Videotechnik in Psychiatrie und Psychotherapie [1 ed.] 9783896448132, 9783896730442

Die Beiträge der 18. IAAPP-Tagung in Ludwigsburg (1997) brachten so viel Neues, dass es sich lohnt, sie in überarbeitete

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Videotechnik in Psychiatrie und Psychotherapie [1 ed.]
 9783896448132, 9783896730442

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Internationaler Arbeitskreis für Audiovision in Psychiatrie und Psychotherapie (IAAPP)

Peter Hartwich (Hrsg.)

Videotechnik in Psychiatrie und Psychotherapie

Mit Beiträgen von: U. Bay, P. Bettzieche, R. Brandecker, T. Braun M. J. Foltys, M. Grube, P. Hartwich, V. Manz F. Poustka, J. Ronge, D. Rühle, K. Runge, W. Trabert

Verlag Wissenschaft & Praxis

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Videotechnik in Psychiatrie und Psychotherapie / [Internationaler Arbeitskreis für Audiovision in Psychiatrie und Psychotherapie (IAAPP)]. Peter Hartwich (Hrsg.). Mit Beiträgen von: U. Bay ... - Sternenfels ; Berlin : Verl. Wiss, und Praxis, 1999 ISBN 3-89673-044-4 NE: Hartwich, Peter [Hrsg.]; Bay, Ursula [Mitverfasserin]; Internationaler Arbeitskreis für Audiovision in Psychiatrie und Psychotherapie

ISBN 3-89673-044-4

© Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 1999 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094

Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­ tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über­ setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektro­ nischen Systemen. Wichtiger Hinweis — Produkthaftung: Der Verlag kann für Angaben über Dosierungs­ anweisungen und Applikationsformen keine Gewähr übernehmen. Da trotz sorgfältiger Bearbeitung menschliche Irrtümer und Druckfehler nie gänzlich auszuschließen sind, müssen alle Angaben zu Dosierungen und Applikationen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Printed in Germany

Vorwort Unsere 18. lAAPP-Tagung fand am 30. und 31. Mai 1997 in Ludwigsburg statt. Die Beiträge waren vielfältig, kreativ und brachten Neues, so daß uns eine Buchpublikation lohnend scheint. Ein Kernstück der Arbeit mit audiovi­ suellen Mitteln in Psychiatrie und Psychotherapie ist der Einsatz von Video­ technik als therapeutisches Instrument. Dieses gelingt überzeugend durch die Methode der Videospiegelung bei der Alkoholsuchtbehandlung, durch Video­ feedback als Therapiehilfe bei Zwangsstörungen und den Einsatz von Video­ filmmaterial bei der Aufklärung über psychiatrische Krankheiten. Ferner kann die Videotechnik bei der Untersuchung und Behandlung autistischer Kinder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie hilfreich eingesetzt werden, um insbeson­ dere zur diagnostischen Evaluation durch andere Untersucher beizutragen. Ein weiteres typisches Einsatzgebiet der Videotechnik ist die Dokumentation. Hier werden vorzugsweise neue kreative psychotherapeutische Ansätze ei­ nem kritischen Fachpublikum vorgestellt. Es handelt sich um kreative Gestal­ tung, Tanz und Marmorbildhauerei. Ferner wird ein eindruckvolles Lehrbei­ spiel einer Patientin dargestellt, die an einer anticholinergen Krise litt. Ergän­ zend zur Videotechnik wird der Einsatz des Computers als therapeutisches Mittel bei der Maltherapie Schizophrener weiterentwickelt hinsichtlich der wissenschaftlichen Quantifizierung von Bildausdrucksmaterial von psychiatri­ schen Patienten.

Peter Hartwich

5

Inhalt Autoren................................................................................................................... 9 Michael Grube

„In vivo-Exposition und Videospiegelung bei Alkoholikern - eine Fallstudie"................................................................................................ 11 Michael Jürgen Foltys ♦ Werner Trabert

Zum Einsatz von Videotechnik in Psychiatrie und Psychotherapie am Beispiel der Zwangsstörung.......................................................................... 29 Peter Hartwich ♦ Rolf Brandecker

Quantifizierung bildnerischer Gestaltungselemente in der Computermaltherapie bei Schizophrenen..........................................................41 Dorothea Rühl ♦ Fritz Poustka

Video-Dokumentation im Rahmen einer standardisierten Diagnostik autistischer Syndrome.......................................................................................... 53 Joachim Ronge

Eine videografierte Patientin in einer anticholinergen Krise unter trizyklischer Psychopharmakotherapie............................................................... 61 Volker Manz

Möglichkeiten videogestützter Psychoedukation bei der Aufklärung schizophren Erkrankter........................................................................................ 71 Rolf Brandecker ♦ Peter Hartwich ♦ Kerstin Runge

Marmorbildhauerei: Kreative Therapie mit psychisch Kranken (mit Videobeispielen).......................................................................................... 83 Ursula Bay ♦ Peter Bettzieche ♦ Thomas Braun

„Die Reise in meine blaugrüne Welt"............................................................... 97 Ursula Bay

„Tanz meines eigenen Lebens" - eine getanzte und erzählte Performance....................................................... 109

7

Autoren Bay, Ursula

Hans-Prinzhorn-Klinik - Westfälisches Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie Hemer, Frönsberger Str. 71, 58675 Hemer

Bettzieche, Peter

Hans-Prinzhorn-Klinik - Westfälisches Fachkranken­ haus für Psychiatrie und Psychotherapie Hemer, Frönsberger Str. 71, 58675 Hemer

Brandecker, Rolf

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Städt. Kliniken Frankfurt a. M.-Höchst, Gotenstr. 6-8, 65907 Frankfurt a. M.

Braun, Thomas

Hans-Prinzhorn-Klinik - Westfälisches Fachkranken­ haus für Psychiatrie und Psychotherapie Hemer, Frönsberger Str. 71, 58675 Hemer

Foltys, Michael

Dr. phiL, Dipl.-Psych., Psychiatrische Universitäts­ klinik, Philosophenweg 3, 07740 Jena

Grube, Michael

Dr. med., Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Städt. Kliniken Frankfurt a. M.Höchst, Gotenstr. 6-8, 65907 Frankfurt a. M.

Hartwich, Peter

Prof. Dr. med., Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Städt. Kliniken Frankfurt a. M.-Höchst, Gotenstr. 6-8, 65907 Frankfurt a. M.

Manz, Volker

Dr. med., Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Ludwigsburg, Posilipostr. 4, 71640 Ludwigsburg

Poustka, Fritz

Prof. Dr. med., Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Klinikum der J. W. Goethe-Universität Frankfurt a. M., Deutschordenstr. 50, 60590 Frankfurt a. M.

Ronge, Joachim

Dr. med., Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum Ludwigsburg, Posilipostr. 4, 71640 Ludwigsburg

Rühl, Dorothea

Dr. med., Dipl.-Psych., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Klini­ kum der J. W. Goethe-Universität Frankfurt a. M., Deutschordenstr. 50, 60590 Frankfurt a. M.

9

Autoren

Runge, Kerstin

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Städt. Kliniken Frankfurt a. M.-Höchst, Gotenstr. 6-8, 65907 Frankfurt a. M.

Trabert, Werner

Dr. med., Dipl.-Psych., Psychiatrische Universitäts­ klinik, Philosophenweg 3, 07740 Jena

10

Michael Grube

„In vivo-Exposition und Videospiegelung bei Alkoholikern - eine Fallstudie" In der abstinenzorientierten Behandlung von Alkoholikern hat sich folgende Therapiekette etabliert:

Nach der stationären Entgiftung folgt die Entwöhnungsbehandlung und dann die weitere ambulante Therapie, nach Möglichkeit mit Integration in Selbsthilfe­ gruppen.

Was geschieht in der stationären Entgiftungsphase? Neben dem Versuch, ein psychodynamisch orientiertes Verständnis der Sucht­ entwicklung sowie der Rückfälle zu erreichen, sind die therapeutischen Be­ mühungen im wesentlichen darauf ausgerichtet, den Patienten von der Noxe zu entziehen und fernzuhalten, in der Erwartung, daß er nach genügend lan­ ger Abstinenz und mit professionellen Hilfen in der Lage sei, das „AufAlkohol-verzichten-zu-können" in die häusliche Umgebung zu übertragen (Grube 1998).

In jüngster Zeit hat sich - insbesondere in angelsächsischen Ländern - durch­ gesetzt, Alkoholexpositionsversuche in den Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen zu stellen, um das „Craving" zu reduzieren (Bradizza et al. 1993, Heather et al. 1993, Monti et al. 1993, Mc Cusker und Brown 1995, Glautier und Drummond 1994, Greeley et al. 1993, Monti et al. 1993, Drummond und Glautier 1994, Glautier und Drummond 1994, Lindenmeyer et al. 1995, Lindenmeyer und Tünte 1995, Lörsch et al. 1998). Es blieben dabei allerdings folgende Faktoren unberücksichtigt: •

In vivo Exposition mit Auslöse- und 7r/n/(Situationen.



Erfassen verschiedener emotionaler Qualitäten, die mit Expositionen ver­ bunden sein können.



Ergänzung der Exposition mittels Videospiegelung.

Wir haben versucht, die genannten Elemente in die stationäre Entgiftungspha­ se eines gut definierten Einzelfalles einzubeziehen und in Hinblick auf deren potentielle Wirksamkeit erste Hypothesen zu gewinnen.

11

Grube

Tabelle 1: Patientendaten

Patientendaten: weiblich

Alter: 43 J. ICD 10: F10.00, F10.24

Bruder: Alkoholiker, Suicid 94

32 Stat. Aufenthalte zur Entgiftung seit 04.90

2 Stationäre Langzeittherapien 90 u. 95

Seit 90 AA-Gruppe MALT: 40

GABS: 52

Es handelt sich bei unserer Patientin um eine 43jährige Frau, deren Alkoholismus seit 1990 bekannt ist und zu 32 stationären Entgiftungen sowie zwei sta­ tionären Langzeittherapien geführt hat. Im Münchener Alkoholismustest (Feu­ erlein et al. 1977) erreicht sie einen Wert von 40, in der Cöttinger Abhängig­ keitsskala (Jacobi et al. 1987) einen Wert von 52, was auf die Schwere ihrer Alkoholabhängigkeit hinweist (Wetterling und Veltrup 1997).

Wie sind wir vorgegangen? Tabelle 2: Videoeinsatz

12



Exposition und Videospiegelung (mit Alkohol, Auslöse- und Trinksituationen)



Selbstbehauptungstraining (Partner, Familie, C2-Angebot)



Ausdruck der durch Alkohol „ersetzten" Emotionen (Kreative Videoarbeit der Patientin)



Bewältigungsvideo (Zusammenstellung der positiv bewerteten Bewältigungssituation im Video)

In

vivo-Exposition und

Videospiecelunc bei Alkoholikern -

eine

Fallstudie

Wir haben die Videotechnik in den Expositionssituationen, in der Videospie­ gelung, im Selbstbehauptungstraining sowie in der kreativen Videoarbeit der Patientin selbst eingesetzt. Des weiteren sind wir zur Zeit dabei, ein Bewälti­ gungsvideo zusammenzustellen. In der vorliegenden Darstellung wollen wir uns auf den Videoeinsatz in der Expositionssituation und die Videospiegelung beschränken.

Wie haben wir diesen Ansatz umgesetzt? Tabelle 3: Videoaufnahme und Videospiegelung

T1

Supermarkt VIDEOAUFNAHME — —T2

VIDEOSPIEGELUNG 1 Videoaufnahme

T3

Weinbrand Klinik I ▼ VIDEOAUFNAHME ~ ~ * T4

VIDEOSPIEGELUNG 1 Videoaufnahme

T5

bis

T18

Konkret gingen wir so vor, daß wir z. B. mit der Patientin den Supermarkt auf­ suchten, wo vielfach ihre Rückfälle begannen. Wir nahmen die Konfrontation mit dem Suchtmittel vor den gefüllten Supermarktregalen mit Video auf. Am Tag danach haben wir uns gemeinsam diese Videoaufnahme im Sinne der Vi­ deospiegelung angeschaut und die Spiegelungssitzung ebenfalls auf Video aufgenommen (Hartwich 1982, Hartwich und Schumacher 1984, Hartwich und Grube 1989, Hartwich 1993). Dieses Verfahren haben wir auf die ande­ ren Expositionssituationen übertragen. Es fanden pro Woche jeweils zwei in vivo-Expositionen und zwei dazugehörige Videospiegelungen statt. Aus den neun Expositionssituationen und den jeweiligen Videospiegelungen wollen wir im folgenden drei exemplarisch herausgreifen (Tab. 4):

13

Grube

Tabelle 4: Expositionen und Videospiegelungen (in zeitlicher Abfolge)

In vivo

Videospiegelung

1. Kiosk

ja

ja

2. Supermarkt

ja

ja

3. Auto

ja

ja

4. Tankstelle

ja

ja

5. Wohnhaus

ja

ja

6. Weinlieferung

ja

ja

7. Weinbrand Klinik

ja

ja

8. Weißwein Klinik

ja

ja

9. Weißwein zu Hause

ja

ja

Die Expositionen im Supermarkt, die Exposition mit Weinbrand in der Klinik sowie mit dem Lieblingsgetränk - Weißwein - zu Hause.

Es beschäftigte uns folgende Fragestellung: Ist es möglich, zur differentiellen Wirksamkeit von in vivo-Expositionen und Videospiegelungen bei Alkoholikern erste Hypothesen zu erarbeiten?

Welche Meßverfahren sind zum Einsatz gekommen? Tabelle 5: Erhebungen in Expositionssituationen und Videospiegelung

PATIENTIN: • Zwei 7-stufige Seifrating Skalen • Fragen zu: Alkoholverlangen Schamerleben • Ratings im 10 Minutenabstand THERAPEUT: • Drei 7-stufige Rating Skalen • Beurteilung von: Offenheit Suchtfokus Reflexion • Globale Ratings nach der Sitzung 14

In vivo-Exposition und Videospiegelung bei Alkoholikern - eine Fallstudie

1. In der Expositionssituation in vivo wie auch in der Videospiegelung hat die Patientin in etwa Zehnminutenabständen Ratings auf /stufigen Selfra­ tingscales vorgenommen.

Die Fragen richteten sich zum in der Situation erlebten Verlangen nach Alkohol sowie zum Schamerleben,

2. Weiterhin wurden Therapeutenratings zum Thema Offenheit, Suchtfokus und Reflexionsförderung in der Expositionssituation in vivo versus Video­ spiegelung durchgeführt.

Zu den Ergebnissen 1. Patientenseifratings 1.1 Supermarkt 1.1.1 In vivo

Abbildung 1: Supermarkt in vivo, C2-Verlangen/Schamerleben

Die Patientin wies - gemessen am arithmetischen Mittel des Alkoholverlan­ gens - recht hohe Werte zu Beginn auf. Diese senkten sich im weiteren Ver­ lauf ab.

15

Grube

Das Schamerleben stieg zunehmend an, je intensiver sich die Patientin dem Lieblingsgetränk Weißwein in den Regalen näherte.

1.1.2 Videospiegelung

Abbildung 2: Supermarkt Videospiegelung, C2-Verlangen/Schamerleben

In der Videospiegelung am nächsten Tag ergab sich ein ähnlicher Verlauf mit anfänglich höheren Werten im Alkoholverlangen, die sich später allmählich absenkten. Die Ratings bezogen auf das Schamerleben nahmen während der Videospie­ gelung langsam, aber stetig zu. Im Vergleich Exposition Supermarkt in vivo versus Videospiegelung fällt im Balkendiagramm (Abb. 3) der ähnliche Verlauf des Alkoholverlangens bzw. des Schamerlebens auf, jedoch bleiben die Werte in der Videospiegelung über beide Skalen unter denen der in vivo-Exposition.

16

In vivo-Exposition und Videospiecelung bei Alkoholikern - eine Fallstudie

C2-Verlangen IV T C2-Verlangen ViTSchamerleben IV T Schamerleben Vi

Abbildung 3: In vivo vs. Video, Supermarkt

1.2 Weinbrand in der Klinik

Abbildung 4: In vivo vs. Video, Weinbrand Exposition Klinik

Auch hier zeigt sich das aus der vorhergehenden Situation bekannte Balken­ diagramm: Sowohl in vivo wie in der Videodarbietung nimmt das anfangs er­ höhte Alkoholverlangen allmählich ab. Das Schamerleben steigt in vivo an und fällt gegen Ende plötzlich ab, nachdem die Patientin den Weinbrand 17

Grube

weggeschüttet hatte. In der Videospiegelung nimmt das Schamerleben früher ab, möglicherweise weil die Patientin um das entlastende Wegschütten des Weinbrandes schon wußte.

1.3 Lieblingsgetränk (Weißwein) zu Hause

Abbildung 5: In vivo vs. Video, Weißwein Exposition zu Hause

Hier ergeben sich im Balkendiagramm leicht unterschiedliche Verläufe bezüg­ lich des Alkoholverlangens: In vivo fällt zunächst ein verhältnismäßig hoher Wert auf, der langsam absinkt, während in der Videospiegelung ein Pendeln zwischen zwei eher niedrigen Werten erhoben wird. Das Schamerleben in vivo steigt zunächst maximal an, um dann deutlich abzufallen, nachdem die Patientin den Weißwein in die Spüle gießen konnte. Im Video wird der scham­ entlastende Effekt des Weißwein wegschüttens auch deutlich, jedoch steigt am Ende der Spiegelung das Schamerleben wieder an.

18

In vivo-Exposition und Videospiecelung bei Alkoholikern -

eine

Fallstudie

1.4 Zur Verlaufsgestalt von Alkoholverlangen und Schamerleben in allen neun Expositionssituationen versus Videospiegelungen

Abbildung 6: In vivo vs. Video, Expositionen Gesamt

Betrachtet man die Verlaufsgestalt der Balkendiagramme aller hintereinander­ gereihten Ratings des Alkoholverlangens bzw. des Schamerlebens in vivo ver­ sus Video aller neun untersuchten Situationen, so fällt rein optisch schon auf, daß hier eine recht gute Deckung der entstandenen Flächen unter den Rating­ werten zu erkennen ist.

19

Grube

1.5 Betrachtung der Einzelratings über alle neun Expositionssituationen in vivo versus Videospiegelungen

1.5.1 Zum Alkoholverlangen

Abbildung 7: Verteilung Einzelratings C2-Verlangen (N~2 x 63) Exp. Ces. (AMiv: 2,81/AMvt: 1,49)

Hier fällt eine schiefe Verteilung der Einzelratings zugunsten niedriger Werte auf, sowohl in vivo wie in der Videospiegelung.

Insgesamt liegen die Mittelwerte jedoch in der Videospiegelung deutlich unter den erzielten Werten in vivo.

20

In vivo-Exposition und Videospiegelung

bei

Alkoholikern -

eine

Fallstudie

1.5.2 Zum Schamerleben

Abbildung 8: Verteilung Einzelratings Schamerleben (N-2x 63) Exp. Ces. (AMiv: 5,13/AMvr. 4,52)

In vivo werden hier Werte zugunsten höherer Ausprägungsgrade geratet, wäh­ rend in der Videospiegelung fast eine Normalverteilung vorliegt.

Auch hier ist der Mittelwert der in vivo-Expositionen höher als der Mittelwert der Ratings in den Videospiegelungen.

21

Grube

2. Therapeutenratings

Abbildung 9: Therapeutenrating Offenheit (AMiv: 5,8/AMvi: 6,0)

Insgesamt kann die Offenheit sowohl in den in vivo-Expositionen als auch in den Videospiegelungen als gleich hoch betrachtet werden.

2.2 Suchtfokus

Abbildung 10: Therapeutenrating Suchtfokus (AMiv: 5,6/AMvi: 4,3)

Die Ratings bezogen auf den Fokus: Unmittelbares Eingehen auf die Sucht­ problematik liegen deutlich höher in der in vivo-Exposition als bei der Video­ spiegelung.

22

In vivo-Exposition und Videospiegelung bei Alkoholikern -

eine

Fallstudie

2.3 Reflexion

Abbildung 11: Therapeutenrating Reflexion (AMiv: 3,9/AMv,: 6,0)

Die Ratings, die sich auf das Selbstreflexionspotential der Patientin beziehen, sind in der Videospiegelung deutlich höher ausgeprägt als in der in vivoExposition.

Diskussion Aufgrund des rein deskriptiven Niveaus wollen wir nur eine vorsichtige Inter­ pretation versuchen.

1. Zu den Patientselbstratings Zunächst einmal ist festzuhalten, daß sowohl in der Videospiegelung wie auch noch stärker in der in vivo-Exposition Schamgefühle oft in hoher Aus­ prägung angegeben werden. Hiermit ist.ein Erleben dokumentiert, was bisher bei Expositionsansätzen wenig Beachtung gefunden hat. Gleichwohl könnte es im Sinne eines aversiven Stimulus positiv, aber auch negativ auf den The­ rapieverlauf Einfluß nehmen. Es fällt weiterhin auf, daß in der Videospiegelung, aber noch stärker in der in vivo-Exposition der typische Verlauf des Rückganges des Alkoholverlangens angegeben wird. Die Ausprägungen des Alkoholverlangens und Schamerle­ bens verhalten sich hierbei in der jeweiligen Situation reziprok, was erneut auf den möglicherweise modifizierenden Einfluß des Schamerlebens hindeutet.

23

Grube

Augenfällig ist weiterhin die hohe Kongruenz der Verlaufsgestalten der in vi­ vo-Expositionen wie der Videospiegelungen, was auf einen ähnlichen Trend in der zeitlichen Entwicklung der Ratings hindeutet, wenngleich die Ausprä­ gungsgrade für Alkoholverlangen wie Schamerleben in vivo höher waren, möglicherweise aufgrund des direkteren Bezugs zum konkreten Suchtmittel bzw. der Auslöse- und Trinksituationen.

2. Zu den Therapeutenratings Insgesamt bemerkenswert ist, wie hoch die Offenheit der Patientin einzu­ schätzen ist, gerade wenn man bedenkt, daß Alkoholiker stark zu Bagatellisierung und Verleugnung neigen und sowohl bei der in vivo-Exposition wie auch der Videospiegelung starke Schamgefühle angegeben wurden.

Beim Vergleich der in vivo-Exposition versus Videospiegelungen ist hinsicht­ lich der Kategorien Suchtfokus und Reflexionsförderung zu berücksichtigen: In der in vivo-Situation stehen stärker die Unmittelbarkeit und die materielle Qualität des Suchtmittels, das man z. B. auch riechen kann, im Vordergrund. Ähnliches gilt für die Auslöse- und Trinksituationen, wie z. B. das Wohnhaus der Patientin, wenn sie beim Durchmustern ihrer Alkoholdepots „wie zufällig" auf noch halb gefüllte Weißwein-Tetrapacks hinter Büchern in Regalen gesto­ ßen ist, was in der Unmittelbarkeit der Konfrontation mit dem auch physika­ lisch Erfahrbaren, für die höhere Ausprägung des Alkoholverlangens bzw. Schamerlebens in vivo wahrscheinlich verantwortlich zu machen ist. In der Videospiegelung verschiebt sich der Fokus der Aufmerksamkeit auf die mit Video dokumentierte Mimik und Gestik sowie das Verhalten der Patientin. Das heißt, daß hier weniger die materiell/physikalischen Qualitäten der un­ mittelbaren in vivo-Exposition, sondern eher ihre persönlichen Affekte und das Verhaltensmuster Gegenstand der Betrachtung bzw. Bearbeitung waren. Außerdem fanden die Videospiegelungen im Videoraum unserer Klinik statt, was über die dort vorherrschende stärkere laborhafte Atmosphäre eine weitere Distanzierung von der Unmittelbarkeit der in vivo-Exposition mit sich brachte und damit zur Förderung der Reflektionsfähigkeit beigetragen hat.

Wie können in vivo-Expositionen und Videospiegelungen differentiell bewertet werden? Aufgrund unserer Erhebungen, die eher heuristischen Charakter haben, kann geschlußfolgert werden, daß in vivo-Expositionen und die damit verbundenen Videospiegelungen, die man auch zum Teil als „in vitro"-Video-Expositionen 24

In vivo-Exposition

und

Videospiegelung

bei

Alkoholikern -

eine

Fallstudie

betrachten könnte, nicht gegeneinander austauschbar sind, wie es in manchen Expositionsansätzen versucht wurde. Die unterschiedliche Gewichtung im therapeutischen Fokus der Bearbeitung legt nahe, beide Ansätze - wie hier geschehen - miteinander zu kombinieren. Insbesondere kann die jeweilige Belastbarkeit der Patientin besser berücksichtigt werden, da in den Verlauf der Videospiegelungen vom Therapeuten eingegriffen werden kann, was bei in vivo-Expositionen nicht immer möglich ist.

Wie hat die Patientin diesen Teil der Therapie erlebt? Zur Illustration dient ein Traum, den sie nach der Supermarktexposition be­ richtete:

„Ein schwarzer Mann hänge an der Hauswand ihrer Nachbarn, an die ihre Garage angebaut sei. Dieser schwarze Mann sei wie ein Hingerichteter am Hals aufgeknüpft. Einerseits habe sie dieser Anblick geängstigt, andererseits mit Genugtuung erfüllt. Dann sei sie aufgewacht." In der Besprechung sagt sie zu dem Traum: Vielleicht handele es sich ja bei dem Aufgeknüpften um den Therapeuten, der sie mit vielen unangenehmen Dingen konfrontiere. Andererseits würde der schwarze Mann auch an einen Schornsteinfeger erinnern, dessen Bild allgemein Glück symbolisiere. Es kön­ ne allerdings auch sein, daß sie hier mit ihren eigenen Schattenseiten, ihrer Sucht, konfrontiert werde, worauf die dunkle Kleidung hinweise. Sie würde sich wünschen, daß ihre Schattenseiten aufgeknüpft, tot und damit nicht mehr in ihr wirksam sein würden.

25

Grube

Wie hat sich unser Ansatz auf den „Abstinenzverlauf" ausgewirkt?

v Abbildung 12: Rückfallfreie Zeiträume zwischen 20 stat. Aufenthalten (d). Stand 25.09.97

Hierzu haben wir 19 Zeiträume zwischen 20 stationären Aufenthalten mit si­ cherer Abstinenz ausgewertet und die „trockenen" Tage gezählt: (Abb. 12). 1. In den Zeiträumen, wo weder in vivo-Expositionen noch Videospiegelun­ gen in die Therapie eingebracht wurden, lag der Mittelwert bei ca. 14 ab­ stinenten Tagen zwischen rückfallbedingten stationären Aufnahmen („trockene" Intervalle 1-14 und 16-18).

2. In den Zeiträumen, wo in vivo-Expositionen und/oder Videospiegelungen kontinuierlich in die Therapie in der oben beschriebenen Weise einge­ bracht wurden, lagen die abstinenten Zeiträume bei 60 („trockenes" Inter­ vall 15) und 123 („trockenes" Intervall 19) Tagen. Die letzte Abstinenz­ phase dauert zur Zeit noch an.

26

In

vivo-Exposition und

Videospiegelunc bei Alkoholikern -

eine

Fallstudie

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Grube

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Wetterling T, Veltrup C (1997): Diagnostik und Therapie von Alkoholproblemen Springer Berlin Heidelberg New York

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Michael Jürgen Foltys ♦ Werner Trabert

Zum Einsatz von Videotechnik in Psychiatrie und Psychotherapie am Beispiel der Zwangsstörung 1. Einleitung Der Einsatz von Videotechnik ist heute bei verschiedenen VerhaltenstherapieStandardmethoden, so beim Selbstsicherheitstraining und beim Rollenspiel, nicht mehr aus dem praktischen Alltag des Psychotherapeuten wegzudenken.

Nachdem vor etwa 20 Jahren ein regelrechter Boom des Einsatzes von Video­ technik in Psychiatrie und Psychotherapie zu verzeichnen war, wurde in jün­ gerer Zeit im Zuge einer Bestandsaufnahme zu verschiedenen Behandlungs­ methoden von psychischen Störungen die oft unzureichende experimentelle Absicherung des Videoeinsatzes in der Therapie kritisiert (Fliegel et al. 1994). Gegenwärtig stehen daher Bestrebungen im Vordergrund, sich stärker an ei­ nem wissenschaftlich fundierten Untersuchungsansatz zu orientieren (Geiss­ ner et al. 1996, Foltys & Trabert 1996). Für die Zwangsstörung wurde berichtet, daß die Anwendung häuslicher Vi­ deoaufzeichnungen der Präzisierung und Erleichterung sowohl der Verhal­ tensanalyse (Hand 1995) als auch der Durchführung von Expositionsübungen dienen kann. Schroer (1995) zeigte anhand einer Einzelfallstudie einer ambu­ lanten Zwangstherapie, wie die Auswertung der vom Patienten angefertigten Videosequenzen für die Therapie effektiv nutzbar gemacht werden konnte. In den USA ist man bei sehr großen Entfernungen zwischen Zwangspatient und Behandlungszentrum dazu übergegangen, Videos des Patienten für die Dia­ gnostik und Therapie zu verwenden (Baer et al. 1995).

Anhand einer Einzelfallstudie eines Zwangspatienten konnte gezeigt werden, daß durch Videoaufzeichnungen und videogestützte Rückmeldung sich die Wahrnehmung von zwanghaften Verhaltensweisen verbessern ließ (Foltys & Trabert 1996). Gegenstand des vorliegenden Beitrags sind die Zwischenergebnisse einer Stu­ die, bei der das am Einzelfall erzielte Ergebnis an einer Gruppe von Zwangs­ patienten repliziert werden soll.

In der klinischen Praxis begegnet uns regelmäßig ein Teil an Zwangspatienten, die bezüglich bestimmter Zwangssymptome eine geringe Einsicht in deren Sinnlosigkeit zeigen, bzw. Schwierigkeiten haben, die Zwangshandlungen 29

Foltys ♦ Trabert

oder Zwangsgedanken als solche zu erkennen. Kozak und Foa (1994) verwei­ sen in ihrem Artikel über „obsessions - overvalued ideas - delusions" auf die mitunter fließenden Übergänge von einer klaren Identifikation der Zwangsbe­ fürchtung als sinnlos, unrealistisch und nicht zur eigenen Person gehörend über größere Überzeugtheit vom Realitätsgehalt, größeren Ängsten, die Zwangshandlungen zu unterbinden bis hin zu einer unrealistischen, umfas­ senden Gewißheit, daß die befürchtete Gefahr bei Unterlassen von Zwangs­ handlungen eintritt.

In der Verhaltenstherapie steht man in einem solchen Fall vor dem Problem, daß der Patient einerseits mit dem Wunsch nach Reduktion seiner Zwänge den Behandler aufsucht, in der konkreten zwangsauslösenden Situation ande­ rerseits unzureichend oder gar nicht motiviert ist, Zwangsverhalten zu unter­ lassen oder zu beenden, da er es als solches nicht in ausreichendem Ausmaß erkennen mag. Bereits vor dem Beginn einer Expositionsübung sollte geprüft werden, inwieweit der Patient tatsächlich in der Lage ist, Zwangssymptome zu identifizieren. Historisch gesehen wurde lange Zeit vorausgesetzt, daß der Zwangspatient genau erkenne, daß der Zwang seiner Persönlichkeit fremd und abnormal sei - das ist jedoch nicht durchgängig der Fall. Im Zuge der Überarbeitung der diagnostischen Kriterien zum DSM-IV wurde in den USA eine groß angelegte multizentrische Feldstudie durchgeführt. Foa und Kozak (1995) berichten über die Ergebnisse von Befragungen an über 400 Zwangspatienten. Ein zentrales Ergebnis ist, daß die Einsicht des Zwangspatienten in die Sinnlosigkeit seiner Handlungen und Befürchtungen zeitlich und situativ variieren kann. In diesem Zusammenhang ist folgende Entwicklung möglich: Zu Beginn der Störung mag der Patient überwiegend seine Zwangssymptome als übertrieben oder unsinnig bewerten. Im Verlauf der Störung, nach wiederholt vergeblichen Versuchen, die Zwangshandlungen nicht auszuführen, mag er diesen nachge­ ben, in seine alltäglichen Verrichtungen integrieren und nicht mehr wahr­ nehmen, was Teil der Störung und was Teil der Persönlichkeit ist. Das Pro­ blem ist, daß inzwischen automatisierte Handlungsvollzüge dem Patienten nicht mehr zugänglich sind und ein erhebliches Ausmaß an Ich-Syntonie vor­ liegen kann.

Ein Patient kam zu uns auf Station mit dem Wunsch nach Reduzierung seiner Zwänge, hatte jedoch in der konkreten Verhaltensanalyse große Probleme, Zwangsverhalten als solches wahrzunehmen und anzugeben. Das bis zu 5malige Öffnen und Schließen der Kühlschranktür begründete er beispiels­ weise als sinnvoll, da auf einem ordentlich gedeckten Tisch nichts fehlen dür­ fe. Hinsichtlich der Wahrnehmung und Bewertung der Zwangssymptome er­ gaben sich deutliche Differenzen zwischen Selbst- und Fremdurteil.

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Zum Einsatz von Videotechnik in Psychiatrie und Psychotherapie am Beispiel der Zwangsstörung

Eine Möglichkeit, die beschriebenen Schwierigkeiten des Patienten zu über­ winden, könnte im Einsatz von Videotechnik bestehen. Dadurch könnte dem Patienten zur Position des externen Beobachters verhülfen und die Basis für eine kognitive Neubewertung der Situation und Handlungen geschaffen wer­ den. Um diese Annahme wissenschaftlich zu prüfen, wurden folgende Frage­ stellungen und das entsprechende Studiendesign aufgestellt.

2. Studie 2.1. Fragestellungen 1. Kann die Wahrnehmung von zwanghaftem Verhalten durch Videofeed­ back dieses Verhaltens verbessert werden? 2. Ist durch ein weiteres Feedback durch den Therapeuten eine zusätzliche Verbesserung zu erzielen?

2.2. Methodik Als abhängige Variable verwenden wir die Schätzurteile des Patienten hin­ sichtlich des prozentualen Ausmaßes an Zwanghaftigkeit von Probehandlun­ gen. Diese werden als konkrete Verhaltensstichproben konzipiert, die durch Konfrontation mit der jeweils zwangsauslösenden Stimulusbedingung erzeugt und mit Videokamera aufgezeichnet werden. Zum Beispiel suchen wir mit dem Patienten die Küche auf, und er hat den Geschirrspüler zu bedienen, oder er hat die Aufgabe, ein Schrankfach ein- und auszuräumen. Untersuchungsablauf Zum Zeitpunkt t 0, Ende der 1. Woche, kommt es zur Auswahl von Probe­ handlungen, welche für das Video vorgesehen werden. Dabei orientieren wir uns an der Verhaltensbeobachtung des Patienten auf der Station und an seinen Verhaltensprotokollen. Therapeut oder Co-Therapeut gehen gemeinsam mit dem Patienten gemäß einer Handlungsanleitung in verschiedene Situationen. In den Situationen hat der Patient kleine, überschaubare, routinemäßige Handlungen auszuführen, welche von den Therapeuten i. S. einer Verhaltens­ erprobung registriert werden. Nach Abschluß der Handlung, von zwischen 1 bis 15 Minuten Dauer, schätzen Patient und Therapeut getrennt gemäß nach­ stehender Instruktion den wahrgenommenen Anteil an Zwangsverhalten ein.

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Foltys ♦ Trabert

Instruktion „Wieviel Prozent Zwangsverhalten sind in der Übung enthalten gewesen"? „Vergleichen Sie bitte Ihre Handlung mit einer entsprechenden Handlung, wie sie ein Mensch ohne Zwangssymptome ausführen würde". starker Zwang

kein Zwang

100

0

Dieses Vorgehen soll das Identifizieren von Wahrnehmungseinschränkungen des Patienten in Bezug auf Zwangsverhalten absichern. Es wird geplant, von jedem Patienten 10 derartige Probehandlungen mit Video aufzuzeichnen. Auswahlkriterium für das Videofeedback bildet eine Differenz zwischen Fremd- und Selbsturteil von 10 oder mehr. Zum Zeitpunkt t /, mit Beginn der 2. Woche, werden die 10 ausgewählten Probehandlungen nach folgendem Ablaufplan mit Video aufgezeichnet. Bedingung A: Durchführung der Videoaufzeichnungen

Jeweils nach jeder Verhaltensstichprobe gibt der Patient ein Schätzurteil zum Anteil zwanghafter Verhaltensweisen ab. Dabei enthält sich der Therapeut ei­ nes Kommentars. Der Patient wiederum schätzt zusätzlich das prozentuale Ausmaß zu verschiedenen intervenierenden Variablen ein:

• Anspannung vor der Übung, • Anspannung während der Übung, • Schwierigkeitsgrad der Übung, •

Einfluß von Kamera und/oder Anwesenheit des Therapeuten auf die Hand­ lung,



Bekanntheitsgrad der Handlung.

Durch den Therapeuten werden zusätzlich Fremdurteile zum Ausmaß an so­ zialer Erwünschtheit des Patienten, an Vermeidung und zum Anspannungsni­ veau gebildet. Bedingung B: Videofeedback ohne Kommentierung durch die Therapeuten Nach einer Pause von einem Tag werden dem Patienten die 10 aufgezeichne­ ten Videosequenzen einzeln vorgespielt. Nach jeder Sequenz beurteilt der Patient das Ausmaß des Zwangsverhaltens seiner Handlungen gemäß o.g. In­ struktion.

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Zum Einsatz von Videotechnik in Psychiatrie und Psychotherapie am Beispiel der Zwangsstörung

Bedingung C: Videofeedback mit Kommentierung durch die Therapeuten Zur Vermeidung von Gedächtniseffekten wird abermals ein Tag Pause einge­ legt. Dem Patienten werden danach erneut Videos sequenziell vorgespielt. Nach jeder Sequenz wird ein Therapeutenfeedback abgegeben. Dies beinhal­ tet keine Prozentangaben, sondern bezieht sich auf die Angabe zu zwanghaf­ ten Verhaltensweisen. Zum Abschluß wird der Patient dahingehend befragt, inwieweit das Feedback insgesamt zu einer veränderten Informiertheit über zwanghafte Verhaltens­ weisen und zu einer veränderten Motivierung, sich auf anstehende Expositi­ onsübungen einzulassen, beigetragen hat. Die gleichen Fragen werden durch ein Fremdrating durch den Therapeuten beurteilt.

Zum Zeitpunkt t 2, am Ende der Behandlung, wird das gesamte Vorgehen von 11 wiederholt.

2.3. Probanden In die Studie sollen 20 Patienten mit Zwangsstörung eingeschlossen werden, diagnostiziert gemäß der Kriterien des DSM-IV mittels Strukturierten Klini­ schem Interview (SKID). Die Altersgrenzen liegen zwischen 18 und 65 Jahren. Sämtliche Patienten befinden sich in stationärer Verhaltenstherapie. Als Fremd­ ratings werden die Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (Y-BOCS; deutsch Hand & Büttner-Westphal 1991) und die Hamilton Depression Scale (Cips 1996) eingesetzt.

2.4. Beschreibung der Stichprobe Operationalisierte Diagnostik:

SKID DSM-IV Achse I

16 Patienten

Zwangsstörung mit Zwangshandlungen

hiervon: 6 Pat. mit geringer Einsicht

Y-BOCS: M

= 26.9 (range 19-38)

HAM-D: M

=15.3 (range 5-29)

Von diesen hatten 2 Patienten zusätzlich eine rezidivierende depressive Stö­ rung, 1 Patient zusätzlich eine soziale Phobie, 1 Patient eine Tic-Störung und 1 Patient eine generalisierte Angststörung sowie 4 Patienten eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung, 2 Patienten eine schizotypische Persönlichkeitsstörung, jeweils 1 Patient eine dependente, narzißtische, zwanghaft-depressive, selbstunsicher-dependente und selbstunsicher-depressive Persönlichkeitsstörung. 33

Foltys ♦ Trabert

2.5. Statistik Es kamen nichtparametrische Prüfverfahren aus dem Statistikpaket SPSS zur Anwendung: • für die Einzelfälle der Wilcoxon-Matched-Pairs Signed-Ranks Test; • für den Gruppenvergleich A-B-C der Friedman-Test.

2.6. Zwischenergebnisse 1. Der Einsatz von Video- und Therapeutenfeedback zu den jeweils 10 Pro­ behandlungen führt im Mittel bei Zwangspatienten bei der Wahrnehmung von zwanghaften Verhaltensweisen zu einer statistisch bedeutsamen Ver­ besserung: p Vorher Mitte NachherStampfen und Treten< in dieser aufgewühlten Aus­ gangssituation, über entschlossenes > Marschieren Gehen < führt, schafft er sich im Verlauf der Woche seine Schritte hin zu einer ruhigen und gelassenen Situation am Ende des Projektes. Eine szenische Bewegungsaufgabe bot ihm Raum, für das spontane - von den Therapeutinnen nicht intendierte - Auftauchen der für ihn bedeutsam wer­ denden symbolischen Gestalt des Königs Danus. Dieser sitzt unter Wasser (diesmal in einem See) und findet dort die Möglichkeit der Begegnung mit an­ deren Figuren. (Bild 2)

Im anschließenden Landschaftsmodell aus Gips, einem Gemeinschaftswerk, ist Danus bereits in einem Boot. In der abschließenden Geschichte verläßt Danus das vormals gefährliche Wasser, macht sich auf den Weg und findet einen guten Schattenplatz zum Ruhen, unter einem schützenden Baum. (Bild 3)

Wie sich Perlen auf eine Kette reihen, trägt jede im Prozeß gemachte Erfah­ rung unbeabsichtigt und erst zum Schluß in seiner Ganzheit erfaßt, dazu bei, einen Handlungsbogen, ein Sinnganzes zu schaffen. 100

„Die Reise in

meine blaugrüne Welt*

Bild 2

Bild 3

Eine Aufgabe der künstlerischen Therapeutinnen ist es, den Rahmen für einen solchen Prozeß zu öffnen, ihn zu begleiten und deuten zu helfen.

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Bay ♦ Bettzieche ♦ Braun

Dirks spontan auftauchende Gestalt des Danus brachte einen Impuls in den Gruppenprozeß und verschob den Hauptfocus weg von dem enger begrenz­ ten Thema „Brücke", hin zum Thema tf\N^ und zu denjenigen Figuren, die ihm begegnen, die die gefahrvollen Abgründe und Hindernisse schließlich bewältigen.

These 2: Bewegung, plastisches Gestalten, Malerei: Kunst - der Ausdruck eines Men­ schen, ist immer sinnenhaft und bedeutungsvoll, ist Spiegel des Schaffenden.

Soll das einen Sinn haben, wenn sich ein psychotisch erkrankter Mensch ein gelbes Seil auf den Kopf legt und damit als „wandernder Grashalm" beginnt mit anderen - vorerst noch unbekannten, gerade im Werden begriffenen Figuren vielfältige Geschichten entstehen zu lassen? Soll man es zulassen und ihn von einem Ereignis ins andere gleiten lassen? Ist es nicht zumindest sinn­ los, wenn nicht gar gefährlich, einen Menschen „spinnen" zu lassen, sich aus­ drücken zu lassen, wenn sich darin psychotische Merkmale widerspiegeln? (Bild 4)

Bild 4

In Raimunds durchaus anstrengender Art, in Krankheitsschüben ohne Punkt und Komma zu reden, sich in alles einzumischen und mit „verrückten Ideen" von einem zum anderen zu springen, zeigte sich viel Ideenreichtum und krea­ tives Potential, die Fähigkeit, bei anderen Dynamik und Prozesse anzustoßen.

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„Die Reise in meine blaugrüne Welt"

Mit seinem das Projekt abschließenden Text „Wie der größenwahnsinnige Grashalm vernünftig wurde und sich in einen Menschen verwandelte" ver­ dichtet er seine aufregenden Abenteuer aus der hohen Vieldeutigkeit zu ei­ nem zusammenhängenden, seinen inneren Sinn deutlicher enthüllenden Bo­ gen und findet schließlich ein glückliches Ende, seinen Punkt. These 3:

Das geschaffene Produkt als ästhetisches Werk ist zweitrangig; das Werk vielmehr begreifbares Symbol innerer Wirklichkeit. Ein Klumpen Ton mit einer Kerbe - da zeigt sich eher wenig formende Kraft im Plastizieren, im Malen fast keine Differenzierungsmöglichkeit, in der Be­ wegung ja, doch in der Bedeutung, die Hans seinen Gestaltungen gibt, umge­ setzt in die Überschriften der Geschichte, da konnte sich seine innere Realität entfalten, da wurde das in ihm wohnende Potential zur Wiederherstellung, zum Schaffen von Integration angesprochen und aktiviert.

Auch sein symbolisches Ausgangsmotiv hat mit gefährlichem Wasser zu tun: „Die Flutkatastrophe", eine überflutete Straße als erstes Bild einer Seelenland­ schaft - welch gutes Symbol für ein psychotisches Geschehen! (Bild 5)

Bild 5

Seine Bewegungsfigur ist ein tutendes Schiff; in seiner Abschlußgeschichte bekommt dieses Schiff im Kanal des Landschaftsmodells einen Kapitän, der sein Steuer fest in der Hand hält. 103

Bay ♦ Bettzieche ♦ Braun

Meistern seiner Situation auf einer symbolischen Ebene. Die Schritte des Iden­ tifizierens, des Konfrontierens, Loslassens und Wandelns, gestatten einen Ent­ wurf in die Zukunft, ein inneres Muster, mobilisieren alle inneren Kräfte der Gegenwart für einen hoffentlich gelingenden Transfer in die Lebensrealität. Wen interessiert da die Ästhetik des Werkes!?

These 4: Die symbolische Dimension birgt eine über Rationalität hinausgehende Kraft der Transformation. Symbole mit ihrem Raum für Komplexität, für Mehrdeutigkeit und Integration von scheinbaren Paradoxien und Unzusammenhängendem, schöpfen und wirken auf einer tieferen, oft archaischen Schicht als die lineare Rationalität. Ihre Mehrschichtigkeit entfaltet sich oft erst allmählich in stufenweisem Erle­ ben, Ausdrücken, Weitertragen und Bewußtmachen der inneren Stimmungen und Bilder.

Zunächst scheint Christas Bild vom Obst- und Gemüseanbau in einer schönen südlichen Ferienlandschaft überhaupt nichts mit ihrer Innenlandschaft zu tun zu haben. Im Prozeß jedoch zeigt sich zunehmend ihre Sehnsucht nach mehr Lebendigkeit, innerer Wärme, Sinnlichkeit, der sie dann über die Schritte des Malens und Schreibens und besonders im Bewegen, - nicht über intellektuel­ les Analysieren, - zu beginnender Verwirklichung hilft. Jetzt taut sie auf, geht in Kontakt mit Mitpatientinnen, lacht. (Bild 6)

Bild 6

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„Die Reise in meine blaugrüne Welt"

Über die Erfahrung vertieft sich das rationale Erkennen, sie sieht Bezüge zu sich und ihrem Leben, entdeckt ihr Thema, weiß was als Schritt über die Brücke in der Konkretion anstünde, um auf der anderen Seite, im bunten Le­ ben am Marktstand, anzukommen. These 5: Jeder Mensch besitzt seine eigenen „Künste", seinen Zugang zu den ver­ schiedenen Medien künstlerischer Therapien. Wann bewegt sich etwas, wo wird Inneres plastisch und farbig, wie zeigt sich, wie spricht das, was im rationalem Bewußtsein oft keine Sprache findet?

Unterschiedliche Ausdrucksmedien sprechen verschiedene menschliche „Eingangstore" an: die Ebene des Körpers, der Emotionen, des Mentalen mit sei­ nen Erinnerungen, Assoziationen, Bildern; wobei jeder Mensch unterschiedli­ che Schwerpunkte entwickelt. Vom gewohnten Eingangstor auch den Zugang zu den anderen Ebenen zu finden und sich immer voller im Leben zu erfah­ ren, das fördert der Wechsel der unterschiedlichen Ausdrucksmedien. (Bild 7)

Bild 7

Brigitte setzt Bewegung und Malen sehr bewußt ein, um einen langen Klinik­ aufenthalt und den mühevollen Weg aus der Krankheit zu gestalten und zu reflektieren, sie konnte bereits auf Erfahrungen mit beiden Therapieformen zurückgreifen.

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Bay ♦ Bettzieche ♦ Braun

Jens entdeckt sich im Bewegungsspiel als Zwerg bzw. Zwergenvolk, das in einem Versteck lebt. Gisela sucht klärendes, strahlendes Gelb und schafft sich im goldgelben Korn­ feld einen guten Platz, der Dauer bietet.

Irmgard findet in ihrer geschriebenen und in Bewegung umgesetzten Ge­ schichte ein gutes Gefäß auch für ihre bizarre Seite. (Bild 8)

Bild 8

Antonio nutzt die Mehrdeutigkeit seines Symbols aus dem ersten Seelenland­ schaftsbild, einem vor der Küste ankernden Schiff sich der Herausforderung, im Leben konkret zu ankern, entziehend, bevorzugt er am Ende doch die freie Beweglichkeit des Schiffs.

Konny schafft ein Landschaftsbild, das sie dann im Gesprächsprozeß differen­ ziert, als Träger und Ausdruck ihrer Störung erkennt. Im symbolischen Weg verbindet sie innere Polaritäten, sich fürsorglich ihrem „verletzten inneren Kind" zuwendend. So hat das vielfältige Angebot künstlerisch, therapeutischer Ausdrucksmedien jedem seine Möglichkeit geboten, seinen persönlichen Zugang zu finden und darüber sich auch andere Ebenen und Medien zu erschließen. Auch wenn Gruppenarbeit mit insgesamt 7 Halbtagen eine kurze therapeuti­ sche Zeiteinheit umfaßt und von daher begrenzt bleiben muß, möchten wir abschließend den ungemein belebenden, dynamischen und die Interaktion 106

„Die Reise in

meine blaucrüne

Welt"

deutlich fördernden Aspekt betonen, wie auch die Tatsache, daß innere Pro­ zesse die Tendenz haben, in einer gegebenen Zeit zu einer ganzen Gestalt zu finden und zu einem Abschluß zu kommen. So auch in diesem Projekt.

The Making of... Aus der Sicht des A/V-Technikers Falls jemand glaubt, es sei für einen Techniker leicht, mit Therapeutinnen zu­ sammenzuarbeiten, so irrt er, speziell wenn es sich um solche aus den künst­ lerischen Therapien handelt. Künstlerisch-therapeutische Sichtweisen auf der visuellen (videotechnischen) Ebene festzuhalten, zu bearbeiten und auf den Punkt zu bringen, ist ein äußerst kompliziertes Unterfangen. Dennoch - oder gerade deswegen - kann diese Konstellation durchaus fruchtbar sein.

Wie schon erwähnt wurde das Projekt kontinuierlich mit der Kamera beglei­ tet. Auf ein Drehbuch wurde bewußt verzichtet. Daraus resultierte, daß wir uns plötzlich mit über 40 Stunden Rohmaterial konfrontiert sahen. Spätestens hier stellt sich die Frage, welche Szenen in welcher Reihenfolge ausgewählt werden.

Thema: Umgang mit der Kamera/Filmbearbeitung Ein Psychiatrie-Kameramann (also jeder, der meint, eine solche bedienen zu können) sollte mit den Augen des späteren Zuschauers filmen, d.h.: er muß versuchen, den Zuschauerdas Geschehen begreifen zu lassen. Nichts ist pein­ licher, als verwackelte Aufnahmen, nur weil man versuchte, etwas unbedingt und sofort festhalten zu müssen. Beim Filmvortrag wird dann erzählt: „Das sieht man hier nicht so genau, aber hier ist gerade das und das passiert..."

Zurück zur Filmbearbeitung. Verwackelte Aufnahmen scheiden also aus. Vor dem Schneiden, zum Ordnen aller gelungenen und für den Film wichtigen Szenen, bietet sich ein Storyboard an, vor allem, wenn mehrere Mitarbeiter­ innen gleichzeitig an der Produktion beteiligt sind. An eine große Wand (not­ falls Möbel wegrücken) wird jede Szene auf einem gesonderten Blatt aufge­ zeichnet oder beschrieben, möglichst mit Zeitnotiz (z.B.: Einsteigen in den Bus, losfahren 24 see.). Alle Szenen werden Zeile für Zeile an die Wand ge­ heftet. So hat man später in mehreren Etagen den gesamten (möglichen) Film­ ablauf vor Augen und kann vor dem Schneiden Szenen (Blätter) umstellen oder kürzen (In der Kürze liegt die Würze!).

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Bay ♦ Bettzieche ♦ Braun

Thema: Effekte In der heutigen Filmbearbeitung ist eine Vielzahl von Effekten und Verfrem­ dungen möglich, auf alle einzugehen würde hier den Rahmen sprengen. Auch hier gilt.: Nur dort, wo unbedingt nötig.

Thema: Filmmusik Diese sollte, egal ob selbst produziert oder aus der Konserve, das Geschehen unterstützen, vertiefen und sich im akustischen Hintergrund halten. Nur dann wird sie Ihrer Rolle gerecht und verbessert den Film.

Thema: Integration Ideal ist ein „Psychiatrie-Kameramann" mit Berufserfahrung und Einfühlungs­ vermögen, der sich in das Geschehen unaufdringlich integriert. Nach einer ausführlichen Patientinneninformation in Bezug aufvideoaufnahmen sollte er versuchen, sich in den Prozeß einzufügen. Er nimmt dadurch den Betroffenen das Gefühl der Peinlichkeit und die Gegenwart der Kamera wird nach einer kurzen Eingewöhnungszeit vergessen.

Der Film entstand aus Situationen und Aufnahmen, die für ausnahmslos alle Beteiligten intensiv und intim waren. Wir versprachen den Patientinnen, daß sie vor der Veröffentlichung die ersten seien, die ihn zu sehen bekämen. Nach einer Produktionszeit von fast einem Jahr setzten wir dieses Versprechen in die Tat um; alle gaben uns ihr Einverständnis und einige kamen später noch mit der Frage auf uns zu, wann „wir noch einmal einen Film machen".

Was uns noch wichtig ist: Nicht einen trockenen Lehrfilm wollten wir, sondern vielmehr einen Film, der Betrachterinnen auf lebendige Art erleben läßt, wie sich Patientinnen im Rahmen eines tanz- und kunsttherapeutischen Projektes in der Psychiatrie entwickeln.

In der jedem Menschen innewohnenden Kraft, die in der Lage ist, den Faden der inneren Symbole zu einem heilbringenden Ende zu führen, scheint etwas von der Schönheit und Würde des Menschseins durch, selbst in den schwie­ rigsten Krankheitsverläufen. Das macht Mut weiterzugehen.

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Ursula Bay

„Tanz meines eigenen Lebens" eine getanzte und erzählte Performance* Zur Performancearbeit mit Videodokumentation als Teil einer prozeßorientierten Tanztherapie in der Psychiatrie Wie läßt sich ein Film beschreiben, der eine getanzte, erzählte Performance dokumentiert? Wie ein Tanz, der den so herausfordernden und aufrichtigen Prozeß der Begegnung mit dem eigenen Leben und seinen tiefen inneren Mu­ stern auffängt und widerspiegelt, also eine Lebensgeschichte, die mit ihren Bewegungslinien mich als Zeugin und Gegenüber in die unmittelbare Ge­ genwart des Erlebens zieht?

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