Verwaltung, eGovernment und Digitalisierung: Grundlagen, Konzepte und Anwendungsfälle [1. Aufl. 2019] 978-3-658-27028-5, 978-3-658-27029-2

Eine effizient und effektiv arbeitende öffentliche Verwaltung ist die Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und gesellsc

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Verwaltung, eGovernment und Digitalisierung: Grundlagen, Konzepte und Anwendungsfälle [1. Aufl. 2019]
 978-3-658-27028-5, 978-3-658-27029-2

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIV
Front Matter ....Pages 1-1
Verwaltungsinformatik und eGovernment im Zeichen der Digitalisierung – Zeit für ein neues Paradigma (Andreas Schmid)....Pages 3-21
Identitäten als Schlüsselfaktor für medienbruchfreie digitale Prozesse (Jörn Riedel)....Pages 23-30
Das Personaldilemma im öffentlichen Dienst – Die Zukunft ist nicht mehr die Verlängerung der Vergangenheit (Winfried Kösters)....Pages 31-40
Was ist Verwaltungsinformatik? (Georg Disterer)....Pages 41-51
Wie lässt sich die Digitalisierung als Innovationsschub in der öffentlichen Verwaltung erfolgreich verhindern? (Ulrich Kazmierski)....Pages 53-66
Zwischen Alexa und Aktenmappe: Was lässt sich aus der Entwicklung des E-Governments für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung lernen? (Jens Weiß)....Pages 67-88
Strategielücke als Digitalisierungshindernis in der öffentlichen Verwaltung? (Ronald Deckert)....Pages 89-100
Die Herausforderungen der Kommunen im Rahmen der Digitalisierung (Andreas Lasar)....Pages 101-111
Front Matter ....Pages 113-113
Die Digitalisierung in der Verwaltungspraxis – wir sind weiter als gedacht (Johann Bizer)....Pages 115-126
Der Einsatz von Big Data in der öffentlichen Verwaltung am Beispiel einer automatisierten Kassenprüfung (Till Buchmann, Helge C. Brixner)....Pages 127-139
Die Zukunft der Verwaltungsinformatik im Zeichen der Digitalisierung – Anwendungsfall Blockchain in Südtirol (Stefan Gasslitter, Sabine Fischer)....Pages 141-154
Ausgangslage für die Einführung der E-Rechnung im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Stefan Mensching, Sören Bergner, Martin Rebs, Tobias Adam)....Pages 155-169
Die Einführung der Elektronischen Akte in der Sozialversicherung (Edwin Schäfer, Andreas Schmid)....Pages 171-179
Das Nationale Waffenregister – ein Beispiel für erfolgreiche föderale IT-Kooperation (Joachim Sturm, Florian Theißing)....Pages 181-195
Digitalisierung als Kulturwandel 4.0 – Beispiel Digital Roadmap Stadt Nürnberg (Sebastian Jahn, Sebastian Schmidt, André Knabel)....Pages 197-212
Anwendungsfall Digitalisierung (Rainer Bernnat, Germar Schröder, Lucas Sy, Tobias Alexander Krause, Felix Lücke, Sophia Stadler et al.)....Pages 213-227
Demografie und Fachkräftemangel – die Digitalisierung als Rettungsanker am Praxisbeispiel „Inkasso“ (Rebecca Geiger, Simon Arne Manner)....Pages 229-240
Die Automatisierung von Prozessen und Entscheidungen in der Verwaltung (Torsten Müller, Bernd Heinrich Peper)....Pages 241-250
Die Chancen der Digitalisierung nutzen am Beispiel der Einführung der elektronischen Rechnung für die Landesverwaltung in Hessen (Andreas Michalewicz)....Pages 251-259
Der Umgang mit Komplexität bei SAP und Bundeswehr – eine subjektive Betrachtung (Michael Clasen)....Pages 261-272

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Andreas Schmid Hrsg.

Verwaltung, eGovernment und Digitalisierung Grundlagen, Konzepte und Anwendungsfälle

Verwaltung, eGovernment und Digitalisierung

Andreas Schmid (Hrsg.)

Verwaltung, eGovernment und Digitalisierung Grundlagen, Konzepte und ­Anwendungsfälle

Hrsg. Andreas Schmid Halberstadt, Deutschland

ISBN 978-3-658-27028-5 ISBN 978-3-658-27029-2  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-27029-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Geleitwort des CIO des Landes Niedersachsen ­Stephan Manke

Die Zukunftsfähigkeit des Landes Niedersachsen steht bereits seit vielen Jahren auf der politischen Agenda. Es wurden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den Lebensraum der Bürgerinnen und Bürger attraktiv zu gestalten. Auch die rasante Entwicklung der Informationstechnologie bewegt die Menschen. Der Begriff „Digitalisierung“ steht als Synonym für eine sich verändernde Gesellschaft und eine andere Arbeitswelt. Die Digitalisierung wird das Leben der Menschen insgesamt verändern. Die Politik hat die Aufgabe, sich dieses wichtigen Themas anzunehmen. Bezüglich der öffentlichen Verwaltung entstehen seitens der Bürgerinnen und Bürger andere Erwartungshaltungen. Die Institutionen müssen die neuen technischen Möglichkeiten nutzen, um sich den gesellschaftlichen Veränderungen zu stellen. Die Digitalisierung muss durch die Verwaltungen vorangetrieben werden, um den Bürgerinnen und Bürgern moderne und wirtschaftliche Dienstleistungen anbieten zu können. Dies ist auch deshalb von grundlegender Bedeutung, weil die Verwaltung einen wichtigen Standortfaktor darstellt. Das Land Niedersachsen hat die Herausforderungen erkannt. Im Jahr 2016 wurde die IT-Strategie des Landes unter dem Titel „Digitale Verwaltung 2025“ fortgeschrieben (vgl. Land Niedersachsen 2016). Die Strategie umfasst unterschiedliche Vorhaben und Maßnahmen, die umgesetzt werden. Ein Kapitel befasst sich u.a. mit dem Bedarf an IT-Personal (ebd. S. 26). In diesem Kontext wurde der Studiengang „Verwaltungsinformatik“ an der Hochschule Hannover etabliert, um fachliche Anforderungen aus Organisation und IT miteinander zu verzahnen. Durch ein Stipendienprogramm werden Nachwuchskräfte gewonnen, um zum einen die Verwaltung im Kontext der Digitalisierung fit zu machen. Zum anderen ist, wie in vielen Unternehmen und Verwaltungen, einem dramatischen Nachwuchskräftemangel entgegenzuwirken. Umso erfreulicher ist es für das Land Niedersachsen, dass der Studiengang „Verwaltungsinformatik“ sehr gut angenommen wird. Bereits zur ersten Immatrikulation im Wintersemester 2017–2018 konnten 35 Studienplätze, die an einen Numerus Clausus gebunden sind, vergeben werden. Aktuelle Zahlen der zweiten Immatrikulation bestätigen diesen positiven Trend und damit die Annahme des Studiengangs. Wichtiger V

VI

Geleitwort des CIO des Landes Niedersachsen S­ tephan Manke

als die Immatrikulationszahlen sind die ersten Evaluationsergebnisse, die die Sinnhaftigkeit der Einrichtung des Studiengangs bestätigen. Aus diesem Studiengang heraus wurde das Forschungsprojekt „Die Zukunft der Verwaltungsinformatik im Zeichen der Digitalisierung“ gestartet. Ein Ergebnis dieses Forschungsprojekts ist der vorliegende Sammelband, indem theoretische und praktische Sachverhalte in bisher einmaliger Form aufgegriffen werden. Hierdurch entstehen Erkenntnisgewinne, die einen wichtigen Beitrag für die Ausgestaltung von Digitalisierungsprojekten, die Ausbildung von Nachwuchskräften und die Weiterentwicklung der Verwaltung insgesamt liefern. Hierfür möchte ich mich bei den Autorinnen und Autoren sowie dem Herausgeber bedanken. Bisher sind viele Fragen der Digitalisierung unbeantwortet. Ich wünsche den Leserinnen und Lesern, dass Sie durch die Lektüre dieses Buches der Beantwortung Ihrer Fragen ein Stück näher kommen.

Literatur Land Niedersachsen (2016) Digitale Verwaltung 2025. Hannover

Inhaltsverzeichnis

Teil I  Grundlagen und Konzepte 1

Verwaltungsinformatik und eGovernment im Zeichen der Digitalisierung – Zeit für ein neues Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Andreas Schmid 1.1 Die Notwendigkeiten für ein neues Paradigma und dieses Sammelwerk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2 Die konzeptionellen Grundlagen sind unzureichend. . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 Es fehlt an einer verwaltungsebenenübergreifenden Strategie . . . . . . . . 9 1.4 Die organisatorischen Auswirkungen werden unterschätzt. . . . . . . . . . . 13 1.5 Warum ein neues Paradigma? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

2

Identitäten als Schlüsselfaktor für medienbruchfreie digitale Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Jörn Riedel 2.1 Einleitende Überlegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.2 Erkenntnisse aus anderen Ländern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.3 Schlussfolgerungen für Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

3

Das Personaldilemma im öffentlichen Dienst – Die Zukunft ist nicht mehr die Verlängerung der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Winfried Kösters 3.1 Standortfaktor Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.2 Demografischer Wandel und die Wirkung auf Verwaltung. . . . . . . . . . . 32 3.3 Fachkräfte gesucht – warum sollten sie in die Verwaltung streben?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.4 Gesellschaftliche Wandlungsprozesse – Gestaltung statt Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.5 Digitalisierung und die älter werdende Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.6 Die Wunderwaffe „Wertschätzung“ als Personalführungselement . . . . . 36 VII

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.7 Kooperation und Miteinander als Handlungsprinzip. . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.8 Das demokratische Element und der demografische Wandel . . . . . . . . . 38 3.9 Paradigmenwechsel in der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3.10 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4

Was ist Verwaltungsinformatik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Georg Disterer 4.1 Gegenstandsbereich und Merkmale des Fachgebiets. . . . . . . . . . . . . . . . 41 4.2 Digitalisierung – Digital Government. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4.3 Ziele des Fachgebiets. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4.4 Bedeutung des Fachgebiets. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

5

Wie lässt sich die Digitalisierung als Innovationsschub in der öffentlichen Verwaltung erfolgreich verhindern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Ulrich Kazmierski 5.1 Die kontrainduktive Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5.2 Die öffentliche Verwaltung als „Oase“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 5.3 Das kontrainduktive „Drehbuch“ und seine absurden „Regieanweisungen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 5.4 Das Routinespiel „Dienst nach Vorschrift“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 5.5 Digitale Innovationsspiele in die falsche Richtung lenken . . . . . . . . . . . 60 5.6 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

6

Zwischen Alexa und Aktenmappe: Was lässt sich aus der Entwicklung des E-Governments für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung lernen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Jens Weiß 6.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 6.2 Entwicklung der E-Government-Reformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 6.3 Wesentliche Faktoren zur Erklärung der Entwicklung der E-Government-Reformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 6.4 Ausblick: Digitalisierung nach den E-Government-Reformen. . . . . . . . 80 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

7

Strategielücke als Digitalisierungshindernis in der öffentlichen Verwaltung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Ronald Deckert 7.1 Ausgangssituation und Zielsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 7.2 Ziele und Strategie in der öffentlichen Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . 90

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IX

7.3

Veränderungsnotwendigkeiten in der öffentlichen Verwaltung ­verbunden mit Digitalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 7.4 Strategielücke und Herausforderungen zur Digitalisierung. . . . . . . . . . . 96 7.5 Strategische Mensch-Maschine-Partnerschaft als Zukunftsbild . . . . . . . 98 7.6 Zusammenfassung und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 8

Die Herausforderungen der Kommunen im Rahmen der Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Andreas Lasar 8.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 8.2 Handlungsrahmen und Stand der Entwicklung der Digitalisierung in Kommunen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 8.3 Herausforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 8.4 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

Teil II  Anwendungsfälle 9

Die Digitalisierung in der Verwaltungspraxis – wir sind weiter als gedacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Johann Bizer 9.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 9.2 Verwaltungsleistungen sind online verfügbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 9.3 Lösungen werden nutzerorientiert weiterentwickelt. . . . . . . . . . . . . . . . 118 9.4 Die Verwaltungsprozesse werden soweit wie möglich automatisiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 9.5 Agilität ist das Handlungsprinzip der technischen Umsetzung. . . . . . . . 122 9.6 Online-Dienste werden datenschutzkonform gestaltet . . . . . . . . . . . . . . 123 9.7 Lösungen werden sicher betrieben, um die digitale Souveränität zu gewährleisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 9.8 Digitalisierung braucht Kooperation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 9.9 Zusammenfassung und Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

10 Der Einsatz von Big Data in der öffentlichen Verwaltung am Beispiel einer automatisierten Kassenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Till Buchmann und Helge C. Brixner 10.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 10.2 Big Data: Begriffsabgrenzung, Potenziale und Erwartungen . . . . . . . . . 128 10.3 Einsatzszenarien und Nutzenpotenziale von Big Data in der öffentlichen Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 10.4 Praxisbeispiel: Automatisierte Kassenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

X

Inhaltsverzeichnis

10.5 Resümee. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 11 Die Zukunft der Verwaltungsinformatik im Zeichen der Digitalisierung – Anwendungsfall Blockchain in Südtirol . . . . . . . . . . . . . . 141 Stefan Gasslitter und Sabine Fischer 11.1 Zusammenfassung und Kernaussagen des Beitrags. . . . . . . . . . . . . . . . . 142 11.2 Anwendungsfall „Digitalisierung und Informationstechnik in der Südtiroler Landesverwaltung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 11.3 Voraussichtliche Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 11.4 Herausforderungen und Lessons Learned. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 11.5 Perspektiven und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 11.6 Fazit und Schlussbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 12 Ausgangslage für die Einführung der E-Rechnung im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Stefan Mensching, Sören Bergner, Martin Rebs und Tobias Adam 12.1 Ausgangslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 12.2 Vorstellung des Projekts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 12.3 Fazit und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 13 Die Einführung der Elektronischen Akte in der Sozialversicherung. . . . . . 171 Edwin Schäfer und Andreas Schmid 13.1 Ausgangslage und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 13.2 Vorgehen zur Einführung der Elektronischen Akte. . . . . . . . . . . . . . . . . 174 13.3 Technische Lösung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 13.4 Lessons Learned. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 13.5 Erkenntnisse und Weiterentwicklungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 14 Das Nationale Waffenregister – ein Beispiel für erfolgreiche föderale IT-Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Joachim Sturm und Florian Theißing 14.1 Ausgangslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 14.2 Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 14.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 14.4 Lessons Learned. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 14.5 Perspektiven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 15 Digitalisierung als Kulturwandel 4.0 – Beispiel Digital Roadmap Stadt Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Sebastian Jahn, Sebastian Schmidt und André Knabel 15.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 15.2 Auswirkungen der Digitalisierung auf die öffentliche Verwaltung. . . . . 198

Inhaltsverzeichnis

XI

15.3 Auswirkungen des Kulturwandels 4.0 auf die Organisation. . . . . . . . . . 198 15.4 Auswirkungen der Digitalisierung auf die Organisation. . . . . . . . . . . . . 200 15.5 Auswirkungen der Digitalisierung auf die IT – Organisation. . . . . . . . . 202 15.6 Praxisbeispiel: Digital Roadmap der Stadt Nürnberg . . . . . . . . . . . . . . . 203 15.7 Resümee. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 16 Anwendungsfall Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Rainer Bernnat, Germar Schröder, Lucas Sy, Tobias Alexander Krause, Felix Lücke, Sophia Stadler und Nicola Schudnagies 16.1 Bundeswehr im Zeitalter der Digitalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 16.2 Lösungsvorgehen und Erfolgsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 16.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 16.4 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 17 Demografie und Fachkräftemangel – die Digitalisierung als Rettungsanker am Praxisbeispiel „Inkasso“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Rebecca Geiger und Simon Arne Manner 17.1 Ausgangslage und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 17.2 Vorgehen zur Analyse und Umsetzung von Predictive Analytics im Inkassobereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 17.3 Technische Lösung und Ergebnisse des Anwendungsfalls . . . . . . . . . . . 234 17.4 Lessons Learned. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 17.5 Erkenntnisse und Weiterentwicklungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 18 Die Automatisierung von Prozessen und Entscheidungen in der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Torsten Müller und Bernd Heinrich Peper 18.1 Ausgangslage und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 18.2 Vorgehen zur Überprüfung der Machbarkeit bei der Automatisierung von Entscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 18.3 Technische Lösung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 18.4 Lessons Learned. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 18.5 Weiterführende Erkenntnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 19 Die Chancen der Digitalisierung nutzen am Beispiel der Einführung der elektronischen Rechnung für die Landesverwaltung in Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Andreas Michalewicz 19.1 Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 19.2 Zielsetzung des Projektes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

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19.3 19.4 19.5 19.6

Vorgehensweise und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Voraussichtliche Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Herausforderungen und Lessons Learned. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Perspektiven und Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258

20 Der Umgang mit Komplexität bei SAP und Bundeswehr – eine subjektive Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Michael Clasen 20.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 20.2 SCRUM und 4.0 – Methoden zum Umgang mit Komplexität. . . . . . . . . 262 20.3 Erfolgsmessung und Arbeitsmotivation: SAP und Bundeswehr im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 20.4 Arbeiten bei dem Unternehmen SAP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 20.5 Arbeiten bei der Bundeswehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 20.6 Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . 268 20.7 Aktuelle Einschätzungen von Kollegen und Kameraden. . . . . . . . . . . . . 270 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Über den Herausgeber Prof. Dr. Andreas Schmid ist Professor für Public Management und Verwaltungshandeln in der Abteilung Wirtschaftsinformatik der Hochschule Hannover. Er ist promovierter Politikwissenschaftler und war viele Jahre als Unternehmensberater im In- und Ausland tätig. Prof. Schmid leitet den Studiengang Verwaltungsinformatik und arbeitet u. a. als Auditor für IT-Projekte.

Autorenverzeichnis Tobias Adam  MACH AG, Lübeck, Deutschland Sören Bergner  Bundesministerium des Innern, Berlin, Deutschland Prof. Dr. Rainer Bernnat  PwC Strategy& (Germany) GmbH, Frankfurt, Deutschland Dr. Johann Bizer  Dataport, Altenholz, Deutschland Helge C. Brixner arf Gesellschaft für Organisationsentwicklung mbH, Nürnberg, Deutschland Till Buchmann  arf Gesellschaft für Organisationsentwicklung mbH, Nürnberg, Deutschland Prof. Dr. Michael Clasen  Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland Prof. Dr. Ronald Deckert Hamburger Fern-Hochschule gemeinnützige GmbH, ­Hamburg, Deutschland Prof. Dr. Georg Disterer  Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland Mag. Sabine Fischer  Fischer Consulting OHG, Bruneck, Italien Stefan Gasslitter  Südtiroler Informatik AG, Bozen, Italien Dr. Rebecca Geiger  Horváth & Partner GmbH, München, Deutschland XIII

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Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Sebastian Jahn  arf Gesellschaft für Organisationsentwicklung mbH, Nürnberg, Deutschland Prof. Dr. habil. Ulrich Kazmierski  Hochschule Harz, Wernigerode, Deutschland André Knabel  Stadt Nürnberg, Nürnberg, Deutschland Dr. Winfried Kösters  Freiberuflicher Journalist und Publizist, Moderator, Trainer und Berater, Bergheim, Deutschland Dr. Tobias Alexander Krause  PwC Strategy& (Germany) GmbH, Berlin, Deutschland Prof. Dr. Andreas Lasar  Hochschule Osnabrück, Osnabrück, Deutschland Felix Lücke  PwC Strategy& (Germany) GmbH, Frankfurt, Deutschland Simon Arne Manner  Horváth & Partner GmbH, Hamburg, Deutschland Stefan Mensching  MACH AG, Lübeck, Deutschland Andreas Michalewicz  Hessisches Ministerium der Finanzen, Wiesbaden, Deutschland Torsten Müller  KPMG AG, Stuttgart, Deutschland Dr. Bernd Heinrich Peper  KPMG AG, Hamburg, Deutschland Martin Rebs  Schütze AG, Berlin, Deutschland Jörn Riedel  Hamburger Verwaltung, Hamburg, Deutschland Edwin Schäfer  Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, Deutschland Prof. Dr. Andreas Schmid  Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland Sebastian Schmidt arf Gesellschaft für Organisationsentwicklung mbH, Nürnberg, Deutschland Dr. Germar Schröder  PwC Strategy& (Germany) GmbH, Frankfurt, Deutschland Nicola Schudnagies  PwC Strategy& (Germany) GmbH, München, Deutschland Sophia Stadler  PwC Strategy& (Germany) GmbH, Berlin, Deutschland Dr. Joachim Sturm  Bundesministerium des Innern, Berlin, Deutschland Lucas Sy  PwC Strategy& (Germany) GmbH, Berlin, Deutschland Dr. Florian Theißing  Cassini Consulting GmbH, Berlin, Deutschland Prof. Dr. Jens Weiß  Hochschule Harz, Wernigerode, Deutschland

Teil I Grundlagen und Konzepte

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Verwaltungsinformatik und eGovernment im Zeichen der Digitalisierung – Zeit für ein neues Paradigma Andreas Schmid

Zusammenfassung

Die öffentliche Verwaltung steht am Anfang einer technikgetriebenen und rasant verlaufenden Veränderung. Um die hiermit verbundenen Herausforderungen bewältigen zu können, bedarf es notwendiger Voraussetzungen. Diese sind bisher noch nicht geschaffen worden und an vielen Stellen herrscht Unwissen und Unsicherheit. Durch inhaltliche und praktische Anstöße dieses Sammelwerks soll Unterstützungsarbeit geleistet werden. Analysiert man die aktuellen Hintergründe und Entwicklungen in den Verwaltungen, dann wird ein umfassender Handlungsbedarf deutlich. In diesem Beitrag wird versucht, den Handlungsbedarf zu beschreiben und einzugrenzen. Im Ergebnis bedarf es eines neuen Paradigmas im Kontext von eGovernment, Digitalisierung und Verwaltungsinformatik, um die öffentliche Verwaltung IT-technisch modernisieren zu können. Schlüsselwörter

Digitalisierung · eGovernment · Strategie · Konzeption · Organisation

1.1 Die Notwendigkeiten für ein neues Paradigma und dieses Sammelwerk Dieses Sammelwerk ist aus der Überlegung heraus entstanden, dass die Organisationen der öffentlichen Hand im Kontext der Digitalisierung vor zahlreichen Herausforderungen stehen. Sucht man für die zugrunde liegenden Fragestellungen nach Antworten, so ergibt A. Schmid ()  Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Schmid (Hrsg.), Verwaltung, eGovernment und Digitalisierung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27029-2_1

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sich ein heterogenes Bild von Ansätzen, Konzepten, Herausforderungen, (gescheiterten) Projekten usw. Das Sammelwerk soll etwas Ordnung in die unübersichtliche Gemengelage bringen. Hierdurch können (öffentliche) Institutionen, die vor Digitalisierungsentscheidungen stehen, unterstützt werden. Im ersten Teil dieses Buches wird daher auf die wichtigsten konzeptionellen Grundlagen eingegangen. Aus Sicht der Hochschullehre stellt sich die Frage, welche Kompetenzen vermittelt werden müssen, damit Absolventen einschlägiger Studiengänge einen sinnvollen Beitrag zur Lösung der Herausforderungen im öffentlichen Sektor leisten können. Dieser Sammelband soll zur Beantwortung dieser Frage einen Beitrag leisten. Naheliegend ist es, aktuelle Entwicklungen und Sachstände zu analysieren und hieraus Anforderungen an die Hochschullehre abzuleiten. Im zweiten Teil dieses Buches sind daher Anwendungsfälle dokumentiert. Aus diesen Projekterfahrungen lassen sich zum einen wertvolle Hinweise für Lehrinhalte ableiten. Zum anderen sind sie eine wichtige Informationsquelle für alle, die sich mit Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung praxisorientiert auseinandersetzen wollen. In der Konzeption und Organisation dieses Sammelwerks mussten, wie bei vergleichbaren Vorhaben üblich, Vorbereitungsarbeiten geleistet werden. Diese waren notwendig, um nützliche Erkenntnisgewinne für die wissenschaftliche Diskussion und die Verwaltungspraxis liefern zu können. Im Rahmen dieser Vorarbeiten wurde deutlich, dass die Herausforderungen der (Verwaltungs-)Digitalisierung in Deutschland einen besonderen Charakter haben. Die Bilanz der bisher erzielten Ergebnisse ist offensichtlich ernüchternd, weil die Angebote der öffentlichen Verwaltung nur unzureichend in Anspruch genommen werden (vgl. z. B. Fortiss/Initiative D21 2017). Des Weiteren fehlt es teilweise noch an infrastrukturellen Voraussetzungen, vor allem auf kommunaler Ebene, wie die Bundesregierung es selbst konstatierte (vgl. Bundesministerium für ­Bildung und Forschung 2018, S. 26). Diese in aller Kürze dargestellten Sachverhalte lassen bei Politik- und Verwaltungswissenschaftlern Erinnerungen an das Neue Steuerungsmodell aufkommen. Es wäre für ein hochentwickeltes Land wie Deutschland ein Desaster, wenn sich Geschichte wiederholen würde. Es wird jetzt, wie damals, ein hoher Modernisierungsaufwand betrieben, der bisher überschaubare Ergebnisse vorzuweisen hat. Es gilt daran zu arbeiten, diese Bilanz zu verbessern. Auch hierzu soll dieses Sammelwerk einen (kleinen) Beitrag leisten. „Es wird klar, dass es im heutigen digitalen Zeitalter in der öffentlichen Verwaltung darum geht, schnelle Lösungen zu liefern und nicht perfekte. Automatisierung muss zum Zwecke der schnelleren Abwicklung erfolgen und zur Entlastung von Schlüsselressourcen führen und nicht, um eine Automatisierungslösung per se bereitzustellen“ (Gasslitter/Fischer in diesem Sammelwerk zu ihren Erfahrungen). Bei einer tieferen Auseinandersetzung mit der Materie wird offensichtlich, dass sich die spezifischen Herausforderungen aus unterschiedlichen Sachverhalten ergeben, die zusammen genommen für ein neues Paradigma im Kontext von Verwaltungsinformatik, Digitalisierung und eGovernment sprechen. Folgende Sachverhalte liegen dieser Überlegung zugrunde und gliedern im Folgenden den Beitrag:

1  Verwaltungsinformatik und eGovernment …

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• Die konzeptionellen Grundlagen sind unzureichend. • Es fehlt an einer verwaltungsebenenübergreifenden Strategie. • Die organisatorischen Auswirkungen werden unterschätzt.

1.2 Die konzeptionellen Grundlagen sind unzureichend Veränderungen in der Gesellschaft und die zunehmende Technisierung sind in vielen (wissenschaftlichen) Beiträgen beschrieben worden. An dieser Stelle und in diesem Sammelwerk ist es daher nicht erforderlich, den breiten Diskurs weiter zu befruchten. Es soll vielmehr der Blick auf die drängenden Themen und konkreten Herausforderungen der Verwaltungen gerichtet werden. Dies fängt bei Grundsätzlichem an. Konferenzen mit Entscheidern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft zu den Themen eGovernment und Digitalisierung bieten wenig Neues und viel Altbekanntes. Nimmt man die Ergebnisse dieser Veranstaltungen als Maßstab für den Grad der IT-technischen Modernisierung der Verwaltung in Deutschland, dann zeigt sich ein zutreffend ernüchterndes Bild: „Vom Staat und seiner Verwaltung her sollte gedacht werden, nicht von einem Technikangebot, für das es verkaufsfördernde Anwendungen zu identifizieren gilt“ (Lenk 2018, S. 219–220). An dieser Stelle soll zunächst definiert und abgegrenzt werden, was eGovernment und Digitalisierung eigentlich sind. Es gilt die Frage zu beantworten, wie sie sinnvoll für eine nutzenstiftende Modernisierung der Verwaltung eingesetzt werden können. Inhaltlich kann auf eine Definition von „Verwaltungsinformatik“ verzichtet werden, da sich Disterer (Kap. 4) im Rahmen dieses Sammelbands sehr dezidiert dieser Aufgabe angenommen hat. Die Abb. 1.1 nimmt eine Einordnung und Abgrenzung der Begriffe eGovernment und Digitalisierung vor. Die Definition nach Lucke/Reinermann ist vermutlich die meist zitierte zum Begriff „eGovernment“ im deutschsprachigen Raum. So eindeutig verhält es sich mit der Definition „Digitalisierung“ nicht. Hier findet man als Ausgangspunkt für eine Definition zumeist die Übertragung analoger in digitale Speicherformen. Dies ist eine sehr allgemeine technische Perspektive und daher im vorliegenden Kontext unbefriedigend. Die oben zitierte Formulierung umfasst die Sachverhalte „Automatisierung“ und „Übernahme von Aufgaben durch Computer“. Diese Definition trifft es derzeit gut, weil die Organisationen vorwiegend Digitalisierungsprojekte umsetzen, die auf diesen Motivlagen basieren. Vereinfacht ausgedrückt wollen Unternehmen durch die Digitalisierungsprojekte Gewinne maximieren und die Verwaltungen das Gemeinwohl steigern. Aus den unterschiedlichen Definitionen lassen sich vor allem drei Unterschiede zwischen eGovernment und Digitalisierung ableiten: Technische Voraussetzungen eGovernment und Digitalisierung unterscheiden sich durch ihre technischen Voraussetzungen. Als das eGovernment zum Ende des letzten Jahrhunderts aufkam, war die

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Definition E-Government: „…die Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (Government) mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechniken über elektronische Medien…“ (Lucke/Reinermann (2002))

Definition Digitalisierung: „Unter Digitalisierung wird die Automatisierung durch Informationstechnologie verstanden. Die von Menschen wahrgenommenen Aufgaben werden von Computern übernommen“ (Hess (2019))

Technische Voraussetzungen

Verwaltungsorientierung

Aufgabenorientierung

Abb. 1.1   eGovernment und Digitalisierung

Informations- und Kommunikationstechnik im Vergleich zu heute völlig unterentwickelt. Die Digitalisierung, über die wir heute sprechen, konnte erst durch die technischen Innovationen und Entwicklungen der letzten Jahre entstehen. Dieser Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen und wird vermutlich andauern. Eine Vorhersage der weiteren Entwicklungen erscheint kaum möglich. Es lässt sich konstatieren, dass, anders als es vielfach in Veröffentlichungen oder Diskussionen getan wird, eGovernment mit Digitalisierung nicht gleichzusetzen ist. Dies lässt sich an den großen Unterschieden zwischen den ersten eGovernment-Initiativen und den ersten Digitalisierungsprojekten in der öffentlichen Verwaltung zeigen. Die eGovernment-Initiativen waren gekennzeichnet von der fast zeitgleichen Einführung des Neuen Steuerungsmodells. Letzteres hat Einfluss auf die Erneuerung der grundlegenden Informations- und Kommunikationstechnik genommen, weil eine technisch-instrumentelle Unterstützung erforderlich wurde. Es stellte sich in vielen Behörden beispielsweise die Frage nach dem Einsatz von ERP-Systemen. Die Stadt Hamburg hat z. B. Mitte der 1990er Jahre mit der Haushaltsmodernisierung begonnen und sich dann Ende des Jahrzehnts für die Einführung von SAP R/3 entschieden (vgl. Coorsen 2009, S. 3). Es ging damals um die grundlegende Erneuerung der Informations- und Kommunikationsinfrastruktur, um die Etablierung von Webseiten, um den Einsatz von Firewalls etc. (vgl. Lucke und Reinermann 2002). Mit diesen Aspekten befasst sich die Digitalisierung überhaupt nicht. Ohne die Vorarbeiten bzw. die Schaffung der technischen Voraussetzungen durch das eGovernment wäre eine Digitalisierung von Behörden heutzutage nicht möglich. Digitalisierung hat nichts mit der IT-technischen Infrastruktur, sondern vor allem mit dem Abbau von (manuellen) Schnittstellen, mit der Automation und der Beschleunigung von Prozessen zu tun. Ein konkreter und exemplarischer Anwendungsfall zur Automation in der öffentlichen Verwaltung findet sich in diesem Sammelwerk

1  Verwaltungsinformatik und eGovernment …

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im Beitrag von Müller/Peper (Kap. 18). In diesen Kontext passen zudem die Beiträge von Buchmann/Brixner (Kap. 10) im Kontext von Big Data und von Geiger/Manner (Kap. 17) zu Predictive Analytics. Verwaltungsorientierung des eGovernments Die eGovernment-Definition konzentriert sich im Gegensatz zur verwendeten Digitalisierungsdefinition auf den Staat und die Verwaltung. Es fällt mit Blick auf die gängigen Beschreibungen von Digitalisierung sehr schwer, sich eine eigene Government-Definition vorzustellen. Grund hierfür ist, dass die Ausgangsformulierung „Übertragung analoger in digitale Speicherformen“ nichts mit dem zugrunde liegenden Geschäftsmodell der jeweiligen Organisation zu tun hat. Daher kann Digitalisierung als Teil von eGovernment spezifiziert werden. Digitalisierung leistet durch Automatisierung und die Übernahme von Aufgaben durch Computer einen Beitrag zur Erreichung der eGovernment Ziele. Dies zeigt sich an den politischen Initiativen und neuen Gesetzen, die erst geschaffen werden mussten, um die Digitalisierung in der Verwaltung „ankommen“ zu lassen. Exemplarisch stehen hierfür die Artikel 91c (Zusammenarbeit im Bereich informationstechnischer Systeme) und 104c (Förderung von Bildungsinfrastruktur). Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass Digitalisierung ein Instrument zur Umsetzung der Ziele des eGovernments ist. Lucke und Reinermann formulierten 2002: „Der Transaktionsbereich von Electronic Government umschließt zudem den Vertrieb von Bescheiden, Dienstleitungen und Produkten öffentlicher Dienststellen (E-Service). Diese Gruppe umfasst elektronische Verwaltungsbescheide, Zulassungen, Lizenzen und Genehmigungen, aber auch elektronische Verwaltungsdienstleistungen (Electronic Service Delivery), den elektronischen Vertrieb von Produkten (Electronic Product Delivery) und Ansätze zum elektronischen Gesetzesvollzug…“ (Lucke und Reinermann 2002, S. 4).

Die beschriebenen Transaktionsbereiche des eGovernments werden heute mittels Digitalisierungslösungen umgesetzt. Aufgabenorientierung der Digitalisierung Die eGovernment-Definition fokussiert sich auf die Abwicklung geschäftlicher Prozesse durch Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik, die Digitalisierungsdefinition auf Aufgaben und Automation. Letztere zielt auf die Substitution menschlicher Arbeit durch Maschinen ab. Dies war zu den Anfangszeiten des eGovernment in dieser Form noch nicht denk- bzw. realisierbar. Es ging um eine prozessuale Unterstützung durch Informations- und Kommunikationstechnik. „Workflows“ waren zu dieser Zeit die neueste technische Entwicklung und setzten sich sukzessive durch. Digitalisierung fokussiert sich stark auf die klassische Aufgabe in einer Organisation. Unter einer Aufgabe kann allgemein die von einem Aufgabenträger wahrgenommene Verrichtung an Arbeitsobjekten zur Erreichung bestimmter Organisationsziele verstanden werden (vgl. z. B. Schulte-Zurhausen 1995, S. 12). Der Aufgabenträger ist eingebunden

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in die Aufbau- und Ablauforganisation. Wirkt sich die Digitalisierung auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung oder die Arbeitsobjekte aus, dann sind damit folglich Konsequenzen für die Aufbau- und Ablauforganisation verbunden. Zwischenfazit Die hier in aller Kürze skizzierten Unterschiede zwischen eGovernment und Digitalisierung verdeutlichen, dass es bei vielen Akteuren an einem konzeptionellen Grundverständnis fehlt. Folgt man obiger Feststellung, dass Digitalisierung ein Bestandteil von eGovernment ist, dann ergeben sich hieraus zahlreiche ungeklärte konzeptionelle Fragestellungen wie z. B. • • • •

Muss eGovernment neu definiert/justiert werden? Welche (instrumentelle) Rolle spielt Digitalisierung im eGovernment? Welchen Nutzen muss Digitalisierung im/für das eGovernment stiften? Gibt es eine „eigene“ „e-Government-Digitalisierung“?

An dieser Stelle soll nur ein Gedanke adressiert werden, der die Notwendigkeit konzeptioneller Überlegungen besonders heraushebt. Geht man von der Gemeinwohlorientierung öffentlicher Verwaltungen aus, dann muss die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung dazu dienen, dass Gemeinwohl in der Gesellschaft zu steigern. Dies kann auf vielfältige Weise geschehen. Durch optimierte Prozesse werden Anträge schneller bearbeitet, durch den Abbau von Schnittstellen können Kosten gesenkt werden usw. Mensching et al. (Kap. 12) gehen in ihrem Beitrag z. B. davon aus, dass Bund, Länder und Kommunen zwischen 30 und 40 % ihrer Kosten durch eine digitale Verwaltung einsparen könnten. Wenn diese Zahlen nur annähernd stimmen, dann wird klar, warum derzeit vor allem die Technikorientierung im Mittelpunkt von Reformvorhaben steht. Eine Technikorientierung berücksichtigt die besondere Governance der öffentlichen Verwaltung, wenn überhaupt, dann bestenfalls unzureichend. Unter Governance im öffentlichen Kontext wird hierbei die „…ganzheitliche Steuerung politisch-gesellschaftlicher Veränderung“ (Damkowski und Rösener 2004, S. 312) verstanden. Die Governance und der aus ihr z. B. resultierende Aufbau der Verwaltung kann durch Digitalisierung nicht einfach ersetzt werden. Es gibt (gute) Gründe für den Aufbau des Staates und seiner Verwaltung in existierender Form. Projekte scheitern daher nicht selten an den Eigenschaften bzw. den Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung. Wenn Technik ohne Strukturierung der Situation eingeführt wird, dann sind Misserfolge zu erwarten (vgl. Lenk 2018, S. 222). Daher ist ein konzeptionelles Fundament erforderlich, um Fehlentwicklungen zu verhindern und Digitalisierung im Government-Interesse wirken lassen zu können.

1  Verwaltungsinformatik und eGovernment …

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1.3 Es fehlt an einer verwaltungsebenenübergreifenden Strategie Empirische Befunde belegen die überschaubare Nutzung von eGovernment-Angeboten in Deutschland (vgl. z. B. Fortiss/Initiative D21 2017). Die Zufriedenheit der Bürger mit diesen Angeboten hat in den vergangenen Jahren sogar noch abgenommen (vgl. z. B. Fortiss/Initiative D21 2017, S. 8). Hierfür gibt es unterschiedliche Gründe. Unbestritten erscheint, dass das Fehlen eines einfach handhabbaren „Single-Sign-On“ bzw. eines einfachen/praktischen Zugangs in Deutschland ein großes Hindernis darstellt. Die Lösung über den elektronischen Personalausweis bzw. mittels eines Lesegerätes ist einfach nicht praktikabel. Wie es anders geht, zeigt der Beitrag von Riedel (Kap. 2), der die Ansätze anderer Länder zusammengefasst hat und Empfehlungen für Deutschland ausspricht. Als CIO der Stadt Hamburg und als Mitglied des IT-Planungsrats ist er für diesen Impuls besonders prädestiniert. Es existieren zahlreiche „Digitalisierungsstrategien“ für den Bund, die Bundesländer und die Kommunen. Sie weisen unterschiedliche Schwächen auf, die von politischen Konsensdokumenten zu erwarten sind. Ein auffallender Schwachpunkt ist, dass viele „Strategien“ sehr unkonkret sind. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass sich hierdurch einfacher ein Einvernehmen über den jeweiligen Inhalt herstellen ließ. Die geltende (strategische) Managementlehre steht unkonkreten Strategien aus vielen Gründen sehr kritisch gegenüber. An dieser Stellte sei an Peter Drucker erinnert, dem folgende Aussage zugeschrieben wird: „You can’t manage, what you can’t measure“. Der besondere Kontext von Strategielücken im öffentlichen Sektor wird in diesem Sammelwerk von Deckert (Kap. 7) erläutert. Er geht hierbei im Besonderen auf die Problematik unkonkreter Strategien bzw. Strategieelemente ein. Es verwundert daher nicht, dass es in vielen Fällen an Umsetzungs- und Maßnahmeplänen fehlt. Analysiert man die wenigen existierenden Dokumente, dann fallen drei wesentliche Sachverhalte auf, die einen Erfolg von Digitalisierungsprojekten gefährden: 1. Fehlende Priorisierung Die Auswahl von Maßnahmen bzw. Vorhaben erfolgt willkürlich. Es findet sich keine Präzisierung/Beschreibung, warum einzelne Initiativen/Vorhaben/Projekte gestartet werden sollen. Dies ist vermutlich auf einen opportunistischen Auswahlprozess zurückzuführen. Vorhaben werden z. B. dort gestartet, wo eine Umsetzung einfach gelingen kann, wo Ressourcen bereits vorhanden sind oder wo ein Digitalisierungserfolg schnell erzielbar ist. Von einer strategischen Ableitung sinnvoll umzusetzender Online-Angebote kann daher nicht gesprochen werden. Dies ist vielleicht ein Grund dafür, warum die Angebote in Deutschland unzureichend angenommen werden. Bei einer strategischen Priorisierung müsste der Kunde der Verwaltung, d. h. die Gesellschaft/der Bürger in den Mittelpunkt gestellt werden. Denn ohne einen Mehrwert für die Bürger ist Digitalisierung nicht umsetzbar (vgl. z. B. Behördenspiegel 2019, S. 3).

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Folgt man methodischen Ansätzen wie z. B. dem „Design-Thinking“ oder dem Agilen Projektmanagement, dann ist der Bedarfsträger/Kunde unabdingbar einzubeziehen. Bei einer opportunistischen Auswahl von Digitalisierungsvorhaben unterbleibt dieser sinnvolle und notwendige Einbezug. Grundsätzlich ist diese Vorgehensweise legitim und vielleicht sogar der einzig erfolgversprechende Ansatz in der öffentlichen Verwaltung. Es besteht sonst die Gefahr, dass mögliche Vorhaben durch politische Abstimmungen/Prozesse zeitlich verzögert, gar nicht oder mit politischer Schwerpunktsetzung gestartet werden. Ein Indikator dafür, dass es vielleicht gar nicht anders geht, ist die Auswahl der 575 Verwaltungsleistungen, die bis zum Jahr 2022 gem. Onlinezugangsgesetz verfügbar sein sollen: „Vielmehr soll in einem ersten Schritt pragmatisch der Rahmen der umzusetzenden Leistungen abgesteckt werden, die in den Geltungsbereich des OZG fallen“ (Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 2018, S. 7). Ein pragmatischer Ansatz ist keine Priorisierung auf Basis des Kundenbedarfs. 2. Fehlende Ressourcen In den Strategiedokumenten finden sich nur wenige Hinweise über den benötigten Ressourcenbedarf. Bekanntermaßen sind die Ressourcenausstattungen im Bund, in den Ländern und in den Kommunen sehr unterschiedlich. Auf kommunaler Ebene können Digitalisierungsvorhaben in vielen Fällen schon gar nicht initiiert werden, weil es an den finanziellen Voraussetzungen fehlt, wie Lasar (Kap. 8) es in seinem Beitrag über die besonderen Herausforderungen der Kommunen eindrücklich schildert. Selbst wenn ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen würden, dann fehlt es am Markt an den notwendigen externen Unterstützungskapazitäten. Zum einen waren z. B. geeignete Programmierer und Entwickler schon immer ein knappes Gut. Zum anderen werden sie derzeit von den Unternehmen nahezu aller Branchen nachgefragt. Die Verwaltung befindet sich als Nachfrager auf einem Verkäufermarkt und kann im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft nicht die besten Angebote unterbreiten/ die besten Konditionen bieten. Neben den externen Ressourcen sind für eine ziel- und bedarfsgerechte Lösungsentwicklung vor allem die internen Managementressourcen der öffentlichen Verwaltung gefragt. Es bedarf einer Scharnierfunktion zwischen den internen Fachbereichen und der (externen) Lösungsentwicklung. Nur so kann zum einen sichergestellt werden, dass die Externen mit der notwendigen Verwaltungsexpertise versorgt werden. Zum anderen kann nur ein stringentes Projektmanagement/Projektcontrolling der Verwaltung einen Projekterfolg selbst gewährleisten. Die hierfür benötigten Managementressourcen und Kompetenzen waren in der Verwaltung schon immer knapp. Diese Knappheit hat sich aufgrund der demografischen Entwicklung in den Verwaltungen und den unterlassenen (Bildungs-) Investitionen in das vorhandene Personal deutlich verschärft. Kösters (Kap. 3) geht in seinem Beitrag z. B. davon aus, dass es zu einem automatischen Verwaltungs- und Bürokratieabbau aufgrund fehlender Ressourcen kommen wird. Wie sollen da komplexe Projekte in den Verwaltungen erfolgreich abgewickelt werden können?

1  Verwaltungsinformatik und eGovernment …

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Die vorhandene Lücke könnte grundsätzlich durch externe Beratung geschlossen werden. Sie kann für alle Organisationen der privaten und öffentlichen Verwaltung unterstützend wirken. Insbesondere in Bereichen, in denen die Verwaltung keine Kompetenz hat oder das dauerhafte Vorhalten der Kompetenzen nicht wirtschaftlich ist, kann der Einsatz externer Unternehmen sinnvoll sein. Gleichwohl darf bei Modernisierungsvorhaben der Verwaltung die interne Steuerungsfunktion nicht aus der Hand gegeben werden. Das Wachstum der Beratungsunternehmen und ihr teils zu beobachtender Habitus (wie z. B. bei der Bundeswehr, vgl. z. B. Becker 2019) sind in diesem Kontext kritisch mitzudenken. 3. Fehlende Abstimmung Jede Verwaltung hat spezifische Aufgaben und Funktionen, die sich aus der Rechtsordnung ergeben, die in Deutschland vom Subsidiaritätsprinzip bestimmt wird. Im Kontext der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wird zwischen exogenen und endogenen Zielen unterschieden. Exogene Ziele werden vom jeweiligen Träger von außen vorgegeben. Es handelt sich um politische Entscheidungen, die die Angelegenheiten des Gemeinwesens regeln. Sie dienen der Wohlfahrtssteigerung in der Gesellschaft. Aus den exogenen Zielen werden i. d. R. endogene Ziele abgeleitet. In der Theorie ergeben sie sich unmittelbar aus dem Willen des jeweiligen Trägers bzw. in Fortführung seiner Anforderungen an die jeweilige Organisation/Behörde. Die endogenen Ziele dienen der notwendigen Operationalisierung in der öffentlichen Verwaltung. Durch sie wird klar, was die Verwaltung inhaltlich tut (tun sollte). Die Abb. 1.2 gibt einen Überblick über den Zusammenhang. Deckert (Kap. 7) arbeitet in seinem Beitrag heraus, warum es an verschiedenen Stellen des dargestellten Modells zu Unzulänglichkeiten in der Ziel- und Aufgabenbestimmung kommt. Unabhängig von diesen Herausforderungen wird mit Blick auf die Abbildung folgendes deutlich:

Rechtsordnung

Subsidiaritätsprinzip Exogene Ziele und Aufgaben

Oberste Ziele: Von den Vertretungskörperschaften bestimmt Öffentliche Aufgaben: Erstellung öffentlicher Güter Vorgabe eines Ziels und einer Aufgabe (öffentlicher Auftrag)

Endogene Ziele und Aufgaben

Auflösung in Ziele und Aufgaben der Verwaltung

Abb. 1.2   Zusammenhang von Rahmenbedingungen und Aufgaben der Verwaltung. (Eigene Darstellung in Anlehnung an Brede 2005, S. 20)

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• Die Rechtsordnung gilt für alle und bestimmt den juristischen Rahmen. • Die exogenen Ziele und Aufgaben können sich zwischen Gebietskörperschaften unterscheiden, aber nur im Rahmen der geltenden Rechtsordnung. • Die endogenen Ziele und Aufgaben leiten sich aus den exogenen Zielen ab. Ansonsten würde eine Verwaltung nicht das umsetzen, was ihr von der Legislative aufgetragen wurde. Was bedeutet das für Vorhaben/Projekte des eGovernments/der Digitalisierung? Dies lässt sich anhand eines einfachen Beispiels erläutern: Durch die Rechtsordnung ist grundsätzlich festgelegt, welche Aufgaben von welcher Gebietskörperschaftsebene (Bund, Land, Kommunen) zu erfüllen sind. Ein Bundesland kann z. B. mittels Landtagsbeschluss bestimmen, dass die innere Sicherheit gestärkt werden soll (d. h. Erstellung des öffentlichen Gutes). Hierzu bedarf es der Einstellung und Ausbildung von Polizisten (d. h. Vorgabe eines exogenen Ziels/des öffentlichen Auftrags). Dieser öffentliche Auftrag wird im Folgenden von der Polizeihochschule des Landes in ein endogenes Ziel d. h. in konkrete Ausbildungsaufgaben übersetzt. Wie viele Polizisten und wo sie ausgebildet werden, macht für eGovernment/Digitalisierung keinen Unterschied. eGovernment/Digitalisierung kennt keine föderalen Strukturen und Zwänge. Im Sinne obiger Definition der beiden Begriffe geht es um die Abwicklung geschäftlicher Prozesse bzw. die Automatisierung der Verwaltung. Sinnvoll wäre es daher, länderübergreifend polizeiliche Prozesse zu automatisieren, damit dem fehlenden Personalbedarf entgegengewirkt werden kann. Fehlende „Verfahrensstraßen“ (Durchgängigkeit von Informationen) zwischen den Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen waren ein wesentlicher Grund für das Chaos während der Flüchtlingskrise (vgl. Bogumil et al. 2016). Gebietskörperschaftsbezogene Digitalisierungsstrategien erscheinen daher wenig sinnvoll. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich bei den Strategiepapieren eher um Symbolpolitik handelt. Spricht man mit Praktikern aus den Verwaltungen, dann bestätigt sich dieser Eindruck. Dies wäre eine Enttäuschung, da eGovernment/Digitalisierung ein unbestrittenes Potenzial zur Steigerung der Effizienz und der Effektivität des Verwaltungshandelns haben. Daher wäre es besonders sinnvoll, die Binnenmodernisierung der Verwaltung voranzutreiben, wie es Weiß (Kap. 6) in seinem Beitrag anschaulich beschreibt. Es geht nicht um das infrage stellen des Föderalismus. Sturm/Theißing (Kap. 14) liefern in ihrem Beitrag ein anschauliches und erfolgreiches Beispiel dafür, wie eine Zusammenarbeit funktionieren kann bzw. sollte. Es geht um die richtige Prioritätensetzung und den wirtschaftlichen Einsatz von knappen Ressourcen. Riedel (Kap. 2) führt in seinem Beitrag z. B. aus, dass der Erfolg Estlands im Rahmen der Digitalisierung auf das Motto „Proud to copy“ basiert. Es ließen sich auch die (finanzschwachen) Kommunen in ein strategisches Vorgehen mit einbinden. Ist es z. B. wirklich sinnvoll, wenn die über 2000 Städte in Deutschland eigene Apps (wie vielerorts schon geschehen) entwickeln (lassen) und einführen?

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Die Notwendigkeit einer übergreifenden Abstimmung/Koordination wurde an verschiedenen Stellen erkannt. Symbolisch für diese Entwicklung stehen die Änderung des Artikels 91c des Grundgesetzes und die Etablierung des IT-Planungsrats auf Bundesebene. Auch an anderen Stellen lässt sich ein koordiniertes und länderübergreifendes Vorgehen im Bereich eGovernment/Digitalisierung ausmachen. Bizer (Kap. 9) führt in seinem Beitrag für diesen Sammelband z. B. aus „Bund, Länder und Kommunen stehen so in ihren heterogenen föderalen Strukturen unter Handlungsdruck und unter dem Zwang zur Kooperation“. Des Weiteren erläutert er in seinem Beitrag für diesen Sammelband entsprechende Anwendungsfälle. Bundesländerübergreifende IT-Dienstleister, wie z. B. die Firma Dataport (u. a. Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Bremen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern) und die interkommunale Zusammenarbeit, wie z. B. die Kommunale IT-UNION eG (KITU) oder der Zweckverband Kommunale Informationsverarbeitung Sachsen (vgl. eGovernment Computing 2019, S. 1), entfalten eine sinnvolle und notwendige institutionelle Konvergenz. Zwischenfazit Es geht bei eGovernment/Digitalisierung um die Abwicklung geschäftlicher Prozesse bzw. die Automatisierung der Verwaltung. Daher kann es keine Unterschiede im Umsetzungsbedarf zwischen Bund, Land und Kommunen geben. Was fehlt, beschreiben Krimmer/Parycek wie folgt: „Der deutschen Verwaltung fehlen bislang Leitprinzipien der Digitalisierung, eine positiv besetzte Vision der digitalen Verwaltung und eine Dachmarke für die strategische Gesamtausrichtung der Reformbemühungen“ (Krimmer und Parycek 2017, S. 25). Daher bedarf es einer verwaltungsebenenübergreifenden Strategie, die Folgendes umfassen sollte: 1. Es bedarf der Fokussierung der Strategie auf den Bürger als einen Kunden, weil er nur einmal existiert. Es bedarf der Priorisierung von Maßnahmen und Vorgehensweisen, die aufeinander abgestimmt sind und föderale Grenzen im Sinne der einen Kundenorientierung unbeachtet lässt. Bizer (Kap. 9) liefert in seinem Beitrag erste Ansatzpunkte und Anwendungsfälle. 2. Die Strategie sollte darauf abzielen, die interkommunale und die länderübergreifende Zusammenarbeit zu fördern. Hierdurch könnten erhebliche Ressourcen eingespart und die Kommunen sinnvoll beteiligt werden.

1.4 Die organisatorischen Auswirkungen werden unterschätzt Derzeit laufen viele Projekte/Vorhaben zur Digitalisierung der Verwaltung bzw. zur klassischen Umsetzung von eGovernment. Diesen Aktivitäten ist gemein, dass sie sich kaum mit den organisatorischen Konsequenzen (grundlegender Natur) befassen. Einen fundierten Überblick über diesen Themenkomplex liefert in diesem Sammelwerk der Jahn/ Knabel/­Schmidt (Kap.  15).

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Über die Gründe, warum die organisatorischen Konsequenzen zu wenig beleuchtet werden, kann nur spekuliert werden. Vielleicht haben die Projekte/Vorhaben nur einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Aufbau- und Ablauforganisation der Verwaltungen, wie man sich das z. B. bei einer städtischen App mit reinem Informationscharakter vorstellen könnte. Vielleicht fokussiert man sich zu sehr auf die unmittelbar mit dem Projekt/Vorhaben verbundenen Auswirkungen und Maßnahmen (z. B. Schulung der Beschäftigten). Es existiert ein Delta zwischen dem Ist und dem notwendigen Zukunftsbild der Aufbau- und Ablauforganisation, das zu entsprechenden Konsequenzen führen kann. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das Scheitern des Großprojekts „ROBASO“ der Bundesagentur für Arbeit. Die Projektergebnisse waren „…zu unflexibel, um den Praxis-Anforderungen gerecht zu werden“ (Kannenberg 2017). In diesem Abschnitt soll am Beispiel des Blockchain-Einsatzes in der öffentlichen Verwaltung gezeigt werden, welche fundamentalen Veränderungen den Organisationen noch bevorstehen. Blockchain ist in der öffentlichen Verwaltung national bisher kaum verbreitet und befindet sich international in vielen Fällen erst in Versuchsstadien (vgl. z. B. Heuermann et al. 2018; vgl. z. B. Welzel et al. 2017, S. 18). Einen Anwendungsfall aus Südtirol haben Fischer/Gasslitter (Kap. 11) zu diesem Sammelwerk beigetragen. Besonders interessant ist, welche großen Herausforderungen im Vorfeld des Projekts zu bewältigen waren. Im Folgenden wird zum besseren Verständnis in aller Kürze auf die Eigenschaften/ Funktionen der Blockchain und der Digitalwährung Bitcoin eingegangen. Dies ist erforderlich, um nachfolgend die Auswirkungen auf die Aufbau- und Ablauforganisationen der öffentlichen Verwaltung einordnen zu können. Eine Blockchain ist eine erweiterbare Liste von Datensätzen, die als Blöcke (daher der Name) bezeichnet werden. Das Prinzip basiert auf sog. „Hashfunktionen“ (deutsch: Streuwertfunktionen), die eine Eingabemenge an Daten/Werten in eine kleinere Zielmenge verteilen/differenzieren. Eine Blockchain ist daher eine Verkettung fortgeschriebener Datenblöcke. Der Hash eines vorhergehenden Datensatzes wird zur Sicherung bzw. Authentifizierung verwendet. Der Nutzen entsteht dadurch, dass sich Transaktionen aneinander „ketten“ und damit aufeinander aufbauend als sicher gelten. Hierdurch können Daten nicht nachträglich geändert werden, ohne die Integrität des gesamten Systems infrage zu stellen. Eine Manipulation der Daten wird dadurch nahezu unmöglich. Durch die Anwendung digitaler Signaturen werden Informationen in der Blockchain gespeichert, die nachweisen, dass z. B. ein bestimmter Anwender Daten hinterlegt oder angepasst hat. Dies ähnelt dem Prinzip von Buchungstempeln in ERP-Systemen, die über die Kennung des Nutzers nachweisen können, welcher Benutzer z. B. welchen Beleg zu welchem Zeitpunkt gebucht hat. Blockchain kann seine Stärken vor allem dann ausspielen, wenn Daten auf verteilten Systemen („Peer-to-Peer“) gehalten/verarbeitet werden. Die Digitalwährung Bitcoin nutzt die Blockchain zur sicheren Übertragung zwischen allen teilnehmenden

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­ echnern. Alle bestätigten Bitcoin-Transaktionen werden in der Blockchain gespeichert. R Die Integrität und die chronologische Reihenfolge der Blockchain werden dabei durch Kryptographie sichergestellt. Die in aller Kürze erläuterten Inhalte lassen sich auf drei Sachverhalte zuspitzen, die bei einem Einsatz von Blockchain in der öffentlichen Verwaltung die Auf- und Ablauforganisation fundamental verändern werden: 1. Fälschungssicherheit Die Hash-Funktion in Verbindung mit weiteren Eigenschaften der Blockchain (z. B. der digitalen Signatur) machen sie fälschungssicher. Verschiedene Akteure können daher miteinander agieren (z. B. handeln, bezahlen) ohne Angst haben zu müssen, dass sich Verhandlungs-/Vertragspartner hinter einer falschen Identität verbergen. Die Blockchain gilt als sicher vor Manipulationen. 2. Zahlungsmittelübertragung Bitcoin (und auch andere Digitalwährungen) beweisen, dass die Zahlungsmittelübertragung mittels Blockchain sicher möglich ist. Das Prinzip hat sich mittlerweile über Jahre bewährt, Sicherheitsprobleme sind bisher nicht bekannt und weitere Kryptowährungen nutzen dieselben Prinzipien. 3. Intermediationsverzicht Intermediation bedeutet im Allgemeinen die Vermittlung zwischen verschiedenen Parteien. Die bekannteste Funktion ist die des Notars. Er stellt z. B. sicher, dass Verkäufer und Käufer bei einer Immobilienübertragung physisch zusammenkommen und die Vertragsleistungen übergeben werden. Auf Intermediation kann durch Blockchain verzichtet werden, weil die Vertragsparteien auch ohne den Vermittler sicher interagieren können. Die Abb. 1.3 gibt einen Überblick darüber, wie sich die drei Sachverhalte beispielhaft auf die Verwaltungen und die Aufbau- und Ablauforganisationen auswirken werden. Es besteht ein hohes Potenzial zur Steigerung der Effizienz und Effektivität in der öffentlichen Verwaltung mittels Blockchain (vgl. z. B. Welzel et al. 2017). Durch die Kombination der drei Sachverhalte können in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland (vorsichtig geschätzt) mehrere zehntausende Arbeitsplätze eingespart werden. Gasslitter/Fischer (Kap. 11) gehen in ihrem Beitrag sogar von einer Reduktion des Verwaltungsaufwands von rund 50 % aus. Grund hierfür ist, dass die Intermediationsfunktion entfallen kann. Ein Großteil der Arbeit der Verwaltung ist Intermediation: z. B. Antragsbearbeitung, Registerführung. Wenn man sich alleine das Antrags- und Auszahlungswesen der Sozialversicherungsträger vor Augen hält, dann werden die enormen Potenziale deutlich. Neben dem Wegfall von Arbeitsplätzen, der das Nachwuchsproblem in den öffentlichen Verwaltungen lindern könnte, existieren weitere Potenziale. Diese werden nachfolgend nur kurz beschrieben, um zu verdeutlichen, welche Auswirkungen sich auf die Aufbau- und Ablauforganisation ergeben:

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Fälschungssicherheit Intermediationsverzicht

Zahlungsmittelübertragung

Beispielhafte Auswirkungen auf die öffentliche Verwaltung Arbeitsplätze

Qualität

Bearbeitungszeit

Korruption

Kosten

Auswirkungen auf die Aufbau- und Ablauforganisation

Ressourcenbedarfe

Formale Regeln

Hierarchie

Kundenkontakt

Rollen, Profile, Kompetenzen

Abb. 1.3   Auswirkungen von Blockchain und Bitcoin auf die Organisation

• Qualitätsversbesserungen Durch die Fälschungssicherheit der Blockchain steigt die Qualität der Informationsverarbeitung. Hierdurch werden bisherige Qualitätsprüfungen/Qualitätssicherungen in den Verwaltungen überflüssig. Die typischen 4–6 Augen-Prüfungen könnten entfallen oder zumindest reduziert werden. • Zeitersparnisse Durch Blockchain kommt es sowohl auf Antragsteller, als auch auf Antragsbearbeitungsseite zu erheblichen Zeiteinsparungen. Das persönliche Vortragen eines Anliegens kann entfallen und die Bearbeitung erfolgt elektronisch und nicht mehr persönlich. • Korruptionsprävention Für die Korruptionsprävention und die Aufdeckung sog. „Doloser Handlungen“ existieren in der öffentlichen Verwaltung Organisationseinheiten (z. B. Rechnungshöfe, Innenrevision) und umfangreiche formale Regelungen. Die Blockchain kann in diesen Bereichen bereits präventiv sicherstellen, dass geltende Regeln eingehalten werden. • Kosteneinsparungen Neben dem Wegfall von Arbeitsplätzen sind weitere (Folge-)Kosteneinsparungen offensichtlich. Durch Personaleinsparungen können die hohen Pensionslasten zumindest sehr langfristig abgefedert und laufende Kosten reduziert werden (z. B. Miete). Kurzfristiger wären z. B. die hohen Kosten des Bargeldhandlings in den Verwaltungen reduzierbar, wenn auf eine Kryptowährung umgestellt werden würde.

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Fasst man die vorgenannten Auswirkungen des Einsatzes von Blockchain zusammen, dann wird klar, dass Qualitätsverbesserungen dazu führen werden, dass eine geringere Anzahl an Führungs-/Genehmigungspersonal erforderlich sein wird und zugehörige Prozesse obsolet werden. Die Zeitersparnisse resultieren u. a. aus dem Entfall des persönlichen Kontaktes. Personalressourcen können eingespart werden und die Arbeitsanforderungen verändern sich dahin gehend, dass eine höhere digitale Kompetenz notwendig wird. Im Bereich der Korruptionsprävention können Regelungen vereinfacht/ abgeschafft/verändert werden, was Bürokratie abbaut, hierarchische Strukturen verschlankt und die Tätigkeiten der betroffenen Organisationseinheiten (z. B. Rechnungshöfe, Innenrevision) nicht nur reduziert, sondern auch inhaltlich stark verändert. Durch Kosteneinsparungen ist z. B. abzusehen, dass sich die Rolle/Funktion des Finanzmanagements gravierend verändern wird. Es geht nicht mehr um Finanzverwaltung sondern um Kostensenkung/Sanierung, was z. B. hohe/andere Anforderungen an die Rolle des Beauftragten für den Haushalt stellen wird. Diese Ausführungen verdeutlichen die potenziellen Auswirkungen auf die Aufbauund Ablauforganisationen: 1. Ressourcenbedarfe werden sinken 2. Formale Regeln werden reduziert 3. Hierarchie wird abgebaut 4. Kundenkontakt wird neu justiert 5. Rollen, Profile und Kompetenzen der Beschäftigten verändern sich Die vertikale Koordination der Verwaltungsstrukturen, in Deutschland fast überall durch hierarchisch geprägte Stablinienorganisationen realisiert, wird durch die skizzierten Auswirkungen in ihren Grundfesten erschüttert. Regeln müssen überarbeitet, Zusammenarbeit muss neu gedacht, Hierarchie muss neu organisiert werden usw. Daher sollte grundsätzlich jedes Digitalisierungsprojekt mit einem Organisationsprojekt einhergehen, wie es auch der Beitrag von Jahn/Knabel/Schmid (Kap. 15) herausstellt. Bezogen auf den Einsatz der Blockchain sollte noch weiter gedacht werden: „Die Blockchain ist Angriff auf und Chance für den öffentlichen Sektor zugleich. War die Digitalisierung bisher dadurch gekennzeichnet, dass altbekannte Vorgänge beschleunigt und effizienter ausgestaltet wurden, so greift die Blockchain gewachsene öffentliche Strukturen an. Bisher staatlich organisierte Funktionen zur Interaktion können privat organisiert werden, was eine neue Positionierung des Staates erfordert. Zugleich bietet die Blockchain technologische Ansätze, die der öffentliche Sektor nutzen kann, um mehr Transparenz und Vertrauenswürdigkeit in Verwaltungsprozessen herzustellen“ (Welzel et al. 2017, S. 5).

Zwischenfazit Der hier geschilderte Beispielfall des potenziellen Blockchaineinsatzes verdeutlicht die großen Herausforderungen, vor denen die Verwaltungen bei der Umsetzung der Vorhaben im Bereich der Digitalisierung stehen. Sie sind sich diesen oftmals nicht bewusst.

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Das liegt zum einen wahrscheinlich daran, dass vorwiegend die technische Machbarkeit im Mittelpunkt steht (vgl. Lenk 2018). Zum anderen „stolpern“ viele Verwaltungen aufgrund fehlender konzeptioneller Grundlagen und unzureichender Strategien in die Digitalisierung hinein. Es wird während der Projektlaufzeiten alles getan, um die Projekte zum Erfolg zu führen. Die Anpassung von Strukturen und die Organisations(weiter-)entwicklung geraten hierdurch schnell aus dem Fokus.

1.5 Warum ein neues Paradigma? Nachfolgend leiten sich acht Gründe aus diesem Beitrag ab, die für ein neues Paradigma im Kontext von Verwaltungsinformatik, eGovernment und Digitalisierung sprechen: 1. Weil die Verwaltungsinformatik unterrepräsentiert ist. Die bisherigen Aktivitäten werden bestimmt vom technisch Möglichen, aber nicht vom inhaltlich sinnvollen. „Die wichtigste Bedingung für das sinnvolle Zu-Ende-Bauen von E-Government ist die Abkehr von einer technikzentrierten Betrachtungsweise zugunsten einer technisch informierten verwaltungspolitischen Sicht“ (Lenk 2018, S. 220). Daher sollte die wissenschaftliche Disziplin der Verwaltungsinformatik an einem entsprechenden Diskurs beteiligt werden bzw. diesen führen. Mit Blick auf die überschaubare Anzahl entsprechender Lehrstühle und Aktivitäten (vgl. von Lucke 2018) bleibt derzeit fraglich, ob der erforderliche Input geleistet werden kann. 2. Weil das Personal intern und extern fehlt. Für die Umsetzung sinnvoller IT-Projekte in den Verwaltungen fehlt das Personal sowohl intern, als auch extern. Damit erhöht sich die Gefahr des Projektscheiterns. Um dies zu vermeiden ist es notwendig, zu priorisieren und sich verwaltungs(ebenen)­ übergreifend abzustimmen. Letzteres ist bisher lediglich in Ansätzen erkennbar. Clasen (Kap. 19) blickt in seinem Beitrag für dieses Sammelwerk auf die von ihm gemachten Erfahrungen bei der Firma SAP und bei der Bundeswehr zurück. Aus diesen Erfahrungen lassen sich Hinweise für die Motivation der Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung in komplexen Situationen ableiten. 3. Weil konzeptionelle Grundlagen ungeklärt sind. Es fehlt an einer klaren Vorstellung dessen, was mit eGovernment/Digitalisierung erreicht werden soll. Stellt man den Kunden, d. h. den Bürger, in den Mittelpunkt der Überlegungen, dann kommt man ganz schnell zu grundsätzlicheren Fragestellungen. Bevor man eine Leistung des Staates „digitalisiert“, sollte z. B. zunächst die Frage gestellt werden, ob diese Leistung in der existierenden Form weiterhin angeboten werden sollte/muss.

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4. Weil die Verwaltungen überfordert werden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass viele Verwaltungen mit den Projekten vor große Herausforderungen gestellt werden. Fehlendes Know-how lässt sich kaum ­kompensieren und Investitionen in das eigene Humankapital tragen erst zeitversetzt Früchte. Es bedarf einer ehrlichen Analyse dessen, was tatsächlich sinnvoll geleistet werden kann. 5. Weil es an einer ganzheitlichen Strategie bedarf. Auch ohne Strategie werden viele Projekte sicherlich Ergebnisse liefern. Gleichwohl werden sie Insellösungen bleiben, die eine ganzheitliche (Neu-)Ausrichtung der Verwaltung nur bedingt unterstützen. Eine ganzheitliche Strategie ist darüber hinaus erforderlich, um die Technikzentrierung abzulösen. Dies kann dann gelingen, wenn sich die Strategie am verwaltungspolitisch Sinnvollen ausrichtet. 6. Weil Doppelarbeiten geleistet werden. Bereits heute werden an vielen Stellen Doppelarbeiten geleistet. Dies wird z. B. deutlich, wenn man die kommunalen Aktivitäten betrachtet. Fast jede Stadt hat eine eigene App, fast jede Stadt hat eine eigene Homepage usw. Zieht ein Bürger von einer Kommune in eine andere, dann muss er damit rechnen, dass er die Informationen auf der Homepage am neuen Wohnort nicht/nicht an gleicher Stelle/in anderer Form wiederfindet. Es werden Doppelarbeiten am Bedarf des Kunden vorbei geleistet. 7. Weil ein Teil der Rendite Dritte abschöpfen. Es ist offensichtlich, dass Unternehmen, die (IT-) Dienstleistungen und Hardware anbieten, die großen Profiteure der Entwicklungen sind. So wie beim Goldrausch die Verkäufer der Ausrüstungsgegenstände für die Goldsucher die großen Gewinner waren. Dies ist nicht verwerflich, da der Kunde die Leistungen nachfragt. Gleichwohl sollte sich die Verwaltung dieser Situation bewusst sein, um die gut gemeinten Ratschläge aus der Wirtschaft richtig einzuordnen. 8. Weil die Governance der öffentlichen Verwaltung nicht (einfach) digitalisierbar ist. Die öffentliche Verwaltung ist kein Unternehmen. Es fehlen die elementaren Eigenschaften der Privatwirtschaft (z.  B. die Gewinnerzielungsabsicht). Kazmierski (Kap. 5) spricht in seinem sehr interessanten Beitrag über die Beharrungskräfte der öffentlichen Verwaltung von einer „Oase“, die sich die Verwaltung auch noch selbst gestalten kann. Da es an klassischen Eigenschaften der Privatwirtschaft fehlt, kann ein „Produktionsprozess“ der Verwaltung auch nicht einfach so digitalisiert werden. Dies negieren viele Akteure mit dem Hinweis darauf, dass einfach nur Dienstleistungen erbracht werden. Gerade hieran scheitern aber Projekte, weil in der Detailarbeit deutlich wird, wie komplex bestimmte Aufgaben der öffentlichen Verwaltung sind und wie schwer sich das Gesamtsystem steuern lässt.

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Literatur Becker S (2019) Accenture und das Verteidigungsministerium, Berater brüstete sich im Blog mit Kontakten in die höchste Ebene. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/accenture-berater-bruestete-sich-mit-guten-kontakten-zur-bundeswehr-a-1249923.html. Zugegriffen: 24. Apr. 2019 Behördenspiegel (2019) München plant Digitalisierungsstrategie. In: Behördensiegel Newsletter, Nr. 942, Berlin, Bonn, 17. April 2019 Bogumil J, Hafner J, Kuhlmann S (2016) Verwaltungshandeln in der Flüchtlingskrise, Die Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder und die Zukunft des Verwaltungsvollzugssystems Asyl. Verwalt Manag 3(2016):126–136 Brede H (2005) Grundzüge der Öffentlichen Betriebswirtschaftslehre, 2. überarbeitete u. verbesserte Aufl. Oldenbourg, München Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2018) OZG-Umsetzungskatalog, Digitale Verwaltungsleistungen im Sinne des Onlinezugangsgesetzes, 1. Auflage, Version 0.98. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Berlin Bundesministerium für Bildung und Forschung (2018) Die High-Tech-Strategie 2025. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berlin Coorsen H-H (2009) Zehn Jahre SAP in Hamburg, eine (Zwischen-)Bilanz. Präsentationsunterlage, Hamburg Damkowski W, Anke R (2004) Good Governance auf der kommunalen Ebene. Verwalt Manag 6(2004):311–316 eGovernment Computing (2019) Kommunen arbeiten bei eGovernment zusammen, Sachsen plant Gründung einer kommunalen IT GmbH, Nr. 05/2019, Augsburg Fortiss/Initiative D21 (2017) eGovernment Monitor 2017, Berlin Hess T (2019) Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik, Online Lexikon, Begriff „Digitalisierung“. http://www.enzyklopaedie-der-wirtschaftsinformatik.de/wi-enzyklopaedie/lexikon/technologien-methoden/Informatik–Grundlagen/digitalisierung/. Zugegriffen: 19. Sept. 2019 Heuermann R, Tomenendal M, Jürgens C (2018) Wirkungen und Erfolge der Digitalisierung. In: Heuermann R, Tomenendal M, Jürgens C (Hrsg) Digitalisierung in Bund, Ländern und Kommunen. Springer Gabler, Berlin, S 215–268 Kannenberg A (2017) 60 Millionen Euro versenkt: Bundesagentur für Arbeit stoppt IT-Projekt ROBASO. https://www.heise.de/newsticker/meldung/60-Millionen-Euro-versenkt-Bundesagentur-fuer-Arbeit-stoppt-IT-Projekt-ROBASO-3627866.html. Zugegriffen: 26. Apr. 2019 Krimmer R, Parycek P (2017) Strategische Ausrichtung. In: Die Digitale Transformation der Verwaltung, Empfehlungen für eine gesamtstaatliche Strategie. Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh, S 25–27 Lenk K (2018) Verwaltungsinformatik in der Zeit nach E-Government. Verwalt Manag 5(2018):217–225 Schulte-Zurhausen M (1995) Organisation. Vahlen, München von Lucke J (2018) Treiber, Ratgeber, Meinungsmacher. In: Heuermann R, Tomenendal M, Jürgens C (Hrsg) Digitalisierung in Bund, Ländern und Kommunen. Springer Gabler, Berlin, S 153–214 von Lucke J, Reinermann H (2002) Electronic Government in Deutschland, 2. unveränderte Aufl., Bd 226. Speyer Forschungsberichte, Worms Welzel C, Eckert K-P, Kirstein F, Jacumeit V (2017) Mythos Blockchain: Herausforderung für den öffentlichen Sektor. Fraunhofer FOKUS, Berlin

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Prof. Dr. Andreas Schmid  ist Professor für Public Management und Verwaltungshandeln in der Abteilung Wirtschaftsinformatik der Hochschule Hannover. Er ist promovierter Politikwissenschaftler und war viele Jahre als Unternehmensberater im In- und Ausland tätig. Prof. Schmid leitet den Studiengang Verwaltungsinformatik und arbeitet u. a. als Auditor für IT-Projekte.

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Identitäten als Schlüsselfaktor für medienbruchfreie digitale Prozesse Jörn Riedel

Zusammenfassung

Identitäten sind der Schlüssel zu jedem strukturierten und erfolgreichen Geschäftsprozess, der auf der Nutzung des Internets basiert. Das ist weder eine neue, noch eine originelle Feststellung. Es gibt keinen Nachrichten- oder Informationsaustausch oder gar eine kommerzielle Transaktion, die nicht Identitäten beinhaltet. Für die Entwicklung der Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland ist die Frage der Identitätsfeststellung besonders erfolgskritisch und bisher nicht (befriedigend) beantwortet. In diesem Beitrag wird eine Lösungsskizze entwickelt. Schlüsselwörter

Identitäten · Once-Only · ID-System · Onlinezugangsgesetz

2.1 Einleitende Überlegungen Identitäten sind der Schlüssel zu jedem strukturierten und erfolgreichen Geschäftsprozess, der auf der Nutzung des Internet basiert. Das ist weder eine neue, noch eine originelle Feststellung. Es gibt keinen Nachrichten- oder Informationsaustausch oder gar eine kommerzielle Transaktion, die nicht Identitäten beinhaltet. Die Qualität der Identitäten ist allerdings sehr unterschiedlich. Von Identitäten für unverbindliches Geplapper in Foren aller Art wo „Bunny340“ mit „Hirsch15“ über den besten Wanderweg im Outback in Australien leidenschaftlich streitet, bis zu digitalen Identitäten, die aus staatlich gewährleisteten hochsicheren Identitäten abgeleitet J. Riedel ()  Hamburger Verwaltung, Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Schmid (Hrsg.), Verwaltung, eGovernment und Digitalisierung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27029-2_2

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sind. Für die Masse der Menschen sind in ihrem täglichen Leben Identitäten relevant, die ­qualitativ im Mittelbereich liegen. Also solche, die hinreichend sicher sind, um mit ihnen Waren oder Dienstleistungen zu kaufen und zu bezahlen: Wenn ich Amazon nicht glauben würde, dass ich i. d. R. nach einer Bestellung und Bezahlung meine Ware auch erhalte, wäre Amazon pleite. In dem Einschub „i. d. R.“ liegt eine wichtige Einschränkung: Ich muss nicht glauben, dass es immer ohne Restrisiko erfolgreich ist. Obwohl dieser Zusammenhang offensichtlich ist, ist diese Voraussetzung im Kontakt zwischen Verwaltung und Bürgerinnen und Bürgern wie Unternehmen ungelöst. Identitäten stehen im Zusammenhang mit grundsätzlichen Machtfragen. Würde Facebook z. B. die einzige Quelle für Identitäten sein, würde Facebook auch bestimmen, wen es gibt und wen es nicht gibt. Eine der wichtigsten Aufgaben eines Staates ist es, festzustellen, wer seine Bürgerinnen und Bürger sind. Denn nur diese haben Bürgerrechte (immer vorausgesetzt, der Staat ist demokratisch). Auf dem Kongress IT Expo hat der schwedische „Digital Futurist“ und Journalist Andreas Ekström in einem sehr spannenden Vortrag („7 Wege, die Welt zu beherrschen“) gezeigt, dass der wohl wirkungsvollste Weg zur Herrschaft die Definitionsmacht über Identitäten ist. In seinem fiktiven Beispiel bietet Facebook einem armen Staat an, sich doch nicht mit dem Aufwand der Organisation eines ID-Systems zu plagen, sondern die Aufgabe an Facebook outzusourcen. Am Ende bestimmt dann Facebook, wen es gibt und ob er/sie Bürger des fiktiven Staates sind. Für Bürgerinnen und Bürger hätte eine digitale staatliche Identität den Vorteil, dass die Kerndaten nicht bei (Sozial-)Medienbetreibern, kommerziellen Plattformen, Banken etc. mehr oder weniger kontrolliert herumvagabundieren. Unternehmen hätten den großen Vorteil, dass sie sich auf die Datenqualität verlassen können. Warum tun sich fast alle (demokratischen) Staaten also schwer damit, breit akzeptierte digitale Identitätssysteme allseits akzeptiert einzuführen? Müssten nicht alle Teilnehmer an wirtschaftlichen Transaktionen froh sein, wenn der Staat sichere Identitäten anbietet? Die Antwort ist vielschichtig: • Der Staat ist für die Aufgabe zu spät gekommen. Weder für Bürgerinnen und Bürger noch für Firmen ist es sonderlich interessant, das ID-System zu wechseln, wenn man schon fast alle Kunden erfasst hat. Das späte Auftreten des Staates ist im Kern aber keine „Schlafmützigkeit“, sondern die Folge der Freiheit, neue Technologien und Kommunikationswege auszuprobieren. Erst wenn eine Neuerung wie das Internet sich entwickelt hat, kann/sollte der Staat durch Regulierung eingreifen. • Wer spät in einen Markt eintritt, der muss wenigstens ein besonders gutes Produkt anbieten. Die Qualität eines Produktes setzt sich aus Sicht der Nutzer aus Funktionalität und der Einfachheit der Bedienung zusammen. Zumindest in Deutschland konnte der Staat bisher kein akzeptables Angebot unterbreiten. Der elektronische Personalausweis wurde eben nicht auf Basis von Nutzerinteressen konzipiert, sondern war ein Kompromiss von abstrakten Prinzipien und Überlegungen im politischen Raum.

2  Identitäten als Schlüsselfaktor für medienbruchfreie …

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Der Wunsch der Politik, ein Identitätssystem anzubieten, stand gegen die Sorge der ­Verwaltung, dass damit Restrisiken verbunden sein könnten. Herausgekommen ist etwas, das sehr sicher ist, aber nur von Wenigen genutzt wird. Da das Produkt außerhalb der öffentlichen Verwaltung faktisch gar nicht genutzt wird, kommt erschwerend hinzu, dass man aufgrund der geringen Nutzung vergisst, wie es funktioniert. Im Folgenden sollen drei Beispiele von Staaten betrachtet werden, die das Problem erfolgreich gelöst haben. Hieraus lassen sich wichtige Schlussfolgerungen für Deutschland ziehen, die am Ende dieses Beitrags dargestellt sind.

2.2 Erkenntnisse aus anderen Ländern Die Verwaltung Estlands gilt allgemein als die Verwaltung, der die Digitalisierung am besten gelungen ist. Häufig hört man, dass sei kein Kunststück, wenn man einen Staat in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts neu gründen musste. Das ist einerseits richtig, weil man keinen Ballast an Bord hatte und Fehler, die andere gemacht haben, vermeiden kann. Andererseits reicht diese Feststellung aber nicht aus, denn „vergleichbare“ Länder wie z. B. Lettland und Litauen hätten die gleichen Entwicklungsschritte unternehmen können. Es sind sicher viele Faktoren zusammengekommen, aber eine Grundvoraussetzung war die Einstellung „Proud to copy“. Die Esten wollten bewusst nicht alles neu erfinden, sondern durch Kombination von Erprobten neuen Nutzen schaffen. Mit dieser Einstellung haben sie ihre Rechtsordnung neu geschaffen: Sie haben im Wesentlichen das deutsche Recht übernommen. Das ist für Menschen aus Deutschland, die sich mit der öffentlichen Verwaltung und deren Digitalisierung befassen, zunächst etwas verblüffend, weil wir unsere Rechtsordnung ja durchaus als Hindernis auf dem Weg zur Digitalisierung empfinden. Estland hat in Bezug auf das ID-System nur sehr wenig anders gemacht als Deutschland: • Sie haben von Anfang an die Ausgabe der elektronischen ID nicht in das Belieben der Bürgerinnen und Bürger gestellt. Jeder der einen Personalausweis bekam, bekam einen Personalausweis mit elektronischer Identität. • Sie haben auf etablierte Technologie gesetzt und keine bei Einführung wenig verbreitete Technologie wie z. B. NFC (Near Field Communication ist ein internationaler Übertragungsstandard zum kontaktlosen Austausch von Daten) ausgewählt. Das senkt die Kosten für die Etablierung bei den Nutzerinnen und Nutzern und erleichtert die Marktdurchdringung. Dafür hat man das etwas größere Risiko im Vergleich zu den allersichersten Technologien akzeptiert.

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Für Estland war es ein Glücksfall, dass sie mit ihrer Entwicklung an den Markt gingen, als die erste Internetblase geplatzt war und Nutzungserwartungen bei Bürgern und Unternehmen realitätsbezogener wurden. Trotzdem mussten die Esten feststellen, dass die Nutzung zunächst gering blieb. Auch der estnische Bürger hat nur ganz wenige Kontakte zur Verwaltung pro Jahr – genau wie in Deutschland. Der Durchbruch kam mit Anreizen, erweiterten Funktionen und der „Once-only“-­ Politik. Die Once-only-Politik ist eine wesentliche Rechtsanpassung gewesen. In Estland ist es durch Gesetz verboten, Daten zweimal zu speichern. Dieses Gesetz ist nur umsetzbar, wenn die Daten an ihrem Speicherort für alle anderen Systeme und Stakeholder abrufbar sind. Voraussetzung dafür wiederum ist, dass der Nutzer diesen Abruf autorisiert hat (soweit dies nicht im Einzelfall gesetzlich geregelt ist). Damit dies von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert wird, muss die Datenverwendung transparent sein. Sowohl für die Datenfreigabe, wie für den Zugriff auf die Protokollierung der Datennutzung, ist eine sichere Identität zwingende Voraussetzung. Durch Gesetz wurde geregelt, dass hierzu nur das estnische ID-System verwendet werden darf. Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürgern kann es meines Erachtens keinen transparenteren Datenschutz geben: Ich weiß genau, wo meine Daten gespeichert sind und kann Zugriffe autorisieren und überwachen. Dieses System der Datennutzung steht nicht nur Behörden offen, sondern auch Privaten. Alle Teilnehmer an dem System müssen zunächst von einer staatlichen Behörde zugelassen werden. Jeder Datenstrom zwischen einem Teilnehmer und einer Datenquelle muss ebenfalls von der entsprechenden Behörde genehmigt werden. Erst dann kann man der individuellen Nutzung seiner Daten zustimmen. Für Bürgerinnen und Bürgern reduziert dies radikal die Anzahl der Accounts. Unternehmen profitieren dadurch, dass alle Unsicherheiten über die Person des Geschäftspartners beseitigt werden. Ein solches System kann sehr datensparsam operieren, was viele weitere Vorteile mit sich bringt. Hierzu folgendes Beispiel: Für Bürgerinnen und Bürgern von Tallin ist der ÖPNV in der Stadt kostenfrei. Ob jemand zu dem Kreis gehört, stellt der Tallinner ÖPNV durch eine monatliche Abfrage beim Melderegister fest. Er erhält aber nie die Adresse, sondern nur die Information, ob jemand in Tallin wohnt oder nicht. Der Erfolg dieses Systems basiert dementsprechend auf einer staatlich organisierten Datenteilung mit einem hohen Niveau der Nutzerkontrolle. Den schwedischen Weg hat die zuständige Finanzministerin in einem Fernsehinterview im Sommer 2016 wie folgt zusammengefasst: Mit ihrer Bank-ID verwalten die Bürgerinnen und Bürger ihr Geld, ihre Immobilen und wesentliche Teile ihrer Altersversorgung. Dann kann man das Bisschen Verwaltung doch damit auch machen. Dies ist sicher eine etwas verniedlichende Zusammenfassung, aber sie trifft den Kern. Der Begriff Bank-ID kommt daher, dass es in der Tat die Nutzerkennung meiner Bank ist, mit der ich mich bei allen anderen Diensten anmelde. D. h. letztlich werden die elektronischen Identitäten von den Banken bereitgestellt – auch für die Nutzung bei staatlichen Behörden. Aber: Eine Bank-ID bekommt man nur, wenn man vorher eine analoge ID des schwedischen Staates hat. Jeder legale Bewohner Schwedens (= Aufenthalt von

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mehr als 6 Monaten in Schweden), bekommt eine Personennummer und erst mit dieser Personennummer kann man eine Bank-ID erhalten. Die Entwicklung hat auf staatliche Initiative hin 2001 begonnen. Das initiative Konsortium wurde 2002 gegründet und 2003 wurde die erste ID ausgegeben. 2005 gab es 500.000 Nutzer. 2010 ist eine mobile Bank-ID hinzugekommen, womit sich der Prozess beschleunigte. Heute gibt es über 7 Mio. Bank-IDs bei etwa 10 Mio. Einwohnern. Zusätzliche Attraktivität erhielt das System dadurch, dass die schwedischen Banken ein Handy-Bezahlsystem (Swish) auf SMS-Basis aufgebaut haben. Dieses beruht auf der Bank-ID. Angenehmer Nebeneffekt für die schwedischen Banken ist, dass man wirkungsvoll Google- und Apple-Pay etc. die Stirn bieten kann. Von Anfang an war die Verwaltungs-Anwendung ein Nebenaspekt, der aber einen großen Nutzen stiftet: Es gilt bei vielen Verwaltungsvorgängen sehr strikte Termine einzuhalten. Unpünktlichkeit bei der Steuererklärung wird finanziell hart sanktioniert. Dies hat früher zu (immer gerne im Fernsehen gezeigten) Tumulten vor den Briefkästen der Finanzämter geführt. Natürlich immer kurz vor Mitternacht am letzten Tag der Frist. Heute gibt es praktisch keine kommerzielle oder öffentliche Webseite mehr, auf der man sich nicht mit der Personennummer einloggen kann. Wenn es zudem um bedeutendere finanzielle Transaktionen geht, tritt die Bank-ID hinzu. Kommerzielle Seiten drängen mit sanftem Zwang („Wollen Sie eine umständliche Registrierung durchführen oder ihre Personennummer verwenden“) zur Nutzung. Für die Firmen hat dies den großen Vorteil, dass sie so die Personennummer erfahren und leicht feststellen können, ob es Einträge bei „Kronofogden“ (in etwa das elektronische Mahngericht in Schweden) gibt und somit ein Zahlungsausfall drohen könnte. Es wird immer schwieriger, dem System im praktischen Leben zu entgehen. Inzwischen gibt es bereits Foren, die sich mit der Frage beschäftigen, wie man in Schweden ohne Personennummer/Bank-ID überhaupt leben kann. Das System ist als ein Public-Private-Partnership ohne formellen Vertrag organisiert. Hierdurch ist es praktisch jedem Bewohner Schwedens bekannt. Die Nutzung des Systems ist einfach, was die Akzeptanz fördert. Es hat, anders als im estnischen Beispiel, keine Rückwirkung auf die Binnenorganisation der Verwaltung (Once-only-Politik), weil die Datenzugriffe bzw. Datentrennungen schon vorher gesetzlich geregelt waren. Dänemark ist einen anderen Weg gegangen. Es ist vom Ziel „Modernisierung der Gesellschaft“ ausgegangen und hat zunächst für Unternehmen und dann für Bürgerinnen und Bürger die Nutzung des digitalen Weges verpflichtend gemacht. Dies ging natürlich nur auf der Basis sicherer Identitäten, in Dänemark ist dies die NEMID. Die NEMID ist von Beginn an als Login für beliebige Zwecke entwickelt worden. Sie basiert auf Wissen (User-ID und Password) und Besitz (Karte zur Schlüsselgenerierung). Voraussetzung für den Erhalt einer NEMID ist eine dänische CPR-Nummer (man hält sich also legal in Dänemark auf) und ein Mindestalter von 15 Jahren. Vorangetrieben wird der Prozess – wie in Estland und Schweden – vom Finanzministerium. Dort sind die Nummernverwaltung der Bürgerinnen und Bürger und

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damit die staatliche Seite der ID-Verwaltung angesiedelt. Des Weiteren ist das Finanzministerium mit dem Modernisierungsauftrag für die Verwaltung betraut. In dem Moment, in dem man den digitalen Weg obligatorisch macht, stellen sich Fragen der Einfachheit der Benutzung natürlich nicht in dem Maße, wie in einem freiwilligen System. Trotzdem ist Nutzerorientierung heute eine der Kernkompetenzen der zuständigen „Agency for Digitalisation“. Natürlich hat die verpflichtende Nutzung der Digitalen Kanäle nicht am Anfang der Entwicklung gestanden. Sie war aber von Anfang an das Ziel. Die Einführung eines E-Postfachs für jede Kommunikation zwischen Bürgern und allen dänischen Verwaltungen war ein Meilenstein. Seit November 2014 ist die Nutzung verpflichtend. Dies ist eine interessante Unterscheidung zum schwedischen Weg. Dort setzt man auf private „Briefkästen“-Betreiber. In Schweden ist der Erfolg dieser Betreiber sehr groß. Dies hat mit der schwedischen Besonderheit zu tun, dass die Bürger die (physische) Post als wenig verlässlich wahrnehmen. In Dänemark können (wie überall) nicht alle Bürgerinnen und Bürger sofort mit digitalen Kanälen und Instrumenten umgehen. Man geht aber (stillschweigend) davon aus, dass sich dies über den Familien-/Freundeskreis löst. Des Weiteren können öffentliche Bücherhallen mit entsprechender Technik sowie persönlichem Support genutzt werden. Der dänische Weg ist also ein Weg, der das ID-Management klar im öffentlichen Sektor hält. Er war von Anfang an als universelle Lösung angelegt.

2.3 Schlussfolgerungen für Deutschland Was verbindet die dargestellten Beispiele? Sie stellen keine isolierte Strategie für das ID-Management der öffentlichen Verwaltung dar. Sie sind klar auf die Nutzung auch durch Private ausgerichtet oder im schwedischen Fall auf die Nutzung einer privaten Lösung auch durch den Staat. Alles andere erscheint unrealistisch, weil eine allein auf den Staat ausgerichtete Lösung nie die Nutzungsintensität auslösen kann, wie sie für erfolgreiche Bedienung erforderlich ist. Selbst die technisch anspruchsloseste dänische Lösung funktioniert nur bei regelmäßiger Nutzung. Sonst gerät entweder das Kennwort in Vergessenheit oder die Karte zur Nummerngenerierung wird verlegt. Offensichtlich braucht Deutschland einen Neustart bei den ID-Systemen. Vielleicht sollte hierbei die Demut entwickelt werden, den estnischen Slogan „Proud to copy“ zu übernehmen. Die drei Beispiele zeigen zudem, dass es nicht nur einen Weg zum Ziel gibt. Die Hoffnung für eine Lösung in Deutschland besteht u. a. darin, dass der elektronische Personalausweis so wenig genutzt wird, dass Veränderungen/Verbesserungen nicht nur möglich, sondern auch angezeigt sind. Es muss keine Rücksicht auf Investitionsschutz genommen werden. Gleichzeitig könnte ein Neustart dadurch erleichtert werden, dass auch im privaten Sektor die Abhängigkeit von sicheren Identitäten weiter steigt.

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Deutschland muss durch energische Schritte aufholen, weshalb lange Entwicklungszeiträume, wie z. B. in Dänemark und Schweden (ca. 10 bis 15 Jahre), verhindert werden müssen. Die Eckpunkte einer Lösung für Deutschland basieren auf folgenden Prämissen/Einschätzungen der gesellschaftlichen Situation: • Identitäten sind ein Schlüsselfaktor zum Erfolg medienbruchfreier digitaler Prozesse. • Die Beispielländer haben für ihre Entwicklung 10 bis 15 Jahre gebraucht. Die Zeit hat Deutschland nicht, weil eine stabile und leistungsfähige Verwaltung ein volkswirtschaftlicher Wettbewerbsfaktor ist. Würden wir uns so viel Zeit lassen, wären wir 2033 auf dem Stand, den Schweden heute hat – mit erheblichen negativen wirtschaftlichen Folgen. • Die politische Klasse in Deutschland ist bereit für Veränderungen, kann sich aber (noch) nicht gegenüber dem Verwaltungsapparat durchsetzen. Hierzu ein Beispiel: Frau Bär als Kanzleramtsministerin für Digitalisierung hat erklärt, man müsse auch einen Personalausweis online beantragen können. Das zuständige Ministerium hält dies allerdings für völlig unvorstellbar. • Die Aufrechterhaltung des heutigen Niveaus an staatlichen Leistungen wird nur gelingen, wenn die Effizienz im nächsten Jahrzehnt deutlich steigt. Anders ist der altersbedingte personelle Aderlass der Verwaltung nicht kompensierbar. Nur medienbruchfreie und digitale Prozesse gewährleisten ein effizientes Verwaltungshandeln. Auf Basis dieser Einschätzungen können folgende Eckpunkte für eine Lösung in Deutschland formuliert werden: • Der Personalausweis bleibt Basis des ID-Systems, weil Deutschland über keine Nummernsystematik wie Dänemark oder Schweden verfügt. Per Gesetz werden alle bisher nicht aktivierten Personalausweise aktiviert und den Besitzern ein Initialkennwort und ein Lesegerät zugesandt. Ergänzt wird der Personalausweis durch eine mobile Identitätskomponente nach den Beispielen aus den drei dargestellten Ländern. • Mit einer sinnvollen Übergangsfrist (5 Jahre) müssen alle Anbieter kommerzieller Plattformen das Servicekonto nach dem Online Zugangs Gesetz (OZG) als primäre Identitätsquelle nutzen oder einen Anmeldevorgang einführen, der obligatorisch den Personalausweis oder sein mobiles Pendant als Grundlage hat. • Das Postfach im Service-Konto wird so ausgebaut, dass nach dänischem Beispiel alle Kommunikation von und zur Verwaltung nur hierüber abgewickelt wird. Die Bürgerämter unterstützen Menschen, die dies nicht selber umsetzen können. Dies ist zweifellos eine Rosskur, die nur mit einer umfassenden Gesetzesregelung umsetzbar ist. Sie muss auf Basis eines breiten gesellschaftlichen Diskurses erfolgen. Letztlich ist diese Anstrengung aber unvermeidlich, wenn wir sowohl die D ­ atensicherheit der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen gewährleisten, als auch den Anschluss an die führenden europäischen Länder nicht verlieren wollen.

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Jörn Riedel  Leitender Regierungsdirektor, ist als CIO der Hamburger Verwaltung für eine effiziente IT und digitale Prozesse in der Hamburger Verwaltung verantwortlich. Er ist seit 1990 in den verschiedensten Funktionen in der Hamburger Verwaltung mit IT befasst gewesen. Zunächst als Projektleiter von großen Projekten, dann als Leiter der IT der Innenbehörde und seit 2008 als CIO der Hamburger Verwaltung.

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Das Personaldilemma im öffentlichen Dienst – Die Zukunft ist nicht mehr die Verlängerung der Vergangenheit Winfried Kösters

Zusammenfassung

Die demografisch bedingten Veränderungen der Bevölkerungsstruktur bleiben nicht ohne Veränderungen auf die Verwaltungen in Deutschland. Die wichtigste Herausforderung ist, über das notwendige Personal zu verfügen, um ein gutes Verwaltungshandeln auch in Zukunft und mit Zukunft gewährleisten zu können. Dies wird nicht ohne nachhaltige Veränderungen der Verwaltungsstrukturen und der Verwaltungsführung gelingen. Personalentwicklung, interkulturelle Öffnung, wertschätzende Personalführung seien als Stichworte angeführt. Eine attraktive Verwaltung als Arbeitgebende kann dann gegeben sein, wenn die Verwaltung es schafft, dass sich Bürger/innen mit ihr identifizieren. Dies bedingt, dass Verwaltungen mehr denn je auch gesellschaftliche Paradigmenwechsel authentisch abbilden und leben. Schlüsselwörter

Demografischer Wandel · Fachkräftebedarf · Personalentwicklung · Wertschätzung · Paradigmenwechsel

3.1 Standortfaktor Verwaltung Deutschland profitiert von seiner gut strukturierten Verwaltung mit in der Regel gut ausgebildeten Mitarbeitenden. Für die meisten Bürger/innen sind Verwaltungsakte selbstverständliche Dienstleistungen, die sie in guter Qualität in Anspruch nehmen. Das ist W. Kösters ()  Freiberuflicher Journalist und Publizist, Moderator, Trainer und Berater, Bergheim, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Schmid (Hrsg.), Verwaltung, eGovernment und Digitalisierung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27029-2_3

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man gewohnt. Die Menschen wissen aber auch, dass sie Bescheide von Verwaltungen nicht einfach nur hinnehmen müssen. Ihnen ist bewusst, dass der Rechtsstaat ihnen Möglichkeiten gibt, gegen behördliche Akte vorgehen zu können. Korruption gehört nicht zu den Ausuferungen, die Deutschlands Verwaltungen beschreiben. Ganz im Gegenteil. Wenn über Verwaltungen gesprochen wird, steht für viele Menschen eher der Gedanke im Vordergrund, dass wir zu viele Behörden haben, die in einem verfassungsrechtlichförderal austarierten Miteinander das Alltagsleben in Deutschland gestalten. Dabei bleibt stets die Waage zu halten zwischen den Polen, wonach die Behörden auch ohne die Bürger/innen schon genug zu tun hätten bzw. wonach der Staat immer weitere Aufgaben zu regeln und zu gestalten (bzw. zu verwalten) habe. Der Vorteil des demografischen Wandels ist, dass der Bürokratie- und damit der Verwaltungsabbau kommen werden. Simple statistische Daten, die die Bertelsmann Stiftung 2016 in einer Studie (vgl. Niemann, F.-S. und Geißle, R. 2016) aufbereitet hat, belegen dies: Danach waren 2014 26,5 % aller in den kommunalen Behörden Deutschlands Tätigen älter als 55 Jahre. Diese Menschen scheiden nach geltendem Renten- bzw. Pensionsrecht bis spätestens 2026 aus dem Berufsleben. Doch wer rückt nach? Denn nur 12,8 % der in den Kommunalverwaltungen Beschäftigten waren 2014 unter 30 Jahre alt. Der Ruf nach mehr Personal greift damit nicht mehr. Doch sind Lösungen vorausgedacht worden? Oder werden Lösungsideen gar verknüpft mit anderen Entwicklungen, zum Beispiel der Digitalisierung? Damit sind wir beim demografischen Wandel, den Politik, Verwaltungen, aber auch Wirtschaft und Bevölkerung bis heute eher ignorieren.

3.2 Demografischer Wandel und die Wirkung auf Verwaltung Fragt man die Menschen, was sie mit dem Begriff „Demografischer Wandel“ verbinden, so antworten die meisten: „Wir werden älter.“ Und: „Die Älteren werden mehr.“ Doch wer sich mit dem demografischen Wandel intensiver beschäftigen möchte, der sollte drei Facetten als Eckpfeiler dieses Wandels wahrnehmen: • älter, • weniger, • bunter. Dass wir älter werden und dass die Älteren mehr werden, ist statistisch nachweisbar. Noch nie in der Geschichte der Menschheit war der Anteil der Menschen über 65 Jahre größer als der der Menschen unter 20 Jahre. Es werden mehr Inkontinenzhilfen als Babywindeln verkauft und dennoch lautet der gesellschaftliche Tenor: „War immer so, bleibt immer so!“ Dabei war die Lebenserwartung noch nie so hoch wie heute. Noch nie haben die Menschen im Durchschnitt solange ihre Rente bezogen wie heute und noch nie gab es so viele Menschen über 100 Jahre wie heute.

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Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass die Menschen über 65 Jahre länger am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Sie brauchen Dienstleistungen, insbesondere im gesundheitlichen Bereich, benötigen Produkte zur Gestaltung ihres Lebensalltages und bestimmen in Wahlen mit, wie die Zukunft aussehen soll. Auch Dienstleistungen der Verwaltungen werden dieser Alterung Rechnung tragen, so zum Beispiel, wenn es darum geht, altersverwirrte alleinstehende Menschen im Stadtbild leben zu lassen. Entscheidend bleibt aber der Einbruch der Geburtenzahlen. Auch das ist statistisch nachprüfbar. 1964 kamen in der Bundesrepublik Deutschland und in der ehemaligen DDR 1.357.304 Kinder zur Welt. Das ist der geburtenstärkste Jahrgang seit 1949, der nach geltendem Rentenrecht 2031 seinen Ruhestand beginnt. Dann kommt der Geburtenjahrgang 2013 ins Arbeitsleben: Das waren 682.069 Kinder. Mit anderen Worten: die Arbeitsplätze, die die 1964 Geborenen 2031 frei machen, können nur zur Hälfte wiederbesetzt werden. Die andere Hälfte ist nicht mehr da. Schließlich bleibt noch ein Faktor wichtig, den es zu berücksichtigen gilt. Die Zusammensetzung der Gesellschaft verändert sich nicht nur altersbedingt, sondern sie verändert sich auch durch die Zuwanderung vieler Menschen, mit unterschiedlichen kulturellen, religiösen, sozialen und wertgebundenen Wurzeln. Rund 23 % der Bürger/innen in Deutschland weisen einen sogenannten Migrationshintergrund auf, sind demnach Menschen, die einen Geburtsort im heutigen Ausland aufweisen und nach 1949 nach Deutschland eingewandert sind oder es sind Menschen, die mindestens einen Elternteil haben, der einen Geburtsort im heutigen Ausland aufweist und nach 1949 nach Deutschland eingewandert ist. Wer auf die Geburten schaut, wird feststellen, dass 2015 der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund 36 % umfasste und von den Geburten 2017 wiesen 25 % (noch nie so hoch!) eine ausländische Staatsangehörigkeit aus. Fakt ist, dass in zwei Jahrzehnten die Mehrheit der Menschen über 50 Jahren keinen Migrationshintergrund hat, während die Mehrheit der Menschen unter 50 Jahren von einem solchen Hintergrund erzählen kann. Die Frage stellt sich damit, in welchem Klima der Rollstuhl von wem geschoben wird? Und diese Frage stellt sich nicht nur auf kommunaler Ebene. Fakt ist aber auch, dass wir jedes Kind, jedes Talent brauchen. Fakt ist weiterhin, dass in Deutschland Bildungsabschlüsse immer noch sehr stark vom Elternhaus abhängig sind. Fakt ist schließlich, dass die Verwaltungen in Deutschland sich künftig deutlich mehr interkulturell öffnen müssen.

3.3 Fachkräfte gesucht – warum sollten sie in die Verwaltung streben? Wer aufmerksam die Zeitung liest bzw. die öffentlich zugänglichen Informationen wahrnimmt, wird feststellen, dass es noch nie so viele Erwerbstätige (auch sozialversicherungspflichtig Beschäftigte) gibt, dass noch nie so wenig arbeitslose Menschen seit der Wiedervereinigung gezählt wurden, dass noch nie so viele offene Stellen gemeldet waren.

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Die Währung der Zukunft lautet nicht mehr Arbeitsplatz, sondern Fachkraft. Politik und Verwaltung denken aber noch in „Stellen“. Ein Beispiel: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verspricht zusätzlich 13.000 Stellen in der Pflege. Diese Stellen werden formal geschaffen und sie sind auch finanziert. Doch woher kommen die Menschen, die diese Stellen ausfüllen sollen? Nicht wenige meinen, es müssten halt mehr ausgebildet werden. Nur woher kommen diejenigen, die ausgebildet werden können? Andere suchen längst auf ausländischen Märkten. Doch schon Max Frisch wusste, dass wenn Arbeitskräfte gerufen werden, Menschen kommen. Deren Integration in die (kommunale) Gesellschaft ist wichtig. Das muss gestaltet werden. Wie viele Verwaltungen kennen integrative Konzepte? Das Beispiel aus der Pflege könnte mit anderen Bereichen ebenso illustriert werden: Erzieher/innen, Lehrer/innen, Polizist/inn/en. Stephan Keller, Stadtdirektor der Stadt Köln offenbart in einem Interview mit dem ‚Kölner Stadt-Anzeiger‘ vom 21. November 2018, dass rund 1700 Stellen unbesetzt seien. Das sind rund zehn Prozent der Stellen in der Stadtverwaltung dieser Millionenstadt. Und wenn zum Beispiel in den Baugenehmigungsbehörden die Menschen fehlen, die Anträge prüfen und genehmigen, wie schnell kann dann das gesellschaftlich brennende Thema „Wohnen“ gestaltet werden? In diesem Zusammenhang sei zudem darauf auf die Alterung der Belegschaften in der Bauindustrie verwiesen und darauf, dass der Traumberuf eines jungen Mannes nicht mehr Maurer ist. Das gesellschaftliche Umfeld gilt es also immer mitzudenken. Welche Verwaltungen können eine Altersstrukturanalyse ihrer Belegschaft vorweisen? Wer verfügt über einen Plan, wann welche altersbedingt ausscheidenden Mitarbeitenden durch wen ersetzt werden können? Personalgewinnung, Personalbindung und Personalentwicklung sind drei Säulen, die ein modernes Personalkonzept einer Verwaltung aufweisen sollte. Welche Verwaltung kann wirklich ein (strategisches) Personalentwicklungskonzept vorlegen? Gewinnung und Bindung von Personal hat auch etwas mit dem Image und der Attraktivität einer Verwaltung als Arbeitgebende zu tun. Meist wird angeführt, dass der Job doch „sicher“ sei, ohne zu bemerken, dass praktisch jeder Job „sicher“ ist, weil künftig der Arbeitnehmende entscheidet, wo er arbeiten möchte und nicht mehr der Arbeitgebende, wer wo arbeiten darf. Dieser Paradigmenwechsel wirft die Frage auf, was die Beschäftigung in einer Verwaltung/Behörde wirklich attraktiv macht? Und damit verbunden, wer künftig die Arbeit in den Verwaltungen wie erledigt? Hinzu kommt, dass die Anforderungen aufgrund des längeren und vielfältigeren Lebens auch besondere Herausforderungen an die Verwaltungen stellen.

3.4 Gesellschaftliche Wandlungsprozesse – Gestaltung statt Verwaltung Die Gesellschaft wird vielfältiger, komplexer und herausfordernder. Künftig werden fünf Generationen mit unterschiedlichen Wertevorstellungen und Zielen sowie Alltagsnotwendigkeiten das Verwaltungshandeln genauso herausfordern, wie vielfältige

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­ ebensstile, Lebenswirklichkeiten, soziale Lebenslagen, kulturelle und religiöse ­Wurzeln L sowie Geschlechter. Seit dem 1. Januar 2019 gibt es drei Geschlechter: Männlich, weiblich, divers. Nach der „Ehe für alle“ wird ein weiteres Tabuthema gestaltet, dass das „War doch immer so und bleibt daher so!“ nachhaltig infrage stellt. Familie zum Beispiel sind in einem längeren Leben nicht mehr nur Mama, Papa und zwei Kinder, sondern weitaus mehr. Familie ist da, wo Menschen füreinander eine auf Dauer angelegte Verantwortung übernehmen. Doch was ist dann die familienfreundliche Verwaltung? Künftig wird die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf das Mehrheitsthema sein, während Kinder und Beruf immer weniger Beschäftigte betrifft. Auch Kinderlose und Menschen ohne nahe wohnende Angehörige werden familienähnliche Solidarnetzwerke brauchen. Auf diese und viele weitere gesellschaftliche Veränderungsprozesse gilt es als Verwaltung Antworten zu finden. Verwaltung braucht kreative Gestaltung. Doch Verwaltung sollte die Lebensrealitäten nicht nur spiegeln, sondern sie auch überzeugt mit leben. Das setzt auch die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden voraus. Doch das Tempo der Veränderungen fordert nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Belegschaften der Verwaltungen. Dem gilt es Rechnung zu tragen. Veränderung wird dann gern angenommen, wenn Nutzen, Chancen und Spaß ein Dreiklang sind. Menschen identifizieren sich mit ihrer Stadt, mit der Verwaltung und dem Handeln einer Behörde, wenn sie sich wiederfinden, sich akzeptiert, sich wohl fühlen. Wenn zum Beispiel die Ausländerbehörde von Mitarbeitenden besetzt sind, die eher fremdenfeindlich eingestellt sind, so führt das nicht zur Identifikation. Vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfs und der anstehenden Verabschiedung eines Fachkräftezuwanderungsgesetztes wird die Ausländerbehörde zur Visitenkarte einer Behörde und damit zum Aushängeschild für eine regionale Wirtschaft, die auf Fachkräfte angewiesen sind. Die wirtschaftliche Wertschöpfung der regionalen Unternehmen bedingt auch die Zahlung von (Gewerbe-) Steuern und damit die Finanzierung von Verwaltungen. Wer sich nicht identifiziert, engagiert sich nicht. Doch Verwaltungen werden in Zukunft mehr denn je auf das Engagement von Bürger/inne/n angewiesen sein. Der Grundsatz lautet: Engagement ist Ehrensache, weniger Ehrenamt. Verwaltungen lieben aber klassische ehrenamtliche vereinsrechtliche Strukturen. Hier driftet etwas auseinander. Verwaltungen, die sich dem gesellschaftlichen Wandel nicht positiv stellen, werden weniger attraktiv für die Gewinnung von Fachkräften sein. Ziel kann nur sein, zu neuen „gesellschaftlichen Verträgen“ mit den Bürger/innen zu gelangen, was künftig von einer Verwaltung geleistet wird – und was nicht (mehr). Ein Paradigma der Zukunft kann die „inklusive Gesellschaft“ sein, eine Gesellschaft, die unabhängig von individuellen Fähigkeiten und Talenten, der sozialen Lebenssituation, der kulturellen Herkunft, des Alter(n)s und des Geschlechts die gesellschaftliche Teilhabe, damit die Identifikation und damit das freiwillige Engagement ermöglicht. Das ist ein Bild, das auch den Zusammenhalt einer Gesellschaft und ihrer Milieus auf eine neue Wertebasis stellen könnte. Hier sind Verwaltungen öffentliche Vorbilder, Motoren und aktive Gestalter. Nur: sie müssen sich auch so sehen wollen!

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3.5 Digitalisierung und die älter werdende Gesellschaft Nicht wenige Menschen behaupten, dass die Digitalisierung zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führen werde. Die demografisch bedingte Fachkräftelücke stelle damit kein Problem dar. Richtig ist, dass etliche Arbeitsbereiche künftig digital kostengünstiger und wohl auch effizienter gestaltet werden. Die Verwaltung wird sicherlich künftig 24 h am Tag an sieben Tag die Woche Dienstleistungen anbieten können. Richtig ist aber auch, dass etliche Bereiche davon unberührt sein werden. Richtig bleibt ferner, dass wir die meisten Berufe, die es 2050 geben wird, heute noch gar nicht kennen. Wer erinnert sich an den Druckerstreik aus dem Jahre 1978? 40.000 Drucker/ innen streikten und stemmten sich gegen das Verschwinden ihres Berufs. Wochenlang erschienen keine Zeitungen (wen würde das heute kümmern?). Verhindert hat es nichts. Den Beruf gibt es nicht mehr. Dafür gibt es vielfältige andere Berufe, zum Beispiel den ‚Social Media Manager‘. Dennoch bleibt eine große Herausforderung aktiv zu gestalten, insbesondere von und in Verwaltungen. Zum einen trifft die Digitalisierung des Alltagslebens (nicht nur der Arbeitswelt) auf eine immer ältere werdende Gesellschaft. Wie steht es um deren Akzeptanz dieser Veränderungen? Wenn sie bei anstehenden Wahlen, bei denen Menschen über 50 Jahre die strukturelle und Menschen über 55 die reale Mehrheit gestalten, Parteien wählen, die Zukunft als Verlängerung der Vergangenheit versprechen? Zum anderen trifft die Digitalisierung auf eine älter werdende Belegschaft in allen Verwaltungsstrukturen auf allen Ebenen. Wenn dort das Denken vorherrscht, dass bis zur Pension keine Lust und Notwendigkeit der digitalen Ausgestaltung jeglichen Verwaltungshandels bestehe, dann findet sie dort auch nicht statt. Digitalisierung kann man nicht verordnen. Die Menschen müssen mitgenommen werden, zum Beispiel in dem der Nutzen und die Chancen für die statistischen 20 Lebensjahre nach der Pensionierung aufgezeigt werden. Man lernt lebenslang. Das betrifft im Übrigen die gesamte Bevölkerung. Doch wie (und wo?) sind die von Verwaltungen organisierten und vorgehaltenen Bildungsangebote, wie deren Didaktik? Den Führungskräften der Verwaltungen kommt eine Schlüsselrolle zu. Und nicht nur in den Verwaltungen. Denn Personal geht, wenn die Führungskraft sich als wenig sozial und empathisch erweist. Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist der Ersatz sehr schwierig, insbesondere wenn sich in sozialen Netzwerken herumspricht, wie wenig geeignet die Führungskraft einer Verwaltung ist.

3.6 Die Wunderwaffe „Wertschätzung“ als Personalführungselement Die Auswahlprozesse des Führungspersonals in Verwaltungen sind nicht immer von fachlicher, methodischer, sozialer wie auch persönlicher Kompetenz geprägt. Insbesondere dort, wo politisch strukturierte Mehrheiten über die Besetzung entscheiden,

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greifen nicht selten verwaltungsfremde Kriterien. Auch schreiben Gesetze manchmal vor, dass die Kompetenz „Geschlecht“ oder „Behinderung“ wirksamer sind, als beispielsweise „Kommunikation“ oder „Empathie“. Vor dem Hintergrund des demografisch-strukturell bedingten Fachkräftebedarfs der Zukunft kommt es mehr denn je darauf an, wie sehr es den Führungskräften in der jeweiligen Verwaltung gelingt, gutes Personal zu halten und zu binden, wie sie verstehen, das Personal zu motivieren und weiter zu entwickeln. Erst dann wird ein guter Nährboden bereitet, um zusätzliches Personal zu gewinnen (das derzeit nicht selten von anderen Verwaltungen abgeworben wird). Hierarchische Strukturen, und das sind Verwaltungen, zeichnen sich nicht selten durch eine „Befehlskette“ von oben nach unten aus. Eine Mitarbeitende einer Verwaltung erzählt, dass ein Hinweis auf eine mögliche Verbesserung von ihrem Vorgesetzten mit den Worten „Sie werden nicht für das Denken bezahlt.“ quittiert wurde. Seitdem habe sie das Denken eingestellt und mache nur noch Dienst nach Vorschrift. Der hohe Krankenstand in Verwaltungen, aber auch allgemeine Untersuchen zur Motivation von Mitarbeitenden belegen, das über 60 % der Beschäftigten Dienst nach Vorschrift machen würden. Es ist erstaunlich, dass trotz des eklatanten Führungsversagens dennoch eine so gute Leistung der Verwaltungen festgestellt wird. Wie würde sie erst sein, wenn den Mitarbeitenden Wertschätzung, Lob und Anerkennung, wenn ihnen Vertrauen statt Misstrauen entgegengebracht werden würde? Die kooperativen Rahmenbedingungen sind neu zu justieren. Denn die Arbeitsmarktformel der Zukunft – auch in Verwaltungen – lautet: 0,5 × 2 × 3. Die Hälfte der Menschen wird zwar doppelt so viel verdienen, aber dreifach so viel leisten (müssen). Damit stellt sich auch hier wieder die Frage der Attraktivität der Verwaltung als Arbeitgebende.

3.7 Kooperation und Miteinander als Handlungsprinzip Es braucht ein Miteinander der Beschäftigten innerhalb einer Verwaltung, zwischen unterschiedlichen Verwaltungsbehörden und politischen Verwaltungsebenen sowie im föderalen System. Es stellt sich die Frage, wie 16 Bundesländer ihre Verwaltungen und die Verwaltungen ihrer Landesbehörden, künftig besetzen wollen. Auch Bundesbehörden sowie die europäischen Verwaltungssysteme werden gutes Verwaltungspersonal auf dem Markt nachfragen. Es stellt sich auch die Frage, wie über 12.000 Kommunen und kommunale Verwaltungen geführt werden sollen? Wozu brauchen wir unsere zahlreichen Verwaltungen in den verschiedensten Bereichen? Wichtiger wird ebenso die jeweiligen politisch-administrativen Bestimmungen im Miteinander zu beschließen. So werden Landesgesetze erlassen, die von Kommunen nur schwerlich umgesetzt werden können. Als Beispiel mögen die Denkmalpflegegesetze der Länder genannt werden, zu deren Überwachung das Personal fehlt, deren Einhaltung in vielen Innenstädten auch zur Verödung vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft, insbesondere im ländlichen Raum, führen wird. Es sind künftig ganz andere Konzepte gefragt, die zum einen die aufgezeigten g­ esellschaftlichen

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­eränderungsprozesse berücksichtigen, die aber zum anderen ein ganz anderes V ­Miteinander der Verwaltungseinheiten prägen. In der Vergangenheit wurden reformerische Ansätze der Verwaltungslandschaften stets von starken Personalvertretungen abgeblockt, da die Furcht um den Arbeitsplatz ins Feld geführt werden konnte. Doch um 2030 wird ein Großteil des heute beschäftigten Personals im Ruhestand sein und der andere Teil wird schlichtweg gebraucht. Im Mittelpunkt steht weniger das gute Leben in einer Verwaltung, sondern wie die gesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland auch künftig wie selbstverständlich von gutem Verwaltungshandeln ermöglicht, begleitet und unterstützt werden können. Wie soll Verwaltungshandeln 2030 vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, der digitalen Arbeitswelt und den gesellschaftlich sich neu herausbildenden Werten und Lebensstilen aussehen? Wenn eine Verwaltung glaubt, sie könne es allein, der sei gesagt: „Sie irren!“ Es gibt kein Rezept, aber es gibt einen Weg, der von mehr Kooperation und mehr Miteinander als Gegeneinander geprägt ist. Hierzu folgendes Beispiel: Den 2015 in großer Zahl nach Deutschland geflüchteten Menschen verdanken wir (als Steuerzahler/innen), dass die IT-Systeme des ‚Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge‘ und der ‚Bundesagentur für Arbeit‘ mittlerweile kompatibel sind. Jahrzehntelang interessierte es niemanden, dass die Behörden doppelte Arbeit leisteten, finanzierten und für selbstverständlich hielten. Hintergrund war der Druck, denn die gewaltige Zahl der geflüchteten Menschen sehr plötzlich auslöste. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit war Grundlage, dass die Aufnahme/Integration der geflüchteten Menschen schneller gelingen konnte. Nun könnten wir den demografischen Wandel, der sich seit Jahren abzeichnet und der in vielen Parametern irreversibel ist, als Anlass nehmen, präventiv Verwaltungsstrukturen zu gestalten. Hierzu gehört, sich den digitalen Möglichkeiten zu öffnen und ein inklusives Denken als Wertgrundlage zu pflegen.

3.8 Das demokratische Element und der demografische Wandel Verwaltung in Deutschland geschieht nicht im luftleeren Raum. Sie wird demokratisch legitimiert und kontrolliert. Das ist auch gut so. Gleichwohl müssen hier Fragezeichen gesetzt werden. Das Grundgesetz sieht vor, dass Parteien das politische Leben gestalten. Diese politischen Parteien repräsentieren aber schon lange nicht mehr die Bevölkerung. So ist zum Beispiel jedes zweite Mitglied der CDU wie auch der SPD älter als 60 Jahre. Zum Vergleich: die Bevölkerung Deutschlands weist ein Medianalter von 46 Jahren auf. Selbst Bündnis 90/Die Grünen sind zwischenzeitlich bei einem Medianalter von 50 Jahren angelangt. Wer gestaltet Zukunft: alte Männer ohne Migrationshintergrund, denn auch Frauen sowie Migranten sind klar unterrepräsentiert. Deren Geist und deren Vorstellungen und deren Bereitschaft zu innovativen Gestaltungsprozessen bestimmt, welche Zukunft aktiv angegangen wird. Parteien sprechen jüngere Menschen kaum noch an. Das macht

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sich nicht nur in der Bereitschaft, sich in politischen Parteien zu engagieren, deutlich, sondern auch an der Wahlurne. Wenn man der Wahlforschung glauben darf, waren bei der letzten Bundestagswahl erstmals die Menschen über 55 Jahre in der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Sie bestimmen damit die Zukunft der Gesellschaft. Ihr Bild von Zukunft wird entscheidend sein, welchen Weg das Land und die Verwaltungen gehen. Das wird sich auch strukturell nicht ändern. Hinzu kommt, dass von den rund 20 Mio. Wahlberechtigten über 65 Jahre 80 % zur Wahl gehen, während von den rund 10 Mio. Wahlberechtigten unter 30 Jahren nur 60 % ihre Stimme in die Wahlurnen einwerfen. Demokratien neigen dazu, sich Mehrheiten zuzuwenden. Doch auch eines ist Gewiss: Wer zu wenig Rücksicht auf nachfolgende Generationen nimmt, darf später auch keine Nachsicht von ihnen erwarten. Es braucht neue Bilder oder auch Visionen für die Verwaltung der Zukunft, mit denen sich möglichst viele Menschen identifizieren. Es braucht daher auch neue Partizipationsprozesse, die es schaffen, die Sichtweisen möglichst vieler Menschen in die Verwaltungen zu tragen. Das wiederum kann nur gelingen, wenn auch die Mentalitäten der in den Verwaltungen beschäftigten Menschen berücksichtigt werden. Was lange gepflegt wurde, kann nicht über Nacht verworfen werden. Es braucht hierzu Moderations- und Dialogprozesse.

3.9 Paradigmenwechsel in der Verwaltung Moderations- und Dialogprozesse sind unabdingbar, was man an den Veränderungen im Alltag der Verwaltungen erkennen kann. Schon heute können kleinere Verwaltungseinheiten auf kommunaler Ebene die altersbedingt ausscheidenden Mitarbeitenden kaum mehr ersetzen. Als wichtigste Rahmenbedingung für gelingendes Verwaltungshandeln ist zu begreifen, dass die Währung der Zukunft Fachkräfte, nicht mehr Arbeitsplätze sind. Hier müssen sich alle Verwaltungen auf allen Ebenen einstellen. Und es nutzt wenig, wenn die oberen Behörden, die entscheiden, genügend Personal haben, während die unteren Behörden, die umsetzen, ihre Stellen nicht besetzt bekommen. Eine weitere wichtige Rahmenbedingung für ein gelingendes Verwaltungshandeln wird sein, ob eine Vertrauenskultur eine Misstrauenskultur ablöst. Wir werden nicht mehr das Personal haben, das überall präsent ist und prüft, ob auch das Richtige getan wird. Wir müssen lernen, den Bürgern/innen mehr zu vertrauen und die Anreize entsprechend setzen. Denn es ist auch klar, dass die Bürger/innen unseres Landes diesen Staat mitgestalten wollen. Die schiere Zahl der ehrenamtlichen Helfer/innen für die geflüchteten Menschen oder bei der Bewältigung der Hochwassersituationen belegt den Grundsatz

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Engagement ist Ehrensache, weniger Ehrenamt. Das gilt es bei künftigem Verwaltungshandeln stärker zu berücksichtigen. Parteien werden es nicht schaffen, die Dialogplattform der Bevölkerung zu sein, zumal ihnen auch immer weniger die Lösung der Zukunftsfragen zugetraut wird. Hier können Verwaltungen als Vorbild, als Motor und innovativer Gestalter eine Vorreiterrolle einnehmen. Nur weil sie es sich zurzeit nicht vorstellen können, heißt es nicht, dass es nicht geht. Gleichwohl ist dafür eine Grundhaltung notwendig, die dem Menschen wertschätzend zugewandt ist. Sie wird ausgedrückt in dem Leitbild einer inklusiven Gesellschaft für alle. Jeder Mensch ist willkommen und wird eingeladen mitzumachen. Ohne sie wird es kaum gehen, die enormen gesellschaftlichen Herausforderungen zu gestalten. Dies wird nicht ohne Veränderungen erfolgen können. Dazu gilt es zu ermutigen. Auch das kann eine neue Rolle von Verwaltungen sein. Wer sagt, dass dies nicht gehe, so wie es aufgezeigt wurde, der sei aufgefordert zu sagen, wie die Herausforderungen gelöst werden sollen. Niemand hat ein Monopol auf gute Ideen.

3.10 Fazit Wer das Ziel hat, gutes, verlässliches und rechtskonformes Verwaltungshandeln auf allen politischen Ebenen und in allen thematischen Bereichen auch in Zukunft zu gestalten, der kommt nicht umhin, die gesellschaftlichen, technischen und wertebezogenen Veränderungsprozesse sowie deren Zusammenhänge in die Überlegungen einzubeziehen. Diese Veränderungen zu gestalten heißt, sich den neuen Realitäten zu stellen. Dabei ist Zukunft nicht als Verlängerung der Vergangenheit zu sehen. Es wird dann gelingen, wenn Mut zur Veränderung und Mut zum Neuen mitgebracht wird. Hierzu brauchen die Verwaltungen gesellschaftliche Partner, um zuvor gemeinsam identifizierte Ziele in einem kooperativen wertschätzenden Klima zu realisieren.

Literatur Niemann F-S, Geißle R (2016) Das berechenbare Problem? Die Altersstruktur der Kommunalverwaltungen 2016(3) wegweiser-kommune.de

Dr. Winfried Kösters  ist freiberuflich als Publizist, Journalist, Trainer, Moderator und Berater tätig. Der promovierte Politikwissenschaftler interessiert sich vor allem für die Schnittmengen der Zukunftsthemen Digitalisierung, Demografischer Wandel, Migration, Klimawandel, Globalisierung und/oder Wertewandel.

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Was ist Verwaltungsinformatik? Georg Disterer

Zusammenfassung

Das Fachgebiet der Verwaltungsinformatik gilt als das Teilgebiet der Wirtschaftsinformatik, das speziell auf Informationssysteme in der öffentlichen Verwaltung zielt. Wegen der spezifischen Anforderungen dieser Anwendungsdomäne werden Informatik und Verwaltungswissenschaft als wichtige Referenzdisziplinen angesehen. Da das Entscheiden und Handeln in öffentlichen Verwaltungen besonders durch rechtliche Rahmen und Maßgaben geprägt ist, ist genauso das Verwaltungsrecht von großer Bedeutung. Insofern integriert die Verwaltungsinformatik Wissensgebiete der Informatik, der Verwaltungswissenschaft und des Verwaltungsrechts. In diesem Beitrag ist dargestellt, was die Verwaltungsinformatik im Kern ausmacht und welche Bedeutung ihr heute und in Zukunft zukommt. Schlüsselwörter

Verwaltungsinformatik · Digitalisierung · Electronic Government ·  Wirtschaftsinformatik · Transformation

4.1 Gegenstandsbereich und Merkmale des Fachgebiets Verwaltungsinformatik beschäftigt sich als Fachgebiet mit dem Einsatz von Informationssystemen in öffentlichen Verwaltungen, also in Legislative, Exekutive und Judikative aller Ebenen, von der Europäischen Union über Bund und Länder bis zu den

G. Disterer ()  Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Schmid (Hrsg.), Verwaltung, eGovernment und Digitalisierung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27029-2_4

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Kommunen (vgl. Reinermann 2012, S. 131). Dabei gilt Verwaltungsinformatik weithin als Teilgebiet der Wirtschaftsinformatik, da für diese der Gegenstandsbereich mit „Informationssysteme (IS) in Wirtschaft, Verwaltung und privatem Bereich“ definiert wird (WKWI/GI 2012; GI/WKWI 2017; Heinrich 2012; Jung und Lehrer 2017). Um als eigenständige Disziplin zu gelten, fehlen der Verwaltungsinformatik einige wichtige Merkmale (vgl. Heinrich 2012, S. 224), zudem ist die Verwaltungswissenschaft als einer der Referenzdisziplinen für die Verwaltungsinformatik – verglichen mit der Betriebswirtschaftslehre für die Wirtschaftsinformatik – schwächer entwickelt (vgl. Reinermann 2012, S. 143). Daher ist die Verwaltungsinformatik anzusehen als branchenorientierte Spezialisierung der Wirtschaftsinformatik auf die besondere Anwendungsdomäne der öffentlichen Verwaltungen, so wie in der Wirtschaftsinformatik weitere Spezialisierungen z. B. für den Einsatz von Informationstechnik in Finanzdienstleistungsunternehmen oder in Produktionsunternehmen unterschieden werden. Demzufolge wird in der Verwaltungsinformatik gleichen grundlegenden Ansätzen wie in der Wirtschaftsinformatik gefolgt. Die Verwaltungsinformatik ist realwissenschaftlich ausgerichtet, da Phänomene der Wirklichkeit in und „rundum“ öffentliche Verwaltungen untersucht werden. Sie ist zu kennzeichnen als ingenieurswissenschaftlich, wenn die Gestaltung von Informationssystemen im Mittelpunkt steht, und als verhaltenswissenschaftlich, wenn die soziale Wirklichkeit analysiert wird (vgl. WKWI/GI 2012). Informationssysteme sind dabei soziotechnische Systeme, die also Menschen umfassen, die mit den Informationssystemen umgehen oder von ihnen betroffen sind, und maschinelle Komponenten wie Hardware, Software und Kommunikationseinrichtungen (vgl. WKWI/GI 2012) sowie einen Anwendungskontext durch die zu unterstützenden Aufgaben. Während sich die Wirtschaftsinformatik auf die Referenzdisziplinen Informatik und Betriebswirtschaftslehre bezieht, wird für die Verwaltungsinformatik die Disziplinen Informatik und – wegen der spezifischen Anwendungsdomäne „öffentliche Verwaltung“ – die Verwaltungswissenschaft als Referenz angesehen. Ebenso ist das Verwaltungsrecht eine Referenzdisziplin von großer Bedeutung (vgl. Becker et al. 2011; Reinermann 2012), da das Entscheiden und Handeln in öffentlichen Verwaltungen besonders durch rechtliche Rahmen und Maßgaben geprägt ist. Insofern integriert Verwaltungsinformatik als interdisziplinäres Fach Wissensgebiete der Informatik, der Verwaltungswissenschaft und des Verwaltungsrechts. Im Vergleich zum Einsatz von Informationstechnik in Unternehmen – einer der großen Anwendungsdomänen der Wirtschaftsinformatik – sind die Anforderungen in öffentlichen Verwaltungen oftmals höher: Die Rahmenbedingungen öffentlicher Verwaltung (z. B. Föderalismus, Ressortprinzip, Bürokratieprinzip, Konnexitätsprinzip, Verbot der Mischverwaltung, Kopplung von Politik und Verwaltung) führen zu einer komplexeren Verteilung von Zuständigkeiten und Entscheidungsrechten sowie zu mehrdimensionalen, oftmals konkurrierenden Zielstellungen (vgl. Schwertsik 2013, S. 78 und 104–109). Für öffentliche Verwaltungen liegen wesentliche Potenziale des Einsatzes von Informationstechnik in der organisationsübergreifenden, horizontalen wie vertikalen Zusammenarbeit

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und Kooperation zwischen Behörden, um Redundanzen zu vermeiden und Skalen- und Verbundeffekte (Synergien) zu nutzen. Dies setzt ein hohes Maß an Interoperabilität und Standardisierung der Informationssysteme voraus und resultiert in Netzwerkstrukturen, die dann zuverlässig und stabil betrieben werden müssen. Viele der genannten Rahmenbedingungen öffentlicher Verwaltungen sind derartigen Strukturen jedoch nicht förderlich, sondern begünstigen Doppelarbeiten, Fragmentierung und Inkompatibilität der Systeme (vgl. Schwertsik 2013, S. 89 ff.). Beim Einsatz von Informationstechnik sind demnach in öffentlichen Verwaltungen die Herausforderungen häufig höher als in Unternehmen, dies sei an einigen Beispielen verdeutlicht: • Die Leistungen öffentlicher Verwaltungen richten sich oftmals nicht an Einzelne, also an Individuen oder Organisationen, sondern abstrakt an „die Gesellschaft“, um das Gemeinwohl zu fördern, so z. B. wenn es um Daseinsfürsorge, soziale Gerechtigkeit und Sicherheit geht. Bei diesen Leistungen sind Verlässlichkeit und Stabilität wichtige Qualitätsmerkmale, die jedoch zugleich Änderungen und Modernisierungen verhindern oder behindern. Öffentliche Verwaltungen wirken dadurch schnell inflexibel. Zudem müssen Änderungen viel deutlicher erläutert werden, damit sie akzeptiert werden. Dagegen ist es in Unternehmen oft einfacher, relevante Zielgruppen zu erkennen und adäquat anzusprechen. • In Unternehmen sorgen Markt- und Wettbewerbskräfte dafür, dass das Handeln und Entscheiden stark geprägt wird durch hohe Ansprüche an Effektivität und Effizienz. Als adäquat angesehene Organisations- und Verfahrensstrukturen können nach wirtschaftlicher Rationalität relativ frei gewählt werden. Für öffentliche Verwaltungen dagegen wirken – insbesondere im Bereich hoheitlichen Handels – Mark- und Wettbewerbskräfte nicht. Bei Entscheidungen zu Organisations- und Verfahrensstrukturen sind neben wirtschaftlichen zwingend auch andere Rationalitäten zu beachten. Öffentliche Verwaltungen handeln im gesetzlichen Auftrag und werden politisch geführt; diese juristische und politische Rationalität prägt öffentliches Handeln und Entscheiden wesentlich (vgl. Reinermann 2012, S. 138–139). So sind föderale Strukturen und Körperschaften der Selbstverwaltung (erst einmal) vorgegeben und stehen damit oft klassischen Zielen beim Einsatz von Informationstechnologien – wie Standardisierung, Konsolidierung, Integration, Spezialisierung und die Nutzung von Skaleneffekten – entgegen. Die juristische Rationalität zwingt öffentliche Verwaltungen zu komplizierten und umfassenden Lösungen, während es Unternehmen oft freisteht, durch Verkürzungen und Vereinfachungen Erleichterungen zu erzielen. Ein Beispiel: Bei der Beantragung einer Hinterbliebenenrente muss die zuständige Verwaltung die Fallunterscheidung aufgreifen „Hat sich der Versicherte nach Vollendung des 15. Lebensjahres in den Niederlanden beziehungsweise nach Vollendung des 16. Lebensjahres gewöhnlich in einem der folgenden Länder aufgehalten: Australien, Dänemark, Finnland, Island, Israel, Kanada/Quebec, Liechtenstein, Norwegen, Schweden,

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Schweiz?“. In vergleichbaren Fällen haben Unternehmen die Möglichkeit und oft auch den Mut, Vereinfachungen – auch im Wortsinn – in Kauf zu nehmen. • In Unternehmen wird die Organisation seit vielen Jahren von Überlegungen zu Prozessen und Abläufen dominiert, womit bei Umstrukturierungen erhebliche Effizienzsteigerungen erzielt werden. Daher wird auch für öffentliche Verwaltungen eine stärkere Prozessorientierung angestrebt (Becker et al. 2011, S. 2). Dem stehen jedoch Grundsätze wie Föderalismus, Ressortprinzip, Selbstverwaltung u. ä. entgegen und hat zu fragmentierten und heterogenen Informationssystemen in öffentlicher Verwaltungen geführt. So sind in Deutschland für gleichwertige Arbeit in vielen Bundesländern und Kommunen unterschiedliche Informationssysteme entwickelt und eingeführt worden, die zudem wenig Integrations- und Kooperationsmöglichkeiten nutzen. • Eine wichtige Ansprech- und Zielgruppe öffentlicher Verwaltungen sind Bürgerinnen und Bürger, die jedoch viele Verwaltungsleistungen nur relativ selten in Anspruch nehmen. Daher muss bei Informationssystemen, die Bürgerinnen und Bürger beim Kontakt mit Verwaltungen unterstützen sollen, darauf Rücksicht genommen werden, dass wenig Erfahrungs- und Handhabungswissen bei Benutzerinnen und Benutzern vorliegen. Die Benutzeroberflächen müssen daher hohen Ansprüchen an Selbsterklärbarkeit und Bedienbarkeit genügen. Währenddessen werden in Unternehmen viele Informationssysteme von fachlich erfahrenen Benutzerinnen und Benutzer relativ häufig (täglich, stündlich …) eingesetzt; die Benutzeroberflächen können also an entsprechendes Erfahrungs- und Handhabungswissen anknüpfen. • Öffentliche Verwaltungen werden oft von vornherein als „Bürokratie“ negativ annotiert und stigmatisiert, sie werden per se als Übel und Verdruss bereitend angesehen (vgl. Fromm et al. 2015, S. 5). Wegen dieser Vorurteile ist der Anspruch von Bürgerinnen und Bürgern an Verwaltungsprozesse bezüglich wahrnehmbarem Nutzen und Mehrwert sowie Benutzerfreundlichkeit besonders hoch. Informationssysteme öffentlicher Verwaltungen müssen daher besonders einfach, verständlich und nützlich wirken (vgl. Fromm et al. 2015, S. 5), um nicht Vorurteile zu bestätigen und zusätzlichen Verdruss zu bereiten. • Bürgerinnen und Bürger nutzen im Privatleben zunehmend und umfassend Informationstechnik wie Smartphones, Tablets oder Notebooks. Aus der Erfahrung der vielfältigen Nutzung („user experience“) steigen die Ansprüche und Erwartungen von Bürgerinnen und Bürgern an die Kommunikation mit öffentlichen Verwaltungen. „… citizens are increasingly dissatisfied with government services – and compare them unfavorably with nimble, app-driven services in the private sector“ (McKinsey 2018, S. 2). Wenn im Privatleben dank Informationstechnik viele Angelegenheiten schnell und nach dem Motto „anything, anywhere, anytime“ erledigt werden können (vgl. Disterer und Kleiner 2018), dann erscheint es wenig komfortabel, wenn im Kontakt mit öffentlichen Verwaltungen Besprechungstermine vereinbart werden müssen, Öffnungszeiten von Ämtern zu beachten sind, Formulare (ggf. redundant) auszufüllen sind und

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Antwortzeiten eher Tage oder Wochen betragen. Dagegen unterliegen Unternehmen weniger Einschränkungen und Hindernissen im Kontakt mit Kundinnen und Kunden. • Für die Verwaltungsinformatik resultieren aus der speziellen Anwendungsdomäne der öffentlichen Verwaltungen Einsatzmöglichkeiten für Informationssysteme, mit denen die Möglichkeiten der Beteiligung einer großen Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern an der politischen Willensbildung erweitert und vertieft werden (E-Demokratie, E-Partizipation). Ziel ist die Öffnung von Staat und Verwaltung und eine Offenlegung von politischen und administrativen Vorgängen, um Vertrauen zu schaffen und eine stärkere Mitwirkung und Teilhabe der Bevölkerung an politischen Prozessen zu erreichen. Derartige Systeme spielen in Unternehmen eine untergeordnete Rolle, dort dominieren Informationssysteme zur Entscheidungsunterstützung, Koordination und Leistungserstellung. • Die Kommunikation und Zusammenarbeit öffentlicher Verwaltungen mit Bürgerinnen und Bürgern ist an strenge Grundsätze wie Gesetzmäßigkeit, Rechtsgleichheit, Verhältnismäßigkeit, Treu und Glauben u. ä. gebunden. Dies schränkt Verwaltungen wesentlich ein, während Unternehmen hier freier agieren und auch Methoden des Marketings intensiver nutzen können. Auch stehen Verwaltungen Lenkungsinstrumente bei der Gestaltung von Abläufen und der Nutzung von Kommunikationswegen nur beschränkt zur Verfügung, da alle Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch auf Teilhabe und gleiche Behandlung haben. Dagegen steht es Unternehmen weitestgehend frei, Abläufe und Kommunikationswege mit Kundinnen und Kunden zu gestalten und zu lenken, zum Beispiel dadurch, dass von Kunden unterschiedliche Kosten oder Gebühren verlangt werden. • Das Vergaberecht regelt für öffentliche Verwaltungen die Beschaffung von Sachmitteln und Leistungen mit dem Ziel, die Verwendung öffentlicher Finanzmittel nachweisbar und nachvollziehbar zu machen sowie den Wettbewerb zwischen Anbietern zu schützen und zu stärken. Dabei geht es zuvorderst um Delikte wie Preisabsprachen, Bestechung, Bestechlichkeit und Verletzung von Geheimhaltungsvorschriften. Durch den Aufwand zur Einhaltung der Vergaberichtlinien wird für öffentliche Verwaltungen die Beschaffung von Sachmitteln und Leistungen im IT-Bereich erschwert und verlangsamt. Demgegenüber haben Unternehmen wesentlich größere Freiheitsgrade bei Beschaffungsentscheidungen. Ähnlich engt das Personal- und Tarifrecht die Handlungsmöglichkeit von Verwaltungen im IT-Bereich ein und verlangsamt Entscheidungsvorgänge. Diese und ähnliche Merkmale des Einsatzes von Informationssystemen in öffentlichen Verwaltungen bilden den Rahmen für die Verwaltungsinformatik. Dabei mag vieles wie Hemmnisse und Barrieren wirken, jedoch sind dies oft zugleich Implikationen der grundlegenden und vollkommen unstrittigen Forderungen nach Ordnungsmäßigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Transparenz öffentlicher Verwaltungen. Die Merkmale wirken so wie konstituierende Eigenschaften staatlichen Handelns und sind daher nicht einfach zu

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modifizieren. Deutlich wird, dass das Fachgebiet der Verwaltungsinformatik interdisziplinär Wissensgebiete der Informatik, der Verwaltungswissenschaft und des Verwaltungsrechts integriert, um damit auf die Besonderheiten der speziellen Anwendungsdomäne öffentlicher Verwaltungen einzugehen.

4.2 Digitalisierung – Digital Government Im Zuge der aktuellen Diskussionen des Begriffs „Digitalisierung“ in Wissenschaft und Praxis ist zu fragen, welche neueren Entwicklungen in der Verwaltungsinformatik mit dem einschlägigen Begriff „Digital Government“ beschrieben werden (könnten). Insbesondere: Welche neuen Aufgaben, Ziele, Ansätze, Methoden oder Vorgehensweisen werden damit öffentlichen Verwaltungen beim Einsatz von Informationssystemen – und damit dem Fachgebiet der Verwaltungsinformatik – zugewiesen bzw. erschlossen. Die Diskussion um den Begriff Digitalisierung ist prägnant, da einige Fachvertreter dahinter kaum neue Inhalte erkennen können und den Begriff damit in den Bereich modischer Neuerscheinungen schieben, andere sehen einen Bedarf, neuere Entwicklungen mit einem neuen Begriff zu prägen. Die Diskussionen zum Begriff und dessen Verwendung sind durchaus auch inhaltlich anregend (vgl. Mertens et al. 2017; Mertens und Wiener 2018; Riedl et al. 2017; Legner et al. 2017). Dabei ist zu beachten, dass bei der zunehmenden Verwendung neuer Begriffe meist auch andere Interessen als das Ringen um Fachinhalte eine Rolle spielen: So nutzen Unternehmen neue Begriffe im Zuge des Marketings, um Aufmerksamkeit bei Kunden zu erringen und Nachfrage zu induzieren. Und in der Wissenschaft signalisiert eine Verwendung neuer Begriffe die Expertise bezüglich neuer Entwicklungen und eröffnet Möglichkeiten, zusätzliche Aufmerksamkeit und Unterstützung durch öffentliche Fördermittel zu erlangen (vgl. Mertens und Wiener 2018, S. 369). Trotz Bedenken bei der Verwendung umstrittener Begriffe: Der Ansatz von Legner/Eymann (vgl. Legner et al. 2017, S. 301–302) eröffnet die Möglichkeit, aktuelle Entwicklungen als neue und dritte Welle des Einsatzes von Informationssystemen anzusehen. Danach wurden in einer ersten Welle vor allem einfache Arbeitsroutinen automatisiert, vornehmlich durch Überführung analoger in digitale Größen zur elektronischen Übertragung, Verarbeitung und Speicherung mit Informationssystemen. In öffentlichen Verwaltungen betraf dies vor allem die Unterstützung interner Abwicklungs- und Kommunikationsprozesse mithilfe von Informationssystemen. Die zweite Welle wurde ausgelöst durch die Nutzung des Internets als weltweite Kommunikationsplattform, in öffentlichen Verwaltungen vor allem eingesetzt für die Unterstützung des Informationsaustauschs mit Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern. Danach ist die aktuelle – dritte – Welle ausgelöst durch eine Reihe technischer und sozialer Entwicklungen: Die mit SMAC (social, mobile, analytics, cloud) zusammengefassten Technologien haben einen beachtlichen Reifegrad erreicht und werden im Einsatz immer mehr miteinander

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kombiniert, während zugleich Verarbeitungs- und Speicher- und Übertragungskapazitäten weiter zunehmen. Der berufliche wie private Alltag vieler Menschen ist von der selbstverständlichen Nutzung von Informationssystemen durchdrungen, deren Akzeptanz (weiter) zunimmt. Bei dieser Situation kann angenommen werden, dass diese dritte Welle des Einsatzes von Informationssystemen unter dem Begriff Digitalisierung neue Möglichkeiten sowohl auf der Ebene von Individuen, als auch in Organisationen und Gesellschaften eröffnet (vgl. Legner et al. 2017, S. 301–302). Für öffentliche Verwaltungen kann das bedeuten, dass Informationssysteme nicht mehr „nur“ interne Abwicklungs- und Kommunikationsprozesse zum Informationsaustausch mit Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern unterstützen, sondern substanziell dazu beitragen, dass öffentlichen Verwaltungen sowie deren Entscheiden und Handeln von den Ansprech- und Zielgruppen mehr Vertrauen und Zufriedenheit entgegengebracht wird (vgl. Veit und Huntgeburth 2014, S. 6–7). Ein Beispiel: Bürgerinnen und Bürgern kann ermöglicht werden, viele behördliche Leistungen durchgängig über mobile Endgeräte nach dem Motto „anywhere, anytime“ zu empfangen, womit Öffnungszeiten, Wartezeiten, Nachfragen, Parkplatzsuche, Formulare und andere Verdruss auslösende Faktoren eliminiert wären. In diesem Sinne steht die Digitalisierung öffentlicher Verwaltungen für die Chance, aktuelle technische und soziale Entwicklung zu nutzen, um … “…digital government …is to transform the relationship between government and society in such a manner that people view government as more responsive, accessible, transparent, responsible, participatory, efficient, and effective than before.” (Veit und Huntgeburth 2014, S. 7)

Gleich, ob diese Entwicklung plakativ als neue Welle zu bezeichnen ist und damit eine Benennung mit dem Begriff Digitalisierung angezeigt erscheint, oder ob diese aktuelle Situation als Fortschreibung der bisherigen (vielen und substanziellen) Entwicklungen in der Nutzung von Informationssystemen anzusehen ist und damit die Verwendung modischer Begriffe entbehrlich ist: Im Fachgebiet der Verwaltungsinformatik werden immer technische und soziale Entwicklungen aufgenommen und geprüft werden müssen, ob und wie mit deren Einsatz ein Zielbetrag geleistet werden kann. Wenn denn Begriffe wie Digitalisierung dazu beitragen, dass ein Ruck an Aufmerksamkeit, Förderung und Anstrengung ausgelöst wird, dann hat es sein Gutes.

4.3 Ziele des Fachgebiets Die Formalziele im Fachgebiet Verwaltungsinformatik sind identisch mit denen in der Wirtschaftsinformatik: Angestrebt wird der effektive und effiziente Einsatz von Informationssystemen durch geeignete Maßnahmen bei der Konzeption, Entwicklung, Einführung, Wartung und Nutzung der Informationssysteme. Maßnahmenbündel bzw. Vorgehensprinzipien, die sich seit Jahren herauskristallisiert haben, sind etwa Prozessorientierung, Standardisierung, Vernetzung, Integration, Synergienutzung, Benutzerorientierung, Qualitätsmanagement und Sicherheitsmanagement.

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In den Sachzielen werden die Spezifika der Anwendungsdomäne der öffentlichen Verwaltungen widergespiegelt, z. B. Anforderungen nach Ordnungsmäßigkeit, Rechtsstaatlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Transparenz, Inklusion und Barrierefreiheit, Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber. Spezielle Maßnahmenbündel sind etwa horizontale und vertikale Zusammenarbeit zwischen Behörden, Bürokratieabbau, dezidierte Steuerung und Kontrolle. Handlungsfelder dienen oft der Beschleunigung von Bearbeitungsverfahren, der Erweiterung des Leistungsangebots über das Web und dem verstärkten Angebot mobiler Dienstleistungen. Dabei treten Besonderheiten der Verwaltungsinformatik teilweise deutlich zutage. Generell unterstützen Informationssysteme Prozesse der Willensbildung, Entscheidungsfindung sowie Leistungserstellung bzw. Aufgabenerfüllung. Im Unterschied zu vielen anderen Teilgebieten der Wirtschaftsinformatik spielen in der Verwaltungsinformatik Informationssysteme zu Unterstützung der Willensbildung tatsächlich eine Rolle, etwa wenn es mit Begriffen wie „E-Demokratie“ und „E-Partizipation“ um die Stärkung von Beteiligung geht, etwa mit Fragen wie: Können politische Prozesse Bürgerinnen und Bürger mithilfe von Informationssystemen transparenter und nachvollziehbarer dargestellt werden? Wie können Bürgerinnen und Bürger besser erreicht und zur Teilhabe motiviert werden? Verwaltungsinformatik hat als wissenschaftliche Disziplin die Aufgabe, geeignete Methoden für die Entwicklung und für den Betrieb einschlägiger Informationssysteme zu entwerfen und zu verifizieren. Dafür sind tiefgehende Beschreibungen und belastbare Erklärungen zu Informationssystemen in öffentlichen Verwaltungen notwendig. Daher werden in der Forschung zur Verwaltungsinformatik sowohl gestaltungsorientierte wie auch verhaltensorientierte Vorgehensweisen eingesetzt. Darüber hinaus werden sich Fachvertreterinnen und Fachvertreter der Verwaltungsinformatik aus praktischer wie wissenschaftlicher Sicht einbringen müssen in weit darüber hinaus gehende Fragen einer „Digitalpolitik“ oder „Digitalen Agenda“. Geklärt werden muss, welche Aufgaben der Staat zukünftig in einer digitalisierten Welt wahrnehmen kann und sollte. In vielen bedeutenden Bereichen des Gemeinwesens wie Sicherheit, Verkehr, Medizin, Wissenschaft, Kultur, Ausbildung, Energieversorgung u. a. sind Versorgungsaufträge der öffentlichen Hand erkennbar und entsprechende Aufgaben der Regulierung, Steuerung oder Ausführung werden von staatlichen Stellen, oft öffentlichen Verwaltungen, ausgeübt. Grundsätzlich ist ein Versorgungsauftrag des Staats in diesen Bereichen weitgehend unbestritten, wenn auch Form und Ausmaß staatlichen Handels immer mal wieder diskutiert werden. Nunmehr hat der Einsatz von Informationssystemen im Privatleben der Menschen, in Unternehmen und in öffentlichen Verwaltungen einen Umfang und eine Bedeutung erlangt, dass Fragen der staatlichen Regulierung und Steuerung in diesem Bereich wesentlich werden. Welchen Versorgungsauftrag soll (und kann) der Staat übernehmen? Dabei ist es eine grundlegende Aufgabe des Staats, das Gemeinwesen durch Rechtsetzung zu ordnen und das Recht dann auch durchzusetzen (vgl. Schallbruch 2018), etwa indem er für eine wirksame, nachvollziehbare und transparente Zuweisung von Ver-

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antwortung sorgt. Als Detailbeispiel dafür kann die Frage dienen, welche Verantwortung Betreibern öffentlich zugänglicher WLANs für Rechtsverletzungen von Benutzerinnen und Benutzer der Netzwerke zugeschrieben wird. Diese Frage der sogenannten „Störerhaftung“ wurde im Jahr 2017 geklärt: durch gesetzliche Regelung wurden die Betreiber weitgehend von der Verantwortung entbunden. Ähnliche Fragen stellen sich zur Haftung bei internetbasierten Geschäftsmodellen wie Airbnb, Uber u. ä. oder bei der Zweckentfremdung von privaten Wohnräumen oder Fahrzeugen. Rechtssetzung und wirksame Rechtsdurchsetzung wird vom Staat erwartet, damit nicht allein Marktkräfte die Regeln bei der Nutzung technischer Möglichkeiten setzen (vgl. Schallbruch 2018, S. 234). Ebenso sind Form und Ausmaß staatlichen Handels zur Grundversorgung bezüglich einer digitalen Infrastruktur zu klären, etwa zur flächendeckenden Bereitstellung ausreichender Mobilfunkkapazitäten oder zum Schutz kritischer Infrastrukturen. Insbesondere wichtig ist dabei, ob der Staat eine Grundversorgung „nur“ gewährleisten soll, oder ob er diese mittels öffentlicher Verwaltungen auch bereitstellen soll, etwa durch hoheitliche Durchführung der entsprechenden Aufgaben. Diese Frage ist zuvorderst durch gesellschaftliche Debatten und die Politik zu klären, Fachvertreterinnen und Fachvertreter der Verwaltungsinformatik sollten sich jedoch als versierte Stimmen einbringen.

4.4 Bedeutung des Fachgebiets Die Bedeutung der Verwaltungsinformatik ist aktuell hoch, verschiedene Entwicklungen (technische und organisatorische Innovationen, Demografie) werden zukünftig die Bedeutung stark wachsen lassen. Schon heute ist der Einsatz von IT in öffentlichen Verwaltungen erheblich: Die Kosten dafür betragen nach Schätzungen (incl. Personalkosten) jährlich ca. 13 Mrd. € (vgl. Fromm et al. 2015), dabei entfallen auf die Bundesebene ca. 4 Mrd. €, auf die Landesebene ca. 5 Mrd. € sowie auf die Kommunen ca. 4 Mrd. €. Der Einsatz von IT ist für eine funktionierende öffentliche Verwaltung längst unverzichtbar und – zugleich – wesentliches Instrument für die Modernisierung. Das Potenzial der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen wird als sehr hoch eingeschätzt (vgl. Initiative D21 2016, S. 3). Nach einer Hochrechnung möglicher Effizienzpotenziale könnten mehr als 30 % der Aufwände aufseiten der Verwaltungen und aufseiten der Nutzerinnen und Nutzer eingespart werden (vgl. Fromm et al. 2015, S. 5). Der aktuelle Einsatz von Informationstechnik in öffentlichen Verwaltungen in Deutschland wird jedoch kritisch gesehen: „Trotz des Vereinfachungs-, Beschleunigungs- und Entlastungspotenzials, das von E-Government ausgeht, ist dessen Entwicklung und Nutzung in Deutschland stark verbesserungswürdig“ (Ludewig 2015, S. 3; vgl. Fromm et al. 2015, S. 5). „Deutschland liegt bei der Digitalisierung der Verwaltung im Vergleich zu anderen Ländern weit zurück. Dadurch werden große Vereinfachungsund Einsparpotenziale verschenkt.“ (Nationaler Normenkontrollrat 2017, S. 4). Es gibt wenige durchgehende Onlineverfahren, wenig Mehrwert für Nutzerinnen und Nutzer

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und geringe horizontale und vertikale Kooperation zwischen Verwaltungen. Dementsprechend sind in Deutschland erhebliche Anstrengungen notwendig. Die aktuellen Pläne und Vorhaben klingen auch durchaus ambitioniert, z. B. „Wir werden die bürgerfreundlichste und anwenderfreundlichste Verwaltung Europas haben – bis 2021“ (P. Altmaier, damalig Kanzleramtsminister, im Wahlkampf 2017; vgl. Schardt 2017 S. 232). Und doch erinnert dies an die Ansage „Wir werden deshalb bis 2005 alle internetfähigen Dienstleistungen der Bundesverwaltung … online bereitstellen. In ein paar Jahren wird kein Student mehr vor dem BAföG-Amt Schlange stehen müssen und es wird sich niemand mehr einen Tag Urlaub nehmen müssen, um beim Straßenverkehrsamt sein Auto anzumelden“ (G. Schröder, damalig Bundeskanzler zur Eröffnung der Cebit 2001), deren Umsetzung wohl noch ein wenig dauern wird.

Literatur Becker J, Heide T, Hofmann S, Jurisch M, Knackstedt R, Krcmar H, Ley T, Räckers M, Thome I, Wolf P (2011) Forschungslandkarte „Prozessorientierte Verwaltung“. Studie im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, Münster Disterer G, Kleiner C (2018) Integration mobiler Endgeräte in die betriebliche IT-Landschaft. In: Lang M (Hrsg) IT-Management – Best Practices für CIOs. De Gruyter, Berlin, S 230–253 Fromm J, Welzel C, Nentwig L, Weber M (2015) E-Government in Deutschland: Vom Abstieg zum Aufstieg. Kompetenzzentrum Öffentliche IT des Fraunhofer-Institus für Offene Kommunikationssysteme FOKUS, Berlin GI/WKWI Fachbereich Wirtschaftsinformatik der Gesellschaft für Informatik und Wissenschaftliche Kommission Wirtschaftsinformatik (WKWI) im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft, Rahmenempfehlung für die Ausbildung in Wirtschaftsinformatik an Hochschulen, Gesellschaft für Informatik GI (Hrsg) (2017) Heinrich LJ (2012) Geschichte der Wirtschaftsinformatik – Entstehung und Entwicklung einer Wissenschaftsdisziplin, 2. Aufl. Springer Gabler, Berlin Initiative D21 (Hrsg) (2016) e-Government Monitor 2016 – Nutzung und Akzeptanz digitaler Verwaltungsangebote – Deutschland, Österreich und Schweiz im Vergleich. Springer, Berlin Jung R, Lehrer C, 3 (2017) Guidelines for education in business and information systems engineering at tertiary institutions. Bus Inf Syst Eng 59:189–203 Legner C, Eymann T, Hess T, Matt C, Böhmann T, Drews P, Mädche A, Urbach N, Ahlemann F, 4 (2017) Digitalization: opportunity and challenge for the business and information systems engineering community. Bus Inf Syst Eng 59:301–308 Ludewig J (2015) Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrates. In: Fromm J, Welzel C, Nentwig L, Weber M (Hrsg) E-Government in Deutschland: Vom Abstieg zum Aufstieg. Kompetenzzentrum Öffentliche IT des Fraunhofer-Institus für Offene Kommunikationssysteme FOKUS, Berlin McKinsey (2018) Delivering for Citizens – How to Triple the Success Rate of Government Transformations, McKinsey Center for Government, Discussion Paper Mertens P, Barbian D, Baier S (2017) Digitalisierung und Industrie 4.0 – eine Relativierung. Springer Vieweg, Wiesbaden Mertens P, Wiener M (2018) Riding the Digitalization Wave: Toward a Sustainable Nomenclature in Wirtschaftsinformatik – A Comment on Riedl et al. (2017). Bus Inf Syst Eng 60(4):367–372

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Nationaler Normenkontrollrat NKR (2017) Bürokratieabbau. Bessere Rechtssetzung. Digitalisierung. Erfolge ausbauen – Rückstand aufholen. Jahresbericht des Nationalen Kontrollrates, Berlin Reinermann H (2012) Verwaltungsinformatik – auch eine Wirtschaftsinformatik! In: Heinrich LJ (Hrsg) Geschichte der Wirtschaftsinformatik – Entstehung und Entwicklung einer Wissenschaftsdisziplin, 2. Aufl. Springer Gabler, Berlin, S 131–145 Riedl R, Benlian A, Hess T, Stelzer D, Sikora H (2017) On the relationship between information management and digitalization. Bus Inf Syst Eng 59(6):475–482 Schallbruch M (2018) Schwacher Staat im Netz. Springer, Wiesbaden Schardt A (2017) Der IT-Planungsrat – Zentrum der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung? Verwal Manage 23(5):227–235 Schwertsik AR (2013) IT-Governance als Teil der organisationalen Governance – Ausgestaltung der IT-Entscheidungsrechte am Beispiel der öffentlichen Verwaltung. Springer Gabler, Wiesbaden Veit D, Huntgeburth J (2014) Foundations of digital government – leading and managing in the digital era. Springer, Berlin WKWI/GI Wissenschaftlichen Kommission Wirtschaftsinformatik (WKWI) im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft und Fachbereich Wirtschaftsinformatik der Gesellschaft für Informatik (2012) Profil der Wirtschaftsinformatik. Wirtschaftsinformatik 54(1):6

Prof. Dr. Georg Disterer arbeitet an der Fakultät für Wirtschaft und Informatik der Hochschule Hannover. Er lehrt und forscht zu Themen der Wirtschaftsinformatik wie Informationsmanagement, IT Service Management, IT-Governance/-Compliance, Projektmanagement und Wissensmanagement.

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Wie lässt sich die Digitalisierung als Innovationsschub in der öffentlichen Verwaltung erfolgreich verhindern? Ulrich Kazmierski

Zusammenfassung

Die Digitalisierung in Deutschlands öffentlicher Verwaltung hinkt der allgemeinen Digitalisierungsentwicklung, auch international, markant hinterher. Diese Einschätzung ist nicht neu und die Medien berichten regelmäßig darüber. In diesem Beitrag wird die übliche Betrachtungsperspektive einmal umgedreht: Erklärungsbedürftig ist nicht, warum die öffentliche Verwaltung bei der Digitalisierung so stark hinterherhinkt, sondern: Was muss die öffentliche Verwaltung unbedingt tun, damit sich ihr digitales Hinterherhinken noch weiter verstärkt? Diese scheinbar absurd klingende Frage ist erkenntnisbringend, weil damit gelebte Strukturen, Prozesse und Verhaltensmuster in der Öffentlichen Verwaltung in den Blick kommen, die den Digitalisierungsprozess bisher gebremst und blockiert haben. Dieser Beitrag inszeniert gedanklich, wie sich die öffentliche Verwaltung erfolgreich vor der Digitalisierung schützen kann, damit sie die Digitalisierung als Innovationsschub erfolgreicher gestalten könnte.

Schlüsselwörter

Kontraintuives Betrachten · Routine- und Innovationsspiel · Dienst nach Vorschrift ·  Digitaler Dilettantismus · Juristen

U. Kazmierski (*)  Hochschule Harz, Wernigerode, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Schmid (Hrsg.), Verwaltung, eGovernment und Digitalisierung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27029-2_5

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Kernfrage: Wie kann sich die öffentliche Verwaltung erfolgreich vor der Digitalisierung schützen? Je stärker sich die öffentliche Verwaltung auf ihre formalen Strukturen und Prozesse fokussiert, desto wirksamer schützen Zentralisierung und digitaler Dilettantismus vor der Digitalisierung. Die öffentliche Verwaltung als „organisierte Komplexität“ lässt sich mit selbstorganisierenden Prozessen, Rückkopplungsschleifen und Vernetzungen modellieren.

5.1 Die kontrainduktive Problemstellung „Wir leben im Zeitalter der Digitalisierung, und das bedeutet, alles, was digitalisierbar ist, wird auch digitalisiert werden“ – das verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Digitalgipfel der Bundesregierung in Nürnberg Anfang Dezember 2018. Im „eGovernment-Monitor 2018“ ist zu lesen, dass die Nutzung von digitalen Verwaltungsangeboten in Deutschland nicht nur in den letzten Jahren, sondern auch in der Langzeitnutzung rückläufig ist: zu geringe Benutzerfreundlichkeit und mangelnde Durchgängigkeit der Dienste. Den „größten digitalen Nachholbedarf“ sieht die EU-Kommission „bei der Online-Interaktion zwischen Behörden und Bürgern. Nur 19 % der Bevölkerung nutzen elektronische Behördendienste. Damit liegt Deutschland unter den Mitgliedstaaten auf Platz 23“ von 28 EU-Staaten (vgl. DESI 2018). Diese Daten charakterisieren den gegenwärtigen (Zu)Stand der öffentlichen Verwaltung (ÖV) in Deutschland mit der Digitalisierung. Eine (teilweise oder vollständige) Automatisierung von Entscheidungs- und Bearbeitungsprozessen bei standardisierten und regelbasierten Verwaltungsleistungen (z. B. Once-Only-Prinzip, digitale Signatur) liegt „…noch in weiter Ferne…“, so Sabine Kuhlmann (2018, S. 2). In noch weiterer Ferne liegt die Form der Digitalisierung, in der die Rechtsanwendung strukturell neu aufgesetzt wird: Statt diese aus abstrakten Gesetzestexten zu deduzieren, werden alternative Prozess- und Regelmodelle mit Durchlaufzeiten und Aufwandswerten aus den Datenbanken der Gesetzesfolgenabschätzung angereichert, um ex-ante-Schätzungen der Folgekosten neuer gesetzlicher Regelungen konkret erwägen und simulierend testen zu können. Ein „digitalisierte“ Rechtsetzung erfordert eine radikale Umkehrung des Denkens, das dem strukturellen Motto folgt: „Erst die Inhalte und Prozesse, dann die Paragrafen“ (vgl. Institut für den öffentlichen Sektor 2018, S. 9–10). Dabei ist diese Alternative einer „…automationsgerechten Gesetzgebung…“ keineswegs neu, sondern wurde bereits 1966 von Niklas Luhmann eingehend diskutiert (vgl. 1997, S. 12). – Warum ist die ÖV in Deutschland bei der Digitalisierung so weit abgeschlagen? Und warum, so fragt Der Spiegel, „…macht die öffentliche Verwaltung weiter, als wäre nichts geschehen: ein analoges Dorf aus Öffnungszeiten und Wartenummern, Formularvordrucken und Stempeln, Wertmarken und Passfotoautomaten“ (Nr. 48/24. 11. 2018, S. 66)?

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Die Digitalisierung verändert mit Wucht und Tempo die internen Strukturen und Prozesse von Organisationen. Nun ist bekannt, dass die ÖV als bürokratische Organisation traditionell nicht besonders veränderungsfreudig ist. Ihre Trägheitselemente werden mit den nicht nur ironisch gemeinten drei Grundsätzen charakterisiert: „Es war schon immer so!“, „Da kann ja jeder kommen!“ und „Wo kommen wir da hin?“. Etwas wissenschaftlicher formuliert: angesichts ihrer Strukturmerkmale kann in der ÖV „…weder Notwendigkeit noch Anreiz zur Veränderung bestehen…“ (Hill 1997, S. 226). Erklärt diese Trägheit der ÖV ihr digitales Hinterherhinken? Dieser Beitrag dreht die bisher übliche Analyseperspektive grundsätzlich um: Erklärungsbedürftig ist nicht, warum die ÖV bei der Digitalisierung so hoffnungslos hinterherhinkt, sondern es wird gefragt: Was muss die ÖV unbedingt tun bzw. unterlassen, damit sich ihr digitales Hinterherhinken noch erheblich verstärken kann? Diese Betrachtungsperspektive klingt absurd. Sie ist kontraintuitiv und stellt vertraute Sichtweisen bewusst auf den Kopf, um verdeckte und versteckte Probleme finden und aufdecken zu können. Das Ziel dieses Beitrages ist es, aus einer kontraintuitiven Analyseperspektive ein kontrainduktives „Drehbuch“ mit absurden „Regieanweisungen“ zu schreiben, das ein hypothetisches Scheitern der ÖV bei der Digitalisierung gedanklich arrangiert. Dieses Wissen zeigt auf, was unbedingt zu vermeiden ist, um ein reales Scheitern bei der Digitalisierung zu verhindern.

5.2 Die öffentliche Verwaltung als „Oase“ Ein ernstzunehmendes Argument für das digitale Hinterherhinken der ÖV stammt von der Systemtheorie. Komplexität, so Dirk Baecker, „…ist organisierte Komplexität. Sie verdankt sich den selbstreferenziellen Operationen unzugänglicher, undurchschaubarer und unvorhersehbarer Systeme (black boxes, Nichttrivialmaschinen), die von außen nicht gezielt beeinflusst, sondern nur gestört werden können“ (Baecker 1999, S. 36). Für diese systemtheoretische „Diagnose“ sprechen vor allem zwei Tatbestände, die plausibel machen, warum die ÖV in digitaler Hinsicht „von außen nicht gezielt beeinflusst“, ja noch nicht einmal „gestört werden“ kann. Der erste Tatbestand ist die Monopolstellung der ÖV als alleiniger Anbieter öffentlicher Leistungen (z. B. Personalausweis, Kfz-Zulassung, Müllabfuhr). Die ÖV ist ohne Konkurrenz, es gibt keinen Wettbewerbsdruck, um die öffentlichen „Produkte“ zu verbessern. Es gibt keine direkten Anreize, mögliche Kosteneinsparungen vorzunehmen. Die ökonomischen Konsequenzen der Monopolstellung sind bekannt und entstehen, weil die ÖV in einem gesetzlich geschützten Raum agieren kann, ohne Konkurrenz zu anderen Behörden. Als Monopolanbieter genießt die ÖV ein „ruhiges Leben“ („The best of all monopoly profits is a quiet life“ (John Hicks)), weil auch die Unzufriedenheit der Bürger folgenlos bleibt. „Alles funktioniert, die Verwaltung verwaltet; je mehr man dem Kunden zumutet, desto größer ist die innere Effizienz. Wer außerhalb der Öffnungszeiten etwas will, muss halt am nächsten Tag wiederkommen“, so die

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­Verwaltungswissenschaftlerin Ines Mergel im Spiegel (Nr. 48/24.11.2018, S. 69). Die Monopolstellung ist ein gravierender Anreizdefekt, weil es von außen keinen (ökonomischen) Veränderungsdruck auf das System ÖV geben kann. Der zweite Tatbestand ist die „Verselbstständigung“ der ÖV „…sowohl gegenüber den Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten der Parlamente und politischer Leitungsinstanzen als auch gegenüber den Transparenzgeboten einer demokratischen Öffentlichkeit“ (Seibel 2017, S. 23). Diese „Verselbständigung“ entsteht, weil bürokratische Organisationen durch legitimierte politische Institutionen nur lückenhaft kontrolliert werden können. Die „Amtsinhaber“ können deshalb ihre (auch) eigennützigen Motivationen ausleben: „Macht, Einkommen, Prestige, Sicherheit, Bequemlichkeit, Loyalität“, die Anthony Downs mit seiner Typologie der „Amtsinhaber“ aufgrund ihrer verschiedenen Motivationsstrukturen („Aufsteiger“, „Bewahrer“, „Eiferer“ u. a.) beschrieben hat (vgl. 1974). „Verselbständigung“ bedeutet, dass die ÖV „weitgehend mit sich selbst beschäftigt…“ ist (Seibel 2017, S. 23). Dazu trägt auch der von Michel Crozier analysierte „bürokratische Circulus vitiosus“ mit seinen „dysfunktionalen Konsequenzen“ bei, wie die „schwache Kommunikation mit der Umwelt und unbefriedigende Anpassung an dieselbe“ (1971, S. 283). Diese beiden Tatbestände (Monopolstellung und Verselbständigung) bilden für die ÖV eine „Oase“, die sich weitestgehend selbst und ungestört gestalten kann. Seit vielen Jahren fordern Politik, Unternehmen und Bürger massiv die „digitale Verwaltung“, nur um feststellen zu müssen, dass diese sich nicht verordnen, anordnen oder einfordern lässt. Aufgrund der „Oasen“ -Situation fehlt der ÖV ein wichtiger Anpassungskonflikt zwischen ihrem äußeren System (Politik, Unternehmen, Bürger) und ihrem inneren System (als bürokratische Organisation). Die „Oase“ ist für die ÖV eine staatlich geschützte Komfortzone, die „von außen nicht gezielt beeinflusst“ werden kann. Kein Digitalisierungs-Druck von „außen“ kann die ÖV dazu bewegen, sich aktiv der Digitalisierung zu stellen. Selbst die massiven Forderungen nach einer „digitalen Verwaltung“ „stören“ noch nicht einmal. Veränderungen in dieser „Oase“ können sich entweder von „innen“ her entwickeln oder gar nicht. Sie schützt die ÖV, ohne dass sie selbst dabei aktiv werden müsste. Dieser „Oasen“ -Aspekt ist nicht nur für das Verstehen des digitalen Hinterherhinkens der ÖV wichtig, sondern auch für das nun folgende Inszenieren ihrer weitergehenden digitalen Nicht-Veränderung.

5.3 Das kontrainduktive „Drehbuch“ und seine absurden „Regieanweisungen“ Die anstehende Inszenierung leitet ein synergetisch orientierter „Regisseur“. Er gibt mit seinem kontrainduktiven „Drehbuch“ konkret-absurde „Regieanweisungen“, wie sich die ÖV in ihrer „Oase“ vor einer weiteren Digitalisierung erfolgreich schützen kann. Der „Regisseur“ unterscheidet in seinem „Drehbuch“ zunächst zwei Interaktions- „Spiele“: das „Routinespiel“ und das „Innovationsspiel“. „Routinespiele“ sind

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„­Handlungsroutinen in der Organisation, die die alltägliche Interaktion strukturieren“ und der „Strukturerhaltung der Organisation“ dienen; sie „reproduzieren eine Organisation“ (Wilkesmann 1999, S. 86). Haben sich Routinespiele in einer Organisation erst einmal etabliert, dann widersetzen sie sich auftretenden (z. B. digitalen) Veränderungen. „Innovationsspiele“ dienen der „Generierung neuer Ideen und zur Änderung von Routinespielen“. Erfolgreich durchgesetzte Innovationsspiele sind „neue Routinespiele“ mit neuen Strukturen, Prozessen, Anreizen, Kompetenzen (Wilkesmann 1999, S. 92). Ein gelingendes digitales Innovationsspiel in der ÖV würde sich in einem neuen (digitalen) Routinespiel mit neuen Strukturen (z. B. Smart-City), Prozessen (z. B. antragslose Verfahren) oder „Produkten“ (z. B. „digitaler Baby-Point“) manifestieren. Aus diesen beiden Interaktions- „Spielen“ leitet der „Regisseur“ zwei „Spiel“ strategien ab: 1) Routinespiele mit „hoher Widerstandsfähigkeit gegen Veränderungen“ (Wilkesmann 1999, S. 166) werden als „Blockade“ gezielt eingesetzt, um digitale Innovationsspiele am Entstehen zu hindern. 2) Die bereits angelaufenen digitalen Innovationsspiele wird man durch ausgewählte Maßnahmen „in die falsche Richtung lenken“ (Wilkesmann 1999, S. 91), um ihr digitales Veränderungspotenzial weitestgehend zu neutralisieren.

5.4 Das Routinespiel „Dienst nach Vorschrift“ Die erste „Regieanweisung“ lautet: Organisiere und forciere „Dienst nach Vorschrift“-Routinespiele! Der Grundgedanke ist einfach: Digitalisierung erfordert in Organisationen massive Veränderungen. Bewehrte Routinespiele mit ordentlicher „Widerstandsfähigkeit gegen Veränderungen“ können diese Veränderungen dämpfen und neutralisieren. Der „Dienst nach Vorschrift“ (DNV) bietet sich als Routinespiel an, weil dabei, synergetisch gesprochen, selbstausgleichende Rückkopplungsschleifen wirken, die die unerwünschten Änderungen reduzieren und ausgleichen: Eine solche „Ausgleichsschleife wirkt immer gegenläufig zu jeder dem System aufgezwungenen Art der Veränderung. Wenn ein Bestand zu sehr anwächst, versucht die Ausgleichsschleife, ihn wieder herunterzufahren. Sinkt er zu rasch ab, versucht die Ausgleichsschleife, ihn wieder hochzufahren“ (Meadows 2010, S. 45). Diese Problemauflösungsprozesse der Routinespiele stabilisieren die bestehende Systemarchitektur, sodass der Status quo der Organisationsstruktur bewahrt werden kann. Dieses Bewahren von Strukturen ist bei ausgleichenden Rückkopplungsschleifen dominierend. Gelingende DNV-Routinespiele stabilisieren ihre eigenen Systemstrukturen und können deshalb in Richtung digitale Nicht-Veränderbarkeit der ÖV wirken. Als „Spiel“ strategie fokussieren sich DNV-Routinespiele auf die formalen Kernprozesse der ÖV. Die administrative Organisationsform des DNV kennt grundsätzlich „keine Ausnahme von der Regel“ und sorgt dafür, dass informelle Elemente in der ÖV (z. B. Blankounterschriften auf Protokollen) wenig Raum einnehmen. Die Mitarbeiter

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kennen ihre Zuständigkeiten und den Dienstweg. Der „Dienst“ besteht im Abwickeln vorgegebener, klar geordneter Verfahrungsschritte, die sich in konsequenten Routinetätigkeiten zeigen, also repetitiven Tätigkeiten, die stets den gleichen Mustern folgen. Die Mitarbeiter befolgen dabei strikt („buchstabengetreu“) die formalen „Spielregeln“. Dadurch verzögert sich die Zusammenarbeit mit anderen und es entstehen Wartezeiten. Betroffene, die sich über lange Wartezeiten beschweren, werden dann betont ruhig darauf hingewiesen, dass Vorschriften eben dazu da sind, dass man sie befolgt, denn sonst bräuchte man sie nicht. Vor allem wegen der Zeitverzögerungen wird der DNV als eine der effektivsten Streikformen (z. B. bei Fluglotsen) angesehen (vgl. Kühl 2012, S. 88). Bei DNV-Routinespielen schrumpfen die Entscheidungsspielräume zunehmend. Entscheidungen müssen immer weniger getroffen werden, weil die Entscheidungs- bzw. Ermessensspielräume durch Vorgaben zunehmend eingegrenzt, ersetzt und zentralisiert werden. Routinespiele konzentrieren sich im Wesentlichen auf das „Verwalten“ von spezifischen Entscheidungssituationen, in denen nicht mehr entschieden werden braucht, weil bereits schon entschieden wurde. Der DNV wird durch Vorgaben konstituiert, die routinemäßig und, im Sinne dieser „Spiel“ strategie, bewusst manuell abzuarbeiten sind (z. B. Abtippen von Notizen und Daten, manuelles Berechnen von Zuwendungen und Beihilfen). Eine idealtypische Verwaltung im Sinne eines perfekten DNV-Routinespiels wäre eine „..juristisch durchkonstruierte öffentliche Verwaltung“ (Luhmann 2006, S. 17), die keine Entscheidungsträger mehr bräuchte. Der Jurist beschränkte sich nur auf rechtliche Zulassungsfragen und „müßte“ sich, so beschrieb es der Verwaltungsjurist Luhmann, „…in einem Haus ohne Fenster einschließen [..], das nur durch einen Briefkasten für Gesetzesblätter und Schriftsätze mit der Umwelt verbunden ist“ (1997, S. 12). Dabei sind die DNV-Routinespiele keineswegs nur idealtypische und wirklichkeitsfremde Zuspitzungen. Es sind u. a. die nicht-intendierten Effekte von Reformen, die die DNV-Routinespiele unterstützen. Mergel weist darauf hin, dass im Rahmen des „New Public Managements“ zahlreiche „Aufgaben, die nicht zur Kernkompetenz der Verwaltung“ zählen, outgesourct sowie die behördenübergreifende Arbeit durch Dezentralisierungen von Aufgaben „verringert“ wurden. Daraus entstanden „Silobildung“, „geringerer Datenaustausch“ sowie „Reduzierung der organisationsinternen Kompetenzen und Ressourcen im IT-Bereich“ (2018, S. 17), die als strukturelle Effekte des NPM die Digitalisierung heute erschweren. DNV-Strategien beinhalten zwei größere Gefahren. Die erste Gefahr sind die unerwünschten Effekte des DNV, deren Wirkungen die „DNV-Routinespiele“ selbst beeinträchtigen können. Bei einem konsequenten DNV ist die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich jenseits ihrer Routinen in der ÖV zu engagieren, unerwünscht. Unter dem Diktat des DNV werden die Mitarbeiter nur noch das tun, was die offiziellen Vorgaben fordern. Der Vorteil: Wer sich an die Vorgaben hält, kann auch nichts falsch machen. Die Mitarbeiter entwickeln eine Vermeidehaltung mit Folgen: Motivation und Engagement der Mitarbeiter können erodieren, es kommt zu stumm bleibender Resignation, die sich

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bis zum Bore-out-Syndrom entwickeln kann; es kommt zu Leistungsabfall, Arbeitsplatzwechsel oder zum Verlassen der Organisation. Damit „DNV-Routinespiele“ sich dadurch nicht zu stark destabilisieren, gibt der „Regisseur“ eine weitere „Regieanweisung“. „Regieanweisung“ Nr. 2: Setze wirksame Abwehrmuster gegen die Negativ-Aspekte des DNV ein! Für den Ruf und das Klima in der Organisation ist es wichtig, dass Negativ-Aspekte aus dem Personalbereich innerhalb (und außerhalb) der ÖV nicht diskutiert werden (können). Treten Diskussionen auf, dann sind sie „undiskutierbar“ zu machen. Chris Argyris und Donald Schön beschreiben eine tiefgehende Logik des „organisationalen Abwehrverhaltens“, zu der u. a. „Vertuschungsmanöver“, einschließlich der „Vertuschung der Vertuschung“, oder Tabuisierungsrezepte, einschließlich der „Tabuisierung des Tabuisierten“, gehören (Argyris und Schön 2002, S. 111). Noch wirkungsvoller sind „…sich selbst verstärkende Abwehrmuster…“ (S. 285), weil sie gewünschte Dynamiken entwickeln können. Konkretes Abwehrverhalten von Führungskräften sind das Runterspielen von Problemen, das Sanktionieren von Überbringern schlechter Nachrichten, das Identifizieren von Sündenböcken, das Hinausschieben notwendiger Entscheidungen, das „um den Brei herumreden“ u. v. m. Eine zweite Gefahr kann noch viel bedrohlicher werden, weil sie sogar die gesamte „Spiel“ strategie vernichten könnte. DNV-Routinespiele werden eingesetzt, um digitale Innovationsspiele in der ÖV zu verhindern. Dennoch können sich gelingende Routinespiele mit hoher Widerstandskraft in eine tragische Falle hineinmanövrieren: Je perfekter (und idealtypischer) sich DNV-Routinespiele entwickeln, desto kompatibler werden sie für die Digitalisierung: Technisch ist es längst möglich, dass „Verwaltungsakte“ als „Kerngeschäft“ der ÖV auf Basis automatisierter Entscheidungsfindungen in Echtzeit erfolgen können. Bereits 1966 (!) sah der Verwaltungswissenschaftler Luhmann nach eingehender Betrachtung des Verhältnisses von Recht und Automation (1997) „…keine Bedenken, das Endprodukt des Maschinendurchlaufs auf Grund der geistigen und maschinellen Vorarbeiten, […] als Verwaltungsakt zu charakterisieren“ (S. 74). Diese Form der Digitalisierung beim „Herzstück der Verwaltung“ (Seibel), die für die ÖV gegenwärtig noch in weiter Ferne liegt (s. o.), würde durch gelingende DNV-­Routinespiele geradezu mundgerecht für die Digitalisierung zubereitet. An dieser Stelle zeigt sich deutlich, wie sehr das bisher erfolgreiche „Geschäftsmodell“ der (überwiegend) analog arbeitenden ÖV durch die Digitalisierung bedroht wird: Je erfolgreicher sich DNV-Routinespiele entwickeln, desto größer ist die Gefahr einer digitalen „Übernahme“. Würde die manuelle „Arbeit an der Akte“ in der ÖV durch „automatisierte Rechtsentscheidungen“ (Luhmann) in Echtzeit flächendeckend eingeführt werden, dann droht ein dramatischer „Switch“ der analogen Routinespiele in digitale Innovationsspiele. Das wäre ein „Worst Case“, der sich ausgerechnet aus der (scheinbaren) Statik der Routinespiele heraus entwickelt und vollkommen unbeabsichtigt einen transformierenden Impuls in Richtung „digitale Verwaltung“ entfaltet. Für diesen Fall hat der „Regisseur“ eine zweite „Spiel“ strategie parat.

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5.5 Digitale Innovationsspiele in die falsche Richtung lenken Die zweite „Spiel“ strategie soll verhindern, dass sich bereits vorhandene digitale Innovations „spielchen“ etablieren oder plötzlich neu auftretende Innovationsspiele (z. B. durch einen Worst-Case-Switch) weiterentwickeln können. Ein Erfolgsbeispiel für diese „Spiel“ strategie wäre, wenn die elektronische Steuererklärung ELSTER nicht zu einem automatisierten Verfahren entwickelt wird, mit dem wir Steuerzahler unsere Steuererklärung in fünf Minuten (und sogar im Wald, wie in Estland) erledigen können. Beim Innovationsspiel gibt es zwei synergetische Besonderheiten: 1) Im Gegensatz zum Routinespiel wirken im Innovationsspiel selbstverstärkende Rückkopplungsschleifen. Selbstverstärkende Rückkopplungen sorgen für ein beschleunigtes (exponentielles) Anwachsen eines Bestandes (z. B. das nicht-linear anwachsende Kapitel durch den Zinseszinseffekt). Die Zielabweichungen werden im Zeitablauf immer größer (die überproportional wachsenden Zinserträge bei konstantem Zinssatz). 2) Bei der zweiten Besonderheit werden die Innovationsspiele mit Routinespielen gekoppelt, sodass daraus komplexere Rückkopplungssysteme entstehen. Der Hintergrund für diese systematische Kopplung liegt im Stabilisieren des Gesamtsystems: Um das exponentielle Anwachsen des Bestandes im Innovationsspiel nicht eskalieren und zusammenbrechen zu lassen, wird es durch das dämpfende Routinespiel „gebändigt“. Auf diese Weise sind dynamische Gleichgewichte erreichbar, in denen sich die selbstausgleichenden und die selbstverstärkenden Effekte wechselseitig stabilisieren (vgl. Meadows 2010, S. 52 ff.). Zurück zur zweiten „Spiel“ strategie: Im Zuge der Digitalisierung wurden die Routinespiele der ÖV mit digitalen Innovations „spielchen“ (z. B. Online-Terminvergabe, Online-Ausfüllhilfe) oder mit gewaltigen digitalen Innovationsspielen (z. B. „Digitale Verwaltung 2020“, „Verwaltung 2022“) gekoppelt. Damit entstehen komplexere Systemarchitekturen. Zu Beginn der digitalen Entwicklungsprozesse dominieren die selbstausgleichenden Rückkopplungsstärken der Routinespiele gegenüber den selbstverstärkenden Rückkopplungsstärken der digitalen Innovationsspiele. Die digitalen Veränderungen im Gesamtsystem (Routine- plus Innovationsspiel) sind zu Beginn verschwindend bis minimal. Aber sie werden im Zeitablauf (exponentiell) zunehmen und von den Routinespielen immer weniger absorbiert werden können. Denkbar sind Dominanzverlagerungen zugunsten der digitalen Innovationsspiele, die zu dauerhaften strukturverändernden digitalen Prozessen in der ÖV führen. Die Stärke der dämpfenden Rückkopplungen wird vergleichsweise immer schwächer, die der selbstverstärkenden Rückkopplungen wird vergleichsweise immer stärker. Das erklärte Ziel der zweiten „Spiel“ strategie ist es, die Stärke der selbstverstärkenden Rückkopplungsschleifen gezielt so weit zu schwächen, dass die ursprüngliche Dominanz der selbstausgleichenden Rückkopplungen zu Beginn der Digitalisierung erhalten bleibt (vgl. Meadows 2010, S. 61). Die digitalen Innovationsspiele werden nun ausgebremst und durch geschickte Routinespiele „in die falsche Richtung“ gelenkt. Was ist zu tun?

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Die ÖV ist nicht nur ein „Produzent“ von Verwaltungsakten, sie sorgt auch für die Bereitstellung von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen (z. B. leistungsfähige Infrastruktur, Müllabfuhr). Diese öffentlichen Aufgaben sind rechtlich nicht determiniert, weder die Ziele sind rechtlich vorgegeben, noch entscheiden juristische Kategorien darüber, ob diese Ziele erreicht werden (vgl. Krems). In Luhmanns Terminologie ausgedrückt, verfolgt die ÖV neben dem juristischen „Konditionalprogramm“ auch ein nicht-juristisches „Zweckprogramm“. Diese Erweiterung durch „außerrechtliche Entscheidungsprämissen“ bedingt das „Phänomen hybrider Rollenmuster des leitenden Personals“ (Seibel 2017, S. 17): Neben der Rolle des „Verwalters“ im „Konditionalprogramm“ erfordert es die Rolle des „Managers“ im „Zweckprogramm“ als eigenständige Form des Organisierens, auch wenn der „Zweck“ „in den Augen unserer Juristen als Willkür [erscheint], wenn er nicht durch das Recht […] konditioniert wird“ (Luhmann 1997, S. 39, Fußnote 11). Diese Kopplung von Konditional- und Zweckprogrammen in der ÖV entspricht auf der synergetischen Ebene die Kopplung von selbstausgleichenden mit selbstverstärkenden Rückkopplungsschleifen. Damit sind auch die beiden Rollen und Qualifikationen „Verwalten“ und „Managen“ systematisch zu trennen. Verwalten ist nicht managen, auch wenn zahlreiche (nicht-ökonomische, vor allem juristische) Entscheidungsträger beide Rollen und Qualifikationen gerne vermischen bzw. alles, was sie tun (bzw. nicht tun), grundsätzlich als „managen“ ansehen. Erfolgreiches „Verwalten“ sorgt für erfolgreiche Routinespiele, erfolgreiches „Managen“ für gelingende Innovationsspiele. Verwalter sind Experten für selbstausgleichende Rückkopplungsschleifen, Manager für selbstverstärkende Rückkopplungsschleifen. Wird entweder die zu verwaltenden Routinespiele oder die zu managenden Innovationsspiele nicht mit den dafür erforderlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten „gespielt“, dann entsteht „Dilettantismus“ (Kühl 2007, S. 389). Ein ökonomisch nicht-qualifizierter Verwalter kann Innovationsspiele nur dilettantisch managen (und führen). Dilettanten „spielen“ grundsätzlich im falschen „Spiel“ und können damit die Einflussstärken der Innovationsspiele erheblich schwächen. Um im Sinne der zweiten „Spiel“ strategie einen dilettantischen Aktionismus in den Innovationsspielen zu ermöglichen und zu fördern, lautet die „Regieanweisung“ Nr. 3: Setze für die Führungs- und Managementaufgaben in der ÖV ökonomische Dilettanten ein!. Führen ist nicht Managen (vgl. Covey 2008, S. 116 ff.); Führen ist auch nicht Verwalten. Dilettanten-Verwaltung, Dilettanten-Management und Dilettanten-Führung liegt dann vor, wenn eine Organisation nicht durch qualifizierte, spezialisierte und erfahrene Experten verwaltet, gemanagt oder geführt werden, sondern wenn diese Funktionen von Personen wahrgenommen werden, die eigentlich für andere Aufgaben im Rahmen ihrer Leistungserstellung in ihren Organisationen eingestellt oder berufen wurden. Mitunter übertragen öffentliche Organisationen das Managen und Führen ihrer Organisation Personen, die mit diesen Aufgaben bisher noch gar nicht in Berührung gekommen sind (z. B. Professoren als Dekane, Chefärzte in Klinikleitungen). Aufgrund ihrer oberen Hierarchieposition wird ihnen eine ökonomische „Kompetenzvermutung“ e­infach

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u­ nterstellt (vgl. Kühl 2008). Das betrifft vermutlich auch für die ÖV. Crozier wies darauf hin, dass z. B. in „Behörden“ die Entscheidungsträger „…selber keine direkte Kenntnis der Probleme [haben], die zu lösen sie berufen sind“ (1971, S. 280), was die dysfunktionalen Auswirkungen des Dilettantismus bei „hybriden Rollenmuster“ erheblich erhöhen dürfte. Der ökonomische Dilettantismus zeigt sich oft in Überforderungen und Unfähigkeiten, selbst einfachere (ökonomische) Problemstellungen zu begreifen und in geeigneter Weise zu bearbeiten. Es fehlt schlicht an ökonomischen Grundkenntnissen und Fähigkeiten. Oft können übergreifende Zusammenhänge nicht erkannt und adäquat organisierend umgesetzt werden, z. B. wenn Vorgesetzte Strategiesitzungen ankündigen und „strategiefrei“ durchführen. Da für (digitale) Innovationsspiele nicht nur ökonomische, sondern vor allem auch digitale Kompetenzen gefordert sind, spezifiziert der „Regisseur“ seine dritte „Regieanweisung“: Setze für Führungs- und Managementaufgaben in der ÖV nicht nur ökonomische, sondern auch digitale Dilettanten ein! Diese „Regieanweisung“ fordert die ÖV auf, ihre digitalen Innovationsspiele in ökonomischer und digitaler Sicht gezielt nicht-qualifiziert und nicht-professionell, also dilettantisch, zu „spielen“. Dazu einige Empfehlungen: Die Digitalisierung wird zur Chefsache erklärt, wobei die Chefs und Chefinnen digitale Dilettantisten/Dilettantistinnen sind. Auf keinen Fall sind sie „Digital Natives“. Zeigen Mitarbeiter Fähigkeiten, dass sie mit digitalen Informationen digital-innovativ umgehen können (Digital Literacy), dann sind sie zunächst sanft zu sanktionieren. Aus- und Weiterbildungen zum Entwickeln digitaler Kompetenzen sind für Mitarbeiter überflüssig und nur in der Freizeit zu absolvieren. Die digitalfreie Personalentwicklung erfolgt nach dem bewährten „Schmidt-sucht-­ Schmidtchen“-Syndrom (Sprenger 2002, S. 245). Die digitalen Umwandlungsstufen des aktuellen Innovationsspiels „Verwaltung 2022“ müssen unbedingt auf einem niedrigen Level stecken bleiben. Dazu ist viel analoger „Sand ins Getriebe“ durch „hidden actions“ zu verstreuen. Aber auch klare Kommunikationsstile z. B. gegenüber externen IT-­ Experten, die „geringschätzig als „Kids in Shorts“ bezeichnet [werden], denen es oftmals an Verständnis für die gewachsenen Strukturen, die negativen Anreize der Bürokratie und einem generellen Verständnis für die rechtliche Verbindlichkeit eines Verwaltungsaktes fehlt“ (Mergel 2018, S. 18), haben sich sehr bewährt. Sollte es trotz aller Bemühungen an digital-dilettantischen „Spielern“ für die digitalen Innovationsspiele mangeln, dann kämen auch „Ersatz-Spieler“ mit „Eunuchenwissen“ in Frage: „Sie wissen, wie es geht, können es aber nicht“ (Dörner 2009, S. 323). Dieses „Phänomen hybrider Rollenmuster des leitenden Personals“ mit seinen Rollenvermischungen von Verwalten, Managen und Führen in der ÖV thematisierte Luhmann unter der Überschrift „Juristenmonopol“: Der „Platz des breit orientierten Verwaltungsbeamten [wird] durch den Juristen besetzt“ (1966, S. 12). Das Problem sah der Verwaltungsjurist Luhmann darin, dass die Grundbegriffe der Rechtswissenschaft sich „… nicht als Kontaktbegriffe zu anderen Wissenszweigen…“ eignen, daher sei „…eine Einarbeitung in den Denkstil anderer Wissenschaften [..] für den Juristen nicht möglich, zumal seine Entscheidungsprämissen und seine dogmatisch-exegetische ­Technik

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der Fallbearbeitung ihm den Zugang eher verbauen als erschließen“ (S. 13–14). Da jedoch die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in der Verwaltung „…herangezogen und genützt werden müssen, verliert der Führungsanspruch des Juristen seine traditionelle Selbstverständlichkeit“ (1966, S. 14). Luhmann stellte das „Selbstverständnis des Juristen in der deutschen öffentlichen Verwaltung, seinem Anspruch auf Führung und Gesamtverantwortung oder mindestens doch auf durchgehende Beteiligung“ eindeutig in Frage, denn der Jurist sei „…selbst nur ein Spezialist neben anderen Spezialisten“ (1997, S. 10). Wenn also in der ÖV der „Führungsanspruch des Juristen“ als seine „traditionelle Selbstverständlichkeit“ immer noch bewahrt werden konnte (selbstausgleichende Rückkopplung!) und „…der Jurist sich in seinen generalisierenden Ansprüchen irrt“ (­Luhmann 1997, S. 10), dann verkörpert der Jurist als Verwaltungsbeamter in ausgezeichneter Weise diese Rollenvermischung mit ihrem dilettantischen Potenzial, die Einflussstärke von (digitalen) Innovationsspielen spürbar zu verringern. – Soweit die Darstellung der zweiten „Spiel“ strategie, die wegen ihrer komplexen Ausgestaltung an dieser Stelle unvollständig bleiben muss.

5.6 Fazit Was muss die ÖV in Deutschland unbedingt tun bzw. unterlassen, damit sich ihr digitales Hinterherhinken noch weiter verstärkt? Die Antwort des kontrainduktiven „Drehbuches“ lautet: 1) Organisiere und forciere die Zentralisierung in der ÖV durch konsequente DNV-Routinespiele und 2) implementiere angesichts der „hybriden Rollenmuster“ eine stärkere ökonomische und digitale Dilettantisierung der Entscheidungsträger in der ÖV, damit die digitalen Innovationsspiele schlecht(er) gespielt werden. Mit diesem kontrainduktiven „Drehbuch“ lässt sich die Digitalisierung als Innovationsschub in der ÖV erfolgreich blockieren und das digitale Hinterherhinken noch verstärken. Die ÖV sollte es daher unbedingt unterlassen, die vorliegenden Ergebnisse zu ignorieren, wenn sie an einem erfolgreichen Scheitern der Digitalisierung interessiert ist. Hypothetisch! Das gedankliche Arrangieren des digitalen Scheiterns der ÖV kann nur ein Zwischenschritt sein. Das kontrainduktive Analyseergebnis ist absurd, aber plausibel. Absurd, weil kontraintuitiv gedacht, und plausibel, weil die Absurdität sich sofort auflöst, wenn die negativen Vorzeichen (als Minuszeichen) bei den kontrainduktiven „Regieanweisungen“ in ein Pluszeichen verwandelt werden. Das Kontraintuitive verwandelt sich unmittelbar in etwas Intuitives und unsere „Welt“ stimmt wieder. Mit dem vorliegenden Ergebnis existiert eine Art „Landkarte“, mit der auf gezielte Weise nach den Potenzialen in der ÖV gesucht werden kann, die bisher die Digitalisierung gebremst und blockiert haben. Dennoch bleibt die Frage, ob und wann angesichts der aufgestauten Ungeduld mit dem digitalen Hinterherhinken die ÖV endlich in Richtung „digitale Verwaltung“ durchstartet. Mit „Verwaltung 2022“? So absurd-plausibel die kontrainduktive Analyse auch sein mag, für eine realistische Einschätzung zu dieser Frage sollten die folgenden zwei Aspekte berücksichtigt werden:

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U. Kazmierski

1. Mit der „Oasen“ -Situation (vgl. Abschn. 2) bewegt sich die ÖV in einer einzigartigen Komfortzone. Jede Organisation stellt sich einem Anpassungskonflikt zwischen „innen“ und „außen“. Die ÖV nicht! Kein Digitalisierungsdruck von „außen“ kann die ÖV dazu bewegen, sich in Richtung „Verwaltung 2022“ zu verändern. Man mag mit der „Landkarte“ in der Hand noch so viele digitale Potenziale in der ÖV ausfindig machen, die die bisherige Digitalisierung gebremst und blockiert haben, die meisten Digitalisierungsimpulse von „außen“ werden die „Oase“ nie erreichen. 2. Eine Digitalisierung als Innovationsschub benötigt (auch in der ÖV) dezentrale Organisationsstrukturen mit „Digital Leader“ und „Digital User“ als kompetentes Personal. Diese Situation ließe sich mit neuen, digitalen Routinespielen beschreiben. Der Weg dorthin führt über gekoppelte Routine-Innovationsspiele, in denen strategisch keine „Dominanzverlagerungen“ (Meadows) bei den konkurrierenden Rückkopplungsschleifen angestrebt werden, sondern ein wechselseitiges Kooperieren der Rückkopplungen auf hohem Niveau, die in der ÖV auch digitale Systemarchitekturen entstehen lassen, die selbstorganisierend sind und dynamische Gleichgewichte ohne dauerhafte Dominanzen anstreben. – Eine solche Sichtweise versteht die ÖV als „organisierte Komplexität“. Ursprünglich wurden bürokratische Systeme als einfache Systeme konzipiert, die sich durch selbstinduzierte Wachstumsprozesse (z. B. „Parkinsons Gesetz“) in Richtung „organisierte Komplexität“ entwickelten. Komplexe Systeme folgen jedoch anderen „Organisationsprinzipien“ wie einfache Systeme. Diese kontrainduktive Analyse wurde aus einer synergetischen Perspektive vorgenommen, die die „Prinzipien der Selbstorganisation“ für komplexe Systeme nutzt. Aus synergetischer Perspektive ist das Inszenieren eines digitalen Scheiterns anhand eines „Drehbuches“ jedoch nur in einem einfachen System sinnvoll, nicht dagegen in einem komplexen System, weil dann die dynamischen und nicht-linearen Eigenschaften Selbstorganisationsprozesse entstehen lassen, die kaum prognostizierbar und nicht steuerbar sind. Auch die Vorstellung einer übergeordneten „Metaintelligenz auf Führungsebene“ wurde längst aufgegeben, weil „Lenker wie Gelenkte sehr ähnliche Gehirne besitzen“ (Singer 2003, S. 39). Vor diesem synergetischen Hintergrund ist es eine Illusion zu glauben, die Digitalisierung in der ÖV als komplexes System ließe sich mit einem „Dirigenten“ (auch aus der ÖV) zentralistisch einrichten, steuern oder stabilisieren. Es ist eine Illusion davon auszugehen, dass die ÖV noch ein einfaches System ist. Der Systemtheoretiker Luhmann hätte diese Illusion als „blinden Fleck“ bezeichnet, „…also einer notwendigen Intransparenz des Systems für sich selbst“ (2006, S. 52, Fußnote 37). Damit diese „Intransparenz“ sich auflösen kann, endet dieser Beitrag mit einem Plädoyer, der „Vernunft“ der Selbstorganisation zu vertrauen, gute Regeln für lokale Interaktionen zu erfinden, effiziente Lern- und Korrekturmechanismen einzuführen, für Reziprozität der Informationsflüsse zu sorgen, die Kriterien für zentrale Bewertungssysteme festzulegen und auf zentralistische Koordinationsversuche zu verzichten“ (­Singer 2002, S. 210).

5  Wie lässt sich die Digitalisierung als Innovationsschub …

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Literatur Argyris C, Schön DA (2002) Die lernende Organisation. Grundlagen, Methode, Praxis, zweite Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart Baecker D (1999) Fehldiagnose >Überkomplexität