Videotechnik im Strafverfahren [1 ed.] 9783428509126, 9783428109128

Sabine Swoboda befasst sich mit den Einsatzmöglichkeiten von Videosimultanübertragungen und Videodokumentationen im Stra

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Videotechnik im Strafverfahren [1 ed.]
 9783428509126, 9783428109128

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Sabine Swoboda . Videotechnik im Strafverfahren

Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schrnidhäuser (t) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 149

Videotechnik im Strafverfahren Von

Sabine Swoboda

Duncker & Humblot . Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Werner Beulke, Passau Die Juristische Fakultät der Universität Passau hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

D739 Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Prlnted in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-10912-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Meinen Eltern und Susanne

Danksagung An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich meinem Doktorvater und Mentor Prof. Dr. Wemer Beulke danken, der die vorliegende Arbeit über eineinhalb Jahre lang betreut und mir die gesamte Zeit über mit Rat und tatkräftiger Hilfe zur Seite gestanden hat. Seiner Unterstützung ist es zu verdanken, dass ich in Gerichten und Ministerien Ansprechpartner gefunden und Einsicht in Materialien und Akten erhalten habe. Bei der Behandlung des von ihm vorgegebenen Themas hat er mir viel wissenschaftliche Freiheit gegeben und gleichzeitig wichtige Kritik nicht unterlassen. Bedanken will ich mich auch bei Prof. Dr. Bemhard Haffke, der sich intensiv mit meiner Arbeit auseinandergesetzt und dennoch zügig das Zweitgutachten erstellt hat. Nicht vergessen will ich auch Hr. Thomas Wahl, der bei der Literatursuche für seine eigene Arbeit nie vergessen hat, auch zu meinem Thema Ausschau zu halten, und dem ich große Teile der Literaturfunde über das Europäische Straf- und Strafprozessrecht verdanke. Danke sage ich auch dem Lehrstuhlteam, mit dem die Zusammenarbeit so viel Spaß macht. Dieser Dank soll auch diejenigen mit einschließen, die sich inzwischen zum Lehrstuhl von Prof. Dr. Helmut Satzger nach Hamburg abgesetzt haben. Ganz besondere Unterstützung habe ich aus meiner Familie erhalten. Auch in den belastenden Phasen der Entstehung dieser Arbeit haben sie nie die Geduld verloren, für die Endkorrektur alles andere stehen und liegen lassen und schließlich sogar Strafrechtsvorlesungen an der Universität Mannheim belegt, um auch inhaltlich ihren Beitrag leisten zu können. Die vorliegende Arbeit ist im Januar 2002 an der Universität Passau als Dissertation angenommen worden. Literatur und Rechtsprechung konnten bis zum Januar 2002 berücksichtigt werden. Passau, im Februar 2002

Sabine Swoboda

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Videotechnik im Strafverfahren .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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1. Teil Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition - Der Dreiklang aus Zeugenschutz, Beschuldigtenrechten und Strafverfolgungsinteressen 26 A. Zeugenpflichten - Zeugenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die betroffenen Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Achtung der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG. . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Schutz der Persönlichkeit, Art. 1 Abs. 1 i. V.m. Art. 2 Abs. 1 GG .. c) Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG .......................................................... d) Sonstige Grundrechtspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Grundrechte als Abwehrrechte gegen die Inanspruchnahme als Zeuge.. 3. Zeugenschutz als eine der objektiv-rechtlichen Werteordnung entstammende Schutzpflicht des Staates. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Weitere Rechtsgrundlagen einer Zeugenschutzpflicht des Staates. . . . . .. a) Fairnessprinzip ............................................... b) Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Sonderopfergedanke .. . . . . . .. . . . ... . . .. . ... . .. . .. ... . ... . .... ..

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B. Strafverfolgung im Konflikt mit Zeugenschutzbelangen . .. . . .. . . . . . .. .. .. 1. Rechtsfrieden durch eine funktionstüchtige Strafrechtspflege . . . . . . . . .. 2. Elemente der Abwägung zwischen Zeugenschutz und Aufklärungsinteresse ............................................................

46 46 48

C. Gegenpositionen des Beschuldigten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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D. Zusammenfassung...................................................

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2. Teil Entstehung des Zeugenschutzgesetzes A. Das Zeugenschutzgesetz, Gesetzgebungsverfahren und Ergebnis. . . . . . .. ...

56 56

B. Zeugenschutz in der Gesetzgebung vor dem Zeugenschutzgesetz . . . . . . . . .. 62 1. Das Strafverfahrensänderungsgesetz von 1979 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 62 2. Das Opferschutzgesetz von 1986. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 63 a) Schutz vor Bloßstellung, § 68 a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 63

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Inhaltsverzeichnis b) Öffentlichkeitsausschluss zum Schutz von Persönlichkeitsrechten, § 171 b GVG................................................. c) Vorübergehende Entfernung des Angeklagten nach § 247 S. 2 StPO. 3. Das Organisierte Kriminalitätsgesetz 1992 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Geheimhaltung von Wohnort oder Identität, § 68 StPO . . . . . . . . . . .. b) Ausschluss der Öffentlichkeit, § 172 Nr. 1 a und Nr. 4 GVG....... 4. Weitere opfer- und zeugenschützende Vorschriften im Überblick. . . . . .. a) Zeugnisverweigerungsrechte, insbesondere nach §§ 52, 55 StPO. . .. b) Zurückweisung sachfremder Fragen, § 241 Abs. 2 StPO . . . . . . . . . .. c) Besondere Rücksichtnahme auf kindliche und jugendliche Zeugen.. d) Weitere Tatbestände zum Ausschluss der Öffentlichkeit, § 172 GVG e) Sondervorschriften für den aus der Straftat Verletzten sowie verletzliche Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. t) Zeugenbeistand und Hinweispflichten des Staatsanwalts . . . . . . . . . .. g) Befreiung des Zeugen von seiner Zeugenpflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . .. h) Zeugenschutz im Ermittlungsverfahren .......................... 5. Zusammenfassung................................................

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C. Anfänge einer Diskussion über Videotechnik im Strafverfahren . . . . . . . . . ..

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D. Erfahrungen mit der Videotechnik im Ausland. .. . .. . ... . . .. . . . . . . . . .. .. 1. Vereinigte Staaten von Amerika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) "Confrontation Rule", "Hearsay Evidence" upd Vernehmungsaufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Closed Circuit Television für kindliche und verletzliche Zeugen. . .. c) Videovernehmung von Auslandszeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. England und Wales .............................................. a) Criminal Justice Act 1988 und 1991. ............................ b) Youth Justice and Criminal Evidence Act 1999. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nordirland ...................................................... 4. Kanada ......................................................... 5. Österreich....................................................... a) Vernehmungsaufzeichnungen und ihre Einspielung in die Hauptverhandlung ..................................................... b) Videosimultanübertragung von Vernehmungen .................... 6. Schweiz ........................................................ a) Konfrontationsvermeidung nach Art. 5 OHG ..................... b) Kritische Stimmen zum Opferhilfegesetz ......................... c) Bemerkungen zur Parteiöffentlichkeit des Vorverfahrens ........... 7. Italien ..........................................................

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1. Einsatz von Videotechnik zum Schutz (anonymer) gefährdeter Zeugen. 2. Einsatz zum Schutz kindlicher Zeugen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Closed Circuit Television (CCTV) und Videoaufzeichnungen ...... b) Das Verfahren vor dem LG Mainz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Einsatz zur Verfahrensbeschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

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Inhaltsverzeichnis

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a) Videokonferenz mit dem inhaftierten Angeklagten ................ b) Videokonferenz mit gefahrdeten Zeugen sowie Auslandszeugen .... 8. Schweden....................................................... 9. Niederlande ..................................................... 10. Zusammenfassung ................................................

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E. Bisherige Erfahrungen und Reformanstöße aus den Ländern ............... 132 F. Zusammenfassung .................................................... 141 3. Teil Simultanübertragung von Vernehmungen in der Hauptverhandlung nach § 247 a StPO

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A. Das Gesetz im Überblick ............................................. 143 1. § 247 a StPO als Kompromiss unterschiedlicher Verfahrenszielsetzun-

gen ............................................................. 144 2. Beispiele zur Tatbestandskonkurrenz ............................... 145

B. Die "Gefahrdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO .................. 146

Die hohe Anwendungsschwelle des Tatbestandes .................... a) Die Voraussetzungen der Gefahrdungsalternative in Abgrenzung zum Ausschlusstatbestand des § 247 S. 2 StPO ................... b) Zu den praktischen Schwierigkeiten einer Subsumtion unter den Tatbestand ................................................... c) Exkurs: Die geschützten Zeugengruppen und ihre spezielle Belastungssituation ................................................. aa) Die Bedrohungssituation der an Leib und Leben gefahrdeten Zeugen .................... , ............................. (1) Empirische Ergebnisse ................................ (2) Folgen für eine Gefahrdungsprognose i. S. d. § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO .......................................... (3) Nutzen der Simultanübertragung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. bb) Belastungserleben besonders verletzlicher Zeugen ............. (1) Die Straftat und ihre Folgen ........................... (2) Sekundäre Viktimisierung durch den sozialen Nahraum ... (3) Belastungen durch das Strafverfahren ................... (4) Fazit für eine Gefahrdungsprognose i.S.d. § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO ............ , ............................. d) Notwendige Konsequenzen für die Strenge der Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsstrenge und Subsidiarität: Die Widersprüchlichkeit des Gesetzes ........................................................... a) Erklärungsversuche zur Subsidiarität der Videovernehmung ........ b) Optimale Sachaufklärung als Maßstab des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . .. 1.

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Inhaltsverzeichnis c) Entschärfung der Subsidiarität durch Verknüpfung der Ausschlussregelung des § 247 S. 2 StPO mit audiovisuellen Übertragungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. d) Vorteil der vorgeschlagenen Änderungen: Flexible Schutzlösungen innerhalb der Tatbestände der §§ 247 a S. 1 Hs. 1 und 247 S. 2 StPO ........................................................ e) Subsidiarität zu weiteren zeugen schützenden Vorschriften. . . . . . . . .. 3. Die Vernehmungsübertragung gemäß den Anforderungen des § 247 a S.3 StPO ....................................................... a) Die praktische Ausgestaltung unter Beachtung rechtlicher Anforderungen an die Qualität einer Vernehmung über CCTV . . . . . . . . . . . . . aa) Die bildtechnische Übermittlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die akustische Verbindung ................................. cc) Weitere Anforderungen an eine audiovisuell vermittelte Vernehmung in der Hauptverhandlung ............................. b) Glaubwürdigkeitsbeurteilung und CCTV ......................... c) Sonderproblem: Vernehmung unter optischer und akustischer Abschirmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zum Argument der fehlenden Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . .. bb) Sachaufklärung, Glaubwürdigkeitsbeurteilung und Verteidigungsrechte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Die Würde des Gerichtsverfahrens .......................... dd) Entgegenstehende Schutzinteressen des Zeugen. . . . . . . . . . . . . .. ee) Missbrauchsgefahr ........................................ ff) Die europäische Sichtweise ................................ gg) Zusammenfassung........................................ . 4. Gedanken über eine Kombination der Vernehmung nach § 247 a S. 1 Hs. 1 mit § 223 StPO de lege lata und de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Vernehmung durch eine nichtrichterliche Vernehmungsperson ... b) Vernehmung durch den kommissarischen Richter in Verknüpfung mit einer Simultanübertragung in die Hauptverhandlung. . . . . . . . . . . aa) Systematische Stellung der kommissarischen Vernehmung im Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Voraussetzungen des § 223 StPO im Spiegel zeugenschützender Notwendigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sinn und Umsetzbarkeit einer gesetzlichen Lösung. . . . . . . . . . . . dd) Zusammenfassung ......................................... c) Simultanübertragung einer kommissarischen Vernehmung außerhalb der Hauptverhandlung ......................................... aa) Analogieschluss zu § 247 a StPO ........................... bb) Ausweitung der Übertragungsmöglichkeiten zum Vorteil des Angeklagten .............................................. cc) Zusammenfassung ......................................... 5. Ausschluss der Revision nach § 247 a S. 2 StPO .................... a) Ausschluss der Anfechtungsmöglichkeiten des Zeugen .............

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Inhaltsverzeichnis b) Ausschluss der Revisionsmöglichkeiten, §§ 247 a S. 2, 336 S. 2 StPO ........................................................ aa) Grundsätzliches aus den Entscheidungen des BGH ............ bb) Der "teleologische" Ansatz Schlüchters ...................... cc) Ausschnitte aus der Literatur zum Problemkreis des Anfechtungsausschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Die Aufarbeitung der Problematik bei Diemer . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Tatbestandsseite .................................. (2) Die Rechtsfolgen- oder Ermessensseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Würdigung der Einteilung ............................. (4) Rückkehr zu den Fallbeispielen ........................ c) Eigener Lösungsvorschlag ...................................... 6. Zusammenfassung zur Gefährdungsalternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Audiovisuelle Zuschaltung des Beschuldigten bei kommissarischer Vernehmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 247 StPO in Kombination mit videotechnischen Übertragungselementen ...................................................... c) Videosimultanvernehmung ..................................... C. Die Simultanübertragung unter den Voraussetzungen des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO ("Erreichbarkeitsalternative") .................................... 1. Vorbemerkungen zur Gesetzessystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die verwendeten Begrifflichkeiten: Zum inneren Zusammenhang der §§ 251 Abs. 1, 223 und § 244 Abs. 3 S. 2, 5. Var. StPO und zum erweiterten "Erreichbarkeitsbegriff' des BGH. . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundlegendes zur Wahrheitserforschungspflicht in § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO ...................................................... 2. Videovernehmung unter den Voraussetzungen § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO a) Der "gesperrte" Kinderzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Sperrerklärung und rechtliche Gegenmaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . bb) Die Vernehmungsübertragung als Alternative? ................ cc) Zusammenfassung ......................................... b) Die gesperrte V-Person und der gefährdete Zeuge ................. aa) Die behördliche Sperrung der Beweisperson und ihre Folgen. . . bb) Die behördliche Sperrung als Voraussetzung einer Vernehmungsübertragung ......................................... cc) Die Einordnung der Videovernehmung in die Drei-Stufen-Theorie ....................................................... c) Die "erweiterte Erreichbarkeit" des Auslandszeugen ............... aa) Die Unerreichbarkeit des Auslandszeugen anhand "klassischer" Fallgruppen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundloses Ausbleiben bzw. Verweigerung des Zeugen zu Erscheinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Unerreichbarkeit wegen Tatbeteiligung und Befürchtung eigener Strafverfolgung ..................... :........ .

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Inhaltsverzeichnis (3) Verweigerung der ÜbersteIlung eines im Ausland inhaftierten Zeugen ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 (4) Zusammenfassung: Beibringungsbemühungen und Videotechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Notwendige gerichtliche Aufklärungshandlungen in systematischer Abstufung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (1) Vorprüfung: Die Erforderlichkeit des Zeugenbeweises, §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 244 Abs. 5 S. 2 StPO .............. 265 (2) Vernehmung unmittelbar persönlich vor dem erkennenden Gericht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 (3) Videovernehmung .................................... 268 (4) Beweisaufnahme mit Beweissurrogaten ................. 278 cc) Erste Erfahrungen mit Vernehmungen ins Ausland . . . . . . . . . . . . 282 dd) Problembereiche der grenzüberschreitenden Vernehmung, insbesondere bei einer direkten Kombination von kommissarischer Vernehmung und Hauptverhandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Erweiterte Möglichkeiten der Rechtshilfe: Ein Überblick über wichtige internationale Normen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1 ) Videokonferenzen nach Art. 10 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 .......... (2) Telefonkonferenz nach Art. 11 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 ..........

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(3) Videokonferenz und Videographie vor Internationalen Strafgerichtshöfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 (4) Elektronische Beweismittel nach Art. 32 des Corpus Juris . 298 3. Die Übertragung unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO ........................................................... 302 a) Zur "Unzumutbarkeit" des persönlichen Erscheinens .............. 303 b) Videovernehmung als vermittelndes Element. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 ·c) Konkurrenz zu Vernehmungssurrogaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 d) Zusammenfassung............................................ . 305 4. Zeugenschutz durch die Hintertür: § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO ........... 305 a) Pro und Contra einer einverständlichen Lösung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 b) Videovernehmung auf der Basis eines "stillschweigenden" Einverständnisses? .................................................. 309 5. Zum Anfechtungsausschluss bei § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO ............. 310 a) Anfechtungsausschluss als Redaktionsversehen? .................. 310 b) Streit um die Reichweite des Anfechtungsausschlusses ........... . 311 c) Ergebnis ..................................................... 313 6. Zusammenfassung der Ergebnisse zu § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO ......... 313

Inhaltsverzeichnis

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4. Teil Videosimultanübertragung bei der Vernehmung anderer Beweispersonen

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A. Die Videovernehmung des Sachverständigen ............................ 1. Vergleichbarkeit der Rechtsposition von Zeuge und Sachverständigem .. 2. Zulässigkeit eines Analogieschlusses zu § 247 a StPO ................ 3. Vorschlag einer gesetzlichen Formulierung in § 247 a V-StPO .........

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B. Videovernehmung des (Mit-)Beschuldigten ........................ " ... 1. Ausschluss einer Analogielösung zu § 247 a StPO ................... 2. Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda? ............................ a) Zum Postulat der ununterbrochenen Anwesenheit des Angeklagten .. b) Videotechnik als Schutzinstrument für den Beschuldigten .......... c) Technische und rechtliche Mindestgarantien ...................... d) Gesetzgebungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Teil Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren, § 168 e StPO

A. Die Ziele des § 168 e StPO im Überblick .............................. 1. Verletzliche Zeugen als Hauptzielgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die schwierige Situation bedrohter Zeugen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das besondere Zusammenspiel von Simultanübertragung nach § 168 e StPO und Vernehmungsaufzeichnung nach § 58 aStPO ............... a) Fallbeispiele aus dem Bereich der organisierten Kriminalität . . . . . . . b) Die besondere Problematik des kindlichen Zeugen ................ B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung nach § 168 e StPO ............................................................... 1. Das "Mainzer Modell" als Vorbild der ermittlungsrichterlichen Vernehmung ........................................................... 2. Die Schwierigkeiten in der Umsetzung des § 168 e StPO ............. 3. Angleichung der Voraussetzungen des § 168 e S. 1 StPO an die des § 247 a Abs. 1 V-StPO ........................................... a) "Dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Subsidiarität................................................. . 4. Die Mitwirkungsbefugnisse von Verteidigung und Beschuldigtem auf dem Weg in ein "partizipatorisches Ermittlungsverfahren"? . . . . . . . . . . . a) Anwesenheitspflicht, § 168 c StPO .............................. b) Frühzeitige Verteidigerbestellung, § 141 Abs. 3 StPO .............. c) Akteneinsicht, § 147 StPO ..................................... d) Exkurs: Zu den Reformentwürfen für ein "partizipatorisches Vorverfahren" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis 5. Wortprotokoll oder "Verschriftung", §§ 168, 168 aStPO? ............ 6. Technische Anforderungen an eine Übertragung nach § 168 e S. 2 StPO ........................................................... 7. Ausschluss der Anfechtbarkeit, § 168 e S. 5 StPO ................... a) Wirkungen auf die Beschwerderechte der §§ 304 Abs. 2, 305 S. 2 StPO ........................................................ b) Wirkungen für eine Revision ...................................

359 363 364 365 366

C. Zusammenfassung................................................... 367 6. Teil Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

A. Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vernehmungsdokumentation auf der Grundlage des § 58 a StPo ....... a) Geltungs- und Anwendungsbereich der Vorschrift ................. b) Die Dokumentationsmodalitäten des § 58 a Abs. 1 StPO ........... aa) Die Fakultativermächtigung des § 58 a Abs. 1 S. 1 StPO . . . . . . (1) Notwendige Orientierung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bemerkungen zur Dokumentationstechnik . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Aussage eines jugendlichen Zeugen und § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ce) Beweissicherung nach § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO ......... c) Zur Durchsetzbarkeit der DuldungspfIicht mit Zwangsmaßnahmen .. d) Verwendungsbeschränkung nach § 58 a Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . e) Akteneinsicht in die Vernehmungsaufzeichnung ................... aa) Der zur Einsicht berechtigte Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schranken der Akteneinsicht des Verteidigers, § 147 Abs. 2 StPO .................................................... (1) Akteneinsicht im Vorfeld der mitgeschnittenen Zeugenvernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Akteneinsicht nach Abschluss der audiovisuell dokumentierten Vernehmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ce) Mitgabe von Aufzeichnungskopien nach § 147 Abs. 4 StPO ... (1) Kritik an den gegenwärtigen Reformvorhaben des Bundesrates und der Länder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Beschränkte Weiterleitungsbefugnisse als Lösung ......... (3) Folgerungen für eine Konkretisierung des Tatbestandesmerkmals der "wichtigen Gründe" in § 147 Abs. 4 StPO .. dd) Schranken der Akteneinsicht des Beschuldigten gemäß § 147 Abs. 7 StPO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Schranken der Akteneinsicht für den weiter einsichtsberechtigten Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . t) Vorschlag für eine Neufassung von § 58 a V-StPO .................

369 372 373 374 376 376 376 377 378 380 382 383 384 384 386 386 386 389 391 392 394 394 395 396

Inhaltsverzeichnis

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2. Besonderheiten einer Vernehmungsdokumentation nach den Voraussetzungen des § 247 a S. 4 StPO ..................................... 397 B. Die Verwertbarkeit der Bild-Ton-Aufzeichnungen von Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 255 a StPO .......... . 399 1. Die Anfange des § 255 aStPO: Umsetzungshindernisse im Gerichts-

alltag ........................................................... 2. Die Verwendung der Aufzeichnung nach § 255 a Abs. 1 StPO ........ a) Die Ersetzung der Zeugenaussage gemäß §§ 255 a Abs. 1, 251 StPO ........................................................ aa) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO .................................................... bb) Der Tatbestand des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO ................. cc) Der Tatbestand des § 251 Abs. 2 StPO ...................... dd) Sonderproblem: Die fehlerhafte Vernehmungsaufzeichnung und ihre Ersatzverwertung über § 251 Abs. 2 S. 2 StPO bzw. auf der Grundlage des Einverständnisses aller Beteiligten und die Widerspruchslösung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verbot der Aussageersetzung gemäß § 252 i. V.m. § 52 StPO .. aa) Umgehungsmechanismen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung .................................................... bb) Problematik des formlosen Vorhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der Verzicht des Zeugen auf das Verwertungsverbot des § 252 StPO .................................................... c) Gedächtnisunterstützung und Behebung von Widersprüchen, § 253 StPO ........................................................ 3. Die Verwendung von Vernehmungsaufzeichnungen nach Maßgabe des § 255 a Abs. 2 StPO ............................................. a) Die Voraussetzungen einer Ersetzung nach § 255 a Abs. 2 S. I StPO ........................................................ aa) Abstrakte Anknüpfungspunkte: Alter des Zeugen und Katalogstraftat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anweisungen zu Herstellung und Qualität der ersetzenden Videokonserve .............................................. (1) Mindestvoraussetzungen an eine frühere Mitwirkung der Beteiligten ........................................... (2) Die bloße "Gelegenheit" zur Mitwirkung ................ (3) Entwurf eines § 255 a Abs. 2 V-StPO .................. cc) Ausweichmöglichkeiten .................................... b) Die Problematik der ergänzenden Vernehmung, § 255 a Abs. 2 S. 2 StPO ........................................................ aa) Anspruch auf ergänzende Vernehmung? ..................... bb) Zum Maßstab der Amtsaufklärungspflicht und des Beweisantragsrechts ............................................... cc) Absolute Grenzen einer ergänzenden Inanspruchnahme des Zeugen ..................................................

2 Swoboda

401 405

406 406 409 409

411 412 413 414 417 418 419 419 419 423 423 424 427 427 428 428 429 430

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Inhaltsverzeichnis c) Abschließende Bemerkungen zum Interessendreieck von Zeugenschutz, Wahrheitserforschung und Beschuldigtenrechten im Rahmen des § 255 a Abs. 2 StPO ....................................... 431

C. Videoaufzeichnungen in der Revisionsinstanz und § 261 StPO ............ l. Die tatrichterliche Beweiswürdigung in der Revisionsinstanz .......... 2. Beispiele für eine Fehlerhaftigkeit der fundierenden Tatsachen ........ 3. Der besondere Nutzen der Vernehmungs aufzeichnung in der revisionsgerichtlichen Kontrolle ........................................... 4. Gesetzgebungsvorschläge für eine Protokollierung von Vernehmungen in der Hauptverhandlung ..........................................

433 433 434 436 438

D. Zusammenfassung: Vernehmungsaufzeichnung und Verwertung ........... 439

7. Teil Die Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen in Bild und Ton 442 A. Die Vorteile einer Videodokumentation ................................ 443

B. Verwertung einer Vernehmungsdokumentation in der Hauptverhandlung .... 447 l. Die Verwertung von Bild-Ton-Aufzeichnungen in den Fällen des § 254 StPO ........................................................... 449 2. Verwertung von Aufzeichnungen von nichtrichterlichen Beschuldigtenvernehmungen ................................................... 450 C. Zusammenfassung ................................................... 452

8. Teil Zusammenfassung und Ausblick A. Zusammenfassung: Videotechnik im Strafverfahren ...................... 1. Einsatz neuer Medien bei der Videosimultanübertragung .............. 2. Videotechnik als Speichermedium. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Würdigung ......................................................

453 453 454 459 462

B. Überblick über die erarbeiteten Gesetzesentwürfe ........................ 463 Anhang

Gesetzestexte verschiedener Staaten

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A. Auszüge aus der österreichischen Strafprozessordnung 1975 in der durch das Strafprozessänderungsgesetz 1993 geänderten Fassung ................ 467 B. Auszug aus dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ..................... 469

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 Sachwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497

Einleitung: Videotechnik im Strafverfahren Zum 01.12.1998 trat das "Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes; Zeugenschutzgesetz - ZSchG" in Kraft. 1 Es ist der erste Versuch, mit einer gesetzlichen Regelung die Videotechnik als Kommunikations-, Dokumentations- und Reproduktionsmedium für das Strafverfahren nutzbar zu machen, ohne ihren Wert auf Augenscheinsbeweise und vorläufige Vernehmungsaufzeichnungen i.S.d. § 168 a Abs. 2 StPO zu beschränken. Vor dem Hintergrund der großen Missbrauchsprozesse von Flachslanden und Worms hatte das Zeugen schutzgesetz bei seiner Entstehung zunächst nur zum Ziel, den Schutz besonders sensibler Zeugen vor den Belastungen des Strafverfahrens zu gewährleisten, namentlich kindliche Zeugen und Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, § § 174 bis 184 b StGB, vor einer sekundären Traumatisierung durch die Zeugenpflicht zu bewahren2 . Erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde der Anwendungsbereich des Zeugenschutzgesetzes auf alle gefährdete Zeugen3 sowie auf solche Zeugen ausgedehnt, deren Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß der Vorschrift des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 StPO ein Hindernis entgegensteht. Diese letzte Erweiterung ermöglicht heute die Vernehmung von Auslandszeugen per Videokonferenzschaltung in die Hauptverhandlung. Vorschriften über den Einsatz von Videotechnik finden sich in den neu eingeführten §§ 58 a, 168 e, 247 a und 255 aStPO. Herzstück der Rege1 BGBl. I, S. 820 ff. Offiziell lautet der Titel des am 04.03.1998 in der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages beschlossenen Gesetzes: "Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung und der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes; Zeugenschutzgesetz - ZSchG)"; erläutert auch bei Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 200. 2 Gesetzesentwurf der Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer (Ulm) u. a. und der Fraktion der SPD, BT-Drs. 13/3128, S. 3. Der Vorschlag gründete sich noch ausdrücklich auf dem Modell der "gespaltenen Hauptverhandlung", wie es vom LG Mainz (LG Mainz, NJW 1996, 208 = StV 1995, 354) zuvor praktiziert wurde, BT-Drs. 13/ 3128, S. 6. Tatsächlich orientierte sich auch der darauf folgende Entwurf des Bundesrates für ein "Gesetz zum Schutz kindlicher Zeugen", BT-Drs.13/4983, im Wesentlichen an dem sog. "Mainzer Modell" und beschränkte dessen Anwendungsbereich in der Begründung allein auf Zeugen unter 16 Jahren. 3 BT-Drs. 13/7165.

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Einleitung: Videotechnik im Strafverfahren

lung ist § 247 aStPO. Er ermöglicht im Fall einer qualifizierten Gefahrdungslage für das Wohl des Zeugen, dessen Aussage in der Hauptverhandlung von einem anderen Ort aus über eine gleichzeitige Bild- und Tonübertragung in den Sitzungssaal zu übermitteln. Eine ähnliche Regelung findet sich in § 168 e StPO für die richterliche Vernehmung im Ermittlungsverfahren. Der Zeuge kann von den übrigen Anwesenheitsberechtigten4 getrennt vernommen werden, doch diesen wird die Vernehmung mindestens einseitig via Monitor übertragen. Ferner gestattet das Zeugenschutzgesetz in § 58 a Abs. 1 StPO richterliche und nichtrichterliche Vernehmungen des Zeugen auf Bild- und Tonträger (Videobänder) festzuhalten. Für die richterliche Vernehmung im Vorverfahren in der Form des § 168 e StPO wird in § 168 e S. 4 StPO noch einmal auf diese Aufzeichnungsbefugnis verwiesen. In der Hauptverhandlung gestattet außerdem § 247 a S. 4 StPO die Videographie der Zeugenvernehmung. Gemäß § 58 a Abs. S. 1 StPO dürfen die so entstandenen Vernehmungsaufzeichnungen aber nur "für Zwecke der Strafverfolgung" verwendet werden. Eine Verwendung außerhalb dessen, was zur "Erforschung der Wahrheit erforderlich" ist, ist unzulässig. Außerdem gelten die Vorschriften über die Akteneinsicht entsprechend. In der Hauptverhandlung können Videodokumentationen unter den sehr restriktiven Voraussetzungen des § 255 a Abs. 1 und 2 StPO als Ersatz für eine unmittelbar in der Hauptverhandlung durchgeführte Zeugenvernehmung vorgeführt werden. Daneben finden sich im Zeugenschutzgesetz Regelungen über die Beiordnung eines Zeugenbeistandes, § 68 b StPO, und die Bestellung eines Verletztenbeistandes, § 397 a und 406 g StPO, verbunden mit Anordnungen über die jeweilige Kostentragungspflicht. Bei seinem nahezu schon überstürzten Beschluss im März 1998 galt das Zeugenschutzgesetz als Wegweiser für einen effektiveren und vor allem fortschrittlicheren Zeugenschutz. Aber ein genereller Aufbruch in die "Moderne" sollte damit nicht verbunden sein, denn anders lässt sich kaum erklären, wieso das Gesetz nicht prinzipiell gestattet, schriftliche Vernehmungsprotokolle durch Videoaufzeichnungen zu ersetzen oder die Simultanübertragung von Vernehmungen auch für andere Beweispersonen als den Zeugen zuzulassen5 • Das Anwesenheitsrecht bestimmt sich nach § 168 c Abs. 2 StPO. Kritisch dazu z. B. die Äußerung Nacks: "Noch immer wird im Ermittlungsverfahren wie zur ,Postkutschenzeit' protokolliert, lediglich der Federkiel wurde durch 4

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Einleitung: Videotechnik im Strafverfahren

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Dabei geben andere inner- und außereuropäische Staaten längst Beispiel für einen gelungenen Umgang mit der Videotechnik als Übertragungs- und Speichermedium auch in solchen Bereichen des Strafverfahrens, die nicht dem Zeugenschutz zugeordnet werden. So wird in Kanada mit guten Ergebnissen mit der Videographie von Beschuldigtenvernehmungen experimentiert6 . Nordirland hat die Videoaufzeichnung von polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen bei Verdacht terroristischer Straftaten sogar zum Regelfall gemacht? Italienische Gerichte veranstalten Videokonferenzen überdies mit den Angeklagten selbst, sofern gegen diese in Verfahren wegen Straftaten aus dem Bereich organisierter Kriminalität verhandelt wird. Die Angeklagten nehmen in ihren Haftanstalten via Monitor an den Verhandlungen teil, weil ihr persönlich unmittelbares Auftreten im Gerichtssaal aus Sicherheitsgründen und wegen des oft kaum noch zu bewältigenden organisatorischen Aufwands bei Transport und Bewachung der Personen nicht mehr gewährleistet werden kann s. Die skandinavischen Länder, etwa Schweden und Norwegen, lassen ferner die telefonische Einvernahmen eines Zeugen zu, sofern dessen Aussage nicht vorab als besonders schuld- und strafmaßrelevant eingeordnet wird9 • Und aus Spanien und Mexiko ist bekannt, dass Vernehmungen in der Hauptverhandlung selbst auf Videoband protokolliert werden. Das Zeugenschutzgesetz, das sich auf den sehr engen Wirkungsbereich des Zeugenschutzes beschränkt und selbst dort insbesondere im Zusammenhang mit dem Schutz kindlicher Zeugen schon viel Kritik geerntet hat 10, stellt wahrscheinlich nur den Anfang einer Entwicklung dar, in deren Verlauf videotechnische Mittel in alle Bereiche des Strafverfahrens vordringen und dort zur Dokumentation, Reproduktion oder zur live Übertragung von Geschehnissen von einem Ort zu einem anderen genutzt wird. So mancher mag dieser Entwicklung misstrauisch gegenüberstehen, denn der Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten stellt nicht nur ganz neue Anforderungen an die Behörden und den Strafverteidiger, er kann (veraltete) Schreibmaschinen ersetzt; Nack/Arbeitsgemeinschajt Sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographiegesetzes, S. 312. 6 Steinke, Kriminalistik 1993, 330 ff.; Grant, Crim LR 1987, 375 ff.; ausführlich im 2. Teil, Kapitel DA. 7 2. Teil, Kapitel D.3. 8 Corte Costituzionale, Urteil vom 22. Juli 1999, Nr. 342. (Foro Italiano, I, 2000, 3363 oder EuGRZ 2000, 163); dazu im 2. Teil, Kapitel 7. 9 Comils, Landesbericht Schweden, S. 457 f. 10 Vgl. nur die späteren Verbesserungsvorschläge der Länder und des Bundesrates, etwa der Gesetzesentwurf der Freien und Hansestadt Hamburg, BR-Drs. 507/ 99; oder die Entwürfe des Bundesrates für ein Gesetz zur Stärkung der Verletztenrechte BR-Drs. 552/00; BT-Drs. 14/4661.

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auch Einbrüche in die herkömmliche Struktur des Strafverfahrens nach sich ziehen. Dies insbesondere dann, wenn eine Beweiserhebung nicht mehr öffentlich in streitiger Verhandlung im Hauptverfahren stattfindet, sondern im Ermittlungsverfahren vorweg genommen wurde, ein Vorgang, auf den z.B. § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO abzielt. Allerdings ist dieses Misstrauen der Videotechnik gegenüber nur bedingt gerechtfertigt, denn nicht der Einsatz technischer Mittel an sich gefährdet die traditionellen Verfahrensstrukturen, sondern die Art und Weise, in der das Gesetz die Technik in das Verfahren einbaut und in der es erlaubt, anlässlich des Einsatzes neuer Medien von herkömmlichen Formen der Beweiserhebung abzuweichen. Dies muss nicht immer solche Ausmaße annehmen, wie sie bei dem gewiss sehr kritisch zu betrachtenden § 255 a Abs. 2 StPO zu beobachten sind, denn ein Vorgehen nach seinen Voraussetzungen zieht die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und darüber die Verteidigungsmöglichkeiten beträchtlich in Mitleidenschaft]]. Zu der in § 255 a Abs. 2 StPO festgeschriebenen Durchbrechung der Unmittelbarkeit ist im Übrigen anzumerken, dass die gegenwärtigen Reformbestrebungen offensichtlich genau dieses Abgehen von der unmittelbaren Beweisaufnahme für einen ökonomischeren, konzentrierten und vor allem schnelleren Strafprozesses der Zukunft im Blick haben \2, und in diesem Zusammenhang wird die Videotechnik als anerkanntermaßen bestes Dokumentationsmedium eine sehr vorteilhafte Rolle spielen. Gleich, wie sich der Gesetzgeber aber für die Gestaltung des Strafprozesses in Zukunft entscheiden wird, die neuen Medien können in jedem Fall zum Nutzen der Verfahrensbeteiligten und der Sachaufklärung Anwendung finden. Dies vor allem dann, wenn außer ihnen nur andere Formen des mittelbaren Beweises zur Verfügung stünden oder eine Beweisführung ohne Videotechnik gänzlich unmöglich wäre. Im Grunde geht es also nur darum, die neuen technischen Möglichkeiten so in das Verfahren zu integrieren, dass ihre Vorzüge umfänglich genutzt, ihre Nachteil aber weitgehend in Grenzen gehalten werden können. Diese Untersuchung wird deswegen den Versuch unternehmen, ausgehend vom geltenden Recht, gesetzliche Grundlagen für einen Einsatz von Videotechnik im Verfahren zu erarbeiten, durch die insbesondere die Beweiserhebung durch oder im Zusammenhang mit Vernehmungen vorteilhafter gestaltet werden soll. 11 Ausführlich dazu im 6. Teil, dort insbesondere Kapitel B.3.; Beulke, ZStW 113 (2001), 734 ff. 12 Däubler-Gmelin, StV 2001, 359; Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens vom 6. April 2001, StV 2001, 314; dazu Salditt, StV 2001, 311; DAV, AnwBI. 2001,30 (39 ff.); Ignor/Matt, Integration und Offenheit im Strafprozess.

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Damit ist im Weiteren auch angesprochen, welche Schwerpunkte in dem umfangreichen Problemkreis des Einsatzes von Videotechnik im Strafverfahren gesetzt werden sollen. Die neuen Medien werden vor allem in ihren Auswirkungen auf den Bereich der persönlich unmittelbaren Vernehmung in Vor- und Hauptverfahren zu untersuchen sein. Videoaufzeichnungen hingegen, die sich systematisch in die klassische Kategorie des Augenscheinsbeweises einordnen lassen, sollen nur dann Berücksichtigung finden, wenn ihre Verwendung im Hinblick auf die Neuerungen des Zeugenschutzgesetzes Fragen aufwirft 13. Dies bedeutet vor allem, dass das Thema der Rechtmäßigkeit von Erstellung und Verwertung einer heimlichen, privaten oder im Auftrag der Strafverfolgungsbehörden erstellten Bild- und Tonaufzeichnung zur Augenscheinsbeweisführung hier nicht behandelt werden soll. Diese Problematik würde aufgrund ihrer völlig anderen Fragestellung und Tiefe den Rahmen dieser Arbeit sprengen l4 . Ein weiterer Schwerpunkt dieser Untersuchung wird im Bereich des Zeugenschutzes liegen, also bei dem Ziel, welchem sich - zumindest dem Namen nach - das Zeugenschutzgesetz verschrieben hat. Dies nicht nur, weil besonders auf diesem Gebiet im In- und Ausland mit den neuen Medien experimentiert wird, sondern weil die Vorschriften der §§ 58 a, 168 e, 247 a und 255 a StPO in ihren Stärken und Schwächen hinreichend Auskunft über das geben, was es bei einer Verwendung von Videokonferenzen und Videoaufzeichnungen im Strafverfahren zwingend zu beachten gilt. In der Auseinandersetzung mit diesen Normen sollen deswegen die Vorzüge und die Nachteile der neuen Medien aufgezeigt werden, um die dabei gewonnen Erkenntnisse dann auch auf weitere mögliche Verwendungsformen von Videotechnik im Strafverfahren zu übertragen. Zeugenschutz wird ferner deswegen als Ausgangspunkt für eine Diskussion gewählt, weil sich in diesem Bereich am anschaulichsten das tripolare Spannungs/eid zwischen Zeugenrechten, Verteidigungsinteressen und Belangen der Strafverfolgung darstellen lässt, welches in der Diskussion um den Einsatz von Videotechnik bei Vernehmungen die wesentlichen Richtlinien vorgibt. Dort, wo die genannten gegenläufigen Interessen kollidieren, kann die Videotechnik u. U. als "Interessenmittler" Abhilfe leisten. Teilweise lassen 13 So kann z. B. die Videoaufzeichnung einer Zeugenvernehmung zugleich Augenscheinsobjekt hinsichtlich der Spuren sein, welche die verhandelte Straftat sichtbar am Körper des vernommenen Zeugen hinterlassen hat. 14 Die Thematik der "heimlichen" Eingriffsmethoden durch Strafverfolgungsbehörden gehört wesentlich in den Bereich der Frage nach Verfahrensfairness und muss sich dort einiges an Kritik gefallen lassen, vgl. Rzepka, Zur Fairness im deutschen Strafverfahren, S. 426 f; aus europäischer Sicht Hamm, StV 2001, 81 ff.

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Einleitung: Videotechnik im Strafverfahren

sich mit ihrer Hilfe Interessengegensätze sogar zu Gunsten jedes einzelnen der betroffenen Belange auflösen I 5. Zu anderen Gelegenheiten wiederum mag die Verwendung der neuen Medien das empfindliche Interessengleichgewicht zulasten einzelner Belange verschieben. Dann stellt sich die Frage, womit diese Bevorzugung einzelner Aspekte vor den anderen gerechtfertigt werden kann und wie ein eventueller Ausgleich für diese Einschränkungen der anderen Interessen aussehen könnte. Die Arbeit wird auch diesen Fragen nachspüren. Im Übrigen wird sich im Verlauf der Untersuchung sehr deutlich zeigen, dass der Einsatz von Videotechnik bei Vernehmungen längst eine fester Bestandteil des Strafverfahrens sein sollte, denn die Vorzüge der neuen Medien überwiegen ihre Nachteile bei Weitem. Dass der Umgang mit der Technik zu Beginn Schwierigkeit bereitet, darf kein Hindernis sein, genauso wenig wie anfängliche Unsicherheiten in Verfahrensfragen davon abhalten dürfen, sich die Videotechnik zunutze zu machen. Zu den in dieser Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten ist vorweg Folgendes anzumerken: Für die videosimultanübertragene Vernehmung sowie Videoaufzeichnungen werden eine Reihe von Begriffe synonym gebraucht. Eine videosimultanübertragene Vernehmung ist auch als Vernehmung auf Distanz oder Vernehmung via Monitor, als Fernvernehmung, Videovernehmung, Simultanvernehmung bzw. Vernehmungsübertragung in Bild und Ton oder als audiovisuelle oder videotechnische Vernehmungsübertragung bezeichnet. Ferner kann von einer Verfahrensteilnahme des Vernommenen auf Distanz, von einer Zuschaltung der Beweisperson in das Verfahren oder von einer Vernehmung per Bildschirm die Rede sein. Videoaufzeichnungen werden auch als Videodokumentationen, Videokonserven oder einfach Videobänder benannt. Rede wird außerdem von der Videographie von Vernehmungen als Synonym für die Vernehmungsaufzeichnung in Bild und Ton sein. Die gleiche Bedeutung haben die Bezeichnungen: Vernehmungsmitschnitte in Bild und Ton, videotechnische Aufzeichnungen und audiovisuelle Vernehmungs- bzw. Beweissurrogate. Die sinngleiche Verwendung soll gleichwohl nicht so verstanden werden, dass der Bedeutungsgehalt der einzelnen Begrifflichkeiten von der Autorin als hundertprozentig identisch angesehen wird. Auf die geringfügigen Bedeutungsverschiebungen wird bei der Befassung mit den einzelnen Themen Rücksicht genommen. In jedem Fall aber sind die Abweichungen im Sinn15 So etwa bei der Videosimultanübertragung, die den Zeugenschutz unter gleichzeitiger Wahrung der Konfrontations- und Fragerechte des Angeklagten gestattet und außerdem eine sehr intensive, d.h. der Sachaufklärung dienliche Befragung ermöglicht; Schünemann, StV 1998, 399; Rieß, Opfer- und Zeugenschutz in Missbrauchsverfahren, S. 124; dazu im 3. Teil, Kapitel B.2.

Einleitung: Videotechnik im Strafverfahren

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gehalt nicht so gravierend, dass sich eine synonyme Verwendung verbieten würde. Jeder der zuvor genannten Bezeichnungen lässt sich gegenwärtig in der Literatur über den Themenkomplex der Videotechnik im Strafprozess finden. Ein zwingender einheitlicher Sprachgebrauch ist nicht vorgegeben, weswegen diese Untersuchung auch jeden der Begriffe berücksichtigen möchte.

1. Teil

Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition Der Dreiklang aus Zeugenschutz, Beschuldigtenrechten und Strafverfolgungsinteressen A. Zeugenpflichten - Zeugenrechte Der Zeuge ist zentrales Beweismittel des Strafprozesses. Aufgrund seiner enormen Bedeutung für die Aufklärung von Straftaten und im Interesse einer funktionstüchtigen Rechtspflege obliegt ihm eine umfangreiche Zeugenpflicht!. Diese wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (im Folgenden nur BVerfG)2 aus einer "allgemeinen Staatsbürgerpflicht" hergeleitet, die in der Strafprozessordnung selbst nicht normiert, aber vorausgesetzt wird3 . Der Zeuge hat vor Gericht zu erscheinen, wahrheitsgemäß auszusagen und gegebenenfalls seine Aussage nach § 59 StPO zu beeidigen. Zudem können Nebenpflichten wie die Duldung einer Gegenüberstellung nach § 58 Abs. 2 StPO oder einer körperlichen Untersuchung, § 81 c StPO, mit der Aussage verbunden sein. Für die Belange der Strafverfolgung und der Rechtspflege gilt diese Zeugenpflicht weithin als unverzichtbar4 . Für den Betroffenen aber bringt sie 1 Jung, GA 1998, 313 und 318; Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S. 542; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 187 f. 2 Vgl. nur BVerfGE 49, 280 (284); 56, 37 (44); Siegismund, JR 1994, 255; Zacharias dagegen spricht von einer "allgemeinen öffentlichen Pflicht gegenüber dem Staat", immerhin unterliegen der Zeugenpflicht nicht nur deutsche Staatsbürger, sondern alle, die der deutschen Staatsgewalt und der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen sind, Der gefahrdete Zeuge, S. 36; zu Normierungsbestrebungen s. den Beschluss 11 Nr. 1 der Beschlüsse des Deutschen Juristentages, NJW 1998, 120. 3 Gesetzlichen Niederschlag hat die Zeugenpflicht nur in § 161 a Abs. 1 S. 1 StPO für die staatsanwaltschaftliche Vernehmung gefunden. Vor der Polizei braucht ein Zeuge weder zu erscheinen noch auszusagen. Dagegen lassen sich für das gerichtliche (und ebenfalls das staatsanwaltschaftliche) Verfahren Rückschlüsse auf eine Zeugenpflicht aus der Möglichkeit der Anordnung von Ordnungs- und Beugemitteln nach §§ 51, 70 StPO ziehen. 4 Kritisch Nelles, NJ 1998, 450; Beschlüsse des 62. Deutschen Juristentages, NJW 1998, 113 und 120.

A. Zeugenpflichten - Zeugenrechte

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erhebliche Belastungen mit sich. Nachteile sind bis zur Grenze der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in Kauf zu nehmen 5 . Seiner Auskunftspflicht entziehen darf sich der Zeuge nur in dem durch die gesetzlichen Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechte eng abgesteckten Rahmen. Verweigert er ohne zureichende Begründung das Erscheinen, die Aussage oder die Eidesleistung, muss er mit der Androhung und Verhängung der schon zuvor genannten Zwangs- und Beugemittel nach §§ 51, 70 StPO rechnen. Eine vorsätzliche oder auch nur fahrlässige Falschaussage wird in §§ 153, 154, 163 StGB mit Strafe bedroht. Angesichts dieser Schwerpunktsetzung auf den Zeugenpflichten ist längst der Vorwurf erhoben geworden, der Zeuge sei im Prozess "bloßes Mittel zum Zweck der Beweisführung,,6. Seine Position werde im Gesetz so veranschlagt, dass aus seinen Wahrnehmungen im Dienste der Wahrheitsfindung möglichst umfassend und unbeschränkt Nutzen gezogen werden kann7 . Ebenfalls ist es im Sinn des Beschuldigten, den Zeugen gerade auch zu intimen und persönlichen Fragen Rede und Antwort stehen zu lassen, um seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern oder aus der Offenbarung eines eigenen Fehlverhaltens in Bezug auf die Tat Entlastung vom Schuldvorwurf zu erlangens. Mag der letztgenannte Aspekt auch hauptsächlich Opferzeugen betreffen, die staatsbürgerliche Auskunftspflichtpflicht kann gleichfalls für andere Zeugengruppen erheblichen Beeinträchtigungen bedeuten. Allen voran sind hier die bedrohten Zeugen zu nennen, denen im Fall einer (wahrheitsgemäßen) Aussage vom Täter oder aus dessen kriminellen Umfeld Gefahren für Freiheit, Leib und Leben angekündigt werden. Des Weiteren sind besonders sensible Zeugen betroffen, namentlich kindliche Zeugen und Opferzeugen, für die eine Aussage unter dem Druck der Atmosphäre der Hauptverhandlung oder auch nur im Beisein des Beschuldigten erhebliche seelische und körperliche Folgen haben kann. Aussagen von Informanten, V-Leuten oder Verdeckten Ermittlem begründen für diese u. U. ebenfalls Gefahren für Gesundheit, Freiheit Leben. Von dieser Bedrohungssituation strikt zu unterscheiden ist allerdings das Interesse der öffentlichen Strafverfolgung, nicht durch eine Identitätspreisgabe die weitere Einsatzmöglichkeit einer V-Person bei der Kriminalitätsbekämpfung im "Milieu" zu gefährden. Zwar gehen die Interessen an einer körperlichen Unversehrtheit und an der Einsatzfalügkeit einer V-Person regelmäßig Hand in Hand, als Gegengewicht gerade zu den Verteidigungsrechten aber sind sie von ungleichem Rang. 5 6 7

8

Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S. 542; Neltes, NJ 1998, 450. Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 13. Bildhaft dazu Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 16 f. Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 17; Dahs, NJW 1984, 1923.

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

Dem Zeugen steht nicht erst seit der Entscheidung des BVerfG zum Zeugenbeistand9 im Verfahren ein Anspruch auf Rücksichtnahme und zuvorkommende Behandlung durch die Strafverfolgungsbehörden zu 10. Er darf, trotz seiner passiven Rolle im Verfahren, nicht zum bloßen Objekt der Beweisaufnahme gemacht werden. Doch schon hinter dieser an sich selbstverständlichen Forderung bleibt die Verfahrenswirklichkeit oft zurück. Die Täterbezogenheit unseres Strafverfahrensrechts neigt dazu, den Zeugen, seine Rechte und Bedürfnisse aus den Augen zu verlieren 11. Erst spät hat die Rechtslehre begonnen, sich zumindest für den aus der Straftat Verletzten, im Prozess den späteren Opferzeugen, zu interessieren, und der Genugtuungs- und Wiedergutmachungsfunktion des Verfahrens damit mehr Geltung zu verleihen l2 . Im Zuge der Wiederentdeckung des Verletzten 13 wurde der Gesetzgeber auch auf die Gefährdung von Zeugen aus dem Bereich der organisierten Kriminalität aufmerksam, denen er ermöglichte, bei der Aussage zumindest Name und Aufenthaltsort nicht preisgeben zu müssen l4 . Allerdings behandelte er auch hierbei nur Ausschnitte aus dem Problemkreis der Zeugengefährdung. Die staatliche Pflicht, den zur Aussage herangezogenen Personen Schutz und Fürsorge zu gewähren l5 , hat sich in diesen Regelungen nicht erschöpft. Im Folgenden soll zunächst allgemein die verfassungsrechtliche Grundlage einer staatlichen Zeugenschutzpflicht herausgearbeitet und im Anschluss daran die Position der Zeugenrechte im Spannungsverhältnis mit den Zielen des Strafverfahrens und den verfassungsrechtlichen Garantien des Beschuldigten bestimmt werden. Auf dieser Positionsbestimmung werden später die Vorschläge und Anmerkungen zum Einsatz der Videotechnik im Strafverfahren basieren, wobei sich diese Gedanken dann vorrangig, aber nicht ausschließlich mit der Verbesserung zeugenschützender Verfahrensweisen beschäftigen müssen. Soweit es Anregungen zum ZeugenschutzBVerfGE 38, 105 ff. BVerfGE 17, 1 (6); K/M-G, Vor § 48, Rn. 10. 11 Rieß, Gutachten C zum 55. DJT, S. 60; Dahs, NJW 1984, 1922 f. 12 Dazu Gommolla, Der Schutz des Zeugen, S. 3 ff.; Rebmann/Schnarr, NJW 1989, 1185. 13 So mit dem Opferschutzgesetz vom 18.12.1986, BGBl. I, 2496 und dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 ( BGBl. I, 3186). 14 § 68 S. 2 StPO, eingeführt durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 vom 05.10.1978, BGBl. I, 469 ff.; weitergehende Schutzmöglichkeiten bot § 68 Abs. 1, 2 und 3 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.07.1992, BGBl. I, 1302 ff.; Genaueres im 2. Teil, Kapitel B.l. und B.3. 15 BVerfGE 57, 150 (184); 74, 358 (372); KK-Senge, Einl. Rn. 97; Griesbaum, NJW 1998, 434. 9

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A. Zeugenpflichten - Zeugenrechte

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gesetz betrifft, ist ein Verständnis der gewichtigsten Interessengegensätze unbedingt vorauszusetzen.

1. Die betroffenen Grundrechte a) Achtung der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG Mittelpunkt des verfahrensrechtlichen Grundrechtsschutzes ist die Wahrung der menschlichen Würde aller am Verfahren Beteiligter, Art. 1 Abs. 1 GG. Für den Beschuldigten wie für den Zeugen muss dies gleichermaßen gelten 16. Die Menschenwürde des Einzelnen ist unantastbar, unverfügbar und von allen staatlichen Gewalten zu achten und zu schützen, Art. 1 Abs. 2 S. 2 GG. Als oberster Wert der freiheitlichen Demokratie l7 ist sie über die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG sogar einer Verfassungsänderung entzogen. Kann aber nicht einmal der Verfassungsgeber Einfluss auf den Inhalt der Menschenwürde nehmen, scheidet auch jeder Versuch einer Eingriffsrechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht in diesem Bereich aus 18 . Ein Eingriff in ihren Schutzbereich stellt zwingend zugleich einen Verstoß gegen sie dar 19 . Diese Absolutheit des Schutzbereichs der Menschenwürde bedingt zugleich, dass nur elementarste Belange des Menschen hier Eingang finden können. Sie widerspricht der Degradierung des Menschen zum "bloßen Objekt des Staates,,20. Staatliches Handeln muss "Ausdruck der Verachtung des Wertes, der dem Menschen kraft seines Personseins zukommt,,21 sein, um den Gehalt der Menschenwürde zu berühren. In diesen Formulierungen zeigt sich zugleich das Dilemma einer Definition der Menschenwürde. Ihr Schutzbereich ist auch mit der ObJektformel des BVerfG keiner genauen Abgrenzung zugänglich. Zurückgreifen lässt sich hier nur auf bereits in der Rechtsprechung typisierte Eingriffsformen in den Grundrechtsgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG22 . Im Bereich des Strafverfahrensrechts zählen dazu etwa die in § 136 a Abs. 1 S. 1 StPO aufgezählten verbotenen Vemehmungsmethoden unter Brechung des Willens durch Hypnose, Drogen, Ermüdung oder Folter3 • Sie gelten über § 69 Abs. 3 StPO BVerfGE 27,1 (6); 38,105 (114 f.). BVerfGE 5, 85 (204). 18 BVerfGE 93, 266 (293); Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 84 rn.w.N. 19 PierothlSchlinck, Grundrechte, Rn. 365. 20 BVerfGE 5, 85 (204); 7, 198 (205); 9, 167 (171); 27, 1 (6); 87, 209 (228). 21 BVerfGE 30, 1 (26). 22 Nelles, NJ 1998,450; PierothlSchlinck, Grundrechte, Rn. 361. 23 Dazu Dürig in Maunz-Dürig, Art. 1 Abs. 1, Rn. 34 f.; BK-Zippelius, Art. 1 Abs. 1 und 2, Rn. 63 ff.; Dreier in Grundgesetz, Art. 1 Abs. 1, Rn. 77, 80 ff. 16

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

für die Vernehmung des Zeugen entsprechend, sind in der Verfahrenspraxis jedoch selten relevant. Von großer Bedeutung dagegen ist die Gefahr eines Eingriffs in den von Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Kernbereich der Persönlichkeitssphäre24 . Strafverfolgung um den Preis der Ausforschung intimster Belange des Vernommenen ist verfassungsrechtlich unhaltbar. Dies hat das BVerfG mit der Formel vom "unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung,,25 geprägt und eine Dreistufung des Privat- und Intimbereichs vorgenommen 26 . Während auf den ersten beiden Stufen nur der vorrangig in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Privatbereich des Einzelnen betroffen wird, der Eingriffen unter bestimmten Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit zugänglich ist27 , ist der mit Menschenwürde ausgestattete Kernbereich der Persönlichkeitssphäre gegen jede Einwirkung öffentlicher Gewalt verfassungsrechtlich abgeschirmt28 . Eingriffen in die Menschenwürde unterfallen ebenfalls massive Verletzungen der körperlichen und seelischen Identität und Integrität, systematische Demütigungen und Erniedrigungen29 . Hier überschneidet sich der Schutzbereiche der Menschenwürde deutlich mit demjenigen der Rechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Abgrenzungen lassen sich nur schwer vornehmen. Soll jedoch der Menschenwürdegehalt betroffen sein, muss die Einwirkung öffentlicher Gewalt die Subjektsqualität des Menschen prinzipiell in Frage stellen, d.h. einer "verächtlichen" Behandlung AE-ZVR, zu § 55 AE-ZVR, S. 59; Weigend, Kaiser-Fs., S. 1485. BVerfGE 6, 32 (41); 27, 1 (6); 33, 367 (376); 34, 238 (245); 80,367 (373 ff.). 26 BVerfGE 34, 238 (245 ff.). 27 BVerfGE 32, 373 ff.; Geis, JZ 1991, 112 ff.; Störmer, Jura 1991, 17. 28 Konsequent § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AE-ZVR, der außer bei Informationen in Bezug auf den Beschuldigten (§ 55 Abs. 3 S. 2 AE-ZVR) dem Zeugen ein absolutes Zeugnisverweigerungsrecht zugesteht, s. dazu die Begründung in AE-ZVR, S. 70 f. Ein relatives Zeugnisverweigerungsrecht sieht § 55 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 AE-ZVR vor, sofern dem Zeugen die Auskunft im Hinblick auf die Bedeutung der Sache zugemutet werden kann. Es ist hier hinzuzufügen, dass das BVerfG bisher noch nie eine Verletzung des absolut geschützten Intimbereichs bejaht hat; vgl. nur BVerfGE 80, 367; zur Verwertbarkeit tagebuchartiger Aufzeichnungen, schon die Berührung einer Handlung oder Information mit der Persönlichkeitssphäre eines anderen Menschen soll genügen, um den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts zu verlassen und die Handlung damit dem Recht zugänglich zu machen, ebenda S. 374. Nicht erst seit dieser Relativierung des Schutzbereichs wird die Rechtsprechung zur "Sphärentheorie" stark kritisiert. Hauptvorwurf ist dabei, dass es dem BVerfG bisher nie richtig gelungen ist, die einzelnen Sphären zu definieren, insbesondere nicht den sog. Kernbereich der Privatsphäre, Störmer, Jura 1991, 19. 29 PierothlSchlinck, Grundrechte, Rn. 361; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 86 m.w.N. 24

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A. Zeugenpflichten - Zeugenrechte

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gleichkommen3o . Ein derartiges Ausmaß an Rechtsverletzung wird aber auch bei der Vernehmung sensibler oder besonders gefährdeter Zeugen nur äußerst selten bejaht werden können. Für die Fragen des Zeugenschutzes bietet das Recht auf Wahrung der Menschenwürde nur einen groben Anhaltspunkt. Es ist absolute Grenze der Tätigkeit öffentlicher Gewalt. Eine Kollision mit anderen verfassungsrechtlichen Belangen, etwa denen des Rechtsstaates, ist zwingend mit dem Vorrang der Menschenwürde aufzulösen. Denn auch die von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG erfassten Verfassungswerte bestehen um der Menschenwürde willen 31 . Gäbe man ihnen im Kollisionsfall den Vorzug, wären sie zugleich selbst verletzt. b) Schutz der Persönlichkeit, Art. 1 Abs. 1 i. V.m. Art. 2 Abs. 1 GG Basierend auf der allgemeinen Handlungsfreiheit verbürgt das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Zeugen ein Recht der "Selbstverwahrung,,32 gegenüber Prozesshandlungen anderer Prozessbeteiligter. Es gibt ihm die Möglichkeit, Fragen zu inkriminierenden oder intimen Tatsachen abzuwehren, sich "informationell" selbst zu bestimmen. Er allein kann festlegen, "wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte" offenbart werden33 . Allerdings steht in Anlehnung an die ,,sphärentheorie" des BVerfG der nicht mit Menschenwürdegehalt ausgestattete Bereich der Privatsphäre Eingriffen durch die öffentliche Gewalt unter strikter Beachtung des Gebotes der Verhältnismäßigkeit offen. Gerade im Strafverfahren werden regelmäßig Befragungen des Zeugen auch über Tatsachen notwendig, die ihm zur Unehre gereichen könnten 34 . So gebietet schon die Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO den Strafverfolgungsbehörden, alle für die Entscheidung der Sache bedeutenden Tatsachen und Beweismittel zusammenzutragen. Für den Beschuldigten muss daneben die Möglichkeit gegeben sein, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern35 . Hinter diesen Belangen tritt das Anliegen des Zeugen schutzes in Gesetz und Verfahrenswirklichkeit zuruck. BVerfGE 30, 1 (26). PierothlSchlinck, Grundrechte, Rn. 365; AE-ZVR, S. 63. 32 PierothlSchlinck, Grundrechte, Rn. 375 f.; Rieß in Löwe-Rosenberg, Ein!. Abschn. I, Rn. 128. 33 BVerfGE 65, 1 (42); 80, 367 (373). 34 Rieß in Löwe-Rosenberg, Ein!.-Abschn. I, Rn. 128; SK-Rogall, Vor § 48, Rn. 92; Weigend, Kaiser-Fs., S. 1484, 1485. 35 Dahs, NJW 1984, 1921; Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 18 f. 30

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

Allerdings verpflichtet das Gebot der infonnationellen Selbstbestimmung den Gesetzgeber, organisatorische und verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu treffen, die der Gefahr der Verletzung des Persönlichkeitsrechts entgegenwirken36 . Das hat er an verschiedenen Stellen getan, doch sind die meisten gesetzlichen Schutzmöglichkeiten37 bereits durch ihren Wortlaut als Maßnahmen für den "Extremfall" gekennzeichnet und bergen erhebliche einseitige Revisionsrisiken zu Gunsten des Angeklagten. Zeugenschutz steht im Zweifel hinter den Verteidigungsinteressen zurück. Damit zeigt sich gerade im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts das Dilemma des Zeugenschutzes. Rechte des Zeugen sind bis auf Bereiche, die der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, oder dem Wesensgehalt, Art. 19 Abs. 2 GG 38 , des jeweiligen Grundrechts zugeordnet werden, einer Abwägung zugänglich. Nach bisheriger einfachgesetzlicher Ausgestaltung werden diese Rechte im Zweifelsfall hinter den Interessen der Strafverfolgung und den Belangen des Beschuldigten zurückstehen müssen. Daran ändert auch die Einführung der Videotechnik nichts. Allerdings wird im Weiteren zu prüfen sein, ob sie die Beeinträchtigungen für den Betroffenen nicht wenigstens abmildern kann 39 • c) Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Es ist Kennzeichen bestimmter Deliktsbereiche, massiven Druck auf den Belastungszeugen auszuüben. Nicht nur terroristische und mafiaähnliche Organisationen versichern sich durch die existentielle Gefährdung von Belastungszeugen deren Schweigen, auch die "einfache" Milieukriminalität, etwa im Bereich der Zuhälterei, Prostitution und des Drogenhandels, greift gerne auf Gewalt und Einschüchterungsversuche zurück, um eine Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden zu unterbinden4o . Angehörige werden Kannengießer in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 2, Rn. 4. Beispielsweise §§ 171 b, 172 GVG, 68 Abs. I S. 2 sowie Abs. 2 und 3, 68 a, 68 b, 241 Abs. 2, 241 a Abs. 3, 223, 247 StPO; dazu ausführlich 2. Teil, Kapitel B. 38 Menschenwürde- und Wesensgehalt sind nicht identisch, auch wenn häufig der nach Art.1 Abs. 1 GG geschützte Kembereich eines Grundrechts auch von Art. 19 Abs. 2 GG erfasst sein wird; Dreier in Grundgesetz, Art. 1 Abs. I, Rn. 97, entgegen der These Dürigs, die generell jedem Freiheitsgrundrecht einen Menschenwürdekern zuspricht. Dem Wesensgehalt i. S. d. Art. 19 Abs. 2 GG verbliebe sonst keine eigenständige Bedeutung. 39 Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S.92, durch räumliche Abtrennung des Zeugen könnte dessen Bereitschaft, freiwillig Auskunft über persönliche und intime Informationen zu geben, erheblich erhöht werden. 40 Buggisch, MschrKrim 2000, 135 ff., 145 ff.; Schlüchter, Schneider-Fs., S. 445 f.; Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S. 543 ff.; RebmanniSchnarr, NJW 36 37

A. Zeugenpflichten - Zeugenrechte

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ebenso Ziel massiver Bedrohung. Die unmittelbar existentielle Gefährdung des Zeugen oder ihm nahestehender Personen führt nach der Rechtsprechung aber i. d. R. nicht dazu, dass von seiner Vernehmung abgesehen werden kann41 • Die elementare Bedeutung des Beweismittels "Zeuge" in diesen Kriminalitätssparten lässt ein solches Vorgehen kaum zu, denn ein Sachbeweis lässt sich gegen die Täter selten führen 42 . Bisher behelfen sich die Strafverfolgungsbehörden im Fall beruflich gefährdeter Zeugen, Informanten, V-Leute oder Verdeckte Ermittier, mit der vollständigen Sperrung der Auskunftsperson. Die Zeugenaussage wird dann nur durch Verlesung des polizeilichen Aussageprotokolls, § 251 Abs. 2 StPO, oder Vernehmung des polizeilichen Vernehmungsbeamten als Zeuge vom Hörensagen in die Verhandlung eingebracht. Doch ist ein solch "mittelbarer" Beweis von minderem Wert. Zudem ist zweifelhaft, ob dieses Vorgehen mit dem in Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK bzw. Art. 14 Abs. 3 lit. e IPbpR positiv normierten Konfrontationsrecht des Beschuldigten vereinbar ist. Nicht nur für bedrohte Zeugen, auch für sensible Zeugen kann der Druck der Aussagepflicht zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Im Fall der Zeugengefährdung durch Dritte gilt es, den Zeugen vor Mitgliedern aus dem "Milieu" abzuschirmen. Bei Opferzeugen und kindlichen Zeugen dagegen ist eine sekundäre Traumatisierung zu vermeiden43 . Das Recht auf körperliche Unversehrtheit umfasst neben dem Recht auf körperliche Integrität auch die seelische Gesundheit im weitesten Sinn. Verletzen kann ohne Zufügung von Schmerzen auch, was psychische Pathologien, etwa Angstzustände oder hochgradige Nervosität verursacht44 , ja sogar die bloße Gefährdung der Gesundheit kann unter den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG subsumiert werden45 . Und Opferzeugen müssen viel1989, 1186 f.; Beispiele aus der Praxis bei Weigand, Kriminalistik 1992, 143 ff.; Sielaff, Kriminalistik 1986,58. 41 BGH, NJW 1993, 1214; NStZ 1993, 350; hier setzt der Vorschlag des AEZVR an, der dem Zeugen bei dringender Lebensgefahr für sich oder andere ein absolutes Zeugnisverweigerungsrecht zubilligt, § 55 Abs. 1 S. I Nr. I AE-ZVR; Vorschläge zur gesetzlich geregelten Befreiung von der Erscheinungspflicht auch bei RebmannlSchnarr, NJW 1989, 1190. 42 Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S. 541, 543 ff.; Weigend, Gutachten C zum 62. DIT, S. 14. 43 Meurer, JuS 1999, 937; Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 76 ff., mit ausführlichen Untersuchungen zu auftretenden Folgen einer sekundären Traumatisierung; Albrecht, Kindliche Opferzeugen, S. 15 ff.; BusselVolbertlStelZer, Belastungserleben von Kindern, 1996, S. 12 ff., S. 28. 44 SchuZze-Fielitz in Grundgesetz, Art. 2 11, Rn. 20; Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 2, Rn. 53. 45 BVerfG, NJW 1998,295. 3 Swoboda

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

fach nicht nur die Belastungen der Aussage, sondern gemäß § 81 c Abs. 1 StPO auch körperliche Untersuchungen erdulden, die Aufschluss über das Geschehen geben sollen. Eine absolute Grenze für die Einwirkung staatlicher Gewalt beinhaltet das Recht auf körperliche Unversehrtheit freilich nicht. Unantastbar und auch einer Abwägung nicht mehr zugänglich ist nach den vorherigen Betrachtungen nur der von ihm ausgestaltete Bereich der Menschenwürde bzw. sein grundrechtlicher Wesensgehalt. Eine Verletzung des Menschenwürdegehalts aber setzt Verstöße gegen die elementarsten Belange des Menschen voraus, d.h. massive, "willkürliche,,46 Eingriffe in seine körperliche und seelische Integrität, wie sie bei einer Zeugenvernehmung nur in extremen Einzelfällen zu erwarten sind. Nicht eindeutig geklärt sind die Anforderungen an die Verletzung der Wesensgehaltsgarantie. Während z. T. darauf abgestellt wird, dass der Eingriff in das Grundrecht so intensiv sein muss, dass dessen Preisgabe droht47 , orientiert sich die höchstgerichtliche Rechtsprechung an einer Güterabwägung im Einzelfall. Betroffen ist der Wesens gehalt, wenn durch den Eingriff die wesens mäßige Geltung und Entfaltung des Grundrechts stärker eingeschränkt wird, als es der Anlass unbedingt und zwingend gebietet48 . Geht es im Einzelfall nur darum, dass von dem betroffenen Grundrecht trotz aller Eingriffe etwas übrig bleiben muss, dann werden auch die Belastungen der Zeugenvernehmung selten einen Verstoß gegen den Wesensgehalt des Rechts auf körperliche Unversehrtheit beinhalten. Selbst ein im Zeugenstand zusammenbrechender Zeuge wäre nicht völlig seines Rechts auf Achtung seiner körperlich-seelischen Integrität beraubt, wenn auch erheblich darin betroffen. Dagegen wird ein effektiver Garantiebereich des Grundrechts bewahrt, wenn die Inanspruchnahme des Zeugen gegen die damit verfolgten Ziele des Strafverfahrens aufgewogen werden kann. War die Vernehmung nicht zwingend geboten, so ist sie als Eingriff in den Wesensgehalt des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit auch unzulässig. Gleichfalls ist die Beanspruchung des von dritter Seite mit Gewaltmaßnahmen bedrohten Zeugen nicht erlaubt, sofern die Sachaufklärung nicht zwingend nur durch seine Vernehmung erfolgen kann. Dabei ist jedoch von einer hohen Schutzschwelle des Art. 19 Abs. 2 GG auszugehen, denn nur hierdurch unterscheidet sich die Wesensgehaltsgaran46 Das Kriterium der "Willkürlichkeit" stammt aus BVerfGE 30, 1 (26) und wurde wiederholt kritisiert, da auch eine willkürfreie Missachtung der Menschenwürde ein Verstoß gegen diese darstellen muss. 47 Stern, Staatsrecht III/2, S. 865 ff. 48 BVerfG, NJW 1992,2947.

A. Zeugenpflichten - Zeugenrechte

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tie von dem schon sehr viel früher ansetzenden Verhältnismäßigkeitsprinzip49. Eine Zeugenvernehmung, die für die Sachaufklärung nicht erforderlich ist, widerspricht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Um aber auch die Wesensgehaltsgarantie zu verletzen muss sie nicht nur nicht erforderlich, sondern auch für die Sachentscheidung ohne Bedeutung sein. Dabei wird sich je nach Intensität der Bedrohung die Frage nach der Bedeutung der Aussage für den Prozess der Frage nach der Erforderlichkeit annähern. Im Regelfall jedoch wird diese hohen Schutz schwellen nicht überschritten, weder bei gefährdeten Zeugen noch bei der sensiblen Zeugen. d) Sonstige Grundrechtspositionen Gegebenenfalls vom Gericht gegen den Zeugen angeordnete Zwangsmaßnahmen betreffen diesen unmittelbar in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit, also im Schutzbereich des Art. 2 Abs. I GG. In seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt wird zudem der Zeuge, der sich wegen der Aussagepflicht zu umfangreichen Schutzmaßnahmen genötigt sieht5o . Ein bedrohter Zeuge kann seine Bewegungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nicht mehr umfassend wahrnehmen. Notfalls muss er seinen Arbeitsplatz oder seinen Beruf aufgeben, im Extremfall "untertauchen". Durch die Bedrohungssituation oder die Aussagepflicht selbst kann der Zusammenhalt in der Familie gefährdet werden, Art. 6 Abs. 1 GG. Dies insbesondere dann, wenn auch Angehörige bedroht werden. Eventuelle Durchsuchungen i. S. d. § 103 StPO greifen in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG ein. Ähnliches gilt für das Eigentumsrecht des Art. 14 GG, wenn es gemäß § 94 Abs. 2 StPO durch die Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt wird. Bedroht ist das Eigentum auch durch Dritte, die sich häufig tätlich zuerst gegen das Eigentum des Zeugen und erst dann gegen seine Person wenden 51 . Die Pflicht zur Äußerung zu einem bestimmten Beweisthema kann in die negative Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG eingreifen. Die Meinungsfreiheit bezieht sich auch auf die Bekanntgabe von Tatsachen, soweit diese Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind52 . 49 Dreier in Grundgesetz, Art. 19 Abs. 2, Rn. 14; Stern, Staatsrecht III/2, S. 872 ff. 50 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 111. 51 Angriffe auf das Eigentum umfassen dabei das bloße Zerstechen der Autoreifen bis hin zu Brandlegung und Sprengstoffanschlägen, vgl. die Aufzählungen bei Sielaff, Kriminalistik 1986,59 und Weigand, Kriminalistik 1992, 144. 52 Weigend, Kaiser-Fs., S. 1484; BVerfGE 61, 1 (8).

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

2. Grundrechte als Abwehrrechte gegen die Inanspruchnahme als Zeuge Grundrechte sind in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte gegen den Staat konzipiert53 . Sie sichern die Freiheitssphäre des Einzelnen gegenüber Einwirkungen staatlicher Gewalt, indem sie diesen Einwirkungen bestimmte Voraussetzungen und absolute Eingriffsschranken entgegensetzen. Eine dieser Voraussetzungen staatlichen HandeIns bei Inanspruchnahme des Zeugen mag auch die Pflicht zur Gewährung von Zeugenschutz und Beistand sein. Dies zumindest dann, wenn sich die Gefahrdung des Zeugen selbst (und nicht nur seine Verpflichtung zur Zeugenaussage) unmittelbar auf hoheitliches Handeln zurückführen lässt. Unmittelbar grundrechtsbeeinträchtigendes staatliches Handeln wird aber nicht in allen Fällen der Zeugengefährdung offensichtlich. So ist zwar eine Aufforderung des Gerichts, im Zeugenstand intime und private Details preiszugeben, ein unmittelbarer hoheitlicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Zeugen (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. 1 Abs. 1 GG) doch versagt diese Einordnung in Fällen der Zeugenbedrohung von dritter Seite. Dem Staat das rechtswidrige Verhalten privater "Störer" zuzurechnen54 scheitert an der mangelnden Beherrschbarkeit der Drittbedrohung durch den Staat55 . Zacharias erarbeitet hier die Lösung, schon das grundrechtsgefährdende Verhalten des Staates als Anknüpfungspunkt genügen zu lassen56 . Zwingen die Strafverfolgungsorgane den Betroffenen, sich als Zeuge im Verfahren zur Verfügung zu stellen, dann beschränken sie diesen gleichzeitig in seiner zukünftigen individuellen Entfaltungs- und Verfügungsfreiheit in Bezug auf bestimmte Verfassungs werte. Gegebenenfalls schaffen und erhöhen sie die Gefahr eines Eingriffs von dritter Seite in die Grundrechte des Betroffenen. Ein staatliches Verhalten aber, das Grundrecht des Einzelnen der Verfügung Dritter anheim stellt, ist selbst ein Grundrechtseingriff57 . Ebenfalls soll nach Zacharias schon eine angstauslösende Maßnahme des Staates als Grundrechtsbeeinträchtigung genügen58 . Es geht allerdings zu BVerfGE 7, 198 (204). So die Lösung von Murswiek, Staatliche Verantwortung, S. 66 ff., 104 ff.; Besprechung und Kritik an dieser Lösung Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 36 ff. 55 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 103. 56 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 105 f.; Schulze-Fielitz in Grundrechte, Art. 2 Abs. 2, Rn. 27. 57 So auch die Ansätze von Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, 1992, 164 58 Zacharias, der gefährdete Zeuge, S. 107 f. Als Beispiele für die jeweils gefahrerhöhenden oder angsteinflößenden Maßnahmen nennt Zacharias die Informationsweitergabe an Verteidiger oder Beschuldigten bzgl. der Personalien des Zeugen, die Gewährung eines Akteneinsichtsrechts mit dem gleichen Ziel, aber auch die Ladung 53

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A. Zeugen pflichten - Zeugenrechte

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weit, jede nur als beängstigend empfundene Einwirkung zugleich als Grundrechtseingriff zu betrachten. Zumindest muss sich diese Belastung in gesundheitlichen, d.h. in physischen und körperlichen Folgen niederschlagen. Auch kommt die Gleichstellung von Gefahrdung und Verletzung des Grundrechts nur in solchen Fällen in Betracht, in denen nach Art, Nähe und Ausmaß der Gefahr mit einem tatsächlichen Eingriff in den Schutzbereich zu rechnen ist. Die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Eingriffs richten sich dabei nach dem Rang des geschützten Rechts und nach der Irreversibilität von Verletzungen59 . Setzt man die Grundrechtsgefahrdung aufgrund der Inanspruchnahme des Zeugen für das Verfahren mit einem unmittelbaren staatlichen Eingriff in diese gleich, dann ändert sich auch der Blickwinkel für die prozessuale Position des Zeugen. Der Zeuge ist nicht mehr nur staatliches Schutzobjekt, sondern kann seine Persönlichkeitsinteressen und Persönlichkeitsrechte im Verfahren aktiv durchsetzen 6o . Seine Grundrechte bilden die absolute Grenze nicht mehr verhältnismäßiger oder die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG verletzender Maßnahmen. Zeugenschutz durch den Staat sichert in dieser Hinsicht gerade die Verhältnismäßigkeit der staatlichen Einwirkung als mildeste Form der Inanspruchnahme des Zeugen im Vergleich zu einer Aussageverpflichtung ohne jede Rücksicht auf die damit verbundenen Gefahren und Belastungen. Nimmt der Staat den Bürger also trotz seiner Grundrechtsgefahrdung in die Pflicht ohne gleichzeitig die notwendigen Schutzvorkehrungen zu treffen, ist dies unter Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip per se unzulässig. Der als Zeuge Verpflichtete kann den Eingriff unter Hinweis auf die betroffenen Grundrechte abwehren und muss seiner Zeugenpflicht nicht nachkommen. Der Zeuge als "Rechtssubjekt,,61 des Verfahrens erfüllt zudem die Forderung des BVerfG, dass der Zeuge ungeachtet seiner prozessualen Funktion als Beweismittel nicht zum bloßen Objekt des Verfahrens gemacht werden dürfe 62 . Der rechtsstaatliche Gehalt des Art. 1 Abs. 1 GG verlangt neben als Zeuge selbst und die durch sie bewirkte Unsicherheit im Hinblick auf das kommende Prozessgeschehen, S. 108 ff. 59 Schulze-Fielitz in Grundrechte, Art. 2 Abs. 2, Rn. 27. 60 NelZes, NI 1998, 450 f.; anders Zacharias, der trotz Bejahung eines unmittelbaren Grundrechtseingriffs durch die öffentliche Gewalt den Anspruch auf Zeugenschutz nicht als Abwehrrechte des Zeugen gegen diese Einwirkungen begreift, sondern den Zeugen weiter als bloßes Schutzobjekt staatlicher Fürsorge auffasst. Die vom Staat unmittelbar verletzten Grundrechte begründen nicht die Pflicht zum Zeugenschutz, sondern nur die diesen Grundrechten entstammende objektiv-rechtliche Werteordnung des Grundgesetzes; Der gefährdete Zeuge, S. 112 ff. 61 NelZes, NI 1998,449,451.

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

dem Eigenwert des Menschen auch seine Eigenständigkeit63 zu beachten. Der Grundsatz, dass über die Rechte des Einzelnen nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt werden darf, setzt eine aktive Teilnahme des Bürgers an dem ihm zukommenden Rechtsschutz voraus 64 . Doch wird das diesen Ausführungen zugrunde gelegte Bild eines "mündigen", autonomen und wehrhaften Bürgers vielfach nicht mit der Verfahrenswirklichkeit übereinstimmen. Das vom BVerfG bestätigte Recht auf einen Zeugenbeistand65 vermag die oft bestehende Ungewissheit über den Gang des Verfahrens und die eigenen Zeugenrechte häufig nicht zu beseitigen. Auch kann es Situationen geben, in denen staatliche Grundrechtsgefährdung eben nicht mit der Verletzung gleichzusetzen ist. Etwa, weil die Eingriffe von dritter Seite in Schutzgüter des Zeugen bei dessen Inanspruchnahme noch nicht vorhersehbar waren oder in ihrer Intensität den hier genannten Anforderungen für eine Gleichsetzung nicht genügen. Hier lässt sich der Anspruch des Bürgers auf Gewährung von Zeugenschutz gerade nicht in eine grundrechtliche Abwehrfunktion einordnen. Nur die im Schrifttum vorherrschend vertretene Konstruktion 66 der Schutz- und Fürsorgepflichten des Staates vermag dann, eine Zeugenschutzpflicht zu begründen.

3. Zeugenschutz als eine der objektiv-rechtlichen Werteordnung entstammende Schutzpflicht des Staates Die Bedeutung der Grundrechte erschöpft sich nicht in ihrer klassischdefensiven Abwehrfunktion. Losgelöst von Abwehrrechten und Ansprüchen des Einzelnen, determinieren sie staatliches Handeln durch Vorgabe eines grundrechtlichen Wertesystemi 7 . Mit den subjektiven Rechtspositionen korrespondieren objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidungen Impulse und Richtlinien für Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung geben 68 . Die Geltungskraft der Grundrechte wird gewissermaßen durch eine offensive Komponente verstärkt. Über sie strahlt der grundrechtliche Wertgehalt BVerfGE 38, 105 (114), BVerfGE 27, 1 (6). Kannengießer in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 1, Rn. 1. 64 BVerfGE 38, 105 (114). 65 BVerfGE 38, 105 ff. 66 Vgl. die Ausgangspositionen bei Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 22 ff., der den Gesetzgeber zur Erfüllung dieser Schutz- und Fürsorgepflichten verpflichten will; ferner SK-Rogall, Vor § 48, Rn. 68, 70; Caesar, NJW 1998, 2313; Dahs in Löwe-Rosenberg, Vor § 48, Rn. 8; Rebmann/Schnarr, NJW 1989, 1188. 67 BVerfGE 7, 198 (205), ,,Lüth-Urteil". 68 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 55 ff.; Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 113. 62

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A. Zeugenpflichten - Zeugenrechte

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in die gesamte Rechtsordnung aus. Sie begrenzt oder negiert den Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Staates und bestimmt die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts, insbesondere auch des Privatrechts. Dem Einzelnen gewährt sie Teilhabe an staatlichen Einrichtungen oder Leistungen, die einen Grundrechtsgebrauch ermöglichen oder erleichtern sollen. Eine weitere Grundrechtsdimension eröffnet einen Schutzpflichtenkatalog des Staates69 . Er hat die Bedingungen zu schaffen, auf deren Grundlage der Einzelne die Verwirklichung seiner subjektiven Rechte erlangen kann. In gewisser Weise sind diese Schutz-, Erhaltungs- und Sicherheitsaufträge eine Umkehr der Stoßrichtung der Grundrechte in ihrer klassischen Abwehrfunktion. Dem Staat als ursprünglichem Grundrechtsgefahrder fallt nun die Rolle des Grundrechtsschützers und -bewahrers zu. Dieses Ergebnis mag man auch als selbstverständliche Folge der Grundrechtsbindung aller staatlicher Gewalten aus Art. 1 Abs. 3 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 S. 2 und Art. 20 Abs. 3 GG begreifen. Wiederholt hat auch das BVerfG das Schutzpflichtkonzept in seiner Rechtsprechung bestätigt7o . Doch gewährt es den staatlichen Gewalten bei der Umsetzung ihres Schutzauftrages einen beträchtlichen Ermessensspielraum71. Dies nicht zuletzt deswegen, weil auch das Schutzkonzept selbst noch an Klarheit zu gewinnen hat. Der Anspruch des Einzelnen auf Schutzgewähr verlangt eine schon konkret gewordene Gefahrdungslage. Kontur gewinnen die Schutzpflichten jedenfalls aus dem Rückbezug auf die klassische Abwehrfunktion der Grundrechte. Die ohne Schutzgewähr durch den Staat drohende Grundrechtsverletzung muss irreparabel und die auf diese Verletzung hinführende Gefahrdungsentwicklung unbeherrschbar, die Situation gewissermaßen vom Betroffenen nicht mehr zu meistern sein 72. Im Fall des strafverfahrensrechtlichen Zeugenschutzes werden diese Voraussetzungen einer hinreichend konkreten Gefährdungslage i. d. R. zu bejahen sein. Das muss zumindest für den durch Dritte bedrohten Zeugen gelten, sofern die angedrohten Rechtsgutsverletzungen nicht von geringer Intensität sind. Geht es um Leben und Gesundheit des Betroffenen, wird sich ein subjektives Recht gegen den Staat auf Vornahme vorbeugender Maßnahmen grundsätzlich durchsetzen lassen. Unscharf werden die Grenzen erst in dem Bereich, in dem es nicht mehr nur um die Vorbeugung einer Grundrechtsverletzung, sondern um Förderung der Grundrechtsverwirkli69 Stern, Staatsrecht IIII2, S. 1752 ff., 1769 ff.; ders., Staatsrecht III/l, S. 922 ff.; PierothlSchlinck, Grundrechte, Rn. 73 ff. 70 Vgl. nur BVerfGE 1,97 (104); 35, 79 ( 114); 39, 1 (42); 46, 160 (164); 49, 89 (140 ff.). 71 BVerfGE 46, 160 (165); 76, 1 (50 0. 72 PierothlSchlinck, Grundrechte, Rn. 92; Jarass in Jarass/Pieroth, Vorb. Vor Art. 1, Rn. 10 a sowie Art. 2, Rn. 59.

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

chung geht73 und zwar Grundrechtsverwirklichung auch unter Berührung der Grund- und Freiheitsrechte Dritter. Der Staat ist durch seinen Schutzauftrag "Schlichtungsinstanz" zwischen den Freiheitsrechten des grundrechtsbeeinträchtigenden Dritten und den gefährdeten Grundrechten des Geschützten74 . Interveniert er zu Gunsten des in seinen Rechten Beeinträchtigten, schränkt er gleichzeitig (mittelbar) die Freiheit des privaten "Störers" ein75 .

Dem Staat verlangt der Schutzauftrag damit ein Tätigwerden in zweierlei Hinsicht ab. Der Gesetzgeber muss eine einfachgesetzliche Legitimationsgrundlage schaffen76 , der Rechtsanwender die ständige Grundrechtskollision77 zwischen den Rechten des Geschützten und denen des Beeinträchtigenden durch eine vorsichtige, an der Verfassung orientierte Abwägung auflösen. Dieses dauernde Spannungsfeld zwischen dem Verlangen einer gefährdeten Person nach Grundrechtsschutz, den Aufgaben des Staates und den Freiheitsrechten eines Dritten ist Ausgangskonstellation in Fragen des Zeugenschutzes und wird im weiteren Verlauf der Untersuchung immer im Blickfeld bleiben müssen.

4. Weitere Rechtsgrundlagen einer Zeugenschutzpflicht des Staates a) Fairnessprinzip Das Gebot der Gewährleistung eines fairen Verfahrens prägt als verfassungsrechtlich fundierte Prozessmaxime das gesamte Strafverfahrensrecht78 . Es begründet Rechte und Pflichten der Verfahrensbeteiligten und beeinflusst die Gestaltung und den Ablauf des Verfahrens. Seine Reichweite ist bis heute weitgehend ungeklärt. Entwicklung und Entstehung gehen maßgeblich auf Einzelfallentscheidungen zurück. Es ist PierothlSchlinck, Grundrechte, Rn. 92; Stern, Staatsrecht I1I12, S. 1772 f.; Preu, JZ 1991, 265 ff.; WahllMasing, JZ 1990,556. 75 Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 67 f. 76 Eine unmittelbar grundrechtseinschränkende Wirkung des staatlichen Schutzauftrages ist mit der Konzeption der Grundrechte, nach denen die Freiheit der Grundsatz und die Einschränkung der Freiheit die eng begrenzte Ausnahme sein soll, gerade nicht vereinbar, Dietlein, Grundrechtliche Schutzpflichten, S. 68 (Fn. 161) in Kritik an der gerade entgegengesetzt lautenden Entscheidung des Hess VGH, NJW 1990, 336 ff. = JZ 1990,88, ebenso WahllMasing, JZ 1991,555. 77 WahllMasing, JZ 1990, 556. 78 Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 28; BVerfGE 26, 66 (71); 38, 105 (111); 39, 238 (243); 40, 95 (99); Roxin, Strafverfahrensrecht, § 11, Rn. 9 ff.; § 3, Rn. 9. 73

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A. Zeugenpflichten - Zeugenrechte

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subjektiver Anspruch, Prozessgrundrecht und übergeordneter Verfassungsgrundsatz. Mit seinen Vorgaben bindet es den Gesetzgeber in der Ausgestaltung des Strafprozessrechts, determiniert Auslegung und Anwendung geltender strafprozessualer Normen, ist Grundlage lückenfüllender richterlicher Rechtsfortbildung 79 . Allerdings ist gerade im Bereich der Rechtsfortbildung eine erhebliche Zurückhaltung anzumahnen, denn eine extensive Anwendung vager Verfassungsprinzipien darf nicht die Bindung des Richters an das einfache Gesetz lockern und zu Rechtsunsicherheit und Unübersichtlichkeit im Strafprozess führenso. Das Fairnessgebot als Ausdruck der Menschenwürde gewährleistet jedem Prozessbeteiligten eine eigenverantwortliche Teilhabe am Verfahren. Es erschöpft sich gerade nicht in der Verpflichtung, dass staatliche Organe "korrekt und fair" zu verfahren haben. SI Neben der Gewährleistung fachkundiger Beratung umfasst dieses Recht unter anderem die ausreichende Information des Zeugen über den Verfahrensstoff, Hinweis- und Belehrungspflichten sowie ein Recht auf Chancengleichheit. Ihm muss im Rahmen seiner relativ begrenzten prozessualen Befugnisse eine umfassende und sachgerechte Wahrnehmung seiner Rechte ermöglicht werdens2 . Auch das Gebot einer "Waffengleichheit"s3 von Zeugen und Beschuldigtem sowie "Fürsorgepflichten" des Gerichts werden dem Fairnessgrundsatz 79 Rzepka, Zur Fairness im deutschen Strafverfahren, S. 115 und 218 ff.; Rieß in Löwe-Rosenberg, Einl. Abschn. H, Rn. 100; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 28. 80 BGH 40, 211 (217 ff.); Kunkis, DRiZ 1993, 185 ff. mit Beispielen aus der Rechtsprechung; anders als der Bundesgerichtshof zeigt das BVerfG bei Fragen der Rechtsfortbildung aus dem Fairnessprinzip weniger Zurückhaltung, vgl. beispielhaft dazu BVerfG, StV 1984, 97 f.; BVerfGE 46,202 (210); BVerfG NStZ 1995,555. 81 Dazu BVerfGE 38, 105 (111): "Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens und daran anknüpfender Verfahren gewährleistet es dem Betroffenen, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde selbständig wahrnehmen und Übergriffe der ... (... )... Rechtsausübung staatlicher Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können." 82 BVerfGE 38, 105 (111 0; Schmidt, Die Rechte des Zeugen, S. 22 ff.; Rieß in Löwe-Rosenberg, Einl.Abschn.H, Rn. 106. 83 Zu diesem Prinzip Geppert, Jura 1992, 599 f.; SK-Rogall, Vor § 133, Rn. 106 ff.; Baumgärtel, Matscher-Fs., S. 29 ff.; Rieß in Löwe-Rosenberg, Einl. Abschn. H, Rn. 105, 120 ff.; SK-Rogall, Vor § 48, Rn. 67; speziell für das Akteneinsichtsrecht auch BT-Drs.507/99, S. 9. Besondere Relevanz erlangt das Gebot der "Waffengleichheit" im Verhältnis Beschuldigter und Opferzeuge, denn aufgrund der strafverfahrensrechtlichen Unschuldsvermutung steht dem potentiellen Straftäter bis zum Abschluss des Verfahrens auch nur ein potentielles Opfer gegenüber, dem aber die umfangreichen prozessualen Rechte des Beschuldigten zur Verteidigung gegen Schuldzuweisungen der anderen Seite gerade fehlen; Dahs, NJW 1984, 1921 f.;

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

entnommen. Fürsorglich ist zu walten bei der Auslegung und Anwendung einzelner Vorschriften durch das Gericht. Fürsorge meint aber auch den Schutz der Prozessbeteiligten vor Gefährdung, unsachlichen Angriffen, Beleidigungen oder Verletzungen ihrer Rechte 84 .

In der hier skizzierten Reichweite des Fairnessgebotes wird dessen sehr formaler Charakter deutlich 85 . Inhaltlich lässt es sich auf ein Bündel von Einzelelementen und Werten zurückführen, die zum Großteil bereits anderen verfassungs- und verfahrensrechtlichen Begriffen zugeordnet werden, etwa der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG), dem Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) oder dem rechtlichen Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Fairness verlangt über die bloße Garantie dieser Werte hinaus eine größtmögliche Optimierunl 6 verfassungsrechtlicher Rechtspositionen der Prozess beteiligten. In seiner verfassungskonkretisierenden Wirkung prägt das Gebot die Einzelfallgerechtigkeit des Verfahrens. Es eröffnet verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen den Weg in die materielle Rechtsanwendung und ebnet so den Weg zur Berücksichtigung der geschützten Interessen des vom Verfahren Betroffenen 87 • Zeugenrechte werden aufgewertet und durch unterschiedliche Einzelelemente präzisiert. Gebote wie "Chancengleichheit" und "Fürsorgepflichten" legitimieren in enger Verbindung mit den grundrechtlich verbürgten Rechtspositionen des Zeugen das Verlangen nach umfassenden Schutzmaßnahmen durch staatliche Organe. Fairness ist Grundsatz und Grenze der Inanspruchnahme des Zeugen im Einzelfall. Es ist ein aus anderen Prinzipien oder Grundsätzen konkretisiertes Teilhabe- und Abwehrrecht 88 . Eine Optimierung der verfassungsmäßigen Werte muss aber spätestens dort an Grenzen stoßen, wo andere Verfassungs gebote und Interessen entgegenstehen89 , denn "Fairness" und "Rechtsstaatlichkeit" liegt der Gedanke der Gerechtigkeit zugrunde 90. Gerechtigkeit im Sinne einer möglichst umFischer, JZ 1998, 818; Schäch, NStZ 1984, 387; Rieß, Gutachten zum 55. DJT, S.55. 84 K/M-G, Einl Rn. 157; Rieß in Löwe-Rosenberg, Einl.Abschn. H, Rn. 123 f.; BGH, NStZ 1984, 32; Schmidt, Die Rechte des Zeugen, S. 43 ff.; unter dem Hinweis auf eine übergeordnete Wahrheitsfindungspflicht des Gerichts ablehnend Maiwald, Lange-Fs., S. 752 ff. (für den Zeugen insbes. S. 760 f.). 85 Steiner, Das Fairnessprinzip im Strafprozess, S. 140 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 11, Rn. 11. 86 Steiner, Das Fairnessprinzip im Strafprozess, S. 140 ff. 87 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 121 f.; Kielwein, Die prozessuale Fürsorgepflicht, S. 164 f. 88 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 122; BVerfGE 38, 105 (111); Rieß in Löwe-Rosenberg, Einl.Abschn.H, Rn. 105. 89 Steiner, Das Fairnessprinzip im Strafprozess, S. 179 ff.; Jung, GA 1998, 317.

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fassenden Wahrheitsennittlung und der Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege sowie Gerechtigkeit gegenüber dem Beschuldigten, d.h. Rücksicht auf seine legitimen Verteidigungsinteressen. In diesem Zusammenhang ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass sich Fairness gegenüber Verfahrensbeteiligten und Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege nicht unbedingt gegenseitig ausschließen. "Funktionstüchtigkeit" misst sich nicht nur an der Effizienz der Strafrechtspflege. Neben dem Ennittlungserfolg bestimmt sich auch nach der lustizfärmigkeit des Strafverfahrens, ob dieses in der Lage ist, Wahrheit, Gerechtigkeit und Rechtsfrieden zu gewährleisten91 . Ein Einsatz von Videotechnik im Verfahren muss im übrigen nicht nur einseitig Interessen des Zeugen begünstigen. Vielfach eröffnet sie zu Gunsten aller Verfahrens beteiligten die Möglichkeit, solche Zeugen unmittelbar zu befragen, deren Aussage bisher nur in Fonn einer Protokollverlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden konnte. Das Konfrontations- und Fragerecht des Beschuldigten wird hiervon ebenso profitieren wie das öffentliche Interesse an Aufklärung durch möglichst tatnahe Beweismittel. Gleichzeitig dient die räumliche Distanz dazu, den Zeugen physisch für den Täter und für Racheakte aus dessen Umfeld unerreichbar zu machen bzw. bei sensiblen Zeugen Ängste vor der aggressiven Atmosphäre der Hauptverhandlung zu mildern. Inwieweit so das Gleichgewicht der Interessen tatsächlich gewahrt bleiben kann, wird noch im einzelnen zu prüfen sein. b) Sozialstaatsprinzip

Die Idee gerichtlicher "Fürsorgepflichten" und einer "Chancengleichheit" der Verfahrensbeteiligten verbindet mit Rechtsstaats- und Fairnesselementen zugleich sozialstaatliche Aspekte (Art. 20 Abs. 1,28 Abs. 1 GG)92. Das Sozialstaatsprinzip, vorrangig als Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber ausgeprägt93 , konkretisiert sich hier zu einer Aufgabe des Rechtsanwenders, rechtlich oder tatsächlich bedingten Chancenungleichheiten der Verfahrensbeteiligten kompensatorisch entgegenzutreten94 .

BVerfGE 38, 105 (116). Hillenkamp, NJW 1989, 2848.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 1, Rn. 7. 92 Kielwein, Die prozessuale Fürsorgepflicht, S. 106 ff.; allgemein zu Ausprägungen des Sozialstaates im Strafverfahren, Müller-Dietz, Dünnebier-Fs., S. 79 ff.; KK-Pfeiffer, Einleitung Rn. 32; Fürsorgepflichten als selbständige Prozessmaxime nimmt hingegen Rieß in Löwe-Rosenberg, Ein1.Abschn.H, Rn. 120, an. 93 Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 103; Rieß, Gutachten C zum 55. DJT, S. 49; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 94; BVerfGE 50, 57 (108). 90

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

In Belangen des verfahrensrechtlichen Zeugenschutzes wirkt es auf zwei Ebenen. Es verpflichtet zur gesetzlichen Bereitstellung prozessualer Rechte und Instrumentarien, die alle in das Verfahren Hineingezogenen gleichermaßen in die Lage versetzen, aktiv eigene Interessen und Belange in das Verfahren einzubringen95 . Chancengleichheit kann sich aber nicht in einer theoretisch gewährleisteten Rechtsgleichheit erschöpfen, denn effektiv wird nur der verständige, von seinen Rechten ausreichend unterrichtete Beteiligte von seinen gesetzlich verbürgten Möglichkeiten Gebrauch machen können. Auf eine Chancengleichheit in der Verfahrenswirklichkeit hinzuwirken ist sozialstaatliche Aufgabe des Gerichts 96 . Es muss verfahrensbedingte Nachteile kompensieren, Handlungsschwächen des Zeugen und anderer Betroffener gegenüber Angriffen des Beschuldigten oder anderer Beteiligter ausgleichen. Die diesem Fürsorgeprinzip immanente Grenze lässt sich aus dem Begriff der "Chancengleichheit" leicht ersehen. Die kompensatorische Tätigkeit des Gerichts muss dort ein Ende finden, wo sie dem Beschuldigten zum Nachteil gereichen würde. Das Sozialstaatsprinzip gebietet Schutz durch das Gericht vor einem "übermächtigen" Beschuldigten ebenso wie vor einem "übermächtigen" Zeugen97 . Zugleich gerät die Fürsorge des Gerichts in Konflikt mit seiner Wahrheitsfindungspflicht. Aufklärung verlangt Entlarvung von Falschaussagen des Zeugen ebenso wie die Möglichkeit des Beschuldigten, dessen Glaubwürdigkeit umfassend zu erschüttern. Eine Fürsorge des Gerichts, die dieses Vorgehen des Beschuldigten zu vermeiden sucht, gerät in Konflikt mit Belangen der Rechtsstaatlichkeit, nicht zuletzt auch mit Fragen der Gerechtigkeit. Nicht ganz zu Unrecht zweifelt Maiwald daher, ob gerichtliche Fürsorgepflichten mit der Struktur des Strafverfahrens als Prozess der Wahrheitsermittlung vereinbar sind98 • Fürsorge des Gerichts kann nur darauf hinwirken, jedem der in das Verfahren Hineingezogenen eine eigenverantwortliche Verwirklichung seiner rechtlichen Befugnisse zu ermöglichen99 . Fürsorge darf aber nicht dazu führen, diese Befugnisse für ihn und zu seinem Schutz wahrzunehmen oder ihm diese Fürsorge 94 Rieß, Gutachten C zum 55. DJT, S. 49; Kielwein, Die Prozessuale Fürsorgepflicht, S. 109 ff. 95 Rieß, Schäfer-Fs., S. 183. 96 Kielwein, Die Prozessuale Fürsorgepflicht, S. 110; für den Verletzten Rieß, Gutachten C zum 55. DJT, S. 49; dagegen verneint Maiwald, Lange-Fs., S. 745 ff., beratende oder informatorische Aufgaben des Gerichts, sowohl zu Gunsten des Beschuldigten, als auch zu Gunsten anderer Beteiligter sowie Zeugen und Sachverständiger, S. 760. 97 Auf den Opferzeugen bezogen Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 95 m. w. N.; ebenfalls Rieß, Gutachten C zum 55. DJT, S. 49. 98 Maiwald, Lange-Fs., S. 747 ff. 99 Etwa durch Bestellung eines Zeugenbeistandes, § 68 b StPO.

A. Zeugenpflichten - Zeugenrechte

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aufzudrängen 100. Die Bewahrung der Eigenständigkeit des Einzelnen im Verfahren ist unter diesen Vorgaben nicht Ausdruck einer sozialstaatlichen Fürsorge, sondern nur Verwirklichung strafprozessualer Fairness und sollte unter diesem Begriff diskutiert werden lO1 . c) Sonderopfergedanke

Gerade, weil die prozessuale Sachaufklärungspflicht nicht auf das Beweismittel "Zeuge" und seine häufig zeitintensive Inanspruchnahme verzichten kann, hat der Zeuge im Gegenzug respektvolle Behandlung und Anerkennung verdient 102. Kommt es über diese Unannehmlichkeiten hinaus zur Bedrohung oder Beeinträchtigung grundrechtlieh geschützter Rechtsgüter, steht dem Zeugen gegen diese unerträglichen Lasten und Folgen Schutz durch den mittelbar für sie verantwortlichen Staat zu. Maßstab und Grenze der Schutzverpflichtung werden - entsprechend dem im Staatshaftungsrecht verankerten Institut des Aufopferungsanspruchs - durch die Zumutbarkeit des dem Bürger abverlangten Sonderopfers bestimmt lO3 • Die vom Betroffenen ohne sein eigenes Verschulden hinzunehmende Belastung muss die allgemeine Opfergrenze übersteigen. Ins Zentrum des Interesses geraten hier vor allem diejenigen, die gleich in zweifacher Weise Einbußen an ihren Rechtsgütern hinnehmen müssen Opjerzeugen. Als Opfer staatlichen Versagens bei der Verbrechensprävention und zugleich als Verpflichtete, im Interesse der Allgemeinheit an der Aufklärung mitzuwirken, tragen sie in doppelter Hinsicht Belastungen nahe oder oberhalb der Zumutbarkeitsgrenze. Der Staat, der ihnen gegenüber seiner Aufgabe des Rechtsgüterschutzes und der Friedenssicherung nicht nachgekommen ist, schuldet ihnen im besonderem Maße Unterstützung und Zuwendung, wenn er sie erneut (ohne oder sogar gegen ihren Willen) für staatliche Zwecke in Anspruch nimmt 104 . Doch auch der Sonderopfergedanke kann die gegenläufigen Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und der legitimen Verteidigungsinteressen nicht verdrängen. Maßnahmen zur Abmilderung der mit dem Sonderopfer verbundenen Beeinträchtigungen finden hierin ihre Grenze. 100 Maiwald, Lange-Fs., S. 753 ff.; Rieß in Löwe-Rosenberg, Einl.Abschn.H, Rn. 125. 101 Maiwald, Lange-Fs., S. 764. 102 So die allgemeine Meinung, vgl. Beschlüsse des 62. DIT, NJW 1999, 113; Weigend, Gutachten C zum 62. DIT, S. 15; ders., NJW 1998, Beilage zu Heft 23, S. 17; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 95. 103 Jung, GA 1998, 314; zum Sonderopferkriterium des Aufopferungsanspruchs Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 27, Rn. 13. 104 Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 424; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Zeugen, S. 95.

1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

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B. Strafverfolgung im Konflikt mit Zeugenschutzbelangen 1. Rechtsfrieden durch eine funktionstüchtige Strafrechtspflege Ziel und Aufgabe des Strafverfahrens ist es, eine materiell richtige, ordnungsgemäß zustande gekommene, Rechtsfrieden schaffende Entscheidung über die Strafbarkeit des Beschuldigten herbeizuführen 105. Dieser dreifachen Zielvorgabe kann der Staat nur durch umfassende Sachaufklärung gerecht werden. Ein Rückgriff auf den Zeugenbeweis ist dazu i. d. R. unverzichtbar. Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ist freiheitsbeschränkendes Gegeninteresse eines grundrechtsschützenden Verfahrens 106. Als mit Verfassungsrang ausgestattetes Element des Rechtsstaates steht es den Grundrechten des Zeugen mindestens gleichberechtigt gegenüber. Die Rechtsfrieden sichernde Tätigkeit des Staates darf hinter den Individualinteressen schon deshalb nicht zurückbleiben, weil sie nur in ihrer Funktionstüchtigkeit bei Kriminalitätsvorbeugung und Kriminalitätsbekämpfung den Schutz aller Individuen gewährleisten kann 107. Spätestens mit dem Einfluss organisierter Kriminalität gewinnt das Interesse an einer effizienten Durchsetzung des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes und an einer Abschreckung potentieller Rechtsbrecher lO8 erheblich an Bedeutung. Im Konflikt mit den Prozesszielen der Sachaufklärung und Wahrheitsfindung stören verfahrensrechtliche Abwehrrechte des Zeugen 109. Vorgeschlagene Zeugnisverweigerungsrechte 110 hat der Gesetzgeber deswegen auch nicht umgesetzt. Gleichfalls üben die Gerichte bei der Freistellung des Zeugen von seiner Zeugenpflicht große Zurückhaltung, selbst in den Fällen, in denen durch die Vernehmung Gefahr für Leib und Leben des Zeugen droht lll . Der Vorrang soll der Strafdurchsetzung und einer effektiven Verbrechensbekämpfung gebühren, gleichsam als "Gegenpole" zu Fairness und als Schranken der grundrechtlich verbürgten individuellen Freiheit l12 . 105

106

Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 3 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 2 ff. Wolter, Meyer-Gds., S. 502; Steiner, Das Faimessprinzip im Strafprozess,

S.180.

Wolter, Meyer-Gds., S. 502. BVerfGE 38, 312 (321). 109 Beschlüsse des 62. DJT, NJW 1999, 120; Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 14; dagegen Nelles, NJ 1998,451 ff. (vgl. auch den Beschlussvorschlag in NJW 1999, 120). 110 Vgl. die Vorschläge des AE-ZVR, hier insbes. § 55 AE-ZVR, und Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 67 ff. 111 BGH, NJW 1993, 1214; NStZ 1993, 350. 107

108

B. Strafverfolgung im Konflikt mit Zeugenschutzbelangen

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Dem ist entgegenzuhalten, dass sich die Idee rechtsstaatlicher Strafrechtspflege nicht im Merkmal ihrer Funktionstüchtigkeit oder Effizienz erschöpft. Friedensichernd kann nur eine gerechte, die Menschenwürde und die Freiheitsrechte sichernde Strafrechtspflege wirken. Das Element der Justizförmigkeit des Strafverfahrens steht dem Element der Funktionstüchtigkeit in Wert und Durchsetzungskraft nicht nach 113. Soweit nicht absolute Grenzen der Wahrheitserforschung wie der Menschenwürdegehalt oder die Wesensgehaltsgarantie überschritten werden, sind die grundrechtlichen Belange der vom Verfahren Betroffenen im Wege der praktischen Konkordanz mit den Interessen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in Einklang zu bringen 1 14. Dabei genießt kein Belang schlechthin Vorrang vor dem anderen ll5 . Vor allem kann eine Konfliktbewältigung nicht unter Hinweis auf das Allgemeininteresse generell zulasten der Freiheitsrechte gehen, denn Strafrechtspflege dient gerade auch deren Schutz l16 . Ziel ist ein Güterausgleich, in dem alle Interessen möglichst umfassende Wirksamkeit erlangen. Erst wenn das gesamte System der wirksamen Strafrechtsdurchsetzung zusammenzubrechen droht, d.h. die Institution der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege selbst in Gefahr ist, wird ihr auch unter Hinnahme von Einbußen bei individuellen Freiheitswerten der Vorrang gebühren. Doch auch das nur bis zu dem Moment, in dem ihre Funktionstüchtigkeit wiederhergestellt ist 117. In diesem Zusammenhang ist erneut darauf hinzuweisen, dass Verfahrenselemente wie "Fairness" oder der Schutz der Menschenwürde und der 112

276.

Steiner, Das Fairnessprinzip im Strafprozess, S. 180; Hasserner, StV 1982,

m Hasserner, StV 1982, 278; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 7; Wolter, Meyer-Gds., S. 502 ff.; Hillenkamp, NJW 1989, 2848; SK-Wolter, Vor § 151, R. 22 ff. 114 SK-Wolter, Vor § 151, Rn. 27; Zacharias, Der geflihrdete Zeuge, S. 122 ff.; allgemein zur "Konkordanz" BVerfGE 41,29 (51, 78, 108). 115 Anders Weigend, Opferschutz und Strafverfahren, S. 425 f., der zumindest für die Belange des Opferschutzes einen grundsätzlichen Vorrang der Sachaufklärung vertritt, denn gerade sie verkörpert den eigentlichen Zweck des Strafverfahrens; Wolter weist hier darauf hin, dass das Prinzip "in dubio pro libertate" in diesem Zusammenhang nur eingeschränkt gilt, d.h. die Argumentationslast für die Notwendigkeit der Einschränkung von Freiheitsrechten liegt nicht einseitig beim Staat, SKWolter, Vor § 151 Rn. 27 und 34; anders BVerfGE 6, 55 (72); 32, 54 (71); 39, 1 (38), wonach im Zweifelsfall diejenige Auslegung zu wählen ist, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorrn am stärksten entfaltet. 116 Hasserner, StV 1982, 279: "Ihr Schutz ist vielmehr Ziel des Strafverfahrens, die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege ist eine faktische Bedingung der Zielverwirklichung. Die Sicherung bei der liegt im Auftrag des Strafverfahrensrechts; aber die Sicherung der Verwirklichungs bedingungen gilt zu Gunsten der Sicherung der Zielverwirklichung selber." Rebmann/Schnarr, NJW 1989, 1188. 117 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 125.

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

Freiheitsrechte der in das Verfahren Hineingezogenen sich nicht immer widersprechen müssen 1l8 . Gerade beim Einsatz von Videotechnik kann durch den Schutz des Zeugen eine Aufklärung erleichtert werden. Zu denken wäre hier an die Aufzeichnung tatnaher und damit möglicherweise verlässlicherer Aussagen. Zudem eröffnen sich Möglichkeiten der Vernehmung von Zeugen, deren Aussage anderweitig gar nicht vorläge oder nur verlesen werden könnte, Auslandszeugen etwa, u. U. auch anonyme Zeugen, was in dieser Untersuchung noch zu prüfen sein wird.

2. Elemente der Abwägung zwischen Zeugenschutz und Aufklärungsinteresse Ziel der Güterabwägung zwischen Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege und Schutz individueller Rechtsgüter muss, wie dargestellt, eine optimale Verwirklichung der in Frage stehenden Werte sein 1l9 . Dabei wird sich die Gewichtung der Interessen nach Bedeutung der Sache verschieben. Die Schwere der Straftat und ihrer Eingriffsfolgen sowie die Bejahung eines "öffentlichen Verfolgungsinteresses" (§ 153 StPO) sind maßgeblich zu beachtende Kriterien. Es wird auf den Zeugen um so weniger verzichtet werden können, je zentraler seine Wahrnehmungen für die Wahrheitsfindung herangezogen werden müssen. Nicht zu vernachlässigen sind Aspekte der Aussagebewertung nach Glaubwürdigkeit und Persönlichkeitsbild des Zeugen. Anonyme Zeugen, deren individuelle Wahrnehmungsfähigkeit und Aussagemotivation nicht überprüft werden können, genügen dem Sachaufklärungsinteresse regelmäßig nicht I2o. Doch bei einer umfassenden Ausforschung des Persönlichkeitsbereichs des Zeugen sind Konflikte mit dessen Persönlichkeitsrecht unausweichlich. Zugleich riskiert der Zeuge mit der Offenbarung seines Lebensbereichs neue Bedrohungen von dritter Seite. Je nach Rang der durch die Aussageverpflichtung in Gefahr gebrachten Schutzgüter, der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes und dessen möglicher Intensität müssen Schutzmaßnahmen des Staates zur Kompensation dieser Nachteile in die Abwägung eingebracht werden. Im Interesse einer Sachaufklärung ist dies auch deswegen geboten, weil die Versuchung, falsch auszusagen, für den um sein Le118 Steiner, Das Fairnessprinzip im Strafprozess, S. 181; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Zeugen, S. 101. 119 SK-Wolter, Vor. 151, Rn. 27 f.; Wolter, GA 1988, 137; Hassemer, StV 1982, 278. 120 EGMR [Kostovski v. Niederlande], StV 1990, 481; [Windisch v. Österreich], StV 1991, 193; [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997, 618; der BGH versucht Nachteile bislang über die Beweiswürdigung nach § 261 StPO auszugleichen, BGHSt, 33, 83 (88); 33, 178; 34, 15; 36, 158; Peters, Strafprozess, S. 318.

B. Strafverfolgung im Konflikt mit Zeugenschutzbelangen

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ben fürchtenden Zeugen ungleich größer ist als für den geschützten Zeugen 121. Um aber zugleich nicht die Erforschung des Umfeldes des Zeugen im Hinblick auf die Wahrheitsermittlung zu behindern, wird als Schutzmaßnahme nicht die Anonymisierung des Zeugen gewählt werden können. Es bleibt hier nur der polizeiliche Personen schutz bzw. die Verbringung des Zeugen und seiner Angehörigen an einen sicheren Ort, wo sie gegen Gefahrdungen von dritter Seite abgeschirmt werden können. Bei diesen Maßnahmen darf ebenfalls nicht außer Acht bleiben, dass Personenschutz, vielleicht sogar die Verleihung einer neuen Identität, den Betroffenen in seiner individuellen Freiheit nicht geringer einschränkt als die Bedrohung selbst. Er wird aus seinem bisherigen Lebensbereich gerissen, muss sich andernorts eine neue Existenz aufbauen. Die ihm entstehenden Nachteile sind in der Abwägung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Eine eventuelle Mitverantwortlichkeit für die Gefahrdungslage geht indes zu seinen Lasten. Entsprechend der Grundsätze über das "selbstverschuldete Risiko" erhöht sich die Gefahrtragungspflicht für denjenigen, der sich durch eigenes strafrechtlich relevantes Vorverhalten bewusst auf solche Risiken eingelassen hat, die eine spätere Aussage vor Strafverfolgungsbehörden mit sich bringt 122 . Doch dürfen die Grenzen dieser Gefahrtragungspflicht nicht allzu hoch angesetzt werden. Sind Leib und Leben des Zeugen in Gefahr, gebietet die grundrechtliche Schutzpflicht der Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, unabhängig vom Vorleben des Zeugen Schutzmaßnahmen zu treffen 123 . Besteht zudem Gefahr für Angehörige, kann die Idee des selbstverschuldeten Risikos überhaupt nicht mehr zum Tragen kommen 124 . Eine umfassende Gewichtung der hier genannten Abwägungselemente würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Der Zeuge wird jedenfalls um so eher Gefahren und Beeinträchtigungen hinzunehmen haben, je mehr er sich durch eigenes Verschulden in die Aussagesituation gebracht hat. Die Sachaufklärung steht um so eher hinter dem Zeugenschutz zurück, je intensiver der drohende Eingriff und je wertvoller das bedrohte Rechtsgut. Ein Versuch, die dem Zeugen drohenden Nachteile durch Schutzmaßnahmen zu kompensiere, muss zudem nicht in jedem Fall auf Kosten der Wahrheitsfindung gehen. Gerade die Einführung der Videotechnik kann, wie dargestellt, die gegenläufige Interessen gleichermaßen optimal zur Geltung bringen, zu121 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 129; zurückhaltender Franke, StraFo 2000, 195; Andererseits sieht Eisenberg, StV 1993, 627, eine mögliche Gefahr darin, dass sich der Zeuge durch die Schutzvorkehrungen der Strafverfolgungsbehörden möglicherweise diesen verpflichtet fühlt und zulasten des Beschuldigten unwahr aussagt. 122 BGH, StV 1993, 233 f. 123 Eisenberg, StV 1993, 626. 124 BGH StV 1993, 334.

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

mindest solange der Zeuge durch dieses Medium umfassend erreichbar bleibt. Erst der anonymisierte Zeuge bzw. der Zeuge, dessen persönliche Hintergründe nicht durchforscht werden können, wird für die Wahrheitsfindung problematisch. Bei der Abwägung zwischen Zeugenschutz und Aufklärungsinteresse lassen sich nur grobe Richtlinien vorgeben. Eine Konfliktlösung einseitig zulasten individueller Werte oder zulasten einer leistungsfähigen Strafjustiz kann schon aufgrund des verfassungsrechtlichen Gleichrangs dieser Güter nicht generell vorgegeben werden 125. Es steht dem Gesetzgeber allerdings offen, die Auflösung der Interessenkollision in bestimmten Fällen zu Gunsten eines Ziels zu konkretisieren. Doch kommen auch die bereits geschaffenen Normen regelmäßig nicht ohne Ermessensregelung aus 126 . Was für die Aufklärung bzw. den Schutz des Zeugen "unerlässlich" oder "erforderlieh" ist, bestimmt weiterhin das Tatgericht 127 •

c. Gegenpositionen des Beschuldigten Können auch Einbußen im Hinblick auf die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege in bestimmtem Maß hingenommen werden, auf Kosten der Beschuldigtenrechte darf eine Verstärkung des Zeugenschutzes nicht gehen 128 • Es sind aber insbesondere die Verteidigungsrechte des Beschuldigten, Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips des Art. 20 Abs. 3 GG und des in Art. 6 EMRK positiv normierten Faimessgebotes, sowie sein Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, die durch weitgehende Schutzmaßnahmen beeinträchtigt werden können. Die Achtung der Menschenwürde gebietet es, dem Beschuldigten als Verfahrenssubjekt aktiv Einflussmöglichkeiten auf den Verlauf und Ergebnis des Verfahrens zu gewähren l29 . Gegen belastendes Beweismaterial muss er sich zur Wehr setzen, seine gefährdeten Freiheitsrechte gerade auch im Hinblick auf die zu seinen Gunsten geltende Unschuldsvermutung verteidigen 125 Franke. StraFo 2000, 297; Wolter. Meyer-Gds., S. 502 f.; SK-Wolter. Vor § 151, Rn. 27. 126 §§ 68 Abs. 1,2, 3, 68 a Abs. 1,247, 247 aStPO. 127 BGHSt. 39, 142, 145; NStZ 1984, 32. 128 Schünemann. StV 1998, 396; Beschlüsse des 62. DJT. NJW 1999, 120; Dahs. NJW 1998, 2333; Rieß. Gutachten C zum 55. DJT, S. 54 f.; zumindest durch Ausgestaltung passiver Abwehrrechte des Zeugen können Verteidigungsrechte des Beschuldigten nicht geschmälert werden. Das gilt vor allem für die Verfahrensstellung des Opferzeugen, Kintzi. DRiZ 1998,67. 129 Gollwitzer. Meyer-Gds., 149 f.; std. Rspr. des BVerfG, vgl. unter anderem BVerfGE 63, 322 (377); BVerfG, NJW 1996, 3202; BGHSt 38, 372 (374); Maier. Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 62.

C. Gegenpositionen des Beschuldigten

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können. Zugleich ist seine aktive Verfahrensteilnahme auch sein Beitrag zu einem erschöpfenden, nicht einseitig betriebenen, kritischen Wahrheitsfindungsprozess. Nicht nur deswegen ähnelt die Gegenläufigkeit von Beschuldigten- und Zeugeninteressen in vielerlei Hinsicht dem Konflikt zwischen effektiver Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs und Zeugenschutz. Doch steht für den, dem die Straftat angelastet wird, meistens mehr auf dem Spiel. Er muss um seine Freiheit, seinen Ruf, in nicht wenigen Fällen auch um seine wirtschaftliche Existenz fürchten. Die Gewährleistung effektiver Verteidigungsrechte, eines fairen Umgangs mit dem Beschuldigten lässt sich nicht unbesehen durch Maßnahmen des Zeugenschutzes verkürzen. Besonders kritisch wird der Konflikt in den Fällen, in denen der Zeuge vor Beschuldigtem und Verteidiger umfassend abgeschirmt, gar anonyrnisiert wird. Schutzmaßnahmen dieser Art nehmen der Verteidigung jede Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit der Aussageperson durch Ausforschung ihres persönlichen Lebensbereichs und Offenlegung von vielleicht feindlichen Motiven zu erschüttern. Verweigert man dem Beschuldigten in dieser Form die Wahrnehmung seines in Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK präzisierten Konfrontationsrechts, des Rechts, an den Belastungszeugen Fragen zu stellen, beraubt man ihn zugleich seiner wohl effektivsten Abwehrmöglichkeit gegen falsche Schuldzuweisungen durch den Zeugen. Gleichwohl wird dieses Vorgehen in der Verfahrenswirklichkeit praktiziert, indem Zeugenaussagen, gestützt auf § 251 StPO, nur verlesen oder durch Verhörspersonen in der Hauptverhandlung wiedergegeben werden. § 255 a Abs. 2 StPO erweitert diese Möglichkeit sogar noch dadurch, eine Zeugenaussage nur noch per Videoband in die Hauptverhandlung einzuspielen und dies, obwohl dem Erscheinen des Zeugen im Grunde kein Hindernis entgegenstand 130. Festzuhalten ist hier, dass auch das Fairnessgebot der Verfassung und das Konfrontationsrecht der Europäischen Menschenrechtskonvention Einschränkungen der Verteidigungsrechte nicht vollständig ausschließen 131 . Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK etwa enthält keine grundsätzlichen Bestimmungen über die Zulassung von Beweismitteln. Die Konkretisierung der Beweiserhebung und Beweisverwertung bleibt den einzelnen Rechtsordnungen vorbehalten. Doch muss dem Angeklagten wenigstens einmal, zu irgendeinem Zeitpunkt, die Gelegenheit gegeben werden, Fragen an den Belastungszeugen zu stellen oder über seinen Verteidiger stellen zu lassen 132. EventuAusführlich dazu im 6. Teil, Kapitel B.3. EGMR [Kostovski v. Niederlande], StV 1990, 482; [Windisch v. Österreich] StV 1991, 194; [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997, 619. 132 EGMR [Schenk v. Schweiz], EuGRZ 1988, 390 (395); [Kostovski v. Niederlande], StV 1990, 481 und [Windisch v. Österreich], StV 1991, 193; die Möglichkeit, Fragen über den Verteidiger stellen zu lassen, besteht auch beim Ausschluss 130

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

elle Einschränkungen des Frage- und Antragsrechts sind im weiteren Verfahren auszugleichen. Eine vorsichtige Beweiswürdigung und die Erhebung weiterer Beweise, die eventuell aufgrund der Zeugenaussage ermittelt wurden, können hierzu beitragen. Vor allem aber muss das Verfahren als Ganzes betrachtet in billiger Weise eine effektive Wahrnehmung von Verteidigungsrechten ermöglicht haben 133. Effekti ve Verteidigung verlangt gleichfalls eine umfassende frühzeitige Information des Beschuldigten über die ihn belastenden Beweismittel sowie die Möglichkeit seine Verteidigung umfassend und in einer angemessenen Zeitspanne vorzubereiten 134. Jede Beschränkung des Akteneinsichtsrechts nach § 147 Abs. 2 StPO, sogar schon eine verspätete oder nicht erfolgte Benachrichtigung von Vernehmungsterminen, bei denen Verteidiger und Beschuldigtem nach § 168 c Abs. 2 StPO die Anwesenheit gestattet ist, kann dieses Informationsrecht verletzen und eine wirksame Verteidigung für den Betroffenen erschweren. Dabei mag für diesen in manchen Fällen ungleich mehr auf dem Spiel stehen als für den Zeugen 135. Gerade dort, wo sensible Zeugen, namentlich Opferzeugen vorhanden sind, die nicht aus dem Umkreis des Angeklagten bedroht werden, sondern nur Verfahrensbelastungen standhalten müssen, ist die Gefahr einer unzulässigen Beschneidung der Verteidigungsrechte groß. Bis zum Ende des Verfahrens steht wegen der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) einem potentiellen Täter auch nur ein potentielles Opfer gegenüber. Der - berechtigte - Schutz grundrechtlich geschützter Rechtsgüter des Opfers darf diese Vermutung nicht schon zu Beginn des Verfahrens ins Gegenteil verkehren. Zeugenschutz muss aber dort vollständig zum Tragen kommen, wo der Beschuldigte die ihm eingeräumten Verteidigungsbefugnisse missbraucht 136 • Auch der Gesetzgeber hat diesen Missbrauchsgedanken in seine Überlegungen miteinbezogen und etwa in § 241 StPO Einschränkungen des Fragerechts ermöglicht. Auch die Beweisantragsbefugnis nach § 244 StPO beschränkt sich nur auf solche Anträge, die nicht offensichtlich überflüssig sind oder nur einer Prozessverschleppung dienen. Gleiches muss für die Beschneidung anderer Verteidigungsrechte gelten, mit deren Gebrauch der Beschuldigte offensichtlich auf eine unredliche Beeinflussung des Verfahrens des Angeklagten. Eine kommissarische Vernehmung in Anwesenheit des Verteidigers genügt den Konventionsvorgaben. 133 EGMR [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997, 619, m. Anm. Wattenbergl Violet, StV 1997, 620; [Kostovski v. Niederlande], StV 1990, 482; Renzikowski. JZ 1999,610. 134 Art. 6 Abs. 3 lit. b EMRK; Beispiele bei Peukert in EMRK, Art. 6, Rn. 201. 135 Speziell zum Opferzeugen Weigend. Opferzeugen und Strafverfahren, S. 425 ff.; Rieß. Gutachten C zum 55. DJT, S. 54. 136 Zacharias. Der gefährdete Zeuge, S. 133 f.; Taschke. StV 1985, 271.

C. Gegenpositionen des Beschuldigten

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zu seinen Gunsten abzielt. Eine Bedrohung des Zeugen aus dem Umfeld des Angeklagten muss notwendig Zeugenschutzmaßnahmen und damit einhergehende Verkürzungen der Verteidigungsrechte zur Folge haben. Ein anderes Vorgehen eröffnete dem Beschuldigten oder seine Hintermänner die Chance, das Verfahren nach Belieben zu steuern 137. Die Schwierigkeiten einer Grenzziehung liegen allerdings im Tatsächlichen. Der Missbrauch der Verteidigungsbefugnisse kann oft nur rückblickend festgestellt werden. Auch eine (angebliche) Zeugenbedrohung ist erst umfassend zu überprüfen, bevor Beschneidungen der Beschuldigtenrechte revisionsfest erfolgen können. Möglicherweise hat der Beschuldigte die Gefährdungssituation nicht verursacht. Das rechtswidrige Vorgehen Dritter kann ihm aber dann kaum zugerechnet werden, geschweige denn seine verfassungsrechtlich garantierten Verteidigungsbefugnisse verkürzen I38. Beschneidungen der Beschuldigtenrechte unter dem Aspekt des Rechtsrnissbrauchs setzen folglich mindestens konkrete Anhaltspunkte für ein tatsächliches Fehlverhalten des Angeklagten voraus 139 . Nicht ganz zu Unrecht ist also Vorsicht vor einem zu leichtfertigen Umgang mit zeugenschützenden Maßnahmen zulasten des Beschuldigten angemahnt 140 . Dies bedeutet vor allem auch Vorsicht bei der Ersetzung von Zeugenaussagen durch das Abspielen einer Videoaufzeichnung in der Hauptverhandlung nach § 255 aStPO. Die Ersetzung stellt den intensivsten Eingriff in das Konfrontationsrecht des Angeklagten dar. Dagegen kann die Videokonferenz im Hinblick auf die Verteidigungsrechte sowohl Eingriff als auch Chance bedeuten. Chance vor allem dann, wenn die Zeugenaussage anders nur durch Verlesung oder Vernehmung einer Verhörsperson Eingang in die Hauptverhandlung gefunden hätte. Die große Einzelfallabhängigkeit ermöglicht aber auch hier kein generelles Urteil über Vor- und Nachteile der Videovernehmung. Die abwägungsrelevanten Kriterien und ihre Gewichtung variieren in Abhängigkeit von der Eigenart des für den Zeugen erforderlich werdenden Schutzes. Auch wenn der Schwerpunkt der Betrachtungen bisher auf dem Gegensatz von Zeugenschutz und Verteidigungsinteresse liegt, so ist doch der nicht minder bedeutsame Interessenkonflikt von Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege und Beschuldigtenrechten nicht zu vernachlässigen. Auch hier gilt, es gibt keine Wahrheitserforschung um jeden Preis 141 . VerfahrensBGH, StV 1985,6 m. Anm. Taschke, StV 1985,271; Seelmann, StV 1984, 483; Taschke, StV 1985, 271; Gollwitzer, Meyer-Gds., S.169. 139 Zur Abwägung Schnarr, Kriminalistik 1990,295 f.; Zacharias, Der geflihrdete Zeuge, S. 131 ff 140 Dahs, NJW 1998, 223 f; Fischer, JZ 1998, 816 ff 137

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1. Teil: Die verfassungsrechtliche Ausgangsposition

ökonomie darf es nicht zu Lasten des Beschuldigten geben. Doch kann die Videotechnik im Einzelfall zur Schnittstelle von optimaler Ausnutzung der Verteidigungsmöglichkeiten und zügiger, konzentrierter Beweisaufnahme werden, beispielsweise indem man sich die Protokolleigenschaften des Speichermediums oder die Übertragungsmöglichkeiten zu sonst unerreichbaren Auskunftspersonen zunutze macht.

D. Zusammenfassung Den Zeugenrechten gebührt auch in ihrem nicht mit Menschenwürdegehalt ausgestatteten oder der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG untergeordneten Bereich Beachtung und Schutz. Als Vorgaben einer objektiv-rechtlichen Werteordnung bestimmen sie Verlauf und Gestaltung des Strafverfahrens. Ihr Verfassungsrang stellt sie auf eine Stufe mit den Belangen des Rechtsstaates und den Freiheitsrechten Dritter. Hinter dem Interesse einer effektiven Strafrechtspflege und hinter den Verteidigungsrechten des Beschuldigten stehen sie im Grundsatz nicht zurück. Doch sind sie im Konfliktfall einer Abwägung zugänglich. Dabei wird je nach Intensität der Zeugengefahrdung, nach Schwere der Straftat und nach Bedeutung der Aussage für ihre Aufklärung ein Kompromiss gefunden werden müssen, der jedem der abwägungserheblichen Belange eine optimale Berücksichtigung gewährleistet. Der im Rechtsstaatsprinzip angelegte Zielkonflikt zwischen Zeugenschutzbelangen, Verteidigungsinteressen und dem Gebot einer umfassenden Wahrheitsermittlung begrenzt die Möglichkeiten eines effektiven Zeugenschutzes in mehrfacher Hinsicht. Er engt den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Schaffung und Ausgestaltung von Schutzgesetzen ein und bestimmt die Grenze gerichtlicher Ermessensausübung bei Anordnung zeugenschützender Maßnahmen im Einzelfall. Der Versuch gegenläufige Verfassungswerte auszubalancieren, prägt die Verfahrensordnung und die höchstrichterliche Rechtsprechung gleichermaßen. Auch das Zeugenschutzgesetz unternimmt es, gegensätzliche Rechte und Interessen in Einklang zu bringen. Ohne Angst und Gefahr von Rechtseinbußen soll dem Zeugen eine wahrheitsgemäße Aussage im Verfahren ermöglicht werden, doch den Kontakt zwischen Verteidigung, Beschuldigtem, Richter und Zeugen darf dies nicht übermäßig behindern. Im Übrigen lassen sich diese Gedanken auch auf den Widerstreit von Beschuldigtenrechten und Aufklärungsinteressen übertragen, auch wenn das Zeugenschutzgesetz selbst auf diesen Konflikt nicht abzielt. Die Videotech141

Vgl. nur BVerfGE 51, 324 (343 [f.).

D. Zusammenfassung

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nik ermöglicht an mehreren Punkten einen Interessensausgleich. Die Schnittstellen für diesen Interessensausgleich aufzudecken und - soweit möglich - in Gesetzesform zu fassen, wird Aufgabe dieser Untersuchung sein.

2. Teil

Entstehung des Zeugenschutzgesetzes Das Zeugenschutzgesetz steht vorläufig am Ende einer recht langwierigen und längst noch nicht abgeschlossenen Entwicklung, in deren Verlauf die Rechte des Zeugen und die Rechte von Opfern im Strafverfahren entdeckt, gestärkt und weiter ausgebaut wurden. Dabei geriet der Zeugenschutz erst in den vergangenen zwanzig Jahren nach und nach in den Blickpunkt der Diskussion. Angestoßen durch die Erfahrung mit den großen Terroristenprozessen der siebziger Jahre haben Literatur und Gesetzgebung den Schutzbelangen gefährdeter oder sensibler Zeugen im Strafverfahren immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Das Zeugenschutzgesetz baut auf den bereits seit längerem existierenden Schutzmaßnahmen auf, rundet sie ab und stößt neue Tore auf, wobei es aber bei weitem nicht alle Ideen übernimmt, die im Zusammenhang mit Videotechnik und Zeugenschutzbestrebungen jemals formuliert wurden. Die folgenden Kapitel werden einen Überblick geben über das, was an Zeugenschutz in Gesetz und Rechtsprechung bereits möglich ist und was weiterhin im Zusammenhang mit der Videotechnik im Strafverfahren in der Vergangenheit bereits angedacht, im Ausland vielleicht sogar realisiert wurde.

A. Das Zeugenschutzgesetz, Gesetzgebungsverfahren und Ergebnis Am 8. Mai 1998 wurde das Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes (Zeugenschutzgesetz - ZSchG) im Bundesgesetzesblatt verkündet I. Am 1. Dezember 1998 trat es in Kraft. Bei Betrachtung der Gesetzgebungsmaterialien sticht seine kontroverse Entstehungsgeschichte ins Auge, die Vielschichtigkeit der Zielbestimmungen, die vom ersten Entwurf der Justizminister und -ministerinnen2 bis zur am 4. März 1998 vom Bundestag in dritter Lesung ZSchG v. 304 1998, BGBI I, 820. Der Entwurf basiert auf einer 1993 auf der Herbstkonferenz der lustizministerinnen und -minister in Auftrag gegebenen Untersuchung der Strafrechtskommission. Auf der Grundlage seiner Formulierungen erarbeiteten die lustizministerinnen und -minister einen Gesetzesvorschlag, der schließlich in den Bundesrat eingebracht 1

2

A. Das Zeugenschutzgesetz, Gesetzgebungsverfahren und Ergebnis

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beschlossenen Fassung Eingang in seine Regelungen gefunden haben. Ursprünglich entworfen als Antwort auf die jahrelange Diskussion über die Belastungen kindlicher Zeugen durch das Strafverfahren wurde das Gesetz auf Betreiben von Bundesregierung und Rechtsausschuss zu einer generellen, wenn auch restriktiven, Zeugenschutzregelung ausgebaut. Der Schutz gefährdeter und bedrohter Zeugen, im internationalen Vergleich ein vernachlässigter Bereich deutscher Gesetzgebung und bis dahin allein Sache polizeilicher Gefahrenabwehr und interner Verwaltungsrichtlinien der Innenministerien3 , erlangte mit dem Zeugenschutzgesetz sechs Jahre nach den zögerlichen Neuerungen durch das Organisierte Kriminalitätsgesetz von 19924 erneut Aktualität. Dem vorsichtigen Vorstoß auf dem Gebiet des Zeugenschutzes bei Vernehmungen folgten in kürzester Zeit weitere umfangreiche Gesetzesentwürfe, auf deren Grundlage gefährdete Personen und ihre Angehörigen besonderen Zeugenschutzprogrammen unterstellt, mit Tamdokumenten versehen und aus ihrem bisherigen Umfeld an geheime, sichere Orte verbracht werden können 5 . In den Anfängen der Gesetzesentwicklung stand aber zunächst die Bestrebung im Vordergrund, die Rechtsposition kindlicher Zeugen und des durch die Straftat Verletzten zu verbessern. Bezeichnend daher auch, dass die Gesetzesvorlage des Bundesrates im Grunde nur das bereits in den "Wormser Missbrauchsprozessen,,6 praktizierte Verfahren einer "gespaltenen Hauptverhandlung" zur Diskussion stellt7 , also die Ein-Weg-Videoübertragung der Vernehmung in den Sitzungssaal, angewendet nur auf Zeugen unter sechzehn Jahren. Im Ermittlungsverfahren sollten sich die Vernehmungen Jugendlicher ebenfalls nach diesem Modell richten 8 . Gleichzeitig greift der Gesetzesentwurf Anregungen auf, untersuchungsrichterliche Vernehmungen kindlicher Zeugen im Ermittlungsverfahren reund als Gesetzesvorlage, BR-Drs. 175/96, dem Bundestag übersandt wurde; dazu Block, DRiZ 1994,55; ders., ZRP 1996, 29. 3 Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S. 545; Sielaff, Kriminalistik 1986, 60; vg!. die bayerischen Richtlinien zum Schutz gefährdeter Zeugen vom 29.11.1994, AllMB!. Nr. 27/1994, 1005 ff. 4 Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.07.1992, BGB!. I, 1302. 5 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Schutzes gefährdeter Zeugen, Gesetzesantrag des Landes Rheinland-Pfalz vom 13.05.1998, BR-Drs.458/98; auch BT-Drs. 14/638; dazu Caesar, NJW 1998; 2316 ff.; Griesbaum, NStZ 1998,440 f. 6 LG Mainz, NJW 1996, 208; zum Verfahren selbst in Kapitel C.2.b). 7 § 241 b StPO in der Fassung des Entwurfs vom 03.05.1996, BR-Drs. 175/96, S. 2 f.; weiterführende Überlegungen bei Böhm, ZRP 1996,259 ff. 8 § 168 c Abs. 2 S. 2, 3 und 4 StPO in der Fassung des Gesetzesentwurfs vom 03.05.1996, BR-Drs. 175/96, S. 1.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

gelmäßig in Bild und Ton aufzuzeichnen und nur das Vernehmungssurrogat in die Hauptverhandlung einzuführen9 . Aufzeichnungen sollen angefertigt werden, soweit es sich um einen jugendlichen Opferzeugen und Straftaten aus bestimmten, in § 168 e Abs. 1 StPO der Entwurfsfassung abschließend bezeichneten Deliktsbereichen 10 handelt. Sie können die persönliche Vernehmung des jugendlichen Zeugen in der Hauptverhandlung ersetzen, wobei aber eine ergänzende Vernehmung zulässig bleibt. Vernehmungsaufzeichnungen sind auch unter anderen Umständen möglich Il . Aber eine Ersetzung der persönlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung orientiert sich dann an den für Vernehmungsprotokolle geltenden Voraussetzungen der §§ 251 ff. StPO. Angeregt durch den Bundesratsvorschlag legen in der Folge weitere Fraktionen Gesetzesentwürfe vor l2 . Sie verzichten nunmehr auf eine fixierte Altersgrenze. Auch die Restriktion auf bestimmte Deliktsbereiche entfällt weitgehend. Im Gegenzug werden die Anforderungen an die Gefährdung des Zeugen verschärft. Musste im Ausgangsentwurf noch ein nur "erheblicher" Nachteil für den jugendlichen Zeugen bei Vernehmung in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden zu befürchten sein, darf nun erst eine "dringenden Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" zum Rückgriff auf die besonderen Vernehmungsmodalitäten führen. Die Videotechnik soll ein Ausnahmeverfahren bleiben, weswegen auch den bereits gesetzlich verankerten zeugenschützenden Verfahren der Vorrang gebührt. Insbesondere der einfühlsame, höfliche Umgang mit dem Zeugen geht vor. Die Videotechnik soll und darf nur ergänzend zur Anwendung kommen, ist dann aber als Schutzinstrument allen Zeugen zugänglich zu machen 13. Von einer Begrenzung des Schutzes auf nur kindliche Zeugen sieht der Entwurf bewusst auch deswegen ab, um der Praxis nicht den "unzutreffenden Eindruck" zu vermitteln, es handele sich hierbei "um den Königsweg kinderschützender Verfahrensweisen,,14. Mit den späteren Entwürfen schwenkt der Gesetzgeber außerdem vom "Mainzer Modell" einer Simultanübertragung von Vernehmungen in der 9 Abschlussbericht des Strafrechtsausschusses, vorgelegt auf der Herbstkonferenz der Justizminister- und Justizministerinnen im November 1995, Block, ZRP 1996, 29. 10 Aufgeführt werden Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184 c des Strafgesetzbuches) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuches) oder wegen einer Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 223 b - heute § 225 - des Strafgesetzbuches). 11 Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 191; BR-Drs. 175/96, S.9. 12 Gesetzesentwurf der CDU/CSU und F.D.P., BT-Drs. 13/7165. 13 BT-Drs. 13/4983, S. 9 und 10; BT-Drs. 13/7165, S. 4. 14 BT-Drs. 13/7165, S. 4.

A. Das Zeugenschutzgesetz, Gesetzgebungsverfahren und Ergebnis

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Hauptverhandlung auf das sogenannte "Englische Modell" um 15 . Die in der Literatur 16 mehrfach geäußerten Bedenken gegen eine "gespaltene Hauptverhandlung", wie sie das "Mainzer Modell" verlangte, zeigen hier ihre Wirkung 17. Die Kommunikation des Zeugen mit dem Vorsitzenden findet jetzt nur noch über Bildschirm statt. Die Befürchtungen, die rein technische Gesprächsvermittlung werde eine persönliche, vertrauensvolle Vernehmungsatmosphäre vermissen lassen, werden verworfen. Allerdings soll eine Vertrauensperson als Beistand zugelassen sein 18 . Diese kann bei Notwendigkeit und auf Weisung des Vorsitzenden auch Fragen "übersetzen", also dem Zeugen verständlich machen. Eine eigene Befragungsbefugnis, wie sie nach englischem oder österreichischem Recht einer geschulten nichtrichterlichen Befragungsperson übertragen werden kann, ist aber nicht vorgesehen. Vernehmungen auf größere Distanz haben in die Überlegungen zu diesem Zeitpunkt noch keinen Eingang gefunden, doch die Idee einer wenig zeitaufwendigen, u. U. kostensparenden Beweissicherung mittels audiovisueller Medien gewinnt merklich an Gewicht. Die Aufzeichnungsbefugnisse werden erheblich erweitert. Jede Vernehmung, ob polizeiliche, untersuchungsrichterliche oder in der Hauptverhandlung, kann nun auf Bild-Ton-Träger dokumentiert werden, soweit zu besorgen ist, dass "der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit unerlässlich ist,,19. Das Einverständnis des Vernommenen ist nicht mehr Voraussetzung für den Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Frühere Rechtsunsicherheiten bezüglich dieses Duldungszwangs sind so beseitigt2o . Allerdings gibt es nun auch keine generelle Ersetzungsbefugnis mehr, auf deren 15 Vgl. dazu nur Bohlander, ZStW 107 (1997), 89 ff.; Köhnken, StV 1995, 376 ff. 16 Kapitel C.2.b). 17 Bezweifelt wurde die Vereinbarkeit mit dem formellen Unmittelbarkeitsprinzip (§§ 250 S. 1, 261 StPO), dem Grundsatz der Verhandlungsleitung durch den Vorsitzenden (§ 238 Abs. 1 StPO) und der ununterbrochenen Gegenwart der zur Urteilsfindung berufenen Personen (§ 226 StPO), ausführlich Kapitel C.2.b). 18 BT-Drs. 13/7165, S. 10. 19 §§ 58 a Abs. 1, 247 a S. 4 StPO des Entwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., BT-Drs. 13/7165, S. 3. 20 Noch der Bundesratsentwurf hatte einen Duldungszwang abgelehnt, BRDrs. 175/96, S. 11 f. Doch gerade bei kindlichen Zeugen besteht die Gefahr, dass ein wirksames Einverständnis des Kindes oder der Erziehungsberechtigten mit der Aufzeichnung nicht zu erlangen ist. Wird ein Erziehungsberechtigter der untersuchten Straftat selbst bezichtigt, bleibt außerdem nur der Weg zum Vormundschaftsgericht, um einen Ergänzungspfleger nach § 1909 Abs. 1 BGB bestellen zu lassen; LG Memmingen, MDR 1982, 145. Zunächst aber entscheidet die Verhörsperson nach Aussagebereitschaft und Verstandesreife des Kindes, ob eine Ergänzungspflegschaft tatsächlich notwendig wird, PalandtlDiederichsen, § 1909, Rn. 2; AG Stutt-

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

Grundlage die aufgezeichneten Aussagen kindlicher Zeugen generell Teil der Hauptverhandlung werden könnten. Es ist der Verdienst des Rechtsausschusses 21 , dass letztlich auch Zeugenvernehmungen aus dem Ausland bzw. auf größere Distanz, also von "einem anderen Ort,,22 aus per Simultanübertragung zulässig wurden. Der Rechtsausschuss verweist dabei auf europäische Vorgaben 23 . Um die Distanzvernehmungen auch ohne konkrete Gefährdungsnachweise zu ermöglichen wird eine weitere Tatbestandsalternative eingefügt. Sie verweist auf die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 StPO. Aufgrund Unzufriedenheit mit der vom Bundestag getroffenen Entscheidung, der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu folgen 24, beschließt der Bundesrat in seiner 720. Sitzung die Anrufung des Vermittlungsausschusses. Er erhofft, eine Konzentration zeugenschützender Maßnahmen auf jugendliche Zeugen und Opfer von Gewalttaten zu bewirken, das "Mainzer Modell" einer gespaltenen Hauptverhandlung wieder einzuführen und für bestimmte Zeugengruppen die Voraussetzungen der Schutzmaßnahmen zu verringern 25 . Eine nach dem Alter des Zeugen differenzierte Vernehmungslösung wird in Aussicht gestellt. Mit diesen Vorschlägen kann sich der Bundesrat jedoch nicht durchsetzen. Er bewirkt allerdings, dass Videodokumentationen von Vernehmungen jugendlicher Zeugen in der Hauptverhandlung unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 251 ff. StPO vorgeführt werden können, soweit eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gegen das Leben oder wegen der Misshandlung Schutzbefohlener zur Verhandlung steht. Gleichzeitig wird die Aufzeichnung der früheren Vernehmung unter ähnlichen Voraussetzungen zum Regelfall ausgestaltet. Damit sollen Mehrfachvernehmungen weitgehend vermieden werden. Nur eine ergänzende Vernehmung kindlicher Zeugen bleibt möglich. Die beweissichernde Videoaufzeichnung gart, FamRZ 1985, 1154. Ein schnelles und effektives Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden kann durch diese Zeitverzögerung empfindlich gestört werden. 21 BT-Drs. 13/8990, S. 3. 22 BT-Drs. 13/9063, S. 4. 23 Entschließung des Rates vom 23. November 1995 über den Schutz von Zeugen im Rahmen der Bekämpfung internationaler organisierter Kriminalität, ABI. C 327/ 95, 5, und die daran anschließende Entschließung des Rates vom 20. Dezember 1996 über Personen, die im Rahmen der Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität mit den lustizbehörden zusammenarbeiten, ABI. C 10/97, I, sowie die Empfehlung Nr. 15 der von den Staats- und Regierungschefs auf dem Weltwirtschaftsgipfel im Juni 1996 in Lyon gebilligten Empfehlungen, der zufolge die Staaten aufgerufen werden, unter anderem von der Zeugenvernehmung unter Einsatz moderner Telekommunikationsmittel Gebrauch zu machen. 24 BT-Plenarprotokolll31204 vom 14.11.1997, S. 18465 (B). 25 BR-Drs. 933/97; dazu auch die Ausschussempfehlungen in BR-Drs 933/1/97.

A. Das Zeugenschutzgesetz, Gesetzgebungsverfahren und Ergebnis

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wird durch den Kompromissvorschlag des Vermittlungsausschusses ebenfalls in den Kreis der Regelaufzeichnung aufgenommen. Der Bundestag stimmte dem Kompromissvorschlag zu. Trotz Unzufriedenheit mit dem strengen Ausnahmecharakter, der den zeugenschützende Maßnahmen nach dem Zeugenschutzgesetz nun zu eigen ist, verzichtet der Bundesrat auf einen Einspruch 26 . Das Zeugenschutzgesetz wird daraufhin am 30.04.1998 verkündet. Bezüglich des Einsatzes von Videotechnik im Strafverfahren enthält es nunmehr: • die Legitimationsgrundlage für eine audiovisuelle Vernehmungsaufzeichnung auch gegen den Willen des Vernommenen (§ 58 a Abs. 1 StPO). Bei Gefahr von Beweisverlusten und bei jugendlichen Opferzeugen soll regelmäßig die Aussage konserviert werden. Verwendet werden darf die Videokassette nur nach Maßgabe des neuen § 58 a Abs. 2 StPO, also nur, soweit es zu Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Eine Verwendung für andere Zwecke als für die Strafverfolgung scheidet von vornherein aus. Der Zugang zu dem Videoband richtet sich nach Maßgabe des geltenden Akteneinsichtsrechts. Ist das Band nicht mehr erforderlich, ist es zu vernichten. • die Einführung einer Videosimultanübertragung im Ermittlungsverfahren nach dem Vorbild des "Mainzer Modells", sofern eine "dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" bei dessen Vernehmung in Anwesenheit der Anwesenheitsberechtigten zu befürchten ist (§ 168 e StPO). Die Anordnung ist unanfechtbar. • eine Videosimultanvernehmung nach Vorbild des englischen Rechts in der Hauptverhandlung (§ 247 aStPO), soweit eine "dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl" der zu vernehmenden Person oder die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 StPO vorliegen. Der Aufenthaltsort des Zeugen ist nicht vorgeschrieben und kann auch im Ausland liegen. Die Anordnung ist unanfechtbar. Bei Gefahr des Beweisverlustes kann außerdem eine Aufzeichnung erfolgen. • die Legitimationsgrundlage für die Einführung von Videodokumentationen in die Hauptverhandlung bei drohendem Beweisverlust, d.h. unter den Voraussetzungen der §§ 251, 252, 253 und 255 StPO (§ 255 a Abs. 1 StPO). • ein weiterführende Durchbrechung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung, sofern es sich um dokumentierte Aussagen jugendlicher Zeugen in Verfahren handelt, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, gegen das Leben und die Misshandlung Schutzbefohlener zum Gegenstand haben (§ 255 a Abs. 2 StPO). 26

BR-Drs. 212/98.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

B. Zeugenschutz in der Gesetzgebung vor dem Zeugenschutzgesetz Das Strafverfahren kannte bereits vor Inkrafttreten des Zeugenschutzgesetzes eine ganze Reihe zeugenschützender Vorschriften. Viele dieser früheren Regelungen haben sich aber in der Verfahrenspraxis als sehr defizitär erwiesen oder sollten von vornherein nur ein absolutes Minimum an Schutz gewährleisten. Zu der Thematik der Videotechnik im Strafverfahren haben diese Normen zunächst keinen speziellen Bezug, weswegen ihre Erörterung überflüssig erscheinen mag. Allerdings setzt ein Verständnis des Zeugenschutzgesetzes ein Wissen um diese weiteren Zeugenschutzmechanismen voraus. Auch wird die nachfolgende Diskussion über den weiteren Ausbau von Videotechnik im Strafverfahren an eine Reihe dieser Normen anknüpfen. Im Folgenden wird ein Überblick über das "gesetzliche Gerüst" gegeben, in welches das Zeugenschutzgesetz eingebettet ist.

1. Das Strafverfahrensänderungsgesetz von 197927 § 68 S. 2 StPO damaliger Fassung gestattete Zeugen, bei der Feststellung der Personalien ihren Wohnort geheim zu halten, wenn eine Gefährdung des Zeugen oder einer anderen Person durch diese Angaben zu besorgen war. Allerdings fand diese Regelung nur im Hauptverfahren Anwendung. Im Ermittlungsverfahren galt weiterhin eine unbeschränkte Angabepflicht. Zudem mussten die Personalien des Zeugen unverkürzt Eingang in die Verfahrensakten finden und dem Gericht oblag die Pflicht, die geladenen Zeugen dem Angeklagten "rechtzeitig namhaft zu machen und ihren Wohn- oder Aufenthaltsort anzugeben,,28. Im Grunde war der Zugang des Beschuldigten oder Dritter zu den geschützten Angaben damit kaum eingeschränkt und ein effektiver Zeugen schutz vor Bedrohungen von dritter Seite ließ sich nicht gewährleisten.

Der Grund für diese halbherzige Regelung lag auf der Hand. Die Chance, die Glaubwürdigkeit des Zeugen umfassend überprüfen, erschien dem Gesetzgeber absolut vorrangig 29 . Verworfen wurde daher auch ein Vorschlag, dem gefährdeten Zeugen generell statt der Angabe seines Wohnortes die Angabe einer Dienst- oder Geschäftsadresse oder einer anderen ladungsfähige Anschrift zu gestatten. Die Bestimmung des § 68 S. 2 StPO bot damit nur Schutz vor Bedrohungen durch unbeteiligte Prozessbeobachter.

27

28 29

Gesetz vom 05.10.1978, BGBI. I, 1645. § 222 Abs. 1 S. 1 StPO damaliger Fassung. BT-Drs. 8/1844, S. 30 f.

B. Zeugen schutz in der Gesetzgebung vor dem Zeugenschutzgesetz

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2. Das Opferschutzgesetz von 198630 Das Opferschutzgesetz von 1986 hat die Stellung des Verletzten im Verfahren nachhaltig verbessert. Doch sollten durch die Aufwertung des Opferschutzes die Verteidigungsrechte des Beschuldigten nicht beschnitten werden 3l . Geschaffen wurden Informationsrechte für den Verletzten32 . Die Nebenklage wurde novelliert 33 und einige Erleichterungen für das Adhäsionsverfahren eingeführt. Dem Zeugenschutz speziell tragen die neuen §§ 68 a und 247 S. 2 StPO sowie § 171 b GVG Rechnung. a) Schutz vor Bloßstellung, § 68 a StPO Nach Maßgabe des § 68 a StPO ist der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu gewährleisten. Fragen, die den Zeugen "zur Unehre gereichen oder deren persönlichen Lebensbereich betreffen, sollen nur gestellt werden, wenn es unerlässlich ist". § 68 a Abs. 2 StPO schränkt die Möglichkeit von Fragen nach eventuellen Vorstrafen ein. Zu beachten sind zudem Nm. 4 c und 19 a RiStBV, die zur Rücksichtnahme auf die besondere psychische Belastungssituation des Verletzten verpflichten. Kollidieren allerdings Sachaufklärungsinteresse und Persönlichkeitsrecht, findet eine Auflösung immer zulasten des Zeugen statt. Die Wahrheitsermittlung hat unbedingten Vorrang, denn nach der Rechtsprechung sind Fragen immer schon dann "unerlässlich", wenn ohne sie die Wahrheit nicht erforscht werden kann 34 . Nur vollständig ungeeignete und sachfremde Einlassungen werden demnach durch § 68 a Abs. 1 StPO heraus gefiltert. Da aber eine Zurückweisung nicht zur Sache gehörender Fragen ohnedies bereits nach § 241 Abs. 2 StPO möglich ist, ist ein zusätzlicher Persönlichkeitsschutz nicht geWährleistet, insbesondere nicht für Opfer von Sexualstraftaten, für die diese Regelung eigentlich geschaffen wurde 35 . In der Praxis wird die Möglichkeit, Fragen an den Zeugen aufgrund

§ 68 a StPO zurückzuweisen, zudem wegen des hohen einseitigen Revi-

sionsrisikos ignoriert. Bei unberechtigter Abweisung einer Frage kann ein 30 Erstes Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18.12.1986, BGBl. 12496. 31 Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 247 f. 32 §§ 406 d, 406 e StPO. 33 §§ 395 ff. StPO 34 BGHSt. 13, 252 (254); 21, 334 (360); BGH, NStZ 1982, 170; 1990, 400; Schmidt, Die Rechte des Zeugen, S. 42; Schünemann, StV 1998, 395; Böttcher, JR 1987, 139 Krey, Meyer-Gds., S. 246. 35 Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 49 f.; RießIHilger, NStZ 1987, 150.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO und gegen die legitimen Verteidigungsrechte des Angeklagten gerügt werden. Lässt der Vorsitzende dagegen eine i. S. v. § 68 a StPO unzulässige Frage zu, kann der Zeugen diese Verletzung seines Persönlichkeitsrechtes nicht mit der Revision angreifen. Ein Umstand, der schnell dazu führt, dass der Zeugenschutz nach § 68 a StPO weitgehend leer läufe 6 . b) Öffentlichkeitsausschluss zum Schutz von Persönlichkeitsrechten, § 171 b GVG Auch § 171 b GVG dient dem Zweck, Informationen aus der Intimsphäre des Verletzten möglichst geheim zu halten. Würde eine öffentliche Erörterung "schutzwürdige Interessen" von Prozessbeteiligten, Zeugen oder des Verletzten verletzen, kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Da hier ein Konflikt mit der gerichtlichen Aufklärungspflicht bzw. mit den Verteidigungsinteressen des Angeklagten nicht zu befürchten ist, sind die Anwendungsvoraussetzungen dieser Norm weit geringer als in § 68 aStPO. Das Interesse an einer öffentlichen Erörterung darf die Schutzinteressen nur nicht überwiegen. Eine Interessenabwägung wird daher im Zweifel zu Gunsten des in seiner Persönlichkeitssphäre Betroffenen ausgehen 3 ? Zudem ist aufgrund der Unanfechtbarkeit der Ausschlussentscheidung nach § 171 b Abs. 3 GVG dem Gericht ein nicht allzu zögerlicher Rückgriff auf diese Schutzvorschrift möglich 38 • c) Vorübergehende Entfernung des Angeklagten nach § 247 S. 2 StPO Schutz vor Verletzungen der seelischen und körperlichen Integrität gewährleistet zudem der Ausschluss des Angeklagten nach § 247 S. 2 StPO. Das Opferschutzgesetz hat den früheren Anwendungsbereich des § 247 S. 2 StPO von Zeugen unter sechzehn Jahren auf solche Personen erweitert, bei deren Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die "dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht". Im Vordergrund stehen die Bedürfnisse von Verletzten aus Sexualstraftaten39 , doch auch den Angehörigen von Verbrechensopfern kann so das Zusammentreffen mit dem Angeklagten erspart werden. Verhindert werden kann außerAA SK-Rogall, Vor § 48, Rn. 95. Selig, StV 1988, 499; Böttcher, JR 1987, 140. Hagendom, Ausschluss der Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. 61 f. 38 Krey, Meyer-Gds., S. 252; kritisch dazu aber Hagendom, Ausschluss der Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. 64. 39 Krey, Meyer-Gds., S. 246; BT-Drs. 10/6124, S. 13 f. 36 37

B. Zeugen schutz in der Gesetzgebung vor dem Zeugenschutzgesetz

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dem, dass ein Angeklagter vom Aussehen eines Zeugen Kenntnis erlangt, für den bei einer direkten Gegenüberstellung Gefahr für Leib und Leben zu befürchten wäre40 . Allerdings gewährte das Opferschutzgesetz keine Möglichkeit, den Namen des gefährdeten Zeugen zu verschweigen, weswegen die Neuregelung kaum Einfluss auf die behördliche Praxis der Voll sperrung von Vertrauenspersonen nimmt. Der Ausschluss erfasst nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift auch nur die Vernehmung selbst, nicht die Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung des Zeugen, die Verhandlung über die Entlassung des Zeugen oder die Vereidigung. Zu § 247 S. 1 StPO hat der Bundesgerichtshof allerdings schon früh entschieden, dass bei einer Gefährdung des Zeugen bzw. seiner drohenden Enttarnung der Ausschluss entsprechend auch die Vereidigung erfasst41 . Diese Rechtsprechung ist auf die Fälle des § 247 S. 2 StPO zu übertragen, soll nicht der Schutzeffekt der Ausschlussmöglichkeit zu leicht vereitelt werden. Auch bei § 247 S. 2 StPO ist ein hohes einseitiges Revisionsrisiko zu Gunsten des Angeklagten zu beachten. Das Fragerecht des Angeklagten darf trotz seiner Entfernung nicht beschnitten werden. Ihm ist gemäß § 247 S. 4 StPO noch vor der Entlassung jedes Zeugen das Ergebnis der Vernehmung mitzuteilen und Gelegenheit zu geben, über seinen Verteidiger zusätzliche Fragen an den Belastungszeugen zu stellen42 . Da der Angeklagte außerdem bei der Verhandlung über Vereidigung und Entlassung des Zeugen ein uneingeschränktes Anwesenheitsrecht hat, bedingt § 247 StPO vom Gericht eine komplizierte Regie von Auf- und Abtritten des Zeugen und des Angeklagten43 . Verfahrensfehler zu lasten der Anwesenheitsrechte des Angeklagten eröffnen diesem die Revision mit absoluten Revisionsgründen nach §§ 338 Nr. 5, 230 StPO. Entscheidungen zu Gunsten des Zeugenschutzes werden durch dieses einseitige Revisionsrisiko nicht begünstigt. Das Risiko von Verfahrensfehlern erhöht sich bei § 247 StPO zudem noch dadurch, dass bei jedem Verfahrens schritt wesentliche Förmlichkeiten wie die Anhörung der Beteiligten nach §§ 33 Abs. 1 StPO, die ausführliche Begründung gemäß § 34 StPO und die Verkündung des Beschlusses nach § 35 Abs. 1 S. 1 StPO einzuhalten sind.

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Rieß/Hilger, NStZ 1987, 150; Krey, Meyer-Gds., S. 247.

BGHSt. 32, 32. Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, Art. 6 EMRK (Art.14 IPBPR), Rn. 221; Peukert in Frowein/Peukert, Art. 6, Rn. 201. 43 Z.B. BGHSt. 22, 289 (296); BGH NJW 1985, 1478; SK-Rogall, Vor § 48, Rn. 98, dagegen meint, das Revisionsrisiko werde trotz der Komplexität der notwendigen Vorgehensweise wohl oft überschätzt. 41

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5 Swoboda

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

3. Das Organisierte Kriminalitätsgesetz 199244 Durch das OrgKG von 1992 hat der Gesetzgeber ein abgestuftes, wenn auch nicht abschließendes Schutzsystem zur Geheimhaltung der Zeugenidentität geschaffen45 . Kernpunkt der Regelung ist der neue § 68 StPO, der die unzureichende Regelung des § 68 StPO a. F. ersetzte. Im Zusammenspiel mit anderen Schutzvorschriften gestattet er den Strafverfolgungsbehörden, die Identitätsgeheimhaltung alternativ oder in Ergänzung zu weiteren Schutzmaßnahmen zu verfügen. Zu wählen ist das Vorgehen, das bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus die Verteidigungsrechte und die Belange der Wahrheitsermittlung am geringsten in Mitleidenschaft zieht46 .

a) Geheimhaltung von Wohnort oder Identität, § 68 StPO Aussagepersonen, die ihre Wahrnehmungen in amtlicher Eigenschaft gemacht haben, d.h. während einer Diensthandlung oder im Zusammenhang mit einer solchen47 , sind im Verfahren generell befugt, ausschließlich ihre Dienstanschrift anzugeben, § 68 Abs. 1 S. 2 StPO. Gefährdungen und Belästigungen, denen diese Personen berufsbedingt häufiger ausgesetzt sind, sollen so möglichst vermieden werden 48 . Nach § 68 Abs. 2 S. 1 wird bei Anlass zur Besorgnis einer Gefährdung des Zeugen oder anderer Personen jedem Zeugen gestattet, statt des Wohnortes einen Geschäfts- oder Dienstort oder eine andere ladungsfähige Anschrift zu nennen. Die Gefährdung muss sich noch nicht konkret manifestiert haben, darf aber auch nicht bloß hypothetischer Art sein49 . Im Rahmen der Ermessensentscheidung des Vernehmungsleiters hat eine Abwägung unter Beachtung von Aufklärungs-, Verteidigungs- und Informationsinteressen sowie Aspekten der Intensität der befürchteten Gefährdungslage und mit Blick auf den Rang der bedrohten Schutzgüter stattzufinden5o . 44 Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15.07.1992, BGBL I, 1302. 45 BT-Drs. 12/989, S. 35 f.; Griesbaum, NStZ 1998,436; Siegismund, JR 1994, 254. 46 Hilger, NStZ 1992,458. 47 K/M-G, § 68, Rn. 2. 48 Krey/Haubrich,JR 1992, 310, die der Neuregelung des § 68 Abs. 1 S. 2 StPO ohnehin nur klarstellend Funktion im Hinblick auf bereits geltendes Gewohnheitsrecht zubilligen; vgl. zur Frage der gewohnheitsrechtlichen Einschränkung des § 68 StPO a. F. bei Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern schon Krey, MeyerGds., S. 263 ff. 49 Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S. 549.

B. Zeugen schutz in der Gesetzgebung vor dem Zeugenschutzgesetz

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Erst wenn die Angabe auch einer anderen ladungsfähigen Anschrift den Schutzinteressen des Zeugen nicht genügt, kann der Vorsitzende in der Hauptverhandlung dem Zeugen nach § 68 Abs. 2 S. 2 StPO gestatten, weder den Wohnort noch eine Ersatzanschrift zu benennen51 . § 68 Abs. 3 S. 1 StPO lässt über die Voraussetzungen des Abs. 2 hinaus eine Geheimhaltung des Wohn- oder Aufenthaltsortes zu, sofern der Zeuge oder eine andere Person an Leib, Leben oder Freiheit52 gefährdet wird. Ist eine, wenn auch noch nicht konkretisierte, Gefährdungslage für die genannten Rechtsgüter zu bejahen, kann zudem die Identität des Zeugen verheimlicht werden. Auskunftspersonen, die im Rahmen von Zeugenschutzprogrammen mit einer neuen Identität ausgestattet wurden, ist die Aussage unter Angabe nur der früheren Identität gestattet. Verdeckte Ennittler, die unter einer Legende i. S. d. § 110 a Abs. 2 StPO tätig geworden sind, können auch für die Aussage im nachfolgende Gerichtsverfahren diese falsche Identität beibehalten. Nach den Vorgaben eines abgestuften Schutzsystems kommt eine derart einschneidende Geheimhaltungsmaßnahme aber erst in Betracht, wenn ein Vorgehen nach Abs. 2 keinen effektiven Schutz verspricht. Findet Abs. 3 definitiv Anwendung, dann bleibt die Identität des Zeugen für die Dauer des gesamten Verfahrens im Verborgenen. Die geheim gehaltenen Personalien werden auch nicht Aktenbestandteil, solange die Gefährdung andauert.

Nicht gelöst hat der Gesetzgeber allerdings die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die Identität der Auskunftsperson durch bestimmte Angaben zur Sache aufgedeckt werden kann. In analoger Anwendung des § 68 Abs. 3 S. 1 StPO sollte dem Zeugen deshalb zugleich zugestanden wird, die Beantwortung derjenigen Fragen zur Sache zu verweigern, aus deren Beantwortung Rückschlüsse auf seine Identität gezogen werden können 53 . Einschränkungen erfährt diese Fonn des Zeugenschutzes allerdings durch

§ 68 Abs. 3 S. 2 StPO. Auf Befragen in der Hauptverhandlung ist anzuge-

ben, in welcher Eigenschaft die von dem Zeugen bekundeten Tatsachen diesem bekannt geworden sind. Verdeckte Ennittler müssen bei Bekundung einsatzbezogener Feststellungen offenbaren, dass sie diese Wahmehmungen Ausführlich dazu Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 267 ff. Hilger, NStZ 1992,495; K/M-G, § 68, Rn. 10. 52 Um die Differenzierung zwischen "leichterer" und "gefährlicherer" Gefahrenlage auch bei der Auslegung des Abs. 3 beizubehalten, kann mit Freiheit nur die körperliche Bewegungsfreiheit gemeint sein, nicht die Entschließungs- oder Willensfreiheit, Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 272; a. A. Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S. 549. 53 Lesch, StV 1995, 545; Diese Möglichkeit wurde in der Rechtsprechung bisher im Rahmen der gerichtlichen Fürsorgepflichten diskutiert, BGH, NStZ 1984, 32; Krey/Haubrich, JR 1992, 31l. 50

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

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in ihrer Eigenschaft als Verdeckte Ennittler gemacht haben 54 . Gleiches gilt für V-Leute. Mit dieser Regelung wird Verteidigungsinteressen Rechnung getragen, denn eine umfassende Glaubwürdigkeitsüberprüfung des Zeugen entfällt bei einer Identitätsgeheimhaltung zumeist. Die Offenbarung einer Behördenzugehörigkeit kann allerdings weitere Einsatzmöglichkeiten des Verdeckten Ennittlers bzw. V-Mannes im "Milieu" gefährden. Die Vertrauensperson wird "verbrannt". Um dem zu entgehen bleibt den Behörden i. d. R. nur die vollständige Sperrung des Zeugen. Die Intention des § 68 Abs. 3 StPO, gerade diese Sperrung zu venneiden und so den Zugriff auf das sachnächste Beweismittel zu ennöglichen, gerät mit den in §§ 110 a ff. StPO als ebenso berechtigt anerkannten Geheimhaltungsbedürfnissen der Strafverfolgungsbehörden in Konflikt55 . Die Auskunftsperson hat gemäß § 68 Abs. 4 StPO ebenfalls uneingeschränkt über solche Tatsachen Auskunft zu geben, die ihre Glaubwürdigkeit und ihre Beziehung zu dem Beschuldigten oder dem Verletzten verdeutlichen. § 68 Abs. 4 StPO trägt der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO und den Verteidigungsinteressen des Beschuldigten Rechnung 56 . Generalfragen dürfen jedoch nur für den Fall ihrer Erforderlichkeit gestellt werden und sie dürfen nicht den in Abs. 1 bis 3 gewährten Zeugenschutz aushebein 57 . Notfalls kann das Gericht der Verteidigung nicht gefährdende Infonnationen zukommen lassen, um eine Glaubwürdigkeitsüberprüfung zu ennöglichen58 . Zeugenschützende Maßnahmen nach § 68 StPO sind ebenfalls mit einem einseitigen Revisionsrisiko behaftet. Gerügt werden kann etwa eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StP059 oder eine unzulässige Beschränkung der Verteidigungsrechte. Revisibel ist damit insbesondere auch die unzulässige Einschränkung des Fragerechts nach § 68 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 StPO sowie eine Anwendung des Abs. 3 S. 1, obwohl dessen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben6o . Das Risiko, dass das GeBT-Drs. 12/989, S. 56. Rieß, NJ 1992, 494; Lesch, StV 1995, 543, 544; Die Gesetzesfassung ist hier auch in sich nicht schlüssig. § 68 Abs. 3 S. I StPO erkennt die Gefährdung weiterer Verwendungsmöglichkeiten des Verdeckten Ermittiers nicht als Voraussetzung für eine Geheimhaltung seiner wahren Identität an. Hingegen ist eine Sperrung nach §§ 110 b Abs. 3 S. 3, 96 StPO bei solcher Art Gefahr zulässig. Das mildere Mittel, also die Identitätsgeheimhaltung, hat damit eine höhere Anwendungsschwelle als Mittel der vollständigen Sperrung des Zeugen. 56 Ranft, Jura 1993,451. 57 Hilger, NStZ 1992,459; Siegismund, JR 1994, 253. 58 Hilger, NStZ 1992, 459. 59 BGHSt. 23, 244; Franke, StraFo 2000, 296; Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S.549. 60 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 276. 54

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B. Zeugenschutz in der Gesetzgebung vor dem Zeugenschutzgesetz

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richt in der Befürchtung, Verteidigungsrechte unzulässig zu beschneiden, Fragen an den Zeugen nicht zurückweist, obwohl diese dessen Enttarnung bewirken könnten, trägt allein der Zeuge61 . b) Ausschluss der Öffentlichkeit, § 172 Nr. 1 a und Nr. 4 GVG Gefahren für Leben, Gesundheit und Freiheit der Auskunfts- bzw. einer anderen Person, die ihre Ursache allein in der Öffentlichkeit der Verhandlung haben, kann mit einem Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 Nr. 1 a GVG begegnet werden. Der Schutz anderer Rechtsgüter, etwa der psychischen oder physischen Gesundheit sensibler Zeugen, bleibt dagegen Ausschlusstatbeständen wie § 172 Nr. 4 GVG und anderen Schutzvorschriften vorbehalten62 . Anders als § 171 b GVG ist ein Vorgehen nach § 172 Nr. 1 a GVG umfassend mit der Revision überprüfbar.

4. Weitere opfer- und zeugenschützende Vorschriften im Überblick63 Nicht vergessen werden dürfen auch die bereits vor 1979 Gesetz gewordenen zeugen schützenden Maßnahmen. a) Zeugnisverweigerungsrechte, insbesondere nach §§ 52, 55 StPO Zu ihnen gehören die Zeugnisverweigerungsrechte der §§ 52, 55 StPO, die den Zeugen vor der Konfliktlage bewahren sollen, aussagen zu müssen, obwohl er durch seine (wahrheitsgemäße) Aussage gleichzeitig nahen Angehörigen oder sich selbst Schaden zufügen könnte 64 . Die Gefahr der Belastung des familiären Zusammenhalts und der familiären Intimsphäre oder einer strafrechtlich relevanten Selbstbezichtigung würde den Zeugen ohnehin vielfach zu einer Falschaussage veranlassen. Ein Aussagezwang liegt damit weder im Interesse der Auskunftsperson, noch im Interesses der Wahrheitsermittlung65 . Siegismund, JR 1994, 494. Hagendorn, Der Ausschluss der Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. 67. 63 Aufgeführt werden hier nur die Normen, die einen Opfer- und Zeugenschutz unabhängig vom Einsatz technischer Mittel anstreben. 64 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 14, 30; Gommolla, Der Schutz des Zeugen, S. 207 ff. 65 Rudolphi, MDR 1970,98; Schmidt, JZ 1958,600; a.A. BGHSt. 11,213 (215). 61

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

b) Zurückweisung sachfremder Fragen, § 241 Abs. 2 StPO Ein, wenn auch geringer, Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Auskunftsperson lässt sich durch die Möglichkeit der Zurückweisung ungeeigneter und sachfremder Fragen durch den Vorsitzenden nach § 241 Abs. 2 StPO bewirken. c) Besondere Rücksichtnahme auf kindliche und jugendliche Zeugen66 Hinzuweisen ist ebenfalls auf das Gebot der Rücksichtnahme auf kindliche und jugendliche Zeugen. Gemäß § 241 a StPO soll sich der Jugendlichen möglichst nur einem Ansprechpartner gegenübersehen. Massive seelische und körperliche Belastungen, wie sie eine aggressive Atmosphäre oder ein Kreuzverhör mit sich bringen, sind zu meiden. Wird ein Kind oder Jugendlicher außerdem von einem Erwachsenen in strafrechtlich relevanter Weise verletzt oder verstößt eine Erwachsener gegen Vorschriften, die dem Jugendschutz oder der Jugenderziehung dienen, sind neben den allgemeinen Strafkammern nach §§ 26, 74 b GVG auch die Jugendkammern bzw. die Jugendgerichte zuständig. Straftaten sollen dort auch angeklagt werden, soweit wahrscheinlich ist, dass Kinder und Jugendliche als Zeugen auftreten müssen oder die Anklage vor dem Jugendgericht aus sonstigen Gründen zweckmäßig erscheint. Der Vorteil einer solchen Kompetenzzuweisung liegt darin, in diesem Verfahren Elemente des Gerichtsverfassungsrechts der §§ 33 ff. JGG zur Anwendung bringen zu können. So können erzieherisch befähigte und in der Jugenderziehung erfahrene Richter, Jugendstaatsanwälten sowie Jugendschöffen auf diese Weise mit der Verhandlung der Strafsache betraut sein (§§ 35 Abs. 2 S. 2, 37 JGG). Als Jugendschöffen wirken außerdem je ein Mann oder eine Frau mit (§§ 33 a Abs. 1 S. 2, 35 Abs. 1 S. 2 JGG), so dass sich der jugendliche Opferzeuge nicht nur mit Verfahrensbeteiligten des jeweils anderen Geschlechts konfrontiert sieht. Speziell zum Schutz des körperlichen und seelischen Wohls einer Person unter sechzehn Jahren kann der Angeklagten nach § 247 S. 2 Alt. 1 StPO aus der Hauptverhandlung entfernt werden. Wegen des tiefgreifenden Eingriffs in die Anwesenheitsrechte des Angeklagten muss die Besorgnis für das Kindeswohl aber durch konkrete Umstände begründet sein67 . Auch 66 s. dazu auch die Bundeseinheitlichen Handreiche zum Schutz kindlicher (Opfer-) Zeugen im Strafverfahren erläutert, abzurufen unter der Intemetadresse ..http://www.bundesjustizministeriuzm.de/inhalt.htm... 67 Schmidt, Die Rechte des Zeugen, S. 72; K/M-G, § 247, Rn. 11.

B. Zeugen schutz in der Gesetzgebung vor dem Zeugenschutzgesetz

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kann das Kind nur vor Belastungen durch die Gegenwart des Angeklagten geschützt werden. Dessen Anspruch auf Konfrontation in Fonn einer Befragung des Belastungszeugen ist nicht einschränkbar. Der Verteidiger kann die Fragen übennittein. Nach Abschluss der Vernehmung ist der Angeklagten von deren Ergebnis zu infonnieren. Noch vor Entlassung des Zeugen muss ihm erneut gestattet werden, Zusatzfragen zu stellen68 .

d) Weitere Tatbestände zum Ausschluss der Öffentlichkeit, § 172 GVG

Dem Schutz der Auskunftsperson dient gleichfalls der Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 Ne. 2, 3 und 4 GVG. Ihre Anwendung bleibt allerdings dem Ennessen des Gerichts überlassen. Auch sind Fehler bei der Anordnung des Ausschlusses anders als in § 171 b GVG umfassend revisibel. Weitaus am häufigsten wird in der Verfahrenswirklichkeit der Ausschlusstatbestand nach § 172 Ne. 4 GVG Anwendung finden, der eine nicht öffentliche Verhandlung zum Schutz von Zeugen unter sechzehn Jahren ennöglicht69 . Rechnung getragen wird damit der besonderen psychischen Belastung junger Zeugen bei Auftreten vor einem großen Zuschauerkreis70. Als Ausschlussgrund genügen aber auch Befürchtungen, die Fähigkeit und Bereitschaft zur nicht entstellten Sachverhaltsschilderung könnte durch die Anwesenheit nicht beteiligter Zuschauer beeinträchtigt werden 71.

e) Sondervorschriften für den aus der Straftat Verletzten sowie verletzliche Zeugen Kindliche Zeugen sowie Opferzeugen finden auch in den Vorschriften der RiStBV Beachtung. Die Rücksichtnahme auf den Verletzten ist gemäß Ne. 4 c RiStBV ein im gesamten Strafverfahren zu beachtendes und vom Staatsanwalt durchzusetzendes Gebot. Ergänzend fordert Nr. 19 a RiStBV besondere Rücksicht und Einfühlung bei dessen Vernehmung, sofern diese erkennbar mit besonderen psychischen Belastungen verbunden ist. Hinzuweisen ist auch auf die mögliche Anwesenheit einer Vertrauensperson nach § 406 f Abs. 3 StPO. Dem Verletzten ist der Beistand eines Rechtsanwalts bei der Vernehmung nach § 406 f Abs. 2 StPO zugesichert. Dem anwalt68 Peukert in Frowein/Peukert, Art. 6, Rn. 201; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, Art. 6 EMRK (Art. 14 IPBPR), Rn. 221. 69 Hagendom, Ausschluss der Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. 68; Für den Schutz des jugendlichen Angeklagten gilt nicht § 172 Nr. 4 GVG, sondern § 48 JGG. 70 BT-Drs. 7/550, S. 321. 71 BT-Drs. 7/1261, S. 35; K/M-G, § 172 GVG, Rn. 14.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

lichen Vertreter eines nebenklageberechtigten Verletzten steht darüber hinaus nach § 406 g Abs. 2 StPO ein Anwesenheitsrecht während der gesamten Hauptverhandlung sowie während richterlicher Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen zu. Hilfreich kann sich bei der Rücksichtnahme auf den Verletzten und insbesondere auf kindliche Opferzeugen auch die Konzentrationsmaxime auswirken. Mehrmalige Vernehmungen von Opferzeugen und kindlichen Zeugen sind tunliehst zu vermeiden (Nr. 19 a Abs. 3 und 19 Abs. 1 RiStBV). Kinder und Jugendliche sind außerdem möglichst vor allen anderen Zeugen zu vernehmen (Nr. 135 Abs. 2 S. I RiStBV), um ihnen lange Wartezeiten im Gericht zu ersparen. Besondere Warteräume und Zeugenbetreuung werden gefordert. Ebenso ist ein Zusammentreffen des Zeugen mit dem Angeklagten zu vermeiden (Nr. 135 Abs. 2 S. 2 und 3 RiStBV). Letzteres gilt insbesondere für ein Zusammentreffen außerhalb des Sitzungssaales, denn innerhalb der Hauptverhandlung kann die Begegnung mit dem Angeklagten nur nach Maßgabe des § 247 S. I und 2 StPO verhindert werden. Der Konzentrationsmaxime steht das Beschleunigungsgebot zur Seite. Langes Warten auf die Hauptverhandlung soll dem verletzlichen Zeugen erspart werden 72 . Im Bereich der Sexual straftaten an Kindern findet sich diese Vorgabe ausdrücklich in Nr. 221 Abs. I RiStBV. Um das Kindes nicht noch zusätzlich für die Erstellung von Glaubwürdigkeitsgutachten vernehmen zu müssen, sollen kinderpsychologisch geschulte Sachverständige bereits zur ersten Einvernahme des Kindes herangezogen werden. Sind bei einer Erstvernehmung allerdings zu viele Personen anwesend, kann das Kind dadurch zusätzlich gehemmt werden73. Auch aus diesem Grund obliegt dem Staatsanwalt vorrangig die Prüfung, ob auf eine Vernehmung des Kindes nicht vollständig verzichtet werden kann. Dies ist vor allem dann zu bedenken, wenn der Beschuldigte ein glaubhaftes Geständnis ablegt. Zu beachten ist allerdings, dass dieses Festhalten an Geständnissen nicht auf Kosten der Wahrheitsermittlung oder der Verteidigungsrechte geht. So werden zwar häufig durch recht umstrittene verfahrensrechtliche Absprachen sowie Zugeständnisse des Gerichts bei der Strafbemessung Anreize für den Beschuldigten geschaffen, ein Geständnis abzulegen, doch darf dies nicht zu einem verfassungswidrigen Geständniszwang ausartet 74.

72 Durchschnittliche Wartezeiten von etwa 41 Wochen ergaben Untersuchungen von Volbert/Busse, Belastungen von Kindern, S. 77; ausführlich auch Busse/Volbert/ Steiler, Belastungserleben von Kindern, S. 14 f. 73 von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 277. 74 Albrecht, Kindliche Opferzeugen, S. 9.

B. Zeugenschutz in der Gesetzgebung vor dem Zeugenschutzgesetz

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t) Zeugenbeistand und Hinweispflichten des Staatsanwalts

Noch vor der Einführung des Zeugenbeistandes durch das Zeugenschutzgesetz in § 68 b StPO hat das Bundesverfassungsgericht die Notwendigkeit dieses Instituts zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens und zur Herstellung von Waffengleichheit zwischen Beschuldigtem und Zeugen anerkannt75 . Nicht nur der Verletzte soll durch einen rechtskundigen Beistand bei der Ausübung seiner Zeugenrechte Unterstützung erfahren. Jeder Zeuge muss in der Lage sein, Eingriffe in seinen persönlichen Lebensbereich im Rahmen der ihm zustehenden rechtlichen Möglichkeiten effektiv abzuwehren bzw. Maßnahmen zu seinem eigenen Schutz anzuregen 76 . Dem rechtsunkundigen Zeugen allein jedoch fallt die Ausübung seiner gesetzlichen Befugnisse schwer, denn abgesehen von den Zeugnisverweigerungsrechten nach §§ 52, 55 StPO existiert nicht einmal eine gerichtliche Belehrungspflicht, durch die der Zeuge Kenntnis von seinen Befugnissen erlangen könnte. Die Beiordnung eines Zeugenbeistandes kann gemäß § 68 b StPO aber nur subsidiär erfolgen, d. h. nur dann, wenn der Zeuge nicht bereits aufgrund anderer Vorschriften anwaltlich vertreten ist oder seinen Interessen nicht anders Rechnung getragen werden kann. Existieren also ausnahmsweise richterliche Belehrungspflichten, so sind diese vorrangig. Nicht nur dem Zeugen selbst obliegt es, seine Rechtsposition bei der Vernehmung zu behaupten. Es ist auch Pflicht des Staatsanwalts, für einen schonenden Umgang mit dem Zeugen Sorge zu tragen. Nach Nr. 131 a RiStBV hat er beispielsweise bei Vorliegen der Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit gemäß § 171 b Abs. 1 GVG den Betroffenen auf sein Antragsrecht nach § 171 b Abs. 2 GVG hinzuweisen. Ist die antragsberechtigte Person unfahig, selbst auf den Ausschluss hinzuwirken, nimmt er das Antragsrecht für sie wahr. Auch gebietet ihm Nr. 130 a RiStBV, die Voraussetzungen für eine Anwendung zeugenschützender Maßnahmen nach §§ 68 StPO und 172 Nr. 1 a GVG zu prüfen und auf die erforderlichen und geeigneten Schutzmaßnahmen hinzuwirken. g) Befreiung des Zeugen von seiner Zeugenpflicht Mehrfach angesprochen wurde in den vorhergehenden Betrachtungen die Möglichkeit, den Zeugen von seiner Erscheinungspflicht zu befreien, falls ihm Gefahren für Leib, Leben und Freiheit drohen77 • Grundlage einer solchen Entbindung von der Erscheinungs- und Aussagepflicht kann § 51 75 76

77

BVerfGE 38, 105 ff. BVerfGE 38, 105 (117). BGH, NStZ 1984, 31.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

Abs. 2 S. 1 StPO sein. Die Festsetzung VOn Ordnungsmitteln sowie die zwangsweise Vorführung des Zeugen darf entfallen, sofern dessen Ausbleiben genügend entschuldigt ist. Verweigert der Zeuge aufgrund massiver Bedrohung die Aussage, wird prozessual auch nach § 70 StPO auf Zwangsmittel verzichtet. Allerdings muss dazu die Verweigerung des Zeugnisses mit "gesetzlichem Grund" erfolgen und dieser orientiert sich an den Voraussetzungen einer Notstandslage nach § 34 StGB 78 . Für die Verfahrenswirklichkeit weitaus bedeutsamer ist die behördliche Sperrung solcher Auskunftspersonen, die ihre aufklärungsrelevanten Wahrnehmungen in der Eigenschaft als Verdeckter Ermittier, V-Person oder behördlicher Informant gemacht haben. Hierbei wird entsprechend §§ 96, 54 bzw. gemäß §§ 110 b Abs. 3 S. 3, 96 StPO die Identität des Zeugen in der Hauptverhandlung geheim gehalten79 • Die dadurch begründeten Unerreichbarkeit der Auskunftsperson für eine Vernehmung in der Hauptverhandlung i. S. d. § 244 Abs. 3 StPO ermöglicht die Verlesung des polizeilichen Aussageprotokolls gemäß § 251 Abs. 2 S. 2 StPO oder die Vernehmung des polizeilichen Verhörsbeamten. Angesichts der gerichtlichen Aufklärungspflicht ist ein solcher Rückgriff auf sachfemere Beweismittel auch geboten 80. Sie darf aber nicht zulasten der berechtigten Verteidigungsinteressen des Angeklagten gehen. Bislang wird versucht, Nachteile der Verteidigung durch eine vorsichtige Bewertung dieser anonymen und mittelbaren Zeugenaussagen im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung auszugleichen 81 . Außerdem gilt das Gebot, dass das durch die Aussage gewonnene Ergebnis durch weitere Beweise gestützt werden muss. Dies alles darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Aussage weiterhin ohne jede Überprüfung der Glaubwürdigkeit der Auskunftsperson zustande gekommen ist und immer noch maßgeblich zu einer Verurteilung des Angeklagten beitragen kann. Der darin liegende Konflikt mit den Beschuldigtenrechten auf ein faires Verfahren, vor allem die fehlende Konfrontation mit dem Belastungszeugen, wiegt schwer. Die Sperrung der Vernehmungsperson darf deswegen nur als "ultima ratio" des Zeugenschutzes eingesetzt werden 82 . Hinzuweisen ist noch darauf, dass zu dem Themenkomplex der Zeugensperrung eine Reihe äußerst kritischer Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden nur noch EGMR) ergangen Meyer, Eser-Fs, S. 104 f. BGHSt. 29, 390 (393); 30, 34; 32, 32 (37); 32, 115 (123); 33, 178; Möhrenschlager, wistra 1992, 332. 80 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251 Rn. 50. 81 BGH, StV 1983,490. 82 Griesbaum, NStZ 1998,437. 78

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B. Zeugenschutz in der Gesetzgebung vor dem Zeugenschutzgesetz

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ist83 . Spätestens seit der Entscheidung Van Mechelen 84 steht auch die deutsche höchstrichterliche Rechtsprechung auf dem Prüfstand. Dass es weiterhin allein in der Hand der Polizei liegen soll, über die Erreichbarkeit eines Zeugen für das Hauptverfahren zu bestimmen, kann in konsequenter Umsetzung dieser Rechtsprechung nicht mehr behauptet werden 85 , denn ihr zufolge ist es Sache des Gerichts, in einer umfassenden Prüfung zur Gefährdung der Auskunftsperson darüber zu entscheiden, ob diese von ihrer Zeugenpflicht entbunden werden kann. h) Zeugenschutz im Ermittlungsverfahren

Auch im Ermittlungsverfahren lässt sich der Zeuge u. U. von den übrigen Verfahrensbeteiligten abschirmen bzw. lassen sich seine persönlichen Daten und - in bestimmten zeitlichen Grenzen - sogar Sachinformationen geheim halten. Verweigert werden kann dazu die Akteneinsicht nach § 147 Abs. 2 StPO. Bei einer richterlichen Zeugen vernehmung darf dem Beschuldigten nach § 168 c Abs. 3 StPO die Anwesenheit versagt sein. U. U. kann auch eine rechtzeitige Benachrichtigung von dieser Vernehmung nach § 168 c Abs. 5 StPO unterbleiben. Maßgeblich ist für diese Maßnahmen allerdings zunächst allein die Gefährdung des Untersuchungszwecks. Zeugenschützende Aspekte lassen sich allerdings mittelbar einbringen, wenn zu befürchten ist, dass der Beschuldigte oder Personen aus dessen Umkreis bei Kenntnis von der Person des Zeugen und seiner Aussagebereitschaft auf diesen Druck ausüben werden 86 •

5. Zusammenfassung Die Gesetzesentwicklung der letzten zwanzig Jahre vor dem Zeugenschutzgesetz zeigt, dass Zeugenschutz nicht mehr allein der polizeilichen Gefahrenabwehr zugeordnet wird. Um auch angesichts einer organisierteren und internationalisierten Kriminalitätsstruktur die für eine wirksame Verbrechensbekämpfung so wichtige Aussagebereitschaft der Bevölkerung aufrecht zu erhalten, muss ein effektives Instrumentarium bereit stehen, das den Zeugen gegen Gefahren und Bedrohungen abschirmen kann 87 . Dabei 83 EGMR [Kostovski v. Niederlande] StV 1990, 481; [Windisch v. Österreich], StV 1991, 193; [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997,617. 84 EGMR [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997, 617 m. Anm. Wattenbergl Violet, StV 1997, 620. 85 Kempf, Die Übermacht der Polizei im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren, S. 154. 86 Schnarr, Kriminalistik 1990, 294; Gommolla, Der Schutz des Zeugen, S. 25 ff.; Ranft, Jura 1993,451.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

standen in Gesetzgebung und Rechtsprechung bisher Bemühungen um eine Abschottung des Zeugen und seiner Persönlichkeitssphäre im Vordergrund. Der daraus resultierende Konflikt mit Verteidigungsrechten und Aufklärungsinteressen war dem Gesetzgeber durchaus bewusst. Mehrmals sah er sich angesichts kollidierender Interessen zu Kompromissen veranlasst und oft hat er anderen Rechten und nicht dem Zeugenschutzinteresse den Vorzug geben müssen. Auch die regelmäßig anzutreffenden einseitigen Revisionsrisiken zu Gunsten der Verteidigung begünstigen nicht gerade einen Rückgriff auf die zur Verfügung gestellten Instrumentarien zum Schutz der Auskunftsperson. Wie noch genauer zu zeigen sein wird, verfolgt das Zeugenschutzgesetz diese abschirmenden Tendenzen weiter, versucht jedoch zugleich die Akzeptanz seiner Instrumentarien zu erhöhen, indem es z. B. die geschützte Auskunftsperson dem Gericht, der Anklage und der Verteidigung in Form der Videoübertragung zugänglich macht (§ 247 aStPO). Damit setzt es sich zweifelsohne dem Vorwurf aus, die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nicht wahren zu können 88 , da auf die unmittelbare persönliche Vernehmung des Zeugen im Gerichtssaal verzichtet werden muss. Im Vergleich zu der in der Praxis häufig anzutreffenden Lösung einer vollständigen Sperrung der zu vernehmenden Person durch Polizeibehörden erscheint dieser Weg über eine eingeschränkte Unmittelbarkeit allerdings vorzugswürdig. Weiterentwickelt wird die Idee der Abschirmung auch im Bereich des Schutzes sensibler Zeugen vor den Belastungen durch das Verfahren. Rechnung getragen wurde der besonderen Situation dieser Auskunftspersonen bisher nur durch eine rücksichtsvolle Ausgestaltung des Verfahrens, durch ihre Abschirmung vor aggressiven Befragungen, vor der Öffentlichkeit oder vor dem Angeklagten, zumindest in bezug auf dessen körperlicher Anwesenheit. Die Idee, Videotechnik nun als Übertragungsmedium einzusetzen, ermöglicht ein fast vollständiges Herauslösen des Zeugen aus der belastenden Atmosphäre der Hauptverhandlung, ohne ihn zugleich im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO für das Verfahren unerreichbar zu machen. Die damit verbundenen Folgen für Verteidigungsrechte, Wahrheitsermittlung und das Gebot der Unmittelbarkeit Beweisaufnahme gebieten allerdings auch hier eine vorsichtige Ermessensausübung durch das Gericht.

KreylHaubrich, JR 1992, 310. Zum Modell des LG Mainz noch Geppert, Jura 1996, 550; Strate, Friebertshäuser-Fs, S. 203, 210. 87

88

C. Anfänge einer Diskussion über Videotechnik im Strafverfahren

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c. Anfänge einer Diskussion über Videotechnik im Strafverfahren

Bezeichnend für die Diskussion über den Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren ist eine Konzentration auf bestimmte Zeugentypen, namentlich auf gefährdete und kindliche Zeugen bzw. auf solche Zeugen, denen ein Erscheinen in der Hauptverhandlung aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich ist. Der Einsatz der Videotechnik muss sich in den genannten Fällen an der mitunter erheblich unterschiedlichen Interessen- und Bedürfnislage des einzelnen Zeugentypus orientieren 89 . Eine undifferenzierte Darstellung der Thematik fällt daher schwer, denn innerhalb jeder Zielgruppe sind andere Schutzschwerpunkte zu setzen. So hat auch die Literatur bei der Erörterung von Ideen zum Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren immer Gruppen und Interessengebiete unterschieden. An ihre Unterteilung knüpft die folgende Darstellung über die Entwicklung der Videotechnik im deutschen Strafverfahren an.

1. Einsatz von Videotechnik zum Schutz

(anonymer) gefährdeter Zeugen

Gemäß dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 17.10.1983 90 war auf der Grundlage des damals geltenden Rechts weder die "optische" noch die "akustische" Abschirmung des Zeugen zulässig. Zwar erging die Entscheidung in der Sache zunächst nur zu der Frage, ob es zulässig ist, einen Zeugen anonym zu vernehmen, doch sollte nach Ansicht des Große Senates die Anonymisierung nicht anders als die Abschirmung oder Vermummung des Zeugen zu behandeln sein. Nach Ansicht des Großen Senates verboten das umfassende Informationsrecht des Angeklagten nach Art. 103 Abs. 1 GG und sein Recht auf ein faires Verfahren die Einbeziehung eines Beweises, dessen tatsächliche Grundlagen durch den Angeklagten nicht überprüfbar sind91 . Dies jedenfalls, solange eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für diese Form der Beweisgewinnung fehlt. Damit hatte sich der Große Senat eindeutig gegen frühere Vorschläge gewandt, die u. a. eine Vernehmung des Zeugen mittels Telefon- oder Fernsehschaltung anstrebten. Viele zogen eine Vernehmung des mit Hilfe der neuen technischen Möglichkeiten anonymisierten Zeugen einer Vernehmung des Zeugen vom Hörensagen vor92 . 89 90

Bohlander, ZStW 107 (1995), 85.

BGHSt. 32, 115.

Meyer, Eser-Fs., S. 109; Seelmann, StV 1984, 481; BGHSt. 32, 115 (127 f.); Tiedemann/Sieber, NJW 1984, 756. 91

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

Auf Verteidigerseite ist dieses Abschirmungsverbot überwiegend auf Zustimmung gestoßen. Begrüßt wurde natürlich vor allem die Stärkung der Informationsinteressen, aber auch, dass der Beschluss die zentrale Bedeutung des Sichtkontaktes mit der Aussageperson nicht verkennt. Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit ist die Beobachtung von Mimik und Gestik des Zeugen vielfach unerlässlich93 . Kritiker der Vermummungsmethoden verwiesen zudem darauf, dass es mit der Würde des Gerichtsverfahrens kaum vereinbar sei, wenn die Verfahrensbeteiligten zu Dialogen mit hinter Faschingsmasken, Kutten und Schrankwänden verborgenen Personen gezwungen würden94 . Eine Vernehmung mittels Videotechnik wurde in der Folge in Rechtsprechung und Literatur regelmäßig als unzulässig beiseite geschoben95 . Anzumerken ist hier aber wiederum, dass der Schwerpunkt des Senatsbeschlusses gerade nicht die Frage nach der Zulässigkeit einer Abschirmung der Auskunftsperson war. Geklärt wurde das Verbot, den Zeugen vollständig zu anonymisieren, und auf der Grundlage des damals geltenden § 68 StPO konnte eine solche Identitätsgeheimhaltung gegenüber Gericht und Verfahrensbeteiligten nicht erfolgen96 . Dem darüber hinaus im Beschluss verfügten Ausschluss optischer und akustischer Abschirmungsmaßnahmen konnte neben diesem Verbot der Anonymisierung keine große eigenständige Bedeutung mehr zukommen. Optisch und akustisch abgeschirmt wurde in der Regel gerade zur Geheimhaltung der Identität. Solange diese Geheimhaltung aber auf der Grundlage des (damals) geltenden Rechts nicht erlaubt war, hätte auch die Unkenntlichmachung des Zeugen durch Bild- oder Stimmverzerrung für diesen kaum einen effektiven Schutz bedeutet. Wollte man also die Frage nach der Zulässigkeit von abschirmenden Vernehmungsmodalitäten neu aufwerfen, hätte man zunächst die Identitätsgeheimhaltung auf eine gesetzliche Grundlage stellen müssen. Geschehen ist dies spätestens mit der Einführung des neuen § 68 Abs. 3 S. I StPO. Dennoch wurde in der Literatur die Frage, ob optische und akustische Abschirmungen mit Hilfe von Telefon- oder Fernsehschaltungen zulässig sind, erst wieder im Zuge der Diskussion um den Schutz kindlicher Zeugen aufgegriffen 97 • Das mag nicht zuletzt daran gelegen haben, dass auch die Materialien zum OrgKG weitergehende Maßnahmen zur Abschir92 Rebmann, NStZ 1982, 319; BGHSt. 31, 156; NStZ 1982, 79; dazu auch Tiedemann/Sieber, NJW 1984, 756; Eisenberg, Persönliche Beweismittel, Rn. 540. 93 Eisenberg, Persönliche Beweismittel, Rn. 540; Meyer, ZStW 95 (1983), 854. 94 Weider, StV 1983, 228. 95 Meyer, Eser-Fs., S. 108 f.; anders Rebmann/Schnarr, NJW 1989, 1190, die auf die Möglichkeit und Notwendigkeit der Einführung gesetzlicher Regelungen in diesem Bereich verweisen; s. auch Gommolla, Der Schutz des Zeugen, S. 162; Miebach, ZRP 1984, 85. 96 § 68 StPO der damaligen Fassung erläutert Kapitel B.l.

C. Anfange einer Diskussion über Videotechnik im Strafverfahren

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mung des Zeugen in der Hauptverhandlung über die Geheimhaltung seiner Identität hinaus ablehnten98 . Von der körperlichen Anwesenheit im Gerichtssaal durfte die Auskunftsperson gerade nicht entbunden werden. Im Zweifel war der Zeuge eben zu sperren und damit nach § 244 Abs. 3 StPO für das Gericht unerreichbar. Zu Recht wiesen in der Folgezeit Stimmen in der Literatur darauf hin, dass mit der nunmehr Gesetz gewordenen Möglichkeit, die Identität des Zeugen geheim zu halten, auch die wesentliche Grundlage eines Verbotes optischer und akustischer Abschirmung des Zeugen bzw. eines Verbotes der Vernehmung mittels Bild- und Tonübertragung entfallen ist99 . Mit entsprechenden gesetzlichen Änderungen könnten Trennscheiben, Maskierung der zu vernehmenden Person oder Konferenzschaltungen durchaus legitime Modifizierungen der geltenden Vernehmungspraxis darstellen. Der Konferenzschaltung sollte allerdings der Vorrang gebühren, denn trotz eingeschränkter Unmittelbarkeit sind mit ihrer Hilfe Mimik und Gestik des Zeugen genau zu beobachten. Auch kann der Zeuge unmittelbar befragt werden. Die Videokonferenzschaltung ist als prozessuale Zwischenstufe zwischen der Vollsperrung des Zeugen und seiner Vernehmung unmittelbar in der Hauptverhandlung anzusehen, diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber nunmehr im Zeugenschutzgesetz realisiert. Natürlich haben auch die positiven ausländischen Erfahrungen mit Videotechnik im Strafverfahren zu dieser Entwicklung beigetragen 100 und spätestens die gesamteuropäische Entwicklung wird dem Gesetzgeber deutlich gemacht haben, dass ein Festhalten an dem absoluten Verbot von Konferenzschaltungen sowie optischer und akustischer Abschirmungen nicht mehr zeitgemäß ist lOl • Bereits die Entschließung des Rates vom 23. No97 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 245 ff.; Beschlüsse Nr. 1.18 und 2.1 der lustizministerkonferenz vom 20.11.1995 bei Block, ZRP 1996,29; Lesch, StV 1995, 545; zuvor Vorschläge von Steinke, ZRP 1993. 255 f. 98 BT-Drs. 12/989, S. 36; zum Ausschluss kommissarischer Vernehmungen in Abwesenheit von Angeklagtem oder Verteidigung, ebenda S. 43 f. Erstaunlich ist hierbei, dass der Gesetzgeber in seiner Begründung ausschließlich auf den Beschluss des Großen Senats verweist, ebenda S. 36. Dabei hatte der Große Senat seinerseits bei der Begründung des Verbotes einer optischen und akustischen Abschirmung ausdrücklich noch auf die damals ungenügende gesetzliche Grundlage Bezug genommen, BGHSt. 32, 115 (124). Nachdem sich diese nun geändert hätte, hätten auch akustische und optische Übertragungen bei der Vernehmung zumindest überlegt werden müssen; so auch Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 247 (Fn. 228) und S. 253 (Fn. 258). 99 Zacharias, der gefährdete Zeuge, S. 250 und S. 256; Lesch, StV 1995, 545. 100 Vgl. dazu Schlüchter. Schneider-Fs., S. 459 f. und 462; Huber/Klumpe, Landesbericht England/Wales und Nordirland, S. 42 ff.; ausführlich Kapitel D. 101 Der Bericht des Rechtsausschusses vom 13.11.1997 bestätigt das Bewusstsein dieser Entwicklung, BT-Drs. 13/9063, S. 4 f.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

vember 1995 über den Schutz von Zeugen im Rahmen der Bekämpfung internationaler organisierter Kriminalität 102 enthält konkrete Vorschläge zu zeugenschützenden Vernehmungen in Strafverfahren mittels Videotechnik 103 . Die daran anschließende Entschließung des Rates vom 20. Dezember 1996 über Personen, die im Rahmen der Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität mit den lustizbehärden zusammenarbeiten 104 ersucht die Mitgliedsstaaten sogar, die Zusammenarbeit ihrer Ermittlungsbehörden auf dem Gebiet des Zeugenschutzes weiter zu verstärken und unter Beachtung der Entschließung des Rates vom 23. November 1995 für "jede Person, deren Eltern, Kinder und sonstige nahestehenden Personen geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wenn sie aufgrund ihrer Bereitschaft, mit den lustizbehörden zusammenzuarbeiten, erheblich und unmittelbar gefährdet ist oder gefahrdet sein könnte". Die audiovisuelle Vernehmungen gefährdeter Zeugen auf der Grundlage der neuen §§ 168 e und 247a StPO ist also auch Folge unionsweiter erhöhter Aufmerksamkeit für die Bekämpfung international organisierter Kriminalität. Nicht positiv geregelt ist nach wie vor die Frage nach einer Bild- und Stimmverzerrung, sollte für den Zeugen bei einer Vernehmung per Videokonferenzschaltung die Gefahr einer Identifizierung bestehen. Eine Lösung dieser Frage wird noch zu diskutieren sein 105. Als Alternative zur Vollsperrung und somit zur gänzlichen Unerreichbarkeit des Zeugen für eine Vernehmung in der Hauptverhandlung spricht allerdings viel für die Zulässigkeit dieser Vernehmungsmodalität. Gravierende Bedenken, denen nicht mit dem Gebot vorsichtiger Beweiswürdigung Rechnung getragen werden könnte, sind zumindest in der innerstaatlichen Literatur in der Zeit nach Inkrafttreten des OrgKG nicht mehr geäußert worden.

2. Einsatz zum Schutz kindlicher Zeugen Der Schutz des kindlichen Opferzeugen als schwächstes Element eines täterbezogenen Strafverfahrens ist spätestens mit Inkrafttreten des Opferschutzgesetzes von 1986 in den Blickpunkt des Interesses geraten. Auch hier waren es ausländische Erfahrungen, welche die Diskussion um Vorund Nachteile der Videovernehmung kindlicher Opfer maßgeblich beeinflussten. 102 ABI. C 327/95, S.5; Auszüge aus dem Text der Entschließung auch im 3. Teil unter B.2.c)bb)(3). bei der Erörterung der Fragen der Vernehmung von Auslandszeugen. 103 Punkte A.8, B., Entschließung des Rates vom 23. November 1995, ABI. C 327/95 S. 5. 104 ABI. C 10/97 S. 1. 105 Dazu 3. Teil Kapitel B.3.b).

C. Anfänge einer Diskussion über Videotechnik im Strafverfahren

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Gewollt war vor allem, die seelischen und körperlichen Belastungen, denen Kinder im Strafverfahren und insbesondere bei Zeugen vernehmungen ausgesetzt sind, zu vermindern 106. Die bisher von der Strafprozessordnung zu diesem Zweck bereitgestellten Schutzmechanismen wurden vielfach als unzureichend oder wirkungslos empfunden. Hauptanstoß erregte dabei die Pflicht des Kindes, gegebenenfalls wiederholt über die Tat und ihre Folgen zu berichten. Durch die dauerhafte Präsenz des Geschehens konnte eine psychische Verarbeitung der Tat dem kindlichen Opfer unmöglich gemacht, die notwendige psychotherapeutische Aufarbeitung behindert werden. Gefahr für das Wohl des verletzlichen Zeugen sah man zudem in dem Zwang zur Konfrontation mit dem Angeklagten und im Druck der häufig aggressiven Atmosphäre der Hauptverhandlung 107 . a) Closed Circuit Television (CCTV) und Videoaufzeichnungen Eine mögliche Lösung sah man darin, das Kind aus der Hauptverhandlung herauszulösen. Überlegt wurde, auf eine Vernehmung des kindlichen Zeugen in der Hauptverhandlung zu verzichten und stattdessen seine Aussage über eine bereits im Vorverfahren gefertigte Video konserve einzuführen. Die zweite Alternative bestand darin, den Zeugen per Video-Simultanübertragung von außerhalb in den Sitzungssaal zu vernehmen. Dafür orientierten sich die Autoren an der bereits in England und Wales seit Ende der achtziger Jahre praktizierten Vernehmung über CCTV, eine Zwei-WegeVernehmung des kindlichen Zeugen in die Hauptverhandlung 108. Das System warf allerdings Fragen ob seiner Vereinbarkeit mit den Prinzipien der Mündlichkeit, dem Gebot der körperlichen Anwesenheit des Zeugen in der Hauptverhandlung und dem Gebot der formellen und materiellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme auf. Die Autoren kamen aber überwiegend zu der Überzeugung, dass die durch eine Video-Simultanübertragung bedingten Einschränkungen der Prozess grundsätze im Hinblick auf die erheblich verbesserte Situation des kindlichen Zeugen und wegen seiner häufig flüssigeren, detaillierteren und mit mehr Sicherheit vorgetragenen Aussage durchaus hinnehmbar seien 109. 106 Mildenberger, Die Einführung von Videoaufzeichnungen, S. 52; Meier, GA 1995, 163. 107 AE-ZVR, S. 26 f.; 99 ff., 112 ff.; ausführlich zu den Belastungen 3. Teil Kapitel B.l.c)bb). 108 Bohlander, ZStW 107 (1997), 89 ff.; Köhnken, StV 1995, 376 ff.; auch Kapitel C.2. 109 Laubenthai, JZ 1996, 341 ff.; Meier, RdJB 1996,454 ff.; ZschockeltlWegner, NStZ 1996, 305 ff.; a. A. Hasdenteufel, Grenzen des Einsatzes von Videotechnologie, S. 24 ff. und 75 ff., insbes. 80 ff., 96 ff.; Pfäfflin, StV 1996, 98 f. 6 Swoboda

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

Videoaufzeichnungen, die eine unmittelbare Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung ersetzen sollten, stießen dagegen auf weit mehr Widerstand. Anerkannt wurde ihr erheblicher Beitrag zur Vermeidung von Mehrfachvernehmungen kindlicher Zeugen und ihr Wert bei der Wiedergabe einer tatnahen und genauen Schilderung des Tatgeschehens. Anders als bei schriftlichen Protokollaufzeichnungen würden Gestik und Mimik des Zeugen, seine Zögerlichkeit oder Spontaneität bei der Beantwortung der Fragen zusätzlich Aufschluss über seine Glaubwürdigkeit geben. Bei Schriftprotokollen war man hierfür bislang auf die - nicht selten gänzlich fehlenden Vermerke der Verhörsperson zum Vernehmungsverlauf und zu Reaktionen oder auffalligen Verhaltensweisen des Zeugen angewiesen. Unklarheit herrschte aber bereits über die Legitimationsgrundlage, auf die eine Vernehmungsaufzeichnung in Bild und Ton bzw. das Abspielen des Beweissurrogates in der Hauptverhandlung gestützt werden könnte. Mildenberger befürwortete die analoge Anwendung der Vorschriften für den Urkundsbeweis gemäß §§ 249 ff. StPO. Hinter dem "Verlesen" des urkundlichen Gedankeninhalts dürfe die mechanische Inhaltswiedergabe durch technische Beweismittel nicht zurückstehen, zumal das Videoband die authentischere, unverfälschtere Wiedergabeform ist und gerade nicht die verfremdende Handschrift desjenigen trägt, der das Vernehmungsprotokoll mit seinen eigenen Worten erstellt hat llO . Aufgezeichnet werden könnte sogar gegen den Willen des Zeugen gestützt auf die Ermächtigungsgrundlage des § 168 a Abs. 2 S. 1 StPO lll . Maier trat gar für eine direkte Anwendung der Vorschriften über den Urkundsbeweis ein, soweit das Videoband zur Wahrnehmung des darauf fixierten gedanklichen Inhalts verwendet würde. Möglich bleiben sollte weiterhin natürlich auch die Verwendung des Bandes als Augenscheinsbeweis über eine auf Video aufgezeichnete Tatsache l12 • Auch Maier vergleicht in ihrer Argumentation das "Verlesen", also die sprachliche Wiedergabe, mit dem "Hör- und Sichtbarmachen" durch Abspielen einer Videoaufzeichnung, also mit der Wiedergabe des in Form technischer Daten auf dem Band fixierten Beweisinhalts. Für unzulässig aber hält sie eine Vernehmungsaufzeichnung, die heimlich oder gegen den Willen des Vernommenen erfolgt ll3 . Zwar soll bei einer Tonbandaufnahme die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts noch zumutbar sein 114, doch da die bildliehe AufMildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 229, 262. Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 146. 112 Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 158 ff. 113 Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 131 ff. 114 Tonbandaufnahmen sind nach § 168 a Abs. 2 S. 1 StPO i. V. m. Nr. 5 a RiStBV zulässig. Ihnen kommt aber kein eigenständiger Beweiswert zu. Sie dienen nur als Übergangsform, als Hilfsmittel zur schriftlichen Aussagefixierung. § 168 a 110

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C. Anfänge einer Diskussion über Videotechnik im Strafverfahren

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zeichnung zusätzlich jede körperliche Reaktionen festhält, kann dem Zeugen ohne gesetzliche Legitimationsgrundlage hierfür keine Duldungspflicht auferlegt werden 115. Auch andere Autoren kamen zu dem Schluss, die Videotechnik als Dokumentationsmedium sei durch das geltende Recht gestattet 116. Dies zumindest, soweit der Zeuge in die Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts eingewilligt hat. Doch trotz aller Argumente für die Qualitäten eines Videoprotokolls konnte die Mehrzahl der Stimmen eine Videographie von Vernehmungen auf der Grundlage des geltenden Rechts nicht vertreten. Sie verwies auf den klaren Wortlaut der §§ 249 ff. StPO, der allein das schriftliche Vernehmungsprotokoll als verbindliche Gestaltungsform akzeptiert 1 17 ; und auf § 168 a Abs. 2 S. 1 StPO, der dem Tonband nur den Wert einer vorläufigen Aufzeichnung ohne eigene Beweisfunktion zugesteht; und dies obwohl seit den fünfziger Jahren Plädoyers für eine Gleichstellung des Tonbandes mit dem schriftlichen Vernehmungsprotokoll gehalten wurden. Selbst wenn eine Regelungslücke auf diesem Gebiet vorlag, so war sie doch keineswegs planwidrig, ein Analogieschluss also unmöglich 118.

b) Das Verfahren vor dem LG Mainz Einen Vorstoß im Einsatz von Videotechnik als Übertragungsmedium wagte das LG Mainz l19 . In den "Wormser Missbrauchsprozessen" ordnete es erstmals mit Einverständnis aller Beteiligten die Simultanübertragung der Vernehmung der betroffenen Kinder aus einem Nebenraum in den Hauptverhandlungssaal an. Vernommen wurde nach der Methode des CCTV in einer Ein-Weg-Übertragung. Der Vorsitzende verließ dafür den Sitzungssaal und begab sich zu dem Kind in das Nebenzimmer. Die sitzungspolizeilichen Befugnisse übte während dieser Zeit ein Stellvertreter für ihn aus, der zugleich auch über eine Telefonverbindung ungefiltert Beanstandungen und Anträge der Verfahrensbeteiligten dem Vorsitzenden übermittelte. Eine Kamera in feststehender Einstellung übertrug das Bild des Zeugen in Abs. 2 StPO genügt den geplanten Videoaufzeichnungen damit auch nicht annähernd als Legitimationsgrundlage. 115 Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 240 f. 116 Bohlander, ZStW 107 (1995), 112; Kintzi, DRiZ 1996, 188, 189, in Darlegung des Gutachtens der Großen Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes. Allerdings hält auch die Kommission eine gesetzliche KlarsteIlung für wünschenswert. 117 Laubenthai, JZ 1996, 340 f. 118 Meier, RdJB 1996, 455 ff.; ders., GA 1995, 164; Zschockelt/Wegner, NStZ 1996, 308; Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 246 ff. 119 Beschluss des LG Mainz vom 26.6.1995, NJW 1996,208 = StV 1995, 354. 6*

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den Sitzungssaal. Dort erschien es für alle Beteiligte gut sichtbar auf einer 2 x 2 m großen Leinwand. Einwände gegen dieses Vorgehen unter den Gesichtspunkten eines Verstoßes gegen die Gebote der Unmittelbarkeit, der körperlichen Anwesenheit des Zeugen und der Mündlichkeit der Beweisaufnahme wies das Gericht zurück. Eine mündliche Erörterung des Prozessstoffes sei erfolgt, ebenso sei dem Unmittelbarkeitsgrundsatz Rechnung getragen worden, indem anstatt auf die Verlesung von Vernehmungsprotokollen früherer richterlicher Vernehmungen auf den Aussageurheber direkt, also das Kind, zurückgegriffen wurde. Durch Vermeidung eines Ausweichens auf Beweissurrogate sei zudem das Konfrontationsrecht der Beschuldigten umfassend gewahrt worden. Eventuelle Verzögerungen bei der Übermittlung von Beanstandungen und Fragen an den Zeugen durch die Telefonverbindung hätten die Rechte der Verteidigung nicht beeinträchtigt. Der Schutz der kindlichen Zeugen wäre zudem durch andere Maßnahmen, etwa dem Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 Nr. 4 GVG oder durch den Ausschluss der Angeklagten nach § 247 S. 2 1. Alt. StPO nicht effektiv gewährleistet worden, denn trotz dieser Maßnahmen hätten sie sich in der Hauptverhandlung mit bis zu 63 Personen konfrontiert gesehen, darunter 13 Angeklagte, 26 Verteidiger, 2 Staatsanwälte, 7 Nebenkläger, 7 Sachverständige, 7 weitere Richter und Ergänzungsrichter bzw. Schöffen und ein Protokollführer. Ein Ausweichen auf die Vernehmung über CCTV war unvermeidlich, wollte man den verletzlichen Zeugen weitere Belastungen durch das Verfahren zu ersparen. Das "Mainzer Modell" hat im Folgenden der Kritik nicht standhalten können 120. Nicht die Videoübertragung ohne gesetzliche Grundlage erregte dabei den meisten Anstoß, sondern die Einführung einer sogenannten "gespaltenen Hauptverhandlung", d.h. die Entfernung des Vorsitzenden aus dem Sitzungssaal l2l . Eine Delegation auch nur sitzungspolizeilicher Befugnisse des Vorsitzenden auf einen Stellvertreter sieht die Strafprozessordnung in § 238 Abs. 1 StPO nicht vor. Eine Entfernung des Vorsitzenden aus der Hauptverhandlung verletzt zudem das Gebot der ununterbrochenen Gegenwart aller zur Urteilsfindung berufenen Personen nach § 226 StPO. Auch eine nur kurzzeitige Abwesenheit des Vorsitzenden hat die zahlenmäßig unrichtige Besetzung des Spruchkörpers und damit die Revisibilität nach 120 Hasdenteufel, Grenzen des Einsatzes von Videotechnologie S. 80 ff.; Geppert, Jura 1996, 552 ff.; Mehle, StraFo 1996, 2; Laubenthai, JZ 1996, 343; mit dem bis dahin geltenden Recht für vereinbar halten das Mainzer Modell dagegen Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 121 ff.; und Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 144 ff. 121 Dahs, NJW 1996, 178; Hasdenteufel, Grenzen des Einsatzes von Videotechnologie, S. 85 ff.; Geppert, Jura 1996, 553; Meier, RdJB 1996, 454 f.; Kintzi, DRiZ 1996, 189.

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§ 338 Nr. 1 StPO zur Folge. Die körperliche und geistige Anwesenheit der in § 226 StPO genannten Personen während der gesamten Dauer des Verfahrens kann nicht durch eine einseitige Bi1d- und Tonübertragung in die Hauptverhandlung ersetzt werden. Der nur durch eine Telefonleitung mit dem Sitzungssaal verbundene Richter steht einem schlafenden, blinden oder tauben Richter in nichts nach 122 . Weitgehend akzeptiert wurde dagegen die Vereinbarkeit der Simultanübertragung mit dem Gebot der materiellen Unmittelbarkeit, denn die Entfernung des Zeugen aus dem Sitzungssaal ermöglicht überhaupt erst eine unmittelbare Vernehmung desselben und macht einen Rückgriff auf die für die Urteilsfindung wesentlich problematischeren Beweissurrogate überflüssig. Das Prinzip der formellen Unmittelbarkeit indessen ist tatsächlich berührt. Eine formelle Unmittelbarkeit der Beweiserhebung verlangt vom erkennenden Gericht, die Beweiserhebung in Form einer "sinnlichen Wahrnehmung" in der Hauptverhandlung durchzuführen 123. Dies ergibt sich aus § 250 S. 1 StPO, wonach eine Person "in der Hauptverhandlung" zu vernehmen ist oder aus § 261 StPO, gemäß dem das Gericht seine Überzeugung aus dem "Inbegriff der Verhandlung" zu schöpfen hat. Berührt wird der Grundsatz vor allem dadurch, dass der Vorsitzende beim Mainzer Modell aufgrund seiner räumlichen Abwesenheit nicht in der Lage ist, die Vorgänge im Sitzungssaal selbst aus eigenem Erleben wahrzunehmen. Dass er in der Lage ist, den Zeugen im Vernehmungszimmer wahrzunehmen und mit seinem Stellvertreter in telefonischen Kontakt treten kann, wiegen diese Mängel nicht autI 24 . So kann der Vorsitzende zwar die Mimik und Gestik der Auskunftsperson verfolgen und in seine Beweiswürdigung miteinbeziehen, nicht beobachten aber kann er die Reaktionen des Angeklagten. Bei der Beweiswürdigung ist es für den Vorsitzende später deswegen auch ausgeschlossen, aus einer in der Hauptverhandlung durch ihn selbst gewonnenen Überzeugung zu schöpfen. Dazu ist er auf die Mitteilungen seiner Amtskollegen angewiesen, die ihn nachträglich über den Verlauf der Verhandlung im Sitzungssaal ins Bild setzen. Zudem muss der Vorsitzende bei eventuellen Beanstandungen die Vernehmung des Kindes unterbrechen und in den Sitzungssaal zurückkehren, 122 Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 365; zum blinden Richter s. Geppert, Unmittelbarkeit, S. 147 f.; Lesch, JA 1995, 692. 123 Geppert, Unmittelbarkeit, S. 122 ff., 136 ff.; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 24 und 410. 124 Geppert, Jura 1996, 553; Meier, RdJB 1996,455; Mildenberger hält es dagegen für ausreichend, dass der Vorsitzende den wichtigeren und wesentlichen Teil der Hauptverhandlung im Nebenzimmer mitverfolgen kann, Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 128. Aber sie setzt sich nicht speziell mit der Verletzung des formellen Unmittelbarkeitsprinzips auseinander.

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um die Verhandlungsleitung i. S. d. § 238 Abs. 1 StPO in der folgenden Diskussion wahrzunehmen. Ob bei der Gefahr wiederholter Unterbrechung eine, die Belangen des Kindes wahrende, vyrtrauensvolle und natürliche Vernehmungsatmosphäre tatsächlich geschaffen werden kann, wie es das Ziel des Gerichts war, ist berechtigt in Zweifel gezogen worden. Zumindest wird ein rücksichtsvolles Verhalten aller Verfahrensbeteiligten vorauszusetzen sein, damit diese Unterbrechungen dem Rhythmus der bei der Vernehmung eines kindlichen Zeugen ohnehin notwendigen Erholungspausen angeglichen werden können. Eine negative Einflussnahme der Videoübertragung auf die Aussage der Kinder, etwa in dem Sinn, dass sie befangen, gehemmt oder nicht wahrheitsgemäß Auskunft gaben, konnte im Mainzer Verfahren nicht festgestellt werden 125 • Im Gegenteil, die Kinder wirkten ruhiger, bereiter zur Aussage, da das zahlreiche Publikum und die davon ausgehenden Störungen nicht mehr durch den Zeugen unmittelbar wahrgenommen werden konnten. Allerdings konnte nicht verhindert werden, dass Kinder sich vor der Kamera zu profilieren versuchten. Es wurde aber nicht dargelegt, dass dies den Lauf der Vernehmung nachhaltig behindert hätte. Außerdem zeigen Auswertungen über das Aussageverhalten jugendlicher Opferzeugen in Sexualstrafverfahren, dass ohnedies in fast der Hälfte der Verfahren das Aussageverhalten des Zeugen durch besondere belastungsinduzierte Verhaltensweisen gekennzeichnet ist 126 . Es zeigen sich Nervosität, Hemmungen, Angst, Verwirrung, Verweigerung. Auch Zusammenbrüche und ein eher atypisches Verhalten wie Wichtigtuerei kamen vor. Die festgestellten atypischen Verhaltensweisen im Mainzer Verfahren können also unmittelbar auf die Situationsbelastungen zurückgeführt werden. Ein Bezug zur Videotechnik ist nicht zwingend. Von Prozessbeobachtern kritisiert wurden formale Unzulänglichkeiten des in Mainz praktizierten Verfahrens. So konnte der Aufenthaltsort des kindlichen Zeugen bei Unterbrechungen der Vernehmung von den Verfahrensbeteiligten nicht festgestellt werden, da das Kind regelmäßig den Bildausschnitt verließ 127. Auch eine eventuelle Einflussnahme durch Dritte auf das Kind hätte zu diesem Zeitpunkt unbeobachtet stattfinden können. In der Literatur wird aus diesem Grund vorgeschlagen, eine schwenkbare Kamera, durch die Bewegungen des Zeugen auch in den Vernehmungspausen nachvollzogen werden können, bzw. zwei Kameras einzusetzen. Bei zwei Kameras könnte eine Kameraeinstellung Mimik und Gestik der vernommenen 125 Rede des Bundestagsabgeordneten van Essen, BT-Plenarprotokolle 13/89, S. 7896 (C). 126 Störzer, MschrKrim 1977, 379. 127 Jansen, StV 1996, 123 f.; Strate, StraFo 1996,4 f.

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Person in Großaufnahme erfassen und die andere einen Überblick über das Vernehmungszimmer und die darin anwesenden Personen gewährleisten 128. Kritisiert wurde auch die zwischen Sitzungssaal und Nebenzimmer bestehende Telefonverbindung. Eine Kommunikation mit dem Vorsitzenden und eine Einbindung der Zeugenvernehmung in das Prozessgeschehen, wie sie sonst bei Vernehmungen in der Hauptverhandlung durch den direkten Kontakt zwischen Gericht, Anklage, Verteidigung und vernommener Person möglich ist, konnte dadurch nicht gewährleistet werden. So entgingen den Prozessbeteiligten in einigen Momenten Antworten des Zeugen, weil sie im Sitzungssaal durch Diskussionen über die Zulässigkeit einer Frage abgelenkt wurden. Umgekehrt konnten dem Vorsitzenden Beanstandungen nur mit erheblicher Verzögerung mitgeteilt werden. Teilweise erst dann, wenn der Zeuge die gestellte Frage schon beantwortet hatte l29 . Eingeschränkt waren damit wesentliche dialektische Aspekte des Mündlichkeitsprinzips. Rede und Gegenrede, die Möglichkeit einer schnellen Berichtigung oder Ergänzung, insgesamt ein Dialog zwischen den Verfahrens beteiligten 130, konnte nicht zustande kommen. Der Gesetzgeber hat dieser vehementen Kritik gegen die sogenannte "gespaltene Hauptverhandlung" in § 247 a StPO Rechnung getragen. Fortan kommt eine Abwesenheit des Vorsitzenden nicht mehr in Frage. Ausschließlich der Zeuge wird von einem "anderen Ort" in die Hauptverhandlung zuge schaltet. Ausschlaggebend mag dafür auch die Überlegung gewesen sein, dass eine Abwesenheit des Vorsitzenden überhaupt nur in Strafverfahren vor einer großen Strafkammer nach § 76 Abs. I und 2 GVG bzw. vor einem erweiterten Schöffengericht gemäß § 29 Abs. 2 GVG praktikabel ist 131 . In der Literatur wurde dieser Frage allerdings geringe Aufmerksamkeit entgegengebracht, weil die Straferwartung in Fällen des Kindesrnissbrauchs in der Regel die Verhandlung vor einem Schöffengericht erforderlich machen wird 132. Der Gesetzgeber hat letztlich der englischen Variante einer Zwei-WegeÜbertragung den Vorzug gegeben. Der Zeuge und gegebenenfalls eine Begleitperson halten sich dabei in einem anderen Raum auf und werden per 128 Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 147; Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 238, führt die ungewöhnlichen Verhaltensweisen generell auf die direkte Beobachtung durch andere Personen zurück. Sie treten also auf unabhängig davon, ob die Beobachter unmittelbar im Raum gegenwärtig sind oder ob die Beobachtung mittels technischer Einrichtungen stattfindet. 129 Jansen, StV 1996, 124. 130 Geppert, Jura 1996, 554; Hasdenteufel, Grenzen des Einsatzes von Videotechnologie, S. 81. 13l Böhm, ZRP 1996, 260 f. 132 Böhm, ZRP 1996, 261.

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Videostandleitung in die laufende Hauptverhandlung zugeschaltet\33. Das so geschaffene Zeugenschutzmodell kann den verletzlichen Zeugen ebenso berücksichtigt wie solche Zeugen, denen aufgrund einer Gefährdung, aufgrund weiter Entfernung oder aus anderen Gründen ein Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Die Diskussion um eine Verfahrensregelung nach Maßgabe des Mainzer Modells ist damit aber noch nicht abgeschlossen. Kritik an § 247 a StPO kommt insbesondere aus den Bundesländern, von denen einige bei Kinderzeugen gerne zum Mainzer Modell zurückkehren würden l34 .

3. Einsatz zur Verfahrens beschleunigung Videokonserven zur Ersetzung von Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung sind außerdem im Zusammenhang mit Ideen zur Verfahrensbeschleunigung genannt worden. Die getreuliche Rekonstruktion früherer Aussagen mit Hilfe der Videographie könnte einen erheblichen Beitrag zur Wahrheitsfindung leisten und gleichzeitig langwierige Beweisermittlungen in der Hauptverhandlung überflüssig machen. Eine Vorreiterrolle kommt hierbei Gössel zu, der in Anlehnung an positive Erfahrungsberichte über die Verwendung videographischer Aufzeichnungen in Kanada und England eine - zumindest probeweise - Zulassung von Bild- und Tonaufzeichnungen von Vernehmungen in der Hauptverhandlung empfiehlt I35 • Die videographische Aufzeichnung jeder Erstvernehmung, sei es die des Beschuldigten oder die eines Tatzeugen, wird in diesem Vorschlag zum Regelfall. Ein Rückgriff auf das "tatnächste", unmittelbare Beweismittel, namentlich auf den Urheber der videographierten Aussage, wird nur in ergänzender Funktion vorgesehen, also dann, wenn in der Erstvernehmung entscheidende schuld- und strafmaßrelevante Umstände nicht zur Sprache gekommen sind. Ersetzt werden kann die unmittelbare Einvernahme eines Zeugen in der Hauptverhandlung aber nur, wenn Staatsanwaltschaft, der Beschuldigte und Verteidigung die Gelegenheit hatten, an der früheren Vernehmung teilzunehmen und ihr Fragerecht unbeschränkt auszuüben. Beabsichtigt ist, tatnahe, von Erinnerungslücken und Verteidigungsstrategien unbeeinflusste Aussagen im Hauptverfahren zur Verfügung zu haben, wobei der Verlust an Unmittelbarkeit dann durch die Garantie bestmöglicher Beweisqualität und 133 BT-Drs. 13/4983, S. 10; 1317165 S. 9 f.; Modelle dieser Fonn finden sich etwa in § 241 a Abs. 2 S. 2 AE-ZVR; § 247 a StPO nach dem von Keiser entwickelten Modell, Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 365 ff. 134 Dazu Kapitel E sowie der Bundesratsentwurf BT-Drs. 14/4661, S. 2, 7,11. 135 Gössel, Gutachten C zum 60. DJT, S. 59; dazu Schlüchter, GA 1994,423.

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durch die Sicherung der Beteiligungs- und Fragerechte bei der Beweiserhebung ausgeglichen werden soll 136. Zur Untermauerung dieser Argumente lässt sich weiter anführen, dass es nach Europäischer Rechtsprechung nicht unbedingt zwingendes rechtsstaatliches Gebot ist, die Glaubwürdigkeit des herangezogenen Beweismittels und seinen Beweiswerte nur im Stadium der Hauptverhandlung zu überprüfen 13 ? Zwar hält das deutsche Strafverfahren bislang mit durchaus starken Argumenten daran fest, dass bestmögliche Beweisqualität nur durch das Gebot der Unmittelbarkeit gewährleistet werden kann 138, doch zeigen Erfahrungen des europäischen Auslandes, dass ein striktes Beharren auf dieser Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung nicht unverzichtbar ist. Die Einschränkungen der Beschuldigtenrechte sind allerdings im Lauf des Verfahrens auszugleichen, beispielsweise durch eine kritische Würdigung von Glaubwürdigkeit und Wert des im Vorverfahren gewonnenen Beweises I39 . Dem vorgestellten Beschleunigungsmodell ist letzten Endes in der Literatur mehrheitlich Ablehnung entgegengebracht worden. Dies mit guten Gründen. Ein Abgehen von dem bisherigen Standard einer gründlichen und sorgfältigen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung mag zwar im internationalen Vergleich nicht als Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit Beachtung finden, kann aber nach der gegenwärtigen Struktur des Ermittlungsverfahrens nicht ausreichend für hohe Beweisqualität und Wahrung der Beteiligungsrechte des Beschuldigten Sorge tragen. Zumindest nicht, solange die Bestellung eines Verteidigers nach § 141 Abs. 3 StPO während des Vorverfahrens nicht in allen Fällen sichergestellt werden kann, d. h. die aufge136 Gössel, Gutachten C zum 60. DJT, S. 59; Perron, 1Z 1994, 824; Meyer, ZStW 105 (1993), 390. l37 Schleiminger, Konfrontation im Strafprozess, S. 10 (Fn. 14), 13 (Fn. 24). 138 Geppert, Unmittelbarkeit, S. 136 ff. und S. 162 ff. 139 Perron, 1Z 1994, 824; Müller, DRiZ 1993, 381 ff., schildert die Versuchsverhandlung ein und desselben Sachverhalts nach den unterschiedlichen europäischen Verfahrensordnungen. Das deutsche Verfahren erweis sich dabei als das in der Beweisaufnahme gründlichste, wäre aber an seinen Anforderungen dabei fast gescheitert, S. 384; Einen Vergleich der europäischen Modelle der mittelbaren Einführung von Wahrnehmungen des Zeugen in die Hauptverhandlung findet sich bei Hünerfeld, Zeugenschutz durch Verkürzung oder Vorenthaitung von Angaben zur Person. Von großer Relevanz sind dabei die Länderberichte Dänemark (S. 15), England (S. 48 ff.), Niederlande (S. 133 ff.) und Schweiz (S. 193 ff.). Die dortigen Modelle sind allerdings durch die in den Berichten genannten Urteile des EGMR zur Verletzung des Konfrontationsrechts des Angeklagten nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK stark in die Kritik geraten. Einen rechtsvergleichenden Überblick über die Ersetzung unmittelbarer Vernehmungen gibt auch Perron, Die Beweisaufnahme im Strafverfahrensrecht des Auslands: für England und Wales (S. 44 ff.); Frankreich (S. 112 f.), Italien (S. 173 ff.), Niederlande (S. 299 ff.), Österreich (S. 362 ff.), Schweden (S. 456 ff.).

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zeichnete Erstvernehmung zwar unter Teilnahme des Beschuldigten, möglicherweise aber nur eines unverteidigten Beschuldigten stattfinden kann. Schlüchter versucht, diesen Nachteil durch ein späteres Widerspruchsrecht des unverteidigten Beschuldigten gegen die Einführung der Vernehmungsaufzeichnung in die Hauptverhandlung aufzufangen 140. Dies würde aber wiederum den Reformzielen der Entlastung des Gerichts und der Verfahrensbeschleunigung zuwiderlaufen. Berechtigt wurde auch in Frage gestellt, ob das Abspielen einer Vernehmungsaufzeichnung tatsächlich zur Beschleunigung der Beweisaufnahme beitragen könnte. Das Abspielen einer vorgefertigten Aufzeichnung mag nicht weniger zeitintensiv sein als die unmittelbare Vernehmung l41 . Kommen in der Erstvernehmung außerdem schuld- oder strafmaßrelevante Aspekt überhaupt nicht zur Sprache, wird eine Ladung und Einvernahme des Zeugen zusätzlich erforderlich. Auch kann beim Abspielen einer Aufzeichnung nicht punktuell befragt werden. Dies aber mag von Interesse sein, wenn der Angeklagte ein Teilgeständnis abgelegt hat und das Gericht nur noch einzelne Informationen benötigt. In Frage gestellt wird zudem, ob das Gericht so einfach auf einen Dialog mit der Auskunftsperson verzichten kann, vor allem wenn es darum geht, sich einen persönlichen Eindruck von ihr zu verschaffen 142. Nicht von der Hand zu weisen ist der von Gössel erkannte Wert der Videographie für die Sicherung tatnaher und damit wahrscheinlich zuverlässiger Informationen über das Tatgeschehen. Nur die Idee einer vollständigen Ersetzung von Vernehmungen durch das Abspielen von Bild- und Tonaufzeichnungen lässt sich schwer in die Struktur des deutschen Verfahrensrechts einfügen.

D. Erfahrungen mit der Videotechnik im Ausland Die Bundesrepublik hat die neuen Medien in Haupt- und Ermittlungsverfahren nur sehr zögerlich gebilligt. Die Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Videotechnik kommt anderen Staaten des europäischen Auslandes, vor allem aber die Staaten des angloamerikanischen Rechtsraumes zu. Ihre Erfahrungen sollen im Folgenden dargestellt werden. Da auf die Ideen des Auslandes im Verlauf der Untersuchung noch mehrfach zurückzugreifen sein wird, muss dieser Überblick teilweise sehr ausführlich erfolgen. Dies insbesondere auch dort, wo die Videotechnik nicht dem Zeugenschutz dient, denn gesammelt werden sollen hier vor allem Ideen zu Einsatzformen und 140 141 142

Schlüchter, GA 1994, 424. Perron, JZ 1994, 824. Schlüchter, GA 1994, 424.

D. Erfahrungen mit der Videotechnik im Ausland

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prozessualer Einbettung der Videotechnik im Strafverfahren. Ausgehend von diesen Ideen wird später noch die Frage zu beantworten sein, was sich davon auch in der Bundesrepublik umsetzen lässt und wie diese Umsetzung aussehen könnte.

1. Vereinigte Staaten von Amerika Vorgesehen sind in den einzelstaatlichen Rechtsordnungen Videoaufzeichnungen zur Beweissicherung und deren ergänzende Einführung in die Hauptverhandlung sowie Videosimultanübertragungen von Vernehmungen verletzlicher Zeugen, sog. Closed Circuit Television. Videoaufzeichnungen im Ennittlungsverfahren können als videotaped statements 143 oder videotaped testimonies l44 erfolgen 145. In Ausgestaltung und in ihren Voraussetzungen fallen die Zeugen schutzmodelle allerdings recht unterschiedlich aus. Während im rechtsvergleichenden Querschnitt Videotechnik hauptsächlich zum Schutz kindlicher Opjerzeugen Anwendung findet l46 , erlauben einige Staaten zusätzlich, auch die Aussagen erwachsener Zeugen mit Hilfe von Videoaufzeichnungen oder Closed Circuit Television in die Hauptverhandlung einzuführen. Diese Zugeständnisse betreffen regelmäßig Opferzeugen, die bei einer Vernehmung im Gerichtssaal schweren emotionalen oder psychischen Belastungen ausgesetzt wären. Weiter gibt es beweissichernde Videoaufzeichnungen l47 . Schon in den siebziger Jahren wurde offenkundig, dass der Schutz kindlicher Zeugen in den USA ein Anliegen von besonderer Dringlichkeit ist l48 , denn das dem US-amerikanischen Strafprozess zugrundeliegende adversatorische Prinzip verpflichtet zunächst jeden Zeugen, ohne Rücksicht auf sein Alter oder seine Verletzlichkeit, in der Hauptverhandlung für ein 143 Auch "videotaped interviews" genannt, sie bezeichnen die Dokumentation nicht förmlicher, d.h. nicht durch das Gericht durchgeführter Vernehmungen im Vorverfahren. 144 Auch "videotaped depositions" genannt, sie stellen die Aufzeichnung einer fönnlichen Vernehmung dar, d.h. einer eidlichen Aussage, die in Anwesenheit und unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten unter Leitung des Gerichts zustande gekommen ist. 145 Nachweise zum Recht der einzelnen Staaten bei Bohlander, ZStW 107 (1995),96; Maryland v. Craig, 110 S. Ct. 3157 (1990), 3167 ff. (Fn. 2, 3 und 4); Sanders, Saint Louis University Law Journal, Vol. 35 (1991),497 (Fn. 22). 146 Z. B. § 3509 Unites States Code of Crimes and Criminal Procedure (West' s United States Code Annotated 2000). 147 § 190.32 New York Criminal Procedure Law (McKinney Supp. 1990). 148 Lang, Florida State University Law Review, Vol. 18, (1991), 323 ff.; umfassend zu den einzelnen Belastungsfaktoren und möglichen Lösungen Goodman et al., Testifying in Criminal Court.

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oft aggressiv geführtes Kreuzverhör (cross-examination) der Verteidigung zur Verfügung zu stehen. Die für Kinder damit verbundenen zusätzlichen Belastungen führten in der Praxis nicht selten dazu, dass der Zeuge bei Befragung stumm blieb 149 , im Zeugenstand zusammenbrach oder die Eltern das Kind für eine Aussage in der Hauptverhandlung gänzlich "sperrten", um die befürchtete zusätzliche Traumatisierung durch das Verfahren zu vermeiden. In der Befürchtung, der einzige (kindliche) Belastungszeuge würde angstbedingt nicht aussagefähig sein, sah auch die Staatsanwaltschaft oft davon ab, Vorwürfe sexuellen Missbrauchs oder sexueller Belästigung überhaupt vor Gericht zu bringen. In anderen Fällen war sie dazu gezwungen, die Strafverfolgung vorzeitig aufgeben, da sich das Kind nach traumatisierenden Erfahrungen im Strafverfahren nicht mehr zur Aussage bereit oder fähig zeigte. Das Kreuzverhör, verbunden mit der Pflicht, dem Angeklagten im Gerichtssaal physisch gegenüberzutreten, wurde damit nicht nur für den kindlichen Zeugen zur unüberwindbaren Belastung, auch die Wahrheitsfindung war betroffen. a) "Confrontation Rule", "Hearsay Evidence" und Vernehmungsaufzeichnungen Verbürgt wird dem Beschuldigten das Recht auf physische Konfrontation mit dem Belastungszeugen und zu dessen Befragung in einem von der Verteidigung geführten Kreuzverhör durch die im VI. Amendment der Bundesverfassung verankerte "confrontation rule"150. Sie findet sich fast wortgleich oder durch das Verlangen nach einer Konfrontation von Angesicht zu Angesicht 151 verschärft in den Verfassungen der einzelnen Staaten wieder. Gefeiert als historische Errungenschaft im Dienste der Wahrheitsermittlung, soll in dieser Form die Glaubwürdigkeit und bestmögliche Überprüfung des Zeugenbeweises sichergestellt werden I52 . 149 Eine von Hili/Hili, Michigan Law Review, Vol. 85 (1987), 813 ff., beschriebene Studie über das Aussageverhalten kindlicher Zeugen im Gerichtssaal belegte eindeutig die Vermutung, dass die Qualität kindlicher Aussagen durch Angst und Nervosität erheblich einbüßt. Dabei waren die befragten Kinder weder Opfer der von ihnen zu berichtenden Tat, noch deren unmittelbare Zeugen. So konnten etwa nur wenige Kinder den Angeklagten im Gerichtssaal positiv als Täter identifizieren. Dabei ließ das Verhalten der übrigen Testpersonen durchaus die Vermutung zu, dass sie den Angeklagten als Täter wiedererkannt hatten, ihn aber aus Angst oder Unsicherheit nicht identifizieren wollten. 150 "In all criminal prosecutions, the accused shall enjoy the right ... to be confronted with the witnesses against hirn". Durch das XIV. Amendment der Bundesverfassung wird dieser Grundsatz auf die einzel staatlichen Verfassungen ausgedehnt, Pointer v. State 0/ Texas, 380 U.S. 400 (1965), 405. 151 "to meet the witness face to face", z. B. § 11 Kentucky Bill of Rights; § 9 Pennsylvania Declaration of Rights.

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Die höchstrichterliche Rechtsprechung entnimmt dem Recht auf Konfrontation nach dem VI. Verfassungszusatz üblicherweise vier Elemente, denen das Strafverfahren bei der Vernehmung des Zeugen genügen muss. Grundsätzlich zu gewährleisten sind (a) die Aussage des Zeugen unter Eid, (b) eine Gegenüberstellung des Beschuldigten und des Belastungszeugen von Angesicht zu Angesicht, (c) eine Möglichkeit für die Verteidigung, den Belastungszeugen ins Kreuzverhör zu nehmen und (d) die zur Wahrheitsfindung berufenen Personen müssen das Verhalten des Befragten bei der Vernehmung beobachten und sich auf diese Weise ein Bild von dessen Glaubwürdigkeit verschaffen können 153 . Auch alternative Vernehmungsformen müssen diesen strengen verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen. Eine vollständige Ersetzung der Zeugenaussage durch vorgefertigte Aussageaufzeichnungen aber kollidiert mit dem Verbot des Beweises vom Hörensagen (hearsay evidence) 154. Zwar kann auch ein mittelbarer Beweis für die Hauptverhandlung zugelassen werden, allerdings muss er unter eine der traditionellen Ausnahmen zum Unmittelbarkeitsgrundsatz fallen 155. Zu diesen Ausnahmen zählen beispielsweise Aussagen, die aufgrund der Umstände ihrer Äußerung von vornherein als glaubwürdig angesehen werden 156 , spontane Schilderungen des Tatverlaufs etwa, die der Zeuge noch in erregtem Zustand unmittelbar nach der Tat gegenüber einem Dritten äußert (excited utterance exception) oder Aussagen von Kleinkindern, die auf sexuellen Missbrauch hinweisen und Angaben von Opferzeugen, wenn sie einem Arzt gegenüber anlässlich einer medizinischen Untersuchung geäußert wurden (medicaf diagnosis exception)157. Doch solche Aussagen werden die Videodokumentationen nur selten erfassen. Andere Äußerungen sind entgegen der hearsay rufe vor Gericht nur verwendbar, soweit ihr Urheber in der Hauptverhandlung nachweisbar unerreichbar ist oder er vor Gericht erscheint und seine Aussage bekräftigt oder 152 Maryland v. Craig, 110 S. Ct. 3157 (1990), 3159; Mit Verweis auf historische und literarische Zitate Justice Scalia in Coy v. Iowa, 108 S. Ct. 2798 (1988), 2800 ff.; zur Herkunft des VI. Verfassungszusatzes auch Cullen, New England Journal on Criminal and Civil Confinement, Val. 19 (1993), 153 ff. 153 Califomia v. Green, 399 U.S. 149 (1970); Douglas v. Alabarna, 380 U.S. 415 (1965); Hill/Hill, Michigan Law Review, Val. 85 (1987), 826; Maryland v. Craig, 110 S. Ct. 3157 (1990), 3163; Pennsylvania v. Ritchie, 480 U.S. 39, 51 (1987); Delaware v. Fensterer, 474 U.S. 15, 19 f. (1985). 154 Walther, Landesbericht USA, S. 256; State v. Ashfour, 555 So. 2d. 1280 (1990), 1282. 155 Grundlegend zum Verbot des Beweises vom Hörensagen und seiner Ausnahmen Ohio v. Roberts, 448 U.S. 65 (1980). 156 Tharnan, Landesbericht USA, S. 509. 157 Für weitere Beispiele sog. inhärent glaubwürdiger Aussagen s. PerrylWrightsman, The Child Witness, S. 169.

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widerlegt oder mit ihrer Hilfe sein Gedächtnis auffrischt. Insgesamt wird damit für eine Verwertbarkeit der Vernehmungsdokumentation vorausgesetzt, dass für die Glaubwürdigkeit der festgehaltenen Aussage überzeugenden Indizien vorliegen und das Kind entweder in der Hauptverhandlung für eine Vernehmung unmittelbar zur Verfügung steht oder im Zeitpunkt der Verhandlung unerreichbar ist l58 . Einige Staaten erlauben die Verwertung der Video aufzeichnungen in der Hauptverhandlung auch dann, wenn die Konfrontation mit dem Angeklagten bereits in einem frühere Verfahrensstadium stattgefunden hat, d.h. der Angeklagte und sein Verteidiger sind bei der Vernehmungsaufzeichnung anwesend waren und den Zeugen dort einem Kreuzverhör unterziehen konnten l59 . Dem Zeugen wird so zwar nicht die Begegnung mit dem Angeklagten, aber doch wenigstens die konfliktgeladene Gerichtsatmosphäre erspart 160. In einigen Staaten können zudem "videotaped statements", d.h. Aussagen des Kindes, die ohne Kreuzverhör durch die Verteidigung aufgezeichnet wurden, in der Hauptverhandlung zugelassen werden, sofern das Kind dort im Zeugenstand für eine Vernehmung durch die Verteidigung zur Verfügung steht. Umgekehrt schließen diese Staaten ein Kreuzverhör in der Hauptverhandlung aus, sofern die Verteidigung schon bei der Aufzeichnung Gelegenheit hatte, den Zeugen zu befragen. 158 Geht es um die Einführung einer früheren Vernehmung, einer deposition oder einer anderen eidlichen Aussage, kann auch nach der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court in White v. Illinois, 112 S. Ct. 736 (1992), 741 bis 743, der Nachweis einer Unerreichbarkeit des Zeugen nicht entfallen. Dagegen wurde für die Einführung anderer Aussagesurrogate bei genügender Glaubwürdigkeit diese Voraussetzung gelockert; Thaman, Landesbericht USA, S. 511 (Fn. 112). 159 SO Z. B. in Colorado, South Dakota, California; dazu Hill/HilI, Michigan Law Review, Vol. 85 (1987), 822 f; Nachweise bei Spencer/Flin, The Evidence of Children, S. 167 f; Nur wenige Staaten ersparen dem kindlichen Zeugen die optische und akustische Wahrnehmung des Angeklagten auch bei Aufzeichnung der frühen Aussage, Cashmore, Monash University Law Review, Vol. 16, No. 2 [1990], 235. Der Angeklagte kann aber die Vernehmung gegebenenfalls über eine Fernsehschaltung mitverfolgen. Die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme mit seinem im Vernehmungsraum befindlichen Verteidiger muss jederzeit gewährleistet sein, § 3509.(b) (2) (B) (iv) United States Code of Crimes and Criminal Procedure (West's United States Code Ann. 20(0), V.S. v. Miguel, C. A. 9 (Ariz.) 1997, 111 f 3d. 666. 160 Dem Zeugenschutz kaum dienen können allerdings die Regelungen in New Mexico, Arkansas und Wisconsin. Die Befragung durch den Verteidiger darf dort auch im Hauptverfahren nicht durch das Abspielen eines "videotaped testimony" ersetzt werden. Gleichzeitig muss bereits bei der Aufzeichnung der förmlichen Vorvernehmung die physische Konfrontation mit dem Angeklagten sowie das Kreuzverhör durch die Verteidigung gewährleistet sein. Die Belastungen für kindliche Zeugen werden mit dieser Prozedur unverständlicherweise verdoppelt.

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Das strenge Beharren auf einer Konfrontation mit dem Angeklagten macht verständlich, weshalb von der Möglichkeit der Verwendung vorab aufgezeichneter Aussagen in den USA immer noch nur recht zurückhaltend Gebrauch gemacht wird 161 . Während eine Abschirmung des Zeugen vor dem Angeklagtem und der Verteidigung die Gefahr einer verfassungswidrigen Beschneidung des Konfrontationsrechts in sich birgt, kann bei Gewährung dieser Verteidigungsrechte eine konsistente und vollständige Aussage des durch diese Konfrontation mit dem Angeklagten emotional stark belasteten (Opfer)zeugen nicht gesichert werden. b) Closed Circuit Television für kindliche und verletzliche Zeugen

Mit geringerem Fehler- und Revisionsrisiko lässt sich eine Videosimultanübertragung der Aussagen kindlicher oder anderer verletzlicher Zeugen in die Hauptverhandlung bewerkstelligen. Zwar beurteilte der United States Supreme Court noch in Coy v. Iowa 162 die Einschränkung der physischen Konfrontation von Zeuge und Angeklagtem durch einen zwischen beiden aufgestellten Sichtschirm als verfassungswidrig. Doch insbesondere das zustimmende Votum von lustice O'Connor ließ keinen Zweifel daran, dass das Recht auf Gegenüberstellung von Angesicht zu Angesicht bei Konflikt mit gegenläufigen zwingenden Interessen gleichwohl auch zurückstehen kann 163 . Die Wende vollzog sich in Maryland v. Craig l64 . Der Obersten Gerichtshof bestätigte darin die Verfassungsmäßigkeit einer Verfahrensvorschrift des Staates Maryland, die dem Richter die Anordnung einer Ein-Weg-Simultanübertragung kindlicher Zeugenaussagen in die Hauptverhandlung gestattet. Vorauszugehen hat dieser Anordnung die einzelfallbezogene Feststellung, das Kind würde durch die Belastungen des Verfahrens in seiner Aussagefä161 Spencer/Flin, The Evidence of Children, S. 167 f.; Cashmore, Monash University Law Review, Vol. 16, No. 2 [1990], 229. 162 Coy v. lowa, 487 U.S. 1012 (1988). 163 Coy v. lowa, 487 U.S. 1012 (1988), 280412805 : "But it is not novel to recognize that a defendant's right physically to face those who testify against hirn ... is not absolute"; "Thus I would permit the use of a particular procedure that called for something other than face-to-face confrontation is that procedure was necessary to further an important public policy". Nicht die durch den Sichtschirm bewirkte Relativierung des Rechts auf physische Konfrontation an sich wurde für unzulässig erklärt. Grund für die Verfassungswidrigkeit war vielmehr die in der Verfahrensordnung des Staates Iowa gesetzlich festgelegte generelle Vermutung, das Opfer würde durch Konfrontation mit dem Angeklagten traumatisiert; dazu Goodman, American Criminal Law Review, Vol. 32 (1995), 859. 164 Maryland v. Craig, 110 S. Ct. 3157 (1990).

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

higkeit erheblich beeinträchtigt 165 • Gerechtfertigt durch diese Feststellung darf das Kindeswohl dem Recht des Angeklagten auf Konfrontation von Angesicht zu Angesicht vorgezogen werden 166 , sofern die Verlässlichkeit der Zeugenaussage durch die anderen drei Elemente der confrontation rule sichergestellt werden kann. In der Literatur findet sich zu diesen Voraussetzungen der Vermerk, dass sogar alle vier Elemente der confrontation rule trotz Closed Circuit Television unverändert gewährleistet werden können 167 . Die Aussage erfolgt unter Eid und in physischer Präsenz des Zeugen, wenn auch nicht im Gerichtssaal, so doch im Gerichtsgebäude, sie kann durch das Kreuzverhör der Verteidigung in Zweifel gezogen werden und erfolgt unter den Augen der Jury, die jede Bewegung des Kindes auf dem Bildschirm mitverfolgen können. An Maryland v. Craig ist in der Folge viel Kritik geübt worden. Kritisiert wird vor allem, dass das Gericht keine Mindestvorgaben zu der Schwere der zu erwartenden Traumatisierung festgelegt hat und deswegen die Rechtsicherheit, ja sogar die Stabilität der Rechtsprechung gefährdet sei. Beklagt wird aber auch, der Supreme Court hätte das Fundament der Präzedenzfälle verlassen 168 und die Unschuldsvermutung ausgehöhlt, denn bereits die Anordnung alternativer Vernehmungs formen ließe den Angeklagte in den Augen der Jury vorverurteilt erscheinen 169 • Auf Kritik gestoßen ist zudem die undifferenzierte Privilegierung bestimmter Zeugengruppen. So dehnt zwar Gonzales v. Texas 170 die Anwendbarkeit alternativer Vernehmungsformen nach Maryland v. Craig auch auf kindliche Zeugen aus, die nicht Opfer der angeklagten Tat sind, aber dennoch schutzbedürftig erscheinen, doch nur in einigen wenigen Staaten sind besondere Verfahrensweisen auch für ältere oder behinderte Auskunftspersonen bzw. Personen mit "speziellen Bedürfnissen" vorgesehen, die durch die Belastungen eines Strafverfahrens nicht minder beeinträchtigt werden können als kindliche Zeugen 171 .

165 "The judge detennines that the testimony by the child victim in the courtroom will result in the child suffering serious emotional distress such that the child cannot reasonably communicate", § 9-102 (a) (1) (ii) Maryland Cts. & Jud. Proc. Code Ann. (1989). In dieser fallbezogenen Fonnulierung unterscheidet sich Maryland v. Craig von Coy v. lowa, dessen Ausgangspunkt eine generelle gesetzliche Vennutung der Traumatisierung des kindlichen Zeugen durch die Begegnung mit dem Angeklagten war. 166 Maryland v. Craig, 110 S. Ct. 3157 (1990), 3169. 167 PerrylWrightsman, The Child Witness, S. 167. 168 Goodman, American Criminal Law Review, Vol. 32 (1995), 865, 867 ff., 871 169 Kohlmann, St. Mary's Law Journal, Vol. 27 (1996), 389 ff., 393, 405 ff. 170 Gonzales v. Texas, 818 S. W. 2d. 756 (Tex. Crim. App. 1991); cert. denied, 113 S. Ct. 1334 (1993).

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Auf der anderen Seite sehen nicht wenige Kommentatoren die Gefahr eines Dammbruchs, eine unkontrollierte Ausdehnung von Maryland v. Craig auf weitere, nicht mehr eingrenzbare Zeugengruppen 172 . Noch weit bemerkenswerter aber ist, das sich mittlerweile generell eine Art Gegenbewegung gegen Schutzbestrebungen zu Gunsten verletzlicher Zeugen formiert hat. Sie möchte die Rechte des Angeklagten wieder in den Vordergrund stellen. Dagegen wurden in der Rechtsprechung sogar weitere alternative Vernehmungsformen anerkannt. In Simpson v. Lewis 173 beispielsweise verfolgte der Angeklagte das Verfahren aus einem separaten Raum heraus, aus dem er mit seinem Verteidiger kommunizieren, vom Zeugen aber nicht gesehen werden konnte. Ähnlich wie die Meinungen zu Maryland v. Craig sind auch die einzelstaatlichen Regelungen zu alternativen Vernehmungsformen sehr unterschiedlich ausgefallen. Die physische Konfrontation mit dem Angeklagten kann zwar i. d. R. über Monitor erfolgen, doch verlangen einige Verfahrensstatute zwingend eine optische und akustische Wahrnehmung des Angeklagten durch den Zeugen, d.h. das Bild des Angeklagten ist in das Nebenzimmer zu übertragen. In einigen Staaten erfolgt die Gegenüberstellung sogar direkt im Vernehmungszimmer, d.h. Angeklagter und Zeuge sitzen sich in unmittelbarer Nähe gegenüber, nur eben nicht im Gerichtssaal 174. Es fällt schwer zu glauben, dass hierdurch die Furcht des Zeugen vor der Begegnungen mit dem Angeklagten besänftigt werden könnte. Unterschiedlich ist auch der Umgang der höchstrichterlichen Rechtsprechung der einzelnen Staaten mit den Leitlinien der Entscheidung in Maryland v. Craig. Insbesondere Staaten, deren Verfassung die Vorgaben des VI. Verfassungszusatzes mit einer Konfrontation "face to face" überhöht haben, fällt es schwer, die Begegnung mit dem Angeklagten durch spezielle Verfahrensweisen zu umgehen 175. Und selbst die bundeseinheitlichen Verfahrensregelungen verzichten nicht auf die wenigstens optische Konfrontation des kindlichen Zeugen mit dem Bild des Angeklagten, das zeitgleich zur Aussage aus dem Gerichtssaal in das separate Vernehmungszimmer übertragen wird 176. 171 So in Califomia, Minnesota, Michigan, South Carolina, Montana, s. Lang, Florida State University Law Review, Vol. 18 (1991), 360 ff. 172 Goodman, American Criminal Law Review, Vol. 32 (1995), 871; Kohlmann, St. Mary's Law Journal, Vol. 27 (1996), 404 f. 173 Simpson v. Lewis, No. 92-15281, 1993 WL 74384 (9th Cir. Mar. 17, 1993); cert. denied, 114 S. CL 209 (1993). 174 Bohlander, ZStW 107 (1995), 97; Cashmore, Monash University Law Review, Vol. 16, No. 2 (1990), 230. 175 Z.B. Commonwealth v. Ludwig, 594 A. 2d. 281 (Pa. 1991); Commonwealth v. Bergstom, 402 Mass. 534, 524 N. E. 2d 366 (1988), beschrieben in Lang, Florida State University Law Review, Vol. 18 (1991), 356 ff.

7 Swoboda

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes c) Videovernehmung von Auslandszeugen

Die USA können auch Erfahrungen mit Auslandsvernehmungen über Closed Circuit Television vorweisen. In Harrell v. State 0/ Florida l77 wurden erwachsene Opferzeugen, denen ein persönliches Erscheinen in der Hauptverhandlung entfernungs- und krankheitsbedingt unmöglich war, per direkter Satellitenschaltung aus Argentinien in den Gerichtssaal vernommen. Der Supreme court 0/ Florida sah in dieser Vorgehensweise trotz technischer Verbindungsproblemen kein Verstoß gegen den VI. Verfassungszusatz. Unter Verweis auf Maryland v. Craig wurden dabei folgende Voraussetzungen genannte, auf deren Grundlage ein Abgehen vom Grundsatz der unmittelbaren Vernehmung gestattet ist: • Das besondere Vernehmungsverfahren muss nach einzelfallspezifischer Feststellung durch gewichtige staatliche Interessen, öffentliche Belange oder fallbedingte Notwendigkeiten gerechtfertigt sein. • Und die drei übrigen Elemente der con/rontation rule - Eid, Kreuzverhör und Möglichkeit, die Körpersprache des Zeugen mit verfolgen zu können - müssen gewährleistet sein. Handelt es sich bei der zu vernehmenden Person um einen Auslandszeugen, obliegt es der antragstellenden Partei außerdem, glaubhaft darzulegen, dass sich (a) ein möglicher Zeuge außerhalb der territorialen Gerichtsbarkeit des entsprechenden Gerichts aufhält oder ihm ein Erscheinen in der Hauptverhandlung oder anderer Anhörungen nicht möglich ist und (b) die Aussage dieses Zeugen elementar und notwendig ist, um einem Versagen der Justiz entgegenzutreten 178. Aus europäischer Sicht erstaunt an diesem Urteil aber weniger, dass die Übertragung als Beweisverfahren vor Gericht akzeptiert wurde, sondern dass 176 "The child's testimony shall be transmitted by closed circuit television into the courtroom for viewing and hearing by the defendant, jury, judge, and public. The defendant shall be provided with the means of private, contemporaneous communication with the defendant's attomey during testimony. The closed circuit transmission shall relay into the room in which the child is testifying the defendant's image, and the voice of the judge", § 3509 (b) (1) (D) (iv) United States Code of Crimes and Criminal Procedure (West's United States Code Ann., 2000). 177 HarreIl v. State of Florida, 709 So. 2d. 1364 (1998). 178 "Thus, in all future criminal cases where one of the parties makes a motion to present testimony via satellite transmission, it is incumbent upon the party bringing the motion to (1) verify or support by the affidavits of credible persons that a prospective witness resides beyond the territorial jurisdiction of the court or may be unable to attend or be prevented from attending a trial or hearing and (2) establish that the witness's testimony is material and necessary to prevent a failure of justice. Upon such showing the judge shall allow for the satellite procedure", HarreIl v. State of Florida, 709 So. 2d. 1364 (1998), 1371.

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sie unter vollständiger Ausblendung Argentinischer lustizhoheit stattzufinden schien. Allem Anschein nach wurden die argentinischen lustizbehörden weder über die auf argentinischem Hoheitsgebiet stattfindende Zeugenvernehmung informiert noch auf formellem Weg um Erlaubnis oder Mithilfe gebeten 179.

2. England und Wales Auch in England prägen die Grundsätze der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeit die Beweisaufnahme im Strafverfahren. Der Rückgriff auf den unmittelbaren Zeugen des Tatgeschehens kann nur in wenigen Ausnahmefällen durch die Verlesung polizeilich aufgenommener früherer Aussagen ersetzt werden. Die rule against hearsay evidence untersagt eine Beweisführung mit Angaben, die nicht von einem Zeugen während seiner mündlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung geäußert werden l80 . Zugleich stoßen Durchbrechungen der hearsay rule aber nicht auf die strengen verfassungsrechtlichen Bedenken, die ihnen in den USA aufgrund des VI. Verfassungszusatzes entgegengebracht werden. Mangels geschriebener Verfassung kommt dem Konfrontationsrecht des Beschuldigten in England nicht der gleiche, nahezu unantastbare Vorrang vor anderen Schutzbelangen zu, wie ihn die US-amerikanischen Gerichte auf Bundesund Staatsebene vertreten 181. In der Theorie könnte ohnehin jeder Legislativakt des Parlamentes, in manchen Bereichen sogar jede richterliche Entscheidung, Verfahrensrechte des Angeklagten verkürzen. Der Gesetzgebungskompetenz des britischen Parlaments sind aus der ungeschriebenen Verfassung in dieser, wie auch in jeder anderen Hinsicht keine Schranken gesetzt l82 . So bestimmt es die Doktrin der "legislative supremacy of Parliament,,183.

179 Geladen wurden die Zeugen direkt in ein argentinisches Fernsehstudio, von dem aus ihre Aussagen in das Gericht in Miami übertragen wurde. Anwesend war weiterhin nur die Studiomanagerin. Der Eid wurde den Zeugen aus dem Gerichtssaal in Miami heraus abgenommen. Dort befand sich ebenfalls der Dolmetscher. 180 HuberlAustermühZelRestZe, Landesbericht England und Wales, S. 43; umfassend dazu: Evidence in Criminal Cases: Hearsay and Related Topics, Law Commission Consultation Paper No. 138 (London 1995 : HSMO), zitiert nach CooperlMurphylBeaumont, Cases and Materials on Evidence, S. 278 ff.; Kühne, Strafprozessrecht, Rn. 1182 ff.; zur mit der hearsay ruZe verwandten best evidence ruZe vgl. HuberlAustermühZelRestZe, Landesbericht England und Wales, S. 44; Murphy, A Practical Approach to Evidence, S. 40 ff. 181 SpencerlFlin, The Evidence of Children, S. 77 f.; Ausnahmen zur hearsay ruZe finden sich z.B. aufgelistet in Dennis, The Law of Evidence, S. 431. 7*

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

a) Criminal Justice Act 1988 und 1991 Trotz ständiger Minimierung der Anforderungen an die Beweiserhebung stand das Unmittelbarkeitsprinzip des englischen Strafverfahrens einer Ersetzung von Zeugenaussagen durch vorab gefertigte video graphische Aussagedokumente lange entgegen. Gleiches galt für die videosimultanübertragene Aussage nicht im Sitzungs saal anwesender Zeugen. Ohne ausdrückliche Gesetzesgrundlage sahen sich die Gerichten nicht imstande, diese Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu gewährleisten. Den Zeugen während der Vernehmung persönlich zu sehen und zu hören, seine Glaubwürdigkeit und die Verlässlichkeit seiner Aussage aufgrund eigener Wahrnehmungen würdige zu können, galt den Gerichten als unerlässlich, bedingt auch durch die herausragende Rolle, die der Zeuge vor allen anderen Beweismitteln des englischen Strafprozesses spielt I 84. Anstoß für die Schaffung gesetzlicher Grundlagen zur Nutzung von Videotechnik bei der Beweisaufnahme war hier, wie in so vielen anderen Ländern, die Erfahrung mit den besonderen Belastungen, denen kindliche und andere verletzliche Zeugen in diesem adversatorischen Parteienverfahren vor Gericht ausgesetzt wurden 185. Aber auch die nordirischen Terroristenprozesse offenbarten deutlich Defizite beim Umgang mit gefährdeten oder auch nur verängstigten Zeugen, die den Strafverfolgungsbehörden in wichtigen Verfahren die Mitarbeit und die Aussage vor Gericht verweigerten. Zudem verwies eine Studie des Roskill Committee auf die erheblichen Verfahrensbehinderungen, die bei einer Verfolgung von Betrugsstraftaten auf internationaler Ebene auftreten konnten, sobald die entscheidenden ausländischen Belastungszeugen ein Erscheinen in der Hauptverhandlung verweigerten. Ihre Aussage konnte in diesem Fall nur im Wege einer kommissarischen Vernehmung aufgenommen und als deposition, d. h. als Beweis vom Hörensagen, in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Der daraus resultierende Verlust an Unmittelbarkeit und Spontaneität bei der Beweisaufnahme wirkte sich aber bei Fragen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung durch die Geschworenen nachteilig aus l86 . 182 Zum Schutz der Menschenrechte im Vereinigten Königreich vor und nach dem Human Rights Act 1988 S. Rivers, JZ 2001, 127 ff.; zum Human Rights Act 1998, einer einfachgesetzlichen Umsetzung der EMRK auch Kühne, StV 2001, 77. 183 Spencer/Flin, The Evidence of Children, S. 78; Wade/Bradley, Constitutional and administrative law, S. 69; "Parliament has under the English constitution, the right to make or unmake any law whatever; and further that no person or body is recognised by the law of England as having a right to override or set aside the legislation of Parliament", Dicey, The Law of the Constitution, S. 39 f. (zitiert nach Wade/Bradley, Constitutional and administrative law, S. 69). 184 Huber/Klumpe, Landesbericht England/Wales und Nordirland, S. 34. 185 McEwan, Crim LR 1990, 363; Köhnken, StV 1995, 377.

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Den Anregungen, ähnlich den USA hier durch Verwendung von Videotechnik Abhilfe zu schaffen, folgte der Gesetzgeber im Criminal lustice Act 1988. Er eröffnete die Möglichkeit, Zeugenaussagen mit Hilfe von Closed Circuit Television in Hauptverhandlungen vor dem Crown Court, dem englischen Schwurgericht, zu übertragen. Gemäß s. 32 ist eine entsprechende gerichtliche Anordnung allerdings an strenge Voraussetzungen geknüpft. Bei dem Zeugen muss es sich entweder um eine Person handeln, die sich außerhalb des Vereinigten Königreichs befindet I 87, oder um ein Kind unter 14 Jahren, dessen Aussage in einem Verfahren wegen sexuellen und physischen Missbrauchs aufgenommen wird I88 . Ein unter Eid aussagender Auslandszeuge unterliegt zudem gemäß s. 32(3) des Criminal Justice Act 1988 der Strafbarkeit für Meineid nach englischem Recht. Zu diesem Zweck wird die Vernehmung so behandelt, als wäre sie tatsächlich in der Hauptverhandlung erfolgt I89 . Die Fonn der Videosimultanübertragung entspricht dem Vorgehen in § 247 a S. 1 StPO, der ja selbst nach dem Vorbild des englischen Modells Emmins/Scanlan, A Guide to the Criminal Justice Act 1988, S. 1, 72, 77. Von der ersten Videovernehmung eines Auslandszeugen berichtete The Times am 10. März 1992: Aus Gesundheitsgründen hatte sich der Zeuge nicht von Kanada aus ins Vereinigte Königreich begeben können, um dort seine gerichtliche Aussage zu machen. Von einem Aufnahmestudio in Calgary (Alberta) wurde er in den Gerichtssaal zugeschaltet. Das Verfahren selbst verlief so, als wäre der Zeuge im Gerichtssaal anwesend. Zur Anwendung kam allein britisches Verfahrensrecht; Auszüge aus dem Zeitungsbericht bei Klip, MJ 2 (1995), 253 (Fn. 27). 188 S. 32. - (1) A person other than the accused may give evidence through a live television link on a trial on indictment or an appeal to the criminal division of the Court of Appeal or the hearing of a reference under section 17 of the Criminal Appeal Act 1968 if (a) the witness is outside the United Kingdom; or (b) the witness is under the age of 14 and the offence charged is one to which subsection (2) applies, but the evidence may not so be given without the leave of the court. (2) This subsection applies (a) to an offence which involves an assault on, or injury or a threat of injury to, aperson; (b) to an offence under section 1 of the Children and Young Persons Act 1933 (cruelty to persons under 16); (c) to an offence under the Sexual0ffences Act 1956, the Indecency with Children Act 1960 or the Protection of Children Act 1978; and (d) to an offence which consist s of attempting or conspiring to commit, or of aiding, abetting, counselling, procuring or inciting the commission of, an offence falling within paragraph (a),(b), or (c) above. 189 S. 32 - (3) A statement made on oath by a witness outside the United Kingdom and given in evidence through a link by virtue of this section shall be treated as for the purposes of section 1 of the Perjury Act 1911 as having been made in the proceedings in which it is given in evidence. 186 187

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ausgestaltet wurde. Der verletzliche oder kindliche Zeuge befindet sich allein oder in Begleitung einer Vertrauensperson in einem separaten Raum. Sein Bild wird von dort auf große Monitore im Gerichtssaal übertragen. Dort wiederum sorgen weitere Kameras dafür, dass der Zeuge den jeweiligen Fragensteller auf dem Monitor des Vernehmungszimmers wahrnehmen kann. Das in das Vernehmungszimmer übertragene Kamerabild kann durch "Stimmaktivierung" oder manuell durch das vom Richter zu bedienende technische Kontrollpult gesteuert werden. Treten Störungen bei der Vernehmung auf, kann der Richter durch einen sogenannten panic button die Übertragung sofort unterbrechen. Rechnung getragen wurde damit der Gefahr aggressiv-lauter Beanstandungen einer Antwort durch Angeklagten oder Verteidigung oder eines möglichen Zusammenbruchs des Zeugen unter der Befragung. Wert gelegt wird auch auf eine gute akustische Verbindung, die den Personen im Gerichtssaal und denen im Vernehmungszimmer eine störungsfreie Kommunikation gewährleisten muss. Sicherzustellen ist außerdem, dass wenigstens eine Kamera im Vernehmungszimmer alle darin befindlichen Personen erfasst, um eine unbemerkte Steuerung des Zeugen zu verhindern 190. Das Vorgehen wird auch zum Schutz verletzlicher und gefährdeter Zeugen sowie zur Wahrung der Anonymität gefährdeter Auskunftspersonen in Terrorismus- und Staatsschutzprozessen durchaus praktiziert l91 . Nach 1988 wurden aber auch Fälle bekannt, in denen trotz Vorliegens der Voraussetzungen einer Vernehmung über Closed Circuit Television die Verwendung von Sichtschirmen durch die Richter bevorzugt wurde. Misstrauen gegenüber der neuen Technik dürfte dafür den Ausschlag gegeben haben l92 . Dabei haben Studien wie die von Davies und Noon 193 überwiegend positive Erfahrungen feststellen können, soweit auf die neuen Verfahrensweisen zurückgegriffen wurde 194. Dagegen konnte eine videographisch dokumentierte frühe Vernehmung kindlicher oder anderer Zeugen zunächst nur unter strengen Voraussetzungen auf der Grundlage der s. 23 Criminal lustice Act 1988 als Beweis in die Hauptverhandlung eingebracht werden. S. 23 Criminal lustice Act 1988 beinhaltet allgemeine Ausnahmeregelungen zum Verbot des Beweises vom Hörensagen und ergänzt gemäß s. 28(1)(a) damit die bereits in diesem Be190 Lord Mackay of Clashfem in Spencer/Nicholson/Flin/Bull, Children's Evidence in Legal Proceedings, S. 2. 191 Stevenson/Sood, The Law Society's Gazette Nr. 47 vom 10.01.1990, 17; AE-ZVR, S. 175, 177. 192 Temkin, New Law Journal (1990), 410 (Fn. 4). 193 Davies/Noon, An evaluation of the live link for child witnesses; Bohlander, ZStW 107 (1995), 91 ff. mit einem Überblick über die Ergebnisse. 194 Davies/Noon, An evaluation of the live link for child witnesses, S. 133 ff.

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reich existierenden Beweisprinzipien, seien sie gesetzlicher Herkunft oder Entwicklungen des common law l95 • Schriftliche oder in anderer Fonn (also auch videographisch) dokumentierte Zeugen vernehmungen können danach trotz ihrer Natur als hearsay evidence im Verfahren verwertet werden, sofern: • die vernommene Person tot ist oder aufgrund ihres körperlichen oder geistigen Zustandes ihrer Zeugenpflicht nicht nachkommen kann; • die Person sich außerhalb des Vereinigten Königreichs befindet und ihr Erscheinen nicht zweckmäßig ist. Auslandszeugen können natürlich auch gemäß s. 32(l)(a) durch Videosimultanschaltung aus dem Ausland in der Hauptverhandlung vernommen werden. Vorgesehen war ein solches Vorgehen allerdings nur in Strafsachen wegen Tötungsdelikten und bestimmten schweren Wirtschaftsstraftaten 196; • die Person trotz größter Bemühungen nicht auffindbar ist; oder • die Aussage gegenüber einer staatlichen Ennittlungsorgan erfolgte und der Urheber der Infonnationen im Hauptverfahren die Aussage aus Angst verweigert oder an einer Aussage gehindert wird. Ob diese Voraussetzungen dem Konfrontationsrecht des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK gerecht werden, lässt sich mit guten Gründen bezweifeln l97 . Eine Regelung, die dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger nicht wenigstens bei der Anfertigung der Aussagedokumentation Teilnahme- und Mitwirkungsrechte einräumt, kann vor der Konvention und seit dem Human Rights Act 1998, mit dem das Parlament die EMRK in innerstaatliches Recht umsetzte, auch vor englischem Recht kaum bestehen. Die ohne Angabe konkreter Gefährdungsmomente vorgebrachte "Angst" des Aussagenden - vor wem oder was auch immer - hat der EGMR in der Sache Van Mechelen l98 als Rechtfertigungsgrund für ein Nichterscheinen in der Hauptverhandlung zurückgewiesen. Die "Unzweckmäßigkeit" des Erscheinens darf Verteidigungsrechte ebenso wenig verkürzen, zumal ein Ausgleich für diese Einschränkungen auch durch vorsichtige Beweiswürdigung kaum zu erreichen ist l99 . 195 Z.B. die Ausnahmen nach S. 13 Criminal lustice Act 1925 oder S. 102 des Magistrate's Courts Act 1980. 196 HuberlAustennühleiRestle, Landesbericht England und Wales, S.45 (Fn. 139). 197 Spencer, New Law Journal 1991, 787; Bohlander, ZStW 107 (1995), 91 (Fn. 35); auch EGMR [Unterpertinger v. Österreich], EuGRZ 1987, 147; [Delta v. Frankreich], ÖJZ 1991,425. 198 EGMR [Van Mechelen v. Niederlande] StV 1997,617. 199 EGMR [Kostovski v. Niederlande] StV 1990, 481 (482); Wattenberg, StV 2000,691.

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In Sachen Zeugenschutz greifen diese Ausnahmeregelungen zudem zu kurz, sind sie doch in erster Linie auf Verfahrensbeschleunigung und Verfahrenserleichterung ausgerichtet. Kinder und verletzliche Zeugen erfüllen ihre Voraussetzungen nur selten 2oo . Es bedurfte damit einer Ergänzung des Criminal lustiGe Act 1988, um wenigstens die dokumentierten Erstvernehmungen kindlicher Zeugen einer Verwertung im Hauptverfahren zugänglich zu machen. Die durch den Criminal lustice Act 1991 zu diesem Zweck eingefügte s. 32A201 ermöglicht die Ersetzung der sog. examination in chief, dem Verhör durch die den Zeugen benennenden Partei 202 , durch Abspielen einer schon im Ermittlungsverfahren vorab aufgezeichneten Zeugen vernehmung. Für ein Kreuzverhör muss das Kind aber weiterhin zur Verfügung stehen, notfalls unter Verwendung einer Videosimultanschaltung in die Hauptverhandlung. Immerhin wurde dem Angeklagten eine persönliche Vernehmung des Kindes untersagt203 . Sofern dieser aber nicht auf das Kreuzverhör verzichtet oder schon aufgrund des videodokumentierten evidence in chief ein

Birch, Crim LR (1992), 274 f. S. 32 A. (1) This section applies in relation to the following proceedings, namely (a) trials on indictment for any offence to which section 32 (2) above applies; (b) appeals to the criminal division of the Court of Appeal and hearings of references under section 17 of the Criminal Appeal Act 1968 in respect of any such offence; and (c) proceedings in the youth courts for any such offence and appeals to the Crown Court arising out of such proceedings. (2) In any such proceedings a video recording of an interview which (a) is conducted between an adult and a child who is not the accused or one of the accused ("the child witness"); and (b) relates to any matter in issue in the proceedings, may, with the leave of the court, be given in evidence in so far as it is not excluded by the court under the subsection (3) below. (3) Where a video recording is tendered in evidence under this section, the court shall (subject to the exercise of any power of the court to exclude evidence which is otherwise inadmissible) give leave under subsection (2) above unless (a) it appears that the child witness will not be available for cross-examination; (b) any rules of court requiring disclosure of the circumstances in which the video was made have not been complied with to the satisfaction of the court; or (c) the court is of the opinion, having regard to all the circumstances of the case, that in the interests of justice the recording ought not to be admitted; and where the court gives such leave it may, if it is of the opinion that in the interests of justice any part of the recording ought not to be admitted, direct that that part shall be excluded. 202 Dennis, The Law of Evidence, S. 428, auch als direct examination bezeichnet. 203 S. 34A des Criminal lustice Act 1988, in der durch den Criminal lustice Act 1991 ergänzten Fassung. 200

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Geständnis ablegt, darf das Gericht nicht von einer Berufung des Zeugen in den Zeugenstand absehen. Damit bleibt die gesetzliche Regelung hinter den Forderungen des Pigot Committee zurück, das kindlichen und verletzlichen Zeugen durch Einsatz der videotaped depositions eine Vernehmung in der Hauptverhandlung vollständig ersparen wollte 204 . Mit der in Sachen Zeugen schutz recht zurückhaltenden Regelung hatte der englische Gesetzgeber vor allem den Kritikern des ausgefeilten Vorschlags Pigots Gehör geschenkt. Ähnlich den Vorbehalten des deutschen Gesetzgebers zehn Jahre später wurde vor allem bezweifelt, dass Videotechnik tatsächlich Belastungen des Verfahrens mindern könnte205 . Zudem mag die erhebliche Abweichung von den Verfahrensgrundsätzen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit, vor allem aber der Verzicht auf die Konfrontation mit dem Angeklagten nicht nur die Anwälte der Verteidigung sehr befremdet haben. Den "lügenden" Zeugen im Kreuzverhör zu überführen, mit Überraschungsmomenten neue Wendungen in der Sache einzuleiten, gehört vor englischen Gerichten zu den beliebtesten Taktiken der Verteidigung. Die eigenen Strategien nun schon im Vorverfahren offen legen zu müssen, behagte den wenigsten206 . Zugegebenermaßen hatte das Pigot Committee auch unzureichend bedacht, wie bei einer vollständigen Aussageersetzung überraschende Erkenntnisse und unvorhergesehene Entwicklungen später noch mit einbezogen werden könnten 207 . Eine Befragung des Zeugen durch Beschuldigten und Verteidigung in einem dem Hauptverfahren vorangehenden Stadium würden dann Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK nicht genügt. Trotz dieser berechtigten Kritik blieb aber das Gefühl, mit den zeugenschützenden Regelungen nicht weit genug gegangen zu sein. Denn halbherzig wirkte nicht nur das Verfahren bei Aussageersetzung, sondern auch die Regelung, wann ein Parteiantrag auf Einführung einer Videokonserve abgelehnt werden kann. S. 32A(3) Criminal lustice Act 1988 stellt hier nur vage Ermessensleitlinien bereit. So genügt neben der Wahrscheinlichkeit, dass der kindliche Zeuge für ein Kreuzverhör nicht zur Verfügung stehen wird, auch, dass die Umstände des Zustandekommens der Aufzeichnung nicht befriedigend offen gelegt oder einfach im Interesse der Gerechtigkeit auf eine Vorführung ganz oder in Teilen verzichtet werden sollte208 . Um dem Gericht hier nicht unnötig Anlass zur Zurückweisung des Videobandes zu ge204 Dazu Birch, Crim LR (1992), 262; Spencer, New Law Journal 1991, 787; Temkin, New Law Journal 1990, 411. 205 Spencer, New Law Journal 1991, 787; für den deutschen Gesetzgeber BTDrs. 1317165, S. 4. 206 Spencer, New Law Journal 1991, 787. 207 Dennis, The Law of Evidence, S. 468. 208 Zu s. 32A (3) vgl. die Gesetzeswiedergabe in Fn. 202.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

ben, veröffentlichte das Home Office in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium 1992 im ,,Memorandum 0/ Good Practice,,209 Leitlinien für die Erstellung einer Vernehmungsdokumentation. Dieses Memorandum ist nicht Gesetz, es soll aber auf freiwilliger Basis die Verwertbarkeit des Beweissurrogates vor Gericht sicherstellen. Wert gelegt wird darin vor allem auf die Einhaltung grundlegender Beweisprinzipien, denn deren Verletzung darf das Gericht niemals übergehen. Um das Kind nicht mehrfach vernehmen zu müssen, soll eine qualitativ hochwertige und inhaltlich erschöpfende Aussage Ziel der Vernehmung sein. Behandelt werden im Memorandum deswegen auch Fragen der zeitlichen und inhaltlichen Gliederung des Interviews, der Gestaltung des Vernehmungsraumes, der Fragetechnik und des persönlichen Umgangs mit dem kindlichen Zeugen ebenso wie technische Problembereiche. Beachtung gefunden hat auch die Gefahr des Missbrauchs solcher Dokumentationen. Der Zugriff Unbefugter auf das Band oder auf dessen Kopien muss mit strengen Sicherungsmaßnahmen unterbunden werden. Zwar erlaubt das Memorandum mit Rücksicht auf legitime Verteidigungsinteressen eine Ausgabe von Kopien an die Verteidigung, jedoch nur gegen schriftliche Versicherung, dass diese nicht aus der Obhut des Entleihers gegeben werden21O • Der Beschuldigte dagegen hat nur ein Recht auf polizeilich überwachte Einsichtnahme in die Aufzeichnung 211 • b) Youth Justice and Criminal Evidence Act 1999

Die einschlägigen Regelungen zum Schutz verletzlicher und eingeschüchterter Zeugen sind inzwischen fast vollständig durch die weit ausführlicheren, allerdings ebenso komplizierten Vorschriften des Youth lustice and Criminal Evidence Act 1999212 ersetzt worden. Inhaltlich lehnen sie sich eng an die bisherigen Regelungen an. 209 Memorandum oJ Good Practice on Video Recorded Interviews with Child Witnesses Jor Criminaf Proceedings, HMSO, London, 1992; s. dazu McEwan, Journal of Child Law, Vol. 5 (1993), 16 ff.; einen Überblick gibt auch Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 105 ff. 210 McEwan, Journal of Child Law, Vol. 5 (1993), 19. Memorandum oJ Good Practice, HSMO, London, 1992, S. 4.1-4.15, S. 4.12. 211 Ähnliche Ausführungsvorschriften finden sich in S. 23C der Crown Court Rufes und eine einem Code oJ Practice on Tape Recording; dazu Ward, Solicitors Journal 1992,644. 212 Ss. 16-33 Youth lustice and Criminaf Evidence Act 1999, abzurufen unter http://www.hmso.gov.uk.; durch die neue Gesetzgebung unberührt bleibt aber die in s. 32 Criminaf lustice Act 1988 vorgesehene Videosimultanvernehmung von Auslandszeugen.

D. Erfahrungen mit der Videotechnik im Ausland

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Die ss. 16 - 33 des Youth lustice and Criminal Evidence Act 1999 erlauben dem Richter unter anderem, den Zeugen vor dem Angeklagten mit Sichtbarrieren abzuschirmen (s. 23), seine Aussage per live link in die Hauptverhandlung zu übertragen (s. 24) oder ihn unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu vernehmen (s. 25). In s. 27 Youth lustice and Criminal Evidence Act 1999 wird die Einführung einer Videoaufzeichnung zum Ersatz der examination in chief vorgesehen. Abgelehnt werden kann dieses Verfahren, sofern Gerechtigkeitsinteressen entgegenstehen oder aber die Möglichkeit einer ergänzenden Befragung über Themen, die in der Aufzeichnung nicht oder nicht befriedigend abgedeckt wurden, nicht sichergestellt werden kann. Ergänzend kann nach s. 28 nun auch das Kreuzverhör vorab auf Videoband aufgezeichnet werden und als Beweissurrogat für die unmittelbaren Aussage in der Hauptverhandlung dienen. Sollte die körperliche Anwesenheit des Beschuldigten bei Aufzeichnung des Kreuzverhörs einen Nachteil für das Wohl des Zeugen befürchten lassen, kann auch schon in Vorverfahren eine Videosimultanübertragung stattfinden. Ein Richter oder ein magistrate213 überwacht bei der Aufzeichnung des Kreuzverhörs die Einhaltung der Verfahrensgrundsätze. Nicht notwendigeraber sinnvollerweise wird das der verhandelnde Richter sein. Steht eine Vernehmungsaufzeichnung i. S. d. ss. 27, 28 Youth lustice and Criminal Evidence Act 1999 in der Hauptverhandlung zur Verfügung, können dort sowohl die examination in chief als auch das Kreuzverhör durch die Gegenpartei entfallen. Allerdings kann das Gericht ein erneutes Kreuzverhör zulassen, sofern die beantragende Partei bei der Erstaufzeichnung des Kreuzverhörs noch nicht zu allen relevanten Gesichtspunkten Stellung beziehen konnte oder andere Gerechtigkeitserwägungen eine erneute Vernehmung des Zeugen erforderlich machen (s. 28 (6». Als besondere zeugenschützende Maßnahme sieht s. 29 nun auch den Einsatz eines "Übersetzers" oder "Mittlers" (" intermediary ") vor. Dieser übermittelt mit Genehmigung des Gerichts Fragen der Verfahrens beteiligten an den Zeugen. Soweit das für das Verständnis des Zeugen erforderlich erscheint, obliegt ihm auch, die Frage zu erklären. Zugleich leitet er die Antworten an den Fragesteller weiter, notfalls auch hier mit Erläuterungen ihrer Bedeutung. Sicherzustellen ist dabei, dass die Richter, Geschworenen und alle weiteren Verfahrens beteiligten die Befragung visuell und akustisch ohne Schwierigkeiten verfolgen können. Die ständige Kommunikationsmöglichkeit mit dem intermediary ist zwingende Voraussetzung. Für das auf direkte Konfrontation ausgerichtete englische Strafverfahren ist diese Vernehmungsform die wohl gravierendste Einschränkung an Unmittelbarkeit. Sie wird daher nur angeordnet, wenn anders von der Auskunftsperson keine 213

Friedensrichter oder richterlicher Beamter.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

verwertbaren Angaben zu erwarten sind, also bei Zeugen, die durch das Strafverfahren sichtlich überfordert sind, etwa kindliche, geistig zurückgebliebene oder aus anderen Gründen in ihrer Verständnis- und Kommunikationsfähigkeit eingeschränkte Zeugen. Der Kreis der für diese Maßnahmen in Frage kommenden Zeugen ist gemäß ss. 16, 17 Youth lustice and Criminal Evidence Act 1999 eng begrenzt. Er umfasst zunächst Zeugen, die aufgrund ihres Alters oder durch Krankheit oder Behinderung besonderer Fürsorge bedürfen. Befürchtet das Gericht einen Verlust an Aussagequalität bei verängstigten oder traumatisierten Zeugen, kann es ebenfalls Sondermaßnahmen anordnen. In diesem Fall steht erkennbar nicht der Zeugen schutz, sondern das öffentliche Interesse an der Aufklärung der Tat im Vordergrund. Denn ähnlich dem amerikanischen Recht ist auch der Zeugen schutz in England nicht um seiner selbst Willen erarbeitet worden, sondern dient vor allem den Belangen der Wahrheitsfindung und dem Interesse an der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Läuft das Aufklärungsinteresse dem des Zeugenschutzes zuwider, muss letzterer als sekundärer Belang zurücktreten. Leitgedanke jeder Gerichtsanordnung ist dementsprechend gemäß s. 19 (2) Youth lustice and Criminal Evidence Act 1999 auch nur die Frage, ob die Aussage durch besondere Verfahrens weisen an Qualität gewinnen kann. Dagegen darf das Gericht gemäß s. 20 (2) Youth lustice and Criminal Evidence Act 1999 jederzeit von einer Sondermaßnahme Abstand nehmen, wenn es aus Gerechtigkeitserwägungen hierzu Anlass sieht. Zeugen schutz steht damit weitgehend zur Disposition des Gerichts. Allein im Fall kindlicher Zeugen in Verfahren, die Sexual- oder Gewaltstraftaten zum Gegenstand haben, wird die Schutzbedürftigkeit nicht generell der Wahrheitsfindung untergeordnet. In diesem Bereich hat der Gesetzgeber in s. 21 Youth lustice and Criminal Evidence Act 1999 die Rechtsposition kindlicher und jugendlicher Zeugen aufgewertet, denn grundsätzlich muss das Gericht hier Videoaufzeichnungen zur vollständigen Ersetzung einer Vernehmung in der Hauptverhandlung zulassen bzw. einem Antrag auf Vernehmung per Videosimultanschaltung stattgeben. Das Ziel einer Verbesserung der Beweisqualität ist erst an zweiter Stelle zu berücksichtigen. Allerdings bleibt auch hier die Möglichkeit, aufgrund entgegenstehender Gerechtigkeitserwägungen von zeugenschützenden Maßnahmen Abstand zu nehmen. Im Zweifel hat die wirksame Strafrechtspflege Vorrang 214 .

214

AE-ZVR, S. 182 f.

D. Erfahrungen mit der Videotechnik im Ausland

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3. Nordirland Anders als in England und Wales waren es in Nordirland die Terroristenprozesse, in denen sich der Einsatz von Videotechnik im Strafverfahren als notwendig erwies. Die Befugnis der s. 32 Criminal Evidence Act 1988 zur Vernehmung von Zeugen per Videosimultanschaltung wurde durch Art. 81 der Police and Criminal Evidence (North Ireland) Order 1989 auf solche Zeugen ausgedehnt, die aus "Angst" zum Erscheinen vor Gericht nicht bereit sind. Diese äußerst unbestimmte Voraussetzung reflektiert die Sondersituation Nordirlands. Dort wurden, anders als in England und Wales, auch anonyme Zeugenaussagen bzw. Aussagen vermummter Zeugen als durchaus zulässig empfunden, gemessen an der Bedrohung, denen die Zeugen in Terrorismusverfahren ausgesetzt werden können. Unumstritten sind diese Normen freilich nicht215 . Soweit jedenfalls über die Videosimultanübertragung die Befragung des Zeugen durch den Angeklagten oder die Verteidigung sichergestellt werden kann, steht zumindest eine Verletzung des in Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK verbürgten Konfrontationsrechts nicht zu befürchten. Wird dem Zeugen aber zugleich auch noch die Anonymität gestattet und dadurch das Fragerecht beschränkt, so kann gemäß der Entscheidung Van Mechelen 216 die bloße Behauptung, der Zeuge habe "Angst", als Anordnungsgrund nicht mehr genügen. Beschränkungen der Beschuldigtenrechte sind nur gerechtfertigt, soweit konkrete Anhaltspunkte für eine tatsächliche Gefährdung des Zeugen - auch des zivilen Zeugen - vorliegen. Eine ganz anderer Aspekt der Beweisführung mit Videoaufzeichnungen findet sich in den Vorgaben des Northern Ire land (Emergency Provisions) Act 1996. S. 53 verpflichtet zur Herausgabe eines Code of Practice, nach dessen Regelungen Vernehmungen von Personen, die terroristischer Straftaten verdächtigt und deswegen von der Polizei festgehalten werden, regelmäßig videographisch zu dokumentieren sind. Nachvollziehen lässt sich mit diesen Aufzeichnungen später nicht nur die Aussage des Verdächtigen, sondern auch die Form der Vernehmungsführung. Aussagen und Geständnisse unter Zwang können so nachgewiesen werden. Im Gegenzug lassen sich aber auch Vorwürfe einer gesetzeswidrigen Vernehmungsführung entkräften 217 • Die Vorschrift ist eine Reaktion auf die miscarriages of justice, die gravierenden Fehlurteile, die in der Zeit des IRA-Terrors aufgrund gefälsch215 Huber/Klumpe, Landesbericht England/Wales und Nordirland, S. 43 (Fn. 42) und S. 47 (Fn. 59); Meyer, Eser-Fs., S. 98. 216 EGMR [Van Mechelen v. Niederlande] StV 1997,617. 217 Bestrebungen dieser Art finden sich schon in der Police and Criminal Evidence (PACE) Order. Sie sah allerdings bis dahin nur eine Vemehmungsdokumentation mittels Tonband vor, audiovisuelle Aufzeichnungen wurden erst sehr viel später

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

ter polizeilicher Vernehmungsprotokolle oder auf der Basis von unter Folter erzwungenen Geständnissen gefällt worden waren 218 .

4. Kanada Die Idee, Disputen über das Zustandekommen polizeilicher Vernehmungsergebnisse ein Ende zu bereiten und gleichzeitig die Beweisqualität dieser Aussagen zu erhöhen, lag auch dem 1985 bis 1987 durchgeführten kanadischen Projekt "Audiovisuelle Technologien, die Video-Bandaufnahme polizeilicher Vernehmungen von Verdächtigen und Beschuldigten,,219 zugrunde. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden durchweg positiv gewertet. So konnte den vor der Kamera vernehmenden Beamten ein weniger aggressives Verhalten attestiert werden. Auch erwiesen sich die Videodokumentationen als weitaus genauer und vollständiger als übliche Vernehmungsprotokolle, in denen die Aussagen oft nur in der Sprache des Vernehmungsbeamten und gegebenenfalls auch lückenhaft protokolliert werden. Indem nun auch Körpersprache, Mimik und Gestik des Vernommenen rekonstruiert werden konnten, gewannen die frühen Vernehmungen vor Gericht merklich an Beweiskraft. Vorwürfe unfairer Vernehmungspraktiken und unzulässiger Fragetechniken konnten nun ebenfalls ohne den sonst üblichen Restzweifel entkräftet werden. Gleichzeitig verringerten sich die Zahl der Dispute darüber, wer als Zeuge über den Ablauf der Vernehmung vor Gericht vernommen werden sollte. Das Projekt verzeichnete auch eine merkliche Verfahrensbeschleunigung. Zum einen fielen videographisch dokumentierte Interviews wesentlich kürzer aus als vergleichbare, schriftlich protokollierte Vernehmungen, zum anderen kam die Hauptverhandlung ohne diejenigen Zeugen aus, die sonst bei Streitigkeiten über das rechtmäßige Zustandekommen der Aussagen hätten geladen werden müssen. Auch der Personalaufwand und die Personalkosten für polizeiliche Vernehmungen verringerten sich. Erhöht hat sich dagegen nachweislich die Zahl der Schuldeingeständnisse, soweit die Kamera lief. Auf einen durch die Aufzeichnung verursachten psychischen Druck ließ sich das nach der Studie nicht zurückführen, zumal die Vernehmungspraktiken der Polizei durch die Erfahrungen mit der Videodokumentation erheblich verbessert werden konnten. eingeführt, vgl. Dickson, The Legal System of Northem Ireland, S. 137; Elliottl Quinn, English Legal System, S. 220, 222. 218 Berüchtigt wurden die Fälle der "Guildford Four", ,,Birmingham Six", ,,Bridgewater Four" oder der "Tottenham Three"; dazu ElliottlQuinn, English Legal System, S. 205 ff. 219 Steinke, Kriminalistik 1993, 330 ff.; Grant, Crim LR 1987, 375 ff.

D. Erfahrungen mit der Videotechnik im Ausland

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Die Überlegung, ob auch für das deutsche Recht die Videoaufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen in Frage käme, könnte sich durchaus lohnen220 . Allerdings hat der Gesetzgeber bislang solchen Tendenzen entgegengewirkt. Dies zeigt sich nicht nur im Wortlaut des § 58 Abs. 1 S. 1 StPO, der ausschließlich die Vernehmung eines Zeugen der Aufzeichnung zugänglich macht, sondern auch im fehlenden Verweis des § 255 a Abs. 1 StPO auf § 254 StPO. Der Druck auf den Angeklagten soll nicht noch dadurch erhöht werden, dass man ihm frühere Geständnisse oder Aussagen in der Form einer Bild- und Tonaufzeichnung vorhält, deren Suggestivwirkung sich kaum ein Gericht entziehen kann. Andererseits ist anzumerken, dass die Videotechnik im Strafverfahren bislang auch ausschließlich unter dem Aspekt des Zeugenschutzes diskutiert wurde und eine videographisch dokumentierte Beschuldigtenvernehmung hat unter zeugen schützen den Gesichtspunkten tatsächlich wenig Wert221 . Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass eine Weiterentwicklung von Einsatzformen der Videotechnik im deutschen Strafverfahren nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Gegenüber bisherigen Vernehmungsformen fiel in dem Modellprojekt auch positiv auf, dass sich sowohl Vernehmender als auch Vernommener ganz auf das Gespräch konzentrieren konnten, ohne an einen mitschreibenden Protokollbeamten denken zu müssen. Effektivere Interviewergebnisse wurden auch auf diese störungsfreie Atmosphäre zurückgeführt. Nachteile der Aufzeichnungen wurden nur in geringem Umfang festgestellt. So monierten vor allem Verteidiger den schlechten Eindruck, den der Beschuldigte auf der Aufzeichnung hinterließ. Er sei auch durch ein "gutes" Auftreten vor Gericht nicht mehr korrigierbar. Soweit es nicht die Kleidung betrifft, ist aber kein ernsthafter Nachteil darin zu sehen, Gebärden und Ausdrucksweisen des Beschuldigten festzuhalten, die einen günstigen wie ungünstigen Eindruck bei Gericht hinterlassen können. Soweit die Objektivität der Dokumentation allerdings in Frage steht, wird das Gericht die Aufzeichnung nur unter vorsichtiger Würdigung bzw. überhaupt nicht verwerten können. Zumindest sollte bei der Positionierung der Kamera darauf geachtet werden, den Vernommenen nicht von vornherein in ein "schlechtes Licht" zu rücken.

220

Zu einer eventuellen Übertragung der Ideen ins deutsche Recht ausführlich im

7. Teil. 221 Diemer, NJW 1999, 1673.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

5. Österreich Seit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993 222 kennt auch das österreichische Recht die Videosimultanvernehmung (§ 247 a ÖStPO bzw. § 250 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 162 a Abs. 2 ÖStPO) und die Möglichkeit, vorab gefertigte Video konserven zum Ersetzen der persönlichen Vernehmung des Zeugen in die Haupterhandlung einzuführen (§ 162 a i. V.m. § 252 ÖStPO). Gemäß § 162 a Abs. 2 S. 1 ÖStPO kann bereits die Aufzeichnung der richterlichen Vernehmung im Vorverfahren mit einer Bild-Ton-Übertragung kombiniert werden. Die Parteien nehmen dann ihre Teilnahme- und Fragerechte nur in räumlicher Distanz zum Zeugen wahr. Die österreichische Regelungen diente bei Entwurf des Zeugenschutzgesetzes 1998 erkennbar als Vorbild. Der deutsche Gesetzgeber übernahm sie dennoch nur in deutlich abgeänderter Form. Im Rechtsvergleich erweisen sich die Normen des deutschen Zeugenschutzgesetzes zumeist als strenger in ihren Voraussetzungen. Nur beim Schutz kindlicher Zeugen, die nicht durch die Gewalttat verletzt wurden, hat der deutsche Gesetzgeber so manche Zurückhaltung der österreichischen Parallele zu Gunsten umfangreicher Zeugenschutzmechanismen aufgegeben. a) Vernehmungsaufzeichnungen und ihre Einspielung

in die Hauptverhandlung

Österreichische Gerichte zeichnen die untersuchungsrichterlichen Vernehmungen von Kinderzeugen im Vorverfahren mittlerweile recht häufig auf. Doch um den verfassungsrechtlich verankerten Grundsätzen der Unmittelbarkeit (Art. 90 Abs. 1 B-VG) und der Konfrontations- und Verteidigungsrechte des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMR zu genügen, muss die Beweisaufnahme mindestens einmal in einem kontradiktorischen Verfahren erfolgen. Ein solches findet im österreichischen Strafprozess aber grundsätzlich nur in der Hauptverhandlung statt. Die Voruntersuchung dagegen ist nicht parteiöffentlich. Gemäß § 162 Abs. 1 ÖStPO findet eine Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren in der Regel nur in Anwesenheit des Untersuchungsrichters 223 statt, die übrigen Verfahrensbeteiligten haben dort weder ein Anwesenheits- noch ein Befragungsrecht. Erst im Strafprozessänderungsgesetz 1993 ist unter dem Einfluss Straßburger ludikatur224 mit § 162 a Abs. 1 ÖStPO auch eine Parteibeteiligung Strafprozessänderungsgesetz 1993, Österreichisches BGBI. Nr. 526/1993. Der Untersuchungsrichter ist ein besonderes justizielles Organ österreichischer Strafrechtspflege. Er führt die Voruntersuchungen. stellt von Amts wegen (§ 96 ÖStPO) Tatbestände und Beweismittel fest und ermittelt den Täter, Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 225 (Fn. 7). 222 223

D. Erlahrungen mit der Videotechnik im Ausland

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bei Zeugenvernehmungen vor dem Untersuchungsrichter ermöglicht worden. Parteiöffentlich ist das Vorverfahren immer dann, wenn zu befürchten steht, "dass die Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung aus tatsächlichen oder rechtliche Gründen nicht möglich sein werde,.225. Ein Verweis auf §§ 249, 250 Abs. 1 und 2 ÖStPO stellt sicher, dass sowohl das Fragerecht gewährleistet ist als auch der Beschuldigte im Notfall für die Dauer der Vernehmung ausgeschlossen werden könnte. Die Vernehmung kann gemäß § 162 a Abs. 1 S. 2 ÖStPO videographisch dokumentiert werden. Der Zeuge ist außerdem darüber zu belehren, dass die so geschaffenen Dokumentation in der Hauptverhandlung auch dann vorgeführt werden kann, wenn der Zeuge später von einem Zeugnisverweigerungsrecht ("Entschlagungsrecht") Gebrauch macht 226 . Im Unterschied zum deutschen Verfahrensrecht kann im österreichischen Strafprozess nur eine richterliche Vernehmungen auf Videoband aufgezeichnet werden. Polizeiliche Vernehmungen werden nur wie bisher schriftlich protokolliert und gemäß der Voraussetzungen des § 252 Abs. 1 ÖStPO bei Tod oder Unerreichbarkeit des Zeugen oder mit Einverständnis aller Beteiligten in der Hauptverhandlung verlesen. Diese Ungleichbehandlung erscheint wenig sinnvoll, kann doch gerade das Videoband die genauere, plastische Reproduktion einer Aussage ermöglichen und eventuelle Fehler in der Befragung aufzeigen. Anzumerken ist allerdings, dass ein Videoband ohnehin niemals das Schriftprotokoll ersetzen kann, also immer nur ergänzende Funktion hat. Eine Arbeitsersparnis wird durch die videographische Dokumentation deswegen nicht erreicht. In der österreichischen Literatur wird dies dann auch zu Recht kritisiert, bleiben doch wesentliche Vorteile der Videographie durch dieses Festhalten am Herkömmlichen ungenutzt227 • Trotz parteiöffentlicher Vernehmung kann der Untersuchungsrichter "im Interesse des Zeugen, besonders mit Rücksicht auf sein geringes Alter oder seinen seelischen oder gesundheitlichen Zustand, oder im Interesse der Wahrheitsfindung" die Beteiligtenrechte einschränken 228 • § 162 a Abs. 2 S. 1 ÖStPO erlaubt zu diesem Zweck eine Kombination der Vernehmungs224 EGMR [Unterpertinger v. Österreich], EuGRZ 1987, 147; [Windisch v. Österreich], StV 1991, 193. 225 Seiler, Die Stellung des Beschuldigten im Anklageprozess, S. 228 f.; LöschingGspandl/Puntigam, Landesbericht Österreich, S. 385 ff. 226 § 162 a Abs. 4 ÖStPO. 227 Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 238 ff.

228 Die Aufzählung ist nicht erschöpfend, so kann auch ein zum Erscheinen vor einem österreichischen Untersuchungsrichter nicht fähiger oder nicht bereiter Auslandszeuge in dieser Form kommissarisch oder durch den Untersuchungsrichter selbst vernommen werden. Vorausgesetzt natürlich, die zuständige ausländische Be8 Swoboda

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

aufzeichnung mit einer zeitgleichen Bild- und Tonübertragung. Die nicht im Vernehmungsraum anwesenden Parteien können die Befragung per Videostandleitung aus einem anderen Raum heraus verfolgen und ihr Fragerecht über Mikrophon, telefonisch oder mittelbar über den Untersuchungsrichter ausüben 229 . Im zuletzt genannten Fall unterbricht dieser die Vernehmung in regelmäßigen Abständen und sammelt die (schriftlich festgehaltenen) Fragen der Parteien ein. Dieses Modell ähnelt - zumindest in technischer Hinsicht - der deutschen Variante einer Videosimultanübertragung nach § 168 e S. 1 StPO, doch ist die österreichischen Regelung in ihren Voraussetzungen weitaus flexibler. Eine Besonderheit des österreichischen Modells findet sich in § 162 a Abs. 2 S. 2 ÖStPO. Danach kann ein vom Untersuchungsrichter beauftragter Sachverständiger die Vernehmung des Zeugen durchführen. Erwartet wird, dass bei kindlichen Zeugen eine psychologisch und pädagogisch geschulte Vernehmungsperson weitaus bessere Beweisergebnisse erzielt als ein vielleicht unerfahrener Richter. Eine hohe Beweisqualität der Videodokumentation aber ist wiederum notwendig, um der jugendlichen Auskunftsperson weitere Vernehmungen zu ersparen. Dem Jugendlichen soll außerdem durch eine seinem Entwicklungsstand angepasste Kommunikation erleichtert werden, über das Geschehen zu sprechen. Im Gegensatz zu seinen deutschen Nachbarn hat sich der österreichische Gesetzgeber damit trotz aller Gefahr einer "Übersetzung" oder "Interpretation" der Fragen durch die Mittelsperson zu dieser umfassenden Zeugenschutzlösung bekannt. Opferzeugen unter vierzehn Jahren hat der Untersuchungsrichter in der in § 162 a Abs. 1 ÖStPO beschriebenen kontradiktorischen Form und unter beschränkter Beteiligung der Parteien zu vernehmen, § 162 a Abs. 3 S. 1

ÖStP0230 . Ob diese Vernehmung allerdings auch aufgezeichnet wird, unterliegt allein dem untersuchungsrichterlichen Ermessen 23l . Dabei hat der Untersuchungsrichter aber zu berücksichtigen, dass er mit der Dokumentation ein "besonders wertvolles Beweismittel" schaffen kann, "das dem unmittel-

hörde leistet Rechtshilfe und ein solches Verfahren ist technisch machbar, Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 227. 229 Sog. schonendes kontradiktorisches oder parteiöffentliches Verfahren, Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 226; LöschingGspandl/Puntigam, Landesbericht Österreich, S. 388. 230 In der Gesetzessystematik ist zunächst durch den Untersuchungsrichter die Anwendbarkeit des § 162 a Abs. 3 ÖStPO zu prüfen und erst im zweiten Schritt auf die Errnessensregelung des § 162 a Abs. 2 StPO zurückzugreifen, Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 225, für eine Heraufsetzung der Altersgrenze lesionek, Moos-Fs, S. 247. 231 "Der Untersuchungsrichter kann die Ton- oder Bildaufnahme der Vernehmung verlangen", § 162 a Abs. 1 S. 3 ÖStPO (Hervorhebung in Kursivschrift durch den Autor).

D. Erfahrungen mit der Videotechnik im Ausland

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baren Eindruck von einem Zeugen nahe kommt" und diesem außerdem eine weitere Vernehmung erspart. Unmündige Opferzeugen und Opfer von Sexualstraftaten gewinnen über eine Vernehmung nach § 162 a Abs. 3, 1 ÖStPO gemäß § 152 Abs. 1 Nr. 2 a und Nr. 3 ÖStPO in der Hauptverhandlung ein Zeugnisverweigerungsrecht. Die schriftlich oder auf Videoband festgehaltene Aussage ersetzt die unmittelbare Einvernahme des Zeugen in der Hauptverhandlung und zwar trotz des gewonnen Aussageverweigerungsrechts, denn ein dem § 252 StPO des deutschen Verfahrensrechts vergleichbares Beweisverwertungsverbot kennt das österreichische Recht nicht. Im Gegenteil, die Verlesung bzw. audiovisuelle Wiedergabe der Vernehmungsaufzeichnung wird durch § 252 Abs. 1 Nr. 2 a ÖStPO explizit erlaubt. Da das Aussageverweigerungsrecht des Zeugen unabhängig davon entsteht, ob Aufzeichnung auf Videoband oder nur schriftlich erfolgt, erscheint es in jedem Fall sinnvoll, zumindest eine richterliche Vernehmung - sei es nun die parteiöffentliche, die zu dem Aussageverweigerungsrecht führt, oder eine frühere, nicht parteiöffentliche Vernehmung - auf Bild- und Tonträger zu erfassen, um in der nachfolgenden Hauptverhandlung und in weiteren Verfahren dann auf diese Dokumentation zurückgreifen zu können. Die Einführung der schriftlichen bzw. der audiovisuellen Vernehmungsdokumentation in die Hauptverhandlung richtet sich nach den Vorgaben des § 252 ÖStPO. Besondere Relevanz kommt dabei § 252 Abs. 1 Nr. 2 a ÖStPO zu. Erlangt ein Zeuge durch die frühe kontradiktorische Vernehmung ein Entschlagungsrecht in der Hauptverhandlung und macht er von diesem Gebrauch, darf das Vernehmungsprotokoll dennoch verlesen und ergänzend die Videoaufzeichnung vorgeführt werden. Sie liegt dann der gerichtlichen Entscheidung zugrunde. Die ergänzende Videovorführung ist im Übrigen nicht zwingend, aber wenn sich das Gericht aber einen möglichst unmittelbaren "persönlichen" Eindruck von der Vernehmung und dem Vernommenen verschaffen will, ist sie hierzu natürlich weit besser geeignet als eine Schriftprotokoll 232 . Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 1 ÖStPO kann die Aufzeichnung auch dann vorgeführt werden, wenn der Zeuge verstorben oder wegen Alters, Krankheit oder Gebrechlichkeit oder ähnlich erheblichen Gründen, die allerdings nur tatsächlicher Natur sein dürfen, am Erscheinen gehindert ist. Vorausgehen muss allerdings immer ein vergeblicher Ladungsversuch, um sicherzustellen, dass der Zeuge für eine Vernehmung unmittelbar in der Hauptverhandlung bzw. auch für eine Vernehmung per Videokonferenz nach § 247 a ÖStPO tatsächlich unerreichbar ist 233 . 232

8*

OGH, ÖJZ-LSK 1997, 21.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

Weiterhin berechtigt eine Zeugnisentschlagung - egal ob nun berechtigt oder unberechtigt - dazu, die Aufzeichnung einer in kontradiktorischer Form erfolgten Vernehmung im Vorverfahren vorzuführen. Gleiches gilt bei Einverständnis aller Beteiligten. Nach der rechtsstaatlich recht problematischen Auffassung des OGH soll dazu sogar das konkludente Einverständnis des (unverteidigten) Angeklagten genügen, d.h. dieser müsste die bereits begonnene Vorführung der Aufzeichnung ausdrücklich rügen. Bedenklich erscheint dies deswegen, weil das Gesetz selbst keine Widerspruchpflicht, sondern zunächst nur ein striktes Verbot, auf Beweissurrogate zurückzugreifen, vorsieht. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich verankerten Grundsätze der Unmittelbarkeit (Art. 90 Abs. I B-VG) und der Konfrontations- und Verteidigungsrechte nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK wird also schon ein ausdrückliches Einverständnis des Angeklagten bzw. seiner Verteidigung zu verlangen sein, bevor das Vernehmungssurrogat zur Entscheidungsgrundlage werden darf234 . b) Videosimultanübertragung von Vernehmungen

Videosimultanvernehmungen in der Hauptverhandlung werden durch die Verweisung des § 250 Abs. 3 S. 1 ÖStPO auf § 162 a Abs. 1 S. 3 sowie durch § 162 a Abs. 2 bis 4 ÖStPO gesetzlich legitimiert. Erfolgen darf beispielsweise nach § 162 a Abs. 2 ÖStPO eine Vernehmung unter Abtrennung der übrigen Verfahrensbeteiligten, soweit dies im Interesse des Zeugen oder zur Wahrheitsfindung erforderlich erscheint. Der Vorsitzende vernimmt den Zeugen in einem gesonderten Raum. Die übrigen Verfahrensbeteiligten verfolgen die Aussage per Bild-Ton-Leitung im Gerichtssaal. Eine telefonische Sprechverbindung mit dem Vorsitzenden ermöglicht ihnen, Fragen an den Zeugen zu stellen. Über eine Verweisung 233 § 252 Abs. 1 Nr. 1 ÖStPO dient dem OGH unter anderem als Rechtsgrundlage zur Einführung der schriftlichen Aussage anonymer Zeugen, vorrangig Verdeckter Ermittier, in die Hauptverhandlung; kritisch dazu Schwaighofer, Moos-Fs., S. 321 f. 234 Zu diesem Problemkreis Hinterhofer, Videovemehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 247 f.; Schwaighofer, Moos-Fs., S. 317 f.; in einer neueren Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung dahingehend abgeschwächt, dass zwar ein stillschweigendes Einverständnis weiterhin möglich, aber nur unter besonderen Anforderungen gültig ist. In der Entscheidung des OGH 14 Os 15, 16/96 heißt es: " ... doch ist dazu erforderlich, dass über das bloße Unterbleiben des Widerspruchs hinaus den Akten noch weitere konkrete Anhaltspunkte zu entnehmen sein müssen, die - bei einem unvertretenen Beschuldigten unter der Voraussetzung entsprechender Belehrung (§ 3 StPO) - unzweideutig auf ein Verlesungseinverständnis schließen lassen." Außer einem ausdrücklichen Einverständnis dürfte nur wenig diese Voraussetzung erfüllen.

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auf § 162 a Abs. 2 S. 2 ÖStPO wird der Vorsitzende außerdem berechtigt, einen Sachverständigen mit der Befragung zu betrauen. Auf diese Weise hat neben dem englischen Modell auch das, was in der Bundesrepublik bisher als "Mainzer Modell" beschrieben wurde, Eingang in das österreichische Strafverfahren gefunden. Handelt es sich bei dem Zeugen um das unmündige Opfer eines Sexualdelikts muss die Vernehmung in der Hauptverhandlung sogar in dieser Form erfolgen, so §§ 250 Abs. 3, 162 a Abs. 3 S. S. 1 ÖStPO. Eine Aufzeichnung der Vernehmung liegt wieder im Ermessen des Gerichts. Sie bietet sich aber vor allem dann an, wenn bisher keine Aufzeichnung einer parteiöffentlichen Vernehmung erfolgte, der Zeuge also noch kein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 152 Abs. 1 Nr. 2 a und Nr. 3 ÖStPO erlangt hat. Gegenüber den Voraussetzungen der deutschen Regelung des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO, die eine "dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" zur Voraussetzung macht, erweist sich der österreichische Vorgänger mit dieser Gesetzgrundlage als weitaus flexibler, kennt im Gegenzug aber nicht die Unanfechtbarkeit der Anordnung einer Video simultan vernehmung, wie sie § 247 a S. 2 StPO vorsieht. Die Möglichkeit, den Weg des "Mainzer Modells", notfalls sogar unter Einschaltung eines "Fragenmittlers" zu beschreiten hat gegenüber der nur durch Bild-Ton-Leitung vermittelten Befragung gerade bei jüngeren Zeugen natürlich den Vorteil, eine angenehme, vertrauensvolle Vernehmungsatmosphäre schaffen zu können. Offensichtlich hat der österreichische Gesetzgeber die Bedenken gegen ein "gespaltene Hauptverhandlung" im Gegensatz zu seinem deutschen Nachbarn als nicht besonders gravierend empfunden und die Schonung des Zeugen sowie den unmittelbaren Kontakt zwischen Vernehmendem und Vernommenen in allen Verfahrensstadien in den Vordergrund gestellt. Die baulichen und technischen Voraussetzungen einer Videosimultanvernehmung wurden mittlerweile bei allen Strafgerichtshöfen geschaffen. Auch bleibt die Möglichkeit, ein Medienunternehmen mit der technischen Ausführung zu betrauen 235 . Doch ist auch in Österreich nur ein eher zurückhaltender Umgang mit den neuen Möglichkeiten zu verzeichnen. Mangelnde Routine im Umgang mit der Technik wird dafür als Ursache genannt, i. d. R. verbunden mit der fehlenden Erfahrung der Richter im Umgang mit Kindern. Ein Gesetzesantrag, nach dem Verfahren mit minderjährigen Opferzeugen grundSätzlich bei den Jugendgerichten stattfinden sollten, die regelmäßig sowohl über die technischen Instrumentarien als auch die psycho235 Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen im Strafverfahren, S. 110; LöschingGspandl/Puntigam, Landesbericht Österreich, S. 369.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

logische und pädagogische Erfahrung im Umgang mit Minderjährigen verfügen, fand 1999 keine Zustimmung236 . Neben Video vernehmungen nach Vorbild des Mainzer Modells hat der österreichische Gesetzgeber auch das Verfahren nach dem "englischen Modell" in seine Verfahrensordnung integriert. § 247 a Abs. 1 ÖStPO ermöglicht die Videosimultanvernehmung solcher Zeugen, die aufgrund ihres Alters, wegen Krankheit oder aus sonstigen erheblichen Gründen nicht zu einer persönlichen Aussage unmittelbar im Verhandlungssaal fähig sind. Erfasst werden außerdem Angehörige des Beschuldigten oder Zeugen, denen unter den Voraussetzungen des § 166 a ÖStPO wegen Gefährdung von Freiheit, Leben oder Gesundheit die Wahrung ihrer Anonymität zugestanden wurde 237 . In seiner Konzeption entspricht § 247 a Abs. 1 ÖStPO dem deutschen § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO. § 247 a Abs. 2 ÖStPO ermöglicht die Videosimultanvernehmung von Auslandszeugen, die nicht in der Lage oder nicht willens sind, vor Gericht zu erscheinen. Die Beschreitung des Rechtshilfewegs ist auch hier zwingend erforderlich. Die technischen Voraussetzungen können nach der Vorstellung des Gesetzgebers durch professionelle Unternehmen geschaffen werden. Allerdings ist vor allem aus Kostengründen schon früh eine geringe praktische Relevanz dieser Vorschrift prognostiziert worden 238 • Dabei darf auch im österreichischen Beweisverfahren nicht einfach auf "leichter erreichbare" Beweissurrogate, wie Vernehmungsprotokolle, zurückgegriffen werden, wenn das Originalbeweismittel erreichbar ist. Die Notwendigkeit eines größeren Aufwands oder hohe Kosten stellen keinen hinreichenden Grund dar, auf eine mögliche Beweisaufnahme mit für das Verfahren erheblichem Beweiswert zu verzichten 239 .

Erfahrungen mit einer Auslandsvernehmung wurden schon 1991, also sogar noch vor Schaffung der gesetzlichen Grundlage, in einem Tiroler Mordprozess gesammelt, in dem das Schwurgericht Zeugenvernehmungen per Satellit aus den USA anordnete. Die dabei angefallenen Kosten von etwa € 20.000,- für vier Stunden erwiesen sich allerdings als äußerst abschreckend. Der Ablauf der Vernehmung wurde zwar als durchaus positiv beurteilt, doch kam der Freispruch durch die Geschworenen für viele Beobachter recht überraschend und nährte böse Gerüchte, diese hätten die Videoübertragung wohl doch mit Fernsehen verwechselt240 • 236 Bericht des lustizausschusses, Wien, 2.11.1999, Nr. 1617 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XX. GP. 237 Lösching-Gspandl/Puntigam, Landesbericht Österreich, S. 354. 238 Lösching-Gspandl/Puntigam, Landesbericht Österreich, S. 369. 239 Lösching-Gspandl/Puntigam, Landesbericht Österreich, S. 371. 240 Die Schilderung beruht auf einem Vortrag von Prof Dr. Huber (Wien), gehalten anlässlich eines Workshop über Videokonferenzen bei Verfahren gegen die Orga-

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Zu bemerken bleibt, dass § 247 a ÖStPO nicht zur Aufzeichnung der Vernehmung berechtigt. Diese sind auf Vernehmungen im Vorverfahren nach § 162 a Abs. 1 S. 3 ÖStPO bzw. über die Verweisungsregelung des § 250 Abs. 3 ÖStPO auf die Vernehmung besonders schutzwürdiger Zeugen i. S. d. § 162 a Abs. 2, 3 ÖStPO in der Hauptverhandlung beschränkt.

6. Schweiz Aufgrund der Vielzahl kantonaler Strafverfahrensordnungen kann hier kein abschließender Überblick über den Schweizer Umgang mit den Möglichkeiten der Videotechnik gegeben werden 241 • Die Videosimultanübertragung von Vernehmungen hat allerdings spätestens mit Art. 5 des eidgenössischen Opferhilfegesetzes vom 04.10.1991 (OHG) in allen kantonalen Verfahrensordnungen Einzug gehalten 242 . a) Konfrontationsvermeidung nach Art. 5 OHG

Art. 5 Abs. 4 OHG erlaubt im Interesse der Opfer von Straftaten gegen Leib und Leben 243 eine direkte Konfrontation mit dem Beschuldigten zu vermeiden, soweit dessen Verteidigungs- und Fragerechte nicht entgegenstehen. Der Beschuldigte wird auf Übertragungsmöglichkeiten der Videotechnik, die rein akustische Übermittlung oder die traditionellen Formen der Einsicht in die Befragungsprotokolle, verbunden mit der Gelegenheit, Zusatzfragen zu stellen, verwiesen 244 .

Die Anordnung einer Begegnung mit dem Beschuldigten ist gegen den Willen des Opfers nur zulässig, wenn Beschuldigtenrechte oder ein überwiegendes Interesse der Strafverfolgung sie zwingend erfordern 245 . Für Opfer von Sexualdelikten geht Art. 5 Abs. 5 OHG sogar so weit, eine Konnisierte Kriminalität am 28.11.2000 in Rom/Paris/Trier, wobei die verschiedenen Tagungsorte zum Zwecke einer Vemehmungssimulation durch Videostandleitung verbunden waren. 241 Eine erschöpfende Übersicht über die Möglichkeit der Beschneidung von Konfrontationsrechten innerhalb der Verfahrensordnungen der einzelnen Kantone und die dazugehörige kantonale Rechtsprechung bei Schleiminger, Konfrontation im Strafprozess, S. 40 ff. 242 Maurer, ZStR 111 (1993), 385 (Fn. 37); Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, S. 261 f., 264, Schleiminger, Konfrontation im Strafprozess, S. 135 f. 243 Wortlaut des Art. 64 (ter) der Bundesverfassung, auf dem das OHG beruht. 244 Maurer, ZStR 111 (1993), 385 (Fn. 37); so auch im Wortlaut Art. 37 Abs. 3 StPO Obwalden. 245 Weis haupt, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes, S. 160 ff.

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frontation mit dem potentiellen Täter gegen den Willen des Opfers nur anzuordnen, soweit der Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör dies zwingend erfordert. Belange der Strafverfolgung können die Konfrontation nicht erzwingen. Das Opfer kann die Behörden überdies mit einem Antrag nach Art. 5 Abs.4 S. 1 OHG zu alternativen Vernehmungsformen verpflichten. Nur ausnahmsweise gehen Interessen des Beschuldigten oder der Strafverfolgung diesem Anspruch vor. Den Behörden gewährt Art. 5 Abs. 4 S. 1 OHG also keinerlei Ermessensspielraum246 . Soll eine Begegnung mit dem Beschuldigten im Interesse der Strafverfolgung erfolgen, muss das Gericht zwischen den staatlichen Belangen der Aufklärung und den Interessen des Opfers an einer Vermeidung der Konfrontation abwägen, doch bei Gefahr gravierender Beeinträchtigung überwiegt der Persönlichkeitsschutz, selbst wenn dies für die Wahrheitsfindung bedeutet, dass wesentliche aufklärungsrelevante Aspekte dem Gericht verborgen bleiben. Art. 5 Abs. 3 und 4 OHG beschränken also vor allem Anwesenheitsrechte des Beschuldigten. Im Interesse des Opfers ist eine Konfrontation bei jeder Form der Beweiserhebung zu vermeiden. Neben Vernehmungen betrifft das auch Augenscheinseinnahmen. Bei Gegenüberstellungen ist möglichst so vorzugehen, dass das Opfer nicht unnötig belastet wird. Einwegspiegel können z. B. verhindern, dass sich das Opfer vom Beschuldigten beobachtet fühlt. Allerdings wird dem Opfer nicht die Begegnung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten - etwa dem Verteidiger - erspart. b) Kritische Stimmen zum Opferhilfegesetz

Zu den Voraussetzungen des OHG ist allerdings kritisch anzumerken, dass sein Geltungsbereich viel zu weit gefasst wurde. Jede Verletzung der physischen, psychischen oder sexuellen Integrität eröffnet gemäß Art. 2 OHG seinen Anwendungsbereich, unabhängig davon, ob es sich bei der Straftat nur um ein Vorsatz- oder ein Fahrlässigkeitsdelikt handele47 . In logischer Folge kann damit auch ein Verkehrsunfallopfern verlangen, dem Beschuldigten nicht gegenübergestellt zu werden. Das aber erscheint übertrieben 248 . Zuzustimmen ist daher den Stimmen, die eine restriktive Auslegung des Schutzbereiches verfolgen. Die bewirkte Verletzung muss schon einen erheblichen Beeinträchtigungsgrad erreichen, bevorder Anwendungsbereich des OHG eröffnet wird. Bloße Übertretungen und Bagatelldelikte, 246 Weishaupt, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes, S. 155 f. 247 Hauser, Moos-Fs., S. 334. 248 Kritisch dazu auch Maurer, ZStR 111 (1993), 377 f., 385, 395.

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die ein nur geringes Ausmaß an Betroffenheit beim Opfer hervorrufen, unterfallen ihm niche49 . Trotz dieser Einschränkungsbemühungen ist aber nicht zu übersehen, dass der Wortlaut des Gesetzes viel zu weit geraten ist und noch einiges an Konfliktstoff bereit hält. Ähnlich dem österreichischen Modell kann bei kindlichen Zeugen eine direkte Konfrontation mit dem Beschuldigten nur unterbleiben, wenn das Kind aus der Straftat verletzt wurde. Während auf der einen Seite also nahezu sämtliche Opferzeugen durch das OHG geschützt werden, darunter auch viele, die eines Schutzes vor Konfrontation mit dem Beschuldigten nicht bedürfen, besteht auf der anderen Seite für verletzliche und sensible Zeugen, die nicht Opfer der Straftat sind, ein Schutzdefizit. Einige Kantone haben aus diesem Grund die Vorgaben des Opferhilfegesetzes verschärft in ihre eigenen Verfahrensbestimmungen übertragen. § 149 c StPO Zürich etwa bestimmt den zwingenden, von Amts wegen anzuordnenden Ausschluss des Angeschuldigten von der Einvernahme eines kindlichen Opfers, das zur Zeit der Vernehmung das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Versagung des Anwesenheitsrechts umfasst zudem den Verteidiger, da man bei Anwesenheit mehrerer erwachsener Personen eine Verunsicherung und Einschüchterung des Kindes befürchtet. Angeschuldigter und Verteidiger können die Einvernahme durch audiovisuelle oder akustische Übertragung ein einem anderen Raum mitverfolgen, doch nur unter der Einschränkung, dass "dies dem Kind zugemutet werden kann,,25o. Das Anwesenheitsrecht des Angeschuldigten wird damit erheblich eingeschränkt. Wird nicht einmal die indirekte, audiovisuell vermittelte Teilnahme gestattet, bleibt dem Angeschuldigten nur das Recht, Ergänzungsfragen zu stellen. Doch auch dies nur innerhalb der Grenze des für das Kind Zumutbaren bzw. der Grenze des für die Wahrheitserforschung Erforderlichen. c) Bemerkungen zur ParteiötTentlichkeit des Vorverfahrens

Der Bedarf an Zeugen schutz bei Vernehmungen wurde in der Schweiz ohnehin erst durch die Straßburger Rechtsprechung zum Konfrontationsrecht des Beschuldigten akut, denn Zeugen werden dort regelmäßig nur einmal und zwar bereits im Vorverfahren und nur durch den Untersuchungsrichter vernommen. Die so gewonnenen Beweise gelangen als Protokolle zu den Akten und werden nicht selten unmittelbar der Urteilsfindung zugrunde 249 Weishaupt. Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes, S. 30 ff. m. w. N. zu den Gesetzesprotokollen. 250 § 149 c Abs. 4 S. 2 i. V.m. § 14 Abs. 3 S. 1, § 149 c Abs. 3 S.4 StPO Zürich.

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gelegt. In der Hauptverhandlung entscheidet das Gericht, auf welchem Gebiet noch Beweisbedarf besteht und welche Zeugen oder andere Personen es in der Hauptverhandlung hören will 251 . Durchbrechungen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und Beweisantizipation durch das erkennende Gericht sind also die Regel 252 und die Tendenz zur Vorverlagerung wesentlicher Errnittlungsvorgänge in das Vorverfahren ist allgegenwärtig 253 . Gleichzeitig kennen nur wenige kantonale Strafprozessordnungen eine obligatorische Parteiöffentlichkeit im Vorverfahren 254 • U. U. kann damit eine Aussage der Urteilsfindung zugrunde gelegt werden, die ohne Anwesenheit und Fragemöglichkeiten des Beschuldigten zustande gekommen ist255 . Die Verlesung früherer Vernehmungsprotokolle ist das Regelverfahren, selbst wenn kantonale Gesetze dies nur als Ausnahme vorsehen256 . Zumindest in Bezug auf V-Leute und anonyme Zeugen hat das Urteil

Lüdp57 dieser Praxis Grenzen gesetzt. Die im Verfahren mindestens einmal

zu gewährleistende Konfrontation mit dem Zeugen darf dem Beschuldigten nicht ohne zwingende Gründe versagt werden.

Die Kantone haben dieser Entwicklung Rechnung getragen. Anstelle der Vernehmung des Zeugen vom Hörensagen bzw. einer Verlesung anonymer Aussagen in der Hauptverhandlung lassen sie nun die direkte Befragungen von V-Leuten oder anderen an Leib und Leben gefährdeten Zeugen zu, allerdings nur unter Wahrung ihrer Anonymität. Das äußere Erscheinungsbild darf verdeckt werden, soweit Mimik und Gestik erkennbar bleiben. Auch kann die Vernehmung vom Beschuldigten getrennt durchgeführt und diesem audio-visuell bzw. ausnahmsweise auch nur akustisch übertragen werden 258 . Zum weiteren Schutz des Zeugen darf die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden259 . 251 AE-ZVR, S. 141; zur Verfahrensordnung und Rechtsprechung der einzelnen Kantone ausführlich Schleiminger, Konfrontation im Strafprozess, S. 40 ff. 252 Hauser, Moos-Fs., S. 339. 253 Heine, Landesbericht Schweiz, S. 179. 254 Z. B. §§ 14, 15 StPO Zürich; zur Unmittelbarkeit auch Roth, ZStR 116 (1998), 393. 255 AE-ZVR, S. 141; Heine, Landesbericht Schweiz, S. 180, 182 f., 191 f., 200 f. 256 Heine, ZStR 109 (1992), 67 ff. 257 EGMR [Lüdi v. Schweiz], StV 1992,499. 258 § 14 Abs. 2-4 StPO Zürich; Art. 37 Abs. 3 StPO Obwalden; dazu BGE 121 (1995), I 306 ff. E. I b); kritisch noch vor Legalisierung der Videosimultanübertragung im Kanton Zürich: Kassationsgericht Zürich, SJZ 92 (1996), 337 E. III, das zumindest eine optische und akustische Abschirmung der Auskunftsperson unter Zuhilfenahme technischer Mittel für unzulässig erachtete; zu den notwendigen Maßnahmen bei Vernehmung anonymer Zeugen Roth, ZStR 116 (1998), 389; Hug, ZStR 116 (1998), 413 f.; gegen eine Maskierung argumentieren losetlRuckstuhl, ZStR 111 (1993), 373 f.

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7. Italien Beinahe exzessiven Gebrauch von den Möglichkeiten der Videotechnik macht inzwischen Italien, soweit Strafverfahren in Bereichen der organisierten Kriminalität im Raum stehen. Auf der Grundlage der Art. 146 a und 147 a der Bestimmungen zur Ausführung des Strafprozessgesetzbuches26o werden Videovernehmung des Zeugen und des Beschuldigten in die Hauptverhandlung durchgeführt. Erst 1998 eingeführt261 , haben sich diese Vernehmungsmodalitäten bereits jetzt unter dem Aspekt der Verfahrensbeschleunigung und Verfahrenswirtschaftlichkeit bewährt. Beispielhaft sei genannte, dass allein im Jahre 2000 bis zu 7000 audiovisuelle Verbindungen im Rahmen von fast 1500 Gerichtsverhandlungen zustande kamen. Mit der notwendigen Technik wurden mittlerweile mehr als 150 Gerichtssäle ausgestattet, weitere technische Umbauten sollen folgen 262 . Im Kampf gegen organisierte Kriminalität befindet sich die italienische Justiz seit Jahren in einer Art Ausnahmezustand. Das Phänomen zeit- und kostenaufwendiger Massenverfahren, die auf allerhöchster Sicherheitsstufe abgewickelt werden müssen, lässt sich nur noch mit dem Begriff des "gigantismo processuale,,263 annähernd charakterisieren. Um die Verfahren wenigstens in einem rechts staatlich einigermaßen akzeptablen zeitlichen Rahmen abschließen zu können, sah sich der italienische Gesetzgeber gezwungen, eine Reihe verfahrensbeschleunigender Maßnahmen zu ergreifen. Die Videokonferenz gehört dazu. a) Videokonferenz mit dem inhaftierten Angeklagten Auf Distanz vernommen werden aber nicht nur gefährdete Zeugen, darunter vor allem collaboratori con La giustizia (Beschuldigte, die mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten264 ), sondern in erster Linie die BGE 121 (1995), I 306 ff. E. 2. Art. 146-bis, 147-bis norme di attuazione, di coordinamento e transitorie deI codice di procedura penale (c.p.p.); für eine ausführliche Darstellung der Vorschriften s. auch Mehrens, Kronzeugenregelung, S. 268 ff. 261 Zunächst nur mit zeitlich beschränkter Wirksamkeit durch das Gesetz vom 7. Januar 1998, Nr. 11, unter zeitlicher Befristung auf den 31.12.2000. Der Bewährung der Vorschriften in der Praxis aber ist es zu verdanken, dass eine Distanzvemehmung auch über dieses Datum hinaus zum Gerichtsalltag gehört. 262 Patrono, Vortrag anlässlich des Workshop über Videokonferenzen bei Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität am 28.11.2000 in Rom/Paris/Trier; zur Häufigkeit der Verbindungen s. Jarvers/Kinzig, MschrKrim 2001, 441. 263 "Prozessaufblähung". 259

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Angeklagten selbst. Inhaftierte Beschuldigte werden über audiovisuelle Verbindungen direkt aus den Justizvollzugsanstalten in die Hauptverhandlung zugeschaltet. Ihr persönliches Anwesenheitsrecht ist insoweit modifiziert. Ihre Aussagen, Beanstandungen und Fragen werden in der Hauptverhandlung per Monitor zur Kenntnis genommen. Damit erübrigt sich die Organisation eines teuren und aufwendigen "Justiztourismus" , d. h. die nach dem Gesetz an sich notwendige Überführung der Beschuldigten in das Gefängnis des verhandelnden Gerichts. Zugleich können ungewollte Kontakte zwischen den Beschuldigten bzw. zwischen Angeklagtem und Zeugen unterbunden werden 265 . Vermieden werden auch die Verzögerungen, mit denen die Gericht bisher bei Verhandlungen gegen die organisierte Kriminalität zu kämpfen hatten und welche die Kontinuität der Hauptverhandlung zu unterminieren drohten. Sind weitläufige kriminelle Vereinigungen in die Straftaten involviert, so müssen zur Aufklärung oft zahlreiche Zeugen gehört werden. Auch werden Prozesse im Bereich der organisierten Kriminalität nicht selten gegen bis zu hundert und mehr Beschuldigte betrieben. Deren Anwesenheit gleichzeitig und unter entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen im Gerichtssaal sicherstellen zu können, ist trotz großen Verfahrensaufwands ein nahezu unmögliches Unterfangen. Nicht selten müssen die Angeklagten zudem in mehreren Strafverfahren, die zu gleicher Zeit an unterschiedlichen Orten gegen sie betrieben werden, präsent sein und nur die wenigsten verzichten auf ihr persönliches Anwesenheitsrecht in auch nur einem dieser Verfahren. Letzteres natürlich aus taktischen Gründen, denn bei beständiger Verzögerung und Unterbrechung der laufenden Hauptverhandlung kann das Scheitern des Verfahrens vorangetrieben werden. Das ist spätestens dann der Fall, wenn die komplexen und langwierigen Verhandlungen die maximale Dauer der Untersuchungshaft (custodia cautelare 266 ) überschreitet267 . 264 Im allgemeinen Sprachgebrauch findet sich auch das Synonym "peniti", das eigentlich einen seine Straftaten bereuenden Terrorist bezeichnet, zunehmend aber nicht mehr nur in diesem Sinn angewandt wird, Schlüchter, Schneider-Fs., S. 459; Mehrens, Kronzeugenregelung, S. 163 f. 265 Die Unterbindung solcher Kontakte zwischen den Mitgliedern "in vinculis" und dem Rest der mafiösen Vereinigung war Hauptanliegen der Maßnahmen der Suspendierung der normalen Haftbedingungen zu1asten der gefahrlichsten Häftlinge, eingeführt mit Art. 41 a Abs. 2 des Gesetzes vom 26. Juli 1975, Nr. 354. 266 Gemäß Art. 303 der italienischen Strafprozessordnung (codice penale procedurale) reicht deren Zeitspanne von drei Monaten bis zu sechs Jahren. 267 Der Verfassungsgerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 22. Juli 1999, Nr. 342, mit den gesetzgeberischen Motiven zur Legalisierung der Videokonferenzen auseinandergesetzt - Corte Costituzionale, Sentenza - 22. luglio 1999, n. 342,

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Die Anzahl und Größe der Verfahren bedingt zudem, dass die Zahl der Beschuldigten die der verfügbaren Strafverteidiger bei weitem übersteigt. Es benötigt auch einiges an Organisation, die Anwesenheit dieser Verteidiger bei gleichzeitig laufenden Parallelverfahren sicherzustellen. Art. 146 a der Bestimmungen zur Ausführung des Strafprozessgesetzbuches gestattet die nur audiovisuelle Teilnahme einer in Haft befindlichen Person an Strafverfahren, die Delikte aus dem Bereich schwerster organisierter Kriminalität zum Gegenstand haben. Eine Anordnung darf erfolgen, wenn (a) "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" es erfordern oder (b) die Verhandlung von "besonderer Komplexität" ist und die Teilnahme aus der Distanz zur Vermeidung eventueller Verzögerungen in der Verfahrensabwicklung notwendig ist oder (c) für den Angeklagten aus außerordentlich schwerwiegenden Sicherheitsgründen besonders strenge Haftbedingungen angeordnet worden sind268 . Zu berücksichtigen ist auch, ob gegen den Angeklagten gleichzeitig weitere Hauptverhandlungen an verschiedenen Orten im Gange sind. Gemäß Art. 146 a Abs. 3 muss zwingend eine gegenseitige, effektive und ununterbrochene visuelle und akustische Verbindung zwischen den Parteien an beiden Orten der Videokonferenz gewährleistet sein. Nehmen mehrere Angeklagte auf diesem Weg und aus verschiedenen Haftanstalten an der Hauptverhandlung Teil, müssen auch diese in die Lage versetzt werden, sich gegenseitig hören und sehen zu können. In Italien wird das durch sogenannte CPS oder CPA - Verbindungen ermöglicht. CPS erlaubt die ständige Verbindung von bis zu sieben Orten, sichtbar in Form von neben- und untereinander angeordneten Quadraten auf einer Großleinwand. CPA ermöglicht die Zu schaltung von bis zu fünfzehn Beteiligten, wobei aber nur drei davon ständig auf einem Bildschirm sichtbar sind. Die weiteren Orte können jeweils über das sogenannte "Switching" auf einem vierten Quadrat des Bildschirms eingeblendet werden 269 . Normalerweise geschieht das dann, wenn einer der Zugeschalteten das Wort ergreift, der Bildwechsel kann aber auch manuell gesteuert werden. An Ausbau und Verbesserung dieses Systems wird gearbeitet. Art. 146 a Abs. 4 garantiert dem Verteidiger oder dessen Stellvertreter das Recht zur persönlichen Anwesenheit sowohl im Verhandlungssaal als auch an dem Ort, von dem aus der Mandant in die Hauptverhandlung zugeschaltet wird. Zugesichert wird gleichfalls die Möglichkeit, jederzeit mit veröffentlicht in Foro Italiano, I, 2000, 3363, 3364 und in deutscher (verkürzter) Übersetzung in EuGRZ 2000, 163. 268 Art. 41 ader Strafvollzugsordnung vom 26. Juli 1975, Nr. 354. 269 Patrono, Vortrag anlässlich des Workshop über Videokonferenzen bei Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität am 28.11.2000 in Rom/Paris/Trief.

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geeigneten technischen Mitteln vertraulich miteinander kommunizieren zu können. In der Regel meint das die Kommunikation per Mobiltelefon. Eine solche Garantie der vertraulichen Kommunikation ist wegen des in Art. 24 Abs. 1 der Verfassung in allen Verfahrensstadien uneingeschränkt gewährleisteten Rechts auf Verteidigung unter keinen Umständen verzichtbar. Der italienische Verfassungsgerichtshof hat auch nur wegen der Existenz dieser Kommunikationsmöglichkeiten eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Verteidigungsrechte verneint 27o . Eine Teilnahme des Angeklagten auf Distanz darf in nichts hinter einer Teilnahme in persönlicher Anwesenheit im Sitzungssaal zurückstehen. In einigen Verhandlungssälen sind infolge des Urteils sogar geschlossene Telefonzellen eingerichtet worden, von denen aus der Verteidiger zu jedem Zeitpunkt der Verhandlung unkontrolliert mit dem Angeklagten in Kontakt treten kann271 • Für das Gespräch zwischen Anwalt und Angeklagtem gibt es nicht einmal eine zeitliche Gesprächsbegrenzungen, obwohl diesen Vorgängen natürlich auch die Gefahr der Verfahrensverzögerung innewohnt. Erst wenn eine Gegenüberstellung bzw. eine andere Maßnahme erfolgen soll, bei der eine Betrachtung der Physiognomie des Angeklagten notwendig wird, kann der Richter dessen Anwesenheit im Sitzungssaal verfügen. Mittlerweile wurde in einigen Gerichtsverhandlungen aber sogar die Gegenüberstellung per Monitor erprobt. Die Erfahrungen damit sind nicht allzu positiv ausgefallen, denn die audiovisuelle Wiedergabe verändert das Erscheinungsbild des Betrachteten. Verfälscht werden die Schattierungen seiner Hautfarbe. Auch Größe und Statur der Person können in den richtigen Proportionen kaum erfasst werden. Erfolgt die Gegenüberstellung mit mehreren Personen, dann stößt bereits die Technik an ihre Grenzen, denn die Personen müssen gleichzeitig, nebeneinander und gut sichtbar auf dem Monitor erscheinen. Kameras ohne Zoom und in fester Einstellung versagen hier. Möglich bleibt nur, die Testpersonen eine nach dem anderen einzeln und in Großaufnahme ins Bild zu bringen272 • 270 Corte Costituzionale, Urteil vom 22. Juli 1999, Nr. 342. (Foro Italiano, I, 2000, 3363 oder EuGRZ 2000, 163); überprüft wurde die Zulässigkeit der Beschuldigtenvernehmung auf Distanz im Hinblick auf eine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 it. der Verfassung), dem Recht auf effektive Verteidigung (Art. 24 Abs. 1 der Verfassung), der Unschuldsvermutung (Art. 27 Abs. 2 der Verfassung) sowie Art. 6 Abs. lit. c und d EMRK und Art. 10 der italienischen Verfassung, der den Vorrang des Völkergewohnheitsrechts normiert. 271 Patrono, Vortrag anlässlich des Workshop über Videokonferenzen bei Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität am 28.11.2000 in Rom/Paris/Trier. 272 So die Erfahrungen von Oliveri und Ciruzzi, Vorträge anlässlich eines Workshop über Videokonferenzen bei Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität am 28.11.2000 in Rom/Paris/Trier. Die Erfahrungsberichte bestätigten auch das Ergebnis eines im Rahmen der Vernehmungssimulation unternommenen Versuchs, eine Wahlgegenüberstellung per

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b) Videokonferenz mit gefährdeten Zeugen sowie Auslandszeugen Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten, sowie Personen, die wegen mit dem Verfahren verbundener Straftaten angeklagt sind, können ebenfalls per Videokonferenz in die Hauptverhandlung vernommen werden, sofern die technischen Mittel dazu verfügbar sind 273 . Die Videokonferenz ergänzt in diesem Fall spezielle Zeugenschutzprogramme. Seit Beginn der neunziger Jahre kann dem gefährdeten Zeugen in Italien eine neue Identität verliehen werden. Weiterhin besteht die Option, ihn mit seiner Familie an sichere, geheime Orte auch im Ausland umzusiedeln. Inhaftierte Kronzeugen werden in speziellen Gefangnissen untergebracht 274 . Um diese Schutzmechanismen auch in der laufenden Hauptverhandlung nicht zu unterminieren, kann die Vernehmung von einem geheimen Ort aus erfolgen. Gemäß Art. 147 a Abs. 3 soll die Vernehmung sogar regelmäßig in dieser Form erfolgen, sofern der Richter nicht die persönliche Anwesenheit der zu vernehmenden Person für absolut notwendig erachtet und eine der in Abs. 3 aufgezählten Voraussetzungen gegeben sind. Demnach werden grundsätzlich auf Distanz vernommen: • Personen, die in ein besonderes Schutzprogramm aufgenommen worden sind und die im Rahmen eines Verfahrens vernommen werden, das Straftaten aus dem Bereich schwerster organisierter Kriminalität zum Gegenstand hat. • Personen, deren Identität verändert wurde. In diesem Fall muss außerdem mit geeigneten Maßnahmen sichergestellt werden, dass das Gesicht des Vernommenen nicht sichtbar wird. • Angeklagte in Verfahren über Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, die mit dem laufenden Strafprozess in Zusammenhang stehen, auch wenn diese Verfahren abgetrennt wurden. Monitor zu inszenieren. Es vergingen einige Minuten mit dem erfolglosen Unterfangen, die drei Testpersonen nebeneinander oder gestaffelt hintereinander im Bildausschnitt einer Kamera zu gruppieren. Um sie nebeneinander zumindest mit Oberkörper und Kopf ins Bild zu bringen, mussten die Personen schließlich in großer Entfernung vom Objektiv platziert werden. Auf diese Distanz waren jedoch ihre Gesichtszüge nicht mehr zu erkennen. Schließlich behalf man sich mit Großaufnahmen und bat jede der Testperson, einzeln und der Reihe nach vor das Kameraobjektiv zu treten. Doch auch dabei blieb das Bild der Gesichtszüge und Körperproportionen aufgrund technischer Bild- und Bewegungsverzerrungen unzureichend. Soweit ein Gericht nicht Standleitungen mit guter Übertragungsqualität verwenden kann, bleibt daher zu bezweifeln, dass eine hundertprozentige Identifizierung über Bildschirm möglich wäre. 273 Art. 147 a der Bestimmungen zur Ausführung des Strafprozessgesetzbuches. 274 Schlüchter, Schneider-Fs., S. 458; ausführlich Mehrens, Kronzeugenregelung, S. 255 ff.; Jarvers/Kinzig. MschrKrim 2001, 440 ff.

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Ein ununterbrochener, effektiver und gegenseitiger Sichtkontakt ist sicherzustellen. Allerdings darf der zu Vernehmende mit technischen Hilfsmitteln abgeschirmt werden, etwa durch eine Bildverzerrung, durch die sein Gesicht verdeckt wird. Gestattet werden kann dem Zeugen auch, mit dem Rücken zur Kamera zu sitzen. In der zweiten Variante des Art. 147 a Abs. 3 soll sogar für derartige Maßnahmen Sorge getragen werden. Um aber die Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht unnötig zu beschneiden, gilt auch hier, dass zur Vermummung des Zeugen nur dann gegriffen werden kann, wenn anders ein effektiver Schutz, beispielsweise durch Ausschluss der Öffentlichkeit, nicht zu gewährleisten ist. Sind sich Angeklagter und Zeuge bekannt, ist eine Vermummung ohnehin unsinnig. Auslandsvernehmungen nach den Vorgaben des Art. 147 a der Bestimmungen zur Ausführung des Strafprozessgesetzbuches sind in Strafverfahren gegen die organisierte Kriminalität ebenfalls keine Seltenheit mehr. Gegen international vertretene kriminelle Gruppierungen wäre der staatliche Justizapparat ohne internationale Kooperation machtlos. Zur Kooperation mit den italienischen Strafverfolgungsbehörden haben sich dabei auch Staaten bereit erklärt, denen eine Fernvernehmung von Zeugen weder als gesetzliche Grundlage noch in der Gerichtspraxis bekannt ist. So hat beispielsweise Frankreich im Oktober 2000 der audiovisuellen Vernehmung eines in Aix en Provence inhaftierten Zeugen durch das italienische Gericht zugestimmt, obwohl die französische Justiz technisch und rechtlich auf ein solches Vorgehen nicht vorbereitet war.

8. Schweden Zum Teil sehr weitgehende Durchbrechungen des Unmittelbarkeitsprinzips finden sich in skandinavischen Rechtsordnungen. In Schweden kann ein Zeuge durch das Gericht per Telefon vernommen werden, wenn sein persönliches Erscheinen im Gerichtssaal unverhältnismäßig hohe Kosten oder Schwierigkeiten verursachen würde 275 • Allerdings darf an dem Beweiswert der Aussage kein Zweifel bestehen und ihr keine entscheidende Bedeutung für die Schuldfrage zugemessen werden. Auch kommt dieses Verfahren nicht in Betracht, soweit auf das Erscheinungsbild des Zeugen nicht verzichtet werden kann. Andere Vernehmungssurrogate werden in der schwedischen Rechtsordnung ebenso großzügig angewandt. Videoaufnahmen von Vernehmungen kindlicher Zeugen etwa können in der Hauptverhandlung den persönlichen Zeugenbeweis ersetzen, soweit nur das Band dem Beschuldigten und der 275

Cornils, Landesbericht Schweden, S. 457 f.

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Verteidigung vorgespielt wurde und diese gegebenenfalls eine ergänzende Vernehmung beantragen konnten 276 .

9. Niederlande Bis zu Beginn der neunziger Jahre konnten in den Niederlanden gefährdete Zeugen am einfachsten dadurch geschützt werden, dass ihre anonymen polizeilichen bzw. untersuchungsrichterlichen Aussagen in der Hauptverhandlung verlesen wurden 277 . Weder der Beschuldigte noch die Verteidigung erhielten jemals Gelegenheit, den Zeugen persönlich zu befragen. In der Verfahrenspraxis hatte ein Konfrontationsrecht des Beschuldigten keinen Stellenwert. Nach den Verurteilungen der Niederlande durch den EGMR in den Entscheidungen Kostovski278 und Van Mechelen 279 musst dies grundlegend geändert werden. Der Rückgriff auf anonyme Zeugen wurde durch eine Gesetzesreform erheblich eingeschränkt28o . Dennoch erfolgt eine Zeugenvernehmung auch heute immer noch in erster Linie im Laufe der Voruntersuchung. Die Verlesung polizeilicher Vernehmungsprotokolle und die Erklärung eines Zeugen vom Hörensagen bleibt Gerichtsalltag Das Unmittelbarkeitsprinzip spielt - zumindest in materieller Hinsicht - keine Rolle 281 . Zeugen und Opfer erscheinen nur selten vor Gericht und auch die Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren kann unter bestimmten Voraussetzungen in schriftlicher Form bzw. nur mittels Telekommunikation erfolgen 282 . Schminken oder Vermummen ist ebenso gestattet wie der Gebrauch einer Trennwand oder eines Stimmverzerrers 283 . Zeugen schützende Maßnahmen nach der niederländischen Rechtsordnung sind damit äußerst effektiv. Doch bestehen ernst zu nehmende Bedenken, ob die niederländische Verfahrenspraxis trotz der Strafverfahrensreform beim Konfrontationsrecht vor dem EGMR bestehen könnte 284 . Die FrageComils, Landesbericht Schweden, S. 465. Swart, ZStW 105 (1993), 70; Nijboer, Zeugen schutz durch weniger "klassisehe" Unmittelbarkeit, S. 158, 161 f. 278 EGMR [Kostovski v. Niederlande], StV 1990,481. 279 EGMR [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997,617. 280 Einen kritischen Überblick über die Reform geben Swart, ZStW 105 (1993), 72 ff. und Krauß. V-Leute im Strafprozess, S. 69 f. 281 Tak, ZStW 112 (2000), 184. 282 Von ermutigenden experimentellen Erfahrungen mit Distanzvernehmungen und mit der Aufnahmetechnik in Vernehmungsstudios berichtet Nijboer, Zeugenschutz durch weniger "klassische" Unmittelbarkeit, S. 166. 283 Krauß, V-Leute im Strafprozess, S. 69; van de Reyt. Landesbericht Niederlande. S. 302. 276 277

9 Swoboda

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

rechte des Beschuldigten bestehen auch nach 1992 nur in elementarster Form. Wird der Auskunftsperson außerdem die Wahrung ihrer Anonymität gestattet, dann steht es ihr frei, Fragen, durch die ihre Identität aufgedeckt werden könnte, nicht zu beantworten285 . Gegenüber der alten Rechtslage, in der die polizeiliche Vernehmung anonymer Zeugen vollständig ausreichte, ist die heutige Einschaltung eines Untersuchungsrichter bereits als Fortschritt zu werten. Ausgeschlossen wurde im Zuge der Gesetzesreform mittlerweile auch, dass eine Verurteilung ausschließlich auf anonyme Zeugenaussagen gestützt wird. Doch darf das Gericht unverändert Urteile im Wesentlichen bzw. sogar maßgeblich auf der Grundlage anonymer Beweise fällen. Ein klarer Widerspruch zur Aussage der Entscheidung Van Mechelen, denn ihr zufolge darf eine Verurteilung weder ausschließlich noch maßgeblich (!) auf Angaben anonymer Zeugen basieren286 . Im Vergleich zur Straßburger Rechtsprechung fällt außerdem auf, dass der EGMR eine gewisse, wenn auch nicht zwingende, Präferenz einer Beweiserhebung in der parteiöffentlichen kontradiktorischen Hauptverhandlung betont287 . Eine Form der Beweiserhebung, die in der Theorie auch im niederländischen Verfahren durchaus wiederzufinden ist. Doch im Gerichtsalltag hat sich als Regelfall herausgebildet, die Entscheidungsfindung in ihren wesentlichen Zügen bereits im Rahmen der Voruntersuchung abzuschließen. Das Hauptverfahren erhält den Charakter einer beinahe "formellen" Beweisbestätigung288 . Dies erklärt sich nicht zuletzt dadurch, dass die niederländischen Richter, von denen jeder im Durchschnitt täglich 15 - 20 Strafverfahren effektiv und schnell erledigen so1l289, auf schon im Vorverfahren abschließend erhobene Beweise angewiesen sind. Demzufolge ist auch nicht zu erwarten, dass Beschneidungen der Beschuldigtenrechte im Stadium der Voruntersuchung durch das spätere Hauptverfahren ausgeglichen werden können. 284 Krauß, V-Leute im Strafprozess, S. 69; mit Bedenken auch Swart, ZStW 105 (1993), 74. 285 So wurde beispielsweise im Fall Kostovski der Verteidigerin zwar die Vorlage eines schriftlichen Fragekatalogs an den anonymen Zeugen erlaubt, zur Wahrung seiner Anonymität blieb diesem aber gestattet, nur 2 der insgesamt 14 Fragen zu beantworten. 286 EGMR [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997,619; dazu Wattenberg, StV 2000, 69l. 287 "Grundsätzlich müssen alle Beweise in Gegenwart des Angeklagten in öffentlicher Verhandlung mit Blick auf eine kontradiktorische Argumentation erhoben werden." EGMR [Kostovski v. Niederlande], StV 1990, 481 (482); [Windisch v. Österreich], StV 1991, 193 (194); [Delta v. Frankreich], Serie A/191-A; Tak, ZStW 112 (2000), 183. 288 Van de Reyt, Landesbericht Niederlande, S. 299. 289 Müller, DRiZ 1993, 384.

D. Erfahrungen mit der Videotechnik im Ausland

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10. Zusammenfassung Im internationalen Vergleich ist Deutschland beim Einsatz von Videotechnik im Verfahren sicherlich ein "Nachzügler" und nicht wenige Anwendungsmöglichkeiten bleiben bis heute ungenutzt. Hingewiesen sei hier nur auf die audiovisuelle Vernehmung eines Beschuldigten auf Distanz oder die videographische Dokumentation einer frühen Beschuldigtenvernehmung, die im Hauptverfahren beispielsweise die Funktion eines Vorhalts nach § 254 Abs. 1 StPO übernehmen könnte. Einige Wege hat der deutsche Gesetzgeber bewusst noch nicht beschritten. Beschneidungen der Beschuldigtenrechte etwa erfolgen bisher nur in dem von den tatsächlichen Bedürfnissen bedrängter oder sensibler Zeugen unumgänglich gemachten Umfang 29o . Bei anderen Einsatzformen fehlt es am dringenden Bedarf. So machen es weder Gründe der Prozessökonomie noch der Verfahrensbeschleunigung zwingend notwendig, inhaftierte Beschuldigte nur aus der Distanz an ihrem Verfahren teilhaben zu lassen. Massenverfahren aus dem Bereich der organisierten Kriminalität mit an die hundert Beschuldigten zählen hierzulande nicht zum Verfahrensalltag. Ebenso sind uns die Gefahren der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit, welche die italienische Justiz dazu veranlassen, in Mafia-Prozessen die Angeklagten nur noch in Ausnahmefällen aus den Justizvollzugsanstalten an den Ort des Verfahrens zu überführen in ihrer Brisanz noch fremd. Zum Terror der Mafia gehören Anschläge auf aussagewilligen Personen oder auf Angehörige der Justiz. Ebenfalls ereignen sich in italienischen Gerichtssälen immer noch viel zu häufig Todesfälle 291 . Die aus dieser Extremsituation geborenen Verfahrensmaßnahmen unbesehen auf andere Rechtsordnungen zu übertragen, wäre tatsächlich kaum nachvollziehbar. Allerdings wird spätestens über Art. 10 des Übereinkommens über Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 292 die Frage einer Beschuldigtenvernehmung auf Distanz in 290 Diemer, NJW 1999, 1673, beispielhaft zur Frage der Beweisaufnahme über ein früheres Geständnis des Beschuldigten oder bei Widersprüchen zu dessen früheren Angaben mit einem Vorgehen nach § 254 Abs. 1 StPO. Ein Blick auf frühere Entwürfe des Zeugenschutzgesetzes zeigt allerdings, dass diese Form der Verwendung von Videodokumentationen nicht von vornherein ausgeschlossen wurde, vgl. dazu BR-Drs. 13/4983, S. 4 und 15. Zu Gunsten der Beschuldigtenrechte wurde die Diskussion im weiteren Gesetzgebungsverfahren aber auf die essentiellen Zeugenschutzvorschriften konzentriert; BT-Drs. 13/4983, S. 11; zur Einführung früher Vernehmungen des Beschuldigten als Videodokumentation in das Hauptverfahren Gössel, Gutachten C zum 60. DJT, S. 60 ff.; Perron, JZ 1994, 824; Schlüchter, GA 1994, 422 ff. 291 Oliveri, Vortrag anlässlich des Workshop über Videokonferenzen bei Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität am 28.11.2000 in Rom/Paris/Trier. 9*

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

unserer Rechtsordnung Einzug halten 293 . Die rechtliche Auseinandersetzung mit diesem Thema, wenn auch nur unter dem Gesichtspunkt internationaler Rechtshilfe, kann auf Dauer nicht ausbleiben. Bereits sehr früh in der Diskussion wurde der Bundesgesetzgebung ein großes Versäumnis auf dem Gebiet des Zeugenschutzes attestiert, folgte sie doch dem Beispiel anderer Rechtsordnungen erst nach jahrelanger Beobachtung. So manche Mängel konnte der deutsche Gesetzgeber allerdings im Wege des Rechtsvergleichs erkennen und vermeiden. Beispielhaft genannt sei hier der unverständlich weite Anwendungsbereich des Schweizer OHG, das zulasten der Beschuldigtenrechte sogar Verletzten aus leichten Verkehrsunfällen eine Konfrontation mit dem Angeklagten erspart, obwohl nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Zeuge durch diese Begegnung erneuten Schaden erleiden könnte 294 . Auch ist der Gesetzgeber nicht beim Schutz von Opferzeugen stehen geblieben, wie so manch andere Rechtsordnung. Videotechnik wird im Zuge internationalisierter Kriminalität bald nicht mehr aus dem Strafverfahren wegzudenken sein. Es erscheint anachronistisch, Straftätern, die sich bei ihren Unternehmungen aller zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten bedienen, nur mit herkömmlichen Mitteln der Strafverfolgung begegnen zu können, selbst wenn dies in der Mehrzahl der Fälle ausreichen mag. Der Überblick zeigt, dass eine große Anzahl der Staaten sich bereits den neuen technischen Herausforderungen gestellt haben. Und auch dort, wo zu Beginn der Zeugen schutz im Vordergrund stand, konzentriert sich das Interesse inzwischen verstärkt auf Aspekte der Beweissicherung, Verfahrensökonomie und Verfahrensbeschleunigung. Vorsicht ist aber geboten, damit insbesondere die Beschuldigtenrechte über dieses (berechtigte) Anliegen einer Prozessvereinfachung nicht in den Hintergrund geraten.

E. Bisherige Erfahrungen und Reformanstöße aus den Ländern Von Beginn an haben sich die Länder mit den Vorgaben des "englischen Modells" bei der Vernehmung vor allem kindlicher Zeugen in der Hauptverhandlung schwer getan. Sie bevorzugen in der Mehrzahl den persönli292 EuRHÜbk vom 29.5.2000, AbI. C 197/00, S. 8 f.; dazu 3. Teil, Kapitel C.2.c )ee)(1). 293 Soweit nicht Deutschland einen generellen Vorbehalt gegen die Anwendung der Bestimmung über die Beschuldigtenvernehmung erklärt, wie es Art. 10 Abs. 9 Unterabsatz 2, 25 des Übereinkommens vorsieht. 294 Maurer, ZStR 111 (1993),385; Weishaupt, Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Opferhilfegesetzes, S. 30 ff.

E. Bisherige Erfahrungen und Refonnanstäße aus den Ländern

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chen, nicht durch einen Monitor vermittelten Kontakt des die Vernehmung führenden Richters mit der Auskunftsperson, also eine Vernehmung nach dem "Mainzer Modell". Dies insbesondere dann, wenn der Zeuge sehr jung ist. Der recht zögerliche Umgang der Gerichte mit den neuen Möglichkeiten des Zeugenschutzes bestätigt diese Skepsis. Die technische Ausrüstung der Gerichte haben die Mehrzahl der Länder - teilweise sogar bereits im Vorfeld des Gesetzesbeschlusses - in Angriff genommen. Mit Videogeräten und Kameraanlagen versehen wurden in der Regel nur die Landgerichte, auf deren feste Einrichtungen die Amtsgerichte bei Bedarf Zugriff nehmen können. Daneben wurden mobile Anlagen beschafft, die in allen Gerichten unter geringem Zeitaufwand installiert und nach beendigtem Gebrauch ebenso kurzfristig wieder abgebaut werden können. Auffallend aber die unterschiedliche Zielstrebigkeit, mit der die Länder den Ausbau der neuen Technik vorantreiben. • Rheinland-Pfalz hat die notwendigen Video anlagen mittlerweile fast flächendeckend bei Landgerichten, Amtsgerichten und Staatsanwaltschaften zur Verfügung gestellt. Die Gesamtkosten belaufen sich nach Angaben des zuständigen lustizministeriums auf rund 600.000,- DM. Der Großteil der Kosten wurde für die technische Ausstattung aufgewandt. Hinzuweisen ist aber darauf, dass für einige Geräte - Videorecorder und Farbmonitore - ohnehin aus Gründen der Ermittlung und der Strafverfolgung Anschaffungsbedarf bestand295 , sie also unabhängig von Zeugenschutzbestrebungen bereits im lustizhaushalt zu berücksichtigen waren. Kosten für räumliche Umbaumaßnahmen sind nur in einem geringen Teil der ausgerüsteten Behörden angefallen. Regelmäßig erfolgt die Installation in üblichen Sitzungsräumen und Vernehmungszimmern. Anders in Landau. Neben der technischen Ausrüstung kann die dortige Staatsanwaltschaft für insgesamt 40.000,- DM ein kindgerecht eingerichtetes Vernehmungszimmer vorweisen. Der Raum enthält neben Spielzeug und kindgerechtem Mobiliar auch einen venezianischen Spiegel, hinter dem sich - für den Zeugen unsichtbar - das technische Gerät inklusive der Kamera befindee96 . Dem hohen Kostenaufwand steht eine bisher nur eine geringe Nutzung der neuen Einrichtungen gegenüber. Bis Dezember 1999 fanden nach Angaben des rheinland-pfälzischen lustizministeriums nur 25 Videovernehmungen statt. In der besonders gut ausgestatteten Staatsanwaltschaft Landau nur eine einzige, acht in Trier (darunter zwei am Landgericht und sechs bei der Staatsanwaltschaft), sowie Vernehmungen an weiteren sieben Amtsgerichten in unterschiedlicher An295 Notwendig ist die Anschaffung vorrangig zum Abspielen von Videokassetten strafbaren Inhalts. 296 Presseerk1ärung des rhein1and-pfa1zischen Ministeriums der Justiz vom 05.05.1999.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

zahl. Die Vernehmung eines Auslandszeugen wurde bis dahin nicht registriert. • Bayern hat ebenfalls feste Einrichtungen bei den Landgerichten sowie

mobile Einrichtungen am Standort der Landgerichte geschaffen, die von den Amtsgerichten abrufbar sind. Die technischen Standards sind durchaus unterschiedlich. Alte, platzraubende Aufnahmegeräte mit nur fixierter Einstellung sind ebenso vertreten wie modeme bewegliche Kleinkameras, die auf Augenhöhe des Zeugen installiert sind, das gesamte Vernehmungszimmer erfassen und auf Wunsch den Bildausschnitt durch Zoom vergrößern oder verkleinern können 297 • Dem in dieser Hinsicht offenen Gesetz genügen wohl alle Einrichtungen, allerdings tragen die alten, sperrigen Aufnahmegeräte nicht gerade dazu bei, die Akzeptanz der neuen Technologie bei Richtern und Staatsanwälten zu verbessern, insbesondere da die Aufnahmequalität und damit auch der Beweiswert einer eventuellen Aufzeichnung oder Simultanübertragung nicht unbedingt der einer in der Hauptverhandlung persönlich gemachten Aussage entspricht. Die mobilen Einrichtungen kommen vergleichsweise selten zum Einsatz. Auffallend ist auch, dass sich mehrheitlich nur die am Sitz des Landgerichts befindlichen Amtsgerichte dieser Möglichkeit bedienen. Die Installation, einschließlich eines Probedurchlaufs, nimmt immerhin von wenigen Stunden bis zu einem Tag in Anspruch und muss deswegen schon von langer Hand vorbereitet bzw. tenninlich festgelegt sein. Im Vergleich werden Videoeinrichtungen bei polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen häufiger genutzt als in der Hauptverhandlung, wohl auch weil gerade polizeiliche Vernehmungsbeamte im Umgang mit dieser Vernehmungsform weit besser geschult und erfahrener sind als ihre richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Pendants. Dort, wo die Technologie bereits zum Einsatz kommt, fallen Erfahrungsberichte positiv aus. Die vernommenen Kinder wirken nach Angaben der zuständigen Richter spürbar entlastet, nicht von der Atmosphäre des Gerichtssaal und der Begegnung mit dem Angeklagten verängstigt. In der Mehrheit der verhandelten Fälle spielten Kindesmissbrauch oder Sexualdelikte eine Rolle, Erfahrungen konnten aber auch mit gefahrdeten Zeugen gesammelt werden. So erfolgte beispielsweise eine Femvernehmung aus dem Raum Berlin nach Aschaffenburg. Die Zeugin hatte ihr Erscheinen dort verweigert, weil sie sich an Leib und Leben gefährdet fühlte 298 . In rechtlicher Hinsicht auffallend ist, dass, sobald die Vernehmung mit Hilfe einer Videosimultanübertragung stattfinden kann, sich die Vorsitzenden trotz der Subsidiaritätsklausel in § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO häufig für eine Videovernehmung und gegen das fehleranfällige, komplizierte Ausschlussver-

297 298

Schöch, Meyer-Gossner-Fs., S. 377 ff. Schöch, Meyer-Gossner-Fs., S. 379 f.

E. Bisherige Erfahrungen und Reformanstöße aus den Ländern

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fahren nach § 247 StPO entscheiden. Inwieweit dies durch Auslegung des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO noch gedeckt werden kann, wird noch zu untersuchen sein. Die Entwicklung weist jedenfalls auf eine hohe Akzeptanz des neuen Verfahrens hin, zumindest an den Gerichten, an denen sich eine gewisse, wenn auch noch geringe Praxis im Umgang mit der neuen Technologie einbürgert. Die Berichte zeigen aber auch, dass diese Akzeptanz in hohem Maß von der Qualität der jeweiligen Einrichtungen abhängig ist. • Auch Thüringen hat nach Angaben des dortigen Ministeriums für Justiz und Europaangelegenheiten die notwendigen technischen Voraussetzungen geschaffen. In einem Verfahren des Landgerichts Gera wurden zwei mutmaßliche Opfer mehrfachen sexuellen Missbrauchs im Alter von 12 und 13 Jahren aus einem abgetrennten Raum heraus in die Hauptverhandlung vernommen 299 • Angesichts der Subsidiaritätsklausel des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO holte der Vorsitzende zu dieser Vernehmungs übertragung das Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten ein, um nach § 247 a S. I Hs. 2 i. V. m. § 251 Abs. I Nr.4 StPO vorgehen zu können. Unterbrechungen der Übertragung wären bei Beanstandungen der Verteidigung und Zwischenfragen jederzeit möglich gewesen, wurden aber aufgrund des problemlosen Ablaufs der Vernehmung nicht notwendig. Technische Probleme traten nicht auf. Auch eine Beeinträchtigung des Beweiswertes ihrer Aussagen konnte nicht festgestellt werden. In weiteren Verfahren vor dem Landgericht Gera, dem Landgericht Erfurt und den zu diesem Gerichtsbezirk gehörenden Amtsgerichten Arnstadt und Gotha, dem Amtsgericht Eisenach und dem Amtsgericht Erfurt konnte die Videotechnik ebenfalls beinahe problemlos eingesetzt werden und zum Erfolg der Verfahren beitragen. Es wird darauf verwiesen, dass gerade bei Simultanübertragungen in die Hauptverhandlung schon vor den Vernehmungen und teilweise auch noch während der Befragung eine Betreuung der Zeugen notwendig ist. Mindestens ebenso wichtig ist ein vorhergehender Kontakt mit dem vernehmenden Richter. In der Mehrzahl der Anwendungsfalle wurde die Vernehmung allerdings auf der Basis des § 168 e S. 1 StPO, also im Ermittlungs- bzw. Zwischenverfahren durchgeführt, um den unmittelbaren Kontakt des Untersuchungsrichters mit dem Zeugen zu bewahren. Allerdings kam es bei dieser Form der Videovernehmung auch zu den meisten Störungen. Technische Probleme, etwa zu schwache Mikrophone, wurden genannt. Verzögerungen bewirkte das parallel zur Aufzeichnung nach §§ 168, 168 a StPO zu erstellende Wortprotokoll, da das Gespräch zur vollständigen Protokollierung immer wieder 299 Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Gera vom 28.04.1999, die dem Thüringer Ministerium für Justiz und Europaangelegenheiten zur Übermittlung von ersten Erfahrungsberichten am 30.4.1999 vorgelegt wurde.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

einige Sekunden unterbrochen werden musste. Unterbrechungen waren außerdem notwendig, um eventuelle Fragen der anderen Beteiligten aus dem Beobachtungsraum einzuholen. Deswegen wird eine Tonleitung zwischen diesen und dem vernehmenden Richter befürwortet. Angeregt wird außerdem, die Kamera hinter einer (einseitig durchlässigen) Trennwand unterzubringen, da das Gerät zusammen mit der es bedienenden Person den Zeugen sehr ablenkt. In einem Fall verweigerte die dreijährige Zeugin vor der Kamera jede Mitarbeit und konnte erst später in einem kleineren Personenkreis ohne die Aufnahmetechnik vernommen werden. • Berlin hat die technischen Voraussetzungen geschaffen, kann aber bisher kaum auf Anwendungsfälle verweisen. Der unmittelbare persönliche Kontakt gerade mit kindlichen Zeugen ist den Kammervorsitzenden wichtiger als eine Abschirmung des Zeugen von den anderen Verfahrensbeteiligten mittels Videoübertragung. Vernommen wurde in dem kindgerecht eingerichteten Vernehmungszimmers des Berliner Landgerichts bisher nur eine ältere Opferzeugin, die eine Begegnung mit dem jugendlichen Angeklagten scheute. Auch für die zuvor erwähnte Fernvernehmung aus Berlin in die Aschaffenburger Hauptverhandlung standen in diesem Sitzungssaal die entsprechenden technischen Geräte bereit. Hauptmanko des Vernehmungszimmers ist allerdings seine schlechte akustische Verbindung zum Sitzungssaal. Über das Tischmikrophon ist selbst ein erwachsener Zeuge, dem es anders als einem Kind leichter fallen sollte, direkt und deutlich in das Mikrophon zu sprechen, im angrenzenden Sitzungssaal kaum zu verstehen 30o • Die Bildqualität dagegen ist gut, vermittelt über eine bewegliche, rundherum schwenkbare Kamera, die fast versteckt in die Decke eingelassen ist und von dort den gesamten Vernehmungsraum erfassen sowie Bildausschnitt über Zoom näher heranholen kann. Das Bild des Zeugen wird auf eine im Sitzungssaal aufgespannte Leinwand projiziert. Den Verfahrensbeteiligten im der vorderen Teil des Sitzungssaals ist es auf diese Weise gut sichtbar. Die Zuschauer allerdings befinden sich direkt hinter der Leinwand. Ihre Wahrnehmung ist eingeschränkt, was dann, wenn kein Ausschluss der Öffentlichkeit nach §§ 171 b, 172 GVG erfolgt, zu Problemen führen kann. Ein gegenseitiger Sichtkontakt kann außer zwischen dem Vorsitzenden und dem Zeugen auch mit weiteren befragenden Personen, Staatsanwalt oder Verteidiger, hergestellt werden. Zu diesem Zweck werden deren Standorte für die Kamera einprogrammiert. An seinem Pult kann der Vorsitzende manuell kontrollieren, wessen Bild auf dem Monitor des Vernehmungszimmers erscheint. Der Anblick des Angeklagten bleibt dem Zeugen erspart. Da 300 Bei der Fachtagung für Staatsanwälte am 24./25.11.2000 hatten die Teilnehmer Gelegenheit, das Vernehmungszimmer zu besichtigen und die probeweise Befragung einer erwachsenen Testperson aus dem Sitzungssaal mitzuverfolgen.

E. Bisherige Erfahrungen und Refonnanstöße aus den Ländern

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das Vernehmungszimmer nur durch einen speziellen Gang aus dem Sitzungssaal zu erreichen ist, kann auch eine Begegnung auf den Fluren oder beim Warten auf die Vernehmung vermieden werden. Als Nachteil sei noch zu nennen, dass die in der Decke eingelassene Kamera des Vernehmungszimmers den Zeugen auch nur von oben herab, also nicht auf Augenhöhe zu filmen in der Lage ist. Bei einem Zeugen, der verschämt oder unsicher den Blick senkt, erweist sich diese Kameraposition als sehr unvorteilhaft. Außerdem beschränkt ein Tisch die Sicht auf den Zeugen von der Hüfte abwärts. Wird er gebeten, etwas unterhalb der Hüfte zu demonstrieren bleibt das den Beobachtern verborgen. Soweit der Zeuge aber aufgefordert werden kann, aufzustehen oder die Demonstration anhand einer Puppe zu wiederholen, ist diese Einschränkung hinnehmbar. • Schleswig-Holstein hat ebenfalls für die Installation von Videoanlagen in den Landgerichten sowie für die Anschaffung mobiler Anlagen für die übrigen Gerichte Sorge getragen. Bei Vernehmung in der Hauptverhandlung bevorzugen die vorsitzenden Richter allerdings den persönlichen, unmittelbaren Kontakt mit Zeugen. Soweit möglich, wird nur der Angeklagte ausgeschlossen. Offensichtlich wird bei der Auswahl der entsprechenden Verfahrensweise auch auf den ausdrücklichen Wunsch der Zeugen Rücksicht genommen. Bevorzugen sie eine Aussage im Sitzungssaal, um dem Gericht "in die Augen sehen zu können,,301, dann wird von einer Vernehmung über Monitor abgesehen. Beachtet man die in § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO eingefügte Subsidiaritätsklausel, so erscheint diese Entscheidung selbstverständlich, kann doch dem Wohl des Zeugen bei einer Vernehmungsform nach seinem Wunsch am besten Rechnung getragen worden. Der Einsatz der neuen Technologie beschränkt sich in Schleswig-Holstein also regelmäßig auf das Abspielen vorab aufgezeichneter Vernehmungsdokumentationen und Videokassetten strafbaren Inhalts. • Baden-Württemberg konnte auch fast 15 Monate nach Inkrafttreten des Zeugenschutzgesetzes trotz fortgeschrittener Ausstattung der Gerichte keinen großen Bedarf für die neuen technischen Möglichkeiten feststellen. Die bisherigen zeugenschützenden Maßnahmen werden von den Gerichten als ausreichend betrachtet. Aufzeichnungen früher Vernehmungen kindlicher Zeugen finden angesichts der Gefahr, die Kinder in der Hauptverhandlung noch einmal ergänzend vernehmen zu müssen, nur selten statt. Vernehmungen von Auslandszeugen können wegen notwendiger und teurer Zusatzgeräte gar nur bei den Finanzgericht Karlsruhe und dem Verwaltungsgericht Sigmaringen stattfinden. Im Wege der Amtshilfe stehen die Videoanlagen dort aber allen lustizbehörden offen. 301 Infonnationen des Ministeriums für Justiz, Frauen, Jugend und Familie des Landes Schleswig-Holstein.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

• Hamburg hat in Verfahren im Bereich der Jugendschutzsachen bereits vor Erlass des Zeugenschutzgesetzes polizeiliche Vernehmungen kindlicher Zeugen aufgezeichnet. Gegenüber der bisherigen Praxis, mit der vor allem auf ein Geständnis des Beschuldigten hingewirkt werden sollte, verspricht man sich dort aus den Möglichkeiten des § 255 a Abs. 1 und 2 StPO keine zusätzliche Entlastung des Zeugen, da die engen Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 und 2 StPO regelmäßig nicht vorlägen und eine ergänzende Vernehmung eines jugendlichen Zeugen nach § 255 a S. 2 StPO zu einfach über eine neue Einlassung des Angeklagten erzwungen werden könnte. Nutzen erhofft man sich von den Aufzeichnungen nur in Fällen der Schleuser- und Rotlichtkriminalität, da ausländische Zeuginnen in der Praxis direkt nach der ersten Vernehmung untertauchen, ausreisen oder abgeschoben werden und damit i. S. d. § 251 Abs. 1 und 2 S. 2 StPO nicht mehr in der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen. Auf dem Gebiet der Videokonferenz mit dem Ausland hat Hamburg als eines der wenigen Bundesländer bereits Erfahrungen gesammelt. In Zusammenarbeit mit dem Hamburger Landeskriminalamt wurde die im Rahmen einer Rechtshilfeleistung die direkte Vernehmung eines in Hamburg befindlichen Zeugen in eine Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht Agrigent (Italien) ermöglicht. Ansonsten hat die Videosimultanübertragung in Hamburg trotz technischer Möglichkeit nur wenig Anklang gefunden.

• Ähnlich die Lage in Brandenburg. Obwohl die technischen Voraussetzungen langsam geschaffen werden, ist kaum ein Zugriff auf die Einrichtungen zu verzeichnen. Bei richterlichen Vernehmungen ist die Zurückhaltung besonders groß. Im Hauptverfahren, weil der unmittelbare, persönliche Kontakt mit dem Zeugen auch zur besseren Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit bevorzugt wird, im Ermittlungsverfahren, weil bei untersuchungsrichterlichen Vernehmungen eine zeit- und personalaufwendige Protokollierung gefordert ist (§§ 168, 168 aStPO) und der Vernommene zur Unterschrift unter das Wortprotokoll noch einmal erscheinen muss. Ebenfalls verspricht sich Brandenburg keine wesentlichen Vorteile bei der Bekämpfung der Schleuser- und Rotlichtkriminalität. Aufzeichnungen polizeilicher Vernehmungen nach § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO konnten dort aufgrund des engen zeitlichen Rahmens zwischen Aufgreifen und Abschiebung der Zeugen bisher nicht erfolgen. • Auch Hessen beklagt eine große Unsicherheit der zur Vernehmung berufenen Richter im Umgang mit den neuen Technologien. Insbesondere Ermittlungsrichter, die nur kurzzeitig in einem Dezernat tätig sind, verfügen nicht über die entsprechende Erfahrung oder Ausbildung, die beispielsweise Staatsanwälte oder polizeiliche Vernehmungspersonen aus längerer Tätigkeit sowie Weiterbildungsangeboten aufweisen können. Das

E. Bisherige Erfahrungen und Refonnanstöße aus den Ländern

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Justizministerium bemüht sich deswegen, gerade auch die ermittelnden Richter mit Weiterbildungsangeboten zu erreichen. Die Zurückhaltung beim Rückgriff auf die alternativen Vernehmungsformen wird auch hier mir der zeit- und kostenintensiven Protokollierung der ermittlungsrichterlichen Vernehmungen nach §§ 168, 168 a StPO in Verbindung gebracht. Vernehmungen kindlicher Zeugen wurden vereinzelt mit Hilfe einer Videosimultanübertragung in der Hauptverhandlung geführt. Bekannt geworden ist außerdem eine geglückte Videokonferenz ins Ausland, durch die eine Zeugenaussage in die Hauptverhandlung vor einer Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Limburg eingeführt werden konnte. • Niedersachsens Erfahrungen mit den neuen Technologien sind gering. Größtenteils fehlen den Gerichten auch die technischen Voraussetzungen. Für etwa 700.000,- DM werden diese nun in den niedersächsischen Justizzentren geschaffen. Bekannt geworden sind Versuche, Videosimultanschaltungen aus dem Ausland vorzunehmen, bislang allerdings erfolglos. Eine von einer Strafkammer des Landgerichts Göttingen erwogene Videokonferenz mit dem Irak wurde verworfen, da zur Zeit aufgrund des Embargos mit diesem kein Rechtshilfeverkehr stattfindet. Eine im Landgericht Hildesheim geplante Videokonferenz nach Bolivien erwies sich in letzter Minute als überflüssig, da sich der Zeuge doch zu einem persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entschließen konnte. Freies Geleit wurde zugesichert. Ob andernfalls eine Videokonferenz nach den Voraussetzungen des § 247 a S. 1 Hs. 2 i. V.m. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO hätte stattfinden können, blieb am Ende ungeklärt 302 • • Mecklenburg- Vorpommem, Bremen und das Saarland können ebenfalls nur von Einzelfällen berichten, in denen von den neuen Möglichkeiten tatsächlich Gebrauch gemacht wurde. Im Saarland kam es mehrfach zur Aufzeichnung polizeilicher Vernehmungen. Zu einer Vorführung nach § 255 a StPO in der Hauptverhandlung kam es aber in keinem Fall. Die Qualität der Aufzeichnungen wurde teilweise als problematisch bezeichnet. Merkmale der Körpersprache blieben dem Betrachter teilweise verborgen. Den geringsten Erfahrungsschatz weist Bremen auf, das aufgrund bedrängter Haushaltslage erst im Jahr 2000 mit der technischen Ausstat302 Eine Vorabentscheidung des mit dem Rechtshilfebegehren befassten Obersten Gerichtshofs Boliviens setzte für die Zulässigkeit des Vorhabens eine Befragung des Zeugen nur durch den beauftragten bolivianischen Richter voraus. Die Beteiligten der Hauptverhandlung wären damit nur live der kommissarischen Vernehmung zugeschaltet gewesen, hätten aber möglicherweise aus dem Off Ergänzungsfragen stellen können. Obwohl im Nachhinein die endgültige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht mehr ausdrücklich auf diese Forderung Bezug nahm, zeichnete sich doch ab, dass eine Vernehmung durch den deutschen Richter, wie es § 247 a S. I Hs. 2 StPO (wohl) voraussetzt, nicht hätte erfolgen können; dazu auch im 3. Teil, Kapitel C.2.c)cc).

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

tung beginnen konnte. Mecklenburg- Vorpommern hat wegen des zu erwartenden geringen Bedarfs von der Anschaffung fest installierter Anlagen abgesehen und behilft sich mit der Anmietung professioneller Anlagen. Mit guten Gründen verweist es darauf, dass Videokonferenzen in dieser Form auf dem jeweils neuesten Stand der Technik und unter professioneller technischer Betreuung erfolgen können. Zur Aufzeichnung von Zeugenaussagen im Ermittlungsverfahren kann auch auf bereits bestehende Einrichtungen der Polizeiinspektionen des Landes zurückgegriffen werden. Aus der sächsischen Landeshauptstadt Dresden wurde von der erfolgreichen Videovernehmung eines in Oslo (Norwegen) inhaftierten Zeugen mittels ISDN-Leitung berichtet. Die Erfahrungen der Länder machen deutlich, dass positive Ergebnisse beim Einsatz der Videotechnik im Wesentlichen von der Qualität des zur Verfügung stehenden Geräts und von der Erfahrung bzw. dem Mut der vernehmenden Richter abhängen. Es wird aus diesem Grund geraten, trotz der vergleichsweise hohen Anschaffungskosten auf professionelle und moderne Geräte zurückzugreifen oder professionelle Hilfe bei der Übertragung in Anspruch zu nehmen. Um den zuständigen Richtern die Scheu insbesondere vor einer Vernehmungsaufzeichnung zu nehmen, werden Fortbildungsmaßnahmen erwogen. Niedersachsen regt eine Zuständigkeitskonzentration bei dem Ermittlungsrichter, an dessen Gericht die technischen Voraussetzungen für videographische und gegebenenfalls räumlich getrennte Vernehmungen gegeben sind. Dort könnten die technischen Voraussetzungen optimal und kostengünstig ausgenutzt werden. Verbinden könnte man damit auch eine richterliche Spezialisierung auf die Vernehmung kindlicher Zeugen.

Dort, wo bereits eine rege Anwendung zu verzeichnen ist, wird außerdem Kritik an der Subsidiaritätsklausel des § 247 S. 1 Hs. 1 StPO geübt 303 . Außerdem tun sich die Gerichte mit den Voraussetzungen des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO, insbesondere in der Abgrenzung zu der Ausschlussnorm des § 247 S. 2 StPO schwer304 . Teilweise wird deswegen befürwortet, die Videovernehmung kindlicher Zeugen - anders als in der jetzigen Gesetzesfassung - zum Regelfall zu erheben und die gesetzlichen Voraussetzungen des § 247 a S. 1 StPO hierfür zu lockern. Außerdem wollen viele das "Mainzer Modell" zum Regelfall der Vernehmung kindlicher Zeugen in der Hauptverhandlung machen 305 . Zur Subsidiarität und ihren Auswirkungen im Speziellen 3. Teil, Kapitel B.2. Zu diesen Schwierigkeiten ausführlich im 3. Teil, Kapitel B.l. 305 Zu weiteren Reformvorschlägen, insbesondere auch zur Frage einer Akteneinsicht in die Aufzeichnung vgl. die Gesetzesentwürfe in BR-Drs. 552/00 bzw. BT-Drs. 14/4661; zur Akteneinsicht ausführlich im 6. Teil, Kapitel A.l.e). 303

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F. Zusammenfassung

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F. Zusammenfassung Der Überblick über Entstehungsgeschichte des Zeugenschutzgesetzes, internationale Verfahrensmodelle und Erfahrungen der Bundesländer mit den neuen Möglichkeiten bezeugt, dass die Strafverfolgungsbehörden in hohem Maß für zeugen schützende Maßnahmen sensibilisiert sind. Durch eine Reihe neuer Gesetzesanträge wird diese Entwicklung verstärkt vorangetrieben. Aspekte der Verfahrensbeschleunigung, der Verfahrensökonomie und der Beweissicherung treten zu den eigentlichen Zeugenschutzaspekten hinzu. In der Kritik mancher Autoren haben sie die ursprüngliche Zielbestimmung des Zeugenschutzes sogar an den Rand gedrängt. Es ist angesichts anderer Rechtsordnungen möglicherweise auch nur eine Frage der Zeit, dass der Einsatz von Videotechnik in sehr viel umfangreicheren Ausmaß Einzug in das deutsche Strafverfahrensrecht hält, nicht mehr gebunden an die Ziele des Zeugenschutzes oder der Beweiskonservierung, sondern gerichtet auf Vereinfachung und Kontrolle des Verfahrens, das auch in Deutschland zunehmend auf das Ermittlungsstadium konzentriert scheint. Vor dem Hintergrund internationaler Verpflichtungen lässt sich zudem nicht ausschließen, dass der hohe Standard an materieller und formeller Unmittelbarkeit, wie ihn das Strafverfahren bisher pflegte, zumindest im Rechtsverkehr mit anderen Staaten nicht mehr durchzuhalten ist. Dies mit den Rechten des Beschuldigten auf Konfrontation, Information und effektive Verteidigung zu vereinbaren, wird eines der Hauptproblerne der zukünftigen Entwicklungen sein. Viel dringender ist aber, die Berührungsängste mit der Videotechnik in der Verfahrenspraxis zu überwinden. Gerade in Richterkreisen besteht erhöhter Schulungsbedarf, zumal - anders als in anderen Rechtsordnungen die Vernehmung des Zeugen gerade nicht einer geschulten Mittelsperson überlassen werden darf. An sich ist es nicht ungewöhnlich, dass neuen Maßnahmen zunächst mit Zurückhaltung, vielleicht auch mit Scheu begegnet wird. Wichtig außerdem, dass nach der gesetzlichen Konstruktion die Videosimultanübertragung von Vernehmungen eine Ausnahme von der Regel darstellen soll. Die festgestellte Präferenz der Vorsitzenden für andere zeugenschützende Maßnahmen steht also im Einklang mit dem Gesetz. Es liegt nahe, zu sagen, dass der Gesetzgeber hier zu vorsichtig vorgegangen ist. Dass er, wie ihm seine Kritiker vorwerfen, eine freiere Handhabung der technischen Möglichkeiten hätte ermöglichen sollen. Allerdings darf auf der anderen Seite nicht der durch alternative Vernehmungsformen u. U. in seinen Rechten eingeengte Beschuldigte vergessen werden.

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2. Teil: Entstehung des Zeugenschutzgesetzes

Vergessen werden darf auch nicht, was einige Strafkammervorsitzende in ihren Erfahrungsberichten festgehalten haben: die Vernehmung unmittelbar in der Hauptverhandlung, notfalls bei Ausschluss des Angeklagten, wird von manchen Zeugen ausdrücklich bevorzugt. Dieser Wunsch sollte Vorrang vor allen anderen Erwägungen haben.

3. Teil

Simultanübertragung von Vernehmungen in der Hauptverhandlung nach § 247 a StPO A. Das Gesetz im Überblick § 247 a ! Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, und kann sie nicht in anderer Weise, namentlich durch eine Entfernung des Angeklagten sowie den Ausschluss der Öffentlichkeit, abgewendet werden, so kann das Gerichts anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält; eine solche Anordnung ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 2 Die Entscheidung ist unanfechtbar. 3 Die Aussage wird zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen. 4 Sie soll aufgezeichnet werden, wenn zu besorgen ist, dass der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 5 § 58 a Abs. 2 findet entsprechende Anwendung.

§ 247 a StPO ist mit seiner Regelung über die live Übertragung einer Zeugenvernehmung in die Hauptverhandlung das Herzstück des Zeugenschutzgesetzes vom 30. April 1998. Im Gesetzgebungsverfahren hat diese Bestimmung den meisten Widerspruch und die größten Unstimmigkeiten unter den Parteien hervorgerufen. Dabei beeinflusst eine simultanübertragene Zeugenvernehmung den Verfahrensablauf in vergleichsweise geringem Maß, denn in korrekter und technisch einwandfreier Anwendung ist sie durchaus in der Lage, eine Vernehmungssituation zu gewährleisten, die der einer unmittelbar persönlichen Einvernahmen des Zeugen in der Hauptverhandlung entspricht.

Abweichungen vom Unmittelbarkeitserfordernis des § 250 S. 1 StPO bestehen zunächst nur in räumlicher Hinsicht. Der Zeuge wird von "einem anderen Ort" aus direkt in die Hauptverhandlung vernommen. Ein physisches Zusammentreffen von Zeuge und Vernehmungsperson bzw. mit anderen Verfahrensbeteiligten erfolgt nicht. Dennoch findet die Vernehmung in der Hauptverhandlung statt!, d. h. der Zeuge ist bei der Vernehmung in je! SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 4; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 8, Rieß, NJW 1998, 3242; ders., StraFo 2000, 6.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

der Hinsicht einer kritischen Überprüfung unterworfen. Pflichten, Rechte und Sanktionen kommen ebenso zur Anwendung wie bei einer Vernehmung unmittelbar im Gerichtssaal. Die Ordnungsgewalt und die sitzungspolizeilichen Befugnisse des Vorsitzenden erstrecken sich auf den Ort der Vernehmung. Die Verhandlungsleitung liegt beim Vorsitzenden und die Befragung folgt den Vorschriften der Strafprozessordnung. Per Bildschirm sind Mimik und Körpersprache des Vernommenen zu beobachten2 . Die akustische Verbindung ermöglicht das direkte Gespräch. Das Prinzip der Mündlichkeit ist ebenso gewahrt wie das der materiellen Unmittelbarkeit. Einmal abgesehen von der körperlichen Anwesenheit der Beweisperson liegen sogar die wesentlichen Elemente einer formell unmittelbaren Vernehmung vor3 .

1. § 247 a StPO als Kompromiss unterschiedlicher Verfahrenszielsetzungen Die Vernehmungsübertragung nach § 247 a StPO ergänzt die bisherigen unmittelbar persönlichen Vernehmungsformen, auch wenn sie diesen aufgrund der technischen Filterung der Kommunikation und wegen des mangelnden persönlichen Kontakts zwischen dem Vernehmenden und dem Vernommenen nicht gleichsteht4 • Immerhin aber ist sie den nur mittelbaren Beweisformen, also der Verlesung von Schriftprotokollen oder der Vernehmung des Zeugen vom Hörensagen, deutlich überlegen. Sie ist der sachnähere Beweis und kann sogar eine Konfrontation mit dem Belastungszeugen gewährleistenS . § 247 a StPO ist ein Kompromiss zwischen unterschiedlichen Verfahrenszielsetzungen. Zeugenschutz, Verfahrensökonomie und Sachaufklärung sind in den Tatbestand verwoben. Diesen divergierenden Zielsetzungen ist es zu verdanken, dass am Ende zwei Tatbestandsalternativen - § 247 a S. 1 Hs. 1 und § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO - Gesetz wurden. Deren Anwendungsbereiche überschneiden sich allerdings erheblich, was eine Subsumtion unter die Norm nicht gerade vereinfacht. 2 Zu den technischen Voraussetzungen einer Simultanübertragung Kapitel B.3.; außerdem Rieck, StraFo 2000, 401 ff.; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 3. 3 Meurer, JuS 1999, 939 f., Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 55; Beulke, ZStW 113 (2001), 732 ff. 4 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a Rn. 2; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 5; Fischer, JZ 1998, 820; BGHSt. 45, 188 (196) = NJW 1999, 3788 (3790); Schlothauer, StV 2000, 182; Artkämper, NI 2000, 101; Rose, IR 2000, 78. 5 Diemer, NIW 1999, 1669; Bohlander, ZStW 107 (1995), 110 f.; Weigend, Gutachten C zum 62. DIT, S. 55.

A. Das Gesetz im Überblick

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Im Übrigen hat § 247 a StPO die Dreiteilung seiner Zielgruppe aus der früheren Diskussion um Videotechnik im Strafverfahren übernommen. Der Tatbestand orientiert sich an ganz bestimmten Zeugengruppen, deren spezielle Bedürfnisse auch für die nachfolgende Erörterungen Richtschnur sein sollen. Das sind einerseits die verletzlichen/sensiblen Zeugen: Kinder, Opfer von Sexual- und anderen Gewaltdelikten oder Personen, die aufgrund ihres Entwicklungsstands und anderer physischer oder psychischer Beeinträchtigungen besonderer Fürsorge und Rücksichtnahme bedürfen. Auch kranke und aus anderen Gründen schwer traumatisierte, d. h. seelisch nicht im üblichen Maß belastbare Personen zählen hierzu. Des Weiteren sind bedrohte Zeugen zu nennen, die sich mit einer Aussage massiven Gefahren für Leib und Leben aussetzen. Weiterhin Zeugen, die aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen an einem Erscheinen in der Hauptverhandlung gehindert werden. Zu ihnen zählt die besonders bemerkenswerte Gruppe der Auslandszeugen.

2. Beispiele zur Tatbestandskonkurrenz Die Alternativen des § 247 a S. 1 StPO scheinen zunächst klar zwischen den genannten Zeugengruppen zu unterscheiden. Auf den ersten Blick unterfallen gefährdete und besonders verletzliche Zeugen der Alternative des ersten Halbsatzes ("Gefährdungsalternative"), Auslandszeugen und andere am Erscheinen gehinderte Auskunftspersonen dagegen der des zweiten Halbsatzes ("Erreichbarkeitsalternative"). Doch verschwimmen die Grenzen, sobald beispielsweise der Auslandszeuge zugleich bei einer Aussage an Leib und Leben gefährdet wäre 6 . Auch der V-Mann bzw. der Verdeckte Ermittier, der bei Offenlegung seiner Identität in der Hauptverhandlung durch Racheakte an Leib und Leben bedroht ist, kann beiden Tatbestandsalternativen unterfallen. Der Alternative des ersten Halbsatzes wegen seiner Gefahrdung, der des zweiten, soweit er durch die zuständige Behörde für eine Vernehmung in der Hauptverhandlung gesperrt wurde, dort also nicht erscheinen kann. 6 Bei der Verfolgung organisierter Kriminalität kommt es nicht selten vor, dass Mitbeschuldigte oder ehemalige Gruppenmitglieder ins Ausland flüchten oder dort bereits aufgrund weiterer Straftaten inhaftiert sind. Ist der Zeuge im Ausland sogar inhaftiert, kann es vorkommen, dass die dortigen Behörden die Überstel!ung nach Deutschland verweigern; so geschehen in BGH, StV 2000, 345; weitere Fallgruppen bei ter Veen, StV 1985, 300 ff.; Rose, Der Auslandszeuge, S. 164 ff.; Art. 7 bis 12 EuRHÜbk; Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 109 ff. 10 Swoboda

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Genauso lässt sich ein kindlicher Zeuge unter vierzehn Jahren beiden Alternativen zuordnen, sofern die Eltern das Kind aus Angst vor eventuellen seelischen Beeinträchtigungen vom Erscheinen in der Hauptverhandlung abhalten 7 . Neben einer Zeugengefährdung i. S. d. ersten Halbsatzes wäre das Kind dann nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO für die Hauptverhandlung "gesperrt", zum Erscheinen also nicht fähig, so dass § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO Anwendung finden kann. Auch das Einverständnis aller Beteiligten gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO erlaubt, die strengen Voraussetzungen des ersten Halbsatzes zu unterwandern. Dies verwundert besonders, denn der Gesetzgeber hat die Strenge des Tatbestandes immer wieder damit begründet, dass er keine Regelanwendung der Videotechnik wünscht, sondern zunächst die Nutzung bereits bestehender Zeugenschutzmöglichkeiten zu verbessern sucht8 . Doch die Möglichkeit einer einverständlichen Lösung untergräbt diese strengen Voraussetzungen und eröffnet einer Aushebelung anderer zeugenschützender Maßnahmen Tür und Tor. Ziel dieser Untersuchung muss es also auch sein, die aufgezeigten Tatbestandskonkurrenzen so aufzulösen, dass sowohl der Wortlaut des Gesetzes als auch die Intentionen des Gesetzgebers mit den tatsächlichen Notwendigkeiten des Strafverfahrens in Einklang gebracht werden.

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO Herausragendes Merkmal der in Bild und Ton simultan übertragenen Vernehmung nach den Voraussetzungen der "Gefährdungsalternative" (§ 247 a S. 1 Hs. 1 StPO) sind ihre hohen, nach so mancher Ansicht überzogenen 9 , Anforderungen. In Anlehnung an § 247 S. 2 StPO wird eine 7 OLG Saarbrücken, NJW 1974, 1959 ff., besprochen bei Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 284 ff; außerdem Kapitel C.2.a). 8 BT-Drs. 1317165, S. 4, 9, 10. 9 Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 177 f. Im Vergleich mit anderen Regelungsvorschlägen wird die Rigorosität der geltenden Voraussetzungen deutlich. So genügte dem Alternativentwurf-Zeugnisverweigerungsrechte, dass "der Zeuge Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder einer körperlichen Misshandlung geworden ist" oder dass die Anwendung zeugenschützender Vorschriften "zum Schutz des Zeugen vor körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen geboten ist" (§ 241 a Abs. 2 S. 1 AE-ZVR) und zusätzlich zu befürchten ist, dass er "durch seine Anwesenheit im Sitzungszimmer erhebliche Nachteile erleidet", AE-ZVR, S. 112. Keiser orientiert ihren Vorschlag an den bereits abgestuften Regelungen des § 247 S. 1 und 2 StPO, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 367. Vgl. außerdem die Vorschläge in BT-Drs. 13/3128, S. 3 und 6, BT-Drs. 13/4983, S. 3 und 6 f.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. I Hs. 1 StPO

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"dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" verlangt, zusätzlich versehen mit der Hürde einer Subsidiarität zu anderen zeugen schützenden Maßnahmen. Subsidiär ist die Videovernehmung damit namentlich zur Entfernung des Angeklagten nach § 247 S. 2 StPO sowie zum Ausschluss der Öffentlichkeit auf der Grundlage der §§ 171 b, 172 Nr. la und 4 GVG. Diese Verknüpfung macht deutlich, wie misstrauisch der Gesetzgeber bislang dem Nutzen der neuen Techniken gegenübersteht. Nur extreme Ausnahmefälle sollen die räumliche Trennung des Zeugen von den übrigen Verfahrens beteiligten erlauben. Keinesfalls will der Gesetzgeber einer generellen Vennutung Vorschub leisten, der "Königs weg" des Zeugenschutzes läge allein in der Zwischenschaltung technischer Medien und nicht im rücksichtsvollen Umgang mit dem Zeugen 10. In der Konzeption des Zeugenschutzgesetztes ist die erste Alternative des

§ 247 aStPO eine reine Zeugenschutzvorkehrung, d.h. sie stellt maßgeblich

auf Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohls des Zeugen ab. Verfahrensbeschleunigende sowie verfahrensökonomische oder beweissichernde Ziele sind ihr (zunächst) fremd 11. Es bietet sich also an, eine Bewertung allein nach ihrem Beitrag für eine größtmögliche Schonung der Auskunftsperson vorzunehmen. Doch werden sich von diesem Ausgangspunkt auch die Belange der Wahrheitsfindung sowie die Interessen des Angeklagten nicht isolieren lassen, denn gerade der rücksichtsvolle Umgang mit einem eingeschüchterten Zeugen ennöglicht, eine konsistente, detaillierte und flüssige Aussage trotz angstbedingter Hemmungen zu erlangen 12. Beinahe lässt sich sogar aufgrund der viel zu strengen Gefahrdungsvoraussetzung vennuten, dass die Schonung des Zeugen nur ein Zwischenziel ist, vornehmlich ein Weg, diesen zu einer stichhaltigen Aussage anzuhalten, so dass das Zeugenschutzgesetz ganz entgegen seiner Benennung in erster Linie einer verbesserten Fonn der Sachaufklärung dient 13 • Weiterhin fällt auf, dass der Gesetzeswortlaut ausdrücklich nur Personen erfasst, die in ihrer Zeugeneigenschaft zur Auskunft herangezogen werden, BT-Drs. 1317165, S. 4. HK-Julius, § 247 a, Rn. 2, 4; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1132; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 9. 12 Der Nutzen der Videosimultanübertragung ist dabei bei mehreren Untersuchungen in den USA und England bestätigt worden, Davies/Noon, An evaluation of the live link for child witnesses, S. 134 ff.; Cashmore. Monash University Law Review [Vol. 16, No.2] 1990, 232 ff.; Hili/Hili, Michigan Law Review, Vol. 85 (1987), 813 ff; einen Kurzüberblick über die Studienergebnisse bei Köhnken. StV 1995, 379 f.; Bohlander. ZStW 107 (1995), 92 ff. 13 So bereits Weigend. Gutachten C zum 62. DJT, S. 47. 10

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

also nicht den Sachverständigenbeweis oder die Vernehmung eines Beschuldigten oder Mitbeschuldigten. Später wird noch zu überlegen sein, ob und in welchen Fällen sich eine Übertragung der in § 247 aStPO aufgestellten Grundsätze auf diese Auskunftspersonen anbietet 14 .

1. Die hohe Anwendungsschwelle des Tatbestandes Vorliegen muss für die Anordnung einer Videovernehmung auf Grundlage der Gefährdungsalternative eine: "dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen". Eine Definition der einzelnen Begriffe gelingt nur schwer. Inhaltlich erscheinen sie äußerst vage und einer genauen Begriffsbestimmung kaum zugänglich. In Literatur und Rechtsprechung wird deswegen versucht, den Begriffsinhalt in Negativbeispielen zu umfassen, also das zu formulieren, was gerade nicht unter das jeweilige Merkmal zu subsumieren ist. Der Begriff des "Zeugenwohls" bzw. "Wohlergehens" beispielsweise ist scheinbar von unbestimmter Weite, doch er erfasst nach einhelliger Meinung nicht jede, mit der Vernehmung verbundene Unannehmlichkeit. Der Zusatz "schwerer Nachteil" verdeutlicht, dass die Störung des Wohlbefindens erst einen Grad massiver Beeinträchtigung erlangen muss, bevor das Gericht zum Mittel der Videovernehmung greifen darf15 . Die Anforderung der dringenden Gefahr stellt überdies klar, dass der Eintritt des schwerwiegenden Nachteils im konkreten Fall mit hoher, durch positiv feststehende Tatsachen begründeter Wahrscheinlichkeit durch das Gericht festzustellen ist. Eine Vorauswürdigung genügt 16 , d.h. dem Zeugen muss nicht erst ein Probedurchlauf im Sitzungssaal zum Beweis der dringenden Gefahr zugemutet werden. Andernfalls liefe die zeugenschützende Idee des § 247 a S. 1 StPO wohl auch leer. a) Die Voraussetzungen der Gefährdungsalternative in Abgrenzung zum Ausschlusstatbestand des § 247 S. 2 StPO Abgesehen von den doch sehr nebelhaften Tatbestandsanforderungen stellt sich bei § 247 a S. I Hs. I StPO ein weiteres Problem. Die Gefährdungsalternative übernimmt Elemente, die auch § 247 S. 2 StPO für die Entfernung eines Angeklagten aus dem Sitzungssaal verlangt. Gleichzeitig Kapitel D. KK-Diemer, §247 a, Rn. 9; Diemer, NJW 1999, 1669; ders., NStZ 2001, 394; HK-Krehl, § 168 e, Rn. 4; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 8. 16 KK-Diemer, §247 a, Rn. 9; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 9. 14

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B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. I Hs. I StPO

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weicht § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO aber in wesentlichen Punkten von § 247 S. 2 StPO ab. So wird die komplizierte Differenzierung nach Alter, Beeinträchtigungsintensität und Art des betroffenen Rechtsguts der zu vernehmenden Person nicht übernommen. Die Gefährdungsalternative zeigt sich im Vergleich zum Tatbestand des § 247 S. 2 StPO damit zugleich enger und weiter gefasst, ist einmal strenger, einmal großzügiger in ihren Voraussetzungen. Und genau hierin liegt das Problem, denn die gesetzlich angeordnete Subsidiarität des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO zum Ausschluss des Angeklagten kann mit diesem Alterieren von Strenge und Weite nahezu unlösbare Probleme aufwerfen. Der subsidiäre Tatbestand kann - je nach Zeugentyp großzügiger, aber auch strenger sein als die vorrangige Gesetzesgrundlage. Zur Verdeutlichung der Reibungspunkte sollen die Unterschiede zwischen der Gefahrdungsalternative des § 247 a S. 1 StPO und dem Ausschlusstatbestand des § 247 S. 2 StPO aufgezeigt werden. Bei einem Zeugen unter 16 Jahren kann der Angeklagte bereits dann ausgeschlossen werden, wenn ein nur erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist (§ 247 S. 2, 1, Alt. StPO). Die audiovisuell vermittelte Vernehmung dagegen verlangt mit der dringenden Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen sowohl eine erhöhte Beeinträchtigungsintensität als auch eine weit größere Wahrscheinlichkeit für den Schadenseintritt 17 • Nur das beeinträchtigte Rechtsgut bleibt identisch: das geistige, seelische und körperliche Wohlergehen der Person. § 247 a StPO ist hier strenger. Bei erwachsenen Zeugen sind nunmehr die Voraussetzungen des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO großzügiger. Bei nahezu gleichem Wortlaut verlangt ein Ausschluss des Angeklagten (§ 247 S. 2, 2. Alt. StPO) eine dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit des Zeugen. Die Gefahrdungsalternative dagegen lässt eine Beeinträchtigung des Zeugenwohls genügen. Der Begriff der Gesundheit schließt zwar neben der körperlichen auch die geistige Gesundheit mit ein l8 , dennoch ist der Begriff des Wohlergehens der umfassendere. Er umfangt auch die seelische Konstitution, ohne dass eine physische oder psychische Schädigung nachgewiesen werden müsste. Ein wesentlicher Unterschied liegt außerdem in der Herkunft der drohenden Gefahr. § 247 S. 2 StPO stellt allein auf die Gegenwart des Angeklagten bei der Aussage ab. In § 247 a StPO dagegen gibt die konfliktgeladene Atmosphäre der Hauptverhandlung den Ausschlag. Nicht speziell die Gegenwart des Angeklagten, sondern die Gegenwart aller im Gerichtssaal zur 17

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Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 a. Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 8.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Anwesenheit berechtigten Personen kann den Zeugen belasten. Geht also die Beeinträchtigung des Zeugen allein von der Anwesenheit des Angeklagten aus, so hat dessen Ausschluss zwingend Vorrang. b) Zu den praktischen Schwierigkeiten einer Subsumtion

unter den Tatbestand

Begleitet wird die heikle Differenzierung zwischen nur erheblichem und schwerwiegendem Nachteil, zwischen reiner Befürchtung und konkretem Drohen einer Gefahr von praktischen Quantifizierungsproblemen. Selbst einem gerichtserfahrenen Psychologen wird es schwer fallen, die Intensität der Gefährdung nach Wahrscheinlichkeitsgraden, aus der Persönlichkeitsstruktur des Zeugen und aus Mutmaßungen über den Verlauf der Hauptverhandlung vorherzubestimmen 19 • Nach dem Gesetz aber soll sogar der psychologisch nicht geschulte Richter die Gefahrenprognose treffen. Das erstaunt und lässt zugleich verstehen, weswegen auf § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO nur so selten zurückgegriffen wird. Der Gesetzgeber macht der Praxis mit diesen diffizilen Intensitätsbemessungen eine Anwendung des § 247 a S. 1 Hs. I StPO nicht gerade leicht. Zwar kann mitunter ein bedrohter Zeuge die Umstände seiner Gefährdung glaubhaft machen, so dass es dem Gericht leicht fällt, die strengen Voraussetzungen des Tatbestandes als erfüllt anzusehen, aber wann die physische 19 Auszug aus einer Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Gera vom 28.04.1999, zur Verfügung gestellt vom Thüringer Ministerium für Justiz und Europaangelegenheiten: "In Anbetracht dieser Sachlage dürften die geschilderten Voraussetzungen des § 247 a Abs. 1 [gemeint ist Satz 1, Anmerkung der Autorin], I. Halbsatz in der Praxis weitgehend leer laufen. Insbesondere dürfte es ungeheuer schwierig sein, brauchbare Kriterien zu entwickeln, wonach die ,dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen' besteht, wenn er mittels Videotechnik vernommen werden soll. Selbst wenn man sich hierzu der sachverständigen Beratung eines Psychologen bzw. eines Psychiaters bedienen wollte, bliebe weitgehend offen, wie man eine Abgrenzung zur alternativen Entfernung des Angeklagten praktisch vornehmen soll. Letztlich müsste nach dem Willen des Gesetzgebers eigentlich der Grad der Beeinträchtigung des Kindeswohl hierfür ausschlaggebend sein: Ein durch die Vernehmung mit der Gefahr eines ,einfachen' Nachteils belastetes Kind wäre durch die Entfernung des Angeklagten zu schützen. Im Falle eines drohenden schwerwiegenden Nachteils wäre eine Video-Vernehmung anzuordnen. Ich halte es aber für fraglich, ob ein Geflihrdungsgrad tatsächlich in dieser Weise quantifizierbar ist. Hinzu kommt, dass es nicht genügen dürfte, lediglich auf eine abstrakte Gefahr einer Traumatisierung eines kindlichen Zeugen in Sexualstrafverfahren abzustellen, da andernfalls die eingehende Regelung gänzlich ihren Sinn verlöre. Die Fassung des § 247 a Satz I, 1. Halbsatz StPO erweist sich nach allem kaum praktikabeL"; zu den Anforderungen an eine vorab getroffene Einschätzung des Geflihrdungsgrades für den Zeugen, Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 8 f.

B. Die "Gefahrdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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oder psychische Belastungsgrenze eines Zeugen überschritten ist, lässt sich nur schwer prognostizieren. Die hohe Anwendungsschwelle des Tatbestandes verlangt nicht nur eine glaubhafte Prognose, das Gericht muss nahezu Gewissheit von der drohenden Überlastung des Zeugen erlangen, bevor die im Tatbestand vorausgesetzte Gefahrdungsintensität bejaht werden kann 2o . c) Exkurs: Die geschützten Zeugengruppen und

ihre spezielle Belastungssituation

Warum aber ist diese Gefährdungsprognose in der Praxis so schwer zu treffen? Der Grund liegt darin, dass eindeutige Anzeichen, die eine Überlastung des Zeugen im Voraus ankündigen, selten sind oder sich nur schwer erkennen lassen. Die Mehrzahl der Belastungen ist seelischer Natur und tritt nicht nach außen. Doch ist der Zeuge bei unsichtbaren Gefahren sicherlich nicht minder schutzbedürftig. § 247 a StPO effektiv und fehlerfrei anzuwenden setzt einiges an theoretischem Wissen über die Phänomene der sog. sekundären Traumatisierung und der Zeugenbedrohung voraus.

aa) Die Bedrohungssituation der an Leib und Leben gefährdeten Zeugen

Als bedroht gelten Personen, die im Fall ihrer Vernehmung als Zeuge mit massiven Drohgebärden von Seiten des Angeklagten oder aus dessen Umfeld rechnen müssen. Dabei greifen die Täter zu ebenso einfallsreichen wie rücksichtslosen Einschüchterungsmaßnahmen21 . Es heißt, "wer singt, bekommt die Kugel,m, aber das Bedrohungsszenario ist weit vielfältiger. Folter- und Morddrohungen, Aussageverbote, Zusenden von Geschossen und Tierkadavern, tätliche Angriffe, Wohnungseinbrüche, Demolieren von Eigentum, Brandstiftung, "wohlmeinende Vergleichsangebote" , Verfolgung, Aufsuchen von Zeugen auch in Verstecken, Entführungen, Drangsalierung von Familienangehörigen23 , die Aufzählung lässt sich beliebig fortführen. Zu der Problematik insgesamt auch Beulke, ZStW 113 (2001), 717 ff. Zu den Ursachen der Zeugenbedrohung Zacharias, Der geflihrdete Zeuge, S. 88 ff. 22 Schlüchter, Schneider-Fs., S. 445. 23 Sielaff, Kriminalistik 1986,59; Weigand, Kriminalistik 1992, 144; Healey, Victim and Witness Intimidation, S. 4; Fallbeispiele bei Graham, Witness Intimidation, S. 3 f.; 6 f. 20

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Je unbekannter das Phänomen der Bedrohung für den Zeugen ist, desto eher kann der Bedrohende mit einem Erfolg seiner Maßnahme rechnen. Die Angst des anderen ist sein Schutzschild gegen die Strafverfolgung. Die Auswirkungen der Drangsalierung auf das Aussageverhalten der Zeugen sind auch tatsächlich enorm. Sie unterlassen Strafanzeigen, bestreiten jede tatrelevante Kenntnis, ändern Aussagen, entlasten den Tatverdächtigen mit Falschaussagen oder tauchen sogar unter24 • Besonders eindrucksvoll lassen sich die Ausmaße der Zeugenbedrohung im Bereich der organisierten Kriminalität nachvollziehen, denn dort, wo jede kriminelle Aktivität streng mit einer Kosten/Nutzenrechnung und in absoluter Gewinnorientierung vollzogen wird, ist die Einschüchterung von Zeugen zugleich eine kostensenkende, risikovermindernde Notwendigkeit. Auch sind Zeugen aufgrund der systematischen Abschottung der Organisation nach außen i. d. R. das einzige vorhandene Beweismittel gegen die Organisation. Die Einwirkung auf Zeugen ist damit gewissermaßen "Wesensmerkmal" organisierter Kriminalität 25 und sie wird mit einer gefährlichen Professionalität betrieben. (1) Empirische Ergebnisse

Empirische Untersuchungen zum Phänomen der Zeugenbedrohung liegen für die Bundesrepublik erst seit kurzem vor. In einer 1996 bundesweit durchgeführten Studie26 berichteten 143 befragte Staatsanwälte von insgesamt 150 Fällen, in denen ihrer Erfahrung nach der Täter zumindest versucht hatten, den Zeugen zu bedrohen oder einzuschüchtern. In der Mehrzahl der Fälle (58%) waren Opferzeugen betroffen 27 • Zu den besonders hervortretenden Deliktsbereichen zählten die Betäubungsmittelkriminalität, Körperverletzungs- sowie Sexualdelikte und die Schutzgelderpressung. Die Rotlichtkriminalität war aber erstaunlicherweise unterrepräsentiert. Offensichtlich ist hier mit einem hohen Dunkelfeldanteil zu rechnen. Vermutet wird, dass die meisten der zur Prostitution gezwungenen Opfer durch massive Einschüchterung und Gewalt bereits von einer Anzeigeerstattung abgehalten werden 28 . Sielaff, Kriminalistik 1986, 59; Ahrens, DRiZ 1986, 355. Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 97; Weigand, Kriminalistik 1992, 143 f.; Sielaff, Kriminalistik 1986, 58; Rebmann/Schnarr, NJW 1989, 1185; Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S. 541, 544; Graham, Witness Intimidation, S. 5; a.A. Fischer, JZ 1998, 818. 26 Buggiseh, MschrKrim 2000, 135 ff. 27 Healey, Victim and Witness Intimidation, S. 1. 28 Buggiseh, MschrKrim 2000, 145, 151; Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S.544. 24

2S

B. Die "Gefahrdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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Herausragend ist der Zusammenhang von Gewaltkriminalität und Zeugenbedrohung. In etwa 41 % der genannten Fälle wurde der Zeuge vor dem Hintergrund gewalttätiger Straftaten bedroht, insbesondere Sexual- und Körperverletzungs-, Tötungs- und Raubdelikte 29 . Dies bestätigt die Vermutung, dass eine Einschüchterung von Zeugen in den Fällen, in denen der Täter bereits eine hohe Gewaltbereitschaft an den Tag gelegt hat, besonders häufig und besonders wirkungsvoll betrieben wird. Außerdem ist der Zeuge dort häufig einziges Beweismittel, so dass sich eine wirkungsvolle Bedrohung für den Täter lohnt. (2) Folgen für eine Gefährdungsprognose i.S.d. § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO Für eine Gefährdungsprognose i. S. d. § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO lässt sich aus diesen empirischen Erkenntnissen Folgendes entnehmen: Schon der Deliktsbereich, dem die angezeigte Straftat entstammt, gibt Aufschluss über Ausmaß und Intensität einer eventuellen Zeugenbedrohung. GeHihrdung indizieren insbesondere solche Deliktsbereiche, die typischerweise von organisierter Kriminalität beherrscht werden. Diese Kriminalitätsform handelt systematisch und professionell und neigt zu Formen ritualisierter "Bestrafung". Diese dienen zugleich als Sanktion und Warnung an weitere potentielle Zeugen. Ein hohes Bedrohungspotential besteht auch dort, wo der Täter bereits durch Aggressionsneigungen und Gewalttätigkeit aufgefallen ist. Der Zeugenschutz ist um so dringender, je mehr Anzeichen extremer Gewalttätigkeit oder grundloser Aggressivität im Verhalten des Betroffenen registriert werden, denn dann kann nicht einmal auf eine rationale Kosten/Nutzenrechnung des Täters vertraut werden, etwa der Art, weitere Gewalttaten würden ihm selbst nur noch mehr schaden30. Wichtig ist ferner, die Intensität und die Häufigkeit der Bedrohungshandlungen in die Gefahrenprognose mit einzubeziehen. Das Interesse an Einschüchterung wächst außerdem mit zunehmender Bedeutung der Aussage für eine Überführung des Täters bzw. für eine Aufklärung der Tat. Die Gefahr intensiver Bedrohung ist folglich für denjenigen, der als einziger Belastungszeuge zur Verfügung steht, besonders groß.

29 30

Buggiseh, MschrKrim 2000, 146. LG Koblenz, NStZ 1991,283 f., m. Anm. Molketin, ebenda S. 284.

154

3. Teil: SimuItanübertragung von Vernehmungen (3) Nutzen der Simultanübertragung

Der besondere Schutz der Videosimultanübertragung besteht darin, dass der Zeuge "an einem anderen Ort" vernommen werden kann. Der Ort darf geheim gehalten werden 31 . Den Zeugen schützt zum einen die räumliche Distanz während der Vernehmung, zum anderen die Unauffindbarkeit vor, während und sogar nach der Zeugenaussage32 . Eine "aktenmäßige Publizität,,33 sollte im Übrigen dafür Sorge tragen, dass die Einstufung als gefährdeter Zeuge rechtzeitig und mit der nötigen Transparenz bekannt gemacht wird. Die Verteidigung hätte dann ausreichend Gelegenheit, sich auf die besondere Verfahrenssituation und insbesondere auf die Videovernehmung einzustellen. Notfalls kann sie zusätzliche Beweiserhebungen beantragen. bb) Belastungserleben besonders verletzlicher Zeugen

Konnten bei dem Phänomen der Zeugenbedrohung noch objektive Kriterien an die Hand gegeben werden, die eine Gefahrenprognose durchaus tragen würden, so bleibt das Gericht auf dem komplizierten Feld seelischer Traumatisierung doch weithin auf Mutmaßungen angewiesen. Die Vielzahl von Stressoren, die auf den Zeugen vor, während und auch nach Beendigung des Verfahrens einwirken, ist kaum zu überblicken. Als besonders sensibel und leicht verwundbar gelten Zeugen, die aufgrund ihres geistigen und vielleicht auch körperlichen Entwicklungsstandes oder aufgrund ihrer körperlichen und seelischen Konstitution den mit einer gerichtlichen Aussage verbundenen Verfahrensbelastungen nicht im üblichen Maß standhalten können. Zu ihnen zählen kindliche Zeugen, Personen, die Opfer eines Sexual- oder Gewaltdelikts geworden sind, kranke, alte, gebrechliche oder behinderte Personen. (1) Die Straftat und ihre Folgen

Opferwerden durch eine Straftat, die Erfahrung mit Gewalt, häufig sexueller Gewalt, und eigener Hilflosigkeit, ist auch ein Einbruch in die physische und psychische Stabilität. Je nach Selbstbewusstsein, seelischer und 31 BT-Drs. 13/9063, S. 4 f.; Art. 10 Abs. 6 EuRHÜbk vom 29. Mai 2000, verlangt eine Angabe von Vernehmungsort und Zeugenidentität nur "unbeschadet etwaiger zum Schutz von Personen vereinbarter Maßnahmen", ABi. C 197/00, S. 8; gegen eine Geheimhaltung Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 186 f. 32 Beulke, ZStW 113 (2001), 726; Schlüchter, Schneider-Fs., S. 448, 454. 33 Rebmann/Schnarr, NJW 1989, 1185 (1190).

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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physischer Konstitution können Schädigungen bis hin zur Traumatisierung 34 des Opfers auftreten. Zu den medizinischen Verletzungsfolgen der Straftat treten die Symptome psychosomatischer Beschwerden in einer breiten Palette hinzu 35 . Selbst wenn der Übergriff bereits längere Zeit zurückliegt, prägen weiter massive Angst-, Scham- und Schuldgefühle das Leben der Betroffenen 36 . Sind sie sehr jung Opfer geworden, dann fällt es ihnen zudem schwer, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühle zu entwickeln. Ihr Misstrauen gegenüber der Umwelt macht einen unbefangenen, offenen Umgang mit anderen unmöglich. Die Persönlichkeit des Betroffenen kann sich verändern, ein Phänomen, dass sogar bei nahen Angehörigen und Freunden des Opfers, sog. "Mit-Opfern" festgestellt wurde. Vor allem die Angst, erneut Opfer zu werden, nimmt überhand 37 • Sexuelle und gewalttätige Übergriffe treffen auch körperlich oder geistig behinderte Personen schwer, denn sie sind wegen ihrer Pflegebedürftigkeit in jeder Beziehung abhängig. Eine körperliche Intimsphäre wurde ihnen nie zugestanden und bereits aufgrund ihrer Behinderung müssen sie mit Vorurteilen und Bevormundung rechnen. (2) Sekundäre Viktimisierung durch den sozialen Nahraum Der Begriff der sekundären oder indirekten Viktimisierung 38 , dem erneuten Opferwerden bzw. der "Verschärfung des primären Opferwerdens durch 34 Trauma: "Das griechische Wort bedeutet so viel wie ,Wunde'. Es geht hier um eine seelische Verletzung, eine Erschütterung". "Ein Trauma ist ein Erlebnis extremer Hilflosigkeit. Es stellt einen Angriff auf unser Persönlichkeitsorganisation dar, die es dem Menschen unmöglich macht, das Erlebnis in gewohnter Weise zu verarbeiten. Das psychische Gleichgewicht wird extrem gestört und das Ich funktioniert nicht mehr in der gewohnten Weise", Wirtz. Seelenmord, Inzest und Therapie, S.83. 35 Ess-, Schlaf- und Sprachstörungen, Ausschläge, Schmerzen - insbesondere Bauch- und Unterleibsschmerzen ohne erkennbare organische Ursache -, Migräne, Ohnmachtsanf.ille und Kreislaufstörungen, asthmatische und epileptische Anfälle und Lähmungserscheinungen; Wirtz, Seelenmord, Inzest und Therapie, S. 88 ff.; Steinhage, Sexueller Missbrauch an Mädchen, S. 25, 28; EnderslStumpf, in: Zart war ich, Bitter war's, S. 81. 36 GlöerISchmiedeskamp-Böhler, Verlorene Kindheit, S. 28; Wirtz. Seelenmord, Inzest und Therapie, S. 90; zur sog. Borderline-Persönlichkeitsstörung S. 82 f. 37 Schneider, Viktimologische Aspekte des sexuellen Missbrauchs an Kindern, S. 2181219; die Reaktionen der Familienangehörigen, Freunden und Bekannten beschreibt Weis, Die Vergewaltigung und ihre Opfer, S. 127 ff. 38 Das Begriff der Viktimisierung bezeichnet das konkrete Erlebnis, der Begriff der Viktimisation das abstrakte Phänomen, BaurmannlSchädler. Das Opfer nach der Straftat, S. 15.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

die Fehlreaktion des sozialen Nahraums des Opfers und der Instanzen der fonnellen Sozialkontrolle"39 hat die Literatur der vergangenen Jahre wesentlich beeinflusst4o . Fehlreaktionen des sozialen Umfelds können nicht weniger erdrückend sein als die Gewalterfahrung selbst. Besonders bei innerfamiliären Straftaten gerät das Opfer in einen Loyalitätskonflikt. Ihm wird die Last der Verantwortung für das weitere Schicksal der gesamten Familie auferlegt. Es soll Schuld haben, wenn die Familie infolge der Offenbarung auseinander bricht oder der Täter verhaftet wird und die Familie mit ihm ihre finanzielle Lebensgrundlage verliert. Nehmen Existenzangst und Furcht vor gesellschaftlicher Stigmatisierung überhand, gerät das Opfer unter den Druck, die Anschuldigungen zurückzunehmen41 . Nicht selten gibt es unter Drohungen nach. Zudem begegnen dem Opfer Misstrauen und Ungläubigkeit42 . Es erfordert dann viel Mut, dennoch zu den Behauptungen zu stehen. Zu den Reaktionen der Umwelt gehören aber auch Mitschuldvorwürfe. Nahe stehende Personen ziehen sich überfordert zurück, die Straftat wird bagatellisiert oder, das andere Extrem, es wird überreagiert43 . (3) Belastungen durch das Strafverfahren

Dass das Strafverfahren eine sekundäre Viktimisierung verursachen würde, ist zeitweise als sichere Erkenntnis hingestellt worden, doch keine Studie hat rein verfahrensindizierte traumatische Schädigungen zweifelsfrei belegen können44 . Einzelfallstudien45 zeichnen ein alannierendes Bild von der Situation der Opfer sexueller Gewalt vor Gericht. Die Bürokratie und Gleichgültigkeit 39 Schneider, Viktimologische Aspekte des sexuellen Missbrauchs an Kindern, S. 220; Weis, Die Vergewaltigung und ihre Opfer, S. 27 f.; BaurmannlSchädler, Das Opfer nach der Straftat, S. 16. 40 Z. B. Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 22 ff.; Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 71 ff.; Tampe, Verbrechensopfer, S. 41. 41 Steinhage, Sexueller Missbrauch an Mädchen, S. 37. 42 Schneider, Viktimologische Aspekte des sexuellen Missbrauchs an Kindern, S. 220; Tampe, Verbrechensopfer, S. 71; Denger, ZRP 1991, 50. 43 Tampe, Verbrechensopfer, S. 41. 44 BusselVolbertlSteller, Belastungserleben von Kindern in der Hauptverhandlung, S. 197; Eisenberg, Kriminologie, Rn. 1081. 45 Fastie, Zeuginnen der Anklage; die Autorin beobachtete 23 Hauptverhandlungen, in denen den Angeklagten eine Mindestzahl von jeweils 30 bis 211 Handlungen sexueller Gewalt über einen Zeitraum von bis zu zwölf Jahren nachgewiesen wurde. Sie berichtet von teilweise äußerst demütigenden Befragungssituationen, in denen das eigene interaktive Verhalten Opfer - Täter bei der Tat mehr und mehr in

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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der Strafverfolgungsbehörden wird oft als verletzend gerügt46 , aber statistische Untersuchungen bleiben die Belege für eine langfristige Schädigung des Zeugen allein durch das Verfahren schuldig. Dies mag auch daran liegen, dass sich die traumatischen Auswirkungen der Straftat kaum eindeutig von eventuell schädigenden Einflüssen des Gerichtsverfahrens unterscheiden lassen47 • Die gern angeführten Momentaufnahmen von kurzfristigen Belastungszeiträumen können also weder die vorübergehenden von den langfristigen Schädigungen unterscheiden noch die Ursachen für psychische Beeinträchtigungen isolieren. Die empirische Forschung zum Phänomen der sekundären Traumatisierung wird erst seit den neunziger Jahren mit wissenschaftlicher Präzision betrieben. Erst dann griff man zu prospektiven Verlaufsuntersuchungen, zu Mehrfachmessungen, bildete Kontrollgruppen 48 . Erste Vergleichs studien mit sexuell missbrauchten Kindern, von denen ein Teil zur Aussage im Verfahren herangezogen wurde, ein Teil nicht, ließen in einem Beobachtungszeitraum von eineinhalb Jahren keine Unterschiede in der psychischen Entwicklung beider Gruppen erkennen 49 • den Mittelpunkt gerückt wird und die Zeuginnen oft an der Grenze ihrer psychischen Belastbarkeit erscheinen. Kirchhof!, Sexueller Missbrauch vor Gericht; die Autorin beobachtete 15 Verfahren zur sexuellen Gewalt - und zwar speziell bezogen auf § 176 StGB - in fünf Landgerichten Nordrhein-Westfalens mit dem Ziel, den Umgang mit kindlichen Opfer sexuellen Missbrauchs vor Gericht mit Blick auf eine sekundäre Viktimisierung zu hinterfragen. Dabei analysierte sie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten gegenüber dem Opfer, die Verteidigungsstrategien, insbesondere in der Argumentation mit Stereotypen gegen oder mit Angriffen auf das Opfer, sowie das Verhalten von Staatsanwälten und Richtern angesichts der vorgelegten Beweismittel und Argumenten der Verteidigung. Neben der Opferperspektive werden außerdem Verfahrenstrategien der Richter herausgearbeitet, die je nach Einlassung des Angeklagten, Beweislage und Interesse an Verfahrensökonomie und Opferschonung variieren. Auch hier beklagt die Autorin die gravierende Vernachlässigung der Opferperspektive, die bedrückende Atmosphäre sowie Diffamierungen der Opfer durch Prozess beteiligte. 46 Schneider, Viktimologische Aspekte des sexuellen Missbrauchs an Kindern, S. 220; Tampe, Verbrechensopfer, S. 44 f.; zum Beratungsbedarf von Opfern und Zeugen Kaczynski, NStZ 2000, 452 f.; Jerouschek, JZ 2000, 191. 47 VolbertlErdmann, MschrKrim 1996, 238, mit einem Überblick über die Ergebnisse; ausführlicher BusselVolbertlSteller, Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen, S. 22 ff., S. 197; Albrecht, Kindliche Opferzeugen, S. 15.; Pfäfflin, StV 1997, 97; Wilmer, Sexueller Missbrauch von Kindern, S. 129 ff.; Dippel, Tröndle-Fs., S. 603 ff. 48 Goodman et al., Testifying in criminal court; Runyan et al., Journal of Pediatrics 113 (1988), 647 ff.; DavieslNoon, An evaluation of the live link for child witnesses; BusselVolbertlSteller, Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen. 49 Albrecht, Kindliche Opferzeugen, S. 17; Wilmer, Sexueller Missbrauch von Kindern, S. 132 ff.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Teilweise wird sogar eine positive Auswirkung des Strafverfahrens auf das Opfer beobachtet. Eine aktive Beteiligung im Verfahren, das mit einem Schuldspruch endet, kann für das Opfer eine Art Bestätigung darstellen. Möglich auch, dass der Verarbeitungs- und Rehabilitationsprozess mit einer Aussage vor offiziellen Stellen beschleunigt wird5o . Die Feststellung, dass es die sekundäre Viktimisierung durch das Strafverfahren nicht zum Regelfall gehört, ändert natürlich nichts daran, dass auf den verletzlichen Zeuge während des Verfahrens zusätzlich eine Reihe von Stressfaktoren einwirken. • Zu ihnen zählt beispielsweise die Wartezeit bis zur Hauptverhandlung, die in Untersuchungen immerhin im Mittel 42 Wochen betrug5!. In dieser Zeit fehlt es dem Zeugen häufig an jeder Information über das Verfahren, und das, obwohl manchmal das Leben des Opfers regelrecht um die Hauptverhandlung "rotiert,,52. Handelt es sich um einen sehr jungen Zeugen, kann mitunter nicht einmal mit einer therapeutischen Aufarbeitung des Geschehens begonnen werden, um seine Erinnerung nicht zu trüben und ihn damit in der Hauptverhandlung unglaubwürdig zu machen. Schon der Zeitablauf zwischen Tat und Aussage in der Hauptverhandlung erschwert es jüngeren Auskunftspersonen, dort noch detailliert und lückenlos Zeugnis zu geben 53 . • Beeinträchtigend wirken auch Mehifachvernehmungen. Sie finden allerdings mehr im Vorfeld der Ermittlungen als im Lauf des Strafverfahrens statt. Zumindest hat die Untersuchung von Busse/Volbert/Steller nur ein bis zwei offizielle polizeiliche Vernehmungen im Umgang mit den Geschädigten ermittelt54 . Dies gibt natürlich nicht Auskunft darüber, wie viele informatorische Befragungen schon zuvor stattfanden, z. B. um hierauf Zwangsmaßnahmen wie die Untersuchungshaft zu stützen. Ebenfalls nicht erfassbar sind die Befragungen, die das soziale Umfeld des Zeugen durchgeführt hat, bevor überhaupt Anzeige erstattet wurde. Letztere sind besonders gefährlich, denn sie erfolgen mitunter suggestiv und zielorien50 BusselVolbertlSteller, Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen, S. 163, 170 f.; Pfäfflin, StV 1997, 98; Runyan et ai., Journal of Pediatrics 113 (1988), 652. 51 BusselVolbertlSteller, Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen, S. 14; von im Mittel 13 bis 14 Monaten Wartezeit berichtet Kirchhof!, Sexueller Missbrauch vor Gericht, S. 115; durchschnittlich 10 Monate ermittelten Baurmannl Schädler, Das Opfer nach der Straftat, S. 102; alle Studien verfolgten nur die Zeit bis zur ersten Instanz. 52 Fastie, Zeuginnen der Anklage, S. 77; Tampe, Verbrechensopfer, S. 73 f. 53 DavieslNoon, An evaluation of the live link for child witnesses, S. 31. 54 BusselVolbertlSteller, Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen, S. 15.

B. Die "Gefahrdungsalternative", § 247 a S. I Hs. 1 StPO

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tiert. Mehrfachvernehmungen zwingen den Zeugen, die Straftat in Gedanken noch einmal zu durchleben. Ängste und verdrängte Scham- und Schuldgefühle leben wieder auf55 . Auch suggerieren sie dem Zeugen Unglaubwürdigkeit, insbesondere dann, wenn er verstandesmäßig (noch) nicht in der Lage ist, Sinn und Zweck der Mehrfachbefragung zu erfassen. • Die Begegnung mit dem Angeklagten gilt als besonders kritischer Moment56 . Bereits sein Anblick kann verdrängte Angst-, Ekel-, Scham- und Schuldgefühle auslösen. Loyalitätskonflikte brechen neu hervor. Eine Entfernung des Angeklagten gemäß § 247 S. 1 oder 2 StPO ist bei weitem nicht die Regel. Selbst bei Vernehmung jugendlicher Zeugen unter 16 Jahren kam es nur in weniger als der Hälfte der von Busse/Volbert/ Steiler beobachteten Verfahren zu dessen Ausschluss 57 . Manchmal wird eine Vernehmung des Zeugen zunächst im Beisein des Angeklagten probiert und erst bei beträchtlichen Verhaltensauffälligkeiten (Weinen, Stottern des Zeugen, Verweigern der Äußerung) in dessen Abwesenheit fortgesetzt. Allerdings ist den Richtern deswegen kaum ein Vorwurf zu machen, denn sie verfolgen nur eine revisionsvermeidende Verfahrensstrategie58 und bannen so indirekt die Gefahr wiederholter Verhandlung und Vernehmung 59 • Gerade hier setzt auch der wohl vorzüglichste Aspekte der Simultanübertragung von Vernehmungen an. Der Angeklagte wird dem Blickfeld und (je nach Akustik des Saals) auch der akustischen Wahrnehmung des Zeugen entzogen und ist dennoch aktiv anwesend. • Die Anwesenheit der Öffentlichkeit kann verschüchtern und hemmen. Eine große Medienöffentlichkeit lässt zudem befürchten, dass seine ErKintzi, DRiZ 1996, 185; Denger, ZRP 1991,49. BusselVolbertlSteller, Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen, S. 111, 114, 192; nur die Erinnerung an die Geschehnisse wurde z. T. als noch gravierender bewertet, S. 111, Tabelle S. 114. 57 Insgesamt in 41,4% der Fälle, wobei es sich fast ausschließlich um die Vernehmung von Opferzeugen unter 16 Jahren handelte, Busse/VolbertISteller, Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen, S. 81. 58 § 247 StPO birgt beträchtliche einseitige Revisionsrisiken, dazu 2. Teil, Kapitel B.2.c). 59 Diesen Aspekt unterschätzen Fastie und Kirchhof!, wenn sie die Rechtsmittel vermeidenden Verfahrensstrategien der Gerichte kritisieren, Fastie, Zeuginnen der Anklage, S. 97, 99; Kirchhof!, Sexueller Missbrauch vor Gericht, S. 118 f.; die Komplexität und Fehleranfälligkeit eines Ausschlussverfahrens kommt in ihren Schilderungen kaum zum Ausdruck. Zudem geht Fastie zu Unrecht davon aus, das Recht des Angeklagten auf rechtliches Gehör und auf Konfrontation mit dem (einzigen?) Belastungszeugen könnte so einfach durch eine nachfolgende Benachrichtigung durch den Verteidiger ersetzt werden. Es gehört zu den wesentlichen Elementen einer effektiven Verteidigung, spontan auf Darstellungen reagieren und Informationen hinterfragen zu können, zumal für den Angeklagten viel auf dem Spiel steht (Verlust von Freiheit, vielleicht auch Arbeitsplatz, Familie und gutem Ruf). Elementare Verteidigungsrechte müssen bestehen bleiben. 55

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

lebnisse in einem weiten Umfeld bekannt werden, zumal es journalistische Praxis ist, die rechtlich relevanten Informationen durch Angaben über das soziale Umfeld des Angeklagten, Zeugen oder andere Personen zu bereichern. Die Öffentlichkeit kann ferner unterstützen oder missbilligen und die Qualität einer Aussage mag leiden, wenn der Zeuge Personen im Publikum nicht verletzen, die Familie schützen oder die Verbindung zu ihr nicht verlieren will 60 . Die Simultanübertragung verringert diesen Druck der Öffentlichkeit, indem auf Wunsch des Zeugen die Anwesenheit des Publikums bei der Übertragung ausgeblendet werden kann. • Prozessverzögernde und aggressiver Verteidigungsstrategien geraten zum unberechenbaren Faktor. Ein Geständnis des Angeklagten kann ein Verfahren beschleunigen, dem kindlichen Zeugen sogar den Auftritt vor Gericht ersparen. Vorgeschobene "Krankmeldungen" dagegen schieben den Verhandlungstermin hinaus. Manche Verteidigungstaktik besteht außerdem darin, den Zeugen andauernd zu unterbrechen und damit noch mehr zu verunsichern. Zu rechnen hat der Zeuge auch mit Fangfragen, ständigem Nachhaken, Anschuldigungen, Vorwürfen der Verleumdung, der Mitschuld, der Tatprovokation oder sogar der Tatinitiierung61 •

(4) Fazit für eine Gefährdungsprognose i. S. d. § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO Die psychisch-emotionalen Belastung einer Person, die als Zeuge im Strafverfahren herangezogen wird, ist komplex und vielschichtig. Mit der (beobachteten oder erlittenen) Tat beginnen eine Fülle von Faktoren auf den Betroffenen einzuwirken. Potentiell kann jeder dieser Faktoren bei einer verwundbaren Persönlichkeitsstruktur allein oder im Zusammenspiel mit anderen einen seelischen Zusammenbruch erwirken. Zu beachten ist, dass sichtbare Verhaltensauffalligkeiten und Nervosität nur unzureichend Auskunft darüber geben können, inwieweit das seelische 60 Die Anforderungen an einen Ausschluss der Öffentlichkeit i. S. v. §§ 171 bund 172 Nr. 1 a und 4 GVG sind zwar relativ leicht zu erfüllen, trotzdem wird der Ausschluss oft nicht verfügt. In der Studie von BusselVolbertlSteller mussten nur insgesamt 44,8 % der kindlichen Zeugen ohne Anwesenheit der Öffentlichkeit aussagten, BusselVolbertlSteller, Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen, S. 81. Auch Hagendom ermittelte an den Amts- und Landgerichten der Städte Bamberg, Landshut, München, Nürnberg, Passau und Würzburg, dass trotz Vorliegens der Ausschlussvoraussetzungen nicht immer eine Entfernung des Publikums angeordnet wird. Immerhin ist eine gewisse Regelmäßigkeit zu verzeichnen. Vernehmungen kindlicher Zeugen finden häufiger nicht öffentlich statt, doch weibliche Gewaltopfer müssen insbesondere vor den Amtsgerichten regelmäßig öffentlich aussagen; Hagendom, Ausschluss der Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. 98 ff., Zusammenfassung S. 109 f.; weitere Studien bei VolbertlErdmann, MschrKrim 1996, 246. 61 Kirchhof!, Sexueller Missbrauch vor Gericht, S. 246 ff.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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Wohl des Zeugen tatsächlich bereits in Mitleidenschaft gezogen ist. Unsicherheit und Befangenheit gelten bislang als nur passagere, verfahrensübliche und damit zumutbare Belastungen62 • Doch sie können erste Anzeichen eines Zustandes sein, in dem der Zeuge emotional gelähmt wird. Bei Kindern genügt zudem eine Beeinträchtigung ihrer seelisch-geistigen Entwicklung, um einen schwerwiegenden Nachteil für das Kindeswohl zu bejahen63 . Ihre Belastbarkeitsgrenze ist schnell erreicht, ohne dass dies den Verfahrensbeteiligten tatsächlich auffallen müsste64 • Personen, die in ihrer emotionalen, seelischen Konstitution ohnehin aus dem Gleichgewicht geworfen wurden oder aus anderen Gründen verfahrensbedingten Belastungssituationen keinen Widerstand entgegensetzen können, wird die Strenge des Tatbestandes in § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO nicht gerecht. Die gegenwärtig vorhandenen Kenntnisse über eine Traumatisierung durch das Strafverfahren genügen nicht, um den Gerichten auch nur annähernd konkrete Entscheidungskriterien an die Hand zu geben, mit denen sie die Einflüsse des Strafverfahrens auf das Wohlergehen des Zeugen ermessen und danach handeln könnten. Für kindliche Zeugen, deren Widerstandskraft noch weit hinter der Erwachsener zurückbleibt, wiegt dies schwer. Sie sind auf den Schutz und die Fürsorge der Gerichte angewiesen, können beides aber nur erhalten, sobald das Strafverfahren die absoluten Grenzen ihrer Belastbarkeit zu überschreiten droht oder bereits überschritten hat. Dass außerdem eine dringende Gefahr schwerwiegender Schädigung zur Voraussetzung gemacht wird, verschärft die Situation, denn dies berechtigt das Gericht erst auf der Grundlage konkreter Tatsachen 65 zur Annahme der Tatbestandsvoraussetzungen. Für die Praxis bedeutet dies, dass eine Prognose über die hohe Wahrscheinlichkeit des Eintritts des schwerwiegenden Nachteils unweigerlich mit Sachverständigengutachten einhergehen wird. Muss aber das Gericht zuerst zusätzliche Begutachtungen in Auftrag geben, nur um die Prognoseentscheidung mit der geforderten Sicherheit fallen zu können, dann wird der beabsichtigte Schutz vor Mehrfachvernehmungen ad absurdum geführt. Orientierungsansatz einer Prognoseentscheidung könnte zwar sein, ob sich der Zeuge in therapeutische Behandlung begeben hat, ob er suizidäre oder autoaggressive Verhaltensmuster aufweist oder bereits in einer ähnlichen Befragungssituation zusammengebrochen ist. Dann aber wird die Videovernehmung nach § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO zu einem Verfahrensweg, 62 63

64

65

HK-Julius, § 247 a, Rn. 4. Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 8. Zur Überschätzung der Belastbarkeit kindlicher Zeugen Stiebig, ZfJ 2000, 412. Diemer, NJW 1999, 1669; HK-Julius, § 247 a, Rn. 5.

11 Swoboda

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

mit dem es gilt, die Aussagefähigkeit zu erhalten, ohne den völligen Zusammenbruch des Zeugen und damit den Verlust bzw. eine inhaltliche Mangelhaftigkeit des Beweismittels zu riskieren. Es ist ein Zeugen schutz, der für die Person zu spät kommt und nur das persönliche Beweismittel den Strafverfolgungsbehörden erhält, der verfahrensrechtliche Trick, mit dem der Zeuge aussagefähig bleibt, nachdem seine psychischen Grenzen lange überschritten sind. Tatsächlicher Nutznießer ist die Wahrheitsfindung66 • Unstreitig bleibt zwar auch dann ein zeugen schützender Gehalt, aber er ist zweitrangig. Die hohe Tatbestandsschwelle stuft ihn auf ein Minimum herab. Zeugenschutz gibt es nur dort, wo die Grenze zur völligen Unerreichbarkeit des Beweismittels beinahe erreicht, aber noch nicht überschritten ist. Erst muss die seelische, emotionale Erschütterung so weit nach außen treten, dass auch die erschöpfende Berichterstattung nicht mehr funktioniert, der Zeuge also weint, stottert, sich auf einmal nicht mehr an Vorgänge erinnern kann oder auch nur vorgibt, sich nicht zu erinnern, weil er hofft, damit der Vernehmung endlich zu entkommen. Der Zeugen schutz der Gefährdungsalternative entfaltet seine Wirkung in dem schmalen Bereich zwischen völligem Zusammenbruch des Zeugen auf der einen, und als noch zumutbar betrachteten, "erheblichen" Beeinträchtigung des Zeugenwohls auf der anderen Seite. Große Erleichterung erfahren verletzliche und sensible Zeugen damit nicht.

d) Notwendige Konsequenzen für die Strenge der Tatbestandsvoraussetzungen Die Natur und Intensität einer Gefährdung ist nicht für alle Zeugengruppen gleich. Doch die undifferenzierte Lösung des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO ignoriert dies, zulasten verletzlicher Zeugen, deren Verwundung "unsichtbar" erfolgt, im Vorfeld der Verhandlung kaum abzuschätzen und noch weniger nachzuweisen ist. Will man auch ihnen Schutz gewähren, so bleibt nur, für sie die Strenge des Tatbestandes zu mildern. Doch welche Zeugen sollten begünstigt sein? 66 Diese Schlussfolgerung erinnert an US-amerikanische Erfahrungen, die - vor dem Hintergrund des VI. Amendment - alternative Vernehmungsformen bei (kindlichen) Zeugen nur unter äußerst restriktiven Voraussetzungen formulieren. Nahezu alle einzelstaatlichen Regelungen dienen erst in zweiter Linie dem Zeugenschutz. Vordergründig fokussieren sie auf der Verbesserung der Aussagequalität; Curtis, Oklahoma Law Review Vol. 40 (1987),80 f.; vgl. auch die der Entscheidung Maryland v. Craig zugrunde liegende Vorschrift des Maryland Cts. & Jud. Proc. Code Ann. § 9-102 (a) (1) (ii) und die Argumentation von Justice O'Connor in Maryland v. Craig, 110 S.Ct. 3517 (1990), 3170; PerrylWrightsman, The Child Witness, S. 184; Goodman, American Criminal Law Review, Vol. 32 (1995), 865 (Fn. 80).

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. I Hs. 1 StPO

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Verwundbarkeit ist ein persönliches Merkmal und nicht durch Alter oder erlittene Verletzungen zu generalisieren. Kranke und gebrechliche Zeugen bedürfen nicht weniger staatlicher Fürsorge als Kinder oder Opfer von Gewalttaten67 . Doch insbesondere nach dem Alter der Beweisperson ließe sich relativ unproblematisch differenzieren. Bereits §§ 241 a, 247 S. 2, 255 a Abs. 2 StPO sowie § 172 Nr. 4 GVG heben die besondere Schutzbedürftigkeit des Zeugen unter 16 Jahren hervor. Daran soll auch hier angeknüpft werden. Anstatt der dringenden Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Kindeswohl, soll die Befürchtung eines nur erheblichen Nachteils genügen 68 . Beeinträchtigungen müssen zwar immer noch über die Vernehmung hinaus eine gewisse Zeit anhalten 69 , d.h. verfahrensübliche Unannehmlichkeiten genügen nicht, doch der Grad einer Traumatisierung ist nicht mehr verlangt. Die Gefahrenprognose wird vereinfacht. Anstatt der hohen Wahrscheinlichkeit einer Verletzung reicht nun aus, dass aufgrund konkreter Tatsachen eine Beeinträchtigung nahe liegt7o . Dies entbindet das Gericht nicht davon, Belastungsfaktoren abzuwägen und Anhaltspunkt für eine Gefährdung des Kindeswohls zu benennen71. Der Ausnahmecharakter des § 247 a StPO bleibt also erhalten. Für diese kinderfreundliche Lösung spricht auch, dass sich jüngere Kinder nicht ausreichend mitteilen können. Eine gerichtliche Gefährdungsprognose basiert aber nicht selten auf einem Gespräch, in dem der Vorsitzende die Selbsteinschätzung und die Wünsche des Zeugen zu ermitteln versucht. Ob sich Kleinkindern der Sinn dieser Unterhaltung wirklich erschließt, ist fraglich. Fraglich ist auch, ob ihre Antworten tatsächlich die eigenen Bedürfnisse wiedergeben oder ob sie nur Ausdruck dessen sind, was das Kind im Moment für die erwartete, "richtige" Antwort hält. 72 . Außerdem halten Kinder Ängste geheim. Sie versuchen auch bei größter Belastung noch, die an sie gestellten Ansprüche zu erfüllen, und wagen nicht, die Überforderung zuzugeben. Nicht einmal die Einschätzung der Erziehungsberechtigten könnte eine Gefährdungsprognose erleichtern. BusseiVolbertlSteller etwa ermittelten BT-Drs., 1317165, S. 4. So auch § 241 a Abs. 2 S. 2 AE-ZVR, S. 113; Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 367, sowie der Gesetzesentwurf des Bundesrats, BT-Drs. 13/ 67

68

4983, S. 3. 69 KMR-Paulus, § 247 Rn. 17; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247, Rn. 24. 70 BGHR, StPO § 247 Satz 2, Begründungserfordernis 2. 71 Hinweise ließen sich den Akten entnehmen; Ullrich, Schutz des verletzten Zeugen durch Entfernung des Angeklagten, S. 33. 72 Stiebig, ZfJ 2000, 409. 11*

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

gravierende Einschätzungsunterschiede zwischen jugendlichen Zeugen und ihren Müttern. Kinder, welche die Belastung durch die Aussage selbst als hoch einschätzten, wurden von den Müttern als wenig belastet wahrgenommen und umgekehrt. Manche Mütter schätzten die Aussage vor Gericht als erleichternd ein, während ihre Kinder gerade die Erinnerung an das Geschehen als äußerst belastend empfanden 73. Die tatsächlichen Belastungserlebnisse von Kindern werden von Erwachsenen also unterschätzt bzw. zu spät registriert. Auch ein Grund, gerade bei Kindern, die Anforderungen an die Gefährdungsprognose zu senken. Festzuhalten bleibt, in § 247 a S. 1 StPO ist eine Differenzierung nach dem Alter des Zeugen zu treffen. Diese Differenzierung könnte - bezogen allein auf Satz 1, denn zu den weiteren Sätzen des § 247 a StPO sollen später noch Gesetzesvorschläge erörtert werden - wie folgt aussehen: § 247 a V-StPO (1. Fassung)74 (1) 1 Ist bei einer Vernehmung einer Person unter sechzehn Jahren als Zeuge ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, und kann der Nachteil nicht in anderer Weise, namentlich durch eine Entfernung des Angeklagten oder den Ausschluss der Öffentlichkeit abgewendet werden, so kann das Gericht anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2 Besteht bei Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für deren Wohl und kann sie nicht in anderer, namentlich in der in Satz 1 genannten Weise abgewendet werden, so kann das Gerichts ebenfalls anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 3 Die Vernehmung wird in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen.

(2) Eine Anordnung nach Abs. 1 ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist.

2. Tatbestandsstrenge und Subsidiarität: Die Widersprüchlichkeit des Gesetzes Das Zusammenspiel überzogener Voraussetzungen mit der Subsidiarität der Video vernehmung gegenüber allen anderen zeugenschützenden Maßnahmen, zwingt die Gerichte regelrecht dazu, von der Videovernehmung 73 Busse/Volbert/Steller, Belastungserleben von Kindern in Hauptverhandlungen, S. 186 ff. 74 Weitere Änderungsentwürfe zu § 247 a StPO folgen in den Kapiteln BA.b)cc) und B.5.c) sowie im 4. Teil, Kapitel A.3. Gesetzesvorschläge dieser Untersuchung sind durch den Zusatz V-StPO gekennzeichnet. Fehlen diese Zusätze, sind die Vorschriften des geltenden Rechts gemeint.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. I Hs. I StPO

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auch dann abzusehen, wenn diese allen anderen Schutzmaßnahmen an Vorteilen weit überlegen ist. So ist es z. B. bei einem Zeugen unter 16 Jahren vergleichsweise einfach, die Anwesenheitsrechte des Angeklagten nach § 247 S. 2, 1. Alt. StPO zu beschneiden. Schwer hingegen ist es, mit der Videovernehmung eine Vernehmungsmodalität zur Anwendung zu bringen, welche die Teilnahmerechte aller unberührt lässt75. Zieht man außerdem in Betracht, dass eine aktive Teilnahme des Angeklagten an der Hauptverhandlung wesentlich zur Sachaufklärung beiträgt76 , dann steht fest, dass hier ein systematischer Widerspruch entstanden ist. Der zeugenschützenden Vorschrift, die den Fortgang der Hauptverhandlung und die Konfrontationsrechte des Angeklagten nur geringfügig beeinträchtigt wird unverständlicherweise diejenige Regelung vorgezogen, die sowohl die Wahrheitsfindung als auch die Verteidigungsrechte erheblich in Mitleidenschaft zieht, ohne zugleich dem Zeugen schutz wesentlich größeren Nutzen zu bringen. Die Zweck-Mittel-Relation ist verdreht. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip würde ein anderes Ergebnis nahe legen77 • Ähnliches gilt für den Vergleich mit § 172 Nr. 4 GVG. Dieser knüpft für einen Ausschluss der Öffentlichkeit allein an das jugendliche Alter des Zeugen an. Ein Minimum an Voraussetzungen genügt also, um das Informationsinteresse der Öffentlichkeit massiv zu beschneiden78 . Der erreichte Schutzeffekt ist demgegenüber gering, denn auch ohne Öffentlichkeit sind immer noch genügend beteiligte Personen anwesend, um das Kind zu verschüchtern. Eine Videosimultanübertragung würde hier das konzentrierte, ungestörte Gespräch des Kindes mit dem Vorsitzenden erlauben, ohne die Verfahrensbeteiligten oder die Öffentlichkeit in ihren Teilnahmerechten zu beschneiden. Doch die Strenge des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO gestattet es dem Gericht regelmäßig nicht, der Videotechnik den Vorzug zu geben. Der Gesetzgeber hat diese Widersprüche scheinbar bewusst bestehen lassen, um nicht im Zuge einer "Videotechnikeuphorie" die grundsätzlichen 75 Schünemann, StV 1998, 399; Der BGH hat wiederholt betont, dass die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungssaal ein einschneidender, wenn nicht überhaupt der einschneidendste Eingriff in seine Rechte ist, BGHR, § 247 StPO, Abwesenheit 2; Ausschließungsgrund I; Kuckein, StraFo 2000, 398. 76 Schmidt, Die Rechte des Zeugen, S. 56; Gollwitzer, Tröndle-Fs., S. 455, 461; ders., Meyer-Gds., S. 147 f. 77 Rieß, Opfer- und Zeugen schutz in Missbrauchsverfahren, S. 124. 78 Ebenso haben die öffentliche Kontrolle gerichtlicher Entscheidungsfindung und richterlicher Neutralität, nicht zuletzt sogar die Wahrheitsfindung das Nachsehen. Zu den Funktionen der Öffentlichkeit im Strafverfahren Hagendom, Ausschluss der Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. 39 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 45 Rn. 2; KK-Diemer, § 169 GVG, Rn. 1.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Bedürfnisse des kindlichen Zeugen nach einer rücksichtsvollen, kindgerechten Behandlung in den Hintergrund zu drängen 79 . Er hat all jenen Autoren eine Absage erteilt, die bereits frohlockten, das Gericht könne nun auch unter Berücksichtigung der Verteidigungsinteressen anstatt auf einen Ausschluss nach § 247 S. 2 StPO auf eine Simultanübertragung zurückgreifen 8o . Die Erwägung, den Verteidigungsinteressen könne durch eine simultan übertragene Vernehmung besser Rechnung getragen werden, ist nach geltendem Recht absolut unzulässig 81 . Eine rücksichtsvolle, einfühlsame Behandlung des Zeugen ist sicherlich wesentliche Voraussetzungen dafür, Informationen von Wert zu erhalten. Doch hätte es wirklich dieser Schärfe der Voraussetzungen in § 247 a S. 1 Hs. I StPO und zusätzlich noch der Subsidiarität bedurft? Der Gesetzgeber stuft Einschränkungen des Unmittelbarkeitsprinzips als wesentlich schwerwiegender ein als Beschneidungen der Beschuldigtenrechte. Doch selbst wenn man dem folgt und die uneingeschränkte Unmittelbarkeit der Vernehmung nicht geringer schätzen will als die verfassungsrechtlich legitimierten Konfrontationsrechte des Angeklagten, dann hätte sich immer noch eine differenzierende Lösung angeboten, die den Gerichten im konkreten Einzelfall die Entscheidung belässt, ob ihnen eine Beweiserhebung unmittelbar im Verhandlungssaal wichtiger erscheint als eine Beschneidung der Konfrontations- und Fragerechte. Orientierungspunkt für die Anordnung zeugenschützender Maßnahmen muss die Person des Zeugen sein, nicht eine generelle Vermutung, die der unmittelbar persönlichen Vernehmung mehr Wert einräumt als der, die im Beisein des Angeklagten zustande kommt. Trotzdem gilt nach dem Gesetz: Die Simultanübertragung von Vernehmungen erfolgt nur als "ultima ratio". Sie kommt erst dann zur Anwendung, wenn die gesamte Klaviatur zeugenschonender Verfahrensweisen voraussichtlich ineffektiv oder ohne Nutzen bereits erschöpft ist. Die unmittelbar persönliche Vernehmung hat absoluten Vorranl 2 •

BT-Drs. 13/7165, S. 4. Meurer, JuS 1999, 940, in Anlehnung an Laubenthai, JZ 1996, 344; Hagendom, Ausschluss der Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. 147. 81 KK-Diemer, § 247 a, Rn. 11; K/M-G, § 247 a, Rn. 4. 82 Diemer, NJW 1999, 1669; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 7; K/M-G, § 247 a, Rn. 4. 79 80

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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a) Erklärungsversuche zur Subsidiarität der Video vernehmung Warum der Gesetzgeber diesen Weg wählte, ist kaum nachzuvollziehen. Im Hinblick auf die Legitimationsfunktion des Verfahrens ist diese rigorose Regelung sogar recht bedenklich 83 . Begründungsversuche des BGH konzentrieren sich auf mögliche Hemmungen, die eine technische Vermittlung des Gesprächs auszulösen vermag, auf den Verlust persönlicher Vernehmungsatmosphäre und auf die Gefahr, die Beweisperson könne sich aufgrund der räumlichen Distanz eher der Atmosphäre der Hauptverhandlung entziehen und mit einer Lüge davon kommen 84 . Dem ist zu entgegnen, dass die räumliche Distanz auch dazu beitragen kann, Hemmungen abzubauen, die den Zeugen bei Vernehmung in der aggressiven Atmosphäre der Hauptverhandlung an einer vollständigen Preisgabe der Informationen hindem 85 . Genauso steht in Frage, ob der Vorsitzende unmittelbar in der konfliktgeladenen Atmosphäre der Hauptverhandlung tatsächlich in der Lage wäre, einen "persönlichen" Gesprächskontakt herzustellen. Ein Vortrag falscher Tatsachen kann dem Zeugen im Übrigen auch leicht fallen, wenn der Angeklagte abwesend und damit nicht in der Lage ist, in einem direkten zeitlichen Konnex zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen 86 . Genauso vermag der Druck der Öffentlichkeit die Beweisperson in manchen Fällen eher zur wahrheitsgemäßen Aussage zu veranlassen als es die Einvernahme im kleinen Kreis der Verfahrensbeteiligten könnte 87 . Was aber waren die Absichten des Gesetzgebers, als er die effektivste und zugleich mildeste Form des Zeugenschutzes für nachrangig erklärte? In den Gesetzgebungsmaterialien findet sich dazu kaum etwas 88 . Möglich ist, dass man nicht unnötig einen Anfechtungsgrund zu Gunsten der Verteidigung schaffen wollte. KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 16. BGHSt. 45, 188 (196) zustimmend Rose, JR 2000, 78; Artkämper, NJ 2000, 101; außerdem Duttge, NStZ 2000, 160; Schlothauer, StV 2000, 182; Vassilaki, JZ 2000,476; Cashmore, Monash University Law Review, Vol. 16, No. 2 (1990), 233. 85 Cashmore, Monash University Law Review, Vol. 16, No. 2 (1990), 231, 233 f. 86 Die Bedeutung des Angeklagten für eine erschöpfende Sachaufklärung ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Er trägt mit seinen aussagebezogenen Einlassungen dazu bei, jede Unklarheit der Aussage zu bemerken, zu korrigieren und Unglaubwürdigkeitsmomente aufzudecken Gol/witzer, Meyer-Gds., S. 147 f.; Schmidt, Die Rechte des Zeugen, S. 56; Gol/witzer, Tröndle-Fs., S. 455, 461. 87 Zu Vorteilen und Gefahren bei Öffentlichkeit der Aussage, Hagendom, Ausschluss der Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. 43 f. 88 Rieß, StraFo, 6 (Fn. 88). 83

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Der mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verknüpfte Anspruch des Beschuldigten auf den geringsten Eingriff in seine Rechte bei gleichzeitiger Gewährleistung effektiven Zeugenschutzes hätte die Verteidigung mit dem Tag des Inkrafttretens des Zeugenschutzgesetzes berechtigt, anstelle der Entfernung des Angeklagten oder der Öffentlichkeit die simultan übertragene Vernehmung anzuregen. Könnte das Gericht mangels technischer Einrichtung dem nicht Folge leisten, hätte das eine Aufklärungsrüge geradezu herausgefordert. Um so mehr, da bis zum heutigen Tag ungeklärt ist, inwieweit die Aufklärungsrüge durch den nebulösen Anfechtungsausschluss des § 247 a S. 2 StPO vermieden werden kann 89 . Konnte also, solange die technischen Voraussetzungen bei den Gerichten nicht vorlagen, eine audiovisuelle Vernehmung aus praktischen Gründen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war, nur diese Subsidiarität eine Revisionsflut verhindern 90 ? Warum aber hat der Gesetzgeber nicht einfach das Inkrafttreten des Zeugenschutzgesetzes ein bis zwei Jahre hinausgezögert? Es erscheint auch kaum einleuchtend, dass 1998 nicht entsprechende Übertragungsanlagen durch die Gerichte hätten angemietet werden können, zumal dieses Vorgehen noch heute in den Bundesländern bevorzugt wird, denen entweder die finanziellen Möglichkeiten zur Ausstattung ihrer Gerichte fehlt oder die ganz bewusst technisch versiertes Personal und jeweils modernste Anlagen zum Einsatz kommen lassen wollen 91 . Außerdem eröffnet § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO unter Verweis auf die Einverständnisregelung des § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO gleichzeitig den Ausweg aus dem Dilemma. Da die Subsidiarität nur für die Gefährdungsalternative zur Anwendung kommt, genügt das Einverständnis aller Beteiligten, den Weg des § 247 a StPO zu gehen 92 . Und gerade dieser Weg scheint auch bei den Gerichten sehr beliebt zu sein, denn diese wirken erleichtert, damit der Pflicht einer Prognoseentscheidung nach § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO enthoben zu sein, zumal zu der notwendigen Vorhersage eines Beeinträchtigungsgrades in der von § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO geforderten Intensität auch die Prognose des ausreichenden zeugenschützenden Mittels getroffen werden muss, d.h. alle anderen zeuDiemer, StraFo 2001, 219; Leitner, StraFo, 1999,48; Kapitel B.5. So die Meinung von Schöch, Meyer-Gossner-Fs., S. 383 f. 91 So in Mecklenburg-Vorpommem, vgl. den Länderbericht im 2. Teil, Kapitel E. 92 Wie wenig Verständnis die Literatur diese Subsidiarität aufbringt, zeigt sich außerdem darin, dass sie den Ausweg über §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 251 Abs. 1 Nr.4 StPO selbst anbietet; Rieß, StraFo 1999, 6 (Fn. 89). Verteidigern und Angeklagten wird der Ratschlag erteilt, ihre Zustimmung zu erklären, um nicht den in die Gefahr einer Ausschlussanordnung nach § 247 S. 2 StPO zu geraten Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 b. 89

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B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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genschützenden Maßnahmen sind vorrangig auf ihre Geeignetheit und Effektivität hin zu überprüfen. Keine leichte Aufgabe, wenn, wie beispielsweise bei § 247 S. 2 StPO, in ihren Tatbeständen ebenfalls eine Reihe weitgehend ungeklärter unbestimmter Rechtsbegriffe auftauchen93 . Festzuhalten bleibt, misst man § 247 a S. I Hs. I StPO am Ziel des Zeugenschutzes, lässt sich die Subsidiarität nicht erklären. Verständlich wird sie erst, sobald man dem Zeugenschutzgesetz eine ganz andere Zielrichtung unterstellt: die Optimierung der Wahrheitsermittlung. b) Optimale Sachaufklärung als Maßstab des Gesetzes

Das Idealbild der Beweisaufnahme ist die unmittelbar persönliche, kontradiktorisch gestaltete Beweiserhebung im Verhandlungssaal. Sie gilt dem Gesetzgeber als Garantie für eine umfassende, objektive Sachaufklärung und als absolute Voraussetzung einer "aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung", § 261 StPO. Jede Vermittlung zwischen Originalbeweismittel und erkennendem Gericht, sei es durch Personen oder Technik, erscheint suspekt94 . Die eigene sinnliche Wahrnehmung des Prozessgeschehens in einer in Raum und Zeit einheitlichen Hauptverhandlung bildet das Fundament der freien richterlichen Beweiswürdigung und darf darum in seiner Zuverlässigkeit nicht getrübt werden. Jede Mittlung birgt das Risiko der Verfälschung und wird so potentiell zur Gefahr für die Wahrheitsfindung95 . Das Gesetz verringert erst dann stufenweise seine Anforderungen an die Qualität der Konfrontation, wenn sich die Sachaufklärung gerade aufgrund des Zusammentreffens aller Beteiligten als schwierig gestaltet. Zunächst wird denjenigen die Anwesenheit versagt, deren Gegenwart erfahrungsgemäß den geringsten Beitrag zur Sachaufklärung leistet: dem Publikum 96 . 93 Ullrich. Schutz des verletzten Zeugen durch Entfernung des Angeklagten, S. 53 ff. Um sicher zu gehen, bliebe den Gerichten zwar die sachverständige Exploration, doch gerade sie verlangt nach mehrfacher Vernehmung des Zeugen. Andernfalls mag nur die missliche Praxis des "Ausprobierens" die Vorhersage erleichtern. Dies führt dann dazu, dass der (verletzliche) Zeuge zunächst in Anwesenheit des Angeklagten mit dem Versuch einer Aussage beginnen, nach dessen Entfernung in Gegenwart der übrigen Verfahrens beteiligten fortfahren müsste, und erst, wenn er auch hierzu nicht in der Lage ist, darf die Anordnung einer audiovisuell übertragenen Vernehmung erfolgen. 94 Speziell zu § 247 a S. 1 StPO SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998, 532. 95 Geppert, Unmittelbarkeit, S. 136 ff., insbesondere S. 144 f., 146 f. 96 Zwar dient auch der Öffentlichkeitsgrundsatz mittelbar der Wahrheitsfindung, soweit sich der Druck auf den Zeugen zur wahrheitsgemäßen Aussage damit ver-

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Es folgt in der nächsten Stufe der Ausschluss der Person, deren Rolle für die Wahrheits ermittlung ambivalent ist, deren Einlassungen sowohl aufklärende als auch wahrheits verschleiernde Bedeutung haben können 97 , mithin: der Angeklagte. Im Grundsatz ist seine Anwesenheit zur Unterstützung der Wahrheitsermittlung verlangt 98 . Doch schon im Fall des § 247 S. I StPO soll gerade seine Entfernung die Sachaufklärung fördern und auch die Alternativen des § 247 S. 2 StPO dienen in nicht unerheblichem Umfang der Wahrheitsfindung, denn sie ermöglichen die Inpflichtnahme der Beweisperson dort, wo diese andernfalls nur unter massiven Gesundheitsgefahren zur Aussage herangezogen werden könnte. Gesundheitsgefahren, die ohne eine Entfernung des Angeklagten vielleicht den vollständigen Verlust des Beweismittels mit sich bringen würden. Genügt allerdings auch diese Reduzierung des Beteiligtenkreises nicht, um die Überforderung des Zeugen anzuwenden, d. h. bleibt seine Aussage trotz aller Maßnahmen weiterhin hinter der erforderlichen Qualität zurück, dann erst erlaubt der Gesetzgeber ein Abrücken von seinem Ideal des in der Atmosphäre der Hauptverhandlung gewonnen Beweises. Die audiovisuelle Vernehmung wird so zur "ultima ratio" der Wahrheitsermittlung, zur letzten Möglichkeit, sich das Beweismittel in der Hauptverhandlung verfügbar zu machen. Schon bei der Betrachtung der hohen Tatbestandsvoraussetzungen ging es darum, sich den Zeugen trotz weit überschrittener Grenzen der physischen und psychischen Belastbarkeit durch den Einsatz der Videotechnik zur Verfügung zu halten. Die Subsidiaritätsklausel ergänzt dieses Anliegen. Sie versichert sich bester Beweisqualität. Beweisqualität, die nach dem Gesetz nur das Ideal der Unmittelbarkeit bieten kann. Folglich dürfen die mit einer Vernehmungsübertragung verbundenen Einschränkungen an Unmittelbarkeit - und sein sie auch nur geringfügigster Art - erst dann in Kauf genommen werden, wenn das Ideal der Unmittelbarkeit zur Gewährleistung dieser Beweisqualität versagt. Die Subsidiaritätsanordnung ist damit nicht Folge einer Geringschätzung der zeugenschützenden Wirkung der Videovernehmung 99 . Sie ist Ausdruck stärkt, doch kann der Druck der Öffentlichkeit ebenso bewirken, dass die Beweisperson aus Furcht vor Gesichtsverlust Informationen zurückhält, abschwächt oder verfälscht. Eher Kuriositätswert muss der ursprünglichen These, die Verhandlung werde weitere, unbekannte Zeugen zur Aussage veranlassen, beigemessen werden, Hagendom. Ausschluss der Öffentlichkeit im Strafverfahren, S. 43. 97 Gollwitzer. Meyer-Gds., S. 148. 98 So der grundlegende Gedanke in §§ 230 Abs. I, 231 a Abs. I, 231 b Abs. 1 StPO; Gollwitzer. Tröndle-Fs., S. 457.

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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eines Misstrauens, dass der Gesetzgeber jeder Form der Beweisfilterung entgegenbringt. Erwägungen des Zeugenschutzes und der Beschuldigtenrechte sind für ihn zweitrangig. Der Zeugenschutz des "Zeugenschutzgesetzes" ist in Wirklichkeit Beiwerk von Bestrebungen nach besseren Aufklärungsinstrume ntarien 100. c) Entschärfung der Subsidiarität durch Verknüpfung der Ausschlussregelung des § 247 S. 2 StPO

mit audiovisuellen Übertragungsmöglichkeiten

Die Sachaufklärung hat bei § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO absoluten Vorrang. Deswegen bietet es sich an, die Subsidiarität der Videovernehmung, so umstritten sie auch sein mag, beizubehalten. Aber die mangelnde Flexibilität des Gesetzes und die System widersprüche, die dies mit sich bringt, müssen entschärft werden. Wie also können unter Beibehaltung der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme mit Hilfe der Videotechnik auch die Interessen der übrigen Beteiligten gefördert werden? Ins Zentrum der Betrachtungen rückt der Beschuldigte, denn vor allem dessen Rechte hat der Gesetzgeber gering geschätzt, als er den Ausschluss des Angeklagten nach § 247 S. 2 StPO der audiovisuell vermittelten Vernehmung des Zeugen auf Distanz vorzog. Eine Entfernung aus dem Sitzungssaal hindert den Beschuldigten daran, Kenntnis vom genauen Inhalt der Aussage zu nehmen und sich ein persönliches Bild vom Zeugen zu verschaffen. Zwar wird er über beides nachträglich informiert, doch beschränkt auf das "Wesentliche" (§ 247 S. 4 StPO). Dessen Umfang bestimmt der vorsitzende Richter nach pflichtgemäßem Ermessen 101, d.h. Einzelheiten, die dem Angeklagten ein genaueres Hinterfragen der Aussage ermöglicht hätten, können u. U. entfallen 102. So noch die Begründung des Gesetzgebers, BT-Drs., 13/7165, S. 4. Daher auch der berechtigte Einwand, anstatt einer Einordnung der Videovernehmung nach § 247 StPO hätte ein Einfügen in die Phalanx der §§ 250 ff. StPO nahe gelegen, denn wie § 251 StPO verfolgt § 247 a StPO das Ziel, das beste, d.h. tatnächste Beweismittel zur Aufklärung zur Verfügung zu stellen, sobald der Grundsatz der unmittelbar persönlichen Vernehmung des § 250 S. 1 StPO aufgrund besonderer Umstände nicht mit Erfolg durchzusetzen ist; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 430 a; Diemer, NJW 1999, 1669; a.A. Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 367; Unger hätte systematisch eine Einordnung in den Regelungsbereich der kommissarischen Vernehmung, in einen § 223 Abs. 4 StPO, bevorzugt; NJW 1984, 416. 101 BGH, MDR 1957, 267; LG Hamburg, JR 1950,413; BGH, NStZ 1983, 181; StV, 1993, 287; KK-Diemer, § 247, Rn. 15; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247, Rn. 45. 99

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Wenn es also schon zum Ausschluss des Angeklagten kommt, so sollte diesem wenigstens per Simultanübertragung des Geschehens in der Hauptverhandlung die Gelegenheit gegeben werden, die Aussage in eigener Person mitzuverfolgen. Entsprechende Kombinationsvorschläge finden sich bereits in § 162 a Abs. 3 S. 3 i. V. m. § 241 a Abs. 2 S. 1 StPO in der Fassung des Alternativentwurfs Zeugnisverweigerungsrechte (AE-ZVR)103 sowie bei Weigend lO4 und sind für das Ermittlungsverfahren mit § 168 e StPO auch bei uns Gesetz geworden 105. Nach der Entfernung des Beschuldigten aus dem Sitzungssaal verfolgt dieser per Videoschaltung die Vernehmung des Zeugen visuell und akustisch mit. Der Zeuge wiederum wird mit dem Beschuldigten nicht unmittelbar konfrontiert. Die Vorteile liegen auf der Hand. Der verbesserte InformationsfIuss zum Angeklagten mildert den Eingriff in seine Verfahrensrechte und nimmt dem komplizierten Ausschlussverfahren des § 247 StPO zugleich eine mögliche Fehlerquelle, namentlich die unzureichende nachträgliche Unterrichtung des Ausgeschlossenen. Dem Angeklagten bleiben wesentliche Elemente des rechtlichen Gehörs erhalten. Unterbunden wird allein die Möglichkeit der Rede und Gegenrede, des Widerspruchs im zeitlichen Konnex 106. Die Simultanübertragung erlaubt dem Ausgeschlossenen immerhin, zeitgleich Informationen und eigene Anmerkungen zu notieren und später im Verhandlungssaal vorzutragen. U. U. werden außerdem Augenscheinseinnahmen bei zeitgleicher Übertragung der Vorgänge im Gerichtssaal zugelassen werden können. Das geltende Recht schließt diese bei Ausschluss des Angeklagten rigoros aus 107. Doch wenn der Angeklagte über Monitor in die Lage versetzt wird zu erkennen, welche Gegenstände oder Fotografien 108 dem Zeugen vorliegen 102 NackiArbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, S. 319. 103 Nur bei Zeugen unter sechzehn Jahren, die Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder einer körperlichen Misshandlung geworden sind, §§ 162 a Abs. 3 S. 3 i. V. m. 241 a Abs. 2 S. 1 AE-ZVR, S. 106, 112 f. 104 Weigend möchte diese Vernehmungsform bei der Befragung kindlicher Zeugen sogar zum Regelfall erklären, soweit nicht der Zeuge selbst die Konfrontation in der Hauptverhandlung wünscht, Gutachten C zum 62. DJT, S. 54; ebenso Beulke, ZStW 113 (2001), 720; BGH, StV 2002, 10; von Gemmeren, NStZ 2001, 264; Meyer-Mews, NW 2002, 107. 105 Dazu im 5. Teil. 106 Bei der Videosimultanübertragung des § 247 a S. 1 StPO bleibt dieser Aspekt erhalten. 107 BGH StV 1981, 57 m. Anm. Strate; BGH, StV 1984, 102; NStZ 1986, 564; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247, Rn. 19.

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. I Hs. I StPO

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bzw. mit welchen Personen eine Gegenüberstellung erfolgt, wären seine Teilnahmerechte bei der Augenscheinseinnahme unbeschnitten. Im Grunde dürfte der Gesetzgeber dem Angeklagten eine mögliche Simultanübertragung aus der Hauptverhandlung auch gar nicht verwehren, denn das Gebot der Verfahrensfairness verpflichtet ihn, jede Maßnahme zu ergreifen, die zur größtmöglichen Optimierung der in Frage stehenden Rechte und Interessen beiträgt 109. Vorsicht ist allerdings dort geboten, wo aufgrund einer zu erwartenden Gefährdung des Zeugen von Seiten des Angeklagten ein visueller und akustischer Kontakt vollständig unterbunden werden muss. Betroffen sind hiervon vor allem Zeugen, deren Identität dem Beschuldigten nicht bekannt ist und auch nicht bekannt werden soll, etwa bei Informanten, V-Personen oder Verdeckten Ermittlern. In diesem Fall ist es ratsam, auch das Äußere der Person vor dem Angeklagten zu verbergen 110. Optische Abschirmungen und Stimmverzerrung schaffen nur bedingt Abhilfe 111. Eine Kombination aus Entfernung des Angeklagten und Videoübertragung aus dem Gerichtssaal kommt nur dann in Betracht, wenn dies den mit dem Ausschluss bezweckten Zeugen schutz nicht unterläuft 1 12. Stehen aber Zeugenschutzaspekte nicht entgegen, so gibt es tatsächlich keinen Grund, auf eine Kombination des § 247 S. 2 StPO mit technischen Elementen zu verzichten. 108 Für Fotografien ist allerdin~s sowohl eine gute Qualität der Fotovorlage als auch eine hervorragende visuelle Ubertragung zu verlangen. Etwaige Bildverzerrungen und Unschärfen, wie sie bei Leitung über das Telefonnetz zustande kommen können, dürfen nicht vorkommen. Per Standleitung wäre eine Augenscheinseinnahme aber machbar. 109 Die Argumentation gilt zunächst nur für § 247 S. 2 StPO, denn der Ausschlusstatbestand des § 247 S. I StPO ist bei Betrachtung der Subsidiaritätsklausel des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO vollkommen irrelevant. § 247 S. 1 StPO dient in erster Linie der Sachaufklärung und nicht dem Zeugenschutz. Die Subsidiarität gilt hier nicht. Eine andere Frage ist, ob auch die Alternative des § 247 S. 1 StPO - unabhängig von einem Vorrangverhältnis zu § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO - mit Elementen der Videoübertragung verbunden werden kann. Trifft das Gericht die Feststellung, dass nur die unmittelbare Begegnung mit dem Angeklagten im Sitzungssaal den Zeugen von einem wahrheitsgemäßen Bericht abhält, eine Kombination des Ausschlusses mit einer audiovisuellen Zuschaltung des Angeklagten aber den Zeugen nicht beeinflussen würde, dann ist die Übertragung aus dem Gerichtssaal anzuordnen. Allerdings wird regelmäßig wohl gerade der Gedanke, dass der Angeklagte die Vernehmung mitverfolgt, den Zeugen von einem wahrheitsgemäßen Bericht abhalten. 110 Rieß/Rilger, NStZ 1987, 150. 111 Zur Zulässigkeit optischer und akustischer Abschirmungen Kapitel B.3.b). 112 Schlüchter/Grejf, Kriminalistik 1998, 532; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 8.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Folgende Gesetzesänderung wird vorgeschlagen: § 247 V-StPO 1 Das Gericht kann anordnen, dass der Angeklagt während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt wird, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen. 2 Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter sechzehn Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. 3 Soweit nicht schutzwürdige Interessen des Zeugen oder Belange der Strafrechtspflege entgegenstehen, kann die Vernehmung des Zeugen dem Angeklagten zeitgleich in Bild und Ton in einen anderen Raum übertragen werden. 4 Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. 5 Soweit eine Übertragung der Vernehmung nach Satz 3 nicht erfolgte, hat der Vorsitzende den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

Die Übertragungsanordnung nach S. 3 des Entwurfs ist fakultativ und belässt dem Gericht durch den Verweis auf die "schutzwürdigen Interessen" des Zeugen bzw. auf die "Belange der Strafrechtspflege" einigen Ermessensspielraum. Ein Indiz für entgegenstehende Schutzinteressen kann beispielsweise in der Anordnung identitätsschützender Maßnahmen liegen. D. h., wird dem Zeugen zusätzlich zum Ausschluss des Angeklagten das Verschweigen seiner Identität gestattet, kommt im Regelfall auch eine Vernehmungsübertragung nicht in Betracht. Aber auch über die positive Feststellung entgegenstehender Belange hinaus, bleibt die Anordnung fakultativ. Das Gericht kann von der Übertragung absehen, wenn es sich von der audiovisuellen Teilnahme des Angeklagten weder eine weitergehende Aufklärung noch eine Stärkung der Verteidigung verspricht. Anhaltspunkte für eine geringe Aufklärungsrelevanz könnten darin liegen, dass der Beschuldigte bereits bei einer Vernehmung im Ermittlungsverfahren anwesend war und dort der Version des Zeugen nicht widersprochen hat oder dass der Beschuldigte Widerspruch geäußert und dieser in die weitere Vernehmung Eingang gefunden hat. Auch kann ein Geständnis vorliegen, was bedeutet, dass die Aussage des Zeugen im Großen und Ganzen nicht im Streit begriffen ist.

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d) Vorteil der vorgeschlagenen Änderungen: Flexible Schutzlösungen innerhalb der Tatbestände der §§ 247 a S. 1 Hs. 1 und 247 S. 2 StPO Das Zusammenspiel von herabgesetzten Tatbestandsanforderungen in § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO und einer Verknüpfung des Ausschlusstatbestandes in § 247 S. 2 StPO mit videotechnischen Elementen gestattet eine wesentlich flexiblere Handhabung beider Zeugenschutzmechanismen, ohne zugleich die gesetzgeberische Präferenz für eine unmittelbar persönliche Vernehmung des Zeugen im Sitzungssaal zu unterhöhlen. Die Gerichte gewinnen vor allem an Spielraum bei der Beurteilung des Einzelfalls. Ein Teil der Quantifizierungsschwierigkeiten, welche die variierenden Gefährdungsprognosen so erschweren, entfällt. So genügt bei Zeugen unter 16 Jahren sowohl für den Ausschluss des Angeklagten als auch für die Anordnung einer Videovernehmung, dass ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist. Das Gericht muss nur die Gefahrenquelle konkretisieren. Ruft allein die Anwesenheit des Angeklagten die Beeinträchtigung hervor, dann genügt dessen Ausschluss. Die Videovernehmung ist unzulässig, da subsidiär. U. U. kann der Angeklagte die Vorgänge im Gerichtssaal am Bildschirm mitverfolgen. Anders, wenn die Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten den Zeugen bei seiner Aussage im Sitzungssaal hemmt. Die Entfernung des Angeklagten genügt zu seinem Schutz nicht. Eine Videovernehmung des Zeugen kann angeordnet werden. Doch auch jetzt belässt das Gesetz dem Gericht immer noch die Möglichkeit, von einer Vernehmung auf Distanz abzusehen, wenn es den persönlichen Kontakt mit dem Zeugen als besonders bedeutsam erachtet. Dann ist zu überlegen, ob nicht doch wenigstens der Angeklagte ausgeschlossen werden kann. Die gerichtliche Einzelfallbeurteilung ist also nicht mehr in das enge Subsidiaritäts-"Korsett" der jetzigen Regelung gezwängt. Ähnliches gilt bei Zeugen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Die in beiden Tatbeständen gestellten Anforderungen an eine Gefahrenprognose werden weitgehend angeglichen. Der strengere § 247 S. 2, 2. Alt. StPO, der eine Beeinträchtigung der "Gesundheit" und nicht nur des "Wohls" verlangt, ermöglicht sogar weitere Auflockerungen der Subsidiaritätsanordnung in § 247 a S. I Hs. I StPO, denn soweit die Gefährdungsintensität zwar die Schwelle des § 247 a S. I Hs. I StPO, nicht aber die des § 247 S. 2, 2. Alt. StPO erreicht hat, ist die Entfernung des Angeklagten auch nicht die vorrangig mögliche Maßnahme.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

e) Subsidiarität zu weiteren zeugenschützenden Vorschriften

Unstreitig macht die Subsidiarität der Videovernehmung dort Sinn, wo ein rücksichtsvoller und höflicher Umgang mit dem Zeugen notwendig, aber auch ausreichend ist. In solchen Fällen werden allerdings regelmäßig auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO nicht erfüllt sein und die Frage einer Subsidiarität stellt sich nicht mehr. Die wichtigsten Konfliktbereiche konzentrieren sich folglich auf die Konkurrenz zu den Ausschlusstatbeständen der §§ 247 S. 2 StPO und 171 b, 172 Nr. la und Nr. 4 GVG. Eine Verknüpfung mehrerer Schutzmaßnahmen ist damit allerdings nicht ausgeschlossen. Eine Videovernehmung kann mit einem Ausschluss des Angeklagten auf der Grundlage des § 247 S. 2 StPO kombiniert werden ll3 . Ebenso ist ein gleichzeitiger Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 Nr. la GVG denkbar, wenn z. B. das Gesicht eines gefährdeten Zeugen nur den Verfahrens beteiligten bekannt werden soll. Muss ein Zeuge mit massiver Bedrohung rechnen, so ergänzen sich eine Vernehmung auf Distanz und identitäts- bzw. aufenthaltsverschleiernde Maßnahmen auf der Grundlage des § 68 Abs. 2 und 3 StPO I14 . Rücksicht und Höflichkeit gebühren jedem Zeugen, egal ob er nun unmittelbar im Gerichtssaal oder per Videoverbindung vernommen wird 1l5 .

3. Die Vernehmungsübertragung gemäß den Anforderungen des § 247 a S. 3 StPO Wie ist eine Videovernehmung rechtlich unangreifbar durchzuführen?

§ 247 a S. 3 StPO bemerkt hierzu:

"Die Aussage wird zeitgleich in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen."

Genauer, wenn auch rechtlich unverbindlich, äußert sich Nr. 19 Abs. 2 S. 2 RiStBV. Allerdings beschränkt auch er sich auf Minimalvorgaben 1l6. Welches sind die qualitativen Anforderungen an eine Übertragung? Welche Form der Verbindung ist zwischen Vernehmungsort und Sitzungssaal zu wählen und wer darf sich bei der Beweisperson aufhalten? BT-Drs. 13/7165, S. 10, SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998,532. Dazu auch Schlüchter, Schneider-Fs., S.448, die diese Ergänzung des § 68 Abs. 2 StPO ausdrücklich begrüßt. 115 Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 15. 116 Neben Nr. 19 Abs. 2 RiStBV vgl. außerdem Nr. 130 a und 248 Abs. 2 RiStBV, geändert durch Verfügung vom 21.07.2000 (BAnz. Nr. 141). 113

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B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. I Hs. I StPO

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Entnehmen lässt sich § 247 a StPO zunächst nur die Abkehr vom "Mainzer Modell", d.h. allein der Zeuge verlässt den Sitzungssaal. Wie aber soll der audiovisuelle Kontakt erfolgen? Genügt eine Ein-Weg-Übertragung in den Sitzungssaal, oder ist das angloamerikanische Modell des Closed Circuit Television mit einer gegenseitigen akustischen und visuellen Übertragung zu wählen? Das Gesetz lässt alles offen 117. Eine hilfreiche Konkretisierung hat mittlerweile zwar der BGH 118 vorgenommen, doch die technischen Voraussetzungen klärt er nicht. Immerhin entscheidet er sich für das "two-way Closed Circuit Television CCTV" 119, eine deutliche Absage an die nur einseitige Übertragung, die dem Dialog zwischen den Personen an beiden Enden der Verbindung nur schaden kann. Der Gesetzeswortlaut indes erzwingt diese Gegenseitigkeit des audiovisuellen Kontaktes nicht. Inwieweit daher eine nur einseitige Übermittlung mit einer Verfahrensrüge angreifbar wäre, ist auch bei klarer Präferenz des BGH für eine Zwei-Wege-Übertragung ungeklärt. Für das Gericht sollte aber die Überlegung entscheidend sein, dass die technisch gefilterte Vernehmung einer formell unmittelbaren Einvernahme im Sitzungssaal möglichst nahe kommen muss. Je besser diese Angleichung gelingt, desto größerer auch der Nutzen für die Wahrheitsfindung. Die Grundsätze interaktiver Kommunikation sind zu beachten 120. Das unmittelbar persönliche Gespräch ist neben verbaler Kommunikation durch den visuellen Kontakte zwischen den Gesprächspartner geprägt. Mit Mimik und Gestik signalisiert der Gegenüber, ob er dem Gesagten Glauben schenkt oder ob sein Misstrauen erwacht. Der Zeuge wiederum reagiert auf 117 Vgl. auch die Auseinandersetzung mit dieser Problematik bei Rieck, StraFo 2000, 400 ff. Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Zwei-WegeÜbertragung finden sich in der Bundeseinheitlichen Handreiche zum Schutz kindlicher (Opfer-) Zeugen im Strafverfahren, S. 33, abzurufen unter http:// www.bundesjustizministerium.de/inhalt.htm. 118 BGHSt. 45, 188. 119 BGHSt. 45, 188 (196) mit Verweis auf Köhnken, StV 1995, 376, und Bohlander, ZStW 107 (1995), 82. 120 Rieck, StraFo 2000, 406; Geppert stellte in seiner Betrachtung zu den Schnittstellen von Mündlichkeit und formeller Unmittelbarkeit die "Anschaulichkeit des gesprochenen Wortes", die wesentliche Bedeutung einer Aussprache "Auge in Auge" für die Wahrheitsermittlung in den Vordergrund. Trat bei seiner Untersuchung noch das "dialektische Prinzip", die Folge von Rede und Gegenrede, als Mittel der Sachaufklärung in den Vordergrund, so muss heute für den Einsatz von Videotechnik bei Vernehmungen der Begriff des Dialogs um visuelle Elemente erweitert werden. Die Reaktion auf den Gegenüber, auf seinen nicht immer in Worten gefassten Ausdruck von Zustimmung und Ablehnung fügt sich ein in das, was von Geppert noch unter Ausblendung der (damals nicht relevanten) Frage nach einem gegenseitigen Sichtkontakt als das "dialektische Prinzip" der Wahrheitsfindung beschrieben wurde; Geppert, Unmittelbarkeit, S. 140 f. 12 Swoboda

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

diese Beobachtungen. Eine auch nur einseitige Beschränkung des Blickkontaktes würde diese Wechselbeziehung stören. Zudem verliert die Gesprächsatmosphäre an "Intimität". Die Bereitschaft zur Vermittlung von Sachverhalten nimmt ab. Ein Nicken kann zum Fortfahren ermuntern, ein kritisches Stirnrunzeln zur Korrektur der Aussage oder zur Substantiierung der Angaben zwingen. Genauso wie der verbale Austausch von Argument und Gegenargument ist dies alles Ausdruck einer notwendigen Interaktion. Gerade der verunsicherte Zeuge lebt von der Reaktion des Zuhörers, mit allen Gefahren, die dies für die Beständigkeit und Widerspruchsfreiheit seiner Aussage mit sich bringt l21 . Und bei sehr jungen Zeugen ist kaum vorstellbar, wie mit einer nur akustischen Frageübermittlung verwertbare Angaben zu erlangen sein sollen. Z. T. wird bereits die Verstandesreife einem Kind nicht erlauben, die Übertragungssituation zu erfassen oder gar souverän zu meistern 122. Von einer kindgerechten Vemehmungsatmosphäre kann bei der "Stimme aus dem Off' nicht die Rede sein. Und muss sich nicht auch ein Opferzeuge erst recht zum Objekt der Beweisaufnahme degradiert fühlen, wenn er zwar über Monitor zum Anschauungsobjekt für die Verfahrensbeteiligten (und die Öffentlichkeit) wird 123 , selbst aber zur Reaktion auf Stimmen verwiesen wird, die er nicht einmal Gesichtern zuordnen kann? Die fehlende "Rückmeldung" verunsichert. Ferner können komplizierte Fragestellungen bei rein akustischer Wahrnehmung nur mit erheblich größeren Schwierigkeiten vom Gehirn verarbeitet werden. Der Zeuge muss sich geradezu "dumm" fühlen, "unfähig" und sogar "erniedrigt", weil ihm eine Konzentrationsleistung abverlangt wird, die das, was an Konzentration von den übrigen, "sehenden" Verfahrensbeteiligten aufgebracht werden muss, wesentlich übersteigt. Vielleicht empfindet er sogar Scham und Wut, wenn über den Monitor seine Verständnisschwierigkeiten allen sichtbar werden, er die Reaktionen der anderen aber nicht einmal wahrnehmen kann. 121 Kinder sind aus diesem Grund besonders schwierige Zeugen. Sie verfügen noch nicht über das Selbstbewusstsein, sich dem professionell notwendigen Misstrauen des Richters entgegenzustellen; Drewes, DRiZ 1999, 250 f.; GallwitziPaulus, DRiZ 1999,278. 122 In einem von von Knoblauch zu Hatzbach beschriebenen Fall nahm die Strafkammer sogar Rückgriff auf das gesetzlich unzulässige Mainzer Modell, um das sechsjährige Kind durch die Vernehmung über Bildschirm nicht zu überfordern, von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 277. Wenn aber bereits der technisch vermittelte Sichtkontakt nicht zur Aussagegewinnung genügt, wie kann es dann der nur akustische? 123 SchlüchteriGreff, Kriminalistik 1998, 532; für kindliche Zeugen Jansen, StV 1996, 124.

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Den Zeugen, die durch die Aussagepflicht ohnehin psychisch stark belastet sind, wird es zudem an der Konzentrationsfähigkeit fehlen, die das Verfahren der Ein-Weg-Übertragung voraussetzt. Schnelle Ennüdung ist die Folge. Die Qualität der Antworten lässt nach. Die Wahrheitsfindung wird tangiert. Tatsächlich kann wohl nur die Zwei-Wege-Übertragung den Anforderungen des Gesetzes genügen l24 . Unabhängig von der offenen Formulierung des Gesetzes hat die nur einseitige Übertragung aus dem Vemehmungsraum in den Sitzungs saal in der Hauptverhandlung keinen Platz. Zu klären sind weiterhin die technischen Mindeststandards. Angefangen von den Anforderungen an die Übertragungsqualität über die Kameraposition bis hin zur Anzahl der den Zeugen begleitenden Personen ist alles offen. Aus ausländischen Erfahrungen lassen sich Ideen zur Ausgestaltung der Übertragung gewinnen, denn dort wurden schon vor Jahren Richtlinien erarbeitet, wie sich eine Aussage von hoher Qualität und Verwertbarkeit gewinnen lässt l25 . Unter Rücksichtnahme auf eventuelle Abweichungen der nationalen Verfahrensordnungen sind diese im Wesentlichen auch auf das deutsche Strafprozessrecht übertragbar l26 . a) Die praktische Ausgestaltung unter Beachtung rechtlicher Anforderungen an die Qualität einer Vernehmung über CCTV Ausgehend von dem hier befürworteten System der Zwei-Wege-Übertragung per CCTV bleibt nun, die einzelnen Möglichkeiten zu betrachten, nach denen die Übertragung in Szene gesetzt werden kann. aa) Die bildtechnische Übermittlung

Die Ausstattung englischer Gerichte hat Lord Mackay oj Clashjem l27 beschrieben. In den ausgerüsteten Gerichtsgebäuden sind in jeweils ein oder zwei Gerichtssälen die notwendigen technischen Anlagen installiert worden. 124 Vorsichtig, aber im Ergebnis ebenso Seitz, JR 1998, 311 (Fn. 38); Rieß, StraFo 1999,6; ausführlich Rieck, StraFo 2000, 405 f.; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 6; Schlothauer, StV 1999, 50; a. A. unter Verweis auf den Gesetzeswortlaut Leitner, StraFo 1999,47. 125 "Memorandum of Good Practice on Video Recorded Interviews with Child Witnesses for Criminal Proceedings", HMSO, London, 1992; zur Aussagekonservierung Davies/Noon, An evaluation of the live link for child witnesses. London, 1991. 126 BGHSt. 45, 188 (196); Köhnken, StV 1995, 376, und Bohlander, ZStW 107 (1995), 82. 12*

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Jeder dieser Sitzungssäle verfügt über jeweils drei workstations, über die eine Bild-Ton-Übertragung erfolgt. Die Steuerung kann manuell erfolgen oder per Stimmaktivierung. Im zweiten Fall schaltet die Kamera automatisch auf denjenigen um, der spricht. Der Richter kontrolliert die Bildschaltungen an seinem Pult. Dort befindet sich auch der sog. panic button, mit dem die Verbindung bei Bedarf sofort unterbrochen werden kann. Im Gerichtssaal werden Monitore aufgestellt, über welche die Verfahrensbeteiligten, die Geschworenen und so viele Zuschauer wie möglich den Zeugen beobachten können. Der Zeuge sitzt ebenfalls vor einer workstation. Über Monitor kann er jede Person wahrnehmen, die an ihn direkt Fragen richtet. Besonders wichtig ist, die den Zeugen begleitenden Personen mit in den übermittelten Bildausschnitt zu fassen, um mögliche Beeinflussungen des Vernommenen durch "unsichtbare" Gebärden hinter der Kamera zu vermeiden I 28. Zu diesem Zweck sind im Vernehmungszimmer zwei Kameras installiert. Eine Kamera befindet sich direkt auf dem Monitor und überträgt das Bild von Kopf und Oberkörper des Zeugen, eine andere Kamera überblickt den Raum in der Totalen, um die Anwesenheit nicht zugelassener Personen auszuschließen und unzulässige Einflussnahme auf den Zeugen zu unterbinden. Bei der Gegenübertragung aus dem Gerichtssaal wird bei verletzlichen Zeugen so weit es geht sichergestellt, dass der Angeklagte nicht ins Kamerabild gerät l29 . Auch das Publikum und die Geschworenen sind "unsichtbar". Ein Sichtkontakt lässt sich bei schwenkbaren Kameras oder bei unglücklicher Sitzgruppierung im Gerichtssaal nicht gänzlich ausschließen. Allerdings haben sich Kinderzeugen in der Untersuchung von DavieslNoon durchaus dafür ausgesprochen hatten, wenigstens einmal einen Blick auf Jury und Publikum werfen zu dürfen, nur der Angeklagte sollte keinesfalls in ihrem Blickfeld erscheinen 130. Technische Probleme bereitete den Gerichten zunächst die automatische Stimmaktivierung der Kameraschaltung. Geräusche im Gerichtssaal können die Technik irritieren, so dass das Kamerabild im Vernehmungszimmer unkontrolliert zwischen den verschiedenen Einstellungen hin- und herspringt. Die manuelle Kontrolle gibt hier mehr Sicherheit. So jedenfalls die Erfahrungen italienischer Gerichte, die zunächst mit einem automatischen Umschaltung des Bildes auf jeweils denjenigen experimentierten, der am 127 Lord Mackay of Clashfern in SpencerlNicholsonlFlinlBull, Children's Evidence in Legal Proceedings, Introduction, S. 2 f. 128 So auch die Anregungen und Hinweise zum Schutz kindlicher Opferzeugen des Justizministeriums Niedersachsen vom 23.08.1997, NJW 1998,362. 129 Köhnken, StV 1995,378; Bohlander, ZStW 107 (1995), 89 f. 130 DavieslNoon, An evaluation of the live link for child witnesses, S. 96, 99, 124.

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lautesten spricht, und die ein ständiges Flackern des Bildes feststellen mussten 131. Für weitere Unstimmigkeiten sorgte das nicht kindgerechte Mobiliar im Vernehmungszimmer. In manchen Gerichten ist die fixierte Kameraeinstellung auf die Größe einer erwachsenen Person eingerichtet. Kinder müssen daher auf zusätzlichen Kissen oder erhöhten Stühlen Platz nehmen 132 . Hier bieten sich schwenkbare Kameras an, welche die Einstellung in Höhe und Nähe zur im Bild erfassten Person korrigieren lassen. Eine Kamera mit Zoom ist anzuraten. Sollte eine Nahaufnahme des Gesichts notwendig sein, kann der Bildausschnitt wie gewünscht vergrößert werden. Genauso können etwaige Zeichnungen oder Bilder, die ein kindlicher Zeuge während der Vernehmung anfertigt oder besondere körperliche Merkmale des Zeugen - Würgemerkmale, blaue Flecken - den Verfahrensbeteiligten durch Zoom besser erkennbar gemacht werden. Eine derartige Augenscheinseinnahme per Monitor wäre bei § 247 a S. 1 StPO - anders als bei § 247 StPO - auch zulässig 133 • Außerdem ist eine Installation der Kamera auf Augenhöhe vorzuziehen. Eine in die Decke eingelassene, rundum bewegliche Kamera, wie sie im Vernehmungszimmer des Kriminalgerichts Moabit in Berlin zu finden ist 134 , bietet zwar alle Vorteile einer Übersicht über den Raum und irritiert nur wenig, doch fehlt der Blickkontakt mit dem Zeugen, insbesondere wenn dieser verunsichert oder verschämt den Blick senkt. Unvorteilhaft ist ebenfalls, den Blick auf den Zeugen durch einen großen Tisch zu verstellen. Zwar sind auch in Gerichtssälen u. U. die Beine des Zeugen nicht sichtbar, doch gerade Kinder können bei übergroßem Mobiliar leicht in die Versuchung geraten, sich dahinter zu verstecken. Die Versuchung wird um so größer, je mehr die vernehmende Person aus mangelnder Erfahrung im Umgang mit der Technik darauf verfällt, sich zur Kamera vorzubeugen. Ihr Bild erscheint dann auf dem Monitor im Vernehmungszimmer erschreckend groß und durch die zu geringe Distanz zum Aufnahmegerät verzerrt 135 . 131 Patrono, Vortrag anlässlich des Workshop über Videokonferenzen bei Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität am 28.11.2000 in Rom/Paris/Trief. 132 Davies/Noon, An evaluation of the live link for child witnesses, S. 125, 126 f. 133 Bundeseinheitliche Handreiche zum Schutz kindlicher (Opfer-) Zeugen im Strafverfahren, S. 43; abzurufen unter hup:/ /www.bundesjustizministerium.de/ inhalt.htm. Vorgeschlagen wird außerdem der Einsatz einer besonderen Dokumentenkamera, sofern nicht Kopien der dem Zeugen vorgelegten Dokumente im Sitzungssaal vorhanden sind. Eine Kamera mit Zoom wird abgelehnt. Der häufige Wechsel zwischen den unterschiedlichen Einstellungen ließe einen Vorwurf der Bildmanipulation befürchten. 134 Länderberichte 2. Teil, Kapitel E.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Gleichfalls kann es bei Systemen ohne fest einprogrammierte Kamerapositionen passieren, dass durch die Bewegung der Kamera der Zeuge den Blick auf den Befragenden verliert oder - schlimmer noch - Personen in den Bildbereich der Kamera geraten, mit denen er gerade nicht konfrontiert werden wollte, etwa der Angeklagte oder den Angeklagten unterstützende Personen aus dem Kreis der Zuschauer. Abhilfe schaffen kann hier ein Übertragungssystem, das dem Richter zusätzlich zum Bild des Zeugen auch das Bild einblendet, das der Zeuge auf seinem Monitor sieht. Dadurch wird der Vorsitzende in die Lage versetzt, die Kamerapositionen im Sitzungssaal auf eigene Veranlassung hin zu überprüfen und zu korrigieren, ohne auf Korrekturanweisungen des Zeugen angewiesen zu sein. Die Rückübertragung des eigenen Bildes kann entweder auf einem gesonderten Monitor erfolgen oder als kleinerer Bildausschnitt in das Übertragungsbild vom Zeugen eingeblendet werden. Die italienischen Gerichte ermöglichen bei der Distanzvernehmung eines gefährdeter Zeugen bzw. eines inhaftierten Beschuldigten l36 gar den gleichzeitigen Blick auf vier oder mehr verschiedene Kameraeinstellungen, die in neben- und übereinander angeordneten Quadraten auf einer Großleinwand im Gerichtssaal eingeblendet werden. Bei einer Anordnung mit vier Quadraten sind regelmäßig drei zur Wiedergabe eines ständigen Bildes von Gericht, Vertretern der Anklage und Verteidigung gedacht. Ein Quadrat kann zum Umschalten auf verschiedene Bilder genutzt (sog. Switching). Es gibt dann zumeist abwechselnd das Bild derjenigen Person wieder, die gerade spricht 137. Wichtig ist auch eine gute Bildqualität der Übertragung. Standleitungen, wie sie bei der Verbindung von Räumen innerhalb eines Gebäudes verwendet werden können, garantieren im Normalfall eine ausgezeichnete Bildqualität. Wird das Bild des Zeugen vergrößert auf eine Leinwand übertragen, ist er allen Verfahrensbeteiligten mitunter besser zu erkennen als bei einer Vernehmung unmittelbar im Gerichtssaal, insbesondere da ihm dort teilweise auch gestattet würde, mit dem Rücken zur Anklagebank zu sitzen 138 . 135 DavieslNoon berichten von Bildstörungen nicht unähnlich den Verzerrungen in Spiegeln eines Spiegelkabinetts, An evaluation of the live link for child witnesses, S. 124. 136 Für den Überblick über das italienische Recht, 2. Teil, Kapitel D.7. 137 Patrono, Vortrag anlässlich des Workshop über Videokonferenzen bei Verfahren gegen die Organisierte Kriminalität am 28.11.2000 in Rom/Paris/Trier. Eine Distanzvernehmungen kann technisch in vier verschiedenen Varianten erfolgen, als Verbindung "Punkt zu Punkt", "Switching", "CPA" oder "CPS". Während das System des "Switching", d.h. des automatischen Umschaltens unter den verschiedenen Kamerapositionen dem oben beschriebenen englischen System entspricht und auch in Deutschland vermehrt angewandt wird, ist die beschriebene Verbindung mit drei ständigen und einem wechselnden Bild dem System des "CPA" zuzuordnen.

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Ein mangelhafter Blickkontakt kann aber Kommunikationsprobleme hervorrufen. Abseitige Kamerapositionen sind zu meiden. Gerade Kinderzeugen sollten sich direkt angesprochen fühlen 139. Es ist also unglücklich gewählt, wenn der Vorsitzende zur Beobachtung des Übertragungsbildes den Kopf drehen muss und die ihn beobachtende Kamera daraufhin nur ein Profilbild übermitteln kann 140. Ein frontales Brustbild des Vernehmenden ist vorzuziehen 141. bb) Die akustische Verbindung

Eine gute akustische Verbindung ist elementare Voraussetzung für das Gelingen und die uneingeschränkte Verwertbarkeit der audiovisuell vermittelten Vernehmung. Zu achten ist auf die Verwendung empfindlicher Mikrophone, die sowohl auf einem Tisch fixiert als auch an der Kleidung des Zeugen angebracht werden können. Für sehr junge Zeugen ist darauf zu achten, dass auch Geräusche übertragen werden, die in einiger Entfernung vom Mikrophon entstehen, da Kinder einen starken Bewegungsdrang verspüren und in Stresssituationen besonders unruhig reagieren. Bekannt ist auch, dass Kinder und andere verletzliche Zeugen bei unangenehmen Fragen dazu tendieren, im Flüsterton zu antworten. Dies kann durch gute Technik aufgefangen werden, ohne den Zeugen ständig zum Lautersprechen ermahnen zu müssen. Gegenüber der Vernehmung im Gerichtssaal ist das sicherlich ein großer Vorteil 142 . Im Sitzungssaal genügen die üblichen Tischmikrophone. Von Vorteil wäre, auch, ihre Schaltung zentral vom Vorsitzenden kontrollieren zu las138 Beobachtet wurde eine hervorragende Bildqualität der Übertragung zum einen im Kriminalgericht Moabit in Berlin, andererseits auch bei der Vorführung der mobilen Videoübertragungsanlage des LG Passau. Hinweise auf die Vorzüge der Übertragung per Standleitung finden sich bereits im Beschluss des LG Mainz vom 26.6.1995, NJW 1996, 208. Die daran geübte Kritik betrifft hauptsächlich die Kameraanordnung und die ungewohnten Prozesseindrücke; Jansen, StV 1996, 123 f.; Strate, StraFo 1996, 4. 139 Beklagt wurde dies für die Vernehmung kindlicher Zeugen bei Davies/Noon, An evaluation of the live link for child witnesses, S. 124. 140 Anzumerken ist, dass Richter manchmal auch einen nicht direkten Blickkontakt begrüßen. Ihrem Eindruck nach erleichtert eine leicht seitliche Kopfhaltung des Zeugen Beobachtungen der Mimik, wobei aber keinesfalls ein Profilbild entstehen soll, das den Blick auf die Augenpartie des Zeugen erschwert. 141 Bundeseinheitliche Handreiche zum Schutz kindlicher (Opfer-) Zeugen im Strafverfahren, S. 42; http;//www.bundesjustizministerium.delinhalt.htm. 142 Zu beachten ist, dass Kleidungsmikrophone, die dem Bewegungsdrang Rechnung tragen sollen, zu Störungen führen können, wenn der Zeuge in seiner Nervosität daran herumnestelt.

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sen. So könnte er bei einem Ausbruch von der Verteidigerbank oder bei einem Disput unverzüglich die akustische Verbindung unterbrechen. Von einer automatischen, stimmaktivierten Steuerung ist abzuraten, wenn sich ein verletzlicher Zeuge im Vernehmungsraum befindet. Nicht nur, dass dieser bei einer plötzlichen aggressiven Beanstandung mithören muss, im Zusammenspiel mit der automatischen Bildsteuerung würde die Kamera sofort auf das Bild des Sprechers umschalten. Für wenige Sekunden wäre der Zeuge dann dem Ausbruch ausgeliefert, sofern der Vorsitzende in diesem Fall die Verbindung überhaupt unterbricht 143. ce) Weitere Anforderungen an eine audiovisuell vennittelte Vernehmung in der Hauptverhandlung

Ist die ungestörte, ständige und wechselseitige Bild- und Tonverbindung hergestellt, muss dafür Sorge getragen werden, dass alle Beteiligten unbeeinflusst ihre Verfahrensrechte wahrnehmen können l44 . Allerdings kann es für den besonders verwundbaren Zeugen von Bedeutung sein, nur mit einem Ansprechpartner - dem Vorsitzenden - über Monitor konfrontiert zu werden l45 . Verlangt er dagegen nach Überblick über den gesamten Raum, insbesondere auch über die Zuschauerreihen, sollte dieser Wunsch Berücksichtigung finden, um den durch die Unüberschaubarkeit der Situation ausgelösten Ängsten entgegenzutreten l46 . Übertragen werden muss die vollständige Vernehmung l47 , also auch die "Aufwännungsphase". Anders als bei § 168 e StPO, wo sich der Vernehmende beim Zeugen befindet, wird das bei § 247 a StPO kaum ein Problem darstellen, das Vernehmungs gespräch kann vor dem Aufbau der audiovisuellen Verbindung überhaupt nicht beginnen. 143 Wobei das plötzliche Ein- und Ausschalten der Verbindung ohne Vorwarnung an den Zeugen auch gerade nicht dazu beiträgt, seine Nervosität zu lindern. 144 Wichtig ist das vor allem bei Kinderzeugen, deren Vernehmung gemäß § 247 a S. 4 StPO aufgezeichnet wird, denn nur eine Aufzeichnung, bei deren Entstehung sowohl der Angeklagte als auch die Verteidigung ungeschmälert ihre Mitwirkungsrechte realisieren konnten, ist später nach § 255 a Abs. 2 StPO verwertbar, zu § 255 a StPO im 6. Teil, Kapitel B. 145 KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 6; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 3. 146 Von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276. 147 Der enge Vernehmungsbegriff des § 247 StPO gilt nicht. Übertragen werden müssen alle Vorgänge, die mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln, auch wenn es sich um Verfahrensvorgänge mit selbständiger verfahrensrechtlicher Bedeutung handelt, etwa um Augenscheinseinnahmen oder um die Frage nach einer Vereidigung des Zeugen; K/M-G, § 247 a, Rn. 5; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 f.

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Welche Personen den Zeugen begleiten dürfen, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen. Vorzugsweise sollten dies neutrale Personen sein, beispielsweise gerichtliche Zeugenbetreuer oder Sozialarbeiter. Zeugenbeistand oder Opferanwalt wohnen der Vernehmung im Sitzungs saal bei. Ein Dolmetscher nimmt ebenfalls besser im Sitzungssaal Platz, damit seine Simultanübersetzung den Zeugen nicht irritiert 148 • Doch ist sicherzustellen, dass die Übersetzung mit der Sprechgeschwindigkeit des Zeugen mithalten kann. Eine Übersetzung unter Zeitdruck führt schnell zu Flüchtigkeitsfehlern. Der Vorsitzende muss den Zeugen notfalls zu langsamerem Sprechen oder zu mehr Pausen in der Antwort ermahnen. Bei Kinderzeugen ist auf eine kindgerechte Einrichtung des Vernehmungsraumes zu achten. Allerdings darf nicht zuviel Spielzeug das Kind ablenken. Lautes Spielzeug sollte vermieden werden. Zu empfehlen sind Malstifte, Papier und (nicht anatomische) Puppen, die dem Kind bei der Erläuterung seiner Angaben helfen können 149 . Kinder sind auf die Videovernehmung ausreichend vorzubereiten. Ein Besuch vorab im Vernehmungszimmer, eine Erklärung der Technik und ein Probedurchlauf sollten deswegen immer dazu gehören. Dieser Probedurchlauf wird i. d. R. auch entscheiden, ob die audiovisuell vermittelte Vernehmung im Einzelfall sinnvoll und machbar ist. Reagiert das Kind schon bei der Vorführung der Technik verständnislos oder verängstigt, bleibt nur die herkömmliche, unmittelbare Vernehmung 150 . Auch die Technik muss vorab bereits erprobt sein. Fehler, die erst in der Hauptverhandlung entdeckt und behoben werden, verzögern die Vernehmung und zermürben u. U. einen nervösen Zeugen. Technisches Fachpersonal sollte immer greifbar sein. b) Glaubwürdigkeitsbeurteilung und CCTV Erschwert die Simultanübertragung eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung? Von einigen wird dies behauptet, gestützt auf Ergebnisse amerikanischer Studien, gemäß derer bereits der Kamerablickwinkel und die BildeinsteIlung suggestive Wirkung entfalten. Unterschiedliche Kameraperspektiven sollen die Geschworenen in den untersuchten Gerichtsverfahren in ihrer Glaubwürdigkeitsbewertung beirrt haben. Allerdings war trotz dieser Beeinflussung durch die Kameraeinstellung nicht zu belegen, dass sich das Urteilsvermögen des Laien insgesamt verOffengelassen in BGHSt. 45, 188 (195). Von Knoblauch zu Hatzbach, Vortrag auf der Fachtagung für Staatsanwälte am 24./25.11.2000 in Berlin. 150 Von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276 f., 278. 148 149

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ändert hätte 151. Eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung wird durch eine Reihe weiterer Aspekte, wie Alter und Sprach vermögen des Zeugen, mitbestimmt. So ergab dieselbe Studie, dass die Geschworenen ihre Beurteilung zu 86% auf das verbale Verhalten des Zeugen stützten, also gerade nicht auf den beirrenden visuellen Eindruck, den die Kameraperspektive vermittelte. Der Nachweis, das Monitorbild könnte das Beurteilungsvermögen der Geschworenen radikal beeinflussen, lässt sich also gestützt auf diese Untersuchung nicht führen. Zum Erkennen von Lüge und Wahrheit sind nach aussagepsychologischen Studien verbale, inhaltliche Aussagemerkmale entscheidend 152. Wichtig sind z. B. der Detailreichtum der Aussage, die Darstellung von Interaktionen und unwichtigen Randbeobachtungen, von deliktstypischen Details und solchen, die das Verständnis des Zeugen übersteigen, eine komplizierte Verflechtung des Erlebten mit dem raum-zeitlichen Kontext sowie die Schilderung sog. "negativer Komplikationsketten", d.h. gestörte oder abgebrochene Handlungsverläufe, unerwartete Vorgänge. Indikator einer wahren Aussage ist auch die Schilderung eigener Empfindung, das unstrukturierte, sich überschlagende Erzählen oder das spontane Verbessern. Wert gelegt wird außerdem auf eine Konstanz der Aussage trotz mehrfacher Befragung und trotz Zeitablaufs und auf die Stimmigkeit der Informationen in sich und ihre Homogenität mit nachweisbaren Begleitumständen. Ebenfalls zu berücksichtigen sind Aussagemotivation und - insbesondere bei Kindern Aussagegenese sowie die allgemeine und sprachlich intellektuelle Leistungsfahigkei t der Aussageperson 153 . Dagegen spielen visuelle Aspekte, also die Beobachtung aussagebegleitenden Verhaltens eine eher untergeordnete, teilweise auch verfremdende Rolle. Entgegen weitverbreiteter Annahmen erlaubt die Körpersprache besonders in Mimik und Gestik keine zuverlässigen Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Informationen, da sie zu den offensichtlich sehr gut kontrollierbaren Verhaltensbereichen gehört l54 . WestcottlDavieslClifford, Adoption & Fostering, 1991, 15 ff. Einen Überblick über Merkmale der Glaubwürdigkeit und ihre Bedeutung gibt Brunkow, Der Minderjährige als Beweisperson, S. 84 ff.; ausführlich zu unterschiedlichen Studien auf dem Gebiet forensischer Glaubwürdigkeitsbeurteilung und zu den Multikanalstudien Zuckerman 's s. Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 56 ff., 82 ff.; Gley, StV 1987, 403 ff.; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1426 ff.; BenderlNack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band I, Rn. 231 ff.; einen Überblick zu der in der Revisionsrechtsprechung des BGH erarbeiteten Anforderungen an die richterliche Glaubwürdigkeitsbeurteilung Nack, StraFo 2001, 1. 153 BGHSt. 45, 164 (173 ff.). 154 Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik und richterliche Glaubwürdigkeitsbeurteilung, S. 203, 210; in den von Köhnken zusammengefassten Studien ließen sich die zur Beurteilung einer Aussage herangezogenen Testpersonen gerade dann 151

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Hinzu kommt, dass die körpersprachlichen Informationen sehr stark der Interpretation durch den Rezipienten bedürfen l55 . Sein Verstehen oder Missverstehen ist ein weiterer Unsicherheitsfaktor auf dem Gebiet der (forensischen) Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Aufzählungen verräterischer Gesten und körperlicher Reaktionen, wie sie bei Bender/Nack l56 zu finden sind, dürfen also nur mit großer Vorsicht herangezogen werden i57 . Deutlich besser scheint eine Beurteilung nach nur auditiven Informationen zu gelingen. So zeigte eine Studie von Wiseman l58 , dass die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge durch zusätzliche visuelle Informationen beeinträchtigt wird. Eine unwahre Aussage wird also leichter als solche erkannt, wenn sich der Rezipient auf inhaltliche und linguistische Merkmale konzentrieren kann. Das Stereotyp, nonverbale Ausdrucksformen wären für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von elementarer Bedeutung, lässt sich in aussagepsychologischen Untersuchungen gerade nicht bestätigen. Natürlich ist die Körpersprache ein wichtiges Kommunikationsmittel und deswegen der nur akustische Kontakt auch nicht anzuraten l59 . Doch eindeutige Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Informationen lässt sie nicht zu. Wenn also in der Gerichtspraxis immer wieder die Körpersprache als entscheidendes Element zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit herangezogen wird, dann beruht dies auf einer eklatanten Fehleinschätzung ihres Aussagegehalts über Lüge und Wahrheit. Richtern gelingt es ohne aussagepsychologische Schulung auch nicht besser als Laien, Täuschung und Wahrheit zu unterscheiden. Oft beruht eine Begutachtung auch in dieser Berufsgruppe auf stabilen Stereotypen, veralteten oder wissenschaftlich nicht tragbaren Begründungsmustern sowie auf Sympathie und Intuition l60. Aus der Lebenseifahrung gewonnene Charakterstudien 161 ersetzen eine Bewertung von Inbesonders häufig täuschen, wenn sie nur anhand Mimik und Gestik des Kommunikators eine Bewertung vornahmen. Die Trefferquote lag in diesem Fall bei 45 %, d.h. deutlich unter dem Zufallswert von 50%. Stützten sich die Beurteiler dagegen auf nur verbale Informationen (extralinguistische Merkmale und inhaltliche Aspekte), erzielten sie weit bessere Ergebnisse, Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 145. ISS Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik und richterliche Glaubwürdigkeitsbeurteilung, S. 209. 156 BenderlNack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band I, Rn. 205 ff. 157 Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1462. 158 Wiseman, the megaleb truth test, Nature, Band 373, vom 2. Februar 1995, 391. 159 Dazu wurde bereits in der Einleitung des Kapitels B.3. Stellung genommen. 160 Fischer, NStZ 1994, 5; Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik und richterliche Glaubwürdigkeitsbeurteilung, S. 211 f. 161 Persönlichkeitsstudien können zwar Aufschluss über die "allgemeine Glaubwürdigkeit" eines Zeuge geben, also darüber, ob man ihm außerhalb des Verfahrens grundsätzlich Glauben schenken würde. Für das Strafverfahren aber ist die G1aub-

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halt und sprachlichem Vorbringen im Einzelfall. Wirkt der Zeuge in der Person überzeugend, bleiben schwer zu erkennende Fehlerquellen der Aussage selbst gerne unentdeckt. Mit der Glaubwürdigkeitsbeurteilung als "ureigener Aufgabe des Strafrichters,,162 scheint die Mehrzahl der juristisch Tätigen in wissenschaftliche Hinsicht überfordert. Allerdings erzielten auch psychologisch geschulte Personen in Experimenten nur ein Ergebnis, das knapp über der Zufallserwartung von 50% lag l63 . D. h. die richterliche Intuition, deren Trefferquote zumindest die der Zufallserwartung erreichen dürfte, muss nicht weit hinter wissenschaftlichen Ansätzen zurückstehen. Aus den aussagepsychologischen Studien lässt sich eines herleiten: Eine selektive Kameraeinstellung muss sich nicht unbedingt deswegen negativ auf die richterliche Fähigkeit zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung auswirken, weil nonverbale Ausdrucksformen des Zeugen teilweise im Verborgenen bleiben. Weit gefährlicher kann sein, dass das Übertragungsbild Mimik und Gestik des Zeugen gerade betont und damit von den inhaltlichen und sprachlichen Kriterien ablenkt. Zwingend ist diese Schlussfolgerung freilich nicht, denn dieses "zuviel" an visueller Information wird teilweise durch die bessere Akustik und die damit erleichterte Konzentration der Beobachter auf verbale und inhaltliche Aspekte der Aussage ausgeglichen. Auch werden vor allem sensible Zeugen durch die Distanz in die Lage versetzt, weit detailreicher und stimmiger auszusagen 164. Je detaillierter, komplexer und umfangreicher aber die Aussage, um so leichter auch eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Trotz irreführender Betonung mimischen Ausdrucksverhaltens muss die Qualität einer Glaubwürdigkeitsbeurteilung über CCTV nicht hinter der Urteilsgüte zurückbleiben, mit der die Aussage eines im Gerichtssaal vernommenen Zeuge begutachtet wird. Im Gegenteil wird CCTV die Konzentration fördern l65 . Als weiterer Punkt ist zu beachten, dass die Gewissheit über die Simultanübertragung den Zeugen veranlassen wird, noch stärker als sonst sozial würdigkeit im Hinblick auf den jeweiligen Verfahrensgegenstand relevant. Zu deren Beurteilung bedarf es regelmäßig einer Aussageanalyse nach wissenschaftlichem Standard; Nack, StraFo 2001, 2. Zu diesem wissenschaftlichen Standard BGHSt 45, 164. 162 BGHSt 3, 52 (53); 8, 130 (131); NStZ 1991,400. 163 Fischer, NStZ 1994,4, mit dem Hinweis, dass auch die Trefferquote der psychologischer Begutachtung bei der forensischen Glaubwürdigkeitsbeurteilung ungewiss bleibt. 164 Davies/Noon, An evaluation of the live link for child witnesses, S. 133 f.; Cashmore, Monash University Law Review, Vol. 16, No. 2 [1990], 232. 165 Zu Untersuchungsergebnissen aus Großbritannien Köhnken, StV 1995, 379.

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erwünschte Verhaltensweisen an den Tag zu legen. Die Folge können unerwünschte Selbstdarstellung oder Wichtigtuerei sein 166 . Die gesteigerte Selbstaufmerksamkeit des Zeugen beeinfluss auch sein Aussageverhalten. Er wird seine Worte und Bewegungen verstärkt kontrollieren. Möglicherweise treten Hemmungen in der Informationsvermittlung auf. Doch auch diese Effekte des CCTV müssen für die Qualität der Beurteilung nicht unbedingt von Nachteil sein. Sind sich die Beobachter der verstärkten Selbstkontrolle des Vernommenen bewusst, sollte sie das vielmehr veranlassen, sich ganz besonders auf den Inhalt der Aussage und gerade nicht auf die kontrollierte Mimik und Gestik zu konzentrieren. Ein durch die Beobachtungssituation ausgelöster Widerwille, Informationen preiszugeben, wiegt da schon schwerer. Zwar zeigt die Erfahrung, dass sich die Betroffenen schnell an die Kamera gewöhnen 167, doch wenn das Bewusstsein der Beobachtung die Bereitschaft zur Kommunikation derart hemmt, dass eine verwertbare Aussage nicht zu erlangen ist, kommt nur eine Vernehmung in herkömmlicher Form in Betracht. c) Sonderproblem: Vernehmung unter optischer

und akustischer Abschirmung

Eine Preisgabe der Physiognomie des Zeugen, vielleicht auch nur eine Preisgabe seiner Stimme, kann diesen in akute Gefahr bringen. Den Gericht bleibt dann wenig Auswahl. Sie können auf eine persönliche Vernehmung des Zeugen im Gerichtssaal zur Gänze verzichten 168 und ein (vorhandenes) Vernehmungsprotokoll verlesen 169 oder sie nehmen das Gefährdungsrisiko in Kauf, laden den Zeugen zur persönlichen Vernehmung und versuchen, ihn bei dieser Aussage durch präventiv-polizeiliche oder verfahrensrechtliche Maßnahmen zu schützen 170. 166 Jansen, StV 1996, 124; der daraus folgenden Kritik Jansens an der live Übertragung ist allerdings entgegenzusetzen, dass atypische Reaktionen wie Wichtigtuerei und Selbstdarstellung auch bei üblichen Vernehmungsfonnen festgestellt werden können, Störzer, MschrKrim 1977, 379. Die audiovisuelle Übertragung muss solche Tendenzen nicht unbedingt fördern, zumal auch Jansen nur einen einzigen Fall anführen kann. 167 Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik und richterliche Glaubwürdigkeitsbeurteilung, S. 218. 168 BGH, NStZ 1984, 31 f.; BVerfGE 57, 250 (284 f.); BGH, JZ 1993, 1012, m. Anm. Beulke/Satzger; Krey, Meyer-Gds., 258; Krehl, GA 1990, 555, 557 f.; Rebmann/Schnarr, NJW 1989, 1190. 169 BGH, StV 1993,233; mit kritischer Anm. Eisenberg, StV 1993,624. 170 Polizeiliche Schutzmaßnahmen beschreibt Zacharias, Der gefahrdete Zeuge, S. 157 ff.; beispielhaft auch die bayerischen Richtlinien zum Schutz gefährdeter Zeugen vom 29. November 1994, AllMBI. Nr. 27/1994, 1005 ff.; zu amerikani-

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Über § 68 Abs. 3 StPO lassen sich die Anonymität und über § 247 a StPO die Unauffindbarkeit des Zeugen unmittelbar vor, während und nach der gerichtlichen Vernehmung sicherstellen. Aber eine dauerhafte Identitätsverschleierung gelingt damit nicht. Kommt es für den Zeugen also ganz entscheidend darauf an, auch sein Äußeres verborgen zu halten, muss eine Videovernehmung mit maskierenden Elementen stattfinden Nach BGHSt. 32, 115 wird dies allerdings für unzulässig gehalten. Stattdessen ist es üblich, dass die Polizei ihre gefährdeten Informanten, V-Leute und Verdeckten Ermittler analog § 96 StPO bzw. gemäß §§ 110 b Abs. 3 S. 3, 96 StPO für die Hauptverhandlung sperrt und sie damit jeglichem Zugriff des Gerichts für die Hauptverhandlung entzieht 17l . Der Zeuge wird auch weder für richterliche noch für staatsanwaltschaftliche Vernehmungen freigestellt, denn bei diesen hat immerhin der Verteidiger ein Anwesenheitsrecht und er könnte seinem Mandanten eine detaillierte Beschreibung des Zeugen liefern. Letzteres wird er oft sogar tun müssen, denn durch die Anonymität des Zeugen gibt es keinen anderen Weg, überhaupt an Hintergrundinformationen heranzukommen. Als Folge der Sperrerklärung müssen sich die Gerichte mit Beweissurrogaten begnügen. Dies zumindest, solange die Sperrerklärung nicht "willkürlich" oder "offensichtlich rechtsfehlerhaft" erscheint 172 • Der Urheber der Aussage bleibt im Verborgenen. Vor dem Hintergrund Straßburger Rechtsprechung 173 und den berechtigten Interessen des Angeklagten, in einem fairen Verfahren mit dem Belastungszeugen nicht nur konfrontiert zu werden, sondern ihn auch einer effektiven Glaubwürdigkeitsüberprüfung unterziehen zu können, ist diese Rechtsprechung längst in der Kritik 174. Und nicht nur dem Angeklagten, auch der Wahrheitsfindung ist mit einem Beweis surrogat am schlechtesten gedient 175. sehen Zeugenschutzprogrammen Graham, Witness Intimidation, S. 85 ff.; Healey, Victim and Witness Intimidation, S. 5 ff.; Ahrens, DRiZ 1986, 355 f.; Maiwald, Kriminalistik 1996, 87 ff.; Soine/Soukup, ZRP 1995, 466; Weigand, Kriminalistik 1992, 143 ff.; Griesbaum, NStZ 1998,440 f. 171 Krehl, GA 1990, 559; BGHSt 29, 109 (112); 29, 390 f.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 34 Rn. 18; Meyer, ZStW 95 (1983), 842. 172 Und selbst wenn die eine eindeutig willkürliche Sperrung vorliegt, verfügt das Gericht nicht über die Mittel, eine Abänderung der behördlichen Sperrerklärung zu erzwingen BGHSt 29, 109 (112, 113 f.); 36, 159 (162 f.); zur sog. "Drei-StufenTheorie" Renzikowski, JZ 1999, 606 ff.; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 427; Lesch, JA 1995, 698 ff. 173 EGMR [Kostovski v. Niederlande], StV 1990, 481; [Windisch v. Österreich], StV 1991, 193; [Van Mechelen v. Niederlandel, StV 1997, 617; einen kritischen Blick auf die deutsche Rechtsprechung im Vergleich werfen WattenberglViolet, StV 1997, 620 ff.; Renzikowski, JZ 1999, 605 ff.; Krauß, V-Leute im Strafprozess, S. 168 ff.; Joachim, StV 1992, 247 ff. 174 Lesch, StV 1995, 545 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 44, Rn. 28.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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v -Personen sind außerdem als kritische Zeugen bekannt und werden selbst vom BGH - zumindest in Abgrenzung zu verdeckt ermittelnden Polizeibeamten - als wenig zuverlässig eingestuft176. Nicht selten sind sie selbst alkohol- und drogenabhängig, handeln aus Rache oder aus finanziellen Interessen oder erhoffen sich Vorteile für ihr eigenes Strafverfahren 177. Zu den Eigeninteressen der V-Person treten häufig Eigeninteressen der polizeilichen Kontaktperson hinzu. Sie steht unter dem Druck, Ermittlungsergebnisse vorzuweisen und muss vielleicht eigene unlautere Ermittlungsmethoden 178 kaschieren, um nicht - wie etwa bei einer Tatprovokation durch den polizeilichen Lockspitzel - Strafmilderungen l79 für den Beschuldigten oder gar ein rechts staatliches Verfahrenshindemis 180 zu riskieren. Die Gefahr der falschen Verdächtigung, der Denunziation und Rufschädigung werden für die Justiz und den Angeschuldigten zu einem unkontrollierbaren Faktor. Die Anonymität des Urhebers vereitelt jedes Bemühen, die Bekundungen zu widerlegen. Zwar will der BGH diese Gefahren mit dem Korrektiv einer "vorsichtigen Beweiswürdigung" und einer nur "bestätigenden" Heranziehung der anonymen Aussage in Ergänzung zu anderen Beweisen ausgleichen, doch als Ersatz für eine direkte Konfrontation mit dem Originalbeweismittel genügt dies kaum. In der Rechtssache Kostovski v. Niederlande bemerkte der EGMR zu einer ähnlichen Spruchpraxis niederländischer Gerichte: "Es trifft zu, dass die Gerichte diesem zuletzt genannten Punkt (der Glaubwürdigkeit des anonymen Zeugen) Beweise aufnahmen und sie waren zweifellos, wie dies das niederländische Recht verlangt, vorsichtig bei der Würdigung der in Rede stehenden Aussagen, aber dies kann schwerlich als ein geeigneter Ersatz für eine direkte Beobachtung angesehen werden.,,181 Grünwald, StV 1984, 56 f. 176 Die Differenzierung zwischen anonymen Informanten bzw. V-Personen und Verdeckten Ermittlem i. S. d. § 110 a Abs. 2 StPO begründet der BGH mit Billigung des BVerfG folgendermaßen: "Bei ihnen besteht schon allgemein eine wesentlich größere Gewähr für die Zuverlässigkeit ihrer Angaben als bei sonstigen Informanten. Die Gefahr, dass der Angeklagte das Opfer ungerechtfertigter Verdächtigungen oder persönlicher Feindschaft wird, ist bei dieser Sachlage im Wesentlichen ausgeschaltet." BGH, NJW 1991,646 f.; zustimmend Joachim, StV 1992,248. 177 Weider, StV 2000, 49; Lesch, JA 1995, 701; Joachim, StV 1992, 248; Beispiele bei Weiler, Polizeilicher Einsatz von Vertrauenspersonen, S. 88 f. 178 Süddeutsche Zeitung vom 23. Januar 2001, 2; Seelmann, StV 1984,497. 179 So die Folgen nach der Rechtsprechung des BGH zur polizeilichen Tatprovokation, BGHSt. 32, 345 (350 ff.); 33, 283 ff.; StV 1994, 368; NStZ 1995, 506. 180 EGMR [Texeira de Castro v. Portugal], StV 1999, 127; m. Anm. Sommer, NStZ 1999, 48. 181 EGMR [Kostovski v. Niederlande], StV 1990,482. 175

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Und zur Frage der Unzulässigkeit eines "in-camera" Verfahrens 182 im Strafprozess legt Wattenberg 183 mit guten Argumenten dar, weshalb ein "Geheimverfahren" zur Vernehmung des anonymen Zeugen den Anforderungen eines justizförmigen Strafprozesses noch weit eher gerecht wird, als die bisherige Praxis, auf Beweissurrogate zurückzugreifen, deren Zustandekommen und Inhalt nicht durch eine unparteiliche Instanz nachvollzogen werden konnten 184 . Ein Ausweg aus dieser "Sackgasse" der behördlichen Zeugen sperrung ist dringend vonnöten. In Frage käme hier ein absolutes Venvertungsverbot für anonyme Aussagen 185 , doch ohne eine anonyme Kooperation mit Insidern oder Verdeckten Ermittlern ist eine effektive Strafverfolgung häufig unmöglich 186 . Deswegen wäre ein verfahrensrechtliches Instrument ideal, welches sowohl die Anonymität und die Abschirmung des Zeugen als auch dessen persönliche Aussage vor dem erkennenden Gericht garantieren könnte 187 • 182 Bei einem "in-camera" Verfahren prüft das Gericht unter Ausschluss der übrigen Verfahrensbeteiligten Inhalt und Relevanz der geheimhaltungsbedürftigen Vorgänge. Das BVerfG hat ein solches Geheimvorgehen in Bezug auf § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO - der im Wesentlichen § 96 StPO entspricht - im Verwaltungsprozess gebilligt. Die geheimhaltungsbedürftigen Vorgänge sollten nicht jeder gerichtlichen Kontrolle entzogen sein, denn dies würde der Garantie des effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG widersprechen, BVerfG, NStZ 2000, 151. 183 BGH, StV 2000, 649. 184 Wattenberg, StV 2000, 694 f. Zwar hat das BVerfG zwischen Verwaltungsund Strafverfahren in der Form differenziert, dass im Strafverfahren eine Geheimhaltung regelmäßig "in dubio pro reo" wirke, der Rechtsschutz des Angeklagten also durch die Geheimhaltung nicht vermindert würde, im Verwaltungsverfahren dagegen bei Geheimhaltung jeder Rechtsschutz für den Betroffenen entfiele (BVerfG, NStZ 2000, 153), doch ist weder in dieser Differenzierung, noch in den zuvor eingeholten Stellungnahmen der verschiedenen Strafsenate des BGH ausreichend die Frage erörtert worden, ob eine nur vorsichtige Beweiswürdigung anstelle einer konfrontativ geführten Vernehmung in der Hauptverhandlung oder eines Beweisverwertungsverbotes tatsächlich noch als ein Vorgehen "in dubio pro reo" bezeichnet werden kann. Der EGMR jedenfalls bezweifelt das. 185 Dafür hatten sich nach BGHSt. 32, 115 ausgesprochen Fezer, JZ 1984, 335; Grünwald, StV 1984, 58; Tiedemann/Sieber, NJW 1984, 760 ff.; Seelmann, StV 1984,481. 186 BGHSt 32,115 (120 ff.); NStZ 1982,40; 1983,325 f. 187 Dafür schon Rebmann, NJW 1982, 319; Rebmann/Schnarr, NJW 1989, 1191; Meyer, ZStW 95 (1983), 855; BGH, NStZ 1982, 42; BVerfGE 57, 250 ff. (286 f.); Herdegen, NStZ 1984, 200; LG Frankfurt, NStZ 1994,475 f. Dagegen lehnten andere Autoren die Videovernehmung und die optische Vermummung mit Entsetzen ab. Die Rede war von "prozessualen Entartungen", "Geheimniskrämerei", "Mummenschanz", "unwürdigem Gerichtsspektakel" und einem "Rebmannschen Gruse1kabinett", wobei sich die Kritik allerdings sehr speziell auf die optische Abschirmung des Zeugen durch Paravents, Scheiben, Kabinen oder

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aa) Zum Argument der fehlenden Rechtsgrundlage

Das Gesetz legitimiert Maßnahmen zur optischen und akustischen Abschirmung nicht ausdrücklich. Doch muss dies nicht zugleich bedeuten, dass solche Maßnahmen verboten wären. Der noch bis zum OrgKG 1992 durchaus berechtigte Einwand, nicht einmal die Identität des Zeugen dürfe nach dem Gesetz verschleiert bleiben, noch weniger dann sein äußeres Erscheinungsbild, hat mit § 68 Abs. 3 S. 1 StPO seine Geltungskraft verloren. Wenn aber eine Anonymisierung im Verlaufe der Hauptverhandlung wirksam garantiert werden soll, dann muss auch dafür Sorge getragen werden, dass der Zeuge nicht, vor allem nicht durch den Angeklagten oder Personen aus dem Publikum identifiziert werden kann. Hierzu gehört z. B., ein Zusammentreffen des Zeugen mit den ihn bedrohenden Personen auf dem Weg zum und vom Gericht und im Gerichtsgebäude auszuschließen. Angreifern soll es weitgehend unmöglich gemacht werden, die Spur des Zeugen aufzunehmen. Sein Aufenthalt darf deswegen auf keinen Fall preisgegeben werden. Eine Vernehmung auf Distanz gewährleistet zwar diese Elemente 188 , doch die räumliche Trennung ist bestenfalls ein momentaner Schutz. Eine dauerhafte Isolierung des Auskunftsgebers von bedrohenden Elementen bewirkt sie nicht. Vor allem dann nicht, wenn das Gesicht des Zeugen allen Verfahrensbeteiligten und möglicherweise noch der Öffentlichkeit bekannt wird. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen hier klare Defizite. Der Staat darf im Rahmen seiner Fürsorgepflichten dem Zeugen einen effektiven Lebens- und Gesundheitsschutz nicht versagen. Doch wenn die Behörden deswegen bei einer Voll sperrung des Zeugen Zuflucht suchen, werden sowohl die Wahrheitsfindung als auch das rechtliche Gehör erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebietet, zum Ausgleich der kollidierenden Verfassungswerte nach weniger einschneidenden Lösungen zu suchen. Zu diesen aus verfassungsrechtlicher Sicht milderen Mitteln aber zählt gerade die optische und akustische Abschirmung, ebenso wie das von Lesch zu Recht geforderte Zugeständnis an den anonymen Zeugen, zur Wahrung seiner Anonymität auch solche Fragen zur Sache zu verweigern, die einen Rückschluss auf seine Identität zulassen würden 189 . Maskierung bezog; Bruns, MDR 1984, 179; Tiedemann/Sieber, NJW 1984, 756; Weider, StV 1983, 229; zusammenfassend Zacharias, Der gefahrdete Zeuge, S. 246. 188 Diesen Schutz der räumlichen Distanz übersieht Malek, wenn er zwar eine optische und akustische Abschinnung für zulässig hält, nicht aber die Kombination von Maskierung und Videovernehmung, Malek, Verteidigung in der Hauptverhandlung, Rn. 354 g. 13 Swoboda

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Dem Argument einer fehlenden ausdrücklichen Rechtsgrundlage ist damit zu entgegnen, dass mit der Neufassung des § 68 Abs. 3 StPO nicht nur jeglicher Zweifel an der Zulässigkeit identitätsverschleiernder Maßnahmen ausgeräumt sein muss, sondern vielmehr auch eine aus der Verfassung herzuleitende Pflicht zur Nutzung dieser Mittel besteht l90 • Einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage bedarf es damit nicht mehr, auch wenn sie zur Klarstellung sicherlich wünschenswert wäre l91 . Es ist damit den Stimmen in Rechtsprechung und Literatur beizupflichten, die bereits in den achtziger Jahren für identitätsverschleiernde Maßnahmen eintraten. Das Prinzip des bestmöglichen Beweises, das damals den 2. Senat l92 sowie das BVerfG 193 dazu veranlasste, Paravents, Scheiben und andere abschottende Verfahrensweisen für zulässig zu halten, hat seitdem nicht an Wirksamkeit eingebüßt. Mit Weider 194 ist weiterhin anzumerken, dass das Gesetz selbst sehr extreme Formen der Ersetzung einer Zeugenaussage in der Hauptverhandlung kennt. Auskunft darüber geben die Voraussetzungen der §§ 251 oder 255 a StPO. Krankheit und Gebrechlichkeit oder unzumutbare Entfernungen genügen dort zur nur mittelbaren Einführung der Informationen, ohne dass je ein Verfahrens beteiligter auch nur annähernd einen unmittelbaren Eindruck vom Urheber der Auskünfte gewonnen hätte. Es erscheint nur konsequent, dann auch den wenigstens eingeschränkten Zugriff auf das Originalbeweismittel in der Hauptverhandlung zu gewährleisten, wenn nachweisbar eine Gefährdung des Zeugen im Raum steht. Entgegenstehende Verfahrensprinzipien sind nach dem jetzigen Stand des Gesetzes ebenfalls nicht auszumachen. Der Einwand, eine Beweisaufnahme müsse formell unmittelbar erfolgen, ist mit § 247 a StPO entkräftet. Auf die physische Präsenz des Zeugen im Sitzungssaal kommt es nicht mehr an 195. Genauso wenig können das Gebot der Waffengleichheit oder des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG tangiert werden, solange die 189 Lesch, StV 1995, 545; weiterhin BGH, NStZ 1984, 32; Krey/Haubrich, JR 1992, 311. 190 Für Jung drängt sich die Möglichkeit der optischen und akustischen Abschirmung als Kompromisslinie zwischen Zeugenschutz und Beschuldigteninteressen geradezu auf, Jung, GA 1998, 326. 191 Beispiele für eine entsprechende Neufassung das § 68 StPO bei Miebach, ZRP 1984,85; Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 257. 192 BGH, NStZ 1982, 42; dazu auch Diemer, § 247 a, Rn. 14; ders., NStZ 2001, 398; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 20. 193 BVerfGE 57, 250 (286 f.). 194 Weider, StV 2000, 52. 195 So noch ein wesentlicher Einwand von Tiedemann/Sieber, NJW 1984, 756; Engels, NJW 1983, 1532; Meyer, ZStW 95 (1983), 854.

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Auskunftsperson von allen Verfahrensbeteiligten in gleichem Maß abgeschottet, in gleichem Maß aber auch mit deren Fragen und Beanstandungen konfrontiert ist l96 . Außerdem sind die in Frage stehenden Verfahrensgrundsätze vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Wertentscheidungen der letzten Jahren auszulegen. Und diesen ist eindeutig eine Präferenz für die eingeschränkt unmittelbar persönliche Vernehmung zu entnehmen, bevor es zum gänzlichen Verzicht auf das Originalbeweismittel und zu einem Rückgriff auf Beweissurrogate kommt l97 . Diese geänderten Wertentscheidungen gebieten geradezu, das Originalbeweismittel mit Mitteln der optisch und akustisch Verfremdung zur Verfügung zu halten, wenn andernfalls Beweisverlust droht. bb) Sachaufklärung, Glaubwürdigkeitsbeurteilung und Verteidigungsrechte

Gegen eine Abschirmung wird auch eingewandt, sie erschwere ein Hinterfragen der Aussage und eine Glaubwürdigkeitsüberprüfung des Zeugen 198. Diese Kritik bringt noch einmal zum Ausdruck, welche Bedeutung die Rechtsprechung und die Literatur dem nonverbalen Ausdrucksverhalten des Zeugen, seiner Mimik und Gestik und seinen körperlichen Anzeichen von Nervosität und Erregung zumessen. Kommunikation und "Verständigung" verlangen zweifelsohne den Blickkontakt 199. Trotzdem ist eine erschwerte Kommunikation mit dem Originalbeweismittel immer noch weit vorteilhafter als der gänzliche Verlust des unmittelbaren Zeugen und ein Ausweichen auf Beweissurrogate. 196 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 247 f. Unzulässig deswegen die vom BVerfG in BVerfGE 57, 250 (287), noch für zulässig erachtete kommissarische Vernehmung des Zeugen unter Ausschluss des Verteidigers. Hier hat der Große Senat zu Recht einen Verstoß gegen das (auch heute noch) geltende Recht der Verteidigung auf Anwesenheit bei kommissarischen Vernehmungen bejaht. Der einseitig wirkende Ausschluss gewährt der Anklage und dem Gericht einen Informationsvorsprung, der mit dem Gebot der Waffen- bzw. Chancengleichheit unvereinbar ist, BGHSt. 32, 115 ff.; Tiedemann/Sieber, NJW 1984, 758 f. Unzulässig ist auch, den Verteidiger zwar teilnehmen zu lassen, ihm aber eine Geheimhaltung bzgl. bestimmter Informationen gegenüber dem Beschuldigten aufzuerlegen. Das Vertrauensverhältnis zwischen beiden würde auf diese Weise untergraben. Verteidigung und Beschuldigter müssen nach geltendem Recht auf derselben Wissensbasis operieren können, Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 34; Jung, GA 1998, 326. 197 SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 18; Weider, StV 2000, 55. 198 Bruns, MDR 1984, 177; Caesar, NJW 1998, 2318; Tiedemann/Sieber, NJW 1984, 756; Engels, NJW 1983, 1532. 199 Vgl. die Einleitung des Kapitels B.3. 13*

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Zacharias bemerkt hierzu: "Ein Argument für die Unzulässigkeit dieser Form prozessualen Zeugen schutzes ließe sich aus diesen Nachteilen (dem Verlust an visuellem Kontakt) aber nur dann herleiten, wenn die Alternative lauten würde: Aussage des Zeugen abgeschirmt oder offen. Diese Alternative besteht in den hier relevanten Fällen jedoch gerade nicht. Ein Zeuge, der zu seinem Schutz optisch und akustisch abgeschirmt werden muss, ist in der Regel so gefährdet, dass er als Beweismittel ausfällt, sei es, dass er von der Exekutive gesperrt wird, sei es, dass das Gericht im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auf den Zeugen zu verzichten hat.,,2oo

Genau diese Gefahr des Beweisverlustes war es auch, die einige Gerichte im Vorfeld der Entscheidung des Großen Senates dazu veranlasst hatte, der abgeschirmten Zeugenvernehmung den Vorzug, z. T. sogar vor einem Ausschluss des Angeklagten nach § 247 StPO zu geben 201 . Wie dargestellt, lässt sich die Glaubwürdigkeit eines Zeugen auch über kritisches Zuhören sehr gut beurteilen202 • Die inhaltliche Stimmigkeit der Informationen, die sprachliche Darstellung und das Tempo der Informationsvermittlung bleiben als Urteilsgrundlage erhalten. Nervosität, Unsicherheit, Angst und innere Spannungen treten in erheblichem Maß durch die Stimme nach außen. Zu achten ist auf ein "Zittern" der Stimme, Veränderungen der Stimmhöhe, Stottern, ein "Sich-Überschlagen" oder längere Pausen im Satz, die darauf hinweisen können, dass der Vernommene seine Informationen wiederholt auf ihre Stimmigkeit und Glaubhaftigkeit überprüft. Sogar bei einer Stimmverzerrung werden einige dieser Merkmale erhalten bleiben 203 . Im Übrigen bleibt natürlich auch der Vorteil, überhaupt die Glaubwürdigkeit des Beweismittels persönlich hinterfragen zu können. Vernehmungsprotokolle bieten diese Möglichkeit gerade nicht, genauso wenig wie die Vernehmung der Verhörsperson. Zwar kann diese ihre Eindrücke von der Vernehmung im Verfahren wiedergeben, doch ist immer in Betracht zu ziehen, dass eine Verhörspersonen ein starkes Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens haben kann. So wird der V-Mann-Führer regelmäßig strafbare Aktivitäten des anonymen Zeugen verschweigen, um nicht negative Rückschlüsse auf die Tätigkeit der eigenen Abteilung herauszufordern. Auch wird einer involvierten Verhörsperson sehr an der Vermittlung absoluter Glaubwürdigkeit des Zeugen gelegen sein. Von ihr ist deswegen nicht unbedingt ein objektives Urteil zu erwarten. 200 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 248; offen gelassen bei See/mann, StV 1984,481. 201 BGHSt. 31, 149 (156); 31, 290 (293 f.); NStZ 1982,42; OLG Hamburg, StV 1983,449; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 14. 202 Ausführlich dazu Kapitel B.3.b). 203 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 248 (Fn. 231).

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. I Hs. 1 StPO

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Und selbst wenn ein derartiges Eigeninteresse im Einzelfall fehlt, so untersteht der anonyme Urheber der Auskünfte bei einer Aussage vor den polizeilichen Stellen keiner sanktionierten Wahrheitspflicht. Und auch wenn er bei einer Aussage vor der Verhörsperson eine Strafbarkeit zu befürchten hätte, ist die Wahrscheinlichkeit, zur Verantwortung gezogen zu werden, für den anonymen Zeugen minimal. Zum einen, weil die Verhörsperson in diesen Fällen schon kein Interesse an der Aufdeckung der Zeugenidentität haben wird, zum anderen, weil das Risiko einer Aufdeckung der Täuschung mangels Konfrontation mit dem Angeklagten und mangels kritischer Befragung durch die Verfahrensbeteiligten gering ist. Von einer "Glaubwürdigkeitsbeurteilung" kann bei einer nur mittelbaren Informationswiedergabe nicht die Rede sein. Strukturelle Mängel der Beweisaufnahme lassen sich auch nicht durch eine zurückhaltende Beweiswürdigung ausgleichen 204 . Im Interesse sowohl der Wahrheitsermittlung als auch des Angeklagten ist immer auf ein Erscheinen des Originalbeweismittels in der Hauptverhandlung hinzuwirken. ce) Die Würde des Gerichtsveifahrens

Ist die Vernehmung eines vermummten Zeugen ein "unwürdiges Gerichtsspektakel"? Nach Ansicht Weiders jedenfalls ist "sowohl der Dialog mit einer mit Faschingsmaske verkleideten Person als auch mit einem Schrank" für alle Verfahrensbeteiligten ,,entwürdigend,,205. Dem aber ist zu entgegnen, dass der Würde des Gerichts eine Fürsorge für schwer gefährdete Personen durchaus zuzumuten ist. Nicht jede Form der Vermummung muss außerdem die Hauptverhandlung in ein unwürdiges "Spektakel" ausarten lassen. Es ist heute technisch problemlos möglich, durch bestimmte Kameraeinstellungen, Bildverzerrungen oder mit Licht und Schatten das Gesicht eines Zeugen auf dem Bildschirm unkenntlich zu machen, ohne den Blick auf die Person selbst vollständig zu versagen. Hände und Oberkörper können sichtbar bleiben, so dass die Verfahrensbeteiligten zwar auf die Beobachtung der Mimik, nicht aber der Gestik verzichten müssen. Auch eine Stimmverfremdung bedeutet nicht zwingend den Einsatz der oft zitierten ,,Mickymausstimme''206. Eine geringfügige Veränderung der Stimmhöhe kann schon genügen, ohne das Verfahren ins Lächerliche zu ziehen.

205

Grünwald, Dünnebier-Fs., S. 357 f.; Wattenberg, StV 2000, 693. Weider, StV 1983, 228; so auch Bruns, MDR 1984, 179; ders., StV 1983,

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Weider, StV 1983, 229; Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 249.

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384.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Dass die Würde des Gerichtsverfahrens nicht das entscheidende Hindernis für effektive Schutzmaßnahmen sein sollte, beweist außerdem ein vergleichender Überblick über die europäischen Rechtsordnung. Mit der Würde italienischer, nordirischer und niederländischer Gerichte ist es durchaus vereinbar, das Gesicht eines an Leib und Leben gefährdeten Zeugen nicht im Bild einzublenden oder durch andere Maßnahmen unsichtbar zu machen207 . Die Frage, ob die Würde des Gerichts durch die Abschirmung des Zeugen beeinträchtigt wird, ist also nicht entscheidend. Ausschlaggebend muss vielmehr sein, wie eine effektive Abschirmung erfolgen kann, ohne das Verfahren der Lächerlichkeit preiszugeben208 . dd) Entgegenstehende Schutzinteressen des Zeugen

Die Risiken, denen der optisch und akustisch unkenntlich gemachte anonyme Zeuge bei einer Vernehmung in der Hauptverhandlung ausgesetzt bleibt, sind aber nicht von der Hand zu weisen 209 . Gegenüber einer Sperrung erhöht sich die Gefahr der Identifizierung des Auskunftsgebers bei der persönlichen Vernehmung immer noch um ein Vielfaches. Problematisch ist auch, wenn die Verfremdung der Stimme nicht ausreichend Sicherheit bieten kann. Trotz technischer Veränderungen in der Tonhöhe lassen sich immer noch dialektische Sprachfarbungen, individuelle Sprachfehler oder andere sprachliche Eigenarten erkennen. Diese Risiken sind bei der Entscheidung, ob der Zeuge überhaupt vor Gericht, wenn auch unter Abschirmung aussagen kann, zu berücksichtigen. Notfalls kann im Interesse des Zeugen nur eine Sperrung in Betracht kommen 2 \O. Gleichwohl müssen sich Exekutive und Gericht darüber im Klaren sein, dass sie bei der Vollsperrung des Zeugen die Verteidigungschancen des Angeklagten erheblich verringern. In der Abwägung darf der Verzicht auf den unmittelbaren Zeugen tatsächlich nur "ultima ratio" sein. ee) Missbrauchsgefahr

Wird die Vernehmung des Zeugen unter optischer und akustischer Abschirmung beschlossen, ist zugleich sicherzustellen, dass die bildliche Unkenntlichmachung nicht missbräuchlich genutzt wird, etwa ein anderer als 207 Zu den einzelnen Ländern vgl. die Berichte im 2. Teil, Kapitel D.3., Kapitel D.7.b) und D.9; außerdem Schlüchter, Schneider-Fs., S. 457 ff. 208 So auch Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 249. 209 Wagner, Kriminalistik 2000, 168 f. 210 SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998,533.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. I Hs. I StPO

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der unmittelbare Zeuge Frage und Antwort steht oder dem Zeugen über Handzeichen hinter der Kamera oder Textblätter die Antworten vorgegeben werden. Diese Gefahr ist jedoch mit relativ einfachen Mitteln zu bannen. Immerhin besteht sie auch bei anderen audiovisuell vermittelten Vernehmungen, darunter auch bei Vernehmungen von Auslandszeugen. Ein Vertreter der lustizbehörden kann sich beispielsweise beim Zeugen aufhalten und vorab seine (geheimgehaltene) Identität feststellen. Wurde der Zeuge in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen, kann auch ein Beamter der Zeugenschutzbehörde diese Aufgabe übernehmen. Damit wäre zugleich sichergestellt, dass die wahre Identität der Person nicht nach außen dringt. Ein Vertreter der lustizbehörde könnte außerdem überwachen, dass die Vernehmung vor Ort ordnungsgemäß verläuft, d. h. der Zeuge nicht unzulässig beeinflusst wird oder sich weitere, nicht zugelassene Personen von der Kamera unbemerkt im Vernehmungsraum aufhalten 211 . ff) Die europäische Sichtweise

Eindeutige Aussagen zur Zulässigkeit von Vernehmungen auf Distanz unter Einsatz optischer und akustischer Abschirmungsmaßnahmen finden sich in der Rechtsprechung des EGMR zwar nicht, doch im Urteil Van Mechelen 212 hat der Gerichtshof die nach niederländischem Recht möglichen Formen einer Vermummung und Unkenntlichmachung der Beweisperson in der Hauptverhandlung sowohl der vollständigen Sperrung des anonymen Auskunftsgebers als auch der nur akustischen Sprechverbindung zu diesem vorgezogen2 \3. Zeugen schützende Instrumentarien, die mit einer Einschränkung des Blickkontakts sowie Verfremdung und Unkenntlichmachung des Äußeren einhergehen, schließt die Straßburger Rechtsprechung also nicht aus, obwohl auch nach Van Mechelen noch eine Reihe von Fragen offen bleiben. Grundsätzlich erkennt der EGMR an, dass Schutzbelange gefahrdeter Zeugen oder staatliche Interessen an einer Geheimhaltung verdeckter Operationen nicht grundsätzlich hinter den Konfrontations- und Fragerechten des Angeklagten zurückstehen. BGHSt. 45, 188 (195 ff.) EGMR [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997,617. 213 Die nur akustische Verbindung genügte dem Gericht allerdings deshalb nicht, weil sie dem Verteidiger und dem Beschuldigten nicht ausreichend Gelegenheit verschaffte, die Reaktionen des Zeugen auf direkten Fragen zu beobachten und dadurch die Zuverlässigkeit des Zeugen zu überprüfen; EGMR [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997,619. 211

212

200

3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Doch zeugenschützende Maßnahmen müssen sich streng am Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientieren214 • Den Beschuldigtenrechten darf nicht über das Notwendigste hinaus Schaden zugefügt werden 215 . Die vollständige Sperrung des Zeugen kommt folglich nur als "ultima ratio" in Betracht. Alle anderen Möglichkeiten, sich den Urheber der Aussage in Person zur Verfügung zu halten, gehen strikt vor, darunter dann auch eine Videovernehmung verbunden mit abschirmenden Elementen. gg) Zusammenfassung

Die optische und akustische Abschirmung ist seit der Neufassung des

§ 68 StPO, spätestens aber seit dem gesetzlich legitimierten Verzicht auf eine physische Präsenz des Zeugen im Sitzungssaal in § 247 a StPO zuläs-

sig. Einer gesetzlichen Legitimationsgrundlage bedarf es nicht, ihr könnte allerdings eine begrüßenswerte klarstellende Wirkung zukommen.

4. Gedanken über eine Kombination der Vernehmung nach § 247 a S. 1 Hs. 1 mit § 223 StPO de lege lata und de lege ferenda Die gesetzgeberische Entscheidung gegen das "Mainzer Modell", gegen eine gespaltene Hauptverhandlung ist zwar in der Literatur aufgrund der Bedenken eines Verstoßes gegen §§ 226, 238 Abs. 1 und 261 StPO durchweg positiv aufgenommen worden, geblieben aber sind die kritischen Stimmen, die gerade für verletzliche Zeugen das direkte, persönliche Gespräch mit der vernehmenden Person in ein und demselben Raum oder zumindest eine einzelfallbezogene Entscheidung bevorzugt hätten 216 • Eine Entfernung des Vorsitzenden aus dem Verhandlungssaal ist nach gegenwärtiger wie auch nach frühere Gesetzeslage unzulässig 217 • Nicht eindeutig geklärt dagegen ist die Frage, ob § 247 a S. I StPO auch einer Vernehmung durch beauftragte Personen, die sich zusammen mit dem Zeugen an dem "anderen Ort" aufhalten, entgegenstehen würde. Schleiminger, Konfrontation im Strafprozess, S. 18. Peukert in EMRK, Art. 6 Rn. 200; Renzikowski, JZ 1999,610 f. 216 So auch Ausschussempfehlungen, BR-Drs. 933/1/97, S. 2 und 4, als Gegenreaktion zur Ansicht der Regierungsparteien und des Rechtsausschusses, Kinder wären im Umgang mit den neuen Medien wesentlich unbefangener und ihnen mache eine Befragung per Monitor nichts aus, BT-Drs. 13/7165, S. 10 und 13/9063, S. 5. 217 Schmoll, Videovemehmung kindlicher Opfer, S. 188, Dahs, NJW 1996, 178; Meier, RdJB 1996, 454 f.; K/M-G, § 247 a, Rn. 1; Geppert, Jura 1996, 552 ff.; Rieß, Opfer- und Zeugenschutz in Missbrauchsverfahren, S. 121 f.; Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 56; für eine einzelfallbezogene Entscheidung Schünemann, StV 1998, 399. 214 215

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. I Hs. 1 StPO

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Von gesetzgeberischer Seite wurde hierzu keine klare Stellung bezogen. Bekannt ist nur die Äußerung des Abgeordneten und Berichterstatters des Vermittlungsausschusses Irmer: "Bei der Frage, wer mit dem Zeugen außerhalb des Gerichtssaales die Zeugenbefragung durchführt bzw. unmittelbar die Fragen an den Zeugen stellt - das betone ich jetzt, weil es aus dem Gesetzestext nicht hervorgeht - sind sich alle Beteiligten des Vermittlungsverfahrens darüber einig, dass hier theoretisch auch ein nicht zum Spruchkörper gehörender Richter die Fragen an den Zeugen stellen kann.,,218

Verwiesen werden sollte hiermit offensichtlich auf eine Kombination der simultanübertragenen Vernehmung in der Hauptverhandlung mit einer kommissarischen Vernehmung nach § 223 StP0 219 , d.h. einer Vernehmung durch einen ersuchten Richter, die dann unmittelbar durch technische Medien in die Hauptverhandlung übertragen und dort als Vernehmung in der Hauptverhandlung verwertet werden soll. Wichtig aber, dass die Befragung durch eine richterliche Vernehmungsperson erfolgt, denn das Gespräch mit einer psychologisch geschulten Personen, etwa dem zur Begutachtung des Zeugen bestellten Psychologen oder auch nur einer Vertrauenspersonen des Zeugen, wie sie das österreichische und - in eingeschränkter Form - auch das englische Recht kennt220, hat der Gesetzgeber ganz bewusst nicht legitimiert, selbst wenn der Berichterstatter des Vermittlungsausschusses Irmer auf das englische und österreichische Modell verweist 221 . a) Zur Vernehmung durch eine nichtrichterliche Vernehmungsperson

Die Verantwortung für die Vernehmung des Zeugen und die Beweiswürdigung obliegt allein dem Richter. Beides ist seine "ureigene Aufgabe,,222 und Pflicht. Das sachverständige Wissen darf ihn bei seiner Tätigkeit unter218 BT-P1enarprotokoll 13/221 vom 04.03,1998, S. 20206. 219 So auch Diemer, NJW 1998, 1668; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 3; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 5; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 189 f.; Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 54 und 56; mit rechtlichen Bedenken Schlüchterl Greif, Kriminalistik 1998, 533. 220 Dort § 250 Abs. 3 i.V.m. § 162 a Abs. 2 S. 2 bzw. S. 29 Youth Justice and Criminal Evidence Act 1999; die englische Vorschrift allerdings kennt nur eine besondere Übersetzungsfunktion der geschulten Person. Letztlich ist es auch dort der Richter, der die Fragen an das Kind richtet. Eine selbständige Vernehmung durch den Sachverständigen lässt S. 29 nicht zu. Aufgabe der Mittelsperson ist es nur, für eine bessere Verständigung Sorge zu tragen, nicht aber, selbständig urteilsrelevante Sachverhalte zu ermitteln. 221 BT-Plenarprotokoll 13/221 vom 04.03,1998, S. 20205 f. 222 Fischer, NStZ 1994, 1; BGHSt. 3, 52 (53); 8 130 (131); Nack, StraFo 2001, 1.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

stützen, eine Aufgabendelegation an den Gutachter aber kommt nicht m Betracht223 . Die Befragung eines Zeugen muss zunächst nach strafverfahrensrechtlichen Regelungen und mit rechtlichem Hintergrund betrieben werden, nicht nach wissenschaftlichen aussagepsychologischen Maßstäben 224 . Letztere mögen zwar für eine Glaubwürdigkeitsbegutachtung durch den Sachverständigen entscheidend sein, doch stimmen die Interessen einer auf Tatsachenfeststellung gerichteten Befragung mit denen einer aussagepsychologischen Exploration nicht unbedingt überein, erfordert letztere doch auch eine ganz andersartige, vertiefte Form der Befragung, Untersuchungen zur Fabulierfähigkeit oder zu den kognitiven Voraussetzungen des Zeugen sowie Untersuchungen zur logischen Konsistenz seiner Angaben 225 • Die Aufgaben von Sachverständigem und richterlicher Vernehmungsperson dürfen nicht vermischt werden. Bedarf der kindliche Zeuge eines Beistandes, so ist eine Vertrauensperson, ein anwaltlicher Zeugenbeistand oder gegebenenfalls ein nur mit der Aufgabe des Zeugenschutzes betrauter Psychologe heranzuziehen. In engen Grenzen kann diese Personen natürlich auch eine Übersetzungsfunktion ausfüllen, denn gerade bei sehr jungen Zeugen werden die noch unzureichenden sprachlichen Fähigkeiten eine Vernehmung behindern. Unmittelbare Bezugspersonen des Kindes sind dann gefordert, um dessen Mitteilungen zu entschlüsseln 226 . Diese Verständigung durch Mittelspersonen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Befragungskompetenz unverändert nur bei der richterlichen Vernehmungsperson liegt. Die Zeugenvernehmung gehört zum Kernbereich justizieller Tätigkeit. Ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung darf die Verantwortung für einen solch elementaren Verfah223 Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 371 f.; die eigentliche Vernehmung des Zeugen ist allein Sache der Strafverfolgungsbehörden; der Gutachter darf auch nach § 80 Abs. 1 StPO nur Gespräche zur Exploration führen, Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 200; a.A. Fincke, ZStW 86 (1974), 664, 669. 224 Fischer, NStZ 1994, 4; Dippel, Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozess, S. 171; zu warnen ist insbesondere davor, die aus einer aussagepsychologischen Exploration gewonnenen Erkenntnisse für das Strafverfahren zu verwerten. Informationen zum Tathergang muss sich der Sachverständige in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise, d.h. auch unter Beachtung der Rechte der übrigen Verfahrensbeteiligten verschaffen. 225 Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 58 (Fn. 177); mitunter kann nur eine nicht formalisierte, vertrauliche Gesprächsatmosphäre die gewünschten, sachverständigen Ergebnisse einer Glaubwürdigkeitsexploration erbringen. Dippel beispielsweise geht grundSätzlich von der Notwendigkeit einer selbständigen Befragung des Zeugen durch den Sachverständigen aus; Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozess, S. 169 f. 226 Vergleichbar S. 29 Youth lustice and Criminal Evidence Act 1999.

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. I Hs. 1 StPO

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rensvorgang nicht auf sachverständige oder andere Personen übertragen werden 227 • b) Vernehmung durch den kommissarischen Richter in Verknöpfung

mit einer Simultanöbertragung in die Hauptverhandlung

Inwieweit innerhalb der Hauptverhandlung eine Übertragung der Verantwortung für die Zeugenvernehmung auf einen nicht zum Spruchkörper gehörenden, ersuchten Richter in Betracht kommt, ist heftig umstritten. Aus dem Gesetzgebungsverfahren gibt nur die zitierte Äußerung des Berichterstatters des Vermittlungsausschusses Irmer einen Hinweise darauf, dass tatsächlich eine kommissarischer Vernehmung unmittelbar mit einer Videoübertragung in die laufende Hauptverhandlung komb'iniert werden könnte. Ob sich der Vermittlungsausschuss allerdings mit der dogmatischen und systematischen Problematik einer solchen Kombination befasst hat, ist von Rieß zu Recht bezweifelt worden228 . Die kommissarische Vernehmung ist in der bisherigen Gesetzessystematik ein der Hauptverhandlung logisch "vorgelagertes" bzw. ein aus der Hauptverhandlung "herausgelagertes" Rechtsinstitut229 . Eine unmittelbare Verknüpfung beider Rechtsinstitute ist mit der bislang geltenden verfahrensrechtlichen Systematik also nicht zu vereinbaren. aa) Systematische Stellung der kommissarischen Vernehmung im Strafverfahren

Ihrer Natur nach ist die kommissarische Vernehmung eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, wobei in der Literatur aber keine Einigkeit darüber erzielt werden kann, ob sie nun als Durchbrechung der formellen oder der materiellen Seite der Unmittelbarkeit zu werten ist23o . In Durchbrechung der materiellen Unmittelbarkeit bereitet die kommissarische Vernehmung die Hauptverhandlung vor23l . Betont man hingegen den 227 Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 191; Brocker, MschKrim 1996, 417; AE-ZVR, S. 104; die bereits früher erhobene Forderung nach dem "sachverständigen Richter", d.h. nach der psychologisch geschulten richterlichen Vernehmungsperson, die zumindest in den Fällen kindlicher Zeugen die Befragung übernimmt, bleibt weiterhin die konsequenteste Lösung. Bis heute aber haben sich die Vertreter dieser Position nicht durchgesetzt, Dippel, Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozess, S. 175 f. und 72 f.; Blomeyer, ZRP 1970, 154 f.; Döhring, JZ 1968,642; Koch, JR 1956, 369; Thieme, DRiZ 1969, 237 f.; Wassermann, ZRP 1970, 5 ff. 228 Rieß, NJW 1998, 3242 (Fn. 43); auch Beulke, ZStW 113 (2001), 722. 229 Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1328 e; zustimmend Rieß, JR 2001, 87. 230 Eine Übersicht dazu gibt Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 81.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Aspekt formeller Unmittelbarkeit, so nimmt sie einen Teil der Beweisaufnahme und damit der Hauptverhandlung vorweg 232 . Unbestritten aber wird sie damit nicht selbst Teil der Hauptverhandlung, steht einer Beweisaufnahme dort auch keinesfalls gleich 233 . Die kommissarische Vernehmung ist mithin eine Form vorweggenommener Beweissicheruni 34 . Nach ihrer bisherigen Konzeption ist sie dazu gedacht, das Wissen des Originalbeweismittels im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung einzubringen. Sie ermöglicht vorsorgliches, vorläufiges Tätigwerden, sobald sich die Verhinderung des Originalbeweismittels für die Hauptverhandlung abzeichnet. Gleichzeitig entscheidet die Prognose über die Notwendigkeit einer kommissarischen Einvernahme noch nicht über die endgültige Einführung des durch sie erlangten Beweissurrogates. Dazu bedarf es erst der in der Hauptverhandlung zu treffenden Folgeentscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 StP0235 . Unabhängig davon, welcher Literaturmeinung zur Natur der kommissarischen Vernehmung man folgt, ist sie systematisch ein außerhalb der Hauptverhandlung stattfindendes, von dieser zu trennendes prozessuales Ereignis. Rieß fragt deswegen zu Recht, wie denn eine Bild- und Tonübertragung, die nach § 247 a S. 1 StPO eindeutig Teil der Hauptverhandlung ist, zugleich ein der Hauptverhandlung vorgelagertes, eigenständiges Rechtsinstitut der Beweissicherung darstellen kann 236 . Außerdem führt die unmittelbare Verknüpfung zweier, von der Strafprozessordnung bislang getrennt konzipierter Ereignisse zu unerwünschten verfahrensrechtlichen Komplikationen. So ist beim Auftreten des zusätzlichen Richters am Vernehmungsort für die Verfahrensbeteiligten nicht immer feststellbar, wem die definitive Vernehmungskompetenz zukommt, wer also die 231 Die darin liegende Abweichung von dem Prinzip materieller Unmittelbarkeit besprochen bei Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 1; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 370; KMR-Paulus, § 223, Rn. 2. 232 So KK-Tolksdorf, § 223, Rn. 1; Schellenberg, NStZ 1993, 373, K/M-G, § 223, Rn. 1 unter Verweis auf BGHSt. 9, 24 (27); Roxin behandelt die kommissarische Vernehmung speziell als Ausnahmeregelung zum Prinzip formeller Unmittelbarkeit, Roxin, Strafverfahrensrecht, § 44, Rn. 2. 233 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 1 (Fn. 1); a. A. offensichtlich KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 5, der die unmittelbare Verknüpfung einer kommissarischen Vernehmung mit der Hauptverhandlung über ein Vorgehen nach § 247 a StPO aus einer Bemerkung des BGH begründet, die kommissarische Vernehmung bilde "ihrem Wesen nach" einen Teil der Hauptverhandlung, vgl. BGHSt 9, 24 (27). 234 KMR-Paulus, § 223, Rn. 2, der sich ausdrücklich gegen den Gedanken eines antizipierten Teils der Hauptverhandlung wendet. 235 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 2; K/M-G, § 247 a, Rn. l. 236 Rieß, StraFo 1999, 7.

B. Die "Gefährdungs alternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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Entscheidung über die Zulässigkeit von Fragen, über die Vereidigung und die Entlassung des Zeugen trifft. Beide Prozessinstitute für sich sind eindeutig geregelt. So ist der beauftragte oder ersuchte Richter in der kommissarischen Vernehmung allein für die Fragestellung und die Vernehmungsführung verantwortlich. §§ 240 Abs. 2 und 241 Abs. 2 sowie die §§ 176 bis 179 GVG gelten entsprechend, d.h. der kommissarische Richter kann Fragen zurückweisen, er übt die sitzungspolizeiliche Gewalt aus, verhängt Ungehorsamsfolgen oder Ordnungsmittel wegen Ungebühr, kurz, er übernimmt die wesentlichen Funktionen des in der Hauptverhandlung agierenden Vorsitzenden 237 • Wie lassen sich diese Aufgaben des kommissarischen Richters aber mit der Verhandlungsleitung durch den Vorsitzenden nach § 238 Abs. 1 StPO vereinbaren? Noch schwieriger ist die Situation beim Zeugen, der das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Gemäß § 241 a StPO soll ihn nur der Vorsitzende allein befragen. Ein ersuchter oder beauftragter Richter hat in dieser Systematik keinen Platz. Zwar weisen SchlüchterlGreff mit guten Gründen darauf hin, dass mit einer Befragung durch den ersuchten Richter vor Ort der Sinn des § 241 a StPO um so zuverlässiger gewahrt wird, denn das Kind ist mit nur einer Vernehmungsperson als direktem Gesprächspartner konfrontiert, die sich zudem in seiner unmittelbaren Nähe befindet und nicht nur auf dem Monitor, hinter der "technischen Barriere", erscheint238 , doch täuscht das Sinnvolle der Situation nicht darüber hinweg, dass sie nach dem Gesetz so nicht vorgesehen ist239 . bb) Die Voraussetzungen des § 223 StPO im Spiegel zeugenschützender Notwendigkeiten

Selbst unter der Prämisse der Zulässigkeit einer Kombination von kommissarischer Vernehmung und Hauptverhandlung ist zu bezweifeln, dass die durch die Literatur befürwortete Verweisung auf § 223 StPO tatsächlich große Vorteile bieten könnte. So ist zunächst festzuhalten, dass die Vernehmung nach § 223 StPO nur durch einen ersuchten, keinesfalls aber durch einen beauftragten Richter in Frage kommt. Letzterer ist Mitglied des erkennenden Gerichts 24o, muss also bei einer Kombination beider Prozessinstitute korrekterweise selbst unmit237 Zum Verfahren bei kommissarischer Vernehmung vgl. Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 32 ff.; KK-Tolksdorf, § 223, Rn. 20 ff.; Hohmann in Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, Rn. 85. 238 SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998, 533. 239 K/M-G, § 223, Rn. 20; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 20. 240 Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 370.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

telbar persönlich in der Hauptverhandlung, d. h. unmittelbar im Verhandlungssaal, anwesend sein. Andernfalls käme es zu den bereits beim "Mainzer Modell" beklagten Verstößen gegen die Anwesenheitsvorgaben des § 226 StPO sowie gegen die Grundsätze des § 261 StPO. Die kommissarische Vernehmung darf nur durch einen nicht zum Spruchkörper gehörenden inländischen oder ausländischen Richter erfolgen. Die eigentlichen Schwierigkeiten aber werden ersichtlich, sobald man sich den relativ hohen Anforderungen des § 223 StPO zuwendet. Gemäß § 223 Abs.l StPO müssen dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung "für eine länge~e oder ungewisse Zeit Krankheit oder Gebrechlichkeit oder andere, nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen". Ergänzt wird der Hindernistatbestand durch die Zumutbarkeitsregelung des Abs. 2. Die kommissarische Vernehmung kann auch dann stattfinden, wenn einem Zeugen "das Erscheinen wegen großer Entfernung nicht zugemutet werden kann". Unverkennbar sind diese Voraussetzungen denen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO angeglichen, denn diese sind Grundlage der späteren Entscheidung darüber, ob das durch die kommissarische Vernehmung erlangte schriftliche Beweissurrogat Eingang in die Hauptverhandlung findet. Es sind hohe Voraussetzungen. Eine reine Gefährdung des Zeugenwohls genügt zu ihrer Erfüllung nicht, selbst wenn die Gefährdungsintensität des § 247 a S. I Hs. 1 StPO mit der "dringenden Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" erreicht sein sollte. Verlangt ist, dass dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung objektive Hindernisse entgegenstehen. Nur zu befürchtende gravierende physische und psychische Belastungen genügen nicht. Eine direkte Kombination von Hauptverhandlung und audiovisuell vermittelter kommissarischer Vernehmung nach § 223 StPO scheint damit eigentlich nur im Fall des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO möglich, der seinerseits auf die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO verweist. Für die einfachen Fälle des mit der Vernehmung im Gerichtssaal und dem Umgang mit den neuen Medien überforderten Zeugen steht der Weg in die kommissarische Vernehmung gerade nicht offen. Kindliche und verletzliche Zeugen, für die der direkte Kontakt mit der Vernehmungsperson besondere Bedeutung erlangt hätte, haben das Nachsehen. Die kommissarische Vernehmung käme ihnen nur dann zugute, wenn die Belastungen bereits ihrem Erscheinen in der Hauptverhandlung selbst entgegenstünden. Eltern wäre in diesem Fall zu raten, den kindlichen Zeugen für die Hauptverhandlung zu sperren, damit das Gericht ein Hindernis i. S. d. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO feststellen und daraufhin die Anordnung einer kommissarischen Vernehmung unter den Voraussetzungen des § 223 Abs. 1 StPO treffen kann.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. I Hs. I StPO

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Gleiches gilt für Opferzeugen. Die bloße Überforderung oder eine übermäßige psychische Belastung durch die Hauptverhandlung genügen nicht. Der Aussage des Zeugen in die Kamera hinein müssen schon so erhebliche Hindernisse entgegenstehen, dass die durch eine kommissarische Vernehmung ermöglichte persönliche Atmosphäre zur Erforschung der Wahrheit unerlässlich erscheint241 . Wenn aber - wie dargelegt - bereits die Anwendungsschwelle des § 247 a S. 1 S. 1 StPO derart hoch anzusetzen ist, dass nur zur Anordnung einer Videosimultanübertragung die Überforderung des Zeugen schon sichtbar nach außen treten muss 242 , wie deutlich müssen darüber hinaus dann Anzeichen für eine extreme psychische Belastung offenkundig werden, damit dem Zeugen das persönliche Gespräch mit einem ersuchten Richter vor der Kamera gestattet wird? Festzuhalten ist, dass die Vernehmung durch einen ersuchten Richter in Verknüpfung mit einem Vorgehen nach § 247 a S. 1 StPO für die Praxis keine wesentliche Rolle spielen kann. Selbst unter der Prämisse, dass diese Kombination unterschiedlicher Rechtsinstitute zulässig ist, wären die hohen Anwendungsvoraussetzungen des § 223 StPO kaum zu erfüllen. Einfacher dagegen, wenn die Videosimultanübertragung auf die Rechtsgrundlage des § 247 a S. 1 Hs.2 i. V.m. § 251 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO gestützt werden kann 243 . Bereits der Rückgriff auf diese Rechtsgrundlage setzt in logischer Konsequenz voraus, dass auch die gleichlautenden Anforderungen des § 223 StPO erfüllt werden. Für die Vernehmung von Auslandszeugen sowie (behördlich) gesperrter Zeugen kann die kommissarische Vernehmung also durchaus in Betracht gezogen werden. Nur wird in der Mehrzahl dieser Fälle die Notwendigkeit des direkten Gesprächs nicht bestehen, denn die genannten Zeugengruppen gehören nicht unbedingt zu dem Personenkreis, der durch eine Befragung aus dem "Off' überfordert würde. Die Problematik der kaum erfüll baren Anforderungen ist in der Literatur nur in Ansätzen erkannt worden. Zumeist beschränken sich die Autoren darauf, auf die Vorteile eines persönlichen, nicht durch eine technische Barriere gehemmten Gesprächs zu verweisen, ohne sich mit den komplizierten Voraussetzungen überhaupt zu befassen244 . Wird die Problematik dagegen erkannt, behelfen sich die Autoren mit einer erweiternden Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 223 Abs. 1 StPO. KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 5; Diemer, NJW 1998, 1668. Vgl. dazu Kapitel B.1.c)bb)(4). sowie B.1.d). 243 So auch Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 192. 244 So beispielsweise lrmer, BT-Plenarprotokoll 13/221 vom 04.03.1998, S. 20206; SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998,533; HK-Julius, § 247 a, Rn. 3. 241

242

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Nach Weigend soll die "Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit des Zeugen,,245, nach Schmoll die in § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO vorausgesetzte "dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen"246 den in § 223 Abs. 1 StPO genannten "anderen nicht zu beseitigenden Hindernissen" gleichstehen. Diese extensive Auslegung stößt allerdings auf Bedenken, denn nach dem Wortlaut des § 223 Abs. 1 StPO muss das Hindernis bereits dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung entgegenstehen, nicht nur seiner Fähigkeit, gut verwertbare Angaben zu machen. Weigends Vorschlag stößt damit bereits an die Wortlautgrenze des § 223 StPO. Schmolls Auslegung erscheint systematisch inkonsequent. § 247 a S. 1 StPO unterscheidet klar zwei Alternativen, die der Beeinträchtigung des Zeugenwohls (§ 247 a S. 1 Hs. 1 StPO) und die der Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 StPO (§ 247 a S. 1 Hs. 2 StPO). Dieser Unterteilung ist gesetzessystematisch zu entnehmen, dass die Voraussetzungen bei der Alternativen sich nicht entsprechen, sich höchstens gegenseitig ergänzen, in Teilbereichen vielleicht auch überlappen. Gleichgesetzt werden können sie aber nicht. Genau diese Gleichsetzung nimmt Schmoll aber vor, wenn sie im Rahmen des § 223 Abs. 1 StPO unter ein und dasselbe Tatbestandsmerkmal beide Alternativen unterschiedslos subsumiert. Das "Hindernis", eigentlich Merkmal des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO und damit nur im zweiten Halbsatz des § 247 a S. 1 StPO berücksichtigt, soll auf einmal auch "die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" miterfassen. Aus welchem Grund aber dann bedarf es in § 247 a S. 1 StPO noch der ersten Alternative, wenn sie sowieso in der zweiten mitenthalten ist? Weswegen hebt das Gesetz an einer Stelle den Unterschied zwischen zwei Alternativen hervor, nur um dann an anderem Ort diese beiden Alternativen unter ein und derselben Wortwahl zusammenzufassen? Systematisch kann der Vorschlag Schmolls nicht tragen. In seiner Zielsetzung dagegen ist er beachtenswert. Um eine flexible Verknüpfung der verschiedenen Prozessinstitute zu ermöglichen, müssen die Voraussetzungen des § 223 StPO an beide Alternativen des § 247 a S. 1 StPO angenähert werden. Erfasst werden müssen de lege ferenda insbesondere die Fälle kindlicher und verletzlicher Zeugen, deren Erscheinen in der Hauptverhandlung zwar möglich ist, deren Aussagetüchtigkeit jedoch unter den unkonventionellen Vernehmungsmethoden, vor allem aber unter dem Verlust des direkten Kontaktes mit dem Gesprächspartner leidet. Einen Gesetzesvorschlag in diese Richtung hat Keise?47 unterbreitet. Er bezieht sich allerdings nur auf die Vernehmung kindlicher Zeugen. § 223 Abs. 1 StPO soll dementsprechend lauten: 245 246

Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 56 (Fn. 168). Schmoll, Videovemehmung kindlicher Opfer, S. 192.

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. I Hs. I StPO

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"Wenn dem Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in der Hauptverhandlung für längere oder ungewisse Zeit Krankheit oder Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, so kann das Gericht seine Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter anordnen. Für die

Vernehmung eines unter sechzehnjährigen Zeugen gilt dies auch, wenn sonst eine erhebliche Gefahr für das Wohl des Zeugen droht,,248.

Der Vorteil dieser Regelung besteht zweifellos darin, dem jugendlichen Zeugen das Gefühl eine persönlichen Gesprächsatmosphäre zu vermitteln. Nachteilig ist allerdings, dass der nicht minder schützenswerte erwachsene Zeuge nicht miteinbezogen wird. Gelöst wird mit diesem Gesetzesvorschlag auch nicht das systematische Problem der Verknüpfung von kommissarischer Vernehmung unmittelbar mit einer Vernehmung in der Hauptverhandlung. Keiser ist hier allerdings zugute zu halten, dass sie sich mit dieser Problematik nicht befasst hat und eine unmittelbare Verknüpfung der unterschiedlichen Prozessinstitute nicht ihr Ziel ist 249 . Ihr Vorschlag kann als erster Orientierungspunkt für eine Lösung de lege ferenda dienen. Allerdings bedarf es hier auch noch weiterer Überlegungen.

ce) Sinn und Umsetzbarkeit einer gesetzlichen Lösung Der Gedanke an eine live in die Hauptverhandlung übertragene kommissarische Vernehmung ist aus der Befürchtung motiviert, so mancher Zeuge könnte durch die unkonventionelle Befragung via Monitor überfordert werden. Anstatt den Zeugen zu schonen, würde ihn dies nur zusätzlich belasten, so dass das Gericht auf herkömmliche Vernehmungs methoden zurückgreifen müsste. Dem Zeugen bliebe die Aussage unmittelbar im Gerichtssaal dann nicht erspart. Der Zeuge soll sich in dem abgesonderten Vernehmungsraum nicht isoliert und ausgegrenzt fühlen. Er soll die Chance haben, in einer persönlichen, nicht durch technische Barrieren gestörten Gesprächsatmosphäre Auskunft zu geben 25o . Diesen Zielen kann die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Erste Prozesserfahrungen über den Einsatz mit audiovisuellen Techniken weisen Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 358. Hervorhebung durch die Autorin. 249 Keiser erweitert nur die rechtlichen Möglichkeiten zur Durchführung einer kommissarischen Vernehmung im Stadium der Hauptverhandlung. Soweit Keiser zusätzlich die Videotechnik bei einer kommissarischen Vernehmung des kindlichen Zeugen zum Einsatz bringen will, geht es ihr zunächst nur darum, die Anwesenheits- und Teilnahmerechte der übrigen Verfahrensbeteiligten ähnlich der für das Ermittlungsverfahren in § 168 e StPO getroffenen Lösung auf eine Teilnahme aus der Distanz zu beschränken, Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 358 f. 250 Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 191 f.; SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998,533, KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 5. 247

248

14 Swoboda

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

darauf hin, dass - anders als die Regierungsparteien bei der Beratung des Gesetzesentwurfs noch etwas euphorisch vermuteten 251 - nicht jedes Kind und auch nicht jeder Erwachsene in der Lage ist, unbefangen mit den neuen Medien umzugehen 252 • Ein weiterer Vorteil der kommissarischen Vernehmung innerhalb der Hauptverhandlung wird im Rechtsverkehr mit ausländischen Staaten hervortreten. Die in § 247 a StPO vorgegebene Konzeption einer Befragung des Zeugen unmittelbar aus dem Gerichtssaal heraus ist für den Aufenthaltsstaat des Zeugen nichts anderes als eine Eingriff in seine Hoheitsgewalt 253 . Einem Rechtshilfeersuchen auf Gestattung einer Videokonferenz kann der ersuchte Staat den Einwand der Verletzung seiner Souveränität entgegensetzen 254 , soweit keine spezielle zwischenstaatliche Übereinkunft die internationale Videokonferenz in der Form des § 247 a StPO regelt 255 . Sagt der ersuchte Staat die Videokonferenz nur unter der Bedingung zu, die Vernehmung des Zeugen durch einen eigenen Richter durchführen zu lassen, könnte eine entsprechende Delegationsbefugnis im Rahmen des § 247 a StPO durchaus von Nutzen sein. Zumindest wäre die Zeugenvernehmung durch den kommissarischen Richter dann immer noch eine Vernehmung im Rahmen der Hauptverhandlung 256 . Ohne die entsprechende Delegationsbefugnis aber scheitert die Videokonferenz. Eine Vernehmung unmittelbar in der Hauptverhandlung kann nicht stattfinden. Es bleibt nur der herkömmliche Weg über die kommissarische Vernehmung durch einen Richter des ersuchten Landes oder einen deutschen Konsularbeamten, deren Ergebnisse später als Protokoll, möglicherweise auch als Videoaufzeichnung über §§ 251, 255 a StPO in die Hauptverhandlung eingeführt werden können 257 . Die gesuchte gesetzliche Regelung muss bei Kombination von Hauptverhandlung und kommissarischer Vernehmung die Kompetenzen des Vorsitzenden und des ersuchten Richters zueinander in der Form abgrenzen, dass BT-Drs. 13/7165, S. 10 und 13/9063, S. 5. Erfahrungsberichte bei von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 276 f. 253 Vassilaki, JZ 2000, 474 f., dazu genauer Kapitel C.2.c)bb).(3). 254 Vgl. nur Art. 2 (b) EuRHÜbk vom 20. April 1959 oder Art. 7 Abs. 15 VNSuchtstoffübereinkommen 1988. 255 Z.B. Art. 10 EuRHÜbk vom 29. Mai 2000; ABI. C 197/00, S. 8 f. 256 Janovsky, Kriminalistik 1998, 454. 257 Eine Videoaufzeichnung wird natürlich nur dann in Frage kommen, wenn das Recht des ersuchten Staates dies für eine Zeugen vernehmung - mit oder ohne Einverständnis des Zeugen - auch vorsieht. Der ersuchte Staat ist nur insoweit zur Rechtshilfehandlung befugt, als sein Handeln durch Ermächtigungsgrundlage legitimiert ist, Vassilaki, JZ 2000, 475; Markees, ZStR 89 (1973), 232 f.; Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 74 ff.; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 38. 251

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B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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dem kommissarischem Richter zwar die Leitung der Vernehmung obliegt, er zugleich aber auch die aus dem "Off' gestellten Zusatzfragen mitberücksichtigen muss. Ferner müssen die Befugnisse des vorsitzenden Richters in der Hauptverhandlung um Delegationsbefugnisse erweitert werden. Außerdem sind die Voraussetzungen der kommissarischen Vernehmung den Tatbestandsanforderungen des § 247 a S. 1 StPO in beiden Alternativen anzupassen. Ausgehend von den bisher erarbeiteten Vorschlägen 258 könnte eine Regelung in § 247 a V-StPO wie folgt aussehen: § 247 a V -StPO (2. Fassung) (1) 1 Ist bei einer Vernehmung einer Person unter sechzehn Jahren als Zeuge ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, und kann der Nachteil nicht in anderer Weise, namentlich durch eine Entfernung des Angeklagten oder den Ausschluss der Öffentlichkeit abgewendet werden, so kann das Gericht anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2 Besteht bei Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für deren Wohl und kann sie nicht in anderer, namentlich in der in Satz 1 genannten Weise abgewendet werden, so kann das Gerichts ebenfalls anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 3 Die Vernehmung wird in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen.

(2) Eine Anordnung nach Abs. 1 ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. (3) In den in den Abs. 1 und 2 genannten Fällen kann die Befragung auch durch einen ersuchten Richter vorgenommen werden.

Die kommissarische Vernehmung ist über § 247 a Abs. 3 V-StPO allen Tatbestandsvarianten des § 247 a V-StPO zugänglich. Das Gericht hat sich bei seiner Entscheidung, ob es die Befragung unmittelbar aus dem Gerichtssaal oder durch den ersuchten Richter vornehmen lassen will, daran zu orientieren, mit welcher Form der Vernehmung der Erforschung der Wahrheit und den Verteidigungsinteressen am besten Rechnung getragen werden kann. Ein ersuchter Richter sollte nur dann hinzugezogen werden, wenn zu befürchten ist, dass die Aussagetüchtigkeit des Zeugen unter der fehlenden persönlichen Gesprächsatmosphäre leidet259 •

258 Zu den vorgeschlagenen Veränderungen des geltenden § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO auf der Tatbestandsseite in Kapitel B.l.d). 259 So auch Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 56 (Fn. 168). 14*

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

dd) Zusammenfassung Eine unmittelbare Verknüpfung von kommissarischer Vernehmung und Hauptverhandlung über videotechnische Elemente ist auf der Grundlage des geltenden Rechts nicht möglich. Entgegen steht VOr allen Dingen die Gesetzessystematik, der momentan eine Verknüpfung dieser unterschiedlichen Rechtsinstitute fremd ist. Außerdem sind die Voraussetzungen des § 223 StPO für eine Kombination im Bedarfsfall zu streng. Um aber die Vorteile einer videovermittelten kommissarischen Vernehmung in der Hauptverhandlung bei denjenigen Zeugen nutzen zu können, denen eine Aussage in die Kamera schwer fällt, sollte § 247 a StPO um die Möglichkeit der Delegation von Befragungsbefugnissen an einen ersuchten Richter erweitert werden. Die Wechselseitigkeit der Bild-Ton-Übertragung ist sicherzustellen, soweit dies nicht den Zeuge irritiert oder in anderer Weise in seiner Aussagetüchtigkeit beeinträchtigt. c) Simultanübertragung einer kommissarischen Vernehmung

außerhalb der Hauptverhandlung

aa) Analogieschluss zu § 247 a StPO Weit weniger problematisch als die Frage einer unmittelbaren Verknüpfung von kommissarischer Vernehmung und Hauptverhandlung ist die Idee, im Rahmen einer kommissarischen Vernehmung nach § 223 StPO die Teilnahmerechte der ZUr Anwesenheit befugten Personen mittels Videosimultanübertragung einzuschränken26o . Egal, ob man nun gesetzessystematisch die kommissarische Vernehmung als Vorwegnahme eines Teils der Hauptverhandlung 261 oder auch nur als Vorbereitung 262 der dortigen Beweisaufnahme begreift, die Teilnahmerechte der Verfahrensbeteiligten können bei der kommissarischen Vernehmung auf keinen Fall den Konfrontations- und Fragerechten unmittelbar in der Hauptverhandlung überlegen sein. Systematisch bedeutet dies, dass dort, wo in der Hauptverhandlung eine Vernehmung nach § 247 a StPO in Betracht käme, auch die kommissarische Vernehmung in dieser Form stattfinden darf. Für andere zeugenschützende Maßnahmen, wie etwa die Entfernung des Angeklagten oder die Geheimhaltung des Wohn- und Aufenthaltsortes sowie der Zeugenidentität, ist 260 Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 358 f.; Helmig, Videotechnik zum Schutz des Zeugen, S. 81 ff.; K/M-G, § 223, Rn. 20. 261 KK-Tolksdorf, § 223, Rn. 1; Schellenberg, NStZ 1993, 373, K/M-G, § 223, Rn. 1; BGHSt. 9, 24 (27). 262 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 1; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 370; KMR-Paulus, § 223, Rn. 2.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. I Hs. 1 StPO

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dies bereits de lege lata anerkannt 263 . Für § 247 a StPO kann nichts anderes gelten 264 • Sind die Anforderungen des § 223 StPO für eine kommissarische Vernehmung erfüllt und zusätzlich auch die in § 247 a StPO genannten Voraussetzungen an eine Gefahrdung des Zeugenwohls bzw. an eine Verhinderung des Zeugen gegeben, dann kann die kommissarische Vernehmung in der Form stattfinden, dass sich nur der beauftragte oder ersuchte Richter bei der zu vernehmenden Person befindet. Die Vernehmung wird in Bildund Ton in einen anderen Raum übertragen, von dem aus die übrigen Anwesenheitsberechtigten ihre Mitwirkungsrechte wahrnehmen können.

bb) Ausweitung der Übertragungsmöglichkeiten zum Vorteil des Angeklagten Unabhängig von zeugenschützenden Zielsetzungen kann die Simultanübertragung gerade dem Beschuldigten noch weit größere Dienste leisten. Zu überlegen wäre, ob nicht auch der inhaftierte und verteidigte Angeklagte in die Lage versetzt werden sollte, über eine Videosimultanübertragung aus der Haftanstalt heraus die Vernehmung des Zeugen mitzuverfolgen. Diese Vorgehensweise ähnelt sehr dem italienischen Modell, das den unter dem Verdacht organisiert krimineller Tätigkeiten inhaftierten Beschuldigten per Bildschirm in die eigene Hauptverhandlung zuschaltet265 . Bei § 223 StPO sollen aber nur die Mitwirkungsrechte des Beschuldigten bei der vorbereitenden Beweiserhebung gesichert werden. Gemäß § 224 Abs. 2 StPO hat der nicht in Freiheit befindliche, verteidigte Angeklagte keinen Anspruch auf Anwesenheit bei Terminen, die nicht an der Gerichtsstelle des Ortes abgehalten werden, wo er in Haft ist 266 . Sein Anspruch auf rechtliches Gehör wird durch den Verteidiger ausgeübt. 263 AK-Keller, § 223, Rn. 16; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 32 für § 68 StPO, Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 84; K/M-G, § 223, Rn. 20 f.; KK-Tolksdorf, § 223, Rn. 2 und KK-Diemer, § 247, Rn. 18; zu dem Problemkreis auch Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 358 (auch Fn. 1391).

264 Der Einwand, für eine Vernehmung außerhalb der Hauptverhandlung selbst würde bereits § 168 e StPO eingreifen, trägt im Übrigen nicht, denn die kommissarische Vernehmung bildet "ihrem Wesen nach" einen Teil der Hauptverhandlung und muss deswegen auch den in der Hauptverhandlung geltenden Regelungen soweit wie möglich unterworfen werden; K/M-G, § 223, Rn. 20; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 5; Helmig, Videotechnik zum Schutz des Zeugen, S. 81 ff; a.A. Rieß, StraFo 1999, 7 (Fn. 105); SK-Wolter, § 168 e, Rn. 31, 42; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 3. 265 Beschreibung des italienischen Strafprozesses im 2. Teil, Kapitel D.7. 266 Das gilt schon bei Terminen außerhalb des Gerichtsgebäudes, BGHSt 1, 269 (271).

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Eine Praxis, die durchaus mit Straßburger Urteilen zum Konfrontationsund Fragerecht des Beschuldigten nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK in Einklang steht, denn der EGMR unterscheidet hier gerade nicht zwischen einer Befragung durch den Beschuldigten selbst oder nur durch dessen Verteidiger267 . Eine einmalige Befragungsmöglichkeit, die allein der Verteidiger nutzen konnte, genügt demnach, sofern auch das übrige Verfahren als Ganzes dem Gebot der Fairness entspricht268 . Unzweifelhaft aber kann der Verteidiger die Rechte des Angeklagten bei einer einmaligen Befragung weit effektiver ausüben, wenn er mit diesem ständig Rücksprache halten kann und außerdem der Angeklagte über den Stand der Dinge auf dem Laufenden ist. Ist also, wie bei einer Vernehmung unter den Voraussetzungen des § 223 Abs. I StPO, absehbar, dass der Zeuge für die Hauptverhandlung oder eine Konfrontation mit dem Angeklagten nicht zur Verfügung stehen wird, dann darf keine Möglichkeit, dem Angeklagten mehr Gehör zu verschaffen, unerörtert bleiben. Mitunter genügt eine einzige Befragung auch nicht, um das Fragerecht effektiv wahrzunehmen. So z. B., wenn sich erst im Laufe der Vernehmung Gesichtspunkte ergeben, von denen weder der Angeklagte noch der Verteidiger zuvor Kenntnis hatten und die eine Erwiderung des Verteidigers ohne vorherige Rücksprache mit dem Angeklagten nicht erlauben. Gollwitzer269 erkennt in diesem Zusammenhang zu Recht die Notwendigkeit an, nach erfolgter Rücksprache zwischen Angeklagtem und Verteidiger den Zeugen erneut kommissarisch vernehmen zu lassen. Anders ist die optimale Sachaufklärung nicht zu gewährleisten. Auch eine videotechnische Zuschaltung des Angeklagten in die kommissarische Vernehmung würde eine kontradiktorische Erörterung aller Beweise ermöglichen. Verteidiger und Angeklagter würden miteinander telefonisch oder in anderer geeigneter Form in Verbindung treten. Bei eventuellen Widersprüchen oder Fragen des Angeklagten kann der Verteidiger sofort tätig werden, die Aussage hinterfragen oder widerlegen. Die Vernehmungssituation wird so an die einer Befragung im Beisein aller Verfahrensbeteiligten angenähert. 267 In Anlehnung an den Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK: "Fragen an den Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen" (Hervorhebungen durch die Autorin). 268 Ständige Rechtsprechung, vgl. EGMR [Kostovski v. Niederlande], StV 1990, 482; Windisch v. Österreich], StV 1991, 194; [Lüdi v. Schweiz], EuGRZ, 1992, 301 f.; [Doorson v. Niederlande], ÖJZ 1996, 715; [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997, 619; dazu WattenbergIViolet. StV 1997, 621; [A.M. v. Italien], StraFo 2000,374. 269 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, Art. 6 EMRK, Rn. 221 m. w. N.; Peukert in EMRK, Artikel 6, Rn. 201.

B. Die "Gefahrdungsalternative", § 247 a S. I Hs. 1 StPO

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Für die Sachaufklärung ist das nur zu begrüßen. Auch die technischen Voraussetzungen ließen sich leicht schaffen. Zum einen hat die Mehrzahl der Länder mobile Ausrüstungen angeschafft, die sich auch zur Übertragung auf größere Distanz eignen, zum anderen können Anlagen angemietet werden27o . Außerdem wird es sich im Zuge internationaler Zusammenarbeit bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität mehr und mehr lohnen, die ein oder andere Haftanstalt mit fest installierten Anlagen auszurüsten. Auf Rechtshilfebasis könnten dann von dort aus Inhaftierte auch in ausländische Verfahren zugeschaltet werden 271 • Eine entsprechende Gesetzesgrundlage ließe sich wie folgt in § 224 Abs. 2 StPO einfügen: § 224 Abs. 2 V -StPO (2) 1 Hat ein nicht in Freiheit befindlicher Angeklagter einen Verteidiger, so steht ihm eine Anspruch auf Anwesenheit nur bei solchen Terminen zu, die an der Gerichtsstelle des Ortes abgehalten werden, wo er in Haft ist. 2 Ist zu besorgen, dass der Zeuge für weitere Vernehmungen nicht zur Verfügung steht, und ist erkennbar, dass eine persönliche Mitwirkung des Angeklagten zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist, dann soll die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton dem Angeklagten übertragen werden. 3 Eine Kommunikationsmöglichkeit zwischen Angeklagtem und Verteidigung ist mit geeigneten technischen Mitteln zu gewährleisten.

Die audiovisuelle Vernehmungsübertragung zur Wahrung der Mitwirkungsinteressen des Angeklagten ist an zwei kumulative Voraussetzungen geknüpft. Zum einen soll erkennbar sein, dass eine bloße Wiederholung der kommissarischen Vernehmung nach erfolgter Rücksprache zwischen Angeklagtem und Verteidiger mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in Frage kommt. Zum anderen muss aus den Umständen des Einzelfalls zu erwarten sein, dass die Teilnahme des Verteidigers alleine zur Ausräumung aller Unklarheiten oder zur Prüfung der Zeugenangaben nicht genügt. Eine Zuschaltung des Angeklagten kann dagegen unterbleiben, wenn aufgrund ausführlicher Vorermittlungen und ausreichender Information der Verteidigung damit zu rechnen ist, dass der Verteidiger ohne weitere Rücksprache die Mitwirkungsrechte des Beschuldigten wahrnehmen kann. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht den ihm vorliegenden Erkenntnisstand zu berücksichtigen. Mit einzubeziehen sind vor allem die InformaLänderberichte im 2. Teil, Kapitel E. Spätestens mit Inkrafttreten des Art. 10 EuRHÜbk vom 29.05.2000 wird sich die Frage nach geeigneten, vor allem auch nach sicheren Einrichtungen stellen, mit denen innereuropäisch Rechtshilfe geleistet werden kann. Übrigens kann diese Vernehmung auch für einen in Deutschland inhaftierten Beschuldigten eines ausländischen Verfahrens in Betracht kommen. Gemäß Art. 10 Abs. 9 EuRHÜbk setzt die Videovernehmung des Beschuldigten allerdings sein Einverständnis und eine gesonderte Vereinbarung der beteiligten Staaten voraus. 270 271

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

tionen, die über den Zeugen und die in Frage stehenden Ereignisse bereits vorliegen. Zu beachten ist auch, in welchem Umfang die Verteidigung zur Akteneinsicht in der Lage war und inwieweit sie sich zusammen mit dem Angeklagten auf die Vernehmung vorbereiten konnte. In der Interessenlage gleicht § 224 Abs. 2 V-StPO sehr der des § 247 V-StPO, der dem ausgeschlossenen Angeklagten in der Hauptverhandlung die Möglichkeit gibt, das Geschehen im Sitzungssaal am Monitor mitzuverfolgen 272 . Beide Vorschriften stärken die Informations- und Mitwirkungsrechte des Angeklagten bei der Beweiserhebung. Nur kann bei § 224 Abs. 2 V-StPO zu beachten sein, dass es eine weitere Chance, den Zeugen zu vernehmen, vielleicht nicht gibt, also Unklarheiten und Widersprüche nur bei dieser einen Befragung aus der Welt geschafft werden können. ce) Zusammenfassung

Eine kommissarische Vernehmung nach §§ 223, 224 StPO kann unter analoger Anwendung des § 247 a StPO derart gestaltet werden, dass die zur Anwesenheit berechtigten und erschienen Verfahrensbeteiligten die Vernehmung aus einem anderen Raum heraus über Bild- und Tonübertragung verfolgen. Über eine geeignete Verbindung zwischen den Beteiligten und der Vernehmungsperson ist zu gewährleisten, dass Zusatzfragen, Anmerkungen und Beanstandungen dem Vernehmenden übermittelt und über diesen in die Befragung einfließen können. Zu begrüßen wäre auch eine Erweiterung bereits bestehender Übertragungsmöglichkeiten. Sind Mitwirkungsrechte des Angeklagten gemäß § 224 Abs. 2 StPO aufgrund seiner Inhaftierung beschränkt und ist seine ausreichende Vertretung durch den Verteidiger nach den Umständen des Einzelfalles zweifelhaft, muss eine Teilnahme auf Distanz in Betracht gezogen werden. § 224 Abs. 2 StPO ist entsprechend zu ergänzen.

5. Ausschluss der Revision nach § 247 a S. 2 StPO Vieles in der bisher zum geltenden § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO geäußerten Kritik hat auch der Gesetzgeber erkannt. Die Komplexität der Voraussetzungen und der systematischen Fragen, die mit der Subsidiarität der Vorschrift verbunden sind, hat ihn dazu bewogen, in § 247 a S. 2 StPO die Unanfechtbarkeit der gerichtlichen Entscheidung anzuordnen. Von seinem erklärten Ziel, Verfahrens verzögerungen und Unsicherheiten im Prozess zu vermeiden und im Interesse des Zeugenschutzes einem allzu zurückhalten272

Zum Wortlaut des § 247 V-StPO S. Kapitel B.2.c).

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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den Einsatz der neuen Medien entgegenzuwirken273 , ist er allerdings noch weit entfernt. Dies nicht zuletzt deswegen, weil über die Reichweite des Anfechtungsausschlusses allein weit mehr Unklarheit herrscht, als über den Tatbestand selbst. Klärende Rechtsprechung speziell zu den Voraussetzungen des geltenden § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO gibt es nicht. Die bereits ergangenen Entscheidungen des BGH befassten sich mehrheitlich mit der Vernehmung im Ausland befindlicher Zeugen, insgesamt also mit der Gesetzesgrundlage des § 247 a S. 1 Hs. 2 StP0274 . Viele der dort geäußerten allgemeinen Erwägungen lassen sich zwar auch auf die erste Alternative des § 247 a S. 1 StPO übertragen, doch auch sie behandeln nur Teilausschnitte der Anfechtungs- und Revisionsproblematik. In der Literatur, soweit sie sich überhaupt mit dem Anfechtungsausschluss eingehender befasst hat, findet sich vor allem Uneinigkeit. Uneinigkeit darüber, inwieweit und ob überhaupt die Möglichkeit einer Aufklärungsrüge durch den Anfechtungsausschluss berührt wird und wie das Verhältnis zu anderen, für sich uneingeschränkt anfechtbaren Normen beschaffen sein muss, um auch hier eine Anfechtung bzw. Revision ausschließen zu können 275 . Die verschiedenen Lösungsansätze und ihre Problematik sollen im Folgenden dargestellt werden. a) Ausschluss der Anfechtungsmöglichkeiten des Zeugen Diemer bemerkt berechtigt, dass dem gesetzgeberischen Ziel einer Verfahrensbeschleunigung unmittelbar in der Hauptverhandlung der Ausschluss der Beschwerderechte des Zeugen gemäß § 304 Abs. 2, 305 S. 2 StPO genügt hätte 276 .

Für die übrigen Verfahrensbeteiligten schließt § 305 S. 1 StPO ohnehin jegliche Beschwerdemöglichkeit während des laufenden Verfahrens aus, soweit Entscheidungen betroffen sind, die der Urteilsfällung vorausgehen. Für sie stellt die Strafprozessordnung mit der Revision ein anderes Mittel der Überprüfung bereit277 . Gemäß § 336 S. 1 StPO erstreckt sich die Beurteilung des Revisionsgerichts auch auf die Entscheidungen, die dem Urteil BT-Drs. 13/7165, S. 10. Vgl. BGHSt. 45, 188; 46, 73 m. Anm. Sinn, JZ 2001, 51; BGH, StV 2000, 345; § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO war Grundlage der Entscheidung BGH, NStZ 2001, 160. 275 Überblick über die Problemlage bei Rieß. StraFo 1999, 7. 276 Diemer, StraFo 2000, 217; ders., NJW 1999, 1671. 277 Entsprechend kann § 305 S. 1 StPO auch nur dann gelten, wenn das Urteil tatsächlich anfechtbar ist, OLG Hamm, NStZ 1986, 328. 273

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

vorausgegangen sind und auf denen das Urteil beruht. Eine Prozessverzögerung während der Hauptverhandlung kann also ohnehin nur durch Anfechtungen von dritter Seite bewirkt werden. Der Anfechtungsausschluss des § 247 a S. 2 StPO versagt dem Zeugen, sowohl gegen den anordnenden als auch gegen den ablehnenden Beschluss ein Rechtsmittel einzulegen. Eine Verfahrensverzögerung von seiner Seite ist damit ausgeschlossen 278 . Soweit die ablehnende Entscheidung des Gerichts in Frage steht, birgt dieser Ausschluss von Anfechtungsmöglichkeiten für den Zeugen natürlich die Gefahr, dass sich das Gericht im Zweifelsfall gegen einen Zeugen schutz entscheidet und damit auf Kosten des Zeugen den Weg des geringsten Widerstandes geht. Ein solches Ergebnis liefe den Interessen des Zeugenschutzgesetzes diametral entgegen. Vorsicht ist also geboten, will man nicht unter dem Vorwand der Verfahrensbeschleunigung den in § 247 a StPO angelegten Zeugenschutz verkürzen. b) Ausschluss der Revisionsmöglichkeiten, §§ 247 a S. 2, 336 S. 2 StPO

Um tatsächlich einen effektiven und nicht nur zögerlichen Einsatz der Videotechnik zu gewährleisten, muss dem Gesetzgeber bei Schaffung des Ausschlussklausel in § 247 a S. 2 StPO mehr als nur eine Verkürzung der Beschwerdemöglichkeiten des Zeugen vorgeschwebt haben. Mithin muss auch den übrigen Verfahrensbeteiligten der Weg zur Anfechtung versagt werden, will man nicht in den bereits bei § 247 StPO kritisierten Zustand einseitiger Revisibilität zulasten des Zeugen geraten 279 . Orientiert hat sich der Gesetzgeber bei § 247 a S. 2 StPO an der sehr wirksamen Ausschlussregelung in § 171 b Abs. 3 GVG. § 171 b Abs. 1 GVG erlaubt den Ausschluss der Öffentlichkeit, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, Zeugen oder Verletzten zur Sprache kommen. Gemäß § 171 b Abs. 2 GVG ist die Öffentlich278 Ein Einverständnis des Zeugen mit der Videovernehmung ist ebenfalls nicht gesetzlich vorgeschrieben. Bevorzugt der zu Vernehmende also entgegen den Beschluss des Gerichts eine Vernehmung im Gerichtssaal, bleibt ihm nur die indirekte Gegenwehr. Er kann die Mitarbeit verweigern, muss dann aber mit einer Verhängung von Kosten und Ordnungsgeld gemäß § 70 Abs. I StPO rechnen. Ohne kooperatives Verhalten des Zeugen wird allerdings auch kaum eine brauchbare Aussage erlangt werden können; vgl. BT-Drs. 13/7165, S. 6. Zu § 247 a S. I Hs. I StPO ist zudem zu bemerken, dass dann, wenn der Zeuge den Zeugenschutz mittels Videotechnik nicht wünscht, i. d. R. bereits die Gefährdungsprognose negativ ausfallen muss bzw. andere zeugenschützende Vernehmungsmodalitäten den Vorrang haben. 279 Dazu im 2. Teil, Kapitel B.2.c).

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. I Hs. 1 StPO

219

keit auf Antrag des Betroffenen sogar zwingend auszuschließen. Weder die Entscheidung nach Abs. 1 noch die nach Abs. 2 ist der Anfechtung oder der Revision zugänglich, so § 171 b Abs. 3 GVG. Im Unterschied zu § 247 a StPO wird bei § 171 b GVG aber nur der Öffentlichkeitsgrundsatz eingeschränkt, d.h. ein wenn auch sensibler, so doch nicht wesensnotwendiger Aspekt des Verfahrens. Bei der räumlichen Distanzierung des Zeugen vom Ort der Verhandlung dagegen sind kritische Bereiche wie die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, das Frage- und Konfrontationsrecht des Angeklagten und nicht zuletzt auch die richterliche Beweiswürdigung betroffen. Über die Einschränkung jeglicher Anfechtungsmöglichkeit - und das bedeutet gemäß § 336 S. 2 StPO vor allem auch die fehlende Revisibilität einer gerichtlichen Anordnung nach § 247 a S. 1 StPO - wird hier eine ganz neue Eingriffsintensität erreicht. Eine rigorose Auslegung des Anfechtungsausschlusses könnte bedeuten, dass der Angeklagte trotz massiver Einschränkungen seiner Rechte und Verfahrensgarantien ohne Rechtsschutz bliebe. Das kann so nicht hingenommen werden. In welchem Umfang aber können die Anfechtungsmöglichkeiten tatsächlich beschnitten werden? In welchen Fällen ist ein Rechtsschutz entgegen § 247 a S. 2 StPO uneingeschränkt zu gewährleisten? aa) Grundsätzliches aus den Entscheidungen des BGH

Die ersten Entscheidungen des BGH zur Thematik der Videotechnik im Verfahren sind bei einer Erörterung der ersten Alternative des § 247 a S. 1 StPO nur bedingt einschlägig, befassen sie sich doch im Grunde mit den Voraussetzungen des § 247 a S. 1 Hs. 2 StP0280 und der mit dieser Alternative erweiterten "Erreichbarkeit" des Zeugen i. S. d. § 244 Abs. 3 S. 2 StP0281 . Entnehmen lässt sich diesen Entscheidungen aber ohne weiteres, dass sich der BGH trotz § 247 a S. 2 StPO nicht daran gehindert sieht, das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 247 a S. 1 StPO in vollem Umfang nachzuprüfen. Ebenso wenig fühlt er sich bei der Überprüfung von Verstößen gegen das Aufklärungsgebot nach § 244 Abs. 2 StPO eingeschränkt. Zumindest wird in verschiedenen Urteilen deutlich, dass der BGH, ausgehend von der Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung, von den Tatgerichten grundsätzliche eine Befassung mit den Möglichkeiten der Videokonferenz verlangt. BGHSt. 45, 188; 46, 73. BGHSt. 45, 188 (190 ff.); zustimmende Duttge, NStZ 2000, 158 ff.; Artkämper, NJ 2000, lOO f.; Schlothauer, StV 2000, 181; Rose, JR 2000, 78 f.; auch BGH - 1. StR., Beschluss vom 23.3.2000, StV 2000, 345. 280 281

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Eine Beweiserhebung per Videokonferenz ist immer mit zu bedenken. Andernfalls könnte die Rüge nach § 244 Abs. 2 StPO mit der Begründung durchdringen, eine per Simultanübertragung ermöglichte Vernehmung des Zeugen unmittelbar in die Hauptverhandlung hätte der Erforschung der Wahrheit bessere Dienste geleistet. Mit dieser Rüge der besseren Sachaufklärung aber beginnen bereits die Unsicherheiten. So hat sich der BGH in drei Fällen mit den Voraussetzungen des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO befasst und unter dem Gesichtspunkt der "erweiterten Erreichbarkeit" nach § 244 Abs. 3 S. 2 StPO geprüft. Einheitlich sind die Entscheidungen aber nicht ausgefallen. In den Beschlüssen vom 15. September 1999 und vom 23. März 2000 hat der 1. Strafsenat jeweils zwingend eine Befassung des Tatgerichts mit der Möglichkeit einer Videokonferenz verlangt, im zweiten Fall dann aber festgestellt, dass das Urteil nicht auf der fehlerhaften Nichtbefassung des Gerichts mit den Möglichkeiten einer Videokonferenz beruht. Die technischen Voraussetzungen für ein derartiges Vorgehen hatten in der Tschechischen Republik, dem Staat, der im Fall um Rechtshilfe ersucht worden war, nicht vorgelegen, so dass die Videovernehmung zwar rechtlich zulässig, technisch aber unmöglich zu bewerkstelligen gewesen wäre 282 . Anders nun im dritten Fall. Dort hatte der 4. Strafsenat nicht mehr auf die Pflicht zur Befassung mit den Möglichkeiten der Videokonferenz bestanden, wenn die rechtlichen Voraussetzungen des § 247 a StPO ohnehin verneint werden müssten 283 . Der 4. Senat formulierte dies so: Es bedürfe "keiner Darlegung des Gerichts, weswegen es sich mit der Verlesung nach § 251 StPO begnügt. ... Eine solche Pflicht zur Darlegung von Verfahrensvorgängen ist der Strafprozessordnung auch sonst fremd,,284. Das Vorgehen des Tatgerichts, das, ohne die Möglichkeit einer Videovernehmung überhaupt nur anzudenken, sofort die Verlesung eines bereits vorhandenen Vernehmungsprotokolls angeordnet hatte, blieb unbeanstandet. Zu Recht bemerkt Sinn 285 , dass diese Entscheidung des 4. Senates im Widerspruch zur Rechtsprechung des 1. Senates steht. Die Prüfung der Voraussetzungen des § 247 a S. 1 StPO hat in jedem Fall stattzufinden. Nur kann diese Befassung mit § 247 a StPO ergeben, dass die Voraussetzungen des Tatbestandes nicht vorliegen. In diesem Fall wäre das Urteil des Tatgerichts nicht aufzuheben, weil es nicht auf dem Verfahrensverstoß beruht (§ 337 S. 1 StPO). Das ändert aber nichts daran, dass der Mangel einer BGH, StV 2000, 345. BGHSt. 46, 73; vgl. aber auch die an der Rechtsprechung des 1. Senates orientierte Auslegung Diemers, NStZ 2001, 399. 284 BGHSt. 46, 73 (78). 285 Sinn, JZ 2001,51 f.; ebenso Albrecht, StV 2001, 366. 282 283

B. Die "Gefahrdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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Befassung mit § 247 a StPO durch das Revisionsgericht hätte beanstandet werden müssen. Festzuhalten ist damit, dass bereits innerhalb der Senate des BGH Unsicherheit über die revisionsrechtliche Prüfung des § 247 a StPO herrscht. Festzuhalten ist aber auch, dass der BGH das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen umfassend nachzuvollziehen sucht. Das ist bereits deswegen verständlich, weil § 247 a StPO in beiden Alternativen eine Durchbrechung des in § 250 S. 1 StPO festgehaltenen Unmiuelbarkeitsgrundsatzes darstellt. Sind die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nicht gegeben, dann wäre jeder Rückgriff des auf § 247 a StPO eine Verletzung des § 250 StP0286 . Die Durchbrechung des UnmiUelbarkeitsgrundsatzes wäre mithin ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Ein Anfechtungsausschluss kann dann nicht mehr gelten. Schwieriger nun, was die Möglichkeiten einer Verletzung des Aufklärungsgebots nach § 244 Abs. 2 StPO betrifft. Bisher diente in allen Fällen nicht § 247 a StPO selbst, sondern § 244 Abs. 3 S. 2 StPO dem BGH als Einstieg in seine revisionsgerichtliche Prüfung. Bereits das zeigt, dass das Revisionsgericht trotz des ausdrücklichen Anfechtungsausschlusses eine Aufklärungsrüge grundSätzlich nicht abweist. Sie wird in der Mehrzahl der Fälle sogar zum "Aufhänger" der Revisionsprüfung. Bisher allerdings sind in der Rechtsprechung nur wenige Fallgruppen zutage getreten, in denen die Aufklärungsrüge auch mit Erfolg geltend gemacht werden kann. Bemüht werden kann die Aufklärungsrüge in jedem Fall, sobald es das Gericht zur Gänze unterlässt, sich mit der Möglichkeit einer Videokonferenz in der Hauptverhandlung zu befassen. Dies gilt ganz besonders, wenn nur die Videotechnik den Zeugen i. S. d. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO für die Hauptverhandlung überhaupt erreichbar machen kann. Das wurde bisher nur im Zusammenhang mit Auskunftspersonen, denen ein körperliches Erscheinen im Gerichtssaal i. S. v. § 251 StPO nicht möglich war, entschieden. Übertragen lässt es sich aber auch auf den Fall derjenigen Auskunftsperson, die aufgrund zu großer Belastung im Gerichtssaal nicht mehr zu einer verwertbaren Aussage fähig ist, mithin den Paradefall des § 247 a S. I Hs. 1 StPO. Ablehnung oder Anordnung der Videokonferenz sind in einem Beschluss zu verdeutlichen. Allerdings wird dieser Beschluss wohl mit einer Entscheidung nach § 251 StPO, d.h. mit einer Anordnung einer Protokollverlesung, zusammenfallen können 287 . Es muss nur offenkundig werden, dass das Gericht die Möglichkeit des § 247 a StPO nicht vollkommen übersehen hat288 • 286

Rn. 9.

Diemer, NJW 1999, 1670 f.; Leitner, StraFo 1999,48; KMR-Lesch, § 247 a,

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Inwieweit aber beispielsweise gerügt werden könnte, der Zeuge hätte bei einer zeugenschonenden Videovernehmung detaillierter und konsistenter aussagen und somit mehr zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können, bleibt auch in der Rechtsprechung des BGH ungeklärt. Gelöst wurden in den bisherigen Entscheidungen tatsächlich nur grundsätzliche Fragen. Die Urteile geben aber weder Aufschluss über den Umfang des in § 247 a S. 2 StPO normierten Anfechtungsausschlusses, noch stehen die Entscheidungen untereinander in Einklang. Die Hauptlast der Gesetzesinterpretation trägt damit die Literatur.

bb) Der" teleologische" Ansatz Schlüchters Schlüchter grenzt den Geltungsbereich der Ausschlussklausel teleologisch ein. Die Unanfechtbarkeit einer Entscheidung nach § 247 a S. 1 StPO sei kein Freibrief für sonstige Rechtsverstöße 289 . Die Aufklärungsrüge wird bei Verletzung des in § 244 Abs. 2 StPO normierten Gebotes zur bestmöglichen Sachaufklärung gewährleistet. Dies gilt in jedem Fall dann, wenn sich das Gericht mit dem schlechteren Beweissurrogat der Protokollverlesung anstelle einer simultan übertragenen Vernehmung des Originalbeweismittels zufrieden gibt. Geht es dagegen um die Entscheidung, ob der Zeuge unmittelbar im Sitzungssaal oder außerhalb vernommen werden soll, so differenziert Schlüchter. Um dem Zeugenschutz grundsätzlich den Vorrang zu geben, wird in der Revision immer die anordnende Entscheidung bevorzugt. Lehnt das Gericht zulasten des Zeugen eine Videosimultanübertragung ab, ist nach Schlüchter eine Anfechtung mit der Aufklärungsrüge möglich. Entscheidet sich das Gericht dagegen für eine audiovisuelle Vernehmungsübertragung anstelle der persönlich unmittelbaren Vernehmung im Gerichtssaal, dann ist die Aufklärungsrüge durch § 247 a S. 2 StPO ausgeschlossen. Zeugenschützende Gesichtspunkte stehen ihr entgegen. Schlüchter nimmt die Intention des Gesetzgebers also ernst. Eine stärkere Gewichtung des Zeugenschutzes in der Revision soll die Gerichte zu mehr als nur einem zögerlichen Rückgriff auf die neuen Medien animieren.

287 Gollwitzer möchte einen konkludenten Beschluss genügen lassen, Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 31. 288 Entgegen dem, was der 4. Senat in BGHSt. 46, 73 (78) zur Darlegungspflicht bzgl. Verfahrensvorgängen geäußert ist festzustellen, dass das Gericht zumindest mit einem Satz bekunden muss, dass es die Möglichkeit des § 247 a StPO gesehen und verworfen hat; Albrecht, StV 2001, 366; Diemer, NStZ 2001, 399. 289 SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 25.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. I Hs. 1 StPO

223

Die Grenze liegt für Schlüchter aber dort, wo Belange der Wahrheitsermittlung drohen, generell den Interessen des Zeugen untergeordnet zu werden. Ziel ist die Harmonisierung beider Interessen, wobei es im Einzelfall dem Tatgericht überlassen bleibt, ob es bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 247 a S. 1 StPO die Belange der Wahrheitsfindung höher einstuft als die des Zeugenschutzes oder umgekehrt. Der Anfechtungsausschluss bezieht sich mithin nur auf dieses begrenzte Ermessen des Gerichts, welches Interesse im Einzelfall Vorrang erhalten soll. Weder die Aufklärungsrüge, noch die Rüge der unzulässigen Beschränkung von Verteidigungsrechten gemäß § 338 Nr. 8 StPO darf diesen Ermessensfreiraum zur Überprüfung stellen29o . Anfechtbar bleiben aber sonstige Rechtsfehler der Anordnung, etwa das Fehlen eines Anordnungsbeschlusses, die fehlerhafte Subsumtion unter die Voraussetzungen oder eine mangelhaft Simultanübertragung. Außerdem ist die Verletzung weiterer Vorschriften vollständig revisibel. Folgt man Schlüchters Zielorientierung zu Gunsten des Zeugenschutzes, so sollte eine Revision mit der Begründung, der Zeuge hätte bei unmittelbar persönlicher Vernehmung im Sitzungssaal mehr zur Sachaufklärung beigetragen, ausgeschlossen sein. Zulässig wäre dagegen, wenn gerügt würde, der Zeuge hätte bei Anordnung zeugen schonender Maßnahmen konsistenter, besser ausgesagt. Zweifelsohne würden die Gerichte so zu Entscheidungen zu Gunsten der Videotechnik animiert. Trotzdem ist dieses Ergebnis fragwürdig. Hier werden Aufklärungsrügen je nach Zielsetzung unterschiedlich behandelt. Zeugenschutz wird allen anderen Interessen undifferenziert übergeordnet. Dies verwundert auch deswegen, weil das sog. "Zeugenschutzgesetz" nach bisherigen Feststellungen mehr dazu geeignet ist, die Sachaufklärung voranzutreiben, und erst in zweiter Linie auch den Zeugen schont. Zeugenschutz ist außerdem kein eigenständiges Ziel des Strafverfahrens 291 . Der Angeklagte, der anerkanntermaßen das meiste zu verlieren hat292 , und die Erforschung der Wahrheit stehen im Mittelpunkt. Eine Aufklärungsrüge kann also nicht je nach zeugenschutzbezogener Gefälligkeit einmal zulässig sein und einmal nicht293 . SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 25; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 22. Rieß, Opfer- und Zeugen schutz in Missbrauchsverfahren, S. 125. 292 Weigend, Opferzeugen und Strafverfahren, S. 425 ff.; Rieß, Gutachten C zum 55. DJT, S. 54. 293 Gegen eine revisionsrechtlich Asymmetrie wendet sich auch Rieß, allerdings kommt dieser zu einem den Ansichten Schlüchters diametral entgegengesetzten Ergebnis, was die mit der AufklärungsfÜge geltend zu machenden Verstöße anbelangt. 290 291

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Schlüchter erkennt das selbst, wenn sie sagt, die Wahrheitsennittlung dürfe nicht den zeugen schützenden Zielen des § 247 a StPO untergeordnet werden. Alles, was die bloße Harmonisierung von Zeugen schutz und Wahrheitsfindung durch das gerichtliche Ennessen übersteigt, muss der Aufklärungsrüge zugänglich sein. Damit aber bleibt letztlich unklar, wann der Grad bloßer Harmonisierung überschritten ist.

Der teleologische Ausgangspunkt lässt - trotz stimmiger Ansätze - für die Praxis zu viele Fragen offen. Ein Überblick über die weitere Literatur soll nun Aufschluss geben, ob zumindest in Einzelfällen klarere Anleitungen gegeben werden können. cc) Ausschnitte aus der Literatur zum Problemkreis des Anfechtungsausschlusses

Einigkeit besteht darüber, dass ein rechtswidriger Anordnungsbeschluss anfechtbar sein muss 294 . Das gilt sowohl für den Fall, dass falsch unter die Voraussetzungen des § 247 a StPO subsumiert wurde, als auch für den Fall, dass das Gericht die Anordnung auf andere als die im Tatbestand festgelegten Gründe gestützt, etwa darauf, der Zeuge werde bei einer Aussage im Sitzungssaal nicht die Wahrheit sagen295 . Die Begründung ist einfach. Nur die Voraussetzungen des § 247 a StPO legitimieren eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 250 S. I StPO. Liegen sie nicht vor, ist jedes Abgehen vom Prinzip der unmittelbar persönlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung rechtlich fehlerhaft296 . Außerdem ist jede Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz eng auszulegen297 . Dem Gericht verbleibt bei der Subsumtion unter die Nonn nicht viel Spielraum. Entsprechend eng ist natürlich dann auch der Freiraum, den die Ausschlussklausel des § 247 a S. 2 StPO schafft. Der Anfechtungsausschluss gilt nach allgemeiner Ansicht auch dann nicht, wenn die Simultanübertragung ohne jeden gerichtlichen AnordnungsSo soll nach seinen Überlegungen mit der Revision gerade nicht angefochten werden können, dass das Gericht von der Anwendung des § 247 a StPO abgesehen und statt dessen die persönliche Vernehmung durchgeführt hat; Rieß, StraFo 1999, 7 (auch Fn. 100). 294 Malek, Verteidigung in der Hauptverhandlung, Rn. 354 j; Rieß, StraFo 1999, 7; Leitner, StraFo 1999,48; 295 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 32; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 22; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 1. 296 Leitner, StraFo 1999,48; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 36. 297 Diemer, NJW 1999, 1669, 1671; BT-Drs. 13/7165, S. 5; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 9.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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beschluss stattfindet, denn in diesem Fall gibt es keine gerichtliche Entscheidung, auf die sich die Ausschlussklausel beziehen könnte 298 • Außerdem sind sich die Autoren weitgehend einig, dass die Simultanübertragung in technischer Hinsicht nicht mangelhaft sein darf299 • Insbesondere muss sie in Bild, Akustik und Gestaltung den zuvor aufgeführten Standards 300 für eine Simultanübertragung gerecht werden. Ob allerdings immer die Aufklärungsrüge bemüht werden muss, wenn technische Mängel in der Übertragung auftreten, ist zweifelhaft. Auch die Rüge eines Verstoßes gegen § 247 a S. 3 StPO, der systematisch nicht vom Anfechtungsausschluss des S. 2 erfasst wird, kann genügen30I . Allerdings ist zuzugeben, dass technische Unzulänglichkeiten regelmäßig nicht um ihrer selbst willen gerügt werden, sondern deswegen, weil sie bei der Vernehmung und der Erforschung der Wahrheit hinderlich sind. Ansonsten teilen sich bei der Frage der Aufklärungsrüge und der Rüge absoluter Revisionsgründe die Meinungen. Die Orientierung an § 171 b Abs. 3 StPO und der dazu ergangenen Rechtsprechung 302 veranlasst einige Autoren zu der Annahme, der Anfechtungsausschluss dürfe weder mit einer Rüge nach § 338 Nr. 8 StPO noch mit einer Aufklärungsrüge umgangen werden 303 . Viele freilich teilen diese Ansicht nicht. Die Mehrzahl der Stimmen bezweifelt, dass der Gesetzgeber die Revisibilität auch bei Verstößen gegen andere grundlegende Verfahrens vorschriften ausschließen wollte. Sowohl die Rüge der unzulässigen Beschränkung der Verteidigungsrechte gemäß § 338 Nr. 8 StPO als auch die Aufklärungsrüge werden nicht vollständig ausgeschlossen 304 . Die Differenzierung der Autoren ist aber unterschiedlich. Nach Schlothauer kann jede Verletzung anderer Verfahrensvorschriften außer der des § 247 a S. 1 StPO selbst in der Revision gerügt werden 30s . 298 Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 1; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 22; K/M-G, § 247 a, Rn. 13. 299 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 34; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 1; K/M-G, § 247 a, Rn. 13. 300 Dazu Kapitel B.3.a). 301 K/M-G, § 247 a, Rn. 13. 302 BGH, NStZ 1996, 243. 303 K/M-G, § 247 a, Rn. 13; allgemein Hanack in Löwe-Rosenberg, § 336, Rn. 13; gegen die Zulässigkeit speziell der Rüge absoluter RevisionsgfÜnde, darunter auch § 338 NT. 8 StPO, Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 31; für eine Grenze der Unanfechtbarkeit sobald absolute RevisionsgfÜnde betroffen werden KK-Kuckein, § 336, Rn. 13. 304 Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 1; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 22; WeiderlStaechelin, StV 1999, 53; Leitner, StraFo 1999, 48; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 36. Das gerichtliche Ermessen im Rahmen des § 247 a StPO wird durch beide Rügen eingeengt; Rieß, StraFo 1999,7.

15 Swoboda

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Die Rüge nach § 244 Abs. 2 oder 3 StPO bzw. die Rüge anderer absoluter Revisionsgründe, vor allem § 338 Nr. 8 StPO, ist demnach uneingeschränkt möglich. Schlothauer begründet dies mit guten Argumenten aus einem Vergleich der Revisionsmöglichkeiten bei einer kommissarischen Vernehmung, bei der Entfernung des Angeklagten nach § 247 S. 2 StPO und bei der Protokollverlesung nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO. All diese Vorschriften stimmen in Wortlaut und Zielsetzung partiell oder sogar in vollem Umfang mit § 247 a S. 1 StPO überein. Trotzdem sind sie uneingeschränkt anfechtbar. Eine Ungleichbehandlung des § 247 a StPO in der Revision muss aus diesem Grund verwundern 306 , insbesondere bei § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO, der nur auf die Voraussetzungen des uneingeschränkt anfechtbaren § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO verweist. Schlothauer zieht rigoros die Konsequenz, dass die Ausschlussklausel mit dem Ziel, Verfahrensverzögerungen und Unklarheiten im Verfahren vor dem Tatgericht zu vermeiden, allein die Beschwerdemöglichkeiten des Zeugen nach §§ 304 Abs. 2, 305 S. 2 StPO ausschließt. Nach Abschluss des Verfahrens wird der Anfechtungsausschluss gegenstandslos. Die Revision wird überhaupt nicht eingeschränkt, womit sich auch komplizierte Differenzierungen in der Reichweite der einzelnen Rügen erübrigen 307 .

An dieser rigorosen Schlussfolgerung fühlen sich die übrigen Autoren durch den klaren Wortlaut der Vorschrift gehindert. Doch auch sie können sich bei der Umschreibung zulässiger Aufklärungsrügen nur mit Beispielen behelfen, ohne eine allgemeine Regelung zu formulieren. So auch Rieß308. Seiner Ansicht nach soll zwar mit der Revision geltend gemacht werden können, dass sich das Gericht mit einer Protokollverlesung nach § 251 Abs. 1 StPO begnügt, obwohl eine Videokonferenz möglich gewesen wäre 309 , nicht aber, dass das Gericht von der Anwendung des § 247 a StPO absieht und den Zeugen unmittelbar persönlich im Sitzungssaal vernimmt. Anders als Rieß möchte Gollwitzer der Rüge, der Zeuge hätte anstatt per Bildschirm auch problemlos unmittelbar im Sitzungssaal vernommen werden können, aus § 336 S. 2 StPO Grenzen setzen3 \O. Den Hinweis aber, wie weit diese Einschränkungen in der Revision gehen sollen, bleibt er schuldig. Unsicher ist er sich auch bei der Frage, ob die Beanstandung, mit 305 306

307 308 309

310

Schlothauer, StV 2000, 183. Dazu ausführlich KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 36; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 16. Schlothauer, StV 2000, 182 f. Rieß, StraFo 1999, 7. Dazu BGHSt. 46, 73; Diemer, NJW 1999, 1671. Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 34.

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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einer zeugenschonenden Vernehmung per Videotechnik hätte man besseren Beweis erhalten als mit der unergiebigen Aussage des Zeugen im Gerichtssaal, mit der Aufklärungsrüge geltend gemacht werden kann 311 • Gollwitzer erkennt offensichtlich das sachaufklärende Potential zeugenschonender Vernehmungsmethoden. Schlüchters teleologischer Ansatz ist ihm allerdings fremd. Das Ziel, die Tatgerichte über eine revisionsrechtlich Asymmetrie indirekt zum Rückgriff auf die Simultanübertragung zu animieren, verfolgt er nicht. Die Zusammenschau der Meinungen in der Literatur verdeutlicht letztlich nur eines: Es herrscht absolute Unklarheit über Bedeutung und Reichweite des Anfechtungsausschlusse nach § 247 a S. 2 StPO. Die Komplikationen des Tatbestandes werden dort fortgesetzt, wo sich der Gesetzgeber Vereinfachung erhoffte. Die Schwierigkeiten beginnen bereits damit, dass den Autoren eine systematische Annäherung an die Frage des Anfechtungsausschlusses nicht gelingt. Leicht haben es da diejenigen, die entweder die Revision über die Aufklärungsrüge und die Rüge mit absoluten Revisionsgründen gänzlich für unzulässig 312 oder im gesamten Umfang für zulässig 313 erklären. Doch sind beide Extremlösungen nicht zu rechtfertigen. Die eine, weil sie mit ihrer Untersagung jeglicher Anfechtungsmöglichkeiten weder den Interessen der Wahrheitsfindung noch denen eines fairen Verfahrens gerecht werden kann, die andere, weil sie an die Wortlautgrenze der Norm stöße 14• § 247 a S. 2 StPO benutzt den Begriff der "Unanfechtbarkeit". Diese erstreckt sich eben nicht nur auf einen Ausschluss des Beschwerderechts Dritter i. S. v. §§ 204 Abs. 2, 305 S. 2 StPO sondern auch - so der ausdrückliche Wortlaut des § 336 S. 2 StPO - auf einen Ausschluss der Revision. Den extremen, wenn auch klaren Lösungswegen fehlt es also an gesetzlicher Legitimation, den vermittelnden Lösungen dagegen an einem Konzept, das sich auch mit einigen Fallbeispielen nicht ersetzen lässt. dd) Die Aufarbeitung der Problematik bei Diemer

Von allen Autoren am ausführlichsten hat sich Diemer mit den Fragen des Anfechtungsausschlusses befasst315 . Sein Verdienst ist es weniger, der 311

220.

Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 34; a.A. Diemer, StraFo 2000,

K/M-G, § 247 a, Rn. 13. Schlothauer, StV 2000, 183. 314 KK-Diemer, § 247 a, Rn. 16. 315 KK-Diemer, § 247 a, Rn. 16 und 22; Diemer, NJW 1999, 1669 ff.; ders., StraFo 2000, 217 ff.; ders., NStZ 2001, 393 ff. 312 313

15"

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Vorschrift einen Sinn gegeben zu haben. Er hat sich der Problematik nach Überblick der Literatur sehr systematisch genähert und damit einen in sich geschlossenen Lösungsansatz entwickelt. Zunächst differenziert Diemer in Tatbestandsseite und Rechtsfolge- bzw. Ermessensseite des § 247 a S. I StP0316 . (1) Die Tatbestandsseite

Fehler auf der Tatbestandsseite unterliegen in vollem Umfang der Revision317 . Die Subsumtion des Sachverhalts unter den engen Ausnahmetatbestand des § 247 a S. I StPO darf nicht großzügig oder gar unter Ergänzung der dort angeführten Voraussetzungen erfolgen. Setzt das Gericht leichtfertig entgegen den ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes die hohe Anwendungsschwelle des Tatbestandes herab oder übergeht es die Nachrangigkeit der Vorschrift hinter anderen zeugenschonenden Vernehmungsmöglichkeiten, ist eine Verletzung des in § 250 S. 1 StPO normierten Unmittelbarkeitsgrundsatzes zu beanstanden 318 . Das Gericht überschreitet außerhalb jeder gesetzlichen Legitimation die Grenzen formeller Unmittelbarkeit, indem es das Originalbeweismittel dem erkennenden Gericht nur unter Hindernissen zugänglich macht. Sind die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes nicht gegeben, bleibt es bei der Grundregel, dass dem erkennenden Gericht ungefiltert die zur Urteilsgrundlage dienenden Beweise zugänglich gemacht werden müssen. Andernfalls muss sich das Gericht vorwerfen lassen, vom sichersten Weg der Wahrheitsermittlung 319 ohne Not abgewichen zu sein. Die Revision mit der Aufklärungsrüge findet uneingeschränkt statt. Soweit der nur einschränkt unmittelbare Zugang zum Beweismittel zugleich Konfrontationsmöglichkeiten der Verteidigung behindert320 , kann außerdem der Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO gegeben sein. Bei der Subsumtion darf das Tatgericht zudem nicht die vom Gesetzgeber vorgegebenen Auslegungsrichtlinien missachten. Obwohl der Einsatz der Videotechnik durchaus als Ergänzung des bestmöglichen Beweises in Betracht kommt, darf nichts an der Präferenz des Gesetzgebers für eine unmittelbar persönliche Vernehmung im Sitzungssaal zweifeln lassen. Das Tatgericht, das bei der Subsumtion unter die Norm diese Vorgabe miss ach-

Diemer, StraFo 2000, 218. Diemer, NStZ 2001, 394 f. 318 KK-Diemer, § 247 a, Rn. 16; § 250, Rn. 4; Diemer, NStZ 2001, 394 f. 319 Geppert, Unmittelbarkeit, S. 136; K/M-G, § 250, Rn. 1, AK-Dölling, § 250, Rn. I; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 250, Rn. 1. 320 AK-Dölling, § 250, Rn. 1; KMR-Paulus, § 250, Rn. 2. 316 317

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. 1 Hs. I StPO

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tet, handelt bereits auf der Tatbestandsseite fehlerhaft und muss mit einem Gang in die Revision rechnen 321 . (2) Die Rechtsfolgen- oder Ermessensseite Wirkung entfaltet der in § 247 a S. 2 StPO normierte Anfechtungsausschluss allein auf der Rechtsfolgenseite 322 . Liegen die Voraussetzungen des § 247 a StPO vor, so verbleibt dem Tatgericht weiterhin immer noch die Entscheidung, ob es tatsächlich auf die Möglichkeit der Simultanübertragung zurückgreifen will oder nicht. Es ist nicht von vornherein zur Anordnung verpflichtet. Der Zeuge kann trotz allem zum unmittelbar persönlichen Gespräch in den Sitzungssaal geholt werden. Auch kann auf die Vernehmung per Bildschirm dann verzichtet werden, wenn sich das Gericht davon keinen Nutzen für die Aufklärung verspricht. Dies z. B., wenn Hemmungen des Zeugen sowohl bei einer Vernehmung in der Hauptverhandlung als auch beim Umgang mit der Technik zu befürchten sind, und diese ihm nicht erlauben würden, verwertbare Angaben zu machen. In derartigen Fällen kann der Aufklärung sogar durch ein von einer besonders sachkundigen Person erstelltes Vernehmungsprotokoll am besten gedient sein. Selbst der BGH erkennt an, dass bei einer zu erwartenden Mangelhaftigkeit der per Videosimultanübertragung gewonnenen Aussage von vornherein auf diese Vernehmungsform verzichtet werden kann 323 . Allerdings muss er sich berechtigt die Kritik gefallen lassen, dass das Tatgericht regelmäßig nicht in der Lage sein wird, vorab eine so harte Wertentscheidung über eine noch nicht existierende Aussage zu treffen. Im Zweifelsfall muss die Prognose zu Gunsten einer simultanübertragenen Vernehmung ausfallen, denn die geringe Qualität einer erlangten Aussage kann erst im Rahmen einer nachträglichen richterlichen Beweiswürdigung Berücksichtigung finden 324 • Gleichwohl ist eine solche Negativprognose bei entsprechend hohem Begründungsaufwand nicht ausgeschlossen 325 . Ausführlich Diemer, StraFo 2000, 218. Diemer geht davon aus, dass dann dem Gericht trotzdem ein "beachtlicher Spielraum" verbleibe, StraFo 2000, 218. 323 BGHSt. 45, 188 (196); zustimmend Rose, JR 2000, 78, unter Verweis auf Fischer, JZ 1998, 820, der sich dem Einsatz der Videotechnik gegenüber insgesamt sehr zurückhaltend verhält; zustimmend auch Artkämper, NJ 2000, 101. 324 Schlothauer, StV 2000, 182, Duttge, NStZ 2000, 160; Vassilaki, JZ 2000, 476. 325 Beispielsweise kann für einen sehr jungen oder aufgrund seiner kognitiven Fähigkeiten vom Strafverfahren völlig überforderten Zeugen durchaus gutachterlich festgestellt werden, dass weder bei einer Aussage im Sitzungssaal noch bei der in 321

322

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Abzuwägen sind Aspekte der Sachaufklärung, des Zeugenschutzes, der Verfahrensökonomie und der Prozessbeschleunigung sowie die Rechte des Angeklagten 326 . Bei der Gegenüberstellung und Gewichtung der einzelnen Interessen gelten die allgemeinen Regeln für eine korrekte Ermessensausübung 327 . So darf kein Aspekt völlig außer Acht gelassen, willkürlich unterbewertet oder aus sachfremden Gründen zur Seite geschoben werden. Ein völliger Ermessensausfall wäre ebenso fehlerhaft wie die Annahme, das Gericht wäre bei Vorliegen aller Tatbestandsvoraussetzungen automatisch zur Anwendung der Videotechnik verpflichtet. Im Rahmen des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO wird der grundlegende Ermessensspielraum des Gerichts zusätzlich durch ein Auswahlermessen zwischen reiner Protokoll verlesung und audiovisuell vermittelter Vernehmung erweitert328 . Der Tatbestand selbst bringt dies mit der Formulierung, "soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist" zum Ausdruck. Zu dieser besonderen Auswahl zwischen eingeschränkt unmittelbarem Rückgriff auf das Original beweismittel und dem Rückgriff auf Beweissurrogate soll aber erst bei Besprechung der zweiten Alternative des § 247 a S. 1 StPO ausführlich Stellung genommen werden 329 . Für den gegenwärtigen Stand der Untersuchung ist allein entscheidend, dass ein Ermessensspielraum des Gerichts grundsätzlich besteht. Zunächst zwar nur zwischen der Einvernahme des Zeugen unmittelbar persönlich im Sitzungssaal und einer eingeschränkt unmittelbaren Befragung über Monitor, doch zur Auswahl steht sogar ein Rückgriff auf schriftliche Beweissurrogate, wenn damit der qualitativ bessere Beweis geführt werden kann. Nur für diesen engen Ermessensspielraum kann die Ausschlussklausel Wirkung entfalten. So dürfen die Verfahrensbeteiligten nicht geltend machen, das Gericht hätte zu Unrecht angenommen, die Videovernehmung sei zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet, erforderlich und ausreichend gewesen. Hat das Gericht korrekt unter den Tatbestand subsumiert, soll nach Diemer keine Möglichkeit mehr bestehen, mit der Rüge nach § 244 Abs. 2 oder dem Vorwurf einer Verletzung des § 244 Abs. 3 S. 2 StPO gegen die Ermessensentscheidung des Gerichts vorzugehen 33o . Logischerweise einem besonderen Vernehmungsraum von diesem irgendeine brauchbare Angabe zu erwarten ist. 326 Diemer, StraFo 2000, 218. 327 Einen Überblick über die allgemeinen Grundsätze der Ermessensausübung und über mögliche Ermessensfehler gibt Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 9 ff., die Regeln lassen sich auch auf den Strafprozess übertragen. 328 Diemer, StraFo 2000, 219. 329 Dazu im Kapitel C.S. 330 Ausführlich Diemer, StraFo 2000, 220.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. I Hs. I StPO

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schließt das auch aus, Ennessensfehler, etwa den Ennessensausfall oder eine Interessenfehlgewichtung, geltend zu machen. (3) Würdigung der Einteilung Wenn dies die Konsequenz ist, dann hat Diemer Recht mit der Aussage, den Gerichten entstünde durch den Revisionsausschluss auf der Ennessensseite ein beachtlicher Freiraum mit verfahrens fördernder Funktion. Ob allerdings dadurch tatsächlich dem befürchteten - und in der Praxis auch eingetretenen - zögerlichen Rückgriff auf die neuen Medien entgegengewirkt werden kann, ist zu bezweifeln. Zu groß sind die Probleme bereits auf der Tatbestandsseite, als dass Zugeständnisse bei der Bildung der Rechtsfolge noch Unterstützung bringen könnten. Außerdem zwingen die strengen Voraussetzungen des Tatbestandes dazu, schon bei Betrachtung der Tatbestandsseite alle relevanten Aspekte auszutesten und abzuwägen. Die hohen Voraussetzungen an eine Beeinträchtigung des Zeugenwohls fordern eine minuziöse Wägung der Schutzinteressen des Zeugen. Die strenge Subsidiarität in § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO stellt weiterhin sicher, dass zuvor jede andere Möglichkeit, die nach der Abstufung des Gesetzgebers besser zur Wahrheitsfindung geeignet ist, umfangreich geprüft wird. Außerdem stößt das Gericht auf der Tatbestandsseite unweigerlich auch auf die Verteidigungsrechte. Auf der Rechtsfolgenseite kommen demgegenüber keine neuen Elemente mehr hinzu. D.h. bei korrekter Befassung mit den tatbestandlichen Voraussetzungen ist ein Ennessensfehler durch Übersehen oder Fehlgewichtung eines relevanten Aspekts kaum noch zu erwarten. Noch weniger zu erwarten ist ein Ennessensausfall. Das Tatgericht, das durch die Subsidiaritätsanordnung wiederholt zu der Überlegung gezwungen ist, ob nicht doch einfachere schonende Vernehmungsmethoden Anwendung finden, wird nach wiederholter Verneinung dieser Frage kaum noch verkennen, dass es von einer Videovernehmung auch absehen könnte. Die Subsidiaritätsklausel stößt den Nonnanwender geradewegs auf diesen Gedanken. Im Rahmen der zweiten Alternative des § 247 a S. 1 StPO übernimmt diese Hinweispflicht übrigens die Wendung "soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist". Kurzum, es ist kaum zu erwarten, dass demjenigen, der sich so ausführlich mit dem Tatbestand auseinandergesetzt und korrekt unter diesen subsumiert hat, noch ein beachtlicher Ermessensfehler unterläuft. Die Fehlerquellen des § 247 a S. 1 StPO liegen im Tatbestand, nicht auf der Rechtsfolgenseite. Aus diesem Grund trägt der Rechtsmittelausschluss auf der Ennessensseite nichts zur Venneidung von Verfahrens unsicherheiten

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

bei. Er entfaltet sozusagen erst dann Wirkung, wenn die Unklarheiten des § 247 a StPO durch korrekte Subsumtion unter den Tatbestand längst ausgeräumt sind. Diemers Einschätzung vom beachtlichen Ermessensspielraum mag zutreffen, aber dieser liegt in einem winzigen und noch dazu größtenteils unproblematischen Teilgebiet. Die gesetzgeberischen Ziele der Verfahrensförderung, Verfahrensbeschleunigung und Verfahrensklarheit wurden weit verfehlt. Nichts an diesem Anfechtungsausschluss animiert in der Praxis zur Anwendung der Videotechnik. Das Gericht muss immer damit rechnen, irgend etwas in der komplexen Struktur des Tatbestandes übersehen zu haben. (4) Rückkehr zu den Fallbeispielen Auch Diemer kommt zur Erläuterung nicht ohne Fallbeispiele aus. Mit seiner Unterteilung aber fällt es zumindest leichter, die in der Literatur bunt gemischten Lösungsvorschläge für den Einzelfall in ein grobes Schema zu fassen. Diemer selbst nennt drei Fallgruppen 331 : • Fehlerhaft wäre, wenn das Gericht die Möglichkeit einer Simultanvernehmung trotz sich aufdrängender Voraussetzungen nicht einmal in Betracht zieht 332 • Zum einen liegt dann bereits kein Beschluss vor, auf den sich der Ausschlusstatbestand des § 247 a S. 2 StPO systematisch beziehen könnte, zum anderen wurde hier im Grunde gegen eine andere Vorschrift verstoßen, namentlich § 244 StPO. Hat das Gericht die durch die Videotechnik "erweiterte Erreichbarkeit" eines Zeugen i. S. v. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO verkannt oder einfach den bestmöglichen Beweis übersehen, den es gemäß § 244 Abs. 2 StPO zu erheben hat, ist die Aufklärungsrüge zulässig. § 244 StPO selbst unterliegt eben keinem Anfechtungsausschluss. • Rechtsmittel sind gegeben, wenn der Ausnahmetatbestand des § 247 a S. 1 StPO zu Unrecht bejaht wurde. Nicht § 247 a S. 1 StPO steht dann in Frage, sondern eine Verletzung von § 250 StPO. Auch für diesen gilt kein Anfechtungsausschluss. • Der Rechtsmittelausschluss zeigt Wirkung, wenn auf der Rechtsfolgenseite der Vorschrift Fehler auftreten. Eine Aufklärungsrüge des Inhalts, die Videovernehmung war trotz gegebener Voraussetzungen nicht geeignet, erforderlich oder ausreichend ist unzulässig. Unzulässig ist der Vortrag, der Zeuge hätte bei einer Anwendung zeugen schonender Maßnahmen "besser" ausgesagt. Ebenso unzulässig ist die Behauptung, bei einer Vernehmung unmittelbar im Sitzungssaal hätte der Zeuge "wahrheitsgemäßer" bekundet. 331 332

Diemer, StraFo 2000, 219 ff. So die Ausgangslage in BGHSt. 45, 188; 46, 73.

B. Die "Gefährdungsaltemative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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Berechtigt weist Diemer außerdem darauf hin, dass die Fallgruppen nicht unterschieden werden können, wenn nicht wenigstens eine minimale Begründung des Gerichtsbeschlusses vorgelegt werden kann 333 . Das gilt besonders für eventuelle Fehler auf der Tatbestandsseite. Der Vortrag, das Gericht hätte die zu befürchtende Beeinträchtigung des Zeugenwohls überschätzt, kann nicht tragen, wenn die Tatsachen, auf die sich das erkennende Gericht bei seiner Entscheidung gestützt hat, nicht überprüft werden können. Wenigstens die Urteilsfeststellung sollen daher hinreichend Anhaltspunkte zu den Grundlagen des Beschlusses enthalten334 . Dreh- und Angelpunkt der Diskussion über die Begründungspflicht ist

§ 34 StPO. Unanfechtbare Gerichtsbeschlüsse bedürfen seinem Wortlaut

nach keiner Begründung. Konsequent sind eigentlich die Stimmen in der Literatur, die eine Begründungspflicht für Entscheidungen nach § 247 a S. 1 StPO vemeinen 335 . Folgt man aber den Feststellung Diemers, darf eine Begründung nur soweit entfallen, wie der Anfechtungsausschluss des § 247 a S. 2 StPO tatsächlich greift. Für die Rechtsfolgenseite bedarf es also keiner Begründung, denn hier gilt die Unanfechtbarkeit uneingeschränkt. Auf der Tatbestandsseite aber ist eine Begründungspflicht zu bejahen, denn Rechtsmittel sind dort in vollem Umfang gegeben. c) Eigener Lösungsvorschlag

Der Überblick auf das Wirrwarr an Meinungen in der Literatur und der spärlichen Rechtsprechung offenbart zumindest eines: Niemand ist so recht in der Lage dem Anfechtungsausschluss des § 247 a S. 2 StPO einen Sinn abzugewinnen. Sinn machen allein die mit dem Anfechtungsausschluss verfolgten Anliegen, Verfahrensverzögerungen und Unsicherheiten bei der Anwendung der Vorschrift zu vermeiden und zu Gunsten eines effektiven Zeugenschutzes die Gerichte zu mehr als nur einem zögerlichen Rückgriff auf die neuen Medien zu animieren. Nur ist angesichts des herrschenden Durcheinanders an Meinungen, was der Gesetzgeber einerseits mit den Voraussetzungen des Tatbestandes, andererseits mit dem Ausschluss von Rechtsmitteln gemeint haben könnte, nicht zu erwarten, dass § 247 a S. 2 StPO das gewünschte Ziel überhaupt erreichen kann. 333 Diemer, StraFo 2000, 220; ders., NJW 1999, 1671; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 35; Malek, Verteidigung in der Hauptverhandlung, Rn. 354 f. 334 Diemer, StraFo 2000, 220. 335 K/M-G, § 247 a, Rn. 8; HK-Julius, § 247 a, Rn. 10; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 4.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

§ 247 a S. 2 StPO mehrt genau genommen noch die Unsicherheiten. Den Rechtsanwendern wird mitunter vorgegaukelt, jeder Fehler der Tatbestandsumsetzung, sowohl bei der Subsumtion als auch bei der Ermessensentscheidung, wäre zu verzeihen.

Konsequenz dieses Irrtums kann eine Vielzahl zu revidierender Urteile sein. Genau das aber trägt nicht dazu bei, die Akzeptanz dieser Vernehmungsmethode zu erhöhen. Das andere Extrem mag sein, dass sich der Rechtsanwender im Bewusstsein des Meinungschaos aus Vorsicht gegen eine Videokonferenz entschließt. Zudem ist anzumerken: Der Rechtsmittelausschluss bei Fehlern auf der Rechtsfolgenseite eröffnet dem Gericht tatsächlich einen beachtlichen Freiraum. Warum aber sollten Ermessensfehler hier unbeachtlich sein? Warum sollte anders als bei den in vollem Umfang revisiblen Vorschriften der §§ 223, 247 oder 251 StPO hier ein Zugeständnis gemacht werden? Eine richtige Ermessensausübung ist nicht weniger von Bedeutung als der richtige Umgang mit den Tatbestandsmerkmalen. Es sollte dem Angeklagten unbenommen bleiben, eine Entscheidung, die unter Rückgriff auf sachfremde Erwägungen getroffen wurde, genauso anzugreifen wie die, die sich auf nicht im Tatbestand vorgesehene Anordnungsgründe stützt. Würde der Anfechtungsausschluss tatsächlich die vom Gesetzgeber gesetzten Ziele erreichen, dann wären die damit verbundenen Rechtseinschränkungen für den Angeklagten wohl noch hinnehmbar. Nachdem dies aber zumindest bei den Zielen der Verfahrensbeschleunigung und der Verfahrensklarheit nicht gelingt, ist der Anfechtungsausschluss zur Erreichung seiner Zwecke ungeeignet. Die Videotechnik muss auf anderem Wege den Gerichten näher gebracht werden, etwa durch Vereinfachung der Tatbestandsvoraussetzungen336. Speziell bei der Frage der Revision ist auf einen generellen Rechtsmittelausschluss zu verzichten. Verfahrensverzögerungen werden auch dann vermieden, wenn man nur das Beschwerderecht des Zeugen gemäß § 304 Abs. 2, 305 S. 2 StPO ausschließt. Die laufende Hauptverhandlung kann so ohne Unterbrechungen zu Ende geführt werden und im Kontext der §§ 247, 223 und 251 StPO ist die Abschaffung der revisionsrechtlichen Ungleichbehandlung zu begrüßen337 . In Weiterführung des bisherigen Gesetzesentwurfes könnte ein neuer

§ 247 a V-StPO lauten:

V gl. dazu den Gesetzesvorschlag in Kapitel B.1.d). KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 36; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 16; Schlothauer, StV 2000, 183. 336

337

B. Die "Gefährdungsalternative", § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

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§ 247 a V-StPO (3. Fassung)

(1) 1 Ist bei einer Vernehmung einer Person unter sechzehn Jahren als Zeuge ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, und kann der Nachteil nicht in anderer Weise, namentlich durch eine Entfernung des Angeklagten oder den Ausschluss der Öffentlichkeit abgewendet werden, so kann das Gericht anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2 Besteht bei Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für deren Wohl und kann sie nicht in anderer, namentlich in der in Satz 1 genannten Weise abgewendet werden, so kann das Gerichts ebenfalls anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 3 Die Vernehmung wird in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen.

(2) Eine solche Anordnung ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. (3) In den in den Sätzen 1 bis 3 genannten Fällen kann die Befragung auch durch einen ersuchten Richter vorgenommen werden. (4) Die Entscheidungen nach den Abs. 1 bis 3 unterliegen nicht der Beschwerde.

6. Zusammenfassung zur Gefährdungsalternative Zum Abschluss der Erörterung des § 247 a S. I Hs. 1 StPO soll ein Überblick über die entwickelten Gesetzesvorschläge erfolgen. Die Ausweitung des Tatbestandes in § 247 a Abs. 1 V-StPO im Vergleich zu dem des geltenden § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO baut den Schutz kindlicher Zeugen aus. Der Entwurf weicht nicht von der Linie des Gesetzgebers ab, im Grundsatz die unmittelbar persönliche Vernehmung im Sitzungssaal zu bevorzugen. Die als streng gescholtene Subsidiaritätsklausel bleibt, diese Subsidiarität wird aber abgeschwächt. Zur Vereinfachung und zum Gewinn an Flexibilität in der Anwendung der Normen werden die Voraussetzungen des jetzigen § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO an die des § 247 S. 2 StPO nahezu angeglichen. Der eigentliche Zugewinn an Handlungsspielraum rührt aus einer Erweiterung des Ausschlusstatbestandes des § 247 StPO durch audiovisuelle Übertragungselemente her. Die Informations-, Konfrontations- und Fragerechte des Angeklagten werden dadurch erheblich gestärkt, dies aber nur unter dem Vorbehalt des Zeugenschutzes. Die Interessen des Angeklagten werden außerdem bei seiner Teilnahme an der kommissarischen Vernehmung gestärkt. Die Neufassung des § 224 Abs. 2 StPO soll einen Vorgeschmack auf das geben, was in ausländischen

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Rechtsordnungen schon seit Jahren als Spielart des Einsatzes von Videotechnik im Verfahren bekannt ist, namentlich die Zu schaltung des inhaftierten Angeklagten per Monitor in das laufende Hauptverfahren. Zur Zusammenfassung der bisherigen Gesetzgebungsvorschläge: a) Audiovisuelle Zuschaltung des Beschuldigten bei kommissarischer Vernehmung § 224 Abs. 2 V-StPO

(2) 1 Hat ein nicht in Freiheit befindlicher Angeklagter einen Verteidiger, so steht ihm eine Anspruch auf Anwesenheit nur bei solchen Terminen zu, die an der Gerichtsstelle des Ortes abgehalten werden, wo er in Haft ist. 2 Ist zu besorgen, dass der Zeuge für weitere Vernehmungen nicht zur Verfügung steht, und ist erkennbar, dass eine persönliche Mitwirkung des Angeklagten zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist, dann soll die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton dem Angeklagten übertragen werden. 3 Eine Kommunikationsmöglichkeit zwischen Angeklagtem und Verteidigung ist mit geeigneten technischen Mitteln zu gewährleisten.

b) § 247 StPO in Kombination mit videotechnischen Übertragungselementen § 247 V-StPO 1 Das Gericht kann anordnen, dass der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt wird, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen. 2 Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter sechzehn Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. 3 Soweit nicht schutzwürdige Interessen des Zeugen oder Belange der Strafrechtspflege entgegenstehen, kann die Vernehmung eines Zeugen dem Angeklagten zeitgleich in Bild und Ton in einen anderen Raum übertragen werden. 4 Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. 5 Soweit eine Übertragung der Vernehmung nach Satz 3 nicht erfolgte, hat der Vorsitzende den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

c.

Die Simultan übertragung

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c) Videosimultanvernehmung § 247 a V -StPO (1) 1 Ist bei einer Vernehmung einer Person unter sechzehn Jahren als Zeuge ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, und kann der Nachteil nicht in anderer Weise, namentlich durch eine Entfernung des Angeklagten oder den Ausschluss der Öffentlichkeit abgewendet werden, so kann das Gericht anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2 Besteht bei Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für deren Wohl und kann sie nicht in anderer, namentlich in der in Satz 1 genannten Weise abgewendet werden, so kann das Gerichts ebenfalls anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 3 Die Vernehmung wird in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen.

(2) Eine Anordnung nach Abs. 1 ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. (3) In den in den Sätzen 1 bis 3 genannten Fällen kann die Befragung auch durch einen ersuchten Richter vorgenommen werden. (4) Die Entscheidungen nach den Abs. 1 bis 3 unterliegen nicht der Beschwerde.

c. Die Simultanübertragung unter den Voraussetzungen des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO ("Erreichbarkeitsalternative") Die 2. Tatbestandsalternative des § 247 a S. 1 StPO ist ein spätes Produkt der Gesetzesdiskussion. Angestoßen durch Europäische Rechtssetzungsvorhaben sind mit ihr Hoffnungen auf einen Vorteil bei der Sachaufklärung, Veifahrensbeschleunigung und Kostenersparnis verknüpfe 38 . Zeugenschützende Zielsetzungen sind ihr ebenfalls immanent, wenn auch nur dann, wenn als Alternative zur Videovernehmung der vollständige Verlust des Originalbeweismittels für die Hauptverhandlung droht. Die Erreichbarkeit des persönlichen Beweismittels wird mit § 247 a S. 1 Hs. 2 i. V. m. § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 weit über die Grenzen des bisher in § 244 Abs. 3 S. 2 StPO Bekannten ausgedehnt. Distanzen bilden in der Hauptverhandlung kein Hindernis mehr, solange sie technisch überbrückbar sind339 . Für den Bereich internationaler Rechtshilfe und im Zusammenhang 338

BT-Drs. 13/9063, S. 4; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 6; Seitz, JR 1998, 311.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

mit der zunehmenden Vernetzung der lustizbehörden im europäischen Raum 340 ist die Videokonferenz ein echter Gewinn. Nur der Verweis des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO auf die Einwilligungslösung des § 251 Abs. 4 StPO ist systemfremd und wird auch nicht von allen akzeptiert, denn die Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung wird hier in nicht unerheblichem Umfang der Dispositionsbefugnis der Beteiligten überantwortet 341 . Eine Lösung, die im Vergleich vor allem mit den strengen Voraussetzungen der ersten Tatbestandsalternative widersprüchlich erscheint, wird doch dort die unmittelbar persönliche Vernehmung zum Idealbild des Strafprozesses erhoben, und zwar ungeachtet der Nachteile, die insbesondere der vorrangige Ausschluss des Beschuldigten nach § 247 S. 2 StPO mit sich bringt. Möglicherweise hatte der Gesetzgeber bei der 2. Tatbestandsalternative eine recht eigenwillige Variante der Entschärfung der Subsidiaritätsklausel im Sinn, indem er dem Beschuldigten bei drohendem Ausschluss die Möglichkeit gab, sich mit einer simultanübertragenen Vernehmung einverstanden zu erklären und so seine Informations- und Fragerechte zu wahren 342 . Die Gesetzesbegründung jedenfalls gibt über derartige Motive keinen Aufschluss. Sie erwähnt die Einwilligungslösung nicht einmal 343 . Zeugenschutz nach dem Zeugenschutzgesetz findet sich mitunter dort, wo man ihn am wenigsten vermutet. Darauf wird noch bei der Betrachtung der Einzeltatbestände zurückzukommen sein.

339

440.

Rieß, NJW 1998, 3241, HK-Julius, § 247 a, Rn. 11; Griesbaum, NStZ 1998,

340 Gollwitzer, in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 2; zur Entstehung des Europäischen Justiziellen Netzes: Gemeinsame Maßnahme 98/427/JI des Rates vom 29. Juni 1998, ABI. L 191 vom 07.07.1998; vgI. die Berichte von Schomburg, DRiZ 1999, 107 ff.; Nehm, DRiZ 2000, 355 ff. 341 Rieß, StraFo 1999, 6 f., ders., NJW 1998, 3242; weniger kritisch SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 12; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 15; Auch ein Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen per Videoübertragung ist möglich, BGHSt. 45, 188; StV 2000, 345; BGHSt. 46, 73 (80). 342 Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 b. 343 BT-Drs. 13/9063, S.4; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 12; Rieß, NJW 1998, 3242 (Fn. 42).

C. Die Simultanübertragung

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1. Vorbemerkungen zur Gesetzessystematik a) Die verwendeten Begrimichkeiten: Zum inneren Zusammenhang der §§ 251 Abs. 1, 223 und § 244 Abs. 3 S. 2,5. Var. StPO und zum erweiterten "Erreichbarkeitsbegriff" des BGH Vor Befassung mit den einzelnen Tatbeständen des § 251 Abs. 1 StPO sollen einige gesetzessystematische Besonderheiten im Zusammenhang mit dieser Vorschrift herausgestellt werden. Gesetzessystematisch bilden § 251 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 StPO das Pendant zu den Regelungen des § 223 Abs. 1 und 2 StPO sowie zum Begriff der "Unerreichbarkeit" in § 244 Abs. 3 S. 2 StPO. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung werden sie deswegen grundsätzlich als Konnexinstitute behandelt344 • Ter Veen formuliert hierzu zutreffend: "Die Feststellung, dass ein Beweismittel unerreichbar ist, bildet gleichsam das Alibi für die Verlesung richterlicher und polizeilicher Vernehmungsniederschriften,,345.

Für die Rechtslage vor Einführung der Simultanübertragung von Vernehmungen galt damit, dass die "unerreichbare" Beweisperson auch i. S. d. § 251 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO am Erscheinen gehindert und umgekehrt der am Erscheinen gehinderte Zeuge regelmäßig auch für das Gericht unerreichbar war?46. Die Begriffe der "Unerreichbarkeit", des "nicht zu beseitigenden Hindernisses" und auch des "nicht zu ermittelnden Aufenthalts" wurden in Rechtsprechung und Literatur als nahezu kongruent verstanden 347 • Nicht nur die Prüfung der Normen, sondern auch die Begrifflichkeiten gingen regelmäßig fließend ineinander über. Erst BGHSt. 32, 68 hat sowohl in der Frage der Begriffskongruenz als auch in der Frage des inneren Zusammenhangs der Normen erste wichtige 344 Alsberg/Nüse/Meyer. Beweisantrag, S. 621 (Fn. 12); Herdegen. NStZ 1984, 338; ter Veen. StV 1985, 295 (Fn. 3 und 4); Hoffmann. Der unerreichbare Zeuge, S.83 ff.; OLG Celle, NJW 1961, 1490, BGH, MDR 1979, 807. 345 ter Veen. StV 1985, 295. 346 Dies zumindest, soweit man die Erreichbarkeit nicht auch auf die Möglichkeit einer kommissarischen Vernehmung ausdehnt, mit der sich das Gericht zwar mittelbar die Aussagen des Zeugen, nicht aber das Originalbeweismittel, d.h. den Zeugen selbst verschafft; Hoffmann. Der unerreichbare Zeuge, S. 102 f.; a. A. die ständige Rechtsprechung, nach der alle Formen der Einführung eines Zeugenbeweises - mittelbar oder unmittelbar - vom Beweisantragsrecht umfasst sind; BGHSt. 45, 188 (191), Schlothauer. StV 2000, 181; Duttge. NStZ 2000, 159; allgemein Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 244, Rn. 259; Alsberg/Nüse/Meyer. Beweisantrag, S. 632 m.w.N. 347 Schlüchter. JR 1984, 521.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Differenzierungen hervorgehoben. Das Gericht entschied, dass an die Feststellung eines "nicht zu beseitigenden Hindernisses" i. S. d. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO geringere Anforderungen zu stellen seien als an die Ablehnung eines Beweisantrags wegen "Unerreichbarkeit" i. S. v. § 244 Abs. 3 S. 2 StP0 348 . Spätestens mit dem Folgeurteil BGHSt. 32, 115 349 hat der Große Senat aber zugleich klargestellt, dass bei bejahter Unerreichbarkeit des Zeugen automatisch vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 StPO und damit auch von der Möglichkeit einer kommissarischen Vernehmung gemäß § 223 Abs. 1 StPO auszugehen ist. Eine gewisse Konnexität bleibt zwischen den § 244 Abs. 3 S. 2, 223, 251 StPO also erhalten. Nicht erhalten dagegen bleibt die nahezu austauschbare Verwendung der Begrifflichkeiten und die inhaltliche Annäherung in der Prüfung der verschiedenen Merkmale, wie sie vor der Entscheidung des BGH die Regel war. Mit der Einführung der live Übertragung ist dieses Abgehen von der Kongruenz der Begrifflichkeiten und der einheitlichen Prüfungsanforderungen nunmehr auch gesetzlich verankert. "Erreichbar" ist das Originalbeweismittel auch dann, wenn seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß § 251 Abs. 1 StPO Hindernisse entgegenstehen35o . Für den inneren Zusammenhang der Vorschriften gilt damit: Der Schluss von einer gerichtlich festgestellten Unerreichbarkeit des Zeugen auf die Voraussetzungen der §§ 251 Abs. 1, 223 StPO ist weiterhin uneingeschränkt möglich. Der Umkehrschluss allerdings, von einem Hinderungsgrund nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StPO auf die Unerreichbarkeit des Zeugen scheidet aus. Zur Feststellung der Unerreichbarkeit des Zeugen bedarf es weit größerer Bemühungen als es die Annahme eines Hinderungsgrundes i. S. d. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlangt. Die strenge begriffliche Differenzierung ist für das Verständnis der folgenden Ausführungen notwendig. Der innere Zusammenhang des § 244 Abs. 3 S. 2, 5. Alt StPO mit §§ 251, 223 StPO zwingt bei Betrachtung der einzelnen Tatbestände zu einem ständigen Hin und Her zwischen den Vorschriften351 • Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten erfüllen hierbei die Funktion eines Wegweisers, aus dem das Zusammenspiel der Normen deutlich werden soll.

348 BGHSt. 32, 68 (73); zustimmend Schlüchter, JR 1984, 520; Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 83 ff.; a.A. ter Veen, StV 1983,295 (Fn. 4). 349 Genauer BGHSt. 32, 115 (126 0. 350 Ausführlich zu dieser "erweiterten Erreichbarkeit" BGHSt. 45, 188; Schlothauer, StV 2000, 181, Duttge, NStZ 2000, 159. 351 SK-Schlüchter, § 251, Rn. 14.

C. Die Simultanübertragung

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b) Grundlegendes zur Wahrheitserforschungspflicht in § 247 a S. 1 Us. 2 StPO Für die zweite Alternative des § 247 a S. 1 StPO gilt ausdrücklich, dass die Vernehmung per Simultanübertragung "zur Erforschung der Wahrheit erforderlich" sein muss, unabhängig davon, auf welche Grundlage des § 251 Abs. 1 StPO genau die Übertragung gestützt wird. Das Gesetz knüpft hier an die bereits aus § 244 Abs. 2 StPO gebotene Überlegung an, ob nicht andere Formen der Beweiserhebung, etwa das Abspielen einer zuvor aufgezeichneten Vernehmung des Zeugen nach § 255 a Abs. 1 StPO oder die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls gemäß § 251 StPO, der Wahrheitserforschung ebenso dienlich wären. Der Zusatz gilt weithin als überflüssig 352 , kann sich aber nahtlos in die Systematik des Beweisantragsrechts nach § 244 Abs. 2, 3 und 5 StPO einfügen. Klargestellt wird über ihn insbesondere, dass die erweiterte Erreichbarkeit des Zeugen durch Videotechnik nicht mit den Zielen des Gesetzes zu Entlastung der Rechtspflege 1993 353 in Konflikt gerät. Durch das RpflEntlG wurde damals zur Veifahrensbeschleunigung und zur Entlastung der Gerichte die Vorschrift des § 244 Abs. 5 S. 2 StPO eingeführt. Diese Norm gestattet, Beweisanträge auf Ladung eines Auslandszeugen schon dann abzulehnen, wenn das Gericht in "pflichtgemäßem Ermessen" zu dem begründeten Schluss kommt, der Zeuge sei "zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich,,354. Im Anwendungsbereich des § 244 Abs. 5 S. 2 StPO ist das Gericht also vom Maßstab der sonst geltenden Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO entbunden. Nicht entbunden ist es aber vom Maßstab der Amtsaufklärungspflicht. Das Ablehnungsrecht gilt nur "unbeschadet § 244 Abs. 2 StPO,,355.

352 Seitz, JR 1998, 312; K/M-G, § 247 a, Rn. 6; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 16. 353 RpflEntiG vom 11.01.1993, BGBL I, S. 50.

354 Zum Begründungserfordernis BGHSt. 40, 60 ff.; das Tatgericht muss mit plausiblen, intersubjektiv akzeptablen Argumenten darlegen, weswegen es die Erforderlichkeit zur Wahrheiterforschung bereits in der Prognoseentscheidung verneint. Das prognostische Zu- oder Absprechen von Beweiswert ist auf sachlogische Zusammenhänge zu stützen. Das Tatgericht muss plausibel darlegen können, weshalb es vorab bereits zu entscheiden vermag, dass das beantragte Beweismittel für die Sachverhaitsaufklärung ohne Relevanz, für die Beweisthematik ohne Bedeutung ist, dazu Herdegen, NStZ 1998, 445 ff.; BGH, NJW 1994, 1295; KK-Herdegen, § 244, Rn. 85. 355 Grundlegend zu § 244 Abs. 5 S. 2 StPO BGHSt. 40, 60; Herdegen, NStZ 1998, 445 ff., Rose, Der Auslandszeuge, S. 516 ff., Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 244 Rn. 339 ff. 16 Swoboda

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Nichts anderes aber besagt auch § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO. § 247 a StPO erweitert die Erreichbarkeit des Zeugen i. S. v. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO nur dann, wenn die Erforderlichkeit einer Simultanvernehmung für die Sachaufklärung längst bejaht ist, eine Ablehnung nach § 244 Abs. 5 S. 2 StPO also ohnehin nicht mehr infrage komme 56 . § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO läuft dem Ziel einer Verfahrensbeschleunigung und Entlastung der Gerichte nicht zuwider. Die Simultanübertragung von Vernehmungen trägt vielmehr selbst zur Beschleunigung und kostensparenden Abwicklung der Hauptverhandlung bei. Weiterhin dirigiert der Verweis auf das Aufklärungsgebot die gerichtliche Ermessensentscheidung. Die Videovernehmung darf auch hier nicht automatisch angeordnet werden, nur weil die angeführten Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO vorliegen. Dem Gericht obliegt vielmehr, sehr intensiv zu untersuchen, ob nicht eine der herkömmlichen Beweisformen der Wahrheitsermittlung gleiche oder sogar bessere Dienste zu leisten imstande ist. Die geforderte Prognosenentscheidung ist nicht einfach. Möglicherweise kann ganz auf den Zeugen verzichtet werden, weil die bisherige Beweislage eindeutig ist. Vielleicht existiert ein hervorragendes Vernehmung sprotokoll , das keine Fragen offen lässt 357 . Besonders schwierig aber ist es, wenn gerade noch kein Vernehmungsprotokoll existiert und eine Aussage nach der Beurteilung des Gerichts außerdem unerlässlich ist. Ist dann einer Videokonferenz der Vorzug zu geben? Oder erwartet man bessere Ergebnisse aus einer kommissarischen Vernehmung, deren Niederschrift nachfolgend in der Hauptverhandlung verlesen wird?358. Welche Gründe erlauben es dem Gericht überhaupt, in einer Prognoseentscheidung dem nur schriftlichen, zukünftigen Beweissurrogat einen größeren Beweiswert einzuräumen als einer unmittelbar in die Hauptverhandlung erfolgenden Videovernehmung?

Im Grunde gilt das schriftliche Vernehmungssurrogat immer als der schlechtere Beweis, denn die Videokonferenz gestattet immerhin, das Originalbeweismittel persönlich zu hören, einen eigenen Eindruck von diesem zu erhalten. Natürlich dürfte das Gericht auch auf eventuelle vorhandene Videodokumentationen zurückgreifen, doch die zeitgleiche Videovernehmung 356

77 f.

Zum Vorgehen des Tatgerichts bei der Entscheidungsfindung Rose, JR 2000,

357 HK-Julius, § 247 a, Rn. 9, SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 14; BGHSt. 46, 73; Diemer, NJW 1999, 1670; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 31. 358 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 16; BGHSt. 46, 80 befasst sich nur mit dem Fall eines bereits vorhandenen ausführlichen Vernehmungsprotokolls, bei dessen Entstehung in kommissarischer Vernehmung die Verteidigerin des Angeklagten außerdem uneingeschränkt mitwirken konnte.

C. Die Simultanübertragung

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liefert im Vergleich auch hier den unmittelbareren und damit anschaulicheren Beweis. Außerdem ist sie, anders als schriftliche oder in Bild und Ton aufgezeichnete Vernehmungskonserven, kein "Beweissurrogat" im eigentlichen Sinn und damit nach der Idee des § 250 S. 1 StPO zunächst vorrangig 359 . Eine Prognoseentscheidung zu Gunsten eines Beweissurrogats wird also immer besonderer Begründung bedürfen. Die gerichtliche Vorüberprüfung kann allerdings derart gravierende Defizite einer Videokonferenz ergeben, dass von vornherein eine kommissarische Vernehmung ausreichend, vielleicht sogar besser erscheint36o . Mitunter kann ein mit aussagepsychologischem Sachverstand, fachgerecht und sorgfältig erstelltes Protokoll erheblich mehr Aufklärungswert erwarten lassen als eine per Monitor geführte Vernehmung, die den Zeugen überfordert oder dazu verleitet, sich dem Gespräch zu entziehen361 • Die drohende Aufklärungsrüge aber zwingt das Gericht, bei auch nur einem Anflug von Zweifel an der höheren Beweisqualität der Urkunde bzw. Bild-Ton-Konserve, auf eine technisch vermittelte Vernehmung hinzuwirken.

2. Videovernehmung unter den Voraussetzungen § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gemäß §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO kann eine Videokonferenz zur Vernehmung eines Zeugen dann angeordnet werden, wenn andernfalls "dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung für eine längere oder ungewisse Zeit Krankheit, Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigenden Hindernisse entgegenstehen". Für die Natur und Erheblichkeit einer Verhinderung gibt es allerdings keinen allgemein gültigen Maßstab. Sie variiert mit der Bedeutung der Sache, dem Wert der zu erwartenden Aussage und dem Interesse, das Verfahren möglichst schnell und reibungslos abzuschließen 362 . Das Hindernis darf nur nicht von rein vorübergehender Natur sein 363 . 359 Vassilaki, JZ 2000, 476; Rieck, StraFo 2000, 405; a.A. Diemer, NJW 1999, 1669 und BGHSt. 45, 188 (196). 360 Artkämper, NJ 2000, 100. 361 Diemer, StraFo 2000, 219. 362 KK-Diemer, § 251, Rn. 4; Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 127 ff. 363 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251, Rn. 37, ter Veen, StV 1985, 299: Kein Hindernis stellt die verminderte Aussagetüchtigkeit des Zeugen aufgrund erheblicher Nervosität dar. Andernfalls wäre die Alternative des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO überflüssig. Abzulehnen ist deswegen auch Weigends Analogieschluss, dass sonstige Hindernisse i. S. d. § 223 Abs. 1 StPO auch die Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit des Zeugen umfassen könnten; Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 56

16'

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

So ist z. B. eine Krankheit des Zeugen dann kein Hindernis, wenn eine Aussage in der Hauptverhandlung selbst noch möglich ist. U. U. besteht auch die Möglichkeit, die Hauptverhandlung insgesamt an das Krankenbett zu verlegen. Die Verhinderung des Zeugen kann also mit Mitteln des Strafverfahrens beseitigt werden. Ein Hindernis wäre die Krankheit aber dann, wenn sich der Zustand des Zeugen durch die Vernehmung erheblich verschlechtern würde 364 . Videovernehmungen unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. I Nr. 2 StPO lassen sich im Wesentlichen in drei Fallgruppen einteilen. Ein Zeuge unter vierzehn Jahren, der durch seine Eltern am Erscheinen im Gerichtssaal gehindert wird, kann unabhängig von den hohen Voraussetzungen des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO per Video schaltung in der Hauptverhandlung Auskunft geben. Ebenfalls zugeschaltet werden kann der behördlich gesperrte Zeuge, dessen Identität geheim bleiben muss, um ihn nicht für weitere Einsätze im Milieu zu "verbrennen". Zuletzt ist die große Gruppe der Auskunftspersonen zu nennen, die zu einem persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht bereit sind und auch nicht zum Erscheinen vor Gericht gezwungen werden können, da sie sich außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes aufhalten. a) Der "gesperrte" Kinderzeuge

aa) Sperrerklärung und rechtliche Gegenmaßnahmen Hat ein Zeuge das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet und kommt er seiner Pflicht, in der Hauptverhandlung zu erscheinen und auszusagen nicht nach, dürfen gegen ihn dennoch keine Ordnungsmittel i. S. d. §§ 51, 70 StPO verhängt werden, denn dafür fehlt es an der Strafmündigkeit des Kindes i.S.v. § 19 StGB 365 • (Fn. 168). Würde diese erweiternde Tatbestandsauslegung zu § 223 Abs. 1 StPO greifen, könnte auch der gleichlautende § 251 Abs. I Nr. 2 StPO nicht anders interpretiert werden, § 247 a S. I Hs. 1 StPO würde überflüssig. 364 BGHSt. 9, 297 (300); 17, 337 (349), K/M-G, § 251, Rn. 6; KK-Diemer, § 251, Rn. 5; SK-Schfüchter, § 251, Rn. 13, dazu Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 1Ol. 365 OLG Hamm, MDR 1980, 322; LG Bremen, NJW 1970, 1429; Meier, JZ 1991,640; Skupin, MDR 1965, 865; Nelfes lehnt für Zeugen unter vierzehn Jahren schon das Bestehen einer Rechtspflicht ab. Von einer Rechtspflicht könnte schwerlich dann die Rede sein, wenn es keine Sanktionen zu ihrer Durchsetzung gibt, Neffes, NJ 1998, 453; dies., Recht der Persönlichkeit, S. 211 ff. (217).

C. Die Simultanübertragung

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Ebenso wenig können Ordnungsmittel gegen die Erziehungsberechtigten angeordnet werden, auch wenn sie es sind, die den Zeugen am Erscheinen hindern, indem sie ihr Aufenthaltsbestimmungsrechts nach § 1631 Abs. 1 BGB ganz entgegen der gerichtlichen Ladung ausüben. Die Erziehungsberechtigten sind nicht die inhaltlichen Adressaten der Ladungsverfügung, unterstehen damit selbst keiner Pflicht gegenüber dem Gericht, das Kind zum Erscheinen anzuhalten366 . Was bleibt den Gerichten also dagegen zu tun? Möglich ist, beim Vormundschaftsgericht die zeitweilig Entziehung des Rechts auf Bestimmung des Aufenthaltsortes anzuregen, § 1666 BGB. Ein Ergänzungspfleger könnte dann anstelle der Erziehungsberechtigten ein Erscheinen des Kindes im Gericht verfügen. Ein zeitweilige Sorgerechtsentziehung aber setzt voraus, dass ein Missbrauch des elterlichen Sorgerechts festgestellt werden kann. Zu den Sorgepflichten der Erziehungsberechtigten zählt, das Kind zur Erfüllung seiner staatsbürgerlichen Pflichten und damit insbesondere auch der Zeugenpflichten anzuhalten. Die Eltern tragen nach Art. 6 Abs. 2 GG sowie §§ 1626, 1631 BGB dafür Sorge, dass das Kind zu einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft mit allen Rechten und Pflichten heranwächst 367 . Aber selbst, wenn die Sperrung des Kindes als Sorgerechtsverstoß zu bemängeln wäre, die Schwelle des Sorgerechtsmissbrauchs liegt weit höher. Ein Sorgerechtsmissbrauch setzt voraus, dass die Erziehungsberechtigten die Interessen des Kindes, seine Schutzansprüche und Rechte, vollständig aus den Augen verlieren, die Sperrung also nur aus "sachfremden" Motiven verfügen 368 . Regelmäßig aber halten die Eltern das Kind vom Gericht fern, um es vor noch mehr Schaden, Angst, Traumatisierung oder auch einfach vor der Erinnerung an das Geschehen zu bewahren369 . Von einem Sorgerechtsmissbrauch kann also kaum die Rede sein. Weiterhin kann das Tatgericht eine zwangsweise Vorführung des kindlichen Zeugen nach § 51 Abs. 1 S. 3 StPO verfügen. Sie wird überwiegend als Vollstreckungsmaßnahme und nicht als Zwangsmittel eingeordnet, kann 366 Meier, JZ 1991, 640; OLG Hamm, 1965, 1613; Vierhaus, NStZ 1994, 271; die Ladung erfolgt zu Händen der Erziehungsberechtigten, ist aber inhaltlich an das Kind gerichteter Verwaltungsakt, Nelfes, Recht der Persönlichkeit, S. 221, 225 ff.; Skupin, MDR 1965, 867. 367 Skupin, MDR 1965, 867; Nel/es, Recht der Persönlichkeit, S. 226; OLG Hamm, NJW 1965, 1613. 368 Skupin, MDR 1965, 868; Meier, JZ 1991, 640; a.A. Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 98; dagegen wiederum Kipper, MschrKrim 1999,221. 369 Skupin, MDR 1965, 868; Nelles, Recht der Persönlichkeit, S. 227; OLG Saarbrücken, NJW 1974, 1960; Meier, JZ 1991,640.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

also auch verschuldensunabhängig angeordnet werden, ohne dass es auf den Rechtsgedanken des § 19 StGB ankäme 37o . Für besonders verletzliche Zeugen freilich bedeutet die zwangsweise Vorführung eine enorme Belastung. Von einem schonenden Umgang mit dem Zeugen kann keine Rede sein. Bei Kindern erscheint die Vorführung ohnehin regelmäßig unverhältnismäßig. Selbst wenn die Aussage des Kindes das einzige Beweismittel der Anklage darstellt, sollte sie nicht unter Inkaufnahme gravierender Beeinträchtigungen des Kindeswohls erzwungen werden, zumal die nach einer Zwangsanwendung erwirkte Aussage durch den Schock der Vorführung nicht von hoher Qualität sein dürfte 37l . bb) Die Vernehmungsübertragung als Alternative?

Steht das Nichterscheinen des kindlichen Zeugen erst einmal fest, entscheidet das Gericht, ob es eine kommissarische Vernehmung nach § 223 Abs. 1 StPO anordnet, deren Vernehmungsniederschrift später nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen wird, ob es auf eine bereits vorhandene richterliche Vernehmungsniederschrift aus dem Ermittlungsverfahren zurückgreift oder ob es nach § 247 a StPO verfahrt. Zu beachten ist allerdings, dass die Erziehungsberechtigten den kindlichen Zeugen gegebenenfalls auch für eine simultanübertragene Vernehmung nicht zur Verfügung stellen werden, denn auch diese Vernehmungsmodalität kann dem Kind nicht die erneute Befragung oder den beängstigenden Kontakt mit dem Gericht selbst ersparen. Bevor das Tatgericht also die eigentliche Abwägung zwischen den möglichen Beweismitteln vornehmen kann, wird zu klären sein, in welche Alternativformen der Vernehmung die Erziehungsberechtigten einwilligen. Natürlich kann das Tatgericht auch hier bereits auf abwägungsrelevante Belange vorgreifen. Liegt eine gute und vollständige Vernehmungsdokumentation als Niederschrift oder in Bild und Ton vor, wird das Gericht möglicherweise davon absehen können, weiter auf die Eltern einzuwirken, damit diese einer 370 Dahs in Löwe-Rosenberg, § 51, Rn. 2; K/M-G, § 51, Rn. 20; Meier, JZ 1991, 620; a.A: Skupin, MDR 1965,865. 371 Meier, JZ 1991,640; ausführlich zur Abwägung Vierhaus, NStZ 1994,271 f.; K/M-G, § 51, Rn. 20; Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 287 f.; Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 95; Nelles, Recht der Persönlichkeit, S. 224. Im Übrigen darf die zwangsweise Vorführung auch erst dann gegen den Willen der Erziehungsberechtigten stattfinden, wenn den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 1631 Abs. 1 BGB entzogen wurde. Alles andere würde ungerechtfertigt in den geschützten Bereich des Erziehungsrechts des Art. 6 Abs. 2 GG eingreifen; dazu Nelles, Recht der Persönlichkeit, S. 225 f.; Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 98 f.

C. Die Simultanübertragung

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simultanübertragenen Vernehmung zustimmen. Das Gericht kann dann bereits zu dem Schluss kommen, dass die Vorführung bzw. Verlesung der bereits vorhandenen Dokumentation genügt. Hingegen wird das Gericht bei ersichtlicher Insuffizienz der existierenden Vernehmungsdokumentationen auf die Erziehungsberechtigten einzuwirken haben, dass sie wenigstens zu einer simultan übertragenen Vernehmung ihre Zustimmung geben. Befürchtungen um das Kindeswohl lassen sich aber auch mit dieser Form zeugenschonender Vernehmung niemals gänzlich entkräften. So entfällt via Monitor zwar die Konfrontation mit dem Angeklagten, nicht aber die Konfrontation mit den zurückliegenden Geschehnissen 372. Ebenso wenig entfällt der auf den Kindern zumindest indirekt ruhende Zwang, sich vor den Verfahrensbeteiligten zu rechtfertigen, zu erklären, weswegen ihre Gegenwehr so gering ausgefallen ist oder sie sich nicht früher einem Erwachsenen offenbart haben 373 . Hinzu tritt, dass nicht jeder Zeuge in der Lage ist, mit den neuen Medien umzugehen. Abzuwägen wird deswegen auch sein, ob sich für diesen besonderen Zeugen ein Vorgehen nach § 247 a StPO überhaupt anbietet. Im Ergebnis ist damit zu rechnen, dass dort, wo der Zeuge unter vierzehn Jahren durch die Erziehungsberechtigten am Erscheinen in der Hauptverhandlung gehindert wird, auch eine Video vernehmung am Widerstand der Eltern scheitert. Entscheidend wird sein, was die Erziehungsberechtigten primär zu vermeiden wünschen. Geht es nur um die Konfrontation mit dem Angeklagten oder die aggressive Atmosphäre des Gerichtssaals, kommt eine Videovernehmung durchaus in Betracht. Wollen die Erziehungsberechtigten dagegen verhindern, dass "alles wieder hoch kommt,,374, bleibt tatsächlich nur der Rückgriff auf frühere Vernehmungsdokumentationen. Für die Vernehmung kindlicher Zeugen stellt also auch die Rechtsgrundverweisung des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO auf § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO keinen großen Gewinn dar. ce) Zusammenfassung

§ 247 a S. 1 Hs. 2 i. V.m. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO ist durchaus eine Alternative zum Schutz kindlicher Zeugen und muss bei Widerspruch der Erziehungsberechtigten gegen das Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung zwingend Beachtung finden. 372 Das wiederholte Erinnern an die Tat ist für Kinderzeugen einer der Hauptbelastungsfaktoren des Verfahrens; Busse/Volbert/Steller, Belastungserleben von Kindern, S. 186. 373 Kintzi, DRiZ 1996, 185. 374 Meier, JZ 1991,638 f.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Eine größere Anwendungsrelevanz ist in der Praxis allerdings nicht zu erwarten, geht es doch den Erziehungsberechtigten regelmäßig darum, überhaupt jede Belastung des Kindes durch eine Konfrontation mit dem Gericht zu vermeiden, so dass bei einer Verweigerung, das Kind in der Hauptverhandlung erscheinen zu lassen, ein Rückgriff auf in Schrift oder in Bild und Ton dokumentierte Beweissurrogate unvermeidlich sein wird.

b) Die gesperrte V-Person und der gefahrdete Zeuge aa) Die behördliche Sperrung der Beweisperson und ihre Folgen

Eine behördliche Zeugensperrung kann in unterschiedlicher Intensität auf der sog. zweiten und dritten Stufe der "Stufentheorie,,375 erfolgen. Auf der zweiten, der milderen Stufe wird der V-Mann behördlich zwar für die Hauptverhandlung gesperrt, doch er bleibt einer Vernehmung durch einen kommissarischen Richter zugänglich376 . Der V-Mann ist also durch behördliche Entscheidung nur zu einer Aussage gegenüber der kommissarischen Vernehmungsperson befugt377 • Bei dieser kommissarischen Vernehmung finden Zeugenschutzbestimmungen entsprechend § 68 StPO oder § 247 StPO Anwendung. Die Benachrichtigung des Verteidigers und des Angeklagten kann gemäß § 224 Abs. 1 S. 2 StPO unterbleiben. Der ohne Benachrichtigung erschienene Verteidiger hat allerdings ein Anwesenheitsrecht378 , weswegen auf der zweiten Schutzstufe eine Abschottung der V-Person nicht vollständig sichergestellt werden kann. Regelmäßig erfolgt deswegen eine vollständige Sperrung der Beweisperson und damit Zeugenschutz auf der sog. dritten Stufe. Dem Gericht wird entsprechend § 96 StPO eine ladungsfähigen Anschrift des Zeugen vorenthalten, so dass die V-Person nicht einmal mehr für eine kommissarische Vernehmung zu erreichen ist. In der Folge geht sie als Beweismittel für die 375

BGHSt. 32, 115 ff.; 33, 83 ff; 34, 15 ff.; 36, 159 ff; Lesch. JA 1995, 698 ff.;

Geppert. Jura 1992,246; BVerfGE 57, 250 (285 f.).

376 Ranft. Jura 1993, 451; Lesch. JA 1995, 699; Krehl, GA 1990, 558 ff., Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 427; Renzikowski. JZ 1999, 607. 377 Rechtsgrundlage für dieses Vorgehens ist eine de majore ad minus Argumentation zu § 54 StPO. § 54 StPO behandelt i. V.m. § 39 Abs. 3 BRRG bzw. § 61 f BBG oder den entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften wortwörtlich zunächst nur die vollständigen Versagung der Aussagegenehmigung. Gegenüber dieser absoluten Verweigerung ist die teilweise beschränkte Genehmigung zur Aussage vor dem kommissarischen Richter aber der weit geringere Eingriff und deswegen § 54 StPO als Rechtsgrundlage entsprechend heranzuziehen; K/M-G, § 54, Rn. 20 ff. 378 BGHSt. 32, 115 (127, 128 f.); Engels. NJW 1983, 1431.

C. Die Simultanübertragung

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Hauptverhandlung vollständig verloren. Dem Gericht bleibt nur, auf bereits existierende, richterliche oder polizeiliche Vernehmungssurrogate zurückzugreifen. Das sind i. d. R. polizeiliche Verhörsprotokolle, seltener Bild-TonKonserven. Weiterhin kann die polizeiliche Verhörsperson als Zeuge vom Hörensagen über die Angaben des anonymen Zeugen vernommen werden. Die beschriebene Versagung der Aussagegenehmigung bzw. die vollständige Sperrung des Zeugen ist nur unter den Voraussetzungen der §§ 62 Abs. 1 BGG, 39 Abs. 3 S. 1 BRRG bzw. analog § 96 StPO zulässig. Die Preisgabe des Zeugen muss also "dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes" Nachteile bereiten, damit eine Versagung der Aussagegenehmigung erfolgen darf. Außerdem kommt die Verweigerung der Genehmigung gemäß §§ 39 Abs. 3 S. 1 BRRG bzw. 62 Abs. 1 BBG dann in Betracht, wenn das öffentliche Zeugnis "die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde". Diese Voraussetzungen belassen den Behörden einen nicht zu unterschätzenden Interpretationsspielraum. Der Zeuge kann in analoger Anwendung der §§ 54, 96 StPO unbestreitbar dann gesperrt werden, wenn er durch die Offenbarung seiner Identität in Leib- und Lebensgefahr gebracht würde 379 . Weiterhin bejaht die höchstrichterliche Rechtsprechung einen Nachteil zum "Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes", wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass die Offenbarung der V-Person die Möglichkeit ihrer weiteren Verwendung gefährden würde 38o . Letzterem ist die Literatur zwar kritisch entgegengetreten, da damit der behördlichen Sperrung als Regelfall zulasten des Angeklagten und der Wahrheitsfindung Tür und Tor geöffnet wird 381 , doch spätestens die Einführung des § 110 b Abs. 3 StPO durch das OrgKG hat diese Rechtsprechung bestätigt382 . Die Möglichkeiten der behördlichen Sperrung anonymer Auskunftspersonen sind in der Folge noch weitreichender und zahlreicher geworden. Entsprechend gering sind im Gegenzug die Möglichkeiten der Gerichte, die Sperrerklärung zu überprüfen und sich den Zeugen durch Ladung für die Hauptverhandlung verfügbar zu machen 383 .

BVerfGE 57, 250 (285). BVerfGE 57, 250 (284); a.A. BGHSt. 33, 83 (92). 381 Zazcyk. StV 1993, 495 f. unter Verweis auf BGHSt. 33, 83 (92). 382 K/M-G, § 96, Rn. 13, Grünwald. Beweisrecht, S. 122; Siegismund. JR 1994, 252; das Interesse an einer weiteren Verwendung der V-Person kann u. U. von nachrangiger Bedeutung sein, OLG Stuttgart, NStZ 1985, 136 (137) m. Anm. Hilger; kritisch Zazcyk. der sich für eine einschränkende Interpretation des § 110 b Abs. 3 S. 3 StPO ausspricht, Zazcyk. StV 1993,495. 379 380

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

bb) Die behördliche Sperrung als Voraussetzung einer Vernehmungsübertragung

Die zunehmende Kritik an dieser Praxis der Einführung unüberprütbarer und zumeist äußerst zweifelhafter mittelbarer Beweise in die Hauptverhandlung gibt seit langem Anlass, diese Praxis zu überdenken 384 • Die Videotechnik schafft hier eine ernst zu nehmende und sehr zu begrüßende Möglichkeit, den Zeugen auch ohne ein Abgehen von notwendigen Sicherheitsstandards unmittelbar in der Hauptverhandlung zu hören. In ausländischen Rechtsordnungen - etwa im niederländischen und italienischen Strafverfahren - sind diese Maßnahmen seit Jahren die Rege1 385 . Der behördlich gesperrte, u. U. anonyme Zeuge wird über den Bildschirm für das Gericht i. S. d. § 244 Abs. 3 S. 2 StPO erreichbar. Ein Ausweichen auf die regelmäßig schlechteren, schriftlichen Beweissurrogate erübrigt sich. Gericht und Verteidigung werden in der Konfrontation mit der Beweisperson in die Lage versetzt nachzufragen, Widersprüche aufzudecken und in bestimmtem - wenn auch eingeschränktem - Umfang die Glaubwürdigkeit der Person und ihrer Aussage zu erschüttern 386 . Von Vorteil ist auch, dass sich der Zeuge bei seiner Aussage in der Hauptverhandlung kritischen Gesprächspartnern gegenüber sieht und seine Angaben gegebenenfalls zu beeiden hat. Der Anreiz, die Wahrheit zu sagen oder zumindest plausibel und detailliert vom Geschehen zu berichten, ist bei dieser Form der Vernehmung natürlich ungleich höher als etwa nur bei einer Aussage vor polizeilichen Vernehmungspersonen387 • 383 Lesch, StV 1995, 543 ff.; zu den Überprüfungsmöglichkeiten durch das Gericht mit einer Gegenvorstellung Krehl, GA 1990, 559; Joachim, StV 1992, 245; BGHSt. 17, 382 (384); 32, 115 (126); 33, 178 (179 f.); 36, 159 (162); HansOLG Harnburg, NStZ 1994, 98 (99); Grünwald, Beweisrecht, S. 122 f.; zu den Rechtsmöglichkeiten des Angeklagten, gegen eine Sperrung des Zeugen nach § 23 EGGVG über den Justizverwaltungsrechtsweg vorzugehen, OLG Stuttgart, NStZ 1985, 136 ff. 384 Lesch, StV 1995, 544 ff.; Renzikowski, JZ 1999, 611 ff.; Weider, StV 2000, 48 ff.; Grünwald, Beweisrecht, S. 125; dazu auch in Kapitel B.3.c). 385 Krauß, V-Leute im Strafprozess, S.69; van de Reyt, Landesbericht Niederlande, S. 302; Corte Cost., Sentenza - 22. luglio 1999, n. 342, veröffentlicht in EuGRZ 2000, 163; beschrieben im 2. Teil, Kapitel D.7. und D.9. 386 Lesch, JA 1995, 701; bei Geheimhaltung der Zeugenanonymität wird dem Zeugen auch gestattet werden müssen, dann die Antwort zu verweigern, wenn sie inhaltlich Rückschlüsse auf die Person des Zeugen zulässt. § 68 Abs. 4 StPO ist entsprechend eingeschränkt auszulegen, ohne aber zugleich dem Zeugen einen Freibrief zur Nichtbeantwortung aller Fragen zu erteilen, die seine Aussage erschüttern könnten, Lesch, StV 1995,545. 387 Zur "Zuverlässigkeit" von V-Personen Lüderssen, Jura 1985, 114 ff.; Weider, StV 2000, 49; Meyer, ZStW 95 (1983), 847 und im Kapitel B.3.c).

c. Die Simultanübertragung

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Gleichzeitig aber wird die Beweisperson keinen Gefahren am Ort der Hauptverhandlung ausgesetzt. Für die Bedrohenden ist sie räumlich unerreichbar. Selbst ein Aufspüren des Zeugen lässt sich durch Geheimhaltung des Vernehmungs- und Aufenthaltsortes vermeiden. Gegebenenfalls wird eine optische und akustische Abschirmung zusätzliche Sicherheit vor Enttarnung und Verfolgung bieten388 . Nicht einmal Einwände gegen eine durch die optische Vermummung erschwerte Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen389 vermögen noch zu begründen, weswegen trotz aller technischen Möglichkeiten, die das Gesetz nun zur Verfügung stellt, auf Beweissurrogate zurückgegriffen werden sollte, die weder durch die Verteidigung noch durch das Gericht hinterfragt werden können und daher die Rechte des Angeklagten am stärksten unterlaufen 39o • Andererseits kann die Videovernehmung natürlich nicht denselben absoluten Schutz vor Enttarnung und Entdeckung bieten, wie ihn die behördliche Vollsperrung zu garantieren vermag 391 . Entsprechend wird sie nicht für jede V-Person und auch nicht für jeden gefährdeten Zeugen in Frage kommen. Doch ist im Rahmen des Strafverfahrens genau zu differenzieren, inwieweit eine Abschottung des Zeugen überhaupt noch sinnvoll ist. Regelmäßig ist dem Angeklagten sowohl Gesicht als auch Stimme der anonymen Vernehmungsperson bekannt. Oft haben beide mehrmals zueinander Kontakt gehabt, miteinander gearbeitet oder sich zumindest telefonisch verständigt. Es wird sehr genau zu unterscheiden sein, weswegen und mit welchen Mitteln der Zeuge zu schützen ist. Geht es darum, dem anonymen Polizeiinformanten weiter die Tätigkeit im Milieu zu ermöglichen, ist die audiovisuelle Vernehmungsübertragung trotz abschirmender Maßnahmen mitunter die schlechteste Lösung. Die Stimme oder auch nur die Sprache des Vernommenen können den Angeklagten und Zuschauer auf die Spur des Zeugen und diesen bei erneuten Einsätzen in größte Gefahr bringen. Handelt es sich dagegen für den Zeugen um eine einmalige Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden und ist er dem Angeklagten bekannt, wird als Schutzmaßnahme auch die Verbringung an einen sicheren Ort, notfalls auch die Ausstattung mit einer neuen Identität genügen. Eine Sperrung des Zeugen für die Gerichtsver388 Dazu Weider, StV 2000, 51 ff.; Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 128; WeideriStaechelin, StV 1999, 51 f., 53; Diemer, NJW 1999, 1670; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 14; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 18; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 6, 19 ff.; Wattenberg, StV 2000, 695; Böttcher, Schüler-Springorum-Fs., S. 551; Kapitel B.3.c). 389 Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1040. 390 Wattenberg, StV 2000, 695. 391 SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998, 533; a. A. wohl Lesch, StV 1995, 546.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

handlung selbst aber ist nach dem strengen Maßgaben der Verhältnismäßigkeit unangebracht. Es genügt, wenn durch eine videovermittelte Aussage der Vernehmungs- und Aufenthaltsort des Zeugen geheimgehalten werden kann. Die Videovernehmung unter ergänzenden Schutzmaßnahmen - etwa dem Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 172 Nr. 1 a GVG oder unter Ausschluss des Angeklagten gemäß § 247 StPO - ist in jedem Fall der behördlichen Sperrung eines Zeugen absolut vorrangig. Das Gebot materieller Unmittelbarkeit und das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren verlangen nach einer Ausschöpfung des gesamten zeugenschützenden Instrumentariums, das die Rechtsordnung zu bieten hat, noch bevor das Originalbeweismittel dem Zugriff der Verfahrensbeteiligten zur Gänze entzogen wird. Für die Fälle behördlich gesperrter Zeugen gilt dies um so mehr, da regelmäßig bei einer Vollsperrung nur die polizeiliche Vernehmungs niederschrift bzw. die Vernehmung der polizeilichen Vernehmungsperson als Beweismittel für die Hauptverhandlung übrig bleiben und damit die anerkanntermaßen schlechtesten aller Beweissurrogate. In jedem Fall sollte sich nunmehr der behördliche Begründungsaufwand für eine Sperrerklärung erhöhen. Lesch 392 verlangte bereits vor Jahren zu Recht, die Überprüfungsmöglichkeiten der Sperrerklärung auf mehr als nur die offenkundige Fehlerhaftigkeit der Erklärung bzw. auf Willkür der Behörde auszudehnen 393 • Eine Forderung, die nicht zuletzt auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stünde, der sich wiederholt für eine auf den strengen Maßstäben der Verhältnismäßigkeit basierende Überprüfung der behördlichen Sperrerklärung ausgesprochen hat 394 . WeiderlStaechelin halten eine Sperrerklärung, die ersichtlich ohne Berücksichtigung der durch § 247 a StPO gewährten Möglichkeiten des ZeuLesch, StV 1995, 546. Das BVerfG verpflichtet zwar die Behörden, plausible Erklärungen für eine Geheimhaltung zu liefern, bei geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen aber muss die grundsätzliche Sachentscheidungsbefugnis des Gerichts "Einbußen erfahren", BVerfGE 57, 250 (287 f.). 394 Legitime Interessen müssen die Geheimhaltung des Zeugen erfordern. Handelt es sich bei den Beweispersonen um Polizei beamte, zu deren dienstlichen Aufgaben u. a. auch die Aussage in öffentlichen Gerichtsverhandlungen gehört, sind weit höhere Anforderungen an eine Gefährdungsdarlegung zu stellen als bei Privatpersonen, EGMR [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997, 619; Wattenberg/Violet, StV 1997, 620 ff.; Renzikowski, JZ 1999, 612; Krauß, V-Leute im Strafprozess, S. 77, 105, 161 f.; zwar hat auch das BVerfG den Behörden vor Abgabe einer entsprechenden Sperrerklärung eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung auferlegt, es lässt diese Entscheidung allerdings nicht durch die Gerichte überprüfen, BVerfGE 57, 250 (283 ff.); Krauß, V-Leute im Strafprozess, S. 39 ff., 162. 392 393

C. Die Simultanübertragung

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genschutzes ergangen ist, sogar generell für willkürlich bzw. offenkundig fehlerhaft 395 . Eine Erklärung, die nur formelhaft darauf verweist, zeugenschützende Vernehmungsmethoden des geltenden Rechts würden den Schutzbelangen des Betroffenen nicht genügen, muss automatisch das Gericht veranlassen, auf eine Freigabe des Zeugen hinzuwirken oder von einer Verwertung des nur mittelbaren Beweises abzusehen. Eine Beweiserhebung via Monitor wird ferner für behördlich gesperrte oder aus Gefährdungsgründen am Erscheinen gehinderte Zeugen auch regelmäßig "zur Erforschung der Wahrheit erforderlich" sein, § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO. Die Problematik der "Unzuverlässigkeit" von V-Personen 396 ist zu bekannt, als dass man sie vernachlässigen könnte. Auch lässt sie sich nicht mit der in der Rechtsprechung gerne verwandten Differenzierung zwischen "zuverlässigen" polizeilichen Auskunftspersonen und "weniger zuverlässigen" Auskunftspersonen anderer Art 397 hinweg argumentieren. Ein kritisches Hinterfragen der Schilderungen, Eindrücke von der Persönlichkeit und der Glaubwürdigkeit des Zeugen lassen sich nun einmal nicht durch polizeiliche Vernehmungs niederschriften und ebenso wenig durch die Befragung polizeilicher Vernehmungspersonen ersetzen, die u. U. ein eigenes Interesse daran haben, den Informanten als besonders glaubwürdig erscheinen zu lassen oder tatprovozierendes Verhalten des Informanten zu verschweigen 398 . ce) Die Einordnung der Videovernehmung in die Drei-Stufen-Theorie Als Vernehmung in der Hauptverhandlung ist die simultan übertragene Einvernahme des behördlichen Ermittlungsgehilfen in der Systematik der Rechtsprechung auf der sog. ersten Stufe der Stufentheorie des BGH zu verankern 399 . Sie ergänzt Schutzmaßnahmen wie die Geheimhaltung des Wohnortes (§ 68 Abs. 2 StPO) oder der Identität (§ 68 Abs. 3 S. 1 StPO), den Ausschluss des Öffentlichkeit (§ 172 Nr. 1 a GVG) oder die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungs saal (§ 247 StPO). Gegenüber den Maßnahmen auf der zweiten und dritten Stufe des behördlichen Zeugenschutzes hat die Videovernehmung strikten Vorrang. Erst 395 WeideriStaechelin, StV 1999, 53 unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BGH, s. BGHSt. 36, 159 (163) und BVerfGE 57, 250 (285 ff.). 396 Dazu auch Kapitel B.3.c). 397 BGH, NJW 1991,646 f.; zustimmend Joachim, StV 1992,248. Nach Ansicht des EGMR dagegen unterliegt die polizeiliche Auskunftsperson eher einer Pflicht zur Auskunftserteilung unmittelbar im Gericht als eine Zivilperson, EGMR [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997,619. 398 Weider, StV 2000, 50. 399 Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 427; Renzikowski, JZ 1999, 607.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

wenn die Behörde trotz Bildschirmvernehmung und u. U. zusätzlichen Maßnahmen der optischen und akustischen Abschirmung den Schutz des Zeugen nicht mehr gewährleistet sieht, darf sie den Zeugen teilweise oder vollständig für die Hauptverhandlung sperren. Allerdings dürfte dies angesichts des sehr weitreichenden Schutzinstrumentariums der ersten Stufe nur noch in Ausnahmesituationen der Fall sein. Die Anforderungen an die Begründung einer Sperrerklärung erhöhen sich entsprechend. Eine nicht ausreichend substantiierte und damit rechtswidrige Sperrerklärung bindet die Gerichte nicht. Ist das Bemühen um eine Freigabe des Zeugen dennoch vergeblich, ist auf die Erhebung eines nur mittelbaren Beweises zu verzichten. Insgesamt lassen die neuen Medien eine sehr zu begrüßende Schwerpunktverschiebung erwarten, weg von der Vollsperrung und hin zur Vernehmung unmittelbar, wenn auch durch eine technische Barriere getrennt, in der Hauptverhandlung. c) Die "erweiterte Erreichbarkeit" des Auslandszeugen

Am Erscheinen in der Hauptverhandlung ist Zeugen i. S. d. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO auch dann verhindert, wenn er außerhalb des Geltungsbereichs der Strafprozessordnung wohnt bzw. sich auf längere Zeit in fremdem Hoheitsgebiet aufhält und aus diesem Grund entweder nicht - auch nicht im Wege der Rechtshilfe - zum Erscheinen veranlasst werden kann oder er sein Erscheinen in der Hauptverhandlung verweigert4OO • Bevor dieser Hinderungsgrund allerdings die Einvernahme des Zeugen per Videosimultanübertragung bzw. die vollständige Ersetzung seiner Aussage durch ein schriftlich oder in Bild und Ton fixiertes Vernehmungssurrogat erlaubt, muss das Tatgericht durch entsprechende Bemühungen sicherstellen, dass die Hindernisse, welche der physischen Präsenz des Zeugen entgegenstehen, nicht in anderer Form ausgeräumt werden können401 . Diese Bemühungen dürfen nur dann unterbleiben, wenn das Gericht aufgrund gewissenhafter Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass der Zeuge nicht erscheinen wird und eine Ladung oder entsprechende Anstrengungen um eine Rechtshilfeleistung des Aufenthaltsstaates von vornherein aussichtslos sind402 . Nach welchem Maßstab aber bestimmt sich die Prüfung nach den notwendigen Beibringungsbemühungen? BGHSt. 7, 15; 13, 300; 32, 68. BGH, GA 1968, 19; RGSt. 12, 104 (l05 f.); Weiland, JuS 1986, 462; Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag, S. 621 ff., 628 ff.; SK-Schlüchter, § 251, Rn. 12; KK-Diemer, § 251, Rn. 6; AK-Dölling, § 251, Rn. 12. 402 BGH, NStZ 1992, 141;1982,212; GA 1980,422; Herdegen, NStZ 1984,339. 400 401

c. Die Simultanübertragung

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Grundlegender Prüfungsmaßstab ist immer das Aufklärungsgebot des

§ 244 Abs. 2 StPO.

Liegt aber außerdem auch ein Beweisantrag auf Vernehmung des Auslandszeugen vor, muss sich das Gericht mit der in § 244 Abs. 3 S. 2, 5. Var. StPO verankerten Frage nach der "Erreichbarkeit" des Zeugen auseinandersetzen. Nachdem grundsätzlich der "Erreichbarkeitsbegriff' des § 244 Abs. 3 S. 2 StPO die höchsten Beibringungsanforderungen an das Gericht stellt, soll er Ausgangspunkt der folgenden Darstellung zur "Unerreichbarkeil" des Auslandszeugen sein403 .

aa) Die Unerreichbarkeit des Auslandszeugen anhand "klassischer" Fallgruppen Zur "Unerreichbarkeit" eines im Ausland befindlichen Zeugen haben sich in Rechtsprechung und Literatur mehrere Fallgruppen herausgebildet und je nach Fallgruppe werden vom Tatgericht unterschiedliche Bemühungen um eine Erreichbarmachung des Zeugen gefordert. Sie sind in den folgenden Abschnitten dargestellt. (1) Grundloses Ausbleiben bzw. Verweigerung des Zeugen zu Erscheinen

Allein der Aufenthalt im Ausland genügt grundsätzlich nicht, um eine Unerreichbarkeit des Zeugen annehmen zu können404 . Zwar ist aufgrund des Aufenthalts der Beweisperson auf fremdem Hoheitsgebiet ihr Erscheinen durch deutsche Behörden nicht zu erzwingen, bevor das Gericht allerdings aus diesem Grund auf die Ladung verzichtet, hat es zu prüfen, welche Rechtshilfemöglichkeiten ihm durch multi- oder bilaterale Rechtshilfeabkommen oder auch auf vertragsloser Basis zur Verfügung stehen, um dennoch das Erscheinen des Zeugen veranlassen zu können 405 . Im Wege der Rechthilfe ist zunächst auf eine Ladung des Zeugen hinzuwirken. Für den europäischen Raum gibt das Europäische Rechtshilfeübereinkommen vom 20. April 1959 (EuRHÜbk)406, das für nahezu alle Staaten des Europarates gilt407 , das entsprechende Instrumentarium vor. 403 Zum Zusammenhang zwischen §§ 244 Abs. 2 und 3 bzw. 251 StPO im Kapitel c.l.a); außerdem K/M-G, § 244, Rn. 12; Nagel, Die Beweiserhebung im Ausland, S. 241; a.A. AK-Schäch, § 244, Rn. 28; Julius, Unerreichbarkeit, S. 175. 404 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 244, Rn. 266; AK-Schäch, § 244, Rn. 99; Herdegen, NStZ 1984, 339. 405 Ter Veen, StV 1985,300; Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 107 ff.; eine Übersicht über internationale Abkommen zur Rechtshilfe in Strafsachen findet sich bei Schomburg/Lagodny, IRG; ausführlich auch Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 219 ff.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Gemäß Art. 7 EuRHÜbk wird die Zustellung von Schriftstücken durch den ersuchten Staat bewirkt. D.h. der ersuchende Staat nimmt die Ladung nicht selbst im Hoheitsgebiet des fremden Staates vor408 . Die unmittelbare Ladung des Zeugen im Postweg wäre grundsätzlich unzulässig und deswegen auch rechtsfolgenlos 4 0 9 . Für den Schengener Rechtsraum410 eröffnet allerdings Art. 52 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) für bestimmte Urkunden - u. a. auch für Zeugenladungen - den direkten Postweg411 . Der Zeuge, der einer solchen Ladung nicht Folge leistet, darf gemäß Art. 8 EuRHÜbk keinen Zwangsmaßnahmen unterworfen werden, selbst wenn die Ladung solche androht. Das gilt gemäß Art. 52 Abs. 3 SDÜ gleichermaßen für eine direkte Übermittlung im Geltungsgebiet des SDÜ. Gemäß Art. 52 Abs. 3 S. 2 SDÜ muss die zustellende Behörde zusätzlich darauf achten, dass die Ladung keine Zwangsandrohungen enthält412 . Enthalten sollte die Ladung allerdings einen Hinweis auf die Zeugenentschädigung und die Erstattung der Reise- und Aufenthaltskosten. Fehlt dieser Hinweis, so hat das Gericht mitunter seiner Pflicht zur Ladung des Zeugen nicht Genüge getan, ist doch nicht vollständig auszuschließen, dass sich der Zeuge bei Hinweis auf die Entschädigungszahlung doch zum Erscheinen in der Hauptverhandlung entschieden hätte413 . BGBI. 1964 Ir, S. 1369, 1386; 1976 Ir, S. 1799; 1982 I, S. 2071. Mitglieder des EuRHÜbk sind nach Stand vom 15.02.2001: Albanien, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Irland, Island, Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Republik Moldavien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spanien, Tschechien, Türkei, Ukraine, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern; außerhalb der Reihe der Mitglieder des Europarats sind zu nennen Israel und - bedingt die Vereinigten Staaten; neue ster Stand jeweils abzurufen unter http://www.unikarlsruhe.de/BGH/rechtshilfe.htm. 408 Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 108, 110; Schnigula, DRiZ 1984, 177; Walter, NJW 1977, 985. 409 BGH, StV 1985,48; Julius, Unereichbarkeit, S. 137 ff., 144. 410 D. h. im Geltungsbereich des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ), S. BGBI. 1993 Ir, S. 1010, 1902; 1994 Ir, S.631; 1996 11, S. 242, 2542; 1997 Ir, S. 966. 411 Welche Urkunden hiervon betroffen sind, richtet sich aber nach den Bestimmungen der einzelnen Schengenstaaten. Einen Überblick geben - nach Staaten geordnet - Schomburg/Lagodny, IRG, Art. 52 SDÜ; Schomburg, NJW 1995, 1931 f. 412 Bereits die Androhung von Zwangsmaßnahmen i. S. d. § 51 StPO kann vom Rechtshilfe leistenden Staat als Eingriff in seine Hoheitsgewalt aufgefasst werden und ist dementsprechend zu vermeiden; Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 112 f. 413 Schnigula, DRiZ 1984, 180. 406 407

C. Die Simultanübertragung

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Neben einem frühzeitigen Zugang der Ladung haben die zustellenden Behörden auch darauf zu achten, dass die Ladung in einer Sprache abgefasst ist, die der Zeuge auch versteht414 . Zusätzlichen Entscheidungsdruck kann auch eine gemäß Art. 10 EuRHÜbk durch den ersuchten Staat ergehende Aufforderung an den Zeugen bewirken, er solle vor dem Gericht des ersuchenden Staates erscheinen. Über Art. 10 EuRHÜbk kann im Übrigen auch die Haltung des Zeugen zu einer Vernehmung ausgeforscht werden, weswegen der BGH in mehreren Entscheidungen auf diese Möglichkeit hingewiesen hat415 . Auch sind mögliche Formen des Zeugenschutzes anzugeben 416 . Für die Ladung im internationalen Rechtshilfeverkehr auf vertragsloser Basis gilt der diplomatische Geschäftsweg, ein recht zeitaufwendiges und kompliziertes Verfahren417 . Allein der zu tätigende große Aufwand erlaubt den Gerichten aber immer noch nicht, auf den Zeugen wegen Unerreichbarkeit zu verzichten, zumal mit fast allen Ländern der Erde Rechtshilfeverkehr auf vertragsloser Ebene möglich ist418 . Unerreichbar ist der Zeuge nach der Rechtsprechung auch dann nicht, wenn er im Wege der Rechtshilfe vernommen werden kann 419 • Die kommissarische Vernehmung durch einen Richter oder Vernehmungsbeamten des ersuchten Staates bzw. durch einen deutschen Konsularbeamten420 macht den Zeugen aber nicht unter allen Umständen für das Gericht erreichbar. Vorab ist zu immer prüfen, ob eine solche Vernehmung überhaupt möglich und sinnvoll ist421 . Ergibt eine Prüfung der Sachlage, dass nur die Einvernahme unmittelbar vor dem erkennenden Gericht der Wahrheitserfindung dienlich ist, etwa BGH, StV 1984, 324 Bei Nichtbeachtung wurde die tatgerichtliche Annahme einer "Unerreichbarkeit" des Zeugen nicht gelten gelassen BGH, StV 1985, 48; 1984, 324 (325); auch ter Veen, StV 1985, 301 (Fn. 103). 416 BGH, StV 1983,61. 417 Julius, Unerreichbarkeit, S. 143. 418 Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 120; Je nach Kriminalitätsbereich können auch andere Abkommen eine vertragliche Basis für eine Rechtshilfeverkehr darstellen, wichtigste Regelung ist hier mit Sicherheit Art. 7 VN-Suchtstoffübereinkommen. 419 BGH, GA 1954,222; ter Veen, StV 1985,300; a.A. Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 102 f.; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 244, Rn. 259. 420 Auch die Vernehmung durch den deutschen Konsularbeamten gemäß §§ 15 Abs. 3, 19 Abs. 2 KonsG ist von der Zustimmung des ersuchten Staates abhängig, Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 37. 421 KK-Herdegen, § 244, Rn. 83; K/M-G, § 244, Rn. 65; BGH, NJW 1991, 186; Schomburg/Lagodny, IRG, Vor § 68, Rn. 32 ff. 414 415

17 Swoboda

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

weil es zwingend auf den persönlichen Eindruck des Zeugen ankommt, dann ist die kommissarische Befragung nicht nur sinnlos, sondern auch nutzlos und überflüssig 422 . Das bei dieser Vernehmung erstellte Protokoll kann zwar gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO Eingang in die Beweisaufnahme finden, wird aber nicht zur Überzeugungsbildung des Gerichts beitragen. In diesem Fall erlaubt eine Abwägung zu Gunsten der Gründe der Verfahrensökonomie und Verfahrensbeschleunigung vom Sammeln nutzloser Beweise abzusehen423 . In der Prognose einer späteren Wertlosigkeit des mit einer kommissarischen Einvernahme geschaffenen Vernehmungssurrogats liegt allerdings eine grundsätzlich unzulässige Beweisantizipation. Sie ist - wenn überhaupt - nur bei sorgfältiger, plausibler Begründung zulässig 424 . Nicht zu Unrecht bemerkt hierzu ter Veen, dass sich der Wahrheitswert einer kommissarischen Vernehmung regelmäßig nicht im Voraus, sondern erst nach der Beweisaufnahme beurteilen lässt. Das Gericht wird also nur im Ausnahmefall auf die Ausschöpfung des Beweismittels wenigstens im Wege mittelbarer Beweisaufnahme verzichten können 425. Die nun gesetzlich bereitgestellte Möglichkeit, Bild-Ton-Aufzeichnungen früherer Vernehmungen gemäß §§ 255 a Abs. 1,251 StPO in das Hauptverfahren einzuführen bestärkt diese Argumentation. Auch die audiovisuelle Dokumentation kann ein Bild von der Persönlichkeit des Zeugen vermitteln und damit gegenüber dem gänzlichen Verzicht auf Beweiserhebung einen größeren Beitrag zur Sachaufklärung leisten 426 . Dies gilt in noch größerem Maße für die Simultanübertragung von Vernehmungen. Soweit das Recht des ersuchten Staates eine Vernehmung nach Art des § 247 a StPO und insbesondere eine Befragung des Zeugen unmittelbar durch den Vorsitzenden des Gerichts der Hauptverhandlung gestattet, wäre ein Absehen von der Vernehmung rechtlich fehlerhaft 427 . 422 Herdegen, NStZ 1984, 340; BGHSt. 45, 188 (189 f.); Rose, IR 2000, 78; Schnigula, DRiZ 1984, 181; a.A. ler Veen, StV 1985,303. 423 Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag, S. 633. 424 Herdegen, NStZ 1984, 340. Die Befürchtung, das Ergebnis der nach ausländi-

schem Verfahrensrecht erfolgten Vernehmung werde aufgrund eines dort zwar erlaubten, im innerstaatlichen Recht aber explizit verbotenen Vorgehens einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, lässt sich mitunter dadurch entkräften, dass die ausländischen Behörden um Einhaltung einiger wichtiger Verfahrensprinzipen des ersuchenden Staates gebeten werden, soweit dies ihrem eigenen Recht nicht zuwiderlaufen würde; vgl. Art. 7 XII VN-Suchtstoffübereinkomrnen; Klip, MI 2 (1995), 248 f. 425 ler Veen, StV 1985,303, unter Verweis auf Hanack, IZ 1972, 115. 426 Gollwilzer in Löwe-Rosenberg, § 244, Rn. 268; Lagodny, Videovernehmungen im Strafverfahren: nur Risiken und Nebenwirkungen? S. 171 f. 427 BGHSt. 34, 188; 46, 73; K/M-G, § 244, Rn. 63.

C. Die Simultanübertragung

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Allerdings kann der Zeuge auch dann, wenn nach dem Recht des ersuchten Staates eine Videovernehmung möglich wäre, sein Erscheinen verweigern. Das Grundproblem fehlender Zwangsmittel auf fremdem Hoheitsgebiet bleibt also trotz technologischen Fortschritts ungelöst428 . (2) Unerreichbarkeit wegen Tatbeteiligung und Befürchtung eigener Strafverfolgung Steht der zu ladende Zeuge unter dem Verdacht der Tatbeteiligung und würde er sich bei Rückkehr in die Bundesrepublik deswegen der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen, neigen die Tatgerichte dazu, eine Unerreichbarkeit des Zeugen auch ohne jeglichen Ladungsversuch anzunehmen429 . So wurde eine Unerreichbarkeit des Zeugen höchstrichterlich etwa dann bejaht, wenn sich der Zeuge durch die Bestätigung der Beweisbehauptung der Gefahr einer Selbstbelastung aussetzen würde43o . Für den Rechtsverkehr auf vertragloser Grundlage hat der BGH diese Haltung der Gerichte noch gebilligt, ist ihr aber in jeder anderen Hinsicht mit Nachdruck entgegengetreten431 , denn die Gefahr der Strafverfolgung lässt sich für den Zeugen bannen, indem man ihm freies Geleit anbietet und gewährt. Will das Gericht alle Möglichkeiten, sich den Zeugen zur Verfügung zu halten, ausschöpfen, dann muss bereits die Ladung einen Hinweis auf das freie Geleit enthalten432 . Diesen Hinweis verlangt u. U. sogar das Gebot des "fair trial", etwa dann, wenn anders der vom Angeklagten benannte wichtige Entlastungs428 Zwar hat der BGH ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei einer Vernehmung im Wege der Rechtshilfe Zwangsmittel in Betracht kommen, BGH, StV 1983, 8, doch ist die Anwendung von Zwangsmitteln gemäß Art. 8 EuRHÜbk auf den Fall beschränkt, in dem sich der Zeuge später freiwillig in das Hoheitsgebiet des ersuchten Staates begibt und dort erneut vorgeladen wird; Julius, Unerreichbarkeit, S. 140. Auch ein Aufenthaltsstaat hat grundsätzlich nicht das Recht, einen Zeugen zu zwingen, sich zu einer Vernehmung auf das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates zu begeben, Schnigula, DRiZ 1984, 180; Klip, MI2 (1995), 253. 429 ter Veen, StV 1985, 301. 430 OLG Hamburg, IR 1980, 32 (33) m. Anm. Gollwitzer. 431 BGH, GA 1971, 85; MDR 1979, 597; StV 1983, 140; Julius, Unerreichbarkeit, S. 150. 432 Der Hinweis in der Ladung ist im Übrigen deswegen so wichtig, weil der BGH die Existenz einer allgemeinen Regelung des Völkerrechts, mit der bei vertragslosem Rechtshilfeverkehr der im Ausland geladene Zeugen auch ohne Zusicherung oder sonstige Gewährleistung freies Geleit hat, nicht bestätigen konnte; BGH, NJW 1988, 3105 ff. Die Frage nach einem regionalen Völkerrecht aber ist weiter offen, Schomburg/Lagodny, IRG, Vor § 68, Rn. 26. Einen allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsatz der Zusicherung freien Geleits bejaht Linke, EuGRZ 1980, 156. 17*

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3. Teil: Simultan übertragung von Vernehmungen

zeuge nicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung veranlasst werden kann 433 . Einfacher ist die Rechtslage aber bei Existenz eines Rechtshilfeübereinkommens. Z.B. verpflichtet Art. 12 EuRHÜbk die Behörden zur Zusicherung freien Geleits für die Dauer der Vernehmung und einen Zeitraum von bis zu fünfzehn Tagen, nachdem die lustizbehörden die Anwesenheit des Zeugen nicht mehr verlangen 434 . Fehlt dieser Hinweis, darf auch bei Nichtbefolgung der Ladung keine Unerreichbarkeit des Zeugen angenommen werden, denn es ist nicht auszuschließen, dass sich der Zeuge nur aufgrund Unkenntnis von seinem Rechts auf freies Geleit gegen ein Erscheinen entschieden hat. Allerdings zeigt in der Praxis auch der Verweis auf das freie Geleit nur wenig motivierende Wirkung. Deswegen ist für diejenige Beweisperson, die sich aufgrund befürchteter Strafverfolgung nicht in den Bereich deutscher Hoheitsgewalt begeben möchte, die Fernvernehmung sicherlich eine attraktive Alternative. Sie enthebt den Zeugen der Notwendigkeit, sich dem Zugriff der innerstaatlichen Strafverfolgungsbehörden auszusetzen, indem sie ihm den Verbleib im Ausland auch für die Dauer der Vernehmung ermöglicht. Soweit also der Zeuge trotz Zusicherung des freien Geleits sein unmittelbares Erscheinen in der Hauptverhandlung weiter verweigert, muss das Gericht sogleich die Möglichkeit einer Vernehmung per Bild-Ton-Übertragung prüfen und in einer erneuten Ladung den Zeugen auf diese Vernehmungsalternati ve hinweisen435. (3) Verweigerung der Überstellung eines im Ausland inhaftierten Zeugen Auch ein im Ausland in Haft befindlicher Zeuge ist nicht ohne weiteres für das Tatgericht unerreichbar. Allerdings ist ein Ersuchen um Überstellung des Inhaftierten für die Dauer der Vernehmung selten erfolgreich, vor allem dann nicht, wenn mit 433 Peukert, EuGRZ 1980, 256. Hoffmann leitet die Pflicht zum Hinweis auf freies Geleit in der Ladung sogar allgemein aus dem Fairnessgebot, verbunden mit der Pflicht zur bestmöglichen Wahrheitserforschung her; Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 123. 434 Ähnliche Regelungen finden sich in weiteren bi- oder multilateralen Abkommen, so beispielsweise in Art. 7 Abs. XVIII des VN-Suchstoffübereinkommens. 435 Aus verfahrensökonomischen Gründen sollte der Zeugen dann aber auch über die Rechtshilfebehörden des ersuchten Staates vorab um eine Stellungnahme ersucht werden. Verweigert die Beweisperson bereits im Vorhinein definitiv die Teilnahme auch an der simultan übertragenen Vernehmung, dann bleibt dem Gericht wenigstens der große rechtliche und vor allem technische Aufwand erspart, den die Vorbereitung einer solchen Vernehmung auf bei den Seiten verlangt.

C. Die Simultanübertragung

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dem ersuchten Staat kein Übereinkommen besteht, auf das ein entsprechendes Ersuchen gestützt werden kann436 . An die tatgerichtliche Feststellung der Unerreichbarkeit sind dann entsprechend geringere Anforderungen zu stellen 437. Im Geltungsbereich des EuRHÜbk kann ein Häftling gemäß Art. 11 EuRHÜbk vorübergehend als Zeuge in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates überstellt werden. Allerdings wird die Anwendbarkeit dieser Bestimmung stark durch Vorbehaltserklärungen auf der Basis des Art. 23 Abs. 1 EuRHÜbk eingeschränkt. Die Bundesrepublik Deutschland beispielsweise lehnt eine Überstellung des Häftlings ab, soweit einer der in Art. 11 Abs. 1 Unterabsatz 2 EuRÜbk genannten Gründe vorliegt438 , d.h. wenn (a) der Häftling der ÜbersteIlung nicht zustimmt; (b) wenn seine Anwesenheit in einem im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates anhängigen Strafverfahren notwendig ist; (c) wenn die ÜbersteIlung geeignet ist seine Haft zu verlängern, oder (d) wenn andere gebieterische Erwägungen seiner ÜbersteIlung in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates entgegenstehen439 . Da ferner das Prinzip der Gegenseitigkeit im Völkerrecht und damit auch im internationalen Rechtshilfeverkehr fest verankert ist, kann ein Staat nur in den Fällen um Rechtshilfe ersuchen, in denen er selbst zur Leistung von Rechtshilfe bereit ist. Für die Bundesrepublik hat dies zur Folge, dass sie die ÜbersteIlung eines Häftlings dann nicht verlangen kann, wenn einer der vor ihr anerkannten Hindernisgründe im Weg steht, also etwa dann nicht, wenn der Inhaftierte seiner ÜbersteIlung nicht zustimmt44o . Die Anwendbarkeit des Art. 11 EuRHÜbk ist aus diesem Grund für die Bundesrepublik stark eingeschränkt. ter Veen, StV 1985,301; BGH, MDR 1976,634. Allerdings ist es in jedem Fall ratsam, eine ausdrückliche Erklärung des ersuchten Staates über eine Verweigerung der Rechtshilfeleistung herbeizuführen. Außerdem zwingt der erweiterte Erreichbarkeitsbegriff des § 244 Abs. 3 S. 2 StPO das Gericht, sich ferner um eine kommissarische Vernehmung des Zeugen durch Vernehmungsbeamten des ersuchten Staates zu bemühen; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 244, Rn. 266, 268. 438 BGBI. 1976 11, S. 1799; vgl. auch Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 3.11.1964, BGBI. 1964 11, S. 1369; Walter, NJW 1977, 985. 439 Vorbehaltserklärungen anderer Staaten schließen mitunter eine Überstellung gänzlich aus oder machen sie von zusätzlichen Erwägungen abhängig; Julius, Unerreichbarkeit, S. 163; Walter, NJW 1977, 986. Einige Staaten haben ihre allgemeinen Vorbehalte zu Art. 11 EuRHÜbk aber mittlerweile auch zurückgenommen oder in einer Form modifiziert, die dem deutschen Vorbehalt sehr ähnlich ist; vgl. beispielsweise für Schweden BGBI. 199211, S. 1237. 440 BGH, NJW 1983,527 (528). 436

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Für die notwendigen Beibringungsbemühungen der Gerichte gilt damit, dass dann, wenn der ersuchte Staat einen der in Art. 11 Abs. 1 Unterabsatz 2 EuRHÜbk genannten Gründe geltend macht, weitere Anstrengungen unterbleiben können, zumindest soweit sie das persönliche Erscheinen des Zeugen vor dem erkennenden Gericht zum Ziel haben. Weitergehende Bemühungen um eine kommissarische Vernehmung des Zeugen im Wege der Rechtshilfe bzw. um eine per Bild-Ton-Übertragung geführte Vernehmung des Zeugen in die Hauptverhandlung auf der Grundlage des § 247 a StPO dürfen natürlich nicht unterbleiben. Der Vorteil dieser videotechnisch gemittelten Vernehmung ist dabei sicherlich auch, dass der sicherheitstechnische und logistische Aufwand, der mit dem Transport des Häftlings über die Grenze verbunden ist, entfallen kann. Der mit der Installation und dem Aufbau geeigneter Übertragungsanlagen verbundene technische Aufwand nimmt sich dagegen gering aus441 • Stehen in der Justizvollzugsanstalt keine geeigneten Räumlichkeiten oder Leitungsverbindungen zur Verfügung, kann auch auf ein angemietetes Fernesehstudio ausgewichen werden. Außerdem lassen sich durch den Verbleib des Zeugen auf fremdem Hoheitsgebiet Befürchtungen des ersuchten Staates entkräftet, der ersuchende Staat könnte im Nachhinein eine Rücküberstellung des Häftlings verweigern. Für einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland waren diese Befürchtungen bis zur Einführung des Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG442 auch nicht gänzlich von der Hand zu weisen, denn die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger ins Ausland wird in Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG prinzipiell untersagt443 . Für eine Auslieferung an Mitgliedsstaaten der Europäische Union und an einen internationalen Gerichtshof durchbricht nunmehr Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG dieses grundsätzliche Verbot, wenn auch nur unter der Einschränkung, dass rechtsstaatliche Grundsätze einer Auslieferung nicht entgegenstehen dürfen444 • Das Haupthindernis für eine auch nur kurzzeitige Überstellung aber dürfte weiterhin in der fehlenden Zustimmung des Zeugen liegen. Die Bemühungen des Gerichts sollten deswegen vor allem darauf gerichtet sein, 441 In einigen europäischen Staaten - allen voran Italien - sind die Justizvollzugsanstalten bereits mit Ubertragungsanlagen ausgestattet, dazu im 2. Teil, Kapitel D.7. 442 Im Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 29.11.2000, BGB\. 2000 I, S. 1633. 443 Schnigula, DRiZ 1984, 181. 444 Mit der Neufassung des Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG erfüllt die Bundesrepublik zugleich eine ihr gemäß Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens zur Auslieferung zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 27.9.1996 obliegende Pflicht, auch die Auslieferung eigener Staatsangehöriger grundsätzlich zu ermöglichen; ausführlich zu Art. 16 Abs. 2 StPO Zimmermann, JZ 2001, 233 ff.

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etwaige Bedenken des Inhaftierten bezüglich einer Strafverfolgung oder in Bezug auf Befürchtungen um seine Sicherheit in Erfahrung zu bringen und durch den Hinweis auf das freie Geleit i. S. d. Art. 12 EuRHÜbk und auf mögliche Zeugenschutzmaßnahmen zu zerstreuen. Das Angebot der simultan übertragenen Vernehmung - notfalls unter optischer und akustischer Abschirmung und unter Geheimhaltung des Vernehmungsortes - darf im Rahmen dieser Vorschläge nicht ausbleiben. (4) Zusammenfassung: Beibringungsbemühungen und Videotechnik Die gerichtlichen Beibringungsbemühungen werden durch die Möglichkeit, sich den Zeugen per Videoübertragung verfügbar zu machen, entscheidend beeinflusst. Je einfacher durch den technischen Fortschritt und die internationale Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung445 eine Personen auch auf fremdem Hoheitsgebiet erreichbar gemacht werden kann, desto mehr wird von den Gerichten verlangt, sich um diese rechtliche und technische Zusamrpenarbeit zu bemühen. Unterbleiben solche Anstrengungen, kann dies in der Revision u. U. mit einer Aufklärungsrüge geltend gemacht werden, weil das Gericht nicht ausreichend um eine Sachaufklärung mit den Originalbeweismitteln nachgesucht hat446 . Die neuen Medien eröffnen gleichzeitig sogar die Chance, die Vernehmung des Zeugen trotz der Schwierigkeiten, seiner habhaft zu werden, reibungslos und zügig durchzuführen447 . Ferner profitiert die Einheitlichkeit der Hauptverhandlung von einem konzentriert durchgeführten Beweisverfahren per Videovernehmung. Dies ist deswegen hervorzuheben, weil die tatrichterliche Abwägung auch bei der Frage der notwendigen Beibringungsbemühungen das Span445 Zeichen dieser zunehmenden Bereitschaft sind beispielsweise der Abschluss zusätzlicher Rechtshilfeübereinkommen, etwa des SDÜ oder des EuRHÜbk vom 29. Mai 2000, genauso wie die kürzlich erfolgte Einrichtung einer Brüsseler Koordinationsstelle (pro-EUROJUST), mit der die Koordinierung der nationalen Staatsanwaltschaften erleichtert und die Strafverfolgung mit Bezug zur organisierten Kriminalität unterstützt werden soll. Auch das bereits errichtete "Justizielle Netz" dient der Erleichterung von Rechtshilfeersuchen; eine Überblick über die Zusammenarbeit im europäischen Rechtsraum gibt Gieß, DRiZ 2000, 365 ff.; zum "Justiziellen Netz" s. ABI. L 191 vom 07.07.1998, S. 4; Schomburg, DRiZ 1999, 107 ff.; Wahl, AGON 2001, No. 33, S. 21. 446 BGHSt. 45, 188; a.A. wohl BGHSt. 46, 73; dazu kritisch Sinn, JZ 2001, 51 f., kritische Anmerkungen ebenfalls bei Albrecht, StV 2001, 366 ff.; Diemer, StraFo 2000, 219. 44? BGH, StV 1982, 51 (52); KK-Diemer, § 251, Rn. 5; Herdegen, NStZ 1984, 338; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 265.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

nungsverhältnis zwischen Aufklärungsgebot und Konzentrationsmaxime nicht unberücksichtigt lassen darf. Die Frage der "Erreichbarkeit" befasst sich letztlich nicht nur damit, einen Zeugen um jeden Preis persönlich herbeizuschaffen. Sicherzustellen ist auch, dass aus dem qualitativ wertvollsten Beweismittel geschöpft werden kann448 . Je schneller der Zeuge vernommen wird, desto geringer die Gefahr von Erinnerungsverlusten und einer damit verbundenen Verschlechterung der Beweisqualität449 . Auch die richterliche Überzeugungsfindung aus dem "Inbegriff der Verhandlung" (§ 261 StPO) profitiert von einem zeitlich gestrafften und auf wenige Verhandlungstage konzentrierten Beweisverfahren, dessen Ergebnisse dem erkennenden Gericht bei der Entscheidungsfindung noch frisch im Gedächtnis sind und nicht erst durch spätere Aktenstudie in Erinnerung gerufen werden müssen. Ist also absehbar, dass der Zeuge aufgrund nationaler Vorbehalte nicht in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates überstellt bzw. er sich nicht zum persönlichen Erscheinen bereit erklären wird, kann kurzfristig auf eine simultan übertragene Vernehmung zurückgegriffen werden. Bei guter Kooperation der Staaten lassen sich Videovernehmungen innerhalb weniger Wochen bewerkstelligen45o . Also auch der zeitliche Aspekt wiegt schwer zu Gunsten einer Videovernehmung, wenn abzusehen ist, dass der Zeuge so schnell nicht persönlich und unmittelbar on der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen wird. Für den vom Gericht anzustrebenden "schonenden Ausgleich" zwischen Schnelligkeit und bestmöglicher Aufklärung451 kann die Videotechnik zur wichtigsten Schnittstelle werden. Wann aber können die Bemühungen um eine Videoübertragung als aussichtslos abgeschlossen werden? Dem BGH genügt hierzu schon, dass ein Fehlen der notwendigen Übertragungsgeräte im ersuchten Staat dargelegt wird, zumindest soweit das GeJulius, Unerreichbarkeit, S. 92 ff. Julius, Unerreichbarkeit, S. 90 f.; zum Spannungsverhältnis zwischen den Geboten möglichst rascher und möglichst richtiger Entscheidungen Kloepfer, JZ 1979, 210 f. 450 In einem Verfahren des LG Dresden, in dem in der Hauptverhandlung eine mehrstündige Verbindung nach Oslo geschaltet wurde, vergingen zwischen der ersten Anfrage über eine rechtliche und technische Möglichkeit einer Videovernehmung bis zu ihrer tatsächlichen Durchführung weniger als vier Wochen, die allerdings mit intensiven Vorbereitungen verbracht wurden. Fehlt diese intensive Kooperation allerdings, so kann sich die Vorbereitung einer simultan übertragenen Vernehmung als nicht weniger zeitintensiv darstellen; zum Verfahren im Kapitel C.2.c)cc). 45 J Kloepfe r, JZ 1979, 211. 448 449

c. Die Simultanübertragung

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richt auf diplomatischem Weg hierüber eine staatliche Erklärung bewirkt hat452 . Allerdings ist dem BGH hier nur bedingt zuzustimmen, denn bevor der ersuchende Staat jede weitere Anstrengung unterlässt, könnte er auch technische Hilfeleistung anbieten, also beispielsweise eine mobile Übertragungsanlage, wie sie in der Mehrzahl der Landesjustizzentren zur Verfügung stehen, dem anderen Staat zur Verfügung stellen453 . Deutlich wird in der Übersicht über die einzelnen Fallgruppen der "Unerreichbarkeit" des Auslandszeugen jedenfalls eines: Mit der Möglichkeit der Simultanübertragung von Vernehmungen durch internationale Rechtshilfe erweitert sich der obligatorische Prüfungsrahmen des Tatgerichts nach § 244 Abs. 2 und 3 StPO erheblich. Der Einsatz der Videotechnik wird dabei nicht nur dann zum alternativen Beweisverfahren, wenn anders der vollständige Beweisverlust oder die Beschränkung auf Beweissurrogate droht, sie ist auch eine Alternative zur Herbeischaffung des Zeugen selbst, wenn sie zugleich als Mittel des Zeugenschutzes oder mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung und Verfahrenskonzentration zum Einsatz kommt. bb) Notwendige gerichtliche Aufklärungshandlungen in systematischer Abstufung

Eine am Gebot der Sachaufklärung orientierte Prüfung der "Erreichbarkeit" des Auslandszeugen stellt sich nach der mit § 247 a StPO erfolgten Einführung der Vernehmung auf Distanz nunmehr wie folgt dar454 : (I) Vorprüfung: Die Erforderlichkeit des Zeugenbeweises, §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 244 Abs. 5 S. 2 StPO

Die Einvernahme eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, kann dann unterbleiben, wenn sie nach pflichtgemäßem Ennessen des Gerichts nicht zur Erforschung der Wahrheit erforde·"ich ist. § 244 Abs. 5 S. 2 StPO stellt dies für den Bereich des Beweisantragsrechts noch einmal ausdrücklich klar, wobei aber die Erforderlichkeit der 452 Der Grundsatz der Souveränität der Staaten verpflichtet die Gerichte, dies als Grund für eine Unmöglichkeit der Videovernehmung hinzunehmen, BGH, StV 2000,345. 453 Diese Konstellation der Bereitstellung technischen Geräts durch den ersuchenden Staat ist beispielsweise auch in Art. 10 Abs. 2 S. 2 EuRHÜbk vom 29.5.2000 vorgesehen, s. dazu Kapitel B.2.c)ee).(1). Außerdem würde sich bei entsprechender Anfrage die zuständige Behörde möglicherweise auch zur Anmietung eines Studios bereit erklären - dann allerdings wohl nur auf Kosten des ersuchenden Staates. 454 Grundlegend Rose, Der Auslandszeuge, S. 373 ff.; BGHSt. 45, 188; Rose, JR 2000,77 f.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Beweiserhebung nur dann verneint werden darf, wenn die Prüfung des sachlogischen Zusammenhangs zwischen Beweisthematik, bereits erlangtem Beweisstoff und zu erwartendem Wert des Beweismittels eine Nutzlosigkeit, Ungeeignetheit oder Wertlosigkeit der beantragten Beweiserhebung ergibt455 . Dem Gericht bleibt demnach wenig Entscheidungsspielraum. § 244 Abs. 5 StPO bringt also eigentlich etwas für den Strafprozess Selbstverständliches zum Ausdruck: "Es geht im Strafverfahren nicht darum, wertlose Beweise zu sammeln, sondern Beweise zu erheben, deren Ergebnis zur richterlichen Überzeugungsbildung beitragen kann. ,,456

Lässt sich aber nicht ausschließen, dass sich bei Gelingen des Beweises Schlussfolgerungen für den Tat- oder Schuld vorwurf ableiten lassen, durch welche die Vorwürfe widerlegt, abgemildert oder auch nur in den Geltungsbereich des Zweifelssatzes gezogen werden, dann ist eine Beweiserhebung aus dem grundlegenden Gebot der Sachaufklärung unerlässlich457 . Die Beweiserhebung darf erst dann unterbleiben, wenn die Möglichkeit, die bisherige Überzeugung des Gerichts zu der Beweisfrage durch die Erhebung des beantragten Beweises noch zu erschüttern, vernünftigerweise ausgeschlossen erscheint458 . Die Grenzen, innerhalb derer das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen eine beantragte Beweiserhebung präkludieren kann, sind folglich denkbar eng gesteckt459 . (2) Vernehmung unmittelbar persönlich vor dem erkennenden Gericht Ist die Hürde der Beweispräklusion nach § 244 Abs. 5 S. 2 StPO genommen, ist eine Vernehmung des Zeugen also überhaupt erforderlich46o , dann 455 Herdegen, NStZ 1998, 445 ff.; K/M-G, § 244, Rn. 46 m. w.N.; Widmaier, NStZ 1994,416; Schlothauer, StV 2000, 181; BGHSt. 40, 60 (62). 456 Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag, S. 633. 457 Herdegen, NStZ 1998, 445; zur Verfassungsmäßigkeit des § 244 Abs. 5 S. 2 StPO unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) BVerfG, StV 1997, 1; Rose, Der Auslandszeuge, S. 512 ff. 458 BayObLG, VRS 57, 28 (31); OLG Hamm, VRS 45, 311 (312); einen Überblick über die hierzu ergangene Rechtsprechung bei Rose, Der Auslandszeuge, S. 520 f. 459 Im Hinblick auf eine revisions gerichtliche Überprüfung bedeutet eine Berufung § 244 Abs. 5 S. 2 StPO vor allem aber einen erheblichen Begründungsaufwand. Die tatgerichtliche Beweisprognose kommt hier nicht umhin, in einem "rational-argumentativen" Vorgang den Grund für die Präklusion des beantragten Beweismittels zu substantiieren. Der Inhalt des Ablehnungsbeschlusses muss - mit den Worten des BGH - "die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem tatsächlichen Kern verdeutlichen". "Billiger", so Herdegen, "ist die antizipatorische Präklusion von Sachverhaltsmomenten, deren Nachweis möglicherweise Beweiswürdigung und Urteilsspruch zu beeinflussen vermag, nicht zu haben"; Herdegen, NStZ 1998,446.

c. Die Simultanübertragung

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muss sich das Gericht zunächst um das unmittelbar persönliche Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung bemühen. Obwohl der Tatbestand des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO keine der ersten Alternative entsprechenden Subsidiaritätsklausel enthält, gilt auch hier, dass sich der Gesetzgeber für einen Vorrang der unmittelbar persönlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung entschieden hat. Der Zeuge ist also in einem ersten Schritt förmlich vor das erkennende Gericht zu laden, und das selbst dann, wenn er auf eine formlose Anfrage hin seine Bereitschaft zum Erscheinen bereits verneint hat461 . Das Gericht darf von einer förmlichen Ladung erst dann absehen, wenn diese Weigerung als endgültig und definitiv anzusehen ist462 . Bei den Bemühungen um die Herbeischaffung des Zeugen hat das Gericht alle zuvor genannten Möglichkeiten der Rechtshilfe auszuschöpfen. Auch eine Information über eventuelle weitere bilaterale Rechtshilfeabkommen darf nicht unterbleiben463 . In Einzelfällen gebieten aber die Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime sowie Schutzinteressen des Zeugen, von den mitunter recht langwierigen Versuchen, diesen zum persönlichen Erscheinen zu bewegen, abzusehen. Ist der im Ausland zu ladende Zeuge massiven Bedrohungen an Leib und Leben ausgesetzt oder ist er aufgrund seines jugendlichen Alters oder seiner Konstitution den verfahrensindizierten Belastungen nicht gewachsen oder bedarf es aus rechtlichen Gründen einer vollständigen Anonymisierung der Beweisperson, so wird regelmäßig eine Einvernahme unmittelbar im Verhandlungssaal ohnehin nicht in Betracht kommen. Das Gericht braucht sich dann um die persönliche Beibringung des Zeugen nicht mehr zu bemühen, sondern kann sogleich zur Prüfung der rechtlichen und technischen Voraussetzungen für eine Vernehmung auf Distanz übergehen464 . BGHSt. 45, 188 (189). BGHSt. 45, 188 (189); Klip, MJ 2 (1995), 252 f. 462 Duttge, NStZ 2000, 159 in kritischer Würdigung von BGHSt. 45, 188, dem tatsächlich nicht zu entnehmen ist, auf welcher Grundlage das Tatgericht die Prognoseentscheidung traf, von einer förmlichen Zeugenladung vollständig abzusehen; allgemein SK-Schlüchter, § 244, Rn. 107; KK-Herdegen, § 244, Rn. 82. 463 Instruktiv dazu OLG Düsseldorf, StV 1993, 515; zu den zwingenden Vornahmehandlungen bei der Ladung Julius, Unerreichbarkeit, S. 170 ff.; Rose, Der Auslandszeuge, S. 374; Kloepfer, JZ 1979, 210 f.; BGH, NStZ 1990, 245; 1991, 143, 1993,350. 464 Bemühungen um eine Verbringung des Zeugen in den Geltungsbereich der Strafprozessordnung lohnen sich allenfalls dann noch, wenn die grenzüberschreitende Vernehmung aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensordnungen in ersuchendem und ersuchtem Staat unlösbare Probleme bereitet. Mangels internationalen Kollisionsrechts, wie es im Privatrecht entwickelt wurde, ist im Strafverfahren eine Kollision der verschiedenen Verfahrensnormen kaum aufzulösen. 460 461

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Im "Schnittpunkt" von Zeugen schutz und Verfahrensökonomie erlangen die neuen Medien für das Strafverfahren ihre größte Bedeutung. (3) Videovernehmung Grundsätzlich gilt die Vernehmung auf Distanz als das schlechtere Beweismittel gegenüber der unmittelbar persönlichen Einvernahme des Zeugen im Verhandlungssaal. Ein Beweissurrogat im "klassischen" Sinn, d.h. eine Form des nur mittelbaren Beweises wie etwa die Verlesung von Vernehmungsniederschriften, ist sie damit noch lange nicht465 . Das Tatgericht darf deswegen die Möglichkeit einer Videovernehmung niemals außen vor lassen466 . Für das Beweisantragsrecht ist außerdem zu bemerken, dass es eines eigens auf eine Videokonferenz gerichteten Antrags nicht bedarf. Nach dem in höchstrichterlicher Rechtsprechung vertretenen "erweiterten Erreichbarkeitsbegriff' "umfasst ein Antrag auf Ladung des Zeugen im Ausland vor das Prozessgericht zugleich jedes Weniger, das der Tatrichter nicht als für die Wahrheitsfindung wertlos erachtet,,467. Wird also die Hinzuziehung des Zeugen beantragt, so hat sich das Tatgericht nicht nur um eine Beibringung des Zeugen in Person zu bemühen, sondern muss ohne weitere Anregung auch die Frage der Vernehmung auf Distanz und die einer kommissarischen Einvernahme behandeln468 . Von Vorteil mag auch sein, dass der Zeuge bei einem Vernehmungsort im Inland der innerstaatlichen Strafandrohung wegen uneidlicher Falschaussage oder Meineides (§§ 153 ff. StGB) unterliegt und zudem die in §§ 51, 70 StPO genannten Zwangsmittel gegen den Zeugen zur Verfügung stehen, sobald dieser unberechtigt die Zeugnis- oder Eidesleistung verweigert; Klip, MJ 2 (1995), 253. Allerdings ist kaum denkbar, dass sich ein Zeuge zunächst freiwillig in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik begibt, nur um dann trotz Androhung von Zwangsmaßnahmen die Aussage grundlos abzulehnen. Auch kann der Aufenthaltsstaat für eine Strafbarkeit wegen eines Aussagedeliktes selbst Sorge tragen; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 17 (Fn. 64); vgl. dazu Art. 10 Abs. 8 EuRHÜbk vom 29.5.2000, Kapitel C.2.c)ee)(I). 465 Vassilaki, JZ 2000, 476; Rieck; StraFo 2000, 405; a.A. wohl Diemer, NJW 1999,1669; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 8. 466 Schlothauer, StV 1999, 50; Sinn, JZ 200 I, 51 f.; BGHSt. 45, 188 (190 ff.); entgegen BGHSt. 46, 73 (78) ist das Gericht außerdem verpflichtet darzulegen, weswegen es sich mit dem geringeren, mittelbaren Beweis begnügt, denn der Verzicht auf die an sich bessere Videokonferenz berührt die Möglichkeiten der Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung aber ist notwendiger Inhalt der Urteilsgründe nach § 167 Abs. 1 StPO; Albrecht, StV 2001, 366. 467 BGHSt. 45, 188 (190). 468 Schlothauer, StV 1999,50; ders., StV 2000, 181.

C. Die Simultan übertragung

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Wird der Weg der simultan übertragenen Vernehmung gewählt, muss das Gericht sicherstellen, dass die Ausgestaltung der Fernvernehmung im Wesentlichen einer Vernehmung unmittelbar vor dem innerstaatlichen Gericht entspricht. Nur so kann die Videovernehmung als "Teil der Hauptverhandlung" angesehen werden 469 .

In technischer Hinsicht ist für eine optimale gegenseitige Sichtbarkeit sowie eine ausgezeichnete akustische Verständigung zu sorgen. Rechtlich ist darauf Wert zu legen, dass die für die Hauptverhandlung wesentlichen Verfahrensgarantien gewährleistet sind47o . Die Verhandlungsleitung übernimmt entsprechend § 238 Abs. 1 StPO der Vorsitzende. Gemäß der Struktur der in § 247 a StPO beschriebenen Vernehmungsform des "englischen Modells" ist es auch der Vorsitzende, der die Fragen direkt an den Zeugen richtet. Außerdem trägt er dafür Sorge, dass die "ungeschmälerte Ausübung der prozessualen Befugnisse durch alle Prozessbeteiligten geWährleistet ist", d.h. die Sitzungs- und Ordnungsgewalt des Vorsitzenden wird auch auf den Ort erstreckt, an dem der Zeuge seine Aussage macht471 . Die Hauptverhandlung und die mit ihr verbundenen hoheitlichen Befugnisse werden gewissermaßen teilweise auf das Hoheitsgebiet eines anderen Staates verlagert.

In dieser Verlagerung von Hoheitsgewalt allerdings liegt eine der rechtlichen Hauptschwierigkeiten der grenzüberschreitenden Videovernehmungen. Das erkennende Gericht wird über Videotechnik in die Lage versetzt, hoheitliche Maßnahmen auf fremdem Hoheitsgebiet zu treffen472 . Das aber ist ein Eingriff in die Souveränität des anderen Staates. Ein Verstoß gegen die Gebietshoheit setzt weder die physische Präsenz des hoheitlich handelnden Organs noch die Vornahme des Hoheitsaktes unmittelbar auf fremdem Staatsgebiet voraus. Dem Völkerrecht genügt dafür, dass sich im Ausland abspielende Sachverhalte auf innerstaatlichem Territorium auswirken 473 . Bei der Anordnung einer Videovernehmung ist der Weg über die Rechtshilfe also unumgänglich474 . Leitner, StraFo 1999,47; Rieß, StraFo 1999, 6. Ausführlich BGHSt. 45, 188 (194 0; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 3; K/M-G. § 247 a, Rn. 10. 471 BGHSt. 45, 188 (195); Rieß; StraFo 1999, 6; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 6 ff. 472 Vassilaki, JZ 2000, 475. 473 Sogenanntes Wirkungs- oder Auswirkungsprinzip, Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 2, Rn. 55 ff.; allgemein aus völkerrechtlicher Sicht zur Frage der Setzung von Hoheitsakten auf fremdem Staatsgebiet lpsen, Völkerrecht, § 23, Rn. 93 ff.; Seidl-HohenveldemIStein, Völkerrecht, S. 148 ff. 474 Erstaunlich daher das "souveräne" Ignorieren jeder Frage Argentinischer Justizhoheit durch die USA im Fall HarreIl v. State of Florida, 709 So. 2d. 1364 (1998), in dem die Zeugen ohne den "Umweg" über argentinische Justizbehörden 469

470

270

3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Wird um die entsprechende Rechtshilfe ersucht, so liegt es in der Hand des betroffenen Staates, Art und Reichweite des Eingriffs in seine Hoheitsgewalt verbindlich festzulegen. Es lässt sich dabei nicht ausschließen, dass der Staat zwar die Vernehmung auf Distanz gestattet, aber zugleich eine Befragung durch eigene Richter oder Vernehmungsbeamte bzw. durch einen deutschen Konsularbeamten zur Auflage macht475 . Der jetzigen Struktur des § 247 a StPO liefe eine solche Auflage natürlich zuwider. Gemäß den Feststellungen des BGH ist die Vernehmung auf Distanz nur dann als Vernehmung "in der Hauptverhandlung" zu klassifizieren, wenn die Leitung der Vernehmung und die Befugnis zur Ausübung von Sitzungs- und Ordnungsgewalt allein beim Vorsitzenden des erkennenden Gerichts liegt. Eine automatische Kombination mit der kommissarischen Vernehmung i. S. v. § 223 StPO gestattet § 247 a StPO nicht476 . Eine unmittelbar in der Hauptverhandlung erfolgende Vernehmung, gemittelt durch Vertreter einer ausländischen lustizbehörde, ist nach deutschen Verfahrensrecht schlechthin unzulässig. Der BGH macht dies mit folgenden Worten deutlich: "Dem steht nicht entgegen, sondern es ist sogar dem Verfahren förderlich, wenn bei der Vernehmung ein Vertreter der lustizbehörde des ersuchten Staates anwesend ist, der vorab die Identität der zu vernehmenden Person feststellt und damit sicherstellt, dass sich die erbetene Rechtshilfe auf die gewünschte Person erstreckt. Dieser Vertreter des ersuchten Staates kann zugleich auf die Einhaltung der rechtlichen Grundprinzipien seines Staates - soweit dort für erforderlich erachtet - Sorge tragen. Hiervon zu unterscheiden ist die Durchführung der Hauptverhandlung selbst, die den Feststellungs- und Belehrungsregeln der §§ 243, 57 StPO folgt.,,477

Die Vertreter der lustizbehörden des ersuchten Staates sind Beobachter. Sie sorgen für die geeigneten rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der Vernehmung, ohne aktiv an der Beweiserhebung auf ihrem Hoheitsgebiet beteiligt zu sein. Das Verfahrensrecht des ersuchten Staates direkt durch das US-amerikanische Gericht in ein Fernsehstudio zur Vernehmung geladen worden waren, S. 2. Teil, Kapitel D.1.c). 475 Janovsky, Kriminalistik 1999,454. So geschehen in einem Verfahren vor dem LG Hildesheim, als der Bolivianische Oberste Gerichtshof in Sucre die videotechnisch vermittelte Einvernahme nur unter der Bedingung gestattete, die Vernehmung durch einen örtlichen Richter durchführen zu lassen, Fallschilderung im Kapitel C.2.c)cc). 476 A.A. natürlich all diejenigen Autoren, die bereits auf der Grundlage des geltenden Rechts eine Kombinationsmöglichkeit des § 247 a StPO mit § 223 StPO bejahen, so beispielsweise KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 5; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 3; Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 56; HK-Julius, § 247 a, Rn. 3; zum Problemkreis und entsprechenden Gesetzesvorschlägen in Kapitel B.4.b). 477 BGHSt. 45, 188 (195).

C. Die Simultan übertragung

271

bleibt außen vor, soweit nicht fundamentale Prinzipien durch die Anwendung deutschen Verfahrensrechts verletzt werden. Erklärt sich der ersuchte Staat zur Hinnahme dieser Einschränkungen nicht bereit, scheitert die Vernehmung auf Grundlage des geltenden § 247 aStPO. Nicht zu Unrecht beanstandet Vassilaki in diesem Zusammenhang, dass die Strukturvorgaben des § 247 a StPO für den internationalen Rechtshilfeverkehr wenig geeignet sind. Eine Erweiterung auf Vernehmungen durch Vertreter der lustizbehörden des ersuchten Staates oder deutsche Konsularbeamte wäre zu bedenken, um den ersuchten Staat nicht allzu sehr in seinem Ermessensspielraum einzuengen. Nach völkerrechtlichen Grundsätzen können deutsche Gerichte nicht erwarten, dass bei Ausführung des Rechtshilfeersuchens deutsches Strafprozessrecht Anwendung findet478 . Allerdings können sie die ausländischen Behörden um eine Beachtung deutscher Verfahrensregelungen bei der Beweiserhebung ersuchen, wie dies beispielsweise in Art. 7 XII des VN-Suchtstoffübereinkommens vorgesehen ist. Die von Malek vertretene Auffassung, eine Auslandsvernehmung auf der Grundlage des § 247 a StPO sei aufgrund der hier aufgeführten Probleme staatlicher Souveränität als unzulässig anzusehen, ist allerdings verfehlt479 . Ist der ersuchte Staat mit der Ausübung ausländischer Hoheitsgewalt auf seinem Staatsgebiet einverstanden, so steht der Wirksamkeit der im Ausland vorgenommenen Hoheitsakte nichts entgegen480 . Internationale Tendenzen belegen zudem, dass eine Reihe von Staaten der in § 247 a StPO gewählten Vernehmungsform aufgeschlossen gegenüberstehen481 . Selbst Staaten, die eine dem § 247 a StPO entsprechende Regelung selbst nicht kennen, haben sich bereits kooperativ gezeigt und die mit der Vernehmung auf Distanz verbundene teilweise Verlagerung der Hauptverhandlung auf ihr Hoheitsgebiet geduldet482 . Anders als Vassilaki befürchtete483 ist die Resonanz auf eine grenzüberschreitende Video vernehmung in der von § 247 a StPO vorgegebenen Form durchaus positiv. Für den Rechtshilfeverkehr innerhalb Europas ist zudem anzumerken, dass § 247 a StPO in seiner Struktur auf Entschließungen des Europarates beruht, die sich gerade die Realisierung einer technisch vermit478 Vassilaki, JZ 2000, 475 f.; AK-Dölling, § 251, Rn. 26; BGHSt. 2, 300; NStZ 1996, 609; Rose, NStZ 1998, 155. 479 Malek, Verteidigung in der Hauptverhandlung, Rn. 354 h. 480 Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 257 ff. 481 K/M-G, § 247 a, Rn. 6; Seitz, JR 1998, 311. 482 Zu nennen wären hier v.a. Frankreich und Norwegen. Andere Staaten haben selbst Regelungen entsprechend der Struktur des § 247 a StPO geschaffen und relativ erfolgreich auch auf grenzüberschreitende Vernehmungen angewandt, so beispielsweise Italien, das Vereinigte Königreich und mehrere Staaten der USA. 483 Vassilaki, JZ 2000, 476.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

telten Ausdehnung von Hauptverhandlungen auf fremdes Hoheitsgebiet unter Anwendung des Verfahrensrechtes des ersuchenden Staates zum Ziel gesetzt haben484 . So heißt es beispielsweise in der Entschließung des Rates vom 23. November 1995 über den Schutz von Zeugen im Rahmen der Bekämpfung internationaler organisierter Kriminalität: "Der Rat der Europäischen Union ... A. ersucht die Mitgliedsstaaten, einen angemessenen Schutz von Zeugen unter Berücksichtigung der folgenden Leitlinien sicherzustellen: ...

a) Zu den Schutzmaßnahmen zählt auch die Möglichkeit, dass die Aussage an einem anderen Ort erfolgt als dem, an dem sich die verfolgte Person befindet, falls erforderlich mittels audiovisueller Verfahren und unter Anwendung der Grundsätze des persönlichen Anwesenheitsrechts, wie er in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte definiert wurde; B. ersucht die Mitgliedsstaaten, die Rechtshilfe in diesem Bereich zu erleichtern und zwar auch in den Fällen, in denen in der Rechtsordnung des ersuchten Staates derartige Bestimmungen fehlen; davon ausgenommen sind Fälle, in denen die Durchführung des Rechthilfeersuchens nicht mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Staates vereinbar ist. Um die Inanspruchnahme audiovisueller Verfahren zu erleichtern sollten insbesondere folgende Punkte berücksichtigt werden: a) Es sollte grundsätzlich vorgesehen werden, dass die Vernehmung allein nach den gesetzlichen Vorschriften und materiellen Bedingungen des ersuchenden Staates durchgeführt wird."

Auch der Abschluss des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 bestätigt mit Art. 10 die innereuropäische Akzeptanz der von § 247 a StPO beschriebenen Vernehmungsformen 485. Strukturell ist § 247 a StPO also nicht verfehlt, sicherlich aber ergänzungsbedürftig. Gerade der Rechtshilfeverkehr ohne vertragliche Grundlage kann sich dann, wenn das Ermessen des ersuchten Staates bei der Vorgabe der Vernehmungsgestaltung zu stark eingeschränkt wird, als schwierig erweisen. Eine ablehnende Haltung des ersuchten Staates wird vor allem dann zu beobachten sein, wenn sein Verfahrensrecht die in Bild und Ton übertragene 484 Entschließung des Rates vom 23. November 1995 über den Schutz von Zeugen im Rahmen der Bekämpfung internationaler organisierter Kriminalität, ABI. C 327/95, S. 5, und die Entschließung des Rates vom 20. Dezember 1996 über Personen, die im Rahmen der Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität mit den lustizbehörden zusammenarbeiten, ABI. C 10/97 S. 1; vgl. auch die Stellungnahme des Rechtsausschusses in BT-Drs. 13/9063, S. 4 f. 485 ABI. C 197/00; s. dazu auch den "Erläuternden Bericht" vom 29.12.2000, ABI. C 379/00; zu Art. 10 genauer Kapitel C.2.c)ee)(l).

C. Die Simultanübertragung

273

Vernehmung auf Distanz nicht kennt und damit auch die Erfahrung im Umgang mit derartigen Vernehmungsmodalitäten fehlt. Trotzdem hat sich das Gericht auch bei der Rechtshilfe auf vertragsloser Basis zunächst auf diplomatischem Weg über mögliche Rechtshilfeleistungen und ganz speziell auch über den Einsatz von Videotechnik zu informieren und alle Maßnahmen zu ihrer Durchführung zu ergreifen. Hilfreich mag hier auch die Entsendung eines Verbindungsrichters sein, der - mit Einverständnis des Rechtshilfe leistenden Staates - vor Ort für die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen Sorge trägt. Auch wenn die Anforderungen an die gerichtlichen Bemühungen, sich das Originalbeweismittel per Videovernehmung für die Hauptverhandlung erreichbar zu machen, hoch sind, der Tatbestand des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO setzt ihnen eine am Aufklärungsgebot orientierte Grenze. Eine Vernehmung auf Distanz ist dann unzulässig, wenn sie im Vergleich zu vorhandenen, bloß mittelbaren Beweisen keinen größeren Aufklärungsbeitrag erwarten lässt und damit für die "Erforschung der Wahrheit" nicht erforderlich ist486 . Das Gericht muss demnach eine weitere Beweiswertprognose treffen. Der zu erwartende Aufklärungsbeitrag der Aussage ist gegen die Gefahr deutlicher Verfahrensverzögerungen abzuwägen. Dem hohen Wert des Originalbeweismittels für die Sachaufklärung steht aber nicht nur der rechtliche und technische Aufwand für eine Vernehmung per Bild-Ton-Übertragung gegenüber, er ist auch mit dem Beweiswert zu vergleichen, den die Auswertung bereits vorhandener oder noch zu erstellender Vernehmungsniederschriften bzw. Bild-Ton-Dokumentationen erwarten lässt487 . Ein erhöhter organisatorischer Aufwand bei der Vorbereitung der Fernevernehmung sollte außerdem erst dann mitberücksichtigt werden, wenn sich eine Kooperation mit dem ersuchten Staat als offenkundig schwierig herausstellt und die endgültige Genehmigung einer Videosimultanübertragung auf längere Zeit ungewiss bleibt. Das Risiko hoher Kosten allein berechtigt das Gericht nicht, von den Bemühungen um eine Vernehmung auf Distanz abzusehen. Es muss sich ferner immer darüber im Klaren sein, dass es sich bei einer Entscheidung gegen die Videovernehmung die Möglichkeit vergibt, aus der ursprünglichen Beweisquelle selbst zu schöpfen und sich einen persönlichen Eindruck von dieser zu verschaffen488 . 486 Seitz, JR 1998, 312; Rieß, NJW 1998, 3242 (Fn. 41); HK-Julius, § 247 a, Rn. 9; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 14; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 16. 487 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 16; ausführlich Albrecht, StV 2001,366.

18 Swoboda

274

3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Nicht uneingeschränkt zuzustimmen ist deswegen den Ausführungen des BGH zu den Kriterien der gerichtlichen Prognoseentscheidung. Im Urteil vom 15. September 1999 heißt es dazu: "Bei der Entscheidung, ob das Gericht von der Möglichkeit des § 247 a StPO Gebrauch machen will oder nicht, ist insbesondere die durch das technische Medium und die fehlende körperliche Anwesenheit des Zeugen ... (... )... eingeschränkte Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 250 Satz 1 StPO) zu beachten. Zu berücksichtigen wird auch sein, dass sich eine auf Distanz befragte Person dem durch Frage und Antwort entstehenden Spannungsverhältnis eher wird entziehen können als in direktem Kontakt in ein und demselben Raum. Durch die technisch bedingte Distanz wird es zudem schwieriger sein, im Vorfeld der Aussage Hemmungen abzubauen, Vertrauen zu erwecken und sich selbst einen hinreichenden Eindruck von der individuellen Eigenart der Auskunftsperson und ihrem non-verbalen Ausdrucksverhalten zu verschaffen .... (... )... Solange die Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für eine Falsch- oder pflichtwidrige Nichtaussage im konkreten zwischenstaatlichen Verhältnis nicht im Sinne einer effektiven Sanktionierbarkeit geklärt ist, ist auch dieses Defizit in Bedacht zu nehmen. Ergebnis einer solchen dem Tatrichter auferlegten Abwägung kann durchaus sein, dass eine audiovisuelle Vernehmung wegen ihrer dargelegten Defizite gegenüber einem präsenten Zeugen im Einzelfall für die Wahrheitsfindung wertlos, der Zeuge mithin auch unter Beachtung der Möglichkeiten des § 247 a StPO ein ungeeignetes Beweismittel ist. ,,489

Mit diesen Bemerkungen suggeriert der BGH, das Tatgericht wäre in der Lage, den Beweiswert einer Zeugenvernehmung durch eine Form antizipierter Glaubwürdigkeitsbeurteilung zu ermessen und auf der Grundlage des dadurch gewonnenen Ergebnisses berechtigt, eine persönliche Einvernahme des Zeugen in der Hauptverhandlung abzulehnen. Allerdings wählt der Gerichtshof für die Entscheidung zwischen einer eingeschränkt unmittelbaren Beweiserhebung via Monitor und nur mittelbarer Beweiserhebung bereits die falsche Vergleichsgröße. Seine Bedenken gegen die rechtliche und technische Qualität der aus einer Fernvernehmung gewonnenen Beweisergebnisse begründet er, indem er diese an der Qualität des Beweises misst, der bei einer unmittelbar persönlichen Vernehmung im Verhandlungssaal zu erlangen wäre. Als Bezugsgröße darf aber gerade nicht die unmittelbar persönliche Vernehmung herangezogen werden, die unbestritten bei jeder Form der Beweiserhebung den Vorzug verdient, sondern die tatsächlich zur Verfügung stehende Beweisalternative und diese ist im Fall des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO nur der Beweis mit Vernehmungssurrogaten. 488 489

78.

Kritisch deswegen zu BGHSt. 46, 73 Albrecht, StV 2001, 364 ff. BGHSt. 45, 188 (196), zustimmend Artkämper, NJ 2000, 101; Rose, JR 2000,

C. Die Simultanübertragung

275

Das Gericht hat also vorab zu ennessen, ob die Qualität eines bereits vorliegenden oder noch zu erstellenden Vernehmungssurrogats der einer simultan übertragenen Vernehmung gleichstehen würde. Diese Prognose ist angesichts der hohen Wertschätzung, die dem Prinzip der materiellen Unmittelbarkeit, also dem Schöpfen aus der Originalquelle zugemessen wird49o , weit weniger klar zu treffen als es die Ausführungen des BGH vorgeben. Regelmäßig wird erst die Femvernehmung selbst zeigen, welche technischen und beweismittelbedingten Unzulänglichkeiten den Beweiswert der Aussage beeinträchtigen. Es ist dann aber die Sache einer nachträglichen Beweiswürdigung, diesen Qualitätsmängeln Rechnung zu tragen. Für das "Ob" der Beweiserhebung haben sie nur geringfügige Bedeutung491 . Ausnahmsweise kann im Einzelfall natürlich mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehen, dass die Femvernehmung nur ein wertloses, für das Verfahren ungeeignetes Beweisergebnis produzieren wird. Beispielsweise kann längst eine vollständig dokumentierte Aussage des Zeugen vorliegen, die in verfahrensrechtlich einwandfreier kommissarischer Vernehmung unter aktiver Mitwirkung des Verteidigers zustande gekommen ist492 . Dann mag das Gericht zu dem Schluss kommen, dass weitere inhaltliche oder für die Glaubwürdigkeit des Zeugen relevante Aspekte auch bei einer Vernehmung per Bild-Ton-Übertragung nicht mehr zutage treten werden. Soweit dann nicht ein Beweisantrag die Notwendigkeit zusätzlicher Befragung darlegt, dürfte das Tatgericht wohl berechtigt von einer erneuten Einvernahme des Zeugen absehen493 . Auf keinen Fall aber dürfte das Gericht die simultan übertragene Vernehmung mit der Begriindung ablehnen, die technische Barriere würde verhindern, dass man einen ungetriibten persönlichen Eindruck von dem Zeugen erhält, der aber für den Wert des erhobenen Beweises unabdingbar wäre, und daraufhin eine Vernehmungsniederschrift verlesen, die noch weit weniger Einblick in die Persönlichkeit des Zeugen gewährt494 . Geppert, Unmittelbarkeit, S. 127 ff. Schlothauer, StV 2000, 182; Duttge, NStZ 2000, 160; Vassilaki, JZ 2000, 476; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 16; Rieck, StraFo 2000, 404. 492 So der Ausgangsfall in BGHSt. 46, 73. 493 BGHSt. 46, 73 (80). 494 Beobachtungen des vernehmenden Richters über Vorgänge bei der Vernehmung können nur dann in die Hauptverhandlung eingeführt werden, wenn sie im Vernehmungsprotokoll vermerkt sind und in der Hauptverhandlung verlesen werden können. Es ist nicht Aufgabe des kommissarischen Richters, den persönlichen Eindruck von dem Zeugen, den die Kammer bei persönlicher Vernehmung der Beweisperson gewonnen hätte, zu ersetzten; BGH, NStZ 1983, 182; 1989, 382; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 34, 42; Corves/Bartsch, ZStW 96 (1984), 519. Auch persönliche Eindrücke, die der beauftragte, d. h. dem erkennenden Gericht 490 491

18*

276

3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Für die Bewertung der Beweisqualität von im Ausland erstellten Vernehmungsdokumentationen gilt außerdem noch eines zu beachten: Nicht die deutsche Strafprozessordnung bestimmt Art und Weise ihres Zustandekommens, sondern das Verfahrensrecht des ersuchten Staates495 . Nur wenige Rechtshilfeabkommen ermöglichen Anträge, mit denen die ausländischen lustizbehörden ersucht werden können, sich bei der Einvernahme des Zeugen auch um die Einhaltung deutscher Verfahrensvorschriften zu bemühen496 . Bleibt das ausländische Verfahrensrecht hinter dem Standard des deutschen zurück, so kann nur noch nachträglich versucht werden, mit der Beweiswürdigung nach § 261 StPO etwaige Mängel auszugleichen. Verletzt die Vernehmung nach dem Recht des ersuchten Staates rechtsstaatliche Mindestanforderungen, gilt für die Hauptverhandlung mitunter sogar ein Beweisverwertungsverbot497 . Eine Beweisaufnahme nach den Vorgaben des § 247 a StPO bringt nunmehr - im Unterschied zur kommissarischen Vernehmung durch die Vertreter ausländischer lustizbehörden - das Verfahrensrecht der StPO und die dort enthaltenen Mindestgarantien für den Beschuldigten und die Rechte der Verteidigung zur Anwendung. Vor allem aber ermöglicht sie eine Teilnahme aller Verfahrensbeteiligten bei der Vernehmung. In nicht allen Rechtsordnungen ist dieses Teilnahmerecht selbstverständlich. Vor allem dann nicht, wenn es - wie bei der kommissarischen Vernehmung - um eine Zeugeneinvernahme außerhalb der Hauptverhandlung geht498 . Regelmäßig dürfen nicht einmal das erkennende Gericht oder ein selbst angehörende Richter bei der Vernehmung gewonnen hat, sind nur dann im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 261 StPO verwertbar, wenn sie auf in der Vernehmungsniederschrift beurkundeten Beobachtungen beruhen oder der beauftragte Richter später als Zeuge über seine Beobachtungen bei der Vernehmung berufen wird, dies allerdings zwingend mit der Folge des Ausschlusses nach § 22 Nr. 5 StPO; BGHSt. 2, 1 (2 f.); KK-Diemer, § 251, Rn. 20 und § 261, Rn. 9; sehr kritisch Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 42 (Fn. 101); ablehnend auch Foth, MDR 1983, 716 ff. 495 Nr. 26 S. 1 RiVASt; KMR-Paulus, § 251, Rn. 40,49; SK-Schlüchter, § 251, Rn. 37 f; KK-Diemer, § 251, Rn. 18; nur bei Vernehmung durch ein Mitglied des erkennenden Gerichts findet die StPO unmittelbar Anwendung, BGH, NStZ 1996, 609; Rose, NStZ 1998, 154. 496 AK-Dölling, § 251, Rn. 26; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251, Rn. 22; eine Beachtung innerstaatlicher Verfahrens grundsätze kann aber auch ohne internationales Übereinkommen mit Einverständnis des ersuchten Staates erreicht werden, dazu Schomburg/Lagodny, Vor § 59 IRG, Rn. 38. 497 Ausführlich zu dem Bereich der Verfahrens verstöße gegen ausländisches Recht und der anschließenden Verwertung des Beweisergebnisses SK-Schlüchter, § 223, Rn. 33 ff.und § 251, Rn. 38; AK-Dölling, § 251, Rn. 26; KMR-Paulus, § 223, Rn. 51 f. m. w.N. aus der Rechtsprechung; außerdem Rose, NStZ 1998, 155 f.

c. Die Simultanübertragung

277

beauftragter Richter ohne die Zustimmung der ausländischen lustizbehörde bzw. die der Regierung bei der Vernehmung des Zeugen präsent sein, geschweige denn Zusatzfragen stellen499 . Eine Entscheidung zwischen Fernvernehmung und kommissarischer Vernehmung wird sich deswegen auch daran zu orientieren haben, in welcher Form die kommissarische Vernehmung nach ausländischem Verfahrensrecht abläuft, welche Mindestgarantien gewährt werden und welche Mitwirkungsrechte den Beteiligten zustehen. Liegt bereits eine im Ausland gefertigte, aber fehlerhafte Vernehmungsniederschrift vor, kann sich ebenfalls eine Wiederholung der Einvernahme per Videokonferenz anbieten 50o • Festzuhalten bleibt damit, dass die Videovernehmung zwar durch den ausdrücklichen Hinweis, sie müsse für ihre Zulässigkeit zur "Erforschung der Wahrheit erforderlich" sein, in direkte Konkurrenz zu den "echten" Beweissurrogaten wie Vernehmungsniederschriften oder Bild-Ton-Dokumentationen tritt, ein großer Spielraum verbleibt den Gerichten bei der Beweiswertprognose aber nicht. Um auch gegen eine eventuelle Aufklärungsrüge abgesichert zu sein, wird die Entscheidung zu Gunsten der Verwertung bloßer Vernehmungssurrogate regelmäßig die folgende Tatsachenfeststellung voraussetzen: a) Es liegt bereits ein formell ordnungsgemäß zustande gekommenes und inhaltlich vollständiges Vernehmungsprotokoll vor, b) Verteidigung und Staatsanwaltschaft sind - zumindest mit der Möglichkeit der Formulierung eines schriftlichen Fragekatalogs - an der Vernehmung beteiligt worden und c) es kommt nicht wesentlich auf einen persönlichen Eindruck von der Beweisperson an bzw. es sind genügend Beobachtungen in der Niederschrift vermerkt, die einen Eindruck von der Persönlichkeit und der Glaubwürdigkeit des Zeugen vermitteln. Ist das Protokoll einer kommissarischen Vernehmung erst noch zu erstellen, wird eine Prognoseentscheidung zu Gunsten des nur mittelbaren Beweises auf besonderen, konkret darzulegenden Feststellungen basieren müssen. Beispielsweise mag durch konkrete Anhaltspunkte belegt sein, dass der Zeuge durch die Technik irritiert und in seiner Aussage gehemmt würde. Dargelegt werden könnte außerdem, dass nur das fachkundig und einfühlsam geführte direkte Gespräch überhaupt dazu geeignet ist, dem Zeugen verwertbare Informationen zu entlocken. Ob allerdings der Hinweis, die 498 Klip, MJ 2 (1995), 248; KK-Diemer, § 251, Rn. 18; Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 177 ff., 192 ff. 499 SK-Schlüchter, § 223, Rn. 34; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 40 m. w.N.; Schnigula, DRiZ 1984, 182. 500 KK-Diemer, § 247 a, Rn. 13; K/M-G, § 247 a, Rn. 6.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Motivation des Zeugen zur wahrheitsgemäßen Aussage würde durch den technisch gefilterten Kontakt nachlassen, genügen kann, um von einer Fernvernehmung abzusehen 501 , ist zweifelhaft. Der Zeuge, der mit dem Vorsatz der Lüge in das Gespräch geht, wird sich nicht dadurch beirren lassen, dass ihm der Gesprächspartner direkt gegenüber sitzt. Nicht ausschließen lässt sich natürlich, dass der Beweisperson durch die Kamerafilterung subjektiv der Eindruck vermittelt wird, Unwahrheiten blieben hier leichter unentdeckt. Ein entsprechendes Aussageverhalten aber zu erkennen und zu würdigen ist Sache nachträglicher Glaubwürdigkeitsbewertung 502 . Im Regelfall wird nicht gelingen, hieraus vorab genügend Gründe dafür herzuleiten, von einer unmittelbaren Vernehmung abzusehen. Besteht auch nur der geringste Zweifel an einer Gleichwertigkeit von Videovernehmung und nur mittelbarer Beweiserhebung, so ist das Gericht zur Einvernahme des Aussageurhebers gedrängt503 . (4) Beweisaufnahme mit Beweissurrogaten Schlagen die Bemühungen um den Aufbau einer Fernverbindung fehl oder entscheidet das Gericht zu Gunsten eines beschleunigten und reibungslosen Verfahrensablaufs und damit gegen eine Vernehmung nach § 247 a StPO, dann bleibt nur der Rückgriff auf die anerkanntermaßen schlechtesten Beweismittel, die Beweissurrogate des § 251 StPO. Zu ihnen gehören die in früherer, ermittlungsrichterlicher Vernehmung bzw. in kommissarischer Vernehmung im Ausland erstellten Vernehmungsniederschriften bzw. die bei einer solchen Vernehmung entstandenen BildTon-Aufzeichnungen. Steht eine solche Dokumentation nicht zu Verfügung und ist der Zeuge auch im Wege der Rechtshilfe unerreichbar, kann das Gericht entweder auf frühere polizeiliche Vernehmungsprotokolle zurückgreifen oder u. U. eine privatschriftliche Erklärung des Auslandszeugen in der Hauptverhandlung verlesen (§ 251 Abs. 2 S. 2 StPO). Die absolute Unerreichbarkeit des Auslandszeugen ist allerdings die Ausnahme. Regelmäßig wird eine Vernehmung im Wege der Rechthilfe, d.h. durch einen beauftragten oder ersuchten Richter gemäß § 223 StPO möglich sein. Die Befragung durch einen beauftragten Richter, d.h. durch einen Diemer, NJW 1999, 1671. Zur Frage der Glaubwürdigkeitsbeurteilung beim Einsatz von Videotechnik in der Hauptverhandlung eingehend Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik und richterliche Glaubwürdigkeitsbeurteilung, S. 195 ff. und im Kapitel B.3.b). 503 Der Revisionsausschluss des § 247 a S. 2 StPO verschafft den Gerichten hier ebenfalls keinen großen Spielraum, dazu in den Kapiteln B.5. bzw. C.5. 501

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C. Die Simultanübertragung

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Richter, der dem erkennenden Gericht selbst angehört, wird aber wohl nur in Ausnahmefällen gestattet werden504 . Der Regelfall bleibt die Einvernahme durch den ausländischen Richter, orientiert an dem Verfahrensrecht des ersuchten Staates. Dann aber dürfen Bemühungen um eine Teilnahme von Mitgliedern des erkennenden Gerichts und - sofern nach ausländischem Verfahrensrecht erlaubt - auch des Verteidigers nicht unterbleiben. Diese Teilnahme soll sicherstellen, dass sachkundige und zur Aufklärung notwendige Zusatzfragen gestellt werden. Zugleich dient sie dazu, eventuelle Verfahrensverstöße aufzudecken und wenigstens einigen Mitgliedern des erkennenden Gerichts einen persönlichen Eindruck von der Beweisquelle zu verschaffen 505 . Wie und ob diese Eindrücke später Eingang in die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts finden können, bleibt allerdings fraglich. Die Rechtsprechung hat sich wiederholt und nachdrücklich gegen eine Einführung persönlicher Beobachtungen des vernehmenden Richters in die Beweiswürdigung ausgesprochen, soweit diese nicht durch Vermerke im Vernehmungsprotokoll ihren Niederschlag gefunden haben und in der Hauptverhandlung verlesen wurden 506 . Zuzustimmen ist dem insoweit, als dass die Beobachtung und Verhaltensbewertung durch ein Mitglied des erkennende Gerichts nicht die Würdigung der übrigen Richter ersetzen darf. Die richterliche Überzeugung ist aus dem "Inbegriff der Hauptverhandlung" zu bilden. Zu erwarten wäre deswegen mindestens, dass der teilnehmende Richter seine Eindrücke mündlich in der Hauptverhandlung wiedergibt und nicht erst in der Urteilsberatung seine Kollegen informiert. Schildern dürfte er auch nicht die bereits für sich gewonnenen eigenen Überzeugungen von der Glaubwürdigkeit des Zeugen, sondern nur die diesen Schlussfolgerungen zugrunde liegenden Beobachtungen507 . Warum aber unter Beachtung dieser Regeln persönliche Eindrücke über Person und Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht Eingang in die Urteilsfindung haben sollten, ist wenig verständlich und mit dem Ziel umfassender Sachaufklärung nicht zu vereinbaren. Außerdem steht außer Frage, dass das beobachtende Mitglied des erkennenden Gerichts als Zeuge über seine Beobachtungen berufen werden könnte, allerdings mit der schwerwiegenden 504 Rose, Der Auslandszeuge, S. 214 ff., 375; für die Zeugenvernehmung durch den Konsularbeamten gilt gemäß § 15 Abs. 3 S. 1 KonsularO deutsches Strafprozessrecht entsprechend. 505 Foth, MDR 1983,717. 506 ROSt. 37, 212; BORSt. 2, 1; NStZ 1983, 182; 1989, 382; KK-Tolksdoif, § 223, Rn. 22. 507 Foth, MDR 1983, 718.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Folge des Ausschlusses nach § 22 Nr. 5 StP0508 . Die geltende Rechtsprechung erscheint absurd und unpraktikabel509 . Spätestens mit der Möglichkeit einer Einspielung von Bild-Ton-Dokumentationen in die Hauptverhandlung ist sie außerdem überholt. Die Videokonserve ist mehr als nur ein authentisches Aussageprotokoll. Sie gibt Einblick in die Art und Weise der Vernehmung. Auch erlaubt sie dem erkennenden Gericht, sich selbständig ein Urteil über Persönlichkeit und Aussageverhalten der Beweisperson zu bilden. Die Streitfrage über die Einführung persönlicher Eindrücke in die Beweiswürdigung entfällt, denn gestützt werden die Beobachtungen nun auf die Bild-Ton-Dokumentation. Dabei ist unerheblich, ob eines oder mehrere Mitglieder des Gerichts an der Vernehmung Teil hatten und sich bereits dort gewisse Eindrücke von der Beweisperson verschafft haben. Zusätzlich kann das Gericht mit der Aufzeichnung umfangreich überprüfen, ob der vernehmende ausländische Richter die wesentlichen Verfahrensgarantien beachtet und nicht mit unzulässigen Vernehmungsmethoden gearbeitet hat. Eine mögliche Teilnahme beauftragter Richter an der kommissarischen Vernehmung im Ausland soll dies aber nicht ersetzen, denn diese Teilnahme dient auch der Gestaltung der Vernehmung, soweit der ersuchte Staat überhaupt eine solche aktive Beteiligung billigt. Die Übermittlung von Video-Vernehmungsprotokollen ausländischer Vernehmungen wird im Übrigen nicht nur in Deutschland angeregt 51O . Auch im Zusammenhang mit der Erstellung des "Corpus Juris,,511 und den Plänen für eine europäische Staatsanwaltschaft ist von Einführung und Austausch audiovisuell dokumentierter richterlicher Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten die Rede 512 . 508 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 34, 42; [tzel, NStZ 1989, 383; Foth, MDR 1983,717, der die Einbringung persönlicher Eindrücke in Form einer besonderen Gerichtskundigkeit befürwortet; ablehnend zum Konzept der Gerichtskundigkeit allerdings die h.M., vgl. nur BGH, StV 1983, 92; AK-Keller, § 223, Rn. 17; KMR-Paulus, § 223, Rn. 37. 509 ltzel, NStZ 1989, 383 f.; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 34, 42; Foth, MDR 1983,716 ff. 510 Lagodny, Videovernehmungen im Strafverfahren: nur Risiken und Nebenwirkungen? S. 170 f. 511 Delmas-Marty, Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union; Delmas-MartyIVervaele, The implementation of the Corpus Juris; eine kurze Einführung in das Corpus Juris geben Wattenberg, StV 2000, 95 ff; Otto, Jura 2000, 98 ff.; Jung, JuS 2000, 423 und Braum, JZ 2000, 493 ff., der das Corpus Juris allerdings für illegitim, nicht erforderlich und juristisch nicht durchsetzbar hält; teilweise zustimmend Weigend, StV 2001,65 f.

C. Die Simultan übertragung

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Bekannt ist die Bild-Ton-Dokumentation von Rechtshilfemaßnahmen ferner in der Zusammenarbeit mit internationalen Strafgerichtshöfen513 . Die Gerichte werden also zunehmend verpflichtet, sich um die Übermittlung standardisiert gefertigter Videodokumentationen von richterlichen Vernehmungen aus dem Ausland zu bemühen. Für die mittelbare Beweisaufnahme gilt zusammengefasst folgendes: Steht eine frühere, noch im Inland gefertigte Dokumentation einer richterlichen Vernehmung nicht zur Verfügung, hat sich das Gericht zunächst um die Übermittlung einer in Bild und Ton dokumentierten kommissarischen Vernehmung zu bemühen. Auf die Anwesenheits- und Teilnahmerechte ist - soweit es der ersuchte Staat zulässt - zu achten. Kennt das Recht des ersuchten Staates keine Videodokumentation von Vernehmungen, bleibt nur die Übermittlung einer Vernehmungsniederschrift. Sie ist der schlechtere Beweis, soweit wichtige Eindrücke und Beobachtungen über die Person des Zeugen und sein Aussageverhalten in ihr nicht niedergelegt sind und deswegen nicht in die Hauptverhandlung Eingang finden können. Erst wenn auch diese Bemühung scheitert, können privatschriftliche Erklärungen des Zeugen oder andere Protokolle gemäß § 251 Abs. 2 S. 2 StPO Beachtung finden. Natürlich kann die mittelbare Beweisaufnahme dann unterbleiben, wenn das Gericht plausibel darzulegen vermag, dass Beweissurrogate für die Urteilsfindung wertlos sind und aus prozessökonomischen Gründen von einer Beweiserhebung abzusehen ist514 . Das wird angesichts der erheblich intensivierten staatlichen Kooperation auf dem Gebiet der Rechtshilfe in Strafsa512 Gemeint sind die sog. "Europäischen Vernehmungsprotokolle". Gemäß Art. 32 Abs. I Buchstabe a) des Corpus Juris ist als Beweismittel in den Mitgliedsstaaten der Union eine Zeugenaussage dann vor Gericht zugelassen, wenn die "Befragung unter Anwesenheit der Verteidigung vor einem Richter stattfand, der Verteidigung ein Fragerecht zustand und der ganze Ablauf mit Videotechnik aufgezeichnet wurde", dazu im Kapitel C.2.c)ee)(4); auch Sicurella, Guidelines for European Rules of Evidence, S. 31 f. 513 Art. 68 Abs. 2 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshof vom 17 . Juli 1998 bzw. in Art. 71, 71 a, 75 der Verfahrens- und Beweisregeln des Jugoslawien-Gerichtshofs - abzurufen unter http://www.un.org.icty/basic.htm. - sowie in Art. 4 Abs. 3 S. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (Jugoslawien-Strafgerichtshof-Gesetz) vom 10. April 1995 (BGBI. 1995 11, S. 480 ff.), der den Angehörigen Bevollmächtigten des Gerichtshofs die Anfertigung von Bild- oder Videoaufzeichnungen der Rechtshilfehandlung gestattet; s. zudem Kapitel C.2.c)ee)(3). 514 Rose, Der Auslandszeuge, S. 375 f.; Herdegen, NStZ 1984, 340; BGHSt. 45, 188 (1890; Rose, JR 2000, 78 f.; Schnigula, DRiZ 1984, 181; Alsberg/Nüse/ Meyer, Beweisantrag, S. 633.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

ehen allerdings immer seltener der Fall sein. Ein Hinweis allein darauf, es käme entscheidend auf den persönlichen Eindruck des Zeugen an, wird in Zukunft nicht mehr genügen, solange nicht gleichzeitig dargelegt wird, dass sich das Gericht im Wege der Rechtshilfe um die Übermittlung einer audiovisuellen Vernehmungsaufzeichnung bemüht hat, diese aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht erhalten konnte 515 . ce) Erste Erfahrungen mit Vernehmungen ins Ausland

Aus der Praxis sind bislang nur wenige Fälle einer simultanübertragenen Vernehmung von Auslandszeugen bekannt geworden. Dabei aber scheint die Kooperation im innereuropäischen Rechtsraum gut zu funktionieren. So hat eine Strafkammer des LG Limburg bereits im Dezember 1998 erfolgreich eine Fernvernehmung in die Justizvollzugsanstalt Klagenfurt organisiert, gestützt auf die Grundlage des § 247 a S. 1 Hs.2 i. V.m. § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO, also mit Einwilligung aller Beteiligten. Geprägt schien dieses Verfahren vor allem durch den sehr zeitintensiven technisch-organisatorischen Aufwand im Vorfeld. Von rechtlichen Schwierigkeiten wurde dagegen kaum berichtet, was sicherlich vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Video vernehmung mit dem Einverständnis aller erfolgte und der Aussage des betroffenen Zeugen für die Sachaufklärung nur wenig Gewicht beigemessen wurde. Von Einfluss war aber wohl auch, dass die österreichische Verfahrensordnung mit § 247 a Abs. 2 ÖStP0516 die grenzüberschreitende Simultanübertragung von Vernehmungen legitimiert und die gemeinsame Zugehörigkeit zum Sehen gen-Verband die unmittelbare Kontaktaufnahme zwischen den zuständigen Behörden vereinfacht, so dass es weder zu Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den zuständigen Stellen noch zu Kollisionen zwischen den unterschiedlichen Rechtsordnungen kam 517 . 515 Als rechtsfehlerfrei wurde dieser Einwand noch akzeptiert in BGHSt, 45, 188 (190), obwohl auch die Mehrzahl der Staaten der USA bereits zur Erstellung entsprechender Bild-Ton-Aufzeichnungen fahig und wohl auch dazu bereit wären; vgl. auch Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 223, Rn. 268. 516 Vorgestellt wurden die österreichischen Normen im 2. Teil, Kapitel D.5.b). 517 Hilfreich sicherlich auch, dass keine sprachlichen Hindernisse Organisation und Zeugenvernehmung komplizierten. Die technische Qualität der Verbindung wurde trotz Verzerrungen des Bildes und nicht synchroner Sprechgeschwindigkeit als gut eingeschätzt. Die Kosten für die einstündige ISDN-Verbindung wurde mit Einbau der notwendigen Schaltungen sowie Aufstellung der Anlagen an beiden Orten auf 4.000,- bis 5.000,- DM geschätzt, wobei Anlage und Betreuungspersonal durch die beauftragte Firma als "Werbegeschenk" kostenlos zur Verfügung gestellt wurden.

C. Die Simultan übertragung

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Ebenfalls gute Erfahrungen wurden von einer Strafkammer des LG Dresden berichtet, der es im Sommer 2000 innerhalb kürzester Zeit gelang, eine auf §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 2 StP0518 gestützte Zeugenvernehmung nach Oslo vorzubereiten und durchzuführen. Einen wesentlichen Beitrag leistete dabei zweifelsohne die Hilfsbereitschaft norwegischer Justizbehörden519, die nach eigenem Bekunden wohl auch einer - im deutschen Recht unbekannten - telefonischen Zeugen vernehmung zugestimmt hätten 520 . Die in Norwegen inhaftierte Beweisperson wurde aus einem in Oslo angernieteten Studio in die laufende Hauptverhandlung zugeschaltet521 . Ähnlich dem LG Limburg sah das Gericht in der dazwischengeschalteten Technik keine nennenswerte Beeinträchtigung. Allein die Vorlage einer Fotografie an den Zeugen scheiterte an dem leicht verzerrten Bild der ISDNSchaltung, die es dem Vernommenen nicht erlaubte, Details der Fotografie auf seinem Monitor zu erkennen. Gescheitert ist dagegen ein Versuch des LG Hildesheim, einen bolivianisehen Zeugen mit Hilfe einer Satellitenübertragung in die Hauptverhandlung hinein zu vernehmen. Zwar gab der Oberste Gerichtshof der Republik Bolivien grundsätzlich dem Ersuchen um Einvernahme des Zeugen und gleichzeitiger Übertragung der Befragung in die Hauptverhandlung nach Deutschland statt, machte aber die Vernehmungs leitung durch einen bolivianischen Richter und die Einhaltung bolivianischen Verfahrensrechts zur Bedingung522 . 518 Eine Auslieferung des Zeugen scheiterte zunächst an Befürchtungen Norwegens, Deutschland würde sich im Nachhinein möglicherweise weigern, einen eigenen Staatsangehörigen ins Ausland auszuliefern. Ein Gedanke, der auch nach der Neufassung des Art. 16 Abs. 2 GG nicht vollständig wiederlegt werden kann, ist doch Norwegen nicht Mitglied der Europäischen Union. 519 Gestützt wurde das Rechtshilfeersuchen des Sächsischen Iustizministeriums auf Art. 1 EuRHÜbk vom 20. April 1959 sowie Art. 7 Abs. 3 des Suchtstoffübereinkommens der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1988, der Einwand des Eingriffs in die staatliche Souveränität, gestützt auf Art. 1 EuRHÜbk bzw. Art. 7 Abs. 15 des Suchtstoffübereinkommens, der durch die Erstreckung deutscher Gerichtsgewalt auf norwegisches Hoheitsgebiet unzweifelhaft begründet gewesen wäre, wurde nicht erhoben. 520 Die Möglichkeit der Telefonvernehmung findet sich sowohl im norwegischen als auch im schwedischen Strafverfahrensrecht und ist mittlerweile auch in Art. 11 des EuRHÜBk vom 29. Mai 2000, ABI. C 197/00 niedergelegt, setzt dort allerdings das Einverständnis des Zeugen voraus. Bemerkenswert auch die geringen Kosten von etwa 500,- DM, die für die zweieinhalbstündige Übertragung anfielen, wobei Norwegen die Kosten auf ihrer Seite den deutschen Behörden nicht einmal in Rechnung stellte. 521 Dresden verfügt über eine mobile Übertragungsanlage, die nach Bedarf beim AG Dresden abgerufen werden kann. 522 So heißt es in dem am 23. Februar 2000 ergangenen Beschluss des Obersten Gerichtshofs in Sucre:

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Die von § 247 a StPO abgesteckten Grenzen für eine Vernehmung in der Hauptverhandlung, die rechtlich weitgehend einer Einvernahme im Inland entsprechen soll, wären damit überschritten worden. Zur Erleichterung der gesamten Kammer konnte sich der Zeuge in letzter Minute doch zu einem persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entschließen. Begrüßt wurde das persönliche Erscheinen des Zeugen auch wegen der zu erwartenden hohen Kosten der Satelliten verbindung und der Kosten, die eine Anmietung geeigneter Anlagen und Räumlichkeiten in bei den Staaten für die Übertragung verursacht hätte 523 . dd) Problembereiche der grenzüberschreitenden Vernehmung, insbesondere bei einer direkten Kombination von kommissarischer Vernehmung und Hauptverhandlung

Für das Hildesheimer Verfahren 524 hätte sich tatsächlich eine Kombination der Vernehmung durch einen ersuchten Richter i. S. d. § 223 StPO und einer Einvernahme unmittelbar in der Hauptverhandlung nach den Voraussetzungen des § 247 a StPO angeboten 525 . "Der Oberste Gerichtshof der Nation, Plenarsaal, beschließt im Rahmen der Gegenseitigkeitsabkommen zwischen den Ländern Bolivien und Deutschland folgendes: l. Stattgabe des Antrags der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland ... auf Life-Videoübertragung der Zeugenaussage des bolivianischen Staatsbürgers ... (Name) ... im Rahmen eines in Deutschland gegen einen deutschen Bürger geführten Prozesses. 2. Befugnis des Hohen Gerichtshofs des Rechtsprechungsdistrikts Santa Cruz zur Ernennun~ eines Richters der Stadt, damit dieser beim Akt der Zeugenvernehmung in Ubereinstimmung mit dem Art. 444 und ff. der Zivilrechtsordnung teilnimmt und außerdem die Rechte des Zeugen vertritt. 3. Aufzeichnung der Zeugenvernehmung zu Dokumentationszwecken sowie entsprechende Verwahrung, um die Rechtmäßigkeit des Aktes dokumentieren zu können. 4. Zurverfügungstellung von Videotechnik, wobei alle Ausgaben seitens der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland beglichen werden." Noch weit deutlicher formuliert eine am 25.02.2000 ergangene Vorabentscheidung des Obersten Gerichtshofs, die Aussage des Zeugen müsse unter Berücksichtigung der in Bolivien gültigen Rechtsvorschriften abgewickelt werden, weshalb die Befragung "notwendigerweise durch einen anwesenden bolivianischen Richter vorgenommen werden und alle im Artikel 444 ff.der Zivilprozessordnung bezeichneten Voraussetzungen erfüllen muss". 523 Erwartet wurden Kosten von $ US 500,- für die Miete einer entsprechenden Anlage sowie Übertragungskosten von $ US 8,- pro Übertragungsminute. Rechnet man zur eigentlichen Vernehmungszeit (immerhin wurde der Zeuge in Hildesheim an zwei Tagen vernommen) noch die notwendigen Vorlaufs- und Probezeiten hinzu, hätten die Kosten der Videokonferenz wahrscheinlich die 10.000,- DM Grenze überschritten. 524 s. zuvor im Kapitel C.2.c)cc).

C. Die Simultanübertragung

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Allerdings birgt eine solche Kombination bei grenzüberschreitenden Vernehmungen eine Reihe rechtlicher Schwierigkeiten. Als problematisch kann sich beispielsweise die Gestaltung der kommissarischen Vernehmung nach dem ausländischem Verfahrensrecht herausstellen, zumindest soweit die Verfahrensordnung des ersuchten Staates nicht dieselben rechtlichen Standards und Garantien zu gewährleisten vermag, wie sie die Strafprozessordnung zwingend vorschreibt. Der ersuchte Staat wird dann darum gebeten werden müssen, auch deutsche Verfahrensstandards bei der Vernehmung mit zu berücksichtigen. Geringfügige Abweichungen in den Prozessordnungen können aber i. d. R. schon durch eine vorsichtige Beweiswürdigung ausreichend ausgeglichen werden. Die Leitlinien, die zur Würdigung von aus kommissarischer Vernehmung im Ausland erlangte Protokolle entwickelt wurden, gelten entsprechend526 . Die Simultanübertragung einer Vernehmung durch einen ersuchten Richter des fremden Staates wird allerdings nur dann einen Beweisvorteil gegenüber der bloßen Bild-Ton-Dokumentation derselben Zeugenvernehmung bieten, wenn dem Tatgericht hierbei eine aktive Beteiligung zugestanden ist. Sind sachliche Zusatzfragen oder ein Nachhaken im unmittelbaren zeitlichen Konnex nicht gestattet, hat die audiovisuelle "Teilnahme" kaum mehr Beweiswert als die passive Teilnahme von Mitgliedern des erkennenden Gerichts vor Ort527 . Durch den hohen Vorbereitungsaufwand wäre sie dem zügigen und reibungslosen Ablauf der Beweisaufnahme nur hinderlich. Anstatt sich dann um eine Simultanübertragung zu bemühen, sollte das Tatgericht bei den lustizbehörden des ersuchten Staates eine Videoaufzeichnung der kommissarischen Vernehmung anregen. Bei dieser könnte dann u. U. ein Mitglied des erkennenden Gerichts als "Beobachter" mitwirken, um etwaige Verfahrensverstöße aufdecken zu können. Weitere wichtige Fragen sind ebenfalls nach wie vor ungelöst. Wie soll der Zeuge bei einem Aufenthalt auf fremdem Hoheitsgebiet Zwangsmaßnahmen unterworfen werden? Welche Zeugnisverweigerungsrechte gelten? Wie kann ein den Strafandrohungen der §§ 153 ff StGB entsprechender Zur rechtlichen Konstruktion einer Verknüpfung s. Kapitel B.4.b). Einen Überblick über die Bewertungsgrundsätze geben KK-Diemer, § 251, Rn. 18; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251, Rn. 24 f.; AK-Dölling, § 251, Rn. 27; mit Beispielen Nagel, Beweisaufnahme im Ausland, S. 298 ff. 527 Ausgenommen natürlich Beobachtungen über besondere Auffälligkeiten in der Person oder dem Aussageverhalten des Zeugen, die bei Nichterwähnung im Protokoll nur dann Eingang in die Beweiswürdigung finden können, wenn sie auf Beobachtungen der Mitglieder des erkennenden Gerichts unmittelbar in der Hauptverhandlung beruhen. 525

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Druck auf den Zeugen ausgeübt werden, damit dieser bei der simultan übertragenen Vernehmung die Wahrheit sagt? Zwar ist unter der Geltung des in § 5 Nr. 10 StGB verankerten Schutzprinzips ein Aussagedelikt, welches im Rahmen eines vor deutschen Gerichten anhängigen Verfahrens im Ausland begangen wird, auch unabhängig vom Recht des Tatorts nach §§ 153 ff.StGB strafbar, diese Strafandrohung verspricht aber nur dann eine Wirkung auf die Beweisperson, wenn abzusehen ist, dass sich der Zeugen frühere oder später auf deutsches Hoheitsgebiet begeben wird, wo er der Strafverfolgung unterliegen würde. Kann sich der Zeuge aber im Ausland vor Strafverfolgung sicher fühlen, wird er den durch die Strafandrohung bewirkten Wahrheitsdruck kaum empfinden. Abhilfe schaffen wird hier nur eine Kooperation des Aufenthaltsstaates, der den Zeugen im Fall einer Falschaussage genauso seinen innerstaatlichen Strafvorschriften unterwirft, als handele es sich um eine Aussage in einem innerstaatlichen Verfahren. Diese Kooperation wird aufgrund des völkerrechtlichen Grundsatzes der Reziprozität aber nur dann gewährleistet sein, wenn die Bundesrepublik bei eigener Rechtshilfeleistung für ausländische Verfahren ebenfalls §§ 153 ff. StGB auf die Falschaussage des sich auf deutschem Hoheitsgebiet befindlichen Zeugen anwendet. Muss der Zeuge bei der grenzüberschreitenden Videovernehmung mit einer Bestrafung wegen eines Aussagedelikts rechnen, so ist er darüber zu Beginn der Vernehmung durch einen Vertreter der lustizbehörden des ersuchten Staates zu belehren. Außerdem muss die Belehrung durch den Vertreter der ausländischen lustizbehörden auch auf etwaige Verweigerungsrechte hinweisen, die der Beweisperson nach der Verfahrensordnung des ersuchten Staates zustehen528 . Erst im Anschluss an diese Belehrung erfolgen die Belehrung über Rechte und Pflichten nach der deutschen Strafprozessordnung sowie die eigentliche Vernehmung durch den Vorsitzenden des erkennenden Gerichts. Deutlich wird mit diesem Ausschnitt aus den noch wenig beachteten Problembereichen grenzüberschreitender Videovernehmungen jedenfalls, dass sich die Schwierigkeiten hier i. d. R. nicht mehr durch Verwertungsverbote oder auch durch eine ausgleichende Beweiswürdigung nicht lösen lassen. Abhilfe schaffen können hier nur internationale Übereinkommen, in denen 528 Im Übrigen gilt in der Bundesrepublik bereits heute für Rechtshilfeleistungen auf Ersuchen anderer Staaten, dass in- und ausländische Zeugnisverweigerungsrechte zu beachten sind, Schomburg/Lagodny, Vor § 59 IRG, Rn. 60. Allerdings ist nicht garantiert, dass auch andere Staaten bei einer Rechtshilfeleistung für deutsche Gerichte zusätzlich zu den eigenen Zeugnisverweigerungsrechten auch die der deutschen Prozessordnung mit berücksichtigt, so dass das Verwertungsverbot des § 252 StPO zu beachten bleibt, BGH, NStZ 1992,394; KK-Diemer, § 251, Rn. 18.

C. Die Simultanübertragung

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ein gewisser Mindeststandard für die grenzüberschreitende Videovernehmung festgelegt wird. Im vertragslosen Bereich wird es sich gleichfalls empfehlen, vorab in Abstimmung mit den zuständigen ausländischen Behörden Mindestvoraussetzungen festzulegen, die bei der Einvernahme des Zeugen aus der Sicht beider Rechtsordnungen einzuhalten sind. Als Beispiel kann hier die Regelung des Art. 10 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 dienen, der sich sehr ausführlich um die Bestimmung dieser Mindestgarantien bemüht. Seine Lösung und weitere internationale Vorschriften, die sich mit Videokonferenzen in Hauptverhandlungen vor nationalen bzw. internationalen Gerichten befassen, sollen im Folgenden kurz dargestellt werden.

ee) Erweiterte Möglichkeiten der Rechtshilfe: Ein Überblick über wichtige internationale Normen (1) Videokonferenzen nach Art. 10 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000529

Das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 basiert auf den in Titel VI des Vertrages über die Europäische Union (EUV) niedergelegten Bestimmungen zur Intensivierung und Verbesserung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen. Gemäß Art. 31 lit. a EUV soll ein "gemeinsames Vorgehen" der Mitgliedsstaaten u. a. die "Erleichterung und Beschleunigung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Ministerien und den Iustizbehörden" bei Gerichtsverfahren gewährleisten. Die für das gemeinsame Vorgehen möglichen Handlungsformen benennt Art. 34 EUV. Gemäß Art. 34 Abs. 2 lit. d EUV wird der Rat ermächtigt, "Übereinkommen zu erstellen, die er den Mitgliedsstaaten zur Annahme gemäß ihrer verfassungsrechtlichen Bestimmungen empfiehlt." Das Übereinkommen vom 29. Mai 2000 ist das erste Übereinkommen auf diesem Gebiet, das nach Inkrafttreten des EUV dergestalt angenommen wurde 530 . ABI. C 197/00, S. 8 f. Noch am 29. Mai 2000 wurde das Abkommen von allen Mitgliedsstaaten unterzeichnet, doch hat auch jetzt - über ein Jahr danach - immer noch keiner dieser Staaten beim Generalsekretär des Rates der Europäischen Union den Abschluss sei529 530

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Das Übereinkommen vom 29. Mai 2000 ist kein autonomes Rechtsinstrument. Es hat gegenüber dem bereits bestehenden EuRHÜbk vom 20. April 1959 und dem dazugehörigen Protokoll vom 17. März 1978 sowie dem SDÜ vom 14. Juni 1985 und weiteren innereuropäischen Vereinbarungen über die Rechtshilfe in Strafsachen nur ergänzende Funktion und setzt bereits bestehende multilaterale bzw. bilaterale Abkommen nicht außer Kraft (Art. 1 des Übereinkommens). Stattdessen soll es bereits bestehende Rechtshilfebestimmungen modernisieren und weiterentwickeln, die Rechtshilfepraxis erleichtern und zügiger, flexibler und effizienter gestalten531 . Das Abkommen trägt auch den sozialen, politischen und technologischen Entwicklungen der letzten Jahre Rechnung. Letztere kommen vor allem zu Erleichterung der Rechtshilfe zum Einsatz, sind aber nicht unumstritten. Für den Einsatz neuer Medien in der Hauptverhandlung sind die in Art. 10 und 11 des Übereinkommens aufgeführten Möglichkeiten einer internationalen Video- oder Telefonkonferenz von Relevanz. Dabei ist die Regelung des Art. 10 besonders detailliert und problemorientiert gelungen. Sein Wortlaut wird aus diesem Grund hier wiedergegeben: Art. 10 Vernehmungen per Videokonferenz (1) Befindet sich eine Person im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und sol1 diese Person als Zeuge oder Sachverständiger von den Justizbehörden eines anderen Mitgliedsstaats vernommen werden, so kann letzterer, sofern ein persönliches Erscheinen der zu vernehmenden Person in seinem Hoheitsgebiet nicht zweckmäßig oder möglich ist, darum ersuchen, dass die Vernehmung per Videokonferenz nach Maßgabe der Absätze 2 bis 8 erfolgt.

nes innerstaatlichen Verfahrens zur Annahme des Übereinkommens notifiziert (Art. 27 des Übereinkommens). Für ein Inkrafttreten ist die Notifizierung durch mindestens acht Staaten Voraussetzung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist also kaum mit einem baldigen Inkrafttreten des Übereinkommens zu rechnen. Al1erdings steht es den Staaten frei, bereits heute in Anlehnung an den Wortlaut der dortigen Regelungen in gegenseitigem Einverständnis auf dem Gebiet der Rechtshilfe zu kooperieren oder eine Erklärung der vorzeitigen Anwendbarkeit gemäß Art. 27 Abs. 5 des Übereinkommens abzugeben. In diesem Fal1 erklärt der Mitgliedsstaat, dass er das Übereinkommen in seinen Beziehungen zu anderen Mitgliedsstaaten, die eine Erklärung gleichen Inhalts abgegeben haben, vorzeitig anwendet. Dies ermöglicht die Anwendung des Übereinkommens zwischen diesen Staaten bereits bevor seinem eigentlichen Inkrafttreten. Der Stand der Notifizierung lässt sich unter der Internetadresse http:// db.consilium.eu.int/accords/default.asp?1ang=en. abrufen. 531 Erläuternder Bericht ABI. C 379/00 vom 29.12.2000, S. 8; zu diesem Ziel dienen insbesondere die Vorschriften der Art. 3 bis 9 des Übereinkommens.

C. Die Simultanübertragung

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(2) 1 Der ersuchte Mitgliedsstaat bewilligt die Vernehmung per Videokonferenz, wenn der Rückgriff auf Videokonferenzen den Grundprinzipien seiner Rechtsordnung nicht zuwiderläuft und er über die technischen Vorrichtungen für eine derartige Vernehmung verfügt. 2 Verfügt der ersuchte Mitgliedsstaat nicht über die technischen Vorrichtungen für eine Videokonferenz, so können ihm diese von dem ersuchenden Mitgliedsstaat in gegenseitigem Einverständnis zur Verfügung gestellt werden. (3) Ersuchen um Vernehmung per Videokonferenz enthalten außer den in Artikel 14 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens und Artikel 37 des BeneluxÜbereinkommens genannten Angaben die Begründung dafür, dass ein persönliches Erscheinen des Zeugen oder Sachverständigen nicht zweckmäßig oder möglich ist, sowie ferner die Bezeichnung der lustizbehörde und die Namen der Personen, die die Vernehmung durchführen werden. (4) Die lustizbehörde des ersuchten Mitgliedsstaats lädt die betreffende Person in der in ihrem innerstaatlichen Recht vorgeschriebenen Form. (5) Für die Vernehmung per Videokonferenz gelten folgende Regeln: a) 1 Bei der Vernehmung ist ein Vertreter des ersuchten Mitgliedsstaats, bei Bedarf unterstützt von einem Dolmetsche anwesend, der auch die Identität der zu vernehmenden Person feststellt und auf die Einhaltung der Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Mitgliedsstaats achtet. 2 Werden nach Ansicht des Vertreters der lustizbehörde des ersuchten Mitgliedsstaats bei der Vernehmung Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Mitgliedsstaats verletzt, so trifft er sofortige Maßnahmen, die erforderlich sind, damit bei der weiteren Vernehmung diese Prinzipien beachtet werden. b) Zwischen den zuständigen Behörden des ersuchenden und des ersuchten Mitgliedsstaats werden gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz der zu vernehmenden Person vereinbart. c) Die Vernehmung wird unmittelbar von und unter der Leitung der lustizbehörden des ersuchenden Mitgliedsstaats nach dessen innerstaatlichen Rechtsvorschriften durchgeführt. d) Auf Wunsch des ersuchenden Mitgliedsstaats oder der zu vernehmenden Person trägt der ersuchte Mitgliedsstaat dafür Sorge, dass die zu vernehmende Person bei Bedarf von einem Dolmetscher unterstützt wird. e) Die zu vernehmende Person kann sich auf das Aussageverweigerungsrecht berufen, dass ihr nach dem Recht des ersuchten oder ersuchenden Mitgliedsstaats zusteht. (6) 1 Unbeschadet etwaiger zum Schutz von Personen vereinbarter Maßnahmen erstellt die lustizbehörde des ersuchten Mitgliedsstaats nach der Vernehmung ein Protokoll, das Angaben zum Termin und zum Ort der Vernehmung, zur Identität der vernommenen Person, zur Identität und zur Funktion aller anderen im ersuchten Mitgliedsstaat an der Vernehmung teilnehmenden Personen, zu einer etwaigen Vereidigung und zu den technischen Bedingungen, unter denen die Vernehmung stattfand, enthält. 2 Dieses Dokument wird der zuständigen Behörde des ersuchenden Mitgliedsstaats von der zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedsstaats übermittelt. 19 Swoboda

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

(7) Die Kosten für die Herstellung der Videoverbindung, die Kosten für den Betrieb der Videoverbindung im ersuchten Mitgliedsstaat, die Vergütung der von diesem bereitgestellten Dolmetscher und die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen sowie deren Aufwendungen für die Reise in dem ersuchten Mitgliedsstaat werden dem ersuchten Mitgliedsstaat vom ersuchenden Mitgliedsstaat erstattet, sofern ersterer nicht auf die Erstattung aller oder eines Teils dieser Kosten verzichtet.

(8) Jeder Mitgliedsstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass in Fällen, in denen Zeugen oder Sachverständige gemäß diesem Artikel in seinem Hoheitsgebiet vernommen werden und trotz Aussagepflicht die Aussage verweigern oder falsch aussagen, sein innerstaatliches Recht genauso gilt, als ob die Vernehmung in einem innerstaatlichen Verfahren erfolgt. (9) I Die Mitgliedsstaaten können nach freiem Ermessen in Fällen, in denen dies zweckdienlich erscheint, und mit Zustimmung ihrer zuständigen Justizbehörden die Bestimmungen dieses Artikel auch auf die Vernehmung eines Beschuldigten per Videokonferenz anwenden. 2 In diesem Fall ist die Entscheidung, ob und in welcher Form eine Vernehmung per Videokonferenz stattfinden soll, Gegenstand einer Vereinbarung zwischen den beteiligten Mitgliedsstaaten, die diese Entscheidung im Einklang mit ihren innerstaatlichen Recht und den einschlägigen internationalen Übereinkünften, einschließlich der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 treffen. I Jeder Mitgliedsstaat kann bei der Notifizierung nach Artikel 27 Absatz 2 erklären, dass er Unterabsatz 1 nicht anwendet. 2 Eine derartige Erklärung kann jederzeit zurückgenommen werden. I Die Vernehmung darf nur mit Zustimmung des Beschuldigten durchgeführt werden. 2 Die gegebenenfalls erforderlichen Regeln zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten werden vom Rat in Form eines rechtsverbindlichen Instruments erlassen.

Zunächst fällt die Weite des Tatbestandes in Art. 10 Abs. 1 des Übereinkommens auf. Nicht nur die Unmöglichkeit des persönlichen Erscheinens einer Person im Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates kann das Ersuchen um Rechtshilfeleistung für eine Videovernehmung begründen, es genügt sogar, dass das Erscheinen der Person "nicht zweckmäßig" ist. Im Vergleich zu § 247 a S. I Hs. 2 StPO ist die Vorschrift damit erheblich weiter. Zwar verweist der Tatbestand des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO auch auf § 251 Abs. I Nr. 3 StPO und eröffnet damit den Weg zur Videovernehmung auch für den Fall, dass dem Zeugen ein Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht zugemutet werden kann 532 , trotzdem setzt die Feststellung einer "Unzumutbarkeit" des Erscheinens vor Gericht weit strengere Beurteilungsmaßstäbe voraus als es die Darlegung einer bloßen "Unzweckmäßigkeit" erfordern würde 533 . 532

Dazu noch im Kapitel C.3.

C. Die Simultanübertragung

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Nicht zu übersehen ist außerdem, dass auch die Vernehmung eines Sachverständigen audiovisuell in die Hauptverhandlung gemittelt werden darf. § 247 a StPO dagegen ist als Produkt des "Zeugenschutzgesetzes" allein auf die Vernehmung von Zeugen ausgerichtet. Gemäß Abs. 2 ist weiterhin nicht notwendig, dass das innerstaatliche Recht des ersuchten Staates die Videovernehmung von Zeugen und Sachverständigen unter diesen Voraussetzungen vorsieht. Die Bewilligung einer derartigen Rechtshilfemaßnahme darf nur den Grundprinzipien der Rechtsordnung nicht zuwiderlaufen534 . Wann letzteres der Fall sein könnte, kann aufgrund der Unterschiede in den innereuropäischen Verfahrensordnungen nicht eindeutig festgelegt werden. Zwar kennen die meisten Rechtsordnungen den Grundsatz der Unmittelbarkeit und haben ihn mehr oder weniger streng in ihre Verfahrensordnungen inkorporiert, doch erscheint unwahrscheinlich, dass dabei in auch nur einer Verfahrensordnung der Aspekt formeller Unmittelbarkeit, d.h. die physische Präsenz der Beweisperson am Ort der Verhandlung, so weit zum zwingenden und absoluten Grundsatz erhoben würde, dass ein durch Bild-Ton-Übertragung gemitteltes Gespräch mit dem Originalbeweismittel als mit der Rechtsordnung für unvereinbar betrachtet werden müsste 535 . Wichtiger dagegen der Hinweis auf die Möglichkeit, sich technische Vorrichtungen durch den ersuchenden Staat zur Verfügung stellen zu lassen. Der ersuchte Staat kann sich der Rechtshilfeleistung dann nicht mehr durch den Hinweis entziehen, die notwendigen Übertragungsanlagen stünden in seinen lustizbehörden nicht bereit. Stattdessen ist er verpflichtet, sich um geeignete Anlagen zu bemühen. Die Anmietung eines Fernsehstudios wird hierfür regelmäßig genügen. Im Notfall kann sogar versucht werden, die nötigen Vorrichtungen aus dem ersuchenden Staat herbeizuschaffen536 , dann allerdings auf Kosten des ersuchenden Staates. 533 "Nicht zweckmäßig" soll ein persönliches Erscheinen sein, wenn der Zeuge entweder zu jung oder zu alt oder in schlechtem Gesundheitszustand ist; Erläuternder Bericht ABI. C 379/00, S. 15. 534 Ein Ersuchen kann nicht mit der alleinigen Begründung abgelehnt werden, dass die Vernehmung per Videokonferenz nach dem Recht des ersuchten Staates nicht vorgesehen ist oder dass eine oder mehrer Detailvoraussetzungen für eine Vernehmung per Videokonferenz nach dem innerstaatlichen Recht nicht erfüllt sind; Erläuternder Bericht ABI. C 379/00, S. 15. 535 Im europäischen Vergleich erscheint das deutsche Strafverfahren ohnehin als eines der gründlichsten und zeitaufwendigsten. Den Unmittelbarkeitsgrundsatz in ähnlicher Strenge kennen ansonsten wohl nur das britische und das italienische Verfahrensrecht. Länder also, die ohnehin schon sehr früh die Simultanübertragung von Vernehmungen in ihr Verfahrensrecht aufgenommen haben und mittlerweile eine rege Verfahrenspraxis mit dieser Form der Beweisaufnahme vorweisen können; zum innereuropäischen Vergleich s. Müller, DRiZ 1993, 381 und den Staatenüberblick im 2. Teil, Kapitel D. 19*

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Gemäß Abs. 7 kann sich der ersuchte Staat die Kosten der Rechtshilfemaßnahme vom ersuchenden Staat in vollem Umfang erstatten lassen. Diese, ansonsten im internationalen Rechtshilfeverkehr unübliche, Vorschrift ist aufgrund der hohen zu erwartenden Kosten für den ersuchten Staat unerlässlich 537 . Natürlich obliegt es dem ersuchenden Mitgliedsstaat auch, eventuelle Reisekosten innerhalb des ersuchten Staates zu erstatten, würde ihn doch auch die Pflicht zur Entschädigung treffen, wenn sich der Zeuge bzw. der Sachverständige zu einem persönlichen Erscheinen auf dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates bereit erklärt hätten538 . Obwohl es dem ersuchenden Mitgliedsstaat obliegt, die für die Anordnung einer Video vernehmung maßgeblichen Umstände einzuschätzen, hat er seine Einschätzung gegenüber dem ersuchten Staat zu begründen (Abs. 3). Weitere notwendige Informationen, die ein Gesuch um Stattgabe einer Fernvernehmung enthalten muss, bestimmen sich nach den Art. 14 EuRHÜbk bzw. Art. 37 des Benelux-Übereinkommens. Die Ladung der Beweisperson und die Anwendung etwaiger Zwangsmittel obliegt gemäß Abs. 4 dem ersuchten Staat. Die Zustimmung des Zeugen oder Sachverständigen zur Vernehmung auf Distanz ist nicht erforderlich. Besonders bedeutsam für die Frage der Vernehmungsgestaltung ist die Regelung des Abs. 5. Die Vernehmungsleitung übernimmt die lustizbehörde des ersuchenden Mitgliedsstaates. Bezogen auf § 247 a StPO ist das der Vorsitzende des erkennenden Gerichts. Die Vernehmung richtet sich nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht des ersuchenden Staates (lit. c). Der Vernommenen darf nicht über weniger Rechte verfügen, als er hätte, wenn er zur Vernehmung in den ersuchenden Mitgliedsstaat gereist wäre 539 . Gleichzeitig aber werden ihm unter lit. e zusätzlich die Aussageverweigerungsrechte nach der Verfahrensordnung des ersuchten Staates zugestanden54o . 536 Auch im Fall BGH, StV 2000, 345, wäre wohl nicht auszuschließen gewesen, dass Tschechien zu einer Rechtshilfeleistung bereit gewesen wäre, hätten deutsche Justizbehörden angeboten, eigene mobile Vorrichtungen zur Verfügung zu stellen und an den Vernehmungsort zu transportieren. 537 Erläuternder Bericht ABl. C 379/00, S. 16. 538 Art. 9 EuRHÜbk, § 77 IRG i. V. m. § 71 StPO und dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG). 539 Erläuternder Bericht ABl. C 379/00, S. 15. 540 Über geltend gemachte Zeugnisverweigerungsrechte der Rechtsordnung des ersuchten Staates entscheidet die Justizbehörde, welche die Vernehmung gemäß Abs. 5 lit. c leitet. Allerdings sollten sich die Behörden beider Staaten hier gegenseitig konsultieren, um eine korrekte Anwendung der fremdstaatlichen Verfahrensordnung sicherstellen zu können; Erläuternder Bericht ABl. C 379/00, S. 15.

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Für die Einhaltung wenigstens der Grundprinzipien des Rechts des ersuchten Staates hat ein Vertreter der dortigen lustizbehörden Sorge zu tragen, der zu Beginn der Einvernahme auch die Identität der zu vernehmenden Person feststellt, ansonsten aber auf eine beobachtende Rolle zurückgedrängt wird. Der ersuchende Staat kann in Anlehnung an Art. 4 und Art. 10 Abs. 5 lit. c des Übereinkommens darum ersuchen, dass der zu Vernehmende von einem Verteidiger unterstützt wird541 . Außerdem kann bei Bedarf oder auf Wunsch der zu vernehmenden Person für diese ein Dolmetscher berufen werden (lit. d). Besondere Schutzmaßnahmen werden in zwischenstaatlicher Absprache und unter Rückgriff auf die rechtlichen Schutzinstrumente beider Rechtsordnungen getroffen542 . In Frage kommen sowohl präventiv polizeiliche Schutzmöglichkeiten als auch Maßnahmen des gerichtlichen Personen- und Zeugenschutzes bei Vernehmungen, u. a. also auch die Möglichkeit optischer und akustischer Abschirmung 543 . Sind derartige Schutzvorkehrungen vereinbart, so ist auch bei Erstellung des Vernehmungsprotokolls nach Abs. 6 durch den ersuchten Staat auf diese Rücksicht zu nehmen. U. U. darf die Identität der vernommenen Person nicht in der Vernehmungsniederschrift auftauchen. Abs. 6 regelt weiterhin die wesentlichen förmlichen Angaben, die das Vernehmungsprotokoll zu enthalten hat, bezieht sich aber nicht auf den Inhalt der Vernehmung. Eine besondere Neuerung enthält auch Abs. 8. Der ersuchte Staat hat dafür Sorge zu tragen, dass die zu vernehmende Person ihrer Aussagepflicht tatsächlich nachkommt und bei einer Falschaussage für diese zur Verantwortung gezogen wird. Der ersuchte Staat hat die Person auf seinem Hoheitsgebiet genauso zur Mitarbeit in dem ausländischen Strafverfahren anzuhalten, als handele es sich um ein innerstaatliches Verfahren. Besondere Erwähnung verdient die in Abs. 9 genannte Fernvernehmung des Beschuldigten, die allerdings nur mit Zustimmung desselben und durch besondere Vereinbarung zwischen den betroffenen Mitgliedsstaaten zustande kommen kann. Diese Vereinbarung darf weder gegen innerstaatliche Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten noch gegen verbindliche internationalen Vorschriften, etwa die EMRK, verstoßen. Außerdem steht es den Mitgliedsstaaten frei, bei Notifizierung der Annahme des Übereinkommens geErläuternder Bericht ABI. C 379/00, S. 15. Erläuternder Bericht ABI. C 379/00, S. 15. 543 Wie die optische Vermummung erfolgt, ist Sache gegenseitiger Absprache. Beispielsweise kann die Kamera so positioniert werden, dass der Zeuge nicht ins Blickfeld gerät. In anderen Fällen wird genügen, wenn der Zeuge mit dem Rücken zur Kamera sitzt. 54\

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mäß Art. 27 Abs. 2 einen generellen Vorbehalt zu dieser Vorschrift zu erklären 544 . Ob Deutschland eine entsprechende Erklärung abgeben wird, ist gegenwärtig noch unklar. Angesichts der strengen Anwesenheitspflicht des Angeklagten nach §§ 230, 231 StPO und der mehrfachen Bestätigung in der Rechtsprechung, dass auch der Angeklagte selbst nicht in der Lage ist, auf seine Anwesenheit wirksam zu verzichten545 , erscheint die Abgabe emer solchen Vorbehaltserklärung jedenfalls nicht unwahrscheinlich. (2) Telefonkonferenz nach Art. 11 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000546 Von geringerer Bedeutung, aber für das deutsche Recht ebenfalls ein Novum, ist die in Art. 11 des Übereinkommens vom 29. Mai 2000 vorgesehen Telefonkonferenz. Auch sie ist - ähnlich wie die Videovernehmung des Beschuldigten nur möglich, wenn sie im Prozessrecht des ersuchenden Staates als Verfahren der Beweisaufnahme vorgesehen ist. Bekannt ist dieses Vernehmungsinstrument aus den Verfahrensordnungen skandinavischer Staaten547 . Im deutschen Strafverfahren darf die telefonische Anfrage dagegen nur im Freibeweisverfahren erfolgen, d. h. dann, wenn es nicht um die Aufklärung von Schuld- und Strafaspekten, sondern nur um die Klärung rein prozessualer Fragen geht548 . Für Deutschland scheidet das Ersuchen um eine Rechtshilfeleistung in Form der telefonischen Vernehmung folglich aus, soweit über den Hergang der Tat, die Schuld des Täters und die Höhe der Strafe Beweis erhoben werden soll. Möglich ist allein, durch telefonische Anfrage prozessuale Fragen zu klären. Dazu bedarf es ohnehin keines Rechtshilfeersuchens, denn das Einholen von Erkundigungen setzt keine Hoheitsakte voraus, welche die lustizhoheit des fremden Staates verletzen könnten 549 . 544 Art. 10 Abs. 9 zählt zu den wenigen Vorschriften des Übereinkommens, die eine Vorbehaltserklärung überhaupt zulassen, denn gemäß Art. 25 des Übereinkommens ist ein Vorbehalt nur dann gestattet, wenn er ausdrücklich im Vertragstext vorgesehen wird. 545 BGHSt. 3, 187 (191); 22, 18 (20); 25, 317 (318); NJW 1976, 1108; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 42, Rn. 51. 546 AB!. C 197/00, S. 9; zum Text der Vorschrift im Anhang, Kapitel B. 547 Comils, Landesbericht Schweden, S. 457 f. und im 2. Teil, Kapitel D.8. 548 Zum Freibeweisverfahren in Kürze Roxin, Strafverfahrensrecht, § 24, Rn. 3 ff.; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 180.

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Art. 11 des Übereinkommens macht die Rechtshilfeleistung in Form der telefonischen Vernehmung neben der Zustimmung des Zeugen bzw. Sachverständigen auch davon abhängig, dass diese Form der Beweiserhebung nicht gegen Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Staates verstößt (Abs. 2 und 3).

Die Frage, ob mit einer Telefonkonferenz im deutschen Strafverfahren die absolute Grenze Rechtsstaatlichkeit überschritten würde, lässt sich nur schwer beantworten. Die Mündlichkeit des Verfahrens ließe sich jedenfalls dadurch wahren, dass durch Lautschaltung die Antworten des Zeugen allen Verfahrensbeteiligten hörbar gemacht werden. Auch sein Fragerecht könnte der Angeklagte über die telefonische Verbindung wahrnehmen. Der Aspekt materieller Unmittelbarkeit bleibt ebenfalls unbeeinträchtigt, solange nur das Originalbeweismittel zur Beweisaufnahme herangezogen wird. Eingeschränkt würde hingegen die Maxime formeller Unmittelbarkeit und für die Belange der Konfrontation und der richterlichen Glaubwürdigkeitsbeurteilung fehlt es an der visuellen Kontaktaufnahme, die für die Interaktion der Gesprächspartner und damit für die Güte der Vernehmung große Bedeutung haben kann 55o . Andererseits steht die telefonische Vernehmung der Videoübertragung einer Vernehmung von Beweispersonen unter optischer Abschirmung sehr nah, denn auch diese kann nur den akustischen Eindruck vermitteln. Unterschiedlich ist nur, dass für die optische Abschirmung besondere Schutzbelange der Beweisperson dargelegt werden müssen und sehr strenge Maßstäbe für ihre Zulässigkeit gelten 551 . Maßstäbe, die dem Art. 11 des Übereinkommens selbst nicht zu entnehmen wären. Letztlich wird es für eine Entscheidung immer darauf ankommen, an welche Voraussetzungen der ersuchende Staat die Möglichkeit einer Telefonkonferenz knüpft. Regelmäßig unterliegt dieses Vorgehen ohnehin sehr strikten Anforderungen. Schweden beispielsweise erlaubt eine telefonische Einvernahme nur, sofern an dem Beweiswert der Aussage keine Zweifel 549 Beispielsweise darf sich das Gericht unmittelbar telefonisch mit dem im Ausland befindlichen Zeugen in Verbindung setzen, um in Erfahrung zu bringen, ob er überhaupt etwas Sachdienliches zum in Frage stehenden Beweisthema beitragen könnte, wenn die Ablehnung eines Beweisantrags nach § 244 Abs. 5 S. 2 StPO im Raum steht, SchomburglLagodny, Vor § 68 IRG, Rn. 24; BGH, NStZ 1985, 375; Julius, StV 1990,484. 550 Für Vernehmungen per Bildschirm-Telefon ist schon sehr früh Unger eingetreten. Allerdings hat er gerade nicht auf den Blickkontakt zwischen Vernehmendem und Vernommenem verzichtet; Unger, NJW 1984,416. 551 Zur Vernehmung unter optischer und akustischer Abschirmung in Kapitel B.3.c).

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bestehen und der Aussage selbst keine entscheidende Bedeutung für die Schuldfrage zugemessen wird. Kann auf das Erscheinungsbild des Zeugen nicht verzichtet werden, ist eine unmittelbar persönliche Einvernahme zu veranlassen552 . Eine Telefonkonferenz, welche den genannten Anforderungen entspricht, wird regelmäßig auch keine grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien verletzen. Die Telefonvernehmung ist demnach als kostengünstiges und unkompliziertes Verfahren in "Routineangelegenheiten" durchaus zulässig 553 , sollte aber keinesfalls bei entscheidenden Aussagen Anwendung finden. Der ersuchte Staat unterrichtet die zu vernehmende Person vom Zeitpunkt und Ort der Vernehmung. Er trägt Sorge für ihre Identifikation zu Beginn der Vernehmung und überprüft, ob die Beweisperson der telefonischen Befragung tatsächlich zustimmt (Abs. 5). Außerdem kann der ersuchte Staat die Einhaltung der in Art. 10 Abs. 5 bis 8 des Übereinkommens genannten Voraussetzungen zur Bedingung machen. (3) Videokonferenz und Videographie vor Internationalen Strafgerichtshöfen Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 eröffnet in Art. 69 Abs. 2 S. 2 die Möglichkeit einer Direktübertragung des mündlichen oder sogar des aufgezeichneten Zeugnisses eines Zeugen mit Hilfe der Video- oder Audiotechnik in die Hauptverhandlung. Doch grundsätzlich soll auch dort der Zeuge persönlich erscheinen und aussagen (Art. 69 Abs. 2 S. 1 des Statuts). Die Verteidigungsrechte des Angeklagten sowie die Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens gehen immer vor554 . Bekannt ist die Videovernehmung ferner in Art. 71, 71 ader Verfahrensund Beweisregeln des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien 555 . Gemäß Art. 71 (D) kann eine Vernehmung sowohl am Sitz des Gerichts als auch an anderem Ort und außerdem auch per Videokonferenz durchgeführt werden. Art. 71 a ergänzt, dass auf Antrag jeder Partei eine Strafkammer anordnen kann, einen Zeugenbeweis über audiovisuelle Verbindung zu erheben, soweit dies dem Interesse der Gerechtigkeit dient. Comils, Landesbericht Schweden, S. 457 f. Erläuternder Bericht ABI. C 379/00, S. 16. 554 Gemeint sind hier insbesondere die Rechte nach Art. 67 Abs. 1 lit. e des Statuts. Der Angeklagten darf danach Fragen an die Belastungszeugen stellen oder stellen lassen und das Erscheinen und die Vernehmung der Entlastungszeugen unter den für die Belastungszeugen geltenden Bedingungen erwirken. 555 Die Verfahrens- und Beweisregeln sind in jeweils aktueller Form abzurufen unter http://www.un.org/icty/basic.htm. 552

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Art. 75 des Statuts befasst sich mit speziellen Schutzmaßnahmen zu Gunsten gefahrdeter oder verletzlicher Opfer und Zeugen. Neben einer Verschleierung von Identität und Aufenthalt, der Zuerkennung eines Pseudonyms oder der Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird für besonders verletzliche Opfer und Zeugen eine Vernehmung durch "one-way closed circuit television" vorgesehen. Außerdem sind Mittel zur Verzerrung des Bildes oder der Stimme der Beweisperson bei einer Vernehmung per CCTV zugelassen. Im Übrigen sehen das Statut bzw. die Verfahrensordnung beider Gerichtshöfe in weitem Umfang die Videographie von Verfahrensvorgängen sowie die Nutzung audiovisueller Aufzeichnungen aus früheren Verfahrensabschnitten in der Hauptverhandlung vor. Gemäß Art. 68 Abs. 2 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs können zum Schutz eines Opfers oder Zeugen Beweise mittels elektronischer oder sonstiger Mittel vorgelegt werden556 . Die Verfahrens- und Beweisregeln des Internationalen Gerichtshofs für Jugoslawien führen ein recht umfangreiches Instrumentarium zur Dokumentation von Verfahrensvorgängen und Beweismitteln auf. Gemäß Art. 81 (A) der Verfahrensordnung ist der Protokollführer gehalten, eine vollständige und akkurate Aufzeichnung aller Verfahrensvorgänge anzufertigen. Als Mittel der Dokumentation werden neben Niederschriften und Tonbandprotokollen auch Videoaufzeichnungen genannt. Letztere sind aber nur anzufertigen, sofern die Kammer sie für notwendig erachtet. Außerdem können eidliche Aussagen außerhalb der Hauptverhandlung i. S. d. Art. 71 der Verfahrensordnung aufgezeichnet und der Strafkammer zur Verwertung in der Hauptverhandlung übermittel werden. Art. 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien 557 verpflichtet deswegen die deutschen Justizbehörden nicht nur dazu, bei Vernehmungen im Rahmen von Rechtshilfehandlungen für den Gerichtshof den Angehörigen und Bevollmächtigten des Gerichts sowie den sonst am Verfahren beteiligten Personen die Anwesenheit zu gestatten, sondern auch dazu, bei diesen Vernehmungen die Fertigung von Vernehmungsniederschriften, Ton-, Bild- oder Videoaufzeichnungen zuzulassen.

556 Diese Maßnahmen sollen insbesondere Opfern sexueller Gewalt oder Kindern zugute kommen. Allerdings hat der Gerichtshof bei Anordnung besonderer Schutzmaßnahmen auch die Auffassung der Betroffenen zu berücksichtigen, Art. 68 Abs. 2 S. 2 des Statutes. 557 BGBI. 1995 I, S. 480; Auszüge der Normen auch bei Schomburg/Lagodny, IRG.

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(4) Elektronische Beweismittel nach Art. 32 des Corpus Juris 1997 und 1999 wurden die ersten Entwürfe eines Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union in französischer und englischer Sprache, später auch in deutscher Übersetzung vorgelegt558 . Mit ihnen soll die Entwicklung eines europäischen Strafrechts und einer europäischen Strafrechtspflege ihren Anfang nehmen.

Materiell-rechtlich bezieht sich das Corpus Juris allerdings nur auf wenige wirtschaftsstrafrechtliche Tatbestände, mit denen vermögensschädigendes Verhalten zum Nachteil der Europäischen Union einheitlich, d.h. unter Beseitigung innereuropäischer Strafverfolgungshürden und im gesamten europäischen Rechtsraum, unter Strafe gestellt werden so1l559. Harmonisiert werden demnach nur einzelne Bereiche und Sektoren des Strafrechts, nicht so sehr alle Strafrechtsordnungen oder Strafgesetzbücher insgesamt. Das Corpus Juris definiert dafür acht Tatbestände, darunter den Betrug zum Nachteil des Gemeinschaftshaushalts (Art. 1), Ausschreibungsbetrug (Art. 2), Bestechlichkeit und Bestechung (Art. 3); Missbrauch von Amtsbefugnissen (Art. 4), Amtspjlichtverletzung (Art. 5), Verletzung des Dienstgeheimnisses (Art. 6), Geldwäsche und Hehlerei (Art. 7) und die Bildung krimineller Vereinigungen zum Schaden des Gemeinschaftshaushaltes (Art. 8)560. Weiterhin enthält das Corpus Juris in Art. 18 bis 35 einen sehr ausführlichen strafprozessualen Teil, in dem u. a. die Konstituierung einer europäischen Strafverfolgungsbehörde (ESB), ihre Kompetenzen und Zuständigkeiten aufgeführt sind (Art. 18 bis 24)561. Verhandelt werden die Strafsachen allerdings nicht vor einem europäischen Strafgerichtshof, sondern vor unabhängigen, unparteiischen und nur mit Berufsrichtern besetzten nationalen Gerichten (Art. 26). Das nationale Straf- bzw. Strafprozessrecht kommt dabei subsidiär zur Anwendung 558 Vorgestellt wird das Corpus Juris auf dem Stand des Jahres 1998 in englischer, französischer und deutscher Sprache bei Delmas-Marty, Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, sowie auf dem Stand des Jahres 2000 mit Erläuterungen bei DelmasMartylVervaele, The implementation of the Corpus Juris, dort u. a. auch mit einem Überblick auf Vorbehalte der einzelnen Mitgliedsstaaten und Tabellen über die in den einzelnen Rechtsordnungen notwendigen Veränderungen zur Implementierung des Corpus Juris. 559 Braum, JZ 2000, 495. 560 Die einzelnen Tatbestände werden bei Otto, Jura 2000, 98 ff., ausführlich besprochen; vgl. außerdem Wattenberg, StV 2000, 96 ff. 561 Wattenberg, StV 2000, 100 ff., Braum, JZ 2000 497 f.

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(Art. 35), was aus deutscher Sicht gerade bei den nur "rudimentär" geregelten Rechten des Angeklagten und der Verteidigung in Art. 29, 31 und 32 des Corpus Juris sehr zu begrußen ist562 . Vor den Mitgliedsstaaten der Union sind im Rahmen eines Strafverfahrens im Geltungsbereich des Corpus Juris die in Art. 32 des Corpus statuierten Beweismittel zuzulassen. Wichtig sind in diesem Zusammenhang Art. 32 Abs. 1 lit. a und b, die einen sehr umfangreichen Einsatz von Videotechnik als Übertragungs- und Speichermedium vorsehen: Art. 32 - Zugelassene Beweismittel

1 - Als Beweismittel sind in den Mitgliedsstaaten der Union zugelassen: a) Zeugenaussagen, die entweder in Anwesenheit des zu befragenden Zeugen gemacht werden oder - wenn der Zeuge sich in einem anderen Mitgliedsstaat aufhält - in der Verhandlung durch audiovisuelle Verbindung übertragen werden oder von der ESB in einem "Europäischen Befragungsprotokoll" festgehalten wurden, wenn die Befragung unter Anwesenheit der Verteidigung vor einem Richter stattfand, der Verteidigung ein Fragerecht zustand und der ganze Ablauf mit Videotechnik aufgezeichnet wurde; b) Vernehmungen des Angeklagten, die entweder persönlich stattfinden oder von der ESB in einem "Europäischen Vernehmungsprotokoll" unter den Voraussetzungen dokumentiert werden, dass die Vernehmung durch einen Richter durchgeführt wird, dem Angeklagten ein Verteidiger seiner Wahl beisteht (dem zu angemessener Zeit, spätestens 48 Stunden vor Beginn der Vernehmung Akteneinsichtsrecht gewährt wurde), dem Angeklagten, wenn notwendig, ein Dolmetscher bestellt wird und der gesamte Vorgang mit Videotechnik aufgezeichnet wird; ... 2 - Diese Regelungen schließen die Heranziehung anderer Beweismittel nicht aus, wenn diese nach dem geltenden nationalen Recht des Mitgliedsstaates, in dem sich das zuständige Gericht befindet, zulässig sind.

Die verschiedenen Beweisregelungen in den ebenfalls sehr unterschiedlichen Verfahrensordnungen der Mitgliedsstaaten werden in Art. 32 des Corpus Juris zu einer weitgehend einheitlichen Form der Beweisaufnahme vor den nationalen Gerichten zusammengeführt563 . Der Einsatz von Videotechnik wird bei grenzüberschreitenden Zeugenvernehmungen grundsätzlich akzeptiert. Zugleich legt Art. 32 einheitliche Voraussetzungen für die Anfertigung und die Zulässigkeit von auf Videoband aufgezeichneten "Befragungspro562 Im Wesentlichen wird dort nur auf die sehr lückenhafte Regelung des Art. 6 EMRK verwiesen; s. dazu die Kritik bei Weigend, StV 2001, 66; zustimmend Schulz, StV 2001, 85 f. (Fn. 8); ausgehend von den in Art. 33 statuierten Beweisverwertungsverboten außerdem kritisch Wattenberg, StV 2000, 101 f. 563 Delmas-Marty, Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, S. 76.

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tokollen" fest. Die bislang hinderlichen Divergenzen in den einzelnen Verfahrensordnungen, die oftmals eine Verwertbarkeit des im Ausland hergestellten Beweismittels zum Schaden einer effektiven Strafverfolgung vereitelten, werden damit auf ein Minimum reduziert. Verwertbar sind in Strafverfahren vor nationalen Gerichten, die Verstöße gegen einen der im Corpus Juris genannten Straftatbestände zum Gegenstand haben, nunmehr alle sogenannten "Europäischen Befragungsprotokolle" sein, d.h. in Bild und Ton aufgezeichnete richterliche Zeugenvernehmungen, die in Anwesenheit der Verteidigung und unter Wahrung ihrer Fragerechte zustande gekommen sind564 . Eine absolutes Novum sind außerdem die in Art. 32 Abs. 1 lit. b des Corpus vorgesehenen "Europäischen Vernehmungsprotokolle", also Videoaufzeichnungen von Angeklagtenvernehmungen, die als Beweissurrogat in die Hauptverhandlung Eingang finden können. Die Ausgestaltung der Einvernahme eines Angeklagten ist hier sehr genau festgelegt. So muss dem Angeklagten rechtzeitig ein Verteidiger bestellt worden sein, dem zu angemessener Zeit und spätestens 48 Stunden vor der Vernehmung ein Recht auf Akteneinsicht gewährt wurde. Ein Dolmetscher ist bei Notwendigkeit zu bestellen. Außerdem sind nur richterliche Vernehmungen als Beweissurrogat zugelassen. Nicht klar wird aus den Vorschriften allerdings, in welcher Form dieses Vernehmungssurrogat Eingang in die Hauptverhandlung finden soll. Ersetzt es generell die Einvernahme eines abwesenden Angeklagten?565 Darf das 564 Die Anwesenheit des Angeklagten ist allerdings nicht Voraussetzung für eine Verwertbarkeit der Aufzeichnung. Dies läuft mit Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK durchaus konform, denn auch dort genügt, dass nur der Verteidiger an der Vernehmung teilhaben konnte; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, Art. 6 EMRK (Art. 14 IPbpR), Rn. 221; BVerfG, NJW 1996,3408; BGH, StV 1996,471. Aber hinter den Garantien des deutschen Strafverfahrens, das grundsätzlich in § 168 c Abs. 2 StPO bzw. §§ 223, 224 StPO von einem Anwesenheitsrecht des Angeklagten ausgeht, bleibt dies weit zurück. Nicht zu Unrecht vermerkt deswegen eine Reihe von Autoren, dass die nur lückenhafte Ausführung der Rechte des Beschuldigten im Corpus Juris dringend der Verbesserung bedarf; vgl. etwa Weigend, StV 2001, 66; Schulz, StV 2001, 85 f. 565 Das Corpus Juris setzt in keiner Vorschrift ausdrücklich eine Anwesenheit des Angeklagten bei seiner Verhandlung voraus. Allerdings lässt sich dem Fairnessgebot des Art. 6 EMRK, auf das Art. 29 Abs. 1 des Corpus Juris verweist, entnehmen, dass eine persönliche Anwesenheit des Angeklagten im Urteilsverfahren prinzipiell geboten ist. Nicht nur, dass seine Einlassungen wesentliche Beiträge zur Tataufklärung darstellen können, auch der persönliche Eindruck ist spätestens für die Strafbemessung von Bedeutung. Weiterhin ist nur der Angeklagte, der seiner Verhandlung persönlich und uneingeschränkt folgen konnte in der Lage, seine Verteidigungsrechte effektiv auszuüben. Trotzdem schließt Art. 6 EMRK ein Strafverfahren gegen einen Abwesenden nicht aus, sofern dieser das Recht hat, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu for-

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Videoprotokoll nur allgemein als Vorhalt Verwendung finden oder ersetzt es die Verlesung eines Geständnisses nach § 254 Abs. 1 StPO bzw. die Verlesung zur Aufklärung eines Widerspruches zwischen verschiedenen Aussagen des Angeklagten gemäß § 254 Abs. 2 StPO? Die Formulierung in Art. 32 Abs. 1 lit. b, die keinerlei Einschränkungen für die Verwertbarkeit der audiovisuelle Aufzeichnung vorsieht, scheint eine allgemeine Verwendbarkeit auch einfach als Ersatz der Aussage des Angeklagten im Hauptverfahren nahe zu legen. Dadurch aber würde der Angeklagte doch seines noch in Art. 29 Abs. 3 S. 2 des Corpus Juris ausdrücklich aufgeführten Schweigerechts beraubt. Das gilt zumindest für den Fall, dass er noch zu einem Zeitpunkt zur Aussage bereit war, in der Hauptverhandlung aber von seinem Recht zur Aussageverweigerung Gebrauch macht und keiner der Ausnahmetatbestände des § 254 StPO die Verlesung der früheren Aussage gestattet566 . Die Rechte des Angeklagten bleiben also auch hier erheblich hinter dem Standard der deutschen Strafprozessordnung zurück567 . Trotzdem dürfte in einem Verfahren nach den Vorschriften des Corpus Juris vor einem deutschen Gericht nicht die nach deutschem Verfahrensrecht anzunehmende Unverwertbarkeit der Aufzeichnung vorgetragen werden. Diesen Einwand schließt Art. 33 Abs. 2 S. 1 des Corpus Juris aus, soweit nur die in Art. 31 und 32 des Corpus Juris genannten Voraussetzungen beachtet wurden. Eingewandt werden könnte gemäß Art. 33 Abs. 2 S. 2 Corpus Juris allenfalls eine Verletzung des Art. 6 EMRK, in dessen lückenhaftem Katalog das Recht des Angeklagten auf Aussageverweigerung aber gerade nicht ausdrücklich, sondern nur in Ableitung aus dem allgemeinen Fairnessgebot des Art. 6 Abs. 1 i. V. m. der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK auftaucht568 . dem, Peukert, EuGRZ 1980, 256. Ansonsten ist das Anwesenheitsrecht des Angeklagten im internationalen Recht in Art. 14 Abs. 3 lit. d IPbpR verankert, auf den Art. 29 Abs. 1 des Corpus Juris allerdings gerade nicht ausdrücklich verweist. 566 Die Formulierung des Art. 32 Abs. 1 lit. b des Corpus Juris erinnert an die Gesetzesvorschläge, die Gössel 1994 in seinem Gutachten C zu, 60. Deutschen Juristentag vorlegte. Auch dort war eine generelle Ersetzung der unmittelbaren Beschuldigtenvernehmung in der Hauptverhandlung durch seine frühe richterliche Vernehmung angeregt worden, aber auf wenig Zuspruch gestoßen; s. Gössel, Gutachten zum 60. DJT, S. 61; ausführlich dazu im 2. Teil, Kapitel C.3. 567 So auch das Ergebnis von Wattenberg, StV 2000, 101 ff., 103; außerdem Weigend, StV 2001, 66. 568 EGMR [Murray v. Vereinigtes Königreich], EuGRZ 1996, 587 (insbesondere S. 590) m. Anm. Kühne, EuGRZ 1996,571; sehr kritisch zu dem durch Art. 33 des Corpus Juris erheblich herabgesetzten Schutzstandard für den Angeklagten äußert sich Wattenberg, StV 2000, 101 f. Zwar treibt der EGMR mit seiner Rechtsprechung zusehends den Ausbau der Beschuldigtenrechte voran, jedoch ist dieser in einigen Bereichen noch weit von den in der StPO geltenden Mindestgarantien ent-

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Die Regelungen des Corpus Juris über den Einsatz von Videotechnik in der Hauptverhandlung werfen letztlich mehr Fragen auf, als dass sie Probleme lösen. Eine Reihe von Mitgliedsstaaten haben dementsprechend erklärt, dass Art. 32 des Corpus Juris mit ihren innerstaatlichen Rechtsordnungen bislang nicht vereinbar ist569 • Die aufgezeigten Ungereimtheiten lassen vermuten, dass bis zur Implementierung eines europäischen Strafrechts noch geraume Zeit vergehen wird. Zu groß sind nach gegenwärtigem Stand der Dinge die Einbußen, die insbesondere bei den Rechten des Angeklagten und damit auch bei der Justizförmigkeit des Verfahrens zu verzeichnen wären.

3. Die Übertragung unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO Das körperliche Nichterscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung kann auch damit begründet sein, dass der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Reise in keinem Verhältnis zu der Bedeutung der verhandelten Strafsache und zu dem von dem Zeugen erwarteten Beitrag zur Sachaufklärung steht. Je größer allerdings der erwartete Aufklärungsgewinn und je wichtiger der persönliche Eindruck von der Beweisperson, desto größer sind die Unannehmlichkeiten, die der Zeuge für die Erfüllung seiner Zeugenpflicht in Kauf zu nehmen hat 57o .

femt; dazu Weigend, StV 2001, 68. Einen Überblick über die Rechtsentwicklung zu Art. 6 EMRK gibt Kühne. StV 2001, 75 ff. 569 Vereinbar zu sein scheint er zunächst nur mit den Verfahrensordnungen italiens, der Niederlande und auch Portugals, welches erst kürzlich auch elektronische Beweismittel in den Gesetzeskatalog der im Hauptverfahren verwertbaren Beweise aufgenommen hat. Eine Kompatibilitätstabelle bezüglich einzelner Mitgliedsstaaten der Union findet sich in Delmas-MartyIVervaele. The implementation of the Corpus Juris, S. 359 f. Deutschland hat zunächst Bedenken in Bezug auf eine Durchbrechung der "Unmittelbarkeit" der Hauptverhandlung geäußert. Nach Inkrafttreten des Zeugenschutzgesetzes gilt das zwar nicht mehr für einen Einsatz der Videotechnik generell, aber doch zumindest weiterhin für die videodokumentierten Beschuldigtenvernehmungen, die als Beweissurrogate Eingang in die Hauptverhandlung finden sollen. Ungeklärt bleibt durch das Corpus Juris außerdem, wer als Zeuge verpflichtet ist, welche Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte gelten und ob diese Regelungslücke gemäß Art. 35 des Corpus Juris durch nationale Vorschriften ausgefüllt werden darf; Delmas-Marty/Vervaele, The implementation of the Corpus Juris, S. 360, S.178f. 570 BGHSt. 9, 230 (2310; GA 1964, 275; NStZ 1981, 271; StV 1989, 468; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251, Rn. 41; KK-Diemer, § 251, Rn. 9.

C. Die Simultanübertragung

303

a) Zur "Unzumutbarkeit" des persönlichen Erscheinens Für die Feststellung der besonderen Härte hat das Gericht die persönlichen Verhältnisse des Zeugen und insbesondere seinen Gesundheitszustand, Alter sowie familiäre oder berufliche Unabkömmlichkeit zu beleuchten und gegen das Gebot der Sachaufklärung sowie das Beschleunigungsgebot in Verhältnis zu setzen 571 . Ins Feld geführt werden dürfen nur persönliche Härtegründe. Schwierigkeiten der Justiz, sich den Zeugen durch rechtzeitige Vorführung oder Überstellung aus dem Ausland verfügbar zu machen, berechtigen nicht zur Annahme des § 251 Abs. 1 Nr. 3 StP0572 • Bislang liegt die Hürde zur Annahme der Voraussetzungen der Unzumutbarkeit des persönlichen Erscheinens sehr hoch. Ist die Aussage des Zeugen einziges belastendes Beweismittel oder wird dem Angeklagten eine Straftat von einigem Gewicht vorgeworfen, ist ihm grundsätzlich auch eine längere Reise zuzumuten573 . Allein große Entfernung berechtigt auch angesichts des Flugverkehrs nicht zur Annahme der Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 3 StP0574 . Der Ermessensspielraum des Gerichts, innerhalb dessen das Interesse an einem zügigen und reibungslosen Verfahrensablauf der Notwendigkeit einer umfassenden und möglichst mit Originalbeweismitteln durchgeführten Beweisaufnahme gegenübergestellt werden kann, ist dementsprechend eng begrenzt575 .

b) Videovernehmung als vermittelndes Element Der große Vorteil einer Videovernehmung im Fall des § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist, dass sie sowohl den Interessen des Gerichts als auch denen der Beweisperson entgegen kommen kann. Sie lässt sich effektiv, zügig und kostensparend in Szene setzen und belegt den Zeugen nicht mit der Verpflichtung, trotz persönlicher Härte die weite Reise zum Gerichtsort auf sich zu nehmen. Das Gericht wird allerdings strenge Maßstäbe anlegen müssen, wenn es zwischen einer Videovernehmung oder einem persönlichen Erscheinen des 571 RGSt. 44, 8; BGH, GA 1964, 275; OLG Köln, GA 1953, 186; BGH, NStZ 1981, 271; 1990, 28; 1994, 228; KK-Diemer, § 251, Rn. 9; ler Veen, StV 1985, 302 m.w.N. 572 BGH, GA 1970, 183 (184); ler Veen, StV 1985, 302; K/M-G, § 251, Rn. 9; SK-Schlüchler, § 251, Rn. 18. 573 BGHSt. 9, 230; NStZ 1981,271; OLG Düsseldorf, NJW 1991,2781. 574 Hoffmann, Der unerreichbare Zeuge, S. 214; ter Veen, StV 1985, 302; BGH, StV 1981,220. 575 Zudem ist er in vollem Umfang der revisionsrichterlichen Überprüfung zugänglich, ler Veen, StV 1985, 302.

304

3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Zeugen entscheidet. Die Videovernehmung auf der Grundlage des § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist gerade nicht sachnäheres Beweismittel und auch nicht die einzige Alternative zu einem vollständigen Beweisverlust. Sie ist tatsächlich nur ein kosten- und zeitsparendes Element, durch das dem Zeugen die Beschwernisse der Anreise erspart bleiben können 576 . Im Grunde darf sie nur dann zur Anwendung kommen, wenn zwar der Straftatvorwurf nicht unerheblich und die Aussage auch von einiger Bedeutung ist, es aber nicht maßgeblich auf einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen ankommt. Die Videovernehmung stellt ferner dann eine Alternative zum persönlichen Erscheinen dar, wenn es dem Zeugen erst in geraumer Zeit möglich sein wird, die Reise an den Verhandlungsort anzutreten. Hier erfordert u. U. das Beschleunigungsgebot, den Zugriff auf das Originalbeweismittel durch alternative Formen der Beweiserhebung zu gewährleisten. Ansonsten gilt für die Videovernehmung auf der Grundlage der §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht viel anderes als das, was zu § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO bereits erörtert wurde. Für das notwendige Prüfungsvorgehen des Gerichts ist im Wesentlichen auf die Darstellung der vorherigen Kapitel zu verweisen. Nur wiegt hier der Vorrang der unmittelbar persönlichen Vernehmung ungleich schwerer. c) Konkurrenz zu Vernehmungssurrogaten

Natürlich ist das Gericht auch nicht in jedem Fall, in dem es das persönliche Erscheinen der Beweisperson angesichts der Geringfügigkeit des Tatvorwurfs oder der geringen Bedeutung der Aussage als unzumutbar erachtet, gezwungen, sich das Originalbeweismittel via Monitor verfügbar zu machen. Soweit eine kommissarische Vernehmung mit anschließender Verlesung der Vernehmungsniederschrift in der Hauptverhandlung nach § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO den Belangen der Sachaufklärung genügt, ist von einer Videovernehmung ohnehin nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Tatbestandes 576 Missverständlich deswegen die Formulierung in Schlüchter, die Simultanübertragung verspreche generell einen Zugewinn an Mündlichkeit und fördere die Teilhaberechte des Angeklagten sowie den Untersuchungsgrundsatz. Der Hinweis darauf, dass als Alternative zur Videovernehmung gemäß §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO neben der reinen Protokollverlesung auch die unmittelbar persönliche Vernehmung des Zeugen in Betracht kommt, fehlt; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 11; SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998, 532 f.; viel zu allgemein auch Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 184 f., mit der These, die Unzumutbarkeit des Erscheinens könnte angesichts der Möglichkeit einer Simultanübertragung von Vernehmungen in Zukunft weit häufiger zu bejahen sein.

C. Die Simultanübertragung

305

in § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO abzusehen. Sie ist dann nicht "zur Erforschung der Wahrheit erforderlich". Für den Fall, dass das Gericht zwar der Aussage eine gewisse Bedeutung beimisst, es aber seiner Ansicht nach nicht unbedingt auf einen persönlichen Eindruck von der Person des Zeugen ankommt, treten die Alternativen der Videovernehmung und der Verlesung kommissarisch angefertigter Vernehmungsprotokolle zueinander in echte Konkurrenz. Eine Videovernehmung wird nur angeordnet werden, wenn ein komplexeres Vorgehen aufzuklären ist und deswegen die Gelegenheit zu einer intensiven Nachfrage im zeitlichen Konnex gegeben sein muss. Notfalls hat das Gericht hierfür auch Verfahrensverzögerungen in Kauf zu nehmen 577 •

d) Zusammenfassung Die Video vernehmung unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist im Grunde ein Notbehelf, wenn das persönliche Erscheinen angesichts der vom Zeugen geltend gemachten Härte ersichtlich unverhältnismäßig ist, das Gericht sich aber dennoch nicht dazu durchringen kann, auf den unmittelbaren Tatzeugen gänzlich zu verzichten. Mit fortschreitender Verbesserung der Übertragungstechnik und mit zusehender Gewöhnung der Gerichte an die neuen Medien wird der Vernehmungsweg nach §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO sicherlich als zeit- und kostensparende Beweiserhebungsalternative entdeckt und genutzt werden 578 . Beste Voraussetzungen dafür schaffen vor allem auch die neuen Möglichkeiten der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, mit denen die Zusammenarbeit in- und ausländischer lustizbehörden auf eine gesicherte rechtliche Grundlage gestellt wird und die Beweiserhebung auch über nationale Grenzen hinweg in standardisierter, d.h. in allen Rechtsordnungen als gesetzmäßig anerkannter Form erfolgen kann 579 .

4. Zeugenschutz durch die Hintertür: § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO Eine Besonderheit im Rahmen des Tatbestandes des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO ist der Verweis auf die Einwilligungslösung des § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO. Hier stehen nicht objektive Hindernisse dem persönlichen Erscheinen 577 Zur notwendigen Inkaufnahme von Verfahrensverzögerungen BGH, StV 1982, 357; KMR-Paulus, § 223, Rn. 15; Park, StV 2000, 221; Rieß/Hilger, NStZ 1987, 151. 578 SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 11. 579 Dazu zuvor im Kapitel C.2.c)ee).

20 Swoboda

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

des Zeugen vor Gericht entgegen, die Beteiligten verzichten vielmehr in ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis 580 auf seine Anhörung unmittelbar im Verhandlungs saal und begnügen sich mit der technisch gefilterten Einvernahme auf Distanz. Aspekte strafprozessualer Unmittelbarkeit und Mündlichkeit581 werden damit teilweise der Dispositionsbefugnis der Verfahrensbeteiligten unterstellt. a) Pro und Contra einer einverständlichen Lösung

Diese Dispositionsbefugnis der Verfahrensbeteiligten ist von der Literatur mit einigen Bedenken zur Kenntnis genommen worden. Rieß und Eisenberg beispielsweise sehen wenig Anlass, den Prozessbeteiligten einen so großen Gestaltungsspielraum für die Form der Beweiserhebung zu belassen, zumal auch aus der Begründung des für die Verweisung verantwortlichen Rechtsausschusses 582 nicht hervorgeht, warum allein eine einverständliche Regelung bereits genügen sollte, um von den ansonsten zwingenden Verfahrensgrundsätzen abzuweichen 583 . Gollwitzer aber bemerkt, dass das Gericht allein durch das Einverständnis der Beteiligten nicht zu einer Video vernehmung gemäß §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO verpflichtet wird584 . Das Einverständnis ist lediglich unabdingbare Voraussetzung für eine Anordnung. Auf seiner Grundlage kann das Gericht alle verfahrensrelevanten Umstände gegeneinander abwägen und eigenverantwortlich eine Entscheidung über Zulässigkeit und Erforderlichkeit der Videovernehmung treffen.

Unter der Prämisse, dass das Gericht durch das Einverständnis der Prozessbeteiligten nicht von der Beachtung der Verfahrens grundsätze freigestellt wird, sondern nur "freier" über die Verwendung von Beweismitteln disponieren kann 585 , verlieren die Einwände einer befürchteten "Prozessverfremdung"586 schnell an Gewicht. Nur weil die Beteiligten signalisieren, dass diese besondere Form der Beweiserhebung ihren Verfahrensinteressen nicht widerspricht, wird die Gestaltung der Hauptverhandlung nicht grundsätzlich Parteiabsprachen anheim gestellt. Unbestritten dürfen die Aufklä580 BGHSt. 9, 230 (232 0; StV 1983, 319; NJW 1984, 66; Gollwitzer in LöweRosenberg, § 251, Rn. 46. 581 SchlüchteriGreff, Kriminalistik 1998,532; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 12. 582 BT-Drs. 13/9063, S. 4. 583 Rieß, NJW 1998,3242 (Fn. 42); ders., StraFo 1999,6 f.; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1328 e, 2120 ff. 584 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 15. 585 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251, Rn. 42. 586 SchlüchteriGreff, Kriminalistik 1998, 532.

C. Die Simultanübertragung

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rungspflicht oder sonstige Beweisverwertungsverbote einem Vorgehen nach § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO nicht entgegenstehen587 . Die Grenze ist außerdem dann erreicht, wenn Vorschriften zum Schutze Dritter berührt sind588 . Die Verfahrens berechtigten können sich folglich nicht auf eine Videovernehmung an statt einer Entfernung des Angeklagten gemäß § 247 S. 2 StPO einigen, wenn es zum Schutz des Zeugen gerade notwendig sein sollte, dem Angeklagten jeglichen Hinweis auf das Aussehen der Beweisperson zu verwehren. Zwar stünde in diesem Fall noch die Möglichkeit einer Videovernehmung unter optischer Abschirmung des Zeugen zur Disposition, doch diese mag gegenüber einem persönlichen, unmaskierten Erscheinen der Beweisperson in der Hauptverhandlung die schlechtere Beweisalternative sein, so dass das Gebot einer umfassenden Sachaufklärung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur unmittelbar persönlichen Einvernahme unter Ausschluss des Angeklagten nach § 247 S. 2 StPO drängt. Den Kritikern der einverständlichen Lösung ist also zu erwidern, dass die Dispositionsbefugnis der Verfahrensbeteiligten nicht an den Grundfesten eines rechtsstaatlichen Verfahrens rüttelt. In gewissen Grenzen dürfen die Verfahrensbeteiligten tatsächlich die Gestaltung der Beweisaufnahme mitbestimmen. I.d.R. werden sie das zu ihrem eigenen Vorteil auch versuchen, denn obwohl die technische Filterung für den Gesprächskontakt und den persönlichen Eindruck von der Beweisperson nachteilig sein wird, kann der Angeklagte mit seinem Einverständnis einen drohenden Ausschluss nach § 247 StPO u. U. verhindern. Ist es für die Verteidigung wichtig, den Zeugen persönlich mit dem Angeklagten zu konfrontieren, dann wird sie die Vernehmung per Bildschirm nachdrücklich verlangen 589 . Außerdem bietet eine Simultanübertragung die Chance, die Vernehmung gemäß § 247 a S. 4 StPO aufzuzeichnen. Die Videodokumentation ist dann Wortprotokoll i. S. d. § 273 Abs. 3 StPO und kann damit bei einer Rüge von Verstößen gegen § 261 StPO in der Revisionsinstanz vorgeführt werden. Sie eröffnet wie kein anderes Beweismittel die Möglichkeit einer revisionsrechtlichen Inhaltskontrolle, indem sie die Wiedergabe und Würdigung der Aussage im Urteil vollständig überprüfbar macht59o . 587 KK-Diemer, § 251, Rn. 10; K/M-G, § 251, Rn. 10; AK-Dölling, § 251, Rn. 20; BGHSt. 42, 73 ff; RießIHilger, NStZ 1987, 151; BGHSt. 10, 186 (191 ff); NStZ 1988, 37; 1988, 283; OLG Celle, StV 1991, 294; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn.12. 588 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251, Rn. 42 (Fn. 156) und Rn. 49; BGHSt. 42, 73 ff 589 Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 b; auch SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998,532 f.; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 12.

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

In der Praxis hat sich die Vernehmung auf der Grundlage des § 247 a S. 1 HS.2 i. V.m. § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO bislang außerdem als die wirkungsvollste Form strafprozessualen Zeugenschutzes bei Vernehmungen herausgestellt. Dies vor allem deswegen, weil die Anwendungsschwelle des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO viel zu hoch liegt, um eine echte Vernehmungsalternative zu sein 591 . Dem Gesetzgeber ist gleichzeitig aber auch der Vorwurf zu machen, dass er mit der einverständlichen Lösung die differenzierte Ausgestaltung des § 247 a S. 1 StPO rückwärtig aushebelt. Sein strenges Beharren auf dem formellen Unmittelbarkeitsprinzip, das sich noch in § 247 a S. 1 Hs. I StPO so kompromisslos bei der strikten Subsidiarität zu § 247 S. 2 StPO zeigt, wirkt in Zusammenschau mit der Möglichkeit einer einverständlichen Lösung bestenfalls halbherzig. Einerseits sollen die Mitwirkungsrechte des Angeklagten nach § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO entschieden geringer geachtet werden als das Gebot körperlicher Anwesenheit der Beweisperson im Verhandlungssaal 592 , andererseits wird dem Angeklagten in begrenztem Maß gestattet, über gerade diese physische Präsenz des Zeugen und damit die auch eigene Teilhabe an der Vernehmung zu disponieren. Der Gesetzgeber hätte, um sein Misstrauen gegenüber dem zeugenschützenden Wert einer Videovernehmung 593 und den mit ihr einhergehenden Beeinträchtigung der Verfahrens grundsätze stringent durchzusetzen, den Weg in die konsensuale Problemlösung nicht eröffnen dürfen 594 . Indem er es aber getan hat, unterstützt er mittelbar die auch in dieser Untersuchung bestärkten Forderungen nach einer Absenkung der überzogenen Anforderungen des § 247 a S. 1 Hs. 1 StP0595 .

590 WeiderlStaechelin, StV 1998, 54; Burhoff rät aus diesem Grund dem Verteidiger, regelmäßigen auch die Aufzeichnung der Aussage zu beantragen, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 m; Schlothauer, StV 1999, 50; Widmaier, Defizitäre Unmittelbarkeit, S. 185 ff.; vgl. außerdem die These 11 Nr. 4 bei Deutscher Strafverteidiger e. V./Deutscher Richterbund e. V., Thesen der AIsbergTagung, 1999, S. 192; außerdem im 6. Teil, Kapitel C. 591 Kapitel B.l und B.2. 592 Rieß, StraFo 1999, 6; ders., Opfer- und Zeugenschutz in Missbrauchsverfahren, S. 124; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 11; K/M-G, § 247 a, Rn. 4. 593 BT-Drs, 1317165, S. 4 f., 10. 594 Eisenberg, der die nur "simulierte" Unmittelbarkeit der technisch vermittelten Vernehmung beklagt, verhält sich mit seiner Kritik an der Verweisung auf § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO nur konsequent, Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1328 e f. 595 Dazu ausführlich in Kapitel B.l.d), außerdem Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 177 ff., und die Kritik des Bundesrates, BR-Drs.933/1/97, S. 1 ff.

C. Die Simultanübertragung

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b) Videovernehmung auf der Basis eines "stillschweigenden" Einverständnisses? Für die Annahme eines stillschweigenden Einverständnisses gilt zu beachten, dass das Gericht in seinem Anordnungsbeschluss gemäß § 247 a S. I Hs. 2 StPO deutlich zu erkennen geben muss, dass es die Videovernehmung auf das Einverständnis aller Beteiligten gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO stützen will und der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte hierauf schweigen anstatt zu widersprechen596 . Erst dann kann davon ausgegangen werden, dass sich die Beteiligten der Bedeutung ihres Schweigens überhaupt bewusst sind. Das Schweigen eines unverteidigten, rechtsunkundigen Angeklagten darf dementsprechend erst dann als Zustimmung gewertet werden, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Angeklagte auf die rechtliche Wirkung des fehlenden Widerspruchs hingewiesen wurde. Es obliegt dem Vorsitzenden, ihn darüber verständlich und ausreichend zu belehren597 . Die Annahme eines konkludenten Einverständnisses verbietet sich zudem dann, wenn sich das Gericht ausdrücklich auf einen anderen Vernehmungs grund berufen hat, denn in diesem Fall wird den Verfahrensbeteiligten überhaupt nicht bewusst, dass ihr Verhalten eine verfahrensrechtlich relevanten Erklärung darstellt598 . In der Literatur wird nicht zu Unrecht ohnehin Kritik daran geübt, dass die widerspruchlose Hinnahme einer Protokollverlesung bzw. einer Videovernehmung ein stillschweigendes Einverständnis darstellen soll. Die Rechtsprechung hat mit ihren sehr weitreichenden Interpretationsmaßstäben zum Erklärungswert des Schweigens der Beteiligten die Zustimmungspflicht in § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO de facta in eine gesetzlich nicht fundierte Widerspruchspflicht umgewandelt 599 . Ferner behandelt sie § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO fehlerhaft als Auffangtatbestand für das Fehlen der in § 251 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 StPO genannten Voraussetzungen6OO • BGHSt. 9, 24 (28); 26, 332; NStZ 1985, 376; SK-Schlüchter, § 251, Rn. 21. BayObLG, StV 1993, 516; BayObLG, NJW 1978, 1818; OLG Stuttgart, JR 1977, 344; Alsberg/Nüse/Meyer, Beweisantrag, S. 265; AK-Dölling, § 251, Rn. 18. 598 BGH, NJW 1984, 66; NStZ-RR 1997, 268; BayObLG, StV 1990, 399; Schlothauer, StV 1983,320 f.; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251, Rn. 46 m. w.N. 599 Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 414; Schlothauer, StV 1983, 321; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 2123; Roxin, § 44, Rn. 10; Park, StV 2000, 221 f. Dem Verteidiger bzw. dem Angeklagten wird aufgebürdet, rein vorsorglich jeder Verlesung eines Protokolls bzw. jeder Anordnung einer Vernehmung per CCTV zu widersprechen, will er nicht in der Revisionsinstanz riskieren, dass sein Rügerecht angesichts der stillschweigenden "Zustimmung" als verwirkt angesehen wird. 600 Park, StV 2000, 221; Schlothauer, StV 1983, 321; KK-Diemer, § 251, Rn. 10 a. 596 597

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Wird also eine Videovernehmung angeordnet, dann sollten die Beteiligten streng darauf achten, dass der Anordnungsbeschluss nicht nur zum Ausdruck bringt, dass die Anordnung auf Rechtsgrundlage des § 247 a S. I Hs. 2 StPO gestützt wird, sondern auch, welche der in § 251 Abs. I StPO genannten Alternativen gelten soll. Bezieht sich der Beschluss eindeutig nur auf die Voraussetzungen der Gefährdungsalternative bzw. auf die Anforderungen des § 251 Abs. I Nr. 2 und 3 i. V.m. § 247 a S. 1 HS.2 StPO, so darf das Gericht eine widerspruchslose Hinnahme der Anordnung nicht als konkludente Zustimmung zu einer Videovernehmung werten. Kommt es zur Revision mit der Behauptung, die von dem Gericht ins Feld geführten Voraussetzungen hätten nicht vorgelegen, darf dem Beschwerdeführer nicht entgegengehalten werden, er hätte seine Rügebefugnis durch widerspruchsloses Geschehenlassen verwirkt.

5. Zum Anfechtungsausschluss bei § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO Warum der Anfechtungsausschluss des § 247 a S. 2 StP0601 auch die Vernehmungsalternativen nach § 247 a S. I Hs. 2 StPO erfasst, ist eine weitere Ungereimtheit des Tatbestandes. a) Anfechtungsausschluss als Redaktionsversehen?

Ursprünglich bezog sich der Anfechtungsausschluss des § 247 a S. 2 StPO allein auf die Gefährdungsalternative, also nur auf die Alternative, die jetzt in § 247 a S. I Hs. I StPO ihren Niederschlag gefunden hat602 . Erst durch eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses wurde § 247 a S. I StPO um die jetzt in Halbsatz 2 aufgeführte Erreichbarkeitsalternative erweitert603 . Der Anfechtungsausschluss in Satz 2 hingegen blieb sowohl in der Beschlussempfehlung als auch im dazugehörigen Bericht604 des Rechtsausschusses unberücksichtigt. Nicht auszuschließen ist deshalb, dass eine Bezugnahme auf den gesamten Tatbestand des § 247 a S. IStPO, d.h. auf die Gefährdungs- und die Erreichbarkeitsalternative, nicht beabsichtigt war. Die Bezugnahme der Ausschlussklausel auf § 247 a S. I Hs. 2 StPO wäre dann ein Redaktionsversehen. Eindeutig belegt werden kann dies indes nicht, denn immerhin ist das gesetzgeberische Ziel, Verfahrensverzögerungen und Unsicherheiten im Pro601 Die grundlegenden Probleme eines Anfechtungsausschlusses wurden ausführlich zu § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO erörtert, Kapitel B.5. 602 Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., BT-Drs. 13/7165, S. 3, 10. 603 BT-Drs. 13/8990, S. 3. 604 BT-Drs. 13/9063.

C. Die Simultan übertragung

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zess zu venneiden 605 , auch bei der zweiten Alternative des § 247 a S. 1 StPO ein berechtigtes Anliegen. Nur gilt hier, wie schon zu § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO, dass sich unerwünschte Verfahrensverzögerungen zur Genüge verhindern ließen, wenn nur das Beschwerderecht dritter Personen gemäß §§ 304 Abs. 2, 305 S. 2 StPO eingeengt würde. Eines zusätzlichen Revisionsausschlusses bedarf es zur zügigen und reibungslosen Durchführung der Hauptverhandlung also nicht606 . Ob ein Revisionsausschluss zudem Unsicherheiten bei der Anwendung der Nonn auszugleichen vennag, muss bezweifelt werden. Durch die Unklarheiten in Literatur und Rechtsprechung über die gen aue Reichweite und Wirksamkeit des Revisionsausschlusses 607 werden eigentlich nur zusätzliche Fragen aufgeworfen, ohne dass die Schwierigkeiten des Tatbestandes gelöst oder wenigstens gemildert würden. Für § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO ist der venneintliche Ausschluss jeglicher Revisionsmöglichkeit vor allem auch deswegen verwunderlich, weil diese Vorschrift ohnedies nur auf die Voraussetzungen der § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO verweist, welche für sich allein unbestreitbar in vollem Umfang der Anfechtung unterliegen und für die auch der Anfechtungsausschluss nach § 247 a S. 2 StPO keine Gültigkeit erlangt608 . b) Streit um die Reichweite des Anfechtungsausschlusses

Beim Streit um den Wirkungsbereich der Anfechtungsklausel kann im Großen und Ganzen auf das bereits zu § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO Erörterte verwiesen werden 609 . Anfechtbar ist demnach die Anordnung, die ohne das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen getroffen wird. Gerügt werden kann eine technische mangelhafte Videovernehmung und ebenso, wenn das Gericht die Prüfung des § 247 a S. 1 StPO ganz unterlässt. Im Grunde enthält der Tatbestand des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO nur ein Element, auf das sich ein Rechtsmittelausschluss beziehen könnte, namentlich die Frage, ob die Videokonferenz tatsächlich "zur Erforschung der 605 606

183.

BT-Drs. 13/7165, S. 10. Diemer, StraFo 2000, 217; ders., NJW 1999, 1671; Schlothauer, StV 2000,

607 Vgl. die unterschiedlichen Ansätze bei K/M-G, § 247 a, Rn. 13; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 25; HK-Julius, § 247 a, Rn. 19; Diemer, StraFo 2000, 217 ff.; ders., NJW 1999, 1671, 1672; Rieß, StraFo 1999, 7; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 30 ff.; Schlothauer, StV 2000, 183; außerdem BGHSt. 45, 188; 46, 73; alle dargestellt in Kapitel B.5.b). 608 Diemer, NJW 1999, 1671; KK-Diemer, § 247 a, Rn. 16; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 36; Schlothauer, StV 2000, 183. 609 Kapitel, B.5.b).

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

Wahrheit erforderlich" war. Nicht mit der Aufklärungsrüge angreifbar wäre folglich die gerichtliche Entscheidung, mit der die Verlesung einer früheren Vernehmungsniederschrift als zur Wahrheitsfindung erforderlich, geeignet und ausreichend betrachtet wird bzw. diejenige Entscheidung, die trotz der Existenz eines ausführlichen und qualitativ hochwertigen Befragungsprotokolls eine Videovernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung für erforderlich erachtet61O . Allerdings ist nur schwer verständlich zu machen, weswegen dem Gericht nicht in der Revision vorgeworfen werden könnte, es hätte seiner Aufklärungspflicht nicht genügt, weil es sich mit einer (unzureichenden) Protokollverlesung begnügt hat anstatt den über § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO ohne größere Schwierigkeiten per Videokonferenz erreichbaren Zeugen in der Hauptverhandlung persönlich zu vernehmen 611 . Rechtsprechung und Literatur vertreten bei der Frage einer Konkurrenz zwischen Videovernehmung und Vernehmungssurrogat letztlich auch äußerst gegensätzliche Ansichten. Der BGH etwa sieht sich trotz § 247 a S. 2 StPO nicht gehindert zu überprüfen, ob besondere Umstände nicht doch das Gericht, das sich für die bloße Protokollverlesung entschieden hat, zu einer Videovernehmung hätten drängen müssen 612 und Rose will die Aufklärungstauglichkeit der Videokonferenz generell einer Überprüfung zugänglich machen 613 . Aber welcher Anwendungsbereich bleibt dem Anfechtungsausschluss dann denn noch? Diemer versucht, der in Literatur und Rechtsprechung propagierten Einengung des § 247 a S. 2 StPO entgegenzutreten, indem er nicht nur die Entscheidung des Gerichts zwischen der Verlesung einer schriftlichen Vernehmungsdokumentation und einer Simultanvideovernehmung für unanfechtbar erklärt, sondern die Entschließung des Gerichts auch dann für unangreifbar erachtet, wenn sich dieses trotz des Vorliegens der in § 247 a S. 1 StPO genannten Voraussetzungen dafür entscheidet, den Zeugen - bei Möglichkeit - unmittelbar persönlich in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Natürlich sind Rechtsmittel außerdem dann ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des Tatbestandes vorliegen und sich das Gericht tatsächlich für die Videovernehmung entscheidet614 . Diemer, StraFo 2000, 220. Für eine Anfechtbarkeit deswegen Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 34; Rieß, StraFo 1999, 7; SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 25; WeiderlStaechelin, StV 1999,53. 612 BGHSt. 46, 79. 613 Rose, JR 2000, 79. 614 Diemer, StraFo 2000, 220. 610

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C. Die Simultan übertragung

313

Diemers Interpretation gibt dem Rechtsmittelausschluss des § 247 a S. 2 SPO im Vergleich zu anderen Auslegungsvarianten sicherlich den meisten Anwendungsraum. Allerdings will auch er nicht die Grenzen des § 244 StPO überschreiten, also beispielsweise dem Gericht eine nach § 244 Abs. 2 und 3 StPO verbotene Vorabwürdigung der Aussage ermöglichen615 .

Zutreffend weist er außerdem darauf hin, dass seine Lösung zwar den Gesetzestext systematisch umsetzt, aber nicht die grundlegende Frage lösen kann, warum für § 247 a StPO anders als bei anderen Ausnahmevorschriften zu § 250 StPO - namentlich §§ 247, 251 ff.StPO - überhaupt ein Anfechtungsausschluss gelten S01l616. De lege ferenda wäre die Abschaffung der Ausschlussklausel bzw. ihre Beschränkung auf den Ausschluss der Beschwerde nach §§ 304, 305 StPO weit sinnvoller617 , denn dann ließe sich das Verfahren zügig und reibungslos zu Ende bringen, ohne die fast unlösbare Frage nach der Reichweite eines Anfechtungsausschlusses stellen zu müssen. c) Ergebnis

Der Rechtsmittelausschluss für Entscheidungen des Gerichts gemäß

§ 247 a S. 1 Hs. 2 StPO hat sich nicht bewährt. Einer gestrafften, schnellen

Hauptverhandlung wäre mit dem Ausschluss der Beschwerderechte ausreichend gedient. Ein zusätzlicher Revisionsausschluss aber bringt mehr Schaden denn Nutzen und beschwört Rechtsunsicherheit herauf.

6. Zusammenfassung der Ergebnisse zu § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO Die Videovernehmung auf der Grundlage der zweiten Alternative des

§ 247 a S. 1 StPO ergänzt nicht nur die Phalanx des bestmöglichen Bewei-

ses, sie dient zugleich dem Zeugen schutz in einer weit effektiveren Form als es die vorrangig dem Schutz der Beweisperson gewidmete Gefährdungsalternative selbst vermag. Besonders die Möglichkeit, eine Videovernehmung unabhängig von überzogenen Tatbestandsanforderungen auf das Einverständnis aller Beteiligten Diemer, StraFo 2000, 220. Diemer, NJW 1999, 1671; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 36; Schlothauer, StV 2000, 183. 617 Dieses Ergebnis bestätigt die aus der Untersuchung zu einem Rechtsmittelausschluss bei § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO gezogenen Schlussfolgerungen, vgl. Kapitel B.5.c). 615

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3. Teil: Simultanübertragung von Vernehmungen

zu stützen, hat sich in der Verfahrenspraxis als rechtlich einfach handhabbare und in hohem Maß revisionssichere Verfahrensalternative bewährt. Im Zusammenspiel mit den Regelungen des § 244 Abs. 2 und 3 StPO erweitert § 247 a S. I Hs. 2 StPO außerdem den Begriff der "Erreichbarkeit" eines Beweismittels 618 . Bevor sich das Gericht zur Verlesung einer früheren Vernehmungsniederschrift bzw. zur Einvernahme des Zeugen vom Hörensagen entschließen kann, hat es sich zwingend darüber Gewissheit zu verschaffen, ob der Zeuge nicht doch wenigstens mittels audiovisueller Vernehmungsübertragung für eine Aussage in der Hauptverhandlung gewonnen werden kann. § 247 a S. I Hs. 2 StPO verändert das Prüfungsprogramm zur Erreichbarkeit eines Auslandszeugen. Das Gericht wählt zwischen den möglichen Alternativen von unmittelbarem, eingeschränkt unmittelbarem und nur mittelbarem Beweis diejenige aus, die zur Sachaufklärung am besten geeignet, erforderlich aber zugleich auch ausreichend ist619 . Grundlegender Prüfungsmaßstab ist die Aufklärungspflicht. Prozessökonomische Beweggründe sind aber in die Abwägung mit einzubringen.

Das Revisionsgericht kann die Entscheidung des Gerichts in weitem Umfang überprüfen. Der in § 247 a S. 2 StPO verankerte Revisionsausschluss hat sich im Hinblick auf die Notwendigkeit, Fehler bei der Wahrheitsermittlung und bei der Beschränkung von Verteidigungsinteressen zu revidieren, nicht bewährt. Konsequenterweise ist dem Gesetzgeber zu raten, den zu weit geratenen Anfechtungsausschluss nach § 247 a S. 2 StPO zu modifizieren und nur die Beschwerderechte Dritter zu Gunsten eines zügigen und reibungslosen Verfahrens zu beschneiden. Für die Fassung eines § 247 a V-StPO genügt es, auf die bereits in Kapitel B formulierten Gesetzesentwürfe zu verweisen 62o • Die Untersuchungsergebnisse zu § 247 a S. I Hs. 2 StPO machen hier keine Änderungen erforderlich. In einigen wesentlichen Punkten bestätigen sie die Vorschläge für einen § 247 a V-StPO sogar.

618 BGHSt. 45, 188 (191); Schlothauer, StV 2000, 181; Rose, JR 2000, 78; Duttge, NStZ 2000, 159; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 244, Rn. 259. 619 Diemer, StraFo 2000, 220; BGHSt. 46, 73; Rose, JR 2000, 77 f. 620 Zusammengefasst finden sich die Entwürfe zu § 247 a V-StPO im Kapitel B.6.c).

4. Teil

Videosimultanübertragung bei der Vernehmung anderer Beweispersonen Trotz Ungereimtheiten des Tatbestandes und Unsicherheiten in der Rechtsanwendung sind die Vorteile einer audiovisuell vermittelten Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nicht mehr zu leugnen. Anstatt also ihren Anwendungsbereich auf Vernehmungen des Zeugen in Extremsituationen zu beschränken 1, wird eine Ausweitung des Tatbestandes auf weitere Beweispersonen zu diskutieren sein. Anzuknüpfen ist dabei an die in Art. 10 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 verankerte Vernehmung des Sachverständigen bzw. des Beschuldigten auf Distanz2 . Ob und wie sich entsprechende Vorschriften im deutschen Strafverfahren verwirklichen lassen, ist im Folgenden zu erörtern.

A. Die Videovernehmung des Sachverständigen Der Sachverständigenbeweis ist das zweite persönliche Beweismittel der Strafprozessordnung. Seine Aufgabe ist es, dem Gericht die fehlende Sachkunde zu vermitteln, die für die Aufklärung tat- und schuldrelevanter Fragen unabdingbar ist 3 • Mit der gerichtlichen Bestellung wird der Sachverständige verpflichtet, ein Gutachten zu erstatten und dieses in der Hauptverhandlung mündlich vorzutragen4 . Pflichten und Rechte des Sachverständigen bei der Vernehmung sind ähnlich den Rechten des Zeugen ausgestaltet. Über § 72 StPO gelten sogar die Vorschriften der §§ 48 ff. StPO für den So noch die Ausgangskonzeption des Gesetzgebers, BT-Drs. 1317165, S. 4 f. Dazu im 3. Teil, Kapitel C.2.c)ee)(1). 3 Ausführlich zu den einzelnen Anwendungsfällen Geppert, Jura 1993, 249 f.; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1500; K/M-G, Vor § 72, Rn. 8; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 197; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 27, Rn. 1 ff.; KMR-Paulus, Vorb. § 72, Rn. 16. 4 In den vom Gesetz in §§ 251, 256 und 325 StPO abschließend aufgeführten Fällen kann sein Gutachten auch verlesen werden; Jessnitzer, StV 1982, 179; Krekeler, wistra 1989, 56; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 201; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 27, Rn. 16. 1

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4. Teil: Videosimultanübertragung bei der Vernehmung

Sachverständigen entsprechend, sofern nicht die speziellen Normen der §§ 73 ff. StPO abweichende Regelungen enthalten. Für die Videovernehmung bedeutet dies, dass zwar in entsprechender Anwendung des § 58 a StPO Bild-Ton-Aufzeichnungen der Sachverständigenvernehmung angefertigt werden können, eine Videosimultanübertragung der Vernehmung gemäß § 247 a StPO bzw. ein Ausschluss des Angeklagten für die Dauer der Gutachtenerstattung nach § 247 S. 2 StPO kommen dagegen nicht in Betrachts. Der Sachverständige unterscheidet sich vom Zeugen im Wesentlichen durch die Art und die Qualität seiner Bekundungen. Er ist anders als der Zeuge austauschbar, ersetzbar, denn nicht seine Persönlichkeit, sondern allein seine Sachkunde bzw. seine sachkundig gemachten Wahrnehmungen sind für das Verfahren von Bedeutung6 . Trotzdem ist es angebracht, die beiden persönlichen Beweismittel im Hinblick auf das Geschehen bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung dort gleich zu behandeln, wo eine Unterscheidung anhand ihrer Stellung im Strafverfahren nicht geboten erscheint. Die folgende Untersuchung wird sich entsprechend daran orientieren, welche Gesichtspunkte im Tatbestand des § 247 a StPO eine Videovernehmung des Sachverständigen in Gleichbehandlung mit dem Zeugen gebieten und welche Aspekte eine Differenzierung notwendig machen.

In Anknüpfung an die getroffenen Feststellungen wird dann zu prüfen sein, ob sich die anzustrebende Gleichbehandlung der bei den persönlichen Beweismittel durch eine Analogie zum Tatbestand des § 247 a StPO oder nur durch eine Änderung des Gesetzestexts realisieren lässt.

1. Vergleichbarkeit der Rechtsposition von Zeuge und Sachverständigem Eine Gleichbehandlung bei der Beweismittel lässt sich leicht dort verlangen, wo bereits das Gesetz von einer Differenzierung zwischen beiden abgesehen hat. So z.B. in § 251 Abs. 1 StPO, wo sowohl der unmittelbare Sachverständigenbeweis als auch der Zeugenbeweis in der Hauptverhandlung durch die Verlesung richterlicher Vernehmungsprotokolle ersetzt wer5 K/M-G, § 72, Rn. 1; entsprechend gilt allerdings § 247 S. 3 StPO, da diese Norm ausschließlich dem Schutz des Angeklagten dient, KK-Senge, § 72, Rn. 1. 6 Zur mitunter schwierigen Abgrenzung zwischen Sachverständigem, sachverständigem Zeugen und dem Zeugen im allgemeinen Sinn ausführlich Roxin, Strafverfahrensrecht, § 27, Rn. 2 ff.; auch K/M-G, § 85, Rn. 2; Dippel, Die Stellung des Sachverständigen im Strafprozess, S. 17 ff.; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1510 ff.; Jessnitzer, StV 1982, 177; Geppert, Jura 1993,250 f.

A. Die Videovernehmung des Sachverständigen

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den dürfen, sofern Gründe der Verfahrensbeschleunigung und der Verfahrensökonomie dies erfordern. § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO macht sich durch den Verweis auf § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO diese verfahrensökonomischen Zielsetzung ebenfalls zu eigen. Allerdings wird der schlechtere, mittelbare Beweis der Verlesung von Vernehmungsprotokollen durch die zuverlässigere und wenigstens eingeschränkt unmittelbare Videovernehmung des Originalbeweismittels7 .

Warum die Vorteile einer persönlichen Vernehmung via Monitor aber nur für den Zeugenbeweis und nicht auch für den Sachverständigenbeweis nutzbar gemacht werden sollten, lässt sich nur schwer begreifen. Die videotechnische Verbindung fördert das Verständnis der Verfahrensbeteiligten für den Inhalt des erstatteten Gutachtens. Sie können bei Verständnisschwierigkeiten noch einmal nachfragen, in Details nachhaken und sind nicht nur auf die wiederholte Lektüre des Schriftstücks verwiesen. Der Dialog erleichtert auch den Zugang zu komplexen Sachverhalten, etwa zu Fragen aus dem Bank-, Finanz oder sonstigen Wirtschaftswesen oder der Medizin8 . Zudem erspart die audiovisuell vermittelte Vernehmung dem Sachverständigen den erheblichen Zeitaufwand, den die Anreise zum Verhandlungsort mit sich bringt, ohne zugleich Einbußen in der Beweisqualität zu verursachen9 . Gleichzeitig wiegt die technische Filterung der Beweisaufnahme weniger schwer als beim Zeugenbeweis, denn auf einen persönlichen Eindruck vom Berichterstatter kommt es beim Sachverständigen nicht an. Für den Sachverständigenbeweis sind die Vorteile einer Videovernehmung nach §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO damit noch weit augenfalliger als für den Zeugen, bei dem berechtigt die Gefahr besteht, dass er einerseits durch den Umgang mit den neuen Medien überfordert würde und andererseits, dass die technisch zu überbrückende Distanz den für die Beweiswürdigung so entscheidenden Eindruck von der Persönlichkeit des Zeugen verfälscht lO . Anders allerdings stellt sich die Situation im Rahmen der "zeugenschützenden" Vernehmungsalternative des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO dar. Die Tatsache, dass es sich bei dem Sachverständigenbeweis um ein von der PerDazu ausführlich im 3. Teil, Kapitel C. Krekeler, wistra 1989, 52. 9 Für viel beschäftigte Sachverständige kann es unzumutbar sein, nur für die Erstattung eines Gutachtens einen oder sogar mehrere Tage zu opfern. Die Rechtsprechung neigt deswegen dazu, den Ausnahmetatbestand des § 251 Abs. 1 Nr. 3 StPO sehr großzügig zu bejahen, mit der Folge, dass nur die Verlesung des schriftlichen Gutachtens in der Hauptverhandlung erfolgt; BGH, GA 1964, 275. 10 Vgl. dazu im 3. Teil das Kapitel B.3.b) und Kapitel C.2.c)bb)(3). 7

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4. Teil: Videosimultanübertragung bei der Vernehmung

sönlichkeit der Beweisperson unabhängiges, allein auf die vennittelte Sachkunde bezogenes Beweismittel handelt, legt den Schluss nahe, dass es zu einer besonderen Gefährdung des "Sachverständigenwohls" durch die Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht kommen kann, eine Erweiterung des § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO mithin völlig fehlginge. Natürlich lässt sich nicht ausschließen, dass eine zur Begutachtung bestellte Person durch den Beschuldigten bzw. aus dem Umfeld des Beschuldigten bedroht wird 11. In diesem Fall wäre eine Videovernehmung als zusätzlicher Schutzmechanismus durchaus erwägenswert. Allerdings liegt in der Austauschbarkeit bzw. Ersetzbarkeit des Sachverständigen selbst der beste Schutz. Im Notfall kann er gemäß § 76 Abs. 1 S. 2 StPO von der Pflicht zur Erstattung des Gutachtens entbunden werden, mit der Folge, dass ein anderer Gutachter diese Aufgabe übernimmt 12 . Die Video vernehmung bietet im Fall einer Bedrohung ohnehin keine ausreichende Sicherheit, solange es nicht insgesamt zu einer Anonymisierung des Sachverständigen kommt. § 68 StPO findet über § 72 StPO sogar entsprechende Anwendung 13. Nichtsdestoweniger wird es einem Sachverständigen regelmäßig unzumutbar sein, nur für die Erstellung eines Gutachtens Lebensgefahr oder den Verlust des Wohnorts und des Arbeitsplatzes in Kauf zu nehmen. Aus diesem Grund ist regelmäßig die Entbindung von der Erstattungspflicht (§ 76 Abs. 1 StPO) bzw. die Verlesung des Gutachtens nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO bei gleichzeitiger Geheimhaltung von Identität und Aufenthaltsort des Sachverständigen die bessere, die angemessenere Schutzlösung.

2. Zulässigkeit eines Analogieschlusses zu § 247 a StPO Eine Vergleichbarkeit der Rechtsposition von Zeuge und Sachverständigem in der Hauptverhandlung ließ sich nur bedingt feststellen. Während sie für die verfahrensökonomischen Vernehmungsalternative des § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO uneingeschränkt zu bejahen ist, lassen sich unter Gefährdungsgesichtspunkten nur wenige Parallelen ziehen. Wenn überhaupt, dann kommt ein Analogieschluss nur für die Vernehmungsvariante auf der Grundlage der §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO in Betracht. Dann müsste dem Gesetzgeber aber auch ein plan11 Beispielsweise in einem Wirtschaftsstrafverfahren, in dem der Sachverständige organisierte kriminelle Strukturen zu analysieren hat. 12 Zum Entbindungsgrund der Unzumutbarkeit Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1586; K/M-G, § 76, Rn. 3. !3 Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1512; KK-Senge, § 72, Rn. 3.

A. Die Videovernehmung des Sachverständigen

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widriges Versäumnis in der Regelung der vergleichbaren Sachverhalte vorzuwerfen sein. Betrachtet man die Verweisungsnorm des § 72 StPO, so lässt sich eine Planwidrigkeit der Regelungslücke bezweifeln. § 72 StPO erklärt die Vorschriften des sechsten Abschnitts für entsprechend anwendbar, spart jedoch die speziellen Schutzmechanismen der Hauptverhandlung - §§ 247 oder 252 StPO - bewusst aus 14. Die Videovernehmung als schützendes Verfahrensinstrument ist damit allein dem Zeugen vorbehalten. Mit der Videovernehmung des Sachverständigen aus verfahrenökonomischen Gründen dagegen befasst sich das Gesetz nicht. Viel spricht außerdem dafür, dass der Gesetzgeber sich dieser Möglichkeit im Rahmen der sehr eiligen Beratungen des Zeugenschutzgesetzes überhaupt nicht bewusst geworden ist, zum al die zweite Alternative des § 247 a S. 1 StPO ohnehin erst nachträglich durch den Rechtsausschuss eingefügt wurde l5 . Dort, wo die Video vernehmung im Einklang mit der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime eine zügige und reibungslose Beweisaufnahme sicherstellen soll, ist die analoge Anwendung des § 247 a S. 1 StPO auf die Vernehmung des Sachverständigen also nicht nur erlaubt, sie ist mitunter sogar geboten 16. Gleiches gilt, wenn als Alternative zur Videovernehmung nur die Verlesung des Gutachtens verbleibt und abzusehen ist, dass sich die Materie allein durch die Auswertung des Schriftstücks dem Verständnis nicht erschließt. Umgekehrt ist die Videovernehmung des Sachverständigen natürlich dann nicht zur Erforschung der Wahrheit erforderlich, wenn das schriftliche Gutachten allein die erforderliche Sachkunde vermitteln kann.

3. Vorschlag einer gesetzlichen Formulierung in § 247 a V-StPO Die zuvor festgestellte Zulässigkeit eines Analogieschlusses zu § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO geltender Fassung soll nicht daran hindern, einen RegeKK-Senge, § 72, Rn. 1. BT-Drs. 13/8990, S. 3 und BT-Drs. 13/9063, S. 4. 16 Dies übersehen Diemer, Gollwitzer und Lesch, wenn sie undifferenziert streng an einer Unzu1ässigkeit der Erweiterung des Tatbestandes im Analogieschluss auf den Sachverständigen festhalten. Zwar beschränkt § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO ebenso wie § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO die formelle Variante des Unmittelbarkeit nach § 250 StPO, allerdings ist mitunter die eingeschränkte Unmittelbarkeit dem Gebot des § 250 StPO noch weit näher als die ansonsten zur Alternative stehende Mittelbarkeit des Beweises; zum Verbot eines Analogieschlusses KK-Diemer, § 247 a, Rn. 12; K/M-G, § 247 a, Rn. 6; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 30; Gollwitzer in LöweRosenberg, § 247 a, Rn. 12. 14 15

320

4. Teil: Videosimultanübertragung bei der Vernehmung

lungsvorschlag in die bereits formulierten Entwürfe eines § 247 a V-StPO aufzunehmen. Eine ausdrückliche Regelung würde nicht nur Rechtsunsicherheiten beseitigen, sondern auch die Rechte der Verteidigung stärken, muss sich diese doch in den Fällen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO nicht mehr unbedingt die Verweisung auf das schriftliche Beweissurrogat gefallen lassen, sondern kann die persönliche Vernehmung des Gutachters via Monitor beantragen. § 247 a V-StPO könnte dann lauten: § 247 a V -StPO (1) 1 Ist bei einer Vernehmung einer Person unter sechzehn Jahren als Zeuge ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, und kann sie nicht in anderer Weise, namentlich durch eine Entfernung des Angeklagten oder den Ausschluss der Öffentlichkeit abgewendet werden, so kann das Gericht anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2 Besteht bei Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für deren Wohl und kann sie nicht in anderer, namentlich in der in Satz 1 genannten Weise abgewendet werden, so kann das Gerichts ebenfalls anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 3 Die Vernehmung wird in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen.

(2) 1 Eine Anordnung nach Abs. 1 ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 2 Unter den gleichen Voraussetzungen ist die in Bild und Ton übertragene Vernehmung eines Sachverständigen zulässig. (3) In den in den Sätzen I bis 3 genannten Fällen kann die Befragung auch durch einen ersuchten Richter vorgenommen werden. (4) Die Entscheidungen nach den Abs. 1 bis 3 unterliegen nicht der Beschwerde.

B. Videovernehmung des (Mit-)Beschuldigten 1. Ausschluss einer Analogielösung zu § 247 a StPO Anders als beim Sachverständigen wird ein Analogieschluss zu § 247 a StPO für die Vernehmung des Angeklagten durch dessen unabdingbare Anwesenheitspflicht nach den Vorschriften der §§ 230 ff. StPO von vornherein ausgeschlossen. Der Angeklagte hat seiner Verhandlung persönlich beizuwohnen. Die wenigen gesetzlichen Ausnahmen von der Anwesenheitspflicht sind abschließend in §§ 231 ff. bzw. 247 StPO niedergelegt. In Abwesenheit des ausgebliebenen Angeklagten dürfen Bagatelldelikte verhandelt werden, sofern der Angeklagte in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann

B. Videovernehmung des (Mit-)Beschuldigten

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(§ 232 StPO). Bei leichteren Straftaten kann der Angeklagte auf seinen Antrag hin von der Erscheinenspflicht entbunden werden (§ 233 StPO). Im

Fall mehrerer Angeklagter darf das Gericht den einzelnen Angeklagten auf ihren Antrag hin die Entfernung von solchen Teilen der Hauptverhandlung gestatten, die sie nicht betreffen (§ 231 c StPO). Weiterhin findet die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten statt, der sich vorsätzlich und schuldhaft in einen sein Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat, um dadurch wissentlich die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung zu verhindern (§ 231 a StPO), bzw. der durch ordnungswidriges Benehmen den Ablauf der Verhandlung stört, sofern seine Anwesenheit nicht unerlässlich ist und andernfalls eine fortgesetzte schwerwiegende Beeinträchtigung des Ablaufs der Hauptverhandlung zu befürchten ist (§ 231 b StPO). Zuletzt kann das Gericht eine Hauptverhandlung dann in Abwesenheit des Angeklagten zu Ende führen, wenn dieser sich nach seiner Vernehmung zur Anklage eigenmächtig aus der Hauptverhandlung entfernt hat und das Gericht seine weitere Anwesenheit auch nicht für erforderlich hält (§ 231 Abs. 2 StPO). Aspekte des Zeugenschutzes bzw. des Schutzes des Angeklagten können nach § 247 S. 1 bis 3 StPO einen zeitweiligen Ausschluss des Angeklagten aus der Verhandlung notwendig machen 17 . Weitere Ausnahmen von dem Gebot physischer Anwesenheit als die genannten kennt die Strafprozessordnung nicht. Eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten außerhalb des Regelungsbereichs der genannten Vorschriften ist absolut unzulässig l8 . Weder im Interesse des Angeklagten, noch mit seinem Einverständnis oder der Einwilligung aller Verfahrensbeteiligten kann seine Entlassung aus dem Gerichtssaal verfügt werden 19. Geschieht dies dennoch, so ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben 20 • Eine nur durch Übertragungstechnologien vermittelte Anwesenheit des Angeklagten kommt demzufolge nicht einmal zum Schutz oder auf Wunsch 17 Ausführlich zu den Abwesenheitsregelungen Roxin, Strafverfahrensrecht, § 42, Rn. 39 ff.; Gollwitzer, Tröndle-Fs., S. 456 ff., katalogisiert die Ausnahmetatbestände. 18 BGHSt. 19, 144 (147); 26, 84 (90), Rieß, JZ 1975,266, kritisch hierzu Julius, GA 1992, 298 ff.; Stein, ZStW 91 (1985), 307 ff. 19 BGHSt. 3, 187 ff.; 25, 317 (318); NJW 1973, 522; 1976, 1108; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 42, Rn. 51; SK-Schlüchter, § 230, Rn. 5. 20 Die Abwesenheit des Angeklagten muss allerdings einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung betroffen haben (str.), SK-Schlüchter, § 230, Rn. 31; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 230, Rn. 51. 21 Swoboda

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4. Teil: Videosimultanübertragung bei der Vernehmung

des Beschuldigten in Betracht. Von dem in Italien seit Jahren praktizierten Verfahren der audiovisuellen Zuschaltung des Angeklagten in den Prozess21 bzw. von der in Art. 10 Abs. 9 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 postulierten einverständlichen, grenzüberschreitenden Videovernehmung des Beschuldigten22 erscheint das Strafverfahren der StPO weit entfernt.

2. Lösungsmöglichkeiten de lege ferenda? Dabei ist die Diskussion um einen Verzicht auf die physische Präsenz einer zur Mitwirkung am Strafverfahren berufenen Person bei gleichzeitiger Herstellung einer akustischen und visuellen Verbindung zwischen Gerichtssaal und Aufenthaltsort des Betroffenen nicht neu. Bereits vor Erlass des Zeugenschutzgesetzes lag hierin ein Schwerpunkt der gegnerischen Argumentation 23 . So sollte ein Verzicht auf die körperliche Anwesenheit des Zeugen im Sitzungssaal als Einschränkung der formellen Spielart der Unmittelbarkeitsmaxime mit dem damals geltenden Recht, insbesondere mit § 250 StPO, nicht zu vereinbaren sein24 • Doch wurden die grundSätzlichen Bedenken schnell verworfen 25 . Stattdessen sollte nun eine hervorragende Übertragungstechnologie dem Gebot formeller Unmittelbarkeit im Kern Genüge tun und einen Gesamteindruck von der Person und dem Aussageverhalten des Zeugen übermitteln, auf dessen Grundlage Bewertung und Überprüfung der Glaubwürdigkeit ohne ein Abgehen von den herkömmlichen Grundsätzen der Beweiswürdigung erfolgen könnte 26 . Nicht die Hindernisse de lege lata waren also für die Zulässigkeit der Video vernehmung von Zeugen entscheidend, erst eine Unvereinbarkeit mit grundlegenden Prinzipien des Strafverfahrens stellte die Schranke dar, die es für die Frage nach der Zulässigkeit des Einsatzes neuer Medien im Strafverfahren zu berücksichtigen galt27 • Dazu im 2. Teil, Kapitel D.7. Erörtert im 3. Teil, Kapitel C.2.c)ee)(1). 23 Hussels, ZRP 1995, 243; Hasdenteufel, Grenzen des Einsatzes von Videotechnologie, S. 120 f.; Jansen, StV 1996, 125; Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 254; Meier, RdJB 1996,454; Geppert, Jura 1996, 553. 24 Meyer, ZStW 95 (1983), 854; Geppert, Jura 1996,553. 25 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 254 ff. 26 Geppert, Jura 1996, 553; Mildenberg, Schutz kindlicher Zeugen, S. 123 ff.; Zacharias, Der gefahrdete Zeuge, S. 254 ff.; Kintzi, DRiZ 1996, 192. 27 Zur Vereinbarkeit einer simultan übertragenen Vernehmung mit den Verfahrensgrundsätzen vgl. statt vieler Rieck, StraFo 2000, 403 ff.; KMR-Lesch, § 247 a, Rn. 9 ff. 21

22

B. Videovemehmung des (Mit-)Beschuldigten

323

Die Diskussion um eine Teilnahme des Angeklagten aus der Distanz hat sich an denselben Richtlinien zu orientieren. Nicht die Unvereinbarkeit mit den geltenden Verfahrensnormen ist ausschlaggebend. Für eine Lösung de lege ferenda kommt es allein darauf an, inwieweit auch die durch Videotechnologie übermittelte Teilhabe des Angeklagten am Strafverfahren die Zielsetzungen zu realisieren vermag, die den historischen Gesetzgeber dazu veranlassten, die physische Präsenz des Angeklagten für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung zum grundlegenden Gebot eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu erheben. a) Zum Postulat der ununterbrochenen Anwesenheit des Angeklagten Das Postulat ununterbrochener Anwesenheit des Angeklagten ist in den Augen von Legislative und Rechtsprechung mehr als nur ein notwendiges Korrelat seines Anwesenheitsrechts. Allein der Verweis auf Individualinteressen und auf eine gerichtliche Fürsorge für die Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs könnte diese gesetzlich verbürgte Unverfügbarkeit des in Art. 14 Abs. 3 lit. d IPbpR niedergelegten Rechts auf Präsenz, Verteidigung und Teilhabe am Strafprozess auch kaum begründen 28 • Das Anwesenheitsrecht wäre dann ein rein subjektiver Rechtsgewährleistungsanspruch und somit zwingend der Autonomie des Rechtsträgers unterworfen, durch diesen also verfügbar und verzichtbar29 . Doch gerade solch eine Dispositionsbefugnis ist der geltenden Verfahrensregelung fremd. Die herausragende rechtsstaatliche Bedeutung, welche die Strafprozessordnung "der Anwesenheit des Angeklagten in abstracto zumisst,,30 lässt es nicht zu, die Frage der Präsenz des Angeklagten in das Belieben der Prozessbeteiligten zu stellen 3'. Bereits dem passiven Dabeisein wird ein wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung zugeschrieben. Die Pflicht zur Teilnahme wurzele "in der Gemeinschaftsbindung des Einzelnen, der den dazu berufenen Organen der Gemeinschaft für seine Verfehlungen einzustehen habe und sich deshalb dem Vorgang der Klärung eines erhobenen Vorwurfs nicht entziehen kann,,32. Gollwitzer, Tröndle-Fs., S. 456. Eine "verfahrensmäßige Selbständigkeit" des Angeklagten, "mit der er über die Wahrnehmung seiner prozessualen Gestaltungsmöglichkeiten" auch hinsichtlich seines Rechts auf Bewohnung des Verfahrens verfügen kann befürwortet Stein, ZStW 91 (1983),307 ff.; in Anlehnung an diesen Julius. GA 1992,297 ff.; dagegen Paulus, NStZ 1986, 523; Röhmel, JA 1976, 146; Gollwitzer, Tröndle-Fs., S. 456; KMR-Paulus, § 230, Rn. 4. 30 Maiwald, JR 1982, 35. 31 KMR-Paulus, § 230, Rn. 4; Fezer, Strafprozessrecht 11, 11/88. 28

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4. Teil: Videosimultanübertragung bei der Vernehmung

Dabei ist der Beitrag des Angeklagten zur Wahrheitserforschung angesichts seines Selbstbegünstigungsprivilegs33 eher ambivalent, bestenfalls aufklärungsneutral 34 . Seine ausgewogenen Verfahrensbefugnisse, die umfangreichen Anhörungs-, Informations-, Konfrontations-, Mitwirkungs- und Beanstandungsrechte bewahren ihm zwar die rechtsstaatliche Position eines Verfahrenssubjekts35 , verpflichten ihn aber nicht zur aktiven Mitwirkung oder gar dazu, dass Verfahren gegen sich selbst zu fördern 36 . Trotzdem genügt der Literatur im Wesentlichen der Hinweis darauf, dass dem Gericht die Gelegenheit eröffnet werden muss, sich einen persönlichen Eindruck von der Person zu verschaffen, über deren vermeintliches Fehlverhalten es zu entscheiden berufen ist. Dieses Bedürfnis bestehe generell und nicht nur in den Fällen, in denen es auf eine Augenscheinseinnahme des Angeklagten bzw. auf eine Gegenüberstellung mit dem Zeugen ankomme? Außerdem müsse grundSätzlich die Möglichkeit gewährleistet sein, dass sich der Angeklagte freiwillig an der Sachaufklärung beteiligt. Der Angeklagte, der sich zu Beginn der Hauptverhandlung noch zum Schweigen entschlossen hatte, mag sich angesichts unvorhergesehener Entwicklungen in der Verhandlung oder angesichts neuer Beweisinhalte doch veranlasst sehen, das Wort zu ergreifen 38 . Das Postulat ununterbrochener Anwesenheit ist also nicht nur eine Fürsorge, die eine effektive Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs verbürgt, sondern auch ein Schutzmechanismus, der den Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen bewahrt. Die Vielfältigkeit der Interessen, die mit dem Gebot physischer Präsenz des Angeklagten im Sitzungssaal verfolgt werden, lässt begreifen, weswegen der Gesetzgeber auf diesem Gebiet nicht den Weg in die Disponibilität und damit in die Gefahr rechtsstaatlicher Missstände eröffnen wollte. Dies allerdings hat zur Folge, dass selbst bei schwerwiegenden soziale und wirtschaftlichen Belastungen, die dem Angeklagten aus einer sich über Monate hinziehenden Hauptverhandlung erwachsen, der Teilnahmezwang nicht entfalle 9 . Gollwitzer, Tröndle-Fs., S. 456. Teilweise auch als "Lügerecht" bezeichnet, Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 125. 34 Julius, GA 1992,299. 35 Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 StPO, die Herabstufung des Angeklagten zum Objekt des Verfahrens widerspricht außerdem der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), die Kerngehalt jedes Grundrechts, auch des Justizgrundrechts des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG ist; Röhmel, JA 1976, 146; Rieß, JZ 1975,267. 36 Gollwitzer, Tröndle-Fs., S. 460; ders., Meyer-Gds., S. 148. 37 Rieß, JZ 1975, 267; Gollwitzer, Tröndle-Fs., S.456; Peukert, EuGRZ 1980, 256. 38 Fezer, Strafprozessrecht 11, 11/90; Julius, GA 1992, 302 f. 32

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B. Videovernehmung des (Mit-)Beschuldigten

325

b) Videotechnik als Schutzinstrument für den Beschuldigten

Der Druck zur ununterbrochenen physischen Präsenz lastet auf dem Angeklagten sogar unabhängig davon, ob ihm auf dem Weg zum Gericht oder innerhalb des Gerichtsgebäudes Lebensgefahr durch etwaige Mittäter oder Personen aus seinem kriminellen Umfeld drohen. Gerade in diesem letzten Punkt aber könnte der Einsatz audiovisueller Übertragungsmedien neue Wege zu wertvollen zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen eröffnen. Mit einer Gefährdung des Angeklagten setzt sich die Strafprozessordnung bisher ohnehin nur in wenigen Teilbereichen auseinander. So kann gemäß § 247 S. 3 StPO die Entfernung des Angeklagten aus dem Gerichtssaal verfügt werden, wenn durch die Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. Weitere Schutzvorschriften befassen sich dagegen ausschließlich mit der Sicherung eines justizförmigen Verfahrens, untersagen den Strafverfolgungsbehörden unzulässige Vernehmungsmethoden40, garantieren Frageund Verteidigungsmöglichkeiten41 oder bewahren vor Überraschungsentscheidungen, indem sie Hinweispflichten des Gerichts normieren 42 . Den von dritter Seite drohenden Gefahren für Leben und Gesundheit des Angeklagten wird zumeist nur mit polizeilich präventiven Maßnahmen begegnet, etwa mit geschützten Transporten, mit zusätzlicher Bewachung oder indem der Angeklagten im Gerichtssaal hinter kugelsicheren Glasscheiben platziert wird. Doch auch wenn der Angeklagte innerhalb des Gerichtsgebäudes mit großem sicherheitstechnischem Aufwand vor Anschlägen geschützt werden kann, das Risiko des Transports bleibt. Mit Hilfe neuer Übertragungstechnologien wären verhandlungsbegleitende Sicherheitsrisiken minimierbar. Der Angeklagte verbliebe auch für die Dauer der Verhandlung an einem geschützten Ort, bevorzugt in einem besonders gesicherten Trakt der Justizvollzugsanstalt. 39 Julius, GA 1992, 304; zwar lässt sich die große Mehrzahl der Hauptverhandlungen innerhalb nur eines Tages abschließen, trotzdem ist gerade im Zusammenhang mit Großverfahren gegen mehrere Angeklagte eine längere Verhandlungszeit nicht unüblich. Soweit der Angeklagte durch Teile des zu erörternden Beweisstoffs nicht betroffen wird, kann er sein zeitweilige FreisteUung gemäß § 231 c StPO beantragen, doch nicht immer lassen sich die Anklageinhaite so eindeutig unterteilen, dass die Betroffenheit eines der Angeklagten von vornherein gänzlich auszuschließen ist. 40 § 136 aStPO. 41 §§ 137, 141 StPO. 42 § 265 StPO.

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4. Teil: Videosimultanübertragung bei der Vernehmung

Über Bildschinn und akustische Verbindung würde er gleichzeitig in die Lage versetzt, das Prozessgeschehen live mitzuverfolgen. Eine ständige Hör- und Sprechverbindung zum Gericht und - besonders wichtig - eine vertrauliche Verbindung zu seinem Verteidiger, befähigt den Angeklagten, jederzeit in das Geschehen einzugreifen, nachzufragen bzw. nachfragen zu lassen, Zusatzinfonnationen zu geben und Beweisanträge zu stellen. Die Möglichkeit, die Verhandlungen in ihrer Dynamik und ihren unvorhergesehenen Wendungen zu beobachten und korrigierend einzugreifen, wird auch mit einer Teilnahme via Bildschinn gewährleistet43 . c) Technische und rechtliche Mindestgarantien

Ein großer Nachteil der Teilnahme am Bildschinn allerdings ist, dass die gegenseitige Wahrnehmung technisch gefiltert wird. Das Fernsehbild steht einem unmittelbaren Eindruck von den Ereignissen am anderen Ende der Videoverbindung nicht gleich. Dies macht sich besonders bei Gegenüberstellungen oder Augenscheinseinnahmen bemerkbar, denn hier kann nicht einmal eine hervorragende Bildqualität ausreichend Garant für eine naturgetreue Übennittlung sein. Selbst ohne eine Bildmanipulation sind Farben und Schattierungen sowie die Schärfe des Bildes am anderen Ende der Fernleitung anders als im Original. Will man eine möglichst naturgetreue Übertragung erreichen, muss auch die Kameraeinstellung mit Sorgfalt gewählt werden. Erfasst sie den Angeklagten aus einer ungünstigen Perspektive, dann kann ihm das bei der gerichtlichen Würdigung des persönlichen Eindrucks sehr zum Nachteil gereichen. Zu achten ist außerdem auf einen möglichst neutrales Hintergrundbild44 . Vergitterte Fenster oder bewaffnete Personen suggerieren eine erhöhte Gefährlichkeit des Bewachten und können das Persönlichkeits bild damit ebenfalls verfälschen. Umgekehrt ist dem Angeklagten durch ein mehrfaches Kamerabild, bevorzugt durch variable Einstellungen45 , ein Überblick über das erkennende Für eine solche Lösung auch Beulke. ZStW 113 (2001), 729. Kilian-Herklotz. Einsatz von Videotechnik und richterliche Glaubwürdigkeitsbeurteilung, S. 214. 45 Genutzt werden kann hier die in Italien sehr verbreitete Technik des "Switching". Dort werden in einem Bildschirrnquadrat, das sich selbst aus vier Fernsehbildern zusammensetzt, drei dieser Bilder fixierten Kamerapositionen zugeordnet. Ein Bild aber ist variabel und erlaubt ein Umschalten zwischen den verschiedenen BildeinsteIlungen. Der Angeklagte muss nicht zu jedem Zeitpunkt gleichzeitig sämtliche Kamerapositionen überblicken können. Dies könnte er auch bei Anwesenheit im Gerichtssaal nicht. Aber er muss die Möglichkeit haben, wenigstens immer die Person zu sehen, die spricht. 43

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B. Videovernehmung des (Mit-)Beschuldigten

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Gericht, die Zeugen, das Publikum, die Anklagebank und seinen Verteidiger zu ermöglichen. Waffengleichheit setzt voraus, dass der Beschuldigte die Vorgänge um die übrigen Prozessbeteiligten so mitverfolgen kann, als befände er sich selbst im Verhandlungssaal. Die Überlegungen zu der Qualität der Bildeinstellung zeigen bereits, dass die Teilnahme auf Distanz nicht generell hinter den Ansprüchen eines rechtsstaatlichen Verfahrens zurückbleibt. Doch sind an die Bild- und Tonqualität der Übertragung hohe Anforderungen zu stellen, weit höhere sogar als sie für die Fernvernehmung des Zeugen gelten. Außerdem muss sichergestellt sein, dass der Kerngehalt der Anwesenheitspflicht, die Fürsorge um die Gewährleistung rechtlichen Gehörs, nicht durch eine "Ausgrenzung" des nur auf dem Monitor anwesenden Angeklagten berührt wird. Grundsätzlich sollte der Angeklagte deswegen immer das Recht haben, die physische Anwesenheit vor Gericht zu verlangen. Die Teilnahme am Bildschirm ist auf die Fälle zu beschränken, in denen der Beschuldigte aus Angst um sein Leben oder seine Gesundheit eine Anwesenheit unmittelbar im Gerichtssaal nicht wünscht. Die verfahrensökonomischen und verfahrens beschleunigenden Gesichtspunkte, die in Italien den Ausschlag für eine Ermöglichung der Teilnahme des Angeklagten aus der Distanz gaben 46 , sind im Geltungsbereich der Strafprozessordnung in dieser Form nicht gegeben. Natürlich erspart eine Zuschaltung des Angeklagten aus der Justizvollzugsanstalt den großen und kostspieligen Aufwand des Transports und der zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen. Solange unsere Strafverfahren aber auch nach den bisherigen Maßstäben zu bewältigen sind, dürfen kostensenkende Elemente nicht entscheidend sein. d) Gesetzgebungsvorschlag De lege ferenda ist der Einsatz audiovisueller Technologien im Strafverfahren im die Möglichkeit einer Teilnahme des gefährdeten Angeklagten aus der Distanz zu erweitern.

Der Angeklagte muss mit der Maßnahme einverstanden sein. Das Einverständnis ist jederzeit widerrufbar. Außerdem ist die Teilnahme via Bildschirm nur dann zulässig, wenn die wesentlichen Zielsetzungen, weIche mit der gesetzlichen Anwesenheitspflicht des Angeklagten verfolgt werden, erreicht werden können. Ein ausgezeichnete Bild- und Tonübertragung ist dazu Mindestvoraussetzung. 46

Dazu im 2. Teil, Kapitel 0.7.

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4. Teil: Videosimultanübertragung bei der Vernehmung

Ebenfalls darf die Möglichkeit einer vertraulichen Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger nicht blockiert werden. Außerdem kann das Gericht die persönliche Anwesenheit des Angeklagten im Gerichtssaal verfügen, wenn dies für eine Gegenüberstellung oder eine Augenscheinseinnahme erforderlich sein sollte oder sich die Kammer einen unmittelbaren Eindruck von der Person des Angeklagten verschaffen möchte. Sollten mehrere Mitangeklagte von der Möglichkeit der audiovisuellen Zuschaltung Gebrauch machen wollen und befinden sie sich an verschiedenen Orten, so ist sicherzustellen, dass sie sich auch gegenseitig via Monitor sehen und hören können. Gleiches gilt für den Fall, dass eine Zeuge per Videosimultanschaltung von einem anderen Ort aus in die Hauptverhandlung hinein vernommen wird. Ein Justizbeamter sollte am Aufenthaltsort des Angeklagten anwesend sein, zu Beginn der Verhandlung dessen Identität feststellen und für einen korrekten Ablauf der Vorgänge in der Justizvollzugsanstalt bzw. an dem gesicherten Aufenthaltsort Sorge tragen. Eine gesetzliche Regelung ließe sich als Zusatz zum geltenden Text des

§ 231 StPO formulieren und könnte in einem Absatz 3 so lauten: § 231 Abs. 3 V_StP047

(3) 1 Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit des Angeklagten, wenn dieser den Verhandlungen im Sitzungszimmer beiwohnt, so kann das Gericht mit dessen Einverständnis anordnen, dass er sich während der Verhandlung an einem anderen Ort aufhält. 2 Zwischen Sitzungssaal und Aufenthaltsort des Angeklagten ist eine ständige wechselseitige Bild- und Tonverbindung zu erstellen. 3 Angeklagter und Verteidiger können jederzeit vertraulich miteinander in Kontakt treten. 4 Der Vorsitzende kann, sofern es für die Durchführung der Hauptverhandlung erforderlich erscheint, die zeitweilige Anwesenheit des Angeklagten im Sitzungssaal verfügen.

47 Der Wortlaut des Entwurfs ist eng an Art. 146 ader Durchführungsvorschriften zur italienischen Strafprozessordnung angelehnt, allerdings bei weitem nicht so detailliert wie dieser. Einzelheiten zur Qualität der Bild- und Tonverbindung können für das deutsche Strafverfahren in den RiStBV geregelt werden.

5. Teil

Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren, § 168 e StPO § 168 e StPO ermöglicht im Ermittlungsverfahren eine von den Anwesenheitsberechtigten getrennt durchgeführte richterliche Zeugenvernehmung.

Eine Beschränkung auf besondere Zeugengruppen ist dieser Vorschrift fremd. Sie dient der Schonung aller durch die Konfrontation mit dem Beschuldigten oder mit den übrigen Verfahrensbeteiligten in irgendeiner Form gefährdeten Zeugen. Im Gegenzug zeichnet sich § 168 e StPO ähnlich § 247 a StPO durch extrem hohe Anwendungsvoraussetzungen aus. Zudem ist eine Vernehmung in der Form des § 168 e StPO zu allen weiteren Schutzinstrumentarien, welche die Strafprozessordnung im Vorverfahren zur Verfügung stellt, streng subsidiär. Die unverkennbare Orientierung der Norm an den Voraussetzungen des

§ 247 a S. 1 Hs. 1 StPO macht es im Folgenden leicht, unter verschiedenen Gesichtspunkten auf die früheren Erörterungen zu § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO

zurückzuverweisen 1. Dies soll aber nicht dazu führen, die aus der Eingliederung der Norm in die Vorschriften des Ermittlungsverfahrens resultierenden Unterschiede zu übersehen. § 168 e StPO ist trotz der strengen Wortfassung in seiner Anwendung weit weniger problematisch und in der Verfahrenspraxis weitaus beliebter als seine Parallelvorschrift für das Hauptverfahren 2 . Anders als bei § 247 a S. 1 StPO darf die "getrennte Vernehmung" des Zeugen im Ermittlungsverfahren nach § 168 e StPO nicht unabhängig von den Vorschriften über die Einführung vorab gefertigter Bild- und Tonaufzeichnungen als Ersatz für eine unmittelbar persönliche Zeugenaussage in die Hauptverhandlung betrachtet werden. § 255 Abs. 1 und besonders Abs. 2 StPO enthalten wichtige Leitlinien für die Durchführung einer richterlichen Befragung, denn diese findet regelmäßig gerade zum Zweck einer späteren Ersetzung der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung statt. Dazu im 3. Teil, insbesondere Kapitel B. Von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 277 f.; vgl. auch die Anregungen und Hinweise zum Schutz kindlicher Opferzeugen bei der Durchführung von Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs, Bekanntmachung des Justizministeriums Niedersachen vom 23.8.1997, NJW 1998, 360, 362. I

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

Der Schwerpunkt der ermittlungsrichterlichen Vernehmung nach § 168 e StPO liegt demnach nicht unbedingt in der durch Abtrennung des Zeugen von den übrigen Verfahrens beteiligten bewirkten Schonung, sondern in der audiovisuellen Dokumentation des gesamten Vorganges, der wiederholte Vernehmungen überflüssig machen so1l3. Vor dem Hintergrund dieser Interessenlage wird deutlich, dass sich eine Erörterung des § 168 e StPO nur bis zu einem bestimmten Grad an § 247 a StPO orientieren darf. Wichtigster Bezugspunkt bleibt immer die Frage, wie die Ergebnisse der Vernehmung am besten, d. h. unter größtmöglicher Schonung des Zeugen, in die Hauptverhandlung transferiert werden können, ohne gleichzeitig die Rechte des Beschuldigten in unzumutbarem Umfang zu beschneiden4 • Im Kern ist damit die Problematik einer Vorverlagerung wesentlicher Elemente der Hauptverhandlung in das Ermittlungsverfahren angesprochen. Ausgehend vom Gesetzeswortlaut des § 168 e StPO ist nach Wegen zu suchen, wie die ermittlungsrichterliche Vernehmung auf seiner Grundlage so effektiv ausgestaltet werden kann, dass ein Transfer der aus ihr gewonnenen audiovisuellen Aussagedokumentation in die Hauptverhandlung ohne Einbuße an Rechtsstaatlichkeit möglich wird.

A. Die Ziele des § 168 e StPO im Überblick § 168 e StPO Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen, wenn er in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird, und kann sie nicht in anderer Weise abgewendet werden, so soll der Richter die Vernehmung von den Anwesenheitsberechtigten getrennt durchführen. Die Vernehmung wird diesen zeitgleich in Bild und Ton übertragen. Die Mitwirkungsbefugnisse der Anwesenheitsberechtigten bleiben im übrigen unberührt. Die §§ 58 a und 241 a finden entsprechende Anwendung. Die Entscheidung nach Satz 1 ist unanfechtbar.

Kindliche Zeugen, Opjerzeugen und bedrohte Zeugen5 werden gleichermaßen unter den Anwendungsbereich der Vorschrift gezogen. 3 § 168 e StPO ergänzt § 58 a StPO im Hinblick auf die richterliche Vernehmung, Schlothauer, StV 1999, 50; SK-Wolter, § 168 e, Rn. 33; Rieß, StraFo 1999,5 (Fn. 67); Janovsky, Kriminalistik 1999,455; Nr. 19 Abs. 2 S. 4 RiStBV; Bundeseinheitliche Handreichung zum Schutz kindlicher (Opfer-) Zeugen im Strafverfahren, S. 23 ff; 25, abzurufen unter http://www.bundesjustizministerium.de/inhalt.htm. 4 Das "partizipatorische" Vorverfahren unter stärkerer Einbindung von Beschuldigtem und Verteidigung und verstärkter Verwertbarkeit von im Ermittlungsverfahren erhobenen Beweisen in der Hauptverhandlung ist außerdem erklärtes Ziel einer Strafverfahrensreform, wie sie die Bundesregierung durch Beschluss in einem Eckpunktepapier vom 6. April 2001 formuliert hat, StV 2001, 314 ff.; kritisch dazu Salditt, StV 2001, 311 ff.; DAV, AnwBI. 2001,40 ff.; außerdem Kapitel B.4.d).

A. Die Ziele des § 168 e StPO im Überblick

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1. Verletzliche Zeugen als Hauptzielgruppe Der gesetzgeberische Schwerpunkt liegt bei § 168 e StPO sichtlich in der Schonung kindlicher Aussagepersonen und Opferzeugen, also Zeugengruppen, denen nicht einfach nur die Begegnung mit weiteren Verfahrensbeteiligten, sondern vor allem auch das wiederholte Schildern der Tat zum Schaden gereichen kann 6 . Nur so lässt sich erklären, dass § 168 e StPO anders als § 247 a S. 1 StPO als Sollvorschrift ausgestaltet wurde und außerdem Satz 4 noch einmal ausdrücklich auf die Vorschriften der §§ 241 a und 58 a StPO verweist, obgleich zumindest § 58 a StPO ohnehin für jede richterliche und staatsanwaltschaftliche Vernehmung Geltung erlangt7 , der Verweis im Rahmen des § 168 e StPO also überflüssig ist8 . Im Zusammenspiel mit dem ebenfalls als Sollvorschrift ausgestalteten § 58 a Abs. 1 S. 2 StPO haben sich die Justizbehörden regelmäßig um eine

frühe erste richterliche Vernehmung zu bemühen, die in Bild und Ton aufgezeichnet wird, damit Zeugen unter sechzehn Jahren jede weitere Einvernahme möglichst erspart oder zumindest der Gefahr des Beweisverlustes in der Hauptverhandlung entgegengewirkt wird.

2. Die schwierige Situation bedrohter Zeugen Die in § 168 e StPO vorgesehene Form der parteiöffentlichen Vernehmung kann einem bedrohten Zeugen indessen eher schaden denn nutzen. Dies zumindest dann, wenn eine etwaige Vermummung oder Identitätsverschleierung die Enttarnung des Zeugen nicht sicher verhindern kann 9 . Kommt es außerdem bei der richterlichen Einvernahme zu einer Vernehmungsaufzeichnung nach § 58 a Abs. 1 StPO und wird gleichzeitig das Ak5 Zu deren besonderer Gefahrdungssituation im 3. Teil, Kapitel B.l.c)aa) und B.l.c)bb). 6 Auch die Begründung der Gesetzesentwürfe erwähnt andere Zeugengruppen nur am Rande, BT-Drs. 13/7165, S. 9. 7 K/M-G, § 58 a, Rn. 2; Schlothauer, StV 1999, 47; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 2328 h; Rieß, NJW 1998, 3241; SK-Rogall, § 58 a, Rn. 3. 8 Nicht überflüssig ist der Verweis auf § 241 aStPO, denn diese Vorschrift gilt für die ermittlungsrichterliche Vernehmung grundsätzlich nicht, obwohl ihrem Schutzzweck auch im Ermittlungsverfahren Rechnung getragen werden sollte, K/M-G, § 186 c, Rn. 2. 9 Eine Identitätsgeheimhaltung würde sich auf § 68 Abs. 2 und 3 StPO stützen; zur Zulässigkeit einer optischen und akustischen Abschirmung des Zeugen in Abkehr von BGHSt. 32, 115 vgl. im 3. Teil, Kapitel B.3.c); außerdem SK-Wolter, § 168 e, Rn. 36; Diemer, NJW 1999, 1670; Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 42 f., 128.

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

teneinsichtsrecht an den Verteidiger gemäß § 147 StPO gewährleistet, so ist die Gefahr einer Identitätsenthüllung noch vor der Hauptverhandlung eher gesteigert denn minimiert. Durch eine wiederholte Betrachtung der Aufzeichnungskopie, die dem Verteidiger gemäß § 147 Abs. 4 StPO zur Einsicht in seinen Büroräumen mitgegeben werden darf IO , könnte nicht nur der Beschuldigte mit der Zeit die Identität des Zeugen erraten, er könnte auch weitere Personen aus seinem Umkreis mit einer Enttarnung der vermummten Person beauftragen, die Enthüllung VOn Name und Anschrift der Person erwirken. Die Sicherheit des Zeugen würde durch die frühe, parteiöffentliche und dazu noch für alle Verfahrensbeteiligten dokumentierte Vernehmung mehr beeinträchtigt denn gewährleistet 11 • Statt eines Vorgehens nach § 168 e StPO sollte in solchen Fällen eine Zeugenvernehmung unter Ausschluss des Beschuldigten gemäß § 168 c Abs. 3 StPO und ohne videographische Dokumentation stattfinden, um nicht unnötig eine Enttarnung zu riskieren. Außerdem kann gemäß § 168 c Abs. 5 S. 2 StPO die Benachrichtigung des Verteidigers unterbleiben, wenn dargelegt werden kann, dass bei Bekanntwerden der Zeugenidentität nicht nur Leben und Gesundheit des Zeugen, sondern mittelbar auch der Untersuchungserfolg gefährdet würde. Eine kontradiktorische Vernehmung des Zeugen muss in diesen Fällen statt im Ermittlungsverfahren erst in der Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 247 a StPO und - sofern erforderlich unter optischer und akustischer Verfremdung erfolgen. Ein Vorgehen nach § 168 e StPO kommt für bedrohte Zeugen demnach nur dann in Betracht, wenn die Identität der zu vernehmenden Person dem 10 Das Problem der Mitgabe von Aufzeichnungskopien war dem Gesetzgeber bekannt, doch wollte er vermeiden, dass die Verteidigungsrechte zulasten der Waffengleichheit von Anklage und Verteidigung weiter als unbedingt notwendig beschränkt würden. Außerdem hatte er die Hoffnung, der Beschuldigte würde sich letztlich nach mehrfachem Vorspielen der Aufzeichnung zu einem Geständnis überreden lassen. An die Gefahr einer schleichenden Enttarnung des Zeugen hat der Gesetzgeber offensichtlich nicht gedacht; vgl. BT-Drs. 13/4983, S. 3, 5; BT-Drs. 13/4983, S. 9; BT-Drs. 1317165, S. 7 f. Mittlerweile ist eine Beschränkung der Akteneinsicht erneut Gegenstand eines Gesetzesentwurfs, gemäß dem die Herausgabe von Aufzeichnungskopien nur mit Einwilligung des Zeugen erfolgen darf, so § 58 a Abs. 2 S. 3 des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Verletztenrechte, BT-Drs. 14/4661, S. 7, 11; aus der Sicht des Verteidigers Leitner, StraFo 1999, 46; ausführlich zum Akteneinsichtsrecht im 6. Teil, Kapitel A.l.e). 11 SK-Wolter, § 168 e, Rn. 36; SehlüehterlGreff, Kriminalistik 1998,534; KK-Waehe, § 168 e, Rn. 4; K/M-G, § 168 e, Rn. 1; a.A. wohl WeigendlStaeehelin, die eine Enttarnungsgefahr durch eine besondere Kameraeinstellung, beispielsweise dem Nichterkennbarwerden der Gesichtszüge, bannen wollen; außerdem halten sie die V-Person aufgrund der zu befürchtenden Sperrung für eine Vernehmung in der Hauptverhandlung für den "geborenen Videozeugen", WeiderlStaeehelin, StV 1999,51,52.

A. Die Ziele des § 168 e StPO im Überblick

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Beschuldigten bereits bekannt ist und es tatsächlich nur darum geht, dem Zeugen die Konfrontation mit diesem zu ersparen.

3. Das besondere Zusammenspiel von Simultanübertragung nach § 168 e StPO und Vernehmungsaufzeichnung nach § 58 a StPO Wenn es im Kern bei der Anordnung einer getrennten Vernehmung nach

§ 168 e StPO darum geht, eine frühe kontradiktorische Vernehmung sicher-

zustellen, die gleichzeitig auf Videoband aufgezeichnet und damit für das spätere Hauptverfahren konserviert werden kann, für welche Fälle bietet sich ein solches Vorgehen idealerweise an? Knüpft man an die vorhergehenden Erläuterungen an, so werden dies Fälle sein, in denen dem namentlich bekannten Zeugen einerseits die Begegnung mit dem Täter erspart werden soll und gleichzeitig die begründete Befürchtung besteht, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht mehr persönlich zur Verfügung stehen wird. a) Fallbeispiele aus dem Bereich der organisierten Kriminalität Beispiele für solche Fallkonstellationen finden sich im Bereich der Rotlichtkriminalität oder in Ermittlungsverfahren wegen Schleusung Illegaler. In diesen Kriminalitätsbereichen lässt sich regelmäßig nicht ausschließen, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht mehr zur Verfügung steht, etwa weil er bereits ausgewiesen wurde, untergetaucht ist oder sich durch Ausreise dem Zugriff der Justizbehörden entzogen hat, so dass eine Vernehmungsaufzeichnung nach § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO erfolgen sollte l2 . Ob die Vernehmung allerdings auch in der Form des § 168 e StPO erfolgen muss, bestimmt sich nach der Intensität der erwarteten Gefährdung für den Zeugen. Je näher der Fall aber an den Bereich der Organisierten Kriminalität heranreicht, desto eher wird eine schwerwiegende Gefahr für das Zeugen wohl angenommen werden können l3 . Im Übrigen besteht in solchen Fallkonstellationen auch der Bedarf, schnell zu handeln, insbesondere zügig eine ermittlungsrichterliche Vernehmung unter Teilnahme auch des Beschuldigten und seines Verteidigers anzubieten. U. U. taucht der Zeuge überstürzt unter und bleibt dann natürlich auch in der Hauptverhandlung aus. Dort lässt sich dann zumeist nur noch mit einer polizeilichen Vernehmungs aufzeichnung Beweis führen, jedenfalls Zu diesem Problemkreis Caesar, NJW 1998, 2318. Zur Zeugenbedrohung als Wesensmerkmal der Organisierten Kriminalität im 3. Teil, Kapitel B.1.c)aa). 12 13

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ennittlungsverfahren

soweit man zu einer richterlichen Vernehmung nicht mehr gekommen ist. Einmal abgesehen davon, dass das polizeiliche Beweissurrogat regelmäßig nicht in Bild und Ton, sondern nur als Schriftprotokoll vorliegen wird, besteht dann zusätzlich noch der Nachteil, dass bei der polizeilichen Vernehmungen weder der Beschuldigte noch sein Verteidiger ein Anwesenheitsrecht hatten. Der Beweis ist also ohne jede Konfrontation i. S. d. Art. 6 Abs. 3 lit. d. EMRK erhoben worden 14 . b) Die besondere Problematik des kindlichen Zeugen

Die Gefahr, dass der Zeuge nur einmal nichtrichterlich aussagt und später in der Hauptverhandlung nicht mehr zur Verfügung steht, besteht natürlich auch bei Kinderzeugen, zumal die Sorgeberechtigten das Kind für die richterliche Vernehmung bzw. die Vernehmung in der Hauptverhandlung sehr einfach sperren können 15 . Bei Kinderzeugen tritt allerdings noch eine völlig andersartige Problematik hinzu. Bei ihnen muss auch die Genese ihrer Aussage über einen längeren Zeitraum hinweg nachvollzogen werden können, denn die Aussagequalität leidet bei Kindern durch den Zeitablauf und die wiederholte Befragung durch Eltern, Erzieher oder Gutachter 16 • Der geringe Suggestionswiderstand jugendlicher Zeugen und der entwicklungsbedingte schnelle Erinnerungsverlust machen eine genaue, authentische Dokumentation der frühen Erstvernehmung unabdingbar 17 , zumal 14 Reformvorschläge wollen wenigstens dem Verteidiger bei polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen Beteiligungsrechte zugestehen, auch um mehr als unbedingt notwendige Vernehmungen eines Tatopfers zu vermeiden und um bereits frühzeitig Beweisanträge der Verteidigung anzuregen, die in späteren Verfahrensstadien nur zu unerwünschten Verlängerungen der Hauptverhandlung führen würden, vgl. Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 315. Inwieweit in Durchbrechung des Unmittelbarkeitsprinzips die Ergebnisse polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Vernehmungen allerdings Eingang in die Hauptverhandlung finden sollen, darüber gibt das Eckpunktepapier keine genaue Auskunft, auch wenn die durch Beweismitteltransfer bewirkte Straffung der Hauptverhandlung offensichtlich ein Hauptziel der Reform darstellt, S. dort S. 316; kritisch hierzu Salditt, StV 2001, 311 f.; ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bzw. Beschuldigten bei nichtrichterlichen Vernehmungen ist auch Ziel des Alternativ-Entwurfs Reform des Ermittlungsverfahrens (AE-EV), S. 132 ff. 15 Dazu im 3. Teil, Kapitel C.2.a)aa). 16 Pfäfflin, StV 1997, 97; ZschockeltlWegner, NStZ 1996, 306; Scholz, NStZ 200 I, 572 ff. 17 Wiederholte Befragung erweckt bei Kindern den Eindruck, die bereits gegebenen Antworten müssten falsch sein. Der Zwang zum wiederholten Schildern ein und desselben Ereignisses führt notwendigerweise zu Konfabulation. Die Kinder passen die Antworten dem an, was sie in der Situation für die von dem Erwachsenen als

A. Die Ziele des § 168 e StPO im Überblick

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durch eine fortlaufende Dokumentation auch suggestive Befragungsmethoden und die aus ihnen verursachten fehlerhaften Variationen im Aussageinhalt aufgedeckt werden können 18. Mindestens so wichtig wie die Dokumentation ist aber auch, dass eine verlässliche, rechtlich einwandfreie und nach Möglichkeit kontradiktorische Befragung des Kindes zu einem möglichst frühen Zeitpunkt erfolgt. Zur Rekonstruktion des wahren Aussagekerns genügt die bloße Reproduzierbarkeit eben nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn der Befragende Partei nimmt und damit nicht mehr in der Lage ist, offen und unvoreingenommen Fragen zu stellen, wie das die Vernehmung eines Kindes verlangt l9 . Eben deswegen ist es so wichtig, sofort eine richterliche Vernehmung anzuberaumen, bevor eine parteiliche Befragung die Aufklärung der wahren Tatsachen vereitelt. richtig erwartete Antwort halten; vgl. dazu Endres/Scholz/Summa, Aussagesuggestibilität bei Kindern, S. 192 ff.; Schade, StV 2000, 165 ff.; Schleiminger, Konfrontation im Strafprozess, S. 266 ff. m. w. N.; Videoaufzeichnungen können des Weiteren zu Schulungszwecken genutzt werden; Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 86 ff. (89). Studien in den USA kommen mitunter aber auch zu dem Ergebnis, dass Kinder durch wiederholte Befragung in ihrer Erinnerung unterstützt werden, ohne dabei in der Konsistenz ihrer Aussage allzu sehr nachzulassen, PoolelWhite, Tell Me Again and Again, S. 26 ff. 18 Wissenschaftliche Untersuchungen über die in verschiedenen Missbrauchsprozessen angewandte Befragungsmethode des "Einladens zur Spekulation" belegen eindrucksvoll, wie schnell suggestive Fragestellungen die Zuverlässigkeit kindlicher Zeugenaussagen beeinträchtigen. So wurden die kindlichen Zeugen im Montessori-Verfahren zunächst durch Eltern und Erzieher im Konjunktiv befragt, um den Kindern damit die Aufdeckung eines "geheimen" Missbrauchs zu erleichtern. Die Zeugen wurden hierbei eingeladen zu spekulieren, was in bestimmten Situationen passiert sein könnte. Erst an zweiter Stelle erfolgte die Einvernahme zur Aufdeckung eines tatsächlichen Tatgeschehens. Spätere Experimente mit Kindern im Vorschulalter haben die Zuverlässigkeit dieser Befragungsmethode sehr in Zweifel gezogen. Schreiber kam in ihren Untersuchungen zu dem Schluss, dass diese Form der Befragung eine selbstgenerierte Fehlinformation induziert, die anschließend mit einem tatsächlich realitätsbasierten Originalereignis verwechselt werden kann. Die Kinder konnten nach der durch die Vernehmungspersonen angeregten Spekulation die spekulative Ebene nicht mehr von der Wahrheitsebene unterscheiden. Lag das Ereignis schon einige Zeit zurück und war die Erinnerung der Kinder aus diesem Grund sowieso schon getrübt, verleitete sie die Erinnerung an die frühere Erlaubnis zur Spekulation dazu, erneut kreativ mit dem erfragten Sachverhalt umzugehen. Aus dieser spielerischen Phantasie heraus produzierten sie ebenfalls falsche Antworten. Für andere suggestive Befragungsmethoden liegen ähnliche Ergebnisse aus früheren Untersuchungen vor. Erneut erwies sich aber auch, dass sogar sehr junge Kinder durchaus brauchbare und korrekte Aussagen machen können, soweit sie nur offen und wenig direktiv befragt werden; instruktiv dazu Schreiber, Zeugenbefragung von Kindern. 19 Sog. "Interviewer bias", Volbert, Suggestibilität kindlicher Zeugen, S. 43; eine Auswahl möglicher Suggestivfragen geben Endres/Scholz/Summa, Aussagesuggestibilität bei Kindern, S. 195 ff.

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

Nicht nur, dass mit dem Richter eine neutrale, rechtlich geschulte Person die Befragung übernimmt, auch die aktive Beteiligung des Beschuldigten respektive seines Verteidigers kann hier einen Ausgleich für eine eventuelle Parteinahme schaffen. Der Zeuge wird mit den Widersprüchen der Gegenseite konfrontiert, noch bevor die tatnahen Erinnerungen bereits verblasst und stattdessen sog. "Pseudoerinnerungen" ihren Platz eingenommen haben 2o . In einem späteren Stadium lassen sich die Angaben des Zeugen zwar u. U. noch widerlegen, doch zum Kern des eigentlichen Geschehens und damit zur Wahrheit wird das Gericht dann nicht mehr durchdringen. Vor diesem Hintergrund ist die Verfahrensalternative der getrennten Vernehmung nach § 168 e StPO in Verbindung mit einer vollständigen Vernehmungsaufzeichnung nach § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 oder 2 StPO in der Idee ein sehr gelungener Kompromiss zwischen Zeugenschutz, Wahrheitserforschung und Verteidigungsinteressen.

B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung nach § 168 e StPO 1. Das "Mainzer Modell" als Vorbild der ermittlungsrichterlichen Vernehmung Für die Videosimultanvernehmung im Ermittlungsverfahren hat, anders als für § 247 aStPO, das "Mainzer Modell" Pate gestanden 21 . Der Richter hält sich hierbei mit dem Zeugen gemeinsam im Vernehmungszimmer auf. Die übrigen Verfahrensbeteiligten verfolgen die Befragung live am Bildschirm oder hinter einem venezianischen Spiegel verborgen aus dem Nebenraum bzw. von einem anderen Ort aus, der nicht unbedingt in demselben Gebäude, nicht einmal notwendigerweise in derselben Stadt liegen muss 22 • 20 Der Zeuge macht sich hier die suggerierte, falsche Erinnerung zu eigen, Va/bert, Suggestibilität kindlicher Zeugen, S. 49. 21 BT-Drs. 13/4983, S. 5; BT-Drs. 1317165, S. 5; zur Ausgestaltung des "Mainzer Modells" vgl. den Bericht über das Verfahren vor dem LG Mainz im 2. Teil, Kapitel C.2.b) und LG Mainz, NJW 1996,208. 22 § 168 c Abs. 2 des Bundesratsentwurf, BT-Drs. 13/4983, S. 3, enthielt noch den Zusatz, die Vernehmung erfolge in einem "besonderen Raum" und werde von dort aus "in den Raum übertragen, in dem sich der Staatsanwalt, der Beschuldigte und der Verteidiger befinden". Nachdem dieser Zusatz jetzt fehlt ist - ähnlich wie zu § 247 a StPO - davon auszugehen, dass keine festen Vorgaben bezüglich der Örtlichkeiten zu beachten sind.

B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung

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2. Die Schwierigkeiten in der Umsetzung des § 168 e StPO Auch bei § 168 e StPO liegen die Schwierigkeiten im Detail, was nicht allein bei den überzogenen Voraussetzungen des Tatbestandes liegt23 . Zunächst beklagen die Ermittlungsbehörden in praktischer Hinsicht, dass sie der Druck, möglichst früh abschließende, kontradiktorische Vernehmung durchzuführen, in eine kontraproduktive Hektik zwingt. Die Folge können verfahrensrechtliche Versäumnisse, Missverständnisse, Vernehmungsfehler und sogar die Unverwertbarkeit der so geschaffenen Aussagedokumentation sein24 . Außerdem sind mancherorts die technischen Voraussetzungen für eine frühe Vernehmung noch nicht gegeben. Für den Aufbau und die Vorbereitung der Erstvernehmung muss dann unter Zeitdruck zusätzlich ein entsprechend großer organisatorischer Aufwand betrieben werden 25 . Doch die alternative Vorgehensweise, ein zeitliches Hinausschieben der Befragung, hieße, irreversible Erinnerungsverluste26 , eine dadurch erhöhte Empfänglichkeit für Suggestiveinflüsse und die daraus generierten Fehlinformationen zu riskieren. Es ist gerade nicht möglich, die frühe kontradiktorische Vernehmung erst auf einen Termin gegen Ende des Ermittlungsverfahrens anzuberaumen. Dann wäre zwar die Beweissituation schon im Wesentlichen vervollständigt und Beschuldigter und Verteidiger über den Beweisstand informiert, doch die Erinnerung des Zeugen wäre geschwächt und durch voreingenommene Befragung verfälscht 27 . Bedenken bleiben andererseits auch, soweit behauptet wird, eine einzige kontradiktorische Vernehmung zu einem frühen Verfahrenszeitpunkt könne tatsächlich regelmäßig der Sachaufklärung genügen. Dies ist insbesondere dort angezweifelt worden, wo der frühen kontradiktorischen Erstaussage zu Gunsten des Kindeswohls bereits Präklusionswirkung für das Hauptverfahren zuerkannt werden sollte28 . Erfahrungsberichte aus der AussagepsycholoDazu ausführlich im Kapitel 8.3. Bericht von Freudenberg über ihre eigene Verfahrenspraxis auf der Fachtagung für Staatsanwälte am 24./25.11.2000 in Berlin; ähnlich von Knoblauch zu Hatzbach. ZRP 2000, 278, die eine mangelhafte, in der Kürze der Zeit auch kaum machbare Vorbereitung auf die Einvernahme, die Besonderheiten des Falls und der Person des Zeugen beklagt. 25 Weigend. Kaiser-Fs., S. 1496. 26 Studien in den USA belegen, dass sich insbesondere bei kindlichen Zeugen mit zunehmendem Zeitablauf die Fehlinformationen in der Aussage häufen; dazu Poole/White. Tell Me Again and Again, S. 26. 27 Für eine erst späte richterliche Einvernahme des jugendlichen Zeugen, dann aber mit Präklusionswirkung für das Hauptverfahren, Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 64 (Fn. 204); ders., Kaiser-Fs., S. 1496. 23

24

22 Swoboda

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

gie lassen vermuten, dass gerade sehr junge Zeugen überhaupt erst nach und nach bereit sind, Informationen preiszugeben29 • Dies insbesondere dann, wenn Eingriffe in ihre Intimsphäre in Frage stehen oder der Zeuge erst mit der Zeit Vertrauen zu der vernehmenden Person fasst oder die Ereignisse bereits längere Zeit zurückliegen und erst mit Beginn der Aufklärungsmaßnahmen überhaupt der Rekonstruktions- und Erinnerungsprozess einsetzt. Es erscheint wenig realistisch, dass eine Erstvernehmung noch vor Ausschöpfung des gesamten zur Verfügung stehenden Beweisrahmens erschöpfend sein könnte 3o . Soweit die frühe Vernehmungsdokumentation den Beschuldigten zu einem Geständnis bewegen kann, hat sie ihren Zweck erfüllt. Bei einem bestreitenden Beschuldigten hingegen lässt sich eine gutachterliehe Exploration des jugendlichen Zeugen bzw. die wiederholte Vernehmung auf der Grundlage neu hinzugewonnenen Erkenntnisse gegen Ende des Ermittlungsverfahrens kaum vermeiden 3l . Geht es um die Anordnung eventueller Zwangsmaßnahmen, ist der Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung sogar viel zu spät. Besteht dringender Tatverdache 2 und belegen Tatsachen die Gefahr, dass der Beschuldigte bei Bekanntwerden der Vorwürfe in unlauterer Weise auf den Zeugen einwirken und ihn zur Zurücknahme der Behauptung drängen wird (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 lit. c. StPO) bzw. der Beschuldigte weitere Sexual- und Gewaltdelikte begehen wird (§ 112 a Abs. 1 StPO), kann mit einer Inhaftierung nicht bis zur richterlichen Einvernahme zugewartet werden. Zugewartet werden kann insbesondere dann nicht, wenn die frühe Erstaussage die Vernehmung in der Hauptverhandlung sogar ersetzen soll. In diesem Fall müssen bei der in Bild und Ton aufgezeichneten Erstvernehmung alle wesentlichen Konfrontationsrechte des Beschuldigten bereits gewährleistet sein und zu diesen Mindestgarantien zählen immerhin neben der frühen Verteidigerbestellung 33 auch eine uneingeschränkte Akteneinsicht34 , 28 So noch die Idee von Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 319 ff.; ähnlich, §§ 251, 162 a AE-ZVR, dort S. 99 ff., 114 f.; Schlüchter/Greff, Kriminalistik 1998, 534; Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 124, möchte sogar das Recht des Sachverständigen auf eine eigene Exploration des Zeugen beschneiden; kritisch zu derlei Bestrebungen Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 58 (Fn. 177), 64 f. 29 Von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 278. 30 Schünemann, StV 1998,400. 31 Weigend, Kaiser-Fs., S. 1495 f.; s. auch (Fn. 63). 32 Dringender Tatverdacht begründet sich aus einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte die strafbare Handlung begangen hat, Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 114. 33 Dazu zuletzt BGHSt. 46, 93 = NJW 2000, 3505 = StV 2000, 593 = NStZ 2001,212 m. Anm. Kunert = JuS 2001, 194 m. Anm. Martin = JA 2001, 100 Be-

B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung

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die Gelegenheit zur Unterredung mit dem Verteidiger, zur eigenen Stellungnahme, sogar zu eigenen Ermittlungen. Der zeitliche Handlungsrahmen, der dem Beschuldigten hierbei zur Verfügung gestellt werden muss, reicht vollkommen aus, um eventuelle Verdunkelungsmaßnahmen i. S. d. § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO zu treffen, insbesondere den Zeugen zu bedrohen. Eine summarische Prüfung der Zeugenaussage und eine grobe Vorklärung des Sachverhalts, insbesondere der bestehenden Verdachtsmomente, sollte deswegen bereits bei oder kurz nach Anzeigeerstattung erfolgen 35 . Genügen die Anhaltspunkte zur Begründung eines dringenden Tatverdachts, sind Zwangsmaßnahmen nach §§ 112 ff. StPO anzuordnen. Offensichtlich darf die Parallelität des Tatbestandes des § 168 e StPO zu § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Problema-

tik der frühen ermittlungsrichterliche Vernehmung unter Einsatz von Videotechnik als Übertragungsmedium in vielerlei Hinsicht eine völlig andere ist als bei der simultan übertragenen Vernehmung in der Hauptverhandlung. Während bei letzterer die Beschuldigtenrechte und die Maxime der (materiellen) Unmittelbarkeit in ihren wesentlichen Zügen als gewahrt, z. T. sogar verbessert gelten können, ist die richterliche Einvernahme im Ermittlungsverfahren nach § 168 e StPO und ihre Dokumentation in Bild und Ton der erste Schritt hin zu einer Durchbrechung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Die zunehmende Ausrichtung des Vorverfahrens auf einen Transfer früherer Beweisergebnisse in die späteren Verfahrensstadien setzt notwendigerweise eine Umstrukturierung des Ermittlungsverfahrens voraus 36 • Nur, wenn wesentliche Elemente der Hauptverhandlung in das Ermittlungsverfahren vorverlagert werden und Verfahrensnormen, die sich im Ermittlungsverfahren den Rechten von Beschuldigtem und Verteidigung entgegenstellen, keine Anwendung finden, lässt sich die Fairness und Rechtsstaatlichkeit des Strafprozesses in seiner Gesamtheit noch gewährleisten37 . sprechung Eiseie = JZ 2001, 359 m. Anm. Fezer; kritisch auch Schlothauer, StV 2001, 127 ff. 34 So schon die Forderung bei Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 66; Schünemann, StV 1998,400; Schlothauer, StV 1999,49. 35 Weigend, Kaiser-Fs., S. 1496; zustimmend SK-Wolter, § 168 e, Rn. 34; Freudenberg, Bericht auf der Fachtagung für Staatsanwälte am 24.125.11.2000 in Berlin. 36 Schlothauer, StV 1999,49; SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998,534. 37 Die Fairness des Strafverfahrens in seiner Gesamtheit ist der Prüfungsmaßstab, anhand dessen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über eine Verletzung einzelner Garantien des Art. 6 EMRK entscheidet. Einer Vorverlagerung wesentlicher kontradiktorischer Elemente aus der Hauptverhandlung in das Vorverfahren sowie Beschränkungen des Konfrontationsrechts des Angeklagten stellt sich der Gerichtshof nur dann entgegen, sofern eine Gesamtschau des Verfahrens ergibt, dass 22*

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

In der Behandlung der Tatbestandsmerkmale des § 168 e StPO wird über die Schritte zu sprechen sein, die es bei Anberaumung einer frühen Vernehmung nach § 168 e StPO unbedingt zu beachten gilt, um nicht die Verwertbarkeit der aufgezeichneten Aussage im späteren Verfahren zu gefährden, um die Rechte der Verfahrensbeteiligten vollumfänglich zur Geltung zu bringen und um den Bedarf nach einer ergänzenden Vernehmung in der Hauptverhandlung zum Schutz des Zeugen zu minimieren.

3. Angleichung der Voraussetzungen des § 168 e S. 1 StPO an die des § 247 a Abs. 1 V-StPO a) "Dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" Reformbedürftig sind mit Sicherheit die überzogenen Voraussetzungen des Tatbestandes nach § 168 e S. I StPO. Auch hier wird die "dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen" zur unbedingten Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Simultanübertragungstechnik gemacht. Und genau wie bei § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO beginnen hier bereits die Subsumtionsschwierigkeiten, insbesondere soweit die doch als besonders schutzbedürftig erachteten Gruppen kindlicher bzw. leicht verletzlicher Zeugen unter den Anwendungsbereich der Vorschrift gezogen werden sollen. § 168 e StPO ist als absolute Ausnahme zum Grundsatz der parteiöffentlichen und konfrontativen ermittlungsrichterlichen Vernehmung nach § 168 c Abs. 2 bis 5 StPO konzipiert. Sie ist also keiner extensiven Auslegung zugänglich, aufgrund der man an statt der im Tatbestand erforderten hohen und durch konkrete Tatsachen zu belegenden Wahrscheinlichkeit einer tiefgreifenden und dauerhaften Schädigung des Zeugenwohls nur die begründete Befürchtung einer Beeinträchtigung des Wohlergehens des Zeugen genügen lassen könnte 38 . dem Angeklagten ein faires Verfahren vorenthalten wurde; EGMR [Unterpertinger v. Österreich], EuGRZ 1987,. 150; [Artner v. Österreich], EuGRZ 1992, 476 f.; [Asch v. Österreich], EuGRZ 1992,474; [Kostovski v. Niederlande], StV 1990,482; [Delta v. Frankreich], ÖJZ 1991, 426; [Windisch v. Österreich], StV 1991, 194; [Lüdi v. Schweiz], StV 1992, 500; [Doorson v. Niederlande], ÖJZ 1996, 716; [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997, 619; kritisch Schleiminger, Konfrontation im Strafprozess, S. 8 f., 21 ff. 38 So aber SK-Wolter, § 168 e, Rn. 37, der den Vorrang fundamentaler Persönlichkeits- und Gesundheitsgrundrechte des Zeugen gegenüber der Wahrheitserforschung sehr konsequent vertritt. Infolge dessen interpretiert er die Vorschriften des Zeugenschutzgesetzes weit ausgreifend zu Gunsten des Zeugenschutzes, eben um

B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung

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Nicht nur, dass die Feststellung, ob diese hohen Voraussetzungen denn tatsächlich vorliegen, den Ermittlungsrichter im Fall des sensiblen Zeugen schlicht überfordern muss, ihm wird zudem aufgebürdet, die Entscheidung innerhalb eines engen Ermessensspielraumes und unter erheblichem Zeitdruck in einem Verfahrens stadium zu treffen, in dem das angesammelte Faktenwissen über den Tatbestand sowie die Kenntnisse um die Person des Zeugen noch sehr gering sind. Die ermittlungsrichterliche Vernehmung soll immerhin möglichst tatnah erfolgen, also in einem Zeitpunkt, in dem die Wahrscheinlichkeit einer Erinnerungsverfälschung durch Suggestion oder Eigeninteressen noch gering ist. Kinderzeugen soll die Belastung einer ausführlichen Vernehmung ohnedies nur ein einziges Mal zugemutet werden, so dass die ermittlungsrichterliche Vernehmung gewissermaßen zugleich die erste, wichtigste und letzte Ermittlungsmaßnahme darstellt, die im Laufe des Untersuchungsverfahrens ihnen gegenüber erfolgt.

In der Praxis zwingt dies den Richter nicht nur zur Eile, er muss seine Entscheidung auch mit einem Minimum an Information über den zu klärenden Fall treffen. Wie aber soll er auf dieser lückenhaften Wissensgrundlage zu Gunsten des Zeugenschutzes entscheiden? Noch dazu, wo § 168 e StPO selbst den Zeugenschutz im Zweifelsfall als zweitrangig hinter allen anderen Verfahrensinteressen einstuft?39. Eine Herabstufung der Anforderungen ist dringend geboten, selbst wenn die Änderung nur Zeugen unter 16 Jahren betrifft. Die zu § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO gemachten Ausführungen gelten größtenteils entsprechend. In Anlehnung an die für § 247 a Abs. 1 V-StPO gewählte Differenzierung nach dem Alter des schutzbedürftigen Zeugen wird damit für einen § 168 e Abs. 1 V-StPO folgender Wortlaut vorgeschlagen 4o : nicht das Zeugenschutzgesetz nur der Optimierung der Sachaufklärung dienen zu lassen, was Wolter als Zweckentfremdung betrachtet, Rn. 25 ff., 37. 39 Auch dass möglicherweise zuvor Maßnahmen nach §§ 112 ff. StPO auf der Grundlage eines "dringenden Tatverdachtes" getroffen wurden, wird als Anhaltspunkt kaum genügen, denn der dringende Tatverdacht bezieht sich nur auf die Frage nach der Begehung der Straftat, hat also mit der Frage, ob eine Vernehmung in Gegenwart des Beschuldigtem dem Zeugen seelischen oder anderweitigen Schaden zufügen wird, bestenfalls mittelbar etwas zu tun, a. A. aber offenbar Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 930 m. 40 Eine Differenzierung nach dem Alter befürworten Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 200, und der Bundesrat, BT-Drs. 13/4983, S. 3. Eine Herabsetzung der Tatbestandsanforderungen zu Gunsten von Opferzeugen in Verfahren, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder gegen das Leben oder Misshandlungen Schutzbefohlener zum Gegenstand haben, fordern auch die Ausschüsse, BR-Drs. 933/1/97, S. 3.

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

§ 168 e Abs. 1 V-StP041 1 Ist bei einer Person unter sechzehn Jahren ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, wenn er in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird, und kann sie nicht in anderer Weise abgewendet werden, so soll der Richter die Vernehmung von den Anwesenheitsberechtigten getrennt durchführen. 2 Gleiches gilt, sofern bei Vernehmung einer anderen Person als Zeuge die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihr Wohl besteht, wenn sie in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird und die Gefahr nicht in anderer Weise abgewendet werden kann. 2 Die Vernehmung wird den Anwesenheitsberechtigten zeitgleich in Bild und Ton übertragen.

(1)

b) Subsidiarität

Zusätzlich zu den überzogenen Voraussetzungen des Tatbestandes sind nach dem Gesetzeswortlaut auch alle anderen, im Ermittlungsverfahren zur Verfügung stehenden Zeugenschutzinstrumentarien vorrangig auszuschöpfen, bevor eine abgetrennte Vernehmung durch den Ermittlungsrichter in Betracht gezogen werden kann. Videotechnik als Zeugenschutzinstrumentarium ist dem Gesetzgeber suspekt42 . Trotzdem will er sich den Zugriff auf die neuen Medien als "ultima ratio" offen halten und sie dort zur Anwendung bringen, wo alle herkömmlichen Schutzmechanismen versagen, mit der Folge, dass nicht nur das Wohl des zu Vernehmenden, sondern die Aussage selbst und ihr Beitrag für die Sachaufklärung im Mitleidenschaft gezogen werden. Erneut bestätigt sich damit die wahre Natur des Zeugenschutzgesetzes als Wegbereiter neuer Techniken im Dienst einer optimierten Wahrheitserforschung. Im Ermittlungsverfahren aber ist das bei § 247 a StPO noch so 41 In seinen tatbestandlichen Anforderungen bleibt dieser Entwurf immer noch weit hinter den Regelung des § 162 a Abs. 2 ÖStPO sowie § 162 a AE-ZVR zurück. § 162 a Abs. 2 ÖStPO beispielsweise verlangt für eine Videovernehmung im Ermittlungsverfahren allein die Rücksichtnahme auf die Interessen des Zeugen, besonders auf sein junges Alter oder seinen seelischen oder gesundheitlichen Zustand oder auf die Interessender Wahrheitsfindung. Die Entscheidung wird damit in erheblichem Umfang dem pflichtgemäßen Ermessen des Ermittlungsrichters überlassen. § 163 a AE-ZVR ermöglicht eine vom Beschuldigten getrennt durchzuführende Vernehmung, wenn bei einer Vernehmung in Gegenwart des Beschuldigten für einen Opferzeugen unter 16 Jahren ein erheblicher Nachteil für sein Wohl oder auch nur die Gefährdung des Untersuchungszwecks, namentlich eine nicht wahrheitsgemäße Aussage des Zeugen, zu befürchten ist (§ 162 a Abs. 1 und 3 AE-ZVR). Auf andere Zeugen unter 16 Jahren sind die Vorschriften entsprechend anzuwenden, wenn dies zu ihrem Schutz vor körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen geboten ist (§ 162 a Abs. 5 AE-ZVR); Text und die Erläuterungen in AE-ZVR, S. 99 ff. 42 Speziell zu § 168 e StPO S. BT-Drs. 13/7165 auf S. 9.

B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung

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deutlich zutage getretene Misstrauen gegen jede Form der Beweisfilterung43 nur bedingt angebracht. Zum einen bewirkt die Ausgestaltung der Vernehmung nach dem "Mainzer Modell", dass nur das Konfrontationsrecht der Verfahrensbeteiligten eingeschränkt wird, während die Beweisaufnahme selbst unmittelbar durch und in Gegenwart des vernehmenden Richters erfolgt. Zum anderen ist die Anwesenheit und Mitwirkung der Verfahrensbeteiligten bei der Vornahme richterlicher Untersuchungsrnaßnahmen ohnedies nicht zwingend gefordert, zumindest nicht, solange die ermittlungsrichterliche Vernehmung nicht apriori mit der Vorgabe erfolgt, den unmittelbaren Beweis in der Hauptverhandlung durch die so erstellte Videokonserve nach § 255 a Abs. 2 StPO zu ersetzen. Und selbst in diesem Fall könnte zum Zeitpunkt der richterlichen Einvernahme nicht zwingend mit einem Transfer der Vernehmungsdokumentation in die Hauptverhandlung gerechnet werden. Einer "Ultima-ratio"-Lösung hätte es folglich nicht notwendigerweise bedurft44 . Der Nachrang der simultan übertragenen Vernehmung erscheint insbesondere dort unangemessen, wo andere zeugenschützende Instrumentarien die Verteidigungsrechte weit intensiver beschneiden, wie etwa der Ausschluss des Beschuldigten nach § 168 c Abs. 3 StPO. Literatur und Praxis versuchen z. T. diesen Widerspruch mit korrigierenden, verfassungskonformen Auslegungen aufzulösen. So räumen sie der Konfrontation, dem rechtlichen Gehör und der Waffengleichheit zwischen Verteidigung und Anklagebehörde den Vorrang ein45. Allerdings stößt sich 3. Teil, Kapitel B.2.b). Anders mag dies sein, wenn in Umsetzung der inzwischen diskutierten Reformentwürfe über eine Straffung und Beschleunigung des Strafverfahrens tatsächlich wesentliche Elemente der Hauptverhandlung in ein verstärkt partei öffentliches Ermittlungsverfahren vorverlagert werden; vgl. dazu das Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Reform des Strafverfahrens vom 6.4.2001, StV 2001, 314 ff.; sowie Salditt, StV 2001,311; DAV, AnwBI. 2001, 30 ff. Mehr Beteiligungsrechte von Verteidigung und Beschuldigtem im Vorverfahren zu verankern, ist ebenfalls Ziel eines Reformprojekts des AE-EV, genauer das Ziel in §§ 163 a, 168 f AE-EV, S. 124 ff., 132 ff. Allerdings werden dort keine Vorschläge über einen Beweistransfer aus dem Ermittlungsverfahren in die Hauptverhandlung erörtert. Wird die dort vorbereitete Lockerung des Unmittelbarkeitsprinzips im Hauptverfahren bei gleichzeitigem Ausbau der Beteiligungsrechte des Beschuldigten und seines Verteidigers im gesamten Vorverfahren Gesetz, dann mahnt auch Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK zur Vorsicht, bevor die Konfrontations- und Fragerechte des Beschuldigten in irgendeiner Form eingeengt werden, und sei es auch nur durch die Filterfunktion einer Videosimultanübertragung. Hier wäre die Subsidiarität der simultan übertragenen Vernehmung hinter weniger beeinträchtigenden Maßnahmen - etwa der Bestellung eines Zeugen-, Verletzten- oder Nebenklägerbeistandes nach §§ 68 b, 406 f, 406 g StPO - durchaus angemessen. 43

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

diese Auslegung - wie bereits bei § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO - an dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Anzumerken ist allerdings auch, dass die Nachrangigkeit des § 168 e StPO hinter einer Entfernung des Beschuldigten aus dem Vernehmungszimmer gemäß § 168 c Abs. 3 StPO nicht mit derselben Schärfe in das richterliche Auswahlermessen eingreift, wie dies für das Hauptverfahren im Verhältnis von § 247 S. 2 StPO zu § 247 a S. 1 StPO der Fall ist. Im Ermittlungsverfahren werden mit dem Ausschluss des Beschuldigten vorrangig gerade keine zeugenschützende Zielsetzungen verfolgt, so dass die Vorschriften des §§ 168 c Abs. 3 und 168 e StPO in ihrer speziellen Schutzfunktion nur begrenzt zueinander in Konkurrenz treten46 . § 168 c Abs. 3 StPO schützt in erster Linie den Untersuchungszweck. Zeugenschutz leistet diese Vorschrift nur mittelbar, namentlich dann, wenn zu befürchten ist, dass der Zeugen in Gegenwart des Beschuldigten nicht die Wahrheit sagen wird bzw. mit massiven Bedrohungen des Zeugen von Seiten des Beschuldigten zu rechnen ist, die dazu führen können, dass der Zeuge für das weitere Verfahren nicht mehr zur Verfügung steht, er beispielsweise untertaucht, von einem ihm zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht oder sich sonst wie seiner Zeugenpflicht entzieht47 . Ebenso greift § 168 c Abs. 3 StPO im Fall des sensiblen Zeugen erst dann ein, wenn die Präsenz des Beschuldigten sich derart massiv auf die Aussagefähigkeit des Zeugen auswirkt, dass eine verwertbare Aussage von diesem nicht mehr zu erlangen ist.

Eine klare Abstufung zwischen § 168 e und § 168 c Abs. 3 StPO in dem Sinn, dass der Ausschluss des Beschuldigten grundsätzlich vorrangig wäre, lässt sich dem Gesetz also nicht entnehmen. Um so leichter fallt es natürlich, sich im Ermittlungsverfahren für eine Videosimultanübertragung zu entscheiden, zumal dies auch dem Beschuldigten eher entgegenkommen wird und deswegen das Risiko einer Beanstandung oder gar Anfechtung gering ist. § 168 c Abs. 3 StPO wird damit nicht überflüssig, denn sofern tatsächlich zu befürchten bleibt, dass der Zeuge bei einer Teilnahme des Beschuldigten an der Vernehmung - sei es aus der Distanz unter Einsatz von Videotechnik oder auch in herkömmlicher Form - eine nicht wahrheitsge45 SK-Wolter, § 168 e , Rn. 40; KK-Wache, § 168 e, Rn. 6; ZschockeltlWegner, NStZ 1996, 307; zu der vergleichbaren Konstruktion bei § 247 a S. I Hs. 1 StPO auch Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 179 ff. 46 Schnarr, Kriminalistik 1990, 294; Gommolla, Der Schutz des Zeugen, S. 25 ff.; vgl. auch den Kurzüberblick über die zeugenschützenden Normen der StPO im 2. Teil, Kapitel B. 47 BayObLG, JR 1978, 173; KK-Wache, § 168 c, Rn. 6.

B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung

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mäße Aussage ablegen wird bzw. dem bedrohten Zeugen bei Identitätsaufdeckung Gefahr droht, ist die Vernehmung in Abwesenheit des Beschuldigten das geeignetere Schutzinstrument48 . Letztlich wird die Video vernehmung im Ermittlungsverfahren immer dann Anwendung finden können, wenn der Schutz des Zeugen zwar eine Einschränkung der Beteiligungsrechte von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Beschuldigtem, nicht aber die völlige Abschottung des Zeugen von den übrigen Verfahrensbeteiligten gebietet. Die Subsidiaritätsanordnung behindert - anders als bei § 247 a S. I Hs. I StPO - den flexiblen und am Einzelfall orientierten Einsatz der Videotechnik nur geringfügig49 . Ihre Abschaffung ist de lege ferenda deswegen, wenn auch vertretbar, so doch nicht dringend geboten. Der ErmittIungsrichter sollte allerdings vorweg sehr genau prüfen, welche der möglichen Schutzmaßnahmen auch durch den Zeugen bevorzugt werden. Kinder dürfen nicht im Unklaren darüber gelassen werden, dass sie über eine Kamera aus einem anderen Raum heraus von dem Beschuldigten und anderen Personen beobachtet werden 50 • Hemmt der Einsatz der Technologie die Aussagebereitschaft oder Aussagefähigkeit des Zeugen bzw. spielte die Videotechnik bereits bei der Straftat eine Rolle, so ist von einem Vorgehen nach § 168 e StPO abzusehen 51 .

4. Die Mitwirkungsbefugnisse von Verteidigung und Beschuldigtem auf dem Weg in ein "partizipatorisches Ermittlungsverfahren"? In § 168 e S. 3 StPO heißt es: "Die Mitwirkungsbefugnisse der Anwesenheitsberechtigten bleiben im übrigen unberührt". Dies betrifft vor allem die Anwendbarkeit der in § 168 c und d StPO verbürgten Anwesenheits- und Beteiligungsrechte, verweist aber insbesondere auch auf den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. v. Art. 103 Abs. 1 GG, das Frage- und Konfrontationsrecht des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK sowie die aktiven BeteiIigungsrechte, die verhindern sollen, dass der Beschuldigte unter Missachtung seiner Menschenwürde zum bloßen Objekt des Verfahrens degradiert wird 52 . 48 § 168 c Abs. 3 S. 2 StPO; Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 53 (Fn. 156); Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 149 f. 49 So im Ergebnis auch Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 201. 50 Eine Verheimlichung der Beobachtung kann traumatische Folgen bis hin zur sekundären Viktimisierung des Zeugen bewirken, von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000,278. 51 SK-Wolter, § 168 e, Rn. 34.

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

Da das Element der technischen Übennittlung bzw. der technisch Überbrückung einer räumlichen Distanz gerade dazu dient, die Zeugenbefragung so weit es geht wie eine Vernehmung in Gegenwart aller Anwesenheitsberechtigten auszugestalten, scheint dieser Tatbestandszusatz nur etwas Selbstverständliches zu enthalten. Namentlich das Verlangen nach einer guten technischen Umsetzung, welche die wesentlichen Merkmale des Dialogs sowie wichtige Elemente einer Konfrontation, wenn schon nicht visuell, so doch inhaltlich geWährleisten kann. In diesem Zusammenhang stellt sich aber die Frage, ob sich die Aussage des § 168 e S. 3 StPO denn tatsächlich in Selbstverständlichem erschöpft, ob wirklich nur ein Hinweis darauf gegeben werden sollte, dass die Frageund Antragsrechte erhalten bleiben müssen und in einer optimal ausgestalteten Vernehmung das Nachfragen im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Konnex durch eine ständige Tonverbindung mit dem vernehmenden Richter sichergestellt sein sollte53. Da das Interesse bei Anwendung des § 168 e StPO aber nur in zweiter Linie auf dem Aspekt räumlichen Trennung liegt, während in der Hauptsache eine Dokumentation der partei öffentlichen Vernehmung mit anschließendem Transfer des Beweisergebnisses in die Hauptverhandlung angestrebt wird, wird einer aktiven Beteiligung von Verteidigung und Beschuldigten in diesem Stadium des Vorverfahrens noch eine ganz andere Bedeutung beizumessen sein, namentlich der eines Austestens und Überprüfens des Beweismittels, wie es ansonsten nur einem kontradiktorischen Verfahren in der Hauptverhandlung vorbehalten ist54 . In Durchbrechung der Unmittelbarkeitsmaxime darf nur dasjenige Beweissurrogat Eingang in das Hauptverfahren finden, das unter Bedingungen zustande gekommen ist, die denen einer Hauptverhandlung nahe kommen. Vgl. nur SK-Wolter, § 168 e, Rn. 46. Auf derartige Hinweise beschränkt sich z. T. die Kommentarliteratur, vgl. K/M-G, § 168 e, Rn. 7; in Anlehnung an die wenig klare Gesetzesbegründung in BT-Drs. 13/7165, S. 9; Stiebig, ZfJ 2000, 411. Im Übrigen bietet sich - sofern Kopfhörer oder die ständige Nutzung des Telefons den Zeugen zu sehr irritieren auch das Einblenden von Fragen auf einem nur durch den Richter einzusehenden Monitor an, was diesen aber nicht zu sehr in seiner Konzentration auf den Zeugen behindern darf; Bundeseinheitliche Handreich zum Schutz kindlicher (Opfer-) Zeugen im Strafverfahren, S. 24. 54 Bei "Mitwirkung" i. S. d. § 255 a Abs. 2 S. 1 und "Mitwirkungsbefugnisse" i. S. d. § 168 e S. 3 StPO handelt es sich um völlig neue, ausfüllungsbedürftige Begriffe, Rieß, StraFo 1999, 4; Leitner, StraFo 1999, 46; SK-Wolter, § 168 e, Rn. 48. Erfolgt keine kontradiktorische Vernehmung im Ermittlungsverfahren, so kommt eine Ersetzung des unmittelbaren Beweismittels in der Hauptverhandlung immer noch dann in Betracht, wenn anders vollständiger Beweisverlust droht, §§ 255 a Abs. 1, 251 StPO. 52

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B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung

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Die Anwesenheits- und Mitwirkungsrechte des § 168 c Abs. 2 StPO stellen sicher, dass im vorbereitenden Verfahren nicht ein möglicherweise entscheidendes Beweisergebnis herbeigeführt wird, ohne dass Beschuldigter oder Verteidigung zuvor Gelegenheit hatten, hierauf Einfluss zu nehmen 55 . Gleichwertig mit den Beteiligungsrechten in der Hauptverhandlung sind diese Mitwirkungsrechte allerdings nicht. Dies belegen ein Reihe von Vorschriften für das Ermittlungsverfahren, wie etwa § 168 c Abs. 5 S. 2 StPO, welcher gestattet, die Benachrichtigung des Verteidigers bzw. des Beschuldigten von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung unter relativ geringen Voraussetzungen zu unterlassen, oder § 168 c Abs. 5 S. 3 StPO, welcher den Anwesenheitsberechtigten einen Anspruch auf Terminverlegung verweigert. Verweigert werden kann außerdem die Akteneinsicht nach § 147 Abs. 2 StPO, sollte eine Gefahrdung des Untersuchungszwecks zu befürchten sein56 . U. U. mag dem Beschuldigten auch ein Verpflichtverteidiger zu spät bestellt werden. Eine effektive Wahrnehmung der Frage- und Verteidigungsrechte ist also nicht zu garantieren. Die Beteiligungsrechte im Ermittlungsverfahren müssen sich dann, wenn es zu einem Transfer in die Hauptverhandlung kommen soll, nicht nur an den Vorgaben des nationalen Rechts, sondern auch an denen des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK messen lassen. Dies zwingt teilweise zu einer verfassungs- bzw. EMRK-konformen Korrektur der nationalen Normen57 . Die dringendsten Korrekturen sollen hier nun dargestellt werden. a) Anwesenheitspflicht, § 168 c StPO

Besteht keine Gefahr eines anderweitigen Beweisverlustes, so kommt ein Transfer früherer Beweisergebnisse in die Hauptverhandlung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Angeklagte und/oder sein Verteidiger an der Vernehmung im Vorverfahren teilhaben konnten. Dies schließt mit ein, dass von einem gegebenenfalls möglichen Ausschluss nach § 168 c Abs. 3 StPO bzw. von anderen gegebenen Ausnahmetatbeständen kein Gebrauch gemacht wurde 58 . BGHSt. 26, 332 (335); ZschockeltlWegner, NStZ 1996,307. Ob für die Versagung der Akteneinsicht eine konkrete Gefährdung darzulegen ist, ist umstritten. Eine konkrete Gefahr werde nicht vorausgesetzt, so K/M-G, § 147, Rn. 25; a.A. Burkhard, wistra 1996, 173; Groh, DRiZ 1985, 53; Schlothauer, StV 2001, 195; seit dem StVÄG 1999 unterliegt die Verweigerung der Akteneinsicht nach § 147 Abs. 2 StPO der staatsanwaltschaftlichen bzw. der gerichtlichen Überprüfung, § 147 Abs. 5 StPO. 57 SK-Wolter, § 168 e, Rn. 46. 58 KK-Wache, § 168 e, Rn. 7; OLG München, StV 2000, 352 f.; Leitner, StraFo 1999,46 f. 55

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

Straßburger Rechtsprechung lässt zwar u. U. eine Abkehr von dem Grundsatz zu, dass alle Beweise in Anwesenheit des Angeklagten in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung erhoben werden müssen, doch für eine Verwertbarkeit der Aussage ist immer zwingend vorausgesetzt, dass die Rechte der Verteidigung in anderer Form gewahrt bleiben59 . Der Angeklagte muss insbesondere eine angemessene und ausreichende Gelegenheit erhalten, dem Belastungszeugen Fragen zu stellen und sein Glaubwürdigkeit zu überprüfen 6o . Dies entweder zum Zeitpunkt der Vernehmung oder in einem späteren Stadium des Verfahrens. Die Vorlage eines nur schriftlichen Fragenkatalogs genügt im Übrigen nicht, vor allem dann nicht, wenn die Fragen an einen anonymen Zeugen in Art, Inhalt und Umfang bereits deswegen weitgehend einzuschränken sind, um einer Enttarnung vorzubeugen 61 . Hinzuweisen ist darauf, dass sich der EGMR grundsätzlich mit einer Wahrnehmung der Frage- und Konfrontationsrechte durch entweder den Angeklagten oder seinen Verteidiger zufrieden gibt62 . Eine Anwesenheit beider wird aber bevorzugt63 . Letzteres ist auch deswegen zu favorisieren, weil eine effektive Wahrnehmung von Teilhaberechten, wie sie auch in der Hauptverhandlung zu geWährleisten wären, zum einen die Sachverhalts59 "In principle, the evidence must be produced in the presence of the accused at a public hearing with a view to adversarial argument. This does not mean, however, that in order to be used as evidence statements of witnesses should always be made at a public hearing in court: to use as evidence such statements obtained at a pre-trial stage is not in itself inconsistent with paragraphs 3 (d) and 1 of Article 6, provided the rights of the defence should have been respected." So die ständige Rechtsprechung, z.B. in EGMR [Van Mechelen v. Niederlande], StV 1997, 619; [Windisch v. Österreich], StV 1991, 194; [Kostovski v. Niederlande], StV 1990, 482. 60 "Be given an adequate and proper opportunity to challenge and question a witness against hirn", zusammenfassend zu den Mindestvoraussetzungen Peukert in EMRK, Rn. 200; Schleiminger, Konfrontation im Strafprozess, S. 13 ff.; Schaden, Rill-Fs., S. 228 ff. 61 Im Fall Kostovski beispielsweise erhielt die Verteidigung erst einige Wochen nach untersuchungsrichterlicher Einvernahme des anonymen Belastungszeugen die Möglichkeit, schriftliche Fragen an den Zeugen zu stellen. Von den 14 Fragen des Katalogs musste der Zeuge 12 nicht beantworten, um nicht seine Enttarnung zu riskieren. Der EGMR bejahte einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 lit. d EMRK, da dem Angeklagten zu keinem Zeitpunkt eine ausreichende oder angemessene Gelegenheit zur Befragung des Zeugen gewährt worden war; EGMR [Kostovski], StV 1990,481. 62 EGMR [Doorson v. Niederlande], ÖJZ 1996, 717, dazu kritisch Krauß. V-Leute im Strafprozess, S. 108.; [Isgro v. Italien], 19 February 1991, Series A, no. 194, Ziffer 36; s. auch BVerfGE, NJW 1996,3408. 63 EGMR [Doorson v. Niederlande], ÖJZ 1996,717.

B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung

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kenntnis des Beschuldigten voraussetzt, zum anderen aber auch die rechtliche Kenntnis des (Pflicht-) Verteidigers verlangt. Orientiert an diesen Minimalvoraussetzungen ist § 168 c Abs. 5 S. 2 StPO zunächst dahingehend zu modifizieren, dass eine Benachrichtigung von der Vernehmung zwingend und rechtzeitig erfolgen muss 64 . Entgegen § 168 e Abs. 5 S. 3 StPO ist bei begründeter Darlegung einer Terminkollision außerdem ein Ausweichtermin zu vereinbaren 65 . Die Beschränkung des § 168 c Abs. 4 StPO greift nicht, auch der in Haft befindliche Beschuldigte hat an jedem Ort der Vernehmung ein Anwesenheitsrecht66 , denn nur über seine unabdingbare Anwesenheit kann für den aus der Hauptverhandlung herausgelagerten Teil der Beweisaufnahme derselbe rechtsstaatliche Standard gewahrt werden, wie er mit §§ 230, 338 Nr. 5 StPO für die Hauptverhandlung gilt67 . Notfalls, d. h. wenn dies aus Sicherheitsgründen oder anderweitig erforderlich ist, kann die Simultanübertragung auch über größere Distanz, etwa unmittelbar aus der Justizvollzugsanstalt erfolgen, denn § 168 e StPO gibt den Aufenthaltsort der Anwesenheitsberechtigten nicht vor. Dass aber auch ein Ausschluss des Beschuldigten wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks gemäß § 168 c Abs. 3 StPO ebenfalls nicht in Betracht gezogen werden dürfte, ist wohl zu verneinen, immerhin ist das Anwesenheitsrecht des Angeklagten auch in der Hauptverhandlung nach § 247 S. 1 und S. 2 StPO nicht absolut. Der Beschuldigte muss folglich in Kombination mit einer Videosimultanübertragung der Vernehmung zumindest dann ausgeschlossen werden können, wenn zu befürchten ist, dass der Zeuge andernfalls nicht die Wahrheit sagt (§§ 168 e Abs. 3 S. 2, 247 S. 1 StPO). Kommt es aber zu einer kombinierten Anwendung der §§ 168 e und 168 c Abs. 3 StPO, wobei sich das Gericht bei Berufung des Ausschlusstatbestandes zusätzlich an den Voraussetzungen des § 247 StPO zu orientieren hat 68 , dann muss zumindest dem Verteidiger die technisch vermittelte Anwesenheit bei der Vernehmung gewährt sein. 64 HK-Krehl, § 168 e, Rn. 7; Schlothauer, StV 1999, 49; für die Vernehmung von Kindern und Jugendlichen Nr. 19 Abs.2 S.5 RiStBV; § 162 a Abs. 1 S.4 AE-ZVR, S. 99, 104. 65 OLG München, StV 2000, 352, allerdings noch mit dem Zusatz, dass keine Gründe der Terminverlegung entgegenstehen dürfen. Um aber eine effektive Teilnahmemöglichkeit abzusichern, bedarf es mindestens der Geltendmachung dringenderIzwingender Gründe, die eine sofortige Einvernahme des Zeugen unabdingbar machen. 66 SK-Wolter, § 168 e, Rn. 47; § 162 a Abs. 1 S. 5 AE-ZVR, S. 100, 104. 67 Schlothauer, StV 1999,49. 68 Für eine restriktive Auslegung des § 168 c Abs. 3 StPO auch Leitner, StraFo 1999,47.

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

Im Übrigen setzt § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO nur voraus, dass die bloße Gelegenheit zur Mitwirkung bestand. Nicht vorausgesetzt wird, dass es tatsächlich zu einer Beteiligung VOn Beschuldigtem und Verteidiger gekommen ist. Vor dem Hintergrund europäischer Menschenrechtsrechtsprechung, die sich ebenfalls mit der reinen Möglichkeit begnügt, dem Belastungszeugen zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens Fragen stellen zu können 69 , scheint diese Formulierung durchaus legitim. Allerdings setzt diese Rechtsprechung grundsätzlich auch voraus, dass "gute Gründe" für die Ersetzung des unmittelbaren Beweises in der Hauptverhandlung vorliegen, etwa eine Unauffindbarkeit des Zeugen, die Notwendigkeit der Anonymisierung eines gefährdeten Zeugen oder - zumindest gilt dies für andere Rechtsordnungen, die eine dem § 252 StPO entsprechende Regelung nicht kennen - die spätere Geltendmachung eines Zeugnisverweigerungsrechts durch den Zeugen70 . Der Wunsch des Gesetzgebers, verletzlichen Zeugen mehrfache Vernehmung zu ersparen, genügt der Voraussetzung der "guten Gründe" so einfach nicht. Außerdem ist im Falle der notwendigen Verteidigung nach § 140 StPO eine Hauptverhandlung ohne einen Verteidiger undenkbar, bei seinem Ausbleiben ist beispielsweise sofort gemäß § 145 Abs. 1 StPO entweder ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen oder die Verhandlung auszusetzen. Andernfalls ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben 71. Gleiches gilt auch, wenn der Beschuldigte ohne das Vorliegen der in §§ 247 S. 1 und 2 bzw. 231 Abs. 2, 231 a, b, c, 232 oder 233 StPO genannten Voraussetzungen abwesend ist. Will man tatsächlich eine Vorverlagerung wesentlicher Elemente der Hauptverhandlung in das Vorverfahren erreichen, so darf man trotz geringerer Anforderungen der Straßburger Rechtsprechung nicht so einfach die in der StPO für die Hauptverhandlung geltenden Bestimmungen außer Kraft setzen. Grundsätzlich lässt sich § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO korrigierend nur dahingehend auslegen, dass der Verteidiger und Beschuldigter nicht nur Gelegenheit zur Mitwirkung hatten, sondern dass sie tatsächlich mitgewirkt haben72. 69 Simon, Die Beschuldigtenrechte nach Art. 6 Abs. 3 EMRK, S. 106; Peukert in EMRK, Rn. 200. 70 Ausführlich dazu Schleiminger, Konfrontation im Strafprozess, S. 11 ff.; Schaden, Rill-Fs., S. 226 ff.; Kodek, Juristische Blätter 110 (1988), 560; als Novum für den deutschen Strafprozess hat der BGH allerdings kürzlich zu Gunsten des Opferschutzes entschieden, dass es der Zeuge bei einer Aussage gegen einen Angehörigen als Beschuldigten in Strafverfahren gegen sexuellen Missbrauchs in der Hand haben soll, trotz Aussageverweigerung in der Hauptverhandlung, das Gericht von der Beweiserhebungssperre des § 252 StPO zu entbinden, BGHSt. 45, 203; kritisch zu dieser Untergrabung der Unmittelbarkeit im Strafverfahren Widmaier, Defizitäre Unmittelbarkeit, S. 185 f. 71 BGHSt. 15, 306; GA 1959,55.

B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung

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Sollten Verteidiger und Beschuldigter das Verfahren zu boykottieren versuchen, indem sie die Mitwirkung verweigern, so ist der Beschuldigte entsprechend § 230 Abs. 2 StPO zwangsweise vorzuführen. Ihm ist notfalls analog § 145 Abs. 1 S. 1 StPO auch ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Außerdem sollte das Fragerecht des § 168 c Abs. 2 StPO um ein Recht zum Vorhalt und zur Präsentation weiterer Beweismittel durch die Verteidigung erweitert werden. Immerhin ist die ermittlungsrichterliche Einvernahme u. U. darauf ausgerichtet, die letzte Gelegenheit für eine Konfrontation des Belastungszeugen mit diesen Vorhalten darzustellen 73.

b) Frühzeitige Verteidigerbestellung, § 141 Abs. 3 StPO Die Vorverlagerung von Teilen der Hauptverhandlung in das Ermittlungsverfahren wirkt sich notwendigerweise auch auf den Zeitpunkt der Pflichtverteidigerbestellung aus. Kürzlich erst hat der BGH unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK entschieden, dass dem noch unverteidigten Beschuldigten im Ermittlungsverfahren frühzeitig ein Verteidiger nach § 141 Abs. 3 StPO zu bestellen ist, soweit eine beweis sichernde ermittlungsrichterliche Vernehmung des zentralen Belastungszeugen durchzuführen ist, bei welcher der Beschuldigte von der Anwesenheit ausgeschlossen werden soll74. Dem so bestellten Verteidiger ist außerdem Gelegenheit zu geben, sich vor der Vernehmung mit dem Beschuldigten zu besprechen. Notfalls wird ihm wohl auch zu gestatten sein, noch während der Vernehmung Rücksprache zu halten, denn Widersprüche oder Ungereimtheiten in der Zeugenaussage lassen sich oft nur durch genaues Sachverhalts- und Detailwissen aufdecken, das der Verteidiger nach einer ersten kurzen Unterredung mit dem Beschuldigten überhaupt nicht haben kann 75. Nicht entschieden hat der BGH allerdings, wie die frühe Verteidigerbestellung zu handhaben ist, wenn dem Beschuldigten eine Anwesenheit bei der Vernehmung - und sei sie auch nur gefiltert durch ein technisches Medium - nicht versagt worden wäre. In diesem Fall sieht die Rechtsprechung des EGMR nicht zwingend auch eine zusätzliche Präsenz des Verteidigers VO?6. Geht es aber um die Vorverlagerung wesentlicher Teile der Hauptverhandlung so darf gerade im Fall notwendiger Verteidigung i. S. d. § 140 72 Schlothauer, StV 1999, 49; SK-Wolter, § 168 e, Rn. 48; a.A. Diemer, NJW 1999,1674; auch BVerfGE 57, 250 (275); Beulke, ZStW 113 (2001),713. 73 Leitner, StraFo 1999,46 f. 74 BGHSt. 46, 93; für eine zwingende Verteidigerbestellung bereits zuvor schon § 162 a Abs. 1 S. 6 AE-ZVR, S. 100, 104; SK-Wolter, § 168 e, Rn. 49; a.A. Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 255 a, Rn. 31. 75 BGHSt. 46, 93 (102 f.).

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

StPO, der bei einer Verhandlung von Katalogtaten i. S. d. § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO regelmäßig vorliegen wird, auf einen Verteidiger sowieso nicht verzichtet werden 77 . Andernfalls wäre mit einem schwerwiegenden Verteidigungsdefizit zu rechnen, das auch aus der Möglichkeit des Beschuldigten, Fragen an den Belastungszeigen zu stellen, nicht kompensiert werden kann 7s . Nicht nur, dass die Beschuldigtenrechte durch den Betroffenen selbst mitunter nur unsachgemäß und unvollständig ausgeübt werden können, mangels umfassenden Akteneinsichtsrechts des unverteidigten Beschuldigten nach § 147 Abs. 7 StPO darf auch weder von einem Informationsgleichstand noch von einer Chancegleichheit der Beteiligten ausgegangen werden 79 . In der Literatur ist ohnedies bereits früh gefordert worden, in den Fällen notwendiger Verteidigung nicht erst bis zum Abschluss der Ermittlungen zuzuwarten, um dem Beschuldigten einen Verteidiger zu bestellen8o . Für Schlothauer beispielsweise reduziert sich das in § 140 Abs. 3 S. 1 StPO eingeräumte Ermessen der Staatsanwaltschaft, eine frühzeitige Beiordnung eines Pflichtverteidigers zu beantragen, auf NullS] und Fezer sieht über eine Verletzung des Frage- und Konfrontationsrechts hinaus durch das Versäumnis rechtzeitiger Verteidigerbestellung "das Recht auf Verteidigung als solches und auf ganz grundsätzliche und allgemeine Weise" beeinträchtigt S2 . Folge einer verabsäumten Verteidigerbeiordnung bei einer Vernehmung, die ersichtlich auf Beweissicherung ausgerichtet ist, muss dementsprechend ein gänzliches Verwertungsverbot sein, nicht die vom BGH noch vertretene "Beweiswürdigungslösung"s3. 76 So heißt es in Isgro: "It is indeed true that the applicant's lawyer did not attend the confrontation in question, and was prevented from doing so by Article 304 bis of the Code of Criminal Procedure (see paragraph 23 above), but the public prosecutor was likewise absent. In the case under examination the purpose of the confrontation did not render the presence of Mr Isgr6's lawyer indispensable; since it was open to the applicant to put questions and to make comments himself, he enjoyed the guarantees secured under Article 6 § 3 (d) to a sufficient extent." EGMR [lsgro v. Italien], 19 February 1991, Series A, no. 194, Ziffer 36. 77 A.A. wohl Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 255 a, Rn. 13. 78 Schlothauer, StV 2001, 128 f.

Eisenberg, NJW 1991, 1262. KK-Laujhütte, § 141, Rn. 3; OLG Düsseldorf, StV 1992, 100; Eisenberg, NJW 1991, 1262; a.A. K/M-G, § 141, Rn. 5. 81 Schlothauer, StV 2001, 128. Von Amts wegen kann der zuständige Vorsitzende einen Verteidiger nur nach § 242 Abs. 1 StPO bestellen, d.h. erst nach der Mitteilung der Anklageschrift und der Aufforderung, sich dazu zu erklären (§ 201 Abs. 1 StPO). Vorher bedarf es dazu zwingend des Antrags der Staatsanwaltschaft, § 141 Abs. 3 S. 2 StPO. 82 Fezer, JZ 2001, 364. 79

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Für die Belange des § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO verlangt ferner der Gesetzeswortlaut, für eine Mitwirkung von Beschuldigtem und Verteidiger Sorge zu tragen 84 . Unterlässt es die Staatsanwaltschaft, rechtzeitig vor der richterlichen Einvernahme des Zeugen einen Verteidiger zu bestellen, so darf nicht nur keine Vorführung der Aufzeichnung nach § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO erfolgen, die Aussage unterliegt sogar einem Beweisverbot. c) Akteneinsicht, § 147 StPO

Effektive Mitwirkung des Beschuldigten und des Verteidigers bei der Vorwegnahme eines Teils der Hauptverhandlung verlangt darüber hinaus, dass ihnen aus dem Akteninhalt zuvor solche Kenntnis gewährt wurde, wie sie ihnen nach §§ 147, 169 a StPO üblicherweise auch im Hauptverfahren zusteht. Einschränkungen des umfassenden Akteneinsichtsrechts, beispielsweise aufgrund einer befürchteten Gefährdung des Untersuchungszwecks nach § 147 Abs. 2 StPO, kommen nicht in Betracht85 . Im Übrigen sollte auch dem unverteidigten Beschuldigten grundsätzlich Akteneinsicht gewährt werden 86 und zwar über das mit dem StVÄG 199987 in § 147 Abs. 7 StPO gewährte Maß hinaus 88 . Versagt die Staatsanwaltschaft die frühzeitige und vollständige Akteneinsicht, kommt eine Verwertung der Aussage nach § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO nicht mehr in Betracht. Die Vernehmung ist zu wiederholen. Befürchtet die Staatsanwaltschaft also Verdunkelungshandlungen, sollte die ermittlungsrichterliche und - nach Maßgabe des § 168 e StPO - parteiöffentliche Vernehmung mit dem Ziel eines Beweistransfers in das Hauptverfahren möglichst in ein späteres Stadium des Ermittlungsverfahrens ver83 Zu dieser neigte das Gericht in BGHSt. 46, 93 allerdings auch deswegen, weil es im Ausgangsfall nur eine Verletzung des Frage- und Konfrontationsrechts und gerade nicht die Verletzung elementarer Verteidigungsrechte prüfte, vg!. BGHSt. 46, 93 (insbesondere 99 ff.); kritisch Schlothauer, StV 2001, 130 f.; Fezer, JZ 2001, 364; Kunert, NStZ 2001, 217 f. 84 In § 255 a Abs. 2 S. I StPO heißt es: "In Verfahren ... kann die Vernehmung eines Zeugen unter sechzehn Jahren durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung ersetzt werden, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit zur Mitwirkung hatten." (Kursivhervorhebungen durch die Autorin). 85 Schlothauer, StV 1999, 49; Schünemann, StV 1998, 400; SK-Wolter, § 168 e, Rn. 49; teilweise a. A. Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 64; Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 304 ff.; gegen eine einschränkende Auslegung des § 147 Abs. 2 StPO Bittmann, DRiZ 2001, 120. 86 Jung, JuS 1998, 1139; EGMR, NStZ 1998,429 m. Anm. Deumeland. 87 Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrens (StV ÄG 1999) vom 11. 08. 2000, BGB!. I, S. 1253, in Kraft getreten am I. 11. 2000. 88 Vg!. dazu den Vorschlag in § 147 Abs. 7 AE-EV, S. 54 f.

23 Swoboda

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legt werden 89 , auch wenn dies den Nachteil eines zeitbedingten Qualitätsverlustes für den Inhalt der Aussage mit sich bringen kann. Für die Vernehmung kindlicher Zeugen sollte die Staatsanwaltschaft allerdings bei einer Versagung der Akteneinsicht Vorsicht walten lassen. Es ist abzuwägen, ob die zu befürchtenden Verdunkelungsmaßnahmen tatsächlich genügend Anlass bieten, dafür im Gegenzug das Risiko eines gänzlichen Beweisverlustes oder auch nur einer Wertminderung der Aussage einzugehen. d) Exkurs: Zu den Reformentwürfen für

ein "partizipatorisches Vorverfahren"

Im Zuge jüngster Reformbestrebung in den Zivil- und Strafverfabrensordnungen ist nahezu einhellig die Forderung nach vermehrter Beteiligung des Verteidigers und - soweit möglich - auch des Beschuldigten an Beweiserhebungen in einem "partizipatorischen Vorverfahren" laut geworden 9o . Eine zügigere, gestraffte und verfahrensökonomischere Prozessgestaltung soll ermöglicht werden, indem man die Verteidigung verstärkt auch bei polizeilichen Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen einbindet und mit zusätzlichen Teilhaberechten ausstaffiert91 Geplant ist außerdem eine offenere Ausgestaltung des Ermittlungsverfahrens, einschließlich einer frühen Information des Beschuldigten und seines Verteidigers über den Verlauf der Beweiserhebung und den jeweiligen Stand der Ermittlungen92 . Gefördert und gesetzlich geregelt werden sollen auch Rechts- und Kooperationsgespräche, mit denen sich beide Seiten über notwendige und überflüssige weitere Ermittlungsmaßnahmen und über die weiterhin strittigen Punkte der Hauptverhandlung verständigen können 93 . Bittmann, DRiZ 2001, 120. Vgl. für entsprechende Vorschläge § 168 f AE-EV, S. 132 ff., Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens vom 6. April 2001, StV 2001, 314; dazu Salditt, StV 2001, 311; DAV, AnwBl. 2001, 30 (39 ff.); Däubler-Gmelin, StV 2001, 359; Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Eckpunkte-Papier der Bundesregierung zur Reform des Strafverfahrens, Juni 2001; IgnoriMatt, Integration und Offenheit im Strafprozess. 91 Nr.2 und 3 der Eckpunkte, StV 2001, 315; § 168 f AE-EV, S. 132 ff.; entsprechende Vorschläge auch beim DAV, AnwBl. 2001, 40 f.; vorsichtiger bei der Stärkung von Mitwirkungsrechten dagegen Bittmann, DRiZ 2001, 119 ff.; ders., ZRP 2001, 442 f. 92 Nr. 3,4 und 5 der Eckpunkte, StV 2001, 315; §§ 157, 163 a AE-EV, S. 95 ff., 124 ff.; DAV, AnwBl 2001, 40 ff.; kritisch dagegen Bittmann, DRiZ 2001, 120. 93 Nr. 4,5, und 6 der Eckpunkte, StV 2001, 315 f.; Schlussgespräche zur einverständlichen Verfahrenseriedigung werden vorgesehen in §§ 169 b ff. AE-EV, S. 134 ff. 89

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Die Reformprojekte stimmen außerdem darin weitgehend überein, dass sie den Schwerpunkt der Beweisaufnahme auf das Ermittlungsverfahren verlagern wollen und sich in der Hauptverhandlung nur noch auf wenige, besonders umkämpfte Aspekte und kontroverse Beweisergebnisse konzentrieren möchten. Durch den Ausbau von Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten sowie durch die Erweiterung von Beweisantragsrechten sollen zudem Anreize für die Verteidigung geschaffen werden, bereits frühzeitig aus eigenem Antrieb Beweiserhebungen anzuregen oder zu beantragen. Die Verteidigung soll sich insgesamt stärker als bisher an den Ermittlungen beteiligen, sie vorantreiben und an ihrem Ende in Kooperation mit der Staatsanwaltschaft die Themenbereiche bestimmen, deren vertiefte Erörterung mangels größerer Streitpunkte in der Hauptverhandlung unterbleiben kann 94 . Zudem soll nach Wunsch der Bundesregierung durch eine Lockerung des Unmittelbarkeitsprinzips in der Hauptverhandlung dafür Sorge getragen werden, dass Beweisergebnisse des Ermittlungsverfahrens bei damaliger Mitwirkungsmöglichkeit der Verteidigung nicht wiederholt werden müssen. Die Beweissurrogate werden durch Verlesung oder Abspielen von BildTon-Aufzeichnungen, u. U. auch durch Tondokumentationen in die Hauptverhandlung eingeführt95 . Die Möglichkeit einer wiederholten oder zusätzlichen Beweisaufnahme bleibt aber erhalten 96 . Sollten die genannten Reformbestrebungen Gesetz werden, so kann für die Mitwirkungsbefugnisse von Verteidigung und Beschuldigtem in polizeilichen oder staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen nichts anderes gelten als das, was zuvor im Rahmen der ermittlungsrichterlichen Vernehmung unter den Voraussetzungen des § 168 e StPO und mit dem Ziel eines Beweistransfers in die Hauptverhandlung erörtert wurde. Sobald ein Transfer des Beweises konkret ins Auge gefasst wird, müssen nicht nur jegliche Einschränkungen des Akteneinsichtsrechts bzw. der An94 Unklarheiten bestehen allerdings noch bei der Frage, welche Maßstäbe an die Ablehnung des Beweisantrags geknüpft werden sollen. Der DAV plädiert für eine Übertragung der in § 244 Abs. 3 und 4 StPO geltenden Anforderungen, AnwBl 2001,41. 95 Eckpunkte Nr. 7 und 9, StV 2001, 316; für eine erweiterte Verwertbarkeit der im Ermittlungsverfahren erlangten Beweise auch Bittmann, DRiZ 2001, 121; dagegen DAV, AnwBl 2001, 41 f.; DAV, Stellungnahme zu den Eckpunkten einer Reform des Strafverfahrens, Mai 2001, S. 3 f.; besonders kritisch zum Verlust von Unmittelbarkeit und Beurteilungsspielraum der Verteidigung auch Salditt, StV 2001, 312. 96 Sehr weitgehend hier der Vorschlag von Lagodny, Videovernehmungen im Strafverfahren: nur Risiken und Nebenwirkungen? S. 173 ff., bezüglich eines "Konserven-Prozesses"; kritisch DRiB, Stellungnahme zur Reform des Strafverfahrens, S. 4 f.

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

wesenheitsbefugnisse entfallen, es ist zudem sicherzustellen, dass die Beweisaufnahme möglichst erschöpfend und unter verschiedenen Gesichtspunkten, d. h. kontrovers erfolgt. Für die polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Zeugen vernehmung gilt außerdem zu beachten, dass der Zeuge dort keiner strafrechtlich sanktionierten Wahrheitspflicht unterliegt97 • Das Gesetz berücksichtigt dies nach geltender Regelung, indem es grundsätzlich für eine Verwertung nichtrichterlicher Aussagen den Konsens aller Verfahrensbeteiligten oder einen andernfalls drohenden völligen Beweismittelverlust zur Voraussetzung macht98 . Trotz Parteiöffentlichkeit und Erweiterung von Mitwirkungsbefugnissen ist also nicht jede Vernehmung im Rahmen des Vorverfahrens bedingungslos zum Transfer ins Hauptverfahren geeignet. Ein Transfer von Beweisergebnissen aus dem Ermittlungsverfahrens sollte tatsächlich nur dann entgegen den ausdrücklichen Willen von Verteidigung und Beschuldigtem erfolgen können, wenn es sich um Beweisergebnisse aus ermittlungsrichterlichen, d.h. grundsätzlich parteiöffentlichen und mit einer sanktionierten Wahrheitspflicht verbundenen Vernehmungen handelt. Damit ist nicht gesagt, dass ein Transfer der Ergebnisse anderer Zeugeneinvernahmen immer an das Einverständnis der Beteiligten gebunden sein muss. Eine dem § 255 a Abs. 2 StPO entsprechende Ausnahme, über die auch polizeiliche, videodokumentierte Vernehmungen kindlicher Zeugen zu den in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO genannten Katalogstraftaten Teil der Hauptverhandlung werden können, wäre zu überlegen. Immerhin gelten die frühen polizeilichen Aussagen aufgrund ihrer Tatnähe als besonders zuverlässig 99 • Polizei und Staatsanwaltschaft verfügen zudem oft über psychologisch geschultes, in der Vernehmungen kindlicher Zeugen erfahrenes Personal 100 sowie auch über die technischen Voraussetzungen, um die Vernehmungen zeitgleich audiovisuell dokumentieren zu können. Weiterhin fehlt es in den Reformvorschlägen noch an Einigkeit darüber, wie die ermittlungsbehördlichen Maßnahmen der Beweiserhebung am besten für das spätere Verfahren zu dokumentieren sind. 97 Für die Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter gelten dagegen die §§ 153 ff. StGB. 98 § 251 Abs. 2 StPO; DAV, AnwBI 2001, 41. 99 Der Vorteil der Tatnähe gilt für alle polizeilichen Vernehmungen, Nack/Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, S. 313. 100 Richtlinien des lustizministeriums Niedersachsen zum Umgang mit kindlichen Opferzeugen bei der Durchführung von Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs, NJW 1998, 360; Schöch, Meyer-Gossner-Fs., S. 370.

B. Zur Ausgestaltung einer simultan übertragenen Vernehmung

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Lagodny hat sich im Anschluss an den Entwurf eines Videographie-Gesetzes lOl für eine grundsätzliche audiovisuelle Dokumentation aller Vernehmungen im Vorverfahren ausgesprochen 102. Widmaier wünscht sogar mit Blick auf eine umfassende Überprüfbarkeit der richterlichen Beweiswürdigung nach § 261 StPO ein Videoprotokoll des gesamten Hauptverfahrens und damit dessen vollständige Reproduzierbarkeit in der Revisionsinstanz 103.

Der Deutsche Anwaltsverein würde hingegen in Anlehnung an seine früheren Gesetzesvorschläge eine umfassende Tonbandprotokollierung der gesamten Hauptverhandlung für ausreichend halten 104. Das Videoprotokoll bietet sicherlich größtmöglichen Beweiswert und hohe Authentizität und verlangt zugleich - abgesehen natürlich von der Anschaffung der geeigneten Ausrüstung - wenig verfahrensrechtlichen Mehraufwand. Es spricht folglich alles dafür, im Zuge einer Verstärkung der Transfermöglichkeiten aus dem Ermittlungsverfahren auch die optimale beweissichernde Qualität der Videokonserve nutzbar zu machen 105. Trügerisch wäre m. E. aber die Hoffnung, das gemeinsame und kontroverse Studieren der aus im Vorverfahren produzierten Videokonserven könnte in der Hauptverhandlung zum zügigeren, konzentrierteren und insgesamt besseren Strafprozess führen. Der Rückgriff auf die Konserve kann zwar dort, wo Unstreitiges verhandelt wird sehr einfach, insbesondere einverständlich abgehandelt werden, für kontroverse Beweise jedoch, die bereits im Ermittlungsverfahren zu längerer Diskussion und möglicherweise auch ausgedehnten Vernehmungen geführt haben, würde die Vorführung des unverkürzten Beweissurrogats nicht nur zeitraubender ausfallen als eine erneute Vernehmung, mitunter könnten 101 NackiArbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, dort vor allem § 168 a des Entwurfs, S. 309, 311 ff. 102 Lagodny, Videovernehmungen im Strafverfahren: nur Risiken und Nebenwirkungen?, S. 173 ff.; für das österreichische Verfahren ähnlich die Vorschläge bei Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 235, 238 ff. 103 Widmaier, Defizitäre Unmittelbarkeit, S. 186. 104 DAV, AnwBl 2001, 43, unter Verweis auf den Gesetzesentwurf zur Tonaufzeichnung der Hauptverhandlung in Strafsachen, AnwBl 2001, 328; Herdegen, Die Eingriffe des Revisionsgerichts in die tatrichterliche Beweiswürdigung, S. 46. Fakultative Tonbandaufzeichnungen und Videoprotokolle von Beschuldigtenvernehmungen bei Kapitaldelikten plant auch die Bundesregierung, Eckpunkt Nr. 9, StV 2001, 316. 105 Nack/Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, S. 316 f.; ausführlich über die Vorteile gegenüber schriftlichter Protokollierung auch Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 238 ff.

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

sogar die anhaltenden Kontroversen über den Beweiswert der Aussage dazu führen, dass auf eine ergänzende oder wiederholte unmittelbare Einvernahme des Zeugen nicht verzichtet werden kann 106. Letzteres insbesondere dann, wenn das Gericht die Qualität oder Glaubwürdigkeit der Aussage so sehr in Zweifel zieht, dass es sich bereits aus dem Gebot der Wahrheitserforschung heraus verpflichtet fühlt, das persönliche Erscheinen des Zeugen anzuordnen. Zu begrüßen ist bei den genannten Gesetzesvorschlägen bislang allein der Trend, den Mitwirkungsbefugnissen der Verteidigung und des Beschuldigten im Vorverfahren, und dort insbesondere bei nichtrichterlichen Vernehmungen, mehr Rechnung zu tragen 107. Sollte sich in späteren Verfahrensstadien die Notwendigkeit eines Beweistransfers ergeben, dann ist zumindest nicht auf die Konfrontation und das Austesten des Beweismittels unter allen erdenklichen Gesichtspunkten verzichtet worden 108. Nicht auszuschließen ist auch, dass die frühzeitige Kooperation von Strafverfolgungsbehörden und Verteidigung auf gleichem Wissensstand und unter Bedingungen der Waffengleichheit zu mehr Absprachen und damit zu einer Reduzierung des notwendigen Umfangs der Beweisaufnahme kommt. Außerdem mag die Teilnahme an der polizeilichen Vernehmung eines zentralen Belastungszeugen den Beschuldigten schon sehr früh zu einem Geständnis veranlassen, insbesondere dann, wenn ihm bewusst ist, dass die Vernehmung auf Videoband wirklichkeitsgetreu in der Hauptverhandlung zu reproduzieren ist. Das Damoklesschwert des Beweistransfer in das Hauptverfahren wird aber kaum komplexe Sachverhalte auf einfache Streitpunkte reduzieren können. Genauso wenig kann es bei kontroversen Beweisthemen die Wahrheitsfindung wesentlich voranbringen. Im Übrigen mag es auch den Ermittlungsbehörden in Kapitalverbrechen und komplizierten Verfahren nicht unbedingt entgegenkommen, bereits frühzeitig den Verteidiger und sogar den Beschuldigten an ihrem Informationsstand und an ihrer weiteren Ermittlungsstrategie teilhaben zu lassen, weswegen es im Zweifelsfall auch erst gegen Ende des Untersuchungsver106 So bereits die Kritik zu früheren Vorschlägen Gössels über die Beschleunigung des Strafverfahrens mittels Videographie, Perron, JZ 1994, 824; dazu im 2. Teil, Kapitel C.3. 107 19nor/Matt, Integration und Offenheit im Strafprozess, S. 4, 12. 108 Allerdings ist immer noch weitgehend ungeklärt, inwieweit Verteidigungsund Beschuldigtenrechte durch den "Konserven-Prozess" angetastet werden dürfen. Zwar räumen alle Reformentwürfen ein, dass als notwendige Voraussetzung eines Beweistransfers, das Frage- und Konfrontationsrecht des Beschuldigten zumindest im Vorverfahren nach Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK bewahrt worden sein muss, doch die Qualität der gewollten Konfrontation bleibt meist im Dunkeln.

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fahrens zu einer echten "Partizipation" kommt. In diesem Stadium wäre aber normalerweise dann schon die ermittlungsrichterliche Vernehmung angesiedelt lO9 . Ob die Stärkung der Verteidigungsrechte im Vorverfahren also tatsächlich dazu führen wird, mehr und früher als zuvor ins Hauptverfahren übertragbare Beweisergebnisse zu produzieren, lässt sich - jedenfalls in kontroversen Verfahren und in Verfahren, in die keine Kinderzeugen involviert sind - bezweifeln.

5. Wortprotokoll oder "Verschriftung", §§ 168, 168 aStPO? Die Frage, ob eine Videoaufzeichnung auch das Protokoll, insbesondere das bei ermittIungsrichterlichen Vernehmungen zwingend zu erstellende Wortprotokoll der §§ 168, 168 a StPO ersetzen kann und darf, beschäftigt insbesondere die Praxis, die sich durch den Verzicht auf eine wortwörtliche Übertragung der Aufzeichnung in ein Schriftprotokoll eine erhebliche Ersparnis an Zeit-, Kosten- und Personalaufwand verspricht. Frühe Gesetzesentwürfe hatten noch eine gesonderte sog. "Verschriftung" der Videoaufzeichnung als notwendig aber zugleich auch ausreichend angesehen 11 0. Erst die Bundesregierung hielt eine spezielle gesetzliche Regelung angesichts der weiterhin bestehenden Pflicht zur Erstellung eines Wortprotokolls nach §§ 168, 168 a StPO für verzichtbar, plädierte im Gegenzug aber für die Aufnahme von Sonderregelungen zur Protokollierung in die RiStBV 111. Dort sind entsprechende Protokollierungsvorschriften aber bis heute nicht getroffen worden. Nach geltender Gesetzeslage ist damit davon auszugehen, dass auch eine nach § 168 e S.4 i. V.m. § 58 a Abs. 1 StPO erstellte Vernehmungsaufzeichnung nicht die vollständige, wortwörtliche schriftliche Protokollierung ersetzen kann 112. Die Videokonserve hat allenfalls den Wert einer vorläufigen Aufzeichnung i. S. d. § 168 a Abs. 2 S. 1 StPO und unterliegt deswegen - auch wenn dies vom Gesetzgeber wohl nicht bedacht wurde - den dort für die Tonbandaufzeichnung geltenden Vorschriften des § 168 a Abs. 2 S. 4 StP0 113 . 109 110

Bittmann, DRiZ 2001,121; DAV, AnwB12001, 40. § 168 e Abs. 2 StPO des Bundesratsentwurfes eines Gesetzes zum Schutz

kindlicher Zeugen lautete: "Wird eine richterliche Vernehmung in Bild und Ton aufgezeichnet. So sind die wesentlichen Teile der Aufzeichnung unverzüglich schriftlich festzuhalten." BT-Drs. 13/4983, S. 3. 111 BT-Drs. 13/4983, S. 10. 112 SK-Wolter, § 168 e, Rn, 59; K/M-G, § 58 a, Rn. 9. 113 K/M-G, § 168 a, Rn. 4 f.; Janovsky, Kriminalistik 1999, 454. Für die staatsanwaltschaftliche Vernehmung gilt nach § 168 b Abs. 2 StPO § 168 a StPO entsprechend, für die polizeiliche Vernehmung nimmt zumindest die Rechtsprechung an,

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

Sollte also nicht bereits zeitgleich mit der Vernehmung ein Protokollführer die notwendige Niederschrift erstellt haben, so ist dies unverzüglich nach der Vernehmung auf der Grundlage des Videobandes nachzuholen. Der Protokollführer kann während der ermittlungsrichterlichen Vernehmung nach § 168 e StPO zusammen mit Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Beschuldigtem sowie weiteren, zur Anwesenheit berechtigten Personen die Vernehmung über Bildschirm verfolgen 114. Dies birgt den Vorteil, dass nicht zu viele anwesende Personen den Zeugen bei der Befragung irritieren. Diese Prozedur ist sehr arbeits- und kostenaufwendig, zumal der Vernommene nochmals zur Unterschriftsleistung unter das Protokoll erscheinen muss 115. Bei einer gleichzeitigen Protokollierung in herkömmlicher Verfahrensweise kann es außerdem geschehen, dass der Redefluss des Zeugen immer wieder in Rücksichtnahme auf den Protokollführer unterbrochen werden muss und damit auch die Konzentration von Zeugen und Vernehmendem ständig gestört wird. Es empfiehlt sich also die Überlegung, ob nicht die in den ersten Gesetzesvorschlägen vorgesehene "Verschriftung" der Aufzeichnung, d.h. das schriftliche Fixieren nur der wesentlichen Inhalte der Vernehmung, als Arbeitsgrundlage für Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht genügt und ob nicht auf das schriftliche Wortprotokoll nach §§ 168, 168 a Abs. 1 StPO bei Existenz einer Videokonserve verzichtet werden kann 116. Natürlich birgt eine Reduzierung des Vernehmungswortlauts auf seine Kerngehalte in sich die Gefahr einer zu oberflächlichen, möglicherweise sogar verfälschten Inhaltswiedergabe. Das Problem der verkürzten Vernehmungsmitschrift, die zu einem Großteil die Handschrift, das Verständnis, die Wertungen und Gedanken des Vernehmenden und damit gerade nicht die des Vernommen abbildet und mit ihrer Wortwahl wesentliche Vorentscheidungen auch für die spätere gerichtliche Beweiswürdigung vorwegnimmt 1l7 , ist für die Erstellung polizeilicher Vernehmungsprotokolle nur allzu bekannt 11 8. dass § 168 a StPO entsprechend gilt, BGH, StV 1997, 511; NStZ 1995, 353; SKRogall, § 58 a Rn. 16. Aufgrund der doppelten Löschungsvorschriften in § 168 a Abs. 2 S. 4 und §§ 58 a Abs. 2 S. 2, 100 b Abs. 6 StPO treten die Vorschriften zueinander in (ungewollte) Konkurrenz. § 58 a geht im Konfliktfall als die speziellere Norm vor; SK-Rogall, § 58 e, Rn. 20. 114 Ob ein Aufenthalt auch im Vernehmungszimmer selbst in Betracht gezogen werden kann ist ungeklärt. Wird der Zeuge aber durch die Anwesenheit der Person weder irritiert noch gefährdet, sollte die Anwesenheit nicht zwingend zu untersagen sein, a.A. KK-Wache, § 168 e, Rn. 8; K/M-G, § 168 e, Rn. 8. 115 So eine Stellungnahme aus dem Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg vom 18.8.2000; ähnlich Nack/Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, S. 317. 116 SK-Rogall. § 58 a Rn. 16.

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Allerdings beträfe dieser Missstand nicht die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung, denn dort müsste grundsätzlich der unverfälschte Vernehmungsmitschnitt eingespielt werden, sofern es überhaupt zu einem Rückgriff auf das Beweissurrogat kommt. Die "Verschriftung", d.h. die zusammengefasste Inhaltswiedergabe wäre allein Arbeitsgrundlage und Arbeitserleichterung für das Ermittlungsverfahren, Sie wäre gerade keine prozessual relevante Beweisdokumentation 119. Dies soll nicht übersehen lassen, dass der Akteninhalt nicht unmaßgeblich zur Vorbeeinflussung des erkennenden Gerichts beitragen kann und auch deswegen große Sorgfalt auf die Zusammenfassung aufgewandt werden muss 120 • Doch diese Lösung wäre nicht nur verfahrensökonomisch, sie eröffnet auch die Chance, die Konzentration bei sehr zähen Vernehmungsabläufen auf das Wesentliche zu lenken. Gleichzeitig ist nicht ausgeschlossen, dass bei Notwendigkeit dann doch eine wortwörtliche Protokollierung i. S. d. §§ 168, 168 a StPO erfolgt. Dies kann beispielsweise dann erforderlich sein, wenn die Vernehmungsaufzeichnung Mängel aufweist. Diese können technischer Herkunft sein oder vielleicht ist der Zeuge nur flüsternd zu vernehmen oder er spricht in starkem Dialekt, so dass allein das Abspielen der Dokumentation in der Hauptverhandlung nicht ausreichend Gewähr dafür bietet, dass alle Anwesenden das Gesprochene problemlos verstehen können. Die Chance, das umfangreiche Wortprotokoll durch die sehr einfach zu erstellende und im Fall eines späteren Beweisverlustes auch äußerst vorteilhafte Videodokumentation ersetzen zu können, sollte aber bestehen bleiben und den Gerichten zudem Anreiz geben, in noch größerem Ausmaß als bis117 Über den Einfluss der Sprache als Medium auf die Perzeption und letztlich die Würdigung von Beweisen durch den Richter lehrreich Herdegen, Die Eingriffe des Revisionsgerichts in die tatrichterliche Beweiswürdigung, S. 27 ff. (insbesondere S. 28 0. 118 Beispiele bei Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 239 f., und bei NacklArbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, S. 313 f. 119 BT-Drs, 13/3982, S. 6. 120 Schünemann hat in einer ausführlichen Studie darlegen können, dass sich Richter bei ihrer Würdigung der in der Hauptverhandlung gewonnenen Beweise in hohem Maß durch ihre bereits zuvor im Aktenstudium gebildete "Schuldhypothese" leiten lassen. Sog. Inertia- (Trägheits-) und Perseveranzeffektive sorgen dafür, dass die Informationssuche selektiv auf solche Informationen konzentriert wird, welche die bereits vorgebildete Meinung bestätigen. Entgegenstehende Informationen werden dagegen nicht wahrgenommen oder in ihrem Aussagewert unterschätzt, Schünemann, StV 200, 159 ff., beschrieben auch bei Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik und richterliche Glaubwürdigkeitsbeurteilung, S. 204 f.; s. außerdem Schünemann, StV 1998, 392.

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her zur Videotechnik als Dokumentationsmedium auf der Grundlage des § 58 a Abs. I StPO zu greifen. Eine Regelung, mit der das Videoprotokoll entsprechend der vorgenannten Überlegungen einer wortwörtlichen Vernehmungsniederschrift im Rahmen des § 168 a Abs. 1 StPO gleichgestellt würde, könnte lauten: § 168 a Abs. 2 V-StPO

(2) 1 Wird die richterliche Vernehmung vollständig in Bild und Ton aufgezeichnet, so kann die unverzüglich zu erstellende Vernehmungsniederschrift auf die Wiedergabe der wesentlichen Teile der Aufzeichnung beschränkt werden (Verschriftung). 2 Die Bild-Ton-Aufzeichnung ist in diesem Fall Protokoll im Sinne dieses Gesetzes. 3 Eine bloße Verschriftung nach Satz 1 genügt jedoch nicht, wenn die Aufzeichnung in Bild und Ton insbesondere aus Gründen ihrer Qualität zur Ersetzung eines schriftlichen Protokolls nicht geeignet ist.

Die bisherigen Absätze 2 bis 4 werden die Absätze 3 bis 5 121 . Der neue § 168 a Abs. 2 V-StPO stellt klar, dass die Bild-Ton-Dokumentation grundsätzlich Protokoll i. S. d. § 168 StPO sein kann und nicht nur wie bisher vorläufige Aufzeichnung und Grundlage einer noch zu erstellenden Niederschrift. Die verkürzte schriftliche Wiedergabe des Vernehmungsmitschnitts dagegen ist nicht Protokoll, sondern nur sog. "Verschriftung" ohne prozessuale Beweisrelevanz. Sie ist neben der Videodokumentation zu den Akten zu nehmen, dient aber ausschließlich zur effizienteren und schnelleren Bearbeitung der Akten. Abs. 2 S. 3 des Entwurfs stellt weiter klar, dass nur jener Videomitschnitt, der einer Niederschrift in seiner Qualität gleichwertig ist, zum Protokollersatz herangezogen werden darf. Der Einsatz technischer Medien zu Dokumentationszwecken soll die Qualität des Protokolls und die Qualität der späteren Reproduktion steigern. Lässt nun aber die Qualität der BildTon-Aufzeichnung zu wünschen übrig, so darf der Aufwand eines schriftlichen Protokolls nicht gescheut werden. Weil die Videodokumentation nicht in jedem Fall die Funktion des Protokolls übernimmt, wird im Übrigen auch die Regelung des § 255 a Abs. 1 StPO, der die Vorschriften für die Verlesung von Vernehmungsniederschriften gemäß §§ 251, 252, 254 und 255 StPO entsprechend auf Bild-Ton-Aufzeichnungen von Zeugenvernehmungen erweitert, nicht überflüssig. Zwar kann nunmehr eine Aufzeichnung in Bild und Ton, die das Schriftprotokoll i. S. d. § 168 a Abs. 2 V-StPO zu ersetzen geeignet ist, direkt nach §§ 251, 252, 253 und 255 StPO als Protokoll i. S. d. Vorschriften den Weg in die 121 Vgl. hier auch den Vorschlag bei Nack/Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, S. 309 ff.

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Hauptverhandlung finden, ohne dass es einer Regelung wie der des § 255 a Abs. 1 StPO noch bedürfte, § 255 a Abs. I StPO eröffnet den Weg in die Hauptverhandlung aber zusätzlich auch allen solchen Videokonserven, die als zur Ersetzung des Protokolls nicht für ausreichend befunden wurden, denen aber dennoch ein erheblicher Beweiswert zukommt, da sie immer noch weit besser Auskunft über die Umstände und den Ablauf der Vernehmung sowie das Aussageverhalten des Zeugen geben können als die bloße Niederschrift.

6. Technische Anforderungen an eine Übertragung nach § 168 e S. 2 StPO § 168 e S. 2 StPO fonnuliert lapidar: "Die Vernehmung wird diesen zeitgleich in Bild und Ton übertragen." Damit sind ähnlich wie bei § 247 a S. 3 StPO die technischen Anforderungen an die Vernehmungsübertragung weitgehend offen. Im Großen und Ganzen kann für die Voraussetzungen einer gelungenen Videosimultanübertragung außerdem auf die zu § 247 a StPO erarbeiteten Mindeststandards verwiesen werden 122 .

Ein wesentlicher Unterschied ergibt sich allerdings daraus, dass eine wechselseitige Übertragung bei einer Vernehmung nach § 168 e StPO nicht zwingend vorausgesetzt wird. Da sich Zeuge und vernehmender Richter in ein und demselben Raum aufhalten, ist deren Kommunikation im Wesentlichen von einer technischen Vennittlung unabhängig. Für Zeugen unter 16 Jahren gilt außerdem § 241 a StPO entsprechend, d.h. der jugendliche Zeuge wird nur durch den anwesenden Richter befragt. Ihm soll kein weiterer Gesprächspartner aus dem "Off' gegenübertreten. Hier erscheint dann auch eine nur einseitige Bild- und Tonübertragung des Geschehens im Vernehmungsraum als ausreichend. Im Gegenzug müssen die Anwesenheitsberechtigten aber ungehindert mit dem vernehmenden Richter in Kontakt treten können, sei es durch ständige Telefonverbindung, Kopfhörer, Einblendung von Anmerkungen auf einem gesonderten Bildschinn oder in anderer geeigneter Fonn 123 . Handelt es sich bei der zu vernehmenden Person nicht um einen verletzlichen Zeugen, d. h. vor allem um kein Opfer eines Sexualdelikts oder einen kindlichen Zeugen, so sollte im Idealfall auch eine Gegenübertragung des Bildes aus dem Aufenthaltsraum der Anwesenheitsberechtigten stattfinden 124 . Dies insbesondere deswegen, weil außerhalb des Anwendungsbe122 123 124

Dazu ausführlich im 3. Teil, Kapitel B.3.a). SK-Wolter, § 168 e, Rn. 43, 45; K/M-G, § 168 e, Rn. 7. Leitner, StraFo 1999,47.

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reichs des § 241 a StPO auch eine direkte Kommunikation zwischen den übrigen Beteiligten und dem Zeugen ohne Vermittlung des Richters gestattet sein muss. Für diese Fälle biete sich nicht nur die Installation einer Freisprechanlage im Vernehmungsraum an, sondern auch die Einrichtung einer visuellen Verbindung, welche die Kommunikation zwischen Befragendem und Zeuge optimiert 125 • Zugunsten einer Gegenübertragung spricht außerdem der Gedanke eines möglichen Transfers in die Hauptverhandlung. Auch dort kann dem Zeugen grundsätzlich eine wenigstens audiovisuell vermittelte Konfrontation mit den Verfahrensbeteiligten nicht erspart bleiben, und dies selbst wenn bei einem Vorgehen nach § 247 a StPO darauf geachtet wird, nicht den Beschuldigten in das Blickfeld der Kamera geraten zu lassen. Der vernehmende Richter entscheidet, wann auf eine Gegenübertragung wegen der Gefahr, dass die Aussagetüchtigkeit des Zeugen negativ beeinflusst wird, besser zu verzichten ist. Ferner ist darauf zu achten, dass die Übertragung im Idealfall mit Betreten des Vernehmungsraumes durch den Zeugen beginnt. Schon das informatorische Vorgespräch enthält wichtige Informationen über die Person und die Lebensverhältnisse des Zeugen, die dem Zuschauerkreis zum richtigen Verständnis der Antworten sowie zur Bewertung der Glaubwürdigkeit nicht fehlen dürfen 126 . Eine Simultanübertragung erst ab Beginn der Zeugenbelehrung wäre in ihrem Informationsgehalt verkürzt und für die Hauptverhandlung von nur von vermindertem Beweiswert.

7. Ausschluss der Anfechtbarkeit, § 168 e S. 5 StPO Die richterliche Entscheidung über Anordnung oder Ablehnung der getrennten Vernehmung nach § 168 e StPO ist gemäß § 168 Abs. 3 S. 5 StPO sowohl der Beschwerde als auch über § 336 S. 2 StPO der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen, soweit eine Revision überhaupt in Betracht kommt, d.h. das Urteil i. S. d. § 336 S. 1 StPO auf der (fehlerhaften) Entscheidung beruht 127 . Letzteres setzt voraus, dass die Vernehmungsaufzeichnung in der Hauptverhandlung als Beweis herangezogen und damit dem Urteil unmittelbar zugrundegelegt wurde. Ähnlich § 247 a S. 2 StPO sollte der Ausschluss jeglicher Anfechtbarkeit Unsicherheiten und Verzögerungen bei der Vernehmung im Vorverfahren zu 125 Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 202 f.; SK-Wolter, § 168 e, Rn. 45. 126 Leitner, StraFo 1999,47; a.A. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 930 p. 127 K/M-G, § 168 e, Rn. 10; SK-Wolter, § 168 e, Rn. 60.

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vermeiden helfen und dem Ziel des Zeugenschutz auch im Ermittlungsverfahren mehr Nachdruck verleihen l28 . Die Ausschlussklausel des § 168 e S. 5 StPO erfasst nur die Entscheidung nach S. 1. Nicht ausgeschlossen sind damit Anfechtungen aufgrund von Fehlern bei der Entscheidung über die Aufzeichnung der Vernehmung nach §§ 168 e S. 4, 58 a Abs. 1 StPO, bei der unzureichenden Gewährung von Mitwirkungsbefugnissen der Anwesenheitsberechtigten sowie Mängel in der technischen Umsetzung der Simultanübertragung l29 . a) Wirkungen auf die Beschwerderechte der §§ 304 Abs. 2, 305 S. 2 StPO Der Ausschluss bedingt zunächst den Verlust der sofortigen Beschwerderechte des Zeugen nach §§ 304 Abs. 2, 305 S. 2 StPO, sofern dessen Persönlichkeitsrecht bzw. seine Rechte auf seelische und körperliche Unversehrtheit durch die Anordnung oder die Ablehnung der getrennten Vernehmung betroffen werden. Berücksichtigt man, dass der Tatbestand des § 168 e S. 1 StPO dem Richter die Richtung der Ermessensentscheidung zu Gunsten eines Einsatzes der Videotechnik vorgibt, dann erscheint dieser Ausschluss jeglichen Beschwerderechts eigentlich widersinnig. Zwar "soll" der Richter zu Gunsten des Zeugenschutzes entscheiden, doch wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen könnte der Zeuge nicht dagegen vorgehen, dass der Ermittlungsrichter von einer Simultanvernehmung absieht. Seltsam ist auch, dass dem Zeugen zwar die Beschwerde gegen eine Anordnung oder Ablehnung einer getrennten Vernehmung nach § 168 e S. 1 StPO genommen wird, es ihm unbenommen bleibt, mit einer Beschwerde zumindest auf eine Aufzeichnung der Vernehmung hinzuwirken bzw. gerade gegen eine solche Aufzeichnung vorzugehen 130. Hinzu tritt, dass das Ermittlungsverfahren anders als das Hauptverfahren nicht an strikte Zeitpläne, insbesondere nicht an die Unterbrechungshöchstfristen des § 229 StPO gebunden ist. Die Konzentrationsmaxime findet im Ermittlungsverfahren keine Anwendung l31 . Verzögerungen, die mit einer BT-Drs. 13/7165, S. 9; BT-Drs. 13/9063, S. 4. Ausführlich SK-Wolter, § 168 e, Rn. 60,64 ff. 130 Z. T. wird eine Beschwer des Zeugen in dem Fall verneint, in dem von einer Aufzeichnung und damit von einem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Zeugen abgesehen wird, K/M-G, § 247 a, Rn. 13. Allerdings wird u. U. dann in das Recht des Zeugen auf körperliche Integrität eingegriffen, denn eine Ersetzung der unmittelbaren Vernehmung in der Hauptverhandlung nach § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO wäre möglich gewesen und unterbleibt nun mangels Vernehmungsdokumentation, SKWolter, § 168 e, Rn. 66. 128

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5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

Überprüfung der richterlichen Entscheidung verbunden sind, ließen sich durchaus hinnehmen. Wenn der Gesetzgeber hier also eine Beschleunigung des Verfahrens ins Auge fasste, so ist anzumerken, dass die Beschleunigung im Ermittlungsstadium - anders als in der Hauptverhandlung bei § 247 a S. 2 StPO - eher zweitrangige Bedeutung hat. Der Zeugenschutz gerät also völlig umsonst ins Hintertreffen. Am besten ist von einer Einschränkung der Beschwerdemöglichkeiten des Zeugen gänzlich abzusehen. Dies auch deswegen, weil der für eine Verfahrenbeschleunigung und -vereinfachung weit bedeutendere Revisionsausschluss des § 168 e S. 5 StPO kaum Wirkung entfaltet 132. Letztlich wäre der Zeuge der einzige, der sich gegen Fehler bei § 168 e S. 1 StPO, der doch gerade seinem Schutz dienen soll, nicht zur Wehr setzen kann. b) Wirkungen für eine Revision Die Einflussnahme des § 168 e S. 5 StPO auf die Revisionsmöglichkeiten der übrigen Verfahrensbeteiligten sind ausnehmend gering. Die parallele Ausgestaltung der Vorschriften der §§ 247 a und 168 e StPO gestattet im Übrigen, die zum Revisionsausschluss des § 247 a S. 2 StPO entwickelten Richtlinien in ihren wesentlichen Zügen auch auf den Revisionsausschluss nach § 168 e S. 5 StPO zu übertragen, vorausgesetzt allerdings, dass die Fehler der richterlichen Anordnung bis zum Urteil fortgewirkt haben, sich die ermittlungsrichterliche Vernehmung also als ein vorverlagertes Teilstück der Hauptverhandlung darstellt. Angreifbar wäre demnach, wenn die Voraussetzungen des Tatbestandes in § 168 e S. 1 StPO nicht vorgelegen hätten. Da auf einen vorverlagerten Teil der Hauptverhandlung die Regelungen über die Anfechtungsmöglichkeiten im Hauptverfahren sinngemäß anzuwenden sind, läge hierin eine unzulässige Einschränkung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme i. S. d. § 250 S. 1 StP0 133 . Gleichzeitig würden die Verteidigungs rechte ungerechtfertigt beschränkt, § 338 Nr. 8 StPO I34 . Im Anschluss an die Systematik Diemers l35 entfaltet der Anfechtungsausschluss seine Wirkung allein auf der Ermessensfolgenseite der Vorschrift. Nicht geltend gemacht werden kann also z. B. mit der Aufklärungsrüge, dass bei einer Vernehmung in unmittelbarer Anwesenheit aller Beteiligten das Ergebnis der Beweisaufnahme wertvoller ausgefallen wäre. 131

132 133

134 135

Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 26; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 16, Rn. 5. Dazu im Folgenden im Kapitel B.7.b). Diemer, StraFo 2000, 218. SK-Wolter, § 168 e, Rn. 62. Dazu ausführlich im 3. Teil, Kapitel B.5.b)dd).

c. Zusammenfassung

367

Die Aufstellung weiterer verbindlicher Leitlinien fallt aber schwer. In der Literatur finden sich teilweise noch Bestrebungen, dem Richter durch Festlegung einer Rangfolge der kollidierenden Rechtsgüter und Interessen Orientierungshilfen zur Seite zu stellen. So soll sich die Entscheidung nach § 168 e S. 1 StPO grundsätzlich "von dem Vorrang der Beschuldigtenrechte vor dem Zeugenschutz und dem Vorrang beider Grundrechte vor der Wahrheitserforschung leiten lassen,.J36. Allerdings sind diese Rechtsposition viel zu sehr miteinander verwoben und der Orientierungsansatz insgesamt auch viel zu vage, als dass dies einen verlässlichen Steuermechanismus für die Revisionsrechtsprechung darstellen könnte. Feststellen lässt sich damit allenfalls, dass das gesetzgeberische Ziel einer Verfahrensvereinfachung bzw. der Verfahrensklarheit mit einer Ausschlussklausel, die mehr Fragen als Antworten bietet, eindeutig verfehlt wurde und als Optimallösung eigentlich nur die Abschaffung des Anfechtungsausschlusses vorgeschlagen werden kann.

c.

Zusammenfassung

In ihrer Grundkonzeption ist die getrennte Vernehmung nach Maßgabe des § 168 e StPO eine der gelungeneren Vorschriften des Zeugenschutzgesetzes. Insbesondere im Zusammenspiel mit den Möglichkeiten einer zeitigen Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton nach § 58 a StPO gestattet sie einen fairen Ausgleich im Interessenkonflikt zwischen Verteidigungsrechten und Zeugenschutz, ohne zugleich notwendigerweise Einbußen in der Sachaufklärung in Kauf nehmen zu müssen. Mit Sicherheit wird auch im Zuge jüngster Reformbestrebungen, die das Ermittlungsverfahren zum Kernstück des Beweisverfahrens auszubauen und die Hauptverhandlung in weiten Teilen auf die Sichtung des bereits frühzeitig parteiöffentlich erhobenen Beweismaterials zu reduzieren planen, ein Ausbau dieser Vorschrift über die Aspekte des Zeugenschutzes hinaus nicht ausbleiben können. Trotz der an sich gelungenen Konzeption mangelt es in § 168 e StPO noch an einer notwendigen Klarstellung über die mindestens zu beachtenden Garantien und Teilhaberechte von Verteidigung und Beschuldigtem. Angesichts der mit den Vorbereitungen verbundenen Hektik und dem daraus resultierenden Risiko einer Fehlerhäufung ist eine solche Klarstellung im Gesetzeswortlaut dringend zu wünschen. Immerhin wäre bereits bei geringfügigen Fehlern bei den Teilhaberechten eine Ersetzung des unmittelbaren Zeugenbeweises in der Hauptverhandlung außerhalb einer einverständ136

SK-Wolter, § 168 e, Rn. 61.

368

5. Teil: Die simultan übertragene Vernehmung im Ermittlungsverfahren

lichen Lösung unmöglich und damit die Chance eines zusätzlichen Zeugenschutzes durch Rückgriff auf den nur mittelbaren Beweis vergeben. Ein verbesserter § 168 e StPO sollte dementsprechend nicht nur die zu hohe Anwendungsschwelle des Tatbestandes herabsetzen, sondern auch die Mindestgarantien einer effektiven Teilhabe für den Beschuldigten und seine Verteidigung formulieren. § 168 e V-StPO (I) 1 Ist bei einer Person unter sechzehn Jahren ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, wenn er in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird, und kann der Nachteil nicht in anderer Weise abgewendet werden, so soll der Richter die Vernehmung von den Anwesenheitsberechtigten getrennt durchführen. 2 Gleiches gilt, sofern bei Vernehmung einer anderen Person als Zeuge die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihr Wohl besteht, wenn sie in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird und die Gefahr nicht in anderer Weise abgewendet werden kann. 2 Die Vernehmung wird den Anwesenheitsberechtigten zeitgleich in Bild und Ton übertragen.

(2) 1 Die Mitwirkungsbefugnisse der Anwesenheitsberechtigten bleiben unberührt. 2 § 168 c Abs. 4 und Abs.5 S. 2 und 3 finden keine Anwendung. 3 In einem Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 1 oder 2 beantragt die Staatsanwaltschaft rechtzeitig vor Beginn der Vernehmung, dass dem Beschuldigten ein Verteidiger zur Seite zu stellen ist. (3) Die §§ 58 a, 241 a finden entsprechende Anwendung.

Verbesserungsbedürftig ist ebenfalls die geltende Regelung zur Vernehmungsdokumentation. Bislang hat der Gesetzgeber den Schritt in einen "Konservenprozess" noch nicht gewagt und es deswegen in den Protokollvorschriften auch bei den herkömmlichen, schriftlichen Dokumentationsformen belassen. Wünschenswert ist eine Regelung, welche die Videographie von Vernehmungen als wenigstens gleichwertige Protokollierungsmethode anerkennt und damit die Möglichkeit eröffnet, die Protokollführung verfahrensökonomischer und wirklichkeitsgetreuer als bisher zu gestalten. § 168 a Abs. 2 V-StPO

(2) 1 Wird die richterliche Vernehmung vollständig in Bild und Ton aufgezeichnet, so kann die unverzüglich zu erstellende Vernehmungsniederschrift auf die Wiedergabe der wesentlichen Teile der Aufzeichnung beschränkt werden (Verschriftung). 2 Die Bild-Ton-Aufzeichnung ist in diesem Fall Protokoll im Sinne dieses Gesetzes. 3 Eine bloße Verschriftung nach Satz 1 genügt jedoch nicht, wenn die Aufzeichnung in Bild und Ton insbesondere aus Gründen ihrer Qualität zur Ersetzung eines schriftlichen Protokolls nicht geeignet ist.

Die bisherigen Absätze 2 bis 4 werden die Absätze 3 bis 5.

6. Teil

Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren Das zweite große Anliegen des Zeugenschutzgesetzes ist, die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Hauptverfahren zu Gunsten des Zeugenund Opferschutzes zu lockern. In eng umgrenzten Ausnahmefällen 1 wird eine rein mittelbare Beweisführung mit audiovisuellen Vernehmungsmitschnitten gestattet. Sie sollen dem Betroffenen die Belastungen mehrfacher, streitiger Vernehmung ersparen 2 • Gleichzeitig macht sich das Gesetz mit der Videographie von Vernehmungen modeme Dokumentationsmethoden zunutze. Sie sollen - unabhängig von konkreten Zielen des Zeugenschutzes - die Qualität der mittelbaren Beweisführung verbessern 3 und eine u. U. drohende Gefahr des Beweisverlustes für die Hauptverhandlung bannen. Das audiovisuelle Beweissurrogat verspricht dabei ein so hohes Maß an Authentizität, Tatnähe und Überzeugungskraft, dass es trotz seiner Mittelbarkeit mit beachtlicher Beweiskraft ausgestattet ist. § 58 a Abs. 1 StPO räumt den Strafverfolgungsbehörden deswegen auch eine nur durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzte4 Befugnis ein, jede Zeugenvernehmung unabhängig vom Einverständnis der vernommenen Person in jedem Stadium des Verfahrens auf Videoband zu konservieren und für das nachfolgende Strafverfahren bzw. sogar darüber hinaus zur Verfügung zu halten.

Ferner wird die Phalanx der Ausnahmevorschriften in §§ 251 ff. StPO durch § 255 a StPO ergänzt, der sich sehr speziell mit der Einführung von BT-Drs. 13/7165, S. 5. Gemäß dem Regierungsvorschlag zur Strafprozessreform soll diese Regelung ausgebaut werden, Däubler-Gmelin, StV 2001, 360; Nr. 1 der Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 314; "Mehr Schutz für Opfer", Der Spiegel, Heft 1112001, 17. 3 BT-Drs. 13/7165, S. 5; zu weiteren Lockerungen der Unmittelbarkeit S. Nr. 7 der Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 316; Däubler-Gmelin, StV 2001, 361. 4 Rieß, Opfer- und Zeugenschutz in Missbrauchsverfahren, S. 123 (Fn. 39); ders., NJW 1998, 324l. I

2

24 Swoboda

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugen vernehmungen im Hauptverfahren

Videokonserven in die Hauptverhandlung befasst. Allerdings ist der Gesetzgeber hier ähnlich zurückhaltend ans Werk gegangen, wie dies bereits zuvor für den Bereich der Simultanvernehmung in Haupt- und Vorverfahren zu vermerken war. Sein Leitbild des schutzbedürftigen Zeugen orientiert sich nunmehr prinzipiell an der Altersgrenze von 16 Jahren und an bestimmten Deliktstypen, namentlich Gewalt- und Sexualstraftaten, wie § 255 a Abs. 2 StPO beweist. Ansonsten knüpft § 255 a Abs. 1 StPO nur an die aus §§ 251 ff. StPO längst bekannten Ersetzungstatbestände an. Auf den ersten Blick erscheinen die §§ 58 a und 255 a StPO recht unkompliziert. Zumindest wird ihre Verwendung - anders als bei §§ 247 a und 168 e StPO - nicht durch erhebliche Auslegungs- und Subsumtionsschwierigkeiten dominiert. Doch auch hier ist vieles vage, etwa bei der Frage der Akteneinsicht in die Vernehmungsaufzeichnung oder bei der Frage, wozu diese gemäß § 58 a Abs. 2 StPO genutzt werden darf. Außerdem gerät durch die Videodokumentation das Persönlichkeitsrecht des Vernommenen ständig mit elementaren Informationsansprüchen des Beschuldigten und mit dessen Recht auf eine gut vorbereitete, effektive Verteidigung 5 in Konflikt. Die Ersetzung des unmittelbaren Zeugenbeweises in der Hauptverhandlung kann weiter das Gebot der Veifahrensfaimess verletzen, gegen die Unschuldsvermutung verstoßen. Eine Ersetzung steht zudem der effektiven Gewährleistung von Konfrontations- und Fragerechten und vielleicht sogar dem rechtsstaatlichen Interesse an einer lückenlosen Sachaufklärung entgegen6 . Auf der anderen Seite gestattet die mittelbare Beweisführung den Opfern, frühzeitig Abstand zu der Tat zu gewinnen. Der therapeutische Verarbeitungsprozess der traumatischen Ereignisse wird beschleunigt7 . Die friedens stiftende Funktion des Strafverfahrens tritt - wenigstens im Hinblick auf die Bedürfnisse des Verletzten - früher ein. Zeugen- und Opferschutz durch mittelbare Beweisführung mit Videokonserven ist begreiflicherweise ein äußerst konfliktbeladenes Thema. Nicht unverständlich daher, dass der Gesetzgeber noch in der Gesetzesbegründung zum Zeugenschutzgesetz deutlich herausgestellt hat, in seiner Konzeption sollten und würden Bild-Ton-Aufzeichnungen auch "zukünftig die Ausnahme sein"s. Eine Regelung, die bewusst und gewollt an sehr enge Voraussetzungen anknüpft, soll sicherstellen, dass die vorgenommenen Welp, Peters-Fs. 315 f. Statt vieler Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 106. 7 Mildenberger, Die Einführung von Videoaufzeichnungen, 52; Däubler-Gmelin, StV 2001, 360; "Mehr Schutz für Opfer", Der Spiegel, Heft 11/2001, 17. 8 BT-Drs. 13/7165, S. 5. 5

6

6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

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Gesetzesänderungen "nicht als Einstieg für eine regelmäßige Videoaufzeichnung aufgefasst wird und sich das Abspielen von Videobändern in der Hauptverhandlung nicht zum Normalfall entwickelt,,9. § 255 a Abs. 2 StPO wurde überhaupt erst spät in den Gesetzesentwurf eingebracht. Der Bundesrat hatte sich damit erst nach Zusammentreten des Vermittlungsausschusses gegen die Bundesregierung durchsetzen können JO • Vor diesem Hintergrund versetzt dann doch ein wenig in Erstaunen, wie bereitwillig die Bundesregierung dann kaum drei Jahre später in ihren Reformvorhaben den Schritt zur Durchbrechung des Unmittelbarkeitsprinzips für die Hauptverhandlung als Regelfall des Strafverfahrens zu gehen plantli, und überdies mit Begründungsansätzen, die sich im Wesentlichen in verfahrensökonomischen Gesichtspunkten erschöpfen, also in Aspekten, denen im Vergleich zu Fragen des Opfer- und Zeugenschutzes weit weniger Gewicht zukommt. Der anfangs nur so zögerlich akzeptierte § 255 a Abs. 2 StPO scheint bei diesen Reformplänen sogar so etwas wie eine Vorbildfunktion übernommen zu haben, insbesondere was die Idee angeht, die streitige Beweiserhebung nahezu abschließend in das Ermittlungsverfahren vorzuverlegen und dafür die Mitwirkungsrechte dort zu stärken. Ob sich der gegenwärtige Trend zur Verfahrensökonomie und Verfahrensbeschleunigung auf Kosten traditioneller Strukturen der Hauptverhandlung durchsetzen kann, wird sich noch zeigen. Im Übrigen ist aber zweifelhaft, ob diese Einschnitte in die Unmittelbarkeit des Beweisverfahrens die Hauptverhandlung tatsächlich beschleunigen können. Mitunter wird hier nur die unmittelbare Einvernahme des Zeugen durch die ebenfalls zeitraubende Einspielung des mittelbaren Beweises ersetzt und im Fall einer Kontroverse über Glaubwürdigkeit und Wert der reproduzierten Aussage mag sogar zusätzlich eine persönliche Anhörung des Zeugen notwendig werden 12. Anstatt also die gesetzlichen Möglichkeiten zur Durchbrechung der Unmittelbarkeit mit ungewissem Erfolg weiter auszubauen, sollte vielmehr die Strafverfolgungspraxis dazu angehalten werden, sich in größerem Umfang auf das nicht ganz so heikle Feld der Aussagedokumentation zur Beweissicherung konzentrieren. Nicht nur, dass auf diesem Gebiet die Interessen BT-Drs. 13/7165, S. 6. BR-Drs. 933/1/97, S. 2, 5; zum Gang des Gesetzgebungsverfahrens 2. Teil, Kapitel A. 11 Dazu Nr. 7 der Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 316; Bittmann. DRiZ 2001, 121; DAV, AnwBI 2001,41 f.; DAV, Stellungnahme zu den Eckpunkten einer Reform des Strafrechts, Mai 2001,3 f.; Salditt. StV 2001, 312; die Reformpläne wurden bereits im Exkurs im 5. Teil, Kapitel B.4.d) dargestellt. 12 Zur Beschleunigung des Strafverfahrens durch sog. "Konservenprozesse" vgl. die Kritik im 2. Teil, Kapitel C.3 und im 5. Teil, Kapitel B.4.d). 9

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24*

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

von Zeugenschutz, Sachaufklärung und effektiver Verteidigung seltener in Konflikt geraten, das Gesetz hat hier längst ein sehr umfassendes, vielleicht sogar ein zu weit geratenes, Instrumentarium an Dokumentationsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, das die Praxis aber bislang nicht oder nur spärlich nutzt 13 . Die sorgfältige Vernehmungsdokumentation schließt nicht nur eine Beweislücke, wenn das unmittelbare Beweismittel aus unterschiedlichen Gründen für die Hauptverhandlung ausfällt, sie gestattet sogar, Entstehung und Entwicklung einer belastenden Aussagen über einen längeren Zeitraum hinweg nachzuvollziehen und somit unzulässige EinfIussnahmen und Verfälschungen des Aussageinhalts aufzudecken l4 . Doch die lustizbehörden zeigen wenig Begeisterung, wo es um die Anfertigung solcher Aufzeichnung geht, und dies nicht, weil u. U. das Selbstbestimmungsrecht des Zeugen entgegenstehen könnte l5 • Auffallend ist auch, dass Video aufzeichnungen von Vernehmungen immer noch nur mit bestimmten Zeugengruppen in Verbindung gebracht werden, namentlich mit kindlichen Opfern von Sexual- und Gewaltdelikten, bei denen schon § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO zur audiovisuellen Dokumentation und darüber hinaus § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO zur Ersetzung des unmittelbaren Beweises in der Hauptverhandlung drängen. Z. T. sollen geeignete Aufnahmegeräte fehlen bzw. deren Bedienung soll kompliziert und zeitaufwendig sein. Damit aber liegen technische Möglichkeiten brach, die etwa in Fällen mit Auslandsbezug, bei umfangreichen Aussagen oder bei der Aufschlüsselung inhaltlich komplizierter Sachverhalte gute Dienste leisten würden.

A. Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton Das Zeugenschutzgesetz gestattet audiovisuelle Vernehmungsdokumentationen in drei verschiedenen Tatbeständen, namentlich in § 58 a Abs. 1, § 168 e S. 4 und in § 247 a S. 4 und 5 StPO. Das Verhältnis dieser Aufzeichnungsbefugnisse zueinander ist bislang noch nicht abschließend geklärt l6 , unverkennbar aber ist die Basisvorschrift in § 58 a StPO zu finDazu der Bericht aus den Bundesländern im 2. Teil, Kapitel E. Lehrreich der Bericht von Schaden über die inhaltliche Entwicklung der Kinderaussagen in den Wormser Missbrauchsverfahren, StV 2000, 165 ff. 15 Bedenken hinsichtlich eines Eingriffs in Persönlichkeitsrechte des Vernommenen vernimmt man seltener, obwohl tatsächlich nur dieses Interesse rechtlich einer audiovisuellen Beweisdokumentation als Regelfall entgegensteht. Die Videoaufzeichnung darf niemals unreflektiert zur Anwendung kommen, sondern nur im Bedarfsfall; dazu im Kapitel A.l.b )aa)(1). 13 14

A. Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton

373

den 17, auf den die beiden anderen Tatbestände ausdrücklich verweisen. Von § 58 a StPO wird bei der folgenden Erörterung also auszugehen sein.

1. Vernehmungsdokumentation auf der Grundlage des § 58 a StPO Vor Inkrafttreten des Zeugenschutzgesetzes war der mit einer Bild-TonDokumentation verbundene Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Zeugen nur mit dessen Einwilligung gestattet l8 . Das Zeugenschutzgesetz hat dem Zeugen nun nach längerer Diskussion 19 eine Duldungspflicht für Eingriffe in das Recht am eigenen Wort und Bild auferlegt. Diese Duldungspflicht stellt § 58 a StPO mit folgendem Wortlaut klar: § 58 a StPO (1) 1 Die Vernehmung eines Zeugen kann auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet werden. 2 Sie soll aufgezeichnet werden

1. bei Personen unter sechzehn Jahren, die durch die Straftat verletzt worden sind, oder 2. wenn zu besorgen ist, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 16 In der Kommentarliteratur geht man davon aus, dass § 58 a StPO für alle richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen gilt. § 168 e S. 4 StPO wäre dann nur eine Verweisungsnorm ohne eigenständigen Befugnisinhalt. § 247 a S. 4 StPO dagegen sei eine für die Hauptverhandlung geltende Sondervorschrift, was sich insbesondere daraus ableiten ließe, dass ihre Voraussetzungen gegenüber § 58 a StPO enger formuliert sind; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 22; K/M-G, § 58 a, Rn. 2; § 168 e, Rn. 9; Rieß, NJW 1998, 3241; ders .. StraFo 1999, 3; Senge. JR 1998, 312; KK-Wache, § 168 e, Rn. 9; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 930 f.; für ein Verständnis des § 168 e S. 4 StPO als eigenständige Befugnisnorm dagegen Leitner, StraFo 1999, 46; Schmoll nimmt einen rein deklaratorischen Charakter des § 247 a S. 4 StPO an, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 112 f. 17 WeiderlStaechelin, StV 1999, 52. 18 Z. T. wurde zwar versucht, eine gegen die Einwilligung des Zeugen erfolgende Aufzeichnung durch § 24 des KunstUrhG zu legitimieren, doch ist diesem Ansatz zu widersprechen. § 24 KunstUrhG berechtigt die Behörden "für Zwecke der Rechtspflege und der öffentlichen Sicherheit" Bildnisse ohne Einwilligung des Berechtigten sowie des Abgebildeten oder seiner Angehörigen zu vervielflHtigen, verbreiten und öffentlich zur Schau zu stellen, behandelt also die Frage der Herstellung überhaupt nicht, sondern nur die Frage der Verwendung einer bereits existierenden Abbildung des Betroffenen. Für eine Legitimierung des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Zeugen durch § 24 KunstUrhG plädierten dennoch Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 145 ff., und Meier, RdJB 1996, 455 f. Eine rein deklaratorische Bedeutung des § 58 a StPO behaupten ferner Griesbaum, NJW 1998,439, und Diemer, NJW 1999, 1672. 19 BT-Drs. 13/7165, S. 5 und 6; Rieß, StraFo 1999,2.

374

6. Teil: Videodokumentierte Zeugen vernehmungen im Hauptverfahren

(2) Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für die Zwecke der Strafverfolgung und nur insoweit zulässig, als dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. § 110 b Abs. 6, §§ 147 und 406 e finden entsprechende Anwendung.

Ergänzt wird die Regelung mittlerweile durch den Versuch einer Konkretisierung in Nr. 19 Abs. 2 RiStBV, doch diese Richtlinie erschöpft sich in sehr allgemeinen und größtenteils auch selbstverständlichen Anleitungen, die kaum etwas zur Klärung der tatsächlich interpretations bedürftigen Punkte in § 58 a StPO beitragen können. § 58 a StPO gliedert sich in einen Befugnistatbestand, der die Vernehmungsaufzeichnung gestattet, sowie eine Regelung, welche die Verwendbarkeit der Aufzeichnung begrenzt, d.h. ihre Vorführung angesichts der damit verbundenen Perpetuierung des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Zeugen außerhalb der Ziele der Strafverfolgung sowie zu Zwecken, die nicht der Wahrheitserforschung dienen, unterbindet.

Ist die Videoaufzeichnung zur Strafverfolgung nicht mehr erforderlich, so ist sie in entsprechender Anwendung des § 100 Abs. 6 StPO unter der Aufsicht der Staatsanwaltschaft zu vernichten. Über die Vernichtung ist eine Niederschrift anzufertigen. Auf die Aufzeichnung finden die Vorschriften über die Akteneinsicht des Verletztenbeistands nach § 406 e StPO sowie die des Verteidigers nach § 147 StPO uneingeschränkt Anwendung. Bereits im Gesetzgebungsverfahren hat letzteres zu Meinungsverschiedenheiten geführt 2o • Und mittlerweile konzentrieren sich neue Gesetzesentwürfe der Länder und des Bundesrates darauf, durch Einschränkungen insbesondere beim Mitgabeanspruch des Verteidigers nach § 147 Abs. 4 StPO dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen noch mehr Schutz zukommen zu lassen 21 • a) Geltungs- und Anwendungsbereich der Vorschrift § 58 a StPO ermächtigt zu Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht des Zeugen, auch wenn seine Zustimmung zu einer Vernehmungsdokumentation nicht zu erlangen ist22 • Dokumentiert werden die Aussage, die Aussageumstände sowie das aussagebegleitende Verhalten. Allerdings ist die so geschaffene Aufzeichnung von einem Protokoll i. S. d. §§ 168, 168 a StPO 20 Vgl. den Bundesratsvorschlag eines § 147 Abs. 5 StPO, BT-Drs. 13/4983, S. 3 und 5, und die Kritik der Bundesregierung, BT-Drs. 13/4983, S. 9. 21 Kapitel A.1.e)cc); BR-Drs. 507/99, S. 2, Anlage, S. 1, 8 f., BT-Drs. 14/4661, S. 7, 10 f. 22 Für ein Einwilligungserfordernis de lege ferenda plädierte allerdings die Mehrheit auf dem 62. DJT, NJW 1999, 121.

A. Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton

375

streng zu unterscheiden, denn Protokoll ist und darf der Vernehmungsmitschnitt nach geltendem Recht gerade nicht sein23 . § 58 a StPO gilt für alle richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen 24 . Dass er aber auch Aussagen vor der Polizei erfasst, muss bezweifelt werden. Dies nicht nur, weil die notwendige Verweisung in § 163 a Abs. 5 StPO auf § 58 a StPO fehlt, sondern weil das Erscheinen des Zeugen oder seine Aussage vor der Polizei ohnehin nicht erzwungen werden können 25 . Vor der Polizei wird eine Dokumentation daher nur mit Einwilligung des Zeugen erfolgen können. § 58 a StPO hat dann allerdings immer noch Richtliniencharakter26 . Nicht anwendbar ist § 58 a StPO für die "Vernehmung" bzw. "Exploration" durch einen Sachverständigen, denn diese Form der Einvernahme unterfällt ohnehin nicht dem Vernehmungsbegriff des § 58 aStPO. "Vernehmung" i. S. d. der Strafprozessordnung ist eine Befragung, die von einem Staatsorgan in amtlicher Funktion mit dem Ziel durchgeführt wird, eine unter strafverfahrensrechtlichen Gesichtspunkten verwertbare Aussage zu gewinnen27 . Die gutachterliche Exploration ist aber gerade nicht auf die Aufklärung des Sachverhalts unter strafrechtlichen Gesichtspunkten gerichtet, sondern soll solche Befundtatsachen aufdecken und untersuchen, die nur vermöge besonderer Sachkunde wahrgenommen, verstanden und beurteilt werden können 28 . Der Sachverständige vermittelt nur die Sachkunde, die dem Richter zum Verständnis der vorliegenden Beweise und zur prozessförmigen Feststellung des Sachverhalts fehlt. Eine Befragung durch den Sachverständigen ist damit niemals "Vernehmung" im förmlichen Sinn29, sie kann allerdings in eine staatsanwaltschaft23 BT-Drs. 13/4983, S. 10; BT-Drs. 13/7165, S. 6; SK-Wolter. § 168 e, Rn, 59; K/M-G, § 58 a, Rn. 9; trotzdem kann Rogall nicht widersprochen werden, wenn er die Dokumentationsfunktion ihrem Sinn nach auch als Protokollfunktion beschreibt, denn gerade um die Vernehmung authentisch reproduzieren zu können wird die Dokumentation angefertigt, SK-Rogall. § 58 a, Rn. 2; zu der Frage der Protokolleigenschaft S. 5. Teil, Kapitel B.5. 24 Für die staatsanwaltschaftliche Vernehmung verweist § 161 a Abs. 1 S. 2 StPO auf § 58 aStPO; Rieß, NJW 1998,3241; K/M-G, § 58 a, Rn. 2; SK-Rogall. § 58 a, Rn. 2. 25 Rieß. StraFo 1999, 3; noch unschlüssig Seitz. JR 1998, 312; K/M-G, § 58 a, Rn. 2; Weider/Staechelin, StV 1999,52; a.A. KK-Senge. § 58 a, Rn. 3. 26 Schlothauer. StV 1999, 47; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 930 f; ausführlich Schmoll. Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 113 ff. Zu beachten ist, dass der Polizei keine Belehrungspflicht über die Freiwilligkeit der Mitwirkung bei einer Vernehmungsaufzeichnung obliegt, genauso wenig, wie es eine Belehrungspflicht über die Freiwilligkeit des Erscheinens und der Aussage bei der Polizei an sich gibt; Rieß, StraFo 1999, 3; SK-Rogall. § 58 a, Rn. 3. 27 BGHSt. 40, 211 (213); 42, 139 (145); Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 115. 28 Geppert. Jura 1993, 250; KK-Senge, Vor § 72, Rn. 2 ff.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

liche Untersuchung nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 StPO eingebunden sein. In diesem Fall wird dem Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft gestattet, der Vernehmung des Zeugen beizuwohnen und sich bei diesem Anlass auch unmittelbar mit Fragen an diesen zu wenden 30 . § 58 a StPO findet dabei uneingeschränkt Anwendung. b) Die Dokumentationsmodalitäten des § 58 a Abs. 1 StPO § 58 a Abs. I StPO gliedert sich in drei unterschiedliche Ermächtigungsgrundlagen. Einmal in die nahezu universelle "Kann-Regelung" des Satz I und in die spezielleren, wenn auch inhaltlich immer noch sehr weit gefassten "Soll-Vorschriften" des Satz 2.

Der Gesetzgeber hat durch diese Differenzierung den zeugenschützenden Aspekten des § 58 a Abs. 1 StPO gezielt beweissichernde Elemente beigemischt. Dies allerdings um den Preis der Gesetzesklarheit, denn ähnlich wie in § 247 a S. 1 StPO kommt es auch bei § 58 a Abs. 1 StPO zu Überschneidungen im Anwendungsbereich der Befugnisnormen. Gleichzeitig müssen die Regelungen untereinander harmonisiert und mit den Grundrechtspositionen des Zeugen in Einklang gebracht werden, was mitunter danach verlangt, einschränkende Tatbestandsmerkmale einer Variante auf die beiden anderen zu übertragen. aa) Die Fakultativermächtigung des § 58 a Abs. 1 S. 1 StPO

Die Generalermächtigung in Abs. 1 Satz 1 gestattet, nahezu voraussetzungslos jede Vernehmung eines Zeugen auf Videoband aufzuzeichnen. Es bedarf zu dieser Maßnahme weder einer besonderen Bedrohungs- oder Gefährdungssituation noch der Notwendigkeit, Beweise für das spätere Verfahren zu sichern. Auch auf die Belange des Zeugen ist - jedenfalls nach dem Wortlaut - keine Rücksicht zu nehmen. (1) Notwendige Orientierung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit

Diese schrankenlose Weite der Norm verblüfft, nicht zuletzt auch deswegen, weil die ohne besonderen Anlass angefertigte Videokonserve für das Verfahren kaum Wert hat. Sie kann nach geltendem Recht weder die in 29 KMR-Paulus, Vorb. § 72, Rn. 37; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 115. 30 Schlothauer, StV 1999, 48 (Fn. 9); Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 930 f.; Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 116 ff.

A. Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton

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§§ 168, 168 a StPO geforderte Vernehmungsniederschrift ersetzen noch ist damit zu rechnen, dass sie in Ersetzung des unmittelbaren Beweises gemäß § 255 a StPO in der Hauptverhandlung benötigt würde 3!.

Da mit einer Aufzeichnung aber gleichzeitig massive Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Vernommenen verbunden sind, ist eine verfassungskonforme, d.h. streng am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte Auslegung des § 58 a Abs. 1 S. 1 StPO unentbehrlich. Mit Rogall wird zu fordern sein, dass die Aufzeichnung wenigstens zweckmäßig sein muss, und sei es auch nur zur Erstellung einer Niederschrift oder als Gedächtnisstütze für die Ermittier. Auf keinen Fall darf sich die Aufzeichnung aber als "unreflektierter Standard" etablieren 32 . Im Grunde enthält aber auch diese Einschränkung durch das Kriterium der Zweckmäßigkeit kaum etwas anderes als das, was bereits in früheren Gesetzgebungsentwürfen in der Einschränkung, dass "die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit unerlässlich,,33 sein muss, zum Ausdruck kam. Bietet die Situation also keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine Dokumentation der Aussage in Bild und Ton notwendig ist, sei es um Inhalte besser verfolgen, innere Widersprüche leichter aufdecken oder den Zeugen bei wechselnden Einlassungen mit seinen früheren Angaben konfrontieren zu können, so darf eine Aufzeichnung in verfassungskonformer Reduktion des Tatbestandes nicht erfolgen. Einen dennoch sinnlos angeordneten Vernehmungsmitschnitt könnte der Zeuge gegebenenfalls anfechten. Bei der ermittlungsrichterlichen Anordnung hat er die Beschwerde nach § 304 Abs. 2 StPO und im Fall der Anordnung durch die Staatsanwaltschaft kann er in analoger Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO die richterliche Entscheidung beantragen34 . (2) Bemerkungen zur Dokumentationstechnik Zur Form der Vernehmungsaufzeichnung enthält das Gesetz keine Angaben. Allerdings wird in Nr. 19 a Abs. 2 S. 2 RiStBV darauf hingewiesen, BT-Drs. 1317165, S. 6; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 108. SK-Rogall, 58 a, Rn. 11. 33 BT-Drs. 1317165, S. 3. 34 Da auch gegen Grundrechtseingriffe durch die Staatsanwaltschaft ein umfassender Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG und damit die Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung gegeben sein muss, findet § 98 Abs. 2 S. 2 StPO bei Zwangsmaßnahmen, welche die Staatsanwaltschaft kraft Originärkompetenz trifft, entsprechende Anwendung, Roxin, Strafverfahrensrecht, § 29, Rn. 8; OLG Stuttgart, StV 1988, 424; OLG Oldenburg, NStZ 1990, 504, m. Anm. Katholnigg; OLG Braunschweig NStZ 1991, 551; a.A. AK-Aschenbach, § 163, Rn. 36; Beulke, Strafprozessrecht. Rn. 323. 31

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

dass die vernehmende Person und der Zeuge gemeinsam und zeitgleich in Bild und Ton aufgenommen werden sollen und - im Fall des § 52 StPO auch die Belehrung und die Bereitschaft des Zeugen zur Aussage dokumentiert werden sollen. Der Beweiswert der Aufzeichnung ist außerdem höher, wenn auch das informatorische Vorgespräch festgehalten wird, sofern ein solches überhaupt stattfindees. Verkürzte oder nur abschnittsweise mitgeschnittene Aussagereproduktionen sind aufgrund der ihnen innewohnenden Missbrauchsgefahr zu meiden. In einer späteren Hauptverhandlung hätten sie aufgrund des hohen Risikos einer verfälschten Gesprächswiedergabe ohnehin keinen oder einen nur sehr geringen Beweiswert36 . Außerdem würde die Verlässlichkeit und Authentizität, die doch gerade den Vorzug einer Dokumentation in Bild und Ton gegenüber allen anderen Dokumentationsmethoden begründet, erheblich leiden. Vorwürfe, die Aufzeichnung sei geschnitten worden, lassen sich leichter entkräften, wenn auf der Aufzeichnung ständig die Uhrzeit eingeblendet ist. Der Timer des Aufzeichnungsgeräts sollte genügen. Besser aber wäre noch, wenn die aufgenommenen Personen so vor einer Uhr im Vernehmungszimmer positioniert werden, dass deren Zeit anzeige fortwährend im Hintergrund mit aufgezeichnet ist. Im Übrigen sind die bereits geschilderten technischen Anforderungen an eine Simultanübertragung auf die Aufzeichnung zu übertragen 37 . bb) Die Aussage eines jugendlichen Zeugen und § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO

Die Spezialermächtigung des § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO geht auf eine Initiative des Bundesrates zurück, dem die vorhergehenden Entwürfe der Bundesregierung, die sich allein mit dem Ziel der Videoaufzeichnung zum Zwecke der Beweissicherung befasste, nicht genügte 38 . In erster Linie dient § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO aber auch weiterhin dem Ziel der Beweissicherung, denn dass dem Opferzeugen unter 16 Jahren die Mehrfachvernehmung und insbesondere die Vernehmung in der Hauptverhandlung erspart werden könnte, kann diese Alternative allein nicht si35 Leitner, StraFo 1999, 47; a. A. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 930 p. 36 Zurückhaltend bereits Rieß, StraFo 1999, 3; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 930 p; gänzlich abgelehnt von Leitner, StraFo 1999,47. 37 Dazu unter 3. Teil, Kapitel B.3.a) und 5. Teil, Kapitel B.6. 38 BR-Drs. 933/1/97, S. 2, BT-Drs. 1317165, S. 3.

A. Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton

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ehersteIlen. Dazu bedürfte es des Zusatzes, dass der Beschuldigte und sein Verteidiger Gelegenheit zur Mitwirkung an der aufgezeichneten Vernehmung haben müssen. Nur so könnte das Videoband unabhängig von Beweissicherungszwecken nach § 255 a Abs. 2 S. I StPO Eingang in die Hauptverhandlung finden 39 . Diese notwendigen Zusätze aber fehlen. Daher ist auch eine nach § 58 a Abs. I S. 2 Nr. 1 StPO erstellt Aufzeichnung zunächst immer nur Mittel der Beweissicherung. Ihr Nutzen in der Hauptverhandlung orientiert sich an § 255 a Abs. 1 StPO, also daran, ob anderweitig die Gefahr eines Beweisverlustes droht oder sich alle Beteiligten mit der Vorführung des Bandes einverstanden erklärt haben. In Abgrenzung zur Beweissicherungsalternative der Nr. 2 erschöpft sich der eigenständige Regelungsbereich des § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO im Wesentlichen in einer gesetzlichen Vennutung des Inhalts, dass bei einem Zeugen, der aus der Straftat verletzt wurde und der das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, regelmäßig ein Risiko besteht, dass er für eine Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht mehr zur Verfügung stehen wird, sei es, dass er den Belastungen nicht standhalten kann oder auch nur, dass die Eltern ihn für weitere Vernehmungen sperren. Bezogen auf den Ersetzungstatbestand des § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO beinhaltet § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO ferner die Vermutung, dass in bestimmten Kriminalitätsbereichen die Opferwerdung und das anschließende Verfahren eine solche belastende, u. U. sogar traumatisierende Wirkung auf den Jugendlichen haben werden, dass ihm eine Vernehmung in der Hauptverhandlung am besten erspart werden soll. Allerdings ist auch diese Erwartung in ihren wesentlichen Zügen von Beweissicherungszielen geprägt, denn die unter großen Belastungen zustande gekommene Aussage in der Hauptverhandlung ist möglicherweise aufgrund ihres zeitlichen Abstandes zur Tat und bedingt durch die akute Stresssituation inhaltlich weniger aufschlussreich als das früher erstellte Beweissurrogat. Wenn § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO aber nur eine besondere Ausformung des Beweissicherungstatbestandes in Nr. 2 darstellt, dann ist auch die einschränkende Wertung dieser Beweissicherungsalternative, namentlich dass die Aufzeichnung "zur Erforschung der Wahrheit erforderlich" sein muss, auf § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO zu übertragen. Besteht kein Anlass zu vermuten, dass eine Aufzeichnung später noch zu Zwecken der Beweisführung - gemeint ist insbesondere eine Beweisführung nach § 255 a Abs. 2 StPO - oder zur Beweissicherung vonnöten sein wird, dann hat der 39 Nicht zuzustimmen ist damit der in der gängigen Kommentarliteratur üblichen Unterteilung in eine rein zeugenschützende Alternative nach Satz 2 Nr. I und eine Dokumentation zu Beweissicherungszwecken nach Satz 2 Nr. 2; vgl. nur K/M-G, § 58 a, Rn. 6 f.; z. T. auch SK-Rogall, § 58 a, Rn. 13.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

jugendliche Opferzeuge den mit der Aufzeichnung sein Selbstbestimmungsrecht auch nicht zu dulden. Fällen geringfügiger Alltagskriminalität, etwa bei oder kleineren Vergehen, für eine Dokumentation den Willen des Zeugen regelmäßig kein Raum40 .

verbundenen Eingriff in So ist beispielsweise in Straßenverkehrsdelikten in Bild und Ton gegen

ce) Beweissicherung nach § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO Raum ist für eine Aufzeichnung von Zeugenvernehmungen als Regelfall tatsächlich nur dann, wenn für die Strafverfolgungsorgane Anlass zu der Annahme besteht, dass auf die Dokumentation im späteren Verfahren aus Gründen der Beweissicherung nicht verzichtet werden kann. § 244 Abs. 2 StPO verlangt, die Beweisaufnahme auf alle diejenigen Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Diese bedeutet nicht nur, dass vorhandene mittelbare Beweise überhaupt vorgelegt werden müssen, sie müssen auch in unverfalschter, wirklichkeitsgetreuer Form vor Gericht reproduziert werden, so dass das Gericht auf der Grundlage dieses Beweismaterials eine gerechte und materiell richtige Entscheidung treffen kann. Die Videoaufzeichnung bürgt hier für ein Optimum an Authentizität.

Woran muss sich die Vorhersage eines eventuellen Beweisverlustes orientieren? Der Katalog des § 251 StPO nennt die wichtigsten Anhaltspunkte, auch wenn die Gründe für ein Nichterscheinen des Zeugen weit vielfältiger sein können 41 . In Betracht kommt eine Aufzeichnung beispielsweise, wenn der Zeugen schwer erkrankt ist oder wenn mit seinem Abtauehen bzw. seiner Ausreise oder auch seiner "Sperrung" gerechnet werden muss42 . An Leib und Leben bedrohte Personen können so sehr früh zum Sachverhalt vernommen und unmittelbar danach in Zeugenschutzprogramme eingegliedert werden, welche sie u. U. dem Zugriff des Gerichts entziehen 43 . Hinzuweisen ist auch auf Nr. 248 Abs. 1 RiStBV. Dort wird für die Vernehmung von Prostituierten eine möglichst unverzügliche, richterliche Vernehmung empfohlen, da die Frauen erfahrungsgemäß ihre Aussage gegen den Zuhälter aus Angst nicht lange aufrecht erhalten oder zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr erreichbar sind. Auf Videoaufzeichnungen wird hingewiesen. 40 Rieß, StraFo 1999, 2; ders., Opfer- und Zeugen schutz in Missbrauchsverfahren, S. 123. 41 HK-Lemke, § 58 a, Rn. 8. 42 WeiderlSteachelin, StV 1999,51 ff.; Griesbaum, NJW 1998,439. 43 Janovsky, Kriminalistik 1998,453.

A. Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton

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In einigen Krirninalitätsbereichen ist nahezu regelmäßig mit der Rückkehr des Zeugen in sein Heimatland zu rechnen, etwa im Bereich der Schlepper- und Schleuserkriminalität, des Menschenhandels oder bei Verfahren aus den Bereichen Drogen und Prostitution. Regelmäßig stehen die Zeugen nach ihrer Abschiebung respektive Abreise den Strafverfolgungsbehörden für weitere Vernehmungen nicht mehr zur Verfügung, was nicht nur eine Verschlechterung der Beweislage, sondern auch problematische Verfahrensverzögerungen mit sich bringen kann. Letzteres vor allem, wenn sich die frühe Vernehmung am Anfang des Ermittlungsverfahrens im Laufe weiterer Ermittlungen als nicht vollständig erweist44 • Der Gesetzgeber wird z. T. dafür kritisiert, dass er im Regelungskomplex der §§ 58 a, 255 a StPO den sehr sensiblen und streitigen Bereich der mittelbaren Beweisführung bei Strafverfahren wegen Delikten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität mitgeregelt hat, anstatt sich nur auf die ursprüngliche Idee des Kinderzeugenschutzes zu konzentrieren45 . Die Befürchtung, verfassungsrechtlich garantierte Beschuldigtenrechte und elementare Prozessprinzipien könnten den Zielen einer effektiven Verbrechensbekämpfung geopfert werden, hat sich allerdings nicht bewahrheitet. Ganz im Gegenteil ist festzustellen, dass die Beweissicherung nach § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO in den Strafverfolgungsbehörden wenig Beachtung findet 46 , und zwar auch dann, wenn tatsächlich ein Beweisverlust zu befürchten ist und deswegen eine plastische, vollständige Aussagedokumentation im Interesse aller Beteiligten wäre. Andererseits muss die Aufzeichnung immer noch "zur Erforschung der Wahrheit erforderlich" sein. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Zeugen ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Schwere des Tatvorwurfs, der beweisrechtliche Vorteil, den eine audiovisuelle Dokumentation gegenüber einer reinen Niederschrift verspricht, sowie die Bedeutung der Aussage für die Aufklärung der Tat eine Videoaufzeichnung trotz der Gefahr von Rechtseinbußen des Zeugen gebieten47 • 44 Renzikowski, ZRP 1999, 57; zum Bereich der Zwangsprostitution vgl. Caesar, NJW 1998, 2318. Mit einer Abschiebung wird selten gewartet, denn §§ 49 ff. AuslG messen der Durchsetzung der Ausreisepflicht eines sich illegal auf dem Gebiet der Bundesrepublik aufhaltenden Ausländers große Bedeutung zu. Angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass eine kontradiktorische Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht stattfinden wird, sollte eine ermittlungsrichterliche Vernehmung erfolgen, bei der dem Verteidiger und dem Beschuldigtem die Anwesenheit nach § 168 c Abs. 2 StPO gestattet wird. Setzt die Konfrontation mit den Anwesenheitsberechtigten dem Zeugen zu sehr zu, kommt eine simultan übertragene Vernehmung nach § 168 e StPO in Betracht. 45 Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 110 f. 46 Dazu der Länderbericht im 2. Teil, Kapitel E. 47 Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 120 f.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

Ferner darf auch eine "erforderliche" Aufzeichnung dann nicht erfolgen, wenn sie absolute Grundrechtspositionen des Zeugen berührt. Eine Dokumentation, durch die Gefahren für Leib und Leben des Zeugen gerade begründet würden, muss folglich unterbleiben 48 . c) Zur Durchsetzbarkeit der Duldungspflicht

mit Zwangsmaßnahmen

Können Zwangsmaßnahmen i.S.d. §§ 51, 70 StPO angeordnet werden, wenn sich der Zeuge weigert, die Bild-Ton-Aufzeichnung zu dulden? Z. T. wird dies mit dem Hinweis bejaht, die allgemeinen Zeugenpflichten wären durch § 58 a Abs. 1 StPO um ein Gebot zur Duldung der Vernehmungsaufzeichnung erweitert worden, so dass die Ordnungsmittel nach §§ 51, 70 StPO uneingeschränkt Anwendung finden müssten49 . Ferner wird berechtigt geltend gemacht, der Zeuge könne sich auch nicht gegen herkömmliche Formen der Protokollierung, insbesondere nicht gegen eine vorläufige Tonbandaufzeichnung gemäß § 168 a Abs. 2 S. 1 StPO zur Wehr setzen50 . Auf der anderen Seite wird ein nur widerwillig kooperierender Zeuge aber kaum bereit sein, wirklich relevante Informationen vor der Kamera preiszugeben, vor allem dann nicht, wenn diese seine Privat- und Intimsphäre betreffen. Eine Drohung mit bzw. ein Rückgriff auf die vorgenannten Zwangsmittel kann sich als äußerst kontraproduktiverweisen s1 . Gerade bei einer sehr weit formulierten Befugnisnorm, wie sie § 58 a Abs. 1 StPO enthält, ist nicht nur die anordnende Entscheidung selbst streng am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen, auch eventuelle Zwangsmittel sind maßvoll und vorzugsweise überhaupt nicht anzuwenden. Soll die Dokumentation in erster Linie dem Schutz des Zeugen dienen, kommen Zwangsmittel von vornherein nicht in Betracht. Wenn der Zeuge eine solche Schutzmaßnahme nicht wünscht, darf er zu ihrer Duldung auch nicht gezwungen werden 52 .

48 Dies trifft allerdings ohnehin nur den seltenen Fall zu, in dem die Identität des Zeugen dem Beschuldigten unbekannt ist und auch weiterhin verborgen bleiben soll; dazu Wagner, Kriminalistik 2000, 167; SchlüchterlGreff, Kriminalistik 1998, 534; Schlüchter, Schneider-Fs., S. 453. 49 K/M-G, § 58 a, Rn. 8; SK-Rogall, § 58 a, Rn. 7; a. A. Rieß, StraFo 1999, 2 (Fn.34). 50 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 930 g. 51 BT-Drs. 13/7165, S. 6; K/M-G, § 58 a, Rn. 8. 52 Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 930 g.

A. Vemehmungsdokumentation in Bild und Ton

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d) Verwendungsbeschränkung nach § 58 a Abs. 2 StPO Auch die in § 58 a Abs. 2 S. 1 StPO vorgesehene Verwendungsbeschränkung auf "Zwecke der Strafverfolgung" stärkt die Rechtsposition des Zeugen. Gegenüber früheren Entwürfen, die noch eine Beschränkung auf "die Zwecke des laufenden oder eines anderen anhängig Strafverfahrens,,53 vorsahen, enthält diese Regelung aber kaum Restriktionen, denn theoretisch genügt irgendein Strafverfahren, das wenigstens entfernt durch die Zeugenaussage betroffen werden kann, um die Verwendungsschranke zu unterlaufen. Eine langfristige Speicherung auf Vorrat zum Zweck anderweitiger, eventueller Strafverfolgung ist nicht auszuschließen54 . Auch die Vernichtungsregelung des § 58 a Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 100 b Abs. 6 StPO hilft nicht weiter, denn dort wird ebenfalls vorausgesetzt, dass die Aufzeichnung zur "Strafverfolgung" nicht mehr erforderlich ist. Den minimalen Anforderungen des § 58 a Abs. 2 S. I StPO fügt dies keine weiteren Schranken hinzu. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Zeugen kann damit langfristig und uneingeschränkt fortgeführt werden. Beide Tatbestände, sowohl der des Abs. 2 Satz I über die Verwendung als auch der des Abs. 2 Satz 2 über die Löschung des Videobandes sind restriktiv auszulegen, will man nicht die Perpetuierung, möglicherweise sogar die Vertiefung des Grundrechtseingriffs ohne rechtfertigende Notwendigkeit riskieren. Bestehen nach rechtskräftigem Abschluss des Anlassstrafverfahrens keine konkreten Anhaltspunkte, die auf einen weiteren Bedarf des Bandes in anderen strafverfahrensrechtlichen Zusammenhängen schließen lassen, so ist die Aufzeichnung einschließlich aller von ihr angefertigten Kopien unverzüglich zu vernichten 55 . Ansonsten bleibt den lustizbehörden auf Wunsch des Zeugen unbenommen, diesem oder anderen von ihm benannten Personen eine Kopie der Vernehmungsaufzeichnung auszuhändigen, damit diese mit Einwilligung des Zeugen in anderen Zusammenhängen verwendet werden kann, beispielsweise zu therapeutischen Zwecken, in Unterhalts- und Sorgerechtsverfahren oder Schadensersatzprozessen56.

BT-Drs. 1317165, S. 3. HK-Lemke, § 58 a, Rn. 10; a.A. SK-Rogall, § 58 a, Rn. 18. 55 SK-Rogall, § 58 a, Rn. 21; ähnlich die früheren Gesetzesentwürfe, BT-Drs. 1317165, S. 7. 56 K/M-G, § 58 a, Rn. 10. 53

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugen vernehmungen im Hauptverfahren

e) Akteneinsicht in die Vernehmungsaufzeichnung aa) Der zur Einsicht berechtigte Personenkreis

Auch wenn die Videoaufzeichnung nach geltender Gesetzeslage nicht Vernehmungsprotokoll ist, so unterliegt es doch wie dieses der Akteneinsicht. Bereits aus dem Grundsatz der Aktenvollständigkeit ergibt sich, dass schuld- und straffragenrelevante Schriftstücke, Fotografien, Tonbandaufnahmen oder Videoaufzeichnungen den Akten nicht femgehalten werden dürfen 57 . Die Verweisung des § 58 a Abs. 2 S. 2 StPO auf das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147 StPO sowie auf das des Verletztenbeistandes nach § 406 e StPO stellt dies noch einmal klar58 . Die Aufzeichnung ist als Bestandteil der Sachakte zu behandeln, allerdings mit der Maßgabe, dass sie zugleich auch ein Beweisstück darstellt und damit aufgrund bestehender Manipulationsgefahr bzw. aufgrund des Risikos einer Zerstörung im Original bei der Geschäftsstelle verbleiben muss, dort aber vom Verteidiger "besichtigt" werden darf59 . Eine Mitgabe der Originalaufzeichnung zu Einsichtnahme in die Geschäftsräume oder die Wohnung des Verteidigers nach Maßgabe des § 147 Abs. 4 StPO darf nicht erfolgen. Der Verteidigung bleibt es aber unbenommen, die Mitgabe einer vollständigen Aufzeichnungskopie - gegen minimales Aufwandsentgelt zu beantragen6o . Ein Rechtsanspruch auf Mitgabe besteht nicht, auch wenn gemäß § 147 Abs. 4 S. 1 StPO die Mitgabe nur aus wichtigem Grund versagt werden soll. Eine ablehnende Entscheidung wäre gemäß § 147 Abs. 4 S. 2 StPO unanfechtbar61 . Nach der Änderung des § 147 StPO durch das StVÄG 199962 ist außerdem auch der unverteidigte Beschuldigte nach § 147 Abs. 7 StPO befugt, Auskünfte und Abschriften aus den Akten zu verlangen. U. U. wird ihm das Videoband in der Geschäftsstelle vorgeführt werden müssen 63 . 57 LG Itzehoe, StV 1991, 555; Schneider, Jura 1995, 338 f.; zu den Begriffen "Akte" und "amtlich verwahrte Beweisstücke" Schäfer, NStZ 1984, 203 ff. 58 Rieß, NJW 1998, 3241; ders., StraFo 1999, 3 (Fn. 40); Weider/Staechelin, StV 1999, 52. 59 Rieß, Peters-Fs., S. 121 f., 125; Köllner, StraFo 1996, 27; Schneider, Jura 1995, 341; BGH, NStZ 1981, 95; speziell zur Vorführung der Vernehmungsvideos Kintzi, DRiZ 1996, 188. 60 LG Bonn, StV 1995,632 m. Anm. Köllner, StraFo 1996,26; BayObLG, NJW 1991, 1070; OLG Koblenz, NStZ 2000, 31l. 61 Burkhard, wistra 1996, 172; a. A. mit guten Gründen Rieß, Peters-Fs., S. 127. 62 Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Strafverfahrens (StV ÄG 1999) vom 11. 08. 2000, BGBl. I, S. 1253, in Kraft getreten am 01. 11. 2000. 63 EGMR, NStZ 1998, 429 m. Anm. Deumeland; Das Urteil wurde vom LG Mainz allerdings als nicht bindend anerkannt; s. Müller, NStZ 2001, 99.

A. Vemehmungsdokumentation in Bild und Ton

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Der neu geschaffene § 147 Abs. 7 StPO bleibt mit seiner Beschränkung auf Auskünfte und Auszüge aus den Akten aber weit hinter den Forderungen der Straßburger Rechtsprechung zu Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK zurück. Der EGMR gesteht dem unverteidigten Beschuldigten eine vollständige Akteneinsicht zu. In konventionskonformer Auslegung müsste demnach der unverteidigte Beschuldigte Akteneinsicht gleich einem Verteidiger erhalten. Nur von einer Mitgabe der Akten bzw. Beweismittelkopien sollte abgesehen werden, um einen missbräuchlichen Umgang mit den Kopien durch Weitergabe an Dritte auszuschließen64 . Nach Inkrafttreten des StVÄG 1999 ist die in § 58 a Abs. 2 S. 2 StPO verankerte Verweisung auf die Akteneinsicht solcher Behörden auszudehnen, die der Informationen aus den Akten zum Zwecke der Rechtspflege bedürfen65 . Die angeführten Behörden werden in § 474 Abs. 1 StPO benannt. Ihr Akteneinsichtsrecht ist in den Gesetzestext einzubeziehen66 . Anderen öffentlichen Stellen - in § 474 Abs. 2 StPO benannt - bleibt die Akteneinsicht dagegen verwehrt, denn sie bedürfen der Akten im Regelfall gerade nicht zur Strafverfolgung, wie es § 58 a Abs. 2 S. 1 StPO zwingend voraussetzt. Auch die Akteneinsicht von Privatpersonen oder zu Forschungszwecken nach §§ 475, 476 StPO ist nicht mit der Verwendungsbeschränkung des § 58 a Abs. 2 S. 1 StPO vereinbar. Das Verbot des § 58 a Abs. 2 S. 1 StPO wird im Übrigen durch § 477 Abs. 2 S. 1 StPO ergänzt, der sehr generell eine Informationsübermittlung unter Verstoß gegen das Gesetz untersagt. Auch auf diese Norm sollte der Tatbestand des § 58 a Abs. 2 S. 2 StPO verweisen. Wird die Akteinsicht einer der in § 474 Abs. 1 StPO genannten Justizbehörden abgelehnt, kommen die in § 478 Abs. 1 S. I und 2 StPO ausgeführten Rechtsschutzmöglichkeiten zur Anwendung. § 478 Abs. 1 StPO enthält Rechtsschutzmöglichkeiten, die dem Rechtschutz des neuen § 147 Abs. 5 S. 2 und 3 StPO für die Verteidigung und den Beschuldigten bei Versagung des Akteneinsichtsrechts ähneln 67 • Einzufügen ist in den Tatbestand des § 58 a Abs. 2 S. 2 StPO folglich ein Verweis auf § 474 Abs. 1, 4 und 5 StPO, wobei Abs. 5 nur die Zulässigkeit der Übersendung an die akteneinsichtsberechtigte Behörde normiert68 , und weiterhin auf §§ 477 Abs. 2 und 478 Abs. 1 S. 1 und 2 StPO. 64 Vgl. dazu auch den Vorschlag des § 147 Abs. 7 AE-EV, S. 54 f., der allerdings hauptsächlich den sachgerechten Umgang mit der Akte im Auge hat. 65 Für eine Ausdehnung de lege lata bereits K/M-G, § 474, Rn. 4. 66 BT-Drs. 14/4661, S. 7 und 10 f. 67 Zum Rechtsschutz nach dem StV ÄG 1999 ausführlich Schlothauer, StV 2001, 192 ff. 68 BT-Drs. 14/4661, S. 7 und 10 f. 25 Swoboda

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

bb) Schranken der Akteneinsicht des Verteidigers, § 147 Abs. 2 StPO

Interessanter als die Frage, wer überhaupt Einsicht in den audiovisuellen Vernehmungsmitschnitt nehmen darf, ist natürlich, wann eine Einsicht in die Akten und insbesondere in die Aufzeichnung durch die mit der Sache befassten lustizbehörden untersagt werden kann. Von besonderem Interesse ist das Akteneinsichtsrecht von Verteidigung und Beschuldigtem, denn die Akteneinsicht vor und nach der Vernehmung des Zeugen entscheidet mit darüber, ob im späteren Hauptverfahren eine Ersetzung des unmittelbaren Zeugenbeweises durch die Videodokumentation möglich ist, ohne dass die Rechte der Verteidigung in unzulässiger und unzumutbarer Form beschnitten werden. (I) Akteneinsicht im Vorfeld der mitgeschnittenen Zeugenvernehmung69 Für Akteneinsicht vor der zur Beweissicherung bzw. als Vernehmungssurrogat in der Hauptverhandlung gedachten Vernehmung wurde bereits festgestellt, dass eine Versagung des Einsichtsrechts auf der Grundlage des § 147 Abs. 2 StPO ohnehin nicht in Betracht kommt. Wenn die mitgeschnittene Vernehmung tatsächlich einen vorgezogenen Teil der Hauptverhandlung darstellt, so dürfen der Beschuldigte bzw. die Verteidigung hierbei nicht schlechter gestellt werden als in der Hauptverhandlung selbst. Dort hätten sie direkt nach Abschluss der Ermittlungen stets vollständige Akteneinsicht gehabt (§ 147 Abs. 2, 169 a StPO)70. (2) Akteneinsicht nach Abschluss der audiovisuell dokumentierten Vernehmung Für die Akteneinsicht nach erfolgter Vernehmung gelten wiederum andere Grundsätze, aber auch hier ist danach zu differenzieren, ob die mitgeschnittene Vernehmung unter Mitwirkung der Verteidigung und des Beschuldigten oder in deren Abwesenheit erfolgte. Fand eine Mitwirkung des Verteidigers statt, beispielsweise bei einer richterlichen Vernehmung unter Berücksichtigung der in 168 c Abs. 2 StPO aufgeführten Anwesenheitsbefugnisse, so untersagt schon § 147 Abs. 3 Ausführlich erörtert im 5. Teil, Kapitel B.4.c). Schlothauer, StV 1999, 49; Schünemann, StV 1998, 400; SK-Wolter, § 168 e, Rn. 49; teilweise a. A. Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 64; 5. Teil, Kapitel B.4.c). 69

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A. Vemehmungsdokumentation in Bild und Ton

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StPO jede Form der Beschneidung des Einsichtsrechts. Und dies, selbst wenn die Gefährdung des Untersuchungszwecks i.S.d. § 147 Abs. 2 StPO nicht von der Hand gewiesen werden kann. Allerdings erscheint diese Folge auch nur logisch, denn wenn der Verteidiger persönlich an der Vernehmung teilgenommen hat, so vermag ihm die Einsicht in die Videodokumentation ohnehin keine neuen Informationen zu geben und damit auch nicht zusätzlich zu der in § 147 Abs. 2 StPO vorausgesetzten Gefahrdung des Untersuchungszwecks beizutragen. Uneingeschränkte Akteneinsicht muss allerdings gemäß § 147 Abs. 3 SPO sogar dann gewährt werden, wenn dem Verteidiger bei der Vernehmung die Anwesenheit hätte gestattet werden müssen. Dies betrifft insbesondere den Fall, in dem der Verteidiger nach § 168 c Abs. 5 S. 2 StPO nicht von der Vernehmung vorab informiert wurde bzw. er aus Termingründen verhindert war und wegen § 168 c Abs. 5 S. 3 StPO keine Terminverlegung erwirken konnte. Sollten sich die gegenwärtigen Reformvorhaben mit dem Verlangen nach mehr Beteiligungsrechten des Verteidigers bei polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen durchsetzen, so wird das Akteneinsichtsrecht der Verteidigung durch § 147 Abs. 3 StPO enorm an Einfluss gewinnen. Denn, sofern bereits das bloße Teilnahmerecht der Verteidigung uneingeschränkte Akteneinsicht mit sich führt, bleibt nach § 147 Abs. 3 StPO für Beschneidungen des Einsichtsrechts kaum noch Raum 71. Wird die Einsichtnahme entgegen § 147 Abs. 3 StPO nicht gestattet, steht der Rechtsweg nach § 147 Abs. 5 S. 2 StPO offen. Ist eine Mitwirkung von Verteidigung und Beschuldigtem bei der Einvernahme dagegen weder gesetzlich vorgesehen noch tatsächlich gestattet worden, dann darf bis zum Abschluss der Ermittlungen die Akteneinsicht wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks versagt werden (§ 147 Abs. 2 StPO). Einer Darlegung dringender Gründe bedarf es nicht72 . Betroffen sind hiervon vor allem beweissichernde polizeiliche oder staatsanwaltschaftliehe Vernehmungen, bei denen Anwesenheitsrechte von Verfahrensbeteiligten gesetzlich nicht vorgesehen sind. Dort kann die zuständige Staatsanwaltschaft dem Verteidiger u. U. die Akteineinsicht vorenthalten. Allerdings muss wenigstens zu erwarten sein, dass der Beschuldigte in Kenntnis des Akten- bzw. Aufzeichnungsinhalts den Fortgang der Ermitt71 Dies zumindest, soweit das Teilnahmerecht nicht selbst durch Ausschlussrechte verkürzt wird, Ausschlussrechte beispielsweise für den Fall, dass durch die Anwesenheit von Beschuldigtem und Verteidigung eine Gefährdung des Untersuchungszwecks zu befürchten ist, vgl. dazu den Entwurf in § 168 f Abs. 3 AE-EV, S. 132 ff. 72 KK-Laujhütte, § 147, Rn. 9; a.A. Burkhard, wistra 1996, 173; vgl. auch de lege ferenda § 147 Abs. 2 AE-EV, S. 53 ff. 25*

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugen vernehmungen im Hauptverfahren

lungen durch Vornahme von Verdunkelungshandlungen stören wird 73 . Dies zu begründen fällt aber um so schwerer, je weniger eine Einflussnahme des Beschuldigten oder seines Umfeldes auf die weiteren Ermittlungen oder auch auf den vernommenen Zeugen zu gewärtigen ist. Befindet sich der Beschuldigte zum Zeitpunkt des Gesuchs auf Akteneinsicht bereits in Untersuchungshaft, sind an die Beschränkungen des Akteneinsichtsrechts besonders strenge Anforderungen zu stellen74 . Zumindest sollte dem Verteidiger dann Einsicht in alle Akten gewährt werden, die dem Haftrichter vorliegen, so dass sich der Beschuldigte wenigstens gegen die gegen ihn getroffenen Zwangsmaßnahmen zur Wehr setzen kann 75 . Sollte die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht nach § 147 Abs. 2 StPO trotz der Inhaftierung des Beschuldigten verweigern, steht dem Verteidiger der Rechtsweg nach § 147 Abs. 5 S. 2 StPO offen. Bestrebungen, de lege ferenda die Verweigerung einer Akteneinsicht im Fall der vollzogenen Untersuchungshaft überhaupt auszuschließen 76 , sind allerdings abzulehnen. Selbst wenn dem Beschuldigten in der Haft keine Einflussnahme auf die weiteren Ermittlungen möglich ist, so könnten doch Personen aus dem Umfeld des Beschuldigten über den Verteidiger oder den Beschuldigten selbst Kenntnis von den Akten- bzw. von Aufzeichnungsinhalten erlangen und in der Folge den Zeugen einschüchtern. Befürchtungen dieser Art lassen sich bei innerfamiliären Straftaten, in denen dem (Opfer-) Zeugen zugleich die Last und Verantwortung für die Zukunft der Familie aufgebürdet wird77 oder in Bereichen organisierter bzw. Milieukriminalität, in der nicht nur ein Beschuldigter, sondern u. U. eine ganze Organisation an einer Sabotage der Ermittlungen interessiert sind, nicht von der Hand weisen. Persönlichkeitsrechte des Zeugen spielen im Rahmen des § 147 Abs. 2 StPO keine Rolle, denn Schutzobjekt der Vorschrift ist allein die Ermittlungstätigkeit bzw. die Sachaufklärung78 • Indirekt natürlich ist der Schutz des Zeugen vor Bedrohung und Beeinflussung auch in dem Begriff der Gefährdung des Untersuchungszwecks mit umfasst, zumindest soweit Einwirkungen auf den Zeugen Einfluss auf die Ermittlungen zu nehmen drohen 79. Schneider, Jura 1995, 342. BVerfG, NJW 1994, 573 = StV 1994, 1 m. Anm. IAlmmer; OLG Frankfurt, StV 1993,292; StV 1993,297. 75 BVerfG, StV 1994, 1 m. Anm. Lammer; umfassend Walischewski, StV 2001, 243 ff.; zum Standpunkt des EGMR und zu Art. 5 Abs. 4 EMRK Kempf, StV 2001, 206 ff. 76 So ein Vorschlag des DAV, AnwBI 2001, 40. 77 Dazu ausführlich im 3. Teil, Kapitel B.l.c)bb)(2). 78 BGH, NJW 1996, 734. 79 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 205 f. m. w. N. 73

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Beispielsweise wird die Einsichtnahme in die Videoaufzeichnung der Vernehmung eines gefährdeten, namentlich der Verteidigung und dem Beschuldigten (noch) nicht bekannten Zeugen zu versagen sein, bis dessen Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm erfolgt und er damit dem Zugriff von dritter Seite entzogen ist. Diskutiert wurden in der Literatur auch Vorschläge, dem Verteidiger eine Akteneinsicht nur unter Auflagen zu gestatten, etwa mit dem Vermerk, er dürfe den Beschuldigten oder Dritte nicht über den Inhalt der Akten oder die Identität eines Zeugen informieren. Vom geltenden Recht ist dies nicht vorgesehen und mit den Grundsätzen einer effektiven Verteidigung auch kaum zu vereinbaren. Verteidiger und Mandant müssen grundsätzlich auf derselben Wissensbasis kooperieren können 8o, andernfalls würde die für eine Zusammenarbeit notwendige Vertrauensbeziehung zwischen beiden untergraben. Eine Pflicht zur Geheimhaltung von für die Verteidigungsstrategie wichtigen Informationen beeinträchtigt den Verteidiger zudem in der Erfüllung seiner Mandatspflichten und ist folglich nicht nur eine erhebliche Belastung bei der Fallbearbeitung, sondern auch einfach unpraktikabel81 . ce) Mitgabe von Aujzeichnungskopien nach § 147 Abs. 4 StPO

Für das Persönlichkeitsrecht des Zeugen von besonderer Bedeutung ist die Möglichkeit, gemäß § 147 Abs. 4 StPO die Mitgabe einer Aufzeichnungskopie in die Geschäftsräume bzw. in die Wohnung des Verteidigers zu versagen, soweit dieser Mitgabe "wichtige Gründe" entgegenstehen. Dies gibt dem betroffenen Zeugen die Sicherheit, dass die Aussagedokumentation und die ihr immanente Verletzung seines Rechts am eigenen Wort und Bild nicht von einem unbefugten Personenkreis eingesehen werden kann. Vielleicht sind bei Bekanntwerden der Aussage bzw. bei einer Verbreitung seines Bildes konkrete Gefahren für Leib und Leben des Zeugen zu befürchten. Auch das einfache Interesse an der Nichtverbreitung von Informationen aus der Intim- und Privatsphäre ist schutzwürdig. Von Vernehmungsvideos mit Aussagen kindlicher Missbrauchsopfer ist nach in- und ausländischer Erfahrung bekannt, dass sie auf dem pädophilen Schwarzmarkt hohe Preise erzielen. Das reguläre Fernsehen ist dem Zugriff auf solche Dokumentationen ebenfalls nicht abgeneigt82 . Die Herausgabe einer Vernehmungskopie birgt also erhebliche Missbrauchsgefahren. Ein falscher 80 Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 34; Jung, GA 1998, 326; a. A. Krey, Meyer-Gds., S. 254; SK-Rogall, vor § 48, Rn. 77. 81 Zacharias, Der gefährdete Zeuge, S. 208 f. 82 Bundeseinheitliche Handreichung zum Schutz kindlicher (Opfer-) Zeugen im Strafverfahren, S. 28, abzurufen unter http://www.bundesjustizministerium.de/inhalt. htm.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

Umgang mit den Vernehmungsvideos kann den mit ihnen verfolgten Opferschutz ad absurdum führen. Vor diesem Hintergrund erstaunt dann doch, dass sich der Gesetzgeber letztlich gegen ein Verbot der Vervielfältigung und der Mitgabe an den Verteidiger ausgesprochen hat. In einem frühen Gesetzesentwurf des Bundesrates war dieses Verbot noch enthalten 83 . Allerdings hatte der Gesetzgeber hierzu gewichtige Gründe. Dem Schutzanspruch des Zeugen stehen die im rechtlichen Gehör wurzelnden Rechte des Beschuldigten auf ausführliche Information über den Verfahrensstand sowie eine gut vorbereitete Verteidigung gegenüber. Das Gebot der Verfahrensfairness, insbesondere das der Waffengleichheit fordert, dass im Regelfall Anklage und Verteidigung gleichen Zugang zu Beweisstücken und Akteninhalten zu gewähren ist. Dem wird nicht Genüge getan, wenn die Verteidigung nur unter größerem Zeit- und Arbeitsaufwand überhaupt in der Lage ist, Einsicht in die Akten bzw. die Vernehmungs aufzeichnung zu nehmen. Verbleibt die Aufzeichnung aber bei der Geschäftsstelle des zuständigen Gerichts, das sich nicht unbedingt am Ort des Kanzleisitzes befinden muss, wird der Verteidiger in seinen Vorbereitung auf die Verteidigung erheblich beeinträchtigt. Er hätte lange Anfahrtswege und die Abhängigkeit von den Öffnungszeiten der Geschäftsstelle in Kauf zu nehmen, und dies nicht nur einmal, sondern so oft, wie dies zur erschöpfenden Vernehmungsanalyse notwendig erscheint. Hinzu tritt, dass dem Beschuldigten der Vernehmungsmitschnitt ebenfalls nur auf der Geschäftsstelle vorgeführt werden könnte, was sich bei einer vollzogenen Haftanordnung schwierig gestaltet. Ist eine Aussageanalyse durch einen von der Verteidigung beauftragten Gutachter zu erstellen, so muss die Begutachtung ebenfalls auf der Geschäftsstelle stattfinden, obwohl dort möglicherweise nicht einmal geeignete Abspielgeräte geschweige denn eigene Räumlichkeiten zu Arbeitszwecken zur Verfügung stehen. Die Staatsanwaltschaft dagegen kann direkt vor Ort auf den Mitschnitt zugreifen und natürlich die Aufzeichnung für die Dauer der Fallbearbeitung auch aus der Geschäftsstelle entfernen. Sie hat es damit bei der Vorbereitung der Anklage wesentlich leichter. Die Folge sind strategische Vorteile, wie sie das Gebot der Chancengleichheit gerade zu vermeiden strebt84 . Ein Verbot der Vervielfältigung darf ebenso wie ein Verbot der Mitgabe an den Verteidiger auf keinen Fall absolut ausgestaltet sein. Aus der Praxis wird berichtet, dass Staatsanwälte Kopien der Videobänder zumindest an BT-Drs. 13/4983, S. 3,5 und 9; BT-Drs. 1317165, S. 3 und 7 f. BT-Drs. 1317165, S. 8; Schlothauer, StV 1999,48; Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, Rn. 903 s; K/M-G, § 58 a, Rn. 11; a. A. der Bundesrat in BT-Drs. 14/4661, S. 11. 83

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die Gerichtsgeschäftsstellen des Kanzleistandortes verschicken, um die Arbeit der Verteidigung nicht noch zusätzlich durch weite Distanzen zu erschweren. Ausgeschlossen ist dieses Vorgehen nicht85 , allerdings wird es dem Gebot der Chancengleichheit im Regelfall immer noch nicht gerecht. Eine verbesserte gesetzliche Regelung ist demnach unabdingbar. (1) Kritik an den gegenwärtigen Reformvorhaben

des Bundesrates und der Länder

Auf Bedenken stoßen allerdings Reformprojekte, die zur Stärkung der Verletztenrechte die Herausgabe von Kopien der Videodokumentation an die Zustimmung des Zeugen binden. Der Reformentwurf des Bundesrates für ein Gesetz zur Stärkung der Verletztenrechte beispielsweise formuliert § 58 a Abs. 2 S. 3 StPO so: ,,§§ 147 und 406 e finden mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass Bi1d-Ton-Aufzeichnungen wie Beweisstücke zu behandeln sind und nur mit Zustimmung des Zeugen wie Akten behandelt werden dürfen"s6.

M. E. ist dieser Entwurf für einen Ausgleich der kollidierenden Interessen gänzlich ungeeignet. Nicht nur, dass er gegenüber dem geltenden Recht nichts Neues enthält, denn bereits heute ist der Vernehmungsmitschnitt als Beweisstück anerkannt und im Original folglich niemandem außerhalb des Gerichts zugänglich, er trägt zu der eigentlichen Streitfrage des Vervielfältigungsverbotes bzw. des Verbotes einer Herausgabe von Bandkopien an den Verteidiger auch nichts bei. Von Beweisstücken dürfen bei technischer Möglichkeit unbestritten Kopien hergestellt und dem Verteidiger herausgegeben werden. § 147 Abs.4 StPO dient nur dem Substanzschutz und hat nicht den Sinn, die Kenntnisnahme von dem Beweisstück zu verhindern 87 . Die eigentlich relevante Frage eines Kopieverbotes wird mit dieser Formulierung also überhaupt nicht gelöst, selbst wenn der Bundesrat in seiner Reformbegründung davon auszugehen scheint88 . Außerdem stört, dass die Zustimmung jedes Zeugen einzuholen ist, dabei ist nicht jeder Zeuge in seinem Persönlichkeitsrecht durch die Videoaufzeichnung und deren Herausgabe an den Verteidiger gleich betroffen. Während Opfer von Straftaten aus dem Bereich der Sexual- und Gewaltdelikte unbestreitbar besonderen Schutzes und Fürsorge bedürfen und deswegen die Dokumentation ihrer Mimik und Gestik, ihres Erscheinungsbildes und ihrer LG Heilbronn, StV 1988, 293 L. BT-Drs. 14/4661, S. 7. 87 K/M-G, § 147, Rn. 30; Rieß, Peters-Fs., S. 126 ff.; LG Bonn, StV 1995, 632; Köllner, StraFo 1996, 27. 88 BT-Drs. 14/4661, S. 11. 85

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugen vernehmungen im Hauptverfahren

Gefühlsregungen in besonderen Belastungssituationen nicht unkontrolliert einer Vielzahl von Personen zugänglich gemacht werden darf, kann anderen Zeugen, beispielsweise denjenigen, die in einem komplexen Wirtschaftsstrafverfahren Auskunft über Geschäfts- und Kontovorgänge zu geben haben, die Verbreitung des Aussagemitschnitts durchaus zugemutet werden. Man hätte die Einwilligungspflicht in die Herausgabe daher wenigstens auf Opjerzeugen beschränken sollen89 . Und nicht einmal dann bedürfte es eines zwingenden Verbotes einer Kopienausgabe ohne Zustimmung des Betroffenen, denn die sehr weit gefasste Vorschrift des § 58 a Abs. I StPO unterscheidet nicht zwischen der Schwere der Straftat oder den aus dem Verfahren für einen Zeugen zu erwartenden Belastungen. Maßstab des § 58 a StPO ist in der Hauptsache die Notwendigkeit einer Beweissicherung. Es ist aber aus der Sicht der Verteidigung unverhältnismäßig, die Zustimmung eines jeden Verletzten einholen zu müssen, egal welcher Art und Schwere das Delikt war, aus dem er verletzt wurde. Notwendig ist damit eine differenzierende Regelung, also eine Vorschrift, die es in das Ermessen der Staatsanwaltschaft stellt, wann die Vervielfältigung der Kopie zum Schutz des Zeugen unterbleiben soll. Gleichzeitig aber müsste in Form eines intendierten Ermessens auch zum Ausdruck gebracht werden, dass im Regelfall die Herausgabe der Aufzeichnungskopie angesichts ihrer Bedeutung für eine umfassende Vorbereitung der Verteidigung nicht unterbleiben soll. (2) Beschränkte Weiterleitungsbefugnisse als Lösung Der Gesetzgeber hat als Lösung für die Probleme des Persönlichkeitsschutzes angeboten, die Weitergabe der Kopie an den Beschuldigten oder unbefugte Dritte zu untersagen 90 . Gestützt wird diese Lösung teilweise auf Nr. 213 RiStBV. Dieser verpflichtet die Behörden, bei einer Mitteilung von Verschlusssachen bzw. bei Gestattung von Akteneinsicht in Verschlusssachen noch einmal eindringlich auf die in §§ 93 ff., 203, 353 b StGB normierten Geheimhaltungspflichten hinzuweisen 91 . Aber nicht jeder Vemehmungsmitschnitt wird auch die in §§ 93 ff., 203 und 353 b StGB aufgeführten Geheimnisse und Informatio89 So noch der Entwurf der Freien und Hansestadt Hamburg eines Gesetzes zur Stärkung der Verletztenrechte BR-Drs. 507/99, Anlage S. 1, 8 f. 90 BT-Drs. 13/7165, S. 8; übernommen von SK-Rogall, § 58 a, Rn. 22; ausführlich Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 143; Janovsky, Kriminalistik 1999, 454. 91 Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 129 f.

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nen enthalten. Und außerhalb einer solchen, strafbewehrten Geheimhaltungspflicht ist für ein generelles Weiterleitungsverbot an dritte Personen kein Raum92 . Das Persönlichkeitsrecht allein kann niemanden zur Geheimhaltung verpflichten. Anders allerdings, soweit zusätzlich eine Gefahrdung des Untersuchungszwecks oder eine missbräuchlichen Verwendung der weitergeleiteten Vernehmungsdokumentation zu befürchten ist93 . Dann kann dem Verteidiger aufgegeben werden, dem Beschuldigten oder dritten Personen nur in Anwesenheit des Verteidigers Einsicht in das Vernehmungsvideo zu gewähren und keine weiteren Kopien des Videobandes anzufertigen. Je privater bzw. intimer die auf der Kassette gespeicherten Informationen, desto eher wird die Gefahr eines Missbrauchs bejaht werden können. Schwierigkeit begründet dieser recht vage Schutzmechanismus allerdings durch den Zwiespalt, in dem sich der Verteidiger nunmehr aufgrund der ihm zusätzlich gegenüber dem Zeugen auferlegten Verantwortung bewegt. Die nur denklogische, theoretische Missbrauchsmöglichkeit begründet an und für sich noch kein Weiterleitungsverbot. Dagegen ist bei konkreten Anhaltspunkten für einen Missbrauch die Weiterleitung unbestreitbar ausgeschlossen. In der dazwischenliegenden Grauzone bewegt sich der Verteidiger jedoch auf sehr unsicherem Terrain. Einerseits darf er das Vertrauensverhältnis zu seinem Mandanten nicht ohne besonderen Grund belasten, andererseits hat er eine nicht von der Hand zu weisende Missbrauchsgefahr zu berücksichtigen. Die verfahrensrechtlich begründete Nähebeziehung zum Mandanten wird im Zweifelsfall wohl den Ausschlag geben, d. h. ohne evidente Missbrauchsabsichten, die zudem auch das einzige Motiv eines Herausgabeverlangens von Seiten des Beschuldigten darstellen müssten94 , wird es dem Verteidiger schwer fallen, die Herausgabe der Kopien zu verweigern. Der Zeuge hat dann das Nachsehen. Zu seinem Schutz erscheint es angebracht, die Entscheidung bereits bei der Herausgabe der Kopie durch die Staatsanwaltschaft treffen zu lassen und nicht auf den Verteidiger überzuwälzen. Notwendig wird damit eine positiv gesetzlich normierte, staatsanwaltschaftliche Befugnis, die Weiterleitung der Bandkopie zu untersagen. Positiv gesetzlich deswegen, weil ein solcher Eingriff in die Informations- und Verteidigungsrechte des Beschuldigten ohne gesetzliche Grundlage nicht Bestand haben kann. Im Übrigen sollte auch diese Entscheidung gemäß § 147 Abs. 4 S. 2 StPO nicht angefochten werden können. Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 129 f.; KJM-G, § 147, Rn. 20. BGHSt. 29, 99 (102 f.); K/M-G, § 147, Rn. 20; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 130; Welp, Peters-Fs., S. 316 ff.; Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, S. 90 f.; § 14 RichtiRA. 94 Welp, Peters-Fs. S. 317. 92

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(3) Folgerungen für eine Konkretisierung des Tatbestandesmerkmals der "wichtigen Gründe" in § 147 Abs. 4 StPO Beschränkungen der Herausgabe und der Weiterleitung einer Aufzeichnungskopie sollten vorzugsweise in Anknüpfung an den Tatbestand des § 147 Abs. 4 StPO als gesetzliche Konkretisierung des Merkmals der entgegenstehenden "wichtigen Gründe" geregelt werden. Wichtige Gründe sind insbesondere dann anzunehmen, wenn durch die Videoaufzeichnung der persönliche Lebensbereich des Zeugen betroffen wird oder Anlass zu der Besorgnis besteht, dass der Zeuge oder andere Personen bei einer Kenntnisnahme unbefugter Dritter von der Aufzeichnung an Leib, Leben oder in ihrer Freiheit gefährdet würden. Die Aufzeichnungskopie soll in diesem Fall nur dann an den Verteidiger herausgegeben werden, wenn dies unerlässlich ist. Außerdem soll die Staatsanwaltschaft in den zuvor genannten Fällen bzw. sofern eine missbräuchliche Verwendung der Aufzeichnungskopie zu befürchten ist, die Befugnis erhalten, dem Verteidiger eine Vervielf:iltigung des Bandes bzw. die Weitergabe der Kopie an andere Personen, insbesondere auch an den Beschuldigten selbst, zu untersagen. § 147 Abs. 4 V-StPO müsste dementsprechend lauten: § 147 Abs. 4 V-StPO

(4) 1 Auf Antrag sollen dem Verteidiger, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, die Akten mit Ausnahme der Beweisstücke zur Einsichtnahme in seine Geschäftsräume mitgegeben werden. 2 Wichtige Gründe stehen der Herausgabe von Bild-Ton-Aufzeichnungen von Vernehmungen insbesondere dann entgegen, wenn diese den Vernommenen in seinem persönlichen Lebensbereich betreffen oder bei ihrer unkontrollierten Verbreitung schwerwiegende Nachteile für das Wohl des Zeugen oder einer anderen Person zu befürchten sind. 3 In den Fällen des Satz 2 kann die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger eine Vervielfältigung oder die Weiterleitung der Bild-Ton-Aufzeichnung an Dritte verbieten; ein solches Verbot ist auch bei Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung zulässig. 4 Die Entscheidungen nach den Sätzen I und 3 sind unanfechtbar.

dd) Schranken der Akteneinsicht des Beschuldigten gemäß § 147 Abs. 7 StPO

Ist der Beschuldigten nicht anwaltlieh vertreten, so kann er Auskünfte und Abschriften aus den Akten gemäß § 147 Abs. 7 StPO verlangen. Dies allerdings ohnehin nur, soweit nicht der Untersuchungszweck gefährdet würde oder "überwiegende schutz würdige Interessen Dritter entgegenstehen". Die zweitgenannte Einschränkung trägt Sorge für die Wahrung der Intimsphäre Dritter, den Schutz gefährdeter Personen oder die Geheirnhal-

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tung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen95 . Des Weiteren darf der Beschuldigte weder Aktenbestandteile noch Kopien irgend welcher Vernehmungsaufzeichnungen aus der Geschäftsstelle entfernen. Missbräuchlicher Umgang mit dem Aktenmaterial oder eine Weiterleitung der Dokumente an unbefugte Dritte ist demnach ausgeschlossen. ee) Schranken der Akteneinsicht für den weiter einsichtsberechtigten Personenkreis

Ferner darf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des von der Videoaufzeichnung betroffenen Zeugen auch nicht durch die sonst zur Einsicht in die Akten bzw. zur Besichtigung der Beweisstücke berechtigten Personen oder Behörden mehr als unbedingt notwendig beeinträchtigt werden. Das Akteneinsichtsrecht der Gerichte, Staatsanwaltschaften und anderen lustizbehörden i. S. d. § 474 Abs. 1 StPO bereitet hier die geringsten Schwierigkeiten. Einerseits legt der Tatbestand des § 474 Abs. 1 StPO bereits selbst fest, dass nur die Akteneinsicht gewährt werden muss, die zu Zwecken der Rechtspflege oder - genauer - zu Zwecken der Strafverfolgung 96 erforderlich ist. Zum anderen sind die Einsicht nehmenden lustizbehörden verfassungsrechtlich an die Grundrechte des Betroffenen gebunden. Konkrete Missbrauchsgefahren sind hier also nicht zu finden. Das Akteneinsichtsrecht des Verletztenanwalts gestaltet sich ebenfalls unproblematisch, jedenfalls soweit die verletzte Person mit der vernommenen und auf Videoband festgehaltenen Person identisch ist. In diesem Fall wird der Betroffene regelmäßig in die Einsichtnahme und in die Mitgabe der Aufzeichnungskopie nach § 406 e Abs. 3 StPO eingewilligt haben, denn nur auf der Grundlage vollständiger Aktenkenntnis kann der Anwalt den Verletzten umfänglich auf das Verfahren und auf mögliche weitere Zeugenaussagen vorbereiten. Die Akteneinsicht dient u. U. auch zur Vorbereitung eines Schadensersatz- und Sorgerechtsprozesses. Ferner lässt sich der Vernehmungsmitschnitt im Rahmen einer Therapie nutzen. Anders allerdings stellt sich die Lage dar, soweit keine Personen identität zwischen dem Verletzten und dem Vernommenen besteht. § 406 e StPO setzt dem Einsichtsrecht des Verletztenanwalts in mehrerer Hinsicht Grenzen. So muss zunächst einmal ein berechtigtes Interesse des Verletzten an der Einsichtnahme bzw. an der Besichtigung der Beweisstücke dargelegt werden, es sei denn, der Verletzte ist ohnehin nach § 395 StPO zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Es genügt demnach nicht, 95

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BT-Drs. 14/1484, S. 22. § 477 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 58 a Abs. 2 S. 1 StPO.

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wenn der Verletzte nur zur "Ausforschung" des Beschuldigten bzw. des Zeugen tätig wird97 . Weiterhin dürfen der Einsichtnahme gemäß § 406 e Abs. 2 S. 1 StPO keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen, darunter natürlich insbesondere des Vernommenen, entgegenstehen. Zwar hat nach dieser Formulierung das Informationsinteresse des Verletzten immer noch den Vorrang vor der Intimsphäre und dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen, doch das Akteneinsichtsrecht des Verletztenanwalts ist im Vergleich zu der des Verteidigers keine so absolute Größe, dass das Selbstbestimmungsrecht des Zeugen grundsätzlich dahinter zurückstehen müsste. Für die Mitgabe einer Akten- bzw. Beweismittelkopie an den Verletztenbeistand gilt ähnliches wie zu § 147 Abs. 4 StPO, dem § 406 e Abs. 3 StPO ohnehin nahezu wortgleich nachgebildet ist. Die Entnahme der Aufzeichnungskopie aus der Geschäftsstelle und ihre möglicherweise unkontrollierte Weiterleitung an dritte Personen birgt beachtliche Missbrauchsgefahren. In Anlehnung an die zu § 147 Abs. 4 StPO geführte Diskussion um eine Beschränkung des Mitgabeanspruchs ist also auch hier eine restriktive Tatbestandsergänzung des § 406 e Abs. 3 StPO angebracht. Als Vorbild soll der zuvor formulierte Entwurf eines § 147 Abs. 4 V-StPO dienen 98 . Auf dessen Regelungen könnte § 406 e Abs. 3 StPO verweisen. Ein § 406 e Abs. 3 V-StPO würde dann lauten: § 406 e Abs. 3 V-StPO

(3) 1 Auf Antrag können dem Rechtsanwalt, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, die Akten mit Ausnahme der Beweisstücke in seine Geschäftsräume oder seine Wohnung mitgegeben werden. 2 § 147 Abs. 4 Sätze 2 und 3 gelten entsprechend. 3 Die Entscheidungen nach den Sätzen I und 2 sind nicht anfechtbar.

o Vorschlag für eine Neufassung von § 58 a V-StPO Anhand der in bisher zu § 58 a StPO erörterten Problembereiche soll nun auch versucht werden, eine Neufassung des Tatbestandes zu formulieren. Große Veränderungen werden nicht erfolgen, insbesondere nicht in § 58 a Abs. I StPO, denn dessen sehr weite Fassung ist für Beweissicherungszwecke im Grunde zu begrüßen. Natürlich darf nie aus den Augen gelassen werden, dass der Maßstab der Verhältnismäßigkeit eine restriktive Auslegung seiner äußerst weit formulierten Ermächtigungsgrundlagen erforder97 OUo, GA 1989, 301 ff.; LG Bielefeld, wistra 1995, 118; a.A. Kurth, NStZ 1997,7; OLG Koblenz, StV 1988,333. 98 Der Vorschlagstext findet sich in Kapitel A.l.e)cc)(3).

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lieh macht. Doch dazu bedarf es keiner Neufassung des Wortlautes, denn das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist auch ohne ausdrücklichen Hinweis immer grundlegender Maßstab der Gesetzesanwendung. § 58 a Abs. 1 StPO bleibt damit unverändert. Verändert aber wird der Wortlaut des § 58 a Abs. 2 S. 2 StPO, denn dort sind spätestens mit Inkrafttreten des StVÄG 1999 neue Verweisungen notwendig geworden. § 58 a Abs. 2 V-StPO wird demnach lauten: § 58 a Abs. 2 V-StPO (2) 1 Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für die Zwecke der Strafverfolgung und nur insoweit zulässig, als dies für die Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 2 § 100 b Abs. 6 und §§ 147 und 406 e sowie §§ 474 Abs. 1,4 und 5, 477 Abs. 2, 478 Abs. 1 S. 1 und 2 finden entsprechende Anwendung.

2. Besonderheiten einer Vernehmungsdokumentation nach den Voraussetzungen des § 247 a S. 4 StPO § 247 a Abs. 4 StPO gilt aufgrund seiner gegenüber § 58 a Abs. 1 StPO enger gefassten Voraussetzungen zu Recht als lex specialis für das Aufzeichnungsverfahren im Rahmen einer Videosimultanvernehmung in der Hauptverhandlung99 bzw. für die Dokumentation von Zeugenaussagen im Rahmen einer Hauptverhandlung schlechthin 100.

Ein Vernehmungsmitschnitt soll gemäß § 247 a S. 4 StPO dann erfolgen, wenn zu besorgen ist, "dass der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist". Die Verwendungsbeschränkung des § 58 a Abs. 2 S. 1 StPO und die Verweisungsnorm des § 58 a Abs. 2 S. 2 StPO finden gemäß § 247 a S. 5 StPO entsprechende Anwendung. Soll eine Aufzeichnung erfolgen, ohne dass diese Voraussetzungen vorliegen, beispielsweise als Gedächtnisstütze für die Urteilsberatungen, muss das Einverständnis des Zeugen eingeholt werden 101. Letzteres wird allerdings nur selten notwendig sein, denn der weitere Verlauf der Hauptverhandlung bzw. des Verfahrens ist zum Zeitpunkt der Vernehmung regelmäßig noch ungewiss. Die Hauptverhandlung könnte zu jeder Zeit ausgesetzt oder erneut begonnen werden. Genauso gut kann es zu einer Hauptverhandlung in der Berufungsinstanz oder zu einer Zurückweisung der Sache in der Revision kommen lO2 • Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 247 a, Rn. 22; K/M-G, § 58 a, Rn. 2. Rieß, NJW 1998,3241; ders., StraFo 1999,3. 101 K/M-G, § 247 a, Rn. 11.

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Und "zur Erforschung der Wahrheit erforderlich" ist eine Aufzeichnung nicht nur dann, wenn bereits zum Zeitpunkt der Vernehmung mit großer Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann, dass der Zeuge für eine spätere Verhandlung ausfällt, sondern auch dann, wenn die Aussage zu komplexen und streitigen Sachverhalten erfolgt, besonders umfangreich ausfällt oder sich die Einvernahme des Zeugen als besonders schwierig gestaltet. Vielleicht wird die Zeugenaussage auch als besonders relevant und für die Urteilsfindung wesentlich eingeschätzt oder es empfiehlt sich dringend, dem Zeugen die Belastung weiterer Vernehmungen zu ersparen 103. Nach der gesetzlichen Systematik ist die Aufzeichnung nach § 247 a S. 4 StPO regelmäßig ohnehin in den Zusammenhang einer Videosimultanübertragung eingebettet. Die Erforderlichkeitsprognose des § 247 a S. 4 StPO kann dann an die Anordnungsgründe des § 247 a S. 1 StPO anknüpfen, allerdings mit der Maßgabe, dass die Prognose nicht für die gegenwärtige sondern eine weitere Hauptverhandlung gelten soll. Im Übrigen gilt § 247 a S. 4 StPO aber für jede Anordnung einer Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton in der Hauptverhandlung, unabhängig davon, ob gleichzeitig eine Simultanübertragung erfolgt 104 . § 58 a Abs. 1 StPO in seiner nahezu unbegrenzten Weite ist in der Hauptverhandlung fehl am Platz, zumal er sich mit Gefahren eines Beweisverlustes befasst, der dann, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung unmittelbar zur Verfügung steht, eigentlich nicht mehr eintreten kann.

Nicht, dass in der Praxis wegen der etwas restriktiveren Voraussetzungen des § 247 a Abs. 4 StPO eine deutliche Zurückhaltung bei der Aufzeichnung zu erwarten wäre, denn auch hier bringt die Formulierung "soll aufgezeichnet werden" zum Ausdruck, dass das Ermessen des Gerichts in Richtung auf eine Aufzeichnung vorgegeben ist, jedenfalls sofern die Prognose tatsächlich zu Gunsten einer Beweissicherung ausfällt. Ferner wird der Verteidiger gut beraten sein, im Hinblick auf eine mögliche revisionsgerichtliche Kontrolle des Urteils Vorsorge für eine Aufzeichnung zu treffen 105. Unbedingt zu beachten sind die über § 247 a S. 5 StPO entsprechend geltenden Verwendungsschranken für die Aufzeichnung ge102 SK-Schlüchter, § 247 a, Rn. 20; WeiderlStaechelin, StV 1999, 53; BTDrs. 1317165, S. 5; strenger Seitz, NJW 1998, 312, der eine Aufzeichnung nur dann zulässt, wenn tatsächlich Anlass zu der Annahme besteht, es werde eine neue Hauptverhandlung stattfinden. 103 Diemer, NJW 1999, 1672; BT-Drs. 1317165, S. 10. 104 Rieß, NJW 1998,3241; ders., StraFo 1999, 3. 105 Zu Videoaufzeichnungen in der Revisionsinstanz nimmt Kapitel C ausführlich Stellung; WeideriSteachelin, StV 1999, 35; Schlothauer, StV 1999, 50; Burhoff,

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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mäß § 58 a Abs. 2 StPO. Ist das Verfahren, das Anlass zum Vernehmungsmitschnitt gab, rechtskräftig abgeschlossen und bestehen zu diesem Zeitpunkt keine konkreten Anhaltspunkte, die auf einen Bedarf nach der Aussage in einer weiteren Hauptverhandlung schließen lassen, dann ist das Videoband umgehend gemäß §§ 58 a Abs. 2 S. 2, 100 b Abs. 6 StPO zu vernichten.

B. Die Verwertbarkeit der Bild-Ton-Aufzeichnungen von Zeugenvernehmungen in der Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 255 a StPO § 255 a (1) Für die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung gelten die Vorschriften zur Verlesung einer Niederschrift über eine Vernehmung gemäß §§ 251, 252, 253 und 255 entsprechend.

(2) 1 In Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184 c des Strafgesetzbuches) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuches) oder wegen Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 des Strafgesetzbuches) kann die Vernehmung eines Zeugen unter sechzehn Jahren durch die Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger Gelegenheit hatten, an dieser mitzuwirken. 2 Eine ergänzende Vernehmung des Zeugen ist zulässig.

Die Einspielung einer Bild-Ton-Aufzeichnung in der Hauptverhandlung nach Maßgabe des § 255 a StPO verdient vor allem deswegen Aufmerksamkeit, weil sie sich z. T. von den Leitlinien der bereits bestehenden Ausnahmevorschriften der § 251 ff. StPO entfernt. So gestattet § 255 a Abs. 2 StPO tiefgreifende Einschnitte in das Prinzip der unmittelbaren Zeugenvernehmung auch dann, wenn der unmittelbare Zeuge eigentlich verfügbar ist, seine erneute Vernehmung aber aus besonderen, gesetzlich anerkannten Schutzinteressen nicht gewünscht wird. § 255 a Abs. 2 StPO ist ein Relikt des noch der Feder des Bundesrates entstammenden "apokryphen Kinderzeugenschutzgesetzes .. J06 • Das Gesetz selbst hat sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens nicht gegen die Interessen der Mehrheit an einem generellen Zeugen schutz sowie gegen die Idee, die Videotechnik zum Hilfsmittel der Wahrheitserforschung zu erheben, behaupten können 107 . Geblieben ist nur § 255 a Abs. 2 StPO als einzige Norm des Zeugenschutzgesetzes, die tatsächlich primär dem Schutz Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 h; KMR-Lesch, § 247

a, Rn. 32.

106 Rieß, Opfer- und Zeugen schutz in Missbrauchsverfahren, S. 123; Vgl. auch den Entwurf des Bundesrates eines Gesetzes zum Schutz kindlicher Zeugen, BT-Drs. 13/4983, S. 3 und 7 f. 107 Zum Gang der Gesetzgebung im 2. Teil, Kapitel A.

400

6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

kindlicher Zeugen gewidmet ist und nicht vordringlich Belangen der Wahrheitserforschung und Beweissicherung dient. Gerade deswegen wird § 255 a Abs. 2 StPO aber auch mit Misstrauen beäugt. So mahnte die Bundesregierung bereits früh, dass der in § 255 a Abs. 2 StPO Gesetz gewordene Einbruch in die Unmittelbarkeitsmaxime nur mit Augenmaß und erst nach reiflicher Überlegung zur Anwendung kommen dürfe. Gerade in bestimmten Deliktsbereichen wären die Verteidigungsrechte des Angeklagten besonders schutzbedürftig \08. Formal verleiht § 255 a StPO der Bild-Ton-Aufzeichnung eine bis dahin ungekannte Beweismittelqualität \09. Über die bisherigen Verwendungsformen als Mittel oder Objekt des Augenscheinsbeweises hinaus gestattet das Gesetz nunmehr, Bild-Ton-Aufzeichnungen zur Beweisführung über den Inhalt der dokumentierten Vernehmung heranzuziehen. Den Vernehmungsniederschriften stehen die Videodokumentationen damit allerdings immer noch nicht gleich. Nicht nur, dass ihnen weiterhin die Protokolleigenschaft des Schriftdokuments i. S. d. §§ 168, 168 a StPO vorenthalten wird, ihre Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung wird auch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht. Zur Verwertung von Vernehmungsniederschriften ist das Gericht nur an die Voraussetzungen der §§ 249 ff. StPO gebunden. Will es dagegen das Videoband in die Hauptverhandlung einspielen, dann muss es zusätzlich noch die in § 58 a Abs. 2 S. 1 StPO für das gesamte Strafverfahren formulierte Verwendungsbeschränkung beachten. Von dem Vernehmungsmitschnitt in Bild und Ton ist im Laufe der Hauptverhandlung also nur insoweit Gebrauch zu machen, als dies für die Zwecke der Strafverfolgung geschieht und zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist IlO . Die Videodokumentation muss dem Schriftprotokoll demnach in Beweiswert und Inhalt überlegen sein, bevor das Gericht von der Verlesung des 108

BT-Drs. 13/4983, S. 10; Schlothauer, StV 1999, 48; anders KK-Diemer,

§ 255 a, Rn. 3.

109 Ob zumindest § 255 a Abs. 1 StPO mit seinen Verweisungen auf die Vorschriften über den Urkundsbeweis nicht doch nur deklaratorische anstatt konstitutiver Wirkung hat ist umstritten; zum Meinungsstand vor Inkrafttreten des Zeugenschutzgesetzes s. Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 61 f.; eine Urkundeneigenschaft des Videobandes bejahte zumindest Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 155 ff.; die Urkundeneigenschaft dagegen verneint Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 210 ff., die dann aber die Vorschriften über den Urkundsbeweis analog anwendet. 110 K/M-G, § 255 a, Rn. 5; Rieß, StraFo 1999,4; a.A. Leitner; StraFo 1999,48: § 255 a Abs. 1 StPO sei in jedem Fall lex specialis zu § 251 StPO und für die Verlesung einer Vernehmungsniederschrift bei Existenz einer Videoaufzeichnung derselben Vernehmung kein Raum. Die Niederschrift habe dann lediglich informatorischen Charakter.

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

401

schriftlichen Protokolls absehen und auf die Bild-Ton-Aufzeichnung zugreifen kann 'li. Umgekehrt darf sich das Gericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO mit der Verlesung des Schriftprotokolls begnügen, wenn es sich von der Vernehmungsaufzeichnung in Bild und Ton keinen größeren Aufklärungswert verspricht. Allerdings wird die Plastizität und Vollständigkeit der Wiedergabe des Erscheinungsbildes und des Aussageverhaltens des Vernommenen im Regelfall den Vorrang der Einspielung der Video aufzeichnung vor der bloßen Protokollverlesung begründen" 2 • Gegliedert ist § 255 a StPO in zwei Tatbestände. Abs. I wirkt den Gefahren des Beweisverlustes in der Hauptverhandlung entgegen und knüpft die Verwertung des Beweissurrogats an die engen Voraussetzungen der §§ 251 und 253 StPO. Abs. 2 ermöglicht die Beweisführung unabhängig von der Gefahr des Beweisverlustes bzw. unabhängig von Zielen der Verfahrensäkonomie und der Prozessbeschleunigung in Anknüpfung an Voraussetzungen, bei deren Vorliegen eine besondere Schutzbedürftigkeit des Zeugen vermutet und daher im Einzelfall eine Beschneidung der Rechte des Angeklagten in der Hauptverhandlung in Kauf genommen werden darf, sofern die Konfrontations- und Fragerechte von Beschuldigtem und Verteidigung in einem früheren Verfahrensabschnitt gewahrt worden sind. Die bei den Tatbestände sind nicht aufeinander abgestimmt und stehen zueinander in keinem bestimmten Konkurrenzverhältnis. Die Anwendungsbereiche können sich überschneiden, weswegen oft anzuraten sein wird, die Voraussetzungen beider Tatbestände zu prüfen und dann die im Einzelfall unproblematischere Rechtsgrundlage zu wählen.

1. Die Anfänge des § 255 aStPO: Umsetzungshindernisse im Gerichtsalltag Von der Videoaufzeichnung als Beweissurrogat in der Hauptverhandlung hatte man sich im Vorfeld des Zeugenschutzgesetzes viel erhofft'13. Die Videokonserve sollte zeit- und tatnahes Aussageprotokoll sein, ein inhaltlich hochwertiges und plastisches Beweisdokument, dessen Existenz 111 BT-Drs. 13/7165, S. 3 und 11; kritisch Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 62 f.; KK-Diemer, § 255 a, Rn. 4, verneint eine Subsidiarität der Bild-Ton-Aufzeichnung. 112 Weigend, Gutachten C zum 62. DJT, S. 63; BT-Drs. 13/7165, S. 7; Seitz, JR 1998,312; WeiderlStaechelin, StV 1999,53. 113 Vgl. nur Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 229, 253 ff.; Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 158 ff; oder die Modellvorstellungen bei Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 261 ff.; ansonsten 2. Teil, Kapitel C.2.a). 26 Swoboda

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

es gestattet, das Verfahren für sensible Zeugen nicht unnötig in die Länge zu ziehen und zu der Belastung der Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht auch noch das Risiko des Beweisverlustes durch Suggestiveinflüsse und Erinnerungslücken addieren zu müssen l14 . Viele dieser Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Modellvorstellungen lassen sich offensichtlich nur bedingt im Gerichtsalltag umsetzen. Nicht bestätigt hat sich beispielsweise der euphorische Glaube, man könnte generell auf eine wiederholte Vernehmungen kindlicher/verletzlicher Zeugen verzichten. Die forensische Erfahrung und die Aussagepsychologie lehren, dass sich Zeugenaussagen gerade bei so sensiblen Themen wie Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung langsam entwickeln 1l5 . Es braucht Zeit, bis der kindliche Zeuge Vertrauen fasst, bis er bereit ist, Informationen aus der Intimsphäre preiszugeben oder bis er sich überhaupt an alle wichtigen Ereignisse zurückerinnert I 16. Im Grunde müssten hier mehrere Vernehmungen im Laufe des Ermittlungsverfahrens stattfinden und aufgezeichnet werden, um sie dann der Reihe nach als Vernehmungssurrogat in der Hauptverhandlung vorzuführen 117. Doch hiervon wird in der Praxis nicht berichtet. Die Gerichte enthalten sich lieber überhaupt einer Anwendung des § 255 a Abs. 2 StPO. Woraus aber begründet sich diese Befangenheit? Sicherlich sind noch nicht alle Gerichte, insbesondere nicht alle Amtsgerichte mit technischen Übertragungs- und Aufzeichnungsanlagen ausgestattet, aber für die Anfertigung und das Abspielen einer Videokonserve ist auch keine komplizierte oder übermäßig teure Anlage notwendig. Unnötig ist vor allem die aufwendige und teure Verlegung von Leitungen und Schaltungen, wie sie eine Simultanübertragung verlangen würde. In technischer Hinsicht besteht die Schwierigkeit allein darin, eine gute Aufnahmequalität garantieren zu können I 18. Meurer, JuS 1999,640. Zu den mitunter recht widersprüchlichen Untersuchungsmethoden und -ergebnissen im Überblick Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 331 ff.; zu Zeugenaussagen allgemein Schünemann, StV 1998, 400; Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Eckpunkte-Papier der Bundesregierung zur Reform des Strafverfahrens, Juni 2001, 2. 116 von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 278. Vielleicht wird der notwendige Rekonstruktions- und Erinnerungsprozess überhaupt erst durch die Aufklärungsmaßnahmen in Gang gesetzt; Poole/White, Tell Me Again and Again, S. 26 ff. 117 Bzgl. Bayern so berichtet bei Schäch, Meyer-Gossner-Fs., S. 370 f. 118 Dies ist im Übrigen nicht ganz so einfach wie es klingt, denn immer noch sorgen viel zu oft Fehler der Technik und Irrtümer im Zusammenhang mit den Mitwirkungsrechten der Beteiligten für eine Unverwertbarkeit der Aufzeichnung. Insbesondere technische Fehler, etwa ein Rauschen des Bildes, Tonstörungen, Verständnisschwierigkeiten oder Mängel beim "Setting" der Aufzeichnung schließen eine 114

115

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

403

Mehr Schwierigkeiten bereitet den Gerichten, dass ihnen bei der Vorführung des Vernehmungsmitschnitts eigene Frage- und Eingriffsmöglichkeiten in den Ablauf der Vernehmung verloren gehen. Der Verzicht auf einen Zeugen, der im Grunde dem Gericht in der Hauptverhandlung unmittelbar zur Verfügung steht, ist ungewohnt und im Hinblick auf die Wahrheitserforschungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO mit Revisionsrisiken behaftet, die auch ein eventuelles Einverständnis aller Beteiligten mit der Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung nach § 255 a Abs. 1 i. V.m. § 251 Abs. 1 Nr.4 bzw. § 251 Abs. 2 S. 1 StPO nicht zu bannen vermag. Wird die Tat dazu noch glaubhaft bestritten, dann kann das Gericht im Grunde nie sicher sein, ob es mit der bloßen Einspielung der Vernehmungsaufzeichnung der Amtsaufklärungspflicht genügt. Im Zweifelsfall wird es daher andere zeugenschonende Vernehmungsformen zur Anwendung bringen, insbesondere auch die Simultanübertragung nach § 247 a S. 1 StPO, denn bei ihr muss weder auf die unmittelbare Befragung noch auf die zumindest technisch gefilterte - Konfrontation mit dem Belastungszeugen verzichtet werden 119. Dass bislang so wenig Videoaufzeichnungen als Beweissurrogate den Weg in die Hauptverhandlung gefunden haben mag auch daran liegen, dass die videodokumentierte Vernehmung häufig den Beschuldigten bereits im Vorverfahren dazu veranlasst hat, ein Geständnis abzulegen. Eine erneute Vernehmung des Zeugen oder auch nur die Vorführung der Videokonserve kann dann unterbleiben, weil den Urteilsberatungen das Geständnis zugrunde gelegt wird l20 . Für den Zeugen ist dies sicherlich die Optimallösung, zumal sich die Gerichte bei erkannter Schutzbedürftigkeit des Zeugen regelmäßig mit dem Verwertbarkeit für die Hauptverhandlung aus. Werden dagegen Mitwirkungsrechte des Beschuldigten unzulässig beschnitten, bleibt immerhin noch die Möglichkeit, eine Einspielung auf der Grundlage der §§ 255 a Abs. I, 251 StPO anzuordnen, sofern die dortigen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere wenn sich der Angeklagte mit einem Abspielen der Aufzeichnung einverstanden erklärt hat. 119 Natürlich kann das Gericht auch zunächst eine Einspielung der Aufzeichnung anordnen und den Zeugen danach ergänzend vernehmen. Doch diese nur "ergänzende" Vernehmung muss für den Betroffenen nicht unbedingt schonender ausfallen. Eine ausführlich Befragung eröffnet ihm zumindest die Möglichkeit, im Zusammenhang zu berichten, eigene Schwerpunkte zu setzen und Stellung zu nehmen. 120 Eine Begünstigung von Geständnissen durch diese Prozedur ist tatsächlich berichtet worden, von Knoblauch zu Hatzbach, ZRP 2000, 278. Diese Geständnislösung hat im Übrigen wohl auch der Gesetzgeber angestrebt, jedenfalls scheint er die sehr umstrittene Möglichkeit, Aufzeichnungskopien an den Verteidiger herauszugeben, gerade deswegen geschaffen zu haben, damit dieser das Videoband dem Beschuldigten vorspielt und ihm, sollte es angebracht erscheinen, zu einem Geständnis rät; so andeutungsweise in BT-Drs. 1317165, S.7; zum Mitgaberecht s. Kapitel A.l.e)cc). 26*

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugen vernehmungen im Hauptverfahren

Geständnis zufrieden geben und die Vernehmung selbst dann nicht mehr erzwingen, wenn einige klärungsbedürftige Punkte offen bleiben 121 . In Mitleidenschaft gezogen wird allerdings die Sachverhaltsaufklärung, denn von den Vorwürfen, die im Geständnis nicht bestätigt werden, muss der Angeklagte in dubio pro reD freigesprochen werden. Zweifel bestehen außerdem darüber, ob die in den Anfängen des Videotechnikeinsatzes verzeichnete Tendenz zu einer größeren Geständnisbereitschaft von Dauer sein wird 122 . Nach einer Zeit der Gewöhnung an die neuen Medien wird die Verteidigung in der Abwehr der audiovisuell dokumentierten Vorwürfe versierter werden und sich durch die Existenz eines Vernehmungsmitschnitts nicht mehr so leicht beeindrucken lassen. Im Übrigen ist nicht auszuschließen, dass sich der Geständnisdruck, der in Missbrauchsverfahren ohnehin verstärkt auf dem Beschuldigten lastet, durch die Existenz einer Vernehmungsaufzeichnung mit belastendem Inhalt noch verstärkt wird. Die Justizbehörden, insbesondere aber die Gerichte werden Vorsicht walten lassen müssen, soll nicht die Unschuldsvermutung durch den Einsatz der neuen Medien außer Kraft gesetzt werden 123 . Andererseits ist die Problematik des Geständniszwangs nicht unbedingt eine Auswirkung der Videotechnik, sondern sie fließt aus der Gefahr unbedachter Vorverurteilung, die in Missbrauchsverfahren weit verbreitet, wenngleich auch ebenso gefürchtet ist 124 • Missbrauchsverfahren weisen sich durch eine sehr schwierige Beweislage aus. Oft steht nur die belastende Aussage des potentiellen Opfers der des potentiellen Täters gegenüber. Mangels anderer Anhaltspunkte orientiert sich der Geständnisdruck damit an der Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage. Je glaubwürdiger diese, desto stärker der Druck auf den Beschuldigten. Die audiovisuelle Dokumentation selbst hat hier nur den Vorteil der authentischen Reproduktion, nicht aber verdreht sie automatisch die Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil. Natürlich wird eine glaubwürdige Aussage auf Videoband überzeugender erscheinen als in einem Schriftprotokoll und damit den Geständniszwang intensivieren. Umgekehrt ist aber auch die wenig glaubwürdige Information oder die unzulässige Beeinflussung durch den Befragenden so authentisch So auch die Anweisung in Nr. 111 Abs. 4 und 222 Abs. 2 RiStBV. von Knoblauch zu Hatzbach. ZRP 2000, 278. 123 Zur Problematik einer Umkehrung der Unschuldsvermutung im US-amerikanisehen Jury-System ausführlich Kohlmann, St. Mary's Law Journal 1995 [Vol. 27], 389 ff.; eine Umkehrung der Unschuldsvermutung durch eine weitere Stärkung der Verietztenstellung befürchtet außerdem die Arbeitsgruppe 6 des 25. Strafverteidigertages, StV 2001, 486. 124 Deckers, AnwBI 1997,456 ff.; ders., NJW 1999, 1366; EndreslScholz. NStZ 1994,467; Meurer, NJW 1999,941. 121

122

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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dokumentiert, dass sie den Druck auf den Beschuldigten vennindern wird. Im Grunde muss der Geständnisdruck also der Problematik sorgfältiger Sachverhaltsaufklärung und kritischer Würdigung der vorliegenden Beweise zugeordnet werden und nicht unbedingt dem Einsatz von Videotechnik als Speichennedium, selbst wenn der Geständniszwang bei dieser Gelegenheit besonders deutlich zutage treten sollte.

2. Die Verwendung der Aufzeichnung nach § 255 a Abs. 1 StPO Ob § 255 a Abs. 1 StPO mit seinem Verweis auf die §§ 251, 252, 253 und 255 StPO nun konstitutiven oder nur deklaratorischen Inhalts ist 125 , kann für die Praxis im Grunde offengelassen werden. Allerdings spricht vieles gegen eine nur deklaratorische Bedeutung. Das Videoband ist auch in seiner Art von vollkommen anderer, gleichsam intensiverer Beweisqualität als eine bloße Urkunde. Eine unreflektierte Gleichbehandlung der Beweissurrogate erscheint deswegen gerade im Hinblick auf die Strenge des in § 250 StPO fonnulierten Unmittelbarkeitsgebotes und die Rechte des Beschuldigten bedenklich. Zudem hat der Gesetzgeber in einer wiederholt geführten Diskussion in den letzten Jahrzehnten deutlich gemacht hat, dass er nicht einmal Tonbandaufnahmen den Schriftprotokollen gleichstellen will. Dem muss entnommen werden, dass bis 1998 das Gesetz in Bezug auf Tonband- und Videoprotokolle eine planmäßige Lücke enthielt, die eine analoge Anwendung der §§ 249 ff. StPO auf die Videodokumentation verbietet 126. Weiterhin verweist das Gesetz in § 255 a Abs. 1 StPO gezielt nur auf bestimmte Nonnen in der Reihe der §§ 249 ff. StPO. Wäre § 255 a Abs. 1 StPO nur von klarstellender Bedeutung, so müsste der in ihm nicht benannte § 254 StPO immer noch wenigstens analog anwendbar sein. Doch gerade von der Einspielung audiovisueller Vernehmungs- und Geständnisaufzeichnungen des Beschuldigten hat der Gesetzgeber abgesehen 127 . § 255 a Abs. 1 StPO ist daher eine konstitutive Rechtsgrundlage für die Einspielung von Vernehmungs aufzeichnungen aus beweissichernden oder 125 So SK-Rogall, § 255 a, Rn. 1; K/M-G, § 255 a, R. 1; für die Rechtslage vor Inkrafttreten des Zeugenschutzgesetzes Kintzi, DRiZ 1996, 189; Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 158 ff.; a. A. KK-Diemer, § 255 a, Rn. 3; Meier, RdJB 1996,456 ff. 126 Meier, RdJB 1996,455 ff.; ders .. GA 1995, 164; Keiser, Das Kindeswohl im Strafverfahren, S. 246 ff.; zum Verbot des Analogieschlusses auch im 2. Teil, Kapitel C.2.a). 127 BT-Drs. 13/4983, S. 11; dazu Diemer, NJW 1999, 1373 f.; dazu speziell im 7. Teil.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

verfahrensökonomischen Gründen. Eine über ihre Voraussetzungen hinausgehende Analogie zu weiteren Vorschriften über die Verwendung von Schriftprotokollen in der Hauptverhandlung verbietet sich. a) Die Ersetzung der Zeugenaussage gemäß §§ 255 a Abs. 1, 251 StPO Die wichtigste Verweisung im Rahmen des § 255 a Abs. 1 StPO führt zu den Ersetzungstatbeständen des § 251 StPO. Eine Videovorführung in der Hauptverhandlung darf damit im Freibeweisverfahren auf § 251 Abs. 3 StPO gestützt werden, im Strengbeweisverfahren gelten die Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 und 2 StPO. Die Lösung gilt als "dogmatisch glatt" und weitgehend unproblematisch 128 , was allerdings nicht dazu führen sollte, die erhöhte Überzeugungskraft, um nicht zu sagen Suggestivwirkung zu unterschätzen, die mit dem Fernsehbild im Vergleich zur reinen Protokollverlesung unweigerlich verbunden ist 129 • Immerhin lässt das Fernsehbild die frühere Vernehmung quasi "wiederaufleben". Nur wenige Beobachter werden sich dann der eindrucksvollen Plastizität der Dokumentation entziehen können und diese so wie es sein sollte - nur als mittelbaren und damit als besonders kritisch zu würdigenden Beweis betrachten.

aa) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO Vieles von dem, was zu den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO, zu den betroffenen Zeugengruppen und zu den typischen Verfahrenssituationen, in denen eine Ersetzung der Aussage in Betracht kommt, zu sagen ist, wurde bereits bei § 247 a S. 1 Hs. 2 StPO zur Sprache gebracht. Auf die Definitionen und Beispielsfälle dort kann verwiesen werden. Zusammengefasst sind die wichtigsten Fallgruppen Folgende: • der Fall des durch seine Erziehungsberechtigten am Erscheinen gehinderten kindlichen Zeugen, dem aus Besorgnis um sein Wohlergehen und um seine weitere seelisch-körperliche Entwicklung die Aussage unmittelbar in der Hauptverhandlung erspart werden sol1 130 . 128

Rieß, StraFo 1999, 3; ders., Opfer- und Zeugenschutz in Missbrauchsverfah-

ren, S. 123.

129 Rieß, StraFo 1999, 4; zur "Verfremdungsgefahr durch mediale Aufzeichnungen" allgemein Jung, GA 1998, 325; zur Gefahr der Suggestivwirkung genauer in Kapitel B.3.b). 130 3. Teil, Kapitel C.2.a)aa).

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

407

• der Fall des Auslandszeugen, der sich entweder ohne Angabe besonderer Gründe oder wegen befürchteter Bedrohung an Leib und Leben oder aus Angst vor gegen ihn betriebenen inländischen Strafverfolgungsmaßnahmen ins Ausland abgesetzt hat bzw. dort inhaftiert ist. Verweigert dieser Zeuge ein Erscheinen vor dem deutschen Gericht bzw. bleibt das Ersuchen um eine zumindest zeitweilige ÜbersteIlung aus dem Ausland erfolglos, so ist der Zeuge i.S.d. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO unerreichbar!3!. • die Situation der wegen Bedrohung an Leib und Leben durch die Polizeibehörden gesperrten V-Person bzw. die Gefährdungslage des an Leib und Leben bedrohten Zeugen, dem für die Dauer der Vernehmung auch eventuelle präventive polizeiliche Schutzmaßnahmen nicht ausreichend Schutz bieten würden 132. Das Gericht muss sich allerdings darüber klar sein, dass es mit der Vernehmungsaufzeichnung im System der Drei-StufenTheorie eine Beweisführung auf der dritten und damit eingriffsintensivsten Stufe wählt\33. § 251 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StPO behandelt nur audiovisuelle Aufzeichnungen von richterlichen Vernehmungen!34.

Die Einspielung des Vernehmungs mitschnitts tritt im Bereich des § 251 Abs. 1 StPO in allen genannten Fallgruppen in direkte Konkurrenz zu der Möglichkeit einer simultan übertragenen Einvernahme des Zeugen auf der Grundlage des § 247 a S. 1 Hs. 2 StP0 135 • Ist der Zeuge mittels Simultanübertragungstechnologie für die Hauptverhandlung erreichbar und gebietet die Amtsaufklärungspflicht eine möglichst unmittelbare Einvernahme des Zeugen, insbesondere weil mit der vorhandenen Videokonserve voraussichtlich nicht alle Streitpunkte, vielleicht nicht einmal alle sachverhaltsrelevanten Fragen geklärt werden können, so muss sich das Gericht zunächst um den Aufbau einer Videosimultanschaltung, bemühen, bevor es sich mit dem Vernehmungssurrogat zufrieden geben darf. In der Reihenfolge der dem Gericht abverlangten Bemühungen um das bestmögliche, d. h. inhaltlich verlässlichste Beweismittel steht die Videokonserve demzufolge auf einer Stufe zwischen der Videovernehmung des Zeugen und der Verlesung des reinen Schriftprotokolls 136. 3. Teil, Kapitel C.2.c), insbesondere C.2.c)bb)(4). 3. Teil, Kapitel C.2.b). 133 Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 427. 134 Für nichtrichterliche Vernehmungen gelten die vergleichsweise engeren Voraussetzungen des § 251 Abs. 2 StPO; dazu s.u. im Kapitel B.2.a)cc). 135 Die Konkurrenz von Video vernehmung und Einspielung früherer Vemehmungsdokumentationen in Bild und Ton ist speziell für den Auslandszeugen bereits ausführlich erörtert worden, 3. Teil, Kapitel C.2.c)bb)(4).; allgemeiner auch im 3. Teil, Kapitel C.l.b). 131

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

Von besonderer Bedeutung ist und bleibt die Ersetzungsgrundlage des § 251 Abs. I Nr. 4 StPO. Nicht nur, dass das Einverständnis der Beteiligten mit der Vorführung des Videobandes das Revisionsrisiko erheblich mindert, die einverständliche Lösung erlaubt auch, Zeugen schutz im Zusammenwirken aller Verfahrensbeteiligten dort zu verwirklichen, wo der Zeuge eigentlich für eine Aussage zur Verfügung stünde und die engen Voraussetzungen des § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO nicht gegeben sind. Vorschnell darf der Griff zur Videoaufzeichnung allerdings auch mit dem Einverständnis aller Beteiligten nicht erfolgen. Das Gericht wird hierdurch zwar zum Rückgriff auf das Beweissurrogat ermächtigt, nicht aber auch dazu verpflichtet 137. Die Vorgaben der Amtsaufklärungspflicht lassen sich auch durch die Einwilligung aller prinzipiell nicht entkräften. Außerdem darf das Ziel eines möglichst umfassenden Zeugenschutzes das Gericht nicht dazu verleiten, einen dem Geständniszwang vergleichbaren Druck auf den Angeklagten auszuüben, damit dieser in die Vorführung der Aufzeichnung einwilligt, obwohl er die unmittelbare Vernehmung des Zeugen bevorzugen würde. Liegen die Voraussetzungen des §§ 251 Abs. 1 oder 2 und 255 a Abs. 2 S. 1 StPO nicht vor, die eine Vorführung der Vernehmungsdokumentation auch ohne die Zustimmung des Angeklagten und seines Verteidigers ermöglichen würden, dann darf der Verteidigung die in § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO gewährte Dispositionsfreiheit über die Verwertung eines Beweissurrogates in der Hauptverhandlung auch nicht genommen werden. Im Übrigen steht es den Beteiligten frei, nur in die Verwendung eines bestimmten Beweissurrogats, beispielsweise nur in die Verlesung der Vernehmungsniederschrift oder eben nur in die Vorführung des auf Videoband konservierten Vernehmungs mitschnitts einzuwilligen 138. Wird unter den Verfahrensbeteiligten keine Einigkeit über das einzuführende Beweissurrogat erzielt, dann bleibt für das Beweisverfahren in der Hauptverhandlung letztlich nur die unmittelbar persönliche bzw. videosimultanübertragene Zeugenvernehmung als Alternative übrig.

136 Ausführlich Lagodny, Videovernehmungen im Strafverfahren: nur Risiken und Nebenwirkungen?, S. 171 ff.; Nack/Arbeitsgemeinschajt sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, S. 313 ff. 137 So auch bei §§ 247 a S. 1 Hs. 2, 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO, s. im 3. Teil, Kapitel CA.a). 138 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 255 a, Rn. 6.

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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bb) Der Tatbestand des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO

Zu den bereits erörterten Tatbestandsalternativen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 4 StPO kommt für die Vorführung von Vernehmungsaufzeichnungen nun noch die Ersetzungsgrundlage des § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO hinzu. Die Videokonserve darf also auch dann vorgespielt werden, wenn der Zeuge verstorben, in Geisteskrankheit verfallen oder sein Aufenthalt nicht zu ermitteln ist 139. Für die Annahme der Unauffindbarkeit der Person sollte das Gericht wenigstens einmal erfolglos Nachforschungen über deren Aufenthaltsort unternommen haben, es sei denn aufgrund konkreter Anhaltspunkte in den Akten ist die Erfolglosigkeit entsprechender Ermittlungsbemühungen bereits im Voraus abzusehen 140. Eine ergebnislose einmalige Ladung des Zeugen genügt noch nicht l41 , andererseits wird nicht verlangt, dass überhaupt keine Aussicht auf Ermittlung des Aufenthaltsortes besteht l42 . Der Umfang notwendiger Nachforschungen orientiert sich an der Bedeutung der unmittelbaren Zeugenaussage für das Verfahren, an der Schwere des Tatvorwurfs, an dem Umfang der bereits angestellten Ermittlungen sowie in nicht unerheblichem Maß auch an Aspekten der Verfahrensökonomie und der Prozessbeschleunigung l43 . Je authentischer aber die frühere Zeugenaussage konserviert wurde und je einfacher sie sich mit technischen Mitteln reproduzieren lässt, um so mehr wird das Gebot der Verfahrensbeschleunigung berücksichtigt und auf weitere Ermittlungen über den Aufenthalt des Zeugen verzichtet werden können. ce) Der Tatbestand des § 251 Abs. 2 StPO

Ist das Videoband anlässlich einer nichtrichterlichen Vernehmung entstanden, so kann seine Vorführung nur nach § 251 Abs. 2 StPO erfolgen. § 251 Abs. 2 S. 1 StPO erlaubt iie Verwertung des Beweissurrogats zunächst einmal dann, wenn der Angeklagte verteidigt wird und Staatsanwalt, 139 Soweit im Fall der Geisteskrankheit der Verdacht aufkeimt, dass der Zeugen bereits bei der Aufzeichnung der früheren Vernehmung im Zustand der Nichtzurechnungsfähigkeit ausgesagt hat, hindert dies die Verwertung der Beweiskonserve zunächst nicht, allerdings muss die Glaubwürdigkeit der früheren Aussage besonders sorgfältig überprüft werden; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251, Rn. 33. 140 ter Veen, StV 1985, 297 f.; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251, Rn. 34 m.w.N. 141 BGH, GA 1968, 19; 1980,422; StV 1999, 196. 142 RGSt. 3, 367 (369); 15, 409 (412); Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 251,

Rn. 34. 143

Mit Beispielen aus der Rechtsprechung ter Veen, StV 1985, 297 f.; BGH,

NJW 1990, 399 f.; AK-Dölling, § 251, Rn. 10.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

Verteidiger und Angeklagter mit der Einführung des Vernehmungsmitschnitts in die Hauptverhandlung einverstanden sind. § 251 Abs. 2 S. 2 StPO ermöglicht die Verwertung der Aufzeichnung darüber hinaus dann, wenn der Zeuge verstorben ist oder aus einem anderen Grund in absehbarer Zeit nicht gerichtlich vernommen werden kann.

Mit den gegenüber dem § 251 Abs. 1 StPO enger gefassten Voraussetzungen versucht das Gesetz der Tatsache Rechnung zu tragen, dass bei einer nichtrichterlichen Vernehmung die vernommene Person nicht mit einer nach §§ 153 ff. StGB gesetzlich sanktionierten Wahrheitspflicht belegt wird und damit dem Ergebnis der nichtrichterlichen Vernehmungen nur ein vergleichsweise geringer Beweiswert eingeräumt werden darf l44. Trotz dieser Unterscheidung im Beweiswert gilt für die Auslegung der Tatbestandsmerkmale des Abs. 2 allerdings kaum anderes als für die Paralleltatbestände des § 251 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StP0 145 • Eine auf Videoband dokumentierte nichtrichterliche Vernehmung darf also in die Hauptverhandlung eingeführt werden, wenn der unmittelbare Zeuge behördlich gesperrt, aus Besorgnis um sein Wohl am Erscheinen in der Hauptverhandlung gehindert oder in anderer Form dem Zugriff des Gerichts endgültig bzw. für eine längere und ungewisse Dauer entzogen ist. Im Fall des behördlich gesperrten Zeugen ist aber angesichts der bekannten Problematik der Unzuverlässigkeit von V-Personen eine besonders kritische Haltung des Gerichts, insbesondere auch eine nachhaltiges Drängen auf die Freigabe des unmittelbaren Zeugen angebracht 146. Im Gegenzug können Zeugenschutzmaßnahmen der ersten und zweiten Stufe, darunter vor allem die Vernehmung des Zeugen auf sichere Distanz nach Maßgabe des § 247 aStPO, angeboten werden. Eine Besonderheit des § 251 Abs. 2 StPO ist, dass nicht nur Vernehmungsaufzeichnungen sondern auch sog. "Berichtsurkunden" über ihn Eingang in die Hauptverhandlung finden können. Dies sind Urkunden oder schriftliche Äußerungen des Zeugen, die von vornherein zu Beweiszwecken erstellt wurden und deswegen grundsätzlich unter das Verwertungsverbot des § 250 StPO fallen 147 . Ob § 255 a Abs. 1 StPO allerdings auch audiovisuelle Erklärungsaufzeichnungen über § 251 Abs. 2 S. 1 StPO zur Verwertung in der Hauptverhandlung zulassen wollte, erscheint mehr als fraglich, denn dem Wortlaut 144 AK-Dölling, § 251, Rn. 42; Park, StV 2000, 220 (Fn. 35); kritisch ansonsten Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1315 f. und 2101 (Fn. 12). 145 ter Veen, StV 1985,302 f. m.w.N. 146 Zur Unzuverlässigkeit von V-Personen s. 3. Teil, Kapitel B.3.c). 147 K/M-G, § 250, Rn. 8.

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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nach befasst sich § 255 a Abs. 1 StPO eindeutig nur mit Bild-Ton-Aufzeichnungen von "Zeugenvernehmungen". Erklärungen, die nicht anlässlich einer Vernehmung im prozessualen Sinn gewonnen wurden, sind nicht erfasst. Überdies wird sich im Verfahrensalltag kaum eine Äußerung finden, die unabhängig von einer offiziellen Vernehmung audiovisuell und gerade zu Beweiszwecken festgehalten wurde. Andererseits spricht bei Existenz eines solchen Beweises wenig dagegen, ihn auf der Grundlage des § 251 Abs. 2 StPO mit der gebotenen kritischen Würdigung zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen. Zulässig sollte dies zumindest dann sein, wenn diese Form der Beweisführung dem Angeklagten eine Möglichkeit eröffnet, Entlastungstatsachen durch den Zeugen bestätigen zu lassen. Eine Verurteilung hingegen dürfte auf dieses äußerst unsichere und über das Fernsehbild noch dazu gefährlich einprägsame Beweismittel sicherlich nicht gestützt werden l48 . dd) Sonderproblem: Die fehlerhafte Vernehmungsaufzeichnung und ihre Ersatzverwertung über § 251 Abs. 2 S. 2 StPO bzw. auf der Grundlage des Einverständnisses aller Beteiligten und die Widerspruchsläsung des BGH § 251 Abs. 2 StPO erlangt als Rechtsgrundlage für die Vorführung von Vernehmungsaufzeichnungen außerdem dort besondere Relevanz, wo die Dokumentation einer richterlichen Vernehmung mit einem erheblichen Rechtsfehler belastet ist und deswegen nicht nach Abs. 1, sondern nur nach Abs. 2 StPO mit dem vergleichsweise geringeren Beweiswert einer nichtrichterlichen Vernehmung vorgeführt werden darf l49 .

Um nach § 251 Abs. 1 StPO als Protokoll verlesen bzw. als Videodokumentation vorgeführt werden zu können muss die Aufzeichnung einer richterlichen Vernehmung ordnungsgemäß, d.h. unter Beachtung des zwingenden Rechts und der wesentlichen Färmlichkeiten zustande gekommen sein. Andernfalls wäre das sonst in richterliche Protokolle gesetzte besondere Vertrauen nicht mehr gerechtfertigt. Ein Fehler kann aber u. U. dadurch ausgeglichen werden, dass dem Beweis nur die Wertigkeit einer nichtrichterlichen Vernehmung zuerkannt wird, zumindest soweit nicht ein Beweisverwertungsverbot oder zwingendes Recht entgegensteht l5o . K/M-G, § 251, Rn. 32. AK-Dölling, § 251, Rn. 40; BGHSt. 22, 118 (120); NStZ 1998,312 m. Anm. Wönne; OLG Celle, StV 1995, 179; Park, StV 2000, 219; a.A. Krause, StV 1984, 173. 148

149

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

Diese Beweiswertminderung verdeutlicht das Gericht dadurch, dass es in seiner Anordnung, das Videoband vorzuführen, nicht § 251 Abs. 1 StPO, sondern § 251 Abs. 2 S. 2 StPO als Rechtgrundlage wählt und die durch einen Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO bekannt gibt. Steht der Mangel ferner zur Disposition der Verfahrensbeteiligten, so kann ein fehlerhaftes Beweissurrogat auch mit deren Einverständnis gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO bzw. auf der Grundlage des § 251 Abs. 2 S. 1 StPO verwertet werden. Aber auch hier dürfen die Aufklärungspflicht oder Beweisverbote der Verwertung nicht entgegenstehen 151. Zu beachten ist für den Verteidiger und den Angeklagten in diesem Zusammenhang, dass nach heftig kritisierter Rechtsprechung des BGH eine Zustimmung zur Verlesung auch stillschweigend erfolgen kann l52 , was die Einverständnispflicht de facto in eine Widerspruchspflicht umwandelt 153. Der verteidigte Angeklagte kann "schlüssig" eine Verwertung der fehlerhaften Vernehmungsaufzeichnung billigen, wenn sein Widerspruch bis zu dem nach § 257 Abs. 1 StPO relevanten Zeitpunkt unterbleibt und das Gericht zuvor ausreichend klargestellt hat, dass es die Verwertung des Beweissurrogats auf die allseitige Zustimmung stützen mächte. b) Das Verbot der Aussageersetzung

gemäß § 252 i. V. m. § 52 StPO

§ 255 a Abs. 1 StPO verweist auch auf § 252 StPO. Die Vorführung eines Vernehmungsmitschnitts in der Hauptverhandlung ist also dann unzuläs150 Für die Aufzählung zwingender Rechtsvorschriften s. Gollwitzer, in Löwe-Rosenberg, § 251, Rn. 10 ff.; SK-Schlüchter, § 251, Rn. 28 ff.; KMR-Paulus, § 251, Rn. 23 ff. Mögliche Mängel der früheren Vernehmung, die eine Verwertung auf der Grundlage des § 251 Abs. 2 S. 2 StPO zulassen, sind etwa die Geheimhaltung der Zeugenidentität, obgleich die in § 68 Abs. 3 S. 1 StPO genannten Voraussetzungen nicht vorlagen; BGHSt. 32, 115 (128); 33, 83 (87 ff.); StV 1984, 231; KMR-Paulus, § 251, Rn. 28. Zulässig ist die Verwertung der Aufzeichnung nach § 251 Abs. 2 S. 2 StPO auch dann, wenn die Anwesenheitsberechtigten entgegen § 168 c Abs. 5 S. 2 StPO nicht oder nicht rechtzeitig vom Vernehmungstermin benachrichtigt wurden; KMR-Paulus, § 251, Rn. 29; K/M-G, § 251, Rn. 31; BGH, StV 1993,232; 1997,512 = NStZ 1998,312 mit zustimmender Anmerkung Wönne. Absolut unverwertbar ist dagegen die Dokumentation, die heimlich erstellt wurde, denn das Gesetz stellt für eine geheime Vernehmungsaufzeichnung keine Rechtsgrundlage bereit; Meier, RdJB 1996,455; HK-Julius, § 255 a, Rn. 3. 151 Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 2121; K/M-G, § 251, Rn. 10. 152 BGHSt. 9, 230 (233); StV 1983,319; BayObLG, NJW 1978, 1817. 153 Kritisch dazu Schlothauer, StV 1983, 320 f.; Park, StV 2000, 221; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 414.

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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sig, wenn sich der Zeuge in der Hauptverhandlung auf ein bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht beruft. aa) Umgehungsmechanismen aus der hächstrichterlichen Rechtsprechung § 252 StPO bringt nach vorwiegender Meinung ein allgemeines Verwertungsverbot l54 zum Ausdruck. Beruft sich der Urheber der Aussage im Nachhinein auf sein Zeugnisverweigerungsrecht, dann darf die Vernehmungsdokumentation nicht nur nicht verlesen oder vorgeführt werden, ihre Verwertung ist insgesamt unzulässig.

Doch dieses Verwertungsverbot gilt nach der Rechtsprechung des BGH nicht uneingeschränkt. Der Zeuge darf zwar bis zur Hauptverhandlung frei über die Geltendmachung seines Zeugnisverweigerungsrecht entscheiden 155, doch diese Entscheidungsfreiheit wird trotz heftiger Kritik in der Literatur regelmäßig dadurch beschnitten, dass trotz des Aussageverweigerungsrechts in der Hauptverhandlung immer noch die Vernehmung der richterlichen Verhörsperson zugelassen wird l56 . Außerdem kann mit einer videotechnischen Aufzeichnung im Vorverfahren schnell ein Augenscheinsbeweis geschaffen werden, der in der Hauptverhandlung trotz der späteren Zeugnisverweigerung immer noch zur Verfügung steht l57 . In diesem Fall kann zwar der Inhalt der Dokumentation nicht mehr zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden, doch es dürfen Ausschnitte gezeigt werden, die beispiel weise Verletzungen am Körper des Zeugen oder dessen starke seelische Erschütterung, etwa einen Nervenzusammenbruch, dokumentieren. Deshalb wird verschiedentlich auch die Lösung vorgeschlagen, überhaupt erst nach der Belehrung des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 3 bzw. § 55 Abs. 2 StPO mit einer Vernehmungsaufzeichnung zu beginnen 158. Allerdings gerät dieser Vorschlag mit dem Vollständigkeitsgebot in Konflikt I 59, denn gerade auch die Art und die Qualität der Belehrung kann Auskunft darüber geben, ob der Zeuge die ihm zusteBGHSt. 2, 99 (101 ff.); ausführlich Geppert, Jura 1988, 306 f. BGHSt. 2, 99 (101 ff.); 10, 77; 45, 203 (208); AK-Meier, § 252, Rn. 1. 156 Dazu kritisch z. B. Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 420; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1315 f.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 44, Rn. 21; Geppert, Jura 1988, 307. 157 KK-Senge, § 58 a, Rn. 8; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1328 h; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 252, Rn. 35. 158 KK-Senge, § 58 a, Rn. 8. 159 Leitner, StraFo 1999,47. 154 155

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

henden Verweigerungsrechte verstanden hat und daher fähig war, eine freiverantwortliche Entscheidung für eine Aussage zu fällen. Die Optimallösung wäre eine doppelte Belehrung, einmal vor und einmal nach Beginn der Aufzeichnung. Allerdings mag den ohnehin eingeschüchterten, nervösen Zeugen diese doppelte Rechtsbelehrung verwirren oder u. U. verärgern, so dass diese rechtliche Optimallösung aus vernehmungspsychologischer Sicht nur wenig Zuspruch finden kann. Für ein Kind, das den Sinn der Verdoppelung trotz Erklärung wohl ohnehin kaum erfassen kann, mag sie außerdem den Eindruck erwecken, es werde auch von dem Vernehmenden selbst zur Aussageverweigerung angehalten. Das Risiko, dass es dieser vermeintlichen Aufforderung zur Verweigerung dann auch tatsächlich nachkommt, ist nicht zu unterschätzen. bb) Problematik des formlosen Vorhalts

Abgesehen von den mit § 252 StPO ohnehin verbundenen streitigen Fragen l60 , verknüpft sich mit der Ersatzanhörung der richterlichen Vernehmungsperson für die audiovisuelle Beweisführung noch eine ganz besondere Problematik, namentlich die des formlosen Vorhalts aus der schriftlichen oder videotechnisch erstellten Vernehmungsdokumentation. Die Niederschrift bzw. der Vernehmungsmitschnitt wird in diesem Fall dem als Zeugen vernommenen Richter als Gedächtnisstütze vorgelesen, zur Durchsicht vorgelegt oder vorgeführt, sofern dieser angibt, sich an den Inhalt der Vernehmung nicht mehr oder nicht mehr ganz genau zu erinnern. Als Beweisgrundlage dient allerdings nicht der in der Dokumentation festgehaltene Aussageinhalt, sondern die diesen Inhalt bestätigende bzw. verneinende Stellungnahme des richterlichen Zeugen l61 . 160 Darunter insbesondere die nach der Anwendbarkeit des § 252 StPO auf das Zeugnisverweigerungsrecht des § 55 StPO; vgl. AK-Meier, § 252, Rn. 5; Roxin, § 24, Rn. 20, 36; Geppert, Jura 1988, 312 f.; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 566; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1127; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 154 f.; BGHSt. 11, 213 ff. 161 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 252, Rn. 27; zum Vorhalt allgemein Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 421; gegen die Möglichkeit des formlosen Vorhalts Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1315, im Anschluss an KMR-Paulus, § 252, Rn. 33. Beweiserheblich ist nur die Erinnerung der richterlichen Vernehmungsperson in der Form, wie sie anlässlich der Verlesung bzw. Vorführung der Dokumentation zutage tritt. Allerdings wird es bei einer Einspielung des Vernehmungsmitschnitts in Bild und Ton kaum vorkommen können, dass sich der Zeuge trotz des Videodokuments nicht an das Geschehen bei der Vernehmung erinnert. Der Einwand, sich trotz der Vernehmungsaufzeichnung nicht erinnern zu können, erschiene geradezu absurd, Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 316.

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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Durch die Einprägsamkeit und Überzeugungskraft des Fernsehbildes gerät diese Form der Beweisführung für den Angeklagten zur besonderen Gefahr, denn in der Erinnerung der zur Entscheidungsfindung berufenen Personen lassen sich Inhalt und persönlicher Eindruck von der eingespielten Vernehmung kaum von den bestätigenden oder negierenden Antwort der richterlichen Vernehmungsperson trennen. Es lässt sich auch kaum glaubhaft dartun, wie die Überzeugungskraft der Aufzeichnung nicht in die Urteilsgründe mit einfließen könnte. Insbesondere soweit der richterliche "Ersatzzeuge" den Inhalt der als Videoaufzeichnung eingespielten Aussage nur noch einmal bekräftigt, ist im Gedächtnis der Richter das Fernsehbild mit den Bestätigungen der richterlichen Vernehmungsperson nahezu untrennbar verwoben 162. Außerdem wird sich das Gericht sehr gerne einen eigenen Eindruck von dem unmittelbaren Zeugen verschaffen. Dass seine Eigenarten, seine Persönlichkeit und sein Verhalten auf Videoband festgehalten sind, kommt dem Gericht also sehr gelegen, weswegen es nur selten etwas gegen den formlosen Vorhalt aus dem Vernehmungsmitschnitt einzuwenden haben wird. § 252 StPO wird so - zugegeben - nahezu ausgehöhlt. Das Problem verschärft sich noch, wenn über den formlosen Vorhalt nicht nur punktuelle Vernehmungsauszüge sondern ganze Vernehmungskomplexe aus der Aufzeichnung den Weg in die Hauptverhandlung finden. Mitunter wird die Einspielung der gesamten Aufzeichnung sogar deswegen notwendig werden, damit nicht bei komplexen oder umstrittenen Sachverhalten der Vorwurf erhoben werden kann, der richterliche Zeuge hätte durch die Teilerinnerung den Gesamtinhalt der Aussage verfälscht oder unzureichend wiedergegeben 163. Im Zuge der Bestrebungen nach einem verbesserten Schutz kindlicher Zeugen in Gerichtsverfahren haben sich einige Autoren sogar nachdrücklich für eine solche generelle, ergänzende Vorführung der früheren Aufzeichnung in der Hauptverhandlung ausgesprochen 164. Sie wollten auf diesem Weg dem Druck begegnen, den das familiäre Umfeld oft auf das Kind aus162 Hierzu ausführlich Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 155 ff.; zum Vorhalt aus dem Schriftprotokoll ferner Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, Rn. 540; Schünemann, Meyer-Gossner-Fs., S. 404 ff. 163 Die aufgezeichnete Aussage würde natürlich mit Unterbrechungen vorgeführt werden, um dem Befragten Gelegenheit zur Bestätigung bzw. zur Stellungnahme zu geben. Im Grunde aber steht bei Einhaltung dieser geringfügigen Formvorgaben der sukzessiven Vorführung der gesamten Vernehmung kein Hindernis entgegen; BGHSt. 11,338 (341); 21, 149 (150); StV 1994, 413. 164 Anregungen dazu bei Mildenberger, Schutz kindlicher Zeugen, S. 311 ff., und Maier, Audiovisuelle Vernehmung kindlicher Opfer, S. 181 f.; kritisch Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 156 ff.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

übt, um es zur Zeugnis verweigerung anzuhalten 165. Zugleich sollte die inhaltliche Verlässlichkeit und Anschaulichkeit des Videodokuments Garant für die Unverfälschtheit des mittelbaren Beweises sein 166 . Im Grunde aber hieße ein solches Vorgehen, das Verbot des § 252 StPO zur Makulatur werden zu lassen. Das Videoband würde durch die "Hintertür" des formlosen Vorhalts und ungeachtet des ausdrücklichen gesetzlichen Verbotes zur unmittelbaren Entscheidungsgrundlage 167. Besonders gefährlich erscheint hierbei, dass das Speichermedium die frühere Vernehmung gleichsam "wiederaufleben" lässt. Je eindrucksvoller aber die Dokumentation, um so mehr wird auch das Bewusstsein schwinden, dass nicht der Vernehmungsmitschnitt dazu berufen ist, Eingang in die Entscheidungsgrundlagen zu finden, sondern nur die anlässlich seiner Vorführung erfolgenden Äußerungen der richterlichen Verhörsperson. Um dieser Suggestivwirkung und der mit ihr einhergehenden Aushöhlung der strengen Regel-Ausnahmesystematik der §§ 251 ff. StPO zu begegnen, wird von den Gerichten zu verlangen sein, dass sie den formlosen Vorhalt wenn überhaupt, dann ausschließlich oder in der Hauptsache aus dem schriftlichen Vernehmungsprotokoll bestreiten 168. Überdies kann das unbestritten hohe Maß an Authentizität des Ersatzbeweises nicht die generellen Bedenken ausräumen, die mit einer Ersatzvernehmung der richterlichen Verhörsperson und dem formlosen Vorhalt verbunden sind, denn diese Umgehung des § 252 StPO verschärft gerade diejenigen Konfliktlagen, die das Gesetz durch die Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts zu mildem suchte. So bleibt insbesondere der in § 52 StPO anerkannte Zwiespalt des Zeugen zwischen familiärer Loyalität und Wahrheitspflicht ungelöst l69 . Natürlich ist die Umgehung des § 252 StPO zunächst für die Gerichte eine wichtige kriminalpolitische Zweckmäßigkeitsentscheidung 17o. Nur auf diesem Weg können sie der aus der Verweigerung des Zeugen entstehenden Beweisnot begegnen und zugleich den Zeugen schützen, denn die Ursachen einer Zeugnisverweigerung liegen seltener im freien Willen des Betroffenen als in Drohungen von dritter Seite I7I . Dennoch bestehen erhebliAK-Meier. § 252, Rn. 2. Mildenberger. Schutz kindlicher Zeugen, S. 315 f. 167 Lesenswert dazu Schmoll. Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 157 f.; Rengier, Jura 1981,303 f. 168 Schmoll. Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 158; Rieß. StraFo 1999, 4. 169 AK-Meier. § 252, Rn. 11. 170 Hanack. Schmidt-Leichner-Fs., S. 91. 171 Rengier. Jura 1981,299 f. 165

166

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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che Zweifel, ob allein diese Schutzintention die dem Zeugen in § 252 StPO gewährte Entscheidungsfreiheit außer Kraft setzen darf172 • ce) Der Verzicht des Zeugen auf das Verwertungsverbot des § 252 StPO

Zurückhaltung ist bei einer solchen "Bevormundungen" des Zeugen auch deswegen geboten, weil die neuere Rechtsprechung hier noch ganz andere, wenn auch zweifelhafte Schutzinstrumentarien bereit stellt. So wird dem Zeugen inzwischen zugestanden, gemäß § 252 StPO die unmittelbar persönliche Einvernahme in der Hauptverhandlung unter Verweis auf ein bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht zu verweigern und sich zugleich mit der Verwertung einer früheren Aussage einverstanden zu erklären. Er hat es also in der Hand, die Sperrwirkung des § 252 StPO für die Verwertung seiner früheren Angaben aufzuheben 173 . Voraussetzung ist allein, dass der Zeuge ordnungsgemäß über sein Verweigerungsrecht belehrt und über die Folgen seiner Einwilligung in die Verwertung der Vernehmungsdokumentation ausreichend aufgeklärt wurde l74 . Der Schutzmechanismus erspart vor allem verletzlichen Zeugen die Belastung einer Aussage in der Hauptverhandlung, ohne dass - wie sonst nach § 252 StPO - zusätzlich noch die Beweissurrogate verloren gingen. Gerade dies aber macht den neuen Mechanismus in seiner Systematik auch so äußerst fragwürdig. Faktisch höhlt er das Unmittelbarkeitsprinzip zu Lasten des Angeklagten und zu Lasten der Wahrheitsfindung aus 175 • Ferner erweitert er den abschließenden Ausnahmekatalog des § 251 StPO contra legern um einen neuen Ausnahmetatbestand, namentlich den der berechtigten Zeugnisverweigerung bei gleichzeitigem Einverständnis des Zeugen in eine Verwertung des aus einer früheren Vernehmung gewonnenen Beweissurrogats. Neue Ausnahmetatbestände zu schaffen, sollte aber dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben l76 . Nicht ganz ohne Vorteil ist die Lösung des BGH natürlich nicht. Immerhin wird hier wenigstens das Einverständnis des Zeugen mit der Verwer172 Dagegen Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 252, Rn. 7; AK-Meier, § 252, Rn. 11; Rengier, Jura 1981,303 f. 173 BGHSt. 45, 203. 174 BGHSt. 45, 203 (207 f.). 175 A. A. BGHSt. 45, 203 (207); das Urteil argumentiert aber einzig und allein aus der Sicht der §§ 52, 252 StPO und vergisst, die Systematik der §§ 249 ff. StPO zu erwähnen. 176 Eine ähnlich Ausnahme findet sich in Österreich in § 252 Abs. I Nr. 2 a ÖStPO, wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, dass das österreichische Verfahrensrecht eine dem § 252 StPO entsprechende Vorschrift ohnehin nicht kennt, s. 2. Teil, Kapitel D.5.a).

27 Swoboda

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

tung herbeiführt, sein freier Wille und der durch das Zeugnisverweigerungsrecht honorierte Gewissenskonflikt werden also nicht einfach übergangen, wie dies bei der Einvernahme der richterlichen Verhörsperson in Verbindung mit einem formlosen Vorhalt der Fall ist. Außerdem wird bei dieser Lösung unbestritten der Inhalt des Beweissurrogats der Urteilsfindung zugrunde gelegt und nicht wie beim formlosen Vorhalt nur die Reaktion der richterlichen Verhörsperson auf die Vernehmungsdokumentation. Dadurch gewinnt diese Form der Beweiserhebung an Klarheit, in gewisser Weise sogar an "Ehrlichkeit". Dies kann aber nicht darüber hinweg helfen, dass das Gesetz eine solche Ausnahme zu § 250 S. 1 StPO nicht vorsieht und sich der BGH m. E. mit dieser Konstruktion zu weit vorgewagt hat. c) Gedächtnisunterstützung und Behebung von Widersprüchen, § 253 StPO §§ 255 a Abs. 1, 253 Abs. 1 StPO gestatten es, die audiovisuelle Dokumentation als Ergänzung zur Vernehmung des unmittelbaren Zeugen in die Hauptverhandlung einzuspielen, wenn dieser erklärt, sich an bestimmte Tatsachen nicht mehr zu erinnern.

Gemäß §§ 255 a Abs. 1, 253 Abs. 2 StPO darf dem Zeugen ferner ein Auszug aus der Aufzeichnung vorgeführt werden, wenn ein Widerspruch zwischen seinen Angaben in beiden Vernehmungen zu klären ist.

Im Unterschied zum zuvor erörterten formlosen Vorhalt ist der Vernehmungsmitschnitt hier Urkundenbeweis und als solcher inhaltlich im Rahmen der Entscheidungsfindung heranzuziehen 177. Die Gefahr einer Suggestivwirkung besteht aber auch hier, weswegen auf die regelmäßig sehr eindrucksvolle, einprägsame Videoaufzeichnung nur im Ausnahmefall zugegriffen werden sollte. Zumeist wird eine Verlesung aus dem Schriftprotokoll zur Gedächtnisauffrischung bzw. zum Aufzeigen von Widersprüchen genügen. Nur bei komplexen, umfangreicheren Sachverhalten bzw. bei lückenhafter Protokollführung gebietet es die Aufklärungspflicht, Auszüge aus der Aufzeichnung vorzuführen 178. Zu beachten ist ferner, dass gemäß § 253 Abs. 2 StPO bei widersprüchlichen Einlassungen des Zeugen der Rückgriff auf das Beweissurrogat ohnedies nur subsidiär gestattet ist. Konkrete Zusatzfragen, die Gewährung von 177 BGHSt. 3,199 (201); 3, 281 (2820; 11,338 (340); NJW 1986,2063 f.; a.A. Hanack. Schmidt-Leichner-Fs., S. 87 ff.; Wömpner. NStZ 1983, 296, das Aussageprotokoll ersetzt die Aussage der Verhörsperson, nicht die des Zeugen. 178 Rieß. StraFo 1999, 4.

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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Bedenkzeit, Warnungen oder Ermahnungen können zumeist ebenso gut zur Auflösung von Unstimmigkeiten beitragen l79 .

3. Die Verwendung von Vernehmungsaufzeichnungen nach Maßgabe des § 255 a Abs. 2 StPO § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO, der speziell auf den Schutz von Kinderzeugen zugeschnitten ist, ist in formeller wie in materieller Hinsicht eine echte Durchbrechung des Unmittelbarkeitsprinzips 180.

Die Vernehmung eines kindlichen Zeugen kann hier in der Hauptverhandlung vollständig ersetzt werden, und zwar - bemerkenswerterweise - unabhängig davon, ob der Zeuge prinzipiell für eine Vernehmung zur Verfügung stehen würde oder ob sich die übrigen Beteiligten mit dem Rückgriff auf die Beweiskonserve einverstanden erklären. Das Beweissurrogat bzw. die ihm zugrundeliegende Zeugenvernehmung müssen nur einige bestimmte Qualitätsmerkmale erfüllen. Aufgrund dieser Eigenarten des Tatbestandes fügt sich § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO nur mit Schwierigkeiten in die Systematik der §§ 251 ff. StPO ein. In die Irre führt außerdem die augenscheinliche Weite des Tatbestandes, denn hinter ihr verbirgt sich ein sehr detaillierter und mit erheblichen Fehlerrisiken behafteter Verhaltensauftrag an die Ermittlungsorgane, was die Anwendung der Norm erheblich kompliziert l81 .

a) Die Voraussetzungen einer Ersetzung nach § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO aa) Abstrakte Anknüpfungspunkte: Alter des Zeugen und Katalogstraftat § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO orientiert sich anders als die Ersetzungstatbestände der §§ 251 ff. StPO nicht eng an den Begebenheiten des Einzelfalls. Er setzt insbesondere keine konkrete Beweisnotlage, etwa ein Nichterscheinen oder die Unauffindbarkeit eines Zeugen voraus. Abstrakte, von der kon179 Sie dürfen den Zeugen allerdings nicht unzulässig beeinflussen; BGHSt. 3, 199 (200). 180 Strittig, z. T. wird auch § 247 a StPO als Durchbrechung der Unmittelbarkeitsmaxime angesehen, Leitner. StraFo 1999,48; von lediglich einer Einschränkung der Unmittelbarkeit sprechen BGHSt. 45, 188 (196); Diemer. NJW 1999, 1669; ders., NStZ 2001, 395. 181 Vor einer Euphorie hinsichtlich der scheinbar großen Reichweite der Norm warnt auch Rieß. StraFo 1999, 4.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

kreten Beweissituation weitgehend unabhängige Kriterien bestimmen seinen Anwendungsbereich. Zu ihnen zählen das jugendliche Alter des Zeugen und die Einordnung der zu verhandelnden Straftat in den in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO aufgeführten StraJtatenkatalog, darunter die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184 c StGB), die Tötungsdelikte der §§ 211 bis 222 StGB sowie die Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 StGB). Der Zeuge, der im Übrigen anders als in § 58 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StPO nicht aus der Tat verletzt sein muss 182 , darf zum Zeitpunkt der Vorführung in der Hauptverhandlung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Wie aber ist der Fall einer Straftatenkonkurrenz zu handhaben ist, also dann, wenn neben die Katalogtat noch andere Straftaten von geringerem Gewicht treten, zu denen der jugendliche Zeuge ebenfalls gehört werden muss? Darf dann ebenfalls das Vernehmungssurrogat eingespielt werden? Um nicht vorschnell den in § 255 a Abs. 2 StPO bezweckten Schutz vor wiederholter Vernehmung zu versagen, sollte im Regelfall genügen, dass die übrigen verhandelten Straftaten mit der Katalogtat zusammengetroffen sind, also wenigstens "prozessuale Tateinheit" i. S. d. § 264 StPO besteht 183 . Zählt indessen keine der verhandelten Straftaten zu den im Katalog genannten, so ist § 255 a Abs. 2 StPO auch bei besonderer Schwere des Delikts nicht anwendbar 184 . Die rein abstrakte Anknüpfung des § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO lässt darauf schließen, dass das Gesetz bei Vorliegen der aufgeführten Bezugspunkte eine besondere "Notlage" grundSätzlich vermutet. "Notlage" darf in diesem Zusammenhang allerdings nicht bzw. nicht nur im Sinn einer "Beweisnot" verstanden werden. Natürlich mag es vorkommen, dass der jugendliche Zeuge zwar zur Vernehmung erscheint und auch aussagen möchte, aber seine Aussagefähigkeit durch die Belastung der Vernehmungssituation derart in Mitleidenschaft gezogen ist, dass tatsächlich für das Gericht aus der mangelhaften Aussage Beweisnot entsteht. Die eigentlich in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO vermutete "Notlage" ist jedoch die Geflihrdung des Kindeswohls 185 • 182 Dies ergibt sich aus der Aufnahme des § 222 StGB in den Straftatenkatalog, SK-Schlüchter, § 255 a, Rn. 10; Seitz, JR 1998, 313. 183 K/M-G, § 255 a, Rn. 4; Diemer, NJW 1999, 1674; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 255 a, Rn. 11; die "Tat" im prozessualen Sinn ist das gesamte Verhaltend es Beschuldigten, soweit es mit dem durch die Strafverfolgungsorgane bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet, BGHSt. 35,60 (62); 45, 211 (212 f.); BVerfGE 56, 22 (28). 184 Will sich das Gericht trotzdem auf § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO stützen und die Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung durch eine Videokonserve ersetzen, verstößt es gegen § 250 S. 1 StPO, zu dem § 255 a Abs. 2 StPO eine Ausnahme bildet; HK-Julius, § 255 a, Rn. 7; SK-Schlüchter, § 255 a, Rn. 11.

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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Wenn aber das Gesetz eine Vennutung für den Regelfall aufstellt, dann muss diese Vennutung anhand der Besonderheiten des Einzelfalls widerlegt werden können. Dies insbesondere deswegen, weil ein Vorgehen nach § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO beträchtliche Einbrüche in das Unmittelbarkeitsprinzip mit sich bringt und damit niemals absolut sein kann. Ferner belässt § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO mit der Fonnulierung "kann" dem Gericht einen achtbaren Ennessensspielraum. Selbst wenn die genannten Anknüpfungspunkte vorliegen, ist das Gericht also nicht grundsätzlich zu einer Aussageersetzung i. S. d. Vorschrift verpflichtet. Das Gericht muss das ihm zugestandene Ennessen nur pflichtgemäß ausüben, d. h. alle durch eine Aussageersetzung betroffenen gegenläufigen Interessen von Zeuge, Verteidigung und Wahrheitsfindung in seiner Entscheidung mit in Abwägung stellen und andere, weniger eingriffsintensive Schutzmaßnahmen auf ihre Anwendbarkeit hin überprüfen l86 . Außerdem kann trotz des Gesetzeswortlautes eine undifferenzierte Anwendung des § 255 a Abs. 2 StPO auf alle Zeugen unter 16 Jahren, die zu einer der genannten Katalogtat Auskunft geben sollen, kaum die Intention des Gesetzgebers gewesen sein kann 187. Es erscheint wenig einsichtig, dass beispielsweise ein Fünfzehnjähriger, der durch Zufall Zeuge eines schweren Verkehrsunfalls mit tödlicher Folge geworden ist, nicht bei einem Verfahren zum Gegenstand der fahrlässigen Tötung unmittelbar in der Hauptverhandlung und im Beisein aller Beteiligten aussagen könnte. Ohnedies lässt sich die Frage stellen, warum gerade das Alter von 16 Jahren als Grenze gewählt wurde, denn mehr als ein grober Anhaltspunkt für Schutzbedürftigkeit ist dies nicht, selbst wenn das Gesetz an mehreren Stellen das Alter von 16 Jahren als Differenzierungskriterium für den Zeugenschutz nutzt l88 . Trotz der Schwere der in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO genannten Straftaten ist bei weitem nicht ausgemacht, dass jeder Zeuge unter sechzehn, ja nicht einmal jeder kindliche Zeuge unter vierzehn Jahren in seinem Wohlergehen besonderen Schutzes bedarf. Hingegen kann es durchaus vorkommen, dass ein Zeuge, der das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat und Opfer einer schweren Straftat geworden ist, den Belastungen nicht standhält. Für ihn hält das Gesetz in § 255 a 185 So lässt es sich zumindest aus den Gesetzesmaterialen zur Entstehung der Vorschrift ersehen, BT-Drs. 13/4983, S. 4 und 7 f.; BR-Drs. 933/97, S. 2. Und dem pflichten Kommentare und Literatur im Allgemeinen bei; vgl. nur Caesar, NJW 1998, 2315 f.; SK-Schlüchter, § 255 a, Rn. 2; Rieß, Opfer- und Zeugenschutz in Missbrauchsverfahren, S. 123; KK-Diemer, § 255 a, Rn. 3 und 7. 186 K/M-G, § 255 a, Rn. 9. 187 Diemer, NJW 1999, 1374. 188 Etwa in §§ 247 S. 2, 241 a Abs. IStPO, § 172 Nr. 4 GVG.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

Abs. 2 S. 1 StPO indessen keine Ersetzungsmöglichkeiten bereit, so dass er auf zeugenschützende Maßnahmen bei der Vernehmung, insbesondere auf §§ 247 und 247 aStPO, verwiesen werden muss. Unter aussagepsychologischen Gesichtspunkten wird außerdem geltend gemacht, dass eine Durchbrechung des Unmittelbarkeitsprinzips regelmäßig nur bis zum Alter von etwa neun Jahren wirklich Sinn macht, denn bei jüngeren Zeugen lässt sich erfahrungsgemäß auch bei einer Einvernahme in der Hauptverhandlung ein echtes kontradiktorisches Element in der Verteidigerbefragung nicht realisieren 189. Über diese Altersgrenze von neun Jahren hinaus sollte die Ersetzung der Aussage aber nur ausnahmsweise und auch nur dann in Betracht kommen, wenn entwicklungspsychologische Aspekte den Verzicht auf den Zeugen nahe legen oder eine schädigende Wirkung auf den Zeugen mit größerer Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist. § 255 a Abs. 2 StPO soll im Übrigen unerträgliche Belastungen des Zeugen durch das Strafverfahren mildem. Gibt es aber keine Anhaltspunkte für Belastungen, die das übliche Maß der Inanspruchnahme bei einer öffentlichen Aussage vor Gericht übersteigen, und steht ebenfalls fest, dass sich der im Einzelfall betroffene jugendliche Zeuge in seiner körperlich-seelischen Konstitution nicht durch eine besondere Verletzlichkeit ausweist, dann sollte von der Aussageersetzung nach § 255 a Abs. 2 StPO abgesehen werden 190. Anwendbar bleiben dann natürlich immer noch andere zeugenschützende Maßnahmen, etwa nach § 247 a bzw. 247 StPO oder § 172 Nr. 4 GVG, die jedoch die Unmittelbarkeit der Beweiserhebung nicht oder nur in gewissen Aspekten berühren.

Will der Zeuge außerdem persönlich in der Hauptverhandlung auszusagen, dann ist dieser Wille vorrangig l91 . Die gesetzliche Vermutung besonderer Schutzbedürftigkeit kann dann i. d. R. als widerlegt gelten.

Im Ergebnis gilt, dass trotz der im Gesetz sehr abstrakt gehaltenen Anknüpfung des Tatbestandes, der Einzelfall und die von ihm diktierten Notwendigkeiten nicht aus dem Auge verloren werden dürfen. Hält sich das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung zu streng an die genannten förmlichen Vorgaben und übergeht es dabei die konkrete Gefährdungssituation, kann dies sogar eine Aufklärungsrüge nach sich ziehen, weil die Beweisaufnahme nicht auf die persönliche, unmittelbare Anhörung des kindlichen Zeugen und damit gerade nicht auf alle Beweismittel erstreckt wurde, die 189 Deckers, NJW 1999, 1370; für eine Eingrenzung auf sehr junge Zeugen auch Beulke, ZStW 113 (2001), 735 f. 190 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 255 a, Rn. 11. 191 Vgl. auch den Gesetzesvorschlag zu § 251 Abs. 2 StPO des Deutschen Juristinnenbundes, Reform der Nebenklage, S. 24 f.

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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für die Entscheidung von Bedeutung waren und dem Gericht auch tatsächlich zur Verfügung standen. bb) Anweisungen zu Herstellung und Qualität der ersetzenden Videokonse11le

Als letzte Voraussetzung wird in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO angeführt, dass Angeklagter und Verteidigung bei der vorhergehenden richterlichen Vernehmung Gelegenheit zur Mitwirkung gehabt haben müssen. Im Kern ist dies eine Verhaltensorder an die ennittelnden lustizbehörden. Sie werden angewiesen, schon im Ennittlungsverfahren dafür Sorge zu tragen, dass eine frühe Zeugenvernehmung die in § 255 a Abs. 2 StPO genannten Voraussetzungen einer kontradiktorischen Beweiserhebung erfüllt l92 . (1) Mindestvoraussetzungen an eine frühere Mitwirkung

der Beteiligten

Die in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO gestattete Vorverlagerung wesentlicher Aspekte der Beweiserhebung aus dem Hauptverfahren in das Stadium der Ennittlungen kann nicht ohne Beschneidungen bedeutsamer Mitwirkungs-, Konfrontations- und Fragerechte des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers vonstatten gehen. Um immerhin das Minimum der in Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 3 EMRK vorgegebenen Anforderungen an ein faires Verfahren zu bewahren, ist es den lustizbehörden daher zwingend vorgegeben, wenigstens in diesem frühen Beweiserhebungsstadium elementarste Mitwirkungsmöglichkeiten sicherzustellen. Worin diese Mindestbedingungen bestehen, ist bereits ausführlich in den Erörterungen zu der ennittlungsrichterlichen Vernehmung im Vorverfahren nach Maßgabe des § 168 e StPO vorgestellt worden. Auf die dortigen Ausführungen wird an dieser Stelle verwiesen 193. In aller Kürze zusammengefasst sind die Positionen folgende: • Zwingend vorauszusetzen ist die Dokumentation einer richterlichen Vernehmung, denn nur ihr wird in Gesetz und Rechtsprechung ein Beweiswert zuerkannt, der dem einer Vernehmung unmittelbar in der Hauptverhandlung nahe kommt l94 . 192 § 168 e StPO stellt im Übrigen eine Art Gegenpol zum Auftrag des § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO für das Verhalten im Ermittlungsverfahren dar, vgl. die Einleitung zum 5. Teil. 193 5. Teil, Kapitel BA.; außerdem Schlothauer, StV 1999, 49; OLG München, StV 2000,352; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 255 a, Rn. 12; Rieß, StraFo 1999,4.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvernehmungen im Hauptverfahren

• Die ermittelnden Behörden haben sicherzustellen, dass dem Beschuldigten nach Bekanntgabe der gegen ihn erhobenen Beschuldigungen und frühzeitig vor der geplanten beweissichernden Zeugenvernehmung ein Verteidiger bestellt wird 195. • Dem Verteidiger ist in einer angemessenen Frist vor Beginn der Vernehmung uneingeschränkte Akteneinsicht zuzugestehen 196. • Weiterhin ist die Beteiligung, d.h. nicht nur eine passive Anwesenheit, von Verteidiger und Beschuldigtem an der Zeugenvernehmung sicherzustellen, notfalls unter Vermittlung einer audiovisuellen Fernverbindung. Ein Ausschluss des Beschuldigten von der Vernehmung lässt sich nur in dem Maß gewährleisten, in dem es auch § 247 StPO für die Hauptverhandlung zuließe. Eine Nichtbenachrichtigung i. S. d. § 168 c Abs. 5 S. 2 StPO kommt nicht in Frage. Terminabsprachen müssen möglich sein l97 , § 168 c Abs. 4 StPO gilt nicht. • Die Vernehmung wird vollständig und fehlerfrei auf Videoband dokumentiert. In den Vernehmungsmitschnitt kann nach Abschluss der Vernehmung uneingeschränkt Akteneinsicht genommen werden. Der in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO erteilte Auftrag wird noch deutlicher, wenn auch rechtlich unverbindlich, in Nr. 19 Abs. 2 RiStBV formuliert. Danach "sollen" bei Zeugen unter 16 Jahren Aufzeichnungen von Vernehmungen auf Bild-Ton-Trägem gemacht werden, um wiederholte Einvernahmen zu vermeiden. Eine richterliche Vernehmung unter Beteiligung der nach § 168 c Abs. 2 StPO Anwesenheitsberechtigten, gegebenenfalls in der Form des § 168 e StPO, wird "empfohlen". Und bei Katalogstraftaten i. S. d. § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO "soll" rechtzeitig darauf hingewirkt werden, dass der Beschuldigte und sein Verteidiger Gelegenheit haben, an der Vernehmung mitzuwirken 198. (2) Die bloße "Gelegenheit" zur Mitwirkung

Erhebliche Kritik wird von Strafverteidigern und in der Literatur allerdings daran geübt, dass gemäß § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO die bloße Gele194 Nicht nur, dass bei nichtrichterlichen Vernehmungen Beschuldigter und Verteidiger i. d. R. nicht zur Anwesenheit berechtigt sind, der Zeuge unterliegt auch keiner nach §§ 153 ff.StGB sanktionierbaren Wahrheitspflicht; Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 161; BGHSt. 21, 218 (219); 27, 231 (232); kritisch Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 420; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1315 f. 195 5. Teil, Kapitel B.4.b). 196 5. Teil, Kapitel B.4.c). 197 5. Teil, Kapitel B.4. und B.4.a). 198 Nr. 19 Abs. 2 S. 4 und 5 RiStBV.

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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genheit zur Mitwirkung nach dem Wortlaut der Vorschrift genügen soll 199 • Wirken die genannten Personen letztlich doch nicht mit, so zieht dies nicht unbedingt die Ungültigkeit der Ersetzung nach sich.

In Anlehnung an die kritischen Stimmen ist zu sagen, dass die in § 230 Abs. I StPO normierte Anwesenheitspflicht des Angeklagten für die Hauptverhandlung nicht durch die teilweise Vorverlagerung der Beweiserhebung in das Ermittlungsverfahren zur Makulatur werden darf. Gleiches gilt für die Konfrontations- und Fragerechte. Sicher ist richtig, dass selbst die Rechtsprechung des EGMR die bloße Gelegenheit zur Mitwirkung genügen lässt 200 , doch können und sollten europäische Maßstäbe gerade in der Frage der Grund- und Menschenrechte nicht strengere Anforderungen der nationalen Strafprozessordnungen unterlaufen, vor allem dann nicht, wenn die kontradiktorische Vernehmung im Ermittlungsverfahren realisierbar ist, und zwar auch in Verbindung mit zeugenschützenden Maßnahmen. Schmoll ergänzt hier nicht zu Unrecht, dass auch der Zeugen- und Opferschutz in Mitleidenschaft gezogen werden kann, wenn die vage gesetzliche Formulierung von der bloßen "Gelegenheit" zur Mitwirkung zu Unsicherheit in der Rechtsanwendung führt 20I . Diese Formulierung suggeriert den Verantwortlichen falschlicherweise, dass für eine beweis sichernde Vernehmung i. S. d. § 255 a Abs. 2 S. I StPO kaum mehr Aufwand getätigt werden müsste als es für die Vorbereitung jeder anderen richterlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren bedarf. Solche Missdeutungen aber führen zu Fehlern und eine fehlerhafte richterliche Vernehmung lässt sich nicht mehr nach § 255 a Abs. 2 StPO verwerten. Der mit § 255 a Abs. 2 StPO bezweckte Zeugenschutz wäre also hinfällig. Der jugendliche Zeuge müsste entweder erneut eine kontradiktorische richterliche Vernehmung bestehen oder er wird sogleich für die Hauptverhandlung vorgeladen.

Als Beispiel für eine Irreführung durch den Wortlaut ließe sich vor allem die Frage der Terminplanung anführen. Hier divergieren mittlerweile sogar Rechtsprechung und Kommentarliteratur in ihren Ansichten. Während Goll199 Schlothauer, StV 1999, 49; Schmoll, Videovemehmung kindlicher Opfer, S. 161 f.; als ausreichend erachtet wird die Formulierung dagegen von Diemer, NJW 1999, 1674, unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG in BVerfGE 57, 250 (275). 200 Verlangt wird vom EGMR nur die angemessene und ausreichende Befragungsgelegenheit, vgl. EGMR [Doorson], ÖJZ 1996, 717, dazu kritisch Krauß, V-Leute im Strafprozess, S. 108 f.; [lsgro v. Italien], 19 February 1991, Series A, no. 194, Ziffer 36; s. auch BVerfGE, NJW 1996,3408; Schleiminger, Konfrontation im Strafprozess, S. 13 ff.; Schaden, Rill-Fs., S. 228 ff.; dazu auch im 5. Teil, Kapitel B.4.a). 201 Schmoll, Videovemehmung kindlicher Opfer, S. 162 f.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

witzer noch jeden Anspruch des Verteidigers auf eine Terminverlegung in getreuer Anwendung des § 168 c Abs. 5 S. 3 StPO strikt verneint 202 , entschied das OLG München kürzlich zu Recht, dass bei begründeten Terminschwierigkeiten des Verteidigers entgegen § 168 c Abs. 5 S. 3 StPO einer Bitte um Terminverlegung auf einen anderen Tag stattgegeben werden sollte203 . Allerdings auch dies nur unter der Prämisse, dass die Ermittlungsbehörden nicht in Zeitnot handeln, etwa weil dem jugendlichen Zeugen in Kürze die Ausweisung droht oder aus anderen Gründen zu erwarten ist, dass er das Land bald verlässt.

Der Gesetzgeber hat die Formulierung der "bloßen Gelegenheit" zur Mitwirkung wohl auch gewählt, weil er befürchtete, dass durch ein Vorschieben anderweitiger Termine und Unpässlichkeiten die Bemühungen um eine frühe Beweissicherung torpediert werden könnten. Im Extremfall müsste der Zeuge mehrfach zu einer Vernehmung geladen werden, die dann vielleicht aufgrund erneuter, unvorhergesehener Entschuldigungen von Verteidiger oder Beschuldigtem doch nicht stattfindet. Für den Zeugen und die Ermittier wäre dies zermürbend. Aber würde es hier nicht genügen, allgemeine Grundsätze zum Missbrauch von Verteidigungsbefugnissen zur Anwendung zu bringen, ohne dem Beschuldigten zugleich das Risiko einer unverschuldeten Säumnis aufzubürden? Zudem wäre denkbar, dass dem Verteidiger von vornherein eine Mitbestimmung bei der Terminplanung eingeräumt wird. Dies ist bereits deswegen zu erwägen, weil der Rechtsbeistand ohnedies zuvor ausreichend Gelegenheit zur Akteneinsicht gehabt haben muss. Hält sich der Verteidiger bzw. der Beschuldigte dessen ungeachtet nicht an den vereinbarten Termin und ist bei weiterem Zuwarten eine Gef:ihrdung des Untersuchungs zwecks, darunter insbesondere der vollständige Verlust der Zeugenaussage, zu befürchten, so wird die Beweissicherung auch ohne den säumigen Anwesenheitsberechtigten erfolgen können. Handelt es sich bei der verweigernden Person um den Beschuldigten, dann könnte entsprechend § 230 Abs. 2 StPO eine Vorführung in Betracht zu ziehen sein. Die Erwägungen, die den Gesetzgeber dazu veranlassten, in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO nur eine "Gelegenheit" zur Mitwirkung zu verlangen anstatt auf eine unabdingbare Mitwirkung des Beschuldigten und seines Verteidigers bei der beweissichernden Vernehmung zu bestehen, tragen nicht. Die gewählte Möglichkeitsform ist außerdem deswegen sehr zu bedauern, weil die Klarheit des Tatbestandes und die Fairness bzw. Justizförmigkeit des Verfahrens in Mitleidenschaft gezogen werden. 202 203

Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 255 a, Rn. 12. OLG München, StV 2000, 352; beachte außerdem HK-Krehl, § 168 c, Rn. 7.

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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(3) Entwurf eines § 255 a Abs. 2 V-StPO Eine Neufassung des § 255 a Abs. 2 StPO, welche die aufgezeigten Defizite bei den Mitwirkungsbefugnissen behebt, könnte lauten: § 255 a Abs. 2 V-StPO

(2) 1 In Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184 c des Strafgesetzbuches) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuches) oder wegen Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 des Strafgesetzbuches) kann die Vernehmung eines Zeugen unter sechzehn Jahren durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger an dieser mitgewirkt haben. 2 § 168 e Abs. 2 Sätze 2 und 3 sind zu beachten. 3 Eine ergänzende Vernehmung des Zeugen ist zulässig?04

ce) Ausweichmöglichkeiten

Wie ist mit einer Vernehmungsaufzeichnung umzugehen, die in rechtlicher oder technischer Hinsicht mangelhaft ist und deswegen die Anforderungen des § 255 a Abs. 2 S. I StPO nicht erfüllt? Auf welcher anderen Gesetzesgrundlage kann diese Dokumentation noch in die Hauptverhandlung eingespielt werden? Verwertbar ist eine solcher Videokonserve nur noch auf der Grundlage der §§ 255 a Abs. 1, 251 StPO, wobei die Möglichkeit einer einverständliche Vorführung gemäß § 251 Abs. I Nr. 4 StPO besondere Bedeutung erlangt. Das Gericht muss die Änderung der Rechtsgrundlage allerdings offen legen, um den Beteiligten die Gelegenheit zum Widerspruch gegen eine Vorführung zu eröffnen. Über den Verweisungsweg des § 255 a Abs. 1 StPO auf § 251 StPO ist es ferner möglich, eine mit bestimmten Fehlern behaftete richterliche Einvernahme des Zeugen als nichtrichterliche Vernehmung auf der Grundlage des § 251 Abs. 2 StPO einzubringen, allerdings mit entsprechend gemindertem Beweiswert205 . Ein Ausweichen auf direktem Weg von § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO auf § 251 Abs. 2 StPO ist aber nicht gestattet 206 . Soweit § 252 StPO eingreift, muss indessen von jeder Vorführung der Videokonserve Abstand genommen werden. Das Gericht hat sich im Vorfeld einer geplanten Aussageersetzung - egal auf welcher Grundlage - bei 204 Zur Erinnerung, § 168 e Abs. 2 V-StPO regelt bereits mit Blick auf eine spätere Aussageersetzung die Mindestmitwirkungsrechte des Beschuldigten bzw. des Verteidigers. Der vorgeschlagene Gesetzeswortlaut ist nachzulesen im 5. Teil, Kapitel C. 205 V gl. 6. Teil, Kapitel B.2.a)dd). 206 K/M-G, § 255 a, Rn. 8.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

dem Zeugen zu erkundigen, ob dieser nicht doch von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht.

b) Die Problematik der ergänzenden Vernehmung, § 255 a Abs. 2 S. 2 StPO Das Aufklärungsgebot setzt den Schutzbestrebungen des Gesetzes Schranken. Eine ergänzende Vernehmung des Zeugen muss bei ansonsten lückenhafter Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich möglich sein, so die Grundidee des § 255 a Abs. 2 S. 2 StPO. Doch unter welchen Bedingungen diese zusätzliche Ladung des Zeugen erfolgen soll, lässt § 255 a Abs. 2 S. 2 StPO offen. Das eröffnet den Weg zu Spekulationen, ob nicht doch ein Anspruch der Verteidigung auf erneute Ladung besteht207 , ob die Entscheidung nach Maßgabe des Beweisantragsrechts fallen so1l208 oder ob sie sich allein an der Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO orientiert209 . Unklar ist außerdem, wo die absoluten Grenzen einer ergänzenden Inanspruchnahme zu ziehen sind.

aa) Anspruch auf ergänzende Vernehmung? Die Lösung, die der Verteidigung einen Anspruch auf eine ergänzende Vernehmung einräumt, und dies bereits dann, wenn nur die Richtigkeit und Vollständigkeit der früheren richterlichen Vernehmung substantiiert in Zweifel gezogen wird 21O , kann dem Gesetzgeber kaum im Sinn gelegen haben, denn auf diesem Weg ließe sich das mit § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO bezweckte Ziel, eine Vernehmungsaufzeichnung gerade auch gegen den Willen des Beschuldigten und seines Verteidigers anstelle der Zeugenvernehmung in die Hauptverhandlung einführen zu können, mühelos unterlaufen. Nahezu jede neue Einlassung des Angeklagten könnte die ergänzende Vernehmung erzwingen 211 . U. U. sogar dann, wenn die gestellte Frage bereits im Rahmen der früheren Vernehmung beantwortet wurde. So Schünemann. StV 1998.400. HK-Julius. § 255 a, Rn. 11; auch Rieß. StraFo 1999,5; Leitner. StraFo 1999. 48; K/M-GG, § 255 a, Rn. 10; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 255 a. Rn. 15. 209 So wohl Seitz. JR 1998. 313 und Diemer. NJW 1999, 1675; Schlüchter/Grejf. Kriminalistik 1998, 534; SK-Schlüchter. § 255 a, Rn. 16, dagegen hält auch Beweisanträge für zulässig, zumindest soweit sie sich auf vollkommen neue Beweisthemen beziehen. 210 Schünemann. StV 1998.400. 211 Schlothauer. StV 1999,49; Weigend. Gutachten C zum 62. DJT. S. 65. 207

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B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

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Zeugen schutz in dieser Form wäre vom Wohlwollen des Angeklagten abhängig und damit gegenüber der Verweisung des § 255 a Abs. 1 StPO auf die konsensuale Lösung nach § 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO kein Gewinn. So wünschenswert es natürlich für die Verteidigung sein mag, frühere Anschuldigungen nachträglich noch einmal in Frage stellen zu können, wenn § 255 a Abs. 2 StPO überhaupt irgendwie seiner besonderen Schutzfunktion gerecht werden soll, dann muss die Verteidigung darauf beschränkt werden, eventuelle inhaltliche Anzweiflungen ohne eine wiederholte Konfrontation vorzutragen 212 . bb) Zum Maßstab der Amtsaujklärungspflicht und des Beweisantragsrechts

Eine andere Position will die ergänzende Vernehmung nur in solchen Fallkonstellationen gestatten, in denen das Aujklärungsgebot nach § 244 Abs. 2 StPO die Notwendigkeit einer zusätzlichen Befragung anzeigt213 . Warum aber sollte § 255 a Abs. 2 S. 2 StPO das Beweisantragsrecht aus opfer- und zeugenschützenden Gründen gänzlich ausschließen 214 ? Weder weist das Gesetz selbst hierauf hin, noch bedarf es aus zeugenschützenden Gesichtspunkten eines solch rigorosen Verbots. Stattdessen erscheint es angebracht, sich auf die Frage konzentrieren, ob und wie das Beweisantragsrecht des § 244 Abs. 3 StPO durch zeugen- und opferschützende Gesichtspunkte im Rahmen des § 255 a Abs. 2 S. 2 StPO zusätzlich eingeschränkt wird215 . Für eine ergänzende Vernehmung gilt damit Folgendes: • Sie ist dann geboten, wenn nach Abschluss der frühen richterlichen Vernehmung weitere entscheidungsrelevante Tatsachen bekannt werden, die in der Befragung nicht oder nicht im notwendigen Umfang zur Sprache gebracht werden konnten 216 . • Ebenfalls wird die Vernehmung streckenweise wiederholt bzw. vervollständigt werden müssen, wenn einige wichtige Aspekte des Falles ungeKritisch Schünemann, StV 1998, 400. Schlüchter/Greff, Kriminalistik 1998,534. 214 Rieß, StraFo 1999,5; Beulke, ZStW 113 (2001), 714. 215 Ausgangspunkt einer solchen Erörterung ist und bleibt aber § 244 Abs. 2 StPO, denn zeigt das Aufklärungsgebot die Notwendigkeit einer ergänzenden Vernehmung an, bleibt für die Schranken der §§ 244 Abs. 3 und 255 a Abs. 2 StPO kein Raum. 216 SK-Schlüchter, § 255 a, Rn. 16; die Vernehmung muss "unerlässlich" sein, so der Vorschlag des § 251 Abs. 1 S. 1 AE-ZVR, S. 115. 212 213

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

klärt geblieben sind bzw. bestimmte Mängel in der Vernehmung oder in der Technik den Beweiswert der Aufzeichnung herabsetzen 217 . • Ein Beweisantrag auf persönliche Vernehmung des Zeugen zu den bereits in der Vernehmungsaufzeichnung zur Sprache gekommenen Themen ist unzulässig, sofern darin nicht begründet vorgetragen wird, dass das Beweismittel aufgrund veränderter Umstände oder neuer Erkenntnisse nicht voll ausgeschöpft werden könnte 218 . • Wird kein neu es Beweisthema benannt, so ist der "Beweisantrag" in Wahrheit nur eine Beweisanregung und als solche entsprechend der Grundsätze, die für die Beurteilung von Anträgen auf Wiederholung einer Beweiserhebung zu derselben Beweisfrage entwickelt wurden, zu behandeln 219 . Ansonsten finden die in § 244 Abs. 3 StPO genannten Ablehnungsgründe unverändert Anwendung. Nach Meinung eines Teils der Kommentarliteratur soll die ergänzende Einvernahme auch angezeigt sein, die Mitwirkungsrechte nicht oder nur ungenügend wahrgenommen werden konnten 22o . Das ist aber abzulehnen. Wurden die Mitwirkungsrechte aus Gründen nicht wahrgenommen, die nicht als ein auf Prozessverzögerung ausgerichteter Missbrauch der Beteiligungsbefugnisse einzuordnen sind, so ist die in Abwesenheit des Beschuldigten bzw. seines Verteidigers zustande gekommene Vernehmung überhaupt nicht nach § 255 a Abs. 2 StPO verwertbar, denn sie erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen des Satz 1 nicht 221 . Liegen weiterhin auch die Voraussetzungen der §§ 255 a Abs. 1, 251 StPO nicht vor, können sich die Beteiligten insbesondere nicht auf eine Vorführung verständigen, so ist der Zeuge unmittelbar und über den gesamten Prozessstoff in der Hauptverhandlung zu vernehmen. cc) Absolute Grenzen einer ergänzenden Inanspruchnahme des Zeugen

Mit den Ablehnungsgründen des § 244 Abs. 3 StPO erschöpft sich der Spielraum des Gerichts nicht. § 255 a Abs. 2 S. 2 StPO ist eine Ermessensregelung. Dem Gebot der Amtsaufklärung oder auch einem begründeten Beweisantrag zum Trotz "kann" das Gericht von einer ergänzenden Vernehmung absehen, wenn die Nachteile für den Zeugen den mit der zusätzlichen Einvernahme verbundenen Erkenntnisgewinn überwiegen. Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 255 a, Rn. 14. Rieß, StraFo 1999, 5. 219 K/M-G, § 255 a, Rn. 10; Rieß, StraFo 1999, 5; BGHSt. 14; 21 (22); StV 1995,566; NJW 1960,2156 f.; NStZ 1988, 18; JR 2000,32 m. Anm. Rose. 220 SK-Schlüchter, § 255 a, Rn. 16; HK-Julius, § 255 a, Rn. 10. 221 s. zuvor Kapitel B.3.b). 217 218

B. Die Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung

431

Die körperlich-seelischen Konstitution des Zeugen ist dabei gegen die Bedeutung des Beweisthemas sowie gegen den von der ergänzenden Vernehmung zusätzlich erwarteten Erkenntniswert und der Aussagekraft weiterer erhobener Beweise abzuwägen. Dem Aufklärungsinteresse wird gegenüber dem in § 255 a Abs. 2 StPO bezweckten Zeugenschutz bei der Frage der ergänzenden Vernehmung ein gewisses Übergewicht zuerkannt werden müssen, denn wird tatsächlich auf den Zeugen verzichtet, dann kann zugleich auch über die bestehenden Zweifel an bestimmten Sachverhaltskonstellationen, am Beweiswert der früheren Vernehmung oder am Wahrheitsgehalt der Aussage nicht einfach hinweggegangen werden. In dubio pro reo wäre der wenigstens teilweise Freispruch hinzunehmen 222 . Angesichts der Schwere der in § 255 a Abs. 2 StPO aufgezählten Straftaten werden die Gerichte dies nicht gerne in Kauf nehmen. Natürlich gibt es keine Wahrheitsfindung um jeden Preis, doch die durch den Zeugenschutz bestimmten Grenzen, die sich der Wahrheitsfindung und dem hinter ihr stehenden öffentlichen Interesse an Aufklärung, Strafverfolgung und Prävention entgegenstellen, weichen mit zunehmender Schwere der Tat auf den Kerngehalt der geschützten Grundrechte zurück. In der Abwägung nicht zu vergessen ist das Rehabilitationsinteresse des Angeklagten. Auch diesem kann sich das Gericht bei zweifelhaftem Wahrheitsgehalt der Aussage nicht einfach entziehen und die Ungewissheit zu Gunsten wie zu Lasten des Angeklagten im Raum stehen lassen. Bis zu einem gewissen Punkt können dem Zeugen also die Nachteile einer unmittelbaren Vernehmung nicht erlassen werden. c) Abschließende Bemerkungen zum Interessendreieck von Zeugenschutz, Wahrheitserforschung und Beschuldigtenrechten im Rahmen des § 255 a Abs. 2 StPO Die vorhergehenden Ausführungen haben deutlich gezeigt, dass sich bei

§ 255 a Abs. 2 StPO in gewisser Form der Konflikt zwischen Zeugen-

schutz, Beschuldigtenrechten und dem Gebot umfassender Wahrheitsermittlung noch verschärft. Traten im Fall der §§ 247 a, 168 e, 58 a und 255 a Abs. 1 StPO noch das Aufklärungsinteresse, die Idee der Beweissicherung oder prozessökonomische Beweggründe ergänzend oder sogar maßgeblich neben die Rechtsposition des Zeugen, so konkurriert nun bei § 255 a Abs. 2 StPO der Zeu222

735.

BGH, NJW 1993, 2451; Meier, RdJB 1996, 459; Beulke, ZStW 113 (2001),

432

6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

genschutz allein mit elementaren rechtsstaatlichen Positionen. Positionen, die insbesondere in Fragen der Verfahrensfairness zum Vorteil des Beschuldigten dem Zeugenrecht meist überzuordnen sind 223 . Natürlich mag auch die Wahrheitserforschung aus der Einspielung einer, im günstigsten Fall unmittelbar nach der Tat entstandenen, Vernehmungsaufzeichnung Nutzen ziehen, doch ist dieser Nutzen keineswegs so eindeutig, wie manche Befürworter der Regelersetzung von Zeugenaussagen durch Videoaufzeichnungen224 behaupten. Einen vollständigen Überblick und damit auch genügend Information, um sich an den wahren Sachverhalt heranzutasten, hat das Gericht regelmäßig nur dann, wenn es nicht nur in der Lage ist, die Entwicklung von Zeugenaussagen nachzuvollziehen, sondern auch wenn es befähigt ist, die letzte unmittelbare Einvernahme der Beweisperson mit deren Angaben aus früheren Vernehmungen zu kontrastieren und eventuelle Divergenzen im Laufe der Befragung des Zeugen in der Hauptverhandlung durch Vorhalte und Mahnungen zu klären 225 . Das Fehlen des unmittelbaren Zeugen ist in der Hauptverhandlung der Wahrheitsfindung zunächst einmal abträglich 226 . Dies schließt nicht aus, dass die Aufzeichnung einer früheren Aussage den Belangen der Wahrheitsfindung tatsächlich doch genügt und der Zeuge dem auch in einer unmittelbaren Befragung nichts mehr von Bedeutung hinzufügen könnte, doch um dies festzustellen, müsste man den Zeugen persönlich hören, was § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO gerade vermeiden möchte. Der Videobeweis sorgt ferner dafür, dass frühere Anschuldigungen nahezu unangreifbar erneut in den Raum gestellt werden. U. U. beinhaltet ein Vorgehen nach § 255 a Abs. 2 StPO sogar ein Präjudiz für die Gefährlichkeit und indirekt damit auch für die Täterschaft des Angeklagten. Die Unschuldsvennutung wird so zwar nicht zu Gänze außer Kraft gesetzt, aber es kann den beteiligten Richtern bei einer so definitiven Entscheidung zu Gunsten des Zeugenschutzes bereits deutlich schwerer fallen, dem Angeklagten unvoreingenommen gegenüberzutreten 227 . 223 Rieß, Opfer- und Zeugenschutz in Missbrauchsverfahren, S. 125; Schünemann, StV 1998 396; Beschlüsse des 62. DJT, NJW 1999, 120; Dahs, NJW 1998, 2333; Rieß, Gutachten C zum 55. DJT, S. 54 f.; ausführlich im 1. Teil, insbesondere Kapitel C. 224 Beispielsweise Gössel, Gutachten C zum 60. DJT, S. 59; Meurer, JuS 1999, 940; ausführlich dazu im 2. Teil, Kapitel C.3. 225 Zur Zulässigkeit solcher Vergleiche trotz § 250 S. 2 StPO Wömpner, NStZ 1983,295. 226 Unter aussagepsychologischen Gesichtspunkten Deckers, NJW 1999, 1370. 227 Fischer, JZ 1998, 818; Meurer, NJW 1999,941.

C. Videoaufzeichnungen in der Revisionsinstanz und § 261 StPO

433

Diese Anmerkungen sollen noch einmal deutlich machen, dass, über eine enge Interpretation der Tatbestandsmerkmale hinaus, ein vorsichtige Umgang mit § 255 a Abs. 2 StPO anzumahnen ist. Andere Zeugenschutzmaßnahmen, darunter insbesondere die der Simultanübertragung von Vernehmungen, sind im Zweifelsfall vorzugswürdig.

c. Videoaufzeichnungen in der Revisionsinstanz und § 261 StPO

Vom Gesetzgeber nahezu unbemerkt hat mit der Videotechnik als Speichermedium eine weitere Neuheit im Strafverfahren Einzug gehalten, namentlich der Transfer von Form und Inhalt einer Beweisaufnahme aus der Hauptverhandlung in die Revisionsinstanz. Für die dem Urteil zugrunde liegenden tatrichterlichen Feststellungen den sog. fundierenden Tatsachen - entsteht mit der Vernehmungsaufzeichnung eine ideale, weil verlässliche und glaubwürdige Vergleichsgrundlage.

1. Die tatrichterliche Beweiswürdigung in der Revisionsinstanz Die tatrichterliche Beweiswürdigung, d. h. die vom Tatrichter aus den ihm vorliegenden Beweisen gezogenen Schlüsse, ist grundsätzlich durch das Revisionsgericht nicht überprüfbar. Insbesondere darf das Revisionsgericht nicht seine eigene Beweiswürdigung an die Stelle der tatrichterlichen Überzeugung setzen228 . Doch die äußeren Umstände tatrichterlicher Überzeugungsbildung stehen einer Überprüfung sehr wohl zur Verfügung. Mit der Revision darf eine Verletzung des § 261 StPO deswegen dann gerügt werden, wenn das Urteil den Inhalt einer Zeugenaussage oder weitere auf Videoband bzw. im Wortlautprotokoll festgehaltene, gewichtige Begleitumstände einer Aussage fehlerhaft wiedergibt 229 . Das Gericht kann in einem solchen Fall seine Überzeugung aus objektiv fehlerhaften tatsächlichen Grundlagen hergeleitet haben, weswegen auch die richterliche Schlussfolgerung mit großer Wahrscheinlichkeit selbst fehlerhaft ist. Der Videobeweis gestattet durch seine Authentizität und Verlässlichkeit, ohne Verstoß gegen das in der Revisionsinstanz geltende Rekonstruktions228 K/M-G, § 337, Rn. 13; BGHSt. 10, 208 (2090; 21, 149; 15, 347; 29, 18 (20); SK-Schlüchter, § 261, Rn. 110. 229 BGH, NStZ 1987, 18; StV 1993, 115; BayObLG, StV 1985,226; OLG Köln, StV 1995, 630. 28 Swoboda

434

6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

verbot Fehler bei den äußeren Umständen der tatrichterlichen Überzeugungsbildung zu belegen und dadurch diese Überzeugungsbildung in ihren tatsächlichen Grundlagen anzugreifen 23o . Vergleichbar dem Wortlautprotokoll des § 273 Abs. 3 StPO ermöglicht der Vernehmungsmitschnitt, die Beweisergebnisse und Tatsachenfeststellungen genauso in die Revisionsinstanz zu übermitteln, wie sie sich im Zeitpunkt der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung darstellten. Er liefert parate Fakten, Fakten, für die es keiner erneuten Erhebung bedarf.

2. Beispiele für eine Fehlerhaftigkeit der fundierenden Tatsachen Der Schwerpunkt einer revisionsgerichtlichen Kontrolle der Beweiswürdigung liegt im Wortlautvergleich von Urteil und darin gewürdigter Zeugenaussage. Die tatrichterlichen Beweiswahmehmungen müssen mit den tatsächlichen Äußerungen des Zeugen, mit seiner Form der Darstellung und seinem Sprachgebrauch korrespondieren und zudem vollständig sein. Ist dies der Fall, so ist die Würdigung des einwandfrei festgestellten Beweisergebnisses bzw. die Interpretation einer zutreffend wahrgenommenen, aussagebegleitenden Körpersprache ausschließlich Sache des Tatrichters und der revisions gerichtlichen Prüfung entzogen23I . Der Prüfungsspielraum des Revisionsgerichts mutet nach dieser Darstellung sehr begrenzt an. In Wahrheit aber ist gerade die Sprachperzeption des Tatrichters eine ernst zu nehmende Fehlerquelle, denn zum einen erlaubt ein unsachgemäßer Umgang mit sprachlichen Ausdrucksformen, die Bedeutung des Gesagten sukzessive zu verändern, zum anderen beeinflussen individuelle Dispositionen die persönliche Wahrnehmung. Individuelle Erwartungshaltungen, Interesse oder persönliche Wertprägung verändern den Blick auf die vorgelegten Tatsachen 232 . Die sprachliche Umschreibung des Wahrgenommenen kann entstellen und Informationsgehalte verfälschen. U. U. genügt bereits der Gebrauch synonymer Begriffe, um den Bedeutungsgehalt des Geschilderten geringfügig 230 Schlothauer, StV 1999,50; Diemer, NStZ 2002, 19 f.; Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 m; WeiderlSteachelin, StV 1999, 54; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 255 a, Rn. 26; ausführlich Widmaier, Defizitäre Unmittelbarkeit, S. 185 ff.; zum Rekonstruktionsverbot BGHSt. 38, 14; NStZ 1997, 296; Geissler, Zur Revisibilität von Widersprüchen zwischen Strafurteil und Wortprotokoll, S. 91 ff. 231 BGHSt. 10,208 (209 f.); 21, 149; 15,347; 29, 18 (20). 232 Lehrreich Herdegen, Die Eingriffe des Revisionsgerichts in die tatrichterliche Beweiswürdigung, S. 27 ff.; zu weiteren Fehlerquellen Geissler, Zur Revisibilität von Widersprüchen zwischen Strafurteil und Wortprotokoll, S. 1 ff.

C. Videoaufzeichnungen in der Revisionsinstanz und § 261 StPO

435

zu verschieben 233 . Ferner kann eine Schwerpunktsetzung zur fehlerhaften Wiedergabe der Zeugenangaben führen. Ebenso beeinflussend wie individuell ist die Vorprägung des einzelnen Richters aus der Aktenlektüre. Studien belegen, dass eine Aktenkenntnis des Beurteilenden diesen dazu veranlasst, sich selektiv auf die mit den Akteninformationen übereinstimmenden Angaben des Zeugen zu konzentrieren. Er strebt unbewusst danach, seine vorab gefasste Meinung mit den späteren Informationen zu untermauern. Dissonante Informationen dagegen werden nicht oder z. T. sogar fehlerhaft wahrgenommen 234 . Der BGH hat seine Rechtsprechung diesen Fehlerquellen nach und nach geöffnet, so dass eine Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung nach § 261 StPO heute nicht nur die inhaltliche, sprachliche Wiedergabe eines Beweismittels in den Urteilsgründen erfasst, sondern auch das Maß der Berücksichtigung vorliegender Beweise235 • Mittlerweile ist der Gegenstand der Kontrolle sogar die Tragfähigkeit der durch das Tatgericht aus den ihm vorliegenden Indizien substantiierten Rückschlüsse auf den "wahren" Sachverhalt und damit auch auf den Beweiswert des jeweiligen Beweisobjektes 236 . In begrenztem Umfang mag die revisionsrichterliche Prüfung sogar Einfluss auf die tatrichterliche Überzeugung von der Glaubwürdigkeit des Zeugen nehmen, denn auch die richterliche Überzeugungsbildung muss in den fundierenden Tatsachen niedergelegt bzw. aus ihnen hergeleitet und begründet sein, und zwar in Form einer umfassenden, nachvollziehbaren Argumentation. Andernfalls mag es durchaus sein, dass das Revisionsgericht die unzureichende Entwicklung tatrichterlicher Schlussfolgerungen aus dem Gesamtzusammenhang bemängelt oder die zugrunde liegenden Indizien als unzureichend oder als für den bestimmten gezogenen Schluss zumindest nicht hinreichend bezeichnet237 •

233 Beispiele dazu bei Herdegen. Die Eingriffe des Revisionsgerichts in die tatrichterliche Beweiswürdigung, S. 28, unter Auswertung von BGHSt. 39, 335. 234 Schünemann. StV 2000, 159 ff. 235 BGHSt. 38, 14; StV 1991, 549; 1993, 234; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 261, Rn. 56 ff. 236 BGH, StV 1993, 115; Herdegen, Die Eingriffe des Revisionsgerichts in die tatrichterliche Beweiswürdigung, S. 43 ff. m. w. N.; Widmaier. Defizitäre Unmittelbarkeit, S. 186. 237 BGH, StV 1996, 5; SK-Schlüchter, § 261, Rn. 114; s. auch KK-Engelhardt. § 261, Rn. 45. 28*

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

3. Der besondere Nutzen der Vernehmungsaufzeichnung in der revisionsgerichtlichen Kontrolle Je authentischer die Protokollierung bzw. je "mittelbarer" von vornherein der in der Hauptverhandlung erhobene Beweis, desto ausführlicher und kritischer wird die revisionsgerichtliche Prüfung erfolgen können 238 . Ein Vernehmungsmitschnitt im Hauptverfahren bzw. eine in das Hauptverfahren aus dem Ermittlungsstadium transferierte Vernehmungsaufzeichnung sind also beste Bedingungen, um dasjenige einer sorgfältigen Kontrolle zu unterziehen, was in der Hauptverhandlung als "Wahrheit" zugrundegelegt wurde. Gerade dort, wo dem Beschuldigten jede Konfrontation mit dem Zeugen untersagt blieb, sind die revisionsgerichtliche Kontrollmöglichkeiten außerdem ein notwendiges, obgleich natürlich kaum hinreichendes Gegengewicht zur potentiellen Übermacht der Anklageposition. Ferner sind sie ein beachtliches Gegengewicht zu einer eventuellen Vorbeeinflussung des beurteilenden Richters aus den Akten 239 . Nicht weiter verwunderlich also, dass dem Verteidiger in Verteidigerhandbüchern der Rat gegeben wird, sich bei Stattfinden einer Simultanübertragung zugleich für eine Vernehmungsaufzeichnung nach § 247 a S.4 StPO einzusetzen24o• Erstaunlich nur, dass bisher nicht auch angeraten wurde, bei jeder Vernehmung eine Aufzeichnung auf der Grundlage des § 58 a Abs. 1 S. 1 StPO anzuregen, denn gerade bei komplexen Sachverhalten oder Indizienprozessen sind unbewusste Wahrnehmungsfehler oder nicht ausreichend substantiierte Fehlschlüsse durchaus zu erwarten. Allerdings würde ein solches Vorhaben - zumindest auf der Grundlage des § 58 a Abs. 1 StPO - mit dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen kollidieren, denn die rein hypothetische Möglichkeit, dass das Gericht bei den fundierenden Tatsachen fehlerhafte Feststellungen macht und eine eventuelle Vernehmungsaufzeichnung in der Folge den Gang in die Revision erleichtern würde, gestattet bei Weitem noch keinen Eingriff in das Recht am Wort und Bild241 • Dies soll allerdings nicht ausschließen, dass der Gesetzgeber neue Rechtsgrundlagen schafft, über die eine zwingende Videodokumentation der 238 "Je mittelbarer, um so revisibIer", Widmaier, Defizitäre Unmittelbarkeit, S. 185. 239 Widmaier, Defizitäre Unmittelbarkeit, 190. 240 Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, Rn. 1133 m. 241 Dazu Kapitel A.l.b)aa)(1); abzulehnen ist die Ansicht, mit § 58 a I StPO hätte sich die Diskussion um das Wortprotokoll bereits erledigt; so aber MeyerMews, NJW 2002, 106.

C. Videoaufzeichnungen in der Revisionsinstanz und § 261 StPO

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gesamten Beweisaufnahme zur Regel wird, wie das in anderen Staaten beispielsweise Spanien und Mexiko - der Fall ist242 . Aus Verteidigersicht ist eine solche Gesetzesgrundlage bereits seit langem überfällig. Schon 1993 plädierte der Deutsche Anwaltsverein für eine generelle Tonbandprotokollierung der gesamten Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung243 . Diese Forderung hat er im Zuge der gegenwärtigen Refonnbestrebungen wiederholt 244 . Unter technischen Gesichtspunkten sind diese Vorschläge natürlich durch die Videotechnik und die heutigen Möglichkeiten des Videoprotokolls überholt, vorausgesetzt, man schätzt nicht das Recht des Vernommenen am eigenen Wort und Bild als grundsätzlich vorrangig gegenüber allen Dokumentationsbestrebungen mit Videoaufzeichnungen ein und lässt deswegen ausschließlich das Tonbandprotokoll als schwächere Eingriffsfonn zu. Aufgezeichnet würde aber im Übrigen nicht nur die Aussage des Zeugen, sondern auch die des Sachverständigen und des Angeklagten selbst. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht wäre also nicht nur auf den Zeugen beschränkt. Erst in neueren Refonnbestrebungen ist die Videographie der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung wirklich ins Blickfeld geraten. In den inzwischen wieder verworfenen - Entwürfen sollten die Berufungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt und zum Ausgleich dafür die ausführliche und eingehende Überprüfung aller Urteilsgrundlagen in der Revision ermöglicht werden. Nur eine vollständige Dokumentation des erstinstanzlichen Verfahrens auf Videoband hätte dies gewährleisten können245 • Doch sogar in diesen Reformentwürfen fiel auf, dass eine Dokumentation der Hauptverhandlung und die mit ihr verbundenen gesteigerten Überprüfungsmöglichkeiten der Revision nicht generell erwünscht sind. Man befürchtete einen Mehraufwand an Zeit und Kosten, der dem mit den Reformen erstrebten Ziel der Vereinfachung, Beschleunigung und Entschlackung des Strafverfahrens zuwiderliefe 246 . 242 Geplant sind mittlerweile aber nur Tonbandaufnahmen in den Fällen, in denen die StPO ein Inhaltsprotokoll vorsieht, als beispielsweise bei § 273 Abs. 3 StPO, Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 316. 243 DAV, AnwBI 1993,328; früher schon Schmidt, JZ 1964,538. 244 DAV, AnwBl 2001, 43 f.; DAV, Stellungnahme zu den Eckpunkten einer Reform des Strafverfahrens, Berlin, Mai 200 I, 9; Ergebnisse der Arbeitsgruppen des 25. Strafverteidigertages, StV 2001, 486; ebenso Herdegen, Die Eingriffe des Revisionsgerichts in die tatrichterliche Beweiswürdigung, S. 46; Meyer-Mews, NJW 2002, 104 ff. 245 Bittmann, DRiZ 2001, 116; Lilie, Gutachten D zum 63. DJT, S. 78. 246 Lilie, Gutachten D zum 63. DJT, S. 78.

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

Dabei sind die Vorteile der Videodokumentation beachtlich. Als Speichermedium könnte die Videotechnik in Verfahren, die ausschließlich mit der Revision angreifbar sind247 , gleich zweifach Fehlerrisiken minimieren: Einerseits gestattet sie dem Tatgericht, im Rahmen der Urteilsberatungen zur Erinnerung auf die Aufzeichnungen zurückgreifen. Gedächtnislücken, Fehlspeicherungen oder sonstige Erinnerungsverfälschungen ließen sich hierdurch rechtzeitig korrigieren 248 . Teilweise gelingt dies natürlich bereits heute durch die stichwortartige Mitschrift eines Mitglieds des erkennenden Gerichts. Doch können diesem bei der Protokollierung Fehler unterlaufen. Außerdem ist die in Stichworten abgefasste Skizze i. d. R. weniger verlässlich als etwa ein Wortlautprotoko1l 249 . Andererseits gestattet die Dokumentation die zuvor beschriebene, eingehende Begutachtung der Urteilsfeststellungen. Sie erlaubt zu überprüfen, ob der Tatrichter die absoluten Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten hat. Sicherlich ist die "Aufblähung" der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht unbedingt im Einklang mit den gegenwärtigen Bestrebungen nach Entschlackung des Strafverfahrens. Allerdings ist sie auch nicht überflüssig, denn Fehlurteile, die sich mit einem verhältnismäßig geringen Mehraufwand vermeiden ließen, müssen aus rechtsstaatlicher Sicht nicht hingenommen werden. Der technische Aufwand für das Aufstellen einer Videokamera im Verhandlungssaal ist relativ gering, die Kosten sind tragbar. Ein wirklicher Mehraufwand wird nur bei der Zeit zu verzeichnen sein, die es für das Abspielen der Aufzeichnungen bedarf.

4. Gesetzgebungsvorschläge für eine Protokollierung von Vernehmungen in der Hauptverhandlung Anzuregen ist eine Vorschrift, die § 273 StPO um die zwingende Protokollierung wenigstens von Vernehmungen in Bild und Ton erweitert. Sicherlich würde sich der Gesetzgeber hiermit sehr rigoros gegen das Recht am eigenen Wort und Bild entscheiden. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen ließe sich aber durch einen achtsamen Umgang 247 Nicht mit der Berufung angreifbar sind gemäß § 312 StPO immerhin alle erstinstanzlichen Strafverfahren vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht, d. h. Verfahren mit hohen Straferwartungen. 248 DAV, Stellungnahme zu den Eckpunkten einer Reform des Strafverfahrens, Berlin, Mai 2001, 9; Ergebnisse der Arbeitsgruppen des 25. Strafverteidigertages, StV 2001, 486. 249 Geissler, Zur Revisibilität von Widersprüchen zwischen Strafurteil und Wortprotokoll, S. 3.

D. Zusammenfassung: Vernehmungsaufzeichnung und Verwertung

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mit den erhaltenen Aufzeichnungen abmildern. So dürften die Aufzeichnungen nur in der Geschäftsstelle aufbewahrt werden. Kopien würden dem Verteidiger und anderen Akteneinsichtsberechtigten nur dann zur Mitnahme ausgehändigt, wenn wichtige Gründe, darunter vor allem die Sicherheitsinteressen des Vernommenen, nicht entgegenstehen 25o • § 273 Abs. I StPO sollte wie folgt um einen Satz 2 ergänzt werden: § 273 Abs. 1 V-StPO I Das Protokoll muss den Gang und die Beobachtung aller wesentlichen Fönnlichkeiten ersichtliche machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Schriftstücke oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und Urteilsfonneln enthalten. 2 Vernehmungen sind in Bild und Ton aufzuzeichnen.

(1)

D. Zusammenfassung: Vernehmungsaufzeichnung und Verwertung Die Dokumentation von Vernehmungen in Bild und Ton spielt vor allem in der Frage der Beweissicherung eine hervorragende Rolle. Und die Möglichkeiten der Videotechnik im Strafverfahren in ihrer Eigenschaft als Speichermedien sind durchaus ausbaufähig, insbesondere, soweit es um eine Dokumentation der gesamten Hauptverhandlung oder wenigstens der dort erfolgenden Vernehmungen geht. Mit Zeugenschutz hat dies natürlich nur noch wenig zu tun. Allerdings ist im Laufe dieser Untersuchung schon mehrfach angeklungen, dass die besondere Stärke des Zeugenschutzgesetzes eindeutig im Bereich der Wahrheitserforschung liegt. Wollte man tatsächlich allein den Zeugen schutz in den Vordergrund stellen, so ist wenig einsichtig, dass z. B. das Einverständnis des Zeugen weder bei der Dokumentation noch bei der späteren Verwertung seiner mitgeschnittenen Aussage verlangt wird. Bei § 255 a Abs. 2 StPO sind außerdem erhebliche Zweifel anzumelden, ob nicht der durch ihn gestattete Einbruch in die Unmittelbarkeit des Verfahrens und die daraus resultierenden Einbußen an Aufklärungsmöglichkeiten weit schwerer wiegen als die für den Zeugen zu erwartende Belastung. Bei einer Aussage unmittelbar in der Hauptverhandlung könnte der Zeuge 250 Zu verweisen ist hier auf den vorgeschlagenen § 147 Abs. 4 V-StPO. Dieser wurde zwar zunächst nur im Hinblick auf den Persönlichkeitsschutz des Zeugen formuliert, ist in seinem Wortlaut aber durchaus auch für den Persönlichkeitsschutz anderer vernommener Personen offen. Der Wortlaut ist nachzulesen im 6. Teil, Kapitel A.1.e)cc)(3).

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6. Teil: Videodokumentierte Zeugenvemehmungen im Hauptverfahren

immerhin durch besondere Schutzmaßnahmen vor dem Angeklagten bzw. vor den übrigen Verfahrensbeteiligten abgeschirmt werden. Soweit die Videoaufzeichnung zugleich auch der bessere, weil ausführlichere und tatnähere Beweis ist, sind solche Zweifel natürlich verfehlt. Doch nicht bei jedem Zeugen unter sechzehn Jahren ist zu erwarten, dass er das Geschehene bis zur Hauptverhandlung vergisst. Zudem erscheint es recht leichtfertig gesagt, dass es keine Wahrheitserforschung um jeden Preis und vor allem nicht um den Preis der Überforderung des jugendlichen Zeugen geben darf. Kann man denn angesichts der Schwere der in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO angeführten Straftaten wirklich einen Freispruch in dubio pro reo hinnehmen? U. U. hat außerdem auch der Zeuge ein Interesse daran, persönlich am Strafverfahren mitzuwirken. Vielleicht will er geäußerte Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit widerlegen. Erfolgt ein Freispruch, ohne dass ihm aufgrund einer vermuteten Schutzbedürftigkeit Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde, wird das den Betroffenen mitunter mehr belasten als eine Aussage selbst. Mit der geltenden Formulierung des § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO ist außerdem die Beteiligung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers bei der frühen Vernehmung nicht ausreichend sichergestellt. Dies ist ein weiterer Grund, um mit der Regelung vorsichtig zu verfahren. Die beweissichernde Vernehmungsdokumentation und die nach §§ 255 a Abs. 1, 251 StPO gestatteten Abspielmöglichkeiten sind aber nachhaltig zu begrüßen. Allerdings sollten die Aufzeichnungen möglichst nicht im Rahmen eines Vorhalts genutzt werden, denn die von der Dokumentation ausgehenden Suggestivwirkungen sind nicht zu unterschätzen. Ein Ausbau der Dokumentationsmöglichkeiten sowohl im Vorverfahren wie auch in der Hauptverhandlung wird mit den nächsten Strafverfahrensreformen gewiss zu erwarten sein. Die Dokumentation von Vernehmungen im Ermittlungsverfahren bereits deswegen, weil nach gegenwärtigem Stand der Reformbestrebungen ein deutliches Mehr an Beweistransfermöglichkeiten aus dem Vorverfahren in die Hauptverhandlung geplant ist, wobei aber auch hier vor zuviel Verfahrensökonomisierungseuphorie gewarnt werden sollte251 . Eines Videoprotokolls der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung bedarf es dagegen mit Sicherheit nicht erst in ferner Zukunft, also auch nicht erst nach einer eventuellen Rechtsmittelreform. 251

Zu den Reformbestrebungen im 5. Teil, Kapitel B.4.d).

D. Zusammenfassung: Vemehmungsaufzeichnung und Verwertung

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Bereits heute wäre es zweckmäßig und technisch machbar, die vom Tatrichter getroffenen Feststellungen anhand verlässlicher Videokonserven einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Die in den Reformentwürfen geplanten teilweisen Tonbandaufzeichnungen von Vernehmungen in der Hauptverhandlung252 sind hier ein Schritt in die richtige Richtung.

252

Nr. 9 der Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 316.

7. Teil

Die Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen in Bild und Ton Bei den gegenwärtigen Refonnbestrebungen ist das Vorhaben, jede Beschuldigtenvernehmung, insbesondere auch die Erstvernehmung durch die Polizei vollständig auf Tonband dokumentieren zu lassen, als ein großer Erfolg der Anwaltslobby verbucht worden. Anhand der Tonaufzeichnungen hofft man nicht nur die Form der Vernehmung, sondern auch die häufig als einseitig, verkürzt oder sogar als verfälscht beklagte Protokollführung einer Überprüfung zugänglich zu machen 1• Den Weg zu einer generellen Videodokumentation von Beschuldigtenvernehmungen zu gehen, wagt man dagegen noch nicht, einmal abgesehen davon, dass nach gegenwärtiger Planung Aufzeichnungen von Beschuldigtenvernehmungen in Bild und Ton wenigstens bei der Untersuchung von Kapitaldelikten zum Einsatz kommen sollen2 . Diese Zurückhaltung erstaunt, denn schon vor zehn Jahren haben kanadische Experimente den Vor- und Nachteilen der Videodokumentation nachgespürt und ihren Nutzen bei der polizeilichen Vernehmung von verdächtigten und beschuldigten Personen nachhaltig bestätige. Längst ist auch die deutsche Polizei auf die Möglichkeiten der Videographie von Beschuldigtenvernehmungen aufmerksam geworden. Eine Übernahme des kanadischen Systems wurde hier schon zu Beginn der neunziger Jahre angeregt, erhielt aber bislang keine Resonanz4 .

I "Mehr Schutz für Opfer", Der Spiegel 11 /200 1, 17; Nr. 9 der Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 316. 2 Nr. 9 der Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 316. 3 Grant, CrimLR (1987), 375 ff.; berichtet wird über die kanadischen Erfahrungen ausführlich im 2. Teil, Kapitel D.4.; vgl. außerdem die Erfahrungen in Nordirland, 2. Teil, Kapitel D.3. 4 Steinke, Kriminalistik 1993, 330 ff.; s. auch Beulke, ZStW 113 (2001), 730.

A. Die Vorteile einer Videodokumentation

443

A. Die Vorteile einer Videodokumentation Die kanadischen Experimente mit der Videographie von Beschuldigtenvernehmungen haben eine Reihe von Vor- und Nachteilen aufgezeigt, die sich in ihrer Mehrzahl nahezu unverändert auch auf das deutsche Strafverfahren übertragen lassen. Als besonderer Vorzug etwa erschien den kanadischen Experimentatoren, dass mit Videoprotokollen der Schreibaufwand erheblich verringert werden konnte5 . Der technische Aufwand dagegen hielt sich in Grenzen. Verkürzt wurde außerdem die Hauptverhandlung selbst, da es der Verteidigung vor Gericht nur selten möglich war, der Polizei unfaire Vernehmungspraktiken vorzuwerfen und darüber die Gültigkeit eventueller Geständnisse anzufechten. Erstaunt waren die Beobachter ferner dadurch, dass die Videodokumentation die Aussagebereitschaft nicht verringerte, sondern diese im Gegenteil sogar leicht zuzunehmen schien6 . Ob das auch für die Geständnisbereitschaft gilt, ließ sich nicht eindeutig feststellen, obgleich die verzeichnete Anzahl der Geständnisse relativ hoch war. Das Videoprotokoll der Vernehmung gibt dem Beschuldigten ebenfalls eine gewisse Sicherheit, insbesondere vor der Anwendung verbotener Vernehmungsmethoden i. S. d. § 136 aStPO, denn die kanadischen Versuche zeigten, dass sich die Vernehmungs beamten vor der Kamera weniger aggressiv, der Beobachtung also bewusst zeigten. Außerdem hält die Kamera nicht nur Belastendes, sondern auch entlastende Umstände, darunter vor allem die Zurückweisungen des Tatvorwurfs fest 7 . Die Erfahrung lehrt, dass gerade dieses Abstreiten der Tat kaum Eingang in die Niederschrift einer Beschuldigtenvernehmungen findet. Dort wird i. d. R. nur das festgehalten, was das Ermittlungsverfahren aus der Sicht des vernehmenden Polizeibeamten vorantreibt. Bei vehementem Leugnen des Tatvorwurfs gilt die Vernehmung zumeist als ergebnislos, weswegen sich die Polizei dann auch nur mit einem Aktenvermerk über das Stattfinden der Befragung begnügt8 . Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gilt für die Niederschrift polizeilicher Untersuchungshandlungen § 168 b StPO entsprechend9 . Doch § 168 b Abs. 1 StPO bestimmt nur, dass die Ergebnisse der Untersuchungshandlung aktenkundig zu machen sind. Dagegen soll ein Wortlautprotokoll 5 6 7 8 9

Grant, CrimLR (1987), 376. Grant, CrimLR (1987), 379, 382. Grant, CrimLR (1987), 382. K/M-G, § 163 a, Rn. 3l. BGH, NStZ 1995, 353; 1997,611; HK-Krehl, § 163 a, Rn. 12.

444 7. Teil: Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen in Bild und Ton i. S. d. §§ 168, 168 a StPO gemäß § 168 b Abs. 2 StPO nur dann aufgenommen werden, "soweit dies ohne erhebliche Verzögerung der Ermittlungen geschehen kann". Von dieser "Soll"-Regelung darf im Weiteren ebenfalls abgewichen werden, wenn besondere Umstände, darunter z. B. die "Bedeutungslosigkeit" der Aussage, dies rechtfertigen 10. In der Hauptsache werden im Protokoll deswegen belastende Tatsachen festgehalten. Wie oft aber nachgefragt und nachgehakt werden musste, bis der Beschuldigten nachgab oder wie viel an notwendigem Täterwissen dem Vernommen im Verlauf des Gesprächs unbewusst durch den Vernehmenden suggeriert wurde, lässt sich mit der Niederschrift bloßer Vernehmungsergebnisse nicht mehr rekonstruieren. Die Gefahren, die ein ungenaues Protokoll einer Beschuldigtenvernehmung mit sich bringt, sind weithin bekannt. Gerade auch deswegen empfiehlt Nr. 45 Abs. 2 RiStBV, noch einmal, das Verhör wortwörtlich zu protokollieren. Dort heißt es: "Für bedeutsame Teile der Vernehmung empfiehlt es sich, Fragen, Vorhalte und Antworten möglichst wörtlich in die Niederschrift aufzunehmen. Legt der Beschuldigte ein Geständnis der Tat ab, so sind die Einzelheiten der Tat möglichst in seinen eigenen Worten wiederzugeben. Es ist darauf zu achten, dass besondere Umstände aktenkundig gemacht werden, die nur der Täter wissen kann." Die aufgeführten Empfehlung sind Ergebnis jahrzehntelanger kriminalistischer Erfahrung. Viel zu schnell können dem Beschuldigten nach einem längeren Verhör Formulierungen in den Mund gelegt werden, die er so nie gebraucht hätte, die aber das Tatbild wesentlich beeinflussen oder den Tatverdacht erhärten. Ein ungenaues, zwischen Verhör und Bericht nicht trennendes Protokoll ist also nicht nur ein Hindernis für die Wahrheitsermittlung, es ist für den Beschuldigten später auch kaum noch aus der Welt zu schaffen. Ein Geständnis zu widerrufen, das detailliertes Täterwissen enthält, hat nahezu keine Aussicht auf Erfolg, selbst wenn das relevante Detailwissen in Wirklichkeit unbewusst über den Vernehmungsbeamten in das Verhör und in die Niederschrift eingeflossen istlI. Das Videoprotokoll kann in diesem Fall die Entwicklung der Aussage aufzeigen, so dass suggestiven Bemerkungen des Vernehmenden nachgespürt und der Inhalt des "Geständnisses" mit dem vom Beschuldigten aus eigenere Initiative geäußerten Wissen verglichen werden kann. Wichtig auch, dass mit der wortwörtlichen Dokumentation die sprachlichen Unterschiede zwischen Vernehmendem und Vernommenem aufgedeckt werden können. Eine auf Ergebnisse konzentrierte VernehmungsniederK/M-G, § 168 b, Rn. 2. Mit Beispielen NacklArbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, S. 313 f. 10

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A. Die Vorteile einer Videodokumentation

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schrift trägt viel zu oft die alleinige Handschrift des Vernehmenden. Dieser ist aber i. d. R. juristisch geschult und interpretiert die Angaben des Beschuldigten vor diesem rechtlichen Hintergrund, "übersetzt" womöglich noch die Wortwahl des Vernommenen in Anlehnung an diese vermeintlich korrekte rechtliche Bedeutung. Der Beschuldigte, der einen eventuell mit der Sprache einhergehenden Bedeutungswandel mangels juristischer Schulung nicht erkennen kann, wird eine Fehlinterpretation an Ort und Stelle kaum zu berichtigen wissen. Davon abgesehen können noch ganz andere Sprachbarrieren zu fehlerhaften Protokollen führen. Wenig geläufige Dialekte oder auch einfach nur eine geringfügige Fehlübersetzung des Dolmetschers können große Schwierigkeiten bereiten 12. Neben der sprachlichen Wertung findet bei der Protokollierung natürlich ebenfalls eine inhaltliche Gewichtung statt. Auch Nr. 45 Abs. 2 RiStBV geht davon aus, dass nur "bedeutsame Teile der Vernehmung" im Wortlaut zu protokollieren sind. Die Bewertung nach juristisch Relevantem und Irrelevantem ist dem Vernehmenden überlassen. Was diesem nicht wesentlich erscheint, wird nicht schriftlich fixiert. Ein Vernehmungsmitschnitt in Bild und Ton dagegen gewichtet nicht und kann somit eventuellen Lücken des Schriftprotokolls füllen. Weiterhin lässt sich eine fehlerhafte Belehrung auf diesem Weg leicht nachweisen. Die Verlässlichkeit als Hauptvorzug einer Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton bewirkt mittelbar auch eine Straffung und Beschleunigung des Hauptverfahrens, denn spätere Streitigkeiten über den Beweiswert der polizeilichen Aussage können vor Gericht mit vergleichsweise geringem Beweisaufwand durch die Präsentation der Videoaufzeichnung gelöst werden. Entfallen könnten insbesondere die zeitaufwendigen Vernehmungen von Polizeibeamten über das Zustandekommen und den Inhalt der Aussage, zumal diese i. d. R. ohnehin nur den Inhalt des Protokolls bestätigen 13. Verkürzt werden nach kanadischer Erfahrung auch die Interviews selbst, denn der Verlauf der Befragung wird nicht mehr durch das Mitschreiben verzögert. Der Vernehmungsbeamte kann sich vollkommen auf den Beschuldigten und das Gespräch konzentrieren. 12 Ausführlich Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 239 f.; a. A. wohl Schmidt, JZ 1964, 541 für die Tonbandaufzeichnung von Vernehmungen. Das auf das Wesentliche reduzierte Schriftprotokoll sei dem Verfahren dienlicher als "ein ,Hin und Her?' von Gerede" oder "ein kaum verständliches Stimmendurcheinander" . 13 NackiArbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, S. 314 und 316; Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 241; Lagodny, Videovernehmungen im Strafverfahren: nur Risiken und Nebenwirkungen? S. 172; Riegner, NJW 1961,63 f.

446 7. Teil: Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen in Bild und Ton

Der Mehraufwandes an technischem Material, insbesondere die Kosten für die Anschaffung von Videokameras und Abspielgeräten wären tragbar 14 . Da Polizei und Staatsanwaltschaft nicht erst seit kurzem mit den Videoaufzeichnungen von Zeugenvernehmungen experimentieren, ist die Ausrüstung sogar vielerorts vorhanden. Ebenfalls besteht die Hoffnung, dass die Dokumentation in Bild und Ton die wortwörtliche Niederschrift der Aussage und damit Arbeitsstunden und Kosten spart. Bei notwendigen wortwörtlichen Transkriptionen könnten kostengünstige Schreibkräfte eingesetzt werden. Weniger ergiebige Vernehmungen ließen sich anhand der Videodokumentation auch in einem "Resumee" zusammenfassen, das im weiteren Verlauf der Ermittlungen als Arbeitsgrundlage dient 15 . Wichtig allerdings wäre es, darauf zu achten, dass die Qualität der Aufzeichnung im Einzelfall auch tatsächlich den Verzicht auf eine Wortlauttranskription erlaubt. Im Übrigen ist dem Videoprotokoll vor dem reinen Tonbandprotokoll der Vorzug zu geben, denn obwohl auch das Tonbandprotokoll viele der genannten Vorzüge an Genauigkeit und Verlässlichkeit aufweist, lässt es doch den plastischen Eindruck von der jeweiligen Vernehmungssituation vermissen. Beweismaterial, das sich nicht in akustischen Aufzeichnungen festhalten lässt, geht verloren. Der gesetzgeberische Vorschlag, Beschuldigtenvernehmungen nur bei der Untersuchung von Kapitaldelikten in Bild und Ton mitzuschneiden, innerhalb anderer Ermittlungen aber maximal Tonaufzeichnungen zu erstellen 16 , muss als ungenügend bezeichnet werden. Es besteht nach der Anschaffung des technischen Geräts kein Grund, auf mögliche Videoprotokolle im Rahmen anderer Verfahren zu verzichten, zumal dies bei entsprechender Gesetzesänderung den Aufwand für die Erstellung des Wortlautprotokolls ersparen kann. Der Gesetzesvorschlag hat die Kapitaldelikte natürlich deswegen als Anhaltspunkt gewählt, weil dort für den Beschuldigten besonders viel auf dem Spiel steht, man sich in der Aufklärung der Tat also keine Fehler erlauben darf. Allerdings übersieht das Bundesministerium des Justiz hier, dass auch komplexe Sachverhalte ein hohes Maß an Genauigkeit verlangen, weswegen es kaum verfehlt ist, auch hier anhand einer Vernehmungsaufzeichnung sicherzustellen, dass sich keine Fehler im Protokoll einschleichen. De lege ferenda sollten Aufzeichnungen in Bild und Ton deswegen zumindest auch bei umfangreichen Sachverhalten erfolgen. 14 Lagodny, Videovernehmungen im Strafverfahren: nur Risiken und Nebenwirkungen? S. 172 f. 15 Nack/Arbeitsgemeinschajt sozialdemokratischer Juristen, Entwurf eines Videographie-Gesetzes, S. 317; Hinterhofer, Videovernehmungen im österreichischen Strafprozess, S. 242. 16 Nr. 9 der Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 316.

B. Verwertung einer Vernehmungsdokumentation in der Hauptverhandlung 447

Eine entsprechende gesetzliche Regelung in § 163 a Abs. 1 StPO könnte lauten: § 163 a Abs. 1 V-StPO (1) I Der Beschuldigte ist spätestens vor Abschluss der Ermittlungen zu vernehmen, es sei denn, dass das Verfahren zur Einstellung führt. 2 In einfachen Sachen genügt es dass ihm Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich zu äußern. 3 Die Vernehmung kann mit einem Tonaufnahmegerät oder in Bild und Ton aufgezeichnet werden. 4 Sie soll in Bild und Ton aufgezeichnet werden, wenn dies angesichts der Schwere des Tatvorwurfs oder der Komplexität des Vernehmungsgegenstandes erforderlich erscheint.

Weiterhin gilt es, gesetzlich sicherzustellen, dass sich bei Existenz einer vollständigen Vernehrnungsaufzeichnung in Bild und Ton ein Schriftprotokoll auf eine Zusammenfassung der Vernehmungsergebnisse reduzieren darf ("Verschriftung"). Dies wird allerdings bereits de lege lata durch § 168 b Abs. 2 StPO sichergestellt, denn danach ist ein Protokoll ohnehin nur nach Maßgabe der §§ 168 und 168 aStPO, also nach Maßgabe der Vorschriften über das Protokoll einer richterlichen Vernehmung zu erstellen und gemäß § 168 a Abs. 2 V-StPO genügt dort für eine in Bild und Ton aufgezeichnete Vernehmung, dass eine "Verschriftung", d.h. eine verkürzende Darstellung der wesentlichen Teile der Vernehmung erfolgt 17 •

B. Verwertung einer Vernehmungsdokumentation in der Hauptverhandlung Bereits ohne besondere Gesetzesgrundlage ist es möglich, die Aufzeichnung einer Beschuldigtenvernehmung nach den allgemeinen Grundsätzen als Vorhalt oder Vemehmungsbehelf zu verwenden 18 . Auch sind sie Augenscheinsbeweis, wenn durch sie beispielsweise verbotene Vernehmungsmethoden belegt werden können 19. Wichtiger allerdings ist die Frage, wie ein eventuell auf Videoband dokumentiertes Geständnis des Beschuldigten in die Hauptverhandlung einzuführen ist. Nach geltendem Recht dürfen nur Erklärungen des Angeklagten, die in einem richterlichen Protokoll enthalten sind, zum Zweck der Beweisaufnahme über ein Geständnis oder zur Behebung von Widersprüchen zu der früheren Aussage verlesen werden (§ 254 StPO). Zum Gesetzesvorschlag eines § 168 a Abs. 2 V-StPO im 5. Teil, Kapitel B.5. Diemer, NJW 1999, 1674; K/M-G, § 254, Rn. 7; KK-Diemer, § 254, Rn. 1; allgemein zum Vorhalt aus früheren Vernehmungsprotokollen BGHSt. 1, 4 (8); 1, 337 ff.; 14, 310 (312); 14, 339 (340); Fallbeispiele bei Fezer, JuS 1977, 521 ff.; ablehnend Hanack, JZ 1972, 274 f.; ders., Schmidt-Leichner-Fs., S. 95 f. 19 Zum Tonband als Augenscheinsbeweis BGHSt. 14, 339; das Urteil ablehnend Schmidt, JZ 1964,539 ff.; kritisch auch Hanack, JZ 1972,275. 17 18

448 7. Teil: Dokumentation von Beschuldigtenvemehmungen in Bild und Ton

Für nichtrichterliche Vernehmungsprotokolle dagegen gilt ein Verwertungsverbot. Insbesondere polizeiliche Protokolle dürfen nicht zum Beweis über ihren Inhalt verlesen werden 2o . Dies schließt natürlich nicht aus, dass die polizeiliche Vernehmungsperson als Zeuge über den Inhalt der damaligen Vernehmung vernommen wird, denn im Grunde ist auch die in § 254 StPO erlaubte Verlesung der richterlichen Vernehmungsniederschrift nur ein Ersatz für die Befragung des Richters bzw. des damaligen Urkundsbeamten selbst21 . Die mit dem Verzicht auf den richterlichen Zeugen verbundene Verfahrensvereinfachung bei Existenz eines richterlichen Vernehmungsprotokolls lässt sich dadurch erklären, dass wenigstens bei ermittlungsrichterlichen Vernehmungen gemäß §§ 168, 168 a StPO immer ein Wortlautprotokoll und damit die verlässlichste Form des Protokolls existiert. Da allerdings auch Sitzungsprotokolle früherer Hauptverhandlungen verlesen werden dürfen, die nicht immer nach § 273 Abs. 3 StPO, d.h. nicht immer als wortwörtliche Wiedergabe einer Vernehmung abgefasst sind, gilt diese Vermutung der besonderen Zuverlässigkeit des Protokolls nur bedingt. Immerhin aber ist sie ein Anhaltspunkt22 . Außerdem wird von einer richterlichen Vernehmungsperson Neutralität erwartet, bei staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Vernehmungen dagegen lässt sich eine gewisse Aussage- und Geständniserwartung nicht ausschließen23 . Für das Vorspielen von Bild-Ton-Aufzeichnungen einer Beschuldigtenvernehmung ist also zunächst an § 254 StPO anzuknüpfen24 •

20 BGHSt. 1, 337 (339); 14, 310 (311); OLG Frankfurt, StV 1996, 202; Wömpner, NStZ 1983, 298; für die Möglichkeit einer einverständlichen Vorlesung aber Bohlander, NStZ 1998, 396 f.; ausnahmsweise darf das nichtrichterliche Protokoll nur dann verlesen werden, wenn die richterliche Niederschrift so auf die dortigen Erklärungen des Angeklagten Bezug nimmt, dass die auch als Inhalt der richterlichen Niederschrift zu gelten haben, RGSt. 24, 94; 25, 31; 40, 425; BGHSt. 6, 279 (281); 7, 73. 21 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 254, Rn. 1; BGHSt. 14,310 (313); a.A. AKMeier, § 254, Rn. 114; Grünwald, JZ 1968, 754; differenzierend Hanack, SchmidtLeichner-Fs., S. 95 f., die Vernehmung der Verhörsperson sei zulässig, nicht aber ein Vorhalt aus dem nichtrichterlichen Protokoll; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 884. 22 Ähnlich Hanack, Schmidt-Leichner-Fs., S. 95; AK-Meier, § 254, Rn. 11. 23 Fezer, JuS 1977,524 f. 24 So auch Beulke, ZStW 113 (2001), 731.

B. Verwertung einer Vernehmungsdokumentation in der Hauptverhandlung 449

1. Die Verwertung von Bild-Ton-Aufzeichnungen in den Fällen des § 254 StPO Bild-Ton-Dokumentation einer Vernehmung dürfen dann gegen den Willen des Angeklagten und seines Verteidigers abgespielt werden, wenn die Voraussetzungen des § 254 StPO vorliegen. § 255 a Abs. 1 StPO ließe sich hierzu sehr einfach um einen Verweis auf § 254 StPO ergänzen, ein Verweisung, die übrigens in ähnlicher Form be-

reits in frühen Gesetzesentwürfen zum Zeugenschutzgesetz enthalten war25 , dann aber zu Recht nicht übernommen wurde, hat doch die Videodokumentation von Beschuldigtenvernehmungen zunächst nichts mit dem Thema Zeugen schutz zu tun 26 . Geht es nun aber darum, die Möglichkeit der Beweisführung mit Videodokumentationen auch von Beschuldigtenvernehmungen generell zu optimieren, dann sollte § 255 a Abs. I StPO wie folgt formuliert werden: § 255 a Abs. 1 V -StPO (1) Für die Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung gelten die Vorschriften zur Verlesung einer Niederschrift über eine Vernehmung gemäß §§ 251 bis 255 entsprechend.

Mit der Restriktion auf richterliche Vernehmungen kann man zudem ein wenig den Befürchtungen der Verteidiger entgegenwirken, der Beschuldigte mache bei einer Erstvernehmung, womöglich unmittelbar nach seinem Aufgreifen, eine besonders schlechte Figur. Vielleicht sind ihm noch die Anstrengungen einer Flucht anzusehen oder sein Erscheinungsbild gereicht durch andere Faktoren (unrasiert, schmutzig, unter Alkoholeinfluss etc.) einer guten Präsentation seiner Verteidigung zum Nachteil. Dagegen kann bis zur richterlichen Vernehmung ein wenig Zeit vergehen. Gegebenenfalls Zeit genug, um einen Verteidiger zu konsultieren, sich zu rasieren und zu waschen. Im Übrigen ist darauf zu achten, bei einer Vernehmungsaufzeichnung vor dem Richter ein neutrales "Setting" zu finden, also nicht nur den Beschuldigten nicht in Gefangniskleidung auftreten zu lassen, sondern auch den Hintergrund neutral zu halten, d.h. vergitterte Fenster oder andere Hinweise auf eine Haftanstalt, Waffen und eine den Angeklagten in ein besonders nachteiliges Licht rückende Perspektive sind zu meiden 27 •

BT-Drs. 13/4983, S. 3. Vgl. die kritische Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 13/4983, S. 11; Diemer. NJW 1999, 1674, s. aber auch Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 254, Rn. 10. 25

26

29 Swoboda

450 7. Teil: Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen in Bild und Ton

2. Verwertung von Aufzeichnungen von nichtrichterlichen Beschuldigtenvernehmungen Bezüglich der Aufzeichnung polizeilicher oder staatsanwaltschaJtlicher Vernehmungen sollte es dem Angeklagten allerdings unbenommen bleiben, durch sein Einverständnii 8 das Abspielen der Bild-Ton-Dokumentation zu erreichen. Anders wäre es ihm auch kaum möglich, den Beweis über eine fehlerhafte Niederschrift bzw. eine mangelhafte Belehrung oder über andere Missstände bei der Vernehmung zu führen. Nach geltender Rechtslage kann im Streitfall nur der vernehmende Beamte geladen und diesem das Videoband im Rahmen eines Vorhaltes vorgespielt werden. Viel einfacher und zeitsparender aber wird es sein, auf die Vernehmung des Beamten zu verzichten und gleich Schriftprotokoll und Aufzeichnung auf eventuelle Unstimmigkeiten zu vergleichen. Will man die Einwilligung des Angeklagten in das Abspielen der polizeilichen Vernehmungsaufzeichnung nun de lege lata nicht genügen lassen, dann bedarf es auch hierfür einer Gesetzesänderung. Hinzuweisen ist hier erneut darauf, dass das Videoprotokoll in seiner Zuverlässigkeit dem Schriftprotokoll der §§ 168, 168 a StPO nicht nachsteht, so dass die Schranken des § 254 StPO hinsichtlich der Frage nach der Authentizität des mittelbaren Beweises nicht mehr unbedingt benötigt würden. Benötigt wird aber das Einverständnis des Angeklagten und seines Verteidigers, denn wie bereits dargestellt, ist die erste polizeiliche Einvernahme für den Angeklagten in gewisser Form die gefährlichste, zumal sein Verteidiger hier kein Anwesenheitsrecht hat. Zwar soll sich das in Zukunft ändern 29 , aber immer noch ist weder der Beschuldigte noch der Verteidiger zu diesem Zeitpunkt ausreichend vorbereitet, so dass die erste Vernehmung immer mit besonderer Vorsicht zu behandeln ist. Eine an § 254 StPO anknüpfende Regelung könnte beispielsweise lauten: § 254 Abs. 3 V-StPO

(3) Unter den Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 kann auch eine Bild-TonAufzeichnung einer nichtrichterlichen Vernehmung vorgeführt werden, wenn der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind. 27 Zur Wahrnehmung der Situation als Einflussgröße auf die GIaubwürdigkeitsbeurteilung Kilian-Herklotz, Einsatz von Videotechnik und richterliche Glaubwürdigkeitsbeurteilung, S. 214. 28 Str. dafür Bohlander, NStZ 1998, 396 f., allerdings darf diese Zustimmungsmöglichkeit nicht wie in anderen Zusammenhängen in eine Rüge- und Widerspruchspflicht des Angeklagten oder seines Verteidigers verdreht werden; gegen eine Zustimmungslösung Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 254, Rn. 7. 29 Nr. 2 der Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens, StV 2001, 315.

B. Verwertung einer Vernehmungsdokumentation in der Hauptverhandlung 451

Im Grunde ist die Regelung des § 254 Abs. 3 V-StPO nur eine Verfahrensvereinfachung, denn es muss kein Zeuge mehr geladen werden, dem die Aufzeichnung vorzuhalten wäre. Die Aufzeichnung ist dementsprechend "Ersatz" für die Anhörung des Vernehmungsbeamten. Natürlich gibt es auch die bereits heute zulässige Lösung, den Angeklagten über das, was er in der früheren Vernehmung ausgesagt hat zu vernehmen und ihm im Rahmen dieser Befragung die Aufzeichnung vorzuhalten, deren Inhalt er dann bestätigt oder erläutereo. Wegen dieser Möglichkeit wird die oben genannte einverständliche Lösung mitunter als überflüssig bezeichnet3l . Aber immerhin setzt der Vorhalt eine Vernehmung des Angeklagten, also seine Anwesenheit und seine Aussagebereitschaft voraus und beides muss trotz seines Einverständnisses mit der Vorführung der BildTon-Aufzeichnung nicht immer gegeben sein. Zu der Praxis des Vorhalts ist ohnedies sehr kritisch anzumerken, dass im Grunde damit nicht nur das Verbot des § 254 StPO wirksam unterlaufen wird 32 , auch die Gefahr, die von der Suggestivkraft der Fernsehbilder ausgeht, ist nicht zu unterschätzen 33 . So wird die Position des Angeklagten in der Hauptverhandlung beispielsweise in dem Fall, dass ein vor der Polizei abgelegtes und korrekt schriftlich festgehaltenes Geständnis später widerrufen wird, durch das Vorspielen des Videobandes ungleich verschlechtert34 . Hält man den formlosen Vorhalt bei der Vernehmung des Angeklagten mit der h. M. also überhaupt für zulässig, dann gilt es, mit größter Vorsicht zu verfahren. Der Vorhalt sollte - soweit es irgend möglich ist - nur aus dem wortwörtlichen Schriftprotokoll erfolgen. Für einen Vorhalt aus der Bild-Ton-Aufzeichnung dagegen sollte immer das Einverständnis des Angeklagten und seines Verteidiger eingeholt werden. Halten diese das schriftliche Wortlautprotokoll für falsch, so wird ihr Einverständnis in das Vorspielen des Videobandes ohnehin leicht zu erhalten sein. Letztlich ist also die de lege ferenda vorgeschlagene einverständliche Lösung jeder anderen Umgehungskonstruktion, insbesondere der des Vorhalts vorzuziehen. 30 BGHSt. 1, 337 (339); 21, 185 (286); Fezer, JuS 1977, 521; Schroth, ZStW 87 (1975), 103 ff. 31 Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, § 254, Rn. 7; zum formfreien Vorhalt gegenüber dem Angeklagten im einzelnen Rn. 24; AK-Meier, § 254, Rn. 5. 32 Unter Verweis auf das Wahlrecht des § 243 Abs.4 S. 1 StPO Grünwald, JZ 1968,754; Hanack, JZ 1972,274; ders., Schmidt-Leichner-Fs., S. 95 f. 33 Zu der Gefahr der Suggestivwirkung ausführlich bereits bei § 252 StPO, 6. Teil, Kapitel B.2.b)bb); sowie Hanack, JZ 1972, 274; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 44, Rn. 18; für eine vorhergehende richterliche Belehrung über den Sinn und die Behandlung des Vorhalts Fezer, JuS 1977,523 f. 34 Zu den Gründen möglichen für ein falsches Geständnis AK-Meier, § 254, Rn. 2; Schroth, ZStW 87 (1975), 115.

29*

452 7. Teil: Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen in Bild und Ton

c. Zusammenfassung Die unbestreitbaren Vorteile einer Videoaufzeichnung von Beschuldigtenvernehmungen in ihrer Verlässlichkeit, Plastizität und technischer Unkompliziertheit sollten angesichts der positiven Erfahrungen des Auslands und angesichts der für Schriftprotokolle bekannten Risiken von Verfälschungen und Fehlerhaftigkeit auch für das deutsche Strafverfahren nutzbar gemacht werden. Damit stellt sich zugleich aber auch die Frage, wie diese Aufzeichnung für die Hauptverhandlung verwertet werden kann. Letzteres ist, sieht man einmal von Gössels mitunter sehr radikalen Vorschlägen zur Beschleunigung des Hauptverfahrens ab 35 , bislang noch wenig erörtert geblieben. Relativ unproblematisch bietet sich hier eine Regelung in Anlehnung an die Verlesungsmöglichkeit des § 254 StPO an 36 . Nur an die herrschende Praxis des Vorhaltes auch aus nichtrichterlichen Vernehmungsprotokollen darf angesichts der damit für den Angeklagten verbundenen erheblichen Risiken von Suggestion und Einprägsamkeit des Fernsehbildes sicherlich nicht angeknüpft werden, denn auf diesem Weg ließe sich das Verbot des Rückgriffs auf den nur mittelbaren Beweis nach §§ 250, 254 StPO sehr wirkungsvoll unterlaufen und dies kann trotz der anerkannten Zuverlässigkeit des Videobeweises nicht zulässig sein. Nicht umsonst stand auch die Praxis der Vorhalte aus nichtrichterlichen Vernehmungsniederschriften längst in der Kritik 37 . Für die Verwertbarkeit von Videokonserven aus nichtrichterlichen Beschuldigtenvernehmungen bedeutet das, dass sie nicht ohne das Einverständnis des Angeklagten und seines Verteidigers den Weg in die Hauptverhandlung finden dürfen. Als Rechtsgrundlage wird hierfür ein neuer § 254 Abs. 3 V_StP038 geschaffen. Liegt das Einverständnis vor, dann ist die Bild-Ton-Aufzeichnung sogleich und vollständig in die Hauptverhandlung einzuspielen. Auf die umständliche Einvernahme der nichtrichterlichen Verhörsperson und einen formlosen Vorhalt an diese kann folgerichtig verzichtet werden.

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C.3.

Gössel, Gutachten C zum 60. DJT, S. 58 ff.; dazu auch im 2. Teil, Kapitel

Beulke, ZStW 113 (2001), 731. Hanack, JZ 1972, 274; ders., Schmidt-Leichner-Fs., S. 95; Grünwald, JZ 1968, 754; Fezer, JuS 1977, 523 f.; Schroth, ZStW 87 (1975), 125 ff. 38 Zum Wortlaut des § 254 Abs. 3 V-StPO s. im vorhergehenden Abschnitt, Kapitel B.2. 36

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8. Teil

Zusammenfassung und Ausblick A. Zusammenfassung: Videotechnik im Strafverfahren 1 Zeugen schutz im Spannungsfeld zwischen Sachaufklärung und Beschuldigtenrechten war der Ausgangspunkt dieser Untersuchung 2 . Noch bis vor Kurzem hat sich auch die Diskussion um den Einsatz neuer Medien im Strafverfahren sehr speziell auf die zeugenschützenden Möglichkeiten konzentriert und der Gesetzgeber folglich die Videotechnik im Gesetz auch vor allem als Zeugenschutzinstrumentarium etabliert3 . Doch über diese Konzentration auf die zeugenschützenden Aspekte des Einsatzes neuer Medien darf nicht übersehen werden, dass die wahren Stärken der Videotechnik als Speicher- und Übertragungsmedium auf dem Gebiet der Verfahrensökonomie und der Beweiskonservierung liegen, also in Bereichen, die im geltenden Recht und auch in neuesten Gesetzesentwürfen zunächst nur mittelbar zur Geltung kommen. In der Literatur findet sich vereinzelt natürlich auch eine andere Extremposition, die das Element der videotechnischen Speicherung in den Vordergrund stellt und unter Abkehr von den traditionellen Strukturen der Hauptverhandlung den Weg zu einem nahezu reinen "Konservenprozess" eröffnen will 4 • Aber gerade solche Extrempole gilt es bei der Diskussion um einen Einsatz neuer Medien im Strafverfahren zu vermeiden, denn die Videotech1 Ein Überblick über den erarbeiteten Gesetzesvorschläge findet sich im Anschluss an die Zusammenfassung in Kapitel B. 2 Dazu im 1. Teil. 3 Dies im Übrigen in einer Geschwindigkeit, die beinahe erwarten ließ, dass noch Gesetzesverbesserungen nachfolgen würden. Die ersten Änderungsvorschläge mit dem Ziel, den Schutz kindlicher Zeugen und des aus der Straftat Verletzten weiter auszubauen und erkannte Mängel des Zeugenschutzgesetzes zu beseitigen, sind auch schon im Stadium der Beratung, z. B. das Gesetz zur Stärkung der Verletztenrechte; BT-Drs. 14/4661; vgl. auch BR-Drs. 552/00; sowie den Gesetzesentwurf der Freien und Hansestadt Hamburg, BR-Drs. 507/99. 4 Gössel, Gutachten C zum 60. DJT, S. 59; kritisch Schlüchter, GA 1994, 423; neuere Ansätze dazu auch bei Bittmann, DRiZ 2001, 121, a. A. DAV, Stellungnahme zu den Eckpunkten einer Reform des Strafverfahrens, Mai 2001, S. 4 f.; Salditt, StV 2001, 312.

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8. Teil: Zusammenfassung und Ausblick

nik ist auf keinen Fall ein "Allheilmittel", weder beim Zeugenschutz noch in Fragen der Beweissicherung oder bei der Verfahrensbeschleunigung. Sie kann bei vorsichtigem Gebrauch aber eine Schnittstelle zwischen den im Einzelfall kollidierenden Rechten und Verfahrensbelangen sein und allein oder im Zusammenspiel mit anderen Faktoren zu einer Interessenoptimierung beitragen. Ebenso kann sie dazu beisteuern, die dem Gericht zur Realisierung eines Zeugenschutzes bzw. eines zügigen, gestrafften Verfahrens zur Verfügung stehenden Ressourcen effektiv zu nutzen. Diese Schnittstellen für einen effektiven, im Hinblick auf die in Mitleidenschaft gezogenen Rechtspositionen aber immer auch verhältnismäßigen Einsatz der Videotechnik im Strafverfahren herauszuarbeiten, war Ziel dieser Untersuchung. Und tatsächlich haben die neuen Medien an vielen Stellen, allen voran bei der Simultanübertragung von Vernehmungen, ihre Zweckmäßigkeit und ihre Vorzüge bewiesen.

1. Einsatz neuer Medien bei der Videosimultanübertragung Die neuen Möglichkeiten der Simultanübertragung erlauben es, Personen an der Verhandlung teilhaben zu lassen, die ansonsten nur vor verschlossenen Gerichtstüren auf das Ergebnis einer Vernehmung warten müssten und deswegen die ihnen zustehenden Rechte bei dieser Vernehmung nur mittelbar und gegebenenfalls dadurch auch nicht ausreichend wahrnehmen können. Dies betrifft natürlich insbesondere den von der Hauptverhandlung gemäß § 247 S. 1 oder 2 StPO ausgeschlossenen Angeklagten5 bzw. den Beschuldigten, der aufgrund seiner Inhaftierung nicht einer kommissarischen Vernehmung an einem anderem Ort als dem seiner Inhaftierung beiwohnen darf, § 224 Abs. 2 StP06 . Umgekehrt gestattet die Videotechnik als Übertragungsmedium auch dem Gericht, Personen in die Verhandlung zu "holen", die ansonsten zum Nachteil der Sachaufklärung außen vor blieben, namentlich Auslandszeugen, behördlich gesperrte Zeugen oder auch der Sachverständige, dem eine Anreise nur für einen Gutachtenvortrag nicht zuzumuten ist7 • Um die Einvernahme gefährdeter, anonymer Zeugen in der Hauptverhandlung zu ermöglichen, ist neben der Vernehmung auf Distanz auch die optische und akustische Abschirmung zulässig 8 . Dazu im 3. Teil, Kapitel B.2.c). Dazu im 3. Teil, Kapitel BA.c)bb). 7 Dazu im 3. Teil, Kapitel C.2.b) und C.2.b) sowie im 4. Teil, Kapitel A. g Als Ausfluss des Gebotes der Verhäitnismäßigkeit bedarf es für die Zulässigkeit einer optischen und akustischen Abschirmung nicht einmal einer besonderen Gesetzesgrundlage, auch wenn eine Festschreibung im Gesetz, z. B. in § 68 a Abs. 3 5

6

A. Zusammenfassung: Videotechnik im Strafverfahren

455

Genauso erlaubt die neue Technik, sich die Aussage desjenigen Zeugen verfügbar zu machen, der ohne diese Isolierung aus der Hauptverhandlung überhaupt nicht in der Lage wäre, sich zu äußern bzw. eine Aussage in dieser ausführlichen Form zu machen. Dies betrifft vorrangig solche Zeugen, die als äußerst verwundbar gelten. Zwar könnten sie im Prinzip auch unmittelbar persönlich im Gerichtssaal Rede und Antwort stehen, aber das Gericht muss befürchten, dass der Zeuge den Belastungen einer u. U. sogar öffentlichen Aussage im Verhandlungssaal nicht standhält und in der Folge gerade in seiner Aussagefähigkeit so stark beeinträchtigt wird, dass eine verwertbare, gehaltvolle Aussage von ihm nicht mehr zu erlangen ist. Die geltende Gesetzeslage in § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO ist dazu noch so beschaffen, dass diese Aussagehemmung erst sichtbar hervortreten muss, bevor eine Simultanübertragung zum Schutz des Zeugen angeordnet werden da~. Der Einsatz der Videotechnik als Übertragungsmedium dient demnach nicht nur der Schonung des Zeugen, sondern zugleich auch dem Ziel, über eine Isolierung des Zeugen aus der Hauptverhandlung eine flüssige, konsistente und detaillierte Aussage zu erlangen, d.h. die Sachaufklärung voranzutreiben. Hier ist angesprochen, was wiederholt und nachdrücklich auch schon im Verlauf der Untersuchung zum Zeugenschutzgesetz zur Sprache gebracht wurde: Das Zeugenschutzgesetz ist vornehmlich dazu geeignet, eine erweiterte Erreichbarkeit des Zeugen und damit einen Vorteil bei der Wahrheitsermittlung zu gewährleisten. Erst in zweiter Linie verbürgt es einen Zeugenschutz, was in den Bereichen, in denen Aufklärungsbelange und Zeugenschutzinteressen konform laufen 10, nicht unbedingt auffallen mag, aber durch die viel zu restriktiv geratenen Tatbestandsvoraussetzungen in den §§ 168 e S. 1, 247 a S 1 Hs. 1 StPO eindeutig belegt wird. Im Bereich der §§ 168 e und 247 a S. 1 StPO haben bereits andere Autoren l1 diese Strenge und ihre Nachteile aufgezeigt und kritisiert. Auch in den Gerichten stoßen die überzogenen, wenig praxisgerechten Voraussetzungen der Norm auf Unverständnis 12 und die Gesetzesentwürfe für ein Gesetz zur Stärkung der Verletztenrechte wollen für Zeugen unter 16 Jahren ohnehin wie bei § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO nur noch an das jugendliche Alter sowie den Deliktstyp anknüpfen, um eine Videovernehmung in Form des "Mainzer Modells" zu erhalten 13. StPO, aus Gründen der Rechtsklarheit durchaus zu begrüßen wäre; dazu im 3. Teil, Kapitel C.3.c). 9 Dazu im 3. Teil, Kapitel B.1.d). 10 So etwa bei Videovernehmungen nach § 247 a S. I Hs. 1 StPO. 11 Vgl. nur Schmoll, Videovernehmung kindlicher Opfer, S. 177 ff., 196; außerdem BT-Drs. 13/4983, S. 3; BR-Drs. 933/97, S. 1. 12 Dazu im 2. Teil, Kapitel E. und im 3. Teil, Kapitel B.1.b).

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8. Teil: Zusammenfassung und Ausblick

Wichtiger aber als die Videotechnik mit den Vorschlägen des Bundesrates zu einer Art "Idealfall" des Kinderzeugenschutzes zu erheben, wäre es, eine flexible Lösung zu schaffen, die den Gerichten im Einzelfall die Möglichkeit eröffnet, dasjenige Schutzinstrumentarium zur Anwendung zu bringen, dass ihrer Ansicht nach in der Situation am besten geeignet ist und gleichzeitig den geringsten Eingriff in den normalen Ablauf der Hauptverhandlung darstellt. Dazu müssen die konkurrierenden Maßnahmen - insbesondere §§ 247 S. 2 und 247 a S. 1 Hs. 1 StPO - so einander angeglichen werden, dass die Prüfung der einzelnen Tatbestandsmerkmale das Gericht nicht vor nahezu unlösbare Subsumtionsschwierigkeiten stellt und es ferner relativ frei darüber entscheiden kann, wie es die Videotechnik zum Einsatz bringen will, ob nun zur Vernehmung des Zeugen selbst oder nur zur Zuschaltung des ausgeschlossenen Angeklagten 14. Ausgehend von der Position des Gesetzgebers, dass von dem Idealbild der unmittelbar persönlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung nur dann abgewichen werden soll, wenn alle anderen Schutzmöglichkeiten versagen, wird die Subsidiarität der Videovernehmung beibehalten. Durch das Absenken der Tatbestandsvoraussetzungen in § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO und die Möglichkeit, audiovisuelle Elemente auch mit den Ausschlusstatbeständen des § 247 StPO zu kombinieren, wird der Subsidiaritätsklausel aber die oft kritisierte Schärfe genommen l5 . Eine Rückkehr zum "Mainzer Modell", wie es der Bundesrat für Kinderzeugen fordert, ist abzulehnen. Die Unvereinbarkeit dieses Modells mit den Grundprinzipien des geltenden Strafverfahrens ist längst dargelegt worden l6 . Außerdem kann die gewünschte Nähe zur Vernehmungsperson und die persönliche Gesprächsatmosphäre auch durch Einschalten eines kommissarischen Richters erreicht werden, ohne auf die Mitglieder des erkennenden Gerichts im Verhandlungssaal selbst verzichten zu müssen 17. Um dies zu ermöglichen, sollte § 247 a StPO um einen Verweis auf die Möglichkeit der Vernehmung durch einen ersuchten Richter erweitert werden, wobei aber nicht die Voraussetzungen des § 223 Abs. 1 und 2 StPO den Ausschlag geben dürfen, denn gegenüber § 247 a S. 1 Hs. 1 StPO sind diese Voraussetzungen zu streng l8 . Auf den Revisionsausschluss, der bislang in den §§ 168 e S. 5 und 247 a S. 2 StPO vorgesehen war, ist zu verzichten. Er bereitet nur SchwierigkeiBT-Drs. 14/4661, S. 7 und 11. 3.Teil, Kapitel B.1.d), Kapitel B.2.c) und B.2.d), zusammengefasst auch im Kapitel B.6. 15 Zur Subsidiarität speziell im 3. Teil, Kapitel B.2. 16 2. Teil, Kapitel C.2.b). 17 3. Teil, Kapitel BA.b). 18 3. Teil, Kapitel B.4.b)bb). 13

14

A. Zusammenfassung: Videotechnik im Strafverfahren

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ten, ohne die Aufgaben, für die er eigentlich vorgesehen war, zu erfüllen. Weder trägt er zur Verfahrensökonomie bei noch vereinfacht er die Anwendung der Normen über eine Videosimultanübertragungl 9 . Allein der Ausschluss der Beschwerderechte des Zeugen vermag einen Beitrag zur zügigen, konzentrierten Realisierung der Videokonferenz beitragen und sollte deswegen beibehalten werden. Im Übrigen wäre generell ein Ausbau der Regelung über die Simultanübertragung von Vernehmungen zu befürworten. § 247 a S. I Hs. 2 StPO ist hier ein sehr zu begrüßender Anfang, insbesondere soweit er die Möglichkeit einer einverständlichen Simultanübertragung gestattet. Aus verfahrensökonomischen und verfahrensbeschleunigenden Gründen ist zudem eine Videovernehmung von Sachverständigen anzuregen. Außerdem wird von den Gerichten dann, wenn ein Auslandszeuge gehört werden muss, ein verstärktes Bemühen um internationale Kooperation auf dem Gebiet Rechtshilfe zu verlangen sein, und zwar noch bevor Art. 10 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 29. Mai 2000 in Kraft tritt20 . Aus Sicherheitsgründen sollte ferner auch der Angeklagte in die Lage versetzt werden, eine audiovisuelle Zu schaltung in sein Verfahren anzuregen 21 . Die gegenwärtigen Notwendigkeiten verlangen allerdings nicht, diese Teilnahme auf Distanz auch aus rein logistischen bzw. verfahrensökonomischen Gründen möglich zu machen, so wie dies z. B. in Italien22 der Fall ist. Ist es aber unmöglich, den Angeklagten innerhalb des Verhandlungssaals oder auf dem Weg dahin ausreichend vor Übergriffen von dritter Seite zu schützen, dann sollte ihm mit seinem Einverständnis der Weg über eine technisch vermittelte Teilnahme nicht versagt bleiben. Die Videosimultanübertragung im Ermittlungsverfahren gemäß § 168 e StPO ist in ihrem Grundkonzept gelungen, insbesondere soweit anlässlich dieser Einvernahme auch das Ziel verfolgt wird, eine Beweisdokumentation in Bild und Ton zu erstellen, die später in der Hauptverhandlung nach § 255 a Abs. 2 StPO als Ersatz für eine unmittelbar persönlichen Zeugenaussage vorgeführt werden kann 23 . Leider stellt der Gesetzestext gerade dieses besondere Zusammenwirkung der §§ 168 e und 255 a Abs.2 StPO nicht deutlich genug heraus. So müsste insbesondere klargelegt werden, dass die Mitwirkungsbefugnisse der Verteidigung und des Beschuldigten nicht in dem sonst für das Ermittlungsverfahren üblichen Ausmaß einge19 20

21 22

23

3. Teil, Kapitel B.5. 3. Teil, Kapitel C.2.c), zum Übereinkommen speziell in Kapitel C.2.c)ee)(l). 4. Teil, Kapitel B. 2. Teil, Kapitel D.7. Zu den Zielen des § 168 e StPO im 5. Teil, Kapitel A.

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8. Teil: Zusammenfassung und Ausblick

schränkt werden dürfen. Dem Beschuldigten ist frühzeitig ein Verteidiger zu bestellen. Eventuelle Teilnahmebeschränkungen, wie sie § 168 c Abs. 3, 4 und 5 S. 2 StPO vorgesehen sind, dürfen nicht oder nur in eingeschränkten Ausmaß zur Anwendung kommen 24. Der vorgeschlagene § 168 e Abs. 2 V_StP025 mit den darin fixierten Mindestteilhabegarantien der Verteidigung an einer ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung kann im Übrigen auch für etwaige Gesetzesreformvorhaben mit dem Ziel einer Verfahrensstraffung Vorbildfunktion entfalten26 • Insbesondere dann, wenn - wie in gegenwärtigen Reformentwürfen vorgeschlagen - mehr Beweisergebnisse aus dem Ermittlungsverfahren in das Hauptverfahren transferiert werden sollen 27 . Eine Vorverlagerung wesentlicher Elemente der Beweiserhebung aus der kontradiktorischen, öffentlichen Hauptverhandlung in das Ermittlungsverfahren wird durch das Konfrontationsrecht des Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK nicht verboten, solange nur das kontradiktorische Element der Vernehmung effektiv und zu irgend einem Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren ausreichend gewährleistet wird 28 . Doch genau diese streitige Beweiserhebung, die zum Ausgleich der mit der Vorverlagerung in das Vorverfahren einhergehenden Einschränkung der Verteidigungsrechte notwendig ist, stellen die gegenwärtigen Reformvorhaben nicht ausreichend sicher. Will man also in der Hoffnung auf eine zügige und konzentrierte Hauptverhandlung vermehrt die Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren in Bild und Ton dokumentieren und später mittels dieser Videoaufzeichnung im Hauptverfahren nur noch reproduzieren, so muss das Gesetz zwingend ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers und des Beschuldigten für richterliche und nichtrichterliche Zeugenvernehmungen vorsehen 29 • Die bloße Möglichkeit zur Teilhabe an irgendwelchen Vernehmungen im Vorverfahren kann nicht genügen. Im Übrigen ist erneut anzumerken, dass die Vorverlagerung der Beweisaufnahme ins Ermittlungsverfahren in einem anschließenden "Konserven5. Teil, Kapitel BA. Zum Text der Norm s. 5. Teil, Kapitel C oder den Überblick über die erarbeiteten Gesetzesvorschläge gleich im Anschluss an die Zusammenfassung im 8. Teil, Kapitel B. 26 Dazu im 5. Teil, Kapitel B.4.d). 27 Däubler-Gmelin, StV 2001, 361 ff.; Eckpunkte Nr. 7 und 9, StV 2001, 316; Bittmann, DRiZ 2001, 121; dagegen DAV, AnwB1 2001, 41 f.; Salditt, StV 2001, 312; DAV, Stellungnahme zu den Eckpunkten einer Reform des Strafverfahrens, Mai 2001, S. 4 f.; ausführlich im 5. Teil, Kapitel BA.d). 28 EGMR [Artner v. Österreich], EuGRZ 1992, 476; [Asch v. Österreich], EuGRZ 1992, 474; [Doorson v. Niederlande], ÖJZ 1996, 717; Schleiminger. Konfrontation im Strafprozess, S. 13 ff. 29 So z.B. in § 168 f AE-EV, dort S. 132 ff. 24

25

A. Zusammenfassung: Videotechnik im Strafverfahren

459

prozess" in der Hauptverhandlung nicht unbedingt eine Beschleunigung des gesamten Verfahrens, u. U. nicht einmal eine Beschleunigung der Hauptverhandlung selbst bewirken muss. Letzteres jedenfalls dann nicht, wenn auch nach der Zeugen vernehmung noch Kontroversen über den Aussagegehalt und die Glaubwürdigkeit des Zeugen geführt werden 3o . Euphorien über eine Verfahrensstraffung mittels Videotechnik ist folglich mit einigem Misstrauen zu begegnen. Die neuen Medien können eine Beschleunigung und Konzentration des Verfahrens zwar unterstützen, aber auch nur dann, wenn die Umstände so beschaffen sind, dass die Reproduktion einer Beweisaufnahme mittels Vernehmungsdokumentationen in Bild und Ton der Wahrheitsermittlung genügt. Liegen diese Umstände nicht vor, dann hat die Videotechnik für sich allein keine verfahrensbeschleunigende Wirkung.

2. Videotechnik als Speichermedium Videotechnik als Speichermedium ist - anders als so manche Autoren im Vorfeld des Zeugenschutzgesetzes erhofften - nicht die Wunderwaffe der Verfahrensökonomie. Sie ist für sich genommen nicht einmal ein Ideal an Zeugenschutz, und zwar auch nicht an Schutz vor wiederholter Vernehmung, denn um tatsächlich auf einen im Grunde zur Verfügung stehenden Zeugen in der Hauptverhandlung verzichten zu können, bedarf es - wie zuvor dargelegt - mehr als nur einer authentischen, plastischen Reproduzierbarkeit früherer Beweiserhebungen. In jedem Fall aber ist das Speichermedium der Videoaufzeichnung ein hervorragendes und nachdrücklich zu unterstützendes Instrument der Beweissicherung. Das Gesetz hat dies in § 58 a Abs. 1 StPO auch honoriert, wenngleich die dortige Regelung bezogen auf das Persönlichkeitsrecht des Zeugen viel zu weit ausgefallen ist und deswegen insbesondere in den Tatbestandsalternativen des Abs. 1 Satz 1 und des Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 einer restriktiven Interpretation bedarf3l . Doch jedes Mal, wenn absehbar ist, dass eine verlässliche und plastische Reproduktion der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung zur Wahrheitsfindung erforderlich oder zur Beweisführung wenigstens zweckdienlich sein wird, sollte auf eine Aufzeichnung auch nicht verzichtet werden. 30 U. U. wird sich das Gericht auch ein eigenes Bild von der Person des Opfers oder des Zeugen machen wollen, Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Eckpunkte-Papier der Bundesregierung zur Reform des Strafverfahrens, Juni 2001, S.4; vgl. auch DAV, AnwBl 2001, 41; 19nor/Matt, Integration und Offenheit im Strafprozess - Vorschläge zu einer Reform des Strafverfahrens, RS-Nr. 63/01, S. 19. 31 6. Teil, Kapitel A.l.b)aa)(l) und A.l.bb).

460

8. Teil: Zusammenfassung und Ausblick

Angezeigt ist eine Dokumentation in Bild und Ton beispielsweise dann, wenn es gilt, komplizierte oder umfangreiche Sachverhalte aufzuschlüsseln, wenn der Zeuge voraussehbar das Land verlassen oder aus anderen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr für eine Aussage in der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen wird oder wenn abzusehen ist, dass das Erinnerungsvermögen des Zeugen über den Zeitraum bis zur Hauptverhandlung nachlassen wird oder der Zeuge suggestiven Einflüssen ausgesetzt ist, die mit wachsendem Abstand zur Tat auch die Aussagequalität zusehends in Mitleidenschaft ziehen 32 . Sinn macht die Dokumentation einer Zeugen vernehmung natürlich auch dann, wenn eine Ersetzung der Zeugenaussage in der Hauptverhandlung gemäß § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO im Raum steht, also ein Zeuge, der das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, in der Hauptverhandlung zu einem der in dem Straftatenkatalog des § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO benannten Gewaltoder Sexualdelikt gehört werden muss. Beweissichernde Beweggründe sind in diesem Fall nicht erforderlich, denn § 255 a Abs. 2 StPO orientiert sich in seinen Voraussetzungen nicht an den tatsächlichen Erfordernissen der Beweissituation im Einzelfall. Er gestattet generell, dem aufgrund seines jugendlichen Alters und der Schwere der Straftat als verletzlich vermuteten Zeugen weitere Vernehmungen in der Hauptverhandlung zu ersparen, wenn nur das anstelle der unmittelbar persönlichen Aussage herangezogene audiovisuelle Beweissurrogat bestimmte rechtliche Qualitätsmerkmale aufweist. Nicht selten wird die Vermutung der besonderen Verletzlichkeit des Zeugen auch von beweissichernden Beweggründen begleitet werden. Dies insbesondere bei sehr jungen Kindern, deren Aussagen in der Hauptverhandlung erfahrungsgemäß in ihrer Qualität hinter früheren, zeitnäher zur Tat entstandenen Aussagen zurückbleiben. Auch wiegt die in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO ermöglichte Durchbrechung des Unmittelbarkeitsprinzips bei der Vernehmung sehr junger Zeugen weniger schwer, denn bei ihnen lässt sich häufig eine streitige Befragung in der Hauptverhandlung überhaupt nicht realisieren 33 , so dass der Verweis auf das Beweissurrogat gegenüber der unmittelbaren Einvernahme kaum Nachteile aufweist. Ansonsten aber ist bei der Anwendung des § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO Zurückhaltung anzumahnen. Die zeugenschützende Notwendigkeit einer Beweisführung mit dem nur mittelbaren Beweis darf nicht einfach anhand des Alters des Zeugen und der Deliktsnatur vermutet werden. Das Gericht muss in pflichtgemäßer Ermessensausübung die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung des Kindeswohls gegen die zu erwartenden Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte und eventuelle Einbußen bei der Sachaufklärung abwägen. 32

33

Zu den wichtigsten Beispie1sfällen im 6. Teil, Kapitel A.l.b)cc). Deckers, NJW 1999, 1370.

A. Zusammenfassung: Videotechnik im Strafverfahren

461

Im Übrigen würde es sich empfehlen, dass das Gericht zunächst versucht, das Einverständnis aller Beteiligten mit der Vorführung des Videobandes gemäß §§ 255 a Abs. 1, 251 Abs. 1 Nr. 4 StPO einzuholen, bevor es sich dem vor allem unter revisionsrechtlichen Aspekten problematischeren § 255 a Abs. 2 StPO zuwendet. Ferner sollte das Gericht darauf achten, dass der Verteidiger und der Beschuldigte bei der früheren Vernehmung tatsächlich mitgewirkt haben und nicht nur, wie das geltende Recht in § 255 a Abs. 2 S. 1 StPO formuliert, die "Gelegenheit hatten, an dieser mitzuwirken". Letzteres würde zwar auch gemäß Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK dem Gebot der Verfahrensfairness Genüge tun, doch ist zweifelhaft, ob eine wohlüberlegte Vorverlagerung wesentlicher Elemente der Beweiserhebung aus der Hauptverhandlung in das Ermittlungsverfahren tatsächlich dazu führen darf, dass nun an diese Beweiserhebung geringere Anforderungen bei der Wahrung der Verteidigungsrechte gestellt werden als im Hauptverfahren selbst34 • Die Möglichkeit, eine unmittelbar persönliche Einvernahme des Zeugen wegen anderweitiger Beweisnot durch einer Vernehmungsdokumentation in Bild und Ton gemäß §§ 255 a Abs. 1, 251 StPO zu ersetzen, ist nachdrücklich zu begrüßen. Dies insbesondere in den Fällen, in denen kein Wortlautprotokoll der mitgeschnittenen Zeugenvernehmung existiert und deswegen ohne die Vernehmungsaufzeichnung die Gefahr einer fehler- bzw. lückenhaften Vernehmungswiedergabe besteht. Wie es § 58 a Abs. 2 S. 1 StPO bestimmt, muss die Einspielung der Aufzeichnung allerdings auch zur "Erforschung der Wahrheit erforderlich" sein. Andernfalls genügt die Verlesung eines Schriftprotokolls, ohne dass das Persönlichkeitsrecht des Zeugen durch die Vorführung der Aufzeichnung erneut in Mitleidenschaft gezogen werden müsste und sich zudem der Angeklagte u. U. mit einem gefährlich einprägsamen, belastenden Beweis konfrontiert sieht, an dessen Entstehung er nicht teilhatte und ohne dass es ihm jemals selbst oder über seinen Verteidiger möglich gewesen wäre, Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. Mit der Authentizität und Einprägsamkeit der Vernehmungsaufzeichnung sind im Weiteren die hervorragenden Protokolleigenschaften der Videographie von Vernehmungen angesprochen. Liegt eine gute Dokumentation einer Vernehmung in Bild und Ton vor, dann sollte ihr auch eine Protokolleigenschaft entsprechend der des Wortlautprotokolls zuerkannt werden. Die wortwörtliche Abschrift der Aufzeichnung kann dann unterbleiben, stattdessen ist eine "Verschriftung", also die schriftliche Fixierung der wesentlichen Inhalte der Vernehmung als Arbeitshilfe anzufertigen. Die Verschriftung hat keinen prozessualen Beweiswert35 • 34

6. Teil, Kapitel B.3.a)bb).

462

8. Teil: Zusammenfassung und Ausblick

Videodokumentiert werden sollten vor allen Dingen auch die Vernehmungen des Beschuldigten selbst. Solche Aufzeichnungen würden es gestatten, die Entwicklung der Beschuldigtenaussage, insbesondere die eines Geständnisses nachzuvollziehen. Der Beschuldigte, der vielleicht unter dem Eindruck der Tat oder unter dem Druck der Vernehmung Eingeständnisse gemacht hat, die er so ansonsten nicht von sich gegeben hätte, könnte dann u. U. seine eigenen Angaben noch rechtzeitig widerlegen oder widerrufen. Außerdem geben die kriminalistischen Erfahrungen mit verkürzten, ungenauen und manchmal auch fragwürdigen Vernehmungsprotokollen dazu Anlass, die Videographie der Beschuldigtenvernehmung als recht einfaches, dafür aber sehr effektives Protokollinstrument in Betracht zu ziehen. In die Hauptverhandlung eingespielt werden sollte die Videodokumentation aber nur auf der Grundlage des § 254 StPO bzw. mit dem Einverständnis des Angeklagten und seines Verteidigers 36 . Ferner kann die Aufzeichnung von Vernehmungen gute Dienste in der Hauptverhandlung selbst leisten, indem sie die Beweisaufnahme dort so, wie sie tatsächlich stattgefunden hat, festhält und später als Beweisgrundlage im Rahmen einer revisionsgerichtlichen Überprüfung des Urteils herangezogen werden kann 3 ? Ist eine Vernehmung in Bild und Ton aufgezeichnet worden, muss im Übrigen die Akteneinsicht in diese Aufzeichnung gestattet werden. Allerdings darf eine Herausgabe von Vernehmungskopien an den Verteidiger oder an andere Stellen nicht leichtfertig und vor allem dann nicht erfolgen, wenn wichtige Schutzinteressen des Zeugen einer solchen Herausgabe entgegenstehen. Von einem generellen Mitgabeverbot ist aber angesichts der elementaren Bedeutung des Akteneinsichtsrechts für eine gut vorbereitete Verteidigung und aufgrund des Gebotes der Chancengleichheit von Anklage und Verteidigung abzusehen 38 .

3. Würdigung Videotechnik lässt sich in allen Stadien des Verfahrens, zu verschiedenen Gelegenheiten, in zahlreichen Variationen, mit unterschiedlichen Zielsetzungen und mit größeren oder kleineren Umsetzungsschwierigkeiten zur Anwendung bringen. Sie ist Mittel der Kommunikation, der Dokumentation und der Reproduktion und kann in diesen Eigenschaften vielen Zwecken dienen. 35

36

37 38

5. 7. 6. 6.

Teil, Kapitel 5. Teil. Teil, Kapitel C. Teil, Kapitel A.l.e), zum Mitgaberecht speziell in Kapitel A.l.e)cc).

B. Überblick über die erarbeiteten Gesetzesentwürfe

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Im Grunde ist es wohl auch nur eine Frage der Zeit und der Gewöhnung an die Technik, bis die neuen Medien Einzug in alle Bereiche des Strafverfahrens halten. Das mag einige erschrecken, doch es ist mit Sicherheit nicht allein die Schuld der Technik, wenn diese Entwicklung eine Entfremdung von den geltenden Prinzipien des Strafverfahrens mit sich bringen sollte. Dafür wäre ausschließlich der Umgang mit der Technik verantwortlich und dieser ist durch klare Leitlinien für die Anwendung der neuen Medien steuerbar. Diese Untersuchung hat versucht, solche Leitlinien aus dem geltenden heraus Recht zu formulieren, die Vorteile der neuen Medien herauszuarbeiten und ihre Nachteile mit Hilfe von Anweisungen über den sorgsamen Umgang mit der Technik in Grenzen zu halten. Nachfolgend sind die erarbeiteten Gesetzesvorschläge noch einmal aufgelistet. Angesichts der vielseitigen Einsetzbarkeit der neuen Medien lassen sie sicherlich noch ausbauen, momentan aber orientieren sie sich noch weitgehend an dem, was bisher in In- und Ausland an Möglichkeiten über die Verwendung von Videotechnik im Strafverfahren diskutiert und realisiert wurde.

B. Überblick über die erarbeiteten Gesetzesentwürfe § 58 a Abs. 2 V-StPO

(2) 1 Die Verwendung der Bild-Ton-Aufzeichnung ist nur für die Zwecke der Strafverfolgung und nur insoweit zulässig, als dies für die Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 2 § 100 b Abs. 6 und §§ 147 und 406 e sowie §§ 474 Abs. 1,4 und 5, 477 Abs. 2, 478 Abs. 1 S. 1 und 2 finden entsprechende Anwendung. § 147 Abs. 4 V-StPO

(4) 1 Auf Antrag sollen dem Verteidiger, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, die Akten mit Ausnahme der Beweisstücke zur Einsichtnahme in seine Geschäftsräume mitgegeben werden. 2 Wichtige Gründe stehen der Herausgabe von Bild-Ton-Aufzeichnungen von Vernehmungen insbesondere dann entgegen, wenn diese den Vernommenen in seinem persönlichen Lebensbereich betreffen oder bei ihrer unkontrollierten Verbreitung schwerwiegende Nachteile für das Wohl des Zeugen oder einer anderen Person zu befürchten sind. 3 In den Fällen des Satz 2 kann die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger eine Vervielfältigung oder die Weiterleitung der Bild-Ton-Aufzeichnung an Dritte verbieten; ein solches Verbot ist auch bei Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung zulässig. 4 Die Entscheidungen nach den Sätzen 1 und 3 sind unanfechtbar. § 163 a Abs. 1 V-StPO (1) 1 Der Beschuldigte ist spätestens vor Abschluss der Ermittlungen zu vernehmen, es sei denn, dass das Verfahren zur Einstellung führt. 2 In einfachen Sachen genügt es, dass ihm Gelegenheit gegeben wird, sich schriftlich zu äußern. 3 Die

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8. Teil: Zusammenfassung und Ausblick

Vernehmung kann mit einem Tonaufnahmegerät oder in Bild und Ton aufgezeichnet werden. 4 Sie soll in Bild und Ton aufgezeichnet werden, wenn dies angesichts der Schwere des Tatvorwurfs oder der Komplexität des Vernehmungsgegenstandes erforderlich erscheint. § 168 a Abs. 2 V-StPO

(2) 1 Wird die richterliche Vernehmung vollständig in Bild und Ton aufgezeichnet, so kann die unverzüglich zu erstellende Vernehmungsniederschrift auf die Wiedergabe der wesentlichen Teile der Aufzeichnung beschränkt werden (Verschriftung). 2 Die Bild-Ton-Aufzeichnung ist in diesem Fall Protokoll im Sinne dieses Gesetzes. 3 Eine bloße Verschriftung nach Satz I genügt jedoch nicht, wenn die Aufzeichnung in Bild und Ton insbesondere aus Gründen ihrer Qualität zur Ersetzung eines schriftlichen Protokolls nicht geeignet ist. Die bisherigen Absätze 2 bis 4 werden die Absätze 3 bis 5. § 168 e V-StPO (1) 1 Ist bei einer Person unter sechzehn Jahren ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, wenn er in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird, und kann der Nachteil nicht in anderer Weise abgewendet werden, so soll der Richter die Vernehmung von den Anwesenheitsberechtigten getrennt durchführen. 2 Gleiches gilt, sofern bei Vernehmung einer anderen Person als Zeuge die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihr Wohl besteht, wenn sie in Gegenwart der Anwesenheitsberechtigten vernommen wird und die Gefahr nicht in anderer Weise abgewendet werden kann. 2 Die Vernehmung wird den Anwesenheitsberechtigten zeitgleich in Bild und Ton übertragen.

(2) 1 Die Mitwirkungsbefugnisse der Anwesenheitsberechtigten bleiben unberührt. 2 § 168 c Abs.4 und Abs. 5 S. 2 und 3 finden keine Anwendung. 3 In einem Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 1 oder 2 beantragt die Staatsanwaltschaft rechtzeitig vor Beginn der Vernehmung, dass dem Beschuldigten ein Verteidiger zur Seite zu stellen ist. (3) Die §§ 58 a, 241 a finden entsprechende Anwendung. § 224 Abs. 2 V-StPO

(2) 1 Hat ein nicht in Freiheit befindlicher Angeklagter einen Verteidiger, so steht ihm eine Anspruch auf Anwesenheit nur bei solchen Terminen zu, die an der Gerichtsstelle des Ortes abgehalten werden, wo er in Haft ist. 2 Ist zu besorgen, dass der Zeuge für weitere Vernehmungen nicht zur Verfügung steht, und ist erkennbar, dass eine persönliche Mitwirkung des Angeklagten zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist, dann soll die Vernehmung zeitgleich in Bild und Ton dem Angeklagten übertragen werden. 3 Eine Kommunikationsmöglichkeit zwischen Angeklagtem und Verteidigung ist mit geeigneten technischen Mitteln zu gewährleisten. § 231 Abs. 3 V-StPO

(3) 1 Besteht die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für die Gesundheit des Angeklagten, wenn dieser den Verhandlungen im Sitzungszimmer

B. Überblick über die erarbeiteten Gesetzesentwürfe

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beiwohnt, so kann das Gericht mit dessen Einverständnis anordnen, dass er sich während der Verhandlung an einem anderen Ort aufhält. 2 Zwischen Sitzungssaal und Aufenthaltsort des Angeklagten ist eine ständige wechselseitige Bild- und Tonverbindung zu erstellen. 3 Angeklagter und Verteidiger können jederzeit vertraulich miteinander in Kontakt treten. 4 Der Vorsitzende kann, sofern es für die Durchführung der Hauptverhandlung erforderlich erscheint, die zeitweilige Anwesenheit des Angeklagten im Sitzungssaal verfügen. § 247 V-StPO 1 Das Gericht kann anordnen, dass der Angeklagt während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt wird, wenn zu befürchten ist, ein Mitangeklagter oder ein Zeuge werde bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen. 2 Das gleiche gilt, wenn bei der Vernehmung einer Person unter sechzehn Jahren als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist oder wenn bei einer Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht. 3 Soweit nicht schutzwürdige Interessen des Zeugen oder Belange der Strafrechtspflege entgegenstehen, kann die Vernehmung eines Zeugen dem Angeklagten zeitgleich in Bild und Ton in einen anderen Raum übertragen werden. 4 Die Entfernung des Angeklagten kann für die Dauer von Erörterungen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten angeordnet werden, wenn ein erheblicher Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist. 5 Soweit eine Übertragung der Vernehmung nach Satz 3 nicht erfolgte, hat der Vorsitzende den Angeklagten, sobald dieser wieder anwesend ist, von dem wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was während seiner Abwesenheit ausgesagt oder sonst verhandelt worden ist.

§ 247 a V-StPO (I) 1 Ist bei einer Vernehmung einer Person unter sechzehn Jahren als Zeuge ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten, wenn er in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden vernommen wird, und kann der Nachteil nicht in anderer Weise, namentlich durch eine Entfernung des Angeklagten oder den Ausschluss der Öffentlichkeit abgewendet werden, so kann das Gericht anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 2 Besteht bei Vernehmung einer anderen Person als Zeuge in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für deren Wohl und kann sie nicht in anderer, namentlich in der in Satz 1 genannten Weise abgewendet werden, so kann das Gerichts ebenfalls anordnen, dass der Zeuge sich während der Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. 3 Die Vernehmung wird in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen.

(2) 1 Eine Anordnung nach Abs. I ist auch unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 Nr. 2, 3 oder 4 zulässig, soweit dies zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 2 Unter den gleichen Voraussetzungen ist die in Bild und Ton übertragene Vernehmung eines Sachverständigen zulässig. (3) In den in den Sätzen 1 bis 3 genannten Fällen kann die Befragung auch durch einen ersuchten Richter vorgenommen werden. 30 Swoboda

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8. Teil: Zusammenfassung und Ausblick

(4) Die Entscheidungen nach den Abs. 1 bis 3 unterliegen nicht der Beschwerde. (5) 1 Die Vernehmung soll aufgezeichnet werden, wenn zu besorgen ist, dass der Zeuge in einer weiteren Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die Aufzeichnung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. 2 § 58 a Abs. 2 findet entsprechende Anwendung. § 254 Abs. 3 V-StPO

(3) Unter den Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 kann auch eine Bild-TonAufzeichnung einer nichtrichterlichen Vernehmung vorgeführt werden, wenn der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte damit einverstanden sind. § 255 a V-StPO (1) Für die Vorführung einer Bild-Ton-Aufzeichnung einer Zeugenvernehmung gelten die Vorschriften zur Verlesung einer Niederschrift über eine Vernehmung gemäß §§ 251 bis 255 entsprechend.

(2) I In Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184 c des Strafgesetzbuches) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuches) oder wegen Misshandlung Schutzbefohlener (§ 225 des Strafgesetzbuches) kann die Vernehmung eines Zeugen unter sechzehn Jahren durch die Vorführung der Bild-Ton-Aufzeichnung seiner früheren richterlichen Vernehmung ersetzt werden, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger an dieser mitgewirkt haben. 2 § 168 e Abs. 2 Sätze 2 und 3 sind zu beachten. 3 Eine ergänzende Vernehmung des Zeugen ist zulässig. § 273 Abs. 1 V-StPO (1) 1 Das Protokoll muss den Gang und die Beobachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtliche machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Schriftstücke oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und Urteilsformeln enthalten. 2 Vernehmungen sind in Bild und Ton aufzuzeichnen.

Anhang

Gesetzestexte verschiedener Staaten A. Auszüge aus der österreichischen Strafprozessordnung 1975 in der durch das Strafprozessänderungsgesetz 1993 geänderten Fassung § 152. (1) Von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses sind befreit:

1. Personen, die durch ihre Aussage der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung ausgesetzt würden oder die im Zusammenhang mit einem gegen sie geführten Strafverfahren Gefahr liegen, sich selbst zu belasten, auch wenn sie bereits verurteilt worden sind;

2. Personen, die im Verfahren gegen einen Angehörigen (§ 72 StGB) aussagen sollen oder deren Aussage die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung eines Angehörigen mit sich brächte, wobei die durch eine Ehe begründete Eigenschaft einer Person als Angehöriger aufrecht erhalten bleibt, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht; 2a. Personen, die durch die dem Beschuldigten zur Laste gelegten strafbaren Handlungen in ihrer Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnten, sofern die Parteien Gelegenheit hatten, sich an einer vorausgegangenen gerichtlichen Vernehmung zu beteiligen (§§ 162 a, 247); 3. Personen, die zur Zeit ihrer Vernehmung das vierzehnte Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben und durch die dem Beschuldigten zur Laste gelegte strafbare Handlung verletzt worden sein können, sofern die Parteien Gelegenheit hatten, sich an der vorausgegangenen gerichtlichen Vernehmung zu beteiligen (§§ 162 a, 247); § 160. (1) Erscheint der Zeuge, verweigert er aber ohne gesetzlichen Grund, ein Zeugnis abzulegen oder den Zeugeneid zu leisten, so kann ihn der Untersuchungsrichter durch die Verhängung einer Beugestrafe bis zu zehntausend Schilling und bei weiterer Weigerung in wichtigen Fällen durch Verhängung einer Beugehaft bis zu sechs Wochen dazu anhalten, ohne dass die die Fortsetzung oder Beendigung der Voruntersuchung aufgehalten werden muss. Diese Beugemittel dürfen nur angewendet werden, soweit sie nicht zum Gewicht der Strafsache, zur Bedeutung der Aussage des Zeugen oder zu dessen persönlichen Umständen außer Verhältnis stehen. § 162. (3) Der Vernehmung eines noch nicht Vierzehjährigen, eines psychisch Kranken oder geistig Behinderten ist, soweit es in dessen Interesse zweckmäßig ist, jedenfalls eine Person seines Vertrauens beizuziehen. § 162 a. (1) Ist zu besorgen, dass die Vernehmung eines Zeugen in der Hauptverhandlung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich sein werde, so hat der Untersuchungsrichter dem Ankläger, dem Privatbeteiligten und dem Beschuldigten sowie deren Vertretern Gelegenheit zu geben, sich an der Vernehmung 30'

468

Anhang: Gesetzestexte verschiedener Staaten

zu beteiligen und Fragen an den Zeugen zu stellen. Die §§ 249 und 250 Abs. 1 und 2 sind sinngemäß anzuwenden. Der Untersuchungsrichter kann die Ton- und Bildaufnahme der Vernehmung veranlassen. (2) Im Interesse des Zeugen, besonders mit Rücksicht auf sein geringes Alter oder seinen seelischen oder gesundheitlichen Zustand, oder im Interesse der Wahrheitsfindung kann der Untersuchungsrichter die Gelegenheit zur Beteiligung derart beschränken, dass die Parteien und ihre Vertreter die Vernehmung des Zeugen, erforderlichenfalls unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung, mitverfolgen und ihr Fragerecht ausüben können, ohne bei der Befragung des anwesend zu sein. Mit einer solchen Befragung kann der Untersuchungsrichter einen Sachverständigen beauftragen, insbesondere wenn der zeuge das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. (3) Die im § 152 Abs. 1 Z 3 erwähnten Personen hat der Untersuchungsrichter auf die im Abs. 1 beschriebene Weise und unter beschränkter Beteiligung der Parteien (Abs.2) zu vernehmen, wenn sie durch die dem Beschuldigten zur Last gelegte strafbare Handlung in ihrer Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnten. Im übrigen hat der Untersuchungsrichter die im § 152 Abs. I Z 2, 2a und 3 erwähnten Personen auf solche Weise (Abs. I und 2) zu vernehmen, wenn sie dies verlangen. (4) Vor der Vernehmung hat der Untersuchungsrichter den Zeugen über seine Rechte nach Abs. 3 und darüber zu belehren, dass in der Hauptverhandlung das Protokoll verlesen und Ton- und Bildaufnahmen der Vernehmung vorgeführt werden können, auch wenn er sich im weiteren Verfahren der Aussage entschlagen sollte. Diese Belehrungen und darüber abgegeben Erklärungen sind in das Protokoll aufzunehmen; sie können auch vom Sachverständigen (Abs. 2) durchgeführt werden. Auf das Alter und den Zustand des Zeugen ist bei jeder Belehrung Rücksicht zu nehmen. § 247 a. (1) Ein Zeuge, der wegen seines Alters, wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit oder aus sonstigen, erheblichen Gründen nicht in der Lage ist, vor Gericht zu erscheinen, kann unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung vernommen werden.

(2) Ein Zeuge, der wegen seines Aufenthaltes im Ausland nicht in der Lage oder nicht willens ist, vor Gericht zu erscheinen, kann in gleicher Weise vernommen werden, sofern die zuständige ausländische Behörde Rechtshilfe leistet. § 250. (3) Bei der Vernehmung von Zeugen hat der Vorsitzende § 162 aAbs. 1 letzter Satz und Abs. 2 bis 4 sinngemäß anzuwenden. Dabei hat er auch den bei der Befragung nicht anwesenden Mitgliedern des Gerichtshofs Gelegenheit zu geben, die Vernehmung des Zeugen mitzuverfolgen und den Zeugen zu befragen. § 252. (1) Gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen, andere amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen oder Mitbeschuldigten festgehalten worden sind, Gutachten von Sachverständigen sowie technische Aufnahmen über die Vernehmung von Zeugen (§ 162 a) dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nur in folgenden Fällen verlesen oder vorgeführt werden:

1. wenn die Vernommenen in der Zwischenzeit gestorben sind; wenn ihr Aufenthalt unbekannt oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit oder wegen entfernten Aufenthaltes oder aus anderen erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt werden konnte;

B. Auszug aus dem Übereinkommen über die Rechtshilfe

469

2. wenn die in der Hauptverhandlung vernommenen in wesentlichen Punkten von ihren früher belegten Aussagen abweichen; 2a. wenn Zeugen die Aussage berechtigt verweigern (§ 152) und die Parteien Gelegenheit hatten, sich an einer gerichtlichen Vernehmung zu beteiligen (§§ 162 a, 247); 3. wenn Zeugen, ohne dazu berechtigt zu sein, oder wenn Mitschuldige die Aussage verweigern; endlich 4. wenn über die Vorlesung Ankläger und Angeklagter einverstanden sind. (4) Die Bestimmungen des Abs. 1 dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden.

B. Auszug aus dem Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Artikel 11: Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen per Telefonkonferenz (1) Befindet sich eine Person im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats und soll diese Person als Zeuge oder Sachverständiger von einer lustizbehörde eines anderen Mitgliedsstaates vernommen werden, so kann letzterer, sofern sein innerstaatliches Recht dies vorsieht, den erstgenannten Mitgliedsstaat ersuchen, die Vernehmung per Telefonkonferenz, wie in den Absätzen 2 bis 5 vorgesehen, zu ermöglichen (2) Eine Vernehmung per Telefonkonferenz kann nur mit Zustimmung des Zeugen oder Sachverständigen erfolgen. (3) Der ersuchte Mitgliedsstaat bewilligt die Vernehmung per Telefonkonferenz, wenn der Rückgriff auf dieses Verfahren seiner Rechtsordnung nicht zuwiderläuft. (4) Ersuchen um Vernehmung per Telefonkonferenz enthalten außer den in Artikel 14 des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens und Artikel 37 des Benelux-Übereinkommens genannten Angaben die Bezeichnung der lustizbehörde und die Namen der Personen, die die Vernehmung durchführen werden, sowie eine Angabe, dass der Zeuge oder Sachverständige einer Vernehmung per Telefonkonferenz zustimmt. (5) Die praktischen Modalitäten der Vernehmung werden zwischen den betroffenen Mitgliedsstaaten vereinbart. Dabei verpflichtet sich der ersuchte Mitgliedsstaat, a) den jeweiligen Zeugen oder Sachverständigen vom Zeitpunkt und Ort der Vernehmung zu unterrichten, b) für die Identifizierung des Zeugen oder Sachverständigen Sorge zu tragen, c) zu überprüfen, ob der Zeuge oder Sachverständige der Vernehmung per Telefonkonferenz zustimmt. Der ersuchte Mitgliedsstaat kann seine Bewilligung ganz oder teilweise von den einschlägigen Bestimmungen des Artikels 10 Absätze 5 und 8 abhängig machen. Sofern nichts anderes vereinbart worden ist, findet Artikel 10 Absatz 7 entsprechende Anwendung.

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Sachwortverzeichnis Akteneinsicht - A. des Beschuldigten 352, 353 f. - A. des Zeugenbeistandes 374, 384 f. - A. von Behörden und anderen Stellen 384 ff. - in die Videoaufzeichnung 20, 62, 370, 384 ff., 424 - für den Beschuldigten 384 f., 394 f. - für den Verteidiger 52, 374, 386 ff. - für den weiter einsichtsberechtigten Personenkreis 395 f. - Mitgabe von Aufzeichnungskopien 332, 384, 398 ff., 439, 462 - Schranken der A. Anfechtungsausschluss - Ausschluss der Beschwerde, s. u. Beschwerde - Revisionsausschluss, s. u. Revision Augenscheinsbeweis 1, 23, 82, 400, 413 Ausland - internationale Rechtshilfe, s. dort - Videotechnik in ausländischen Rechtsordnungen 90 ff. Ausschluss des Angeklagten/Entfernung des Angeklagten 64 f., 142, 159, 316, 320 ff. - in Kombination mit Videosimultanübertragung 171 ff., 322 ff. - Subsidiarität der Videokonferenz, s. Subsidiarität

Berlin 134, 136 f., 181 Beschleunigungsgebot 72, 267, 303, 304, 319 Beschuldigtenrechte - Anwesenheitsrecht 65, 70, 121, 124, 165, 190, 323, 287, 450, 458 - Fragerecht 43, 65, 68, 89, 109, 113, 119, 166, 199, 212, 214, 235, 238, 295, 351, 370,401,423 ff. - Teilnahmerecht 165, 173, 212 Beschuldigtenvernehmung - per Videokonferenz innerhalb der Hauptverhandlung 131 f., 293, 294, 320 ff. - Verwertung in der Hauptverhandlung 300 f., 447 ff. - Videodokumentation der Beschuldigtenvernehmung 21, 110 f., 131, 442 ff., 462 Beweissicherung 59, 91, 132, 141, 204, 354, 378 ff., 380 ff., 386, 392, 396,398,400,426,431,439,454 Beweiswürdigungslösung 352 Brandenburg 138 Bremen 139 f.

Beschwerde - Ausschluss der Beschwerde 217 f., 234 f., 311 ff., 364, 365 f., 457 Baden-Württemberg 137 f. Bayern 134 f.

Ergänzende Vernehmung 428 ff., 58, 60, 129 Ermittlungsverfahren - partizipatorisches Ermittlungsverfahren 345 ff.

32 Swoboda

Chancengleichheit 42 ff., 390 f., 462 Closed Circuit Television (CCTV) 81 ff., 91, 95 ff., 101 f., 177, 179 ff., 185 ff., 297 Confrontation Rule 92 ff., 96, 98 Corpus Juris 280, 298 ff.

498

Sachwortverzeichnis

England 81, 88, 99 ff. Erreichbarkeit 75, 219, 220, 232, 237 ff., 239 ff., 254 ff., 455 EuRHÜbk vom 29. Mai 2000 131 f., 287 ff. Fairnessprinzip 301,40 ff., 50 f. Fürsorgeprinzip 44 ff. Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege 34, 46 ff., 48, 50, 53 Glaubwürdigkeit - Glaubwürdigkeitsbeurteilung u. CCTV 89, 100, 185 ff., 274 ff., 364 - von Kinderzeugen 27, 31, 44, 72, 82, 94, 202 - von V-Leuten 27, 44, 48, 51, 62, 68, 74, 78, 190, 195 ff., 251, 253, 410 Grundrechte - als Abwehrrechte 36 ff., 46 - Menschenwürde 29 ff., 32, 34, 41, 42, 47, 50, 345 - objektiv-rechtliche Werteordnung 38 ff. - Recht auf körperliche Unversehrtheit 32 ff. - Recht auf Leben 32 ff. - Schutz der Persönlichkeit 31 f. - Staatliche Schutzpflichten 38 ff., 40 ff. Hamburg 138 Hearsay Evidence 92 ff., 99, 103 Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 131 f., 210, 215, 237 f., 254 ff., 287 ff., 305, 315, 322, 457, 469 Internationale Strafgerichtshöfe 281, 296 ff. Italien 123 ff., 138, 322, 327, 457 Kanada 21, 88, 110 ff. Kinderzeuge

- Sperrung des K. durch die Eltern 244 ff., 334 Kommissarische Vernehmung - Kombination mit Videovernehmung 200 ff., 270, 284 f. Konzentrationsmaxime 72, 264, 365 f. Mainzer Modell 58 f., 60, 61, 83 ff., 117, 133, 140, 177, 200, 336, 343, 455 f. Mecklenburg-Vorpommern 139 Menschenwürde, s. u. Grundrechte Niederlande 129 f., 191 Niedersachsen 139, 140 Nordirland 21, 109 f. Österreich 112 ff., 467 ff. Opferhilfegesetz 119, 120 f. Opferschutzgesetz 63 ff. Optische und akustische Abschirmung - Missbrauchsgefahr 198 f. - Rechtsgrundlage 193 ff. - Schutzinteressen des Zeugen 198, 199 f., 250 ff., 263, 331 f. - Verteidigungsrechte 195 ff., 200, 250 ff. - Zulässigkeit 189 ff., 454 Organisierte Kriminalitätsgesetz (OrgKG) 57, 66 ff., 78 f., 193,249 Persönlichkeitsschutz - durch Zurückweisung von Fragen 63 f., 70, 205 - Recht am eigenen Wort und Bild 373, 389, 438 Rechtsstaatsprinzip 50, 54 Reformvorschläge und -entwürfe 132 ff., 354 ff., 371, 387, 391 f., 437,440 ff., 442, 458 Revision - Aufklärungsrüge 168, 217 ff., 243, 263,277, 310, 366,403,422,433 ff.

Sachwortverzeichnis - Revisionsausschluss 216 ff., 310 ff., 314, 364 ff., 465 f. - tatrichterliche Beweiswürdigung und R. 307, 357, 398, 433 ff., 462 Rheinland-Pfalz 133 f. Saarland 139 f. Sachverständiger - Videovernehmung des S. 291 f., 315 ff., 454, 457 Schleswig-Holstein 137 Schweden 21, 128 f., 295 Schweiz 119 ff. Sekundäre Traumatisierung 19, 33, 151, 154 f. Sonderopfergedanke 45 Sozialstaatsprinzip 43 ff. Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 62 Subsidiarität 147, 149f., 176, 164ff., 235, 238, 342 ff., 308, 456 Telefonkonferenz 469 Thüringen 135 f.

128, 288, 294 ff.,

Unerreichbarkeit 74, 80, 113, 239 ff., 255 ff., 278 Unschuldsvermutung 50, 52, 96, 301, 404 V-Leute - die gesperrte V-Person 33, 74, 190, 248 ff., 407 - Drei-Stufen-Theorie 253 f., 407 Vereinigte Staaten von Amerika 190 ff. Verfahrensbeschleunigung 88 ff., 104, 110 123, 131, 141, 218, 232, 234, 237,241, 242, 258, 317, 454 Verschriftung 359 ff., 447, 461 Verteidiger - Akteneinsichtsrecht 52, 299, 353 f., 355, 384, 386 ff., 462 32"

499

- Anwesenheitsrechtl Anwesenheitspflicht 121, 190, 248, 347 ff., 387, 450, 458 - frühzeitige Verteidigerbestellung 351 ff., 424, 458 Videoaufzeichnung/Videodokumentation/Videokonserve - Beweissicherung 91, 132, 352, 378 ff., 380 ff., 386, 392, 396, 398 f., 400, 426, 431, 439, 454 - Dokumentationstechnik 377 f. - Fakultativermächtigung 376 ff. - Geltungs- und Anwendungsbereich 374 ff. Videovemehmung/Videokonferenz/Videosimultanübertragung - akustische Verbindung 102, 125, 144, 183 f., 326 - bildtechnische Übermittlung 197 ff., 363 f. - des Beschuldigten, s. u. Beschuldigtenvernehmung - des Sachverständigen, s. u. Sachverständiger V. 98 f., - grenzüberschreitende 127 f., 269, 282 ff., 284 ff., 287 ff., 322 - im Ermittlungsverfahren 20, 57, 61, 138, 329 ff., 457 f. - in der Hauptverhandlung 20, 57 ff., 77 ff., 81 ff., 95 ff., 101 ff., 116 ff., 123 ff., 139, 143 ff., 315 ff., 320 ff., 454 ff. - Mainzer Modell, s. dort - optische und akustische Abschirmung, s. dort - Tatbestandskonkurrenz 145 f. Waffengleichheit 41, 73, 194, 327, 242, 258, 390 Wales 81, 99 ff. Widerspruchslösung 411 f. Wortprotokoll 138, 307, 359 ff.

500

Sachwortverzeichnis

Zeuge - anonymer Z. 48, 77 ff., 109, 122, 129 f., 189 ff., 250 ff., 454 - Auslandszeuge 19, 48, 98 f., 101, 103, 118, 127 f., 145, 199, 241, 254 ff., 314,407,454,457 - gefährdeter Z. 19, 31, 35, 62, 65, 77 ff., 102, 122, 123, 127 f., 134, 151 ff., 176, 189 ff., 248 ff., 329, 350 - gesperrter Z. 145, 196, 207, 244 ff., 248 ff., 407, 410, 454 - sensibler Z. 19, 27, 31, 33, 35, 43, 52, 56, 69, 76, 121, 131, 1145, 154 ff., 188, 341, 344, 402 - verletzlicher Z. 71 f., 80 ff., 91, 95 ff., 100, 102, 104 f., 106 ff., 121, 145, 154 ff., 180, 183 f., 200, 206, 208, 246, 297, 331, 350, 402, 417, 460 - Zeugenpflichten 26 ff., 382 - Zeugenrechte 23, 26 ff., 73

Zeugenbedrohung 36,53, 151 ff. Zeugenschutz durch - Ausschluss der Öffentlichkeit 64, 69, 71, 84, 107, 136, 165, 176, 218 f., 252, 297 - Ausschluss des Angeklagten 64 f., 121, 142, 148 ff., 172 ff. - Beschränkung der Akteneinsicht 52, 75, 347, 353 f., 386 ff., 394 f., 395 f. - Geheimhaltung der Identität 66 ff., 77 ff., 189 ff., 153, 318 - Geheimhaltung des Wohnorts 62, 66 ff., 253 - Schutz vor Bloßstellung 63 f. - Sperrung des Zeugen 33, 65, 68, 74, 198, 200, 244 ff., 248 ff. - Zeugenbeistand 20, 38, 73, 202 - Zeugnisverweigerungsrecht 27, 46, 69, 117, 185,344,350,412 ff. - Zurückweisung von Fragen 63, 70