Vertragsverletzung und Vertragsbruch [1 ed.] 9783428473106, 9783428073108

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Vertragsverletzung und Vertragsbruch [1 ed.]
 9783428473106, 9783428073108

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HERMANN EICHLER

Vertragsverletzung und Vertragsbruch

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 152

Vertragsverletzung und Vertragsbruch

Von

Dr. iur. Hermann EichIer em. o. Professor an der Universität Linz

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Eichler, Hermann: Vertragsverletzung und Vertragsbruch / von Hennann Eichier. Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 152) ISBN 3-428-0731O-X

NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Gennany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-0731O-X

Vorwort Der Verfasser fertigte in den letzten Jahren mehrere rechtssystematische Schriften auf dem Gebiete des Personenrechts und Schuldrechts an. Hierbei kam es zu einer Annäherung der genannten Rechtsmaterien, und zwar besonders dadurch, daß einerseits das Deliktsrecht teilweise aus dem Recht der Schuldverhältnisse ausgeschieden und dem Personenrecht angenähert wurde, andererseits das Vertragsrecht mehr und mehr sich zu seiner Eigenart entfaltete. Der Plan konnte endgültig nur dadurch verwirklicht werden, daß tragende Institutionen des Vertragsrechts herausgelöst und in einen systematischen Zusammenhang gebracht wurden. Als besonders interessant erschienen dem Verfasser, hauptsächlich vom rechtsvergleichenden Standpunkt, die Rechtseinrichtungen der Vertragsverletzung und des Vertragsbruches. Wien, im Sommer 1991

Hermann Eichler

Inhaltsverzeichnis Einleitung

9 Erster Hauptteil

Vertragsverletzung 1. Teil

Die naturrechtlichen Kodifikationen A. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 a) Willenserklärung und Vertragsverletzung

11

. . . . . . . . . . . . . . . 11

b) Vernunftrecht, Vertragsgerechtigkeit, Treuepflicht ......... 13 B. CodeCivil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 a) Obligation, contrat, cumul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 b) Inexecution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 15 c) Obligation, convention, Resolutivbedingungen, Vertrags auflösung 16 d) Vertragshaftung, deliktische Verantwortlichkeit, "quasicontrat" .. 17 e) Vertragsverletzung in Abwicklung des Kaufvertrages ........ 18 C. Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 a) Allgemeine Systematik, Vertragsverletzung, Haupt- und Nebenpflichten ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 20 b) System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 c) Verletzung, Erfüllung und Vereitlung ..... . . . . . . . . . . . .. 23 d) Die Grundfigur des Kaufvertrages und des internationalen Kaufes 25 2. Teil

Kodifikationen aus dem 20. Jahrhundert A. Bürgerliches Gesetzbuch - Eine rechtspolitische Umschau ....... 28

a) Vertragstreue und Irrtumsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) Der einheitliche Begriff der Vertragsverletzung

........... 30

c) Die positive Forderungsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

8

Inhaltsverzeichnis

B. Schweizerisches Obligationenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Tradition

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

b) System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Rechtsgeschäfte und Verträge .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 36 d) Erfüllung und Erfüllungsstörungen C. Code civil

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

a) Systematik

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

b) Wirkungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

c) Aufhebung des Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 45 d) Verhaltenspflicht und Vertragsverletzung

. . . . . . . . . . . . . . . 46

D. C6digo civil portugues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Aufbau des Gesetzbuches

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

b) Erfüllung und Nichterfüllung der Obligationen . . . . . . . . . . . . 49 c) Die Verträge im besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 49 Zweiter Hauptteil Die Rechtslage des Verletzten

1. Teil Die Wandlung der Methoden

a) Die Dogmatik der Vertragsverletzung

. . . . . . . . . . . . . . . . . 51

b) Die Vertragspflichten und ihre Verletzung . . . . . . . . . . . . . .. 52 c) Das vorvertragliche Verschulden, die Nebenleistungspflicht und die Vertragsgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 d) Das vorvertragliche und vertragliche Rechtsverhältnis - als Einheit 57

2. Teil Der Vertragsbruch

a) Vorbemerkungen und Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Theory of Contract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 c) Systematik und Dogmatik

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

d) Breach of Contract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 e) Vertragsbruch im arbeitsrechtlichen und bürgerlichrechtlichen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Schlußwort

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

Personenverzeichnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Einleitung Sowohl die Wahl als auch die Zusammenstellung der beiden Grundbegriffe bedürfen der inneren Rechtfertigung. Die üblichen Bearbeitungen des Rechts der Schuldverhältnisse widmen sich zwar selbstverständlich auch dem Vertragsrecht, aber ohne diese Materie zu verselbständigen und deren Wesenheit durch die prägenden Züge derartig erkenntlich zu machen, daß die Überzeugung entsteht, man habe es mit einem in sich geschlossenen Rechtsgebiet zu tun. Was hiermit gemeint ist, offenbaren die Titel zweier unlängst erschienenen Abhandlungen, nämlich "Towards a General Law of Contract", Edited by John Barton, Berlin 1990, und Hans Merz, "Vertrag und Vertragsschluß", FreiburgiSchweiz 1988. Besonders anregend sind die vertraglichen Ausführungen von Zweigertl Kötz , Einführung in die Rechtsvergleichung auf dem Gebiete des Privatrechts, Band 2. Institutionen - 2., neubearb. Aufl. - 1984, gewesen. Der Aufbau der zuletzt genannten Arbeit war insofern für die vorliegende Abhandlung vorbildlich, als Einteilungsgesichtspunkte der Vertragsabschluß und die Vertragsabwicklung sind. In letzter Hinsicht ist der Übergang vom Erfüllungsanspruch und Erfüllungszwang sowie zur Vertragsverletzung ein geeigneter Anknüpfungspunkt gewesen. Der einheitliche Tatbestand der Nichterfüllung gegenseitiger Verträge löste die Folgerung aus, daß die vertragstreue Partei nach anglo-amerikanischem Recht einen Schadensersatzanspruch wegen "breach of contract" gegen die vertragsuntreue Partei hat. Die Betonung der Grundlagen des allgemeinen Schuldrechts hat es mit sich gebracht, daß der besondere Teil, nämlich das System der einzelnen Verträge, im Hintergrunde stehengeblieben ist. Dies mag man als Einseitigkeit und Unvollständigkeit werten. Jedoch liegt der Schwerpunkt der Reformarbeit zunächst noch auf den allgemeinen Grundlagen des Vertragsrechts. Das Bestreben des Ver-

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Einleitung

fassers, die gesamte Lehre der Erfüllung und Nichterfüllung in die Abwicklung der einzelnen Vertragstypen unter dem bisherigen Gesichtspunkt der Leistungsstörungen zu integrieren, war von dem Grundgedanken geleitet, daß die Vertragsordnung trotz der Notwendigkeit mancher Erneuerungen gleichsam ein eiserner Bestand ist, der dank seiner großen Vergangenheit und festgefügten Überlieferung Bestand hat. Was die rechtliche Ausgestaltung der einzelnen Vertragsarten angeht, so boten viele Anregungen Ferid/Sonnenberger, Das Französische Zivilrecht, 2. Aufl., Heidelberg 1986.

Erster Hauptteil

Vertragsverletzungen 1. Teil

Die naturrechtlichen Kodifikationen A. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794

a) Willenserklärung und Vertrags verletzung

Das Zivilgesetzbuch greift von den Personen und Sachen zu den Handlungen und Willenserklärungen über. Im unmittelbaren Anschluß folgen die Verträge und die unerlaubten Handlungen. Immer geht es um die entsprechenden Rechte und Pflichten. Die Anknüpfung an die Willenserklärungen bringt im Vertragsbereich "die Persönliche Fähigkeit, Verträge zu schließen, mit sich" (Erster Teil- Fünfter Titel). Ein besonderes Kapitel ist der Acceptation gewidmet "Alles was zur Rechtsgültigkeit einer Willenserklärung überhaupt gehört, wird auch zur Gültigkeit der Annahme eines Versprechens erfordert" . Der Vertrag wird durch die Annahme eines gültigen Versprechens geschlossen. Nach den Auslegungsregeln gelangt die Erfüllung der Verträge zum Zuge (VIII §§ 270ff.). Diese werden in unmittelbare Beziehung, ohne daß auf die Leistung und die Leistungsbewirkung eingegangen wird, zur Erfüllung gesetzt. In diesem Zusammenhang ist von vornherein das Verschulden "bei Erfüllung eines Vertrages" eingefügt. Hiermit verbindet sich ohne weiteres die Schadensersatzpflicht, wobei zwischen einem groben Versehen und einem geringen Versehen unterschieden wird. Im Mittelpunkt steht die Vergütung des Interesses (§§ 285ff.). Einbezogen ist das Verschulden bei Vertragsschluß. Die entsprechende Formulierung lautet "Wer bey Abschließung

12

1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

oder Erfüllung des Vertrages seine Pflichten vorsetzlieh oder aus grobem Versehen verletzt hat, muß dem Andern sein ganzes Interesse vergüten" (§ 285). Hinzuzufügen ist noch, daß auch die Leistung der Gewähr zur Erfüllung eines Vertrages gehört. Der Schuldner hat die im Vertrag ausdrücklich ausbedungenen Eigenschaften oder gewöhnlich vorausgesetzten Eigenschaften zu vertreten. Einschlägig ist die Regelung des Betruges, durch den jemand zur Errichtung eines Vertrages verleitet worden ist. Das Gesetz stellt den Betrogenen dem Betrüger gegenüber. Jener hat nach dem Aufbau des Gesetzes in erster Linie ein Anfechtungsrecht. Macht er hiervon keinen Gebrauch, so kann er nur den Ersatz des ihm durch den Betrug zugefügten Schadens fordern. In diesem Falle muß der Betrüger das ganze Interesse vergüten. Eine Sonderregelung ist für den Fall getroffen, daß der Vertrag zwar nicht durch Betrug, aber doch durch Erregung eines Irrtums, der die Willenserklärung gänzlich entkräftet, "betrüglich verleitet worden ist" (§ 358). Im Anschluß an diese Normen ist die Aufhebung der Verträge "wegen Unmöglichkeit der Erfüllung und wegen veränderter Umstände" behandelt. Die weiteren Aufhebungsgründe sind hier nicht zu erörtern, da es sich in erster Linie um Verletzungstatbestände handelt. Insgesamt erwähnt das Gesetz folgende Fälle der Aufhebung der Verträge: Betrug, Unmöglichkeit der Erfüllung, Erlaß und Vergleich, wechselseitige Einwilligung und Tod einer Partei. Die Systeme überdecken sich, weil die Aufhebung mit der Anfechtung und der Umwandlung des Vertragsgegenstandes in eine Entschädigungsforderung zusammentrifft. Die Aufhebung setzt die Wiederbeseitigung eines gültigen Vertrages voraus, wohingegen die Anfechtung einen ungültig entstandenen Vertrag angreift (s. hierzu Förster / Eccius, Preußisches Privatrecht, I, 6. Auf!. 1892, S. 527). Die Pflicht zur Gewährleistung wird vom Gesetz als zur Erfüllung gehörig aufgefaßt. Der Veräußerer hat demnach dafür einzustehen, daß der Erwerber die übergebene Sache nach dem Vertragsinhalt gebrauchen und behalten kann (Förster / Eccius, a.a.O., S. 494). Die Gewährleistung wegen körperlicher Fehler der Sache hängt im übrigen davon ab, ob den Veräußerer ein Verschulden trifft. Außer der Vertragsklage, die auf das "Interesse" unter der Voraussetzung

1. Teil: Die naturrechtlichen Kodifikationen

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eines Verschuldens des Gebers gerichtet ist, werden noch die Gewährleistungsklagen auf Minderung und Wandlung eingeräumt (Förster / Eccius, S. 503). Im Aufbau des Gesetzbuches folgt der Erfüllung der Verträge der Titel "Von den Pflichten und Rechten, die aus unerlaubten Handlungen entstehen". Die Systematik zeigt den engen Zusammenhang zwischen Vertrags- und Deliktsobligation. In diesem Rahmen wird der Schaden als jede Verschlimmerung des Zustandes eines Menschen "in Absicht seines Körpers, seiner Freiheit, oder Ehre, oder seines Vermögens" erläutert. Unter den Grundsätzen zum Schadensersatz werden frühere Definitionen aus der Vertragslehre wiederaufgenommen: "Wer einen anderen aus Vorsatz oder grobem Versehen beleidigt, muß demselben vollständige Genugtuung leisten" (§ 10). Eine besondere Vorschrift des Deliktsrechts verweist auf die Schäden, die durch Verträge zugefügt werden (§ 17). (s. neuerdings: G. Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986). Was das System der Vertragsarten anbetrifft, so ist hierauf im einzelnen nicht einzugehen. Dem überlieferten Ordnungsprinzip gemäß steht der Kaufvertrag an erster Stelle, und zwar unter der Überschrift "Von den Titeln zur Erwerbung des Eigenthums, welche sich in Verträgen unter Lebendigen gründen". b) Vernunftrecht, Vertragsgerechtigkeit, Treuepflicht

In der Privatrechtsgeschichte der Neuzeit wird der dogmatische Zusammenhang zwischen der Willenserklärung und der Vertragsschließung bei der Charakterisierung des Zeitalters des Vernunftsrechts näher erläutert (Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., S. 293ff.). Hierbei tritt das Prinzip der naturrechtlichen Vertragsgerechtigkeit hervor, woraus die Pflichten der Parteien zur Rücksicht und Aufklärung, besonders über verborgene Mängel, abgeleitet werden. Hier und dort klingt der Zusammenhang des Landrechts mit dem überlieferten gemeinen Recht an. Im Begriff des Betruges, den das ALR mehrfach verwendet, spiegelt sich der "dolus malus" des römischen und gemeinen Rechts, und zwar als Gegenbegriff der "bona fides" (Kaser, Römisches Privatrecht, 13. Aufl. 1983, S. 157).

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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

In der Geschichte des Deutschen Privatrechts kommen die erläuterten Anforderungen an den Vertrag unter dem Aspekt der "Schuld und Haftung" zum Tragen. Es ist die Rechtsidee des Haltensollens im Rahmen der Vertragsbeziehung, denn der Schuldner soll nicht nur leisten, sondern darüber hinaus halten. "Dieses Haltensollen kann über das Leistensollen hinausgehen". In derartigen Postulaten wurzelt die Treuepflicht, durch welche das reine Schuldverhältnis zu einem Organismus wird (Mitteis / Lieberich, Deutsches Privatrecht, 9. Aufl., S. 127, unter Angabe von Schrifttum). B. Code civil

a) Obligation, contrat, cumul Die allgemeinen Lehren des Rechts der Schuldverhältnisse beschäftigen sich zuerst mit der in Frankreich üblichen Einteilung der Rechte in Persönlichkeitsrechte, Familien- und Vermögensrechte. Unter diesen befinden sich neben den Sachenrechten und Immaterialgüterrechten die Forderungsrechte (s. hierzu Ferid, Das französische Zivilrecht I, Allgemeine Lehren des Rechts der Schuldverhältnisse, Ffm./Bln. 1971, 1 C 17). Was die Forderungsrechte angeht, so verleihen sie dem Berechtigten die Befugnis, von dem Verpflichteten die betreffende Leistung zu verlangen. Es geht hierbei um das Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner (crc~ancier - debiteur). In der französischen Sprache wird das Rechtsverhältnis meist als "obligation" bezeichnet, durch welche eine "creance" (Forderung) entsteht. Mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der Rechte, die hierin wurzeln, ist ihr Zusammentreffen problematisch. Für eine derartige Konkurrenz hat sich der Ausdruck "cumul" gebildet, und zwar besonders im Verhältnis zu den Ansprüchen aus Vertrag und Delikt (zu dieser Lehre s. u. a. Marty / Raynaud, Traite de droit civil, 11 1, tome 2, 1. vol., Les obligations, 1. Aufl., Paris 1962; Henri et Leon Mazeaud, Traite theorique et pratique de la responsabilite civile delictuelle et contractuelle. Verschiedene Bände und Bearbeiter: Andre Tune, Jean Mazeaud, Fran~ois Chabas). Der Code civil erläutert die historisch entstandenen und weiter entwickelten Vorstellungen vom Wesen der "obligation" nicht, son-

1. Teil: Die naturrechtlichen KodifIkationen

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dern setzt sie voraus. Dagegen enthält das Gesetz eine Definition des Vertrages in Art. 1101 c.c., worin der Leistungsinhalt aufgegliedert wird, und zwar als eine Verpflichtung "a donner a faire ou a ne pas faire quelque chose" . Das Schrifttum neigt indes dazu, den Sinngehalt der "obligation" zu verengen, etwa durch den Sprachgebrauch des Wortes "la dette". Schließlich steht die "obligation" für die Sache selbst, die der Gläubiger vom Schuldner zu fordern hat, sei es im positiven, sei es im negativen Sinne. Planiol/ Ripert haben schon früher darauf hingewiesen, daß seit dem Inkrafttreten des Code civil neue Gesichtspunkte in die in Rede stehende Definition hineingekommen sind. Hierbei wird auch der Einfluß des später in Kraft getretenen BGB berührt. Denn inzwischen hatte sich die Dogmatik verändert und in der Sache weitergebildet. Nicht zuletzt sind es die Begriffe "la responsabilite" und eines Schuldgrundes im Sinne von "cause" gewesen, die eine Weiterentwicklung systematisch in die Wege geleitet haben (s. die Genannten, a.a.O., S. 61). b) Inexecution

Die deutsche Lehre von den Leistungsstörungen, die auf der Verletzung der Vertragspflichten, insbesondere durch Verzug und Unmöglichkeit, außerdem auf der Lehre von der Forderungsverletzung, beruht, tritt in der französischen Schuldrechtsdogmatik zurück. In ihrem Mittelpunkt steht die "inexecution", die in etwa dem Gedanken der Nichterfüllung entspricht. Die "inexecution" erscheint bei den Quellen der "obligations" als Untergliederungspunkt des Vertrages (Ferid, 2 C I). Zwingende Voraussetzung für entsprechende Ansprüche ist nach französischem Recht stets die Nichterfüllung des Vertrages, worauf immer sie beruht. Selbstverständlich setzt die vertragliche Haftung einen gültigen Vertrag voraus. Die vorvertragliche Schädigung wird eher dem Obligationenrecht als der positiven Forderungsverletzung zugerechnet, da sich diese nicht besonders entwickelt hat.

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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

Der gesetzliche Ansatzpunkt ist Art. 1146 Code civil, der die Folgen der Nichterfüllung festlegt. Die Überschrift lautet: "Des dommages et interets resultant de l'inexecution de l'obligation". Die Nichterfüllung läuft in jedem Falle auf eine Abweichung von der vertragsmäßigen Leistung hinaus. c) Obligation, convention, Resolutivbedingungen,

Vertragsauflösung

Im Rahmen der Verträge und Obligationen befinden sich als weitere Rechtserscheinung die "conventions" (Art. 1156 c.c. der sie interpretiert). Im Anschluß werden die verschiedenen Arten der Obligationen systematisiert (Art. 1168ff. c.c.), so die bedingten, befristeten und solidarischen Obligationen. Eine besondere dogmatische Tragweite hat die Regelung der Resolutivbedingung (Art. 1183 ff. c.c.) erlangt. Die letztgenannte Vorschrift ist von vertraglichem Interesse. Das Gesetz unterstellt nämlich, daß der gegenseitige Vertrag unter der auflösenden Bedingung eingegangen wird, daß die beiden Verpflichteten ihn ordnungsmäßig erfüllen. Falls sie diese Voraussetzung nicht verwirklichen, kommt eine Vertragsauflösung in Betracht, denn der Gläubiger hat das Recht, die Erfüllung des Vertrages zu fordern oder die Aufösung zu verlangen. Hand in Hand geht hiermit nach Art. 1184 11 c.c. das Recht auf Schadensersatz. Es werden daher in dieser umstrittenen Vorschrift der Rücktritt und der Schadensersatzanspruch verbunden, was, vom rechtsvergleichenden Standpunkt, als unvereinbar angesehen wird (vgl. §§ 325, 326 BGB). Weil der Gläubiger das Recht hat, die Vertragsauflösung zu verlangen, wenn das Erfüllungsbegehren nicht zum Ziele führt, entsteht das Bild einer resolutiven Bedingung. Aber das Gesetz betont, daß die Bedingung die Erfüllung und Obligation keineswegs suspendiert. Stets setzt die Auflösungsklage eine Vertragsverletzung voraus, was das Gesetz ausdrücklich hervorhebt. Der betreffende Umstand kann entweder auf Verzug oder Unmöglichkeit beruhen. Eventuell kommt auch eine teilweise Nichterfüllung in Betracht, wenn eine Nebenverpflichtung unerfüllt bleibt. Die richterliche Entscheidung, die über die Auflösungsklage getroffen wird, liegt im freien Ermessen des Gerichtes (Zweigert / Kötz, a.a.O, 11, S. 213). Hierbei ist

1. Teil: Die naturrechtlichen Kodifikationen

17

es von Belang, ob es sich um eine teilweise oder völlige Nichterfüllung handelt. Im ersten Falle bleibt der Vertrag teilweise aufrecht, so daß die Auflösung nur für die verbleibende Teilleistung in Betracht kommt. Das Gesetz sieht vor, daß die betreffende Auflösungsklage mit dem etwaigen Anspruch auf Schadensersatz verbunden wird. Dieser setzt allerdings voraus, daß der Schuldner den betreffenden Umstand nach den allgemeinen Vorschriften (Art. 1147 c.c.) zu vertreten hat. Im Ergebnis hat die Partei die Wahl zwischen dem Anspruch auf Erfüllung oder das Recht, die Auflösung des Vertrages zu fordern. Schadensersatz kann also nur in Verbindung mit dem Auflösungsverlangen geltend gemacht werden. Ein Übergang von dem Erfüllungsverlangen zum Schadensersatzanspruch und zur Auflösungsklage ist zulässig, aber nicht umgekehrt von den anderen Rechtsbehelfen zur Erfüllung (zum Ganzen Zweigert / Kötz, a.a.O., S. 213ff.). d) Vertragshaftung, deliktische Verantwortlichkeit, "quasicontrat" Die in Art. 1184 II C.c. entwickelte Lehre vom Zusammentreffen der Rechte hat hier nur alternativen Charakter, weil nur der eine oder andere Anspruch erhoben werden kann, und zwar dergestalt, daß der eine den anderen ausschließt. Neben der Vertragshaftung, die als Folge der Nicht- oder Schlechterfüllung einer Vertragspflicht erläutert wird, steht die außervertragliche Schadensersatzpflicht, die den Rahmen der vorliegenden Untersuchungen sprengt, da nur die Vertragshaftung zu erörtern ist. Im allgemeinen wird die Vertragshaftung als eine Folge der Nicht- oder Schlechterfüllung einer Vertragspflicht angesehen, und zwar unter der Voraussetzung, daß hierdurch eine Verletzung des Gläubiges entstanden ist. Diese Haftungsart wird gegenüber der deliktischen Verantwortlichkeit als die besondere angesehen. Nach dem Aufbau des Gesetzes stehen die gesetzlichen Schuldverhältnisse voran. Hierunter versteht das Gesetz solche "engagements, die ohne eine Vereinbarung entstehen" (Art. 1370 c.c.). Auf dieser Basis fußen die "quasi-contrats" sowie die "delits et quasi-delits". Das Verschulden bei Vertragsschluß (Culpa in con2 Eichler

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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

trahendo) wird weniger im Zusammenhang mit dem Vertragsrecht als mit dem Deliktsrecht behandelt. Das betreffende Verhalten ist nur insofern vorwerfbar, als der dem anderen zugefügte Schaden auf einem fehlerhaften Verhalten desjenigen beruht, der auf Ersatz des Schadens in Anspruch genommen wird. In dieser Definition klingt bereits die Vorstellung einer "faute" an. Der Oberbegriff ist "responsabilite civile", die sowohl die vertragliche als auch die deliktische, auf dem Gesetz beruhende Haftung umfaßt. Jene kann zugleich einen deliktischen Haftungstatbestand bilden (Art. 1382,83 c.c.). Hieraus resultiert die Frage, ob im Hinblick auf denselben Sachverhalt neben dem vertraglichen Anspruch auf Schadensersatz, ein deliktsrechtlich gearteter treten kann, oder ob die vertragliche Forderung diesen verdrängt. Nach h. M. schaltet die Vertragshaftung als die speziellere die deliktsrechtliche Verantwortlichkeit im allgemeinen aus. Der Grund hierfür wird aus der Spezialität der auf die betreffenden Verhältnisse zur Anwendung kommenden Vertragsform abgeleitet (Ferid I Sonnenberger, Das französische Zivilrecht H, 2. Aufl. 1986,2043). Wie immer die Begründung lautet, die Tendenz geht dahin, daß die vertragliche Haftung die andere Verantwortlichkeit verdrängt. Die Gegenmeinung hält einen "cumul" für denkbar, und zwar mit Rücksicht darauf, daß die deliktsrechtlichen Vorschriften ihrem Rechtscharakter zufolge nicht ausgeräumt werden könnten. Der Widerstreit hat zwar den Vorrang des Vertragsrechts beibehalten, aber nur unter Einschränkungen. Der Grundsatz des Vorranges gilt hiernach nicht grenzenlos, besonders nicht bei vorsätzlichem Verhalten des Täters, weil in diesem Falle die Vertragsverletzung eine deliktsrechtliche Prägung annimmt. Sofern die schadensstiftende Handlung eine Straftat ist, kommen beide Haftungsarten nebeneinander zum Zuge. Im übrigen ist an dieser Stelle auf die Problematik eines "cumul" oder "non cumul" nicht einzugehen. e) Vertragsverletzung in Abwicklung des Kaufvertrages

Mit Rücksicht darauf, daß die Folgen einer Nichterfüllung bisher ohne Anlehnung an einen besonderen Tatbestand entwickelt sind, erscheint es notwendig, unter diesem Aspekt ein besonderes Vertragsbild zu entwerfen.

I. Teil: Die naturrechtlichen Kodiflkationen

19

Die entwickelten allgemeinen Lehren, die die Vertragsverletzungen angehen, sind im Rahmen der Vertragssystematik am Beispiel des Kaufvertrages zu veranschaulichen. Es geht dabei um die Folgen der Nichterfüllung der Verpflichtung des Verkäufers, die verkaufte Sache dem Käufer zu liefern (Art. 1604, 1610 c.c.). Der Käufer hat in diesem Falle ein Wahlrecht zwischen dem Rücktritt vom Vertrag und der Geltendmachung des Anspruchs auf Erfüllung. Bei dieser Rechtslage ist zu berücksichtigen, daß das Eigentum an der verkauften Sache nach französischem Recht bereits mit dem Abschluß des Kaufvertrages vom Veräußerer auf den Käufer übergegangen ist. Die Lieferung bedeutet mehr als die schlichte Übergabe, nämlich "die Überführung der verkauften Sache in Macht und Besitz des Käufers" (so Ferid / Sonnenberger, a.a.O., 2 G 528). Die Anwendung des Art. 1184 c.c. auf alle Verträge bedeutet, daß der Käufer bis zur Erfüllung eines der ihm zustehenden Ansprüche von dem einen zum anderen Recht übergehen kann, d. h. von der Erfüllung zum Rücktritt und von diesem zur Geltendmachung der Erfüllung übertreten. Aus Art. 1611 c.c. folgt, daß der dem Käufer zustehende Schadensersatzanspruch neben dem Rücktritt verfolgt werden kann. Hieraus wird hergeleitet, daß der Anspruch auf Schadensersatz durch den Rücktritt nicht ausgeschlossen ist (vgl. hiergegen §§ 325 I, 326 BGB). Der Schadensersatzanspruch des Käufers hat insofern eine Vorrangstellung inne, als er sowohl neben dem Anspruch auf Erfüllung wie auch neben dem auf Rückgängigmachung gegeben ist. Problematisch werden Vereinbarungen über den Ausschluß von Schadensersatz beurteilt, der wegen Nichterfüllung der Lieferpflicht gefordert wird. Aus Art. 1612 C.C. folgt, daß der Verkäufer die Lieferung bis zur Zahlung des Kaufpreises verweigern kann, was ohnehin aus den Grundsätzen folgt, die aus dem gegenseitigen Vertrag gelten. Auf die Gewährleistungspflicht des Verkäufers (Art. 1603 c.c.), die ihn zusätzlich zur Lieferpflicht trifft, wird an dieser Stelle nicht mehr eingegangen.



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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

c. Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch a) Allgemeine Systematik, Vertragsverletzung, Haupt- und Nebenpflichten Das ABGB behandelt die Verträge in der zweiten Abteilung "Von den persönlichen Sachenrechten" §§ 859 - 1341 und fügt das System der einzelnen Verträge in §§ 938ff. an. In der Gesamtordnung des bürgerlichen Rechts ist auf diese Weise das Schuldrecht dem Sachenrecht untergeordnet. Die Systemgeschichte geht auf Zeillers Lehre "von Verträgen überhaupt" zurück. Die Vertragslehre ist nach dem naturrechtlichen Vorbild bei Zeiller in die Lehre vom Eigentumserwerb eingefügt. Das Naturrecht hat bekanntlich das Vermögensrecht als eine Einheit betrachtet und dem Eigentumsrecht darin eine zentrale Stellung eingeräumt (zu der rechtshistorischen Entwicklung s. Wesener, Zeillers Lehre von Verträgen überhaupt, in: Forschungsband Franz von Zeiller, hrsg. v. Selb und Hofmeister, 1980, S. 248ff.; "Zum natürlichen Privatrecht" s. Brauneder , ebd.) Die heutige Regelung stellt unter der Überschrift "Von den persönlichen Sachenrechten" die Verträge und Rechtsgeschäfte zusammen, so daß die Lehre von den Rechtsgeschäften gewissermaßen das Fundament des Vertragsrechts darstellt. In der Gesamtordnung wird der Ausdruck "Recht der Schuldverhältnisse" vermieden, wohingegen später das BGB diese Überschrift eingeführt hat. Der österreichische Gesetzgeber war nicht schlecht beraten, als er die Gesamtbezeichnung "Recht der Schuldverhältnisse" vermied und die rechtsgeschäftlichen Verhältnisse voranstellte. Der Ausdruck "Schuldverhältnisse" hat im Fortgang der Zeit den Rahmen des Rechtsgebietes beträchtlich erweitert, insbesondere dadurch, daß die gesetzlichen Schuldverhältnisse in diese Gesamtordnung eintraten. Außerdem hat sich die personelle Seite erweitert, indem die Dogmatik von dem Dritten im Schuldverhältnis systematisch gesprochen hat (Spielbüchler, Der Dritte im Schuldverhältnis, 1973, S. 15ff.). Die neue re privatrechtsgeschichtliche Darstellung des Schuldrechts (s. zuletzt Floßmann, Österreichische Privatrechtsgeschichte, 1983) legt auf der Grundlage der früheren Strukturen die Schuld-

1. Teil: Die naturrechtlichen Kodifikationen

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verhältnisse dar. Am Anfang stehen der Vertrag und die Vertragstypen im rechtshistorischen Vergleich. Es folgen die gesetzlichen Schuldverhältnisse, gegliedert nach Schadensersatzrecht, Bereicherungsrecht und Geschäftsführungsrecht. Problematisch ist die Einteilung in Haftung für eigenes Handeln, für fremde Personen sowie für Sachen und Tiere, weil die Eigenständigkeit des Deliktsrechts dieser Eingliederung fremd ist. Hieraus erklärt sich, daß die Weiterentwicklung des Schadensersatzrechts im Wege der Reform (llI TN) später (S. 286ff.) behandelt wird. Der Grundsatz "neminem laedere" , der ausdrücklich hier hervorgehoben wird, ist ein ideeller Ansatz für die Lehre vom Verbot der Vertragsverletzung. Was die Vertragsverletzungen angeht, so läßt sich an den in der österreichischen Literatur vorangestellten Begriff der Schuldverletzung anknüpfen (Mayrhofer, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, in: Ehrenzweig, System des österreichischen allgemeinen Privatrechts I, Wien 1986, S. 352). Eine solche liegt vor, wenn die betreffende Leistungsstörung einem Beteiligten zurechenbar ist, Verschulden vorausgesetzt. In Betracht kommen die Nichtleistung, die Vereitelung der Leistung sowie die mangelhafte oder unvollständige. Auf Grund dieser Gliederung stehen auf der einen Seite die Schuldverletzungen, die auf Verzug oder Vereitelung der Hauptleistung beruhen, auf der anderen Seite die im deutschen Schrifttum entwickelten "positiven Vertragsverletzungen" . Die österreichische Dogmatik erkennt indes die positive Vertragsverletzung als zusammenfassende Einteilungsmethode nicht an, da sie mit den Kategorien "des Verzugs, der Vereitelung und der Schlechtleistung" auskommt (Literatur bei Mayrhofer, a.a.O., Anm. 4,5,6). Hieraus folgt, daß Haupt- und Nebenpflichten unter dem Gesichtspunkt der Nichterfüllung gleich behandelt werden. In unmittelbarem Zusammenhange mit dieser rechtlichen Beurteilung steht die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, die auf das Verhältnis der Leistung zur Gegenleistung hinweist. Hervorhebenswert ist, daß die thematische Vorstellung einer Vertragsverletzung in dem Haager Einheitlichen KaufG insofern eine Entsprechung findet, als einheitliche Tatbestände der wesentlichen und nicht wesentlichen Vertragsverletzung eingeführt worden sind. In ähnlicher Weise hat das Wiener UNCITRAL-Übereinkom-

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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

men über internationale Warenkaufverträge, das am 11. 4. 1980 in Kraft getreten ist, die Tatbestände der Vertragsverletzung im obigen Sinne gegliedert. Diese Methode bietet hinreichenden Anlaß, den Begriff in das Vertragsrecht einzufügen. Mit der Betonung der Eigenständigkeit des Vertragsrechts ist beabsichtigt, ein selbständiges Rechtsgebiet unter dieser Bezeichnung zu entwickeln. Die gesetzlichen Schuldverhältnisse scheiden aus diesem Bereich aus. b) System

Was den gesetzlichen Aufbau anbetrifft, so stehen die Abschließung und die Erfordernisse eines gültigen Vertrages voran (§ 861ff. ABGB). Es folgt die "Wahre Einwilligung", die nach der Ausdrucksweise des Gesetzes frei, ernstlich, bestimmt und verständlich zu erklären ist. Die Verleitung durch List oder "ungerechte und begründete Furcht" berechtigt den Betroffenen zur Anfechtung. Derjenige, der den "Vertrag durch List oder ungerechte Furcht bewirkt hat", muß für die nachteiligen Folgen Genugtuung leisten (Schadensersatz). Die weiteren Bestimmungen regeln in diesem Zusammenhange die Unmöglichkeit und Unerlaubtheit der Verträge (§§ 878ff. ABGB). Unter den "Nebenbestimmungen bei Verträgen" werden die Bedingungen sowie "Zeit, Ort und Art der Erfüllung" usw. geregelt. Ein besonderer Abschnitt gilt den Auslegungsregeln bei Verträgen. Oberster Grundsatz ist die "Übung des redlichen Verkehrs" . An dieser Stelle vollzieht sich der Übergang von der Rechtsgeschäftslehre zu den Verträgen. Er findet nahtlos statt, weil es keinen Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches gibt, der mit dem Allgemeinen Teil des Rechts der Schuldverhältnisse verbunden werden müßte. Es folgen allgemeine Bestimmungen über entgeltliche Verträge und Geschäfte. Im Mittelpunkt stehen der Erfüllungsverzug, die Fixgeschäfte, die Schuldhafte Erfüllungsvereitlung sowie der Schadensersatzanspruch und der Bereicherungsanspruch. Das Schlußglied in dieser Kette bildet die Gewährleistung. Der innere Gesamtzusammenhang beruht auf der logischen Verbindung des Abschlusses, der Erfordernisse und der Erfüllung der

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Verträge. Hierbei tritt der Einfluß der Lehre von den Willenserklärungen und Rechtsgeschäften gegenüber dem Vertragselement zurück. Der Vertrag wird geordnet und der Begriff des Rechtsgeschäfts als bekannt vorausgesetzt und nur gelegentlich erwähnt. Es ist infolgedessen im ABGB kein zentraler Abstraktionsbegriff (Material bei H. Merz, Vertrag und Vertragschluß, Freiburg / Schweiz 1988, S. 26, unter Hinweis auf Savigny, System des heutigen römischen Rechts 111, Berlin 1840, S. 309, wonach der Vertrag die Vereinigung Mehrerer zu einer übereinstimmenden Willenserklärung ist, wodurch ihre Rechtsverhältnisse bestimmt werden). c) Verletzung, Erfüllung und Vereitlung

Ein Kernbereich ist die Verletzung vertraglicher Pflichten (§ 918 ABGB). Diese Bestimmung regelt den Tatbestand der Nichterfüllung sowohl der Haupt- als auch der Nebenleistung. Die Gesetzesbestimmung spricht davon, daß ein entgeltlicher Vertrag entweder nicht oder nicht gehörig erfüllt wird, d. h. "nicht zur gehörigen Zeit, am gehörigen Ort oder auf die bedungene Weise". Die Folgen sind gegliedert in das Verlangen auf Erfüllung und Schadensersatz wegen der Verspätung (der Ausdruck Verzug ist vermieden). Hinzu kommt die Erklärung des Rücktritts vom Vertrage nach Festsetzung einer angemessenen Frist gemäß § 918 I ABGB. Der Rücktritt ist daher nur rechtswirksam, wenn er nach Setzung einer Nachfrist erfolgt. Er läßt den Anspruch auf Ersatz des durch die Nichterfüllung verursachten Schadens unberührt. Die Systematik unterscheidet neben dem objektiven und subjektiven Verzug den Teilverzug sowie den Verzug mit Nebenpflichten (s. Koziol / WeIser, Grundriß des bürgerlichen Rechts 1,5. Aufl., S. 200ff.), hinzu kommt der Verzug beim Fixgeschäft. Von dem Standpunkt aus gesehen, daß Leistungsstörungen allgemein Störungen in der Erfüllung eines Schuldverhältnisses sind, werden auch die Unmöglichkeit und Fehlerhaftigkeit einbezogen (Koziol / WeIser, a.a.O., S. 193). Geht man indes von der Vorstellung aus, daß der beherrschende Systemgrundsatz die Verletzung des Vertrages ist, so läßt sich die Unmöglichkeit nicht in allen ihren Erscheinungsformen unterordnen, allenfalls bei zu vertretender Unmöglichkeit. Das ABGB spricht nicht von Unmöglichkeit der Leistung, sondern von schuld-

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hafter Erfüllungsvereitlung (§ 920 ABGB). In diesem Fall kann der andere Teil entweder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen oder vom Vertrage zurücktreten. Das sog. Verschulden bei Vertrags schluß wird aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis sui generis hergeleitet, ist aber ein Fall der Vertragshaftung in dem weiten Sinne der Vertragsverletzung (eingehend: Reischauer / Rummel, ABGB, Rdn. 14, Vor §§ 918ff.). Das österreich ische Recht neigt dazu, Verstöße gegen allgemeine Verhaltensnormen und solche gegen besondere, vor allem aus einem Vertragsverhältnis hervorgehende Pflichten (Forderungsoder Vertragsverletzungen), in einem inneren Zusammenhange zu sehen, d. h. den dogmatischen Gegensatz zu überbrücken. Der Grundgedanke ist, daß der Zusammenhang im Hinblick auf die Gemeinsamkeit des Gesollten eine weitgehend einheitliche Regelung nahelegt (Ehrenzweig / Mayrhofer, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, S. 266ff.). Anders ausgedrückt ist die Grundanschauung, daß die Gewährung eines Ersatzanspruches in jedem Falle einen Ausgleich für die erlittene Einbuße darstellt. Die Funktion des Ausgleiches ist nach dieser Anschauung dem gesamten Haftungsrecht gemeinsam, ohne daß zwischen den einzelnen Haftungselementen unterschieden wird (Koziol / WeIser, I, S. 345). Gegen diese Vereinheitlichung ist vorzubringen, daß der Schaden, der durch eine unerlaubte Handlung eintritt, von außen kommt, weil er im allgemeinen von einem Dritten verursacht wird. Mitunter wird in solchen Fällen von Deliktschäden gesprochen, die ein Außenstehender verursacht, und zwar mit der Rechtsfolge, daß ihn die Verpflichtung zur Wiedergutmachung trifft. Vor dem schädigenden Ereignis bestand zwischen dem Täter und dem Verletzten keine Rechtsbeziehung. Anders verhält es sich mit der Vertragsverletzung, die im Rahmen rechtsgeschäftlicher Beziehungen stattfindet, und zwar mit der Folge, daß unter den Vertragsparteien ein entsprechender Schadensausgleich stattfindet, der seine Stütze bereits im Vertrage hat. Im Hinblick auf diese dogmatischen Unterschiede sind die Schadensersatzpflichten aus Vertrag und Delikt derart getrennt zu behandeln, daß sie nicht von vornherein unter einen einheitlichen Schadensersatzbegriff gebracht werden können. Es kommt hinzu, daß die vertragliche Schadensersatzpflicht unter Umständen mit dem Rücktrittsrecht des Verletzten alternativ

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zusammenhängt, wohingegen der deliktische Schadensersatzanspruch ohne eine derartige Alternativität allein auf Grund des Verletzungstatbestandes entsteht. Die hier vorgetragene Ansicht findet eine gewisse Bestätigung durch Ausführungen von Brüggemeier, Deliktsrecht, 1986, S. 70, wo die Dichotomie Vertrag - Delikt unter dem Einfluß neuerer Wandlungen erörtert wird. Der Genannte geht davon aus, daß die Funktionstrennung zwischen Vertrag und Delikt durch die Sozialund Rechtsentwicklung im 20. Jahrhundert in mehrfacher Hinsicht modifiziert worden sei. Das Ergebnis ist nach dieser Voraussage, daß der Vertragsbegriff und das Vertragsschuldverhältnis aus mehreren Gründen konturlos zu werden drohen. Im Rahmen dieser Kritik kommt zum Ausdruck, daß die vertragliche Haftung primär auf Ersatz des Leistungsinteresses zielt (a.a.O., S. 71), das ad quem orientiert ist. Die vertragliche Haftung zielt sekundär auf Lösung vom Vertrag, wohingegen die deliktische Haftung "das Erhaltungsinteresse des Individuums an seinem Rechtsgüterbestand sichert" (a.a.O., S. 71). Im übrigen liegt der Nachdruck auf den deliktischen Verhaltenspflichten (§ 823 I, BGB), die schutzobjektbezogen sind (Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, S. 131ff.). Hierauf läßt sich jedoch an dieser Stelle nicht näher eingehen, weil der Ausgangspunkt in der österreichischen Rechtsdogmatik liegt. d) Die Grundfigur des Kaufvertrages und des internationalen Kaufes

Im Aufbau des Systems der Verträge nimmt der Kaufvertrag eine beherrschende Stellung ein, weil sich die übrigen Arten zu einem großen Teile nach seinem Vorbilde richten (§§ 1053 - 1089 ABGB). Die vorausgegangenen Hauptstücke behandeln die Bevollmächtigung und andere Arten der Geschäftsführung (§§ 1002 - 1044 ABGB, Rummel / Strasser). Was die Darstellung des Kaufrechtes angeht, so steht das Zug-um-Zug-Prinzip (§ 1052 S 1) im Vordergrunde (s. Rummel / Aicher, ABGB). Der Kaufvertrag wird zu einer Reihe von anderen Typen systematisch abgegrenzt, so vom Tausch-, Werk-, Pacht- bzw. Mietvertrag, ferner vom Auftrag und der Kommission sowie der gemischten Schenkung. Der Übergabe-

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vertrag leitet zu den Dauerschuldverhältnissen und Wiederkehrschuldverhältnissen über. Den Schlußstein setzt der internationale Kauf, der auf dem UN-Übereinkommen über internationale Warenkaufverträge beruht, das am 11. 4. 1980 auf der Wiener Kaufrechtskonferenz beschlossen worden ist (BGBL 1988 - 96; kommentiert von R. Loewe, Wien 1989, s. auch Aicher, a.a.O., S. 1377, sowie Mayrhofer / Ehrenzweig, S. 353). Die vorstehende Regelung ist für die dogmatische Bearbeitung der Vertragsverletzung von eminenter Tragweite und bedeutet geradezu einen geschichtlichen Fortschritt auf diesem noch wenig geklärten Rechtsgebiet. Ausgangspunkt sind die Pflichten des Verkäufers, die in Teil III Kapitel II (Art. 30 - 52) geregelt sind. Im Mittelpunkt stehen die Vertragsmäßigkeit der Ware und Rechte oder Ansprüche Dritter (Art. 35 - 44). Einschlägig sind hier die Rechtsbehelfe des Käufers wegen Vertragsverletzung durch den Verkäufer (Art. 45). Der Erfüllungsanspruch "bei Vertragsverletzung" ist in Art. 56 I geregelt. Das Vertragsrecht gewährt dem Käufer bei Vertragswidrigkeit der Ware besondere Ansprüche, so den Anspruch auf eine Ersatzlieferung, wenn die Vertragswidrigkeit eine wesentliche Vertragsverletzung darstellt (Art. 46 II). Die Vertragswidrigkeit und die wesentliche Vertragsverletzung sind gleichsam die grundsätzlichen charakteristischen Anknüpfungspunkte für die Rechtsbehelfe des Käufers. Dieser kann alternativ auch die Verbesserung verlangen, wenn die Ware nicht vertragsgemäß ist, allerdings unter der gesetzlichen Grenze der Zumutbarkeit (Art. 46 III). Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Ersatzlieferung oder eine Nachbesserung nicht gegeben sind, so bleibt nur der Anspruch auf Schadensersatz oder Minderung des Preises über. Voraussetzung ist stets, daß keine wesentliche Vertragsverletzung vorliegt. Zu trennen sind voneinander die Verpflichtung des Verkäufers zur Verbesserung und das Recht hierzu (Art. 46 III in Verbindung mit Art. 48). Der Rechtsbehelf wegen Vertragsverletzung kann erst nach Setzung einer Nachfrist gemäß Art. 47 II ausgeübt werden. Im übrigen hat der Käufer das Recht, einen Mangel auf eigene Kosten zu beheben, und zwar nach Maßgabe des Art. 48. Selbst wenn diese gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, verbleibt dem Käufer ein Schadensersatzanspruch.

1. Teil: Die naturrechtlichen Kodifikationen

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Übrigens kann der Verkäufer den Käufer auffordern, ihm mitzuteilen, ob er die Erfüllung annehmen will (s. zu den Voraussetzungen Art. 4811). In jedem Falle ist mit dem Erfüllungsverlangen die Aufhebung des Vertrages unvereinbar. Art. 49 ermöglicht nämlich dem Käufer, die Aufhebung des Vertrages zu erklären, und zwar in einer Reihe von Fällen, besonders wenn die Nichterfüllung einer dem Verkäufer nach dem Vertrage oder dem Übereinkommen obliegende Pflicht eine wesentliche Vertragsverletzung ist, oder wenn im Falle der Nichtlieferung der Verkäufer die Ware nicht innerhalb der vom Käufer gesetzten Nachfrist liefert oder wenn er erklärt, daß er innerhalb dieser Frist nicht liefern wird. Eine weitere Vorschrift (Art. 50) gibt dem Käufer das Recht auf Minderung des Kaufpreises, und zwar in dem Verhältnis "in dem der Wert im Zeitpunkt der Lieferung zu dem Werte, den eine vertragsgemäße Ware zu diesem Zeitpunkt gehabt hätte" (Art. 50). Eine Parallelbestimmung zu Art. 45 bildet Art. 61, der die einzelnen Rechte des Verkäufers nochmals aufführt. Hiernach kann der Verkäufer vom Käufer verlangen, daß er den Kaufpreis bezahlt, die Ware annimmt sowie die übrigen Verpflichtungen erfüllt, und zwar evtl. nach Setzung einer angemessenen Nachfrist zur Erfüllung der Pflichten (Art. 63 I). Der Verkäufer kann die Aufhebung des Vertrages nach Maßgabe der Bestimmungen des Art. 64 erklären, vor allem, wenn die Nichterfüllung einer dem Käufer obliegenden Pflicht eine wesentliche Vertragsverletzung ist (besondere Vorschriften regeln den Übergang der Gefahr, Art. 66ff.).

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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

2. Teil

Kodifikationen aus dem 20. Jahrhundert A. Bürgerliches Gesetzbuch - Eine rechtspolitische Umschaua) Vertragstreue und Irrtumsanfechtung

Ernst A. Kramer hat "Grundfragen der vertraglichen Einigung" mit dem Unterthema "Konsens, Dissens und Erklärungsirrtum als dogmatische Probleme des österreichischen, schweizerischen und deutschen Vertragsrechts" gestellt. Die Ausführungen interessieren hier aus einem doppelten Grunde, nämlich einerseits deshalb, weil von einer "Krise des Vertragsrechts" die Rede ist, und andererseits die rechtliche Behandlung der Irrtumslehre Gegenstand von Angriffen ist. Im Anschluß an Nipperdey stellt der genannte Verfasser der "äußeren" die "innere" Vertrags treue gegenüber. Auch der Konsens ist "normativ" und "natürlich" zugleich. Die Antithese besteht darin, daß sich der eine Vertragspartner wegen seines Irrtums vom Vertrage lossagen will, weil er nicht seiner willkürlichen Zielvorstellung entspricht, der andere aber fordert, daß der Vertragspartner, der sich geirrt hat, an dem Vertrage festhält. Nach dem Ausgangspunkt des genannten Verfassers wird die Vertragsordnung des BGB mehr und mehr durchbrochen, weil immer wichtigere Rechtsinstitute aus der Vertragslehre herausgenommen würden. Die angeblich zu weit geöffnete Irrtumsanfechtung ist eine Folgeerscheinung des Vertrauensgrundsatzes. Die Angriffe gegen die zivilrechtliche Regelung des Irrtums im Rechtsverkehr sind nicht allgemein aus den Ideen der Vertragskonzeption abzuleiten, weil im Vordergrunde eine Analyse der Erklärungsbedeutung steht. Diese orientiert sich in erster Linie an den Postulaten der Rechtssicherheit. Im übrigen ist es erforderlich, bei Angriffen auf die Irrtumslehre die einzelnen Arten der Diskrepanz von Wille und Erklärung zu unterscheiden. Unproblematisch ist der Irrtum in der Erklärungshandlung. Das Gleiche mag für den Verlautbarungsirrtum gelten. Die Schwierigkeiten liegen bei der weiteren Aufgliederung der Erklärungstat-

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bestände, etwa unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfolgen oder einer zugrundeliegenden Kalkulation. Es erscheint von vornherein bedenklich, wenn allgemeine Gliederungsgesichtspunkte die in Rede stehende Einteilung des Inhaltsirrtums beherrschen, weil die Gefahr besteht, daß das Verhältnis zwischen Wille und Erklärung von Ordnungsgedanken beherrscht wird, die für die Beurteilung der Erheblichkeit des Irrtums nicht in jedem Fall maßgebend sein können. Dies gilt z. B. für den betriebswirtschaftlichen Bereich der sog. Kalkulation. Vom rechtsvergleichenden Standpunkt ist darauf hinzuweisen, daß der Vertrag für denjenigen als unverbindlich angesehen wird, der sich beim Abschluß in einem wesentlichen Irrtum befunden hat (Art. 23 schweizerisches Obligationenrecht). Art. 24 legt die Tatbestände eines wesentlichen Irrtums in Ziffer 1 - 4 fest. Ein besonderer Tatbestand ist, daß der Irrtum einen bestimmten Sachverhalt betrifft, der vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wird (Art. 24 Ziffer 4). Nach diesem Grundsatz ist der Irrtum im Motiv unwesentlich. Hinzu tritt Art. 25, wonach die Berufung auf Irrtum unstatthaft ist, wenn sie Treu und Glauben widerspricht. Eine Sonderregelung gilt für den Fall, daß der Irrende, der den Vertrag nicht gegen sich gelten läßt, seinen Irrtum der eigenen Fahrlässigkeit zuzuschreiben hat (Art. 26). Auch das österreichische Recht geht in seinem System von der Unterscheidung zwischen dem wesentlichen und unwesentlichen Irrtum aus (§ 871 ABGB). Das deutsche BGB sieht als Irrtum über den Inhalt der Erklärung einen solchen über wesentliche Eigenschaften der Person oder Sache an, vorausgesetzt, daß die Eigenschaften im Verkehr als wesentlich angesehen werden. In diesem Falle besteht keine Divergenz zwischen Wille und Erklärung, da es sich nach richtiger Beurteilung um einen Irrtum im Motiv handelt (Larenz, § 20 11 b; Flurne, Eigenschaftsirrtum und Kauf, 1948). Wenn man davon ausgeht, daß beim Eigenschaftsirrtum Wille und Erklärung nicht auseinanderfallen, ist es unabweisbar, einen Motivirrtum anzunehmen. Die systematische Folge ist, daß der erhebliche Erklärungsirrtum mit dem erheblichen Motivirrtum auf

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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

eine dogmatische Linie gestellt wird. Demgegenüber ist es vorzuziehen, die sog. Verkehrswesentlichkeit für die Gesamtregelung dem schweizerischen Vorbild entsprechend zum bestimmenden Ausgangspunkt zu machen. b) Der einheitliche Begriff der Vertragsverletzung

Die wesentliche Vertragsverletzung nach dem EKG gilt mit Recht als das Kernstück des internationalen Übereinkommens. Die Haager Konferenz von 1951 hatte die ursprüngliche Formulierung "obligation essentielle" oder "condition essentielle du contrat" gewählt. Das "Einheitliche Kaufgesetz" hat an die Stelle der Vertragsbedingung den einheitlichen Begriff der Vertragsverletzung gesetzt, und zwar mit besonderer Betonung der "Wesentlichkeit" (grundlegend: Ernst von Caemmerer, Probleme des Haager Einheitlichen Kaufrechts, AcP 178, 131, der die geschichtliche Entwicklung des Einheitlichen Gesetzes über den internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 17. 7. 1973, BGBl. 1856, und des Einheitlichen Gesetzes über den Abschluß von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen (EAG) vom 17.7. 1973, BGBl. 1868, schildert und das entsprechende Material zitiert, besonders die Abhandlungen von Mertens, Neumayer, Weitnauer, Serick / Niederländer, Leser / v. Marschall, U. Huber, Heldrich u.a. aufführt. Vom Standpunkt der Rechtsvergleichung und der Dogmatik des Schuldrechts sind noch besonders zu erwähnen: Zweigert / Kötz, a.a.O., 11 § 13 VI; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts 11,11. Aufl. 1977, § 45 a I). Der Vertragsverstoß wird als "fundamental breach of contract", also als Vertragsbruch aufgefaßt. Der Ausgangspunkt ist, daß jede Art von Nicht- oder Schlechterfüllung der betreffenden Kaufverträge im Grundsatz eine Vertragsverletzung ist. Die Gewährleistung für Sach- und Rechtsmängel ist in die Ordnung der Vertragsverletzung eingebaut. Der Verkäufer, der vertragswidrige Ware liefert, verletzt den Kaufvertrag ebenso, wie wenn er im Sinne des Verzuges zu spät geleistet hat. Das Prinzip gilt nicht nur in Ansehung eines Sachmangels bei Gattungs-, sondern auch bei Spezieskäufen. Von rechtssystematischem Standpunkt ist hervorzuheben, daß das genannte Gesetz die Gewährlei-

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stung für Sach- und Rechtsmängel in das allgemeingültige System der Vertragsverletzungen eingliedert. Das Gesetz geht davon aus, daß jede Art von Nicht- oder Schlechterfüllung im Prinzip eine Vertragsverletzung ist, ohne daß es grundsätzlich darauf ankommt, ob sie dem Verkäufer als Verschulden anzurechnen ist. Da der Begriff der Nichterfüllung als einheitlicher aufgefaßt wird, sind alle vertraglichen Verpflichtungen unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt zu behandeln. Dies bedeutet, daß die Lieferungspflicht des Verkäufers stets unter dem Gesichtspunkt rechtlich beurteilt wird, ob sie vertragsgemäß ist. Der Ausgangspunkt hat zur Folge, daß der Verkäufer im Prinzip ohne Rücksicht auf sein Verschulden haftet. Die verschiedenen Tatbestände der Nichterfüllung beziehen sich auf die "Vertragsmäßigkeit der gelieferten Sache" (Larenz, a.a.O, S. 138). Es geht hierbei auch um die Verpflichtung zur Verschaffung des Eigentums und um die Verletzung von Pflichten, die herkömmlich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung "der positiven Forderung" behandelt werden. Lediglich die Einteilung der Vertragsverletzungen in wesentliche und unwesentliche beherrscht die Systematik. Die Differenzierung der bei den Arten zeigt sich im Falle der Aufhebung des Vertrages, die nur im Falle einer wesentlichen Vertragsverletzung in Betracht kommt, und zwar mit der Möglichkeit, die Aufhebung mit dem Verlangen nach Schadensersatz zu verbinden. Im Gegensatz zu dieser Regelung ist der Schadensersatzanspruch stets gegeben, ohne Rücksicht darauf, daß die Vertragsverletzung wesentlich oder unwesentlich ist. Primär kann jede Partei unbeschadet der genannten Rechtsbehelfe selbstverständlich die Erfüllung des Vertrages oder der verletzten Pflicht fordern (s. aber Art. 25, 61 II). Nach Art. 74 hat der Betreffende für die Nichterfüllung einer vertraglichen Pflicht ausnahmsweise nicht einzutreten, wenn er beweist, daß die Nichterfüllung auf außergewöhnlichen Umständen beruht. Das Gesetz drückt dies dahin aus "wenn sie (die Person) beweist, daß die Nichterfüllung auf Umständen beruht, die sie nach den Absichten der Parteien bei Vertragsabschluß weder in Betracht zu ziehen, noch zu vermeiden oder zu überwinden verpflichtet war". Es bleibt noch zu erwähnen, was das genannte Gesetz unter einer wesentlichen Vertragsverletzung versteht. Art. 10 EKG bestimmt in dieser Hinsicht:

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"Eine Vertragsverletzung wird im Sinne dieses Gesetzes immer dann als wesentlich angesehen, wenn die Partei, die sie begangen hat, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gewußt hat oder hätte wissen müssen, daß eine vernünftige Person in der Lage der anderen Partei den Vertrag nicht geschlossen hätte, wenn sie die Vertragsverletzung und ihre Folgen vorausgesehen hätte." Die Definition läßt eine Beziehung zu den konkreten Umständen der Abwicklung des Kaufvertrages leider vermissen. Vom Thema her gesehen ist hier weniger auf die kaufrechtlichen Einzelheiten einzugehen als auf die Dogmatik der Vertragsverletzung, die v. Caemmerer übrigens auch unter dem Gesichtspunkt des "breach of contract" betrachtet hat. Seine interessanten Ausführungen sind an dieser Stelle zu übernehmen. "Die Behandlung des Erfüllungsanspruchs bot für die Vereinheitlichung ein besonderes Problem, weil hier die Systeme weit auseinanderklaffen. Im Civil Law, d. h. im romanischen, deutschen und nordischen Rechtskreis, ist der Erfüllungsanspruch geradezu das Rückgrat der Obligation. Es erscheint selbstverständlich, daß auf Naturalerfüllung geklagt und zu ihr verurteilt werden kann. Im Common Law kann dagegen im Falle der Nichterfüllung grundsätzlich nur auf Schadensersatz in Geld wegen "breach of contract" geklagt werden. In diesen Zusammenhang fügt sich ein, was Zweigert / Kötz über die Austauschbeziehungen ausgeführt haben, nämlich daß man den Lebensverhältnissen besser gerecht werde, wenn man in den Vertragserklärungen der Parteien grundsätzlich nicht nur das Versprechen erblicke, sondern darin die Übernahme einer entsprechenden Garantie sähe (a.a.O., 11, § 13 VI). c) Die positive Forderungsverletzung

Staub war ursprünglich nicht von einer positiven Forderungsverletzung, sondern von einer entsprechenden Vertragsverletzung ausgegangen. Die im vorigen Kapitel vorgetragene Lehre von der wesentlichen Vertragsverletzung geht letzten Endes auf den genannten Autor zurück. Er verstand nämlich unter dem Phänomen einen zu vertretenden Verstoß in der Vertragserfüllung, der sich als so wesentlich darstellt, daß dem vertragstreuen Teil, unter Berücksichtigung aller Umstände, die Fortsetzung des Vertrages

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nicht mehr zuzumuten ist. Das Stichwort ist die erhebliche Gefährdung des Vertragszweckes (zur Begründung siehe Staub, Die positiven Vertragsverletzungen und ihre Rechtsfolgen, erweitert in seiner Abhandlung: Die positiven Vertragsverletzungen, Berlin 1904). Die Lehre ist von Heinichen in dem Komm. z. HGB III, 1941, im Anhang zu § 374, Anm. 174 weiterentwickelt worden. Die Bezeichnung positive Vertragsverletzung erklärt sich daraus, daß der Schuldner nicht wie im Falle der Unmöglichkeit und des Verzuges die Leistung überhaupt unterläßt, sondern den anderen Teil durch positives Handeln schädigt. Der Schulfall ist der Verkauf giftigen Futters, das andere Tiere des Käufers schädigt. In späterer Zeit haben verschiedene Autoren die behauptete Unvollständigkeit des Leistungsstörungssystems in Abrede genommen (so Himmelschein, AcP 135, 255 und Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, S. 7ff.; 148ff., zit. bei Medicus, Schuldrecht I, § 35 mit weiteren Literaturangaben). In der lebhaften Diskussion machten Enneccerus / Lehmann geltend, daß der Begriff der "positiven Vertragsverletzung" zu eng sei, weil die in Rede stehenden Zuwiderhandlungen nicht nur gegenüber Pflichten aus Verträgen, sondern auch aus gesetzlichen Schuldverhältnissen vorkommen könnten. So entstand die Bezeichnung "positive Forderungsverletzung" . Auch das Adjektiv "positiv" ist im Hinblick auf die mögliche Einbeziehung von Unterlassungen kritisiert worden. Medicus spricht statt von "positiven Forderungsverletzungen" von "sonstigen Vertragsverletzungen" , hält aber diese Benennung für "allzu farblos" (a.a.O., S. 169). Losgelöst von der Vorgeschichte und den terminologischen Schwierigkeiten ist der Anwendungsbereich zu umreißen. Voran steht die sog. Schlechterfüllung. Gemeint ist hier die schlechte Erfüllung einer Hauptleistungspflicht, bei welcher erfahrungsgemäß ein Begleitschaden auftritt. Die zweite Gruppe wird von Schutz-und Verhaltenspflichten gebildet (s. hierzu Larenz, unter der Überschrift "Schlechterfüllung und sonstige Pflichtverletzungen", Lehrbuch des Schuldrechts I, § 23, der sich mit der Meinung auseinandersetzt, daß jede Pflichtverletzung wenigstens teilweise Unmöglichkeit der Leistung bedeute). Unter sonstigen Fällen wird die Erfüllungsverweigerung genannt, die eher unter den Gesichtspunkt des Vertragsbruches fällt. Meinungsverschiedenheiten beste3 Eichler

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hen hinsichtlich der positivrechtlichen Begründung der vorgetragenen Lehre. Was den gegenseitigen Vertrag anbetrifft, so läßt sich die positive Forderungsverletzung aus einer Analogie zu §§ 325, 326 BGB herleiten. In Anbetracht des weiten Anwendungsbereiches erscheint es nicht angezeigt, den Schwerpunkt der Forderungsverletzung auf die "culpa in contrahendo" zu verlegen, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann. Vom Standpunkt des Themas "Vertragsverletzungen und Vertragsbruch " empfiehlt sich die Bezeichnung "Forderungsverletzung" nicht. Es wird deshalb hier die Rückkehr zu dem Begriff "Vertragsverletzung", und zwar im Sinne von sonstigen Vertragsverletzungen, angetreten. Soweit sich ein Bedürfnis nach Ausdehnung dieser Verantwortlichkeit ergibt, kann eine analoge Anwendung zum Ziele führen (zu den Obliegenheiten s. Reimer Schmidt, Die Obliegenheiten, 1953, S. 316). B. Schweizerisches Obligationenrecht

a) Tradition Wie jede Überlieferung auf Übernahme, Erfahrung und Weitergabe an künftige Entwicklungsstufen beruht, so ist auch die Privatrechtsgeschichte im Laufe der Zeit von einer Rechtskultur zur anderen fortgeschritten. Weder besteht ein Prinzip, die Fesseln der Vergangenheit immer wieder anzulegen, noch ist ein steter Wandel jeder Rechtsepoche angemessen. Das Obligationenrecht der Schweiz weist seit seinem Ursprung eine Kontinuität auf, die gegenüber anderen Rechtsgebieten des Privatrechts im Rahmen der Rechtsvergleichung immer wieder hervorgehoben ist. Die Gründe liegen in dem umfangreichen Schrifttum zutage. Die Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit, die in der Materie des Obligationenrechts selbst beschlossen ist, wird durch die konservative Note ausgeglichen. Im Laufe der Zeit hat sich herausgestellt, daß gerade die Tradition Erneuerungen gegenüber aufgeschlossen ist. Die gesetzlichen Rechtseinrichtungen sind inhaltlich so weit gefaßt, daß sie vielerlei in sich aufnehmen können. Nach alledem ist die gesetzgeberische

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Tradition kein absoluter Wert, um so weniger als die Rechtsprechung und Rechtswissenschaft gestaltend wirken. Der Stoff des genannten Gesetzbuches ist derart umfangreich, daß dogmatische Abhandlungen zu einer Auswahl genötigt sind. Diese bezieht sich im vorliegenden Fall auf diejenigen Vorschriften, die für die Erfüllung des Vertrages und die Beurteilung seiner Verletzung im Sinne der Nichterfüllung von Verbindlichkeiten maßgebend sind. Das Gesetzbuch geht von den Schuldverhältnissen im allgemeinen zu den Verträgen im allgemeinen und in dem späteren Verlauf der Regelung zu den einzelnen Verträgen über. Das Schwergewicht der dogmatischen Beurteilung ruht auf der allgemeinen Vertragslehre. b) System

Das schweizerische Obligationenrecht hat in den Allgemeinen Bestimmungen unter dem Titel "Die Entstehung der Obligationen" die durch Vertrag zustandekommenden Verpflichtungen vorangestellt. Die Vorwegnahme ist von rechtsvergleichendem Standpunkt, im Hinblick auf die überragende Stellung des Vertragsrechts, deswegen besonders hervorhebenswert, weil die Institution des Vertrags vom Gesamtbereich der Schuldverhältnisse oft verdeckt oder unterbewertet wird. Die Entstehung der Obligation durch unerlaubte Handlungen wird im Zweiten Abschnitt Art. 41 ff. OR geregelt. Der Begriff des Schadensersatzes kommt in der angepaßten Gestaltung in bei den Bereichen vor. Angeschlossen ist "Die Entstehung aus ungerechtfertigter Bereicherung" (Art. 62ff. OR). Der Zweite Titel behandelt die Wirkung der Obligationen, zuerst unter dem Gesichtspunkt ihrer Erfüllung (Art. 68ff. OR), wiewohl von ihr schon vorausgegangene Bestimmungen sprechen. In diesem Abschnitt wird des öfteren der Vertrag, insbesondere der zweiseitige Vertrag, Art. 82ff. OR, hervorgehoben. Mehrheitlich sind die Bestimmungen ohnehin vertragsrechtlicher Art. Der zweite Abschnitt faßt die Folgen der Nichterfüllung in einer allgemein gehaltenen Regelung zusammen, es zeigt sich aber auch in diesem 3'

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Abschnitt, daß dem Gesetzgeber als Schuldner häufig der Vertragsschuldner vorschwebt. Dies gilt z. B. für die vertragliche Vereinbarung von Zinsen gemäß Art. 104 II OR sowie für den Schuldnerverzug bei zweiseitigen Verträgen und für den Rücktritt vom Vertrage (Art. 107, 109 OR). Das Kapitel "Beziehungen zu dritten Personen" weist auf den Vertrag zu Lasten oder zu Gunsten eines Dritten hin. Auch das "Erlöschen der Obligation" läßt vertragliche Beziehungen in mancher Hinsicht durchblicken, z. B. die Ausstellung eines Schuld- oder Bürgschaftsscheines. c) Rechtsgeschäfte und Verträge

Das neuere schweizerische Schrifttum zur Vertragslehre hat eine eingehende Darstellung des Rechtsgeschäftes nach Begriff und Funktion vorausgeschickt (Merz, Vertrag und Vertragsschluß, 1988, S. Hf.). Im Mittelpunkt stehen die Arten der Rechtsgeschäfte und ihre Einteilung als einseitige und zweiseitige. Die Vorstellung eines Rechtsfolgewillens leitet zur Lehre von den faktischen Vertragsverhältnissen und zum sozialtypischen Verhalten über. Unter den Arten der Rechtsgeschäfte stehen die zweiseitigen und mehrseitigen Gruppen im Vordergrunde. Hiermit verbindet sich die Definition des Vertrages als die übereinstimmende Willensäußerung Mehrerer. Die vereinbarte Rechtsfolge erlangt eine weitere Bedeutung in der Gestalt des Vertragsverhältnisses (Merz, a.a.O., S. 16, unter Hinweis auf Schönenberger / Jäggi, Art. 1 OR). Es wird bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, daß andere Rechtssysteme, z. B. das französische Recht, unter "contract" nur den schuld rechtlichen Vertrag verstehen. Die deutsche Lehre vom Rechtsgeschäft zerlegt zunächst Rechtshandlung und Rechtsgeschäft, dessen Arten eingehend erläutert werden (s. Heinz Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1984, S. 265ff.). Unter den mehrseitigen Rechtsgeschäften, die die Willenserklärungen zweier oder mehrerer Personen enthalten, werden Verträge, Gesamtakte, Beschlüsse und Organisationsverträge unterschieden.

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Die Lehre von den Willenserklärungen (§§ 116ff. BGB) nimmt die Auslegung und die Willensmängel vorweg, und zwar unter der Einteilung der bewußten und nicht bewußten Abweichungen von Wille und Erklärung. Hierdurch wird gleichsam ein Teil der Vertragslehre vorweggenommen, insbesondere auch dadurch, daß der zulässige Inhalt der Rechtsgeschäfte sowie die Form in den folgenden Kapiteln behandelt sind. Hieran schließt sich die Lehre vom Vertrage. Unter den Sonderproblemen erscheint die culpa in contrahendo. Hiermit verbindet sich das vorvertragliche Vertrauensverhältnis (Hübner, a.a.O., S. 423ff.), aus dem Aufklärungs-, Obhuts- und Mitwirkungspflichten hervorgehen (v. Ihering). Das schweizerische Recht setzt den Akzent auf den Vertrag, so daß der Begriff des Rechtsgeschäfts nur selten erwähnt wird (s. Art. 33 - 35 OR). Das BGB behandelt beides getrennt voneinander, ordnet aber das Rechtsgeschäft über. Die schweizerische Definition des Vertrages bezieht sich einerseits auf das Zustandekommen als die übereinstimmende Willensäußerung andererseits auf das Vertragsverhältnis, das den Rechtserfolg selbst darstellt (Merz, a.a.O., S.26). Schließlich kommt die Bindungswirkung zum Ausdruck. Mit ihr wird der Rechtsschutz des einzelnen verbunden, der in die Zukunft wirkt. Folgender Satz erklärt die Zusammenhänge: "Der Vertrag ist von seiner Entstehung bis zu seiner natürlichen Beendigung durch Erfüllung der Einwirkung einer Reihe von äußeren Verumständungen ausgesetzt, die ihn in verschiedenartigster Weise zu beeinflussen vermögen" (Merz, a.a.O., S. 30, unter Hinweis auf R. Reinhardt; ferner s. Bydlinski, Privat autonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, 1967, S. 107). Die neuere schweizerische Lehre des Allgemeinen Teiles des Obligationenrechts (E. Bucher, 2. Aufl., 1988) geht von der Entstehung der Obligation als Vertrag (OR 1 - 31) aus. Von Anfang an tritt der Vertrag als ausschließliches Instrument privatautonomer Rechtsgestaltung in Erscheinung. Das Vertragsverhältnis wird als ein Dauerzustand geschildert, der indes "nicht statisch unveränderlich zu sein braucht". Als Beispiel wird der Kaufvertrag gewählt, bei dessen Abwicklung sich Sachmängel ergeben. Hervorgehoben wird, daß der Vertrag in einer Urkunde niedergelegt und sprachlich durch andere Ausdrücke wiedergegeben werden kann, wie z. B.

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Vereinbarung und Konvention. Was die Einteilung der Verträge betrifft, so ergeben sich bereits aus dem Vorstehenden verschiedene Gliederungsgesichtspunkte, nämlich z. B. der Verpflichtungsund der Verfügungscharakter, die Einseitigkeit und Zweiseitigkeit, Nominat- und Innominatkontrakte, persönliche Leistung und Sachleistung, Vor- und Hauptvertrag. d) Erfüllung und Erfüllungsstörungen

Im Hinblick auf den Vertragsinhalt und seine Feststellung legt die Literatur die Schranken der inhaltlichen Gestaltung von Verträgen dar (OR 19, OR 20, ZGB 27). Art. 20 OR bestimmt, daß ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstößt, nichtig ist. Die Ausdrucksformen sind: Unmöglichkeit, Rechtswidrigkeit und Sittenwidrigkeit des Vertragsinhaltes. Hinzu kommt der Schutz vor übermäßiger rechtsgeschäftlicher Bindung gemäß ZGB 27/II. Angeschlossen werden Verpflichtungen im Rahmen vorvertraglicher Beziehungen. Das Gesetz hat Sondertatbestände für die Haftung aus culpa in contrahendo aufgestellt: nämlich in OR 26, 31 III, 36 II, 39, 41 II (zu dieser Aufzählung s. Bucher, § 17 II unter Anführung der schweizerischen Rechtsprechung u. unter Hinweis auf Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971, S. 326ff.). Die Rechtsnatur der angedeuteten Haftungsart ist umstritten. Die neuere Rechtsprechung neigt zur vertraglichen Natur der Haftung (BGE II, 458 E. VI). Bucher hat jedoch mit Recht darauf hingewiesen, daß die Haftung als vorvertragliehe unabhängig von der Alternative Delikt - Vertrag (a.a.O., § 17 IV unter Angabe weiteren Materials) zu beurteilen ist. Diese Ausführungen beginnen sich bereits auf dem Boden der Vertragsverletzung zu bewegen. Im weiteren Aufbau des allgemeinen Schuldrechts begegnen wir der Erfüllung und der Erfüllungs"störung". Es wird hervorgehoben, daß die in Betracht kommenden Bestimmungen (OR 68 - 90) ihre hauptsächliche Bedeutung im Vertragsrecht haben, wobei es sich um dispositive Regeln handelt (s. hierzu Bucher, Der Ausschluß dispositiven Gesetzesrechts durch vertragliche Absprachen, FS f. H. Deschenaux, FreiburgiSchweiz 1977, S. 249 -269, bes. 256 f.). Eine eingehende Würdigung erfährt

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hierbei der Leistungsbegriff, vor allem im Zusammenhang mit der Bestimmung des Inhalts der Leistungspflicht (OR 71, 72, 73). Der Erfüllungsort und die Erfüllungszeit werden behandelt, bevor der Erfüllungsablauf bei zweiseitigen Verträgen und die Erfüllungssurrogate erläutert werden. Unter den Leistungsstörungen geht der Gläubigerverzug voraus. Er liegt vor, wenn der Gläubiger die Annahme der ordnungsgemäß angebotenen Leistung ungerechtfertigterweise verweigert. Der Schuldner ist unter solchen Umständen berechtigt, die geschuldete Sache zu hinterlegen, wodurch er sich von seiner Verbindlichkeit befreit. Das Gesetz sieht außerdem ein Rücktrittsrecht des Schuldners vor, wenn es sich um eine Verpflichtung zu einer andern als einer Sachleistung handelt (s. hierzu Art. 91ff. OR). Die Folgen der Nichterfüllung sind darauf abgestellt, ob der Schuldner die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt. In diesen Fällen hat er für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, es sei denn, daß ihn kein Verschulden trifft. Im allgemeinen haftet der Schuldner für jedes Verschulden. Das Maß der Haftung richtet sich indes nach der besonderen Natur des Vertrages. Das Gesetz beurteilt seine Verantwortlichkeit milder, wenn das betreffende Geschäft keinen Vorteil für ihn mit sich bringt. Was das Maß der Haftung angeht, so findet der deliktsrechtliche Maßstab auf das vertragswidrige Verhalten entsprechende Anwendung (z. Ganzen s. Art. 97, 98, 99 OR). Eine Verabredung, wonach die Haftung für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen wird, ist gern. Art. 100 I OR nichtig. Die Ansprüche des Gläubigers bei Schuldnerverzug in gegenseitigen Verträgen richten sich nach OR 107 - 109. Die grundsätzlich vorgeschriebene Fristsetzung entfällt, wenn die Leistung infolge des Verzuges des Schuldners für den Gäubiger wertlos geworden ist, oder wenn aus dem Verhalten des Schuldners hervorgeht, daß sich die Nachfristsetzung als unnütz erweisen würde (Art. 108 Ziffer 1 und 2 OR; dieselbe Folge tritt bei einem Fixgeschäft gern. Art. 108 Ziffer 3 ein). Die Beziehungen zu dritten Personen sind unter den verschiedenen Gesichtspunkten des Vertrages zugunsten oder zu Lasten eines Dritten geordnet (Art. 112 OR). Ein umfangreiches Kapitel betrifft die Beendigung von Schuldverhältnissen bzw. von Forderungen

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I. Hauptteil: Vertragsverletzungen

und Schulden gemäß Art. 114 - 142 OR). Dogmatischer Mittelpunkt ist die nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung. In die Lehre von der Nichterfüllung hat auch nach schweizerischem Recht der Begriff der positiven Vertragsverletzung Eingang gefunden, vorgestellt als Ergänzung zu der als rein negatives Faktum verstandenen "Nichterfüllung". Bucher hat hierfür die Formulierung gefunden, daß der Schuldner eine Leistung zu erbringen hat "und diese positive Pflicht durch sein negatives Verhalten der Leistungs-Nichterbringung verletzt". Nach richtiger Anschauungsweise umfaßt das Phänomen der Nichterfüllung im weiteren Sinne auch die positive Vertragsverletzung. Das Zusammentreffen der außervertraglichen Schädigung mit der Vertragsverletzung (s. OR 97ff. - OR 99ff.) braucht hier nicht noch einmal behandelt zu werden, weil hiervon bereits bei der Erörterung der anderen Rechtsordnungen die Rede war. C. Codice civile

a) Systematik

Die italienische Rechtsentwicklung schloß sich am Anfang des 19. Jahrhunderts aus naheliegenden Gründen der französischen Rechtsentwicklung an. Insbesondere stand der Codice civile von 1865 unter dem Einfluß des Code civil. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schwenkte die italienische Rechtslehre mehr und mehr in die deutsche Pandektenwissenschaft ein (s. hierzu Wieacker, a.a.O., S. 502 und Wesenberg / Wesener, Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte, 3. Aufl., S. 201). Der gemeinsame französischitalienische Entwurf eines Obligationenrechts (1931) nahm Impulse anderer Rechtsfamilien auf. Später näherte sich das italienische Obligationenrecht dem Schweizer ZGB. So erklärt sich der Umfang des Codice civil, in dem das Recht der Schuldverhältnisse in den Art. 1173ff. - 2969 niedergelegt ist. Das 4. Buch trägt die Überschrift "Delle obbligazioni". Einleitenden Bestimmungen folgt die Erfüllung der Verbindlichkeiten, und zwar zuerst "Erfüllung im allgemeinen", sodann die "Zahlung mit Einsetzung in die Rechte des Gläubigers", schließlich "der Verzug des Gläubigers". Vom Thema her gesehen ist besonders die "Nichterfüllung der Verbindlichkei-

2. Teil: Kodifikationen aus dem 20. Jahrhundert

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ten" interessant, geregelt in Art. 1218ff. Allgemein gilt der Satz, daß der Schuldner, der die geschuldete Leistung nicht gehörig erbringt, zum Schadensersatz verpflichtet ist, es sei denn, daß die Nichterfüllung oder die Verspätung durch Unmöglichkeit der Leistung, und zwar einer von ihm nicht zu vertretenden, verursacht worden ist (1218). Im Anschluß wird die "Inverzugsetzung" geregelt. Die Bestimmungen über den Verzug finden keine Anwendung auf Verbindlichkeiten, die auf eine Unterlassung gerichtet sind, weil jede Zuwiderhandlung schon an sich eine Nichterfüllung darstellt (ein Anklang an die Lehre von der positiven Vertragsverletzung). Der Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder wegen Verspätung umfaßt den Verlust und den entgangenen Gewinn, soweit diese unmittelbare Folgen sind. Unter der Überschrift "Arten des Erlösehens der Verbindlichkeiten, die von der Erfüllung verschieden sind", stehen die Neuerung, der Erlaß, die Aufrechnung und die Vereinigung. Unter der genannten Überschrift ist ferner die "Nachfolgende, vom Schuldner nicht zu vertretende Unmöglichkeit", auf Grund deren die Verbindlichkeit erlischt, angeführt. Nach der Abtretung von Forderungen, der Anweisung, Schuldübernahme durch Vertrag mit dem Gläubiger und Schuldübernahme durch Vertrag mit dem Schuldner kommen einige Arten von Verbindlichkeiten zu ihrer begrifflichen Bestimmung (1277ff.). Hiernach werden die Verträge im allgemeinen behandelt, indem die Erfordernisse des Vertrages erörtert werden (die Einigung der Parteien, der Rechtsgrund, Gegenstand und die Form des Vertrages). Besondere Kapitel sind die Form und die Bedingung sowie die Auslegung des Vertrages. Was den Gegenstand des Vertrages betrifft, so hebt das Gesetz in 1346 hervor, daß er möglich, erlaubt, bestimmt oder bestimmbar sein muß. Der zweite Titel, der die Erfordernisse des Vertrages ordnet, regelt auch seinen Abschluß durch Antrag und Annahme (1326 1335). In diesem Teile werden auch die "Verhandlungen und vorvertragliche Haftung" unter das Gebot von Treu und Glauben gestellt. Dogmatisch geht es hierbei um die Lehre von Verschulden bei Vertragsschluß und die positive Forderungsverletzung (1337).

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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

Im Anschluß wird festgelegt, daß diejenige Partei, die das Vorhandensein eines Grundes für die Ungültigkeit des Vertrages kannte oder kennen mußte, aber der Partei dies nicht angezeigt hat, zum Ersatze des Vertrauensschadens verpflichtet ist. Es handelt sich dabei um den Schaden, den der Vertragsgegner dadurch erlitten hat, daß er schuldlos auf die Gültigkeit des Vertrages vertraut hat (1338, 1398). In der Abteilung vom Rechtsgrunde (Della causa deI contratto) sind Regeln für Klauseln, Allgemeine Vertragsbedingungen und Formblätter getroffen. Hervorhebenswert sind besonders die im voraus von einem Vertrags teil aufgestellten Allgemeinen Vertragsbedingungen. Sie sind dem anderen Teil gegenüber wirksam, wenn dieser sie im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages kannte oder hätte kennen müssen. Maßstab ist die gewöhnliche Sorgfalt. Bestimmte Bedingungen dieser Art sind unwirksam, wenn sie nicht einzeln schriftlich angenommen werden (1341 11). Es handelt sich um solche Vertragsbedingungen, die zugunsten desjenigen, der sie im voraus aufgestellt hat, Vorteile im Rechtsverkehr mit sich bringen können, wie z. B. die Befugnis zum Rücktritt vom Vertrage.

b) Wirkungen Ein zentraler Abschnitt hat die "Wirkungen des Vertrages" zum Gegenstand. Das Gesetz geht davon aus, daß der Vertrag zwischen den Parteien "Gesetzeskraft" hat. Dies bedeutet, daß er nur im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst werden kann. Gegen Dritte wirkt der Vertrag nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen (1372 11). Der Partei kann ein Rücktrittsrecht eingeräumt werden, das jedoch nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn mit der Durchführung des Vertrages begonnen worden ist. Ein allgemeines Gebot bestimmt, daß Verträge nach Treu und Glauben abzuwickeln sind (1337, 1358, 1366, 1460). In dieser Linie liegt die Vorschrift über die Vertrags ergänzung (1374). Wenn die Parteien ein Veräußerungsverbot vereinbart haben, so wirkt es nicht gegen Dritte. Gesetzliche Voraussetzung ist, daß eine solche Vereinbarung einem nennenswerten Interesse einer der Parteien entspricht. Außerdem hängt die Gültigkeit davon ab, daß das Verbot in angemessenen zeitlichen Grenzen gehalten wird (1379).

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Sondervorschriften gelten für die Strafklausel und das Angeld. Die Strafklausel bezieht sich darauf, daß im Falle der Nichterfüllung oder der Verspätung bei der Erfüllung einer der Beteiligten zu einer bestimmen Leistung verpflichtet ist. Das Gesetz regelt die Wirkung der "Strafklausel" in 1382 und stellt in 1383 ein Kumulierungsverbot auf. Zur Herabsetzung der Vertragsstrafe s. 1384. Innerhalb des Vertragsrechts befindet sich auch ein Abschnitt über die Vertretung. Die Vertretungsmacht beruht entweder auf dem Gesetz oder geht nach der Ausdrucksweise des Art. 387 von demjenigen aus, "der ein Interesse daran hat". Die Vollmacht hat keine Wirkung, wenn sie nicht in den Formen erteilt wird, die für den Vertrag, um dessen Abschluß es geht, vorgeschrieben sind. Die gesetzliche Regelung setzt Geschäftsfähigkeit des Vertreters und des Vertretenen voraus. Der Dritte, der mit dem Vertreter verhandelt, kann von diesem verlangen, daß er seine Befugnisse nachweist. Wenn der Vertrag mit den Interessen des Vertretenen im Widerstreit steht, kann er auf dessen Antrag für nichtig erklärt werden. Voraussetzung ist, daß der Konflikt dem Dritten bekannt oder erkennbar war (1394). Die Änderungen und der Widerruf der Vollmacht sind dem betreffenden Dritten (s. hierzu im einzelnen 1396) mitzuteilen. Wer als Vertreter ohne Vertretungsmacht oder unter ihrer Überschreitung den Vertrag abgeschlossen hat, ist dem gutgläubigen Dritten gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet. Besondere Abschnitte behandeln den Vertrag für eine erst zu benennende Person sowie die "Abtretung des Vertrags". Jede Partei kann nämlich, unter Zustimmung der anderen Partei, an ihrer Stelle einen Dritten in die aus dem Vertrage stammenden Rechtsbeziehungen einsetzen. Voraussetzung ist, daß diese Leistungen noch nicht erbracht sind (s. hierzu 1406 - 1410). Das Gesetz sieht die Einrichtung eines Vertrages zugunsten Dritter vor. Die Vereinbarung setzt voraus, daß der Versprechensempfänger an ihr ein Interesse hat. Im Prinzip erwirbt der Dritte das Recht gegen den Versprechenden auf Grund der Vereinbarung, die jedoch unter bestimmten Voraussetzungen gemäß 1411 III widerrufen werden kann. Falls die Leistung an den Dritten nach dem Todes des Versprechensempfängers erfolgen soll, kann dieser die Begünstigung auch letztwillig widerrufen.

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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

Der 11. Abschnitt regelt die Nichtigkeit des Vertrages in einer allgemeinen Weise, indem auf den Verstoß gegen zwingende Vorschriften hingewiesen wird (1418 - 1424). Das Gesetz sieht Tatbestände vor, in denen ein Vertrag für nichtig erklärt werden kann. Der 1. Teil behandelt unter diesem Gesichtspunkt die Geschäftsunfähigkeit, der 2. Teil die Mängel der Einwilligung. Gemeint sind hiermit Irrtum, Zwang und Arglist. Der Irrtum kommt hierfür nur in Betracht, wenn er wesentlich ist, d. h. wenn er die Art oder den Gegenstand des Vertrages betrifft sowie wenn er die Identität des Leistungsgegenstandes oder eine solche Eigenschaft desselben betrifft, die nach allgemeiner Beurteilung oder nach den Umständen des Falles für die "Einwilligung" maßgebend gewesen ist (s. z. weiteren Regelung 1429 II). Der Irrtum ist ferner wesentlich, wenn er im Falle eines Rechtsirrtums der einzige oder hauptsächliche Grund für den Vertrag gewesen ist. Der sog. Berechnungsirrtum führt im allgemeinen nur zur Berichtigung, es sei denn, daß es sich um einen Irrtum über den Umfang handelt (1430). Die letzten Abschnitte befassen sich mit der Rückgängigmachung des Vertrages und seiner Aufhebung. In der ersten Hinsicht handelt es sich um einen Vertrag, der im Zustande einer Gefahr abgeschlossen ist. Der Tatbestand setzt voraus, daß eine Partei aus der Notwendigkeit heraus, sich oder andere vor der Gefahr eines schwerwiegenden persönlichen Schadens zu bewahren, Verpflichtungen übernommen hat, die unbillig sind. Voraussetzung ist, daß der anderen Partei die in Rede stehende Notwendigkeit bekannt war (1447). Im Falle eines Mißverhältnisses zwischen der Leistung der einen Partei und jener der anderen kann die geschädigte Seite die Rückgängigmachung des Vertrages fordern (1448 I). Voraussetzung des Wuchertatbestandes ist, daß das Mißverhältnis auf der Notlage der ausnützenden Partei beruht, die hieraus einen Vorteil zieht. Der Anspruch ist nicht gegeben, wenn die betreffende Verkürzung der Leistung nicht die Hälfte des Wertes übersteigt (s. hierzu 1448: Allgemeine Klage auf Rückgängigmachung wegen Verkürzung) .

2. Teil: KodifIkationen aus dem 20. Jahrhundert

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c) Aufhebung des Vertrages

Nach dem gesetzlichen System kann sie in drei Fällen verlangt werden 1. wegen Nichterfüllung 2. bei nachfolgender Unmöglichkeit 3. bei übermäßiger Belastung. 1. Voraussetzung ist, daß der eine Vertragsteil im Rahmen gegenseitiger Verträge seine Verpflichtungen nicht erfüllt. Der andere kann entweder die Erfüllung oder die Aufhebung des Vertrages verlangen (1453 I). Jedoch kann die Erfüllung nicht mehr beantragt werden, wenn die Aufhebung gefordert worden ist. Vom Tage der Erhebung der Klage auf Aufhebung darf der nichterfüllende Vertragsteil seine Leistung nicht mehr erbringen.

Der Anspruch auf Schadensersatz bleibt von der Geltendmachung der obigen Rechtsbehelfe unberührt. Vorgesehen ist eine Aufforderung zur Erfüllung unter Fristsetzung (1454). Der Vertrag kann nicht mehr aufgehoben werden, wenn die Nichterfüllung durch eine der Parteien im Hinblick auf das Interesse der anderen geringe Bedeutung hat (1455). Die Einrede des nichterfüllten Vertrages ist besonders geregelt. 2. Das Gesetz unterscheidet zwischen gänzlicher und teilweiser Unmöglichkeit. Bei der ersten Alternative kann die wegen nachfolgender Unmöglichkeit der geschuldeten Leistung befreite Partei die Gegenleistung nicht mehr verlangen. Bei Teilunmöglichkeit hat die Gegenseite einen Anspruch auf entsprechende Herabsetzung der von ihr geschuldeten Leistung (zum evtl. Rücktrittsrecht s. 1464). 3. Sonderregelungen gelten für Verträge, die auf dauernde oder regelmäßig wiederkehrende oder auf hinausgeschobene Durchführung gerichtet sind. Unter der Voraussetzung, daß die Leistung des Schuldners auf Grund des Eintrittes außergewöhnlicher und unvorhersehbarer Ereignisse übermäßig belastend geworden ist, kann die Partei, die eine solche Leistung schuldet, die Aufhebung des Vertrages verlangen, es sei denn, daß die nachfolgende Belastung im Rahmen des durchschnittlichen Vertragsrisikos liegt (1467). Hieraus erklärt sich die Überschrift "übermäßige Belastung".

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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

d) Verhaltenspflichten und Vertragsverletzung Einer besonderen Erörterung bedürfen die Vorschriften über die Auslegung des Vertrages (1362). Im Mittelpunkt steht die Interpretation nach Treu und Glauben sowie nach allgemeiner Übung (1366, 1368). Diese Methode der Auslegung betrifft das rechtliche "Wollen", wohingegen die Bestimmung des Leistungsinhaltes das rechtliche "Sollen" angeht. Der Grundsatz von Treu und Glauben bezieht sich nicht nur auf Hauptpflichten, sondern auch auf Nebenpflichten, die die Erstgenannten erweitern. Das Prinzip von Treu und Glauben hat entwicklungsgeschichtlich betrachtet zu einer Erweiterung der Leistungspflicht geführt. Es handelt sich dabei besonders um Fürsorge- und Obhutspflichten, z. B. die erweiterte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Hinzu kommen Hilfspflichten aller Art, die zwar einer Leistungspflicht zugeordnet, aber von ihr unterscheidbar sind. Typisch sind Aufklärungs-, Mitwirkungs- und Auskunftspflichten. Eine besondere Stellung nehmen die Schutzpflichten ein, die im Rahmen eines jeden Vertragsverhältnisses entstehen können, sogar im Rahmen der Vertragsverhandlungen. Das Stichwort ist der soziale Kontakt. Die Vorstellung von sog. Verhaltenspflichten ist nach alle dem von der Tendenz der Erweiterung, und zwar unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben, geleitet. Die Auslegung bezieht sich nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift (1370) auch auf die Klauseln, die in Allgemeinen Vertragsbedingungen oder in Formblättern oder in Vordrucken enthalten sind. Sind sie von einem der Vertragsteile im voraus aufgestellt worden, so sind sie im Zweifel zugunsten des anderen auszulegen (1370). Hauptgrundsatz ist nach den Schlußbestimmungen, daß durch die Art und Weise der Interpretation auf jeden Fall ein billiger Ausgleich der Interessen der Parteien erzielt wird (1371). Die italienische Kommentarliteratur hat auf die Vorschriften der Interpretation des Vertrages besonderes Gewicht gelegt und reichhaltiges Material aus der Rechtspraxis herangezogen (s. in neuester Zeit G. Pescatore / C. Ruperto, Codice civile, tomo I, art. 1 - 1469, Milano 1987, 1362 ff.). Insbesondere hat die "Interpretazione di buona fede" eine musterhafte Ausprägung erfahren (1366). Dies ist besonders im Hinblick auf die Thematik der vorliegenden Abhandlung hervorhebenswert, weil eine sachgemäße Bestimmung

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des Inhaltes der konkreten Verhaltenspflichten notwendig ist, damit in begründeter Weise der Vorwurf der Vertragsverletzung gegen eine Partei erhoben werden kann. So gesehen, befinden sich Vertrags auslegung , Vertragsinhalt, Vertragspflicht, Zuwiderhandlung gegen die Vertragspflichten und schließlich Vertragsverletzung in einer Kausalreihe. Diese Zusammenhänge sind nicht zuletzt auch für das System der Verträge von großer Tragweite, weil ihre Abgrenzung letztlich immer wieder von der Bestimmung des konkreten Pflichtinhaltes abhängig ist. Die Differenzierung der Vertragstypen findet allerdings nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Konkretisierung des Inhaltes der Obligationen statt, sondern auch unter dem Blickpunkt der Lebenserscheinungen die hierauf einwirken. Schließlich hat die Erfahrung gelehrt, daß die Einteilung der Verträge von überkommenen Gliederungsgesichtspunkten abhängig ist. Die andere Tendenz beruht auf dem Einfluß fortschreitender Vertragsentwicklung im Wirtschafts- und Sozialleben. Das italienische Zivilgesetzbuch ist ähnlich wie das schweizerische zu einer Ausdehnung der Vertragsmaterie gelangt, die versucht, die gesamte Realität des Vertragslebens in einen Griff zu bekommen, eine Methode, die sicherlich übertrieben ist. Auf der anderen Seite hat sich das römischrechtliche Vorbild, das sich an eine verhältnismäßig geringe Zahl von Grundtypen gebunden gefühlt hat, im Fortgang der Zeit, die nach Konkretisierung drängt, als zu eng erwiesen. (Benutzt die zweispr. Ausgabe des C. c. von Bauer, Eccher, König, Kreuzer, Zanon-Bozen 1987.) D. C6digo civil portugues

a) Aufbau des Gesetzbuches Der neue C6digo civil, der am 1. 6. 1967 in Portugal in Kraft trat, setzt die Entwicklung fort, die mit der Kodifikation von 1867 eingetreten war. Er vereinigt in sich Elemente der deutschen, schweizerischen und italienischen Gesetzgebung. Mitunter ist es bezweifelt worden, ob er in die romanischen Rechtsordnungen eingegliedert werden kann (Zweigert / Kötz, a.a.O. 1., S. 126). Dem deutschen BGB ist er insofern nachgebildet, als er einen Allgemeinen Teil enthält, der dem "Recht der Obligationen" vor-

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1. Hauptteil: Vertragsverletzungen

ausgeht. Dieses regelt zuerst die Schuldverhältnisse im allgemeinen und später die einzelnen Vertragstypen. Der hauptsächliche Gliederungsgesichtspunkt beruht auf dem Recht der Schuldverhältnisse im allgemeinen, dessen Inhalt in Art. 397 c.c. festgelegt ist. Im Anschluß wird der Leistungsbegriff bestimmt. Cap. IIff. zählen die Quellen der Schuldverhältnisse auf. An der Spitze steht das Prinzip der Vertragsfreiheit, und zwar mit Rücksicht darauf, daß die Verträge unter den Quellen zuerst genannt werden. Das Schrifttum behandelt zusammen mit diesem Grundsatz die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Decreto-Lei No. 446/85, de 25 outubro, abgedruckt bei Pires de Lima e Antunes Varela, C6digo civil I, 4. Aufl. 1967, S. 356ff.). Die allgemeinen Vertragsklauseln werden dem Grundsatz von Treu und Glauben unterworfen; bestimmte Klauseln sind sogar gesetzlich absolut oder relativ verboten. In den Kapiteln "Quellen der Obligationen" wird u. a. die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (Art. 428 c.c.) geregelt. Art. 432ff. c.c. ordnet die Auflösung der Verträge, besonders auch unter dem Gesichtspunkt der Änderung der Geschäftsgrundlage. Außerdem ist ein Unterabschnitt der Vorwegnahme der Erfüllung gewidmet, schließlich befindet sich in diesem Kapitel der Vertrag zugunsten Dritter. Mit dem "Contrato para pessoa a nomear" nimmt der Abschnitt "Contratos" sein vorläufiges Ende. Es folgen in weiteren Abschnitten einseitige Rechtsgeschäfte, die Geschäftsführung, die ungerechtfertigte Bereicherung sowie die zivilrechtliche Verantwortlichkeit, gegliedert in Haftung für unerlaubte Handlungen und solche "pelo risco". Das dritte Kapitel regelt allgemein die "Modalidades" der Obligationen. Es handelt sich um eine umfangreiche Aufzählung der Arten der schuldrechtlichen Verpflichtungen, insbesondere auch derjenigen, die zum Schadensersatz verpflichten. In weiteren Kapiteln wird die Übertragung der Forderungen und Schulden sowie die "allgemeine Garantie" behandelt. Schließlich finden noch besondere Garantien, wie z. B. die Bürgschaft, das Pfandrecht und die Hypothek sowie die Privilegien und das Zurückbehaltungsrecht eine ins einzelne gehende Regelung. Auch die Erfüllungslehre (Art. 762ff. C.c.) bezieht sich allgemein nach dem Inhalt der Überschrift

2. Teil: KodifIkationen aus dem 20. Jahrhundert

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auf Obligationen, umfaßt aber selbstverständlich in erster Linie Verträge, weil die Nichterfüllung einbezogen ist. b) Erfüllung und Nichterfüllung der Obligationen

Ausgangspunkt ist das Prinzip, daß der Schuldner seine Verpflichtung erfüllt, wenn er die Leistung bewirkt, an die er gebunden ist. Diese Bestimmung bezieht sich allgemein auf Obligationen. In der Erfüllung sind die Parteien an das Prinzip von Treu und Glauben gebunden (Art. 762 c.c.) (s. hierzu Pires de Lima e Antunes Varela, a.a.O., S. Hf.). Nach diesem Grundsatz richtet sich auch die Auslegung der Verträge. Das Merkmal des guten Glaubens umfaßt im Rahmen der Interpretation ebenso die vorvertraglichen Handlungen. Was die Nichterfüllung betrifft, so stehen die Unmöglichkeit der Leistung und der Verzug des Schuldners, der von ihm nicht zu vertreten ist, voran. Die Alternative ist die Zurechenbarkeit der Leistungsstörungen. Die Gegenposition ist der Verzug des Gläubigers. Am Ende ist das Erlöschen der Schuldverhältnisse durch Erfüllung und Erfüllungssurrogate geregelt. c) Die Verträge im besonderen

Der Aufbau der einzelnen Verträge richtet sich weitgehend nach dem System des römischen Rechts (compra e venda, doa~äo, sociedade, loca~äo). Es folgen die Viehpacht, die Leihe, das Darlehen, der Arbeitsvertrag sowie der Auftrag. In diesem System befindet sich ferner der Vertrag auf Leistung von "servi~o". Der Vertragstyp "empreitada" entspricht in etwa dem Werkvertrag, denn die eine Partei verpflichtet sich, der anderen ein bestimmtes Werk (obra) entgeltlich herzustellen (Art. 1207 c.c.) Der Unternehmer ist verpflichtet, das Werk in Übereinstimmung mit den getroffenen Vereinbarungen herzustellen, und zwar ohne Fehler, die den Wert herabsetzen oder ausschließen, sowie im Hinblick auf den üblichen oder im Vertrage vorgesehenen Gebrauch (Art. 1208 c.c.). Zu den weiteren Vertragstypen s. Cap. XIII XVI. 4 Eichler

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1. Hauptteil: Vertrags verletzungen

Zu dem Bereich des Landwirtschaftsrechts gehört der besondere Vertrags typ "arrendamento", soweit es sich um die Verpachtung von Grundstücken zu Zwecken der Landwirtschaft, der Viehzucht oder Gärtnerei (s. hierzu Pires de Lima Antunes Varela, a.a.O., S. 861, wo auf ein besonderes Dekret Nr. 201/75 - "Lei do arrenda mento rural" - hingewiesen ist) handelt.

In mancher Hinsicht schließt sich das portugiesische Gesetzbuch dem italienischen Codice civile an, z. B. was die Vertragsübernahme betrifft. Auffällig ist die Vorwegnahme des Deliktsrechts sowie des Bereicherungsrechts im ersten Abschnitt. Zum spanischen Codigo civile von 1889 s. Zweigert / Kötz, a.a.O., S. 124ff. Unverkennbar ist der französische und italienische Einfluß. Zum Einfluß des italienischen Rechts im allg. s. Luther, Einführung in das italienische Recht, 1968.

Zweiter Hauptteil

Die Rechtslage des Verletzten 1. Teil

Die Wandlung der Methoden a) Dogmatik der Vertragsverletzung

Die Methode, auf dem Wege der Auslegung und des Vergleiches von Kodifikationen zu einer Erkenntnis des Wesens der Vertragsverletzung zu gelangen, hat sich als nicht erfolgreich erwiesen. Einer der Gründe hierfür ist vor allem die begriffstheoretische Überlegung, die sich an das vielseitig verwendete Wort "Verletzung" anknüpft. Ein weit verbreiteter Sprachgebrauch bezieht sich auf eine solche von Rechten und Rechtsgütern. Aus dieser Verknüpfung folgt, daß vorzugsweise das Deliktsrecht das hauptsächliche Anwendungsgebiet ist. Dies bedeutet aber nicht, daß die Vertragsbeziehung davon ausgeschlossen ist, in dogmatische Verbindung mit einer Verletzung gebracht zu werden. Die Hinwendung zu dem allgemeinen Phänomen der Schuldverhältnisse bringt es allerdings mit sich, daß zunächst von der Haftung und Verantwortlichkeit des Schuldners die Rede ist. Die allgemeine schuldrechtliche Betrachtung knüpft hierbei an den Verschuldensgrundsatz an, womit sich die Suche nach einer persönlichen Pflichtverletzung verbindet (Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts I, § 19). Die Beurteilung der Vertragspflicht fordert infolgedessen einen konkreten rechtlichen Maßstab für das Verhalten des Verantwortlichen, und zwar nach dem Schuldmaßstab von Vorsatz und Fahrlässigkeit. Im Laufe der dogmatischen Entwicklung sind bekanntlich zu den Hauptpflichten zahlreiche Nebenpflichten getreten, die sich u. a. 4'

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2. Hauptteil: Die Rechtslage des Verletzten

auf die Wertmaßstäbe von Treu und Glauben und den Vertrauensgrundsatz stützen. Es ist früher bereits gezeigt worden, daß der Inhalt der Erklärung und der des Vertragsverhältnisses ineinander übergehen. Hieraus ergibt sich schließlich eine Einheit von subjektiven und objektiven Elementen, die sich besonders auf die Verkehrssitte stützen (zu dieser Entwicklung s. Siebert, Treu und Glauben, Erläuterung des § 242 BGB, 1959, Rdz. 60 d; Zur Bedeutung der Vertrauenshaftung und des Vertrauensprinzipes s. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971; Eichler, Die Rechtslehre vom Vertrauen, 1950). Im Vordergrunde steht vor allem ein ausgeprägtes System der Verletzung von Pflichten, die verschieden bezeichnet werden, so z. B. als Mitwirkungs- u. Auskunftspflichten u. s. w. Grundlegend ist die Unterscheidung zwischen Handlungs- und Unterlassungspflichten. Ein besonderer Inhalt ist auch die Pflicht zur Wahrnehmung der Interessen des Vertragspartners. Grundlage derartiger Ableitungen ist im allgemeinen der betreffende Vertrag. So ist auch die Geschäftsgrundlage eine solche des Vertrages. Die Unterscheidung von Haupt- und Hilfspflichten ändert an der Ableitung grundsätzlich nichts. b) Vertragspflichten und ihre Verletzung

Die Rechtsfolgen, die sich aus der Verletzung derartiger Pflichten ergeben, lassen sich nur im Hinblick auf das bestimmte Rechtsverhältnis, das zwischen den Beteiligten besteht, beschreiben. Im allgemeinen löst die Verletzung einen Schadensersatzanspruch oder ein Rücktrittsrecht aus. Unter Umständen nehmen auch Gewährleistungsansprüche den Charakter von Vertragsverletzungen an, so z. B., wenn es sich um eine vertragswidrige Lieferung handelt, die nach internationalem Kaufrecht beurteilt wird. So betrachtet, bedarf der Begriff der Vertragsverletzung, der durchaus üblich ist, keiner weiteren Begründung mehr. Unabhängig hiervon sind die einzelnen Ansprüche auf Grund der Gesetzeslage herzuleiten, die dem Verletzten gegen den Verantwortlichen zustehen. Zu berücksichtigen ist stets, daß die vertragsrechtliche Verantwortlichkeit mit einer deliktsrechtlichen zusammenfallen kann, wie oben bereits angedeutet wurde.

1. Teil: Die Wandlung der Methoden

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Hiernach ist die Vertragsverletzung eine Gesamtbezeichnung für vertragswidrige Verhaltensweisen. Die Definition haftet nicht am Erfüllungsbegriff, weil es nicht um die Bewirkung der Leistung im engeren Sinne geht, sondern um ein vertragsgemäßes Verhalten im weiteren Sinne und um ein Vorgehen gegen die Zuwiderhandlungen als Verstöße gegen die Schutzgebote des Vertrages. Die Lehre von der positiven Vertragsverletzung, ihre Verbindung mit der Nichterfüllung des Vertrages und die Erstreckung ihrer Regeln auf Verhaltens- oder Sorgfaltspflichtverletzungen hat im Ergebnis zu der Erkenntnis geführt, daß das überbrachte gesetzliche System der Leistungsstörungen unvollständig ist. Die positive Vertragsverletzung hatte sich in der Dogmatik des deutschen bürgerlichen Rechts bereits wie eine dritte Art von Leistungsstörungen entwickelt, was jedoch nicht allgemein anerkannt ist. Medicus empfiehlt, von "sonstigen Vertragsverletzungen" zu sprechen (Schuldrecht I, 1981, S. 169). Dieser Vorschlag bewirkt, daß die Vorstellung einer" Verletzung" im Vertragsbereich einheitlich angewendet werden kann. Es wird noch darauf einzugehen sein, daß sich der Verletzungsschutz durch eine Reihe von Nebenpflichten derart erweitert hat, daß der Gedanke an "Schutzpflichtverletzungen" aufgekommen ist. Die Differenzierung der Vertragsverletzungen hat dadurch zugenommen, daß im Bereich einzelner Vertragstypen Vertragsverletzungen eigener Art entstanden sind. In dieser Hinsicht hat das internationale Kaufrecht zuerst die Vorstellung einer Vertragsverletzung herausgebildet, die als solche für "wesentlich" befunden worden ist. Rechtlicher Maßstab soll der Vertrag als ganzes Werk sein, d. h. daß aus der Gesamtheit der Vertragsbestimmungen ein Urteil darüber gebildet werden muß, ob eine wesentliche Verpflichtung erfüllt oder verletzt ist. Von diesem Standpunkt aus ist insbesondere zu beurteilen, ob die gelieferte Ware "vertragsgemäß oder vertragswidrig" ist. Im letzten Falle kann sich die Haftung des Verkäufers nach den Grundsätzen der Vertragsverletzung richten. Nach Art. 46 des Wiener UN-Kaufrechtsübereinkommens vom 11. April 1980 über Verträge betreffend den internationalen Warenkauf (BGBl. 1988/96) kann der Käufer bei Vertragswidrigkeit der Ware unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche auf Verbesserung oder Austausch geltend machen.

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2. Hauptteil: Die Rechtslage des Verletzten

Der kaufrechtliche Grundgedanke hat sich im Werkvertragsrecht (§ 633 I BGB) forgesetzt. Es geht darum, daß der Unternehmer gesetzlich verpflichtet ist, das Werk so herzustellen, daß es nicht mit den im Gesetz aufgeführten Fehlern behaftet ist. Die Fehlerfreiheit gehört zum Inhalt der Leistungspflicht des Herstellers. Er hat daher vertraglich dafür einzustehen, daß das Werk nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Außerdem ist der Unternehmer verpflichtet, das Werk so herzustellen, daß es die zugesicherten Eigenschaften hat. Auch diese Zusicherung gehört zum Inhalt der Leistungspflicht des Herstellers. Die Folge ist, daß der Besteller die Beseitigung des Mangels verlangen kann, wenn das Werk nicht von dieser Beschaffenheit ist. Sofern der Besteller den Mangel selbst beseitigt (§ 633 III BGB), hat der Unternehmer die notwendigen Aufwendungen zu ersetzen (s. auch § 634 BGB). Dadurch, daß das Gesetz an dem Erfüllungsgedanken festhält, schützt es den Vertragsgedanken im Bereich des Werkvertragsrechts. Sowohl der Kaufvertrag als auch der Werkvertrag bieten daher einen hervorhebenswerten Erfüllungsschutz. Von rechtsvergleichender Sicht aus ergeben sich entsprechende Aspekte im Pachtrecht. Nach portugiesischem Recht können der Verpächter und der Pächter eine Abmachung treffen, daß die künftigen Erträge in einer bestimmten Proportion untereinander geteilt werden. Das Eigentum des Verpächters bleibt von dem Vorgang unberührt. Für den Pächter ergeben sich aus einer solchen Vereinbarung während der Pachtzeit besondere Verpflichtungen. Diese erstrecken sich namentlich darauf, daß er die Tiere im Falle der "Parceria pecuaria" mit der Sorgfalt eines ordentlichen Pächters zu behandeln hat (Art. 1124 C6digo civil). Art. 1126 C.c. regelt die Rechtsfolgen, die eintreten, wenn die Tiere umkommen, unbrauchbar werden oder an Wert verlieren. Die Grundregel ist, daß der Eigentümer das Risiko nur trägt, wenn die Verantwortung für den betreffenden Umstand dem Besitzer nicht zurechenbar ist. Die Gesamtregelung ist ein Beispiel dafür, daß sich die Vertragshaftung auf Grund von Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Vertragsvorschriften gesetzlich erweitern kann.

l. Teil: Die Wandlung der Methoden

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c) Das vorvertragliche Verschulden, die Nebenleistungspflicht und die Vertragsgerechtigkeit

Die Hauptleistungs- und Nebenleistungspflichten unterscheiden sich danach, ob sie sich auf die "charakteristischen" Verpflichtungen oder auf die gelegentlichen beziehen. Die "essentiellen" Verpflichtungen sind vertragstypischer Art, weshalb bei ihrer Festlegung der betreffende Vertragstyp maßgebend ist. Die unselbständigen Nebenpflichten sind im allgemeinen nicht Gegenstand von Erfüllungsansprüchen , sondern von Schadensersatzansprüchen . Unter Umständen fördern sie ebenfalls den Vertrag, etwa in Gestalt von Auskunfts- und Aufklärungspflichten (Kramer / Münch. Komm., § 241 Rdn. 18, 19). Hierauf beruht die Unterscheidung von unselbständigen, sekundären Pflichten und ergänzenden Nebenpflichten, die den Oligationserfolg sicherstellen sollen (s. hierzu Enneccerus / Lehmann, Schuldrecht, 1950, § 4, die sich hier auf Stoll / Felgentraeger berufen). Aus der Unterscheidung ergibt sich, daß die unselbständigen Pflichten "mangels Eigenzwecks" nicht selbständig einklagbar sind (s.o.). Was die Entstehung anbelangt, so richten sich die genannten Verpflichtungen entweder auf Rechtsvorschriften und Rechtsgeschäfte oder nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Vertragssitte, die hier für Verkehrssitte steht (für das deutsche bürgerliche Recht §§ 157,242 BGB). Was die Haftung für Verschulden bei Vertragsschluß angeht, so haben die Rechtsprechung und die Lehre aus dem Eintritt in Vertragsverhandlungen ein Vertrauensverhältnis abgeleitet, das vertragsähnlich sein soll. Hieraus ist eine besondere Sorgfaltspflicht hergeleitet worden, die sui generis ist. Aus ihr stammen die oben erwähnten besonderen Pflichten. Unterstellt wird die Entstehung eines "gesetzlichen" Schuldverhältnisses. Überdies wird die Lehre von der positiven Forderungsverletzung herangezogen, jedoch dienen diese Pflichten regelmäßig auch dem Erfüllungsinteresse des Gläubigers. Schließlich ist noch besonders die Konstruktion von Schuldverhältnissen ohne primäre Leistungspflicht, aus geschäftlichem Kontakt i. S. von "Culpa in contrahendo" hervorzuheben (Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts I, § 4, unter Hinweis auf Ballerstedt, v. Ihering, Hildebrandt u. a.). Es ist hier von einer rechtli-

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2. Hauptteil: Die Rechtslage des Verletzten

ehen Sonderverbindung die Rede. Gemeint ist ein Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen. Zuzustimmen ist der Anschauungsweise, die aus dem Beginn der Vertragsverhandlungen ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis ableitet und aus diesem Grunde die Vertragspartner zur verkehrsmäßigen Sorgfalt verpflichtet. Mit dem Eintritt in Vertragsverhandlungen verbindet sich nach dieser Ansicht gleichzeitig ein gesetzliches Schuldverhältnis, aus dem u. a. Aufklärungs- und Mitteilungspflichten hervorgehen können (RG 103, 50; 114, 160. Zur Grundlegung s. v. Ihering, IheringsJ 4 (1861) 1ff.; Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, 1978; Münch. Komm., Schuldrecht, 2. Aufl. Vor § 275). Soweit die Lehre von der culpa in contrahendo auf ein "besonderes gesetzliches Schuldverhältnis" gestützt wird, das in Ergänzung des geschriebenen Rechts entsteht, ist an dem Ergebnis nicht vorbeizukommen, das gleichsam zwei Verträge nebeneinanderstehen, allerdings handelt es sich in dem einen Fall um ein gesetzliches Schuldverhältnis, im anderen Falle um ein Rechtsgeschäft, nämlich den angestrebten Vertrag. Aus der Aufnahme von Vertragsverhandlungen folgt gleichsam die Obliegenheit zur Sorgfalt im Verhalten gegenüber dem Geschäftsgegner und Partner des demnächstigen Vertrages (BGH 6,330; 71, 386). Die vorgetragenen Lehren bedürfen einer neuen Beurteilung (s. hierzu Picker, ACP 183, 371 ff., der das neue re Material zusammenstellt). Es geht dabei um eine Auseinandersetzung mit den Theorien vom "gesetzlichen Schuldverhältnis" als Beleg für den Mangel besonderer Haftungsgründe und die Lehre von den gesetzlichen Schutzpflichten sowie die Vertrauenshaftung (a.a.O., 410, 419, 429). Letztlich ist die Lösung der Probleme c.i.c. aus dem Gedanken der Verletzung nicht einzelner Pflichten, sondern des Vertrages im ganzen zu suchen. Die Zerlegung des Verpflichtungskomplexes in einzelne Obliegenheiten bringt keine Lösung, wenn nicht der rechtliche Gesamtzusammenhang freigelegt wird. Deswegen ist der Ausgangspunkt unzutreffend, an einzelne Obligationen anzuknüpfen, die dem Schuldner auferlegt werden, besonders auch deswegen, weil der andere Teil ebenfalls an das Prinzip gebunden ist. Letztlich

1. Teil: Die Wandlung der Methoden

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ist das Vertragsgeschehen als Ganzes zu interpretieren, und zwar aus der Vorstellung eines vertraglichen Gesamtgeschehens heraus. Auszulegen ist eine Sphäre oder Schicht, die zwischen der Verhandlung und dem Vertrag liegt und das ganze Geschehen als einen Ablauf von Vereinbarungen überdeckt. Das Stadium ist infolgedessen ein einheitliches, so daß es rechtlich nicht zerlegt werden soll. Die Beziehungen, die sich zwischen den Parteien vor und nach dem Vertragsschluß entwickeln, sind tatsächlich ohne weiteres erfaßbar und juristisch nach ihrer rechtlichen Eigenart zu gestalten. Eine Stütze bietet die "Vertragssitte" als Ausschnitt aus der "Verkehrssitte" (§ 157, 242 BGB). Wenn es erst gelungen ist, die "vor" dem Vertrag liegende Entwicklungsschicht aufzudecken, ist bereits die Verbindung zur Vertragsabwicklung erfahrungsgemäß leicht zu finden, besonders unter dem Gesichtspunkt des Vertragszweckes und den hiermit verbundenen Absichten des Beteiligten. d) Das vorvertragliche und vertragliche Rechtsverhältnis - als Einheit

Der Rechtsgedanke, daß durch das vorvertragliche Rechtsverhältnis ein Vertrauensverhältnis sui generis entsteht, lenkt von vornherein auf die Auslegung der betreffenden Erklärungen nach Treu und Glauben und die Verkehrssitte hin (§§ 157,242 BGB). Es geht dabei um eine Auslegung der Vertragserklärungen der beteiligten Partner in dem Vorstadium und der Leistungspflicht, die auf der Grundlage des endgültigen Vertragsabschlusses entstanden ist. Die Verpflichtungen, die im vorvertraglichen Rechtsverhältnis zu erfüllen sind, werden nicht als Nebenpflichten konstruiert, sondern aus dem Grundsatz von Treu und Glauben in den Gesamtablauf eingeordnet. Es liegt nahe, von einer ergänzenden Vertragsauslegung nach Treu und Glauben und der Vertragssitte zu sprechen. Wenn beispielsweise von einem der Vertragsbeteiligten im Vorstadium Auszüge aus Geschäftsbüchern, Geschäftsberichte oder Bilanzauszüge zur Orientierung des anderen Teiles vorgelegt werden, die für dessen Entschließung, unter welchen Bedingungen der Vertrag demnächst abgeschlossen werden soll, maßgebend sein könnten, so sind diese Unterlagen nach ihrem Wahrheitsgehalt zu prüfen. Stellt sich dabei heraus, daß sie gefälscht oder entstellt sind,

2. Hauptteil: Die Rechtslage des Verletzten

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so wirkt sich dieses Prüfungsergebnis später auf den Vertragsinhalt unter Umständen entscheidend aus. Es mag in solchen Fällen eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung angebracht sein, sofern die Anfechtungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Davon unabhängig ist aber die sachliche Nachprüfung erforderlich, ob und inwieweit der Vertragsinhalt später zum Nachteil des Getäuschten beeinträchtigt worden ist. Die Täuschung ist also ein übergreifender Faktor, der die persönliche Entschließung im Vorstadium und den sachlichen Inhalt der Vereinbarungen im Vertragsstadium betrifft. Ähnliches gilt für Allgemeine Geschäftsbedingungen, die vorformulierte Vertragsbedingungen enthalten. Nach dem AGB-Gesetz sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Das genannte Gesetz hebt in § 9 II 2 hervor, daß eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen ist, wenn eine Bestimmung wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, daß die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Die Auslegung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat nach objektiven Maßstäben zu erfolgen, sich infolgedessen von den Vorstellungen der Vertragsparteien "unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zweckes und der gewählten Ausdrucksweise" freizumachen (BGH 22, 113). Für die Interpretation der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gilt der Grundsatz der ausgleichenden Gerechtigkeit (Larenz I, § 8). Die Bestimmung, die hier de lege ferenda vorschwebt, hat nach alle dem folgende Faktoren zusammenzuziehen: 1. 2. 3. 4.

Treu und Glauben Gute Vertragssitte Abschluß Erfüllung

Programmatisch würde die vorschwebende Bestimmung etwa folgendermaßen lauten: "Die Vertragsparteien sind verpflichtet, den Vertrag nach Treu und Glauben sowie nach guter Vertragssitte abzuschließen und zu erfüllen".

2. Teil: Der Vertragsbruch

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2. Teil

Der Vertragsbruch a) Vorbemerkungen und Einleitung Im Gegensatz zu den erörterten Vertragsverletzungen, die eine rechtsinstitutionelle Folgeerscheinung sind, kommt der Vertragsbruch als ein rechtliches Phänomen nur im anglo-amerikanischen Rechtskreis unter der Bezeichnung "breach of contract" vor. Es ist daran zu erinnern, daß die Betrachtung der Vertragsverletzung bei allen Unterschieden im einzelnen zu der Erkenntnis geführt hat, daß die kontinental-europäischen Gesetzbücher die Nichterfüllung des Vertrags unter verschiedenen Voraussetzungen und Rechtsfolgen erörtern. Der Ausdruck der Nichterfüllung erfährt von Vertrag zu Vertrag seine besondere Ausprägung durch die entsprechenden Rechtsbehelfe. Der im englischen Recht verbreitete Grundgedanke der Garantie kommt in den anderen Rechtskreisen nur in der Gewährleistungspflicht innerhalb des Kaufvertrages in Betracht. Das Common Law faßt nämlich den schuldrechtlichen Vertrag als ein ihm immanentes Garantieversprechen auf. Aus dieser dogmatischen GrundeinsteIlung erscheint das, was wir unter Nichterfüllung verstehen, im Ausgangspunkt als "ein Bruch" des Vertrages. (Lit.: Anson's, Law of Contract, Twenty-Fifth (Centenary) Edition by A. G. Guest, M. A., Oxford 1975, 25. Aufl. 1979; Neudruck 1982, S. 163ff., 549ff., 552, 554ff., 579ff., 564ff.; Aus dem deutschen Schrifttum: M. Rheinstein, Die Struktur des vertraglichen Schuldverhältnisses im anglo-amerikanischen Recht, 1932, Literaturangaben S. 7ff. und an weiteren Stellen, s. bes. S. 236ff.; ferner Rheinstein, Verleitung zum Vertragsbruch, Rhein.Z. 14.60ff.; E. Heymann, Enz. d. Rechtswissenschaft II, 1914, S. 332; Zweigert / Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, Bd. II, § 13 IV.). b) Theory 01 Contract Die Rechtsnatur der vertraglichen Verpflichtungen gründet sich in der englischen Rechtsdogmatik auf "promise". Der "promisor" gibt einer anderen Person eine Erklärung oder eine Versicherung

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2. Hauptteil: Die Rechtslage des Verletzten

ab, nämlich ein "promise" , das der "promisee" annimmt. Wenn die Annahme nicht stattfindet, bleibt das Versprechen ohne gesetzliche Wirkung. Auf dieser Grundlage entsteht bei den meisten Verträgen die Vorstellung von einem "agreement", das ist die Einigung der beiden Beteiligten. Hierauf fußt die "Subjective Theory of Contract". Der Vertrag bringt. die vereinigten Willen der Parteien zum Ausdruck. Im politisch-philosophischen Hintergrund steht die individuelle Freiheit, auf die sich die Vertragsfreiheit gründet. Dieser Anschauungsweise steht die objektive "Theory of Contract" gegenüber, die weniger Gewicht auf das Zusammentreffen der beiderseitigen Willen legt als auf die rechtlichen Folgen, die aus dem Verhalten der Parteien entstehen. Zu vermitteln versuchen Tendenzen, die mehr und mehr einen Ausgleich zwischen den betreffenden Anschauungen anstreben. Die heutige anglo-amerikanische Theorie begreift den Vertrag auf Grund einer verschiedenen Konzeption entweder als Risikoübernahme, worin der Regelbegriff des Common Law erblickt wird oder als Anspruch im Sinne einer Zahlungsforderung (debt). Hinzu kommt die Charakterisierung des "Vertrages" als eines Anspruches auf die darin versprochene Leistung (Vertragsbegriff der Equity). Jedoch haben sich die ursprünglichen Auffassungen der vertraglichen Verpflichtung dadurch gewandelt, daß sich das Common Law aus einem Aktionenrecht zu einem Systemrecht entwickelt hat (zu dieser Entwicklung s. bes. Rheinstein, a.a.O., S. 235, der hierbei besonders auf Blackstone und Bentham hinweist). Eingehend erörtert wird der Einfluß des römischen Rechts auf die englische Theorie (John Austin). Nach der römisch-rechtlichen Lehre ist die Leistungspflicht primären Charakters, wohingegen die Verletzung eine sekundäre Pflicht ist, die sich auf Leistung von Schadensersatz richtet. c) Systematik und Dogmatik

Den Ausgangspunkt bilden die mittelalterlichen Aktionen. Zuerst ragt unter ihnen - etwa gegen Ende des 13. Jahrhundertsdie "action of Debt" hervor (s.o.). Die Klage ist auf die Zahlung einer von vornherein festgelegten Summe Geldes gerichtet. In dem Worte "Debt" spricht bereits das Prinzip des Geschuldeten mit.

2. Teil: Der Vertragsbruch

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"Debt" war schon ein Teil "of the composite writ of Debt-Detinue" (Anson's-Guest, a.a.O., S. 9). Hierin liegt das Vorbringen des Klägers, daß der Beklagte etwas ungerechtfertigt zurückhält, was "of value to hirn" ist und worauf er, der Kläger, ein Anrecht hat. So wurde "Debt" die "action" für die "Wiedererlangung" von Geld. Der Hauptinhalt der Klage war, daß der in Anspruch Genommene eine Geldsumme zurückhielt, die in Wirklichkeit, d. h. in jure, das Geld des anderen war. Im späteren Mittelalter bildeten sich besondere Formen von "Debt" heraus: " ... on the Record", " ... on an Obligacion", " ... on a Contract". Ist das Herausgabeverlangen nicht auf Geld, sondern auf eine bestimmte Sache gerichtet, handelt es sich um eine "Action of Detinue", welche beide später Anwendung im Hinblick auf den Kaufvertrag finden. Die "Action of Debt" stellt im Rahmen dieses Vertrages den Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises dar. Im Laufe der Zeit erweiterte sich das Anwendungsgebiet der genannten "Action" auf andere Verträge, wie Darlehen und Pacht, bei deren Abwicklung eine geldliche Gegenleistung zu erwarten steht. Die hiermit verbundene Verallgemeinerung führte zu dem rechtstechnischen Begriff "Quid pro Quo". Hiermit kommt das Versprechen einer bestimmten Geldsumme in einer gesiegelten Urkunde der "Deed" auf. Jene Urkunde wird zum Mittel für die Begründung von Verpflichtungen aus dem "Executory Contract". Neben der "Action of Debt" entwickelte sich die "Action of Covenant", die im Gegensatz zu "Debt" auf Leistung anderer Art gerichtet ist (Rheinstein, a.a.O., S. 21, der darauf hinweist, daß dieser Aktionsart ein Vertrag zugrundeliegt). Die älteren Klagemittel, die im Vorstehenden erwähnt wurden, wandelten sich dadurch, daß deliktische Elemente Eingang fanden. Ausgangspunkt war die Klage aus "Trespass", die sich gegen rechtswidrige Schädigungen, wie auch immer sie geartet waren, richtete. Dieser Rechtsbehelf erweiterte sich bald durch die "Action of Deceit". Hiermit war die Klage auf Ersatz eines Schadens gerichtet, der sich aus Irreführung oder Betrug ergab. Die zusammenfassende Bezeichnung für derartige Rechtsbehelfe ist die "Action of Assumpsit". Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß der Kläger sich selbst oder seine Sache fremder Einwirkung ausgesetzt hat. Dem Grundsatz nach trägt er das Risiko einer hiermit ver-

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2. Hauptteil: Die Rechtslage des Verletzten

bundenen Schädigung. Die Grunderwägung ist hierbei das "Unternehmen", worauf die Bezeichnung "Assumpsit" zurückgeht. Die Verantwortlichkeit des in Anspruch Genommenen gründet sich darauf, daß er sich in Ausführung seines "Unternehmens" in einer vorwerfbaren Weise verhalten hat. Eine entscheidende Wendung trat dadurch ein, daß das Klagerecht davon abhängig gemacht wurde, daß der Kläger seinerseits eine entsprechende Veranlassung gegeben hatte. Seit etwa 1500 kam die Vorstellung auf, daß dem "Agreement" ein weiterer Faktor hinzutreten müßte. Die Grunderwägung war, daß nach englischem Recht ein reines Versprechen als solches nicht selbst eine Vertragsverpflichtung zu erzeugen vermöchte. Vielmehr müßte von dem Versprechensempfänger eine Art von "consideration" gewährt werden, was bedeutete, daß er selbst ein Versprechen zu geben haben würde, und zwar gedacht als Erwiderung des Versprechens. Diese "consideration" führte ein Element von Gegenseitigkeit ein, weil es gleichsam als "Gegenwert" für das bindende Versprechen gegeben wurde. Andere Definitionen wiesen später darauf hin, daß die Abgabe des Versprechens "motiviert sein müsse von dem Bestreben, den Versprechens empfänger zu seinem Gegenopfer zu veranlassen". (So im Ergebnis: Zweigert / Kötz, a.a.O. II, S. 85, die versuchen, unter Bezugnahme auf das "Restatement Contracts" 2d (1981) in § 71 eine do-ut-des-Beziehung zu konstruieren). d) Breach 01 Contract

Der vorstehende Begriff setzt hier nur die oben vorgetragene Lehre von der Verletzung des Vertrages fort. Der Anspruch des Gläubigers aus dem "Vertragsbruch" ergibt sich daraus, daß der Schuldner das dem Gläubiger gegebene Versprechen nicht eingehalten und dadurch die Garantie verletzt, d. h. den Vertrag "gebrochen" hat. Unerheblich ist dabei, ob er sich in dem üblichen Sinne im Verzuge befindet oder eine "positive Forderung" verletzt hat. Ebensowenig scheint hier der grundsätzliche Gesichtspunkt der "Unmöglichkeit der Leistung" auf. Es kommt überhaupt nicht der Gesichtspunkt in Betracht, daß die sog. Nichterfüllung dem Schuldner zum Vorwurf gereicht.

2. Teil: Der Vertragsbruch

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Das "Common Law" erblickt vielmehr in dem Schuldvertrag ein besonders geartetes Garantieversprechen, auf Grund dessen der Schuldner den Erfolg wie einen apriori geschuldeten herbeizuführen hat. Hinzuzufügen ist allerdings, daß er nicht unter allen Umständen für die betreffende Leistung einzustehen braucht. Denn die Garantie hatte er für den Fall bestimmter "Leistungsgegenstände" gerade nicht übernommen, so daß er insoweit nicht haftete (so treffend Zweigert I Kötz, a.a.O., S. 222ff.). Maßgebend ist hiernach stets der zu ermittelnde Umfang der Garantie, aus der er unter Umständen z. B. auf Grund außergewöhnlicher Ereignisse entlassen werden kann (Zweigert I Kötz, a.a.O., S. 228). Ein solcher Fall ist z. B. gegeben, wenn die Sache, um die sich die Verpflichtung dreht, vor dem Erfüllungszeitpunkt bereits untergegangen ist. Aber es ist im Prinzip unerheblich, was die Haftung anbetrifft, ob den Schuldner der Vorwurf trifft, bei der Nichterfüllung schuldhaft gehandelt zu haben. Im Grunde genommen geht es nämlich nicht um Nichterfüllung im Sinne der gemeinrechtlichen Lehre, sondern um Verletzung der Vertragspflicht im ganzen gesehen. Beispielsweise können die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche aus mangelhafter Lieferung des Verkäufers auf der Erwägung beruhen, daß er hierdurch den Vertrag gebrochen hat. Die Folge ist, daß er die Mangelhaftigkeit der gelieferten Ware ohne weiteres auf Grund des innewohnenden Garantieversprechens zu vertreten hat. Auf sein Verschulden kommt es hierbei nicht an. Problematisch ist, unter welchen Umständen die Gegenpartei ihre Leistung verweigern oder die schon erbrachte zurückfordern kann. Die Entscheidung hängt davon ab, ob die Vertragsbestimmung, um deren Verletzung es geht, "wesentlich ist". Bejahendenfalls ist die andere Partei befugt, ihre eigene Verpflichtung als nicht entstanden zu betrachten. Die Folge ist, daß sie eine bereits von ihr erbrachte Leistung zurückverlangen und gegebenenfalls die ihr noch obliegende Gegenleistung verweigern kann. Das Problem des Synallagmas ist in erster Linie mit der Rechtsfigur der Bedingung gelöst worden. Denn die Bedingung der Erbringung der Gegenleistung bedeutet, daß bei ihrem Ausfall keine Schadensersatzansprüche gegen die Gegenpartei bestehen. Im

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2. Hauptteil: Die Rechtslage des Verletzten

Schrifttum wird hierbei auf die Doppelbedeutung hngewiesen, weil einerseits unter Umständen die vertragliche Pflicht nicht entsteht, andererseits aber auch die versprochene Gegenleistung entfällt. Der Grundgedanke ist, daß die Verpflichtung des Vertrags gegners nur unter der Bedingung der Vorleistung als entstanden zu betrachten ist. Im Grunde genommen geht es dabei um das Zug um Zug Prinzip. Bei der Anwendung des Grundsatzes des Vertragsbruches bedeutet Bedingung eine bestimmte vertragswesentliche Zusage, wie oben angedeutet. Wenn sie nicht erfüllt wird, kann der hiervon Betroffene seine eigene Leistungspflicht als nicht entstanden betrachten. Dies hat unter Umständen zur Folge, daß er sogar Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Vertrages fordern kann (so treffend: Zweigert / Kötz, a.a.O., S. 223, die hierbei den Begriff "warranty" mit jeder vertraglichen Zusage gleichsetzen, aber die Lossagung vom Vertrag nur zulassen, wenn die nicht eingehaltene Zusage eine Bedingung des Vertrages darstellt). Die Rechtsmaterie, die den Gegenstand der Erörterung bildet, hat sich von vornherein im Rahmen des Schuldrechts in einer Weise zu ihrer Eigenart entfaltet, daß die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts nur mit Vorsicht anzuwenden sind. Dies gilt in erster Linie für die Lehre der Erfüllung und Nichterfüllung sowie für den Verzug und die Unmöglichkeit der Leistung. Anerkannt ist indes, daß der Schuldner für die vertragliche Leistung nicht unter allen Umständen einzustehen hat. Es greift nämlich die Überlegung ein, daß er die Garantie nur für bestimmte Verpflichtungen übernahm, woraus ohne weiteres folgt, daß er bestimmte "Leistungshindernisse" nicht in die Haftung eingeschlossen hatte (so überzeugend Zweigert / Kötz, a.a.O., S. 222ff.). Im übrigen kommt es, was den Umfang der Garantie betrifft, auf die Umstände des einzelnen Falles an. Hieraus kann sich auch ergeben, daß der Schuldner von bestimmten Leistungshindernissen befreit wird. Unter Umständen ist er aus der Garantiehaftung z. B. als entlassen zu betrachten, wenn die verkaufte Sache vor dem Erfüllungszeitpunkt bereits untergegangen war (Zweigert / Kötz, a.a.O., S. 228). Hiermit ist ohne weiteres unterstellt, daß kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche, die auf mangelhafter Lieferung beruhen, als Rechte zu behandeln sind, die aus einem Vertragsbruch hervorgehen. Infolgedessen hat der Verkäufer den Mangel der

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gelieferten Ware ohne Rücksicht auf sein Verschulden zu vertreten. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Gegenpartei die übernommene Gegenleistung verweigern oder die schon erbrachte zurückfordern. Dies hängt nach der im Schrifttum überwiegend vertretenen Ansicht davon ab, ob die nicht beachtete Vertragsbestimmung als wesentlich im Gesamtrahmen der Vertragsbeurteilung zu betrachten ist. In dieser Hinsicht ist auf die früheren Ausführungen über den internationalen Handelskauf hinzuweisen, und zwar besonders auf das Phänomen der wesentlichen Vertragsverletzung. Ob eine bestimmte vertragswesentliche Zusage als "condition" im Sinne des englischen Rechts aufzufassen ist, stehe hier dahin. Der innere Zusammenhang läßt sich auch von der Natur des Vertrages und der Beschaffenheit der einzelnen Vertragsbestimmungen herleiten. Von einer derartigen Beurteilung hängt es nämlich ab, ob die vertragstreue Partei vom Vertrage Abstand nehmen kann. In diesem Zusammenhang wirkt die Unterstellung eines antizipierten Vertragsbruches konstruktiv. Die Nichterfüllung oder eine andere Vertragsverletzung soll nämlich bereits einen Antrag zum Abschluß eines "Auflösungsvertrages" enthalten. Durch die Annahme wird dann der Vertrag mit rückwirkender Kraft als beseitigt angesehen. Die englische Literatur hat die Rechtsbehelfe, die den Gläubiger im Falle des Vertragsbruches in folgenden Hauptgesichtspunkten zusammenfaßt : 1. Die verletzte Partei kann Ersatz des erlittenen Schadens verlangen.

2. Wenn die verletzte Partei zur Zeit des Vertragsbruches bereits teilweise die vertragliche Leistung erbracht hat, ist sie berechtigt, den Wert des Geleisteten zu fordern. 3. Unter bestimmten Umständen kann die verletzte Partei eine Weisung für die besondere Erfüllung des Vertrages oder eine einstweilige Verfügung zur Einschränkung des Vertragsbruches verlangen (Ansons's-Guest, a.a.O., S. 549).

Zur Lit. S.: Towards a General Law of Contract. Edited by John Barton. Berlin 1990, Comparativ Studies in Continental and Anglo-American Legal History , Bd. 8. 5 Eichler

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2. Hauptteil: Die Rechtslage des Verletzten

e) Vertragsbruch im arbeitsrechtlichen und bürgerlich rechtlichen Schrifttum

Im Laufe der Darstellung ist offensichtlich geworden, daß das Phänomen Vertragsbruch mehr dem allgemeinen Sprachgebrauch als der gesetzlichen Ordnung angehört. Gelegentlich kommt die Vorstellung eines Vertragsbruches in arbeitsrechtlichen Darstellungen zum Ausdruck. Bei der Beurteilung der Folgen der Nichterfüllung der Arbeitspflicht ist die Rede davon, daß das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen eine Entschädigung festzusetzen hat, die der Arbeitnehmer leisten muß, weil er die ihm obliegende Arbeitspflicht nicht erfüllt hat. Jedoch darf die Entschädigung den Schaden nicht übersteigen, den der Arbeitgeber durch den "Arbeitsvertragsbruch" erlitten hat (Ranau / Adomeit, Arbeitsrecht, Neunte Auflage, Frankfurt am Main 1988, S. 185). Vorauszuschicken ist von dogmatischem Standpunkt aus, daß es sich nicht um eine außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses handelt, also nicht um die Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, der die außerordentliche Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigt, sondern um die Pflicht und das Recht zu arbeiten. Ihre Nichterfüllung löst in erster Linie die Klage auf Arbeitsleistung bzw. Unterlassung anderweitiger Arbeit aus. In diesem Zusammenhange kommt unter Umständen ein Schadensersatz wegen Nichterfüllung in Betracht. Um Mißverständnisse auszuräumen, ist es notwendig, die betreffende Erörterung im Schrifttum wörtlich wiederzugeben. Der rechts dogmatische Aufbau ergibt sich aus folgenden Gedankengängen: "Das Versagen der bisher besprochenen Klagen bedeutet nicht, daß dem AG keine Sanktionen zur Verfügung stehen, wenn der AN schuldhaft die Arbeit verweigert. Denn der AG kann den Lohn für die nicht geleistete Arbeit einbehalten bzw. zurückverlangen und den vertragsbrüchigen AN fristlos entlassen. Beides ist allerdings ein Schlag ins Wasser, wenn der AN ... den Arbeitsplatz vorzeitig verläßt, um eine andere, besser bezahlte Arbeit aufzunehmen. Dann bleibt die Schadensersatzpflicht als einzige Sanktion des Arbeitsvertragsbruchs, falls keine Vertragsstrafe vereinbart wurde" (Ranau / Adomeit, a.a.O., S. 185,111).

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Was das Maß des Schadensersatzes anbetrifft, so kommen die allgemeinen Vorschriften des BGB (§§ 249ff. BGB) zur Anwendung. Hieraus folgt, daß der Arbeitgeber eine angemessene Vergütung als Schaden geltend machen kann, wenn er die ausgefallene Arbeit des vertragsbrüchigen Arbeitnehmers selbst übernommen hat. In einem solchen Falle ist von dem Schadensbetrag der Lohn abzuziehen, den der vertragsbrüchige Arbeitnehmer verdient haben würde (Hanau / Adomeit, a.a.O., S. 186). Zu erwähnen ist noch, daß die Gewerbeordnung im Falle eines Vertragsbruches von Gesellen und Gehilfen dem Arbeitgeber einen Anspruch auf den "Betrag des ortsüblichen Tagelohnes" gewährt (§ 124 b GewO, eine Vorschrift, die allerdings inzwischen überholt ist, s. hierzu Hanau / Adomeit, a.a.O., S. 185, Anm. 17). Im Rahmen der Erörterung der Arbeitspflicht wird im Anschluß die Verletzung der Treuepflicht des Arbeitnehmers behandelt. Der Umfang richtet sich nach der Position des Arbeitnehmers im Betriebe. Hierbei kommt es auf das Maß des Vertrauens an, das der Arbeitnehmer auf Grund seiner Stellung im Betriebe besitzt (s. hierzu Götz, Grundzüge des Arbeitsrechts, München/Wien 1988, S.54). Besonders die Dogmatik des österreichischen Arbeitsrechts hebt die Treuepflicht des Arbeitnehmers, die der Arbeitspflicht als zweite Hauptpflicht an die Seite gestellt wird, hervor (grundlegend: Floretta / Spielbüchler / Strasser I, Individualarbeitsrecht, 3. Aufl. 1988, S. 145ff. mit zahlreichen Literaturnachweisen). Die in Rede stehende Pflicht des Arbeitnehmers wird u. a. darauf gegründet, daß ihm der Arbeitgeber weithin Einblick in seinen Betrieb gewährt. Hervorgehoben wird dabei, daß der Unternehmer seine unternehmerischen Interessen dem anderen Teile anvertraut. Das Schrifttum zum österreichischen Arbeitsrecht erwähnt den Vertragsbruch besonders in dem Abschnitt "Vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund". In diesem Zusammenhang begegnet der weitgefaßte Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit des Arbeitnehmers. Ihre Hervorhebung hängt damit zusammen, daß die Vertrauensbasis im Betriebe durch gesetzliche Tatbestände gleichsam vorbereitet und gewährleistet werden soll. Die Vertrauenswürdigkeit ist eher sozialpolitisches Postulat und wird daher ohne weiteres 5"

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2. Hauptteil: Die Rechtslage des Verletzten

vorausgesetzt, ohne daß die Vertrauensunwürdigkeit grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt des Vertragsbruches konzipiert wird. So berachtet eignet sich das Gebiet des Arbeitsrechts prinzipiell nicht zur Darstellung der Theorie von dem Vertragsbruch. (Zur neue ren Gesamtdarstellung des Arbeitsrechts nach österreichischem Recht s. Tomandl, Arbeitsrecht 1 u. 2, Wien 1984 - 1990). Ähnlich ist die Rechtslage bei sog. Ratenlieferungsverträgen, die sich im allgemeinen auf die Typen des Kaufes, Werkes und der Werklieferung beschränken. Gegenstand der fortgesetzten Lieferung ist die vereinbarte Gesamtmenge, die den Abmachungen gemäß in Teillieferungen zerlegt ist. Der Verkäufer kann die Lieferung der zweiten Rate mit der Einrede des nichterfüllten Vertrages verweigern, solange der Käufer die erste noch nicht bezahlt hat. Auf dieser Konstruktion beruht bekanntlich der sog. Sukzessivlieferungsvertrag. Häufig ist z. B. der Fall, daß bei einer Rate SachmängeI auftreten, die unter Umständen das Gesamtvolumen betreffen können. Denkbar ist, daß sie sich nach der Sachlage auf das Ganze auswirken (Gernhuber, Das Schuldverhältnis, Handbuch des Schuldrechts, Bd. 8, § 17 IV). Der Genannte spricht von Folgen der Querverstrebungen, die eine Anfälligkeit des ganzen Schuldverhältnisses hervorrufen. Denkbar ist sogar, daß mehrere Verträge mit mehreren Leistungsstufen miteinander innerlich verbunden sind. Es wird z. B. ein vorbereitender Vertrag vorausgeschickt, der auf den Abschluß eines künftigen zielt. Im Mittelpunkt steht beispielsweise ein Stromlieferungsvertrag, der zwischen einem Elektrizitätswerk auf unbestimmte Zeit und eine ungewisse Menge mit einem Abnehmer abgeschlossen wird. Vorausgeht eine Vereinbarung, wonach es das Elektrizitätswerk übernimmt, in einer festgelegten Zeit von Bauabschnitten die Stromleitung durch Kabel zu legen. Jeweils nach Abschluß eines solchen Bauabschnittes hat der Konsument den entsprechenden Teilkaufpreis zu entrichten. Ausdrücklich vereinbart ist, daß der Werklieferant die Fortsetzung der Kabellegungen verweigern kann, wenn der andere Teil die rechtzeitige Zahlung des entsprechenden Geldbetrages verweigert. Der "Teilrücktritt" wirkt sich unter Umständen auf den Stromlieferungsvertrag aus, sofern der andere Teil zum Ausdruck bringt, daß er an der Stromversorgung überhaupt nicht mehr interessiert ist, so z. B. aus Gründen

2. Teil: Der Vertragsbruch

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der allgemeinen Wirtschaftslage. Eine derartige Ankündigung stellt eine Aufkündigung dar, die sich auf das Gesamtabkommen erstreckt. Hiervon bleibt der Anspruch auf den Gegenwert für die bereits geleistete Arbeit unberührt. Nach der bisherigen Anschauungsweise liegt der Tatbestand einer Forderungsverletzung als einer schuldhaften Gefährdung des Vertragszweckes vor (Gernhuber , a.a.O., wo eine Nachfristsetzung nach § 326 II BGB vorausgesetzt wird). Der maßgebende rechtliche Gesichtspunkt ist die Vereitlung des Vertragswerkes im ganzen, die schließlich auf einen Vertragsbruch hinausläuft.

Schlußwort Die "abgekürzte Darstellung" bedarf rechtfertigender Worte. Der Verfasser hatte sich schon früher mehrfach mit der Vertragslehre wissenschaftlich beschäftigt und hierbei den Gedanken der Rechtsverletzung erörtert, so daß er gewissermaßen mit der vorliegenden Abhandlung eine Gedankenreihe zum Abschluß brachte, deren Anfang weit zurücklag. Zuerst war es die Verletzung von Rechtsgütern in seiner von Gustav Radbruch betreuten Dissertation "Handeln im Interesse des Verletzten als Rechtfertigungsgrund". Später kam "Die Rechtslehre vom Vertrauen" hinzu, in deren Mittelpunkt die Verletzung des Vertrauenserweises stand. Diese Abhandlung ging auf Anregungen von Max Gutzwiller zurück, dessen Assistent der Verfasser einst gewesen war. Auch in seiner Arbeit "System des Personenrechts" war die Rede von der Art und Weise der Auslegung von Verträgen. Am meisten kam die Problematik zum Ausdruck in der letzten Abhandlung "Die Einheit des Vertragsrechts". Im Fortgang der langen Zeit, die diese Wirksamkeit umspannt, hat der Verlag Duncker & Humblot mehrere meiner Schriften übernommen. Die Gelegenheit ist jetzt gekommen, ihm an dieser Stelle meinen Dank abzustatten. Hermann Eichler

Personenverzeichnis Adomeit 66, 67 Aicher 25, 26 Anson's 59,61 Austin 60 Ballerstedt 55 Barton 9,65 Bauer 47 Bentham 60 Blackstone 60 Brauneder 29 Brüggemeier 13,25 Bucher 37 Bydlinski 37 v. Caemmerer 30 Canaris 38, 52 Chabas 14 Deschenaux 38 Eccher 47 Eccius 12, 55 Ehrenzweig 21,26 Eichler 52 Emmerich 33,56 Enneceius 33,55 Felgentraeger 55 Ferid 10, 14, 18, 19 Floretta 67 Floßmann 20 Flume 29 Förster 12 Guest 59,61

Hanau 66,67 Heiniehen 33 Heldrich 30 Heymann 59 Hildebrandt 55 Himmelschein 33 Hofmeister 20 Huber, U. 30 Hübner 36 v. (hering 37, 55 Jäggi 36 Kaser 13 Kötz 9,16,17,30,32,47,50,59, 62,63,64 Koziol 23, 24 Kramer 28, 55 König 47 Kreuzer 47 Larenz 29,30,31,33,51,55 Lehmann 33,55 Leser 30 Lieberich 14 de Lima 48,50 Loewe 26 Luther 50 Marschall 30 Marty 14 Mazeaud, H. 14 Mazeaud, J. 14 Mazeaud, L. 14 Mayrhofer 21, 26

V.

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Medicus 33 Mertens 30 Merz 9,23,37 Mitteis 14 Neumayer 30 Niederländer 30 Nipperdey 28 Pescatore 46 Picker 56 Pianiol 15 Raynaud 14 Reinhard 37 Reischauer 24 Rheinstein 59,60 Rippert 15 Rummel 24, 25 Ruperto 46 Savigny 23 Schmidt, R. 34 Schönenberger 36

Personen verzeichnis

Selb 20 Seriek 30 Siebert 52 Sonnenberger 10, 18, 19 Spielbüehler 20, 67 Staub 33 Stoll 55 Strass er 25, 67 Tune 14 Verela 48,49,50 Weitnauer 30 WeIser 23, 24 Wesenberg 40 Wesener 20,40 Wieaeker 13, 40 Zanon 47 Zeiller 20 Zweigert 9, 16, 17,30,32,47,50, 59,62,63,64