4. 23  BT-Drucks. 13/4983, S. 3 ff.; vgl. hierzu aber die kritische Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/4983, S. 10: „Auf der Grundlage der bisher vorlie­ genden Erkenntnisse vermag die Bundesregierung der für die Vernehmung in der Hauptverhandlung vorgesehenen Festschreibung des „Mainzer Modells“ nicht zuzu­ stimmen. […] Aus Sicht der Bundesregierung sollte geprüft werden, ob das Verneh­ mungsmodell den Vorzug verdient, das sich in England seit Jahren […] bei Kindern in der Variante bewährt hat, daß der kindliche Zeuge von einem abgesonderten Raum aus über eine Videokamera seine Aussage macht, die auf einen Bildschirm in den Gerichtssaal übertragen wird. […] Der Gerichtsvorsitzende verbleibt im Sitzungssaal und stellt von dort aus seine Fragen über Mikrophon/Monitor“. 24  Vgl. § 168e Abs. 1 StPO des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Straf­ prozeßordnung (Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen), BT-Drucks. 13/4983, S. 3: „In Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis



§ 1 Entstehungsgeschichte99

ratungen stieß jedoch allein der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP zur Änderung der Strafprozeßordnung (Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren, ZSchG) vom 11.03.199725, woraufhin die Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion und des Bun­ desrates für erledigt erklärt wurden.26 Der Gesetzentwurf der Koalitions­ fraktionen enthielt ebenfalls mehrere fakultative Regelungen für den Einsatz von Videotechnologie bei der Zeugenvernehmung im Ermittlungs- und Hauptverfahren. Auch sollte – dem vorherigen Gesetzentwurf des Bundesra­ tes entsprechend – bei der richterlichen Zeugenvernehmung im Ermittlungs­ verfahren eine Befragung nach dem „Mainzer Modell“ möglich sein.27 Im Rahmen der Hauptverhandlung verfolgte der Gesetzentwurf jedoch – auf­ grund massiver Kritik an dem „Mainzer Modell“28 – die Einführung des sich bereits in Großbritannien bewährten sog. „Englischen Modells“, bei dem der 184c des Strafgesetzbuches) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbu­ ches) oder wegen einer Mißhandlung von Schutzbefohlenen (§ 223b des Strafgesetz­ buches) soll die richterliche Vernehmung eines Zeugen unter 16 Jahren, der der Ver­ letzte ist, in Bild und Ton aufgezeichnet werden […]“; vgl. ferner § 250 Abs. 2 StPO des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 13/4983, S. 3: „In Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184c des Strafgesetzbuches) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuches) oder wegen einer Mißhandlung von Schutzbefohlenen (§ 223b des Strafgesetzbuches) kann bei einem Zeugen unter 16 Jahren der Beweis über seine Wahrnehmung durch Abspielen einer Bild-Ton-Auf­ zeichnung über seine frühere richterliche Vernehmung erhoben werden“. 25  BT-Drucks. 13/7165 i.  d. F. der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 12.11.1997, BT-Drucks. 13/8990.  26  BT-PlPr. 13/204, S. 18465. 27  BT-Drucks. 13/7165, S. 3, 9. 28  Diskutiert wurden vor allem Verstöße gegen § 250 StPO (Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme), § 226 Abs. 1 StPO (ununterbrochene Gegenwart der zur Urteils­ findung berufenen Personen), § 238 Abs. 1 StPO (Verhandlungsleitung durch den Vorsitzenden); § 261 StPO (Schöpfung der richterlichen Überzeugung aus dem Inbe­ griff der Verhandlung) und § 338 Nr. 1 StPO (nicht mehr vollständige Besetzung des Gerichts). Vgl. hierzu nur die Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/4983, S. 10; Dahs, NJW 1996, 178 (179): „Im ganzen gesehen muß die Erleichte­ rung über den scheinbar erreichten Schutz der Entwicklung kindlicher Zeugen doch wohl der Skepsis weichen, ob hier nicht das Tor zu einem elektronisierten Strafpro­ zeß geöffnet wird, der de facto im Verhandlungssaal ohne Zeugen ablaufen würde“; ferner Geppert, JURA 1996, S. 550 (552 ff.); Hasdenteufel, S.  65 ff.; Hussels, ZRP 1995, 242 (243); Jansen, StV 1996, 123 ff.; Keiser, S.  361 ff.; Laubenthal, JZ 1996, 335 (341 ff.); Leitner, StraFo 1996, 12 (15 f.); Schlüchter, FS Schneider (1998), S.  445 (450 f.); Schlüchter/Greff, Kriminalistik 1998, 530; Seitz, JR 1998, 309 (311); Strate, FG Friebertshäuser (1997), S. 203 (208 ff.); Weigend, FS Kaiser (1998), S. 1481 (1492 f.); für eine Lösung nach dem „Mainzer Modell“ plädieren hingegen Brocker, MschrKrim 1996, 406 (413 f.); Dieckerhoff, S. 234; Kintzi, Der Schutz kind­ licher Opferzeugen, S. 26 ff.; ders., DRiZ 1996, 184 (191 f.); Mildenberger, S.  121 ff.; Wegner, ZRP 1995, 406 ff.; dies., ZRP 1997, 404 (411).

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2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

Vorsitzende während der Vernehmung des Zeugen im Verhandlungssaal verbleibt und sich der Zeuge während der Video-Simultanübertragung in einem anderen Raum aufhält.29 Der Entwurf beschränkte sich ferner nicht darauf, die Situation kindlicher (Opfer-)Zeugen zu verbessern30, er bezog vielmehr alle schutzbedürftigen Zeugen mit ein, so auch „Opfer von Gewalttaten, alte Menschen oder gefährdete Zeugen31, denen bereits aus der Zeugeneigen­ schaft erhebliche Belastungen erwachsen können“. Die Koalitionsfraktionen begründeten diese Ausweitung des Schutzzwecks mit dem Anspruch auf Schutz und Fürsorge, der gerade allen Zeugen zustehe, die sich in Erfüllung ihrer Pflichten im Strafverfahren besonderen Belastungen ausgesetzt sehen. Eine Ausgrenzung bestimmter Zeugengruppen sei daher nicht angebracht.32 Letztlich divergierten die verschiedenen Gesetzentwürfe daher nicht nur hinsichtlich des konkret gewählten Modells bei der Video-Simultanübertra­ gung von Vernehmungen in der Hauptverhandlung, sondern auch im Hinblick auf den allgemeinen Schutzzweck des Gesetzes. Nach einer Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat33, der seine Interessen gleich­ wohl durchsetzen wollte, und einer Einigungsempfehlung des Vermittlungs­ ausschusses34 trat das ZSchG vom 30.04.1998 schließlich am 01.12.1998 in Kraft.35 Anders als bereits praktiziert, entschied sich der Gesetzgeber bei der Video-Simultanübertragung von Vernehmungen in der Hauptverhandlung je­ doch für das Englische Modell. Die ursprüngliche Intention des Bundesrates und der SPD-Fraktion, dem Schutzinteresse kindlicher und jugendlicher 29  BT-Drucks. 13/7165, S. 3, 9 f. Nach der Beschlussempfehlung des Rechtsaus­ schusses sollte der Zeuge aber auch vernommen werden können, wenn er sich nicht am Gerichtsort aufhält, BT-Drucks. 13/8990, S. 3, BT-Drucks. 13/9063, S. 3, 4: „an einem anderen Ort“. 30  Der Bundesrat verfolgte hingegen eine engere Zielrichtung und beschränkte sich in seinem (Alternativ-)Entwurf auf den Schutz kindlicher und jugendlicher (Op­ fer-)Zeugen bzw. auf bestimmte Gruppen von kindlichen und jugendlichen Opferzeu­ gen, BT-Drucks. 13/4983, S. 3 f.; vgl. hierzu auch den Entwurf der SPD-Fraktion, BT-Drucks. 13/3128, S. 3, 6. 31  Unter dem Begriff des „gefährdeten Zeugen“ werden im Allgemeinen ver­ deckte Ermittler, V-Leute, aber auch alle sonstigen Zeugen verstanden, bei denen mit einem Angriff auf Leben, Leib, Freiheit, Eigentum oder ein sonstiges verfassungs­ rechtlich geschütztes Rechtsgut oder einer ihm nahestehenden Person zu rechnen ist, vgl. Griesbaum, NStZ 1998, 433 (434); Rebmann/Schnarr, NJW 1989, 1185 f.; Zacharias, S. 87. 32  BT-Drucks. 13/7165, S. 4. 33  BR-PlPr. 720, S. 594. 34  Zur Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 02.03.1998 BTDrucks. 13/10001, S. 1 ff. Der Bundestag stimmte der Beschlussempfehlung des Ver­ mittlungsausschusses am 04.03.1998 zu, BT-PlPr. 13/221, S. 20217. Am 06.03.1998 stimmte auch der Bundesrat dem Vermittlungsergebnis zu, BR-PlPr. 722, S. 52. 35  BGBl. I S. 820 (822).



§ 1 Entstehungsgeschichte101

(Opfer-)Zeugen vor Schädigungen im Strafverfahren stärker Rechnung zu tragen36, hat dennoch auch im ZSchG Anklang gefunden (vgl. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO a. F. und § 255a Abs. 2 StPO a. F.).37 Ein zentrales Ziel aller Gesetzentwürfe wurde – ungeachtet der verschiedenen Gesetzeskonzeptio­ nen – schlussendlich auch erreicht: Die deutsche Strafprozessordnung wurde mit dem Erlass des ZSchG fortan für den Einsatz von Videotechnologie ge­ öffnet. Das ZSchG regelte u. a. die Zulässigkeit audiovisueller Aufzeichnun­ gen von Zeugenvernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung (§ 58a StPO), die Vorführung audiovisueller Aufzeichnungen in der Hauptverhand­ lung (§ 255a StPO) sowie die Zulässigkeit von audio-visuellen Simultan­ übertragungen von Zeugenvernehmungen außerhalb und innerhalb der Hauptverhandlung (§§ 168e, 247a StPO).38

B. Übersicht über die Vorschriften des ZSchG (1998) Die neuen Vorschriften des ZSchG vom 30.04.1998 lauteten auszugsweise wie folgt: § 58a StPO 1

(1) Die Vernehmung eines Zeugen kann auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet wer­ den. 2Sie soll aufgezeichnet werden 1. bei Personen unter sechzehn Jahren, die durch die Straftat verletzt worden sind, oder 2. wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. (2) 1Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für Zwecke der Strafver­ folgung und nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforder­ lich ist. 2§ 100b Abs. 6, §§ 147 und 406e finden entsprechende Anwendung.39 § 168e StPO 1

Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird, und kann sie nicht in anderer Weise abgewendet werden, so soll der Richter die Vernehmung von den Anwesenheitsberechtigten getrennt durchführen. 2Die Ver­ nehmung wird diesen zeitgleich in Bild und Ton übertragen. 3Die Mitwirkungsbe­ 36  Vgl. hierzu den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 19.06.1996, BT-Drucks. 13/4983, S. 1, 4, ähnlich auch der Entwurf der SPD-Fraktion vom 28.11.1995, BTDrucks. 13/3128, S. 3, 6. 37  Eingehend hierzu Pott, S.  11 f. 38  Zum strukturellen Inhalt des Gesetzes Rieß, NJW 1998, 3240 ff. 39  BGBl. I S. 820.

102

2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

fugnisse der Anwesenheitsberechtigten bleiben im übrigen unberührt. 4Die §§ 58a und 241a finden entsprechende Anwendung. 5Die Entscheidung nach Satz 1 ist unanfechtbar.40 § 247a StPO 1 Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernom­ men wird, und kann sie nicht in anderer Weise, namentlich durch eine Entfernung des Angeklagten sowie den Ausschluß der Öffentlichkeit abgewendet werden, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält; eine solche Anordnung ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 2Die Entscheidung ist unanfechtbar. 3Die Aussage wird zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen. 4Sie soll aufgezeichnet werden, wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit er­ forderlich ist. 5§ 58a Abs. 2 findet entsprechende Anwendung.41

§ 255a StPO (1) Für die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung gel­ ten die Vorschriften zur Verlesung einer Niederschrift über eine Vernehmung ge­ mäß §§ 251, 252, 253 und 255 entsprechend. (2) 1In Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184c des Strafgesetzbuches) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Straf­ gesetzbuches) oder wegen Mißhandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafge­ setzbuches) kann die Vernehmung eines Zeugen unter sechzehn Jahren durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an dieser mitzuwirken. 2Eine ergänzende Vernehmung des Zeugen ist zulässig.42

§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis Eine aktuelle und umfassende (landes- oder bundesweite) Statistik zur tatsächlichen Nutzung der Videotechnologie im Strafverfahren ist nicht vor­ handen. Ob und inwiefern sich die Videovorschriften (insbesondere die §§ 58a, 168e, 247a, 255a StPO) bereits in der Praxis etabliert haben, kann daher nicht anhand einer statistischen Quelle beantwortet werden. In der ­Literatur finden sich bislang auch nur vereinzelte (d. h. auf eine bestimmte Vorschrift, eine gewisse Zeit oder einen gewissen Ort beschränkte) Studien, 40  BGBl. I

S. 820. S. 820, 821. 42  BGBl. I S. 820 (821). 41  BGBl. I



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis103

Befragungen und Einschätzungen zu dieser Frage.43 Um eine weitergehende Einschätzung zur tatsächlichen Nutzungspraxis der Videotechnik wenigstens ansatzweise treffen zu können, ist es mithin unabdingbar, alle einschlägigen wesentlichen Untersuchungen, Erfahrungsberichte und Einschätzungen in der Literatur und Rechtsprechung (chronologisch) zu ordnen und einer zusam­ menfassenden Bewertung zuzuführen.

A. Erfahrungsberichte, Einschätzungen und Untersuchungen aus den Jahren 1997–2003 Vorbehalte gegen die Videotechnologie im Strafprozess zeigten sich be­ reits vor dem Inkrafttreten des ZSchG (01.12.1998) im Rahmen der Untersu­ chungen von Kipper.44 Die Studie begann im Jahre 1997 und beinhaltete neben einer Aktenuntersuchung45 auch eine schriftliche Gerichtsbefragung46, die Aufschluss über die Einstellung der Gerichte über die (damals) bevorste­ hende Implementierung der Videovorschriften in die Strafprozessordnung lieferte: Kipper schrieb alle zu diesem Zeitpunkt existierenden 116 Landge­ richte und 697 Amtsgerichte, also insgesamt 813 Gerichte47 mithilfe eines standardisierten Fragebogens an. Dieser Fragebogen enthielt u. a. „Fragen zur Anwendung von Videotechnologie im Rahmen der Zeugenbefragung […], die zum Zeitpunkt der Datenerhebung zwar schon parlamentarisch diskutiert, tatsächlich aber nur gelegentlich ohne gesetzliche Grundlage angewendet wurde“ (so wie bei dem „Mainzer Prozess“ am LG Mainz48).49 Von den an­ geschriebenen 813 Gerichten antworteten schließlich 636 Gerichte, was einer Rücklaufquote von 78,2 % entsprach.50 Die Befragung offenbarte, dass bis­ lang nur acht Gerichte Erfahrungen mit der Videotechnik im Rahmen der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung gemacht hatten.51 Zudem be­ kundeten lediglich 108 Gerichte den Wunsch bzw. Willen, zukünftig von den 43  Vgl. nur Altenhain, ZIS 2015, 269 (271  f.); Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 2080; Dieckerhoff, 226, 233, 240; Hartz, KJ 2006, S. 74 (77); Höttges, S.  159 ff.; KK-StPO/Senge, § 58a Rn. 3; Scheumer, S. 108, 279; v. Schlieffen, Freispruch 5/2014, 1; Schöch, FS Meyer-Goßner (2001), S. 365 (367 ff.); Swoboda, S.  132 ff.; Vogel, S. 62. 44  Zur Konzeption und Durchführung der Untersuchungen vgl. Kipper, S.  125 ff.; vgl. zu dieser Studie auch Hartz, S. 62; Thoma, S. 254; Wollmann, S.  24 f. 45  Zur Konzeption der Aktenuntersuchung Kipper, S.  126 ff. 46  Zur Konzeption der Gerichtsbefragung Kipper, S. 140. 47  Näher Kipper, S. 142. 48  Vgl. oben S. 94 ff. 49  Kipper, S. 141. 50  Kipper, S. 142. 51  Kipper, S. 275.

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2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

durch das ZSchG eröffneten Möglichkeiten der Videotechnik Gebrauch zu machen. Hierbei war das Interesse an Videovernehmungen an den Landge­ richten höher als bei den Amtsgerichten.52 Die übrigen Gerichte zeigten hingegen keinerlei Interesse an der neuen Technik. Diese geringe Resonanz in Bezug auf die Verwendung von Videotechnologie resultiere nach Kipper aus einem „ganz allgemeinen Mißtrauen in deren Nutzen“. Seitens der Ge­ richte wurde ihm gegenüber nämlich wiederholt angemerkt, „daß gerade die Vernehmung mit einer zwischengeschalteten Kamera nie den gleichen positi­ ven Effekt haben könne wie persönlicher Einsatz und Einfühlungsvermögen des Richters in der unmittelbaren Befragung des Kindes“.53 Nach Kipper sei es demnach „wahrscheinlicher […], daß die Regelungen des Zeugenschutz­ gesetzes […] nur gelegentliche Anwendung finden.“ Dafür spreche auch, „daß die Regelungen keinen obligatorischen Charakter haben und somit im Ermessen des Gerichts stehen“. Der Videotechnik sei daher „aller Voraus­ sicht nach keine glorreiche Zukunft beschert“.54 Über die ersten Erfahrungen der Länder im Umgang mit der Videotechnik berichtete sodann Swoboda im Jahre 200255: Die Mehrzahl der Länder hatte die technische Ausstattung der Gerichte nach dem Inkrafttreten des ZSchG zwar „in Angriff genommen“; insgesamt war jedoch nur von einem „recht zögerlichen Umgang“ der Gerichte mit den durch das ZSchG geschaffenen Möglichkeiten auszugehen. So hatten nach Angaben des rheinland-pfälzi­ schen Justizministeriums bis Dezember 1999 insgesamt nur 25 Videoverneh­ mungen bei den Staatsanwaltschaften und den Amts- und Landgerichten in Rheinland-Pfalz stattgefunden. Den hohen Anschaffungskosten stand daher nur eine „geringe Nutzung“ der neuen Technik gegenüber.56 Auffällig war ferner, dass die technischen Einrichtungen – z. B. in Bayern – im Rahmen polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Vernehmungen, also im Ermitt­ lungsverfahren, „häufiger genutzt“ werden als im Hauptverfahren.57 Ähnlich gestaltete sich die Praxis in anderen Bundesländern: Auch in Berlin war den Richtern der „unmittelbare, persönliche Kontakt gerade mit kindlichen Zeu­ gen […] wichtiger als eine Abschirmung des Zeugen von den anderen Ver­ 52  Kipper, S. 276 sieht den Grund für diese Unterscheidung darin, „daß an den Landgerichten aufgrund der vermeintlich schwerer wiegenden Delikte eher ein Be­ darf für die Verwendung von Videotechnologie gesehen wird“ und „daß an kleinen Gerichten mit wenig Personal eher befürchtet wird, Probleme im Umgang mit der Technik nicht bewältigen zu können“. 53  Kipper, S. 276. 54  Kipper, S. 295; vgl. zur mutmaßlichen künftigen Entwicklung ders., S.  299 f.; ferner Volbert/Erdmann, MschrKrim 1996, 238 (244). 55  Swoboda, S.  132 ff. 56  Swoboda, S. 133. 57  Swoboda, S. 134.



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis105

fahrensbeteiligten mittels Videoübertragung“.58 Gleiches galt für SchleswigHolstein.59 In Baden-Württemberg konnte hingegen auch über ein Jahr nach dem Inkrafttreten des ZSchG kein nennenswerter Einsatz der Videotechnik festgestellt werden.60 Auch in Brandenburg konnte „kaum ein Zugriff auf die Einrichtungen“ verzeichnet werden. Die „Zurückhaltung“ im Umgang mit der Videotechnologie war insbesondere bei richterlichen Vernehmungen „be­ sonders groß“. In Hessen wurde diesbezüglich auch über Unsicherheiten und fehlende Erfahrungen der Richter im Umgang mit der neuen Technik ge­ klagt.61 Die Erfahrungen der weiteren Bundesländer erwiesen sich ebenfalls als gering; teilweise fehlte es hier auch noch an den technischen Vorausset­ zungen.62 Die (wenigen) ersten Erfahrungsberichte über den tatsächlichen Einsatz der Videotechnik waren demgegenüber überwiegend positiv ausge­ fallen. So wirkten vor allem die vernommenen kindlichen Zeugen nach An­ gaben der Richter „spürbar entlastet“.63 Zum Teil wurden jedoch die techni­ sche Umsetzung sowie die Qualität einiger Aufzeichnungen gerügt; je nach Kameraposition konnten dem Betrachter auch Mimik und Gestik des Ver­ nommenen verborgen bleiben.64 Positive Ergebnisse beim Einsatz der Video­ technik hingen somit maßgeblich von der Qualität der technischen Einrich­ tung ab.65 Aufschlussreich sind auch die Äußerungen des BGH in einem Urteil vom 15.09.1999 zu den Anforderungen an die audiovisuelle Vernehmung eines sich im Ausland befindlichen Zeugen: „Bei der Entscheidung, ob das Gericht von der Möglichkeit des § 247a StPO Gebrauch machen will oder nicht, ist insbesondere die durch das technische Me­ dium und die fehlende körperliche Anwesenheit des Zeugen […] eingeschränkte Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 250 Satz 1 StPO) zu beachten. Zu be­ rücksichtigen wird auch sein, daß sich eine auf Distanz befragte Person dem durch Frage und Antwort entstehenden Spannungsverhältnis eher wird entziehen können als in direktem Kontakt in ein und demselben Raum. Durch die tech­ nisch bedingte Distanz wird es zudem schwieriger sein, im Vorfeld der Aussage Hemmungen abzubauen, Vertrauen zu erwecken und sich selbst einen hinrei­ chenden Eindruck von der individuellen Eigenart der Auskunftsperson und ihrem non-verbalen Aussageverhalten zu verschaffen […]. Ergebnis einer solchen dem Tatrichter auferlegten Abwägung kann durchaus sein, daß eine audiovisuelle 58  Swoboda, 59  Swoboda, 60  Swoboda, 61  Swoboda, 62  Swoboda, 63  Swoboda, 64  Swoboda, 65  Swoboda,

S. 136. S. 137. S. 137. S. 138. S. 139. S. 134. S. 135, 137, 139. S. 140.

106

2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

Vernehmung wegen ihrer dargelegten Defizite gegenüber einem präsenten Zeu­ gen im Einzelfall für die Wahrheitsfindung wertlos, der Zeuge mithin auch unter Beachtung der Möglichkeiten des § 247a StPO ein ungeeignetes Beweismittel ist.“66

Diese skeptischen Äußerungen des BGH haben die allgemeinen Bedenken, die bereits nach dem Erfahrungsbericht von Swoboda in Bezug auf die Nut­ zung der Videosimultanübertragung in der Hauptverhandlung geltend ge­ macht wurden67, somit bestätigt und präzisiert. Auch Höttges bestätigte die „schleppende“ Umsetzung des ZSchG mit ih­ rer statistischen und empirischen Untersuchung aus dem Jahre 2000 für das Land Nordrhein-Westfalen.68 Die Untersuchung brachte hervor, dass spätes­ tens seit August 2000 an allen Landgerichten im Bezirk der Oberlandesge­ richte Düsseldorf und Hamm Videoeinrichtungen vorhanden und größtenteils bereits installiert waren. Im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln war auch das Landgericht Köln mit einer solchen Anlage ausgestattet.69 Die Ausstat­ tung der einzelnen Polizeipräsidien und Kreispolizeibehörden mit der neuen Videotechnologie vollzog sich indes langsamer. So verfügten im Jahre 2000 nur 32 % der Kreispolizeibehörden in Nordrhein-Westfalen über Videover­ nehmungszimmer. Bei weiteren 20 % der Kreispolizeibehörden war die Ein­ führung der Videotechnik in naher Zukunft beabsichtigt.70 Die Staatsanwalt­ schaften sollten zum Zeitpunkt der Untersuchung hingegen nicht mit eigenen Anlagen ausgestattet werden.71 Insgesamt waren die praktischen Erfahrungen mit den vorhandenen Videoanlagen eher gering72: So wurden die Videoanla­ gen bei den Landgerichten in Düsseldorf, Duisburg, Kleve, Krefeld, Mön­ chengladbach, Wuppertal, Bielefeld, Bochum, Essen, Hagen, Münster, Pader­ born und Köln trotz ihrer Anschaffung und Installation zum Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht eingesetzt. Die weiteren Landgerichte in NordrheinWestfalen warteten zum Zeitpunkt der Untersuchung hingegen noch auf die Installation ihrer Anlagen bzw. auf entsprechende Schulungen oder verfügten gar nicht über eine Videoanlage.73 Praktische Erfahrungen mit der Videotech­ nik wurden einzig im Jahre 1999 am AG Euskirchen gemacht: Ein Richter führte hier erstmalig eine Videosimultanvernehmung nach § 247a StPO in

66  BGHSt

45, 188 (196, 197) m. w. N. oben S. 104 f. 68  Höttges, S.  159 ff. 69  Höttges, S. 160. 70  Höttges, S.  239 f. 71  Höttges, S. 160. 72  Vgl. Höttges, S.  176 ff., 204 ff. 73  Höttges, S.  186 ff. 67  Vgl.



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis107

der Hauptverhandlung durch.74 Damit hatte die Justiz in Nordrhein-Westfalen zum Zeitpunkt der Untersuchung von Höttges nur einmal von den Möglich­ keiten des ZSchG Gebrauch gemacht.75 Im Vergleich hierzu gelangten die Videoanlagen, wenn sie denn bei den (im Folgenden beispielhaft aufgeführten) Polizeipräsidien bzw. Kreispolizei­ behörden überhaupt vorhanden waren, öfter zum Einsatz: So wurde die Vi­ deoanlage des Polizeipräsidiums in Duisburg (Ausstattung seit Herbst 1999) innerhalb eines Jahres sechs Mal benutzt.76 Mehr Erfahrungen sammelte die Kreispolizeibehörde in Bergheim (Ausstattung seit 1997): Das Videoverneh­ mungszimmer konnte hier von Januar 2000 bis Oktober 2000 sogar zwölf Mal für Videovernehmungen genutzt werden.77 In der Kreispolizeibehörde in Paderborn (Ausstattung seit Januar 1999) wurden im Jahre 1999 insgesamt 23 Videovernehmungen durchgeführt; von Januar 2000 bis Oktober 2000 konnten sechs weitere Videovernehmungen verzeichnet werden.78 Ähnlich sah das Ergebnis bei der Kreispolizeibehörde in Borken (Ausstattung seit November 1999) aus: Hier wurden 21 Videovernehmungen in 14 Monaten durchgeführt.79 Das Polizeipräsidium in Krefeld konnte schließlich die meisten Erfahrungen mit der Videotechnik aufweisen: Seit dem Bestand des Videovernehmungszimmer im Jahre 1997 gelangte die Videoanlage bis zum Herbst 2000 ca. 38 Mal zum Einsatz.80 Verständlicherweise gelangte Hött­ ges – angesichts dieser teils ambivalenten, insgesamt aber geringen prakti­ schen Erfahrungen mit der Videotechnologie – zu einem ernüchternden Fazit ihrer Untersuchung: „Von der Möglichkeit der Videovernehmung wird weder derzeit noch zukünftig viel Gebrauch gemacht werden.“81 Informativ ist auch die Studie von Vogel82, die etwa zwei Jahre nach In­ krafttreten des ZSchG mit Unterstützung des bayerischen Staatsministeriums 74  Sein Fazit in Bezug auf die Videosimultanvernehmung fiel jedoch negativ aus, vgl. Höttges, S. 195: „Nach Aussagen des Richters würde er eine Simultanverneh­ mung nicht noch einmal machen wollen. Zunächst sei der Aufbau der Anlage zu zeitaufwendig. Hinzu kommen technischen Schwierigkeiten, die er mit der Bedie­ nung der Geräte habe. Es sei schwer möglich, eine Vernehmung durchzuführen und gleichzeitig verschiedene Geräte zu bedienen“. 75  Höttges, S. 195. 76  Höttges, S. 211, 213. 77  Höttges, S. 223. 78  Höttges, S. 233. 79  Höttges, S. 224. 80  Höttges, S. 217. 81  Höttges, S. 269. 82  Zur Forschungskonzeption H. Vogel, S. 62 ff.; vgl. zu dieser Studie auch Dieckerhoff, S.  109 ff.; Pott, S.  14 f.; Schöch, FS Meyer-Goßner (2001), S. 365 (367 ff.); ders., Videovernehmung, S. 10 (11 ff.); Wollmann, S.  24 f.

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2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

der Justiz erstellt wurde. Vogel führte im Rahmen seiner Untersuchung Ex­ pertenbefragungen im Bereich der Justiz, der Anwaltschaft und der Kriminal­ polizei in Bayern durch, um die Regelungen des ZSchG im Hinblick auf die Anwendung in der Praxis beurteilen zu können.83 Zwischen September und November 2000 wurden 29 Richter, 32 Staatsanwälte und 16 Anwälte umfas­ send zum aktuellen Einsatz der Videotechnologie im Strafverfahren mündlich befragt.84 Ferner wurden 21 Polizeibeamte im März 2001 interviewt.85 Die Mehrzahl der befragten Experten erklärte sich auch zu einem schriftlichen Interview bereit.86 Anhand der mündlichen und schriftlichen Interviews konnte Vogel schließlich ableiten, mit welcher Form der Videotechnik die befragten Experten zwischen Dezember 1998 und September 2000 bereits Erfahrungen gesammelt hatten: In Bezug auf den Einsatz der Videotechnik im Ermittlungsverfahren gelangte Vogel zu dem Ergebnis, dass „im Bereich der Staatsanwaltschaften […] der Einsatz der Videotechnik erwartungsgemäß […] so gut wie keine Rolle“ spielte.87 Im Ergebnis konnte nur „ein einziger der 32 befragten Staatsanwälte“ angeben, dass er eine Videoaufzeichnung im Ermittlungsverfahren angefertigt hat, „obwohl [bereits] 29 Staatsanwälten die technische Anlage […] zur Verfügung“ stand.88 Eine bedeutsamere Rolle schienen die Videoaufzeichnungen hingegen im Rahmen der ermittlungsrich­ terlichen Vernehmung zu spielen: Vogel stellte insofern zumindest an „vier der insgesamt 72 bayerischen Amtsgerichte“ eine „regelmäßige Aufzeich­ nungspraxis“89 fest. Von der Aufzeichnungspraxis betroffen waren hierbei hauptsächlich minderjährige Zeugen, auf die 85,3 % (in Aschaffenburg, Hof und München sogar mehr als 90 %) der richterlichen Videoaufzeichnungen entfielen.90 Innerhalb dieser Gruppe hatten Videoaufzeichnungen im Bereich der Sexual- und Missbrauchsdelikte die größte Bedeutung.91 Das Ziel der Vermeidung von Mehrfachvernehmungen konnte hierdurch überwiegend er­ reicht werden. Dieser positive Effekt war indes nicht auf eine vermehrte 83  H. Vogel, S. 50; vgl. zum ursprünglichen Forschungsplan (der u. a. eine umfas­ sende Aktenauswertung und die Teilnahme an einigen Strafverfahren vorsah), ders., S.  64 f. 84  H. Vogel, S. 53 ff.; vgl. zu den soziodemographischen Daten der befragten Ex­ perten (Alter, Berufserfahrung, Geschlecht und Tätigkeitsbereiche), ders., S.  223 ff. 85  H. Vogel, S. 62; vgl. zu den soziodemographischen Daten der befragten Exper­ ten (Alter, Berufserfahrung und Geschlecht), ders., S.  67 ff. 86  H. Vogel, S. 59 f., 63. 87  H. Vogel, S. 82. 88  H. Vogel, S. 81. 89  Nur in Aschaffenburg, Hof, München und Traunstein wurden „mehr als zehn Aufzeichnungen angefertigt, während die Videodokumentation bei den übrigen be­ fragten Gerichten, bislang nicht über Einzelfälle hinausging“, H. Vogel, S. 83. 90  H. Vogel, S. 86. 91  H. Vogel, S. 88.



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis109

Verwendung von Videoaufzeichnungen in der Hauptverhandlung92, sondern vielmehr auf eine erhöhte Geständnisbereitschaft des Beschuldigten im Falle des Vorhandenseins einer Aufzeichnung der Zeugenvernehmung zurückzu­ führen.93 Der Einsatz von Videotechnologie im Ermittlungsverfahren wurde schließlich auch auf Seiten der Verteidigung überwiegend begrüßt (dies galt jedenfalls für jene Fälle, in denen die Zeugenvernehmung nicht vollständig durch die Videoaufzeichnung ersetzt wurde). Als positiv bewertet wurden insbesondere „die bessere Vorbereitung der Hauptverhandlung, die Möglich­ keit, auf den Inhalt der Erstvernehmung Einfluß zu nehmen [vgl. § 168e S. 3 StPO], das Aushandeln von Strafrabatten sowie die Nachprüfbarkeit sugges­ tiver Befragungen“.94 Videoaufzeichnungen durch die Polizei konnten schließlich erst an drei von 20 untersuchten Dienststellen belegt werden.95 Die größte Gruppe der polizeilichen Aufzeichnungen (ca. 68,4 %) entfiel auch hier auf minderjährige Opferzeugen (in Erding lag der Anteil sogar bei 96,4 %, in Kempten bei 90,0 % und in München bei 65,2 %). Innerhalb der minderjährigen Zeugen stellten wiederum 79,3 % Opfer von Sexual- und Missbrauchsdelikten dar.96 Eine Verwendung der Aufzeichnung im Ermitt­ lungsverfahren hielt die Mehrheit der befragten Polizeibeamten jedoch für „unwahrscheinlich“, da diese „im Vergleich zum Aktenstudium einen größe­ ren Aufwand“ erfordere.97 Gerügt wurde ferner der mit der Verschriftlichung des Videomaterials verbundene erhebliche Zeitaufwand.98 Insgesamt konnte damit zwar nicht von einem „völligen Leerlauf“ der Regelung zur audiovisu­ ellen Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren gesprochen werden; sie gehörte jedoch auch „noch nicht zu den regelmäßig eingesetzten Ermitt­ lungsinstrumenten.“99 Ein noch drastischeres Ergebnis zeigte sich im Rah­ men des Einsatzes von Videotechnik in der Hauptverhandlung: Von insge­ samt 180 untersuchten Verfahren entfielen 75,6 % der genannten Maßnahmen (§§ 58a, 168e, 255a, 247a StPO) auf §§ 58a, 168e StPO. Erfahrungen mit Videosimultanübertragungen in der Hauptverhandlung (§ 247a StPO) konn­ ten hingegen nur in 17,8 % der Verfahren gemacht werden.100 Das Vorspielen einer Videoaufzeichnung (§ 255a StPO) konnte sogar nur in 6,7 % der Ver­

92  Vgl. zur geringen praktischen Bedeutung des § 255a StPO H. Vogel, S.  119 ff.; zum Verhältnis von § 58a zu § 255a ders., S.  124 f. 93  H. Vogel, S. 109, 119. 94  H. Vogel, S. 119. 95  H. Vogel, S. 226, 255. 96  H. Vogel, S. 229. 97  H. Vogel, S. 255. 98  Näher H. Vogel, S.  249 ff. 99  H. Vogel, S. 257. 100  H. Vogel, S. 77.

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2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

fahren festgestellt werden.101 § 255a StPO spielte in der Praxis somit eine noch geringere Rolle als § 247a StPO. Die geringe praktische Bedeutung des § 255a StPO beruhte hierbei vor allem auf den „erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken“, die gegen eine Ersetzung der persönlichen Zeugenvernehmung durch eine Videoaufzeichnung vorgetragen wurden: Während die befragten Verteidiger vorbrachten, dass es in diesen Fällen nur noch selten möglich sei, die Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung noch zu erschüttern, hatten die befragten Richter zum Teil Bedenken, die Verurteilung des Angeklagten auf eine aufgezeichnete Zeugenaussage zu stützen, ohne den Zeugen in die­ ser Sache auch nur einmal selbst persönlich vernehmen zu können.102 Die Mehrheit der befragten Experten legte insofern „in streitigen Verfahren […] auf das persönliche Erscheinen des Zeugen Wert“.103 Der Videosimultanüber­ tragung in der Hauptverhandlung (§ 247a StPO) kam demgegenüber – wie aus der Untersuchung ersichtlich wird – eine etwas größere Rolle im Ver­ gleich zu § 255a StPO zu. Nach Einschätzung der befragten Experten trage diese Form der getrennten Zeugenvernehmung jedenfalls zur Entlastung sensibler Zeugen bei.104 Ungeachtet dessen wurde die Videosimultanübertra­ gung vor allem von den befragten Rechtsanwälten als kritisch betrachtet: Die Mehrheit der mündlich befragten Rechtsanwälte (56 %)105 nahm hier eine übermäßige Einschränkung der Verteidigungsrechte des Angeklagten an.106 Insbesondere könne „der sonst übliche Druck“ auf den Zeugen nicht mehr ausgeübt werden, „wenn dieser nicht im Gerichtssaal anwesend sei“. Dane­ ben wirke sich auch „die fehlende nonverbale Kommunikation und damit die Einschätzung der Glaubwürdigkeit“ nachteilig auf die Rechte des Angeklag­ ten aus.107 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Videotechnologie auch zwei Jahre nach Inkrafttreten des ZSchG noch nicht zum regelmäßig einge­ setzten Instrumentarium des deutschen Strafverfahrens gehörte. Zu berück­ sichtigen ist aber, dass einige Gerichte und Behörden zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht über die entsprechenden technischen Voraussetzungen verfügten oder erst kurz vor der Untersuchung mit der Videotechnik ausge­ stattet worden waren.108 S. 78. S. 260. 103  H. Vogel, S. 78. 104  H. Vogel, S. 261. 105  Im Rahmen der schriftlichen Befragung gingen 46,2 % der befragten Rechtsan­ wälte von einer übermäßigen Beschränkung der Verteidigungsrechte im Falle einer Videosimultanübertragung in der Hauptverhandlung aus, H. Vogel, S. 190. 106  H. Vogel, S.  187 f. 107  H. Vogel, S. 188. 108  Vgl. H. Vogel, S. 257; zur technischen Ausstattung der untersuchten Polizei­ dienststellen und Gerichte, ders., S. 79 f., 145, 225. 101  H. Vogel, 102  H. Vogel,



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis111

Scheumer führte im Rahmen einer empirischen Untersuchung von August 2001 bis Anfang 2003 ebenfalls Befragungen mit Polizeibeamten, Staatsan­ wälten und Richtern sowie entsprechende Aktenanalysen in sechs ausgewähl­ ten niedersächsischen Landgerichtsbezirken (Göttingen, Hannover, Hildes­ heim, Braunschweig, Oldenburg und Osnabrück) zur Frage der praktischen Umsetzung des ZSchG durch.109 Die Aktenerhebung bezog sich auf den Zeitraum von Mai 1997 bis November 2001 und schloss alle (ihr zur Verfü­ gung gestandenen) abgeschlossenen Strafverfahren ein, in denen die Verneh­ mung kindlicher Opfer eines sexuellen Missbrauchs im Ermittlungsverfahren audiovisuell aufgezeichnet wurde.110 Die geringe Anzahl der Fälle, in denen die kindlichen Opferzeugen mit der neuen Videotechnik in Berührung ge­ kommen waren (42), bestätigte die zurückhaltende Umsetzung des ZSchG abermals.111 Nach Scheumer sei die Anwendung der Videotechnik in den niedersächsischen Erhebungsorten zudem „eher rückläufig“;112 jedenfalls habe sich „die Hoffnung, die Mehrfachvernehmung des Kindes durch den Einsatz dieser Technologie zu vermeiden“, insgesamt „nicht erfüllt“113. Dies bestätigten größtenteils auch die von ihr durchgeführten Experteninter­ views.114 Auch Stahlmann-Liebelt berichtete anlässlich des 13. Mainzer Opferfo­ rums vom 27.–28.10.2001 von teilweise ernüchternden Erfahrungen mit dem 109  Scheumer, S. 81 ff.; vgl. zu dieser Untersuchung auch Jehle, Schutz kindlicher Opfer, S. 20 (35 f.). 110  Scheumer, S. 85. 111  Vgl. Scheumer, S. 154. 112  Scheumer, S. 108, 155, 279. 113  Scheumer, S. 108. 114  Vgl. hierzu beispielhaft folgenden Interview-Auszug mit einem Hildesheimer Staatsanwalt bei Scheumer, S. 105: „Momentan wird die Videovernehmung bei der Staatsanwaltschaft Hildesheim nicht mehr durchgeführt. Nach den gemachten Erfah­ rungen ist die Umsetzung unmöglich. Der technische Aufwand ist einfach zu hoch. In der Praxis muss auf technische Voraussetzungen, wie Batteriewechsel etc. geachtet werden“; vgl. auch die Befragung eines Osnabrücker Staatsanwalts, dies., S. 106: „Die Videoaufzeichnung hat sich leider im praktischen Fall als überflüssig erwiesen, leider Gottes! Ich kenne nur einen einzigen Fall, da kam es aber auch sehr auf die Mimik des Kindes an, in dem der Verteidiger gesagt hat: ‚Ich verzichte auf eine Vernehmung!‘ – das war aber eine reine Verteidigerleistung!“; zu den Erfahrungen der Oldenburger Polizei, dies., S. 107: „In Oldenburg wurden seitens der Polizei fünf Fälle videographiert, wobei keine einzige Aussage in die Hauptverhandlung einge­ führt wurde. In einem Fall hat sich der Richter das Video erst gar nicht angeschaut und der Verteidiger, den das Band überhaupt nicht interessierte, drang auf die persön­ liche Vernehmung, den persönlichen Eindruck. […] Insgesamt sprechen die Erfahrun­ gen gegen die Videovernehmung. Die mehrfache Vernehmung lässt sich durch die neue Technologie nicht vermeiden; erfahrungsgemäß wird das Opfer mindestens noch zwei bis drei Mal durch Verteidiger, Glaubwürdigkeitsgutachter und Richter ange­ hört“.

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2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

ZSchG in Schleswig-Holstein. Sie nahm hierbei vor allem auf die geringe Anzahl videodokumentierter richterlicher Zeugenvernehmungen im Ermitt­ lungsverfahren Bezug: „In Schleswig-Holstein haben wir knapp zwei Jahre nach Einführung der neuen Vorschrift 10 bis 12 videodokumentierte richter­ liche Vernehmungen gehabt. Demgegenüber stehen über 300 polizeiliche ­videodokumentierte Vernehmungen.“115 Den Grund für diese Diskrepanz sieht sie zum einen in dem unsicheren Umgang mit der neuen Technik und der fehlenden Erfahrung von Ermittlungsrichtern (insbesondere gegenüber speziell geschulten Polizeibeamten) im Umgang mit der Erstvernehmung ei­ nes (Opfer-)Zeugen. Zum anderen sei für eine Ersetzung der persönlichen Vernehmung eines Zeugen durch eine Aufzeichnung seiner richterlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung nach § 255a Abs. 2 StPO erforderlich, „dass sämtliche mitwirkungspflichtige Personen zu einem Vernehmungster­ min zusammen zu bringen sind“; dies schließe (zum Zwecke der effektiven Mitwirkung) auch die vorherige Gewährung von Akteneinsicht ein. Diese Erfordernisse verzögern den Verfahrensablauf aber allesamt, sodass man sich letztlich entscheiden müsse, „entweder eine zeitnahe Vernehmung ohne Be­ schuldigten, die die persönliche Vernehmung nicht ersetzen kann, oder eine spätere aufwändige Vernehmung in Anwesenheit des Verteidigers und des Beschuldigten“ durchzuführen.116 Schließlich äußerte sich auch Lorenz in einem Aufsatz aus dem Jahre 2003 zu seinen praktischen Erfahrungen mit der Videovernehmung von Opferzeu­ gen beim LG Mainz wie folgt: „Seit zum 1. Dezember 1998 das neue Zeu­ genschutzgesetz in Kraft getreten ist, haben wir von der in diesem Gesetz vorgesehenen Möglichkeit des Einsatzes von Video-Technik noch nie Ge­ brauch gemacht. Unsere praktischen Erfahrungen liegen insoweit bei Null.“ Seiner Ansicht nach komme die Videotechnik „in der Praxis kaum zum Einsatz“. Praktische Erfahrungen im Umgang mit der neuen Technik konnte Lorenz zum damaligen Zeitpunkt daher nur im Rahmen der sog. Wormser Missbrauchsprozesse (1995–1997) sammeln.117 Die Gründe für den fehlen­ den Einsatz der Zeugenschutzvorschriften sieht auch er u. a. darin, „dass sich Tatrichter vor der Auseinandersetzung mit der Technik scheuen“ und „dass die Vernehmungssituation [im Rahmen des § 247a StPO] befremdlicher und steifer als bei der konventionellen Vernehmungsmethode im Gerichtssaal“ sei, wenn „Fragender und Gefragter sich in unterschiedlichen Räumen auf­ halten und möglicherweise vorher keinen Kontakt miteinander hatten“.118

Auswirkungen des Zeugenschutzgesetzes, S. 31 (34). Auswirkungen des Zeugenschutzgesetzes, S. 31 (34, 35). 117  Lorenz, Praktische Erfahrungen mit der Videovernehmung, S. 143. 118  Lorenz, Praktische Erfahrungen mit der Videovernehmung, S. 143 (146). 115  Stahlmann-Liebelt, 116  Stahlmann-Liebelt,



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis113

B. Erfahrungsberichte, Einschätzungen und Untersuchungen aus den Jahren 2004–2006 Als bezeichnendes Beispiel für die Zurückhaltung im Umgang mit der Videotechnik kann ferner ein Strafverfahren vor dem LG Würzburg vom 18.03.2004 angeführt werden: In diesem Strafverfahren wurde der Ange­ klagte wegen vielfachen, teilweise gewaltsam begangenen sexuellen Miss­ brauchs seiner 1988 geborenen Stieftochter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen der Jugendkammer traten bei der Geschädigten noch immer „posttraumatische Symptome wie z. B. autoaggressive Verzweiflungsreaktionen“ auf. Sie be­ fand sich auch in psychotherapeutischer Behandlung; ein Ende der Behand­ lungsbedürftigkeit war nicht absehbar.119 Die Geschädigte hatte das Tatge­ schehen in der Hauptverhandlung sowie „bereits in einer Vielzahl von vorhe­ rigen Vernehmungen“ immer wieder „bestätigt und erläutert“. Konkret wurde sie zwischen September 2002 und Juli 2003 „im Rahmen des Ermittlungs­ verfahren fünfmal von der Polizei und zweimal vom Ermittlungsrichter ver­ nommen und außerdem von einer Sachverständigen begutachtet und dabei ebenfalls zum Tatgeschehen befragt“.120 Der BGH rügte diese psychisch be­ lastenden Mehrfachvernehmungen in seinem Beschluss vom 03.08.2004 und sah sich zu folgendem Hinweis veranlasst: „Es wäre nach Auffassung des Senats angezeigt gewesen, von der Möglichkeit ei­ ner Videoaufzeichnung Gebrauch zu machen. Wird, wie hier, wegen des Verdachts ermittelt, eine noch nicht 16 Jahre alte Jugendliche sei Opfer schwerwiegender Sexualstraftaten geworden, so begründet § 58a I 2 StPO eine grundsätzliche Ver­ pflichtung der Ermittlungsbehörden, die Aussagen der Jugendlichen aufzuzeich­ nen“.121

Zu einem ähnlichen Hinweis sah sich der BGH auch in seinem Beschluss vom 08.07.2004, dem ein Strafverfahren vor dem LG Mannheim zugrunde lag, veranlasst: Der Angeklagte hatte die 1990 geborene Geschädigte jahre­ lang sexuell missbraucht. Die Geschädigte war suizidgefährdet, erheblich psychisch belastet und seit Monaten stationär in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Sie wurde im Laufe des Verfahrens von der Kriminalpolizei und nochmals von der Ermittlungsrichterin vernommen und darüber hinaus von einer Sachverständigen begutachtet und dabei zum Tatgeschehen befragt worden. Außerdem hatte sie zum Tatgeschehen in der Hauptverhandlung

119  Vgl.

zu den Feststellungen der Jugendkammer BGH BeckRS 2004, 7878. zu den Feststellungen der Jugendkammer BGH BeckRS 2004, 7878. 121  BGH BeckRS 2004, 7878; vgl. auch Trück, NStZ 2004, 129; ferner Nr. 19, 19a RiStBV. 120  Vgl.

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2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

ausgesagt. Der BGH rügte auch diese Mehrfachvernehmungen und wies aus­ drücklich auf die Möglichkeit einer Videoaufzeichnung hin.122 Zwei Jahre später, im Jahre 2006, verfolgte Dieckerhoff mit ihrer Untersu­ chung das Ziel, die der Rechtspraxis zur Videovernehmung von sexuell missbrauchten kindlichen Opferzeugen zugrunde liegenden Einflussfaktoren zu analysieren.123 Dieckerhoff legte hierbei ein besonderes Augenmerk auf die Faktoren, „welche die Rechtsanwender in der Ausgestaltung ihrer zuge­ standenen Auslegungs- und Ermessensspielräume beeinflussen“.124 Sie führte zum Zwecke der Erforschung dieser „subjektiven Begründungszusammen­ hänge der Entscheidungspraxis“125 im Zeitraum von März bis August 2006126 19 Experteninterviews mit insgesamt 24 Gesprächspartnern aus dem Bereich der Justiz in Rheinland-Pfalz durch.127 Hinsichtlich der Videoaufzeichnung der Vernehmung kindlicher Opferzeugen im Ermittlungsverfahren (§ 58a StPO) zeigte die Analyse der Experteninterviews auf, dass eine „zurückhal­ tende Umsetzung“ der Regelungen auch knapp acht Jahre nach dem Inkraft­ treten des ZSchG auf „unzureichende Ressourcen bei den Ermittlungsbehör­ den“ zurückzuführen war. Die praktische Umsetzung des ZSchG wurde zu­ dem durch „mangelnde technische und räumliche Rahmenbedingungen“128 und den „Mehraufwand einer Video-Vernehmung“, der mit einer „zu ge­ ringe[n] Personalkapazität“129 einherging, gehemmt. Ein förderlicher Einfluss auf die Ausgestaltung der Auslegungs- und Ermessensspielräume konnte hingegen den sog. „Umfeldbedingungen“ der Entscheidung zukommen, so z. B. die Beantragung einer Videoaufzeichnung seitens der Staatsanwaltschaft oder des Zeugenbeistandes oder eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Polizeibehörde, der Staatsanwaltschaft und dem Ermittlungsrichter130, aber auch eine unklare Beweislage131, die mögliche Verwendung einer Videoauf­

122  BGH BeckRS 2004, 07147; vgl. auch Trück, NStZ 2004, 129; ferner Nr. 19, 19a RiStBV. 123  Dieckerhoff, S. 113, 121. 124  Dieckerhoff, S. 112. 125  Dieckerhoff, S. 121. 126  Dieckerhoff, S. 134. 127  Unter den Gesprächspartnern befanden sich fünf Staatsanwältinnen und drei Staatsanwälte, fünf Ermittlungsrichter, eine Strafrichterin und ein Strafrichter jeweils am Amtsgericht und neun Strafrichter am Landgericht. Die 19 Interviews fanden hier­ bei teilweise persönlich, teilweise aber auch als Telefon- oder Gruppeninterviews statt, Dieckerhoff, S.  132 f. 128  Näher Dieckerhoff, S.  145 f. 129  Näher Dieckerhoff, S.  146 ff. 130  Dieckerhoff, S. 149. 131  Näher Dieckerhoff, S.  161 f.



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis115

zeichnung für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung eines Sachverständigen132 und das (objektiv begründete) Erfordernis einer Beweissicherung (z. B. Not­ wendigkeit der Konservierung tatnaher Erinnerungen und des non-verbalen Verhaltens, Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts des kindlichen Zeu­ gen)133. Als weitere (positive und negative) Einflussfaktoren wurden vor al­ lem die persönliche Einschätzung des Rechtsanwenders sowohl bezüglich der Auswirkungen einer Videoaufzeichnung auf den konkreten Vernehmungs­ ablauf (z. B. Schaffung einer transparenten Vernehmungssituation oder Be­ einträchtigung des Aussageverhaltens des kindlichen Zeugen)134 als auch hinsichtlich des möglichen Nutzens bzw. des Beweiswerts einer solchen Aufzeichnung für das weitere Verfahren (z. B. Zweifel an der vernehmungs­ ersetzenden Funktion der videodokumentierten Zeugenaussage bzw. der Schutzwirkung der Videoaufzeichnung oder Beitrag zur Förderung der Ge­ ständnisbereitschaft des Beschuldigten) angeführt.135 In Bezug auf die Videosimultanübertragung der Vernehmung kindlicher Opferzeugen im Ermittlungsverfahren (§ 168e StPO) gelangte Dieckerhoff teilweise zu ähnlichen Ergebnissen: Die Durchführung einer Videosimultan­ übertragung hing auch hier primär von den konkreten technischen und räum­ lichen Rahmenbedingungen ab.136 Zudem bevorzugte der „überwiegende Teil“ der befragten Ermittlungsbehörden den vollständigen Ausschluss des Beschuldigten gegenüber einer Videosimultanübertragung; einer Beteiligung des Beschuldigten wurde mithin Skepsis entgegengebracht.137 Letztlich hing die Durchführung dieser strafprozessualen Vernehmungsform auch von der Entscheidungsfreudigkeit des konkreten Ermittlungsrichters ab; eine „zöger­ liche und […] (rechts-)unsichere Auseinandersetzung“ mit den Anspruchs­ voraussetzungen sowie der Frage der Subsidiarität zählte hier jedenfalls zu den anwendungshemmenden Faktoren.138 (Rechts-)Unsicherheiten bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen waren ebenfalls ein Grund für die „Nicht-Nutzung“139 der Videosimultan­ übertragung der Vernehmung kindlicher Opferzeugen im Hauptverfahren 132  Näher

Dieckerhoff, S.  162 ff. Dieckerhoff, S.  164 ff. 134  Näher Dieckerhoff, S.  155 ff. 135  Näher Dieckerhoff, S.  170 ff. 136  Näher Dieckerhoff, S.  180 ff. 137  Dieckerhoff, S. 182. 138  Dieckerhoff, S. 185. 139  Insoweit konnten – bis auf zwei Gesprächspartner, die im Rahmen der sog. Wormser-Missbrauchsprozesse Erfahrungen mit der Videosimultanübertragung in der Hauptverhandlung gesammelt hatten – keine befragten Strafrichter Erfahrungen mit dieser Vernehmungsform in der Hauptverhandlung vorweisen, Dieckerhoff, S. 187. 133  Näher

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2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

(§ 247a StPO).140 Hinzu kamen u. a. „Revisionsbefürchtungen“141 sowie ein „nachrangiges Rechtsverständnis“142 von § 247a StPO zu § 247 StPO“143, d. h. der vollständige Ausschluss des Angeklagten von der Vernehmung wurde auch hier als bevorzugte Option von den befragten Richtern angewen­ det. Schließlich hemmte auch das im ZSchG vorgeschriebene „Englische Modell“ – bei dem der Richter den Sitzungssaal nicht verlassen darf und die Befragung per Video-Stand-Leitung stattfindet – aufgrund der hierdurch be­ dingten „unpersönliche[n] Befragungssituation“ bei „einigen befragten Strafrichter[n]“ die Bereitschaft zur Videosimultanübertragung.144 In Bezug auf die Einführung von Videoaufzeichnungen im Hauptverfahren (§ 255a StPO) fehlte es hingegen oftmals bereits an einem entsprechenden Angebot an Vernehmungsvideos; einige Strafrichter hätten insoweit „eine stärkere Aktivität der Ermittlungsbehörden […] begrüßt“.145 Neben dem tat­ sächlichen Vorhandensein einer Videoaufzeichnung spielten aber auch hier Revisionsbefürchtungen146, ferner die Einschaltung eines Sachverständigen zur Glaubhaftigkeitsbegutachtung des Zeugen147, die „Qualität der Video­ aufzeichnung“148 (hier insbesondere die Vernehmungskompetenz des damali­ gen Ermittlungsbeamten149) sowie das „Verantwortungsbewusstsein des Ge­ richts“150 (sowohl die richterliche Überzeugungsbildung als auch eine „ver­ antwortliche Urteilsfindung“ wurden nach Ansicht eines Teils der befragten Richter durch den Verzicht auf eine persönliche Zeugenvernehmung und die Begrenzung auf das Beweismittel „Video-Band“ beschränkt bzw. gefährdet)151 als Einflussfaktoren eine wesentliche Rolle. Die Entscheidungsbereitschaft der Strafrichter hing nicht zuletzt auch davon ab, wie diese die Erforderlich­ keit und Zweckmäßigkeit einer Videoaufzeichnung der Zeugenvernehmung 140  Näher

Dieckerhoff, S.  187 ff. Dieckerhoff, S.  189 f. 142  Hintergrund des nachrangiges Rechtsverständnisses war die ursprüngliche Ge­ setzesfassung des § 247a StPO, die eine Subsidiarität gegenüber anderen zeugen­ schützenden Maßnahmen, v. a. gegenüber der Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal nach § 247 S. 2 StPO, vorsah. Die in § 247a StPO enthaltene Subsidia­ ritätsklausel wurde jedoch durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletz­ ten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz) vom 24.06.2004, BGBl. I S. 1354, gestrichen. 143  Näher Dieckerhoff, S.  190 f. 144  Dieckerhoff, S.  196 f. 145  Dieckerhoff, S. 199. 146  Dieckerhoff, S. 209. 147  Dieckerhoff, S. 210. 148  Näher Dieckerhoff, S.  200 ff. 149  Näher Dieckerhoff, S.  202 ff. 150  Näher Dieckerhoff, S.  205 ff. 151  Dieckerhoff, S. 205, 207. 141  Näher



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis117

für den Opferschutz im laufenden Verfahren persönlich einschätzten.152 Als Abwägungskriterien wurden insofern die mutmaßliche Entlastungs- und Be­ weissicherungsfunktion einer Aufzeichnung, der Aspekt der Verfahrensbe­ schleunigung sowie die richterliche Aufklärungspflicht benannt.153 Insgesamt wurde aus der Untersuchung von Dieckerhoff ersichtlich, dass (bezogen auf den konkreten Untersuchungszeitpunkt und -ort) tendenziell noch immer eher zu „konventionellen und vertraute[n] zeugenschützende[n] Maßnahmen“ gegriffen wurde.154 Die strafprozessuale Option der Videover­ nehmung hatte insoweit „kaum praktische Relevanz“.155

C. Erfahrungsberichte, Einschätzungen und Untersuchungen aus den Jahren 2011–2012 Hervorzuheben ist ferner eine Befragung von Schicht aus den Jahren 2011/2012156, die im Rahmen eines Forschungsprojekts zum Thema „Das Geheimnis guter Vernehmerinnen und Vernehmer“ an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement) in Berlin durchgeführt wurde. Ziel des Projekts war es, „das Erfolgsgeheimnis für eine gelungene Beschuldigtenvernehmung zu ergründen“, um sich selbst weiterbilden und zur allgemeinen Verbesserung der polizeilichen Ausbildung beitragen zu können.157 Hierzu wurden insgesamt 36 Vernehmungsexpertin­ nen und -experten der Berliner Polizei (die von ihren Kollegen als herausra­ gend erfolgreich beschrieben wurden) zu den Erfolgsfaktoren einer guten Beschuldigtenvernehmung befragt.158 Die Protokollierung polizeilicher Be­ schuldigtenvernehmungen bildete hierbei einen eigenen Abschnitt des Inter­ views. Der jeweilige Proband sollte sich insbesondere dazu äußern, ob er Video- oder Tonbänder zu Protokollierungszwecken nutzt.159 Das Ergebnis war aufschlussreich: Hiernach nutzten mehr als zwei Drittel der Probanden keine Video- oder Tonbandaufzeichnungen zur Dokumentation der Verneh­ mung. Als Gründe für den mangelnden Einsatz der Videotechnik wurden die eigene fehlende Erfahrung im Umgang mit der neuen Technik, eine „eventu­ elle Verunsicherung des Beschuldigten“, die durch die audiovisuelle Auf­ zeichnung seiner Vernehmung hervorgerufen werden könnte sowie der hier­ 152  Näher

Dieckerhoff, S.  212 ff. Dieckerhoff, S. 214 ff., 222. 154  Dieckerhoff, S. 227. 155  Dieckerhoff, S. 233, 240. 156  Vgl. zum Projektverlauf Schicht, S.  29 ff. 157  Schicht, S. 29. 158  Schicht, S. 9. 159  Schicht, S. 32. 153  Näher

118

2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

mit verbundene zeitliche Mehraufwand (da anschließend „alles nochmals verschriftlicht werden müsse“) benannt. Letztlich wurde nur die Tonbandauf­ zeichnung „hin und wieder als Hilfsmittel verwendet“.160 Schließlich kann auch die Untersuchung von Hartmann, Boettcher, Schrage und Tietze zum Verfahrensverlauf bei Sexualdelikten in Bremen aus dem Jahr 2012 als weiterer Anhaltspunkt für den tatsächlichen Einsatz von Video­ technik im Strafverfahren angeführt werden: Der Untersuchung lagen die Auswertung von einschlägigen Verfahrensakten des Jahrgangs 2012 aus Bre­ men sowie Interviews und Gruppendiskussionen mit den Verfahrensbeteilig­ ten zugrunde.161 Im Rahmen der untersuchten 16 Hauptverhandlungen wur­ den insbesondere die opferschützenden Maßnahmen in den Blick genommen. Von den gesetzlich eingeführten Möglichkeiten des (Opfer-)Zeugenschutzes, insbesondere von solchen mit Bezug zur Videotechnik, wurde insgesamt je­ doch „nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht“162, wie auch die nachfol­ gende Tabelle aufzeigt: Tabelle Maßnahmen zum Opferschutz in der Hauptverhandlung163 Maßnahmen

Anzahl

Prozent

Anzahl der Entfernung des Angeklagten während der Opfervernehmung nach § 247 StPO

0

0,0

Anzahl der Vernehmungen des Opferzeugen an einem anderen Ort nach § 247a StPO

0

0,0

Anzahl der Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen nach § 255a StPO

0

0,0

Anzahl Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b GVG

1

6,3

Anzahl Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 GVG

0

0,0

D. Erfahrungsberichte, Einschätzungen und Untersuchungen aus den Jahren 2015–2021 Aufschlussreich ist ferner das Ergebnis eines Forschungsprojekts über „Belastungen von Opfern in Ermittlungsverfahren“, das von der WEISSER 160  Schicht,

S. 48.

RPsych 2016, 7. RPsych 2016, 7 (16). 163  Zur Tabelle Hartmann/Boetticher/Schrage/Tietze, RPsych 2016, 7 (16). 161  Hartmann/Boetticher/Schrage/Tietze, 162  Hartmann/Boetticher/Schrage/Tietze,



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis119

RING Stiftung am 20.08.2014 ausgeschrieben und vom 01.07.2015 bis zum 31.12.2016 von einem Forschungskonsortium164 durchgeführt wurde. Das Forschungsprojekt beschäftigte sich vornehmlich mit der Rolle des Opfers im Ermittlungsverfahren: Untersucht wurde insbesondere, welche Belastun­ gen Kriminalitätsopfer in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ausgesetzt sind und welche Möglichkeiten bestehen, diese zu verringern.165 Aufgrund der begrenzten Untersuchungszeit (18 Monate) beschränkte sich die Untersu­ chung hierbei auf die Deliktsbereiche Wohnungseinbruchdiebstahl, Sexualde­ likte und Gewaltstraftaten (§§ 224 bis 226a und 231 StGB, versuchte vor­ sätzliche Tötungsdelikte, §§ 249–255 und 316a StGB sowie §§ 238, 239a und 239b StGB), da im Rahmen dieser Delikte „angenommen werden konnte, dass Opferbelastungen eine erhebliche Rolle spielen“.166 Die Konzeption des Forschungsprojekts sah neben einer Literaturauswertung eine Strafaktenana­ lyse, Opferbefragungen sowie Gruppendiskussionen mit Expert/-innen im Bereich des Opferschutzes und strafrechtlicher Ermittlungsverfahren167 vor.168 Um die regionalen Besonderheiten und Unterschiede im Rahmen der Strafverfolgungspraxis sachgerecht erfassen zu können, wurden sowohl die Aktenanalyse als auch die Befragungen bzw. die Gruppendiskussionen in verschiedenen Regionen Deutschlands durchgeführt.169 Die Gesamtanzahl der ausgewerteten Akten betrug schließlich 178.170 In den untersuchten Ak­ ten wurden 284 Vernehmungen festgestellt. Im Rahmen der ersten Verneh­ mung wurden jedoch lediglich 8 Videoaufzeichnungen, in der zweiten Ver­ 164  Das Forschungskonsortium bestand aus folgenden Einrichtungen: Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg (Prof. Dr. Dieter Dölling und Prof. Dr. Die­ ter Hermann), Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg (Prof. Dr. Andreas Kruse und Prof. Dr. Eric Schmitt), Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim (Prof. Dr. Harald Dreßing und Prof. Dr. Hans Joachim Salize) und Lehrstuhl für Kri­ minologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug der Universität Gießen (Prof. Dr. Britta Bannenberg). 165  Dölling, Forschungsprojekt, S. 7. 166  Dölling, Forschungsprojekt, S. 8; vgl. auch Dölling/Kunz, Forschungsprojekt, S. 19. 167  Zu diesen Expert/-innen gehörten „Polizeibeamte, Staatsanwälte, Rechtsan­ wälte, die überwiegend in der Opfervertretung tätig sind, Psychotherapeuten sowie Mitarbeiter des Weißen Rings und psychosozialer Betreuungsstellen“; Dölling/Kunz, Forschungsprojekt, S. 158. 168  Dölling, Forschungsprojekt, S. 8 f. 169  Die Strafaktenanalyse wurde bei den Staatsanwaltschaften in Heidelberg, Mannheim, Saarbrücken, Hamburg, Essen und Leipzig durchgeführt. Die Befragun­ gen der Opfer fanden ebenfalls in den genannten Städten und in Kempten statt. Ein Fragebogen konnte im Wege einer schriftlichen Befragung auch online beantwortet werden. Die Gruppendiskussionen fanden hingegen in Heidelberg, Hannover, Bonn und München statt, näher hierzu Dölling, Forschungsprojekt, S. 9. 170  Dölling/Kunz, Forschungsprojekt, S. 19.

120

2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

nehmung 5 und in der längsten weiteren Vernehmung eine Videoaufzeich­ nung durchgeführt. Alle Aufzeichnungen betrafen hierbei Ermittlungen im Bereich der Sexualdelikte.171 Zudem wurden mehrheitlich Minderjährige aufgezeichnet (8 von 14).172 Die nachfolgende Tabelle veranschaulicht die gefundenen Ergebnisse nochmals: Tabelle Dokumentation der Vernehmung173: Gesamt- Prozentualer summe Anteil an allen Vernehmungen (N = 284)

Erste Vernehmung

Zweite Vernehmung

Längste weitere Vernehmung

Videovernehmung gem. §§ 163 Abs. 3, 58a StPO

8

5

1

14

4,9

Videokonferenz gem. § 58b StPO

2

0

0

2

0,7

Anfertigung eines Wortprotokolls der Vernehmung

74

44

11

129

45,4

171  Näher hierzu Dölling/Kunz, Forschungsprojekt, S. 19: „Bei 10,4 % (8 von 77) der ersten Vernehmungen bei Sexualdelikten wurden Videovernehmungen durchge­ führt, außerdem bei 19,2 % (5 von 26) der zweiten Vernehmungen und bei 20 % (1 von 5) der längsten weiteren Vernehmungen. Zu beachten ist dabei, dass nicht nur schwere Sexualdelikte erfasst wurden, sondern sich unter den untersuchten Ermitt­ lungsverfahren auch solche mit dem Vorwurf Exhibitionistischer Handlungen gemäß § 183 StGB oder Erregung öffentlichen Ärgernisses gemäß § 183a StGB befanden (20 von 86 Verletzten). Mithin handelte es sich um 66 Verletzte, bei denen der Ver­ dacht bestand, sie seien Opfer eines schweren Sexualdelikts geworden. Die Gesamt­ zahl der Verletzten, bei denen Videovernehmungen durchgeführt wurden, betrug 13 (bei einer Verletzten fanden 2 Videovernehmungen statt). Also wurde in Ermittlungs­ verfahren, die wegen des Verdachts eines zumindest versuchten gravierenden Sexual­ delikts geführt wurden, bei lediglich 19,7 % der Verletzten eine Videovernehmung durchgeführt“. 172  Dölling/Kunz, Forschungsprojekt, S. 29 f. 173  Zur Tabelle Dölling/Kunz, Forschungsprojekt, S. 29.



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis121

Nach Dölling und Kunz sind Kriminalitätsopfer im Ermittlungsverfahren „teilweise erheblichen Belastungen ausgesetzt“. Dies scheint insbesondere im Rahmen von Vernehmungen zu gelten, wenn man bedenkt, dass nach den Ergebnissen der Aktenanalyse „ein Viertel der Opfer mehr als einmal vernommen“174 wurde. Videodokumentierte Vernehmungen fanden dagegen „nur selten“ statt.175 Weiterhin finden sich verschiedene punktuelle Einschätzungen in der Lite­ ratur zur tatsächlichen Nutzungspraxis der Videotechnologie, die ohne stich­ haltige Zahlen indes allenfalls Indizcharakter entfalten können: So äußerte Bader die Prognose, dass die Videoaufzeichnung von Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren – aufgrund des hiermit verbundenen technischen Aufwands – jedenfalls nicht zum Normalfall werden wird. Im Übrigen sei aufgrund des „erhebliche[n] Eingriff[s] in das Persönlichkeitsrecht des Zeu­ gen“ und der „Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes“ von der Möglichkeit des § 58a StPO nur „zurückhaltend Gebrauch zu machen“.176 Nach v. Schlieffen werde „von der Möglichkeit einer audiovisuellen Auf­ zeichnung der Vernehmung […] praktisch kein Gebrauch gemacht“. Der Vernehmungsinhalt werde von den Vernehmungsbeamten vielmehr selbst durch Aufschreiben oder per Diktat durch Protokollkräfte festgehalten. Diese „archaische Dokumentationstechnik“ verleihe dem Vernehmungsbeamten aber eine „unangemessene Definitionsmacht“ über den Inhalt des Verneh­ mungsprotokolls.177 In Bezug auf die Aufzeichnung von Beschuldigtenver­ nehmungen merket auch Bockemühl an, dass sich diese Möglichkeit in der Praxis „überwiegend nicht etabliert“ habe.178 In ähnlicher Weise äußerte sich auch die Fraktion der FDP in ihrer Begründung zum Entwurf eines Gesetzes 174  Dölling/Kunz, Forschungsprojekt, S. 45; vgl. auch dies., Forschungsprojekt, S. 164 zu den Ergebnissen der Gruppendiskussionen: „Größtenteils Einigkeit bestand unter den Diskussionsteilnehmern, dass Mehrfachvernehmungen des Geschädigten durch die Polizei regelmäßig praktiziert würden. Uneinig waren sich die Teilnehmen­ den, ob dies vermeidbar sei. Neue Gesichtspunkte in den Ermittlungen könnten wei­ tere Vernehmungen erforderlich machen. Je professioneller aber eine Erstvernehmung sei, desto weniger Nachvernehmungen seien nötig“. 175  Dölling/Kunz, Forschungsprojekt, S. 45; vgl. auch dies., Forschungsprojekt, S. 164, 165 zu den Ergebnissen der Gruppendiskussionen: „In der Regel würden keine Audio- oder Videomitschnitte angefertigt oder wortgetreu protokolliert, sodass dem Vernehmungsbeamten die Formulierungshoheit zukomme. […] Die Videover­ nehmung finde einzig in München „sehr häufig Anwendung“ (Schätzung: 150–200 Videovernehmungen/Jahr); „in geschätzten 95 % der Fälle“ könne hierdurch die noch­ malige Vernehmung des Opfers in der Hauptverhandlung ersetzt werden. In Würz­ burg werde die Videovernehmung dagegen „überhaupt nicht praktiziert“. 176  KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 3. 177  V. Schlieffen, Freispruch 5/2014, 1. 178  Bockemühl, KriPoZ 2019, 375 (377).

122

2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

zur Nutzung audio-visueller Aufzeichnungen vom 25.06.2019: „Von der fa­ kultativen Möglichkeit der audio-visuellen Aufzeichnung, welche auch nach der bisherigen Rechtslage bereits möglich ist (§ 163a Abs. 1 S. 2, § 58a Abs. 1 S. 1 StPO), wird in der Praxis nur wenig Gebrauch gemacht“.179 Eine entsprechende Stellungnahme erging auch seitens der Strafverteidigervereini­ gungen zum Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens“ am 21.10.2019: „Noch immer werden Vernehmungen im Ermittlungsverfahren nicht audiovisuell dokumentiert, sondern mühselig, Ressourcen verschwendend und darüber hinaus fehleranfällig manuell protokolliert“.180 Artkämper, Floren und Schilling wiesen ebenfalls darauf­ hin, dass „[d]er Einsatz von Videotechnik in deutschen Amtsstuben […] über einen langen Zeitraum im Vergleich zu den europäischen Nachbarstaaten stark vernachlässigt worden [sei]“; Grund hierfür sei insbesondere die „ab­ lehnende[] Haltung des Gesetzgebers gegenüber diesem […] zeitgemäßen Vernehmungsmittel“.181 Sie betonten hierbei auch die „vorgeschobenen Ein­ wände“ gegen den Einsatz derartiger Techniken: „Waren es zunächst angeb­ lich fehlende Audiokassetten und Aufnahmegeräte, sollte, nach Anschaffung dieser, die Verfälschung der Vernehmungssituation und die Beeinflussung des zu Vernehmenden durch die Existenz technischer Geräte einer Umsetzung in die Praxis entgegenstehen.“182 Schließlich gelang auch Roth aufgrund seiner langjährigen Erfahrung im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Straf­ sachen zu dem Ergebnis, dass „Gesetzgebung wie Praxis hierzulande dem Einsatz technischer Mittel bei Vernehmungen, sei es zur Erleichterung der eigentlichen Vernehmung oder zu deren Protokollierung, im Vergleich zur Lage in anderen Staaten eher abwartend bis ablehnend gegenüberstehen“.183

E. Fazit Von einer Euphorie im Hinblick auf die künftige Rechtslage konnte nach der (bundesweiten) Untersuchung von Kipper unmittelbar vor dem Inkraft­ treten des ZSchG jedenfalls nicht seitens der Gerichte gesprochen werden: Lediglich 19,3 % der befragten Gerichte äußerten damals überhaupt den Wunsch, Videotechnik künftig für das Strafverfahren nutzbar machen zu wollen.184 Mithin zeigten sich schon von Beginn an „Berührungsängste“ im 179  BT-Drucks.

19/11090, S. 1.

180  Strafverteidigervereinigungen,

Stellungnahme RefE BMJV, S. 1. Rn. 2080. 182  Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 2043. 183  Roth, GSZ, 2018, 62. 184  Kipper, S. 276. Trotzdem wurde die Einführung der Videotechnologie im Straf­ verfahren insbesondere vor dem Hintergrund entsprechender Erfahrungen in den an­ 181  Artkämper/Floren/Schilling,



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis123

Umgang mit der Videotechnik in der tatsächlichen Verfahrenspraxis.185 Diese Vermutung bestätigte sich letztlich auch in der (bundesweiten) Untersuchung von Swoboda: Die Erfahrungen der Bundesländer mit den Regelungen des ZSchG erwiesen sich insgesamt als gering, wobei es teilweise auch noch an den technischen Voraussetzungen fehlte.186 Die geringe Nutzungspraxis ließ zudem (in den Fällen, in denen Videoanlagen bereits vorhanden waren) Missverhältnisse zwischen den jeweiligen Anschaffungskosten und der tat­ sächlichen Nutzung der technischen Einrichtungen entstehen.187 Auffällig war ferner, dass die Videoanlagen im Ermittlungsverfahren (hier insbeson­ dere im Rahmen von polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmun­ gen) bereits kurz nach dem Inkrafttreten des ZSchG häufiger zur Anwendung kamen als in der Hauptverhandlung.188 Höttges bestätigte diese teils ambiva­ lente Entwicklung ebenfalls für das Land Nordrhein-Westfalen.189 Zum glei­ chen Ergebnis gelangte auch Vogel für das Land Bayern.190 Grund hierfür war, dass viele Richter (vor allem in „streitigen Verfahren“ ohne Geständnis des Angeklagten) auf den unmittelbaren, persönlichen Kontakt mit dem ­Opferzeugen Wert legten; oftmals wurden auch rechtsstaatliche Bedenken gegen eine Ersetzung der persönlichen Zeugenvernehmung durch eine Vi­ deoaufzeichnung geäußert.191 Ihren Tiefpunkt erreichte diese Entwicklung schließlich in den oben geschilderten beiden Strafverfahren (LG Würzburg und Mannheim)192, deren Verfahrensweise den BGH im Jahre 2004 zu einer deutlichen Rüge gegenüber den Ermittlungsbehörden veranlasste.193 Die (ört­ lich und zum Teil thematisch beschränkten) Untersuchungen von Dieckerhoff (Rheinland-Pfalz), Schicht (Berlin) sowie von Hartmann, Boettcher, Schrage und Tietze (Bremen) deuten – trotz ihres begrenzten Untersuchungsum­ fangs – indes daraufhin, dass das ZSchG auch in den Folgejahren nur sehr

gelsächsischen Ländern gefordert. Hinzu kamen die zahlreichen Missbrauchsprozesse, die in den 1990er Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerieten und damit auch die durch den Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren eröffneten (positiven) Möglichkeiten in den Mittelpunkt des rechtswissenschaftlichen Diskurses rückten. Näher zur Entstehung des ZSchG S. 94 ff. 185  So auch Swoboda, S. 141; vgl. hierzu auch Volbert/Erdmann, MschrKrim 1996, 238 (244). 186  Vgl. Swoboda, S.  132 ff. 187  Vgl. Swoboda, S. 133. 188  Vgl. Swoboda, S.  134 ff. 189  Vgl. Höttges, S.  176 ff., 204 ff. 190  Vgl. H. Vogel, S. 78. 191  Vgl. oben S. 110. 192  Vgl. oben S. 113. 193  Vgl. BGH BeckRS 2004, 7878; BGH BeckRS 2004, 07147.

124

2. Kap.: Der Einsatz von Videotechnologie im Strafverfahren

zögerlich umgesetzt wurde.194 Hierfür sprechen schließlich auch die vorge­ stellte Studie der WEISSER RING Stiftung über „Belastungen von Opfern in Ermittlungsverfahren“195 sowie verschiedene punktuelle Einschätzungen in der Literatur aus den letzten fünf Jahren.196 Zwar kann längerfristig von einem „weiteren Fortschreiten“ und „einer deutlichen Verbesserung der technischen Ausstattung“ in den Ermittlungsbe­ hörden und Gerichten ausgegangen werden.197 Ob sich hieraus zwangsläufig ein verstärkter Gebrauch der Videotechnik ableiten lässt, erscheint jedoch fraglich. Jedenfalls sprechen einige Anhaltspunkte dafür, dass diese „Rech­ nung“ in den letzten Jahren nicht aufgegangen ist. In diesem Sinne hat sich auch die Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Aus­ gestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendlichen Verfahrens vom Oktober 2015 in ihrem Abschlussbericht geäußert: Hiernach sei die „verbreitete Praxis“, auf audiovisuelle Videodokumentationen nach § 163a und § 58a StPO zu verzichten, „nicht mehr zeitgemäß“. Die Expertenkom­ mission sprach sich infolgedessen dafür aus, „die Möglichkeiten der audiovi­ suellen Aufzeichnung der Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen künftig verstärkt zu nutzen“.198 Dieser „Aufforderung“ kam die Praxis indes nur zö­ gerlich nach, wie sich auch aus dem Entwurf eines Gesetzes zur Modernisie­ rung des Strafverfahrens seitens der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 05.11.2019 ergibt: Hier ist im Zusammenhang mit § 58a Abs. 1 S. 2 StPO ausdrücklich von „Vollzugsdefiziten“ die Rede.199 Das vom Gesetzgeber angesprochene Vollzugsdefizit des ZSchG war zu Beginn sicherlich – neben den noch fehlenden technischen Rahmenbedin­ gungen – auch auf die fehlende Erfahrung mit der neuen Technik zurückzu­ führen. Auch ist es nicht unüblich, dass Rechtsanwender einer neuen Verneh­ mungstechnik zunächst mit Zurückhaltung oder Skepsis gegenübertreten.200 194  Vgl. hierzu auch Hartz, KJ 2006, S. 74 (77, 85): Videodokumentierte richterli­ che Vernehmungen spielen im Gegensatz zur Videoaufzeichnungen polizeilicher Ver­ nehmungen in der gerichtlichen Praxis „kaum eine Rolle“. Selbst wenn richterliche Videovernehmungen aus dem Ermittlungsverfahren vorhanden seien, komme es nur „in den seltensten Fällen“ in der Hauptverhandlung zu einer Vorführung dieser Auf­ zeichnungen. Die Justiz schrecke somit insbesondere vor der tatsächlichen Durchfüh­ rung einer „vorgezogenen Hauptverhandlung“ nach § 255a Abs. 2 StPO zurück. Das ZSchG finde daher in praktischer Hinsicht nur „wenig Resonanz“; vgl. zur mangeln­ den Umsetzung des ZSchG in der deutschen Gerichtspraxis auch Hartz, S.  61 ff. 195  Vgl. oben S. 118 ff. 196  Vgl. oben S. 118 ff. 197  Vgl. Maaß, S. 50. 198  BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 67. 199  BT-Drucks. 19/14747, S. 2, 17 f., 25. 200  So auch Swoboda, S. 141.



§ 2 Die tatsächliche Nutzungspraxis125

Insofern schien es sich hier zunächst auch um ein Generationenproblem zu handeln.201 Aktuelle Einschätzungen des Gesetzgebers sowie vereinzelte Stu­ dien und Bewertungen in der Literatur weisen jedoch darauf hin, dass die Nutzung der Videotechnologie auch 20 Jahre nach Inkrafttreten des ZSchG bislang noch immer eine Ausnahme darstellt. Auch wenn diese einzelnen Beurteilungen nicht in der Lage sind, ein repräsentatives Abbild der heutigen Videokultur für die gesamte Bundesrepublik darzustellen, kommt ihnen dies­ bezüglich aber zumindest ein deutlicher Indizcharakter zu: Die Videotechno­ logie scheint jedenfalls von einem Großteil der „Akteure“ im Ermittlungsver­ fahren und vor Gericht noch nicht akzeptiert worden zu sein. Dies kann auf mehreren Gründen beruhen: Zum einen deuten die Erfahrungsberichte, Ein­ schätzungen und Untersuchungen darauf hin, dass noch immer ein genereller Vorbehalt gegen den Nutzen der Videotechnologie im Strafverfahren be­ steht.202 Zum anderen beruhen die Vollzugsdefizite offensichtlich auch auf dem mit einer Videoaufzeichnung oder -vernehmung verbundenen zeitlichen Mehraufwand. Dazu gesellen sich der (vorwiegend) fehlende obligatorische Charakter der (oftmals engen) Regelungen und wohl auch eine rechtsunsi­ chere Handhabung im Zusammenhang mit den Tatbestandsvoraussetzungen sowie (hierauf aufbauend) Revisionsbefürchtungen. Eine mangelnde bzw. fehlende Etablierung der gesetzlichen Grundlagen zum Einsatz der Video­ technik geht jedoch zu Lasten der hiermit bezweckten Entlastungs- und Be­ weissicherungsfunktion im Strafprozess. Im Fokus der folgenden Kapitel steht daher die rechtstechnische Ausgestaltung der Vorschriften zum Einsatz der Videotechnologie.

201  Vgl. hierzu das Fazit des Leiters des Ersten Osnabrücker Fachkommissariats (Sexualdelikte, Todesdelikte, u. a.) bei Scheumer, S. 107: „Teilweise gibt es in Nie­ dersachsen Probleme mit der Akzeptanz der Videotechnologie. Dies hat mit den Men­ schen zu tun, ob sie das Verfahren annehmen oder nicht. Dies ist auch altersabhängig, die Generation der um die 40-Jährigen ist sehr positiv“; vgl. auch H. Vogel, S. 69, der im Rahmen seiner Untersuchung jedenfalls für die Videoaufzeichnung im Ermitt­ lungsverfahren zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte: „Die [mit der Videotechnik] erfahrenen Experten […] waren im Schnitt etwas älter als 38 Jahre und 3 Monate, während die Experten ohne Erfahrung […] ein Alter von 44 Jahren und 4 Monaten aufwiesen“. 202  Ein Überblick zur (generellen) Kritik am Einsatz von Videotechnik im Straf­ verfahren findet sich bei Rieck, S.  102 ff.

3. Kapitel

Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung § 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnungder Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren A. Die Gesetzgebung im Wandel der Zeit Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung von Zeugenverneh­ mungen im Ermittlungsverfahren war in der Vergangenheit Gegenstand zahl­ reicher Gesetzesreformen. Die gesetzgeberische Motivation unterlag hierbei einem stetigen Wandel, der im Folgenden vorgestellt werden soll:

I. Die schonende Vernehmung des „schutzbedürftigen Zeugen“ als Leitgedanke § 58a StPO 1

(1) Die Vernehmung eines Zeugen kann auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet wer­ den. 2Sie soll aufgezeichnet werden 1. bei Personen unter sechzehn Jahren, die durch die Straftat verletzt worden sind, oder 2. wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. (2) 1Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für Zwecke der Strafver­ folgung und nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforder­ lich ist. 2§ 100b Abs. 6, §§ 147 und 406e finden entsprechende Anwendung.1

1  BGBl. I 1998, S. 820. Die die durch das ZSchG vom 30.04.1998 geschaffene Regelung des § 58a StPO a. F. war in dieser Fassung bis zum Inkrafttreten des Geset­ zes zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechts­ reformgesetz) am 01.09.2004 gültig.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 127

Der Gesetzgeber verstand die durch das ZSchG vom 30.04.19982 geschaf­ fene Regelung des § 58a Abs. 1 StPO a. F. vor allem als „Signal an die Pra­ xis“, auf die Interessen besonders schutzbedürftiger Zeugen nicht erst in der Hauptverhandlung, sondern bereits im Ermittlungsverfahren Rücksicht zu nehmen.3 Nach seiner Zielvorstellung sollte den Belangen schutzbedürftiger Zeugen hierbei wie folgt Rechnung getragen werden: Mit Blick auf den „ho­ hen Beweiswert“4 von Videoaufzeichnungen, die in der Regel „jedem schrift­ lichen Protokoll überlegen sind“5, würden sich „oftmals belastende Nachver­ nehmungen vermeiden lassen“; gegebenenfalls könne sogar gänzlich auf die Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung verzichtet werden. Die Be­ weiskraft der Videoaufzeichnungen würde die Staatsanwaltschaft und Vertei­ digung „sicherlich nicht nur in Einzelfällen“ dazu veranlassen, „auf eine persönliche Vernehmung des Zeugen zu verzichten“ und gegebenenfalls „dem Beschuldigten zu einem Geständnis zu raten“.6 „Mit zunehmender Verbreitung der Videotechnologie“ würden schließlich auch die Gerichte vermehrt von der Ersetzungsmöglichkeit des § 251 StPO Gebrauch machen und statt der Vernehmung eines Zeugen auf das Abspielen der Videoauf­ zeichnung der Zeugenvernehmung zurückgreifen. Zusätzlich sei damit eine „Erleichterung“ für den (Opfer-)Zeugen verbunden, da dieser nunmehr davon ausgehen könne, dass eine Überführung des Angeklagten nicht mehr in je­ dem Fall von seinem persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung ab­ hängt.7 Neben dieser zeugenschützenden Funktion war dem Gesetzgeber aber auch die bereits angesprochene hohe Beweissicherungsfunktion einer Videoaufzeichnung und die damit einhergehende positive Auswirkung auf die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege bewusst. Er bezog daher – ne­ ben der Verbesserung der Situation besonders schutzbedürftiger Zeugen – auch die Sicherung einer effektiven Strafverfolgung als weiteren Beweggrund in die Gesetzesbegründung mit ein: Der Einsatz von Videotechnik könne mithin ebenso veranlasst sein, wenn die Notwendigkeit besteht, „Beweisver­ lusten entgegenzutreten“.8 Die Sicherung der Aussage könne sich insbeson­ dere im Falle eines „lebensgefährlich erkrankten“ oder „gebrechlichen Zeu­ 2  BGBl. I

1998, S. 820. 13/7165, S. 7. 4  BT-Drucks. 13/7165, S. 5, 7. 5  Die audiovisuelle Aufzeichnung sollte das schriftliche Vernehmungsprotokoll nach dem Willen des Gesetzgebers indes nicht ersetzen. Vielmehr sollten die Proto­ kollierungsvorschriften der §§ 168, 168a, 168b StPO weiterhin zusätzlich Geltung beanspruchen, BT-Drucks. 13/7165, S. 6. 6  BT-Drucks. 13/7165, S. 7. 7  BT-Drucks. 13/7165, S. 7. 8  Dieser Gedanke findet seine sprachliche Anlehnung in § 160 Abs. 2 StPO: „Die Staatsanwaltschaft hat […] für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Ver­ lust zu besorgen ist“, vgl. hierzu BT-Drucks. 13/7165, S. 6. 3  BT-Drucks.

128 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

gen“, aber auch bei einem „Zeugen, [dessen] Rückkehr ins Ausland bevor­ steht“ oder der sich „aus der organisierten Kriminalität gelöst hat und zu seiner eigenen Sicherheit für die Hauptverhandlung ‚gesperrt‘ werden soll“, als zweckmäßig erweisen.9 Schließlich könne einer Videoaufzeichnung auch im Rahmen der Prüfung der Validität einer kindlichen Zeugenaussage „ver­ fahrensentscheidende Bedeutung“ zukommen.10 Trotz des erkenntlich hohen Beweiswerts einer Videoaufzeichnung zeigte sich der Gesetzgeber des ZSchG jedoch teilweise zurückhaltend, soweit es um die konkreten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Aufzeichnung einer Zeu­ genvernehmung ging: Er verzichtete nicht nur auf eine obligatorische Rege­ lung (vgl. § 58a Abs. 1 StPO a. F.: „kann“, „soll“), sondern sah aufgrund des mit der Aufzeichnung verbundenen erheblichen Eingriffs in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen11 auch eine einschränkende Zulässig­ keitsvoraussetzung in § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO vor: Nur dann, wenn die audiovisuelle Aufzeichnung „zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist“, sei eine Videoaufzeichnung überhaupt erst veranlasst. Der Gesetzgeber wollte hierdurch sicherstellen, dass die Regelung „nicht als Einstieg für eine regel­ mäßige Videoaufzeichnung“ verstanden wird und „sich das Abspielen von Videobändern in der Hauptverhandlung nicht zum ‚Normalfall‘ entwickelt“.12 Diese gesetzgeberische Intention spiegelte sich auch in der Normierung des § 58a Abs. 2 S. 1 StPO a. F. wider („Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeich­ nung ist […] nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist.“). Weiterhin sollte die ausdrücklich normierte „Zweckklau­ sel“ in § 58a Abs. 2 S. 1 StPO a. F. („nur für Zwecke der Strafverfolgung“) für beide Fälle des § 58a Abs. 1 StPO a. F. sicherstellen, dass die Verwendung der Videoaufzeichnung zu anderen Zwecken als solcher der Strafverfolgung ohne Einwilligung des Zeugen unzulässig ist. Weitere Einzelheiten zum Zeit­ punkt der Vernichtung der erstellten Videoaufzeichnung und zur Aktenein­ sicht wurden schließlich durch Verweisung auf die §§ 100b Abs. 6, 147, 406e StPO a. F. geregelt (vgl. § 58a Abs. 2 S. 2 StPO a. F.).13 Eine gewisse Herabsenkung der Zulässigkeitsschwelle kann hingegen in dem fehlenden Einwilligungserfordernis des zu Vernehmenden bzw. seines gesetzlichen Vertreters erblickt werden. Der Gesetzgeber sah jedenfalls 9  BT-Drucks.

13/7165, S. 6. 13/7165, S. 6. 11  Der erhebliche grundrechtliche Eingriff wurde seitens des Gesetzgebers auch gesehen: „Bild-Ton-Aufzeichnungen fixieren dauerhaft Aussageinhalt und Aussage­ verhalten und ermöglichen deren grundsätzlich unbegrenzte Reproduzierbarkeit“; BTDrucks. 13/7165, S. 6 [Hervorhebungen durch die Verfasserin]. 12  BT-Drucks. 13/7165, S. 6. 13  Vgl. hierzu BT-Drucks. 13/7165, S. 7 f. 10  BT-Drucks.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 129

„­ davon ab, die Zulässigkeit der Erstellung einer Bild-Ton-Aufzeichnung von einer ausdrücklichen Einwilligung […] abhängig zu machen“.14 Darauf­ hin wurde in der überwiegenden Literatur angenommen, dass ein Zeuge, so­ weit er zur Aussage verpflichtet ist, auch eine angeordnete Bild-Ton-Auf­ zeichnung seiner Vernehmung als Bestandteil seiner Aussagepflicht zu dulden habe.15 Die Vernehmungsperson soll sich – nach dem gesetzgeberischen Willen – dennoch stets um ein „kooperatives Verhalten des Zeugen“ bemü­ hen; „brauch­bare“ audiovisuell aufgezeichnete Aussagen seien nämlich nur zu er­warten, „wenn der Zeuge mit einer solchen Maßnahme einverstanden ist“.16 Letztlich zeigt die konkrete Normierung des § 58a StPO a. F., dass sich der Gesetzgeber des Spannungsverhältnisses zwischen der umfassenden Wahr­ heitsermittlung als (Teil-)Ziel eines idealen Strafprozesses und der Gewähr­ leistung eines umfassenden Opfer- und Zeugenschutzes, insbesondere auch im Hinblick auf den mit der Aufzeichnung verbundenen erheblichen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, bewusst war und dass er versuchte, jenes durch einschränkende Voraussetzungen auf den Ebe­ nen der Erstellung und Verwendung einer Videoaufzeichnung zu lösen. An­ gesichts seiner eindeutigen Ausführungen in der Gesetzesbegründung („Da­ mit wird sichergestellt, daß die […] Regelung nicht als Einstieg für eine re­ gelmäßige Videoaufzeichnung aufgefaßt wird und sich das Abspielen von Videobändern in der Hauptverhandlung nicht zum ‚Normalfall‘ entwickelt“17) wird jedoch auch ersichtlich, dass der Vorschrift zum damaligen Zeitpunkt nur Ausnahmecharakter zukommen sollte.

II. Opferrechtsreformgesetz (2004) Eine Änderung erfuhr die Regelung des § 58a StPO a. F. erstmals durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz) vom 24.06.2004, das am 01.09.2004 in Kraft trat.18 Das Opferrechtsreformgesetz verfolgte vornehmlich das Ziel, die Be­ lange der Opfer im Strafverfahren stärker zu berücksichtigen. Hierzu sollten die durch das Strafverfahren hervorgerufenen Belastungen für das Opfer „so gering wie möglich gehalten“ und „seine Verfahrensrechte gestärkt wer­ 14  BT-Drucks.

13/7165, S. 6. nur Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1311a; KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 8; KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 19; Meyer-Goßner, § 58a Rn. 7a; MüKo-StPO/ Maier, § 58a Rn. 30. Näher zur Duldungspflicht S. 160 ff. 16  BT-Drucks. 13/7165, S. 6. 17  BT-Drucks. 13/7165, S. 6. 18  BGBl. I S. 1354 (1358). 15  Vgl.

130 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

den“.19 Entsprechend diesem Schutzzweck sollte auch die allgemeine Akzep­ tanz von Videovernehmungen erhöht werden. Dies sollte vor allem im Wege eines verbesserten Schutzes gegen die missbräuchliche Verwendung von Bild-Ton-Aufzeichnungen und einer entsprechenden Ersetzung des § 58a Abs. 2 S. 2 StPO a. F. durch folgende Sätze erreicht werden20: „§ 100b Abs. 6 gilt entsprechend. Die §§ 147, 406e sind entsprechend anzuwen­ den, mit der Maßgabe, dass den zur Akteneinsicht Berechtigten Kopien der Auf­ zeichnung überlassen werden können. Die Kopien dürfen weder vervielfältigt noch weitergegeben werden. Sie sind an die Staatsanwaltschaft herauszugeben, sobald kein berechtigtes Interesse an der weiteren Verwendung besteht. Die Überlassung der Aufzeichnung oder die Herausgabe von Kopien an andere als die vorbezeich­ neten Stellen bedarf der Einwilligung des Zeugen.“21

Der Gesetzgeber ging hierbei zu Recht davon aus, dass „bei einer BildTon-Aufzeichnung einer Vernehmung, insbesondere dann, wenn sie tatnah erstellt worden ist, ein Eindruck von der gesamten Persönlichkeit des Zeu­ gen, gegebenenfalls noch unter dem Eindruck der Tat stehend, festgehalten“ wird. Die Aufzeichnungen verdienen daher folgerichtig „besonderen Schutz“.22 Insofern sind das gesetzlich eingefügte Vervielfältigungsverbot sowie das Verbot der Weitergabe der Aufzeichnungskopien zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Zeugen dem Grunde nach zu begrüßen.23 Wün­ schenswert wäre jedoch die zusätzliche Sicherung des Kopierverbotes mittels eines Kopierschutzes.24 Weiterhin wurde folgender Absatz 3 in § 58a StPO eingefügt: „Widerspricht der Zeuge der Überlassung einer Kopie der Aufzeichnung seiner Vernehmung nach Absatz 2 Satz 3, so tritt an deren Stelle die Überlassung einer Übertragung der Aufzeichnung in ein schriftliches Protokoll an die zur Aktenein­ sicht Berechtigten nach Maßgabe der §§ 147, 406e. Wer die Übertragung herge­ stellt hat, versieht die eigene Unterschrift mit dem Zusatz, dass die Richtigkeit der Übertragung bestätigt wird.25 Das Recht zur Besichtigung der Aufzeichnung nach

19  BT-Drucks.

15/1976, S. 1; BR-Drucks. 829/03, S. 1; BT-Drucks. 15/2536, S. 1. 15/1976, S. 10; BR-Drucks. 829/03, S. 20. 21  BGBl. I 2004, S. 1354. 22  Vgl. bereits BT-Drucks. 13/4661, S. 11; ferner BT-Drucks. 15/814, S. 8; BTDrucks. 15/2536, S. 7. 23  Vgl. BR-Drucks. 829/03, S. 20 f.; BT-Drucks. 15/1976, S. 10. 24  Vgl. Maaß, S. 97 Fn. 366; ferner BT-Drucks. 18/11277, S. 26 im Zusammen­ hang mit der Beschuldigtenvernehmung; für eine gesetzliche Verankerung des Ko­ pierschutzes Michel, S. 264 f.; WisteV, Stellungnahme zu RefE GzeupAdS, S. 2. 25  § 58a Abs. 3 S. 1, 2 StPO wurde durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 nun­ mehr an die neue gesetzliche Neufassung des § 168a StPO angepasst; vgl. BGBl. I S. 2099 (2100), näher BT-Drucks. 19/27654, S. 58. 20  BT-Drucks.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 131 Maßgabe der §§ 147, 406e bleibt unberührt. Der Zeuge ist auf sein Widerspruchs­ recht nach Satz 1 hinzuweisen.“26

Mit der Einfügung des § 58a Abs. 3 S. 1 StPO a. F. sah der Gesetzgeber erstmals ein Widerspruchsrecht des Zeugen gegen die Überlassung einer Aufzeichnungskopie vor und kombinierte dieses mit einem (im Falle eines Widerspruchs entstehenden) Anspruchs der Akteneinsichtsberechtigten auf Überlassung eines schriftlichen Aufzeichnungsprotokolls nach Maßgabe der §§ 147, 406e StPO. Das Recht zur Besichtigung der Aufzeichnung in den Diensträumen der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte blieb daneben un­ berührt (§ 58 Abs. 3 S. 3 StPO a. F.).27 Die Kombination der vorgenannten Gesetzesänderungen (§ 58a Abs. 2 und 3 StPO a. F.) verdeutlicht, dass der Gesetzeber versuchte einen angemessen Ausgleich, eine Art „Kompromiss“, zwischen den Schutzinteressen des (Op­ fer-)Zeugen und den oftmals gegenläufigen Verteidigerinteressen herzustel­ len.28

III. 2. Opferrechtsreformgesetz (2009) Eine bedeutende Änderung erfuhr § 58a a. F. StPO ferner durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) vom 29.07.2009, das am 01.10.2009 in Kraft trat.29 Das 2. Opferrechtsreformgesetz verfolgte insbesondere das Ziel, die Rechte von Jugendlichen, die Opfer von Straftaten geworden sind oder als Zeugen in einem Strafverfahren aussagen müssen, sachgerecht zu erweitern. Er legte mithin ein besonderes Augenmerk auf das Schutzbedürfnis jugend­ licher (Opfer-)Zeugen.30 § 58a Abs. 1 S. 2 StPO a. F. wurde dementsprechend wie folgt neu gefasst: „Sie [Anm. der Verfasserin: Die Vernehmung] soll aufgezeichnet werden, wenn 1.  dies bei Personen unter 18 Jahren, die durch die Straftat verletzt sind, zur Wah­ rung ihrer schutzwürdigen Interessen geboten ist oder 2. zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist.“31 26  BGBl. I

2004, S. 1354. Abs. 3 S. 3 StPO a. F. entspricht nunmehr der aktuellen Fassung des § 58a Abs. 3 S. 2 StPO; vgl. BGBl. I 2021, S. 2099 (2100); BT-Drucks. 19/27654, S. 58. 28  Vgl. MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 75. 29  BGBl. I S. 2280 (2285). 30  BT-Drucks. 16/12098, S. 1 f. 31  BGBl. I 2009, S. 2280. 27  § 58a

132 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

Die Anhebung der Schutzaltersgrenze für jugendliche Opferzeugen von 16 auf 18 Jahre war u. a. Erfahrungsberichten aus der Praxis und der Anpassung an verschiedene internationale Abkommen geschuldet.32 Es handelte sich hierbei um eine – auch mit Blick auf die für jugendliche Täter geltende Al­ tersgrenze im Jugendstrafverfahren (§ 1 Abs. 2 JGG33)34 – konsequente Entscheidung des Gesetzgebers. Fortan waren grundsätzlich alle Opferzeu­ gen unter 18 Jahren von der Soll-Bestimmung der Vorschrift erfasst. Trotz dieser Erweiterung des Anwendungsbereichs betonte der Gesetzgeber jedoch abermals den mit einer Videoaufzeichnung verbunden erheblichen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Zeugen35 und nahm eine weitere einschränkende Voraussetzung in § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO a. F. auf: Die Vernehmung sollte nur dann aufgezeichnet werden, wenn „dies zur Wahrung ihrer [Anm. der Verfasserin: der Zeugen] schutzwürdigen Interessen geboten ist“.36 Er wollte mit dieser Ergänzung klarstellen, „dass die Vorschrift nicht für Alltagssituationen der polizeilichen Vernehmung gelten soll, in denen Jugendliche als Zeugen vernommen werden“. Videotechnologie sollte viel­ mehr nur dann zur Anwendung gelangen, wenn etwa „eine entscheidungs­ erhebliche Aussage umfangreich ist, wenn sie ein komplexes Tatgeschehen betreffe oder wenn sich die Vernehmung besonders schwierig gestalte“.37 Die audiovisuelle Aufzeichnung der Zeugenvernehmung stand mithin unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Gebotenheit. In der Literatur wurde dieses einschränkende Erfordernis mitunter zu Recht kritisiert, da der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen staatlicher Eingriffsmaßnahmen auch ohne eine ausdrückliche Ergänzung stets uneingeschränkte Beachtung finde.38 Gleiches müsse für das Merkmal der Gebotenheit als Teil des Übermaß­ verbotes gelten. Dem einschränkenden Zusatz in § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO a. F. kann daher nur insoweit Bedeutung beigemessen werden, als dass der Gesetzgeber hierdurch erneut den Ausnahmecharakter der Vorschrift be­ tonen wollte.

32  Ausführlich

zu den Beweggründen BT-Drucks. 16/12098, S. 10, 12, 41. Abs. 2 JGG lautet: „Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist“. 34  Vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 10. 35  BT-Drucks. 16/12098, S. 12. 36  BGBl. I S. 2280. 37  BT-Drucks. 16/12098, S. 12. 38  Vgl. Rieß, NJW 1998, 3240 (3241). 33  § 1



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 133

IV. Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (2013) Der Anwendungsbereich des § 58a StPO a. F. wurde wenige Jahre später durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) vom 26.06.2013, das am 01.09.2013 in Kraft trat39, abermals er­ weitert. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO wurde hierbei neu gefasst und lautet (auch noch aktuell) wie folgt: „Sie [Anm. der Verfasserin: Die Vernehmung] soll nach Würdigung der dafür je­ weils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richterliche Verneh­ mung erfolgen, wenn 1. damit die schutzwürdigen Interessen von Personen unter 18 Jahren sowie von Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine der in § 255a Abs. 2 genann­ ten Straftaten verletzt worden sind, besser gewahrt werden können […].“40

Die Gesetzesänderung hatte die Schaffung weiterer Instrumentarien zur Vermeidung von Mehrfachvernehmungen zum Ziel und sah hierzu folgendes Konzept vor: Zum einen wurde die Regelung des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO für eine weitere Personengruppe geöffnet: § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO galt nunmehr auch für volljährige Zeugen, sofern diese Verletzte einer der in § 255a Abs. 2 StPO41 genannten Straftaten und zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre alt waren. Hierdurch sollte den Belangen von Personen Rechnung getragen werden, die als Minderjährige durch eine solche Straftat verletzt worden sind, zum Zeitpunkt ihrer Zeugenvernehmung aber bereits volljährig waren.42 Vor dem Hintergrund des Normzwecks ist die Einbeziehung dieser Personengruppe in den Regelungsbereich des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO ausdrücklich zu begrüßen. Zum anderen sollte eine Bild-Ton-Aufzeichnung bei der Vernehmung der in § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO genannten Personen­ gruppen bereits dann erfolgen, wenn deren schutzwürdige Interessen damit besser gewahrt werden können. Der gesetzliche Vorbehalt der „Gebotenheit“ wurde folglich aus dem Gesetzestext gestrichen. An den „opferschonenden Mehrwert“ einer Videoaufzeichnung sollten nunmehr „keine zu strengen Anforderungen […] gestellt werden“.43 Fortan sollten etwa auch „die Redu­ zierung der Anzahl der Vernehmungen“44, „eine erhöhte Geständnisbereit­

39  BGBl. I

S. 1805 (1807). S. 1805. 41  Zur damaligen Fassung des § 255a Abs. 2 StPO BGBl. I S. 1805. 42  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10. 43  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10. 44  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10 mit Verweis auf BGH BeckRS 2004, 7878. 40  BGBl. I

134 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

schaft“45 und „die Beweissicherung“46 Anlass für eine audiovisuelle Auf­ zeichnung der Zeugenvernehmung geben.47 Darüber hinaus wurde gesetzlich festgelegt, dass die Aufzeichnung nach Würdigung der dafür jeweils maß­ geblichen Umstände48 als richterliche Vernehmung erfolgen soll, wenn die in § 58a Abs. 1 S. 2 StPO bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Mit Blick auf die Verwertungsregelungen der §§ 255a Abs. 2 StPO, 255a Abs. 1 i. V. m. 251 Abs. 2 StPO a. F.49, die (auch heute) auf eine richterliche Vernehmung Bezug nehmen, erscheint diese Gesetzesänderung nur konsequent. Der Ge­ setzgeber verstand die Regelung somit auch als „ein Signal an die Praxis, im Ermittlungsverfahren häufiger auf das Instrument der Bild-Ton-Aufzeichnung richterlicher Vernehmungen zurückzugreifen, um in mehr Fällen die Mög­ lichkeit für eine vernehmungsersetzende Vorführung in der Hauptverhand­ lung zu eröffnen“.50 Die wiederholte Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 58a StPO und der ausdrückliche Appell an die Praxis, fortan vermehrt von der Mög­ lichkeit audiovisueller Aufzeichnungen Gebrauch zu machen, verdeutlichen, dass der Gesetzgeber von seiner vorherigen Auffassung – der Regelung des § 58a StPO nur einen Ausnahmecharakter zuschreiben zu wollen – langsam abrückte: Dem Einsatz von Videotechnologie im Ermittlungsverfahren sollte künftig ein größerer Stellenwert eingeräumt werden.

V. Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens (2019) Eine Änderung mit weitreichenden Konsequenzen erfuhr § 58a StPO a. F. schließlich durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019, das am 13.12.2019 in Kraft trat51: Der Gesetzgeber sieht unter der heute geltenden Fassung – eine unter gewissen Voraussetzungen gel­ 45  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10 mit Verweis auf Scheumer, S. 281; kritisch zu diesem Aspekt Eisenberg, HRRS 2011, 64 (65). 46  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10 mit Verweis auf Busse/ Volbert/Steller, S. 206. 47  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10. 48  Entscheidend ist hierbei insbesondere, ob gerade eine richterliche Vernehmung einen „zusätzlichen Beitrag zur Wahrung der schutzwürdigen Belange des Zeugen (Nummer 1) bzw. zur Erforschung der Wahrheit (Nummer 2) zu leisten vermag“, BR-Drucks. 213/11, S. 12; BT-Drucks. 17/6261, S. 11. 49  Vorliegend wird auf § 255a StPO in der am 01.09.2013 geltenden Fassung durch Art. 1 StORMG vom 26.06.2013, BGBl. I S. 1805 und auf § 251 StPO in der am 01.09.2004 geltenden Fassung durch Art. 3 des 1. Justizmodernisierungsgesetzes vom 24.08.2004, BGBl. I S. 2198 verwiesen. 50  BR-Drucks. 213/12, S. 12; BT-Drucks. 17/6261, S. 11. 51  BGBl. I S. 2121 (2127).



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 135

tende – verpflichtende Regelung zur audiovisuellen Aufzeichnung der Zeu­ genvernehmung in § 58a Abs. 1 S. 3 StPO vor, die wie folgt lautet: „Die Vernehmung muss nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstän­ de aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Personen, die durch Straftaten gegen die sexu­ elle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184j des Strafgesetzbuches) verletzt worden sind, besser gewahrt werden können und der Zeuge der Bild-Ton-Aufzeichnung vor der Vernehmung zugestimmt hat.“52

Der neuen Regelung lagen hierbei folgende Prämissen zugrunde: (1) Auf­ grund des vergleichbaren Schutzbedürfnisses der zur Tatzeit erwachsenen Opfer von Sexualstraftaten im Strafverfahren mit den zur Tatzeit minderjäh­ rigen Opferzeugen (§ 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO) sei eine Gleichstellung beider Opfergruppen geboten.53 Nach der Gesetzeskonzeption sollte der Anwendungsbereich des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO a. F. mithin auch auf „zur Tatzeit erwachsene Opfer von Sexualstraftaten (§§ 174 bis 184j des Strafgesetzbuches) ausgeweitet werden“.54 (2) Das in der Praxis festgestellte „Vollzugsdefizit“ (betreffend die Erstellung audiovisueller Aufzeichnungen) könne durch eine Ersetzung der Soll- durch eine Muss-Vorschrift beseitigt werden.55 (3) Ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Zeu­ gen sei mit der Regelung nicht verbunden, da die Zulässigkeit der Erstellung einer audiovisuellen Aufzeichnung in den in § 58a Abs. 1 S. 3 StPO genann­ ten Fällen von der vorherigen Zustimmung des Zeugen abhängt.56 Der Gesetzgeber bleibt seiner Linie zur Erweiterung des Anwendungs­ bereichs des § 58a StPO damit zwar weiterhin treu. Die aktuelle Gesetzes­ reform unterscheidet sich jedoch insofern von vergangenen Regelungen, als dass nunmehr erstmals eine verpflichtende Regelung zur audiovisuellen Aufzeichnung einer richterlichen Zeugenvernehmung in Form einer Muss52  BGBl. I S. 2121. Zu den Folgeänderungen in § 255a Abs. 2 StPO, BGBl. I S. 2121 (2122). 53  Näher BT-Drucks. 19/14747, S. 25: „Sexualstraftaten sind typischerweise mit erheblichen Eingriffen in den Intimbereich des Opfers verbunden. Opferzeugen sind in der Vernehmung verpflichtet, über ihre Wahrnehmungen auszusagen, was häufig mit gravierenden seelischen Belastungen verbunden sein kann. Diese besondere Situ­ ation rechtfertigt es, die zusätzlich belastenden Mehrfachvernehmungen den erwach­ senen Opfern in gleicher Weise zu ersparen wie den nach gegenwärtiger Rechtslage (zur Tatzeit) minderjährige[n] Zeugen“. 54  BT-Drucks. 19/14747, S. 25. 55  Näher BT-Drucks. 19/14747, S.  25: „Der opferschonende Mehrwert einer Video­vernehmung erfordert eine Regelung, die sicherstellt, dass von der Bild-TonAufzeichnung bei der Ermittlung von Sexualstraftaten umfassend Gebrauch gemacht wird. Mit der Ausgestaltung der Norm als Mussvorschrift soll dieses Ziel erreicht werden. 56  Vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 26.

136 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

Vorschrift eingefügt wurde. Der frühere gesetzgeberische Appell, fortan ver­ mehrt von der Möglichkeit audiovisueller Aufzeichnungen Gebrauch zu ma­ chen, wandelte sich somit – soweit Straftaten nach §§ 174–184j StGB in Rede stehen – zu einem eindeutigen Befehl an die Praxis, vermehrt von der Videotechnik Gebrauch zu machen. Die obligatorische Regelung steht letzt­ lich jedoch unter einem Zustimmungsvorbehalt des Zeugen, das wiederum durch ein Widerspruchsrecht unmittelbar nach der Vernehmung (vgl. § 255a Abs. 2 S. 1 StPO57) abgerundet wurde58 – in dieser Form ein strafprozessu­ ales Novum.

VI. Fazit Die Regelung des § 58a StPO ist in der Vergangenheit wiederholt in das Blickfeld des Gesetzgebers geraten.59 Die Einstellung des Gesetzgebers zum Nutzungsumfang und Zweck der Vorschrift wandelte sich hierbei mehrfach. Obwohl der Gesetzgeber im Jahre 1997 noch betonte, dass die vorgeschla­ gene Regelung nicht als Einstieg für eine regelmäßige Videoaufzeichnung 57  § 255a Abs. 2 S. 1 StPO lautet wie folgt: „In Verfahren wegen Straftaten […] kann die Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren durch die Vorführung der BildTon-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an dieser mitzuwirken, und wenn der Zeuge, dessen Vernehmung nach § 58a Absatz 1 Satz 3 in Bild und Ton aufgezeichnet worden ist, der vernehmungsersetzenden Vorführung dieser Aufzeichnung in der Hauptverhandlung nicht unmittelbar nach der aufgezeichneten Vernehmung widersprochen hat“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]. 58  Macht ein Zeuge von der ihm eingeräumten Widerspruchsmöglichkeit Ge­ brauch, schließt dies nach dem Gesetzgeber aber „nur die vernehmungsersetzende Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung in der Hauptverhandlung“, nicht aber die (vollständige oder teilweise) Vorführung der Videoaufzeichnung ergänzend zur Zeu­ genvernehmung aus, BT-Drucks. 19/14747, S. 35. Näher hierzu S. 166 ff. 59  Hinzuweisen ist ferner auf folgende Gesetzesreformen mit eher klarstellendem Charakter: Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21.12.2007, BGBl. I S. 3198, wurde die Angabe „§ 100b Abs. 6“ durch die Angabe „§ 101 Abs. 10“ ersetzt. Durch das Gesetz zur Einführung der elek­ tronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechts­ verkehrs vom 5.7.2017, BGBl. I S. 2208, wurden die Wörter „auf Bild-Ton-Träger“ durch die Wörter „in Bild und Ton“ ersetzt, um klarzustellen, dass auch rein digitale Speicherungen unabhängig von einem mobilen Informationsträger von § 58a StPO mit umfasst sind, BT-Drucks. 18/9416, S. 59. Im Anschluss an die Neufassung des § 168a StPO wurden zuletzt auch Folgeänderungen in § 58a StPO erforderlich: In § 58a Abs. 3 S. 1 StPO a. F. wurden die Wörter „einer Übertragung der Aufzeichnung in ein schriftliches Protokoll“ durch die Wörter „des Protokolls“ ersetzt. § 58a Abs. 3 S. 2 StPO wurde aufgehoben; BGBl. I 2021, S. 2099 (2100), vgl. hierzu auch BTDrucks. 19/27654, S. 58.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 137

aufgefasst werden sollte60, setzte er zuletzt immer wieder auf eine Erweite­ rung des Anwendungsbereichs der Vorschrift61 und Appelle an die Praxis, im Ermittlungsverfahren häufiger auf das Instrument der Videoaufzeichnung zurückzugreifen.62 Diese Appelle mündeten schließlich in einem ausdrückli­ chen Anwendungsbefehl seitens des Gesetzgebers in den in § 58a Abs. 1 S. 3 StPO geregelten Fällen. Entsprechende Entwicklungen zeigten sich auch im Rahmen der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele: Während zunächst der Op­ ferschutz in einem engeren Sinne als Leitgedanke für die Einführung der Vorschrift diente63, wurden die Kriterien für den Einsatz der Videotechnik zunehmend aufgeweicht: Die bessere Wahrung schutzbedürftiger Interessen von bestimmten (Opfer-)Zeugen sollte nunmehr als Anlassgrund ausreichen. Als taugliche Abwägungskriterien sollten hierbei auch eine erhöhte Geständ­ nisbereitschaft des Täters sowie Aspekte der Beweissicherung dienen. An die Verhältnismäßigkeitsprüfung sollten keine zu strengen Anforderungen mehr gestellt werden.64 Das Merkmal der „Gebotenheit“, das den Ausnahmecha­ rakter der Vorschrift symbolisierte, verschwand ebenfalls aus dem Gesetzes­ text. Die Optimierung der Wahrheitsfindung rückte damit stärker in den Vordergrund der Gesetzgebung. Insoweit überschnitten sich auch die gesetz­ geberischen Zwecke der beiden Nummern des § 58a Abs. 1 StPO.65 Nicht zuletzt verdeutlichte auch die neue Gesetzesreform aus dem Jahre 2019: Der Regelung des § 58a StPO sollte nach alledem kein Ausnahmecharakter mehr zukommen.66

60  BT-Drucks.

13/7165, S. 6. BGBl. I 2020, S. 2280; BGBl. I 2013, S. 1805; BGBl. I 2019, S. 2121. 62  Vgl. BR-Drucks. 829/03, S.  20; BT-Drucks. 15/1976, S.  10; BR-Drucks. 213/12, S. 12; BT-Drucks. 17/6261, S. 11. 63  Vgl. BT-Drucks. 13/7165, S. 1: „In der Praxis besteht […] insbesondere bei kindlichen Opferzeugen der Wunsch, audiovisuelle Medien zu nutzen, um die mit der Vernehmung oftmals verbundenen Belastungen zu reduzieren. Der Gesetzentwurf verfolgt das Ziel, durch den Einsatz der Videotechnologie sicherzustellen, daß schutz­ bedürftige Zeugen bei der Vernehmung weitestgehend geschont werden“. 64  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10. 65  MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 6. 66  Diese Wertung wird auch durch 19 Abs. 2 RiStBV belegt: „Bei Zeugen unter achtzehn Jahren soll zur Vermeidung wiederholter Vernehmungen von der Möglich­ keit der Aufzeichnung auf Bild-Ton-Träger Gebrauch gemacht werden (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 255a Abs. 1 StPO)“ [Hervorhebung durch die Verfasserin]. 61  Vgl.

138 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

B. Die Befugnistatbestände des § 58a Abs. 1 StPO § 58a StPO 1

(1) Die Vernehmung eines Zeugen kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. 2 Sie soll nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn 1.  damit die schutzwürdigen Interessen von Personen unter 18 Jahren sowie von Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine der in § 255a Absatz 2 ge­ nannten Straftaten verletzt worden sind, besser gewahrt werden können oder 2. zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 3

Die Vernehmung muss nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstän­ de aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Personen, die durch Straftaten gegen die sexu­ elle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184j des Strafgesetzbuches) verletzt worden sind, besser gewahrt werden können und der Zeuge der Bild-Ton-Aufzeichnung vor der Vernehmung zugestimmt hat.67

Die Regelung des § 58a Abs. 1 StPO findet auf richterliche, staatsanwalt­ schaftliche (§ 161a Abs. 1 S. 2 StPO) und polizeiliche Zeugenvernehmungen (§ 163 Abs. 3 S. 2 StPO) im Ermittlungsverfahren Anwendung68, wobei nur die richterliche Zeugenvernehmung eine erleichterte Vorführung der BildTon-Aufzeichnung im Hauptverfahren zur Folge hat (vgl. § 255a Abs. 1 StPO i. V. m. § 251 Abs. 2 StPO) und die Möglichkeit einer Ersetzung der Zeugenvernehmung durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung vorsieht (§ 255a Abs. 2 S. 1 StPO). Dem­ entsprechend ordnet § 58a Abs. 1 S. 2 StPO an, dass in bestimmten Fällen eine richterliche Zeugenvernehmung erfolgen soll bzw. in den in § 58a Abs. 1 S. 3 StPO geregelten Fällen sogar erfolgen muss. Da in § 58a Abs. 1 S. 1 StPO aber lediglich von einer fakultativen Aufzeichnungsmöglichkeit die Rede ist, fragt man sich, welche praktischen Anwendungsfälle dieser Regelung zugrunde liegen.

67  Aktuelle Fassung des § 58a StPO aufgrund des Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021, in Kraft getreten am 01.07.2021, vgl. BGBl. I S. 2099 (2100, 2113). 68  In der Hauptverhandlung findet § 58a Abs. 1 StPO hingegen keine Anwendung, da § 247a S. 4 StPO insofern eine Sonderregelung enthält, vgl. KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 3; Kipper, S. 102; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 2; Maaß, S. 53; MüKo-StPO/ Maier, § 58a Rn. 19; Rieß, NJW 1998, 3240 (3241); SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 3.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 139

I. Die fakultative Aufzeichnung nach § 58a Abs. 1 S. 1 StPO 1. Geltungsumfang und Anwendungsbereich Nach § 58a Abs. 1 S. 1 StPO kann die Vernehmung eines Zeugen in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Die Vorschrift ist mithin – im Gegensatz zu § 58a Abs. 1 S. 2 und S. 3 StPO – nicht auf eine bestimmte Zeugengruppe beschränkt. Da die entsprechende Anordnung zudem im Ermessen des Ver­ nehmenden liegt, scheint der Anwendungsbereich der Regelung insgesamt sehr weit zu reichen. Eine pauschale Zulässigkeit der audiovisuellen Auf­ zeichnung jeder Zeugenvernehmung kann jedoch bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit (Ermessensgrenze) nicht vom Gesetzgeber gewollt sein. Ungeachtet des technischen Aufwands entbindet der weite Gesetzespassus den Rechtsanwender insofern nicht von einer sorgfältigen Abwägung der entgegenstehenden Rechte bzw. Interessen. Das konkrete Mittel muss sich – bezogen auf den legitimen Zweck, den es verfolgt – daher als geeignet, er­ forderlich und angemessen darstellen.69 2. Abwägungskriterien Die Regelung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO dient zum einen dem Schutz des (Opfer-)Zeugen: Sie verfolgt vornehmlich das Ziel, die für den Zeugen „oft­ mals belastende[n] Nachvernehmungen [zu] vermeiden“70 und fördert damit nicht nur seine körperliche und psychische Gesundheit (Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG), sondern auch die Verminderung von unnötigen Eingriffen in sein All­ gemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Mit­ telbar dient sie dabei auch der Beweiswürdigung und dem Wahrheitspostulat, da eine Aussage umso „nachvollziehbarer“ wird, „je weniger konfliktbelas­ tet – und somit opferschonender sie gewonnen werden kann“.71 Mit Blick auf ihren „hohen Beweiswert“72 dient die Aufzeichnung zum anderen aber auch der Beweissicherung und trägt damit unmittelbar zur Wahrheitsfindung im Strafprozess bei. Die Erforschung der materiellen Wahrheit ist wiederum untrennbar mit dem materiellen Schuldprinzip (nulla poena sine culpa) ver­ bunden73 und dient mithin auch den Beschuldigteninteressen. Die Aufzeich­ nung kann insofern als Entscheidungsgrundlage für weitere Schritte des Er­ mittlungsverfahrens dienen, so z. B. der Einstellung des Verfahrens aus Op­ 69  Näher

zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Voßkuhle, JuS 2007, 429 ff. 13/7165, S. 7. 71  Wegner, ZRP 1997, 404. 72  BT-Drucks. 13/7165, S. 5, 7. 73  Vgl. BVerfGE 57, 250 (275); BVerfG NStZ 1987, 419; Stoffer, S. 40. 70  BT-Drucks.

140 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

portunitätsgründen (§§ 153 ff. StPO) oder der Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 170 Abs. 2 StPO).74 Soweit Video­ aufzeichnungen zur Vermeidung von Mehrfachvernehmungen und Streitig­ keiten im Zusammenhang mit der Zeugenvernehmung beitragen, können sie letztlich auch dem Beschleunigungsgrundsatz zur Geltung verhelfen75, der „Ausdruck einer allgemeinen Fürsorgepflicht der Strafjustiz gegenüber der von ihr Betroffenen“76 ist. Die authentische Dokumentation der Zeugenver­ nehmung ermöglicht zudem die Überprüfung des genauen Vernehmungs­ inhalts, insbesondere der Aussagegenese, sowie die Aufdeckung etwaiger im Zusammenhang mit der Vernehmung stehender Verständigungs-, Wahrneh­ mungs-, oder Verfahrensmängel. Insoweit kann eine audiovisuelle Aufzeich­ nung auch dem Schutz des Zeugen vor verbotenen Vernehmungsmethoden (§ 69 Abs. 3 i. V. m. § 136a StPO) dienen. Neben dem Schutz des absoluten Rechts auf Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) kommt der Aufzeichnung hierbei auch eine Disziplinierungsfunktion mit präventivem Charakter zu, die zur Gewährleistung eines rechtsstaatlichen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 StPO) beiträgt.77 Diese Steigerung der Transparenz im Ermittlungsverfahren wirkt sich daher nicht nur positiv auf die Herstellung von Verfahrensgerechtigkeit und die friedensstiftende Wirkung eines Strafverfahrens, sondern auch auf die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege aus, indem sie die Wirksamkeit der Strafverfolgung und der Aufklärung von Straftaten fördert. Insgesamt lässt sich damit konstatieren, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO hochrangige, legitime Ziele verfolgte. Das eingesetzte Mittel müsste ferner geeignet sein, um den angestrebten Zweck zu fördern (Tauglichkeitskontrolle).78 Die audiovisuelle Aufzeichnung der Zeugenvernehmung trägt nicht nur zur Vermeidung von Mehrfachverneh­ mungen im Ermittlungsverfahren bei; sie ist im Zusammenspiel mit § 255a Abs. 1 i. V. m. § 251 StPO oder mit § 255a Abs. 2 StPO generell auch geeig­ net, eine vernehmungsersetzende und damit gegebenenfalls belastungsredu­ zierende Wirkung für den Zeugen zu entfalten.79 Der Videoaufzeichnung 74  Vgl.

Altenhain, ZIS 2015, 269 (274 ff.). auch Altenhain, ZIS 2015, 269 (279); vgl. zur erheblichen Zeitersparnis fer­ ner BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 15. 76  KK-StPO/Fischer, Einl. Rn. 29; vgl. auch BGHSt 26, 1 (4). 77  Näher hierzu Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S. 449 (459); Altenhain, ZIS 2015, 269 (275 f.); BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 69. 78  Voßkuhle, JuS 2007, 429 (430). 79  In Einzelfällen kann es für den Opferzeugen im Hinblick auf die psychische Verarbeitung des Tatgeschehens aber auch erforderlich sein, seine Verfahrensrolle als Zeuge aktiv wahrzunehmen und in der Hauptverhandlung als Zeuge auszusagen, vgl. hierzu Bürner, Auswirkungen von Strafverfahren, S. 30, die von ihren Erfahrungen 75  So



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 141

kommt ferner eine hohe Beweissicherungsfunktion zu, die sich nicht nur auf den Vernehmungsinhalt, sondern auch auf etwaige Verfahrensfehler im Zu­ sammenhang mit der Vernehmung bezieht. Die Videodokumentation hat da­ mit nicht nur eine Steigerung der Transparenz im Ermittlungsverfahren zur Folge80, sie wirkt sich auch positiv auf die Wahrheitsfindung im Strafprozess aus. An der Geeignetheit der Maßnahme bestehen damit grundsätzlich keine Zweifel.81 Erforderlich ist das Mittel nur, wenn kein anderes gleich geeignetes, aber weniger belastendes Mittel zur Verfügung steht.82 Als mildere Mittel kommen hier insbesondere eine Tonbandaufnahme, eine vollumfängliche wörtliche Transkription und das herkömmliche Inhaltsprotokoll in Betracht. Alle drei Dokumentationsarten greifen hierbei in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Zeugen ein, soweit sie personenbezogene Informationen er­ fassen, d. h. persönliche Angaben einer bestimmten oder bestimmbaren natür­

als Psychologin wie folgt berichtet: „Es gibt jedoch trotz aller Ängste vor dem Ange­ klagten bei manchen Zeuginnen den Wunsch, dass er sich ihr Erleben anhören soll und den Wunsch, sich ihm gegenüber aus einer stärkeren Position heraus zu demons­ trieren, als es ihr bei der Tat möglich war“; vgl. auch Busse/Volbert/Steller, S. 198, die darauf hinweisen, dass „von einer Gruppe der minderjährigen Zeugen die Ge­ richtsverhandlung insgesamt als hilfreich erlebt wurde“ und in diesem Zusammen­ hang von einer „Entlastungs- und Erledigungsfunktion durch das Strafverfahren“ ausgehen; ferner Schmoll S.  118 f. 80  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 69. 81  Etwas anderes kann sich aber auch im Einzelfall aus Hemmungen des Zeugen ergeben, „vor laufender Videokamera“ eine (gegebenenfalls sensible und intime) Aus­ sage mit dem Wissen zu tätigen, dass seine Worte und Gesten konserviert werden, BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10. Eine besondere Belastung kann sich hierbei vor allem für kindliche und jugendliche Zeugen ergeben, die Opfer pornographischer Filmaufnahmen geworden sind, vgl. hierzu folgenden Interviewaus­ zug mit einer Göttinger Staatsanwältin bei Schmoll, S. 152: „Die Videographierung der Aussage kann vom Opfer auch als besondere Bedrohung angesehen werden. Dies sind die Fälle, in denen der sexuelle Missbrauch videografisch aufgenommen wurde. Von einer Videodokumentation ist in diesen Fällen abzusehen und auf Tonband bzw. gegebenenfalls sogar auf die klassische Vernehmung zurückzugreifen“. Im Übrigen spricht viel dafür, dass Zeugen (ungeachtet ihres Alters) im Zeitalter der modernen Technikkultur durch eine Videoaufzeichnung grundsätzlich nicht mehr irritiert oder gehemmt werden bzw. eine aufzeichnende Videokamera nach kurzer Vernehmungs­ zeit jedenfalls nicht mehr aktiv wahrnehmen, vgl. Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S. 449 (470 f.); Altenhain, ZIS 2015, 269 (276); Artkämper/Floren/ Schilling, Rn. 2120; Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 247; H. Vogel, S. 259. Von dieser Prämisse ging auch das BMJV in seinem Entwurf eines Geset­ zes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens (RefE GzeupAdS) vom 27.05.2016 aus, S. 25. 82  Voßkuhle, JuS 2007, 429 (430).

142 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

lichen Person enthalten.83 Gleiches gilt für das Recht am gesprochenen Wort84, nicht aber für das Recht am eigenen Bild des zu vernehmenden Zeugen. Eine audiovisuelle Aufzeichnung eröffnet demgegenüber nicht nur den Schutzbe­ reich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen; viel­ mehr ist auch der Schutzbereich des Rechts am eigenen Bild sowie des Rechts am gesprochenen Wort betroffen.85 Aufgrund der geringeren Eingriffsintensi­ tät sind die Tonbandaufnahme, die wörtliche Transkription und das schrift­ liche Inhaltsprotokoll somit als mildere Mittel i. S. d. Verhältnismäßigkeits­ grundsatzes anzusehen. Fraglich ist jedoch, ob diese Mittel auch „gleich ge­ eignet“ sind, d. h. im Vergleich zur audiovisuellen Aufzeichnung gleicherma­ ßen geeignet sind, das angestrebte Ziel zu erreichen bzw. zumindest zu fördern. Dies muss für die genannten anderen Dokumentationsarten aber verneint wer­ den, da jede einzelne ihre eigenen Schwächen im Vergleich zur Videoauf­ zeichnung für die hier verfolgten Ziele aufweist: Ein schriftliches Inhaltspro­ tokoll enthält nur den wesentlichen Inhalt der Vernehmung, der vom Verneh­ menden „frei formuliert niedergelegt“ wird.86 Hierin liegt auch bereits das zentrale Problem des Inhaltsprotokolls: Es beruht auf einer selektiven Wahr­ nehmung des Vernehmenden und ist bereits dem Grunde nach fehleranfällig87; 83  Vgl. zum Begriff der „personenbezogenen Daten“ § 46 Nr. 1 BDSG, § 4 Nr. 1 DSGVO; vgl. auch Gola/Heckmann-BDSG/Schulz, § 46 Rn. 10, der beispielhaft „Fo­ tografien“ und die „Sprechweise“ nennt. 84  Das Recht am gesprochenen Wort gewährleistet die Selbstbestimmung über die eigene Darstellung der Person im Rahmen der Kommunikation mit anderen. Der Schutz umfasst insbesondere die Befugnis, selbst zu bestimmen, wer sein Wort auf­ nehmen soll und vor wem seine auf Tonträger aufgezeichnete Stimme abgespielt werden darf; vgl. hierzu BVerfGE 34, 238 (246 f.); 106, 28 (39). 85  Vgl. BT-Drucks. 796/16, S. 23: „Die Anfertigung einer audiovisuellen Auf­ zeichnung von der Vernehmung begründet grundsätzlich einen eigenständigen Ein­ griff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen“; so auch bereits BTDrucks. 13/7165, S. 5 f.; vgl. auch Maaß, S. 50, die einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht am eigenen Bild und das Recht am ei­ genen Wort annimmt; so auch Altenhain, ZIS 2015, 269 (275) für § 58a StPO; vgl. jedoch auch AnwK-StPO/v. Schlieffen, § 58a Rn. 1: Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort; Leitner, S. 45: Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort; SK-StPO/ Rogall, § 58a Rn. 10: Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort; SSW-StPO/ Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 1: Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort; nur auf das Recht am eigenen Bild abstellend BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7a; vgl. auch Thoma, S. 87, die von einem Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht am eigenen Bild ausgeht; vgl. schließlich auch Gerson, S. 886 ff., der im Falle einer audiovisuell auf­ gezeichneten Beschuldigtenvernehmung einen Eingriff in das Recht auf informatio­ nelle Selbstbestimmung und die Selbstbezichtigungsfreiheit annimmt. 86  Vgl. BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 5b RiStBV Rn. 11. 87  Näher Altenhain, ZIS 2015, 269 (276); ders., Vor- und Nachteile der audiovisu­ ellen Aufzeichnung von Zeugenaussagen, S. 225 (240): „Inhaltsprotokolle sind […] selektiv, subjektiv und intuitiv, sie sind nicht selten durch vorgefasste Meinungen



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 143

trotz der nicht zu unterschätzenden Praxis­tauglichkeit (in Form einer Be­ schränkung des Protokolls auf die wesentlichen Vernehmungsinhalte) vermag ein Inhaltsprotokoll daher nicht die gleiche Gewähr für ein authentisches und vollständiges Abbild der Vernehmung, insbesondere des konkreten Befra­ gungsverlaufs, zu bieten wie eine Videoaufzeichnung dergleichen.88 Die voll­ umfängliche wörtliche Transkription und die Tonaufnahme enthalten – weiter­ gehend als das bloße Inhaltsprotokoll – zwar das vollständige gesprochene Wort des Zeugen und der Vernehmungsperson; im Falle der Tonbandaufnahme werden sogar die jeweiligen Stimmen und Sprechweisen aufgezeichnet; ohne die dazugehörigen nonverbalen Verhaltensweisen (z. B. Mimik, Gestik) wird jedoch in beiden Fällen nur ein einzelner Ausschnitt der tatsächlichen Verneh­ mung (Wort und/oder Ton) konserviert. Insofern stellt aber eine audiovisuelle Aufzeichnung der Vernehmung ein authentischeres Abbild der Realität dar. Das Fehlen einer bildlichen Aufzeichnung kann sich etwa im Rahmen der Nachweisbarkeit von Verfahrensfehlern (vgl. § 136a StPO) bemerkbar ma­ chen. Die Möglichkeit einer authentischen Erkenntnisquelle dient in diesem Fall sowohl dem Schutz des Zeugen als auch dem Schutz der Vernehmungs­ person vor unberechtigten Vorwürfen. Neben dem Gesamteindruck des Ver­ nehmungsgeschehens vermittelt eine Videoaufzeichnung schließlich auch weitere (visuelle) Informationen wie die Anzahl der in einem Vernehmungs­ raum anwesenden Personen. Im Hinblick auf den weiteren Fortgang des Er­ mittlungsverfahrens stellt die Videoaufzeichnung ferner eine umfassende Er­ kenntnisquelle für die weiteren (grundrechtsrelevanten) Maßnahmen im Er­ mittlungs- und Zwischenverfahren dar. Schließlich können sowohl die Staats­ anwaltschaft als auch der Ermittlungsrichter die Zeugentauglichkeit eines (kindlichen) Zeugen mithilfe einer Videoaufzeichnung besser einschätzen.89 Soweit der Rechtsanwender die Dokumentation des nonverbalen Verhal­ tens des Zeugen gelegentlich aber auch als wesentlichen Indikator für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung seiner Aussage benennt90, muss differenziert geprägt, geben die Aussage nur oberflächlich und lückenhaft wieder und enthalten keine (verlässlichen) Angaben zur Befragungstechnik und zum Verlauf der Verneh­ mung (z. B. Wiedergabe der Vernehmung in einem tatsächlich nicht stattgefundenen Frage-Antwort-Verlauf)“; Banscherus, S. 75: „per se haftet der Selektion ein potenti­ elles Moment der Verfälschung an“; ausführlich zur Selektionsproblematik und wei­ teren Umsetzungsproblemen, ders., S.  75 ff.; Leitner, S. 101 ff.; vgl. sogar BVerfGE 38, 105 (117): „Mit Hilfe seines Rechtsbeistandes kann der Zeuge ferner leichter Einfluß auf die Protokollierung seiner Aussage nehmen, deren Wiedergabe durch den Vernehmenden oder den Protokollführer erfahrungsgemäß mißglücken kann“. 88  Vgl. Altenhain, ZIS 2015, 269 (278); ferner BT-Drucks. 13/7165, S. 6: Die au­ diovisuelle Dokumentation ist damit „jedem schriftlichen Protokoll überlegen“. 89  Zickermann, Der Kriminalist, 1999, 198 (201). 90  Vgl. nur den Interviewauszug mit einem Ermittlungsrichter bei Dieckerhoff, S. 167: „Insofern ist die Video-Vernehmung tatsächlich eine Hilfe, weil sie uns zeigt,

144 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

werden: Im Rahmen der Glaubhaftigkeitsbegutachtung wird grundsätzlich zwischen verhaltensorientierten und inhaltsorientierten Ansätzen unterschie­ den. Der verhaltensorientierte Ansatz erfasst neben Merkmalen des Sprechverhaltens (z. B. Sprechgeschwindigkeit, Sprechfehler) und psychophysiologischen Merkmalen (z. B. Veränderung des Blutdrucks oder der Hautleit­ fähigkeit) auch Merkmale des nonverbalen Verhaltens (z. B. Gestik, Mimik). Im Rahmen der inhaltsorientierten Ansätze steht hingegen die Aussage im Mittelpunkt der Analyse (und insofern vor allem Merkmale wie die logische Konsistenz, der Detaillierungsgrad oder die unstrukturierte Darstellung der Aussage91).92 In forensischer Hinsicht hat sich bislang hauptsächlich der inhaltsorientierte Ansatz als taugliche Grundlage einer Glaubhaftigkeitsbe­ gutachtung erwiesen. Dem nonverbalen Verhalten kommt demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle zu; jedenfalls konnten im Hinblick auf Ausdrucks­ erscheinungen wie Mimik und Gestik bislang trotz umfangreicher Untersu­ chungen keine praxisrelevanten Ergebnisse festgestellt werden.93 Da das nonverbale Verhalten mithin keinen ausreichenden Indikator für die Glaub­ haftigkeit einer Aussage darstellen kann94, ist im Rahmen der Glaubhaftig­ den Menschen, wie er sich gibt in der Verhandlung oder der Vernehmung, wie er auftritt, seine Gestik, Mimik etc. Alles Umstände, die für die Glaubwürdigkeit von Bedeutung sind“; zahlreiche Beispiele für die Überschätzung der Bedeutung von Mi­ mik und Gestik für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage finden sich hingegen bei Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik, S. 202 f. 91  Vgl. für weitere Glaubhaftigkeitsmerkmale die Darstellung bei Niehaus, Inhalts­ analyse, S. 313. 92  Vgl. Steller/Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 15 f. 93  Vgl. Sporer/Köhnken, Nonverbale Indikatoren von Täuschung, S. 353 ff.; Bender/Häcker/Schwarz, Rn.  262 ff., 323 ff. 94  So Altenhain, ZIS 2015, 269 (278) m.  w.  N.; Artkämper/Floren/Schilling, Rn.  94 f.; 658 ff.; Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1426a, 1427 ff., 1427c m. w. N.; Hartz, S. 74; Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik, S. 202 f.; Norouzi, S. 251: Der Zeuge könne „diesen Bereich der Aussage […] verhältnismäßig gut steuern“; zudem bestehe hier das Risiko, „dass der Rezipient nonverbale Reaktionen nach sei­ nem intuitiven Vorverständnis fehlerhaft (über-)bewertet“; Sporer/Köhnken, Nonver­ bale Indikatoren von Täuschung, S. 359 ff.; Swoboda, S. 186. Vgl. für den inhaltsorientierten Ansatz ferner die grundlegende Entscheidung des BGH zu den Anforderun­ gen an Glaubhaftigkeitsgutachten in BGHSt 45, 164 (170, 171): „Bei einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung werden […] regelmäßig die […] Angaben auf ihre in­ haltliche Konsistenz zu überprüfen sein. […] Zur Durchführung der Analyse der Aussagequalität sind auf der Basis der dargestellten Annahmen Merkmale zusammen­ gestellt worden, denen indizielle Bedeutung für die Entscheidung zukommen kann, ob die Angaben der untersuchten Person auf tatsächlichem Erleben beruhen. Es han­ delt sich um aussageimmanente Qualitätsmerkmale (z. B. logische Konsistenz, quan­ titativer Detailreichtum, raumzeitliche Verknüpfungen, Schilderung ausgefallener Einzelheiten und psychischer Vorgänge, Entlastung des Beschuldigten, deliktsspezifi­ sche Aussageelemente), deren Auftreten in einer Aussage als Hinweis auf die Glaub­ haftigkeit der Angaben gilt […]. Diese sog. Realkennzeichen können als grundsätz­



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 145

keitsbeurteilung einer Zeugenaussage auch nicht ausschlaggebend, ob dem Zeugen „der Schweiß auf der Stirn stand, seine Lidschattenfrequenz zunahm oder seine Gesichtsfarbe errötete“.95 Die Aufzeichnung der Ausdruckser­ scheinungen kann in praktischer Hinsicht dennoch einen Mehrwert haben, da hierdurch die Zeugenaussage in seiner Gesamtheit und vor allem wirklich­ keitsnah nachvollzogen werden kann.96 Insofern werden sich auch etwaige Wahrnehmungs- und Verständnismängel leichter aufklären lassen.97 Schließlich können mit einer audiovisuellen Dokumentation der Zeugen­ vernehmung auch weitere positive Effekte für den Ablauf eines Strafverfah­ ren einhergehen: Soweit Videoaufzeichnungen zur Vermeidung von Streitig­ keiten in der Hauptverhandlung beitragen, verhelfen sie nicht nur dem Beschleunigungsgrundsatz zur Geltung98; vielmehr entlasten sie auch die ­ Polizei, da deren Vernehmungsbeamte zu Fragen des allgemeinen Verneh­ mungsablaufs und des Vernehmungsinhalts grundsätzlich nicht mehr als Zeugen in der Hauptverhandlung benötigt werden.99 Zudem vermag (gerade) lich empirisch überprüft angesehen werden“. Vgl. zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung einer Aussage ferner Brunkow, S.  84 ff.; Gley, StV 1987, 403 (408 f.); Jahn, Jura 2001, 450 ff.; Niehaus, Inhaltsanalyse, S. 311 ff.; Steller, Glaubhaftigkeitsbegutach­ tung, S.  302 ff. 95  Norouzi, S. 252, 253. 96  Ähnlich BGH NJW 2000, 1204 (1206), wonach „das Erscheinungsbild des Zeugen, Körpersprache, zögernde oder flüssige Aussage, oder erkennbare Emotionen des Zeugen“ als Beobachtungen beschrieben werden, die für „die Beweiswürdigung, insbesondere die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen, von Bedeutung sein können“ [Hervorhebung durch die Verfasserin]; vgl. auch BT-Dr. 13/7165, S. 7: „Bild-Ton-Aufzeichnungen geben von der Aussage eines Zeugen […] die unmittel­ bare Betroffenheit in einer Weise wieder, die stärker als jede schriftliche Fixierung oder auch akustische Aufnahme Persönlichkeit und Intimsphäre preisgibt. Dies be­ gründet ihre erhöhte Bedeutung für die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung“. Die visuelle und akustische Wahrnehmung von der unmittelbaren Betroffenheit des (Opfer-)Zeugen kann auch für das künftige Verteidigungsverhalten Relevanz entfal­ ten, vgl. Schlothauer, StV 1999, 47 (48), der in diesem Zusammenhang auf die „be­ sonders unmittelbare und eindrückliche Wirkung einer Bild-Ton-Aufzeichnung“ hin­ weist; vgl. auch Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 665: Zwar „verbietet“ sich eine „Bewertung des Wahrheitsgehalts anhand körperlicher Verhaltensmuster“; dennoch vermag die „Körpersprache von Vernommenen […] etwas aus[zu]sagen. Sie ist hin­ tergründig zu berücksichtigen, um weitere Fragestellungen zu entwickeln“; hierzu ferner Laubenthal, JZ 1996, 335 (342); Scheumer, S. 111; Trück, NStZ 2004, 129 (132). 97  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 69; Lamping, JR 2017, 347 (357). 98  Altenhain, ZIS 2015, 269 (279); zur erheblichen Zeitersparnis auch BRAKStellungnahme Nr. 1/2010, S. 15. 99  Altenhain, ZIS 2015, 269 (279); vgl. auch Nack/Park/Brauneisen, NStZ 2011, 310 (312), die darauf hinweisen, dass Polizeibeamte bislang einen „erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit auf das (unnötige) Warten auf Gerichtsfluren verwenden“; zur

146 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

das Vorhandensein einer Videoaufzeichnung der Zeugenvernehmung die Ge­ ständnisbereitschaft des Beschuldigten zu erhöhen100; dieser Umstand kann sich wiederum – sofern der Beschuldigte die in Rede stehende Straftat tat­ sächlich begangen hat – nicht nur positiv auf die Wahrheitsfindung im Straf­ verfahren auswirken, sondern auch zu einer Belastungsreduzierung des (Op­ fer-)Zeugen führen, da diesem gegebenenfalls weitere Vernehmungen, zu­ mindest zum Tatgeschehen selbst101, erspart werden können. Das eingesetzte Mittel müsste schließlich auch verhältnismäßig i. e. S., d. h. angemessen sein (Übermaßverbot). Angemessen ist ein Mittel, wenn die den Einzelnen treffende Belastung nicht außer Verhältnis zu dem verfolgten Zweck der Maßnahme steht.102 Anzustellen ist also eine Gesamtabwägung zwischen dem Nutzen der Maßnahme und den durch die Maßnahme herbei­ geführten Beeinträchtigungen.103 Zunächst ist zu konstatieren, dass mit einer audiovisuellen Aufzeichnung der Vernehmung ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (als einer besonderen Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeits­ rechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) des betroffenen Zeugen verbunden ist.104 Die mit der staatlichen Maßnahme verfolgten Ziele in Form des Schutzes des (Opfer-)Zeugen sowie der Beweissicherung genießen jedoch im Ergebnis ebenfalls Verfassungsrang.105 Die sich entgegenstehenden Rechtsgüter und Belange sind insofern abstrakt gleichwertig, wobei zu be­ rücksichtigen ist, dass die Optimierung der Wahrheitsfindung umso mehr an Gewicht gewinnt, je höher das staatliche Aufklärungsinteresse im Einzelfall ist; bei gravierenden Straftaten ist ein Eingriff in die grundrechtliche Sphäre des Zeugen somit eher zu rechtfertigen als bei Bagatelldelikten.106 Demge­ genüber wirkt der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Schutz der Menschenwürde mit zunehmender Nähe zum absolut geschützten Persönlichkeitskern (Art. 1 Ersparnis der „Reisezeit zu den Gerichtsorten“ sowie der „Wartezeit auf den Ge­ richtsfluren“ vgl. ferner BRAK-Stellungnahme-Nr. 1/2010, S. 13, 15. 100  Vgl. Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S. 449 (459  f.); Scheumer, S. 281; Schöch, Videovernehmung, S. 15; Stahlmann-Liebelt, Professiona­ lisierung der Zeugenvernehmung, S. 83; H. Vogel, S. 259. 101  Etwas anderes kann für Fragen gelten, die die Strafzumessungsebene betreffen (z. B. aktuelles Ausmaß der Tatfolgen). Hier kann u. U. eine erneute Befragung erfor­ derlich sein, vgl. MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 14, 61. 102  Voßkuhle, JuS 2007, 429 (430); vgl. ferner BVerfGE 80, 103  ff. (107); 99, 202 ff. (212 ff.). 103  Maunz/Dürig/Grzeszick, GG, Art. 20 Rn. 117. 104  Näher S.  60 ff. 105  Vgl. zu den sich hieraus ergebenden positiven Wirkungen auf die Strafrechts­ pflege S.  139 ff. 106  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 70 f.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 147

Abs. 1, 19 Abs. 2 GG)107 verstärkt auf den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein. Die eingreifende Maßnahme steht damit unter umso höheren Rechtfertigungsanforderungen, je intensiver sie in den engeren persönlichen Bereich des Betroffenen eingreift.108 Hierbei ist allerdings zu beachten, dass der Zeuge seine Aussage nicht in seinem privaten Umfeld mit einem beliebigen Gesprächspartner, sondern im Rahmen einer besonderen Pflichtenbeziehung zum Staat, nämlich seiner Zeugenpflicht, gegenüber einer Vernehmungsperson zu einem vorgegebenen (strafrechtlich relevantem) Thema tätigt.109 Mit der Pflicht des Zeugen, bei der Aufklärung von Straf­ taten zur Verfügung zu stehen, korrespondiert auch die Pflicht, wahrheitsge­ mäß und vollständig Angaben zu seiner Person sowie zur Sache zu machen (§ 57 S. 1 StPO110).111 Insoweit begrenzt die Verfahrensrolle als Zeuge des­ sen persönliche Freiheit, „sich nach Belieben gegenüber anderen durch Ge­ baren, Sprache und Informationen selbst darzustellen“.112 Dieser Umstand schränkt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Zeugen bereits auf ab­strakter Ebene ein.113 Der Eingriff wird sich im konkreten Fall daher rechtfertigen lassen, wenn er – mit Blick auf seine Auswirkungen im weiteren Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung – tatsächlich dem Schutz des Zeugen dient. Soweit hierdurch Mehrfachvernehmungen vermieden oder etwaige Persönlichkeits­ verletzungen dokumentiert werden können, trägt die Aufzeichnung ebenfalls zum Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Zeugen bei und ver­ folgt insoweit einen ambivalenten Zweck. In diesem Falle können das Ein­ griffs- und das Schutzgut auf derselben Stufe (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) verortet werden, sodass eine Rechtfertigung des Eingriffs regel­ mäßig gelingen wird. Dient der Eingriff nicht (primär) Zeugenschutzinteres­ sen, kommt als hinreichender Anlassgrund insbesondere die Beweissicherung 107  Vgl.

BVerfGE 80, 367 (373 f.). Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 130; vgl. auch v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 89; Sachs/Rixen, GG, Art. 2 Rn. 103. 109  Vgl. Altenhain, ZIS 2015, 269 (278); ders., Vor- und Nachteile der audiovisu­ ellen Aufzeichnung, S. 225 (250). 110  Die Regelung des § 57 StPO gilt für alle richterlichen Vernehmungen im Er­ mittlungs-, Zwischen- und Hauptverfahren. Für die staatsanwaltschaftliche und poli­ zeiliche Vernehmung gilt § 57 S. 1 StPO über §§ 161a Abs. 1 S. 2, 163 Abs. 3 S. 2 StPO entsprechend, BT-Drucks. 16/12098, S. 12; KK-StPO/Bader, § 57 Rn. 2; MüKo-StPO/Maier, § 57 Rn. 3 ff. 111  Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1084; vgl. auch MüKo-StPO/Maier/Percic, Vor § 48 Rn. 32. 112  Altenhain, ZIS 2015, 269 (278); ders., Vor- und Nachteile der audiovisuellen Aufzeichnung, S. 225 (251); vgl. auch Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Rn. 166. 113  Vgl. BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 19 RiStBV Rn. 9; Altenhain, ZIS 2015, 269 (278); ders., Vor- und Nachteile der audiovisuellen Aufzeichnung, S. 225 (250). 108  Maunz/Dürig/Di

148 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

zum Zwecke der verbesserten Wahrheitsfindung in Betracht: Die audiovisu­ elle Aufzeichnung ist einer Vernehmungsniederschrift nämlich generell so­ wohl in qualitativer (Dokumentation einzelner Vernehmungsinhalte wie Ton, Lautstärke, Mimik, Gestik) als auch in quantitativer Hinsicht (Wiederholbar­ keit der Beweisermittlung) überlegen.114 Dementsprechend kann eine Video­ dokumentation vor allem für den Fall erwogen werden, dass „zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist“ (§ 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO).115 Eine Aufzeichnung muss daher auch im Rahmen der fakultativen Regelung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO unverhältnismäßig sein, wenn davon auszugehen ist, dass ihre spätere Verwendung zur „Erfor­ schung der Wahrheit“ nicht erforderlich ist.116 Des Weiteren können die vom Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung zum ZSchG und 2. Opferrechts­ reformgesetz benannten Beispielsfälle zu § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO auch hier angeführt werden: Der Gesetzgeber stellte bereits frühzeitig klar, dass die Vorschrift des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO („Soll-Vorschrift“) „nicht für Alltagssituationen der polizeilichen Vernehmung gelten soll, in denen Ju­ gendliche als Zeugen vernommen werden“. In Betracht komme der Einsatz hingegen, „wenn eine entscheidungserhebliche Aussage umfangreich ist, wenn sie ein komplexes Tatgeschehen betreffe oder sich die Vernehmung besonders schwierig gestalte“.117 Der Einsatz von Videotechnik muss daher auch im Rahmen des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO jedenfalls für knapp unterhalb der Anwendungsschwelle des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO liegende oder ähnlich schwere Fälle in Erwägung gezogen werden können (z. B. entschei­ dungserhebliche, umfangreiche118 Aussage eines 18-jährigen Opferzeugen, der auch zum Tatzeitpunkt bereits volljährig war und durch eine der in § 255a Abs. 2 StPO genannten Straftaten, ausgenommen §§ 174 bis 184k StGB, verletzt worden ist oder eines Opferzeugen, der nicht als Kind oder Jugend­ licher durch eine der in § 255a Abs. 2 StPO genannten Straftaten, sondern

114  Vgl.

Gerson, KriPoZ 2017, 376 (380 f.). Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 228: „Eine allein mit Dokumentationsinteressen begründete Standardaufzeichnung ohne jedes ein­ schränkende Kriterium ist nicht denkbar“. 116  LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 13. 117  BT-Drucks. 16/12098, S. 12 m. w. N.; vgl. auch BT-Drucks. 13/7165, S. 5. 118  Für eine Berücksichtigung der vom Gesetzgeber angeführten Aspekte („ent­ scheidungserheblich“, „umfangreich“, „komplex“ und „besonders schwierig“) plädie­ ren auch BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 6; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 5; MeyerGoßner/Schmitt, § 58a Rn. 4a; vgl. ferner Dach, S. 115, 121; kritisch zur Berücksich­ tigung des Umfangs und der Entscheidungserheblichkeit der Aussage MüKo-StPO/ Maier, § 58a Rn. 23. 115  Ähnlich



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 149

durch eine schwere Raub- oder Erpressungstat119 verletzt worden ist).120 Zwar handelt es sich bei den vom Gesetzgeber verwendeten Begrifflichkei­ ten („entscheidungserheblich“, „umfangreich“, „komplex“ und „besonders schwierig“) um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Praxis im Rahmen der konkreten Gesetzesanwendung nur bedingt weiterhelfen können. Ein im Vo­ raus festgelegter Beispielskatalog würde den Anforderungen der Praxis ange­ sichts der Vielschichtigkeit der Einzelfälle aber auch nicht gerecht werden. An der Regelung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO ist daher grundsätzlich festzu­ halten, um der Praxis die nötige Flexibilität im Hinblick auf den Einsatz der Videotechnik auch abseits der gesetzlich geregelten Fälle in § 58a Abs. 1 S. 2 und S. 3 StPO bereitzustellen. Praktisch werden von den aufgeführten Beispielsfällen zu § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO vor allem Hauptbelastungszeugen betroffen sein.121 Gleiches muss auch im Rahmen der Anwendung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO gelten, wenn man hier – was angesichts des erheblichen Eingriffs naheliegt – einen ähnlichen Maßstab anwendet. Weiterhin kommt eine Aufzeichnung etwa in Betracht, wenn es im Einzelfall auf den exakten Wortlaut der Aussage und der dazugehörigen nonverbalen Verhaltensweisen (z. B. Mimik, Gestik) an­ kommt. Gleiches gilt, wenn mithilfe einer Aufzeichnung erheblichen Erinne­ rungslücken des Zeugen und damit einem späteren Beweisverlust begegnet werden kann.122 Eine Aufzeichnung der Zeugenvernehmung kommt – wie auch im Rahmen des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO123 – jedoch nicht in All­ tagsfällen, so z. B. bei fahrlässigen Straßenverkehrsdelikten oder sonstigen Bagatelldelikten, in Betracht. Von einer Aufzeichnung ist auch abzusehen, wenn die in Rede stehende Aussage nur von untergeordneter Bedeutung für das Strafverfahren ist oder einen nur geringen Umfang aufweist.124 Letztlich ist dem Rechtsanwender daher zu raten, von der fakultativen Aufzeichnungs­ möglichkeit nach § 58a Abs. 1 S. 1 StPO nur Gebrauch zu machen, sofern hierdurch ein Zweck verfolgt werden kann, der über die bloße Tatsache einer verbesserten Beweisdokumentation (der einer Videodokumentation immanent 119  Zur Anwendung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO auf weitere Deliktsgruppen MüKoStPO/Maier, § 58a Rn. 26. 120  Für eine Anwendung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO bei nur geringfügiger Über­ schreitung der Altersgrenze des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO plädiert auch MüKoStPO/Maier, § 58a Rn. 25. 121  Vgl. MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 23. 122  Vgl. SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 14. 123  Vgl. HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 10; KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 6a; KMR/ Neubeck, § 58a Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 6; Rieß, NJW 1998, 3240 (3241). 124  LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 13; Maaß, S. 51; a. A. MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 23.

150 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

ist) hinausgeht. Dient der Eingriff nicht (primär) Zeugenschutzinteressen, bedarf es daher eines hinreichenden Anlassgrundes, der mit den in § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO geregelten Fällen zumindest vergleichbar sein oder sich ohne weiteres unter die vom Gesetzgeber angeführten Fallbeispiele125 subsumieren lassen muss. Maßgebliche Abwägungskriterien sind damit auch im Rahmen der Anwendung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO Aspekte des Zeugenschutzes und der Beweissicherung.126 Soweit ein Teil der Literatur auch die (durch eine audiovisuelle Aufzeich­ nung der Zeugenvernehmung überhaupt erst ermöglichte) drohende Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 S. 1 StPO) als Abwägungs­ kriterium berücksichtigt127, ist wie folgt zu differenzieren: Die spätere Vor­ führung und Verwertung einer Aufzeichnung kann – ungeachtet der hiermit verbundenen technischen Vorteile (z. B. Möglichkeit der Wiederholung der einzelnen Vernehmungsinhalte) – eine persönliche Vernehmung des Zeugen niemals ersetzen.128 Der unmittelbare persönliche Eindruck von dem Zeugen bleibt dem Richter in diesem Fall stets verwehrt. Das zwischengeschaltete Medium schafft insofern eine künstliche Distanz, die die Möglichkeit richter­ licher Überzeugungsbildung abschwächen kann und überdies auch die Ver­ teidigungsinteressen nicht unerheblich einschränkt. Die Anordnung einer Er­ setzung der persönlichen Zeugenvernehmung nach § 255a Abs. 2 S. 1 StPO liegt jedoch in der Hauptverhandlung im pflichtgemäßen Ermessen des Vor­ sitzenden129 ebenso wie auch die sonstigen Fälle einer Ersetzung nach § 255a Abs. 1 StPO i. V. m. 251 Abs. 1, 2 StPO nur nach pflichtgemäßem Ermessen 125  BT-Drucks. 16/12098, S. 12: Der Einsatz der Videotechnologie komme insbe­ sondere in Betracht, „wenn eine entscheidungserhebliche Aussage umfangreich ist, wenn sie ein komplexes Tatgeschehen betreffe oder wenn sich die Vernehmung be­ sonders schwierig gestalte“. 126  Vgl. MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 23; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 14; ähnlich KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 3, der im Rahmen des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO auf die „Erfordernisse der Beweisführung“ als „tragende Erwägung“ abstellt. Die Berück­ sichtigung einer etwaigen fehlenden Ausstattung mit der (erforderlichen) Videotech­ nik stellt hingegen einen Ermessensfehlgebrauch dar, vgl. BVerfG NJW 2014, 1082 (1083) zu § 247a StPO: „Sollte die unzureichende Ausstattung des Gerichts mit Sach­ mitteln bei der gerichtlichen Ablehnung der von ihr beantragten Anwendung eines strafprozessualen Instituts, das – wie § 247 a I StPO – dem Schutz ihrer grundrecht­ lich geschützten Interessen dient, ermessenslenkend eingewirkt haben, läge hierin eine sachfremde Erwägung, die unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar wäre, ohne dass es auf ein schuldhaftes Handeln des Gerichts ankäme“; vgl. ferner BGH NJW 2007, 1475 (1476) zu § 247a StPO; hierzu auch Altenhain 2015, 269 (273). 127  Vgl. BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 3; Burhoff, Handbuch Ermittlungsverfah­ ren, Rn. 4788; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 5; MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 22. 128  Vgl. MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 22. 129  Vgl. BGH NStZ 2011, 712; MüKo-StPO/Krüger, § 255a Rn. 34.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 151

des Gerichts angeordnet werden (vgl. § 251 Abs. 4 S. 1 StPO), sodass mit der Anordnung einer audiovisuellen Aufzeichnung der Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren nicht zwangsläufig eine Durchbrechung des Unmit­ telbarkeitsgrundsatzes in der Hauptverhandlung einhergeht.130 Zudem darf im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 58a Abs. 1 S. 1 StPO nicht verkannt werden, dass sich der Gesetzgeber für die Möglichkeit der verneh­ mungsersetzenden Einführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen in der Haupt­ verhandlung entschieden hat.131 Insoweit ist den §§ 255a Abs. 2, 255a Abs. 1 i. V. m. § 251 Abs. 1, 2 StPO eine gesetzgeberische Wertentscheidung zu entnehmen, die als zusätzlicher ermessensleitender Faktor in die Abwägung einzustellen ist.132 Stets sollte von der fakultativen Aufzeichnungsmöglich­ keit nach § 58a Abs. 1 S. 1 StPO aber nur mit Bedacht, d. h. unter sorgfältiger Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall, Gebrauch gemacht werden.133

130  Vgl. hierzu die Ausführungen zur tatsächlichen Nutzungspraxis auf S. 109 f.; vgl. auch Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 247: „Zu Durchbre­ chungen der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung nach § 255a II StPO kommt es […] selten“; unverständlich insofern MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 22, der davon ausgeht, dass die Anordnung einer audiovisuellen Aufzeichnung der Zeugenverneh­ mung „regelmäßig“ dazu führe, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht mehr persönlich vernommen wird und somit eine Durchbrechung des Unmittelbarkeits­ grundsatzes „nach sich zieht“; ähnlich BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 6, der davon ausgeht, dass mit einer Bild-Ton-Aufzeichnung „immer“ eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes verbunden sei. 131  Altenhain, ZIS 2015, 269 (274). 132  A. A. SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 14, der an den Rechtsanwender appelliert, „[d]ie Auswirkungen auf die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung und auf die dort geltenden Verfahrensgrundsätze […] stets mit zu bedenken“; dem widerspre­ chend Altenhain, ZIS 2015, 269 (274), der hierin sogar eine „Aufforderung zum Er­ messensfehlgebrauch“ sieht. 133  Für eine zurückhaltende Anwendung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO plädieren auch BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 6; Höttges, S. 103; KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 1, 3; MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 22, 28; H. Vogel, S. 31; ähnlich LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 12, die eine „einschränkende Interpretation“ des § 58a Abs. 1 StPO fordern; a. A. Helmig, S. 92; Kopf, S. 56 ff.; SSW-StPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 7 f.; sehr weitgehend SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 14, der eine Aufzeichnung auch „allein aus Gründen der Zweckmäßigkeit (z. B. zur Arbeitserleichterung bei der Protokoller­ stellung oder zur Stützung des Gedächtnisses)“ als zulässig erachtet; so auch Swoboda, S. 377; vgl. demgegenüber Altenhain, ZIS 2015, 269 (273), der gegen die Einräumung eines weiten Ermessensspielraums und für eine Abwandlung der „kann“– in eine „muss“-Regelung plädiert; ausdrücklich gegen eine generelle Dokumenta­ tionspflicht hingegen BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 70 f.

152 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

II. Aufzeichnungsgebot nach § 58a Abs. 1 S. 2 StPO 1. Allgemeines § 58a Abs. 1 S. 2 StPO enthält für beide Fallgruppen eine sog. Soll-Vor­ schrift, d. h. eine grundsätzliche Verpflichtung i. S. der Vorschrift zu verfah­ ren. Zeugenvernehmungen, die in den Anwendungsbereich des § 58a Abs. 1 S. 2 StPO fallen, sind daher regelmäßig aufzuzeichnen, wenn dieser Verfah­ rensweise nicht besondere Umstände im Einzelfall entgegenstehen.134 Wäh­ rend § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO alle „Personen unter 18 Jahren“ sowie „Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine der in § 255a Absatz 2 genannten Straftaten verletzt worden sind“, erfasst, soll die Vernehmung nach § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO audiovisuell aufgezeichnet werden, wenn „zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforder­ lich ist“. Im Gegensatz zu diesem „Erforderlichkeitspostulat“ reicht es im Rahmen der Nr. 1 aus, dass die „schutzwürdigen Interessen“ der bezeichne­ ten Personengruppen durch die Aufzeichnung „besser gewahrt werden kön­ nen“. Insbesondere der Anwendungsbereich der Nr. 1 Var. 1 scheint inso­ fern – trotz der Kumulierung beider Voraussetzungen [alle Personen unter 18 Jahren (1), deren schutzwürdige Interessen durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können (2) – aber sehr weit gefasst zu sein.135 Im Folgenden sollen daher die jeweiligen Anwendungsbereiche der Vorschriften näher be­ leuchtet werden. 2. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO Nach § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO soll die Vernehmung des Zeugen aufge­ zeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Personen unter 18 Jahren sowie von Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine der in § 255a Abs. 2 StPO genannten Straftaten verletzt worden sind, besser gewahrt werden können. Ob der Zeuge im Rahmen des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Var. 1 StPO zugleich Verletzter, d. h. Opfer einer Straftat geworden ist, ist nach dem Wortlaut des 134  Vgl. LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 16; Maaß, S. 59; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 9; vgl. ferner BVerwGE 20, 117 (118): Eine Sollvorschrift lässt „der Behörde in der Regel nur einen eng begrenzten Raum für die Ausübung von Ermessen […]; nur wenn ein wichtiger Grund der vorgeschriebenen Handhabung entgegensteht, also in atypischen Fällen, darf sie anders verfahren als im Gesetz vorgesehen ist“. 135  Im Gegensatz hierzu ist der Anwendungsbereich der Var. 2 zumindest durch die in § 255a Abs. 2 StPO in Bezug genommenen Deliktsgruppen beschränkt.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 153

Gesetzes unerheblich („Personen unter 18 Jahren“).136 Gleichwohl ist zu be­ rücksichtigen, dass sich die Regelung des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO seit ihrer ursprünglichen Fassung aus dem Jahre 1998 stets nur auf den kind­ lichen und jugendlichen Opferzeugen bezogen hat und durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) vom 26.06.2013137 lediglich den Belangen von Personen Rechnung getragen wer­ den sollte, die als Minderjährige durch eine Straftat i. S. d. § 255a Abs. 2 StPO verletzt worden sind, zum Zeitpunkt ihrer Zeugenvernehmung aber bereits volljährig waren.138 Für diese Personengruppe lag zuvor eine Schutz­ lücke vor, die durch das StORMG geschlossen werden konnte. Dass der Gesetzgeber die minderjährigen Opferzeugen anlässlich des StORMG im Rahmen des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Var. 1 StPO fortan nicht mehr als primär schutzbedürftige Personengruppe ansehen wollte, ist nicht ersichtlich. Hier­ für sprechen auch die Gesetzgebungsmaterialien zum StORMG, da hier vornehmlich von den „Verletzten“ i. S. d. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO die Rede ist; der Passus bezieht sich somit auf beide Varianten der Vorschrift.139 Vom Anwendungsbereich des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Var. 1 StPO werden letztlich auch in faktischer Hinsicht hauptsächlich minderjährige Opferzeu­ gen erfasst: Schutzwürdige Zeugeninteressen werden schließlich umso mehr gewahrt werden können, je schwerwiegender der Zeuge durch die behauptete Tat – ihre Begehung unterstellt – individuell betroffen wurde. Überdies kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch eine audiovisuelle richterliche Zeu­ genvernehmung auch schutzwürdige Interessen von minderjährigen Zeugen, die nicht zugleich Verletzte einer Straftat sind, besser gewahrt werden kön­ nen. Zu denken ist hier etwa an Fallkonstellationen, in denen ein Minderjäh­ riger den (behaupteten) Tathergang unmittelbar am Ort des Geschehens mit­ verfolgen konnte und aufgrund seiner entscheidungserheblichen Aussage140 mit psychisch belastenden Mehrfachvernehmungen rechnen muss (z. B. Kind als Zeuge eines [versuchten] Totschlags oder einer fahrlässigen Tötung). Die gleichen Erwägungen gelten auch für die Deliktsschwere. Von dem Auf­ zeichnungsgebot werden daher in praktischer Hinsicht nicht sämtliche All­ 136  So auch LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 17; MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 37; a. A. HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 6; SK-StPO/ Rogall, § 58a Rn. 18. 137  BGBl. I S. 1805. 138  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10. 139  Vgl. BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10: „Mit der Änderung von Nummer 1 soll zum einen nunmehr bestimmt werden, dass eine Bild-Ton-Auf­ zeichnung bei der Vernehmung der in dieser Nummer genannten Verletzten bereits dann erfolgen soll, wenn deren schutzbedürftige Interessen damit besser gewahrt werden können“ [Hervorhebung durch die Verfasserin]. 140  Der Aussage kann vor allem in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen ent­ scheidungserhebliche Bedeutung zukommen.

154 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

tagsfälle (z. B. Verkehrs- oder Bagatelldelikte) erfasst. Insofern muss die Anordnung der Videoaufzeichnung stets auch dem Verhältnismäßigkeits­ grundsatz im Einzelfall genügen.141 Diese Wertung stimmt auch mit der ge­ setzgeberischen Intention überein, die Vorschrift „nicht für Alltagssituationen der polizeilichen Vernehmung“ gelten zu lassen, „in denen Jugendliche als Zeugen vernommen werden“.142 Zwar galt diese gesetzgeberische Klarstel­ lung noch zu Zeiten, als die Aufzeichnung zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen „geboten“ sein musste; nunmehr ist es jedoch ausreichend, dass die schutzwürdigen Interessen durch die Aufzeichnung „besser gewahrt wer­ den können“. Mit der Streichung des gesetzlichen Vorbehalts der „Geboten­ heit“ wollte der Gesetzgeber aber lediglich verdeutlichen, dass an den „op­ ferschonenden Mehrwert einer Bild-Ton-Aufzeichnung“ „keine zu strengen Anforderungen […] gestellt werden“ sollen.143 Mithin ist nicht davon auszu­ gehen, dass hierdurch auch eine grundlegende Veränderung der gesetzgeberi­ schen Intention einherging. Der Regelung in § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Var. 1 StPO sollte demnach zwar kein Ausnahmecharakter mehr zukommen; ein 141  Vgl. HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 6; KKStPO/Bader, § 58a Rn. 6a; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 7; Leitner, S. 48; Scheumer, S. 36; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 18; für eine teleologische Reduktion der Norm (Ausgrenzung von Alltagsfällen) plädieren Hartz, S. 91; Rieß, NJW 1998, 3240 (3241); ders., StraFo 1999, 1 (2); ähnlich Burhoff, Handbuch Ermittlungsverfahren, Rn. 4788, der insofern eine verfassungskonforme Einschränkung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO vorschlägt. Vgl. für die Einbeziehung von Schutzzweckerwägungen auch Nr. 19 Abs. 2 S. 1 RiStBV: „Bei Zeugen unter achtzehn Jahren soll zur Vermeidung wiederholter Vernehmungen von der Möglichkeit der Aufzeichnung auf Bild-TonTräger Gebrauch gemacht werden (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 255a Abs. 1 StPO)“ [Hervorhebung der Verfasserin]; zu eng und für eine Beschränkung auf die Fälle des § 255a Abs. 2 StPO hingegen Swoboda, S. 379, die § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO als eine besondere Ausformung des Tatbestandes in Nr. 2 ansieht und infolgedessen den Passus „zur Erforschung der Wahrheit erforderlich“ – hier bezogen auf die Möglich­ keit der Beweisführung nach § 255a Abs. 2 StPO – auch für die Nr. 1 für anwendbar erklärt; vgl. auch Kretschmer, JR 2006, 453 (454): Der „systematische Bezug [zu § 255a StPO]“ schränke „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit die weite Sollvor­ schrift des § 58a StPO ein“; ferner Schmoll, S. 109; ähnlich H. Vogel, S. 30; vgl. für eine ähnliche Deliktslimitierung auch schon den Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung der Strafprozessordnung (Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen) vom 19.06.1996, BT-Drucks. 13/4983, S. 3: § 168e lautete dort wie folgt „(1) In Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184c des Strafge­ setzbuches) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuches) oder wegen einer Mißhandlung von Schutzbefohlenen (§ 223b des Strafgesetzbuches) soll die richterliche Vernehmung eines Zeugen unter 16 Jahren, der der Verletzte ist, in Bild und Ton aufgezeichnet werden“; ausdrücklich gegen eine Einschränkung des Anwen­ dungsbereichs auf die in § 255a Abs. 2 StPO genannten Straftaten Kopf, S.  59 ff.; Maaß, S. 61; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 18. 142  BT-Drucks. 16/12098, S. 12; Rieß, NJW 1998, 3240 (3241). 143  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 155

strafprozessuales Instrument für sämtliche Alltagsfälle sollte hierdurch je­ doch auch nicht geschaffen werden. Dementsprechend ist in den Fällen des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO stets eine sorgfältige Abwägung erforderlich, indem die für und gegen eine audio­ visuelle Aufzeichnung sprechenden Gründe im Einzelfall zu bewerten und in ihrem Verhältnis zueinander zu würdigen sind („nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände“). Zu beachten ist, dass die Einzelfallabwä­ gung hier quasi „doppelt“ erfolgen muss, zum einen für die Frage, ob die Vernehmung aufgezeichnet werden soll, zum anderen für die Frage, ob die in Rede stehende Vernehmung auch als richterliche Vernehmung erfolgen soll144: Zunächst ist zu prüfen, ob die schutzwürdigen Interessen der in § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO bezeichneten Personengruppen durch eine audiovi­ suelle Aufzeichnung ihrer Vernehmung besser gewahrt werden können. Auf­ grund des erheblichen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbe­ stimmung sind hierbei Aspekte des unmittelbaren Zeugenschutzes – wie die Vermeidung von belastenden Mehrfachvernehmungen – in den Vordergrund des Abwägungsmaterials zu stellen. Taugliche Abwägungskriterien sind folg­ lich die Reduzierung der Anzahl der Vernehmungen im Ermittlungsverfah­ ren145 sowie die Vermeidung einer erneuten Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung (vgl. § 255a Abs. 2 StPO).146 Anderweitige Aspekte wie die erhöhte Geständnisbereitschaft des Beschuldigten147 und die Beweis­ sicherung148 können ergänzend berücksichtigt werden. Darüber hinaus dürfen auch diejenigen Gesichtspunkte nicht außer Acht gelassen werden, die im Einzelfall gegen eine audiovisuelle Aufzeichnung der Zeugenvernehmung sprechen. Hier ist insbesondere zu beachten, inwieweit sich eine audiovisu­ elle Aufzeichnung für den Zeugen auch als eine besondere Belastung darstel­ len kann.149 Eine solche kann sich ausnahmsweise aus Hemmungen des Zeugen ergeben, „vor laufender Videokamera“ eine (gegebenenfalls sensible und/oder intime) Aussage mit dem Wissen zu tätigen, dass seine Worte und Gesten konserviert werden.150

144  Vgl.

SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 15. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10 mit Verweis auf BGH BeckRS 2004, 7878. 146  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 18. 147  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10 mit Verweis auf Scheumer, S. 281; kritisch zu diesem Aspekt Eisenberg, HRRS 2011, 64 (65). 148  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10 mit Verweis auf Busse/ Volbert/Steller, S. 206. 149  BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10; näher Schmoll, S. 152. 150  Näher Hartz, S.  92 f.; Helmig, S. 94; Wollmann, S.  222 f. 145  BR-Drucks.

156 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

In einem zweiten Schritt ist in einer „gesondert vorzunehmenden Prüfung“ festzustellen, ob mithilfe einer richterlichen Vernehmung – neben der Anord­ nung einer audiovisuellen Aufzeichnung – ein zusätzlicher Beitrag zur Wah­ rung der schutzwürdigen Interessen des Zeugen geleistet werden kann.151 Maßgebliche Abwägungskriterien sind hier neben der Möglichkeit einer Er­ setzung der persönlichen Zeugenvernehmung nach §§ 255a Abs. 2, § 255a Abs. 1 i. V. m. 251 Abs. 2 StPO auch die zeitlichen und örtlichen Umstände der Vernehmung. Während eine polizeiliche Zeugenvernehmung unter Um­ ständen noch unmittelbar im Rahmen einer Anzeigenerstattung vor Ort erfol­ gen kann, wird eine richterliche Vernehmung (insbesondere aufgrund der durch § 168c Abs. 2 S. 1 StPO gewährleisteten Anwesenheitsrechte und der Benachrichtigungspflicht nach § 168c Abs. 5 S. 1 StPO) in der Regel eine geraume – und für den Zeugen gegebenenfalls belastende – Planungszeit in Anspruch nehmen.152 3. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO Nach § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO sollen Zeugenvernehmungen audiovi­ suell aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforder­ lich ist. Demnach kommt die Aufzeichnung der Zeugenvernehmung immer dann in Betracht, wenn die Notwendigkeit besteht, Beweisverluste vorzubeugen.153 Sinn und Zweck der Regelung ist mithin die Beweissicherung154 und damit zugleich die Verbesserung der Wahrheitsfindung.155 Ihre Anwendung ist insbesondere geboten, wenn konkrete Anhaltspunkte die Prognose recht­ fertigen, dass der Zeuge der Hauptverhandlung tatsächlich fernbleiben wird.156 Derartige Anhaltspunkte werden sich insbesondere bei lebensgefähr­ lich erkrankten und gebrechlichen, aber auch bei nach § 96 StPO (analog)

151  BR-Drucks. 213/11, S. 12, BT-Drucks. 17/6261, S. 11; kritisch Eisenberg, HRRS 2011, 64 (65). 152  BR-Drucks. 213/11, S. 12, BT-Drucks. 17/6261, S. 11; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 17; vgl. auch SSW-StPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 9. 153  BT-Drucks. 13/7165, S. 6. 154  BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 9; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 8; Kopf, S. 61; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 19; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7; MüKo-StPO/ Maier, § 58a Rn. 45; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 20; Wollmann, S. 108; kritisch zum gesetzgeberischen Motiv Schmoll, S.  109 ff. 155  Vgl. Maaß, S. 62. 156  Vgl. KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 7; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 19; MüKoStPO/Maier, § 58a Rn. 46; Wollmann, S. 221.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 157

„gesperrten“157, gefährdeten oder im Ausland lebenden Zeugen ergeben.158 Im Hinblick auf die letztgenannten Fälle werden vor allem Belastungszeugen aus dem Prostitutionsmilieu159 sowie aus dem Bereich des Menschen- und Drogenhandelns160 für eine Vernehmung in der Hauptverhandlung regelmä­ ßig nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch ist an Fälle zu denken, in denen Erziehungsberechtigte sich weigern, den kindlichen Zeugen vor Gericht er­ scheinen zu lassen und dies mit einer berechtigten Sorge um das Kindeswohl begründen.161 Insofern werden die Hinderungsgründe vielfach dem Katalog des § 251 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1, 2, StPO zu entnehmen sein.162 Darüber hinaus muss die Aufzeichnung der Vernehmung aber auch „zur Erforschung der Wahrheit erforderlich“ sein.163 Dies soll immer dann der Fall sein, „wenn vorauszusehen ist, dass die Wahrung der gerichtlichen Auf­ klärungspflicht ihrer [d. h. der Aufzeichnung] bedarf“164 oder „wenn die Verwendung der Aufzeichnung ergiebiger ist, als die reine Verlesung der Niederschrift der Vernehmung“.165 Diese Anforderungen werden aufgrund des generell höheren Beweiswerts einer audiovisuellen Aufzeichnung gegen­ über einem schriftlichen Vernehmungsprotokoll166 regelmäßig erfüllt sein.167 Etwas anderes gilt nur, wenn die in Rede stehende Zeugenaussage von unter­ 157  Vgl. Detter, StV 2006, 544 (546); Griesbaum, NStZ 1998, 433 (439); MeyerGoßner/Schmitt, § 58a Rn. 1a; Weider/Staechelin, StV 1999, 51; kritisch LR/Ignor/ Bertheau, § 58a Rn. 21. 158  BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 9; Burhoff, Handbuch Ermittlungsverfahren, Rn. 4793; Hartz, S. 92; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7; MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 46 ff.; SSW-StPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 11; H. Vogel, S. 30. 159  Vgl. LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 19; Swoboda, S. 380; ferner Nr. 248 Abs. 1 RiStBV: „Es empfiehlt sich, nach der ersten Aussage einer Prostituierten unverzüg­ lich […] eine richterliche Vernehmung herbeizuführen, da Prostituierte erfahrungsge­ mäß nicht selten ihre Aussagen gegen den Zuhälter in der Hauptverhandlung nicht aufrechterhalten oder zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erreichbar sind“. 160  Vgl. Swoboda, S. 381. 161  Vgl. BGH NJW 1996, 206; OLG Saarbrücken NJW 1974, 1959 (1960); KMR/ Neubeck, § 58a Rn. 8; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 19; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7; MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 50. 162  SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 20; Swoboda, S. 380. 163  Kritisch zu dieser Klausel Seitz, JR 1998, 309 (312). 164  HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 13. 165  BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 10; ferner Dieckerhoff, S. 44; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 9; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 22; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7. 166  Vgl. KMR/Neubeck, § 58a Rn. 3; Laubenthal, JZ 1996, 335 (342) m. w. N.; Maaß, S. 63 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7; Seitz, JR 1998, 309 (312); SSWStPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 7, 13. 167  BeckOK-StPO/Huber, §  58a Rn. 10; SSW-StPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 12; vgl. auch LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 22: „in aller Regel“; ähnlich HKStPO/Gercke, § 58a Rn. 13: Die Aufzeichnung einer Vernehmung sei hier „beinahe

158 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

geordneter Bedeutung für das Strafverfahren ist168; in diesem Fall kann ihre Aufzeichnung schwerlich „zur Erforschung der Wahrheit erforderlich“ sein. Zu beachten ist aber, dass es sich bei dem Ermittlungsverfahren um einen dynamischen Prozess handelt, sodass dem Vernehmenden ein – am jeweili­ gen Verfahrensstand orientierter – nicht unerheblicher Beurteilungsspielraum zuerkannt werden muss.169 Unverständlich bleibt jedoch, warum die Regelung des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO derzeit nur auf das Hauptverfahren beschränkt ist („wenn zu be­ sorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann“). Legitime Gründe sind hierfür nicht ersichtlich, zumal der Beweis­ sicherungszweck und das Wahrheitspostulat in den oben genannten Fällen ebenso eine Bezugnahme auf das weitere Ermittlungsverfahren zulassen und auch gebieten. Insbesondere können auch hier die Hinderungsgründe des § 251 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1, 2 StPO fruchtbar gemacht werden. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO erweist sich vor diesem Hintergrund in seiner jetzigen Fassung als zu eng und sollte demnach wie folgt erweitert werden170: § 58a StPO-E: 2

(1) […] Sie soll nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände auf­ gezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn […] 2. zu besorgen ist, dass der Zeuge im Verlauf des weiteren Verfahrens nicht ver­ nommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erfor­ derlich ist.

unverzichtbar“; König, Der Kriminalist, 2005, 10 (11); Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7: „häufig“. 168  Vgl. KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 7: „gänzlich unbedeutende[] Zeugenaussa­ gen“; ähnlich HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 13: „nebensächliche Aussagen“; KMR/ Neubeck, § 58a Rn. 9; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 22: wenn „erkennbar“ ist, „dass es auf den Zeugen nicht wesentlich ankommt“; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7: „erkennbar nebensächliche Aussagen“; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 20: „wenn abseh­ bar ist, dass es auf den jeweiligen Zeugen nicht ankommt“. 169  Vgl. BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 10; HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 13; KKStPO/Bader, § 58a Rn. 7; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 20. 170  Eine entsprechende Forderung findet sich bereits bei AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (30); hierauf bezugnehmend auch Swoboda, Dokumentationen von Verneh­ mungen, S. 251.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 159

4. Einbeziehung weiterer besonders schutzbedürftiger Personengruppen Von der grundsätzlichen Aufzeichnungspflicht sollten schließlich auch Personen erfasst werden, die erkennbar unter eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden. Auch diese Personengruppen können sich bei staatlicher Beanspruchung im Rah­ men eines Strafverfahrens auf einen effektiven Grundrechtsschutz berufen, da sie ungeachtet ihres Alters der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unter­ liegen.171 Ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich der §§ 58a, 255a StPO rechtfertigt sich aber nicht nur unter Zeugenschutzaspekten, sondern auch aufgrund der in diesen Fällen erschwerten tatsächlichen Rahmenbedin­ gungen einer Zeugenvernehmung: Bei „geistig oder seelisch eingeschränkten Personen“ drängt sich besonders die Frage auf, ob sich die jeweilige Person überhaupt der „besonderen Tragweite seiner Äußerungen“ bewusst war.172 Aufgrund ihrer zum Teil nur eingeschränkten Ausdrucks- und Wahrneh­ mungsfähigkeit können – in Kombination mit etwaigen suggestiven Frage­ stellungen seitens der Vernehmungsperson – auch Aussageverzerrungen ent­ stehen, die sich in der Folge durch das gesamte Strafverfahren ziehen.173 Eine Aufzeichnung der Zeugenvernehmung ermöglicht hier gerade die Mög­ lichkeit einer authentischen Nachprüfung von Aussagegenese und Aussage­ motivation und dient damit der materiellen Wahrheitsfindung. Dementspre­ chend wurde eine Aufzeichnungspflicht für die oben genannten Personen­ gruppe auch bereits im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung vorgesehen (vgl. § 136 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO).174 171  Eingehend zur Herleitung dieser staatlichen Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Kopf, S.  230 ff. 172  RefE GzeupAdS vom 27.05.2016, S. 25. 173  Zu diesen Fehlerquellen mit praktischen Beispielen aus der Justiz (u. a. „Rudolf Rupp“, „Peggy Knobloch“) Neuhaus, StV 2015, 185 (189 f.); vgl. zum Mordfall „Ru­ dolf Rupp“ ferner Eschelbach, ZAP 2013, Fach 22, 661 (662), Nestler, ZIS 2014, 594 (596 ff.). 174  § 136 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO wurde mit Wirkung zum 01.01.2020 durch das Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren vom 09.12.2019, BGBl. I S. 2146, in die StPO eingefügt und sieht eine Pflicht zur Bild-Ton-Aufzeichnung der Vernehmung u. a. vor, wenn „die schutzwürdigen Interes­ sen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung bes­ ser gewahrt werden können“; vgl. hierzu auch Altenhain, Vor- und Nachteile der au­ diovisuellen Aufzeichnung, S. 225 (235, 236): „Offen bleibt, warum diese Fallgruppe nicht auch in den § 58a I 2 StPO aufgenommen […] worden ist. Denn die dafür maßgeblichen Gründe gelten für Beschuldigten- und Zeugenvernehmung gleicherma­ ßen“.

160 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

5. Duldungspflicht Den Fraktionen der CDU/CSU und FDP war bereits im Rahmen ihres Gesetzentwurfs zum ZSchG aus dem Jahre 1997 bewusst, dass Bild-TonAufzeichnungen „dauerhaft Aussageinhalt und Aussageverhalten [fixieren] und […] deren grundsätzlich unbegrenzte Reproduzierbarkeit [ermöglichen].“ Dieses Gefährdungspotential sollte zwar durch die Normierung einer weite­ ren einschränkenden Zulässigkeitsvoraussetzung („zur Erforschung der Wahrheit unerläßlich“) abgeschwächt werden.175 Vor dem Hintergrund des mit der Videoaufzeichnung verbundenen erheblichen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Zeugen, stellt sich jedoch die Frage nach dem (zusätzlichen) Erfordernis einer vorherigen Zustimmung der vernommenen Person bzw. seines gesetzlichen Vertreters. Der Gesetzgeber hat jedenfalls ausdrücklich davon abgesehen, „die Zuläs­ sigkeit der Erstellung einer Bild-Ton-Aufzeichnung von einer ausdrücklichen Einwilligung […] abhängig zu machen“176, obwohl die Normierung eines entsprechenden „Einverständnisses“ des Zeugen zum Teil in der Rechtslitera­ tur gefordert wurde.177 Richtigerweise ist hier wie folgt zu differenzieren: Die Zeugenpflicht (vgl. § 48 Abs. 1 StPO) gehört zu den staatsbürgerlichen Pflichten178, die von der Strafprozessordnung nicht erst begründet, sondern vielmehr vorausgesetzt werden.179 Zu dieser Hauptpflicht können auch ver­ einzelte Nebenpflichten treten, so z. B. die Duldung von körperlichen Unter­ suchungen (§ 81c StPO), die Teilnahme und Mitwirkung an Augenscheins­ einnahmen180 oder die Duldung von Gegenüberstellungen im Ermittlungsver­ fahren (§ 58 Abs. 2 StPO) oder im Hauptverfahren (§ 244 Abs. 2 StPO)181.182 175  BT-Drucks.

13/7165, S. 6. 13/7165, S. 6. 177  Vgl. hierzu den Vorschlag des djb e. V., Reform der Nebenklage, S. 18; vgl. auch den Gesetzesvorschlag von Keiser, S. 355 zu § 168b E-StPO: „Die Vernehmung soll vollständig auf einen Bild-Tonträger aufgezeichnet werden, wenn der Zeuge zu­ stimmt“; ferner Kintzi, DRiZ 1996, 184 (188); Saarmann, Opferschutz im Strafver­ fahren, S. 14 f.; 62. DJT, NJW 1999, 117 (121): „Es sollte klargestellt werden, daß Videovernehmungen nur mit Einwilligung des Zeugen erfolgen dürfen“; diff. Schmoll, S.  116 ff. 178  BVerfGE 38, 105 (118); 49, 280 (284); BVerfG NJW 1988, 897 (898); NJW 2002, 955. 179  Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 48 Rn. 5; MüKo-StPO/Maier/Percic, Vor § 48 Rn. 32. 180  BGH GA 1965, 108 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 48 Rn. 6; Radtke/Hoh­ mann/Otte, § 48 Rn. 7. 181  Vgl. Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1188 ff. 182  Eingehend zu den Nebenpflichten des Zeugen Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn.  1184 ff. 176  BT-Drucks.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 161

Gleiches gilt für die Protokollierung der Zeugenvernehmung: Der Zeuge hat eine (gleichzeitige) schriftliche Protokollierung seiner Aussage während der Vernehmung zu dulden. Dies ergibt sich bereits aus den §§ 168 ff. StPO, die jedenfalls keine ausdrückliche Einwilligung des Zeugen für die schriftliche Fixierung seiner Aussage bzw. des Inhalts seiner Aussage erfordern.183 Glei­ ches gilt auch im Falle einer audiovisuellen Aufzeichnung der Zeugenver­ nehmung: Diese wird zwar im Rahmen des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO primär aus Gründen des (Opfer-)Zeugenschutzes angeordnet; Zwecke der Beweissicherung spielen jedoch auch hier eine Rolle.184 Zudem kommt der Aufzeichnung mit Blick auf die (potentielle) Ersetzung der persönlichen Vernehmung im weiteren Ermittlungs- und Hauptverfahren auch (zwangsläu­ fig) eine Beweissicherungsfunktion zu (vgl. §§ 255a Abs. 2, 255a Abs. 1 i. V. m. § 251 Abs. 1, 2 StPO). Maßgeblicher Zweck des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO ist sogar die Beweissicherung185, sodass sich insgesamt die Frage stellt, warum die Sicherung von Beweisen und damit zugleich die Optimie­ rung der Wahrheitsfindung im Strafprozess im freien Belieben des Zeugen liegen sollte.186 Eine solche – den individuellen Bedürfnissen des Zeugen angepasste – Anwendung der Vorschrift würde Gefahr laufen, (zumindest) den Beweissicherungszweck der Vorschrift zu konterkarieren. Vorzugswürdig ist daher eine einheitliche – für beide Varianten geltende – Lösung, die sich neben dem Sinn und Zweck der Vorschrift auch an dem Postulat der Rechtssicherheit orientiert. Der grundrechtliche Schutz des Zeu­ gen bleibt hierbei keineswegs unbeachtet: Denn nur eine verfassungsgemäße Ermächtigungsgrundlage vermag den mit der Aufzeichnung verbundenen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu rechtfertigen. Ausgehend von dieser Prämisse stellt die Regelung des § 58a Abs. 1 StPO nach derzeitiger Rechtslage eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Zeugen dar. In den Fällen des § 58a Abs. 1 StPO hat der Zeuge eine angeordnete Bild-Ton-Aufzeichnung seiner Vernehmung somit als (erweiterten) Bestand­ teil seiner Aussagepflicht zu dulden.187 Etwas anderes gilt nur für den Fall 183  Vgl.

auch Maaß, S. 58. BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10 mit Verweis auf Busse/Volbert/Steller, S. 206. 185  BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 9; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 8; Kopf, S. 61; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 19; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7; MüKo-StPO/ Maier, § 58a Rn. 45; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 20; Wollmann, S. 108; kritisch zum gesetzgeberischen Motiv Schmoll, S.  109 ff. 186  Vgl. auch Helmig, S.  90 f. 187  So auch BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 13; Dieckerhoff, S. 48; Diemer, NJW 1999, 1667 (1672); Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1311a; Helmig, S. 90; HKStPO/Gercke, § 58a Rn. 5; Höttges, S. 103; Janovsky, Kriminalistik 1999, 453; KK184  Vgl.

162 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

einer Ladung zur polizeilichen Zeugenvernehmung ohne Erscheinungspflicht (vgl. § 163 Abs. 3 S. 1 StPO188). In diesem Fall treffen den Zeugen keine Anwesenheits- oder Aussagepflichten (vgl. §§ 161a Abs. 1, Abs. 2, 163 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 4, 48 Abs. 1, 51, 70 StPO), sodass er auch keine Aufzeich­ nung seiner Vernehmung dulden muss. Insoweit ist also eine Einwilligung des vernommenen Zeugen bzw. seines gesetzlichen Vertreters erforderlich.189 Stellt die audiovisuelle Aufzeichnung der Vernehmung im konkreten Fall jedoch einen Bestandteil der (durch § 58a Abs. 1 StPO erweiterten) Zeugen­ pflicht dar, ist der aussagepflichtige und aussagebereite Zeuge mit der Auf­ zeichnung seiner Vernehmung aber nicht einverstanden, müssten gegen den Zeugen grundsätzlich190 und konsequenterweise die in §§ 51, 70 StPO ent­ haltenen Ordnungs- und Beugemaßnahmen angeordnet werden können.191 Dieses Ergebnis erscheint jedoch kontraproduktiv, da „eine zur Beweisfüh­ rung geeignete Aufzeichnung“192 unter Anwendung von Ordnungsmitteln nicht zu erwarten ist. Auch würde der mit § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO be­ zweckte Schutz des (Opfer-)Zeugen in Form einer Belastungsreduzierung hierdurch in sein Gegenteil verkehrt werden („aufgezwungener Schutz“).193 Dementsprechend erschien es dem Gesetzgeber des ZSchG im Jahre 1997 ratsam, folgende Empfehlung an den Rechtsanwender auszusprechen: Der Vernehmende solle sich „um ein kooperatives Verhalten des Zeugen be­ müh[en]“, denn „brauchbare“ audiovisuell aufgezeichnete Aussagen seien StPO/Bader, § 58a Rn. 8; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 10; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 14; Maaß, S. 58; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 7a; Michel, S. 146; MüKoStPO/Maier, § 58a Rn. 30; Scheumer, S. 37; SK-StPO/Rogall, § 52 Rn. 10; SSWStPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 1; Swoboda, S. 374; a. A. djb e. V., Reform der Nebenklage, S. 18; DJT, NJW 1999, 117 (121); Keiser, S. 355; Kintzi, DRiZ 1996, 184 (188); Saarmann, Opferschutz im Strafverfahren, S. 14 f.; Zschockelt, NStZ 1996, 306 (307); diff. Schmoll, S.  116 ff. 188  § 163 Abs. 3 S. 1 StPO: „Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermitt­ lungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt“. 189  Vgl. Dieckerhoff, S. 48; Helmig, S. 91; König, Der Kriminalist 2005, 10 (11); Kretschmer, JR 2006, 453 (454); Maaß, S. 59; MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 31; Schlothauer, StV 1999, 47; Swoboda, S. 375. 190  Voraussetzung für die Anordnung von Ordnungs- und Beugemaßnahmen ist jedoch die Schuldfähigkeit des Zeugen. Insofern dürfen gegen Kinder und Schuldun­ fähige (§§ 19, 20 StGB) weder Ordnungsmittel noch Beugehaft angeordnet werden, BeckOK-StPO/Monka, § 70 Rn. 2; MüKo-StPO/Maier, § 70 Rn. 10. 191  Grundsätzlich bejahend HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 5; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 15; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 10; SSW-StPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn.  1; a. A. Rieß, StraFo 1999, 1 (2). 192  SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 10. 193  Vgl. Burhoff, ZAP 1998, Fach 22, 289 (292); Dieckerhoff, S. 48; Maaß, S. 59; Swoboda, S. 382.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 163

nur zu erwarten, „wenn der Zeuge mit einer solchen Maßnahme einverstan­ den ist“.194 Überdies hat der Vernehmende nicht nur im Rahmen des ihm eingeräumten Entschließungsermessens (§ 58a Abs. 1 S. 1 und 2 StPO: „kann“, „soll“) zu berücksichtigen, ob die Anordnung einer audiovisuellen Aufzeichnung im Einzelfall mit einer besonderen Belastung für den Zeugen verbunden ist195; da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die staatliche Fürsorgepflicht auch im Rahmen der Anwendung von Ordnungs- und Beuge­ maßnahmen strikte Beachtung finden muss196, ist hier wie folgt zu differen­ zieren: In dem Fall eines aussagebereiten Zeugen, der im Regelungsbereich des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO lediglich die audiovisuelle Aufzeichnung seiner Vernehmung verweigert, wird von den in §§ 51, 70 StPO enthaltenen Ordnungs- und Beugemaßnahmen bereits aus Schutzzweckerwägungen kein Gebrauch gemacht werden können.197 Einem herkömmlichen schriftlichen Vernehmungsprotokoll dürfte in diesem Fall auch (ausnahmsweise) ein besserer Beweiswert zukommen.198 Im Regelungsbereich des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO gelten ähnliche Erwägungen, wenngleich der (hier primär ver­ folgte) Beweissicherungszweck in der Regel nicht durch entsprechende Schutzzweckerwägungen „aufgewogen“ werden kann: In diesem Fall ist zu prüfen, ob eine Videoaufzeichnung gegen den Willen des Zeugen ausnahms­ weise erforderlich und angemessen ist.199

III. Aufzeichnungspflicht nach § 58a Abs. 1 S. 3 StPO Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 58a Abs. 1 S. 3 StPO, die im Zuge des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019200 in die Strafprozessordnung eingefügt wurde, eine Änderung mit einem weit­ reichenden Signalcharakter geschaffen: Erstmals sieht eine Vorschrift eine – 194  BT-Drucks. 195  Vgl.

13/7165, S. 6. BR-Drucks. 213/11, S. 11; BT-Drucks. 17/6261, S. 10; näher Schmoll,

S. 152. 196  Vgl. LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 15; MüKo-StPO/Maier, § 70 Rn. 32 ff., 42 f.; ferner BGH NStZ 1984, 31 (32); BGH NStZ-RR 2012, 114 (116). 197  Vgl. Schmoll, S. 120; Swoboda, S. 382; ähnlich SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 10: „nur ausnahmsweise“. 198  MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 31. 199  Hier können auch die vom Gesetzgeber bereits erwähnten Abwägungskriterien fruchtbar gemacht werden: Videotechnologie soll insbesondere zur Anwendung ge­ langen, wenn „eine entscheidungserhebliche Aussage umfangreich ist, wenn sie ein komplexes Tatgeschehen betreffe oder wenn sich die Vernehmung besonders schwie­ rig gestalte“, BT-Drucks. 16/12098, S. 12; vgl. zu weiteren Abwägungskriterien Schmoll, S. 120 f.; jedenfalls für die Unverhältnismäßigkeit der Anordnung von Er­ zwingungshaft (§ 70 Abs. 2 StPO) plädieren LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 15. 200  BGBl. I S. 2121.

164 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

unter gewissen Voraussetzungen geltende – verpflichtende („muss“) audiovi­ suelle Aufzeichnung der richterlichen Zeugenvernehmung vor. Die Regelung wurde jedoch insbesondere seitens der Verbände und Vereine, die am Gesetz­ gebungsverfahren beteiligt wurden, kritisiert. Die zum Teil berechtigte Kritik setzt hierbei an verschiedenen Stellen der Vorschrift an und soll im Folgen­ den einer analytischen Betrachtung unterzogen werden. 1. Gesetzesstruktur Der erste kritikwürdige Punkt ist struktureller Natur: Nach § 58a Abs. 1 S. 3 StPO „muss“ eine Vernehmung „nach Würdigung der dafür jeweils maß­ geblichen Umstände aufgezeichnet und als richterliche Vernehmung erfol­ gen“, „wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Personen, die durch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174–184j StGB) verletzt worden sind, besser gewahrt werden können und der Zeuge der Bild-TonAufzeichnung vor der Vernehmung zugestimmt hat“. Während es sich auf der Rechtsfolgenseite („muss“) um eine gebundene Entscheidung handelt, die dem Rechtsanwender kein Ermessen gewährt, räumen ihm die tatbestand­ lichen Voraussetzungen einen nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum ein („schutzwürdige Interessen von Personen“, „besser gewahrt werden kön­ nen“). Das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen erfordert jedoch ne­ ben einer gegenwärtigen Lagebeurteilung auch eine Prognose über die zu­ künftige Interessenlage des Zeugen mitsamt einer „Folgenabschätzung“ für den Fall des Einsatzes bzw. des Absehens eines Einsatzes von Videotechnik. Die hiermit verbundenen Subsumtionsschwierigkeiten werden durch die Ver­ wendung unbestimmter Rechtsbegriffe („schutzwürdige Interessen von Per­ sonen“; „besser gewahrt werden können“) noch zusätzlich erschwert. Insge­ samt erscheint die Kombination einer gebundenen Entscheidung mit einem weiten Beurteilungsspielraum hier aber unglücklich, sofern bezweckt wird, „das nach Berichten der Praxis feststellbare Vollzugsdefizit der bisher als Sollvorschrift ausgestalteten Regelung in diesen Fällen“201 zu beheben.202 Überdies wird eine konsequent angewandte Soll-Vorschrift, die neben dem Aufzeichnungsbefehl auch atypische Fälle berücksichtigt (z. B. eine beson­ dere Eilsituation203), den Erfordernissen der Praxis besser gerecht als eine 201  BR-Drucks.

532/19, S. 25; vgl. auch BT-Drucks. 19/14972, S. 2. DIJuF e. V., Stellungnahme zu RefE GzMdS, S. 2; Institut für Opferschutz im Strafverfahren e. V., Stellungnahme zu RefE GzMdS, S. 3; Mosbacher, Stellung­ nahme zu BR-Drucks. 532/19, S. 2. 203  Vgl. BR-Drucks. 796/16, S. 25 zu § 136 Abs. 4 Nr. 1 StPO: „Die Pflicht zur Aufzeichnung entfällt regelmäßig, wenn die Vernehmung […] aufgrund der äußeren Umstände nicht möglich ist oder sich sonst als besonders dringlich erweist und die technischen Möglichkeiten […] aufgrund der Eilsituation nicht gegeben sind“. 202  Vgl.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 165

unbedingte Aufzeichnungspflicht, die für derartige Fälle auf der Rechtsfol­ genseite keinerlei Ausnahmen statuiert.204 2. Beschränkung auf die Straftatbestände der Sexualdelikte Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber die in § 58a Abs. 1 S. 3 StPO vorgesehene Aufzeichnungspflicht in Form einer „MussVorschrift“ lediglich auf die Straftaten nach §§ 174–184j StGB beschränkt hat, zumal hierunter z. B. auch die Sexuelle Belästigung nach § 184i StGB fällt – ein Auffangdelikt („wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwerer Strafe bedroht ist“), das im Vergleich zu den ande­ ren in Bezug genommen Vorschriften nur mit einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht ist.205 Ein versuchter Mord (§§ 211, 22, 23 Abs. 1 StGB) wäre (als zugrundeliegende Straftat) von der unbeding­ ten Aufzeichnungspflicht nach § 58a Abs. 1 S. 3 StPO hingegen nicht erfasst, obwohl es sich hierbei um das nach seinem Strafmaß206 schwerwiegendere Delikt handelt. Es existiert auch kein wissenschaftlicher Erfahrungssatz, der besagt, dass durch ein Strafverfahren wegen Sexueller Belästigung regel­ mäßig stärkere Belastungen für das Opfer hervorgerufen werden als in Ver­ fahren wegen versuchten Mordes. Ein rechtfertigender Grund für diese Un­ gleichbehandlung bzw. diesen Wertungswiderspruch ist auch im Vergleich zu den anderen Straftaten (§§ 211–222 StGB, § 225 StGB, §§ 232–233a StGB) nicht ersichtlich207, sodass die besseren Gründe dafür sprechen, die Delikts­ 204  Vgl. Mosbacher, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19, S. 2, der auf die feh­ lende „Ausnahmemöglichkeit“ und die „ganz erhebliche Mehrbelastung der Ermitt­ lungsrichter, die […] umfangreiche Anwesenheitsrechte zu beachten haben“ hinweist; vgl. auch DRB-Stellungnahme Nr. 15/2019, S. 7: „Die Ausgestaltung als Muss-Vor­ schrift wird zu einer erheblichen Mehrbelastung bei der Polizei, den Staatsanwalt­ schaften und Gerichten führen“. 205  Vgl. DAV-Stellungnahe Nr. 35/2019, Stellungnahme zu RefE GzMdS, S. 21. 206  Mord wird nach § 211 Abs. 1 StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Nach § 23 Abs. 2 StGB kann der Versuch milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1 StGB). Nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB tritt an die Stelle von lebens­ langer Freiheitsstrafe eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. 207  Vgl. Mosbacher, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19, S. 2; vgl. KOK e. V., Stellungnahme zu RefE GzMdS, S. 12, 13: „Aus Sicht von Menschenhandelsopfern und Betroffenen weiterer Straftaten gegen die persönliche Freiheit ist eine Mehrfach­ vernehmung häufig nicht mehr oder minder belastend als für Verletzte von Sexual­ straftaten. Vielmehr sind in der Praxis gerade die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution dazu genötigt, lang andauernde Zeugenvernehmungen durchzu­ stehen, da sie häufig über lange Tatzeiträume und damit einhergehende serielle Taten berichten müssen, die – ebenso psychisch belastend – häufig mit Gewalt- und Sexu­ aldelikten einhergehen. Wie auch bei Opfern von Sexualstraftaten geht zudem die Tatsache der Zeugenaussage nicht selten mit Bedrohungen einher“; ferner Claus,

166 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

gruppen im Hinblick auf die Rechtsfolge des § 58a Abs. 1 StPO einheitlich zu behandeln. 3. Zustimmungsvorbehalt und Widerspruchsmöglichkeit Der Gesetzgeber hat in § 58a Abs. 1 S. 3 a. E. StPO des Weiteren einen Zustimmungsvorbehalt des Zeugen vorgesehen („und der Zeuge der BildTon-Aufzeichnung vor der Vernehmung zugestimmt hat“), der mit einer ent­ sprechenden Widerspruchsmöglichkeit des Zeugen unmittelbar208 nach der Vernehmung (vgl. § 255a Abs. 2 S. 1 a. E. StPO209) korreliert.210 Dieser Zu­ stimmungsvorbehalt stellt jedoch nicht nur ein strafprozessuales Novum, sondern vielmehr auch einen Fremdkörper im Rahmen der Strafprozessord­ nung dar: Die Regelung des § 58a Abs. 1 S. 1, 2 StPO stellt derzeit eine ausreichende, insbesondere verhältnismäßige, Ermächtigungsgrundlage für den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Zeugen dar. Der Zeugen hat eine hierauf beruhende audiovisuelle Aufzeichnung sei­ ner Vernehmung somit als Bestandteil seiner Aussagepflicht zu dulden.211 Umso mehr verwundert es, dass der Gesetzgeber in § 58a Abs. 1 S. 3 StPO nunmehr einen Zustimmungsvorbehalt des Zeugen normiert hat. Die Gründe NStZ 2020, 57 (63); Kampmann, HRRS 2020, 182 (188); Maier, Stellungnahme zu RegE GzMdS, S. 10. 208  Das Unmittelbarkeitserfordernis des § 255 Abs. 2 S. 1 a. E. StPO soll nach dem Gesetzgeber sicherstellen, dass es „nur in einem engen zeitlichen Zusammenhang nach der Vernehmung […] im Belieben des Zeugen [steht]“, ob seine Aussage im Wege einer vernehmungsersetzenden Videovorführung ersetzt werden kann, BTDrucks. 19/14747, S. 35; kritisch hierzu und für eine zeitliche Ausweitung der Wider­ spruchsmöglichkeit auf zwei Wochen KOK e. V., Stellungnahme zu RefE GzMdS, S. 14 ff.; Weißer Ring e. V., Stellungnahme zu RefE GzMdS, S. 2. 209  § 255a Abs. 2 S. 1 StPO lautet: „In Verfahren wegen Straftaten […] kann die Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren durch die Vorführung der Bild-Ton-Auf­ zeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wenn der Ange­ klagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an dieser mitzuwirken, und wenn der Zeuge, dessen Vernehmung nach § 58a Absatz 1 Satz 3 in Bild und Ton aufgezeichnet worden ist, der vernehmungsersetzenden Vorführung dieser Aufzeichnung in der Hauptverhandlung nicht unmittelbar nach der aufgezeichneten Vernehmung widersprochen hat“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin], BGBl. I S. 2121 (2122). 210  Das Widerspruchsrecht „soll den Zeugen in die Lage versetzen, unter dem Ein­ druck der Vernehmung seine zuvor erteilte Zustimmung zu überdenken und sein Persönlichkeitsrecht durch die Widerspruchsmöglichkeit effektiv zu schützen“. Macht ein Zeuge von der ihm eingeräumten Widerspruchsmöglichkeit Gebrauch, schließt dies nach dem Gesetzgeber aber „nur die vernehmungsersetzende Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung in der Hauptverhandlung“, nicht aber die (vollständige oder teilweise) Vorführung der Videoaufzeichnung ergänzend zur Zeugenvernehmung aus; BT-Drucks. 19/14747, S. 35. 211  Näher zur Duldungspflicht S. 160 ff.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 167

hierfür finden sich nur zwischen den Zeilen: „Die Zulässigkeit der Bild-TonAufzeichnung einer Vernehmung hängt in den Fällen des § 58a Absatz 1 Satz 3 StPO-E davon ab, ob der Zeuge zugestimmt hat, so dass mit einer solchen Aufzeichnung kein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Zeugen verbunden ist“.212 Der Gesetzgeber wollte den Streit um eine (etwaige) Ver­ letzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aufgrund der Einfügung einer unbedingten Aufzeichnungspflicht also von vorneherein „im Keim ersti­ cken“. Dies ist ihm insofern gelungen, als dass eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung jedenfalls nicht in Betracht kommt, wenn der Zeuge einer audiovisuellen Aufzeichnung vor der Vernehmung zugestimmt hat. Durch eine wirksame Einwilligung (Grundrechtsverzicht) des betroffenen Zeugen wird nämlich bereits ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausgeschlossen.213 Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung ist jedoch, dass der Zeuge im konkreten Fall einwilligungsfähig ist und der Grundrechtsverzicht freiwillig erfolgt.214 Die Einwil­ ligungsfähigkeit des Grundrechtsträgers bestimmt sich danach, ob er nach Alter und geistigem Zustand die Bedeutung und Tragweite des Verzichts er­ fasst hat.215 Da die konkreten Anforderungen in Bezug auf die Einwilli­ gungsfähigkeit gesetzlich nicht näher geregelt wurden, stellt sich aber die Frage, wer im Falle eines minderjährigen Zeugen über die Zustimmung ent­ scheiden darf. Nach § 58a Abs. 1 S. 3 a. E. StPO muss „der Zeuge“ der au­ diovisuellen Aufzeichnung vor der Vernehmung zugestimmt haben. Dieser Passus kann jedoch schwerlich auch für den Zeugen gelten, der über die Bedeutung und Tragweite seines Grundrechtsverzichts im Unklaren ist. Inso­ fern hätte sich eine entsprechende Anwendung des § 52 Abs. 2 StPO angebo­ ten.216

212  BT-Drucks.

19/14747, S. 26. NJW 1989, 857 (860); Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn.  228 m. w. N. 214  Vgl. OVG Münster, BeckRS 2010, 53176; BeckOK-GG/Hillgruber, Art. 1 Rn. 74; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 228. 215  BeckOK-GG/Hillgruber, Art. 1 Rn. 74. 216  § 52 Abs. 2 StPO lautet: „(2) 1Haben Minderjährige wegen mangelnder Ver­ standesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krank­ heit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeug­ nisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. 2Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht“. Für eine entsprechende Geltung des § 52 Abs. 2 StPO plädiert auch Caspari, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19, S. 13. 213  Jarass,

168 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

Das Erfordernis einer Zustimmung in den in § 58a Abs. 1 S. 3 a. E. StPO geregelten Fällen widerspricht darüber hinaus auch der inneren Systematik des § 58a Abs. 1 StPO: So ist für die Fälle des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO („Kann-Vorschrift“) und § 58a Abs. 1 S. 2 StPO („Soll-Vorschrift“) trotz der letzten Gesetzesreform kein derartiger Zustimmungsvorbehalt eingefügt worden, ohne dass Gründe für diese Differenzierung ersichtlich sind.217 Hinzu kommt, dass sich die Anwendungsbereiche des § 58a Abs. 1 S. 2 StPO und § 58a Abs. 1 S. 3 StPO teilweise überschneiden: Nach der Neure­ gelung gibt es einerseits eine Soll-Vorschrift und andererseits eine MussVorschrift, die beide minderjährige Opferzeugen in Verfahren wegen Strafta­ ten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174–184j StGB) erfassen. In welchem Verhältnis beide Vorschriften zueinander stehen, ist nach der Ge­ setzesbegründung unklar. Auch wenn es nahe liegen sollte, hier eine Art „Stufenverhältnis“ anzunehmen und zunächst die strengere Muss-Vorschrift zu prüfen218, ist der vernehmende Richter in diesen Fällen stets dazu gehal­ ten, in einem schriftlichen Vermerk festzuhalten, auf welcher konkreten Vor­ schrift die Anordnung der audiovisuellen Aufzeichnung der Zeugenverneh­ mung beruht. Ordnet der Vernehmende nämlich eine audiovisuelle Aufzeich­ nung an, ohne dass der Zeuge einer solchen zugestimmt hat, könnte die Aufzeichnung von vorneherein nur auf § 58a Abs. 1 S. 1, 2 StPO gestützt werden. Ebenso kann der Zeuge einer vernehmungsersetzenden Vorführung der audiovisuellen Aufzeichnung nur widersprechen, wenn die Aufzeichnung auf der Muss-Vorschrift nach § 58a Abs. 1 S. 3 StPO beruht. In allen ande­ ren Fällen bleibt die vernehmungsersetzende Vorführung ungeachtet eines Widerspruchs des Zeugen möglich.219 Nach der Gesetzesbegründung „sollte“ der Richter den Zeugen ferner darauf hinweisen, „dass sich seine Zustim­ mung vor der Vernehmung (beziehungsweise sein sofortiger Widerspruch nach der Vernehmung) stets nur auf die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeich­ nung gemäß § 255a StPO in der Hauptverhandlung bezieht und nicht auf die Verwertbarkeit der Aufzeichnung oder gar seiner Aussage insgesamt“.220 Vor dem Hintergrund, dass dem Zeugen die rechtliche Differenzierung zwischen einer (gegebenenfalls unzulässigen) Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung nach § 255a Abs. 2 StPO und (der stets zulässigen221) vernehmungsergänzenden Vorführung einer Aufzeichnung nicht geläufig sein wird, erscheint dieses – gesetzlich nicht normierte – Hinweisgebot praktisch nur schwer 217  Vgl.

auch Mosbacher, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19, S. 2. auch djb e. V., RefE GzMdS, S. 2. 219  Näher zu dieser Problematik Caspari, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19, S.  12 f. 220  BR-Drs. 532/19, S. 25. 221  Vgl. BGHSt 49, 68 (69 ff.). 218  So



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 169

um­setzbar.222 Ob dem Gesetzgeber diese praktischen Konsequenzen bei der Beschlussfassung des Gesetzes bewusst waren, erscheint fraglich. Überdies sprechen auch systematische Gründe gegen die (mit einem Zu­ stimmungsvorbehalt verbundene) Widerspruchsmöglichkeit des Zeugen: Eine Einschränkung der staatsbürgerlichen Zeugenpflicht ist bislang nur in eng umgrenzten Fällen in Gestalt der Zeugnisverweigerungsrechte und dem Aus­ sageverweigerungsrecht anerkannt worden (§§ 52 ff., 55 StPO). In Ergänzung der §§ 52 ff. StPO enthält § 252 StPO zudem ein umfassendes Verwertungs(und nicht nur ein Verlesungs-)Verbot bezüglich früherer Aussagen von Zeu­ gen, die erst in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.223 In allen anderen Fällen ist dem Zeugen keine „Dispo­ sitionsbefugnis über den Zeugenbeweis“ gestattet; seine Aussagepflicht kann sogar zwangsweise durchgesetzt werden (vgl. §§ 161a Abs. 1, Abs. 2, 163 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 4, 48 Abs. 1, 51, 70 StPO). § 255a Abs. 2 S. 1 a. E. StPO räumt dem Zeugen mithin eine – nicht von § 252 StPO umfasste und zu­ gleich § 244 Abs. 2 StPO einschränkende – Dispositionsbefugnis über die Vorführung einer Videoaufzeichnung und damit über die Art und Weise der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung ein224. Dies ist der Strafprozess­ ordnung in dieser Form aber systemfremd.225 Ähnliche Regelungen finden sich auch nicht in den Protokollierungsvorschriften gem. §§ 168 ff. StPO. Schließlich ist auch fraglich, inwieweit hierdurch eine nennenswerte Verbes­ serung des Zeugenschutzes erreicht werden kann, da nach dem Sachaufklä­ rungsgebot (§ 244 Abs. 2 StPO) trotz eines erklärten Widerspruchs des Zeu­ gen neben seiner persönlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung häufig eine vernehmungsergänzende Videovorführung oder eine Videovorführung 222  Vgl. auch Mosbacher, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19, S. 4, der darauf hinweist, dass dem Zeugen mit der „Frage nach dem ‚Widerspruch‘ unmittelbar nach der Aufzeichnung der Zeugenvernehmung […] zu Unrecht suggeriert [wird], dass er die Vorführung der Videoaufzeichnung in der Hauptverhandlung verhindern könnte“; als „missverständlich“ erachtet den Zustimmungsvorbehalt auch das DIJuF e. V., Stel­ lungnahme zu RefE GzMdS, S. 2; vgl. ferner Jahn, Stellungnahme zu BT-Drucks. 532/19, S. 32. 223  Während das RG die Wirkung des § 252 StPO noch auf ein bloßes Verlesungs­ verbot beschränkte, vgl. RGSt 5, 142 (143); 16, 119 (120), geht die heute herrschende Ansicht davon aus, dass aus § 252 StPO ein umfassendes Beweisverwertungsverbot herzuleiten ist; vgl. BVerfG NStZ-RR 2004, 18; BGHSt 2, 99 (102 f.); 17, 324 (326 ff.); 36, 384 (387); 49, 72 (76); El-Ghazi/Merold, JA 2012, 44; Mosbacher, JuS 2013, 131. 224  Vgl. Jahn, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19, S. 32; ferner DAV-Stellung­ nahme Nr. 35/2019, Stellungnahme zu RefE GzMdS, S. 21. 225  So auch Heidenreich, Stellungnahme zu BT-Drucks. 19/14747, S. 3; Mosbacher, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19, S. 3 f., Norouzi, Stellungnahme zu BRDrucks., 532/19, S. 21; ferner Claus, NStZ 2020, 57 (63).

170 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

zu Vorhaltszwecken – besonders in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen zur Überprüfung der Aussagekonstanz – erforderlich sein wird.226 4. Zwischenergebnis Die Regelung des § 58a Abs. 1 S. 3 StPO scheint aufgrund ihrer Defizite (systematischer und struktureller Natur) nicht nur vorschnell227, sondern auch wenig durchdacht und sollte deswegen aus dem Gesetzestext gestrichen werden. Die ihr zugrundeliegende gesetzgeberische Intention, Opferzeugen von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174–184j StGB) weitgehender als bislang vor den Belastungen des Strafverfahrens zu schüt­ zen, sollte dennoch berücksichtigt werden. Aus Gründen der Praktikabilität bietet sich insofern aber eine umfassende Normierung der Regelung – wie auch des sonstigen Straftatenkatalogs – in § 58a Abs. 1 S. 2 StPO selbst (ohne eine Bezugnahme auf § 255a Abs. 2 StPO) an228: § 58a StPO-E 2

(1) […] Sie soll nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände auf­ gezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn 1.  damit die schutzwürdigen Interessen von […] b)  Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine Straftat gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuches), eine Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuches) oder eine Straftat gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches verletzt worden sind, oder c)  Personen, die durch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuches) verletzt worden sind, […] besser gewahrt werden können. […]

226  Vgl. BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 15; Claus, NStZ 2020, 57 (63); Mosbacher, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19 zur öff. Anhörung im Rechtsauschuss des Dt. BT am 11.11.2019, S. 4. 227  Vgl. Momsen/Schwarze, Stellungnahme zu RefE GzMdS, S. 3: „Gerade mit Bezug auf die letzte Reform wäre es zweckrational gewesen, deren Wirksamkeit in der Praxis und ihre Rezeption durch die Rechtsprechung abzuwarten sowie gegebe­ nenfalls empirische Untersuchungen anzustellen, bevor abermals Veränderungen vor­ genommen werden […]“. 228  Vgl. hierzu bereits den Gesetzesvorschlag bei Mosbacher, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19, S. 3.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 171

C. Umfang der Aufzeichnung Der Begriff der Vernehmung erfasst nach dem Sinn und Zweck des § 58a Abs. 1 StPO alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in engem Zusammenhang stehen und sich daher als zu diesem Verfahrensabschnitt zu­ gehörig erweisen.229 Informatorische Vorgespräche gehören zwar formal nicht zum Begriff der Vernehmung230; eine Aufzeichnung derselben bietet sich jedoch bereits aufgrund der „Gefahr einer unlauteren Einwirkung“ auf den Zeugen an.231 Die Aufzeichnung sollte daher – im Interesse aller Verfah­ rensbeteiligten – die gesamte Vernehmung einschließlich der informatori­ schen Vor- und Zwischengespräche sowie die Belehrungen umfassen.232 Um die begehrte „Vollständigkeitsfunktion“ der Aufzeichnung aber auch in tat­ sächlicher Hinsicht gewährleisten zu können, ist eine (zusätzliche) Regelung vorzusehen, die bestimmt, dass der Vernehmende nach Abschluss der Ver­ nehmung erklärt, ob und mit welchem Inhalt verfahrensbezogene Gespräche außerhalb der Aufzeichnung geführt wurden und ob die Aufzeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt. Der Zeuge muss sodann die 229  Zum Begriff HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 5; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 4; LR/ Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 24; Maaß, S. 57; SSW-StPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 7. Stehen dem Zeugen Zeugnis- oder Untersuchungsverweigerungsrechte zu (§§ 52, 81c Abs. 3 StPO), ist auch die entsprechende Belehrung audiovisuell zu doku­ mentieren (vgl. Nr. 19 Abs. 2 S. 2 RiStBV für den Fall des § 52 StPO), LR/Ignor/ Bertheau, § 58a Rn. 25; Maaß, S. 57 f.; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 11; Swoboda, S. 377 (378); vgl. ferner Lingenberg, S. 125; a. A. Beulke/Swoboda, Rn. 664; Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1311a; Zschockelt/Wegner, NStZ 1996, 305 (308). 230  So auch KK-StPO/Bader, §  58a Rn. 4; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 24; Maaß, S. 57; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 11. 231  SSW-StPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 33; vgl. auch Leitner, StraFo 1999, 45 (47); LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 24; Schlothauer, StV 1999, 47 (48). 232  Vgl. Altenhain, ZIS 2015, 269 (282); Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (737); Buckow, ZIS 2012, 551 (555); Michel, S. 156 f. zu § 136 Abs. 4 StPO; SSW-StPO/ Tsambikakis, § 58a Rn. 33; Swoboda, S. 364, 378; vgl. ferner die Empfehlung des Gesetzgebers in BT-Drucks. 18/11277, S. 26 zu § 136 Abs. 4 StPO: „Die Aufzeich­ nung muss in ihrem Umfang regelmäßig den gesamten Verlauf der Vernehmung er­ fassen. Der Begriff umfasst nach dem Zweck der Regelung – Wahrheitsfindung und Schutz der Beschuldigten mit Blick auf die Einhaltung der Vernehmungsförmlichkei­ ten – alle Verfahrensvorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln. […] Auch eventuell bedeutsame Vorgespräche, die au­ ßerhalb der Bild-Ton-Aufzeichnung geführt worden sind, sollten erwähnt werden, um dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich hierzu zu erklären“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]; zu den Gefahren einer zeitlichen Einschränkung des Begriffs der „Vernehmung“ für die Wahrheitserforschung und den Schutz des Befragten Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 489; Michel, S.  156 ff.; Weigend, StV 2019, 852 (854); die­ selben Risiken gelten auch für Teilaufzeichnungen, vgl. hierzu Maaß, S. 57; Michel, S.  158 f.

172 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

Möglichkeit erhalten, sich hierzu zu erklären.233 Diese Vorgaben sollten schließlich – entsprechend dem Rechtsgedanken zur Vermeidung „informel­ ler“ Absprachen außerhalb der gesetzlichen Regelungen zur Verständigung nach § 257c StPO (vgl. §§ 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a StPO)234 – nicht nur in Form einer Handlungsanweisung innerhalb der RiStBV, sondern gesetzlich geregelt werden. Eine entsprechende Gesetzesänderung235 könnten folgen­ dermaßen lauten: § 58a StPO-E […] (2)  1Der Vernehmende erklärt am Ende der Vernehmung, dass die Bild-Ton-Auf­ zeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt. Er erklärt zudem, ob und mit welchem Inhalt mit dem Zeugen verfahrensbezogene Gespräche außer­ halb der Bild-Ton-Aufzeichnung geführt wurden. 2Der Zeuge muss Gelegenheit erhalten, sich hierzu zu erklären. […]

Die bisherigen Absätze 2 und 3 des § 58 StPO werden sodann zu den Absätzen 3 und 4.

233  AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (28 f.); Swoboda, Dokumentationen von Ver­ nehmungen, S. 217 (252); ähnlich BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 30; vgl. auch Michel, S. 161 f. zu § 136 Abs. 4 StPO; BT-Drucks. 18/11277, S. 26 zu § 136 Abs. 4 StPO: „Zur Vermeidung etwaiger Streitigkeiten über den Inhalt oder die Umstände einer Vernehmung oder das konkrete Verhalten des Vernehmenden bietet es sich an, dass der Vernehmende am Ende der Vernehmung erklärt, dass die Aufzeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt“. Dieser Vorschlag ist jedoch mit Blick auf den gewünschten Authentizitätszuwachs einer Videoaufzeichnung nur ziel­ führend, wenn auch dem Befragten die Möglichkeit einer Erklärung über die Richtig­ keit und Vollständigkeit der aufgezeichneten Vernehmung geboten wird; vgl. ferner Nestler, ZIS 2014, 594 (598) Fn. 32, der in Bezug auf die Beschuldigtenvernehmung auf die „nach Auskunft von Strafverteidigern durchaus verbreitete Praxis [der Verneh­ mungspersonen]“ hinweist, „durchgehend vor den ersten Vernehmungen und offenbar auch ganz gezielt Vorgespräche [zu führen]“; er schlägt daher vor, „nicht erst am Ende, sondern gerade zu Beginn der Aufzeichnung zu thematisieren, was vor der Aufzeichnung besprochen wurde“; vgl. auch Weigend, StV 2019, 852 (854), der – in Bezug auf die Beschuldigtenvernehmung empfiehlt –, dass der Beschuldigte gefragt werden sollte, „ob alles für ihn Wesentliche von der Aufzeichnung erfasst wurde“. 234  So auch Michel, S. 162 f. in Bezug auf die entsprechende Aufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung. 235  Dieser Gesetzgebungsvorschlag erfolgt in Anlehnung an den Wortlaut des ent­ sprechenden Entwurfs des Arbeitskreises AE; vgl. AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (28 f.) zu § 58a Abs. 2 StPO-AE und Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 217 (252) zu § 58a Abs. 2 StPO-E.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 173

D. Zuständigkeit und praktische Hinweise Zuständig für die Anordnung der audiovisuellen Vernehmung der Zeugen­ vernehmung ist stets der Vernehmende.236 Die Anordnung obliegt daher dem die Vernehmung leitenden Polizeibeamten (§ 163 Abs. 4 S. 2 StPO), dem Staatsanwalt (§ 161a Abs. 1 S. 2 StPO) oder dem Richter.237 Wird ein Antrag seitens der Staatsanwaltschaft auf ermittlungsrichterliche Vernehmung ge­ stellt, prüft der Richter nur die Zulässigkeit der Aufzeichnung (vgl. § 162 Abs. 1, 2 StPO).238 Die örtliche Zuständigkeit beurteilt sich nach § 162 Abs. 1 S. 1 und 3 StPO.239 Hinsichtlich der praktischen Durchführung der audiovisuellen Vernehmung ist insbesondere darauf zu achten, dass die ver­ nehmende Person und der Zeuge gemeinsam und zeitgleich aufgezeichnet werden (vgl. Nr. 19 Abs. 2 S. 2 RiStBV).240 Bei der richterlichen Verneh­ mung eines Zeugen sind – vor dem Hintergrund des § 255a Abs. 2 S. 1 StPO – stets auch die Regelungen in § 168c Abs. 2, 3, 5 StPO zu berücksich­ tigen. Sind die Voraussetzungen des § 168e S. 1 StPO gegeben, sollte der Richter die Anwesenheitsrechte der Anwesenheitsberechtigten jedoch zum Schutz des Zeugen einschränken und eine getrennte Zeugenvernehmung an­ ordnen; § 58a StPO gilt in diesem Fall entsprechend (§ 168e S. 4 StPO). Schließlich sollten mit der Videoaufzeichnung nur besonders geschulte Ver­ nehmungspersonen betraut werden, die in der Lage sind, „gute, vollständige und nichtsuggestive Befragungen“ durchzuführen, da die Videoaufzeichnung (insbesondere einer Erstvernehmung) erhebliche potenzielle Fehlerquellen beinhaltet, die im weiteren Verlauf des Verfahrens „kaum mehr ausgeglichen werden“ können.241

E. Verwendungsbeschränkungen und Löschung Die Verwendung der Videoaufzeichnung ist schließlich nur „für Zwecke der Strafverfolgung“242 und nur insoweit zulässig, als dies zur „Erforschung 236  LR/Ignor/Bertheau,

§ 58a Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 9. § 58a Rn. 21. 238  BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 15; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 11; SK-StPO/ Rogall, § 58a Rn. 21. 239  MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 62  ff.; vgl. zur örtlichen Zuständigkeit auch OLG München NStZ 2004, 642. 240  KK-StPO/Bader, § 58 Rn. 4; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 4; Zschockelt/Wegner, NStZ 1996, 305 (306). 241  BT-Drucks. 13/7165, S. 6; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 9. 242  Der ursprüngliche (engere) Gesetzentwurf (BT-Drucks. 13/7165, S. 3, 7: „Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für Zwecke des laufenden oder eines anderen anhängigen Strafverfahrens […] zulässig“) ist im Laufe des Vermittlungsver­ 237  SK-StPO/Rogall,

174 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

der Wahrheit erforderlich“ ist (§ 58a Abs. 2 S. 1 StPO). Mithilfe der „Zweck­ klausel“ wird für alle Fälle des § 58a Abs. 1 StPO sichergestellt, dass die Verwendung der Aufzeichnung zu anderen Zwecken als der Strafverfolgung (z. B. in familiengerichtlichen Verfahren) unzulässig ist und in diesem Fall der Einwilligung des Zeugen bedarf (vgl. § 58a Abs. 2 S. 6 StPO). Für die Löschung bzw. Vernichtung der Aufzeichnung gilt § 101 Abs. 8 StPO ent­ sprechend (§ 58a Abs. 2 S. 2 StPO). Hiernach ist die Aufzeichnung (ein­ schließlich der gefertigten Kopien) „unverzüglich“ zu löschen, wenn diese weder für Zwecke der Strafverfolgung noch zur gerichtlichen Überprüfung der Aufzeichnungsanordnung benötigt wird (§ 101 Abs. 8 S. 1 StPO).243 Zu beachten ist schließlich, dass die Kopien weder vervielfältigt noch weiterge­ geben werden dürfen (§ 58a Abs. 2 S. 4 StPO)244 und an die Staatsanwalt­ fahrens entfallen; BT-Drucks. 13/10001, S. 2. Nach dem nunmehr geltenden (weiten) Wortlaut des § 58a Abs. 2 S. 1 StPO ist die Verwendung der nach § 58a Abs. 1 StPO erstellten Aufzeichnung daher auch in Strafverfahren zulässig, die zum Aufzeich­ nungszeitpunkt noch nicht eingeleitet wurden. Dies schließt die Verwendung der Aufzeichnung auch in einem Strafverfahren gegen einen Beschuldigten ein, der zum Zeitpunkt der Aufzeichnung (noch) als Zeuge vernommen wurde; KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 10; König, Der Kriminalist 2005, 10 (11); Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 10. Unzulässig ist jedoch eine langfristige „Vorratsdatenspeicherung“ zum Zwe­ cke anderweitiger Strafverfolgung; BT-Drucks. 13/7165, S. 7; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 31; SSW-StPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 16. Im Hinblick auf die Strafverfolgung anderer Straftaten ist daher zumindest zu fordern, dass die Videoauf­ zeichnung aufgrund tatsächlicher, konkreter Anhaltspunkte weiterhin benötigt wird; Michel, S. 239. 243  Die Löschungspflicht muss hierbei nicht mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zusammenfallen; vgl. zu den Ausnahmen MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 81. 244  Dies schließt nach dem Wortlaut auch eine Weitergabe des Verteidigers an sei­ nen Mandanten aus; so auch BeckOK-StPO/Huber, § 58a Rn. 21; KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 9; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 36; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 13; a. A. SSW-StPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 25; die Aufzeichnung kann dem Mandanten jedoch vorgeführt werden (dies erfordert bei inhaftierten Mandanten mit­ unter einen logistischen und organisatorischen Aufwand); Burhoff, ZAP 1998, Fach 22, 289 (291); HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 18; Leitner, StraFo 1999, 45 (46). Zu den Auswirkungen einer Nichtbefolgung des Vervielfältigungs- und Weitergabeverbots SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 41, der auf straf- und zivilrechtliche Konsequenzen (§§ 203 Abs. 1, 33 KUG; Persönlichkeitsverletzung) hinweist; vgl. auch Michel, S. 264; ferner Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 230 Fn. 46, die neben § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB – je nach Inhalt – auch das Eingreifen von §§ 93, 353d StGB für möglich hält; a. A. MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 75; KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 9. Vgl. zur entsprechenden Diskussion zu den Strafbarkeitsrisiken und -möglichkeiten bei der Weitergabe einer Bild-Ton-Aufzeichnung der Hauptverhand­ lung Momsen/Benedict, KriPoZ 2021, 251 ff., die zu Recht feststellen, dass mit Blick auf die Straftatbestände der §§ 203, 204, 353b, 353d StGB, § 42 BDSG, § 33 i. V. m. §§ 22, 23, 24 KUG kein umfassender strafrechtlicher Schutz vor einem Missbrauch des Videoprotokolls besteht; vgl. auch Heuer, Schutz vor Verbreitung, S. 243 (251 ff.).



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 175

schaft herauszugeben sind, sobald kein berechtigtes Interesse an der weiteren Verwendung besteht (§ 58a Abs. 2 S. 5 StPO)245.

F. Akteneinsichtsrecht Die audiovisuelle Aufzeichnung ist Bestandteil der Sachakte und kein amtliches verwahrtes Beweisstück246, sodass sich das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers (§ 147 Abs. 1 StPO) und des anwaltlichen Vertreters des Nebenklägers sowie des Verletztenanwalts (§ 406e Abs. 1 StPO) auch auf die Aufzeichnung erstreckt.247 Gleiches gilt nach Maßgabe des § 147 Abs. 4 StPO auch für den Beschuldigten und nach Maßgabe des § 406e Abs. 3 StPO für den Verletzten.248 Den Akteneinsichtsberechtigten können249 hierbei auch Kopien250 der Aufzeichnung überlassen werden (§ 58a Abs. 2 S. 3 StPO); 245  Trotz dieser Herausgabepflicht sollten Videoaufzeichnungen aus Sicherheits­ gründen mit einem Kopierschutz versehen werden; vgl. bereits BR-Drucks. 796/16, S. 23 f., BT-Drucks. 18/11277, S. 26. 246  Zur allgemeinen Abgrenzung Rieß, FG Peters (1984), S. 113 (122): Während Beweisstücke „Gegenstände“ sind, die „wegen der individuellen Beschaffenheit ihrer Substanz Bedeutung erlangen können“, sind Aktenbestandteile „nur Träger einer in ihnen verkörperten, nicht notwendig mit ihrer Substanz verbundenen Information“; Aktenbestandteile sind damit „in der Regel reproduzierbar, Beweisstücke dagegen nicht“. Die Unterscheidung ist praktisch relevant, da Beweisstücke nicht aus dem amtlichen Gewahrsam entlassen werden dürfen; vgl. BGH bei Pfeiffer, NStZ 1981, 93 (95); näher Hartz, S. 96. Die Frage war insbesondere nach dem Inkrafttreten des ZSchG umstritten und wurde mittlerweile zugunsten der Einordnung der Videoauf­ zeichnung als Bestandteil der Akte hinreichend geklärt. Hierfür spricht vor allem die grundsätzliche Gleichstellung von Bild-Ton-Aufzeichnungen mit Vernehmungsnieder­ schriften (vgl. § 255a Abs. 1 StPO) und die vernehmungsergänzende Dokumentati­ onsfunktion der Aufzeichnung; vgl. Diemer, NStZ 2002, 16 (17); Helmig, S. 100; HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 17; Krapf, Kriminalistik 2002, 309; Leipold, NJW-Spe­ zial, 2005, 471 f.; Leitner, StraFo 1999, 45 (46); ders., S. 50, 92 f.; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 41; MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 74; Michel, S. 245; Neuhaus, StV 2004, 620 (623); Rieß, NJW 1998, 3240 (3241); Schlothauer, StV 1999, 47 (48); vgl. ferner OLG Stuttgart NJW 2003, 767, das jedenfalls die Kopie der Videoaufzeichnung als Bestandteil der Akten ansieht; a. A. Burhoff, ZAP 1998, Fach 22, 289 (294); Maaß, S.  93 f.; Trück NStZ 2004, 129 (131 ff.). 247  Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 13; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 30 ff. 248  Vgl. noch zu § 147 Abs. 7 a. F. Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 13; SK-StPO/ Rogall, § 58a Rn. 34. 249  Entgegen dem Wortlaut („können“) ist der Staatsanwaltschaft bzw. dem Ge­ richt hierbei aus Gründen der Gleichbehandlung kein Ermessensspielraum eröffnet. Vielmehr besteht nach Maßgabe der §§ 147 Abs. 1, 406e Abs. 1 StPO ein Anspruch auf Überlassung einer Kopie der Aufzeichnung (vgl. aber § 58a Abs. 3 S. 1 StPO); KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 9; SSW-StPO/Güntge/Tsambikakis, § 58a Rn. 22. 250  In Zeiten digitaler Aufnahmetechnik ist mit der „originalen“ Aufzeichnung nur noch die „erste Speicherung im Arbeitsspeicher des Aufzeichnungsgeräts“ gemeint.

176 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

eine Einwilligung des Zeugen ist hierfür nach dem eindeutigen Gesetzes­ wortlaut nicht erforderlich.251 Widerspricht der Zeuge (nach einer entspre­ chenden Belehrung gem. § 58a Abs. 3 S. 4 StPO, vgl. Nr. 19b RiStBV) je­ doch der Überlassung einer Kopie der Aufzeichnung, so tritt an deren Stelle die Überlassung des Protokolls (§ 58a Abs. 3 S. 1 StPO). Der Anspruch auf Überlassung eines schriftlichen Aufzeichnungsprotokolls lässt das Recht zur Besichtigung der Aufzeichnung bzw. den „Anspruch auf Augenschein“252 aber unberührt (§ 58a Abs. 3 S. 2 StPO), d. h. der Zeuge kann zwar der Über­ lassung einer Kopie widersprechen, er kann jedoch nicht verhindern, dass sich die Einsichtsberechtigten die Aufzeichnung in der Geschäftsstelle anse­ hen. Ein Teil der Literatur sieht in der Gewährung dieses Widerspruchsrechts einen Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit zwischen Ankläger und Beschuldigtem253 bzw. eine „systemwidrige Einflussnahme auf Beschul­ digtenrechte“.254 Diesbezüglich ist aber wie folgt zu differenzieren: Das Akteneinsichtsrecht (§ 147 StPO) konkretisiert nicht nur den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), es verhilft darüber hinaus dem An­ spruch auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechts­ staatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und seinen Teilgewährleistungen, insbeson­ dere dem Grundsatz der Waffengleichheit255, zur Geltung und sichert hier­ durch wiederum die Subjektstellung des Beschuldigten.256 Vor diesem ver­ fassungsrechtlichen Hintergrund des Akteneinsichtsrechts ist zu konstatieren, dass die visuelle und akustische Wahrnehmung von der unmittelbaren Betrof­ fenheit des Zeugen im Hinblick auf das (künftige) Verteidigungsverhalten eine sehr hohe Relevanz aufweist.257 Sowohl der Verteidiger als auch der unverteidigte Beschuldigte sind somit grundsätzlich darauf angewiesen, eine Die zur Akte genommene oder versendete digitale Datei ist demgegenüber immer eine „identische Kopie“; Altenhain, ZIS 2015, 269 (282) Fn. 152; vgl. auch Scheumer, S.  246 f. 251  Die Überlassung der Bild-Ton-Aufzeichnung oder die Herausgabe von Kopien an andere Personen, die ein Einsichtsrecht nach § 474 ff. StPO geltend machen kön­ nen, bedarf hingegen der Einwilligung des Zeugen (§ 58a Abs. 3 S. 6 StPO); BeckOKStPO/Huber, § 58a Rn. 20. 252  KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 9; vgl. auch Leipold, NJW-Spezial, 2005, 471 (472). 253  Neuhaus, StV 2004, 620 (623 f.); so auch Maaß, S. 98. 254  HK-StPO/Gercke, § 58a Rn. 19; ähnlich Maaß, S.  96 ff. 255  Vgl. zu diesen Gewährleistungen bereits oben S. 42. 256  MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, § 147 Rn. 1 m. w. N. 257  Vgl. auch Schlothauer, StV 1999, 47 (48), der in diesem Zusammenhang auf die „besonders unmittelbare und eindrückliche Wirkung einer Bild-Ton-Aufzeich­ nung“ und die sich daraus gegebenenfalls ergebende Geständnisfunktion hinweist; ferner Trück, NStZ 2004, 129 (132).



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 177

Bild-Ton-Aufzeichnung der Vernehmung ansehen und die Zeugenaussage im Detail nachvollziehen zu können. Der Staatsanwaltschaft und der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts sind daher nicht nur gehalten, die ent­ sprechenden Möglichkeiten zur Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts zu schaffen, sie haben auch jede unzumutbare Einschränkung dieses Rechts zu unterlassen. Dem hohen Informationsinteresse der Verteidigung stehen je­ doch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der (Opfer-)Zeugen, insbesondere ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) sowie der staatliche Schutz dieser (Opfer-)Zeugen vor weiteren Schädigungen durch den Täter oder Dritten gegenüber (vgl. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG).258 Im Gegensatz zu einem schrift­ lichen Vernehmungsprotokoll wird bei einer Bild-Ton-Aufzeichnung „insbe­ sondere dann, wenn sie tatnah erstellt worden ist, ein Eindruck von der ge­ samten Persönlichkeit des Zeugen, gegebenenfalls noch unter dem Eindruck der Tat stehend, festgehalten“; diesen Aufzeichnungen muss infolgedessen ein „besonderer Schutz“ zukommen.259 Zu denken ist hier insbesondere an die Opfer von Sexual- oder anderer Gewaltstraftaten, die der Gefahr weiterer Persönlichkeitsverletzungen ausgesetzt sind, wenn der Täter beim Ansehen der Aufzeichnung nicht etwa Reue verspürt, sondern sein Einsichtsrecht zur privaten Vermarktung an Gleichgesinnte ausnutzt oder die Aufzeichnung in den Medien veröffentlicht.260 Gleiches kann gelten, wenn die Aufzeichnung (absichtlich oder versehentlich) in die Hände von unbefugten Dritten gerät. Da diese Gefahr einer nachträglichen Viktimisierung ein hohes Schädigungs­ potential für die (Opfer-)Zeugen beinhaltet261, muss sie durch geeignete (staatliche) Schutzvorkehrungen auf ein Minimum reduziert werden.262 Denn 258  Vgl.

Trück, NStZ 2004, 129 (130). auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Opferrechtsreformgesetzes vom 18.02.2004, BT-Drucks. 15/2536, S. 7; vgl. auch be­ reits BT-Drucks. 13/4661, S. 11; BT-Drucks. 15/814, S. 8. 260  Vgl. König, Der Kriminalist 2005, 10 (12); zu dieser praktischen Gefahr auch Höttges, S.  109 f.; Scheumer, S. 39 Fn. 134; Swoboda, S. 389 f.; ferner BT-Plenarpro­ tokoll 15/94, S. 8402, 8407, 8409. 261  Vgl. König, Der Kriminalist 2005, 10 (12); Trück, NStZ 2004, 129 (130); fer­ ner Seitz, JR 1998, 309 (312). 262  Vgl. hierzu beispielhaft die strengen Bestimmungen des BMJ, Handreichung zum Schutz kindlicher (Opfer-)Zeugen, S. 29: „Insbesondere aus Gründen des Zeu­ genschutzes ist darauf hinzuwirken, dass Einsichtsrechte nach §§ 147, 406e StPO in die Bild-Ton-Aufzeichnung in den Diensträumen der Staatsanwaltschaft, d. h. der Geschäftsstelle oder einem hierfür vorgesehenen Raum, wahrgenommen werden“; vgl. auch Stahlmann-Liebelt, Auswirkungen des Zeugenschutzgesetzes, S. 32, 33, die in ihrer Eigenschaft als stellvertretende Behördenleiterin der Flensburger Staatsan­ waltschaft wie folgt berichtete: „Wir haben von vornherein in Schleswig-Holstein gesagt […], dass Videobänder, weder die Originale noch die Kopien, an Verfahrens­ beteiligte herausgegeben werden. Und das betrifft nicht nur die Verteidiger, sondern 259  So

178 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

der Zeuge darf ungeachtet seiner prozessualen Funktion als persönliches Beweismittel keinesfalls zum bloßen (Verfahrens-)Objekt des Staates degra­ diert werden.263 Der staatliche Schutzanspruch sichert insoweit auch die Subjektstellung des Zeugen. Um diese Interessenkollision für den konkreten Fall zu lösen, müssen die sich entgegenstehenden Rechtsgüter nach dem inzwischen herrschend gewor­ denen Grundsatz der praktischen Konkordanz „einander so zugeordnet wer­ den, daß jedes von ihnen Wirklichkeit gewinn[t]“264; erforderlich ist daher, „daß nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maxi­ mal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren“.265 Dementsprechend steht den Akteneinsichtsberechtigten nach § 58a Abs. 2 S. 3 StPO i. V. m. §§ 147, 406e StPO ein grundsätzlicher An­ spruch auf Überlassung einer Kopie zu. Dies gilt auch für den Fall, dass dem Zeugen die aufgezeichneten Verhaltensweisen unangenehm oder peinlich sind.266 Eine Einwilligung des Zeugen ist – wie auch bereits zum Zeitpunkt der Vernehmungsaufzeichnung – hierfür nicht erforderlich. Der Eingriff in sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das vor jeder Form der staatlichen Erhebung, Speicherung, Verwendung, Weitergabe oder Veröffent­ lichung von persönlichen Daten schützt267, kann hier aufgrund des hohen auch Nebenklägervertreter, denn auch da besteht eine Missbrauchsmöglichkeit […]“; vgl. auch den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Stärkung der Rechte der Opfer im Strafprozess (2. Opferschutzgesetz) vom 08.04.2003, BT-Drucks. 15/614, S. 4: „§ 58a Abs. 2 Satz 2 wird durch folgende Sätze ersetzt: […] Die §§ 147 und 406e finden mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass Bild-Ton-Aufzeich­ nungen wie Beweisstücke zu behandeln sind und nur mit Zustimmung des Zeugen wie Akten behandelt werden dürfen“; vgl. ferner die Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf eines Opferrechtsreformgesetzes vom 18.02.2004, BTDrucks. 15/2536, S. 7: „Dem Opferschutz dient es vielmehr am meisten, wenn über­ haupt keine Kopien von Aufzeichnungen herausgegeben werden. Für die Wahrung der Rechte der zur Akteneinsicht Berechtigten ist es ausreichend, wenn die Aufzeich­ nungen wie sonstige Beweisstücke bei Gericht bzw. bei der Staatsanwaltschaft (gege­ benenfalls mehrfach) vorgespielt werden können“. 263  Vgl. BVerfGE 27, 1 (6); 38, 105 (114); 56, 37 (45); kritisch Dahs, NJW 1984, 1921 (1923 f.). 264  BVerfGE 39, 1 (22). 265  BVerfGE 93, 1 (21) m. w. N. 266  Etwas anderes gilt im Falle des unverteidigten Beschuldigten nach § 147 Abs. 4 S. 1 StPO, wenn der Akteneinsicht „überwiegende schutzwürdige Interessen Dritter“ entgegenstehen. Hier kommen z. B. die Wahrung der Intimsphäre Dritter, der Schutz gefährdeter Zeugen sowie der Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen in Betracht; BR-Dr. 14/1484, S. 22; vgl. auch § 406e Abs. 2 S. 1 StPO: „Die Einsicht in die Akten ist zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Be­ schuldigten oder anderer Personen entgegenstehen“. 267  Vgl. BVerfGE 65, 1 (43); 103, 21 (32); Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs.  1 Rn.  176 m. w. N.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 179

Informationsbedürfnisses (das im konkreten Fall nach §§ 147, 406e StPO zu beurteilen ist) gerechtfertigt sein. Ein Recht auf Überlassung einer Aufzeichnungskopie, das nur nach Maß­ gabe der §§ 147, 406e StPO zu beurteilen ist, kann jedoch dem Schutzinter­ esse des vernommenen (Opfer-)Zeugen nicht in jedem Fall gerecht werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Missbrauchsgefahr, die sich in prak­ tischer Hinsicht nicht gänzlich ausschließen lässt. Angesichts des erheblichen Grundrechtseingriffs erscheint es daher legitim, dem Zeugen zumindest ein Widerspruchsrecht (über das dieser zu belehren ist, §§ 58a Abs. 3 S. 1, 4 StPO, Nr. 19b RiStBV) einzuräumen, sofern einer Mitgabe der Aufzeich­ nungskopie an die Akteneinsichtsberechtigten sein ausdrücklicher Wille ent­ gegensteht.268 Dies muss auch gegenüber dem Verteidiger bzw. Rechtsanwalt gelten, obwohl ihm eine Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege zukommt (§ 1 BRAO). Entscheidend ist jedoch, dass die Kopie nicht entge­ gen dem ausdrücklichen Willen des vernommenen (Opfer-)Zeugen aus dem Herrschaftsbereich der Justizbehörden und Gerichte entnommen und hier­ durch – bis zum Zeitpunkt der Herausgabepflicht – sowohl dem unmittelba­ ren staatlichen Zugriff als auch der staatlichen Aufsichtspflicht (hier als Teil der Fürsorgepflicht) entzogen werden sollte. Soweit hierin ein Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit angenommen wird, greift diese Sichtweise zu kurz: Zwar muss nach diesem Grundsatz „jede Partei die Mög­ lichkeit haben, ihren Fall unter Voraussetzungen zu vertreten, die sie gegen­ über ihrem Gegner nicht wesentlich benachteiligen“.269 Maßgeblich ist aber nicht nur die Gewährleistung von Waffengleichheit zwischen den Strafverfol­ gungsbehörden und der Verteidigung, sondern auch die Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen den Verteidigungsinteressen und den Belangen des Zeugen, der seine Persönlichkeitsinteressen geschützt wissen will und der Fürsorgepflicht des Staates unterliegt. Insofern ist hier dreipoliges Spannungsfeld gegeben, dass es möglichst schonend aufzulösen gilt.270 Der aktuell im Gesetz vorgesehene „Kompromiss“ sieht vor, dass den Akteneinsichtsberechtigten im Falle eines Widerspruchs des Zeugen ein schriftliches, nach den Vorgaben des § 58a Abs. 3 S. 2 StPO zu fertigenden­ 268  Im Falle eines Schweigens gilt demnach der Grundsatz: Qui tacet, consentire videtur (d.  h. Wer schweigt, scheint zuzustimmen); vgl. SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 44. Dies unterscheidet das Widerspruchs- vom Zustimmungserfordernis; vgl. hierzu auch Maaß, S. 96. 269  EGMR BeckRS 2009, 22179 Rn. 60. 270  Ähnlich Trück, NStZ 2004, 129 (133), der insoweit aber weitergehend eine Art „Waffengleichheit zwischen (Opfer-)Zeuge und Beschuldigtem“ annimmt; eingehend zu den verfassungsrechtlichen Ausgangspositionen und dem „Dreiklang“ aus Zeugen­ schutz, Beschuldigtenrechten und Strafverfolgungsinteressen Swoboda, S.  26 ff.

180 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

des Aufzeichnungsprotokoll überlassen werden muss.271 Daneben bleibt das Recht zur Besichtigung nach Maßgabe der §§ 147, 406e StPO unberührt (vgl. § 58a Abs. 3 S. 3 StPO), sodass die Beschuldigten- und Verteidiger­ rechte grundsätzlich gewahrt werden können.272 Dies gilt jedenfalls, sofern die Verteidigung die Aufzeichnung ungestört und in zeitlich angemessenem Umfang besichtigen kann.273 In diesem Fall ist der Eingriff in die Verteidi­ gungsrechte nicht als so gravierend einzustufen, als dass er nicht mit Blick auf den Schutz des (Opfer-)Zeugen hinnehmbar wäre, zumal es an sich nur um die Einsichtsmodalitäten geht.274 Dementsprechend sieht auch Nr. 220 Abs. 2 RiStBV den Ausschluss der Mitgabe sensibler personenbezogener Daten zugunsten des Opferzeugen vor: „Lichtbilder von Verletzten, die sie ganz oder teilweise unbekleidet zeigen, sind in einem verschlossenen Umschlag oder gesondert geheftet zu den Akten zu nehmen und bei der Gewährung von Akteneinsicht – soweit sie nicht für die verletzte Per­ son selbst erfolgt – vorübergehend aus den Akten zu entfernen. Der Verteidigung ist insoweit Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle zu gewähren […].“

G. Zwischenergebnis Die Regelung des § 58a StPO dient vordergründig zwei Zielen: dem Zeu­ genschutz und der Beweissicherung. Bei näherer Betrachtung kann der Vor­ schrift zudem ein erhebliches Potential zur Verwirklichung der Ziele des Strafverfahrens, insbesondere im Hinblick auf die Wahrheitsfindung, zuge­ sprochen werden. Die konkrete Zweckverfolgung erlangt hierbei vor allem im Hinblick auf eine mögliche Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 58a Abs. 1 S. 2 StPO Bedeutung: Jede Ausweitung der Aufzeichnungs­ pflicht wird sich – angesichts des Eingriffs in das Allgemeine Persönlich­ keitsrecht des Betroffenen – stets auf die Verfolgung überwiegender Ziele 271  Näher zu den Erfordernissen der Verschriftung LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 38: Hiernach muss das Aufzeichnungsprotokoll neben dem genauen Ablauf der Vernehmung auch die konkrete Wortwahl des Zeugen sowie etwaige Unsicherheiten, Pausen, auffällige Gesten und sonstige Eigentümlichkeiten des Zeugen dokumentie­ ren. Das Aufzeichnungsprotokoll gibt den Ablauf der Vernehmung somit „wortgetreu wieder“ und geht damit über die Anforderungen des nach den §§ 168 ff. StPO regel­ mäßig zu erstellenden Inhaltsprotokolls hinaus. 272  So auch Ferber, NJW 2004, 2562 (2564); Kintzi, DRiZ 1996, 184 (188); König, Der Kriminalist, 2005, 10 (12); Michel, S. 272; vgl. auch die Stellungnahme des Bun­ desrates zum Regierungsentwurf eines Opferrechtsreformgesetzes vom 18.02.2004, BT-Drucks. 15/2536, S. 7; a. A. Hartz, S.  97 f.; Hilger, GA 2004, 478 (485); LR/Ignor/ Bertheau, § 58a Rn. 41; Maaß, S.  96 ff.; Neuhaus, StV 2004, 620 (623 f.); Schmoll, S.  128 f.; Schöch, Videovernehmung, S. 12; Swoboda, S.  390 f.; H. Vogel, S. 33 Fn. 39. 273  LR/Esser, Art. 6 EMRK (Art. 14 IPBPR) Rn. 648; Michel, S. 272. 274  Vgl. Scheumer, S. 292.



§ 1 Die Regelung des § 58a StPO zur Videoaufzeichnung 181

des Strafverfahrens und/oder auf (zumindest gleichrangige) Zeugenschutzin­ teressen stützen müssen. Vor diesem Hintergrund wird mit dem nachfolgen­ den Gesetzgebungsvorschlag versucht, Ziel- und Systemkonformität herzu­ stellen und dem praktischen Vollzugsdefizit unter Wahrung des Verhältnis­ mäßigkeitsgrundsatzes entgegenzuwirken. Die Ausführungen zu § 58a StPO können insgesamt wie folgt zusammengefasst werden: (1) Die strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Ermes­ sensgrenze) gebietet eine zurückhaltende Anwendung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO.275 (2)  In § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO ist der Passus „dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann“ durch „dass der Zeuge im Verlauf des weiteren Verfahrens nicht vernommen werden kann“ zu erset­ zen.276 (3) Schutzzweckerwägungen gebieten die Ausweitung der „Soll-Vor­ schrift“ auch auf Personen, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden.277 (4)  § 58a Abs. 1 S. 3 StPO („Muss-Vorschrift“) ist zu streichen.278 (5)  In den Fällen des § 58a Abs. 1 S. 2 StPO ist für eine konsequente An­ wendung der „Soll-Vorschrift“ zu plädieren, sofern die tatbestandlichen Vor­ aussetzungen erfüllt sind. (6)  In § 58a StPO ist eine neue Regelung einzufügen, die die „Vollstän­ digkeitsfunktion“ der Videoaufzeichnung weiterreichender als bisher gewähr­ leistet. Ein Zuwachs an Authentizität kann insbesondere erreicht werden, in­ dem der Vernehmende am Ende der Vernehmung erklärt, dass die Aufzeich­ nung die Vernehmung vollständig und richtig mitsamt dem Inhalt verfahrens­ bezogener Gespräche außerhalb der Aufzeichnung wiedergibt und der Zeuge Gelegenheit erhält, sich hierzu zu erklären. Es werden daher folgende Änderungen des § 58a StPO vorgeschlagen: § 58a StPO-E Aufzeichnung der Vernehmung in Bild und Ton (1)  1Die Vernehmung eines Zeugen kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. 2 Sie soll nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn 275  Näher

hierzu S. 147 ff. oben S. 158. 277  Vgl. oben S. 159. 278  Vgl. oben S. 163 ff. 276  Vgl.

182 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung 1. damit die schutzwürdigen Interessen von a) Personen unter 18 Jahren, b) Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine Straftat gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuches), eine Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuches) oder eine Straftat gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches verletzt worden sind, oder c) Personen, die durch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuches) verletzt worden sind, d) Personen, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, besser gewahrt werden können. 2. zu besorgen ist, dass der Zeuge im Verlauf des weiteren Verfahrens nicht ver­ nommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erfor­ derlich ist. (2) 1Der Vernehmende erklärt am Ende der Vernehmung, dass die Bild-Ton-Auf­ zeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt. 2Er erklärt zudem, ob und mit welchem Inhalt mit dem Zeugen verfahrensbezogene Gespräche außer­ halb der Bild-Ton-Aufzeichnung geführt wurden. 3Der Zeuge muss Gelegenheit erhalten, sich hierzu zu erklären. […]

§ 2 Die Regelungen der §§ 136 Abs. 4 StPO, 70c Abs. 2 JGG zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren A. Die Gesetzgebung im Wandel der Zeit I. Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videotechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren (2013) Die audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen im Er­ mittlungsverfahren wurde mit der Einführung des § 163a Abs. 1 S. 2 StPO a. F. durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videotechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren vom 25.04.2013 erstmals ge­ setzlich verankert.279 Die Vorschrift trat am 01.11.2013 in Kraft280 und enthielt bis zum 31.12.2019 eine Verweisung auf die entsprechenden Zeu­ genvorschriften: 279  BGBl. I 280  BGBl. I

S. 935 (936). S. 935 (937).



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung183 § 163a StPO (1) […] 2§ 58a Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 und 3 sowie § 58b gelten entsprechend. […]

Diese Gesetzesreform reicht in ihrem Ursprung bis auf den Gesetzesantrag des Landes Hessen vom 19.09.2007281 zurück, der zunächst nur die Möglich­ keit der Bild- und Tonübertragung, d. h. der Videokonferenz, ohne die expli­ zite Möglichkeit der Videoaufzeichnung vorsah.282 Nachdem dieser Geset­ zesantrag dem Grundsatz der Diskontinuität zum Opfer fiel, beschloss der Bundesrat am 12.02.2010, den inhaltsgleichen Antrag283 beim Deutschen Bundestag einzubringen.284 Der Gesetzentwurf des Bundesrates vom 24.03.2010 sah aber auch nur die Möglichkeit der Bild- und Tonübertragung einer Beschuldigtenvernehmung ohne deren Konservierung vor.285 Möglich­ keiten zur Konservierung der Beschuldigtenvernehmung wurden aber bereits im Rahmen der ersten Gesetzesberatung diskutiert.286 Letztlich plädierte auch der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages in seiner Beschluss­ empfehlung vom 20.02.2013 nicht nur für die Einführung der Videokonfe­ renztechnik, sondern auch für die entsprechende Anwendung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO (betreffend die fakultative Aufzeichnung der Zeugenverneh­ mung) im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung.287 Aufgrund der „ver­ gleichbaren Sachlage“ schlug der Rechtsausschuss zudem die entsprechende Anwendung des § 58a Abs. 2 und 3 StPO (hinsichtlich der Verwendungsre­ gelungen und des Akteneinsichtsrechts) vor. Eine Bezugnahme auf § 58a Abs. 1 S. 2 StPO288 unterblieb in seiner Vorlage hingegen zu Recht, da die 281  BR-Drucks.

643/07. BR-Drucks. 643/07, S. 6 zur Einfügung des § 58b: „Die Vernehmung kann unter Verzicht auf die persönliche Anwesenheit des Beschuldigten zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Beschuldigte aufhält, und in das Verneh­ mungszimmer übertragen werden“. 283  BR-Drucks. 902/09. 284  BR-Plenarprotokoll, 866, S. 10A. 285  BT-Drucks. 17/1224, S. 8; kritisch hierzu BRAK-Stellungnahme Nr. 30/2010, S. 6: Die geplante Änderung des § 163a StPO stelle aufgrund ihrer „rein deklaratori­ schen Natur“ eine „unnötige Regelung“ dar; vgl. hierzu auch die Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/224, S. 18: „Schon bislang ist die Vernehmung eines Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen unter Ver­ wendung von Bild-/Tonübertragungen zulässig. Die durch den Bundesrat vorgeschla­ gene Regelung in § 163a Absatz 1 Satz 2 StPO-E kann deswegen nur klarstellende Bedeutung haben“; vgl. auch KK-StPO/Griesbaum, § 163a Rn. 3a. 286  Vgl. BT-Plenarprotokoll 17/96, S. 11056 D. 287  BT-Drucks. 17/12418, S. 2, 8, 16. 288  § 58a Abs. 1 S. 2 StPO lautete in seiner damaligen Fassung wie folgt: „Sie [die Vernehmung] soll aufgezeichnet werden, wenn 1. dies bei Personen unter 18 Jahren, die durch die Straftat verletzt sind, zur Wahrung ihrer schutzwürdigen Interessen ge­ 282  Vgl.

184 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

dort vorgesehene grundsätzliche Aufzeichnungspflicht bereits nach seinem Regelungsgehalt nicht auf die entsprechende Beschuldigtenvernehmung übertragbar war.289 Die Vorlage des Rechtsausschusses zu § 163a Abs. 1 S. 2 StPO a. F. stieß sodann im Rahmen der Sachverständigenanhörung mehrheit­ lich auf Zustimmung290 und wurde schließlich am 21.02.2013 vom Bundes­ tag mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der Linken und bei Enthaltung der Grünen angenommen.291 Nachdem der Bun­ desrat keinen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses gem. Art. 77 Abs. 2 GG stellte292, konnte das Gesetz zur Intensivierung des Ein­ satzes von Videotechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren schlussendlich am 30.03.2013 – und damit mehr als fünf Jahre nach dem ursprünglichen Gesetzesantrag des Landes Hessen – verkündet werden.293

II. Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens (2017) Das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017294 markierte eine weitere legislative Zäsur, mit der vor allem „zeitgemäße[] Instrumente zur Ermittlung des wahren Sachverhalts“295 erprobt werden sollten. Als funktionstüchtiges Mittel zur Erforschung des wahren Sachverhalts wurde hierbei eine neue Regelung zur audiovisuellen Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen im Ermitt­ lungsverfahren angepriesen.296 Die dazugehörigen Vorschriften fanden sich boten ist oder 2. zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht ver­ nommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforder­ lich ist; BGBl. I 2009, S. 2280. 289  Vgl. BT-Drucks. 17/12418, S. 16. 290  Vgl. BRAK-Stellungnahme-Nr. 30/2010, S. 8; Deckers, Stellungnahme zu BTDrucks. 17/1224, S. 1; Gaede, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 9; Stahlmann-Liebelt, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 3; diff. DAV-Stellungnahme Nr. 42/2010, S. 4 ff., der die Ausweitung der Videokonferenztechnik zwar grundsätz­ lich befürwortet, jedoch (weitergehender als BT-Drucks. 17/1224 und BT-Drucks. 17/12418) hierbei eine obligatorische Aufzeichnung des gesprochenen Wortes for­ dert; kritisch Bockemühl, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 2 ff., der auf mögliche Gefahren für die Wahrheitsermittlung aufgrund der nur eingeschränkten Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit der Teilnehmer/-innen einer Video­ konferenz hinweist. 291  BT-Plenarprotokoll 17/222, S. 27663 D; vgl. auch BR-Drucks. 164/13. 292  BR-Drucks. 164/13. 293  BGBl. I S. 935. 294  BGBl. I S. 3202 ff.; ausführlich zur Gesetzgebungsgeschichte Michel, S.  40 ff. 295  BR-Drucks. 796/16, S. 2; BT-Drucks. 18/11277, S. 1 f. 296  BT-Drucks. 18/11277, S. 1 f.



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung185

auf der Grundlage des bisherigen Rechts in § 163a Abs. 1 S. 2 StPO a. F. i. V. m. §§ 58a Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 3 StPO.297 Die Neuregelung wurde hinge­ gen in § 136 Abs. 4 StPO a. F. verortet: § 136 StPO […] (4)  1Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet wer­ den. 2Sie ist aufzuzeichnen, wenn 1.  dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen, oder 2.  die schutzwürdigen Interessen von a)  Beschuldigten unter 18 Jahren oder b)  Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können. 3

§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.298

Die Neuregelung verfolgte in erster Linie das Ziel der „Verbesserung der Wahrheitsfindung“299 durch die „Verbesserung der Sachverhaltsaufklärung“. Daneben wurde mit ihr auch ein verbesserter Schutz des Beschuldigten vor unsachgemäßen und rechtswidrigen Vernehmungsmethoden bezweckt.300 Ebenso sollte die Vernehmungsperson künftig besser vor falschen Beschuldi­ gungen betreffend die Art und Weise der Vernehmung geschützt werden.301 Die Erweiterung der Videodokumentation sollte schließlich auch der Moder­ nisierung des Strafprozesses im Hinblick auf die internationale und europäi­ sche Entwicklung dienen.302 Die Konzeption des § 136 Abs. 4 StPO lässt sich hierbei wie folgt zusammenfassen: § 136 Abs. 4 S. 1 StPO lässt – wie 297  § 163a Abs. 1 S. 2 StPO wurde durch das Gesetz zur effektiveren und praxis­ tauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens aufgehoben; BGBl. I S. 3202 (3209). Die Regelung ist am 01.01.2020 in Kraft getreten; BGBl. I S. 3202 (3213). Einge­ hend zu den vormaligen Unzulänglichkeiten dieser „Verweisungslösung“ Michel, S.  144 ff. 298  BGBl. I S. 3202 (3208). Der Gesetzgeber hatte sich damit für eine gesonderte Beschuldigtenregelung und nicht nur für einen Verweis in § 136 Abs. 4 StPO auf die §§ 58a, 58b StPO (so aber noch der ursprüngliche Referentenentwurf des BMJV vom 27.05.2016) entschieden. 299  Skeptisch zu dieser Zielsetzung Radtke, DRiZ 2017, 190 (191); ders., Stellung­ nahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 5 f. 300  Vgl. aber Michel, S. 165, die den Schutz des Beschuldigten hier „eher als Ne­ benprodukt“ ansieht. 301  BR-Drucks. 796/16, S. 22; BT-Drucks. 18/11277, S. 24. 302  Näher BR-Drucks. 796/16, S. 22; BT-Drucks. 18/11277, S. 24.

186 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

bislang fakultativ – die Aufzeichnung aller Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren zu. Zusätzlich besteht nun aber eine Aufzeichnungs­ pflicht, wenn dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt303 zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen304 (§ 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StPO). Eine Aufzeichnungspflicht besteht weiterhin, wenn hier­ durch die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seeli­ schen Störung leiden (§ 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 StPO), besser gewahrt werden können. Unter den gleichen Voraussetzungen war damals auch eine Auf­ zeichnungspflicht für alle Beschuldigten unter 18 Jahren vorgesehen.305 § 136 Abs. 4 StPO a. F. enthielt damit die – bis zu diesem Zeitpunkt – weit­ reichendste Regelung zur Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen. Die Vorschrift ist allerdings erst am 01.01.2020 in Kraft getreten306, um den Ländern eine Übergangsfrist für die Anschaffung der erforderlichen Technik einzuräumen.307

III. Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren (2019) Seine aktuelle Fassung hat § 136 Abs. 4 StPO308 durch das Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren vom 09.10.2019 erhalten. Die Neuregelung ist am 01.01.2020 in Kraft getre­ ten309 und lautet wie folgt: § 136 StPO […] (4)  1Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet wer­ den. 2Sie ist aufzuzeichnen, wenn 303  Näher

hierzu S. 193 ff. zu diesen Tatbestandsausschlüssen S. 206 ff. 305  Diese Textpassage wurde mittlerweile jedoch wieder gestrichen; BGBl. I 2019, 2146 (2151). 306  Vgl. BGBl. I S. 3202 (3213). 307  Die Anschaffungskosten in den Ländern werden auf 8.510.000 € geschätzt; vgl. BT-Drucks. 18/11277, S. 17. 308  Die Regelung des § 136 Abs. 4 StPO gilt unmittelbar nur für richterliche Be­ schuldigtenvernehmungen. Sie findet jedoch über § 163a Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 2 StPO auch für staatsanwaltschaftliche und polizeiliche Beschuldigtenvernehmungen entsprechende Anwendung. In zeitlicher Hinsicht ist die Vorschrift auf die Beschul­ digtenvernehmung im Ermittlungsverfahren begrenzt; näher Michel, S.  149 ff. 309  BGBl. I S. 2146 (2152). 304  Näher



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung187 1.  dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder 2. die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter einge­ schränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können. 3

§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

Durch diese Gesetzesreform wurde – anknüpfend an das Gesetz zur effek­ tiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017310 und mit Rücksicht auf die Umsetzung der RL 2016/800/ EU311 – nicht nur eine spezifische Regelung im JGG getroffen, sondern auch eine entsprechende Anpassung in § 136 Abs. 4 StPO vorgenommen.312 Wäh­ rend sich die Aufzeichnungspflicht nach § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 a) StPO a. F. noch auf Vernehmungen von Beschuldigten unter 18 Jahren erstreckte313, ist für diese Personengruppe nunmehr eine eigenständige Regelung in § 70c JGG314 vorgesehen: § 70c JGG (1)  Die Vernehmung des Beschuldigten ist in einer Art und Weise durchzuführen, die seinem Alter und seinem Entwicklungs- und Bildungsstand Rechnung trägt. (2)  1Außerhalb der Hauptverhandlung kann die Vernehmung in Bild und Ton auf­ gezeichnet werden. 2Andere als richterliche Vernehmungen sind in Bild und Ton aufzuzeichnen, wenn zum Zeitpunkt der Vernehmung die Mitwirkung eines Vertei­ digers notwendig ist, ein Verteidiger aber nicht anwesend ist. 3Im Übrigen bleibt § 136 Absatz 4 Satz 2 der Strafprozessordnung, auch in Verbindung mit § 163a Absatz 3 Satz 2 oder Absatz 4 Satz 2 der Strafprozessordnung, unberührt. 4Wird die Vernehmung in Bild und Ton aufgezeichnet, gilt § 58a Absatz 2 und 3 der Strafprozessordnung entsprechend.

310  BGBl. I

S. 3202 ff.; ausführlich zur Gesetzgebungsgeschichte Michel, S.  40 ff. 2016/800/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.05.2016 über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschul­ digte Personen in Strafverfahren sind. Die Richtlinie gilt nach Art. 2 Abs. 1 S. 1 RL 2016/800/EU „für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in einem Straf­ verfahren sind“, wobei unter dem Begriff des Kindes „eine Person im Alter von unter achtzehn Jahren“ zu verstehen ist (Art. 3 Nr. 1 RL 2016/800/EU); näher zum persön­ lichen Geltungsbereich Erwägungsgrund Nr. 12 S. 2, Art. 2 Abs. 3 S. 1 RL 2016/800/ EU; Bock/Puschke, ZJJ 2019, 224 (226 f.); Eckel/Körner, NStZ 2019 433 (434); Michel, S. 203. 312  BR-Drucks. 368/19, S. 2; BT-Drucks. 19/13837, S. 2. 313  Vgl. oben S. 185. 314  Für eine Neuregelung im Rahmen des § 44 JGG plädieren hingegen Michel, S.  215 f.; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (143). 311  RL

188 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung (3)  1Eine Aufzeichnung in Bild und Ton nach Absatz 2 lässt die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Protokollierung von Untersuchungshandlungen unbe­ rührt. 2Wird eine Vernehmung des Beschuldigten außerhalb der Hauptverhandlung nicht in Bild und Ton aufgezeichnet, ist über sie stets ein Protokoll aufzunehmen. (4)  1Ist oder wird die Mitwirkung eines Verteidigers zum Zeitpunkt einer Verneh­ mung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung (§ 58 Absatz 2 der Strafpro­ zessordnung) notwendig, ist diese für eine angemessene Zeit zu verschieben oder zu unterbrechen, wenn ein Verteidiger nicht anwesend ist und kein Fall des § 68b vorliegt. 2Satz 1 gilt nicht, wenn der Verteidiger ausdrücklich auf seine Anwesen­ heit verzichtet hat.315

Begründet wurde der Wegfall des § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 a) StPO a. F. mit der Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 RL 2016/800/EU316 und der Berücksichti­ gung von Verhältnismäßigkeitsaspekten im Zusammenhang mit der Verteidi­ germitwirkung317: So sei bei der Anordnung einer audiovisuellen Aufzeich­ nung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung neben der „Schwere der mutmaßlichen Straftat, der Komplexität des Falles und der Maßnahmen, die in Bezug auf eine solche Straftat ergriffen werden“, nach Art. 9 Abs. 1 RL 2016/800/EU insbesondere zu berücksichtigen, „ob (bei der Vernehmung) ein Rechtsbeistand zugegen oder dem Kind die Freiheit entzogen ist“.318 Da ein Rechtsbeistand aber nach den Vorgaben in Art. 6 Abs. 3 S. 2 a) der RL 2016/800/EU319 bei der Vernehmung eines Jugendlichen grundsätzlich320 anwesend sein wird, sei wegen der hierdurch gewährleisteten Unterstützung des Verteidigers, „dem das Hinwirken auf eine altersgerechte, faire und pro­ zessordnungsgemäße Vernehmung obliegt“, eine „parallele Aufzeichnung der 315  BGBl. I

S. 2146 (2150). Abs. 1 RL 2016/800/EU (Audiovisuelle Aufzeichnung der Befragung) lautet wie folgt: „(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass von der Polizei oder ei­ ner anderen Strafverfolgungsbehörde während des Strafverfahrens durchgeführte Be­ fragungen audiovisuell aufgezeichnet werden, wenn dies unter den Umständen des Falles verhältnismäßig ist, wobei unter anderem zu berücksichtigen ist, ob ein Rechtsbeistand zugegen oder dem Kind die Freiheit entzogen ist, sofern das Kindes­ wohl immer eine vorrangige Erwägung ist“. 317  BR-Drucks. 368/19, S. 33; BT-Drucks. 19/13837, S. 34. 318  BR-Drucks. 368/19, S. 33, 34; BT-Drucks. 19/13837, S. 34; vgl. hierzu auch Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 2: „Im ersteren Fall ist er bereits wegen der bestehenden Verteidigung weniger schutzbedürftig, im letzteren Fall er­ höht sich hingegen seine Schutzbedürftigkeit“. 319  Art 6. Abs. 3 S. 2 a) RL 2016/800/EU lautet: „Die Mitgliedstaaten stellen si­ cher, dass Kinder unverzüglich von einem Rechtsbeistand unterstützt werden, wenn sie davon in Kenntnis gesetzt werden, dass sie Verdächtige oder beschuldigte Person sind. In jedem Fall werden Kinder ab dem zuerst eintretenden der folgenden Zeit­ punkte von einem Rechtsbeistand unterstützt: a) vor ihrer Befragung durch die Poli­ zei oder andere Strafverfolgungs- oder Justizbehörden […]“. 320  Ausnahmen sind in Art. 6 Abs. 6 UAbs. 1 und Abs. 8 RL 2016/800/EU vorge­ sehen. 316  Art. 9



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung189

Vernehmung in Bild und Ton grundsätzlich nicht erforderlich“.321 Dement­ sprechend sieht § 70c Abs. 2 S. 2 JGG nunmehr vor, dass „andere als richter­ liche Vernehmungen“ in Bild und Ton aufzuzeichnen sind, „wenn zum Zeit­ punkt der Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, ein Verteidiger aber [ausnahmsweise] nicht anwesend ist“.322 Die fehlende Un­ terstützung des Beschuldigten durch einen Verteidiger werde in diesem Fall (wertungsmäßig) durch eine audiovisuelle Aufzeichnung der Vernehmung kompensiert.323 Im Übrigen bleibt die Regelung des § 136 Abs. 4 S. 2 StPO nach § 70c Abs. 2 S. 3 JGG unberührt, sodass eine unbedingte Aufzeich­ nungspflicht auch in den dort genannten Fällen – unabhängig von der Anwe­ senheit eines Verteidigers – besteht. Eine generelle Aufzeichnungspflicht für alle Fälle, die unterhalb der Schwelle einer notwendigen Verteidigung liegen, bewertete der Gesetzgeber hingegen als „nicht angemessen“, sodass in die­ sen Fällen nur auf die in § 70c Abs. 2 S. 1 JGG vorgesehene „Kann-Vor­ schrift“ zurückgegriffen werden kann.324 Im Rahmen des hier eingeräumten Ermessens hat der Vernehmende – neben den eingangs beschriebenen Ver­ hältnismäßigkeitskriterien (u. a. Schwere der mutmaßlichen Straftat325 und Komplexität des Sachverhaltes) – auch zu berücksichtigen, ob ein „beson­ dere[r] Schutzbedarf auf Grund sehr geringen Alters, des individuellen Ent­ wicklungsstandes oder besonderer persönlicher oder äußerer Benachteiligun­ gen des Jugendlichen“ besteht.326 Stets muss jedoch das Wohl des Jugendli­ chen ein vorrangiges Ermessenskriterium darstellen.327 321  BR-Drucks. 368/19, S. 34; BT-Drucks. 19/13837, S. 34. Dasselbe gilt auch im Falle eines bestehenden Freiheitsentzugs oder bei einer Haftvorführung; vgl. Art. 6 Abs. 3 UAbs. 2 c), Abs. 6 UAbs. 2 a) und b) RL 2016/800/EU. Diese Regelungen decken sich nach geltender Rechtslage mit § 68 JGG und mit den nach Maßgabe des § 2 Abs. 2 JGG anwendbaren §§ 140, 141 StPO. 322  Die Aufzeichnungspflicht erfasst darüber hinaus auch die in §§ 68a Abs. 1 S. 2, 68b JGG geregelten Sachverhalte, da auch in diesen Fällen die Mitwirkung eines Verteidigers i. S. des § 70c Abs. 2 S. 2 JGG notwendig ist; vgl. auch Eisenberg/Kölbel-JGG, § 70c Rn. 20; ferner BeckOK-JGG/Pawlischta, § 70c Rn. 11. 323  BeckOK-JGG/Pawlischta, § 70c Rn. 9. 324  BR-Drucks. 368/19, S. 34; BT-Drucks. 19/13837, S. 35. 325  Fälle der Bagatellkriminalität dürften daher regelmäßig ausscheiden; vgl. Ecker/Körner, NStZ 2019, 433 (437). 326  Als Beispiel für eine solche Benachteiligung des Jugendlichen nennt der Ge­ setzgeber etwa einen eingeschüchterten Zustand auf Grund eines Polizeigewahrsams, der noch nicht einen Fall der notwendigen Verteidigung begründet; vgl. BR-Drucks. 368/19, S. 35; BT-Drucks. 19/13837, S. 35; vgl. hierzu auch Ecker/Körner, NStZ 2019, 433 (437). 327  BR-Drucks. 368/19, S. 35; BT-Drucks. 19/13837, S. 35; hierzu auch Erwä­ gungsgrund Nr. 42 RL 2016/800/EU: „Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind, können den Inhalt von Befragungen, denen sie unter­ zogen werden, nicht immer verstehen. Um einen ausreichenden Schutz für diese

190 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

B. Die Befugnistatbestände der §§ 136 Abs. 4 StPO, 70c Abs. 2 JGG Die Neuregelung des § 136 Abs. 4 StPO wurde bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens vielfach kritisiert.328 Selbst die Bundesregierung hat sich in ihrem Gesetzesentwurf vorbehalten, zu prüfen, ob die beabsich­ tigten Wirkungen bei den Gerichten erreicht werden können und ob die fi­ nanziellen Aufwendungen in einem angemessenen Verhältnis zu den Rege­ lungswirkungen der Vorschrift stehen. Zu diesem Zwecke sollen die Ziele des Vorhabens und die Auswirkungen der Neuregelungen fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes einer Evaluation unterzogen werden.329 Sollte sich speziell die audiovisuelle Dokumentation der Beschuldigtenvernehmun­ gen in diesem Zuge bewährt haben, erscheint nach dem Regierungsentwurf auch eine Erweiterung der bisherigen Aufzeichnungspflicht nicht ausge­ schlossen: In diesem Fall könne sogar „über eine Ausweitung der Aufzeich­ nungspflicht auch auf andere schwere Straftaten nachgedacht werden“.330 Dieses gesetzgeberische Konzept erscheint jedoch nicht in jeder Hinsicht plausibel, da bereits im Regierungsentwurf ausdrücklich darauf abgestellt wurde, dass das herkömmliche schriftliche Inhaltsprotokoll „grundsätzlich fehleranfällig“ und eine audiovisuelle Aufzeichnung diesem gegenüber auf­ grund der Möglichkeit einer authentischen Wiedergabe des Vernehmungsab­ laufs „überlegen“ sei.331 Der „erhebliche Beitrag für die Verbesserung der Sachverhaltsaufklärung“, den die Aufzeichnungspflicht nach § 136 Abs. 4 S. 2 StPO leistet, soll nach dem Willen des Gesetzgebers damit jedenfalls für mindestens fünf Jahre (wenn man die Dauer eines Gesetzgebungsverfah­ rens miteinberechnet, erscheinen auch weitere vier Jahre möglich) lediglich auf einen sehr kleinen Teil der Beschuldigtenvernehmungen332 beschränkt Kinder sicherzustellen, sollte deren Befragung durch die Polizei oder andere Strafver­ folgungsbehörden daher audiovisuell aufgezeichnet werden, wenn dies verhältnismä­ ßig ist, wobei unter anderem zu berücksichtigen ist, ob ein Rechtsbeistand zugegen ist oder den Kindern die Freiheit entzogen ist, wobei das Kindeswohl immer eine vorrangige Erwägung sein sollte“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]; vgl. auch Art. 24 Abs. 2 EU-GRCh: „Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwä­ gung sein“; vgl. zum nahezu gleichen Wortlaut auch Art. 3 Abs. 1 UN-KRK. 328  Vgl. nur BT-Plenarprotokoll 953, S. 41; BT-Plenarprotokoll 18/221, S. 22146 ff.; ferner BR-Drucks. 796/16 (Beschluss), S. 3. 329  Vgl. BR-Drucks. 796/16, S. 14; BT-Drucks. 18/11277, S. 18. 330  BR-Drucks. 796/16, S. 22; BT-Drucks. 18/11277, S. 24. 331  BR-Drucks. 796/16, S. 22; BT-Drucks. 18/11277, S. 24. 332  Laut dem Bericht der deutschen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wurden im Jahr 2019 in der Bundesrepublik Deutschland 2.315 Fälle von „Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen“ (einschließlich Versuche) registriert. Ihr Anteil an der



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung191

werden.333 Neben dieser Ungereimtheit des Regelungskonzepts weist die Vorschrift aber auch weitere inhaltliche Defizite auf, die im Folgenden nä­ her beleuchtet werden sollen:

I. Duldungspflicht des Beschuldigten Fraglich ist bereits, wie im Falle eines aussagebereiten Beschuldigten, der lediglich die audiovisuelle Aufzeichnung seiner Vernehmung ablehnt, verfah­ ren werden soll. Zunächst ist zu konstatieren, dass es dem Beschuldigten aufgrund seines Schweigerechts (§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO) freisteht, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Entscheidet er sich dafür, zur Sache auszusagen und schreibt das Gesetz in seinem Fall eine unbedingte Aufzeichnungspflicht vor, kann sich der Beschuldigte einer ihm „unliebsamen“ Videoaufzeichnung334 zwar – anders als der Zeuge335 – faktisch durch die schlichte Ausübung seines Schweigerechts entziehen.336 Eine solche Verfahrensweise, die dem Beschuldigten nur diese beiden Wahl­ möglichkeiten – (1) Aussagetätigung unter Videodokumentation oder (2) Aussageverweigerung – überlässt, würde jedoch nicht nur dem staatlichen Sachaufklärungsinteresse zuwiderlaufen, sondern auch das dem Beschuldig­ ten gewährleiste Recht auf Gehör vor Abschluss der Ermittlungen (§ 163a Abs. 1 S. 1 StPO, vgl. auch Art. 103 Abs. 1 GG) und seine hiermit verbun­ dene Entschließungsfreiheit konterkarieren.337 Ebenso können negative Fol­ gen mit Blick auf die konkrete Verteidigungsstrategie des Beschuldigten, vor allem in Bezug auf den schuldmindernden Wert eines Geständnisses, nicht Gesamtkriminalität betrug damit weniger als 0,1 %. Die Zahl der Tatverdächtigen betrug hierbei 2.995; vgl. hierzu PKS Jahrbuch 2019, Band 4, Version 1.0, S. 11 ff. 333  Damit hat sich der Gesetzgeber für eine Regelung entschieden, die weit hinter den Empfehlungen der Expertenkommission liegt; vgl. BMJV, Bericht der Experten­ kommission (2015), S. 67 ff.; RefE GzeupAdS vom 27.05.2016, S. 4 ff.; kritisch hierzu Altenhain, FS Kindhäuser (2019), S. 975 (976); vgl. auch Conen, AnwBl. 2017, 972; Wickel, ZIS 2020, 311 (312). 334  Zur Unzulässigkeit heimlicher Aufzeichnungen Michel, S.  191 ff. m. w. N., 334. 335  Vgl. hierzu S. 64 ff. 336  Hierauf stellt der Gesetzgeber auch maßgebend in seiner Gesetzesbegründung ab; BT-Drucks. 11277, S. 25: „Der Beschuldigte kann […] aufgrund der aus dem Nemo-Tenetur-Grundsatz folgenden Freiheit, sich selbst zu belasten, die Aussage ver­ weigern. Über sein Recht zu schweigen kann er sich daher auch der Aufzeichnung entziehen“; vgl. auch BT-Drucks. 11277, S. 47: „Anlass für die Schaffung weiterer Ausnahmetatbestände besteht nicht, zumal dem Beschuldigten das Recht zusteht, seine Aussage zu verweigern“; kritisch zur (faktischen) Gleichsetzung von „Auf­ zeichnungswiderspruch“ und „Aussageverweigerungsrecht“ Michel, S.  196 ff. 337  Kritisch hierzu auch LR/Erb, § 163a Rn. 47; Weigend, StV 2019, 852 (854); ferner DRB-Stellungnahme Nr. 24/16, S. 4, der insofern von einer „der Wahrheitsfin­ dung nicht dienlich[en]“ Regelung ausgeht.

192 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

ausgeschlossen werden.338 Diese negativen Auswirkungen gelten hierbei al­ lesamt nicht nur im Falle des grundsätzlich aussagebereiten Beschuldigten, der nur aufgrund der dazugehörigen Aufzeichnung der Vernehmung von sei­ nem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, sondern etwa auch im Falle des grundsätzlich aussagebereiten, aber ersichtlich aufgrund der Auf­ zeichnung im Rahmen seiner (inhaltlichen) Einlassung gehemmten Beschul­ digten, der sich letztlich nur zur Aufzeichnung hat „breitschlagen lassen“, weil die Einlassung zur Sache in diesem Verfahrensstadium zu seiner unab­ dingbaren Verteidigungsstrategie gehört. Um dieses – der Wahrheitsfindung sowie den Beschuldigten- und Verteidigungsinteressen widerstrebende – Er­ gebnis zu verhindern, sollte in diesen Fällen daher von einer audiovisuellen Aufzeichnung abgesehen werden. Der Rechtsausschuss des Deutschen Bun­ destages nimmt dementsprechend bereits einen der Aufzeichnungspflicht entgegenstehenden „äußeren Umstand“ in Form eines Tatbestandsausschlus­ ses339 an, wenn sich der Beschuldigte – bei grundsätzlicher Aussagebereit­ schaft – weigert, gerade vor einer Kamera auszusagen.340 Gleiches gilt für den Ausschlussgrund der „besonderen Dringlichkeit“, der einschlägig sein soll, wenn „man besonders schnell eine Aussage des Beschuldigten benötigt, dieser aber Gründe aufführt, nicht vor der Kamera auszusagen zu wollen“.341 Die gleichen Erwägungen gelten – unter Berücksichtigung des Kindes­ 338  Näher Löffelmann, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 7: „Entscheidet er [der Beschuldigte] sich dafür, nichts zu sagen, muss er u. U. Nachteile für seine Verteidigungsstrategie – etwa den in geringerer Weise schuldmindernden Wert eines erst späten Geständnisses – in Kauf nehmen“; hierzu auch Michel, S. 197; zur Ge­ wichtigkeit eines Geständnisses im Rahmen der Strafzumessung Schönke/Schröder/ Kinzig, § 46 Rn. 41b. 339  Vgl. DSV-Stellungnahme zu RefE BMJV, S. 5. 340  BT-Drucks. 18/12785, S. 59. 341  BT-Drucks. 18/12785, S. 59. Vgl. zu weiteren Lösungen für die beschriebene Problematik Löffelmann, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 3, 7, der für ei­ nen Zustimmungsvorbehalt des Beschuldigten plädiert; ferner SSW-StPO/Eschelbach, § 136 Rn. 143, der sogar – etwas missverständlich – eine gesetzliche Hinweispflicht fordert: Der Beschuldigte müsse auch darauf hingewiesen werden, „einer Verneh­ mung nur unter der Voraussetzung zuzustimmen und sich dabei zur Sache zu äußern, wenn keine audiovisuelle Aufzeichnung stattfindet“; Michel, S. 208, die dem Be­ schuldigten zumindest ein Widerspruchsrecht gegen die Videoaufzeichnung gewähren möchte; Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 217 (229), die das Er­ messen des Vernehmenden in diesem Fall dahingehend konkretisieren möchte, „dass ein Widerspruch gegen die Aufzeichnung grundsätzlich zu einem Verzicht auf die Aufzeichnung führt“; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrates in BT-Drucks. 18/11277, S. 45, der die Problematik mithilfe der Aufnahme des Kriteriums der „Ge­ botenheit“ lösen, um Beurteilungsspielräume für eine Abwägung im Einzelfall zu er­ öffnen; a. A. BRAK-Stellungnahme Nr. 17/2017, S. 5; ferner Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (142): Ein Verzicht des Beschuldigten auf eine verpflichtende audio­ visuelle Aufzeichnung komme „nicht in Betracht, da Letztere nicht allein dem Indivi­



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung193

wohls342 – entsprechend für die audiovisuelle Vernehmung des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden (vgl. § 109 Abs. 1 S. 1 JGG343) im Rahmen des § 70c Abs. 2 S. 1 und 2 JGG. Überdies ist zu prognostizieren, dass sich ein Be­ schuldigter – auch aufgrund der Schutzfunktion der Videoaufzeichnung – nur im Ausnahmefall vor der Aufzeichnung sträuben wird344, zumal es hier auch Aufgabe der Verteidigung sein wird, den Beschuldigten auf die Vorteile einer Aufzeichnung gegenüber dem üblichen Inhaltsprotokoll hinzuweisen.345

II. Beschränkung auf vorsätzliche Tötungsdelikte Die in § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StPO (gegebenenfalls i. V. m. § 70c Abs. 2 S. 3 JGG) vorgesehene Aufzeichnungspflicht ist bislang lediglich auf Verfah­ ren wegen vorsätzlicher Tötungsdelikte beschränkt.346 Den Begriff der vorsätzlichen Tötungsdelikte präzisierte der Gesetzgeber hierbei wie folgt: Hier­ unter seien „die Delikte der §§ 211 bis 221 des Strafgesetzbuchs im Falle einer vorsätzlichen Begehungsweise sowohl im Stadium des Versuchs als auch der Vollendung [umfasst]“. Erfasst seien aber auch „erfolgsqualifizierte Delikte, sofern der Vorsatz auch auf den Eintritt der schweren Folge gerichtet dualschutz, sondern im Sinne einer erleichterten Wahrheitsfindung zugleich dem all­ gemeinen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung dient“. 342  Zur vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls betreffend die Maßnah­ men innerhalb eines Strafverfahrens vgl. Erwägungsgrund Nr. 42 RL 2016/800/EU zur Verhältnismäßigkeit einer Videoaufzeichnung; ferner Art. 24 Abs. 2 EU-GRCh und Art. 3 Abs. 1 UN-KRK bezogen auf alle „Maßnahmen“, die „Kinder“ betreffen; vgl. zur Behandlung eines „Kindes“, d. h. eines Menschen, der das achtzehnte Le­ bensjahr noch nicht vollendet hat (Art. 1 UN-KRK), in Strafverfahren auch Art. 40 Abs. 1 UN-KRK: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht jedes Kindes an, das der Verletzung der Strafgesetze verdächtigt, beschuldigt oder überführt wird, in einer Weise behandelt zu werden, die das Gefühl des Kindes für die eigene Würde und den eigenen Wert fördert […]. Nach Art. 12 Abs. 1 UN-KRK spielt hierbei auch die Be­ rücksichtigung des Kindeswohles eine maßgebliche Rolle: „Die Vertragsstaaten si­ chern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife“; hierzu auch Michel, S. 204. 343  Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 19/13837, S. 73. 344  Dies wird insbesondere der Fall sein, wenn die mit der Aufzeichnung u. U. verbundenen Nachteile (insbesondere tatsächlicher Natur, wie z. B. Scham/Unsicher­ heit des Beschuldigten in Bezug auf den konkreten Vernehmungsinhalt und der end­ gültigen Fixierung seines Aussageinhalts sowie der Weiterverwendung der Aufzeich­ nung, aber auch sonstige Hemmnisse, vor einer Videokamera auszusagen) als die Vorteile überwiegend eingeschätzt werden. 345  Vgl. Basar, KriPoZ 2017, 95 (99). 346  Die konkrete Beteiligungsform (Täter oder Teilnehmer) ist dabei irrelevant; Weigend, StV 2019, 852 (855).

194 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

war“. „In diesen Fällen“ sei jedoch „regelmäßig ohnehin ein vollendetes Tötungsdelikt i. S. der §§ 211, 212 StGB gegeben“.347 Zwar werden tatbe­ standliche Kombinationen aus vorsätzlicher (§ 15 StGB) Handlung und fahr­ lässigem verursachten (gegebenenfalls Gefährdung-)Erfolg nach § 11 Abs. 2 StGB insgesamt wie Vorsatzdelikte behandelt.348 Der Gesetzgeber wollte je­ doch explizit nur solche erfolgsqualifizierten Delikte von der Aufzeichnungs­ pflicht erfasst haben, deren Vorsatz auf den Eintritt des Todes gerichtet war. Die oben genannte Ergänzung wird in der Praxis damit nur konkurrenzrecht­ liche Bedeutung haben.349 Das gesetzgeberische Konzept weist jedoch bereits kein in sich geschlos­ senes und widerspruchsfreies System im Rahmen der tatbestandlichen Be­ grenzung auf350 und ist in dieser Form daher unbefriedigend: Der Gesetzge­ ber begründete die tatbestandliche Begrenzung mit der herausgehobenen Stellung der vorsätzlich begangenen Tötungsdelikte und dem hohen Ermitt­ lungsaufwand, den dieser Deliktsbereich nicht selten erfordere.351 Bei den vorsätzlichen Tötungsdelikten handele es sich zudem „um äußerst schwer­ wiegende Delikte, die mit hohen Freiheitsstrafen bedroht sind“.352 § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StPO soll demnach diejenigen Fälle umfassen, „bei denen 347  BR-Drucks.

796/16, S. 25; BT-Drucks. 18/11277, S. 27. § 11 Rn. 54. 349  SSW-StPO/Eschelbach, § 136 Rn. 144. 350  Die tatbestandliche Begrenzung wurde bereits im Rahmen der ersten Beratung des Entwurfs eines GzeupAdS am 09.03.2017 kritisiert; vgl. hierzu die Stellungnahme von Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), BT-PlPr. Nr. 18/221, S. 22147: „Die große Expertenkommission […] hat […] Empfehlungen gegeben. Was ist davon übrig ge­ blieben? […] Zwingend ist das [die Aufzeichnung] aber nur […] bei einer einzigen Straftat: Es muss sich um ein Tötungsdelikt handeln. Wie viele Verfahren von den Strafverfahren in Deutschland betreffen ein Tötungsdelikt? Ich schätze diese Zahl auf weit unter 1 Prozent“; kritisch zur tatbestandlichen Begrenzung auch Conen, ­Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 4; ferner Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 488: „Die Regelung muss ausgeweitet werden – mindestens auf alle Verbrechens­ tatbestände“; für eine obligatorische Aufzeichnung aller Beschuldigtenvernehmungen plädieren Altenhain, ZIS 2015, 269 (282), BT-Drucks, 19/11090, S. 2, 5 (Fraktion der FDP); Bockemühl, KriPoZ 2019, 375 (377); Drews, S. 255; Eschelbach, 39. Strafver­ teidigertag, S. 45; Nestler, ZIS 2014, 594 (599); Roxin/Schünemann, § 69 Rn. 6; Schlothauer, StV 2016, 607 (613); Wickel, ZIS 2020, 311 (318); Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (702); ähnlich Michel, S. 124: „Das derzeit praktizierte Regel-Aus­ nahme-Verhältnis sollte […] umgekehrt und in der Regel audiovisuell und nur mehr ausnahmsweise (ausschließlich) schriftlich protokolliert werden“; vgl. ferner Thiele, Dokumentation des Ermittlungsverfahrens, S. 261 (275), der für eine stufenweise Ein­ führung einer verbindlichen audiovisuellen Dokumentationspflicht im Ermittlungs­ verfahren plädiert (1. Stufe: Videodokumentationen aller Vernehmungen zu Verbre­ chensvorwürfen, 2. Stufe: umfassende Einführung der Videodokumentation). 351  BR-Drucks. 796/16, S. 21 f.; BT-Drucks. 18/11277, S. 24. 352  BR-Drucks. 796/16, S. 23; BT-Drucks. 18/11277, S. 25. 348  BeckOK-StGB/Kudlich,



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung195

eine audiovisuelle Dokumentation zur Optimierung der Wahrheitsfindung und zum Schutz des Beschuldigten regelmäßig geboten ist“.353 Die Optimie­ rung der Wahrheitsfindung gewinnt jedoch umso mehr an Gewicht, je höher das staatliche Aufklärungsinteresse im Einzelfall ist.354 Da das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse wiederum mit der Schwere der Straf­ tat korreliert355, muss eine Aufzeichnungspflicht zumindest an Straftaten mit hoher Strafandrohung anknüpfen. Es ist aber zweifelhaft, ob sich der Gesetzgeber durchweg an seine eigene Zweckbeschreibung gehalten hat. So ist bereits fraglich, warum er zwar Ver­ gehen (z. B. Tötung auf Verlangen gem. § 216 StGB, auch im Falle des Ver­ suchs!), sonstige schwere Straftaten wie z. B. § 251 StGB (Strafandrohung: lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren) aber nicht von der Aufzeichnungspflicht umfasst sehen wollte. Zudem handelt es sich bei den Strafnormen über den Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 ff. StGB) keinesfalls um Delikte, die mit „hohen Freiheitsstrafen“356 bedroht sind.357 Hieraus folgt, dass die Strafandrohung eines Delikts keinen durch­ gängigen Maßstab für die gesetzgeberische Begrenzung darstellte. Auch an den tatbestandlichen Erfolg in Gestalt des Todes eines Menschen hat der Gesetzgeber nicht angeknüpft. Reine Fahrlässigkeitsdelikte (z.  B. § 222 StGB) und Erfolgsqualifikationen (z. B. §§ 227, 251 StGB) wurden vielmehr ausgegrenzt. Dies erscheint aber insofern problematisch, als das im Ermitt­ lungsverfahren überhaupt noch nicht i. S. einer richterlichen Überzeugung feststeht, ob der Beschuldigte (1) überhaupt ein Delikt begangen hat und (2) falls ja, welche Begehungsform das begangene Delikt aufweist. Da sich die Abgrenzung zwischen einer vorsätzlichen Begehungsweise nach §§ 211, 212 StGB und der Begehung etwa einer vorsätzlichen Körperverletzung mit To­ desfolge (§ 227 StGB) oder eines Raubes bzw. einer räuberischen Erpressung mit Todesfolge ([§ 255 StGB i. V. m.] § 251 StGB) in diesem Verfahrens­ stadium oftmals als schwer herausstellen wird358, wurde die praktische Ent­ 353  BR-Drucks.

796/16, S. 25; BT-Drucks. 18/11277, S. 27. BR-Drucks. 796/16, S. 22; BT-Drucks. 18/11277, S. 25. 355  Vgl. BVerfG NJW 2012, 907 (910); BGH NStZ 2019, 227 (228); Neuber, NStZ 2019, 113 (122). 356  BR-Drucks. 796/16, S. 23; BT-Drucks. 18/11277, S. 25. 357  Weigend, StV 2019, 852 (855); Weigend, Audio-visuelle Aufzeichnung, S. 49 (55 f.); vgl. hierzu auch Vorländer, S.  59 ff. 358  Vgl. zu diesen Abgrenzungsschwierigkeiten Mosbacher, Stellungnahme zu BTDrucks. 18/11277, S. 3; Schiemann, KriPoZ 2017, 338 (343); Singelnstein/Derin, NJW 2017, 2646 (2649); SSW-StPO/Eschelbach, § 136 Rn. 144; Vorländer, S.  65 f.; Wickel, ZIS 2020, 311 (313); ferner BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 70; zu skeptisch aber Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 489: „Möglicherweise über­ legen sich die Ermittlungsbehörden bei Fällen, die nicht eindeutig einem Tötungsde­ 354  Vgl.

196 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

scheidungsfindung des Vernehmenden hier unnötig erschwert. Im Übrigen können auch andere Bereiche – wie z. B. Staatsschutzdelikte oder Straftaten gegen das Völkerrecht – einen besonders hohen Unrechtsgehalt aufweisen und erhebliche Ermittlungskapazitäten beanspruchen (ohne zugleich ein vor­ sätzliches Tötungsdelikt zu beinhalten). Umgekehrt ist nicht jedes vorsätz­ liche Tötungsdelikt per se mit aufwändigen Ermittlungen verbunden, so z. B. im Falle eines geständigen Täters und einer einfachen, klaren Beweislage.359 Zu suchen ist daher nach einer gesetzestechnischen Lösung, die dem Sinn und Zweck der Vorschrift gerechter wird. In der Vergangenheit ergingen verschiedene Vorschläge zur Ausgestaltung einer entsprechenden Regelung. Zu nennen ist hier nur der Gesetzesentwurf des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer aus dem Jahr 2010, der vorsieht, dass die Beschuldigtenvernehmung aufzuzeichnen ist, „wenn abzusehen ist, dass in dem gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird“.360 Da über das Vorliegen einer notwendigen Verteidigung in der Praxis ohnehin nach Maßgabe der §§ 140, 141 StPO entschieden werden muss, verspricht dieser Vorschlag insoweit zwar eine Zeitersparnis im Zusammenhang mit der Ent­ scheidungsfindung über eine audiovisuelle Aufzeichnung. Eine Bezugnahme auf § 140 Abs. 2 StPO361 erscheint jedoch nicht praxistauglich, da die Ent­ scheidung über die Bestellung eines Pflichtverteidigers regelmäßig erst nach Anklageerhebung erfolgt (vgl. § 141 Abs. 2 Nr. 4 StPO) und eine Prognose über die „Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge“ im Rahmen der ersten Beschuldigtenvernehmung oftmals noch nicht möglich ist.362 Daher erscheint lediglich eine Anknüpfung an § 140 Abs. 1 Nr. 1 (Hauptverhandlung im ers­ ten Rechtszug vor dem OLG, dem LG oder dem Schöffengericht) oder Nr. 2 likt zuzuordnen sind […] in Zukunft etwas genauer, ob sie von einem Tötungsdelikt ausgehen, weil damit die entsprechende Aufzeichnungspflicht verbunden wäre“. 359  Vgl. DRB-Stellungnahme Nr. 24/16, S. 4. 360  BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 9 (§ 136 Abs. 4 StPO-E); bestätigt noch­ mals durch BRAK-Stellungnahme Nr. 24/2016, S. 5 f.; vgl. hierzu auch Buckow, ZIS 2012, 551 (554); Leitner, S.  126 ff.; Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (699 ff.). 361  § 140 Abs. 2 StPO lautet: „Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Ver­ teidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann“. 362  Näher RefE GzeupAdS vom 27.05.2016, S. 24: „In diesem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens fehlen dem Vernehmenden die für die Bestimmung einer kon­ kreten Straferwartung erforderlichen Informationen über etwaige Vorstrafen des Be­ schuldigten, die Rechtskraft etwaiger bereits ergangener Urteile oder über deren Vollstreckungsstand“; vgl. auch Weigend, StV 2019, 852 (858); ders., Audio-visuelle Aufzeichnung, S. 49 (64); Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (701).



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung197

(Vorwurf eines Verbrechens) denkbar.363 Allerdings dienen die Vorschriften über die notwendige Mitwirkung und Bestellung eines Verteidigers im Straf­ verfahren als Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestal­ tung als Gebot fairer Verfahrensführung (vgl. Art. 6 Abs. 3 c) EMRK) nicht nur der Sicherung der Subjektstellung des Beschuldigten364, sondern auch der Herstellung prozessualer Waffengleichheit der Verfahrensbeteiligten365. Sie verfolgen damit nicht notwendigerweise dieselben Ziele wie die mit der Neuregelung des § 136 Abs. 4 StPO beabsichtigte Optimierung der Wahr­ heitsfindung und Verbesserung des Schutzes des Beschuldigten (auch wenn gewisse Überschneidungen im Zusammenhang mit dem Rechtstaatsgebot nicht verneint werden können). Eine Anknüpfung an (teilweise) zweckfremde Vorschriften ist mithin abzulehnen. Der Alternativ-Entwurf Beweisaufnahme eines Arbeitskreises deutscher, österreichischer und schweizerischer Strafrechtslehrer (Arbeitskreis AE) aus dem Jahre 2014 schlägt hingegen – neben einer Soll-Regelung im Falle eines Verbrechensvorwurfs – vor, dass die Vernehmung aufzuzeichnen ist, „wenn der Beschuldigte dies beantragt“.366 Ein eigenes Antragsrecht in Bezug auf die konkrete Art der Vernehmungsdokumentation ist der Strafprozessordnung jedoch fremd und würde dem Beschuldigten insoweit eine zu weitgehende Dispositionsbefugnis gewähren. Für die Geltendmachung eines Antragsrecht ist zudem ein gewisses Maß an Entscheidungsautonomie und intellektuelles Verständnis erforderlich; diese Fähigkeit kann aber nicht bei jedem Beschul­ digten per se als bestehend vorausgesetzt werden.367 Dieser Vorschlag ist daher ebenfalls abzulehnen. Zu erwähnen ist schließlich auch die mit einer knappen Mehrheit (12:9:0) ergangene Empfehlung der vom BMJV eingesetzten Expertenkommission aus dem Jahre 2015: Hiernach sollen „Beschuldigten- und Zeugenverneh­ mungen […] jedenfalls bei schweren Tatvorwürfen oder bei einer schwieri­ gen Sach- oder Rechtslage im Regelfall audiovisuell aufgezeichnet wer­ den“.368 Lediglich als Orientierungsmaßstab wurden etwa die Delikts­kataloge KriPoZ 2016, 177 (187). 46, 202 (210). 365  BVerfG NJW 2002, 2773 (2774). 366  Über sein Antragsrecht ist der Beschuldigte zu belehren (vgl. § 136 Abs. 4 StPO-AE); näher AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (31). 367  Vgl. Nestler, ZIS 2014, 594 (598), der darauf abstellt, dass dieses Maß an Autonomie jedenfalls bei dem Verfahren gegen die Angehörigen des Landwirts Ru­ dolf Rupp nicht vorlag. 368  BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 17, 18, 67; ähnlich auch der Vorschlag von Swoboda, S. 447: „Sie [die Vernehmung] soll in Bild und Ton aufgezeichnet werden, wenn dies angesichts der Schwere des Tatvorwurfs oder der 363  Basar/Schiemann, 364  BVerfGE

198 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

des § 100b StPO oder § 140 Abs. 1 und 2 StPO vorgeschlagen.369 Dieser Vorschlag erscheint aufgrund seiner äußerst unbestimmten materiellen Vor­ aussetzungen aber noch nicht ausgereift: So ist bereits unklar, welche Delikte unter einen „schweren Tatvorwurf“ subsumiert werden können. Gleiche Un­ sicherheiten bestehen hinsichtlich der „schwierigen Sach- oder Rechtslage“. Hier mangelt es daher an tauglichen objektiven Kriterien zur Bestimmung der materiellen Voraussetzungen der grundsätzlichen Aufzeichnungspflicht. Die Regelung des § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StPO sollte sich daher entweder auf (ihrem Sinn und Zweck entsprechende) spezielle Katalogstraftaten bezie­ hen oder die Vermeidung von erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten im Ermittlungsstadium auf sonstige Weise gewährleisten: So bietet sich bei­ spielsweise eine tatbestandliche Begrenzung des § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StPO auf die in § 74 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–29 GVG normierten Vorschriften an.370 Eine Bezugnahme auf diese Katalogtaten würde jedenfalls dem staatlichen Aufklärungsinteresse sowie dem Schutzbedürfnis des Beschuldigten weiter­ gehend als bislang Rechnung tragen und sich auch in die bisherige ermitt­ lungsbehördliche und gerichtliche Zuständigkeitskonzentration einfügen (in Form der Bildung von Spezialabteilungen für Kapitaldelikte bei den Staats­ anwaltschaften und der Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer für die in § 74 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–29 GVG normierten Kapitaldelikte).371 Ebenso bietet sich eine Bezugnahme auf alle Verbrechenstatbestände an, die hier im Ergeb­ nis aufgrund der weitergehenden Verwirklichung der gesetzgeberischen Ziele vorzugswürdig ist372: Eine Anknüpfung an alle Verbrechenstatbestände geht über den Katalog des § 74 Abs. 2 S. 1 Nr. 1–29 GVG hinaus und dient damit in höherem Maße sowohl der Optimierung der Wahrheitsfindung als auch dem Schutz des Beschuldigten.373 Da Verbrechen im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§ 12 Abs. 1 StPO), stellen sie zudem nicht nur für den Beschuldigten eine empfindliche Straf­ androhung dar; ihnen liegt auch ein erhöhtes staatliches Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse zugrunde. Abgrenzungsprobleme zwischen Verbrechen Komplexität des Vernehmungsgegenstandes erforderlich erscheint“ (§ 163a Abs. 1 S. 4 V-StPO). 369  BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 71; vgl. hierzu RefE GzeupAdS vom 27.05.2016, S. 23, 24; Basar/Schiemann, KriPoZ 2016, 177 (187). 370  Vgl. Mosbacher, DRiZ 2016, 299; bestätigt nochmals durch Mosbacher, Stel­ lungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 3; dem folgend Radtke, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 8. 371  Vgl. Mosbacher, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 3. 372  Für eine Ausweitung auf alle Verbrechenstatbestände plädiert auch Weigend, StV 2019, 852 (858); ders., Audio-visuelle Aufzeichnung, S. 49 (65). 373  Eingehend zur Legitimation einer Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Beschuldigten Michel, S.  84 ff.



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung199

und Vergehen dürften sich schließlich auch in Grenzen halten.374 Die Auf­ zeichnungspflicht sollte nach alledem bereits dann greifen, wenn dem Ver­ fahren der Verdacht eines Verbrechens zugrunde liegt. Überdies würde die Normierung der Videodokumentation der Beschuldig­ tenvernehmung in einer eigenständig hierfür geschaffenen Vorschrift (§ 136b StPO-E) – entsprechend der Regelung des § 58a StPO – die rechtsstaatliche Bedeutung der Vorschrift nochmals betonen und eine zusätzliche Signalwir­ kung für den Rechtsanwender entfalten. Die entsprechende Gesetzesänderung könnte hiernach insgesamt wie folgt lauten: § 136b StPO-E (1) 1Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet wer­ den. 2Sie ist aufzuzeichnen, wenn dem Verfahren der Verdacht eines Verbrechens zugrunde liegt und der Aufzeich­ nung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Verneh­ mung entgegenstehen oder […]

III. Die Aufzeichnungspflicht im Falle besonders schutzbedürftiger Beschuldigter Die Vernehmung des Beschuldigten ist weiterhin aufzuzeichnen, wenn hierdurch die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden (§ 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 [gegebenenfalls i. V. m. § 70c Abs. 2 S. 3 JGG]), besser gewahrt werden können. In diesen Fällen ist die Statuierung einer Aufzeichnungspflicht bereits erforderlich, um die nach­ trägliche Prüfung zu ermöglichen, ob der Beschuldigte sich tatsächlich über die Bedeutung und Tragweite seiner Einlassung bewusst war.375 Dies setzt aber voraus, dass die Vernehmenden die beschriebenen Merkmale (d. h. die „eingeschränkten geistigen Fähigkeiten“ oder die „schwerwiegende seelische Störung“ des Beschuldigten) überhaupt erkennen können.376 Da es sich bei den Vernehmungspersonen der Polizei und Justiz nicht etwa um ausgebildete Psychologen/-innen oder Psychiater/-innen handelt, sind entsprechende 374  Dies gilt jedenfalls, sofern nicht die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit, die ohnehin stets Schwierigkeiten bereitet, über die recht­ liche Einteilung der Straftat entscheidet (so z. B. bei §§ 212, 222 StGB). 375  BT-Drucks. 18/11277, S. 27. 376  Zu den Möglichkeiten der Informationsgewinnung Floren, Audiovisuelle Ver­ nehmung, S. 117 ff.; ausführlich zu den Begrifflichkeiten ders., Audiovisuelle Verneh­ mung, S.  33 ff.; Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 2.

200 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

Schulungen erforderlich, um die Vernehmungspersonen für diese Variante zu sensibilisieren (vgl. Art. 13 Abs. 2 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen [UN-BRK vom 13.12.2006]).377 Mitunter kann sich ein Merkmal i. S. d. § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 StPO auch erst sukzes­ sive im Laufe der Vernehmung zu erkennen geben; in diesem Fall sollte mit der Aufzeichnung der Vernehmung dann von diesem Zeitpunkt an begonnen werden.378 Im Übrigen gilt das bereits Gesagte zur Vernehmung besonders schutzbe­ dürftiger Zeugen sinngemäß379: Eine Aufzeichnungspflicht ist gleichermaßen im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung (auch vor dem Hintergrund des Art. 13 Abs. 1 UN-BRK380) ausdrücklich zu begrüßen, da hierdurch die au­ thentische Nachprüfung des Entstehungsprozesses einer Einlassung, gegebe­ nenfalls auch durch die Begutachtung eines Experten, ermöglicht wird. Be­ ließe man es in diesen Fällen bei einem schriftlichen Inhaltsprotokoll könnte die oftmals nur eingeschränkte Ausdrucksfähigkeit des Beschuldigten in Kombination mit möglichen Wahrnehmungsstörungen und/oder etwaigen (auch unbewusst) gestellten Suggestivfragen seitens der Vernehmungsper­ son381 zu Aussageverzerrungen führen, die sich in der Folge durch das ge­ samte Strafverfahren ziehen.382 Die Einbeziehung dieser Personengruppe 377  Art. 13 Abs. 2 der UN-BRK lautet: „Um zur Gewährleistung des wirksamen Zugangs von Menschen mit Behinderungen zur Justiz beizutragen, fördern die Ver­ tragsstaaten geeignete Schulungen für die im Justizwesen tätigen Personen, ein­ schließlich des Personals von Polizei und Strafvollzug“; vgl. BGBl. II 2008, 1419 (1430). Vgl. zu den Möglichkeiten der Informationsgewinnung auch Floren, Audiovi­ suelle Vernehmung, S.  117 ff. 378  So auch Michel, S. 187. 379  Vgl. hierzu S. 159. 380  Art. 13 Abs. 1 UN-BRK lautet: „Die Vertragsstaaten gewährleisten Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksamen Zugang zur Justiz, unter anderem durch verfahrensbezogene und altersgemäße Vorkehrungen, um ihre wirk­ same unmittelbare und mittelbare Teilnahme, einschließlich als Zeugen und Zeugin­ nen, an allen Gerichtsverfahren, auch in der Ermittlungsphase und in anderen Vorver­ fahrensphasen, zu erleichtern“; vgl. BGBl. II 2008, 1419 (1430); für eine Aufnahme auch physischer Beeinträchtigungen in den Tatbestand des § 136 Abs. 1 S. 2 StPO vor dem Hintergrund des Art. 1 Abs. 2 der UN-BRK Michel, S. 186. 381  Allgemein zu suggestiven Fragetechniken Artkämper/Floren/Schilling, Rn.  620 ff.; Drews, S. 132 f. Vgl. hierzu auch Reinhold/Schweizer/Scheer, Kriminalistik 2016, 120 ff., die das Frageverhalten von vier Kriminalkommissar-Anwärter/-innen mithilfe von acht nachgestellten polizeilicher Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen unter­ suchten. Eine Auswertung der aufgezeichneten Vernehmungen ergab hier, dass insge­ samt 52 % nicht suggestive und 48 % suggestive Fragen gestellt wurden. 382  Vgl. BT-Drucks. 18/12277, S. 27 f.; zu diesen Fehlerquellen mit praktischen Beispielen aus der Justiz (u. a. „Rudolf Rupp“, „Peggy Knobloch“) Neuhaus, StV 2015, 185 (189 f.); vgl. zum Mordfall „Rudolf Rupp“ ferner Eschelbach, ZAP 2013, Fach 22, 661 ff.; Nestler, ZIS 2014, 594 (596 ff.); zur Schutzwürdigkeit dieser Perso­



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung201

rechtfertigt sich nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund ihrer erhöhten Nei­ gung zur Abgabe von falschen Geständnissen.383 Die Aufzeichnungspflicht wird aber nur dann ausgelöst, wenn die „schutz­ würdigen Interessen“ des Beschuldigten durch die Aufzeichnung auch tat­ sächlich „besser gewahrt werden können“. Diese einschränkende Vorausset­ zung wird aufgrund der überwiegenden Vorteile der Aufzeichnung für den besonders schutzwürdigen und verletzlichen Beschuldigten jedoch in der Regel gegeben sein.384 Ausnahmen sind nur denkbar, wenn die mit der Auf­ zeichnung unter Umständen verbundenen Nachteile (insbesondere tatsächli­ cher Natur, wie z. B. Scham/Unsicherheit des Beschuldigten in Bezug auf die endgültige Fixierung seines Vernehmungsinhalts sowie der Weiterverwen­ dung der Aufzeichnung, aber auch sonstige Hemmnisse, vor einer Video­ kamera auszusagen) als die Vorteile überwiegend eingeschätzt werden. Hier werden dann Aufklärungsmaßnahmen seitens der Vernehmungspersonen und/ oder des Verteidigers angezeigt sein.

IV. Die fakultative Aufzeichnung nach § 136 Abs. 4 S. 1 StPO und § 70c Abs. 2 S. 1 JGG Die in § 136 Abs. 4 S. 1 StPO bislang vorgesehene „Kann-Vorschrift“ sollte weiterhin beibehalten werden, um dem Vernehmenden einen prakti­ schen und flexiblen Umgang mit der Videotechnologie zu ermöglichen.385 Da jede Ermessensausübung jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Ermessensgrenze wahren muss, bedeutet „Flexibilität“ in diesem Zusam­ menhang aber nur die sachgerechte Ausübung des eingeräumten Ermessens unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles. Zu beachten sind hierbei insbesondere die Schwere der vorgeworfenen Tat sowie sonstige tat­ sächliche Verhältnisse, die ein erhöhtes Aufklärungsinteresse oder eine ge­ steigerte Schutzwürdigkeit des Beschuldigten begründen: Der Vernehmende kann eine Aufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung nach der geltenden Rechtslage daher vor allem in Fällen, die „knapp“ unterhalb der Anwen­ dungsschwelle des § 136 Abs. 4 S. 2 StPO liegen, in Betracht ziehen, also z. B. bei dem Vorwurf schwerer Gewaltdelikte, nicht hingegen in Alltags­ nengruppe im Hinblick auf suggestive Fragestellungen Floren, Kriminalistik 2020, 37 (38); Michel, S.  182 f. 383  Näher Drews, S.  129 f.; Michel, S. 182; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (142); Peters, Fehlerquellen Bd. II, S. 26; Volbert, Forensische Psychiatrie, Psycholo­ gie und Kriminologie 7 (2013), 230 (232). 384  So auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 136 Rn. 19e; Weigend, StV 2019, 852 (855 f.); ders., Audio-visuelle Aufzeichnung, S. 49 (58). 385  Kritisch hierzu Löffelmann, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 2 f., Michel, S.  172 f.

202 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

fällen (z. B. Verkehrs- und Bagatelldelikte). Nach der vorgeschlagenen Regelung (Anknüpfung der Aufzeichnungspflicht an alle Verbrechenstatbestände) kommt eine Aufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung nach § 136 Abs. 4 S. 1 StPO etwa im Falle eines schweren vorsätzlichen Vergehens386 infrage. Als Faustregel gilt in beiden Fällen, dass die Optimierung der Wahrheitsfin­ dung umso mehr an Gewicht gewinnt, je höher das staatliche Aufklärungs­ interesse im Einzelfall ist.387 Überdies bietet sich eine audiovisuelle Aufzeichnung der Beschuldigten­ vernehmung auch im Rahmen von Geständnissen an. In diesen Fällen erfor­ dern bereits die Ziele des Strafverfahrens388 eine authentische Dokumenta­ tion eines abgelegten Geständnisses mithilfe dessen sowohl ein falsches Ge­ ständnis aufgedeckt als auch ein richtiges Geständnis gegen einen etwaigen Widerruf abgesichert werden kann. Die authentische Dokumentation recht­ fertigt sich aber auch im Hinblick auf die unter Umständen gravierenden Rechtsfolgen einer Straftat, die den Beschuldigten in Folge seines getätigten Geständnisses (und unter Verzicht auf seine Aussagefreiheit) treffen können. Dementsprechend sieht Nr. 45 Abs. 2 S. 2 RiStBV für diesen Fall betreffend die konkrete Form der Niederschrift vor, dass „die Einzelheiten der Tat mög­ lichst mit seinen eigenen Worten wiederzugeben [sind]“, sodass dieser Rechtsgedanke auch hier fruchtbar gemacht werden kann.389 Ähnliche Er­ wägungen können für „bedeutsame Teile der Vernehmung“ nach Nr. 45 Abs. 2 S. 1 RiStBV gelten; hier „empfiehlt es sich, die Fragen, Vorhalte und Antworten möglichst wörtlich in die Niederschrift aufzunehmen“. „Bedeut­ sam“ für die vorliegenden Zwecke (Wahrheitsfindung, Beschuldigtenschutz) dürften jedenfalls solche Teile der Vernehmung sein, die zum einen an die Schwere des Tatvorwurfs, zum anderen aber auch an den besonderen Umfang der Einlassung oder die Komplexität des Falles bzw. die Schwierigkeit der 386  Ein „schweres vorsätzliches Vergehen“ wird sogar im Bürgerlichen Recht in einigen Fällen mit einem „Verbrechen“ gleichgesetzt; vgl. § 1579 Nr. 3 BGB (Be­ schränkung oder Versagung des Unterhalts wegen grober Unbilligkeit), § 2333 Nr. 2 BGB (Entziehung des Pflichtteils). Näher zur dortigen Begriffsbestimmung, die hier im strafprozessualen Bereich aber nur sinngemäß angewendet werden kann; MüKoBGB/Maurer, § 1579 Rn. 59 ff. Die Qualifizierung eines Vergehens als „schwer“ er­ folgt hiernach im Wege einer Einzelfallabwägung, wobei insbesondere das Delikt, die Tathandlung, seine Begehungsform und die Auswirkungen auf den Geschädigten einbezogen werden; MüKo-BGB/Maurer, § 1579 Rn. 68 m. w. N. 387  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 70 f.; Vorländer, S. 77; kritisch zum „Sinn“ der fakultativen Regelung Boetticher, Stellungnahme zu BTDrucks. 18/11277, S. 10. 388  Erhöhte Relevanz erlangen hier vor allem die (Teil-)Ziele der wirkungsvollen Feststellung und Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs sowie der Erforschung der materiellen Wahrheit in einem justizförmigen Verfahren. 389  Vgl. Buckow, ZIS 2012, 51 (554); Michel, S.  168 f.



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung203

Sach- und Rechtslage anknüpfen.390 Eine Rekonstruktion sowohl des Verneh­ mungs- als auch des Tatablaufs kann sich in diesen Fällen als schwer heraus­ stellen, sodass es vorzugswürdig erscheint, die wesentlichen (vor allem auch emotionalen) Eindrücke eines Tatgeschehens im Rahmen der Beschuldigten­ vernehmung verlässlich zu fixieren.391 Eine audiovisuelle Dokumentation der Beschuldigtenvernehmung kann zudem in Aussage-gegen-Aussage-Konstel­ lationen angestrebt werden, um sowohl die Einlassung des Beschuldigten als auch die entsprechende Zeugenaussage auf ihre Konstanz und logische Konsistenz untersuchen zu können. Hierdurch kann ein etwaiges strukturel­ les Ungleichgewicht im Rahmen der aussagepsychologischen Würdigung von vornherein vermieden werden.392 Die Videodokumentation bietet sich schließlich auch im Fall eines der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtigen Beschuldigten an, da in die­ sem Fall etwaige Missverständnisse und/oder Übersetzungsfehler rasch und zuverlässig aufgedeckt werden können. Die fakultative Regelung rechtfertigt sich nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Möglichkeit des transnationalen Beweistransfers.393 Ungeachtet der einzelnen Probleme und Unzu­ länglichkeiten im Zusammenhang mit dem transnationalen Beweistransfer394 ermöglicht § 136 Abs. 4 S. 1 StPO auch hier eine verlässliche Dokumentation über den Inhalt und Ablauf der Vernehmung über die Sprachgrenzen hin­ weg.395 Hierdurch ist vor allem in verlässlicher Weise überprüfbar, ob die Beschuldigtenrechte und die Grundsätze des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 EMRK) gewahrt wurden oder der Beweiswert einer Einlassung unter Um­ ständen in Zweifel gezogen werden muss.396 Die Anwendung der Video­ 390  Zur Relevanz dieser Aspekte im Rahmen der Ermessensausübung Swoboda, S. 446 f., die diese jedoch innerhalb einer Soll-Bestimmung nutzbar machen will; dies., S. 447: „Sie [die Vernehmung] soll in Bild und Ton aufgezeichnet werden, wenn dies angesichts der Schwere des Tatvorwurfs oder der Komplexität des Verneh­ mungsgegenstandes erforderlich erscheint“ (§ 163a Abs. 1 S. 4 V-StPO); vgl. nun­ mehr aber den aktuellen Vorschlag von Swoboda, Dokumentationen von Vernehmun­ gen, S. 217 (252): „Sie [die Vernehmung] soll aufgezeichnet werden, wenn 1. abzuse­ hen ist, dass in dem gerichtlichen Verfahren wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage eine Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist“. 391  Vgl. Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 2; Michel, S. 170. 392  Näher hierzu Basar, KriPoZ 2017, 95 (99). 393  Vgl. BT-Drucks. 18/11277, S. 25; BR-Drucks. 796/16, S. 22; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (141); kritisch Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 4. 394  Vgl. nur Ambos, ZIS 2010, 557 (559  ff.); Brüner/Hetzer, NStZ 2003, 113 (114 ff.); Busemann, ZIS 2010, 552 (554 ff.); Gleß, ZStW 115 (2003), 131, 143 ff.; Michel, S.  126 f.; Sieber, ZStW 121 (2009), S. 1 (10). 395  Vgl. Radtke, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 6. 396  Michel, S. 138.

204 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

dokumentation im Rahmen grenzüberschreitender Strafverfahren fügt sich überdies als eine Art „Schutz- und Kontrollinstrumentarium“397 in die Reihe der Maßnahmen ein, die in den letzten Jahren zur Durchführung einer ver­ stärkten Zusammenarbeit in Strafsachen innerhalb der Europäischen Union erlassen wurden.398 Eine konkrete Verpflichtung zur Videodokumentation ist im Rahmen des geltenden Unions- und Völkerrechts bislang jedoch nur in dem speziellen Fall des Art. 9 Abs. 1 RL 2016/800/EU statuiert.399 In Bezug auf die fakultative Regelung des § 70c Abs. 2 S. 1 JGG sind hingegen vor allem jugendspezifische Interessen zu berücksichtigen.400 Da die Ermessensausübung in diesem Fall jedoch maßgeblich durch das Unions­ recht determiniert ist, bietet es sich an, die relevanten Ermessenskriterien gesetzlich festzuschreiben401, um dem Vernehmenden die praktische Rechts­ anwendung zu erleichtern. Eine entsprechende Regelung könnte hierbei wie folgt lauten: § 70c Abs. 2 S. 1 JGG-E: […] (2)  1Außerhalb der Hauptverhandlung kann die Vernehmung des Beschuldigten in Bild und Ton aufgezeichnet werden, wenn dies unter Berücksichtigung seines Wohls und der Umstände des Einzelfalls, namentlich wegen der Schwere der Tat, der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder der schutzwürdigen Belange des Beschuldigten, verhältnismäßig ist. […]

S. 138. VO 2018/1727/EU (Eurojust); VO 2017/1939/EU (Europäische Staatsan­ waltschaft); VO 2016/794/EU (Europol); RL 2014/41/EU (Europäische Ermittlungs­ anordnung); hierzu auch Michel, S.  124 ff.; Swoboda, Dokumentationen von Verneh­ mungen, S. 217 (230 ff.). Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 217 (238) plädiert aufgrund der neuen europäischen Regeln sogar dafür, das Ermessen des Vernehmenden im Falle „grenzüberschreitender Kriminalitätssachverhalte bzw. bei transnationalen Verfahrensbezügen dahingehend [zu] konkretisier[en], dass eine Ver­ nehmungsaufzeichnung zum Schutz der Beschuldigtenrechte erfolgen soll, bei wich­ tigen […] Beschuldigtenvernehmungen sogar grundsätzlich erfolgen muss“ [Hervor­ hebungen durch die Verfasserin]. 399  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 70; Michel, S.  138 f. 400  Vgl. oben S. 186 ff. 401  So auch Michel, S. 215, 280, die jedoch im Rahmen ihres Gesetzesvorschlags nicht gesondert auf das Wohl des Jugendlichen abstellt. 397  Michel, 398  Vgl.



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung205

V. Umfang der Aufzeichnung Die Aufzeichnung sollte im Interesse aller Verfahrensbeteiligten die gesamte Vernehmung einschließlich der informatorischen Vor- und Zwischen­ gespräche sowie die Belehrungen umfassen.402 Um die begehrte „Vollstän­ digkeitsfunktion“ der Aufzeichnung in tatsächlicher Hinsicht gewährleisten zu können, ist auch hier eine (zusätzliche) Regelung vorzusehen, die be­ stimmt, dass der Vernehmende nach Abschluss der Vernehmung erklärt, ob und mit welchem Inhalt verfahrensbezogene Gespräche außerhalb der Auf­ zeichnung geführt wurden und ob die Aufzeichnung die Vernehmung voll­ ständig und richtig wiedergibt. Der Beschuldigte muss sodann die Möglich­ keit erhalten, sich hierzu zu erklären.403 Diese Vorgaben sollten schließlich – entsprechend dem Rechtsgedanken zur Vermeidung „informeller“ Absprachen außerhalb der gesetzlichen Regelungen zur Verständigung nach § 257c StPO 402  Altenhain, ZIS 2015, 269 (282); ders., FS Kindhäuser (2019), S. 975 (984); Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (737); Buckow, ZIS 2012, 551 (555); Leitner, StraFo 1999, 45 (47); Michel, S. 156 f.; SSW-StPO/Eschelbach, § 136 Rn. 142; Swoboda, S. 364, 378; vgl. auch BT-Drucks. 18/11277, S. 26: „Die Aufzeichnung muss in ihrem Umfang regelmäßig den gesamten Verlauf der Vernehmung erfassen. Der Begriff um­ fasst nach dem Zweck der Regelung – Wahrheitsfindung und Schutz der Beschuldig­ ten mit Blick auf die Einhaltung der Vernehmungsförmlichkeiten – alle Verfahrens­ vorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr ent­ wickeln. […] Auch eventuell bedeutsame Vorgespräche, die außerhalb der Bild-Ton-Aufzeichnung geführt worden sind, sollten erwähnt werden, um dem Be­ troffenen Gelegenheit zu geben, sich hierzu zu erklären“; zu den Gefahren einer zeitlichen Einschränkung des Anwendungsbereichs für die Wahrheitserforschung und den Beschuldigtenschutz Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 489; Michel, S.  156 ff.; Weigend, StV 2019, 852 (854); dieselben Risiken gelten auch für Teilaufzeichnungen, vgl. hierzu Maaß, S. 57; Michel, S.  158 f. 403  AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (28 f.); Altenhain, FS Kindhäuser (2019), S.  975 (984 f.); Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 217 (252); vgl. auch Michel, S. 161 f.; ähnlich BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 30, 32; ferner BT-Drucks. 18/11277, S. 26: „Zur Vermeidung etwaiger Streitigkeiten über den Inhalt oder die Umstände einer Vernehmung oder das konkrete Verhalten des Vernehmenden bietet es sich an, dass der Vernehmende am Ende der Vernehmung erklärt, dass die Aufzeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt“. Dieser Vorschlag ist jedoch mit Blick auf den gewünschten Authentizitätszuwachs einer Videoaufzeich­ nung nur zielführend, wenn auch dem Beschuldigten die Möglichkeit einer Erklärung über die Richtigkeit und Vollständigkeit der aufgezeichneten Vernehmung geboten wird; vgl. ferner Nestler, ZIS 2014, 594 (598) Fn. 32, der auf die „nach Auskunft von Strafverteidigern durchaus verbreitete Praxis [der Vernehmungspersonen]“ hinweist, „durchgehend vor den ersten Vernehmungen und offenbar auch ganz gezielt Vorge­ spräche [zu führen]“; er schlägt daher mit guten Gründen vor, „nicht erst am Ende, sondern gerade zu Beginn der Aufzeichnung zu thematisieren, was vor der Aufzeich­ nung besprochen wurde“; vgl. auch Weigend, StV 2019, 852 (854), der empfiehlt, dass der Beschuldigte gefragt werden sollte, „ob alles für ihn Wesentliche von der Aufzeichnung erfasst wurde“.

206 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

(vgl. §§ 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a StPO)404 – nicht nur in Form einer Hand­ lungsanweisung innerhalb der RiStBV, sondern gesetzlich geregelt werden. Eine entsprechende Gesetzesänderung405 könnten folgendermaßen lauten: § 136b StPO-E […] (2) 1Der Vernehmende erklärt am Ende der Vernehmung, dass die Bild-Ton-Auf­ zeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt. 2Er erklärt zudem, ob und mit welchem Inhalt mit dem Beschuldigten verfahrensbezogene Gespräche außerhalb der Bild-Ton-Aufzeichnung geführt wurden. 3Der Beschuldigte muss Gelegenheit erhalten, sich hierzu zu erklären. […]

VI. Grenzen der Aufzeichnungspflicht Die Grenzen der Aufzeichnungspflicht werden nach dem Wortlaut des § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StPO (gegebenenfalls i. V. m. § 70c Abs. 2 S. 3 JGG) durch die unbestimmten Rechtsbegriffe „äußere Umstände“ und „besondere Dringlichkeit“ in Form eines Tatbestandsausschlusses406 markiert. Welche Fälle hierunter subsumiert werden können und inwiefern sich beide Begriff­ lichkeiten unterscheiden, erschließt sich aber nicht auf den ersten Blick.407 Dies muss auch dem Gesetzgeber klar gewesen sein, zumal er versucht hat, die Begriffe zumindest beispielhaft zu präzisieren: Mit dem Begriff der „äu­ ßeren Umstände“ wollte er vor allem solche Fälle erfassen, in denen die Aufzeichnung nicht möglich ist, z. B. weil die Vernehmung „im Rahmen ei­ ner Nacheile oder Durchsuchung direkt am Ort des Geschehens vorgenom­ men wird“.408 Darüber hinaus muss der Tatbestandsausschluss aber auch 404  So

auch Michel, S.  162 f. Gesetzgebungsvorschlag erfolgt in Anlehnung an den Wortlaut des entsprechenden Entwurfs des Arbeitskreises AE; vgl. AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (28 f.) zu § 58a Abs. 2 StPO-AE und Swoboda, Dokumentationen von Vernehmun­ gen, S. 217 (252) zu § 58a Abs. 2 StPO-E. 406  Vgl. DSV-Stellungnahme zu RefE BMJV, S. 5. 407  Ähnlich DAV-Stellungnahme Nr. 40/2016, S. 4; kritisch zur Bestimmtheit auch Conen, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 5; Michel, S. 177. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich der Gesetzgeber bewusst für Begrifflichkeiten mit einem nicht unerheblichen Beurteilungsspielraum entschieden hat, um für jegli­ che – zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhersehbare – Sachverhaltskonstellationen „gerüstet“ zu sein. 408  BR-Drucks. 796/16, S. 25; BT-Drucks. 18/11277, S. 27; kritisch zum Beispiel der Durchsuchung DAV-Stellungnahme Nr. 40/2016, S. 4: „Das […] Beispiel einer Vernehmung im Rahmen einer Durchsuchung erscheint […] unpassend. Durchsu­ chungen, die nicht mit der Absicht einer anschließenden Vernehmung durchgeführt 405  Dieser



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung207

eingreifen, wenn einer Aufzeichnung die besondere Örtlichkeit (z. B. Haupt­ bahnhof, Intensivstation) entgegensteht.409 Nach Ansicht des Rechtsaus­ schusses des Deutschen Bundestages soll ein der Aufzeichnungspflicht ent­ gegenstehender „äußerer Umstand“ – bei grundsätzlicher Aussagebereit­ schaft – zudem auch in der Weigerung des Beschuldigten liegen, gerade vor einer Kamera auszusagen.410 Mit dem Gesetzespassus der „besondere[n] Dringlichkeit“ wollte er hingegen solche Situationen aus dem Anwendungs­ befehl der Vorschrift ausklammern, in denen es regelmäßig an den techni­ schen Voraussetzungen einer Aufzeichnung fehlt: Die Aufzeichnungspflicht entfällt hiernach, wenn sie „direkt am Tatort oder dessen Umkreis vorgenom­ men werden muss“.411 Da eine Überführung des Beschuldigten in ein (mit technischen Mitteln ausgestattetes) Vernehmungszimmer aber in den meisten Fällen möglich sein wird, ist insoweit nur von einer geringen Bedeutung der

werden, kommen praktisch nicht vor. Es wäre widersprüchliches Verhalten der Er­ mittlungsbehörden, Durchsuchung und Vernehmung wochenlang zu planen und dann wegen besonderer Dringlichkeit auf die erforderliche Ausrüstung zu verzichten“. Dem kann jedenfalls bei Durchsuchungen, denen tatsächlich eine längere Einsatzpla­ nung (und damit keine akute Gefahrenlage) vorauslag, zugestimmt werden. Dieser Fall kann nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift daher nicht vom Tatbestandsaus­ schluss erfasst sein. Vgl. ferner Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 490, der auf den möglichen Einsatz von Body-Cams hinweist, „die zumindest hilfsweise als Aufzeich­ nungsgeräte herhalten können“. Dem ist jedoch zu widersprechen, da in diesem Fall der Beschuldigte und der Vernehmende nicht gemeinsam und zeitgleich audiovi­ suell – wie etwa in einem entsprechend ausgestatteten Vernehmungszimmer oder mittels einer entsprechenden mobilen Ausstattung – aufgezeichnet werden können; vgl. zum geringeren Schwenkbereich von Bodycams F. Schmidt, Polizeiliche Video­ überwachung, S. 35; allgemein zu den technischen Erfordernissen einer Videoverneh­ mung Buckow, ZIS 2012, 551 (554 f.); Floren, Kriminalistik 2020, 37 (41); Leitner, S.  52 f.; Michel, S. 222 ff.; zum (psychologischen) Einfluss der Kameraposition und dem Erfordernis einer Kameraführung, die sowohl den Vernommenen als auch die Vernehmungsperson erfasst Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S.  449 (473 f.); Altenhain, FS Kindhäuser (2019), S. 975 (985 f.); Bender/Häcker/ Schwarz, Rn.  1681 f.; Gerson, KriPoZ 2017, 376 (381 f.) m. w. N.; Michel, S.  225 f. m. w. N.; vgl. auch Gless, Der Einsatz von Videotechnologie, S. 193 (209), die eine „adäquate, neutrale Kameraposition befürwortet“ und vor der „suggestive[n] Kraft der Technik“ warnt; ähnlich Leitner, StraFo 1999, 45 (47): „Schon Kamerablickwin­ kel und Bildeinstellung können suggestive Wirkung entfalten“; ferner SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 3: „Wenn Videoaufnahmen von Aussagen vor Gericht gezeigt werden, dann sollten diese Aufnahmen immer alle Beteiligten im Raum zeigen (d. h. es muss sich um Aufzeichnungen von der Seite handeln), denn nur dann kann man die ganze Vernehmungssituation richtig einschätzen“; zu den Anforderungen an den konkreten Vernehmungsort auch Floren, Kriminalistik 2020, 37 (40). 409  Vgl. JM NRW, Videodokumentation, S. 97 (99). 410  BT-Drucks. 18/12785, S. 59. 411  BT-Drucks. 18/12785, S. 59.

208 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

Ausschlussvariante auszugehen.412 Nach der Ansicht des Rechtsausschusses sollen von ihr aber auch Fälle erfasst werden, „in denen man besonders schnell eine Aussage des Beschuldigten benötigt, dieser aber Gründe auf­ führt, nicht vor der Kamera auszusagen“.413 Schließlich ist zu beachten, dass allein die Möglichkeit einer Beschuldig­ tenvernehmung am Tatort ohne die entsprechende Aufzeichnungstechnik nicht ausreicht, um den Anwendungsbefehl entfallen zu lassen414; erforder­ lich ist vielmehr, dass „äußere Umstände“ bzw. die „besondere Dringlichkeit“ der Vernehmung entgegenstehen. Der Wortlaut spricht insofern dafür, eine Ausnahme nur im Falle eines zwingenden Hindernisses tatsächlicher Art an­ zunehmen. Freilich darf dieses zwingende Hindernis aber nicht absichtlich verursacht werden. Eine solche zweckwidrige Herbeiführung eines Hinder­ nisses kann bereits nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift keinen Tatbe­ standsausschluss begründen. Um einen etwaigen Miss- oder Fehlgebrauch der Ausschlussvarianten vorbeugen und nachvollziehen zu können, bietet es sich an, das tatsächliche Vorliegen einer Ausnahmebestimmung zu dokumen­ tieren und eine entsprechende gesetzliche Bestimmung vorzusehen.415 Eine solche Bestimmung könnte wie folgt lauten: § 136b StPO-E: 3

(1) […] Wird von der Aufzeichnung nach Satz 2 Nr. 1 abgesehen, sind die Grün­ de aktenkundig zu machen. […]

VII. Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht Es stellt sich ferner die Frage, welche Rechtsfolgen ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht nach sich zieht. Praktische Relevanz entfaltet diese Frage aufgrund der tatbestandlichen Begrenzung vor allem im Bereich der unbedingten Aufzeichnungspflicht (§ 136 Abs. 4 S. 2 StPO)416, sodass im Folgenden näher darauf eingegangen werden soll. 412  Vgl.

Michel, S. 178. 18/12785, S. 59. 414  Schiemann, KriPoZ 2017, 338 (344); Singelnstein/Derin, NJW 2017, 2646 (2649); für eine enge Auslegung plädieren auch Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 490; Weigend, StV 2019, 852 (855); Wickel, ZIS 2020, 311 (313). 415  So auch BRAK-Stellungnahme Nr. 24/2016, S. 6; Michel, S. 179. 416  Ein Verstoß gegen die Regelung des § 136 Abs. 4 S. 1 StPO („Kann-Vor­ schrift“) wird bereits aufgrund ihrer tatbestandlichen Weite eine nur geringe prakti­ sche Bedeutung haben; Michel, S. 318; vgl. zu den rechtlichen Folgen einer qualitativ mangelhaften Bild-Ton-Aufzeichnung (z. B. zeitweise technische Störung des Bildund Tonsignales) Michel, S. 345 ff., die diese Frage konsequenterweise lediglich im 413  BT-Drucks.



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung209

Der Gesetzgeber hat die Regelung des § 136 Abs. 4 StPO in seiner Geset­ zesbegründung explizit als „Ordnungsvorschrift“ eingeordnet. Ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht führe auch dann nicht zur Unverwertbarkeit der Aussage im weiteren Verfahren, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Voraussetzungen für eine Aufzeichnung vorgelegen haben.417 Auf­ grund dieser Klassifizierung des Gesetzgebers wird die Neuregelung (zu Recht) auch als „stumpfes Schwert im Kampf um die Wahrheitsfindung“418 oder als „Geburt eines prozessualen Papiertigers“419 bezeichnet; sie birgt insbesondere die Gefahr, dass der zurückhaltende Gebrauch der Videotechnik zukünftig fortgesetzt wird.420 Ungeachtet der allgemeinen Kritik gegen die Klassifizierung einer Verfahrensregelung als bloße „Ordnungsvorschrift“421 muss die seitens des Gesetzgebers vorgenommene Einordnung hier aber be­ reits aufgrund des verfahrensrechtlichen Zwecks der Regelung und ihren Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Beschuldigten bezweifelt wer­ den422: § 136 Abs. 4 S. 2 StPO verfolgt neben der Modernisierung des Straf­ prozesses im Hinblick auf die internationale und europäische Entwicklung Rahmen der Beweiswürdigung behandelt und hierbei maßgebend auf die „Dauer, Häufigkeit und Schwere der Signalstörung“ abstellt. 417  Nach dem Gesetzgeber könne aus dem Fehlen einer audiovisuellen Aufzeich­ nung auch „nicht der Schluss gezogen werden, dass die Vernehmungsförmlichkeiten nicht eingehalten wurden oder ihre Einhaltung nicht mehr feststellbar sei“; insofern gelten die „hergebrachten Grundsätze für die Feststellung der Einhaltung der Verneh­ mungsförmlichkeiten im Freibeweisverfahren“, d. h. der Grundsatz „in dubio pro reo“ könne keine Geltung beanspruchen, BT-Drucks. 18/11277, S. 27; vgl. jedoch zu den Grenzen BVerfG NJW 2012, 1136 (1137); zu Recht für eine Umkehrung der „Zwei­ felslast“ in Bezug auf Verfahrensverstöße für den Fall, dass die Vernehmungsperson bewusst nicht von der „erreichbaren Möglichkeit“, „die Vernehmung auf Video auf­ zuzeichnen“, Gebrauch macht und der Beschuldigte „plausible Indizien für eine Rechtsverletzung“ anführen kann Weigend, StV 2019, 852 (856 f.); ders., Audio-visu­ elle Aufzeichnung, S. 49 (61); vgl. auch Beulke/Swoboda, Rn. 218: „Es muss ausrei­ chen, dass der Beschuldigte Umstände nachweist, die Zweifel aufkommen lassen, ob die Vernehmungsmethoden rechtmäßig waren (z. B. Misshandlungsspuren am Kör­ per)“; ferner Vorländer, S.  145 f.; Wickel, ZIS 2020, 311 (317). 418  Schiemann, KriPoZ 2017, 388 (344); sinngemäß SSW-StPO/Eschelbach, § 136 Rn. 143: Der „Zwang zur Verwendung von Videotechnik“ bleibe „schwach ausge­ prägt“. 419  Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 487 für den Fall, dass sich aus einem Rechts­ verstoß gegen die Vorschrift keine Folgen für die Beweiswürdigung und den Beweis­ wert belastender Angaben des Beschuldigten ergeben. 420  Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (143). 421  Vgl. nur Freier, HRRS 2007, 139 (141); LR/Franke, § 337 Rn. 17 m. w. N.; Neuhaus, FS Herzberg (2008), S. 871 (877 f.); Weigend, StV 2019, 852 (857). 422  Für die Frage der Einordnung einer Regelung als Ordnungsvorschrift stellt die Rspr. überwiegend auf diese Aspekte ab; vgl. nur BGHSt 23, 244 (245); 25, 325 (329 ff.); KK-StPO/Gericke, § 337 Rn. 13 m. w. N.

210 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

insbesondere die Verbesserung der Wahrheitsfindung und den Schutz des Beschuldigten im Strafprozess.423 Aufgrund der verfassungsrechtlichen Rele­ vanz und der Auswirkungen der Vorschrift auf die Rechtsstellung des Be­ schuldigten wird es dem (ausdrücklich zugesprochenen) Sinn und Zweck der Vorschrift folglich nicht gerecht, ihr allein eine Dokumentationsfunktion hinsichtlich des äußeren Ablaufs der Vernehmung zuzusprechen. Für diese Wertung sprechen schließlich auch systematische Schutzzweckerwägungen: Der BGH hat sich im Jahre 1992 unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtspre­ chung424 erstmals für ein Verwertungsverbot im Zusammenhang mit einer unterlassenen Beschuldigtenbelehrung nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO entschie­ den. Er betonte hierbei, dass ein Verwertungsverbot stets nahe liege, „wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten […] im Strafverfahren zu sichern“.425 Diesem Ziel dient aber auch die in § 136 Abs. 4 S. 2 StPO nor­ mierte Aufzeichnungspflicht. Diese soll nicht nur die Wahrung der gesetz­ lichen Belehrungsvorschriften dokumentieren, sondern den Beschuldigten auch vor unzulässigen Vernehmungsmethoden (§ 136a StPO) und Verneh­ mungsdruck426 schützen. Im Vergleich zu den anderen Dokumentationsarten (z. B. Inhaltsprotokoll, vollständiges Wortprotokoll, Tonbandaufzeichnung) ist eine Videodokumentation hierbei in technischer Hinsicht (Möglichkeit der visuellen und akustischen Dokumentation) unschlagbar427; sie vermag den Beschuldigten damit auch am zuverlässigsten zu schützen. Dass der Beschul­ digte besonders im Rahmen seiner ersten Vernehmung schutzbedürftig und „in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt“ ist, „sich unbedacht zu belas­ ten“428, hat auch der BGH betont: „Während der Angeklagte sich auf sein Aussageverhalten in der Hauptverhandlung in Ruhe vorbereiten und dabei Rechtsrat einholen kann, […] trifft die erste Verneh­ mung durch die Polizei den Beschuldigten meist unvorbereitet, ohne Ratgeber und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten, nicht selten auch durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder ver­ ängstigt. In der Hauptverhandlung gemachte Angaben kann der Angeklagte […] zurechtrücken, während die ersten Angaben bei der Polizei oft solcher Einwir­ kungsmöglichkeit entzogen sind und selbst bei einer Änderung des Aussageverhal­

423  Vgl.

BR-Drucks. 796/16, S. 22 f., 25; BT-Drucks. 18/11277, S. 24 f., 27. BGHSt 22, 170 (173 ff.); BGH bei Pfeiffer, NStZ 1981, 93 (94). 425  BGHSt 38, 214 (220); vgl. auch BGHSt 38, 372 (374); 58, 301 (308). 426  Vgl. hierzu Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 733 ff. 427  Vgl. Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S. 449 (480); Michel, S.  276 f. 428  BGHSt 58, 301 (308); vgl. zu den Entstehungszusammenhängen eines falschen Geständnisses Drews, S.  129 ff.; Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 730 ff. 424  Vgl.



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung211 tens eine faktische Wirkung entfalten, die für den weiteren Verlauf des Verfahrens von erheblicher Bedeutung ist“.429

Die Regelung des § 136 Abs. 4 S. 2 StPO erfüllt nach alledem eine we­ sentliche Komplementärfunktion in Bezug auf die §§ 136 Abs. 1 S. 2, 136a StPO und die soeben erwähnte faktische Wirkung der ersten Einlassung des Beschuldigten. Die Vorschrift geht in ihrem Sinngehalt mithin über eine bloße Ordnungsvorschrift hinaus430, sodass ein Verstoß gegen die unbedingte Aufzeichnungspflicht (= fehlerhafte Beweiserhebung) grundsätzlich ein un­ geschriebenes Beweisverwertungsverbot etwa in Bezug auf eine angefertigte Niederschrift begründen kann (aber nicht muss). Denn die Strafgerichte ge­ hen nach gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass nicht jeder Verstoß bei der strafprozessualen Beweisgewinnung auch ein Verwertungsverbot nach sich zieht. Diese Frage wird vielmehr je nach den Umständen des Einzelfal­ les unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstrei­ tenden Interessen entschieden (sog. Abwägungslehre)431, wobei teilweise auch (primär) auf den Schutzzweck der verletzten Beweiserhebungsnorm

429  BGHSt 38, 214 (222); ähnlich BGHSt 58, 301 (308); ferner Swoboda, S. 444: „Ein Geständnis zu widerrufen, das detaillierten Täterwissen enthält, hat nahezu keine Aussicht auf Erfolg, selbst wenn das relevante Detailwissen in Wirklichkeit unbe­ wusst über den Vernehmungsbeamten in das Verhör und in die Niederschrift einge­ flossen ist“; vgl. hierzu auch Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 313 f. 430  Gegen die Einordnung des § 136 Abs. 4 StPO als Ordnungsvorschrift plädieren auch Bock/Puschke, ZJJ 2019, 224 (233); Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 487; Leitner, S. 145; Michel, S. 324; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (143); Schiemann, KriPoZ 2017, 338 (344); Singelnstein/Derin, NJW 2017, 2646 (2649); Vorländer, S.  109 f.; Weigend, StV 2019, 852 (857); ders., Audio-visuelle Aufzeichnung, S. 49 (61 f.); Wickel, ZIS 2020, 311 (316); vgl. ferner Radtke, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 8, der bei einem Rechtsverstoß gegen § 136 Abs. 4 S. 2 StPO auf die Möglichkeit der Geltendmachung von „Zwischenrechtsbehelfen“ entsprechend § 161a Abs. 3, § 163a Abs. 3 StPO sowie nach § 304 StPO hinweist; ders., DRiZ 2017, 190 (191). Schlothauer schlägt in StV 2016, 607 (614) für den Fall eines bewussten Rechtsverstoßes sogar ein Recht der Verteidigung auf eine „Sperrerklärung“ vor, durch die dem erkennenden Gericht die Kenntnis bestimmter Akteninhalte vorenthal­ ten werden kann: „Ist es unterblieben, die Vernehmung eines Beschuldigten […] au­ dio-visuell aufzuzeichnen, sind die Niederschrift und sonstige über die Vernehmung gefertigte Vermerke auf Antrag aus den Akten zu entfernen, wenn die audio-visuelle Aufzeichnung der Vernehmung technisch möglich gewesen wäre, das Aufzeichnungs­ gebot aber bewusst missachtet wurde“; vgl. zum Recht der Verteidigung auf eine Sperrerklärung auch Schünemann, StraFo 2015, 177 (185 f.); a. A. DPolG-Stellung­ nahme zu RefE BMJV, S. 2: „Einzig der erkennbare Wille, dass das nicht Anfertigen einer solchen Vernehmung nicht automatisch zu einer Nichtverwertbarkeit der sol­ chen führt, ist durchaus positiv zu sehen“. 431  Vgl. BVerfG NJW 2008, 3053 (3054); 2011, 2783 (3784); BGHSt 38, 214 (219 f.); 44, 243 (249).

212 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

abgestellt wird432 oder beide Lehren (Schutzzweck- und Abwägungslehre) miteinander verbunden werden.433 Hierbei werden vor allem die Art und der Schutzzweck des Beweiserhebungsverbots und das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird, als maßgeblich erachtet.434 Wird eine unionsrechtlich determinierte Aufzeichnungspflicht – wie dies bei § 70c Abs. 2 JGG der Fall ist435 – unterlassen, muss zudem berücksichtigt werden, inwieweit hierbei zugleich gegen zwingende Vorgaben der Richtlinie versto­ ßen wird.436 Dies kann unter Umständen dazu führen, dass der Grundsatz der (größtmöglichen) praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts („effet utile“) als zusätzlicher Belang in die Abwägung einzustellen ist.437 Im Übrigen ist die Annahme eines Beweisverwertungsverbots bereits von Verfassungs we­ gen bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstö­ ßen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systema­ tisch außer Acht gelassen worden sind, geboten.438 Zwar wird man aus dem bloßen Fehlen einer audiovisuellen Aufzeichnung nicht ohne Weiteres auf ein Beweisverwertungsverbot schließen können.439 Folgt man den allgemeinen Grundsätzen, muss die Verkennung der materiel­ len Voraussetzungen des § 136 Abs. 4 S. 2 StPO aber zumindest bei willkür­ licher und bewusster Umgehung der Aufzeichnungspflicht oder auch bei auf genereller Weisung beruhendem Unterlassen der Aufzeichnung ein Beweis­ verwertungsverbot zur Folge haben.440 Die gleichen Erwägungen gelten 432  Vgl. Grünwald, JZ 1966, 489 (492 ff.); KMR/Paulus, § 244 Rn. 516 f.; MüKoStPO/Kudlich, Einl. Rn. 463; Rudolphi, MDR 1970, 93 (98 ff.). 433  BGHSt 46, 189 (195 f.); 58, 84 (94 ff.); vgl. insgesamt hierzu Beulke/Swoboda, Rn. 705. 434  BGHSt 58, 84 (96); 58 301 (308). 435  Vgl. Art. 9 Abs. 1 RL 2016/800/EU. 436  Nach Art. 9 Abs. 1 RL 2016/800/EU wäre daher entscheidend, ob eine im Einzelfall verhältnismäßige audiovisuelle Aufzeichnung der Vernehmung unterlassen wurde. 437  Bock/Puschke, ZJJ 2019, 224 (232 f.) 438  BVerfGE 113, 29 (61); BVerfG NJW 2005, 1917 (1923); 2006, 2684 (2686); 2011, 2783 (2784). 439  So auch Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 487. 440  Vgl. Singelnstein/Derin, NJW 2017, 2646 (2649); dem folgend Bock/Puschke, ZJJ 2019, 224 (233); ähnlich Löffelmann, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 6; Vorländer, S. 144; Weigend, StV 2019, 852 (857); kritisch Schiemann, KriPoZ 2017, 338 (344), für die ein unbewusstes Unterlassen der Aufzeichnung „außer im Falle des technischen Versagens des Aufzeichnungsgeräts“ nicht vorstellbar ist; für ein Verwertungsverbot auch im Falle eines versehentlichen Verstoßes gegen die Auf­ zeichnungspflicht plädieren Leitner, S.  145 f.; Michel, S.  326 f.; Nestler, ZIS 2014, 594 (599); für die Geltung der Widerspruchslösung hinsichtlich der Verwertbarkeit



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung213

entsprechend auch für einen Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht nach § 70c Abs. 2 S. 2 JGG und gegen die Erklärungspflicht nach § 136b Abs. 2 S. 2 StPO-E441. Letztere bezweckt gerade die Sicherstellung der vollständi­ gen Aufzeichnung des Vernehmungsinhalts sowie der informellen Vor- und Zwischengespräche und dient damit nicht nur der Wahrheitserforschung und der Verhinderung „informeller“ Praktiken, sondern auch dem Schutz des Beschuldigten. Eine etwaige Charakterisierung der vorgeschlagenen Rege­ lung (nur) als Ordnungsvorschrift würde mithin ebenfalls ihrem Verfahrens­ zweck widersprechen.442 Aufgrund der vergleichbaren Sachlage bietet es sich an, einen Verstoß gegen § 136b Abs. 2 S. 1 StPO-E (d. h. die Pflicht des Vernehmenden, am Ende der Vernehmung zu bestätigen, dass die Bild-TonAufzeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt) nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen, die auch im Rahmen eines Verstoßes gegen die (die wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens betreffenden) Protokollierungsvorschriften nach § 168a Abs. 4 S. 1–3 StPO a. F. Geltung beanspruchen. Da der dortige Verstoß gegen das Unterschriftserfordernis zu einem Verlesungsverbot in Bezug auf die richterliche Niederschrift führt443, spricht Vieles dafür, bei einem Verstoß gegen das „mündliche Authentizitäts­ erfordernis“ des Vernehmenden auch ein die Aufzeichnung betreffendes Vorführverbot anzunehmen.444

VIII. Verwendungsbeschränkungen und Löschung Hinsichtlich der Verwendungsbeschränkungen und Löschungsverpflich­ tung kann zwar inhaltlich auf die entsprechenden Ausführungen zu § 58a Abs. 2 StPO verwiesen werden.445 Jedoch ist die derzeitige Verweisung in § 136 Abs. 4 S. 3 StPO auf § 58a Abs. 2 StPO unter Bestimmtheitsgesichts­ punkten problematisch, da § 58a Abs. 2 StPO auf die §§ 101 Abs. 8, 147, von Aussagen, die unter Verstoß gegen die Aufzeichnungspflicht erlangt wurden vgl. Michel, S.  327 f. 441  Vgl. zu diesem Gesetzgebungsvorschlag S. 206. 442  Michel, S. 331; zum identischen Gefahrenpotential im Falle von Teilaufzeich­ nungen Michel, S.  332 f. 443  MüKo-StPO/Kölbel, § 168a Rn. 28; ders., § 168 Rn. 10 m. w. N. 444  So Michel, S.  337 f. 445  Auch hier setzt die Weiterverwendung der Aufzeichnung in Bezug auf die Strafverfolgung anderer Straftaten daher voraus, dass die Aufzeichnung aufgrund tatsächlicher, konkreter Anhaltspunkte weiterhin benötigt wird; Michel, S. 239; zu eng hingegen Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 3, der dafür plädiert, die Verwendungsmöglichkeiten der Bild-Ton-Aufzeichnung dahingehend einzuschränken, „dass eine Weiterverwendung in anderen Verfahren nur bei gleichgelagerten Delikts­ modalitäten oder bei expliziter Einwilligung des Betroffenen zulässig ist“.

214 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

406e StPO verweist, die zum Teil weitere Verweisungen enthalten.446 Die Neuregelung läuft aufgrund dieser Kettenverweisungen Gefahr, zu einem unübersichtlichen Regelungsgefüge zu werden.447 Es ist daher empfehlens­ wert, die Regelungen zur Verwendung und Löschung (sowie auch zur Akten­ einsicht) selbständig, d. h. ohne den unmittelbaren Rückgriff auf den für den Zeugen geltende Vorschrift des § 58a Abs. 2 StPO, in § 136b StPO448 zu normieren. Hierdurch würde auch die unnötige Überfrachtung des § 136 StPO – einer Vorschrift, die lediglich den allgemeinen Vernehmungsablauf regelt – mit speziellen Regelungen zur Videoaufzeichnung vermieden.

IX. Akteneinsichtsrecht Nach der alten Gesetzeslage, die eine entsprechende Anwendung des § 58a Abs. 3 StPO über § 136a Abs. 1 S. 2 StPO449 vorsah, war dem Beschuldig­ ten ein Widerspruchsrecht gegen die Überlassung einer Aufzeichnungskopie seiner Vernehmung an die zur Akteneinsicht Berechtigten nach §§ 147, 406e StPO zugebilligt. Im Falle eines Widerspruchs trat an die Stelle einer Auf­ zeichnungskopie die Überlassung einer Übertragung der Aufzeichnung in ein schriftliches Protokoll450; das Recht zur Besichtigung der Aufzeichnung vor Ort blieb daneben unberührt. Die Neuregelung des § 136 Abs. 4 S. 3 StPO verweist jedoch nunmehr lediglich auf § 58a Abs. 2 StPO und nicht auch auf § 58a Abs. 3 StPO. Folglich steht einem Beschuldigten seit dem 01.01.2020 kein Widerspruchsrecht mehr gegen die Herausgabe einer digitalen Aufzeich­ nungskopie seiner Vernehmung zu. Begründet hat der Gesetzgeber diese gravierende unterschiedliche Behandlung von Zeugen und Beschuldigten im Zusammenhang mit einer Videoaufzeichnung wie folgt: „Eine Übertragung der Widerspruchsmöglichkeit des § 58a Absatz 3 mit der Folge des Vollverschriftungserfordernisses ist bei Beschuldigtenvernehmungen anders als bei Zeugenvernehmungen nicht notwendig, weil der Beschuldigte anders als der Zeuge keine mit Ordnungsmitteln erzwingbare Pflicht hat, zur Sache auszusagen.“451 446  So auch Löffelmann, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 5; Michel, S. 241. 447  Auch der Einsatz von Verweisungen muss stets den allgemeinen rechtsstaat­ lichen Anforderungen genügen, näher BVerfG BeckRS 2020, 5226 Rn. 105. 448  Vgl. insgesamt zu diesem Gesetzesvorschlag S. 229 f. 449  § 163a Abs. 1 S. 2 StPO lautete in der vor dem 01.01.2020 geltenden Fassung wie folgt: „§ 58a Absatz 1 Satz 1, Absatz 2 und 3 sowie § 58b gelten entsprechend“. 450  In § 58a Abs. 3 S. 1 wurden die Wörter „einer Übertragung der Aufzeichnung in ein schriftliches Protokoll“ nunmehr durch die Wörter „des Protokolls“ ersetzt; vgl. BGBl. I 2021, S. 2099 (2100). 451  BR-Drucks. 796/16, S. 24; BT-Drucks. 18/11277, S. 26; kritisch hierzu Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 490: „Hintergrund ist letztlich, den Strafverfolgungsbehör­ den eine Verschriftlichung der Aufzeichnung zu ‚ersparen‘ “.



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung215

Dieser Sinneswandel des Gesetzgebers vollzog sich plötzlich452, zumal der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages im Rahmen der Beschlussemp­ fehlung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren vom 20.02.2013 noch eine gegenteilige Ansicht vertrat: „Die vorgesehene entsprechende Anwendung des § 58a Absatz 1 Satz 1 StPO er­ laubt nunmehr ausdrücklich die Aufzeichnung einer Videovernehmung des Be­ schuldigten. […] Die entsprechende Anwendung der Absätze 2 und 3 des § 58a StPO wird hingegen wegen der vergleichbaren Sachlage ausdrücklich vorgese­ hen.“453

Das Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz sah in sei­ nem Referentenentwurf vom 27.05.2016 ebenfalls noch die entsprechende Anwendung des § 58a Abs. 3 StPO vor: „Die Regelung enthält auch die notwendigen Sicherungen für den Fall, dass die Vernehmung Vorkommnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung be­ trifft oder die Betroffenen einen Missbrauch der Aufzeichnung durch Veröffentli­ chung befürchten. Die in § 58a Absatz 2 und 3 StPO bereits für die bisherigen Aufzeichnungsfälle entwickelten Schutzmechanismen werden beibehalten: […] Insbesondere mit dem in § 58a Absatz 3 StPO-E verankerten Recht des Zeugen und – über den Verweis in § 136 Absatz 4 StPO-E – des Beschuldigten, der Über­ lassung einer Kopie der Aufzeichnung an die zur Akteneinsicht Berechtigten zu widersprechen, wird der Gefahr eines etwaigen Missbrauchs durch Veröffent­ lichung vorgebeugt und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Betroffenen Rechnung getragen“.454

Hinzukommt, dass der Gesetzgeber seit der Einführung der Videotechno­ logie in die Strafprozessordnung stets auf die besondere Schutzbedürftigkeit von Vernehmungsaufzeichnungen hingewiesen hat: „Anders als bei einem Vernehmungsprotokoll wird bei einer Bild-Ton-Aufzeich­ nung einer Vernehmung, insbesondere dann, wenn sie tatnah erstellt worden ist, ein Eindruck von der gesamten Persönlichkeit des Zeugen, gegebenenfalls noch unter dem Eindruck der Tat stehend, festgehalten. Diese Aufzeichnungen verdienen da­ her besonderen Schutz“.455

Er sieht zu diesem Zwecke auch die entsprechende Anwendung des § 58a Abs. 3 StPO in § 70c Abs. 2 S. 4 JGG vor: „Nach Artikel 14 Absatz 3 der Richtlinie (EU) 2016/800 ist sicherzustellen, dass audiovisuelle Aufzeichnungen von Vernehmungen nach Artikel 9 nicht öffentlich verbreitet werden. Zu diesem Zweck schlägt der Entwurf in § 70c Absatz 2 Satz 4 452  Vgl.

zu diesem Auffassungswandel auch Michel, S.  256 f. 17/12418, S. 16. 454  RefE GzeupAdS vom 27.05.2016, S. 21. 455  Vgl. BT-Drucks. 13/4661, S. 11; BT-Drucks. 15/814, S. 8; BT-Drucks. 15/ 2536, S. 7. 453  BT-Drucks.

216 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung JGG-E die entsprechende Geltung von § 58a Absatz 2 und 3 StPO vor. Dies er­ scheint neben den oben genannten allgemeinen Bestimmungen zum Schutz der Privatsphäre wegen der besonderen Sensibilität audiovisueller Aufzeichnungen und namentlich bei elektronischer Speicherung gleichzeitig wegen einer erhöhten Ver­ breitungsgefahr geboten“.456

Der Gesetzgeber hat durch die Kombination von § 58a Abs. 2 und 3 StPO versucht, einen angemessenen Ausgleich, eine Art „Kompromiss“, zwischen den Schutzinteressen des (Opfer-)Zeugen und den oftmals gegenläufigen Verteidigungsinteressen herzustellen.457 Warum dieser Kompromiss im Falle des Beschuldigten, der nicht in den Anwendungsbereich des JGG fällt458, keine Geltung (mehr) beanspruchen soll, ist fragwürdig. Die oben genannte Begründung – der Beschuldigte habe anders als der Zeuge keine mit Ord­ nungsmitteln erzwingbare Pflicht, zur Sache auszusagen459 – geht jedenfalls an der eigentlichen Thematik vorbei. Sie kann den eigenständigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschuldigten, dessen Aufzeichnung gegen seinen Willen weitergegeben wird, nicht rechtfertigen: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt gerade vor jeder Form der staatlichen Erhebung, Speicherung, Verwendung, Weitergabe oder Veröffentlichung von personenbezogenen Daten.460 Im Rahmen der ersten Vernehmung wird zudem gerade eine Situation dokumentiert, die den Be­ schuldigten „meist unvorbereitet“, „nicht selten auch durch die Ereignisse verwirrt“ oder „durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt“ zeigt461; eine erhöhte Persönlichkeitsrelevanz kann der Vernehmung – be­ dingt durch die psychische Ausnahmesituation – daher nicht abgesprochen werden.462 Zwar wird ein Beschuldigter, der sich nicht nur zur Sache einlässt, sondern auch wirksam in die audiovisuelle Aufzeichnung seiner Vernehmung (und damit in die Datenerhebung) einwilligt, insoweit nicht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt.463 Der Schutzbereich des Art. 2 i. V. m. Art. 1 GG erfasst jedoch auch die Befugnis, selbst über die 456  BT-Drucks.

19/13837, S. 38. MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 75. 458  Vgl. § 70c Abs. 2 S. 4 JGG: „Wird die Vernehmung in Bild und Ton aufge­ zeichnet, gilt § 58a Absatz 2 und 3 der Strafprozessordnung entsprechend“. 459  Dieser Grundsatz gilt aber auch für den jugendlichen Beschuldigten. Trotz­ dem wurde in § 70c Abs. 2 S. 4 StPO eine entsprechende Anwendung des § 58a Abs. 3 StPO vorgesehen. 460  Vgl. BVerfGE 65, 1 (43); 67, 100 (143); 92, 191 (197); 103, 21 (32); Maunz/ Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 176 m. w. N. 461  BGHSt 38, 214 (222); ähnlich BGHSt 58, 301 (308). 462  Vgl. zur Persönlichkeitsrelevanz der Beschuldigtenvernehmung auch Michel, S.  258 f. 463  Vgl. Jarass, NJW 1989, 857 (860); Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Rn. 228 m. w. N. 457  Vgl.



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung217

Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu entscheiden (hier in Form der Überlassung einer Aufzeichnungskopie an die zur Akteneinsicht Berech­ tigen). Da sich eine Einwilligung stets auf den konkreten Einzelfall beziehen muss und ein genereller Verzicht auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ausscheidet464, ist auch eine generelle Einwilligung in alle Ebenen der Da­ tenverarbeitung abzulehnen.465 Zudem wird die Gefahr eines Missbrauchs durch Veröffentlichung der Aufzeichnung aufgrund der vorherigen Einwilli­ gung des Beschuldigten (zur Datenerhebung) nicht gemindert. Diese Gefahr könnte im Falle ihrer Realisierung, etwa über die Vertriebskanäle des Inter­ nets, auch mit erheblichen negativen Auswirkungen für den Beschuldigten verbunden sein. Denkbar sind nicht nur die Erzeugung einer Prangerwirkung und die hiermit verbundene soziale Ausgrenzung und/oder Stigmatisierung eines Beschuldigten während des Strafverfahrens466, sondern auch die Beein­ trächtigung der Resozialisierung eines Straftäters als Folgewirkung der Ver­ öffentlichung.467 Letztlich wird der Beschuldigte nach der derzeitigen Gesetzeslage vor eine Wahl gestellt (Aussagetätigung unter Videodokumentation ohne Wider­ spruchsrecht oder schlichte Aussageverweigerung).468 Die ungerechtfertigte, unterschiedliche Behandlung von Zeugen und Beschuldigten kann sich infol­ gedessen negativ auf die Entschließungsfreiheit des Beschuldigten auswirken und hierdurch nicht seine Verteidigungsstrategie, sondern auch das staatliche Sachaufklärungsinteresse beeinträchtigen. Sie ist somit nicht nur nach der Gesetzeshistorie, sondern auch nach dem Sinn und Zweck des § 136 Abs. 4 StPO nicht nachvollziehbar und muss daher abgelehnt werden. Vorgeschlagen wird daher folgende Gesetzesänderung: § 136b StPO-E: […] (3)  1Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für Zwecke der Strafver­ folgung und nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforder­ NJW 1989, 857 (860). Jarass/Pieroth/Jarass, GG, Vor Art. 1 Rn. 36; F. Schmidt, Polizeiliche Vi­ deoüberwachung, S. 165. 466  Vgl. Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 3. 467  Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 5. Neuerdings hat diese Thematik im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Ausschnitten der (polizei­ lichen) Vernehmung des mutmaßlichen Mörders des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf der Online-Plattform Youtube an Brisanz gewonnen; vgl. Redak­ tion beck-aktuell (29.07.2020). 468  Vgl. Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 490, Michel, S. 258; Weigend, StV 2019, 852 (854 Fn. 19); ders., Audio-visuelle Aufzeichnung, S. 49 (53 Fn. 19). 464  Jarass, 465  Vgl.

218 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung lich ist. 2§ 101 Abs. 8 gilt entsprechend. 3Die §§ 147, 406e sind entsprechend an­ zuwenden, mit der Maßgabe, dass den zur Akteneinsicht Berechtigten Kopien der Aufzeichnung überlassen werden können. 4Die Kopien dürfen weder vervielfältigt noch weitergegeben werden. 5Sie sind an die Staatsanwaltschaft herauszugeben, sobald kein berechtigtes Interesse an der weiteren Verwendung besteht. 6Die Über­ lassung der Aufzeichnung oder die Herausgabe von Kopien an andere als die vor­ bezeichneten Stellen bedarf der Einwilligung des Zeugen. (4) 1Widerspricht der Beschuldigte der Überlassung einer Kopie der Aufzeichnung seiner Vernehmung nach Absatz 3 Satz 3, so tritt an deren Stelle die Überlassung des Protokolls an die zur Akteneinsicht Berechtigten nach Maßgabe der §§ 147, 406e. 2Das Recht zur Besichtigung der Aufzeichnung nach Maßgabe der §§ 147, 406e bleibt unberührt. 3Der Beschuldigte ist auf sein Widerspruchsrecht nach Satz 1 hinzuweisen. […]

X. Besonderheiten des § 70c Abs. 2 S. 2 JGG Nach § 70c Abs. 2 S. 2 JGG sind „[a]ndere als richterliche Vernehmungen“ in Bild und Ton aufzuzeichnen, „wenn zum Zeitpunkt der Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, ein Verteidiger aber nicht an­ wesend ist“. Die Regelung weist bereits auf den ersten Blick strukturelle Besonderheiten im Vergleich zur entsprechenden (unbedingten) Aufzeich­ nungspflicht nach § 136 Abs. 4 S. 2 StPO auf: Hintergrund der Verknüpfung der in § 70c Abs. 2 S. 2 JGG normierten (unbedingten) Aufzeichnungspflicht mit der An- bzw. Abwesenheit des Ver­ teidigers ist das in Art. 9 Abs. 1 a. E. RL 2016/800/EU normierte Berücksich­ tigungsgebot: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass von der Polizei oder einer anderen Straf­ verfolgungsbehörde während des Strafverfahrens durchgeführte Befragungen au­ diovisuell aufgezeichnet werden, wenn dies unter den Umständen des Falles ver­ hältnismäßig ist, wobei unter anderem zu berücksichtigen ist, ob ein Rechtsbeistand zugegen oder dem Kind die Freiheit entzogen ist, sofern das Kindeswohl immer eine vorrangige Erwägung ist“.

Aus dem Wortlaut der Richtlinienbestimmung ergibt sich zunächst, dass der Umstand, „ob ein Rechtsbeistand zugegen“ ist, nur „unter anderem“ zu berücksichtigen ist, mithin nicht den einzigen berücksichtigungsfähigen Um­ stand darstellt. Er fließt daher lediglich in Form eines Einzelaspekts in die anzustellende Gesamtabwägung ein (wobei das Kindeswohl stets vorrangig zu beachten ist).469 Dieser Einzelaspekt stellt aber nach dem Erwägungs­ grund Nr. 42 und Art. 9 Abs. 1 der RL 2016/800/EU jedenfalls einen aus469  Vgl.

Michel, S. 205; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140.



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung219

schlaggebenden Umstand im Rahmen der Entscheidung für oder gegen eine Videodokumentation dar. Ein anwesender Verteidiger stellt folglich ein be­ achtliches „Gegengewicht“ im Rahmen der Gesamtabwägung dar, da er dem Beschuldigten im Rahmen der Vernehmung zur Seite stehen kann. Zwar kann ein Verteidiger nicht in jedem Fall verhindern, dass ein Beschuldigter sich in „ungünstiger“ Weise zur Sache einlässt oder sogar ein falsches Ge­ ständnis ablegt470; die Ausübung einer Schutz- und Kontrollfunktion kann ihm aber im Rahmen einer Vernehmung nicht abgesprochen werden.471 Die vorstehende Regelung erscheint demzufolge grundsätzlich geeignet, um dem Schutzbedürfnis des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden in angemessener Weise entsprechen zu können.472 Zu beachten ist jedoch, dass im Rahmen von § 70c Abs. 2 S. 2 JGG – an­ ders als bei § 136 Abs. 4 S. 2 StPO – richterliche Vernehmungen nicht erfasst werden.473 Grund hierfür ist, dass sich die Umsetzungspflicht aus Art. 9 Abs. 1 RL 2016/800/EU nur auf „von der Polizei oder einer anderen Straf­ verfolgungsbehörde“ durchgeführte Befragungen beschränkt; dies steht einer überschießenden Umsetzung der Richtliniengebote über den unmittelbaren Anwendungsbereich jedoch nicht entgegen, soweit hierfür ein sachlicher Grund besteht: Dieser kann in einer (möglichst) einheitlichen Anwendung der Videodokumentation von Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungs­ verfahren gesehen werden, und zwar ungeachtet der vernehmenden Personengruppe. Dies gilt insbesondere vor dem ausdrücklich beschriebenen Sinn 470  So Michel, S. 205; vgl. auch Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140, die eine Anknüpfung der Aufzeichnungspflicht an die An- bzw. Abwesenheit des Verteidigers ablehnen. 471  Vgl. Sommerfeld, ZJJ 2018, 296 (310), die darauf hinweist, dass der Verteidi­ ger „auf die Ordnungsmäßigkeit der Durchführung der Vernehmung hinwirken wird, was eine zusätzliche Aufzeichnung der Vernehmung in Bild in aller Regel entbehrlich machen wird“. 472  Für einen äußerst zurückhaltenden Gebrauch der audiovisuellen Dokumenta­ tion im Zusammenhang mit jugendlichen Beschuldigten DVJJ-Stellungnahme zu RefE BMJV, S. 1 ff.; die aktuelle Fassung des § 70c Abs. 2 S. 2 JGG befürwortend DVJJ-Stellungnahme zu BR-Drucks. 368/19, S. 7, 8: „Diese Änderung ist zu begrü­ ßen, da sie für die Praxis keine zusätzliche Abwägung neuer schwammiger Kriterien erfordert“. 473  Vgl. BeckOK-JGG/Pawlischta, § 70c Rn. 9; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140; enger Sommerfeld, ZJJ 2018, 296 (309 Fn. 140), der aus der Formulierung „durch die Polizei oder andere Strafverfolgungsbehörden“ in Erwägungsgrund Nr. 42 S. 2 RL 2016/800/EU folgert, dass sowohl Vernehmungen durch den Staatsanwalt als auch durch den Richter nicht umfasst sind. Aus einem Umkehrschluss zu Erwägungs­ grund Nr. 42 S. 3 RL 2016/800/EU ergibt sich aber, dass lediglich richterliche Ver­ nehmungen vom Anwendungsbereich des § 70c Abs. 2 S. 2 JGG ausgeschlossen sind: „Diese Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, Befragungen von Kindern durch einen Richter oder ein Gericht audiovisuell aufzuzeichnen“.

220 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

und Zwecks des Richtliniengebots, das gleichermaßen für polizeiliche, staatsanwaltschaftliche und richterliche Vernehmungen im Ermittlungsver­ fahren Geltung beansprucht: „Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind, kön­ nen den Inhalt von Befragungen, denen sie unterzogen werden, nicht immer ver­ stehen“.474

Insofern sind hinreichende Gründe für die Herausnahme richterlicher Ver­ nehmungen von der Pflicht zur Videodokumentation im Rahmen des § 70c Abs. 2 S. 2 JGG nicht ersichtlich.475 Hinzu kommt, dass der deutsche Gesetzgeber – vor der Umsetzung des Art. 9 RL 2016/800/EU – durch das Gesetz zur effektiveren und praxistaug­ licheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017 selbst eine Be­ stimmung in § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 a) StPO vorsah, die eine Aufzeichnungs­ pflicht auch für richterliche Beschuldigtenvernehmungen statuierte, sofern der Beschuldigte unter 18 Jahre alt war und hierdurch seine schutzwürdigen Interessen besser gewahrt werden konnten.476 Fraglich ist, warum die ent­ sprechende Gesetzesbegründung (unabhängig von der vernehmenden Perso­ nengruppe) nunmehr keine Relevanz mehr entfalten soll: „Eine besondere Schutzbedürftigkeit liegt häufig vor, wenn der zu vernehmende Beschuldigte minderjährig ist […]. Weil jugendliche Beschuldigte im Strafverfah­ ren eines besonderen Schutzes bedürfen, sieht […] der vorliegende Entwurf […] eine Bestimmung auch für unter 18-jährige Beschuldigte vor.“477

Ausgehend hiervon wird daher folgende Gesetzesänderung vorgeschlagen: § 70c Abs. 2 S. 2 JGG-E: 2

(2) […] Sie ist in Bild und Ton aufzuzeichnen, wenn zum Zeitpunkt der Verneh­ mung die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, ein Verteidiger aber nicht anwesend ist. […]

C. Zusammenfassende Bewertung Die audiovisuelle Aufzeichnung einer Beschuldigtenvernehmung ist den üblichen schriftlichen Vernehmungsprotokollen weit überlegen. Sie hat nicht nur die Vermeidung zeitaufwändiger Auseinandersetzungen (etwa um die 474  Erwägungsgrund

Nr. 42 S. 1 RL 2016/800/EU. zum (engen) Anwendungsbereich des § 70c Abs. 2 S. 2 JGG auch Eisenberg/Kölbel-JGG, § 70c Rn. 21; Michel, S. 62, 216; ferner Nestler, ZIS 2014, 594 (600). 476  BGBl. I S. 3202 (3208). 477  BT-Drucks. 11277, S. 27. 475  Kritisch



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung221

Wahrung gesetzlich gebotener Belehrungen, zulässiger Vernehmungsmetho­ den oder die Richtigkeit der protokollierten Aussage) zur Folge478, sondern trägt hierdurch auch zur Verkürzung und Effektivität des Strafverfahrens bei.479 Sowohl das gesprochene Wort als auch die Gestik und Mimik des Beschuldigten sowie der konkrete Ablauf und Inhalt der Vernehmung werden durch eine Videoaufzeichnung dokumentiert, wodurch die Wiedergabe eines vollständigen Eindrucks der gesamten Vernehmungssituation und damit zu­ gleich ein „Höchstmaß an Authentizität“480 ermöglicht wird.481 Daneben vermag eine Videoaufzeichnung auch die Aussagemotivation des Beschul­ digten sowie einen Einblick in seine (jedenfalls wahrnehmbare) Persönlich­ keit als zentrale Faktoren einer Beschuldigtenvernehmung zu offenbaren.482 Insofern schützt die audiovisuelle Dokumentation nicht nur den Beschuldig­ 478  Vgl. zu den Ermittlungsschwierigkeiten hinsichtlich des konkreten Inhalts ei­ ner früheren Vernehmung Mosbacher, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 2; hierzu auch Basar, KriPoZ 2017, 95 (99); BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 15; ferner Leitner, S. 127; Nestler, Dokumentation von Vernehmungen, S. 156 (158); Radtke, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 5; Schlothauer, StV 2016, 607 (613): Nur durch eine Videoaufzeichnung könne erkannt werden, „ob der Verneh­ mungsbeamte offene oder suggestive Fragen gestellt hat, ob diese erschöpfend oder einseitig waren, ob Vorhalte zutrafen, vollständig oder verkürzt waren und ob und in welcher Richtung ein möglicher Druck auf den Vernommenen ausgeübt wurde“. 479  Kritisch Löffelmann, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S. 6, 7: „So ge­ staltet sich das Abspielen der Aufzeichnung einer Vernehmung in aller Regelung als wesentlich zeitaufwändiger als das Vernehmen der Vernehmungsperson über ihre Eindrücke oder das Verlesen von Vorhalten aus dem schriftlichen Vernehmungsproto­ koll. Weitschweifige Antworten, Gesprächspausen, Missverständnisse und andere Unzulänglichkeiten der Kommunikationssituation werden durch die Videoaufzeich­ nung in Echtzeit dokumentiert und in der Hauptverhandlung wiedergegeben, bringen in der Regel aber keinen Erkenntnisgewinn“. Der mit dem Abspielen einer Videoauf­ zeichnung verbundene Zeitverlust ist hier jedoch mit Blick auf die mit der Regelung verfolgten Ziele (Optimierung der Wahrheitsfindung, Schutz des Beschuldigten) ge­ rechtfertigt. Zudem wird die Vernehmung der Verhörsperson über das Zustandekom­ men und den konkreten Ablauf der Beschuldigtenvernehmung in vielen Fällen ent­ behrlich sein, sodass sich der Zeitverlust insgesamt in Grenzen halten wird. Im Übri­ gen wird ein Abspielen der gesamten Videoaufzeichnung der Vernehmung nur in seltenen Fällen zur Klärung etwaiger Auseinandersetzungen zwischen den Verfah­ rensbeteiligten erforderlich sein. Das Abspielen der Aufzeichnung wird sich in diesen Fällen vielmehr auf die betreffende (streitige) Videosequenz beschränken können. Zum Potenzial von Bild-Ton-Aufzeichnungen für Ressourceneinsparungen auch Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 4; Leitner, S.  130 f.; Michel, S.  114 f.; Nack/Park/Brauneisen, NStZ 2011, 310 (312); Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (141); Swoboda, S. 443, 445; Witting, FS Schiller (2014), S. 691 ff., 709. 480  Knispel, 39. Strafverteidigertag, S. 56. 481  Vgl. Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 3 f.; Leitner, S. 125; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (141); Wollschläger, FS Schlothauer (2018), 517 (518); kritisch zu diesem „Authentizitätszuwachs“ Michel, S.  116 f. 482  Floren, Kriminalistik 2020, 37 (40).

222 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

ten vor unzulässigen Vernehmungsmethoden (§ 136a StPO), sondern auch die Vernehmungsperson vor ungerechtfertigten Vorwürfen.483 Mithilfe einer Einblendung von Datum und Uhrzeit kann die Vernehmung zudem lückenlos nachvollzogen werden.484 Des Weiteren verhilft die Videodokumentation auch § 136 Abs. 2 StPO zur Geltung: Dem Beschuldigten soll hiernach im Rahmen der Vernehmung Gelegenheit gegeben werden, „die gegen ihn vor­ liegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten spre­ chenden Tatsachen geltend zu machen“. Dies verschafft dem Beschuldigten rechtliches Gehör485 und dient damit auch seinen Verteidigungsinteressen486. Da die Videodokumentation einen authentischen Nachweis über den Inhalt der Beschuldigtenvernehmung erbringen kann, dient sie gleichermaßen auch der Verwirklichung des § 136 Abs. 2 StPO. Darüber hinaus vermag die Video­ aufzeichnung der Verteidigung einen intensiveren Eindruck von der Sachlage zu verschaffen, sodass diese ihre konkrete Verteidigungsstrategie daran ausrichten kann.487 Durch eine Videodokumentation der Beschuldigtenvernehmung können zu­ dem weitere Ermittlungen (z. B. Folgevernehmungen durch die Polizei, Staats­ anwaltschaft oder den Ermittlungsrichter) sowie die Abschlussentscheidung der Staatsanwaltschaft auf eine überzeugende und sichere Grundlage gestützt werden.488 Gleiches gilt für die Entscheidung des Gerichts über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens im Zwischenverfahren. Die Videoaufzeichnung kann auch unmittelbar in der Hauptverhandlung Be­ deutung erlangen, etwa zum Zwecke der Beweisaufnahme über ein Geständ­ nis (§ 254 Abs. 1 StPO) oder zur Klärung von Widersprüchen zu den Angaben 483  Vgl. Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 4; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (141); Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (703); zum (psycho­ logischen) Einfluss der Kameraposition und dem Erfordernis einer Kameraführung, die sowohl den Vernommenen als auch die Vernehmungsperson erfasst Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S. 449 (473 f.) m. w. N.; Bender/Häcker/ Schwarz, Rn.  1530 f.; Drews, S.  253 f.; Michel, S.  225 f. m. w. N. 484  Buckow, ZIS 2012, 551 (554); Leitner, S. 53; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (141); kritisch Knispel, 39. Strafverteidigertag, S. 56. Allgemein zu den technischen Erfordernissen einer Videovernehmung Buckow, ZIS 2012, 551 (554 f.); Floren, Kriminalistik 2020, 37 (41); Leitner, S.  52 f.; Michel, S. 222 ff. Zu den Anfor­ derungen an den konkreten Vernehmungsort auch Floren, Kriminalistik 2020, 37 (40). 485  BGHSt 25, 325 (332). 486  Näher KK-StPO/Diemer, § 136 Rn. 1; Michel, S.  99 m. w. N. 487  Vgl. Schlothauer, StV 2016, 607 (613). 488  Vgl. Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S.  449 (474) m. w. N.; Nestler, Dokumentation von Vernehmungen, S. 156 (160); Neue Richterver­ einigung e. V., Stellungnahme zu RefE GzeupAdS, S. 2; Schlothauer, StV 2016, 607 (613).



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung223

des Angeklagten in der Hauptverhandlung (§ 254 Abs. 2 StPO).489 Diese Möglichkeit ist vor dem Hintergrund falscher Geständnisse des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren nicht zu unterschätzen, zumal der Handlungsanwei­ sung in Nr. 45 Abs. 2 S. 2 RiStBV490 keine Garantiefunktion in Bezug auf die vollständige Übereinstimmung von schriftlichem Protokoll und Einlassung des Beschuldigten zukommt.491 Ungeachtet eines (falschen) Geständnisses kann der konkrete Ablauf einer Hauptverhandlung auch in allgemeiner Hin­ sicht durch das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens geprägt sein, indem etwa­ ige falsche oder lückenhafte Darstellungen aus dem Vorverfahren gleichsam „fortwirken“.492 Im Übrigen kann dem Beschuldigten auch seine eigene Ein­ lassung im Rahmen der Hauptverhandlung anhand einer Videoaufzeichnung – und nicht wie bisher anhand eines Inhaltsprotokoll – vorgehalten werden. Dies hat regelmäßig zur Folge, dass die zeitaufwändige Vernehmung der früheren Vernehmungsperson entfallen kann, da etwaige Unklarheiten des Verneh­ mungsprotokolls nicht mehr auf diese Weise aufgeklärt werden müssen.493 Zwar wird die Erweiterung einer audiovisuellen Dokumentation der Be­ schuldigtenvernehmung zwangsläufig dazu führen, dass nicht nur die Einhal­ tung der Förmlichkeiten einer Vernehmung, sondern auch etwa die konkrete Fragetechnik des Vernehmenden in den Fokus der Verfahrensbeteiligten ge­ rät.494 Ein (zusätzlicher) Disziplinierungseffekt495 kann dem Einsatz der Vi­ deotechnik insoweit nicht abgesprochen werden. Die Offenlegung der Ver­ nehmungsweise sollte jedoch aus Sicht der Verhörspersonen nicht als eine Art „staatliche Aufsichtsmaßnahme“496, sondern vielmehr als eine zusätz­liche 489  Weigend, StV 2019, 852 (856); vgl. auch Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (142) m. w. N.: Die Videoaufzeichnung sei dabei „nicht nur eine wichtige Quelle für die Feststellung eines falschen Geständnisses, sondern auch eine gute Absiche­ rung gegen den Widerruf eines richtigen Geständnisses“; ähnlich Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 4, der insgesamt auf eine einfachere Begutachtung durch Sachverständige abstellt. 490  Nr. 45 Abs. 2 S. 2 RiStBV lautet: „Legt der Beschuldigte ein Geständnis ab, so sind die Einzelheiten der Tat möglichst mit seinen eigenen Worten wiederzugeben“ [Hervorhebung durch die Verfasserin]. 491  Zur Funktion der Videodokumentation als zentralem Bestandteil der Geständ­ niskontrolle Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 217 (238 ff.); vgl. auch Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S. 449 (459); Eisenberg/ Kölbel-JGG, § 70c Rn. 9 ff.; vgl. zur Problematik von falschen – nicht videodoku­ mentierten – Geständnissen mit praktischen Beispielen Langels, AnwBl 2011, 637. 492  Näher Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 502a; Michel, S.  101 m. w. N. 493  Vgl. BT-Drucks. 11277, S. 14, 24; vgl. auch Swoboda, S. 445. 494  Vgl. Leitner, S. 131. 495  Näher hierzu Michel, S.  111 f.; Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (703). 496  Hierzu auch Floren, Kriminalistik 2020, 37 (42): „Gerade auch die Beden­ ken und Ängste z. B. vor einer Art „[z]ur Schaustellung“ der Vernehmungsbeamten

224 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

Möglichkeit betrachtet werden, einzelne praktische und technische Unzu­ länglichkeiten im Rahmen der Vernehmungsführung durch gezielte Schulun­ gen und Trainingsprogramme beseitigen und zugleich die Vernehmenden selbst vor ungerechtfertigten Vorwürfen schützen zu können. Dies wird ins­ gesamt eine weitergehende Professionalisierung aller Vernehmungen bei der Polizei und der Justiz sowie auch im Rahmen der Beanspruchung von Dol­ metscherdiensten497 zur Folge haben. Neben diesen – an den Inhalt der Auf­ zeichnung anknüpfenden – Vorzügen sind aber auch positive Auswirkungen im Hinblick auf die äußeren Bedingungen der Vernehmungen, insbesondere auf die Gesprächsatmosphäre zu erwarten, da diese nicht mehr durch stän­ dige Unterbrechungen zwecks schriftlicher Protokollierung gekennzeichnet sein wird.498 Die mit der Erweiterung der audiovisuellen Dokumentation von Beschul­ digtenvernehmungen verbundenen Nachteile können die Vorteile im Rahmen der Abwägung nicht aufwiegen, zumal sie auch durch praktische Vorkehrun­ gen (insbesondere technische Erläuterungen, Hinweise zur Datenverarbeitung und Löschungsverpflichtung, Aufklärungsmaßnahmen im Hinblick auf die Vorteile der audiovisuellen Dokumentation) auf ein Minimum reduziert wer­ den können. Dies gilt vor allem für etwaige Hemmungen des Beschuldigten vor einer Videokamera auszusagen. Auch wenn viel dafür spricht, dass Be­ schuldigte im Zeitalter der modernen Technologie durch eine Videoaufzeich­ nung im Regelfall nicht mehr irritiert oder gehemmt sein werden bzw. eine Videokamera jedenfalls nach kurzer Vernehmungszeit (Eingewöhnungsphase) nicht mehr aktiv wahrnehmen oder vorhandene Hemmungen überwinden werden499, kann gegenteiligen Verhaltensweisen des Beschuldigten zumin­ im Rahmen der gerichtlichen Hauptverhandlung müssen von den Dienstvorgesetz­ ten ernst genommen und durch Aus-/Fortbildungsmaßnahmen aktiv begegnet wer­ den“. 497  Eingehend zu den Qualitätsmängeln der Dolmetscherleistung im deutschen Strafverfahren Starkgraff, Die audiovisuelle Dokumentation, S. 231 (240 ff.). 498  Leitner, S. 131; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (141); Scheumer, S. 110; Swoboda, S. 445; kritisch Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 4. 499  Derartige Befürchtungen haben sich im Rahmen von Vernehmungssituationen bislang nicht bewahrheiten können, vgl. Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Straf­ verfahren, S.  449 (470 f.) m. w. N.; Altenhain, ZIS 2015, 269 (276); Ammann, Krimi­ nalistik 2011, 570 (576); Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 2120; Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik, S. 195 (218); Swoboda, Dokumentationen von Vernehmun­ gen, S. 217 (247); H. Vogel, S. 259; von dieser Prämisse ging auch das BMJV in seinem RefE GzeupAdS vom 27.05.2016 aus, S. 25: „Nach den bisherigen Erfahrun­ gen in der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass entsprechende Aufzeichnungen heute nahezu unauffällig möglich sind und zumeist nach kurzer Zeit von den Betroffenen gar nicht mehr bemerkt werden“; vgl. ferner BGHSt 19, 193 (195): „Für den moder­



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung225

dest durch entsprechende Aufklärungsmaßnahmen und einen rücksichtsvollen Umgang500 im Rahmen der Befragung entgegengewirkt werden. Im Übrigen spricht viel dafür, dass die – durch eine Videokamera hervorgerufene – äu­ ßerlich erkennbare „Formalität“ der Vernehmung sich im Regelfall nicht i. S. einer Hemmnis, sondern vielmehr positiv auf den Wahrheitsgehalt der Ein­ lassung des Beschuldigten auswirken kann.501 Etwaige Missbrauchs- und Manipulationsgefahren in Bezug auf den Aufzeichnungsinhalt sollten ferner mit den heutigen technischen Möglichkeiten502 und einer entsprechenden Anwendung des § 58a Abs. 3 StPO minimiert werden. Zu denken ist inso­ weit auch an eine Ausweitung des strafrechtlichen Schutzes.503 Im Falle eines Beschuldigten, der der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mäch­ tig ist, sollte zudem ein Dolmetscher die Einlassung des Beschuldigten un­ mittelbar während der Vernehmung (und nicht erst im Anschluss hieran) ab­ schnittsweise übersetzen (sog. Konsekutivdolmetschen). Hierdurch kann die Einlassung des Beschuldigten Schritt für Schritt präzise wiedergegeben wer­ den.504 Schließlich kann (und muss) auch der Gefahr einer Überinterpretation nonverbaler Verhaltensweisen in Bezug auf den Wahrheitsgehalt der Einlas­ nen Menschen ist die Begegnung mit technischen Gerätschaften etwas Vertrautes und Gewohntes geworden“; so auch OLG Bremen NStZ 2007, 481 (483); kritisch in Be­ zug auf die Authentizität des Verhaltens Knispel, 39. Strafverteidigertag, S. 56 f.; vgl. zu den (damaligen) Bedenken in Bezug auf das Aussageverhalten kindlicher Zeugen Arntzen, ZRP 1995, 241; Diemer, NJW 1999, 1667 (1671); vgl. auch v. Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276, die zu bedenken gibt, dass „die Existenz von Kamera und Mikrofon bei jüngeren Kindern auch das Bedürfnis nach Selbstdarstellung fördern und einer objektiven Berichterstattung abträglich sein kann“. 500  Ähnlich Michel, S. 119: „einfühlsame[] Befragungstechnik“; Nack/ASJ, Ent­ wurf Videographie-Gesetz, S. 307 (317): „einfühlsame Vernehmungstechnik“. 501  So Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S.  449 (459) m. w. N.; Leitner, S. 131; vgl. ferner Thiele, Dokumentation des Ermittlungsverfah­ rens, S. 261 (271), der jedenfalls „keine erhebliche Verschlechterung des Wahrheitsoder Richtigkeitsgehaltes der Aussage [durch die Aufzeichnung] gerade im Vergleich zu anderen Aussagesituationen“ erwartet; vielmehr sei zu bedenken, „dass eine aus­ sagenpsychologische relevante Beeinflussung […] jeder Dokumentationstechnik inne liegt“. 502  Näher Michel, S. 120. 503  Zur entsprechenden Diskussion bei der Weitergabe einer Bild-Ton-Aufzeich­ nung der Hauptverhandlung Momsen/Benedict, KriPoZ 2021, 251 ff.: Die Verfasser weisen zu Recht daraufhin, dass tatbestandliche Ergänzungen im Rahmen der §§ 203, 204, 353b, 353d StGB, § 42 BDSG, § 33 i. V. m. §§ 22, 23, 24 KUG erforderlich sind, um jeglichen Missbrauch ausschließen zu können; ferner Heuer, Schutz vor Verbrei­ tung, S. 243 (251 ff.). Vgl. hierzu bereits oben S. 174 Rn. 244. 504  Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit der (inhaltlichen) Übersetzungsleis­ tung werden – ungeachtet der Frage einer Erweiterung der Videodokumentation – aber auch hier nicht stets vermieden werden können; vgl. Knispel, 39. Strafverteidi­ gertag, S. 57.

226 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

sung505, die einer Videoaufzeichnung durch die Offenlegung der Körperspra­ che immanent ist, durch fortwährende Schulungen im Bereich der Aussageund Verhaltenspsychologie begegnet werden.506 Die Personal- und Sachkosten507 dürften in ihrer Gesamtheit zwar erheb­ lich, jedoch im Ergebnis und vor allem im Hinblick auf die Vorteile der au­ diovisuellen Dokumentation und die Möglichkeit der anderweitigen Ressour­ ceneinsparung hinnehmbar sein508, zumal die entsprechende Technik vieler­ 505  Vgl. hierzu bereits S. 143 ff. Da das nonverbale Verhalten keinen ausreichen­ den Indikator für die Glaubhaftigkeit einer Aussage darstellt, sollte konsequenter­ weise auch der Gebrauch von technischen Wahrnehmungsoptimierungen (z.  B. „Zoom- oder Zeitrafferfunktionen“), mit denen selbst unbewusste körperliche Reak­ tionen ersichtlich werden, unterbleiben; vgl. hierzu Michel, S. 240 f., 343 ff.; ebenso Peters, ZStW 87 (1975), 663, 671 f.; vgl. ferner Thiele, Dokumentation des Ermitt­ lungsverfahrens, S. 261 (283), der nach seinem Forderungskatalog für das Vorgehen bei Bild- und Tonaufzeichnungen von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen auch für ein „Verbot einer Verwendung von computergesteuerten Auswertungen von Ge­ sichtsmimik, wie sie zurzeit in der Kundenbetreuung/Beobachtung von Supermärkten erprobt werden“, plädiert; a. A. (jedenfalls) für die Zeugenvernehmung Buckow, ZIS 2012, 551 (554); Mildenberger, S. 129; Swoboda, S. 181. Jedenfalls weist diese Pro­ blematik ähnliche Fragestellungen auf, die bereits im Zusammenhang mit der recht­ lichen Beurteilung des Einsatzes eines Polygraphen („Lügendetektors“) diskutiert wurden und muss insofern grundsätzlich kritisch betrachtet werden; näher Michel, S. 344; ferner Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 307 (317), die ebenfalls eine Parallele zum Polygraphen ziehen und die Bild-Ton-Aufzeichnung – sofern sie eine Analyse der unbewussten Körpersprache ermöglicht – als „visueller Lügendetek­ tor“ bezeichnen; hierzu auch Rieck, S. 185 ff.; kritisch zur Übertragung der Judikatur zum Einsatz von Polygraphen hingegen Norouzi, S. 252 f.; vgl. zur Verwendung eines Polygraphen als Beweismittel BVerfG NStZ 1981, 446 f.; BVerfG NJW 1982, 375; BVerfG NStZ 1998, 523 (524); BGHSt 5, 332 (335 f.); 44, 308, 323 ff.; BGH NJW 1999, 657; BGH NStZ 2011, 474 (475); AG Bautzen, BeckRS 2013, 8655 und BeckRS 2017, 138202; einen Überblick zur Judikatur bietet auch Eisenberg, Beweis­ recht StPO, Rn. 694 f. 506  Michel, S. 350; vgl. auch Drews, S.  255 ff.; Malek, StV 2011, 559 (561 ff.); Scheumer, S.  74 m. w. N. 507  Vgl. beispielhaft zum Erfüllungsaufwand der Verwaltung durch das ­GzeupAdS vom 22.02.2017, BT-Drucks. 11277, S. 16: „Für jeweils eine Anlage, die zwei Kame­ ras und zwei Mikrofone sowie ergänzende Aufzeichnungstechnik enthält, ist mit An­ schaffungskosten in Höhe von 41 402 Euro für die Videotechnik und 8 423 Euro für die Tontechnik, insgesamt daher 99 650 Euro für zwei Anlagen zu rechnen“; vgl. ferner BT-Drucks. 11277, S. 2, 3: „Bei Bundes- und Landesbehörden dürfte es zu Anschaffungskosten in Höhe von 8 659 475 Euro kommen. Der Anteil des Bundes hieran beläuft sich auf 149 475 Euro. Hinzu kommen jährliche Kosten für Wartung, Sicherheit und Ausbildung. Der Folgeaufwand in Bund und Ländern wird insgesamt auf 2 860 802 Euro geschätzt“; kritisch zu diesen Rechnungen Altenhain, Vor- und Nachteile der audiovisuellen Aufzeichnung, S. 225 (244): „nicht nachvollziehbar“; Schünemann, StraFo 2016, 45 (52): können „nicht ernst genommen werden“. 508  So im Ergebnis auch Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (141 f.); Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (46); Swoboda, 446; Thiele, Dokumentation des Ermitt­



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung227

orts aufgrund der vorherigen Gesetzesreformen im Zusammenhang mit der Videotechnologie – beginnend vor über 20 Jahren – vorhanden sein dürfte.509 Schließlich ist in Bezug auf die sonstigen Schwierigkeiten tatsächlicher und technischer Art im Umgang mit der Videotechnik510 anzumerken, dass der technische Fortschritt sowie die praktische Übung mit dem Aufzeichnungs­ gerät die Zahl der Fehlerquellen hier fortlaufend vermindern dürfte.511 Letztlich stehen die mit der Videotechnik verbundenen Schwierigkeiten daher in keinem Verhältnis zu der Aussicht, dem „Aushandeln der Wirklich­ keit“512 im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung zu Gunsten der vollstän­ digen Offenlegung des Kommunikationsprozesses durch eine sachgemäß513 erstellte Aufzeichnung ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Besondere Be­ deutung erlangt dieser Aspekt vor dem Hintergrund, dass oftmals bereits im Rahmen der ersten Beschuldigtenvernehmung „die Weichen für das weitere Verfahren gestellt werden“.514 Neben der Optimierung der Wahrheitsfindung dient die Ausweitung des Einsatzes von Videotechnik daher auch der Fest­ stellung des staatlichen Strafanspruchs selbst, indem es eine effektivere Ver­ folgung von Verbrechen gewährleistet. Schließlich fördert die vorgeschlagene Regelung auch die Verfahrensgerechtigkeit und die Wiederherstellung des Rechtsfriedens, indem sie die Transparenz im Ermittlungsverfahren und da­ mit auch die Nachvollziehbarkeit jeder hierauf aufbauenden Entscheidung gewährleistet. Mit ihr wird insofern in einem größeren Umfang als bisher ein „Fenster in die polizeiliche Vernehmungspraxis für die Gerichte und letztlich auch für die Öffentlichkeit“ geöffnet.515 Ihr kommt nach alledem ein erheb­ licher Mehrwert gegenüber der geltenden Rechtslage zu.

lungsverfahrens, S. 261 (274 f.); vgl. auch Lagodny, Videovernehmungen im Strafver­ fahren, S. 172, der auch im Falle der Einführung eines allgemeinen Videoprotokolls annimmt, „dass die […] Folgekosten aufgebracht werden können“; kritisch Knispel, 39. Strafverteidigertag, S. 57. 509  Vgl. Altenhain, ZIS 2015, 269 (273); Michel, S. 122 Fn. 545; Swoboda, S. 446. 510  Näher BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 68; vgl. zu den (technischen) Schwierigkeiten in Bezug auf das Zusammenspiel von Videoaufzeich­ nung und Verteidigerkonsultation ferner Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 5. 511  Vgl. Weigend, StV 2019, 852 (857). 512  Zum Begriff Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 733. 513  Vgl. zu den Gefahren einer unsachgemäß erstellten Aufzeichnung für die Wahrheitsfindung Michel, S. 119. 514  Weigend, StV 2019, 852; ders., Audio-visuelle Aufzeichnung, S. 49; Witting, FS Schiller (2014), S. 691; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 501, 502a; Michel, S.  99 ff.; Swoboda, S. 443. 515  Drews, S. 255.

228 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung

Die Ausführungen zu § 136 Abs. 4 StPO und § 70c Abs. 2 JGG können insgesamt wie folgt zusammengefasst werden: (1) Die Normierung der Videodokumentation der Beschuldigtenverneh­ mung in einer eigenständig hierfür geschaffenen Vorschrift (§ 136b StPOE)516 betont die rechtsstaatliche Bedeutung der Vorschrift und entfaltet hierdurch eine zusätzliche Signalwirkung für den Rechtsanwender. Die ei­ genständige Normierung vermeidet zudem unnötige Kettenverweisungen und die Überfrachtung des § 136 StPO – einer Vorschrift, die lediglich den allge­ meinen Vernehmungsablauf regelt – mit speziellen Regelungen zur Video­ aufzeichnung.517 (2) Die Aufzeichnungspflicht nach § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StPO ist auf alle Verbrechenstatbestände auszuweiten.518 (3)  Die fakultative Aufzeichnung nach § 136 Abs. 4 S. 1 StPO ist aufgrund praktischer Erwägungen beizubehalten. Sie rechtfertigt sich vor dem Hinter­ grund der Möglichkeit des transnationalen Beweistransfers und bietet sich auch bei Geständnissen, umfangreichen und/oder komplexen Fällen, Aus­ sage-gegen-Aussage-Konstellationen und bei der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtigen Beschuldigten an. In Bezug auf § 70c Abs. 2 S. 1 JGG sind die unionsrechtlich determinierten Ermessenskriterien gesetzlich festzuschreiben.519 (4) Um die begehrte „Vollständigkeitsfunktion“ der Videodokumentation in tatsächlicher Hinsicht gewährleisten zu können, sieht die hier vorgeschla­ gene Regelung vor, dass der Vernehmende nach Abschluss der Vernehmung erklärt, ob und mit welchem Inhalt verfahrensbezogene Gespräche außerhalb der Bild-Ton-Aufzeichnung geführt wurden und ob die Aufzeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt. Der Beschuldigte erhält so­ dann die Möglichkeit, sich hierzu zu erklären.520 (5)  Um einen etwaigen Miss- oder Fehlgebrauch der Ausschlussvarianten („äußere Umstände“ und „besondere Dringlichkeit“) vorbeugen und nach­ vollziehen zu können, ist das tatsächliche Vorliegen einer Ausnahmebestim­ mung entsprechend einer neuen gesetzlichen Bestimmung zu dokumentie­ ren.521

516  Für die Zeugenvernehmung wurde eine entsprechende Regelung in § 58a StPO geschaffen. 517  Vgl. oben S. 214. 518  Vgl. oben S. 198 f. 519  Vgl. oben S. 201 ff. 520  Vgl. oben S. 205 f. 521  Vgl. oben S. 208.



§ 2 Regelungen zur Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung229

(6) Der Sinngehalt des § 136 Abs. 4 S. 2 StPO geht über eine bloße Ord­ nungsvorschrift hinaus. Die Verkennung der materiellen Voraussetzungen muss daher zumindest bei willkürlicher und bewusster Umgehung der Auf­ zeichnungspflicht oder auch bei auf genereller Weisung beruhendem Unter­ lassen der Aufzeichnung ein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben. Die gleichen Erwägungen gelten auch für einen Verstoß gegen § 70c Abs. 2 S. 2 JGG und § 136b Abs. 2 S. 2 StPO-E.522 (7) Die unterschiedliche Behandlung von Zeugen und Beschuldigten im Hinblick auf das Widerspruchsrecht nach § 58a Abs. 3 StPO ist abzulehnen. Dementsprechend ist wieder (wie vor dem 01.01.2020) eine Regelung vorzu­ sehen, die auch dem Beschuldigten ein Widerspruchsrecht einräumt.523 (8) Richterliche Beschuldigtenvernehmungen sind – neben polizeilichen und staatsanwaltlichen Vernehmungen – in den Anwendungsbereich des § 70c Abs. 2 S. 2 JGG einzubeziehen.524 Es werden daher folgende Gesetzesänderungen vorgeschlagen: § 136b StPO-E: (1)  1Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet wer­ den. 2Sie ist aufzuzeichnen, wenn 1. dem Verfahren der Verdacht eines Verbrechens zugrunde liegt und der Auf­ zeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder 2. die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter einge­ schränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können, 3

Wird von der Aufzeichnung nach Satz 2 Nr. 1 abgesehen, sind die Gründe akten­ kundig zu machen. (2)  1Der Vernehmende erklärt am Ende der Vernehmung, dass die Bild-Ton-Auf­ zeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt. 2Er erklärt zudem, ob und mit welchem Inhalt mit dem Beschuldigten verfahrensbezogene Gespräche außerhalb der Bild-Ton-Aufzeichnung geführt wurden. 3Der Beschuldigte muss Gelegenheit erhalten, sich hierzu zu erklären. (3)  1Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für Zwecke der Strafver­ folgung und nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforder­ lich ist. § 101 Abs. 8 gilt entsprechend. 2Die §§ 147, 406e sind entsprechend anzu­ wenden, mit der Maßgabe, dass den zur Akteneinsicht Berechtigten Kopien der Aufzeichnung überlassen werden können. 3Die Kopien dürfen weder vervielfältigt noch weitergegeben werden. 4Sie sind an die Staatsanwaltschaft herauszugeben, 522  Vgl.

oben S. 208 ff. oben S. 214 ff. 524  Vgl. oben S. 218 ff. 523  Vgl.

230 3. Kap.: Die videodokumentierte Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung sobald kein berechtigtes Interesse an der weiteren Verwendung besteht. 5Die Über­ lassung der Aufzeichnung oder die Herausgabe von Kopien an andere als die vor­ bezeichneten Stellen bedarf der Einwilligung des Zeugen. (4)  1Widerspricht der Beschuldigte der Überlassung einer Kopie der Aufzeichnung seiner Vernehmung nach Absatz 3 Satz 3, so tritt an deren Stelle die Überlassung des Protokolls an die zur Akteneinsicht Berechtigten nach Maßgabe der §§ 147, 406e. 2Das Recht zur Besichtigung der Aufzeichnung nach Maßgabe der §§ 147, 406e bleibt unberührt. 3Der Beschuldigte ist auf sein Widerspruchsrecht nach Satz 1 hinzuweisen. § 70c StPO-E: […] (2)  1Außerhalb der Hauptverhandlung kann die Vernehmung des Beschuldigten in Bild und Ton aufgezeichnet werden, wenn dies unter Berücksichtigung seines Wohls und der Umstände des Einzelfalls, namentlich wegen der Schwere der Tat, der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder der schutzwürdigen Belange des Beschuldigten, verhältnismäßig ist. 2Sie ist in Bild und Ton aufzuzeichnen, wenn zum Zeitpunkt der Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, ein Verteidiger aber nicht anwesend ist. […] 4Wird die Vernehmung in Bild und Ton aufgezeichnet, gelten § 136b Absatz 2 bis 5 der Strafprozessordnung entspre­ chend. […]

Für die Regelung des § 163a StPO ergibt sich hierdurch folgende Ände­ rung: § 163a StPO-E […] (4) […] 2Im übrigen sind bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes §§ 136 Absatz 1 Satz 2 bis 6, Absatz 2 bis 5, 136a und § 136b anzuwenden. […] […]

4. Kapitel

Die Protokollierung von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren In einem weiteren Schritt sollen die geltenden Vorgaben zur Dokumenta­ tion von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen im Ermittlungsverfahren sowie konkrete Defizite und Optimierungsmöglichkeiten im Hinblick auf die derzeitige Dokumentationstechnik dargestellt werden. Die Ausführungen sollen am Ende des Kapitels schließlich in einem Vorschlag zur Dokumenta­ tion von audiovisuell aufgezeichneten Vernehmungen im Ermittlungsverfah­ ren münden.

§ 1 Protokollierungspflicht de lege lata Die Protokollierung von Untersuchungshandlungen und anderen prozessu­ alen Vorgängen im Ermittlungsverfahren rechtfertigt sich aus mehreren Gründen: Die Geschehnisse und Informationen können hierdurch nicht nur anderen Prozessbeteiligten zugänglich gemacht werden; selbige Informatio­ nen können vielmehr auch in späteren Verfahrensstadien fruchtbar gemacht werden.1 Aufgrund dieser verfahrensrechtlichen Transparenzfunktion, aber auch aufgrund der Persönlichkeitsrelevanz einer Vernehmung, muss vor al­ lem den Protokollierungsvorgaben betreffend den Ablauf und Inhalt von Zeugen- oder Beschuldigtenvernehmungen eine nicht unerhebliche rechts­ staatliche Bedeutung zuerkannt werden. Die entsprechenden Regelungen, auf die im Folgenden näher einzugehen ist, ergeben sich aus den §§ 168–168b StPO. Besondere Anforderungen zur schriftlichen Protokollierung einer audiovisuell aufgezeichneten Vernehmung wurden seitens des Gesetzgebers in­ des nicht getroffen. Die einst in einem Gesetzentwurf des Bundesrates vom 19.06.1996 in § 168e Abs. 2 StPO-E2 vorgesehene Regelung einer Protokol­ lierungspflicht im Falle einer richterlichen Vernehmung erschien aus Sicht 1  Vgl.

MüKo-StPO/Kölbel, § 168 Rn. 1. Abs. 2 StPO-E lautete: „Wird eine richterliche Vernehmung in Bild und Ton aufgezeichnet, so sind die wesentlichen Teile der Aufzeichnung unverzüglich schriftlich festzuhalten“; BT-Drucks. 13/4983, S. 3. 2  § 168e

232 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

der Bundesregierung aufgrund der geltenden Regelungen in §§ 168, 168a StPO für verzichtbar.3 Aus dem gleichen Grund enthielt auch der Gesetzes­ entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu § 58a StPO vom 11.03.1997 keine Regelungen zur Protokollierung einer Videovernehmung.4 Somit ist auch im Falle einer audiovisuellen Aufzeichnung einer Zeugenoder Beschuldigtenvernehmungen auf die allgemeinen Regelungen in den §§ 168–168b StPO zurückzugreifen. Dass die Aufnahme einer Vernehmung auf einen Bild-Ton-Träger die zusätzliche schriftliche Protokollierung nach geltender Rechtslage keinesfalls obsolet macht, ergibt sich im Falle einer richterlichen Vernehmung daher aus den für richterliche Untersuchungshand­ lungen geltenden §§ 168, 168a StPO und für staatsanwaltliche und polizei­ liche Vernehmungen aus § 168b Abs. 2 S. 1 StPO, der § 168a StPO für ent­ sprechend anwendbar erklärt.5

A. Inhalt und Form eines richterlichen Vernehmungsprotokolls § 168 S. 1 StPO statuiert nur die allgemeine Pflicht, über jede richterliche Untersuchungshandlung6 – wie z. B. eine Zeugen- oder Beschuldigtenver­

3  Vgl. die Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf in BTDrucks. 13/4983, S. 10: „Aus Sicht der Bundesregierung erscheint die in § 168e Abs. 2 StPO vorgesehene Regelung, die die Protokollierung einer Videoaufzeichnung, d. h. die Erstellung einer Niederschrift über die Vernehmung, regelt, verzichtbar. Denn außer Zweifel steht, daß – soweit die richterliche Vernehmung aufgezeichnet wird – eine richterliche Untersuchungshandlung vorliegt, für die die §§ 168, 168a StPO (Protokoll; Art der Protokollierung) Anwendung finden. Gegebenenfalls könnten, so­ weit geboten, entsprechende Regelungen in die RiStBV aufgenommen werden“. Sol­ che Regelungen sind in der RiStBV jedoch bis heute nicht getroffen worden. 4  Vgl. BT-Drucks. 13/7165, S. 6. 5  Vgl. Hartz, S. 92; KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 9; KMR/Neubeck, § 58a Rn. 12; Leitner, S. 50; LR/Ignor/Bertheau, § 58a Rn. 29; Meyer-Goßner/Schmitt, § 58a Rn. 9; MüKo-StPO/Maier, § 58a Rn. 11; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 22; SSW-StPO/Güntge/ Tsambikakis § 58a Rn. 34; Swoboda, S. 359; ferner BT-Drucks. 19/27654, S. 93: „Dass auch eine vollständige Ton- oder Bild-Ton-Aufzeichnung – ebenso wie etwa eine stenografische Mitschrift – das Protokoll nicht ersetzt, ergibt sich bereits aus der Struktur der §§ 168 ff. StPO. Eine Aufzeichnung ist zwar eine Form der Dokumenta­ tion, aber nicht das Protokoll selbst, das eine Verschriftung und Niederlegung in ein – derzeit noch schriftliches, künftig aber zunehmend elektronisches – Dokument ver­ langt. Es muss also auch bei einer vollständigen Bild-Ton-Aufzeichnung regelmäßig ein Verhandlungsprotokoll erstellt werden“. 6  Im Rahmen einer richterlichen Untersuchungshandlung wird der Richter selbst ermittelnd tätig, näher zum Begriff KK-StPO/Griesbaum, § 168 Rn. 2; LR/Erb, § 168 Rn. 9; MüKo-StPO/Kölbel, § 168 Rn. 4; Radtke/Hohmann/Kretschmer, § 168 Rn. 2.



§ 1 Protokollierungspflicht de lege lata233

nehmung – ein Protokoll aufzunehmen7, sodass die näheren Anforderungen zur formellen und sachlichen Gestaltung des Protokolls der Regelung des § 168a StPO entnommen werden müssen.8 Nach § 168a Abs. 1 S. 1 StPO muss das Protokoll Ort und Tag der Verhandlung sowie die Namen der mit­ wirkenden und beteiligten Personen angeben und ersehen lassen, ob die we­ sentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens9 beachtet sind. Im Übrigen kann das Protokoll sowohl in Form einer wörtlichen Wiedergabe der Verhandlung (Wortprotokoll) als auch in Form einer Zusammenfassung ihres Inhalts (Inhaltsprotokoll) während oder nach Beendigung der Verhandlung erstellt werden (§ 168a Abs. 2 S. 1 StPO). Die Verhandlung kann zudem wörtlich oder in Form einer Zusammenfassung ihres Inhalts (sog. zusammenfassende Aufzeichnung10) aufgezeichnet werden (§ 168a Abs. 2 S. 1 StPO).11 Hierbei ist jedoch zu beachten, „dass das Protokoll die verschriftete Form des Inhalts der Verhandlung darstellt und Aufzeichnungen der Verhandlung, sei es in Bild und Ton oder nur in Ton, als andere Formen der Dokumentation grund­

7  Für die Protokollführung ist hierbei ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle zuzuziehen (§ 168 S. 2 StPO). 8  § 168a StPO wurde durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozess­ ordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 neu gestaltet. Die Vorschrift regelt nunmehr alle Formen der Dokumentation einer richterlichen Unter­ suchungshandlung und ihr Verhältnis zueinander; BT-Drucks. 19/27654, S. 44. 9  Unter dem Begriff der „wesentlichen Förmlichkeiten“ sind solche Vorgänge zu verstehen, die für das gesetzmäßige Zustandekommen des Protokolls von Bedeu­ tung sind. Darüber hinaus werden hiervon auch die für die Untersuchungshandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfasst; näher KK-StPO/Griesbaum, § 168a Rn. 2; Radtke/Hohmann/Kretschmer, §  168a Rn.  1; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168a Rn. 2; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168a Rn. 2; vgl. für beachtliche Formmängel etwa BGH NJW 1994, 596 (600) im Falle des Fehlens einer der nach § 168a Abs. 4 S. 1 StPO a. F. erforderlichen Unterschriften; OLG Stuttgart NStZ 1986, 41 im Falle des Fehlens des Bestätigungsvermerks und der Unterschrift der übertragenden Person nach § 168a Abs. 4 S. 2 und 3 StPO a. F.; weitere Beispiele finden sich bei HK-GS/ Zöller, § 168a Rn. 3; LR/Erb, § 168a Rn. 10 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 168a Rn. 2; MüKo-StPO/Kölbel, § 168a Rn. 4; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168a Rn. 2; vgl. für sonstige, „einfache“ Formmängel der Niederschrift, die die Verlesbarkeit des Proto­ kolls als richterliche Niederschrift unberührt lassen und in der Regel nur den Beweis­ wert mindern, BVerfG NStZ 2006, 46 (47) im Falle der fehlenden Genehmigung und Unterschrift des Beschuldigten nach § 168a Abs. 3 S. 1 und 3 StPO a. F.; vgl. ferner BGH bei Becker NStZ-RR 2005, 257 (258); KK-StPO/Griesbaum, § 168a Rn. 14; LR/Erb, § 168a Rn. 60; MüKo-StPO/Kölbel, § 168a Rn. 29. 10  Die zusammenfassende Aufzeichnung stellt „eine schriftliche oder – typi­ scherweise mittels eines Diktiergeräts – technisch aufgezeichnete Wiedergabe des Inhalts der [Vernehmung] in eigenen Worten des [Vernehmungs]führers“ dar; BTDrucks. 19/27654, S. 91. 11  Die etwaige Unrichtigkeit des Protokolls kann hierbei anhand der Aufzeich­ nung nachgewiesen werden (vgl. § 168a Abs. 2 S. 3 StPO).

234 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

sätzlich [nur] neben das Protokoll treten“.12 Weitere Regelungen zum Verfah­ ren der Genehmigung finden sich sodann in § 168a Abs. 3–5 StPO, wobei folgender Grundsatz gilt: Erfolgt eine „inhaltliche Zusammenfassung oder sonst in irgendeiner Form umgestaltende Interpretation des Wortlauts“, ist das Protokoll von den Beteiligten zu genehmigen (es sei denn, sie verzichten darauf), wohingegen es im Falle der wörtlichen Transkription einer Auf­ zeichnung ausreicht, wenn die übertragende Person die Richtigkeit der Über­ tragung bestätigt.13 § 168a Abs. 6 StPO enthält schließlich Regelungen zum notwendigen Akteninhalt sowie zur Aufbewahrung bzw. Speicherung und Löschung der Aufzeichnungen. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass eine Rangfolge in Bezug auf die Art des Protokolls (Wort- oder Inhaltsprotokoll) nicht existiert. Die sachlichen Anforderungen des Protokolls müssen daher im Einzelfall nach der Art der Untersuchungshandlung und dem Zweck des Protokolls bestimmt werden.14 So kann als vornehmlicher Zweck eines Vernehmungsprotokolls insbesondere seine prozessuale Weiterverwendung15 benannt wer­ den: Das Protokoll dient insofern als Informationsmaterial für weitere poli­ zeiliche Ermittlungsmaßnahmen, für die Erteilung weiterer Ermittlungsauf­ träge (§ 161 StPO) oder die Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft (170 StPO) und für die gerichtliche Entscheidung über die Eröffnung des Haupt­ verfahrens (§§ 203, 204 StPO). Daneben kann der Verteidiger auch auf Grundlage seines Akteneinsichtsrechts (§ 147 StPO) gegebenenfalls Anträge zur weiteren Beweiserhebung stellen und seine Verteidigungsstrategie (auch) anhand des Protokolls ausrichten.16 In Betracht kommt ferner die Einführung des Protokolls im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung (§§  251 ff. StPO).17 Hierbei kann das Protokoll auch zur Überprüfung der 12  BT-Drucks.

19/27654, S. 91. 19/27654, S. 91, 93. 14  KK-StPO/Griesbaum, § 168 Rn. 8; KMR/Plöd, § 168 Rn. 10; Radtke/Hohmann/ Kretschmer, § 168a Rn. 2; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168a Rn. 3; SSW-StPO/ Sing/Andrä, § 168 Rn. 7. 15  Eine Übersicht findet sich bei Schubert, S.  101 ff. 16  Schubert, S. 102. 17  Zu beachten ist hierbei, dass nur ein unter Beachtung der wesentlichen Förm­ lichkeiten erstelltes Protokoll zu Beweiszwecken in der Hauptverhandlung nach §§ 232 Abs. 3, 249, 251 Abs. 2, 254 StPO als richterliches Protokoll verlesen werden darf; vgl. BGHSt 9, 297 (301 f.); BGHSt 22, 118 (120); BGHSt 27, 339 f.; Radtke/ Hohmann/Kretschmer, § 168a Rn. 6. Ist dies nicht der Fall, ist – neben der Zeugen­ vernehmung des Richters; vgl. OLG Düsseldorf, VRS 88 (1995), 198 – die Verlesung des Protokolls (zumindest) als nichtrichterliche Niederschrift nach §§ 249, 251 Abs. 1, 253 StPO möglich; vgl. BGHSt 22, 118 (120): „Wenn unter den gegenüber [§ 251] Abs. 1 engeren Voraussetzungen dieser Vorschrift […] schon die Niederschrift über eine polizeiliche Vernehmung, bei der die für eine Vernehmung durch den Richter 13  BT-Drucks.



§ 1 Protokollierungspflicht de lege lata235

„Beständigkeit“ einer Zeugen- oder Beschuldigtenaussage dienen, indem es einen Vergleich mit den protokollierten (früheren) Aussagen ermöglicht. Da­ neben kommt auch eine Verlesung des Protokolls zum Zwecke des Vorhalts in Betracht.18 Schließlich vermag es auch Beweis über die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten (vgl. § 168a Abs. 1 StPO) zu erbringen. In die­ sem Zusammenhang können sich etwa unterlassene erforderliche Belehrun­ gen (z. B. Belehrung über das Schweigerecht des Beschuldigten, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO) auch auf die Verwertbarkeit der Aussage bzw. Einlassung auswir­ ken und sogar ein Verwertungsverbot zur Folge haben.19 Aufgrund der aufgezeigten Beweisfunktion sowie der praktischen Rele­ vanz der Dokumentation des Vernehmungsablaufs müssen an den konkreten Inhalt und die Form des Vernehmungsprotokolls somit hohe Anforderungen angestellt werden.20 Neben den wesentlichen Förmlichkeiten sollten daher auch der Erscheinungsanlass (z. B. freiwillige Mitwirkung, Vorladung oder vorläufige Festnahme), der Entstehungszusammenhang der Aussage bzw. Einlassung (z. B. spontane Bekundung, zusammenhängender Bericht, Ant­ wort auf eine konkrete Frage oder auf einen Vorhalt21), inhaltliche Beson­ derheiten der Aussage bzw. Einlassung (z. B. Aussageänderungen und Selbst­ korrekturen22), die bei der Vernehmung anwesenden Personen und die weiteren äußeren Umstände (z. B. Dauer der Vernehmung einschließlich ge­ tätigter Pausen) sowie auch besondere körperliche und psychische Reaktio­ nen dokumentiert werden, die auf eine mangelnde Wahrnehmungsfähigkeit oder einen etwaigen Alkohol- oder Drogeneinfluss des Vernommenen schlie­ ßen lassen.23 Über die Dokumentation des Ergebnisses der Vernehmung geltenden Verfahrensvorschriften nicht beachtet zu sein brauchen, verlesen werden darf, so ist nicht einzusehen, warum unter diesen Voraussetzungen nicht auch eine mit einem Formverstoß behaftete richterliche Niederschrift soll verlesen werden dürfen“; näher KK-StPO/Griesbaum, § 168 Rn. 9; MüKo-StPO/Kölbel, § 168 Rn. 10; SKStPO/Wohlers/Albrecht, § 168 Rn. 14. 18  Vgl. AnwK-StPO/Walther, § 168b Rn. 5; J. Fischer, Die polizeiliche Verneh­ mung, S. 177. 19  Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 313. 20  Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 610; ähnlich Nack/ASJ, Entwurf Videogra­ phie-Gesetz, S. 313: „Weil dem Protokoll ein erheblicher Beweiswert als Dokumenta­ tion der Aussage zukommt, ist es so wichtig, dass die Aussage möglichst wortwörtlich festgehalten wird“. 21  Brenner, Kriminalistik 1981, 142 (143 f.); Radtke/Hohmann/Kretschmer, § 168a Rn. 3; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168a Rn. 5; ferner auch LR/Erb, § 168a Rn. 14. 22  MüKo-StPO/Kölbel, § 168a Rn. 6. 23  Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 615; Schubert, S. 112; näher zum konkreten Inhalt des Protokolls auch Artkämper/Floren/Schilling, Rn.  2007 ff.; Bender/Häcker/ Schwarz, Rn.  1683 ff.; Dach, 160 f.; J. Fischer, Die polizeiliche Vernehmung, S. 180 ff.; Leitner, 42 f., 44 f.

236 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

hinaus hat die Verhörsperson zudem auf eine (möglichst) wortlautgetreue Wiedergabe der Aussage des Vernommenen in direkter Rede zu achten.24 Dies gilt vor allem für die bedeutsamen Teile der Vernehmung: In diesem Fall empfiehlt Nr. 45 Abs. 2 S. 1 RiStBV sogar, die Fragen, Vorhalte und Antworten möglichst wörtlich in die Niederschrift aufzunehmen.25 In erster Linie ist es daher Aufgabe der dokumentierenden Person, die bedeutsamen Teile der Vernehmung herauszufiltern und die Äußerungen „vollständig, un­ verfälscht und wahrheitsgetreu“ wiederzugeben.26 Maßgeblich ist demzufolge der Sprachgebrauch der Aussageperson, der nicht durch eine sprachliche „Glättung“ verändert werden darf.27 Zu dokumentieren ist mithin – etwas plastischer ausgedrückt – „was der Beschuldigte gesagt und nicht, was die Vernehmungsperson verstanden hat“.28 Handelt es sich bei der vernommenen Person um einen geständnisbereiten Beschuldigten, werden die sachlichen Anforderungen an das Vernehmungsprotokoll sogar noch weiter verschärft: In diesem Fall sind die Einzelheiten der Tat möglichst mit seinen eigenen Worten wiederzugeben (Nr. 45 Abs. 2 S. 2 RiStBV). Hierbei ist insbesondere darauf zu achten, dass solche Umstände aktenkundig gemacht werden, die nur der Täter wissen kann (Nr. 45 Abs. 2 S. 3 RiStBV). Schließlich sind auch die Namen der Personen zu vermerken, die das Geständnis mit angehört ha­ ben (Nr. 45 Abs. 2 S. 4 RiStBV). Hierdurch wird nicht nur vermieden, dass dem Beschuldigten (in juristischer Hinsicht relevante) Worte seitens der Vernehmungsperson „in den Mund gelegt“ werden; die wörtliche Protokol­ lierung dient zudem auch der „Geständnisabsicherung“.29 Die Bedeutung ei­ ner vollständigen Dokumentation zeigt sich insbesondere im Falle eines späteren Geständniswiderrufs: Dass der Beschuldigte vor allem im Rahmen seiner ersten Vernehmung schutzbedürftig und „in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt“ ist, „sich unbedacht selbst zu belasten“30, hat der BGH bereits mehrfach betont. Es wird für den Beschuldigten zudem nicht leicht 24  Vgl. Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 612; J. Fischer, Die polizeiliche Ver­ nehmung, S. 184 f.; MüKo-StPO/Kölbel, § 168a Rn. 6; Nack/ASJ, Entwurf Videogra­ phie-Gesetz, S. 313. 25  Die Vorschrift gilt zwar unmittelbar nur für die Beschuldigtenvernehmung. Sie ist jedoch für Zeugenvernehmungen analog anzuwenden; vgl. BeckOK-StPO/Meyberg, Nr. 45 RiStBV Rn. 6. 26  Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 611; vgl. auch LR/Erb, § 168a Rn. 15. 27  Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn.  612: Eine wortgetreue Dokumentation schließt daher auch unbeholfene Formulierungen oder typische Dialekt- oder „Slang“Ausdrücke ein; hierzu auch J. Fischer, Die polizeiliche Vernehmung, S. 190 ff. 28  Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 612. 29  Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 313; vgl. auch Swoboda, S. 444. 30  BGHSt 58, 301 (308); ähnlich BGHSt 38, 214 (222); vgl. zu den Entstehungs­ zusammenhängen eines falschen Geständnisses Drews, S.  129 ff.; Eisenberg, Beweis­ recht StPO, Rn. 730 ff.



§ 1 Protokollierungspflicht de lege lata237

sein, sich in einer Hauptverhandlung von einer einmal protokollierten Einlas­ sung zu distanzieren.31 Kommen belastende Passagen sogar an mehreren Stellen im Vernehmungsprotokoll vor, wird ein späterer Geständniswiderruf für ihn zusätzlich erschwert, da ein „mehrfacher Irrtum“ nicht glaubhaft ist.32

B. Inhalt und Form eines ermittlungsbehördlichen Vernehmungsprotokolls Neben den richterlichen Untersuchungshandlungen ist nach § 168b Abs. 1 StPO auch das Ergebnis der Untersuchungshandlungen der Ermittlungsbehörden aktenkundig zu machen. Der Anwendungsbereich der Vorschrift er­ streckt sich hierbei auf Untersuchungshandlungen „sämtlicher mit strafrecht­ lichen Ermittlungen befasster Behörden“.33 Hierzu gehören neben der Staats­ anwaltschaft auch die Polizei und die Zollverwaltung.34 Hintergrund der Dokumentationspflicht ist in erster Linie der Grundsatz der Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit, der aus der „Bindung der Verwaltung und Justiz an Gesetz und Recht und der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Pflicht zur Objektivität“35 folgt. Dass dieser Grundsatz klare Ziele verfolgt und nicht nur um seiner selbst willen gilt, betonte auch schon der BGH: „Es steht nicht im Belieben der Ermittlungsbehörden, ob sie strafprozessuale Er­ mittlungsmaßnahmen in den Akten vermerken und zu welchem Zeitpunkt sie dies tun. Das Tatgericht muss den Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehen können. Dies ist kein Selbstzweck, sondern soll die ordnungsgemäße Vorbereitung der Hauptverhandlung durch das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten 31  Swoboda, S. 444: „Ein Geständnis zu widerrufen, das detailliertes Täterwissen enthält, hat nahezu keine Aussicht auf Erfolg, selbst wenn das relevante Detailwissen in Wirklichkeit unbewusst über den Vernehmungsbeamten in das Verhör und in die Niederschrift eingeflossen ist“; vgl. auch Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S.  313 f.; ferner J. Fischer, Die polizeiliche Vernehmung, S. 178: „Fehler, die bei der Niederschrift der Aussage gemacht werden, lassen sich nur selten korrigieren“. 32  Vgl. de Vries, § 5 Rn. 68, der auch darauf hinweist, dass der Beschuldigte in der Praxis zu „handschriftlichen Korrekturen“ ermuntert wird. Auch hierdurch erschiene ein „mehrfacher Irrtum“ nicht glaubhaft, da er sich die Einzelheiten durch seine hand­ schriftlichen Berichtigungen ja durchgelesen habe; vgl. hierzu auch Herren/Bortz, Kriminalistik 1976, 313 (317): „Eine Vernehmung, die viele handschrift­liche Korrek­ turen des Beschuldigten aufweist, ist […] ein Zeichen dafür, daß der Vernehmende um eine wirklichkeitsgetreue, beweiserhebliche Vernehmungsniederschrift bemüht war“; vgl. zur Beweiswürdigung bei einem Geständniswiderruf BGH StV 2001, 440; BGH NStZ-RR 2004, 238 (240); BGH StV 2001, 440. 33  BT-Drucks. 18/9534, S. 23; vgl. auch BT-Drucks. 18/9416, S. 61. 34  Vgl. BVerfG BeckRS 2016, 50709 Rn. 19; BT-Drucks. 17/12578, S. 8 f., 17; BeckOK-StPO/El Duwaik, § 168b Rn. 1. 35  BVerfG BeckRS 2016, 50709 Rn. 19; vgl. auch BVerfG, NJW 1983, 2135; VGH Mannheim NVwZ-RR 2015, 161 (166).

238 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren gewährleisten. […] Zudem muss in einem Rechtsstaat schon der bloße Anschein, die Ermittlungsbehörden wollten etwas verbergen, vermieden werden.“36

Aus den Akten muss sich daher sowohl die Art als auch der Erfolg der konkret getroffenen Ermittlungsmaßnahme ergeben.37 Für Vernehmungen bestimmt § 168b Abs. 2 S. 1 StPO darüber hinaus, dass ein Protokoll nach § 168a StPO aufgenommen werden soll, soweit dies ohne erhebliche Verzö­ gerung der Ermittlungen geschehen kann. Die Normierung einer Soll-Vorschrift rechtfertigt sich vor dem Hintergrund der hierdurch ermöglichten Flexibilität der Ermittlungsbehörden.38 Von ihr kann somit auch abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall wegen einem sachlichen begründeten Anlass gerechtfertigt ist, z. B. wegen völliger Bedeutungslosigkeit der Aussage, im Falle einer Vielzahl gleichlautender Aussagen oder einer sonst drohenden erheblichen Verzögerung der Ermittlungen (z. B. Ermittlungen am Tat- oder Unfallort).39 Wird im Falle einer Beschuldigtenvernehmung kein Protokoll angefertigt, ist jedoch – entsprechend der Vorgabe in Art. 3 Abs. 3 b) RL 2013/48/EU – jedenfalls die Teilnahme des Verteidigers an der Vernehmung aktenkundig zu machen (§ 168b Abs. 2 S. 2 StPO).40 Zu beachten sind schließlich auch die durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der not­ wendigen Verteidigung vom 10.12.201941 eingefügten Dokumentations­ pflichten gem. § 168b Abs. 3 S. 1, 2 StPO: Hiernach sind die in § 163a StPO vorgeschriebenen Belehrungen des Beschuldigten vor seiner Vernehmung sowie die in § 58 Abs. 2 S. 5 StPO vorgeschriebene Belehrung vor einer Gegenüberstellung zu dokumentieren. Gleiches gilt auch für die Entschei­ dung des Beschuldigten darüber, ob er vor seiner Vernehmung einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen möchte, und für das Einverständnis des Beschuldigten nach § 141a S. 1 StPO. Der gesetzgeberische Hintergrund dieser Regelungen liegt in dem für ermittlungsbehördliche Vernehmungen fehlenden Äquivalent zu § 168a Abs. 1 StPO, der für richterliche Verneh­ 36  BGH

NStZ 2014, 277 (281). BeckRS 2016, 50709 Rn. 20; OLG Karlsruhe NJW 1992, 642 (644); BeckOK-StPO/El Duwaik, § 168b Rn. 2; KK-StPO/Griesbaum, § 168b Rn. 2; SSWStPO/Sing/Andrä, § 168b Rn. 1. 38  BT-Drucks. 18/9534, S. 23. 39  Vgl. AnwK-StPO/Walther, § 168b Rn. 9; BT-Drucks. 7/551, S. 76; KK-StPO/ Griesbaum, § 168b Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, § 168b Rn. 2; vgl. ferner Weigend, StV 2019, 852 (857), der auch im Falle einer vollständigen Bild-Ton-Aufzeichnung einer Vernehmung auf eine vollständige schriftliche Protokollierung verzichten möchte, da „das Vorliegen eines besseren Beweismittels über den Ablauf und das Ergebnis der Vernehmung eine [weitere] Ausnahme begründen kann“. 40  Im Falle einer Protokollerstellung folgt die Pflicht zur Dokumentation der Anwesenheit des Verteidigers bereits aus § 168a Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 168a Abs. 1 S. 1 StPO; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168a Rn. 3. 41  BGBl. I S. 2128. 37  BVerfG



§ 2 Defizite des status quo239

mungen die Protokollierung der wesentlichen Förmlichkeiten zwingend vor­ schreibt. Durch die Statuierung der Dokumentationspflichten kann die Ein­ haltung der betreffenden Belehrungen und Entscheidungen nunmehr besser nachvollzogen werden.42

§ 2 Defizite des status quo Im Folgenden wird die derzeitige Protokollierungspraxis einer kritischen Analyse unterzogen, um hieraus Verbesserungsvorschläge für künftige Ge­ setzesreformen herleiten zu können.

A. Selektions- und Verfälschungsproblematik Die Vernehmung zielt vornehmlich auf die Rekonstruktion der Vergangenheit ab, sodass die Vernehmungsperson zwangsläufig auf Informationen der Aussageperson angewiesen ist, um den Sachverhalt (bestenfalls vollständig) aufklären zu können. Diese Informationsüberlegenheit der Aussageperson ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass die Vernehmungssituation in praktischer Hinsicht überwiegend durch die Gestaltungsmöglichkeiten der Vernehmungsperson43 geprägt ist: Dies zeigt sich (formal) bereits durch den Zweck und die Struktur einer Vernehmung, der ein Ermittlungsauftrag zugrunde liegt44, und (inhaltlich) durch die §§ 168, 168a StPO, die der Vernehmungsperson nicht unerhebliche Gestaltungsbefugnisse hinsichtlich der Dokumentation von Vernehmungsablauf und -inhalt einräumen.45 Zu diesen Rahmenbedingungen gesellen sich weitere Besonderheiten kommuni­ kationsspezifischer Art: Kommunikationswissenschaftliche Untersuchungen, die die Würdigung schriftlicher Vernehmungsprotokolle zum Gegenstand hatten46, legen nahe, dass im Rahmen einer Vernehmung solange über den vergangenen Geschehensablauf „verhandelt“ wird, bis eine Konstruktion er­ reicht ist, mit der die Beteiligten (die Vernehmungsperson aufgrund ihrer berufsbedingten Erfahrungen und die Aussageperson aufgrund ihrer Erinne­ rungen) einverstanden sind bzw. die für beide (noch) akzeptabel erscheint.47 Hinsichtlich des konkreten Vernehmungsinhalts kann das Inhaltsprotokoll 42  Vgl.

BT-Drucks. 19/13829, S. 50 f.; BR-Drucks. 364/19, S. 51. Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1336: „Gestaltungsmacht“; ferner Kopf, S. 118: Das Protokoll werde von der Verhörsperson in einer gewissen „Formulie­ rungshoheit“ verfasst. 44  Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1336. 45  Vgl. hierzu oben S. 232 ff. 46  Näher Banscherus, S.  91 ff. 47  Banscherus, S.  91 ff.; Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1337. 43  Vgl.

240 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

mithin nur als ein Teil einer „ausgehandelten“48 Wirklichkeit bzw. als „letzt­ endliche[s] Resultat des Aushandlungsprozesses“49 begriffen werden. Die Problematik verschärft sich weiter, wenn zu den oben beschriebenen Rah­ menbedingungen und kommunikationsspezifischen Gegebenheiten auch do­ kumentationstechnische Besonderheiten hinzutreten: Üblicherweise versucht die Vernehmungsperson, aus den Worten der vernommenen Person sinnvolle, dem Inhalt der Aussage entsprechende Worte zu formulieren, die schließlich Eingang in das Protokoll finden.50 Die Reduzierung des Vernehmungswort­ lauts auf seinen „Kerngehalt“ beruht aber auf einer Interpretation des Ver­ nehmenden; seine Gedanken und Wertungen prägen – wie bei jeder reduzier­ ten Inhaltsangabe eines Gesprächs – unausweichlich den gesamten Inhalt des Protokolls.51 Protokolliert wird mithin „nicht – wie geboten – das, was ge­ sagt, sondern das, was verstanden wird“.52 Ein Inhaltsprotokoll birgt durch seine „Filterfunktion“ daher stets die Gefahr einer oberflächlichen, mitunter sogar verfälschten Inhaltswiedergabe in sich.53 Dies gilt gleichermaßen für erfahrene wie für weniger erfahrene Vernehmungsbeamte: Vor allem erfah­ rene Vernehmungsbeamte machen sich – bedingt durch die Vernehmungsrou­ tine – bereits sehr früh im Laufe der Vernehmung ein Bild über das Tatge­ schehen. Decken sich die Aussagen nicht mit dem Tatbild des Vernehmenden, werden sie unter Umständen modifiziert. Wird der Vernehmende mit zwei sich widersprechenden Versionen des Tathergangs konfrontiert, wird das Tat­ bild in dem entsprechenden Punkt „rekonstruiert“, also seinem Erfahrungs­ bild angepasst.54 Bei den weniger erfahrenen Vernehmungsbeamten kommt aufgrund ihrer fehlenden Routine hingegen eher dem Problem der „Auslas­ sungen“ eine zentrale Bedeutung zu.55 Insgesamt stellen Auslassungen, Mo­

48  Näher zum Begriff des „Aushandelns“ Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1337 f.; ebenfalls hierauf abstellend Buckow, ZIS 2012, 551. 49  Banscherus, S. 92; vgl. auch Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (21) m. w. N.: Die protokollierte Aussage eines Zeugen sei „mitnichten die bloße Wiedergabe seines Erinnerungsbildes […] sondern ein Interaktionsprodukt zwischen dem Zeugen und dem Vernehmungsbeamten, in das dessen befragungsleitende Hypothesen massiv Ein­ gang finden“; hierzu auch Schünemann, StV 1998, 391 (393 f.); eingehend zum Aus­ handlungsprozess im Rahmen von Vernehmungen Schmitz, Vernehmung als Aushan­ deln der Wirklichkeit, S. 353 (364 ff.). 50  Bender/Häcker/Schwarz, Rn. 1693. 51  Swoboda, S. 360; vgl. hierzu bereits Herren/Bortz, Kriminalistik 1976, 313 (314 ff.); Mildenberger, S. 259. 52  Witting, FS Schiller (2014), S. 691; ferner auch J. Fischer, Die polizeiliche Ver­ nehmung, S. 178. 53  Swoboda, S. 360. 54  Banscherus, S. 250; Bender/Häcker/Schwarz, Rn. 1544. 55  Banscherus, S. 260.



§ 2 Defizite des status quo241

difikationen, und falsche Paraphrasierungen somit die wichtigsten Protokol­ lierungsfehler dar.56 Ein Protokollierungsfehler ist offenkundig, wenn der Vernehmungsinhalt dem Sprachausdruck des Gesetzgebers ähnelt, wie z. B. folgender Protokol­ lierung zu entnehmen ist: „Ich beschloss, eine echte Urkunde zu ver­ fälschen.“57 In den meisten Fällen sind Protokollierungsfehler jedoch nicht auf den ersten Blick erkennbar, etwa wenn die Vernehmungsperson ihre ei­ gene Schlussfolgerung durch eine Schlussfolgerung des Vernommenen er­ setzt oder sogar das Gegenteil des gesprochenen Wortes protokolliert wird. Aufschlussreich ist diesbezüglich die empirische Untersuchung von Bansche­ rus zur Protokollierungspraxis der Polizei58, die trotz ihres Alters aus dem Jahre 1977 wichtige Erkenntnisse im Bereich der Kommunikationswissen­ schaft hervorgebracht hat und auch heute noch Geltung beansprucht.59 Im Rahmen der Untersuchung wurde der Vernehmungsverlauf mithilfe von ­simulierten Vernehmungen60 ausführlich in seinen kommunikativen Struk­ turen analysiert. Hierzu wurden Testpersonen (Laienschauspieler), die die „Rollen“ von Tatzeugen, Geschädigten und Beschuldigten übernahmen, von „echten“ Vernehmungsbeamten zu einem fiktiven Geschehensablauf be­ fragt.61 Die Schauspieler spielten ihre Rolle hierbei mit Hilfe von Filmen über bestimmte Tatabläufe62 und erhielten im Übrigen die Anweisung, frei und „ohne professionelle Übertreibungen“ zu improvisieren.63 Das schrift­ liche Vernehmungsprotokoll wurde sodann mit dem auf Tonträger aufgenom­ menen tatsächlichen Vernehmungsgeschehen verglichen und anhand eines inhaltsanalytischen Verfahrens untersucht.64 Das Ergebnis der Untersuchung 56  Bender/Häcker/Schwarz, Rn. 1549; vgl. auch Höttges, S.  246 f.; Pott, S.  40 ff.; de Vries, § 5 Rn. 68; zu den Schwächen des üblichen Vernehmungsprotokolls mit Beispielen auch Brenner, Kriminalistik 1981, 142 ff.; Herren/Bortz, Kriminalistik 1976, 313 (314 ff.); Schubert, S.  114 ff. 57  de Vries, § 5 Rn. 68; vgl. hierzu auch Schubert, S. 115. 58  Vgl. zu den Methoden und Ergebnissen der Untersuchung Banscherus, S.  256 ff., vgl. zu einem ähnlichen Simulationsexperiment auch Schmitz, Tatortbesichtigung und Tathergang, S.  281 ff. 59  Vgl. Bender/Häcker/Schwarz, Rn. 1692; so auch Altenhain, 2015, 269 (276), der davon ausgeht, dass „der Stand der Forschung in Deutschland im Wesentlichen immer noch die Studie von Banscherus aus dem Jahr 1977 ist“; ferner Volbert/May, R&P 2016, 4 (8). 60  Insgesamt wurden 57 simulierte Vernehmungen durchgeführt. Neben den da­ zugehörigen Tonbandaufzeichnungen und Protokollen wurden auch 17 Aufzeichnun­ gen sowie Protokolle tatsächlicher Vernehmungen ausgewertet, Banscherus, S. 100. 61  Banscherus, S. 120. 62  Banscherus, S.  256 f. 63  Banscherus, S. 126. 64  Vgl. Banscherus, S.  215 ff., 257 f.

242 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

offenbarte schließlich eine „erhebliche Zahl von Protokollierungsfehlern“.65 Die Vernehmungsprotokolle wiesen vor allem Fehler im materialen Bereich (z. B. Bedeutungsänderung einzelner Hauptwörter, Auslassung wichtiger Ge­ schehnisse), im modalen Bereich66 (z. B. Veränderung von situativen Fakto­ ren der Vernehmung selbst) sowie im Rahmen der Ordnung eines berichteten Sachverhalts in eine bestimmte zeitliche oder logische Ordnung (Verände­ rung eines konkreten Tathergangs) auf.67

I. Beispiele Die vier nachfolgenden Beispiele der Untersuchung verdeutlichen die Aus­ wirkungen (bereits) eines einzigen Protokollierungsfehlers. Beispiel 1: Hinzufügung, Betrug, Geschädigter Vernehmungsgespräch: Beamter: „Hat der Mann sich irgendwie geäußert, eh, eh, wieviel Karat die Uhr hat, wenn er sagt, es wär ’ne echt goldene Uhr?“ Zeuge: „Nein. Eh, nein. Er hat nur gesagt, ’ne goldene Uhr. Er hat nicht gesagt ‚echt golden‘, sondern nur ‚golden‘ und hat auch über Karatzahl gar nicht gesprochen.“ Beamter: „Mhm.“68 Vernehmungsprotokoll: „Dieser Mann fragte mich, ob ich ihm diese Uhr abkaufen wolle, und er erklärte, dass es sich um eine echt goldene Uhr handele.“69 Hier liegt ein erheblicher Protokollierungsfehler vor, da bei der Subsum­ tion des Sachverhalts unter den Betrugstatbestand der im Protokoll verwen­ S. 259. zu den Begriffen „material“ und „modal“ Ungeheuer, Sprache und Kom­ munikation, S. 9: „Bei der materialen Komponente eines Redestücks handelt es sich um den Inhalt, der als primäre Mitteilung Thema der Kommunikation ist, unabhängig vom Sprecher und von der Situation, in der die Kommunikation vollzogen wird; die modale Komponente hingegen relationiert die materialen Inhalte auf den Sprecher und die Kommunikationssituation“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]; ferner Banscherus, S. 241, wonach unter materialen Merkmalen „sprachliche Ausdrücke des sachlichen Gehalts der Befragungs- und Protokollsätze“ und unter moderaten Merk­ malen „Ausdrücke des Partnerbezugs und der Situationsperspektive“ verstanden wer­ den. 67  Vgl. Banscherus, S. 241 ff., S. 259. 68  Banscherus, S. 236. 69  Banscherus, S. 236. 65  Banscherus, 66  Vgl.



§ 2 Defizite des status quo243

dete Begriffe der „echt goldene[n] Uhr“ von wesentlicher Bedeutung sein könnte.70 Beispiel 2: Falsche Paraphrasierung, Raub, Beschuldigter Vernehmungsgespräch: Beamter: „Haben Sie denn versucht, ’ne Arbeit zu kriegen?“ Beschuldigter: „Ja, hab’ Ich schon versucht.“71 Vernehmungsprotokoll: „Trotz vielfacher Versuche, eine Arbeitsstelle zu bekommen, ist mir dies nicht gelungen.“72 Der Vernehmungsbeamte hat hier ersichtlich versucht, dem Täter eine „goldene Brücke“ zu bauen, indem er eine falsche Paraphrasierung in Bezug auf die Motivation des Täters für seine Tat verwendet (z. B. Verzweiflung aufgrund der derzeitigen Arbeitslosigkeit). Dem entspricht auch folgender Auszug aus einer Vernehmung: B: „Bereuen Sie Ihre Tat?“ – A: „Ja“ – Pro­ tokolltext: „Ich bereue meine Tat zutiefst“.73 Beispiel 3: Auslassungen, Diebstahl, Zeuge Vernehmungsgespräch: Beamter: „Irgendwelche Besonderheiten, sind die Ihnen in der kurzen Zeit an ihm aufgefallen?“ Zeuge: „Nein. An und für sich nicht.“ Beamter: „Keine besonderen Merkmale. Mhm. Und eh, mit was war der bekleidet?“ Zeuge: „Mhm, ja mit braun eh Hose …“ Beamter: „Sie sind sich aber nicht sicher?“ Zeuge: „Ich bin mir nicht über die genaue Farbe sicher. Kann aber auch ’ne Jeans gewesen sein.“ Beamter: „Wenn Sie nun ein bißchen überlegen …?“ Zeuge: „Ich meine der hätte Jeans angehabt.“ S. 237. S. 234. 72  Banscherus, S. 234. 73  Banscherus, S. 234. 70  Banscherus, 71  Banscherus,

244 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

Beamter: „Aber mit Sicherheit können Sie das nicht sagen?“ Zeuge: „Nein.“ Beamter: „Und sonst, was hat er sonst eventuell noch angehabt?“ Zeuge: „So was Ähnliches wie ’n Anorak, ’ne WindJacke …“ Beamter: „Können Sie sich an die Farbe erinnern?“ Zeuge: Farbe …?“74 Vernehmungsprotokoll: „An die Bekleidung des jungen Mannes […] kann ich mich nicht mehr erinnern.“75 In diesem Fall versucht der Zeuge, die Kleidung des Täters zu beschreiben und stellt hierzu Vermutungen über die Art und Farbe der Kleidung auf („Jeans“, „braun“, „Anorak“, „Windjacke“). Auch wenn es sich hierbei nur um vage Aussagen handelt, könnte ein etwaiger späterer Vergleich mit ande­ ren Zeugenaussagen zu neuen Erkenntnissen führen (zum einen bezogen auf die Bekleidung des Täters, zum anderen auch in Bezug auf die Glaubwürdig­ keit des Zeugen selbst). Dies ist angesichts der Auslassungen im Protokoll jedoch nicht möglich.76 Beispiel 4: Hinzufügung, Raub, Beschuldigter Vernehmungsgespräch: Beamter: „Und an diesem Samstag […] haben Sie sich wie verhalten?“ Beschuldigter: „Ja, Ich habe auch erst auf der anderen Straßenseite gestan­ den und geguckt, als er eben rauskam aus seiner Buchhandlung […].“77 Vernehmungsprotokoll: „Am besagten Samstag stand ich auch wieder in der Deckung […].“78 Eine solche Hinzufügung beruht auf einer eigenen Schlussfolgerung des Vernehmungsbeamten. Die Hinzufügung könnte hier z. B. Relevanz erlangen, wenn im späteren Strafverfahren die konkrete Art der Tatbegehung in Frage steht. So kann es für die Strafzumessung mitunter eine Rolle spielen, ob der

S. 229, 230. S. 229. 76  Banscherus, S. 230. 77  Banscherus, S. 237. 78  Banscherus, S. 237. 74  Banscherus, 75  Banscherus,



§ 2 Defizite des status quo245

Täter aus einem spontanen Entschluss handelte oder die Tat bereits eine län­ gere Zeit geplant hatte.79

II. Zwischenfazit Wie soeben aufgezeigt, wirkt das Vernehmungsprotokoll also nicht nur als „selektiver Filter für Informationen über das Tatgeschehen, sondern auch als Filter von Informationen über das Vernehmungsgeschehen“.80 Der notwen­ digen Auswahlentscheidung und Selektion des Vernehmenden haftet sogar per se ein „potentielles Moment der Verfälschung“ an.81 Die Protokollie­ rung von Zeugen- und Beschuldigtenvernehmungen führt daher regelmäßig zu einem „künstlichen Produkt“ aus den Äußerungen des Zeugen bzw. Be­ schuldigten und den Hypothesen der Verhörsperson.82 Ähnlich gelangte auch die Expertenkommission in ihrem Bericht zur effektiveren und praxis­ tauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugend­ gerichtlichen Verfahrens vom Oktober 2015 betreffend dem herkömmlichen Inhaltsprotokoll zu folgendem Ergebnis: „Das schriftliche Inhaltsprotokoll enthält eine reduzierte Dokumentation des Ge­ sprächs zwischen der Vernehmungsperson und dem zu Vernehmenden, die Ergeb­ nis eines kommunikativen Prozesses ist, bei dem Wahrnehmungsmängel auf beiden Seiten naturgemäß nicht ausgeschlossen werden können. Auch wird der Inhalt einer Vernehmung durch die Art der Fragstellung und die Auswahl des Gesprächsstoffs von der Vernehmungsperson gesteuert. Die Schwächen des herkömmlichen Proto­ kolls werden bei Einführung in die Hauptverhandlung im Wege der Vernehmung des Vernehmungsbeamten noch perpetuiert, weil dieser hier wiederum nur seinen eigenen Wahrnehmungs- und Erlebnishorizont wiedergibt“.83

Das herkömmliche Inhaltsprotokoll erscheint daher insbesondere vor dem Hintergrund seiner praktischen Bedeutung für das spätere Strafverfahren problematisch.84 Diesbezüglich hatte Schünemann bereits vor über 20 Jahren im Zuge mehrerer empirischer Untersuchungen85 auf das Phänomen des sog. Inertia-(Trägheits-) oder Perseveranzeffekts aufmerksam gemacht: Die Ver­ fahrensrolle des deutschen Richters zeichnet sich – im Gegensatz zum ame­ S. 237. S. 88. 81  Banscherus, S. 75. 82  Roxin/Schünemann, § 69 Rn. 6. 83  BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 69. 84  Vgl. Banscherus, S.  259 f.; Swoboda, S. 360  f.; vgl. ferner die Beispiele bei Brenner, Kriminalistik 1981, 142 ff. 85  Vgl. Schünemann, Experimentelle Untersuchungen, S. 1109 ff.; ders., Der Rich­ ter als manipulierter Dritter?, StV 2000, S. 215 ff.; Schünemann/Bandilla, Persever­ ance in Courtroom Decisions, S. 183 ff. 79  Banscherus, 80  Banscherus,

246 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

rikanischen Jury-System – dadurch aus, dass der hiesige Richter „nicht nur die Beweise in der Hauptverhandlung selbst erhebt und dadurch also eine inquisitorische Rolle hat, sondern dies auch noch auf der Basis und Marsch­ route der ihm als Handlungsgrundlage dienenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten tut, denen er überdies schon selbst im Eröffnungsbeschluss die Tauglichkeit zur Begründung einer hohen Verurteilungswahrscheinlich­ keit attestiert hat“. Hierdurch beurteilt „der Richter das Beweisergebnis der Hauptverhandlung [unbewusst] nicht mehr streng neutral, sondern in einer in Richtung der Anklagehypothese verzerrten, asymmetrischen Form“; insoweit wirken sich die „strukturellen Verzerrungen der ohne kontradiktorische Mit­ wirkung [d. h. ohne Kontrolle durch einen Verteidiger] zustande gekomme­ nen Vernehmungsprotokolle bis ins Urteil aus“.86 Hinzu kommt, dass „die Belastungswirkung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vom Richter wesentlich höher eingeschätzt“ werde, „wenn die Akte bereits von der Staats­ anwaltschaft als anklagereif bewertet und zusammen mit einer die Belas­ tungsmomente akzentuierenden Anklageschrift vorgelegt worden ist“ (sog. Schulterschlusseffekt).87 Diese Effekte wirken sich nicht nur nachteilig auf die freie richterliche Beweiswürdigung, sondern auch auf die Geltung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ aus. Ein gefiltertes oder verfälschtes In­ haltsprotokoll erschwert die Sachverhaltsaufklärung hierbei zusätzlich und kann (im ungünstigsten Fall) auch zu Fehlentscheidungen seitens der Ermitt­ lungsbehörden und des Richters führen.88 Hierunter leidet nicht nur das strafprozessuale Ziel der bestmöglichen Wahrheitserforschung; berührt wer­ den auch Aspekte der (Verfahrens-)Gerechtigkeit und des Rechtsfriedens so­ wie der Feststellung und Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Letzt­ lich liegt sowohl der Selektions- und Verfälschungsproblematik als auch der Informationsverarbeitung des Richters der Inhalt und die Form der Ermittlungsakten zugrunde89, sodass strafprozessuale Reformen besonders an die­ sem Punkt ansetzen sollten: Zum einen ist an umfassende Fortbildungsmög­ lichkeiten für Richter zu denken, die ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion und den praktischen Umgang mit der Vorurteilungsbildung (i. S. eines Motiva­ 86  Schünemann, ZStW 114 (2002), 1 (20, 21); hierzu ders., StV 1998, 391 (392, 394); ders., StV 2000, 159 ff.; eingehend hierzu auch Blum, Auswirkungen der Er­ mittlungsakte, S. 237 (253 ff.); beschrieben ferner bei Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik, S. 195 (204 f.); Swoboda, S. 361 Fn. 120. 87  Schünemann, StV 1998, 391 (394); vgl. zu den entsprechenden Untersuchun­ gen; ders., Der Richter als manipulierter Dritter?, S. 215 (223 ff.); ders., StV 2000, 159 (162 f.); kritisch zu dieser „organisatorische[n] Verzwirnung zwischen Richtern und Staatsanwälten“ auch Roxin/Schünemann, § 69 Rn. 2. 88  Vgl. J. Fischer, Die polizeiliche Vernehmung, S. 192. 89  Zugespitzt insoweit Witting, FS Schiller (2014), S. 691: „Regelmäßig bleibt das einmal gefertigte Protokoll das Gebetbuch im Gerichtssaal“.



§ 2 Defizite des status quo247

tionstrainings für das „Generieren von Gegenargumenten“) schärfen90; zum anderen sollte auch die generelle Form von Vernehmungsprotokollen über­ dacht werden.

B. Praktische Unzulänglichkeiten Im Falle einer audiovisuellen Aufzeichnung einer Zeugen- oder Beschul­ digtenvernehmung verlangt die Strafprozessordnung zwar nicht, dass von jeder Vernehmung, die (z. B. nach § 58a Abs. 1 StPO oder § 136 Abs. 4 StPO) aufgezeichnet wird, zugleich auch ein Wortprotokoll erstellt werden muss. Jedoch ist auch im Fall einer videoaufgezeichneten Vernehmung auf die allgemeinen Regeln in den §§ 168–168b StPO zurückzugreifen, sodass zumindest die Erstellung eines Inhaltsprotokolls der Vernehmung erforder­ lich, aber auch ausreichend ist.91 Die Protokollerstellung während der Ver­ nehmung kann sich aber – jedenfalls im Falle ständiger Unterbrechungen im Redefluss zwischen den Beteiligten – negativ auf die Gesprächsatmosphäre auswirken.92 Gleiches gilt für die Erstellung einer zusammenfassenden Aufzeichnung während der Vernehmung (§ 168a Abs. 2 S. 2, Abs. 3 StPO). Zudem besteht die Gefahr einer Reduzierung des Wahrnehmungsvermögens seitens der selbst protokollierenden Verhörsperson, wenn diese der Aussage nur „mit halben Ohr“ folgt, da sie sich bereits auf die folgenden Formulie­ rungen konzentriert.93 Diesen Aspekten kann der Einwand einer möglichen „Gegenkorrektur“ seitens der vernommenen Person auch nur bedingt entge­ gengehalten werden, da die regelmäßige Wahrnehmung dieser Option (i. S. einer intensiven Überprüfung von u. U. mehrseitigen Vernehmungsprotokol­ len) zumindest in praktischer Hinsicht bezweifelt werden muss.94 Eine Proto­ Auswirkungen der Ermittlungsakte, S. 237 (262). zur Klarstellung auch BT-Drucks. 11277, S. 26: „Eine Verpflichtung zur Erstellung einer Vollverschriftlichung der Videovernehmung in Form der wörtlichen Transkription ist mit der Erweiterung der bestehenden Aufzeichnungsmöglichkeiten nicht verbunden“; BT-Drucks. 19/27654, S. 93 zu § 168a Abs. 4 StPO: „Damit wird zugleich klargestellt, dass auch beim Vorliegen einer vollständigen Aufzeichnung ne­ ben den in Absatz 5 geregelten Wortlautprotokollen nach wie vor die praktikableren Inhaltsprotokolle zulässig sind“; ferner Artkämper/Floren/Schilling, Rn.  2055 f.; Mosbacher, Das Ideal richterlicher Wahrheitsfindung, S. 82 (90). 92  Vgl. hierzu Leitner, S. 131; Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 317; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (141); Scheumer, S. 110; Swoboda, S. 360, 445; kritisch BeckOK-StPO/Gertler, Nr.  5b RiStBV Rn.  8; Hofmann/Granzow, ­jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 4. 93  Schubert, S. 114. 94  Näher zu diesem „Kontrollrecht“ der Aussageperson Pott, S. 49 ff.; kritisch zur tatsächlichen Praxis der Gegenkorrektur Altenhain, Vor- und Nachteile der audiovisu­ ellen Aufzeichnung von Zeugenaussagen, S. 225 (241 f.); Kopf, S. 118; vgl. hierzu 90  Blum, 91  Vgl.

248 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

kollerstellung nach dem Ende der Vernehmung bietet zwar den Vorteil, dass der Gesprächsfluss zwischen den Beteiligten nicht zwecks Protokollierung unterbrochen werden muss.95 Weiterhin können sich die Vorteile dieser Ver­ fahrensweise auch in eilbedürftigen Verfahren (z. B. Haftsachen) zeigen.96 In diesem Fall ist aber nicht nur die Mitwirkung der Vernehmungsperson selbst (zur Erstellung des Inhaltsprotokolls), sondern auch die des Vernommenen erforderlich, der das Protokoll genehmigen muss, sofern er nicht darauf ver­ zichtet hat (vgl. § 168a Abs. 4 StPO). Die Praxistauglichkeit dieser Verfah­ rensweise kann aufgrund des hiermit verbundenen Arbeits- und Zeitaufwands zumindest bezweifelt werden.97 Aus diesem Grund bietet sich ein weiterer Weg an: Wird das Protokoll nach Beendigung der Vernehmung durch die wörtliche Übertragung einer Aufzeichnung erstellt, so ist es ausreichend, wenn die übertragende Person die Richtigkeit der Übertragung bestätigt (§ 168a Abs. 5 StPO). Eine geson­ derte Genehmigung durch die Beteiligten ist in diesem Fall nicht erforder­ lich.98 Kritisch zum Erfordernis eines Wortprotokolls äußerte sich jedoch bereits der Bundesrat in seinem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen) vom 19.06.1996: auch die Untersuchungsergebnisse von Wulf zur schriftlichen Protokollierung im Rah­ men der Beschuldigtenvernehmung aus dem Jahr 1984, S. 493: „In 36 Fällen [von 75 Vernehmungen] lasen die Vernommenen das Protokoll weder am Ende der Verneh­ mung noch in deren Verlauf“. Generell kritisch zu „zusammenfassenden Protokollen“ und dem sich anschließenden Genehmigungserfordernis Sektion Rechtspsychologie (BDP), Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafpro­ zessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften, S. 2: „Aus psychologischer Sicht ist grundsätzlich zu bedenken, dass eine Genehmigung eines Protokolls aus mehreren Gründen nicht die Probleme einer zusammengefassten Niederschrift behe­ ben kann: 1) Sollte ein solches Protokoll Verzerrungen oder Fehler beinhalten, ist durch die Bitte um Genehmigung nicht garantiert, dass diese tatsächlich ausgemerzt werden. Dies könnte z. B. durch Furcht vor einer Korrektur von Autoritäten, Unwis­ senheit über die Relevanz bestimmter Sachverhalte oder auch erhöhte Suggestibilität bedingt sein. 2) Solange nicht der genaue Wortlaut wiedergegeben wird, ist nicht mehr nachzuvollziehen, ob eine Person Angaben eigenständig vorbrachte oder auf (im ungünstigsten Fall: vorgebende) Fragen. Sollte Letzteres geschehen, können Be­ fragungsartefakte entstehen, die eine Aussage signifikant verzerren und ohne entspre­ chende Protokollierung im weiteren Verlauf nur noch schwerlich erkannt werden können“. 95  Altenhain, ZIS 2015, 269 (280); Michel, S.  229 f. 96  BT-Drucks. 18/11277, S. 29. 97  Hierbei ist jedoch anzumerken, dass die in § 168a Abs. 4 StPO geforderte Übermittlung des Inhaltsprotokolls zur Genehmigung – im Vergleich zur alten Rechts­ lage – eine Verfahrensvereinfachung darstellt. Nach der alten Rechtslage musste der Vernommene nämlich nochmals zur Genehmigung und Unterzeichnung des Proto­ kolls geladen werden, vgl. Altenhain, ZIS 2015, 269 (280); Swoboda, S. 360. 98  Vgl. BT-Drucks. 19/27654, S. 93.



§ 2 Defizite des status quo249 „Eine vollständige wortwörtliche Übertragung der Bild-Ton-Aufzeichnung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil nur Teile hiervon verfahrensrelevant sein werden und die knappen Ressourcen im Schreibdienst nicht für die Übertragung auch der unwesentlichen Teile verwendet werden sollen. Der Entwurf verlangt daher nur die Verschriftung der ‚wesentlichen Teile‘ der Aufzeichnung.“99

Im Hinblick auf die Einbindung der Ressourcen im Schreibdienst berich­ tete auch Vogel in seiner Studie aus dem Jahr 2002 von einer Videoverneh­ mung, bei der das Vernehmungsprotokoll „insgesamt 90 maschinengeschrie­ bene Seiten bei einer Vernehmungsdauer von 1 ¾ Stunden“ umfasste. Die Protokollherstellung wurde hierbei „auf drei Schreibkräfte verteilt“. Die gesamte Dauer „von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung bis zum ­ Wiedereingang der Akte bei der Staatsanwaltschaft“ betrug schließlich ­ „2 ½  Monate“.100 Auch wenn es sich hierbei um ein „Extrembeispiel“ han­ deln mag, zeigt dieses doch deutlich, dass im Einzelfall auch mit einer nicht unerheblichen Verlängerung des Verfahrens durch die Protokollherstellung gerechnet werden muss.101 Aufgrund dessen wurde teilweise auch von der Behandlung einer Videoaufzeichnung als vorläufige Aufzeichnung i. S. d.

99  BT-Drucks. 13/4983, S. 6. Der Gesetzentwurf wurde jedoch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens für erledigt erklärt, BT-Plenarprotokoll 13/204, S. 18465C. 100  H. Vogel, S. 116. 101  Vgl. für weitere Beispielsfälle die Gesprächsauszüge bei H. Vogel, S. 249, 250: Im Rahmen der Befragung eines Kriminaloberkommissars äußerte sich dieser zum zeitlichen Arbeitsaufwand wie folgt: „Für unsere Schreibkräfte bedeuten Videover­ nehmungen einen Mehraufwand von tausend Prozent. 20 Minuten Vernehmung ent­ sprechen etwa 35 Seiten geschriebenem Protokoll. Zu einem ähnlichen Ergebnis führte auch die Befragung eines Kriminalhauptkommissars: „Für die Schreibkräfte ist die Videovernehmung ein erheblicher Mehraufwand […]. Ein Extremfall war bei uns eine 4-stündige Vernehmung, die zu einem 98-seitigen Vernehmungsprotokoll führte. So etwas abzuschreiben ist wirklich ein undankbarer Job“; vgl. auch folgenden Inter­ view-Auszug mit einer Staatsanwältin bei Scheumer, S. 139: „Die Wortprotokolle von den Vernehmungsvideos sind für Schreibkräfte schwer zu schreiben, oft lang und schlecht zu verstehen, so dass immer eine Nachkorrektur und Ergänzung durch die Vernehmungsperson erforderlich ist. […] Problematisch ist auch der Zeitaufwand: Eine Stunde Videovernehmung entspricht zwei Tagen Schreibtätigkeit, da die techni­ schen Hilfsmittel besorgt werden müssen, und der Umgang mit ihnen nicht unkom­ pliziert ist. Die Wortprotokolle selbst sind viel umfangreicher als gewöhnlich und mühsam zu lesen, die entscheidenden Passagen sind teilweise in uninteressanten Randschilderungen versteckt. Bspw. schildert ein Kind zwischen Erläutern des tatbe­ standserheblichen Sachverhaltes über Seiten hinweg, wie es Apfelkuchen gebacken hat […]“; vgl. beispielhaft zu den Kosten JM NRW, Videodokumentation, S. 107 (115): „Bei 547.341 Vernehmungen sind daher auch bei durchschnittlichem Aufwand 2.565 Schreibkräfte erforderlich, um die audiovisuellen Vernehmungen zu transkribie­ ren. Tarifbeschäftigte mit diesem Aufgabenspektrum werden üblicherweise in der Entgeltgruppe 5 eingruppiert. Für sie fallen jährlich Personalkosten in Höhe von 43.085,36 Euro an, insgesamt also 110.513.948 Euro“.

250 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

§ 168a Abs. 2 StPO a. F. abgeraten.102 Selbst bei der Verwendung unterstüt­ zender Programme variiert die Transkriptionsdauer (je nach individueller Tippgeschwindigkeit, Verständlichkeit der Aufzeichnung und Komplexität des Transkriptionssystems) regelmäßig zwischen dem vier- bis acht-, mitun­ ter sogar zehnfachen der Gesprächsdauer.103 Zu favorisieren wäre daher eine Lösung über eine Spracherkennungssoftware, die das gesprochene Wort der Beteiligten automatisch von einer Audio- in eine Textdatei umwandelt. Die technische Transkription vermag derzeit jedoch nicht sämtlich Sprachge­ wohn- und -besonderheiten der Beteiligten automatisch zu transkribieren.104 102  Vgl. Altenhain, ZIS 2015, 269 (280): „Der Zeit- und Personalaufwand ist hoch und steht aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörden außer Verhältnis zum Nutzen“; KK-StPO/Griesbaum, § 168a Rn. 4: „Die bisherigen Erfahrungen haben […] gezeigt, dass das auf dieser Grundlage erstellte Protokoll (insbes. das sog. Wortprotokoll) er­ heblich umfangreicher und damit weniger übersichtlich als herkömmliche Protokolle sein kann“; Mildenberger, S. 258: „Das wortgetreue Anfertigen eines nachträglichen Protokolls wäre […] unökonomisch, zeitraubend und daher entbehrlich“; MüKoStPO/Kölbel, § 168a Rn. 12: „Eine Videoaufzeichnung iS von § 58a kann prinzipiell als Tonaufzeichnung iS von Abs. 2 fungieren, doch ist dies wenig praktikabel“; Nack/ ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 314: „Ein äußerst zeitaufwendiges Verfahren, von dem deshalb auch viel zu selten Gebrauch gemacht wird“; SSW-StPO/Sing/­ Andrä, § 168a Rn. 4: „Die Videoaufnahme als vorläufige Aufzeichnung i. S. d. Abs. 2 zu behandeln, ist in diesen Fällen wegen des damit verbundenen Mehraufwandes nicht empfehlenswert“; vgl. ferner Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (696): Von der vorläufigen Aufzeichnung nach § 168a Abs. 2 StPO werde „in der Praxis kaum Ge­ brauch gemacht“. 103  Näher Kuckartz/Dresing/Rädiker/Stefer, S. 29: „In jedem Fall muss nach unse­ rer Erfahrung ausreichend Zeit für die Transkription eingeplant werden. […] Für die in diesem Projekt erhobenen zehn Interviews mit einer Gesamtlänge von einer Stunde und 25 Minuten haben wir insgesamt knapp 9 Stunden für die Transkription aufge­ wendet (entspricht ca. 1:6)“; vgl. auch Dresing/Pehl, Transkription & Analyse, S. 27, 28: „Die von uns schnellste gemessene Transkriptionsgeschwindigkeit lag bei etwa 1 zu 3. Das heißt, für eine Stunde Interview wurden etwa drei Stunden Zeit für die Transkription benötigt. Diese Person schaffte das Rekordtempo aber nur, weil sie le­ diglich eine Stunde tippte, keinen zweiten Korrekturdurchgang durch das Material vornahm und einfache Regeln für die Abschrift nutzte. Nach unseren Erfahrungen sollte man bei der Zeitplanung für einfache Regelsysteme vom 5- bis 10-Fachen der Interviewdauer als Transkriptionszeit inklusive Korrekturlesen ausgehen“; vgl. ferner JM NRW, Videodokumentation, S. 107 (115): „Eine Vernehmung nimmt durchschnitt­ lich 1,5 Stunden in Anspruch. Der Aufwand der Transkription ist u. a. vom Dialekt, Akzent oder Fachjargon abhängig und erfordert den 3 bis 7-fachen Aufwand der ei­ gentlichen Aufnahme“. 104  Vgl. Claussen/Jankowski/Dawid, S. 84: „Viele Sprecher, Störgeräusche oder eine zu hohe Entfernung zum Mikrofon beeinflussen das Ergebnis negativ. Aufgrund dieser Einschränkungen und weiterer Schwierigkeiten, wie z. B. individuelles Spre­ cherverhalten oder Dialekt, ist eine komplett automatisierte Transkription (noch) nicht fehlerfrei möglich und sie ist somit der menschlichen manuellen Transkription quali­ tativ unterlegen. In jedem Fall ist deshalb eine menschliche Nachkorrektur erforder­ lich, wenn ein gewisses Qualitätsniveau erreicht werden soll“; hierzu auch BMJV,



§ 2 Defizite des status quo251

Zu denken ist hier nur an die gleichzeitige Rede mehrerer Beteiligter (sog. Sprechüberlappungen)105, die Verwendung von Dialekten, ­Umgangssprachen oder an Personen, die der deutschen Sprache nur eingeschränkt mächtig sind106 oder Sprach- oder Sprechstörungen aufweisen, ferner auch an emo­ tional berührte Personen, die aufgrund ihrer psychischen und körperlichen Verfassung (z. B. Schluchzen, Weinen, stockende Stimme) in technischer Hinsicht nicht ausreichend erfasst werden können.107 Die Spracherkennungs­ technologie hat in den letzten Jahren jedoch erhebliche Fortschritte vorwei­ sen können108, sodass die technische Weiterentwicklung gespannt verfolgt werden sollte. Es sind daher vor allem die praktischen Bedürfnisse, die für ein Inhaltspro­ tokoll sprechen: Das Aktenstudium kann für Richter, Staatsanwälte und Ver­ teidiger eine erhebliche Zeit in Anspruch nehmen und ist unabdingbarer Be­ standteil ihrer Arbeit. Mithilfe eines Inhaltsprotokolls können sich die Ak­ teure eines Strafverfahrens einen groben Überblick über den strafrechtlich relevanten Tatvorwurf und die hiermit zusammenhängende Beweislage ver­ schaffen. Sie können sich beim Durchlesen des Inhaltsprotokolls – im Ge­ gensatz zu einem vollständigen Wortprotokoll – insofern vergleichsweise Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 20, 156, 187. Vgl. zur Nach­ bearbeitungszeit auch die Messungen bei Dresing/Pehl (o. D.), Audiotranskription. Hiernach beträgt die Zeitersparnis gegenüber einer manuellen Transkription durch­ schnittlich 19 %. 105  Buckow, ZIS 2012, 551 (553). 106  Vgl. hierzu auch BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 20: „Bei dialektalen Sprechern, Soziolekten und Mischsprachen wird aufgrund der Vielzahl der Dialekte und mangels ausreichenden Trainingsmaterials auch in Zukunft mit einer erhöhten Fehlerrate zu rechnen sein“; ferner Buckow, ZIS 2012, 551 (553), der darauf hinweist, dass sich „Beschuldigte oder Zeugen mit Migrationshintergrund […] durch eine andere soziale Wahrnehmung und Kommunikation [unterscheiden], die zu Mehrdeutigkeiten führen kann und ganz neue Anforderungen nicht nur an eine interkulturelle Gesprächsführung, sondern auch an die Übertragung stellt“. 107  Vgl. hierzu auch die Gesprächsauszüge bei H. Vogel, S. 249: Im Rahmen der Befragung eines Kriminaloberkommissars äußerte sich dieser zum erforderlichen Ar­ beitsaufwand wie folgt: „Das Problem liegt […] bei den Schreibkräften. Die Proto­ kolle sind länger als sonst. Schwierig wird es, wenn die Zeugen in einen Dialekt verfallen, weinen oder lange Pausen entstehen. Das Abschreiben solcher Tonbänder ist nur sehr motivierten Kräften möglich, das ist nämlich sehr, sehr anstrengend“. 108  Vgl. Claussen/Jankowski/Dawid, S.  83 ff.; Schönert, Spracherkennung, S. 1 ff.; Eine aktuelle Spracherkennungssoftware findet sich z. B. bei Dresing/Pehl (o. D.), Audiotranskription. Vgl. zur künftigen Entwicklung auch BMJV, Bericht der Exper­ tinnen- und Expertengruppe (2021), S. 187: „Jedes Jahr verbessere sich die Fehlerrate um 5 relative Prozent, so dass diese in fünf Jahren für das Diktat von kooperativen Sprecherinnen und Sprechern bei 0,77 bis 7,7 %, für die Transkription eines Hoch­ deutsch-Sprechers bei 7,7 bis 15,5 % und bei dialektalen Sprecherinnen und Spre­ chern bei 15,5 bis 23,2 % liege“ [Angaben des Unternehmens „Linguatec“]“.

252 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

schnell über die Relevanz einer Aussage informieren. Inhaltsprotokolle tra­ gen insofern jedenfalls zur Arbeitserleichterung bei.109 Andererseits ist im Hinblick auf die Bedeutung des Vernehmungsprotokolls für das weitere Verfahren110 erforderlich, dass dem Leser der Niederschrift auch ein zutref­ fender Eindruck vom Ablauf und Inhalt des Vernehmungsgeschehens in vollständiger und möglichst authentischer Weise vermittelt wird.111 Das der­ zeitige Inhaltsprotokoll einer Vernehmung stellt aber aufgrund der geschil­ derten Selektions- und Verfälschungsproblematik ein nur unzureichendes Abbild der Wirklichkeit dar112 und muss daher in seiner jetzigen Form als unbefriedigend bewertet werden.113 Demzufolge stehen das Bedürfnis nach Transparenz und Authentizität im Ermittlungsverfahren auf der einen und das praktische Erfordernis nach einer Selektion auf der anderen Seite in einem Spannungsverhältnis zueinander, das es im Folgenden aufzulösen gilt.

§ 3 Möglichkeiten zur Optimierung der Rechtslage A. Anerkennung des Videoprotokolls Angesichts der geschilderten Problematik stellt sich die Frage, warum im Falle einer audiovisuellen Aufzeichnung der Vernehmung stets auch ein schriftliches Vernehmungsprotokoll erstellt werden muss und nicht stattdes­ sen das Videoprotokoll als Protokoll i. S. der §§ 168, 168a StPO bzw. §§ 168b Abs. 2 S. 1, 168a StPO anerkannt wird. Erste Ansätze zur Anerkennung eines Videoprotokolls fanden sich bereits im Gesetzentwurf des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutz kindlicher Zeugen vom 19.06.1996: „Soweit nach den allgemeinen Bestimmungen (§§ 168, 168a Abs. 1) ein Protokoll geführt wird, kann wegen des Inhaltes der Vernehmung auf die Bild-Ton-Aufzeich­ nung verwiesen werden, was im Vergleich zur herkömmlichen Protokollierung ei­ ner Vernehmung zu einer Arbeitsersparnis führt“.114

109  Vgl.

Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 315. Banscherus, S.  259 f.; Swoboda, S. 360 f.; ferner Brenner, Kriminalistik 1981, 142 ff. 111  So BeckOK-StPO/Meyberg, Nr. 45 RiStBV Rn. 6 zumindest für bedeutsame Teile der Vernehmung. 112  Vgl. hierzu auch Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 313 f.; Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (696). 113  Ähnlich Altenhain, ZIS 2015, 269 (282): Das Protokoll könne „niemals mehr als eine unzulängliche Verschriftung der Aufzeichnung“ sein. […] Dann aber [könne] man auch ganz darauf verzichten“. 114  BT-Drucks. 13/4983, S. 6. 110  Vgl.



§ 3 Möglichkeiten zur Optimierung der Rechtslage253

Der Bundesrat stützte diesen Vorschlag nicht auf eine (neue) Gesetzesbe­ stimmung. Er sah lediglich eine zusätzliche Bestimmung zur „Verschriftung“ der „wesentlichen Teile“ der Vernehmung vor (§ 168e Abs. 2 StPO-E)115, die jedoch – anders als nach derzeitiger Gesetzeslage – lediglich eine „Arbeits­ hilfe“ und „keine prozessual relevante Beweisdokumentation“ darstellen sollte.116 Der Gesetzentwurf wurde jedoch im Laufe des Gesetzgebungsver­ fahrens für erledigt erklärt.117 Die Forderung nach einer Anerkennung des Videoprotokolls blieb indes weiterhin vereinzelt bestehen.118 Sie rechtfertigt sich bereits aufgrund der Vorteile, die eine Bild-Ton-Aufzeichnung gegen­ 115  § 168e Abs. 2 StPO-E: „Wird eine richterliche Vernehmung in Bild und Ton aufgezeichnet, so sind die wesentlichen Teile der Aufzeichnung unverzüglich schrift­ lich festzuhalten“, BT-Drucks. 13/4983, S. 3. 116  BT-Drucks. 13/4983, S. 6. 117  BT-Plenarprotokoll 13/204, S. 18465C. 118  Vgl. Altenhain, ZIS 2015, 269 (281 f.); Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Ge­ setz, S.  315 ff.; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (142); ursprünglich auch Swoboda, 361 f.; vgl. jedoch nunmehr dies., Dokumentationen von Vernehmungen, S. 217 (230, 243); für eine generelle Abschaffung des „Abschrifterfordernisses“ von BildTondokumentierten Aussagen plädiert auch Thiele, Dokumentation des Ermittlungs­ verfahrens, S. 261 (282); kritisch zur Anerkennung des (alleinigen) Videoprotokolls und für eine Beibehaltung der bisherigen Rechtslage aus Praktikabilitätserwägungen Michel, S.  233  ff.; ebenso (jedoch ohne Begründung) BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 17: „Das schriftliche Vernehmungsprotokoll bleibt beibehalten wie bis­ her, und zwar einschließlich seiner Verwertbarkeit nach §§ 250 ff. StPO“. Anders verhält sich die BRAK hingegen zur Protokollierung der Hauptverhandlung: Hier schlägt sie die Einführung eines Videoprotokolls der tatrichterlichen Hauptverhand­ lung vor dem LG und OLG in Strafsachen vor; vgl. BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 14 f.; kritisch zur Videodokumentation und für eine Beibehaltung der bisherigen Rechtslage auch Nestler, Dokumentation von Vernehmungen, S. 156 (161 f.): „Unter zeit-ökonomischen Kriterien ist die Videoaufzeichnung die mit Abstand unattraktivste Dokumentation der Vernehmung. In dieser Hinsicht ist ein schriftliches Protokoll weit überlegen“; für die Beibehaltung des herkömmlichen schriftlichen Vernehmungspro­ tokolls, jedoch gegen eine vollständige Verschriftlichung der Aufzeichnung Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (702 ff.); ähnlich BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 72, das dem Grunde nach sogar ein Ergebnisprotokoll als ausreichend an­ sieht: „Ein Ergebnisprotokoll oder das herkömmliche Inhaltsprotokoll genügt den Anforderungen der Praxis und sollte grundsätzlich beibehalten werden“; für die Er­ stellung einer wörtlichen Transkription im Zusammenhang mit einer Bild-Ton-Auf­ zeichnung einer Vernehmung plädieren hingegen Singelnstein/Derin, NJW 2017, 2646 (2649); vgl. ferner Weigend, StV 2019, 852 (857), der die gesamte Problematik über die Soll-Bestimmung des § 168b Abs. 2 StPO lösen und im Falle einer vollstän­ digen Bild-Ton-Aufzeichnung einer Vernehmung auf eine nachträgliche vollständige schriftliche Protokollierung verzichten möchte; ähnlich Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 2057, 2059, die als praktikablen „Mittelweg“ vorschlagen, „zunächst nur die sub­ jektiv so empfundenen elementaren Teile der Vernehmung“ schriftlich zu dokumen­ tieren. Verlange jedoch der Staatsanwalt oder das Gericht eine vollständige Abschrift der Vernehmung, so müsse diese „nachträglich gefertigt werden“.

254 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

über einer klassischen Niederschrift aufweist: Durch die Aufzeichnung wer­ den sowohl das gesprochene Wort als auch die Gestik und Mimik der zu vernehmenden Person sowie auch der konkrete Ablauf und Inhalt der Ver­ nehmung in umfassender Weise dokumentiert, wodurch die Wiedergabe eines vollständigen Eindrucks der gesamten Vernehmungssituation und damit zu­ gleich ein „Höchstmaß an Authentizität“119 ermöglicht wird.120 Das gesamte Bild der Vernehmung wird mithin erst durch eine Videoaufzeichnung ver­ vollständigt. Bewussten oder unbewussten Verfälschungen und/oder Auslas­ sungen in Bezug auf den Vernehmungsinhalt wird hierbei kein Raum gelas­ sen.121 Selbst der BGH hat betont, dass es sich bei der Bild-Ton-Aufzeichnung um das – im Vergleich zum schriftlichen Vernehmungsprotokoll – „qualitativ höherwertige Beweismittel“ handelt.122 Zuletzt sprach die Bundesregierung in ihrer Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 22.02.2017123 der Videoaufzeichnung sogar eine Protokollfunktion zu, indem sie klarstellte: „Die audiovisuelle Aufzeichnung stellt für die Zwecke der Hauptverhandlung […] ein qualitativ besseres – weil authentischeres – Protokoll einer Vernehmung dar“.124

Sie relativierte die von ihr zuerkannte Protokollfunktion jedoch insoweit, als dass sie die Notwendigkeit eines schriftlichen Protokolls weiterhin für erforderlich hielt: „Die Aufzeichnung soll neben die klassische Niederschrift der Vernehmung treten, die sich gegenüber einer wörtlichen Transkription als übersichtlicher und zweck­ mäßiger erweist und den Anforderungen der Praxis besser Rechnung trägt“.125

Dies führt zu dem etwas merkwürdig anmutenden Ergebnis, dass derzeit zwei „Protokolle“ der gleichen Vernehmung zu erstellen sind.126 Diese Dop­ pelung ist aufgrund des hierzu benötigten Arbeits-, Zeit-, und Kostenauf­ 39. Strafverteidigertag, S. 56. Hofmann/Granzow, jurisPR-ITR 4/2018 Anm. 2, S. 3 f.; Leitner, S. 125; Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 316; Neubacher/Bachmann, ZRP 2017, 140 (141); Wollschläger, FS Schlothauer (2018), 517 (518); kritisch zu diesem „Au­ thentizitätszuwachs“ Michel, S.  116 f. 121  Vgl. Michel, S. 110. 122  BGHSt 61, 221 (239); vgl. auch BGHSt 49, 72 (78); BGH BeckRS 2015, 2348, Rn. 34. 123  BT-Drucks. 18/11277. 124  BT-Drucks. 18/11277, S. 26. 125  BT-Drucks. 18/11277, S. 26. 126  So auch Michel, S. 230; kritisch zur Verfahrensweise auch Bockemühl, KriPoZ 2019, 275 (377): „In der Praxis hat sich diese Möglichkeit [der Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen] überwiegend nicht etabliert, da in jedem Fall neben der Videodokumentation eine Transkription in ein schriftliches Protokoll zu erfolgen hat“. 119  Knispel, 120  Vgl.



§ 3 Möglichkeiten zur Optimierung der Rechtslage255

wands sowie auch unter den Gesichtspunkten der Transparenz und Authenti­ zität nicht erforderlich.127

B. Einführung eines Ergebnisprotokolls Um dem beschriebenen praktischen Bedürfnis nach einer raschen Informa­ tion über die Relevanz des Vernehmungsinhalts gerecht werden und das oben geschilderte Spannungsverhältnis auflösen zu können, soll das bislang zu­ sätzlich zu erstellende schriftliche Protokoll im Falle einer Videoaufzeich­ nung durch ein Ergebnisprotokoll ersetzt werden können.128 Entsprechend dem Erfordernis in § 168b Abs. 1 StPO, wonach das Ergebnis der Unter­ suchungshandlungen (z. B. Durchsuchungen, Inaugenscheinnahmen) akten­ kundig zu machen ist, ist die Wiedergabe des (möglichst) wortlautgetreuen Inhalts der Rede des Vernommenen in diesem Fall nicht erforderlich.129 Zu dokumentieren ist lediglich, zu welchem „Ertrag“ die Vernehmung geführt 127  Dieses Ergebnis wird schließlich auch durch die Auswertung eines Interviews bestätigt, das die Verfasserin am 08.10.2020 mit zwei Kriminalhauptkommissaren/ -innen des Kriminalkommissariats in Tübingen geführt hat. Die Befragten sprachen sich hierbei ausdrücklich für die Anerkennung eines Videoprotokolls aus. Die Erstel­ lung eines zusätzlichen schriftlichen Protokolls wurde aufgrund des hiermit verbun­ denen Aufwands insbesondere in Haftsachen als problematisch angesehen. 128  So auch Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 309, 315, die im Falle einer Bild-Ton-Aufzeichnung einer Vernehmung dafür plädieren, lediglich das „we­ sentliche Ergebnis“ der Vernehmung, d. h. eine „kurze Zusammenfassung des Inhalts der Aussage“ schriftlich festzuhalten; ähnlich Altenhain, Vor- und Nachteile der au­ diovisuellen Aufzeichnung von Zeugenaussagen, S. 225 (242), der eine Kombination von audiovisueller Aufzeichnung und Vermerk vorschlägt: In dem Vermerk soll die Vernehmungsperson „aus kriminalistischer Sicht zur Aussage Stellung [nehmen] und dabei das ihrer Meinung nach Wesentliche – mit einer Zeitangabe – [nennen]“; ferner Schlothauer, StV 2016, 607 (613): „Zur Arbeits- und Verfahrenserleichterung bedarf es einer schriftlichen Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts der Vernehmung“; vgl. (ursprünglich) auch Swoboda, 361 f.; die vorschlägt, die Vernehmungsnieder­ schrift im Falle einer vollständigen Bild-Ton-Aufzeichnung auf die „Wiedergabe der wesentlichen Teile der Aufzeichnung“ zu beschränken (sog. Verschriftung); vgl. zur Verschriftung auch den Vorschlag in BT-Drucks. 13/4983, S. 3, zur Einfügung des § 168e Abs. 2 StPO-E: „Wird eine richterliche Vernehmung in Bild und Ton aufge­ zeichnet, so sind die wesentlichen Teile der Aufzeichnung unverzüglich schriftlich festzuhalten“; vgl. ferner BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 72, das dem Grunde nach sogar ein Ergebnisprotokoll in Bezug auf Vernehmungen als ausrei­ chend ansieht: „Ein Ergebnisprotokoll oder das herkömmliche Inhaltsprotokoll genügt den Anforderungen der Praxis und sollte grundsätzlich beibehalten werden“; vgl. auch Thiele, Dokumentation des Ermittlungsverfahrens, S. 261 (282): Es erscheine sachgerecht, „den Polizeibeamten die Möglichkeit zu eröffnen nach eigenem Ermes­ sen Vernehmungen in Form von Ergebnisvermerken aktenmäßig zu dokumentieren“. 129  Die Dokumentation der wesentlichen Förmlichkeiten bleibt hiervon aber un­ berührt (vgl. § 168a Abs. 1 StPO).

256 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

hat; dies schließt auch die Ertraglosigkeit einer Vernehmung mit ein.130 Als Maßstab für die Erstellung eines Ergebnisprotokolls kann hierbei folgende seitens der Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem allgemeinen Grund­ satz der Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit geäußerte Grundregel die­ nen: „Der StA werden bei der Prüfung, welche Aktenbestandteile vorzulegen sind, Ent­ scheidungen abverlangt, die sich daran auszurichten haben, dass dem Gericht und dem Besch. Aktenkenntnisse nicht vorenthalten bleiben dürfen, die für die gerech­ te Beurteilung der anhängigen Strafsache nützlich sein können. Bestehen daran hinsichtlich einzelner Ermittlungsvorgänge Zweifel, darf die StA sie nicht zurück­ halten, sie muss sie dem Gericht im Interesse rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung vorlegen“.131

Die Praxis sollte sich daher vornehmlich an den Merkmalen der „Nützlich­ keit“ der Aktenbestandteile für die Strafsache und dem Postulat einer „rechts­ staatlichen Verfahrensgestaltung“ orientieren. Überträgt man diese Erforder­ nisse auf das Ergebnisprotokoll einer Vernehmung, so muss jedenfalls die Relevanz der Aussage bzw. Einlassung der vernommenen Person im Hinblick auf den in Rede stehenden Tatvorwurf dokumentiert werden. Aufgabe der Vernehmungsperson ist es hiernach, die Kernaussage des Vernommenen he­ rauszufiltern und diese in einer Ergebnisbeschreibung zusammenzufassen. Durch diese Vorgehensweise können vor allem die Ermittlungsbehörden, Richter und Verteidiger innerhalb einer kurzen Zeitspanne beurteilen, welche Bedeutung einer Aussage bzw. Einlassung zukommt, ohne dass sich die oben dargestellte Verfälschungs- und Filterproblematik in der gleichen Form wie bislang auf das künftige Strafverfahren auswirken kann. Das Ergebnisproto­ koll soll lediglich Aufschluss geben über die Art des Zeugenbeweises (z. B. Augenzeuge, Ohrenzeuge, Zeuge von Hörensagen) und die Art der Einlas­ sung des Beschuldigten (z. B. Geständnis, Abstreiten der Tat) sowie den Aussage- bzw. Einlassungsinhalt in seinem jeweiligen Kerngehalt zusam­ menfassen. Hierdurch kann der „Ertrag“ einer Vernehmung mit einem ra­ schen Blick in die Ermittlungsakte beurteilt werden. Das Festhalten des Er­ gebnisses einer Vernehmung stellt daher konsequenterweise auch kein förm­ liches Protokoll i. S. der §§ 168, 168a StPO dar; es soll nur der effektiveren und praxistauglicheren Aktenbearbeitung dienen.132 Den konkreten Inhalt 130  Vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 1991, 50; LG Berlin, StV 2014, 403 (305) zur Einhaltung des sich aus § 168b Abs. 1 StPO ergebenden Grundsatzes der Aktenvoll­ ständigkeit. 131  LG Berlin, StV 2014, 403 (405); vgl. auch BeckOK-StPO/El Duwaik, § 168b Rn. 2. 132  Vgl. Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 315, die im Rahmen ihres Gesetzesentwurfes ebenfalls davon ausgehen, dass die Zusammenfassung des „we­ sentlichen Ergebnisses“ der Vernehmung kein förmliches Protokoll darstellt, sondern



§ 3 Möglichkeiten zur Optimierung der Rechtslage257

der Vernehmung beweist hingegen allein die audiovisuelle Aufzeichnung; sie ist insofern das Vernehmungsprotokoll (sog. Videoprotokoll).133

C. Gesetzesvorschlag Nach alledem sprechen die besseren Argumente für die Anerkennung des Videoprotokolls. Eine entsprechende Änderung des § 168a StPO könnte wie folgt lauten: § 168a StPO-E Art der Protokollierung; Aufzeichnungen […] (2a)  1Wird die Verhandlung in Bild und Ton aufgezeichnet, so kann die Herstel­ lung des Protokolls nach Abs. 2 S. 1 unterbleiben, wenn die Angaben nach § 168a Abs. 1 aufgezeichnet werden und das Ergebnis der Verhandlung aktenkundig ge­ macht wird (Ergebnisprotokoll). 2Die Bild-Ton-Aufzeichnung gilt in diesem Fall als Protokoll im Sinne dieses Gesetzes. Das zuständige Gericht ist bis zum rechts­ kräftigen Abschluss des Verfahrens befugt, von der Staatsanwaltschaft eine Über­ tragung der Bild-Ton-Aufzeichnung in ein Protokoll nach Abs. 2 S. 1 zu verlangen. 3 Diese Vorschrift gilt nicht, wenn die Bild-Ton-Aufzeichnung wesentliche techni­ sche Mängel aufweist oder sich aus sonstigen Gründen nicht zur Ersetzung des Protokolls eignet. […]

§ 168a Abs. 2a S. 1 StPO-E stellt klar, dass von der Herstellung des Proto­ kolls nach § 168a Abs. 2 S. 1 StPO abgesehen werden kann, wenn die betref­ fende Vernehmung zuvor audiovisuell aufgezeichnet wurde. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass das Ergebnis der Vernehmung schriftlich fixiert und die Angaben nach § 168a Abs. 1 StPO aufgezeichnet wurden.134 Nach § 168a Abs. 2a S. 2 StPO-E gilt die Videoaufzeichnung in diesem Fall als Protokoll i. S. dieses Gesetzes. Insofern kann die Aufzeichnung in der Haupt­ verhandlung – entsprechend der Einführung eines schriftlichen Protokolls im lediglich der „besseren Lesbarkeit der Akten“ dient; vgl. auch Swoboda, S. 362 für den Fall der „Verschriftung“ ohne prozessuale Beweisrelevanz. 133  Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 320. 134  Vgl. ebenfalls Schmoll, S. 144, die – ohne das (alleinige) Videoprotokoll anzu­ erkennen – als Maßnahme zur allgemeinen Sicherung der Beweiskraft der Videoauf­ zeichnung vorschlägt, die Angaben nach § 168a Abs. 1 StPO aufzuzeichnen; ferner Mildenberger, S. 260, die vorschlägt, ein den Aufzeichnungsvorgang protokollieren­ des sog. „Informationsblatt“ mit Angaben u. a. zum Ort und Datum der Verhandlung und Videobanderstellung, den Namen der aufnehmenden und vernehmenden Perso­ nen sowie der Dauer des Interviews zu erstellen, wobei „Videoband und Informa­ tionsblatt […] dann zusammen das Vernehmungsprotokoll [ergeben]“.

258 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

Wege des Urkundenbeweises – direkt nach § 251 ff. StPO in der Hauptver­ handlung vorgespielt werden.135 Einer Anwendung des § 255a Abs. 1 StPO bedarf es in diesem Fall nicht.136 Die Verwendung technischer „Abhilfemaßnahmen“ könnte die etwaigen Bedenken im Zusammenhang mit dem Zeitaufwand und der Verminderung der Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit, den das Abspielen der Vi­ deoaufzeichnung mit sich bringen kann137, weitestgehend ausräumen: So kann jede Aufzeichnung mithilfe der Verwendung von „Sprungmarken“ wäh­ rend oder nach der Vernehmung in verschiedene zeitliche Sequenzen unter­ teilt werden. Relevante Stellen können sogleich schriftlich (mit der entspre­ chenden Fundstelle) vermerkt werden.138 Jede einzelne Sequenz kann zu­ dem – entsprechend ihrem Sinngehalt – unter einer eigenen Überschrift (z. B. „Belehrungen“, „Vorgeschichte“, „Beschreibung des Täters“, „Folgen der Tat“) erfasst werden, mit der die relevanten Themen der Befragung durch das Inhaltsverzeichnis herausgefiltert werden können. Mithilfe entsprechender Programme besteht zudem die Möglichkeit, Kommentare unter einzelne zeit­ liche Sequenzen einzutragen, die anschließend automatisch zusammen mit den gesetzten Markern und Zeitstempeln in einem übersichtlichen „Aufzeich­ nungsreport“ gespeichert oder ausgedruckt werden können.139 Von ­einem Zusammenschnitt der relevanten Passagen sollte jedoch abgesehen werden, da eine Videobearbeitung die Vernehmungssituation verzerren kann.140 Schließlich bleibt es dem Gericht (d. h. sowohl dem Ermittlungsrichter als auch dem Gericht des Hauptverfahrens oder dem Rechtsmittelgericht) unbe­ nommen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu verlangen, dass die Aufzeichnung in ein (Wort-)Protokoll nach § 168a Abs. 2 S. 1 StPO übertragen wird (§ 168a Abs. 2a S. 3 StPO-E). Gleiches gilt für die Staatsan­ waltschaft aufgrund ihrer allgemeinen Weisungsbefugnis gegenüber der Poli­ zei.141 Die (technische) Transkription der Aufzeichnung kann sich vor allem aus verfahrensökonomischen Gründen anbieten: Zu denken ist nur etwa an einen Zeugen, der während einer mehrstündigen aufgezeichneten Verneh­ Entwurf Videographie-Gesetz, S. 315. zum verbleibenden Anwendungsbereich des § 255a StPO Swoboda,

135  Nack/ASJ, 136  Näher

S.  362 f. 137  Vgl. hierzu nur H. Vogel, S. 117. 138  Vgl. Bender/Häcker/Schwarz, Rn. 1680; Thiele, Dokumentation des Ermitt­ lungsverfahrens, S. 261 (276). 139  Vgl. hierzu beispielhaft die technischen Funktionen des Videovernehmungs­ systems bei Mangold (o. D.), Videovernehmungssysteme. 140  Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1312. 141  Die Übertragung der Aufzeichnung in ein schriftliches Protokoll kann hierbei durch Schreibkräfte erfolgen, so auch Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 316.



§ 4 Die Vernehmungsdokumentation im Ausland259

mung wiederholt widersprüchliche und belastende Angaben gemacht hat; hier kann sich das Bedürfnis für einen direkten Vergleich seiner Aussagen ergeben. Eine Verschriftlichung der Aufzeichnung liegt aber auch in allen sonstigen Fällen nahe, in denen ein mehrfaches Betrachten des Videobandes erforderlich ist. Eine Videoaufzeichnung kann von ihrem Betrachter nämlich immer nur „eindimensional“ erfasst werden, also „auf einer Linie in zwei Richtungen“ und nur „mit beschränkter Geschwindigkeit“. Eine Niederschrift ermöglicht dem Leser hingegen einen Überblick aus der „Vogelperspektive“; die Lesegeschwindigkeit kann hierbei stärker nach dem Individuum variie­ ren.142 Im Übrigen kommt die Anerkennung des Videoprotokolls nur in Betracht, wenn die Aufzeichnung keine wesentlichen technischen Mängel aufweist oder sich aus sonstigen Gründen nicht zur Ersetzung des Protokolls eignet (§ 168a Abs. 2a S. 4 StPO-E).143 Weist die Aufzeichnung etwa technische Defekte an wesentlichen Teilen der Vernehmung144 auf, ist es, unter Beach­ tung der Grundsätze der Aktenwahrheit, Aktenklarheit und Aktenvollstän­ digkeit, nicht gerechtfertigt, ihr eine Protokollersatzfunktion zuzugestehen. Diese Protokollersatzfunktion der Videoaufzeichnung stellt auch einen we­ sentlichen Indikator i. R. der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Eignung“ dar. Dementsprechend eignet sich eine Bild-Ton-Aufzeichnung nicht zur Ersetzung des schriftlichen Vernehmungsprotokolls, wenn der Ver­ nommene aufgrund seines starken Dialekts oder seines durchgängigen Flüs­ tertons nicht zweifelsfrei verstanden werden kann.145

§ 4 Die Vernehmungsdokumentation im Ausland Abschließend soll ein Blick über den deutschen Tellerrand Aufschluss da­ rüber geben, wie sich die Gesetzeslage betreffend die Vernehmungsdoku­ mentation im Ermittlungsverfahren in anderen Rechtsordnungen (Österreich, Schweiz, Frankreich, England, USA) darstellt, um hieraus neue Impulse für die deutsche Rechtslage gewinnen zu können.

142  Obergericht

des Kantons Zürich, Beschluss v. 23.09.2019, SB180318. hierzu bereits den Gesetzesvorschlag von Swoboda, S. 362, § 168 Abs. 2 V-StPO: „Eine bloße Verschriftung nach Satz 1 genügt jedoch nicht, wenn die Auf­ zeichnung in Bild und Ton insbesondere aus Gründen ihrer Qualität zur Ersetzung eines schriftlichen Protokolls nicht geeignet ist“. 144  Die wesentlichen Teile der Vernehmungen müssen hierbei nach dem Gesamt­ kontext der jeweiligen Aussage bzw. Einlassung und ihrer Bedeutung für das Straf­ verfahren bestimmt werden. 145  Swoboda, S. 361. 143  Vgl.

260 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

A. Österreich Die österreichische Strafprozessordnung sieht in § 97 Abs. 1 S. 1 Ö ­ -StPO146 ausdrücklich die Zulässigkeit einer „Ton- und Bildaufnahme“ einer Verneh­ mung vor, sofern die Vernehmung „nach ausdrücklicher Information der vernommenen Person“ (d. h. offen und nicht heimlich) erfolgt und „zur Gänze aufgenommen“ wird. Die Aufnahme hat jedoch grundsätzlich zu un­ terbleiben, wenn der zu vernehmende Zeuge widerspricht (vgl. § 97 Abs. 1 S. 2 Ö-StPO). Vorgaben zur grundlegenden Protokollierung von Verfahrens­ handlungen finden sich darüber hinaus in § 95 Ö-StPO, der bestimmt, dass wesentliche Inhalte eines Vorbringens und andere bedeutsame Vorgänge in einem Amtsvermerk schriftlich festzuhalten sind. § 96 Ö-StPO enthält wei­ tere Einzelheiten zum Inhalt eines Protokolls, wobei vor allem § 96 Abs. 3 Ö-StPO zu beachten ist: Hiernach ist die Aussage einer vernommenen Person im Protokoll „wörtlich wieder zu geben“, wenn dies „für die Beurteilung der Sache und der Ergebnisse der Amtshandlung erforderlich ist oder eine ver­ nommene Person es verlangt“. Im Übrigen werden lediglich die Antworten „ihrem wesentlichen Inhalt“ nach festgehalten; die dazugehörigen Fragen sind nur in das Protokoll aufzunehmen, „als dies für das Verständnis der Antwort erforderlich ist“. § 97 Abs. 2 Ö-StPO sieht demgegenüber vor, dass im Falle einer Videoaufzeichnung der Vernehmung „an Stelle eines Proto­ kolls“ auch eine „schriftliche Zusammenfassung des Inhalts der Vernehmung“ erstellt werden kann. Nach § 97 Abs. 2 S. 2 Ö-StPO sind die §§ 96 Abs. 1 und 3 und 271 Abs. 6 Ö-StPO betreffend die Protokollerstellung nur „im Übrigen“ anzuwenden. Die Videoaufzeichnung dient insofern „dem weitge­ henden Ersatz der schriftlichen Protokollierung“.147 Für die Beschuldigten­ vernehmung existiert zudem eine spezielle Regelung in § 164 Abs. 2 S. 6 Ö-StPO, die wiederum auf § 97 Ö-StPO verweist.148 Somit ähnelt diese Ge­ 146  § 97 Ö-StPO lautet: „(1) 1Nach ausdrücklicher Information der vernommenen Person ist es zulässig, eine Tonaufnahme oder Ton- und Bildaufnahme einer Verneh­ mung anzufertigen, sofern diese zur Gänze aufgenommen wird. 2Im Fall der Verneh­ mung eines Zeugen hat dies, unbeschadet besonderer gesetzlicher Bestimmungen (§§ 150, 165, 247a, 250 Abs. 3), zu unterbleiben, wenn und sobald der Zeuge der Aufnahme widerspricht. (2) 1Im Falle einer Aufnahme nach Abs. 1 kann an Stelle eines Protokolls eine schriftliche Zusammenfassung des Inhalts der Vernehmung er­ stellt werden, welche der Leiter der Amtshandlung unterfertigt und zum Akt nimmt. 2 Auf diese Zusammenfassung sind im Übrigen die Vorschriften der §§ 96 Abs. 1 und 3 und 271 Abs. 6 anzuwenden“. 147  RV 25 BlgNR 22. GP, S. 126; vgl. auch Michel, S. 64. 148  § 164 Abs. 2 Ö-StPO lautet: „(2) 1Der Beschuldigte hat das Recht, seiner Ver­ nehmung einen Verteidiger beizuziehen. Nimmt er dieses Recht in Anspruch, so ist die Vernehmung bis zum Eintreffen des Verteidigers aufzuschieben, es sei denn, dass damit eine unangemessene Verlängerung der Anhaltung verbunden wäre. 2Der Vertei­ diger darf sich an der Vernehmung selbst auf keine Weise beteiligen, jedoch nach



§ 4 Die Vernehmungsdokumentation im Ausland261

setzesfassung der hier vorgeschlagenen Regelung zur Einführung eines Vi­ deoprotokolls i. V. m. der Erstellung eines schriftlichen Ergebnisprotokolls.149

B. Schweiz Die schweizerische Strafprozessordnung sieht in Art. 76 Abs. 4 S. 1 schwStPO vor, dass Verfahrenshandlungen (zu denen auch „Einvernahmen“, d. h. Vernehmungen gehören) von der Verfahrensleitung ganz oder teilweise in Ton oder Bild festgehalten werden können. Eine verpflichtende Regelung zur audiovisuellen Aufzeichnung ist lediglich in Art. 154d S. 2 schwStPO150 bei der Einvernahme kindlicher Opferzeugen vorgesehen. Die Protokollie­ rung von Einvernahmen richtet sich hingegen nach Art. 78 schwStPO – einer besonderen Bestimmung für „Einvernahmeprotokolle“. Hiernach wird die Aussage während der Vernehmung „laufend“ (Art. 78 Abs. 1 schwStPO), je­ doch nur ihrem wesentlichen Inhalt nach protokolliert151, wohingegen „ent­ scheidende Fragen und Antworten“ sogar „wörtlich“ festzuhalten sind (Art. 78 Abs. 3 schwStPO). Wird die Vernehmung im Falle einer Videokonferenz (§ 144 schwStPO)152 oder im Hauptverfahren aufgezeichnet, sind aber zumindest Verfahrensvereinfachungen in Bezug auf die Anfertigung des ent­ deren Abschluss oder nach thematisch zusammenhängenden Abschnitten Fragen an den Beschuldigten richten und Erklärungen abgeben. 3Über die Beantwortung einzel­ ner Fragen darf sich jedoch der Beschuldigte nicht mit dem Verteidiger beraten. 4Von der Beiziehung eines Verteidigers darf nur abgesehen werden, soweit dies aufgrund besonderer Umstände unbedingt erforderlich erscheint, um durch eine sofortige Ver­ nehmung oder andere unverzügliche Ermittlungen eine erhebliche Gefahr für die Er­ mittlungen oder eine Beeinträchtigung von Beweismitteln abzuwenden. 5In diesem Fall ist dem Beschuldigten sogleich oder innerhalb von 24 Stunden eine Anordnung der Staatsanwaltschaft oder eine schriftliche Begründung der Kriminalpolizei für diese Beschränkung zuzustellen und nach Möglichkeit eine Ton- oder Bildaufnahme (§ 97) anzufertigen“. 149  Vgl. oben S. 252 ff. 150  Art. 154 Abs. 4d schwStPO lautet: „Einvernahmen werden im Beisein einer Spezialistin oder eines Spezialisten von einer zu diesem Zweck ausgebildeten Ermitt­ lungsbeamtin oder einem entsprechenden Ermittlungsbeamten durchgeführt. Findet keine Gegenüberstellung statt, so werden die Einvernahmen mit Bild und Ton aufge­ zeichnet“. 151  Art. 78 Abs. 1 schwStPO lautet: „Die Aussagen der Parteien, Zeuginnen, Zeu­ gen, Auskunftspersonen und Sachverständigen werden laufend protokolliert“. Das Erfordernis der (nur) sinngemäßen Wiedergabe der Aussage ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu Art. 78 Abs. 3 StPO. 152  Art. 144 schwStPO: „Staatsanwaltschaft und Gerichte können eine Einver­ nahme mittels Videokonferenz durchführen, wenn das persönliche Erscheinen der einzuvernehmenden Person nicht oder nur mit grossem Aufwand möglich ist. Die Einvernahme wird in Ton und Bild festgehalten“.

262 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

sprechenden schriftlichen Protokolls vorgesehen (vgl. Art. 78 Abs. 5bis S. 1 schwStPO153 und Art. 78 Abs. 6 schwStPO154). Die Anfertigung eines zusätz­ lichen schriftlichen Protokolls ist jedoch stets zwingend. Dies ergibt sich bereits aus (dem für allgemeine Verfahrenshandlungen geltenden) Art. 76 Abs. 4 schwStPO155, der nur davon spricht, dass Verfahrenshandlungen zusätzlich zur schriftlichen Protokollierung ganz oder teilweise in Ton oder Bild festgehalten werden können; demnach kann die Videoaufzeichnung keinen Protokollersatz darstellen.156 Dies bestätigte jüngst auch das Schwei­ zerische Bundesgericht in seiner Entscheidung vom 29.09.2017: „Die Aufnahme mit technischen Hilfsmitteln vermag das schriftliche Protokoll […] zwar zu ergänzen, nicht aber zu ersetzen. Auf die Schriftform kann daher grund­ sätzlich nicht verzichtet werden. […] Das Festhalten am Erfordernis des Schrift­ protokolls bezweckt, die Strafbehörden und die Verfahrensbeteiligten davon zu entbinden, stundenlang Aufzeichnungen anzuhören. Das schriftliche Protokoll er­ laubt ihnen, sich rasch einen Überblick über die durchgeführte Beweiserhebung zu verschaffen […]“.157

C. Frankreich Nach dem Code de procédure pénale (CPP) ist von der audiovisuellen Aufzeichnung grundsätzlich bei der Vernehmung von inhaftierten („garde à vue“) Beschuldigten (vgl. Art. L413-12 Ordonnance n° 2019-950 du 11 sep­

Abs. 5bis S. 1 schwStPO: „Wird die Einvernahme im Hauptverfahren mit technischen Hilfsmitteln aufgezeichnet, so kann das Gericht darauf verzichten, der einvernommenen Person das Protokoll vorzulesen oder zum Lesen vorzulegen und von dieser unterzeichnen zu lassen“. 154  Art. 78 Abs. 6 schwStPO: „Bei Einvernahmen mittels Videokonferenz ersetzt die mündliche Erklärung der einvernommenen Person, sie habe das Protokoll zur Kenntnis genommen, die Unterzeichnung und Visierung. Die Erklärung wird im Pro­ tokoll vermerkt“. 155  Art. 76 Abs. 4 schwStPO: „Sie [die Verfahrensleitung] kann anordnen, dass Verfahrenshandlungen zusätzlich zur schriftlichen Protokollierung ganz oder teilweise in Ton oder Bild festgehalten werden. Sie gibt dies den anwesenden Personen vorgän­ gig bekannt“. 156  Vgl. hierzu auch Michel, S. 66. 157  BGE 143 IV 408 (421): Erlaubt ist in diesem Fall jedoch eine „nachträgliche“ statt einer „laufenden“ Protokollierung: „Die Bestimmung von Art. 76 Abs. 4 StPO schliesst in diesem Sinn – jedenfalls für Einvernahmen im Vorverfahren – nicht aus, dass das schriftliche Protokoll erst nachträglich auf der Grundlage akustischer oder audiovisueller Aufzeichnungen erstellt wird. Die Beweiserhebung wird dadurch nicht nur umfassender, sondern auch authentischer protokolliert, als dies bei einer paralle­ len Protokollierung der Fall wäre […]“. 153  Art. 78



§ 4 Die Vernehmungsdokumentation im Ausland263

tembre 2019158 im Falle von minderjährigen Beschuldigten, vgl. im Übri­ gen Art. 64-1 para 1 CPP159) sowie bei untersuchungsrichterlichen („juge d’instruction“) Beschuldigtenvernehmungen (Art. 116-1 para CPP160) Ge­ brauch zu machen. Eine verpflichtende Regelung zur audiovisuellen Zeugen­ vernehmung findet sich in Art. 706-52 para 1 CPP161, wonach die Verneh­ mung eines minderjährigen Opferzeugen („mineur victime“) grundsätzlich audiovisuell aufzuzeichnen ist. Bei dieser Entscheidung sind jedoch auch die Interessen des Minderjährigen zu berücksichtigen („si l’intérêt du mineur le justifie“); gegebenenfalls kann die Vernehmung auch nur mit einem Tonauf­ zeichnungsgerät aufgenommen werden (vgl. Art. 706-52 para 2 CPP162). Von der Aufzeichnung ist schließlich eine Arbeitskopie zu erstellen und zu den Akten zu legen. Die Originalaufnahme ist hingegen zu versiegeln (vgl. Art. 706-52 para 4 CPP163). Zusätzlich ist ein schriftlicher „Bericht“ zum Vernehmungsablauf zu erstellen, dessen Anforderungen sich nach Art. 64 CPP richten. Dokumentationstechnische Erleichterungen finden sich neuer­ dings aber in den Bestimmungen des Art. 50 Division II des Gesetzes Nr. 2019-222 vom 23.03.2019164 zur Reformierung des Justizsystems: Hier­ nach können die erforderlichen Belehrungen der zu vernehmenden, verhafte­ ten oder sich in polizeilichem Gewahrsam befindlichen Personen vom 01.01.2019 bis zum 01.01.2022 versuchsweise in den Dienststellen der Kri­ minalpolizei mit einem Ton- oder Bildaufzeichnungsgerät aufgezeichnet werden. Diese Aufzeichnung befreit die Vernehmungsperson insoweit von 158  Art. L413-12 1 Ordonnance n° 2019-950 du 11 septembre 2019 portant partie législative du code de la justice pénale des mineurs: „Les interrogatoires des mineurs placés en garde à vue ou en retenue font l’objet d’un enregistrement audiovisuel“. 159  Art. 64-1 para 1 CPP: „Les auditions des personnes placées en garde à vue pour crime, réalisées dans les locaux d’un service ou d’une unité de police ou de gendarmerie exerçant une mission de police judiciaire font l’objet d’un enregistre­ ment audiovisuel“. 160  Art. 116-1 para 1 CPP: „En matière criminelle, les interrogatoires des per­ sonnes mises en examen réalisés dans le cabinet du juge d’instruction, y compris l’interrogatoire de première comparution et les confrontations, font l’objet d’un enre­ gistrement audiovisuel“. 161  Art. 706-52 para 1 CPP: „Au cours de l’enquête et de l’information, l’audition d’un mineur victime de l’une des infractions mentionnées à l’article 706-47 fait l’ob­ jet d’un enregistrement audiovisuel“. 162  Art. 706-52 para 2 CPP: „L’enregistrement prévu à l’alinéa précédent peut être exclusivement sonore sur décision du procureur de la République ou du juge d’ins­ truction, si l’intérêt du mineur le justifie“. 163  Art. 706-52 para 4 CPP: „Il est par ailleurs établi une copie de l’enregistrement aux fins d’en faciliter la consultation ultérieure au cours de la procédure. Cette copie est versée au dossier. L’enregistrement original est placé sous scellés fermés“. 164  LOI n° 2019-222 du 23 mars 2019 de programmation 2018–2022 et de réforme pour la justice.

264 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

der Pflicht, die Einhaltung der entsprechenden Formalitäten zusätzlich schriftlich zu protokollieren.165 Dieses „Pilotprojekt“ der französischen Justiz kann als ein weiterer – und der deutschen Strafprozessordnung vorausgehen­ der – Schritt hin zu einem modernden Strafprozess betrachtet werden.

D. England und Wales Vorschriften und Richtlinien zur Vernehmungsdokumentation im Ermitt­ lungsverfahren finden sich in England vor allem in den Pace Code C, E und F.166 Der Pace Code C, namentlich Code of Practice for the detention, treatment and questioning of persons by Police Officers (2019), basiert auf dem Police and Criminal Evidence Act 1984 (PACE) und sieht einen spezi­ ellen Verhaltenskodex für die Verhaftung, Behandlung und Befragung von Personen durch Polizeibeamte in England vor. In Bezug auf die Herstellung des Vernehmungsprotokolls im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung167 finden sich generelle Verhaltensregeln etwa in Pace C Sec. 11.7(a), wonach jede Vernehmung – unabhängig von ihrem Ort – detailliert protokolliert wer­ den muss.168 Die schriftliche Fixierung des Vernehmungsinhalts erfolgt hierbei grundsätzlich in einem Wortprotokoll („a verbatim record of what has been said“)169. Ist dies nicht möglich („or, failing this“) ist ein Inhaltsproto­ koll zu erstellen, das auf die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Ver­ nehmung beschränkt ist („an account of the interview which adequately and accurately summarises it“). Schließlich ordnet Pace C Sec. 11.7(b) an, dass der Vernehmungsinhalt entweder mithilfe (schriftlicher) Formulare bzw. Be­ richtshefte („on the forms provided for this purpose or in the interviewer’s report book“) oder in Übereinstimmung mit dem Verhaltenskodex E oder F erfasst werden muss („or in accordance with Codes of Practice E or F“).170 165  Vgl. zu den weiteren Einzelheiten Décret n° 2019-1421 du 20 décembre 2019 portant application de l’article 50 de la loi n° 2019-222 du 23 mars 2019 de program­ mation 2018–2022 et de réforme pour la justice. 166  Vgl. hierzu auch den Überblick bei Altenhain, FS Kindhäuser (2019), S. 975 (977 ff.). 167  Die folgenden Regelungen gelten nicht für die Zeugenvernehmung, vgl. Pace Code C Sec. 11.22: „The provisions of this Code and Codes E and F which govern the conduct and recording of interviews do not apply to interviews with, or taking statements from, witnesses“. 168  Pace Code C Sec. 11.7: „An accurate record must be made of each interview, whether or not the interview takes place at a police station“. 169  Vgl. hierzu auch Pace Code C Sec. 11.13: „A record shall be made of any comments made by a suspect, including unsolicited comments, which are outside the context of an interview but which might be relevant to the offence“. 170  Pace Code C Sec. 11. 7 (b): „The record must […] be made on the forms provided for this purpose or in the interviewer’s report book or in accordance with



§ 4 Die Vernehmungsdokumentation im Ausland265

Während Pace Code E, namentlich Code of Practice on audio recording interviews with suspects (2018), die Verhaltensregeln im Umgang mit Tonauf­ zeichnungen von Beschuldigtenvernehmungen171 beinhaltet, betrifft der Pace Code F, namentlich Code of Practice on visual recording with sound of interviews with suspects (2018), den entsprechenden Umgang mit audiovisu­ ellen Aufzeichnungen. Das Verhältnis zwischen Schriftprotokoll und Tonauf­ zeichnung wird im Pace Code E Sec. 2 näher bestimmt: So soll die Verhörs­ person – trotz der generellen Soll-Bestimmung zur Tonaufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen im Anwendungsbereich des Sec. 2.1172 – ein Schriftprotokoll der Vernehmung erstellen, wenn z. B. ein zugelassenes Auf­ zeichnungsgerät in funktionsfähigem Zustand nicht verfügbar ist, Sec. 2.3(a)173, oder der zu Vernehmende Einwände gegen die Tonaufzeich­ nung vorträgt, Sec. 2.3(d),174 wobei es in diesem Fall im Ermessen der Ver­ hörsperson liegt, die Relevanz dieser Einwände zu bewerten, Sec. 2F.175 Die Codes of Practice E or F“; vgl. auch Pace Code E 1.5B: „The provisions of Code C: • sections 10 and 11, and the applicable Notes for Guidance apply to the conduct of interviews to which this Code applies. • paragraphs 11.7 to 11.14 apply only when a written record is needed“. 171  Der Verhaltenskodex gilt ausdrücklich nicht für Zeugenvernehmungen, Pace Code E Sec. 1.4: „The provisions of this Code and Code F which govern the conduct and recording of interviews do not apply to interviews with, or taking statements from, witnesses“; vgl. auch die entsprechende Regelung in Pace Code F Sec. 1.4. 172  Pace Code E Sec. 2.1: „Subject to paragraph 2.3, […] that device shall be used to record the following matters: (a) any interview with a person cautioned in accord­ ance with Code C, section 10 in respect of any summary offence or any indictable of­ fence, which includes any offence triable either way, when: (i) that person (the suspect) is questioned about their involvement or suspected involvement in that offence and they have not been charged or informed they may be prosecuted for that offence; and (ii) exceptionally, further questions are put to a person about any offence after they have been charged with, or told they may be prosecuted for, that offence […]. (b) when a person who has been charged with, or informed they may be prosecuted for, any of­ fence, is told about any written statement or interview with another person and they are handed a true copy of the written statement or the content of the interview record is brought to their attention in accordance with Code C, paragraph 16.4 and Note 2D“. 173  Pace Code E Sec. 2.3(a): „A written record of the matters described in para­ graph 2.1(a) and (b) shall be made in accordance with Code C, section 11, only if, (a) an authorised recording device (see paragraph 1.6(a)) in working order is not avail­ able“. 174  Pace Code E Sec. 2.3(d): „A written record of the matters described in para­ graph 2.1(a) and (b) shall be made in accordance with Code C, section 11, only if, […] if in accordance with paragraph 3.9, the suspect or the appropriate adult on their behalf, objects to the interview being audibly recorded and the ‚relevant officer‘ de­ scribed in paragraph 2.4, after having regard to the nature and circumstances of the objections (see Note 2F), decides that a written record shall be made“. 175  Pace Code E Sec. 2F: „Objections for the purpose of paragraphs 2.3(d) and 3.9 are meant to apply to objections based on the suspect’s genuine and honestly held

266 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

Gründe für das Unterlassen der Tonaufnahme sind hierbei zu dokumentieren, Sec. 2.5.176 Im Falle einer Tonaufzeichnung ist schließlich eine Arbeitskopie zu erstellen; die Originalaufnahme („the master recording“) ist hingegen in Anwesenheit des Vernommenen zu versiegeln (Sec. 3.1).177 Nach der Ver­ nehmung vermerkt die Verhörsperson zudem in ihrem Berichtsheft („pocket book“), dass die Vernehmung stattgefunden hat und dass von ihr eine Ton­ aufzeichnung erstellt wurde sowie das Datum, den Beginn, die Dauer und Identifikationsnummer der Aufzeichnung.178 Eine gesetzliche Verpflichtung zur Anfertigung einer audiovisuellen Aufzeichnung von der Beschuldigten­ vernehmung besteht nach dem Pace Code F Sec. 2.2 zwar nicht („There is no statutory requirement to make a visual recording“); jedoch kann auch hier der Anwendungsbereich der Tonaufzeichnung (Pace Code E Sec. 2.1) zur Hilfe gezogen werden.179 Eine Auflistung mit Fallbeispielen dient der Ver­ hörsperson als zusätzliche Ermessensdirektive: So ist eine audiovisuelle Aufzeichnung insbesondere bei besonders schutzbedürftigen Personen (z. B. bei Jugendlichen oder tauben/blinden/sprachbehinderten Personen) oder auf Verlangen (z. B. der beschuldigten Person oder ihres Anwalts) in Betracht zu ziehen.180 Eine zwingende Transkription der Aufzeichnung verlangen Pace beliefs and to allow officers to exercise their discretion to decide that a written inter­ view record is to be made according to the circumstances surrounding the suspect and the investigation. Objections that appear to be frivolous with the intentions of frus­ trating or delaying the investigation would not be relevant“. 176  Vgl. Pace Code E Sec. 2.5: „When, in accordance with paragraph 2.3, a written record is made: (a) the relevant officer must: (i) record the reasons for not making an audio recording and the date and time the decision in paragraph 2.3(c) or (as applic­ able) paragraph 2.3(d) was made; and (ii) ensure that the suspect is informed that a written record will be made“. 177  Pace Code E Sec. 3.1: „When using an authorised removable recording media device (see paragraph 1.6(a)(i)), one recording, the master recording, will be sealed in the suspect’s presence. A second recording will be used as a working copy“. 178  Pace Code E Sec. 3.22: „The interviewer shall make a note in their pocket book that the interview has taken place and that it was audibly recorded, the time it commenced, its duration and date and identification number of the master recording (see Note 3I)“; vgl. hierzu auch die gleichlautende Bestimmung in Pace Code E Sec. 4.13 für die Benutzung von „secure digital recording network device“. 179  Pace Code F Sec. 2.2: „There is no statutory requirement to make a visual re­ cording, however, the provisions of this Code shall be followed on any occasion that the ‚elevant officer‘ described in Code E paragraph 2.4 considers that a visual record­ ing of any matters mentioned in paragraph 2.1 should be made“. 180  Pace Code F Sec. 2.2: „Having regard to the safeguards described in paragraph 1.5A, examples of occasions when the relevant officer is likely to consider that a visual recording should be made include when: […] (b) the suspect or their solicitor or appropriate adult requests that the interview be recorded visually; (c) the suspect or other person whose presence is necessary is deaf or deaf/blind or speech impaired and uses sign language to communicate“.



§ 4 Die Vernehmungsdokumentation im Ausland267

Code E und F hierbei nicht. Jedoch sollte jede Verschriftlichung eines aufge­ zeichneten Interviews nach Sec. 3I (der über den Pace Code F 2.3 auch für audiovisuelle Aufzeichnungen gilt) in Übereinstimmung mit den entspre­ chenden nationalen Richtlinien erfolgen („current national guidelines for police officers, police staff and CPS prosecutors“).181 Handlungsempfehlun­ gen betreffend die Zeugenvernehmung finden sich hingegen im Leitfaden Achieving Best Evidence (ABE) in Criminal Proceedings: Guidance on interviewing victims and witnesses, and guidance on using special measures (2011). Nach ABE Sec. 1.26 und 2.173 sollen vor allem Vernehmungen mit wichtigen Zeugen („significant witnesses“)182 generell auf Video aufgezeich­ net werden. Verweigert ein wichtiger Zeuge seine Zustimmung zur audiovi­ suellen Dokumentation der Vernehmung sollte aber in Erwägung gezogen werden (lediglich) eine Tonaufnahme anzufertigen; verweigert der Zeuge auch Letzteres, sollte schließlich auf ein schriftliches Protokoll ausgewichen werden (ABE Sec. 2.174183). Im Falle einer Video- oder auch Tonaufzeich­ nung184 soll zudem eine nachträgliche schriftliche und chronologische Zu­ sammenfassung der Aufzeichnung („ROVI“)185 erstellt werden186, die sowohl der Staatsanwaltschaft als auch der Verteidigung als Arbeitshilfe dient.187

181  Näher Home Office, Interviewing suspects 2020, Version 7.0, S. 59: „Tran­ scription is very expensive. You must consider a full transcription only if there is a clear need for it and in cases where the following occurs: • a decision to charge is to be requested from the Crown Prosecution Service • the arrested person has been charged“; s. ferner The Prosecution Team, Manual of Guidance, Sec. 1.13: „It is nec­ essary to provide a written record of what the defendant said during interview on the case file. There are three types of interview record: a short descriptive note (SDN), a record of taped (or audio) recorded interview (ROTI)/record of visually recorded in­ terview (ROVI) and a transcript (a full verbatim record of what was said)“ und Sec. 1.6.7: „Whether a brief summary of the interview on the MG5 or one contained in a ROTI/ROVI or full transcript is required depends on the seriousness of the case and role and importance of the interview in relation to the facts to be proved or infer­ ences to be made. The brief summary need not be type written, but must be legible“. 182  Näher zum Begriff ABE 1.25. 183  ABE Sec. 2.174: „Where a significant witness withholds consent for the inter­ view to be video-recorded, consideration should be given to making an audiorecord of it. Where a witness withholds consent for the interview to be audio-recorded, a written record in the form of notes should be made of it“. 184  Im Falle einer Tonaufzeichnung ordnet ABE P.1.4 die entsprechende Erstel­ lung eines „ROVI“ an: „A ROVI should also be compiled in instances where an in­ terview with a significant witness is audio-recorded“. 185  Vgl. zum Begriff „ROVI“ ABE P.1.2: „A ROVI is distinct from a ROTI, which is a Record of Taped Interview with a suspect. It is not: • A statement; • A transcript; • A replacement for the video; or • An exhibit“; näher zum Inhalt ABE P.3. 186  Näher ABE 3.93. 187  Näher zu den Funktionen von „ROVI“ ABE P2.

268 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

E. Vereinigte Staaten von Amerika Die audiovisuelle Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen im Er­ mittlungsverfahren hat sich mittlerweile in nahezu allen Staaten von Amerika als Regelfall etabliert.188 Während die Videoaufzeichnung in vielen Staaten bereits durch gesetzliche Vorgaben fest verankert ist („statute“)189, beruht sie in anderen Staaten auf Richterrecht („court ruling“)190 oder wird sogar nur auf freiwilliger Basis bzw. auf Empfehlung praktiziert.191 Der gemein­ same Grundgedanke für die (verpflichtende oder auch nur freiwillige) Ein­ führung audiovisueller Aufzeichnungen war hierbei stets der Schutz des Be­ schuldigten192 und nicht der Schutz des (Opfer-)Zeugen, wie er in Deutsch­ land im Rahmen der Einführung des ZSchG im Jahre 1998 vorherrschend war. Ein dem deutschen Strafprozessrecht ähnlicher Gedanke liegt jedoch in der Begrenzung der Aufzeichnungspflicht auf bestimmte Fallgruppen, die vielen Staaten von Amerika zugrunde liegt: So ist eine Aufzeichnungspflicht insbesondere bei dem Verdacht von schweren Verbrechen, Sexualdelikten oder bei jugendlichen Beschuldigten vorgesehen.193 Konsequent zeigen sich einige Staaten ferner im Falle einer erforderlichen, jedoch unterlassenen ­Aufzeichnung: In Utah darf die Erklärung eines Beschuldigten im späteren Verfahren beispielsweise grundsätzlich nicht verwertet werden, wenn der entsprechende Vernehmungsinhalt „unentschuldigt“ zuvor nicht elektronisch 188  Ein aktueller Überblick findet sich bei nacdl, Electronic Recording Project (2019); vgl. auch Altenhain, FS Kindhäuser (2019), S. 975 (982 f.). 189  So ist die elektronische Aufzeichnung zwingend vorgesehen in California, (District of Columbia), Illinois, Maine, Missouri, Montana, North Carolina, Nebraska, New Mexico, Oregon, Texas, Vermont, Wisconsin; fakultative Regelungen betreffend die elektronische Aufzeichnung sehen vor Kansas, Maryland und Washington; zwin­ gende Regelungen zur audiovisuellen Aufzeichnung sind vorgesehen in Colorado, Connecticut, Michigan und New York. 190  Arkansas Rule of Criminal Procedure 4.7 (2012), Indiana Rule of Evidence 617 – Unrecorded Statements During Custodial Interrogation (2009), New Jersey Supreme Court Rule 3:17 (2005), State vs. Jerrell, 699 N.W.2d 110 (Supreme Court of Wisconsin 2005), State vs. Scales, 518 N.W.2d 587 (Supreme Court of Minnesota 1994), Stephan vs. State, 711 P.2d 1156 (Supreme Court of Alaska 1985), Utah Su­ preme Court Rule of Evidence 616 (2015). 191  So (u. a. auch nur in vereinzelten Städten) in Alabama, Arizona, Delaware, Florida, Georgia, Hawaii, Idaho, Iowa, Kentucky, Louisiana, Massachusetts, Missis­ sippi, New Hampshire, Nevada, North Dakota, Oklahoma, Ohio, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Virginia, West Virginia, Wyoming. 192  So auch Michel, S. 71. 193  Vgl. nur California Penal Code § 859.5 (2017), Colorado Revised Statutes § 16-3-601 (2016), Kansas Statutes § 22-4620 (2017), North Carolina General Stat­ utes § 15A-211 (2007, 2011), Maryland Code, Criminal Procedure Section §§ 2-402403 (2008), Nebraska Revised Statutes §§ 29-4501-08 (2008), Oregon Revised Stat­ utes § 133.400 (2010), Texas Code of Criminal Procedure § 2.32.



§ 5 Fazit269

aufgezeichnet wurde. Zulässige Ausnahmen kommen etwa in Betracht, wenn sich der Beschuldigte nur ohne (elektronische) Aufzeichnung zur Sache ein­ lassen wollte oder wenn die Verhörsperson das Aufzeichnungsgerät in gutem Glauben bediente und dieses jedoch (unerkannt) einen technischen Fehler aufwies.194 Die gleiche Beweisregel gilt auch für Indiana.195 Massachusetts bedient sich im Falle einer fehlenden Aufzeichnung einer Beschuldigtenver­ nehmung hingegen einer Beweiswürdigungslösung, konkret wird die Jury in Form einer „jury instruction“ auf diesen Umstand sowie ferner darauf hinge­ wiesen, dass sie die Beweise für die (angebliche) Einlassung des Beschuldig­ ten im Ermittlungsverfahren mit großer Vorsicht und Sorgfalt abwägen soll („with great caution and care“).196 Ähnliches gilt auch für Wisconsin.197 Im Übrigen sind auch heimliche Aufzeichnungen ausdrücklich in den gesetz­ lichen Bestimmungen einiger Staaten erlaubt.198

§ 5 Fazit Der Blick über den deutschen Tellerrand hinaus hat gezeigt, dass sich der Gesetzgeber fortlaufend mit der audiovisuellen Dokumentation im Strafver­ fahren befassen muss, sofern er beabsichtigt, mit den entsprechenden Erfah­ rungen und Fortschritten auf internationaler Ebene mithalten zu können. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung von Beschuldigten- und Zeugenver­ nehmungen ist hierbei ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess zu erwar­ ten, in dessen Regelungsrahmen auch internationale Regelungen, die bereits Verfahrensvereinfachungen im Falle einer Videoaufzeichnung der Verneh­ mung vorsehen, fruchtbar gemacht werden sollten.199 Durch die Anerken­ nung des Videoprotokolls als Protokoll i. S. der §§ 168, 168a StPO wird die Dokumentationstechnik dementsprechend an den heutigen Stand der Technik angepasst und eine neue Qualität der Beweissicherung in der deutschen Strafprozessordnung erreicht.200 Die Sicherstellung einer optimalen Beweis­ 194  Utah

Supreme Court Rule of Evidence 616 (2015). Rule of Evidence 617(a) – Unrecorded Statements During Custodial Interrogation (2009). 196  Commonwealth vs. DiGiambattista, 813 N.E.2d 516, 535 (Supreme Judicial Court of Massachusetts 2004). 197  Wisconsin Statutes §§ 972.115.2(a) (2005). 198  Vgl. 720 ILCS 5/14-3(k), Michigan Compiled Laws §§ 763.8(3) (2012), Mis­ souri Revised Statutes § 590.700.3 (2017). 199  Vgl. auch Michel, S. 72. 200  Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 311, 312; näher zu den sodann anwendbaren Regelungen zur Löschung der Videoaufzeichnung (§ 58a Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 101 Abs. 8 StPO und § 168a Abs. 2 S. 4 StPO) Altenhain, ZIS 2015, 269 (280 Fn. 128). 195  Indiana

270 4. Kap.: Die Protokollierung von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren

qualität wird wiederum – aufgrund der generellen Fehleranfälligkeit der schriftlichen Inhaltsprotokolle und ihrer Bedeutung für den Strafprozess201 – nicht nur der bestmöglichen Wahrheitserforschung, sondern auch den weite­ ren Zielen des Strafprozesses sowie den vernommenen Zeugen und Beschul­ digten im Hinblick auf die beweisrechtliche Dokumentation des tatsächlichen Vernehmungsgeschehens zu Gute kommen. Zudem können viele Arbeitsstun­ den, die derzeit im Zusammenhang mit jeder Videoaufzeichnung aufgewen­ det werden, entfallen, wodurch ein nicht unerheblicher Kosten-, Zeit- und Personalaufwand eingespart werden kann. Weiterhin müssen auch die Ver­ nehmungspersonen nicht mehr regelmäßig als Zeugen betreffend den Inhalt der Vernehmung zur Hauptverhandlung geladen und vernommen werden. Hierdurch können weitere Arbeitsstunden bei den Polizeibeamten eingespart werden (die diese oftmals wartend im Gerichtsflur verbringen, um die Rich­ tigkeit ihres Protokolls zu bestätigen).202 Etwaigen Bedenken, die aufgrund des zeitlichen Aufwands beim Sichten einer Aufzeichnung erhoben wer­ den203, wird hingegen durch entsprechende technische Maßnahmen wirksam begegnet werden können.204 Des Weiteren bietet es sich an, die Anerken­ nung des Videoprotokolls an die Erstellung eines zusätzlichen Ergebnisproto­ kolls zu koppeln, das jedoch lediglich als Arbeitsgrundlage (ohne Beweis­ relevanz) dient. Mithilfe dieses Ergebnisprotokolls kann das wesentliche Vernehmungsergebnis und damit auch die Relevanz der Aussage bzw. der Einlassung mit einem raschen Blick erfasst werden.205 Abschließend ist zu betonen, dass die vorgeschlagene Regelung zur Anerkennung des Videopro­ tokolls (i. V. m. der Erstellung eines Ergebnisprotokolls) lediglich eine fakultative ist (vgl. § 168 Abs. 2a S. 1 StPO-E). Ob von dieser Option schlussend­ lich Gebrauch gemacht wird und die Vorzüge des Videoprotokolls erkannt werden, wird sich daher erst nach einer gewissen Anpassungszeit beurteilen können. Insofern bieten sich jedoch auch entsprechende Schulungen der Strafverfolgungs- und Justizbehörden an, um ungerechtfertigte Bedenken und Zweifel ausräumen zu können.206

201  Vgl.

oben S. 239 ff. Entwurf Videographie-Gesetz, S. 317. 203  Vgl. H. Vogel, S. 117. 204  Vgl. hierzu S. 258. 205  Vgl. hierzu S. 255 ff. 206  So auch Michel, S. 73. 202  Nack/ASJ,

5. Kapitel

Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen in die Hauptverhandlung Nachdem in den vorherigen Kapiteln die audiovisuelle Aufzeichnung der Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren Gegenstand der Untersuchung war, soll nunmehr auf die Möglichkeiten zur Einführung einer solchen Aufzeichnung in die Hauptverhandlung eingegangen werden. Diesbezüglich sind insbesondere die §§ 254, 255a StPO relevant. Während § 254 StPO die Vorführung audiovisuell aufgezeichneter Erklärungen des Angeklagten betrifft, regelt § 255a StPO die näheren Voraussetzungen zur Vorführung einer aufgezeichneten Zeugenvernehmung.1 Der folgende Über­ blick soll Aufschluss über die Voraussetzungen de lege lata sowie die Pro­ bleme im Rahmen der Einführung videodokumentierter Vernehmungen in die Hauptverhandlung geben.

§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung nach § 255a StPO § 255a Vorführung einer aufgezeichneten Zeugenvernehmung (1)  Für die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung gel­ ten die Vorschriften zur Verlesung eines Protokolls über eine Vernehmung gemäß §§ 251, 252, 253 und 255 entsprechend. (2)  1In Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuches) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Straf­ gesetzbuches), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetz­ buches) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches kann die Vernehmung eines Zeugen unter 18 Jahren durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegen­ heit hatten, an dieser mitzuwirken, und wenn der Zeuge, dessen Vernehmung nach § 58a Absatz 1 Satz 3 in Bild und Ton aufgezeichnet worden ist, der vernehmungs­ ersetzenden Vorführung dieser Aufzeichnung in der Hauptverhandlung nicht un­ mittelbar nach der aufgezeichneten Vernehmung widersprochen hat. 2Dies gilt auch 1  In beiden Fällen ist hierbei die Verfahrensstellung im Zeitpunkt der Vorführung maßgeblich, SK-StPO/Velten, §§ 254 Rn. 11, 255a Rn. 8.

272

5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

für Zeugen, die Verletzte einer dieser Straftaten sind und zur Zeit der Tat unter 18 Jahre alt waren oder Verletzte einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuches) sind. 3Das Gericht hat bei seiner Entschei­ dung auch die schutzwürdigen Interessen des Zeugen zu berücksichtigen und den Grund für die Vorführung bekanntzugeben. 4Eine ergänzende Vernehmung des Zeugen ist zulässig.2

A. § 255a StPO im Wandel der Zeit Die Regelung des § 255a StPO erfuhr seit ihrem Inkrafttreten durch das ZSchG am 01.12.19983 mehrfache Änderungen: Neben einigen redaktionel­ len Folgeänderungen, die sich in den letzten Jahren aufgrund der Neuordnung der Straftaten gegen die sexuellen Selbstbestimmung (§§ 174–184k StGB) ergeben haben4, wurde § 255a Abs. 1 StPO am 01.01.2018 durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förde­ rung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.2017 auch in sprachlicher Sicht angepasst, indem die Wörter „einer Niederschrift“ durch die Wörter „eines Protokolls“ ersetzt wurden.5 Eine bedeutende inhaltliche Änderung erfuhr § 255a StPO erstmals am 19.02.2005 durch das 37. StrÄndG vom 11.02.20056, indem die Option der 2  Seine aktuelle Fassung hat § 255a StPO am 01.01.2021 durch das Neunund­ fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Persön­ lichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen vom 09.10.2020 erhalten, BGBl. I S. 2075 f. 3  BGBl. I S. 820 (822). 4  So wurde § 255a Abs. 2 StPO am 01.04.2004 durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.2003, BGBl. I S. 3007 (3010, 3011), am 05.11.2008 durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31.10.2008, BGBl. I S. 2149 (2151), am 27.01.2015 durch das Neunundvierzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung eu­ ropäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21.01.2015, BGBl. I S. 10 (14 f.), am 10.11.2016 durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 04.11.2016, BGBl. I S. 2460 (2462 f.) und schließlich am 01.01.2021 durch das Neun­ undfünfzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Per­ sönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen vom 09.10.2020, BGBl. I S. 2075 f., jeweils an die neue Gesetzeslage angepasst. 5  BGBl. I S. 2208 (2212, 2228); zum gesetzgeberischen Hintergrund BT-Drucks. 18/9416, S. 59: „Der […] Begriff [der Niederschrift] ist sprachlich eng mit der Pa­ pierform verbunden. Durch seine Ersetzung soll lediglich sprachlich verdeutlicht werden, dass ‚Niederschriften‘ bei elektronischer Aktenführung auch in elektronischer Form erstellt werden können“. 6  Siebenunddreißigstes Strafrechtsänderungsgesetz – §§  180b, 181 StGB – (37. StrÄndG), BGBl. I S. 239 (241).



§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung273

vernehmungsersetzenden Videovorführung auch auf Verfahren wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232–233a StGB erstreckt wurde. Mit der Anhebung der Schutzaltersgrenze des § 255a Abs. 2 StPO von 16 auf 18 Jahre am 01.10.2009 durch das 2. Opferrechtsreformgesetz vom 29.07.20097 wurde der Anwendungsbereich der Regelung abermals erwei­ tert. Eine beachtliche Gesetzesänderung erfuhr die Vorschrift schließlich am 01.09.2013 durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) vom 26.06.20138: Die Möglichkeit der Videovor­ führung kam nunmehr auch bei erwachsenen Zeugen in Betracht, die als Minderjährige durch die in § 255a Abs. 2 S. 1 StPO bezeichneten Straftaten verletzt worden sind. Dahinter stand der gesetzgeberische Gedanke, den An­ wendungsbereich des § 255a Abs. 2 S. 1 StPO auch für solche schutzbedürf­ tigen Personen zu eröffnen, „die als Minderjährige Opfer einer der in Satz 1 genannten höchstpersönlichen Straftaten geworden sind und die unter den psychischen Folgen häufig noch bis weit in das Erwachsenenalter hinein zu leiden haben“.9 Die Einfügung des § 255a Abs. 2 S. 3 StPO sollte zusätzlich die opferschutzrechtliche Orientierung der Vorschrift zum Ausdruck brin­ gen.10 Trotz dieser Erweiterung des Anwendungsbereichs betonte der Gesetz­ geber jedoch, dass „andere, weniger einschneide Möglichkeiten des Zeugen­ schutzes (vgl. §§ 247, 247a StPO)“ nach wie zu beachten seien und im Ein­ zelfall zu prüfen sei, „ob die Schutzbedürftigkeit des Zeugen eine Durchbre­ chung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu rechtfertigen vermag“.11 Er wollte mit diesem Appell ersichtlich an die grundsätzliche Beachtung der rechts­ staatlichen Prozessmaxime der Unmittelbarkeit erinnern und eine ausschwei­ fende vernehmungsersetzende Videovorführung in der Praxis vermeiden. Die letzte und wohl einschneidendste Änderung erfuhr § 255a Abs. 2 StPO am 13.12.2019 durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019.12 Mit dieser Folgeänderung zu § 58a Abs. 1 S. 3 StPO13 wurde die Zulässigkeit der vernehmungsersetzenden Videovorführung auch 7  Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren, BGBl. I S. 2280 (2284 f.). 8  Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, BGBl. I 1805 (1807). 9  Näher BR-Drucks. 213/11, S. 14; BT-Drucks. 17/6261, S. 12. 10  Vgl. BR-Drucks. 213/11, S. 14; BT-Drucks. 17/6261, S. 12. 11  BR-Drucks. 213/11, S. 14; BT-Drucks. 17/6261, S. 12. 12  BGBl. I S. 2121 (2122, 2127). 13  § 58a Abs. 1 S. 3 StPO lautet: „Die Vernehmung muss nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richterliche Ver­ nehmung erfolgen, wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Personen, die durch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafge­ setzbuches) verletzt worden sind, besser gewahrt werden können und der Zeuge der Bild-Ton-Aufzeichnung vor der Vernehmung zugestimmt hat“.

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

auf erwachsene Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174–184k StGB) erweitert. Dahinter steht die Erwägung, dem Opfer ei­ ner Sexualstraftat – ungeachtet seines Alters – belastende Mehrfachverneh­ mungen ersparen zu können.14 Abgerundet wurde die neue Regelung schließ­ lich durch eine strukturelle Besonderheit: Eine vernehmungsersetzende ­Videovorführung ist in den Fällen des § 58a Abs. 1 S. 3 StPO nur möglich, wenn der Zeuge, der vernehmungsersetzenden Vorführung dieser Aufzeich­ nung in der Hauptverhandlung nicht unmittelbar nach der aufgezeichneten Vernehmung widersprochen hat (§ 255a Abs. 2 S. 1 a. E. StPO). Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Regelung des § 255a StPO seit dem 01.12.1998 zahlreiche Änderungen redaktioneller und inhaltlicher Art erfah­ ren hat. Hervorzuheben ist insbesondere die kontinuierliche Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 255a StPO zum Zwecke der Vermeidung belas­ tender Mehrfachvernehmungen des (Opfer-)Zeugen. Seit dem StORMG vom 26.06.201315 lag den Gesetzesreformen vornehmlich der Opferschutzgedan­ke speziell im Bereich der Sexualstraftaten zugrunde. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der dem Opferzeugen neuerdings gewährten Widerspruchsmög­ lichkeit in § 255a Abs. 2 S. 1 a. E. StPO zum Schutze seines Persönlichkeits­ rechts.

B. § 255a StPO im Kontext des Unmittelbarkeitsgrundsatzes Die Vorschrift des § 255a StPO enthält in seinen beiden Absätzen differen­ zierende Regelungen mit entsprechend unterschiedlichen Zielrichtungen: § 255a Abs. 1 StPO sieht für die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung die entsprechende Anwendung der für den Urkundenbeweis geltenden §§ 251, 252, 253 und 255 StPO und damit (i. S. einer „quantitativen Ergänzung“16) ebenfalls Ausnahmen vom Grundsatz der Unmittelbarkeit vor.17 Insoweit geht § 255a Abs. 1 StPO aber nicht über die bisherigen Möglichkeiten des Einsatzes von Beweissurrogaten in der Hauptverhandlung hinaus.18 Die Vorschrift teilt daher auch die in Bezug genommenen Regelungszwecke der §§ 251, 253 StPO, hier in Form der Verfahrensbeschleunigung, Beweissiche­ 14  BT-Drucks.

19/14747, S. 35. zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, BGBl. I S. 1805 (1807). 16  Maaß, S. 189. 17  Beulke/Swoboda, Rn. 668; Burhoff, ZAP 1998, Fach 22, 289 (297); Bürger, ZStW 2016, 518 (525 f.); Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 2; SSW-StPO/Kudlich/ Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 1. 18  Dach, S.  198 f. 15  Gesetz



§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung275

rung und Wahrheitsfindung.19 Zeugenschutzaspekte treten demgegenüber – anders als bei den übrigen durch das ZSchG eingeführten Regelungen – na­ hezu vollständig in den Hintergrund.20 Eine wesentlich weitergehende Durchbrechung des (materiellen21) Unmit­ telbarkeitsgrundsatzes sieht demgegenüber § 255a Abs. 2 StPO vor, indem er eine Ersetzung der persönlichen Vernehmung des Zeugen durch die Vorfüh­ rung der Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ermöglicht.22 Die Regelung sieht insofern eine Vernehmungsersetzung vor, obwohl die persönliche Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung an sich möglich wäre oder die übrigen Prozessbeteiligten mit einer Verneh­ mungsersetzung nicht einverstanden sind; Gründe des Zeugenschutzes spre­ 19  Diemer, NJW 1999, 1667 (1673); KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 2; Kopf, S. 74; Leitner, S. 73; Maaß, S. 189; MüKo-StPO/Krüger, § 255a Rn. 2; SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 5. 20  Vgl. Diemer, NJW 1999, 1667 (1673). 21  Die materielle Komponente des Unmittelbarkeitsgrundsatzes betrifft die Frage, welche Beweismittel zum Gegenstand des Beweises gemacht werden müssen. Aus­ gangspunkt ist hierbei das Streben nach dem bestmöglichen Beweis, Dahs, StV 1988, 169; Geppert, S. 12; Maaß, S. 187. Insofern hat das erkennende Gericht die Tatsa­ chen stets aus der Beweisquelle selbst zu schöpfen; es darf sich grundsätzlich nicht mit Beweissurrogaten zufriedengeben, BVerfGE 57, 250 (277 f.); Bürger, ZStW 128 (2016), 518 (520); Dumitrescu, ZStW 130 (2018), 106 (108); Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 66; Roxin/Schünemann, § 46 Rn. 4. Seine gesetzliche Ausprägung findet dieser Grundsatz insbesondere in § 250 S. 1 StPO, der die persönliche Vernehmung einer Person anordnet, wenn der Beweis einer Tatsache auf ihrer Wahrnehmung be­ ruht, Dumitrescu, ZStW 130 (2018), 106 (111); SK-StPO/Velten, § 250 Rn. 9; Thörnich, S. 162. Der formelle Aspekt der Unmittelbarkeit wird hingegen gewahrt, sofern nur das erkennende Gericht die Videoaufzeichnung im Rahmen einer Vorführung nach § 255 Abs. 2 StPO selbst unmittelbar sinnlich wahrnehmen kann; Hartz, S. 120; Kopf, S. 219; Maaß, S. 188; Mildenberger, S. 240; Wollmann, S. 167 f.; a. A. Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (734); Swoboda, S. 419. Näher zur generellen Unterscheidung zwischen der formellen und materiellen Unmittelbarkeit Dumitrescu, ZStW 130 (2018), 106 (107 f.); Geppert, S.  122 ff.; 127 ff., 136 ff., 162 ff.; Thörnich, S.  161 f.; zusammenfassend zum Meinungsstand in der Rspr. und Lit. dies., S.  125 ff.; Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 65 f.; Großkopf, Beweissurrogat und Unmittelbarkeit, S.  29 ff.; Radtke, GA 2012, 187 (198 ff.). Vgl. ebenfalls zur fehlenden Betroffenheit des Mündlichkeitsgrundsatzes (als Ausprägung des formellen Unmittelbarkeitsgrund­ satzes) Kopf, S.  226 f. 22  BGHSt 48, 268 (271); 49, 72 (79); Caesar, NJW 1998, 2313 (2315); Eisenberg/Zötsch, NJW 2003, 3676 (3677); Kretschmer, JR 2004, 453 (457 f.); MeyerGoßner/Schmitt, § 255a Rn. 7; Pott, S. 22; Rieß, NJW 1998, 320 (3241); Schlothauer, StV 1999, 47 (48); SSW-StPO/Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 1; näher zu den Rechtfertigungsgründen Maaß, S. 189 ff.; vgl. hierzu auch die entsprechende Hin­ weispflicht in § 406i Abs. 3 StPO: „Minderjährige Verletzte und ihre Vertreter sollten darüber hinaus im weiteren Verfahren an geeigneter Stelle auf die Vorschriften hinge­ wiesen werden, die ihrem Schutze dienen, insbesondere auf die §§ 58a und 255a Absatz 2, wenn die Anwendung dieser Vorschriften in Betracht kommt“.

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

chen in diesem Fall jedoch gegen eine persönlich Einvernahme.23 § 255a Abs. 2 StPO stellt damit eine von den engen Regelungen zum Urkundenbe­ weis losgelöste und selbständige Ermächtigungsgrundlage für die – von dem Grundsatz der persönlichen Vernehmung (§ 250 S. 1 StPO) abweichende – Einführung des Inhalts der Zeugenaussage dar.24 Diese Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ist jedoch einer generellen Rechtfertigung zu­ gänglich: Der Unmittelbarkeitsgrundsatz ist zwar seit der Reformgesetzge­ bung des 19. Jahrhunderts als tragendes Strukturprinzip der Hauptverhand­ lung, also des „Kernstücks“ jeder Hauptverhandlung25, anerkannt.26 Er ge­ nießt aber keinen Verfassungsrang27 und ist im Hinblick auf Gesetzesrefor­ men auch nicht unabänderlich.28 Zudem soll § 255a Abs. 2 StPO als engere und mit dem ZSchG verbundene Zeugenschutzmaßnahme gerade kindliche (Opfer-)Zeugen vor belastenden und schädigenden Mehrfachvernehmungen bewahren29 und damit – entsprechend den europarechtlichen Vorgaben30 und dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag31 – ein hohes Schutzniveau auf Zeugenebene gewährleisten. Die damit einhergehende Einschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes wird bereits durch die engen Tatbestandsvoraus­ setzungen des § 255a Abs. 2 StPO (Beschränkung auf besonders schutzbe­ dürftige Zeugengruppen, Begrenzung auf Katalogstraftaten, Mitwirkungs­ vorbehalt zur Gewährleistung des Konfrontationsrechts32) und die Möglich­ 23  Vgl.

Maaß, S. 189; Swoboda, S. 419. § 255a Rn. 3, 7; Kretschmer, JR 2004, 453 (457); Trück, NStZ 2004, 129 (131). 25  BVerfGE 74, 358 (372); KK-StPO/Fischer, Einl. Rn. 175; MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 244. 26  AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (2); Roxin/Schünemann, § 46 Rn. 5. 27  BVerfGE 1, 148 (429). 28  Vgl. Dumitrescu, ZStW 130 (2018), 106 (108); MüKo-StPO/Kudlich, Einl. Rn. 182; Schmoll, S. 227. 29  Näher Laubenthal, JZ 1996, 335 (338); SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 5. 30  Vgl. Art. 2, 3, Art. 8 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI des Rates vom 15.03.2005 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, ABl. Nr. L 82 S. 1; hierzu auch EuGH NJW 2005, 2839 (2842); vgl. ferner Art. 24 Abs. 1 a) der Richtli­ nie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI, ABl. L 315 vom 14.11.2012, S. 57: „Ist das Opfer ein Kind, so stellen die Mitgliedstaaten zusätz­ lich zu den in Artikel 23 vorgesehenen Maßnahmen sicher, dass […] sämtliche Ver­ nehmungen des Opfers im Kindesalter in strafrechtlichen Ermittlungen audiovisuell aufgezeichnet werden können und die Aufzeichnung als Beweismittel in Strafverfah­ ren verwendet werden kann“. 31  Ausführlich zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Opferschutzes Wollmann, S.  38 ff. 32  Vgl. aber zur Problematik der Reichweite des Mitwirkungsvorbehalts S. 287 ff. 24  KK-StPO/Diemer,



§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung277

keit einer ergänzenden Zeugenvernehmung (§ 255a Abs. 2 S. 4 StPO) abge­ schwächt.33 Die einschränkende Wirkung wird schließlich auch durch den hohen Beweiswert, der einer möglichst tatnahen und (im Hinblick auf etwa­ ige Fremdeinflüsse) noch belastungsfreien aufgezeichneten Zeugenaussage in der Regel zukommt, abgemindert.34 Die Beeinträchtigung des Unmittel­ barkeitsgrundsatzes kann daher auch vor dem Hintergrund einer verbesser­ ten Wahrheitsfindung gerechtfertigt sein.35

C. Die Gleichstellung von Videoaufzeichnungen mit schriftlich fixierten Zeugenaussagen nach § 255a Abs. 1 StPO I. Allgemeines Nach § 255a Abs. 1 StPO ist die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung36 unter den gleichen Voraussetzungen zulässig, unter denen nach §§ 25137, 25238, 25339, 255 StPO40 die Verlesung einer 33  Vgl.

Dach, S. 199; Hartz, S.  125 f. hohen Beweiswert einer aufgezeichneten kindlichen Erstaussage Busse/ Volbert, Zur Situation kindlicher Zeugen vor Gericht, S. 224 (238); Dieckerhoff, S.  39 f.; Hartz, S. 126; Köhnken, StV 1995, 376 (378); Mildenberger, S. 245; Thoma, S.  89 ff.; Volbert, Suggestibilität kindlicher Zeugen, S. 40 (56 f.); vgl. zur Problematik der Erinnerungsverblassung und -veränderung durch Zeitablauf und der hieraus resul­ tierenden generellen Zweckmäßigkeit einer frühzeitigen Videodokumentation unge­ achtet des Zeugenalters Kopf, S.  82 ff. 35  Vgl. Dach, S.  199 f.; Hartz, S. 126; Kopf, S. 226; Maaß, S.  190 f.; Meurer, JuS 1999, 937 (940); Schmoll, S. 232; Wollmann, S. 172. 36  § 255 Abs. 1 StPO gilt nur für Bild-Ton-Aufzeichnungen von Zeugenverneh­ mungen. Maßgebend ist die Verfahrensstellung des Einzelnen im Zeitpunkt der Vorführung, vgl. Maaß, S. 114; Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 1. Hieraus folgt, dass nach § 255a Abs. 1 StPO auch die Aufzeichnung der Vernehmung eines vormals Be­ schuldigten (vgl. § 136 Abs. 4 StPO) in der Hauptverhandlung vorgeführt werden kann, vgl. Kopf, S. 73. 37  Praxisrelevant dürfte hier vor allem das Vorliegen der in §§ 251 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StPO geregelten Vernehmungshindernisse sein. Eine Vernehmungserset­ zung kommt zum einen bei einer längeren, schwerwiegenden (psychischen oder physischen) Erkrankung des Zeugen, zum anderen aber auch in Betracht, wenn die unmittelbare Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung eine erhebliche Ver­ schlimmerung seines Gesundheitszustandes zur Folge haben würde, BGHSt 9, 297 (300); näher Hartz, S.  102 f., Schmoll, S.  148 f.; Wollmann, S. 224 f. oder wenn die Erziehungsberechtigten des kindlichen Zeugen dessen Einvernahme wegen befürch­ teter psychischer Beeinträchtigungen endgültig verweigern; vgl. BGH BeckRS 2019, 10086; OLG Saarbrücken, NJW 1974, 1959 (1960); KK-StPO/Diemer, § 251 Rn. 25; Weigend, Gutachten zum 62. DJT, C 59. Eine vernehmungsersetzende Videovorfüh­ 34  Zum

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

schriftlich fixierten Zeugenaussage möglich ist.41 Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist damit nicht auf eine bestimmte Zeugengruppe oder be­ stimmte Straftaten begrenzt.42 Auch sieht der Wortlaut keinen Vorrang der Vorführung von Videoaufzeichnungen gegenüber der Verlesung von schriftli­ chen Protokollen vor.43 Umgekehrt besteht auch keine Subsidiarität für die Vorführung der Videoaufzeichnung. Eine entsprechende Subsidiaritätsklausel konnte sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen.44 Aufgrund des­ sen erscheint es auch gerechtfertigt, § 255a Abs. 1 StPO als lex specialis zur Verwendungsregelung des § 58a Abs. 2 S. 1 StPO zu sehen.45 rung kommt auch bei einem Einverständnis der Prozessbeteiligten in Betracht (§§ 251 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 StPO). Ein solches konsensuales Vorgehen ist aber zumindest in Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nur selten zu ­erwarten, Hartz, S. 105; Mildenberger, S. 269. Ausführlich zu den Fallgruppen des § 251 StPO Dach, S.  163 f.; Dieckerhoff, S.  89 ff.; Maaß, S.  116 ff.; Swoboda, S. 406 ff. Eine vernehmungsergänzende Videovorführung ist hingegen ungeachtet der Voraussetzungen des § 255a Abs. 1 StPO stets zulässig. Gleiches gilt für die Verwen­ dung der Aufzeichnung als Vernehmungsbehelf oder Augenscheinsobjekt zur Feststel­ lung der über die Aussage hinausgehenden äußeren Umstände einer Vernehmung; vgl. BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 4; zur Zulässigkeit einer ergänzenden Inaugenscheinnahme der Aufzeichnung BGHSt 49, 68 (70 f.); zum Abspielen einer Videoaufzeichnung im Wege eines Vorhalts BGHSt 52, 148 (150 ff.); kritisch hierzu Maaß, S. 121 f.; SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 13; Swoboda, S.  414 ff. 38  Vgl. hierzu S. 279 ff. 39  Nach § 255a Abs. 1 i. V. m. § 253 StPO kann bei einem anwesenden Zeugen eine Videoaufzeichnung zur Geständnisunterstützung oder zur Klärung von Wider­ sprüchen mit der früheren Aussage in der Hauptverhandlung vorgeführt werden; kri­ tisch zur Möglichkeit einer Videovorführung nach § 253 StPO im Hinblick auf die suggestive Wirkung einer aufgezeichneten Vernehmung Dach, S.  166 ff.; Swoboda, S. 418. 40  Da § 255a Abs. 1 StPO nicht auf § 254 StPO verweist, ist die Videovorführung in den dort bezeichneten Fällen unzulässig. § 254 StPO betrifft einzig Erklärungen des Angeklagten, die in einem richterlichen Protokoll oder in einer Bild-Ton-Auf­ zeichnung enthalten sind, sodass ein unmittelbarer Bezug zum Zeugenschutz fehlt; vgl. BT-Drucks. 13/4983, S. 11; Diemer, NJW 1999, 1667 (1673); SSW-StPO/Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 6. 41  Zur früheren Rechtslage hinsichtlich der Einordnung von Videoaufzeichnungen (Behandlung als Urkunde oder als Gegenstand des Augenscheinsbeweises) Weigend, Gutachten zum 62. DJT, C 61 ff. 42  HK-StPO/Julius/Bär, § 255a Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 1. 43  Vgl. BeckOK-StPO/Berg, §  255a Rn. 18; KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 4; Maaß, S. 114 f.; für einen generellen Vorrang der Vorführung einer Videoaufzeich­ nung gegenüber der Verlesung eines Vernehmungsprotokolls aber AE-Beweisauf­ nahme, GA 2014, 1 (53); Leitner, StraFo 1999, 45 (48); Pott, S.  63 f. 44  Vgl. BT-Drucks. 13/7165, S. 11. 45  So auch BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 2; KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 4; Kopf, S. 72 f.; LR/Mosbacher, § 255a Rn. 1; Pott, S. 31 ff.; SK-StPO/Velten, § 255a



§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung279

Es ist jedoch stets zu beachten, dass – trotz Vorliegens der Voraussetzun­ gen eines gesetzlichen Vorführungs- oder Verlesungsgrundes – die Aufklä­ rungspflicht die persönliche Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhand­ lung gebieten kann, sofern die Vernehmung nicht absolut unmöglich ist.46 Die Forderungen des § 244 Abs. 2 StPO können insofern (insbesondere bei schwierigen Beweissituationen47) über die Voraussetzungen der § 255a Abs. 1 i. V. m. §§ 251 ff. StPO hinausgehen.48 Dies gilt erst recht, wenn die Auf­ zeichnung technische Defekte an (wesentlichen) Teilen der Vernehmung aufweist oder sich aus sonstigen Gründen (z. B. Unvollständigkeit, Manipu­ lationshinweise) als untauglich darstellt.49 Insoweit kommt der „Qualität“ einer Vernehmungsdokumentation im Ermittlungsverfahren eine nicht uner­ hebliche Bedeutung im Hinblick auf die konkrete Beweisführung in der Hauptverhandlung zu.

II. Videovorführung und nachträgliche Zeugnisverweigerung In Ergänzung der §§ 52 ff. StPO enthält § 252 StPO nicht nur ein Verle­ sungs-, sondern ein umfassendes Verwertungsverbot bezüglich früherer Aus­ sagen von Zeugen, die erst in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisver­ weigerungsrecht Gebrauch machen.50 Das Verwertungsverbot bezieht sich mithin nicht nur auf die Verlesung des Vernehmungsprotokolls, sondern auch auf die Vernehmung der früheren Verhörsperson als Zeuge51 sowie auf die Verwertung von aussagebezogenen Schriftstücken und Tonbandaufzeichnun­ gen.52 Eine Ausnahme wird von der Rechtsprechung jedoch für richterliche Vernehmungen angenommen, sofern der Zeuge damals ordnungsgemäß über Rn. 11; SSW-StPO/Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 8; a. A. Beulke/Swoboda, Rn. 670; Dieckerhoff, S. 95; Hartz, S. 108; Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 5; Rieß, StraFo 1999, 1 (4); Schöch, Videovernehmung, S. 17; Swoboda, S. 400; Vogel, S. 38; Wollmann, S. 232. 46  KK-StPO/Diemer, § 255 Rn. 4; SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 12. 47  Zur typischen Beweislage bei Kindesmisshandlungs- und Missbrauchsfällen Keiser, 159 f.; Scheumer, S.  29 ff. 48  SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 12. 49  Vgl. LR/Mosbacher, § 255a Rn. 18. 50  Während das RG die Wirkung des § 252 StPO noch auf ein bloßes Verle­ sungsverbot beschränkte, RGSt 5, 142 (143); 16, 119 (120), geht die heute herr­ schende Ansicht davon aus, dass aus § 252 StPO ein umfassendes Beweisverwer­ tungsverbot herzuleiten ist; vgl. BVerfG NStZ-RR 2004, 18; BGHSt 2, 99 (102 f.); 17, 324 (326 ff.); 36, 384 (387); 49, 72 (76); El-Ghazi/Merold, JA 2012, 44; Mos­ bacher, JuS 2013, 131; zur historischen Entwicklung und Auslegung des § 252 StPO Degener, StV 2006, 509 ff.; Farthofer/Rückert, HRRS 2017, 123 ff. 51  Vgl. BGHSt 11, 338 (339); 13, 394 (395 ff.); 20, 384. 52  BGH NStZ 2013, 247.

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

sein bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden war und freiwil­ lig in Kenntnis der Tragweite seines Verhaltens auf sein Recht verzichtet hat. In diesem Fall kann der Inhalt früherer vor dem Richter getätigter Angaben des Zeugen durch die Vernehmung des Richters als Zeuge in die Hauptver­ handlung eingeführt werden.53 Für die Einführung der früheren Zeugenaus­ sage bedarf es hierbei keiner über das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 StPO hinausgehenden Belehrung („qualifizierte Belehrung“). Insbe­ sondere muss der Zeuge nicht über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt werden.54 Diese unterschiedliche Behandlung von richterlichen und nichtrichter­ lichen Vernehmungen wird seit dem Inkrafttreten des § 163a Abs. 5 StPO a. F. durch die Neufassung der Strafprozeßordnung vom 17.09.196555 nicht mehr mit der fehlenden Belehrungspflicht für Beamte des Polizeidienstes und der Staatsanwaltschaft56, sondern vornehmlich mit dem generell erhöh­ ten Vertrauen, dass richterlichen Vernehmungen entgegengebracht werde, begründet: Dies komme vor allem in § 251 Abs. 2 StPO zum Ausdruck, der über § 251 Abs. 1 StPO (der für jegliche Arten von Vernehmungsprotokollen und schriftliche Erklärungen der Beweisperson Anwendung findet57) hinaus­ gehend weitere Verlesungsmöglichkeiten für richterliche Vernehmungsproto­ kolle eröffnet.58 Als weiteres Argument für die Zulässigkeit der Vernehmung einer richterlichen Verhörsperson wird zudem die für den Zeugen „erkenn­ bare[] und regelmäßig von dem Zeugen empfundene[] erhöhte Bedeutung der richterlichen Vernehmung für das Strafverfahren“ angeführt. Nach einer Belehrung durch den Richter stehe ihm insofern „deutlicher als bei einer polizeilichen Vernehmung vor Augen […], daß er sich zwar aus dem ihn 53  St. Rspr.; vgl. nur BGHSt 2, 99 (106 ff.); 7, 194 (195); 11, 338 (339 f.); 13, 394 (395 f.); 17, 324 (326); 18, 146 (149); 61, 221 (229 ff.). 54  BGHSt 61, 221 (229, 241 ff.); vgl. zum Anfragebeschluss BGH NStZ 2014, 596; a. A. Farthofer/Rückert, HRRS 2017, 123 (134); AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (28); zusammenfassend zur Problematik Beulke/Swoboda, Rn. 646; SSW-StPO/ Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 30. 55  § 163a Abs. 5 StPO a. F. lautete wie folgt: „Bei der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft oder durch Beamte des Polizei­ dienstes sind § 52 Abs. 2, § 55 Abs. 2 und § 136a entsprechend anzuwenden“; BGBl. I S. 1373 (1398); vgl. nunmehr aber die §§ 163 Abs. 3 S. 2, 161a Abs. 1 S. 2 StPO, die die Vorschriften des sechsten und siebenten Abschnitts des ersten Buches über Zeu­ gen und Sachverständige grundsätzlich für entsprechend anwendbar erklären und da­ mit auch die Belehrungspflicht nach § 52 Abs. 2 S. 1 StPO einbeziehen. 56  Vgl. zur alten Rechtslage BGHSt 2, 99 (106). 57  Vgl. BeckOK-StPO/Ganter, §  251 Rn. 5; KK-StPO/Diemer, § 251 Rn. 10; MüKo-StPO/Kreicker, 251 Rn. 39. 58  Vgl. BGHSt 21, 218 (219); 29, 109 (111); 36, 384 (386); 51, 325 (332); MüKoStPO/Kreicker, 251 Rn. 69.



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treffenden Interessenwiderstreit durch Gebrauchmachen von dem Zeugnis­ verweigerungsrecht befreien, aber, falls er aussagt, diese Angaben vor einem Richter nicht ohne weiteres wieder beseitigen kann“.59 Diese Rechtsprechung blieb in der Literatur nicht unbestritten60, obgleich die verfassungsrechtlich gebotene Wirksamkeit der Strafrechtspflege sowie das Ziel der Wahrheitsfin­ dung eine Einschränkung des Verwertungsverbots durchaus zu rechtfertigen vermag.61 Die Problematik verschärft sich weiter, wenn man bedenkt, dass § 255a Abs. 1 StPO auch auf § 252 StPO verweist62, sodass neben der Verneh­ mung der richterlichen Verhörsperson auch eine Vorführung der Bild-TonAufzeichnung der Vernehmung unmittelbar zu Beweiszwecken unzulässig ist.63 Dies führt jedoch zu der „kuriosen Lage“, dass die Videoaufzeichnung in diesem Fall als das gegenüber dem Zeugnis der Verhörsperson zuverlässi­ gere Beweismittel nicht verwertet werden darf.64 In diesem Sinne äußerte sich auch der BGH trotz seiner gefestigten Rechtsprechung im Zusammen­ hang mit § 252 StPO wie folgt: „Vor diesem Hintergrund ist die in § 255a Abs. 1 i. V. m. § 252 StPO getroffene Regelung wenig verständlich, soweit sie auch die Vorführung der Videoaufzeich­ nung einer richterlichen Vernehmung untersagt. Während das schriftliche Protokoll 59  BGHSt

42, 72 (77). nur Beulke/Swoboda, Rn. 645; Degener, StV 2006, 509 (512 f.); Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1288 ff.; ders., NStZ 1988, 488 ff.; El-Gazi/Merold, StV 2012, 250 (252); Farthofer/Rückert, HRRS 2017, 123 (133); LR/Cirener/Sander, § 252 Rn. 10: „kriminalpolitische Zweckmäßigkeitserscheinung“; Roxin/Schünemann, § 46 Rn. 29a; SK-StPO/Velten, § 252 Rn. 4; SSW-StPO/Kudlich/Schuhr, § 252 Rn. 20. 61  Vgl. AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (58 f.). 62  Da § 255a Abs. 2 StPO nicht auf § 252 StPO Bezug nimmt und einen von § 255a Abs. 1 StPO selbständigen Regelungsgehalt aufweist, stellt sich die hier ange­ sprochene Problematik nach der Rechtsprechung nur bei der Anwendung des § 255a Abs. 1 StPO i. V. m. § 252 StPO, so ausdrücklich BGH NStZ 2020, 181 m. Anm. Börner, NStZ 2020, 369 f.; vgl. auch BGHSt 49, 72 (83): „Handelt es sich aber bei der aufgezeichneten ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung um einen vorverlager­ ten Teil der Hauptverhandlung, kann der Zeuge seine hierbei gemachte Aussage und damit auch die gefertigte Aufzeichnung durch eine nachträgliche Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts ebensowenig unverwertbar machen, wie es ihm möglich wäre, bei mehrfacher Vernehmung in der Hauptverhandlung durch nachträgliche Zeugnisverweigerung seine Angaben, die er an einem früheren Hauptverhandlungstag gemacht hatte, der Verwertung durch das Gericht zu entziehen“; kritisch hierzu im Hinblick auf den durch § 255a Abs. 2 StPO und § 252 StPO bezweckten Zeugen­ schutz Dach, S.  175 f.; Degener, StV 2006, 509 (514 f.); KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 9a; Maaß, S.  133 f.; Mitsch, JuS 2005, 102 (104 f.); Roxin/Schünemann, § 46 Rn. 23; Wollmann, S. 202. 63  Vgl. BGHSt 49, 72 (76 ff.); Dach, S. 164 f.; SSW-StPO/Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 23. 64  Farthofer/Rückert, HRRS 2017, 123 (133). 60  Vgl.

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

die Aussage des Zeugen in der Regel nicht wörtlich wiedergibt, vermittelt die Vi­ deoaufzeichnung die frühere Aussage des Zeugen – einschließlich der nonverbalen Vernehmungsinhalte und der erfolgten Interaktionen – in allen Einzelheiten sehr viel genauer, als der auf der Grundlage seiner Erinnerung aussagende Richter es könnte. Ihre Unverwertbarkeit in den Fällen des § 252 StPO führt deshalb zu dem mit Blick auf die Qualität der Wiedergabe der früheren Aussage schwer verständ­ lichen Ergebnis, daß die Verwertung des qualitativ höherwertigen Beweismittels untersagt, der Rückgriff auf ein weniger zuverlässiges aber gestattet ist. Der darin liegende Wertungswiderspruch vergrößert sich noch, wenn zur Unterstützung des Gedächtnisses des Richters als Vorhalt nicht nur die Vernehmungsniederschrift verlesen […], sondern auch eine Bild-Ton-Aufzeichnung der früheren Vernehmung vorgespielt werden darf, – was in konsequenter Übertragung dieser Rechtsprechung naheliegt – […].“65

Der BGH merkte jedoch zugleich an, dass er an seiner bisherigen Recht­ sprechung trotz des festgestellten Wertungswiderspruchs festhalten möchte: „Zur Prüfung, ob die aufgezeigten Unstimmigkeiten um den Preis einer nachhalti­ gen Verschlechterung der Beweissituation in einer Vielzahl von Verfahren dadurch ausgeräumt werden muß, daß die Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Vernehmung der richterlichen Verhörsperson aufgegeben wird, besteht im gegebenen Fall kein Anlaß. Der Senat würde indes auch dazu neigen, an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten, gegen die sich der Gesetzgeber nicht ausgesprochen hat, und damit die Systemunstimmigkeit hinzunehmen.“66

Eine restriktive Auslegung des § 255a Abs. 1 StPO zum Zwecke der Behe­ bung dieser – durch die Rechtsprechung des BGH selbst ausgelösten – „Sys­ temunstimmigkeit“ scheitert an dem klaren Gesetzeswortlaut, der uneinge­ schränkt auf § 252 StPO verweist.67 Möchte der Gesetzgeber an die bishe­ rige Rechtsprechung zu § 252 StPO anknüpfen (und die Rechtsprechung wiederum an ihrem Verständnis zu § 252 StPO weiterhin festhalten), kann eine Lösung des Konflikts daher nur mit einer gesetzgeberischen Änderung des § 255a Abs. 1 StPO erreicht werden, die auch die Vorführung der Video­

65  BGHSt

49, 72 (78). 49, 72 (79); zur angedeuteten gesetzgeberischen Untätigkeit auch BGH NJW 2017, 94 (98, 99): „Der Gesetzgeber hat sogar nicht reagiert, nachdem die Rechtsprechung ausdrücklich auf diesen Wertungswiderspruch hingewiesen hat […]. Dieses langjährige Schweigen des Gesetzgebers kann zwar nicht ohne Weiteres als Zustimmung zu dem Normverständnis der Rechtsprechung gewertet werden […]. Seinem Verhalten ist bei einer Gesamtwürdigung jedoch zu entnehmen, dass er die derzeitige Normanwendungspraxis, wie sie sich insbesondere nach der Rechtspre­ chung des BGH darstellt, jedenfalls nicht beanstandet“. Diese Ausführungen des BGH deuten auf eine zu weitgehende Interpretation des gesetzgeberischen Schwei­ gens hin, zumal das Verhalten des Gesetzgebers auf unterschiedlichen Gründen beru­ hen kann; vgl. El-Ghazi/Merold, StV 2012, 250 (253). 67  BGHSt 49, 72 (78 f.); SSW-StPO/Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 23. 66  BGHSt



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aufzeichnung einer früheren richterlichen Vernehmung erlaubt.68 In diesem Fall erscheint eine Korrektur der geltenden Rechtslage bereits vor dem Hin­ tergrund des Rechtsstaatsprinzips, das auch das Gebot einer widerspruchs­ freien Rechtsordnung erfasst69, erstrebenswert.

D. Ersetzung der Vernehmung in der Hauptverhandlung nach § 255a Abs. 2 StPO Eine vernehmungsersetzende Videovorführung einer früheren Zeugenver­ nehmung kommt in der Hauptverhandlung – ungeachtet der engen Vorausset­ zungen des § 251 StPO – nur nach Maßgabe des § 255a Abs. 2 StPO in Be­ tracht.

I. Erfordernis einer richterlichen Vernehmung Die Anwendung des § 255a Abs. 2 StGB setzt zunächst voraus, dass es sich bei der aufgezeichneten Zeugenvernehmung um eine richterliche Ver­ nehmung (nach § 58a StPO, gegebenenfalls i. V. m. § 168e S. 4 oder § 247 S. 4 StPO) handelt, welche die wesentlichen Verfahrensvorschriften gewahrt hat.70 Grund für diese Beschränkung ist der gesetzgeberische Wille, die Be­ schuldigtenrechte weitgehend zu schützen.71 Die Vorführung von Aufzeich­ nungen polizeilicher oder staatsanwaltschaftlicher Zeugenvernehmungen ist hiernach unzulässig.

68  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 137: „Die audiovisu­ elle Aufzeichnung einer früheren richterlichen Vernehmung eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von einem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, sollte in die Hauptverhandlung eingeführt werden können. Voraussetzung dafür ist, dass bei der früheren Vernehmung das Konfrontationsrecht des Beschuldigten gewahrt war“. Ein anderer Vorschlag zur Behebung des Wertungswiderspruchs findet sich auch in AE-Beweisaufnahme GA 2014, 1 (53 ff.): Hier wird die Einführung der Videoauf­ zeichnung einer früheren richterlichen Zeugenvernehmung nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO-AE ausdrücklich erlaubt, wenn der Zeuge nach Maßgabe des § 52 Abs. 4 StPOAE richterlich vernommen wurde (§ 252 Abs. 2 StPO-AE). § 52 Abs. 4 StPO-AE setzt indes voraus, dass der Zeuge bei der richterlichen Vernehmung auch darüber belehrt wurde, dass seine Aussage bei späterer Zeugnisverweigerung (aus persön­ lichen Gründen) in die Hauptverhandlung eingeführt werden darf. 69  Vgl. BVerfG 98, 106 (118 f.). 70  Näher BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 11; SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 18; SSW-StPO/Kudlich/Schhuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 11. Andernfalls kommt nur eine Einführung nach § 255a Abs. 1 i. V. m. § 251 StPO in Betracht; vgl. BeckOK-StPO/ Berg, § 255a Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 8a; Swoboda, S. 427. 71  BT-Drucks. 13/4983, S. 8; vgl. hierzu auch Scheumer, S. 46.

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

II. Begrenzung auf Katalogstraftaten und bestimmte Zeugengruppen Eine vernehmungsersetzende Videovorführung kommt zudem nur in Ver­ fahren wegen einer in § 255a Abs. 2 S. 1 StPO bezeichneten Katalogstraftat und nur für bestimmte Zeugengruppen in Betracht.72 In der ersten Variante des § 255a Abs. 2 S. 1 StPO muss der Zeuge im maßgeblichen Zeitpunkt der Vorführung noch minderjährig sein. Nach dem expliziten Wortlaut des § 255a Abs. 2 S. 1 StPO („Zeugen unter 18 Jahren“) ist hierbei nicht zugleich Vo­ raussetzung, dass der Zeuge auch Verletzter der dem Angeklagten vorgewor­ fenen Straftat ist.73 Dass die Vorschrift nicht auf unmittelbare Tatopfer be­ schränkt ist, wird auch durch die Einbeziehung der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) in den Katalog des § 255a Abs. 2 S. 1 StPO ersichtlich: Hier gibt es gerade kein Opfer (mehr), das als Zeuge zu dem Tatgeschehen ver­ nommen werden kann, da eine Versuchsstrafbarkeit bei der fahrlässigen Tö­ tung nicht in Betracht kommt.74 Nach der zweiten Variante werden demge­ genüber auch diejenigen Zeugen erfasst, die Verletzte einer dieser Straftaten sind und zur Zeit der Tat (§ 8 StGB) minderjährig waren (§ 255a Abs. 2 S. 2 Var. 1 StPO). Ungeachtet ihres Alters zum Tatzeitpunkt werden schließlich auch solche Zeugen in den Anwendungsbereich des § 255a Abs. 2 S. 1 StPO 72  Unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks ist hierbei unbeachtlich, ob sich der strafrechtliche Vorwurf auch auf weitere Straftaten erstreckt, die zur Katalogstraf­ tat in Ideal- oder Realkonkurrenz stehen, BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 7; KKStPO/Diemer, § 255a Rn. 8; MüKo-StPO/Krüger, § 255 Rn. 16 f. § 255a Abs. 2 ist auch anwendbar, wenn eine Katalogstraftat im Wege der Gesetzeskonkurrenz von einer angeklagten – nicht in § 255a Abs. 2 S. 1 StPO aufgeführten – Straftat verdrängt wird, vgl. beispielhaft BGHSt 49, 72 (79 f.) für die Anwendbarkeit des § 255a Abs. 2 S. 1 StPO auch im Falle des § 227 StGB, da jener Tatbestand den des § 222 StGB mit einschließt. 73  BGH NStZ 2011, 712 (713); HK-StPO/Julius/Bär, § 255a Rn. 9; LR/Mos­ bacher, § 255a Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 8a; MüKo-StPO/Krüger, § 255a Rn. 21 ff.; enger Diemer, NJW 1999, 1667 (1675), der eine vergleichbare Gefährdung oder Schutzbedürftigkeit des Zeugen fordert; so auch Maaß, S.  124 f.; ähnlich KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 7; SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 16; SSW-StPO/ Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 10. Der Gesetzgeber äußerte sich in seiner Entwurfsbegründung zum StORMG aus dem Jahre 2013 zwar im Sinne der herr­ schenden Ansicht, indem er ausführte, dass es sich im Rahmen des § 255 Abs. 2 StPO „bei dem Zeugen nicht notwendigerweise um einen Verletzten der Straftaten handeln [muss], die Gegenstand des Verfahrens sind“. Wird jedoch der Gesetzeszweck als entscheidender Faktor im Rahmen der Ermessensentscheidung des Gerichts berück­ sichtigt (vgl. auch § 255a Abs. 2 S. 3 StPO), muss eine uferlose Anwendung des § 255a Abs. 2 S. 1 StPO auf alle minderjährigen Zeugen ausscheiden; näher zur Er­ messensentscheidung S.  291 ff. 74  BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 8; MüKo-StPO/Krüger, § 255a Rn. 24; Vogel/ Norouzi, JR 2004, 215 (216).



§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung285

einbezogen, die Verletzte einer Straftat nach §§ 174–184k StGB sind (§ 255a Abs. 2 S. 2 Var. 2 StPO). Diese Einbeziehung von (auch) erwachsenen Op­ ferzeugen einer Straftat nach §§ 174 bis 184k StGB war insbesondere von dem gesetzgeberischen Willen geprägt, einen umfassenden Opferschutz „be­ sonders in Sexualstrafverfahren“ zu gewährleisten.75 Zwar ist das hierdurch zum Ausdruck kommende Anliegen des Gesetzgebers, Opferzeugen in die­ sem besonders sensiblen Lebensbereich möglichst umfassend zu schützen, generell zu begrüßen. Die hierdurch entstandene Ungleichbehandlung zwi­ schen den erwachsenen Opferzeugen der in § 255a Abs. 2 StPO bezeichneten Katalogstraftaten sollte im Rahmen künftiger Gesetzesreformen jedoch nicht weiter verschärft werden. Verbleibender Schutzbedarf sollte vielmehr mit­ hilfe einer opferschützenden Auslegung der § 255a i. V. m. § 251 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StPO und einer strikten Anwendung der §§ 58a, 68a, 247, 247a StPO, §§ 171b, 172 GVG verwirklicht werden.76 Weitere Vorschläge zur Umgestaltung oder Erweiterung des Anwendungs­ bereichs des § 255a Abs. 2 S. 1 StPO konnten sich bislang nicht durchset­ zen.77 Der Anwendungsbereich des § 255a Abs. 2 StPO wurde seit seinem 75  BT-Drucks. 19/14747, S. 35. Vgl. hierzu auch die Stellungnahme von Lange (Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz und für Ver­ braucherschutz), BT-Plenarprotokoll Nr. 19/124, S. 15294 (C): „Zugleich wollen wir aber auch den Opferschutz stärken. Insbesondere wollen wir den Opfern von Sexual­ straftaten eine traumatisierende Mehrfachvernehmung ersparen“; Thomae (FDP), BTPlenarprotokoll Nr. 19/124, S. 15296 (D): „Ja, wir halten es für richtig, Opferrechte zu stärken, vor allem bei Sexualdelikten“; Fechner (SPD), BT-Plenarprotokoll Nr. 19/124, S. 15305 (B). „Und schließlich werden wir bei Sexualstraftaten die Verur­ teilung der Täter vereinfachen; denn heute ist es oft so, dass ein Opfer einer Sexual­ straftat – in der Regel eine Frau – die Strafanzeige stellt, danach leider allzu oft vom Täter unter Druck gesetzt wird und im Strafprozess keine Aussage mehr macht. […] Es schützt auch das Opfer vor der schlimmen Situation, über diese schlimme Tat nochmals im Prozess aussagen zu müssen“. 76  Ähnlich bereits Wollmann, S.  245 ff. 77  Vgl. Deutscher Juristinnenbund e. V., Reform der Nebenklage, S. 42 f., der vorschlägt, die Möglichkeit einer Vernehmungsersetzung an die Nebenklageberechti­ gung zu knüpfen; LR/Mosbacher, § 255a Rn. 9, der eine Anknüpfung an die Verletz­ teneigenschaft des jugendlichen Zeugen und die Beschränkung auf Verbrechen als sinnvoller erachtet; vgl. ferner den Vorschlag bei Kopf, S. 265, 266, der die Option einer Vernehmungsersetzung auch vorsehen möchte, wenn der Zeuge „an einer schwerwiegenden psychischen Störung leidet oder mit einer hohen Wahrscheinlich­ keit erhebliche psychische Störungen entwickeln werden wird, die geeignet sind das Leben nachhaltig zu beeinträchtigen“; a. A. Wollmann, S. 245 ff., die mit überzeugen­ den Argumenten eine opferschützende Auslegung der einschlägigen Rechtsgrund­ lagen befürwortet und eine Rechtsschutzlücke verneint (z. B. § 255a i. V. m. § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO im Falle einer „Krankheit“ oder eines „anderen nicht zu beseiti­ genden Hindernisses“); vgl. für weitere (enge) Vorschläge Keiser, S. 260 f., die für die Möglichkeit einer Vernehmungsersetzung plädiert, „wenn von der Vernehmung eine erhebliche Gefahr für das Wohl des Zeugen ausgeht“; ferner Schmoll, S. 159 f., die

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

Inkrafttreten durch das ZSchG am 01.12.199878 zwar stetig, aber insgesamt nur moderat erweitert. Dementsprechend wies die Bundesregierung im Rah­ men ihrer Gesetzesbegründung zum StORMG79 aus dem Jahre 2011 darauf hin, dass das Gericht bei seiner Entscheidung über eine vernehmungserset­ zende Videovorführung auch „andere, weniger einschneidende Möglichkeiten des Zeugenschutzes (vgl. §§ 247, 247a StPO)“ zu beachten habe und prüfen müsse, „ob die Schutzbedürftigkeit des Zeugen eine Durchbrechung des Un­ mittelbarkeitsgrundsatzes zu rechtfertigen vermag“.80 In ähnlicher Form wies bereits der Bundesrat in seinem Gesetzentwurf zur Änderung der Strafpro­ zeßordnung aus dem Jahre 199681 darauf hin, „daß der Gesetzgeber im Hin­ blick auf die Häufigkeit der Vorverurteilungen in Fällen des kindlichen Mißbrauchs und das verstärkte Verlangen der breiten Öffentlichkeit nach harter Bestrafung gerade in diesen Deliktsbereichen in besonderer Weise bemüht sein [müsse], den Verfahrensrechten des Angeklagten ausreichend Rechnung zu tragen“. Vor diesem Hintergrund bedürfe eine „Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes […] vertiefter Überlegung“.82 Der Gesetz­ geber wollte eine schleichende Aushöhlung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch zahlreiche, punktuelle Gesetzesänderungen des § 255a Abs. 2 StPO also gerade vermeiden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass das Gericht – ungeachtet der Mög­ lichkeit einer Vernehmungsersetzung nach § 255a Abs. 2 StPO – nicht von den Vorgaben des § 244 Abs. 2 StPO entbunden wird83. Eine persönliche, unmittelbare Vernehmung des Zeugen kann daher trotz seiner generellen Einbeziehung in den Schutzbereich des § 255 Abs. 2 StPO unter Aufklä­ rungsgesichtspunkten angezeigt sein.84 Insofern hat das Gericht sein Haupt­ eine Anlehnung des § 255a Abs. 2 S. 1 StPO an die Formulierung in § 247 S. 2 StPO („wenn ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist“) vor­ schlägt. 78  BGBl. I S. 820 (822); vgl. zur Entstehungsgeschichte Lickleder/Sturm, HRRS 2012, 74 (77 ff.). 79  Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Miss­ brauchs vom 22.06.2011, BR-Drucks. 17/6261. 80  BR-Drucks. 213/11, S. 14. 81  Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen) vom 19.06.1996, BT-Drucks. 13/4983. 82  BT-Drucks. 13/4983, S. 10. 83  SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 31. 84  Vgl. Swoboda, S. 431: „Bis zu einem gewissen Punkt können dem Zeugen […] die Nachteile einer unmittelbaren Vernehmung nicht erlassen werden“; vgl. auch Müller (CDU/CSU), BT-Plenarprotokoll Nr. 19/128, S. 16088 (A): „Einen Wermutstrop­ fen hat das Ganze aus meiner Sicht dennoch. Wir haben mit der Möglichkeit der au­ diovisuellen Aufzeichnung der Vernehmung von Zeugen zwar den Opferschutz ver­ bessert […], aber ich glaube, dass diese Art des Opferschutzes, wie wir sie hier



§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung287

augenmerk nicht auf das Vorliegen der abstrakten Anknüpfungspunkte des § 255a Abs. 2 StPO (in Form von Katalogstraftaten und bestimmten Zeugen­ gruppen), sondern stets auf den Einzelfall zu richten.85

III. Gelegenheit zur Mitwirkung und Akteneinsichtsrecht Weiteres Erfordernis einer Vernehmungsersetzung ist, dass sowohl der Angeklagte als auch sein Verteidiger, d. h. kumulativ86, „Gelegenheit“ hat­ ten, an der früheren Vernehmung „mitzuwirken“ (vgl. § 255a Abs. 2 S. 1 StPO). Dieses Erfordernis wirkt gleichsam als „Korrektiv“ für die gravie­ rende Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, indem es bezweckt, die Verteidigungsrechte des Angeklagten zu schützen.87 Vorausgesetzt wird hierbei nicht, dass der Angeklagte und sein Verteidiger die Gelegenheit zur Mitwirkung auch tatsächlich genutzt haben88, sofern ihnen nur eine aktive vorgenommen haben, in der Praxis nicht besonders viel nützt; denn letztendlich wird man nicht darauf verzichten können, bei einer Aussage-Aussage-Konstellation, ge­ rade bei Sexualdelikten, das Opfer dann doch in die Hauptverhandlung zu laden, um die Glaubhaftigkeit seiner bisherigen Aussagen mit Blick auf eine Aussagekonstanz zu überprüfen“. 85  Swoboda, S. 422. 86  Die alleinige Mitwirkung des Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, ist nur ausreichend, wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt; BeckOKStPO/Berg, § 255a Rn. 12; KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 10; Kretschmer, JR 2004, 453 (458); Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 8b; SSW-StPO/Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 16; strenger und für eine zwingende Verteidigerbestellung im Interesse der effektiven Ausübung der Verteidigungsrechte Höttges, 143; Keiser, ­ S.  305 f.; 329; Lingenberg, S. 138; Schlothauer, StV 1999, 47 (49), Weigend, Gutach­ ten zum 62. DJT, C 64; Wollmann, S. 141. Wird der Beschuldigte nach § 168c Abs. 3 StPO ausgeschlossen oder unterbleibt eine Benachrichtigung vom Vernehmungs­ termin nach § 168c Abs. 5 S. 1 StPO verbietet sich ein Vorgehen nach § 255a Abs. 2 StPO schon nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Hierbei spielt auch keine Rolle, ob der Ausschluss nach § 168c Abs. 3 StPO oder § 168c Abs. 5 S. 1 StPO rechtmäßig war oder nicht, BGHSt 49, 72 (80 f.); BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 13; Dach, S. 147, 159; Lingenberg, S. 136 f.; LR/Mosbacher, § 255a Rn. 13; MeyerGoßner/Schmitt, § 255a Rn. 8b; Schmoll, S. 161; SSW-StPO/Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 16; kritisch hierzu Hartz, S.  114 f.; dies.; KJ 2006, 74 (78); diffe­ renzierend Kopf, S. 195. Vgl. auch OLG München, StV 2000, 352 zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes im Falle der Nichtteilnahme eines kurzfristig geladenen Verteidigers, der wegen anderweitiger beruflicher Verpflichtungen an einer Teilnahme verhindert war und seine Bitte um Terminsverlegung unbeachtet blieb, obwohl einer Terminsverlegung keine Gründe entgegenstanden. 87  Eisenberg/Zötsch, NJW 2003, 3676 (3677); Hartz, KJ 2006, 74 (77). 88  Hierfür spricht der Wortlaut („Gelegenheit […] mitzuwirken“) und der Wille des Gesetzgebers, BT-Drucks. 13/4983, S. 8; vgl. BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 12; Dach, S. 145; Dieckerhoff, S. 89; Diemer, NJW 1999, 1667 (1674); Hartz, S. 113; Helmig, S. 110; Höttges, S. 143; Kopf, S. 177; Maaß, S. 128  f.; Meyer-Goßner/

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

und angemessene Mitwirkungsmöglichkeit gegeben wurde. Dies schließt über die bloße Teilnahme an der Vernehmung insbesondere auch die Gel­ tendmachung des Fragerechts als Teil des Konfrontationsrechts (vgl. Art. 6 Abs. 3 d) EMRK) ein.89 Problematisch ist jedoch, dass die „Gelegenheit zur Mitwirkung“ nach der Rechtsprechung und einigen Teilen der Literatur auch nicht die Gewährung eines vorherigen Akteneinsichtsrechts erfordert.90 Zwar schweigt der Wort­ laut des § 255a Abs. 2 StPO zu dieser Frage und scheint die uneingeschränkte Geltung des § 147 StPO insofern unberührt zu lassen. Jedoch sprechen der Sinn und Zweck einer Mitwirkungsmöglichkeit – Schutz der Verteidigungs­ interessen vor dem Hintergrund der inhaltlichen Vorverlagerung eines Teils der Hauptverhandlung91 – für die Gewährung eines vorherigen Aktenein­ sichtsrechts, da sachdienliche Fragen ohne aktuelle Aktenkenntnis häufig nicht gestellt werden können (vgl. Art. 6 Abs. 3 b) EMRK92). Insoweit würde der bezweckte Schutz der Verteidigungsinteressen vielfach leerlaufen. Wird Schmitt, § 255a Rn. 8b; Vogel/Norouzi, JR 2004, 215 (217 f.); Wollmann, S. 114; vgl. hierzu auch den entsprechenden Wortlaut des Nr. 19 Abs. 2 S. 5 RiStBV: „Bei Straf­ taten im Sinne des § 255a Abs. 2 Satz 1 StPO soll rechtzeitig darauf hingewirkt wer­ den, dass der Beschuldigte und sein Verteidiger Gelegenheit haben, an der Verneh­ mung mitzuwirken; a. A. Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (713); Beulke/Swoboda, Rn. 669, die für eine verfassungskonforme Auslegung des § 255a Abs. 2 S. 1 a. E. StPO unter Rückgriff auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) plädieren; Schlothauer, StV 1999, 47 (49); SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 6, der einen „Mitwir­ kungszwang“ für erforderlich hält; ferner Swoboda, S. 426 f., die ebenfalls eine „un­ abdingbare Mitwirkung“ befürwortet. 89  Vgl. BGHSt 48, 72 (80); 49, 72 (80); BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 12; Diemer, NJW 1999, 1667 (1674); KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 10; Kipper, S. 104. Auch ein Vorgehen nach § 168e StPO reicht mithin zur Wahrung des Mitwirkungser­ fordernisses aus; BGHSt 49, 72 (82); LR/Mosbacher, § 255a Rn. 12; SSW-StPO/ Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 15. Vgl. zur Geltendmachung des Frage­ rechts auf europäischer Ebene EGMR NJW 2003, 2893: „Wenn eine Verurteilung ausschließlich oder maßgeblich auf Aussagen eines Zeugen gestützt wird, dem der Angeklagte während des Ermittlungsverfahrens oder in der Hauptverhandlung keine Fragen hat stellen oder stellen lassen können, sind die Verteidigungsrechte in einem mit den in Art. 6 EMRK vorgesehenen Garantien unvereinbaren Maß eingeschränkt“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]. 90  BGHSt 48, 268 (270 ff.); BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 12; Hartz, S.  114 f.; KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 10; Kopf, S. 188 ff.; LR/Mosbacher, § 255a Rn. 12; Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 9; SSW-StPO/Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 17; Wollmann, S. 132. 91  Vgl. zum unbeschränkten Akteneinsichtsrecht in der Hauptverhandlung §§ 147 Abs. 2, 169a StPO. 92  Nach Art. 6 Abs. 3 b) EMRK hat jede angeklagte Person das Recht „ausrei­ chende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zu haben“. Art. 6 Abs. 3 b) EMRK gewährleistet insoweit auch das Recht zur Akteneinsicht, vgl. EGMR BeckRS 2008, 06639.



§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung289

daher eine realistische und angemessene Mitwirkungsmöglichkeit i. S. der Art. 103 Abs. 1 GG93, Art. 6 Abs. 3 d) EMRK94 gefordert, impliziert dies auch die vorherige Gewährung eines vollständigen Akteneinsichtsrechts.95 Hierfür spricht letztlich auch folgende Erwägung: Trotz der vernehmungser­ setzenden Videovorführung kann sich im Einzelfall die Notwendigkeit einer ergänzenden Vernehmung des Zeugen ergeben (§ 255a Abs. 2 S. 4 StPO).96 93  Vgl. BVerfGE 64, 135 (143, 144): „Art. 103 Abs. 1 GG gibt dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten ein Recht darauf, daß er Gelegenheit erhält, im Verfahren zu Wort zu kommen, namentlich sich zu dem einer gerichtlichen Entschei­ dung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern […], Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen […]. Darüber hinaus versieht Art. 103 I GG auch das Vorfeld dieser grundrechtlich geschützten Position mit Sicherungen, die es dem Staat verbieten, diese Position in ihrer Wirksamkeit zu unterlaufen oder entschei­ dend einzuengen und damit das Recht der Prozeßbeteiligten, sich zu äußern, zur in­ haltsleeren Form werden zu lassen“. 94  Vgl. BGH NStZ 2007, 534: „Aus dem Konfrontationsrecht gemäß Art. 6 III d EMRK ergibt sich, dass dem Angeklagten die effektive Möglichkeit verschafft wer­ den muss, einen Zeugen zu befragen und seine Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit in Frage zu stellen“; ferner BGH NJW 2003, 74 (75): „Die Verteidigungsrechte sind […] nur gewahrt, wenn die Verteidigung eine angemessene und geeignete Gelegen­ heit erhält, die Glaubwürdigkeit der Gewährsperson überhaupt in Frage zu stellen und sie zu befragen, sei es in dem Stadium der Ermittlungen oder zu einem späteren Zeitpunkt des Verfahrens“; so auch EGMR, StV 1990, 481 (482). 95  Vgl. Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (713); Beulke/Swoboda, Rn. 669; Dach, S. 155, 157; Eisenberg/Zötsch, NJW 2003, 3676 (3677 f.); Leitner, S. 80; Lingenberg, S. 140; Roxin/Schünemann, § 26 Rn. 52, 46 Rn. 23; Schünemann, StV 1998, 391 (400); Schlothauer, StV 1999, 47 (48); SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 24; StahlmannLiebelt, Auswirkungen des Zeugenschutzgesetzes, S. 31 (34); Vogel/Norouzi, JR 2004, 215 (216); H. Vogel, S. 36 f.; vgl. auch Weigend, Gutachten zum 62. DJT, C 64, der fordert, dass der Verteidiger zum Zeitpunkt der Vernehmung „die Akten, soweit sie nicht geheimhaltungsbedürftig sind, hat einsehen können“. 96  Der Antrag auf ergänzende Zeugenvernehmung wird nach der Rspr. nach den­ jenigen Grundsätzen beschieden, die bei einem Antrag auf wiederholte Vernehmung eines in der Hauptverhandlung bereits vernommenen Zeugen gelten; BGHSt 48, 268 (273 f.). Maßstab für die Bescheidung eines Antrags ist daher die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO). Eine ergänzende Vernehmung wird sich etwa aufdrängen, „wenn nach der aufgezeichneten Vernehmung weitere Beweisergebnisse angefallen sind, die mit den Angaben des Zeugen in wesentlichen Punkten nicht im Einklang stehen oder sonst klärungsbedürftige weitere Fragen aufwerfen“; BGHSt 48, 268 (272). Wird der Zeuge hingegen zum Beweis einer neuen Behauptung benannt, zu der er bei der auf­ gezeichneten Vernehmung noch nicht gehört werden konnte, ist der Antrag nach den Grundsätzen des Beweisantragsrechts (§ 244 Abs. 3 StPO) zu behandeln; BGHSt 48, 268 (274); näher Dach, S. 169 ff.; SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 26 ff.; Wollmann, S. 206 ff.; vgl. ferner Vogel/Norouzi, JR 2004, 215 (217), die auf Abgrenzungsschwie­ rigkeiten hinsichtlich des entscheidenden Maßstabs (§ 244 Abs. 2 oder Abs. 3 StPO) hinweisen; kritisch auch König, Der Kriminalist 2005, 10 (13), Maaß, S. 129 f. und Schlothauer, StV 1999, 47 (49), die allesamt davon ausgehen, dass es der Angeklagte künftig in der Hand habe, die Anwesenheit des Zeugen durch entsprechende Einlas­

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

Hierin zeigt sich, dass der Gesetzgeber zwar nicht von einer „Verabsolutie­ rung des Zeugenschutzes“ ausgegangen ist und das hohe Schutzinteresse des Zeugen mit dem Interesse an rechtsstaatlicher Wahrheitsfindung abgewogen hat.97 Von der Option zusätzlicher Vernehmung soll jedoch aus Gründen des Opfer- und Zeugenschutzes nur im Ausnahmefall nach Maßgabe der Aufklä­ rungspflicht oder des Beweisantragsrechts Gebrauch gemacht werden.98 Er­ hält der Verteidiger aber kein Akteneinsichtsrecht vor der aufgezeichneten Vernehmung, läuft die Ausnahme des § 255a Abs. 2 S. 4 StPO Gefahr, zum Regelfall zu werden.99 Insofern sollte das derzeit herrschende Normverständ­ nis nicht nur vor dem Hintergrund der rechtsstaatlich gewährleisteten Be­ schuldigtenrechte, sondern auch mit Blick auf die Gewährleistung eines ef­ fektiven Zeugenschutzes überdacht werden.

sungen zu erzwingen; so auch Görner, Zeugenschutzgesetz, S. 68 (72), der daher für einen „Ausschließlichkeitscharakter“ der Aufzeichnung plädiert; ähnlich Thoma, S. 93 f., die für eine „Präklusionswirkung“ hinsichtlich solcher Nachfragen der Vertei­ digung plädiert, die bereits im Zuge der konservierten Erstvernehmung hätten gestellt werden können; vgl. ferner Jost, S. 157, die eine ergänzende Vernehmung für „regel­ mäßig unzulässig“ erklären möchte, wenn „die Gefahr einer nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit“ eines Zeugen besteht. Vor dem Hintergrund der bereits durchgeführten Erstvernehmung dürfte jedenfalls eine nochmalige umfassende Zeugenvernehmung in der Regel nicht mehr erforderlich sein; vgl. Hartz, KJ 2006, 74 (76 f.). Insbesondere sind unzulässige Wiederholungsfragen nach §§ 241a Abs. 3, 241 Abs. 2 StPO zurückzuweisen; Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 10b. Droht dem Zeugen bei einer ergänzenden Vernehmung jedoch ein erheblicher Gesundheitsscha­ den, ist ein Vernehmungsverbot in Betracht zu ziehen. Verbleiben danach Zweifel an der Schuld des Angeklagten, ist dieser unter strikter Wahrung des Grundsatzes in dubio pro reo freizusprechen; KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 13; Meier, RdJB 1996, 451 (459 f.); Schmoll, S. 172, 233; SK-StPO/Velten, § 255a Rn. 30; Swoboda, S. 431; Wollmann, S. 173. 97  BT-Drucks. 13/4983, S. 8. 98  BGH BeckRS 2004, 11562; BeckOK-StPO/Berg, § 255a Rn. 16; KK-StPO/ Diemer, § 255a Rn. 13; LR/Mosbacher, § 255a Rn. 14; Schmoll, S. 171; SSW-StPO/ Kudlich/Schuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 20. 99  Vgl. BGHSt 48, 268 (272): „In praktischer Hinsicht wird – unter dem Zeu­ genschutzaspekt der Regelung – die Wahrscheinlichkeit des Erfordernisses einer er­ gänzenden Vernehmung steigen, wenn der Verteidiger vor der aufgezeichneten Ver­ nehmung keine Akteneinsicht hatte. Denn er kann dazu beitragen, schon zu einem frühen Zeitpunkt auch den aus seiner Sicht klärungsbedürftigen Fragen nachzugehen, die sich in ihrer Bedeutung sonst möglicherweise erst in der Hauptverhandlung erhel­ len“; ähnlich Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 9, nachdem die Videovorführung „oftmals nur genügen“ werde, „wenn der Verteidiger nach Einsicht in die vollständi­ gen Akten gleichberechtigt an der Einvernahme mitwirken konnte“; hierzu auch Eisenberg/Zötsch, NJW 2003, 3676 (3678); Swoboda, Dokumentationen von Verneh­ mungen, S. 217 (247).



§ 1 Die Einführung der videodokumentierten Zeugenvernehmung291

IV. Widerspruchsrecht Dem Zeugen steht gem. § 255 Abs. 2 S. 1 a. E. StPO in den Fällen des § 58a Abs. 1 S. 3 StPO100 seit dem 13.12.2019 ein Widerspruchsrecht zu.101 Die Gewährung einer solchen Dispositionsbefugnis über die Vorführung ei­ ner Videoaufzeichnung ist jedoch bereits aus systematischen Gründen abzu­ lehnen. Die Problematik des Widerspruchsrechts steht in engem Zusammen­ hang mit dem in § 58a Abs. 1 S. 3 a. E. StPO vorgesehenen Zustimmungs­ vorbehalt des Zeugen, sodass beide Neuregelungen gemeinsam begutachtet wurden. Insofern kann hier uneingeschränkt auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden.102

V. Ermessensentscheidung Nach Nr. 130a Abs. 4 RiStBV hat bereits der Staatsanwalt in allen Fällen des § 255a Abs. 2 S. 1 und 2 StPO auf eine vernehmungsersetzende Video­ vorführung hinzuwirken, soweit der Schutz des Zeugen dies gebietet. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vernehmungsersetzung vor, hat das Gericht103 im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung („kann“104) nicht nur Belange des Zeugenschutzes (vgl. § 255a Abs. 2 S. 3 StPO), son­ dern auch die Verteidigungsinteressen des Angeklagten105 sowie die best­

100  § 58a Abs. 1 S. 3 StPO lautet wie folgt: „Die Vernehmung muss nach Würdi­ gung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richter­ liche Vernehmung erfolgen, wenn damit die schutzwürdigen Interessen von Personen, die durch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Straf­ gesetzbuches) verletzt worden sind, besser gewahrt werden können und der Zeuge der Bild-Ton-Aufzeichnung vor der Vernehmung zugestimmt hat“. 101  BGBl. I S. 2121 (2122, 2127). 102  Vgl. S.  166 ff. 103  Vor der Änderung des § 255a Abs. 2 StPO durch das StORMG vom 26.06.2013 (BGBl. I S. 1805) genügte für eine Videovorführung auch eine Anordnung des Vorsitzenden im Rahmen seiner Verhandlungsleitung nach § 238 I StPO; vgl. BGH NStZ 2011, 712; a. A. Lickleder/Sturm, HRRS 2012, 74 ff. Seit der Neufassung des § 255a Abs. 2 S. 3 StPO („Gericht“) wurde jedoch klargestellt, dass über ein Vorgehen nach § 255a Abs. 2 StPO nicht der Vorsitzende, sondern das Gericht durch Beschluss ent­ scheidet; vgl. BGH NStZ-RR 2019, 27. 104  Zum gesetzgeberischen Hintergrund: „Bewußt bedient der Entwurf sich fakul­ tativer Regelungen; er erlaubt und empfiehlt, gebietet aber nicht und gewährt Zeugen keinen Anspruch auf eine Vernehmung gemäß den neugeschaffenen Möglichkeiten“; BT-Drucks. 4983, S. 4. 105  Hier kann insbesondere Bedeutung erlangen, inwiefern der Angeklagte seine Verteidigungsrechte im Rahmen der früheren richterlichen Vernehmung effektiv aus­ üben konnte; LR/Mosbacher, § 255a Rn. 19.

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

mögliche Sachaufklärung in seine Interessenabwägung einzubeziehen.106 Als Faustformel gilt, dass die gegen eine Vernehmungsersetzung sprechenden Gründe umso gewichtiger in die Abwägung einzustellen sind, je weniger der Zeuge durch die Tat tatsächlich betroffen ist. Vor dem Hintergrund der durch § 255a Abs. 2 StPO ermöglichten weitergehenden Durchbrechung des Un­ mittelbarkeitsgrundsatzes spielt neben dem Alter des Zeugen107 mithin auch die Zeugenrolle (Opfer- oder Tatzeuge) eine wesentliche Rolle.108 Daneben sind auch die konkrete Tatausführung und das Verhältnis des Zeugen zum Täter berücksichtigungsfähig.109 Gründe der Prozessökonomie und der Ver­ fahrensbeschleunigung treten demgegenüber im Rahmen der Abwägung zu­ rück.110 Aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift sollte das Ermessen insgesamt nur restriktiv ausgeübt werden.111 Insofern kann auch ein Vorgehen nach § 247a StPO – das die Verteidigungsrechte des Angeklagten wesentlich geringer beeinträchtigt – vorrangig sein, wenn nur die persönliche Konfron­ tation des Zeugen mit dem Angeklagten vermieden werden soll.112 Zudem können technisch mangelhafte Videoaufzeichnungen einer Vorführung vor dem Hintergrund der Aufklärungspflicht entgegenstehen.113 Aus diesem Grund ist bereits im Ermittlungsverfahren darauf zu achten, dass eine tech­ nisch einwandfreie, vollständige und authentische Videoaufzeichnung der Zeugenvernehmung erstellt wird. Nach § 255a Abs. 2 S. 3 StPO sind schließlich die der Entscheidung des Gerichts zugrundeliegenden Beweggründe für die vernehmungsersetzende Videovorführung bekanntzugeben. Dieses Erfordernis sollte aus Gründen der Transparenz und Verfahrensfairness auch ernst genommen werden.114 Im

106  Vgl. BR-Drucks. 213/11, S. 14; BT-Drucks. 17/6261, S. 12; BeckOK-StPO/ Berg, § 255a Rn. 18; Diemer, NJW 1999, 1667 (1674); KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 12; Dieckerhoff, S. 82; Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 9. 107  Vgl. BGH NStZ-RR 2019, 27: „Eine eingehende Begründung war vorliegend umso mehr geboten, als die Zeugin, auf deren Angaben die Anklage sich im Wesent­ lichen gestützt hat, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits 19 Jahre alt war und eine besondere sich gerade aus dem Alter ergebene Schutzbedürftigkeit der Zeugin sich damit nicht von Vornherein aufdrängte“; zur Bedeutung des Alters des Zeugen im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 255a Abs. 2 StPO auch Deckers, NJW 1999, 1365, 1370. 108  Meyer-Goßner/Schmitt, § 255a Rn. 9. 109  LR/Mosbacher, § 255a Rn. 19. 110  Vgl. BR-Drucks. 213/11, S. 14; BT-Drucks. 17/6261, S. 12; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 255a Rn. 9; SSW-StPO/Kudlich/Schhuhr/Tsambikakis, § 255a Rn. 14. 111  KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 7; LR/Mosbacher, § 255a Rn. 8. 112  Vgl. Diemer, NJW 1999, 1667 (1674); KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 12; SKStPO/Velten, § 255a Rn. 5; vgl. auch Swoboda, S. 433. 113  KK-StPO/Diemer, § 255a Rn. 12.



§ 2 Die Einführung der videodokumentierten Beschuldigtenvernehmung293

Hinblick auf die technischen Vorrichtungen ist ferner sicherzustellen, dass die Wiedergabe der Aufzeichnung von allen Verfahrensbeteiligten sowohl visuell als auch akustisch mitverfolgt werden kann; gegebenenfalls ist hierzu die Aufstellung mehrerer Monitore oder einer Projektionswand erforder­ lich.115

§ 2 Die Einführung der videodokumentierten Beschuldigtenvernehmung nach § 254 StPO § 254 Verlesung eines richterlichen Protokolls bei Geständnis oder Widersprüchen (1)  Erklärungen des Angeklagten, die in einem richterlichen Protokoll oder in ei­ ner Bild-Ton-Aufzeichnung einer Vernehmung enthalten sind, können zum Zweck der Beweisaufnahme über ein Geständnis verlesen beziehungsweise vorgeführt werden. (2)  Dasselbe kann geschehen, wenn ein in der Vernehmung hervortretender Wider­ spruch mit der früheren Aussage nicht auf andere Weise ohne Unterbrechung der Hauptverhandlung festgestellt oder behoben werden kann.

A. Anwendungsbereich und Regelungsgehalt des § 254 StPO § 254 StPO beschränkt sich darauf, die Zulässigkeit der Einführung von Angaben des Angeklagten bei einer früheren Vernehmung in Form des Urkun­ den- und Augenscheinsbeweises in die Hauptverhandlung zu regeln.116 Inso­ fern sind jedoch unterschiedliche Vorführungstatbestände zu beachten: Nach § 254 Abs. 1 StPO können Erklärungen des Angeklagten (nicht des Zeugen)117,

114  BT-Drucks. 17/12735, S. 17; vgl. auch BGH NStZ-RR 2019, 27 in Bezug auf eine erfolgreiche Revision: „Die Gründe der Anordnung geben lediglich die tatsäch­ lichen Voraussetzungen wieder, die die Ermessensentscheidung eröffnen; sie lassen aber die Ausübung des Ermessens nicht erkennen“. 115  BMJ, Handreichung zum Schutz kindlicher (Opfer-)Zeugen, S. 34. 116  Vgl. KK-StPO/Diemer, § 254 Rn. 1; MüKo-StPO/Kreicker, § 254 Rn. 4. 117  In welcher Verfahrensrolle der Angeklagte seine damalige Erklärung abgege­ ben hat (ob er also Beschuldigter oder Zeuge war) ist nach herrschender Ansicht irre­ levant; KMR/Paulus, § 254 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, § 254 Rn. 4; MüKo-StPO/ Kreicker, § 254 Rn. 9; SSW-StPO/Kudlich/Schuhr, § 254 Rn. 7; a. A. unter Berufung auf die erforderliche Beschuldigtenbelehrung und die andernfalls mögliche Umge­ hung des § 136 StPO Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 863; KK-StPO/Diemer, § 254 Rn. 3.

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

die in einem (ordnungsgemäß zustande gekommenen118) richterlichen Ver­ nehmungsprotokoll enthalten sind, zum Zwecke der Beweisaufnahme über ein Geständnis119 verlesen werden.120 Hierdurch kann festgestellt werden, ob der Angeklagte überhaupt ein Geständnis abgelegt hat, welchen Inhalt es aufweist und ob es wahr ist.121 Die Verlesung ist darüber hinaus zulässig zur Aufklä­ rung von Widersprüchen, die (erst) in der Hauptverhandlung aufgetreten sind, wenn dieser Widerspruch nicht auf andere Weise (z. B. durch Vernehmung der Verhörsperson) ohne Unterbrechung der Hauptverhandlung festgestellt oder

118  Vgl. BGH StV 1985, 314; OLG Hamburg NJW 1975, 1573 (1574); KK-StPO/ Diemer, § 254 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, § 254 Rn. 4. 119  Unter einem Geständnis ist hierbei nicht nur das vollumfängliche Zugestehen der Tat zu verstehen, sondern auch die Preisgabe einzelner Tatsachen, die für die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage von Bedeutung sein können, RGSt 54, 126 (127, 128); vgl. zum weitreichenden Geständnisbegriff auch Dencker, ZStW 102 (1990), 51 (62, 68); MüKo-StPO/Kreicker, § 254 Rn. 21 ff.; SK-StPO/Velten, 254 Rn. 9; SSWStPO/Kudlich/Schuhr, § 254 Rn. 6; kritisch zu dieser gesetzlichen Einschränkung DRB-Stellungnahme Nr. 13/2016, S. 5. 120  Hierdurch wird (nur) die Verlesung nichtrichterlicher Vernehmungsprotokolle im Wege des Urkundenbeweises ausgeschlossen; BT-Drucks. 19/11277, S. 36; näher zur hervorgehobenen Stellung richterlicher Vernehmungen BVerfG NStZ 2006, 46 (47): „Zwar durchbricht die durch § 254 StPO gewährte Möglichkeit, das in einem richterlichen Protokoll enthaltene Geständnis durch Verlesung in die Hauptverhand­ lung einzuführen, den Grundsatz der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweis­ aufnahme. Doch bieten die besondere Vernehmungssituation sowie die richterliche Belehrung und Leitung erhöhte Gewähr dafür, dass sich der Beschuldigte der Bedeu­ tung seiner Aussageentscheidung bewusst wird und seine Verfahrensrechte zugleich umfassend gewahrt werden“; ferner BGHSt 14, 310 (313): § 254 nehme zum Schutz des Angeklagten darauf Rücksicht, „daß Geständnisse, die in solchen (nicht von ei­ nem Richter aufgenommenen) Prot. enthalten sind, oft nicht einwandfrei das wieder­ geben, was der Angekl. hat sagen wollen“; vgl. hierzu auch MüKo-StPO/Kreicker, § 254 Rn. 3; Vorländer, S. 97 f.; kritisch zur gesetzlichen Privilegierung richterlicher Protokolle Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 861a; MüKo-StPO/Kreicker, § 254 Rn. 35. Das Vorhalten eines nichtrichterlichen Vernehmungsprotokolls ist hingegen (als bloßer Vernehmungsbehelf) nach wie vor zulässig. Gleiches gilt für die Vernehmung der Verhörsperson; vgl. hierzu BGHSt 3, 149 (150); 14, 310 (312); 22, 170 (171 f.); Beulke/Swoboda, Rn. 641; a. A. SSW-StPO/Kudlich/Schuhr, § 254 Rn. 11 m. w. N., der für ein umfassendes Beweis- und Verwertungsverbot entsprechend den Grundsätzen des § 252 StPO plädiert; so auch SK-StPO/Frister, § 249 Rn. 100; SKStPO/Velten, § 254 Rn. 2, 12; zur Diskrepanz zwischen der Rechtsposition des Ange­ klagten und seiner Angehörigen im Zusammenhang mit § 252 StPO auch Weigend, Audio-visuelle Aufzeichnung, S. 49 (60); vgl. zum Meinungsstand Kloke, NStZ 2019, 374 f. Eigene schriftliche Erklärungen des Angeklagten, die ein Geständnis enthalten, können ebenfalls uneingeschränkt im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden; BGH NStZ 1994, 184 (185); BeckOK-StPO/Ganter, § 254 Rn. 1; KK-StPO/Diemer, § 254 Rn. 1, 3. 121  Meyer-Goßner/Schmitt, § 254 Rn. 2.



§ 2 Die Einführung der videodokumentierten Beschuldigtenvernehmung295

behoben werden kann (§ 254 Abs. 2 StPO).122 Hauptfall des § 254 Abs. 1 StPO ist mithin der (teil-)schweigende Angeklagte, während § 254 Abs. 2 StPO voraussetzt, dass sich der Angeklagten in der Hauptverhandlung zur Sa­ che einlässt und hierdurch eine klärungsbedürftige Situation entsteht.123 Durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017124 wurde darüber hinaus die Möglich­ keit geschaffen, unter denselben Voraussetzungen Bild-Ton-Aufzeichnungen über Erklärungen des Angeklagten in richterlichen oder nichtrichterlichen Vernehmungen, denen „in der Regel ein höherer Beweiswert […] als einem schriftlichen Protokoll [zukommt], im Wege des Augenscheinsbeweises in die Hauptverhandlung einzuführen.125 Zwar fügt sich der systematische Standort der Regelung nicht gänzlich in die bisherige Vorschrift des § 254 StPO (Urkundenbeweis) ein; ihr Standort lässt sich jedoch durch die eindeu­ tige inhaltliche Verflechtung rechtfertigen.126 Die Einbeziehung von BildTon-Aufzeichnungen (auch) nichtrichterlicher Vernehmungen begründete der Gesetzgeber hierbei wie folgt: „Da eine Bild-Ton-Aufnahme den Vernehmungsinhalt umfassender und authenti­ scher wiedergibt als die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls oder die Verneh­ mung der Verhörsperson, besteht – anders als beim nichtrichterlichen Protokoll – kein Grund, für Bild-Ton-Aufzeichnungen einer nichtrichterlichen Vernehmung Verwendungsbeschränkungen vorzusehen“.127

Dem kann zwar insoweit zugestimmt werden, als eine Videoaufzeichnung das Vernehmungsgeschehen (generell) authentischer und umfassender als ein Schriftprotokoll abbilden kann. Der schlichte Hinweis des Gesetzgebers auf die Authentizität einer Videoaufzeichnung ist jedoch auf Dauer unbefriedi­ gend, wenn er sich nicht mithilfe entsprechender gesetzlicher Vorgaben auch um einen Authentizitätszuwachs der Aufzeichnungen bemüht.128 § 254 StPO schließt insofern nicht nur an die durch § 136 Abs. 4 StPO geschaffenen 122  Näher

BeckOK-StPO/Ganter, § 254 Rn. 7; Michel, S. 303. § 254 Rn. 8, 20. 124  Die Regelung trat am 24.08.2017 in Kraft, BGBl. I S. 3202 (3213); vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte auch Michel, S.  40 ff. 125  BT-Drucks. 18/11277, S. 35, 36; vgl. zur Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 254 StPO auf die Vorführung nichtrichterlicher Bild-Ton-Aufzeichnungen auch Vorländer, S. 96 ff.; zur früheren Rechtslage Pott, S. 105 ff.; LR/Mosbacher, § 254 Rn. 10 m. w. N.; näher zu den praktischen Anforderungen an die Beweiserhebung (insbesondere zum Erfordernis einer optischen und akustischen Wahrnehmbarkeit der Aufzeichnung) Michel, S. 296 f.; vgl. hierzu auch bereits AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (47 ff.). 126  So auch SSW-StPO/Kudlich/Schuhr, § 254 Rn. 1. 127  BT-Drucks. 18/11277, S. 36. 128  Vgl. bereits S. 205 f.; strenger Michel, S.  299 f. 123  SK-StPO/Velten,

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

Möglichkeiten zur Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen an.129 Die genannten Vorschriften stehen vielmehr sogar in einer Wechselwirkung zuei­ nander, da die Wirkkraft des § 254 StPO letztlich auch von den qualitäts­ sichernden Regelungsmechanismen des § 136 Abs. 4 StPO abhängt. Schließlich ist zu beachten, dass die Videoaufzeichnung nach dem Willen des Gesetzgebers (nur) „neben die klassische Niederschrift der Vernehmung treten“ soll.130 Ein Vorrangverhältnis zwischen der Aufzeichnung und dem Protokoll ist mithin weder den Gesetzgebungsmaterialien noch dem aktuellen Wortlaut des § 254 StPO zu entnehmen.131 Das Gericht wird sich jedoch im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens („kann“) bei der Entscheidung über die Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung maßgeblich von seiner Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) leiten lassen.132 Gründen der Prozess­ ökonomie darf daneben keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen.133 Ist die Vorführung der Aufzeichnung vor dem Hintergrund der bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit erforderlich, wird sich das Gericht ei­ ner Vorführung daher nicht allein aufgrund einer prognostizierten Verfahrens­ verzögerung134 entziehen können.135

B. Vorhalt der Videoaufzeichnung Neben der Möglichkeit einer Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung zur Feststellung der über die Erklärungen des Angeklagten hinausgehenden äußeren Umstände bzw. der formalen Aspekte einer Vernehmung (z. B. An­ wendung verbotener Vernehmungsmethoden, ordnungsgemäße Belehrung)136 129  BT-Drucks.

18/11277, S. 35, 36. 18/11277, S. 26. 131  Vgl. hierzu auch Michel, S.  290 ff. 132  Vgl. BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 26; Michel, S. 293; SK-StPO/Velten, § 254 Rn. 8. 133  KK-StPO/Krehl, § 244 Rn. 39. 134  Vgl. zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen im Zusammenhang mit dem Abspielen (umfangreicher) Bild-Ton-Aufzeichnungen mithilfe technischer Vor­ kehrungen S. 258. 135  So auch Michel, S.  294 f. 136  Vgl. BT-Drucks. 18/11277, S. 24: „Daneben dient die Dokumentation dem Schutz des Beschuldigten vor unsachgemäßen und – im Sinne des § 136a StPO – rechtswidrigen Vernehmungsmethoden. Eine korrekte Vorgehensweise bei der Einhal­ tung von Formalitäten ist nachträglich überprüfbar, etwa bei der Frage, ob der Be­ schuldigte belehrt worden ist. Der erleichterte Nachweis der Vernehmungsförmlich­ keiten stärkt insoweit allerdings nicht nur die Rechte des zu Vernehmenden, sondern schützt auch die Vernehmungspersonen vor falschen Anschuldigungen. Die Vorschrif­ ten entfalten daher eine Schutzwirkung in jede Richtung und schützen die redlichen Vernehmungspersonen ebenso wie die nicht sachgerecht vernommenen Beschuldig­ 130  BT-Drucks.



§ 2 Die Einführung der videodokumentierten Beschuldigtenvernehmung297

kann die Videoaufzeichnung auch im Wege eines Vorhalts Verwendung fin­ den (z. B. zur Aufdeckung von reinen Schutzbehauptungen des Angeklag­ ten137). Der Vorhalt stellt einen bloßen Vernehmungsbehelf bei der Verneh­ mung dar, sodass zulässige Beweisgrundlage nicht der Inhalt der Videoauf­ zeichnung, sondern nur die auf den Vorhalt hin erfolgenden Angaben des Befragten sind.138 Gegen den Vorhalt wurden aber bereits im Falle von Vernehmungsniederschriften seit jeher die Bedenken erhoben, die Unter­ scheidung zwischen einem bloßen formlosen Vorhalt und einem Urkunden­ beweis sei gekünstelt und praktisch undurchführbar.139 Die Differenzie­ rungsproblematik wird nun aber besonders virulent, wenn eine Vorführung nach § 254 StPO unzulässig ist140 und der formlose Vorhalt mittels einer Bild-Ton-Aufzeichnung in Frage steht. Die Bild-Ton-Aufzeichnung wirkt na­ turgemäß für das Gericht nämlich weitaus lebhafter, einprägsamer und un­ mittelbarer als ein schriftliches Vernehmungsprotokoll,141 sodass die Grenzen zwischen dem akustisch und visuell wahrnehmbaren Inhalt der Aufzeichnung und der ebenfalls akustisch und visuell wahrnehmbaren Antwort oder Reak­ tion der Verhörsperson auf den Vorhalt leicht verwischen können.142 Gleich­ wohl stellt der formlose Vorhalt für das Gericht ein unverzichtbares Mittel der Wahrheitsfindung dar.143 Eine generelle Unzulässigkeit der Videovorfüh­ rung zu Vorhaltszwecken würde der Bedeutung der gerichtlichen Aufklä­ ten“; zu dieser Funktion auch Löffelmann, Stellungnahme zu BT-Drucks. 18/11277, S.  5 f.; Michel, S.  309 f.; Swoboda, 447. 137  Diese Verwendungsmöglichkeit zog auch der Gesetzgeber in Betracht, BTDrucks. 18/11277, S. 24: „Insoweit besteht die Möglichkeit, dem Beschuldigten seine eigene Aussage anhand einer Videoaufzeichnung anstatt wie bisher anhand des – not­ wendigerweise unvollständigen und gefilterten – Inhaltsprotokolls vorzuhalten. Dies kann im Einzelfall die Ladung der früheren Vernehmungspersonen entbehrlich ma­ chen und somit das Verfahren beschleunigen und insbesondere die Vernehmungsper­ sonen entlasten“; hierzu auch Michel, S.  305 f. 138  Vgl. BGHSt 3, 199 (201); 3, 281 (283); 5, 278 (279); 11, 159 (160); Beulke/ Swoboda, Rn. 647; Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 2058; Pott, S. 104. 139  So bereits Niese, JZ 1953, 595 (598); kritisch auch Dumitrescu, ZStW 130 (2018), 106 (115); Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 871; Hanack, JZ 1972, 274; Pott, S.  107 ff. 140  So etwa im hier vertretenen Fall eines die Aufzeichnung betreffenden Vorführ­ verbots bei einem Verstoß gegen § 136b Abs. 2 S. 1 StPO-E, vgl. S. 212 f.; hierzu auch Michel, S. 308. 141  KK-StPO/Bader, § 58a Rn. 1; Weigend, Gutachten zum 62. DJT, C 60; vgl. auch Swoboda, S. 415. 142  Vgl. Degener, StV 2006, 509 (513 f.); Michel, 306; Pott, S.  109 f.; Schmoll, S.  157 f.; Swoboda, S. 415, 451. 143  Vgl. Beulke/Swoboda, Rn. 647; BMJV, Bericht der Expertinnen- und Experten­ gruppe (2021), S. 32; Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 868, 2057; Pott, S. 106, 109; SK-StPO/Frister, § 249 Rn. 91.

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5. Kap.: Die Einführung videodokumentierter Vernehmungen

rungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) in einem modernen Strafprozess daher nur unzureichend gerecht werden. Von dem erkennenden Gericht wird in diesem Fall aber eine besonders vorsichtige Beweiswürdigung zu verlangen sein; es sollte sich die beschriebene Problematik stets vor Augen halten und gegebe­ nenfalls nachdrücklich gegenüber Laienrichtern (denen das Rechtskonstrukt des „Vorhalts“ regelmäßig nicht geläufig sein wird) darauf hinweisen144 so­ wie Auszüge aus einer Videoaufzeichnung nur in begründeten Ausnahmefällen im Wege des Vorhalts einführen.145

144  Eingehend zu dieser Differenzierungsproblematik bei der Mitwirkung von Lai­ enrichtern Pott, S. 107 f., 110; ferner AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (70); Roxin/ Schünemann, § 46 Rn. 25. 145  Für eine ausnahmsweise Zulässigkeit auch Michel, S. 308 f.; kritisch hierzu, aber im Ergebnis offen Rieß, StraFo 1999, 1 (3 f.); strenger und für eine generelle Unzulässigkeit der Videovorführung zu Vorhaltszwecken AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (70); Pott, S. 127; Schmoll, S. 158; Swoboda, S. 416.

6. Kapitel

Die Video-Simultanübertragung § 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung der Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren Unter den Voraussetzungen des § 168e StPO ist eine Video-Simultanüber­ tragung1 der richterlichen Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren mög­ lich. Die Vorschrift lautet wie folgt: § 168e StPO Vernehmung von Zeugen getrennt von Anwesenheitsberechtigten 1

Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird, und kann sie nicht in anderer Weise abgewendet werden, so soll der Richter die Vernehmung von den Anwesenheitsberechtigten getrennt durchführen. 2Die Ver­ nehmung wird diesen zeitgleich in Bild und Ton übertragen. 3Die Mitwirkungsbe­ fugnisse der Anwesenheitsberechtigten bleiben im übrigen unberührt. 4Die §§ 58a und 241a finden entsprechende Anwendung. 5Die Entscheidung nach Satz 1 ist unanfechtbar.

A. Die schonende Vernehmung des „schutzbedürftigen Zeugen“ als Leitgedanke Die Regelung des § 168e StPO wurde durch das ZSchG vom 30.04.19982 in die Strafprozessordnung eingefügt und wurde seither nur durch das RHiAngeklStärkG vom 17.07.20153 um die amtliche Überschrift ergänzt. ­ Entstehungsgeschichtlich lag der neuen Regelung ebenfalls die schonende 1  Die Begrifflichkeiten „Video-Simultanübertragung“, „simultane Videoübertra­ gung“, „Videovernehmung“ und „Videokonferenz“ werden im Folgenden synonym verwendet. Ausführlich zur Begrifflichkeit Maaß, S.  40 f. 2  BGBl. I S. 820. 3  Der offizielle Titel lautet: Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwe­ senheitsentscheidungen in der Rechtshilfe; BGBl. I S. 1332 (1333).

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

Vernehmung des schutzbedürftigen Zeugen als gesetzgeberischer Leitgedanke zugrunde. Dieser Gedanke wurde in der Praxis vor allem in Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern fruchtbar gemacht: So hatte die bisherige Vernehmungspraxis gezeigt, dass einige Opferzeugen bei ihrer Ver­ nehmung in Anwesenheit der übrigen Verfahrensbeteiligten „massiven psy­ chischen Belastungen ausgesetzt waren“. Die hierdurch befürchteten „nach­ haltigen Störungen“ von (insbesondere kindlichen) Opferzeugen sollten daher mithilfe einer Video-Simultanübertragung vermieden werden. Darüber hinaus sollte die Möglichkeit einer getrennten Vernehmung des Zeugen von den Anwesenheitsberechtigten auch dazu führen, dass sich der Zeuge künftig „weitgehend unbefangen äußert und damit die Wahrheitsfindung erleich­ tert“.4 Soweit der Gesetzgeber also darauf abzielte, die Aussagebereitschaft und -tüchtigkeit von Zeugen zu verbessern, kann in der Optimierung der Wahrheitsfindung ein zusätzliches Motiv des Gesetzgebers für die Einfüh­ rung des § 168e StPO gesehen werden.5 Die Regelung des § 168e S. 5 StPO dient hingegen einzig der Verfahrensbeschleunigung und Rechtssicherheit, indem sie die Entscheidung des Ermittlungsrichters über die Durchführung einer getrennten Zeugenvernehmung für unanfechtbar erklärt.6 Gleiches muss nach dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Anfechtungsausschlusses auch für eine ablehnende Entscheidung gelten.7

B. Geltungsumfang und Anwendungsbereich Die Vorschrift gilt ihrem Wortlaut und systematischen Standort nach für alle richterlichen8 Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren.9 Der An­ 4  BT-Drucks.

13/7165, S. 9. HK-StPO/Zöller, § 168e Rn. 1; LR/Erb, § 168e Rn. 4, der die „Verbesse­ rung der Wahrheitsfindung“ aber nur als „untergeordneten Normzweck“ ansieht. 6  BT-Drucks. 13/7165, S. 9. Die Entscheidung nach § 168e S. 1 StPO ist damit auch einer revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen (§ 336 S. 2 StPO). Einer Revi­ sion zugänglich ist hingegen im Wege der Verfahrensrüge, dass der Tatrichter eine Bild-Ton-Aufzeichnung nach § 255a Abs. 2 S. 1 StPO verwertet hat, obwohl die Mit­ wirkungsbefugnisse der Anwesenheitsberechtigten im Ermittlungsverfahren nicht nach Maßgabe des § 168e S. 3 StPO gewahrt wurden; vgl. BGHSt 49, 72 (80 f.); MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 20. 7  Vgl. BeckOK-StPO/Monka, §  168e Rn. 8; LR/Erb, § 168e Rn. 31; MeyerGoßner/Schmitt, § 168e Rn. 10; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 11; generell kri­ tisch zur Ausschlussklausel Swoboda, S.  365 ff. 8  Auf staatsanwaltliche und polizeiliche Zeugenvernehmungen findet §  168e StPO hingegen keine Anwendung. Für eine vergleichbare Anordnung besteht in die­ sen Fällen auch kein Anlass, da die in § 168c Abs. 2 StPO gewährleisteten Anwesen­ heitsrechte der Verfahrensbeteiligten nur für richterliche Zeugenvernehmungen gelten; der Zeuge wird i. R. staatsanwaltlicher und polizeilicher Vernehmungen somit ohne­ 5  Vgl.



§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung301

wendungsbereich des § 168e StPO ist hierbei nicht auf kindliche Opferzeu­ gen beschränkt: Die bereits erwähnten Unzulänglichkeiten können sich ebenso bei „andere[n] besonders schutzbedürftigen Zeugen“10 stellen. Der Rechtsausschuss präzisierte die in Betracht kommenden Personengruppen in seinem damaligen Bericht vom 13.11.1997 daher wie folgt: „Ein solches Verfahren dürfte insbesondere bei der Vernehmung kindlicher Opfer­ zeugen (Altersgrenze: 16 Jahre) geboten sein, im übrigen aber auch bei der Ver­ nehmung des Verletzten in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbst­ bestimmung (§§ 174 bis 184c StGB) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 StGB) oder wegen einer Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 223b StGB).“11

§ 168e StPO enthält ausweislich seines Wortlauts zwar keine Begrenzung auf bestimmte Personengruppen, sodass die Regelung grundsätzlich auf alle Zeugen anwendbar ist. Aufgrund der Bezugnahme des Rechtsausschusses auf die damalige Fassung des § 255a Abs. 2 StPO a. F.12 sowie des ausdrück­ lichen Verweises des geltenden § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO auf § 255a Abs. 2 StPO bietet sich jedoch auch im Rahmen der Anwendung des § 168e StPO eine Orientierung an den gegenwärtigen Katalogtaten des § 255a Abs. 2 StPO an: Nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers liegt die Anwendung des § 168e StPO daher insbesondere bei der Vernehmung kindlicher und ju­

hin vor einer unmittelbaren Konfrontation mit dem Beschuldigten verschont; Kretschmer, JR 2006, 453 (455); Rieß, StraFo 1999, 1 (7); vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 168e Rn. 1: In diesen Fällen fehle es an der sog. „Parteiöffentlichkeit“. Gleichwohl kann hier der durch § 168e StPO zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke berück­ sichtigt werden, wenn sich die Strafverfolgungsbehörden dazu entschließen, Anwe­ senheitsmöglichkeiten für den Beschuldigten oder seinen Verteidiger zu eröffnen; LR/ Erb, § 168e Rn. 5; Rieß, StraFo 1999, 1 (7); SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 3. 9  LR/Erb, § 168e Rn. 5; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 4. Für nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens und außerhalb der Hauptverhandlung stattfindende richter­ liche Vernehmungen (z. B. richterliche Vernehmungen im Zwischenverfahren nach § 202 StPO oder kommissarische Vernehmungen nach §§ 223, 224 StPO) liegt jedoch eine planwidrige Regelungslücke vor, die aufgrund der vergleichbaren Interessenlage durch eine analoge Anwendung des § 168e StPO geschlossen werden kann; LR/Erb, § 168e Rn. 5 f.; Rieß, StraFo 1999, 1 (7); SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 4; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 2; a.  A. BeckOK-StPO/Monka, § 168e Rn. 1; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 4. Im Rahmen der Hauptverhandlung wird § 168e StPO hingegen von § 247a StPO verdrängt; HK-StPO/Zöller, § 168e Rn. 2; SSWStPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 2. Zu beachten ist ferner, dass der die rechtliche Zuläs­ sigkeit einer Videoaufzeichnung regelnde § 58a StPO in seinen Voraussetzungen un­ abhängig von § 168e StPO zu beurteilen ist. § 168e StPO regelt nur die rechtliche Zulässigkeit einer Videosimultanübertragung; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 15. 10  BT-Drucks. 13/7165, S. 9. 11  BT-Drucks. 13/9063, S. 4. 12  BGBl. I 1998, S. 820 (821).

302

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

gendlicher Opferzeugen13, im Übrigen aber auch bei der Vernehmung des Verletzten in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestim­ mung (§§ 174 bis 184k StGB) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 StGB), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) oder wegen Straf­ taten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a StGB14 nahe.15 Die grundsätzliche Öffnung des § 168e StPO für jede Personengruppe sollte jedoch nicht über den engen Anwendungsbereich der Vorschrift hin­ wegtäuschen. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift ergibt sich bereits aus­ drücklich aus ihrem Wortlaut: Eine Simultanvernehmung nach § 168e StPO ist nur möglich, wenn eine dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen besteht, wenn er in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird16, die nicht anders abgewendet werden kann. Die enge Ausgestaltung der Vorschrift beruht hierbei auf einer bewuss­ ten Entscheidung des Gesetzgebers, der die Beschränkung der Anwesenheits­ rechte der übrigen Verfahrensbeteiligten gerade nur „in seltenen Ausnahme­ fällen“ gestatten wollte.17 Die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des § 168e StPO sind daher – entsprechend dem gesetzgeberischen Willen – res­ triktiv auszulegen: Insofern setzt die Anwendung des § 168e StPO nach einer teleologischen Auslegung des Gesetzestextes zunächst bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefahr i. S. d. § 168e StPO voraus.18 Derartige An­ haltspunkte können z. B. sein, dass ein Arztbericht auf die in Rede stehende Gefahr hinweist oder sich der Zeuge vor seiner Vernehmung in psychothera­ peutischer Behandlung befand bzw. noch immer befindet.19 Die abstrakte Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen kann den mit der Anwendung des § 168e StPO verbunden Eingriff in die Anwesen­ heitsrechte der übrigen Verfahrensbeteiligten hingegen nicht rechtfertigen. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 168e StPO muss die Ursache der Gefahr zudem gerade in dem tatsächlichen Erscheinen der Anwesenheitsbe­ 13  Zur

Anhebung der Schutzaltersgrenze auf 18 Jahre vgl. oben S. 131 f. zur Einfügung dieser Alternative BGBl. I 2005, S. 239 (241). 15  Vgl. HK-StPO/Zöller, § 168e Rn. 4; LR/Erb, § 168e Rn. 9; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 7. 16  Diese Voraussetzungen finden sich auch in § 247a Abs. 1 S. 1 StPO (Audiovi­ suelle Simultanübertragung der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung) wie­ der: „Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Ver­ nehmung an einem anderen Ort aufhält […]“ [Hervorhebungen durch die Verfasse­ rin]. 17  BT-Drucks. 17/7165, S. 9. 18  Vgl. Griesbaum, NStZ 1998, 433 (440); MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 8; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 8; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 4. 19  Helmig, S. 49. 14  Vgl.



§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung303

rechtigten während der Zeugenvernehmung begründet sein.20 Die Gefahr selbst liegt dabei in der hohen Wahrscheinlichkeit („dringende Gefahr“)21 einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen, seelischen oder geistigen Wohlbefindens des Zeugen („dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen“).22 Die erwartete Gefährdung des Wohlbefindens des Zeugen zeichnet sich somit zum einen durch die hohe Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts und zum anderen durch die beson­ dere Qualität des bedrohten Schutzgutes aus. Unter einen schwerwiegenden Nachteil fallen z. B. schwere psychische Beeinträchtigungen, die als Folge einer sekundären Viktimisierung23 auftreten können.24 Gleiches gilt für ­V-Leute und Verdeckte Ermittler, deren Leib und Leben konkret gefährdet ist.25 Bloße Belästigungen oder Unannehmlichkeiten (z. B. erheblicher Zeit­ 20  BeckOK-StPO/Monka, § 168e Rn. 2; KMR/Plöd, § 168e Rn. 5; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 168e Rn. 2; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 8; SSW-StPO/Sing/ Andrä, § 168e Rn. 4. 21  Insoweit unterscheidet sich die in § 168e StPO geforderte dringende Gefahr von der erforderlichen Befürchtung i. S. d. § 247 S. 2 Alt. 1 StPO: Ist ein Nachteil für das Wohl des Zeugen lediglich zu befürchten, so ist von der „bloßen“ Wahrscheinlich­ keit eines Schadenseintritts auszugehen, vgl. Diemer, NStZ 2001, 393 (394); Maaß, S. 68; vgl. auch BT-Drucks. 10/6124, S. 14. 22  Griesbaum, NStZ 1998, 433 (440); KMR/Plöd, § 168e Rn. 5; König, Krimina­ list 2005, 10 (12); MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 8; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 8; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 4; ähnlich Burhoff, ZAP 1998, Fach 22, 289 (295), der hinsichtlich des Maßes der „dringenden Gefahr“ auf die Anforde­ rungen für das Vorliegen eines „dringenden Tatverdachts“ für den Erlass eines Haft­ befehls i. S. d. § 112 StPO abstellt und insofern die „große Wahrscheinlichkeit“ eines schwerwiegenden Nachteils für erforderlich hält. 23  Zu den Primärschäden, die für das Opfer unmittelbar aus der Straftat herrüh­ ren (sog. primäre Viktimisierung), können auch Sekundärschäden hinzutreten, die etwa aus „verfehlten informellen oder formellen Reaktionen auf das Opferwerden“ entstehen (sog. sekundäre Viktimisierung). Während unter informellen Reaktionen „das Verhalten der Personen im sozialen Nahraum des Opfers“ (z. B. Familienangehö­ rige, Freunde) zu verstehen ist, sind „formelle Reaktionen“ Ausdruck des „Verhalten[s] der Repräsentanten der Gesellschaft im Kontrollprozeß der Kriminalität“ (z. B. Poli­ zisten, Staatsanwälte und Richter); Schneider, S. 775; vgl. hierzu auch Kiefl/Lamnek, S.  170 ff., 239 ff.; Höttges, S.  46 ff.; Laubenthal, JZ 1996, 335 (338); Stiebig, ZfJ 2000, 408 (409); Thoma, S. 7; Wollmann, S.  95 f. 24  KK-StPO/Griesbaum, § 168e Rn. 5; vgl. auch BT-Drucks. 13/7165, S. 9; so auch zum gleichlautenden Begriff in § 247a StPO Diemer, NJW 1999, 1667 (1669); ders., NStZ 2001, 393 (394); Swoboda, S. 148. 25  Das Schutzinteresse der Zeugen erfordert hier in der Regel den Einsatz von Verfremdungstechnik (als gegenüber einer Vollsperrung des Zeugen milderes Mittel); vgl. LR/Erb, § 168e Rn. 11; Schlüchter, FS Schneider (1998), S. 445 (453); SK-StPO/ Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 10; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168a Rn. 3; eingehend zur Thematik Detter, Audiovisuelle Vernehmung, S.  107 ff.; Wagner, Kriminalistik 2000, 167 ff.; Weider, StV 2000, 48 (51 ff.); Weider/Staechelin, StV 1999, 51 (52); Wittke, Kriminalistik 2005, 221 (224 ff.).

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

aufwand, Scham- und Schuldgefühle, unwesentliche Furcht26), die einer Zeugenvernehmung mitunter immanent sind, können eine Gefahr i. S. d. § 168e StPO hingegen nicht begründen.27 Im Übrigen wird eine bestimmte Dauer des Nachteils nicht vorausgesetzt, sodass auch die Gefahr eines Ner­ venzusammenbruchs während der Zeugenvernehmung ausreichen kann.28 Insofern unterscheidet sich ein „schwerwiegender“ von einem „erheblichen“ Nachteil, wie er z. B. in § 247 S. 2 Alt. 1 StPO29 vorausgesetzt wird: Der Begriff der „Erheblichkeit“ legt zwar in zeitlicher Hinsicht fest, dass der Nachteil über die Situation der Vernehmung hinausgehen muss.30 Er knüpft aber an ein geringeres Schadensmaß an.31 Die Gefahr eines erheblichen Nachteils ist demnach für § 168e StPO ungenügend.32 Damit sind aber die Voraussetzungen, unter denen eine Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal während der Hauptverhandlung möglich ist, zumindest bei minderjährigen Zeugen geringer als jene für eine getrennte Vernehmung nach § 168e StPO. Der Gesetzgeber hat die Schwelle einer getrennten richter­lichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren damit höher angesetzt als den vollstän­ 26  Wollmann,

S. 109, vgl. auch Hartz, S. 136.

27  HK-StPO/Zöller, § 168e Rn. 5; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 8; weiter Schmoll,

S. 201, die es als ausreichend erachtet, wenn „das Kind im Vorgespräch Ängste bezüg­ lich der Begegnung [mit dem Beschuldigten] äußert“. 28  KK-StPO/Griesbaum, § 168e Rn. 5; KMR/Plöd, § 168e Rn. 5; LR/Erb, § 168e Rn. 10. 29  § 247 S. 1, 2 StPO lauten: „Das Gericht kann anordnen, daß sich der Ange­ klagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu be­ fürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Ge­ genwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]. 30  Laubenthal, JZ 1996, 335 (339); LR/Becker, § 247 Rn. 20; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 247 Rn. 11; MüKo-StPO/Cierniak/Niehaus, § 247 Rn. 11. 31  I. R. d. § 247 S. 2 Alt. 1 StPO wird es bereits als ausreichend erachtet, wenn sich die Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten schädlich auf die Psyche des Zeugen auswirken kann; LR/Becker, § 247 Rn. 19; vgl. hierzu auch Hartz, S. 134: Der Nach­ teil i. S. d. § 168e StPO müsse „mehr Gewicht haben“; ebenso Helmig, S. 49; ferner Maaß, S. 67, die von einer „qualitativen Steigerung“ der Anwendungsvoraussetzun­ gen des § 168e StPO ausgeht; ähnlich SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 8, der i. R.d. § 168e StPO eine „besondere Beeinträchtigung“ fordert. 32  KK-StPO/Griesbaum, § 168e Rn. 5; LR/Erb, § 168e Rn. 10; SK-StPO/Woh­lers/ Albrecht, § 168e Rn. 8; vgl. aber auch den ursprünglichen Gesetzentwurf des Bundes­ rates vom 19.06.1996, BT-Drucks. 13/4983, S. 3, 7, der die Simultanübertragung der Zeugenvernehmung noch von einem „erheblichen Nachteil für das Wohl des Zeugen“ abhängig machen wollte.



§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung305

digen Ausschluss des Angeklagten während der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung nach § 247 S. 2 Alt. 1 StPO.33 Für den Angeklagten be­ deutet seine gänzliche Entfernung während der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung aber einen stärkeren Eingriff in seine rechtsstaatlichen Verfahrensgarantien als eine getrennte Vernehmung nach § 168e StPO im Ermittlungsverfahren, da er in diesem Fall die Vernehmung zumindest „mit­ telbar“ im Rahmen einer zeitgleichen Bild-Ton-Übertragung verfolgen und seine sonstigen Mitwirkungsbefugnisse weiterhin ausüben kann (§ 168e S. 2, 3 StPO). Die unterschiedlichen Anforderungen des Gesetzgebers erweisen sich an dieser Stelle somit als widersprüchlich. In seiner jetzigen Fassung ähneln die Kriterien des § 168e S. 1 StPO daher letztlich denen des § 247 S. 2 Alt. 2 StPO, wonach der Angeklagte bei der Vernehmung eines erwachsenen Zeugen aus dem Sitzungssaal entfernt werden kann, wenn die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für seine Gesundheit besteht. Der Begriff des „Wohls“ in § 168e S. 1 StPO geht zwar über denjenigen der „Gesundheit“ hinaus; erfasst sind nämlich nicht nur körperliche, seelische und geistige Beeinträchtigungen, sondern auch die Entwicklung und das sitt­ liche Wohl des jugendlichen Zeugen.34 Diese Unterscheidung wird sich in praktischer Hinsicht jedoch nur selten auswirken, da vom Begriff der „Ge­ sundheit“ jedenfalls körperliche und psychische Beeinträchtigungen erfasst sind.35 Nach alledem bleibt fraglich, warum die übliche Differenzierung der Schutzwürdigkeit des Zeugen anhand einer Altersgrenze (vgl. nur §§ 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 247 S. 2, 255a Abs. 2, 241a Abs. 1 StPO, §§ 171b Abs. 2, 172 Nr. 4 GVG) im Rahmen des § 168e S. 1 StPO keine Beachtung gefun­ den hat. Die Feststellung der konkreten Tatbestandsvoraussetzungen des § 168e S. 1 StPO versetzt den „psychologisch nicht geschulten Richter“36 zudem vor eine schwierige Aufgabe, die ihn angesichts der hohen Anwen­ dungsvoraussetzungen („dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der Anwesenheitsberechtig­ ten vernommen wird“) auch von der Durchführung dieser zeugenschutzinten­ siven Verfahrensweise abhalten kann.37 Dies ist auch vor dem Hintergrund 33  So auch Thoma, S. 54; vgl. auch Swoboda, S. 149 zu den wortlautgleichen Voraus­setzungen des § 247a S. 1. StPO. 34  KK-StPO/Diemer § 247 Rn. 10; KMR/Hiebl § 247 Rn. 40; LR/Becker, § 247 Rn. 21; SK-StPO/Frister, § 247 Rn. 34. 35  Vgl. KK-StPO/Diemer, § 247 Rn. 11; LR/Becker, § 247 Rn. 21; SK-StPO/Frister, § 247 Rn. 37. 36  So Swoboda, S. 150 im Kontext der praktischen Schwierigkeiten einer Sub­ sumtion unter den Tatbestand. 37  Vgl. zu den anwendungshemmenden Faktoren des § 168e StPO bereits oben S. 115.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

der Gesetzgebungsgeschichte und dem vor Erlass des ZSchG postulierten unzureichenden Schutzes kindlicher Zeugen nicht einleuchtend.38 Hinzu kommt, dass die ermittlungsrichterliche Vernehmung grundsätzlich möglichst tatnah erfolgen sollte und der zeitliche Handlungsrahmen des Ermittlungs­ richters dementsprechend oftmals knapp bemessen ist, sodass die Person des Zeugen und die sein Wohlbefinden betreffenden Informationen unter diesen Umständen gering sein können.39 Um Wertungswidersprüche zu vermeiden und Systemkonformität inner­ halb der Strafprozessordnung zu gewährleisten, bietet sich daher de lege fe­ renda eine Herabstufung der Tatbestandsvoraussetzungen sowie eine Anpas­ sung derselben an die Altersstufengrenze der sonstigen Zeugenschutzvor­ schriften (vgl. §§ 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 247 S. 2, 255a Abs. 2, 241a Abs. 1 StPO, §§ 171b Abs. 2, 172 Nr. 4 GVG) an.40 Es soll hier zudem für eine konsequente Anwendung der „Soll-Vorschrift“ i. S. einer grundsätzlichen Pflicht des Richters, eine getrennte Vernehmung des Zeugen anzuordnen und durchzuführen, plädiert werden, sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind41: Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) – das im Falle einer drohenden Gefährdung des Zeugenwohls be­ troffen sein kann42 – hat neben seiner Abwehrfunktion gegenüber dem Staat auch eine Schutzpflichtendimension gegenüber den jeweiligen Grundrechts­ trägern.43 Dieser Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kann der Staat 38  Vgl.

Laubenthal, JZ 1996, 335 (339). tatnahe Vernehmung bietet sich insbesondere vor dem Hintergrund mögli­ cher Erinnerungslücken oder -verfälschungen des Zeugen an; Swoboda, S. 341. 40  Für eine Anpassung des § 168e StPO an die Altersstufengrenze auch Maaß, S. 69; Schmoll, S. 200; Swoboda, S. 341 f.; vgl. auch § 162a Alternativ-Entwurf Zeug­ nisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit (AE-ZVR), S. 99 ff. Eine Diffe­ renzierung nach dem Alter sah auch der Bundesrat in seinem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen) vor, BT-Drucks. 13/4983, S. 3: „Dem § 168c Abs. 2 werden folgende Sätze angefügt: Ist durch die Vernehmung in Gegenwart der nach Satz 1 zur Anwesenheit Berechtigten ein erheblicher Nachteil für das Wohl eines Zeugen unter 16 Jahren zu befürchten, so kann der Richter die Vernehmung in einem besonderen Raum von ihnen getrennt durchführen. Die Vernehmung wird in diesem Falle zeitgleich durch Bild und Ton in den Raum übertragen, in dem sich der Staatsanwalt, der Beschuldigte und der Vertei­ diger befinden. Für sie muß der Vernehmende durch eine Tonübertragungsanlage er­ reichbar sein“. 41  Eines diesbezüglichen Antrags des Zeugen bedarf es hierbei nicht; MeyerGoßner/Schmitt, § 168e Rn. 4; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 7. 42  Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit kann neben dem biologisch-phy­ siologischen auch den geistig-seelischen Bereich umfassen. Dies gilt für Einschrän­ kungen des psychischen Wohlbefindens jedenfalls, wenn diese ihrer Wirkung nach körperlichen Eingriffen gleichzusetzen sind; BVerfGE 56, 54 (75). 43  Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 2 Nr. 1, Rn. 81. 39  Eine



§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung307

insbesondere dadurch gerecht werden, indem er im Rahmen des Erlasses bestimmter Rechtsvorschriften dem Recht auf körperliche Unversehrtheit in der Abwägung mit anderen Grundrechten den Vorzug einräumt.44 Ein Ein­ griff in entgegenstehende Verteidigungsrechte muss sich hierbei aber stets als verhältnismäßig erweisen. Dies wird im konkreten Fall durch die Video­ simultanübertragung, in deren Rahmen auch die sonstigen Mitwirkungsbe­ fugnisse der von der Vernehmung Ausgeschlossenen ausgeübt werden können (§ 168e S. 3 StPO), ausreichend gewahrt. Zwar wird hierdurch das Recht der Verteidigung auf körperliche Anwesenheit völlig beschnitten; dieser Eingriff wird jedoch durch die Möglichkeit der Verteidigung, die Zeugenvernehmung zumindest „mittelbar“ zu verfolgen, erheblich abgeschwächt. Folglich dürfen auch die Anforderungen an die Gefährdung des Zeugenwohls nicht über­ spannt werden: So bietet sich insbesondere bei minderjährigen Zeugen auf­ grund ihrer besonderen Schutzwürdigkeit eine Herabstufung der bisherigen Tatbestandsvoraussetzungen an. Der bislang in der Literatur nur theoretisch bedachte Fall einer Ausnahme­ konstellation – überragendes Interesse der Anwesenheitsberechtigten gerade an der körperlichen Anwesenheit bei gleichzeitiger Gefährdung des Zeugen­ wohls an der unteren Grenze eines schwerwiegenden Nachteils45 – der den Richter an der grundsätzlichen Pflicht, eine getrennte Vernehmung anzuord­ nen und durchzuführen, hindern soll, ist vor dem Hintergrund der Möglich­ keit einer „mittelbaren“ Teilnahme an der Vernehmung praktisch nur schwer vorstellbar.46 Ist die tatbestandliche Grenze einer Gefährdung des Zeugen­ wohls überschritten, muss somit grundsätzlich von einer Einschreitenspflicht des Staates zum Schutze des Zeugen ausgegangen werden. Etwas anderes gilt nur, wenn der Einsatz der Videotechnik die Aussagefähigkeit oder -be­ reitschaft des Zeugen hemmen sollte (so z. B. bei Opfern pornographischer Filmaufnahmen): Zwar vermag dieser Umstand die Schutzwürdigkeit des Zeugen allein nicht zu schmälern. Eine Verfahrensweise nach § 168e StPO kann ihre Schutzfunktion unter dieser Prämisse dennoch nicht vollständig entfalten. Gleiches gilt für das Regelungsziel des § 168e StPO in Form der Optimierung der Wahrheitsfindung. Bei einer Hemmung des Zeugen, vor ei­ ner Videokamera auszusagen, sollte daher von einer Verfahrensweise nach § 168e StPO abgesehen werden.47

44  Maunz/Dürig/Di

Fabio, GG, Art. 2 Abs. 2 Nr. 1, Rn. 86. § 168e Rn. 26; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 7. 46  Vgl. auch LR/Erb, § 168e Rn. 26, der die hiesige Konstellation in nur „ganz besonders gelagerten Fällen“ annehmen möchte. 47  So im Ergebnis auch Swoboda, S. 345. 45  LR/Erb,

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

Ausgehend von den obigen Ausführungen wird daher folgende Gesetzes­ änderung des § 168e StPO vorgeschlagen48: § 168e StPO-E 1

Ist bei einer Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten und kann der Nachteil nicht in anderer Weise abgewendet werden, so soll der Richter die Vernehmung von den Anwesenheitsberechtigten getrennt durchführen. 2Gleiches gilt, wenn bei der Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihr Wohl besteht und der Nachteil nicht in anderer Weise abgewendet werden kann. […]

§ 168e StPO-E trägt den Belangen minderjähriger Zeugen besser Rech­ nung als die geltende Regelung, da die Tatbestandsvoraussetzungen der Schutzwürdigkeit der jeweiligen Zeugengruppe angepasst wurden. Zwar wird der Richter im Rahmen der Anwendung dieser Vorschrift nicht vor jeg­ lichen Abgrenzungsschwierigkeiten bewahrt; seine Subsumtionsarbeit wird jedoch insgesamt erleichtert, da er diese entsprechend der Leitentscheidung des § 168e StPO-E zu Gunsten der besonderen Schutzwürdigkeit minderjäh­ riger Zeugen ausüben und sich an der bisherigen Rechtsprechungskasuistik des § 247 S. 2 StPO orientieren kann. Die Entlastungsfunktion der getrennten Vernehmung hat nicht zuletzt auch einen großen Einfluss auf den „Ertrag“ einer Zeugenvernehmung, da eine Aussage umso beweiskräftiger wird, je angst- und konfliktfreier sie tatsächlich gewonnen werden kann. Psychische Belastungen und Stressfaktoren wirken sich hingegen negativ auf den Zeu­ gen und damit letztlich auch auf die Beweiswürdigung aus. Eine Verfahrens­ weise entsprechend § 168e StPO-E dient damit nicht nur dem Opferschutz, sondern auch der materiellen Wahrheitsfindung im Strafprozess.49 Schließ­ lich profitieren auch die Verteidigungsinteressen des Beschuldigten durch § 168e StPO-E, da die Einschränkung der Anwesenheitsrechte der Verteidi­ gung (§ 168c Abs. 2 S. 1 StPO) nunmehr anhand differenzierender Gesichts­ punkte erfolgen kann; eine verhältnismäßige Einschränkung der Verteidi­ gungsrechte kann hierdurch besser gewährleistet werden als zuvor.50 Vo­ raussetzung ist aber auch hierfür stets eine gründliche Abwägung der gegen­ seitigen Interessen und eine umfassende Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls.51 Die Entscheidung kann hierbei auch auf Grundlage einer

48  Der Gesetzesvorschlag ist angelehnt an den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 19.06.1996, BT-Drucks. 13/4983, S. 3 zu § 168c Abs. 2-E und Swoboda, S. 342. 49  Schmoll, S. 206; Wegner, ZRP 1997, 404. 50  Vgl. auch Maaß, S. 68. 51  Vgl. LR/Erb, § 168e Rn. 10.



§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung309

vorangegangenen Exploration eines Sachverständigen erfolgen52, wobei die­ ses Vorgehen nicht als Regelfall begriffen werden sollte. Ein Sachverstän­ diger sollte vielmehr nur bei einer unsicheren Tatsachengrundlage zu Rate gezogen werden. Andernfalls könnte das Ziel des Zeugenschutzgesetzes, mehrfache Vernehmungen zu vermeiden und den Zeugen hierdurch zu ent­ lasten53, letztlich konterkariert und in sein Gegenteil verkehrt werden.54

C. Subsidiaritätsklausel Von § 168e StPO darf ausweislich seines Wortlauts nur Gebrauch gemacht werden, wenn die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen nicht auf andere Weise abgewendet werden kann. Die durch diese einschränkende Voraussetzung zum Ausdruck kommende Subsidiarität der Videosimultanübertragung gegenüber sonstigen zeugenschützen­ den Maßnahmen bekräftigt abermals den Ausnahmecharakter der Vor­ schrift.55 Dementsprechend sollte zunächst in Betracht gezogen werden, auf eine Zeugenvernehmung gänzlich zu verzichten; dies wird jedoch nur in Einzelfällen in Betracht kommen können, etwa wenn andere Beweismittel herangezogen werden können oder der Beschuldigte ein glaubhaftes Ge­ ständnis vor dem Richter abgelegt hat (vgl. Nr. 222 Abs. 2, Nr. 111 Abs. 4 RiStBV).56 Kann auf eine Zeugenvernehmung aber nicht verzichtet werden, kommen als alternative Maßnahmen z. B. die Anwesenheit eines anwaltli­ chen Beistands (§§ 68b, 406f Abs. 1 StPO) oder eines psychosozialen Pro­ zessbegleiters (§ 406g Abs. 1 StPO), die Zulassung einer Vertrauensperson (§ 406f Abs. 2 StPO) oder die alleinige Vernehmung des minderjährigen

52  Vgl.

SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 6. BT-Drucks. 13/7165, S. 7. 54  Dies gilt auch, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei Explorationsgesprä­ chen durch psychologische Sachverständige nicht um Vernehmungen im strafprozes­ sualen Sinne handelt; BeckOK-StPO/Monka, § 80 Rn. 2; KK-StPO/Hadamitzky, § 80 Rn. 2. Auch in diesem Fall wird der Zeuge nämlich mit der Tat (ihre Begehung vor­ ausgesetzt) und ihren Folgen konfrontiert. Die Exploration eines Sachverständigen kommt daher insbesondere aus Sicht eines Kindes de facto einer „Vernehmung“ gleich; Thoma, S. 49, 55. Nach Thoma, S. 56, reicht als Nachweis drohender Beein­ trächtigungen für das Kindeswohl daher auch die Abgabe einer eidesstattlichen Versi­ cherung der Eltern aus. Zu den belastenden Wirkungen derartiger Explorationen auch Kintzi, DriZ 1996, 184 (186). 55  BT-Drucks. 13/7165, S. 9; Maaß, S.  69 f. 56  Vgl. KK-StPO/Griesbaum, § 168e Rn. 6; KMR/Plöd, § 168e Rn. 6; König, Kriminalist 2005, 10 (12); Maaß, S. 70; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 9; Wollmann, S. 110; zweifelnd LR/Erb, § 168e Rn. 12; a. A. SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 11. 53  Vgl.

310

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

Zeugen durch den Vorsitzenden entsprechend § 241a Abs. 1 StPO in Be­ tracht.57 Fraglich ist, ob auch der Ausschluss des Beschuldigten von der Anwesen­ heit nach § 168c Abs. 3 StPO58 oder das Unterlassen der Benachrichtigung von dem Vernehmungstermin nach § 168c Abs. 5 S. 2 StPO59 als vorrangige Maßnahmen in Betracht zu ziehen sind.60 Diese Konkurrenzfrage wird prak­ tisch relevant, wenn sowohl die Anwendungsvoraussetzungen des § 168c Abs. 3 StPO bzw. § 168c Abs. 5 S. 2 StPO als auch jene des § 168e StPO gleichermaßen gegeben sind.61 Der Wortlaut des § 168e S. 1 StPO spricht zunächst für eine vorrangige Beachtung aller sonstigen zeugenschützenden Maßnahmen. Hierunter können sowohl ein Vorgehen nach § 168c Abs. 3 StPO als auch ein solches nach § 168c Abs. 5 S. 2 StPO subsumiert werden. Ein genauerer Blick hinter den Sinn und Zweck des § 168e StPO spricht aber gegen die Einbeziehung dieser Maßnahmen im Rahmen der Vorrangfrage: 57  Vgl. HK-StPO/Zöller, § 168e Rn. 6; LR/Erb, § 168e Rn. 12; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 168e Rn. 2; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 10; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 5; vgl auch Nr. 19 Abs. 2 S. 3 und Nr. 19a Abs. 1 RiStBV. 58  § 168c Abs. 3 StPO lautet: „Der Richter kann einen Beschuldigten von der Anwesenheit bei der Verhandlung ausschließen, wenn dessen Anwesenheit den Unter­ suchungszweck gefährden würde. Dies gilt namentlich dann, wenn zu befürchten ist, daß ein Zeuge in Gegenwart des Beschuldigten nicht die Wahrheit sagen werde“. 59  § 168c Abs. 5 StPO lautet: „Von den Terminen sind die zur Anwesenheit Be­ rechtigten vorher zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung unterbleibt, wenn sie den Untersuchungserfolg gefährden würde. Auf die Verlegung eines Termins wegen Ver­ hinderung haben die zur Anwesenheit Berechtigten keinen Anspruch“. 60  Für die vorrangige Anwendung des § 168c Abs. 3 StPO BT-Drucks. 13/7165, S. 5; BeckOK-StPO/Monka, § 168e Rn. 3; Dieckerhoff, S. 57; Hartz, S. 136; Helmig, S. 51, 56; HK-StPO/Zöller, § 168e Rn. 6; Höttges, S.  116 ff.; Leitner, S. 55; MeyerGoßner/Schmitt, § 168e Rn. 2; Scheumer, S. 43; H. Vogel, S. 34; ähnlich Swoboda, S. 343 ff.; vgl. auch KK-StPO/Griesbaum, § 168e Rn. 6, der die Anwendung des § 168c Abs. 3 StPO aber von dem Willen des Beschuldigten abhängig machen möchte: „In Betracht kommt auch, den Beschuldigten gemäß § 168c Abs. 3 von der Verhandlung auszuschließen […]. Zieht es der von der Verhandlung auszuschließende Beschuldigte allerdings vor, an einer nach § 168e durchzuführenden Vernehmung im Wege der Videosimultanübertragung teilzunehmen, sollte der Richter wegen der bes­ seren Sicherung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des Grundsatzes der Waf­ fengleichheit zwischen StA und Beschuldigten hierauf eingehen“; so auch KMR/ Plöd, § 168e Rn. 6; a. A. LR/Erb, § 168e Rn. 13; Maaß, S. 74 f.; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 10; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 12; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 5; Wollmann, S. 110; für eine vorrangige Anwendung des § 168c Abs. 5 S. 2 StPO plädieren BeckOK-StPO/Monka, § 168e Rn. 3; Dieckerhoff, S. 57; Helmig, S. 51, 54; HK-StPO/Zöller, § 168e Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, § 168e Rn. 2; Scheumer, S. 43; H. Vogel, S. 34; a.  A. LR/Erb, § 168e Rn. 13; Maaß, S.  71 ff.; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 10; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 5; diff. Hartz, S.  137 f. 61  Vgl. zu diesen Einzelfällen Maaß, S. 71, 74.



§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung311

§ 168e StPO soll einen Beitrag zur Verbesserung des Schutzes besonders belasteter Zeugen leisten62 und die Wahrheitsfindung im Strafprozess opti­ mieren.63 Diese legitimen Ziele müssen jedoch vor dem Hintergrund des § 168c Abs. 2 StPO bereits auf abstrakter Ebene relativiert werden. Andern­ falls droht eine übermäßige Einschränkung der Verfahrensrechte der Anwe­ senheitsberechtigten, die vor allem zum Zwecke der Verteidigung geltend gemacht werden. Die Verwirklichung der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele muss daher stets unter der Prämisse einer restriktiven Auslegung des § 168e StPO erfolgen.64 Für den Beschuldigten stellt die Verfolgung einer Zeugen­ vernehmung mittels audiovisueller Simultanübertragung gegenüber dem vollständigen Ausschluss von der Vernehmung eine mildere Maßnahme dar, da er bei einem Vorgehen nach § 168e StPO auch ohne körperliche Anwe­ senheit zumindest sein Fragerecht (durch technische Vorkehrungen) aus­ üben65 und die Vernehmung im Beistand seines Verteidigers mittelbar erleben kann.66 Letztlich stärkt dies nicht nur seine Teilhabe am Verfahren, sondern auch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör.67 Die gleichen Erwägungen gelten auch für ein Vorgehen nach § 168c Abs. 5 S. 2 StPO, da der Beschul­ digte und sein Verteidiger keinerlei Mitwirkungsbefugnisse ausüben können, wenn sie von einem bevorstehenden Vernehmungstermin noch nicht einmal benachrichtigt wurden.68 Insofern müssen die Verteidigungsinteressen des Beschuldigten auch im Rahmen der Auslegung der Subsidiaritätsklausel be­ achtet werden. Hierfür spricht auch ein systematisches Argument: Aufgrund der Einschränkung des Rechts auf körperliche Anwesenheit wollte der Ge­ setzgeber zumindest die sonstigen Verfahrensrechte der Anwesenheitsberech­ tigten gesichert wissen: Zu diesem Zwecke sah er in § 168e S. 3 StPO vor, dass „die Mitwirkungsbefugnisse der Anwesenheitsberechtigten im übrigen unberührt [bleiben]“. Diese Bestimmung spricht für den gesetzgeberischen Willen, die Mitwirkungsbefugnisse der Anwesenheitsberechtigten soweit wie möglich zu sichern. Hinzu kommt ein weiteres systematisches und zugleich historisches Argument: § 247a StPO a. F. enthielt in seiner ursprünglichen Gesetzesfassung eine „qualifizierte“ Subsidiaritätsklausel, die u. a. ausdrück­ 62  KK-StPO/Griesbaum,

§ 168e Rn. 3; LR/Erb, § 168e Rn. 3. KMR/Plöd, § 168e Rn. 1; LR/Erb, § 168e Rn. 4. 64  Vgl. S. 302. 65  Vgl. Schmoll, S. 205; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 5. 66  Vgl. Maaß, S. 72; Zschockelt/Wegner, NStZ 1996, 305 (307). Etwas anderes gilt jedoch, „wenn zu befürchten ist, der Zeuge werde die Wahrheit nicht sagen, wenn der Beschuldigte seine Aussage am Bildschirm mitverfolgt“. In diesem Fall soll der Beschuldigte auch von der Anwesenheit bei der Übertragung der Vernehmung über Monitor ausgeschlossen werden können (§ 168c Abs. 3 StPO); BT-Drucks. 13/6175, S. 9. 67  SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 12. 68  Vgl. Maaß, S. 72. 63  Vgl.

312

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

lich auf den Ausschluss des Angeklagten von der Vernehmung Bezug nahm: „Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung An­ wesenden vernommen wird, und kann sie nicht in anderer Weise, namentlich durch eine Entfernung des Angeklagten sowie den Ausschluß der Öffentlichkeit69, abgewendet werden, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält.“ Diese Subsidi­ aritätsklausel wurde durch das Opferrechtsreformgesetz vom 24.06.2004 mit Wirkung zum 01.09.2004 aufgehoben.70 Der Gesetzgeber beabsichtigte mit ihrer Aufhebung explizit eine Aufwertung der audiovisuellen Zeugenverneh­ mung und die Vermeidung unnötiger Einschränkungen der Verteidigungs­ möglichkeiten des Angeklagten. An die Stelle eines pauschalen Ausschlusses des Angeklagten von der Vernehmung sollte dementsprechend eine Einzel­ fallabwägung treten: Zu prüfen sei stets, „welche Maßnahme das Spannungs­ verhältnis zwischen dem Schutz des Zeugen, der Aufklärungspflicht und den Verteidigungsinteressen am besten zum Ausgleich“ bringe. Der Ausschluss des Angeklagten von der Vernehmung sei hierbei insbesondere in den Fällen in Betracht zu ziehen, „in denen Kinder Scheu vor einer Kameraaufzeich­ nung haben, etwa weil sie Opfer pornographischer Filmaufnahmen geworden sind“.71 Schließlich spricht auch folgender Gedanke gegen die vorrangige Anwendung des § 168c Abs. 3 StPO bzw. des § 168c Abs. 5 S. 2 StPO: Die Vorführung einer von der Zeugenvernehmung erstellten Bild-Ton-Aufzeich­ nung (zur Zulässigkeit derselben vgl. §§ 168e S. 4, 58a StPO) nach § 255a Abs. 2 S. 1, 2 StPO scheidet aus, wenn der Beschuldigte nach § 168c Abs. 3 StPO bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung ausgeschlossen war oder der Richter von einer Benachrichtigung über den Vernehmungstermin nach § 168c Abs. 5 S. 2 StPO abgesehen hat. Da es an einer „Gelegenheit zur Mitwirkung“72 in beiden Fällen fehlt, wird einem Vorgehen nach § 255a Abs. 2 S. 1, 2 StPO von vornherein die Grundlage entzogen.73 Damit entfällt auch die zeugenschützende Wirkung des § 255a Abs. 2 S. 1, 2 StPO, sodass der Zeuge nochmals in der Hauptverhandlung vernommen werden müsste. Von einem vollständigen Ausschluss des Beschuldigten oder einem Absehen von der Benachrichtigung vom Vernehmungstermin kann daher nur abgera­ ten werden, wenn die Bild-Ton-Aufzeichnung in der Hauptverhandlung nach § 255a Abs. 2 S. 1, 2 StPO verwertet werden soll.74 Letztlich würde sich eine 69  Hervorhebungen

durch die Verfasserin. S. 1354 (1355, 1358). 71  BT-Drucks. 15/1976, S. 12. 72  Näher hierzu Leitner, StraFo 1999, 45 (46); Rieß, StraFo 1999, 1 (4), Swoboda, S. 350. 73  BGHSt 49, 72 (80 f.). 74  Maaß, S. 72; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 10; Wollmann, S. 110. 70  BGBl. I



§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung313

vorrangige Anwendung der §§ 168c Abs. 3, 168c Abs. 5 S. 2 StPO im Rah­ men des § 168e StPO auch in Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen setzen, der die Bild-Ton-Aufzeichnung der Zeugenvernehmung (auch mit­ hilfe des § 255a Abs. 2 S. 1, 2 StPO) aufwerten und in der Praxis etablieren wollte.75 Da der Wortlaut des § 168e S. 1 StPO die Wirkung des § 255a Abs. 2 S. 1, 2 StPO somit unnötig abschwächt und sowohl für den Zeugen als auch für den Beschuldigten nachteilige Folgen mit sich bringt, bietet sich daher eine teleologische Reduktion des Gesetzestextes an.76

D. Durchführung der Vernehmung Die Regelung modifiziert die in § 168c Abs. 2 S. 1 StPO gewährleisteten Anwesenheitsrechte bei richterlichen Zeugenvernehmungen im Ermittlungs­ verfahren dahingehend, dass der Richter die Vernehmung von den Anwesen­ heitsberechtigten77 getrennt durchführen kann und diesen – statt der körper­ lichen Anwesenheit – lediglich die Möglichkeit der optischen und akustischen Wahrnehmung der Zeugenvernehmung verbleibt.78 Die Zeugenvernehmung wird den Anwesenheitsberechtigten in diesem Fall mittels einer Videodirekt­ schaltung zeitgleich (sog. „closed circuit television – CCTV“79) in einen

75  Vgl.

BT-Drucks. 17/6261, S. 10 f.; BT-Drucks. 19/14747, S. 35. Maaß, S. 70 ff., die im Ergebnis auf eine korrigierende teleologische Auslegung abstellt und damit wohl die teleologische Reduktion meint, da sie die „Auslegung“ ausdrücklich entgegen der Wortlautgrenze zulässt; a. A. LR/Erb, § 168e Rn. 13: „einschränkende[] Auslegung“; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 12: „restriktive Auslegung“, die „mit dem Wortlaut durchaus vereinbar“ sei. Einer ent­ sprechenden teleologischen Auslegung des § 168e S. 1 StPO steht jedoch der eindeu­ tige Wortlaut entgegen; so auch Maaß, S.  71 f.; Swoboda, S. 343 f.; zur teleologischen Reduktion als Mittel der Rechtsfortbildung Danwerth, ZfPW 2017, 230 (239 ff.). 77  Die Anwesenheitsberechtigten sind nach § 168c Abs. 2 S. 1 StPO die Staatsan­ waltschaft, der Beschuldigte und sein Verteidiger. Der Protokollführer ist vom Aus­ schluss nach § 168e StPO nicht betroffen; vgl. LR/Erb, § 168e Rn. 17; MüKo-StPO/ Krüger, § 168e Rn. 12 m. w. N.; a. A. Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1307. Werden der Beschuldigte und der Verteidiger von der Anwesenheit bei der Vernehmung aus­ geschlossen, kann auch für die Staatsanwaltschaft nichts anderen gelten. Dies ist be­ reits aus Gründen der Waffengleichheit und dem gesetzlich ausgestalteten „Gleichge­ wicht“ der Anwesenheitsrechte bei richterlichen Vernehmungen (vgl. § 168c Abs. 2 StPO) geboten; LR/Erb, § 168e Rn. 16; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 14. 78  LR/Erb, § 168e Rn. 1. 79  Vgl. zu den verschiedenen Variationen und technischen Anforderungen des CCTV Maier, S. 143 ff.; zu den Modellen und Erfahrungen aus Großbritannien Köhnken, StV 1995, 376 ff.; ders., Video im Strafverfahren, S. 40 ff.; zur praktischen Aus­ gestaltung des CCTV in Großbritannien, USA und Australien Bohlander, ZStW 1995, 82 (88 ff.). 76  Ähnlich

314

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

anderen Raum übertragen (§ 168e S. 2 StPO).80 Die Kamera sollte hierbei sowohl den vernehmenden Richter als auch den Zeugen (gegebenenfalls auch den anwesenden Aussagepsychologen) zur gleichen Zeit erfassen, damit die Durchführung der getrennten Vernehmung nach § 168e StPO gleichsam ihre „Ersatzfunktion“ zur üblichen Vernehmung in Anwesenheit der Verfah­ rensbeteiligten erfüllen kann.81 Eine weitere Kamera sollte den Verneh­ mungsraum als Ganzes erfassen, um etwaige Manipulationen oder Beeinflus­ sungen seitens Dritter ausschließen zu können.82 Zu Dokumentationszwecken sollte ferner eine Echtzeituhr mit Datumsangabe eingeblendet werden.83 Schließlich sollte bei der Vernehmung von Kindern auch auf eine kindge­ rechte Ausstattung des Vernehmungszimmers geachtet werden84; gegebenen­ falls wird sich in diesen Fällen auch die Hinzuziehung eines Aussagepsycho­ logen anbieten.85 Abgesehen von einem Zeugenbeistand oder einer Vertrau­ ensperson86 sollte auf die unmittelbare Anwesenheit weiterer Personen indes verzichtet werden, um die Vernehmung des Kindes nicht über Gebühr durch die Gegenwart mehrerer erwachsener Personen zu behindern.87 80  HK-StPO/Zöller, § 168e Rn. 9. Der Raum, in dem die Vernehmung stattfindet, muss sich hierbei nicht im Gerichtsgebäude befinden; die Vernehmung kann etwa auch in der Wohnung der zu vernehmenden Person stattfinden, sofern nur die in § 168e S. 2 StPO vorausgesetzte Bild-Ton-Übertragung gewährleistet ist. Die von der Vernehmung Ausgeschlossenen haben jedoch keinen Anspruch darauf, über den kon­ kreten Ort der Vernehmung benachrichtigt zu werden; LR/Erb, § 168e Rn. 15; SKStPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 13. 81  Vgl. Janovsky, Kriminalistik 1999, 435 (455); KK-StPO/Griesbaum, § 168e Rn. 7; König, Kriminalist 2005, 10 (13); LR/Erb, § 168e Rn. 18; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 13; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 15; SSW-StPO/Sing/­ Andrä, § 168e Rn. 7; vgl. auch Zschockelt/Wegner, NStZ 1996, 305 (306). 82  Janovsky, Kriminalistik 1999, 453 (455); Maaß, S. 40; zur technischen Aus­ stattung Zickermann, Kriminalist 1999, 198 f. 83  Vgl. Janovsky, Kriminalistik 1999, 453 (455); Schlothauer, StV 1999, 47 (48); ferner Zickermann, Kriminalist 1999, 198 (200). 84  Vgl. hierzu und zur kindgerechten Befragung Zschockelt/Wegner, NStZ 1996, 305 (306); ferner Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S. 449 (465 f.). Zu viel Spielzeug im Vernehmungsraum wirkt sich auf die Gesprächsatmosphäre je­ doch auch nicht förderlich aus; v. Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276 (277). 85  Vgl. Nr. 222 Abs. 1 S. 2 RiStBV: „Vielfach wird es sich empfehlen, schon zur ersten Vernehmung einen Sachverständigen beizuziehen, der über besondere Kennt­ nisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Kinderpsychologie verfügt“; vgl. auch BeckOK-StPO/Monka, § 168e Rn. 5; v. Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276 (278); Leitner, S. 57; Meyer-Goßner/Schmitt, § 168e Rn. 5; Wegner, ZRP 1997, 404 (407); Zschockelt/Wegner, NStZ 1996, 305 (307); a. A. KK-StPO/Griesbaum, § 168e Rn. 7; Kintzi, DRiZ 1996, 184 (192); König, Kriminalist 2005, 10 (13). 86  Vgl. BT-Drucks. 13/7165, S. 9; LR/Erb, § 168e Rn. 15; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 14. 87  Vgl. Zschockelt/Wegner, NStZ 1996, 305 (307); v. Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276 (277).



§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung315

Zu beachten ist ferner, dass trotz der isolierten Vernehmung des Zeugen die sonstigen Mitwirkungsbefugnisse (insbesondere das Fragerecht nach § 168c Abs. 2 S. 2 StPO) der von der Vernehmung Ausgeschlossenen – mit­ hilfe technischer Vorkehrungen – gewährleistet sein müssen.88 Die konkrete technische Umsetzung der Mitwirkungsbefugnisse ließ der Gesetzgeber je­ doch offen und überließ nähere Regelungen ausdrücklich den RiStBV89; entsprechende Normierungen wurden bislang aber – trotz diesem gesetzgebe­ rischen Appell – nicht eingeführt. Angesichts der Bedeutung der Mitwir­ kungsbefugnisse (vgl. § 168c Abs. 2 S. 2 StPO, Art. 6 Abs. 3 d) EMRK), die der Gesetzgeber ausdrücklich gesichert wissen wollte (und hierbei auch das Beispiel der Tonübertragungsanlage nannte)90, ist es jedenfalls nicht ausrei­ chend, die Anwesenheitsberechtigten hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Rechte und Interessen nur auf eine „Zwischenverhandlung“ mit dem verneh­ menden Richter (z. B. in einer Vernehmungspause) zu verweisen91. Hierfür spricht auch der Umkehrschluss zu §§ 168e S. 4, 241a Abs. 1 StPO, wonach nur die Vernehmung minderjähriger Zeugen alleine von dem Vorsitzenden durchgeführt wird.92 Das Fragerecht beschränkt sich hierbei auf das Recht, eine Befragung durch den Vorsitzenden zu verlangen.93 In technischer Hin­ sicht genügt hier eine Ohrknopfverbindung zum Richter.94 Teilweise wird auch in den übrigen Fällen eine Tonverbindung (nur) mit dem vernehmenden Richter als ausreichend erachtet.95 Demgegenüber fordert eine andere An­ 88  Vgl.

BT-Drucks. 13/7165, S. 9. 13/7165, S. 6: „Klarzustellen ist, daß die Mitwirkungsrechte bzw. -befugnisse der von der Vernehmung Ausgeschlossenen durch die getrennte Verneh­ mung des schutzbedürftigen Zeugen nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Wie dies in der Praxis sichergestellt werden kann, ob z. B. eine Tonübertragungsanlage in das Vernehmungszimmer ausreicht, kann gegebenenfalls in den RiStBV geregelt wer­ den“. 90  BT-Drucks. 13/7165, S. 6. 91  HK-StPO/Zöller, § 168e Rn. 9; vgl. auch H. Vogel, S. 36; a.  A. Wegner, ZRP 1997, 404 (408); Zschockelt/Wegner, NStZ 1996, 305 (307). 92  Der Vorsitzende kann den Anwesenheitsberechtigten eine unmittelbare Zeu­ genbefragung nur gestatten, wenn nach pflichtgemäßen Ermessen ein Nachteil für das Wohl des minderjährigen Zeugen nicht zu befürchten ist (§§ 168e S. 4, 241a Abs. 2 S. 2 StPO). 93  LR/Erb, § 168e Rn. 19. 94  SK-StPO/Wohlers/Albrecht, §  168e Rn.  16; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 8. 95  Vgl. hierzu bereits den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 19.06.1996 zu § 241b Abs. 1 S. 3 StPO-E, BT-Drucks. 13/4983, S. 3: „Der Vernehmende muß durch eine Tonübertragungsanlage vom Sitzungssaal aus erreichbar sein“ [Hervorhebungen durch die Verfasserin]; vgl. auch Bundeseinheitliche Handreichung des BMJ zum Schutz kindlicher (Opfer-)Zeugen, S. 24, wonach die Mitwirkungsbefugnisse „je nach den örtlichen Gegebenheiten über Telefon, Kopfhörer des Richters oder schriftlich 89  BT-Drucks.

316

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

sicht – insbesondere soweit es um den Gebrauch des Fragerechts geht – zu­ mindest eine unmittelbare bzw. direkte Sprechverbindung vom Zuhörer- ins Vernehmungszimmer.96 Für das Erfordernis einer unmittelbaren Kommunika­ tionsmöglichkeit spricht auch hier wiederum der Umkehrschluss zu §§ 168e S. 4, 241a Abs. 1 StPO. In beiden Fällen handelt es sich aber lediglich um eine sog. Ein-Weg-Verbindung, die durch eine einseitige Videoübertragung aus dem Vernehmungs- zum Zuhörerraum gekennzeichnet ist, d. h. die An­ wesenheitsberechtigten können den Zeugen und den Richter per Video­ direktschaltung sehen, der Zeuge und der Richter hingegen nicht die Anwe­ senheitsberechtigten.97 Zwar kann der Gang einer Vernehmung (zumindest theoretisch) auch mit einer akustischen Verbindung in Form einer Tonüber­ tragungsanlage beeinflusst werden. Durch eine wechselseitige audiovisuelle Verbindung i. S. einer Videokonferenz (sog. Zwei-Wege-Verbindung)98 wer­ den dem in § 168c Abs. 2 S. 2 StPO gewährleisteten Fragerecht, dem An­ spruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und dem in Art. 6 Abs. 3 d) EMRK gewährleisteten Recht des Angeklagten auf konfrontative Befragung, das bereits im Ermittlungsverfahren Geltung beanspruchen kann99, jedoch wesentlich besser Rechnung getragen: Eine Zwei-Wege-Ver­ bindung vermag nicht nur die (durch den Ausschluss von der Vernehmung geschaffene) „künstliche Distanz“ zwischen dem Zeugen und dem Fragen­ den – im Vergleich zur Ein-Weg-Verbindung – deutlich zu schmälern. Dem Fragenden wird durch eine Videokonferenz vielmehr auch die Möglichkeit über Computerbildschirm“ ausgeübt werden können; König, Kriminalist 2005, 10 (13); Lingenberg, S.  122 f.; Wegner, ZRP 1997, 404 (408). 96  Vgl. BeckOK-StPO/Monka, § 168e Rn. 6; HK-StPO/Zöller, § 168e Rn. 3; Janovsky, Kriminalistik 1999, 453 (453, 456); KK-Griesbaum, § 168e Rn. 7; KMR/ Plöd, § 168e Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, § 168e Rn. 7; MüKo-StPO/Krüger, § 168e Rn. 14; Schmoll, S. 202; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 16; SSWStPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 8; Thoma, S. 58; ferner H. Vogel, S. 36. 97  Vgl. Maaß, S. 44; Schmoll, S. 65. 98  Vgl. zur Begrifflichkeit Schmoll S. 65, 203; für eine Zwei-Wege-Verbindung im Falle des § 168e StPO plädieren LR/Erb, § 168e Rn. 19; Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1307; Maaß, S. 41; Swoboda, S. 363 f.; für eine wechselseitige audiovisu­ elle Verbindung im Falle des mit § 168e StPO „verwandten“ § 247a StPO Artkämper, NJ 2000, 100 (101); Bundeseinheitliche Handreichung des BMJ zum Schutz kindli­ cher (Opfer-)Zeugen, 1999, S. 34; Duttge, NStZ 2000, 157 (160); König, Kriminalist 2005, 10 (13); Kretschmer, JR 2006, 453 (456); ders. JR 2017, 174 (177); Rieß, StraFo 1999, 1 (6); Leitner, StraFo 1999, 45 (47); vgl. auch BGHSt 46, 93 (103), der im Zusammenhang mit § 168e StPO von einer „Videokonferenz“ spricht; zur glei­ chen Begrifflichkeit i. R.d. § 247a BGHSt 45, 188 (190); BGH NStZ 2000, 385. 99  Zur Rolle des Art. 6 Abs. 3 d) EMRK im Ermittlungsverfahren EGMR StV 1990, 481 (482); BGHSt 46, 93 (94 ff.); Kirchhoff, HRRS 2015, S. 506 (508 ff.); MüKo-StPO/Gaede, Art. 6 EMRK, Rn. 244; vgl. ferner Stoffers, NJW 2013, 1495 (1496 f.).



§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung317

eröffnet, seinen Fragen durch Gestik und Mimik Geltung zu verschaffen.100 Insofern ist eine Zwei-Wege-Verbindung grundsätzlich zu bevorzugen. Aus­ gehend von der gesetzgeberischen Intention des § 168e S. 1 StPO kann sich jedoch etwas anderes im Falle der Gefährdung des Zeugenwohls durch die (technisch vermittelte) Konfrontation mit dem Angeklagten ergeben.101 Im Rahmen der Durchführung der Videovernehmung sollte schließlich darauf geachtet werden, den Kommunikationsfluss zwischen dem Ermitt­ lungsrichter und dem Zeugen im Rahmen der Videovernehmung nicht über das erforderliche Maß zu stören. Bei ständiger Unterbrechung der Verneh­ mung durch Rückfragen droht nämlich nicht nur eine Ablenkung des verneh­ menden Richters, sondern auch eine solche des Zeugen. Beides wirkt sich auf den Vernehmungserfolg negativ aus.102 Ein Vorgehen nach § 168e StPO erfordert daher insgesamt – insbesondere bei kindlichen Zeugen – einen sen­ siblen Umgang mit der Vernehmungssituation.

E. Zwischenergebnis Die Regelung des § 168e StPO verbessert die Stellung des Zeugen in zweifacher Hinsicht: Zum einen wird die Vernehmung selbst den Bedürfnis­ sen besonders belasteter Zeugen angepasst, indem diese vor der unmittelba­ ren Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten geschützt werden. Zum anderen wird durch den Verweis in § 168e S. 4 auf § 58a StPO die audiovisuelle Aufzeichnung der Vernehmung ermöglicht, sodass jene Zeugen nach Maß­ gabe des § 255a Abs. 2 StPO auch vor belastenden Mehrfachvernehmungen geschützt werden können.103 Mit Blick auf § 255a Abs. 2 StPO muss daher bereits im Ermittlungsverfahren das Ziel verfolgt werden, eine gerichtlich verwertbare Aussage des schutzwürdigen Zeugen zu gewinnen.104 Das be­ deutet zwar nicht, dass diese Zeugen stets vor jeder belastenden Zweitver­ nehmung im Ermittlungsverfahren geschützt werden können. Eine zweite Zeugenvernehmung wird sich jedenfalls nicht vermeiden lassen, wenn im Rahmen der Erstvernehmung des Zeugen bei der Polizei (z. B. zur groben S. 203. Erwägungen werden auch für die Videosimultanübertragung nach § 247a StPO angestellt; vgl. BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 14; KMR/Lesch, § 247a Rn. 6; LR/Becker, § 247a Rn. 25; Laubenthal/Nevermann-Jaskolla, JA 2005, 294 (298); SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 54. 102  Vgl. zu diesen störenden Einflussfaktoren Dieckerhoff, S. 180 f.; ferner bereits v. Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276 (277). 103  KK-StPO/Griesbaum, §  168e Rn. 1; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 1; Weiner/Foppe, Kriminalistik 1998, 536 (537). 104  Wegner, ZRP 1997, 404 (406). 100  Schmoll,

101  Ähnliche

318

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

Klärung des Sachverhalts anlässlich der Anzeigenerstattung) die personellen Voraussetzungen – wie die Verfügbarkeit eines Ermittlungsrichters und eines Verteidigers für den Beschuldigten – nicht gegeben waren.105 In diesem Falle sollte die Ermittlungsmaßnahme nach § 168e StPO aber die erste und einzige ausführliche richterliche Vernehmung vor der Hauptverhandlung sein.106 Unverzichtbare Voraussetzungen einer gelungenen Vernehmung sind hierbei stets eine gute Kooperation aller beteiligten Instanzen und eine opti­

105  Weigend, FS Kaiser (1998), S. 1481 (1496). Der gänzliche Verzicht einer poli­ zeilichen Vernehmung könnte aber in Betracht gezogen werden, wenn sich der not­ wendige Anfangsverdacht aus anderen Zeugenaussagen ergibt; Lossen, Streit 1995, 108; ähnlich Wegner, ZRP 2000, 404 (406); vgl. ferner Keiser, S. 264 ff., die es (the­ oretisch) für denkbar hält, mit nur einer einzigen Zeugenvernehmung „auszukom­ men“, wenn diese nur seitens des Ermittlungsrichters vorgenommen wird und die Polizei und Staatsanwaltschaft ihre weitere Strafverfolgung zunächst an den Spontan­ bekundungen des Zeugen ausrichtet, die dieser z. B. im Zusammenhang mit der An­ zeigenerstattung getätigt hat (ohne dass sich hieran eine Vernehmung im Rechtssinne anschloss). Vgl. zu den (beträchtlichen) Bedenken einer „richterlichen Einmalverneh­ mung“ jedoch v. Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276 (278), die 30 psychologi­ sche Gutachterinnen mit langjähriger Berufserfahrung im Bereich der Aussagepsy­ chologie hierzu befragte: „(1) Der Fortfall der Anfangsüberprüfung eines Verdachts durch eine besonders geschulte Polizeibeamtin setzt eine Maschinerie in Gang, die bisher späteren Stadien eines Ermittlungsverfahrens vorbehalten war (so z. B. richter­ liche Vernehmung, eventuell Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Kind, La­ dung des Beschuldigten, Bestellung eines Pflichtverteidigers, Vorbereiten der Räum­ lichkeiten). Dies erfordert zeitlichen Aufwand und verzögert die Erstvernehmung des Kindes. Auch bringt diese Verfahrensweise mit sich, dass der vernehmende Richter kaum Vorinformationen über das Kind und den Schuldvorwurf hat und sich deshalb häufig nur unzureichend auf das Kind und seine Aussage vorbereiten kann. (2) Das Kind hat bei einer Einmalvernehmung keine Möglichkeit mehr, seine Aussage zu korrigieren oder zu ergänzen, z. B. die Vorwürfe abzuschwächen oder auch weitere, besonders atzpeinliche Sexualkontakte […] ergänzend zu berichten. Allen Gutachte­ rinnen ist bekannt, dass die Erstaussage eines Kindes häufig unvollständig ist. (3) Es wird auch allgemein als unrealistisch angesehen, dass schon bei der Erstvernehmung alle Fragen an das Kind gestellt werden können, die für das betreffende Strafverfah­ ren von Bedeutung sind. Die Erfahrung zeigt, dass im Verlauf des Verfahrens bzw. nach der Vernehmung sonstiger Zeugen fast immer noch wichtige Fragen auftauchen, die einer Klärung bedürfen. Außerdem dürfte ein Eingehen auf alle Fragen auch den möglichen zeitlichen Rahmen einer Erstvernehmung nicht selten sprengen und die Konzentration des kindlichen Zeugen überfordern“; ähnliche Bedenken äußert auch Swoboda, S. 337 ff.; vgl. ferner Lingenberg, S. 119: Die einmalige Vernehmung im Ermittlungsverfahren sei, „soweit die Verfahren nicht im Konsens geführt werden, schlichtweg eine Illusion“. 106  KK-StPO/Griesbaum, § 168e Rn. 3; vgl. auch Lingenberg, S. 119; Swoboda, S. 341; Zschockelt/Wegner, NStZ 1996, 305 (306). Entsprechend sieht auch Nr. 19a Abs. 3 RiStBV vor, dass eine „mehrmalige Vernehmung des Verletzten vor der Hauptverhandlung […] für diesen zu einer erheblichen Belastung führen und […] deshalb nach Möglichkeit zu vermeiden [ist]“.



§ 1 Die Regelung des § 168e StPO zur Video-Simultanübertragung319

male Vorbereitung der richterlichen Vernehmung.107 Auf diesem Wege könnte die Zahl der Mehrfachvernehmungen zumindest regelmäßig auf zwei redu­ ziert werden.108 Letztlich können hierdurch die auf das Strafverfahren rück­ führbaren Belastungen für das Opfer einer Straftat109 zwar nicht gänzlich beseitigt, jedoch zumindest spürbar vermindert werden.110 Dieser entlastende Effekt kann sich aber als gering erweisen, wenn es bereits an den Vorausset­ zungen einer kindgerechten Befragung fehlt oder sich die Vernehmung durch eine unvollständige und suggestive Form der Fragestellung kennzeichnet.111 Der Einsatz von Videotechnik vermag einen wirkungsvollen Zeugenschutz mithin nicht allein zu gewährleisten; er stellt vielmehr l­ediglich ein „zusätz­ liches Angebot“112 des Gesetzgebers zum Schutz des Zeugen dar, das vielfäl­ tigen Verhaltensanforderungen der beteiligten Instanzen unterliegt. Vor die­ sem Hintergrund sollte die praktische Verwirklichung des dem § 168e StPO zugrundeliegende Regelungszweck nicht noch unnötig erschwert werden. Insofern wird vorgeschlagen, den Tatbestand des § 168e StPO der Schutz­ würdigkeit der jeweiligen Zeugengruppe anhand der Altersstufengrenze an­ zupassen.113 Ferner sollte der Gesetzestext des § 168e S. 1 StPO, soweit er die Anwendung der Subsidiaritätsklausel im Verhältnis zu den §§ 168c Abs. 3, Abs. 5 S. 2 StPO betrifft, teleologisch reduziert werden.114

107  Thoma,

S. 52. FS Kaiser (1998), 1481 (1496); vgl. auch Zschockelt/Wegner, NStZ

108  Weigend,

1996, 305 f. 109  Vgl. hierzu nur Busse/Volbert/Steller, S. 192, 196 f.; Kopf, S.  118 ff.; Hartz, S.  31 ff.; Scheumer, S.  87 ff.; Schmoll, S.  54 ff.; Stiebig, ZfJ 2000, 408 (409); Volbert, S.  115 ff.; ferner Dölling, Forschungsprojekt, S. 181 ff. 110  Vgl. Pott, S. 18 f.; zweifelnd Pfäfflin, StV 1997, 95 (98), der grundsätzliche Einwände gegen die Neuregelungen zum Einsatz der Videotechnik erhebt und hin­ sichtlich des „Mainzer Modells“ darauf hinweist, dass auch die „Abschottung von Zeugen vor der Konfrontation mit dem Angeklagten als Belastung“ erlebt werden könne. Richtigerweise wäre eine solche Belastung des Zeugen gleichermaßen i. R. der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung nach § 168e StPO zu berücksichtigen. Dies ändert aber nichts an der grundsätzlichen Erforderlichkeit einer Bestimmung, die eine Vernehmung des schutzbedürftigen Zeugen nach dem „Mainzer Modell“ im Ermitt­ lungsverfahren ermöglicht und ihn damit vor einer unmittelbaren Konfrontation mit dem Beschuldigten schützt; zu den Vorteilen einer frühzeitigen, richterlichen und ­videodokumentierten Zeugenvernehmung im Hinblick auf eine wirksame und nach­ haltige Psychotraumatherapie des traumatisierten Opferzeugen Kopf, S. 154. 111  BT-Drucks. 13/7165, S. 4, 6, 9; vgl. auch Caesar, NJW 1998, 2313 (2318); Schlüchter, FS Schneider (1998), S. 445 (452); SK-SPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 5. 112  BT-Drucks. 13/7165, S. 4, 9. 113  Vgl. oben S. 305 f. 114  Vgl. oben S. 309 ff.

320

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung einer Zeugen- und Sachverständigenvernehmung in der Hauptverhandlung Unter den Voraussetzungen des § 247a StPO ist die Videosimultanübertra­ gung von Zeugen- (Abs. 1) und Sachverständigenvernehmungen (Abs. 2) in der Hauptverhandlung möglich. Die Vorschrift lautet aktuell wie folgt: § 247a Anordnung einer audiovisuellen Vernehmung von Zeugen (1)  1Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden ver­ nommen wird, so kann das Gericht anordnen, daß der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält; eine solche Anordnung ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die Entscheidung ist unanfechtbar. 2Die Aussage wird zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen. 3Sie soll aufgezeich­ net werden, wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in einer weiteren Hauptverhand­ lung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 4§ 58a Abs. 2 findet entsprechende Anwendung. (2)  1Das Gericht kann anordnen, dass die Vernehmung eines Sachverständigen in der Weise erfolgt, dass dieser sich an einem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Sach­ verständige aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird. 2Dies gilt nicht in den Fällen des § 246a. 3Die Entscheidung nach Satz 1 ist unanfechtbar.115

A. § 247a StPO im Wandel der Zeit Die Regelung des § 247a StPO wurde ursprünglich durch das ZSchG vom 30.04.1998116 in die StPO eingefügt.117 Hierdurch wurde – entsprechend dem in Großbritannien erprobten und bewährten Modell – die Möglichkeit ge­ schaffen, die Vernehmung in der Hauptverhandlung dergestalt durchzuführen, dass der Vorsitzende bei der Zeugenvernehmung im Sitzungssaal verbleibt und er mit dem Zeugen, der sich an einem anderen Ort aufhält, mittels einer

115  Seine aktuelle Fassung hat § 247a StPO durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Ver­ fahren vom 25.04.2013 mit Wirkung zum 01.11.2013 erhalten, BGBl. I S. 935 (936 f.). 116  BGBl. I S. 820 ff. 117  Zur Entstehungsgeschichte des ZSchG S. 94 ff.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung321

Videosimultanübertragung verbunden ist.118 Der Gesetzgeber versprach sich durch das neue Vernehmungsmodell nicht nur einen verbesserten Zeugen­ schutz, sondern auch eine umfassendere Sachaufklärung im Strafverfahren.119 Eine Begrenzung auf bestimmte Zeugengruppen oder Deliktsbereiche sah die Vorschrift jedoch nicht vor. Sie ging damit über die ursprünglichen gesetzge­ berischen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem ZSchG, dem der Schutz kindlicher Opfer (vor allem des sexuellen Missbrauchs) zugrunde lag, hi­ naus.120 Schließlich sollte die Möglichkeit der Videosimultanübertragung auch internationalen Tendenzen zum verstärkten Einsatz von Videotechnolo­ gie Rechnung tragen. Vor diesem Hintergrund erfolgte auch der Verweis des § 247a S. 1 Hs. 2 StPO a. F. auf § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 StPO a. F.121 Mit der Einführung des § 247a StPO wurden insofern die „rechtlichen Vorausset­ zungen […] geschaffen, um […] den Anforderungen internationaler Krimina­ litätsbekämpfung gewappnet zu sein“.122 Der Vorschrift fehlte es jedoch an dem notwendigen Maß an Flexibilität, um sich in den folgenden Jahren in der Praxis durchsetzen zu können. Dies lag insbesondere an der in § 247a StPO a. F. enthaltenen sog. Subsidiaritäts­ klausel („und kann sie nicht in anderer Weise, namentlich durch eine Entfer­ nung des Angeklagten sowie den Ausschluss der Öffentlichkeit, abgewendet werden“)123, die durch das OpferRRG vom 24.06.2004124 gestrichen wurde.

118  BT-Drucks. 13/7165, S. 1. Der Gesetzgeber wollte hierdurch Kollisionen mit § 226 StPO (ununterbrochene Anwesenheit der zur Urteilsfindung berufenen Perso­ nen), § 261 StPO (Beweiswürdigung nach der aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung), § 238 Abs. 1 StPO (Verhandlungsleitung), § 176 GVG (Sitzungsgewalt) vermeiden sowie den Bedenken gegen eine „gespaltene Hauptver­ handlung“ Rechnung tragen, BT-Drucks. 13/7165, 5, 10; vgl. auch BT-Drucks. 15/ 2536, S. 15; BT-Drucks. 15/2609, S. 14. 119  Vgl. BT-Drucks. 13/7165, S. 9: „Die Vielzahl der Anwesenheitsberechtigten in der Hauptverhandlung bei der Vernehmung kindlicher Opferzeugen kann die Zeu­ gen massiv belasten, eine unbefangene Aussage und damit die Wahrheitsfindung er­ heblich erschweren. Das Problem kann sich in gleicher Weise bei anderen besonders schutzbedürftigen Zeugen stellen“. Die Videosimultanübertragung erspart dem Zeu­ gen hierdurch nicht nur eine Aussage unter einer „belastenden Atmosphäre im Sit­ zungssaal“, sondern auch eine persönliche Begegnung des Zeugen mit dem Ange­ klagten, BT-Drucks. 15/2536, S. 15. 120  Kretschmer, JR 2006, 453 (455); Rieck, S. 56. 121  Näher BT-Drucks. 13/9063, S. 4 f. 122  BGHSt 45, 188 (191). 123  Kritisch zur sog. Subsidiaritätsklausel Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (717); Rieck, S.  220 f.; Swoboda, S. 165 ff.; vgl. zum problematischen Rechtsverständnis des § 247a StPO vor Streichung der Subsidiaritätsklausel auch den Überblick bei Maaß, S. 140 ff.; zur Entfernung des Angeklagten an Stelle einer Videovernehmung vor Streichung der Subsidiaritätsklausel BGH NStZ 2001, 261 f.; 2001, 608.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

Bislang führte die Klausel nämlich dazu, dass von einer Videosimultanüber­ tragung praktisch kaum Gebrauch gemacht wurde; stattdessen wurde der Angeklagte in der Regel aus dem Sitzungszimmer entfernt (§ 247 StPO).125 Dies schränkte aber „in vielen Fällen die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten unnötig ein“. Mit der Aufhebung der Klausel sollte die Rege­ lung des § 247a StPO dementsprechend „als Alternative zu den sonstigen Maßnahmen zum Schutz des Zeugen aufgewertet werden“.126 Da das Gericht fortan nicht nur das Schutzbedürfnis des Zeugen, sondern auch die Aufklä­ rungspflicht und das Verteidigungsinteresse verstärkt im Rahmen einer aus­ gleichenden Verfahrensgestaltung berücksichtigen kann127, ist die Aufhebung der Subsidiaritätsklausel ausdrücklich zu begrüßen. Gleiches gilt für die dem Gericht hierdurch ermöglichte flexiblere Handhabung im Rahmen der Aus­ wahl zeugenschützender Maßnahmen. Im Anschluss daran regelte das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24.08. 2004128 eine redaktionelle Anpassung des § 247a StPO an die Neufassung

124  Der offizielle Titel lautet: Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz), BGBl. I S. 1354 (1355, 1358). 125  BT-Drucks. 15/1976, S. 12; BT-Drucks. 15/2536, S. 5; vgl. auch BT-Drucks. 15/2536, S. 15; BGH NJW 2017, 3397 (3398). 126  BT-Drucks. 15/1976, S. 12; kritisch hierzu jedoch die Stellungnahme des Bun­ desrates in BT-Drucks. 15/2906, S. 4: Die Aufhebung der Subsidiaritätsklausel diene „in erster Linie dem Schutz des Angeklagten und der Wahrung seiner Rechte auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung“. In der Praxis werde es „wegen der mit einer Videokonferenz verbundenen Umstände keine Seltenheit sein, dass die Gerichte auf ihre Durchführung verzichten und dann, um sich nicht dem Risiko einer Revision auszusetzen, in Anwesenheit des Angeklagten das Opfer vernehmen, während sie bislang den Angeklagten ausschließen konnten“; ähnlich Ferber, NJW 2004, 2562 (2564) mit der Begründung, dass die neue Regelung „bis auf weiteres nur einen Ef­ fekt haben wird: die Stärkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten“; a.  A. Hartz, KJ 2006, S. 74 (81 f.); ferner MüKo-StPO/Cierniak/Niehaus, § 247a Rn. 22: „Statt der Wahrheitsfindung […] rücken unverhohlen die ‚Wünsche‘ der Zeu­ gin und deren therapeutische Interessen in den Vordergrund“. 127  Zum Verhältnis zwischen § 247a StPO und § 247 StPO führte der Gesetzgeber in BT-Drucks. 15/1976, S. 12, BT-Drucks. 15/2536, S. 5 hierbei beispielhaft wie folgt aus: „Bevor das Gericht einen Angeklagten ausschließt, wird es sich mit der Möglich­ keit des § 247a StPO auseinandersetzen müssen. Anderenfalls können Rechtsfehler bei der Anwendung des § 247 StPO zum absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO führen. […] Bedürfen beispielsweise kindliche Opferzeugen offensichtlich der persönlichen Zuwendung und Ansprache, kann die Entfernung des Angeklagten unter diesem Gesichtspunkt einer Vernehmung über Videoleitung vorzuziehen sein. Glei­ ches kann für Fälle gelten, in denen Kinder Scheu vor einer Kameraaufzeichnung haben, etwa weil sie Opfer pornographischer Filmaufnahmen geworden sind“. 128  Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz), BGBl. I S. 2198; vgl. hierzu BT-Drucks. 15/1508, S. 25.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung323

des § 251 StPO. Seine letzte bedeutende Änderung129 erfuhr § 247a StPO schließlich durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokon­ ferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren vom 25.04.2013130, indem der Vorschrift ein Absatz 2 angefügt wurde, der die Anordnung einer Videosimultanübertragung seitdem auch im Rahmen der Vernehmung eines Sachverständigen (ausgenommen in den Fällen des § 246a StPO131) erlaubt. Zweck der Neuregelung ist es, die mit dem Einsatz von Videokonferenztechnik verbundenen prozessökonomischen Vorteile auch für die Vernehmung eines Sachverständigen nutzbar zu machen.132 Die Regelung des § 247a StPO hat seit ihrem Inkrafttreten damit zwar nur wenige gesetzliche Neuerungen erfahren. Die bislang ergangenen Gesetzes­ änderungen bringen jedoch den gesetzgeberischen Willen zum Ausdruck, den Einsatz von Videotechnologie in der Hauptverhandlung langsam, aber stetig zu erweitern, die hiermit verbundenen praktische Vorteile vermehrt und über die ursprüngliche Intention des ZSchG hinaus zu nutzen und vorhandene Hürden bei der Anwendung des § 247a StPO (z. B. Subsidiaritätsklausel) abzubauen. Der Vorschrift soll nach alledem keine ultima-ratio-Funktion mehr zukommen. Künftig hat das Gericht – im Sinne einer flexiblen Verfah­ rensgestaltung – diejenige Maßnahme auszuwählen, die das Spannungsver­ hältnis zwischen dem „Schutz des Zeugen, der Aufklärungspflicht und den Verteidigungsinteressen“ zu einem gerechten Ausgleich bringt.133

B. Normzweck § 247a Abs. 1 StPO134 enthält unterschiedliche Regelungen mit verschie­ denen Zielrichtungen. Die Anordnung der Videosimultanübertragung ist gem. § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO weder auf bestimmte Zeugengruppen noch auf bestimmte Deliktsbereiche beschränkt. Die Regelung beabsichtigt daher ei­ nen gegenüber § 255a Abs. 2 StPO umfassenderen Zeugenschutz, indem sie gerade alle schutzbedürftigen Zeugen einbezieht, denen schwerwiegende 129  Seine aktuelle Fassung erhielt § 247a StPO durch das Gesetz zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom 17.05.2015, der die Vorschrift mit einer amtlichen Überschrift „Anordnung einer audiovisuellen Vernehmung von Zeugen“ versehen hat, BGBl. I S. 1332 (1333, 1342). 130  BGBl. I S. 935 (936 f.). 131  In den Fällen des § 246a StPO kann „das Gutachten des Sachverständigen letztlich […] auf dem Eindruck von Person und Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung beruhen“, BT-Drucks. 17/1224, S. 14. 132  BT-Drucks. 17/1224, S. 1. 133  BT-Drucks. 15/1976, S. 12. 134  Vgl. separat zu § 247a Abs. 2 StPO S. 355 ff.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

Nachteile drohen.135 Auf „kleinräumige[], auf minderjährige Zeugen be­ schränkte Regelungen“ wurde insofern bewusst verzichtet.136 Dahinter steht der Wille des Gesetzgebers, das Schutzbedürfnis des Zeugen entsprechend seiner Verfahrensrolle als „eines der wichtigsten strafprozessualen Beweis­ mittel“ auszugestalten und so der Gefahr zu begegnen, dass „immer mehr Bürger sich zurückziehen und die Zeugenrolle wo immer möglich zu vermei­ den suchen“.137 Soweit § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 StPO auch auf § 251 Abs. 2 StPO Bezug nimmt, verfolgt er ebenfalls Ziele der Beweissicherung und Verfahrensökonomie.138 § 247a Abs. 1 S. 2 StPO dient zudem der Verfahrensbeschleunigung und Rechtssicherheit139, indem er bestimmt, dass die gerichtliche Entscheidung unanfechtbar ist. § 247a Abs. 1 S. 4 StPO enthält schließlich eine Ermächtigungsgrundlage zur audiovisuellen Aufzeichnung der Zeugenvernehmung. Soweit dem Zeugen hierdurch eine weitere belas­ tende Vernehmung („sei es in der Berufungsinstanz oder nach Aufhebung und Zurückverweisung“) erspart werden kann, dient die Regelung neben der verbesserten Wahrheitsfindung auch dem Zeugenschutz.140

C. Regelungsgehalt I. Videovernehmung des Zeugen § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO eröffnet die Möglichkeit einer Videosimul­ tanübertragung in der Hauptverhandlung, wenn bei einer Vernehmung des Zeugen in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden141 die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen besteht. Ein solcher schwerwiegender Nachteil für das Wohl des Zeugen er­ fasst Gefahren für das gesamte seelische, körperliche und geistige Wohlerge­ hen.142 Bloße Unannehmlichkeiten bzw. Störungen des allgemeinen Wohlbe­ findens, die mit einer Vernehmung verbunden sein können, reichen hierbei keinesfalls aus; erforderlich ist vielmehr ein drohender objektiv schwerwieNJW 1999 1667 (1668). 13/7165, S. 5. 137  BT-Drucks. 13/7165, S. 4; BT-Drucks. 12/989, S. 34. 138  Kretschmer, JR 2006, 453 (455). 139  BT-Drucks. 13/7165, S. 10. 140  BT-Drucks. 13/7165, S. 10. Nach § 247a Abs. 1 S. 5 gilt in diesem Fall § 58a Abs. 2 StPO entsprechend. 141  § 247 StPO stellt dagegen auf eine Gefahrverursachung durch die Verneh­ mung des Zeugen „in Gegenwart des Angeklagten“ ab. 142  Diemer, NJW 1999, 1667 (1669); KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 11; MeyerGoßner/Schmitt, § 247a Rn. 3; SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 25; SSW-StPO/Tsambikakis, § 247a Rn. 5. 135  Diemer,

136  BT-Drucks.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung325

gender, d. h. massiver Nachteil, der weit über die gewöhnlichen Belastungen einer Zeugeneinvernahme in der Hauptverhandlung hinausgeht.143 Maßgeb­ lich ist stets die individuelle Verfassung und Belastbarkeit des Zeugen.144 Eine dringende Gefahr ist bei einer hohen Wahrscheinlichkeit für das Eintre­ ten eines massiven Nachteils anzunehmen. Dem Richter müssen sich die Umstände der Zeugengefährdung mithin (im Sinne einer subjektiv starken Vermutung) geradezu aufdrängen.145 Gefordert wird dementsprechend auch das Vorliegen bestimmter Tatsachen (z. B. ärztliche Gutachten), die auf diese Wahrscheinlichkeit hinweisen.146 Bloße Befürchtungen, Wünsche des Zeu­ gen oder abstrakte Möglichkeiten sind demgegenüber nicht ausreichend.147 Aufgrund des (an § 247 StPO angelehnten) Wortlauts des § 247a StPO ist insgesamt eine enge Auslegung der Vorschrift angezeigt.148 Zur Klärung der Frage, ob die hohen Tatbestandsvoraussetzungen der Norm vorliegen, wird daher in der Regel ein Sachverständiger zur Begutachtung heranzuziehen sein.149 Ausgehend von diesen Grundsätzen wird sich der Zeuge einer persön­ lichen Vernehmung nicht allein mit dem Hinweis auf die aktuelle COVID19-Pandemie und das hiermit verbundene generelle Infektionsrisiko entzie­ hen können; dies gilt jedenfalls, sofern ausreichende Schutzvorkehrungen für den Gerichtsort getroffen wurden.150 Praktische Bedeutung wird die Video­ simultanübertragung daher insbesondere bei kindlichen, jugendlichen und erheblich psychisch belasteten Zeugen erlangen.151 143  Vgl. Diemer, NJW 1999, 1667 (1669); ders., NStZ 2001, 393 (394); Kipper, S. 105; LR/Becker, § 247a Rn. 8; MüKo-StPO/Cierniak/Neuhaus, § 247a Rn. 6; SKStPO/Frister, § 247a Rn. 26; SSW-StPO/Tsambikakis, § 247a Rn. 5; Vogel, S. 39. 144  LR/Becker, § 247a Rn. 8; SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 28. 145  Rieck, S. 61, 75; vgl. auch Paeffgen, S. 194. 146  Vgl. Diemer, NStZ 2001, 393 (394); SSW-StPO/Tsambikakis, § 247a Rn. 6; KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 11; KMR/Lesch, § 247a Rn. 26; Griesbaum, NStZ 1998, 433 (440); Laubenthal/Nevermann-Jaskolla, JA 2005, 294 (298); Neuhaus, StV 2004, 620 (625); Rieß, StraFo 1999, 45 (47); SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 27. 147  LR/Becker, § 247a Rn. 9; MüKo-StPO/Cierniak/Niehaus, § 247a Rn. 6. 148  Vgl. LG Waldshut-Tiengen BeckRS 2014, 7909; Griesbaum, NStZ 1998, 433 (440); Leitner, S. 66 f.; MüKo-StPO/Cierniak/Niehaus, § 247a Rn. 4; SSW-StPO/ Tsambikakis, § 247a Rn. 7. 149  Dahs, FS Paeffgen (2015), S. 559 (563); Swoboda, S. 161. 150  Rau, COVuR 2020, 406 (408); ähnlich Kaltenbach, COVuR 2020, 230 (234); vgl. in diesem Zusammenhang auch den erfolglosen Eilantrag eines 77-Jährigen auf Aufhebung der anberaumten Hauptverhandlungstermine im Hinblick auf eine be­ fürchtete COVID-19-Infektion trotz der Erstellung eines Hygienekonzepts für den Sitzungssaal BVerfG BeckRS 2020, 31134 Rn. 57 ff. 151  Vgl. Rieß, StraFo 1999, 45 (47); SSW-StPO/Tsambikakis, § 247a Rn. 7; Vogel, S. 39 Fn. 83. Die Aufnahme des Zeugen in ein Zeugenschutzprogramm hindert eine Videovernehmung hierbei grundsätzlich nicht, vgl. BGH NJW 2006, 785 (788):

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

Darüber hinaus kann eine Videosimultanübertragung durch Verweis des § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 StPO auf § 251 Abs. 2 StPO auch unter den dort genannten Voraussetzungen angeordnet werden.152 Die Videovernehmung ist daher möglich, wenn dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen (§  251 Abs.  2 Nr.  1 StPO)153, wenn ihm das Erscheinen in der Hauptverhandlung wegen großer Entfernung unter Berücksichtigung der Bedeutung seiner Aussage nicht zu­ gemutet werden kann (§ 251 Abs. 2 Nr. 2 StPO)154 und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte mit der Verlesung einverstanden sind (§ 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO).155 Nach dem einschränkenden Zusatz in § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 StPO ist die Videovernehmung in den Fällen des § 251 Abs. 2 StPO aber nur zulässig, „soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforder­ lich ist“. Dies ist nach Maßgabe der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu prüfen. Hiernach wird eine Videovernehmung notwendig sein, wenn von ihr eine bessere Aufklärung erwartet werden kann als von der Verlesung ei­ nes richterlichen Protokolls. Ein genereller Vorrang kommt der Videoverneh­

„§ 10 III ZSHG ist nicht etwa in dem Sinne zu verstehen, dass andere strafprozes­ suale Regelungen, die neben diesen Vorschriften ausdrücklich dem Zeugenschutz dienen (etwa §§ 247, 247a StPO) oder für diesen fruchtbar gemacht werden können, nicht angewendet werden dürfen“; a. A. Hohnel, NJW 2004, 1356 (1357 f.). 152  Der Anwendungsbereich des § 247a StPO erstreckt sich nur auf Zeugen und wird durch den Verweis auf § 251 Abs. 2 StPO nicht auch auf Sachverständige und Mitbeschuldigte erweitert; Diemer, NStZ 2001, 393 (395); ders., NJW 1999, 1667 (1670). Maßgeblich ist stets die Verfahrensstellung im Zeitpunkt der Anhörung, so­ dass auch ein früherer Mitbeschuldigter als Zeuge nach § 247a Abs. 1 StPO vernom­ men werden kann; BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 6; LR/Becker, § 247a Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, § 247a Rn. 6. 153  Zu dieser Fallgruppe zählen insbesondere die seitens der Erziehungsberechtig­ ten „gesperrten“ Kinderzeugen, behördlich gesperrte Zeugen und Auslandszeugen, die sich weigern, vor Gericht zu erscheinen und hierzu auch nicht gezwungen werden können, vgl. Swoboda, S. 244 ff.; ferner HK-StPO/Julius, § 247a Rn. 8. 154  Vgl. jedoch zum Bedeutungsverlust des § 251 Abs. 2 Nr. 2 StPO angesichts der heutigen Reisemöglichkeiten MüKo-StPO/Kreicker, § 251 Rn. 76; Thörnich, S.  339 f.; näher zum praktischen Anwendungsbereich der insofern zeit- und kostensparenden Videovernehmung auf der Grundlage des § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO Swoboda, S.  303 ff. 155  Das Gericht ist jedoch selbst bei Zustimmung aller Verfahrensbeteiligten nicht an ein Vorgehen nach § 247a StPO gebunden, LR/Becker, § 247a Rn. 13; SSW-StPO/ Tsambikakis, § 247a Rn. 12; kritisch zur Möglichkeit eines Vorgehens im allseitigen Einverständnis Rieß, NJW 1998, 3240 (3242), der diesen Fall – ohne Angabe von Gründen – als „nicht unproblematisch“ bezeichnet; generelle Bedenken äußert auch Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1308 Fn. 552; vgl. auch Rieck, S. 92, der diese Alternative als „überflüssig“ bezeichnet und ihre Streichung für geboten hält; diff. Swoboda, S. 306 ff.; a. A. SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 36.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung327

mung daher nicht zu; maßgeblich sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls.156 1. Systematischer Vergleich mit § 247 S. 2 StPO § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO knüpft mit seinen engen Voraussetzungen („dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeu­ gen“) – ohne zwischen minderjährigen und erwachsenen Zeugen zu differen­ zieren157 – an ähnliche Voraussetzungen an, die § 247 S. 2 Alt. 2 StPO158 hinsichtlich der Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer für erwachsene Zeugen vorsieht („dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit“).159 Der in § 247 S. 1 Alt. 2 StPO verwen­ dete Begriff der „Gesundheit“ ist jedoch im Verhältnis zum „Wohl“ der en­ gere.160 Unter Nachteilen für die Gesundheit fallen zwar auch körperliche (z. B. Gefahr eines Herzinfarkts, Schlaganfalls oder Nervenzusammenbruchs), seelische und geistige Beeinträchtigungen161; darüber hinaus bezieht der Be­ griff des Wohls aber auch die Entwicklung und das sittliche Wohl des jugend­

156  Vgl. BGHSt 46, 73 (79); Albrecht, StV 2001, 364 (366); KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 13; KMR/Lesch, § 247a Rn. 31; Helmig, S.  73 f.; Maaß, S. 156 f.; MüKoStPO/Cierniak/Niehaus, § 247a Rn. 11; MüKo-StPO/Kreicker, § 251 Rn. 64; Rose, JR 2001, 345 (347); Diemer, NStZ 2001, 393 (396); SSW-StPO/Tsambikakis, § 247a Rn.  15; a. A. Sinn, JZ 2001, 51 (52); SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 41; Schwaben, NStZ 2002, 288 (289); kritisch ferner Seitz, JR 1998, 309 (312) der diesen Gesetzes­ text für „überflüssig“ hält; ausführlich zum Meinungsstand Thörnich, S.  367 ff. 157  Vgl. hierzu bereits die Ausführungen auf S. 305 f. zur parallelen Regelung des § 168e StPO. 158  § 247 StPO lautet aktuell wie folgt: „1Das Gericht kann anordnen, daß sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen. 2Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. 3Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheb­ licher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. 4Der Vorsitzende hat den An­ geklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt wor­ den ist“. 159  Vgl. BT-Drucks. 13/4983, S. 7; Hartz, S. 134; Metz, NStZ 2017, 446 (447). 160  Hartz, S. 134. 161  KK-StPO/Diemer § 247 Rn. 11; SK-StPO/Frister, § 247 Rn. 37 m. w. N.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

lichen Zeugen mit ein.162 Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO sind hier also weiter. Für minderjährige Zeugen lässt § 247 S. 2 Alt. 1 StPO jedoch bereits die Befürchtung, im Sinne einer „bloßen“ Wahrscheinlichkeit163 (statt einer dringenden Gefahr), eines erheblichen, im Sinne eines zeitlich über die Vernehmung andauernden164 (statt eines schwer­ wiegenden), Nachteils für das Wohl des Zeugen ausreichen. § 247a StPO fordert daher sowohl eine höhere Beeinträchtigungsintensität als auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für den Schadenseintritt und ist insoweit enger als § 247 StPO.165 Ein weiterer Unterschied besteht auch hinsichtlich der Her­ kunft des Nachteils: § 247 S. 2 StPO fordert sowohl für minderjährige als auch für erwachsene Zeugen, dass der Nachteil für das Wohl des Zeugen gerade aus der Gegenwart des Angeklagten resultiert. § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO lässt es demgegenüber ausreichen, dass der Nachteil auf der Prä­ senz der in der Hauptverhandlung Anwesenden beruht, also z. B. auch aus der in einem Sitzungssaal herrschenden Gerichtsatmosphäre resultiert (dies wird insbesondere bei Kindern relevant)166; insoweit ist § 247a weiter als § 247 StPO. Im Übrigen lässt § 247 S. 1 StPO die Entfernung des Angeklag­ ten – im Gegensatz zu § 247a StPO – auch zu, wenn zu befürchten ist, dass ein Zeuge bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahr­ heit nicht sagen werde.167 Gleiches kann auch für die Dauer von Erörterun­ gen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten ange­ ordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu be­ fürchten ist, § 247 S. 3 StPO. Es bleibt festzuhalten, dass § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO im Hinblick auf seine Tatbestandsvoraussetzungen (dringende Gefahr eines schwerwiegenden 162  KK-StPO/Diemer § 247 Rn. 10; LR/Becker, § 247 Rn. 21; SK-StPO/Frister, § 247 Rn. 34. 163  Vgl. KMR/Hiebl, § 247 Rn. 44; Rieck, S. 60; SSW-StPO/Tsambikakis, § 247 Rn. 16. 164  Vgl. LR/Becker, § 247 Rn. 20; Meyer-Goßner/Schmitt, § 247 Rn. 11; SK-StPO/ Frister, § 247 Rn. 34. Ein auf die Vernehmungssituation beschränkter, lediglich vorü­ bergehender Nachteil reicht nicht aus; Rieck, S. 65. Als Beispiele werden u. a. die Vertiefung eines traumatisierenden Erlebnisses oder die Beeinträchtigung der künfti­ gen Entwicklung eines minderjährigen Zeugen aufgeführt; KMR/Hiebl, § 247 Rn. 41; SK-StPO/Frister § 247 Rn. 34. 165  Vgl. Hartz, S. 135; Swoboda, S. 149. 166  Vgl. BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 5; KMR/Lesch, § 247a Rn. 26; SSWStPO/Tsambikakis, § 247a Rn. 6; Swoboda, S.  149 f.; Thoma, S. 120. 167  Vgl. BGH StV 2002, 10 (11). Eine Begegnung zwischen dem Zeugen und dem Angeklagten lässt sich aber in diesen Fällen nicht vollständig ausschließen (z. B. bei „Wartezeiten“ außerhalb des Sitzungssaales oder in Sitzungspausen); vgl. zu der hierdurch möglichen (und der Wahrheitsfindung abträglichen) Beeinflussung des Zeu­ gen durch Worte oder Verhaltensweisen Dahs, FS Paeffgen (2015), S. 559 (561).



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung329

Nachteils für das Wohl des Zeugen) zwischen den beiden Alternativen des § 247 S. 2 (Befürchtung eines erheblichen Nachteils für das Wohl des Zeu­ gen/dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit des Zeugen) einzuordnen ist.168 Sofern die §§ 247a, 247 StPO an den Schutz des minderjährigen Zeugen anknüpfen, erscheint dieses Stufenverhältnis je­ doch nicht nachvollziehbar, da § 247 S. 2 Alt. 1 StPO in diesem Fall – ver­ glichen mit § 247a Abs. 1 S. 1 HS. 1 StPO – einen Ausschluss des Angeklag­ ten unter erleichterten Voraussetzungen vorsieht. Diese Diskrepanz ist bereits vor dem Hintergrund der Gesetzgebungsgeschichte und dem vor Erlass des ZSchG postulierten unzureichenden Schutzes kindlicher Zeugen nicht ein­ leuchtend.169 Zudem ist der Ausschluss des Angeklagten für diesen wesent­ lich nachteiliger als eine audiovisuelle Zeugenvernehmung170, sodass das derzeitige Verhältnis von § 247 und § 247a StPO nicht sachgerecht aufeinan­ der abgestimmt ist. Der Gesetzgeber sah zwar nach seiner ursprünglichen Intention keine Be­ grenzung der Vorschrift auf bestimmte Zeugengruppen oder Deliktsbereiche vor. Er bezweckte vielmehr einen umfassenden Zeugenschutz171 und betonte, dass es sich bei dem Einsatz der Videotechnik bei Kindern nicht um den „Königsweg kinderschützender Verfahrensweise“ handelt.172 Aufgrund sei­ ner jetzigen Tatbestandsvoraussetzungen kann § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO seine Schutzwirkung aber nur in einem „schmalen Bereich zwischen [einem] völlige[n] Zusammenbruch des Zeugen auf der einen, und einer als noch zumutbar betrachteten, „erheblichen“ Beeinträchtigung des Zeugenwohls auf der anderen Seite“ entfalten.173 Auch wenn die Möglichkeit einer Videokon­ ferenz nach § 247a StPO keinen absoluten Zeugenschutz zu leisten vermag, würde eine Anpassung des § 247a Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO an die Kriterien des § 247 S. 2 StPO nicht nur einen wirkungsvolleren Zeugenschutz, sondern auch eine höhere Flexibilität des Gerichts im Zusammenhang mit zeugen­ schützenden Maßnahmen ermöglichen.174 Dies würde auch dem Angeklagten 168  So auch Rieck, S. 59, 74; zu den praktischen Subsumtionsschwierigkeiten Swoboda, S.  150 f. 169  Vgl. Laubenthal, JZ 1996, 335 (339). Vgl. zur besonderen Schutzbedürftigkeit minderjähriger Zeugen ferner die Regelungen in §§ 241a, 247 S. 2, 255 Abs. 2 StPO und § 172 Nr. 4 GVG. 170  Vgl. Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (717); Hartz, S. 141 f., 148; Kretschmer, JR 2006, 453 (455); Leitner, S. 68; Maaß, S. 145; Scheumer, S. 76, 300; Schlüchter/ Greff, Kriminalistik 1998, 530 (532); Schmoll, S.  180 f.; Schöch, FS Meyer-Goßner (2001), S. 365 (384); Thoma, S. 122. 171  BT-Drucks. 13/7165, S. 4. 172  BT-Drucks. 13/7165, S. 10. 173  So Swoboda, S. 162. 174  Vgl. Maaß, S. 139; ferner Swoboda, S. 235.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

zu Gute kommen, wenn man berücksichtigt, dass er im Falle des § 247 S. 2 StPO den Raum verlassen muss und hierbei empfindlich in seinen Verteidi­ gungsrechten getroffen wird, sofern es – was in praktischer Hinsicht regel­ mäßig der Fall sein dürfte – gerade um die Vernehmung des Belastungszeugen geht.175 Zwar kann das Gericht, wenn es den Zeugen im Sitzungssaal vernimmt, möglicherweise einen besseren persönlichen Eindruck von ihm als bei einer Videosimultanübertragung nach § 247a StPO erlangen; dieser Um­ stand vermag jedoch für sich allein betrachtet nicht den (schwerwiegenden) Ausschluss des Angeklagten nach § 247 StPO zu rechtfertigen.176 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die weitere Teilnahme des Angeklagten an der Hauptverhandlung auch der Sachaufklärung dienlich sein kann.177 Vor dem Hintergrund der fortlaufenden Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 247a StPO und der Abschaffung praktischer Hürden (wie z. B. der Sub­ sidiarität, namentlich im Verhältnis zu § 247 StPO)178 sowie des Appell­ charakters179 des neu eingefügten § 48a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO180, ist ferner davon auszugehen, dass der Videosimultanübertragung – verglichen mit der ursprünglichen Fassung des § 247a StPO – nunmehr ein erhöhter Stellenwert im Bereich der zeugenschützenden Maßnahmen zukommt. Insgesamt spricht daher viel dafür, eine Videovernehmung nach § 247a StPO auch in den Fäl­ len des § 247 S. 2 Alt. 1 StPO zuzulassen. Ein entsprechender Gesetzesvor­ schlag könnte in Anlehnung an die Voraussetzungen des § 247 S. 2 StPO demnach wie folgt lauten181: 175  Vgl. zur Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte im Falle des § 247 StPO Rieck, S. 62, 209 ff. 176  SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 17. 177  Maaß, S. 145; Swoboda, S. 165, 167 Fn. 86. 178  Vgl. bereits oben S. 320 ff.; vgl. auch BT-Drucks. 15/1976, S. 12, BT-Drucks. 15/2536, S. 5: „Bevor das Gericht einen Angeklagten ausschließt, wird es sich mit der Möglichkeit des § 247a StPO auseinandersetzen müssen. Anderenfalls können Rechtsfehler bei der Anwendung des § 247 StPO zum absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO führen“; zum hohen Revisionsrisiko im Rahmen der Anwendung des § 247 StPO auch Weigend, Gutachten zum 62. DJT, C 35, C 53; Rieck, S. 219. 179  Vgl. KK-StPO/Bader, § 48 Rn. 14a: Die Vorschrift genieße nur „symbolischen Charakter“; so auch Ferber, NJW 2016, 279; ähnlich Meyer-Goßner/Schmitt, § 48 Rn. 12. 180  Die Regelung des § 48 Abs. 3 StPO a. F. wurde durch das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) vom 21.12.2015 in die StPO eingefügt, BGBl. I S. 2525, und durch das Gesetz zur Bekämpfung sexuali­ sierter Gewalt gegen Kinder vom 16.06.2021 in den neuen § 48a StPO überführt, BGBl. I S. 1810 (1813), BT-Drs. 19/23707, S. 44. Vgl. zur entsprechenden Unterrich­ tungspflicht im Falle einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Verletzten § 406i Abs. 2 StPO. 181  Vgl. zur Differenzierung nach dem Alter bereits den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen) des



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung331 § 247a StPO-E (1) 1Ist bei einer Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, so kann das Gericht anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2Gleiches gilt, wenn bei der Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der in der Haupt­ verhandlung Anwesenden die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihr Wohl besteht. […]

Zwar handelt es sich bei den eingefügten Begriffen der „Erheblichkeit“ und „Befürchtung“ (§ 247a Abs. 1 S. 2 StPO-E) ebenfalls um unbestimmte Rechtsbegriffe, die zu Auslegungsschwierigkeiten führen können. Durch ihre Einführung wird jedoch der gerichtliche Abwägungsvorgang im Vergleich zu § 247a Abs. 1 S. 1 StPO-E präzisiert182 sowie eine weitergehende Anpassung an die § 247 S. 2 StPO erreicht. Insofern sollte das Potential der Videotech­ nologie, das sich hier sowohl zu Gunsten des Zeugen als auch zu Gunsten

Bundesrats vom 19.06.1996, BT-Drucks. 13/4983, S. 3: „Dem § 168c Abs. 2 werden folgende Sätze angefügt: Ist durch die Vernehmung in Gegenwart der nach Satz 1 zur Anwesenheit Berechtigten ein erheblicher Nachteil für das Wohl eines Zeugen unter 16 Jahren zu befürchten, so kann der Richter die Vernehmung in einem besonderen Raum von ihnen getrennt durchführen“; vgl. auch Swoboda, S. 163, die jedoch für die Beibehaltung der (bereits entfallenen) Subsidiaritätsklausel plädiert, vgl. dies., S. 171; nach dem Alter differenziert auch Keiser, S. 367, die jedoch an die Voraussetzungen des (damaligen) § 247 S. 1 und S. 2 StPO anknüpft; vgl. hierzu auch den Vorschlag in AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (41 ff.), der das Konkurrenzverhältnis zwischen § 247 StPO und § 247a StPO in § 241 Abs. 2 S. 2 StPO-AE zu Gunsten der audio­ visuellen Vernehmung auflöst und die Videovernehmung um die Voraussetzungen des § 247 S. 1 und S. 2 StPO erweitert; dem folgend SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 18, § 247 Rn. 14a; ferner Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (741), der in ähnlicher Weise für eine Ausweitung des Tatbestandes des § 247a StPO plädiert; kritisch zur engen Fas­ sung des § 247a StPO auch Dahs, FS Paeffgen (2015), S. 559 (563): Die Vorschrift sei „so eng gefasst, dass sie ohne vorherige sachverständige Begutachtung praktisch nicht anzuwenden“ sei; ähnlich Maaß, S. 139, die annimmt, dass „für minderjährige Zeugen […] die Anwendungsvoraussetzungen zu hoch bemessen [seien], da – wenn schon von § 247 StPO restriktiv Gebrauch gemacht wird – ebenfalls weiterhin eher selten eine Anwendung von § 247a StPO für diese Zeugengruppe zu erwarten [sei]“; für eine generelle Herabstufung der Anwendungsvoraussetzungen (auf die „Befürch­ tung“ des Nachteils statt einer „dringenden Gefahr“) plädiert auch Rieck, S. 306; vgl. schließlich auch Schmoll, S. 197, die eine Videovernehmung kindlicher Zeugen „im Rahmen einer Soll-Vorschrift in Anlehnung an die Zeugengruppe des § 255a Abs. 2 StPO und an die Voraussetzungen des Beschuldigtenausschlusses nach § 247 S. 2 StPO“ vorschlägt. 182  Ähnlich bereits Rieck, S. 62, zum Begriff der „hohen“ Wahrscheinlichkeit: „So wird verdeutlicht, dass bei der richterlichen Prognoseentscheidung für §§ 247a, 247 S. 2, 2. Alt. eine quantitativ größere Zahl von Gefahrindizien anzunehmen sein muss, als bei einer ‚einfachen‘ Wahrscheinlichkeit“.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

des Angeklagten entfalten kann, in kommenden Gesetzesentwicklungen wei­ ter ausgeschöpft werden. 2. Gefährdete Zeugen Der Einsatz von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen183 stellt vor allem im Bereich der schweren und organisierten Kriminalität ein wich­ tiges Instrument polizeilicher Ermittlungsarbeit dar.184 Wird die Identität dieser Personengruppen aber im Zuge eines Strafverfahrens offenbart, droht ihnen mitunter eine erhebliche Gefährdung an Leib oder Leben; ein Einsatz im Rahmen der polizeilichen Ermittlungsarbeit kommt in diesem Fall auch nicht mehr in Betracht.185 Die Frage nach den Möglichkeiten zur Einführung der hierdurch gewonnenen Erkenntnisse in die Hauptverhandlung ist daher im Rahmen der §§ 251, 247a StPO von großer Praxisrelevanz. Neben der Gefährdungsalternative (§ 247a S. 1 Hs. 1 StPO) kommt in diesen Fällen insbesondere ein Vernehmungshindernis nach § 247a S. 1 Hs. 2 i. V. m. § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO in Betracht186: Nach herrschender Auffassung kann ein nicht zu beseitigendes Hindernis i. S. v. § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO angenom­ men werden, wenn sich die zuständige oberste Dienstbehörde weigert, Aus­ kunft über den Namen und die Anschrift eines Verdeckten Ermittlers oder einer Vertrauensperson („V-Mann“) preiszugeben („Sperrerklärung“, § 110b Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 96 StPO bei Verdeckten Ermittlern, analog § 96 StPO bei Vertrauenspersonen187) oder eine Aussagegenehmigung (§ 54 StPO) zu erteilen, vorausgesetzt die Weigerung wurde nicht grundlos, willkürlich oder offensichtlich rechtsfehlerhaft ausgesprochen.188 Eine vollständige Sperrung der Beweisperson hat indes zur Folge, dass die von ihr wahrgenommenen 183  Näher zu den Begrifflichkeiten Schmenger, 20, 22 f.; zur generellen Zulässig­ keit des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern und Vertrauenspersonen dies., S.  25 f. 184  Vgl. Hegemann, S.  7 ff.; Pott, S. 69; Rieck, S.  249 f.; Safferling, NStZ 2006, 75; Schmenger, S.  23 ff.; Soiné, NJW 2020, 2850; Weider, StV 2000, 48; ferner Wagner, Kriminalistik 2000, 167 (168): „Aufgrund der Abschottung und des konspirativen Verhaltens der Täter sind andere Ermittlungsmöglichkeiten hier nicht ausreichend oder sogar nicht anwendbar“. 185  Detter, Audiovisuelle Vernehmung, S. 103. 186  Vgl. Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (726); Hegemann, S. 226; Schmenger, S.  43 f.; Swoboda, S. 145. 187  Eingehend zu den rechtlichen Voraussetzungen einer Sperrerklärung Hegemann, S.  77 ff. 188  Vgl. Detter, Audiovisuelle Vernehmung, S. 104, 106; Hegemann, S.  107 f.; KK-StPO/Diemer, §  251 Rn.  9; MüKo-StPO/Cierniack/Niehaus, § 247a Rn. 9; MüKo-StPO/Kreicker, § 251 Rn. 56; SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 32; SSW-StPO/ Kudlich/Schuhr, § 251 Rn. 29; vgl. zur Rechtsprechungsentwicklung vor Erlass der zeugenschützenden Regelungen in §§ 68 Abs. 3, 247a StPO BGH NJW 1980, 464



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung333

Tatsachen nur noch durch Beweissurrogate wie die Verlesung des Verneh­ mungsprotokolls oder die Vernehmung der Verhörsperson als Zeugen vom Hörensagen in die Hauptverhandlung eingeführt werden können.189 Lässt sich die Gefährdung des Zeugen im konkreten Fall durch mildere Schutzvor­ kehrungen als eine vollständige Sperrung beseitigen (z. B. Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 GVG, Entfernung des Angeklagten nach § 247 StPO, Geheimhaltung der Identität nach 68 Abs. 3 StPO), ist dementspre­ chend zu verfahren.190 Gleiches gilt auch im Verhältnis zu einer Videover­ nehmung nach § 247a StPO191: Ist sogar die vollständige Ersetzung der Ver­ nehmung der unmittelbaren Wahrnehmungsperson möglich, dann muss dies im Sinne eines „Erst-Recht-Schlusses“ auch für dessen Vernehmung unter technischen Veränderungen gelten.192 Insofern kommt heutzutage auch eine audiovisuelle Konfrontationsvernehmung eines Zeugen unter optischer und/ oder akustischer Abschirmung als eine die Verteidigungsrechte des Ange­ klagten aus Art. 6 Abs. 3 d) EMRK sowie das Prinzip des bestmöglichen Beweises weniger einschränkende Maßnahme in Betracht.193 Diese Maß­ (465); 2088; BGHSt 29, 390 (391); 31, 148 (153 f.); 32, 115 (123 ff.); 33, 70 (72 ff.); 33, 83 (85 ff.); 36, 159. 189  Rieck, S. 250. 190  Vgl. BVerfGE NJW 925 (927); BGHSt 22, 311 (313); SSW-StPO/Kudlich/ Schuhr, § 251 Rn. 29; Swoboda, S. 252; zur in diesem Zusammenhang geltenden „Drei-Stufen-Theorie“ als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Detter, Audiovisuelle Vernehmung, S. 103; Hegemann, S.  93 ff.; Schmenger, S.  37 ff.; Swoboda, S.  253 f. 191  Pott, S. 73; SSW-StPO/Kudlich/Schuhr, § 251 Rn. 29; Swoboda, S. 253 ff.; vgl. zu den Schwierigkeiten der Beweiserhebung im Zusammenhang mit Vertrauensperso­ nen vor Einführung des § 247a StPO KMR/Lesch, § 247a Rn. 18. 192  BGH NJW 2003, 74 (75). 193  Vgl. zur Zulässigkeit technischer Veränderungen bei einer Bild- und Tonüber­ tragung bereits BGH NJW 2003, 74: „Die Übertragung der Vernehmung wurde in der Weise modifiziert, dass über die Linse der am Vernehmungsort eingesetzten Kamera eine Plastikfolie gelegt und die Übertragung der Stimmen der Zeugen durch techni­ sche Maßnahmen (Graphic Equalizer) in den Höhen und Tiefen begrenzt wurde. Hierdurch wurde das Erkennen der Gesichtszüge und der Stimmen der Zeugen hinrei­ chend verhindert, ohne dass die Beobachtung von Mimik und Gestik sowie von Ton­ fall und Stimmfärbung in erheblicher Weise beeinträchtigt war. […] Auf Grund der mit optischer und akustischer Abschirmung vorgenommenen audiovisuellen Verneh­ mung der Vertrauensperson und der beiden Verdeckten Ermittler hat das LG, dem sonst für die Beweiswürdigung lediglich die Bekundungen der polizeilichen Füh­ rungs- und Vernehmungsbeamten zur Verfügung gestanden hätten, die unmittelbaren Tatzeugen als Beweismittel in die Hauptverhandlung eingebracht. […] Die audiovisu­ elle Vernehmung der Gewährsperson in Verbindung mit deren optischer und akusti­ scher Verfremdung ist daher das bessere Beweismittel sowohl unter dem Gesichts­ punkt der Wahrheitsfindung als auch unter dem der Verteidigungsmöglichkeiten“; vgl. auch BGH NJW 2007, 1475; ferner BVerfG NStZ 2007, 534; BVerfG NJW 2010, 925 (926); Beulke, ZStW 113 (2001); 709 (726 ff.); Diemer, NJW 1999, 1667 (1670);

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nahme stellt sich als sinnvolle Alternative zur völligen Sperrung des Zeugen dar und gewährleistet eine weitgehende „Konkordanz zwischen Wahrheitser­ mittlung, Verteidigungsinteressen und Zeugenschutz“.194 Auf das „Angebot“ des Gerichts, die Vernehmung des Zeugen auf diese Weise durchzuführen, wird sich die zuständige Dienstbehörde jedoch nur einlassen, wenn der Ge­ fahr einer Enttarnung und damit auch der Gefahr für Leib und Leben der Vertrauensperson oder des Verdeckten Ermittlers wirksam begegnet werden kann.195 Dies wird sich vor allem dann schwierig gestalten, wenn etwa „Sprachduktus, Mimik und Gestik“ die Identität des Zeugen offenbaren kön­ nen.196 Vor diesem Hintergrund besteht vor allem für Vertrauenspersonen, die für solche Vernehmungssituationen nicht speziell ausgebildet sind, ein signi­ fikant höheres Identifizierungsrisiko als für Verdeckte Ermittler.197 Eine Ge­ fährdung wird für Verdeckte Ermittler auch eher zu vermeiden sein, da für diese primär die „bürgerliche Identität“, die kriminaltaktische Vorgehens­ weise bei der Legendierung sowie ihr weiterer Einsatz geheimhaltungsbe­ dürftig sind.198 Zu berücksichtigten ist ferner, dass eine Enttarnung des Zeugen im Einzel­ fall auch durch eine Kumulation verschiedener Zeugenschutzmaßnahmen verhindert werden kann. Dementsprechend wurde die vollumfängliche Sperr­ erklärung eines Innenministeriums gem. § 96 StPO (analog) – die auch eine ders., NStZ 2001, 393 (398); KK-StPO/Bader, Vor § 48 Rn. 71; KMR/Lesch, § 247a Rn.  18 ff.; LR/Becker, § 247a Rn. 12; Maaß, S. 153; Meyer-Goßner/Schmitt, § 68 Rn. 17; Rieck, S. 262; Swoboda, S. 189 ff.; 200; Weider, StV 2000, 48 (51 ff.); zu den unterschiedlichen Formen optisch-akustischer Veränderung Schmenger, S. 7 ff.; vgl. zur damaligen abl. Auffassung BGHSt 32, 115 (124 f.); Caesar, NJW 1998, 2313 (2318); Hegemann, S.  57 ff.; Pott, S.  69 ff.; Schmenger, S. 327, 336  f.; Schmoll, S.  183 f.; SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 59 f.; Schuster, StV 2007, 507 (508 f.); Valerius, GA 2005, 459 (462 ff., 469); Zacharias, S.  245 ff., 251 ff. 194  BGH NJW 2003, 74 (75); NJW 2007, 1475; vgl. auch Detter, Audiovisuelle Vernehmung, S. 113; Hegemann, S. 280; Pott, S.  71 f.; Rieck, S. 305. 195  Pott, S.  73 f.; Weider/Staechlin, StV 1999, 51 (53). 196  BVerfG NJW 2010, 925 (927); BGH NStZ 2005, 43; vgl. hierzu auch BVerfG NStZ 2007, 534: „Dass sich selbst bei einer akustischen Verfremdung der Übertra­ gung aus der Sprechweise des Zeugen und seiner Sprachfärbung oder auch aus Eigen­ heiten der Wortwahl Anhaltspunkte für ein Wiedererkennen gewinnen lassen können, liegt auf der Hand“; hierzu auch Soiné, NStZ 2007, 247 (251 f.); Swoboda, S. 198; Wittke, Kriminalistik 2005, 221 (226); zur Problematik der indirekten Offenbarung der Identität eines Zeugen durch Fragen zur Herkunft seines Wissens BGH NStZ 2004, 345 (346); zur zulässigen Kombination von § 247 StPO und § 247a StPO, „um ein Wiedererkennen des Verdeckten Ermittlers durch Auffrischen der Erinnerung des Angeklagten an dessen Erscheinung und Sprache zu verhindern“ BGH NStZ 2006, 648 f.; vgl. auch BT-Drucks. 13/7165, S. 10. 197  Vgl. BGH NStZ 2004, 43 f.; VGH Mannheim BeckRS 2012, 59553; ausführ­ lich zum situations- und personenabhängigen Enttarnungsrisiko Schmenger, S.  92 ff. 198  BGH NStZ 2005, 43 f.; LR/Becker, § 247a Rn. 12.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung335

Videovernehmung unter optischer und akustischer Abschirmung erfasste – im Zusammenhang mit einer Vertrauensperson, die „maßgeblich an Planung und Organisation“ einer Straftat (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) mitgewirkt hat199, auf die Beschwerde des Antragstellers, der zugleich Angeklagter vor dem LG war, vom zuständigen VGH für rechts­ widrig erklärt. Die vom Innenministerium erlassene, vollumfängliche Sperr­ erklärung verletzte in dieser Form nämlich das Recht des Antragstellers auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren (insbesondere sein Recht auf kon­ frontative Befragung aus Art. 6 Abs. 3 d) EMRK).200 Der VGH wies darauf hin, dass hier zwar einzelne Zeugenschutzmaßnahmen für sich nicht ausrei­ chen, um den „V-Mann“ ausreichend vor einer Enttarnung zu schützen. Dies sei bei der folgenden Kumulierung der Maßnahmen jedoch anders: „– Audiovisuelle Vernehmung des Zeugen an einem geheim gehaltenen Ort; – Verweigerung von Angaben zur Person und Identität; – Entfernung der Angekl. aus dem Sitzungszimmer; – Ausschluss der Öffentlichkeit; – optische und akustische Verfremdung von Bild und Ton, um eine Identifikation der VP „J.“ über Gesichtszüge, wesentliche Elemente des Aussehens und über Stimme und Sprechweise sicher auszuschließen, soweit dies nach Auffassung des Landeskriminalamts erforderlich erscheint; – keine Bild- und Tonaufzeichnung; – Befragung des Zeugen in Anwesenheit seines Führungsbeamten am Verneh­ mungsort; – keine Zulassung von Fragen zu kriminaltaktischen Vorgehensweisen; – Verpflichtung der bei der Durchführung der Bild- und Tonübertragung bzw. zur akustischen Verfremdung eingesetzten Personen nach dem Verpflichtungs­ gesetz“.201

Insgesamt bedarf die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Sperrerklärung (im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens202) daher einer sorgfälti­ 199  Die Vertrauensperson erfüllte mit ihrem Handeln zudem einige Merkmale des „agent provocateur“, sodass hier weitergehender Aufklärungsbedarf bestand; vgl. VGH Kassel NJW 2014, 240 (243). Der Vorsitzende der Kammer des Landgerichts hatte die Behörde daher zuvor mit einem Schreiben um Mitteilung des vollständigen Namens des „V-Manns“ gebeten, da seine unmittelbare Befragung als Zeuge in der Hauptverhandlung aus der Sicht des Gerichts „von größter Wichtigkeit“ war; VGH Kassel NJW 2014, 240. 200  Vgl. VGH Kassel NJW 2014, 240. 201  VGH Kassel NJW 2014, 240. 202  Die erlassene Sperrerklärung konnte in dem geschilderten Fall des VGH Kas­ sel (NJW 2014, 240) aufgrund des eingelegten verwaltungsgerichtlichen Rechtsmit­ tels vollumfänglich geprüft werden. Im Rahmen eines Strafverfahrens wäre die Prü­

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

gen Abwägung der entgegenstehenden Rechtsgüter und Interessen. Neben der „Schwere der zur Aburteilung anstehenden Straftat“ und dem „Ausmaß der dem Beschuldigten drohenden Nachteile“ sind hierbei auch der „Schutz der Vertrauensperson vor Gefahren für Leib und Leben“, „die Geheimhaltung der polizeilichen Arbeitsweise“ sowie die Tatsache, „dass im Fall der Offen­ legung ihrer Identität von dieser Vertrauensperson zukünftig keine entspre­ chenden Hinweise mehr erfolgen und die Gewinnung weiterer Vertrauensper­ sonen erschwert wird“ zu berücksichtigen.203 Darüber hinaus ist zu beachten, dass eine behördliche Sperrerklärung einen nicht zu unterschätzenden Ein­ fluss der Exekutive auf die Verfahrensgestaltung in einem Strafverfahren darstellt. Diese Einwirkung ist als „Eingriff in den Gang der Rechtspflege“ nur ausnahmsweise zulässig.204 Vor diesem Hintergrund stellt die im Zu­ sammenhang mit der Sperrerklärung abgegebene Begründung der zuständi­ gen Behörde eine wichtige Entscheidungsgrundlage für das Gericht dar. Die Behörde hat die tatsächlichen Umstände eines Hinderungsgrundes hierbei substanziiert aufzuführen, besser noch glaubhaft zu machen.205 Erst wenn sie dies in so einleuchtendem Maße tut, „daß das Gericht diese Wertung unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Belange noch als triftig anerkennen kann“206, wird die Behörde mit ihrem Anliegen Erfolg haben. Aufgrund der Existenz von (mittlerweile) vielfältigen Zeugenschutzmöglichkeiten sowie der Möglichkeit ihres Zusammenwirkens wird eine Ablehnung der audio­ visuellen Konfrontationsvernehmung eines Zeugen unter optischer und/oder akustischer Abschirmung jedoch nur im Ausnahmefall in Betracht kommen. In den übrigen Fällen hat das Gericht den aus der Eigenart einer „verfremde­

fung hingegen auf eine bloße Plausibilitätsprüfung beschränkt gewesen; vgl. Mahler, HRRS 2013, 333 (335). 203  VGH Kassel, NJW 2014, 240 (241, 242); vgl. auch BVerfGE 57, 250 (285); BVerwG NJW 1987, 202 (204); VG München BeckRS 2017, 117926 Rn. 21; Detter, Audiovisuelle Vernehmung, S. 104; zur Einbeziehung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege im Rahmen der Begründung einer behördlichen Sperrerklärung BVerfG NJW 2010, 925 (927): „Darüber hinaus begegnet es auch keinen verfas­ sungsrechtlichen Bedenken, wenn die Strafverfolgungsbehörden zur Begründung da­ rauf verweisen, dass das Vertrauen in Zusagen der Strafverfolgungsbehörden insge­ samt erschüttert würde, wenn die Vertraulichkeitszusage gegenüber den Zeugen nicht eingehalten würde. Hierbei handelt es sich um Erwägungen, die die Funktionstüchtig­ keit der Strafrechtspflege in den Blick nehmen und daher geeignet sind, das aus dem Fairnessgebot folgende Fragerecht des Beschuldigten zu begrenzen“. 204  BGHSt 35, 82 (85); BGH NJW 1992, 1973 (1974); BGH NStZ 2005, 43; VGH Kassel NJW 2014, 240 (242); vgl. auch Detter, Audiovisuelle Vernehmung, S.  105 f. 205  Vgl. VGH Kassel NJW 2014, 240 (242). 206  BVerwG NJW 1987, 202 (204); vgl. auch BVerwGE 66, 39 (44); VGH Mann­ heim NJW 2013, 102 (103).



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung337

ten“ Videovernehmung resultierenden eingeschränkten Beweiswert der Zeu­ genaussage zu berücksichtigen.207 3. Auslandszeugen § 247a StPO ermöglicht es dem Gericht ferner, einen im Ausland befind­ lichen Zeugen208 im Rahmen der Hauptverhandlung per Videokonferenz zu vernehmen.209 Ein Antrag auf Ladung eines solchen Zeugen vor das zustän­ dige Gericht umfasst hierbei auch die Vernehmung im Wege der Videosimul­ tanübertragung nach § 247a StPO, eines gesonderten Antrags bedarf es hier­ für nicht.210 Eine Videovernehmung kommt jedoch nur dann in Betracht, 207  Näher KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 14; ders., NStZ 2001, 393 (398); ders., FS Nehm (2006), S. 257 (267 f.); Maaß, S. 153 f.; SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 63 m. w. N. Gleiches kann auch im Falle technisch bedingter Übertragungsschwierigkei­ ten (vor allem bei Störungen des Tonsignals) gelten, Norouzi, S.  253 f. 208  Unter dem Begriff des „Auslandszeugen“ ist ein Zeuge zu verstehen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken ist (vgl. § 244 Abs. 5 S. 2 StPO), eingehend zur Begriffsbestimmung Thörnich, S.  51 ff. 209  BGHSt 45, 188. Der systematische Anknüpfungspunkt ergibt sich für die Vi­ deoeinvernahme eines Auslandszeugen aufgrund der regelmäßig fehlenden zwangsbe­ wehrten Zeugnispflicht ebenfalls aus § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO (in Form eines „nicht zu beseitigenden Hindernisses“); näher Norouzi, S. 78, 81; vgl. auch Rieck, S.  89 f.; Swoboda, S.  254 ff.; Thörnich, S.  313 ff. 210  Vgl. zum erweiterten Erreichbarkeitsbegriff BGHSt 45, 188 (190): „Nach dem erweiterten Erreichbarkeitsbegriff […] umfaßt ein Antrag auf Ladung eines Zeugen im Ausland vor das Prozeßgericht zugleich jedes Weniger, das der Tatrichter nicht als für die Wahrheitsfindung wertlos erachtet. Mit Inkrafttreten des Zeugenschutzgeset­ zes war daher auch die Möglichkeit einer audiovisuellen Vernehmung als ein Weniger gegenüber der Vernehmung einer physisch in der Hauptverhandlung anwesenden Person, jedoch als das unter Umständen effektivere Beweismittel gegenüber der kom­ missarischen Vernehmung in Betracht zu ziehen“; BGH NStZ 2000, 385; vgl. aber nunmehr BGH NStZ 2008, 232 (233): „Der Senat neigt zu der Auffassung, dass es einem ausdrücklich zu formulierenden Begehren eines Beweisantragstellers obliegt, ob er sich nach Feststellung der Unerreichbarkeit eines Zeugen für dessen von ihm begehrte Vernehmung in der Hauptverhandlung mit dem bei einer Bild-Ton-Übertra­ gung gegebenen Defizit an Unmittelbarkeit […] im Vergleich zur konfrontativen Vernehmung im Gerichtssaal begnügen möchte“. In einem Beweisantrag empfiehlt sich daher die Klarstellung, dass auch eine audiovisuelle Vernehmung beantragt wird, sofern eine persönliche Vernehmung nicht möglich ist; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 311; vgl. auch Rademacher/Sell, ZAP 2010, Fach 22, 529 (538). Ein auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteter Beweisantrag kann jedoch bereits nach § 244 Abs. 5 S. 2 StPO abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforder­ lich ist (§ 244 Abs. 2 StPO). Das Gericht ist insoweit von dem Verbot der Beweisan­ tizipation bereit. Es darf seine Entscheidung davon abhängig machen, „welche Ergeb­ nisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwar­ tenden Ergebnisse zu würdigen wären“, näher BGH NStZ 2014, 531; KK-StPO/

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

wenn ein solches Vorgehen im konkreten Fall überhaupt „rechtshilferechtlich und tatsächlich möglich“211 ist (1) und hierbei „die Einhaltung der für die Hauptverhandlung geltenden wesentlichen Verfahrensgarantien gewährleis­ te[t]“ bleibt (2).212 Entscheidend ist, dass die Vernehmung frei von Einfluss­ nahme stattfindet, die Verhandlungsleitung dem Vorsitzenden obliegt und die prozessualen Befugnisse der Verfahrensbeteiligten weiterhin ausgeübt werden können.213 Das zentrale Instrument für die justizielle Zusammenarbeit der Mitglied­ staaten der Europäischen Union214 in Strafsachen ist seit dem 22.05.2017 die RL 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Krehl, § 244 Rn. 212; Rademacher/Sell, ZAP 2010, Fach 22, 529. Die Ablehnung eines Beweisantrags nach § 244 Abs. 5 S. 2 StPO ist dem Ablehnungsgrund der Un­ erreichbarkeit bzw. Ungeeignetheit des Beweismittels (§ 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 4, 5 StPO) insofern sachlich vorrangig; BGHSt 55, 11 (21 f.); a. A. Thörnich, S. 815 ff.; für eine teleologische Reduktion des § 244 Abs. 5 S. 2 StPO und die Anwendbarkeit des § 244 Abs. 3 StPO im Falle eines Beweisantrags auf eine Auslandszeugenverneh­ mung, die per Videokonferenz durchgeführt werden kann Norouzi, S. 144 ff., 158; vgl. auch Gleß, JR 2002, 97 (98). Zu den Anforderungen an die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit bzw. Ungeeignetheit des Beweismittels BGH NStZ 2004, 347 (348); vgl. auch BGHSt 55, 11 (22): „Nach dieser Vorschrift [§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO a. F.] kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines im Ausland lebenden und für eine Vernehmung in der Hauptverhandlung unerreichbaren Zeugen dann zurückgewiesen werden, wenn […] das Gericht […] aufgrund der besonderen Beweislage schon vorweg zu der Überzeugung gelangt, dass eine aus einer solchen Vernehmung gewonnene Aussage völlig untauglich ist, zur Sachaufklärung beizutra­ gen und die Beweiswürdigung zu beeinflussen […]. Die Frage, ob nur eine Verneh­ mung des Zeugen vor dem erkennenden Gericht die nach Sach- und Rechtslage erfor­ derliche Ausschöpfung des Beweismittels gewährleistet oder ob auch eine kommissa­ rische oder audiovisuelle Vernehmung zur Sachaufklärung tauglich ist, hat der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden […]. Diese Ent­ scheidung, die eine gewisse Vorauswürdigung des Beweismittels erfordert […], unter­ liegt […] nur in eingeschränktem Umfang revisionsrechtlicher Überprüfung; näher zu den Ablehnungsgründen des § 244 Abs. 3 S. 3 StPO Schneider, FS Eisenberg (2019), S. 513 (515 ff.); kritisch zur Rspr. ders., FS Eisenberg (2019), S. 513 (525 ff.), der für eine Aussonderung der Problematik aus dem Beweisantragsrecht plädiert und die Frage einer audiovisuellen Vernehmung schlicht der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) überlassen möchte; kritisch zur Rspr. auch Julius, StV 2004, 466 (467), da dem Tatgericht bei der Beurteilung der Beweiseignung ein erheblicher Ermessensspiel­ raum eingeräumt werde; so auch MüKo-StPO/Trüg/Habetha, § 244 Rn. 312; eine unzulässige Vermengung von Fragen der Beweiserhebung mit solchen der Beweis­ würdigung nehmen daher an Julius, StV 2004, 466 (467); Norouzi, S.  149 f.; Schneider, FS Eisenberg (2019), S. 513, (527). 211  BGHSt 45, 188 (192); vgl. hierzu auch Thörnich, S.  362 ff. 212  BGHSt 45, 188. 213  BGHSt 45, 188 (195) m. w. N.; vgl. auch Duttge, NStZ 2000, 157 (159 f.). 214  Im Rechtshilfeverkehr zwischen den Mitgliedstaaten wenden Irland und das Königreich Dänemark die RL EEA aber nicht an, vgl. Erwägungsgrund 44 und 45 RL



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung339

Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen vom 03.04.2014 (RL EEA215). Die Richtlinie ersetzt – soweit ihr Anwendungsbereich reicht216 – nach Maßgabe des Art. 34 RL EEA bislang geltende sekundärrechtliche Rechtsakte (wie z. B. die Europäische Beweisanordnung217) und völkerrecht­ liche Verträge (z. B. wie z. B. das EU-RhÜbk218) und schafft einheit­ liche Regelungen im Bereich der grenzüberschreitenden Erhebung und Übermitt­ lung von Beweismitteln zwischen den EU-Mitgliedstaaten.219 Ziel ist es, die grenzüberschreitende Strafverfolgung zu vereinfachen, beschleunigen und transparenter zu gestalten.220 Von besonderer Bedeutung ist hierbei Art. 24 RL EEA, der Regelungen über die grenzüberschreitende Vernehmung im Wege einer Videokonferenz oder sonstigen audiovisuellen Übertragung ent­ hält. Art. 24 Abs. 1 UAbs. 1 RL EEA sieht vor, dass die Anordnungsbehörde eine Europäische Ermittlungsanordnung erlassen kann, wenn sich eine Per­ son im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats befindet und sie als Zeuge oder Sachverständiger von den zuständigen Behörden des Anordnungsstaats vernommen werden soll. Anders als in Art. 10 Abs. 1 EU-RhÜbk ist nicht mehr gefordert, dass ein persönliches Erscheinen der zu vernehmenden Per­ son im Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaates nicht zweckmäßig oder möglich ist. Der Einsatz von Videosimultanübertragungen sollte also auch im Bereich des internationalen Rechtshilfeverkehrs ersichtlich nicht mehr nur auf Ausnahmefälle beschränkt werden.221 Verfügt die Vollstre­ EEA. Ein Überblick zu weiteren Rechtsquellen für den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten finden sich bei Thörnich, S.  56 ff. 215  ABl. L 130 vom 01.05.2014, S. 1, L 134 vom 09.06.2015, S. 16. 216  Vgl. Art. 3 RL EEA: „Die EEA erfasst alle Ermittlungsmaßnahmen, mit Aus­ nahme der in Artikel 13 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (14) (im Folgenden ‚Überein­ kommen‘) und in dem Rahmenbeschluss 2002/465/JI des Rates (15) vorgesehenen Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe und der Erhebung von Beweismitteln innerhalb einer solchen Ermittlungsgruppe, es sei denn, dies erfolgt zum Zwecke der Anwendung des Artikels 13 Absatz 8 des Übereinkommens und des Artikels 1 Absatz 8 des Rahmenbeschlusses“; näher hierzu Brahms/Gut, NStZ 2017, 388 (389). 217  Rahmenbeschluss 2008/978/JI des Rates vom 18.12.2008 über die Europäi­ sche Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Strafsachen, ABl. EU Nr. L 350 vom 30.12.2008, S. 72. 218  Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitglied­ staaten der Europäischen Union vom 29.05.2000, ABl. EU Nr. C 197 vom 12.7.2000, S. 1. Die Voraussetzungen zur Durchführung einer Vernehmung per Videokonferenz sind hier in Art. 10 EU-RhÜbk geregelt. 219  Böse, ZIS 2014, 152. 220  Brahms/Gut, NStZ 2017, 388 (389). 221  Vgl. BT-Drucks. 18/9757, S. 37; Thörnich, S. 217. Nach Abs. 1 UAbs. 2 RL EEA kann die Anordnungsbehörde eine Europäische Ermittlungsanordnung darüber hinaus auch zum Zweck der Vernehmung einer verdächtigen oder beschuldigten Per­

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

ckungsbehörde im Einzelfall nicht über die technischen Vorrichtungen für eine Vernehmung im Wege audiovisueller Übertragung, so können ihr diese von dem Anordnungsstaat in gegenseitigem Einvernehmen zur Verfügung gestellt werden (Art. 24 Abs. 4 RL EEA; vgl. bereits Art. 10 Abs. 2 S. 2 EURhÜbk).222 Auch die verfahrensrechtlichen Vorgaben zur Durchführung einer Vernehmung per Videokonferenz oder sonstiger audiovisueller Übertragung entsprechen weitgehend den Regelungen in Art. 10 Abs. 5 EU-RhÜbk und finden sich nunmehr in Art. 24 Abs. 5 RL EEA: „a) Bei der Vernehmung ist ein Vertreter der zuständigen Behörde des Vollstre­ ckungsstaats, bei Bedarf unterstützt von einem Dolmetscher, anwesend, der auch die Identität der zu vernehmenden Person feststellt und auf die Einhaltung der wesentlichen Grundsätze des Rechts des Vollstreckungsstaats achtet. Werden nach Ansicht der Vollstreckungsbehörde bei der Vernehmung die wesentli­ chen Grundsätze des Rechts des Vollstreckungsstaats verletzt, so trifft er sofort die Maßnahmen, die erforderlich sind, damit bei der weiteren Vernehmung diese Prin­ zipien beachtet werden; b) zwischen den zuständigen Behörden des Anordnungsstaats und des Vollstre­ ckungsstaats werden gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz der zu vernehmen­ den Person vereinbart; c)  die Vernehmung wird unmittelbar von oder unter Leitung der zuständigen Be­ hörde des Anordnungsstaats nach deren nationalem Recht durchgeführt223; d)  auf Wunsch des Anordnungsstaats oder der zu vernehmenden Person stellt der Vollstreckungsstaat sicher, dass die zu vernehmende Person bei Bedarf von einem Dolmetscher unterstützt wird; e)  die verdächtigen oder beschuldigten Personen werden vor der Vernehmung da­ rüber belehrt, welche Verfahrensrechte ihnen nach dem Recht des Vollstreckungs­ staats und des Anordnungsstaats zustehen, unter anderem auch über das Aussage­ verweigerungsrecht. Zeugen und Sachverständige können sich auf das Aussagever­ weigerungsrecht berufen, das ihnen nach dem Recht des Vollstreckungs- oder des Anordnungsstaats zusteht, und sie sind vor der Vernehmung über dieses Recht zu belehren.“224

son per Videokonferenz oder sonstiger audiovisueller Übertragung erlassen. Aus Art. 24 Abs. 2 a) RL EEA ergibt sich jedoch, dass eine Beschuldigtenvernehmung per Videokonferenz nur auf freiwilliger Basis in Betracht kommt; ähnlich bereits Art. 10 Abs. 9 EU-RhÜbk. 222  Vgl. hierzu Nr. 77 Abs. 2 e) RiVASt. 223  Vgl. zur Etablierung des modernen „forum regit actum“-Prinzips in Art. 10 Abs. 5 c) EU-RhÜbk und Art. 24 Abs. 4 c) RL EEA), das vorsieht, dass die Rechts­ hilfehandlung nach dem Verfahrensrecht des ersuchenden Mitgliedstaats vorzuneh­ men ist Norouzi, S.  186 ff.; Thörnich, S. 400. 224  ABl. L 130/1 vom 01.05.2014; vgl. zu Einzelfragen der Durchführung Norouzi, S.  194 ff.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung341

In Deutschland wurde die RL EEA durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 05.01.2017225 mit den Vorschriften der §§ 91a ff. IRG umgesetzt.226 Um der Praxis eine „schonende Rechtsanpassung“ zu gewährleisten, wurde die RL EEA insofern in das bereits bestehende System des sonstigen Rechtshilfever­ kehrs eingebunden.227 Während § 91b StPO die allgemeinen Zulässigkeits­ voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe regelt, ergänzt § 91c StPO die allgemeine Vorschrift des § 91b StPO um Zulässigkeitsvoraussetzungen für besondere Formen der Rechtshilfe. Für Ersuchen um Vernehmungen per Videokonferenz ist insbesondere § 91c Abs. 1 IRG (vgl. auch Nr. 77 Abs. 2 S. 3 a) RiVASt228) von Relevanz, der bestimmt, dass eine audiovisuelle Ver­ nehmung i. S. v. § 61c IRG ohne Zustimmung der zu vernehmenden Person unzulässig ist. Nähere Vorschriften zur Erledigung des Ersuchens, insbeson­ dere zur konkreten Durchführung der audiovisuellen Vernehmung, sind schließlich in § 91h Abs. 3 IRG geregelt. Darüber hinaus fordert Art. 24 Abs. 7 RL EEA von dem Vollstreckungs­ staat sicherzustellen, dass in Bezug auf eine Person, die gem. Art. 24 RL EE vernommen wird und die trotz Aussagepflicht die Aussage verweigert oder falsch aussagt, sein innerstaatliches Recht genauso gilt, als ob die Verneh­ mung in einem innerstaatlichen Verfahren erfolgt.229 Da durch die Regelun­ gen keine materiell-rechtlichen Aussagepflichten der Auskunftsperson be­ gründet werden, ist insoweit das nationale Recht des Vollstreckungsstaates maßgeblich.230 Für Zeugen und Sachverständige besteht nach dem deutschen Strafprozessrecht keine Verpflichtung, einer Ladung zur Videoeinvernahme durch eine ausländische Justizbehörde Folge zu leisten, sodass gegen diese 225  BGBl. I

S. 31. § 91a Abs. 1 IRG: „Nach diesem Abschnitt richtet sich die sonstige Rechts­ hilfe für einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Maßgabe der Richt­ linie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (ABl. L 130 vom 1.5.2014, S. 1, L 143 vom 9.6.2015, S. 16) (Richtlinie Europäische Ermittlungsanordnung)“. 227  Brahms/Gut, NStZ 2017, 388 (389). 228  Nr. 77 Abs. 2 RiVASt lautet wie folgt: „Ersuchen, die auf die Durchführung einer Vernehmung per Video-/Telefonkonferenz gerichtet sind, können sowohl ver­ traglos (§ 59 Absatz 1 IRG) als auch auf der Grundlage einer völkerrechtlichen Ver­ einbarung nach § 1 Absatz 3 IRG erledigt werden. Zulässig ist die Video-/Telefon­ konferenz gemäß § 77 IRG nach Maßgabe der Bestimmungen der StPO (vgl. §§ 48 ff., 58a, 168e, 247a, 239 ff.). Soweit sich aus einer völkerrechtlichen Vereinbarung nicht etwas anderes ergibt, gelten die folgenden Regeln: a) es muss das Einverständnis der zu vernehmenden Person vorliegen […]“. 229  So auch bereits Art. 10 Abs. 8 EU-RhÜbk und Art. 9 Abs. 7 des 2. ZP-EuRh­ Übk. 230  BT-Drucks. 18/9757, S. 37. 226  Vgl.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

Personen im Weigerungsfall auch keine Ordnungsmittel verhängt werden können (vgl. § 61c IRG).231 Sind die Zeugen und Sachverständigen indes aussagebereit und handelt es sich bei den anwesenden deutschen Justizbehör­ den um Gerichte oder andere zur eidlichen Vernehmung zuständige Stellen (vgl. Art. 24 Abs. 5 a) RL EEA, der mit § 91h Abs. 3 S. 2 IRG232 umgesetzt wurde), richten sich etwaige falsche Aussagen gleichwohl gegen die inländi­ sche staatliche Rechtspflege und eröffnen damit die Anwendbarkeit der §§  153 ff. StGB.233 Der ersuchende Mitgliedstaat hat daher, wenn er die Strafbewehrung einer Falschaussage sicherstellen möchte, ausdrücklich um Teilnahme eines deutschen Gerichts zu bitten. Entsprechenden Bitten ist sei­ tens der deutschen Seite in der Regel nachzukommen (vgl. § 91h Abs. 2 S. 1 Nr. 2 IRG234).235 4. Ermessensentscheidung a) Allgemeines Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 247a StPO vor, liegt die Anordnung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts („kann“).236 Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind die Schutzinteressen des Zeugen, die Rechte des Angeklagten (hier vor allem sein Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, und sein Fragerecht, Art. 6 Abs. 3 d) EMRK) sowie das Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) zu gewichten und gegeneinander abzuwägen.237 Zu beachten ist insbesondere, dass § 247a StPO die Konfrontation des Zeugen mit den Prozessbeteiligten 231  Kritisch hierzu im Hinblick auf die Effektivität der Videovernehmung im Eu­ ropäischen Justizraum Norouzi, S.  227 ff.; Thörnich, S.  388 ff. 232  § 91h Abs. 3 S. 2 IRG lautet wie folgt: „Die zuständige deutsche Stelle nimmt an der Vernehmung teil, stellt die Identität der zu vernehmenden Person fest und achtet auf die Einhaltung der wesentlichen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung“. 233  Vgl. zum geschützten Rechtsgut der §§ 153, 154 StGB BGHSt 8, 301 (309); näher zum Hintergrund des Art. 24 Abs. 7 RL EEA BT-Drucks. 18/9757, S. 37; vgl. bereits BT-Drucks. 14/4233, S. 23 zu Art. 10 Abs. 8 EU-RhÜbk. 234  § 91h Abs. 2 S. 1 Nr. 2 IRG lautet wie folgt: „Soweit die Richtlinie Europäi­ sche Ermittlungsanordnung nicht etwas anderes bestimmt und wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung nicht entgegenstehen, […] ist Bitten um Teilnahme von Behörden des ersuchenden Mitgliedstaates an einer Amtshandlung zu entsprechen“. 235  BT-Drucks. 18/9757, S. 38. 236  Nach Nr. 130a Abs. 1 RiStBV prüft aber auch der Staatsanwalt, „ob es gebo­ ten ist, dass sich ein Zeuge während seiner Vernehmung an einem anderen Ort auf­ hält“. Stellt er einen entsprechenden Antrag, „so ist in der Begründung dazu Stellung zu nehmen, ob die Vernehmung aufgezeichnet werden soll“. 237  Vgl. KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 4; SSW-StPO/Tsambikakis, § 247a Rn. 17.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung343

sowie die für die Wahrheitsfindung unerlässliche Gegenkontrolle – wenn auch mediatisiert – ermöglicht.238 § 48a Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 StPO239 bestimmen zudem ausdrücklich, dass Vernehmungen des verletzten Zeugen stets „unter Berücksichtigung seiner besonderen Schutzbedürftigkeit durch­ zuführen“ sind und hierbei auch zu prüfen ist, ob die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen eine Maßnahme nach § 247a erfordert. Nach § 48a Abs. 1 S. 3 StPO sind bei der Entscheidung auch die persönlichen Verhältnisse des Zeugen sowie Art und Umstände der Straftat zu berücksichtigen. Ein einseitiger Vorrang der Schutzinteressen des Zeugen vor der Aufklärungspflicht des Gerichts oder den Verteidigungsinte­ ressen des Angeklagten geht damit zwar nicht einher.240 Jedoch kommt der Vorschrift zumindest Appellcharakter zu.241 In den Fällen des § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 2 StPO sind schließlich auch Aspekte der Prozessökonomie und Verfahrensbeschleunigung in die Abwägung einzustellen.242 Zu beachten ist ferner, dass § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO nach Streichung der sog. Subsidiaritätsklausel243 nicht mehr subsidiär ist, sodass das Gericht im Rahmen einer Einzelabwägung stets diejenige Maßnahme auszuwählen hat, die das Spannungsverhältnis zwischen dem „Schutz des Zeugen, der Aufklärungspflicht und den Verteidigungsinteressen“ zu einem gerechten Ausgleich bringt.244 Im Verhältnis der §§ 247, 247a StPO ist zu berücksich­ tigen, dass der Angeklagte seine Rechte (insbesondere sein Anwesenheitsund Fragerecht) im Rahmen einer Videovernehmung besser wahren kann als bei einer Entfernung nach § 247 StPO.245 § 247 StPO wird der Videoverneh­ 238  BGH

StV 1999, 580 (582). Regelung des § 48 Abs. 3 StPO a. F. wurde durch das Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) vom 21.12.2015 in die StPO eingefügt, BGBl. I S. 2525, und durch das Gesetz zur Bekämpfung sexuali­ sierter Gewalt gegen Kinder vom 16.06.2021 in den neuen § 48a StPO überführt, BGBl. I S. 1810 (1813), BT-Drs. 19/23707, S. 44. 240  LR/Becker, § 247a Rn. 17. 241  Vgl. KK-StPO/Bader, § 48 Rn. 14a: Die Vorschrift genieße nur „symbolischen Charakter“ zu § 48 Abs. 3 StPO a. F.; so auch Ferber, NJW 2016, 279; ähnlich Meyer-Goßner/Schmitt, § 48 Rn. 12 zu § 48 Abs. 3 StPO a. F. 242  BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 10; KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 6; SSWStPO/Tsambikakis, § 247a Rn. 17; für eine Ermessensreduzierung auf Null im Falle der Bejahung der Erforderlichkeit auf Tatbestandsseite SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 44; Thörnich, S. 378; vgl. auch Nourouzi, S. 123 ff., der einen „Ermessens­ schwund“ im Falle der Erforderlichkeit der Videovernehmung annimmt. 243  Vgl. bereits oben S. 320 ff. 244  BT-Drucks. 15/1976, S. 12, vgl. auch BVerfG StV 2015, 137 (138); BGH BeckRS 2020, 31214 Rn. 19. 245  Vgl. Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (717); Kretschmer, JR 2006, 453 (455); Leitner, S. 68; Rieß, StraFo 1999, 1 (6); Schlüchter/Greff, Kriminalistik 1998, 530 (532); Schmoll, S.  180 f.; Schöch, FS Meyer-Goßner (2001), S. 365 (384). 239  Die

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

mung daher nur in Einzelfällen vorzuziehen sein, wenn dies die richterliche Aufklärungspflicht sowie die Zeugeninteressen gebieten.246 Demgegenüber wird sich der Ausschluss der Öffentlichkeit nach §§ 171b, 172 Nr. 1a oder 4 GVG regelmäßig als mildere Maßnahme gegenüber der Videovernehmung nach § 247a StPO darstellen.247 Zweckmäßigerweise sollten stets auch die Interessen des erwachsenen Opferzeugen in die Entscheidungsfindung einbe­ zogen werden.248 Keinesfalls darf aber die etwaige unzureichende Ausstat­ tung des Gerichts mit Sachmitteln bei der gerichtlichen Ablehnungsentschei­ dung ermessenslenkend einwirken. Andernfalls wären eine sachfremde Er­ wägung und in der Folge auch ein Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) anzunehmen, die – mit den Worten des BVerfG – „unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar wäre“.249 246  Vgl. BT-Drucks. 15/1976, S. 12, BT-Drucks. 15/2536, S. 5: „Bedürfen bei­ spielsweise kindliche Opferzeugen offensichtlich der persönlichen Zuwendung und Ansprache, kann die Entfernung des Angeklagten unter diesem Gesichtspunkt einer Vernehmung über Videoleitung vorzuziehen sein. Gleiches kann für Fälle gelten, in denen Kinder Scheu vor einer Kameraaufzeichnung haben, etwa weil sie Opfer por­ nographischer Filmaufnahmen geworden sind“. Nach dem BGH kann die Unterrich­ tung des Angeklagten nach § 247 S. 4 StPO in diesem Fall auch per Videoübertragung der Zeugenvernehmung erfolgen. Der Vorsitzende muss sich in diesem Fall aber vergewissern, dass die Videoübertragung vollständig und störungsfrei erfolgte, BGHSt 51, 180. Der BGH geht in NJW 2017, 3397 (3398) sogar von einem grundsätzlichen Vorrang der Videoübertragung vor der nachträglichen mündlichen Unterrichtung durch den Vorsitzenden aus, der sich aus einer „teleologischen Auslegung von § 247 S. 4 StPO unter Berücksichtigung des unter anderem durch Art. 2 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 III GG […] sowie Art. 6 III Buchst. c (i. V. m. Abs. 1) EMRK […] gewährleisteten Rechts des Angeklagten auf effektive Verteidi­ gung“ ergebe; kritisch LR/Becker, § 247 Rn. 48; Metz, NStZ 2017, 446 (449); Mosbacher, JuS 2018, 129 (132); Schneider, NStZ 2018, 128 (130 ff.). 247  BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 13; Heger, JA 2007, 244 (247); LR/Becker, § 247a Rn. 18; vgl. auch SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 29; a. A. Schmoll, S. 180. Vgl. zu weiteren (milderen) Schutzmaßnahmen auch die Übersicht bei KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 8a: „In Betracht kommen […] die Möglichkeiten des Verletzten, sich eines Beistandes zu bedienen (§§ 406f–406h); die Beiordnung eines Beistandes (§ 68b); die Befragung möglichst schonend zu gestalten (zB § 68a iVm §§ 238, 242); die Ausübung und Steuerung des Fragerechts durch den Vorsitzenden bei Zeugen unter 18 Jahren (§ 241a); der Verzicht auf Vernehmung bei Vorliegen eines glaubhaften Geständnisses (vgl. Nr. 222 Abs. 2 RiStBV); die Ausschöpfung der Rechtsstellung des Nebenklägers gem. § 397 Abs. 1 S. 3; die Verlegung der Hauptverhandlung während der Vernehmung eines gefährdeten Zeugen an einen besonderen Ort, wenn gleichzeitig die Vorausset­ zungen des § 172 GVG gegeben sind […]; Maßnahmen der Sitzungspolizei nach § 176 GVG“; vgl. beispielhaft auch LG Waldshut-Tiengen BeckRS 2014, 6258. 248  Kretschmer, JR 2006, 453 (455); LR/Becker, § 247a Rn. 18; ähnlich Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (719); vgl. auch SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 45: „Erwach­ sene Personen muss das Gericht nicht gegen ihren ausdrücklichen Willen schützen“. 249  BVerfG StV 2015, 137 (139); vgl. auch BGHSt 232 (236): „Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass es nicht Aufgabe des Tatrichters ist, sich um die hierzu



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung345

b) Defizite der audiovisuellen Kommunikation Im Folgenden ist gesondert auf die Bedenken im Zusammenhang mit der medial vermittelten Kommunikationsform einzugehen, die insbesondere im Rahmen der Ermessenserwägungen des Gerichts und seiner Sachaufklä­ rungspflicht von Relevanz sein dürften. Auf zahlreiche Bedenken ist bereits der BGH in seiner Grundsatzentscheidung zur Auslandsvernehmung eines Zeugen durch Videokonferenz vom 15.09.1999 eingegangen, indem er nicht nur die mit der Videovernehmung (angeblich) einhergehende Einschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 S. 1 StPO)250, sondern auch die mög­ lichen negativen Konsequenzen einer Kommunikation auf Distanz (übermä­ ßig) betonte: „Bei der Entscheidung, ob das Gericht von der Möglichkeit des § 247a StPO Ge­ brauch machen will oder nicht, ist insbesondere die durch das technische Medium und die fehlende körperliche Anwesenheit des Zeugen […] eingeschränkte Unmit­ telbarkeit der Beweisaufnahme (§ 250 Satz 1 StPO) zu beachten. Zu berücksichti­ gen wird auch sein, daß sich eine auf Distanz befragte Person dem durch Frage und Antwort entstehenden Spannungsverhältnis eher wird entziehen können als in direktem Kontakt in ein und demselben Raum. Durch die technisch bedingte Dis­ tanz wird es zudem schwieriger sein, im Vorfeld der Aussage Hemmungen abzu­ bauen, Vertrauen zu erwecken und sich selbst einen hinreichenden Eindruck von der individuellen Eigenart der Auskunftsperson und ihrem non-verbalen Aussage­ verhalten zu verschaffen […].251

erforderliche technische Ausstattung zu kümmern. Bietet die oberste Dienstbehörde nach § 96 StPO die audiovisuelle Vernehmung eines gesperrten Zeugen, hier eines Verdeckten Ermittlers, an und ist das Gericht von Rechts wegen gehalten, eine solche Vernehmung durchzuführen, so ist es Aufgabe des Justizministeriums, gegebenenfalls seiner nachgeordneten Dienststellen, das Gericht so auszustatten, dass das Verfahren auch durchgeführt werden kann. Auch die technische Durchführung ist Aufgabe der Justizverwaltung“. 250  Den Verfahrensbeteiligten wird im Falle des § 247a StPO die Originalbeweis­ quelle (in mediatisierter Form) zugänglich gemacht, Hegemann, S. 232; Rieck, StraFo 2000, 400 (403); SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 11. Die Videovernehmung wird dem Unmittelbarkeitsgrundsatz daher sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht gerecht; näher hierzu Maaß, S.  191 ff.; Meurer, JuS 1999, 937 (939 f.); Rieck, S.  145 f.; Thörnich, S.  215 f.; Weigend, Gutachten zum 62. DJT, C 55; Swoboda, S. 144; a. A. Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (732 f.); Diemer, NJW 1999, 1667 (1669); ders., NStZ 2001, 393; Fischer, JZ 1998, 816 (820); LR/Becker, § 247a Rn. 4; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 247a Rn. 1a; MüKo-StPO/Cierniak/Niehaus, § 247a Rn. 4. 251  BGHSt 45, 188 (196); kritisch auch Diemer, NStZ 2001, 393 (396); Eisenberg, medstra 2015, 37 f.; Fischer, JZ 1998, 816 (820); Hamm, StV 2015, 139 (141 f.); Leipold, NJW-Spezial 200, 471; Schlothauer, StV 1999, 47 (51); ähnlich zur er­ schwerten Schaffung eines Vertrauensverhältnisses Jehle, Schutz kindlicher Opfer, S. 20 (35).

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

Der BGH kam daher zu dem beachtlichen Schluss, dass das Gericht im Rahmen seiner Abwägung auch zu dem Ergebnis gelangen kann, „daß eine audiovisuelle Vernehmung wegen ihrer dargelegten Defizite gegenüber ei­ nem präsenten Zeugen im Einzelfall für die Wahrheitsfindung wertlos, der Zeuge mithin auch unter Beachtung der Möglichkeiten des § 247a StPO ein ungeeignetes Beweismittel ist“.252 Zu kritisieren ist jedoch bereits die vom BGH gewählte Vergleichsgröße. Richtigerweise ist nicht die persönliche Vernehmung des Zeugen im Sit­ zungssaal, sondern der Beweis mit den sonst zur Verfügung stehenden Ver­ nehmungssurrogaten die maßgebliche Bezugsgröße.253 Zudem werden die vom BGH vornehmlich geäußerten Bedenken (zumindest in Bezug auf die „Qualitätsmängel“) aus praktischer Sicht eher im Rahmen der nachfolgenden Beweiswürdigung als bei der Frage der Beweiserhebung („Ob“) aufgehoben sein.254 Im Hinblick auf die befürchteten Hemmungen des Zeugen ging der Gesetzgeber ferner bereits in seiner Entwurfsbegründung zum ZSchG vom 11.03.1997 davon aus, „die Schaffung einer entspannten Vernehmungsatmo­ sphäre nicht daran scheitert, daß das Kind (bzw. der Zeuge) mit dem Vorsit­ zenden nicht persönlich, sondern nur über den Bildschirm kommuniziert. Denn Kinder sind oft wesentlich unbefangener im Umgang mit den neuen Medien und werden daher nicht darunter leiden, wenn über den Monitor Fragen an sie gestellt werden“.255 Auch kann davon ausgegangen werden, dass etwaige Hemmungen nicht der Regel entsprechen und zumeist schnell wieder abgebaut werden.256 Überdies kann die Videovernehmung nach 252  BGHSt

45, 188 (196, 196). S. 274. 254  Swoboda, S. 275; vgl. auch Duttge, NStZ 2000, 157 (160); Schlothauer, StV 2000, 180 (182). 255  BT-Drucks. 13/7186, S. 10; 13/9063, S. 5. 256  Vgl. Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S. 449 (470  f.) m. w. N.; Altenhain, ZIS 2015, 269 (276); Ammann, Kriminalistik 2011, 570 (576); Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 2120; Eisenberg, medstra 2015, 37; Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik, S. 195 (218) m. w. N.; Rieck, S.  166 ff.; Swoboda, Doku­ mentationen von Vernehmungen, S. 217 (247); H. Vogel, S. 259; von dieser Prämisse ging auch das BMJV in seinem RefE GzeupAdS vom 27.05.2016 aus, S. 25: „Nach den bisherigen Erfahrungen in der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass entsprechende Aufzeichnungen heute nahezu unauffällig möglich sind und zumeist nach kurzer Zeit von den Betroffenen gar nicht mehr bemerkt werden“; vgl. ferner BGHSt 19, 193 (195): „Für den modernen Menschen ist die Begegnung mit technischen Gerätschaf­ ten etwas Vertrautes und Gewohntes geworden“; so auch OLG Bremen NStZ 2007, 481 (483); kritisch in Bezug auf die Authentizität des Verhaltens Knispel, 39. Straf­ verteidigertag, S. 56 f.; vgl. zu den (damaligen) Bedenken in Bezug auf das Aussage­ verhalten kindlicher Zeugen Arntzen, ZRP 1995, 241; Diemer, NJW 1999, 1667 (1671); vgl. auch v. Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276, die zu bedenken gibt, dass „die Existenz von Kamera und Mikrofon bei jüngeren Kindern auch das Bedürf­ 253  Swoboda,



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung347

§ 247a StPO sogar förderlich für die Kommunikationsbeziehung im Rahmen einer Vernehmung sein, da dem Zeugen hierdurch ermöglicht wird, über seine Wahrnehmungen abseits der ernsten und eventuell bedrückenden Atmo­ sphäre eines Gerichtssaals, auch in Anwesenheit einer Vertrauensperson (§ 406f Abs. 2 StPO) oder eines Zeugenbeistandes (§§ 68b, 406 Abs. 1 StPO), zu berichten.257 Zwar erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Ver­ trauensschaffung zwischen den Beteiligten einer Videokonferenz durch die Kommunikation auf Distanz erschwert wird, zumal im Rahmen einer Bildund Tonübertragung auch ein gleichzeitiger Blickkontakt nicht möglich ist („eye contact dilemma“).258 Hieraus resultierende Gefahren für die Wahr­ heitsfindung werden sich jedoch aufgrund der ungeschmälerten Möglichkeit des Gerichts zur Befragung des Zeugen, auch in Form von Nach- und Zwi­ schenfragen, im Ergebnis in Grenzen halten.259 Schließlich hat sich als Grundlage einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung hauptsächlich der inhaltsorientierte Ansatz erwiesen. Dem nonverbalen Verhalten kommt demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle zu; jedenfalls konnten im Hinblick auf Aus­ druckserscheinungen wie Mimik und Gestik bislang trotz umfangreicher Untersuchungen keine praxisrelevanten Ergebnisse festgestellt werden.260 Da das nonverbale Verhalten des Zeugen grundsätzlich keinen ausreichenden Indikator für die Glaubhaftigkeit seiner Aussage darstellen kann261, ist im nis nach Selbstdarstellung fördern und einer objektiven Berichterstattung abträglich sein kann“. 257  SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 9; vgl. auch Hussels, ZRP 1995, 242 (243); Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik, S. 195 (218); Köhnken, StV 1995, 376 (380); Swoboda, S. 167; a. A. Arntzen, ZRP 1995, 241; Caesar, NJW 1998, 2313 (2315). 258  Näher Buckow, ZIS 2012, 551 (556); Herrmann, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 1; vgl. auch Scheumer, S.  66 f. 259  SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 15. 260  Vgl. Sporer/Köhnken, Nonverbale Indikatoren von Täuschung, S. 353 ff.; Bender/Häcker/Schwarz, Rn.  262 ff., 323 ff. 261  So Altenhain, ZIS 2015, 269 (278) m.  w.  N.; Artkämper/Floren/Schilling, Rn.  94 f.; 658 ff.; Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 1426a, 1427 ff. m. w. N.; Hartz, S. 74; Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik, S. 202 f.; Norouzi, S. 251: Der Zeuge könne „diesen Bereich der Aussage […] verhältnismäßig gut steuern“; zudem bestehe hier das Risiko, „dass der Rezipient nonverbale Reaktionen nach seinem in­ tuitiven Vorverständnis fehlerhaft (über-)bewertet“; hierzu auch Rieck, S. 175 ff.; fer­ ner Sporer/Köhnken, Nonverbale Indikatoren von Täuschung, S. 359 ff.; Swoboda, S. 186; vgl. zu dem inhaltsorientierten Ansatz ferner die grundlegende Entscheidung des BGH zu den Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten in BGHSt 45, 164 (170, 171): „Bei einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung werden […] regelmäßig die […] Angaben auf ihre inhaltliche Konsistenz zu überprüfen sein. […]. Zur Durchführung der Analyse der Aussagequalität sind auf der Basis der dargestellten Annahmen Merk­ male zusammengestellt worden, denen indizielle Bedeutung für die Entscheidung zukommen kann, ob die Angaben der untersuchten Person auf tatsächlichem Erleben

348

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

Rahmen der Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Zeugenaussage auch nicht aus­ schlaggebend, ob dem Zeugen „ ‚der Schweiß auf der Stirn stand‘, seine Lid­ schattenfrequenz zunahm oder seine Gesichtsfarbe errötete“.262 Dessen unge­ achtet vermag eine Videovernehmung den Verfahrensbeteiligten – vor dem Hintergrund der ständig fortschreitenden Technik – „sogar häufig eine bes­ sere Sicht auf Mimik und Gestik der Auskunftsperson [als eine Vernehmung im Gerichtssaal zu] vermitteln“.263 5. Videoaufzeichnung Nach § 247a Abs. 1 S. 4 StPO soll die Zeugenvernehmung aufgezeichnet werden, „wenn zu besorgen ist, daß der Zeuge in einer weiteren Hauptver­ handlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erfor­ schung der Wahrheit erforderlich ist“.264 Die Vorschrift stellt insofern eine Ermächtigungsgrundlage für den mit der Aufzeichnung verbundenen Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Zeugen dar.265 Aus ihrer Ausgestaltung als Soll-Vorschrift folgt, dass die Aufzeichnung bei Vor­ liegen der gesetzlichen Voraussetzungen in der Regel anzuordnen ist, wenn

beruhen. Es handelt sich um aussageimmanente Qualitätsmerkmale (z. B. logische Konsistenz, quantitativer Detailreichtum, raumzeitliche Verknüpfungen, Schilderung ausgefallener Einzelheiten und psychischer Vorgänge, Entlastung des Beschuldigten, deliktsspezifische Aussageelemente), deren Auftreten in einer Aussage als Hinweis auf die Glaubhaftigkeit der Angaben gilt […]. Diese sog. Realkennzeichen können als grundsätzlich empirisch überprüft angesehen werden“; vgl. zur generellen Glaubhaf­ tigkeitsbeurteilung einer Aussage Brunkow, S.  84 ff.; Gley, StV 1987, 403 (408 f.); Jahn, Jura 2001, 450 ff.; Niehaus, Inhaltsanalyse, S. 311 ff.; Steller, Glaubhaftigkeits­ begutachtung, S.  302 ff. 262  So auch Norouzi, S. 252, 253. 263  Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (725, 726); hierzu auch LG Mainz NJW 2006, 208: „Die Videomethode gewährt sämtlichen Verfahrensbeteiligten auch optisch sehr viel bessere Wahrnehmungsmöglichkeiten als eine Vernehmung im Gerichtssaal. Die Vernehmung wird auf eine 2 x 2 m große Leinwand übertragen; die beteiligten Per­ sonen erscheinen in Überlebensgröße. Im Gerichtssaal dagegen sitzen aufgrund der Vielzahl der Verfahrensbeteiligten Angekl. und Verteidiger ebenerdig in mehreren Reihen hintereinander. In den hinteren Reihen würden die ebenfalls ebenerdig zu vernehmenden kindlichen Zeugen nur von hinten oder nur von der Seite wahrgenom­ men werden können; dabei wäre die Sicht durch davor sitzende Personen ständig mehr oder weniger behindert“; zu den positiven Erfahrungen hinsichtlich der Wahr­ nehmbarkeit von körperlichen Reaktionen per Videokonferenz auch Rieck, S. 132. 264  Hinsichtlich der Verwendung und Vernichtung der Aufzeichnung gilt § 58a Abs. 2 StPO entsprechend (§ 247a Abs. 1 S. 5 StPO). 265  § 247a Abs. 1 S. 4 StPO ist insofern lex specialis zu § 58a Abs. 1 StPO; Altenhain, Vor- und Nachteile der audiovisuellen Aufzeichnung, S. 225 (227); Beulke/ Swoboda, Rn. 666; SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 66.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung349

keine besonderen Gründe dagegen sprechen.266 Die Unmöglichkeit einer späteren erneuten Zeugenvernehmung muss sich hierbei aufgrund konkreter Anhaltspunkte ergeben und kann etwa bei der absehbaren Weigerung der Erziehungsberechtigten, eine weitere Vernehmung des Kindes zu gestatten267 oder bei einer schweren Erkrankung des Zeugen268 angenommen werden. In praktischer Hinsicht werden insbesondere die in § 251 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO genannten Hindernisgründe oder solche des Zeugenschutzes (etwa in den in § 255a Abs. 2 StPO genannten Fällen) gegeben sein.269 Ob eine wei­ tere Hauptverhandlung tatsächlich stattfinden wird, ist hierbei nicht Teil der anzustellenden Prognose.270 Unter „einer weiteren Hauptverhandlung“ ist vor allem die Berufungsverhandlung oder die erneute Hauptverhandlung bei Aufhebung und Zurückweisung der Sache durch das Revisionsgericht zu verstehen271; darunter fällt aber auch die weitere Hauptverhandlung gegen einen Mittäter bei abgetrennten Verfahren.272 Weiterhin muss auch wahr­ scheinlich sein, dass die Zeugenaussage als Beweismittel im weiteren Ver­ fahren benötigt wird (vgl. „zur Erforschung der Wahrheit erforderlich“, § 247a Abs. 1 S. 4 a. E. StPO).273 Die Aufzeichnung wird sich daher beson­ ders bei komplexen Tatgeschehen oder schwierigen Befragungen anbieten.274 Eine Aufzeichnung allein für gerichtsinterne Zwecke, etwa zur Gedächtnis­ stütze für das Gericht, reicht als Anordnungsgrund hingegen nicht aus.275

266  LR/Becker,

§ 247a Rn. 35; Meyer-Goßner/Schmitt, § 247a Rn. 11. § 247a Rn. 11. 268  Maaß, S. 162. 269  Vgl. Diemer, NJW 1999, 1667 (1672); KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 18; Radtke/Hohmann/Kelnhofer, § 247a Rn. 21; SSW-StPO/Tsambikakis, § 247a Rn. 25. 270  BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 17; LR/Becker, § 247a Rn. 31; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 247a Rn. 11; Maaß, S. 162; a. A. Seitz, JR 1998, 309 (312). 271  BT-Drucks. 13/7165, S. 5; KMR/Lesch, § 247a Rn. 33. 272  Diemer, NJW 1999, 1667 (1672); KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 18; LR/Becker, § 247a Rn. 31; Meyer-Goßner/Schmitt, § 247a Rn. 11; SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 69. 273  SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 72; vgl. auch Diemer, NJW 1999, 1667 (1672); KK-StPO/ders., § 247a Rn. 19: „Das ist der Fall, wenn die aufzuzeichnende Aussage für die Urteilsfindung wesentlich ist“; Leitner, S. 72: „In diesem Sinne ist […] jede Aussage erforderlich, die […] entweder eine unmittelbar beweiserhebliche Tatsache betrifft oder ein für die Entscheidung wesentliches Indiz bezeugt oder verneint“. Der ursprüngliche (strengere) Gesetzentwurf forderte demgegenüber, dass die Aufzeich­ nung zur Erforschung der Wahrheit „unerläßlich“ ist, BT-Drucks. 7165, S. 3. 274  Vgl. BT-Drucks. 7165, S. 5; Diemer, NJW 1999, 1667 (1672); KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 19; KMR/Lesch, § 247a Rn. 34; Meyer-Goßner/Schmitt, § 247a Rn. 11. 275  Vgl. Diemer, NJW 1999, 1667 (1672); ders., NStZ 2002, 16 (17); KK-StPO/ Diemer, § 247a Rn. 19; KMR/Lesch, § 247a Rn. 34; LR/Becker, § 247a Rn. 35. 267  Meyer-Goßner/Schmitt,

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

6. Zuständigkeit und Verfahren Die Anordnung einer Videovernehmung nach § 247a Abs. 1 S. 1 StPO wird – ebenso wie die Anordnung der Aufzeichnung nach § 247a Abs. 1 S. 4 StPO276 – durch Gerichtsbeschluss nach vorheriger Anhörung der Verfah­ rensbeteiligten (§ 33 Abs. 1 StPO) verkündet (§ 35 StPO).277 Die Begrün­ dung des Beschlusses muss zumindest erkennen lassen, auf welchen Tatbe­ stand des § 247a Abs. 1 S. 1 StPO das Gericht seine Anordnung stützt.278 Zu beachten ist ferner, dass die Anordnung nach der Rechtsprechung des BGH nicht notwendigerweise in der Hauptverhandlung erfolgen muss. Sie kann vielmehr auch außerhalb einer Hauptverhandlung und damit ohne Mitwir­ kung der Schöffen (vgl. § 30 Abs. 2, 76 Abs. 1 S. 2 GVG) ergehen.279 Die sich hieran anschließende praktische Durchführung der Videoverneh­ mung wurde gesetzlich nicht detailliert geregelt. Nach § 247a Abs. 1 S. 3 StPO wurde lediglich festgelegt, dass die „Aussage […] zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen wird“. Da sich der Gesetzgeber den aus §§ 226, 238 Abs. 1, 261 StPO, § 176 GVG resultierenden Bedenken im Ergebnis nicht verschließen konnte280, hat er sich im Falle des § 247a StPO letztlich für das „Englische“ und nicht für das „Mainzer Modell“ ent­ schieden: Der Richter verbleibt also mit den anderen Anwesenheitsberechtig­ ten während der Vernehmung im Sitzungssaal. Von dort aus vernimmt er den Zeugen, der sich während der Vernehmung an einem anderen Ort281 aufhält (vgl. § 247a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 a. E.). Das für § 247a StPO ursprüng­ lich vorgesehene „Mainzer Modell“282 nach dem Vorbild des Beschlusses des 276  Dies ist bereits aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs von § 247a Abs. 1 S. 1 und S. 4 StPO geboten, näher SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 74 m. w. N. 277  MüKo-StPO/Cierniak/Niehaus, § 247a Rn. 15. 278  BGH BeckRS 1999, 30069097; BGH NStZ-RR 2018, 118; BeckRS 2019, 21921 Rn. 21; LR/Becker, § 247a Rn. 20. 279  BGH StV 2012, 65 m. abl. Anm. Eisenberg; kritisch hierzu auch Eisenberg, medstra 2015, 37 (40) m. w. N.; KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 15; SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 46a. 280  Näher BT-Drucks. 13/7165, 5, 10; vgl. auch BT-Drucks. 15/2536, S. 15; BTDrucks. 15/2609, S. 14. 281  Näher BT-Drucks. 13/9063, S. 4: „Dies wird zwar in der Regel das gerichtli­ che Vernehmungszimmer in unmittelbarer Nähe des Sitzungszimmers sein, kann aber auch ein entsprechend hergerichteter Raum in einem anderen Gebäude sein, das ge­ gebenenfalls außerhalb des Gerichtsorts liegen mag. Entscheidend ist, daß dort eine unbeeinflußte Vernehmung möglich und eine einwandfreie Bild-Ton-Übertragung zwischen Gerichtssaal und Vernehmungszimmer gewährleistet ist“. Der Zeuge kann sich während der Videodirektschaltung daher auch in seiner Wohnung oder im Aus­ land befinden, vgl. Rieß, NJW 1998, 3240 (3241); LR/Becker, § 247a Rn. 25; SKStPO/Frister, § 247a Rn. 51. 282  Vgl. LG Mainz NJW 1996, 208 f.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung351

LG Mainz vom 15.05.1995283 hat damit nur Eingang in das Ermittlungsver­ fahren (§ 168e StPO) gefunden.284 Da § 247a Abs. 1 S. 1 StPO die „einzig zulässige Art und Weise der Videovernehmung eines Zeugen in der Haupt­ verhandlung“ regelt285, ist auch die Videosimultanübertragung einer kommis­ sarischen Vernehmung (§§ 223 StPO) durch einen ersuchten, d. h. nicht dem Spruchkörper angehörigen Richter direkt in die Hauptverhandlung nicht statthaft.286 Hinsichtlich der technischen Einzelheiten muss jedenfalls sichergestellt sein, dass den Verfahrensbeteiligten die ungeschmälerte Ausübung ihrer Ver­ fahrensrechte ermöglicht wird.287 Die Videovernehmung hat daher auch hier im Wege einer Zwei-Wege-Verbindung zu erfolgen.288 Mithin sind auch Mehrpersonenschaltungen mit eigenen Verbindungen für den Verteidiger und die Staatsanwaltschaft erforderlich.289 Etwas anderes kann sich aber bei einer Gefährdung des Zeugenwohls durch die (technisch vermittelte) Konfronta­ tion mit dem Angeklagten ergeben; dies wird vor allem im Falle der Verneh­ 283  Vgl.

hierzu bereits oben S. 97. Verfahrensweise wirft jedenfalls im Ermittlungsverfahren keine dogmati­ schen Schwierigkeiten auf, näher hierzu Schmoll, S.  202 m. w. N. 285  BGH NJW 2017, 181 (182). 286  Vgl. BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 3; Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (721 f.); Helmig, S. 86 f. unter Hinweis auf §§ 238 Abs. 1, 241a StPO; Kipper, S. 105 Fn. 115; KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 3; KK-StPO/Gmel, § 223 Rn. 23a; LR/Becker, § 247a Rn. 5; Maaß, S. 161 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 223 Rn. 20; Rieß, NJW 1998, 3240 (3242); SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 57, der in diesem Fall von einer unzulässigen „Verquickung grundsätzlich unterschiedlicher Vernehmungsformen“ ausgeht, die „schon aus Gründen der Verfahrensklarheit abzulehnen“ sei; SSW-StPO/Tsambikakis, § 247a Rn. 36; Swoboda, S. 203 ff., 212; a. A. Diemer, NJW 1999, 1667 (1668); Thörnich, S.  383 ff.; Weigend, Gutachten zum 62. DJT, C 56; diff. Rieck, S. 242 ff. im Falle der Delegation der Vernehmungsbefugnis an einen Sachverständigen S. 243 ff.; 304; dem auch (zu Recht) widersprechend Maaß, S. 159 f. mit Verweis auf die §§ 238, 241a StPO. 287  BGHSt 45, 188 (195); LR/Becker, § 247a Rn. 25; Meyer-Goßner/Schmitt, § 247a Rn. 10; SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 52. 288  So auch BGHSt 45, 188 (196): „two-way Closed Circuit Television – CCTV“; BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 14; Jost, S. 102; KMR/Lesch, § 247a Rn. 6; Kretschmer, JR 2006, 453 (456); Laubenthal/Nevermann-Jaskolla, JA 2005, 294 (298); Leitner, S. 71; LR/Becker, § 247a Rn. 25; Meyer-Goßner/Schmitt, § 247a Rn. 10; MüKoStPO/Cierniak/Niehaus, § 247a Rn, 17; Rieck, S.  99 ff.; ders., StraFo 2000, 400 (405 f.); Rieß, StraFo 1999, 45 (47); Scheumer, S. 70 f.; SSW-StPO/Tsambikakis, § 247a Rn. 21; Swoboda, S. 179; zur Verwendung von Skype-Technik bei der Zeu­ genvernehmung Gerst, StraFo 2013, 103 ff.; gegen die Erforderlichkeit einer besonde­ ren Wiedergabevorrichtung für die Öffentlichkeit BMJ, Handreichung zum Schutz kindlicher (Opfer-)Zeugen, S. 35; a.  A. LR/Becker, § 247a Rn. 25; Rieck, StraFo 2000, 400 (404); Roth, GSZ 2018, 62 (65). 289  Eisenberg, medstra 2015, 37 (38); Roth, GSZ 2018, 62 (65). 284  Diese

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

mung (kindlicher) Opferzeugen in Betracht kommen (vgl. § 241a StPO).290 Entsprechende Handlungsempfehlungen hat das Bundesministerium der Jus­ tiz bereits in seiner Bundeseinheitlichen Handreichung zum Schutz kindli­ cher (Opfer-)Zeugen im Strafverfahren im Jahr 2000 aufgestellt: „Hinsichtlich der Bild- und Toneinstellungen stellt das Gericht sicher, dass ein frontales Brustbild des Vernehmenden – das ist im Regelfall wegen § 241a StPO allein der Vorsitzende selbst – und nur seine Fragen zu dem kindlichen Zeugen übertragen werden. Bild- und Tonaufnahmen der übrigen Verfahrensbeteiligten und einer gegebenenfalls vorhandenen Öffentlichkeit sollten nicht zu dem Kind gelan­ gen. […] Der Zeuge und gegebenenfalls seine Betreuungsperson(en) befinden sich – innerhalb oder außerhalb des Gerichtsgebäudes – an einem anderen Ort in einem Vernehmungszimmer. Von der dort vorhandenen Videokamera sollte der Zeuge vollständig im Bild aufgenommen werden. Auch die anderen dort Anwesen­ den sollten möglichst im Bild ganz erfasst werden. Bei einer starren Kamera­ einstellung ohne Zoomen und Schwenken wird dem Vorwurf, durch die Wahl sich ändernder Bildausschnitte zu manipulieren, entgegengewirkt. Zeuge und Betreuungsper­son(en) sollten sich aus dem Erfassungsbereich der Kamera – der soweit wie möglich eine Übersicht über das Vernehmungszimmer geben sollte – während der Vernehmung nicht entfernen. Geschieht dies – wie bei jüngeren ­Kindern wohl oft unvermeidlich – dennoch, so muss über die Betreuungsperson sichergestellt werden, dass das Kind in den Erfassungsbereich der Kamera zurückkehrt“.291

Ausgehend von diesen Grundsätzen bieten sich am Ort der Beweisperson jedoch generell, ungeachtet des Zeugenalters, mindestens zwei getrennte Kameraperspektiven an.292 Insbesondere können durch eine Totalaufnahme des Raumes mögliche Manipulationsgefahren weitestgehend gebannt wer­ den293; zumindest werden aber etwaige Versuche, während der Vernehmung auf den Zeugen einzuwirken (z. B. durch Gesten oder Mimik) nachvollzieh­ bar dokumentiert.

290  Vgl. BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 14; KMR/Lesch, § 247a Rn. 6; LR/Becker, § 247a Rn. 25; Laubenthal/Nevermann-Jaskolla, JA 2005, 294 (298); SK-StPO/ Frister, § 247a Rn. 54. 291  BMJ, Handreichung zum Schutz kindlicher (Opfer-)Zeugen, S. 46. 292  Vgl. Eisenberg, medstra 2015, 37 (38); HK-StPO/Julius, § 247a Rn. 12; LR/ Becker, § 247a Rn. 25; Roth, GSZ, 2018, 62 (65). 293  Vgl. LR/Becker, § 247a Rn. 25.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung353

7. Ausschluss der Anfechtung Nach § 247a Abs. 1 S. 2 StPO ist die Ermessensentscheidung des Gerichts, die der Bejahung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 247a Abs. 1 S. 1 StPO folgt, nicht anfechtbar.294 Die Unanfechtbarkeit bezieht sich hier­ bei nach der überwiegenden Ansicht sowohl auf die Anordnung als auch auf die Ablehnung einer audiovisuellen Vernehmung.295 Hierfür spricht nicht nur der Wortlaut der Vorschrift („Entscheidung“), sondern auch der Sinn und Zweck des Anfechtungsausschlusses (Vermeidung von Verfahrensverzöge­ rungen und Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit dem Einsatz der Videokonferenz296), der gleichermaßen bei anordnenden und ablehnenden Entscheidungen greift.297 Für den Zeugen, der durch die gerichtliche Ent­ scheidung betroffen ist, besteht nach derzeitiger Rechtslage daher wegen § 247a Abs. 1 S. 2 StPO – trotz § 305 S. 2 a. E. StPO – kein Beschwerderecht.298 Das BVerfG äußerte sich in einem Beschluss vom 27.02.2014 zu dieser Rechtslage und warf hierbei die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 247a Abs. 1 S. 2 StPO in den Raum. Dem Beschluss lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Nebenklägervertreterin beantragte in einem Vergewaltigungsverfahren die Zeu­ genvernehmung gem. § 247a Abs. 1 StPO audiovisuell durchzuführen, da andern­ falls die „dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das psychische Wohl“ der Nebenklägerin bestehe. Diese habe „das Geschehen verdrängt und ei­ nem emotionalen Zugang verschlossen“. Insofern seien auch „therapeutische Fort­ schritte […] gefährdet, wenn sie erneut mit dem Angeklagten im selben Raum konfrontiert werde oder in der Atmosphäre einer Hauptverhandlung – selbst bei Ausschluss der Öffentlichkeit – das angeklagte Tatgeschehen in unmittelbarer Ge­ genwart der im Strafverfahren notwendig Anwesenden schildern müsse“. Dieses Vorgehen komme einem „erneuten Durchleben der Tat“ gleich. Nach „Einschät­ zung der behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie“ sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ eine „längerfristige seelische Destabilisierung“ oder „gar eine Retraumatisierung“ zu befürchten. Nach einem Befundbericht einer weiteren Ärz­ tin wurde der Zeugin zudem eine „posttraumatische Belastungsstörung“ diagnosti­ 294  Vgl. BGH NJW 2017, 181; Beulke/Swoboda, Rn. 661; Diemer, NStZ 2001, 393 (395 f.); KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 16, 22; Meyer-Goßner/Schmitt, § 247a Rn. 13; Rieck, S. 268; kritisch zur generellen Anfechtungsausschluss HK-StPO/Julius, § 247a Rn. 2; Swoboda, S.  234 f. 295  Vgl. BVerfG StV 2015, 137 (138); Diemer, NStZ, 393 (397); KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt, § 247a Rn. 13; SK-StPO/Frister, §  247 a Rn. 48. 296  BT-Drucks. 13/7165, 10. 297  SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 47a. 298  Vgl. KK-StPO/Diemer, § 247a Rn. 16.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

ziert, die im Zusammenhang „mit den Folgen des sexuellen Übergriffs“ und der „erneuten Konfrontation“ hiermit stehe. Das Gerichtsverfahren werde mithin als „massiver Kontrollverlust“ erlebt. Aus ärztlicher Sicht sei daher „dringend zu emp­ fehlen“, dass das Verfahren „so schonend wie möglich“ und diese „Wünsche re­ spektierend“ durchgeführt werde. Die vorstehende Einschätzung wurde auch von der die Nebenklägerin betreuenden Sozialarbeiterin beim Frauen- und Kinder­ schutzhaus geteilt.299 Das LG lehnte den Antrag der Nebenklägervertreterin jedoch ab. Die Beschwerdeführerin erhob hiergegen Verfassungsbeschwerde und verband diese mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.300 Das BVerfG hat die Vernehmung der Beschwerdeführerin – sofern sie nicht nach § 247a Abs. 1 StPO durchgeführt wird – schließlich im Wege der einstweiligen Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde (bis zu einer Dauer von sechs Monaten) unter­ sagt.301

Von besonderer Relevanz waren die Äußerungen des BVerfG zur vorrangi­ gen Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes: „Unter den gegebenen Umständen ist daher der Bfin der Versuch, vorrangig fach­ gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, nicht zumutbar. Ob im Hin­ blick auf den verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch […] desjeni­ gen, der sich als Zeuge durch die Ablehnung der Anordnung einer audio-visuellen Vernehmung in einem Grundrecht verletzt sieht und dem insoweit effektiver Rechtsschutz durch die Endentscheidung nicht zur Verfügung steht, § 247a Abs. 1 S. 2 StPO verfassungskonform dahin ausgelegt werden kann und muss, dass die Vorschrift nur einer Beschwerde gegen die Anordnung […], nicht aber einer Be­ 299  BVerfG StV 2015, 137. Kritisch zur Übernahme der Einschätzungen der be­ handelnden Ärztin und der Sozialarbeiterin vor dem Hintergrund fehlender Angaben zur methodischen Verlässlichkeit und der Nichtaufklärung des strafrechtlichen Tatvor­ wurfs Eisenberg, StraFo 2014, 424 (425); ders., medstra 2015, 37 (39). Der Ange­ klagte wurde letztlich wegen Vergewaltigung von zwei Frauen verurteilt, von den Tatvorwürfen der Vergewaltigung gegenüber sechs anderen Frauen, hierunter die Be­ schwerdeführerin, aber freigesprochen, ders., medstra 2015, 37 Fn. 4. 300  BVerfG StV 2015, 137 (138). 301  BVerfG StV 2015, 137; vgl. zum weiteren Fortgang des Falles LG WaldshutTiengen BeckRS 2014, 7909: „Die Zeugin M. ist aufgrund der einstweiligen Anord­ nung des Bundesverfassungsgerichts […] ein unerreichbares Beweismittel im Sinne von § 251 Abs. 2 Nr. 1 Var. 3 StPO geworden. Sie steht bis zur Entscheidung über ihre Verfassungsbeschwerde für eine unmittelbare Anhörung in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung. Insoweit kommt die Entscheidung des Bundesverfassungsge­ richts vom 27.02.2014 einer Sperrerklärung für einen Verdeckten Ermittler (§§ 96 analog, 110b Abs. 3 StPO) gleich. […] Unter Abwägung der Bedeutung der Sache und der Wichtigkeit der Zeugenaussage für die Wahrheitsfindung einerseits und dem Anspruch des seit mehr als sieben Monaten in Untersuchungshaft befindlichen Ange­ klagten auf eine zügige Verhandlung und Entscheidung seiner Sache andererseits so­ wie unter Berücksichtigung der Pflicht zur erschöpfenden Sachaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) hält die Kammer die audiovisuelle Vernehmung der Zeugin M. für ge­ boten.“; kritisch zu dieser Entscheidung MüKo-StPO/Cierniak/Neuhaus, § 247a Rn.  21 ff.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung355 schwerde gegen die Ablehnung der Anordnung einer solchen Vernehmung entge­ gensteht, entzieht sich einer Klärung im Verfahren nach § 32 BVerfGG“.302

Das BVerfG stellte das Verfahren der Verfassungsbeschwerde jedoch mit nicht veröffentlichtem Beschluss vom 01.07.2014 ein303, sodass eine Klärung der Frage ausblieb. Gegen die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des § 247a Abs. 1 S. 2 StPO im Sinne einer Beschwerdemöglich­ keit gegen die ablehnende Entscheidung spricht aber, dass ein etwaiger Ein­ griff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Zeugen (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) genau genommen nicht von der Ablehnung eines Antrags auf au­ diovisuelle Vernehmung ausgeht, sondern vielmehr auf der gerichtlichen Ladung zur unmittelbaren Zeugenvernehmung im Sitzungssaal beruht. Wei­ gert sich ein ordnungsgemäß geladener Zeuge vor Gericht zu erscheinen und werden gegen ihn Ordnungs- und Zwangsmittel verhängt (§ 51 StPO), steht ihm gegen den entsprechenden Anordnungsbeschluss jedoch nach § 304 Abs. 2 StPO die Beschwerde zu.304 Im Übrigen kann er gegen die seinen Antrag ablehnende gerichtliche Entscheidung auch Verfassungsbeschwerde wegen einer Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) einlegen und diese mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG), der sich auf die Untersagung einer au­ ßerhalb des § 247a StPO erfolgenden persönlichen Vernehmung richtet, ver­ binden.305

II. Videovernehmung des Sachverständigen § 247a Abs. 2 StPO ermöglicht schließlich auch die Einbeziehung von Sachverständigen in die Hauptverhandlung im Wege der Videokonferenz. Die Durchführung der Videovernehmung steht hierbei ebenfalls im pflicht­ gemäßen Ermessen des Gerichts („kann“).306 Die Vorschrift verfolgt haupt­ 302  BVerfG

StV 2015, 137 (138). Eisenberg, medstra 2015, 37 Fn. 3, der sich diesbezüglich auf eine persön­ liche Mitteilung des Vertreters der Nebenklage vom 11.09.2014 bezieht. Grundlage hierfür war, dass die Beschwerdeführerin, nachdem sie als Zeugin audiovisuell ver­ nommen wurde, am 29.04.2014 die Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt hat, vgl. ders., medstra 2015, 37. 304  SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 48; dem folgend LR/Becker, § 247a Rn. 21; vgl. auch Hamm, StV 2015, 139 (140). 305  BeckOK-StPO/Berg, §  247a Rn. 21; MüKo-StPO/Cierniak/Niehaus, § 247a Rn. 27. 306  BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 10; KK-StPO/Diemer, 247a Rn. 4. Für das Erfordernis einer Zustimmung sämtlicher Verfahrensbeteiligter plädiert hingegen Bockemühl, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 3. Die Entscheidung ist ebenso unanfechtbar, vgl. hierzu BT-Drucks. 17/12418, S. 16: „Der Einsatz von Videokonfe­ renztechnik wird sich […] nicht durchsetzen, wenn jede gerichtliche Entscheidung 303  Vgl.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

sächlich prozessökonomische Ziele, namentlich eine Kostenersparnis sowie – bedingt durch die gesteigerte zeitliche Verfügbarkeit von Sachverständigen – auch eine Verfahrensbeschleunigung.307 Vor dem Hintergrund, dass die „Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung […] keineswegs in jedem Fall eine unmittelbare persönliche Anwesenheit des Sachverständigen in der Hauptverhandlung [erfordert]“ kommt eine audiovisuelle Vernehmung etwa in Betracht, wenn ein „leicht abgrenzbares, isoliertes Beweisthema“ im Raum steht, „für dessen Beurteilung der Sachverständige keine in der Hauptver­ handlung erst oder zusätzlich festzustellende Anknüpfungstatsachen benö­ tigt“308, so z. B. im Falle eines DNA-Gutachtens309 oder eines Berichts über eine Obduktion, bei Laboranalysen oder einer Blutgruppenuntersuchung.310 Für das Gericht bietet sich ein Vorgehen nach § 247a Abs. 2 StPO mithin an, wenn die bloße Verlesung eines Gutachtens nach § 256 StPO zur Sachaufklä­ rung nicht ausreicht, eine persönliche Anwesenheit des Sachverständigen in der Hauptverhandlung aber auch nicht erforderlich erscheint.311 Insofern wird die Begutachtung der Schuldfähigkeit des Angeklagten (§§ 20, 21 StGB) regelmäßig nicht im Wege einer Videokonferenz erfolgen können.312 Gleiches gilt für komplexe Fragestellungen im Rahmen von unfallanalyti­ schen Aussagen.313 Dementsprechend sind auch die Fälle des § 246a Abs. 1 S. 1 StPO, in denen die Anordnung oder der Vorbehalt einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in der Sicherungsverwahrung (§§ 66, 66a StGB) in Betracht kommt, nach § 247a Abs. 2 S. 2 StPO vom Anwendungsbereich ausgenommen. Gleiches gilt nach § 246a Abs. 1 S. 2 StPO, wenn die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) erwogen wird. Soweit § 247a Abs. 2 S. 2 StPO jedoch auch auf § 246a Abs. 2 StPO Bezug nimmt, ist Folgendes

nach § 247a Absatz 2 Satz 1 StPO einen potentiellen Angriffspunkt für eine Revision bieten könnte“; kritisch zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung Gaede, Stellung­ nahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 10 f. 307  BT-Drucks. 17/12418, S. 16; zur praktischen Erforderlichkeit dieser Regelung auch Wimmer, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 6; kritisch zum Regelungs­ zweck im Hinblick auf die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes BRAK-Stellung­ nahme Nr. 30/2010, S. 6 f.; Gaede, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 10. 308  Die Verlesung der in einem Zeugnis oder Gutachten enthaltenen Erklärungen nach § 256 StPO kann hierbei nicht immer als „einfachere Alternative“ vorgezogen werden, wenn nur eine persönliche Vernehmung etwaige Unklarheiten beheben kann, BT-Drucks. 17/12418, S. 16. 309  BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 11. 310  Wimmer, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 6. 311  SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 22a. 312  LR/Becker, § 247a Rn. 16; SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 43a. 313  Wimmer, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 6.



§ 2 Die Regelung des § 247a StPO zur Video-Simultanübertragung357

zu beachten: Die Regelung des § 246a Abs. 2 StPO314 beruht auf dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) vom 26.06.2013315, wohingegen § 247a Abs. 2 S. 2 StPO bereits durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videotechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren vom 25.04.2013316 in die StPO eingefügt wurde. Obwohl § 246a Abs. 2 StPO damit vor § 247a Abs. 2 S. 2 StPO in Kraft ge­ treten ist317, hat der Gesetzgeber die Anwendungsfälle des § 246a Abs. 2 StPO im Zuge der Einfügung des § 247a Abs. 2 S. 2 StPO nicht berücksich­ tigt.318 Da sich aber auch in den Fällen des § 246a Abs. 2 StPO regelmäßig neue Befundtatsachen aus dem Inhalt der Hauptverhandlung ergeben können, kann der dem § 246a Abs. 2 StPO zugrundeliegende Ausschlussgedanke hier grundsätzlich auch fruchtbar gemacht werden.319

D. Fazit Die Videosimultanübertragung nach § 247a StPO bietet dem Gericht (the­ oretisch) ein erhebliches Potential zur Erlangung eines sachgerechten Aus­ gleichs zwischen Wahrheitsfindung, Zeugenschutz und Verteidigungsinteres­ sen. Gleiches gilt für die Verwirklichung prozessökonomischer Ziele. Den Prozessbeteiligten bleibt im Falle des § 247a StPO der (medial vermittelte) Zugriff auf die originäre Beweisquelle mit der Möglichkeit konfrontativer Befragung erhalten. Gerade hierin liegt die größte Stärke des § 247a StPO im Vergleich zur Verwendung von Beweissurrogaten, die freilich nur bei einer technisch einwandfreien Durchführung der Bild-Ton-Übertragung zur Gel­ tung kommen kann. Soweit die Vorzüge einer Videovernehmung in techni­ 314  § 246a Abs. 2 StPO lautet: „Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetz­ buchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialthe­ rapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachver­ ständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernom­ men werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf“ [Hervorhebung durch die Verfasserin]. 315  BGBl. I S. 1805. 316  BGBl. I S. 935. 317  § 246a Abs. 2 StPO ist bereits am 01.09.2013 in Kraft getreten, BGBl. I S. 1805 (1807). § 247a Abs. 2 S. 2 StPO ist hingegen erst am 11.11.2013 in Kraft getreten, BGBl. I S. 935 (937). 318  Vgl. BR-Drucks. 643/07, S. 21 f.; BT-Drucks. 17/1224, S. 11, 14, 18. 319  LR/Becker, § 247a Rn. 15; vgl. auch BeckOK-StPO/Berg, § 247a Rn. 7, 11; für eine teleologische Reduktion des § 247a Abs. 2 S. 2 StPO auf die Fälle des § 246a Abs. 1 StPO SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 43b.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

scher Hinsicht genutzt werden können, ist demnach für einen stärkeren Ein­ satz der Videosimultanübertragung sowohl im In- als auch im Ausland zu plädieren. Insofern ist auch die fortlaufende Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Bereich der grenzüberschreitenden Vernehmung im Wege der Videokonferenz zu begrü­ ßen. Das beschriebene Potential der Videovernehmung kann aufgrund der derzeitigen Ausgestaltung des § 247a StPO jedoch nicht vollends ausge­ schöpft werden. Hier wird vor allem die Gefährdungsalternative nach § 247a S. 1 Hs. 1 StPO angesprochen, deren aktuelle Tatbestandsvoraussetzungen („dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeu­ gen“) für die gewünschte Einzelfallabwägung des Gerichts im Zusammen­ hang mit zeugenschützenden Maßnahmen zu eng sind. Eine gesetzliche An­ passung des § 247a Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO an die Kriterien des § 247a S. 2 StPO ermöglicht vor diesem Hintergrund nicht nur einen wirkungsvolleren Zeugenschutz, sondern auch eine effektivere Wahrnehmung der Verteidi­ gungsinteressen des Angeklagten, hier in Gestalt seines Anspruchs auf recht­ liches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und seines Fragerechts (Art. 6 Abs. 3d) EMRK). Vorgeschlagen wird daher eine entsprechende Neufassung des § 247a Abs. 1 StPO320: § 247a StPO-E 1

(1) Ist bei einer Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, so kann das Gericht anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2Gleiches gilt, wenn bei der Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der in der Haupt­ verhandlung Anwesenden die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihr Wohl besteht. […]

§ 3 Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen Seinen ursprünglichen Ausgangspunkt fand die Video-Simultanübertragung im strafprozessualen Zeugenschutz, konkret in den durch das ZSchG vom 30.04.1998321 eingeführten §§ 247a, 168e StPO.322 Im Laufe der Zeit wur­ den weitere spezielle Befugnisnormen zur Videokonferenztechnik zum einen in der Strafprozessordnung (§§ 58b, 118a Abs. 2, 138d Abs. 4 S. 2, 233 Abs. 2, 247a Abs. 2, 463e Abs. 1 S. 1 StPO) und zum anderen auch im Ge­ richtsverfassungsgesetz (§ 185 Abs. 1a GVG) und im Strafvollzugsgesetz 320  Vgl.

hierzu oben S. 327 ff. S. 820. 322  Vgl. BR-Drucks. 643/07, S. 11; BT-Drucks. 17/1224, S. 10. 321  BGBl. I



§ 3 Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen359

(§ 115 Abs. 1a StVollzG) geschaffen. Die genannten Bestimmungen sind al­ lesamt am 01.11.2013 im Zuge der Einführung des Gesetzes zur Intensivie­ rung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsan­ waltschaftlichen Verfahren vom 25.04.2013 in Kraft getreten.323 Hintergrund war der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, die Möglichkeiten zur Nut­ zung von Videokonferenztechnik in den Verfahrensordnungen324 auszuwei­ ten, da die bisherige Praxis der fortschreitenden technischen Entwicklung der Videokonferenztechnik nicht mehr gerecht wurde: „Was dem versierten Internetnutzer schon seit langem mit hinreichender techni­ scher Qualität an Möglichkeiten der Bild- und Tonübertragung zugänglich ist, sollte den Beteiligten an gerichtlichen Verfahren in Zukunft ebenso eröffnet sein – in geeigneten Fällen, die das Gericht in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ohne Abhängigkeit von den Verfahrensbeteiligten und ohne Verlust an rechtsstaatlicher Qualität unter Berücksichtigung der nutzbaren technischen Möglichkeiten be­ stimmt.“325

Ob der Wille des Gesetzgebers mit den aktuellen tatsächlichen Verhältnis­ sen (auch vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie) korrespondiert, erscheint jedoch zumindest in einigen Bundesländern zweifelhaft, wenn man die auf dem Justizportal des Bundes und der Länder abrufbare „Länderliste der Standorte der Videokonferenzanlagen bei den Gerichten und Staatsan­ waltschaften“ vom 24.01.2022 betrachtet. Hiernach verfügt z. B. SachsenAnhalt nur über eine Videokonferenzanlage, Berlin über zwei und Bremen über gar keine.326 Darüber hinaus ist auch ein teilweiser Verbesserungsbe­ darf in rechtlicher Hinsicht zu verzeichnen. Nachfolgend sollen daher die 323  BGBl. I

S. 935 (937). der Erweiterung der Möglichkeit zur Nutzung von Videokonferenz­ technik in der Strafprozessordnung, dem Gerichtsverfassungsgesetz und dem Straf­ vollzugsgesetz sah das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenz­ technik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren auch entsprechende Änderungen im Rahmen der Zivilprozessordnung (§ 128a ZPO), der Finanzgerichts­ ordnung (§ 91a FGO), der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 102a VwGO) und des So­ zialgerichtsgesetzes (110a SGG) vor, BGBl. I 2013, S. 935 f. Die Länder konnten die Anwendung der Bestimmungen über die Bild- und Tonübertragungen nach Art. 9 längstens bis zum 31.12.2017 aufschieben, BGBl. I S. 935 (937). 325  BR-Drucks. 643/07, S. 11; BT-Drucks. 17/1224, S. 10. 326  Vgl. JM NRW, Videokonferenzanlagen (2022); hierzu auch Kaltenbach, CO­ VuR 2020, 230 (234); kritisch zur Vorgehensweise in Mecklenburg-Vorpommern be­ reits Beulke, ZStW 113 (2001), S. 709 (721): „Die Lösung im Land MecklenburgVorpommern, statt der festen Ausrüstung der Gerichte generell nur auf die Anmietung moderner, professioneller Anlagen zusammen mit technischem Personal zurückzu­ greifen, bietet […] Vorteile, hat aber jedes Mal auch eine längere Vorbereitungs- und Vorlaufzeit zur Folge, die in Gerichten mit fester Einrichtung nicht notwendig wäre. Außerdem dürfte die Hemmschwelle zur Anwendung neuer Technologien höher sein, wenn eine Anlage vor Ort fehlt“. 324  Neben

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

rechtlichen Befugnisnormen zum Einsatz der Videokonferenztechnik im Strafverfahren in einem Überblick vorgestellt und zugleich bewertet werden:

A. § 185 Abs. 1a GVG – Dolmetscher per Videokonferenz § 185 GVG (1a) 1Das Gericht kann gestatten, dass sich der Dolmetscher während der Verhand­ lung, Anhörung oder Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2Die Verhandlung, Anhörung oder Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.

Die Regelung des § 185 Abs. 1a S. 1 GVG sieht eine Ausnahme von der generellen Anwesenheitspflicht des Dolmetschers (vgl. § 185 Abs. 1 S. 1 GVG) vor, indem sie den Einsatz von Videokonferenztechnik im Zusammen­ hang mit seiner Einbindung in der Hauptverhandlung ermöglicht.327 Gestattet das Gericht den Einsatz der Videokonferenztechnik, findet ausweislich des Wortlauts des § 185 Abs. 1a S. 2 GVG eine beidseitige audiovisuelle Über­ tragung statt; dementsprechend müssen die technischen Voraussetzungen hierfür auch an beiden Orten erfüllt sein.328 Der Gesetzgeber versprach sich von dieser Regelung nicht nur eine Steigerung der Verfügbarkeit von beson­ ders spezialisierten Dolmetschern (z. B. Dolmetscher für seltene Sprachen, bei denen die zeitliche Verfügbarkeit einen relevanten Gesichtspunkt darstellt)329, sondern auch einen kostengünstigeren Prozess (bedingt durch die eingesparten Reisekosten und den reduzierten Zeitaufwand).330 Der Ein­ satz der Videokonferenztechnik sollte hierdurch insgesamt zu einer Verfah­ rensbeschleunigung und der Erhöhung der Wirtschaftlichkeit beitragen.331 Ob von der Möglichkeit des § 185 Abs. 1a S. 1 GVG Gebrauch gemacht wird, steht jedoch im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.332 Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung hat das Gericht vor allem das Erfordernis ei­ ner direkten und vertraulichen Kommunikation zwischen dem Angeklagten 327  Vgl. MüKo-StPO/Oğlakcıoğlu, § 185 GVG Rn. 64; SK-StPO/Frister, § 185 GVG Rn. 1. 328  SK-StPO/Frister, § 185 GVG Rn. 12b. 329  BR-Drucks. 643/07, S. 13; BT-Drucks. 17/1224, S. 11; SK-StPO/Frister, § 185 GVG Rn. 12a; kritisch zu diesem Regelungszweck BRAK-Stellungnahme Nr. 30/2010, S. 8; DRB-Stellungnahme Nr. 10/2010, S. 2. 330  BR-Drucks. 643/07, S. 14; BT-Drucks. 17/1224, S. 11. 331  BR-Drucks. 643/07, S. 18; BT-Drucks. 17/1224, S. 1. 332  SK-StPO/Frister, § 185 GVG Rn. 12a. Eine Zustimmung der Verfahrensbetei­ ligten ist hierbei nicht erforderlich; vgl. aber hierzu den abweichenden Änderungs­ antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rechtausschuss, BT-Drucks. 17/12418, S. 11 ff.; für ein Zustimmungserfordernis sämtlicher Verfahrensbeteiligter plädiert auch Bockemühl, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 3.



§ 3 Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen361

und seinem Verteidiger (§ 148 Abs. 1 StPO) zu berücksichtigen.333 Die Zu­ ziehung eines Dolmetschers mittels Videokonferenztechnik wird daher regel­ mäßig nicht in Betracht kommen, wenn die Vertraulichkeit der Verteidiger­ kommunikation nur mit einem sich unmittelbar vor Ort befindlichen Dolmet­ scher erreicht werden kann.334 Aufgrund dessen sowie der teilweise zu Recht kritisch bewerteten räumlichen Trennung des Dolmetschers von den Verfah­ rensbeteiligten und dem Gericht335 wird von der Befugnisnorm des § 185 Abs. 1a S. 1 GVG in praktischer Hinsicht „kaum Gebrauch gemacht“.336 Diese zurückhaltende Anwendungspraxis ist durchaus nachvollziehbar, da die Wahrung der Rechte des Angeklagten untrennbar mit dem Erfordernis einer direkten und vertraulichen Verteidigerkommunikation zusammenhängt und die oben erwähnten Ziele der Videokonferenztechnik (Verfahrensbe­ schleunigung und der Erhöhung der Wirtschaftlichkeit) keinesfalls eine weit­ gehende Einschränkung der Verteidigungsrechte rechtfertigen können. Inso­ fern sollte nur im Ausnahmefall von dem in § 185 Abs. 1 S. 1 GVG beschrie­ benen Grundsatz abgewichen werden.337 In Betracht kommt der Einsatz von Videokonferenztechnik daher, wenn die Übersetzung einer seltenen Sprache erforderlich ist, die Zuziehung eines persönlich anwesenden Dolmetschers zu einer nicht unerheblichen Verfahrensverzögerung führen würde und die Ver­ traulichkeit der Gespräche durch technische und organisatorische Vorkehrun­ gen gewährleistet werden kann.338

333  BT-Drucks. 17/12418, S. 14; zum Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung ei­ nes Dolmetschers BGHSt 48, 178 ff. 334  Gleiches gilt auch im Verhältnis des Nebenklägers zu seinem Rechtsbeistand, SK-StPO/Frister, § 185 GVG Rn. 12a. 335  Vgl. für mögliche weitere Schwierigkeiten bei der Übersetzungsleistung eines Dolmetschers, insbesondere im Zusammenhang mit der Übersetzung von Schriftstü­ cken BRAK-Stellungnahme Nr. 30/2010, S. 8; DRB-Stellungnahme Nr. 10/2010, S. 2; Gaede, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 5; zur Ausweitung von Feh­ lerquellen durch die Videokonferenztechnik DAV-Stellungnahme Nr. 42/2010, S. 6; vgl. hierzu auch Buckow, ZIS 2012, 551 (556 f.); Wimmer, Stellungnahme zu BTDrucks. 17/1224, S. 3 f. 336  MüKo-StPO/Oğlakcıoğlu, § 185 GVG Rn. 64; für eine zurückhaltende Anwen­ dung plädieren auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 185 GVG Rn. 8a; SSW-StPO/Rosenau, § 185 GVG Rn. 10; vgl. zu der entsprechenden Prognose bereits Wimmer, Stellung­ nahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 3. 337  Vgl. auch Bockemühl, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 3, der ein Vorgehen nach § 185 Abs. 1a S. 1 GVG sogar von einem zwingenden Einverständnis sämtlicher Beteiligter abhängig machen möchte. 338  So auch Gaede, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 5.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

B. § 115 Abs. 1a StVollzG – Anhörung des Gefangenen § 115 StVollzG 1

(1a)  Das Gericht kann anordnen, dass eine Anhörung unter Verzicht auf die per­ sönliche Anwesenheit des Gefangenen zeitgleich in Bild und Ton in die Vollzugs­ anstalt und das Sitzungszimmer übertragen wird. 2Eine Aufzeichnung findet nicht statt. 3Die Entscheidung nach Satz 1 ist nicht anfechtbar.

Nach § 115 Abs. 1 S. 1 StVollzG entscheidet die Strafvollstreckungskam­ mer in Verfahren nach § 109 StVollzG ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Eine fakultative Anhörung des Gefangenen wird hierdurch aber nicht ausgeschlossen. § 115 Abs. 1a S. 1 StVollzG ermöglicht es dem Gericht zu diesem Zwecke, eine Anhörung im Wege der Videokonferenz durchzufüh­ ren. Einer Zustimmung des Gefangenen bedarf es hierfür nicht.339 Er kann die Anordnung auch nicht anfechten (§ 115 Abs. 1a S. 2 StVollzG). Der Gesetzgeber sprach im Zuge der Einführung des § 115 Abs. 1a StVollzG von der Schaffung einer Rechtsgrundlage „für den bislang wich­ tigsten praktischen Einsatzbereich der Bild- und Tonübertragung“.340 Ange­ sichts der tatsächlichen Praxisrelevanz der §§ 109, 115 StVollzG, die dem Gefangenen gegen „Maßnahmen“ zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiete des Strafvollzuges bzw. des Maßregelvollzugs (z. B. Besitz eines eigenen Hörfunk- oder Fernsehgeräts341, Anwesenheitsrecht bei einer Zellendurchsuchung342, nicht fachgerechte medizinische Behandlung oder Nichtbehandlung eines Strafgefangenen durch den Anstaltsarzt343, Regelung von Heizbedingungen und Raumtemperatur in den Hafträumen344)345 eine gerichtliche Kontrollmöglichkeit eröffnen, stellt die Regelung des § 115 Abs. 1a StVollzG eine erhebliche Verfahrenserleichterung im Rahmen des strafvollzugsgerichtlichen Verfahrens dar. Sie erlangt insbesondere dann Be­ deutung, wenn die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 120 StVollzG i. V. m. § 244 Abs. 2 StPO) eine mündliche Anhörung des Gefangenen gebie­ tet.346 Insofern ist zu beachten, dass die Strafvollstreckungskammer auch im Falle des Schweigens eines der Verfahrensbeteiligten nicht von ihrer Amts­ aufklärungspflicht nach § 120 StVollzG i. V. m. § 244 Abs. 2 StPO entbunden 339  A. A.

BRAK-Stellungnahme Nr. 30/2010, S. 7. 643/07, S. 15; BT-Drucks. 17/1224, S. 11. 341  OLG Naumburg BeckRS 2011, 21728. 342  OLG Celle BeckRS 2017, 137504. 343  BVerfG NStZ 2013, 168. 344  OLG Nürnberg NStZ-RR 2002, 127. 345  Eine Übersicht mit Beispielen findet sich bei BeckOK-StVollzG/Euler, § 109 Rn. 8. 346  Näher zur Amtsaufklärung BeckOK-StVollzG/Euler, § 115 Rn. 2. 340  BR-Drucks.



§ 3 Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen363

wird.347 Dementsprechend ist es der Kammer auch nicht erlaubt, sich etwa darauf zu beschränken, „die behördlicherseits angeführten Tatsachen und daraus gezogenen Schlussfolgerungen mit der Erklärung zu übernehmen, ein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sei nicht ersichtlich“.348 Hinzu kommt, dass die Antragsteller im Verfahren nach § 109 StVollzG oft­ mals keine anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen, sodass ihr Antrag häufig auslegungsbedürftig ist.349 Ein Vorgehen nach § 115 Abs. 1a StVollzG ist daher jedenfalls unter Aufklärungsgesichtspunkten empfehlenswert. Es darf hier aber nicht unbesehen bleiben, dass eine Anhörung im Wege der Videosimultanübertragung aufgrund der (lediglich) technisch vermittelten Kommunikation zwischen den Beteiligten auch Nachteile mit sich bringen kann. Generelle Bedenken wurden in diesem Zusammenhang auch seitens der Rechtsprechung geäußert: „Vor diesem Hintergrund ist nicht zu verkennen, dass eine Videokonferenz dem Gericht nicht in gleicher Weise den für die […] Prognose wichtigen, auch durch Erscheinungsbild, Verhalten, Auftreten, Mimik und Körpersprache […] während der Unterredung vermittelten unmittelbaren Eindruck von der Persönlichkeit zu geben vermag wie eine Anhörung „face to face“ […]. Eine Videokonferenz ist auch geeignet, den Gefangenen in seinen Ausdrucksmöglichkeiten einzuengen so­ wie Ängste, Hemmungen und Nervosität hervorzurufen und ihn damit in der Wahr­ nehmung seiner verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte einzuschränken […]“.350

Zwar erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Vertrauensschaffung zwi­ schen den Beteiligten einer Videokonferenz durch die Kommunikation auf Distanz erschwert wird, zumal im Rahmen einer Bild- und Tonübertragung auch ein gleichzeitiger Blickkontakt nicht möglich ist („eye contact dilem­ ma“).351 Hieraus resultierende Gefahren für die Wahrheitsfindung werden 347  Vgl. OLG Hamm NStZ 1984, 574 (575): „Die StVK hat den Vortrag des Be­ troffenen als wahr unterstellt, weil er von der JVA nicht bestritten worden sei. Diese offenbar in Anlehnung an die zivilprozessuale Verhandlungsmaxime (§ 138 III ZPO, Prinzip ‚der Formellen Wahrheit‘) gehandhabte Verfahrensweise ist jedoch im Verfah­ ren nach §§ 109 ff. StVollzG nicht zulässig, da hier der Grundsatz der – von Amts wegen zu erforschenden – ‚materiellen Wahrheit‘ gilt. Dies bedeutet, daß die StVK nicht von dem Sachverhalt ausgehen ‚muß‘, den der Betroffene unwidersprochen vorträgt, sondern zur Nachprüfung berechtigt und im Zweifelsfalle auch verpflichtet ist, ob und inwieweit eine entscheidungserhebliche Behauptung zutrifft“. 348  BVerfG BeckRS 2008, 41314. 349  BeckOK-StVollzG/Euler, § 115 Rn. 2. 350  OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2006, 357 zur Anhörung des Verurteilten über die Aussetzung des Strafrestes gem. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO per Videokonferenz; vgl. hierzu auch OLG Stuttgart NStZ-RR 2012, 323. 351  Näher Buckow, ZIS 2012, 551 (556); Herrmann, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 1; vgl. auch Scheumer, S.  66 f.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

sich jedoch aufgrund der ungeschmälerten Möglichkeit des Gerichts zur Be­ fragung des Zeugen, auch in Form von Nach- und Zwischenfragen, im Er­ gebnis in Grenzen halten.352 Auch ist nicht empirisch belegt, dass Verneh­ mungen per Videokonferenzen regelmäßig Ängste oder Hemmungen hervor­ rufen. Vielmehr ist zu vermuten, dass die zu vernehmende und mit dem Medium „Video“ konfrontierte Person nach einer kurzen Eingewöhnungs­ phase vorhandene Hemmungen abbauen wird.353 In Anbetracht dieser Tat­ sachen ist davon auszugehen, dass § 115 Abs. 1a StVollzG in der Zukunft eine zunehmend zentrale Rolle bei der Erforschung und Feststellung des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts übernehmen wird.

C. § 58b StPO – Zeugenvernehmung außerhalb der Hauptverhandlung § 58b StPO Die Vernehmung eines Zeugen außerhalb der Hauptverhandlung kann in der Weise erfolgen, dass dieser sich an einem anderen Ort als die vernehmende Person auf­ hält und die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Zeuge aufhält, und in das Vernehmungszimmer übertragen wird.354

§ 58b StPO ermöglicht es, eine richterliche, polizeiliche (vgl. § 163 Abs. 3 S. 2 StPO), sowie staatsanwaltschaftliche (vgl. § 161a Abs. 1 S. 2 StPO) Zeugenvernehmung355 außerhalb der Hauptverhandlung356 auch dann durch­ 352  SK-StPO/Frister,

§ 247a Rn. 15. Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S. 449 (470 f.) m. w. N.; Altenhain, ZIS 2015, 269 (276); Ammann, Kriminalistik 2011, 570 (576); Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 2120; Eisenberg, medstra 2015, 37; Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik, S. 195 (218) m. w. N.; Rieck, S.  166 ff.; Swoboda, Doku­ mentationen von Vernehmungen, S. 217 (247); H. Vogel, S. 259; vgl. ferner BGHSt 19, 193 (195): „Für den modernen Menschen ist die Begegnung mit technischen Gerät­ schaften etwas Vertrautes und Gewohntes geworden“; so auch OLG Bremen NStZ 2007, 481 (483); kritisch in Bezug auf die Authentizität des Verhaltens Knispel, 39. Strafverteidigertag, S. 56 f.; vgl. zu den (damaligen) Bedenken in Bezug auf das Aussageverhalten kindlicher Zeugen Arntzen, ZRP 1995, 241; Diemer, NJW 1999, 1667 (1671); vgl. auch v. Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276, die zu bedenken gibt, dass „die Existenz von Kamera und Mikrofon bei jüngeren Kindern auch das Bedürfnis nach Selbstdarstellung fördern und einer objektiven Berichterstattung ab­ träglich sein kann“. 354  § 58b StPO wurde durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Vi­ deokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren vom 25.04.2013 mit Wirkung zum 01.11.2013 in die StPO eingefügt, BGBl. I S. 935 (936 f.). Die Vorschrift hat seitdem keine Änderung erfahren. 355  Über § 72 StPO gilt die Regelung auch für die Vernehmung von Sachverstän­ digen. Durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Ände­ 353  Vgl.



§ 3 Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen365

zuführen, wenn sich die 356Vernehmungsperson und der zu Vernehmende nicht am selben Ort aufhalten und die Vernehmung zeitgleich mittels Video­ konferenztechnik an beide Ort übertragen wird.357 Die Vorschrift regelt also nur die Bild- und Tonübertragung der Vernehmung – nicht jedoch die Auf­ zeichnung selbst, die sich nach § 58a StPO richtet.358 Über den konkreten Einsatz der Videokonferenztechnik entscheidet die jeweilige Vernehmungs­ person nach pflichtgemäßem Ermessen („kann“)359, wobei sowohl der Rege­ lungszweck als auch die Aufklärungspflicht miteinbezogen werden sollte.360 Vor diesem Hintergrund muss die Vernehmung im Wege der Videokonferenz­ technik „immer dann ausscheiden, wenn es für die Wahrheitsfindung auch auf den unmittelbaren persönlichen Eindruck des Vernehmenden […] von der Person des Vernommenen […] ankommt“.361 Mit der Einführung des § 58b StPO sollte das Strafverfahren auf unter­ schiedliche Art und Weise verbessert werden: In erster Linie dient § 58b rung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 wurde zudem geregelt, dass § 58b StPO auch für die Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren Anwendung findet (vgl. §§ 136 Abs. 5, 163a Abs. 4 S. 2 StPO). Der Verweis auf § 58b StPO sollte ur­ sprünglich bereits mit dem Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Gestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017, BGBl. I S. 3202, in die StPO eingefügt werden; die Umsetzung unterblieb jedoch aufgrund eines Redaktionsversehens. Näher zum Gesetzeszweck (auch vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie) BT-Drucks. 19/27654, S. 82; kritisch hierzu DAV-Stellungnahme Nr. 80/2020, S. 5 ff. 356  § 58b StPO ist daher nicht nur im Ermittlungs- und Zwischenverfahren, son­ dern auch bei Vernehmungen, die zwischen den Terminen einer laufenden Hauptver­ handlung stattfinden, anwendbar, MüKo-StPO/Maier, § 58b Rn. 11. Für den Einsatz von Videokonferenztechnik in der Hauptverhandlung gilt hingegen § 247a StPO. 357  Im Hinblick auf den weiteren Ablauf der Zeugenvernehmung (Protokollerstel­ lung, Anwesenheitsrechte und -pflichten, Benachrichtigungspflichten) sind die allge­ meinen Vorschriften (§§ 48 Abs. 1 S. 1; 161a Abs. 1 S. 1, 168, 168a, 168b, 168c, 224 StPO) anwendbar, vgl. BT-Drucks. 17/12418, S. 16; BeckOK-StPO/Huber, § 58b Rn. 2; KK-StPO/Senge/Bader, § 58b Rn. 2; SSW-StPO/Tsambikakis, § 58b Rn. 10. 358  Vgl. BT-Drucks. 17/12418, S. 16. 359  Die Anordnung zur Durchführung der Videokonferenz ist hierbei weder von der Zustimmung der Verfahrensbeteiligten abhängig, SK-StPO/Rogall, § 58b Rn. 9, noch anfechtbar, BT-Drucks. 17/1224, S. 11. 360  Vgl. HK-StPO/Gercke, § 58b Rn. 4; SSW-StPO/Tsambikakis, § 58b Rn. 8. Die technischen Einzelheiten zum Ablauf der Videokonferenz wurden zwar gesetzlich nicht geregelt, insofern kann aber auf die entsprechenden Ausführungen zu § 247a StPO verwiesen werden; vgl. S. 350 ff.; näher zum Einsatz von Internettechnologie BT-Drucks. 17/1224, S. 11; SSW-StPO/Tsambikakis, § 58b Rn. 6; zur Verwendung von Skype-Technik bei der Zeugenvernehmung Gerst, StraFo 2013, 103 ff. Ebenso ist auch hier eine optische und akustische Verfremdung des Zeugen denkbar, KK-StPO/ Senge/Bader, § 58b Rn. 2; SK-StPO/Rogall, § 58a Rn. 10; SSW-StPO/Tsambikakis, § 58b Rn. 10. 361  BT-Drucks. 17/12418, S. 15.

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6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

StPO dem Zeugenschutz und der Abwehr der Gefahr des Beweismittelverlus­ tes.362 Zu denken ist hier etwa an Zeugen, die aufgrund von Krankheit oder Gebrechlichkeit nicht am Vernehmungsort erscheinen können oder deren spätere Aussage voraussichtlich nicht mehr zu erlangen ist.363 Ein Vorgehen nach § 58b StPO kommt ferner in Betracht, wenn einem Zeugen das persön­ liche Erscheinen zur Vernehmung aufgrund seiner großen räumlichen Entfer­ nung zum Vernehmungsort nicht zugemutet werden kann.364 Darüber hinaus kann sich die Regelung auch verfahrensverkürzend auswirken, da nunmehr auf den „zeitraubende[n] Versand von Verfahrensakten mit Vernehmungs­ ersuchen an ferne Gerichte oder Polizeidienststellen“ verzichtet werden kann.365 Zudem ist auch eine qualitative Verbesserung der Vernehmungspra­ xis zu erwarten, da fortan sichergestellt werden kann, dass die Vernehmung durch eine mit dem konkreten Fall betraute Vernehmungsperson erfolgt.366 Diese Vorgehensweise bietet sich daher insbesondere in komplexen Wirt­ schaftsstrafsachen an, wenn die Vernehmung zahlreicher und auf ein größeres Raumgebiet verteilter Zeugen erforderlich ist.367 Gleiches gilt auch für grö­ ßere Ermittlungen im Zusammenhang mit einem Terroranschlag oder einer Entführung, wenn die Zeugen im gesamten Bundesgebiet verstreut sein soll­ ten.368

D. § 118a Abs. 2 S. 2 StPO – Durchführung der mündlichen Haftprüfung § 118a StPO 2

(2) […] Das Gericht kann anordnen, dass unter den Voraussetzungen des Satzes 1 die mündliche Verhandlung in der Weise erfolgt, dass sich der Beschuldigte an ei­ nem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Verhandlung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Beschuldigte aufhält, und in das Sitzungszim­ mer übertragen wird. 3Wird der Beschuldigte zur mündlichen Verhandlung nicht vorgeführt und nicht nach Satz 2 verfahren, so muss ein Verteidiger seine Rechte in der Verhandlung wahrnehmen. […]

§ 118a StPO regelt den wesentlichen Teil des förmlichen Haftprüfungsver­ fahrens nach § 118 StPO, nämlich die Art der Durchführung der mündlichen 362  BR-Drucks.

643/07, S. 20; BT-Drucks. 17/1224, S. 13. § 58b Rn. 16. 364  BeckOK-StPO/Huber, § 58b Rn. 1; KK-StPO/Senge/Bader, § 58b Rn. 1. 365  BR-Drucks. 643/07, S. 20, 21; BT-Drucks. 17/1224, S. 13. 366  BR-Drucks. 643/07, S. 21; BT-Drucks. 17/1224, S. 13; vgl. auch Roth, GSZ 2017, 62 (67). 367  Wimmer, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 4. 368  Roth, GSZ 2018, 62 (64). 363  MüKo-StPO/Maier,



§ 3 Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen367

Haftprüfung.369 Nach § 118a Abs. 2 S. 1 StPO ist der Beschuldigte im Re­ gelfall zu der Verhandlung vorzuführen. Von dieser Vorführungspflicht kann nur abgesehen werden, wenn der Beschuldigte auf die Anwesenheit in der Verhandlung „verzichtet“ hat370 oder der Vorführung die „weite Entfernung“ zum Gerichtsort, eine „Krankheit des Beschuldigten“ oder „andere nicht zu beseitigende Hindernisse“ entgegenstehen. Die Ausnahmen von der Vorfüh­ rungspflicht sind eng auszulegen, da dem Beschuldigten grundsätzlich die Möglichkeit geboten werden soll, sich – als Ausdruck rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) – persönlich vor dem Richter zu verteidigen.371 Nach § 118a Abs. 2 S. 2 StPO steht es dem Gericht darüber hinaus frei, in den (Ausnahme-)Fällen des § 118a Abs. 2 S. 1 StPO eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung im Wege einer Bild- und Tonübertragung anzuord­ nen. Die Entscheidung über die Anordnung steht hierbei im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.372 Die Option einer Videokonferenz ist an dieser Stelle ausdrücklich zu begrüßen, da sie dem Beschuldigten in den oben ge­ nannten Ausnahmefällen (vor allem im Falle von Krankheit und weiter Ent­ fernung) zumindest eine weitere Möglichkeit eröffnet, sein Recht auf Gehör, wenn auch nicht persönlich, so doch zumindest in Form einer zeitgleichen, audiovisuellen Kommunikation ausüben zu können. Dies führt gegenüber dem Ausschluss des Beschuldigten auch zu einer besseren Erkenntnisgrund­ lage und Entscheidungshilfe für das Gericht.373 Von der Möglichkeit des § 118a Abs. 2 S. 2 StPO sollte in den Fällen des § 118a Abs. 2 S. 1 StPO, d. h. wenn ohnehin von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, daher möglichst weitgehend Gebrauch gemacht werden.374 369  MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 118a Rn. 1. Über die Verweisungsnorm in § 122 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 StPO ist die Regelung des § 118a StPO zudem auch für das Haft­ prüfungsverfahren beim OLG anwendbar. 370  Das Gericht ist an diesen Verzicht jedoch nicht gebunden und kann gleichwohl von Amts wegen die Vorführung des Beschuldigten anordnen, KK-StPO/Graf, § 118a Rn. 2; MüKo-StPO/Böhm/Werner, § 118a Rn. 5. 371  Daher hat das Gericht auch zu prüfen, ob ein Hindernis dadurch beseitigt wer­ den kann, dass die mündliche Haftprüfung in der Justizvollzugsanstalt stattfindet, KK-StPO/Graf, § 118a Rn. 2; SSW-StPO/Herrmann, § 118a Rn. 4; vgl. zur Erforder­ lichkeit einer engen Auslegung der Ausnahmefälle auch Schlothauer, StV 2014, 55. 372  A.  A. BRAK-Stellungnahme Nr. 30/2010, S. 5: Eine Anordnung nach § 118 Abs. 2 S. 2 StPO „sollte […] nur mit Zustimmung des Beschuldigten möglich sein“. 373  Vgl. SK-StPO/Paeffgen, § 118a Rn. 5b; Wimmer, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 5. 374  A. A. BeckOK-StPO/Krauß, § 118a Rn. 2; LR/Lind, § 118a Rn. 19f; kritisch zum Aspekt der besseren Wirtschaftlichkeit mit Rücksicht auf die Anwaltschaft in den Fällen, in denen Verteidiger die Anwesenheit des Beschuldigten am Gericht zwecks Durchführung eines Haftprüfungstermins etwa sogleich für Mandantenge­ spräche nutzen können SK-StPO/Paeffgen, § 118a Rn. 5c; vgl. hierzu auch Schlothauer, StV 2014, 55 (56 f.); von der Anwaltschaft wurde dieser Aspekt hingegen nicht

368

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

E. § 138d Abs. 4 S. 2 StPO – Anhörung des Vorstands der Rechtsanwaltskammer § 138d StPO 2

(4) […] Für die Anhörung des Vorstands der Rechtsanwaltskammer gilt § 247a Absatz 2 Satz 1 und 3 entsprechend. […]

§ 138d StPO regelt die sog. „Ausschließungsverhandlung“ sowie die zu­ lässigen Rechtsmittel gegen eine Ausschließung des Verteidigers.375 Nach § 138 Abs. 4 S. 1 StPO setzt die Ausschließung grundsätzlich eine mündliche Verhandlung voraus, in der die anwesenden Beteiligten376 zu hören sind. Von dem Termin zur mündlichen Verhandlung wird im Falle des § 138c Abs. 2 S. 3 StPO auch der Vorstand der Rechtsanwaltskammer benachrichtigt (§ 138c Abs. 2 S. 3 StPO). Ihm steht insoweit ein Teilhalbe- und Äußerungs­ recht zu (§ 138c Abs. 2 S. 4 StPO). Nach § 138c Abs. 4 S. 2 StPO kann die Anhörung des Vorstands der Rechtsanwaltskammer in entsprechender An­ wendung des § 247a Abs. 2 S. 1 und 3 StPO erfolgen.377 Die Entscheidung über den Einsatz der Videokonferenztechnik steht demnach im pflichtgemä­ ßen Ermessen des Gerichts. Die Option einer Teilnahme des Vorstands der Rechtsanwaltskammer im Wege der Videokonferenztechnik ist an dieser Stelle zu begrüßen, da hierdurch sein Teilhabe- und Äußerungsrecht am Ver­ fahren (§ 138c Abs. 2 S. 4 StPO) gefördert wird. Eine unmittelbare persön­ liche Teilnahme im Gerichtssaal wird sich – auch im Hinblick auf die ohne­ hin seltenen Fälle einer mündlichen Verhandlung nach § 138d StPO – für den Vorstand der Rechtsanwaltskammer in der Regel als nicht erforderlich erwei­ sen.378 moniert; vielmehr wurde die Regelung sogar als „sinnvoll“ bewertet, DAV-Stellung­ nahme Nr. 42/2010, S. 5; vgl. ferner Gaede, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 8 f., der teilweise sogar für eine zwingende Durchführung einer Videokonferenz plädiert. 375  SSW-StPO/Beulke, § 138d Rn. 1. 376  Zu den Beteiligten gehören neben dem Verteidiger und gegebenenfalls dessen Verteidiger auch die Staatsanwaltschaft, der Beschuldigte sowie gegebenenfalls der Vorstand der Rechtsanwaltskammer (vgl. zur entsprechenden Ladung § 138d Abs. 2 StPO); MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, § 138d Rn. 2, 4. 377  Der RefE des BMJV vom 15.10.2020, Entwurf eines Gesetzes zur Fortent­ wicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften, S. 11, 63, sieht nunmehr zu Recht eine redaktionelle Folgeänderung für § 138d Abs. 4 S. 2 StPO dergestalt vor, dass sich der Verweis des § 138d Abs. 4 S. 2 StPO auf § 247a Abs. 2 S. 1 und 3 StPO – und damit im Einklang mit der Regelung zur Unanfechtbar­ keit der gerichtlichen Anordnung in § 247a Abs. 2 StPO – beziehen soll. 378  BT-Drucks. 17/12418, S. 16; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, § 138d Rn. 4; zur (seltenen) Verfahrenspraxis auch Wimmer, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 5.



§ 3 Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen369

F. § 233 Abs. 2 S. 3 StPO – Vernehmung des abwesenden Angeklagten § 233 StPO 3

(2) […] Statt eines Ersuchens oder einer Beauftragung nach Satz 1 kann außer­ halb der Hauptverhandlung auch das Gericht die Vernehmung über die Anklage in der Weise durchführen, dass sich der Angeklagte an einem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Angeklagte aufhält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird.

Entbindet das Gericht den Angeklagten auf seinen Antrag in Fällen mit beschränkter Straferwartung (§ 233 Abs. 1 S. 1 StPO) von der Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung – ein eher seltener Fall in der Pra­ xis379 –, muss er zum Zwecke der Gewährung rechtlichen Gehörs380 zumin­ dest durch einen beauftragten oder ersuchten Richter über die Anklage ver­ nommen werden (§ 233 Abs. 2 S. 1 StPO). Seit dem Inkrafttreten des § 233 Abs. 2 S. 3 StPO besteht nunmehr zusätzlich die Möglichkeit der Verneh­ mung durch den in der Sache entscheidenden Richter außerhalb der Hauptverhandlung mithilfe einer Videokonferenz.381 Hierdurch kann nicht nur ein zeitraubender Aktenversand vermieden, sondern auch sichergestellt werden, dass die Vernehmung des Angeklagten durch den in der Sache eingearbeite­ ten und erkennenden Richter erfolgen kann.382 Die Option einer Vernehmung des Angeklagten per Videokonferenztechnik ist in der Praxis daher gegen­ über einem Vorgehen nach § 233 Abs. 2 S. 1 StPO vorzugswürdig.383 Zu beachten ist jedoch, dass auch in diesem Fall ein schriftliches Protokoll über die richterliche Vernehmung (§§ 168, 168a StPO) zu fertigen ist. Die Niederschrift ist anschließend in der Hauptverhandlung zu verlesen, um die Einlassung des Angeklagten allen Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu ­bringen.384 Insofern muss derzeit auf ein – gegenüber einer Videoaufzeich­ 379  Vgl. BT-Drucks. 17/12418, S. 16; Wimmer, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/ 1224, S. 5. 380  Vgl. SSW-StPO/Grube, § 233 Rn. 15. 381  Für das Erfordernis eines Einverständnisses des Angeklagten BRAK-Stellung­ nahme Nr. 30/2010, S. 6; kritisch zur fehlenden Regelung des Aufenthaltsortes des Angeklagten und der teilnahmeberechtigten Verfahrensbeteiligten MüKo-StPO/Arnoldi, § 233 Rn. 15; SK-StPO/Deiters, § 233 Rn. 16a. Vgl. für eine Ausweitung des Einsatzes videotechnischer Vernehmungsmöglichkeiten des Angeklagten auch in der Hauptverhandlung Swoboda, S. 320 ff.; kritisch hierzu Roth, GSZ 2018, 62 (66). 382  BT-Drucks. 17/1224, S. 14. 383  BT-Drucks. 17/12418, S. 16; DAV-Stellungnahme Nr. 42/2010, S. 5; SSWStPO/Grube, § 233 Rn. 15; Wimmer, Stellungnahme zu BT-Drucks. 17/1224, S. 5. 384  KK-StPO/Gmel, § 233 Rn. 17.

370

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

nung – qualitativ weniger zuverlässiges Beweismittel in Form eines schrift­ lichen Protokolls zurückgegriffen werden. Zu empfehlen ist daher auch hier eine Regelung, die es dem Gericht ermöglicht, eine Aufzeichnung der Video­ vernehmung in die Hauptverhandlung einzuführen.385

G. § 463e StPO – Anhörung des Verurteilten § 463e Mündliche Anhörung im Wege der Bild- und Tonübertragung (1)  1Wird der Verurteilte vor einer nach diesem Abschnitt zu treffenden gerichtli­ chen Entscheidung mündlich gehört, kann das Gericht bestimmen, dass er sich bei der mündlichen Anhörung an einem anderen Ort als das Gericht aufhält und die Anhörung zeitgleich in Bild und Ton an den Ort, an dem sich der Verurteilte auf­ hält, und in das Sitzungszimmer übertragen wird. 2Das Gericht soll die Bild- und Tonübertragung nur mit der Maßgabe anordnen, dass sich der Verurteilte bei der mündlichen Anhörung in einem Dienstraum oder in einem Geschäftsraum eines Verteidigers oder Rechtsanwalts aufhält. 3Satz 1 gilt nicht, wenn der Verurteilte zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt oder die Unterbringung des Verurteil­ ten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung an­ geordnet worden ist. (2) Wird der vom Gericht ernannte Sachverständige vor einer nach diesem Ab­ schnitt zu treffenden gerichtlichen Entscheidung mündlich gehört, gilt Absatz 1 Satz 1 und 3 entsprechend.

Die Regelung des § 463e StPO wurde durch das Gesetz zur Fortentwick­ lung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 in die StPO eingefügt und gilt nunmehr für alle im Bereich der Strafvollstreckung zu treffenden gerichtlichen Entscheidungen.386 Rege­ lungszweck ist die Ausweitung der Videokonferenztechnik bei strafvollstre­ ckungsrechtlichen Anhörungen.387 Die Neuregelung trifft angesichts der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie den Nerv der Zeit. Beispielhaft können hierzu zwei aktuelle Beschlüsse aufgeführt werden, die sich mit dem Erfordernis einer mündlichen Anhörung in Zeiten der COVID-19-Pandemie vor Erlass des § 463e StPO beschäftigt haben. Während sich das OLG Karls­ ruhe mit Beschluss vom 05.05.2020388 durch eine weite Auslegung des unge­ 385  Kritisch hierzu auch KK-StPO/Gmel, § 233 Rn. 12a; MüKo-StPO/Arnoldi, § 233 Rn. 15; SK-StPO/Deiters, § 233 Rn. 17. 386  Vgl. BGBl. I S. 2099 (2107); BT-Drucks. 19/27654, S. 113. Die spezielle Ver­ fahrensregelung des § 462 Abs. 2 S. 2 StPO wurde daraufhin aufgehoben, BGBl. I S. 2099 (2106). 387  BT-Drucks. 19/27654, S. 44. Vgl. hierzu bereits BR-Drucks. 643/07, S. 7 f.; BT-Drucks. 17/1224, S. 9; BT-Drucks. 19/21612, S. 7. 388  OLG Karlsruhe BeckRS 2020, 13966.



§ 3 Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen371

schriebenen Ausnahmetatbestandes der Unmöglichkeit bzw. einer Unzumut­ barkeit einer persönlichen Anhörung behalf und eine telefonische Anhörung als zulässig und ausreichend ansah389, entschied das OLG Brandenburg durch Beschluss vom 23.09.2020390, dass die telefonische Anhörung des Verurteil­ ten dem grundsätzlichen Erfordernis der mündlichen Anhörung gem. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO nicht genügt. Ausschlaggebend für die ausnahmsweise Zu­ lässigkeit der telefonischen Anhörung im Fall des OLG Karlsruhe war hierbei neben der Zustimmung des Verurteilten mit der telefonischen Anhörung die Tatsache, dass sich das Gericht und der Verurteilte persönlich bekannt waren und die maßgeblichen Aspekte zu den Lebensverhältnissen des Verurteilten bereits in einer früheren Verhandlung erörtert wurden.391 Demgegenüber spielten im Fall des OLG Brandenburg der fehlende Verzicht des Verurteilten auf die mündliche Anhörung sowie der Umstand, dass sich das Gericht und der Verurteilte nicht persönlich kannten, eine wesentliche Rolle.392 Die Neu­ regelung des § 463e StPO ist daher bereits aus Gründen der Rechtssicherheit zu begrüßen, da sie für künftige Fälle einheitliche Anwendungsvoraussetzun­ gen schafft.393 Bezeichnend ist ferner, dass in beiden Fällen eine audiovi­ suelle Anhörung mangels technischer Ausstattung der Justizvollzugsanstalt nicht möglich gewesen wäre.394 Auch dies wird sich nunmehr in Folge der weiteren Ausstattung der Justizvollzugsanstalten mit der erforderlichen Tech­ nik ändern.395 Die Neuregelung ist schließlich auch inhaltlich zu begrüßen, da sie zu einer wesentlichen Effektivierung und Beschleunigung des Verfah­ rens beiträgt396, ohne hierbei die grundrechtlichen Gewährleistungen des Verurteilten unzulässig zu verkürzen. Erwägt das Gericht, die Anhörung im Wege der Videokonferenz durchzuführen, hat es stets den Anspruch des Ver­ urteilten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und das Gebot hinrei­

389  Näher

OLG Karlsruhe BeckRS 2020, 13966 Rn. 4. Brandenburg BeckRS 2020, 24971. 391  Näher OLG Karlsruhe BeckRS 2020, 13966 Rn. 7. 392  Näher OLG Brandenburg BeckRS 2020, 24971, Rn. 7, 8. 393  Der Einsatz von Videokonferenztechnik war bislang allenfalls mit dem aus­ drücklichen Einverständnis des Verurteilten zulässig; vgl. OLG Karlsruhe NJW 2005, 3013; OLG Frankfurt NStZ-RR 2006, 357; OLG Stuttgart NStZ-RR 2012, 323. 394  So ausdrücklich OLG Brandenburg BeckRS 2020, 24971, Rn. 6; OLG Karls­ ruhe BeckRS 2020, 13966, Rn. 6. 395  Vgl. zu den Anschaffungskosten BT-Drucks. 19/27654, S. 5. Hiernach wird bundesweit mit einem einmaligen Erfüllungsaufwand i. H. v. 810.000 Euro und jähr­ lichen Betriebskosten i. H. v. 64.200 Euro gerechnet. 396  Vgl. zu den zahlreichen Vorteilen (u.  a. Verringerung des Sicherheits- und Fluchtrisikos, Senkung des Infektionsrisikos in Haftanstalten) BT-Drucks. 19/27654, S. 114. Zu den Aspekten der Wirtschaftlichkeit und Verfahrensbeschleunigung bereits BT-Drucks. 19/21612, S. 1 f. 390  OLG

372

6. Kap.: Die Video-Simultanübertragung

chender Sachaufklärung in seine Ermessensentscheidung einzustellen.397 Eine mündliche Anhörung wird daher auch weiterhin geboten sein, wenn „der Verurteilte nachvollziehbar [erläutert], warum ihm daran gelegen ist, dem Richter persönlich gegenüberzutreten und sich zu erklären“ oder wenn „eine mündliche Anhörung bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit eine bes­ sere Aufklärung entscheidungserheblicher Gesichtspunkte [verspricht]“.398 Gleiches gilt wenn die Videosimultanübertragung „für den Verurteilten oder eine andere an der Anhörung teilnehmende Person nicht barrierefrei zugäng­ lich ausgestaltet werden [kann]“.399 Durch § 463e Abs. 1 S. 2 StPO wird da­ rüber hinaus sichergestellt, dass die Anhörung per Videokonferenz – im Sinne eines rechtsstaatlichen Verfahrens – im Regelfall in einem Dienstraum oder in einem Geschäftsraum eines Verteidigers oder Rechtsanwalts zu erfol­ gen hat.400 Die Bereichsausnahme in § 463e Abs. 1 S. 3 StPO sorgt schließ­ lich dafür, dass das Gericht bei den für den Verurteilten und für die öffent­ liche Sicherheit besonders bedeutsamen Entscheidungen (vgl. § 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG) eine persönliche Anhörung durchführt, soweit eine mündliche Anhörung gesetzlich vorgesehen ist.401 Dies ist mit Blick auf die hohe Grundrechtsrelevanz der Entscheidung (Art. 2 Abs. 2 GG) und dem gestei­ gerten Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit in diesen Fällen auch erforder­ lich, damit das Gericht eine Entscheidung unter Beachtung sämtlicher prog­ noserelevanter Gesichtspunkte treffen kann.402 Danach scheidet eine Vollstre­ ckungsanhörung per Videokonferenz bei lebenslanger Freiheitsstrafe, bei der Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus und bei der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus.403 Soweit § 463e Abs. 2 StPO den Einsatz der Videokonferenztechnik auch bei der mündlichen Anhörung eines Sach­ verständigen erlaubt, begegnet er keinen rechtlichen Bedenken. Die münd­ liche Anhörung soll den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit einräumen, sich mit dem Sachverständigen und seinem Gutachten (auch kritisch) ausei­ 397  BT-Drucks.

19/27654, S. 114. 19/27654, S. 114. 399  BT-Drucks. 19/27654, S. 114, 115. 400  BT-Drucks. 19/27654, S. 115. 401  Bereichsausnahmen wurden auch bereits in BT-Drucks. 17/1224, S. 9 vorgese­ hen (dort für die Fälle des § 454 Abs. 2 und § 463 Abs. 3 S. 2 StPO). Vgl. hierzu auch OLG Stuttgart, NStZ-RR 2012, 323, der in Bezug auf den Ersatz der mündlichen Anhörung durch eine Videokonferenz wie folgt Stellung nimmt: Der Ersatz sei „in den Fällen nicht möglich […], in denen es um die Aussetzung hoher Strafreste geht“. Auch werde „in aller Regel in den Verfahren, die unter § 454 II StPO fallen, eine Videokonferenz ausscheiden“; für einen Ausschluss der audiovisuellen Anhörung des Verurteilten im Falle des § 454 Abs. 2 StPO auch Esser, NStZ 2003, 464 (470). 402  Vgl. zum Zweck der mündlichen Anhörung OLG Frankfurt am Main NStZRR 2006, 357. 403  BT-Drucks. 19/27654, S. 116. 398  BT-Drucks.



§ 3 Überblick zum weiteren Einsatz von Video-Simultanübertragungen373

nanderzusetzen.404 Dies bleibt auch nach der Neuregelung möglich. Eine Anhörung per Videokonferenz wird dem Zweck der mündlichen Anhörung daher in der Regel nicht entgegenstehen (vgl. jedoch wiederum die Bereichs­ ausnahme in § 463e Abs. 1 S. 3 StPO). Zudem streiten hier – wie bei § 247a Abs. 2 StPO405 – prozessökonomische Gründe für die Zulässigkeit einer ­Videokonferenz. Erwägt das Gericht, die Anhörung im Wege der Videokon­ ferenz durchzuführen, hat es jedoch auch hier die angemessene Gewährung rechtlichen Gehörs und das Gebot einer zureichenden Aufklärung der ent­ scheidungserheblichen Umstände in seine Ermessensentscheidung einzustel­ len.406

404  Vgl. SK-StPO/Paeffgen/Greco, § 454 Rn. 25; ferner OLG Karlsruhe NStZ-RR 2016, 355 (356); Esser, NStZ 2003, 464 (466). 405  Vgl. oben S. 355 f. 406  Vgl. zum Zweck der mündlichen Anhörung des Sachverständigen BGH NJW 2010, 544; SK-StPO/Paeffgen/Greco, § 454 Rn. 25; zum Erfordernis einer mündli­ chen Anhörung (sogar) im Falle eines Verzichts OLG Karlsruhe NStZ-RR 2016, 355: „Kommen die Behandler des Maßregelvollzugs und der externe Sachverständige zu unterschiedlichen Diagnosen (hier: paranoide Schizophrenie einerseits, kombinierte Persönlichkeitsstörung andererseits), ist die mündliche Anhörung des externen Sach­ verständigen unter Beteiligung der Behandler grundsätzlich auch dann geboten, wenn ein Verzicht nach § 454 II 4 i. V. m. § 463 III 3 StPO vorliegt“.

7. Kapitel

Die Videodokumentation der Hauptverhandlung Die seit Jahren von der Anwaltschaft und Teilen der Literatur1, neuerdings vermehrt auch in der Rechtspolitik2 geforderte Einführung einer Bild-TonDokumentation der Hauptverhandlung steht derzeit im Mittelpunkt des rechtspolitischen Diskurses.3 Von Februar 2020 bis Juni 2021 hat sich auch eine Expertinnen- und Expertengruppe des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz mit der Dokumentation der Hauptverhandlung in

1  Vgl. nur BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2020, S. 6 f., 10, 18 f.; hierauf bezugneh­ mend König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (531 ff.); Leitner, S.  119 ff.; Malek, StV 2011, 559 (564); Nack/Park/Brauneisen, NStZ 2011, 310 ff.; Norouzi, Vom Rekonstruktionsverbot zum Dokumentationsgebot, S. 215 (223 f.); Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (699 ff.); ferner bereits BRAK, Reform des Rechtsmittelrechts und der Wiederaufnahme, S. 40: Forderung nach einem Wortprotokoll „mit welchen technischen Mitteln es auch immer hergestellt werden mag“; zuletzt auch DAV-Stel­ lungnahme Nr. 35/2019, S. 5 f.; Strafverteidigervereinigungen, Regensburger Thesen zum Strafprozess (2019), Hauptverhandlung, These 6; ferner KriK, Bild-Ton-Auf­ zeichnung der Hauptverhandlung, S. 4 f.; Knauer, NStZ 2016, 1 (11); Lüske, S.  133 ff., 287 f.; Swoboda, S.  438 f.; Traut/Nickolaus, StraFo 2020, 100 ff.; Wohlers, JZ 2021, 116 ff.; vgl. aber auch Meyer-Mews, NJW 2002, 103 (108), der aus §§ 58a, 168a, 273 Abs. 3 StPO i. V. m. § 183 GVG und Art. 6 Abs. 3 d) EMRK (wenn Maßnahmen zum Zeugenschutz ergriffen werden, z. B. § 247 StPO), aus § 160 ZPO, §§ 86 Abs. 2, 105 VwGO i. V. m. §§ 117 Abs. 3, 160, 166, 44 StPO i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (bei umfangreichen Verfahren mit erheblich strafrechtlichen Risiken für den Angeklagten auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Verteidigers) oder aus § 183 GVG i. V. m. § 273 Abs. 3 StPO (bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen aufgrund der Un­ schuldsvermutung) eine Verpflichtung zur Erstellung eines Wortprotokolls durch Au­ dio- oder Videomitschnitt der Beweisaufnahme ableitet; dem widersprechend Uetermeier, NJW 2002, 2298 ff.; kritisch zur derzeitigen Gesetzeslage betreffend die Doku­ mentation der Hauptverhandlung sowie generell zur praktischen (Un-)Wirksamkeit der Kontrollmechanismen im Rahmen der Strafjustiz Wilhelm, HRRS 2015, 246 ff.; vgl. ferner Serbest, StraFo 2018, 94 (101), die eine audiovisuelle Dokumentation zwar nicht generell ablehnt, jedoch den erwarteten Mehrwert als insgesamt gering einschätzt. 2  Vgl. BT-Drucks. 19/11090, S. 5 (Fraktion der FDP); hierzu auch Bockemühl, KriPoZ 2019, 375 ff.; BT-Drucks. 19/13515, S. 2 (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen). 3  Vgl. BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 5 ff.; Caspari, DRiZ 2021, 328 ff.; Sabel, Technische Aufzeichnung, S.  151 ff.



§ 1 Die Dokumentation der Hauptverhandlung de lege lata375

Strafsachen befasst.4 Die folgenden Ausführungen sollen daher vornehmlich als Anregung für künftige Gesetzgebungsverfahren dienen.

§ 1 Die Dokumentation der Hauptverhandlung de lege lata In einem Überblick sollen zunächst die geltenden Regelungen zur (techni­ schen) Dokumentation der Hauptverhandlung sowie die Defizite des status quo dargestellt werden.

A. Die Beurkundung der Hauptverhandlung nach § 273 StPO Nach § 271 StPO ist über die Hauptverhandlung ein schriftliches Protokoll nach Maßgabe der §§ 272, 273 StPO aufzunehmen.5 Während § 272 StPO die in das Protokoll aufzunehmenden äußeren Formalien bestimmt6, regelt § 273 StPO unter der Überschrift „Beurkundung der Hauptverhandlung“ welche inhaltlichen Verfahrensvorgänge zu dokumentieren sind.7 Maßgeb­ licher Zweck der Protokollierungspflicht ist es, dem Revisionsgericht die Überprüfung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Hauptverhandlung zu er­ möglichen.8 Dementsprechend muss das Hauptverhandlungsprotokoll gem. § 273 Abs. 1 S. 1 StPO (zumindest) den Gang und die Ergebnisse der Haupt­ verhandlung im Wesentlichen wiedergeben sowie die Beachtung aller we­ sentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen. Wesentlich ist hierbei alles, was für die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens von Bedeutung sein kann.9 Zu den wesentlichen Förmlichkeiten i. S. d. § 273 Abs. 1 S. 1 StPO10 gehört da­

4  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 128  ff.; BMJV, Be­ richt der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 10 ff.; LTO, Aufzeichnung der Hauptverhandlung (31.01.2020). 5  Vgl. KK-StPO/Greger, § 271 Rn. 2, 4; Leitner, S.  61 ff. 6  Leitner, S. 61; MüKo-StPO/Valerius, § 272 Rn. 1; SK-StPO/Frister, § 272 Rn. 2. 7  Bockemühl, KriPoZ 2019, 375; MüKo-StPO/Valerius, § 273 Rn. 1. 8  Meyer-Goßner/Schmitt, § 273 Rn. 1; MüKo-StPO/Valerius, § 273 Rn. 1; SK-StPO/ Frister, § 273 Rn. 2. 9  Näher Fromm, NJ 2015, 96 f.; KK-StPO/Greger, § 273 Rn. 2. 10  Näher zum Begriff KK-StPO/Greger, § 273 Rn. 4: Wesentliche Förmlichkeiten sind „alle Vorgänge, die für die Gesetzmäßigkeit des anhängigen Verfahrens […] von Bedeutung sein können […] und deren Nichtbeachtung oder fehlerhafte Behandlung eine Verfahrensrüge begründen könnte“.

376

7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

bei insbesondere die Tatsache der Vernehmung sowohl des Angeklagten11 als auch des Zeugen12 oder Sachverständigen13 in der Hauptverhandlung. Das entsprechende Ergebnis wird jedoch nicht vermerkt.14 Bei land- und oberlan­ desgerichtlichen Prozessen enthält das Protokoll gem. § 273 Abs. 1 StPO mithin lediglich den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung („der Zeuge bekundet zur Sache“).15 Das Protokoll stellt insoweit kein Inhalts-, sondern nur ein Ergebnis- bzw. Verlaufsprotokoll dar.16 Einzig für das amtsgerichtliche Verfahren gilt der ausdrückliche Grund­ satz, dass auch die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Proto­ koll aufzunehmen sind (§ 273 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 StPO), um dem Berufungs­ gericht die Beweisaufnahme unter Rückgriff auf die Verlesung des Protokolls (§ 325 StPO) erleichtern zu können.17 Dementsprechend ist die Aufnahme der wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen entbehrlich, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird (§ 273 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 StPO).18 In amts­ gerichtlichen Verfahren ist daher grundsätzlich ein knappes Inhaltsprotokoll vorgesehen19, auf dessen Wortlaut sich die Beweiskraft des § 274 StPO aber nicht erstreckt.20 Eine Verfahrensrüge kann auch nicht auf einen Wi­ derspruch zwischen den Urteilsgründen und dem nach § 273 Abs. 2 StPO protokollierten Aussageinhalt gestützt werden.21 Seit dem Inkrafttreten des 11  Vgl. BGHSt 10, 342 (343); 37, 260 (262); BGH NStZ 1995, 560; BGH NStZRR 1997, 73; OLG Köln NStZ 1989, 44; MüKo-StPO/Valerius, § 273 Rn. 15. 12  Vgl. BGH NJW 1972, 695, HK-StPO/Julius/Beckemper, § 273 Rn. 5; MüKoStPO/Valerius, § 273 Rn. 20. 13  KK-StPO/Greger, § 273 Rn. 6; MüKo-StPO/Valerius, § 273 Rn. 20. 14  MüKo-StPO/Valerius, § 273 Rn. 20; vgl. auch BMJV, Bericht der Experten­ kommission (2015), S. 128. 15  Fromm, NJ 2015, 96 (97). 16  Vgl. Bockemühl, KriPoZ 2019, 375; ders., FS von Heintschel-Heinegg (2015), S. 51 (52); Leitner, S. 62; Meyer-Mews, NJW 2002, 103; vgl. auch von Galen, StraFo 2019, 309 (310), die diesbezüglich von einem „inhaltleere[n] Hauptverhandlungspro­ tokoll“ spricht. 17  KK-StPO/Gregor, § 273 Rn. 16; zur gesetzgeberischen Entwicklung Leitner, S.  29 ff. 18  In praktischer Hinsicht entfällt in diesen Fällen lediglich die Verpflichtung des Protokollführers, die im Rahmen der Hauptverhandlung (u. U. in Kurzschrift) aufge­ nommenen Aussagen in Reinschrift zu übertragen, vgl. Meyer-Goßner, NJW 1987, 1161 (1164 f.); Rieß, NStZ 1987, 145 (151). 19  Vgl. Fromm, NJ 2015, 96 (97); HK-StPO/Julius/Beckemper, § 273 Rn. 9; Leitner, S. 62 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 273 Rn. 15; SSW-StPO/Güntge, § 273 Rn. 15. 20  Vgl. OLG Hamm BeckRS 2017, 105079; OLG Brandenburg NStZ-RR 2009, 247; Meyer-Goßner/Schmitt, § 273 Rn. 17. 21  Vgl. BGHSt 38, 14 (16); OLG Brandenburg NStZ-RR 2009, 247; OLG Hamm BeckRS 2014, 17024; BeckOK-StPO/Peglau, § 273 Rn. 52.



§ 1 Die Dokumentation der Hauptverhandlung de lege lata377

1. OpferRRG vom 24.06.200422 bleibt es dem Vorsitzenden jedoch vorbehal­ ten, einzelne Vernehmungen im Zusammenhang auf Tonträger aufzuzeichnen und zur Akte zu nehmen, anstatt die wesentlichen Verfahrensergebnisse in das Protokoll aufzunehmen (§ 273 Abs. 2 S. 2 StPO).23 In diesem Fall ist die Rüge einer Unvereinbarkeit zwischen dem Inhalt der Aufzeichnung und den Urteilsgründen nicht ausgeschlossen.24 Der Gesetzgeber versprach sich durch die erweiterte Dokumentationsmöglichkeit, eine „erhebliche Qualitätsverbes­ serung der Dokumentation“25, da Vernehmungen hierdurch vollständiger und zuverlässiger als bisher erfasst werden können. Von einer entsprechenden Regelung für das Verfahren vor dem Land- und Oberlandesgericht wurde hingegen abgesehen, da eine Zunahme von Verfahrensrügen nach § 261 StPO sowie eine Vermischung der Verantwortungsbereiche von Tat- und Rechts­ mittelgericht befürchtet wurden.26 Eine wörtliche Protokollierung erfolgt schließlich nur im Ausnahmefall des § 273 Abs. 3 S. 1 StPO, von der in der Praxis kaum Gebrauch gemacht wird27: Eine vollständige Protokollierung im Sinne eines Wortprotokolls ist hiernach nur anzuordnen, wenn es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung ankommt. Dass der Inhalt der Aussage entscheidungserheblich ist, reicht hierbei nicht aus. Vielmehr muss gerade der exakte Wortlaut der Aussage das Feststellungsinteresse begründen (z. B. im Falle unterschiedlicher Deutungs­ möglichkeiten hinsichtlich einer Aussage).28 22  Der offizielle Titel lautet: Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz), BGBl. I S. 1354 (1355, 1358). 23  § 58a Abs. 2 S. 1 und 3 bis 6 StPO gilt in diesem Fall entsprechend (§ 273 Abs. 2 S. 4 StPO). 24  Vgl. BT-Drucks. 829/03, S. 27 f.; BT-Drucks, 1/1976, S. 12 f.; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 273 Rn. 36; SK-StPO/Frister, § 273 Rn. 56; Neuhaus, StV 2004, 620 (625); Schmitt, NStZ 2019, 1 (2); Wehowsky, NStZ 2018, 177 (179). 25  BR-Drucks. 829/03, S. 26; BT-Drucks. 15/2536, S. 15. 26  BR-Drucks. 829/03, S. 27 f.; BT-Drucks. 15/1976, S. 12 f. 27  Näher Bockemühl, Defizite im deutschen Strafprozess, S. 97 (102 f.). Darüber hinaus ist die Aufnahme eines Wortprotokolls auch im Falle des § 183 GVG (Straftat in einer Sitzung) vorgesehen. 28  Vgl. Leitner, S. 64; MüKo-StPO/Valerius, § 273 Rn. 53; SSW-StPO/Güntge, § 273 Rn. 19. Kritisch zu diesen hohen Anforderungen Bockemühl, KriPoZ 2019, 375 (376): „Anträge auf ‚vollständige Protokollierung einer Aussage oder Äußerung‘ wird in deutschen Gerichtssälen in de[n] allermeisten Fällen mit der Bemerkung abgelehnt: ‚Herr Verteidiger, wir haben doch alle die Äußerung des Zeugen gehört. Da bedarf es doch keiner Protokollierung. Es kommt nicht auf den Wortlaut, sondern den Inhalt der Aussage an‘. Die tatsächliche ‚Scheu zur Protokollierung‘ in deutschen Gerichts­ sälen ist umso weniger erklärlich, wenn man beobachtet, dass sämtliche Prozessbetei­ ligte selbst sämtliche Vorgänge mitschreiben“; vgl. auch Fromm, NJ 2016, 96 (97), der von seinen Erfahrungen als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht wie folgt

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

B. Verbot von Ton-, Fernseh-Rundfunk- und Filmaufnahmen (§ 169 Abs. 1 S. 2 GVG) Nach § 169 Abs. 1 S. 2 GVG sind Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts unzulässig.29 § 169 Abs. 1 S. 3 GVG er­ möglicht es dem Gericht einzig, nach seinem Ermessen Tonübertragungen in einen Arbeitsraum für Personen, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten, zuzulassen („Medienarbeitsraum“).30 Die mit der Regelung verbundene Beschränkung auf eine reine Tonübertragung dient insbesondere dem Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Verfah­ rensbeteiligten.31 Ermessensleitende Faktoren sind insbesondere der Grad des Informationsinteresses der Öffentlichkeit, der Schutz der Persönlichkeits­ rechte der Beteiligten, deren Anspruch auf ein faires Verfahren sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege. Eine entscheidende Rolle spielen hierbei der Persönlichkeitsschutz der Verfahrensbeteiligten sowie die Sicher­ stellung eines geordneten Verfahrensablaufs (vgl. § 169 Abs. 1 S. 4 GVG).32 Besonders für strafrechtliche Verfahren ist auch zu prüfen, „ob die besondere mediale Aufmerksamkeit einem besonderen, über bloße Neugier und Sensa­ tionslust hinausgehenden, öffentlichen Interesse geschuldet ist, welches mit berichtet: „Derartige Anträge werden bedauerlicherweise überdurchschnittlich oft […] abgelehnt […]. Die Ablehnung der Aufnahme der Wortlautprotokollierung eines aus Sicht der Verteidigung wichtigen Details hat einen faden Beigeschmack, dass das Gericht diesen Umstand nicht festgezurrt haben will bzw. die Aussage nicht ‚anerken­ nen‘ will. […] Bedauerlicherweise neigt der Vorsitzende bei belastenden Umständen im Vergleich eher dazu, von Amts wegen eine wörtliche Protokollierung durchzufüh­ ren“; ferner Schmitt, NStZ 2019, 1 (2): „Zu behaupten, dass diese Vorschrift in der Praxis ein Schattendasein führt, wäre noch ein Euphemismus“; vgl. zum praktischen Umgang mit § 273 Abs. 3 S. 1 StPO auch Norouzi, Vom Rekonstruktionsverbot zum Dokumentationsgebot, S. 215 (224); kritisch zur Gesetzesfassung auch Wilhelm, HRRS 2015, 246 (247 f.); zur Möglichkeit einer Verfahrensrüge im Zusammenhang mit der wörtlichen Protokollierung nach § 273 Abs. 3 StPO BGHSt 38, 14 (16 f.); Diemer, NStZ 2002, 16 (18 f.). 29  Zur Verfassungsmäßigkeit von §  169 Abs. 1 S. 2 GVG BVerfGE 103, 44 (59 ff.); hierzu auch Dieckmann, NJW 2001, 2451 ff.; Huff, NJW 2001, 1622 ff.; Schnorr, ZRP 2001, 143. 30  BeckOK-GVG/Allgayer, § 169 Rn. 19. Der entsprechende Beschluss des Ge­ richts ist unanfechtbar (vgl. § 169 Abs. 4 GVG), um den Fortgang des Verfahrens und den Ausschluss nachträglicher Rügen zu sichern; BT-Drucks. 18/10144, S. 30; kri­ tisch zur Unanfechtbarkeit der Entscheidungen nach den Abs. 1–3 Loubal/Hofmann, MMR 206, 669 (672); Trentmann, MMR 2018, 441 (444). 31  Vgl. BT-Drucks. 18/10144, S. 19; BeckOK-GVG/Allgayer, § 169 Rn. 19; kri­ tisch zur Beschränkung auf eine reine Ton- und für eine zusätzliche Bildübertragung in den Medienarbeitsraum Loubal/Hofmann, MMR 20166, 669 (672). 32  BT-Drucks. 18/10144, S. 26.



§ 1 Die Dokumentation der Hauptverhandlung de lege lata379

den persönlichen Belangen des Angeklagten in Abwägung zu bringen sein wird“. Hierbei kann auch berücksichtigt werden, „für wie viele Medienver­ treter der Verhandlungssaal bereits Platz bietet, wie viele weitere Plätze in dem Medienarbeitsraum zur Verfügung stehen und ob die Summe der damit zur Verfügung stehenden Plätze angesichts der Bedeutung des Verfahrens für die Öffentlichkeit angemessen erscheint“.33 Selbst im Falle der Tonübertra­ gung in einen Arbeitsraum gilt jedoch über § 169 Abs. 1 S. 5 GVG das Ver­ bot von Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung entsprechend.34

C. Zulässigkeit von Tonaufnahmen zu wissenschaftlichen oder historischen Zwecken (§ 169 Abs. 2 GVG) Nach § 169 Abs. 2 GVG können Tonaufnahmen35 der Verhandlung ein­ schließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken von dem Gericht zugelassen werden, wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland handelt. Die Abweichung von dem Verbot des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG steht hierbei im Ermessen des jeweiligen Gerichts; ein Anspruch auf Zulassung besteht nicht.36 Eine Aufzeichnung wird in der Praxis vor allem bei „Verfahren mit terroristischem oder politischem Hinter­ grund oder solchen, die Werteentscheidungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung berühren“ in Betracht kommen. Maßgeblich ist, ob sich „ein be­ sonders großes und überregionales öffentliches Interesse zeigt, von dem zu erwarten ist, dass sich dies auch noch auf künftige Generationen erstrecken wird, oder die Aufklärung gerade der Nachwelt über Einzelheiten von ge­ richtlich aufgearbeiteten Geschehnissen für bedeutsam gehalten wird“. Stets muss es sich jedoch um ein Verfahren handeln, das für die gesamte Bundes­ republik Deutschland von Bedeutung ist.37 Als Vorbilder fungieren insofern das sog. NSU-Verfahren vor dem OLG München und die im Jahr 1962 vor 33  BT-Drucks.

18/10144, S. 26. BT-Drucks. 18/10144, S. 27. 35  Auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Aus­ schuss) sah der Gesetzgeber zum Schutz der Allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Beteiligten letztlich von einer Bild- und Tonaufzeichnung ab; vgl. BT-Drucks. 18/12591, S. 5: „§ 169 Absatz 2 Satz 1 GVG-E sieht die Möglichkeit der Zulassung von sowohl Ton- als auch Filmaufnahmen von Gerichtsverhandlungen zu wissen­ schaftlichen und historischen Zwecken vor. Die Änderung soll die mit der Regelung verbundene Öffnung eingrenzen. Die Möglichkeit, Tonaufnahmen zu erlauben, soll jedoch erhalten bleiben“. 36  BT-Drucks. 18/10144, S. 27. 37  BT-Drucks. 18/10144, S. 27. 34  Vgl.

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

dem LG Frankfurt am Main begonnenen sog. Auschwitz-Prozesse.38 Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Auf­ nahmen aber auch hier teilweise untersagt werden (§ 169 Abs. 2 S. 2 GVG). Das weitere Verfahren ist schließlich in § 169 Abs. 2 S. 3–5 GVG geregelt. Die Aufnahmen dürfen hiernach nicht zu den Akten genommen, nicht her­ ausgegeben und auch nicht zu Verfahrenszwecken genutzt oder verwertet werden (S. 3). Sie sind vom Gericht nach Abschluss des Verfahrens dem zuständigen Archiv anzubieten und dort zu archivieren (S. 4) oder bei Nicht­ übernahme zu löschen (S. 5). Nach der Übermittlung der Aufzeichnungen an das zuständige Archiv gelten allein die rechtlichen Bestimmungen der Ar­ chivgesetze.39 Diese Vorgaben schließen eine Nutzung der Aufzeichnungen in der nächst höheren Instanz aus.40

D. Zulässigkeit von Ton-, Fernseh-Rundfunk- und Filmaufnahmen bei Entscheidungsverkündungen des BGH (§ 169 Abs. 3 GVG) Abweichend von § 169 Abs. 1 S. 2 GVG kann das Gericht nach § 169 Abs. 3 S. 1 GVG für die Verkündung von Entscheidungen des BGH in be­ sonderen Fällen Ton-, Fernseh-Rundfunk- und Filmaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulas­ sen.41 Da eine Medienübertragung der Entscheidungsverkündung hiernach nur im Ausnahmefall möglich ist, unterscheidet sich § 169 Abs. 3 S. 1 GVG 38  BT-Drucks.

18/10144, S. 19; vgl. auch Morsch, ZRP 2014, 254. 18/10144, S. 28. 40  BT-Drucks. 18/10144, S. 28. 41  Vgl. zum gesetzgeberischen Hintergrund der „Lockerung“ des Verbots der Medienübertragung (§ 169 Abs. 1 S. 2 GVG) BT-Drucks. 18/10144, S. 18: „Die obersten Bundesgerichte sind auf Grund der besonderen Qualifikation und Erfahrung der Bundesrichterinnen und -richter am ehesten geeignet, Medienübertragungen zu ermöglichen. Anders als den Entscheidungen der Instanzgerichte kommt den Ent­ scheidungen der obersten Bundesgerichte wegen ihrer rechtsgrundsätzlichen Bedeu­ tung häufig eine erhebliche Breitenwirkung zu. Sie wirken sich vielfach in besonderer Weise auf das gesellschaftliche und politische Leben aus. Deshalb liegt eine mediale Vermittlung ihrer Entscheidungen auch im Interesse der höchsten Gerichte“; hierzu auch Voßkuhle, FS Möller (2010), S. 10; kritisch zur gesetzlichen Konzeption des § 169 Abs. 3 GVG BeckOK-GVG/Allgayer, § 169 Rn. 29; Franke, NJW 2016, 2618 (2620); Trentmann, MMR 2018, 441 (445); generell kritisch zur Ausweitung des „Ge­ richtsfernsehens“ Gerson, KriPoZ 2017, 376 (377 ff.), der insbesondere „Rollenkon­ fusionen“ (bedingt durch gesellschaftliche Erwartungen von der Wirklichkeit der Justizabläufe) sowie den „Verlust der professionellen Deutungshoheit über den Pro­ zess“ befürchtet. 39  BT-Drucks.



§ 1 Die Dokumentation der Hauptverhandlung de lege lata381

insoweit von der gesetzlichen Konzeption des § 17a BVerfGG.42 Die Ent­ scheidung über die Zulassung steht zudem im Ermessen des Gerichts; ein Anspruch auf Zulassung besteht nicht. Im Rahmen der Ermessensentschei­ dung hat das Gericht das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, den Schutz der Allgemeinen Persönlichkeitsrechte der Beteiligten, den Anspruch auf ein faires Verfahren sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege ge­ geneinander abzuwägen. In Strafsachen sind zusätzlich die Belange des An­ geklagten zu berücksichtigen; neben dem Schutz seines Persönlichkeitsrechts werden hier auch das Sicherheitsbedürfnis und das Resozialisierungsinteresse des Angeklagten in die Abwägung einzustellen sein.43 Zur Wahrung schutz­ würdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemä­ ßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung schließlich teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhän­ gig gemacht werden (§ 169 Abs. 3 S. 2 GVG).

E. Ton- oder Bild-Ton-Aufzeichnungen zu justizinternen Zwecken Nicht nach den Regelungen des § 169 GVG zu beurteilen ist hingegen die Zulässigkeit einer Ton- oder Bild-Ton-Aufzeichnung zu justizinternen Zwe­ cken (etwa als Gedächtnisstütze für die Verhandlungsleitung oder die Urteils­ beratung). Solche Aufzeichnungen unterliegen aufgrund ihrer gerichtsinter­ nen Zwecksetzung nicht dem Verbot des § 169 Abs. 1 S. 2 GVG („zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts“).44 Der Vorsitzende kann daher über ihre Gestattung im Rahmen seiner Sachlei­ tungsbefugnis nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Ob eine Einwilligung der hiervon betroffenen Personen erforderlich ist, wird indes unter­ schiedlich beurteilt; hier zeigt sich sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur kein einheitliches Bild.45 Ein Anspruch der übrigen Verfahrens­ 42  BT-Drucks. 18/1810144, S. 29; zu den Unterschieden in der gesetzlichen Kon­ zeption Trentmann, MMR 2018, 441 (444 f.); vgl. zur Sonderrolle des BVerfG ferner Limperg/Gerhardt, ZRP 2016, 124 (125): „Die Unterschiedlichkeit lässt sich auch daran verdeutlichen, dass das BVerfG pro Jahr nur etwa acht bis zehn Urteilsverkün­ dungen hat und den weitaus überwiegenden Teil der Fälle im schriftlichen Verfahren entscheidet. Beim BGH ist das genau umgekehrt. Hier werden im Jahr etwa 800 Ur­ teile öffentlich verkündet“. 43  Näher zu den Ermessenskriterien BT-Drucks. 18/1810144, S. 29. 44  KK-StPO/Diemer, § 169 GVG Rn. 13a. 45  Für die Erforderlichkeit einer Einwilligung zu Recht BGHSt 19, 193; BTDrucks. 15/1976; OLG Düsseldorf NStZ 1990, 554; OLG Schleswig, NStZ 1992, 399 (400); hierzu Molketin, NStZ 1993, 145; ferner Caspari, Die Aufzeichnung der Hauptverhandlung, S. 209 (244 f.); Leitner, S. 106; Lüske, S.  171 ff.; Roggemann, JR

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

beteiligten auf Aushändigung einer Aufzeichnung im Wege der Akteneinsicht nach § 147 StPO wird jedenfalls überwiegend aberkannt.46 Für diese Verfah­ rensbeteiligten, insbesondere für die Verteidigung, kann sich vor diesem Hintergrund das Bedürfnis nach (eigener) wortlautgetreuer Dokumentation ergeben.47 Hier gelten jedoch wiederum die obigen Ausführungen entspre­ chend. Über einen Antrag der Verteidigung auf Aufzeichnung des gesproche­ 1966, 47 (48 f.); Sarstedt, JR 1956, 121 (126); Schmidt, JZ 1956, 206 (211); im Er­ gebnis auch Kühne, StV 1991, 102 (104); vgl. ferner OLG Koblenz NStZ 1988, 42, das in seiner Beschlussbegründung auch auf das Vorhandensein einer Einwilligung abstellte: „Es kann dem Gericht nicht verwehrt sein, sich der Zeit und Kräfte sparen­ den technischen Fortschritte in Form der Tonbandaufnahmen zu bedienen. […] Im übrigen war der Vorsitzende der StrK mit der Tonbandaufzeichnung seiner münd­ lichen Urteilsbegründung durch den Beisitzer einverstanden“; zur Bedeutung des Rechts am eigenen Wort und zum generellem Erfordernis einer Einwilligung des Sprechers im Falle einer Tonbandaufzeichnung BGHSt 14, 358 (359 f.): „Jeder ge­ danklichen Erklärung teilt sich – bisweilen schon nach ihrem Gehalt (mehr oder we­ niger), stets aber kennzeichnend durch die Stimme – die Persönlichkeit des Sprechers mit. Demgemäß bestimmt er selbst und allein, wer sein Wort hören darf und ob es aufbewahrt werden oder mit dem Gedächtnis der Hörer verlöschen soll. Ihm allein ist daher auch die Entscheidung darüber vorbehalten, ob sein Wort und seine Stimme auf ein Tonband oder sonst einen Tonträger aufgenommen und ob sie von diesem wieder abgespielt werden dürfen, wie auch vor wem. Denn auf dem Tonband sind Wort und Stimme des Menschen von ihm losgelöst und zu einem Gegenstand verselbständigt. Ein Stück seiner Persönlichkeit erscheint somit als eine – veräußerliche – Sache. Es wäre entwürdigend, dürften sich andere ohne oder gar gegen den Willen des Betrof­ fenen fremder Persönlichkeitswerte bemächtigen und über sie nach ihrem Belieben verfügen. […]. Es verletzt daher den Persönlichkeitsbereich des Sprechers und das Recht an seinem Wort, wer mit ihm ein Gespräch führt und es heimlich auf einem Tonband festhält; nicht minder auch, wer es durch das Tonband ohne Zustimmung des Sprechers anderen wiedergibt“; ähnlich SK-StPO/Velten, § 169 GVG Rn. 38 Fn. 130 (kein Widerspruch der Verfahrensbeteiligten). Für die Zulässigkeit (jeden­ falls) der Tonaufzeichnung auch ohne Einwilligung der betroffenen Verfahrensbetei­ ligten OLG Bremen NStZ 2007, 481 (482) für den besonderen Fall der Tonaufzeich­ nung zum Zwecke der Verfahrenssicherung, wenn hierdurch in einem Parallelverfah­ ren der Ausschluss des Richters nach § 22 Nr. 5 StPO vermieden werden kann und sich die Angeklagten derzeit in U-Haft befinden; KK-StPO/Diemer, § 169 GVG Rn. 13a; Krauß, Videodokumentation der Hauptverhandlung, S. 547 (550); LR/Wickern, § 169 GVG Rn. 47; Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 13; Meyer-Mews, NJW 2002, 103 (105); MüKo-StPO/Kulhanek, § 169 GVG Rn. 35; Rottländer, NStZ 2014, 138; vgl. hierzu auch Altenhain, Vor- und Nachteile der audiovisuellen Auf­ zeichnung, S.  225 (229 f.) m. w. N. 46  Vgl. OLG Koblenz NStZ 1988, 42: „Die Prozeßbeteiligten kaben keinen An­ spruch darauf, diese Bandaufzeichnungen oder Notizen einzusehen oder hiervon ­Leseabschriften zu erhalten. Sie sind auch nicht aufzubewahren und unterliegen allein der Verfügung des Richters, der sie für seinen internen Gebrauch gefertigt hat“; Caspari, Die Aufzeichnung der Hauptverhandlung, S. 209 (239 f.); Rottländer, NStZ 2014, 138. 47  Vgl. Malek, StV 2011, 559 (563 f.).



§ 1 Die Dokumentation der Hauptverhandlung de lege lata383

nen Wortes entscheidet daher der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermes­ sen.48

F. Fazit: Defizite des status quo Es bleibt festzuhalten, dass eine vollständige Dokumentation der Verneh­ mungsinhalte vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten trotz der ge­ gebenen technischen Möglichkeiten grundsätzlich nicht stattfindet. Das Pro­ tokoll vor dem Land- und Oberlandesgericht stellt vielmehr nur ein bloßes Formalprotokoll dar.49 Die Protokollierungsanforderungen entsprechen da­ mit im Wesentlichen jenen aus dem Jahr 1879.50 Anders stellt sich die Rechtslage betreffend die Dokumentation der Verhandlung in anderen Ver­ fahrensordnungen dar: Hier findet eine inhaltliche Dokumentation der Aus­ sagen von Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien statt (vgl. §§ 160 Abs. 3 Nr. 4, 160a Abs. 2 ZPO; § 105 VwGO, § 46 Abs. 2 ArbGG, § 122 SGG, § 94 FGO, § 92 Abs. 2 PatG, § 77 Abs. 2 MarkenG).51 Ange­ sichts der fehlenden Festschreibung des in der Beweisaufnahme ermittelten Sachverhaltes in der Tatsacheninstanz einerseits und der nur eingeschränk­ ten Kontrollmöglichkeiten der tatrichterlichen Feststellungen durch das ­Revisionsgericht andererseits ergibt sich hieraus ein „doppeltes Dilemma“, das eine nicht unerhebliche „Rechtsschutz- und Gerechtigkeitslücke“ offen­

48  BGH NStZ 1982, 42; KK-StPO/Diemer, § 169 GVG Rn. 14; Krauß, Videodo­ kumentation der Hauptverhandlung, S. 547 (550); Malek, Verteidigung in der Haupt­ verhandlung, Rn. 223; Schmitt, NStZ 2019, 1 (3); a. A. Meyer-Mews, NJW 2002, 103 (106). Bei der Ermessensentscheidung ist von entscheidender Relevanz, ob ein Miss­ brauch der Aufzeichnung zu besorgen ist, vgl. OLG Düsseldorf NJW 1996, 1360. Maßgeblich ist auch, ob eine Beeinflussung des Verhaltens der Aussageperson durch die Aufzeichnung und eine hiermit einhergehende Beeinträchtigung der Wahrheits­ findung aufgrund konkreter Tatsachen angenommen werden kann; vgl. Caspari, Die Aufzeichnung der Hauptverhandlung, S. 209 (245). Heimliche Tonaufzeichnungen sind jedenfalls unzulässig, Meyer-Goßner/Schmitt, § 169 GVG Rn. 12. Im Übrigen besteht auch kein Anspruch des Verteidigers auf Übernahme der Kosten im Falle der Beauftragung eines Stenografen; vgl. Caspari, Die Aufzeichnung der Hauptverhand­ lung, S. 209 (238 f.); Rottländer, NStZ 2014, 138 (139). Etwaige Aufzeichnungen haben auch keine revisionsrechtliche Relevanz; BGHSt 15, 347 (350); 43, 212 (214); vgl. zur (erfolglosen) Erzwingung eines Tonbandprotokolls im Wege einer einstweili­ gen Anordnung HansOLG Hamburg MDR 1977, 688 f. 49  Vgl. Fromm, NJ 2015, 96 (97); Leitner, S.  105 f. 50  Ausführlich zur Gesetzgebungsgeschichte Caspari, Die Aufzeichnung der Hauptverhandlung, S.  209 f.; Leitner, S.  18 ff.; Lüske, S. 7 ff.; ferner Bockemühl, FS von Heintschel-Heinegg (2015), S. 51 (53 ff.). 51  Mosbacher, ZRP 2019, 158; ders., JuS 2019, 766 (769).

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

bart.52 In strafgerichtlichen Verfahren vor den Amtsgerichten werden die Aussagen der Verfahrensbeteiligten – bis auf den Ausnahmefall des § 273 Abs. 3 S. 1 StPO – auch nicht in einem Wort-, sondern lediglich in einem knappen Inhaltsprotokoll erfasst. Die Fehleranfälligkeit des Inhaltsprotokolls ist jedoch seit langem bekannt.53 Seine Dokumentationsfunktion ist daher erheblich eingeschränkt.54 Entsprechendes gilt für die Tonbandaufnahme nach § 273 Abs. 2 S. 2 StPO, die sich bislang in der Praxis nicht durchset­ zen konnte.55 Diese „Dokumentationslücken“ werden auch nicht durch § 169 Abs. 2 GVG geschlossen: Nach § 169 Abs. 2 S. 1 GVG können Tonaufnahmen der Verhandlung zwar zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken von dem Gericht zugelassen werden. Die Aufnahmen dürfen jedoch weder zu den Akten genommen noch zu Verfahrenszwecken genutzt oder verwertet werden (§ 169 Abs. 2 S. 3 GVG). Ein Anspruch auf Aushändigung etwaiger gerichts­ interner Aufzeichnungen steht der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft auch nicht zu. Sowohl das Gericht als auch die sonstigen Verfahrensbeteilig­ ten sind damit vielfach auf ihre Erinnerungen und Mitschriften, die Verteidi­ gung zudem auch auf Anträge zur Festschreibung des Sachverhaltes56, an­ 52  Döllen/Momsen, Freispruch 5/2014, 4; vgl. auch von Galen, StraFo 2019, 309 f.; Krauß, Videodokumentation der Hauptverhandlung, S. 547 (552); Lüske, S.  49 ff.; Wilhelm, HRRS 2015, 246. 53  Vgl. S.  239 ff. 54  Vgl. Leitner, S. 108. 55  Vgl. zum Verfahren in der Berufungsinstanz § 323 Abs. 2 S. 2–6 StPO: „So­ fern es erforderlich erscheint, ordnet das Berufungsgericht die Übertragung einer als Tonaufzeichnung zur Akte genommenen Vernehmung gemäß § 273 Abs. 2 Satz 2 in ein Protokoll an. Wer die Übertragung hergestellt hat, versieht diese mit dem Ver­ merk, dass die Richtigkeit der Übertragung bestätigt wird. Der Staatsanwaltschaft, dem Verteidiger und dem Angeklagten ist eine Abschrift des Protokolls zu erteilen. Der Nachweis der Unrichtigkeit der Übertragung ist zulässig. Das Protokoll kann nach Maßgabe des § 325 verlesen werden“. Der Abschrift kommt in diesem Fall keine Beweiskraft nach § 274 StPO zu; vgl. Leitner, S. 109. Kritisch zur Entlastungs­ funktion BT-Drucks. 15/2536, S. 9: „Auch für die Berufungsinstanz führt die Rege­ lung zu keiner Entlastung, da der Aufwand der Erstellung einer Abschrift des Ton­ bandprotokolls ganz erheblich sein wird und zudem das Berufungsgericht in aller Regel nicht darauf verzichten kann, sich einen persönlichen Eindruck von dem jewei­ ligen Zeugen zu verschaffen, so dass eine Ersetzung seiner Aussage durch den Mit­ schnitt kaum je in Betracht kommen wird“; zur geringen praktischen Bedeutung Leitner, S. 110: „Sie [die Vorschrift] führt entgegen der gesetzgeberischen Intention „ein Schattendasein“; Meyer-Goßner/Schmitt, § 273 Rn. 14a: „[P]raktische Bedeutung dürfte dies[es] umständliche Verfahren […] kaum erlangen“. 56  Vgl. Malek, Verteidigung in der Hauptverhandlung, Rn. 667; Schlothauer, StV 1992, 134 (140); kritisch zu dieser Verfahrensweise Bockemühl, KriPoZ 2019, 375 (376); Döllen/Momsen, Freispruch, 5/2014, 4: „Ein Problem der Strafverteidigung besteht seit Jahren darin, herausfinden zu müssen, was das Gericht von der Zeugen­



§ 1 Die Dokumentation der Hauptverhandlung de lege lata385

gewiesen. Hinzu kommt, dass dem Gericht insofern eine Doppelaufgabe zu­ kommt (Verhandlungsleitung und Durchführung der Beweisaufnahme sowie Dokumentation der relevanten Aussageinhalte), die die Anfälligkeit der richterlichen Mitschriften für unbewusste Lücken und Veränderungen weiter begünstigt.57 Dies erlangt insbesondere in komplexen und langwierigen Verfahren an Bedeutung. Aufgrund der gegebenen Gesetzeslage findet eine Aufbereitung der Hauptverhandlung, insbesondere in Bezug auf den Inhalt von Aussagen58, letztlich für alle Verfahrensbeteiligten unter erschwerten, der Wahrheitsfindung abträglichen und nicht dem Stand der Technik entspre­ chenden Bedingungen statt. Das hierin ein rechtsstaatliches Defizit liegt, wird schließlich auch durch die Ergebnisse der (unter Anhang II. dargestell­ ten) Online-Befragung untermauert. Danach zieht sogar die absolute Mehr­ heit der befragten Teilnehmer/-innen eine zusätzliche Dokumentationsform (unter Beibehaltung des traditionellen Hauptverhandlungsprotokolls nach §§ 271 ff. StPO) vor.59 Insgesamt ergibt sich hieraus ein nicht von der Hand zu weisendes, praktisches Bedürfnis für weiterreichende Dokumentationsan­ forderungen. aussage verstanden hat und wie es diese bewertet. Wenn das Gericht sich auf eine entsprechende offene Kommunikation nicht einlässt, was es nicht muss, gibt es nur die Möglichkeit, durch eine Vielzahl von Beweisanträgen herauszufinden, wie der entsprechende Meinungsstand ist. Die Methode ist kompliziert, häufig langwierig und oftmals auch nicht zielführend“; vgl. schließlich auch die einleitenden Worte zur Fest­ schreibung von Beweisergebnissen in MAH Strafverteidigung/Widmaier/Norouzi, § 9 Rn. 104: „Hier geht es um den Bereich, in dem sich die Verteidiger in besonderer Weise der unkontrollierten (Eigen-)Macht des Gerichts ausgesetzt fühlen. Immer wie­ der begegnet man der Klage, dass die schriftlichen Urteilsgründe den wirklichen In­ halt der Hauptverhandlung unvollständig und verzerrt, manchmal unmittelbar falsch wiedergeben (zusammengefasst in dem Satz: ‚Ich glaube, ich war in einem anderen Film‘)“; vgl. ferner Eschelbach, FS Widmaier (2008), S. 127 (128, 143), der diesbe­ züglich sogar von einem „Feststellungsermessen“ der Berufsrichter spricht und die Urteilsfeststellungen als „Kunstwerk des Berichterstatters“ erachtet; vgl. schließlich auch Salditt, StraFo 1990, 54 (59) zu einer Meinungsumfrage unter 158 Mitgliedern der AG Strafrecht des DAV aus dem Frühjahr 1989: „Gefragt war, ob und in welchem Umfang die Kollegen davon ausgehen, daß unsere Strafgerichte Zeugenaussagen falsch aufnehmen, mißverstehen oder sonst unrichtig verarbeiten. 72,1 Prozent bejah­ ten dies für viele Fälle, 3,8 Prozent für die Mehrzahl der Fälle“; zu den möglichen Ursachen einer Abweichung zwischen dem wirklichen und den im Urteil dargelegten Ergebnis einer Beweisaufnahme Wilhelm, ZStW 117 (2005), 143 ff. 57  Vgl. Krauß, Videodokumentation der Hauptverhandlung, S. 547 (551); Ignor, Zusammenfassende Stellungnahme, S. 183 (188 f.); Schmitt, NStZ 2019, 1 (2 f.); Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (693); zur Fehleranfälligkeit richterlicher Mitschriften auch Salditt, StraFo 1990, 54 (59); Nestler, FS Lüderssen (2002), S. 727 (731); ferner Malek, StV 2011, 559 (564). 58  Vgl. Mosbacher, ZRP 2019, 158. 59  Näher S.  432 f.

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

§ 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung? A. Ein Stimmungsbild: Online-Befragung unter Praktikerinnen und Praktikern der Justiz in Baden-Württemberg I. Hintergrund und Ziel der Befragung Einzelne Stellungnahmen in der Rechtsliteratur60 und aus der Richter­ schaft61 sowie in diversen Presseveröffentlichungen62 weisen darauf hin, dass 60  Vgl. Floren, Kriminalistik 2020, 37 (42), der von einer „völligen Handlungsun­ fähigkeit“ der Gerichte im Falle der Einführung einer Videodokumentation ausgeht; eindrücklich auch Meyer-Goßner, FS Fezer (2008), S. 135 (148): „Es erscheint na­ hezu als eine abwegige Vorstellung, dass der Revisionsrichter, also ein – jedenfalls der Idee nach – stets hochqualifizierter Jurist, seine Zeit damit verbringt, stundenlang Filme anzuschauen und seine Eindrücke mit den schriftlichen Urteilsgründen zu ver­ gleichen“; ausführlich zum abweichenden Meinungsstand Lüske, S.  134 ff. 61  Vgl. DRB, Pressemeldung vom 13.10.2015: „Entschieden abzulehnen sei hin­ gegen die Idee, die erstinstanzliche Verhandlung beim Landgericht künftig per Video zu dokumentieren. „Das würde einen Paradigmenwechsel im deutschen Strafprozess bedeuten“, warnt Frank [ehemaliger Vorsitzender des DRB]. Das Vorliegen einer Aufzeichnung der Hauptverhandlung führe mit einiger Wahrscheinlichkeit dazu, dass die Revisionsinstanz nicht mehr auf eine Rechtsprüfung beschränkt bleibe, sondern zu einer weiteren Tatsacheninstanz werde“; generell kritisch zum vermehrten Einsatz der Videotechnologie auch Gnisa [ebenfalls ehemaliger Vorsitzender des DRB] im Rahmen einer Podiumsdiskussion während der 6. Bielefelder Verfahrenstage am 23. und 24.11.2017, abgedruckt in Barton/Dubelaar/Kölbel/Lindemann, Aspekte der Fehlurteilsforschung, S. 28: „Aus Sicht der Richterschaft würde die audiovisuelle Dokumentation das Wesen der Hauptverhandlung verändern, da die erkennenden Richter nunmehr im Wesentlichen damit beschäftigt wären, ‚Filme zu gucken‘, anstatt sich ein Bild von den in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen zu machen. In der Hauptverhandlung erfolge dann nur noch eine Kontrolle dessen, was Staatsan­ waltschaft und Polizei im Ermittlungsverfahren täten. Eine solche Kulturänderung lehnte er ab; die Hauptverhandlung solle Kern des Strafverfahrens bleiben. Er glaube nicht, dass die zu erwartende mehrfache Beweiserhebung, bestehend aus Vernehmung des Zeugen, Betrachtung des Videomaterials und anschließendem Vorhalt desselben zu weniger Fehlern bei der Beweiswürdigung führen würde“. Zweifelhaft im Hin­ blick auf die „eher behauptet[en] als belegt[en]“ Chancen einer Bild- und/oder Ton­ dokumentation Paul, Alles andere als ein unspektakuläres Thema, S. 23 (24 f.); vgl. auch die Nachweise bei Sandherr, DRiZ 2017, 338 (341): Hiernach votierten 91 % der im Rahmen des 2. Strafkammertags 2017 an einer Online-Abstimmung Teilneh­ menden gegen die Einführung einer Audio- oder Audio-Video-Dokumentation der Hauptverhandlung. Zusammenfassend zu den „gewichtigen Bedenken“ im Hinblick auf eine technische Dokumentation der Hauptverhandlung, die „bis heute nicht aus­ geräumt“ seien Rebehn [Bundesgeschäftsführer des DRB], DRiZ 2020, 42 f.



§ 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung?387

die aktuellen Bestrebungen zur Videodokumentation der Hauptverhandlung nicht unbestritten sind und vor allem seitens der Justiz Vorbehalte gegen eine solche Dokumentationsform bestehen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Relevanz der Thematik sollen daher die (vereinzelten und generellen) Bedenken gegen eine audiovisuelle Dokumen­ tation der Hauptverhandlung mithilfe einer Befragung von Praktikerinnen und Praktiker der Justiz, hier von Strafrichterinnen und Strafrichtern sowie Staats­ anwältinnen und Staatsanwälten, konkretisiert werden. Hierdurch soll zum einen aufgezeigt werden, welche Aspekte der Videodokumentation in prakti­ scher Hinsicht als besonders kritisch empfunden werden. Zum anderen soll auch die mögliche Gewinnschöpfung dieser Dokumentationsform dargestellt und präzisiert werden. Entsprechende empirische Untersuchungen sind aktuell und mit dieser Zwecksetzung nicht vorhanden. Ziel der Befragung ist es, die Chancen und Risiken der Videodokumentation anhand der gesammelten Da­ ten zu spezifizieren und zu bewerten. Die Ergebnisse der Befragung sollen schließlich einen Beitrag für künftige Gesetzesvorhaben leisten.

II. Erhebungsmethode: Online-Befragung Für die vorliegende Untersuchung wurde schwerpunktmäßig eine quantita­ tive Erhebungsmethode gewählt, mit dem Ziel Informationen aller Untersu­ chungsobjekte der anvisierten Grundgesamtheit zu erhalten.63 Im Vergleich zu den traditionellen Befragungsmethoden (persönliche, telefonische oder schriftliche Befragung) erschien hier die Online-Befragung64 aufgrund der 62  Vgl. Kaufmann, Reform des Strafverfahrens, LTO (08.11.2019): „Auch aus der Justiz gibt es erheblichen Widerstand, Strafrichter und Staatsanwälte fürchten, dass so durch die Hintertür eine weitere Tatsacheninstanz geschaffen werden könnte“; vgl. auch das Interview von Rath, Interview zur Dokumentation von Strafprozessen, Legal Tribute Online (22.03.2019) mit Marie Luise Graf-Schlicker, ehemalige Leiterin der Abteilung Rechtspflege im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Dokumentation der Hauptverhandlung: „Eigentlich halte ich die audio-visuelle Aufzeichnung für die bestmögliche Lösung, denn dabei können auch die Mimik und Gestik festgehalten werden, die bei einer Aussage wichtig sind. Aber der Widerstand gegen diese Maßnahme in der Justiz ist noch groß“; vgl. ferner Lorenz, Dokumenta­ tion der Hauptverhandlung im Strafprozess, LTO (25.06.2018); Meißner, Corona und Strafprozess, beck-blog (10.05.2020). 63  Vgl. zum Zweck quantitativer Forschung Riesenhuber, Großzahlige empirische Forschung, S. 1 (7). 64  Die Online-Befragung gehört aufgrund ihrer regelmäßig einfachen, schnellen und kostengünstigen Programmierung bzw. Erstellung mittlerweile zu einer der wich­ tigsten Befragungsmethoden in Deutschland, vgl. Taddicken, Online-Befragung, S. 201 (202, 215); Wagner-Schelewsky/Hering, Online-Befragung, S. 787; zu den Vorund Nachteilen der Online-Befragung im Vergleich zu den traditionellen Befragungs­

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

Zielsetzung der Befragung und der Stärken einer anonymen, internetbasier­ ten Datenerhebung als geeignete Erhebungsmethode: Die Online-Befragung ist nicht nur in der Regel mit einem geringeren Zeit- und Kostenaufwand verbunden65; für sie spricht auch ihre zeitliche und räumliche Unabhängig­ keit sowie die Möglichkeit der direkten Speicherung der eingegebenen Daten in einer Datenbank. Zudem werden etwaige Fehler durch eine manuelle Da­ tenerfassung insoweit vermieden.66 Durch die anonyme Datenerfassung in Abwesenheit eines Interviewers und die geringe soziale Präsenz der WebBefragung werden schließlich auch „Interviewereffekte“67 und „Effekte sozi­ aler Erwünschtheit“68 als bedeutende Fehlerquellen der empirischen For­ schung minimiert69, und es wird ein „hohes Anonymitätsgefühl“70 der Be­ fragten erzeugt. Hierdurch wird insgesamt eine möglichst unverzerrte Erhe­ bung der Daten eines größeren Teilnehmer/-innenkreises ermöglicht.71

III. Zielgruppe Es erschien sinnvoll, die Ansichten zu möglichen Chancen und Risiken der Videodokumentation anhand der Erfahrungen und Einstellungen von Prakti­ kerinnen und Praktikern der Justiz, konkret den dort aktuell tätigen und damit von einer etwaigen Einführung einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung betroffenen Strafrichterinnen und Strafrichtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in Baden-Württemberg (= Grundge­ samtheit72), zu präzisieren. Insofern wurde angestrebt, sämtliche Richterin­ methoden Taddicken, Online-Befragung, S. 201 (207 ff.), Wagner-Schelewsky/Hering, Online-Befragung, S. 787 (788 f.). 65  Taddicken, Online-Befragung, S. 201 (208 ff.). 66  Wagner-Schelewsky/Hering, Online-Befragung, S. 787 (788 f.). 67  Vgl. zur Beeinflussung des Antwortverhaltens und der Kooperationsbereit­ schaft der Befragten durch das Verhalten des Interviewers Jedinger/Michael, Inter­ viewereffekte, S.  365 ff. 68  Vgl. zur Gefahr einer Verzerrung der Daten durch sozial erwünschte Antworten Hlawatsch/Krickl, Einstellungen zu Befragungen, S. 357 ff.; Taddicken, GfK Jahr­ buch, 2, 136 (138 ff.). 69  Taddicken, Online-Befragung, S. 201 (214); dies., GfK Jahrbuch, 2, 136 (151); Wagner-Schelewsky/Hering, Online-Befragung, S. 787 (788 f.). 70  Taddicken, Online-Befragung, S. 201 (214). 71  Vgl. jedoch zur Gefahr einer „sozialen Entkontextualisierung“, d. h. der ver­ ringerten Bindung der Befragten an soziale Werte und Normen durch die anonyme Befragungssituation bei Web-Befragungen Taddicken, Methodeneffekte von Web-Be­ fragungen (2009), S. 85 ff. 72  Laut der in Kinzig, DRiZ 2020, 436 (437) abgedruckten Tabelle 1 beträgt die Anzahl der Richterinnen und Richter in Baden-Württemberg im Jahre 2017 325 und die der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte 466.



§ 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung?389

nen und Richter ungeachtet ihrer Zugehörigkeit zu den verschiedenen Instan­ zen der Strafgerichtsbarkeit sowie alle Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ungeachtet ihrer konkreten behördlichen Zugehörigkeit (Staatsanwaltschaft oder Generalstaatsanwaltschaft) in die Befragung miteinzubeziehen.73

IV. Fragebogenkonzeption Der Fragebogen wurde vorliegend mit dem für wissenschaftliche Befra­ gungsprojekte gängigen Portal SoSci Survey74 realisiert. Diese Onlineplatt­ form bietet für wissenschaftliche Zwecke eine kostenlose und werbefreie Bereitstellung sowohl des Befragungsservers als auch der entsprechenden Software an.75 Zudem ermöglicht sie eine anonyme und datenschutzkon­ forme Befragung sowie eine hiervon getrennte Möglichkeit zur Speicherung von freiwillig angegebenen Kontaktadressen an.76 Der Umfang des Fragebogens beträgt neun Seiten und gliedert sich in ei­ nen Begrüßungstext mit einer Einleitung zur Thematik (S. 1), Fragen und Thesen zur audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung (S. 2–6) und eine Allgemeine Frage (S. 7). Ein Fortschrittsbalken zeigt den Teilneh­ mer/-innen hierbei stets an, wie weit die konkrete Bearbeitung des Fragebo­ gens fortgeschritten ist. Für an den Befunden der Umfrage interessierte Teilnehmer/-innen besteht zum Schluss die Möglichkeit der freiwilligen An­ gabe einer (getrennt gespeicherten) Kontaktadresse (S. 8). Auf der letzten Seite wird den Teilnehmer/-innen schließlich für die Mitarbeit an der Befra­ gung gedankt (S. 9).77 Der Fragebogen weist einen hohen Grad an Standardisierung auf. Von insgesamt elf Fragen sind sieben Fragen78 als geschlossene Fragen, d. h. mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten (Single Choice), konzipiert. Bei sechs dieser sieben Fragen wurde eine fünf-stufige Antwortskala eingesetzt, 73  In der vorliegenden Untersuchung wurde mithin eine Vollerhebung angestrebt; vgl. zur Unterscheidung von Voll- bzw. Totalerhebung und Teil- bzw. Stichprobener­ hebung Häder/Häder, Stichprobenziehung in der quantitativen Sozialforschung, S.  333 ff.; Kaya/Himme, Möglichkeiten der Stichprobenbildung, S. 79 ff.; vgl. ferner zum Problem der Selbstselektion im Rahmen von freiwilligen Online-Befragungen Altenhain/Jahn/Kinzig, S. 198. 74  Leiner (2019), SoSci Survey (Version 3.1.06). 75  Leiner (2019), SoSci Survey Lizenzen. 76  Leiner (2019), SoSci Survey Datenschutz. 77  Vgl. zum Aufbau und zur Gestaltung eines Online-Fragebogens Mayer, Quan­ titative Befragung, S. 58 (91  ff.); Wagner-Schelewsky/Hering, Online-Befragung, S. 787 (793 f.); zur generellen Gestaltung eines Fragebogens Fietz/Friedrichs, Ge­ samtgestaltung des Fragebogens, S. 813 ff.; Porst, Frageformulierung, S. 829 ff. 78  Nr. 1, 2, 4, 5, 6, 7, 8.

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

um bestimmte Einstellungsdimensionen der Teilnehmer/-innen messen zu können.79 Die unterschiedlichen Skalenstufen wurden hierbei durch sog. Radioknöpfe abgebildet. Bei der ersten Frage bot sich aufgrund der konkre­ ten Fragestruktur (Präferenzabfrage) hingegen keine Antwortskala, sondern eine Einfachauswahl aus vier Antwortalternativen an. Daneben sind zwei halboffene bzw. Hybrid-Fragen80 in dem Fragebogen enthalten.81 Solche Fragen enthalten zwar ebenfalls feste Antwortvorgaben, sehen jedoch zusätzlich eine freie Antwortmöglichkeit vor.82 Zwei weitere Fragen83 sind als offene Fragen ohne feste Antwort gestaltet. Sowohl die halboffenen als auch die offenen Fragegestaltungen wurden vorliegend ge­ wählt, weil die Bandbreite an Antwortmöglichkeiten nicht (vollständig) be­ kannt war.84 Die zwei offenen Fragen dienten zusätzlich der Gewinnung neuer Aspekte sowie der Motivierung der Befragten.85

V. Durchführung Nach Erstellung des Fragebogens wurde in KW 24/2020 das Ministerium für Justiz und Europa Baden-Württemberg schriftlich kontaktiert und um Unterstützung für die Durchführung der Online-Befragung gebeten. Nach einer positiven Rückmeldung in KW 30/2020 wurden in KW 35 und 40/2020 alle 108 Amtsgerichte, 17 Landgerichte, 2 Oberlandesgerichte sowie 17 Staats­ anwaltschaften und 2 Generalstaatsanwaltschaften in Baden-Württemberg im Wege einer Vorabinformation über die geplante Online-Befragung per ­E-Mail in Kenntnis gesetzt.86 Da für die Teilnahme an der Online-Befragung 79  Vgl. zu dieser auf Likert (1932) zurückgehenden Skalierungsmethode Blasius, Skalierungsverfahren, S. 1437 (1440 ff.); näher zur Anzahl der Antwortkategorien auch Franzen, Antwortskalen in standardisierten Befragungen, S. 843 (846 ff.). 80  Nr. 3, 11. 81  Mit einer von diesen halboffenen Fragen wurde nach der Tätigkeit des/der Teilnehmers/-in gefragt. Vorgegebene Antwortmöglichkeiten (mit „Single-Choice“) waren hierbei: Richterin/Richter AG, Richterin/Richter LG, Richterin/Richter OLG, Staatsanwältin/Staatsanwalt. Jedoch wies die Frage auch eine Antwortkategorie „Sonstiges“ auf. 82  Reinecke, Grundlagen der standardisierten Befragung, S. 717 (720). 83  Nr. 9, 10. 84  Faulbaum/Prüfer/Rexroth, Was ist eine gute Frage?, S. 20; Züll/Menold, Of­ fene Fragen, S. 855 (856). 85  Vgl. Züll/Menold, Offene Fragen, S. 855 (856 f.). 86  Separat wurde auch der BGH kontaktiert, da die Meinungen und Einstellun­ gen der dort tätigen Richterinnen und Richter für die hier in Rede stehende Thematik vor dem Hintergrund der potenziellen Auswirkungen einer Videodokumentation der Hauptverhandlung auf das Revisionsverfahren von Bedeutung erschien. Der BGH sah jedoch von einer Teilnahme an der Befragung ab.



§ 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung?391

die Erteilung einer Genehmigung seitens des unmittelbaren Dienstvorgesetz­ ten notwendig war (vgl. § 8 LRiStAG i. V. m. § 37 Abs. 3 Beamt­StG), wurde der Zugang, d. h. die Internetadresse zur Online-Befragung in KW 40/2020 jedoch nur an die jeweiligen Präsidentinnen und Präsidenten der Landgerichte und Oberlandesgerichte sowie an die jeweilige Leitung der (General-)Staats­ anwaltschaften gesendet. Diese konnten den Fragebogen sodann gerichtsbzw. behördenintern bekanntmachen und die Teilnahme hieran den Richterin­ nen und Richtern bzw. den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten freistellen. Der Befragungszeitraum erstreckte sich vom 29.09.2020 bis zum 30.11.2020. Die Speicherung der erhobenen Daten erfolgte schließlich auf den Servern der SoSci Survey GmbH, die über einen Online-Zugriff verwaltet werden können.

VI. Datenaufbereitung und -auswertung Die erhobenen Daten werden vorliegend anhand deskriptivstatistischer Methoden, hier in Form von Balkendiagrammen und Häufigkeitstabellen, dargestellt. Die graphische Datenaufbereitung dient dabei der geordneten Zusammenfassung, Visualisierung und Auswertung der Befragungsergebnis­ se.87 Die ausführlichen Ergebnisse der Online-Befragung können mitsamt ihrer graphischen Darstellung und Erläuterung dem Anhang entnommen werden. Im Folgenden liegt der Fokus daher auf dem Gesamtergebnis der Online-Befragung: Ausgegangen wird von insgesamt 185 gültigen Datensätzen (N = 185).88 Das Verhältnis der an der Online-Befragung teilgenommenen Personengrup­ pen der Richterinnen/Richter und der Staatsanwältinnen/Staatsanwälte zu­ einander (1:1,25) entspricht auch in etwa der tatsächlichen Beschäftigungs­ lage in Baden-Württemberg (1:1,43). Ausgehend von der aktuellen Beschäf­ tigungslage der in Baden-Württemberg beschäftigten Staatsanwältinnen/ Staatsanwälte und Richterinnen/Richter beträgt die Gesamtbeteiligungsrate an der Online-Befragung ca. 20–21 % (variiert je nach konkreter Frage).89

87  Vgl. zur deskriptivstatischen Datenauswertung Steiner/Benesch, Der Fragebo­ gen, S.  88 ff. 88  Unter gültige Datensätze fallen hierbei sowohl vollständig abgeschlossene Datensätze (diese liegen vor, wenn die letzte Seite des Fragebogens erreicht wurde), als auch Datensätze, die teilweise nicht beantwortete und/oder nicht abgefragte Fra­ gen (im Falle eines vorher geschlossenen Fragebogens) enthalten. 89  Laut der in Kinzig, DRiZ 2020, 436 (437) abgedruckten Tabelle 1 beträgt die Anzahl der Richterinnen und Richter in Baden-Württemberg 325 und die der Staats­ anwältinnen und Staatsanwälte 466.

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

Zu den Thesen und Fragen äußerten sich die Teilnehmer/-innen wie folgt: Die absolute Mehrheit der befragten Teilnehmer/-innen zog eine zusätzliche Dokumentationsform (unter Beibehaltung des traditionellen Hauptverhand­ lungsprotokolls) vor.90 Ein praktisches Bedürfnis nach einer umfassenderen Dokumentation der Hauptverhandlung wird hierdurch offenbar und sollte vom Gesetzgeber in künftigen Gesetzgebungsreformen berücksichtigt wer­ den. Die Dokumentationsform der audiovisuellen Aufzeichnung (unter Bei­ behaltung des traditionellen schriftlichen Hauptverhandlungsprotokolls nach §§ 271 ff. StPO) erhielt jedoch im Vergleich zu den anderen Dokumenta­ tionsformen (nur das traditionelle schriftliche Hauptverhandlungsprotokoll nach §§ 271 ff. StPO, vollständiges Wortprotokoll, Tonbandaufzeichnung) die geringste Zustimmung.91 Die relative Mehrheit der Teilnehmer/-innen be­ wertete die mit einer audiovisuellen Aufzeichnung einhergehende Beein­ trächtigung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts auch nicht als nur gering­ fügig.92 Dementsprechend zeigte sich eine ablehnende Haltung der Teilneh­ mer/innen besonders gegenüber der Einführung einer obligatorischen audio­ visuellen Dokumentation erstinstanzlicher Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten. Hingegen standen die Teilnehmer/ -innen der Einführung einer fakultativen audiovisuellen Dokumentation ein­ zelner Vernehmungen in Verfahren vor dem AG weniger ablehnend gegen­ über.93 Eine Regelung mit optionalem Charakter wurde insofern als weniger problematisch eingestuft. In Bezug auf die mögliche Gewinnschöpfung einer audiovisuellen Doku­ mentation zeigten sich die Teilnehmer/-innen ferner zwiegespalten: Als vor­ teilhaft wurde jedenfalls die mit der Videodokumentation einhergehende Reduzierung von Streitigkeiten über den Inhalt und Ablauf der Hauptver­ handlung bewertet.94 Unentschlossener zeigten sich die Teilnehmer/-innen hingegen in Bezug auf die mit der Videodokumentation erhoffte positive Wirkung auf den gerichtlichen Prozess der Wahrheitsfindung und der hier­ durch erhöhten Zuverlässigkeit der im Urteil getroffenen Feststellungen. Zwar stimmte die relative Mehrheit der Teilnehmer/-innen dieser These zu. Aufgrund zahlreicher kritischer Stimmen ergab sich hier jedoch ein unent­ schiedenes Gesamtergebnis.95 Kritischer fassten die Teilnehmer-/innen die vielfach vertretene These auf, die Einführung einer audiovisuellen Dokumen­ tation verbessere die Konzentrationsfähigkeit der Verfahrensbeteiligten und 90  Vgl. 91  Vgl. 92  Vgl. 93  Vgl. 94  Vgl. 95  Vgl.

S.  432 f. S. 433. S. 441. S.  433 ff. S.  438 f. S.  439 f.



§ 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung?393

entlaste diese hierdurch teilweise von der Anfertigung eigener Mitschriften. Obwohl die relative Mehrheit der Teilnehmer/-innen dieser These eher ab­ lehnend gegenüberstand, ergab sich auch hier insgesamt eine unentschiedene Haltung der Teilnehmer/-innen.96 Hinsichtlich der möglichen Gewinn­ schöpfung der Videodokumentation zeigte sich aus Sicht der Praktiker/-innen daher ein unentschlossenes Ergebnis. Infolgedessen sollte der mögliche Nut­ zen der Videodokumentation der Hauptverhandlung auch im Rahmen künfti­ ger Gesetzesreformen mit Vorsicht betrachtet werden. Eine unentschlossene Haltung zeigten die Teilnehmer/-innen ferner in Bezug auf die Auswirkungen der Einführung einer audiovisuellen Dokumentation auf die bisherige Aufga­ benverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz.97 Die Teilnehmer/-innen hatten im Rahmen der Online-Befragung zudem die Möglichkeit, Lösungen zur Vereinbarkeit einer audiovisuellen Dokumenta­ tion der Hauptverhandlung mit der bisherigen Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz vorzuschlagen.98 Sofern diesbezüglich Anregungen ergingen, wurde insbesondere empfohlen, die Heranziehung der Bild-Ton-Aufzeichnung für die revisionsgerichtliche Prüfung zu verbieten (vgl. Anhang II, Tabelle 1, A-1, A-6, A-8, A-10, A-11, A-14, A-15, A-16, A-19, A-21, A-22, A-24; Tabelle 3, A-6; Tabelle 4, A-1, A-4) oder einzu­ schränken (vgl. Anhang II, Tabelle 1, A-3, A-7, A-9, A-12, A-17, A-18, A-23; Tabelle 4, A-2, A-6). Darüber hinaus wurden jedoch auch erhebliche Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung mit der bisherigen Aufgabenverteilung zwischen Tatsa­ chen- und Revisionsinstanz geäußert (Anhang II, Tabelle 2). Schließlich be­ kundeten zahlreiche Teilnehmer/-innen ihre ablehnende Haltung gegenüber der audiovisuellen Dokumentation auch an dieser Stelle und betonten, dass eine audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung nicht mit der bishe­ rigen Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz zu ver­ einbaren sei (Anhang II, Tabelle 3). Hinzuweisen ist in diesem Zusammen­ hang auch auf kritische Äußerungen allgemeiner Natur, zum einen bezogen auf die generelle Sinnhaftigkeit einer audiovisuellen Dokumentation, zum anderen bezogen auf das derzeitige Revisionssystem (vgl. Anhang II, Ta­ belle 4). Die Teilnehmer/-innen hatten zum Schluss der Befragung auch die Gele­ genheit, generelle Anmerkungen und/oder Hinweise zur Thematik zu geben. Ein paar (wenige) Teilnehmer/-innen nutzten diese Möglichkeit, um die Vor­ 96  Vgl.

S.  437 f. S.  442 f. 98  Dies galt vor allem für solche Teilnehmer/-innen, die eine Veränderung der bisherigen Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz durch eine Videodokumentation befürchteten. 97  Vgl.

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

teile einer audiovisuellen Dokumentation zu spezifizieren: Insofern wurde vor allem auf die Vermeidung der Fehleranfälligkeit des bisherigen Proto­ kolls durch eine bessere Dokumentation (vgl. Anhang II, Tabelle 5, A-1, A-3, A-6) sowie die mit einer Videodokumentation einhergehende Disziplinie­ rungswirkung der Verfahrensbeteiligten (vgl. Anhang II, Tabelle 5, A-5, A-7, A-8, A-9) abgestellt. Der Großteil der Teilnehmer/-innen, die sich an dieser Stelle nochmals geäußert hatten, bekundeten jedoch zahlreiche Bedenken im Zusammenhang mit einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhand­ lung: Neben technischen Umsetzungsschwierigkeiten (vgl. Anhang II, Tabelle 6, A-6, A-27, A-28, A-37, A-38), dem hohen Zeitaufwand im Zusammenhang mit der Sichtung einer Videoaufzeichnung (vgl. Anhang II, Tabelle 6, A-11, A-16, A-19, A-23, A-28, A-30, A-31, A-33, A-39; Tabelle 7, A-3); der Gefahr eines Missbrauchs durch Verbreitung bzw. Veröffentlichung der Aufzeich­ nung (vgl. Anhang II, Tabelle 6, A-35, A-36, A-41, A-43) und Veränderungen der bisherigen Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz (vgl. Anhang II, Tabelle 6, A-2, A-5, A-19), wurden insbesondere (negative) Verhaltensveränderungen der Verfahrensbeteiligten, bedingt durch die Video­ aufzeichnung selbst, befürchtet (vgl. Anhang II, Tabelle 4, A-5; Tabelle 6, A-1, A-3, A-7, A-8, A-9, A-14, A-15; A-18; A-21; A-25, A-42; Tabelle 7, A-14). Zum Teil wurden gegen die Videodokumentation der Hauptverhand­ lung daher große Vorbehalte geäußert. Fasst man die Anmerkungen und Hinweise der Teilnehmer/-innen zusammen, zeigt sich ferner, dass mehrheit­ lich Bedenken und Risiken im Zusammenhang mit der Videodokumentation benannt wurden. Insofern war es den Teilnehmer/-innen ersichtlich ein Anlie­ gen, die mit der Videodokumentation verbundenen Gefahren (teilweise auch mit Praxisbeispielen) zu konkretisieren, sodass diese seitens des Gesetzgebers ernst genommen werden sollten. Aufgrund der mit der Videoaufzeichnung verbundenen Risiken wurde von einigen Teilnehmer/-innen daher insbeson­ dere die Tonbandaufzeichnung als mildere Maßnahme (in Bezug auf die Eingriffsintensität und Wahrnehmbarkeit im Sitzungssaal) in Betracht gezo­ gen (vgl. Anhang II, Tabelle 6, A-3; A-4, A-8, A-13, A-14, A-40; Tabelle 7, A-7, A-9, A-12, A-13). Dieser Ansatz wird später nochmals aufgegriffen.99

B. Chancen und Risiken einer Videodokumentation Im Folgenden Abschnitt soll in einem Überblick auf die Chancen und Ri­ siken einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung eingegan­ gen werden. Hierbei sollen auch die in der Online-Befragung erzielten Er­ gebnisse verwertet werden. 99  Vgl.

S.  404 ff.



§ 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung?395

I. Chancen Die deutsche Strafprozessordnung gehört hinsichtlich der Dokumentation des Strafprozesses derzeit zu den „Schlusslichtern unter den EU-Staaten“.100 Insofern würde sich eine Regelung zur audiovisuellen Aufzeichnung der Hauptverhandlung zumindest in den geltenden Rechtsrahmen der Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten einfügen.101 Die Vorteile einer Videodokumentation (auch) für die deutsche Hauptverhandlung liegen hierbei auf der Hand: Durch eine audiovisuelle Aufzeichnung wäre das Verhandlungsgeschehen, insbe­ sondere der Inhalt der gerichtlichen Beweisaufnahme vollständiger und zu­ verlässiger als bisher dokumentiert (vgl. auch Anhang II, Tabelle 5, A-1, A-3, A-6).102 Mit ihr geht nämlich nicht nur eine qualitative (i. S. einer möglichen „Vertiefung und Fokussierung der Interpretation der Vernehmungsinhalte“103), sondern auch eine quantitative (i. S. einer möglichen Wiederholbarkeit und Transparenz der Beweisermittlung“104) Verbesserung der Dokumentation einher. Oder anders ausgedrückt: „Digitale Erfassung ‚sieht‘ mehr, ‚hört‘ besser, ermüdet nicht und braucht keine Verschnaufpausen“.105 Dies schafft nicht nur Transparenz und Rechtssicherheit; mit der Erweiterung der mensch­ lichen Erkenntnisfähigkeit könnten vielmehr auch Fehlurteile106 sowie zahl­ reiche Unklarheiten und Streitigkeiten zwischen den Verfahrensbeteiligten über den Inhalt und Ablauf der Hauptverhandlung reduziert werden.107 Glei­ Corona und Strafprozeß, beck-blog (10.05.2020). zur Dokumentation der Hauptverhandlung im europäischen Ver­ gleich von Galen, StraFo 2019, 309 ff.; BMJV, Bericht der Expertinnen- und Exper­ tengruppe (2021), S. 4, 159 ff.; vgl. zur audiovisuellen Protokollierung ausländischer Verfahrensordnungen auch Lüske, S.  61 ff. 102  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 129; BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 30; Krauß, Videodokumentation der Hauptverhandlung, S. 547 (557). 103  Näher Gerson, KriPoZ 2017, 376 (380), der im Falle einer Videodokumenta­ tion zwar nicht von einer „hautnah[en], aber doch von einer „atmosphärisch“ dichten Rekonstruktion der „Lebenssituation Vernehmung“ ausgeht, die neben der inhaltli­ chen Komponente auch weitere Detailinformationen enthält, z. B. zur Tonlage, Laut­ stärke, Körperhaltung, Mimik und Gestik sowie auch zur Raumgröße und den ggf. vorgelegten Beweismitteln; vgl. zu den Gefahren für die Wahrheitsermittlung durch eine Überinterpretation von Stimmparametern und non-verbalem Verhalten ders., ­KriPoZ 2017, 376 (382 f.). 104  Gerson, KriPoZ 2017, 376 (380 f.). 105  Gerson, KriPoZ 2017, 376 (381). 106  Vgl. hierzu auch Lüske, S.  257 f. 107  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S.  131; Bockemühl, ­KriPoZ 2019, 375 (378); BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 19; von Galen, ZRP 2016, 42 (44); dies., StraFo 2019, 309 (318); Nack/Park/Brauneisen, NStZ 2011, 310 (314); ferner König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (533), der darauf ab­ 100  Meißner,

101  Eingehend

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

ches gilt für Streitigkeiten und Unsicherheiten im Hinblick auf den konkreten Vernehmungsinhalt zwischen den Mitgliedern eines Spruchkörpers im Rah­ men der Urteilsberatung.108 Diese Annahmen werden auch durch die Ergeb­ nisse der Online-Befragung bestätigt.109 Soweit die Aufzeichnung zur Ver­ meidung von Streitigkeiten und Unklarheiten beiträgt, kann sie zudem auch dem Beschleunigungsgrundsatz zur Geltung verhelfen, der „Ausdruck einer allgemeinen Fürsorgepflicht der Strafjustiz gegenüber der von ihr Betrof­ fenen“110 ist. Durch einen Rückgriff auf eine Videoaufzeichnung könnte weiterhin das Protokollberichtigungsverfahren vereinfacht werden.111 Be­ weiserleichterungen würden sich zudem bei Aussagedelikten und der Prüfung stellt, dass bei Unsicherheiten oder Meinungsverschiedenheiten über Ergebnisse der Beweisaufnahme bereits „innerhalb“ der Hauptverhandlung auf die Aufzeichnung zurückgegriffen werden könne; kritisch hierzu Bartel, StV 2018, 678 (680), die es „weder rechtlich möglich noch praktisch wünschenswert“ erachtet, die Hauptverhand­ lung mit einem „Zwischenstreit“ über das mögliche Verständnis und die Bewertung komplexer Zeugenaussagen zu belasten“; so auch Mosbacher, StV 2018, 182 (183): „Um einen Streit über den Inhalt der bisherigen Beweisaufnahme aus der Hauptver­ handlung fern zu halten und die Auswirkungen der Aufzeichnung auf den Verfah­ rensablauf zu beschränken, wird vorgeschlagen, die Aufzeichnung bis zum Abschluss der jeweiligen Hauptverhandlung […] als gerichtsinterne Aufzeichnung zu behandeln, hinsichtlich derer es keinen Anspruch auf Einsicht oder Überlassung für die Verfah­ rensbeteiligten oder andere gibt, während dem Gericht die Möglichkeit offen bleibt, hierauf zuzugreifen“. Jedenfalls sollte das aus der Aufzeichnung (mittels Transkrip­ tionssoftware) zu erstellende Wortprotokoll den professionellen Verfahrensbeteiligten bereits während der laufenden Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt werden, um die Vorteile der Aufzeichnung wirkungsvoll nutzen zu können (insbesondere: Klarheit der Verfahrensbeteiligten über den Inhalt der Beweisaufnahme, Schaffung einer zu­ verlässigen Arbeitsgrundlage für die Vorbereitung auf weitere Hauptverhandlungster­ mine sowie für die Schlussvorträge und Urteilsberatungen); vgl. Heuer, Teilaufzeich­ nung/Ermessen, S. 65 (S. 74, 76); ders., Schutz vor Verbreitung, S. 243 (249, 257 f.). 108  BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 130. 109  Die Teilnehmer/-innen der Befragung zeigten bezüglich der 5. These („Mit der Einführung einer audiovisuellen Dokumentation können Streitigkeiten über den Inhalt und Ablauf der Hauptverhandlung reduziert werden“) eine eher zustimmende Haltung (arithmetischer Mittelwert: 2,49). Vgl. hierzu S. 439. 110  KK-StPO/Fischer, Einl. Rn. 29; vgl. auch BGHSt 26, 1 (4). 111  Vgl. zu einem entsprechenden Vorschlag in Anlehnung an § 164 ZPO BRAKStellungnahme Nr. 1/2010, S. 10: „Unrichtigkeiten des Protokolls können nach Anhö­ rung der Beteiligten berichtigt werden. Der Nachweis der Unrichtigkeit kann auch durch die Bild-Ton-Aufzeichnung geführt werden. Die Berichtigung ist mit Gründen zu versehen und wird auf dem Protokoll vermerkt. Der Vermerk ist zu unterschreiben; § 271 gilt entsprechend“; vgl. hierzu auch König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (533); Nack/Park/Brauneisen, NStZ 2011, 310 (313); ferner Norouzi, Vom Rekonstruktionsverbot zum Dokumentationsgebot, S. 215 (221); Grundlage für ein Protokollberichtigungsverfahren kann freilich auch eine Tonaufzeichnung sein; vgl. Bartel, StV 2018, 678 (680); Mosbacher, StV 2018, 182 (185); Wehowsky, NStZ 2018, 177 (178).



§ 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung?397

einer Aussagekonstanz ergeben (vgl. auch Anhang II, Tabelle 5, A-3, S. 366).112 Die Videodokumentation ermöglicht insofern nicht nur eine „fun­ dierte Wahrheitsfindung“113, sondern auch eine Stärkung der Rechtskontrolle im Strafprozess (vgl. auch Anhang II, Tabelle 5, A-9: „höhere Richtigkeits­ gewähr der Entscheidungen“).114 Darüber hinaus erscheint – vorbehaltlich gesetzlicher Änderungen – auch eine Nutzung der Videoaufnahme zum Zwecke der Erweiterung des Rechts der Ergänzungsrichter (vgl. Art. 192 Abs. 2 GVG) nicht ausgeschlossen.115 Aufgrund der Ergebnisse der Online-Befragung muss jedoch bezweifelt werden, ob mit einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung tatsächlich auch eine spürbare Entlastung der Richter/-innen (oder auch der anderen Verfahrensbeteiligten) von der Anfertigung eigener Mitschriften ein­ hergehen würde. Gleiches gilt für die erhoffte Erhöhung der Wahrnehmungsund Konzentrationsfähigkeit des Gerichts im Hinblick auf das Vernehmungs­ geschehen.116 Diesbezüglich zeigten die Teilnehmer/-innen der Umfrage vielmehr eine unentschiedene Haltung (mit leichter Tendenz zur Ablehnung 112  Vgl. Nack/Park/Brauneisen, NStZ 2011, 310 (314); Leitner, S.  137 f.; Norouzi, Vom Rekonstruktionsverbot zum Dokumentationsgebot, S. 215 (221). 113  Malek, StV 2011, 559 (564); ähnlich Norouzi, Vom Rekonstruktionsverbot zum Dokumentationsgebot, S. 215 (222): Die Verfahrensniederschrift stehe mit einer Vide­ odokumentation auf einer „transparenten und stabilen Grundlage“. 114  Vgl. Mosbacher, StV 2018, 182; vgl. zur Kontroll- und Disziplinierungsfunk­ tion der Revision Knauer, NStZ 2016, 1 (9 ff.). 115  Auf dem 2. Strafkammertag im September 2017 in Würzburg kam der Ge­ danke auf, die audiovisuelle Aufzeichnung auch im Falle eines Richterwechsels nutz­ bar zu machen und die Regelung des § 226 Abs. 1 StPO entsprechend zu modifizie­ ren; vgl. Feldmann, HRRS 2018, 395 ff.; Sabel, Technische Aufzeichnung, S. 151 (160 f.); Wehowsky, StV 2018, 685 (689 ff.); ders., Welche Art von Rechtsmittelsys­ tem wollen wir?, S. 33 (37 ff.); ferner BT-Drucks. 19/13515 (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen), S. 2. Der neu eintretende Richter („Austauschrichter“) könnte sich im Ver­ hinderungsfall eines Richters (z. B. Tod, Dienstunfähigkeit, Ruhestand, Mutterschutz mit anschließender Elternzeit) hierdurch – entgegen § 226 Abs. 1 StPO, der seine ununterbrochene Gegenwart in der Hauptverhandlung fordert – auch nach Verhand­ lungsbeginn mithilfe der Aufzeichnung in den Fall einarbeiten. Vor dem Hintergrund personeller Engpässe, der Gefahr des „Platzens“ von (u. U. langwierigen) Prozessen und der strengen Regelungen der §§ 226 ff. StPO besteht jedenfalls ein nicht unerheb­ liches praktisches Bedürfnis für die Möglichkeit eines flexiblen Richterwechsels, so­ dass der Gedanke einer eingehenden Prüfung – auch in Bezug auf seine praktische Umsetzbarkeit – unterzogen werden sollte; kritisch zur Idee mit Blick auf den Grund­ satz freier Beweiswürdigung Bartel, StV 2018, 678 (684 f.); Lüske, S. 262 ff.; im Er­ gebnis ablehnend auch BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 15, 19, 124 ff. 116  In Bezug auf Richterinnen/Richter BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 130; BT-Drucks. 19/11090, S. 2 (Fraktion der FDP); BT-Drucks. 19/13515, S. 3 (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen); von Galen, StraFo 2019, 309 (318); Leitner, Videotechnik im Strafverfahren, S. 136; bezugnehmend auf alle Verfahrensbeteiligten

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

der einschlägigen These).117 Augenscheinlich werden die eigenen Mitschrif­ ten daher als wesentliche Arbeitshilfe betrachtet; ein Verzicht hierauf er­ scheint eher praxisfern.

II. Risiken 1. Praktische Eignung Das Bedürfnis nach einer vollständigen Dokumentation der Ergebnisse der Hauptverhandlung stellt sich vor allem in Verfahren mit einer umfangreichen Beweisaufnahme sowie bei komplexen Verfahrensvorgängen (z. B. Verfahren bei Verständigungen118 und Ausführungen von Sachverständigen119)120, sodass die vielfach vorgeschlagene Beschränkung der Einführung einer tech­ nischen Dokumentation der Hauptverhandlung auf erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten, also in Verfahren mit nur einer Tatsacheninstanz, sinnvoll erscheint.121 Es kann jedoch nicht von der Hand gewiesen werden, dass sich die audiovisuelle Aufzeichnung in diesen Fällen als „zweischneidiges Schwert“ erweisen kann, sofern mit ihr ein zeit­ intensives und übermäßiges „Anschwellen der Urteilsgründe“ einhergehen sollte (vgl. zur Zeitproblematik auch Anhang II, Tabelle 6, A-11, A-16, A-19, A-23, A-28, A-30, A-31, A-33, A-39; Tabelle 7, A-3).122 Indes erscheint der mit einer technischen Aufzeichnung der Hauptverhandlung generell verbun­ dene Kosten-, Zeit- und (zusätzliche) Personalaufwand aufgrund der hier­ durch ermöglichten Verbesserung der Wahrheitsfindung im Strafprozess und der hiermit verbundenen positiven Folgewirkungen gerechtfertigt.123 Die Bartel, StV 2018, 678 (679 f.); Bockemühl, KriPoZ 2019, 375 (378); KriK, Bild-TonAufzeichnung der Hauptverhandlung, S. 2. 117  Vgl. S. 438. 118  Vgl. zum defizitären Vollzug des Verständigungsgesetzes nur BVerfGE 133, 168 (233 ff.); Bockemühl, FS Heintschel-Heinegg (2015), S. 51 (59 ff.). 119  Vgl. Anhang II, Tabelle 5, A-2. 120  BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 129; vgl. auch BT-Drucks. 19/11090, S. 6 (Fraktion der FDP). 121  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 131; BRAK-Stellung­ nahme-Nr. 1/2010, S. 10; BT-Drucks. 19/11090, S. 5 (Fraktion der FDP); BT-Drucks. 19/12515, S. 2 (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen); für eine Ausweitung auf sämtliche Strafverfahren Bockemühl, KriPoZ 2019, 375 (378 f.). 122  Bartel, StV 2018, 678 (680); KriK, Bild-Ton-Aufzeichnung der Hauptverhand­ lung, S. 3. 123  Vgl. Bartel, StV 2018, 678 (680). In Bezug auf etwaige praktische und finan­ zielle Bedenken im Zusammenhang mit einer Videodokumentation äußerte sich auch Schünemann in StraFo 2016, 45 (52) recht scharf: „Dazu ist zu bemerken, dass die ‚aus praktischen und finanziellen Anforderungen hergeleiteten Bedenken […] in ei­



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hiermit gewonnene Transparenz und Rechtssicherheit wäre insbesondere vor dem Hintergrund der Grundrechtsrelevanz des aus dem Inbegriff einer Hauptverhandlung gefundenen Ergebnisses ein Gewinn für den Strafprozess. Dies gilt grundsätzlich auch für den Zeitfaktor, da mit einer technischen Do­ kumentation – ihren effizienten Umgang vorausgesetzt – aufgrund ihres ho­ hen Beweiswerts eine erhebliche Zeitersparnis erzielt werden kann. Voraus­ setzung für die Einführung einer Videodokumentation ist daher die Schaffung entsprechender Regelungen für den Umgang mit der Aufzeichnung, insbe­ sondere betreffend ihre Verwendbarkeit im Revisionsverfahren.124 2. Beeinflussung des Aussageverhaltens Darüber hinaus wurden von zahlreichen Teilnehmer/-innen der OnlineBefragung auch Verhaltensveränderungen im Zusammenhang mit der Video­ dokumentation befürchtet (vgl. Anhang II, Tabelle 4, A-5; Tabelle 6, A-1, A-3, A-7, A-8, A-9, A-14, A-15, A-18, A-21, A-25, A-42; Tabelle 7, A-14). Es spricht jedoch viel dafür, dass die Aussagepersonen im Zeitalter der ­modernen Technologie durch eine Videokamera im Regelfall125 nicht mehr irritiert oder gehemmt wird bzw. eine Videokamera zumindest nach kurzer Vernehmungszeit (Eingewöhnungsphase) nicht mehr aktiv wahrnimmt oder vorhandene Hemmungen überwindet.126 Dies gilt erst recht für die (in größe­ nem Land, in dem Videoaufzeichnungs- und Wiedergabegeräte zur selbstverständli­ chen Ausrüstung schon jedes Teenagers gehören, nicht ernst genommen werden kön­ nen und schlimmstenfalls zeigen, wie wenig dem politischen Establishment, das den Einsatz von Finanzmitteln für alle möglichen Zwecke stets nur in Milliarden zu di­ mensionieren pflegt, die Herstellung optimaler Randbedingungen für die Verwirk­ lichung der Strafgerechtigkeit wirklich wert ist“. 124  Vgl. S.  412 ff. 125  Im Ausnahmefall kann der Einsatz der Videotechnik die Aussagefähigkeit oder -bereitschaft des Zeugen ersichtlich hemmen (so z. B. bei Opfern pornographi­ scher Filmaufnahmen). Hier kann sich vor allem für kindliche und jugendliche Zeu­ gen eine besondere Belastung ergeben; vgl. hierzu folgenden Interviewauszug mit einer Göttinger Staatsanwältin bei Schmoll, S. 152: „Die Videographierung der Aus­ sage kann vom Opfer auch als besondere Bedrohung angesehen werden. Dies sind die Fälle, in denen der sexuelle Missbrauch videografisch aufgenommen wurde. Von ei­ ner Videodokumentation ist in diesen Fällen abzusehen und auf Tonband bzw. gege­ benenfalls sogar auf die klassische Vernehmung zurückzugreifen“. 126  Derartige Befürchtungen haben sich jedenfalls bislang nicht bewahrheiten ­können, vgl. Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S. 449 (470 f.) m. w. N.; Altenhain, ZIS 2015, 269 (276); Ammann, Kriminalistik 2011, 570 (576); Artkämper/Floren/Schilling, Rn. 2120; Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik, S. 195 (218); Lüske, S.  166 ff.; Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 217 (247); H. Vogel, S. 259; Wehowsky, StV 2018, 685 (686); von dieser Prämisse ging auch das BMJV in seinem RefE GzeupAdS vom 27.05.2016 aus, S. 25: „Nach den bisherigen Erfahrungen in der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass entsprechende

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

ren Verhandlungssälen ohnehin bereits regelmäßig vorhandenen) Mikrofone, die mit einem Aufnahmegerät verbunden sind.127 Gegenteiligen Verhaltens­ weisen kann jedenfalls mit einer Tonaufzeichnung besser begegnet werden als mit einer Videoaufzeichnung.128 Die Befürchtung, der Einsatz der audio­ visuellen Technik führe zu einem überzogenen und selbstdarstellerischen Verhalten der Aussageperson, konnte sich bislang ebenfalls nicht zweifelsfrei bestätigen.129 Entgegenstehenden Annahmen ist entgegenzuhalten, dass sich die – durch eine Video- oder Audioaufnahme hervorgerufene – äußerlich er­ kennbare und spürbare „Formalität“ einer Vernehmung regelmäßig nicht i. S. einer Hemmnis oder erhöhten Selbstdarstellung, sondern positiv auf den Wahrheitsgehalt der Aussage auswirken dürfte (vgl. auch Anhang II, Tabelle 5, A-7).130 In Ausnahmefällen dürfte jedoch auch hier die „unauffällige“ Tonaufzeichnung weniger „Problempotential“ bieten als eine Video­kamera. Aufzeichnungen heute nahezu unauffällig möglich sind und zumeist nach kurzer Zeit von den Betroffenen gar nicht mehr bemerkt werden“; vgl. auch den Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zeitgemäße Neufassung des § 169 GVG“, S. 23; ferner BGHSt 19, 193 (195): „Für den modernen Menschen ist die Begegnung mit technischen Gerätschaften etwas Vertrautes und Gewohntes geworden“; OLG Bremen NStZ 2007, 481 (483): „Tonaufzeichnungen sind heute, wie die weite Verbreitung von Tonband-, Kassetten- und Diktiergeräten zeigt, allgemein geläufig, so dass das Sprechen bei laufendem Aufnahmegerät keine Befangenheit auslösen wird. Für den modernen Menschen ist die Begegnung mit technischen Gerätschaften etwas Vertrau­ tes und Gewohntes geworden“; vgl. schließlich auch König, Transparenz der Haupt­ verhandlung, S. 515 (535), der anmerkt, dass für den Zeugen die gesamte Gerichtsku­ lisse und die Anwesenheit von Publikum gewichtigere Einschüchterungseffekte be­ wirken können als „das anonyme technische Aufzeichnungsgerät“; ähnlich Kudlich, Audiovisuelle Dokumentation, S. 163 (169 Fn. 21); vgl. zu den (damaligen) Bedenken in Bezug auf das Aussageverhalten kindlicher Zeugen Arntzen, ZRP 1995, 241; Diemer, NJW 1999, 1667 (1671); generell auf die (Un-)Befangenheit von Zeugen abstel­ lend auch Sieß, NJW 1982, 1625 (1628); ferner Krauß, Videodokumentation der Hauptverhandlung, S. 547 (560 f.); Wasserburg, FS Richter II, S. 547 (551). 127  Vgl. Mosbacher, ZRP 2019, 158 (159). 128  Ähnlich Mosbacher, ZRP 2019, 158 (159). 129  Vgl. Leitner, S. 131; Michel, S. 118; Sullivan, American Criminal Law Review 45 (2008), 1297 (1322); kritisch in Bezug auf die Authentizität des Verhaltens Knispel, 39. Strafverteidigertag, S. 56 f.; vgl. auch v. Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276, die zu bedenken gibt, dass „die Existenz von Kamera und Mikrofon bei jüngeren Kindern auch das Bedürfnis nach Selbstdarstellung fördern und einer objektiven Be­ richterstattung abträglich sein kann“. 130  Vgl. Albrecht, Audio-visuelle Techniken im Strafverfahren, S.  449 (459) m. w. N.; Leitner, S. 131; Michel, S. 119; ferner Thiele, Dokumentation des Ermitt­ lungsverfahrens, S. 261 (271), der jedenfalls „keine erhebliche Verschlechterung des Wahrheits- oder Richtigkeitsgehaltes der Aussage [durch eine Videoaufzeichnung] gerade im Vergleich zu anderen Aussagesituationen“ erwartet; vielmehr sei zu beden­ ken, „dass eine aussagenpsychologische relevante Beeinflussung […] jeder Doku­ mentationstechnik inne liegt“.



§ 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung?401

Aufgrund ihrer geringeren Eingriffsintensität und Wahrnehmbarkeit wird die Tonaufzeichnung auch unter den Teilnehmer/-innen der Umfrage als zusätz­ liche Dokumentationsform gegenüber der Videoaufzeichnung präferiert (vgl. Anhang II, Tabelle 6, A-3, A-4, A-8, A-13, A-14, A-40; Tabelle 7, A-7, A-9, A-12, A-13; Anhang I, Abbildung 1). Im Übrigen kann möglichen Auswir­ kungen auf das Aussageverhalten auch durch Aufklärungsmaßnahmen und einen rücksichtsvollen Umgang131 im Rahmen der Befragungstechnik entge­ gengetreten werden. Der technischen Dokumentation sollte zudem ein Siche­ rungskonzept zugrunde liegen, das geeignet ist, das Risiko einer rechtswidri­ gen Veröffentlichung zu minimieren.132 Hiermit sollte auch eine Ausweitung des strafrechtlichen Schutzes im Falle der unbefugten Verwendung der Auf­ zeichnung, insbesondere ihrer Verbreitung, einhergehen.133 Letztlich sollte

131  Ähnlich Michel, S. 119: „einfühlsame[] Befragungstechnik“; Nack/ASJ, Ent­ wurf Videographie-Gesetz, S. 307 (317): „einfühlsame Vernehmungstechnik“. 132  BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 26; Heuer, Schutz vor Verbreitung, S. 243 (248 ff.). 133  Vgl. Momsen/Benedict, KriPoZ 2021, 251 ff.: Die Verfasser weisen zu Recht darauf hin, dass tatbestandliche Ergänzungen im Rahmen der §§ 203, 204, 353b, 353d StGB, § 42 BDSG, § 33 i. V. m. §§ 22, 23, 24 KUG erforderlich sind, um jeglichen Missbrauch ausschließen zu können; hierzu auch BMJV, Bericht der Expertin­ nen- und Expertengruppe (2021), S. 111, 114 ff.; Heuer, Schutz vor Verbreitung, S. 243 (251 ff.). Diese Thematik hat neuerdings mit der Veröffentlichung von Aus­ schnitten der (polizeilichen) Vernehmung des mutmaßlichen Mörders des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf der Online-Plattform Youtube an Brisanz gewonnen; vgl. Redaktion beck-aktuell (29.07.2020); hierzu auch Heuer, Schutz vor Verbreitung, S. 243 (256 f.); von Massow, Verfügbarkeit und Verwendung der Auf­ zeichnung, S. 77 (93 f.); zur Missbrauchsgefahr ferner Krauß, Grundlegende Ände­ rung des Revisionsrechts, S. 27 (28): „Schließlich darf die Missbrauchsgefahr nicht außer Acht gelassen werden, die gerade in öffentlichkeitswirksamen Prozessen mit erheblichem Medieninteresse nicht von der Hand zu weisen ist. Nach meinen Erfah­ rungen in Staatsschutzsachen ist dies keineswegs eine Seltenheit, dass Akteninhalte an die Öffentlichkeit gelangen. Versuche, die Verursacher zu ermitteln, schlagen re­ gelmäßig fehl. Warum dies bei massenhaften Videodokumentationen anders sein sollte, vermag ich nicht zu erkennen“; Paul, Alles andere als ein unspektakuläres Thema, S. 23 (25): Im Zuge der Einführung einer Videodokumentation „[dürfte] auch mit einer proportionalen Zunahme der Problemfälle im Hinblick auf Persönlichkeits­ rechte und Missbrauchsgefahren zu rechnen sein“; Rebehn, DRiZ 2020, 42 (43): „Aus einer Vielzahl von Gerichtsverfahren vor allem gegen Prominente ist bekannt, dass Bestandteile der Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit gelangt sind. […] Es wäre realitätsfern anzunehmen, dass nicht auch Tonträger oder Videos den Weg ins Internet oder in die Medien finden könnten. Wenn besonders schutzwürdige Opfer in Vergewaltigungsverfahren oder Zeugen in Anti-Terror-Prozessen aber an das Licht einer breiten Öffentlichkeit gezerrt würden, wäre das verheerend“; vgl. hierzu auch Rebmann, Aussagebereitschaft von Angeklagten und Zeugen, S. 103 (162 ff.); An­ hang II, Tabelle 6, A-35, A-36, A-41, A-43.

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

angestrebt werden, Zeugen eine „angstfreie Aussage und damit auch die vollständige und unverfälschte Wiedergabe des Erlebten“ zu ermöglichen.134 3. Allgemeines Persönlichkeitsrecht Die audiovisuelle Aufzeichnung einer Vernehmung greift in das Allge­ meine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ein und bedarf daher einer Rechtfertigung. Erforderlich ist eine hinreichende, insbesondere verhältnismäßige gesetzliche Ermächtigungsgrund­ lage.135 Mit der Videodokumentation wird ein legitimer Zweck in Gestalt einer verbesserten Wahrheitsfindung und Rechtskontrolle verfolgt. Da die meisten Fälle in rechtspraktischer Hinsicht allein über den Zeugenbeweis gelöst wer­ den136, erlangt die vollständige und zuverlässige Dokumentation der Zeu­ genaussage hier eine besondere Bedeutung. Dies gilt auch für das Interesse des Angeklagten vor der unverfälschten Dokumentation seiner Einlassung, sofern er sich zur Anklage äußert (vgl. § 243 Abs. 5 S. 1 StPO).137 Mit Blick auf ihren „hohen Beweiswert“138 trägt die Videoaufzeichnung in diesen Fäl­ len unmittelbar zur Wahrheitsfindung im Strafprozess bei. Die Erforschung der materiellen Wahrheit ist wiederum untrennbar mit dem materiellen Schuldprinzip (nulla poena sine culpa) verbunden139 und steht damit in en­ gem Zusammenhang mit der Menschenwürde des Angeklagten.140 An der Geeignetheit der Maßnahme bestehen insgesamt keine Zweifel.141 Der mit der Gesetzesgrundlage verbundene staatliche Eingriff darf jedoch nicht weitergehen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen im konkreten Einzelfall unerlässlich ist.142 Fraglich ist daher, ob nicht weitere, gleich ge­ 134  Vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 2; BR-Drucks. 57/21, S. 60; zur möglichen Be­ einflussung der Aussageperson aus Angst vor einer missbräuchlichen Veröffentlichung ihrer Videovernehmung Rebmann, Aussagebereitschaft von Angeklagten und Zeugen, S. 103 (152 ff., 161). 135  Eine taugliche Ermächtigungsgrundlage kann hierbei nicht aus den bisherigen Vorschriften der StPO entnommen werden, vgl. Lüske, S.  175 ff. 136  Vgl. BVerfG NJW 1975, 103 (104): „Die Möglichkeiten justizförmiger Sach­ aufklärung beruhen im wesentlichen auf dem Zeugenbeweis“; Lange, S. 83; Leitmeier, JR 2013, 64 (65); Peters, S. 207; Undeutsch, FG Peters (1984), S. 461. 137  Ähnlich König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (538). 138  BT-Drucks. 13/7165, S. 5, 7. 139  Vgl. BVerfGE 57, 250 (275); BVerfG NStZ 1987, 419; Stoffer, S. 40. 140  Vgl. BGHSt 2, 194 (200). 141  Vgl. auch Lüske, S.  178 f. 142  BVerfGE 65, 1 (44); 67, 100 (143); 84, 239 (279 f.); 85, 219 (224); BVerfG NJW 2001, 2320 (2321).



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eignete und mildere Mittel zur Verfügung stehen. Zur Beseitigung der Defi­ zite des status quo kommen insbesondere das Wortprotokoll, die Tonaufzeichnung oder die Bild- und Tonaufzeichnung in Betracht. Ausgehend von den mit der Dokumentation verfolgten Zwecken vermag das Wortprotokoll das angesprochene rechtsstaatliche Defizit grundsätzlich zuverlässig zu beseiti­ gen. Es stellt gegenüber der Ton- und der Bild- und Tonaufzeichnung zudem einen erheblich geringeren Eingriff in die Rechte der Betroffenen dar. Schließlich erhielt das Wortprotokoll (unter Beibehaltung des traditionellen schriftlichen Hauptverhandlungsprotokolls) auch unter den Teilnehmer/innen der Online-Befragung im Verhältnis der drei Dokumentationsformen zuein­ ander die relative Mehrheit an Stimmen (39 ≙ 41 %) und erfreut sich daher einer gewissen Beliebtheit.143 Das Problem des Wortprotokolls ist insofern zwar nicht theoretischer144, jedoch praktischer Natur: Die Erstellung eines Inhaltsprotokolls entsprechend § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO145 bietet sich für die Vernehmung in der Hauptverhandlung, bei der oftmals eine Vielzahl von Zeugen zu veranlassen ist, im Zusammenhang (ohne Unterbrechungen) über einen meist längeren Geschehensablauf zu berichten (vgl. § 69 Abs. 1 S. 1 StPO), nur bedingt an. Auch birgt ein etwaiges anschließendes zusammenfas­ sendes Diktat (vgl. § 160a Abs. 2 ZPO) die Gefahr eines erheblichen Zeitauf­ wands mit Streitpotenzial.146 Eine solche Verfahrensweise wäre dem Be­ schleunigungsgrundsatz, der im Strafprozess besondere Bedeutung erlangt (vgl. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK), abträglich. Der Einsatz von (mehreren) Ste­ nografen in jeder Hauptverhandlung vor den Land- und den Oberlandesge­ richten147 würde insoweit zwar zu einer Zeitersparnis und Arbeitserleichte­ rung führen; er ist jedoch aufgrund des hiermit verbundenen finanziellen und personellen Aufwands148 derzeit nicht praktikabel (vgl. auch Anhang II, Ta­ belle 6, A-37).149 143  Vgl.

346 f. zu den Vorteilen Chaitidou, Aufzeichnung der Hauptverhandlung, S. 179 (190 ff.); Schmitt, NStZ 2019, 1 (7); ferner Nestler, FS Lüderssen (2002), S. 727 (737 f.); Traut/Nickolaus, StraFo 2020, 100 (104). 145  Zur Dokumentation der Zeugenaussage mittels Diktat Dölling/Momsen, Frei­ spruch 5/2014, S. 4 ff.; vgl. hierzu auch Lüske, S.  135 m. w. N. 146  Vgl. Meyer-Goßner, FS Fezer (2008), S. 135 (138 f.); Mosbacher, ZRP 2019, 158 f.; eingehend zu den Nachteilen dieser Vorgehensweise auch Lüske, S.  182 ff. 147  Nach den Angaben des Statistisches Bundesamtes fanden im Jahre 2019 ins­ gesamt 10.388 erstinstanzliche Hauptverhandlungen mit 45.696 Hauptverhandlungs­ tagen vor den 116 Landgerichten in Deutschland statt; vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.3, 2019, S. 74. 148  Selbst die Parlamentsstenografie beklagt in den letzten Jahren vermehrt perso­ nelle Nachwuchsprobleme, vgl. nur Ismar, Extraschichten im Parlament (21.05.2019): „Insgesamt wird es schwieriger, noch genug Nachwuchskräfte zu finden, in den digi­ talen Zeiten wird die Stenografie nicht mehr so stark gelernt und gelehrt. ‚Leider ist 144  Vgl.

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

Demgegenüber erweist sich eine Bild-Ton-Aufzeichnung als praxistaug­ licher. Zwar sind auch hier finanzielle und personelle Ressourcen für die erstmalige Anschaffung und Installation von Aufnahmegeräten – sofern diese angesichts des § 247a S. 4 StPO nicht bereits vorhanden sind – sowie für die Lagerung und Verwaltung der Aufzeichnungen erforderlich.150 Personelle Engpässe dürften hier aber nicht gleichermaßen zu verzeichnen sein. Zudem vermittelt die Bild-Ton-Aufzeichnung dem Betrachter einen Gesamteindruck des Hauptverhandlungsgeschehens, zuzüglich des nonverbalen Verhaltens der Aussageperson (z. B. Mimik, Gestik), der einer „persönlich erlebten“ Hauptverhandlung recht nahe kommt. Jedoch liegt hierin zugleich auch der intensivste Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des von der Auf­ zeichnung Betroffenen: Die Bild-Ton-Aufzeichnung greift nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern auch in das Recht am eigenen Bild sowie in das Recht am gesprochenen Wort des Betroffenen ein.151 Aufgrund dessen hat der Gesetzgeber letztlich auch i. R.d. § 169 Abs. 2 GVG (Aufzeichnungen zu wissenschaftlichen oder historischen Zwe­ cken) von einer Bild- und Tonaufzeichnung abgesehen.152 Entsprechende Erwägungen könnten daher auch hier angestellt werden: Die (zudem kosten­ günstigere153) Tonaufzeichnung stellt aufgrund ihrer geringeren Eingriffs­ intensität ein milderes Mittel i. S. d. Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar.154 es so, dass es immer schwieriger wird, Nachwuchs für unsere Stenografen auszubil­ den. In der Berufsausbildung wird die Stenografie leider kaum noch vermittelt‘ “, sagt die Präsidentin des Deutschen Stenografenbundes, Regina Hofmann“; kritisch in Be­ zug auf die stenografische Mitschrift auch König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 516, der diese Form der Dokumentation „weder zeitgemäß noch für eine nachhal­ tige Effektivierung der Sachverhaltserforschung in der Hauptverhandlung“ als ausrei­ chend erachtet; zu den erforderlichen personellen Ressourcen für die Erstellung eines „manuellen“ Wortprotokolls beim IStGH Chaitidou, Aufzeichnung der Hauptver­ handlung, S. 179 (189); allgemein zur beim IStGH eingesetzten Aufzeichnungstech­ nik und Transkription auch BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 156 ff. Das Erfordernis fachlicher und personalintensiver Voraussetzungen ist in diesem Fall aber insbesondere auf die Sprachenvielfalt in den Verfahren vor dem IStGH zurückzuführen. 149  Vgl. auch Mosbacher, ZRP 2019, 158 (159): „keinerlei realistische Chance auf Verwirklichung“; kritisch ferner Lüske, S. 181. 150  Vgl. BT-Drucks. 19/11090, S. 3. 151  Daneben ist – je nach Aussageinhalt – auch ein Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen möglich, vgl. Lüske, S.  186 ff. 152  Vgl. BT-Drucks. 18/12591, S. 5. 153  Vgl. BMJV, Bericht der Expertinnen -und Expertengruppe (2021), S. 155: Der Kostenaufwand betrage „zwischen rund 9.000 und 24.000 Euro pro Saal für eine reine Tonaufzeichnung und zwischen 18.500 und 29.000 Euro pro Saal für eine au­ diovisuelle Aufzeichnung, teilweise auch mit automatischer Transkription“. 154  Vgl. auch Ignor/Schlothauer, Begrenzung der Revisionsmöglichkeiten, S. 476 (477): „Um Probleme im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu vermei­



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Für die Zwecke der Hauptverhandlung (z. B. formfreier Vorhalt, Stellung von Anträgen), aber auch für die anschließende Urteilsberatung und -findung sowie für die Ausarbeitung von Rechtsmitteln ist ferner primär die verläss­ liche und vollständige – aber eben nicht unbedingt visuelle – Dokumentation der Vernehmungsinhalte von Bedeutung.155 Eine auditive Dokumentation (i. V. m. der Erstellung eines Wortprotokolls aus der Tonbandaufnahme) erscheint insofern nicht nur „minimalintensiv“, sondern auch „zuverlässig genug, um eine objektive Grundlage für das wei­ tere Verfahren zu schaffen“.156 Aufgrund ihrer geringeren Eingriffsintensität den (vgl. § 58a Abs. 2 StPO) könnten (zunächst) nur Tonaufzeichnungen vorgesehen werden“; ferner BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 16, 18, 27; Mosbacher, StV 2018, 182 (183); zur (zusätzlichen) Beeinträchtigung des Öffentlichkeitsgrundsatzes im Falle einer Bild-Ton-Aufzeichnung der Hauptverhand­ lung Heuer, Saalöffentlichkeit, S. 201 ff. 155  Für die Begrenzung der Tonaufzeichnung auf die Dokumentation mündlicher Aussageinhalte plädiert auch Mosbacher, ZRP 2019, 158: „Defizite gibt es alleine bei der Dokumentation mündlicher Aussageinhalte“; vgl. auch Swoboda, S. 438 f., die eine Bild-Ton-Aufzeichnung (allein) der Vernehmungen vorschlägt; so auch Franosch, Gedanken zu einer Protokollregelung, S. 30 (44 ff.); zur Notwendigkeit einer zuverlässigen Dokumentation betreffend die Aussageinhalte auch König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (530): „(Nicht nur) bei langen Hauptverhandlungen […] kommt es immer wieder zu Unsicherheiten und auch zu Kontroversen über die Ergebnisse durchgeführter Beweisaufnahmen, insbesondere von Zeugenvernehmun­ gen“; Bartel, StV 2018, 678 (680): „Es sind vielmehr gerade umfangreiche, komplexe und lange Zeugenaussagen etwa in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, in denen zwischen den Verfahrensbeteiligten Meinungsverschiedenheiten entstehen über den Kerngehalt der Aussage sowie über die Feststellung und Bewertung möglicher Abweichungen im Verhältnis zu früheren Angaben“; ferner Wehowsky, StV 2018, 685 (687), der zwar grundsätzlich für eine audiovisuelle Dokumentation der Hauptver­ handlung plädiert, insoweit aber auch nicht verlangt, „dass die professionellen Ver­ fahrensbeteiligten von der Kamera miterfasst werden“; „[d]eren Mimik und Gestik [sei] für die rechtliche Bewertung der Schuld- und Rechtsfolgenfrage ohne Bedeu­ tung, Fragen und Vorhalten seien bereits durch die Tonaufnahme ausreichend doku­ mentiert“. Einige Teilnehmer/-innen der Online-Befragung erachteten ebenfalls eine Beschränkung der audiovisuellen Dokumentation auf Vernehmungen als sinnvoll (vgl. Anhang II, Tabelle 1 A-4, Tabelle 7, A-5); a. A. BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 16, 24, 49; Heuer, Teilaufzeichnung/Ermessen, S. 65 (73). 156  Mosbacher, StV 2018, 182 (183). Er schlägt daher in StV 2018, 182 (184) folgende Neuregelung vor: „§ 273 Abs. 2a StPO n. F.: Der Vorsitzende kann anord­ nen, dass die Hauptverhandlung oder Teile davon auf Tonträger aufgezeichnet wer­ den. Die Hauptverhandlung ist aufzuzeichnen, wenn sie vor dem Schwurgericht (§ 74 Absatz 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes) stattfindet und der Aufzeichnung äußere Umstände nicht entgegenstehen. Die Entscheidung nach Satz 1 ist unanfecht­ bar. Absatz 2 Satz 3 und 4 gilt entsprechend; ein Anspruch auf Einsicht in die Auf­ zeichnung besteht erst nach Abschluss der jeweiligen Hauptverhandlung“; vgl. ferner Ignor/Schlothauer, Begrenzung der Revisionsmöglichkeiten, S. 476 (478): „§ 273 Abs. 2a StPO-neu: Findet die Hauptverhandlung vor einer Strafkammer beim Land­

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

und Wahrnehmbarkeit wurde die Tonaufzeichnung zum Teil auch unter den Teilnehmer/-innen der Befragung ausdrücklich als Alternative zur Videoauf­ zeichnung genannt (vgl. Anhang II, Tabelle 6, A-3, A-4, A-8, A-13, A-14, A-40; Tabelle 7, A-7, A-9, A-12, A-13). Sie erlangte auch im Gesamtver­ gleich eine höhere Zustimmung als die Videoaufzeichnung (vgl. Anhang I, Abbildung 1). Zwar vermittelt die Videoaufzeichnung ein wesentlich genau­ eres Bild der Vernehmung als die Tonaufzeichnung.157 Das (mittels einer Videoaufzeichnung offenbarte) nonverbale Verhalten der Beweisperson stellt jedoch ohnehin keinen ausreichenden Indikator für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage dar, da sich in forensischer Hinsicht bislang hauptsächlich der inhaltsorientierte Ansatz als taugliche Grundlage einer Glaubhaftigkeitsbegut­ achtung erwiesen hat (vgl. hierzu auch Anhang II, Tabelle 7, A-10).158 Schließlich unterscheidet sich die Situation in der öffentlichen Hauptver­ handlung auch von derjenigen im Ermittlungsverfahren (in dessen Rahmen eine Videodokumentation bereits vorgesehen ist, vgl. §§ 58a Abs. 1, 136 Abs. 4 StPO), da im Ermittlungsverfahren keine vergleichbare Kontrolle des Verfahrensablaufs durch die Allgemeinheit vorgesehen ist (vgl. § 169 GVG, § 338 Nr. 6 StPO).159 Hieraus ergibt sich ein gesteigertes Bedürfnis nach Kontrolle, insbesondere hinsichtlich der Frage „wie“ die Vernehmung – be­ zogen auf die äußeren Umstände – durchgeführt wurde. Zudem stellt sich das Bedürfnis für eine umfassende Beweissicherung bereits vielfach im Er­ mittlungsverfahren (vgl. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO). Gleiches gilt im Falle der Vernehmung besonders schutzbedürftiger Zeugen (vgl. § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und S. 3 StPO), um diesen gegebenenfalls weitere (belastende) Verneh­ mungen ersparen zu können (vgl. § 255a StPO). Der Vorteil der Videoauf­ zeichnung besteht hier insbesondere in der Fixierung einer möglichst tatna­ hen und im Hinblick auf etwaige Fremdeinflüsse noch belastungsfreien auf­ gezeichneten Aussage.160 Insoweit ergeben sich auch Unterschiede hinsicht­ gericht statt, ist sie auf Ton-Träger aufzuzeichnen. Die Verwendung im Verfahren ist nur nach Maßgabe des § 344 zulässig“. Vgl. zur Einführung einer Tonaufzeichnung der Hauptverhandlung bereits DAV, AnwBl. 1993, 328; ferner Böhme, S. 290 ff., 298; Gaede, StraFo 2007, 29 (31); Salditt, FS Meyer-Goßner (2001), S. 469 (480); ders., StraFo 1990, 54 (59 f.); Schäfer, StV 1995, 147 (156); nunmehr auch BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 16, 24; Franosch, Dokumentation der Hauptverhandlung, S. 382 ff.; von Massow, Verfügbarkeit und Verwendung der Aufzeichnung, S. 77 (95 ff.); vgl. zur Diskussion über die Einführung einer Tonband­ aufnahme seit den 1950er Jahren auch den Überblick bei Lüske, S.  137 ff. m. w. N. 157  Vgl. Lüske, S. 179, die das Tonbandprotokoll aus diesem Grund ablehnt. 158  Vgl. S. 144. 159  Näher zur Öffentlichkeitsmaxime MüKo-StPO/Kulhanek, § 169 GVG Rn. 1 m. w. N. 160  Zum hohen Beweiswert einer aufgezeichneten kindlichen Erstaussage Busse/ Volbert, Zur Situation kindlicher Zeugen vor Gericht, S. 224 (238); Dieckerhoff,



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lich des Dokumentationsbedürfnisses im Ermittlungs- und Hauptverfahren.161 Die umfassende Dokumentation des Vernehmungsablaufs im Ermittlungsver­ fahren ist auch für den Beschuldigten von besonderer Relevanz, da für ihn oftmals bereits im Rahmen der ersten Vernehmung „die Weichen für das weitere Verfahren gestellt werden“.162 Dass der Beschuldigte besonders in diesem Stadium schutzbedürftig und „in besonderem Maße der Gefahr aus­ gesetzt“ ist, „sich unbedacht zu belasten“163, hat auch der BGH betont.164 S.  39 f.; Hartz, S. 126; Köhnken, StV 1995, 376 (378); Mildenberger, S. 245; Thoma, S.  89 ff.; Volbert, Suggestibilität kindlicher Zeugen, S. 40 (56 f.); vgl. zur Problematik der Erinnerungsverblassung und -veränderung durch Zeitablauf und der hieraus resul­ tierenden generellen Zweckmäßigkeit einer frühzeitigen Videodokumentation unge­ achtet des Zeugenalters Kopf, S.  82 ff. 161  Vgl. auch Wehowsky, StV 2018, 685 (688), dessen Ausführungen im Zusam­ menhang mit der Diskussion um eine entsprechende Anwendung des § 58a Abs. 3 StPO (Widerspruchsrecht des Zeugen gegen die Herausgabe einer Aufzeichnung) für die Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung grundsätzlich auch an dieser Stelle fruchtbar gemacht werden können: „Das Nebeneinander zweier verschiedener Kon­ zeptionen für die Behandlung der Aufnahmen von Zeugenvernehmungen aus dem Ermittlungsverfahren und Aufnahmen der Hauptverhandlung ist rechtlich hinnehm­ bar, da bei näherer Betrachtung erhebliche Unterschiede der Regelungsbereiche beste­ hen. Der Bundesrat hat sich wesentlich darauf gestützt, dass die betreffenden Zeugen­ vernehmungen häufig tatnah durchzuführen sind, so dass die Aufnahmen von noch unter dem Eindruck der Tat stehenden Zeugen einen Eindruck von deren gesamter Persönlichkeit vermitteln, was eine besondere Schutzbedürftigkeit begründe. Dies trifft auf Vernehmungen in der tatgerichtlichen Hauptverhandlung nicht zu. Sie wer­ den regelmäßig in erheblichem zeitlichen Abstand zur Tat stattfinden. Die Zeugen äußern sich in der Hauptverhandlung auch nicht erstmalig zum Tatvorwurf, sondern werden bereits eine, oft mehrere, Vernehmungssituationen erlebt und sich mit der Aufarbeitung der Tat befasst haben. Die Situation in der Hauptverhandlung ist somit der vom Bundesrat hervorgehobenen bei der Erstvernehmung nicht vergleichbar“. 162  Weigend, StV 2019, 852; Witting, FS Schiller (2014), S. 691; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 501, 502a; Michel, S.  99 ff.; Swoboda, S. 443. 163  BGHSt 58, 301 (308); vgl. zu den Entstehungszusammenhängen eines falschen Geständnisses Drews, S.  129 ff.; Eisenberg, Beweisrecht StPO, Rn. 730 ff. 164  BGHSt 38, 214 (222): „Während der Angeklagte sich auf sein Aussageverhal­ ten in der Hauptverhandlung in Ruhe vorbereiten und dabei Rechtsrat einholen kann, […] trifft die erste Vernehmung durch die Polizei den Beschuldigten meist unvorbe­ reitet, ohne Ratgeber und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten, nicht selten auch durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt. In der Hauptverhandlung gemachte Angaben kann der An­ geklagte […] zurechtrücken, während die ersten Angaben bei der Polizei oft solcher Einwirkungsmöglichkeit entzogen sind und selbst bei einer Änderung des Aussage­ verhaltens eine faktische Wirkung entfalten, die für den weiteren Verlauf des Verfah­ rens von erheblicher Bedeutung ist“; ähnlich BGHSt 58, 301 (308); ferner Swoboda, S. 444: „Ein Geständnis zu widerrufen, das detaillierten Täterwissen enthält, hat na­ hezu keine Aussicht auf Erfolg, selbst wenn das relevante Detailwissen in Wirklich­ keit unbewusst über den Vernehmungsbeamten in das Verhör und in die Niederschrift eingeflossen ist“; vgl. hierzu auch Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 313 f.

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

In diesem Zusammenhang kann auch die Möglichkeit der Vorführung einer Videoaufzeichnung zum Zwecke der Beweisaufnahme über ein Geständnis Bedeutung erlangen (§ 254 Abs. 1 StPO). Die praktische Relevanz der Video­ dokumentation zeigt sich daher vor allem bei Straftaten mit hoher Straf­ androhung und im Falle der Vernehmung von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden (vgl. § 136 Abs. 4 S. 2 StPO).165 Bei „geistig oder seelisch eingeschränkten Personen“ drängt sich besonders die Frage auf, ob sich die jeweilige Person überhaupt der „besonderen Tragweite seiner Äuße­ rungen“ bewusst war.166 Aufgrund ihrer zum Teil nur eingeschränkten Aus­ drucks- und Wahrnehmungsfähigkeit können – in Kombination mit etwaigen suggestiven Fragestellungen seitens der Vernehmungsperson – auch Aussage­ verzerrungen entstehen, die sich in der Folge durch das gesamte Strafverfah­ ren ziehen.167 Die Möglichkeit einer authentischen Überprüfung von Aussa­ gegenese und Aussagemotivation ist hier daher von besonderer Bedeutung. Vor diesem Hintergrund dient die Dokumentation der Vernehmung aber auch dem Schutz der Vernehmungsperson vor unberechtigten Vorwürfen.168 Im Hinblick auf den Fortgang des Verfahrens stellt die Videoaufzeichnung zu­ dem eine umfassende Erkenntnisquelle für die weiteren (grundrechtsrelevan­ ten) Maßnahmen im Ermittlungs- und Zwischenverfahren dar.169 Weitere positive Effekte betreffen insbesondere die Beschleunigung des Verfahrens sowie die Entlastung der Polizei, da deren Vernehmungsbeamte zu Fragen des Vernehmungsablaufs und des Vernehmungsinhalts grundsätzlich nicht mehr als Zeugen in der Hauptverhandlung benötigt werden.170 Aus den vor­ 165  Vgl. zu § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 StPO BT-Drucks. 17/11277, S. 27, 28: „In diesen Fällen ist die Aufzeichnung erforderlich, um die nachträgliche Prüfung zu er­ möglichen, ob der Beschuldigte sich der besonderen Tragweite seiner Äußerungen bewusst war. Bei geistig oder seelisch eingeschränkten Personen können sich Verneh­ mungen aufgrund von Wahrnehmungsdefiziten oder Motivirrtümern des zu Verneh­ menden schwierig gestalten. Eine eingeschränkte Ausdrucksfähigkeit kann darüber hinaus zu Problemen bei der Bewertung der Glaubwürdigkeit einer Person führen. Hier bietet die Aufzeichnung die Möglichkeit einer späteren Kontrolle, ob Aussagen etwa aufgrund einer – dem Vernehmenden möglicherweise nicht bewussten – Sugges­ tion zustande gekommen sind“. 166  RefE GzeupAdS vom 27.05.2016, S. 25. 167  Zu diesen Fehlerquellen mit praktischen Beispielen aus der Justiz (u. a. „Rudolf Rupp“, „Peggy Knobloch“) Neuhaus, StV 2015, 185 (189 f.); vgl. zum Mordfall „Ru­ dolf Rupp“ ferner Eschelbach, ZAP 2013, Fach 22, 661 (662), Nestler, ZIS 2014, 594 (596 ff.). 168  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 69. 169  Schließlich können sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Ermittlungs­ richter die Zeugentauglichkeit eines (kindlichen) Zeugen mithilfe einer Videoauf­ zeichnung besser einschätzen; vgl. Zickermann, Der Kriminalist 1999, 199 (201). 170  Vgl. S. 145.



§ 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung?409

stehenden Ausführungen wird ersichtlich, dass die Argumente, die für eine Videodokumentation im Ermittlungsverfahren sprechen, nicht eins zu eins auf die Hauptverhandlung übertragbar sind. Weitere (Hilfs-)Argumente, die für die Tonaufzeichnung sprechen, sind rechtspraktischer und -systematischer Natur: Eine auditive Dokumentation der Hauptverhandlung würde sich nicht nur besser in das bisherige Gefüge strafprozessualer Dokumentationsvorschriften einfügen (vgl. § 273 Abs. 2 S. 2 StPO, § 169 Abs. 2 S. 1 GVG).171 Sie findet darüber hinaus bereits für die mündliche Verhandlung vor dem BVerfG Anwendung (vgl. § 25a BVerfGG). Auch können die Revisionsgerichte als Rechtskontrollgerichte durch das Anhören einer Tonaufzeichnung nicht gleichermaßen in eine tat­ richterliche Position „gedrängt“ werden wie beim Betrachten einer Videoauf­ zeichnung, die auch die sinnliche Wahrnehmung ermöglicht. Insoweit weist Schmitt zutreffend daraufhin, dass „[u]nmittelbarer Eindruck und Inbegriff der Verhandlung […] maßgeblich durch die dem Tatrichter optisch wahr­ nehmbaren Eindrücke der Beweispersonen und deren Verhalten gebildet [werden]“. Infolgedessen wäre es im Falle einer Videoaufzeichnung praktisch unvermeidlich, dass die Revisionsrichter „bis zu einem gewissen Grade ei­ nen eigenen unmittelbaren Eindruck von Aussagepersonen, aber auch vom Gericht und den Verfahrensbeteiligten, und damit von Teilen der Verhandlung gewinnen würden“.172 In ähnlicher Weise äußerte sich auch ein/e Teil­ nehmer/-in der Online-Befragung (vgl. Anhang II, Tabelle 2, A-2: „Bei Vor­ liegen einer audiovisuellen Aufzeichnung dürfte das Revisionsgericht zwangsläufig – zumindest unbewusst – den persönlichen Eindruck der Betei­ ligten/Beweiswürdigung usw. in die Entscheidung einfließen lassen, es be­ steht die Gefahr, dass das Revisionsgericht in weitaus größerem Umfang in die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanz eingreift, da sich die Richter zu­ mindest unbewusst in die Situation der unteren Instanz versetzen“.). Die bisherige Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz könnte mittels einer Tonaufzeichnung der Hauptverhandlung somit ver­ gleichsweise besser gesichert werden.173 ZRP 2019, 158 (159). NStZ 2019, 1 (6); ähnlich Hofmann, NStZ 2002, 569 (571): Bei der audiovisuellen Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung handele es sich um ein „dyna­ misches Augenscheinsobjekt, das einen sich vielfach über eine lange Zeit wechselhaft hinziehenden Vernehmungsvorgang dokumentiert“; dem zustimmend Krauß, Video­ dokumentation der Hauptverhandlung, S. 547 (573) mit dem Hinweis, dass „dessen Bewertung den Revisionsrichter in eine quasi tatrichterliche Rolle schlüpfen ließe“. 173  Vgl. Kudlich, ZRP 2018, 9 (12) generell in Bezug auf die audiovisuelle Auf­ zeichnung: „In der Tat dürfte die Versuchung, die Hauptverhandlung – revisionsrecht­ lich unzulässig – zu rekonstruieren, vergleichsweise größer sein, wenn eine entspre­ chende Bild-Tonkonserve eben dieser Verhandlung zur Verfügung steht“. 171  Mosbacher, 172  Schmitt,

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

In Bezug auf die Angemessenheit einer etwaigen Regelung zur technischen Dokumentation der Hauptverhandlung ist schließlich Folgendes anzumerken: Zu differenzieren ist zwischen den „professionellen“ Verfahrensbeteiligten (also Berufsrichtern, Schöffen, Sitzungsvertretern der Staatsanwaltschaft, Rechtsanwälten, aber auch Sachverständigen) und den sonstigen Verfahrens­ beteiligten (insbesondere den Angeklagten und Zeugen).174 Nach der Recht­ sprechung des BVerfG haben „Personen, die infolge ihres öffentlichen Amtes oder in anderer Position als Organ der Rechtspflege im Blickpunkt der Öf­ fentlichkeit stehen, […] nicht in gleichem Ausmaße einen Anspruch auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte wie eine von dem Verfahren betroffene Privatperson […] oder wie anwesende Zuhörer“.175 Dies gilt jedenfalls für den Fall der Anfertigung bestimmter Personenbildnisse am Rande der Haupt­ verhandlung mit dem Ziel der Verbreitung in den Massenmedien.176 Glei­ ches muss im Wege eines Erst-recht-Schlusses daher auch für den hier ver­ folgten Zweck der technischen Dokumentation der Hauptverhandlung (ledig­ lich) zu Verfahrenszwecken gelten.177 Demgegenüber betrifft die Aufzeich­ nung im Falle der Vernehmung von (Opfer-)Zeugen und Angeklagten – im Unterschied zu den amtlichen Verfahrensbeteiligten – auch den privaten Le­ bensbereich des Einzelnen.178 Auch der Zeuge tätigt seine Aussage jedoch nicht in seinem privaten Umfeld mit einem beliebigen Gesprächspartner, sondern im Rahmen einer besonderen Pflichtenbeziehung zum Staat, nämlich seiner Zeugenpflicht, gegenüber einer Vernehmungsperson zu einem vorge­ gebenen (strafrechtlich relevantem) Thema.179 Insoweit begrenzt die Verfahrensrolle als Zeuge bereits dessen persönliche Freiheit, „sich nach Belieben gegenüber anderen durch Gebaren, Sprache und Informationen selbst darzustellen“.180 Dieser Umstand schmälert seine grundrechtlichen Positio­ nen bereits auf abstrakter Ebene (vgl. §§ 68, 68a StPO).181 Die Eingriffs­ 174  Vgl. Heuer, Schutz vor Verbreitung, S. 243 (245 ff.); König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (536). 175  BVerfG NJW 2008, 977 (980); vgl. auch BVerfGE 103, 44 (69); Mertens/ Schmitter-Hell, Persönlichkeits- und Sicherheitsinteressen, S. 193 (195); Wehowsky, StV 2018, 685 (687). 176  BVerfG NJW 2008, 977 (979). 177  König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (536); vgl. auch BMJV, Be­ richt der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 89 f. 178  König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (537); vgl. auch BMJV, Be­ richt der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 90. 179  Vgl. Altenhain, ZIS 2015, 269 (278); zu den Zeugenpflichten auch Wehowsky, StV 2018, 685 f. 180  Altenhain, ZIS 2015, 269 (278); vgl. auch Maunz/Dürig/Di Fabio, GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 166. 181  Vgl. BeckOK-StPO/Gertler, Nr. 19 RiStBV Rn. 9; Altenhain, ZIS 2015, 269 (278).



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intensität wird zudem durch die Schaffung strenger Verwendungsregelungen, die eine Vervielfältigung oder Weitergabe an Unbefugte verbieten (z. B. ent­ sprechende Anwendung des § 58a Abs. 2 S. 1 und 3–6 StPO, vgl. auch § 32f StPO, der technische und organisatorische Sicherungsmaßnahmen sowie Verwendungsregelungen im Rahmen der elektronischen Akteneinsicht vor­ schreibt182) und durch eine Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes gegen die unbefugte Verwendung der Aufzeichnung183, weiter abgeschwächt. Für die andere Seite streitet demgegenüber das öffentliche Interesse an einer verbesserten Wahrheitsfindung und Rechtskontrolle sowie einer funktionsfä­ higen Strafrechtspflege, das insoweit gegenüber dem vergleichsweise gerin­ geren Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht überwiegt.184 Der mit der Tonaufzeichnung verbundene Eingriff ist daher grundsätzlich einer Rechtfertigung zugänglich. 182  Vgl. BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 111; von Massow, Verfügbarkeit und Verwendung der Aufzeichnung, S. 77 (99 ff.). 183  Vgl. Momsen/Benedict, KriPoZ 2021, 251 ff.: Die Verfasser weisen zu Recht darauf hin, dass tatbestandliche Ergänzungen im Rahmen der §§ 203, 204, 353b, 353d StGB, § 42 BDSG, § 33 i. V. m. §§ 22, 23, 24 KUG erforderlich sind, um jeglichen Missbrauch ausschließen zu können; hierzu auch BMJV, Bericht der Expertin­ nen- und Expertengruppe (2021), S. 111, 114 ff.; Heuer, Schutz vor Verbreitung, S. 243 (251 ff.). Diese Thematik hat neuerdings mit der Veröffentlichung von Aus­ schnitten der (polizeilichen) Vernehmung des mutmaßlichen Mörders des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf der Online-Plattform Youtube an Brisanz gewonnen; vgl. Redaktion beck-aktuell (29.07.2020); hierzu auch Heuer, Schutz vor Verbreitung, S. 243 (256 f.); von Massow, Verfügbarkeit und Verwendung der Auf­ zeichnung, S. 77 (93 f.); zur Missbrauchsgefahr ferner Krauß, Grundlegende Ände­ rung des Revisionsrechts, S. 27 (28): „Schließlich darf die Missbrauchsgefahr nicht außer Acht gelassen werden, die gerade in öffentlichkeitswirksamen Prozessen mit erheblichem Medieninteresse nicht von der Hand zu weisen ist. Nach meinen Erfah­ rungen in Staatsschutzsachen ist dies keineswegs eine Seltenheit, dass Akteninhalte an die Öffentlichkeit gelangen. Versuche, die Verursacher zu ermitteln, schlagen re­ gelmäßig fehl. Warum dies bei massenhaften Videodokumentationen anders sein sollte, vermag ich nicht zu erkennen“; Paul, Alles andere als ein unspektakuläres Thema, S. 23 (25): Im Zuge der Einführung einer Videodokumentation „[dürfte] auch mit einer proportionalen Zunahme der Problemfälle im Hinblick auf Persönlichkeits­ rechte und Missbrauchsgefahren zu rechnen sein“; Rebehn, DRiZ 2020, 42 (43): „Aus einer Vielzahl von Gerichtsverfahren vor allem gegen Prominente ist bekannt, dass Bestandteile der Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit gelangt sind. […] Es wäre realitätsfern anzunehmen, dass nicht auch Tonträger oder Videos den Weg ins Internet oder in die Medien finden könnten. Wenn besonders schutzwürdige Opfer in Vergewaltigungsverfahren oder Zeugen in Anti-Terror-Prozessen aber an das Licht einer breiten Öffentlichkeit gezerrt würden, wäre das verheerend“; vgl. hierzu auch Rebmann, Aussagebereitschaft von Angeklagten und Zeugen, S. 103 (162 ff.); An­ hang II, Tabelle 6, A-35, A-36, A-41, A-43. 184  Vgl. König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (538); Lüske, S. 191; Wehowsky, StV 2018, 685 (686).

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

Sollte sich der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund für die Einführung einer auditiven Dokumentation entscheiden, bietet sich auch die Verwendung einer automatisierten Spracherkennungssoftware (mit dem Ziel der Erstellung eines Wortprotokolls) an.185 Hierfür spricht bereits, dass die Teilnehmer/­ -innen der Online-Befragung grundsätzlich zu einer schriftlichen Dokumen­ tation der Hauptverhandlung tendierten.186 Im Übrigen vermag ein Wortpro­ tokoll in diesem Fall eine effiziente Arbeitsweise der Verfahrensbeteiligten sicherzustellen.187 4. Revisionsaspekte Als Folge einer technischen Dokumentation der Hauptverhandlung werden vielfach revisionsrechtliche Konsequenzen, insbesondere im Rahmen der Erhebung von Verfahrensrügen nach §§ 244 Abs. 2, 261 StPO, befürchtet.188 185  So auch Mosbacher, ZRP 2019, 158 (159): „Die Fortschritte in der SoftwareEntwicklung sind in diesem Bereich immens und lassen es realistisch erscheinen, dass die Technik innerhalb der nächsten fünf Jahre eine solche Form der Aufzeich­ nung von Aussageinhalten in der Hauptverhandlung in brauchbarer Form ermöglicht“; ferner Rebmann, Aussagebereitschaft von Angeklagten und Zeugen, S. 103 (169 ff.); Traut/Nickolaus, StraFo 2020, 100 (106); zu den derzeitigen Möglichkeiten automati­ sierter Spracherkennung Claussen/Jankowski/Dawid, S.  83 ff. 186  Im Verhältnis der drei Dokumentationsformen zueinander erhielt gerade das vollständige Wortprotokoll die relative Mehrheit an Stimmen (39 ≙ 41 %), vgl. S.  433. 187  Vgl. Rebmann, Aussagebereitschaft von Angeklagten und Zeugen, S.  103 (169 ff.). 188  Näher BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 132, 133: „Die bis­ herige Aufgabenverteilung – Tatsachenfeststellung in der Instanz, Rechtskontrolle durch das Obergericht – ist beizubehalten, um einen grundlegenden Bruch mit dem bisherigen System des Revisionsverfahrens zu vermeiden. Das Vorliegen einer audio­ visuellen Aufzeichnung darf daher nicht dazu führen, dass die Revisionsinstanz zu einer Art weiterer Tatsacheninstanz wird, die die erstinstanzliche Hauptverhandlung anhand ihrer audiovisuellen Aufzeichnung vollumfänglich nachvollziehen und über­ prüfen muss. Daher ist genau zu regeln, in welchem Umfang sich der Revisionsführer auf die audiovisuelle Aufzeichnung berufen kann“; vgl. auch BMJV, Bericht der Ex­ pertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 59, 64; König, Transparenz der Hauptver­ handlung, S. 515 (534): „Probleme können sich […] in der Revision ergeben, soweit der Versuch unternommen wird, mit Hilfe der Dokumentation die Tatsachenfeststel­ lungen des Urteils anzugreifen“; zu diesen Gefahren auch Kudlich, Audiovisuelle Aufzeichnung, S. 13 (16 ff.); Krauß, Videodokumentation der Hauptverhandlung, S.  547 (567 ff.); ders., Grundlegende Änderung des Revisionsrechts, S. 27 (30 f.); Meyer-Goßner, FS Fezer (2008), S. 135 (148); Wehowsky, NStZ 2018, 177 (187), der zwar „die tradierte Aufgabenteilung von Tatsachen- und Revisionsinstanz bei Einfüh­ rung einer technischen Aufzeichnung der Hauptverhandlung nicht gefährdet“ sieht, jedoch zugleich anmerkt, dass „in Literatur und Praxis erhebliche Unsicherheit herrscht und die Grundlagen der bisherigen Rspr. dem Gesetz nur sehr generell zu entnehmen sind“ […] und daher „eine klarstellende nähere Kodifikation“ für erfor­



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Einige Teilnehmer/-innen der Online-Befragung äußerten ebenfalls Bedenken im Zusammenhang mit den Auswirkungen einer audiovisuellen Dokumen­ tation der Hauptverhandlung auf das bisherige Revisionsgefüge (vgl. An­ hang II, Tabelle 6, A-2, A-5, A-19). Tatsächlich stand die Rechtsprechung einer (teilweisen) inhaltlichen Rekonstruktion der tatrichterlichen Beweisauf­ nahme im Zusammenhang mit Bild-Ton-Aufzeichnungen – anders als etwa bei der wörtlichen Protokollierung des Inhalts einer Aussage nach § 273 Abs. 3 StPO189 – bislang grundsätzlich ablehnend gegenüber.190 Zwar sollten die „revisionsrechtlichen Gefahren“ in praktischer Hinsicht nicht überbewer­ tet werden, da erhebliche Widersprüche zwischen dem Inhalt der Aufzeich­ nung und den Urteilsgründen im Zuge der Einführung einer technischen derlich erachtet; ders., Welche Art von Rechtsmittelsystem wollen wir?, S. 33 (34, 36). 189  Vgl. BGHSt 38, 14 (16); BayObLG NStZ 1990, 508; MüKo-StPO/Knauer/ Kudlich, § 337 Rn. 16, 77 f.; vgl. auch die weiteren Beispiele bei Wehowsky, NStZ 2018, 177 (179); für eine Übertragbarkeit dieser Rspr. auch auf Videoaufzeichnungen etwa Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (731 f.); Diemer, NStZ 2002, 19; Schlothauer, StV 1999, 47 (50); Swoboda, S. 433 f.; a. A. Hofmann, NStZ 2002, 569 f.; vgl. zur Rückgriffsproblematik im Zusammenhang mit Videoaufzeichnungen auch Leitner, S.  93 ff. m. w. N. zum Meinungsstand. 190  Vgl. BGHSt 48, 268 (273): „Es widerstritte der Aufgabenverteilung zwischen Tatgericht und Revisionsgericht, wäre das Revisionsgericht in solchen Fällen gehal­ ten, sich die Aufzeichnung selbst anzusehen und etwa daraufhin zu bewerten, ob die Beweisperson dies oder jenes so oder anders gesagt, ausgedrückt oder gemeint hat, und ob die vorangegangene Frage in diese oder jene Richtung ging. Es liegt auf der Hand, daß damit oft auch tatsächliche Wertungen zur Beweiswürdigung verlangt wä­ ren, die vorzunehmen nicht Aufgabe des Revisionsrichters ist“; BGH, Beschluss v. 19.06.2019 – 4 StR 489/18 –, juris: „Es kann dahinstehen, ob die Verfahrensbeanstan­ dung bereits nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genü­ genden Weise erhoben ist, weil es sich bei den von der Revision vorgelegten Stand­ bildern nicht um das in Rede stehende Beweismittel – die Videoaufzeichnung – han­ delt […]. Unbeschadet davon ist die Rüge jedoch deshalb unzulässig, weil die Frage, welcher Bedeutungsgehalt der Videoaufzeichnung des abgebildeten hochdynamischen Geschehens selbst oder Standbildern hiervon zukommt, in beiden Fällen gleicherma­ ßen eine Bewertung erfordert, die allein Sache des Tatrichters im Rahmen der ihm obliegenden Gesamtwürdigung und daher ohne eine Rekonstruktion der Beweisauf­ nahme im Revisionsverfahren nicht überprüfbar ist“; vgl. ferner Krauß, Videodoku­ mentation der Hauptverhandlung, S. 547 (571 f.); Mosbacher, JuS 2020, 128 (132); Wehowsky, 2018, 177 (180) m. w. N. zur Rspr. Etwas anderes gilt jedoch bei offen­ sichtlichen und gravierenden Widersprüchen zwischen dem Inhalt der Beweisauf­ nahme und den Urteilsgründen; hierzu Mosbacher, JuS 2019, 766 (770). Vgl. zur Kritik an dieser Rspr. nur Beulke, ZStW 113, 709 (731 f.); Gercke/Wollschläger, StV 2013, 106 (112); Norouzi, Vom Rekonstruktionsverbot zum Dokumentationsgebot, S.  215 (219 f.); Schlothauer, StV 2003, 652 (655 f.); ders., StV 1999, 47 (50); Wasserburg, FS Richter II, S. 547 (557 ff.); Wilhelm, HRRS 2015, 246 (249 f.); ders., ZStW 117 (2005), 143 ff.; Wohlers, JZ 2021, 116 (119 ff.); Wollschläger, FS Schlothauer (2018), 517 (524 f.).

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7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

Dokumentation der Vernehmungsinhalte regelmäßig nicht zu erwarten sein dürften.191 Gleiches gilt für unwahre Behauptungen in Revisionsbegründun­ gen und Gegenerklärungen.192 Insofern kommt der technischen Dokumenta­ tion auch eine gewisse Disziplinierungswirkung zu (vgl. Anhang II, Tabelle 5, A-5, A-8, A-9).193 Mit Blick auf das richterrechtlich entwickelte und ungeschriebene Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung194 erscheint es jedoch bereits aus Gründen der Rechtssicherheit sinnvoll, den Umfang der Urteilsprüfung auch für die hier favorisierte Lösung einer Tonaufzeichnung klarzustellen. Aufbauend auf der Rechtsprechung des BGH findet sich be­ reits eine Vielzahl an konkreten Gesetzentwürfen, die den Prüfungsumfang entsprechend der grundlegenden Aufgabenverteilung zwischen Tatsachenund Revisionsinstanz im Falle einer technischen Dokumentation der Haupt­ verhandlung festschreiben.195 Entsprechende Anregungen ergingen auch 191  So auch Sabel, Technische Aufzeichnung, S. 151 (158); ferner BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 17; Hamm, Revision in Strafsachen, S. 628 (656). 192  Hamm, Revision in Strafsachen, S. 628 (656). 193  Vgl. BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 28  f.; Knauer, NStZ 2016, 1 (11); König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (534); Leitner, S. 135; Wehowsky, NStZ 2018, 177 (186); Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (708). 194  Vgl. nur BGHSt 15, 347 (349 f.); 17, 351 (352); 21, 149 (151); 31, 139 (141); BGH StV 2012, 587; Bartel, Das Verbot der Rekonstruktion; Kästle, S. 52 ff.; vgl. auch MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, Vor § 133 Rn. 56 ff., § 337 Rn. 75 ff. m. w. N.; Wohlers, JZ 2021, 116 (118 ff.). 195  Vgl. BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 11 zu § 352 Abs. 1 S. 2 StPO-E: „Die Bild-Ton-Aufzeichnung der Hauptverhandlung nach § 273 Abs. 2 kann nur zur Überprüfung von Mängeln des Verfahrens herangezogen werden“; ähnlich Lüske, S. 292; BT-Drucks. 19/11090 (FDP-Fraktion), S. 5: „§ 352 Abs. 3 StPO-E: Zur Über­ prüfung der Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten oder zu behaupteten Ab­ weichungen zwischen den Urteilsgründen und der gemäß § 273 Absatz 5 angefertigte Bild-Ton-Aufnahme, kann die angefertigte Aufnahme als Grundlage für die Entschei­ dung des Revisionsgerichts dienen, soweit dies in Bezug auf die getroffene Entschei­ dung von Relevanz ist. Im Übrigen ist ihre Heranziehung im Revisionsverfahren un­ zulässig.“; von Galen, ZRP 2016, 42 (44): Der Gesetzgeber könnte „festlegen […], dass die Aufzeichnung allein zur Sicherung der Erkenntnisse aus der Tatsacheninstanz für die laufende oder nach Zurückverweisung für eine weitere Tatsacheninstanz zur Verfügung stehen soll. Verfassungsrechtliche Grenzen, die einer derart beschränkten Verwendung der Aufzeichnungen entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich“; Hamm, Revision in Strafsachen, S. 628 (656 ff.), der sich in seinem Gesetzesvor­ schlag im Wesentlichen auf den BRAK-Entwurf aus dem Jahre 2010 bezieht und le­ diglich ergänzende Regelungen betreffend die Rügeanforderungen nach § 344 Abs. 2 StPO (Angabe der digitalen Fundstelle im Wortlaut) und die Gegenerklärung nach § 347 StPO (insbesondere: Benennung der dem Revisionsvortrag entgegenstehenden Tatsachen unter Angabe der Zitatfundstelle sowie Bindung des Revisionsgerichts an das Rügevorbringen, wenn eine Gegendarstellung unterbleibt) vorsieht; kritisch hierzu Wehowsky, NStZ 2018, 177 (183 ff.); vgl. ferner KriK, Bild-Ton-Aufzeichnung



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seitens der Teilnehmer/-innen der Online-Befragung: Hier wurde insbeson­ dere empfohlen, die Heranziehung der Bild-Ton-Aufzeichnung für die revi­ sionsgerichtliche Prüfung vollständig zu verbieten (vgl. Anhang II, Tabelle 1, A-1, A-6, A-8, A-10, A-11, A-14, A-15, A-16, A-19, A-21, A-22, A-24; Ta­ belle 3, A-6; Tabelle 4, A-1, A-4) oder zumindest einzuschränken (vgl. An­ hang II, Tabelle 1, A-3, A-7, A-9, A-12, A-17, A-18, A-23; Tabelle 4, A-2, A-6). Ein vollständiges Verwendungsverbot wird jedoch dem Wahrheits- und Gerechtigkeitspostulat, der auch im Revisionsrecht Geltung beansprucht196, nicht gerecht und lässt Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer technischen Do­ kumentation der Hauptverhandlung aufkommen. Entsprechend den zuletzt genannten Empfehlungen (Verwendungsbeschränkung) verdient daher ins­ besondere der Vorschlag einer Arbeitsgruppe197 aus dem Jahr 2015 Zustim­ mung: Der Vorschlag sieht eine Verwendung der Tonaufzeichnung bei der Prüfung wesentlicher Verfahrensförmlichkeiten sowie offensichtlicher und gravierender Abweichungen zwischen Urteil und Aufzeichnung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt vor.198 Er vermag die Herstellung von der Hauptverhandlung, S. 5: „§ 337 Abs. 3 StPO-E: Um zu prüfen, ob die wesentli­ chen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung beachtet wurden und ob die Urteilsgründe von einer Bild-Ton-Aufzeichnung (§ 273a Absatz 1 Satz 1) abweichen, nimmt das Revisionsgericht diese Aufzeichnung in Augenschein, soweit die Revisionsbegrün­ dung es erfordert“; Mosbacher, StV 2018, 182 (185); Wehowsky, NStZ 2018, 177 (187): „§ 352 Abs. 3 StPO-E: Wird eine Verfahrensrüge zum Ergebnis der Hauptver­ handlung auf ein Beweismittel gestützt, das dem Revisionsgericht vorliegt, hat es dieses zur Prüfung nur heranzuziehen, wenn der behauptete Verfahrensmangel ohne Weiteres erkennbar ist. Die Verwendung des Beweismittels scheidet auch aus, wenn weitere Beweiserhebungen ihm die maßgebliche Bedeutung für das Urteil genommen haben können“; vgl. insgesamt zum Meinungsstand Lüske, S.  152 ff. 196  Vgl. BGH NJW 2006, 3582 (3585). 197  Zur personellen Besetzung der Arbeitsgruppe Mosbacher, StV 2019, 182 (183 Fn. 11): „Teilnehmer des Treffens am 15.07.2015 in Berlin waren von Anwaltsseite Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor und Prof. Dr. Reinhold Schlothauer, von Seiten der Staatsanwaltschaften Bundesanwalt/AL Gerhard Altvater und Generalstaatsanwalt Achim Brauneisen, aus dem BMJV Ministerialdirigent Dr. Matthias Korte und OStA b. BGH Oliver Sabel, vom BGH Prof. Dr. Henning Radtke und Verf“. 198  Mosbacher, StV 2018, 182 (185): „§ 352 Abs. 3 StPO-E: Die Tonaufzeichnung nach § 273 Absatz 2 und 2a kann nur zur Prüfung der wesentlichen Verfahrensförm­ lichkeiten und zur Rüge nach Satz 2 herangezogen werden. Soweit sich der Inhalt der Beweisaufnahme einschließlich der Einlassung des Angeklagten zuverlässig mit Ton­ aufzeichnungen rekonstruieren lässt, kann der Revisionsführer einen Widerspruch zwischen dem Inhalt der Hauptverhandlung und den Feststellungen hierzu im Urteil rügen, wenn es sich um eine offensichtliche und gravierende Abweichung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt handelt (Feststellungsrüge) […]“; ähnlich BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 65, das für eine Be­ schränkung der Kontrollmöglichkeit auf „evidente Widersprüche zwischen der inhalt­ lich dokumentierten Beweisaufnahme und den Urteilsgründen in entscheidungserheb­ lichen Punkten“ entsprechend der st. Rspr. des BGH zu „paraten“ Beweismitteln

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materieller Wahrheit und Einzelfallgerechtigkeit damit zu fördern, ohne zugleich die grundlegende Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und ­ Revisionsinstanz zu gefährden. Zwar handelt es sich bei den Begriffen ­ „offensichtlich“199 und „wesentlich“200 um unbestimmte Rechtsbegriffe; die Begriffe sind der StPO und auch dem Revisionsrecht jedoch keinesfalls fremd und können anhand der gängigen Auslegungsmethoden entsprechend dem Zweck der (neuen) Verfahrensrüge ausgelegt werden. Dies gilt auch für den Begriff „gravierend“, der sich auf die „Schwere des Verstoßes selbst“ beziehen und hierdurch „kleinere Abweichungen der Rüge entziehen“ soll.201 Zum Teil wurde auch seitens der Teilnehmer/-innen der Online-Befragung auf einen „evidenten Widerspruch“ als maßstabbildenden Faktor für eine re­ visionsgerichtliche Überprüfungsmöglichkeit abgestellt (vgl. Anhang II, Ta­ belle 1, A-22 – hier mit dem Vorschlag, dem Revisionsgericht dann nur die entsprechende verschriftete Passage der Aufzeichnung zur Verfügung zu stellen, ferner Anhang II, Tabelle 2, A-8 – hier mit der Überlegung, die Rü­ gemöglichkeit auf „grobe/evidente Widersprüche“ zwischen der technischen Dokumentation und den schriftlichen Urteilsgründen zu beschränken). Aufbauend auf dem oben genannten Vorschlag wäre ferner der Vollstän­ digkeitsmaßstab des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO zu beachten, der neben der An­ gabe der exakten Fundstelle grundsätzlich auch die Darlegung von Negativ­ tatsachen miteinschließt.202 Im Falle einer Beschuldigtenrevision hätte die Staatsanwaltschaft eine Gegenerklärung abzugeben, wenn anzunehmen ist, dass dadurch die Prüfung der Revisionsbeschwerde erleichtert wird (§ 347 Abs. 1 S. 3 StPO).203 Sinnvoll erscheint auch die vorgeschlagene Abgabe plädiert; Ignor/Schlothauer, Begrenzung der Revisionsmöglichkeiten, S. 476 (477 f.); kritisch Bartel, StV 2018, 678 (683 f.). 199  Der Begriff „offensichtlich“ findet sich in der StPO z. B. in §§ 26a Abs. 1 Nr. 3, 115a Abs. 2, 313 Abs. 2, 349 Abs. 2 StPO. Der Begriff „wesentlich“ wird z. B. in den §§ 268 Abs. 2, 273 Abs. 1, 1a, 2, 338 Nr. 8, 359 Nr. 5, 406c StPO, 467 Abs. 3 Nr. 1 StPO verwendet. Vgl. zur Berücksichtigung der „Offensichtlichkeit“ eines Ver­ stoßes im Rahmen der Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) BeckRS 2017, 129333, Rn. 27. 200  Vgl. Mosbacher, StV 2018, 182 (186) mit Verweis auf die Wichtigkeit des gerügten Punktes für die Beweiswürdigung und den Schuld- und Rechtsfolgenaus­ spruch. 201  Mosbacher, StV 2018, 182 (186); kritisch hierzu mit Blick auf die „Vielzahl der Auslegungsfragen“ BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 70. 202  Vgl. König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (534); KriK, Bild-TonAufzeichnung der Hauptverhandlung, S. 4; näher zum Erfordernis des Vortrags nega­ tiver Tatsachen MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 344 Rn. 99 ff., 122 ff. m. w. N.; kri­ tisch zu den strengen Begründungsanforderungen Rausch-Bernsmann/Wollschläger, StV 2020, 842 (843 f.). 203  Vgl. KriK, Bild-Ton-Aufzeichnung der Hauptverhandlung, S. 4; Wohlers, JZ 2021, 116 (124); so auch Mosbacher, StV 2018, 182 (186 f.) im Falle einer Tonauf­



§ 2 Videodokumentation der Hauptverhandlung – eine optimale Lösung?417

einer dienstlichen Erklärung des Instanzgerichts.204 Schließlich könnte sich für das Gericht durch eine Tonaufzeichnung (i. V. m. mit einem Wortproto­ koll) auch die Möglichkeit einer erleichterten Urteilsabfassung ergeben, wenn – wie von Mosbacher vorgeschlagen – § 267 Abs. 1 S. 3 StPO205 auch für diesen Fall entsprechend anwendbar erklärt wird.206 Eine Bezugnahme auf Abbildungen ist in den schriftlichen Urteilsgründen – nach geltendem Recht – ohnehin nur „wegen der Einzelheiten“ erlaubt; die Schilderung des wesentlichen Inhalts in knapper Form ist weiterhin stets erforderlich.207 Die Verständlichkeit des Urteils wäre daher auch bei eindeutigen und zweifels­ freien Bezugnahmen auf ein in der Akte befindliches Speichermedium grundsätzlich nicht gefährdet.208 Die Ergänzung des § 267 Abs. 1 S. 3 StPO könnte insoweit zu einer – dem 21. Jahrhundert entsprechenden – Vereinfa­ chung der schriftlichen Urteilsgründe und zur Verringerung des Schreib­ werks209 führen und sich schlussendlich positiv auf die Akzeptanz einer neuen Dokumentationsform auswirken.

III. Fazit Nach alledem sollte die Einführung einer obligatorischen Audiodokumen­ tation der Vernehmungsinhalte in erstinstanzlichen Verfahren vor den Land­ gerichten und Oberlandesgerichten, zuzüglich der Erstellung eines entspre­ chenden Wortprotokolls unter Zuhilfenahme automatisierter Spracherken­ nung, ernsthaft erwogen werden. Zu diesem Zwecke bietet sich anfangs auch die Durchführung eines Pilotprojekts an erstinstanzlichen Verfahren vor dem zeichnung; vgl. ferner Schmitt, NStZ 2019, 1 (10) im Falle eines Wortprotokolls; kritisch Lüske, S.  246 f.; Wehowsky, NStZ 2018, 177 (184). 204  Vgl. Ignor/Schlothauer, Begrenzung der Revisionsmöglichkeiten, S. 476 (477); Mosbacher, StV 2018, 182 (186); Wohlers, JZ 2021, 116 (124); a. A. Bartel, StV 2018, 678 (683 Fn. 59); BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 60, 74; Schmitt, NStZ 2019, 1 (10). 205  § 267 Abs. 1 S. 3 StPO lautet: „Auf Abbildungen, die sich bei den Akten be­ finden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden“. Videoaufzeichnun­ gen werden nach allgemeiner Ansicht nicht unter den Begriff der Abbildungen i. S. d. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO gefasst; vgl. BGHSt 57, 53 (54 f.); Jahn/Brodowski, Digitale Beweismittel, S. 67 (94 ff.). 206  Ein konkreter Gesetzesvorschlag findet sich bei Mosbacher, ZRP 2019, 158 (160): „§ 267 Abs. 1 S. 4 StPO-E: Gleiches gilt für die Inhalte von nach § 273 II a zuverlässig aufgezeichneten und übertragene Vernehmungen“; kritisch zum Verzicht auf die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe (§ 267 StPO) Meyer-Goßner, FS Fezer (2008), S. 135 (139 f.). 207  Meyer-Goßner/Schmitt, § 267 Rn. 10. 208  Vgl. Deutscher, NStZ 2012, 229 (230). 209  BT-Drucks. 8/976, S. 24.

418

7. Kap.: Die Videodokumentation der Hauptverhandlung

OLG (§ 120 GVG) und/oder in Verfahren vor dem Schwurgericht § 74 Abs. 2 S. 1 GVG) mit einer sich hieran anschließenden Evaluation an.210 Das tradi­ tionelle Hauptverhandlungsprotokoll sollte hierbei beibehalten werden, um eine rasche Überprüfung der wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhand­ lung zu ermöglichen.211 Das aus der Aufzeichnung (mittels Transkriptions­ software) zu erstellende Wortprotokoll sollte den professionellen Verfahrens­ beteiligten auch bereits während der laufenden Hauptverhandlung zur Verfü­ gung gestellt werden, um die Vorteile der Aufzeichnung wirkungsvoll nutzen zu können (insbesondere: Klarheit und Konsens über den Inhalt der Beweis­ aufnahme, Schaffung einer zuverlässigen Arbeitsgrundlage für die Vorberei­ tung auf weitere Hauptverhandlungstermine sowie für die Schlussvorträge und Urteilsberatungen).212 Wünschenswert wäre auch eine Integration des Aufzeichnungs- und Transkriptionssystems in die ab 01.01.2026 verpflich­ tend zum Einsatz kommende elektronische Aktenführung im Strafverfah­ ren.213 Schließlich sollte auch bedacht werden, dass die Etablierung einer neuen Dokumentationstechnik stets eine gewisse Eingewöhnungszeit benö­ tigt und zum Teil – wie jede Veränderung – auch auf Widerstand stoßen wird.214 Vor dem Hintergrund des Wahrheitspostulates und der hohen Grundrechtsrelevanz des Strafverfahrens ist es jedoch an der Zeit, etwaige Widerstände zu überdenken und die (bereits seit Jahrzehnten bemängelten) Defizite des status quo endgültig zu beheben.

StV 2018, 182 (187). Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 60; Rebmann, Aussagebereitschaft von Angeklagten und Zeugen, S. 103 (182); so im Ergebnis auch BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 131; BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 6; BT-Drucks 19/11090 (Fraktion der FDP), S. 8; KriK, Bild-TonAufzeichnung der Hauptverhandlung, S. 5. Die Beibehaltung des traditionellen Hauptverhandlungsprotokolls ist bereits vor dem Hintergrund der knapp bemessenen Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 S. 1 StPO) geboten. Näher zum Verhältnis von Aufzeichnung und Hauptverhandlungsprotokoll und zur rechtlichen Einordnung von „Dokumentationsdefiziten“ BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S.  46 ff. 212  Vgl. Heuer, Teilaufzeichnung/Ermessen, S. 65 (S. 74, 76); ders., Schutz vor Verbreitung, S. 243 (249, 257 f.). 213  Vgl. BGBl. I 2017, S. 2208 (2214, 2229); hierzu auch Heuer, Teilaufzeich­ nung/Ermessen, S. 65 (75 f.). 214  Vgl. Schmitt, NStZ 2019, 1 (10). 210  Mosbacher, 211  BMJV,

Zusammenfassung A. Ergebnisse Im folgenden Abschnitt werden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst. Hieran schließt sich eine Übersicht der Gesetzesvorschläge an. 1. Die Videotechnologie scheint von einem Großteil der „Akteure“ im Er­ mittlungsverfahren und vor Gericht noch nicht akzeptiert worden zu sein. Das Vollzugsdefizit des ZSchG war zu Beginn sicherlich – neben den noch fehlenden technischen Rahmenbedingungen – auch auf die fehlende Erfahrung mit der neuen Technik und Zurückhaltung bzw. Skepsis mit derselben zurückzuführen.1 Insofern schien es sich hier zunächst auch um ein Generationenproblem zu handeln.2 Die anfangs dargestellten Erfah­ rungsberichte, Einschätzungen und Untersuchungen3 deuten aber darauf hin, dass noch immer generelle Vorbehalte gegen den Nutzen der Video­ technologie im Strafverfahren bestehen.4 Zum anderen beruhen die Voll­ zugsdefizite offensichtlich auch auf dem mit einer Videoaufzeichnung oder -simultanübertragung verbundenen Mehraufwand. Dazu gesellen sich der (vorwiegend) fehlende obligatorische Charakter der (oftmals en­ gen) Regelungen und eine rechtsunsichere Handhabung im Zusammen­ hang mit den Tatbestandsvoraussetzungen sowie (hierauf aufbauend) Re­ visionsbefürchtungen. Aufgrund der mangelnden Etablierung der gesetz­ lichen Grundlagen zum Einsatz der Videotechnik kann die hiermit be­ zweckte Entlastungs- und Beweissicherungsfunktion im Strafprozess derzeit nur unzureichend verwirklicht werden. 2. Die Einstellung des Gesetzgebers zum Nutzungsumfang und Zweck des § 58a StPO hat sich mehrfach gewandelt. Obwohl er im Jahre 1997 noch betonte, dass die vorgeschlagene Regelung nicht als Einstieg für eine re­ gelmäßige Videoaufzeichnung aufgefasst werden sollte5, setzte er zuletzt 1  Vgl.

Swoboda, S. 141. Scheumer, S. 107; ferner H. Vogel, S. 69. 3  Vgl. S.  102 ff. 4  Ein Überblick zur (generellen) Kritik am Einsatz von Videotechnik findet sich etwa bei Rieck, S.  102 ff. 5  BT-Drucks. 13/7165, S. 6. 2  Vgl.

420 Zusammenfassung

immer wieder auf eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Vor­ schrift6 und Appelle an die Praxis, im Ermittlungsverfahren häufiger auf das Instrument der Videoaufzeichnung zurückzugreifen.7 Insofern rückte auch die Optimierung der Wahrheitsfindung immer stärker in den Vorder­ grund der Gesetzgebung. Diese Entwicklung ist ausdrücklich zu begrüßen. a) Die strikte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Ermes­ sensgrenze) gebietet dennoch eine zurückhaltende Anwendung des § 58a Abs. 1 S. 1 StPO. Der Einsatz von Videotechnik ist hier insbe­ sondere für knapp unterhalb der Anwendungsschwelle des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO liegende oder ähnlich schwere Fälle in Erwägung zu ziehen. b) Der Bezugspunkt des § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO ist hingegen ent­ sprechend dem Beweissicherungszweck der Vorschrift zu erweitern. In § 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO ist daher der Passus „dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann“ durch „dass der Zeuge im Verlauf des weiteren Verfahrens nicht vernommen werden kann“ zu ersetzen.8 c) Schutzzweckerwägungen gebieten zudem die Ausweitung der „SollVorschrift“ auch auf Personen, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden. Ihre Einbeziehung in den Anwendungsbereich der §§ 58a, 255a StPO rechtfertigt sich nicht nur unter Zeugenschutzaspekten, sondern auch aufgrund der in diesen Fällen erschwerten tatsächlichen Rahmen­ bedingungen einer Zeugenvernehmung: Bei „geistig oder seelisch ein­ geschränkten Personen“ drängt sich besonders die Frage auf, ob sich die jeweilige Person überhaupt der „besonderen Tragweite seiner Äuße­ rungen“ bewusst war.9 Aufgrund ihrer zum Teil nur eingeschränkten Ausdrucks- und Wahrnehmungsfähigkeit können – in Kombination mit etwaigen suggestiven Fragestellungen seitens der Vernehmungsperson – auch Aussageverzerrungen entstehen, die sich in der Folge durch das gesamte Strafverfahren ziehen.10 6  Vgl.

BGBl. I S. 2280; BGBl. I S. 1805; BGBl. I S. 2121. 829/03, S. 20; BT-Drucks. 15/1976, S. 10; BR-Drucks. 213/12, S. 12; BT-Drucks. 17/6261, S. 11. 8  Vgl. AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (30); Swoboda, Dokumentationen von Vernehmungen, S. 251. 9  RefE GzeupAdS vom 27.05.2016, S. 25. 10  Zu diesen Fehlerquellen mit praktischen Beispielen aus der Justiz (u. a. „Rudolf Rupp“, „Peggy Knobloch“) Neuhaus, StV 2015, 185 (189 f.); vgl. zum Mordfall „Ru­ dolf Rupp“ ferner Eschelbach, ZAP 2013, Fach 22, 661 (662), Nestler, ZIS 2014, 594 (596 ff.). 7  BR-Drucks.

Zusammenfassung421

d) Die Regelung des § 58a Abs. 1 S. 3 StPO („Muss-Vorschrift“) ist dem­ gegenüber aufgrund ihrer Defizite (systematischer und struktureller Natur) aus dem Gesetzestext zu streichen. Die ihr zugrundeliegende gesetzgeberische Intention, Opferzeugen von Straftaten gegen die sexu­ elle Selbstbestimmung (§§ 174–184j StGB) ungeachtet ihres Alters weitergehender als bislang vor den Belastungen des Strafverfahrens zu schützen, verdient hingegen Zustimmung. Aus Gründen der Praktikabi­ lität bietet sich insofern aber eine umfassende Normierung der Rege­ lung – wie auch des sonstigen Straftatenkatalogs – in § 58a Abs. 1 S. 2 StPO selbst (ohne eine Bezugnahme auf § 255a Abs. 2 StPO) an.11 e) Die Aufzeichnung sollte schließlich – im Interesse aller Verfahrensbe­ teiligten – die gesamte Vernehmung einschließlich der informatorischen Vor- und Zwischengespräche sowie die Belehrungen umfassen.12 Um die begehrte „Vollständigkeitsfunktion“ der Aufzeichnung in tatsächli­ cher Hinsicht gewährleisten zu können, ist eine (zusätzliche) Regelung vorzusehen, die bestimmt, dass der Vernehmende nach Abschluss der Vernehmung erklärt, ob und mit welchem Inhalt verfahrensbezogene Gespräche außerhalb der Aufzeichnung geführt wurden und ob die Auf­ zeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt. Der Zeuge muss sodann die Möglichkeit erhalten, sich hierzu zu erklären.13 Dies verspricht einen nicht unerheblichen Zuwachs an Authentizität. 11  Vgl. hierzu bereits den Gesetzesvorschlag bei Mosbacher, Stellungnahme zu BR-Drucks. 532/19, S. 3. 12  Vgl. Altenhain, ZIS 2015, 269 (282); Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (737); Buckow, ZIS 2012, 551 (555); Michel, S. 156 f. zu § 136 Abs. 4 StPO; SSW-StPO/ Tsambikakis, § 58a Rn. 33; Swoboda, S. 364, 378; zu den Gefahren einer zeitlichen Einschränkung des Begriffs der „Vernehmung“ für die Wahrheitserforschung und den Schutz des Befragten Esser, 42. Strafverteidigertag, S. 489; Michel, S.  156 ff.; Weigend, StV 2019, 852 (854); dieselben Risiken gelten auch für Teilaufzeichnungen, vgl. hierzu Maaß, S. 57; Michel, S.  158 f. 13  AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (28 f.); Swoboda, Dokumentationen von Ver­ nehmungen, S. 217 (252); ähnlich BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 30; vgl. auch Michel, S. 161 f. zu § 136 Abs. 4 StPO; BT-Drucks. 18/11277, S. 26 zu § 136 Abs. 4 StPO: „Zur Vermeidung etwaiger Streitigkeiten über den Inhalt oder die Umstände einer Vernehmung oder das konkrete Verhalten des Vernehmenden bietet es sich an, dass der Vernehmende am Ende der Vernehmung erklärt, dass die Aufzeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt“. Dieser Vorschlag ist jedoch mit Blick auf den gewünschten Authentizitätszuwachs einer Videoaufzeichnung nur ziel­ führend, wenn auch dem Befragten die Möglichkeit einer Erklärung über die Richtig­ keit und Vollständigkeit der aufgezeichneten Vernehmung geboten wird; vgl. ferner Nestler, ZIS 2014, 594 (598) Fn. 32, der in Bezug auf die Beschuldigtenvernehmung auf die „nach Auskunft von Strafverteidigern durchaus verbreitete Praxis [der Verneh­ mungspersonen]“ hinweist, „durchgehend vor den ersten Vernehmungen und offenbar auch ganz gezielt Vorgespräche [zu führen]“; er schlägt daher vor, „nicht erst am Ende, sondern gerade zu Beginn der Aufzeichnung zu thematisieren, was vor der

422 Zusammenfassung

3. Die Normierung der Videodokumentation der Beschuldigtenvernehmung in einer eigenständig hierfür geschaffenen Vorschrift (§ 136b StPO-E)14 betont die rechtsstaatliche Bedeutung der Vorschrift und entfaltet eine zusätzliche Signalwirkung für den Rechtsanwender. Sie vermeidet unnöti­ ge Kettenverweisungen und die Überfrachtung des § 136 StPO – einer Vorschrift, die lediglich den allgemeinen Vernehmungsablauf regelt – mit speziellen Regelungen zur Videoaufzeichnung.15 a) Die Aufzeichnungspflicht nach § 136 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StPO ist auf alle Verbrechenstatbestände auszuweiten.16 Da Verbrechen im Min­ destmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§ 12 Abs. 1 StPO), stellen sie nicht nur für den Beschuldigten eine empfindliche Strafandrohung dar; ihnen liegt auch ein erhöhtes staatliches Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse zugrunde. b) Die fakultative Aufzeichnung nach § 136 Abs. 4 S. 1 StPO ist aufgrund praktischer Erwägungen beizubehalten. Sie rechtfertigt sich vor dem Hintergrund der Möglichkeit des transnationalen Beweistransfers und bietet sich auch bei Geständnissen, umfangreichen und/oder komple­ xen Fällen, Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen und bei der deut­ schen Sprache nicht ausreichend mächtigen Beschuldigten an.17 c) In Bezug auf die fakultative Regelung des § 70c Abs. 2 S. 1 JGG sind hingegen vor allem jugendspezifische Interessen zu berücksichtigen.18 Da die Ermessensausübung in diesem Fall maßgeblich durch das Uni­ onsrecht determiniert ist, bietet es sich an, die relevanten Ermessens­ kriterien gesetzlich festzuschreiben19, um dem Vernehmenden die praktische Rechtsanwendung zu erleichtern. Richterliche Beschuldig­ tenvernehmungen sind – neben polizeilichen und staatsanwaltlichen Vernehmungen – zudem in den Anwendungsbereich des § 70c Abs. 2 S. 2 JGG einzubeziehen.

Aufzeichnung besprochen wurde“; vgl. schließlich auch Weigend, StV 2019, 852 (854), der – in Bezug auf die Beschuldigtenvernehmung empfiehlt –, dass der Be­ schuldigte gefragt werden sollte, „ob alles für ihn Wesentliche von der Aufzeichnung erfasst wurde“. 14  Für die Zeugenvernehmung wurde eine entsprechende Regelung in §  58a StPO geschaffen. 15  Vgl. oben S. 199. 16  Vgl. oben S. 198 f. 17  Vgl. oben S. 201 ff. 18  Vgl. oben S. 204. 19  So auch Michel, S. 215, 280, die jedoch im Rahmen ihres Gesetzesvorschlags nicht gesondert auf das Wohl des Jugendlichen abstellt.

Zusammenfassung423

d) Um die „Vollständigkeitsfunktion“ der Videoaufzeichnung in tatsäch­ licher Hinsicht gewährleisten zu können, wird auch in Bezug auf die Beschuldigtenvernehmung vorgeschlagen, eine den Zuwachs an Au­ thentizität sichernde Regelung zu erlassen.20 Um einen etwaigen Missoder Fehlgebrauch der Ausschlussvarianten („äußere Umstände“ und „besondere Dringlichkeit“) vorbeugen und nachvollziehen zu können, ist ferner das tatsächliche Vorliegen einer Ausnahmebestimmung ent­ sprechend einer neuen gesetzlichen Bestimmung zu dokumentieren.21 e) Die unterschiedliche Behandlung von Zeugen und Beschuldigten im Hinblick auf das Widerspruchsrecht nach § 58a Abs. 3 StPO ist nicht nur nach der Gesetzeshistorie, sondern auch nach dem Sinn und Zweck des § 136 Abs. 4 StPO nicht nachvollziehbar und muss daher abgelehnt werden.22 4. Ein Blick über den deutschen Tellerrand hinaus hat gezeigt, dass sich der Gesetzgeber fortlaufend mit der audiovisuellen Dokumentation im Ermitt­ lungsverfahren befassen muss, um mit den entsprechenden Erfahrungen und Fortschritten auf internationaler Ebene mithalten zu können. In die­ sem Zusammenhang sollten auch internationale Regelungen, die bereits Verfahrensvereinfachungen im Falle einer Videoaufzeichnung der Verneh­ mung vorsehen, fruchtbar gemacht werden.23 Durch die Anerkennung des Videoprotokolls als Protokoll i. S. der §§ 168, 168a StPO wird die Doku­ mentationstechnik an den heutigen Stand der Technik angepasst und eine neue Qualität der Beweissicherung in der deutschen Strafprozessordnung erreicht.24 Die Sicherstellung einer optimalen Beweisqualität wird wiede­ rum – aufgrund der generellen Fehleranfälligkeit der schriftlichen In­ haltsprotokolle und ihrer Bedeutung für den Strafprozess25 – nicht nur der bestmöglichen Wahrheitserforschung, sondern auch den weiteren Zielen des Strafprozesses sowie den vernommenen Zeugen und Beschuldigten im Hinblick auf die beweisrechtliche Dokumentation des Vernehmungsge­ schehens zu Gute kommen. a) Die bisherige Rechtslage führt zu dem merkwürdig anmutenden Er­ gebnis, dass derzeit zwei „Protokolle“26 der gleichen Vernehmung zu 20  Vgl.

oben S. 205 f. oben S. 206 ff. 22  Vgl. oben S. 214 ff. 23  Vgl. hierzu auch Michel, S. 72. 24  Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 311, 312. 25  Vgl. oben S. 239 ff. 26  Vgl. BT-Drucks. 18/11277, S. 26: „Die audiovisuelle Aufzeichnung stellt für die Zwecke der Hauptverhandlung […] ein qualitativ besseres – weil authentische­ res – Protokoll einer Vernehmung dar“. 21  Vgl.

424 Zusammenfassung

erstellen sind.27 Diese Doppelung ist aufgrund des hierzu benötigten Arbeits-, Zeit-, und Kostenaufwands sowie auch unter den Gesichts­ punkten der Transparenz und Authentizität nicht erforderlich.28 Das bislang zusätzlich zur Videoaufzeichnung zu erstellende schriftliche Inhalts- oder Wortprotokoll soll daher künftig durch ein Ergebnisprotokoll ersetzt werden können.29 Das Festhalten des Ergebnisses einer Vernehmung stellt kein förmliches Protokoll i. S. der §§ 168, 168a ­StPO dar. Es soll nur der effektiveren und praxistauglicheren Aktenbe­ arbeitung dienen.30 Das Ergebnisprotokoll gibt Aufschluss über die Art des Zeugenbeweises (z. B. Augenzeuge, Ohrenzeuge, Zeuge von Hö­ rensagen) und die Art der Einlassung des Beschuldigten (z. B. Geständ­ nis, Abstreiten der Tat) und fasst den Aussage- bzw. Einlassungsinhalt 27  So auch Michel, S. 230; kritisch zur Verfahrensweise auch Bockemühl, KriPoZ 2019, 275 (377): „In der Praxis hat sich diese Möglichkeit [der Aufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen] überwiegend nicht etabliert, da in jedem Fall neben der Videodokumentation eine Transkription in ein schriftliches Protokoll zu erfolgen hat“. 28  Dieses Ergebnis wird schließlich auch durch die Auswertung eines Interviews bestätigt, das die Verfasserin am 08.10.2020 mit zwei Kriminalhauptkommissaren/ -innen des Kriminalkommissariats in Tübingen geführt hat. Die Befragten sprachen sich hierbei ausdrücklich für die Anerkennung eines Videoprotokolls aus. Die Erstel­ lung eines zusätzlichen schriftlichen Protokolls wurde aufgrund des hiermit verbun­ denen Aufwands insbesondere in Haftsachen als problematisch angesehen. 29  Vgl. Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 309, 315, die im Falle einer Bild-Ton-Aufzeichnung einer Vernehmung dafür plädieren, lediglich das „wesentliche Ergebnis“ der Vernehmung, d. h. eine „kurze Zusammenfassung des Inhalts der Aus­ sage“ schriftlich festzuhalten; ähnlich Altenhain, Vor- und Nachteile der audiovisuel­ len Aufzeichnung von Zeugenaussagen, S. 225 (242), der eine Kombination von au­ diovisueller Aufzeichnung und Vermerk vorschlägt: In dem Vermerk soll die Verneh­ mungsperson „aus kriminalistischer Sicht zur Aussage Stellung [nehmen] und dabei das ihrer Meinung nach Wesentliche – mit einer Zeitangabe – [nennen]“; ferner Schlothauer, StV 2016, 607 (613): „Zur Arbeits- und Verfahrenserleichterung bedarf es einer schriftlichen Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts der Vernehmung“; vgl. (ursprünglich) auch Swoboda, 361 f.; die vorschlägt, die Vernehmungsnieder­ schrift im Falle einer vollständigen Bild-Ton-Aufzeichnung auf die „Wiedergabe der wesentlichen Teile der Aufzeichnung“ zu beschränken (sog. Verschriftung); vgl. zur Verschriftung auch den Vorschlag in BT-Drucks. 13/4983, S. 3, zur Einfügung des § 168e Abs. 2 StPO-E: „Wird eine richterliche Vernehmung in Bild und Ton aufge­ zeichnet, so sind die wesentlichen Teile der Aufzeichnung unverzüglich schriftlich festzuhalten“; vgl. ferner BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 72, das dem Grunde nach sogar ein Ergebnisprotokoll in Bezug auf Vernehmungen als ausrei­ chend ansieht: „Ein Ergebnisprotokoll oder das herkömmliche Inhaltsprotokoll genügt den Anforderungen der Praxis und sollte grundsätzlich beibehalten werden“; vgl. auch Thiele, Dokumentation des Ermittlungsverfahrens, S. 261 (282): Es erscheine sachgerecht, „den Polizeibeamten die Möglichkeit zu eröffnen nach eigenem Ermes­ sen Vernehmungen in Form von Ergebnisvermerken aktenmäßig zu dokumentieren“. 30  Vgl. Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 315; vgl. auch Swoboda, S. 362.

Zusammenfassung425

in seinem Kerngehalt zusammen. Hierdurch kann innerhalb einer kur­ zen Zeitspanne beurteilt werden, welche Bedeutung einer Aussage bzw. Einlassung zukommt, ohne dass sich die Verfälschungs- und Fil­ terproblematik (die mit der Erstellung eines Inhaltsprotokolls einher­ geht) in der gleichen Form wie bislang auf das künftige Strafverfahren auswirken kann. Der konkrete Inhalt der Vernehmung wird hingegen allein durch die audiovisuelle Aufzeichnung bewiesen31; sie ist inso­ fern das Vernehmungsprotokoll (sog. Videoprotokoll).32 b) Die Verwendung technischer „Abhilfemaßnahmen“ kann die etwaigen Bedenken im Zusammenhang mit dem Zeitaufwand und der Verminde­ rung der Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit, den das Abspie­ len einer Videoaufzeichnung unter Umständen mit sich bringen kann33, weitestgehend ausräumen: So kann jede Aufzeichnung mithilfe der Verwendung von „Sprungmarken“ während oder nach der Vernehmung in verschiedene zeitliche Sequenzen unterteilt werden. Relevante Stel­ len könnten sogleich schriftlich (mit der entsprechenden Fundstelle) vermerkt werden.34 Jede einzelne Sequenz kann zudem – entsprechend ihrem Sinngehalt – unter einer eigenen Überschrift (z. B. „Belehrun­ gen“, „Vorgeschichte“, „Beschreibung des Täters“, „Folgen der Tat“) erfasst werden, mit der die relevanten Themen der Befragung durch das Inhaltsverzeichnis herausgefiltert werden können. Mithilfe entsprechen­ der Programme besteht zudem die Möglichkeit, Kommentare unter einzelne zeitliche Sequenzen einzutragen, die anschließend automatisch zusammen mit den gesetzten Markern und Zeitstempeln in einem über­ sichtlichen „Aufzeichnungsreport“ gespeichert oder ausgedruckt wer­ den können.35 Schließlich bleibt es dem Gericht (d. h. sowohl dem Er­ mittlungsrichter als auch dem Gericht des Hauptverfahrens oder dem Rechtsmittelgericht) unbenommen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu verlangen, dass die Aufzeichnung in ein (Wort-)Pro­ tokoll nach § 168a Abs. 2 S. 1 StPO übertragen wird (§ 168a Abs. 2a S. 3 StPO-E). Gleiches gilt für Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer allge­ meinen Weisungsbefugnis gegenüber der Polizei.36 31  Dies gilt freilich nur, wenn die Aufzeichnung keine wesentlichen technischen Mängel aufweist oder sich aus sonstigen Gründen nicht zur Ersetzung des Protokolls eignet; vgl. S. 259. 32  Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 320. 33  Vgl. H. Vogel, S. 117. 34  Vgl. Bender/Häcker/Schwarz, Rn. 1680; Thiele, Dokumentation des Ermitt­ lungsverfahrens, S. 261 (276). 35  Vgl. hierzu beispielhaft die technischen Funktionen des Videovernehmungs­ systems bei Mangold (o. D.), Videovernehmungssysteme. 36  Vgl. Nack/ASJ, Entwurf Videographie-Gesetz, S. 316.

426 Zusammenfassung

5. Die Regelung des § 168e StPO verbessert die Stellung des Zeugen in zweifacher Hinsicht: Zum einen wird die Vernehmung selbst den Bedürf­ nissen besonders belasteter Zeugen angepasst, indem diese vor der unmit­ telbaren Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten geschützt werden. Zum anderen wird durch den Verweis in § 168e S. 4 auf § 58a StPO die audiovisuelle Aufzeichnung der Vernehmung ermöglicht, sodass jene Zeugen nach Maßgabe des § 255a Abs. 2 StPO auch vor belastenden Mehrfach­ vernehmungen geschützt werden können.37 Vor diesem Hintergrund sollte die praktische Verwirklichung des dem § 168e StPO zugrundeliegenden Regelungszweck nicht unnötig erschwert werden. a) Um Wertungswidersprüche zu vermeiden und Systemkonformität inner­ halb der Strafprozessordnung zu gewährleisten, sind die Tatbestands­ voraussetzungen des § 168e S. 1 StPO de lege ferenda herabzustufen und an die Altersstufengrenze der sonstigen Zeugenschutzvorschriften anzupassen (vgl. §§ 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 247 S. 2, 255a Abs. 2, 241a Abs. 1 StPO, §§ 171b Abs. 2, 172 Nr. 4 GVG).38 b) Eine vorrangige Anwendung der §§ 168c Abs. 3, 168c Abs. 5 S. 2 StPO setzt sich i. R.d. § 168e StPO (Subsidiaritätsklausel) in Widerspruch zum gesetzgeberischen Willen, der die Bild-Ton-Aufzeichnung der Zeugenvernehmung (auch mithilfe des § 255a Abs. 2 S. 1, 2 StPO) auf­ werten und in der Praxis etablieren wollte.39 Da der Wortlaut des § 168e S. 1 StPO die Wirkung des § 255a Abs. 2 S. 1, 2 StPO unnötig ab­ schwächt und sowohl für den Zeugen als auch für den Beschuldigten nachteilige Folgen mit sich bringt, bietet sich insofern eine teleologische Reduktion des Gesetzestextes an.40 6. Den Prozessbeteiligten bleibt im Falle des § 247a StPO der (medial ver­ mittelte) Zugriff auf die originäre Beweisquelle mit der Möglichkeit kon­ frontativer Befragung erhalten. Die Videosimultanübertragung bietet dem Gericht daher (theoretisch) ein erhebliches Potential zur Erlangung eines sachgerechten Ausgleichs zwischen Wahrheitsfindung, Zeugenschutz und 37  KK-StPO/Griesbaum, §  168e Rn.  1; SSW-StPO/Sing/Andrä, § 168e Rn. 1; Weiner/Foppe, Kriminalistik 1998, 536 (537). 38  Für eine Anpassung des § 168e StPO an die Altersstufengrenze auch Maaß, S. 69; Schmoll, S. 200; Swoboda, S. 341 f.; vgl. auch § 162a Alternativ-Entwurf Zeug­ nisverweigerungsrechte und Beschlagnahmefreiheit (AE-ZVR), S. 99 ff.; BT-Drucks. 13/4983, S. 3. 39  Vgl. BT-Drucks. 17/6261, S. 10 f.; BT-Drucks. 19/14747, S. 35. 40  Ähnlich Maaß, S. 70 ff., die im Ergebnis auf eine korrigierende teleologische Auslegung abstellt und damit wohl die teleologische Reduktion meint, da sie die „Auslegung“ ausdrücklich entgegen der Wortlautgrenze zulässt; a. A. LR/Erb, § 168e Rn. 13: „einschränkende[ ] Auslegung“; SK-StPO/Wohlers/Albrecht, § 168e Rn. 12: „restriktive Auslegung“, die „mit dem Wortlaut durchaus vereinbar“ sei.

Zusammenfassung427

Verteidigungsinteressen. Gleiches gilt für die Verwirklichung prozessöko­ nomischer Ziele. Insofern ist für einen stärkeren Einsatz der Videosimul­ tanübertragung sowohl im In- als auch im Ausland zu plädieren. In diesem Zusammenhang ist auch die fortlaufende Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Bereich der grenzüberschreitenden Vernehmung im Wege der Videokonferenz zu begrüßen. Das beschriebene Potential der Videovernehmung kann auf­ grund der derzeitigen Ausgestaltung des § 247a StPO jedoch nicht voll­ ends ausgeschöpft werden, da die Tatbestandsvoraussetzungen der Ge­ fährdungsalternative („dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen“) zu eng sind. Eine gesetzliche Anpassung des § 247a Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StPO an die Kriterien des § 247a S. 2 StPO er­ möglicht vor diesem Hintergrund nicht nur einen wirkungsvolleren Zeu­ genschutz, sondern auch eine effektivere Wahrnehmung der Verteidi­ gungsinteressen des Angeklagten.41 7. Aufgrund der gegebenen Gesetzeslage findet eine Aufbereitung der Hauptverhandlung, insbesondere in Bezug auf Vernehmungsinhalte, für alle Verfahrensbeteiligten derzeit unter erschwerten, der Wahrheitsfindung abträglichen und nicht dem Stand der Technik entsprechenden Bedingun­ gen statt. Das hierin ein rechtsstaatliches Defizit liegt, wird auch durch die Ergebnisse der Online-Befragung untermauert. Danach zieht sogar die 41  Vgl. zur Differenzierung nach dem Alter bereits den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen) des Bundesrats vom 19.06.1996, BT-Drucks. 13/4983, S. 3; vgl. auch Swoboda, S. 163, die jedoch für die Beibehaltung der (bereits entfallenen) Subsidiaritätsklausel plädiert, vgl. dies., S. 171; nach dem Alter differenziert auch Keiser, S. 367, die jedoch an die Voraussetzungen des (damaligen) § 247 S. 1 und S. 2 StPO anknüpft; vgl. hierzu auch den Vorschlag in AE-Beweisaufnahme, GA 2014, 1 (41 ff.), der das Konkurrenzver­ hältnis zwischen § 247 StPO und § 247a StPO in § 241 Abs. 2 S. 2 StPO-AE zu Gunsten der audiovisuellen Vernehmung auflöst und die Videovernehmung um die Voraussetzungen des § 247 S. 1 und S. 2 StPO erweitert; dem folgend SK-StPO/Frister, § 247a Rn. 18, § 247 Rn. 14a; ferner Beulke, ZStW 113 (2001), 709 (741), der in ähnlicher Weise für eine Ausweitung des Tatbestandes des § 247a StPO plädiert; kri­ tisch zur engen Fassung des § 247a StPO auch Dahs, FS Paeffgen (2015), S. 559 (563): Die Vorschrift sei „so eng gefasst, dass sie ohne vorherige sachverständige Begutachtung praktisch nicht anzuwenden“ sei; ähnlich Maaß, S. 139, die annimmt, dass „für minderjährige Zeugen […] die Anwendungsvoraussetzungen zu hoch be­ messen [seien], da – wenn schon von § 247 StPO restriktiv Gebrauch gemacht wird – ebenfalls weiterhin eher selten eine Anwendung von § 247a StPO für diese Zeugen­ gruppe zu erwarten [sei]“; für eine generelle Herabstufung der Anwendungsvoraus­ setzungen (auf die „Befürchtung“ des Nachteils statt einer „dringenden Gefahr“) plädiert auch Rieck, S. 306; vgl. schließlich auch Schmoll, S. 197, die eine Videover­ nehmung kindlicher Zeugen „im Rahmen einer Soll-Vorschrift in Anlehnung an die Zeugengruppe des § 255a Abs. 2 StPO und an die Voraussetzungen des Beschuldig­ tenausschlusses nach § 247 S. 2 StPO“ vorschlägt.

428 Zusammenfassung

absolute Mehrheit der befragten Teilnehmer/-innen eine zusätzliche Doku­ mentationsform (unter Beibehaltung des traditionellen Hauptverhand­ lungsprotokolls nach §§ 271 ff. StPO) vor.42 Zur Behebung des rechts­ staatlichen Defizits wird vorliegend eine obligatorische Audiodokumen­ tation der Vernehmungsinhalte in erstinstanzlichen Verfahren vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten, zuzüglich der Erstellung eines entsprechenden Wortprotokolls unter Zuhilfenahme automatisierter Sprach­erkennung, empfohlen. Stets sollte bedacht werden, dass die Eta­ blierung einer neuen Dokumentationstechnik stets eine gewisse Einge­ wöhnungszeit benötigt und zum Teil – wie jede Veränderung – auch auf Widerstand stoßen wird.43 Vor dem Hintergrund des Wahrheitspostulates und der hohen Grundrechtsrelevanz des Strafverfahrens ist es jedoch an der Zeit, etwaige Widerstände zu überdenken und die (bereits seit Jahr­ zehnten bemängelten) Defizite des status quo endgültig zu beheben.

B. Gesetzentwürfe § 58a StPO-E Aufzeichnung der Vernehmung in Bild und Ton (1) 1Die Vernehmung eines Zeugen kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie soll nach Würdigung der dafür jeweils maßgeblichen Umstände aufgezeichnet werden und als richterliche Vernehmung erfolgen, wenn 2

1. damit die schutzwürdigen Interessen von a) Personen unter 18 Jahren, b) Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch eine Straftat gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuches), eine Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuches) oder eine Straftat gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches verletzt worden sind, oder c) Personen, die durch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuches) verletzt worden sind, d) Personen, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, besser gewahrt werden können. 2. zu besorgen ist, dass der Zeuge im Verlauf des weiteren Verfahrens nicht ver­ nommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erfor­ derlich ist.

42  Näher 43  Vgl.

S. 433. Schmitt, NStZ 2019, 1 (10).

Zusammenfassung429 (2) 1Der Vernehmende erklärt am Ende der Vernehmung, dass die Bild-Ton-Auf­ zeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt. 2Er erklärt zudem, ob und mit welchem Inhalt mit dem Zeugen verfahrensbezogene Gespräche außer­ halb der Bild-Ton-Aufzeichnung geführt wurden. 3Der Zeuge muss Gelegenheit erhalten, sich hierzu zu erklären. […] § 136b StPO-E: (1) 1Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet wer­ den. 2Sie ist aufzuzeichnen, wenn 1. dem Verfahren der Verdacht eines Verbrechens zugrunde liegt und der Aufzeich­ nung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Verneh­ mung entgegenstehen oder 2. die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter einge­ schränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können, 3

Wird von der Aufzeichnung nach Satz 2 Nr. 1 abgesehen, sind die Gründe akten­ kundig zu machen. (2) 1Der Vernehmende erklärt am Ende der Vernehmung, dass die Bild-Ton-Auf­ zeichnung die Vernehmung vollständig und richtig wiedergibt. 2Er erklärt zudem, ob und mit welchem Inhalt mit dem Beschuldigten verfahrensbezogene Gespräche außerhalb der Bild-Ton-Aufzeichnung geführt wurden. 3Der Beschuldigte muss Gelegenheit erhalten, sich hierzu zu erklären. (3) 1Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für Zwecke der Strafver­ folgung und nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforder­ lich ist. § 101 Abs. 8 gilt entsprechend. 2Die §§ 147, 406e sind entsprechend anzu­ wenden, mit der Maßgabe, dass den zur Akteneinsicht Berechtigten Kopien der Aufzeichnung überlassen werden können. 3Die Kopien dürfen weder vervielfältigt noch weitergegeben werden. 4Sie sind an die Staatsanwaltschaft herauszugeben, sobald kein berechtigtes Interesse an der weiteren Verwendung besteht. 5Die Über­ lassung der Aufzeichnung oder die Herausgabe von Kopien an andere als die vor­ bezeichneten Stellen bedarf der Einwilligung des Zeugen. (4) 1Widerspricht der Beschuldigte der Überlassung einer Kopie der Aufzeichnung seiner Vernehmung nach Absatz 3 Satz 3, so tritt an deren Stelle die Überlassung des Protokolls an die zur Akteneinsicht Berechtigten nach Maßgabe der §§ 147, 406e. 2Das Recht zur Besichtigung der Aufzeichnung nach Maßgabe der §§ 147, 406e bleibt unberührt. 3Der Beschuldigte ist auf sein Widerspruchsrecht nach Satz 1 hinzuweisen. § 70c StPO-E: […] (2) 1Außerhalb der Hauptverhandlung kann die Vernehmung des Beschuldigten in Bild und Ton aufgezeichnet werden, wenn dies unter Berücksichtigung seines

430 Zusammenfassung Wohls und der Umstände des Einzelfalls, namentlich wegen der Schwere der Tat, der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder der schutzwürdigen Belange des Beschuldigten, verhältnismäßig ist. 2Sie ist in Bild und Ton aufzuzeichnen, wenn zum Zeitpunkt der Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, ein Verteidiger aber nicht anwesend ist. […] 4Wird die Vernehmung in Bild und Ton aufgezeichnet, gelten § 136b Absatz 2 bis 5 der Strafprozessordnung entspre­ chend. […] Für die Regelung des § 163a StPO ergibt sich hierdurch folgende Änderung: § 163a StPO-E […] (4) […] 2Im übrigen sind bei der Vernehmung des Beschuldigten durch Beamte des Polizeidienstes §§ 136 Absatz 1 Satz 2 bis 6, Absatz 2 bis 5, 136a und § 136b an­ zuwenden. […] […] § 168a StPO-E Art der Protokollierung; Aufzeichnungen […] (2a) 1Wird die Verhandlung in Bild und Ton aufgezeichnet, so kann die Herstellung des Protokolls nach Abs. 2 S. 1 unterbleiben, wenn die Angaben nach § 168a Abs. 1 aufgezeichnet werden und das Ergebnis der Verhandlung aktenkundig ge­ macht wird (Ergebnisprotokoll). 2Die Bild-Ton-Aufzeichnung gilt in diesem Fall als Protokoll im Sinne dieses Gesetzes. Das zuständige Gericht ist bis zum rechts­ kräftigen Abschluss des Verfahrens befugt, von der Staatsanwaltschaft eine Über­ tragung der Bild-Ton-Aufzeichnung in ein Protokoll nach Abs. 2 S. 1 zu verlangen. 3 Diese Vorschrift gilt nicht, wenn die Bild-Ton-Aufzeichnung wesentliche techni­ sche Mängel aufweist oder sich aus sonstigen Gründen nicht zur Ersetzung des Protokolls eignet. […] § 168e StPO-E 1 Ist bei einer Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten und kann der Nachteil nicht in anderer Weise abgewendet werden, so soll der Richter die Vernehmung von den Anwesenheitsberechtigten getrennt durchführen. 2Gleiches gilt, wenn bei der Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihr Wohl besteht und der Nachteil nicht in anderer Weise abgewendet werden kann. […]

Zusammenfassung431 § 247a StPO-E (1) 1Ist bei einer Vernehmung einer Person unter 18 Jahren als Zeuge in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, so kann das Gericht anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2Gleiches gilt, wenn bei der Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der in der Haupt­ verhandlung Anwesenden die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihr Wohl besteht. […]

Anhang A. Auswertung der Befunde Die erhobenen Daten1 werden im Folgenden anhand deskriptivstatistischer Methoden, hier in Form von Balkendiagrammen, dargestellt. Die graphische Datenaufbereitung dient dabei der geordneten Zusammenfassung, Visualisie­ rung und Auswertung der Befragungsergebnisse.2 Ausgegangen wird von insgesamt 185 gültigen Datensätzen (N = 185).3 1. Welche Form der Dokumentation der Hauptverhandlung ist Ihrer Ansicht nach generell am vorzugswürdigsten?

das traditionelle schriftliche Hauptverhandlungsprotokoll nach §§ 271 ff. StPO

45 %

oder aber zusätzlich, unter Beibehaltung des traditionellen schriftlichen Hauptverhandlungsprotokolls,

54 % 22 % 18 % 14 % 0

20

40

60

80

100

Anzahl zusätzlich zu §§ 271 ff. StPO präferierte Dokumentationsformen (gesamt) das vollständige Wortprotokoll die Tonbandaufzeichnung die audiovisuelle Aufzeichnung

Abbildung 1: Präferenz – Dokumentationsform der Hauptverhandlung 1  Diese Rohergebnisse (Grundauszählung) wurden im Voraus der rechtspoliti­ schen Expertinnen- und Expertengruppe des BMJV zum Thema der „Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“ für die Beratungen und den Endbericht (vgl. BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), Anlagenband) zur Verfügung gestellt. 2  Vgl. zur deskriptivstatischen Datenauswertung Steiner/Benesch, Der Fragebo­ gen, S.  88 ff.

Anhang433

Die vorliegende Frage hatte zum Ziel, die Präferenz der Teilnehmer/-innen hinsichtlich der Dokumentationsform der Hauptverhandlung zu ermitteln. Von 174 Befragten4, die im Rahmen dieser Frage eine gültige Antwort ab­ gegeben haben (100 %5), gab die relative Mehrheit der Teilnehmer/-innen (79 ≙ 45 %) an, (nur) das traditionelle schriftliche Hauptverhandlungsproto­ koll nach §§ 271 ff. StPO zu bevorzugen. Die restlichen Stimmen (95) ver­ teilten sich auf die drei weiter aufgeführten Dokumentationsformen. Damit zieht sogar die absolute Mehrheit (54 %) eine zusätzliche Dokumentationsform (unter Beibehaltung des traditionellen Hauptverhandlungsprotokolls) vor. Im Verhältnis dieser drei Dokumentationsformen zueinander erhielt das vollständige Wortprotokoll (unter Beibehaltung des traditionellen schrift­ lichen Hauptverhandlungsprotokolls) die relative Mehrheit an Stimmen (39 ≙ 41 %). Die Dokumentationsform der audiovisuellen Aufzeichnung (unter Beibehaltung des traditionellen schriftlichen Hauptverhandlungsprotokolls) enthielt dagegen nicht nur im prozentualen Vergleich zu den drei zusätzlich aufgeführten Dokumentationsformen (26 %), sondern auch im prozentualen Gesamtvergleich die geringste Anzahl an Stimmen (25 ≙ 14 %). 2. Befürworten Sie eine fakultative audiovisuelle Dokumentation einzelner Vernehmungen in Verfahren vor dem Amtsgericht?

ja, sehr

17 %

ja, etwas

22 %

unentschieden

12 %

nein, eher nicht

22 %

nein, gar nicht

26 % 0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

50

Anzahl

Abbildung 2: Meinungsbild – fakultative audiovisuelle Dokumentation einzelner Vernehmungen in Verfahren vor dem Amtsgericht

3  Unter gültige Datensätze fallen hierbei sowohl vollständig abgeschlossene Da­ tensätze (diese liegen vor, wenn die letzte Seite des Fragebogens erreicht wurde), als auch Datensätze, die teilweise nicht beantwortete und/oder nicht abgefragte Fragen (im Falle eines vorher geschlossenen Fragebogens) enthalten. 4  Die Frage wurde von 11 Teilnehmer/-innen nicht beantwortet. 5  Summe (45 % + 22 % + 18 % + 14 %) ≠ 100 % aufgrund von Rundungen.

434 Anhang

Mit der vorliegenden Frage sollte die Einstellung der Teilnehmer/-innen in Bezug auf die Einführung einer fakultativen audiovisuellen Dokumentation einzelner Vernehmungen vor dem AG ermittelt werden.6 Von 174 Befragten7, die im Rahmen dieser Frage eine gültige Antwort abgegeben haben (100 %8), gab die relative Mehrheit der Teilnehmer/-innen (45 ≙ 26 %) an, diese VideoOption „gar nicht“ zu befürworten. Fasst man die Antworten zu „nein, gar nicht“ und „nein, eher nicht“ zusammen, haben sogar 84 Teilnehmer/-innen (≙ 48 %) eine zur Video-Option (eher) ablehnende Einstellung. Dagegen er­ gibt die Summe aller Stimmen der (eher) befürwortenden Antworten „ja, sehr“ (30 ≙ 17 %) und „ja, etwas“ (39 ≙ 22 %) lediglich 69 (≙ 39 %). Im prozentua­ len Gesamtvergleich erhielt die Antwort „unentschieden“ die geringste Anzahl an Stimmen (21 ≙ 12 %), sodass sich im Umkehrschluss 153 Teilnehmer/-in­ nen (≙ 88 %) bei dieser Frage (eher) klar positionieren wollten. Der arithmeti­ sche Mittelwert (Durchschnittswert)9 liegt mit 3,17 im Bereich „unentschie­ den“ (3).10 Insgesamt zeigten die Teilnehmer/-innen hinsichtlich der Einführung einer fakultativen audiovisuellen Dokumentation einzelner Vernehmungen vor dem Amtsgericht eine unentschiedene Haltung. Aufgrund des Durchschnittswertes zeigt sich jedoch eine leichte Tendenz hin zur Ablehnung dieser Option.

6  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 134: „Um im amtsge­ richtlichen Verfahren eine Bild- und Tonaufzeichnung zu ermöglichen, empfiehlt die Expertenkommission, neben der Möglichkeit der Aufzeichnung auf Tonträger fakulta­ tiv auch die audiovisuelle Aufzeichnung einzelner Vernehmungen zu Protokollzwe­ cken zu ermöglichen“. 7  Diese Frage wurde von 11 Teilnehmer/-innen nicht beantwortet. 8  Summe (17 % + 22 % + 12 % + 22 % + 26 %) ≠ 100 % aufgrund von Rundungen. 9  Das arithmetische Mittel bezeichnet die „Summe aller Beobachtungen [hier die Anzahl der gültigen Antworten (also 174) multipliziert mit der Gewichtung der jeweiligen Antwortoption (also 1, 2, 3, 4 oder 5)], geteilt durch die Anzahl dieser Beobachtungen [hier die Anzahl der gültigen Antworten, also 174]“ und dient der Informationsverdichtung, Hedderich/Sachs, Angewandte Statistik, S. 92. 10  Die Antworten wurden vorliegend wie folgt gewichtet: ja, sehr = 1; ja, etwas = 2; unentschieden = 3; nein, eher nicht = 4; nein, gar nicht = 5. Erfolgt die Berech­ nung mit einer umgekehrten Gewichtung der Antworten (ja, sehr = 5; ja, etwas = 4; unentschieden = 3; nein, eher nicht = 2; nein, gar nicht = 1), wird wertungsmäßig dasselbe Ergebnis erlangt (2,83).

Anhang435 3. Befürworten Sie eine obligatorische audiovisuelle Dokumentation erstinstanzlicher Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten? ja, sehr

13 %

ja, etwas

11 %

unentschieden

8%

nein, eher nicht

21 %

nein, gar nicht

43 %

Sonstiges (z.B. nur Schwurgerichtssachen)

5% 0

10

20

30

40

50

60

70

80

Anzahl

Abbildung 3: Meinungsbild – obligatorische audiovisuelle Dokumentation erstinstanzlicher Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten Tabelle 1 Sonstige Ausprägungen (Freitext) A – Aussage A-1

nur vor den Landgerichten

A-2

Sicherungsverfahren und Strafverfahren, die § 63 StGB zum Gegenstand haben.

A-3

für Dokumentationszwecke reicht eine Audioaufnahme aus, ist aber auch angezeigt

A-4

für alle Verhandlungen wichtig, aber lieber Tonbandaufzeichnung statt audiovisueller Dokumentation

A-5

nein, gar nicht, wohl aber bei erstinstanzlichen Kammersitzungen ein Protokoll mit wesentlichen Aussageinhalten wie vor den Amtsgerichten

A-6

Es macht im Hinblick auf das revisionsrechtliche Rekonstruktionsverbot schlicht keinen Sinn, sonder nur zusätzlichen Aufwand

A-7

insbesondere bei Sexualstraftaten

A-8

nur Wortprotokoll

436 Anhang

Mithilfe der vorliegenden Frage sollte die Einstellung der Teilnehmer/-in­ nen in Bezug auf die Einführung einer obligatorischen audiovisuellen Doku­ mentation erstinstanzlicher Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten11 ermittelt werden. Von 173 Befragten12, die im Rahmen dieser Frage eine gültige Antwort abgegeben haben (100 %13), gab die relative Mehrheit der Teilnehmer/-innen (74 ≙ 43 %) an, eine obligatori­ sche audiovisuelle Dokumentation „gar nicht“ zu befürworten. Die Antwort „nein, eher nicht“ erhielt im prozentualen Gesamtvergleich die zweithäufigste Anzahl an Stimmen (36 ≙ 21 %). Werden alle kritischen Stimmen (74 + 36) zusammengefasst, hat sogar die absolute Mehrheit der Teilnehmer/-innen (110 ≙ 64 %) eine (eher) ablehnende Haltung gegenüber der Einführung einer obligatorischen audiovisuellen Dokumentation erstinstanzlicher Hauptver­ handlungen vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten. Auch aus den Anmerkungen (vgl. Tabelle 4, A-3, A-4, A-5, A-8) wird ersichtlich, dass einige Teilnehmer/-innen weniger eingreifende Maßnahmen (wie die Ton­ bandaufzeichnung, das Wortprotokoll oder sogar das Inhaltsprotokoll) bevor­ zugen. Im prozentualen Gesamtvergleich fielen 8 % aller abgegebenen Stim­ men (13) auf die Antwort „unentschieden“, sodass sich im Umkehrschluss 160 Teilnehmer/-innen (≙ 92 %) bei dieser Frage (eher) klar positionieren wollten. Der arithmetische Mittelwert (Durchschnittswert) beträgt 3,7214 und liegt damit im Bereich „nein, eher nicht“ (4).15 Insgesamt kann daher von einer eher ablehnenden Haltung der Teilnehmer/-innen hinsichtlich der Einführung einer obligatorischen audiovisuellen Dokumentation erstinstanz­ licher Hauptverhandlungen vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten ausgegangen werden.

11  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 128  ff.; BT-Drucks. 19/11090, S. 5 (Fraktion der FDP); hierzu auch Bockemühl, KriPoZ 2019, 375 ff.; BT-Drucks. 19/13515, S. 2 (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen). 12  Diese Frage wurde von 12 Teilnehmer/-innen nicht beantwortet. 13  Summe (13 % + 11 % + 8 % + 21 % + 43 % + 5 %) ≠ 100 % aufgrund von Rundun­ gen. 14  Bei der Berechnung des arithmetischen Mittelwertes wurde die Kategorie „Sonstiges“ ausgenommen. 15  Die Antworten wurden vorliegend wie folgt gewichtet: ja, sehr = 1; ja, etwas = 2; unentschieden = 3; nein, eher nicht = 4; nein, gar nicht = 5. Erfolgt die Berech­ nung mit einer umgekehrten Gewichtung der Antworten (ja, sehr = 5; ja, etwas = 4; unentschieden = 3; nein, eher nicht = 2; nein, gar nicht = 1), wird wertungsmäßig dasselbe Ergebnis erlangt (2,28).

Anhang437 4. Mit der Einführung einer audiovisuellen Dokumentation können sich die Verfahrensbeteiligten besser auf das prozessuale Geschehen konzentrieren, da sie von der Anfertigung eigener Mitschriften teilweise entlastet werden. trifft voll zu

14 %

trifft eher zu

22 %

unentschieden

12 %

trifft eher nicht zu

35 %

trifft gar nicht zu

18 % 0

10

20

30

40

50

60

70

Anzahl

Abbildung 4: Bewertung – Veränderung der Konzentrationsfähigkeit der Verfahrensbeteiligten durch die Einführung einer audiovisuellen Dokumentation

Vorliegend sollte die Einstellung der Teilnehmer/-innen hinsichtlich der vielfach vertretenen These, die Einführung einer audiovisuellen Dokumenta­ tion verbessere die Konzentrationsfähigkeit der Verfahrensbeteiligten und entlaste diese hierdurch zum Teil von der Anfertigung eigener Mitschriften16, erfragt werden. Von 173 Befragten17, die im Rahmen dieser Frage eine gül­ tige Antwort abgegeben haben (100 %18), gab die relative Mehrheit der Teilnehmer/-innen (60 ≙ 35 %) an, dass diese These „eher nicht“ zutrifft. Werden alle kritischen Stimmen zu dieser These zusammengefasst (60 + 31), hat sogar die absolute Mehrheit der Teilnehmer/-innen (91 ≙ 53 %) eine der These gegenüber (eher) ablehnende Haltung. Demgegenüber haben nur 62 Teilnehmer/-innen (≙ 36 %) der Teilnehmer/-innen eine der These gegen­ über (eher) zustimmende Haltung, wenn die Antworten „trifft voll zu“ und 16  In Bezug auf Richterinnen/Richter BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 130; BT-Drucks. 19/11090, S. 2 (Fraktion der FDP); BT-Drucks. 19/13515, S. 3 (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen); von Galen, StraFo 2019, 309 (318); Leitner, S. 136; bezugnehmend auf alle Verfahrensbeteiligten Bartel, StV 2018, 678 (679 f.); BMJV, Bericht der Expertinnen- und Expertengruppe (2021), S. 29; Bockemühl, ­KriPoZ 2019, 375 (378); KriK, Bild-Ton-Aufzeichnung der Hauptverhandlung, S. 2; vgl. ferner auch BGHSt 19, 193 (196): Eine Tonbandaufzeichnung gestatte den Rich­ tern „auf Notizen zu verzichten und dem Verhandlungsgeschehen mit ungeteilter Aufmerksamkeit und freierem Blick zu folgen“; zweifelnd Krauß, Videodokumenta­ tion der Hauptverhandlung, S. 547 (558). 17  Diese Frage wurde von 12 Teilnehmer/-innen nicht beantwortet. 18  Summe (14 % + 22 % + 12 % + 35 % + 18 %) ≠ 100 % aufgrund von Rundungen.

438 Anhang

„trifft eher zu“ zusammengefasst werden. Im prozentualen Gesamtvergleich fiel die geringste Anzahl an Stimmen (20 ≙ 12 %) auf die Antwort „unent­ schieden“, sodass sich im Umkehrschluss 153 Teilnehmer/-innen (≙ 88 %) bei dieser Frage (eher) klar positionieren wollten. Der arithmetische Mittel­ wert (Durchschnittswert) beträgt dennoch 3,21 und liegt damit im Bereich „unentschieden“ (3).19 Damit ist in Bezug auf die in Rede stehende These von einer unentschiedenen Haltung der Teilnehmer/-innen auszugehen. Aufgrund des Durchschnittswertes zeigt sich jedoch eine leichte Tendenz hin zu ihrer Ablehnung. 5. Mit der Einführung einer audiovisuellen Dokumentation können Streitigkeiten über den Inhalt und Ablauf der Hauptverhandlung reduziert werden. trifft voll zu

24 %

trifft eher zu

38 %

unentschieden

14 %

trifft eher nicht zu

11 %

trifft gar nicht zu

12 % 0

10

20

30

40

50

60

70

Anzahl

Abbildung 5: Bewertung – Reduktion von Streitigkeiten über den Inhalt und Ablauf der Hauptverhandlung durch die Einführung einer audiovisuellen Dokumentation

Weiterhin sollte die Einstellung der Teilnehmer/-innen hinsichtlich der vielfach vertretenen These, die Einführung einer audiovisuellen Dokumenta­ tion reduziere Streitigkeiten über den Inhalt und Ablauf der Hauptverhand­ lung20 ermittelt werden. Von 173 Befragten21, die im Rahmen dieser Frage

19  Die Antworten wurden vorliegend wie folgt gewichtet: trifft voll zu = 1; trifft eher zu = 2; unentschieden = 3; trifft eher nicht zu = 4; trifft gar nicht zu = 5. Erfolgt die Berechnung mit einer umgekehrten Gewichtung der Antworten (trifft voll zu = 5; trifft eher zu = 4; unentschieden = 3; trifft eher nicht zu = 2; trifft gar nicht zu = 1), wird wertungsmäßig dasselbe Ergebnis erlangt (2,79). 20  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 131; Bockemühl, Kri­ PoZ 2019, 375 (378); BRAK-Stellungnahme Nr. 1/2010, S. 19; von Galen, ZRP 2016, 42 (44); dies., StraFo 2019, 309 (318); König, Transparenz der Hauptverhand­ lung, S. 515 (530, 533 f.); Nack/Park/Brauneisen, NStZ 2011, 310 (314).

Anhang439

eine gültige Antwort abgegeben haben (100 %22), gab die relative Mehrheit der Teilnehmer/-innen (66 ≙ 38 %) an, dass diese These „eher“ zutrifft. Die Antwort „trifft voll zu“ erhielt im prozentualen Gesamtvergleich die zweit­ häufigste Anzahl an Stimmen (42 ≙ 24 %). Wenn beide Antworten zusam­ mengefasst werden, hat sogar die absolute Mehrheit der Teilnehmer/-innen (108 ≙ 62 %) eine der These (eher) zustimmende Einstellung. Demgegenüber fiel auf die Antwort „trifft eher nicht zu“ im prozentualen Gesamtvergleich die geringste Anzahl an Stimmen (19 ≙ 11 %). Wenn die Antworten „trifft eher nicht zu“ (19) und „trifft gar nicht zu“ (21) i. S. einer der These (eher) ablehnenden Haltung zusammengefasst werden, fallen hierunter lediglich 23 % der Teilnehmer/-innen. Auch der arithmetische Mittelwert (Durch­ schnittswert) beträgt 2,49 und liegt damit im Grenzbereich der Antwort „trifft eher zu“ (2).23 Insgesamt kann daher von einer eher zustimmenden Haltung der Teilnehmer/-innen hinsichtlich der These ausgegangen werden. 6. Die Einführung einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung dient dem gerichtlichen Prozess der Wahrheitsfindung und erhöht dadurch die Zuverlässigkeit der im Urteil getroffenen Feststellungen (i.S. einer Identität von Beweisaufnahme und Urteilsfeststellungen). trifft voll zu

13 %

trifft eher zu

27 %

unentschieden

24 %

trifft eher nicht zu

23 %

trifft gar nicht zu

12 % 0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

50

Anzahl

Abbildung 6: Bewertung – Verbesserung der Wahrheitsfindung und Erhöhung der Zuverlässigkeit der im Urteil getroffenen Feststellungen durch die Einführung einer audiovisuellen Dokumentation

21  Diese

Frage wurde von 12 Teilnehmer/-innen nicht beantwortet. (24 % + 38 % + 14 % + 11 % + 12 %) ≠ 100 % aufgrund von Rundungen. 23  Die Antworten wurden vorliegend wie folgt gewichtet: trifft voll zu = 1; trifft eher zu = 2; unentschieden = 3; trifft eher nicht zu = 4; trifft gar nicht zu = 5. Erfolgt die Berechnung mit einer umgekehrten Gewichtung der Antworten (trifft voll zu = 5; trifft eher zu = 4; unentschieden = 3; trifft eher nicht zu = 2; trifft gar nicht zu = 1), wird wertungsmäßig dasselbe Ergebnis erlangt (3,51). 22  Summe

440 Anhang

Ferner sollte die Einstellung der Teilnehmer/-innen hinsichtlich der These, die Einführung einer audiovisuellen Dokumentation wirke sich positiv auf den gerichtlichen Prozess der Wahrheitsfindung aus und erhöhe dadurch die Zuverlässigkeit der im Urteil getroffenen Feststellungen24, ermittelt werden. Von 172 Befragten25, die im Rahmen dieser Frage eine gültige Antwort ab­ gegeben haben (100 %26), gab die knappe relative Mehrheit der Teilnehmer/ -innen (47 ≙ 27 %) an, dass diese These „eher“ zutrifft. Demgegenüber erhielt die Antwort „trifft gar nicht zu“ im prozentualen Gesamtvergleich die ge­ ringste Anzahl an Stimmen (20 ≙ 12 %), wobei anzumerken ist, dass auch nur 13 % der abgegebenen Stimmen (23) auf die Antwort „trifft voll zu“ fiel. Hieraus folgt, dass sich die Teilnehmer/-innen der Befragung vorliegend nicht i. S. einer klaren zustimmenden oder ablehnenden Haltung hinsichtlich der These positionieren wollten. Dafür spricht auch, dass die Antwort „un­ entschieden“ im prozentualen Gesamtvergleich die zweithäufigste Anzahl an Stimmen (24 %) erhielt. Auch der arithmetische Mittelwert (Durchschnitts­ wert) beträgt 2,92 und liegt damit im Bereich „unentschieden“ (3).27 Insgesamt kann daher von einer unentschiedenen Haltung der Teilnehmer/-innen hinsichtlich der These ausgegangen werden. 7. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Aussagenden wird durch eine audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung lediglich für Verfahrenszwecke nur geringfügig belastet. trifft voll zu

15 %

trifft eher zu

20 %

unentschieden

15 %

trifft eher nicht zu

33 %

trifft gar nicht zu

18 % 0

10

20

30

40

50

60

Anzahl

Abbildung 7: Bewertung – Eingriffsintensität der audiovisuellen Dokumentation in Bezug auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Aussagenden

24  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 130; von Galen, ZRP 2016, 42 (44); Hamm, Revision in Strafsachen, S. 628 (656); Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (710). 25  Diese Frage wurde von 13 Teilnehmer/-innen nicht beantwortet. 26  Summe (13 % + 27 % + 24 % + 23 % + 12 %) ≠ 100 % aufgrund von Rundungen.

Anhang441

Die vorliegende These betrifft die Eingriffsintensität der audiovisuellen Dokumentation in Bezug auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Aussa­ genden.28 Hierzu wurde die These aufgestellt, das Allgemeine Persönlich­ keitsrecht der Aussagenden werde durch eine Videodokumentation lediglich für Verfahrenszwecke nur geringfügig belastet. Von 172 Befragten29, die im Rahmen dieser Frage eine gültige Antwort abgegeben haben (100 %30), gab die knappe relative Mehrheit der Teilnehmer/-innen (56 ≙ 33 %) an, dass diese These „eher nicht“ zutrifft. Fasst man alle kritischen Stimmen zu dieser These zusammen (56 + 31), hat sogar die absolute Mehrheit der Teilnehmer/ -innen (87 ≙ 51 %) eine der These gegenüber (eher) ablehnende Haltung. Die geringste Anzahl an Stimmen (25 ≙ 15 %) erhielten schließlich die Antworten „trifft voll zu“ und „unentschieden“. Der arithmetische Mittelwert (Durch­ schnittswert) beträgt 3,19 und liegt damit im Bereich „unentschieden“ (3).31 Somit ist in Bezug auf die in Rede stehende These von einer unentschiedenen Haltung der Teilnehmer/-innen auszugehen. Aufgrund des Durchschnittswertes zeigt sich jedoch eine leichte Tendenz hin zu ihrer Ablehnung.

27  Die Antworten wurden vorliegend wie folgt gewichtet: trifft voll zu = 1; trifft eher zu = 2; unentschieden = 3; trifft eher nicht zu = 4; trifft gar nicht zu = 5. Erfolgt die Berechnung mit einer umgekehrten Gewichtung der Antworten (trifft voll zu = 5; trifft eher zu = 4; unentschieden = 3; trifft eher nicht zu = 2; trifft gar nicht zu = 1), wird wertungsmäßig dasselbe Ergebnis erlangt (3,08). 28  Näher KriK, Bild-Ton-Aufzeichnung der Hauptverhandlung, S. 2, 3: „Das Per­ sönlichkeitsrecht der Aussagenden wird im Falle einer audiovisuellen Aufzeichnung allein für Verfahrenszwecke kaum über den Aussageakt in öffentlicher Hauptverhand­ lung hinaus belastet. Der Hinweis auf Missbrauchsrisiken […] ist zwar ernst zu neh­ men, scheint aber – soweit ersichtlich – durch die schon bestehenden Fälle, in denen audiovisuelle Aufzeichnungen aus Strafverfahren etwa nach Maßgabe der §§ 58a, 247a StPO vorliegen, nicht bestätigt zu werden“; eingehend hierzu auch Wehowsky, StV 2018, 685 ff. 29  Diese Frage wurde von 13 Teilnehmer/-innen nicht beantwortet. 30  Summe (15 % + 20 % + 15 % + 33 % + 18 %) ≠ 100 % aufgrund von Rundungen. 31  Die Antworten wurden vorliegend wie folgt gewichtet: trifft voll zu = 1; trifft eher zu = 2; unentschieden = 3; trifft eher nicht zu = 4; trifft gar nicht zu = 5. Erfolgt die Berechnung mit einer umgekehrten Gewichtung der Antworten (trifft voll zu = 5; trifft eher zu = 4; unentschieden = 3; trifft eher nicht zu = 2; trifft gar nicht zu = 1), wird wertungsmäßig dasselbe Ergebnis erlangt (2,81).

442 Anhang 8. Die bisherige Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz bleibt durch die Einführung einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung unverändert. trifft voll zu

27 %

trifft eher zu

12 %

unentschieden

21 %

trifft eher nicht zu

21 %

trifft gar nicht zu

20 % 0

5

10

15

20

25

30

35

40

45

50

Anzahl

Abbildung 8: Bewertung – Veränderung der Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz durch die Einführung einer audiovisuellen Dokumentation

Die vorliegende These hat die Auswirkungen der Einführung einer audio­ visuellen Dokumentation in Bezug auf die bisherige Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz zum Gegenstand.32 Von 165 Be­ fragten33, die im Rahmen dieser Frage eine gültige Antwort abgegeben haben (100 %34), gab die relative Mehrheit der Teilnehmer/-innen (45 ≙ 27 %) an, dass diese These „voll“ zutrifft. Die Antwort „trifft eher zu“ erhielt hin­ gegen im prozentualen Gesamtvergleich die geringste Anzahl an Stimmen (19 ≙ 12 %). Fasst man die abgegebenen Stimmen beider Antworten zusam­ men (64), haben 39 % der Teilnehmer/-innen eine der These (eher) zustim­ mende Einstellung. Die beiden Antworten mit einer (eher) ablehnenden Ein­ stellung („trifft gar nicht zu“ und „trifft eher nicht zu“) erhielten in Summe nahezu gleich viele Stimmen (67 ≙ 41 %), sodass sich vorliegend ein unent­ schiedenes Ergebnis andeutet. Dieses wird schließlich durch den arithmeti­ 32  Vgl. BMJV, Bericht der Expertenkommission (2015), S. 132, 133; ferner Bartel, StV 2018, 678 (681 ff.); Hamm, Revision in Strafsachen, S. 628 (653 ff.); Ignor/ Schlothauer, Begrenzung der Revisionsmöglichkeiten, S. 476 ff.; König, Transparenz der Hauptverhandlung, S. 515 (533 f.); Krauß, Videodokumentation der Hauptver­ handlung, S. 547 (564  ff.); KriK, Bild-Ton-Aufzeichnung der Hauptverhandlung, S.  3 f.; Kudlich, Audiovisuelle Dokumentation, S. 163 (169 ff.); Meyer-Goßner, FS Fezer (2008), S. 135 (143 ff.); Mosbacher, StV 2018, 182 ff. (zur Tonaufzeichnung); Wehowsky, NStZ 2018, 177 ff.; Witting, FS Schiller (2014), S. 691 (704 ff.). 33  Diese Frage wurde von 20 Teilnehmer/-innen nicht beantwortet. 34  Summe (27 % + 12 % + 21 % + 21 % + 20 %) ≠ 100 % aufgrund von Rundungen.

Anhang443

schen Mittelwert (2,95) bestätigt, der im Bereich „unentschieden“ (3) liegt.35 Insgesamt kann daher von einer unentschiedenen Haltung der Teilnehmer/ -innen hinsichtlich der These ausgegangen werden. Die Freitextantworten zu Frage 9 und 10 werden im Anschluss an die Auswertung der Befunde dargestellt (S. 15 ff.). 11. Welche Tätigkeit üben Sie aus?

Staatsanwältin/Staatsanwalt

54 %

Richterin/Richter 8%

Richterin/Richter (gesamt)

43 %

19 % 16 %

Richterin/Richter LG

Richterin/Richter AG Richterin/Richter OLG

Sonstiges

3%

0

20

40

60

80

100

Anzahl

Abbildung 9: Tätigkeiten der befragten Personen

Tabelle 2 Sonstige Ausprägungen (Freitext) A – Aussage A-1

Amtsanwältin/ Amtsanwalt

A-2

Justizangestellte

A-3

Richter/Richterin auf Probe (LG)

35  Die Antworten wurden vorliegend wie folgt gewichtet: trifft voll zu = 1; trifft eher zu = 2; unentschieden = 3; trifft eher nicht zu = 4; trifft gar nicht zu = 5. Erfolgt die Berechnung mit einer umgekehrten Gewichtung der Antworten (trifft voll zu = 5; trifft eher zu = 4; unentschieden = 3; trifft eher nicht zu = 2; trifft gar nicht zu = 1), wird wertungsmäßig dasselbe Ergebnis erlangt (3,05).

444 Anhang

Mit der vorliegenden Frage sollte schließlich die Tätigkeit der Teilnehmer/ -innen der Befragung ermittelt werden. Von 165 Befragten36, die im Rahmen dieser Frage eine gültige Antwort abgegeben haben (100 %), gab die absolute Mehrheit der Befragten (89 ≙ 54 %) an, als Staatsanwältin/Staatsanwalt tätig zu sein. Weitere 71 Teilnehmer/-innen (≙ 43 %) gaben an, eine Tätigkeit als Richterin/Richter auszuüben. Hierbei waren 27 Teilnehmer/-innen (≙ 16 %) als Richterin/Richter an einem Amtsgericht, 31 Teilnehmer/-innen (≙ 19 %) als Richterin/Richter an einem LG und 13 Teilnehmer/-innen (≙ 8 %) als Richterin/Richter an einem OLG tätig. Die größte Gruppe der Richterinnen/ Richtern war demnach an einem LG tätig. 5 weitere Teilnehmer/-innen (3 %) haben sich unter der Kategorie „Sonstiges“ eingetragen. Hiervon waren 3 Teilnehmer/-innen als Amtsanwältin/Amtsanwalt, 1 Teilnehmerin als Justiz­ angestellte und 1 Teilnehmer/in als Richter/Richterin auf Probe am LG tätig. Insgesamt verteilen sich die Teilnehmer/-innen der Befragung daher relativ gleichmäßig in die oben genannten Personengruppen.37

36  Die

Frage wurde von 20 Teilnehmer/-innen nicht beantwortet. Verhältnis der an der Online-Befragung teilgenommenen Personengrup­ pen der Richterinnen/Richter und der Staatsanwältinnen/Staatsanwälte zueinander (1:1,25) entspricht auch in etwa der tatsächlichen Beschäftigungslage in Baden-Würt­ temberg (1:1,43). Die Beschäftigungslage in Baden-Württemberg wurde aus der in Kinzig, DRiZ 2020, 436 (437) abgedruckten Tabelle 1 entnommen (466 Staatsanwäl­ tinnen und Staatsanwälte; 325 Strafrichterinnen und Strafrichter). Ausgehend von diesen Zahlen (in Baden-Württemberg) beträgt die Gesamtbeteiligungsrate der Staats­ anwältinnen/Staatsanwälte und Richterinnen/Richter an der Online-Befragung ca. 20–21 % (variiert je nach konkreter Frage). 37  Das

Anhang445

B. Freitextantworten zu Frage 9 und 1038 9. Wie könnte Ihrer Ansicht nach sichergestellt werden, dass die bisherige Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz beibehalten wird (und dem Revisionsgericht keine grundsätzlich neuen Aufgaben übertragen werden)? Tabelle 1 Vorschläge zur Vereinbarkeit einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung mit der bisherigen Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz A – Aussage A-1

Indem gesetzlich klar geregelt wird, dass in der Revisionsinstanz keine Beweisaufnahme erfolgt, sondern ausschließlich Rechtsfehler zu prüfen sind.

A-2

Sofern das bisherige Protokoll bestehen bleibt, sollte das Revisionsge­ richt bei seiner Entscheidung grundsätzlich nur dieses zu Grunde legen.

A-3

Durch eine gesetzliche Konkretisierung der Inbegriffsrüge auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung, namentlich dahingehend dass die Auslegung von Aussagen und deren Würdigung nur einer eingeschränk­ ten revisionsgerichtlichen Prüfung mit Blick auf Zudem sollten Angriffe gegen die Beweiswürdigung in diesem Zusammenhang als Verfahrens­ rüge dem § 344 Abs. 2 S. 2 StPO unterworfen werden. Die Überprüfung durch das Revisionsgericht sollte sich dabei – wie bisher – auf die Vollständigkeit, die Widerspruchsfreiheit und die Einhaltung der Gesetze der Logik beschränken.

A-4

Beschränkung der audiovisuellen Dokumentation auf Vernehmungen

A-5

Die bisherige Aufgabenverteilung kann unverändert bleiben. Für die Revision bleiben die Förmlichkeiten des Protokolls maßgeblich und die interne Widerspruchsfreiheit des Urteils, nicht Inhalt und Bedeutung der Beweismittel, soweit sie audiovisuell dokumentiert sind. Die Dokumenta­ tion ist nur H i l f s m i t t e l für den Richter bei der Abfassung des Urteils. Auf eine falsche Darstellung von Aussagen im Urteil – abweichend von der Dokumentation – kann eine Revision nicht gestützt werden. Sie kann allenfalls in gravierenden Fällen strafrechtlich als Rechtsbeugung verfolgt werden. Alternativ wäre eine Umgestaltung der strafprozessualen Revision entsprechend der Regeln der zivilprozessualen Revision denkbar, die ja seit jeher auf protokollierte Aussagen im Protokoll zurückgreift. (Fortsetzung nächste Seite)

38  Die Freitextantworten wurden aus dem Onlinefragebogen ohne Korrektur übernommen.

446 Anhang (Fortsetzung Tabelle 1) A-6

Durch das Verbot der Verwertung der Aufzeichnung im Revisionsverfah­ ren. Aber welchen Nutzen hat die Aufzeichnung dann noch?

A-7

Die audiovisuelle Aufzeichnung dürfte vom Revisionsgericht nur unter bestimmten Bedingungen überhaupt eingesehen werden; dies müsste klar geregelt sein. Ansonsten bleibt Grundlage der Revisionsentscheidung das traditionelle Hauptverhandlungsprotokoll, soweit dieses im Rahmen der Revision eingeführt wurde.

A-8

Die audiovisuelle Dokumentation sollte als Beweismittel in der Revi­ sionsinstanz nicht zugelassen werden.

A-9

Indem dem Revisionsgericht die Aufzeichnung nur in Ausnahmefällen (wenn sie für die zulässig erhobene Rüge von Relevanz sein sollte) zur Verfügung gestellt wird.

A-10

Revisionsinstanz erhält die audiovisuelle Dokumentation nicht.

A-11

Die audiovisuelle Doku darf in der Revisionsinstanz nicht in Augen­ schein genommen werden.

A-12

Unzulässigkeit der Inbegriffsrüge

A-13

wie auch schon jetzt bei der Verfahrensrüge: Es muss dargelegt werden, dass Inhalt einer Beweiserhebung nicht zutreffend im Urteil „verarbeitet“ wurde.

A-14

Maßgeblich für die Revisionsinstanz bleibt alleine das Protokoll. Unklarheiten oder Fehler sollten über eine etwaige Protokollberichtigung/-Ergänzung des Tatrichters bereinigt werden.

A-15

Dem Revisionsgericht dürfte die audiovisuelle Aufzeichnung nicht zugänglich gemacht werden.

A-16

(Antwort auf Frage 8 unentschieden, weil es darauf ankommen dürfte, wie man die audiovisuelle Dokumentation verwendet). Die audiovisuelle Dokumentation sollte lediglich für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Protokolls im Falle eines Rechtsmittels (insb. Revision) verwendet werden, nicht jedoch, um dem Revisionsgericht eine darüber hinausge­ hende Würdigung der ersten Instanz zu ermöglichen. Bei der Revision erscheint aufgrund des geltenden Prüfungsmaßstabs, der einer Überbean­ spruchung der zur Verfügung stehenden Ressourcen vorbeugt, nicht ange­ zeigt. Bei einer Berufung dürfte die audiovisuelle Dokumentation überflüssig sein, weil dort ohnehin die Beweisaufnahme nochmals vollumfänglich zu erfolgen hat.

A-17

Überprüfung von audiovisuellem Material nur auf konkrete Rüge, nicht die allgemeine Sachrüge, und eingeschränkte Überprüfung von Wertun­ gen, z. B. hinsichtlich Glaubhaftigkeit. Letztlich steht jedoch eher zu befürchten, das Revisionsgerichte von selbst regelmäßig keine Zurückhal­ tung walten lassen werden.

A-18

Anschauen der Aufzeichnungen nur bei entsprechender qualifizierter Revisionsrüge

Anhang447 A-19

Wenn eine audiovisuelle Dokumentation stattfindet, sollte diese nur für das Gericht zur Gedächtnisstütze zugänglich sein. Wäre diese auch für die Verfahrensbeteiligten zugänglich, würde dies bei langen Verfahren, die häufig mit einer Konfliktverteidigung einhergehen, umfangreichste Sachrügen erhoben werden, die dazu führen können, dass das Revisions­ gericht damit schlicht lahmgelegt wird.

A-20

Indem die Rügevoraussetzungen zum Inhalt der Hauptverhandlung hoch gehalten werden

A-21

Verwertungsverbot

A-22

Die audiovisuelle Dokumentation sollte dem Revisionsgericht nicht zugänglich gemacht werden. Es müsste dazu eine Art Protokollergän­ zungsrecht des Revidenten eingeführt werden, so dass bei evidenten Widersprüchen zwischen Ergebnis der Beweisaufnahme und den gerichtlichen Feststellungen die entsprechenden Passagen der Dokumen­ tation verschriftet und ins Protokoll aufgenommen werden könnten. Das Urteil müsste dann erneut zugestellt werden, so dass ergänzende Rügen möglich blieben.

A-23

Überprüfung der Identität von Urteilsfeststellungen und Aufzeichnung nur im Rahmen von Verfahrensrüge (=umfassende Darlegungspflicht hinsichtlich jeweiligem Inhalt) mit Beruhensprüfung.

A-24

Indem eine Kenntnisnahmemöglichkeit d. Revisionsgerichts von der audiovisuellen Dokumentation rechtlich und faktisch ausgeschlossen wird.

448 Anhang Tabelle 2 Erhebliche Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung mit der bisherigen Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz A – Aussage A-1

Aus meiner Sicht ist das kaum sicherzustellen. Es ist aber ja gerade die Frage, ob nicht auch die bisherige Form der revisionsgerichtlichen Überprüfung ebenfalls geändert werden sollte, was natürlich eine sehr weitreichende Änderung wäre.

A-2

Aus meiner Sicht kaum möglich. Bei Vorliegen einer audiovisuellen Aufzeichnung dürfte das Revisionsgericht zwangsläufig – zumindest unterbewusst – den persönlichen Eindruck der Beteiligten/Beweiswürdi­ gung usw. in die Entscheidung einfließen lassen, es besteht die Gefahr, dass das Revisionsgericht in weitaus größerem Umfang in die Beweis­ würdigung der Tatsacheninstanz eingreift, da sich die Richter zumindest unterbewusst in die Situation der unteren Instanz versetzen. M. E. kann dem kaum wirksam entgegen gewirkt werden.

A-3

Dem Revisionsgericht müsste die Betrachtung der Aufzeichnung verwehrt bleiben (= unrealistisch)

A-4

Gesetzliche Vorgaben zum Prüfungsumfang der Revisionsgerichte, die aber zum Teil schon bestehen. M. E. kaum vermeidbar, dass sich die Revisionspraxis verändern würde

A-5

Ich halte es für unvermeidbar, dass ein erheblicher Druck auf die Revisionsinstanz entstehen wird, angebliche Abweichungen zwischen den Urteilsfeststellungen und den Aussagen aufzuklären. Dieser Druck wird sich nicht dauerhaft abwehren lassen, d. h. es wir nahezu zwingend binnen einiger Jahre zu einer Veränderung der Arbeit der Revisions­ instanz kommen.

A-6

Das Revisionsgericht darf nicht verpflichtet sein, umfangreiches Video­ material zu sichten. Zwingend wären dann konkrete Rügen mit exakten Fundstellenangaben. Dies wird sich allerdings nur schwer durchhalten lassen, weil bei dem Einwand, der Zeuge habe teilweise andere Angaben gemacht, als im Urteil festgestellt, dennoch kaum ein Weg daran vorbeiführt, die gesamte Aussage anzusehen, um einzelne Passagen im Gesamtkontext verstehen zu können. Dies wird die bisherige Aufgaben­ verteilung letztlich beseitigen.

A-7

Ich denke nicht, dass das sichergestellt werden kann. Die audiovisuelle Dokumentation wäre quasi Protokollbestandteil.

A-8

Grundsätzlich gar nicht, da bei audiovisueller Dokumentation das Revisionsgericht auch rekonstruieren könnte. Es wäre allenfalls denkbar die Rügemöglichkeit auf grobe/evidente Widersprüche zwischen audiovi­ sueller Dokumentation und schriftlichen Urteilsgründen zu beschränken. Allerdings ergäbe sich hier auch wieder eine erhebliche Rechtsunsicher­ heit, denn es würde sich die Frage stellen, wann ein Widerspruch grob oder evident ist.

Anhang449 Tabelle 3 Keine Möglichkeit der Vereinbarkeit einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung mit der bisherigen Aufgabenverteilung zwischen Tatsachen- und Revisionsinstanz A – Aussage A-1

Indem es keine audiovisuelle Aufzeichnung der Tatsacheninstanz gibt, also alles so bleibt wie bisher. Stellen Sie sich vor, ein Verfahren vor dem LG, das mehrere Monate oder gar Jahre dauert, würde audiovisuell aufgezeichnet. Wer sollte sich das anschauen, der BGH? Zudem würde eine solche Aufzeichnung der Strafverteidigung Tür und Tor öffnen für vermeintliche Revisionsgründe. Verfahren vor Landgerichten sind ohnehin schon dermaßen überfrachtet mit immer mehr und detaillierteren Vorgaben und einer immer abstruseren Revisionsrechtsprechung durch den BGH, dass sie immer länger dauern, weil die Kammern alle Fehler penibel vermeiden wollen. Würde man jetzt die Hauptverhandlung auch noch auf Video aufnehmen, wäre das der Todesstoß für die Funktions­ fähigkeit der Landgerichte in Strafsachen.

A-2

Gar nicht.

A-3

gar nicht, daher halte ich auch nichts von einer audiovisuellen Aufzeich­ nung der Hauptverhandlung.

A-4

Gar nicht. Wenn es audiovisuelle Dokumentationen gibt, wird – von Seiten der Verteidigung – regelmäßig gerügt werden, dass die Zeugen­ aussagen oder Angaben von Angeklagten im Urteil nicht richtig widerge­ geben oder missinterpretiert wurden, und zur Überprüfung dieser Rüge müsste das Revisionsgericht m. E. sich dann mit der Aufnahme beschäfti­ gen und somit teilweise eine Beweisaufnahme durchführen.

A-5

Spontan fällt mir keine Lösung ein – die Revisionsführer werden immer auf die Videodokumentation Bezug nehmen.

A-6

Keine Einführung der audiovisuellen Vernehmung, oder aber Heraus­ lassen der audiovisuellen Vernehmung im Revisionsverfahren.

A-7

gar nicht

A-8

indem man es bei der bisherigen Regelung belässt.

A-9

gar nicht

A-10

Indem man es bei dem bisherigen Zustand belässt.

A-11

Gar nicht

A-12

Keine audiovisuelle Dokumentation.

A-13

Überhaupt nicht. Eine Aufzeichnung der Hauptverhandlung würde bei den Revisionsgerichten zwingend zu einer Aufgabenvermehrung führen.

A-14

da sehe ich keine befriedigende Lösung (Fortsetzung nächste Seite)

450 Anhang (Fortsetzung Tabelle 3) A-15

Mit einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung gar nicht. Sollte es dazu kommen, müsste auch das Revisionsrecht umfassend überarbeitet werden, sonst wird es in der Revisionsinstanz immer mehr auch um Tatsachen und deren Bewertung gehen.

A-16

Da ich hierfür keine Lösung sehe, lehne ich eine audiovisuelle Doku­ mentation ab.

A-17

In der gegenwärtigen Situation gar nicht, da die Rev.-Instanz die Hauptverhandlung nicht rekonstruiert. Es bräuchte einen Paradigmen­ wechsel!

A-18

Das kann nicht gelingen, wie die Praxis zeigt. BGH und OLG suchen sich Gründe (bis zum „Durchentscheiden“). Die Streitigkeiten, ob und wie etwas zu verstehen, wahrzunehmen war, verschärfen sich.

A-19

Gar nicht – das revisionsrechtliche Verbot der Rekonstruktion der Hauptverhandlung wäre ad absurdum geführt

A-20

Es müsste das deutsche Revisionsrecht komplett anders geregelt wer­ den – entsprechend dem anderer europäischer Länder, die bereits eine vollständige Dokumentation der Hauptverhandlung kennen.

Tabelle 4 Sonstige Anmerkungen (insbesondere Zweifel hinsichtlich der Sinnhaftigkeit einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung) A – Aussage A-1

Die Revisionsinstanz darf die audiovisuelle Dokumentation nicht nutzen; nur was bringt diese dann für einen Mehrwert?

A-2

Einschränkung der Rügemöglichkeit von Abweichungen zwischen der audiovisuellen Dokumentation und dem Urteil im Revisionsverfahren. Dann aber wäre eine audiovisuelle Dokumentation auch nicht erforder­ lich.

A-3

Indem man das System so belässt wie es ist. Es macht aus meiner Sicht schlicht keinerlei Sinn, etwas aufzuzeichnen, was dann wegen des Rekonstruktionsverbots nicht vom Revisionsgericht selbst gewürdigt werden darf. Will man die Aufzeichnung als Ausdruck des Misstrauens gegenüber den Tagerichten sehen, die – was die verteidigungsorientierte Literatur ja immer glauben machen will – Im Urteil nur das schreiben, was ihnen zum Ergebnis passend erscheint, so muss man das System ändern. Die Aufzeichnung hat aus meiner Sicht nur eine Berechtigung, wenn sie auch vom nachfolgenden Gericht verwertet werden kann. Das würde aber viele neue Richterstellen erfordern, die die Politik ohnehin

Anhang451 nicht bereit ist zu schaffen – schon gar nicht bei angemessener Besol­ dung. Deshalb bin ich inzwischen nach vielen Erfahrungen mit Gesetz­ gebungsprojekten der letzten Zeit ein entschieden dagegen, irgendwelche Projekte zu unterstützten, die sich in plakativem Aktionismus für die Öffentlichkeit erschöpfen, ohne die Konsequenz für eine funktionierende Justiz auch nur in Erwägung zu ziehen. Der Rechtsstaat darf ja nicht kosten – außer natürlich die Geduld und Einsatzkraft derjenigen, die ihn am Laufen halten. Daher bin ich ganz offen: Entweder der konsequente Systemwechsel zu einer weiteren Tatsacheninstanz mit der Bereitschaft, Geld für den Rechtsstaat und weitere qualifizierte Akteure auszugeben, oder es bleibt wie es ist. Eine Art zahnloses Überwachungssystem als Ausdruck pauschalen Misstrauens brauchen wir nicht! A-4

Das könnte nur sichergestellt werde, wenn dem Revisionsgericht der Zugriff auf die audiovisuellen Aufzeichnungen verwehrt bliebe. Dann machen diese aber ja keinen Sinn.

A-5

Die bisherige Aufgabenverteilung lässt sich nur beibehalten, wenn am Rekonstruktionsverbot der Hauptverhandlung in der Tatsacheninstanz festgehalten wird. Dann aber ist mit der audiovisuellen Dokumentation – die mit erheblichem Aufwand verbunden ist und die Aussagebereitschaft von Zeugen negativ beeinflussen wird, wie sich schon bei jetzigen Großverfahren zeigt, bei denen Zeugen mit einer Videokamera aufge­ nommen und das Bild auf einen Bildschirm/Leinwand projeziert wird, damit Verfahrensbeteiligte auch bei ungünstiger Sitzposition das Gesicht der Zeugen sehen können – kein Erkenntnisgewinn (im Sinne einer Nachprüfbarkeit der Urteilsausführungen auf Übereinstimmung mit dem Inhalt der Hauptverhandlung) verbunden. Sollte das Rekonstruktionsverbot hingegen fallen, so dass geltend gemacht werden kann, dass die Beweisaufnahme im Urteil nicht zutreffend wiedergegeben wurde, dürften die Revisionsgerichte ganz massiv belastet werden; denn eine unterschiedliche Würdigung von Zeugenaussagen ist eher der Regelfall als die Ausnahme, und im Gegensatz zu einem Protokoll (oder eigenen Mitschriften, die oft auch heute schon digital erfolgen), das man überfliegen kann, muss eine audiovisuelle Dokumentation regelmäßig zur Gänze in Augenschein genommen werden, oft mehrfach, um die Äußerungen recht zu verstehen.

A-6

Das hängt davon ab, inwieweit die Aufzeichnung Teil des Hauptverhand­ lungsprotokolls wird. Bisher enthält dies in Hauptverhandlungen vor dem LG keinerlei Angaben zum Inhalt der Aussagen, so dass für die Beweis­ würdigung der Aussage nur das Verständnis der Kammer relevant ist. Wenn die Aufzeichnung Teil des Protokolls wird, dann würde dies die Überprüfungsdichte der Revisionsinstanz deutlich erhöhen. Würde man die Aufzeichnung nicht als Teil des Protokolls ansehen, würde es nur den Aufschrieb der Verfahrensbeteiligten ergänzen oder ersetzen. Das wäre den Aufwand aber wohl nicht wert.

A-7

Es sollte wie im Jugendstrafrecht für alle Verfahren nur noch 1 Instanz wahlweise Berufung oder Revision (Fortsetzung nächste Seite)

452 Anhang (Fortsetzung Tabelle 4) A-8

Weiß ich nicht. Vielleicht könnte es ausreichen, es bei den bisherigen Regeln zu belassen und darauf zu hoffen, dass die Gefahr einer Strafan­ zeige wegen Rechtsbeugung ausreicht, um die Gerichte davon abzuhal­ ten, in den Urteilsgründen Zeugenaussagen zu behaupten, die nicht genau so stattgefunden haben (gilt besonders für LG-Urteile).

A-9

Das derzeitige Revisionssystem ist eine Katastrophe. Die Revisionsins­ tanz sollte nur dann Verfahren zurückgeben, wenn willkürliche oder erhebliche Fehler zu finden sind und nicht wenn irgendein nebensächli­ ches Detail nicht passt.

A-10

Durch eine „Voll-“Dokumentation werden die verfahrensrechtlichen Rügen in der Revision sprunghaft zunehmen. Dies ist unvermeidbare Folge.

10. Haben Sie weitere Anmerkungen oder Hinweise zu dieser Thematik? Ich würde mich insbesondere über Anregungen aus Ihrer Rechts­ praxis freuen (es genügen auch Stichworte). Tabelle 5 Möglicher Nutzen einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung A – Aussage A-1

Die audiovisuelle Dokumentation wäre eine erheblicher Fortschritt im Vergleich zur derzeitigen Handhabe. Zwar wäre bereits die wörtliche Mitschrift sämtlicher Äußerungen im Gerichtssaal ein großer Fortschritt, aber mit der audiovisuellen Dokumentation könnte auch die damit verbundene Fehleranfälligkeit des Protokolls beendet werden.

A-2

insbesondere bei lang andauernden Vernehmungen oder die komplexen Ausführungen von Sachverständigen ermöglicht eine bessere Konzentrati­ on, weil man nicht mitschreiben muss

A-3

Die Protokolle der Amtsgerichte sind häufig fehlerhaft. Erneute Zeugen­ vernehmungen in der Berufungsinstanz könnten vielleicht vermieden werden, wenn eine bereits eine audiovisuelle Vernehmung vorliegt. Da es in der Berufungsinstanz und bei erstinstanzlichen Verfahren vor den Landgerichten keine Wortprotokolle gibt, ist es auch schwierig, Verfahren wegen Aussagedelikten zu führen, da die Zeugenaussagen nicht objektiv dokumentiert sind. Es ist i.Ü. für die Praxis unverständlich, warum bei den Amtsgerichten umfassende Protokolle geführt werden müssen, bei diesen aber auf die Hinzuziehung eines Protokollbeamten verzichtet werden kann, während bei den Landgerichten die Protokolle nur die wesentlichen Förmlichkeiten protokolliert werden müssen, aber auf den Protokollbeamten nicht verzichtet werden kann.

Anhang453 A-4

Insbesondere in Aussage gegen Aussage Konstellationen kann eine audio­ visuelle Aufzeichnung helfen, da für die Beurteilung von Aussagen auf ihre Glaubhaftigkeit das gesamte Setting und auch der Wortlaut der Aussage entscheidend sein können.

A-5

Über die audiovisuelle Dokumentation der Beweisaufnahme hinaus erachte ich eine vollständige Dokumentation der Hauptverhandlung für sinnvoll. Prozessrechts- und standesrechtsinadäquates Verhalten sämtli­ cher Verfahrensbeteiligter könnte so belegt werden, was per se schon eine disziplinierende Wirkung entfalten könnte.

A-6

Ich denke, dass eine audiovisuelle Aufzeichnung zwar nicht unbedingt bewirkt, dass „richtigere“ Urteile gefällt werden. Falls die Aussagen jedoch für andere Verfahren benötigt werden, sind sie viel besser als bisher dokumentiert.

A-7

Die technischen und prozessualen Voraussetzungen für eine audiovisuelle Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen zu schaffen, ohne dass dabei Angriffsfläche für die Verteidigung geboten werden (Gericht entscheidet nach freiem Ermessen, kein Recht auf Beantragung (allenfalls Anregung) einer av Aufzeichnung durch Verteidigung, gegen Anordnung kein Rechtsmittel) wäre eine gute Möglichkeit bei zu erwartenden Falschaus­ sagen, was im Strafprozess regelmäßig vorkommt. Es würde auch die Vernehmungsperson disziplinieren und die anschließende Strafverfolgung erleichtern. Insgesamt würde die Wahrheitsfindung damit abgesichert und verbessert werden.

A-8

– wenig ist frustrierender als ein revisionsfest geschriebenes Urteil, das falsche Tatsachen feststellt. – Bewusstsein um audiovisiuelle Aufnahmen wird disziplinierend wirken alle Prozessbeteiligten, da insbesondere obstruierendes Verteidigungs­ verhalten, z. B. durch eine missbräuchlich ausufernde Ausüübung des Fragerechts, durch das Gericht leichter für das Revisionsgericht dargestellt werden kann.

A-9

Gerade in Großverfahren (erstinstanzlich vor dem Landgericht), bei denen häufig zwei Vertreter der Staatsanwaltschaft in der Sitzung präsent sind, wobei einer im Wesentlichen die Aufgabe hat, die Beweisaufnahme zu dokumentieren, würde die audiovisuelle Dokumentation eine erhebli­ che Erleichterung bringen. Meines Erachtens würde dadurch auch eine höhere Richtigkeitsgewähr der Entscheidungen zu erwarten sein. Manipu­ lative Vorhalte oder scheinbare Widersprüche, welche im Bereich der Konfliktverteidigung teilweise gezielt gegenüber Belastungszeugen eingesetzt werden, könnte dadurch überdies der Boden entzogen werden.

454 Anhang Tabelle 6 Bedenken im Zusammenhang mit einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung A – Aussage A-1

Die Erfahrung mit den bisher schon durchgeführten audiovisuellen Aufnahmen zeigt, dass die Zeugen durch die Aufnahme zu einem nicht unerheblichen Teil gehemmt wirken und teilweise als „Schauspieler“ agieren.

A-2

Die Gefahr selektiven anwaltlichen Vortrags – belegt durch einen wenige Worte oder Sätze umfassenden Ausschnitt der Vernehmungsaufzeich­ nung – ist sehr groß. Das Revisionsgericht wird sich regelmäßig die vollständige(n) Aussage(n) ansehen müssen, um die Aussage in ihrer Gänze zu würdigen. Damit würde die Revisionsinstanz zu einer verkapp­ ten Tatsacheninstanz.

A-3

Schwierig an dem Fragebogen finde ich, dass fast ausschließlich von „audiovisueller“ Dokumentation gesprochen wird. Meiner Einschätzung nach haben die meisten Verfahrensbeteiligten keine Probleme mit einer Tonaufzeichnung, eine auch visuelle Aufzeichnung stößt jedoch auf viele Bedenken. Insbesondere Zeugen wären hierdurch stark beeinträchtigt und die Bereitschaft, als Zeuge vor Gericht auszusagen, würde mit Sicherheit noch weiter leiden. Aber auch die am Verfahren beteiligten Volljuristen sind durch eine auch visuelle in ihrem Verhalten beeinflusst.

A-4

Eine Problematik der audiovisuellen Aufzeichnung ist, dass auf Video nie alle Details in einem Raum aufgezeichnet werden können. Daher sollte aber dennoch jedenfalls eine Tonaufzeichnung erfolgen.

A-5

Die audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung vor den Strafkam­ mern der Landgerichte ist der „Tod“ der Revision als reine Rechtsfehler­ kontrolle, da durch die Aufzeichnungen Begehrlichkeiten der Rechtsmit­ telführer geweckt werden. Zwangsläufige Konsequenz der Aufzeichnung wäre daher m. E. der vollständige Umbau des Rechtsmittelrechts. Wäre das wünschenswert (und finanzierbar)?

A-6

aufgrund der (mangelnden) technischen Ausstattung erscheint eine praktische Durchführung vor allem bei den Amtsgerichten in naher Zukunft eher nicht machbar; auch wäre zu klären, wer die Aufnahmetechnik „bedient“, da der Vorsitzende neben der Leitung der Hauptverhandlung nicht auch die Rolle des Ton- und Bildtechnikers übernehmen kann.

A-7

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass dies nicht nur positive Effekte haben würde, sondern ggf. auch der „Showtime“ Tür und Tor geöffnet wird.

Anhang455 A-8

Ich fürchte, dass die audiovisuelle Dokumentation bei den einen Verfah­ rensbeteiligten zu Verunsicherung (wie sehe ich aus usw.) führt, bei den anderen zu Schauspielerei und Gockelgehabe. Aus meiner Sicht reicht die Tonbandaufzeichnung aus. Hierdurch würde auch die Gefahr der Verbreitung (und Verhöhnung) im Internet reduziert, weil das Abhören von Tonbandaufzeichnungen mühselig ist und daher bei bestimmten sog. sozialen Medien nicht zu erwarten ist.

A-9

Verhandlungen mit stärkerer Medienpräsenz haben immer wieder gezeigt, wie sehr insbesondere die Verteidigung für persönliche Profilierungen anfällig ist. Dieses „menschliche“ Problem könnte sich bei Audiovisuellen Aufzeichnungen ausweiten.

A-10

In mehrjähriger richterlicher Tätigkeit am Amtsgericht habe ich keinen einzigen Streit der Beteiligten erlebt, bei die audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung in Strafsachen geholfen hätte.

A-11

Das Problem ist, dass jetzt schon viel zu wenig Zeit zur Verfügung gestellt wird und die Auswertung der Videos dies sprengen würde. Schon jetzt muss der Augenschein von Aufzeichnungen vielfach wiederholt werden, weil nach dem ersten Augenschein Streit über den Inhalt herrscht oder irgendwer irgendetwas genauer sehen will.

A-12

Meiner Meinung nach wäre eine Sichtung/Auswertung eines audiovisuel­ len Protokolls wesentlich zeitaufwändiger als das Lesen eines schriftli­ chen Protokolls. Auch wenn schriftliche Protokolle fehlerbehaftet sein können, würde ich diesen daher den Vorzug gegenüber einem audiovisu­ ellen Protokoll geben. Bei besonderen Verfahrenslagen sieht die StPO auch jetzt schon in § 273 Abs. 3 ein Wortprotokoll vor. Allerdings würde ich auch in Verfahren vor dem Landgericht ein Inhaltsprotokoll bevorzu­ gen.

A-13

Welche Wirkung es auf einen Verfahrensbeteiligten hat, dass das von ihm Gesagte aufgezeichnet wird, ist meines Wissens nicht geklärt. Ich halte es aber für naheliegend, dass ein mitlaufendes Mikrofon kaum wahrge­ nommen und jedenfalls während der Vernehmung vergessen wird, eine auf die Person gerichtete Kamera aber nicht.

A-14

Eine audiovisuelle Aufzeichnung halte ich für nicht zielführend. Ameri­ kanische Schauspielprozesse bedarf es in einem Rechtsstaat nicht. Allenfalls bei ganz schwerwiegenden Taten (z. B. Terrorismus) könnte an eine Tonbandaufzeichnung gedacht werden (wie es z. B. auch schon im Bader-Meinhoff-Verfahren der Fall war.

A-15

Sämtliche Prozessbeteiligte könnten sich durch die Aufnahmen „beobach­ tet“ fühlen und daher sich „anders“ verhalten als üblich (Kamerascheu), was ggf. Auswirkungen auf die Würdigung der Aussage haben könnte.

A-16

Es ist zu beachten, dass die Urteilsberatung sehr viel längere Zeit in Anspruch nehmen wird, weil insbesondere Zeugenaussage intensiv angeschaut werden müssten, um sicherzustellen, dass das Gericht von einem zutreffenden Inhalt ausgeht. (Fortsetzung nächste Seite)

456 Anhang (Fortsetzung Tabelle 6) A-17

In den letzten Jahren wurden schon Video-Dokumentationsplichten in die StPO aufgenommen. Zuletzt insbesondere § 58a Abs. 1 S. 3 StPO. Die Norm in unserem System schlicht nicht sinnvoll anwendbar. Entgegen aller berechtigter Einwände aus der Praxis, dass die damit gewollte richterliche Video-Erstvernehmung als einzige Vernehmung sich nicht mit den Anforderungen unseres Rechtssystems vereinbaren lässt, wurde sie dennoch übernommen. Die Politik wollte sich offensichtlich unbedingt vor der Öffentlichkeit und einem Teil der Interessenverbände mit einem Schritt in Richtung umfassende Dokumentation hervortun. Auch bei der Dokumentation der Beschuldigtenvernehmung auf Video wurde keine konsequente Umsetzung geschaffen. So soll die Verschriftung der Aufzeichnung nicht im Wortlaut notwendig sein, wie in der Gesetzesbe­ gründung zu lesen ist. Das ist aus meiner Sicht vollkommener Unsinn. Wenn es eine Wortlaut-Konserve gibt, dann gehört diese auch genau so für die Akten verschriftet. Alles andere zeigt nur wieder, dass man politischen Aktionismus betreibt, aber die personellen Konsequenzen nicht ziehen will.

A-18

Für die audiovisuelle Dokumentation gilt wie für jede Änderung, dass die Vorteile mit hinreichender Sicherheit die Nachteile nennenswert überwiegen sollten. Allein der Einsatz der Technik ist kein solcher Vorteil. Erste Kontrollfrage schon: Was ist, wenn sie ausfällt, gar im Nachhinein durch Datenverlust? Vor allem aber sind die Auswirkungen auf das Verhalten aller Prozessbe­ teiligter sehr kritisch zu beachten. Aus anderen Bereichen, etwa der Politik, ist die Diskrepanz des Auftretens vor der Kamera und ohne eine solche hinlänglich bekannt. Die Tatsachenerforschung lebt vom Erspüren des Verhaltens der Beteiligten. Wenn das auch noch durch Kameraein­ fluss („posieren“) beeinflusst wird, entfernt sich die Welt des Gerichts­ saals noch mehr vom früheren realen Geschehen. Auch die Authentizität des Auftretens von Richtern und Staatsanwälten mit einem Minimum an Spontaneität leidet zusätzlich. Die unmeßbaren Qualitätsverluste schätze ich deutlich schwerwiegender ein als mögliche Vorteile. Ausgenommen seien die Fälle der §§ 58a, 58b StPO.

A-19

– hoher zusätzlicher Aufwand – insbesondere in der Rechtsmittel­ instanz –, zusätzlich zur schriftlichen Akte auch audiovisuelle Inhalte zu sichten. – hohes Einfallstor für die Produktion zusätzlicher Revisionsgründe und „Verführen“ der Rechtsmittelinstanz, eine eigene Tatsachenbewertung durchzuführen

A-20

Nach meiner Einschätzung würde die Einführung der audiovisuellen Aufzeichnung der Hauptverhandlung zu einer deutlichen Verlängerung der Prozesse führen, da damit zu rechnen ist, dass ständig Streit über den Inhalt zurückliegender Beweiserhebungen entsteht.Für den Fall der Einführung muss dies aufgrund des zu erwartenden erheblichen Mehrauf­ wands mit einer deutlichen Verstärkung des richterlichen Personals einhergehen.

Anhang457 A-21

Ich habe die spontane Befürchtung, dass das Aussageverhalten der Beteiligten und Zeugen in Kenntnis der Dokumentation leidet.

A-22

Eine audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung wird die Dauer von Großverfahren erheblich verlängern.

A-23

Wer soll beim Revisionsgericht all die Aufzeichnungen ansehen bzw. anhören? Das wäre ein unverhältnismäßiger Aufwand, z. B. bei einem langwierigen Prozess am OLG in 1. Instanz über mehrere Jahre; soll der BGH dies dann alles anschauen??

A-24

Der ganz entscheidende Nachteil audiovisueller Dokumentationen von Vernehmungen ist die im Vergleich zu schriftlichen (auch wortwörtli­ chen) Dokumentationen unverhältnismäßig lange Laufzeit der Aufnah­ men. Im Klartext: Es dauert in der Praxis „ewig“, eine solche Aufnahme anzuhören oder auch nur in einer solchen Aufnahme den einzelnen Punkt zu suchen, der interessiert – sehr viel länger als die Arbeit mit einem Wortprotokoll. Das ist meine Erfahrung mit audiovisuellen Vernehmun­ gen in Ermittlungsverfahren wegen Sexualstraftaten. Im normalen Arbeitsalltag ist die der damit verbundene Zeitaufwand eigentlich nicht zu leisten.

A-25

Die audiovisuelle Aufzeichnung der Hauptverhandlung würde das Ausmaß des ohnehin schon vorhandenen schauspielerischen Anteils der Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung voraussichtlich nicht unerheblich erhöhen.

A-26

Die bisherige Praxis ist gut, kein Grund für Änderungen, audiovis. Aufzeichnungen belasten den Prozess unnötig

A-27

Eine audiovisuelle Aufzeichnung wird meines Erachtens wenig Mehr­ ertrag gegenüber einer einfachen visuellen Aufzeichnung bringen. Auch müssten eine Vielzahl von Kameras installiert werden, um nach Möglich­ keit auch die Reaktion der weiteren Prozessbeteiligten zu dokumentieren.

A-28

Nach meiner Auffassung würde die Audiovisuelle Aufzeichnung erst­ instanzlicher Hauptverhandlungen vor dem Landgericht zu einem ganz immensen Mehraufwand auf mehreren Ebenen führen. Vor allem das ohnehin schon sehr schwierige Abfassen von Revisionsurteilen würde dadurch nach meiner Einschätzung ganz massiv verkompliziert. Es könnte gerade bei Großverfahren dazu führen, dass beim Abfassen eines Revisionsurteils die Aufzeichnungen von 30, 40, 50 oder noch mehr Hauptverhandlungstagen immer und immer wieder angehört werden müssten, um jeden nur denkbaren Widerspruch und jede vielleicht als unklar auffassbare Äußerung in der Beweiswürdigung darzulegen und zu erörtern. Hinzu kämen höchstwahrscheinlich technische Probleme bei der Auf­ zeichnung. Etwa bei ohnehin schwierigen Vernehmungssituationen (mitten in der retraumatisierenden Vernehmung eines minderjährigen Opferzeugen fällt die Aufnahmetechnik aus, was die Wiederholung der bisherigen Vernehmungsteile erfordert oder zumindest zu dahingehenden (Fortsetzung nächste Seite)

458 Anhang (Fortsetzung Tabelle 6) Anträgen der Verteidigung führt) oder etwa beim Simultandolmetschen von Zeugen und Angeklagten mit verschiedenen Fremdsprachen. Aus meiner praktischen Erfahrung heraus kann ich deshalb derartigen Vorhaben nur mit aller Entschiedenheit entgegentreten. A-29

audiovisuelle Dokumentation führt zu stärkerer Bloßstellung von Zeugen; ist ein Einfallstor für Anträge von Konfliktverteidigern

A-30

Größtes Problem ist das Rekonstruktionsverbot, dieses würde grundsätz­ lich komplett ausgehebelt. Folge: Revision vor dem BGH/OLG würde zu einer Art Berufung. Von der eigentlichen Aufgabe des Revisionsgerichts, der reinen Rechtsprüfung, würde kaum etwas übrig bleiben. Es würden erheblich mehr Revisionssenate benötigt, da im Extremfall stunden- und tagelange audiovisuelle Aufzeichnungen zu sichten wären. Eine Erleichterung für den erstinstanzlichen Richter würde kaum eintreten, denn er müsste entweder gleichwohl mitschreiben oder aber stunden- und tagelange audiovisuelle Aufzeichnungen im Nachhinein sichten. Das ist bei einer 50–100 Tage andauernden Hauptverhandlung vor der Wirtschaftsstrafkammer nicht zu leisten.

A-31

Der mögliche Vorteil, dass man sich in der Verhandlung selbst mehr auf die Verhandlungsschritte konzentrieren kann, wenn man nicht mit der eigenen Mitschrift beschäftigt ist, verwandelt sich im Nachhinein wieder in einen Nachteil, weil man dann alles erneut abhören muss (oder die Verschriftung lesen muss), was viel aufwändiger ist, also sich mit seinen eigenen Notizen zu beschäftigen.

A-32

Solange es schriftliche Urteilsgründe gibt, ist es nicht nötig und auch nicht sinnvoll audiovisuell aufzuzeichnen.

A-33

Leider fehlt es an der Zeit, sich vollständige Wortprotokolle und lange Aufzeichnungen erneut anzuschauen

A-34

Oft genug sind Wahrnehmungen begrenzt. Aber auch audiovisuelle sind das (ist der z. B. ganze Körper sichtbar (Wahrheits- Lügensignale). Wenn mehrere Kameras aufgebaut sind, geht es mE durch die Aufnahme tatsächlich und verschärft ins Persönlichkeitsrecht.

A-35

Für eine sinnvolle audiovisuelle Dokumentation müsste man jeden Verfahrensbeteiligten einzeln aufnehmen, da auch gerade die Reaktion des Beschuldigten auf eine Zeugenaussage für die schlussendliche Bewertung der Tat Einfluss haben kann. Schließlich kann dem Risiko, dass die audiovisuelle Dokumentation einer Verhandlung an die Öffent­ lichkeit dringt, nicht wirksam vorgebeugt werden (s. Veröffentlichung der Vernehmung des Angeklagten Ernst im Lübke-Prozess). Da im Prozess gerade auch höchstpersönliche Umstände erörtert werden, besteht ein relevantes Risiko, dass eine Persönlichkeitsrechtsverletzung bei Beteilig­ ten eintritt.

Anhang459 A-36

Ich empfinde insbesondere die Missbrauchsgefahr als sehr hoch – die Dokumentation müsste vermutlich auf Datenträger den Verfahrensbetei­ ligten zur Verfügung gestellt werden. Wie will man verhindern, dass Angeklagte oder Verteidiger die Videodokumentation ganz oder auch in – ggf. sinnentstellenden – Ausschnitten ins Netz gestellt werden?

A-37

Mit einer audiovisuellen Dokumentation (alleine) wäre kein Gewinn für die Verfahrensbeteiligten verbunden – sie ersetzt schlicht keine Mit­ schrift. Bei der Beratung und der späteren Abfassung des Urteils ist es notwendig, zielgenau auf Beweisergebnisse zugreifen zu können, ggf. auch bei einer digitalen Mitschrift durch Volltextsuche. Eine Ton-BildAufzeichnung einer auch nur sechsstündigen Hauptverhandlung oder gar von 600 Stunden Hauptverhandlung in großen Verfahren ist dafür unbrauchbar, selbst dann, wenn Sprungmarken gesetzt werden (und wer sollte das qualitativ gesichert tun?). Auch ein Wortprotokoll der derzeitigen Art kann im Übrigen eigene Mitschriften nicht ersetzen, weil es sich tatsächlich natürlich – auch beim Amtsgericht – um kein echtes Wortprotokoll handelt, sondern je nach Befähigung der Urkundsbeamten um eine mehr oder weniger gelungene Annäherung. Darauf möchte man sich lieber nicht verlassen, nicht zuletzt, weil die Schwerpunktsetzung nicht immer gelingt und wichtige Punkte unter den Tisch fallen. Ein echter Gewinn wäre daher keine Ton-Bild-Aufzeichnung, sondern ein stenographisches Protokoll von der Qualität des Parlamentsprotokolls – das aber kann und will niemand bezahlen, ungeachtet der Frage, wo all die Stenographen herkommen sollen. Bei der Diskussion um die audio-visuelle Dokumentation werden m. E. auch die Schwierigkeiten mit der praktischen Umsetzung überschätzt. Selbst in technisch gut ausgestatteten Gerichtssälen mit lebensjüngeren und technikaffinen Richtern ist schon der Aufwand, den Zeugenstand aufzunehmen und zu projizieren und Videos, Tonaufzeichnungen (und ggf. Vorhalte aus der digitalen Hilfsakte) über vorhandene Großbildschir­ me bzw. Leinwände abzuspielen bzw. anzusehen, nicht völlig zu vernachlässigen. Auch versagt auch an großen, gut ausgestatteten Gerichten immer wieder die Technik; regelmäßig fallen bspw. einzelne Tischmikrofone (oder ganze Ketten) aus, weil irgendjemand irgendwo unachtsam mit einem Kabel umgegangen ist. Zudem bietet längst nicht jeder Saal – auch an großen Landgerichten – auch nur Mikrofone an jedem Platz, von Kameras und Bildschirmen ganz zu schweigen. Eine sinnvolle audiovisuelle Dokumentation würde einen massiven techni­ schen, aber auch personellen Aufwand bedeuten, der nicht nur nicht zum Nulltarif zu bekommen ist, sondern auch Mittel bei der (chronisch unterfinanzierten) Justiz binden würde, die gewinnbringender eingesetzt werden könnten. Die bestehenden Schwierigkeiten zeigen sich derzeit ja schlaglichtartig bei den Versuchen, Verhandlungen in Zivilsachen im Wege der Ton-Bild-Übertragung durchzuführen; die Anforderungen in (Fortsetzung nächste Seite)

460 Anhang (Fortsetzung Tabelle 6) Strafsachen sind deutlich höher. Wenn aber simple Ton-Bild-Übertragun­ gen aus und in den Saal viele Jahre nach Einführung der entsprechenden Vorschriften noch solche Schwierigkeiten machen, mag man sich gar nicht vorstellen, welche Hürden für eine umfassende Ton-Bild-Aufzeich­ nung der Hauptverhandlung zu überwinden wären – mit einem sehr, sehr überschaubaren Gewinn. A-38

– Technische Umsetzung äußerst schwierig (Umgang älterer Kollegen mit Technik sowie Bereitstellung der entsprechenden Möglichkeiten, auch bauliche)

A-39

In der Praxis führt eine entsprechende Dokumentation nicht zu einer Entlastung: Es ist lebensfremd anzunehmen, es bestünde im Arbeitsalltag genug Zeit um nach einer durchgeführten Hauptverhandlung anschließend diese nochmals auf Video anzuschauen und sich dadurch Mitschriebe zu ersparen.

A-40

Es wäre ausreichend, wenn es auch beim Landgericht ein Wortproto­ koll – wie beim Amtsgericht – geben würde; dieses könnte ggf. durch eine Tonbandaufnahme sichergestellt werden. Eine audiovisuelle Auf­ zeichnung würde m. E. zum einen in die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten und der übrigen Prozessteilnehmer eingreifen, zum anderen würde dies den Gang des Gerichtsverfahrens aufgrund ausufernder Beweis- und Rechtsmittelanträge unnötig belasten.

A-41

Ich halte eine audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung als massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Zeugen/Verfahrensbe­ teiligten, da nicht gewährleistet werden kann, dass die Angeklagten/ sonstige Verfahrensbeteiligte die Aufzeichnung weiterverbreiten

A-42

Eine Videoaufzeichnung der Hauptverhandlung wird das Verhandlungs­ klima beeinträchtigen und nur den Schauspielern und Selbstdarstellern unter den Beteiligten zugute kommen. Wir wollen hier keine Gerichts­ show wie in den USA. Der Staatsanwalt insbesondere soll in seinem Auftreten sachlich und objektiv bleiben und keine rhetorische Spiegel­ fechterei mit dem Verteidiger führen.

A-43

Ausgehend von den bestehenden Datenschutzgesetzen ist es fraglich, wie sichergestellt werden kann, dass die datenschutzrechtlichen Interessen aller Verfahrensbeteiligter im Rahmen der Akteinsichtsrechte diverser Verfahrensbeteiligter ausreichend gewahrt werden können, insbesondere wie eine Vervielfältigung der Aufnahme und deren Verbreitung effektiv verhindert werden kann.

Anhang461 Tabelle 7 Sonstige Anmerkungen und Hinweise A – Aussage A-1

Bei jedweder Änderung des Strafverfahrensrechts muss sich der Gesetz­ geber darüber im Klaren sein, dass stets die Gefahr mitschwingt, den Strafprozess komplizierter, damit langwieriger und als Reflex dann auch personalintensiver macht. Wenn Verfahren in die Länger gezogen werden und Strafen nicht mehr zeitgerecht verhängt werden können, ist dem Rechtsstaat ein Bärendienst erwiesen.

A-2

Eine audiovisuelle Aufnahme der Hauptverhandlung ist das ALLER­ LETZTE, was wir Strafrichter brauchen!

A-3

Vor Erlass sollte sichergestellt werden, dass alle Beteiligten – dies fängt schon bei der polizeilichen Vernehmung an – kompatible Geräte, die auf den neuesten Stand sind, besitzen. Aus meiner Sicht sollten die Zeugen­ aussagen bei landgerichtlichen Verfahren (auch Berufungsinstanz) aufgenommen und dann verschriftet werden. Für die Richtigkeit der Übertragung in die Schriftform sollte der/die Urkundsbeamte/in garantie­ ren. Das Anhören in ein weiteren Instanz sollte dann nur in absoluten Ausnahmefällen möglich sein. Ein Problem bei der audiovisuellen Aufzeichnung ergäbe sich m. E. in amtsgerichtlichen Strafverfahren, die derzeit ein Massengeschäft darstel­ len. Bei dynamischen Geschehen, wie zB oft bei Körperverletzungsdelik­ ten, bei denen eine Vielzahl von Zeugen gehört werden, würde wohl viele Richter nicht mehr ihren Aufschrieben und unmittelbaren Eindruck vertrauen, sondern sich vor einer Entscheidung nochmal das Tonband/ Video anschauen. Dies würde die Verfahren in die Länge ziehen und es wäre viel mehr Personal notwendig, um das Geschäftsaufkommen zu bewältigen.

A-4

Als Zivilrechtler verstehe ich die ganze Diskussion nicht so richtig. Dass wir (anders als das LG in Strafsachen) Wortlautprotokolle führen, hat in keiner Weise dazu geführt, dass das Revisionsgericht in die Zuständigkeit der Tatsacheninstanz hineinwirkt. In jeder Berufungssache fragen wir uns, ob „konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten“ (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und werten dafür natürlich auch das Wortlautprotokoll aus, ohne dass die Tatsachenfeststellung der ersten Instanz dadurch obsolet würde (vielmehr finden sich meistens keine solchen Zweifel). Warum das bei audiovisuel­ ler Dokumentation anders sein sollte, leuchtet mir nicht ein. Aus meiner Sicht – eines selbst protokollierenden Zivilrechtlers – sehe ich nur den Unterschied, dass ich Aussagen so ins Protokoll aufnehme, dass sie verständlich sind. Bei bloßer audiovisueller Dokumentation muss man vielleicht stärker darauf achten (Nachfragen), dass die Auskunftsper­ son es tatsächlich so ausspricht, wie es in der konkreten Situation alle (Fortsetzung nächste Seite)

462 Anhang (Fortsetzung Tabelle 7) verstanden haben; während der zeuge das Diktierte sofort auf Richtigkeit überprüfen kann, stellt er missverständliche Aussagen, die lediglich aufgenommen werden, ggf. nicht klar, weil es ihm nicht auffällt. Das betrifft aber die Vernehmungslehre und nicht das Rechtsmittelrecht. A-5

Audiovisuelle Aufnahmen werden das Mitschreiben nicht ersetzen, sondern nur erleichtern. Die Mitschrift ist dann nämlich das Inhaltsver­ zeichnis zur Aufnahme. Man kann bei der Urteilsabfassung nur selektiv auf Aufzeichnungen zugreifen, weil sonst der Zeitaufwand viel zu groß wäre. Es sollte auch nicht das ganze Verfahren aufgezeichnet werden, sondern tatsächlich nur die Einlassung des Angeklagten und die Zeugen­ aussagen sowie gutachterliche Ausführungen. Ich fertige seit einem Jahr – mit Zustimmung aller Verfahrensbeteilig­ ter – in längeren Prozessen regelmäßig Audioaufnahmen zur Gedächtnis­ stütze (nicht als Teil des Protokolls!) und bin auch bereit, diese der Verteidigung/StA zu überlassen. Bisher hat noch niemand die Aufnahmen haben wollen. Einen Blick wert sind sicher die Regeln in der zivilprozessualen Revi­sion. Warum läuft das da anders? Und wie anders? Ich komme aus dem Zivilrecht und finde das Prozessrecht und die Praxis dort deutlich rationaler und transparenter als das Strafprozessrecht.

A-6

Unerklärlicher Widerspruch zwischen dem Führen eines Wortprotokolls in Strafsachen vor den Amtsgericht, wohingegen bei Verhandlungen vor dem Landgericht, sei es vor kleinen oder großen Strafkammern, lediglich ein der äußeren Form dienendes Protokoll existiert. Wenigstens eine Angleichung dieser Zustände (im Hinblick auf das Führen eines Wort­ protokolls bei den Landgerichten) wäre wünschenswert.

A-7

Keine Fernsehaufnahmen, stattdessen Tonband mitlaufen lassen.

A-8

Ganz wesentlich für die Zustimmung und für eine tatsächliche Akzeptanz wird die Qualität der eingesetzten Technik (einfache Bedienung, Verläss­ lichkeit) sein.

A-9

Tonbandaufzeichnung ist m. E. nach ausreichend um der teilweise erheblichen Diskrepanz zwischen verschriftetem Protokoll und tatsäch­ liche Gesprochenem entgegen zu wirken. Bessere Nachvollziehbarkeit der Antworten (da Frage mit aufgezeichnet)

A-10

Forschungen zu Aussagepsychologie und Vernehmungslehre haben ergeben, dass die visuelle Wahrnehmung des Aussagenden u. U. eine Glaubhaftigkeitsanalyse erschwert. Die zuverlässigste Aussageanalyse kann wohl erfolgen, wenn man eine schriftliche Aussage auf Glaubhaf­ tigkeitsmerkmale hin analysiert. Vielleicht kann dieser Gesichtspunkt bei Ihrem Promotionsvorhaben eine Rolle spielen.

Anhang463 A-11

siehe Antwort zu Frage 9 (Das hängt davon ab, inwieweit die Aufzeichnung Teil des Hauptverhandlungsprotokolls wird. Bisher enthält dies in Hauptverhandlungen vor dem LG keinerlei Angaben zum Inhalt der Aussagen, so dass für die Beweiswürdigung der Aussage nur das Verständnis der Kammer relevant ist. Wenn die Aufzeichnung Teil des Protokolls wird, dann würde dies die Überprüfungsdichte der Revisionsinstanz deutlich erhöhen. Würde man die Aufzeichnung nicht als Teil des Protokolls ansehen, würde es nur den Aufschrieb der Verfahrensbeteiligten ergänzen oder ersetzen. Das wäre den Aufwand aber wohl nicht wert.)

A-12

Bereits eine reine Audio-Aufzeichnung von Zeugenaussagen würden für das Gericht die Sicherheit mit sich bringen, Zeugenaussagen mehrmals anhören zu können und diese besser Beurteilen zu können, da andernfalls doch einiges verloren geht. Ich würde diese Aufzeichnung aber nur als Gedächtnishilfe für das Gericht sehen und nicht für die übrigen Beteilig­ ten. Denn wären die Aufzeichnungen auch diesen zugänglich, wird – je nach dem, ab welchem Zeitpunkt diese Aufzeichnungen den anderen Verfah­ rensbeteiligten zugänglich zu machen sind – die Gefahr, dass der Ablauf der Tatsacheninstanz als auch der der Rechtsmittelinstanz erschwert wird. Insbesondere in Fällen der Konfliktverteidigung werden Zeugen aus­ ufernd befragt. Die Möglichkeiten des Gerichts hier einzuschreiten sind ohnehin schon sehr begrenzt. Vorhaltungen werden hier deutlich erleich­ tert. Zudem könnte der Einwand kommen, dass ein Verteidiger auf die Idee kommt, sich zuerst die bisherige Vernehmung nochmals anhören zu wollen, bevor er eigene Fragen stellt. Für eine Konfliktverteidigung wird damit ein neues Instrument geschaffen. Bereits jetzt beantragen in einzelnen Verfahren, Verteidiger die Aussage aufzuzeichnen, was wir bislang stets als nicht erforderlich abgelehnt hatten. Für die Revision stellt sich dann die Frage, wie mit Sachrügen betref­ fend die Feststellungen und Beweiswürdigung umzugehen ist, die hierdurch ebenfalls ein ausuferndes Maß annehmen könnten, das zumindest mit dem bisher vorhandenen Kapazitäten nicht zu bewältigen sein wird.

A-13

– Eine „Gewährleistung“ der Identität von Beweisaufnahme und Urteilsfeststellungen (soweit dies wohl das Ziel der audiovisuellen Aufzeichnung darstellt) setzt m. E. vor allem voraus, dass dies (somit also als neue Aufgabe) durch die Revisionsinstanz (ggfs. einge­ schränkt) überprüfbar ist. Ein Manko derzeit ist m. E. die fehlende Protokollierung von Zeugenvernehmungen vor dem LG (Wirtschafts­ strafkammer), die in Einzelfällen sogar dazu führt/führen kann, dass die Sachverhaltsfeststellung (bewusst oder unbewusst) „revisions­ sicher“, also ergebnisorientiert so getroffen wird, dass diese die rechtliche Würdigung tragen und das Urteil möglichst nicht angreifbar ist. So ist derzeit bspw. das schlichte Weglassen einer bestimmten Zeugenaussage i. R.d. Sachverhalts/Beweiswürdigung im LG-Urteil nicht durch die StA angreifbar, ja nicht einmal nachweisbar.

464 Anhang – Daher: Einführung eines Wortprotokolls für Vernehmungen auch und insb. vor dem Landgericht (beim Amtsgericht erfolgt dies ja faktisch schon) – zu Frage 2: ja, dann aber auch vor dem LG, nicht nur dem AG (warum das LG ausnehmen?) – alle Fragen zielen auf eine audiovisuelle Aufzeichnung ab. M. E. geht eine solche aber zu weit und ist auch nicht zielführend (warum visuell? was soll das bringen? Aussagepsychologisch darf aus dem äußeren Auftreten (Gestik/Mimik) ohnehin nicht auf den Wahrheits­ gehalt der Aussage geschlossen werden!). Ausreichend erscheint m. E. ein obligatorisches Wortprotokoll für Vernehmungen (auch vor dem LG) und eine fakultative Audioaufzeichnung (§ 273 III 2 StPO) und zwar einheitlich, d. h. gerade auch vor dem LG.“ A-14

Alle Beteiligten der Hauptverhandlung werden sich anders verhalten, wenn sie wissen, dass sie die ganze Zeit über aufgenommen werden. Fraglich, ob dies gut oder schlecht ist.

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Sachwortverzeichnis Akteneinsichtsrecht  175 ff., 241 ff., 288 ff. –– Aktenbestandteil  175 –– Besichtigungsrecht  131, 176, 180 –– Widerspruchsrecht des Beschuldigten  214 ff., 229 –– Widerspruchsrecht des Zeugen  131, 175 ff. Allgemeines Persönlichkeitsrecht  51 ff., 139 ff., 402 ff. –– historischer Rückblick  51 ff. –– Recht am eigenen Bild  61 ff. –– Recht am gesprochenen Wort  61 –– Recht auf informationelle Selbstbe­ stimmung  54 ff. Audiovisuelle Aufzeichnung –– Aufzeichnungsgebot  152 ff. –– Aufzeichnungspflicht  163 ff., 184 ff., 193 ff. –– der Beschuldigtenvernehmung  182 ff. –– der Zeugenvernehmung  126 ff. –– Duldungspflicht  160 ff., 191 ff. –– Ermittlungsverfahren  126 ff., 182 ff. –– fakultativ  139 ff., 201 ff. –– Hauptverhandlung  374 ff.

–– Verstoß gegen Aufzeichnungspflicht  208 ff., 229 –– Verwendungsbeschränkung  173 ff. –– Vorführung in der Hauptverhandlung  271 ff., 293 ff. –– Vorhalt  296 ff. –– Zustimmungsvorbehalt und Wider­ spruchsmöglichkeit  166 ff. Beschuldigtenvernehmung  80 ff. –– Belehrung  83 ff. –– persönliche Interaktion  87 ff. –– rechtliches Gehör  80 f., 85 –– Selbstbelastungsfreiheit  83 f. –– zur Person  82 –– zur Sache  85 ff. closed circuit television  313, 351 Duldungspflicht –– des Beschuldigten  191 ff. –– des Zeugen  160 ff. Dolmetscher  69, 85, 224, 225, 360 Englisches Modell  100, 116 Ergänzende Zeugenvernehmung  289

–– Jugendgerichtsgesetz  186 ff., 204, 215 f., 218 ff.

Faires Verfahren  42, 176, 335

–– Umfang  171 f., 205 f.

Gerechtigkeit  36 ff. –– Rechtssicherheit  38 ff. –– Wahrheit als Bezugsgröße  40 Gesperrte Zeugen  128, 156 f., 326, 332 ff. Glaubhaftigkeitsbegutachtung  144 f., 347 f.

–– Verfassungsrechtliche Einordnung  60 ff. –– Verhältnismäßigkeit  139 ff., 154 f., 188 f., 201 ff., 402 ff. –– Vernehmungsersetzung in der Hauptverhandlung  274 ff.

518 Sachwortverzeichnis Kommissarische Vernehmung  351, 337 Konfrontationsrecht  288 f.

Unmittelbarkeitsgrundsatz  150 f., 274 ff., 287, 345

Mainzer Modell 97 ff. Mehrfachvernehmungen  79, 111, 113 f., 276, 319 Mitwirkungsvorbehalt –– Akteneinsicht  288 ff. –– Gelegenheit zur Mitwirkung  287 f., 312 –– kumulativ  287

Video-Simultanübertragung –– Anfechtungsausschluss  353 ff. –– Aufzeichnung  317 f., 348 f. –– Auslandszeuge  337 ff. –– außerhalb der Hauptverhandlung  364 ff. –– Defizite der audiovisuellen Kommuni­ kation  345 ff. –– Dolmetscher  360 f. –– dringende Gefahr  302 ff., 324 f., 327 ff. –– Durchführung  313 ff., 350 ff. –– Entfernung des Angeklagten  116, 304 f., 311 f., 321, 327 ff. –– Ermittlungsverfahren  299 ff. –– Gefangener  362 ff. –– Haftprüfung  366 f. –– Hauptverhandlung  320 ff. –– optische und akustische Abschirmung von Zeugen  333 f., 336 –– Sachverständiger 355 ff. –– schwerwiegender Nachteil  302 ff., 324 f., 327 ff. –– Subsidiaritätsklausel  309 ff., 321 ff., 343 –– Verdeckte Ermittler und Vertrauens­ personen  303, 332 ff. –– Verurteilter  370 ff. –– Vorstand der Rechtsanwaltskammer  368 ff. Videotechnologie –– aktuelle Praxis  102 ff. –– Entstehungsgeschichte  94 ff.

Opferrechtsreformgesetze  129 ff. Optische und akustische Abschirmung von Zeugen  333 f., 336 Protokoll –– Ergebnisprotokoll  255 ff. –– Ermittlungsverfahren  231 ff. –– Hauptverhandlung  375 ff. –– im Ausland  259 ff. –– Inhaltsprotokoll  77 f., 142 f., 233 f., 239 ff., 245 ff., 251 f., 376, 384 –– Online-Befragung  432 ff. –– Selektions- und Verfälschungsproble­ matik  239 ff. –– Videoprotokoll  252 ff. –– Wortprotokoll  233, 247 ff., 377, 403, 405, 412, 418, 432 f., 435 f. Rechtsfrieden  44 ff. –– normatives Konstrukt  46 –– Rechtssicherheit  45 Sachverständiger  308 f., 325, 341 f., 355 ff., 364, 370 ff., 376 Sekundäre Viktimisierung  303 Suggestive Fragen  74, 96, 109, 200 Tonaufzeichnung –– milderes Mittel  142, 400 f., 404

Wahrheit  32 ff. –– absolute  33 f. –– Aufklärungspflicht  32 Widerspruchsrecht

Sachwortverzeichnis519 –– Akteneinsicht  131, 175 ff, 214 ff., 229 –– vernehmungsersetzende Vorführung  27, 136, 166 ff., 291 Zeugenschutzgesetz  94 ff. Zeugenvernehmung  64 ff. –– Grenzen des Fragerechts  75 ff. –– Kommunikationsprozess  69 f. –– Weigerungsrechte  67

–– Zeugenbegriff  64 –– Zeugenrechte und -pflichten  64 ff. –– zur Person  70 f. –– zur Sache  71 ff. Zeugnisverweigerung  67, 78 –– nachträgliche  279 ff. –– umfassendes Verwertungsverbot  169, 279 –– Videovorführung  281 ff.