Verstehen: nach Heidegger und Brandom 9783787318964, 9783787320844

Was ist Verstehen? Welche Theorie des Verstehens ist plausibel? Was können wir verstehen? Was sind Bedeutungen? Welche R

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Verstehen: nach Heidegger und Brandom
 9783787318964, 9783787320844

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Verstehen nach Heidegger und Brandom

PHÄNOMENOLOGISCHE FORSCHUNGEN

Phenomenological Studies Recherches Phénoménologiques

Im Auftrage der Deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung herausgegeben von KARLHEINZ LEMBECK, KARL MERTENS

und ERNST WOLFGANG ORTH

Beiheft 3

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Verstehen nach Heidegger und Brandom

Barbara Merker (Hg.) unter Mitarbeit von Éva Gedő und Tibor Schwendtner

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7873-1896-4

www.meiner.de © Felix Meiner Verlag 2009. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza. Werkdruckpapier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100% chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.

INHALT

Barbara Merker Einleitung ...................................................................................................

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Sebastian Knell Diskursive Kontoführung als bedeutungskonstitutive Praxis des Verstehens. Reflexionen zur Sprachtheorie Robert Brandoms ...........

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Jasper Liptow Zur Rolle der Sprache in Sein und Zeit ..................................................

27

Csaba Olay Verstehen und Auslegung beim frühen Heidegger ..............................

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Christoph Demmerling Implizit und Explizit. Überlegungen zum Verstehensbegriff im Anschluß an Heidegger und Brandom ..................................................

61

Éva Gedö · Tibor Schwendtner Dimensionen des Verstehens. Bemerkungen zu Brandoms Heidegger-Interpretation .........................................................................

79

Gerson Reuter Ein individualistischer Blick auf normativistische Erklärungsansprüche und ›das Soziale‹ bei Heidegger .......................

95

Barbara Merker Verstehen und Klassifizieren: Drei Probleme mit Brandom-Heidegger ..................................................................................

129

Bernd Prien Making it Explicit und die Priorität des Zuhandenen gegenüber dem Vorhandenen ......................................................................................

147

Wolf-Jürgen Cramm Zum Verhältnis von symbolbezogenen und nicht-symbolbezogenen Formen des Verstehens ..................................

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Inhalt

Karl Mertens Die Kontextualität des Verstehens in Heideggers Daseinshermeneutik und Brandoms inferentialistischer Heidegger-Interpretation ..........................................................................

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Gábor Forrai Brandom and Two Problems of Conceptual Role Semantics ..............

211

Gergely Ambrus Inferentialism and the Content of Perception........................................

233

Tamás Demeter Where Rationality is ..................................................................................

247

Gesamtbibliographie ..................................................................................

263

Biographische Notizen...............................................................................

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EINLEITUNG

Was ist Verstehen? Welche Theorie des Verstehens ist plausibel? Was können wir verstehen? Was sind Bedeutungen? Welche Rolle spielen Rationalität, Normativität, Sozialität, Perzeptibilität, Historizität, Lingualität und Inferentialität beim Verstehen? Ist Verstehen stets begrifflich, sprachlich, propositional, oder gibt es auch unbegriffliches, vorsprachliches, nicht-propositionales Verstehen? Lassen sich alle Formen des Verstehens in Gestalt von Aussagen zum Ausdruck bringen, oder gibt es Formen des Verstehens, die nicht in Gestalt von Aussagen explizit gemacht werden können? Was sind Voraussetzungen des Verstehens? Ist Verstehen eine Form von Wissen, und wie verhält es sich zu anderen Formen des Wissens? Wie verhält sich das Verstehen zum Auslegen bzw. Interpretieren? – Dies sind die Themen, mit denen sich die Beiträge des vorliegenden Bandes beschäftigen. Dabei konzentrieren sich alle Beiträge auf zwei Positionen aus dem Spektrum der Hermeneutiken, Semantiken, Epistemologien, die auf die angeführten Fragen Antworten offerieren. Es geht hier um zwei Philosophen, die ihre Theorien aus unterschiedlichen philosophischen und historischen Kontexten heraus entwickelt haben. Der eine, Martin Heidegger, steht in der Tradition der durch Edmund Husserl am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts begründeten Phänomenologie; der andere, Robert Brandom, steht in der Tradition der (post-)analytischen Philosophie, die sich am Ende des letzten Jahrhunderts herausgebildet hat und an Wilfrid Sellars und dem amerikanischen Pragmatismus orientiert ist. Diese Beschränkung des Zugangs zum Problem des Verstehens auf zwei Autoren liegt nicht nur deshalb nahe, weil beide Philosophen, obgleich geographisch und historisch entfernt voneinander, sich überlappende Antworten auf die genannten Fragen geben, sondern auch, weil der spätere Autor sich auf den früheren bezieht. Brandom hat in zwei Zeitschriftenaufsätzen aus den Jahren 1983 und 1999, die in seiner Aufsatzsammlung Tales of the Mighty Dead aus dem Jahr 2002 wiederabgedruckt sind, eine partielle Interpretation von Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit aus dem Jahr 1927 vorgelegt. In dieser Heideggerinterpretation erörtert Brandom Probleme des Verstehens und den Zusammenhang von Verstehen, Auslegung, Rede und Aussage sowie deren Verhältnis zu Zuhandenem: bedeutsamen, verstehbaren Dingen und Ereignissen, die Aussa-

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gen oder keine Aussagen sind, auf der einen Seite und bloß Vorhandenem: Faktischem, Nicht-Normativem, Nicht-Sozialem, Objektivem, Natürlichem auf der anderen Seite. Dabei folgt er den beiden Leitlinien des Interpretierens – den Lesarten de dicto und de re –, die er in den letzten Kapiteln seines Hauptwerks Making it Explicit ausgeführt und im ersten Kapitel zu seinen Tales of the Mighty Dead mit Blick auf die dialogische und perspektivische Hermeneutik Hans-Georg Gadamers noch einmal, und keineswegs in polemischer Absicht, als »Hermeneutische Platitüden« zusammengefasst hat. Ihm geht es darum, diese »Platitüden« zu verstehen und sie als berechtigt zu erweisen. Aus diesem Grunde buchstabiert er im Detail aus, was in der Tradition der Phänomenologie metaphorisch als die für jedes Verstehen konstitutive »Horizontverschmelzung« bezeichnet worden ist. Brandoms Interesse an Sein und Zeit ist beschränkt auf Heideggers Ausführungen zum Verstehen von Zuhandenem und zur Rolle von Aussagen über Vorhandenes; nur am Rande spielt auch das Selbstverstehen des Daseins eine Rolle. Brandom berücksichtigt daher kaum den Kontext, in den Heidegger seine Überlegungen eingebettet hat. Allerdings erwähnt er die Theorie der Zeitlichkeit des Daseins, die Rolle derjenigen Sprechakte, die keine Behauptungen sind, sowie die Unterscheidung von eigentlichem und uneigentlichem Verstehen. Er gesteht auch indirekt zu, dass seine sozialpragmatische Lesart des Verstehens nur das uneigentliche Verstehen betrifft, das allerdings eine »notwendige Vorbereitung« für die »Individuation des Daseins« und das eigentliche Verstehen darstellt. Brandom konzentriert sich auf die Aspekte des Verstehens und Bedeutens, die sich in seine fundamentalpragmatische Variante einer Gebrauchstheorie der Bedeutung integrieren lassen, welche für alle diejenigen attraktiv erscheinen muss, die platonistische Theorien der Bedeutung für unplausibel halten. Verstehen, das praktische Ergreifen bzw. Konstituieren von Bedeutungen, besteht für ihn in der (Ausübung der) Fähigkeit oder Disposition, auf sinnlich Wahrnehmbares, wozu auch Aussagen gehören, verlässlich unterscheidende, begrifflich geregelte Antworten zu geben und es so auf öffentliche und sozial anerkannte Weise zu klassifizieren und auszulegen. Grundsätzlich unterscheidet er zwei Weisen, auf sinnlich Wahrnehmbares zu reagieren: erstens Behauptungen, die Vorhandenes thematisieren, und zweitens Praktiken, die keine Aussagen sind. In Praktiken der letzteren Art verwenden wir wahrgenommenes Wasser zum Trinken, den Hammer zum Hämmern, den Wind zum Segeln, den Pfiff des Schiedsrichters zum Beenden des Spiels. Sowohl Praktiken, die Behauptungen sind, als auch solche, die keine Behauptungen sind, zählt Brandom, ebenso wie das, was in ihnen involviert ist, zur Kategorie des verstehbaren und bedeutsamen Zuhandenen. Während Brandom in Making it Explicit vor allem eine detaillierte

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Theorie des sozialperspektivischen Verstehens sprachlich expliziter Behauptungen entwickelt, legt er in seinen Heidegger-Interpretationen den Akzent auf das Verstehen von Zuhandenem, das nur zum Teil auch in Behauptungen besteht. Beiden gemeinsam ist der Gedanke, dass Verstehen begriffliche Normen impliziert, die durch Interaktion gestiftet werden. Einige Beiträge dieses Bandes diskutieren interpretatorische oder systematische Probleme in den Ausführungen Heideggers oder Brandoms. Andere Beiträge setzen die Ausführungen der beiden kritisch zueinander in Beziehung, weisen auf Probleme hin oder formulieren im Anschluss an sie eigene Thesen zu Aspekten des Verstehens. Sebastian Knell skizziert in seinem Beitrag die Bausteine von Brandoms Theorie des Verstehens von Behauptungen, die dieser in Making it Explicit entwickelt hat und die zugleich eine Theorie der projektiven Konstitution von Bedeutungen ist: Der sozialpragmatischen Gebrauchstheorie der Bedeutung zufolge unterliegt der Gebrauch von Sätzen (und der in ihnen vorkommenden subsententialen Ausdrücke) sozial akzeptierten Regeln. Behauptungen spielen eine doppelseitige Rolle, insofern sie andere Behauptungen begründen und Gründe für sie verlangt werden können. Diese inferentiellen Beziehungen werden mittels der normativen Grundbegriffe der Festlegung und Berechtigung analysiert. Die sich ständig verändernden normativen Festlegungen und Berechtigungen derjenigen, die am Spiel des Lieferns und Forderns von Gründen teilnehmen, werden von diesen auf eine Weise registriert, die Brandom mit dem Punktekonto eines Baseballspiels vergleicht. Solche Kontoführungspraktiken übertragen auf sinnlich Wahrnehmbares – sprachliche Äußerungen – einen propositionalen Gehalt, eine Bedeutung, einen Sinn, indem es als Träger eines solchen Gehaltes betrachtet und behandelt wird. Der propositionale Gehalt, die Bedeutung ist dabei identisch mit der Rolle, die der Träger des Gehaltes in einem Netz inferentieller Beziehungen spielt, das nur sozialperspektivisch artikuliert werden kann. Mit jeder Behauptung verpflichten wir uns Brandom zufolge zu einer Begründung für den Fall, dass unser Gesprächspartner eine solche Begründung verlangt, aber auch darauf, dass wir die Behauptung unter passenden Umständen erneut äußern. Gegenüber einem solchen angeblich sprachimmanenten Zwang zu sprachlichen Handlungen plädiert Knell für eine liberalere Variante. Im Zentrum der Ausführungen von Jasper Liptow steht die Rolle der Sprache in Sein und Zeit und ihr Verhältnis zur Rede. Liptow kritisiert zwei verbreitete und komplementäre Lesarten dieses Verhältnisses und schlägt eine sowohl

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interpretatorisch als auch systematisch angemessenere Alternative zu ihnen vor. Während die einen in Heideggers Theorie des Zeichens in der sogenannten »Umweltanalyse« von Sein und Zeit ein sprachphilosophisches Indiz für eine pragmatistische Gebrauchstheorie der Bedeutung sehen, betonen die anderen, dass es Praktiken gibt, die auf nicht-sprachliche, nicht-zeichenhafte Weise Bedeutungen konstituieren und so erst Sprache und Sprechen ermöglichen. Gegen die erste Lesart spricht nach Liptow, dass Heidegger zwar ein zeichentheoretischer, aber kein sprachphilosophischer Pragmatist sei. Heidegger habe keine Verbindung zwischen seiner Zeichentheorie und seiner Sprachphilosophie hergestellt und auch gar keine sprachphilosophische Bedeutungstheorie im heutigen Sinne entwickelt. Im Gegenteil habe er Rede und Sprache als Existenzialien, also als Seinsweisen des Daseins betrachtet und sie damit gerade von innerweltlich zuhandenen Zeichen kritisch unterschieden. Gegen die zweite Lesart führt Liptow Argumente an, die zeigen sollen, dass für Heidegger die Rede als »Artikulation der Verständlichkeit« an die Sprache gebunden ist. Das wichtigste dieser Argumente verweist darauf, dass Heidegger ein geteiltes Verständnis unserer gemeinsamen Welt als konstitutiv für unser Dasein betrachtet (Mitsein). Insofern muss die Rede, um ihre Funktion als intersubjektive Gliederung der Welt erfüllen zu können, öffentlich und kommunizierbar, also Sprache werden. Die hermeneutische Vor-Struktur von Verstehen, Auslegung und Rede ist folglich an Sprache gebunden. Wir wachsen zunächst in sie hinein, ohne durch sie ein für allemal bestimmt zu sein. Diese Vor-Struktur ist nach Liptow aber nicht mit einem linguistischen Idealismus zu verwechseln, dem zufolge die Sprache die Gegenstände unseres Verstehens transzendental konstituiert. Gegen eine solche Deutung sieht er Heidegger schon durch dessen direkten Realismus gefeit. Auch Csaba Olay interpretiert das Verhältnis von Verstehen, Auslegung, Aussage und Rede zur Sprache in Sein und Zeit, wobei er Heideggers Ausführungen dazu in dessen frühen Vorlesungen mit einbezieht. Nach Olays Auffassung lassen sich Verstehen und Auslegung nicht als sprachliche Phänomene auffassen, obgleich Heidegger die Struktur der Auslegung in Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff auffächert und eine solche Bindung der Auslegung an Begriffe letzteres nahelegen könnte. Ingesamt verweisen Olays Ausführungen auf die Vieldeutigkeit des Ausdrucks »Sprache«. Er macht deutlich, dass Heidegger weder nicht-propositionales Gebrauchswissen noch begriffliche Klassifikationen oder propositionale Gebilde als »sprachlich« bezeichnet, sondern vorwiegend die »Hinausgesprochenheit der Rede« wie prädikative Verlautbarungen oder Verschriftlichungen. In diesem Sinne sind erst prakti-

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sche Aussagen wie »Die Kreide ist zu sandig« oder theoretische Aussagen wie »Die Kreide ist weiß« sprachliche Phänomene. Christoph Demmerling untersucht in seinem Beitrag zwei konkurrierende Auffassungen des Verhältnisses von implizitem praktischem Verstehen und Auslegen auf der einen Seite und theoretisch expliziten Aussagen auf der anderen Seite, denen zwei Lesarten von Sein und Zeit korrespondieren. Der einen Lesart zufolge (Dreyfus, Haugeland u. a.) handelt es sich bei dem Verhältnis um ein zweistufiges Schichtenmodell. In der unteren Schicht, die tierliches und menschliches Verstehen und Auslegen umfasst, finden wir Formen des Verstehens bzw. praktischen Könnens, die nicht propositional verfasst sind und nicht propositional explizierbar und artikulierbar sein müssen (Peacock, Evans u.a.), in der also noch keine sprachlichen Strukturen involviert sind, welche erst in den Formen des Aussagens in der oberen Schicht eine Rolle spielen. Der zweiten Lesart zufolge (Brandom) sind für gesunde, sozialisierte Menschen bereits die Formen des praktischen Verstehen bzw. Könnens in der unteren Schicht so in propositionale, inferentielle sprachliche Strukturen eingebunden, dass sie prinzipiell in Form von Aussagen artikulierbar und explizierbar sein müssen. Die Fähigkeit zum Aussagen ist hier eine notwendige Bedingung für spezifisch menschliche Formen impliziten praktischen Verstehens und Auslegens. Demmerling vertritt demgegenüber, wie ihm zufolge auch Heidegger, eine Zwischenposition, nach der implizites Verstehen und Auslegen zwar in begrifflich klassifizierende Kontexte eingebunden ist, aber nicht auch sprachlich propositional artikulierbar sein muß. Verstehen muss sich manifestieren, aber nicht auch sprachlich propositional artikulieren können, auch wenn es sich beim spezifisch menschlichen Verstehen um eine Fähigkeit handelt, über die nur Wesen verfügen, die die Fähigkeit zum expliziten Aussagen haben. Nach Éva Gedő und Tibor Schwendtner lassen sich in Sein und Zeit mindestens drei verschiedene Begriffe des Verstehens unterscheiden, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Zusätzlich zu dem von Brandom herausgehobenen pragmatischen Verstehensbegriff verweisen sie noch auf den existenzialen und den transzendental-ontologischen Begriff des Verstehens. Alle drei Verstehensbegriffe untersuchen sie mit Blick auf deren je eigenes Verhältnis zur Normativität. Während für das know how des pragmatischen Verstehens die Orientierung an historisch und sozial anerkannten Normen konstitutiv ist und auch die alltäglichen Herrschaftsbeziehungen der Menschen untereinander durch solche Normen geprägt sind, ist das existenziale Verstehen durch eine relative Distanz und Freiheit gegenüber den überlie-

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ferten Normen gekennzeichnet. Das transzendental-ontologische Seinsverständnis dagegen ist das Fundament sowohl des pragmatischen als auch des existenzialen Verstehens und ebenso die Bedingung der Möglichkeit theoretisch-wissenschaftlichen Erkennens, das sich in zwei verschiedenen Formen vollzieht: in der Form der einzelnen Fachwissenschaften und in der Form der Philosophie. Darin geht es auch um eine Besinnung auf die Normativität und Rationalität des (wissenschaftlichen) Handelns. Welche der Arten des Verstehens in welchem Sinne ursprünglicher oder bedeutsamer ist, ist dabei nicht eindeutig zu ermitteln. So erklären sich Gedö und Schwendtner auch die verschiedenen Lesarten des frühen Heidegger als Pragmatisten, als Existenzialisten, als Wissenschaftsbegründer und als Ontologen. Brandoms fundamentalpragmatischer Hermeneutik und Semantik zufolge werden die Bedeutungen sinnlich wahrnehmbarer Gegenstände oder Ereignisse in einer implizit normativen und sozialen, genauer: dialogischen Praxis konstituiert. Den frühen Heidegger betrachtet er als einen Vorläufer dieser Auffassung. Gerson Reuter bezweifelt in seinem Beitrag nicht, dass solche sozialen Konstellationen faktisch eine wichtige Rolle für das Verwenden und Verstehen sprachlicher Ausdrücke spielen, etwa für den Spracherwerb von Kindern, für die sprachliche Arbeitsteilung und für eine reibungslose Kommunikation. Er bezweifelt jedoch die stärkere These, dass soziale Konstellationen eine gewichtige Rolle bei der Konstitution der Bedeutung der Ausdrücke im Idiolekt eines Sprechers einnehmen. Ihm zufolge haben sprachliche Ausdrücke üblicherweise aufgrund des jeweils individuellen Sprachgebrauchs eine bestimmte Bedeutung. Auch derartige Bedeutungen seien öffentlich, also intersubjektiv zugänglich und verstehbar, obgleich sie nicht vorab sozial geteilt werden. Reuter argumentiert also zum einen gegen bestimmte sozialexternalistische und – seiner Auffassung nach zirkuläre – normativistische Bedeutungstheorien. Zum anderen testet er die thematisch breitgefächerten Überlegungen des frühen Heidegger, in denen Soziales eine wichtige Rolle spielt, mit Blick auf die Frage, ob sie auch eine individualistische bedeutungstheoretische Lesart zulassen. Barbara Merker untersucht die Heidegger-Interpretationen Brandoms mit Blick auf dessen allgemeine Theorie der Klassifikation. Sie macht auf Zweideutigkeiten dieser pragmatischen Klassifikationstheorie aufmerksam, die das betreffen, was in der Etwas-als-Etwas-Struktur der praktischen Klassifikation an erster Stelle steht, und die Frage nach der Konsistenz der Darstellung von Prioritätsverhältnissen zwischen Zuhandenem und Vorhandenem, Zuhandenheit und Vorhandenheit aufwerfen. Darüber hinaus weist sie auf zwei

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alternative Klassifikationstheorien hin, mit denen Brandom sich kritisch auseinandersetzt. Während einer verbreiteten phänomenologischen Lesart von Sein und Zeit zufolge Praktiken, die nicht im Aufstellen von Behauptungen bestehen, nicht begrifflich-sprachlich strukturiert sind, behauptet Brandom sowohl aus exegetischen als auch aus sachlichen Gründen, alle Praktiken gesunder, sozialisierter Menschen seien nicht nur sozial und normativ, sondern auch implizit begrifflich-sprachlich strukturiert. Damit setzt er sich vor allem von dem klassischen instrumentalistischen Pragmatismus ab, für den viele unsere Praktiken weder normativer noch sozialer noch begrifflich-sprachlicher Art sind. Bernd Prien prüft in seinem Beitrag, ob es in Brandoms Making it Explicit Entsprechungen gibt zu den Brandom-Heideggerschen Konzeptionen des Zuhandenen und Vorhandenen sowie zu der These von der Priorität des Zuhandenseins gegenüber dem Vorhandensein. Dabei macht er zum einen aufmerksam auf Unterscheidungen, die für ein angemessenes Verständnis der Prioritätsthese erforderlich sind. Brandom zufolge muss nämlich die These der (problematischen) ontologischen Priorität des Zuhandenen, Normativen, Assertorischen gegenüber dem Vorhandenen, Nicht-Normativen, Faktischen von der These ihrer begrifflich-explikativen Priorität unterschieden werden. Und beide Thesen müssen abgegrenzt werden von der These ihrer explanatorisch-symmetrischen Sinnabhängigkeit. Zum anderen weist Prien auf anscheinende Spannungen oder Widersprüche in den Ausführungen Brandoms hin und versucht zu zeigen, wie diese sich teilweise durch eine angemessene Unterscheidung der drei Thesen auflösen lassen. Wolf-Jürgen Cramm unterscheidet mehrere zum Teil aufeinander aufbauende Formen des Verstehens: das Verstehen emotionaler Ausdrucksformen; das Verstehen instinkt- oder triebgesteuerten Verhaltens; das Verstehen von erlerntem nicht-symbolischem Zweck-Mittel-Verhalten oder -Handeln; das Verstehen von konventionell-performativem Handeln (z. B. Heiraten); das Verstehen von quasi-kausalem oder metaphorischem symbolischen Handeln (z. B. Fetischgebrauch); das Verstehen von signal- und propositionalsprachlichem Handeln bzw. seiner Produkte und Medien. Er formuliert eine Reihe skeptischer Einwände gegen die Möglichkeit, dass sich die fundierten Formen des Verstehens in Begriffen der diese fundierenden Verstehensformen analytisch verständlich machen bzw. erklären lassen. Von dieser Skepsis betroffen ist auch der normative Pragmatismus Brandoms, dem zufolge sich das Verstehen propositionaler Gehalte in Begriffen des Verstehens von Zuhandenem auch im Sinne Heideggers erläutern oder erklären lässt.

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Verschiedene Theorien des Verstehens stehen, wie dieses selber, in unterschiedlichen Horizonten oder Kontexten und orientieren sich an unterschiedlichen Leitkonzepten oder Leitbildern. Am Beispiel der Verstehenstheorien von Husserl, Heidegger und Brandom macht Karl Mertens auf solche »Hintergründe« aufmerksam und kritisiert deren jeweilige Ausrichtung. Ob man, wie Husserl, Verstehen nach dem Modell egologischer, theoretischer Wahrnehmung konzipiert, wie Heidegger sozialpragmatisch nach dem Modell des herstellenden, poietisch-instrumentellen Handelns oder wie Brandom nach dem Modell kommunikativer Anerkennung und inferentialistischer Begründung – stets verstellen einseitige Akzentuierungen die Komplexität des untersuchten Phänomens. Gábor Forrai vergleicht die normative, sozial-pragmatische und inferentielle Semantik Brandoms und die naturalistischen, individualistischen conceptualrole-Semantiken mit Blick auf die beiden Fragen, ob sie und wie sie das Problem des Externalismus inferentieller Gehalte und das Problem wechselseitigen Verstehens lösen können. Mit dem Problem intersubjektiven Verstehens scheint Brandoms inferentielle Semantik vor allem deshalb konfrontiert zu sein, weil sie zwei Auffassungen miteinander verbindet: Zum einen kritisiert Brandom das traditionelle Transport-Modell des Verstehens, dem zufolge Verstehen in einem erfolgreichen Transport von Gedanken bzw. sprachlichen Bedeutungen von einem Sprecher zu einer Hörerin besteht, das ein Teilen identischer Gedanken ermöglichen soll. Er möchte dieses Transport-Modell durch sein Kontoführungs-Modell ersetzen, dem zufolge die inferentiellen Rollen von sprachlichen Ausdrücken gerade nicht strikt geteilt, sondern nur sozial-perspektivisch aufgeteilt artikuliert werden können. Zum anderen möchte Brandom aber auch auf die Annahme verzichten, dass es innerhalb der als inferentielle Rollen begriffenen Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke zumindest einen privilegierten Bedeutungskern gibt. Forrai versucht, die Spannungen zwischen diesen beiden Annahmen so zu lösen, dass deutlich wird, wie ohne Rückgriff auf das Transport-Modell intersubjektives Verstehen dennoch gelingen kann. Gergely Ambrus untersucht Probleme, die sich aus Brandoms inferentieller Semantik für Wahrnehmungsberichte dadurch ergeben, dass deren Gehalt bzw. Bedeutung sich nicht in ihrer inferentiellen Rolle zu erschöpfen scheint. Ambrus erläutert zunächst Robert Brandoms Position in Abgrenzung zu den Auffassungen der empiristischen Sinnesdatentheoretikern auf der einen Seite und John McDowells Theorie der Wahrnehmung auf der anderen Seite. Den empiristischen Sinnesdatentheoretikern zufolge haben wir eine direkte

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Wahrnehmung von Sinnesdaten bzw. phänomenalen Eigenschaften, die nicht begrifflich vermittelt ist, keinen Urteilscharakter hat und dennoch Wahrnehmungsurteile rechtfertigen kann. Mit Wilfrid Sellars und wie McDowell betrachtet Brandom diese Auffassung als Teil des »Mythos des Gegebenen«. Aber im Unterschied zu McDowell, für den die Wahrnehmungserlebnisse gesunder, sozialisierter Menschen zwar immer begrifflich vermittelt, aber unabhängig von Wahrnehmungsurteilen sind, zu denen jene Erlebnisse in der Regel aber gestaltet werden, besteht Brandom darauf, dass Wahrnehmungen als nicht-inferentiell hervorgerufene, verlässlich unterscheidende und begrifflich artikulierte Antwortdispositionen in Form von Wahrnehmungsberichten verstanden werden können, die nicht durch Wahrnehmungserlebnisse vermittelt sind und für deren Gehaltsbestimmung der Rekurs auf Wahrnehmungserlebnisse keine Rolle spielt. Ambrus prüft in seinem Beitrag die Berechtigung von Einwänden gegen ein solches »Überspringen« von Wahrnehmungserlebnissen. Verbreitet ist gegenwärtig die philosophische Auffassung, dass wir das Verhalten von Menschen im Unterschied zum Verhalten von unbelebten natürlichen Objekten nur deshalb verstehen, erklären und voraussagen können, weil wir ihm Rationalität in dem Sinne unterstellen, dass es aufgrund intentionaler Zustände erfolgt, die selber rational und rational miteinander verbunden sind. Wir unterstellen normalerweise, dass Menschen in ihren intentionalen Zuständen und Verhaltensweisen faktisch so rational sind, wie sie den Normen der Rationalität zufolge sein sollten. In seinem Beitrag »Where Rationality is« untersucht und kritisiert Tamás Demeter eine solche seiner Auffassung nach unbegründet »robuste« Konzeption von Rationalität am Beispiel von Daniel Dennett und Robert Brandom. An die Stelle der von diesen beiden vertretenen naturalistisch bzw. normativistisch fundierten Konzeptionen von Rationalität setzt er seine »narrative« Alternative. Zuschreibungen von Normen oder Standards der Rationalität hängen nach Demeter von Interpretationen von Verhaltensweisen und sozialen Situationen ab. Diese können auf vielfältige Weisen interpretiert und rationalisiert werden. Es gibt ihm zufolge keine privilegierte, optimale Interpretation, die durch ein »tieferes Faktum« wahr gemacht werden könnte. Rationalität ist für ihn folglich nicht eine genuine Eigenschaft des Handelns, sondern eine Eigenschaft unserer Interpretationen solchen Verhaltens. Rational sind solche Interpretationen, wenn sie unseren Konventionen solcher psychologischer Narrative folgen wie »Wer durstig ist, sucht zu trinken« oder »Furcht enthält meidendes Verhalten«.

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Einleitung

Alle Beiträge dieses Bandes gehen auf Vorträge zurück, die auf einer Tagung zum Thema »Verstehen« im September 2006 an der Universität Miskolc in Ungarn gehalten wurden. Finanziert wurde diese Tagung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von der Ungarischen Forschungsgemeinschaft. Die Organisation der Tagung in Ungarn haben Éva Gedö und Tibor Schwendtner übernommen. – Für das Finden vieler Fehler im Manuskript danke ich Dominik Kauss und Alexander Schwenk, für die Beseitigung der Fehler Maria Russo. Barbara Merker

Sebastian Knell

Diskursive Kontoführung als bedeutungskonstitutive Praxis des Verstehens Reflexionen zur Sprachtheorie Robert Brandoms1 Eine Theorie sprachlicher Bedeutung, die den Sinngehalt von Sätzen auf den Gebrauch zurückführt, den wir von diesen Sätzen beim sprachlichen Handeln machen, wird gemeinhin eine pragmatische Bedeutungstheorie genannt. Den Gebrauch eines Satzes beim sprachlichen Handeln können wir im Prinzip auf zwei unterschiedliche Weisen verstehen. Wir können darunter entweder einen Gebrauch verstehen, der von individuellen Sprecherintentionen geleitet wird, die situationsabhängig variieren; dabei tritt allerdings die Schwierigkeit auf, das Faktum zu erklären, dass wir die Bedeutung eines Satzes normalerweise als eine Eigenschaft des Satzes betrachten, die sich nicht von Sprecher zu Sprecher und von Situationskontext zu Situationskontext verändert. Oder wir können – um dieses Problem zu umgehen – unter dem bedeutungsverleihenden Gebrauch eines Satzes einen Gebrauch verstehen, der allgemeinen Regeln unterliegt, die innerhalb einer sozialen Gemeinschaft als gültig akzeptiert werden. Eine solche Beschreibung des bedeutungsverleihenden Gebrauchs eines Satzes als eines regelgeleiteten Gebrauchs betrachtet – so können wir sagen – die Sprache als eine Form der sozialen Institution. Der Grundgedanke einer pragmatischen Bedeutungstheorie, die das sprachliche Handeln als ein Handeln innerhalb einer normativ verfassten sozialen Institution betrachtet, hat in der Philosophie des 20. Jahrhunderts zuletzt in Robert Brandoms Werk »Making It Explicit« eine innovative und zugleich höchst differenzierte Ausbuchstabierung erfahren.2 Ich werde im folgenden zunächst den Kern von Brandoms Bedeutungsanalyse rekonstruieren, die zugleich eine Theorie des linguistischen Verstehens ist (1). Sodann werde ich darlegen, dass diese Theorie das traditionelle hermeneutische Bild vom Verstehen als einer spezifischen Form der Horizontverschmelzung im Rahmen einer innovativen Systematik wiederbelebt (2). Abschließend möchte ich dann

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Für kritische Anmerkungen zu einer früheren Fassung dieses Textes danke ich WolfJürgen Cramm, Christoph Demmerling und Bernd Prien sowie den übrigen Teilnehmern der Brandom/Heidegger-Tagung im September 2006 in Miskolc. 2 R. B. Brandom: Making It Explicit. Cambridge/Mass. 1994 (deutsch: Expressive Vernunft. Frankfurt/M. 2000).

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Sebastian Knell

noch einen bestimmten Aspekt der zugrundeliegenden normativen Sprachkonzeption kritisch hinterfragen (3).

1. Brandom geht im Anschluss an den späten Wittgenstein von dem Gedanken aus, dass die sprachliche Praxis Analogien zu einem Spiel aufweist: Unsere sprachliche Praxis besteht aus Sprachspielen, deren Regeln bestimmen, welche Züge wir mit einzelnen Sprechakten innerhalb des Spiels machen können und wie auf diese Züge angemessenerweise zu reagieren ist. Brandoms Detailanalyse konzentriert sich zunächst auf eine spezielle Sorte von Sprechakten, nämlich auf Behauptungen. Sie beinhaltet eine ausführliche rekonstruktive Beschreibung desjenigen Sprachspiels, in dem Behauptungen vorkommen und dessen charakteristische Züge Behauptungen sind. Brandom nennt dieses Sprachspiel im Anschluss an Wilfrid Sellars das »Spiel des Lieferns und Forderns von Gründen«.3 Dessen grammatische Kernstruktur basiert darauf, dass Behauptungssprechakte ihrem Wesen nach eine doppelte Rolle spielen: Erstens sind Behauptungen sprachliche Äußerungen, für die Gründe verlangt werden können; und zweitens sind Behauptungen Äußerungen, die ihrerseits als Gründe für weitere Behauptungen dienen können. Bei dieser doppelseitigen Rollen von Behauptungen handelt es sich um eine doppelseitige inferenzielle Rolle. Die ihr zugrundeliegenden inferenziellen Beziehungen analysiert Brandom anhand der beiden normativen Grundbegriffe der Festlegung auf eine Behauptung und der Berechtigung zu einer Behauptung. Gemäß dieser Analyse stehen zwei Behauptungen p und q in einer starken festlegungsvererbenden Inferenzbeziehung, wenn die Festlegung auf p die Festlegung auf q zur Folge hat, sowie in einer schwächeren berechtigungsvererbenden Inferenzbeziehung, wenn die Berechtigung zu p die Berechtigung zu q nach sich zieht. Die erste dieser beiden Formen der inferenziellen Beziehung lässt sich in einem vertrauteren Vokabular als eine Relation beschreiben, die den Charakter einer starken Rechtfertigung durch »zwingende Gründe« hat, während der zweiten Art der inferenziellen Beziehung die schwächere Form der Rechtfertigung durch »gute Gründe« korrespondiert. Als dritten Typus einer inferenziellen Beziehung betrachtet Brandom ferner die Inkompatibilitätsbeziehung, die zwischen p und q dann besteht, wenn eine Festlegung auf p die Berechtigung zu q ausschließt. 3

Die im folgenden wiedergegebene Analyse findet sich in: Brandom: Making It Explicit. A. a. O. Kapitel 3.

Diskursive Kontoführung als Praxis des Verstehens

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Innerhalb des Spiels des Lieferns und Forderns von Gründens gibt es nun laut Brandom so etwas wie ein implizit geführtes Punktekonto. Ähnlich wie von dem Punktekonto eines Baseballspiels gilt von diesem Konto, dass es einerseits durch einzelne Spielzüge modifiziert wird und dass es andererseits bestimmt, welche weiteren Spielzüge jeweils möglich sind. Die Elemente dieses veränderlichen Kontos sind allerdings nicht gezählte Punkte im engeren Sinne, sondern die gerade erwähnten Festlegungen auf Behauptungen und Berechtigungen zu Behauptungen. Die Idee ist, dass jedem Mitspieler ein solches normatives Konto zugeordnet ist, auf dem verschiedene derartige Festlegungen und Berechtigungen verbucht sind. Wenn nun ein Sprecher einen Zug innerhalb des Sprachspiels macht, indem er eine bestimmte Behauptung aufstellt, verändern sich die Festlegungen und Berechtigungen, die auf seinem Konto sowie auf den Konten seiner Gesprächspartner verbucht sind, auf eine systematische Weise. Die so veränderten Kontostände bestimmen dann wiederum, welche weiteren Spielzüge die am Sprachspiel beteiligten Personen mit weiteren Behauptungen tun können. Betrachten wir zur konkreten Illustration dieses sprachtheoretischen Modells das einfache Beispiel, dass ein Sprecher S im Gespräch den Satz »Cäsar war ein römischer Diktator« äußert. Eine unmittelbare Konsequenz dieser Äußerung besteht zunächst darin, dass das Konto des Sprechers um eine Festlegung auf die Behauptung angereichert wird, dass Cäsar ein römischer Diktator war. Eine solche Festlegung hat einen bestimmten Verpflichtungsinhalt. Das heisst, dass der Sprecher aufgrund seiner Festlegung in seinem weiteren sprachlichen Handeln nicht mehr völlig frei agieren kann, sondern zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet ist. Dieser Verpflichtungsinhalt wiederum lässt sich so verstehen, dass sich der Sprecher inkorrekt verhalten würde, wenn er in bestimmten Situationen die Behauptung, dass Cäsar ein römischer Diktator war, nicht erneut aufstellen würde oder wenn er dieser Behauptung widersprechen würde, falls sie von einem anderen Gesprächspartner aufgestellt wird.4 Durch die Äußerung des Satzes »Cäsar war ein römischer Diktator« legt sich nun ein Sprecher nicht allein auf die Behauptung fest, dass Cäsar ein römischer Diktator war, sondern er geht auch Festlegungen auf andere Behauptungen ein, die inferenzielle Konsequenzen der ersten Behauptung sind. Eine solche Folgefestlegung ist etwa die Festlegung auf die Behauptung, dass Cäsar ein Politiker war. Eine weitere Folgefestlegung ist beispielsweise die Fest4

Dies kann freilich nur für Behauptungen mit zeitunabhängigem Wahrheitswert gelten und nicht für Aussagen wie »Es regnet.«, deren Wahrheitswert vom Zeitpunkt der Äußerung abhängt.

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legung auf die Behauptung, dass Cäsar Europäer war. Wer den Satz »Cäsar war ein römischer Diktator« äußert, ist daher nicht nur verpflichtet, dieselbe Behauptung seitens anderer Sprecher zu akzeptieren, sondern es ist ihm beispielsweise auch nicht erlaubt, zu widersprechen, wenn ein anderer Sprecher den Satz »Cäsar war ein Politiker« äußert. Auf diese Weise wird durch die diversen Festlegungen, die ein Sprecher durch die Äußerung eines einzelnen Satzes eingeht, sein weiterer Handlungsspielraum im gemeinsamen Sprachspiel an verschiedenen Stellen beschränkt. Eine Festlegung, die durch eine behauptende Äußerung eingegangen wird, kann ferner zu dem Verlust einer Berechtigung führen. Wer die Behauptung »Cäsar war ein römischer Diktator« äußert, verliert dadurch etwa die Berechtigung zu der Behauptung, dass Cäsar ein Amerikaner war. Denn die Behauptung, dass Cäsar ein römischer Diktator war, ist unverträglich mit der Behauptung, dass Cäsar ein Amerikaner war. Eine geäußerte Behauptung beeinflusst darüber hinaus auch die Berechtigungen, die auf den Konten der jeweiligen Zuhörer verbucht sind. Äußert ein Sprecher S gegenüber einem Hörer H die Behauptung, dass Cäsar ein römischer Diktator war, dann hat dies zur Folge, dass H seinerseits berechtigt ist, dieselbe Behauptung gegenüber einer dritten Person zu wiederholen, wobei er sich zur Rechtfertigung gegebenenfalls auf die ursprüngliche Behauptung von S berufen kann. Zwischen Berechtigungen zu Behauptungen bestehen außerdem systematische Folgebeziehungen eines analogen Typs wie zwischen Festlegungen auf Behauptungen. Wer zu der Behauptung berechtigt ist, dass Cäsar ein römischer Diktator war, ist als Konsequenz daraus beispielsweise auch zu der Behauptung berechtigt, dass Cäsar viel Macht hatte. Denn die erste Behauptung liefert einen guten Grund für die zweite Behauptung. Dass eine Behauptung ein Angebot an den Zuhörer enthält, die Behauptung zu wiederholen und sich dabei auf die ursprüngliche Behauptung des Sprechers zu berufen, hängt nach Brandom mit einer zusätzlichen verpflichtenden Festlegung zusammen, die ein Sprecher mit einer Behauptung eingeht. Wer eine Behauptung äußert, legt sich damit nicht allein auf diese Behauptung sowie auf weitere Behauptungen fest, die aus dieser Behauptung folgen: Er legt sich außerdem darauf fest, für seine Behauptung erforderlichenfalls eine geeignete Begründung aufzubieten, aus der hervorgeht, dass er selbst zu der Behauptung berechtigt ist. Insgesamt ist mit dem skizzierten Bild die Idee verbunden, das unser Verständnis des Sinngehaltes einer behauptenden Äußerung in unserem unausdrücklichen Bewusstsein davon besteht, welche Umverteilung der Festlegungen und Berechtigungen die Äußerung auf den normativen Konten der am Gespräch Beteiligten auslöst. Dies bedeutet, dass wir als kompetente Mitspie-

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ler am Behauptungssprachspiel stets implizit über unsere jeweiligen Festlegungen und Berechtigungen Konto führen. Diese normative Kontoführungspraxis bezeichnet Brandom auch als »diskursive« Kontoführungspraxis, da sie im wesentlichen inferenzielle Relationen zwischen linguistischen Äußerungen zum Gegenstand hat. In sie werden wir einsozialisiert, wenn wir die sprachliche Praxis des Behauptens erlernen. Linguistisches Verstehen besteht nach der beschriebenen Theorie also in einer spezifischen Form der normativen Kontoführung in Reaktion auf linguistische Äußerungen. Brandoms Anliegen erschöpft sich allerdings nicht darin, die so aufgefasste Struktur unseres linguistischen Verstehens systematisch zu rekonstruieren, sondern Brandom beansprucht darüber hinaus, auf diese Weise zu erklären, wie linguistische Äußerungen zu Trägern sprachlicher Bedeutung werden. Die Theorie des Verstehens fungiert zugleich als konstitutionstheoretische Erklärung sprachlichen Sinns. Deren explanatorischer Grundgedanke besagt, dass auf linguistische Äußerungen deren jeweilige Sinngehalte durch diskursive Kontoführungspraktiken übertragen werden.5 Die Aufgabe, diesen explanatorischen Zusammenhang im Detail nachzuvollziehen, überantwortet Brandom allerdings zum Teil der rekonstruktiven Einbildungskraft des Lesers, wenngleich er in seinem Theorieentwurf drei grundlegende Prinzipien einführt, deren Kombination u.a. verständlich werden läßt, wie die konstitutive Übertragung propositionaler Sinngehalte vonstatten gehen soll. Dabei handelt es sich erstens um den inferenzialistischen semantischen Grundsatz, dass ein propositionaler Gehalt nichts anderes ist als eine spezifische Rolle, die der Träger dieses Gehaltes innerhalb von inferenziellen Beziehungen spielt.6 Das zweite Prinzip, auf dem Brandoms konstitutionstheoretische Erklärung basiert, ist die bereits erwähnte normativ-pragmatische These, dass inferenzielle Beziehungen im Rekurs auf systematische Beziehungen zwischen Festlegungen und Berechtigungen analysierbar sind.7 Das dritte Prinzip schliesslich ist eine Art Projektionsprinzip. Es besagt, dass soziale Praktiken dadurch auf Äußerungen semantische Gehalte übertragen können, dass die jeweiligen Praxisteilnehmer die betreffenden Äußerungen in ihrer Praxis implizit als Träger entsprechender Gehalte betrachten oder behandeln.8 Aus diesen drei Elemente der Brandomschen Theorie lässt sich ein insgesamt dreistufiges Erklärungsschema herauspräparieren, das gleichsam 5 6 7 8

Vgl. Brandom: Making It Explicit. A. a. O. xiii ff. A. a. O. 105 f. 131 f. 169. 190. A. a. O. 168 f. 189. A. a. O. xviii. 77.

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die Feinmechanik der konstitutiven Übertragung propositionaler Gehalte verständlich macht und das ich kurz in seiner Anwendung auf die propositionalen Gehalte von Behauptungen skizzieren möchte.9 Der propositionale Gehalt einer assertorischen Äußerung »p« wird dabei in einem ersten Schritt mit einer (sogenannten »breiten«) inferenziellen Rolle identifiziert, der neben inferenziellen Beziehungen im engeren Sinne auch Inkompatibilitätsbeziehungen zugrunde liegen. Diese inferenzielle Rolle wird in einem zweiten Schritt auf eine komplexe Rolle zurückgeführt, die »p« in einem dynamischen Gefüge von Festlegungen und Berechtigungen spielt, die in einer systematischen Beziehung zu »p« sowie zu weiteren assertorischen Äußerungen stehen und zwischen denen diverse Konsequenz- und Ausschlussbeziehungen bestehen. Diese komplexe normative Rolle wird dann schließlich in einem dritten Schritt als eine Rolle aufgefasst, die auf die Äußerung »p« dadurch übertragen wird, dass die Teilnehmer an diskursiven Kontoführungspraktiken in Reaktion auf »p« – sowie in Reaktion auf andere Äußerungen – nach einem entsprechenden Muster über ihre jeweiligen Festlegungen und Berechtigungen Konto führen und dadurch die Äußerung in ihrer Praxis als Träger einer entsprechenden Rolle betrachten. Die Praxis des Verstehens, die Brandom als Kontoführungspraxis beschreibt, stellt nach diesem konstitutionstheoretischen Erklärungsmodell also zugleich eine Praxis der projektiven Bedeutungskonstitution dar. Unser Verstehen erfasst nicht eine unabhängig von ihm institutionalisierte sinnverleihende normative Struktur, sondern es ist das Organ der impliziten Institutionalisierung dieser Struktur. In der semantischen Erklärungsordnung ist damit der pragmatische Verstehensbegriff gegenüber dem Bedeutungsbegriff das fundamentalere Konzept.

2. Eine zusätzliche Pointe, auf die Brandoms Modell der diskursiven Kontoführung zusteuert, ist die Einsicht, dass die Kontoführung linguistischer Praxisteilnehmer einer sozialperspektivischen Ausdifferenzierung unterliegt. Die inferenziellen Konsequenzen einer linguistischen Festlegung hängen nämlich gegebenenfalls von Begleitfestlegungen ab, die bei der jeweiligen Inferenz als 9

Für eine ausführliche rekonstruktive Darstellung und Kritik dieses explanatorischen Schemas vgl. Sebastian Knell: Propositionaler Gehalt und diskursive Kontoführung. Eine Untersuchung zur Begründung der Sprachabhängigkeit intentionaler Zustände bei Brandom. Berlin. New York 2004. Kapitel II. 64–116.

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Hilfsprämissen dienen.10 Wer etwa behauptet, dass Marc Aurel ein intellektueller Kaiser war, ist normalerweise nicht auf die zusätzliche Behauptung festgelegt, dass der Autor der »Selbstbetrachtungen« ein intellektueller Kaiser war. Sofern ihm jedoch auch die Festlegung zugeschrieben werden kann, dass Marc Aurel der Autor der »Selbstbetrachtungen« ist, geht er mit seiner Äusserung implizit die genannte Folgefestlegung ein. Wie Brandom darlegt, kann nun nicht nur das normative Konto des Sprechers, sondern auch das normative Konto des jeweiligen kontoführenden Interpreten dazu herhalten, entsprechende Kollateralfestlegungen beizusteuern, von denen die inferenziellen Konsequenzen einer linguistischen Festlegung des Sprechers abhängen.11 Zum linguistischen Verstehen eines kontoführenden Interpreten, der der Überzeugung ist, dass Marc Aurel der Nachfolger von Antoninus Pius war, gehört es daher gegebenenfalls auch, zu wissen, dass die Festlegung eines Sprechers auf die Intellektualität von Marc Aurel impliziert, dass der Nachfolger von Antoninus Pius ein intellektueller Kaiser war. Eine linguistische Äußerung verstehen heisst, nicht nur zu wissen, welche Konsequenzen sich aus ihr im übrigen Festlegungshorizont des Sprechers ergeben, sondern auch zu begreifen, welche Konsequenzen sich aus ihr im Kontext der jeweils eigenen Festlegungen ergeben. Die diskursive Kontoführung ist in diesem Sinne unhintergehbar sozialperspektivisch. Sie taxiert das inferenzielle Potenzial eines Sprechaktes stets sowohl aus der Perspektive des Festlegungshorizontes des interpretierten Sprechers als auch aus der alternativen sozialen Perspektive des eigenen Festlegungshorizontes. Auf diese sozialperspektivische Ausdifferenzierung der diskursiven Kontoführung rekurriert nicht zuletzt auch die originelle Erklärung der repräsentationalen Gerichtetheit linguistischer Äußerungen, die Brandom im 8. Kapitel von »Making it Explicit« aufbietet. Die Ausgangsprämisse dieser Erklärung lautet, dass diese repräsentationale Gerichtetheit ursprünglich in De-re-Zuschreibungen der Form »S sagt von a, dass es F ist« zum Ausdruck kommt. Das Wörtchen »von« artikuliert dabei die repräsentationale Beziehung, die zwischen der zugeschriebenen Aussage und dem Gegenstand besteht, von dem sie handelt. Brandoms detailliertere Analyse des Sinngehaltes derartiger De-re-Zuschreibungen lässt im Prinzip mehrere Lesarten zu: Im vorliegenden Kontext werde ich allerdings nicht näher auf diese unterschiedlichen Interpretationsalternativen eingehen, sondern mich auf eine mögliche Lesart beschränken.12 10

Vgl. Brandom: Making It Explicit. A. a. O. 504 ff. A. a. O. 506 f. 12 Für eine ausführliche Diskussion dieser Interpretationsalternativen vgl. Sebastian Knell: A. a. O. 153–166. 11

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Gemäß dieser Lesart machen De-re-Zuschreibungen eine inferenzielle Konsequenz explizit, die aus der Perspektive des Zuschreibenden aus der zugeschriebenen Festlegung dann folgt, wenn sie mit einer eigenen Festlegung des Zuschreibenden verbunden wird, die die Form eines Identitätsurteils annimmt. Dieser spezifischer Bedeutungsaspekt von De-re-Zuschreibungen lässt sich ebenfalls anhand des gerade gegebenen Beispiels illustrieren. Nehmen wir an, ein Sprecher S äußert die Behauptung, dass Marc Aurel ein intellektueller Kaiser war. Ein Interpret, der überzeugt ist, dass Marc Aurel mit dem Nachfolger von Antoninus Pius identisch ist, kann den Gehalt dieser Behauptung im De-re-Modus spezifizieren, indem er feststellt: »S sagt von dem Nachfolger von Antoninus Pius, dass dieser ein intellektueller Kaiser war«. Diese De-re-Zuschreibung bringt dann eine inferenzielle Konsequenz zum Ausdruck, die aus der zugeschriebenen Festlegung, dass Marc Aurel ein intellektueller Kaiser war, im Lichte der vom Interpreten eingegangenen Identitätsfestlegung folgt. Diese Entfaltung des inferenziellen Potenzials einer zugeschriebenen Festlegung im kollateralen Festlegungskontext des Zuschreibenden lässt sich als diskursive Horizontverschmelzung charakterisieren. Denn ihr Resultat ist ein inferenzieller – und somit diskursiver – Zusammenhang, der die unterschiedlichen Festlegungshorizonte des Sprechers und des Interpreten miteinander verbindet. Brandom betont, dass es sich bei der spezifischen Form des Verstehens, die in De-re-Zuschreibungen explizit gemacht wird, um jene für sprachliche Kommunikation zentrale Form des Verstehens handelt, die dem Verstandenen substanzielle Information entnimmt. Brandoms Analyse der sozialperspektivischen Kontoführung zeigt somit, inwiefern linguistisches Verstehen in seinem grundlegenden Modus eine Form der intersubjektiven Horizontverschmelzung beinhaltet. Damit liefert die Theorie im Rahmen einer inferenzialistisch angelegten Semantik eine Bestätigung für eine alte hermeneutische Einsicht.13 Originell ist dabei nicht allein der inferenzialistische semantische framework, sondern auch der Umstand, dass Brandom auf diese Form des horizontverschmelzenden Verstehens zurückgreift, um den 13

Zum Begriff der »Horizontverschmelzung« vgl. den locus classicus bei Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 1960. 289 f. 356 f. Gadamer bezieht den Gedanken einer intersubjektiven Horizontverschmelzung allerdings primär auf die Auslegung historisch überlieferter Texte, deren systematischer Gehalt vom jeweiligen Interpreten im Lichte eigener Begriffe, Meinungen und Vorurteile angeeignet und auf die eigene Situation appliziert wird. Demgegenüber stellt die von Brandom beschriebene diskursive Horizontverschmelzung eine allgemeinere Struktur dar, die die Verständigung zwischen dialogisch miteinander interagierenden Zeitgenossen einschließt.

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Sinn repräsentationaler Redeweisen zu explizieren. Unser repräsentationales Vokabular, das in De-re-Spezifikationen des Gehaltes von Behauptungen seinen umgangssprachlichen grammatischen Sitz hat, dient dazu, eine diskursive Verschmelzung unterschiedlicher Festlegungshorizonte zum Ausdruck zu bringen, indem es eine inferenzielle Konsequenz explizit macht, die sich aus einer zugeschriebenen Festlegung im Kontext der Festlegungen des Zuschreibenden ergibt.

3. Abschließend möchte ich noch einen problematischen Aspekt des allgemeineren Erklärungsmodells beleuchten, das Brandom von unserer linguistischen Praxis als einer sozialen Institution entwirft. Bei diesem Aspekt handelt es sich um die Vorstellung, dass es innerhalb des Sprachspiels, das wir mit Behauptungen spielen – also innerhalb des Spiels des Lieferns und Forderns von Gründen – verbindliche Verpflichtungen gibt, die wir mit dem Aufstellen einer Behauptung eingehen. Wie wir gesehen haben, lässt sich Brandoms Annahme, dass wir uns mit einer behauptenden Äußerung auf die betreffende Behauptung festlegen, so verstehen, dass wir uns u. a. verpflichten, die Behauptung unter passenden Umständen erneut zu äußern. Darüber hinaus verpflichten wir uns laut Brandom durch eine behauptende Äußerung dazu, eine Begründung für die geäußerte Behauptung vorzubringen, falls unser Gesprächspartner eine solche Begründung verlangt. Diese zuletzt genannte Idee einer grammatisch auferlegten Begründungsverpflichtung ist nicht nur bei Brandom zu finden, sondern der damit verwandte Gedanke, dass Behauptungen »sprechaktimmanente« Rechtfertigungspflichten nach sich ziehen, taucht etwa auch in der Frankfurter Sprachpragmatik auf.14 Sollen wir nun jedoch tatsächlich sagen, dass wir uns durch die Äußerung einer Behauptung dazu verpflichten, innerhalb der sprachlichen Anschlusspraxis bestimmte andere Dinge zu tun? Nach dieser Auffassung wäre die Sprache eine soziale Institution, die uns unter gewissen Umständen linguistische Handlungen aufzwingen würde. Wir könnten z. B. nicht einfach schweigen oder aus dem Spiel aussteigen. Eine Alternative zu diesem Bild wäre dagegen eine Vorstellung von der Sprache als einer liberaleren Institution, in der zwar ebenfalls normative Bindungen existieren, allerdings allein normative Bindungen negativer Art, nämlich nur solche Normen, die uns nötigen, bestimmte Dinge zu unterlassen. Auch in diesem alternativen Bild 14

Vgl. z. B. Jürgen Habermas: Was heisst Universalpragmatik? In: Ders.: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt/M. 21986. 428 ff.

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wäre Raum für die Vorstellung, dass wir uns durch die Äußerung einer Behauptung auf die geäußerte Behauptung festlegen. Dies würde jedoch lediglich heissen, dass wir verpflichtet sind, der betreffenden Behauptung nicht zu widersprechen, sofern diese von einem anderen Gesprächspartner vorgebracht wird. Wir wären dabei nicht selbst normativ zu einer weiteren aktiven Äußerung gezwungen. Bei diesem alternativen Bild von der Sprache als einer liberalen Institution, die uns allein Unterlassungen aufzwingt, wäre allerdings kein Raum für die Unterstellung, dass wir mit einer Behauptung die Verpflichtung übernehmen, für diese Behauptung eine explizite Begründung zu liefern. Dass wir es in vielen Situationen tatsächlich für geboten halten, eine solche Begründung zu geben, müsste demzufolge auf andere Faktoren zurückgeführt werden. In diesem Zusammenhang liegt etwa die folgende Überlegung nahe: Wir stellen gewöhnlich Behauptungen nicht im Rahmen eines freischwebenden Spiels auf, sondern wir vollziehen assertorische Sprechakte üblicherweise in sozialen Handlungskontexten, in denen wir ein Interesse daran haben, dass unsere Gesprächspartner unsere Behauptungen für wahr halten und ihr weiteres Handeln auf unsere Mitteilungen stützen. Vor diesem praktischen Interessenhintergrund ist es für uns rational, im Zweifelsfall Begründungen für unsere Behauptungen zu liefern, um unsere Kommunikationspartner von deren Wahrheit zu überzeugen. Der normative Zwang zur Begründung wäre in diesem Fall jedoch nicht Element der grammatischen Regeln des Sprachspiels, sondern Teil einer Vernunftregel, die uns in unserer Eigenschaft als rational handelnde Individuen leitet und die grob formuliert lautet: Wer will, dass man ihm glaubt, der muss bereit sein, seine Äusserungen zu rechtfertigen.

Jasper Liptow

Zur Rolle der Sprache in Sein und Zeit

Heideggers Ausführungen zur Rolle der Sprache gehören zu den unklarsten Passagen von Sein und Zeit1, und vieles deutet darauf hin, dass sich keine konsistente Interpretation finden lässt, die allen Äußerungen Heideggers gleichermaßen Rechnung trägt. So sind in der jüngeren Forschung zwei Interpretationsansätze vertreten worden, die einander in eklatanter Weise widersprechen. Dem ersten Ansatz zufolge vertritt Heidegger in Sein und Zeit eine »pragmatistische« Sprachauffassung, die im Kern besagt, dass sich menschliche Sprachlichkeit letztlich auf vorsprachliche Praktiken des Umgangs mit sprachlichen Ausdrücken zurückführen lässt.2 Dem zweiten Ansatz zufolge zielt Heidegger in Sein und Zeit auf eine »transzendentale« Sprachauffassung, die der Sprache eine konstitutive Rolle für das menschliche Weltverhältnis in dem Sinn zuschreibt, dass all unser Zugang zur Welt – auch unser praktischer Umgang mit Zuhandenem – in einer unhintergehbaren und unverfügbaren Weise sprachlich konstituiert ist, die letztlich in einen »linguistischen Idealismus« führt.3 Ich denke, dass beide skizzierten Ansätze verfehlt sind, auch wenn sie jeweils Aspekte der Wahrheit über die Rolle der Sprache in Sein und Zeit zu fassen bekommen. Der transzendentalen Deutung ist gegen die pragmatistische grundsätzlich darin Recht zu geben, dass der Sprache in Sein und Zeit eine »existenziale« Rolle zukommt und seine Sprachlichkeit dem Dasein wesentlich ist. Andererseits verfehlt auch die transzendentale Deutung die Rolle der Sprache in Sein und Zeit grundsätzlich, wenn sie die Sprachlichkeit des Daseins im Sinne eines linguistischen Idealismus deutet. Hier hat die pragmatistische Deutung Recht, wenn sie daran festhält, dass den Praktiken des Umgangs mit Zuhandenem eine konstitutive Kraft in Bezug auf menschliche Sprachlichkeit zukommt. 1

Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 161986, Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. 2 Diese Deutung wird in paradigmatischer Form skizziert in Mark Okrent: Equipment, World, and Language. In: Inquiry 45 (2002). 195–204. 3 Eine Deutung von Heidegger, die in diese Richtung zielt, findet sich in Cristina Lafont: Sprache und Welterschließung. Zur linguistischen Wende der Hermeneutik Heideggers. Frankfurt/M. 1994.

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Ich möchte im Folgenden eine alternative Deutung von Heideggers Sprachverständnis in Sein und Zeit entwickeln, der zufolge die welterschließende Kraft menschlicher Sprache mit einer Rückbindung sprachlich artikulierter Verständnisse an den Umgang mit »innerweltlichen« Gegenständen vereinbar ist. Ich gehe dabei so vor, dass ich zunächst an Heideggers Analyse des alltäglichen Daseins als In-der-Welt-sein (1) und die Rolle von Verstehen und Auslegung darin (2) erinnere, um dann den für Heideggers Sprachverständnis zentralen Begriff der Rede einzuführen (3). Auf dieser Basis werde ich die pragmatistische Deutung der Rolle der Sprache in Sein und Zeit etwas eingehender darstellen und mit einigen kritischen Hinweisen bedenken (4), um einen alternativen Entwurf des Zusammenhangs von Praxis und Sprache bei Heidegger zu skizzieren (5). Ich werde dann Heideggers Sprachverständnis in zwei Schritten präzisieren und etwas näher auf die semantische (6) und die soziale (7) Dimension von Sprache eingehen. Auf dieser Basis skizziere ich abschließend ein von der transzendentalen Deutung abweichendes Verständnis der welterschließenden Kraft der Sprache (8).

1. In-der-Welt-sein Heideggers Analyse des In-der-Welt-seins gehört zu den am besten verstandenen Teilen von Sein und Zeit und ihre Interpretation ist weitgehend unstrittig. Ich werde mich daher kurz fassen. Heideggers Analyse zielt auf ein konsequent anti-dualistisches Verständnis des menschlichen Weltverhältnisses. Heidegger zufolge muss die traditionelle philosophische Frage, wie es dem menschlichen Geist gelingt, sich auf eine objektive, vom Geist unabhängige Welt zu beziehen, nicht neu beantwortet, sondern als sinnlos zurückgewiesen werden, da sie bereits auf einer irreführenden Interpretation des menschlichen Weltverhältnisses beruht, der zufolge dieses als ein In-Beziehung-Treten zweier unabhängig voneinander fassbarer Größen verstanden wird. Für Heidegger dagegen müssen Geist und Welt als konstitutiv miteinander verbunden gedacht werden. Oder, um es angemessener zu formulieren: Ein Gegenstand im weitesten Sinn des Wortes – ein »innerweltliches Seiendes« – zu sein, heißt, in bestimmten Bezügen zu menschlichem Dasein zu stehen und umgekehrt. Innerweltlich Seiendes und Dasein hängen konstitutiv miteinander zusammen. Heidegger versteht diese konstitutive Verbundenheit darüber hinaus »pragmatistisch« in dem Sinn, dass die Welt ihm zufolge ursprünglich kein Reich von objektiven Gegenständen mit objektiven Eigenschaften und Relationen ist, sondern ein sinnhafter Raum von Dingen, die uns angehen und deren Zusammenhang uns im alltäglichen Umgang mit ihnen vertraut

Zur Rolle der Sprache in Sein und Zeit

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ist. Er drückt den Gegensatz dieser beiden Konzeptionen von Entitäten durch die Begriffe des Zuhandenen – die sinnhaften und vertrauten Gegenstände des alltäglichen Umgangs – und des Vorhandenen – die objektiven Gegenstände mit objektiven Eigenschaften und Relationen – aus und behauptet ein Primat des Zuhandenseins gegenüber dem Vorhandensein. Der Mensch wird von Heidegger entsprechend nicht als ein dieser Welt gegenüberstehendes Subjekt verstanden, das die Gegenstände mittels intentionaler Zustände repräsentiert, sondern als konstitutiv in den Sinnbezügen der Welt stehendes Dasein. Die ›Dinge‹ seiner Umwelt begegnen dem Dasein ursprünglich als Zuhandenes. Zuhandenes, etwa ein Hammer, begegnet ihm, indem es damit praktisch umgeht, etwa hämmert. Der alltägliche Umgang mit Zuhandenem oder »Zeug« hat dabei eine holistische Struktur, die Heidegger zunächst durch den Begriff der Verweisung oder der Verwiesenheit kennzeichnet: Jedes Zeug (etwa der Hammer) ist immer schon in vielfältiger Weise verwiesen auf anderes Zeug (den Nagel), auf Weisen des Umgangs damit (das Hämmern), auf Zwecke, zu denen es verwendet werden kann (das Aufhängen eines Bildes). Holistisch ist diese Struktur darin, dass die Gesamtheit der Verweisungen, in denen ein jeweiliges Zeug steht, für dieses konstitutiv ist. Der Hammer begegnet uns als Zuhandenes allein in seiner Verwiesenheit auf weiteres Zuhandenes und entsprechende Praktiken des Umgangs damit. Der Hammer ist seinem Wesen nach etwas, um zu Hämmern, das Hämmern seinem Wesen nach etwas, um zu befestigen usw.4 Allerdings macht diese Rekonstruktion noch nicht deutlich, inwiefern Zeug als solches sinnhaft ist, warum die Dinge unserer alltäglichen Welt als zuhandene Dinge uns angehen. Dazu muss beachtet werden, dass die Ketten der Verweisungen, der ›Um-zus‹, immer enden bei etwas, das selber nicht mehr um etwas anderes willen da ist: »Das primäre ›Wozu‹ ist ein Worum-willen. Das ›Um-willen‹ betrifft aber immer das Sein des Daseins, dem es in seinem Sein wesenhaft um dieses Sein selbst geht.« (84) Jeder Verweisungszusammenhang ist, wie Heidegger an anderen Stellen auch sagt, »festgemacht« in einem »Worumwillen« (vgl. z. B. 123). Ein jeweiliges Worumwillen bestimmt Heidegger ontologisch als eine jeweilige Seinsmöglichkeit des Daseins. Als Da4

»Ein Zeug ›ist‹ strenggenommen nie. Zum Sein von Zeug gehört je immer ein Zeugganzes, darin es dieses Zeug sein kann, das es ist. Zeug ist wesenhaft ›etwas, um zu …‹ Die verschiedenen Weisen des ›Um-zu‹ wie Dienlichkeit, Beiträglichkeit, Verwendbarkeit, Handlichkeit konstituieren eine Zeugganzheit. In der Struktur ›Um-zu‹ liegt eine Verweisung von etwas auf etwas. […] Zeug ist seiner Zeughaftigkeit entsprechend immer aus der Zugehörigkeit zu anderem Zeug: Schreibzeug, Feder, Tinte, Papier, Unterlage, Tisch, Lampe, Möbel, Fenster, Türen, Zimmer.« (68)

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sein zu existieren heißt, sein Leben gestalten zu müssen: Das Dasein bewegt sich immer in einem Spielraum von Möglichkeiten, von denen es einige ergreift, andere verstreichen lässt. Zuhandenes geht das Dasein an, weil die für ein jeweiliges Zeug konstitutiven Bewandtnisganzheiten, aus denen heraus es begegnet, ihrerseits konstitutiv mit den Seinsmöglichkeiten des Daseins zusammenhängen.5 Heidegger zufolge ist die Welt des Zuhandenen ihrem Wesen nach eine soziale Welt. Dies zum einen darin, dass dem Dasein in seiner Welt neben dem Zuhandenen und im Zusammenhang damit immer auch anderes Seiendes von seiner Art begegnet – in Heideggers Terminologie: Mitdasein (vgl. 117 f.); zum anderen und vor allem aber darin, dass die Seinsmöglichkeiten des Daseins und seine Bezüge zu dem innerweltlich begegnenden Seienden ihrem Wesen nach mit Anderen geteilt werden. Das Dasein ist, wie Heidegger auch sagt, Mitsein mit anderen: »Auf dem Grunde [des] mithaften In-der-Welt-seins ist die Welt je schon immer die, die ich mit den Anderen teile. Die Welt des Daseins ist Mitwelt. Das In-Sein ist Mitsein mit Anderen.« (118) (Diesem Aspekt des In-der-Welt-seins kommt im Zusammenhang mit einer Interpretation der Heidegger’schen Sprachauffassung eine besondere Bedeutung zu. Es wird sich zeigen, dass sich die Intersubjektivität des In-derWelt-seins im starken Sinn des Mitseins nur in Bezug auf die intersubjektiven Bindungskräfte sprachlicher Äußerungen verständlich machen lässt.) Wir können jetzt Heideggers oben vorläufig eingeführten Begriff der Welt genauer bestimmen als das gesamte auf die eben skizzierte Weise mit Seinsmöglichkeiten des Daseins verknüpfte und mit anderen in vielfältiger Weise geteilte Geflecht des Zuhandenen und der Verweisungen zwischen Zuhandenem.

5

Es ist bezeichnend, dass Robert Brandom den Bezug der ein jeweiliges Zeug konstituierenden Verweisungen auf das Worumwillen (und im Zusammenhang damit die Befindlichkeit) in seiner Heidegger-Deutung ausblendet (vgl. Robert B. Brandom: Heidegger’s Categories in Sein und Zeit. In: Monist 66 (1983). 387–409; wieder abgedruckt in: Robert B. Brandom: Tales of the Mighty Dead. Cambridge/Mass. 2002. 298-323). Dies sind jene Momente der Analyse des In-der-Welt-seins, die sich am klarsten einer Deutung widersetzen, die die Zuhandenheit auf ein Geflecht von sozialen Normen zu reduzieren versucht. Vgl. dazu allerdings den heroischen Versuch von John Haugeland, ein Worumwillen selber als eine soziale Norm im Sinne einer durch die Gesellschaft konstituierten sozialen Rolle zu begreifen (John Haugeland: Dasein’s Disclosedness. In: Southern Journal of Philosophy 28 (1989). 51–73).

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2. Verstehen und Auslegung Ein wichtiger Aspekt des In-der-Welt-seins, der bisher unterschlagen wurde, besteht darin, dass das Dasein immer schon über ein vorgängiges Verständnis der Verweisungen verfügt, die zusammengenommen ein Zuhandenes konstituieren. Dieses Verständnis hängt eng damit zusammen, dass uns innerweltliches Seiendes angehen kann, denn nur wenn wir Seiendes in einem bestimmten Sinn verstehen, können wir es mit unseren Seinsmöglichkeiten in Verbindung bringen. Der Sinn von »Verstehen«, um den es hier geht, ist nicht der eines in intentionalen Zuständen repräsentierten expliziten Wissens um die entsprechenden praktischen Zusammenhänge. Gemeint ist vielmehr ein Vertrautsein mit den jeweiligen Weisen des Umgangs, die die Verweisungen tragen, die ein jeweiliges Zuhandenes konstituieren. Ich verstehe Hämmer in ihrem Verwiesensein auf das Hämmern, insofern ich sie dazu gebrauche, zu hämmern. Ich verstehe Hämmer in ihrem Verwiesensein auf Nägel, insofern ich sie dazu gebrauche, Nägel einzuschlagen usw.6 Das Verstehen bezieht sich zum einen auf die Welt als Ganze: Der gesamte Zusammenhang aus Zuhandenem und seinen Verweisungen ist auf eine gewisse Weise immer schon verstanden. Die Gesamtheit der Verweisungen, die die Welt strukturieren, nennt Heidegger auch die Bedeutsamkeit (vgl. 87). Letztlich ist dies aber nicht davon abtrennbar, dass einzelnes Zuhandenes verstanden ist, denn das Verstehen von Welt muss sich im konkreten Umgang mit einzelnem Zuhandenen herstellen lassen. Heideggers Begriff des Verstehens hängt eng mit seinem Begriff des Sinns zusammen, den Heidegger – ebenso wie den Begriff des Verstehens – zunächst nicht als einen sprachphilosophischen Begriff einführt, sondern im Rahmen seines pragmatischen Verständnisses des In-der-Welt-seins erläutert: »Wenn innerweltliches Seiendes […] zu Verständnis gekommen ist, sagen wir, es hat Sinn. Verstanden ist aber, streng genommen, nicht der Sinn, sondern das Seiende, bzw. das Sein. Sinn ist das, worin sich Verständlichkeit von etwas hält.« (151) Der Sinn von etwas besteht in der Gesamtheit der Verweisungen, durch die es in die Welt eingelassen ist. Etwas verstehen heißt nach Heidegger also, verstehen, wie es mit anderem Seienden und mit meinen Seinsmöglichkeiten im alltäglichen Umgang zusammenhängt. 6

Insofern die Verweisungsketten jeweils in Seinsmöglichkeiten enden, gehört zum Verstehen von Zuhandenem immer auch ein Verstehen von Seinsmöglichkeiten und umgekehrt. Das Dasein hat ein Verständnis (des Seins der Dinge in) der Welt nur, indem es ein Verständnis seines eigenen Seins hat und umgekehrt.

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Ein weiterer Begriff, der eng mit dem des Verstehens zusammenhängt, ist der der Auslegung. Ein Verständnis dieses Begriffs stellt einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem Verständnis der Rolle der Sprache in Sein und Zeit dar. Heideggers Begriff der Auslegung ist, so könnte man sagen, der existenzialhermeneutische Nachfolger des traditionellen Erkenntnisbegriffs. Während das Erkennen traditionellerweise als ein akkurates Repräsentieren von objektiven Gegenständen und ihren Eigenschaften durch den menschlichen Geist verstanden wird, spricht Heidegger von einem »umsichtigen Entdecken«, das im alltäglichen Umgang mit innerweltlichem Seienden seinen Platz hat. Das Entdecken von Seiendem vollzieht sich als Auslegung: »Die Umsicht entdeckt, das bedeutet, die schon verstandene Welt wird ausgelegt.« (148) Die Auslegung begreift Heidegger als die »Ausbildung des Verstehens« (ebd.). Was ist damit gemeint? Am anschaulichsten bestimmt Heidegger den Begriff der Auslegung vielleicht in folgender Passage, aus der ich den ersten Satz bereits zitiert habe: »Die Umsicht entdeckt, das bedeutet, die schon verstandene Welt wird ausgelegt. Das Zuhandene kommt ausdrücklich in die verstehende Sicht. Alles Zubereiten, Zurechtlegen, Instandsetzen, Verbessern, Ergänzen vollzieht sich in der Weise, daß umsichtig Zuhandenes in seinem Um-zu auseinandergelegt und gemäß der sichtig gewordenen Auseinandergelegtheit besorgt wird. Das umsichtig auf sein Um-zu Auseinandergelegte als solches, das ausdrücklich Verstandene, hat die Struktur des Etwas als Etwas. Auf die umsichtige Frage, was dieses bestimmte Zuhandene sei, lautet die umsichtig auslegende Antwort: es ist zum … Die Angabe des Wozu ist nicht einfach die Nennung von etwas, sondern das Genannte ist verstanden als das, als welches das in Frage stehende zu nehmen ist.« (148 f.) Der Witz der Auslegung besteht darin, einzelne der Verweisungen, einzelne Aspekte der spezifischen Zuhandenheit eines Zeugs etwa, als solche herauszuheben. Dass auf diese Weise etwas »ausdrücklich« verstanden wird, heißt: Es ist jetzt nicht nur auf der Basis seiner Verweisungen verstanden, sondern bestimmte seiner Verweisungen sind als solche mit verstanden.7 Das bedeutet, dass Auslegung nicht zu etwas anderem führt als Verständnis oder zu einer 7

Auslegung ermöglicht damit auch jenen Aspekt des alltäglichen Umgangs, den Heidegger an späterer Stelle als »Überlegen« bezeichnet (vgl. 359): Im Überlegen, könnte man sagen, bewegen wir uns in dem Verweisungszusammenhang der Welt, ohne ihn im Verhalten zu manifestieren: Wir überlegen, was wir brauchen, in welcher Reihenfolge wir es brauchen usw. Der Begriff des Überlegens darf dabei nicht im Sinne einer sprachlichen Tätigkeit missverstanden werden. Nur bei demjenigen, der mit einer bestimmten komplexen Tätigkeit nicht vertraut ist, vollzieht sich das Überlegen in Form eines sprachlich artikulierten Nachdenkens.

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anderen Form von Verständnis, sondern nur zu einem artikulierteren Verständnis. Strukturen, die bereits im Verstandenen lagen und das Verständnis trugen, werden jetzt selber ins Verständnis gehoben: »In der Auslegung wird das Verstehen nicht etwas anderes, sondern es selbst.« (148) Mit der Auslegung sind wir nun immerhin insofern bereits bei der Sprache angelangt, als alles Sprechen, so wie ich Heidegger verstehe, seinem Wesen nach immer auch ein Auslegen ist. Zwar gilt das Umgekehrte nicht: Die Auslegung kann als »im besorgenden Verstehen noch ganz eingehüllte[…] Auslegung« (158) z. B. allein »im umsichtig besorgenden Weglegen bzw. Wechseln des ungeeigneten Werkzeugs« (157) bestehen. Dennoch besteht nach Heidegger auch eine Abhängigkeit der Auslegung und sogar des Verstehens von der Sprache, die Heidegger auf den Begriff der Rede bringt. Es ist dieser Begriff und seine Stellung im Rahmen der Sprachauffassung von Sein und Zeit, dem ich mich jetzt zuwenden werde.

3. Rede als Artikulation der Verständlichkeit Der Begriff der Rede ist der für Heideggers Sprachverständnis in Sein und Zeit zentrale Begriff. An ihm scheiden sich am deutlichsten die Geister der Heidegger-Interpretinnen und -Interpreten.8 Heidegger führt ihn spät in Sein und Zeit als eine Größe ein, die implizit schon im Rahmen der Analyse des In-der-Welt-seins im Spiel war. Rede sei »die Artikulation der Verständlichkeit« (161). »Artikulation« darf hier zunächst nicht im Sinne eines »in-WorteFassens« verstanden werden, sondern im Sinne der »Gliederung«: »Die Rede ist die bedeutungsmäßige Gliederung der befindlichen Verständlichkeit des In-der-Welt-seins.« (162) Die Ausdrücke »Artikulation« und »Gliederung« sind beide insofern doppeldeutig, als sie sich auf eine Tätigkeit, das Artikulieren oder das Gliedern von etwas, und auf den durch diese Tätigkeit herbeigeführten Zustand, eine jeweilige Art und Weise der Artikuliertheit oder Gegliedertheit von etwas, 8

Es wurde behauptet, dass es sich hier um so etwas wie die unseren sprachlichen Praktiken zugrundeliegende sprachliche Kompetenz handelt (Cristina Lafont: Was Heidegger an Externalist? In: Inquiry 48 (2005). 1–26), um ein bestimmtes Verständnis sprachlicher Praktiken selber (Georg W. Bertram: Das Denken der Sprache in Heideggers Sein und Zeit. In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 26 (2001). 177–198) oder sogar, wie gleich zu sehen sein wird, um ein Merkmal von vorsprachlichen Praktiken, das mit Sprache keinen wesentlichen Zusammenhang aufweist (vgl. Hubert L. Dreyfus: Being-in-the-World. A Commentary on Heidegger’s Being and Time, Division I. Cambridge/Mass. 1991, Okrent: Equipment, World, and Language. A. a. O. und, etwas weniger explizit, Taylor Carman: Was Heidegger a Linguistic Idealist? In: Inquiry 45 (2002). 205–216).

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beziehen können. Der Begriff der Rede nutzt diese Doppeldeutigkeit aus. Heidegger, so könnte man sagen, macht mit diesem Begriff einerseits darauf aufmerksam, dass der Verweisungszusammenhang der Welt nicht einfach in einem abstrakten Geflecht von Beziehungen besteht, sondern in Formen des verstehend-auslegenden Umgangs mit innerweltlichem Seienden realisiert sein muss. Das Dasein »steht« in diesen Beziehungen, insofern es sie in seinem handelnden Umgang manifestieren kann, und das heißt: insofern es die Welt und sein Verständnis der Welt redend gliedert. Andererseits ist die Gegliedertheit seines Verständnisses der Welt etwas, das das Dasein als »geworfenes« immer schon vorgefunden und übernommen hat. Die Gegliedertheit der Verständlichkeit besteht immer in einer Vielzahl von Verweisungen »von etwas auf etwas«, paradigmatisch im Sinne eines »Um-zu«. Die Struktur des Verwiesenseins »von etwas auf etwas« (z. B. vom Hammer auf das Hämmern) ist es, die in der Auslegung ausgedrückt wird als die Struktur des »etwas als etwas« (der Hammer als zum Hämmern) und so schließlich auch ausgesprochen werden kann: »Das ist zum Hämmern«.9 In der außerordentlich dichten und schwierigen Passage, die den Begriff der Rede einführt, verbindet Heidegger diesen mit dem des Sinns und führt darüber hinaus den Begriff der Bedeutung ein:10 »Das in der Auslegung, ursprünglicher mithin schon in der Rede Artikulierbare nannten wir den Sinn. Das in der redenden Artikulation Gegliederte als solches nennen wir das Bedeutungsganze. Dieses kann in Bedeutungen aufgelöst werden. Bedeutungen sind als das Artikulierte des Artikulierbaren immer sinnhaft.« (161) Sinn war der jeweilige ›Ausschnitt‹ des Verweisungsganzen der Welt – der »Bedeutsamkeit« – von dem her wir ein jeweiliges Seiendes verstehen. Wie das Verstehen seinem Wesen nach auslegbar ist, ist der Sinn seinem Wesen nach durch Rede artikulierbar. Die einzelnen Verweisungen, die durch die artikulierende Auslegung als solche verstanden werden, bezeichnet Heidegger als Bedeutungen. Rede hat diesen Bestimmungen zufolge also weder Sinn noch Bedeutung, sie artikuliert den Sinn und die Bedeutung von Seiendem. 9

Gelegentlich schreibt Heidegger die Als-Struktur auch bereits dem Verstehen zu, etwa wenn er von der »für Verstehen und Auslegung konstitutive[n] Struktur des ›Als‹« (154) spricht. Die »Vor-Struktur« schreibt Heidegger ebenfalls sowohl dem Verstehen als auch der Auslegung zu. Systematisch ist diese Überblendung der Begriffe des Verstehens und der Auslegung in der bereits erwähnten Tatsache begründet, dass die Auslegung nur die Aneignung oder Ausarbeitung des Verstehens ist. 10 Von Bedeutung ist in Sein und Zeit bereits im Zusammenhang mit der Analyse des Zuhandenseins kurz die Rede (vgl. 87), aber nur im Sinne einer Anspielung auf die vorliegende Passage.

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Eine Äußerung wie »Das ist zum Hämmern« artikuliert die Bedeutung eines Zuhandenen, die bereits zuvor als ein Aspekt seines Sinns verstanden war. Die Begriffe des Sinns und der Bedeutung werden von Heidegger primär also nicht als semantische oder auch nur sprachphilosophische Begriffe eingeführt. Wie die Begriffe des Verstehens und der Auslegung bezeichnen sie zunächst Aspekte unseres alltäglichen In-der-Welt-seins. Es wird sich aber zeigen, dass sie schließlich doch noch zur Erläuterung semantischer Phänomene beitragen.

4. Heidegger als sprachphilosophischer Pragmatist Ich hatte die pragmatistische Deutung der Rolle der Sprache in Sein und Zeit einleitend so dargestellt, dass es ihr um eine Erklärung des Phänomens der Sprache in Begriffen vorsprachlicher menschlicher Praxis geht. Diese Deutung schreibt Heidegger zwei weitgehend voneinander unabhängige Thesen in Bezug auf den Zusammenhang von Praxis und Sprache zu, die man auseinanderhalten sollte. Die eine These besagt, dass sich menschliche Sprachlichkeit, insbesondere das Phänomen sprachlicher Bedeutung, in Begriffen des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke erklären lässt. Ich werde daher kurz davon sprechen, dass Heidegger eine Gebrauchstheorie sprachlicher Bedeutung zugeschrieben wird. Die zweite These besagt, dass Heidegger im Rahmen seiner Analyse des In-der-Welt-seins ein Verständnis menschlicher Praxis bereitstellt, dass unabhängig von sprachlichen Begriffen verständlich ist und daher dazu taugt, sprachliche Bedeutung auf eine bestimmte Form vorsprachlicher Praxis zurückzuführen. Betrachten wir diese Thesen etwas genauer. Eine Gebrauchstheorie sprachlicher Bedeutung wird Heidegger in einer Anzahl jüngerer Interpretationen zugeschrieben. Insbesondere Robert Brandom hat die These zu begründen versucht, Heidegger sei ein Vertreter jenes »pragmatism about content that consists in a kind of social practical functionalism or use theory of meaning«.11 Was bedeutet es, Heidegger 11

Robert B. Brandom: Tales of the Mighty Dead. A. a. O. 75. Im Detail entwickelt Brandom diese Deutung in Brandom: Heidegger’s Categories in Sein und Zeit. A. a. O. Taylor Carman behauptet ebenfalls: »The account of language that emerges in Being and Time […] is in many ways like the later Wittgenstein’s conception of meaning as rooted in linguistic practice.« (Carman: Was Heidegger a Linguistic Idealist?. A. a. O. 212); Interpretationen, die – obwohl sie sich in vielen grundsätzlichen Punkten unterscheiden – dieser Einschätzung zustimmen, findet man auch in Dreyfus: Being-in-the-World. A. a. O., Bertram: Das Denken der Sprache in Heideggers Sein und Zeit. A. a. O., wo ausdrück-

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eine solche Auffassung zuzuschreiben? In Heideggers Terminologie von Sein und Zeit müsste eine Gebrauchstheorie sprachlicher Bedeutung als die These formuliert werden, dass sprachliche Bedeutung sich von unserem »alltäglich besorgenden Umgang« mit sprachlichen Ausdrücken als einem »innerweltlichen Zuhandenen« her erklären lässt. Nun findet sich in Sein und Zeit keine explizite Behauptung diesen Inhalts,12 weshalb wir auf indirekte Belege angewiesen sind. Der wichtigste dieser Belege scheint Heideggers Auffassung von Zeichen darzustellen, wie er sie in § 17 von Sein und Zeit entwickelt. Dort vertritt Heidegger eine gebrauchstheoretische Auffassung der Funktionsweise von Zeichen. Zeichen werden ihrem Wesen nach als Zuhandenes bestimmt und damit als konstituiert durch ihre jeweilige Bewandtnis, d. h. durch die Rolle, die sie im Rahmen komplex strukturierter Zusammenhänge von Praktiken spielen. Ein Hinweis auf eine Gebrauchstheorie sprachlicher Bedeutung lässt sich diesen Passagen aber nur entnehmen, wenn man Heidegger darüber hinaus die These zuschreibt, dass Sprache letztlich ein System von Zeichen ist – oder zumindest insoweit zeichenhaft verfasst ist, dass sich einer Zeichentheorie entscheidende Hinweise auf eine Theorie sprachlicher Bedeutung entnehmen lassen.13 Für diese These jedoch gibt es, wenn ich recht sehe, überhaupt keine Belege. Das Fehlen

lich von »Heideggers pragmatistischer Bedeutungstheorie« (193) gesprochen wird, und in Okrent: Equipment, World, and Language. A. a. O. 12 Auf S. 161 heißt es, Sprache werde »wie ein Zuhandenes vorfindlich«, was nichts anderes bedeutet, als dass sie streng genommen keines ist (zur Doppeldeutigkeit des »wie ein Zuhandenes« vgl. unten Anm. 18). Dasselbe wäre zu der Passage auf S. 224 zu sagen, wo es heißt, das Ausgesprochene werde »gleichsam zu einem innerweltlich Zuhandenen«. Lediglich an zwei Stellen auf S. 224 wird die Aussage explizit als Zuhandenes bezeichnet. Der Kontext dieser Passage ist aber der einer Aufklärung der gängigen Fehldeutung von Wahrheit als Übereinstimmung, die Heidegger zufolge daraus resultiert, dass sprachliche Äußerungen, insofern sie natürlich auch etwas innerweltlich Seiendes sind, als Zuhandenes und letztlich sogar als Vorhandenes verstanden werden können, das zu anderem Vorhandenen in einer Übereinstimmungsbeziehung steht: »Entdecktheit von… wird zur vorhandenen Gemäßheit eines Vorhandenen, der ausgesprochenen Aussage, zu Vorhandenem, dem besprochenen Seienden.« (224) Das Verständnis sprachlicher Äußerungen als zuhanden oder vorhanden scheint von Heidegger in dieser Passage als ein ihrer Sprachlichkeit unangemessenes Verständnis dargestellt zu werden. Keinesfalls lässt sich ihr der Gedanke entnehmen, der Gehalt einer sprachlichen Äußerung sei durch ihre Zuhandenheit konstituiert. 13 Diese These wird gelegentlich auch von Gegnern einer pragmatischen Deutung vertreten (so etwa in Lafont: Sprache und Welterschließung. A. a. O.), die sich dann konsequenterweise weigern, Heidegger eine Gebrauchstheorie der Zeichen zuzuschreiben. Ich denke dagegen, dass man die Verbindung von Zeichentheorie und Sprachphilosophie kappen und Heidegger zwar als zeichentheoretischen, nicht aber als sprachphilosophischen Pragmatisten lesen sollte.

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jeglicher expliziter Verbindungen zwischen Zeichen und Sprache sowie die Stellung des zeichentheoretischen Paragraphen in Sein und Zeit lassen es vielmehr plausibel erscheinen, dass Heidegger sprachliche Bedeutung gerade nicht vom Begriff des Zeichens her erklären möchte. In seiner Vorlesung zu den Grundproblemen der Phänomenologie schreibt Heidegger dann auch explizit: »[D]as Verhältnis des Wortlauts zur Wortbedeutung darf nicht als eine Zeichenbeziehung gefaßt werden. Der Wortlaut ist nicht ein Zeichen für eine Bedeutung, wie ein Wegzeichen das Zeichen für die Richtung des Weges ist.«14 Wenn aber Heidegger in Sein und Zeit keine Gebrauchstheorie der Bedeutung vertritt, was für eine Bedeutungstheorie vertritt er dann? Tatsächlich scheint die plausibelste Antwort auf diese Frage zu lauten: keine. Die Überlegungen zur Sprache, die wir in Sein und Zeit finden, erheben gar nicht den Anspruch, auf die aus heutiger Perspektive zentralen bedeutungstheoretischen Fragen eine Antwort zu geben, wie wir erklären können, dass sprachliche Ausdrücke eine Bedeutung haben, und wie wir erklären können, dass bestimmte sprachliche Ausdrücke gerade die Bedeutung haben, die sie haben. Die These, Heidegger vertrete in Sein und Zeit eine Gebrauchstheorie sprachlicher Bedeutung, steht also auf tönernen Füßen. Das ist aber immer noch mehr als man von der zweiten These der pragmatistischen Deutung sagen kann, die lautete, dass Heideggers Begriff des In-der-Welt-seins ein Begriff sprachunabhängiger Praxis sei. Dass sich diese These nicht halten lässt, zeigt sich, wenn man Heideggers Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und Rede näher betrachtet.

5. Rede und Sprache Vertreter einer pragmatistischen Deutung von Heideggers Sprachauffassung in Sein und Zeit müssen versuchen, den Begriff der Rede als Gliederung der Verständlichkeit unabhängig von dem der Sprache zu rekonstruieren. Sie müssen die redende Artikulation als eine Form von Praxis interpretieren, die auf eine nicht- oder vorsprachliche Weise Bedeutungen in dem eben bestimmten Sinn konstituiert. Besonders einflussreich in diesem Sinn hat Richard Dreyfus formuliert: »[T]elling in the ontological sense is not linguistic but gives us something to point out and talk about and so makes language possible. Ontological tell14

Martin Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie. In: Gesamtausgabe Bd. 24. Frankfurt/M. 1975. 283.

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ing refers to everyday coping as manifesting the articulations already in the referential whole which are by nature manifestable.«15 Hat man die Artikulation der Verständlichkeit und damit das In-der-Weltsein insgesamt als sprachunabhängig konzipiert, liegt es darüber hinaus nahe, sprachliche Ausdrücke ihrerseits als eine besondere Spezies des Zuhandenen und Sprachlichkeit allgemein als eine besondere Form von Zuhandensein zu begreifen. In diesem Sinn schreibt zum Beispiel Mark Okrent: »[O]n this reading, Heidegger holds that it is profitable to see particular words as equipment types which are to be used with other equipment types in order to achieve already established types of ends such as communication of this or that. […] On this reading of Heidegger, the system of sign relations which constitute human language is an interesting, distinctive, and important species of equipmental contexture. At bottom, language is a kind or species of worldly contexture, and there could be a non-symbolic, non-linguistic world. But there could be no language, no system of sign-relations, unless there were world, a system of equipmental relations.«16 Im Text finden diese Interpretationen an all jenen Passagen Halt, wo Heidegger einseitig die Abhängigkeit der Sprache von der Rede betont.17 Bei genauerem Hinsehen lassen sich diesen Passagen aber nur die Thesen entnehmen, dass erstens der Begriff der Rede und der der Sprache nicht zusammenfallen und dass es zweitens eine Hinsicht gibt, in der der Begriff der Rede grundlegender ist als der der Sprache. Diese Festlegungen implizieren aber keinesfalls, dass sich der Begriff der Rede unabhängig von dem der Sprache verständlich machen lassen muss. Tatsächlich gibt der Text von Sein und Zeit eine solche Deutung nicht her.

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Dreyfus: Being-in-the-World. A. a. O. 216 f. Mit »telling in the ontological sense« mein Dreyfus den Begriff der Rede als Existenzial, um den es hier geht. Ähnlich schreibt auch Taylor Carman: »[…] I think it is clear that, at least in Being and Time, Heidegger insists that language is not identical with but rather founded on discourse, and that linguistic meaning is parasitic on a kind of pragmatic signification that has nothing directly to do with signs or words.« (Carman: Was Heidegger a Linguistic Idealist?. A. a. O. 212). Und Mark Okrent hält explizit den Gedanken einer Gemeinschaft ohne Sprache, in der es dennoch Dasein als In-der-Welt-sein geben kann, für konsistent: »Let us create a myth, Sellars fashion, about some of our non-linguistic ancestors. These ancestors live in communities with well-developed tool chests, but no symbolically structured signs for talking about or referring to. […] I submit that these mythical ancestors live and comport themselves ›understandingly‹ in a ›meaningful‹ world, in Heidegger’s sense, which in each case has always already been articulated.« (Okrent: Equipment, World, and Language. A. a. O. 202) 16 Okrent: Equipment, World, and Language. A. a. O. 202. 17 Vgl. etwa: »Das existenzial-ontologische Fundament der Sprache ist die Rede.« (160)

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Betrachten wir zunächst den Beginn der ersten Erläuterung des Zusammenhangs von Rede und Sprache in Sein und Zeit: »Die Hinausgesprochenheit der Rede ist die Sprache. Diese Wortganzheit, als in welcher die Rede ein eigenes »weltliches« Sein hat, wird so als innerweltlich Seiendes wie ein Zuhandenes vorfindlich. Die Sprache kann zerschlagen werden in vorhandene Wörterdinge.« (161) Hier scheint alles recht klar: Rede ist zunächst ein Existenzial, ein konstitutives Moment des Seins des Daseins. Als Existenzial gehört Rede zum Sein des Daseins und ist daher kein innerweltliches Seiendes, weder ein zuhandenes, noch ein vorhandenes. Rede kann aber herausgesprochen werden und gehört dann als Sprache zum Bestand des innerweltlichen Seienden.18 Dass Sprache »zerschlagen werden [kann] in vorhandene Wörterdinge« bedeutet in jedem Fall, dass von der Rede als Existenzial oder auch als innerweltlichem Seienden (»Sprache«) nicht mehr viel übrigbleibt, wenn man sie als ein Vorhandenes begreift. Bevor wir diesen Zusammenhang näher betrachten, können wir aber auch bereits den Kern von Heideggers Bestimmung der umgekehrten Abhängigkeit rekonstruieren, der sich direkt im Anschluss an die eben zitierte Passage findet: »Die Rede ist existenzial die Sprache, weil das Seiende, dessen Erschlossenheit sie bedeutungsmäßig artikuliert, die Seinsart des geworfenen, auf die ›Welt‹ angewiesenen In-der-Welt-seins hat.« (161)19 Zumindest eine These ist hier unmissverständlich: Dass Rede »existenzial« die Sprache ist, bedeutet, dass das Dasein als redendes nur existieren kann, indem es gleichzeitig als sprechendes existiert. Diese eindeutige Bestimmung muss ignorieren, wer eine pragmatistische Deutung der Rolle der Sprache in Sein und Zeit vertritt. Denn zusammen mit der Bestimmung der Rede als eines mit Verstehen und Befindlichkeit gleichursprünglichen Existenzials impliziert sie, dass Dasein überhaupt nur als sprechendes existieren kann. Was aber ist Heideggers Begründung für die existenziale Angewiesenheit der Sprache auf die Rede, auf die in dem obigen Zitat durch das »weil« verwiesen wird? Dem Zitat lässt sich kaum mehr als der Hinwies entnehmen, dass sie mit der Geworfenheit des Daseins zu tun hat. Meines Erachtens steht eine 18

Das »wie ein Zuhandenes« ist hier doppeldeutig: Es kann heißen, dass Sprache dem Zuhandenen in ihrem Sein ähnlich ist; oder, dass Sprache dem Zuhandenen allein darin ähnlich ist, dass sie als innerweltliches Seiendes vorfindlich wird, wobei der genaue ontologische Status der Sprache im Dunkeln gelassen wird. 19 Analog heißt es einige Seiten später: »Weil für das Sein des Da, das heißt Befindlichkeit und Verstehen, die Rede konstitutiv ist, Dasein aber besagt: In-der-Welt-sein, hat das Dasein als redendes In-Sein sich schon ausgesprochen. Das Dasein hat Sprache.« (165)

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tragfähige Begründung, die diesen Hinweis aufnimmt, an dieser Stelle noch nicht zur Verfügung, sondern kann erst auf der Basis eines Verständnisses der semantischen und der sozialen Dimension von Sprache erfolgen.

6. Die semantische Dimension von Rede und Sprache Die Begriffe der Bedeutung und des Sinns werden von Heidegger, wie wir gesehen haben, nicht als semantische Begriffe im engeren Sinn verwendet. Heidegger benutzt sie zunächst nicht, um den begrifflichen Gehalt sprachlicher Ausdrücke oder Äußerungen zu charakterisieren, sondern um den Gedanken der Rede als Gliederung zu erklären. Im engeren Sinn semantische Begriffe führt Heidegger im Rahmen seiner »Herausarbeitung der Struktur der Rede als solcher« (161) ein. Dort nennt er vier »konstitutive Momente« der Rede: »das Worüber der Rede (das Beredete), das Geredete als solches, die Mitteilung und die Bekundung« (162).20 Ich werde in diesem Abschnitt die ersten beiden Momente diskutieren, bei denen es um die semantische Dimension der Rede geht, und im nächsten Abschnitt das dritte Moment, das die intersubjektive Dimension der Rede betrifft.21 Der Begriff des Worübers der Rede lässt sich als ein semantischer Begriff verstehen. Es geht um die Bestimmung der Intentionalität im Sinne der Gerichtetheit einer sprachlichen Äußerung. Die Äußerung »Der Hammer ist zu schwer« ist über den Hammer, die Äußerung »Gib mir den Nagel« über den Nagel usw. Der Begriff des Worüber darf dabei nicht mit dem Begriff der Bezugnahme verwechselt werden, wie er als Beziehung zwischen einzelnen Wörtern und einzelnen Gegenständen oder gelegentlich auch als Beziehung zwischen vollständigen Sätzen und Sachverhalten oder Tatsachen geltend gemacht wird. Das Worüber ist kein Merkmal eines einzelnen Wortes, sondern ein semantisches Merkmal einer vollständigen sprachlichen Äußerung bzw. 20

Wenn Heidegger hier von Momenten der Rede spricht, dann meint er die Rede als Sprache, denn die Auslegung des handelnden Umgangs hat offenbar kein Worüber, kein Geredetes usw. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, den Begriff der Rede nicht unabhängig von dem der Sprache zu verstehen. Cristina Lafont hat darüber hinaus darauf aufmerksam gemacht, dass Heidegger die vier Merkmale der Rede in den vor der Veröffentlichung von Sein und Zeit gehaltenen Vorlesungen Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs als vier Merkmale der Sprache anführt (vgl. Cristina Lafont: Replies. In: Inquiry 45 (2002). 229–248, 238). 21 Das vierte Moment übergehe ich hier. Der Zusammenhang von Sprache und Befindlichkeit, der in diesem Moment zum Ausdruck gebracht werden soll, scheint mir für die systematische Rekonstruktion der Rolle der Sprache in Sein und Zeit keine oder nur eine marginale Rolle zu spielen.

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eines geäußerten Satzes. Dasjenige, worüber eine Äußerung oder ein Satz ist, ist aber dennoch ein einzelnes Seiendes.22 Wenn es sich bei der in Frage stehenden Äußerung um eine Aussage handelt, bezeichnet Heidegger das Worüber auch als das Aufgezeigte, das Ausgesagte oder das Thema einer Aussage, aber er möchte den Begriff des Worüber ausdrücklich nicht auf Aussagen beschränken.23 Neben ihrem Worüber hat eine sprachliche Äußerung auch ihr »Geredetes«, »das im jeweiligen Wünschen, Fragen, Sichaussprechen über… Gesagte als solches« (162). Das Geredete artikuliert dabei jeweils ein bestimmtes Verständnis (bzw. eine bestimmte Ausgelegtheit) des Worüber der Rede, das, was Heidegger oben die Bedeutung eines jeweiligen innerweltlichen Seienden genannt hatte. Die naheliegende Frage, wie sich Worüber und Geredetes zueinander verhalten, lässt Heidegger meines Wissens leider vollständig unbeantwortet.24 An Heideggers Begriff des Worüber lässt sich aber ein markantes und zentrales Merkmal seiner Sprachauffassung verdeutlichen, das man – mit etwas Vorsicht – unter den Begriff eines »direkten Realismus« bringen kann, wenn man hierunter die These versteht, dass die »Gegenstände«, von denen eine sprachliche Äußerung handelt, eine direkte – d. h. nicht über Bedeutungen oder Intensionen oder gar über mentale Entitäten vermittelte – Rolle für den Inhalt dieser Äußerung spielen, sodass der Inhalt einer Äußerung seiner Existenz nach von diesen Gegenständen abhängig ist. Genau das ist allem Anschein nach Heideggers These mit Bezug auf den Inhalt der Rede und ihr Worüber (bzw. den Inhalt einer Aussage und das von einer Aussage Aufgezeigte): 22

Der Begriff des Worüber – der aboutness – ist im Rahmen der sprachphilosophischen und linguistischen Semantik stiefmütterlich behandelt worden. Pionierarbeit hat hier Nelson Goodman geleistet. Vgl. für einen Überblick Catherine Z. Elgin: With Reference to Reference. Indianapolis 1983. 155–182, wo auch der naheliegenden, aber äußerst schwer zu beantwortenden Frage nachgegangen wird, wie das Über-etwas-sein einer Äußerung oder eines Satzes mit der Bezugnahme der darin vorkommenden Ausdrücke zusammenhängt. 23 »Das Worüber der Rede hat nicht notwendig, zumeist sogar nicht den Charakter des Themas einer bestimmenden Aussage. Auch ein Befehl ist ergangen über –; der Wunsch hat sein Worüber. Der Fürsprache fehlt nicht ihr Worüber.« (162) 24 Dies hängt eng damit zusammen, dass Heidegger insgesamt bedeutungstheoretische Fragestellungen in unserem heutigen Sinn vermeidet. So verspürt er nicht die Versuchung, folgende beiden Fragen zu stellen: Wie ist es zu verstehen, dass Rede/Sprache ein Worüber und ein Geredetes hat? Zweitens: Wie ist es zu erklären, dass eine bestimmte Äußerung genau über das ist, worüber sie ist, und genau das sagt, was ihr Geredetes ist? (Z. B.: Wie ist es zu erklären, dass das Worüber der Äußerung »Der Hammer ist zu schwer« gerade dieser bestimmte Hammer und nicht jener dort oder überhaupt ein Hammer und nicht ein Meerschweinchen ist?)

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»In der Aussage: ›Der Hammer ist zu schwer‹ ist das für die Sicht entdeckte kein ›Sinn‹, sondern ein Seiendes in der Weise seiner Zuhandenheit. Auch wenn dieses Seiende nicht in greifbarer und ›sichtbarer‹ Nähe ist, meint die Aufzeigung das Seiende selbst und nicht etwa eine bloße Vorstellung seiner, weder ein ›bloß Vorgestelltes‹ noch gar einen psychischen Zustand des Aussagenden, sein Vorstellen dieses Seienden.« (154)25 Die bisherigen Überlegungen machen klar, dass Rede als Sprache noch in einem zweiten Sinn die Artikulation des Verständnisses des Daseins ist: Im Gehalt einer sprachlichen Äußerung wird ein jeweiliges Verständnis eines innerweltlichen Seienden und damit ein Aspekt des In-der-Welt-seins des Daseins nicht nur gegliedert, sondern auch »ausgesprochen«, wie Heidegger sagt: »Das Sein bei innerweltlichem Seienden, das Besorgen, ist entdeckend. Zur Erschlossenheit des Daseins gehört wesenhaft die Rede […]. Dasein spricht sich aus; sich – als entdeckendes Sein zu Seiendem. Und es spricht sich als solches über entdecktes Seiendes aus in der Aussage. Die Aussage teilt das Seiende im Wie seiner Entdecktheit mit. Das die Mitteilung vernehmende Dasein bringt sich selbst im Vernehmen in das entdeckende Sein zum besprochenen Seienden. Die ausgesprochene Aussage enthält in ihrem Worüber die Entdecktheit des Seienden. Diese ist im Ausgesprochenen verwahrt.« (223 f.) Hier zeigt sich ein zweites markantes Merkmal von Heideggers Sprachauffassung: Ihm zufolge ist es nicht möglich, eine prinzipielle Trennung von Sprach- und Weltwissen vorzunehmen. Das Verstehen einer sprachlichen Äußerung impliziert in den grundlegenden Fällen immer auch das Verstehen eines innerweltlichen Seienden, des Worübers der Äußerung. Es ist dieser Zusammenhang, der den Begriffen der Bedeutung und des Sinns, wie sie im Zusammenhang mit der Analyse des In-der-Welt-seins entwickelt wurden, eine sprachphilosophische Signifikanz gibt: Dass die Aussage das Seiende »im Wie seiner Entdecktheit mit[teilt]«, heißt nichts anderes, als dass sie eine bestimmte Auslegung des Seienden artikuliert – eine seiner Bedeutungen. In den grundlegenden Fällen sprachlichen Verstehens verstehen wir nicht nur eine Äußerung, wir verstehen ineins damit das Seiende, über das die Äußerung ist.

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Wenn man diesen Gedanken konsequent verfolgt – was Heidegger nicht tut –, müsste man die These akzeptieren, dass es Äußerungen gibt, die kein Worüber in diesem Sinn haben, etwa bestimmte falsche Aussagen, Aussagen über Fabelwesen usw. Streng genommen würde es sich hier nicht um genuine Fälle von Rede handeln und streng genommen würde in diesen Äußerungen kein sprachlicher Gehalt zum Ausdruck gebracht.

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7. Die soziale Dimension von Rede und Sprache So wie die Rede in ihrem Inhalt das Verständnis von Zuhandenem artikuliert, artikuliert sie als Mitteilung das Verständnis von Mitdasein und Mitsein. Dadurch, dass mit einer sprachlichen Äußerung ein bestimmtes Verständnis eines bestimmten innerweltlichen Seienden ausgesprochen wird, können andere, die die Äußerung verstehen, dahin gelangen, dieses Verständnis zu teilen. Wie Heidegger mit Bezug auf die Aussage formuliert: »Aussage bedeutet Mitteilung, Heraussage. […] Sie ist Mitsehenlassen des in der Weise des Bestimmens Aufgezeigten. Das Mitsehenlassen teilt das in seiner Bestimmtheit aufgezeigte Seiende mit dem Anderen. »Geteilt« wird das gemeinsame sehende Sein zum Aufgezeigten, welches Sein zu ihm festgehalten werden muß als In-der-Welt-sein, in der Welt nämlich, aus der her das Aufgezeigte begegnet. Zur Aussage als der so existenzial verstandenen Mit-teilung gehört die Ausgesprochenheit.« (155) Während die Rede ihre Funktion als Gliederung des Verständnisses des Zuhandenen auch stumm wahrnehmen kann, muss sie ausgesprochen werden, um ihre Funktion als Gliederung der sozialen Dimension der Welt wahrnehmen zu können. Hierin scheint mir das stärkste Argument für Heideggers oben referierte These zu liegen, dass Rede existenzial Sprache sein muss. Heidegger hatte das In-der-Welt-sein konstitutiv als Mitsein bestimmt. Das sollte heißen, dass wir uns nicht nur in einer gemeinsamen Welt vorhandener Gegenstände bewegen, sondern dass bereits die Bezüge zu zuhandenem Zeug und die Seinsmöglichkeiten des Daseins ihrem Wesen nach mit anderen geteilt werden. Und nur als herausgesprochene Sprache kann die Rede diese Dimension des In-der-Welt-seins artikulieren. Diese Begründung könnte gemeint sein, wenn Heidegger sagt, dass Rede deswegen existenzial Sprache sei, weil das Dasein »die Seinsart des geworfenen, auf die »Welt« angewiesenen In-der-Welt-seins hat«.26 Denn nur das Teilen von Verständnissen und Seinsmöglichkeiten, wie es die Sprache als Mitteilung ermöglicht, kann überhaupt die Geworfenheit des Daseins erklären. Das wird deutlich, wenn wir uns abschließend mit dem Begriff der Welterschließung dem Zusammenhang von Sprache und Welt zuwenden, wie

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Es fehlt hier der Raum, um diese Begründung mit jener zu vergleichen, die Robert Brandom rekonstruiert (vgl. Robert B. Brandom: Dasein, the Being that Thematizes. In: Epoché 5 (1997). 1–40, wieder abgedruckt in: Brandom: Tales of the Mighty Dead. A. a. O. 324–347). Beide Argumente für die wesentliche Sprachlichkeit des Daseins beinhalten jedenfalls mehr als das ebenfalls von Brandom erwogene »direkte Argument«, das sich darauf stützt, dass das Reden als Mitteilen für das Mitsein mit Anderen konstitutiv ist.

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er sich auf der Basis der jetzt in ihren Grundzügen rekonstruierten Rolle der Sprache in Sein und Zeit darstellt.

8. Sprache und Welterschließung Ein Verständnis der semantischen und der sozialen Dimension der Rede als Sprache ist der Schlüssel zu einem Verständnis der Sprache als Welterschließung. Wenn die Sprache als Rede die Artikulation des Weltverständnisses des Daseins ist; und wenn der Inhalt einer sprachlichen Äußerung die Artikulation des Verständnisses (der Bedeutung) eines bestimmten Seienden beinhaltet; und wenn Kommunikation das Teilen des Verständnisses impliziert, das der Inhalt einer jeweiligen Äußerung ist – dann impliziert dies die Möglichkeit, dass das Dasein die Ausgelegtheit und das Verständnis seiner Welt sich nicht selbst in tätiger Auseinandersetzung mit der Welt erarbeitet, sondern durch Kommunikation von anderen ewirbt.27 Oder um es anders zu sagen: Insofern Rede als Sprache eine bestimmte Ausgelegtheit der Welt »verwahrt«, hat das Dasein als sprechendes die Ausgelegtheit seiner Welt immer schon von anderen übernommen. Diese Übernahme von Ausgelegtheit und Seinsverständnis ist nun Heidegger zufolge keine abgeleitete, sondern eine für das Dasein konstitutive Form des Zustandekommens von Verstehen und Auslegung, die er mit dem Begriff der Verfallenheit des Daseins zu fassen versucht.28 »Die Rede spricht sich zumeist aus und hat sich immer schon ausgesprochen. Sie ist Sprache. Im Ausgesprochenen liegen aber dann je schon Verständnis und Auslegung. Die Sprache als die Ausgesprochenheit birgt eine Ausgelegtheit des Daseinsverständnisses in sich. Diese Ausgelegtheit ist so wenig wie die Sprache nur noch vorhanden, sondern ihr Sein ist selbst daseinsmäßiges. Ihr ist das Dasein zunächst und in gewissen Grenzen ständig überantwortet, sie regelt und verteilt die Möglichkeiten des durchschnittlichen Verstehens und der zugehörigen Befindlichkeit. Die Ausgesprochenheit verwahrt im Ganzen ihrer gegliederten Bedeutungszusammenhänge ein Verstehen der erschlossenen Welt und gleichursprünglich damit ein Verstehen des Mitdaseins 27

Wo Sprache allein oder primär der Kommunikation von Seinsverständnissen dient, spricht Heidegger von »Gerede«. 28 »Im Dasein hat sich je schon diese Ausgelegtheit des Geredes festgesetzt. Vieles lernen wir zunächst in dieser Weise kennen, nicht weniges kommt über ein solches durchschnittliches Verständnis nie hinaus. Dieser alltäglichen Ausgelegtheit, in die das Dasein zunächst hineinwächst, vermag es sich nie zu entziehen. In ihr und aus ihr und gegen sie vollzieht sich alles echte Verstehen, Auslegen und Mitteilen, Wiederentdecken und neu Zueignen.« (169).

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Anderer und des je eigenen In-Seins. Das in der Ausgesprochenheit schon hinterlegte Verständnis betrifft sowohl die jeweils erreichte und überkommene Entdecktheit des Seienden als auch das jeweilige Verständnis von Sein und die verfügbaren Möglichkeiten und Horizonte für neuansetzende Auslegung und begriffliche Artikulation.« (167 f.) Mit Bezug auf die von Heidegger geltend gemachte »Vor-Struktur« alles Verstehens lässt sich dies auch so formulieren, dass Sprache immer schon den Vorgriff einer jeden Auslegung bestimmt. Heidegger sagt dies explizit in Bezug auf die Aussage: »Der im Aussagen immer auch mitliegende Vorgriff bleibt meist unauffällig, weil die Sprache je schon eine ausgebildete Begrifflichkeit in sich birgt.« (157) Passagen wie diese haben Christina Lafont dazu geführt, Heidegger einen »linguistischen Idealismus« zu unterstellen, der darin besteht, dass die Sprache die möglichen Gegenstände unserer Erfahrung vor aller Erfahrung konstituiert. Wir hätten Heidegger zufolge keinen Zugang zu Gegenständen ohne ein vorgängiges Verständnis ihres Seins, und dieses werde uns von unserer Sprache diktiert.29 Dieser Verdacht verkennt zum einen den ›direkten Realismus‹, der von Heideggers Bestimmung des Worüber der Rede impliziert wird und der den Inhalt einer sprachlichen Äußerung konstitutiv an die Existenz der Gegenstände bindet, über die die Äußerung ist. Er verkennt zum anderen, dass in der Sprache die Möglichkeit einer Übernahme des Seinsverständnisses allein deswegen liegt, weil sie zugleich die Möglichkeit hat, die Ausgesprochenheit eines im alltäglichen Umgang mit den Dingen gewonnenen und angeeigneten echten Verstehens zu sein. Auch wenn Heideggers Formulierungen in dieser Sache nicht immer eindeutig sind, so scheint doch ein entscheidender Unterschied zwischen einer transzendentalen Konstitution der Gegenstände der Erfahrung und der hermeneutischen Vor-Struktur des Verstehens und der Auslegung, wie Heidegger sie in Sein und Zeit entwirft, darin zu bestehen, dass die Verständnisse, mit denen die Auslegung als Aneignung und Ausarbeitung des Verstehens beginnen muss, das Ergebnis der hermeneutischen Arbeit nicht a priori determinieren, sondern sich selber darin wandeln können. Immerhin behauptet Heidegger: »Die Auslegung kann die dem auszulegenden Seienden zugehörige Begrifflichkeit aus diesem selbst schöpfen oder aber in Begriffe zwängen, denen sich das Seiende gemäß seiner Seinsart widersetzt.« (150) Was Heideggers Auffassung von Sprache als Artikulation der Verständlichkeit des In-der-Welt-seins sehr viel eher zu implizieren scheint, ist der Gedan29

Vgl. Cristina Lafont: Sprache und Welterschließung. A. a. O.

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ke, dass sich zwischen der Artikuliertheit der Welt »an sich« und der Artikuliertheit der Welt »in der Sprache« überhaupt nicht sinnvoll unterschieden lässt. Das wäre aber weniger ein Idealismus als viel eher die Zurückweisung einer jeden philosophischen Konzeption unseres Weltverhältnisses, der zufolge der Ausdruck »linguistischer Idealismus« überhaupt einen verständlichen Inhalt hat.30

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Ich danke Martin Seel und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern seines Kolloquiums – insbesondere Stefan Deines, Michael Kohler und Gerson Reuter – für hilfreiche Kommentare zu einer früheren Version dieses Texts.

Csaba Olay

Verstehen und Auslegung bei Heidegger

Der vorliegende Beitrag vertritt die These, dass Verstehen und Auslegung in Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit 1 – allem Anschein zum Trotz – nicht Phänomene der Sprache bzw. des Sprachgebrauchs sind. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf den frühen Heidegger, was sich sachlich allein schon daraus ergibt, dass die beiden Begriffe Verstehen und Auslegung für die Beschreibung unserer Weise zu sein, also für sein Konzept der Daseinsanalyse zentral sind. Da Heidegger nach dem Erscheinen von Sein und Zeit auf die Ausarbeitung dieses Konzeptes allmählich verzichtet, spielen die erwähnten Phänomene nur in der ersten Phase seines Denkens eine wichtige Rolle. Die Pointe der folgenden Ausführungen ist, dass Heideggers Gedankengänge über Verstehen und Auslegung nur scheinbar in den Kontext der Sprache gehören, in Wahrheit aber einen wesentlichen Teil seiner Handlungstheorie bilden. Es handelt sich in erster Linie nicht um sprachliche Gebilde, deren Erfassen Heidegger mit den Ausdrücken »Verstehen« und »Auslegen« beschreiben will, sondern um unthematische und thematisierte Handlungsund Verhaltensmöglichkeiten, die wesentlich zu der Weise gehören, wie wir sind. Da unsere Weise zu sein in Heideggers Terminologie das »Dasein« ist, gehören Verstehen und Auslegung, wie Heidegger sie versteht, zum Dasein hinzu. Im folgenden gehe ich also der Frage nach, was Verstehen und Auslegung im Kontext von Sein und Zeit bedeuten. Die These, dass Verstehen und Auslegung im Sinne Heideggers nicht Sprachphänomene sind, klingt vor allem deswegen nicht plausibel, weil gemäß dem Titel des § 33 von Sein und Zeit die Aussage als abkünftiger Modus der Auslegung gefaßt werden kann. Allein, bereits dieser Titel legt nahe, dass die Auslegung hier etwas sei, im Verhältnis zu dem eine Aussage etwas Abgeleitetes ist. Geht die Auslegung im Sinne Heideggers dem Sprachlichen voraus, muss man von der in einem noch zu präzisierenden Sinne vorprädikativen Struktur der Auslegung sprechen, und Heidegger tut es auch im Hinblick auf die für die Auslegung konstitutive Als-Struktur.2 Seine einschlä1

Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 161986. Im Folgenden abgekürzt als SZ. 2 Martin Heidegger: Logik. Die Frage nach der Wahrheit. Frankfurt/M. 1976. Im Folgenden abgekürzt als GA 21. 144.

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gige Auffassung greift auf einige Überlegungen Edmund Husserls zurück. Es handelt sich vor allem um die Struktur des »etwas als etwas wahrnehmen«, die für Husserls Beschreibung der Wahrnehmung von Bedeutung ist und von Heidegger in einem veränderten Kontext wiederaufgenommen wird. Gegen die erwähnte These der Nichtsprachlichkeit von Verstehen und Auslegung bei Heidegger spricht ferner auch der Umstand, dass er den Ausdruck »Hermeneutik« für sein Projekt in Sein und Zeit in Anspruch nimmt. Diese Bezeichnung, so könnte man meinen, bezieht sich ausdrücklich auf die kunstmäßige Auslegung von sprachlichen Gebilden oder zumindest von komplexen Sinngebilden, etwa Kunstwerken. Gleichwohl sollte man sich darüber im klaren sein, daß Heideggers Rede von »Hermeneutik« sehr spezifisch akzentuiert ist, da er unter Hermeneutik die »Auslegung des Seins des Daseins« im Sinne einer »Analytik der Existenzialität der Existenz« versteht. Diese Hermeneutik würde dann »die Geschichtlichkeit des Daseins« als »die ontische Bedingung der Möglichkeit der Historie« ausarbeiten, und erst von daher ließe sich die Hermeneutik in gewöhnlichem Sinne, also etwa als Kunstlehre der Interpretation, aufklären. Einigen verstreuten Bemerkungen zum Trotz gelingt es aber Heidegger nicht mehr, dieses Verhältnis näher auszuführen. Die »Hermeneutik des Daseins« hat andererseits unmittelbar nicht sehr viel zu tun mit der Hermeneutik als Kunst der Auslegung oder Interpretation, und deswegen spricht Günter Figal treffend von einer »antihermeneutischen Wendung« im Begriff des Verstehens in Sein und Zeit.3 Dementsprechend ist die Frage, wie sich Verstehen, Auslegung, Aussage, Sprache und Rede zueinander verhalten, gar nicht trivial. Ich werde mich dazu nur auf einige Bemerkungen beschränken. Um die Analyse von Verstehen und Auslegung im Kontext von Sein und Zeit zu begreifen, empfiehlt es sich, einen Blick auf das philosophische Programm seines frühen Hauptwerks zu werfen. Ich werde in diese Diskussion auch einige Vorlesungen aus der Vorbereitungsphase von Sein und Zeit miteinbeziehen. Bekanntlich will Heidegger in Sein und Zeit die Frage nach dem Sinn von Sein stellen, die seiner Diagnose nach seit Platon und Aristoteles in Vergessenheit geraten ist. Diese Fragestellung bedarf ihm zufolge einer vorgängigen Klärung des Fragenden, womit sich die Aufgabe der »vorbereitenden Fundamentalanyse des Daseins« ergibt. Unter Dasein versteht Heidegger unsere Weise zu sein, und der erste Teil von Sein und Zeit widmet sich einer differenzierten Beschreibung von verschiedenen Aspekten dieser Struktur. Um den 3

Günter Figal: Selbstverstehen in instabiler Freiheit. Die hermeneutische Position Martin Heideggers. In: Hendrik Birus (Hrsg.): Hermeneutische Positionen. Schleiermacher. Dilthey. Heidegger. Gadamer. Göttingen 1982. 89–119. 91.

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Stellenwert von Verstehen und Auslegung zu bestimmen, braucht man nicht auf die komplizierte Frage einzugehen, ob die so gefasste Seinsfrage mit Recht auf die Daseinsanalyse gegründet wird. Mit anderen Worten wird damit unterstellt, dass Heideggers Überlegungen zu unserer Weise zu sein auch dann philosophisch interessant sein können, wenn man die Ausarbeitung und Beantwortung der Seinsfrage nicht davon erwartet. Im Kontext von Sein und Zeit gehören Verstehen und Auslegung zum Dasein als In-der-Welt-sein, genauer gesagt zum Strukturmoment, das Heidegger In-Sein nennt und von den beiden anderen Momenten des einheitlichen In-der-Welt-seins, von der »Welt« und dem »Wer« unterscheidet. Man sollte betonen, dass es vor allem das zuletzt erwähnte dritte Moment ist, das am wenigsten in das traditionelle Schema Subjekt-Objekt passt, da es mit dem Gegensatz von Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit zu tun hat, der in den herkömmlichen Auffassungen über unsere Weise zu sein kaum thematisiert wurde. Um Verstehen und Auslegung im Zusammenhang der Analyse der Welt begreiflich zu machen, ist es an dieser Stelle angebracht, zunächst jene Gestalt der Weltanalyse zu betrachten, in welcher die Grundzüge dieses Konzeptes und seine Motive besser zur Geltung kommen. Es handelt sich um die Ausführungen in einer Vorlesung aus dem Jahr 1919, die das Hauptmotiv für eine solche Weltanalyse deutlich formuliert. Thesenhaft besteht Heideggers Programm hier darin, mit dem Primat des Theoretischen in der Philosophie zu brechen. Diese polemische Forderung richtet sich bereits auch gegen Husserl, der den Ansatz seiner Phänomenologie aus Problemen des Erkennens, also aus der Theorie im eminenten Sinne entwickelte. Unter dem Titel »Primat des Theoretischen« kritisiert Heidegger das Verfahren, das er dem Neukantianismus zuschreibt und das sich von vornherein in einer grundsätzlich theoretischen Dimension bewegt, und zwar in der Überzeugung, dass diese Sphäre allen anderen zugrunde liegt. Gemäß dieser Orientierung an dem Theoretischen ist z. B. das Praktische wesentlich in jenem fundiert. Im Hinblick auf Heideggers Gedanken muss man zum einen klären, was genauer die Rede vom Theoretischen heißt, zum anderen soll erläutert werden, wieso dessen Primat problematisch ist. Zum zweiten Punkt schreibt Heidegger: »es ist die Generalherrschaft des Theoretischen, was die echte Problematik verunstaltet. Es ist der Primat des Theoretischen. Im Problemansatz, der Isolierung der Empfindungsdaten als der zu erklärenden bzw. aufzuhebenden Restbestände, Ungeklärtheiten und Fremdheiten des Bewußtseins, steckt bereits der alles weitere determinierende Schritt ins Theoretische, oder vielmehr […] es ist nicht erst ein Schritt ins Theoretische: Schon von Anfang an und immer ist man im Theoretischen. Man nimmt dieses als ein Selbstverständliches, zumal wenn man Wissenschaft und gar noch Er-

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kenntnis-theorie treiben will«.4 Bedeutet der Vorrang des Theoretischen einen selbstverständlichen Schritt, der eine verzerrende Wirkung hat, lässt sich dieser Vorrang dementsprechend brechen, indem man jenen Schritt nicht vollzieht. Heidegger präzisiert diesen Schritt als eine Einstellungsveränderung, und damit lässt sich das Theoretische als die Sphäre verstehen, die für eine spezifische Einstellung charakteristisch ist. Wenn die fragliche Einstellung erst das Ergebnis einer Veränderung ist, dann muss es eine andere, ursprünglichere Einstellung geben, woraus erst die Veränderung denkbar ist. Und das ist in der Tat Heideggers Überzeugung: Das Theoretische weist unausweichlich auf eine vortheoretische Dimension zurück. Heidegger will nun plausibel machen, dass diese vortheoretische Dimension unserer ursprünglichen und darin »natürlichen« Einstellung entspricht. Als ersten Schritt muss man dazu diese vortheoretische Sphäre zugänglich machen. Allein schon aus der Bezeichnung ›vortheoretisch‹ lässt sich entnehmen, dass Heideggers Vorschlag nicht darin besteht, dass man statt des Vorrangs des Theoretischen nun einen Primat des Praktischen behauptet, wenn ›praktisch‹ hier als das verstanden wird, was im Hinblick auf ›theoretisch‹ privativ aufgefasst wird. Dies spricht dann auch dagegen, Heideggers Bestrebungen im Sinne des Pragmatismus interpretieren zu wollen. Es lässt sich an diesem Punkt einwenden, dass die Rede von einer Einstellungsveränderung noch nicht beweist, dass die ›natürlichere‹ oder ursprünglichere Einstellung philosophisch wichtiger sein soll. Bei Husserl konnte das, worauf es philosophisch ankam, erst in der phänomenologischen Einstellung thematisiert werden. Es ist keineswegs selbstverständlich, könnte man sagen, dass jene vortheoretische Dimension philosophisch gesehen so interessant ist. Auf diesen Einwand erhält man die Antwort, wenn man berücksichtigt, dass die Bezeichnung ›vortheoretische Dimension‹ einen weiteren Hinweis darauf enthält, in welchem Verhältnis die beiden Sphären – das Vortheoretische und das Theoretische – zueinander stehen. Heidegger meint, dass das Theoretische gegenüber dem Vortheoretischen sekundär und aus ihm abgeleitet ist. Daher stellt sich für ihn erstens die Aufgabe, diese vortheoretische Sphäre zugänglich zu machen, und zweitens, die »Genesis des Theoretischen« aufzuklären, wobei die zweite Zielsetzung nur angedeutet, aber in der hier diskutierten Vorlesung von 1919 überhaupt nicht ausgeführt wird (GA 56/57, 88). Zur Klärung der vortheoretischen Dimension versucht Heidegger ein konkretes Erlebnis zu beschreiben, und zwar die Art und Weise, wie man ein gewöhnliches Ding, etwa das Katheder im Hörsaal in bekannter Umgebung erlebt: »In dem Erlebnis des Kathedersehens gibt sich mir etwas aus einer un4

Martin Heidegger: Zur Bestimmung der Philosophie. Frankfurt/M. 1987. GA 56/57. 87. Im Folgenden abgekürzt als GA 56/57.

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mittelbaren Umwelt. Dieses Umweltliche (Katheder, Buch, Tafel, Kollegheft, Füllfeder, Pedell, Korpsstudent, Straßenbahn, Automobil usf. usf.) sind nicht Sachen mit einem bestimmten Bedeutungscharakter, Gegenstände, und dazu noch aufgefaßt als das und das bedeutend, sondern das Bedeutsame ist das Primäre, gibt sich mir unmittelbar, ohne jeden gedanklichen Umweg über ein Sacherfassen« (GA 56/57, 72–3). Kritisch wird damit die Auffassung betrachtet, derzufolge wir in alltäglichen Zusammenhängen zunächst Dinge oder Gegenstände erfahren, die mit bestimmten Charakterisierungen ausgestattet sind.5 Heidegger, ähnlich wie Husserl, widerspricht entschieden der Ansicht, dass die primären Gegebenheiten für uns Empfindungen seien: »Unmittelbar ist mir im Kathedererlebnis das Katheder gegeben. Ich sehe dieses als solches und sehe nicht etwa Empfindungen und Empfindungsdaten; ich habe überhaupt kein Bewußtsein von Empfindungen.« (GA 56–7, 85). Anders als Husserl behauptet er jedoch, dass die primären Gegebenheiten für uns nicht (ideale oder reale) Gegenstände sind, sondern »das Bedeutsame« bzw. »das Umweltliche«. Das wiederum soll heißen, dass wir Sachen vor allem so erfahren, dass wir mit ihnen etwas tun, etwas anfangen können. Dabei kommt es nicht darauf an, was verschiedene Personen mit demselben anfangen können, sondern dass sie das können. So z. B. würde, wie Heidegger ausführt, jemand einen für ihn ungewöhnlichen Gegenstand, etwa »ein Senegalneger« das Katheder im Hörsaal »als etwas (sehen), ›mit dem er nichts anzufangen weiß‹. Das Bedeutungshafte des ›zeuglichen Fremdseins‹ und das Bedeutungshafte ›Katheder‹ sind ihrem Wesenskern nach absolut identisch.« (GA 56/57, 72). Womit man zu tun hat, wird also zuerst unter dem Aspekt gesehen bzw. erfahren, was man damit tun kann bzw. welche Möglichkeiten des Verhaltens es für einen bereithält. Dieser Umstand bedeutet wohlbemerkt nicht, dass man von Empfindungsdaten und Gegenständen gar nicht reden kann; es bedeutet nur, dass solche Rede nur in der theoretischen Einstellung möglich ist, die »ihrem Sinne nach […] Zerstörung des Umwelterlebnisses« ist (GA 56/57, 85). Für Heidegger ist das, was in der theoretischen Einstellung vernichtet wird, fundamental, weil es deutlich macht, wie die Umwelt und das menschliche Leben zusammenhängen. Die theoretische Einstellung lässt nämlich verges5

»Was sehe ›ich‹? Braune Flächen, die sich rechtwinklig schneiden? Nein, ich sehe etwas anderes: eine Kiste, und zwar eine größere, mit einer kleineren daraufgebaut. Keineswegs, ich sehe das Katheder, an dem ich sprechen soll, Sie sehen das Katheder, von dem aus zu Ihnen gesprochen wird. […] Ich sehe das Katheder gleichsam in einem Schlag« (GA 56/57. 71). Vgl. dazu Hans-Helmuth Gander: Verstehen als Situationsbewältigung. Untersuchungen zu Heideggers hermeneutischer Lebensweltphänomenologie. In: Johannes Weiß (Hrsg.): Die Jemeinigkeit des Mitseins. Konstanz 2001. 57–72. 62.

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sen, wie wir uns in der Welt bewegen, oder anders, wie menschliches Leben vollzogen wird. Zu diesem Sich-in-der-Welt-bewegen gehört aber das Gebrauchenkönnen von Sachen, eben das, was oben mit der Formel ›mit ihnen etwas anfangen können‹ angezeigt wurde. »Das Umwelterleben ist keine Zufälligkeit, sondern liegt im Wesen des Lebens an und für sich; theoretisch dagegen sind wir nur in Ausnahmefällen eingestellt« (GA 56/57, 88). Damit wird sicherlich noch nicht beantwortet, in welchem Verhältnis das »Leben« und die »theoretischen Ausnahmefälle(n)« zueinander stehen. Deutlich wird aber, dass die Umweltanalyse eine solche Beschreibung des Lebens vorbereitet, welche auch das mitberücksichtigt, worin menschliches Leben vollzogen wird. Heidegger sagt dazu zwei Jahre später: »Die intransitiv-verbale Bedeutung ›leben‹ expliziert sich, konkret vergegenwärtigt, selbst immer als ›in‹ etwas leben, ›aus‹ etwas leben, ›für‹ etwas leben… Das ›etwas‹, was seine Beziehungsmannigfaltigkeit zu ›leben‹ anzeigt in diesen scheinbar nur gelegenheitlich aufgerafften und aufgezählten präpositionalen Ausdrücken, fixieren wir mit dem Terminus ›Welt‹. […] – Leben ist in sich selbst weltbezogen, ›Leben‹ und ›Welt‹ sind nicht zwei für sich bestehende Objekte«.6 Die Rede von Leben und Welt unterstreicht die Überzeugung, dass das Subjekt-ObjektSchema als unzureichendes Modell gilt. Menschliches Leben vollzieht sich nicht in einem isolierbaren Bereich genannt »Bewusstsein«, dem man eine »Außenwelt« entgegensetzen könnte. Wenn das Leben die Fähigkeit und das Können bedeutet, sich in einem Zusammenhang, in einem gewissen Rahmen bewegen zu können, dann kann es von jenem Zusammenhang nicht scharf getrennt werden. Ergänzend lässt sich hinzufügen, dass die Zusammengehörigkeit von Leben und Umwelt eine entscheidende Pointe der Daseinsanalyse vorwegnimmt, nämlich die These, dass Dasein als In-der-Welt-sein zu fassen ist. Damit wird der für die neuzeitliche Philosophie charakteristische Dualismus von Innenund Außenwelt in Frage gestellt, wobei Husserls Idee der Intentionalität eine grundsätzliche Vorarbeit leistet. Husserl versucht unter dem Titel Intentionalität die ganze neuzeitliche Behandlung des Erkenntnisproblems als eine voraussetzungsvolle Fragestellung aufzuzeigen, die nur unbefriedigende Antwortversuche zulässt. Die folgenreichste und grundlegendste Voraussetzung besteht ihm zufolge in der Unterscheidung zwischen den vom Bewusstsein unabhängig existierenden, transzendenten Dingen und den Bewusstseinsinhalten, also zwischen Subjekt und Objekt, wobei es dann darauf ankomme, das Verhältnis oder die Beziehung zwischen den beiden Bereichen aufzuklären. Setzt man noch vo6

Martin Heidegger: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung. Frankfurt/M 1985. GA 61. 85–6.

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raus, dass das Bewusstsein einen sicheren, d. h. unbezweifelbaren Zugang nur zu den eigenen Inhalten, nicht aber zu den transzendenten Dingen hat, ergibt sich das Problem, wie man sich der Außenwelt überhaupt versichern kann. Sollten nämlich die Bewusstseinsinhalte die transzendenten Dinge wie auch immer repräsentieren oder abbilden, müssten die Dinge auch unabhängig von den Bewusstseinsinhalten zugänglich sein, damit die repräsentierende Relation festgestellt werden könne. Sind die Dinge nicht unabhängig von Bewusstseinsinhalten zugänglich, bleibt die Frage für immer offen, was hinter den Bewusstseinsinhalten steht. Für Husserls Denken ist nun die Einsicht grundlegend, dass die Beobachterperspektive diese Probleme nur auf den ersten Blick löst. Man könnte ja vorschlagen, dass beide Seiten der Erkenntnisrelation, sowohl die Bewusstseinsinhalte als auch der Gegenstand des Erkennens, für einen Beobachter zugänglich sind. Der Vorschlag löst jedoch das Problem nicht, da man streng genommen sich selbst nicht aus jener Perspektive beobachten kann. Natürlich ist der Beobachter imstande, die Beziehung zwischen der beobachteten Person und den Dingen, die jene Person wahrnimmt, zu thematisieren und zu untersuchen. Ferner kann der Beobachter annehmen, dass eine Beziehung zwischen dem Bewusstseinsinhalt der beobachteten Person und dem von jener Person wahrgenommenen Ding besteht, und auf diese oder jene Weise zu beschreiben ist. Dabei erweisen sich aber beide Relata der angeblich beobachtbaren Beziehung als problematisch. Zum einen wird nämlich vorausgesetzt, dass das Ding dem Beobachter selber nur aufgrund seiner Bewusstseinsinhalte bereits zugänglich ist, also in seinem Fall dasselbe Problem als gelöst vorausgesetzt wird. Zum anderen wird hiermit unterstellt, dass die Bewusstseinsinhalte der beobachteten Person für den Beobachter erreichbar sind. Wenn aber dies nicht unmittelbar möglich ist, dann scheint die Beobachterperspektive keine prinzipielle Hilfe zu bieten. Heideggers Rede vom Dasein als In-der-Welt-sein nimmt an mehreren Stellen das kritische Potential dieser Überlegungen in Anspruch. Will man die wichtigen Motive und Bestimmungen der Weltanalyse aus der Vorlesung von 1919 auf Sein und Zeit abbilden, kann man sagen, dass Heidegger hier als Dasein bezeichnet, was früher als faktisches Leben gefasst wurde, wobei dieses faktische Leben eben nicht isoliert von der Umwelt konzipiert werden kann. Genauso wie Leben und Umwelt in der frühen Vorlesung zusammengehören, erläutert Sein und Zeit die Zusammengehörigkeit von Dasein und Welt allein schon dadurch, dass Dasein als In-der-Welt-sein gefasst wird. Anders als in der früheren Vorlesung wird allerdings die Existenzstruktur und der für Sein und Zeit konstitutive Gegensatz von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit hinzugefügt. Heidegger führt die Daseinsanalyse mit folgenden Sätzen ein: »Das Seiende, dessen Analyse zur Aufgabe steht, sind wir je selbst. Das Sein dieses Seienden ist je meines. Im Sein dieses Seienden verhält sich dieses selbst zu sei-

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nem Sein. Als Seiendes dieses Seins ist es seinem eigenen Sein überantwortet« (SZ 41–42): Dasein ist also nicht einfach vorhanden, wie ein Gegenstand unter anderen, sondern dadurch ausgezeichnet, dass es sich zu seinem Sein verhalten kann und muss. Im Kontext der vorliegenden Arbeit ist nun wichtig, dass der Sinn der Formulierung, derzufolge das Sein »je meines« ist, darin liegt, dass jeder dadurch charakterisiert ist, sich verhalten zu müssen, unabhängig davon, ob er sich darüber im klaren ist oder nicht. Und dies kann ihm niemand abnehmen, selbst wenn er versucht, sich von seinem Sich-Verhalten-müssen zu entlasten.7 Die so gedachte Jemeinigkeit liegt den »beiden Seinsmodi der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit« zugrunde, welche Unterscheidung jedoch ausdrücklich nicht kulturkritisch gemeint ist (SZ 42–43). Heidegger beginnt die Erläuterung des In-Seins damit, das Dasein mit seiner Erschlossenheit zu identifizieren (SZ 133), deren konstitutives Charakteristikum das Verstehen ist, und zwar neben den weiteren Charakteristika von Befindlichkeit und Rede. Dabei muss man sofort das mögliche Missverständnis zurückweisen, es handele sich beim Verstehen um einen Akt, der hin und wieder vollzogen wird, etwa wenn man einen Satz, einen Text oder eine Handlung versteht. Was Heidegger Verstehen nennt, ist keine gelegentlich vollzogene Leistung, sondern fällt mit unserer Weise zu sein zusammen, wie allein schon aus dem Titel des § 31 zu sehen ist: »Das Da-sein als Verstehen«. Verstehen in diesem Sinne liegt auf einer viel elementareren Ebene als der des Sprachgebrauchs oder der einer intellektuellen Tätigkeit: nach Heidegger kann man nicht nicht verstehen, genauso wie man nicht nicht in der Welt sein kann. Ebenso ist Dasein immer gestimmt, wobei Heidegger als Befindlichkeit »das Bekannteste und Alltäglichste: die Stimmung, das Gestimmtsein« fasst (SZ 134). Bei der Befindlichkeit handelt es sich um eine übergreifende Färbung dessen, dass es uns bevorsteht zu sein, und zwar zu sein in einer je anderen Konstellation von Möglichkeiten, und insofern ist Befindlichkeit auch nicht mit einzelnen Emotionen zu verwechseln. Damit lässt sich auch die Wechselseitigkeit von Befindlichkeit und Verstehen klären: ohne Möglichkeiten gibt es nichts, was einen übergreifenden Eindruck machen könnte, die Möglichkeiten, wie sie bekannt sind, machen aber eine solche Färbung noch nicht aus. Im Hinblick auf die Stimmungen ist es nicht leicht zu sagen, wodurch sie von Affekten und Gefühlen unterschieden werden können. Obwohl Heidegger es nicht für die Stimmungen im allgemeinen, nur im Hinblick auf den Unterschied von Furcht und Angst ausführt, lassen sich die Stimmungen jedoch so verstehen, dass sie 7

Vgl. Figal: Selbstverstehen in instabiler Freiheit. A. a. O. 93. Es ist nicht schwierig, in dieser Passage Heideggers den Keim des Gedankens von Sartre zu entdecken, wir seien zur Freiheit verurteilt.

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wesentlich nicht intentional sind und so keinen Gegenstand haben. Man kann die Analyse der Angst als exemplarisch für Stimmungen überhaupt nehmen, und es lässt sich in diesem Sinne sagen, dass Stimmungen sich nicht auf etwas Bestimmtes in der Welt beziehen. Gefühle und Affekte dagegen, wie verschieden auch immer, enthalten einen Bezug auf einen Gegenstand, und dementsprechend bestimmen sie in der Regel, wie ich mich verhalten soll, etwa bei der Furcht vor dem sich nähernden bellenden Hunde. Deshalb kann Heidegger sagen, in der Stimmung zeige sich das »pure ›daß es ist‹« (SZ 134) des »Da«, und er nennt dieses ›daß es ist‹ »die Geworfenheit dieses Seienden in sein Da« (SZ 135). Die Befindlichkeit verweist also letztendlich auf die grundlegende Bestimmung, derzufolge das Dasein Möglich-sein ist. Diesen Möglichkeitscharakter erläutert nun Heidegger mit den Begriffen von Verstehen und Auslegung. Die Ausführungen über Verstehen und Auslegung greifen auf die Analyse der Weltlichkeit der Welt zurück, wo es darum ging, wie einzelne Handlungsmöglichkeiten für uns da sind. Womit man im einzelnen zu tun hat, hat für einen die Bedeutung, dass man damit umgehen kann, wie es bereits in der Vorlesung von 1919 dargestellt wurde. Diesem Umstand gibt Heidegger terminologisches Gewicht, indem er nicht von einzelnen Gegenständen, sondern vom ›Zeug‹ spricht, wobei jedes Zeug dadurch bestimmt ist, wozu es verwendet werden kann. Als Zeug versteht Heidegger nicht nur Gebrauchsgegenstände, sondern grundsätzlich alles, womit man in einem weiten Sinne auf diese oder jene Weise umgeht. Es ist ferner charakteristisch für ein Zeug, dass es immer auf anderes Zeug, und damit auf eine Zeugganzheit hinweist. Indem Heidegger dieses Wozu eines jeden Zeugs als Bewandtnis fasst, kann er die den Spielraum unserer Handlungs- und Verhaltensmöglichkeiten bildenden Welt als Bewandtnisganzheit bestimmen. Die Welt wird als Umwelt analysiert, und zwar weil Heidegger jene Welt zu thematisieren sucht, die im Nachdenken über die Welt immer »übersprungen« wird. Dabei setzt er voraus, dass jene Strukturen, die im »alltäglichen« Dasein gefunden werden, in anderen Verhaltensweisen und Einstellungen nur auf abgeleitete Weise zur Geltung kommen, so etwa in einer theoretischen – wie man hinzufügen könnte: in der ästhetischen – Betrachtung. Damit wird dem Umstand nicht Rechnung getragen, dass die theoretische Einstellung sich vielleicht nicht allein durch eine solche Analyse beschreiben lässt.8 Verstehen ist also auf die als Bewandtnisganzheit verstandene Welt bezogen und hat demnach vor allem damit zu tun, wie Dasein als Möglichsein gefasst werden muss. Heidegger macht diesen Zusammenhang am Anfang des § 31 mit wünschenswerter Deutlichkeit klar: »Im Verstehen liegt existenzial die 8

Siehe Günter Figal: Gegenständlichkeit. Das Hermeneutische und die Philosophie. Tübingen 2006. 29–30.

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Seinsart des Daseins als Sein-können. Dasein ist nicht ein Vorhandenes, das als Zugabe noch besitzt, etwas zu können, sondern es ist primär Möglichsein. Dasein ist je das, was es sein kann und wie es seine Möglichkeit ist.« (SZ 143) Dabei verwendet er den Ausdruck »Verstehen«, wie er selber bemerkt, sehr spezifisch, indem der »Ausdruck ›etwas verstehen‹ in der Bedeutung von ›einer Sache vorstehen können‹, ›ihr gewachsen sein‹, ›etwas können‹ verwendet wird.« (SZ 143) Es ist nun einigermaßen irreführend, wenn Heidegger sagt: »Das im Verstehen als Existenzial Gekonnte ist kein Was, sondern das Sein als Existieren«, da die verschiedenen Weisen des Besorgens, wie Heidegger Handlungsweisen in einem sehr weiten Sinn nennt, immer etwas Bestimmtes, also ein Was sind. Die zitierte Stelle über das Möglichsein des Daseins besagt dementsprechend, dass man als Dasein nicht durch beobachtbare Eigenschaften bestimmt ist, weil man immer mehr ist, als was sich an ihm empirisch feststellen lässt. Für andere ist man nur in seinen Handlungen und Verhaltensweisen zugänglich, und zwar nur partiell, weil man immer mehr »kann«, als man tatsächlich tut. Eine wesentliche Pointe dieses Konzeptes besteht darin, dass das Verstehen eng mit dem Gebrauchswissen, mit dem Umgehen-können verknüpft wird: Verstehen, wie Heidegger es fasst, hat unmittelbar damit zu tun, dass man das jeweilige Zeug gebrauchen kann, oder zumindest davon weiß, dass das Zeug zu bestimmten Zwecken verwendet werden kann, auch wenn man diese Zwecke im Einzelfall nicht genauer kennt. Die innige Verknüpfung des Verstehens mit den Möglichkeiten des Daseins wird noch grundsätzlicher unterstrichen, indem Heidegger das Verstehen als Entwurf bestimmt: »Es entwirft das Sein des Daseins auf sein Worumwillen ebenso ursprünglich wie auf die Bedeutsamkeit als die Weltlichkeit seiner jeweiligen Welt. Der Entwurfcharakter des Verstehens konstituiert das Inder-Welt-sein hinsichtlich der Erschlossenheit seines Da als Da eines Seinkönnens. Der Entwurf ist die existenziale Seinsverfassung des Spielraums des faktischen Seinkönnens.« (SZ 145) Zur Erläuterung des Verstehens wird noch hinzugefügt, dass im Entwurf des Verstehens die einzelnen Möglichkeiten nicht thematisch erfasst werden, und dementsprechend sind die im Verstehen erschlossenen Möglichkeiten auch nicht als thematische Pläne oder Projekte aufzufassen, mit denen man sich gerade beschäftigt. Gleichwohl ist eine solche Beschäftigung mit Plänen nur im Spielraum von derart bekannten Möglichkeiten vorstellbar. Mit einzelnen thematisierten Möglichkeiten hat Heidegger zufolge die Auslegung zu tun. Ferner kann man den Ausdruck »Entwurf« nicht für glücklich gewählt halten, da er an eine Aktivität denken lässt. Mit einzelnen Möglichkeiten hat Heidegger zufolge die Auslegung zu tun, der ihrerseits das Verstehen zugrundeliegt.

Verstehen und Auslegung bei Heidegger

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Heidegger führt die Auslegung so ein, dass der Anschein erweckt wird, es handele sich bei der Auslegung um etwas anderes als Verstehen: »Das Entwerfen des Verstehens hat die eigene Möglichkeit, sich auszubilden. Die Ausbildung des Verstehens nennen wir Auslegung. In ihr eignet sich das Verstehen sein Verstandenes verstehend zu. In der Auslegung wird das Verstehen nicht etwas anderes, sondern es selbst« (SZ 148). Wichtig ist jedoch zu sehen, dass die Auslegung einen anderen Aspekt desselben Phänomens bildet. Die Auslegung präzisiert im Grunde nur die Weise, in der einzelne Sachen dem Dasein begegnen. Ein Zeug begegnet »als etwas«, und dementsprechend hat die Auslegung in Wahrheit die eigentümliche Struktur, »etwas als etwas« auszulegen: »Das umsichtig auf sein Um-zu Auseinandergelegte als solches, das ausdrücklich Verstandene, hat die Struktur des Etwas als Etwas« (SZ 149). Daraus wird auch deutlich, wie der Ausdruck »Auslegung« näher zu verstehen ist: etwas wird ausgelegt, indem es auf seine Verwendbarkeit bezogen wird, also im Lichte seines möglichen Gebrauchs »gesehen« wird. Dabei muss man zum einen hervorheben, dass die Rede von der Ausdrücklichkeit der Auslegung impliziert, dass es hier bereits um einigermaßen thematisierte Verhaltensmöglichkeiten geht. Zum anderen betont Heidegger nachdrücklich, dass der Vollzug der Auslegung von thematischen Aussagen über das Ausgelegte zu trennen ist: »Die Artikulation des Verstandenen in der auslegenden Näherung des Seienden am Leitfaden des ›Etwas als etwas‹ liegt vor der thematischen Aussage darüber. In dieser taucht das ›Als‹ nicht zuerst auf, sondern wird nur erst ausgesprochen« (SZ 149). Es wäre also ein Missverständnis zu meinen, dass Heidegger über das Wahrnehmen (etwa Sehen und Hören) in dem Sinne spricht, wie das in der Philosophie üblich ist. Zwar findet man Stellen, in denen vom schlichten Sehen die Rede ist, aber die prinzipielle Verknüpfung dieses Sehens mit dem Umgang, mit dem Besorgen wird klar ausgedrückt. Dieser Unterschied lässt sich noch dadurch bestätigen, dass er terminologisch auch nicht vom Wahrnehmen, sondern vom »Entdecken« spricht. Dem Wahrnehmen im theoretischen Sinn entspricht das alsfreie Erfassen von etwas, das Heidegger auch das »Nur-noch-vor-sich-habenvon etwas« nennt, und das, wie er meint, einer Einstellungsänderung bedarf (SZ 149). Die Auslegung gründet Heidegger zufolge in der Vorstruktur des Verstehens, die sich in Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff gliedert. Die Vorhabe ist die vorgängige Kenntnis der Bewandtnisganzheit, in der das Verstandene eingebettet ist. Die Vorsicht legt die Hinsicht fest, im Hinblick auf die das Verstandene ausgelegt wird. Schließlich bestimmt Heidegger den Vorgriff als eine Begrifflichkeit, die dem Verstandenen angemessen oder auch unangemessen ist. Es wird nicht vollkommen deutlich, worin die Pointe der Vorstruktur be-

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steht und welchen Stellenwert sie besitzt. Vor allem lässt sich der Vorgriff als eine bestimmte Begrifflichkeit, die einen internen Aspekt des Verstehens ausmachen soll, schwierig interpretieren, da es, falls die Auslegung vor der Aussage liegen soll, nicht mehr verständlich ist, warum sie bereits eine Begrifflichkeit nötig hat. Wenn die Auslegung vollzogen werden kann, ohne dabei ein Wort zu verlieren, dann ist nicht einzusehen, in welchem Sinne dazu eine Begrifflichkeit erforderlich wäre. Daran ändert nichts, dass eine im besorgenden Umgang gemachte Aussage, wie zum Beispiel »Der Hammer ist zu schwer«, natürlich eine Begrifflichkeit voraussetzt. Wie dem auch sei, es ist der Zusammenhang, in dem Heidegger sich am ausführlichsten zum Problem der Textinterpretation äußert: »Auslegung ist nie ein voraussetzungloses Erfassen eines Vorgegebenen. Wenn sich die besondere Konkretion der Auslegung im Sinne der exakten Textinterpretation gern auf das beruft, was ›dasteht‹, so ist das, was zunächst ›dasteht‹, nichts anderes als die selbstverständliche, undiskutierte Vormeinung des Auslegers, die notwendig in jedem Auslegungsansatz liegt als das, was mit Auslegung überhaupt schon ›gesetzt‹, das heißt in Vorhabe, Vorsicht, Vorgriff vorgegeben ist« (SZ 150). An dieser Stelle wird deutlich, dass die Auslegung im Sinne Heideggers, also die Auslegung eines Zeugs auf eine Handlungsweise hin, nicht reibungslos mit dem Phänomen der Textinterpretation verglichen werden kann. Heidegger differenziert die Als-Struktur der Auslegung, indem er zwei Arten unterscheidet, die außerdem in einem Fundierungsverhältnis stehen. Es ist wesentlich für seine Auffassung, dass das Sprachliche, nämlich die Aussage, der zweiten Form der Auslegung zugeordnet wird: »So kann die Aussage ihre ontologische Herkunft aus der verstehenden Auslegung nicht verleugnen. Das ursprüngliche ›Als‹ der umsichtig verstehenden Auslegung (herméneia) nennen wir das existenzial-hermeneutische ›Als‹ im Unterschied vom apophantischen ›Als‹ der Aussage. – Zwischen der im besorgenden Verstehen noch ganz eingehüllten Auslegung und dem extremen Gegenfall einer theoretischen Aussage über Vorhandenes gibt es mannigfache Zwischenstufen« (SZ 158). Heidegger macht eigentlich nur den Unterschied zwischen dem hermeneutischen Als und dem apophantischen Als der Aussage klar, nicht jedoch die bloß aufgezählten Zwischenstufen, wie Aussagen über Geschehnisse in der Umwelt, Schilderungen des Zuhandenen, usw. Damit wird bedauerlicherweise die Möglichkeit aus der Hand gegeben, solche Formen des Sprachgebrauchs zu betrachten, die sich nicht ausschließlich negativ und derivativ beschreiben lassen, wie Heideggers Meinung nach die theoretischen Aussagesätze. Um diesen derivativen Charakter herauszustellen, will er einsichtig machen, wie die Aussage aus einer Verengung des ursprünglichen Besorgens abstammt. Aufgrund des Beispiels »Der Hammer ist schwer« wird die These verdeutlicht, dass es solche Sätze im alltäglichen Umgang nicht gibt:

Verstehen und Auslegung bei Heidegger

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»Der ursprüngliche Vollzug der Auslegung liegt nicht in einem theoretischen Aussagesatz, sondern im umsichtig-besorgenden Weglegen bzw. Wechseln des ungeeigneten Werkzeuges, ›ohne dabei ein Wort zu verlieren‹. Aus dem Fehlen der Worte darf nicht auf das Fehlen der Auslegung geschlossen werden« (SZ 157). Man muss sich hier vor Augen halten, dass für Heidegger die Auslegung nicht erst vollzogen wird, wenn man auf etwas aufmerksam wird, also wenn der Hammer zu schwer gefunden wird. Wie aus seiner Beschreibung der Verwendbarkeit eines Zeugs klar hervorgeht, wird alles, womit man unausdrücklich auf diese oder jene Weise umgeht, ausgelegt.9 Es ist sogar für Heidegger von besonderer Bedeutung, dass ein Zeug, indem man mit ihm umgeht, durchweg unausdrücklich bleibt, und deswegen kann sein Gebrauch unmöglich als ein thematisches Erfassen von Gegenständlichem verstanden werden. Dem entspricht, dass das Gebrauchswissen, das im Gebrauchen-Können eines Zeugs erscheint, nicht-propositionales Wissen ist, und deswegen unterliegt es auch nicht der für propositionale Gebilde charakteristischen Bivalenz von Wahrheit und Falschheit.10 Dagegen setzt jedes propositionale Wissen genauso wie jeder Sprachgebrauch die Thematisierung dessen voraus, worauf Bezug genommen wird. Heidegger betrachtet außerdem als ursprüngliche Auslegung eine Aussage, die auf das Besorgen bezogen wird. Das Aussagen vollzieht sich demzufolge primär im Hinblick auf die Handlungssituation, die dem Handelnden bereits »erschlossen« war. Mit dieser Vorentscheidung wird das Sprachliche in ein Ableitungsverhältnis gestellt: Sprachgebrauch wird strikt in einen Handlungszusammenhang eingebettet, und das lässt kaum Raum für die eigentümliche Ungebundenheit und Freiheit der Sprache. Aufgrund dieser Voraussetzung kann Heidegger alles Sprachliche nur noch als mögliche Verselbständigung aus einem Kontext betrachten. Heidegger verdeutlicht dieses Verhältnis in einer Vorlesung wie 9

Demmerling sieht in Heideggers Position folgende implizite Frage: »Erfolgt die Klassifikation und Charakterisierung der Gegenstände mit den Mitteln der Sprache, d. h. mit Hilfe von Aussage und Urteil, oder aber werden bereits durch einfache (nichtpropositionale) Wahrnehmung Deutungsleistungen vollbracht, die dann erst nachträglich mit Hilfe von Aussagen zur Darstellung gebracht werden?« (Christoph Demmerling: Hermeneutik der Alltäglichkeit und In-der-Welt-sein. In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Martin Heidegger. Sein und Zeit. Berlin 2001. 89–115. 105). Eine ähnliche Problemstellung findet sich bei Andreas Graeser: Das hermeneutische ›als‹. Heidegger über Verstehen und Auslegen. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 47 (1993). 559–572. Dagegen muss man feststellen, dass Heidegger sich diese Frage eigentlich nicht stellt. Um mit einem Zeug etwas anfangen zu können, muss man es nicht benennen oder darüber Aussagen machen können. Andererseits lässt sich die Aneignung von vielerlei Fähigkeiten und Fertigkeiten, die das hier angesprochene Können ausmachen, nicht ohne Sprache vorstellen. 10 Vgl. Wolfgang Wieland: Platon und die Formen des Wissens. Göttingen 1982.

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folgt: »Diese Aussage: ›Die Kreide ist zu sandig‹ ist nicht nur ein Bestimmen der Kreide, sondern zugleich ein Auslegen meines Verhaltens und Nichtverhaltenkönnens - nicht ›recht‹ schreiben können. In dieser Aussage will ich nicht dieses Ding, das ich in der Hand habe, bestimmen als etwas, das die Eigenschaft des Harten oder des Sandigen hat, sondern ich will damit sagen: Sie hemmt mich im Schreiben: die Aussage ist also interpretierend bezogen auf das schreibende Verhalten, d. h. auf den primären Umgang des Schreibens selbst« (GA 21, 157). In Sein und Zeit behauptet Heidegger, dass die theoretische Aussage eine »Nivellierung des ursprünglichen ›Als‹ der umsichtigen Auslegung zum Als der Vorhandenheitsbestimmung« voraussetzt (SZ 158). Damit wird näher charakterisiert, in welchem Sinne Heidegger meint, die Aussage aus der Auslegung ableiten zu können. Diese Überlegungen zeigen auch deutlich, dass die vorsprachliche Leistung der Auslegung für Heidegger im Gebrauchswissen besteht und nicht in einer interpretationsanalogen Leistung. Zum Schluss sollte betont werden, dass die Sprache zwar in unmittelbarer Nähe zu Verstehen und Auslegung thematisiert wird, aber dass sich der Übergang nicht selbstverständlich aus dem Vorangegangenen ergibt, wie Heidegger auch selber deutlich macht.11 Man muss berücksichtigen, dass nicht die Sprache, sondern die Rede, und zwar die Rede im ungewöhnlichen Sinne als Existenzial bezeichnet wird. Statt mit »Rede« den Vollzug des Sprechens zu bezeichnen, wird der Ausdruck im Sinne der »Artikulation der Verständlichkeit des Da« verwendet (SZ 161), die deswegen bereits der Auslegung und Aussage als Grundlage dient. Damit wird allerdings nicht ganz deutlich, wie die so verstandene Rede sich vom Verstehen als Existenzial unterscheiden lässt. Ferner verliert diese Charakterisierung der Rede etwas an Deutlichkeit durch die Bestimmung, derzufolge die Hinausgesprochenheit der Rede die Sprache sei (SZ 161). Jedenfalls lässt sich behaupten, dass die Berücksichtigung der Sprache die Problematik der Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit vorbereitet, indem die Rede auch als Mitteilung im weiten Sinne, und zwar als »die Artikulation des verstehenden Miteinanderseins« gefasst wird. In der Analyse des Man spielt die Rede genau in dem Sinne eine grundlegende Rolle, da es allein durch sie möglich wird, dass einer vom »Man« beherrscht wird. Das wird auch dadurch bestätigt, dass die maßgebende Bedeutung von Öffentlichkeit sich nur aufgrund der ausgesprochenen Rede erläutern lässt, da nur durch die Sprache die Möglichkeit gegeben ist, Handlungsweisen einander derart weiterzugeben, dass sie einen bestimmen. 11

»Die Klärung der dritten Bedeutung von Aussage als Mitteilung (Heraussage) führte in den Begriff des Sagens und Sprechens, der bislang unbeachtet blieb und zwar mit Absicht«. SZ. 160.

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Implizit und Explizit Überlegungen zum Verstehensbegriff im Anschluss an Heidegger und Brandom

Menschen sind Wesen, die ihr Leben nicht – jedenfalls nicht ausschließlich – als Spielbälle im Rahmen eines kausalen Geschehens fristen. Menschen sind Wesen, die aus Gründen handeln können und die Fähigkeit besitzen, sich gemäß ihren eigenen Zielen und Zwecken zu orientieren. Menschen sind Wesen, welche die Fähigkeit besitzen, etwas zu verstehen, ihnen ist daran gelegen, sich die Welt verstehend zugänglich zu machen und sie sich zu erschließen. Nicht nur, dass etwas geschieht, ist für Menschen wichtig, sondern wie und warum es geschieht; nicht nur, dass etwas getan wird oder getan werden sollte, ist für sie von Belang, sondern warum es getan wurde oder getan werden sollte; und wenn jemand etwas sagt, nehmen Menschen dies in der Regel nicht einfach als Geräusch wahr, sondern wichtig ist, was jemand, der etwas gesagt hat, damit gemeint hat und was die Bedingungen und Konsequenzen seiner Äußerung sind. Bereits diese knappe Auflistung macht deutlich, dass es nichts in der Welt gibt, was nicht Gegenstand des Verstehens ist oder zumindest werden kann: Vorgänge in der Natur, Verhaltensweisen von Menschen und anderen Lebewesen, eigene Handlungen und Handlungen anderer Menschen (wozu auch deren sprachliche Äußerungen gehören), Produkte menschlichen Handelns (wie beispielsweise technische Artefakte, Institutionen, Kunstwerke usw.). Wenn richtig ist, was ich gesagt habe, dann ist unschwer zu sehen, dass der Verstehensbegriff der traditionellen Hermeneutik als einer Methode oder Lehre vom richtigen Interpretieren theologischer, juristischer und anderer Texte bzw. Äußerungen zu eng ist. Aber auch ein Verstehensbegriff, der von vornherein auf das Verstehen sprachlicher Äußerungen oder menschlicher Handlungen zugeschnitten ist, scheint zu eng zu sein. Der erste Teil dieses Beitrags erläutert einen Verstehensbegriff, welcher der Vielfalt dessen, was und wie verstanden werden kann, gerecht werden könnte. Heidegger entwickelt diesen Begriff in den §§ 31 ff. von Sein und Zeit (I). In einem zweiten Teil werden die Überlegungen Heideggers auf Brandoms Konzeption einer expressiven Vernunft bezogen. Mehr als die Frage nach der Angemessenheit der Heidegger-Interpretation Brandoms interessiert mich in diesem Zusammenhang das Problem, ob und, wenn ja, welche Differenzierungsgewinne sich mit Blick auf den Verstehensbegriff aus den Analysen Brandoms ergeben

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(II). Ein dritter Teil fragt danach, ob Begriffe oder sogar propositionale Strukturen notwendig zum Verstehen gehören (III).

I. Verstehen bei Heidegger Das Erste, was im Zusammenhang mit Heideggers Überlegungen zum Begriff des Verstehens auffällt, ist die Betonung des Entwurfs- und Möglichkeitscharakters dessen, was Heidegger »Dasein« nennt. Es ist in erster Linie das Können des Daseins, welches mit dem Verstehensbegriff zur Diskussion steht. Sich auf das Hämmern, auf das Schwimmen oder auf die Gartenarbeit zu verstehen, heißt, sich in den fraglichen Kontexten zurecht zu finden und mit den dort jeweils relevanten Dingen umgehen zu können. Es heißt, die betreffenden Sachen, Tätigkeiten und Situationen ›im Griff‹ zu haben. Heidegger bezieht sich mit dem Begriff des Verstehens zunächst auf praktische Fähigkeiten und Fertigkeiten, auf ein Wissen, wie man etwas macht, und nicht auf den Inhalt dessen, was man in diesem Zusammenhang versteht. Dies bestätigt sich auch durch Heideggers Rede davon, dass das Verstehen ein »erschließendes Seinkönnen« ist.1 Durch Verstehen gewinnen verstehende Wesen eine grundlegende Sicht auf sich und die Welt. Sie gewinnen einen Stand und nehmen eine Haltung ein. Etwas zu erschließen bedeutet, etwas zugänglich zu machen (ganz wörtlich: ein Gebiet oder ein Gelände, ein Grundstück oder einen Raum) und in diesem Sinne zu öffnen. Wer sich etwas erschlossen oder eröffnet hat, hat sich mit etwas vertraut gemacht und eine Übersicht über etwas gewonnen. Mehr als das: Wer sich etwas erschlossen hat, der weiß, was in einem bestimmten Bereich der Welt ›geht‹ und was nicht ›geht‹, was man machen kann und was man nicht machen kann. In diesem Sinn macht der Begriff der Erschließung einmal mehr deutlich, inwiefern das Verstehen bei Heidegger mit Möglichkeiten und einem Können zu tun hat. Um auf ein im Kontext der Überlegungen Heideggers notorisches Beispiel zu sprechen zu kommen: Man versteht, was es mit einem Hammer auf sich hat, wenn man weiß, was man mit einem Hammer machen kann, wozu er dienlich ist, dass man ihn als Werkzeug zum Einschlagen von Nägeln, ihn aber auch als Waffe oder Briefbeschwerer nutzen kann, nicht jedoch als Zahnbürste oder Leuchtmittel. Diese Hinweise klären zwar noch nicht den Verstehensbegriff als solchen, aber sie zeigen schon einmal, dass Heidegger an eine ebenso allgemeine wie fundamentale praktische und epistemische Relation denkt. Glieder dieser Relation sind auf der einen Seite die verstehenden Wesen, auf der anderen 1

Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 151979. 144 (im Folgenden SZ).

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Seite Gegenstände und Dinge in der Welt (sofern das Verstehen in der Umsicht gründet), ein anderer Mensch bzw. andere Menschen (sofern das Verstehen in der Rücksicht gründet), oder auch man selbst (sofern das Verstehen in der Durchsichtigkeit gründet). Die natürliche Welt und die soziale Welt legen unserem Verstehen Grenzen auf. Sie markieren das Feld des Vorverstehens und prägen die Art und Weise, wie wir etwas verstehen. Man kann von der Welt und von anderen Lebewesen nicht glauben, was man glauben will. Man kann sich und die Welt nicht so verstehen, wie man sich oder sie verstehen möchte. Natürliche und soziale Umwelt legen zwar letztlich nicht definitiv auf ein bestimmtes Verständnis fest. Aber man ist bei dem, was man von der Welt denkt, der natürlichen und sozialen Umwelt verpflichtet. Von der Welt zu glauben, was man glauben möchte, wäre Wunschdenken oder würde eine zwiespältige Form von Voluntarismus darstellen. Die Macht der natürlichen und sozialen Welt ergibt sich aus dem praktischen und wahrnehmenden Umgang mit der Welt. Die Autorität, die man den Objekten und Vorgängen in der äußeren Welt zubilligt, gründet in einer Art zu leben und die Welt anzuschauen. Die Mitglieder westlicher, aufgeklärter Industriegesellschaften gehen beispielsweise zum Arzt, um eine Krankheit zu kurieren, nicht zum Schamanen. Sie schließen ihre Häuser ab, um einen Einbruch zu verhindern, lassen in der Regel nicht einen Zauberer einen Bannspruch ausstoßen, der andere am unerlaubten Betreten ihres Grundstücks hindern soll. Mit solchen Praktiken tragen sie der Verfassung der Welt Rechnung und billigen ihr Autorität zu. Nimmt man derartige Überlegungen ernst, zeigt sich, dass Vorwürfe wie derjenige, Heideggers Position sei idealistisch, da beispielsweise im Rahmen der Zeuganalyse Welt in erster Linie auf Konstitutionsleistungen des so genannten Daseins zurückgeführt werde und Gegenstände als Zeug lediglich im Rahmen seiner Dienlichkeit für das Dasein in den Blick treten würden, verfehlt sind. Im Gegenteil: Heideggers Überlegungen besitzen durchaus einen realistischen Zug, sofern das Dasein im Verstehen der Verfassung der Gegenstände und der Mitwelt Rechnung zu tragen hat.2

2

Vgl. zum Idealismusvorwurf z. B. Cristina Lafont: Sprache und Welterschließung. Zur linguistischen Wende der Hermeneutik Heideggers. Frankfurt a.M. 1994, die bereits im Vorwort ihrer Arbeit von einem »Idealismus der Sprachlichkeit« spricht; eine der Tendenz nach realistische Lektüre von Heideggers Sein und Zeit findet sich beispielsweise bei Carl Friedrich Gethmann: Verstehen und Auslegung. Das Methodenproblem in der Philosophie Martin Heideggers. Bonn 1974. Gethmann spricht 80 f. von einem responsorischen Subjektbegriff, um zu akzentuieren, dass das Dasein bei Heidegger die Konstitution nicht als autonomes Subjekt leistet, sondern im Nachvollzug der Konstitution immer schon auf Sein angewiesen ist und – so würde ich ergänzen – auf die Verfassung der Welt antwortet.

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Eine erste Unterscheidung, die Heidegger im Zusammenhang mit dem Verstehensbegriff trifft, ist diejenige zwischen Verstehen und Auslegung. Als Auslegung wird die »Ausbildung des Verstehens« bezeichnet; in der Auslegung – so Heidegger – »eignet sich das Verstehen sein Verstandenes verstehend zu«.3 Man könnte die Bemerkung dahingehend interpretieren, dass der Ausdruck »Auslegung« ein explizites Verstehen bezeichnet, in dessen Rahmen das Verstandene als solches auch ausdrücklich thematisiert werden kann, während das Verstehen im Allgemeinen nicht unbedingt ein explizites Verstehen sein muss, sondern implizit und unausdrücklich bleiben kann. Man kann verstehen, ohne artikulieren zu können, dass man verstanden hat. Artikulierbarkeit, Expressivität wäre – so gesehen – keine notwendige Bedingung für Verstehen. Wer einen Hammer in die Hand nimmt, um einen Nagel in die Wand zu schlagen, der hat verstanden, was es mit dem Hammer auf sich hat. Verstanden hat er es auch dann, wenn er es nicht artikulieren oder ausdrücken kann. Hätte dann nicht auch ein Schimpanse, der mit dem Stück eines Baumzweigs nach Termiten angelt, verstanden, was es mit dem Stück eines Baumzweigs auf sich hat? Das ist eine Rekonstruktion, die teilweise mit der Explikation des Verstehens als Können übereinstimmt. Allerdings steht das skizzierte Verständnis der Unterscheidung von Verstehen und Auslegung im Sinne der Unterscheidung von implizitem und explizitem Verstehen in einer Spannung zu einer weiteren Unterscheidung, die Heidegger trifft. Im Zusammenhang mit seiner Erläuterung des Auslegungsbegriffs am Beispiel des Verstehens von Welt macht er darauf aufmerksam, dass alles dasjenige, was ausdrücklich verstanden wird, die – ich zitiere – »Struktur des

Vgl. auch Hubert L. Dreyfus: Being-in-the-World. A Commentary on Heidegger’s Being and Time, Division I. Cambridge/Mass. 1991, der 96 von einer »Interdependence of Dasein and World« spricht. Ferner John Haugeland: Truth and Rule-Following. In: Ders., Having Thought. Essays in the Metaphysics of Mind. Cambridge/Mass. 1998. 305–361, der 346 ff. die Vorstellung von »truth as beholdenness« entwickelt, eine Konzeption, die in dem genannten Aufsatz zwar nicht auf Heidegger bezogen wird, aber in systematischer Perspektive wohl Haugelands Auseinandersetzung mit Heidegger geschuldet ist. Auch Brandom akzentuiert eine realistische Komponente im Denken Heideggers, wenn er von einem »move from a world of equipment […] to a realm of things which have properties not exhausted by their possible roles in Dasein’s practical dealings« spricht; vgl. Robert B. Brandom: Heidegger’s Categories in Sein und Zeit. In: Ders., Tales of the Mighty Dead. Historical Essays in the Metaphysics of Intentionality. Cambridge/Mass. 2002. 298–323. 299. Insbesondere die Kategorie des Vorhandenen bürge für den objektiven Einschlag der Überlegungen Heideggers; vgl. auch ders.: Dasein, the Being that Thematizes. In: Ebd. 324–347. 326: »What is occurrent differs from what is available in that it is not made to be what it is by being caught up in normative social practices, which situate it with respect to Dasein’s projects.« 3 SZ. 148.

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Etwas als Etwas« hat.4 Gemeint ist mit dieser Redeweise, dass verstehende Wesen immer dann, wenn sie sich auf etwas in der Welt richten (auf Gegenstände oder auch komplexere Sachverhalte), sie die betreffenden Gegenstände oder Sachverhalte bereits als in bestimmten Hinsichten klassifiziert und charakterisiert erfahren. Alles in der Welt tritt verstehenden Wesen als bereits interpretiertes Sinngebilde und nicht als bezugsloses Einzelding entgegen. Heidegger erläutert dies am Beispiel des Hörens. Verstehende Wesen hören Geräusche als Geräusch eines Automotors oder als knisterndes Feuer. Heideggers Vorschlag, die Auslegung im Sinne des ausdrücklichen Verstehens im Rückgriff auf deren Als-Struktur zu erläutern, zieht eine wichtige Frage nach sich: Erfolgt die Klassifikation und Charakterisierung der Gegenstände mit den Mitteln der Sprache, d. h. mit Hilfe von Aussage und Urteil, oder aber werden bereits durch einfache Wahrnehmungen Deutungsleistungen vollbracht, die dann erst nachträglich mit Hilfe von Aussagen zur Darstellung gebracht werden? Der Textbefund im § 32 von Sein und Zeit ist zunächst einmal eindeutig. »Der umsichtig-auslegende Umgang mit dem umweltlich Zuhandenen, der dieses als Tisch, Tür, Wagen, Brücke ›sieht‹, braucht das umsichtig Ausgelegte nicht notwendig auch schon in einer bestimmenden Aussage auseinanderzulegen. Alles vorprädikative schlichte Sehen des Zuhandenen ist an ihm selbst schon verstehend-auslegend.«5 Wenig später heißt es: »Die Artikulation des Verstandenen in der auslegenden Näherung des Seienden am Leitfaden des ›Etwas als Etwas‹ liegt vor der thematischen Aussage darüber« und es sei falsch, dem »schlichten Sehen jede artikulierende Auslegung, mithin die Als-Struktur abzusprechen«.6 Heidegger macht in diesen Passagen ausdrücklich darauf aufmerksam, dass das vor Aussage und Urteil liegende Wahrnehmen (Sehen, Hören) als Deutungsleistung anzusehen ist, auf Grundlage derer etwas verstanden wird. Für beide Weisen des Verstehens bzw. Auslegens benutzt Heidegger schließlich zwei unterschiedliche Begriffe: er unterscheidet das »existenzial-hermeneutische ›Als‹« der umsichtig-verstehenden Auslegung vom »apophantischen ›Als‹ der Aussage«.7 Eine wichtige Frage, die Heideggers Überlegungen aufwirft, betrifft den Sinn des Ausdrucks »vorprädikativ«. Ist mit ihm lediglich auf etwas verwiesen, was vor der Aussage liegt (so der Text), gleichwohl aber im Reich des Begrifflichen anzusiedeln ist, oder aber unterstellt Heidegger hier vorsprachliche im Sinne vorbegrifflicher Deutungsleistungen?8 Ist zum Beispiel der Gehalt von 4 5 6 7 8

SZ. 149. SZ. 149. Ebd. SZ. 158. Ich halte die Ausführungen hier knapp; eine ausführliche Auseinandersetzung mit

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Wahrnehmungen begrifflicher Gehalt, oder ist er es nicht? Vertritt Heidegger eine Begrifflichkeitsthese wie beispielsweise gegenwärtig John McDowell9, oder macht er sich wie etwa Gareth Evans oder Christopher Peacocke dafür stark, Wahrnehmung als eine Erkenntnisform anzusehen, anlässlich derer der Begriff eines nichtbegrifflichen Gehalts zumindest nicht von vornherein als unsinniger Begriff zurückgewiesen werden sollte?10 Ich möchte diese Frage für den Augenblick offen lassen, komme aber darauf zurück. Nach den Überlegungen zur Unterscheidung von Verstehen und Auslegung sowie zur hermeneutischen und apophantischen Auslegung als verschiedenen Formen der Auslegung lässt sich die Differenzierung zwischen explizitem und implizitem Verstehen wie folgt auf Heideggers Terminologie anwenden: Wenn Heidegger von Verstehen spricht, könnte im Prinzip auch ein implizites Verstehen gemeint sein, sofern der Begriff des Verstehens diesbezüglich nicht in einer genauer qualifizierten Weise verwendet wird. Mit dem Begriff der Auslegung hingegen bezieht sich Heidegger immer auf ein ausdrückliches Verstehen. Allerdings werden zwei Formen von Auslegung voneinander unterschieden In der Auslegung kann das Verstehen auf eine praktische Weise explizit sein, oder es kann auf eine sprachliche (besser: propositionale, also aussageförmig strukturierte) Weise explizit sein. Ersteres ist im Kontext der von Heidegger so genannten hermeneutischen Auslegung der Fall, letzteres im Kontext der von ihm so genannten apophantischen Auslegung. Eine gewisse Schwierigkeit ergibt sich nun daraus, dass aus der Sicht der apophantischen Auslegung auch das in der praktischen Auslegung Verstandene als implizit angesehen werden kann. Der Begriff des impliziten Verstehens kann also mit Blick auf die Unterscheidungen Heideggers an zwei verschiedenen Stellen zur Anwendung gebracht werden. Im Verhältnis zur Auslegung kann man das Verstehen als implizites Verstehen auffassen; im Verhältnis zur apophantischen Auslegung kann man die hermeneutische Auslegung als implizites Verstehen ansehen. Bei der Frage, welches Verstehen als implizit aufzufassen ist, kommt es darauf an, von welcher Warte aus man auf die Phänomene des Verstehens blickt. Von der apophantischen Auslegung aus gesehen ist das Verstehen der hermeneutischen Auslegung implizit; von der Auslegung aus dem Sprachbegriff in SZ findet sich in meinem Aufsatz Hermeneutik der Alltäglichkeit und In-der-Welt-sein (§§ 25–38). In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Martin Heidegger: Sein und Zeit. Berlin 2001. 89–115, v. a. 108 ff. sowie in dem Buch Christoph Demmerling: Sinn, Bedeutung, Verstehen. Untersuchungen zu Sprachphilosophie und Hermeneutik. Paderborn 2002. 223 ff. 9 John McDowell: Mind and World. Cambridge/Mass. 1994, z. B. 24 f. 10 Gareth Evans: The Varieties of Reference. Oxford 1982, z. B. 122 ff. 226 ff.; Christopher Peacocke: Nonconceptual Content Defended. In: Philosophy and Phenomenological Research 58 (1998). 381–388.

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betrachtet, sei sie nun hermeneutische oder apophantische Auslegung, stellt sich das Verstehen als solches als implizit dar. Die Frage, die mich jetzt interessiert, lautet: Wie verhalten sich diese verschiedenen Arten des Verstehens zueinander? Eine Teilantwort auf diese Frage habe ich mit ein wenig Heidegger-Exegese bereits gegeben. 1.) Aussagen oder Aussagen-Können ist keine notwendige Bedingung für implizites Verstehen, d. h. explizites Verstehen ist keine notwendige Bedingung für implizites Verstehen. Streng betrachtet sind Aussagen noch nicht einmal Bedingung für explizites Verstehen. Praktisches Verstehen kann ausdrücklich sein, ohne eine propositionale Struktur aufweisen zu müssen. 2.) Damit etwas explizit verstanden werden kann, muss es aber zuvor implizit verstanden worden sein, d. h. implizites Verstehen ist eine notwendige Bedingung für explizites Verstehen. Und es gilt: Propositionales explizites Verstehen gründet auf praktisch explizitem Verstehen. Anders gesagt: dem praktischen Verstehen gebührt der Primat vor dem propositionalen Verstehen.

II. Verstehen bei Brandom Lässt sich alles Implizite explizit machen? Betrachtet man die Ausdrücke »implizit« und »explizit« als relationale Begriffe, die von vornherein zusammengehören, lässt sich die angeführte Frage nur positiv beantworten. Zum Impliziten gehört das Explizite. Bereits aus diesem Grund liegt die Annahme nahe, dass alles dasjenige, was in einem Kontext implizit ist, möglicherweise in demselben, auf jeden Fall aber in einem anderen Kontext explizit gemacht werden kann. Ich will die Frage noch einmal anders formulieren: Lässt sich alles dasjenige, was aus der Perspektive des Ausdrücklichmachens als implizit erscheint, explizit machen? Lassen sich alle Voraussetzungen unseres Tuns und Sagens zum Gegenstand des Sagens bzw. Aussagens machen?11 Vor dem 11

Manche argumentieren dafür, dass der für Sprache und Gedanken vorausgesetzte Hintergrund des Sprechens und Denkens nicht zur Gänze explizierbar ist, andere votieren dafür, dass jede Art von Verstehen oder kognitivem Gehalt sprachlich artikulierbar sein muss. Vgl. Joseph Rouse: How Scientific Practises Matter. Reclaiming Philosophical Naturalism. Chicago. London 2002. 228 f.; zur ersten Position (auch mit Blick auf Heidegger) vgl. Hubert Dreyfus: Overcoming the Myth of the Mental. How Philosophers can profit from the Phenomenology of Everyday Expertise. In: Proceedings and Addresses of the American Philosophical Association, 79/2, (2005) 47–65; ferner John Haugeland: Heidegger on Being a Person. In: Nous 16 (1982) 15–26; ders.: Dasein’s Disclosedness. In: The Southern Journal of Philosophy (1989), XXVIII Supplement. 51–73. Zur zweiten Position Robert B. Brandom: Expressive Vernunft. Begründung, Repräsentation und diskursive Festlegung. Frankfurt a.M. 2000, z. B. 889; ders.: Articulating Reasons. An Introduction to Inferentialism. Cambridge/Mass. 2000, z. B. 16 ff.

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Hintergrund der sozialpragmatischen Diskurstheorie von Brandom müsste man diese Frage wohl ohne Einschränkung bejahen. Der Anspruch der von ihm so genannten expressiven Vernunft besteht gerade darin, das einer Praxis Implizite zur Gänze explizit zu machen. Die Expressivität der Vernunft läuft darauf hinaus, das in diskursiven Praktiken jedweder Art Implizite explizit zu machen.12 Brandom denkt beim Begriff des Impliziten in erster Linie an inferentielle Beziehungen, die zwischen Behauptungen, Handlungen sowie Handlungen und Behauptungen bestehen. Was heißt das? Es heißt, dass die Bedeutung einer Behauptung oder Handlung durch ihr Zusammenspiel mit anderen Behauptungen und Handlungen festgelegt wird, mit Behauptungen und Handlungen, die aus der betreffenden Behauptung oder Handlung gefolgert werden können bzw. aus denen die betreffende Behauptung oder Handlung ihrerseits gefolgert werden kann. Folgerungen werden durch soziale Interaktionen in unserer Praxis etabliert und genau dadurch wird den in diesen Folgerungen vorkommenden Begriffen oder Äußerungen von Teilnehmern an dieser Praxis Bedeutung (bzw. Gehalt) verliehen. Dass wir mit dem Tätigen von Behauptungen auf andere Behauptungen festgelegt oder zu ihnen berechtigt sind, ist nichts, was gewissermaßen von Natur aus geschähe. Es kann allein deshalb der Fall sein, weil Menschen sich wechselseitig aufgrund ihrer Äußerungen jeweils als auf bestimmte Überzeugungen, Behauptungen und auch Handlungen festgelegt und zu bestimmten Überzeugungen, Behauptungen oder Handlungen berechtigt behandeln. Das ist der Kern von Brandoms normativer Pragmatik. Die Festlegung von Gehalt und von etwas, das man verstehen kann, erfolgt im Rahmen einer sozialen Praxis sprachlicher und nichtsprachlicher Handlungen. Regeln des Sprachgebrauchs werden als Handlungsweisen aufgefasst, auf die sich die Teilnehmer an einer Sprachpraxis festlegen, indem sie ihre sprachlichen und sonstigen Vollzüge wechselseitig als angemessen oder unangemessenen einschätzen. Dieser Gedanke verdichtet sich bei Brandom im Bild der Kontoführung oder des scorekeeping. Mit Blick auf die fraglichen Praktiken macht Brandoms Theorie einen Anspruch auf »expressive Vollständigkeit« geltend: »Die in einem weiten Sinne inferentiellen Richtigkeiten der Kontoführung, die sonst implizit in der Schattenzone des praktischen Hintergrunds verbleiben, werden in das volle, enthüllende Tageslicht des expliziten, öffentlichen, 12

Zum Begriff des Explizit-Machens, dessen Merkmalen und zur Kritik an der anspruchsvollen Variante des Programms von Brandom vgl. Stefan Deines/Jasper Liptow: Explizit-Machen explizit gemacht. Über einen zentralen Begriff der Sprachphilosophie Robert Brandoms. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 55 (2007). 59–78.

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propositionalen Bewußtseins gerückt. […] Obgleich nicht alle in die Kontoführung involvierten deontischen Einstellungen und praktischen inferentiellen Fertigkeiten auf einmal als Behauptungen und Prinzipien explizit gemacht werden können, existiert doch kein Teil dieser gehaltkonstituierenden Praxis, der grundsätzlich immun gegen eine solche Kodifizierung ist – sich außerhalb der Reichweite des Suchscheinwerfers des Explizitmachens befindet.«13 Mit dem Hinweis auf expressive Vollständigkeit und der zitierten Formulierung wird deutlich, wie anspruchsvoll der Verstehensbegriff von Brandom ist. Alles kann explizit gemacht werden, und Verstehen heißt – dies wird bei Brandom im Umfeld der zitierten Stelle nicht explizit gesagt, ist aber impliziert, – etwas explizit machen können. Es heißt, über die Festlegungen und Berechtigungen Auskunft geben zu können, die jemand mit seinen Äußerungen und Handlungen eingeht bzw. erwirbt. Dem zufolge hat man eine Äußerung oder Handlung dann verstanden, wenn man die Festlegungen und Berechtigungen angeben kann, die auf inferentielle Weise mit der betreffenden Äußerung bzw. Handlung verbunden sind. Ein naheliegender Einwand gegen diese Konzeption lautet, dass man unter deren vergleichsweise rigiden Bedingungen eigentlich gar nichts verstehen kann. Die Festlegungen, die beispielsweise X mit einer Äußerung eingeht, können von den Festlegungen abweichen, von denen Y glaubt, dass man sie mit dem Tätigen der betreffenden Äußerung einzugehen habe. Die Äußerung »Die Sonne ist untergegangen« kann bedeuten, dass es Abend geworden ist. Sie kann aber auch bedeuten, dass das Leben keine Freude mehr macht. Äußerungen wie die angeführte versteht man in der Regel aufgrund bestimmter Kontextbedingungen richtig. Äußert jemand den Satz mitten am Tag, wird er nicht meinen, dass die Sonne untergegangen ist. Sämtliche Kontextbedingungen zu einem Bestandteil des Gehalts einer Äußerung zu machen, ist problematisch, da dann das, was im Kern die Bedeutung einer Äußerung ausmacht, ganz und gar zu ›verschwimmen‹ droht. Aber dies ist im vorliegenden Zusammenhang nicht mein Problem. Mein Problem hängt mit dem expressiven Vollständigkeitsanspruch zusammen und lässt sich wie folgt formulieren: Ist der Begriff eines impliziten, gleichwohl aber nicht explizierbaren Verstehens sinnvoll? Auf welche Art von Phänomen lässt sich ein derartiger Begriff überhaupt beziehen? Nun geht es Brandom zunächst einmal nicht um Praktiken im Allgemeinen, sondern um diskursive bzw. soziale Praktiken im Besonderen, wobei der expressive Vollständigkeitsanspruch nur für letztere gelte; ja nur diskursive Praktiken seien als Praktiken aufzufassen, anlässlich derer die Idee des Ex13

Robert B. Brandom: Expressive Vernunft. A. a. O. 889.

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plizitmachens überhaupt einen Sinn ergebe. Und es gehöre zum Wesen einer diskursiven Praxis, dass alles explizit gemacht werden könne, nicht hingegen zum Wesen einer Praxis als solcher. Um diesen Einwand, der auf eine bestimmte Weise richtig ist (richtig ist er als Kommentar zum Begriff der diskursiven Praxis), zu entkräften, muss ein weiterer Gedanke zur Sprache kommen: Praktiken von Wesen, die über Begriffe verfügen, sind immer diskursive bzw. soziale Praktiken. Anders gesagt: Begriffsverwender kennen keine nicht-diskursiven Praktiken, sofern nicht-diskursive Praktiken immer mit diskursiven Praktiken verwoben sind bzw. eine Rolle im Rahmen diskursiver Praktiken spielen. Deshalb sind letztlich alle Praktiken von dem Vollständigkeitsanspruch betroffen. Auch handwerkliche oder technische Praktiken, durch die sich mir verschiedene Zusammenhänge erschließen können (man denke an Heideggers Zeug-Analyse), lassen sich als diskursive und soziale Praktiken ansehen, sofern es Begriffsverwender sind, welche diese Praktiken tätigen. Der Werkzeuggebrauch eines Menschen, der hämmert, lässt sich dem zufolge als eine diskursive Praxis auffassen, während der Werkzeuggebrauch eines Tieres – man denke an einen Vogel, der einen Stein benutzt, um ein Ei aufzubrechen – nicht als diskursive Praxis aufzufassen ist. Das gilt, sofern man unterstellt, dass der Vogel ein Wesen ist, welches nicht über Begriffe verfügt. Wenn alle Praktiken von Wesen, die Begriffe verwenden, als diskursive Praktiken angesehen werden können, lassen sie sich – jedenfalls im Prinzip – zur Gänze mit propositionalen Mitteln explizit machen. Dass Brandom einer so gelagerten Vorstellung anhängt, zeigt sich auch im Zusammenhang mit seiner Heidegger-Interpretation. Das Vorprädikative und die Auslegung im Sinne des hermeneutischen ›Als‹ begreift er als implizites Verstehen und das mit prädikativen Mitteln vergegenwärtigte und die Auslegung im Sinne des apophantischen ›Als‹ als explizites Verstehen. Brandom schreibt: »Der Schlüssel zur Entstehung des Vorhandenen aus dem Zuhandenen liegt in der Aussage.«14 Dies entspricht in einem Sinne Heideggers Auffassung, soweit ich sie bisher rekonstruiert habe. Es ist richtig, dass Aussagen die Grenze zwischen dem hermeneutischen und dem apophantischen ›Als‹ markieren und auch die Unterscheidung zwischen der Zuhandenheit des Zeugs und der Vorhandenheit der Dinge kann man so verstehen, als würde sie entlang dieser Grenze verlaufen. In einem anderen Sinne ist dies aber nicht die ganze Wahrheit über Heidegger: Denn bereits die hermeneutische, die praktische 14

Robert B. Brandom: Heidegger’s Categories in Sein und Zeit. A. a. O. 314; zur Heidegger-Deutung vgl. auch ders.: Dasein, the Being that Thematizes. A. a. O. 324–347; zur Kritik an Brandoms Heidegger-Lektüren siehe John Haugeland: Reading Brandom Reading Heidegger. In: European Journal of Philosophy 13 (3) 2005. 421–428.

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Auslegung macht etwas ausdrücklich, wenn auch nichts sprachlich explizit gemacht wird. Insofern ist es zwar nicht falsch, aber einseitig, die hermeneutisch-praktische Auslegung dem impliziten Verstehen zuzuordnen. Aus der Sicht des propositionalen Verstehens freilich lässt sich die praktische Auslegung dem impliziten Verstehen zuordnen, da in diesem Zusammenhang keine Worte gemacht werden müssen. Vergegenwärtigen wir uns Brandoms Heidegger-Interpretation in ihren Grundzügen.15 Heideggers Gedanken, dass das Dasein sich immer schon im Rahmen einer Welt zuhandener Dinge bewegt, die bedeutsam sind und aufeinander verweisen, versteht Brandom so, dass der Umgang des Daseins mit Zuhandenem sich auf der Grundlage von Normen vollzieht, die sozial und öffentlich konstituiert bzw. instituiert werden. Vor dem Hintergrund solcher Normen lassen sich angemessene und unangemessene Formen des Umgangs mit dem Zuhandenen voneinander unterscheiden. Auf einen Hammer wird zum Beispiel richtig bzw. angemessen reagiert, wenn er als Werkzeug dazu benutzt wird, einen Nagel in die Wand zu schlagen. Wer mit einem Hammer hämmert, der reagiert angemessen auf den Hammer und hat ihn praktisch ›richtig‹ klassifiziert, anders als derjenige, der etwa versucht, ihn dazu zu verwenden, sich die Zähne zu putzen. Normen zur Unterscheidung eines angemessenen oder unangemessenen Umgangs mit Zeug ergeben sich Brandom zufolge aus einem Zusammenspiel von Gegenständen, die für bestimmte Handlungen geeignet oder ungeeignet sind, Handlungsvollzügen, die angemessen oder unangemessenen sein können, und Typen antwortender Anerkennungshandlungen (responsive recognition performance types), auf Grundlage derer sich Geeignetheiten und Angemessenheiten herausbilden. Objekte, Handlungsvollzüge und Typen antwortender Anerkennungshandlungen sind Träger von Bedeutsamkeit, die Brandoms Heidegger zufolge im Rahmen von sozialen Praktiken konstituiert werden. »Social object types are then instituted by social practical types of the performances in which they are appropriately used or produced. In the world of ready-to-hand […] the individuation of objects […] is determined by the individuation of social practices.”16 Etwas als etwas anzusehen, also etwa einen Gegenstand als Hammer zu nehmen, ist im Rahmen der Überlegungen Brandoms eine öffentliche Handlungsweise in Übereinstimmung mit sozialen Praktiken, wobei Handlungsweisen dieser Art durch Antworten individuiert werden und alle Antwortdis15

Ich halte die Auseinandersetzung kurz; ausführlichere Überlegungen zur Heideggerinterpretation Brandoms enthalten die Beiträge von Barbara Merker und Bernd Prien in diesem Band. 16 Ebd. 306.

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positionen, welche eine soziale Praxis konstituieren, miteinander zusammenhängen und so ein Bedeutsamkeitsgeflecht bilden.17 Die sozialen Praktiken, um welche es hier geht, sind letztlich – und zwar auch dann, wenn keine Worte gebraucht werden – durch und durch diskursiv, was bereits der Begriff einer antwortenden Anerkennungshandlung deutlich macht. Hinzu kommt, dass Brandom zufolge die Sprachlichkeit des Daseins und die Möglichkeit, Dinge unter dem Gesichtspunkt ihrer bloßen Vorhandenheit zu betrachten, eine Voraussetzung dafür darstellt, dass Dasein sich in einer Welt zuhandener Dinge bewegen kann, die bedeutsam sind.18 Wie immer man die Heideggerinterpretation Brandoms im Einzelnen beurteilt: Auch Heidegger würde die Frage, ob alle Praktiken diskursiver Wesen diskursive Praktiken sind, vielleicht mit »ja« beantworten. Anders allerdings als Brandom ist Heidegger nicht der Ansicht, dass die praktische Auslegung (das, was er hermeneutisches ›Als‹ nennt) die theoretische Auslegung voraussetzt bzw. dass alles mit Hilfe von Aussagen explizit gemacht werden muss oder kann. Etwas mit Aussagen explizit machen zu können, ist für Heidegger keine Bedingung dafür, etwas zu verstehen. Heidegger tendiert manchmal sogar zu einer noch stärkeren These, nämlich der, dass gar nicht alles, was sich uns im Rahmen unserer praktischen Vollzüge erschließt, explizit gemacht werden kann und dass nicht alles, was uns ausmacht, in expliziter Form ausgedrückt werden kann. Für diese Behauptung habe ich keine robusten Belege; aber dieser Gedanke deutet sich im Rahmen der Analysen zum Verfallen an. In einer frühen Vorlesung aus den Jahren 1921 und 1922 spricht Heidegger in diesem Zusammenhang auch von »Abriegelung«, »Diesigkeit« und »Ruinanz«.19 Wie dem auch immer sei – meine (exegetische) These bezüglich der Verstehensbegriffe bei Heidegger und Brandom lautet: Brandom zufolge versteht man etwas nur dann, wenn man zumindest im Prinzip auf propositional gehaltvolle Weise artikulieren kann, was man verstanden hat. Im Falle von sprachlichen Äußerungen oder sonstigen Handlungen bezöge sich eine derartige Artikulation beispielsweise auf die Menge der Festlegungen und Be17

Vgl. ebd. 303. Mit dieser Überlegung scheint Brandom auf den ersten Blick den Ansatz Heideggers umzukehren, thematisiert letzterer doch fortwährend die Priorität des Zuhandenen gegenüber dem Vorhandenen. Dann aber kann Vorhandenheit nicht vorausgesetzt werden müssen. Brandom allerdings unterscheidet zwischen ontologischer und explanatorischer Priorität, wobei er Heideggers Votum lediglich als Votum für eine explanatorische Priorität des Zuhandenen versteht; vgl. Robert Brandom: Dasein, the Being that Thematizes. A. a. O. 346. 19 Martin Heidegger: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung. Freiburger Vorlesung, Wintersemester 1921/22. Frankfurt/M. 1994, z. B. 160. 18

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rechtigungen, die jemand mit seiner Äußerung oder Handlung eingegangen ist bzw. erworben hat. Manchmal allerdings klingt Brandom so, als würde er bereit sein, schon dort von »verstehen« zu sprechen, wo Wesen eine Disposition aufweisen, angemessen auf eine sprachliche Äußerung oder sonstige Handlung zu reagieren. Unter der Voraussetzung des expressiven Vollständigkeitsanspruchs dürfte dies allerdings nur gelten, sofern die Reaktionen und die Angemessenheit der Reaktionen explizit gemacht werden können. Heidegger hingegen räumt ein, dass es Formen des Verstehens gibt, die nicht propositional artikulierbar sein müssen, ganz unabhängig von der Frage, ob sie artikulierbar sind oder sich artikulieren lassen. Viele Formen des Anschlusshandelns können in diesem Sinne als Verstehen gelten, ohne Artikulierbarkeitsbedingungen zu unterliegen. Jemand öffnet die Türe, ich trete ein; jemand reicht mir einen Apfel, ich beiße hinein. Brandom bestätigt die Differenz zwischen verschiedenen Konzeptionen des Verstehens. Allerdings fasst er diese nicht als Differenz zwischen seiner eigenen Konzeption und derjenigen Heideggers auf, sondern er macht geltend, dass es zwei konkurrierende Interpretationen von Sein und Zeit gebe. Eine Gruppe von Interpreten, zu der er unter anderem Dreyfus und Haugeland zählt, verstehe den Ansatz von Heidegger im Sinne eines ›Schichten-»oder Stufenmodells« (»layer cake« model )20: Dieser Interpretation zufolge werde auf einer ersten Stufe die Welt des Zuhandenen auf eine praktische Weise konstituiert, ohne dass in irgendeiner Form komplexe sprachliche Strukturen involviert seien. Erst auf dieser Grundlage könne sich dann eine zweite Schicht aufbauen, im Rahmen derer sprachliche Intentionalität ins Spiel komme. Die Konstitutionsleistungen auf der ersten Stufe könnten im Prinzip von sprachlichen und nicht-sprachlichen Wesen erbracht werden, während die zweite Stufe sprachlichen Wesen vorbehalten sei. Brandom hingegen macht geltend, dass Heideggers Überlegungen von vornherein auf sprachliche Wesen zugeschnitten seien und er kein Schichtenmodell der Konstitution oder des Verstehens vor Augen habe. Sofern der Umgang mit Zeug Normen des Richtigen und Falschen voraussetze, sei auch eine sprachliche Praxis im Spiel, da allein auf diese Weise entsprechende Normen erzeugt und in Geltung gesetzt werden könnten. Nur sprachlichen Wesen sei es möglich, etwas als etwas wahrzunehmen, da für jedwede Art des Klassifizierens eine Sprache benötigt werde. Anhänger der Schichten- oder Stufenvorstellung könnten sich zum Beispiel auf die bereits erwähnte Stelle im § 32 von Sein und Zeit berufen, wo Heidegger davon spricht, dass bereits das »schlichte Sehen« mit einer Als-Struktur in Verbindung gebracht wird. Systematisch könnten sie außerdem geltend 20

Vgl. Robert Brandom: Dasein, the Being that Thematizes. A. a. O. 329.

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machen, dass die Vollzüge in einer Praxis genau dann als vorsprachlich anzusehen sind, wenn die Regeln, denen die Teilnehmer an dieser Praxis folgen, oder die Normen, durch welche sie gebunden werden, unabhängig von der Möglichkeit ihrer sprachlichen Artikulation oder Explikation zur Anwendung gebracht werden.21 Zieht man allerdings den gesamten Kontext der Daseinsanalyse in Betracht sowie andere Texte Heideggers, die in das engere Umfeld von Sein und Zeit gehören, lässt sich Brandoms Deutung gleichwohl rechtfertigen. Man denke etwa an Überlegungen Heideggers, die am Beispiel von Bienen und ihrer Blumenstetigkeit, von Eidechsen und Maulwürfen demonstrieren sollen, dass Tiere im Unterschied zu menschlichem Dasein auf ihre Umwelt lediglich in Form einer Hingenommenheit bezogen sind, in einen »Umring« – wie er sich ausdrückt – gehören und niemals in der Lage sind, etwas als etwas wahrzunehmen.22 Für Heidegger – da kann man Brandoms Interpretation folgen – ist Verstehen eine Angelegenheit von Wesen, die Begriffe verwenden können. Die Frage ist nur, ob daraus folgt, dass man etwas nur dann versteht, wenn man es auf propositionale Weise artikulieren kann. Brandom zieht diese Konsequenz, wenn er bemerkt: »Heidegger is committed to the claim that there is no Dasein […] without language, without thematizing, without treating things as vorhanden.«23 Für Heidegger ist das Verstehen zwar eine Angelegenheit sprachlicher Wesen, sprachliche Wesen können jedoch verstehen, auch ohne artikulieren zu können oder artikulieren zu müssen. Im Grunde genommen vertritt Heidegger eine Begrifflichkeitsthese nach Art derjenigen, die John McDowell bezogen auf den Gehalt von Wahrnehmungen entwickelt und verteidigt hat.24 Ohne nun weiter exegetische Fragen zu verfolgen, wendet sich der letzte Teil dieses Aufsatzes in systematischer Perspektive der Frage nach dem Verhältnis verschiedener Formen des Verstehens zu. 21

Vgl. zu diesen Überlegungen auch den Beitrag von Wolf-Jürgen Cramm in diesem Band, der außerdem eine Reihe weiterer Argumente gegen Brandoms Identifikation des Verstehens mit sprachlichem Verstehen entwickelt. 22 Martin Heidegger: Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit. Vorlesung WS 1929/30. Frankfurt/M. 1983. 274–396. 23 Robert Brandom: Dasein, the Being that Thematizes. A. a. O. 329. Brandom begründet seine Auffassung im Rückgriff auf Heideggers Analysen zum Existenzial der Rede. Rede setze Gerede, Gerede setze Sprache und Sprache setze den Gebrauch von Aussagen voraus (vgl. 331 ff.). 24 Vgl. John McDowell: Mind and World. A. a. O., z. B. 24 f.; dazu auch Christiane Schildknecht: Epistemische Relevanz und sprachliche Vermittlung. Zwei Problemfelder nicht-begrifflicher Erfahrungsgehalte. In: Georg W. Bertram u. a. (Hrsg.): Die Artikulation der Welt. Über die Rolle der Sprache für das menschliche Denken, Wahrnehmen und Erkennen. Frankfurt/M. 2006. 49–64.

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III. Verstehen, Begriffe, Propositionen Wie soll man etwas verstehen können, ohne den Inhalt des Verstandenen auf irgendeine Weise sagen oder denken zu können? Woran soll man festmachen, dass etwas verstanden wurde? Jedes Verstehen muss sich manifestieren; es muss sich ›irgendwie‹ zeigen, dass etwas verstanden wurde. Das heißt aber nicht, dass das Verstehen immer propositional artikuliert werden können muss. Der erfahrene Arzt, der am Herzen einen Koronararterien-Bypass legt, wird insbesondere dann, wenn Schwierigkeiten auftreten und unmittelbar reagiert werden muss, häufig das Richtige tun, ohne während seines Tuns und nach Abschluss seines Tuns in propositional strukturierter Form sagen oder denken zu können, was er wie gemacht hat. Gleiches gilt für den Torjäger, der aus nahezu unmöglicher Schussposition überaus kunstvoll ein Tor erzielt. Der Torjäger versteht etwas vom Fußball, er beherrscht das Spiel, ohne sagen können zu müssen, was er kann und wie er es kann. Dass sich in derartigen Fällen nicht alles der jeweiligen Praxis Implizite propositional explizit machen lässt, dass die hohe Kunst der Herzchirurgie oder des Fußballs eben nicht ausschließlich durch Unterricht und Lehrbuch vermittelt werden kann, wird häufig als Indiz dafür angesehen, dass es nicht sinnvoll ist, jedes Verstehen mit der Forderung zu konfrontieren, propositional artikulierbar zu sein. Ganz so wie es Gottfried August Bürger in einem Gedicht mit dem Titel Die Aspiranten und der Dichter den Dichter sagen lässt. Die Aspiranten sagen: »Du Göttlicher, wie geht es zu, Daß deine Lieder so behagen? […] O Mann, wir müssen dich drum fragen; Denn du nur kannst uns lehren, du! Der Dichter: Weht’s euch der Genius nicht zu, So weiß ich’s wahrlich nicht zu sagen.« Im Handeln des Arztes, des Torjägers und des Dichters manifestiert sich ein Verstehen, auch wenn es zunächst nicht artikuliert wird, oder wenn es niemals artikuliert wird. Gegen das, was Bürger seinen Dichter sagen lässt, vielleicht mehr noch gegen meine Beispiele könnte man einwenden: Dass im Augenblick des Handelns oder unmittelbar danach keine Worte verloren werden, heißt nicht, dass im Prinzip keine Worte verloren werden können. Im Prinzip können Arzt, Torjäger und Dichter artikulieren, was sie getan haben und wie sie es getan haben. Je größer das Vokabular ist, über das sie verfügen, je größer ihre Sensibilität gegenüber der betreffenden Situation, je klüger sie sind, desto besser können sie das. Dieser Einwand würde an der Sache vorbeigehen. Mit den Beispielen sollte lediglich deutlich werden, dass Verstehen sich nicht notwendig (propositional) artikulieren muss, sondern dass eine Manifestationsforderung als Bedingung für eine Verstehenszuschreibung

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ausreicht.25 Wenn Handeln gelingt und Verhalten zum Erfolg führt, kann davon ausgegangen werden, dass etwas verstanden wurde. Um deutlich zu machen, dass für Verstehen lediglich eine Manifestationsforderung, keine Artikulationsforderung besteht, kann man nicht nur auf das praktische Verstehen im angeführten Sinne verweisen, sondern auch auf Formen des Verstehens, die man als existentiell bezeichnen könnte und die auf eine besondere Weise mit der Person, die Träger dieses Verstehens ist, verbunden sind: Kenntnisse, die sich darauf beziehen, wie das Leben auf eine gelungene Weise zu führen ist und was in diesem Leben von Belang ist. (Darunter würden dann im Übrigen auch die Themen fallen, die Heidegger im zweiten Teil von Sein und Zeit diskutiert: Tod, Gewissen, Entschlossenheit; Themen, die in der Heidegger-Rezeption analytischer Philosophen – das gilt auch für Brandom – keine oder kaum eine Rolle spielen. Ausnahmen wie John Haugeland bestätigen die Regel26). Folgt aus diesen Überlegungen, dass es Verstehen ohne Begriffe gibt? Das folgt nicht unbedingt. Man sollte es jedenfalls nicht aus Heideggers Rede von einem ›hermeneutischen Als‹ folgern. Menschen sind Wesen, deren Leben von Begriffen durchsetzt ist. Dass Begriffe, Gedanken und Propositionen aus dem Leben von Menschen nicht wegzudenken sind, heißt nicht, dass alles, was Menschen ausmacht oder bewegt, begrifflich strukturiert ist. Ein Schmerz zum Beispiel kann im Leben eines Wesens auftreten, welches über Begriffe verfügt. Aber nur weil ein Schmerz im Leben eines Wesens auftreten kann, welches Begriffe verwendet, ist der Schmerz als solcher noch kein begriffliches Phänomen. Die Erfahrung eines Unterschieds zwischen Zuständen, die schmerzhaft sind, und solchen, die es nicht sind, hängt nicht von der Fähigkeit oder Möglichkeit ab, beide Arten von Zuständen begrifflich oder sprachlich unterscheiden zu können. Aber bei Wesen, die über Begriffe verfügen, ist die Erfahrung von Schmerz immer in begriffliche Zusammenhänge eingebettet. Es kann ein Verstehen ohne explizite Begriffe geben, aber zum 25

Bei dieser Idee handelt es sich im Grunde genommen um eine Variation der Manifestationsforderung, die Dummett für das Verstehen sprachlicher Ausdrücke formuliert hat; vgl. u.a. Michael Dummett: What is a Theory of Meaning (II). In: Ders., The Seas of Language. Oxford 1993, z. B. 37; vgl. dazu auch Christoph Demmerling: Denken. Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und inneren Zuständen. In: Georg W. Bertram u. a. (Hrsg.): Die Artikulation der Welt. Über die Rolle der Sprache für das menschliche Denken, Wahrnehmen und Erkennen. A. a. O. 31–47. 44 ff. 26 Vgl. John Haugeland: Truth and Finitude: Heidegger’s Transcendental Existentialism. In: Mark Wrathall/Jeff Malpas (Hrsg.): Heidegger, Authenticity, and Modernity. Cambridge/Mass 2000. 42–77; inzwischen auch Hubert Dreyfus: What could be more Intelligible than Everyday Intelligibility? Reinterpreting Division I of Being and Time in the Light of Division II. In: Bulletin of Science. Technology and Society, 24/3 (2004). 265–274.

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Verstehen im Allgemeinen gehören Begriffe oder zumindest etwas nach Art von Begriffen. Diese Begriffe müssen nicht notwendigerweise in einem Bezug zur verstandenen Sache stehen. Aber man muss als Wesen mit Begriffen im Allgemeinen umgehen können, um verstehen zu können. Der Gebrauch von Werkzeugen beispielsweise ist bei den Verwendern von Begriffen in begriffliche Zusammenhänge eingebettet, auch wenn das Verstehen, das sich in diesem Gebrauch bekundet, seinerseits nichts Begriffliches ist. Alles, was begriffliche Wesen ausmacht, als begrifflich zu betrachten, ist ein Fehler, der entsteht, wenn man die Art und Weise, in der man etwas betrachten kann, auf das Betrachtete überträgt. Was sich artikulieren lässt, was sich in einen Raum von Begriffen stellen lässt, ist darum als solches nicht notwendig begrifflich verfasst. Auch wenn man für eine Art des Verstehens eintritt, welches sich nicht propositional artikulieren lässt, oder zumindest dafür eintritt, dass das Verstehen nicht davon abhängt, dass es propositional artikulierbar ist (wie meiner Meinung nach Heidegger), lässt sich die Auffassung verteidigen, dass diese Fähigkeit nur von Wesen ausgeübt werden kann, die aufs Ganze gesehen die Fähigkeit zum Explizitmachen im Sinne der Artikulation von Propositionen haben. Systematisch ist zu unterscheiden zwischen begrifflichem Verstehen und propositional artikulierbarem Verstehen. Etwas begrifflich zu verstehen heißt, eine Unterscheidung treffen können und die Unterscheidung mit der Frage nach deren Richtigkeit oder Falschheit konfrontieren zu können. Als propositionales Verstehen ist hingegen die Fähigkeit anzusehen, Begriffe unterschiedlichen Typs verwenden sowie erkennen zu können und diese zu Gedanken zusammensetzen zu können. Die Fähigkeit des begrifflichen Verstehens ist von der Fähigkeit des propositionalen Verstehens zu unterscheiden, auch wenn es der Fall sein könnte, dass nur diejenigen Wesen, die etwas auf propositionale Art und Weise verstehen können, in der Lage dazu sind, etwas begrifflich zu verstehen. Heidegger wie auch Brandom vertreten die Auffassung, dass begriffliches und propositionales Verstehen immer im Tandem auftreten. Brandom allerdings vertritt diesbezüglich eine stärkere These als Heidegger, wobei Brandom der Auffassung ist, dass auch Heidegger die starke These vertritt. Brandom zufolge setzt begriffliches Verstehen propositionales Verstehen voraus, während die beiden Arten des Verstehens – folgt man Heidegger – lediglich Hand in Hand gehen. Ist Verstehen – sei es propositional strukturiert oder nicht –, wie Heidegger und Brandom meinen, eine Vollzugsform genuin menschlichen Lebens? Begriffe und Gedanken bilden im Rahmen des menschlichen Denkens den Kontext dafür, dass sich etwas auf eine genuin praktische Weise erschließen

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kann. Das heißt aber insbesondere für Heidegger nicht, dass man alles Verstandene explizit machen oder mit den Mitteln von Aussagesätzen formulieren können muss. Brandom vertritt die weitergehende Auffassung, dass nur diejenigen Wesen über Begriffe verfügen, die diese auch – beispielsweise durch den Gebrauch von singulären Termini und Prädikaten – zu Gedanken zusammensetzen können. Er ist nämlich der Meinung, über Begriffe zu verfügen heiße nicht nur, Unterscheidungen treffen zu können, sondern diese Unterscheidungen auch mit einer Autorität konfrontieren zu können, die über deren Angemessenheit oder Unangemessenheit Auskunft gibt, weshalb nur der über Begriffe verfügt, der einer Objektivitätsbedingung genügen könne. Der Sache nach ist damit allerdings die Frage, ob auch nichtmenschliche Lebewesen, die nicht über eine Sprache verfügen, oder menschliche Lebewesen, die nicht über eine Sprache verfügen, Begriffe haben können und verstehen können, noch nicht in abschließender Form beantwortet. Schließlich könnte es sein, dass sowohl Brandom wie auch Heidegger, der ja im Vergleich zu Brandom bereits mit den weiteren Begriffen operiert, einen zu engen Begriff des Begriffs und auch einen zu engen Begriff des Verstehens haben. Man könnte zum Beispiel sagen, dass ein Lebewesen einen Begriff besitzt, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Es hat die Disposition, auf Objekte, die unter den betreffenden Begriff fallen, anders zu reagieren als auf Objekte, die nicht unter diesen Begriff fallen; es kann den Begriff auf neue Situationen anwenden und im Zusammenhang mit anderen Begriffen verwenden; die Begriffe weisen eine im einfachen Sinne inferentielle Struktur auf und führen dazu, sich die für einen Organismus maßgeblichen Aspekte der Welt bzw. Umwelt verständlich zu machen.27 Wenn man zeigen könnte, dass nichtsprachliche Lebewesen diese Bedingungen erfüllen, müsste man ihnen wohl zubilligen, über Begriffe zu verfügen. Aber die Fähigkeiten, die man ihnen unter den skizzierten Voraussetzungen zuschreiben müsste, wären hinsichtlich ihrer Komplexität nicht mehr allzu weit von den Fähigkeiten entfernt, die sprechende Wesen normalerweise eben dadurch zum Ausdruck bringen, dass sie sprechen.

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Vgl. zu diesen Kriterien Joëlle Proust: Das intentionale Tier. In: Dominik Perler/Markus Wild (Hrsg.): Der Geist der Tiere. Philosophische Texte zu einer aktuellen Diskussion. Frankfurt/M. 2005. 223–243. 231 ff.

Éva Gedő · Tibor Schwendtner

Dimensionen des Verstehens Bemerkungen zu Brandoms Heidegger-Interpretation*

Die Schlüsselbegriffe einer philosophischen Theorie können die der Theorie anhaftenden signifikanten Risse versammeln sowie verdecken. Wenn in einer philosophischen Theorie in der logischen Ordnung, in den grundlegenden Voraussetzungen und im Inhalt der Erörterungen eine Unvereinbarkeit und Spaltung vorkommt, läßt sich von einem Riß reden. Jede philosophische Theorie kann man geradezu als eine begriffliche Textur auffassen, und der Riß ist dann die auf dem Muster dieser Textur erkennbare Unebenheit, Inhomogenität. Diese Struktur läßt sich an einigen Bildern von Escher veranschaulichen. Für sich allein betrachtet, erscheinen die einzelnen Teile dieser Bilder als einheitlich begehbar, wenn aber auf das ganze Bild geblickt wird, lassen sich die Widersprüche, Paradoxien hinsichtlich der Raumstruktur erkennen. Auch die Philosophie Heideggers ist durch Spannungen und Risse belastet.1 Insbesondere stellt der Begriff des Verstehens einen Schnittpunkt von Spannungen dar, in dem schwer zu vereinbarende Bestrebungen und Voraussetzungen der Heideggerschen Philosophie zusammenlaufen, während die dem Begriff des Verstehens innewohnenden Inhomogenitäten und Spaltungen verdeckt werden. Bei der Analyse des Heideggerschen Verstehensbegriffs werden wir von den eingangs formulierten Erwägungen ausgehen. Zunächst werden drei Bedeutungsbereiche des Begriffs abgehoben, dann sollen die Spannungen und Widersprüche beschrieben werden, durch die die Heideggersche Philosophie zutiefst gekennzeichnet ist. Anhand des rekonstruierten Verstehensbegriffs beabsichtigen wir dann, uns mit der Heideggerinterpretation Brandoms auseinanderzusetzen. Der Verstehensbegriff Heideggers umfasst drei unterschiedliche Bedeutungsebenen, die sich wie folgt bezeichnen lassen: die 1.) pragmatische, 2.) existenziale,2 3.) transzendental-ontologische Bedeutung. Sowohl das prag-

* Wir möchten uns an dieser Stelle für die finanzielle Unterstützung des OTKA (T 049441 bzw. T 046757) bedanken. 1 Im Aufsatz werden nur Sein und Zeit und die Vorlesungen der zwanziger Jahre angeführt. 2 Den Ausdruck »existenzial« verwenden wir nicht im Sinne der Heideggerschen Un-

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Éva Gedő · Tibor Schwendtner

matische wie das existenziale und transzendental-ontologische Verstehen sind, wenn auch nicht explizit, sondern nur verhüllt, durch entgegengesetzte Ansätze geprägt. In unserem Beitrag möchten wir zwei Widersprüche hervorheben: erstens möchten wir den Widerspruch zwischen der existenzialen und der pragmatischen Bedeutung behandeln, zweitens den zwischen der pragmatischen und der transzendental-ontologischen Bedeutungsebene des Verstehensbegriffs. Der pragmatische Aspekt der Heideggerschen Auffassung des Verstehens ist wohl am bekanntesten. Er hat vor allem von den angelsächsischen Interpreten, so von Brandom, besondere Aufmerksamkeit erhalten. Das Verstehen ist hier auf das know how festgelegt. Etwas zu verstehen heißt, mit einem Zeug umgehen zu können, dem Gebrauch eines Zeugs gewachsen zu sein. »Das im Verstehen als Existenzial Gekonnte ist kein Was, sondern das Sein als Existieren. Im Verstehen liegt existential die Seinsart des Daseins als Sein-können.«3 Auch das existenziale Verstehen ist ein Seinkönnen, wenn es auch dabei nicht auf die Fähigkeit ankommt, sich in einem Verweisungszusammenhang zu bewegen, sondern vielmehr die Freiheit geltend gemacht wird, die wir gegenüber den überlieferten Bedeutungszusammenhängen besitzen. Sich über die das pragmatische Verstehen bestimmendenen Bedeutungszusammenhänge zu erheben, stellt die Bedingung der Möglichkeit des existenzialen Verstehens dar. Die Phänomene der Angst und der Langweile werden in der Philosophie Heideggers besonders herausgestellt, weil in diesen Geschehnissen die das pragmatische Verstehen bestimmende Bedeutsamkeit zusammenbricht. Das existenziale Verstehen knüpft an die letzte Freiheit des Menschen an, die jeder vorgegebenen Bedeutsamkeit zuwiderläuft. Das transzendental-ontologische Verstehen, von Heidegger Seinsverständnis genannt, ist weder auf das know-how noch auf das letzte, eigenste Seinkönnen hin angelegt, sondern stellt die Bedingung der Möglichkeit von jeder Erkenntnis dar, soll es praktische, theoretische, oder gar existenziale Erkenntnis sein. Das Seinsverständnis als die Bedingung der Möglichkeit des praktischen Umgehens mit dem Seienden und der theoretischen Erkenntnis des Seienden ist nicht nur auf die Subjektivität festgelegt. Die Heideggersche Idee der sogenannten ontologischen Differerenz ist, indem zwischen dem Sein und Seienden unterschieden wird, daraufhin angelegt, dass die Bedingung der Möglichkeit der Praxis und des Erkennens über die Subjektivität terscheidung zwischen »existenzial« und »existenziell«, sondern in Sinne eines Verstehens, das sich in der Perspektive der vereinzelten Existenz ergibt (vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 1993. 264. 287. 296). 3 Vgl. Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 143.

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hinausgeht.4 Das Seinsverständnis läßt sich unserer Ansicht nach als die Herausbildung des Erfahrungsraums vorstellen, innerhalb dessen der Mensch erst dem Seienden als Seienden begegnen, es erfahren, erkennen kann. Der Erfahrungsraum wird durch zwei Momente, durch das dem menschlichen Dasein innewohnende Verstehen sowie durch das Sein des Seienden, konstituiert. In der phänomenologischen Ontologie Heideggers liegt sogar ein großangelegtes Programm für die Begründung der Wissenschaft vor, das im Begriff des Seinsverständnisses begründet ist. »Die Seinsfrage zielt daher auf eine apriorische Bedingung der Möglichkeit nicht nur der Wissenschaften, die Seiendes als so und so Seiendes durchforschen und sich dabei je schon in einem Seinsverständnis bewegen, sondern auf die Bedingung der Möglichkeit der vor den ontischen Wissenschaften liegenden und sie fundierenden Ontologien selbst.«5 Hinsichtlich der verschiedenen Bedeutungsschichten des Verstehensbegriffs liegen einschneidende Widersprüche einerseits zwischen dem pragmatischen und dem existenzialen anderseits zwischen dem pragmatischen und dem transzendental-ontologischen Verstehen vor. Da wir Brandom – mit gewisser Beschränkung6 – in der Überzeugung folgen, daß die Normativität im Heideggerschen Verstehensbegriff ein signifikantes Moment ist, soll im folgenden die Spannung zwischen dem pragmatischen und dem existenzialen Verstehen zunächst auf ihr Verhältnis zur Normativität hin ermittelt werden. Wie bereits angedeutet, gilt das pragmatische Verstehen dem Zeuggebrauch, dem Umgehen-Können mit den zuhandenen Dingen. Beim Zeuggebrauch verläßt man sich auf die Bewandtnisganzheit, wobei auch das Aufeinander-Beziehen der Zeuge mit berücksichtigt wird. »Die Bewandtnisganzheit, die zum Beispiel das in einer Werkstatt Zuhandene in seiner Zuhandenheit 4

Heidegger schreibt zur Neuentdeckung des Begriffs des Apriori durch Husserl: »Im Sinne Kants ist Apriori ein Charakter der subjektiven Sphäre. […] Die Phänomenologie hat demgegenüber gezeigt, daß das Apriori nicht auf die Subjektivität beschränkt ist, ja daß es überhaupt primär zunächst mit der Subjektivität nichts zu tun hat.« (Martin Heidegger: Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs. Hrsg. von P. Jaeger. Frankfurt/M. 1979. 101). 5 Vgl. Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 11. 6 Es wird von Brandom als selbstverständlich angenommen, Heidegger gehe es um eine sozial konstituierte Normativität. Doch zeigt sich Heideggers Verhältnis zur Norm als viel ambivalenter, denn entweder schweigt er überhaupt von der Normativität, wo ihre Präsenz dem Leser doch einleuchtet, oder aber er billigt erst im nachhinein die Präsenz der Normativität in der Alltäglichkeit in der Perspektive des individuellen Normverlustes und der Suspendierung der Norm.

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konstituiert, ist ›früher‹ als das einzelne Zeug […].«7 Wir können ein Zeug verstehen, es also seiner Bewandtnis gemäß gebrauchen, wenn wir den Verweisungszusammenhang, der seinen Gebrauch bestimmt, im voraus schon verstanden haben. Der Ausdruck Normativität wird zwar in diesem Kontext von Heidegger nicht gebraucht, doch es liegt nahe, daß dieser Art pragmatischen Verstehens die Normativität des zweckrationalen Zeuggebrauchs vorausliegt, denn die Normen des Zeuggebrauchs werden als im voraus gültig angesehen und der Erfolg wird angestrebt.8 Auch wenn die Normativität des Zeuggebrauchs und die den alltäglichen Herrschaftsverhältnissen9 anhaftende Normativität von Heidegger voneinander isoliert behandelt werden, lassen sich diese zwei Dimensionen von Normativität des pragmatischen Verstehensbegriffs zusammenbringen. Die alltäglichen Herrschaftsverhältnisse machen sich zunächst im Verhalten der Menschen geltend: insofern die Menschen gegenseitig aufeinander aufpassen, werden sie etwa eingeebnet, sozial integriert. Die durch die Anderen hingenommene und befolgte Lebensauslegung avanciert zur Normativität, tritt für die Mitglieder der Gruppe mit zwingender Kraft hervor. Indem die von den anderen vertretenen Auslegungen von den Einzelnen hingenommen werden, können sie über die Menschen verfügen. In diesem herrschaftlichen Verhält-

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Vgl. Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 84. Wenn sie auch nicht erwähnt wird, läßt sich kaum bestreiten, daß die Normativität bei der phänomenologischen Beschreibung der Zuhandenheit geltend gemacht wird. »Der Seinscharakter des Zuhandenen ist die Bewandtnis. […] Das Wobei es die Bewandtnis hat, ist das Wozu der Dienlichkeit, das Wofür der Verwendbarkeit. Mit dem Wozu der Dienlichkeit kann es wiederum seine Bewandtnis haben; zum Beispiel mit diesem Zuhandenen, das wir deshalb Hammer nennen, hat es die Bewandtnis beim Hämmern, mit diesem hat es seine Bewandtnis bei Befestigung, mit dieser bei Schutz gegen Unwetter; dieser ›ist‹ um-willen des Unterkommens des Daseins, das heißt, um einer Möglichkeit seines Seins willen.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 84.) Insofern das Zeug zu unseren Zwecken gebraucht werden kann, ist es um unserer willen da. Die Bewandtnis zu verstehen heißt, den richtigen Gebrauch des Zeuges zu verstehen. Die Bewandtnisganzheit ist normativ beschaffen, denn hier wird das richtige Funktionieren und der angemessene Gebrauch des Zeugs gemeint, das ja schließlich um unserer selbst willen da ist. Dem alltäglichen Sein des Daseins liegt die Vertrautheit mit dieser Normativität zugrunde. 9 Bezüglich des Zeuggebrauchs, wie schon gesehen, verwendet Heidegger selbst den Ausdruck Norm, Normativität ganz und gar nicht, angesichts des Man begegnen diese Ausdrücke ebenfalls nur selten. »Die Verständigkeit des Man kennt nur Genügen und Ungenügen hinsichtlich der handlichen Regel und öffentlichen Norm.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 288.) Die Welt der öffentlichen Ausgelegtheiten und des Man ist allerdings normativ beschaffen. »Abständigkeit, Durchschnittlichkeit, Einebnung konstituieren als Seinsweisen des Man das, was wir als ’die Öffentlichkeit’ kennen. Sie regelt zunächst alle Welt- und Daseinsauslegung und behält in allem Recht.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 127). 8

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nissystem sind die zusammenlebenden Menschen zugleich Opfer und Täter. Die alltägliche Herrschaft der Menschen übereinander neigt dazu, jede Größe und Originalität zu beseitigen. Die unpersönliche Macht der Öffentlichkeit, die den zentralen Bereich der Herrschaftsausübung bedeutet, ist so groß, dass sie in die persönliche Welt des Einzelnen hineindrängt und sich dort sozusagen als »Subjekt« auswirkt. Das Man tritt etwa an Stelle unseres Selbst, und die Macht der gemeinsam angenommenen Auslegung und Lebensführung macht sich gleichsam als Subjekt geltend.10 Die zwei Dimensionen von Normativität, die sich angesichts des pragmatischen Vestehens ergeben, sind zwar nicht identisch, die zweckrationale und die durch das Man vertretene Normativität decken sich nicht,11 beide erweisen sich jedoch als die Formen übernommener Ausgelegtheit der Welt, indem in beiden Fällen das Moment des Sich-Verlassens auf sozial überlieferte Normativität vorwaltet. Demgegenüber wird das existenziale Verstehen nicht auf die vorgegebene Normativität hin vollzogen, nicht durch das Sich-Verlassen auf die überlieferte Normativität bestimmt. Die Voraussetzung für das existenziale Verstehen liegt ja im Außensein, ausgelöst durch existenzielle Geschehnisse elementarer Kraft. Als der Prototyp dieser Geschehnisse gilt die Angst, in der die den Alltag beherrschenden Auslegungen und Beziehungen ihre Relevanz für uns gänzlich einbüßen, sich unsere Welt gleichsam entleert. Von dieser Position aus vermögen wir jedoch nach Heidegger die eigene Existenz als Ganzes zu erfassen. In dieser Situation werden wir nämlich mit den Umständen konfrontiert, die sonst im Alltag unzugänglich bleiben. Der Verlust an Relevanz und die Selbstbesinnung stellen zwei Seiten einer Medaille dar. Kraft des Verlustes an Relevanz,12 des Abhandenkommens der Bedeutung und Bedeutsamkeit der alltäglichen Verhältnisse und Personen, wobei der menschlichen Existenz jede inhaltliche Bezogenheit gleichgültig wird, wird man fähig, sich

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»Das Selbst des alltäglichen Daseins ist das Man-selbst, das wir von dem eigentlichen, das heißt eigens ergriffenen Selbst unterscheiden.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 129). 11 Angesichts des Begriffs der Welt unterscheidet Heidegger zwischen der öffentlichen Wir-Welt und der nächsten (häuslichen) Umwelt. »Welt hat hier eine vorontologisch existenzielle Bedeutung. Hierbei bestehen wieder verschiedene Möglichkeiten: Welt meint die ›öffentliche‹Wir-Welt oder die ›eigene‹ und nächste (häusliche) Umwelt.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 65.) Wie aber das Verhältnis zwischen den beiden Welten beschaffen sei, behandelt Heidegger an keiner Stelle in »Sein und Zeit«. 12 Den Ausdruck »normativ« benutzt Heidegger zwar nicht, er behauptet jedoch, daß bei der Angst »überhaupt das innerweltliche Seiende nicht ›relevant‹ ist.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 186).

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selbst und die die Welt beherrschenden normativen Verhältnisse13 von außen her zu betrachten und sie so in der Tat zu verstehen.14 Wenn auch der existenzialen Position15 viel Kraft und Möglichkeit innewohnt, stellt sie zugleich eine schwierig zu tragende Last für den Menschen dar. In dieser Situation ist man an das fast unübersehbare Netz der die alltäglichen Seinsweisen regulierenden Normativitäten nach Heidegger nicht mehr gebunden. Man wird sich der eigenen Freiheit und dessen bewußt, dass den alltäglichen Verhältnissen die eigene Entscheidungsfähigkeit, sich selbst wählen und erfassen zu können, gegenübersteht.16 Nach dem oben angeführten drängt es sich auf, daß die Normativität dem pragmatischen und existenzialen Verstehen in unterschiedlicher Weise anhaftet. Das pragmatische Verstehen bedeutet, die Normativität hinzunehmen, ohne sie auf sich selbst zu beziehen, während das existenziale Verstehen darauf hin angelegt ist, sich über die öffentliche Normativität zu erheben.17

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Die eigentliche Existenz wird von Heidegger gegen die alltäglichen Normen bestimmt. Auf den Schuldbegriff bezogen heißt es zum Beispiel, dass »[…] die im existenzial verstandenen Begriff der Schuld liegende Idee des Nicht die Bezogenheit auf ein mögliches bzw. gefordertes Vorhandenes ausschließt« und »mithin das Dasein überhaupt nicht an einem Vorhandenen oder Geltenden gemessen werden soll«. (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 283.) Das eigentliche Sein des Daseins wird so gerade gegen die vorherrschenden Normen bestimmt, die die des Man sind. »Das existenziell-hörende Verstehen des Rufes ist um so eigentlicher, je unbezüglicher das Dasein sein Angerufensein hört und versteht, je weniger das, was man sagt, was sich gehört und gilt, den Rufsinn verkehrt.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 280). 14 »Das vorlaufende Freiwerden für den eigenen Tod befreit von der Verlorenheit in die zufällig sich drängenden Möglichkeiten, so zwar, daß die faktichen Möglichkeiten […] allererst eigentlich verstehen und wählen läßt.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 264)»Gewissen-haben-wollen ist als Sich-verstehen im eigensten Seinkönnen eine Weise der Erschlossenheit des Daseins.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 295). 15 Die Position des totalen Außenseins selbst, die die Freiheit des Selbsterfassens und der Selbstbestimmung involviert, wird nach Heidegger für den Menschen dadurch möglich, daß der Mensch durch die Transzendenz ausgezeichnet ist, also die Fähigkeit besitzt, sich selbst zu überschreiten. Den Ausdruck »Transzendenz« gebraucht Heidegger, an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes anknüpfend, im Sinne von »Überschreiten«, wobei dieses Überschreiten, Selbstüberwindung als die grundlegende Dynamik des menschlichen Seins geltend gemacht wird (vgl. Martin Heidegger: Wegmarken. Frankfurt/M. 1967. 33 ff. 62 f. 70 f. Martin Heidegger: Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz. Hrsg. von K. Held. Frankfurt/M. 1978. § 11). Auf die Frage nach der Transzendenz werden wir noch am Ende unseres Aufsatzes zurückkommen. 16 »Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 188). 17 Heidegger behauptet, »das Verstehen ist entweder eigentliches, aus dem eigenen Selbst als solchem entspringendes, oder uneigentliches« (Heidegger Sein und Zeit. A. a. O.

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Wenn auch zwischen den zwei Dimensionen des Verstehens von Heidegger terminologisch unterschieden wird, wird die Spannung doch nicht gelöst, ob das Verstehen als das Sichverlassen auf die sozial überlieferte Normativität oder, gerade im Gegenteil, als die Suspendierung und Neubestimmung der Normativität betrachtet werden soll. Diese doppelte Bestimmung deutet auf eine tiefe Ambivalenz gegenüber den überlieferten Gebräuchen und gegebenen Normen hin. Der pragmatischen Bedeutung des Verstehensbegriffs läuft nicht nur die existenziale, sondern auch die transzendental-ontologische Bedeutung deutlich entgegen. Die pragmatische Ebene des know-how bezieht sich auf die sozial relevanten, als gültig anerkannten Bedeutungszusammenhänge, überdies involviert sie, praktisch erfolgreich zu sein: ich kann etwas ausrichten, ich kann existieren. Dem Begriff des Seinsverständnisses haften zugleich Momente an, die die Gültigkeit des pragmatischen Verstehens begrenzen bzw. umschreiben. Unter Seinsverständnis soll die Bildung des Erfahrungsraums verstanden werden, der die Begegnung mit dem Seienden als Seienden erst ermöglicht. Auf den ersten Blick scheint es keinen erheblichen Unterschied zwischen den beiden Ebenen des Verstehensbegriffs zu geben, indem der Bewegungsraum des know-how als der durch das Seinsverständnis konstituierte Erfahrungsspielraum gelten kann. Dies betrifft allerdings nur die eine Seite der Problematik. Beim pragmatischen Verstehen geht es Heidegger zunächst darum, die Priorität der alltäglichen Seinsweise gegenüber der theoretischen zu betonen. Die alltägliche »Erkenntnisweise« ist angesichts der ihr entspringenden theoretischen Erkenntnis elementar und grundlegend, die Welt der Zuhandenheit liegt der der Vorhandenheit, der objektivierenden Thematisierung des Seienden voraus. Der theoretischen Thematisierung liegt das pragmatische Verstehen zugrunde. Von Beginn von Sein und Zeit an tritt demgegenüber auch eine andere, nicht objektivierende Thematisierungsmöglichkeit ebenfalls hinzu, nämlich die der phänomenologischen Ontologie, die von Heidegger als die Radikalisierung des alltäglichen Seinsverständnisses gekennzeichnet wurde. »Die Seinsfrage ist dann aber nichts anderes als die Radikalisierung einer zum Dasein selbst gehörigen wesenhaften Seinstendenz, des vorontologischen Seinsverständnisses.«18 Dem Seinsverständnis wohnt nicht nur die Möglichkeit inne, dass ihr 146.). »Das uneigentliche Verstehen entwirft sich auf das Besorgbare, Tunliche, Dringliche, Unumgängliche der Geschäfte der alltäglichen Beschäftigung.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 337). 18 Vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 15.

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die theoretische Einstellung sekundärer Tragweite erwächst, sondern sie kann auch die Radikalisierung des Seinsverständnisses implizieren, wobei sich das dem Seinsverständnis inhärente Potential entfaltet. Insofern der Mensch existiert, geschieht schon Philosophie, und für die Philosophie kommt es darauf an, die dem menschlichen Dasein immer schon inhärente Philosophie in Bewegung zu setzen, zu Wort kommen zu lassen. Im Vortrag »Was ist Metaphysik?« wird von Heidegger diese Aufgabe klar ausgesprochen. »Die Metaphysik ist das Grundgeschehen im Dasein. Sie ist das Dasein selbst. […] Sofern der Mensch existiert, geschieht in gewisser Weise das Philosophieren. […] Philosophie kommt nur in Gang durch einen eigentümlichen Einsprung der eigenen Existenz in die Grundmöglichkeiten des Daseins im Ganzen.«19 Durch diese Aufgabenbestimmung wird die Ursprünglichkeit des pragmatischen Verstehens relativiert, sie bezieht sich nunmehr allein auf das objektivierende, fachwissenschaftliche Thematisieren. Die Philosophie bringt, wenn sie ihre Aufgabe richtig versteht, eine alternative Erkenntnisweise zuwege, die nicht sekundär gegenüber dem pragmatischen Existieren ist,20 sondern, genau im Gegenteil, die Radikalisierung des Grundgeschehens des menschlichen Daseins vollzieht. Über die pragmatische Lebenswelt kann man in zwei verschiedene Richtungen hinausgehen: erstens kann man den existenziellen Weg der Selbstaneignung einschlagen, zweitens sollen die Philosophie und damit die Fachwissenschaften erneuert werden.21 In beiden Ansätzen geht es um die Überwindung der überlieferten Normativität. Bei der Selbstaneignung des Lebens kommt es darauf an, aus der Knappheit und Selbstentfremdung der zunächst festgesetzten Verhältnisse, sich gleichsam am eigenen Schopfe ziehend, herauszukommen.22 »Die Her19

Heidegger: Wegmarken. A. a. O. 19. »Menschsein heißt schon philosophieren. Das menschliche Dasein steht als solches schon, seinem Wesen nach, nicht gelegentlich oder gelegentlich nicht, in der Philosophie. Weil nun aber das Menschsein verschiedene Möglichkeiten, mannigfache Stufen und Grade der Wachheit hat, kann der Mensch in verschiedener Weise in der Philosophie stehen.« (Martin Heidegger: Einleitung in die Philosophie. Hrsg. von O. Saame und I. Saame-Speidel. Frankfurt/M. 1996. 3). 20 Die Forschungen von Theodore Kisiel haben ergeben, das erste Kapitel des fehlenden Abschnitts in Sein und Zeit hätte »wohl einen Titel wie ›Phänomenologie und die positiven Wissenschaften‹ getragen und die Methode der ontologischen (gegenüber der ontischen) Thematisierung behandelt.« (Theodore Kisiel: Das Versagen von ›Sein und Zeit‹: 1927–1930. In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Martin Heidegger. Sein und Zeit. Berlin 2001. 253–279. 278). 21 Zum Begriff der sog. echten Wissenschaft vgl. Tibor Schwendtner: Die Wissenschaftsauffassung Martin Heideggers. Wien 2005. 107–124. 22 Heidegger spricht von dieser Aufgabe und diesem Paradox bereits in einer seiner ersten Vorlesungen nach dem ersten Weltkrieg: »Die in der Idee einer Urwissenschaft mitge-

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meneutik hat die Aufgabe, das je eigene Dasein in seinem Seinscharakter diesem Dasein selbst zugänglich zu machen, mitzuteilen, der Selbstentfremdung, mit der das Dasein geschlagen ist, nachzugehen. In der Hermeneutik bildet sich für das Dasein eine Möglichkeit aus, für sich selbst verstehend zu werden und zu sein.«23 Was die Wissenschaften sowie die Philosophie angeht, erstrebte Heidegger eine radikale Erneuerung. Er wollte die situativ gegebenen normativen Verhältnisse überwinden und zugleich eine Neubesinnung der »Rationalität« der Forschung. »Die phänomenologische Forschung betrachtet nun nicht einfach einen Seinsbezirk, sondern es kommt ihr darauf an, alle Bezirke, die es gibt, zu durchforschen, hinsichtlich ihrer Seinsstruktur. So bekommt die Philosophie wieder die Möglichkeit, den Wissenschaften vorauszugehen. Sie braucht nicht mehr allgemeiner und schlechter zu sagen, was die Einzelwissenschaften schon genauer und besser gesagt haben. Wie einst Plato der Geometrie den Weg öffnete, so hat die Philosophie wieder die Möglichkeit, den Wissenschaften ihr Gebiet zu erschließen, ihnen durch die Grundbestimmungen den Leitfaden für ihre Forschungen zu geben. So hat die Phänomenologie ihre Stätte bei der Forschung selbst, an den Universitäten. Sie will die Studenten nicht zu Philosophen machen, sondern zu wissenschaftlichen Menschen, die ein Bewußtsein ihrer eigenen Wissenschaft haben. Und keine andere war auch die Wirksamkeit Platos und Aristoteles’ in Akademie und Lykeion.«24 In den verschiedenen Bedeutungsschichten des Verstehensbegriffs in Sein und Zeit sowie in den Schriften der zwanziger Jahre werden drei, einander teils entgegengesetzte Bestrebungen Heideggers offenkundig, die sich als pragmatisch, existenzial und ontologisch-wissenschaftsbegründend bezeichnen lassen.

gebene Zirkelhaftigkeit des sich selbst Voraussetzens, des sich selbst Begründens, des sich selbst am eigenen Schopf aus dem Sumpf (des natürlichen Lebens) Ziehens (das Münchhausenproblem des Geistes), ist keine erzwungene, geistreich erkünstelte Schwierigkeit, sondern bereits schon die Ausprägung eines Wesenscharakteristikums der Philosophie und Wesensartung ihrer Methode.« (Martin Heidegger: Zur Bestimmung der Philosophie. Hrsg. von B. Heimbüchel. Frankfurt/M. 1987. 16). 23 Martin Heidegger: Ontologie (Hermeneutik der Faktizität). Hrsg.: K. Bröcker-Oltmans, Klostermann. Frankfurt/M. 1988. 15. »Philosophie ist ein Grundwie des Lebens, so daß sie es eigentlich je wieder-holt, aus dem Abfall zurücknimmt, welche Zurücknahme selbst, als radikales Forschen, Leben ist« […]. (Martin Heidegger: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung. Hrsg. von W. Bröcker, K. Bröcker-Oltmans. Frankfurt/M. 1985. 80). 24 Martin Heidegger: Wilhelm Diltheys Forschungsarbeit und der gegenwärtige Kampf um eine historische Weltanschauung. In: Dilthey Jahrbuch für Philosophie und Geschichte der Geisteswissenschaften 8 (1992–1993). 143–180. 160 f.

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1.) Die pragmatische Richtung geht von der Priorität der als Lebensweise betrachteten Tradition aus. Die Normativität der überlieferten Lebensweise ist im voraus schon gegeben und in unsere Lebenswelt eingebunden.25 Diese Art von Normativität wird von Heidegger als primär gegenüber der nivellierenden und objektivierenden theoretischen Einstellung (vgl. das von Brandom kritisierte Modell eines »layer cake«) aufgefaßt. 2.) Die existenziale Grundrichtung stellt dagegen die bei der pragmatischen Zugangsweise noch als primär angesehene überlieferte bzw. gegebene Normativität als selbstentfremdet vor, die kraft der Transzendenz und der Freiheit des menschlichen Daseins zu überwinden und neu auszulegen ist. 3.) Die ontologisch-wissenschaftsbegründende Richtung widerspricht sowohl der pragmatischen wie der radikal existenzialen Zugangsweise. Die »subjektivistische« Prägung des pragmatischen und existenzialen Verstehensbegriffes wird hier durch die sich an Aristoteles anlehnende ontologische Perspektive ausgeglichen. Dank der ontologischen Ausrichtung Heideggers deutet sich ein übergreifendes, nicht pragmatisch geprägtes wissenschaftsbegründendes Programm in Sein und Zeit an. Hinsichtlich der Ursprünglichkeit gibt es kein eindeutiges Verhältnis zwischen diesen drei Perspektiven. Anhand der Texte Heideggers läßt es sich nicht eindeutig entscheiden, ob das der Individualität, Existenzialität verpflichtete eigentliche Verstehen oder das der pragmatischen Ebene zugeschriebene uneigentliche Verstehen als ursprünglicher gilt.26 Es ist nicht einmal klar, ob das Seinsverständnis durch soziale Konstitution bestimmt wird oder das Sein einen Vorrang gegenüber dem Moment der Konstitution hat. An bestimmten Stellen wird von Heidegger nachdrücklich betont, es liege an unserer Einstellung, welche Seinsweise wir dem uns begegnenden Seienden zuschreiben,27

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Es handelt sich hier, wie früher angedeutet, um eine stillschweigend gesetzte Normativität. 26 Am Ende des § 27 heißt es: »Das eigentliche Selbstsein beruht nicht auf einem vom Man abgelösten Ausnahmezustand des Subjekts, sondern ist eine existenzielle Modifikation des Man als eines wesenhaften Existenzials.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 130) Im § 64 von Sein und Zeit hingegen äußert sich Heidegger ganz anders: »Es zeigte sich, zunächst und zumeist ist das Dasein nicht es selbst, sondern im Man-selbst verloren. Dieses ist eine existenzielle Modifikation des eigentlichen Selbst.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O.. 317) An anderer Stelle behauptet er gleichermaßen: »Das beruhigt-vertraute Inder-Welt-sein ist ein Modus der Unheimlichkeit des Daseins, nicht umgekehrt. Das Unzuhause muß existenzial-ontologisch als das ursprünglichere Phänomen begriffen werden.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 189). 27 Etliche Heideggersche Erörterungen deuten an, dass mit der Veränderung der Zugangsweise sich auch die Seinsweise des Seienden verändern könne; so heißt es zum Beispiel an der Stelle, wo die Modifizierung des zuhandenen Hammers zum vorhandenen

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während anderenorts davon gesprochen wird, es sollte die dem Sein des Seienden angemessene Zugangsweise28 gefunden werden. In den drei bestimmenden Bedeutungsschichten des Verstehensbegriffs gibt es bei Heidegger also Momente, die nicht ganz zusammenpassen. Es ist nicht zu erkennen, welche Weise des Verstehens als primär gilt. Es ist wohl so, dass sich in diesen Bedeutungsschichten die die Heideggersche Phänomenologie bestimmenden Intentionen und Voraussetzungen gemeinsam bekunden. Das pragmatische Verstehen ist sozial und normativ, seine Normativität wird durch die traditionelle Überlieferung gestützt. Das existenziale Verstehen ist individualistisch geprägt, liegt außerhalb der sozialen Normativität, es enthält vielmehr eine ausgezeichnete Position für die Überwindung bzw. Neubestimmung der Normen und der Rationalität. Das transzendental-ontologische Verstehen ist zunächst auf das Sein bezogen und vermag so über das pragmatische Verstehen hinauszugehen. Die hier scharf abgehobenen drei Ebenen des Verstehensbegriffs können sich in den Schriften Heideggers überlappen. Brandom betrachtet Heidegger als einen normativen Pragmatisten und durch diesen Ansatz wird sowohl die Auswahl der zu untersuchenden Probleme wie ihre Analyse bestimmt. Von den drei Bedeutungsebenen des Verstehenssbegriffs wird von Brandom nur die pragmatische beachtet, während die beiden anderen vernachlässigt werden. Im Verstehensbegriff Heideggers läßt sich nun zwar eine ausschlaggebende Bedeutungsschicht als pragmatisch erkennen, die Hervorhebung dieses Aspekts kann nicht als verfehlt für sich gelten, aber die Analyse Brandoms wird an bestimmten Punkten einseitig. Diese Einseitigkeit läßt sich bereits bei Brandoms Untersuchung der Grundkategorien von Sein und Zeit feststellen. Brandom macht zunächst klar, daß in Sein und Zeit zwischen drei Typen von Seiendem, Vorhandenheit, Zuhandenheit und Dasein unterschieden wird. Um das Verhältnis dieser drei Momente zueinander zu erläutern, wird von ihm das Beispiel der amerikanischen Verfassung angeführt. Gemäß dem Prinzip von checks and Hammer beschrieben wird: »Das Seinverständnis, das den besorgenden Umgang mit dem innerweltlichen Seienden leitet, hat umgeschlagen« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 361, vgl. 154 f.). Der Umschlag des Seinsverständnisses bringt die Veränderung der Seinsweise des Seienden mit sich. 28 »Echte Methode gründet im angemessenen Vorblick auf die Grundverfassung des zu erschließenden ›Gegenstandes‹ bzw. Gegenstandsbezirkes. Echte methodische Besinnung – die von leeren Erörterungen der Technik wohl zu unterscheiden ist – gibt deshalb zugleich Aufschluß über die Seinsart des thematischen Seienden.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 303, vgl. noch 10. 37). Diese methodische Erwägung weist klar darauf hin, dass sich die Zugangsweise nach der Seinsweise des Gegenstandes richten soll und nicht umgekehrt.

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balances wird in der amerikanischen Verfassung sowohl die Autorität als auch die Verantwortung zwischen den drei Gewalten, nämlich der gesetzgebenden, exekutiven und richterlichen Gewalt, ausgeglichen verteilt. Allerdings wird das Recht, die Verteilung sowie die Grenzen der Verantwortung und Autorität der einzelnen Gewalten zu interpretieren und genau zu bestimmen, allein einer Gewalt, und zwar der richterlichen zuerkannt. Das menschliche Dasein nimmt, so Brandom, analog der richterlichen Macht in der amerikanischen Verfassung, eine ausgezeichnete Stellung unter den in Sein und Zeit unterschiedenen drei Seinsweisen ein, denn das Dasein ist es, das die verschiedenen Seinsweisen interpretiert und zugleich die Grenze unter ihnen zieht. Jedenfalls wird konzediert, dass das Dasein unter den aufgezählten Seinsweisen ausgezeichnet ist. Brandom geht aber so weit, dass er das Moment des self-adjudicating und die Ausgezeichnetheit des Daseins mit der Priorität des sozialen Moments ohne besondere Erklärung und Begründung gleichsetzt.29 Dieser Ansatz ist für Brandoms Heidegger-Interpretation ausschlaggebend, denn stillschweigend wird hier die Frage, was der Mensch sei, beantwortet. Die Frage nach dem Wesen des Menschen gehört aber unseres Erachtens selbst zu den Fragen, worauf die Heideggersche Phänomenologie keine eindeutige Antwort gibt. Was menschliches Sein als Dasein besagt, wird in der Philosophie Heideggers laut der Dreiteilung des Verstehensbegriffs auf dreierlei verschiedene Weisen vorgestellt: 1.) das Dasein ist ein soziales Wesen, insofern es unter sozial konstituierten Verhältnissen existiert. 2.) das Dasein ist eine freie, vereinzelte Existenz, dessen eigenstes Seinkönnen sich darin zeigt, dass es der sozial konstituierten Welt gegenübersteht. 3.) das Dasein ist ein metaphysisches Wesen, dessen »ontische Auszeichnung« darin liegt, »daß es ontologisch ist«.30 Indem das Dasein in einem intimen Verhältnis zu dem von ihm verstandenen Sein steht, ist es imstande, eine neue Philosophie zu entwickeln, zudem den Wissenschaften neue Grundlagen zu geben, die Krisensituation der normalen Wissenschaft durch ein neues Paradigma zu überwinden.31 29

»The ontological primacy of the social can be justified by appeal to a more specific thesis, pragmatism concerning authority. […] The category of the social must then be seen as self-adjudicating, and hence as ontologically basic, so the broader claim of the ontological priority of social categories follows from the narrower doctrine concerning the social nature of authority.« (Robert Brandom: Tales of the Mighty Dead: Historical Essays in the Metaphysics of Intentionality. 2002. 301). 30 Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 1993. 12. Vgl. die denkwürdige Interpretation dieses Satzes von Walter Schulz: Über den philosophiegeschichtlichen Ort Martin Heideggers. In: Otto Pöggeler (Hrsg.): Heidegger. Perspektiven zur Deutung seines Werks. Köln. Berlin 1969. 95–140. 105. 31 Vgl. Tibor Schwendtner: Parallelen in der Wissenschaftsauffassung von Heidegger

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Zwei anregende Gesichtspunkte, der self-adjudicating Charakter des Sozialen sowie das Moment sozialer Normativität, begegnen in der HeideggerInterpretation Brandoms. Der Begriff des self-adjudicating legt es nahe, über das Verhältnis zwischen den drei signifikanten Momenten des Verstehensbegriffs, und, aufs engste verbunden damit, den drei Momenten des Heideggerschen Menschenbildes nachzudenken. Mit Blick auf die divergierenden und dennoch einleuchtenden Heidegger-Interpretationen drängt sich jedoch die These auf, daß sich anhand der Texte Heideggers alle drei Interpretationsmöglichkeiten belegen lassen, mithin jedem der drei Momente des Verstehensbegriffs eine self-adjudicating Rolle zugeteilt werden kann. So wird es möglich, daß Heidegger in der Literatur bald als Pragmatist (Dreyfuss,32 Rorty33), bald als Existenzialist (Bollnow34), bald als Ontologe und in der Wissenschaftsbegründung engagierter Denker (Szilasi, Wissenschaftshermeneutik35) betrachtet wird.

und Kuhn. In: Márta Fehér, Olga Kiss, László Ropolyi (Hrsg.): Hermeneutics and Science Proceedings of the First Conference of the International Society for Hermeneutics and Science. Boston Studies in the Philosophy of Science 206. 1999. 35–57. 32 Die Frage, wieweit man Heidegger als Pragmatisten gelten lassen kann, wird von Dreyfus nuanciert diskutiert (vgl. Hubert L Dreyfus: Being-in-the-World. A Commentary on Heidegger’s Being and Time, Division I. Cambridge/Mass. 1995. 6. 80. 253). 33 Vgl. Richard Rorty: Heidegger, contingency and pragmatism. In: Richard Rorty Essays on Heidegger and Others. Cambridge/Mass. 1991. 27–49. 34 Vgl. Otto Bollnow: Existenzphilosophie. Stuttgart 1969. 35 Die Priorität des Seinsverständnisses wurde besonders von den Heidegger-Interpreten hervorgehoben, die es begriffen haben, dass Heidegger gar nicht so feindselig gegenüber den Wissenschaften eingestellt war, wie es anzunehmen üblich ist. Die Vertreter der Hermeneutik der Naturwissenschaften greifen so auf die Ontologie Heideggers zurück, sie knüpfen an den Begriff des Seinsverständnisses an und setzen sich mit der Einseitigkeit des Sozialkonstruktivismus auseinander. (vgl. Robert Crease: The Play of Nature. Experimentation as Performance. Bloomington. Indiananapolis 1993. 165. Martin Eger: Achievements of the hermeneutic-phenomenological approach to natural science. A comparison with constructivist sociology. In: Man and World 30. (1997). 343–367). Auch Vilmos Szilasi lehnt sein Wissenschaftskonzept an den Begriff des Seinsverständnisses und den der ontologischen Differenz an. Insofern durch die theoretischen Naturwissenschaften »die transzendental objektive Realität« (Wilhelm Szilasi: Philosophie und Naturwissenschaft. Bern. München 1961. 34), bzw. »objektive Transzendenz« (Wilhelm Szilasi: Wissenschaft als Philosophie. Zürich. New York 1945. 12) ermittelt werden soll, seien sie selbst, so Szilasi, auf die Dimension der transzendentalen Erfahrung bezogen. Die transzendental objektive Realität steht hier für den Heideggerschen Begriff des Seins, das vom Menschen im voraus verstanden wird, mit dem wir sozusagen im intimen Verhältnis stehen. Diese »Intimität ermöglicht das Zwiegespräch mit der Natur. Genauer gesagt, ein Zwiegespräch zwischen dem Sein des Daseins und dem Sein des Alls. Diese Intimität ist die transzendental gemeinsam verbindende Realität.« (Wilhelm Szilasi: Philosophie und Naturwissenschaft. Bern. München 1961. 48).

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Jede der drei Bedeutungsschichten eignet sich sogar dazu, als Basis für selbständige philosophische Programme zu dienen. Fragen wir uns aber, wodurch das spannungsvolle Nebeneinander dieser drei Momente zu erklären ist, wodurch diese drei Momente zusammengehalten werden, so gelangen wir zu Heideggers uminterpretiertem Begriff der Transzendenz. Die Phänomenologie Heideggers ist durch die zweifache Bestrebung bestimmt, über den Subjektivismus Kantischer Prägung hinauszugehen und es zugleich zurückzuweisen, die Frage nach den transzendentalen Bedingungen »ontisch«, so zum Beispiel anthropologisch, zu beantworten.36 Dieser doppelten Zielsetzung wird die Heideggersche Phänomenologie gerecht, indem das transzendentale Prinzip vorerst ganz formal bestimmt, doch an das menschliche Dasein gebunden wird, um es dann auf die verschiedenen möglichen Grundformen menschlicher Aktivität (Selbst, soziale Welt, Wissenschaften) zu beziehen. Die formale Bestimmung der Transzendentalität geht dahin, daß »die Grundverfassung des Daseins« als Transzendenz bestimmt wird, die im Überschreiten besteht. Bei der Transzendenz wird nicht eine Schranke überschritten, »die zunächst das Subjekt in einem Innenraum einsperrte. Sondern was überschritten wird, ist das Seiende selbst« (Heidegger 1978: 212). Durch die Transzendenz des Daseins wird die Apriorität in das menschliche Sein schlechthin hineingebracht, wie sich aber diese Apriorität konkretisiert, wird vorläufig nicht bestimmt. Bezogen auf das pragmatische Verstehen ermöglicht die Transzendenz, daß sich die Bewandtnisganzheit des Zeugs sowie die Ordnung der Gewohnheiten für den Menschen als Welt konstituieren.37 Wir existieren je schon in einer Welt, sagt Heidegger, und dies heißt, daß das menschliche Dasein nichts als In-der-Welt-sein ist, wobei diese faktische Welt geschichtlich und sozial gegeben ist. Die Vertrautheit mit der Welt ist eben das pragmatische Verstehen. Kraft der Transzendenz des Daseins wird die Umwelt im voraus schon verstanden. Das existenziale Verstehen kann ebenso erst durch die Transzendenz des Daseins vollzogen werden, das Überschreiten wird zwar hier nicht auf die soziale, für uns schon im voraus gegebene Welt bezogen. Dank des 36

Trotzdem wurde Heidegger von Husserl Anthropologismus vorgehalten (vgl. Edmund Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie III. Hrsg. von W. Biemel. Haag. 1953. 140, Edmund Husserl: Aufsätze und Vorträge (1922–1937). Hrsg. von T. Nenon und H. R. Sepp. Dordrecht 1989. 165. Edmund Husserl: Randbemerkungen zu Heideggers ›Sein und Zeit‹ und ›Kant und das Problem der Metaphysik‹. In: Husserl Studies 11 (1994). 3–63. 13. 57). 37 »Wohin das Subjekt transzendiert, ist das, was wir Welt nennen.« (Heidegger: Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz. A. a. O. 212).

Dimensionen des Verstehens

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Überschreitens vermögen wir wir selbst38 und frei39 zu sein. Auch das Seinsverständnis ist Transzendieren schlechthin,40 insofern die Transzendenz des Daseins das Überschreiten des Seienden ist. Ohne diese transzendierende Bewegung läßt sich die ontologische Differenz selbst, der Unterschied zwischen dem Sein und Seienden nicht vorstellen.41 Es ist das Seinsverständnis, durch das die formale Transzendenz des Daseins mit Inhalt gefüllt wird. Das Sein von etwas zu verstehen heißt, die Voraussetzungen zu bestimmen, die das Erkennen eines Seienden ermöglichen. Jeder Versuch einer wissenschaftlichen Begründung stützt sich auf das Seinsverständnis und die Transzendenz des Daseins.42 Der sich aus dem Seinsverständnis ergebende Grund stellt allerdings keine ewige Idee dar, ist vielmehr selber der Transzendenz des Daseins ausgesetzt, kann jederzeit neugestaltet werden. Dem Konzept von Heidegger liegt die starke Voraussetzung zugrunde, die letzte Einheit des menschlichen Seins werde durch die formale Dynamik der Transzendenz gewährleistet. Die drei Momente des Verstehensbegriffs sind es gerade, in denen sich die formale Dynamik der Transzendenz konkretisiert, nämlich als die Eingebundenheit in die geschichtlich gegebene Normativität, als die Konfrontation mit dieser Normativität und als die Bildung des Erfahrungsraumes. Diese drei Arten der Konkretisierung stellen je unterschiedliche Muster43 dar. Sie lassen sich, obwohl jedes durch die formale Dynamik der Transzendenz bestimmt wird, zu keiner Einheit zusammenfügen.

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»Im Überstieg kommt das Dasein allererst auf solches Seiendes zu, das es ist, aus es als es ›selbst‹. Die Transzendenz konstituiert die Selbstheit.« (Martin Heidegger: Wegmarken. A. a. O. 34.) »Was als ein Selbst existiert, kann das nur als Transzendentes.« (Martin Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie. Hrsg. von F.-W. von Herrmann. Frankfurt/M. 1975. 425 f.). 39 »Transzendenz des Daseins und Freiheit sind identisch!« (Martin Heidegger: Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz. Hrsg. von K. Held. Frankfurt/M. 1978. 238). 40 Die Transzendenz »ermöglicht das Zurückkommen auf Seiendes, so daß in ihr das vorgängige Verstehen von Sein gründet.« (Martin Heidegger: Die Grundprobleme der Phänomenologie. Hrsg. von F.-W. von Herrmann. Frankfurt/M. 1975. 426). 41 »Sein – nicht Seiendes – ›gibt es‹ nur, sofern Wahrheit ist. Und sie ist nur sofern und solange Dasein ist. Sein und Wahrheit ›sind‹ gleichursprünglich.« (Heidegger: Sein und Zeit. A. a. O. 230). 42 »Dieses Seinsverständnis ermöglicht erst das Warum. Das besagt aber: es enthält schon die erst-letzte Urantwort für alles Fragen. Das Seinsverständnis gibt als vorgängigste Antwort schlechthin die erst-letzte Begründung. In ihm ist die Transzendenz als solche begründend.« (Heidegger: Wegmarken. A. a. O. 65). 43 Die Konkretisierung dieser Voraussetzung besteht darin, die für den Menschen zugängliche Erfahrungsbasis unter dieser Voraussetzung aufzuarbeiten. Die auschlaggebende Voraussetzung der formalen Dynamik der menschlichen Transzendenz ist aber durchaus

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Éva Gedő · Tibor Schwendtner

Um den Zusammenhang dieser drei Momente klarzumachen, könnte man wieder eine Parallele zu den bildenden Künsten heranziehen. Wenn auf den Bildern von Picasso die in verschiedenen Perspektiven wahrzunehmenden Schnitte eines Gegenstandes in einer Ebene zusammengeführt werden, kann man z. B. vom Gesicht eines Menschen mehr als normalerweise sehen. Im Portrait sind so miteinander unvereinbare Charakteristika und vorhandene Risse enthalten.

problematisch, wie es durch die Spannungen zwischen den verschiedenen Mustern selbst nahegelegt wird.

Gerson Reuter

Ein individualistischer Blick auf normativistische Erklärungsansprüche und ›das Soziale‹ bei Heidegger

1. Einleitung Brandom hat mit seinen beiden Aufsätzen ›Heideggers Kategorien in Sein und Zeit‹ und ›Dasein, the Being That Thematizes‹ eine zweifellos originelle und beeindruckende Interpretation zentraler Abschnitte von Sein und Zeit vorgelegt.1 Unter seinem Blick verwandeln sich insbesondere die bedeutungstheoretisch relevanten Passagen in Sein und Zeit zu einer Art Vorläufer seiner in Making It Explicit entwickelten normativ-pragmatischen inferentiellen Semantik.2 Sprachliche Ausdrücke werden als eine Art von Zeug aufgefasst, dessen Bedeutung durch den Gebrauch in einer (implizit) normativen sozialen Praxis festgelegt sein soll. Ungefähr so, wie beispielsweise ein bestimmter Gegenstand x (nur) aufgrund eines bestimmten korrekten Gebrauchs in einer sozialen Praxis ein Hammer ist, sollen sprachliche Ausdrücke (nur) aufgrund einer implizit normativen inferentiellen Praxis eine bestimmte Bedeutung haben – ein bestimmter ›semantischer Gebrauchsgegenstand‹ sein. Das von Heidegger betonte Primat eines praktischen Weltbezugs wird zu der These radikalisiert, dass sich ein Konzept implizit normativer sozialer Praktiken als theoretische Grundlage zur reduktiven Erklärung der Bedeutungshaftigkeit von Ausdrücken – und zur Beantwortung weiterer bedeutungstheoretischer Fragen – eignet. Mit den Überlegungen in diesem Aufsatz möchte ich nicht in die Diskussion einsteigen, ob Brandom Heidegger textadäquat rekonstruiert. Sicherlich kann man Sein und Zeit auf diese Weise lesen. Und gewiss eröffnet Brandoms Interpretation auch eine neue Sicht auf etliche Passagen in Sein und Zeit.3 Unbenommen ist jedoch auch, dass man Heidegger auf ganz andere Weise lesen kann. Und das wird ja auch ausgiebig getan. Heidegger stellt eher selten

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Robert Brandom: Heideggers Kategorien in Sein und Zeit. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 45 (1997). 531–549, und Robert Brandom: Dasein, the Being That Thematizes. In: R. Brandom: Tales of the Mighty Dead. Cambridge/Mass. 2002. 324–347. 2 Robert Brandom: Making It Explicit. Cambridge/Mass. 1994. 3 Ein Beispiel ist Brandoms Interpretation der Analyse des ›Geredes‹ in Paragraph § 35 aus Sein und Zeit. (Siehe R. Brandom: Dasein, the Being That Thematizes. A. a. O.).

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Überlegungen zu ausdrücklich bedeutungstheoretischen Fragen an, und der Gesamtrahmen von Sein und Zeit ist vermutlich mit diversen bedeutungstheoretischen Strategien vereinbar, sofern – als vielleicht einzige Einschränkung – der Gebrauch von sprachlichen Ausdrücken als ein unverzichtbares theoretisches Element betrachtet wird. Diese Betonung des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke kann jedoch verschieden ausbuchstabiert werden. Sie entscheidet etwa noch nicht vorab zwischen normativistischen Theorien und solchen, die auf ein Konzept sprachlicher Normen verzichten – und auch nicht zwischen individualistischen und sozialexternalistischen Theorien.4 Aus diesem Grund scheint es etwas müßig zu sein, über die Textadäquatheit der Rekonstruktion Brandoms zu streiten. Nützlicher dürfte sein, der Frage nachzugehen, ob es – systematisch betrachtet – überhaupt wünschenswert ist, Heidegger als einen Vertreter eines ›normativen Fundamentalpragmatismus‹ zu lesen.5 Dieser Frage wird sich der nächste Abschnitt widmen. Um es vorwegzunehmen: Heidegger sollte besser kein derart radikaler Erklärungsanspruch unterstellt werden. Denn es bestehen zumindest begründete Zweifel an den Erfolgsaussichten des Unternehmens, bedeutungstheoretische Phänomene anhand eines Konzepts einer implizit normativen Praxis (auf nicht-zirkuläre Weise) zu erklären. Aller Voraussicht nach ist normatives Vokabular theoretisch nicht basaler als intentionalistisches und semantisches Vokabular. Attraktiv scheint Brandoms Interpretation unter anderem deshalb zu sein, weil sie Heideggers Überlegungen zur theoretischen Rolle ›des Sozialen‹ ein auf systematische Weise ausbuchstabiertes Gewicht verleiht. Diese Überle4

Mit dem Etikett »individualistische Theorien« sollen hier Theorien bezeichnet werden, die sich in der Beantwortung bedeutungstheoretischer Fragen im Wesentlichen bzw. in ihrer theoretischen Grundausrichtung auf Tatsachen über einzelne Sprecher (z. B. individuelle Kompetenzen) und Relationen zwischen den jeweiligen Sprechern und ihrer nicht-sozialen (›natürlichen‹) Umwelt stützen. Mit individualistischen Theorien (im Unterschied zu internalistischen Theorien) sind also sogenannte externalistische Theorien vereinbar, nicht aber sozialexternalistische, denen zufolge Begriffe für ›soziale Gebilde‹ unverzichtbare Bestandteile bedeutungstheoretischer Erklärungen sind. (Siehe zu dieser Terminologie Akeel Bilgrami: Belief and Meaning. Oxford 1992.) Ferner: Unter nicht-normativen Theorien werden hier Theorien verstanden, die auf ein Konzept sprachlicher bzw. semantisch relevanter Normen verzichten – wobei sprachliche bzw. semantisch relevante Normen solche Normen sein sollen, die (oder deren Befolgen) für die Konstitution der Bedeutung von Ausdrücken relevant sind. Normativistische Theorien sind entsprechend Bedeutungstheorien, die ein Konzept sprachlicher bzw. semantisch relevanter Normen zu Erklärungszwecken einsetzen – insbesondere zur Beantwortung der Frage, aufgrund welcher Bedingungen Äußerungen eine bestimmte Bedeutung haben. 5 Zu diesem Theorienetikett siehe Robert Brandom: Pragmatik und Pragmatismus. In: M. Sandbothe (Hrsg.): Die Renaissance des Pragmatismus. Weilerswist 2000. 29–58.

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gungen erwecken zumindest den Anschein, als müsse man für eine adäquate Rekonstruktion von Sein und Zeit eine Bedeutungstheorie sozialexternalistischen Zuschnitts investieren. Deshalb widmet sich der zweite – und längere – Abschnitt insbesondere derartigen Überlegungen Heideggers. Untersucht wird, wie weit man in ihrer Deutung mit individualistischen Annahmen kommt. Und gezeigt werden soll, dass man mit einer individualistischen Theorie tatsächlich recht weit kommt: Eine solche Theorie besitzt hinreichend Ressourcen, um zumindest einige wichtige Bemerkungen Heideggers zur bedeutungstheoretischen Rolle ›des Sozialen‹ aufzufangen.

2. Normatives Vokabular und der Verdacht eines Erklärungszirkels Brandoms theoretisches Programm in Making It Explicit lässt sich als Ausarbeitung einer normativistischen bottom-up-Strategie verstehen. Bestimmte normative Begriffe werden ohne Verwendung semantischen und intentionalistischen Vokabulars theoretisch eingeführt, allmählich angereichert und zu bedeutungstheoretischen Erklärungszwecken eingesetzt. Erklärt werden soll insbesondere, aufgrund welcher Merkmale implizit normative Praktiken spezifisch sprachliche Praktiken sind. So soll etwa die Frage beantwortet werden, aufgrund welcher Bedingungen Lautproduktionen in einer sozialen Praxis eine spezifische Bedeutung haben. Der Rekurs auf eine soziale und implizit normative Praxis soll klären, warum Ausdrücke die Bedeutung haben, die sie nun einmal haben. Noch etwas anders formuliert: Beantwortet werden soll die Frage, welche Bedingungen bzw. Faktoren die spezifische Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken konstituieren.6 Einer der explanatorisch zentralen Begriffe Brandoms ist der Begriff der implizit normativen praktischen Einstellung.7 In einem ersten Schritt soll mit Hilfe dieses Begriffs das Konzept einer Praxis erläutert werden, in der implizite Normen etabliert und (implizit) befolgt werden. Auf dieser Ebene des

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Der Begriff der Konstitution ist ein notorisch unklarer Begriff. Die Behauptung, eine bestimmte Menge M an Bedingungen (oder Faktoren) konstituiere die spezifische Bedeutung F eines Ausdrucks »F«, soll hier besagen: Wenn M vorliegt, bedeutet »F« F. Dabei ist M eine nicht-kausale hinreichende Bedingung dafür, dass »F« F – und nicht etwa F* – bedeutet. Auf eine derartige Konstitutionsrelation scheinen Wendungen abzuzielen wie »ein Ausdruck hat aufgrund dieser oder jener Faktoren eine bestimmte Bedeutung« oder auch »diese oder jene Faktoren bestimmen die Bedeutung eines Ausdrucks«. (Zugegebenermaßen müsste zum Begriff der Konstitution – gerade in seiner Verwendung in bedeutungstheoretischen Zusammenhängen – eigentlich noch mehr gesagt werden.). 7 Siehe Brandom: Making It Explicit. A. a. O. 30 ff.

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Theorieaufbaus werden noch keine bedeutungstheoretischen Fragen behandelt. Das damit anvisierte Konzept einer implizit normativen Praxis soll noch kein Konzept einer spezifisch sprachlichen Praxis sein. Erst in einem weiteren Schritt soll gezeigt werden, wie Lautfolgen gerade aufgrund einer bestimmten Art von impliziten Bewertungen in einer Praxis eine bestimmte Rolle – letztlich eine inferentielle Rolle – einnehmen. Erst auf dieser Ebene müssen die fraglichen bewertenden Einstellungen also eine explanatorische Aufgabe erfüllen, die auf die Beantwortung spezifisch bedeutungstheoretischer Fragen zugeschnitten ist. Was soll man sich unter diesen praktischen Einstellungen überhaupt vorstellen – gerade angesichts der begrifflichen Restriktionen zur theoretischen Auszeichnung implizit normativer Praktiken? Brandom zufolge soll es sich um ein Tun handeln, das es verdient (und erfordert), in normativen Begriffen beschrieben zu werden. Zugleich soll jedoch – und das macht die Radikalität von Brandoms Vorschlag aus – eine adäquate Beschreibung eines solch implizit normativen Tuns auf ein Vorverständnis semantischer und intentionalistischer Begriffe verzichten können. Radikal ist dieser Vorschlag aus folgendem Grund: Jede adäquate Theorie normativer Praktiken muss ein Vokabular bereitstellen, mit dessen Hilfe zentrale Unterschiede zwischen normativen und nicht-normativen Praktiken markiert werden können. Zu diesen Unterschieden zählt beispielsweise der zwischen dem Befolgen von Normen und einem Verhalten, das lediglich mit Normen übereinstimmt.8 Nun würde man wohl üblicherweise sagen, dass eine Person, um einer Norm überhaupt folgen zu können, diese Norm auch kennen muss. Sie muss also eine Überzeugung darüber haben, was sie tun soll – in Brandoms Begrifflichkeit: wozu sie verpflichtet ist. Zudem dürften wir dann, wenn wir glauben, eine Person folge einer Norm, ihr auch unterstellen, sie handele auf eine bestimmte Weise, weil sie die Absicht hat, dieser Norm zu folgen. Würden wir wissen, dass die betreffende Person die fragliche Norm nicht einmal kennt, würden wir wohl eher sagen, sie stimme in ihrem Verhalten nur mit dieser Norm überein (oder eben nicht). Unter anderem anhand der Zuschreibung gerade solcher Überzeugungen (und Absichten) lässt sich der fragliche Unterschied markieren und somit zwischen tatsächlich normativen Praktiken und nicht-normativen Praktiken unterscheiden. Eine solche Beschreibung normativer Praktiken würde demnach den Begriff propositionaler Einstellungen – und somit natürlich auch semantisches Vokabular – investieren. Aber nicht nur kann man auf diese 8

Diesen Unterschied markieren zu können, gehört auch laut Brandom zu einer der Adäquatheitsbedingungen für eine Theorie implizit normativer Praktiken (siehe Brandom: Making It Explicit. A. a. O. 26 ff.).

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Weise den Unterschied zwischen dem Befolgen von Normen und einem bloßen Übereinstimmen mit Normen erläutern: Es ist vorderhand ganz und gar nicht ersichtlich, wie sich dieser Unterschied ohne derartige Unterstellungen erläutern lässt. Brandom aber meint, auf solche Unterstellungen – und das damit verbundene Vokabular – gänzlich verzichten zu können. Und gerade wegen dieser begrifflichen Restriktionen stellt sich auch die Frage, was man sich unter praktisch bewertenden Einstellungen – diesem (implizit) normativen Tun – überhaupt vorstellen soll. Was man sich unter dem gesuchten Tun vorstellen bzw. wie ein Verhalten als das gesuchte implizit normative Tun charakterisiert werden soll, müsste eigentlich in Sicht kommen, wenn man der Frage nachgeht, welche explanatorische Rolle dieses Tun spielen soll. Dieser Frage kann man etwa auf der bedeutungstheoretischen Ebene nachgehen – im Rahmen des Theorieaufbaus von Making It Explicit also auf der zweiten Ebene, auf der bereits ein (plausibles) generelles Konzept von implizit normativen Praktiken zur Verfügung stehen soll.9 Klar dürfte sein, dass die fraglichen praktischen Bewertungen mit einer bestimmten Hinsicht auf das zu bewertende Verhalten – Lautproduktionen bzw. Abfolgen von Lautproduktionen – erfolgen müssen. Damit ist Folgendes gemeint: Die gesuchten praktischen Einstellungen sollen sicherlich nicht irgendetwas Beliebiges an Lautproduktionen bewerten. So sollen die Abfolgen von Lautproduktionen beispielsweise gewiss nicht danach bewertet werden, ob sie zu laut oder zu leise sind, in der falschen Stimmlage ertönen, bei zu schlechtem Wetter etc.. Lautproduktionen müssen in einer letztlich bedeutungstheoretisch relevanten Hinsicht bewertet werden – bzw. in einer Hinsicht, die aus Sicht der Theorie als eine bedeutungstheoretisch relevante Hinsicht ausgezeichnet werden kann. Denn ein soziales Netz von praktischen Bewertungen der Produktionen von Lautfolgen soll immerhin erklären, was es heißt und ausmacht, dass diese Lautfolgen – das bewertete Verhalten – in einer Praxis eine bestimmte (inferentielle) Rolle und damit eine bestimmte Bedeutung haben. Damit das Konzept praktisch-bewertender Einstellungen genau diese explanatorische Funktion erfüllen kann, müsste sich somit einsichtig machen lassen, dass das, was diese praktischen Einstellungen bewerten, überhaupt Merkmale von Lautproduktionen sind, die ihrerseits erklären helfen, warum diese Lautproduktionen eine bestimmte Bedeutung haben können. Bestünden keine begrifflichen Restriktionen für die Auszeichnung dieser praktischen Einstellungen, würde man sicherlich sagen wollen, sie bewerteten gerade solche Merkmale von Lautproduktionen, die üblicherweise anhand se9

Diese Frage stellt sich aber auch auf der ersten Ebene des Theorieaufbaus in Making It Explicit.

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mantischer Begriffe charakterisiert werden – so etwa die Eigenschaften von Äußerungen, wahr zu sein bzw. Wahrheitsbedingungen zu haben oder sich (vorgeblich) auf etwas in der Welt zu beziehen. Unterstellte man beispielsweise, dass die praktischen Einstellungen die Wahrheit bzw. Falschheit von Lautproduktionen ›bewerten‹, würde sich die Frage erst gar nicht stellen (zumindest nicht in dieser Dringlichkeit), wie man überhaupt auf die Idee kommen könnte, derartige Einstellungen besäßen eine bedeutungstheoretische bzw. explanatorische Relevanz. Sie stellt sich jedoch, wenn behauptet wird, man könne ohne Verwendung intentionalistischen und semantischen Vokabulars präzisieren, was man sich unter diesen Einstellungen vorzustellen hat – und vor allem auch verständlich machen, wie sie die ihnen zugedachte theoretische Rolle tatsächlich ausfüllen können.10 Zumindest der Verdacht dürfte sich aufdrängen, dass bewertende Einstellungen nur dann für bedeutungstheoretische Zwecke relevant sein können, wenn bereits unterstellt würde, dass Praxisteilnehmer Überzeugungen darüber haben, worauf es bei der Produktion von Lautfolgen ankommt. Eine derartige Unterstellung scheint nötig zu sein, will man präzisieren, was die bedeutungstheoretisch interessante Hinsicht ist, in der Praxisteilnehmer Lautfolgen bewerten. Entsprechend scheint auch allererst durch eine derartige Unterstellung die explanatorische Relevanz der fraglichen Einstellungen gesichert werden zu können .11 Wie begrifflich karg kann die Erläuterung eines Konzepts eines implizit normativen Tuns ausfallen, ohne dass dieses Konzept an Plausibilität und Erklärungskraft einbüßt? Das Problem für Brandoms normativistische ›bottom-up-Erklärungsstrategie‹ scheint zu sein: Wenn man das gesuchte implizit normative Tun ohne Verwendung intentionalistischen und semantischen Vokabulars auszuzeichnen versucht, läuft man Gefahr, den explanatorischen Beitrag des Begriffs praktisch bewertender Einstellungen nicht mehr sicherstellen zu können. Man müsste zeigen können, worin genau die bedeutungstheoretische Relevanz dieser Einstellungen besteht, wenn doch die Hinsicht, in der die Teilnehmer einer Praxis Lautfolgen bewerten, keine bereits ›seman10

Ohne die Bürde begrifflicher Restriktionen würde man im Grunde wohl schlicht annehmen, Praxisteilnehmer behandelten sich aufgrund ihrer Annahmen über die Bedeutung ihrer Äußerungen als zu bestimmten weiteren Äußerungen verpflichtet oder berechtigt. Aber dann behandelten sie diese Abfolgen von Lautfolgen natürlich bereits als Verknüpfungen von Äußerungen mit einer bestimmten Bedeutung. Und Brandom will und muss derartige Unterstellungen klarerweise vermeiden. 11 Ausführlicher behandele ich diesen Zirkelverdacht – auf den beiden genannten Ebenen des Theorieaufbaus in Making It Explicit – in Gerson Reuter: Bedeutungen und soziale Praktiken. Paderborn 2006.

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tisch informierte‹ sein darf. Weshalb sollten in einer sozialen Praxis Lautfolgen gerade aufgrund dieser ›kargen‹ Einstellungen eine inferentielle Rolle und somit eine Bedeutung haben? Die begrifflichen Restriktionen scheinen einem die nötigen Mittel zu rauben, um ein bewertendes Tun so auszuzeichnen, dass wirklich ersichtlich bzw. verständlich wird, wie aufgrund dieser Einstellungen Lautproduktionen spezifisch inferentielle Rollen in einer Praxis haben können. Denn der Begriff der praktisch-bewertenden Einstellungen scheint nur dann explanatorisches Potential zu besitzen, wenn man die Einstellungen bereits auf irgendeine Weise als ›semantisch informierte‹ Einstellungen auffasst. Je karger der Begriff praktischer Einstellungen erläutert wird, desto größer dürfte die Gefahr sein, dass er sich als explanatorisch irrelevant erweist. Wenn man jedoch daraufhin den Begriff der praktisch-bewertenden Einstellungen anreichert – und zwar auf eine Weise, dass die bedeutungstheoretische Relevanz dieser Einstellungen ersichtlich wird –, verstößt man schnell gegen die begrifflichen Anforderungen.12 Hier soll nicht behauptet werden, diese Schwierigkeit lasse sich nicht meistern. Das wurde sicherlich nicht gezeigt. Viel mehr als ein Eindruck soll (und kann) an dieser Stelle nicht formuliert werden. Allerdings scheint sich dieser Eindruck geradezu aufzudrängen. Und deutlich geworden sollte auch sein, dass es keine Kleinigkeit darstellen dürfte, die markierten Schwierigkeiten, sollten sie denn bestehen, tatsächlich zu beheben. Somit dürfte auch zumindest der Versuch motiviert worden sein, einmal einen individualistischen und nicht-normativistischen Blick auf Sein und Zeit zu werfen.

3. ›Das Soziale‹ in Heideggers Überlegungen zur Sprache Die Überlegungen im letzten Abschnitt versuchten zu zeigen, dass es – systematisch betrachtet – vermutlich nicht sonderlich wünschenswert ist, die bedeutungstheoretisch relevanten Ausführungen Heideggers in Sein und Zeit in Brandoms fundamentalpragmatistischer Manier zu rekonstruieren. Und ganz sicher ist eine solche Rekonstruktion angesichts der eher wenigen klaren 12

Deutlich wird dies beispielsweise, wenn man den Vorschlag betrachtet, die fraglichen bewertenden Einstellungen könnten ›Ja/Nein-Stellungnahmen‹ zu Lautproduktionen oder Übergänge zwischen Lautproduktionen sein. Vielleicht muss man Teilnehmern einer Praxis, in der Äußerungen durch »Ja« (eine Art Bekräftigung) oder »Nein« (eine Art Ablehnung) bewertet werden, nicht unterstellen, sie könnten inferentielle Normen ausdrücklich nennen. Aber sicherlich muss unterstellt werden, dass diesen Bewertungen irgendwelche Überzeugungen zugrunde liegen, wonach die von ihnen zu bewertenden Äußerungen in einer semantisch relevanten Hinsicht korrekt oder nicht korrekt sind.

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Textbelege, die man zu ihren Gunsten auftreiben kann, keine alternativlose Deutung. Ein zentraler Aufhänger dafür, Sein und Zeit gemäß einem solchen normativen Fundamentalpragmatismus zu lesen, besteht sicherlich in Heideggers Betonung der praktischen Aspekte unseres Weltverhältnisses. Für eine solche pragmatische und sozialexternalistische Lesart scheint jedoch auch zu sprechen, dass man auf diese Weise offenbar angemessen rekonstruieren kann, welche theoretische Rolle Heidegger ›dem Sozialen‹ beimisst. Und zweifellos gibt es in Heideggers Werk – und gerade auch in Sein und Zeit – etliche Textstellen zugunsten der Lesart, ihm zufolge müsse ein theoretisch adäquates Verständnis von Personen, ihrem Weltbezug und ihren kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten soziale Praktiken einbeziehen. Sozialexternalistische Theorien neigen dazu, starke normative Begriffe einzusetzen – bei Brandom beispielsweise die überraschend stark ›normativ aufgeladenen‹ Begriffe der Verpflichtung (commitment) und der Berechtigung (entitlement). Und das verwundert im Grunde auch nicht. Damit soziale Praktiken überhaupt einigermaßen plausible Kandidaten insbesondere dafür sind, die Gehalte von Gedanken einzelner Sprecher zu konstituieren, müssen diese sozialen Gebilde – vage und bildlich gesprochen – mit der ›Kraft‹ ausgestattet sein, das Denken und Reden einzelner Personen auf irgendeine Weise einzuschränken. Etwas anders formuliert (und ähnlich vage): Für das, was eine Person in einem sozialen Gefüge sagen kann, muss das, was andere Personen in diesem Gefüge tun und sagen, auf eine nahezu zwangsläufige Weise relevant sein. Insofern bietet sich die Idee gewiss an, dass es soziale Normen sind, an die Sprecher in ihrem Denken und Reden gebunden sein könnten – gestützt etwa von Sanktionen, die eintreten, falls Normen übertreten werden. Kein soziales Gebilde im Sinne einer etwa bloß statistisch ausgezeichneten Größe könnte diese ›Funktion‹ erfüllen. Es scheint also eine ausbaufähige Begründungslinie von der Annahme über eine herausgehobene bedeutungstheoretische Rolle ›des Sozialen‹ zu der Behauptung zu geben, dass ein Begriff der semantischen Norm zur Grundbegrifflichkeit einer Bedeutungstheorie gehören sollte.13 Nun ist allerdings nicht nur ein normativistischer Fundamentalpragmatismus im Sinne Bran13

Allerdings lässt sich natürlich auch – in umgekehrter Richtung – auf der Grundlage von Annahmen über die Relevanz des Begriffs der sprachlichen Norm für eine sozialexternalistische Theorie argumentieren. Und das wurde in den letzten Jahrzehnten auch häufig versucht. Dabei diente meist Wittgensteins sogenanntes Privatsprachenargument als Aufhänger für die Behauptung, dass Praktiken des Befolgens von Normen soziale Praktiken sein müssen. Diese Begründungslinie lasse ich hier außer Acht. (Eine kritische Diskussion von sozialexternalistischen Versionen des Privatsprachenarguments findet sich in Reuter: Bedeutungen und soziale Praktiken. A. a. O.).

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doms dazu in der Lage, Intuitionen über eine explanatorisch wichtige Rolle des Sozialen theoretisch zu integrieren. Und sollten die bisherigen Überlegungen richtig sein, wäre es auch nicht gerade günstig, müsste man sich zu diesem Zweck auf eine radikale normativistische (und sozialexternalistische) Erklärungsstrategie einlassen. Intuitionen über die explanatorische Relevanz ›des Sozialen‹ können auch durch eine individualistische (und nicht-normative) Theorie – wenigstens teilweise – eingefangen werden. Entsprechend soll im Folgenden vor allem der Versuch unternommen werden, diejenigen Überlegungen Heideggers aus einer individualistischen Perspektive zu betrachten, die eine bedeutungstheoretische Relevanz ›des Sozialen‹ andeuten oder auch direkt zu behaupten scheinen. Dieser Versuch benötigt allerdings einen kurzen Vorlauf. Skizziert werden soll im nächsten Abschnitt, welche begrifflichen Ressourcen eine individualistische Theorie bereitstellen kann, um Intuitionen über die explanatorische Rolle des Sozialen zu reformulieren. Gerade diese Ressourcen werden dann ins Spiel gebracht, um einige Überlegungen Heideggers zu deuten.

3.1 Was kann eine individualistische Theorie zur Rekonstruktion der bedeutungstheoretischen Rolle des Sozialen anbieten? Zum Kernbereich einer Bedeutungstheorie gehören Antworten auf die Frage, wie wir zentrale semantische Begriffe – etwa die Begriffe der Bedeutung und der Referenz – verstehen bzw. erläutern sollen. Neben diesen spezifisch begrifflichen Fragen sollte eine Bedeutungstheorie aber auch klären können, warum – aufgrund welcher Bedingungen – Ausdrücke eine bestimmte Bedeutung haben. Was konstituiert die spezifische Bedeutung unserer Äußerungen?14 Einmal angenommen, eine Bedeutungstheorie beantworte diese Fragen in individualistischer Manier. Unterstellt sei hier insbesondere, dass eine angemessene Antwort auf die Frage nach der ›Konstitutionsbasis‹ von Bedeutungen eine Ausbuchstabierung der Behauptung darstellen sollte, sprachliche Ausdrücke hätten aufgrund des individuellen Sprachgebrauchs bzw. der Verwendungsdispositionen des betreffenden Sprechers eine bestimmte Bedeutung.15 Welchen Raum lässt ein solcher Ansatz für eine explanatorische Rolle von sozialen Konstellationen? 14

Die Diskussion wird sich im Folgenden auf diese ›Konstitutionsfrage‹ konzentrieren. Denn der markante Unterschied zwischen sozialexternalistischen und individualistischen Theorien zeigt sich insbesondere in ihren Antworten auf genau diese Frage. 15 Ausführlicher dargestellt wird ein derartiger individualistischer Ansatz in Reuter:

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Mit einem derartigen individualistischen Ansatz ist durchaus vereinbar, dass soziale Konstellationen in genetischen (empirischen) Erklärungen Berücksichtigung finden. Solche Erklärungen könnten eine Ergänzung des bedeutungstheoretischen Kernbereichs sein. Aufzeigen könnten derartige Erklärungen etwa, wie der Erwerb bestimmter genereller sprachlicher oder interpretativer Fähigkeiten vonstattengeht. Oder sie könnten erklären, wie es dazu kommt, dass ein Sprecher einen bestimmten Ausdruck so und nicht anders verwendet, sich bei ihm ein bestimmter Sprachgebrauch herausbildet. Soziale Konstellationen nehmen hier die Rolle kausal relevanter Bedingungen ein. Die explanatorische Relevanz sozialer Bedingungen besteht in diesen Fällen darin, dass sie erklären helfen, wie die Aneignung einer bestimmten Fähigkeit oder eines bestimmten Sprachgebrauchs abläuft. Und ganz sicher ist es empirisch angemessen, sozialen Interaktionen, insbesondere den frühkindlichen Interaktionen mit Bezugspersonen, für derartige Erklärungszwecke theoretisches Gewicht beizumessen. Denn gewiss bringen solche Interaktionen Kleinkinder in ihrer kognitiven Entwicklung oder in ihrem Spracherwerb entscheidend voran. Kinder lernen von Erwachsenen und übernehmen auch im Großen und Ganzen die sprachlichen und interpretativen Gepflogenheiten ihrer nächsten sozialen Umgebung. Inwiefern sind solche Erklärungen mit einer individualistischen Bedeutungstheorie tatsächlich vereinbar? Diese Vereinbarkeit besteht deshalb, weil die Art und Weise der Aneignung einer bestimmten sprachlichen Verwendungsweise nicht erklärt, aufgrund welcher Bedingungen ein Ausdruck im Idiolekt eines Sprechers zu einem bestimmten Zeitpunkt eine spezifische Bedeutung hat. Wenn man fragt, aufgrund welcher Bedingungen die Verwendung eines Ausdrucks »F« eines Sprechers S zu einem Zeitpunkt t diese oder jene bestimmte Bedeutung hat, dürfte sich – unter individualistischen (aber auch ›pragmatischen‹) Vorzeichen – die Antwort aufdrängen, dass »F« aufgrund seines Sprachgebrauchs bzw. seiner Verwendungsdisposition V, die er zu t nun einmal aufweist, eine bestimmte Bedeutung F hat.16 Für diese ›Konstitutionserklärung‹ ist es irrelevant, wie S diesen spezifischen Gebrauch bzw. diese spezifische Disposition V erworben hat. Bedeutungen und soziale Praktiken. A. a. O. Dort finden sich auch detailliertere Überlegungen zu der Frage, auf welche Weise eine individualistische Theorie Intuitionen über die explanatorische Rolle ›des Sozialen‹ auffangen kann. 16 Damit soll nicht gesagt sein, eine bestimmte Verwendungsdisposition sei allein schon hinreichend dafür, dass ein Ausdruck im Idiolekt eines Sprechers eine bestimmte Bedeutung hat. Hier geht es nur um den Kontrast zwischen der explanatorischen Relevanz der ›aktuellen‹ Verwendungsdispositionen und der explanatorischen Relevanz des sozial verankerten Erwerbs dieser Dispositionen.

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Die angedeutete individualistische Erklärung der Konstitution der Bedeutung eines bestimmten Ausdrucks ist beispielsweise mit der Annahme vereinbar, dass der Prozess des Spracherwerbs ein sozial verankerter Prozess der Abrichtung ist.17 Die Abrichtung zu bestimmten Verwendungsweisen ist ein kausaler Prozess, in dem Kinder von bereits kompetenten Sprechern dazu gebracht werden, Ausdrücke auf eine bestimmte Weise zu verwenden. Derartige ›soziale Mechanismen‹ sind Teil einer kausalen Erklärung, die zu zeigen beansprucht, wie es dazu kommt, dass Kinder ihre Ausdrücke irgendwann auf eine bestimmte Weise verwenden (oder zu verwenden disponiert sind). Gleichwohl: Auch wenn Kinder ihren Sprachgebrauch in einem sozialen Prozess entwickeln und folglich eine genetische Erklärung zentrale Elemente dieses sozialen Prozesses nicht ignorieren sollte, haben ihre Ausdrücke zu einem bestimmten Zeitpunkt nun einmal eine bestimmte (diese und keine andere) Bedeutung, weil sie selbst bestimmte Verwendungsweisen zu genau diesem Zeitpunkt zeigen. Sie könnten klarerweise auch von dem in sozialen Kontexten erworbenen Gebrauch abweichen, einen anderen, eventuell idiosynkratischen Sprachgebrauch etablieren, ohne dass der betreffende Ausdruck dadurch zwangsläufig aufhörte, eine bestimmte Bedeutung zu haben. Er hätte dann schlicht eine andere Bedeutung. Entscheidend für eine Klärung der ›Konstitutionsfrage‹ ist demnach, dass Sprecher zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Sprachgebrauch haben. Ihre Verwendungsweise bzw. Verwendungsdisposition V von »F« zu einem bestimmten Zeitpunkt erklärt, warum – aufgrund welcher Bedingungen – »F« zu diesem Zeitpunkt in ihrem Idiolekt F und nicht beispielsweise F* bedeutet. Soziale Konstellationen können aus Sicht einer individualistischen Theorie noch auf eine zweite Weise integriert werden – und zwar anhand des Konzepts der sprachlichen Arbeitsteilung.18 Diese Integration verlagert soziale Konstellationen nicht in empirische Erklärungen, vielmehr wird das Konzept der sprachlichen Arbeitsteilung investiert, um zu erklären, warum bestimmte Ausdrücke im Idiolekt eines einzelnen Sprechers eine ›sozial geteilte‹ Bedeutung haben können. Das Konzept der sprachlichen Arbeitsteilung gehört also zum Kernbereich einer Bedeutungstheorie.19 Aufgefangen werden soll 17

Zum Begriff der Abrichtung siehe beispielsweise Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M. 1984. § 5 und § 6. 18 Siehe zum Konzept der sprachlichen Arbeitsteilung vor allem Hilary Putnam: Die Bedeutung von ›Bedeutung‹. Frankfurt/M. 1990. 19 Eine nahe liegende Frage ist sicherlich, ob eine individualistische Theorie damit zu viel zugesteht. Darf eine individualistische Theorie tatsächlich das Konzept der sprachlichen Arbeitsteilung einbauen? Für die Behauptung, dass mit der Integration eines – auf geeignete Weise reformulierten – Konzepts der sprachlichen Arbeitsteilung die individua-

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durch dieses Konzept vor allem der offenkundige Umstand, dass wir uns in unserer Alltagspraxis oft mit der Unterstellung interpretieren, wir teilten Bedeutungen und redeten über bestimmte Arten von Gegenständen, ohne dabei allerdings auf informative Weise angeben zu können, was diese Arten von Gegenständen auszeichnet. Insofern unterstellen wir geteilte Bedeutungen oft ohne die zusätzliche Unterstellung, wir müssten in der Lage sein, diese Bedeutungen auf informative Weise erläutern zu können.20 Wollen wir genauer wissen, worüber wir eigentlich sprechen, konsultieren wir Experten bzw. von Experten verfasste Bücher. Wie funktioniert die sprachliche Arbeitsteilung – zumindest in groben Umrissen? Eine Interpretationspraxis, in der die sprachliche Arbeitsteilung praktiziert wird (unsere gehört sicherlich dazu), stellt das Angebot an einzelne Sprecher bereit, ihre Ausdrücke mit einer von Experten festgelegten Bedeutung zu verwenden. Diese Interpretationspraxis legt Bedeutungen nicht selbst fest; das ist Sache der Experten für die betreffenden Gegenstände, über die Sprecher (Laien) in dieser Praxis reden möchten. Damit die soziale Praxis der sprachlichen Arbeitsteilung funktionieren kann, muss also lediglich die Bereitschaft von Interpreten in dieser Praxis bestehen, Äußerungen mit der Unterstellung zu interpretieren, dass die betreffenden Sprecher ihre Ausdrücke mit einer von den jeweiligen Experten festgelegten Bedeutung verwenden. Und Sprecher müssen ihre Ausdrücke natürlich auf diese Weise auch gebrauchen wollen bzw. bereit sein, einer solchen Interpretationshypothese zuzustimmen. Nur dann sind Interpretationen ihrer Äußerungen gemäß der sprachlichen Arbeitsteilung wahr.21 Zum Konzept der sprachlichen Arbeitsteilung gehört nicht, dass Sprecher die betreffenden Ausdrücke (annähernd) gleich verwenden. Eine geteilte Praxis in diesem Sinne muss es nicht geben. Und schon gar nicht müssen Sprecher in dieser ›Laienpraxis‹ in ihrer Verwendung der fraglichen Ausdrücke irgendwelchen sprachlichen Normen folgen. Auch sind Sprecher nicht in einem bedeutungstheoretisch interessanten Sinne verpflichtet, an der sprachlichen Arbeitsteilung teilzunehmen. Vielleicht erwarten Sprecher voneinander, an der sprachlichen Arbeitsteilung teilzunehmen. Vielleicht ist es auch empirisch wahr, dass in einer Praxis die Norm etabliert wurde, an der sprachlichen Arbeitsteilung teilzunehmen. Aber ob dem so ist, ist bedeutungstheoretisch listische Grundausrichtung einer Bedeutungstheorie nicht gefährdet wird, kann hier leider nicht argumentiert werden. 20 Im Folgenden wird meist undifferenziert von sprachlichen Ausdrücken geredet. Gemeint ist aber eigentlich nur die Klasse der Prädikatoren. Zudem ist hier vorausgesetzt, dass die Extension von Prädikatoren ihre primäre Bedeutung ist. 21 Natürlich muss es auch die fraglichen Experten geben.

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irrelevant. Für das Funktionieren der sprachlichen Arbeitsteilung ist die Unterstellung einer solchen Norm nicht notwendig. Ein Sprecher könnte seine Ausdrücke auch auf eine idiosynkratische Weise und somit mit einer anderen Bedeutung verwenden. Und es ist sicherlich auch eine empirische Tatsache, dass Sprecher zumindest manche ihrer Ausdrücke auf eine idiosynkratische Weise gebrauchen – auch wenn das mitunter keine kluge Entscheidung ist.22 Man könnte sagen, eine Interpretationspraxis, in der die sprachliche Arbeitsteilung praktiziert wird, sorgt dafür, dass einzelne Sprecher die Option haben, ihre Ausdrücke mit einer ›sozial geteilten‹ Bedeutung zu verwenden. Und diese Option können Sprecher ergreifen, sie können sich der sprachlichen Arbeitsteilung anschließen – oder auch nicht.23 Damit soll nicht gesagt sein, Kinder, die in einer sozialen Praxis aufwachsen, in der das Angebot der sprachlichen Arbeitsteilung besteht, hätten im Zuge des Spracherwerbs – gerade zu Beginn – tatsächlich häufig die ›Wahl‹, so zu sprechen und zu interpretieren wie andere (oder auch nicht). Gerade zu Beginn des Spracherwerbs ist Kindern die Sprache gewiss nicht in dieser Weise ›verfügbar‹. Eine solche ›Verfügbarkeit‹ anzunehmen, wäre schlicht empirisch falsch. Natürlich werden sie durch diverse Einflüsse dazu gebracht, größtenteils so zu sprechen und zu interpretieren wie andere auch. Insofern werden sie auch irgendwann – vermutlich eher spät – darin eingeübt, an der sprachlichen Arbeitsteilung teilzunehmen. Auch das dürfte eine empirische Tatsache sein. Allerdings konfligiert diese Tatsache nicht mit der bedeutungstheoretischen Behauptung, dass die Zuschreibung einer ›sozialen‹ Bedeutung gemäß der sprachlichen Arbeitsteilung nur dann wahr ist, wenn der betreffende Sprecher den fraglichen Ausdruck gemäß der sprachlichen Arbeitsteilung verwenden möchte bzw. einer derartigen Interpretation zustimmen würde. Auch konfligiert sie nicht mit der Behauptung, dass die sprachliche Arbeitsteilung keine notwendige Bedingung für die Interpretierbarkeit von Äußerungen und (somit) für das Verfügen über eine Sprache ist. Die sprachliche Arbeitsteilung ist lediglich ein Hilfsmittel: Wenn wir über Dinge reden wollen, über die wir nichts oder kaum etwas wissen, können wir es auf diese Weise tun. 22

Es gibt gewiss gute Gründe, sich den Sprach- und Interpretationsgepflogenheiten in der eigenen Sprachpraxis – und insbesondere auch der sprachlichen Arbeitsteilung – anzuschließen. Denn wenn wir glauben, dass unsere Gesprächspartner ihre Ausdrücke gemäß der sprachlichen Arbeitsteilung verwenden, und zudem leicht verständlich reden möchten, ist es vernünftig (zweckrational), sich dieser Praxis anzuschließen. 23 Ein (nicht geringes) Problem des Konzepts der sprachlichen Arbeitsteilung besteht darin zu klären, was Sprecher und Interpreten eigentlich verstehen und kommunizieren, wenn sie ihre Ausdrücke gemäß der sprachlichen Arbeitsteilung verwenden. Dieses Problem muss hier jedoch ausgeklammert bleiben.

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Mit den bisherigen theoretischen Mitteln lässt sich bereits einiges erklären. Erklären lässt sich beispielsweise auch, warum wir uns in unserer alltäglichen Sprach- und Interpretationspraxis meist mühelos verstehen. Dass wir uns meist mühelos verstehen, liegt zum einen an der sprachlichen Arbeitsteilung, die einen Vorrat an Begriffen mit einer ›sozial geteilten‹ Bedeutung bereitstellt. Aus diesem Vorrat können wir uns bedienen. Und wir tun dies auch – einmal weil wir dazu ›erzogen‹ werden, dann aber auch, weil es schlicht vernünftig (zweckrational) ist, uns in der Verwendung vieler Ausdrücke den Gepflogenheiten in unserer Sprachpraxis – unter anderem eben auch der sprachlichen Arbeitsteilung – anzuschließen. Insofern teilen wir sicherlich auch viele Begriffe. Zum anderen verstehen wir uns aber auch meist mühelos, weil sich unsere Verwendungsweisen von Ausdrücken, die wir nicht gemäß der sprachlichen Arbeitsteilung verwenden, stark ähneln. Idiolekte ähneln sich in einer Sprachpraxis auffällig. Denn Kinder entwickeln ihren Sprachgebrauch nun einmal in einer sozialen Praxis, in der Sprecher bereits sehr ähnlich reden. Um die Mühelosigkeit des Verstehens zu erklären, bedarf es also nicht der Annahme, dass eine soziale Sprachpraxis – oder irgendwelche sozial etablierten sprachlichen Normen (falls es sie gäbe) – die Bedeutung der Ausdrücke eines Sprechers generell konstituieren. Der Umstand, dass soziale Konstellationen überhaupt explanatorisches Gewicht haben, diktiert nicht, welche Grundbegriffe eine Bedeutungstheorie wählen und welche Erklärungsrichtung sie einschlagen sollte. Eine Bedeutungstheorie kann sehr wohl mit einer Theorie des Idiolekts einzelner Sprecher starten (statt mit einem Begriff des Soziolekts), die Grundzüge dieser Theorie individualistisch gestalten und die relevanten sozialen Phänomene nach und nach einbauen. Ein letzter wichtiger Punkt: Mit der Wahl einer individualistischen Theorie verpflichtet man sich nicht auf die in der Tat unplausible Annahme, die Gedanken und Äußerungen eines Sprechers seien nur für den betreffenden Sprecher verständlich. Man benötigt keine sozialexternalistische Theorie, um die prinzipielle Verständlichkeit und Öffentlichkeit von sprachlichen Bedeutungen sicherzustellen. Es muss lediglich gewährleistet sein, dass Bedeutungen für Interpreten zugänglich sind. Hierfür muss nicht angenommen werden, dass Bedeutungen generell sozial festgelegt sind. Ausreichend ist etwa die Annahme, dass der beobachtbare individuelle Gebrauch von sprachlichen Ausdrücken der entscheidende Faktor in der Konstitution von Bedeutungen ist. Es sollte demnach streng unterschieden werden zwischen der Behauptung, Bedeutungen und Gehalte seien öffentlich bzw. intersubjektiv zugänglich, und der weit stärkeren Behauptung, Bedeutungen und Gehalte seien etwas sozial Festgelegtes (Konstituiertes).

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Diese Unterscheidung zwischen ›öffentlich‹ und ›sozial‹ sowie die beiden skizzierten Positionierungen sozialer Praktiken – in empirischen (genetischen) Erklärungen und im Rahmen des Konzepts der sprachlichen Arbeitsteilung – sind die zentralen Ressourcen einer individualistischen Theorie, um Intuitionen über die bedeutungstheoretische Rolle ›des Sozialen‹ einzufangen. Taugen sie auch als Hintergrund für eine plausible Deutung von Heideggers Überlegungen zur theoretischen Rolle ›des Sozialen‹?

3.2 Die Frage nach dem theoretischen Ort ›des Sozialen‹ in der Analyse des Daseins Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass Heidegger ›soziale Gebilde‹ an theoretisch zentralen Stellen positioniert. Überdeutlich wird das beispielsweise in der Formulierung, dass »das Dasein wesenhaft an ihm selbst Mitsein ist«.24 Diese Behauptung scheint man nicht, wie es ein individualistisch gesonnener Theoretiker sicherlich gerne sähe, als eine bloß empirische Aussage lesen zu können, wonach wir nun einmal in sozialen Praktiken leben und agieren: »Sie [die phänomenologische Aussage] will nicht ontisch feststellen, daß ich faktisch nicht allein vorhanden bin, vielmehr noch andere meiner Art vorkommen.«25 Was auch immer die Besonderheiten phänomenologischer Aussagen sein mögen, offenkundig dürfte sein, dass Heidegger zufolge eine philosophische Analyse des Daseins nur adäquat ist, wenn sie die soziale Einbettung des Menschen berücksichtigt. Für eine Beantwortung der Frage, ob man Heidegger spezifisch sozialexternalistische Überzeugungen unterstellen sollte, ist nun aber entscheidend, an welchen Stellen in einer adäquaten Analyse des Daseins bzw. für welche Erklärungszwecke genau soziale Phänomene ins Spiel kommen sollen. Denn es ist nicht ausgemacht, dass es sich dabei um bedeutungstheoretisch interessante Aspekte handelt. ›Soziale Gebilde‹ könnten im Rahmen einer umfassenden Analyse der entscheidenden Merkmale des Daseins ein notwendiges Merkmal oder eine explanatorisch wichtige Bedingung für irgendetwas anderes sein. Auch ist es nicht ausgemacht, dass dann, wenn es sich um bedeutungstheoretisch zumindest interessante Aspekte handelt, sie Fragen aus dem Kernbereich einer Bedeutungstheorie beantworten helfen. Wie oben bereits kurz erläutert, sollte zu diesem Kernbereich etwa die Beantwortung der Frage zählen, aufgrund welcher Bedingungen Ausdrücke eine 24 25

Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 1986. 120. Ebd.

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bestimmte Bedeutung haben, oder auch die Frage nach einer angemessenen Erläuterung zentraler semantischer Begriffe. Untersucht werden müsste also, ob nach Heidegger ›soziale Kategorien‹ in Antworten auf genau diese (oder nah verwandte) Fragen gehören. Um diesen Punkt an einem kleinen Beispiel zu verdeutlichen: Folgt man Ernst Tugendhats Rekonstruktion eines der Hauptanliegen von Sein und Zeit, spielen soziale Gebilde zumindest in einer Analyse ›praktischer Selbstverhältnisse‹ eine wichtige Rolle.26 In unseren Versuchen, unser Leben zu gestalten, geht es immer auch darum, Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zu bedenken und gegebenenfalls zu ergreifen, die sich uns in bestimmten sozialen Situationen und Praktiken bieten. Eine je eigene Beantwortung der Frage, wie wir leben wollen (und sollten), kann trivialerweise nicht von diesen Kontexten und somit auch von anderen Personen, deren gelebten Lebensentwürfen und den mit ihnen geteilten Praktiken absehen. Zu diesen Kontexten zählen auch soziale Rollen, die wir einnehmen und die uns bestimmte Handlungsmöglichkeiten vorgeben – und diese Handlungsmöglichkeiten teilweise auch erst schaffen. Wir werden also in unserer Lebensgestaltung nicht nur durch soziale Faktoren (kausal) beeinflusst; in bestimmten sozialen Situationen ergeben sich allererst bestimmte Handlungsmöglichkeiten. (Und bestimmte Möglichkeiten sind verschlossen.) Zudem sind wir in unseren Bemühungen, ein bestimmtes Leben zu leben, auf andere Personen sicherlich in vielen Punkten angewiesen – so etwa auf die Zuneigung von uns nahe stehenden Menschen oder auf die Anerkennung durch andere Personen in diversen sozialen Zusammenhängen. Unser Leben vollzieht sich somit nicht nur immer in bestimmten sozialen Praktiken; ein bestimmtes – auch jedes ›gewählte‹ – Leben verdankt sich in vielerlei Hinsicht anderen Personen und bestimmten sozialen Kontexten. Diese Bemerkungen sind zugegebenermaßen äußerst kursorisch. Verdeutlichen sollen sie allerdings auch nur Folgendes: Es mag sehr gute – oder gar zwingende – Gründe dafür geben, dass der Rekurs auf soziale Kontexte an einem Ort in der Analyse des Daseins, den man vermutlich eher dem Bereich der Ethik statt der Bedeutungstheorie zuordnen würde, unverzichtbar ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass an anderen Orten, insbesondere solchen, an denen spezifisch bedeutungstheoretische Fragen behandelt werden, soziale Kontexte einen ebenso hohen Stellenwert besitzen. Man sollte also, um darüber zu entscheiden, ob Sein und Zeit eher in sozialexternalistischer oder in individualistischer Manier gelesen werden sollte, vornehmlich diejenigen Textstellen untersuchen, die möglichst direkt bedeu26

Ernst Tugendhat: Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Frankfurt/M. 1979.

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tungstheoretische Fragen behandeln. Oder handelt es sich dabei doch – entgegen dem ersten Anschein – um eine übereilte Einengung der interpretatorischen Perspektive? Lässt sich im Ausgang von eher allgemeinen oder zumindest nicht unmittelbar bedeutungstheoretisch relevanten Überlegungen Heideggers etwa doch ein Argument entwickeln, das zeigt, dass Bedeutungen und Gehalte – selbst wenn Heidegger es nicht ausdrücklich sagt – durch soziale Praktiken konstituiert sind? Ein solches Argument könnte sogar an die gerade als ›ethisch‹ betitelten Überlegungen zu Tugendhats Begriff des praktischen Selbstverhältnisses anschließen. Aussehen könnte es vielleicht folgendermaßen: (a) Es ist ein wesentliches Merkmal der menschlichen Existenz, dass die Handlungsmöglichkeiten, die eine einzelne Person hat, generell durch die soziale Praxis, in der sie agiert, »kontrolliert« und »verteilt« werden.27 (b) Sprachliche Handlungsmöglichkeiten – das, was wir mit der Verwendung von sprachlichen Ausdrücken sagen können – sind eine Teilmenge aller Handlungsmöglichkeiten. (c) Folglich werden auch die Möglichkeiten, was wir sagen können, durch eine soziale Praxis »kontrolliert« und »verteilt«.28 Die Schlussfolgerung (c) lässt sich als sozialexternalistische These lesen. Man könnte (c) zumindest so deuten, dass behauptet wird, soziale Praktiken »verteilten« sprachliche Handlungsmöglichkeiten in genau dem Sinne, dass diese Praktiken festlegen, mit welcher Bedeutung wir Ausdrücke verwenden können. Was soll man von diesem Argument halten? Problematisch ist sicherlich Prämisse (a). Im Grunde ist nicht einmal klar, wie sie gelesen werden sollte. Was könnte es überhaupt heißen, dass eine soziale Praxis Handlungsmöglichkeiten »kontrolliert« oder »verteilt«? Eine erste Lesart könnte sich auf Fälle stützen, in denen eine Person eine Handlung H ausführen kann, weil ihre soziale Praxis die nötigen Mittel M für die Ausführung von H bereitstellt. Vielleicht können die Mittel M manchmal sogar nur in und durch eine soziale Praxis zur Verfügung gestellt werden. In solchen Fällen ist eine bestimmte 27

Die Ausdrücke »verteilt« und »kontrolliert« sind folgender Textstelle aus Sein und Zeit entnommen: »Ihr [der Ausgelegtheit] ist das Dasein zunächst und in gewissen Grenzen ständig überantwortet, sie regelt und verteilt die Möglichkeiten des durchschnittlichen Verstehens und der zugehörigen Befindlichkeit.« (167 f.). Damit soll nicht behauptet werden, Heidegger hätte ein Argument der Art (a)–(c) vertreten. 28 Siehe zu diesem Argument Mark Wrathall: Social Constraints on Conversational Content. Heidegger on Rede and Gerede. In: Philosophical Topics 27 (1999). 25–46. 25. Wrathall verteidigt dieses Argument allerdings nicht – zumindest nicht in der im Folgenden diskutierten Lesart von (c).

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soziale Praxis bzw. das, was eine soziale Praxis bereitstellt, eine kausal notwendige Bedingung dafür, H zu tun. Wenn eine soziale Praxis die fraglichen Mittel zur Ausführung von H bereitstellt, könnte man sagen, diese Praxis ermögliche H im Sinne der Bereitstellung einer kausal notwendigen Bedingung für H. Und entsprechend könnte man dann, wenn eine soziale Praxis die Mittel M nicht bereitstellt, davon reden, dass sie die Handlungsmöglichkeiten der betreffenden Person einschränkt. Es gibt allerdings noch weitere Arten der »Kontrolle« und »Verteilung« von Handlungsmöglichkeiten durch eine soziale Praxis. Neben den gerade skizzierten Fällen besteht die Rolle einer sozialen Praxis auch manchmal darin, einer Person insofern die Ausführung einer Handlung H zu ermöglichen, als ein Verhalten V nur dank einer bestimmten sozialen Praxis als Ausführung von H zählt.29 (Man denke beispielsweise an das Verhalten – die Körperbewegungen – eines Fußballspielers beim Strafstoß. Es zählt nur dank der Regeln des Fußballspiels als Ausführung eines Strafstoßes.) In derartigen Fällen, so kann man vielleicht sagen, schafft eine soziale Praxis also erst für eine einzelne Person die Möglichkeit, H zu tun, weil und insofern diese soziale Praxis festlegt, welches Verhalten (in welchen Kontexten) überhaupt eine Handlung H ist. Für die Einschätzung des obigen Arguments entscheidend ist nun, dass eine sozialexternalistische Lesart von (c) nur dann aus (a) und (b) folgt, wenn für alle Handlungsmöglichkeiten von Personen in einer Praxis (und dann eben auch für alle sprachlichen Handlungsmöglichkeiten) gilt, dass ihre soziale Praxis allererst festlegt, welches Verhalten V als diese oder jene bestimmte Handlung zählt – und in diesem Sinne allererst festlegt, was eine Person in dieser Praxis tun (und sagen) kann. Wie gesehen, ist diese Annahme aber falsch; es gibt andere Fälle einer sozialen »Kontrolle« und »Verteilung« von Handlungsmöglichkeiten.30 Und gewiss gibt es auch unzählige Fälle, in denen eine soziale Praxis gar keine theoretisch interessante Rolle dafür spielt, ob eine Person die Möglichkeit hat, eine bestimmte Handlung auszuführen. Weil das obige Argument also offenkundig kein gutes Argument ist und zudem nirgendwo in Sein und Zeit ausdrücklich formuliert ist, sollte es Heidegger in einer Rekonstruktion von Sein und Zeit somit auch nicht unterstellt werden.31 29

Vgl. dazu den Begriff der konstitutiven Regel in John Searle: Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit: Zur Ontologie sozialer Tatsachen. Reinbek 1997. 30 Und es gibt sicherlich noch andere als die beiden skizzierten Arten der »Kontrolle« und »Verteilung« von Handlungsmöglichkeiten durch eine soziale Praxis. 31 Eine Begründung der Annahme, alle Handlungsmöglichkeiten seien durch eine soziale Praxis festgelegt, könnte vielleicht den Umweg über die Sprache nehmen. Man könnte etwa behaupten, die Identität von Handlungen sei von unseren Handlungsbeschreibungen

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3.3 Praktiken des Umgangs mit Zeug Sozialexternalistisch inspirierte Rekonstruktionen von Sein und Zeit nehmen meist ihren Ausgang von Heideggers Analyse des Zeuges.32 Wie immer man die theoretische Pointe von Heideggers Begriff des praktischen Verstehens im Rahmen seines Vorschlags zum Primat des praktischen Weltbezugs deuten sollte: Sofern die im ersten Abschnitt vorgestellte Kritik an Brandoms Erklärungsstrategie greift, sollte man aus diesem veranschlagten Primat der Praxis (als eines Umgangs mit Zeug) keine radikalen sozialexternalistischen und normativistischen Thesen zu entwickeln versuchen. Man sollte Heidegger somit auch nicht die Behauptung unterstellen, dass sich die Bedeutung von Äußerungen durch Rekurs auf eine soziale und normative Praxis des Umgangs mit Zeichenzeug erklären lässt (und noch dazu auf eine reduktive Weise). Welche – zumindest grob skizzierte – Richtung könnte eine eher individualistisch gesonnene Interpretation einschlagen? Anknüpfen kann eine solche Interpretation an Bemerkungen Heideggers, die einigermaßen detailliert angeben, wie ›die Anderen‹ in der Analyse des Zeuges verortet sind. Zugegebenermaßen behauptet Heidegger, dass in einer Analyse des Zeuges und unseres praktischen Weltverhältnisses ›die Anderen‹ zwangsläufig in den Blick kommen. Aber in welcher Weise? Er schreibt: »Mit dem Werk begegnet demnach nicht allein Seiendes, das zuhanden ist, sondern auch Seiendes von der Seinsart des Menschen, dem das Hergestellte in seinem Besorgen zuhanden wird, in eins damit begegnet die Welt, in der die Träger und Verbraucher leben, die zugleich die unsere ist. Das je besorgte Werk ist nicht nur in der häuslichen Welt der Werkstatt etwa zuhanden, sondern in der öffentlichen Welt.«33

abhängig und die Bedeutungen von Handlungsbeschreibungen seien ihrerseits durch soziale Praktiken konstituiert. Aber dann könnte man die soziale Dimension von Bedeutungen klarerweise nicht mehr durch (a) und (b) begründen. Auch könnte man natürlich zu zeigen versuchen, dass zwar nicht alle Handlungsmöglichkeiten, aber doch alle sprachlichen Handlungsmöglichkeiten durch eine soziale Praxis festgelegt sind – etwa durch sozial etablierte sprachliche Normen. Aber auch dann müsste man ein anderes Argument entwickeln als das Argument (a)–(c). 32 Siehe dazu: Sein und Zeit. 66 ff. Rekonstruktionen dieser Art finden sich beispielsweise in Brandom: Heideggers Kategorien in Sein und Zeit. A. a. O.; und in Mark Okrent: Equipment, World, and Language. In: Inquiry 45 (2002). 195–204. 33 Sein und Zeit. 71. Ich gehe hier nicht ausführlicher auf Heideggers Begriff der Fürsorge ein, mit dessen Hilfe er das primäre praktische Verhältnis zwischen Personen charakterisiert. (Siehe dazu: Sein und Zeit. 121 f.) Mir scheint offensichtlich zu sein, dass sich aus diesen Überlegungen Heideggers nicht unmittelbar bedeutungstheoretische Konsequenzen ableiten lassen.

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Was behauptet Heidegger hier? Neben dem Gedanken, dass (viele) Gebrauchsgegenstände für andere produziert werden, formuliert er die Idee einer öffentlichen Welt. In der zitierten Passage wird zwar nur gesagt, das ›Werk‹ gehöre einer öffentlichen Welt an; aber es dürfte keine ungerechtfertigte Unterstellung sein, dass Heidegger auch der Behauptung zugestimmt hätte, alles Zeug und jeglicher Umgang mit Zeug sei öffentlich. Gemäß dieser Lesart könnte man sagen, alle Praktiken seien prinzipiell öffentlich in dem Sinne, dass sie teilbar sind – und somit auch alle Praktiken des Umgangs mit Zeichenzeug, also sprachliche Praktiken. Wenn eine Person mit einem Gegenstand auf eine bestimmte Weise umgeht, können andere Personen, sofern sie die relevanten Fähigkeiten besitzen, diesen Umgang prinzipiell übernehmen (oder erlernen). Zeug ist also etwas, das prinzipiell auch andere als das betreffende Zeug verwenden können. (Nicht nur ich kann einen Gegenstand als Hammer verwenden, sondern auch andere.) Und wenn das geschieht, wird aus einer teilbaren Praktik eine tatsächlich geteilte Praktik. Die prinzipielle Öffentlichkeit sprachlicher Praktiken besagt dann in erster Linie, dass Interpreten den Sprachgebrauch eines Sprechers übernehmen und einen geteilten Umgang mit Zeichenzeug etablieren können – womit sie die fraglichen Ausdrücke mit genau der Bedeutung verwenden würden, mit der sie der Sprecher verwendet. Zudem sind aber natürlich auch Bedeutungen in dem Sinne öffentlich, dass jede Äußerung eines Sprechers interpretierbar und ihre Bedeutung insofern intersubjektiv teilbar ist. Denn der Sprachgebrauch eines Sprechers, der die Bedeutung seiner Ausdrücke konstituiert, ist prinzipiell öffentlich zugänglich – nämlich beobachtbar. Wie in Abschnitt 3.1 gesehen, sollte man möglichst strikt unterscheiden zwischen der Annahme einer Öffentlichkeit von Bedeutungen und der These, Bedeutungen seien durch soziale Praktiken konstituiert. Eine Analyse des Zeuges (auch des Zeichenzeuges), die unseren Umgang mit Zeug als eine öffentliche Praxis beschreibt, ist nicht auf die Behauptung verpflichtet, eine mit anderen Personen geteilte soziale Praxis sei die explanatorische Grundlage für die Beantwortung der Frage, was ein bestimmtes Zeug ist – oder auf der bedeutungstheoretischen Ebene formuliert: was die Bedeutung von ›Zeichenzeug‹ konstituiert.34 Mit einem ›Primat des Praktischen‹ und der Idee der Öffentlichkeit verträglich ist gerade auch eine Bedeutungstheorie, die den individuellen Gebrauch von Ausdrücken als dasjenige betrachtet, was die Bedeutung von Ausdrücken im Idiolekt eines Sprechers erklären hilft. Es muss 34

Eine solche sozialexternalistische These folgt auch nicht aus dem holistischen Charakter von Zeug bzw. Zeichenzeug – also den Verweisungszusammenhängen, in denen ein bestimmter Gegenstand steht und in denen er erst ein bestimmtes Zeug bzw. Zeichenzeug ist.

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kein sozialer Gebrauch sein – noch dazu vielleicht einer, der durch sprachliche Normen geregelt sein soll. Mit dem Verzicht auf einen fundamentalpragmatischen Erklärungsanspruch (im Sinne Brandoms) entfällt auch der Grund dafür, die fraglichen Praktiken ohne Verwendung intentionalistischen und semantischen Vokabulars zu beschreiben – was sicherlich ein Vorzug ist. Man kann diese Praktiken somit als Handlungsgefüge deuten, in denen die Teilnehmer über propositionale Einstellungen verfügen, vor allem Absichten verfolgen und Überzeugungen über die Welt haben. Die Annahme des Primats eines praktischen Weltbezugs muss folglich nicht als die Behauptung gelesen werden, unser sprachlicher und gedanklicher Weltbezug könne (oder solle) durch ein Konzept einer implizit normativen sozialen Praxis erklärt werden. Statt dessen könnten Heideggers Ausführungen etwa als die Behauptung gelesen werden, dass eine Theorie, die unser Weltverhältnis ausschließlich nach dem Vorbild eines aus praktischen Bezügen losgelösten expliziten Wissens deutet, ein verzerrendes Bild unseres Weltverhältnisses liefert. Wie Heidegger schreibt: »Die nächste Art des Umgangs ist, wie gezeigt wurde, aber nicht das nur noch vernehmende Erkennen, sondern das hantierende, gebrauchende Besorgen […].«35 Eine solche Sicht auf Heideggers Analyse unseres praktischen Weltverhältnisses verhindert auch nicht, einen pointierten Begriff des praktischen Verstehens zu erläutern. Zu diesem Zweck kann auch angenommen werden, dass Personen nur dann etwas in praktischer Hinsicht verstehen können, wenn sie eine Sprache sprechen. Angenommen werden kann also, dass es kein vorsprachliches praktisches Verstehen gibt und eine Erläuterung des Begriffs praktischen Verstehens – entgegen Brandom – auf intentionalistisches und semantisches Vokabular zurückgreifen sollte.36 Auch vor diesem theoretischen Hintergrund muss man nicht behaupten, jede Ausübung einer Fähigkeit, die als Manifestation eines praktischen Verstehens gelten kann, vollziehe sich in oder würde begleitet von sprachlichen Äußerungen. Die Rolle der Sprache in Fällen praktischen Verstehens lässt sich beispielsweise durch die Behauptung umreißen, dass ein praktisches Verstehen im Umgang mit einem bestimmten 35

Sein und Zeit. 67 (Hervorhebung von mir). Diese Annahme liegt gerade dann nahe, wenn man der Meinung ist, Fälle, in denen sich ein praktisches Verstehen manifestiert, seien als Handlungen aufzufassen, in denen die Akteure auf der Grundlage bestimmter Überzeugungen und Absichten ein bestimmtes Verhalten im Umgang mit Zeug zeigen. Denn aller Voraussicht nach setzt das Verfügen über propositionale Einstellungen voraus, dass die betreffende Person in der Lage ist, sich diese Einstellungen selbst zuzuschreiben. Aber das müsste natürlich eigens gezeigt werden. 36

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Zeug Z zu einem bestimmten Zeitpunkt t nur dann vorliegt, wenn die betreffende Person zu t in der Lage ist, sprachlich anzugeben, wie sie Z gebraucht – ob sie es zu t nun tatsächlich sagt oder nicht. Diese Behauptung kann natürlich nicht mehr sein als die Formulierung einer Startidee. Aber wie bereits zu Beginn dieses Abschnitts gesagt, sollen die Überlegungen hier allenfalls eine Richtung andeuten, wie Heideggers Analyse des Zeuges gelesen werden könnte. Gegen diese Überlegungen lässt sich sicherlich einwenden, sie holten nicht die Behauptung Heideggers ein, dass »das Dasein wesenhaft an ihm selbst Mitsein ist«.37 Das ist sicherlich richtig. Allerdings soll hier ja gerade untersucht werden, ob diese Behauptung überhaupt eine spezifisch bedeutungstheoretische – eben sozialexternalistische – Behauptung darstellt bzw. derartige Behauptungen zur Folge hat. Ganz sicher sollte man nicht voraussetzen, dass dem so ist – auch nicht in einer Interpretation der Analyse des Zeuges. Gleichwohl könnte natürlich der Versuch einer individualistischen Lektüre von Heideggers Überlegungen, die eine bedeutungstheoretische Rolle ›des Sozialen‹ entweder andeuten oder direkt zu behaupten scheinen, letzten Endes scheitern. Und Sein und Zeit gibt auch an verschiedenen Stellen (weiter) Anlass zu einer sozialexternalistischen Lesart und damit auch zu einer bedeutungstheoretischen Ausbuchstabierung der Behauptung, dass »das Dasein wesenhaft an ihm selbst Mitsein ist«.

3.4 Eine individualistische Sicht auf einige spezifisch bedeutungstheoretische Bemerkungen Heideggers Heideggers Bemerkungen über den spezifisch bedeutungstheoretischen Stellenwert ›des Sozialen‹ sind nicht nur eher kursorisch; sie lassen auch viel Interpretationsspielraum. Deutlich wird dies beispielsweise in einer Passage aus Heideggers Grundbegriffe der Aristotelischen Philosophie. In dieser Passage schreibt er beispielsweise: »Im Hineinwachsen in eine Sprache wachse ich hinein in eine Verständlichkeit der Welt, der Sprache, die ich von mir aus habe, sofern ich in der Sprache lebe.« 38 Wenn Heidegger hier von dem »Hineinwachsen in eine Sprache« spricht, hat es zumindest den Anschein, als verwende er den Begriff der Sprache so, als gäbe es die – die eine – Sprache im Sinne eines Soziolekts, der nicht ledig37

Sein und Zeit. 120. Martin Heidegger: Grundbegriffe der Aristotelischen Philosophie. Gesamtausgabe Bd.18. Frankfurt/M. 2002. 20. 38

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lich eine Zusammensetzung aus verschiedenen, jedoch ähnlichen Idiolekten einzelner Sprecher ist. Eine weitere Formulierung in derselben Textpassage könnte man hingegen auch so lesen, als behaupte er nur, das, was jemand sagt, sei öffentlich zugänglich: »Ist ein Wort ausgesprochen, so gehört es nicht mehr mir, und so ist die Sprache etwas, was jedem gehört.«39 Hier scheint die Annahme eines von Sprechern geteilten Soziolekts keine entscheidende Rolle zu spielen. Sprache ist lediglich etwas Öffentliches. In die gleiche Richtung geht die folgende Bemerkung: »Jedes Ausgesprochene hat die Möglichkeit, verbraucht zu werden, in die gemeinsame Verständlichkeit zu rücken.« Auch hier könnte man Heidegger so lesen, als behaupte er lediglich, Bedeutungen seien teilbar bzw. kommunizierbar – und zwar als notwendige Bedingung dafür, dass sie »verbraucht« werden können.40 Das legt die Annahme nahe, dass die Frage, ob Bedeutungen tatsächlich kommuniziert – und gegebenenfalls »verbraucht« – werden, für eine Erklärung irrelevant ist, die zu zeigen versucht, warum Äußerungen eines Sprechers eine bestimmte Bedeutung haben. Äußerungen eines Sprechers scheinen eine Bedeutung unabhängig davon zu haben, ob sie nun tatsächlich kommuniziert oder »verbraucht« werden (oder nicht). Die soziale Dimension der Sprache, die sich in diesem »verbrauchenden Kommunizieren« zeigt, scheint demnach ein Merkmal zu sein, das in den Blick gerät, wenn bereits unterstellt ist, dass die Äußerungen eines Sprechers eine bestimmte Bedeutung haben. Und explanatorisch eingeholt werden könnte diese Voraussetzung natürlich gerade auch mit Hilfe einer individualistischen Theorie. Auch in anderen Texten Heideggers, insbesondere in Sein und Zeit, finden sich etliche Überlegungen, die man unter der Rubrik »die soziale Dimension der Sprache« zusammengruppieren könnte. Klar dürfte aber sein, dass Heidegger – warum auch immer – wenig Mühe darauf verwendet, diese Überlegungen zu präzisieren und argumentativ einzubetten. Und wie zu Beginn des Abschnitts gesagt, lassen sie einen beträchtlichen Interpretationsspielraum. Genutzt werden soll dieser Spielraum auch in den nächsten Abschnitten.

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Ebd. Siehe dazu den Abschnitt 3.5.2. zu Heideggers Begriff des Geredes.

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3.4.1 Die kommunikative Rolle und Intersubjektivität der Sprache Ein zentrales, sozialexternalistisch anmutendes Motiv Heideggers findet sich in seiner Betonung der kommunikativen Rolle von Äußerungen. Ihm zufolge scheint Sprechen sogar ›wesentlich‹ Kommunizieren mit anderen Sprechern zu sein. Es hat somit den Anschein, als lasse sich mithilfe des Begriffs der Kommunikation zumindest eine wichtige ›soziale Dimension‹ der Sprache aufzeigen und ausbuchstabieren. Besonders prägnant formuliert Heidegger den von ihm anvisierten Zusammenhang an der folgenden Stelle: »Sprechen ist nicht primär und zunächst ein Vorgang, zu dem nachher andere Menschen dazukommen, so daß es dann erst ein Sprechen mit anderen würde, sondern das Sprechen ist in ihm selbst als solches Sichaussprechen, Miteinandersprechen mit anderen Sprechenden […].«41 Wie sollte man diese Behauptung deuten? Sicherlich gilt laut Heidegger, dass – vage formuliert – eine Bedeutungstheorie die kommunikative Rolle sprachlicher Äußerungen nicht übersehen darf. Aber warum? Und welchen theoretischen Ort soll der Begriff der Kommunikation genau einnehmen? Meinte Heidegger vielleicht, dass man den Begriff sprachlicher Äußerungen generell nur theoretisch angemessen verstehen kann, wenn man Äußerungen als kommunikative Akte bzw. Äußerungen in ihrer kommunikativen Rolle (als Mitteilungen) begreift? War er also primär an einer begrifflichen These interessiert? Oder soll der Rekurs auf Kommunikationssituationen erklären helfen, warum Äußerungen eines Sprechers eine bestimmte Bedeutung haben? Falsch wäre einer individualistischen Theorie zufolge auf jeden Fall die Annahme, dass Kommunikationen – insbesondere das, was ein Interpret in einer Kommunikationssituation tatsächlich versteht – zu denjenigen Faktoren bzw. Bedingungen gehören, die festlegen, was die zu interpretierende Äußerung bedeutet.42 Diese explanatorische Rolle haben Kommunikationen – gemäß individualistischen Annahmen – nicht. Aus individualistischer Sicht sollte also Heidegger eine solche Behauptung möglichst nicht unterstellt werden – vor allem dann (und natürlich nur dann), wenn sich eine derartige Behauptung in seinen Texten nicht ausdrücklich formuliert findet. 41

Siehe Heidegger: Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie. A. a. O. 50; und auch Heidegger: Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs. Gesamtausgabe Bd. 20. Frankfurt/M. 1988. 362. Oder auch in Sein und Zeit: »Aussage ist Mitteilung, Heraussage. […] Sie ist Mitsehenlassen des in der Weise des Bestimmens Aufgezeigten.« (Sein und Zeit. 155.). 42 Der Frage, ob Heidegger an spezifisch begrifflichen Fragen interessiert war, gehe ich hier nicht ausführlicher nach. (Einige Bemerkungen dazu finden sich jedoch in Abschnitt 3.5.).

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Weiterhelfen könnte vielleicht folgende Bemerkung Heideggers zum Begriff der Mitteilung: »Mitteilung besagt danach die Ermöglichung dessen, worüber die Rede ist, sich selbst anzueignen, d.h. in ein Umgangs- und Seinsverhältnis zu dem zu kommen, wovon die Rede ist.«43 Diese Textstelle scheint zu besagen, dass man als Interpret der Äußerung eines Sprechers etwas über die Dinge in der Welt, von denen die Äußerung handelt, lernen kann. Damit Äußerungen in Kommunikationssituationen diese Rolle erfüllen können, müssen sie natürlich interpretierbar bzw. verstehbar sein. Notwendig ist aber nicht, dass Sprecher und Interpret bereits vorab Bedeutungen (oder Begriffe) teilen. Zu dieser Deutung passt auch die Bemerkung Heideggers: »Sichaussprechende Rede ist Mitteilung. Deren Seinstendenz zielt darauf, den Hörenden in die Teilnahme am erschlossenen Sein zum Beredeten der Rede zu bringen.«44 Wiederum kann also der Versuch einer individualistischen Deutung von der Unterscheidung Gebrauch machen zwischen der Behauptung, Bedeutungen und Gehalte seien teilbar bzw. interpretierbar (und insofern öffentlich), und der weit stärkeren Behauptung, Bedeutungen und Gehalte seien etwas sozial Festgelegtes und somit etwas, das in einer sozialen Praxis geteilt wird. Und wenn man sich die Bemerkungen Heideggers über die kommunikative Rolle von Äußerungen in Sein und Zeit (und auch in anderen Texten) ansieht, wird schnell deutlich, dass er nicht strikt zwischen diesen beiden Behauptungen unterscheidet. Allerdings sollte man zwischen diesen beiden Behauptungen unterscheiden, um die theoretische Rolle des Sozialen möglichst präzise zu fassen. Und auf der Grundlage dieser Unterscheidung lässt sich auf jeden Fall sagen, dass Heidegger zumindest glaubte (und das zu Recht), Bedeutungen und Gehalte seien teilbar (öffentlich). Eine Erklärung der ›Konstitutionsbasis‹ von Bedeutungen müsste demnach vorerst nur sicherstellen, dass Äußerungen erfolgreich kommuniziert, eben korrekt interpretiert werden können. Weil es sicherlich eine Tatsache ist, dass wir uns alltäglich meist mühelos verstehen, könnte man ergänzen, dass eine solche bedeutungstheoretische Erklärung die Mühelosigkeit alltäglichen Verstehens nicht zu einem Rätsel machen darf. Sprache in ihrer kommunikativen Rolle ernst zu nehmen, läuft somit (unter anderem) darauf hinaus, dass eine Bedeutungstheorie eine spezifische Adäquatheitsbedingung erfüllen muss: Eine Erklärung der Bedeutung von Ausdrücken ist nur dann angemessen, 43 44

Heidegger: Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs. A. a. O. 362. Sein und Zeit. 168.

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wenn sie es nicht zu einem Rätsel macht, wie Sprecher erfolgreich kommunizieren können. Nun kann man allerdings auch nicht leugnen, dass Heidegger meinte, Bedeutungen und Gehalte seien nicht nur öffentlich zugänglich, sondern würden darüber hinaus tatsächlich geteilt. Die Annahme, wir teilten Begriffe oder eine Sprache, ist vorderhand sicherlich eine Herausforderung für eine individualistische Theorie und könnte Anlass zu spezifisch sozialexternalistischen Thesen geben. Wie die Überlegungen in Abschnitt 3.1. deutlich zu machen versuchten, kann jedoch zumindest die (empirische) Tatsache, dass wir viele Bedeutungen teilen und einander meist mühelos verstehen, auf einer individualistischen Grundlage erklärt werden. Zur Verfügung stehen hierfür das Konzept der sprachlichen Arbeitsteilung und der Verweis auf empirische Erklärungen, die zeigen, wie es kommt, dass verschiedene Sprecher einen auffallend ähnlichen Sprachgebrauch haben. Zwar lässt sich nur mit Hilfe des Konzepts der sprachlichen Arbeitsteilung erklären, wie es sein kann, dass Sprecher Begriffe (Bedeutungen) buchstäblich teilen. Aber der Verweis auf die (empirische) Tatsache, dass Kinder in soziale Praktiken hineinwachsen, in denen Sprecher auffällig ähnliche Idiolekte haben, und größtenteils so zu sprechen lernen, wie es die Sprecher in ihrer Umgebung tun, kann zumindest erklären, warum wir sehr ähnliche Begriffe haben – vielleicht derart ähnlich, dass man den Eindruck haben könnte, wir teilten sie buchstäblich. Aber auch wenn die Annahme Heideggers, dass Sprecher eine Sprache (Begriffe) teilen, auf diese Weise zumindest zu einem beträchtlichen Teil angemessen gedeutet worden sein sollte, werden die bisherigen Überlegungen noch nicht dem ganzen theoretischen Gewicht gerecht, das diese Annahme letztlich zu haben scheint. Gewicht erhält sie insbesondere dadurch, dass Heidegger von ihr in seiner Analyse des ›Geredes‹ Gebrauch macht. Diese Analyse des ›Geredes‹ ist offenkundig ein integraler Bestandteil seiner Analyse des Daseins – weshalb eben auch die Annahme, wir teilten eine Sprache (Begriffe), in eine adäquate Analyse des Daseins zu gehören scheint. Und deshalb müsste eine individualistisch motivierte Lesart von Sein und Zeit natürlich auch Erhellendes zum Status ›des Geredes‹ anbieten können.

3.4.2 Das Gerede Die Analyse des Geredes in Sein und Zeit lässt sich als eine Beschreibung bestimmter kommunikativer Praktiken auffassen. In diesen Praktiken können – Heidegger zufolge – Sprecher mit ihren Äußerungen das ›Geredete der

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Rede‹ kommunizieren, ohne allerdings ein ›ursprüngliches Verständnis‹ des Gegenstands der Äußerung (des ›Worüber‹ der Rede) zu besitzen.45 Das, was in solchen Kommunikationen verstanden wird, nennt Heidegger ein »durchschnittliches Verstehen«. Er schreibt: »Gemäß der durchschnittlichen Verständlichkeit, die in der beim Sichaussprechen gesprochenen Sprache schon liegt, kann die mitgeteilte Rede weitgehend verstanden werden, ohne daß sich der Hörende in ein ursprünglich verstehendes Sein zum Worüber der Rede bringt.«46 Nach Heidegger ist diese Art des Redens bzw. Kommunizierens kein Randphänomen. Vielmehr soll es für unsere kommunikative Praxis geradezu charakteristisch sein. Wenn es eine Stelle in Sein und Zeit gibt, die eine sozialexternalistische Lesart zumindest nahe legt, dann, so möchte man meinen, sicherlich seine Analyse des Geredes. Denn in Fällen, in denen Sprecher über Gegenstände reden können, von denen sie kein ›wirkliches‹ oder ›ursprüngliches‹ Verständnis besitzen, kann die Bezugnahme (oder Extension) der fraglichen Ausdrücke schwerlich durch die Verstehenskompetenzen dieser Sprecher festgelegt sein. Und als Alternative für eine Erklärung der Festlegung der Bezugnahme (Extension) bietet sich dann sicherlich der Rekurs auf eine bestimmte soziale Praxis bzw. die Idee einer geteilten Sprache an. Es ist in der Tat ein äußerst weitverbreitetes alltagssprachliches Phänomen, dass wir durch den Gebrauch von Ausdrücken mit einer augenscheinlich geteilten Bedeutung über Dinge reden, über die wir nichts oder nur sehr wenig Relevantes wissen – vielleicht allenfalls wissen, dass und wie sich Experten konsultieren lassen, die uns dann über die betreffenden Dinge aufklären könnten. Genau diese kommunikative Praxis lässt sich mit Hilfe von Putnams Konzept der sprachlichen Arbeitsteilung theoretisch erhellen. Insofern ist es gewiss verführerisch, genau dieses Konzept auch in einer Rekonstruktion der bedeutungstheoretisch relevanten Aspekte von Heideggers Analyse des Geredes einzusetzen.47 Denn anhand des Konzepts der sprachlichen Arbeitsteilung kann zumindest geklärt werden, aufgrund welcher sozialer Bedingungen es möglich ist, Äußerungen über eine bestimmte Art von Gegenständen zu

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Hier ist vorausgesetzt, dass Heidegger mit den Ausdrücken »Rede« und »Gerede« (primär) über sprachliche Phänomene spricht. Diese Deutung ist natürlich umstritten. Zu einer Rechtfertigung dieser Annahme siehe beispielsweise Cristina Lafont: Replies. In: Inquiry 45 (2002). 229–248. 46 Sein und Zeit. 168. 47 Siehe dazu beispielsweise Cristina Lafont: Was Heidegger an Externalist? In: Inquiry 48 (2005). 507–532. Zu einer alternativen Deutung des Geredes siehe z. B. Wrathall: Social Constraints on Conversational Content. Heidegger on Rede and Gerede. A. a. O.

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produzieren und zu kommunizieren, ohne über semantisch relevante Überzeugungen über diese Gegenstände zu verfügen.48 Welchen Status besitzt das Gerede in diesem bedeutungstheoretischen Rahmen? Gemäß dem in Abschnitt 3.1 erläuterten Status der sprachlichen Arbeitsteilung ist die Teilnahme an dieser sozialen Praxis der Bezugnahme keine notwendige Bedingung für die Verstehbarkeit (Interpretierbarkeit) der Äußerungen von Sprechern. Auch ist die sprachliche Arbeitsteilung keine notwendige Bedingung dafür, dass Ausdrücke im Idiolekt eines Sprechers eine bestimmte Bedeutung haben können. Die sprachliche Arbeitsteilung ist lediglich eine Option, die Sprecher ergreifen können; sie können, wenn sie möchten, das in ihrer sozialen Praxis bestehende Angebot annehmen und in der Verwendung von Ausdrücken auf Experten verweisen. Sollte das Konzept der sprachlichen Arbeitsteilung Heideggers bedeutungstheoretische Pointe des Begriffs des Geredes einigermaßen adäquat einfangen, ist somit auch das Gerede für sprachliche Verständigung nicht notwendig.49 Dieses Ergebnis scheint jedoch mit einigen Bemerkungen Heideggers über den Status des Geredes zu konfligieren. So schreibt er beispielsweise: »Der Ausdruck ›Gerede‹ […] bedeutet terminologisch ein positives Phänomen, das die Seinsart des Verstehens und Auslegens des alltäglichen Daseins konstituiert.«50 Eingeholt werden kann diese Bemerkung zumindest dann nicht, wenn sie besagen sollte, dass das Gerede als etwas, das »die Seinsart des Verstehens und Auslegens des alltäglichen Daseins konstituiert«, ein wesentliches (notwendiges) Merkmal von sprachlichem Verstehen und Bedeutung generell ist. Was man auf der Grundlage der bisherigen Deutung aber zumindest sagen könnte: Jede Äußerung eines Sprechers über Dinge in der Welt kann von ei-

48

Diese Lesart scheint unterstellen zu müssen, dass das semantisch relevante Expertenwissen (im Rahmen der sprachlichen Arbeitsteilung) eine Einsetzungsinstanz für das ist, was Heidegger mit dem Begriff des ursprünglichen Verständnisses anvisiert. Und das ist vielleicht zweifelhaft. Denn vermutlich ist ein ursprüngliches Verständnis für Heidegger hauptsächlich ein Verständnis, das man sich im praktischen Umgang mit den betreffenden Dingen aneignet und das sich auch in einem solchen Umgang zeigt. Aber das Wissen von Experten, sofern es im Rahmen der sprachlichen Arbeitsteilung für die Festlegung der Extension (Bedeutung) von Ausdrücken relevant ist, muss sicherlich kein derartiges Verständnis involvieren. 49 Zum gleichen Ergebnis kommt auch Wrathall in Wrathall: Social Constraints on Conversational Content. Heidegger on Rede and Gerede«. A. a. O. 33. Lafont hingegen scheint zu glauben, dass die sprachliche Arbeitsteilung notwendig ist (siehe Lafont: Was Heidegger an Externalist? A. a. O.). 50 Sein und Zeit. 167 (siehe z.B. auch 177).

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nem anderen Sprecher so aufgegriffen werden, dass sie zum Gerede wird. Wie Heidegger schreibt: »Die Rede, die zur wesenhaften Seinsverfassung des Daseins gehört und dessen Erschlossenheit mit ausmacht, hat die Möglichkeit, zum Gerede zu werden […]«.51 Diese Möglichkeit ist prinzipiell vorhanden – und gehört also, wenn man so will, ›wesentlich‹ zu sprachlichen Äußerungen. Die Annahme dieser bloßen Möglichkeit könnte allerdings für Heideggers argumentative Zwecke zu wenig sein. Denn das Gerede ›konstituiert‹ ihm zufolge (unter anderem) insofern die Art des »Verstehens und Auslegens des alltäglichen Daseins«, als »[i]m Dasein […] sich je schon diese Ausgelegtheit des Geredes festgesetzt [hat]«.52 Wiederum: Nicht eingeholt werden könnte diese Behauptung durch die bisherigen Überlegungen, sofern mit ihr der Anspruch verbunden ist, etwas über wesentliche (notwendige) Charakteristika des Daseins auszusagen. Aber vielleicht kann zumindest eine Intuition aufgefangen werden, die dieser Behauptung vermutlich zugrunde liegt bzw. mit ihr verknüpft ist – und zwar die Intuition, dass ›die Sprache‹ und damit auch ein bestimmtes Weltverständnis, in das wir hineingeboren werden, für uns etwas ›Unhintergehbares‹ hat.

3.4.3 Die Unhintergehbarkeit der Sprache Die bisherigen Überlegungen sollen nicht suggerieren, eine individualistische Lesart von Heideggers Bemerkungen über die soziale Dimension der Sprache lasse sich wirklich durchhalten. Das gilt insbesondere für all jene Textstellen, in denen Heidegger klarerweise Sprache im Sinne eines Soziolekts konzipiert, der nicht als eine bloße Addition von miteinander ähnlichen Idiolekten aufgefasst werden kann. Unverzichtbar könnte ein solcher Begriff der Sprache womöglich für die Ausbuchstabierung des folgenden Gedankens sein: »Im Dasein hat sich je schon diese Ausgelegtheit des Geredes festgesetzt. Vieles lernen wir zunächst in dieser Weise kennen, nicht weniges kommt über ein solches durchschnittliches Verständnis nie hinaus. Dieser alltäglichen Ausgelegtheit, in die das Dasein zunächst hineinwächst, vermag es sich nie zu entziehen.«53 Wie könnte diese Stelle aus individualistischer Sicht gedeutet werden? Die begrifflichen und explanatorischen Ressourcen für eine solche Deutung sind 51 52 53

Sein und Zeit. 169 (Hervorhebung von mir). Sein und Zeit. 169. Sein und Zeit. 169.

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mittlerweile vertraut: So lässt sich zuerst einmal konstatieren, es sei zweifellos eine empirische Tatsache, dass Kinder meist so zu sprechen lernen, wie es ihre nächste Umgebung zu tun pflegt. Damit erwerben sie nicht die Sprache, z. B. die deutsche Sprache – denn strenggenommen gibt es eine solche Sprache nicht. Aber sie erwerben einen Idiolekt, der auffällig denjenigen Idiolekten ähnelt, die in ihrer Praxis gesprochen werden. Im Zuge dieses Spracherwerbs lernen sie natürlich auch vieles über die Welt (und sich selbst) – mithin eine bestimmte ›Ausgelegtheit‹. Denn Sprach- und Weltwissen kann sicherlich nicht getrennt werden. Und zweifellos richtig ist auch, dass Kinder diese ›Ausgelegtheit‹ erst einmal ungefragt übernehmen. Zudem lernen Kinder (wenn auch eher später), an der sprachlichen Arbeitsteilung teilzunehmen. Sie werden auch in diese Praxis hineinsozialisiert. Und durch die Teilnahme an dieser Praxis können Kinder ihre Ausdrücke mit einer geteilten (›sozialen‹) Bedeutung verwenden, auch wenn sie über die Dinge, über die sie auf diese Weise sprechen, nur wenige Überzeugungen haben. Aber sie erwerben im Laufe der Zeit sicher zumindest einige Überzeugungen über die betreffenden Dinge, so dürftig diese Überzeugungen auch sein mögen. Und ›durchschnittlich kompetente‹ Sprecher dürften in einer einigermaßen homogenen Sprach- und Lernpraxis auch irgendwann recht ähnliche Überzeugungen über diese Dinge besitzen. Es könnte also (empirisch) wahr sein, dass viele Sprecher ein mehr oder weniger »durchschnittliches Verständnis« der Bedeutung derjenigen sprachlichen Ausdrücke haben, die sie gemäß der sprachlichen Arbeitsteilung verwenden. Um all das einzusehen, benötigt man keine sozialexternalistische Bedeutungstheorie. Etwas haariger wird es, wenn man sich Heideggers Behauptung zuwendet, dass man sich diesem Verständnis »nie zu entziehen [vermag]«. Sollte man das wiederum als eine empirische Behauptung verstehen? Richtig ist gewiss, dass Sprecher sich nicht auf einen Schlag der Sprache (und ihrer ›Ausgelegtheit‹), die sie erworben haben, entledigen und sie durch eine andere Sprache ersetzen können. Ein bestimmtes Maß an stabilen Bedeutungen könnte tatsächlich notwendig dafür sein, dass ein Sprecher zu einem bestimmten (beliebigen) Zeitpunkt überhaupt etwas Bedeutungsvolles äußert.54 Zudem mag es sein, dass wir faktisch nicht die Fähigkeit besitzen, uns aus einer ›Ausgelegtheit‹, in die wir hineingewachsen sind, im Laufe der Zeit wirklich gänzlich zu verabschieden. Das mag eine empirische Tatsache sein. Aber ist es begrifflich unmöglich, nach und nach die in der eigenen sozialen Praxis erworbene ›Ausgelegtheit‹ abzustreifen? Warum sollte dem so sein?

54

Siehe dazu Reuter: Bedeutungen und soziale Praktiken. A. a. O.

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Heidegger argumentiert an keiner Stelle für eine solche modal formulierte These. Vielleicht hielt er sie für trivialerweise falsch, so dass er meinte, sie bedürfe keiner Begründung. Wahrscheinlicher ist aber, dass sich Heidegger für derartige entlegene Unmöglichkeiten oder Möglichkeiten nicht interessierte. Das einmal vorausgesetzt, dürfte es jedoch angemessen sein, seine Behauptungen über die ›Unhintergehbarkeit‹ einer Sprache und der mit ihr erworbenen ›Ausgelegtheit‹ als empirische Behauptungen zu verstehen – mit dem Zusatz, dass eine Analyse des Daseins diese ›Unhintergehbarkeit‹ nicht übersehen sollte, will sie eine angemessene Analyse unseres Weltverhältnisses sein. Denn wir denken und handeln nun einmal vor dem Hintergrund einer tradierten ›Ausgelegtheit‹. Auch gemäß dieser Lesart ist Heidegger zuzustimmen, wenn er schreibt: »Es ist nicht so, daß je ein Dasein unberührt und unverführt durch diese Ausgelegtheit vor das freie Land einer ›Welt‹ an sich gestellt würde, um nur zu schauen, was ihm begegnet.« 55

3.5 Was man aus individualistischer Sicht nicht mehr behaupten kann – aber auch nicht sollte Zugegebenermaßen könnte einem die bisher skizzierte explanatorische Rolle des Sozialen zu wenig sein. So meint etwa Michael Esfeld, die empirische Rolle sozialer Konstellationen – und auch die »bloße Tatsache« der sprachlichen Arbeitsteilung – stellten nicht wirklich sicher, dass Bedeutungen von sozialen Konstellationen »ontologisch abhängig« sind.56 Und genau diese Behauptung solle eingeholt werden – und sei auch eine zentrale Annahme Heideggers. Vermutlich meint Esfeld (unter anderem), ›solitäre Sprecher‹ seien begrifflich unmöglich. Ob der Anspruch an eine philosophische Theorie, begriffliche (oder ontologische) Notwendigkeiten zusammenzutragen, sinnvoll ist oder nicht – die bisherigen Überlegungen verweigern ›dem Sozialen‹ natürlich eine derartige theoretische Stellung. Gleichwohl können die bisherigen Überlegungen aber die Intuition einfangen, dass wir, wenn wir unser Sprechen und unser Weltverhältnis in einer umfassenden Weise verstehen wollen, soziale Praktiken berücksichtigen sollten. Denn zur Etablierung eines solchen Verständnisses gehört etwa auch die Beantwortung der Frage, wie wir unsere sprachlichen und interpretativen Fähig55

Sein und Zeit. 169. Michael Esfeld: What can Heidegger’s Being and Time Tell Today’s Analytical Philosophy? In: Philosophical Explorations 4 (2001). 46–62. 58 f. 56

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keiten erwerben. Das ist natürlich eine empirische Frage; aber allein dadurch, dass es sich um eine empirische Frage (und Antwort) handelt, ist sie nicht theoretisch uninteressant. Sie lässt sich nicht als nur empirische Frage abtun. Weshalb also sollte die Beantwortung dieser Frage (und verwandter Fragen) als zumindest wichtiges Element einer vernünftigen Ausbuchstabierung etwa der Behauptung Heideggers untauglich sein, dass »›die Anderen‹ je schon im In-der-Welt-sein mit da sind«?57 Es müsste eigentlich verwundern, wenn eine solche Analyse nur auf der Grundlage von ›begrifflichen Argumenten‹ und ›begrifflich notwendigen Behauptungen‹ erfolgen dürfte.58 Für eine solche Lesart scheint auch zu sprechen, dass Heidegger nie den Versuch unternommen hat, wirklich dafür zu argumentieren, es sei beispielsweise begrifflich unmöglich, dass ein Zeit seines Lebens sozial isoliertes Wesen eine (noch so rudimentäre) Sprache – und somit ein Weltverhältnis – entwickelt. Offensichtlich haben ihn derartige Thesen (und Argumente) nicht interessiert. Sofern dies richtig ist, sollte man Heidegger dann aber auch nicht unterstellen, ihm zufolge seien Bedeutungen wesentlich oder notwendigerweise etwas durch und durch ›sozial Konstituiertes‹. Denn wie sollte man den hier verwandten Begriff der Notwendigkeit deuten, wenn nicht im Sinne einer ›begrifflichen Notwendigkeit‹? Nach Heidegger soll die Behauptung, das Dasein sei »wesenhaft an ihm selbst Mitsein«,59 nicht so verstanden werden, dass ich »faktisch nicht allein bin, sondern andere meiner Art vorkommen«.60 Folgt man Esfeld, würde man die Wendung »wesenhaft« in diesem Zusammenhang wohl so lesen, dass sie – unter anderem – besagt, ein Dasein ohne Mitsein könne es nicht geben – und 57

Sein und Zeit. 116. Hier soll nicht behauptet werden, das Etablieren begrifflicher Thesen und Argumente sei ein zweifelhaftes Unternehmen. Man könnte auch eine entspannte Haltung zu sogenannten begrifflichen Thesen einnehmen. Angenommen beispielsweise, gut bestätigte empirische Theorien belegten die explanatorische Rolle sozialer Interaktionen für den Spracherwerb. Dann könnte man sehr wohl sagen, dass zu unserem theoretisch informierten Begriff der Sprache gehört oder gehören sollte, dass Sprachen in sozialen Kontexten erworben werden. Die obigen Überlegungen wenden sich lediglich gegen modal formulierte begriffliche Thesen wie diejenigen Esfelds. Was allerdings wichtig ist: Auch wenn man zugesteht, dass eine gute Erläuterung des Begriffs der Sprache soziale Kontexte des Spracherwerbs aufgreifen sollte, verpflichtet man sich nicht auf eine sozialexternalistische Erklärung der Bedeutung von Äußerungen. Mit einer solchen begrifflichen Auskunft ist vereinbar, dass der individuelle Gebrauch von Ausdrücken die Bedeutung der Äußerungen eines Sprechers konstituiert. Begriffliche Fragen und die Frage danach, aufgrund welcher Bedingungen unsere Äußerungen eine bestimmte Bedeutung haben, sind verschiedene Fragen. 59 Sein und Zeit. 120. 60 Ebd. 58

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zwar aus begrifflichen Gründen. Einmal angenommen jedoch, Heidegger habe gar keine Behauptung über begriffliche Notwendigkeiten im Sinn gehabt, sondern schlicht vorausgesetzt, dass es andere Personen – mithin vielfältige soziale Kontexte – gibt. Welche Pointe könnte dann seine Behauptung haben, das Dasein sei »wesenhaft an ihm selbst Mitsein«? Einen Aufhänger für eine moderate Lesart liefert die folgende Bemerkung Heideggers: »Das Mitsein bestimmt existenzial das Dasein auch dann, wenn ein Anderer faktisch nicht vorhanden und wahrgenommen ist. Auch das Alleinsein des Daseins ist Mitsein in der Welt. Fehlen kann der Andere nur in einem und für ein Mitsein.«61 Falsch scheint Heidegger zufolge die Behauptung zu sein, dass das Dasein – etwa die Befindlichkeit des Daseins – nur zu Zeitpunkten (oder in Phasen) durch Mitsein bestimmt ist, zu denen andere Personen tatsächlich anwesend sind. Mitsein bestimmt das Dasein auch dann, wenn andere nicht anwesend sind. So wäre es beispielsweise eine Illusion anzunehmen, man könne sich der Art und Weise, wie das Mitsein Dasein bestimmt, tatsächlich restlos entziehen – etwa dadurch, dass man sich in eine einsiedlerische Einsamkeit zurückzieht. So gesehen, besteht die Pointe seiner Überlegungen also nicht in dem Nachweis der (begrifflichen) Unmöglichkeit eines sozial isolierten Daseins. Gemäß diesem moderaten Vorschlag versuchen seine Überlegungen statt dessen, vor dem Hintergrund der unbestreitbaren Tatsache, dass wir nun einmal in sozialen Kontexten aufwachsen, im Detail herauszuarbeiten, wie weitreichend und verzweigt der Einfluss ›der Anderen‹ auf die Verfasstheit des je eigenen Daseins ist – weitreichender und verzweigter als man es vielleicht vorab annehmen würde. Ob dieser kleine Vorschlag überzeugend sein sollte oder nicht, kann hier offen bleiben. Für die Frage, mit welchen spezifisch bedeutungstheoretischen Annahmen eine angemessene Interpretation von Sein und Zeit unterfüttert werden sollte, ist letztendlich gewiss entscheidend, ob Heidegger einen stark sozialexternalistisch gefärbten Begriff der Sprache und der Bedeutung benötigt. Welche zentralen Behauptungen im Gesamtrahmen von Sein und Zeit lassen sich nur dann einholen, wenn man einen solchen Begriff voraussetzt? Dieser Frage kann ich hier nicht mehr nachgehen.62 Aber eine Beantwortung 61

Ebd. Ein Beispiel: Angenommen, man müsse Heidegger in Sein und Zeit folgende Behauptungen unterstellen: (a) In der Sprache drückt sich ein bestimmtes Seinsverständnis aus; (b) die Sprache hat eine Art transzendentale Rolle für unser Weltverhältnis; und (c) wir teilen eine Welt nur deshalb, weil wir eine Sprache – und insofern ein Seinsverständnis – teilen. Eine solche Lesart von Sein und Zeit kommt sicherlich nicht mit einer individualistischen Bedeutungstheorie aus. Ein Thesenbündel der Art (a)–(c) scheint tatsächlich 62

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dieser interpretatorisch umfassenderen Frage dürfte letzten Endes darüber entscheiden, ob sich eine Rekonstruktion von Sein und Zeit eher auf eine sozialexternalistische Bedeutungstheorie stützen sollte, oder ob sie – was systematisch wünschenswert wäre – mit einer individualistischen Bedeutungstheorie auskommt. Denn sollten die Überlegungen in diesem Aufsatz greifen, erzwingen zumindest die (wenigen) tatsächlich bedeutungstheoretisch relevanten Bemerkungen Heideggers über die Rolle ›des Sozialen‹ keine sozialexternalistische Lesart. Sie können auch individualistisch gedeutet werden.

auf einen stärker sozialexternalistischen Begriff der Sprache (des Soziolekts) angewiesen zu sein.

Barbara Merker

Verstehen und Klassifizieren: Drei Probleme mit Brandom-Heidegger

In seinen beiden Beiträgen »Heidegger’s Categories in Sein und Zeit« und »Dasein, the Being That Thematizes«1 versucht Brandom, Heideggers Hauptwerk zu lesen als Version eines fundamentalen Pragmatismus in Form einer anti-cartesischen Theorie praktischer, relational-linguistischer, normativer und sozialer Intentionalität. Entgegen kommt ihm dabei auch Heideggers fundamentalontologische Unterscheidung von Dasein als Mitsein, Zuhandensein und Vorhandensein, wobei das Dasein als »essentiell soziales Wesen« Ursprung und Teil dieser ontologischen Kategorisierung ist. Außerdem entdeckt er in »Sein und Zeit« eine Reihe von Umkehrungen der philosophischen Tradition, die er für richtig hält: eine explanatorische und konzeptuelle Priorität des Zuhandenen vor dem Vorhandenen; eine explanatorische Priorität des Normativen vor dem Faktischen2 und eine explanatorische Priorität des impliziten Regelfolgens vor dem expliziten Regelfolgen3. Was Brandom dagegen nicht interessiert, ist Heideggers Theorie der Zeitlichkeit des Daseins,4 seine Theorie anderer Sprechakte als denen des Be-

1

Beide Beiträge sind wiederabgedruckt in: Robert Brandom: Tales of The Mighty Dead. Historical Essays in the Metaphysics of Intentionality. Cambridge/Mass. 2002. 298–323 und 324–347. Die Seitenzahlen in den Fußnoten und im Text beziehen sich, sofern nicht ausdrücklich anders vermerkt, auf diese beiden Texte. 2 »The philosophical tradition treats the factual as the basic form of the real and seeks to explain the normative by adding something, which might generally be called values. What is objectively real has a cloak of subjective values or significances thrown over it by its relation to human interests or desires. By contrast, Heidegger treats as primitive a certain kind of social normative articulation and seeks to define the factual as a special case picked out by subtracting something, namely, certain kinds of relations to human projects.« 324. 3 »Again the philosophical tradition treats norms as canonically codified in the form of explicit rules which determine what is correct by saying or describing what is correct. Each propriety of practice, the grasp of which consists in knowing how to do something correctly, is conceived as underwritten by a principle, the grasp of which consists in knowing that a particular sort of performance is correct. By contrast, Heidegger treats as primitive a certain kind of norm that is implicit in practice and seeks to define explicit rules, principles, and claims in terms of the practical proprieties of using them.« 324 f. 4 Er erwähnt die Zeitlichkeit aber im Zusammenhang der aneignenden Auslegung des Verstehens, also in ihrer Bedeutung für die Realisierung persönlicher Projekte. 323.

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hauptens5 und seine Theorie der Befindlichkeit, obgleich die Befindlichkeit für Heidegger ja gleichursprünglich mit dem Verstehen ist und es auch aufschlussreich wäre, zu überlegen, wie beide sich zueinander verhalten. Was ihn an Heidegger weiter nicht interessiert, ist die Frage, wie die Theorie des Verstehens durch die Unterscheidung von eigentlichem und uneigentlichem Verstehen modifiziert werden könnte und müsste.6 Brandoms Interpretation der Theorie des Daseins ist also eine unvollständige Interpretation. Meine folgenden Überlegungen beschränken sich auf Brandoms Interpretation der Theorie des Verstehens, Auslegens, Redens und Aussagens, die Heidegger im Zusammenhang seiner Theorie des Zuhandenen und Vorhandenen ausgeführt hat. Zunächst stelle ich die Interpretation Brandoms in den Kontext seiner allgemeinen Theorie der Klassifikation. Anschließend skizziere ich drei Probleme bzw. Kontroversen, die mit dieser Theorie der Klassifikation in Zusammenhang stehen. Dabei geht es erstens um die Bestimmung des Ausgangspunktes der Etwas-als-Etwas-Struktur der Klassifikation und um die Prioritätsverhältnisse zwischen (den Begriffen des) Zuhandenen und Vorhandenen. Zweitens geht es um die Kontroverse, ob die praktischen Klassifikationen auch begriffliche Klassifikationen sind; und drittens um die Kontroverse zwischen Brandoms Pragmatismus und früheren Varianten des Pragmatismus, in denen mit der Begrifflichkeit auch die Normativität und Sozialität praktischer Klassifikationen bestritten wurde.7

1. Diskriminieren und Klassifizieren Was heißt es, in der Welt zu sein? Auf diese Frage Heideggers, die für das Dasein eine andere Antwort verlangt als für alle anderen Arten von Seiendem, bietet Brandom uns eine pragmatische Antwort an: In der Welt zu sein heißt, diskriminierend und klassifizierend auf die Welt zu reagieren oder zu antworten.8 Beispiele für solches Tun sind Rosten, Tönen, Grünwerden, Essen, Begatten, aber auch »Dies ist rot«-Äußern. 5

Er erwähnt auch andere Sprechakte, beharrt aber auf der Auffassung, dass das Behaupten für diese anderen «parasitären” Sprechakte fundierend sei. 347. 6 An einer Stelle bezeichnet er aber seine Ausführungen über das Mitsein als »notwendige Vorbereitung« für ein Verständnis der »Individuation des Daseins«. 323. 7 Aspekte der folgenden Überlegungen habe ich dargestellt in: Barbara Merker: Die totale Gesellschaft. Eine Anmerkung zu Brandom-Heidegger. In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Einheit der Vernunft? Normativität zwischen Theorie und Praxis. Paderborn 2005. 103–125. 8 Brandom sagt, so weit ich sehe, nichts über die Art und Weise, wie Diskrimination und Klassifikation als Prinzipien der Individuation zueinander in Beziehung stehen. Aber

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Die allgemeinen Ausdrücke der »Diskrimination« und »Klassifikation« können wir nach Brandom gleichermaßen anwenden auf die drei fundamentalen Formen von Antworten auf die Welt: auf die rein kausalen Reaktionen, auf die normativen Reaktionen sowie auf die begrifflichen und sprachlichen Reaktionen auf die Welt. So können wir sagen: Eisen reagiert auf die Welt, indem es diese unter anderem diskriminierend und klassifizierend einteilt in Feuchtes, das es zum Rosten bringt und das es somit von dem Heißen unterscheidet, das es zum Schmelzen bringt. Das Windspiel antwortet auf die Welt, indem es sie unter anderem diskriminierend und klassifizierend einteilt in Windiges, das es zum Tönen bringt, und Windstilles, das es stumm bleiben lässt. Die Palme reagiert auf die Welt, indem sie sie unter anderem diskriminierend und klassifizierend einteilt in Lichtvolles, das sie zum Grünen bringt, und Dunkles, das sie hell werden lässt. Der Panda antwortet auf die Welt, indem er sie unter anderem diskriminierend und klassifizierend einteilt in Bambus, das er frisst, und solches, das er nicht frisst. Der Löwe antwortet auf die Welt, indem er sie unter anderem diskriminierend und klassifizierend einteilt in Löwinnen, die er begatten darf, da andere Löwen ihn als dazu berechtigt behandeln, und solche, die er nicht begatten darf. Der Papagei reagiert auf die Welt, indem er sie unter anderem klassifizierend und diskriminierend einteilt in solches, auf das er »Dies ist rot« äußert, und solches, auf das er gar nichts oder anderes sagt. Zweifellos gibt es bedenkenswerte Differenzen zwischen den Klassifikationen und Diskriminationen, die von anorganischer Materie, von unbewussten und bewussten Lebewesen und von Artefakten vollzogen werden. Für Brandom ist aber – nicht zuletzt mit Blick auf Hegels verschiedene Formen des Begriffs – wichtig, dass es auch Gemeinsamkeiten gibt.

er sagt einiges über eine pragmatische Theorie der Klassifikation. Dieser Theorie zufolge besteht die Tätigkeit des Klassifizieren darin, etwas in der Praxis als etwas zu behandeln, was von einer bestimmten Art ist, indem man sich diesem Einzelnen gegenüber so verhält, dass man »es mit anderem gleichsetzt«. »Einzelne Gegenstände« werden »als in bestimmter Hinsicht zusammengehörig klassifiziert«, indem auf sie in der Praxis auf gleiche Weise reagiert wird. Worauf wiederholt auf dieselbe Weise reagiert wird, das wird als ähnlich und zugehörig zu einer Art behandelt und damit von dem unterschieden, auf das wiederholt auf eine andere Weise reagiert wird. Es scheint so, dass nur wiederholtes, regelmäßiges, verlässlich unterscheidendes Reagieren als Klassifikation betrachtet werden kann. Robert Brandom: Expressive Vernunft. Begründung, Repräsentation und diskursive Festlegung. Frankfurt/M. 2000. 147 ff.

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2. Begriffliches Diskriminieren und Klassifizieren Die Tätigkeiten von Eisen, Windspiel, Palme, Panda, Löwe und Papagei sind Beispiele für Diskriminationen und Klassifikationen von Einzelnen als Vertretern einer allgemeinen Art oder, wie Brandom auch sagt, für verlässlich unterscheidende Antworten, wie sie typisch sind für Wesen, die nicht über genuin begriffliche, sondern allenfalls proto-begriffliche Fähigkeiten verfügen. Lediglich das Wesen, das Heidegger »Dasein« nennt – wozu nach Brandom alle gesunden, sozialisierten Menschen gehören –, ist in der Welt, indem es begrifflich diskriminierend und klassifizierend auf die Welt9 antwortet. Grundlegend dafür ist die Fähigkeit, Aussagen zu machen oder Behauptungen aufzustellen. Die Fähigkeit zu verlässlich unterscheidenden Antworten ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung des Begriffsgebrauchs. Zwar sieht Brandom die phylogenetischen und ontogenetischen Wurzeln begrifflicher Klassifikation im vorbegrifflichen Reagieren auf etwas als etwas, das von einer bestimmten Art ist. Aber er interessiert sich für das, was verlässlich unterscheidende Antworten zu spezifisch begrifflich unterscheidenden Antworten macht. Was unterscheidet das Dasein als Wesen, das begriffliche Bedeutungen versteht, von Eisen, Windspielen, Palmen, Pandas, Löwen und Papageien? »Man stelle sich vor, ein Spektrophotometer sei derart an ein Tonbandgerät angeschlossen, dass ›Dies ist rot‹ dann und nur dann erklingt, wenn Licht der entsprechenden Frequenz darauf fällt. Und angenommen, ein fanatischer menschlicher Rot-Reporter hat genau die gleiche responsive Disposition, solche Geräusche hervorzubringen. Die beiden Systeme sind disponiert, in gleicher Weise auf dieselben Reize zu reagieren, die nichtinferentiellen Umstände der Anwendung für ihre responsiven Klassifikationen von Dingen als rot sind die gleichen. Das eine liefert aber lediglich ein Signal, das jemanden zu dem Schluß veranlassen kann, dass etwas Rotes da ist; das andere liefert genau die gleichen Laute unter genau den gleichen Umständen, doch sie zählen als nichtinferentieller Bericht, der eine durch Wahrnehmung gewonnene Überzeugung ausdrückt, mit einem intentionalen Gehalt, der den Begriff ›rot‹ einschließt – warum? Oder man stelle sich einen Papagei vor, der abgerichtet ist, unter den gleichen Bedingungen die gleichen Laute hervorzubringen wie der Rot-Berichterstatter. Welche praktischen menschlichen Fähigkeiten unter9

Dabei geht Brandom anscheinend wie Heidegger davon aus, dass auch die Welt, auf die geantwortet wird, für begriffliche und unbegriffliche Wesen unterschiedlich ist. Im eigentlichen Sinne lebt nur das Dasein in einer Welt als Bedeutsamkeitszusammenhang, andere Wesen reagieren nur auf atomistische Reize.

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scheiden diesen von dem Instrument und dem Papagei? Was muß man über eine regelmäßige unterscheidende Reaktionsdisposition hinaus tun können, um Begriffe zu haben oder begreifen zu können und somit in der Lage zu sein, nicht nur zu klassifizieren, sondern spezifisch begrifflich zu klassifizieren?«10 Verlässlich unterscheidende Reaktionen sind solche, die nicht beliebig variieren, sondern auf Umweltbedingungen auf eine regelmäßige kausale Weise antworten. Begriffliche Antworten – wie paradigmatisch Behauptungen – müssen dagegen noch weitere Bedingungen erfüllen: sie müssen normative, sozial akzeptierte und inferentiell gegliederte Antworten sein. In einer Hinsicht hat Brandom die unbegrifflichen Formen des Tätigseins und die begrifflichen Formen des Tätigseins identifiziert. Dass er beide Formen der Tätigkeit in einer Hinsicht für identisch hält, macht er terminologisch deutlich, indem er die Ausdrücke »Diskriminieren« und »Klassifizieren« in einem weiten Sinne für beide Typen von Tätigkeit gebraucht. Analog verwendet er die Ausdrücke »Repräsentieren«, »Verstehen« und »Intentionalität« für alle bewussten Tätigkeiten von Lebewesen. Auf der anderen Seite jedoch möchte er diese Formen des Tätigseins – mit Blick auf die Präsenz oder Absenz begrifflicher Normativität – auch unterscheiden. Zum Ausdruck kommt dieses darin, dass er Klassifizieren, Diskriminieren, Repräsentieren und Verstehen, intentionale Tätigkeiten in einem engen Sinne zugleich auch als begrifflich-normative Tätigkeiten präsentiert.

3. Zweideutigkeiten: Der Anfang der Klassifikation und die Prioritätsverhältnisse zwischen Zuhandenem und Vorhandenem, Zuhandenheit und Vorhandenheit Verstehen ist für Brandom-Heidegger eine praktische Fähigkeit und eine Disposition, auf die Verweisungen, die die Welt des Zuhandenen konstituieren, richtig oder falsch zu antworten. Die Auslegung des Verstehens – zum Beispiel in Form des Hämmerns – stellt eine solche Antwort auf etwas schon Verstandenes dar – wie zum Beispiel auf den Hammer und den Nagel. Brandoms Hauptinteresse gilt dabei der Frage, nach welchen Gesichtspunkten die für das Verstehen und die Auslegung konstitutiven praktischen Klassifikationen – das Produzieren oder Gebrauchen (Verwenden oder Konsumieren)11 – vollzo-

10 11

Brandom: Expressive Vernunft. A. a. O. 151. »An object can be caught up in such a practice either by being used in the practice,

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gen werden sollen.12 Soll Holz und Eisen zur Produktion des Hammers, zum Verbrennen und Schmelzen, zur Produktion von Bänken und Hufeisen oder zum Sammeln, Briefebeschweren und Schlagen verwendet werden? Soll der Hammer zum Hämmern oder Hacken, zum Werfen oder Briefebeschweren oder noch auf andere Weisen praktisch klassifiziert werden? Brandom orientiert sich auch hier an seiner sozialpragmatischen Klassifikationskonzeption, der zufolge die Normen für die richtige praktische Klassifikation sozusagen sozial bzw. dialogisch konstituiert werden. Wer ein Holzhaus baut, in dem niemand unter geeigneten Umständen zu wohnen disponiert ist, hat demzufolge fälschlich etwas als Bewohnbares praktisch klassifiziert.13 Verglichen mit dem Endpunkt der Klassifikation – dem zweiten Etwas in der Struktur des Etwas-als-Etwas-Klassifizierens – schenkt Brandom dem Etwas, das an erster Stelle der Klassifikationsstruktur steht, nur wenig Aufmerksamkeit. Er beschreibt es auf zwei anscheinend konkurrierende Weisen. Einerseits nämlich erwähnt er Objekte, Ereignisse, Performanzen, Umweltbedingungen als das, was praktisch klassifiziert werden soll. In dieses Bild or by being produced in that practice … used in the different senses of ›employed‹ and ›consumed‹.« 305. 12 »Where do the sorts or kinds or characters which are the something s according to 2 which something1s are classified come from? Any concrete object or event is similar to any other in an infinite number of respects, and dissimilar to it in an infinite number of others. For a respect of similarity is just a shared possible partical description, and these can be gerrymandered as we like.« 303. »As with objects, performance tokens exhibit infinite numbers of objective respects of similarity and dissimilarity.« 306. 13 »The practical discrimination of objects and performances into those appropriate for or according to some practice and those not is precisely the recognition of some of these infinitely numerous, abstractly generable respects of similarity as having a special privilege over the rest. Heidegger should be interpreted in accord with the pragmatist thesis about authority, as taking this privilege to consist in its social recognition, that is, as a matter of how some community does or would respond to things.« Ebenso: »The privilege which one type or co-appropriateness class of performance exhibits as a practice can only have its source in its social recognition, that is, in how the type-privileged (co-typical) performance tokens would be treated or taken, or more generally responded to by the community in question.« Und: »Social object types are then instituted by social practical types of the performances in which they are appropriately used or produced. In the world of the ready-to-hand, in which things are whatever they are (or would be) responded to as, then, the individuation of objects (by their roles as with- und toward-whiches) is determined by the individuation of social practices. Object types are instituted by performance types … The performances comprised by a social practice are of the same type in that there is some other responsive performance type (something2) such that each of the tokens of the instituted performance type (something1) is, according to the community whose recognitions are constitutive in this domain, appropriately responded to by some performance belonging to the instituting type. A performance is recognized as being of the type by being responded to as such.« 306.

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passt auch sein Rekurs auf Kombinationen von Lauten oder Linien, die als »Träger« von allgemeinen Bedeutungen klassifiziert werden. Und in dieses Bild passen anscheinend auch die Metaphern der Konstitution, Übertragung, Verleihung von Bedeutungen oder ihrer Projektion auf unbedeutsames Einzelnes. Diese Redeweisen zusammengenommen legen den Eindruck nahe, als hätten wir zuerst kognitiven Kontakt mit unbedeutsamem, bloß vorhandenem Einzelnen, das wir erst durch eine bestimmte Art der Klassifikation als Bedeutsames verstehen und auslegen.14 Andererseits dagegen betont Brandom, dass der Ausgangspunkt des Klassifizierens nicht etwas unbedeutsam vorhandenes Einzelnes sein kann, auf das wir uns zunächst bloß anschaulich, mittels singulärer Termini beziehen,15 bevor wir es dann unter einen allgemeinen Begriff subsumieren und mit einer Bedeutung bekleiden. Seine kritischen Verweise auf die traditionelle Unterstellung einer Priorität des Zugangs zu Vorhandenem vor dem Zugang zu Zuhandenem legen nahe, dass er eine solche Darstellung für falsch halten müsste. Kritisch gegenüber der Tradition scheint er vielmehr davon auszugehen, dass wir als gesunde sozialisierte Menschen die Welt immer schon als ein begrifflich klassifiziertes und durch Verweisungszusammenhänge konstituiertes Ganzes von Zuhandenem verstehen, aus dem wir die Zusammenhänge explizit herauslösen und auslegen, die wir für die Realisierung unserer praktischen Projekte brauchen.16 Dieser Auffassung zufolge ist es nicht so, dass wir zuerst kognitiven Kontakt mit einzelnem Vorhandenen haben, das wir dann in einem zweiten Schritt als etwas bedeutsames Zuhandenes begrifflich klassifizieren. Verstehen und Auslegen bewegen sich vielmehr wie das Verstandene und Ausgelegte ausschließlich im Raum des begrifflich Allgemeinen, sozial Bedeutsamen und Normativen. 14

Das gilt sowohl für Brandoms Ausführungen in den beiden Heidegger-Beiträgen als auch für seine Darstellung der pragmatischen Klassifikation in Brandom: Making it Explicit. Cambridge/Mass. 2002. 77. 147 ff, wo sich auch eine Kritik an dieser traditionellen Auffassung findet. 15 In Making it Explicit kritisiert Brandom sowohl einen Dualismus von Anschauung und Begriff als auch den Dualismus von unbegrifflichen singulären Termini und Begriffen bzw. Prädikaten. Diese sind ihm zufolge nur durch symmetrische und asymmetrische Substitutionsinferenzen zu unterscheiden, aber beide sind begrifflich gehaltvoll und inferentiell artikuliert, auch die unwiederholbaren Demonstrativa und indexikalischen Ausdrücke insgesamt. 854 ff. 16 »First, the something s which are taken as something s must be understood as them1 2 selves things which are ready to hand as ways of taking still other pieces of equipment. In interpreting we do not, so to speak, throw a ›signification‹ over some naked thing which is present-at-hand, we do not stick a value on it. The something1s which are given with respect to one set of takings must themselves have been socially constituted.« Brandom 2002. 302.

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Ich bin mir nicht sicher, ob sich diese widersprüchliche Charakterisierung des Ausgangspunktes der Klassifikation durch eine Unterscheidung von zwei Perspektiven auflösen lässt, aus denen die praktischen Klassifikationen beschrieben werden können: zum einen aus der theoretischen Perspektive des Philosophen, der in seinen Aussagen von »Objekten« und »Ereignissen« spricht und so Vorhandenes als dasjenige thematisiert, das in Praktiken, die keine Aussagen sind, als Zuhandenes klassifiziert wird; zum anderen durch Einnahme der praktischen Perspektive derjenigen, die handeln, ohne das, was sie klassifizierend als Zuhandenes betrachten und behandeln, zum Gegenstand einer Aussage und damit zu Vorhandenem zu machen. Aus dieser Perspektive gibt es keinen primären kognitiven Kontakt zu Vorhandenem. Zweideutig ist aber nicht nur Brandoms Bestimmung des Ausgangspunktes der Klassifikation, sondern auch seine Darstellung der unterschiedlichen Prioritätsverhältnisse zwischen den Arten der Klassifikation. Zudem ist die Frage, wie diese sich zu den als »ontologisch« bezeichneten Prioritäten verhalten, die er mal als Priorität zwischen Vorhandenem und Zuhandenem, mal als eine zwischen Vorhandensein und Zuhandensein charakterisiert. Erstens behauptet Brandom die explanatorische Priorität des Zuhandenen vor dem Vorhandenen und unterscheidet diese zweitens auf unklare Weise von der explikatorischen, konzeptuellen Priorität. Dass wir über Zuhandenes, nämlich Aussagen, verfügen, soll vermutlich erklären, dass wir kognitiven Zugang zu Vorhandenem haben. In diesem Sinne gibt es eine explanatorische Priorität des Zuhandenen vor dem Vorhandenen. Die explikatorische oder konzeptuelle Priorität des Zuhandenen vor dem Vorhandenen dagegen besteht anscheinend darin, dass wir den Begriff des Vorhandenen nur verstehen können durch Rekurs auf den Begriff einer bestimmten Art von Zuhandenem, nämlich Aussagen – »Vorhanden zu sein« bedeutet, »in Aussagen thematisierbar oder thematisiert zu sein«.17 Brandom behauptet nun aber nicht nur die explanatorische und explikatorische Priorität des Zuhandenen vor dem Vorhandenen, sondern äußert sich, drittens, auch schwankend und zweideutig zu der ontologischen Priorität, die er mal als eine zwischen Vorhandenem und Zuhandenem, mal als eine zwischen Vorhandensein und Zuhandensein charaktarisiert. Während er in seinem ersten Beitrag die ontologische Priorität des Zuhandenseins vor dem Vorhandensein betont,18 (298) behauptet er in dem zweiten Beitrag, 17

Er stellt die explanatorische und konzeptuelle Priorität sprachlich und sachlich der ontologischen Priorität gegenüber. 18 Es bleibt zum einen unklar, welche Rolle für die Prioritätsverhältnisse seine gelegentliche implizite, aber äußerst wichtige Unterscheidung von Zuhandenem und Vorhandenem

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sie bzw. Zuhandenes und Vorhandenes seien ontologisch gleichursprünglich: »the ready-to-hand is first among equals among the categories« (322). Die Unterstellung einer ontologischen Priorität des Vorhandenen vor dem Zuhandenen hält er daher für ebenso verfehlt (302 f.), wie er umgekehrt die Annahme einer ontologischen Priorität des Zuhandenseins vor dem Vorhandensein für eines der verbreiteten Missverständnisse von »Sein und Zeit« hält (346).19 Das Schwanken und die Zweideutigkeit hängen auch zusammen mit der Alternative einer realistischen oder intersubjektiv idealistischen Interpretation der Fundamentalontologie. Realistisch klingen Formulierungen wie die, dass Vorhandenes thematisiert wird. In diesem Sinne wird das Vorhandene als in seiner Existenz unabhängig von mentalen oder praktischen Leistungen des Daseins betrachtet, was nicht ausschließt, dass wir den Sinn des Begriffs des Vorhandenen nur verstehen können, wenn wir den Sinn des Begriffs des Zuhandenen, speziell von Aussagen verstehen können. Idealistisch dagegen klingen Formulierungen wie die, dass das Vorhandene konstituiert wird. Auch seine vorhin skizzierte Darstellung der ontologischen Prioritätsverhältnisse zwischen Zuhandenem und Vorhandenem und seine Betonung der Gleichursprünglichkeit von Zuhandenem und Vorhandenem klingen idealistisch, obgleich sie vermutlich nicht so gemeint sind. Viertens sollen aber nun innerhalb des Zuhandenen Aussagen explanatorische Priorität gegenüber Praktiken haben, die keine Aussagen sind. Denn nur durch Rekurs auf das Aussagen und Behaupten soll sich erklären lassen, dass wir Handlungen vollziehen können, die ein implizit begriffliches Klassifizieren von Zuhandenem sind. Nur wer die verlässliche Fähigkeit zum Aussagen hat, kann auch andere Arten von Handlungen vollziehen. Handlungen insgesamt sind als implizit oder explizit begriffliche eben anderes und mehr als bloße Reaktionen. Zum einen sind Absichten mit ihren propositionalen Gehalten für Handlungen mitkonstitutiv. Absichten aber sind praktische Festlegungen auf etwas, das in inferentiellen Beziehungen steht. Dank der propositionalen Gehalte von Absichten steht das, was beabsichtigt wird – zum Beispiel das Hämmern –, nicht nur in kausalen, sondern auch in (material) inferentiellen Beziehungen zu anderen Gehalten. Zum anderen zeigt sich die »vernünftige«, »begriffliche« Struktur von Absichten darin, dass sie sich in praktische Syllogismen einbetten lassen. Wir klassifizieren eben nicht, indem wir nur verlässauf der einen Seite und Zuhanden- und Vorhandensein auf der anderen Seite spielt; zum anderen bleibt unklar, in welchem Sinne der Ausdruck »ontologisch« verwendet wird. 19 Er plädiert stattdessen dafür, die ontologische Prioritätsthese durch eine explanatorische zu ersetzen.

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lich auf Reize reagieren, sondern indem wir etwas immer schon Begriffenes zu anderem Begriffenen in eine rationale Beziehung setzen. Brandom zufolge haben Behauptungen innerhalb des Zuhandenen explanatorische Priorität gegenüber Praktiken, die keine Behauptungen sind. Die verlässliche Fähigkeit zu Behauptungen ist eine notwendige Voraussetzung für die implizit begrifflichen Praktiken. Dieser Sachverhalt, dass die Praxis des Behauptens innerhalb des Zuhandenen explanatorische Priorität gegenüber Praktiken hat, die keine Behauptungen sind, impliziert aber weder, dass jede implizit begriffliche Praxis oder die ihr implizite Regel von den Handelnden selber auch parallel explizit gemacht werden können muss – sie müssen dem Prinzip der Ausdrückbarkeit zufolge allerdings prinzipiell explizierbar sein –, noch gar, dass ein solcher spezifischer sprachlicher Ausdruck der Praxis oder der in ihr impliziten Regel Voraussetzung für die implizit begriffliche Praxis ist.20 Brandom selber weist darauf hin, wie schwierig es ist, zu sagen, wie man elegant Tango tanzt oder richtig eine Oper hört oder welches die Regeln sind, die das Sprechen einer Sprache normieren. Trotz des Prinzips der Ausdrückbarkeit müssen diese Regeln weder nachher noch vorher von dem Handelnden selber explizit gemacht werden können. Eine solche Forderung, dass jedes lokale implizite Wissen-wie ein explizites Wissen-dass voraussetzt, würde gerade zu den intellektualistischen Theorien des Regelfolgens führen, gegen die Brandom sich in Anlehnung an Wittgenstein gewendet hat. Ebenso falsch wäre es aber, daraus den Schluss zu ziehen, dass lokales implizites Wissen-wie und explizites Wissen-dass nicht trotzdem parallel bestehen können. Und falsch wäre es auch, eine solche Koexistenz mit der Auffassung zu überfrachten, aufgrund der expliziten Kenntnis der Regel würde diese auch stets explizit angewendet und befolgt. Die alternative anti-intellektualistische Deutung von Dreyfus, Haugeland und Okrent dagegen führt zu dem komplementären Problem, dass wir nur empirisch von Regelmäßigkeiten des Tuns, nicht aber normativ von (implizitem) Regelfolgen sprechen können.

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Mit »implizit begrifflicher Praxis« sind nicht Tätigkeiten gemeint, die von irgendjemandem explizit gemacht werden können, also zum Beispiel auch die Tätigkeiten von Eisen, Windspielen, Pandas, Löwen und Papageien, sondern nur die Praktiken, die von Handelnden ausgeübt werden, welche prinzipiell und global, wenn auch nicht in jedem Einzelfall, lokal, das, was sie tun, auch sprachlich in Aussagen explizit machen können. Brandom betont eine lokale Unabhängigkeit von Praktiken, die keine Aussagen sind, von Praktiken, die Aussagen sind – »it must be admitted that not all cases of interpretation are cases of assertion« –, bestreitet aber eine globale Unabhängigkeit, nämlich »the global claim that the capacity to interpret could exist without being accompanied by the capacity to assert.« 346.

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Brandom unterstützt auch noch zwei andere Thesen, die ihm zufolge auch Heidegger vertreten hat. Die erste These besagt, dass Aussagen Zuhandenes immer nur als Vorhandenes im Sinne des Nicht-Normativen, Faktischen, Natürlichen thematisieren. Die zweite These besagt, dass der Ausgangspunkt der Klassifikation immer etwas implizit begrifflich Zuhandenes ist. Zunächst zur ersten These: Brandom teilt, wie Heidegger, die praktischen Klassifikationen ein in solche, die Aussagen sind, und solche, die keine Aussagen sind. Aussagen klassifizieren und thematisieren Zuhandenes als Vorhandenes. Praktiken, die keine Aussagen sind, klassifizieren Zuhandenes als Zuhandenes. Nur in diesem Fall haben wir es mit der Klassifikation des Verstehens zu tun. Was spräche aber dagegen, der Praxis des Behauptens eine doppelte, nämlich theoretische und praktische Funktion zuzuschreiben – zum einen die Funktion, Zuhandenes als etwas mit Eigenschaften und damit als Vorhandenes zu klassifizieren; zum anderen die Funktion, Zuhandenes als etwas mit Geeignetheiten, also als Zuhandenes zu klassifizieren und zu verstehen? Warum sollte es nur Aussagen vom Typ »Dieser Hammer wiegt drei Kilogramm und ist braun« oder »Der Wind hat die Stärke 100« geben und nicht auch solche vom Typ »Dieses Werkzeug ist etwas, was geeignet ist zum Einschlagen von Nägeln in eine Wand« oder »Der Wind ist gut zum Segeln«? Und warum sollte die Thematisierung des Zuhandenen dieses gleich in Vorhandenes verwandeln, das von Brandom zudem explizit als Natürliches, Nicht-Normatives charakterisiert wird? Nun zur zweiten These: Mit Heidegger teilt Brandom – jedenfalls in vielen Passagen – auch die Auffassung, dass der Ausgangspunkt aller Arten der Klassifikation etwas Zuhandenes, also etwas schon verstandenes Bedeutsames sein muss. Dabei scheint er alle Arten von Zuhandenem im Sinne zu haben: Begriffe wie »Wind« oder »Hammer«, aber auch das, was man zum Segeln braucht oder zum Einschlagen von Nägeln in eine Wand. Was spräche aber dagegen, an den Anfang des Verstehens das Verstehen eines Netzes von zuhandenen Begriffen zu setzen, deren inferentieller Gehalt theoretische und praktische Bedeutungen gleichermaßen und gleichrangig umfasst – Eigenschaften des Vorhandenen ebenso wie Geeignetheiten des Zuhandenen – und offen sowohl für die praktische Auslegung als auch für die Aussage wäre. Zum material inferentiellen Gehalt von »Wasser« würde dann nicht nur »siedet bei 100 Grad« gehören, sondern auch »etwas zum gründlichen Reinigen von Wäsche« oder »zum Härten des Inhalts von Eiern«. Das Verstehen von Wasser und »Wasser« ließe sich in zwei Formen zum Ausdruck bringen: durch seine Auslegung etwa beim Eierkochen oder Wäschewaschen und durch seine Verwendung in theoretischen oder praktischen Aussagen. Am Anfang des Verstehens würde also das Verstehen des Begriffs stehen und die relational

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aufeinander angewiesenen verlässlichen Fähigkeiten, ihn auf implizite und explizite Weise zu verwenden.

4. Begriffliche versus unbegriffliche Klassifikation Auch das zweite Problem ist ein Problem des angemessenen Verständnisses der Klassifikation. Dabei geht es zum einen um die exegetische Frage, ob für Heidegger die Klassifikationen des praktischen Verstehens, Auslegens und Redens bereits implizit begrifflich-sprachliche Klassifikationen sind; zum anderen geht es um die sachliche Frage, ob und warum es plausibel sein soll, dies anzunehmen. Brandom vergleicht zwei Lesarten von »Sein und Zeit«, die sich durch ihre jeweilige Auffassung des Verstehens und Auslegens sowie des Verhältnisses von Zuhandenem und Vorhandenem unterscheiden. Die erste Lesart wird unter anderem von Hubert L. Dreyfus, John Haugeland und Mark Okrent vertreten.21 Ihr zufolge bilden, in metaphorische Redeweise, das Zuhandene und Vorhandene zwei aufeinanderliegende Schichten. In der unteren autonomen Schicht wird Zuhandenes praktisch konstituiert auf eine Weise, die (noch) nicht über Sprache verfügende Wesen mit über Sprache verfügende Wesen, wie das Dasein es ist, teilen. Erst in der darüberliegenden optionalen Schicht sollen Praktiken vorkommen, in denen Begriffe in Sätzen verwendet werden, um Behauptungen zu machen und dadurch Vorhandenes zu thematisieren. Erst in dieser Schicht gibt es die theoretische Praxis, Dinge als Vorhandene zu betrachten. (328 ff.) Nach Brandom ist es nun zwar kohärent, sich eine Gemeinschaft von Wesen zu denken, die durch ihre Praktiken Zuhandes konstituieren, obwohl sie nicht begrifflich denken und nicht sprechen können. Denn wir alle waren einmal solche Wesen und andere werden es immer bleiben.22 Für falsch hält er es jedoch, in Heideggers Theorie des Daseins die Annahme einer solchen autonomen, unbegrifflichen, nicht-propositionalen, nicht-linguistischen Schicht der Intentionalität hineinzulesen, zu der optional eine zweite begriffliche, propositionale, linguistische Intentionalität hinzukommen kann.

21

Hubert L. Dreyfus: Being in the World. A Commentary on Heidegger’s Being and Time, Cambridge/Mass. 1991. John Haugeland: Heidegger on Being a Person. In: Hubert L. Dreyfus/Mark Wrathall (Hrsg.): Heidegger Reexamined. New York. London 2002. 73–84. Mark Okrent: Heidegger’s Pragmatism, Ithaca, N.Y., London. 1988. 22 »For this account can be told about pre- oder nonlinguistic creatures, as exemplifying an autonomous level of functioning on which the capacity for linguistic practice is causally and conceptually parasitic.« 330.

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Der zweiten Lesart zufolge, die Brandom favorisiert, hat die Theorie des Daseins es nur mit Wesen zu tun, die, wie gesunde, sozialisierte Menschen, bereits begrifflich klassifizieren – »eine wesentlich sprachliche Angelegenheit«23 – und somit über die Fähigkeit verfügen, in Form von Aussagen als Zuhandenem, das u. a. in Inferenzen gebraucht werden kann, Objektives, Faktisches,Vorhandenes, Nicht-Normatives zu thematisieren. Die Klassifikation des Zuhandenen und Vorhandenen ist immer schon eine begriffliche Klassifikation. Brandom entwickelt einige Argumente aus »Sein und Zeit«, die diese Lesart stützen. Die uneigentlichen Weisen der Verfallenheit (Gerede, Neugier, Zweideutigkeit) nämlich setzen seiner Deutung zufolge die Fähigkeit zu linguistischer Artikulation voraus. Nach Brandoms Lesart kann es keine Artikulation, keine Auslegung des Verstehens geben, wenn nicht einige dieser Auslegungen die Form von Gerede und damit die linguistische Form von Aussagen annehmen. Da das Gerede auch basal für die Neugier und die Zweideutigkeit ist, setzt die uneigentliche Verfallenheit, die mitkonstitutiv für das Dasein ist, in allen ihren Formen linguistische Kompetenz und somit Begriffsverwendung voraus. Daraus folgt für ihn, dass das Verstehen und praktische Klassifizieren, das konstitutiv für das Dasein ist, implizit begrifflich ist und eine verlässliche Fähigkeit zur expliziten Verwendung von Begriffen in Aussagen voraussetzt. Die Praxis des implizit begrifflichen Verstehens und Klassifizierens, die nicht im Vollzug von Aussagen besteht, gibt es für das Dasein nur dank seiner Fähigkeit zur Konstitution oder Thematisierung von Vorhandenem in Aussagen. Sowohl die Klassifikation des Zuhandenen als etwas zu etwas Geeignetem als auch die Klassifikation des Zuhandenen bzw. Vorhandenen als etwas mit Eigenschaften sind Ausübungen verlässlicher begrifflicher Fähigkeiten, die eine Klassifikation in den Raum des Normativen stellen. Sie machen unsere Klassifikationen zu solchen, die entweder richtig oder falsch sind. Zwei Kontroversen liegen diesen beiden Lesarten von »Sein und Zeit« zugrunde. Die eine, philologische Kontroverse bezieht sich auf die Frage, ob es für das Dasein im Sinne Heideggers vorsprachliche, vorbegriffliche Praktiken gibt. Heideggers Ausführungen erlauben in dieser Hinsicht keine eindeutige Interpretation. Die andere Kontroverse bezieht sich auf die sachlichen Differenzen zwischen denen, für die, wie für die Sellarsianer, alles Tun sozialisierter gesunder Menschen in das Netz sprachlicher Inferenzen eingebettet ist, und Phänomenologen, die glauben, dass die erworbene Fähigkeit zur Verwendung von Begriffen nicht auch immer ausgeübt werden muss. 23

Robert Brandom: Begründen und Begreifen. Eine Einführung in den Inferentialismus. Frankfurt/M. 2001. 16.

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5. Geeignetheiten oder soziale Angemessenheiten? Instrumentalismus versus Sozialpragmatismus Lässt sich das Zuhandene schlicht als physisch Geeignetes charakterisieren oder eher als etwas, das wir in einem normativen Sinne richtig oder falsch, nämlich sozial angemessen oder unangemessen produzieren und verwenden können? Der ersten Deutung zufolge produzieren oder verwenden wir Zuhandenes richtig, wenn dieser Umgang mit ihm physisch geeignet ist für die Realisierung unserer Absichten. Der zweiten Deutung zufolge produzieren oder verwenden wir Zuhandenes richtig, wenn wir es sozial angemessen gebrauchen, d. h. wenn die Sanktion auf unsere praktische Klassifikation positiv, nämlich anerkennend ausfällt. Im Sinne der ersten Deutung gebrauchen wir den Hammer auch dann richtig, wenn wir mit ihm Hacken oder Briefe beschweren; im zweiten Sinne dagegen gebrauchen wir den Hammer richtig, wenn wir mit ihm Nägel in die Wand schlagen. Das Kriterium für die Richtigkeit unseres klassifikatorischen Tuns ist also im ersten Fall die erfolgreiche Realisierung einer Absicht; das Kriterium für die Richtigkeit unseres klassifikatorischen Tuns ist im zweiten Fall die soziale Anerkennung durch die Anschlusshandlung eines anderen Daseins, die, um richtig zu sein, selber wiederum sozial akzeptiert werden muss. Richtig ist diesem sozial-normativen Verständnis des Richtigen zufolge das, was von einer Gemeinschaft oder zumindest einer anderen Person als richtig behandelt wird. Der Maßstab für das Richtige ist hier das sozial Angemessene, das in der Regel, die der jeweilige Begriff des Zuhandenen ist, zum Ausdruck gebracht werden kann. Der Maßstab für das Richtige liegt nicht in den intrinsischen Eigenschaften des Zuhandenen, mittels dessen das individuell (oder kollektiv) Gewollte realisiert werden kann. Dass aber das sozial Angemessene auf der einen Seite und das physisch Geeignete auf der anderen Seite sich nicht zwingend in harmonischer Passung befinden, zeigt sich auch an dem, was passiert, wenn im Sinne der kontroversen Deutung des Richtigen falsch gehandelt wird. Sanktionen, die selber sozial angemessen sein müssen, sind es, die angemessenerweise auf sozial unangemessenes Verhalten antworten. Misserfolg in Form eines Widerstandes der Natur ist dagegen die Konsequenz physisch ungeeigneten Handelns. Wenn der sozial angemessene Umgang mit dem Zuhandenen dagegen nicht den Widerstand der Natur zur Folge hat, liegt das daran, dass das physisch Geeignete eben zunächst und zumeist im sozial Angemessenen aufgehoben ist. Der Gesichtspunkt, unter dem hier von Widerstand und Misserfolg gesprochen werden kann, ist der der individuellen subjektiven Wertungen in Form von Wünschen und vor allem Absichten.

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Dass die beiden Charakterisierungen des Zuhandenen – als physisch Geeignetes zum einen und als sozial Angemessenes zum anderen –, die Brandom in seinen Heidegger-Beiträgen abwechselnd verwendet, nicht ohne weiteres kompatibel sind, macht er selber an einer anderen Stelle deutlich, nämlich in einem Beitrag, in dem es um verschiedene Varianten des Pragmatismus geht und in dem er den traditionellen instrumentalistischen Pragmatismus von seinem normativ-begrifflichen Sozialpragmatismus abgrenzt und auch Gründe anzugeben versucht, warum dieser gegenüber jenem vorzuziehen sei. Die instrumentalistischen Pragmatisten konzentrieren sich »ausschließlich auf instrumentelle Normen: Sie beurteilen Handlungen als besser oder schlechter, richtig oder unrichtig, insofern sie zum Erfolg des Akteurs beitragen, der einen Zweck erreichen oder ein Ziel verwirklichen will. Das ist die Art von Norm, die nach ihrer Ansicht implizit in der diskursiven Praxis enthalten ist und die (in Einklang mit ihrem semantischen Pragmatismus) die letzte Quelle spezifisch semantischer Dimensionen der normativen Bewertung wie zum Beispiel Wahrheit darstellt.« Diese Strategie, »bei der man die Art, in der Garantien für verschiedene Arten normativer Bewertung implizit in der Praxis enthalten sein können, letztlich im Hinblick auf den Erfolg oder Mißerfolg praktischer Handlungen zur Durchsetzung vorgegebener Zwecke begreift, hat einige auffällige Vorteile. Nicht der geringste dieser Vorteile besteht darin, dass diese Auffassung verspricht, die Einsichten, welche die normative Pragmatik motivieren, mit einem durchgängigen Naturalismus zu versöhnen.« Angesichts der angedeuteten Vorteile des traditionellen Instrumentalismus stellt sich daher die Frage, aus welchen Gründen Brandom glaubt, ihn durch seinen Sozialpragmatismus ersetzen zu müssen. Brandom erwähnt mehrere Kritikpunkte am klassischen instrumentalistischen Pragmatismus. Erstens und zweitens kritisiert er die Auffassungen, Sprache und Denken seien bloße Werkzeuge der Verständigung und der Verwirklichung beliebiger Zwecke. Drittens kritisiert er den pragmatischen Wahrheitsbegriff, dem zufolge Überzeugungen wahr seien, insofern sie taugliche Werkzeuge oder Instrumente zur Erreichung des Gewünschten sind. Und viertens scheint er die Auffassung zu kritisieren, dass der Erfolg bei der Realisierung einer Absicht das Kriterium für die Richtigkeit, nämlich physische Geeignetheit eines Instrumentes sein könne. Er kritisiert diese Auffassung anscheinend aus mehreren Gründen. Zum einen macht er darauf aufmerksam, dass es nicht um Kriterien für die Richtigkeit im Sinne der physischen Geeignetheit geht, sondern um Kriterien für den Glauben an die Richtigkeit im Sinne der physischen Geeignetheit. Zum anderen betont er, dass der Glaube, dass etwas physisch geeignet für die Realisierung einer bestimmten Absicht ist, gar nicht durch den Erfolg oder Misserfolg dieser Absicht beglaubigt

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oder widerlegt werden kann, sofern der Erfolg oder Misserfolg im Stile des Mythos vom Gegebenen als »empfundene Befriedigung« oder Enttäuschung verstanden wird, da zwischen Überzeugungen und Empfindungen keine Rechtfertigungsverhältnisse stattfinden können. Und schließlich suggeriert er, dass dann, wenn das Kriterium für den Glauben an die Richtigkeit im Sinne der physischen Geeignetheit stattdessen der Glaube ist, dass die Absicht erfolgreich realisiert werden kann oder konnte, dieser Glaube nicht nur wahr oder falsch sein kann, sondern auch mit dem seiner Ansicht nach unhaltbaren pragmatischen Wahrheitsbegriff zwingend verknüpft ist. »Wünsche sind Verhaltensmotive und gestatten die Einteilung des Verhaltens in Verhaltensweisen, von denen Wünsche befriedigt, erfüllt oder eliminiert werden, und Verhaltensweisen, die das nicht leisten. Im Kontext solcher Wünsche können Überzeugungen unterstellt werden, da sie implizit in den Verhaltensstrategien enthalten seien, die sich ein Organismus zu eigen macht, um diese Wünsche zu erfüllen. Die Überzeugungen werden sich auf Sachverhalte beziehen und daher auch darauf, welche Wirkungen man von verschiedenen Arten von Handlungsvollzügen erwarten kann. Der Erfolg oder Misserfolg dieser Strategien erlaubt sodann die Bewertung der Wahrheit oder Falschheit dieser Überzeugungen – zumindest dann, wenn wir den Beitrag betrachten, den jede einzelne Überzeugung zum Erfolg oder Mißerfolg einer Vielfalt praktischer Unterfangen leisten würde. Dieser Gedankengang ist zwar nicht töricht, aber ich halte ihn für verfehlt und letzten Endes impraktikabel.«24 Neben dieser negativen Verteidigung des sozial-normativen Pragmatismus durch Kritik am instrumentalistischen Pragmatismus lassen sich in den Ausführungen Brandoms auch zwei positive Argumente für seine Variante des Pragmatismus entdecken, dem zufolge die Richtigkeit des Umgangs mit Zuhandenem abhängig ist von dem, was sozial als richtig betrachtet und behandelt wird. Erstens lässt sich dieser sozial-normative Phänomenalismus als eine notwendige Konsequenz aus dem Vorhaben verstehen, in Umkehrung der philosophischen Tradition intentionales und semantisches Vokabular durch normatives Vokabular zu analysieren. Wenn der Rekurs auf den (Glauben an den) Erfolg der Realisierung einer Absicht als Maß für die Richtigkeit des Tuns ausfällt, muss ein anderes Maß an dessen Stelle treten. Das ist dann eben das, was als sozial angemessen betrachtet und behandelt wird.

24

Robert Brandom: Pragmatik und Pragmatismus. In: Mike Sandbothe (Hrsg.): Die Renaissance des Pragmatismus. Aktuelle Verflechtungen zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie. Weilerswist 2000. 29–58. 49, vgl. auch 45 ff; vgl. dazu auch Brandom: Expressive Vernunft. A. a. O. 413 ff.

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Zweitens scheint der sozial-normative Phänomenalismus aber auch aus dem Umstand zu folgen, dass Brandom unsere Betrachtung und Behandlung des Zuhandenen – im Unterschied zum Instrumentalismus – als implizit begriffliche versteht. Insofern muss es von dem sozial und inferentiell zu artikulierenden Gehalt der jeweiligen Begriffe von Zuhandenem abhängen, ob wir auf Zuhandenes richtig oder falsch antworten, indem wir es produzieren oder gebrauchen. Gegen diese Auffassung des Zuhandenen als einer sozial-normativ konstituierten Entität lässt sich der naheliegende Einwand erheben, dass anscheinend verschiedene Typen von Zuhandenem nach dem Muster des spezifischen Typs von Zuhandenem betrachtet und behandelt werden, das – wie die sozialen Institutionen des Eigentums, der Eheschließung oder des Grüßens – nur durch wechselseitige Anerkennung konstituiert wird. Andere Typen von Zuhandenem dagegen würden sozusagen ontologisch heimatlos bleiben. Um diesen Einwand zu entkräften, müsste Brandom deutlicher zeigen, dass die soziale und inferentielle Artikulation der jeweiligen begrifflichen Gehalte letztlich auf dem beabsichtigten Umweg auch zu dem führen kann, was physisch geeignet ist. Das führt zurück zu dem zentralen Problem des sozialnormativen Phänomenalismus, wie Begriffe, die doch sozial-normativ konstituiert werden, zugleich objektiv sein können, mit einem Gehalt, der sowohl intrinsische Eigenschaften als auch relationale Geeignetheiten umgreift.

Bernd Prien

Making It Explicit und die Priorität des Zuhandenen gegenüber dem Vorhandenen

Wie Brandom in seinem Aufsatz »Heidegger’s Categories in Sein und Zeit«1 ausführt, unterscheidet Heidegger zwischen den ontologischen Kategorien »Zuhandenes« und »Vorhandenes« und behauptet, dass das Zuhandene eine Priorität gegenüber dem Vorhandenen genießt. Ich möchte in meinem Beitrag überprüfen, ob und inwieweit Brandom in Making It Explicit 2 die These von der Priorität des Zuhandenen gegenüber dem Vorhandenen teilt. Da Brandom in MIE die Begriffe »zuhanden« und »vorhanden« überhaupt nicht verwendet, muss die Fragestellung dieses Beitrags genauer gesagt lauten: Vertritt Brandom in MIE eine These, die Heideggers Prioritätsthese entspricht, bzw. eine These, die interessante Parallelen zu ihr aufweist? Dabei gehe ich vom Zuhandenen und Vorhandenen aus, so wie Brandom es versteht. Ich werde die Frage, inwieweit Brandoms Interpretation dem Text von Sein und Zeit 3 gerecht wird, ganz ausklammern – erstens fehlt dazu hier die Zeit, zweitens fehlen mir dazu die Heidegger-Kenntnisse. Ich vergleiche in diesem Beitrag also ausdrücklich nur Brandoms Heidegger und MIE und nicht Sein und Zeit und MIE. Es mag zunächst seltsam erscheinen, ohne Umschweife davon auszugehen, dass Brandom selbst eine Position vertreten sollte, nur weil er sie in einer philosophiehistorischen Arbeit einem anderen Philosophen zuschreibt. Dies ist aber dadurch begründet, dass Brandom die Philosophen, die er in Tales of the Mighty Dead behandelt, als Mitglieder einer philosophischen Tradition ansieht, die in MIE ihren vorläufigen Endpunkt gefunden hat. Die »Tales« dienen Brandom dazu aufzuzeigen, wie sein Projekt in MIE sich in eine pragmatisch zu nennende Tradition einreiht, die mit Spinoza und Leibniz anfängt, zu der insbesondere Hegel gehört, aber eben auch Heidegger. Aus dieser Zielsetzung von TMD ergibt sich auch, dass Brandom in seinen Aufsätzen diejenigen Aspekte der Theorien der Mighty Dead hervorheben wird, mit denen er in

1

Robert Brandom: Tales of the Mighty Dead. Cambridge/Mass. 2002. Im Folgenden abgekürzt als »TMD«. Der genannte Aufsatz befindet sich in TMD. 298–323. 2 Robert Brandom: Making It Explicit. Cambridge/Mass. 1994. Im Folgenden abgekürzt als »MIE«. 3 Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 1993.

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Bernd Prien

gewissem Sinne übereinstimmt, auch wenn es vielleicht viele andere Aspekte ihrer Theorien gibt, die er ablehnt. Es ist also zumindest auf den ersten Blick die Annahme gerechtfertigt, dass Brandom in MIE eine Position vertritt, die in irgendeiner Weise Heideggers These von der Priorität des Zuhandenen gegenüber dem Vorhandenen entspricht, so wie Brandom sie versteht. Man kann hier wohl keine vollkommene Übereinstimmung erwarten, aber immerhin eine Entsprechung, bzw. interessante Parallelen. Dass diese Annahme nicht nur auf den ersten Blick gerechtfertigt ist, sondern tatsächlich zutrifft, werde ich in diesem Beitrag zu zeigen versuchen.4 Ich werde in meinem Beitrag so vorgehen, dass ich zunächst diejenigen Aspekte von Brandoms Heidegger-Interpretation in Erinnerung rufe, die für den hier anzustellenden Vergleich relevant sind. Dies betrifft natürlich hauptsächlich die Frage, wie Brandom Heideggers Begriffe »vorhanden« und »zuhanden« sowie das Prioritätsverhältnis zwischen ihnen versteht. Im zweiten Teil meines Beitrags werde ich dann zeigen, dass dem Zuhandenen im theoretischen Rahmen von MIE Gegenstände entsprechen, deren Gebrauch durch soziale Normen geregelt ist. Das Vorhandene entspricht Gegenständen, deren Gebrauch nicht durch Normen geregelt ist. Im dritten Teil meines Beitrags werde ich schließlich die von Brandom in MIE aufgestellte These erläutern, dass normative Begriffe eine explanatorische Priorität gegenüber nicht-normativen Begriffen besitzen, und die Frage diskutieren, inwieweit dies Heideggers Prioritätsthese entspricht.

1. Zuhandenes und Vorhandenes bei Brandoms Heidegger Ich wende mich nun Brandoms Heidegger-Interpretation zu. Dabei werde ich zunächst seine Interpretation des Begriffs »zuhanden«, dann die des Begriffs »Aussage« und schließlich die des Begriffs »vorhanden« darstellen. Abschließend komme ich zu der Frage, inwiefern nach Brandoms Heidegger das Zuhandene gegenüber dem Vorhandenen primär ist.

4

Einigen Lesern fällt hier vielleicht folgende Schwierigkeit auf: Brandom illustriert seine These, dass erst soziale Praktiken Normen instituieren, durch Pufendorfs Theorie moralischer Entitäten (MIE 48) und merkt an, dass Heidegger Pufendorfs Theorie zurückweist, eben weil er das Zuhandene für primär gegenüber dem Vorhandenen hält (MIE 661, Fn 64). Wie kann Brandom dann aber gleichzeitig Pufendorf und Heidegger zustimmen? Ich werde am Ende meines Beitrags auf diese Frage zurückkommen.

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1.1 Brandoms Interpretation des Begriffs »zuhanden« Nach Brandoms Heidegger befindet das Dasein sich immer schon in einer Welt zuhandener Dinge, die eine gewisse Bedeutsamkeit aufweisen, die darin besteht, dass sie angemessen für verschiedene praktische Unternehmungen verwendet werden können. Insofern erleben wir die Dinge immer schon als etwas, d.h. die Welt weist eine als-Struktur auf. Wir erleben ein Ding immer als dienlich für etwas. Dabei hat Heidegger nach Brandom ein ganz uncartesisches und unsubjektives Verständnis dieser Klassifikation von etwas als etwas. Es handelt sich beim Klassifizieren um öffentlich beobachtbares Verhalten, letztlich um Dispositionen, auf Objekte in einer ganz bestimmten Weise zu reagieren. Die Klassifikation von etwas als dienlich für etwas beruht letztlich auf Dispositionen, in gewisser Weise auf dieses Etwas zu reagieren. Die Dienlichkeit oder die Verweisung, durch die das zuhandene Zeug sich auszeichnet, besteht aber nicht einfach darin, dass etwas aufgrund physikalischer Eigenschaften für eine bestimmte Handlung benutzt werden kann. Verweisungsrelationen werden statt dessen dadurch instituiert, dass eine Verwendungsweise sozial anerkannt ist. »[A]ssignments exist in virtue of the responsive dispositions which are appropriate in the community.«5 Es sind also eigentlich nicht die Dispositionen eines Einzelnen, durch die etwas als etwas Zuhandenes klassifiziert wird, sondern gemeinschaftlich geteilte und sanktionierte Dispositionen. Nachdem Brandom Heideggers Begriff »zuhanden« in dem eben skizzierten Sinne interpretiert hat, wendet er sich den Verweisungszusammenhängen zwischen Zuhandenem zu. Dafür führt er eine von Heidegger abweichende Terminologie ein. Und zwar unterscheidet Brandom zunächst zwischen Objekten und Performanzen, wobei Objekte immer eine von zwei Rollen in Performanzen spielen: Sie werden entweder durch eine Performanz produziert oder sie werden als Werkzeug verwendet, um etwas anderes zu produzieren. Im ersten Falle ist das Objekt das Wozu, im zweiten Fall das Womit der Performanz. Um was für eine Art von Objekt es sich bei etwas handelt, ein Zeug welcher Art es also ist, hängt davon ab, in welchen Performanzen es korrekt gebraucht werden kann. Dass ein Objekt z. B. ein Hammer ist, liegt also daran, dass es in der Performanz des Hämmerns verwendet werden kann. Performanzen sind selbst wiederum dadurch individuiert, an welcher Stelle sie in einem Netz von Performanzen stehen. Zu jeder Performanz gibt es nach Brandoms Heideg5

TMD. 304.

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ger eine anerkennende Antwort-Performanz (RRPT – »responsive recognition performance type«6), d. h. zu jeder Performanz A gibt es eine weitere Performanz B, durch die man angemessen auf A reagiert. Brandom gibt das Beispiel, dass man auf die Performanz des Hüttenbauens angemessen reagiert, indem man das so produzierte Objekte dazu verwendet, dass man darin wohnt. Das Wohnen ist hier die anerkennende Antwort-Performanz für das Hüttenbauen. Eine Performanz A ist aber nicht nur dadurch individuiert, durch welche weiteren Performanzen man anerkennend auf sie reagieren kann, sondern auch dadurch, auf welche Performanzen man durch A anerkennend reagieren kann. Es liegt hier also gewissermaßen eine zweiseitige Bestimmung der Identität von Performanzen vor, nämlich sowohl durch die Performanzen, die man durch sie anerkennt, als auch durch die Performanzen, durch die sie ihrerseits anerkannt werden.7 Diese Darstellung von Verweisungszusammenhängen ist besonders hilfreich in Hinblick auf Brandoms Interpretation von Heideggers Begriff der Aussage. Aussagen sind nämlich Performanzen, durch die man anerkennend auf etwas in der Welt reagiert, und auf die man wiederum anerkennend reagiert, indem man Schlüsse aus ihnen zieht. Dies erinnert schon stark an die inferentialistische Theorie der Assertionen, die Brandom in MIE aufstellt.

1.2 Brandoms Interpretation des Begriffs »Aussage« Um zu verstehen, was eine Aussage in Heideggers Sinn ist, müssen wir nach Brandom zunächst den Begriff der Auslegung betrachten. Anders als das Verstehen, das einfach darin besteht, mit Zuhandenem umgehen zu können und sich in diesem praktischen Sinne in einer Verweisungsganzheit auszukennen, besteht die Auslegung darin, einen ganz bestimmten Verweisungszusammenhang zu erfassen, z. B. die Verwiesenheit des Hämmerns auf das Befestigen. Auf diese Weise eignet man sich die bedingten Dienlichkeiten von Dingen zu. Daher hat die Auslegung eine Wenn-dann Struktur. Der entscheidende Schritt beim Übergang zur Aussage besteht nach Brandom nun darin zu sehen, »that one can come to respond differentially to (and hence disclose practically) not just things and performances but the signifi6 7

TMD. 307.

Es bestehen hier starke Parallelen zu Brandoms zweiseitiger Semantik, derzufolge der Gehalt einer Assertion A sich daraus ergibt, woraus A folgt, und daraus, was wiederum aus A folgt, also aus den Umständen der angemessenen Anwendung und den angemessenen Folgen der Anwendung. Siehe hierzu MIE 2.V und Robert Brandom: Articulating Reasons, Cambridge/Mass. 1998, Kap. 1.VIII–XII.

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cations which are their conditional dependencies.«8 Man kann also nicht nur auf Performanzen und Objekte durch weitere Performanzen anerkennend reagieren, wie wir es eben bei Brandoms formaler Darstellung von Verweisung gesehen haben, sondern auch auf Verweisungsrelationen. Dies tut man nach Brandoms Heidegger, wenn man eine Aussage macht. Eine Aussage ist eine ganz besondere Art von Zeug, durch dessen Gebrauch man anerkennend auf Verweisungsrelationen reagiert. Brandom bestimmt nun näher, um welche Art von Zeug es sich bei Aussagen handelt, indem er genauer angibt, welches die anerkennenden Reaktionsperformanzen (RRPT) für Aussagen sind. Er schreibt: »The answer in brief is that assertions are equipment appropriately used for inference.«9 Die Struktur des Netzes von anerkennenden Reaktionsperformanzen, das Brandom bei Heidegger ausmacht, weist auffällige Ähnlichkeiten zum Spiel des Gebens und Forderns von Gründen auf, das er selbst in MIE beschreibt: Nach Brandoms Heidegger gilt, dass andere Sprecher auf eine Aussage anerkennend reagieren können, indem sie selbst diese Aussage machen. Durch das öffentliche Aufstellen einer Behauptung stellt man die Behauptung ja als wahr hin und erteilt anderen Sprechern die Berechtigung, selbst diese Behauptung aufzustellen. Als zweiten Aspekt erwähnt Brandom, dass man nach Heidegger auf eine Aussage anerkennend reagieren kann, indem man weitere Aussagen macht, die in einer inferentiellen Beziehung zu der ersten Aussage stehen. So reagiert man auf die Aussage »Das ist ein Hund« anerkennend durch das Aufstellen der Aussage »Das ist ein Säugetier«. Die verschiedenen Aussagen bilden also eine inferentiell artikulierte Verweisungsganzheit. Drittens gilt nach Brandoms Heidegger, dass die Autorität, die sich darin zeigt, dass man mit Aussagen anderen Sprechern die Berechtigung verleiht, Aussagen aufzustellen, mit einer Verantwortung verbunden ist, seine Aussagen zu rechtfertigen: »As ready-tohand, assertings are subject to social appropriatenesses of production as well as use. These concern when one is entitled to commit oneself to a claim […].«10

1.3 Brandoms Interpretation des Begriffs »vorhanden« Auf der Basis dieser Interpretation des Begriffs »Aussage« kommt Brandom nun zu folgender Definition von Vorhandenheit: »The present-at-hand may thus be defined as what is ready to hand as a with-which for the practice of as8 9 10

TMD. 314. TMD. 315. TMD. 317.

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sertion, that is, as what is responded to as such only by making a claim about it.«11 Es ist also möglich, dass wir auf ein Objekt nicht dadurch reagieren, dass wir es entsprechend den sozial anerkannten Verweisungen praktisch verwenden, sondern dadurch, dass wir eine Aussage über es aufstellen. Auf diese Weise behandeln wir das Objekt nicht mehr als etwas Zuhandenes, sondern als etwas Vorhandenes. Durch diese Behandlungsweise wird Vorhandenheit instituiert: »The categorial nature of the present-at-hand, no less than that of the ready-to-hand […] is constituted by its being appropriately responded to in a certain way, in this case by assertions.«12 Entscheidend für den Vergleich zwischen MIE und Brandoms Heidegger ist dabei, dass wir auch dann, wenn wir Objekte als Vorhandenes behandeln, uns immer noch in einer Welt von Zuhandenem bewegen, nämlich in der Welt der inferentiellen Praktiken, die aus aufeinander verwiesenen Aussagen besteht, welche ja eine ganz bestimmte Art von Zeug sind. Daher warnt Brandom davor, die Behandlungsweise von Objekten als Vorhandenes als Dekontextualisierung zu verstehen – vielmehr handelt es sich dabei um eine Rekontextualisierung.13 Wir sehen das Objekt nicht mehr im Kontext möglicher praktischer Verwendungsweisen, sondern im Kontext der Verwendung in einem inferentiellen Spiel des Gebens und Forderns von Gründen.

1.4 Die Priorität des Zuhandenen gegenüber dem Vorhandenen Ausgehend von dieser Interpretation der Begriffe »vorhanden« und »zuhanden« ist klar, dass die Welt des Zuhandenen grundlegender ist als die des Vorhandenen. Denn das Vorhandene wird durch die Praxis des Aufstellens von Aussagen instituiert, und um Aussagen aufstellen zu können, muss es schon Zuhandenes geben. Dies ist wiederum aus zwei Gründen der Fall: Erstens sind Aussagen Performanzen, durch die man anerkennend auf Verweisungen antworten kann. Damit aber Verweisungen vorliegen, auf die man durch Aussagen reagieren kann, muss es Zuhandenes geben. Zweitens erfordert die Praxis des Aussagens Zuhandenes, weil Aussagen ja selbst Zuhandenes sind. Wenn es also keine Welt des Zuhandenen gäbe, gäbe es keine Aussagen, und somit könnte man auch kein Vorhandenes instituieren. In diesem Sinne ist also die Behandlungsweise von Dingen als zuhanden primär gegenüber der Behandlungsweise als vorhanden: Um gewisse Objekte 11 12 13

TMD. 318 f, meine Hervorhebung. TMD. 322. Vgl. TMD. 318.

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als vorhandene behandeln zu können, muss man andere, nämlich Aussagen, als zuhanden behandeln können. Umgekehrt gilt dies nicht: Man kann Objekte als zuhanden behandeln, z. B. Hämmer und Nägel, ohne irgendetwas als vorhanden zu behandeln. In dem Aufsatz »Dasein, the Being That Thematizes« betont Brandom, dass es sich hier entgegen dem Anschein um eine explanatorische und keine ontologische Priorität handelt. »The first sort [of passages in Being and Time] asserts the ontological priority of Zuhandensein over Vorhandensein. These passages are to be understood in terms of explanatory priority […].«14 Nach Brandom will Heidegger also nicht behaupten, dass es Zuhandenes geben muss, damit es Vorhandenes geben kann, sondern nur, dass man verstehen muss, was Zuhandenes ist, um verstehen zu können, was Vorhandenes ist. Man muss verstehen, was Zuhandenes ist, um verstehen zu können, was Assertionen sind. Das Verständnis dessen, was eine Assertion ist, ist wiederum notwendig für das Verständnis dessen, was Vorhandenes ist. In Abschnitt 3 meines Beitrags werde ich zeigen, dass Brandom in MIE auf parallele Weise dafür argumentiert, dass normative Begriffe explanatorisch fundamentaler sind als nicht-normative Begriffe.

2. Was entspricht in MIE dem Zuhandenen und dem Vorhandenen? Die Begriffe »zuhanden« und »vorhanden« kommen in der Theorie, die Brandom in MIE entwickelt, überhaupt nicht vor. Trotzdem ist es aufgrund einer der zwei Fußnoten in MIE, die Heidegger erwähnen, relativ gut möglich zu bestimmen, was im theoretischen Rahmen von MIE dem Zuhandenen bzw. dem Vorhandenen entspricht. Am Ende des 1. Kapitels in MIE, das eine vorläufige Diskussion einer Theorie sozialer Normen enthält, referiert Brandom allem Anschein nach zustimmend Pufendorfs These, nach der die Welt an sich frei von normativen Signifikanzen ist, welche wir erst durch unsere Praktiken in sie hineinlegen. »A normative significance is imposed on a nonnormative world, like a cloak thrown over its nakedness, by agents forming preferences, issuing orders, entering into agreements, praising and blaming, esteeming and assessing.«15 Brandom abstrahiert hier von vielen wichtigen Unterschieden, die man z. B. zwischen moralischen, institutionellen und diskursiven Normen und zwischen Normen und Werten ziehen muss, ebenso abstrahiert er bzgl. der 14 15

TMD. 346. MIE. 48.

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Art der Praktiken, die normative Signifikanz imponieren, davon, ob diese Praktiken nun selbst schon intentional sind (wie nach Pufendorf) oder nicht (wie nach MIE). Es kommt ihm an dieser Stelle lediglich darauf an, dass die Welt an sich keine normativen Signifikanzen oder Werte enthält und dass diese Werte erst durch uns instituiert werden. In einer Fußnote zu dieser Stelle bemerkt Brandom, dass Heidegger Pufendorfs These, dass die Welt an sich aus wertfreien Gegenständen besteht, in die wir Werte legen, bestreitet. Und zwar tue Heidegger dies »by describing how the value-free presence-at-hand (Vorhandenheit) studied by the physicist is abstracted from the value-laden readiness-to-hand (Zuhandenheit) of everyday life.«16 Diese Stelle macht Brandoms Zuordnung des Zuhandenen zu einer normativ signifikanten Welt und die Zuordnung des Vorhandenen zu einer normativ nicht signifikanten Welt deutlich. Man kann also sagen, dass Heideggers Zuhandenem in MIE Gegenstände entsprechen, deren Gebrauch durch soziale Normen geregelt ist, und Heideggers Vorhandenem Gegenstände, deren Gebrauch nicht durch soziale Normen geregelt ist. Diese Entsprechungen sind angesichts dessen, was oben über Brandoms Interpretation der Begriffe »zuhanden« und »vorhanden« gesagt wurde, auch recht plausibel. Denn beim Zuhandenen handelt es sich ja um Objekte, für die es sozial anerkannte Verwendungsweisen, also allgemeiner Verweisungen, gibt. »Referring or assigning is instituting relations among equipment (pen, ink, paper, etc.) and clearly is something that is done […] by the community’s practices as constitutive of those practices.«17 In den theoretischen Rahmen von MIE würde man diesen Gedanken so einbetten, dass es soziale Normen gibt, die den korrekten Gebrauch von Objekten regeln, und dass man aufgrund dieser Regelung sagen kann, dass es sich bei etwas z. B. um einen Hammer handelt. Beim Vorhandenen handelt es sich nach Brandoms Interpretation um eine Kategorie, die wir dadurch instituieren, dass wir über Objekte Aussagen machen. In dieser Praxis sehen wir davon ab, wie die Objekte unseren praktischen Zwecken dienlich sein können. Daher behandeln wir sie als normativ nicht signifikant. Das Vorhandene entspricht im theoretischen Rahmen von MIE also Objekten, deren Gebrauch nicht normativ geregelt ist.18

16 17 18

MIE. 661 (Endnote 64 zu S. 48). TMD. 304.

Ich habe bei dieser Betrachtung davon abgesehen, dass das Vorhandene nach Brandoms Heidegger etwas ist, das wir durch unsere Praktiken instituieren, während dies nach Pufendorf und MIE nicht der Fall ist. Auf diesen Unterschied werde ich später eingehen.

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Aus dieser Behauptung, was im theoretischen Rahmen von MIE dem Zuhandenen bzw. Vorhandenen entspricht, ergibt sich, dass das einzige »Zuhandene«, das in MIE eine Rolle spielt, sprachliche Äußerungen sind. Sprachliche Laute und Schriftzeichen sind nach MIE ja Gegenstände, deren Gebrauch durch soziale Normen geregelt ist.19 Allerdings sind Äußerungen auch die einzigen Gegenstände mit sozial geregeltem Gebrauch, die Brandom in MIE betrachtet. Assertionen sind also das einzige Zeug, das in MIE eine Rolle spielt. Brandom betrachtet den Fall von Hämmern, Behausungen und sonstigem Zeug in MIE nicht. Es ist nicht klar, ob er glaubt, dass es keine sozialen Normen gibt, die ihren Gebrauch regeln, oder ob er dies nur deshalb nicht erwähnt, weil er es für seine Theorie begrifflichen Gehalts für irrelevant hält.

3. Die Priorität des normativen gegenüber dem nicht-normativen Vokabular in MIE Nachdem wir zu dem Ergebnis gelangt sind, dass dem Zuhandenen im theoretischen Rahmen von MIE eine normativ geregelte Welt entspricht, kommen wir nun zu der Frage, ob Brandom in irgendeinem Sinne eine Priorität des Normativen gegenüber dem nicht-Normativen sieht. Diese Frage beantwortet das folgende Zitat positiv: »In this order of explanation, normative notions such as commitment and entitlement – which articulate implicit proprieties of practice – are more fundamental than the nonnormative properties they enable discursive practioners to express explicitly.«20 Hier behauptet Brandom also eine explanatorische Priorität normativer Begriffe gegenüber nicht-normativen Eigenschaften. Bevor ich mich der Frage zuwende, inwieweit diese der Priorität des Zuhandenen bei Brandoms Heidegger entspricht, möchte ich mich Brandoms Begründung dieser Behauptung zuwenden. Unmittelbar vor dem letzten Zitat schreibt Brandom: »[1] What it is for something to state or express a fact is explained in normative terms, [2] and what it is for something to be stated or expressed is explained in turn by appeal to that practice. [3] So what it is to be a fact – that is, true claim – is explained in normative terms.«21 In dieser Passage formuliert Bran-

19

Ich hatte oben darauf verwiesen, dass die Verweisungsganzheit, die nach Brandoms Heidegger das Aussagezeug als solches bestimmt, auch eine ganz ähnliche Struktur aufweist wie das Spiel des Gebens und Forderns von Gründen, das nach MIE Assertionen als solche bestimmt. 20 MIE. 625. 21 MIE. 624.

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dom ein Argument, das aus zwei Prämissen und einer Konklusion besteht, die ich jetzt der Reihe nach besprechen werde. [1] »What it is for something to state or express a fact is explained in normative terms«: Brandom spricht hier das Spiel des Gebens und Forderns von Gründen an, das er in Kapitel 3 von MIE in normativen Termini beschrieben hat. Und zwar hat Brandom dort die Normen (Spielregeln) angegeben, denen der Gebrauch einer sprachlichen Äußerung unterliegen muss, damit man sagen kann, es handele sich bei dieser Äußerung um eine Behauptung. Behauptungen besitzen Gehalt und haben Wahrheitswerte, weil sie in ein solches Spiel des Gebens und Forderns von Gründen eingebunden sind. Insofern wird also durch normative Termini erklärt, was es heißt, eine Tatsache zu behaupten. [2] »and what it is for something to be stated or expressed is explained in turn by appeal to that practice.« Dieser Satz drückt – in etwas undeutlicher Form – Brandoms kurz zuvor formulierte These aus, dass Fakten nichts anderes sind als das in wahren Behauptungen Behauptete.22 Etwas ausführlicher formuliert Brandom dies in »Holism and Idealism in Hegel’s Phenomenology«: »That facts can be the contents of assertions, judgments, beliefs – that they are claimable, thinkable, believable – is an essential feature of them. One does not know what a fact is unless one understands that they can be stated.«23 Brandom ist der Ansicht, dass man auf Tatsachen nur dadurch zugreifen kann, dass man sie behauptet. Dies wird klar, wenn man versucht, Tatsachen den Behauptungen als davon unabhängige Entitäten gegenüberzustellen. Dazu muss man nämlich eine Metasprache verwenden, in der man einerseits die Behauptung beschreibt, andererseits die Tatsache. Dies bedeutet aber, dass man die Tatsache letztlich doch als das Behauptete einer wahren Behauptung verstehen muss, wenn auch als das Behauptete einer Metasprache. Dabei betont Brandom, dass er Tatsachen nicht mit sprachlichen Entitäten identifizieren will, sondern mit dem, was durch solche Entitäten ausgedrückt, behauptet wird. Seine These, dass Tatsachen das Behauptete wahrer Behauptungen sind, impliziert deshalb auch nicht, dass es keine Tatsachen gäbe, wenn es keine diskursive Praktiken gäbe – in anderen möglichen Welten oder zu Zeiten, zu denen es noch gar keine Menschen gab.24 Brandom will nicht sagen, dass es Behauptungen geben muss, damit es Tatsachen geben

22

Siehe MIE. 622: »Facts are just true claims« und MIE. 625: »Since facts are just true claims (in the sense of what is claimed, not the claiming of it) […]«. 23 TMD. 197. 24 Siehe hierzu auch Robert Brandom: Vocabularies of Pragmatism. In: Robert Brandom (Hrsg.): Richard Rorty: The Philosopher Meets his Critics. Oxford 2000. 156–183. 162.

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kann, sondern nur, dass man verstehen muss, was Behauptungen sind, um verstehen zu können, was Tatsachen sind. Diesen Unterschied markiert Brandom in dem genannten Hegel-Aufsatz durch die Begriffe »Sinn-abhängig« und »Referenz-abhängig«: »Concept P is sense dependent on concept Q just in case one cannot count as having grasped P unless one counts as grasping Q. Concept P is reference dependent on concept Q just in case P cannot apply to something unless Q applies to something.«25 Damit es Tatsachen geben kann, muss es also keine Behauptungen geben, aber um den Begriff »Tatsache« zu verstehen, muss man den Begriff »Behauptung« verstehen. [3] »So what it is to be a fact – that is, true claim – is explained in normative terms.« Hier zieht Brandom den Schluss aus den beiden eben erläuterten Prämissen. Um zu erklären, was eine Tatsache ist, muss man erklären, was eine Behauptung ist, denn eine Tatsache ist ja das Behauptete einer wahren Behauptung. Und um den Begriff »Behauptung« zu erklären, muss man das durch soziale Normen geregelte Spiel des Gebens und Forderns von Gründen beschreiben. Aus diesem Grunde kommt normativen Begriffen eine explanatorische Priorität gegenüber nicht-normativen Begriffen zu. Soweit zu Brandoms Argument für seine These der explanatorischen Priorität normativer Begriffe. Wenn wir diese Argumentation mit derjenigen vergleichen, die Brandom Heidegger zuschreibt, sehen wir, dass beide bis auf terminologische Differenzen gleich verlaufen: In MIE argumentiert Brandom, dass die normativen Begriffe gegenüber den nicht-normativen primär sind, weil man durch sie erst verstehen kann, was es heißt, etwas zu behaupten. Dies muss man aber verstehen, um zu verstehen, was Tatsachen sind. Brandoms Heidegger argumentiert, dass das Zuhandene explanatorisch gegenüber dem Vorhandenen primär ist, weil man das Vorhandene als etwas verstehen muss, das durch Aussagen instituiert wird. Dazu muss man aber verstehen, was Zuhandenes ist, weil die Praxis des Aufstellens von Aussagen darin besteht, sprachliche Zeichen als Zuhandenes zu behandeln.

4. Zwei Probleme Zum Abschluss meines Beitrags möchte ich noch auf zwei Schwierigkeiten hinweisen, die sich mit Bezug auf die hier vorgestellte Interpretation ergeben. Die erste Schwierigkeit besteht in einer Unstimmigkeit zwischen Positio25

TMD. 194 f.

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nen, die Brandom Heidegger an verschiedenen Stellen zuschreibt. Die zweite Schwierigkeit ergibt sich innerhalb von MIE und betrifft Brandoms These der explanatorischen Priorität normativer Begriffe.

4.1 MIE, Brandoms Heidegger und Pufendorf In einer Fußnote zu Beginn dieses Beitrags habe ich kurz auf folgende Schwierigkeit hingewiesen: Brandom referiert in MIE Pufendorfs Theorie moralischer Entitäten, um seine Behauptung zu illustrieren, dass die Welt an sich keine normativen Signifikanzen enthält und dass solche Signifikanzen erst durch unsere Praktiken instituiert werden. Diese Theorie beinhaltet die Behauptung einer ontologischen Priorität von wertfreien Tatsachen, auf die dann Werte erst imponiert werden. Brandom merkt an, dass Heidegger gerade dieser These widerspricht, indem er beschreibt, »how the value-free presence-at-hand (Vorhandenheit) studied by the physicist is abstracted from the value-laden readiness-to-hand (Zuhandenheit) of everyday life.«26 Diese in MIE formulierte Interpretation Heideggers widerspricht der, die Brandom in »Dasein, the Being That Thematizes« vertritt. Denn dort betont er, dass nach Heidegger das Zuhandene nur eine explanatorische und keine ontologische Priorität gegenüber dem Vorhandenen genießt. Dann ist aber nicht klar, warum Brandoms Heidegger der These Pufendorfs widersprechen sollte. Eine ontologische Priorität in der einen Richtung ist ja durchaus mit einer explanatorischen Priorität in der anderen Richtung verträglich. Brandom vertritt in MIE ja selbst beide Thesen: Einerseits behauptet er mit Pufendorf eine ontologische Priorität der wertfreien Welt gegenüber der wertgeladenen, andererseits vertritt Brandom die These einer explanatorischen Prioriät normativer Begriffe gegenüber nicht-normativen. Ich glaube nicht, dass sich diese Unstimmigkeit in Brandoms Interpretation Heideggers auflösen lässt. Sie verrät vielmehr ein Schwanken Brandoms bzgl. der Frage, ob das Zuhandene im ontologischen oder im explanatorischen Sinne Priorität besitzt. Dieses Schwanken äußert sich ja auch schon darin, dass Brandoms Formulierungen in »Heidegger’s Categories in Sein und Zeit« eher den Eindruck erwecken, dass hier eine ontologische Priorität gemeint ist, während er in »Dasein, the Being That Thematizes« explizit behauptet, dass nur eine explanatorische Priorität vorliegt.

26

MIE. 661 (Endnote 64 zu S. 48).

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4.2 Explanatorische und explikative Verhältnisse Wie wir gesehen haben, argumentiert Brandom für eine explanatorische Priorität normativer Begriffe. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die erste Prämisse dieses Arguments (»What it is for something to state or express a fact is explained in normative terms«) im Widerspruch zu Thesen steht, die Brandom an anderer Stelle in MIE vertritt. Und zwar ist Brandom nicht nur der Ansicht, dass man den Begriff »Behauptung« verstehen muss, um den Begriff »Tatsache« verstehen zu können, sondern es besteht ihm zufolge auch in umgekehrter Richtung eine Sinnabhängigkeit: Man kann den Begriff »Behauptung« nur verstehen, wenn man den Begriff »Tatsache« versteht. In »Holism and Idealism in Hegel’s Phenomenology« schreibt Brandom, dass er in MIE die These verteidigt, dass »the concepts asserting and fact […] reciprocally sense dependent« sind.27 Die Begriffe »Behauptung« und »Tatsache« bilden gewissermaßen ein Paket, das man nur als Ganzes erfassen kann. Es ist die These dieser umgekehrten Sinnabhängigkeit, also dass man »Tatsache« verstehen muss, um »Behauptung« verstehen zu können, die im Widerspruch zur explanatorischen Priorität des normativen Vokabulars steht. Dies wird deutlich, wenn man Brandoms Begründung dieser These betrachtet, auf die er in folgender Formulierung in »Vocabularies of Pragmatism« anspielt: »We can only understand the notion of a fact by telling a story that makes reference to vocabularies [d. h. Behauptungen] – though notice, it is a consequence of the Quinean point with which we began that we can also only understand the notion of a vocabulary [d. h. Behauptungen] as part of a story that includes facts.«28 Es sind also Überlegungen Quines, die Brandom zu der These führen, dass man »Behauptung« nur verstehen kann, wenn man »Tatsache« versteht. Und zwar kritisiere Quine »attempts by Carnap and other logical positivists to divide the explanatory labor adressed to linguistic practices between meanings and beliefs.«29 Die logischen Positivisten vertreten die These, dass manche der Inferenzen, die wir ziehen, allein durch die Bedeutungen der Begriffe begründet, d. h. analytisch sind, während andere Inferenzen durch empirisches 27

TMD. 197, kursiv von mir. Dass Brandom diese These in MIE verteidigt, obwohl er sie dort nicht explizit formuliert, sagt er in Endnote 32 dieses Aufsatzes (zu 196), TMD. 383. Die These »Facts are true claims« darf demnach nicht so verstanden werden, dass der Begriff »Tatsache« durch den Begriff »Behauptetes einer wahren Behauptung« definiert werden soll. Bei einer Definition geht man ja davon aus, dass die Bedeutung des Definiens unabhängig von der des Definiendums klar ist. 28 Vocabularies of Pragmatism. 163. 29 Vocabularies of Pragmatism. 156.

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Wissen begründet, d.h. synthetisch sind.30 Wenn dieses Bild richtig wäre, ergäbe sich folgende Konsequenz: Wenn eine Inferenz aufgegeben oder verändert wird, könnte man klar unterscheiden, ob diese Veränderung unseres Begriffsnetzes eine Veränderung der Bedeutungen unserer Begriffe ist oder eine Veränderung unserer Überzeugungen über die Welt.31 Da sich aber in unserer linguistischen Praxis keine solche klare Unterscheidung treffen lässt, schließt Quine »that this model overdescribes actual linguistic practice«32 und weist es daher zurück. Mir ist keine Stelle in Brandoms Schriften bekannt, an der er explizit erläutert, warum diese Quinesche These die Konsequenz hat, dass man »Tatsache« verstehen muss, um »Behauptung« verstehen zu können. Ich denke aber, dass der Zusammenhang in etwa Folgender ist: Quines These besagt ja, dass es in unserem Begriffssystem keine inferentiellen Beziehungen gibt, die analytisch und deshalb immun gegen Revision sind. Nach Quine ist es stattdessen so, dass alle inferentiellen Beziehungen dem Tribunal der Erfahrung unterliegen. Wenn sich herausstellt, dass unser Begriffssystem nicht zur Erfahrung passt, können wir im Prinzip jede beliebige Inferenz modifizieren, um darauf zu reagieren. Brandom beschreibt konkret, wie ein solcher Fall widerspenstiger Erfahrung aussehen könnte: Sei mein Begriff »Säure« u.a. durch die beiden folgenden inferentiellen Beziehungen bestimmt: Erstens schließe ich von dem Umstand, dass eine Flüssigkeit sauer schmeckt, darauf dass es sich um Säure handelt. Zweitens schließe ich daraus, dass es sich bei einer Flüssigkeit um Säure handelt, darauf dass sie Lackmuspapier rot färbt. Nun ist es aber möglich, dass ich in der Erfahrung auf eine Flüssigkeit treffe, die zwar sauer schmeckt, aber Lackmuspapier blau färbt. Wenn mir solch eine Flüssigkeit begegnet, schließe ich, weil sie sauer schmeckt, zunächst darauf, dass es sich um Säure handelt, und dann weiter darauf, dass sie Lackmuspapier rot färbt. Gleichzeitig weiß ich aber aus der Beobachtung, dass die Flüssigkeit Lackmuspapier blau färbt. Aufgrund meines Begriffs von Säure kann ich also gezwungen sein, inkompatible Behauptungen aufzustellen.33 30

Zum Beispiel liegt es nahe zu sagen, dass die Inferenz von »Kuh« auf »Säugetier« analytisch ist, während die Inferenz von »Kuh« auf »frisst Gras« synthetisch ist, weil in sie das empirische Wissen eingeht, dass Kühe Gras fressen. 31 Wird z. B. die Inferenz von »Kuh« auf »Säugetier« aufgegeben, liegt die Interpretation nahe, dass die Bedeutung von »Kuh« sich verändert hat. Wird dagegen die Inferenz von »Kuh« auf »frisst Gras« aufgegeben, liegt es näher zu sagen, wir hätten unsere Überzeugungen über Kühe geändert. 32 Vocabularies of Pragmatism. 156. 33 Vgl. MIE. 332.

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In solch einem Fall hat die Welt mir »gezeigt«, dass mein Begriff von Säure unangemessen ist. Ich bin dann dazu verpflichtet, die von mir akzeptierten Inferenzen an irgend einer Stelle zu verändern, so dass diese Inkompatibilität nicht mehr auftritt. Dabei gibt es keine Inferenzen, die gegen eine Modifikation prinzipiell immun wären. Diesen Prozess des Abgleichs unserer diskursiven Praktiken hat Brandom im Auge, wenn er schreibt: »Discursive practices essentially involve to-ing and fro-ing with environing objects in perception and action.«34 Quines Überlegungen haben gezeigt, dass es keine analytischen Inferenzen gibt, die immun gegen Veränderung wären. Daraus ergibt sich auch, dass die Bedeutung von Behauptungen nicht willkürlich von uns festgelegt ist. Statt dessen entwickeln sich die inferentiellen Beziehungen, die den Gehalt unserer Behauptungen bestimmen, in dem beschriebenen Wechselspiel mit der Welt. Um zu verstehen, was Gehalt ist, muss man verstehen, wie dieses Wechselspiel funktioniert. Dies bedeutet wiederum, dass man verstehen muss, was Tatsachen sind, um verstehen zu können, was Behauptungen sind. Soweit der Versuch einer Rekonstruktion, warum der »Quinean point« die Konsequenz hat, dass man den Begriff »Tatsache« verstehen muss, um den Begriff »Behauptung« verstehen zu können. Wenn man nun diese These über Behauptungen und ihren Gehalt betrachtet, zeigt sich, dass es falsch ist zu sagen: »What it is for something to state or express a fact is explained in normative terms«. Dies war ja die erste Prämisse in Brandoms Argument für die explanatorische Priorität normativer Begriffe. Man kann in normativen Termini eben nicht vollständig sagen, was es heißt, eine Behauptung aufzustellen. Damit eine Äußerung eine Behauptung ist und propositionalen Gehalt hat, genügt es letztlich nicht, dass sie in ein in normativen Termini beschreibbares Spiel des Gebens und Forderns von Gründen eingebunden ist. Dazu muss dieses Spiel seinerseits in ein Umfeld von Tatsachen eingebettet sein, nach welchem unsere Inferenzen sich auszurichten haben. Dieser wesentliche Bezug auf ein Umfeld von Tatsachen bedeutet wiederum, dass man auch nicht-normative Behauptungen verwenden muss, um erklären zu können, was Gehalt und somit Behauptungen sind. Man kann also nicht sagen, dass normative Begriffe gegenüber nicht-normativen Begriffen eine explanatorische Priorität genießen. Vielmehr stehen beide Arten von Begriffen auf einer Stufe. 34

MIE. 331. Es ist nicht ganz klar, wie Brandom behaupten kann, dass das »to-ing and

fro-ing with environing objects« wesentlich für diskursive Praktiken ist, wenn er gleichzeitig behauptet, dass auch Praktiken, die keine Beobachtungsberichte enthalten, als »instituting specifically assertional significances, and so as conferring specifically propositional content« verstanden werden können (MIE. 221).

162

Bernd Prien

Auf diese innerhalb von MIE bestehende Spannung geht Brandom, ohne es ausdrücklich zu sagen, in einer Parenthese in seinem Aufsatz »Facts, Norms, and Normative Facts: A Reply to Habermas« ein. Dort wiederholt er seine Behauptung »that the category of facts can in principle only be made intelligible in the context of an account of the practice of claiming.«35 Dies ist ja die erste Hälfte der hier besprochenen reziproken Sinnabhängigkeit zwischen »Behauptung« und »Tatsache«. Hierzu merkt Brandom an: »There is an asymmetry here, but it is intended to be understood as an explicative asymmetry, rather than an explanatory asymmetry.« Brandom unterscheidet also explikative und explanatorische Verhältnisse zwischen Begriffen.36 Bezüglich der Explikation ist das Verhältnis zwischen »Behauptung« und »Tatsache« asymmetrisch, wobei der Begriff »Behauptung« an erster Stelle steht. Bezüglich der Explanation ist das Verhältnis zwischen »Behauptung« und »Tatsache« dagegen symmetrisch, d.h. beide Begriffe sind voneinander reziprok sinnabhängig. Was ist nun damit gemeint, dass der Begriff »Behauptung« trotz der reziproken Sinnabhängigkeit eine explikative Priorität gegenüber dem Begriff »Tatsache« genießt? »I claim that one can make explicit various crucial aspects of claiming without yet having talked about facts«.37 Mit diesen »crucial aspects« dürfte das normativ zu beschreibende Spiel des Gebens und Forderns von Gründen gemeint sein, bei dem man noch nicht auf die Einbettung in ein Umfeld von Tatsachen schaut. In Kapitel 3 von MIE hat Brandom dieses Spiel ja beschrieben, ohne auf das »to-ing and fro-ing with environing objects in perception and action« einzugehen, was ja erst in Kapitel 4 thematisiert wird. Brandoms eigenes Vorgehen zeigt also, dass man schon viele zentrale Aspekte des Behauptens explizit machen kann, ohne von Tatsachen zu sprechen. Erst wenn man die Explikation weiter treibt, sieht man, dass man auch schon von Tatsachen sprechen muss, um erklären zu können, was Behauptungen sind. Umgekehrt ist Brandom der Meinung, dass man nicht schon »crucial aspects of [facts]« explizit machen kann »without yet having talked about [claims]«. Man kann also nicht einmal anfangen, explizit zu machen, was Tatsachen sind, ohne zu sagen, dass sie das Behauptete wahrer Behauptungen 35

369. Siehe dazu auch Endnote 3 (zu 358) dieses Artikels, wo Brandom behauptet, dass »Tatsache« explikativ primär gegenüber »Objekt« ist, dass dies aber etwas anderes als eine explanatorische Priorität ist. Wahrscheinlich besteht nach Brandom auch zwischen diesen beiden Begriffen eine reziproke Sinnabhängigkeit. 37 Robert Brandom: Facts, Norms, and Normative Facts: A Reply to Habermas. In: European Journal of Philosophy 8 (2000). 356–374. 369. 36

Making It Explicit

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sind. Auf diese These ist Brandom ja durch seine Behauptung eines asymmetrischen Verhältnisses festgelegt. In diesem Beitrag kann ich leider keine eingehendere Diskussion und Bewertung der Unterscheidung zwischen Explanation und Explikation vornehmen. Wenn man diese Unterscheidung jedoch akzeptiert, scheint es möglich, die Spannung in MIE aufzulösen, die den Ausgangspunkt dieser Diskussion gebildet hat. Das Problem bestand ja darin, dass Brandom schreibt: »In this order of explanation, normative notions such as commitment and entitlement […] are more fundamental than the nonnormative properties«.38 Dies hatte sich als fragwürdig erwiesen, weil man aufgrund der reziproken Sinnabhängigkeit von »Behauptung« und »Tatsache« schließen muss, dass sowohl normatives und nicht-normatives Vokabular notwendig sind, um zu erklären, was Behauptungen sind. Wenn man an dieser Stelle aber statt »explanation« »explication« liest – eine Unterscheidung, die Brandom erst in der 2000 veröffentlichten Antwort auf Habermas einführt, und die er bei der Abfassung von MIE anscheinend noch nicht getroffen hat – ergibt sich ein stimmiges Bild. Bezüglich der Explikation sind normative Begriffe wie »Festlegung« und »Berechtigung« fundamentaler als nicht-normative Begriffe. Denn wie wir gesehen haben, kann man nach Brandom den Begriff der Behauptung zumindest schon ein gutes Stück weit explizieren, indem man das Spiel des Gebens und Forderns von Gründen beschreibt, ohne dabei auf die Verbindung zu nicht-sprachlichen Sachverhalten zu achten. Dies hat Brandom ja in Kapitel 3 von MIE vorgeführt. Wenn die Frage ist, welche Begriffe man benötigt, um mit einer Explikation anzufangen, kann man sagen, dass dies ausschließlich normative Begriffe sind. Wenn die Frage ist, welche Begriffe nötig sind, um eine Explikation bis zu Ende durchzuführen, muss man sagen, dass man sowohl normative als auch nicht-normative Begriffe benötigt.

38

MIE. 625, kursiv von mir.

Wolf-Jürgen Cramm

Zum Verhältnis von symbolbezogenen und nicht-symbolbezogenen Formen des Verstehens

Mitunter eröffnet die Auseinandersetzung eines kreativen Philosophen mit einem seiner berühmten Vorgänger einen erfrischend neuen Blick auf einen philosophischen Klassiker, vor allem dann, wenn es in konstruktiver Absicht geschieht. Dies gelingt zweifellos auch Robert Brandom, der dafür argumentiert, dass sich zentrale Gedanken von Heideggers Sein und Zeit in Begriffen eines normativen Pragmatismus reformulieren lassen.1 Den Standpunkt eines normativen Pragmatismus einzunehmen, heißt nach Brandoms Verständnis, das, was gesagt wird, in Begriffen dessen, was getan wird – und damit das Wahre in Begriffen des Richtigen – zu erklären. Das Programm einer normativ-pragmatistischen Erklärung von Intentionalität, Begrifflichkeit und propositionalem Gehalt und einer pragmatistischen Grundlegung der Semantik hat Brandom in seinem beeindruckenden Buch Making it Explicit ausgearbeitet.2 Mir wird es hier jedoch nicht um Detailfragen dieses Programms gehen. Und auch die Frage der Angemessenheit von Brandoms Lesart von Sein und Zeit wird mich nur am Rande beschäftigen. Vielmehr möchte ich Brandoms Heidegger-Interpretation zum Ausgangspunkt für eine eher allgemein gehaltene kritische Diskussion seines pragmatistischen Erklärungsanspruchs nehmen. Ergänzend sollen die vorgetragenen Bedenken mit einem Vorschlag zur Klassifizierung unterschiedlicher Formen des Verstehens humaner (und gegebenenfalls tierlicher) Ausdrucks-, Verhaltens- oder Handlungsweisen unterfüttert werden, wobei ich von einem gegenüber üblichen hermeneutischen Verständnissen weiten Sinne des Begriffs ›Verstehen‹ ausgehe. Zunächst möchte ich aber mit einigen terminologischen Bemerkungen beginnen, um vorab das begriffliche Feld ein wenig zu sortieren.

1

Martin Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 161986 (SuZ von hier an). Robert B. Brandom: Heidegger’s Categories in Sein und Zeit, und ders.: Dasein, the Being that Thematizes. Beide in: Ders.: Tales of the Migthy Dead. Cambridge/Mass. 2002 (TmD von hier an). Vgl. an diesem Ort auch: Texts – Heidegger (Kap. 2/V.). 2 Robert B. Brandom: Making it Explicit. Cambridge/Mass. 1994 (MiE von hieran).

166

Wolf-Jürgen Cramm

I. Gemäß einem üblichen – auch für die Philosophische Hermeneutik maßgeblichen – Verständnis heißt etwas zu verstehen häufig so viel wie es deuten zu können, etwa im Sinne jener Charakterisierung, die Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen gegeben hat. Dort redet Wittgenstein von einem Deuten als einer Weise des Verstehens, die darin besteht, dass man einen unverstandenen, in seinem Gebrauch nicht beherrschten Ausdruck durch einen verstandenen, in seinem Gebrauch beherrschten ersetzen kann.3 Allerdings dient Wittgenstein diese Charakterisierung bekanntlich nur als Kontrastfolie für seine kritische Pointe im Zusammenhang mit dem Begriff des Regelfolgens, nämlich dass es ein sich praktisch zeigendes – oder in Brandoms Terminologie: ein implizites – Verstehen gibt, das nicht in einem (expliziten) Deuten-Können besteht. Ein Deuten im Sinne der wittgensteinschen Charakterisierung würde man aber unnötig restriktiv verstehen, wenn man es auf sprachliches Handeln oder auf Schriftliches beschränken wollte. Denn offenbar können wir den Begriff des Deutens auch auf Fälle der Beschreibung nicht-sprachlicher Handlungen (Handlungszusammenhänge) oder Handlungsergebnisse anwenden. Auch gilt es zu beachten, dass die prädikative Verwendung des Begriffs ›Verstehen‹, egal, ob im expliziten (deuten könnenden) oder im impliziten (verwenden könnenden) Sinne, und egal, ob der Gegenstand Sprachliches oder Nicht-Sprachliches ist, entweder den Charakter eines Erfolgswortes oder den Charakter eines Kompetenzwortes hat. Dagegen hat der in sprachphilosophischen Kontexten, insbesondere in der so genannten ›analytischen‹ Tradition, häufiger verwendete Begriff ›Interpretieren‹ eher den Charakter eines Tätigkeitswortes – wir können sagen: für die Art von Tätigkeit, die zum Verstehen oder zum besseren Verstehen von etwas führen kann.4 Dabei scheint aber vorausgesetzt, dass man bereits über ein Verstehen von etwas verfügen muss, um das zunächst noch nicht Verstandene zu diesem in eine interpretierende Beziehung setzen zu können. Und noch in einer anderen Hinsicht fallen die normalen Verwendungsweisen von »Verstehen« und »Interpretieren« auseinander. Interpretieren heißt eben üblicherweise: Auslegen, Erklären, Deuten. Demnach wäre ein Interpretieren immer eine explizite Tätigkeit,

3

»›Deuten‹ sollte man aber nur nennen: einen Ausdruck einer Regel durch einen anderen ersetzen.« Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt/M. 1984. § 201. 4 Die Substantivierung ›Interpretation‹ wäre dann als Ergebnis einer Tätigkeit zu verstehen.

Verhältnis von symbolbezogenen und nicht-symbolbezogenen Formen

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ein Bemühen, das die Form von Aussagen annimmt. Vor diesem Hintergrund können wir nicht nur Brandom, sondern auch Wittgenstein und Heidegger zumindest in dem Sinne als Pragmatisten verstehen, dass alle drei ein implizites Verstehen annehmen, welches nicht ein Auslegen, Erklären oder Deuten ist – jedenfalls nicht im hier favorisierten sprachlich-explikativen Sinne dieser Worte5 –, sondern vielmehr dessen Ermöglichungsbedingung. Für solche Formen des Verstehens erscheint deshalb nicht nur Heideggers Rede von ›Auslegung‹, sondern auch Brandoms Übersetzung durch das englische »interpretation« als zumindest irreführend, da ihre Verwendung meines Erachtens bei beiden Autoren keine rein technische ist. Nun sind Reflexionen auf Bedingungen expliziten Verstehens bzw. auf Bedingungen einer angemessenen Interpretation normalerweise durch die Frage motiviert, wie zunächst nicht- oder nur teilverstandene Handlungen oder deren Ergebnisse (insbesondere in Schriftform) richtigerweise mit bereits verstandenen oder beherrschten Klassifikations- oder Individuationssystemen und verstandenem Handlungssinn in Beziehung gesetzt werden können. Dazu bedarf es im Extremfall des Auffindens – man könnte auch sagen: des Herstellens – systematischer Beziehungen zwischen einem nicht beherrschten und einem beherrschten Symbolsystem als ganzem (bzw. zwischen zwei Sprachen). Interessanterweise spielen Fragen oder Probleme, die sich aus einer solchen Form hermeneutischer Aufgabenstellung ergeben, eigentlich weder bei Brandom noch bei Heidegger eine prominente Rolle. So spricht Brandom in MiE zwar von ›Interpretation‹ auch im Sinne expliziten Deutens, womit er vor allem eine sprachliche Substitu-tion von Pronomen oder Demonstrativa und von attributiv oder referentiell verwendeten Kennzeichnungen meint.6 Aber weder bei Brandom noch bei Heidegger steht die Beschäftigung mit epistemischen Bedingungen, Präsuppositionen oder Maximen einer erfolgreichen Deutung von zunächst nicht- oder nur teilverstandenen Handlungen oder Handlungsergebnissen – ganz zu schweigen von einer hermeneutischen Methodenlehre – im Zentrum der Überlegungen.7 Brandom geht es vor allem um eine metaphysische Theorie begrifflichen Geistes, um eine Theorie der konstitutiven Bedingungen von Intentionalität. Und auch dem Heidegger von Sein und Zeit geht es bei seiner ›Fundamentalhermeneutik‹ in gewisser Weise eher um Konstitutionsfragen, nämlich im Sinne

5

In Heideggers Terminologie ist ›Auslegung‹ allerdings ausdrücklich auch etwas Vorsprachliches bzw. Implizites (vergl. SuZ. § 32). 6 MiE. Abschn. 8. II. 2, insbes. 510 ff. 7 Immerhin angesprochen wird dieses Thema allerdings in Kap. 3 von TmD (›Pretexts‹).

168

Wolf-Jürgen Cramm

einer Struktur- und Konstitutionsanalyse von ›Dasein‹ als der verstehenden, spezifisch humanen Seinsform. Dabei hat bei Heidegger bekanntermaßen das ›Auslegen‹ des ›Immer-schon-Verstandenen‹ im praktischen Weltumgang einen gegenüber dem ›abkünftigen‹ Modus des aussageförmigen Verstehens im distanzierten, objektivierenden Weltzugang einen primären, fundierenden Status. Und die anti-rationalistische Pointe der Fundamentalhermeneutik Heideggers gegenüber der klassischen Hermeneutik besteht darin, das übliche Verständnis des Verhältnisses von Interpretieren-Können und Verstehen geradezu umzukehren: Weil wir schon verstehen, können wir interpretieren – und nicht andersherum. Ich möchte mich im Weiteren zunächst mit einigen der zentralen Erklärungsziele und Problembestimmungen auseinandersetzen, die Brandoms Lesart der Heideggerschen Konzeption von ›Verstehen‹ und ›Auslegen‹ anleiten. Um dabei aber nicht zu tief in die von Heidegger und Brandom in je eigener (und mitunter eigenwilliger) Weise gestrickten begrifflichen Netze zu geraten, werde ich mich insbesondere auf Heidegger nur sporadisch einlassen. Vor allem möchte ich Fragen nach Bedingungen und Möglichkeiten von Verstehen nicht von vorneherein auf jenes Heideggersche ›Immer-schon-Verstehen‹ einschränken, um auch hermeneutische Fragestellungen im engeren Sinne in den Blick zu bekommen. Die abschließend vorzuschlagenden Unterscheidungen von Formen, Fähigkeiten und Gegenständen des Verstehens sollen die kritischen Kommentare zu Brandoms ambitionierter HeideggerInterpretation dann zumindest andeutungsweise systematisch untermauern. Diese Unterscheidungen werden im Wesentlichen auf der Grundlage der Kontrastierungen emotional/kognitiv, symbolisch/nicht-symbolisch, sprachlich/nicht-sprachlich und wahrheitsfähig/nicht-wahrheitsfähig gebildet. Im Ergebnis soll deutlich werden, dass vor allem die Bedingungen nicht-symbolbezogenen Verstehens grundlegend anders zu bestimmen sind als die Bedingungen symbolbezogenen Verstehens, und dass auch innerhalb des Bereichs symbolbezogenen Verstehens einige wesentliche Unterschiede zwischen der Ebene nicht-semantischer und der Ebene semantischer ›Signifikanz‹ bestehen. Dies wird die begrifflichen Differenzierungen Brandoms schließlich als unterkomplex erscheinen lassen und die vorgetragenen Zweifel daran bestätigen, ob ein explanativ ertragreiches In-Beziehung-Setzen von Formen bzw. Ebenen des Verstehens, auf die Brandom unter Rückgriff auf Heidegger ja abzielt, überhaupt möglich ist.

Verhältnis von symbolbezogenen und nicht-symbolbezogenen Formen

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II. Eine Schwierigkeit in der Auseinandersetzung mit Brandoms normativ-pragmatistischer Aneignung Heideggers besteht, wie gesagt, darin, dass beide Autoren in je eigener Weise eine nicht bloß technisch, sondern gewissermaßen ›systemisch‹ eingeführte Terminologie verwenden, deren Eigensinn auf einem schwer zu trennenden Geflecht von vortheoretischen und theoriespezifischen Begriffsverständnissen (bzw. Erläuterungen) beruht.8 Dies macht es nicht ganz leicht, den beiden Autoren interpretativ und argumentativ gerecht zu werden, dabei aber zugleich auch eine gewisse Unabhängigkeit von ihren begrifflichen Weichenstellungen zu wahren. Schon aus diesem Grund möchte ich mich nur insoweit, wie es im Hinblick auf das hier verfolgte systematische Interesse am Verhältnis von symbolbezogenem und nicht-symbolbezogenem Verstehen als notwendig erscheint, mit der exegetischen Frage aufhalten, ob sich in Sein und Zeit hinreichende Textbelege für Brandoms Heidegger-Interpretation finden lassen, um diese Interpretation entweder darin zu bestätigen, was Heidegger eigentlich sagt (oder sagen will), oder doch zumindest darin, was er eigentlich sagen sollte. Eine systematisch interessante Frage in diesem Zusammenhang ist, ob es eine vorsprachliche bzw. vorbegriffliche 9 und doch Maßstäben objektiver Richtigkeit unterliegende (eigenständige) Praxis geben kann. Einige Autoren, die eine pragmatistische Lesart Heideggers befürworten, gehen davon aus, dass eine vorsprachliche Praxis im Sinne Heideggers gegenüber einer sprachlichen Praxis autonom sein und dadurch als Grundlage einer nicht-zirkulären Erklärung von Intentionalität dienen kann. Brandom bezeichnet diese Annahme als »Schichttortenmodell« (»layer-cake model«).10 Und gemäß einer Variante

8

Was sicher in höherem Maße für Heidegger gilt, da bei ihm auch noch einiges an doppeldeutiger und eigensinniger Metaphorik hinzukommt. 9 Ich gehe mit den Vertretern der hier diskutierten Positionen davon aus, dass es keine im vollwertigen Sinne begriffliche, aber vorsprachliche Praxis geben kann bzw. der Begriff von Begrifflichkeit, der sich auf eine solche Praxis anwenden ließe, nicht unserem Primärverständnis entsprechen kann. Dafür werde ich hier allerdings nicht argumentieren. 10 ›Schichttortenmodell‹, weil eine explanativ grundlegende vorbegriffliche bzw. vorsprachliche Praxis als möglich angenommen wird, die insofern eine eigenständige ›Schicht‹ bildet, als die für sie konstitutiven Richtigkeitsbedingungen praktischen Tuns oder des Umgehens mit etwas von der Möglichkeit einer sprachlichen Artikulation von inferentiellen Beziehungen und der Rede über Tatsachen unabhängig sein sollen. Eine in diesem Sinne interpretierbare Position vertreten u.a. John Haugeland (ders.: Heidegger on Being a Person. In: Noûs 16 (1982). 15–26; und ders.: Mind Embodied and Embedded.

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dieses Modells kann schon eine vorsprachliche Praxis Maßstäben objektiver Richtigkeit unterliegen. Allerdings ist die Frage nach der Möglichkeit objektiver Richtigkeit in einer vorsprachlichen Praxis zunächst noch ziemlich unbestimmt. So lässt sie sich meines Erachtens in einem externen und einem internen Sinne verstehen. Nach dem externen Verständnis geht es darum, ob eine bestimmte Form von Praxis in einer Weise normenreguliert sein kann, die eine praxisextern feststellbare Differenz zwischen dem, was Teilnehmern in ihrem Lichte als richtig erscheint, und dem, was gemäß diesen Normen richtig ist, beinhaltet. Dabei können wir auch annehmen, dass die Geltung der Normen auf nichts anderem beruht als darauf, dass die Teilnehmer sie als für ihr Tun bindend erachten. Wenn wir dieses Verständnis zu Grunde legen, spricht offensichtlich nichts dagegen anzunehmen, dass sich schon bezüglich einer vorsprachlichen Praxis einzelne Normabweichungen berechtigterweise als solche behaupten lassen, auch wenn sie innerhalb der Praxis nicht als solche wahrgenommen werden. Dagegen wäre es meines Erachtens unsinnig, in Bezug auf eine Praxisform ganz allgemein sagen zu wollen, in dieser gälten Normen, denen in keinem Fall oder auch nur in einer willkürlichen (normativ nicht ausgezeichneten) Minderzahl von Fällen genügt wird. Denn es ist nicht ersichtlich, wie wir von einer Praxis im Sinne eines durch Regeln oder Normen bestimmten Handlungs- bzw. Interaktionszusammenhangs reden können, ohne in der Lage zu sein, diese Regeln zu identifizieren. Und wie sollten wir sie unabhängig von Instanzen ihrer objektiv richtigen Befolgung überhaupt identifizieren können? Der Normalfall des objektiv Richtigen muss ja den Standard bilden, gegenüber dem sich das nur scheinbar Richtige überhaupt erst abheben lässt. Bei einem möglichen internen Verständnis müsste es dagegen, wie man zunächst annehmen sollte, darum gehen, ob Teilnehmer einer vorsprachlichen Praxis über einen ›robusten‹ Begriff des Richtig-Erscheinens verfügen können. Damit meine ich, dass die Teilnehmer zwischen ›richtig sein‹ und ›richtig scheinen‹ in einer Weise unterscheiden können, die sie selbst so verstehen, dass die Richtigkeit bezüglich bestimmter Formen ihres Handelns (auch) von praxisexternen Faktoren bzw. von nicht-intentionalen Tatsachen abhängen kann. Dieses interne Verständnis der Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit objektiver Richtigkeit bezüglich sinnhafter (normorientierIn: Ders.: Having Thought. Cambridge/Mass. und London 1995). 207–237, sowie Hubert Dreyfus (ders.: Being-in-the-World, Cambridge/Mass. 1991). Vergl. hierzu auch: Andrea Clausen: How can conceptual content be social and normative, and, at the same time, be objective? Frankfurt/M. 2004. Kap. 4.

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ter) Praxis erscheint mir als das philosophisch interessantere und entspricht offensichtlich auch demjenigen, was Brandom im Auge hat. Das Problem ist nur, dass es nicht dasjenige Verständnis sein kann, welches ein Vertreter des Schichttortenmodells meinen kann, da die entsprechende vorsprachliche Praxis ja ausdrücklich auch eine vorbegriffliche sein soll. Dementsprechend muss – wenn wir den externen Sinn der Objektivitätsfrage mal beiseite lassen – der Anspruch des Schichttortenmodells, einen Begriff von objektiver Richtigkeit für eine vorsprachliche Praxis verständlich machen zu können, im Sinne eines den Praxisteilnehmern zugänglichen nicht-begrifflichen Objektivitätsverständnisses gemeint sein. Das heißt natürlich zugleich, dass die Praxis oder die Kompetenzen der Teilnehmer nicht in einer Weise beschrieben werden können, die nur im Zusammenhang mit der Wahrheitsfähigkeit propositionalsprachlicher Aussagen bzw. einem Begriff von Tatsachen verständlich wären. Wenn ich richtig sehe, soll die Möglichkeit vorbegrifflicher objektiver Richtigkeit ungefähr so zu verstehen sein, dass es signifikanz- bzw. funktionsbestimmende Richtigkeitsbedingungen des Umgangs mit Werkzeugen oder Mitteln (›Zuhandenem‹) geben kann, die – im Sinne von Erfolgsbedingungen instrumentellen Eingreifens in die Welt – einer für die Teilnehmer erfahrbaren ›objektiven‹, das heißt praxisexternen Kontrolle unterliegen, ohne dass diese externe Kontrolle inferentiell artikulierbar ist und Objekte im Sinne bloßer Gegenstände von Aussagen (als ›Vorhandenes‹) thematisierbar sind. Die motivierende Idee des Schichttortenmodells ist ja, den ›Zirkel des Intentionalen‹ (Begriffliches oder Semantisches kann nur durch Begriffliches bzw. Semantisches gerechtfertigt und erklärt werden) zu durchbrechen, indem ›Performanzen‹11, die eigentlich als richtig ausgeführt gelten, situativ an der Welt scheitern können. Dieses Scheitern oder Misslingen muss einen systematischen (nicht willkürlichen) Einfluss auf die normativen Einstellungen und Tätigkeiten der Teilnehmer haben können, ohne dass dieser Einfluss begrifflich vermittelt bzw. inferentiell artikulierbar ist. Die normative Signifikanz, welche die Teilnehmer einer solchen Praxis ihrem Tun oder den Mitteln oder Gegenständen ihres Tuns geben, kann nach dieser Vorstellung also zugleich in dem Sinne ›objektiv‹ 11

Mit der Verwendung des Ausdrucks »Performanz«, dessen sich auch Brandom bedient, soll deutlich gemacht werden, dass dasjenige, was den Gegenstand normativer Einstellungen in einer vorbegrifflichen Praxis bilden soll, nicht ohne weiteres als ein Handeln (oder Urteilen) im üblichen Sinne verstanden werden kann. Das gilt insbesondere dann, wenn man, wie Brandom, Intentionalität und intentionales Handeln (oder Urteilen) auf der Grundlage normativer Einstellungen erklären will. Allerdings bleibt der genauere Sinn, den der Ausdruck »Performanz« in einer solchen Verwendung haben soll, letztlich unklar.

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sein, als sie das Potenzial hat, die jeweils bestehenden normativen Einstellungen (bzw. Erwartungen) hinsichtlich der situativen instrumentellen Geeignetheit von Performanzen oder Gegenständen durch praxisexterne Faktoren und in systematischer, für die nachfolgende Praxis relevanten Weise zu enttäuschen. Brandom argumentiert in ›Dasein, the Being that Thematizes‹ ausführlich gegen die Auffassung, dass sich Heideggers fundamental-ontologische Analyse von ›Dasein‹ nach dem Schichttortenmodell interpretieren lässt. Nach Brandom präsentiert Heidegger ›Dasein‹ nämlich als die Art von Sein, für das es wesentlich ist, sprachlich zu thematisieren (und damit Gegenstände in wahrheitsfähigen Aussagen als bloß ›vorhanden‹ zum Gegenstand machen zu können). Auf die einzelnen Schritte dieser primär exegetisch ausgerichteten Argumentation möchte ich hier nicht eingehen. Mir erscheint Brandoms Interpretation Heideggers in diesem Punkt als überzeugend.12 Mich interessiert, wie Brandom selbst zum Schichttortenmodell steht. Und ich meine, dass seine Position hier durchaus unklar ist. Brandom diskutiert die Möglichkeit vorsprachlicher Praxis in seiner Heidegger-Interpretation zwar nicht so sehr im Hinblick auf die Objektivitätsfrage, sondern eher mit der Absicht einer der analytischen Philosophietradition zugänglicheren Interpretation der Grundkategorien von Sein und Zeit, nämlich ›Dasein‹, ›Zuhandenheit‹ und ›Vorhandenheit‹. Doch die Objektivitätsfrage stellt sich natürlich auch für Brandoms Zugriff auf die Heideggersche Annahme einer vorsprachlichen, aber verstehenden Praxis. Und sie stellt sich besonders eindringlich, wenn man berücksichtigt, dass Brandom (wie vor allem in MiE deutlich wird) selbst davon ausgeht, dass die Normen, denen unser Handeln, Denken oder Urteilen unterliegen, am Ende auf nichts anderem beruhen können als unseren faktischen normativen Einstellungen gegenüber einem Tun (›Performanzen‹). Denn damit ist Brandom in der Pflicht zu zeigen, dass sich der Unterschied zwischen ›für richtig halten‹ und ›richtig sein‹ in Begriffen des Für-richtig-Haltens oder Als-richtig-Behandelns erklären lässt.

12

Der Nachweis der Unangemessenheit des Schichttortenmodells im Hinblick auf eine angemessene Interpretation von Sein und Zeit scheint mir eigentlich schon durch das Zitieren eines einzigen kurzen Satzes möglich: »Die Rede ist mit Befindlichkeit und Verstehen existenzial gleichursprünglich.« (SuZ. 161). Dass Heidegger von ›Auslegen‹ auch in Bezug auf Vorprädikatives spricht (SuZ. 149), würde ich so deuten, dass ein – jedenfalls nach seinem Verständnis – ›auslegendes‹ Verstehen möglich ist, bei dem die Um-zu-Struktur eines im Rahmen von Verweisungszusammenhängen (auf anderes Zuhandenes) sinnhaft konstituierten Zuhandenen im Rahmen konkreter Handlungsabsichten ›ausdrücklich‹ bzw. gegenüber dem Vorverstehen abhebbar wird, ohne dass dies durch eine prädikative Aussage explizit gemacht werden muss.

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Verwirrend ist, dass Brandom eine soziale Praxis des vorbegrifflichen Etwas-als-etwas-Behandelns im Rahmen seines pragmatistischen Projektes zwar einerseits als in gewisser Weise explanativ primär gegenüber einer begrifflich artikulierten Praxis assertorischer Aussagen über die Welt auszeichnen will. Das heißt nach meiner Auffassung, dass die Begriffe, in denen die erklärende Praxisform beschrieben wird, allgemeiner und vom Verständnis derjenigen Begriffe unabhängig sein müssen, in denen die Spezifika der zu erklärenden Praxisform charakterisiert werden. Andererseits plädiert Brandom – jedenfalls in Bezug auf Heideggers Position – aber auch für eine reziproke Sinnabhängigkeit (»sense-dependence«) von vorsprachlicher/vorbegrifflicher und sprachlicher/begrifflich artikulierter Intentionalität, was heißen soll, dass man die für die Beschreibung der jeweiligen Praxisformen maßgeblichen Begriffe nur in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander verstehen kann.13 Wenn man davon ausgeht, dass Brandom eine solche Sinnabhängigkeit nur in Bezug auf Heideggers Konzeption des Verhältnisses von Zuhandenem und Vorhandenem einfordern kann, wenn er sie konsequenter Weise auch für seine eigene Position geltend macht, stellt sich die Frage, wie beide Annahmen zusammengehen können. Wie kann etwas explanativ primär sein, wenn es zugleich sinnabhängig vom zu Erklärenden ist? Versuchen wir zunächst etwas genauer zu klären, in welchem Sinne Brandom das Konzept einer normativen sozialen Praxis als explanativ primär gegenüber einer begrifflich artikulierten Praxis des Aussagen-Machens über die Welt verstehen will. Es scheint grundsätzlich drei Weisen zu geben, in denen er eine entsprechende asymmetrische Beziehung ins Spiel bringt: Erstens spricht Brandom sich für eine «Analyse des Wissens (oder Glaubens oder Sagens), dass dieses oder jenes der Fall ist, in Begriffen des Wissens, wie etwas zu tun ist« 14 aus, womit insbesondere gemeint ist, dass man das, was man behauptend sagen kann (also die zum Ausdruck gebrachten wahrheitsfähigen Gehalte), erklärt, indem man sich Klarheit darüber verschafft, was man tut, wenn man etwas behauptet.15 Zweitens plädiert er für einen explanativen 13

Vgl. TmD. 80 ff. Eine Definition von »sense dependence« findet sich in ›Holism and Idealism in Hegel’s Phenomenology‹: »Concept P is sense dependent on concept Q just in case one cannot count as having grasped P unless one counts as grasping Q« (TmD. 194). Andererseits lässt sich nach Brandom aber Zuhandenes als in ›referentieller‹ Hinsicht einseitig abhängig von Vorhandenem verstehen, da es die entsprechenden Dinge geben kann, ohne dass wir ihnen eine Signifikanz beimessen. 14 Robert B. Brandom: Begründen und Begreifen. Frankfurt/M. 2001. 13. 15 An anderer Stelle sagt Brandom, dass die Form, in der dies möglich ist, in der Vergegenwärtigung der ›explanativen Rolle‹ propositionaler Gehalte besteht: »Propositional

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Vorrang des Normativen gegenüber dem Faktischen, von Begriffen richtigen Tuns bzw. der Berechtigung oder Verpflichtung zu Performanzen gegenüber Begriffen des So-Seins von etwas.16 Drittens will Brandom normativen Status in Begriffen von normativen Einstellungen erklären, also ein Primat des Als-richtig-oder-falsch-Behandelns von ›Performanzen‹ gegenüber ihrem Richtig-oder-unrichtig-Sein bzw. dem Wahr-oder-falsch-Sein von Aussagen behaupten.17 Hier stellt sich natürlich die Frage, wie diese unterschiedlichen Vorrangverhältnisse begründet werden und wie sie systematisch zusammenhängen sollen. Die zu Grunde liegenden Überlegung ist etwa die Folgende: Sollen Intentionalität oder Bedeutung nicht mysteriös erscheinen, müssen sie mit Fähigkeiten und Praktiken in Beziehung gesetzt werden. Mit dem damit angenommenen Primat der Praxis ergibt sich ein explanatives Primat des Richtigen gegenüber dem Wahren. Dem explanativen Anspruch gerecht zu werden, verlangt allerdings, dass intentionale Fähigkeiten und Praktiken im üblichen Sinne durch einfachere ›intentionale‹ Fähigkeiten und Praktiken erklärt werden, also durch solche, die jedenfalls nicht in Begriffen propositionalen Gehaltes (kein ›Repräsentationalismus‹) oder explizit verfügbarer Regeln (kein Regelplatonismus) beschrieben werden dürfen. Andererseits verlangt eine adäquate Erklärung nach Brandom, Richtigkeit oder richtiges Tun im Rahmen der erklärenden Praxis nicht auf Regelmäßigkeit bzw. regelmäßiges Tun zu reduzieren (kein Naturalismus). Richtigkeit geht innerhalb einer entsprechenden Praxis aus den impliziten normativen Einstellungen von Teilnehmern bzw. dem Behandeln von ›Performanzen‹ als erlaubt, verboten oder gesollt hervor. Im primären Sinne intentional ist dann eine Praxis, wenn sie eine Struktur aufweist, die es erlaubt, Berechtigungs- und Verpflichtungsbeziehungen zwischen bestimmten Arten von ›Performanzen‹ – unter Verwendung des logischen Vokabulars – in inferentiell gegliederten Aussagen über die Welt zum Ausdruck zu bringen (explizit zu machen) und die in systemacontents are understood in terms of their explanatory role in specifying proprieties of claiming, judging, and inferring – in general, in terms of the role they play in the game of giving and asking for reasons.« (MiE. 624) 16 »What it is for something to state or express a fact is explained in normative terms, and what it is for something to be stated or expressed is explained in turn by appeal to that practice. So what it is to be a fact – that is a true claim – is explained in normative terms.« (MiE. 624) 17 So heißt es etwa unmittelbar anschließend an das in der vorigen Fußnote angeführte Zitat: »It is explained phenomenalistically, by appeal to the practice of fact-stating, which comprises the practical attitudes of taking a performance to be the stating of a fact and purporting to state a fact by producing a performance.« (MiE. 624 ff. Hervorhebungen von mir)

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tischer Weise zwischen Richtig-Sein und Für-richtig-Halten unterscheiden lässt. Dabei kommt nach Brandom ein anderer Typ von Richtigkeit ins Spiel, der die normativen Einstellungen der Teilnehmer einer Praxis transzendiert bzw. objektiven Maßstäben unterwirft, nämlich die Wahrheit von ›Perfomanzen‹ des Typs ›Behauptungen‹. Nun birgt der letzte Schritt dieser Überlegung meines Erachtens ein tiefgreifendes systematisches Missverständnis, welches, wie ich vermute, zum Teil auch hinter den im Folgenden zu diskutierenden Schwierigkeiten des Brandomschen Ansatzes steckt, auf das aber hier nur hingewiesen werden kann: Brandoms Einführung von Objektivität qua Wahrheit kann nichts daran ändern, dass aus einer auf Erklärung ausgerichteten, deskriptiv-externen (›phänomenalistischen‹) Perspektive, wie Brandom sie einnehmen will, nur beschrieben werden kann, was Teilnehmer einer Praxis für richtig oder unrichtig bzw. für wahr oder falsch halten. Das ist aber nicht die Perspektive, die wir einnehmen, wenn wir mit einer Behauptung zur Frage der Wahrheit – dazu, wie etwas in der Welt sich verhält – Stellung nehmen. Und es ist diese Perspektive, aus der wir den Wahrheitsbegriff bereits erfasst haben müssen, damit wir seine deskriptive Relativierung (›Halten-Für‹) verstehen können. Es ist deshalb eigentlich nur möglich, nach den Bedingungen oder der Struktur einer Praxis zu fragen, deren Teilnehmer über einen Begriff von Objektivität oder Wahrheit verfügen. Es macht jedoch keinen Sinn, erklären zu wollen, wie es möglich ist, objektive oder wahre Überzeugungen zu haben. Natürlich lässt die obige Darstellung auch sonst noch eine ganze Reihe von Fragen offen. Ich möchte mich aber auf einige grundlegende Schwierigkeiten konzentrieren, die sich für Brandoms explanatorische Ansprüche im Zusammenhang mit der hier gestellten Frage nach dem Verhältnis zwischen einer vorbegrifflichen/vorsprachlichen und einer begrifflichen/sprachlichen Praxis ergeben. Dabei werde ich zunächst als weitgehend unstrittig unterstellen, dass Normen nicht in der Form sprachlich-expliziter Regelformulierungen verfügbar sein müssen, um eine Praxis anleiten oder regeln zu können (bzw. eine Form verstehender Teilnahme zu ermöglichen) und dass ›hyperrationalistische‹ Vorstellungen der Rechtfertigung von Handlungen durch explizite Regeln mit einem Regressproblem konfrontiert sind. Schon strittiger dürfte Brandoms These sein, dass nur eine solche Praxis als begrifflich gehaltvoll angesehen werden kann, die das Zeug hat, als inferentiell artikulierte Praxis sozialen Gebens und Nehmens von Gründen beschrieben zu werden. Damit hängt eine weitere zentrale These von Making it Explicit zusammen, nämlich dass eine entsprechende Praxis eine (propositional-) sprachliche sein muss, weil nur eine solche Praxis über die notwendigen Ressourcen im Sinne einer normativen ›Feinstruktur‹ verfügt, welche ein soziales Geben und Nehmen

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von Gründen ermöglicht, das zwischen übernommenen und zugeschriebenen Berechtigungen oder Verpflichtungen zu differenzieren erlaubt. Und genau darauf beruht nach Brandom die Unterscheidung von bloß scheinbarer und objektiver Berechtigung oder Verpflichtung, insbesondere von bzw. zu bestimmten Behauptungshandlungen. Auf Brandoms genauere Begründung der These, nach der die soziale Instituierung von Normen objektiver Richtigkeit nur im Rahmen einer propositionalsprachlichen Praxis möglich ist, kann ich hier nicht eingehen.18 Klar ist jedenfalls, dass Brandom jene Version des Schichttortenmodells, nach der es eine autonome vorsprachliche Praxis geben kann, deren Teilnehmer über einen robusten Begriff objektiver Richtigkeit verfügen, nicht nur für die Interpretation Heideggers, sondern auch in eigener Sache ablehnen muss. Würde er nun aber das Schichttortenmodell generell, also unabhängig von der Objektivitätsthese, ablehnen, bliebe unklar, wie dann der oben formulierte Anspruch auf eine pragmatistische Erklärung von Intentionalität überhaupt eingelöst werden könnte. Andererseits: Machte sich Brandom aus explanativen Gründen das Schichttortenmodell in der schwächeren Version (also ohne die Objektivitätsthese) zu eigen, bliebe wiederum unklar, welcher Stellenwert einer entsprechenden Form autonomer Praxis im Hinblick auf eine Erklärung diskursiver, ›wahrheitsfähiger‹ Praxis zukommen kann.19 Das heißt, es stellt sich die Frage, wie eine pragmatistische Erklärung von propositionaler Intentionalität bzw. propropositionalsprachlicher Praxis auf der Grundlage einer normativen Praxis möglich sein könnte, die ihrerseits nicht als propositionalsprachlich – und in diesem Sinne Objektivität ermöglichend – verstanden werden kann.20 Halten wir aber zunächst fest, dass es für Brandom – wie auch immer es um Heidegger bestellt sein mag – erst durch eine propositionalsprachliche Praxis möglich ist, einen Begriff objektiver Richtigkeit (insbesondere von Wahrheit) zu etablieren. Zugleich haben unsere bisherigen Überlegungen aber, vorsich18

S. hierzu insbes. Kap. 3 und Kap. 8 von MiE. »The explanatory strategy pursued here is to begin with an account of social practices, identify the particular structure they must exhibit in order to qualify as specifically linguistic practices, and then consider what different sorts of semantic contents those practices can confer on states, performances, and expressions caught up in them in suitable ways.« (MiE. xiii). Eine für Brandoms ganzes Projekt wichtige Frage ist, ob die begrifflichen Ressourcen, die zur Identifizierung der besonderen Struktur einer geeigneten linguistischen Praxis mobilisiert werden müssen, nicht gerade die sind, die, damit man überhaupt etwas erklärt, eigentlich noch gar nicht ins Spiel kommen dürften. 20 Für eine Kritik in diesem Sinne, s. Sebastian Rödl: Normativität des Geistes versus Philosophie der Erklärung. Zu Brandoms Theorie des Geistes. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 48 (2000) 5. 762–779. 19

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tig ausgedrückt, den Eindruck verstärkt, dass zwischen der Annahme einer explanatorischen Priorität pragmatischer Begriffe und der These von der reziproken Sinnabhängigkeit ein Spannungsverhältnis besteht. Und diesen Eindruck kann Brandom, wie ich meine, auch durch seine knappen Bemerkungen hierzu nicht entkräften.21 So glaubt er offenbar, dass sich die Sinnabhängigkeit von Begriffen des Wissens-Wie und des Wissens-Dass in eine(r) höherstufige(n) Begrifflichkeit von Wissen-Wie ›aufheben‹ lässt. Doch dieser Schritt ist problematisch, denn wenn Begriffe wirklich reziprok sinnabhängig sind, scheint es eigentlich nicht verständlich, wie diese Abhängigkeit noch mal zu einer Binnendifferenz innerhalb einer ›kategorial primären‹ oder grundlegenden Begrifflichkeit erklärt werden kann, die einer der Seiten des zunächst als reziprok behaupteten Abhängigkeitsverhältnisses entspricht. Ungeachtet dieser Spannung bleibt zu fragen, wie eine Erklärung von Wissen-Dass durch ein Wissen-Wie überhaupt aussehen könnte. Und bevor wir auf Brandoms spezifischen, an den Heideggerschen Kategorien orientierten Vorschlag eingehen, ist es hilfreich, diese Frage zunächst in einer allgemeineren Weise anzugehen. Bewegen wir uns auf der Ebene von Fähigkeiten, so liegt zunächst die Bedingung nahe, dass man die erklärende Kompetenz haben kann, ohne die zu erklärende Kompetenz zu haben, aber nicht umgekehrt. Die Begriffe, in denen die erklärende Kompetenz beschrieben wird, wären insofern die allgemeineren. Zusätzlich wäre zu fordern, dass die Begriffe, in denen man die erklärenden Fähigkeiten beschreibt, definiert werden können, ohne Begriffe ins Spiel zu bringen, die für die Beschreibung der zu erklärenden Fähigkeiten konstitutiv sind. Vor allem aber müsste gezeigt werden, dass der Besitz der erklärenden Fähigkeiten allein hinreicht, um all jenes tun zu können, was wir durch die zu erklärenden Fähigkeiten tun können. Ein gern genanntes Beispiel, dass diese Bedingungen zu erfüllen scheint, sind Maschinen (etwa Schachcomputer), deren komplexe behaviorale Fähigkeiten sich auf der Grundlage relativ einfacher syntaktischer Manipulationsalgorythmen konstruieren bzw. erklären lassen. Allerdings sind gerade die als besonders einleuchtend erscheinenden Beispiele insofern von begrenztem Wert, als die konstitutiven Regeln der entsprechenden Praxen rein formaler Natur sind. Die Beispiele lassen sich deshalb nicht ohne weiteres auf Fälle übertragen, in denen die Praxen bzw. Fähigkeiten ›welthaltig‹ sind. Dies lässt sich schon an einem eher entgegenkommenden – in Bezug auf die Regeln überschaubaren – Fall wie dem Fußballspiel verdeutlichen. So kann man etwa über die Fähigkeit verfügen, die Bewegungen seines Körpers zu koordinieren, ohne Fußball spielen zu können, während das um21

Vgl. TmD. 81 ff.

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gekehrte nicht denkbar ist. Doch was genau könnte es heißen, die Fähigkeit, Fußball zu spielen, in Begriffen der Fähigkeit, Bewegungen zu koordinieren, erklären zu wollen? Es müsste offenbar mehr heißen, als über eine vollständige Beschreibung der Regeln oder Gesetzmäßigkeiten zu verfügen, nach denen die Bewegungen koordiniert werden, während man Fußball spielt. Es müsste ein systematischer Zusammenhang zwischen den beiden Ebenen der Beschreibung hergestellt werden, das heißt, bestimmte Handlungstypen des Fußballspielens (z. B.: eine Flanke schlagen) müssten mit bestimmten Typen motorischer Bewegungen identifizierbar sein. Eine solche klassifikatorische Identifizierbarkeit ist aber auf Grund der offensichtlichen motorischen Unterbestimmtheit von möglichen Aktionen im Rahmen eines Fußballspiels in keiner Weise absehbar. Die auf beiden Seiten jeweils ins Spiel kommenden Begriffe scheinen einfach zu heterogen, um eine explanativ nützliche Zuordenbarkeit von Typen zu ermöglichen. Ob überhaupt Fußball gespielt wird (ganz zu schweigen davon, ob gut Fußball gespielt wird), und welcher fußballerische Handlungstyp gerade ausgeführt wird, sind Fragen, die nicht nur von einem in Handlungsbegriffen beschriebenen Regelwerk, sondern auch von anderen Hinsichten der Beurteilung, die sich nicht motorisch-behavioral bestimmen lassen, abhängen.22 Ich möchte behaupten, dass es aus entsprechenden Gründen auch nicht möglich ist, hinreichende Bedingungen propositionalsprachlichen Verstehens oder Handelns in Begriffen zu formulieren, die nicht auf propositionalsprachliche Handlungsmöglichkeiten bezogen sind. Wenn dies zutrifft, stellt sich aber die Frage, was es überhaupt noch heißen könnte, eine ›Erklärung‹ propositionalsprachlicher Gehalte (dessen, was man sagt oder glaubt) in normativ-pragmatischen Begriffen (in Begriffen dessen, was man tun soll oder darf) zu geben.23 22

Auch ein lediglich regelkonformes Verhalten im engeren Sinne würden wir hier, anders als beim Schach, nicht zwangsläufig schon ein Fußballspiel nennen, denn das wäre auch gegeben, wenn alle Spieler nach dem Anstoß 90 Minuten lang einfach nur auf einer bestimmten Stelle des Platzes stehen blieben und sich zwei Spieler immer wieder den Ball zuspielten. 23 Die mit dieser Frage artikulierte Skepsis steht nicht im Widerspruch zu der Ansicht, dass es für ein angemessenes Verständnis des jeweiligen Sinns von Sätzen oder Redeweisen – auch von Sätzen oder Redeweisen, die semantische oder intentionale Begriffe enthalten – durchaus nützlich sein kann, in handlungsbezogenen bzw. normativen Begriffen zu erläutern, was man üblicherweise tut oder welche Funktion es haben kann, wenn man entsprechende Ausdrücke in sprachlichen Handlungen zum Einsatz bringt. Ähnliches gilt für das Verhältnis von Wortbedeutung und Wortverwendung (bzw. Normen der Wortverwendung auf der Grundlage etablierter Handlungspraxen). Bedeutungen lassen sich als Abstraktionen von kompositional strukturierten praktischen Handlungsmöglichkei-

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III. Um die vorstehend vorgetragenen Einwände und Fragen im Hinblick auf die Brandomsche Konzeption einer pragmatistischen Erklärung von propositionaler Intentionalität bzw. begrifflichem Verstehen durch vorbegriffliches Verstehen zu konkretisieren, soll im Folgenden noch etwas genauer auf Brandoms Heidegger-Interpretation eingegangen werden. Ein erster systematisch wichtiger Zug in Brandoms Zugriff auf die Heideggersche Begrifflichkeit besteht darin, sowohl bloß im praktischen, nicht-sprachlichen Sinne Signifikantes als auch (auch) im semantischen Sinne Signifikantes der ontologischen Kategorie des Zuhandenen zuzuordnen und damit unter einen einheitlichen Begriff des Verstehens zu bringen. Allerdings sind Brandoms Überlegungen hier in komplexer Weise doppelsinnig, da er der für Zuhandenes spezifischen Als-Struktur des Verstehens eine zweifache Rolle zumessen will: Einerseits soll sie die Form auslegenden Verstehens von Sinnhaftem charakterisieren, andererseits den ontologischen Status von Zuhandenem bestimmen, nämlich als diejenige Art von Etwas (bzw. von Seiendem), das nur im Rahmen einer sozialen Praxis des normstiftenden Behandelns-als jeweils zu dem wird, was es ist. Indem bestimmte Dinge als für bestimmte Zwecke geeignet behandelt oder benutzt werden (bzw. in bestimmter Weise auf sie reagiert wird), erhalten sie eine spezifische Signifikanz, die einer zweckbezogenen funktionalen Rolle im Rahmen eines holistischen Verweisungszusammenhangs mit anderem Signifikanten entspricht. Brandom muss nun die Frage beantworten, welche Struktur eine spezifisch sprachliche Praxis über ein – schon vorsprachlich mögliches – verstehendes Umgehen-Können mit ›Zeug‹ hinaus aufweisen muss, um sprachliches/begriffliches Verstehen angemessen als besondere Form innerhalb der Kategorie des Zuhandenen auszeichnen zu können. Wie kann der ›Übergang‹ vom Verstehen von zunächst (nur) praktisch Bedeutsamem zu dieser besonderen Form, nämlich dem Verstehen von (auch) semantisch Bedeutungshaftem, in einer Begrifflichkeit des Behandelns-als, Benutzens-als oder Reagierens-aufals ›erklärbar‹ sein?24 Brandoms Vorschlag lautet, kurz gesagt, dass Behaup-

ten ansehen. Die Bedeutung eines Ausdrucks zu erklären, heißt vor allem seine kompositionalen Verwendungsmöglichkeiten in normativen Begriffen richtigen Handelns zu beschreiben. Dabei wäre allerdings insbesondere der Wahrheitsbegriff unabdingbar (bzw. reziprok-sinnabhängig von Begriffen richtigen assertorischen Handelns), da nur er es erlaubt, jene besondere Hinsicht zu spezifizieren, in der bestimmte Sprechhandlungen als berechtigt oder nicht beurteilbar sind. 24 Dies ist sozusagen Brandoms ›Version‹ der Heideggerschen Frage, »durch welche

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tungen (bzw. Behauptungshandlungen) – als die für Propositionalsprachlichkeit grundlegende Handlungsform – die Art von ›Zeug‹ (»equipment«) sind, dessen praktische Signifikanz (ihr ›Um-Zu‹) nur in seiner Legitimierungsfunktion im Hinblick auf andere Performanzen besteht. Das ist bei Brandom in einem zugleich normativen und sozialen Sinne gemeint: »Asserting thus has the significance of issuing a reassertion licence to other community members. The assertion is produced as something usable by others«.25 Außerdem übernimmt man mit Behauptungshandlungen die Verpflichtung, die entsprechende Behauptung zu rechtfertigen oder zu verteidigen. Behauptungen werden also als die Art von Performanzen bestimmt, die man versteht, wenn man weiß, durch welche anderen Performanzen sie legitimiert werden und welche anderen Performanzen sie legitimieren. Allerdings könnte man dies auch für bestimmte Formen nicht-sprachlichen Handelns, wie etwa das Abreißen des Kontrollstreifens von der Kinokarte, geltend machen. Der wesentlichen Unterschied zu solchen Handlungen soll offenbar darin bestehen, dass die Beziehung inferentiellen Legitimierens, die zwischen Behauptungshandlungen besteht, nicht auf bestimmte Zwecke oder Funktionen bezogen ist (und – wie er allerdings erst in MiE argumentiert26 – darin, dass Normverstöße hier lediglich ›interne Sanktionen‹ im Sinne einer Veränderung des normativen Status bzw. des Verlustes einer Berechtigung zur Folge haben). Dieser ›distanzierende Schritt‹ liefert nach Brandom auch die Grundlage zum Verständnis der Kategorie des Vorhandenen als all dasjenige, was den Gegenstand objektivierender Konstatierungen bildet: Wir reagieren auf Gegenstände als bloß vorhanden im Sinne von etwas, von dem wir objektive Eigenschaften prädizieren können, indem wir vom unmittelbaren ›Umzu‹ praktischen ›Besorgens‹ zurücktreten. Die Objektivität des Vorhandenen soll dabei in der Weise verständlich werden, in der seine Rolle für unsere nicht-behauptende Praxis nur eine indirekte ist, nämlich im Sinne von Gegenständen von Behauptungen, die eine Rolle in praktischen Schlüssen spielen können.27 Ein letzter Abstraktionsschritt besteht schließlich in der Verwendung von Aussagen in konditionalen Schlüssen, in denen diese ihre assertorische Kraft einbüßen und als Gehalte objektivierbar werden. Doch welchen explanativen Stellenwert können wir dieser pragmatistischen ›Geschichte‹ der sozialen Instituierung propositionaler Gehalte und der Kategorie des Vorhandenen tatsächlich zubilligen? Brandom drückt sich in Bezug existenzial-ontologischen Modifikationen […] die Aussage aus der umsichtigen Auslegung (entspringt)?« SuZ. 157. 25 TmD. 315. 26 Kap. 1, Abschn. IV. 27 TmD. 321.

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auf Heidegger eher vorsichtig aus. Er sagt in TmD, dass Heidegger gezeigt habe, wie die begriffliche Fähigkeit des Redens über objektive Tatsachen in der vorbegrifflichen Fähigkeit des richtigen Umgangs mit bzw. des Verstehens von praktisch Dienlichem ›wurzelt‹.28 Die Rede vom ›Wurzeln von etwas in etwas anderem‹ ist natürlich nur eine unscharfe Metapher. In einem empirischen, etwa entwicklungspsychologischen Sinne verstanden müsste sich zeigen lassen, dass eine entsprechende Reihenfolge in der Ausbildung der fraglichen Fähigkeiten tatsächlich besteht und die späteren Entwicklungsschritte die früheren für ihre Ausbildung voraussetzten. Doch dies ist sicher nicht das, was Brandom im Auge hat. Unter Berücksichtigung anderer Äußerungen Brandoms, auf die oben bereits hingewiesen wurde, können wir die Metapher des ›Wurzelns-in‹ hier eigentlich nur so verstehen, dass in Begriffen von zweckbezogenem berechtigten oder gesollten Tun verständlich gemacht werden kann, was es heißt, etwas zu behaupten. Normalerweise geht es, wenn wir eine bestimmte Fähigkeit durch andere Fähigkeiten erklären wollen, um eine Art von ›Zurückführung‹ des Komplexen auf das Einfachere in dem Sinne, dass man sagt, wie vorhandene Fähigkeiten variiert oder kombiniert werden müssen, um eine neue, komplexere Fähigkeit zu erlangen. So kann beispielsweise die Fähigkeit, einen bestimmten Folksong auf der Gitarre zu spielen, aus einer Kombination der Fähigkeit, bestimmte Akkorde auf dem Griffbrett zu greifen, und der Fähigkeit, bestimmte Pickingtechniken auszuführen, ›aufgebaut‹ und in diesem Sinne auch erklärt werden. Und eine vollständige chronologische Beschreibung der mit einem bestimmten Picking gespielten Akkorde würde die Handlung des Spielens des fraglichen Stückes identifizieren. Solcher Art von Erklärungen – und Brandom sagt uns nichts darüber, in welchem anderen Sinne ›wurzelnin‹ oder ›erklärbar-sein-durch‹ hier gemeint sein könnte – sind aber, wie das oben angeführte Beispiel der Unmöglichkeit einer Erklärung der Fähigkeit, Fußball zu spielen, in Begriffen der Fähigkeit, Körperbewegungen zu koordinieren, zeigen sollte, enge Grenzen gesetzt. Auch Brandoms normativ-pragmatistische Interpretation Heideggers liefert uns offensichtlich keinen Ansatz zu einer solchen Erklärung. Und wenn ich Recht habe, kann sie dies auch gar nicht, da die begrifflichen Ebenen, die Brandom explanativ vermitteln will, dafür einfach zu heterogen sind, und propositional charakterisierte Typen nicht systematisch mit nicht-propositional charakterisierten Typen identifiziert werden können. Deshalb kann auch von einer Erklärung des Begriffs semantischer Bedeutung konventioneller Symbole in Begriffen praktischer Bedeutsamkeit von 28

A. a. O. 78.

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Zuhandenem keine Rede sein. Es wird einfach nicht klar, wie diese beiden Arten von ›Signifikanz‹ genauer zusammenhängen sollen. Es scheint so, als wolle Brandom propositionalsprachliche Semantizität als eine Art Spezialfall praktischer Signifikanz verstehen. Doch dazu ist, wie gesagt, der Weg, den Heidegger vom praktischen Umgehen mit nicht-sprachlichem Zuhandenen zum Reden über Vorhandenes in Brandoms Augen eröffnet, mit zu tiefgreifenden konzeptuellen Brüchen behaftet. Diese Brüche werden durch Brandoms unspezifische Rede von ›Performanz‹, ›Signifikanz‹ oder ›Interpretation‹ lediglich kaschiert. So kann »signifikant« auf einer nicht-symbolischen Ebene ja zunächst nicht mehr heißen, als ›hervorstechend‹, ›funktional bedeutsam‹ oder ›praktisch dienlich (zum)‹, was aber noch nicht der Weise entspricht, in der symbolische Dinge (wie z. B. eine Kinokarte) oder Handlungen (wie z. B das Abreißen der Kinokarte) Bedeutung oder Sinn haben können. Und es hat schon gar nichts mit der Weise zu tun, in der Sprachliches Bedeutung oder Sinn haben kann. Eigentlich gilt für alle Begriffe, mit denen Brandom entsprechende ›explanative Brücken‹ zu schlagen versucht, dass sie in Kontexten vorsprachlicher Fähigkeiten oder vorsprachlicher Praxis nicht den gleichen Sinn haben können wie in Kontexten sprachlicher Fähigkeiten oder sprachlicher Praxis.29 Wenn man dies im Auge behält, bleibt insbesondere jener Schritt unverständlich, der darin besteht, bestimmten Arten von Performanztypen die ›Signifikanz‹ von intra- oder interpersonalen ›Behauptungs-‹ bzw. ›Inferenzlegitimierern‹ zuzuschreiben, ohne dabei schon die Begrifflichkeit von Wahrheit und semantischer Bedeutung zur Verfügung zu haben. Wie soll ohne Rückgriff auf diese Begrifflichkeit deutlich gemacht werden können, welches Zuhandene von der Art ist, andere Performanzen in inferentiell qualifizierter Weise ›berechtigungsvererbend‹ legitimieren zu können? Und wie, anhand welcher Kriterien soll ›unterhalb‹ des Begriffs der Wahrheitserhaltung überhaupt bestimmbar sein, welche ›Berechtigungsvererbungen‹ im inferentiellen Sinne legitim sind?30 Es ist jedenfalls nicht zu sehen, wie eine zunächst nur 29

Genau genommen ist es schon problematisch, im vorsprachlichen Falle überhaupt undifferenziert von einer Praxis zu reden. Denn zumindest im primären Sinne diese Wortes hat Praxis mit Handeln zu tun, genauer gesagt: mit einem integrierten Handlungszusammenhang. Und zu Handeln heißt zugleich, verantwortlich zu sein. Doch ohne die Zuschreibbarkeit propositionalsprachlicher Kompetenz haben wir meines Erachtens keinen Anlass, davon auszugehen, dass Lebewesen sich in einsichtiger Weise an Normen orientieren und Gründe abwägen können. Und es ist diese Fähigkeit, die für die Zuschreibbarkeit von Verantwortung für Handlungen oder Urteile (und damit für die Legitimation der Rede von Praxis im eigentlichen Sinne) kriterial ist. 30 Für eine Kritik in diesem Sinne vgl. auch: Jerry A. Fodor: Brandom’s Burdens. In: Ders.: The Compositionality Papers. Oxford. New York 2002.

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mit Zweckhaftigkeiten (Dienlichkeiten) im Rahmen einer vorsprachlichen ›Praxis‹ verbundene Um-zu-Struktur von Zuhandenem im einzelnen für eine Erklärung inferentialistisch bestimmter propositionaler Gehalte und semantischer Eigenschaften von sprachlichen Typen oder Token hilfreich sein soll. Ein anderes Problem mit Brandoms Heidegger-Interpretation, auf das ich hier noch hinweisen möchte, steht im Zusammenhang mit Brandoms Verständnis von ›Auslegung‹ (engl.: »interpretation«). So sind zunächst schon in exegetischer Hinsicht Zweifel angebracht, ob sich Heideggers Anliegen einer Aufdeckung der für ›Dasein‹ konstitutiven geschichtlich-kulturell erschlossenen Vorstruktur des Verstehens, in welche die Subjekte immer auch ›geworfen‹ sind (in der sie sich also in gewisser Weise vorfinden), mit Brandoms normativ-pragmatischer Geschichte über die Stiftung bzw. Instituierung begrifflicher Normen in Einklang bringen lässt.31 Was Heidegger mit der Rede von der ›Aneignung von Zuhandenem‹ oder der ›Entdeckung der Verweisung von Seiendem‹ meint, lässt sich ja, wenn ich ihn richtig verstehe, nicht ohne weiteres als soziale Instituierung von Normen des richtigen Gebrauchs durch normative Einstellungen (oder Reaktionen) gegenüber Dingen oder Performanzen deuten.32 Doch Brandoms Verständnis von ›Auslegung‹ birgt auch ein systematisches Problem: So kann man Heideggers Verwendung von »auslegen« im Sinne einer vorsprachlich möglichen Bewusstmachung der Um-zu-Verwendbarkeit von ›Zeug‹ im Rahmen historisch-kulturell geprägter praktischer Verweisungs- oder Sinnzusammenhänge wohl noch als eine von üblichen engeren Verständnissen, auf die ich Eingangs hingewiesen habe,

31

In diesem Zusammenhang sei auch noch hingewiesen auf die gegenüber dem Heideggerschen Verstehensbegriff augenfällige Vernachlässigung der existentiellen Bedingungen von Verstehen, Bedingungen, die durch Begriffe wie ›Sorge‹, ›Angst‹ ›Befindlichkeit‹, ›Sich-voraus-Sein‹ oder ›Zeitlichkeit‹ benannt werden. Heidegger redet auch vom »Bedeuten«, nämlich im Sinne des Bezugscharakters von Verweisungszusammenhängen zwischen Zuhandenem, die als Ganzes Bedeutsamkeit ausmachen. Doch diese Bedeutsamkeit ergibt sich im Zusammenhang mit der für ein Dasein wesentlichen Sorge um sich selbst. Die existentiellen Bedingungen von Sinn und Verstehen geben nach Heidegger sozusagen eine ›anthropologische Grundstruktur‹ vor. Und diese kann nicht von den normativen Einstellungen von Praxisteilnehmern abhängen. Diese Vernachlässigung seitens Brandom kann man auch als Ausdruck einer grundlegende Differenz im umfassenden philosophischen Selbstverständnis Heideggers und Brandoms deuten: Wahrend Heideggers Ansatz in gewisser Weise als ein grundsätzlich anti-rationalistisches Unternehmen bezeichnet werden kann, trifft dies auf Brandom sicherlich nicht zu (so bezeichnet Brandom sein pragmatistisches Projekt ja auch als »rationalistischen Expressivismus«). 32 Brandom deutet die (problematische) englische Übersetzung von »verweisen« durch »referring or assigning« im Sinne von Handlungsverben. Deshalb glaubt er sagen zu können, dass »(r)eferring and assigning is to be understood […] as instituting the social appropriatenesses which are the significances of objects and performances […].« TmD. 304.

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zwar abweichende, aber nachvollziehbare Übertragung bzw. Erweiterung ansehen. Wenn aber, wie bei Brandom, der impliziten Form verstehender Praxis wesentlich auch die Funktion zukommen soll, den Sinn- bzw. Relevanzzusammenhang überhaupt erst zu erzeugen, der die jeweilige Signifikanz von Zuhandenem bestimmt, erscheint die Verwendung von »auslegen« oder »interpretieren« in diesem Zusammenhang als unangemessen. Zwar lässt sich, durch Gadamer informiert, mit guten Gründen sagen, dass ein Interpretieren oder Auslegen immer auch einen produktiven, sinnerzeugenden Charakter hat. Doch das ändert nichts daran, dass es sich immer auf bereits Sinnhaftes beziehen muss. Selbst jenes ›Auslegen‹, von dem Heidegger spricht, betrifft ein Abheben von bestimmten Sinnzusammenhängen im Rahmen des umfassend Vorverstandenen (und insofern schon Signifikanten). Es ist nicht zu sehen, wie eine Verwendung des Ausdrucks »Interpretation«, mit der auch eine Erzeugung von Sinn gleichsam aus dem ›Nichts‹ gemeint sein soll, die also nicht auf selbst schon Sinnvolles beschränkt bleibt, an übliche Verständnisse anschließen können soll. Eine in solcher Weise problematische, doppelsinnige Verwendungsweise ist aber offenbar genau die Brandoms.

IV. Sowohl Heidegger als auch Brandom geht es, vereinfacht gesagt, vorrangig um Fragen der Struktur einer sinnhaften oder sinnstiftenden Primärpraxis, und sie denken dabei offenbar ausschließlich an ein Verstehen kulturell bedingten Sinns. Unberücksichtigt bleiben spezifisch hermeneutische Fragen nach Bedingungen und Methoden des Verstehens von fremdem, zunächst unzugänglichem Sinn, die es für einen umfassenden Begriff von Verstehen zu berücksichtigen gälte. Außerdem erscheint es mir sinnvoll, auch die Beschränkung auf kulturell geprägten Sinn aufzugeben. Der Begriff des Verstehens lässt sich über Fälle von regel- oder normorientiertem Verhalten hinaus anwenden.33 Zugleich gilt es aber auch, die Besonderheiten des Verstehens von Semantischem oder Propositionalem gegenüber dem Verstehen von bloß Symbolischem oder Instrumentellem herauszustreichen. Ich schlage – allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben – vor, idealtypisch zwischen fünf Formen oder Weisen möglichen Verstehens zu unterscheiden: 33

Wobei ich seine Anwendbarkeit auch außerhalb von tierlichem Verhalten, insbesondere im Sinne des Verstehens kausaler oder funktionaler Zusammenhänge, hier aber außer acht lasse.

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1. Verstehen von emotionalen Zuständen bzw. Ausdrucksformen im weitesten Sinne (z. B.: Angst, Freude); 2. Verstehen von instinkt- oder triebgesteuertem Verhalten (z. B.: Fluchtverhalten, Sexualverhalten); 3. Verstehen von erlerntem nicht-symbolischem Zweck-Mittel-Verhalten oder -Handeln (z. B. Jagen, Essenkochen) bzw. von entsprechenden Zwecken (z.B.: Erlangung von Nahrung, Erlangung von gesundheitlich risikoärmerer oder schmackhafterer Nahrung) und Mitteln (z. B.: koordiniertes Rudeljagen, Speer, Herd); 4. Verstehen von symbolischem Handeln (z. B.: Heiraten, Fetischgebrauch) bzw. entsprechender Symbolträger (z. B.: Ehering, Talisman); 5. Verstehen von Symbolhandeln/sprachlichem Handeln bzw. seiner Produkte, Medien und medialen Elemente (z. B.: sprachliche Äußerungen, Texte, Sprachen, Wörter, Signale). Zu (1.): Den Begriff ›Emotion‹ verwende ich hier in einem quasi technischen, nämlich sehr weiten Sinne, unter den nicht nur Gefühle, sondern auch Stimmungen, Befindlichkeiten und Charaktereigenschaften fallen. Einige elementare Formen entsprechender Verstehenskompetenzen bilden offenbar eine notwendige Bedingung der Möglichkeit sozialen Lernens (und damit auch höherer Formen des Verstehens) und lassen sich als ›angeboren‹ oder ›instinktiv‹ ansehen. Hier scheint der Begriff des ›Einfühlens‹ noch am ehesten angebracht, da dieses Verstehen in gewisser Weise unmittelbar sein kann und wesentlich assoziativ ist. So verstehen wir häufig schon vorinterpretativ und ohne Kenntnis eines Kontextes den Unterschied zwischen einem grimmigen und einem freundlichen Gesicht (auch Kleinkinder und einige Tiere haben entsprechende Fähigkeiten); und ein Verstehen kann hier allein darin bestehen, den Ausdruck eines Gefühls oder einer Emotion mit eigenen Empfindungen zu assoziieren.34 Allerdings wird ein differenzierteres Verstehen von Emotionen bzw. ihres Ausdrucks, insbesondere ein Verstehen von kulturell überformten oder geprägten Emotionen, natürlich den Erwerb kulturellen Wissens erfordern. Damit kann ein angemessenes Verstehen von Emotionen auch begrifflich vermittelt sein und Fragen der richtigen Interpretation aufwerfen. Doch auch dann noch bildet ein unmittelbares Verstehen die Grundlage.

34

Was nicht heißen soll, dass die Kriterien des Verstehens hier rein subjektiv oder ›privat‹ sind. Ob man die Assoziationen in richtiger Weise vornimmt, ist auch eine Frage intersubjektiv kontrollierter genereller Kompetenzzurechnung. Gemeint ist, dass wer sich beispielsweise nicht selber fürchten kann, auch nicht wirklich versteht, wofür der Ausdruck der Furcht bei anderen steht.

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Zu (2.): Der Gegenstand dieser zweiten Form des Verstehens fällt noch ganz in den Bereich des Natürlichen, Geschehnishaften. Instinktives oder triebgesteuertes Verhalten wird zwar als (funktionalen) Normen unterliegend, nicht jedoch als an ihnen orientiert verstanden. Auch Tiere können das instinktive Verhalten anderer Tiere in dem Sinne richtig verstehen, dass sie angemessen darauf reagieren. Aber sie verstehen es nicht als instinktives Verhalten, denn dazu bedürfte es des begrifflichen Vermögens der Unterscheidung zwischen funktionalem und dysfunktionalem und zwischen instinktivem und kontrolliertem Verhalten. Unser Verstehen des instinkt- oder triebgesteuerten Verhaltens humaner oder nicht-humaner Tiere (als solchem) beruht auf der Unterstellung bestimmter allgemeiner Dispositionen und Bedürfnisse, deren jeweilige Verhaltensrelevanz wir vom eigenen Fall her kennen und die wir dann entsprechend projizieren. So können wir das ›Worumwillen‹ von Nahrungssuche oder sexuell motiviertem Verhalten verstehen, weil wir das Verhalten nicht nur in eine Um-zu-Struktur bringen können, sondern die zu Grunde liegenden elementaren Dispositionen, Neigungen oder Bedürfnisse auch vom eigenen Fall her kennen. Dabei kommt es für ein Verstehen tierlichen Verhaltens natürlich auch darauf an, die artspezifischen Ausprägungen und Verhaltensrelevanzen biologisch universeller Bedürfnisse oder Neigungen zu erkennen.35 Beim Menschen, als kulturgeprägtem Wesen, liegt instinktives Verhalten dagegen selten in ›Reinform‹ vor, sondern ist meist kulturell überformt (oder sogar zu einem Zweck-Mittel-Verhalten ›aufgestuft‹), weshalb wir besser von instinkt- oder triebbasiertem Verhalten sprechen sollten. Dennoch bleibt es im Kern häufig auch ohne besonderes Wissen um kulturspezifische Kontexte verstehbar. Zu (3.): Die dritte Form des Verstehens erfordert mit der Unterscheidung von Mitteln und Zwecken einen wichtigen Abstraktionsschritt, da entsprechendes Verhalten bzw. Handeln sowohl im Hinblick auf die Wahl der Zwecke als auch im Hinblick auf die Wahl der Mittel bewertet werden kann.36 Ein zweckbezogenes absichtliches Handeln oder Verhalten und seine Mittel verstehe ich als nicht-symbolisch, wenn die Mittel (etwa ein Hammer) keine Stellvertreterfunktion haben oder das Handeln (etwa ein Hämmern) keine Mitteilungsfunktion hat und wenn die Zweckmäßigkeit des Mitteleinsatzes nicht von konventionellen Normen abhängt. Die Zweck-Mittel-Struktur bil-

35

Damit ist übrigens nicht behauptet, dass das Verhalten nicht-humaner Tiere wie bspw. von Menschenaffen immer allein auf der Ebene von Instinkten oder Trieben erklärt werden kann. Angemessene Grenzziehungen sind hier auch eine empirische Frage. 36 Wobei ich unterstelle, dass Verstehen spätestens ab dieser Stufe mit spezifischen Formen des Bewertenkönnens einhergeht.

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det hier die Form, in der ein entsprechendes Verhalten oder Handeln rational sein, also verstanden werden kann. Doch das Verstehen – wir könnten sagen: der Grad des Verstehens – hängt hier auch davon ab, inwieweit der jeweilige Sinn der Zwecke erfasst, diese also mit dem selbst für erstrebenswert oder wertvoll Erachteten in Zusammenhang gebracht werden können, und inwieweit man über eigene praktische Erfahrungen oder das theoretische Wissen verfügt, die bzw. das für eine angemessene Beurteilung der Zweck-MittelHandlung notwendig sind. Zu (4.): Den Sinn symbolischen Handelns verstehen zu können, setzt einen weiteren abstrahierenden Schritt voraus, der darin besteht, zu erkennen, dass in der symbolischen Handlung etwas für etwas anderes steht. Deshalb heißt Verstehen hier immer auch, die relevanten Regeln oder Normen zu erfassen, die den Gebrauch eines Symbols im Sinne seines Für-etwas-Stehens bestimmen. Allerdings können symbolische Handlungen noch mal unterschieden werden in solche, die konventionell-performativer Natur sind, und solche, die in entweder (quasi-) kausaler oder metaphorischer Absicht ausgeführt werden. So ist etwa das Anstecken des Rings während der Trauung ein performativer Akt, dessen Korrektheitsbedingungen und dessen Folgen durch ein System von Normen geregelt sind (mit Brandom könnten wir sagen, dass man durch ein solches Tun den normativen Status anderer Handlungen verändert – oder mit Searle, dass man eine institutionelle Tatsache schafft). Es gibt aber auch symbolische Handlungen, deren Sinnhaftigkeit nicht auf dem Bestehen bestimmter sozialer Institutionen im engeren Sinne beruht und die deshalb auch keinen performativen Charakter haben können. Der berühmte Stich in die Voodoopuppe oder das Küssen des Bildes des Geliebten werden als symbolische Handlungen im ersten Fall unter der Voraussetzung einer als kausalwirksam unterstellten Zweckhaftigkeit, im zweiten Fall im Sinne einer metaphorischen Ersatzhandlung verstehbar. Doch in solchen Fällen symbolischen Handelns wird nicht notwendigerweise allein durch die Ausführung ein normativer Status verändert (bzw. eine institutionelle Tatsache erzeugt).37 37

Die Beurteilung des beabsichtigten Erfolgs von nicht-metaphorischen magischen Praktiken hängt natürlich von grundlegenden Überzeugungen darüber ab, welchen Arten von Ereignissen oder Eigenschaften überhaupt eine kausale Wirksamkeit zukommen kann. Alle nicht-performativen Symbolhandlungen als auf kausalen Absichten bzw. Überzeugungen beruhend zu verstehen, hieße aber, rituelle oder magische Praktiken in unangemessener Weise zu rationalisieren. Auch die magischen Praktiken vormoderner Kulturen haben wohl häufig eher den Charakter metaphorischer Ersatzhandlungen, deren psychologische oder soziale Funktion in der Bewältigung von Kontingenz bestehen mag. Ein Verstehen beruht hier auf einer Projektion residualer ›Mythologien‹ innerhalb der eigenen

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Zu (5.): Symbolhandeln (oder -verhalten) ist von symbolischem Handeln zunächst durch seine Mitteilungsfunktion unterschieden, es ist wesentlich adressatengerichtet. Allerdings muss innerhalb des Bereichs des Symbolhandelns oder -verhaltens noch ein wichtiger Unterschied berücksichtigt werden, nämlich der zwischen signalsprachlichem und propositionalsprachlichem Handeln oder Verhalten (bzw. entsprechenden Verstehenskompetenzen). Signalsprachlichkeit lässt sich am besten im Kontrast zu Propositionalsprachlichkeit erläutern. Propositional ist eine Sprache, deren grundlegende Komplexbildungsweise die asymmetrisch-komplementäre Subjekt-Prädikatstruktur ist. Diese Struktur geht mit Wahrheitsfähigkeit und Inferentialität einher und bildet die Grundlage der Ausdifferenzierung von illokutiven und propositionalen Komponenten (und damit der Unterscheidbarkeit von imperativischen, indikativischen und anderen Äußerungsmodi). Nur ein propositionalsprachlich handlungs- oder zumindest verstehenskompetentes Wesen kann meines Erachtens Gegenstand von Verantwortungszuschreibungen im uneingeschränkten Sinne sein. Propositionalsprachliche Handlungs- und Verstehenskompetenz beruht auf einer durch Training erworbenen erstsprachlichen Bedeutungskompetenz, die die vorinterpretative Grundlage von Interpretation oder Übersetzung, also der adäquaten Substitution nicht verstandener durch verstandene Zeichen bzw. Zeichenhandlungen, bildet. Dabei besteht wegen der Verwobenheit sprachlicher und nicht-sprachlicher Handlungen ein komplexes wechselseitiges Bedingungsverhältnis zwischen dem Verstehen sprachlicher und dem Verstehen nicht-sprachlicher Handlungen. Symbolsysteme auf der Ebene propositionaler Sprachen haben Eigenschaften, die sie in wichtigen Hinsichten von Symbolsystemen einfacherer Art unterscheiden (wobei ich mich hier auf den Fall semantischer, das heißt: nicht rein formaler Symbolsysteme beschränke). Dazu gehört insbesondere auch ihre Kompositionalität. Damit ist, vereinfacht gesagt, gemeint, dass sich aus einem begrenzten Repertoire an bedeutungstragenden oder bedeutungsrelevanten Elementen (Worten) und einem begrenzten Repertoire an grammatischen (Um-) Formungsregeln für diese Elemente eine potentiell unendliche Menge an sinnvollen Handlungen erzeugen lässt. Es liegt deshalb auch nahe zu sagen, dass das Verstehen einer propositionalsprachlichen Symbolhandlung die Fähigkeit zur Bildung einer gewissen Mindestmenge an regelgemä(modernen) Lebensform, die nicht im Sinne kausaler Überzeugungen gedeutet werden sollten (vergl. hierzu die einschlägigen Bemerkungen Wittgensteins in: Ders.: Bemerkungen über Frazers »The Golden Bough«. In: Rolf Wiggershaus (Hrsg.): Sprachanalyse und Soziologie. Frankfurt/M. 1975).

Verhältnis von symbolbezogenen und nicht-symbolbezogenen Formen

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ßen Sätzen bezüglich jedes derjenigen Elemente (Worte) voraussetzt, durch deren zusammenhängende Verwendung die fragliche Sprachhandlung vollzogen wird. Zwar sind auch Signale kombinierbar. Aber Kombinierbarkeit ist nicht Kompositionalität, Signale weisen keine innere Struktur auf. Vor allem lässt sich auf der Ebene signalsprachlicher Bedeutung nicht zwischen indikativischem und imperativischem Sprachgebrauch unterscheiden.38 Die Ausdifferenzierung der gegenstandsidentifizierenden Rolle singulärer Termini und der klassifizierenden Rolle genereller Termini ermöglicht eine situationsübergreifende normative Beurteilung von sprachlichen Äußerungen.39 So können Teilnehmer einer propositionalsprachlichen Handlungspraxis die durch ihren jeweiligen raum-zeitlichen Ort begründeten Perspektivendifferenzen kognitiv überbrücken, indem sie mit unterschiedlichen Worten das (im wahrheitsrelevanten Sinne) Gleiche sagen. Und erst mit der nur propositionalsprachlich möglichen Unterscheidung zwischen dem Sinn und dem Bezug singulärer Termini kann es eine Art von Verstehen geben, bei dem die sich in abweichenden Beschreibungen niederschlagenden doxastischen Differenzen zwischen Sprechern durch die Unterstellung eines gemeinsamen Bezugsgegenstandes miteinander in Beziehung gesetzt werden können.40 Auch wenn ich dies hier nicht wirklich zeigen kann, möchte ich doch die These wagen, dass jede Verstehenskompetenz die Verstehenskompetenzen der jeweils (im Sinne der Nummerierung) darunter liegenden Stufen beinhaltet. Was ich hier zumindest partiell zu zeigen versucht habe, ist dagegen, dass sich keine der genannten Verstehensformen in Begriffen einer der darunter liegenden Verstehensform verständlich machen bzw. erklären lässt. Für un38

Vgl. Ernst Tugendhat: Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie. Frankfurt/M. 1975, insbes. die 12. und 13. Vorlesung, in denen Tugendhat die Unangemessenheit signalsprachlicher oder ›quasiprädikativer‹ Analysen unserer Form sprachlicher Verständigung aufzeigt. Unter signalsprachliche Formen der Kommunikation fallen sowohl die Warnrufe bei bestimmten Affenarten als auch die Äußerungsmöglichkeiten in Wittgensteins fiktivem ›Bauarbeiter‹-Sprachspiel. Jedenfalls lässt sich in beiden Fällen insbesondere nicht zwischen imperativischem und indikativischem Sprachgebrauch unterscheiden. (Möglicherweise hätte es signalsprachliches Verstehen verdient, als eigenständige Verstehensform aufgeführt zu werden, doch dies ist für meine Überlegungen im Hinblick auf die Brandomsche Heidegger-Interpretation nicht wesentlich.) 39 ›Gegenstandsidentifizierend‹ ist hier im ontologisch neutralen Sinne von ›Gegenstand der Rede‹ gemeint. 40 Damit ist propositionalsprachliche Verstehens- oder Handlungskompetenz natürlich keineswegs vollständig charakterisiert. So sage ich unter anderem nichts zu den Verstehensbedingungen all dessen, was über den wörtlichen Sinn hinausgeht (wie etwa metaphorischer Sinn). Ganz generell lasse ich ›sinnbildliches‹ Verstehen (etwa in Bezug auf Kunstwerke), das wohl eine weitere eigenständige Form bildet, hier außer acht.

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sere Fragen an Brandoms Heidegger-Interpretation kommt es dabei vor allem auf die tiefgreifenden Differenzen an, die zwischen nicht-symbolbezogenen und symbolbezogenen Handlungs- und Verstehenskompetenzen bestehen. Diese lassen sich schon an der Unterschiedlichkeit der für das Verstehen eines Werkzeuggebrauchs (etwa eines Hammer) und der für das Verstehen des Gebrauchs eines nicht-sprachlichen Symbols (etwa eines Ehering oder einer Voodoopuppe) notwendigen Fähigkeiten verdeutlichen. So ist der Gebrauch eines nicht-sprachlichen Symbols erst auf einer Ebene abstraktiver Fähigkeit verstehbar, die einen erfassen lässt, dass etwas für etwas anderes steht. Ein Hammer steht in diesem Sinne für nichts. Ein Verstehen seines Gebrauchs besteht einfach im Erfassen dessen, wozu er gebraucht wird, und dazu bedarf es normalerweise keiner Kenntnis spezifischer Konventionen oder Institutionen. Noch deutlicher ist der kognitive ›Sprung‹ zu den Verstehensbedingungen propositionalsprachlicher Handlungen, da ein Verstehen hier, anders als im Falle nicht-sprachlicher symbolischer Handlungen, auch noch eine grammatische Kompetenz voraussetzt, die es ermöglicht, die systematische Abhängigkeit des Sinns einer sprachlichen Handlung von ihren sprachlichen Elementen und der Weise ihrer Zusammensetzung zu erfassen. Sprachliche Handlungen sind, wie Brandom zu recht betont, meist nicht – oder jedenfalls nicht in nicht-trivialer Weise – mit einem bestimmten Handlungszweck verknüpft, was insbesondere für Behauptungen gilt. Vor dem Hintergrund dieser Analysen erscheinen die angesprochenen Schwierigkeiten der Idee einer normativ-pragmatistischen Erklärung von propositionaler Verstehens- und Handlungskompetenz (bzw. von propositionalem Gehalt als solchem) in Begriffen von Zuhandenem, an deren Entwicklung sich Brandom unter Berufung auf Heidegger versucht, als wenig überraschend. Durch einen Begriff von Signifikanz, der so etwas wie praktische Dienlichkeit, ein ›Um-Zu‹ von ›Zeug‹ im Kontext eines Verweisungszusammenhangs mit anderem ›Zeug‹ meint, lässt sich nicht mal jene Art von Signifikanz erklären, mit der wir es bei nicht-sprachlichen Symbolen zu tun haben.

Karl Mertens

Die Kontextualität des Verstehens in Heideggers Daseinshermeneutik und Brandoms inferentialistischer Heidegger-Interpretation Dass unser Verstehen auf Kontexte einer sozialen Praxis zurückzuführen ist, dürfte eine wichtige Einsicht sein, die Heideggers Daseinshermeneutik und Brandoms Inferentialismus teilen. Diese Gemeinsamkeit erklärt auch, warum sich Brandom ausführlich mit Heideggers Sein und Zeit beschäftigt hat.1 Kann man richtige Einsichten übertreiben? Ich meine schon. Heidegger und Brandom liefern dafür Beispiele. Ihre Tendenz zu einem philosophischen Fundamentalismus verstellt jeweils ein angemessenes Verständnis des in ihren Überlegungen zentralen Phänomenbereichs der sozialen Praxis. Allerdings akzentuieren Heidegger und Brandom ihren Fundamentalismus in unterschiedlicher Weise. Während Heideggers Analyse der sozialen Praxis das Modell des herstellenden Tuns favorisiert, sind die Leitkonzepte von Brandoms Heidegger-Interpretation das der kommunikativen Anerkennung und der inferentialistischen Rechtfertigung. Um meine Kritik plausibel zu machen, möchte ich die Verstehenskonzepte von Heidegger und Brandom in einen Zusammenhang stellen, in dem sie jeweils als Antworten auf unzureichende philosophische Bestimmungen der Kontextualität des Verstehens interpretiert werden. In dieser Absicht soll den Ausführungen zu Heidegger im ersten Abschnitt eine Skizze des Verstehensbegriffs der Husserlschen Phänomenologie vorangestellt werden. Das Problem dieses Konzeptes besteht in seiner einseitig egologischen und an theoretischen Weltverhältnissen interessierten Ausrichtung, die – wie der zweite Abschnitt zeigen soll – Heideggers sozialpragmatisch grundierter Verstehensbegriff zu überwinden versucht. Heideggers eigene Überlegungen in Sein und Zeit laufen jedoch ihrerseits auf eine poietisch-instrumentalistische Verengung des Begriffs der sozialen Praxis hinaus. Diese zu kritisieren ist zwar nicht das programmatische Ziel Brandoms, kann aber – so die These des dritten Abschnitts – als ein Ertrag seiner Ausführungen zu Heidegger und seines Bemühens, Verstehen auf eine Praxis sprachlichen Kommunizierens und Begründens zurückzuführen, verstanden 1

Robert B. Brandom: Heidegger’s Categories in Sein und Zeit. In: Ders.: Tales of the Mighty Dead. Historical Essays in the Metaphysics of Intentionality. Cambridge/Mass. London/Engl. 2002. 298–323; zuerst in: Monist 66 (1983). 387–409; ders.: Dasein, the Being That Thematizes. In: Ders.: Tales of the Mighty Dead. A. a. O. 324–347; zuerst in: Epoché 5 (1999). 1–40.

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werden. Kritisch möchte ich in diesem Zusammenhang allerdings auf Brandoms Tendenz zu einer rationalistischen Überzeichnung der sozialen Praxis und des in dieser gründenden Verstehens hinweisen.

1. Der kontextuelle Charakter des Verstehens (Husserl) In der üblichen Begriffsverwendung bezieht sich die Rede vom ›Verstehen‹ zumeist auf das Erfassen der Bedeutung eines sprachlichen Zeichens. Dementsprechend verstehen wir die Bedeutung eines Wortes, eines Satzes oder einer ganzen Rede. Wer etwa die Äußerung »Lukas hat gestern seinen ersten Zahn verloren« versteht, der erfasst die Bedeutung dieses Satzes nicht allein im Rekurs auf die wörtliche Bedeutung der in ihm verwendeten Begriffe, sondern vor dem Hintergrund eines reichhaltigen kontextuellen Wissens.2 Er wird z. B. annehmen, dass Lukas ein Junge ist, bei dem der Zahnwechsel begonnen hat, dass der verlorene Zahn ein Milchzahn ist, der einem bleibenden Zahn Platz gemacht hat, dass dieses Ereignis für den Betroffenen wahrscheinlich bedeutsam ist usw. Das Verstehen sprachlicher Zeichen wird demnach möglich im Gefüge unserer Überzeugungen und Erfahrungen. Das ist der Grundgedanke kohärenztheoretischer oder holistischer Konzepte, ein Gedanke, wie ihn in ganz unterschiedlicher Weise z. B. Edmund Husserl in der Phänomenologie oder Donald Davidson im Rahmen der analytischen Philosophie vorgetragen haben. Während nach Davidson für unser Verstehen die Kohärenz eines in Sätzen explizierbaren Meinungssystems grundlegend ist, analysiert Husserl die Kontextualität unseres Verstehens von etwas als kohärente vorprädikative Bewusstseinserfahrung. Korrelat des Verstehens sind bei Husserl daher primär nicht sprachliche Zeichen, sondern Sinngebilde, die ihrerseits in sprachlichen Aussagen zum Thema werden können – bestimmte Gegenstände, Sachverhalte, Handlungen usw. Die Hintergründigkeit unseres Sinnverstehens zeigt sich dabei an der Unmöglichkeit einer isolierten sowie einer ersten Erfahrung. Besonders gut lässt sich die systematische Position Husserls im Rahmen der von Landgrebe ausgearbeiteten, auf Manuskripten Husserls beruhenden Schrift Erfahrung und Urteil fassen. »Niemals«, so heißt es hier in § 8, »vollzieht sich eine Erkenntnisleistung an individuellen Gegenständen der Erfahrung so, als 2

Vgl. John R. Searle: Wörtliche Bedeutung. In: Ders.: Ausdruck und Bedeutung. Untersuchungen zur Sprechakttheorie. Übers. v. A. Kemmerling. Frankfurt/M. 1982. 139–159; Orig.: Literal Meaning. In: Ders.: Expression and Meaning. Studies in the Theory of Speech Acts. Cambridge 1979. 117–136; zuerst in: Erkenntnis 13 (1978). 207–224.

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ob diese erstmalig vorgegeben wären als noch gänzlich unbestimmte Substrate. Welt ist für uns immer schon eine solche, in der bereits Erkenntnis in der mannigfaltigsten Weise ihr Werk getan hat; und so ist es zweifellos, daß es keine Erfahrung im erstlich-schlichten Sinne einer Dingerfahrung gibt, die, erstmalig dieses Ding erfassend, in Kenntnis nehmend, nicht schon von ihm mehr ›weiß‹, als dabei zur Kenntnis kommt. Jede Erfahrung, was immer sie im eigentlichen Sinne erfährt, als es selbst zu Gesicht bekommt, hat eo ipso, hat notwendig ein Wissen und Mitwissen hinsichtlich eben dieses Dinges, nämlich von solchem ihm Eigenen, was sie noch nicht zu Gesicht bekommen hat. Dieses Vorwissen ist inhaltlich unbestimmt oder unvollkommen bestimmt, aber nie vollkommen leer, und wenn es nicht mitgelten würde, wäre die Erfahrung überhaupt nicht Erfahrung von einem und diesem Ding.«3 Erfahrung ist immer kontextabhängig, weist stets über Thematisches hinaus auf Mitgemeintes, d. h. auf ein implizites Verstehen, das das thematische Verstehen leitet. Zur Charakterisierung dieser Eigentümlichkeit des Verstehens spricht Husserl u. a. von der »Horizontstruktur der Erfahrung«.4 Die visuelle Metaphorik ist aufschlussreich. Horizonthaft Wahrgenommenes wird erfasst in einem räumlich begrenzten Gesichtsfeld. Zentriert in der Perspektive des Wahrnehmenden verschiebt sich das Gesichtsfeld mit jedem Standortwechsel. Dabei erscheint das Wahrgenommene immer nur einseitig – d. h. in einer bestimmten Ansicht. Diese verweist auf mögliche weitere Aspekte des Gegenstandes, die aus anderen Perspektiven prinzipiell wahrgenommen werden können. In verschiedenen Erscheinungen wird so stets dasselbe Ding wahrgenommen.5 Zum Beispiel impliziert die Wahrnehmung der mir zugewandten roten Seite eines Papierkorbs das Mitmeinen anderer, nicht thematischer, aber prinzipiell thematisierbarer Aspekte des Gegenstandes – ich verstehe den Gegenstand etwa als ein Ding, dass eine Rückseite hat, die wahrscheinlich ebenfalls rot ist, zumindest aber irgendeine Färbung besitzt usw. Für Husserl ist der Wahrnehmungsgegenstand daher die synthetische Einheit seiner wirklichen und möglichen Gegebenheitsweisen;6 sie terminiert in der Idee einer vollkommenen Dingwahrnehmung bzw. Dinggegebenheit.7 3

Edmund Husserl: Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik. Red. u. hrsg. v. L. Landgrebe, mit Nachw. u. Reg. v. L. Eley. 6. verb. Aufl., Hamburg 1985; zuerst Prag 1939 (im Weiteren als EU). 26 f. 4 Z. B. ebd. § 8. 26. 5 Ebd. 27. 6 Hua VI, 169; vgl. Hua XVI, 189. Die mit der Sigle »Hua« gekennzeichneten Stellenangaben beziehen sich auf Band und Seitenzahlen der Husserliana (Edmund Husserl: Gesammelte Werke. Bd. I ff. Den Haag 1950 ff.). 7 Husserl spricht von einer »›Idee‹ (im Kantischen Sinn)« (Hua III/1, 331). Diese be-

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Die am Leitfaden der visuellen Gegenstandswahrnehmung entwickelte Analyse der Verstehenskontexte orientiert sich am Modell gegenständlicher Näher- und Weiterbestimmung. Dieses Modell erlaubt Husserl eine genauere Unterscheidung zwischen zwei Formen horizonthafter Erfahrung, die als Innen- und Außenhorizont charakterisiert werden.8 Der Innenhorizont ist das, was durch Näherbestimmung einer Sache thematisch wird, während der Außenhorizont der Dingerfahrung durch die Herausstellung von Mitobjekten des thematischen Dinges weiter bestimmt wird. Das wahrnehmungstheoretische Konzept expliziten und impliziten Verstehens lässt sich auch für die Analyse unseres Sachverhaltswissens nutzen. Wenn ich etwa verstehe, dass der Zug nach Frankfurt Verspätung hat, dann schließt das ein Hintergrundwissen hinsichtlich der gewöhnlichen Abläufe im Zugreiseverkehr oder der uns vertrauten Möglichkeiten der Zeitmessung ein. In der Regel handelt es sich dabei um ein nicht-thematisches Mitwissen, das jedoch grundsätzlich – wenn auch nicht vollständig – explizierbar ist.9 Darüber hinaus überträgt Husserl das Modell der kontextuellen Näherbestimmung auf die Sphäre der menschlichen Praxis, wenn er beispielsweise die Analogie der Dynamik von Erkennen und Handeln herausstellt, die auf eine je spezifische fortschreitende Realisierung ihres eigentümlichen Zieles gerichtet ist.10 Erkennen und Handeln erscheinen dabei als zielgerichtete Aktivitäten, die wesentlich vom Interesse des Ichs abhängen und die zur Bildung eines für diese Tätigkeiten bedeutsamen Habitus führen. Aufschlussreich ist hier eine Beilage von 1926 zu den Vorlesungen zur Phänomenologischen Psychologie des Sommersemesters 1925: »In jedem actus ist also das Ich kontinuierlich-bewußtseinsmäßig bei seinem Ziel als Telos und all dem, was dazu ev. im Gang der Bestimmung gehört. Inter est – in der Tat, wenn im weitesten Sinn von Interessiertsein, von Interesse gesprochen wird, so drückt sich damit unter einiger Erweiterung des normalen Wortsinns das Grundwesen aller Akte aus; ›das Ich ist für irgendetwas interessiert‹ – ›es ist intentional darauf gerichtet‹ besagt dasselbe. / Ich sagte: unter einiger Erweiterung des normalen Wortsinnes. Denn normalerweise ist noch mehr gemeint, nämlich eine

zeichnet das unendliche Kontinuum von Erscheinungen desselben Gegenstandes (vgl. ebd. 329 ff.). 8 EU. 28. 9 Die Unterscheidung von Innen- und Außenhorizont kann in diesem Zusammenhang etwa als Differenz zwischen Thema und Feld begriffen werden. Vgl. dazu Aron Gurwitsch: Das Bewusstseinsfeld. Übers. v. W.D. Fröhlich (Phänomenologisch-psychologische Forschungen 1). Berlin. New York 1975; Orig.: Théorie du Champ de la Conscience. Bruges. Paris 1957. 10 Vgl. EU. 236 f.

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Gewohnheit des Ich oder eine willentliche Entschlossenheit, auf ein Thema immer wieder in zugehörigen Lebenszusammenhängen, unter mitgedachten Umständen zurückzukommen und sich damit weiterzubeschäftigen, es für sich oder in bezug auf andere thematisch mitverflochtene Themen bestimmend zu verfolgen.«11 Die Interessiertheit des Ich ist als bleibende und allgemeine willensbestimmende Interessenrichtung mit der Persönlichkeit des Ich unaufhebbar verbunden. M. a. W. Personen sind habituell interessiert.12 Allerdings haben solche Ausweitungen des im Rahmen wahrnehmungstheoretischer Überlegungen entwickelten Konzeptes kontextuellen Verstehens eine charakteristische Grenze. Denn Husserls Orientierung am Modell fortschreitender Wahrnehmung bzw. Erkenntnis führt zu einer weitgehenden Ausblendung der gegenstandskonstitutiven Relevanz praktischer Interessen. Die Diskussion der die Kontexte unseres Verstehens bestimmenden Interessen ist vielmehr in der für Husserl entscheidenden Hinsicht erkenntnistheoretisch eingebettet. Die praktische Interessiertheit des Ich erlangt daher systematische Bedeutung zumeist in negativem Zusammenhang – dort nämlich, wo es im Rahmen der Bestimmung der phänomenologischen Epoché und Reduktion um die philosophische Distanzierung von allen natürlichen Interessen geht. Eine solche Distanzierung dient ihrerseits der Ermöglichung des phänomenologischen Erkenntnisinteresses. Darüber hinaus marginalisiert das Leitbild einer auf fortschreitende Bestimmung angelegten Gegenstandswahrnehmung das Problem des kontextuellen Wechsels und des mit ihm verbundenen Neuverstehens. Dass jedoch Husserls Modell bereits im Rahmen der Wahrnehmungstheorie zu kurz greift, kann man mit Gurwitsch gegen Husserl verdeutlichen. Husserl analysiert z. B. den Widerstreit zwischen der Wahrnehmung eines Menschen in einem Schaufenster und dem Bemerken, dass es sich bei diesem vielleicht um eine Puppe handelt, auf die folgende Weise: »Am eigentlich Gesehenen ändert sich nichts, ja gemeinsam ist auch noch mehr; beiderseits sind gemeinsam apperzipiert Kleider, Haare u. dgl., aber einmal Fleisch und Blut, das andere Mal etwa bemaltes Holz. Ein und derselbe Bestand an Empfindungsdaten ist die gemeinsame Unterlage von zwei übereinander gelagerten Auffassungen.«13 Gegenüber dieser Auslegung hat Gurwitsch in seiner gestalttheoretischen Interpretation darauf hingewiesen, dass der je andere Kontext verschiedene Gegenstände konsti11

Hua IX. 412. Vgl. ebd. 412 ff. Die Person umfasst dabei auch passiv konstituierte Habitualitäten (ebd. 414). 13 EU. 100, insges. 99 ff. 14 Während für Husserl das im Widerstreit vorausgesetzte Identische in einem ›gemeinsamen Kerngehalt‹ besteht (ebd. 100), ist dieses nach Gurwitsch lediglich »ein wohl 12

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tuiert.14 Noch deutlicher wird die Relevanz kontextueller Umstrukturierung in Fällen eines Wechsels spezifisch praktischer Interessen. Denn auf Grund unserer Interessen und der Aufgaben, die wir verfolgen, kommt es auf diese und nicht jene Aspekte einer Sache an, zählt dieses und nicht jenes Wissen. Wendet sich Husserl hingegen unseren gewöhnlichen praktischen Interessen zu, dann gewinnt man nicht selten den Eindruck, als seien für ihn verschiedene – etwa in beruflichen Einstellungen begründete – Interessen lediglich durch einen unterschiedlichen Grad an Genauigkeit und Vollkommenheit in der Erfassung eines Sachverhaltes ausgezeichnet. Die jeweilige praktische Interessiertheit setzt offenbar den sinnvollen Näherbestimmungen einer Sache spezifische Grenzen. Hier gibt es, wie Husserl in einem Manuskript zur Passiven Synthesis ausführt, ein je nach Interesse variierendes graduelles Optimum in der Bestimmung einer Sache. In charakteristischer Verzerrung der grundlegenden Differenzen des verschiedenen praktischen Interessen entsprechenden Wissens heißt es weiter: »Das, was praktisch genügt, gilt als das Selbst. So ist das Haus selbst und in seinem wahren Sein, und zwar hinsichtlich seiner puren körperlichen Dinglichkeit, sehr bald optimal gegeben, also vollkommen erfahren von dem, der es als Käufer oder Verkäufer betrachtet. Für den Physiker und Chemiker erschiene solche Erfahrungsweise völlig oberflächlich und vom wahren Sein noch himmelfern.«15 Als ginge es im Wechsel vom ökonomischen zu einem naturwissenschaftlichen Interesse um einen Wechsel zwischen einer mehr oder weniger oberflächlichen Betrachtung desselben und nicht um verschiedene Gegenstände. In dieser Sicht wird die Bedeutung unserer praktischen Interessen für die kontextuelle Bestimmtheit des Verstehens der dominanten Orientierung am Wahrnehmungsmodell inkorporiert und auf die Möglichkeiten bloßer Näher- und Weiterbestimmung eines schon verstandenen Sinngebildes beschränkt. Das wahrnehmungstheoretische Modell der phänomenologischen Analyse sinnstiftender Leistungen begünstigt überdies die methodische Auszeichnung des Subjektes. Denn prima facie hat es die Wahrnehmung mit dem Verhältnis von wahrnehmendem Subjekt und Wahrgenommenem zu tun. Konsequent steht daher im Zentrum von Husserls Wahrnehmungstheorie die Analyse der intentionalen Beziehung zwischen Wahrnehmendem und wahrgenommenem Gegenstand. Programmatisch geht es dabei um die Aufklärung der Konstitution der Sinngebilde unserer Wahrnehmungssphäre – vor allem des Wahrnehmungsgegenstandes – als Leistungen eines sinnverstehenden, zeitdefinierter Ort im Wahrnehmungsraum«. Siehe Gurwitsch: Bewusstseinsfeld. A. a. O. 221, vgl. insges. 219 ff. 15 Hua XI. 23 f.

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lich strukturierten subjektiven Bewusstseins. Der Rekurs auf das subjektive Zeitbewusstsein wird bei Husserl zum Paradigma phänomenologischer Begründung insgesamt. Wahrnehmungs- und Erinnerungsleistungen, Phantasiegegenstände und Bilder, begriffliche Bedeutungen sowie mathematische oder logische Geltungsansprüche, Handlungen und nicht zuletzt auch soziale Sinngebilde sollen als Leistungen des Subjektes ausgewiesen werden.16 Husserl hat mit den Problemen dieser Konzeption immer wieder gerungen, und es gibt Belege für eine korrektive Sicht der fundierungstheoretischen Auszeichnung des Ich bei Husserl selbst – etwa in der Beschäftigung mit der sinnkonstitutiven Bedeutung leiblich-behavioraler und intersubjektiver Aspekte.17 Gleichwohl hat Husserl seine Selbstkritik nicht veranlasst, die methodische Entscheidung zu Gunsten des begründungstheoretischen Primats des subjektiven Bewusstseins in der phänomenologischen Intentionalanalyse aufzugeben. Bis zum Schluss weist seine Analyse unserer Verstehenskontexte vielmehr eine subjektivitätstheoretische, ja egologische Gravität in der Bestimmung des Fundamentes der phänomenologischen Untersuchung auf. Die systematischen Defizite einer solchen Konzeption werden insbesondere dort sichtbar, wo es um Dimensionen eines Sinnverstehens geht, die sich wesentlich Leistungen einer ursprünglich praktischen und sozialen Sinnstiftung verdanken.

2. Der sozialpragmatische Charakter des Verstehenskontextes (Heidegger) Gegenüber dem Husserlschen Typus einer Analyse der Kontextualität des Verstehens führen Heideggers Überlegungen in Sein und Zeit zu einer grundlegenden Pragmatisierung des Verstehens. Der Charakter der Dinge und ihrer gegenständlichen Bestimmtheiten erschließt sich gemäß Heidegger wesentlich aus unserem tätigen In-der-Welt-sein, dem besorgenden Umgang mit den Dingen.18 Darin erfassen wir den Sinn einer Sache im Kontext praktischer »Bedeutsamkeit«19, d. h. im gebrauchenden Tun, Hantieren mit und Herstellen von Gegenständen. Den durch praktische Bezüge in seiner 16

Vgl. dazu beispielsweise Hua XVI, XXIII, XVII, XXVIII oder Hua I (»V. Cartesianische Meditation«). 17 Vgl. dazu u. a. Hua IV, XIII–XV. 18 Vgl. insges. SZ. 66 ff. Mit der Sigle »SZ” beziehe ich mich auf die folgende Ausgabe: Martin Heidegger: Sein und Zeit. 15., an Hand der Gesamtausg. durchges. Aufl. mit den Randbemerkungen aus dem Handexemplar des Autors im Anhang. Tübingen 1979. 19 Ebd. 87.

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»Zuhandenheit« bestimmten Gegenstand nennt Heidegger »Zeug«.20 Solche Überlegungen machen die Attraktivität Heideggers für pragmatistisch akzentuierte holistische Verstehenskonzepte nachvollziehbar.21 Die Orientierung an einem praktisch interessierten Wissen-wie ist für Heideggers Analyse des alltäglichen Verstehens grundlegend. Zwar kennt er durchaus den Fall eines theoretischen Verstehens propositional strukturierter Sachverhalte. Doch steht dieses nicht gleichberechtigt neben dem Typus des Sich-auf-etwas-verstehens. Das theoretische Verstehen wird vielmehr als Derivat – als ein bloßes ›Begaffen von Vorhandenem‹, wie es nicht ohne polemische Etikettierung gelegentlich heißt – aus der Struktur des praktischen Wissens-wie abgeleitet. Dasein als In-der-Welt-sein ist kein zunächst vorhandenes Subjekt, das nachträglich in Beziehung zur vorhandenen Welt und zum vorhandenen Seienden in der Welt tritt. Positiv ausgedrückt: das Dasein ist immer schon welthaft; es ist mit der Welt und dem innerweltlich Seienden vertraut. Dementsprechend versteht Heidegger auch das Wer des Daseins nicht als Ich im Sinne eines bloß vorhandenen Subjekts, dessen Beziehung zu Anderen erst im Nachhinein hergestellt wird. Dasein ist vielmehr wesentlich sozial.22 »Mitdasein« gehört daher bereits zur Grundverfassung des Daseins als In-der-Weltsein selbst. Das mit der egologischen Akzentuierung der Husserlschen Phänomenologie verknüpfte Problem der Intersubjektivität, d. h. die Frage, wie sich in meinem Bewusstsein der Sinn eines anderen Bewusstseins konstituieren kann, ist der Heideggerschen Philosophie von Anfang an fremd. In seiner Auslegung unseres alltäglichen Selbstverständnisses erläutert Heidegger das Mitsein zunächst auf der Grundlage seiner Analyse des Besorgens.23 Bereits im besorgenden Umgang mit dem zuhandenen Zeug begegnen die Anderen. Ein Zeug verweist auf ein bestimmtes Werk, für das es als Mittel in Gebrauch genommen wird. Dieses Werk dient seinerseits wiederum als Mittel für seine Verwendung durch Andere. Z. B. stellt der Schneider im Umgang mit Stoffen, Nadeln und Fäden ein Kleidungsstück her, das ein Anderer tragen soll. Umgekehrt begegnen Andere in den Gegenständen, mit 20

Ebd. 68 ff. Vgl. neben Brandom: Heidegger’s Categories (a. a. O.) sowie ders.: Dasein, the Being That Thematizes (a. a. O.) z. B. Mark Okrent: Heidegger’s Pragmatism. Understanding, Being, and the Critique of Metaphysics. Ithaca. London 1988 oder John Haugeland: Dasein’s Disclosedness. In: Hubert Dreyfus/Harrison Hall (Hrsg.): Heidegger. A Critical Reader. Oxford/UK. Cambridge/Mass. 1992. 27–44; zuerst in: The Southern Journal of Philosophy 28 (1989). 51–73. 22 Vgl. zum folgenden SZ. 113 ff. 23 Ebd. § 26. 117 ff. 21

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denen wir zu tun haben. Ein Buch, das wir kaufen, verweist z. B. auf den Autor, den Hersteller und den Buchhändler. Damit uns Mitdasein innerweltlich begegnen kann, müssen wir Welt bereits als »Mitwelt«, als Welt, die wir mit Anderen teilen, verstanden haben. Den fundamentalen Charakter, in dem das Existenzial der Mitwelt gründet, nennt Heidegger das »Mitsein«. – Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen lässt sich die Heideggersche Kontextualisierung des Verstehens genauer als eine sozialpragmatische kennzeichnen. Denn die gegenständlichen Bedeutsamkeiten der von uns verwendeten Dinge werden aus den Zusammenhängen ihrer sozialen Verwendung verstanden. Insofern wir als tätige Wesen mit Anderen vertraut sind, unterscheiden wir uns von den Anderen zumeist gerade nicht. »›Die Anderen‹ besagt nicht soviel wie: der ganze Rest der Übrigen außer mir, aus dem sich das Ich heraushebt, die Anderen sind vielmehr die, von denen man selbst sich zumeist nicht unterscheidet, unter denen man auch ist.«24 Dabei impliziert der auf den Gebrauch verweisende gegenständliche Sinn eine soziale Entdifferenzierung, die allererst die intersubjektiv verfügbare Bedeutsamkeit von zuhandenem Seienden möglich macht. Denn erst indem Andere als gesichtslose anonyme, wenngleich in bestimmten typischen Rollen bedeutsame Andere im Hintergrund des daseinsmäßigen Gebrauchs von Zeug verbleiben, wird das im besorgenden Umgang entdeckte Ding zu einem Ding in seiner allgemeinen objektiven Bedeutung, zu einem Ding für jedermann. Das Um-zu der Sache, ihr praktischer und sozialer Verweisungszusammenhang, wird so unabhängig von jeder konkreten um- und mitweltlichen Situation verstehbar. Um dies an einem typisch Heideggerschen Beispiel zu verdeutlichen: Einen Hammer verstehen wir als ein spezifisches Werkzeug. Wir wissen, wie es verwendet wird und dass es von uns selbst und Anderen in Gebrauch genommen werden kann. Dabei spielt es keine Rolle, zu welcher konkreten Handlung der Hammer benutzt wird, wer ihn ergreift usw. Mehr noch: Weil der Gebrauch einer Sache sowie seine mitweltliche Dimension in einem vollkommen unproblematischen und unauffälligen Sinne selbstverständlich sind, bleiben sie gewöhnlich unthematisch. Es bedarf vielmehr besonderer Situationen, in denen wir ausdrücklich darauf reflektieren.25 In kritischer Perspektive auf Heideggers Analyse des Mitseins ist jedoch eine grundsätzliche Einseitigkeit dieser Überlegungen herauszustellen. Denn die soziale Praxis, die Heidegger analysiert, wird ganz aus dem Zusammenhang eines gebrauchenden und herstellenden Tuns, einer – mit Aristoteles 24

Ebd. 118. Vgl. die Ausführungen zu »Auffälligkeit«, »Aufdringlichkeit« und »Aufsässigkeit« in ebd. 73 f. 25

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gesprochen – poiêsis bestimmt. Die Anderen, von denen hier die Rede ist, begegnen in Kontexten des herstellenden technischen Tuns.26 Die aristotelische poiêsis hat ihr Ziel außerhalb des Tätigseins, im Werk. Demzufolge richtet sich das Interesse des herstellenden Tuns auf das Produkt. Diese Überlegung spiegelt sich auch in Heideggers Ausführungen. Denn sowohl das in Gebrauch genommene Zeug als auch das, was im Gebrauch des Zeugs hergestellt wird, ist der Gegenstand in seinem die Anderen und das gebrauchende Tun selbst vergessen machenden Sinn. Die sedimentierten Verweise auf unthematische anonyme Andere im gegenständlichen Sinn sind zu unterscheiden von Sinnbildungen, in denen Andere als von mir und untereinander Verschiedene ins Spiel kommen. Wenn ich zusammen mit Anderen etwas tue, mich mit ihnen auseinandersetze oder über etwas verständige, bin ich in relevanten Hinsichten an Anderen und einem ausdrücklich auf sie Bezug nehmenden Handeln interessiert. Insofern es hier nicht so sehr auf ein zu gebrauchendes Produkt, sondern auf ein Tun mit Anderen ankommt, entspricht das in diesem Zusammenhang fragliche Handeln dem engeren Sinn der aristotelischen praxis.27 – Worauf es hier ankommt: Der Andere der sozialen Praxis ist nicht – oder zumindest nicht nur – der anonyme unthematische Andere. Dieser Interpretation scheinen jedoch einige Passagen aus Sein und Zeit zu widersprechen. Denn offenbar kennt Heidegger auch Handlungen, die am Mitdasein interessiert sind. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf den Begriff der »Fürsorge«, mit dem Heidegger die Weise bezeichnet, wie Dasein mit Anderen zu tun hat.28 Die Bildung dieses Begriffes geschieht in Parallelität zum Begriff des Besorgens. Im besorgenden Umgang begegnet uns das Zuhandene; in der Fürsorge wird uns anderes Dasein zugänglich. Wie dem Besorgen eine eigene Sicht zugehört, nämlich die »Umsicht«, so ist die Fürsorge von »Rücksicht« und »Nachsicht« geleitet, die sich in die ent26

Ebd. 119: »Die Anderen begegnen … aus der Welt her, in der das besorgend-umsichtige Dasein sich wesenhaft aufhält.« 27 Allerdings kann diese Interpretation Aristoteles ebenso für wie gegen sich in Anspruch nehmen. Es soll daher nicht bestritten werden, dass auch bei Aristoteles die Praxis im bios theôrêtikos (als theoretische Praxis) zum Vergessen – allerdings nicht zur Anonymisierung – der Anderen tendiert (vgl. EN X 7, 1177 a 12 ff.; Pol. VII 3, 1325 b 14 ff.). Doch auch solche Überlegungen sind bei Aristoteles eingebettet in die soziale Bestimmung der humanen Wirklichkeit, wie sie in seiner praktischen Philosophie sichtbar wird. Es mag in diesem Zusammenhang von Interesse sein, dass Heidegger anders als Aristoteles versucht, die Theorie nicht aus der praxis, sondern aus der poiêsis abzuleiten, indem er die theoretische Betrachtung als abkünftigen Modus des Umgangs mit zuhandenem Zeug bestimmt. 28 Vgl. SZ. 121 ff.

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sprechenden defizienten und indifferenten Modi der »Rücksichtslosigkeit« und »Gleichgültigkeit« wandeln können.29 – Doch Rücksicht und Nachsicht bleiben wie ihre defizienten Modi bestenfalls einseitige Weisen der mitweltlichen Zu- oder Abwendung. Wechselseitige Beziehungen, wie sie für unsere soziale Praxis entscheidend sind, werden hier ebenso wenig thematisch wie Handlungen, die an von mir unterschiedenen Anderen interessiert sind.30 Auch Heideggers Analyse der Einsamkeit, in der der Andere eigens thematisch wird (Heidegger selbst spricht vom »Alleinsein« als defizientem Modus des Mitseins), führt nicht zur Erfassung des differenten Anderen.31 Wenn es heißt: »Fehlen kann der Andere nur in einem und für ein Mitsein«32, dann richtet sich Heideggers Interesse vielmehr auf das Dasein selbst, auf seine existenziale Bestimmtheit als Mitsein. Der Bezug auf Andere wird dabei nur negativ bestimmt, als ein Fehlen, das nicht durch bloß vorhandene Andere zu überwinden ist.33 Das thematische Bezogensein auf Andere versteht Heidegger demnach als eine Weise der zuvor von ihm ausgearbeiteten allgemeinen Struktur des Mitseins. Dadurch aber werden nun auch ausdrückliche soziale Verhältnisse in den strukturellen Rahmen des Mitseins mit anonymen Anderen im besorgenden Umgang eingeordnet. So heißt es etwa an einer Stelle, an der Heidegger auf die Möglichkeit thematischer sozialer Begegnungen zu sprechen kommt: »Dasein versteht sich zunächst und zumeist aus seiner Welt, und das Mitdasein der Anderen begegnet vielfach aus dem innerweltlich Zuhandenen her. Aber auch wenn die Anderen in ihrem Dasein gleichsam thematisch werden, begegnen sie nicht als vorhandene Personendinge, sondern wir treffen sie ›bei der Arbeit‹ das heißt primär in ihrem In-der-Welt-

29

Solche Ausführungen Heideggers bieten Anknüpfungspunkte für ethische und sozialphilosophische Überlegungen – vgl. Christoph Demmerling: Hermeneutik der Alltäglichkeit und In-der-Welt-sein (§§ 25–38). In: Thomas Rentsch (Hrsg.): Martin Heidegger. Sein und Zeit (Klassiker Auslegen 25). Berlin 2001. 89–115. 96 f. 30 Auch der Modus des Widereinanderseins erscheint in diesem Zusammenhang lediglich als defizienter Modus der Fürsorge (SZ. 121). – Die in der vorigen Anmerkung erwähnte Möglichkeit einer an Heidegger anknüpfenden Ethik oder Sozialphilosophie dürfte dementsprechend von sehr mäßiger Leistungsfähigkeit sein. Vgl. dazu auch Demmerling: Hermeneutik der Alltäglichkeit. A. a. O. 96, Anm. 7. Demmerling verweist hier auf Luckners an Fink anknüpfende Kritik (vgl. Andreas Luckner: Martin Heidegger: ›Sein und Zeit‹. Ein einführender Kommentar. 2., korr. Aufl. Paderborn. München. Wien. Zürich 2007; zuerst 1997. 54). Danach kann Heidegger zwar das ›Koexistieren‹ mit Anderen als Moment des Daseins selbst, nicht aber intersubjektive Phänomene, d. h. konkrete soziale Beziehungen zu Anderen erfassen. 31 Vgl. SZ. 120 ff. 32 Ebd. 120. 33 Ebd. 120 f.

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sein. … Der Andere begegnet in seinem Mitdasein in der Welt.«34 Heidegger geht es hier offensichtlich gerade nicht um die Analyse konkreter sozialer Beziehungen zwischen handelnden Personen, sondern um die Explikation eines Aspektes, den thematisches und unthematisches Mitsein miteinander teilen. In diesem theoretischen Kontext wird der nivellierte Andere zum Grundtyp der mitweltlichen Erfahrung überhaupt. Dasein als Mitsein geht ganz in der besorgten Welt auf. Da das Dasein sich im Besorgen wesentlich von den von ihm nicht unterschiedenen Anderen her versteht, nennt Heidegger das alltägliche Selbstsein des Daseins auch das »Man«. D. h. das alltägliche Dasein versteht sich von dem her, was man so tut, will, glaubt usw. »Das Wer ist nicht dieser und nicht jener, nicht man selbst und nicht einige und nicht die Summe Aller. Das ›Wer‹ ist das Neutrum, das Man.«35 Sofern im alltäglichen Dasein alle Seinsmöglichkeiten eingeebnet werden, bestimmt Heidegger dessen Seinscharakter auch als »Durchschnittlichkeit«.36 Das, was man besorgt, ist einheitlich und undifferenziert. Dieser Grundcharakter des Man ist an der Konstitution der »Öffentlichkeit« beteiligt und hat seine entscheidende Funktion darin, dass er das Dasein von der Verantwortung, es selbst zu sein, entlastet.37 Die Ausblendung der vom Dasein unterschiedenen Anderen gewinnt bei Heidegger sogar eine grundlegende systematische Bedeutung. Die Durchschnittlichkeit des im besorgenden Umgang entdeckten Mitseins liefert nämlich den Grund dafür, das alltägliche Dasein einer Sphäre der Eigentlichkeit gegenüberzustellen, in der das Dasein sich sein Selbstverständnis gerade nicht von Anderen vorgeben lässt. Das »Man-selbst« unterscheidet Heidegger vom »eigentlichen, das heißt eigens ergriffenen Selbst« des Daseins.38 Die Untersuchung der Eigentlichkeit führt aber nun keineswegs zu einer Auslegung eines Mitseins, das durch Kontexte wechselseitiger Beziehungen und sozialer Verständigungssituationen bestimmt ist. Denn in der Sphäre sozialen Mit- und Gegeneinanderhandelns geben Andere dem Dasein seine Seinsmöglichkeiten wesentlich vor. Heidegger versteht daher das eigentliche Selbstseinkönnen des Daseins im ausdrücklichen Gegensatz zur Bestimmtheit des Daseins durch Andere. Die Philosophie der Eigentlichkeit wird so zum Ansatz einer grundsätzlichen Entsozialisierung der im ersten Abschnitt von Sein und Zeit begonnenen Erörterung des Daseins als Mitsein. Die anfänglich neutrale methodische Orientierung der Analysen von Sein und Zeit am alltäglichen In-

34 35 36 37 38

Ebd. 120, Herv. v. mir. Ebd. 126. Ebd. 127. Ebd. Ebd. 129.

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der-Welt-sein schlägt mit der Differenzierung zwischen Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit in eine implizit wertende Ontologie um. Dieser Umschlag ist eine Folge des Umstandes, dass Heidegger das alltägliche um- und mitweltliche Verhalten ganz aus dem Kontext des Besorgens versteht.

3. Der kommunikative Charakter der Verstehenspraxis (Brandom) Brandoms Heidegger-Interpretation scheint im Ansatz eine wichtige Korrektur von Defiziten der Heideggerschen Sozialpragmatik zu entwickeln. Erstens stellt Brandom der phänomenologisch-hermeneutischen Reflexion auf vorsprachliche Bedingungen der Möglichkeit des Verstehens ein wesentlich sprachlich fundiertes Verstehenskonzept gegenüber. In diesem Zusammenhang entwickelt er zweitens eine Sprachauffassung, die an die Stelle der Heideggerschen Behauptung von der Abkünftigkeit der theoretischen Rede die unverzichtbare, ja grundlegende Bedeutung der prinzipiellen Fähigkeit zu sprachlichen Aussagen setzt, in denen Vorhandenes thematisiert werden kann. In diesem Zusammenhang wird drittens die poietisch grundierte Sozialpragmatik Heideggers ersetzt durch ein Verstehenskonzept, in dem der kommunikativen Praxis grundlegende Bedeutung für unser Verstehen zukommt. Nach Brandom ergeben sich diese Akzentuierungen aus einer konsequenten Heidegger-Interpretation. (1) Für seine linguistische Auslegung des Heideggerschen Verstehenskonzeptes und die Auszeichnung der fundamentalen Rolle der Sprache beruft sich Brandom auf den folgenden, in Sein und Zeit explizierten Zusammenhang:39 Die das Dasein bestimmende Intentionalität, die Welthaftigkeit des Daseins, ist für Heidegger mit dem Existenzial der Erschlossenheit verbunden, d. h. mit der grundsätzlichen Möglichkeit des Zugangs zu Seiendem. Erschlossenheit wiederum wird bestimmt durch die Gleichursprünglichkeit von Befindlichkeit, Verstehen und Rede. Nun sieht Brandom freilich das Problem, dass »Rede« bei Heidegger ein technischer Begriff für die Artikulation des Verstehens ist und durchaus in einem vorsprachlichen Sinne interpretiert werden kann. Nach Brandom ist jedoch die existenziale Bestimmung der Rede nicht bloß mit der optionalen Möglichkeit des sprachlichen Ausdrucks verbunden; vielmehr setzt Rede die grundsätzliche Fähigkeit zu sprachlicher Artikulation voraus. Das Argument dafür entnimmt er vor allem Heideggers Analyse des Geredes, d. h. des Palavers, in dem die Rede aufgrund der Tendenz des Verfallens an das nivellierende Verstehen des öffentlichen Man zu sprachlichem 39

Brandom: Dasein, the Being That Thematizes. A. a. O. 332 ff., bes. 335 ff.

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Ausdruck kommt. Zum Dasein gehört daher notwendig, dass zumindest in einigen Fällen etwas sprachlich artikuliert, mit Anderen geteilt und diesen weitererzählt wird. Ziel dieser Heidegger-Interpretation ist es, ein Argument für die Fundamentalität des sprachlichen Verstehens zu entwickeln. Dies dürfte jedoch problematisch sein. Denn in Heideggers Analysen von Sein und Zeit ist Sprache in der Erschlossenheit des Daseins und der vorsprachlichen Artikulation der Verständlichkeit fundiert. Im § 34 wird dieser Zusammenhang von Heidegger folgendermaßen expliziert: »Daß jetzt erst Sprache Thema wird, soll anzeigen, daß dieses Phänomen in der existenzialen Verfassung der Erschlossenheit des Daseins seine Wurzeln hat. Das existenzial-ontologische Fundament der Sprache ist die Rede. … Die Rede ist mit Befindlichkeit und Verstehen existenzial gleichursprünglich. Verständlichkeit ist auch schon vor der zueignenden Auslegung immer schon gegliedert. Rede ist die Artikulation der Verständlichkeit. Sie liegt daher der Auslegung und Aussage schon zugrunde. … Die Hinausgesprochenheit der Rede ist die Sprache.«40 Nun ist die Frage, inwiefern Heideggers Verstehensbegriff notwendig linguistisch verstanden werden muss, in jüngerer Zeit kontrovers diskutiert worden.41 Eine begründete Stellungnahme zu dieser Diskussion würde sicher mehr erfordern als einen lapidaren Verweis auf ein Heidegger-Zitat, dem seinerseits wieder andere Textstellen gegenübergestellt werden könnten.42 Ich möchte mich daher lediglich auf eine Kritik des Argumentationstyps beschränken, den Brandom skizziert, und ausdrücklich die Entscheidung, ob nicht andere Argumente zu Gunsten einer linguistischen Interpretation von 40

SZ. 160 f. Vgl. etwa für die Auffassung, Heideggers Verstehenskonzept sei in wesentlichen Hinsichten vorsprachlich akzentuiert, John Haugeland: Heidegger on Being a Person. In: Noûs 16 (1982). 15–26; ders.: Dasein’s Disclosedness. A. a. O.; Okrent: Heidegger’s Pragmatism. A. a. O.; Hubert Dreyfus: Being-in-the-World. A Commentary on Heidegger’s Being and Time. Devision I. Cambridge/Mass. London/Engl. 1991; allgemein mit Blick auf das Verhältnis von gegenwärtiger analytischer Philosophie und phänomenologischer Tradition vgl. auch ders.: Overcoming the Myth of the Mental. How Philosophers Can Profit from the Phenomenology of Everyday Expertise. In: Proceedings and Addresses of the American Philosophical Association 79 (2005). 47–65. Eine linguistische Interpretation von Heideggers Analyse des Verstehens entfaltet vor allem Cristina Lafont: Sprache und Welterschließung. Zur linguistischen Wende der Hermeneutik Heideggers. Frankfurt/M. 1994. Zur kritischen Diskussion von Lafont vgl. auch die Artikel von Mark Okrent und Taylor Carman (In: Inquiry 45 (2002). 195–216) sowie Lafonts Antworten (In: Inquiry 45 (2002). 229–248). 42 Vgl. etwa eine – Brandoms Interpretation durchaus nahe legende – Bemerkung, die auf das oben gegebene Zitat folgt: »Die Rede ist existenzial Sprache, weil das Seiende, dessen Erschlossenheit sie bedeutungsmäßig artikuliert, die Seinsart des geworfenen, auf die ›Welt‹ angewiesenen In-der-Welt-seins hat.« (SZ. 161) 41

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Heidegger vorgebracht werden können, offen lassen. – Wie also argumentiert Brandom für seine linguistische Heidegger-Auslegung? Das von Brandom in »Dasein, the Being That Thematizes« entwickelte Argument macht darauf aufmerksam, dass das wesentlich zur existenzialen Verfassung des Daseins gehörende Verfallen sich immer schon in einer Vorhandenes thematisierenden Sprache artikuliert. Den ihn leitenden Grundgedanken erläutert Brandom am Ende seines Artikels: Danach ist der Vorrang des Zuhandenen lediglich als explanatorischer Vorrang aufzufassen, insofern das Vorhandene vom Zuhandenen her, nicht aber umgekehrt das Zuhandene vom Vorhandenen her zu verstehen sei. Ein explanatorischer Vorrang impliziere aber keinen ontologischen Vorrang, der in der Gegenthese unterstellt wird.43 – Diese Interpretation scheint mir jedoch Heideggers fundamentalontologische Intentionen zu schwach anzusetzen. Denn auch wenn die in der existenzialen Analyse aufgewiesenen Aspekte des daseinsmäßigen Verstehens nicht fehlen können, entwickelt Heidegger doch ein Programm, das im Sinne einer asymmetrischen Struktur akzentuiert wird. Heidegger variiert damit das klassische Konzept der phänomenologischen Konstitutionsanalyse, in dem eine sinnhafte Ganzheit auf seine Fundamente zurückgeführt wird. Ziel ist dabei, das Verstehen eines Sinngebildes mit Hilfe einer Rekonstruktion nachzuvollziehen, die zwischen begründenden und begründeten Schichten unterscheidet. Dem widerspricht nicht, dass die einzelnen Schichten sich immer nur abstraktiv – und d. h. eben: nicht tatsächlich – voneinander abheben lassen. Der herausgestellte Fundierungszusammenhang ist daher nicht mit der Behauptung einer Autonomie der einzelnen Schichten verbunden. In diesem konzeptionellen Rahmen ist die Tendenz des Verfallens, die sich im sprachlichen Gerede artikuliert, auf die Struktur der Erschlossenheit zurückzuführen. Im Gefolge der phänomenologischen Tradition begründet Heidegger die sprachliche Artikulation des Geredes in der vorsprachlichen Struktur der Erschlossenheit des Daseins. Korrektiv gegenüber der traditionellen Phänomenologie Husserls betont Heidegger dabei allerdings den sozialpragmatischen Charakter des von ihm herausgestellten Fundamentes, wenn er unsere ursprüngliche Erfahrung als ein tätiges In-der-Welt-sein mit Anderen expliziert. Indem Brandom Heideggers Analyse des Verstehens in einem fundamentalen Sinne als sprachliche Leistung interpretiert, blendet er den Kontext der phänomenologischen Tradition in Heideggers Hermeneutik aus, mit der der Rekurs auf eine vorsprachliche Erfahrung verbunden ist. (2) Aus ähnlichen Gründen ist die Umwertung der apophantischen Rede zu einer fundamentalen Struktur des Daseins nur gegen die Intentionen Hei43

Vgl. Brandom: Dasein, the Being That Thematizes. A. a. O. 346.

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deggers zu gewinnen. Brandoms Heidegger-Interpretation hat hier allenfalls den Charakter einer externen Rekonstruktion, d. h. der interpretativen Aneignung von Heideggerschen Überlegungen unter von Heidegger abweichenden, d. h. Brandomschen Prämissen.44 Während Heidegger den fundamentalontologisch derivativen Charakter des apophantischen Logos unmissverständlich zum Ausdruck bringt, entnimmt Brandom die leitende Hinsicht seiner Heidegger-Deutung dem von ihm entwickelten Konzept des Inferentialismus. Danach ist es der Kontext des Gebens und Verlangens von Gründen, in dem sich das in der Kommunikation in Gebrauch genommene sprachliche Zeug rechtfertigen und verantworten lässt.45 Mit Recht verweist Brandom auf Heidegger-Stellen, nach denen die Thematisierung des Vorhandenen nicht die praktische – Brandom sagt: soziale – Bedeutsamkeit einer Sache ignoriert, sondern eine bestimmte Art von Bedeutung fokussiert.46 Während dieser Gedanke jedoch bei Heidegger eine unverzichtbare Implikation seines fundamentalontologischen Ansatzes ist, gemäß dem in den abgeleiteten Strukturen die grundlegenden Bestimmtheiten nicht fehlen können, sondern allenfalls in abgewandelter Form auftreten, verbindet Brandom mit seiner Interpretation des apophantischen Logos eine positive Funktion, die so bei Heidegger nicht angelegt ist. Nach Brandom ist nämlich für den Gebrauch von Sätzen als Zeug neben der interpersonalen Kommunikation, auf die das Gerede ausschließlich abzielt, auch die intrapersonale inferentielle Rechtfertigung des Gesagten durch die apophantische Rede unverzichtbar.47 Das Gerede impliziert daher nach Brandom eine duale Autorisierung durch interpersonale Anerkennung einerseits und inferentielle Begründung andererseits.48 Eine solche Rechtfertigung des in der Kommunikation Verhandelten ist jedoch mit einer völligen Umwertung von Heideggers Interpretation des Geredes verbunden. (3) Aufgrund der skizzierten Überlegungen rückt schließlich auch Brandoms Betonung der fundamentalen Bedeutung der kommunikativen Praxis 44

Zum Begriff der externen Rekonstruktion vgl. Ulrich Claesges: Zum Problem der enzyklopädischen Phänomenologie. In: L. Eley (Hrsg.): Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse« (Spekulation und Erfahrung II, 14). Stuttgart-Bad Cannstatt 1990. 185–202. 45 Vgl. Brandom: Heidegger’s Categories. A. a. O. 312 ff. Prädikate kodifizieren dabei inferentielle Zusammenhänge und sind als Zeug brauchbar, um implizite Annahmen zu explizieren (ebd. 316). Gemäß dieser Interpretation ist die Thematisierung des Vorhandenen nicht als Dekontextualisierung – d. h. als Absehen von den pragmatischen Zusammenhängen – zu verstehen, sondern als Rekontextualisierung – d. h. als Ausweis inferentieller Beziehungen (ebd. 318). 46 Ebd. 318. 47 Brandom: Dasein, the Being That Thematizes. A. a. O. 339. 48 Vgl. ebd. 341f.

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für unser Verstehen in einen Kontext der Verstehensanalyse, der von Heidegger grundlegend abweicht. Zum einen interpretiert Brandom die soziale Bestimmtheit des Heideggerschen Man als eine Form sozialer Kommunikation, in der die Anerkennung der in ihrer Autorität gleichberechtigten Anderen als existenziale Basis der Möglichkeit einer angemessenen, d. h. sozial übereinstimmenden, die Kategorien des Zuhandenen und Vorhandenen konstituierenden Praxis verstanden wird.49 Zum anderen wird laut Brandom solches kommuniziert, dessen Begründung im Rekurs auf die inferentiellen Zusammenhänge prinzipiell geliefert werden kann. In diesem Zusammenhang stellt er die Bedeutung der Möglichkeit des Aussagens heraus, mit der die Übernahme von Begründungsverantwortung wesentlich verbunden ist. Auch noch das Nachsprechen im Gerede, in dem solches kommuniziert wird, von dessen Begründung wir enthoben sind, verweist nach Brandom auf die skizzierte Dimension der Verantwortlichkeit. Freilich geht es hier um eine Begründungsverantwortung, die ein Anderer, nämlich der, dem ich in meiner Rede folge, übernehmen muss.50 Wenn diese Anmerkungen zu Brandoms Heidegger-Interpretation zutreffen, dann ist seine Sozialpragmatik ein mit Heideggers Konzept konkurrierender theoretischer Entwurf.51 So verstanden aber bietet Brandom auf den ersten Blick einen vielversprechenden Ansatz für ein sozialpragmatisches Konzept des Verstehens, das als Alternative zu Heideggers Sozialpragmatik gelesen werden kann. Verstehen wird hier auf eine sprachliche, die theoretisch-objektivierende Rede einschließende und an konkreten sozialen Interaktionen interessierte, kommunikative Praxis gegründet, in der Andere als Andere anerkannt werden. – Abschließend möchte ich jedoch zwei Bedenken skizzieren, die Spielarten eines Problems sind. Die Kritik läuft auf die These hinaus, dass Brandoms Heidegger-Deutung der Vielfalt und dem Aspektreichtum unseres Handelns und Kommunizierens nicht gerecht wird. Erstens: Brandom orientiert sich in seiner sprachlichen Fundierung des Verstehensbegriffs am Prinzip der Ausdrückbarkeit. Dieses unterstellt die Möglichkeit, dass sich das in der Praxis manifestierende knowing-how hinsichtlich des Gebrauchs von Begriffen grundsätzlich sprachlich (im Sinne von Aussagen über etwas, d. h. im Sinne eines knowing that) explizieren lässt.52

49

Vgl. Brandom: Heidegger’s Categories. A. a. O. , bes. 310 f. Vgl. ebd., bes. 316 ff. 51 Man kann auch sagen, in Brandoms Interpretation werde Heidegger zu einem ProtoBrandomianer – siehe dazu Wayne M. Martins kritische Rezension von Brandoms Tales of the Mighty Dead. In: Philosophical Reviews 115 (2006). 395–398, bes. 397. 52 Vgl. z. B. Robert B. Brandom: Articulating Reasons. An Introduction to Inferential50

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Doch diese Annahme ist alles andere als unproblematisch. Praktisches Können geht nicht in dem auf, was wir von ihm sagen können. Wäre das so, dann wäre Expertentum in einer Sache – etwa die Könnerschaft eines Pizzabäckers oder eines Pianisten – prinzipiell vollständig bestimmbar; dann wäre das Ringen nach Worten und das Stammeln, mit dem Experten bisweilen ihre Praxis kommentieren, lediglich ein individuelles Unvermögen, das hinreichend kompetente Sprecher nicht belastet. Wir könnten dann zwar nicht in jedem konkreten Einzelfall, aber doch prinzipiell ganz genau sagen, was ein Experte auf einem Gebiet tut. Entsprechendes müsste für unsere Sprachpraxis, unseren Gebrauch von Begriffen gelten. – Mir scheint jedoch in allen Handlungsbereichen das knowing-how über das explizierbare knowing-that grundlegend hinauszugehen.53 Wir verstehen uns auf mehr als auf das, was wir explizit als Verstandenes zum Ausdruck bringen können – auch hinsichtlich unserer linguistischen Kompetenzen. Die Philosophie bietet selbst ein schönes Beispiel dafür, dass das Ringen nach Versprachlichung offenbar nicht zum Abschluss zu bringen ist. Zweitens: Brandoms erklärtes Ziel ist es, den Gehalt von Begriffen aus der Praxis des Gebens und Verlangens von Gründen inferentiell zu bestimmen.54 Die den Horiziont des Verstehens ermöglichende soziale Praxis ist daher die Praxis des Begründens. Nun begründen wir keineswegs immer und überall. Aber das behauptet Brandom auch nicht. Seine Idee ist vielmehr als Versuch zu verstehen, das quid facti der expliziten – oft grundlosen – Rede auf das quid juris einer implizit begründeten Rede zurückzuführen. Unser Gebrauch von Begriffen ist abhängig von der inferentiellen Rolle, die diese Begriffe in Rechtfertigungszusammenhängen spielen. Der Begründungskontext wird damit zur unhintergehbaren Voraussetzung jeder begrifflich gebundenen sprachlichen Äußerung. Das Geschäft der expressiven Vernunft besteht gemäß dem alten Programm philosophischer Selbstverständigung darin, Implizites – hier den inferentiellen Kontext – explizit zu machen. Im Rahmen dieser Konzeption wird die Vielfalt sprachlicher Äußerungen insgesamt abhängig von einer sehr bestimmten – und explizit durchaus seltenen – Form der Rede, dem Argu-

ism. Cambridge/Mass. London/Engl. 2000. 16 ff./dt.: Begründen und Begreifen. Eine Einführung in den Inferentialismus. Übers. v. E. Gilmer. Frankfurt/M. 2001. 28 ff. 53 Vgl. hierzu auch Dreyfus: Overcoming the Myth of the Mental. A. a. O. 54 Programmatisch findet man diese Position zusammengefasst etwa zu Beginn von Brandom: Articulating Reasons/Begründen und Begreifen. A. a. O. 1/9: »Dieses Buch handelt vom Gebrauch und Gehalt von Begriffen. Es ist von dem Gedanken inspiriert, daß die Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke und die Gehalte intentionaler Zustände, ja sogar Bewußtsein [awareness] schlechthin zunächst einmal anhand des Spielens einer besonderen Rolle in Begründungszusammenhängen verstanden werden sollten.«

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mentieren und Begründen. Was sich an der Oberfläche zeigt, so der Gedanke, lässt sich erst im Rekurs auf die rationalistische Tiefenstruktur des Gebrauchs unserer Begriffe angemessen verstehen.55 Nun, sicher verweisen explizite Äußerungen auf einen impliziten Kontext. Aber ist dieser Kontext als Begründungskontext auszuzeichnen? Gegenüber der Betonung der unser alltägliches Verstehen determinierenden Macht des Geredes (Heidegger) und der Macht der Inferenzen (Brandom) ist daran zu erinnern, dass unsere kommunikative Praxis ohne die Möglichkeit des individuell Devianten nicht angemessen verstanden werden kann. Die Teilnehmer des kommunikativen Geschehens halten sich in ihren sprachlichen Äußerungen mitunter auch einmal nicht an die sozial anerkannten Inferenzen der von ihnen verwendeten Begriffe. Solche Äußerungen sind für unsere Verständigung nicht per se bedeutungslos. In ihnen gründet vielmehr die Offenheit des Prozesses der Ausbildung unseres Verstehens. Sie sind daher ein wesentliches Moment der Kommunikation. Verstehen wird darum freilich nicht zu einer bloß individuellen Angelegenheit. Das Individuelle, das dem sozial Anerkannten entgegen steht, das stört, unverständlich oder unpassend zu sein scheint, gehört vielmehr mit zur Welt der sozialen Verständigung. Dieses ist letztlich auch die Quelle ständiger Innovationen, d. h. der Möglichkeit, Bedeutungen umzuformen, zu überschreiten und neue Möglichkeiten des Verstehens zu eröffnen. Ein sozialpragmatisches Konzept des Verstehens, das den konstitutiven Charakter sozialer Differenz übergeht, verkürzt demgegenüber die Phänomene sozialer Verständigung und erfasst den Reichtum unserer kommunikativen Möglichkeiten nicht angemessen. Der Kommunikationskontext lässt sich daher ebenso wenig mit Heidegger sozialpessimistisch marginalisieren wie mit Brandom rationalistisch überfordern.56

55

Die sachliche Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefenstruktur verbindet sich im Rahmen eines philosophischen Fundamentalismus nicht selten mit einer typischen Immunisierungsstrategie. 56 Für kritische Bemerkungen danke ich Ingo Günzler und Markus Heuft.

Gábor Forrai

Brandom and Two Problems of Conceptual Role Semantics1

One of the crucial assumptions of Robert Brandom’s ambitious project in Making It Explicit 2 (hereafter ME) is inferentialism, the idea that meaning or conceptual content can be analyzed in terms of inferential role. Inferentialism took different forms in the last century, but has never become a majority view. Brandom offers no separate argument for it. He rests its plausibility on that of the large project. In this paper I seek to appraise how Brandom’s inferentialism can resist the two most important objections raised against another current version of inferentialism, conceptual role semantics (CRS), which was proposed in the eighties by Ned Block and others as a way naturalizing mental content.3 I begin with a brief comparison of Brandom’s inferentialism and CRS (I). Then I examine his response to the Twin-Earth cases (II). The final three sections are devoted to the problem of intersubjective understanding. Brandom’s account is sketchy and not fully coherent. First I give a reconstruction (III), then take a closer look on a part of ME which appears to clash with it (IV). Finally, I expose a tension in Brandom position, which, however, does not undermine his solution (V).

I Inferentialism starts from the general view that it depends on the meaning of a sentence what other sentences (or sets of sentences) it can be inferred from and what other sentences it implies (alone or in conjunction with other sentences). It suggests, however, that the order of explanation be reversed. Instead 1

The research leading to this paper was supported by the National Foundation for Scientific Research (OTKA), grant no. T46757. 2 Cambridge/Mass. 1994. References to Robert Brandom: Articulating Reasons. Cambridge/Mass. 2000 will be abbreviated as AR. 3 E. g. Advertisement for a Semantics of Psychology. In: Midwest Studies in Philosophy 10 (1986). 615–678. The third important objection to CRS was that it cannot accommodate compositionality. This has been answered by Mark McCulloch: Do Inferential Roles Compose? In: Dialectica 57 (2003). 431–438. Interestingly, McCulloch uses Brandom’s version of inferentialism.

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of explaining inferential role in terms of meaning, we should analyze meaning in terms of inferential role. The inferential role of a sentence comprises both the sets of inferences of which it is the conclusion and the sets of inferences in which it figures as a premise. The inferences included in the inferential role may be both deductive and inductive. Most versions of inferentialism, including CRS and Brandom’s, also include in the inferential role certain non-inferential routes to or from sentences. On the to-side we may have perception, on the from-side action. Seeing a dog non-inferentially licenses the utterances of ›Here is a dog‹, and the utterance of ›The dog’s gonna bite you‹ licenses not simply the inference to the sentence ›It is advisable to jump‹, but jumping itself. Inferentialism can be offered both as an account of meaning of linguistic items, and as an account of mental content. This difference does not matter for the purposes of the current discussion, and will be ignored. The advocates of CRS and Brandom agree that semantic theory should be developed along these lines. However, they disagree on three major points. CRS is naturalistic, whereas Brandom’s approach is normative. CRS operates on the level of the individual, Brandom on the social level. Brandom is a deflationist, CRS is not. Let us see how these differences are connected. CRS took shape in the context of the philosophy of cognitive science. A leading task of cognitive science is to explain behavior in terms of environmental stimuli and internal states. This task of explanation is thoroughly individualistic: the internal states and the stimuli both belong to the individual. The social does not appear in its own right but only in so far as it affects the individual. Cognitive science is also naturalistic: it does not allow explanatory role to anything which is not the sort of thing, or cannot be reduced to the sort of things which make up the natural world according to science. What makes CRS attractive is exactly that it offers a way to accommodate mental content within a naturalistic ontology, along the following lines. Content is inferential role. Inferential role can be reduced to functional role, i. e. a place in a causal network. Functional roles can be realized by brain states (the places in the network can be occupied by brain states). Causal networks and brain states are impeccable from the naturalistic point of view. So the notion of content does not assume any new entity over and above the naturalistic ontology. The point where Brandom comes closest to CRS is that he denies the existence of special semantic facts. But his reasons are not naturalistic, his problem is not that the putative semantic entities do not fit the scientific world view. Rather, he is generally inhospitable to two semantic concepts, reference and truth. On the common understanding these notions capture genuine relations between the linguistic or conceptual on the one hand and the world on the other, and these relations are just as real as, for example, gravitational inter-

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action. If this is right, semantic phenomena, just like gravity, have a nature which can be explored. Brandom, however, is a deflationist in semantics. In his view the common understanding makes semantic terms into something much more than they really are, i. e. it inflates them. In fact, semantic terminology does not provide a way of accessing a special domain of facts like physical terminology provides a way of accessing physical facts (ME 329). It simply provides a way to make our commitments explicit. He offers an elaborate account of how the use of the semantic idiom can be reinterpreted along these lines. So he is harder on semantics than CRS. CRS denies the existence of autonomous semantic facts, i. e. of semantic facts which cannot be reduced to something naturalistically respectable. Brandom denies the very existence of semantic facts involving reference and truth. It is his deflationism which makes inferentialism attractive to him. Surely, there is a semantic difference between ›water‹ and ›elephant‹. Inferential roles allow one to capture this difference without invoking reference as a real relation. So Brandom’s motivations are not naturalistic. He is not an anti-naturalist; he is simply not pursuing that project. This makes a big difference between his inferentialism and CRS. Since norms and values do not exist in nature, a naturalist must be wary of applying the normative idiom. Brandom, however, is free of these constraints, and his theory is indeed unabashedly normative. His crucial reason for preferring a normative approach is Wittgensteinian: any account of the content of concepts must distinguish between correct and incorrect applications. The way he builds normativity into the account is that he interprets the inferential relations making up the inferential role as obligations and permissions. Deductive relations impose obligations, inductive relations give permissions. To use his own terms, he construes inferential roles in terms of ›commitments‹ and ›entitlements‹: the inferential role of a proposition includes on the to-side whatever commits us or entitles us to that proposition, on the from-side whatever the given proposition commits or entitles us to (in conjunction with other propositions).4 The social character of his account is closely connected to normativity. The commitments and entitlements responsible for conceptual content are grounded in social practice. To put it very roughly, a claim gets associated with commitments and entitlements because the members of the community take someone making it to be committed to or entitled to further claims and sanction him for not behaving accordingly. 4

Brandom uses a third term as well, ›incompatibility‹. Two claims are incompatible, if commitment to one precludes entitlement to another (AR 194). For the sake of simplicity, this third aspect of the inferential role will be ignored.

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As a result of these three differences, Brandom’s inferential roles, even though structurally similar to those of CRS, are quite different. In CRS inferential role captures how a particular individual, as a matter of fact, is disposed to employ the given concept in inferences. Brandom’s inferential roles, on the other hand, express the correct inferential applications, where correctness is judged by the standards of the given society.

II One objection to CRS is that it is incompatible with externalism about mental content. Externalism holds that what we think about, i. e. what our concepts refer to, is not determined exclusively by ›what is in the head‹. Reference depends on external factors as well. Take two thinkers, whose thoughts are qualitatively identical, i. e. whose thoughts do not differ at all from the introspective point of view – or, alternatively, whose brains processes are indistinguishable. This internal qualitative identity does not guarantee that they think about the same thing, for the content of their thoughts also depends on what is outside. Externalism is best illustrated with Putnam’s Twin-Earth argument. Let us suppose that there is a planet which is exactly like Earth except for this. The tasteless, odorless, colorless liquid, which flows in rivers, falls as rain, which is drunk by people and animals, etc., which is marked by the word ›water‹, does not have the chemical composition H2O. Imagine that people on both planets still adhere to the Aristotelian worldview and regard their respective liquid as one of the four elements. Under these circumstances the inferential role of ›water‹ is identical on the two planets, but its reference is not. On Earth ›water‹ refers to water, i. e. H2O, on Twin-Earth it refers to a liquid different from earthly water, to twater, if you like. The reason is that the identity of natural kinds goes with their structure rather than with the observable properties. Before seeing how Brandom responds, let us make clear that his deflationism does not affect the problem. Even though the problem was formulated in terms of reference, the force of the argument does not depend on whether we take the term as standing for a real relation or we understand it in a deflationist way. We might simply replace reference with ›content‹, and take the argument to show that content cannot be inferential role, since inferential roles are the same on the two planets, but contents are not. Brandom is fully aware of this problem. He accepts Putnam’s conclusion, but believes that it does not present any difficulties, because the intentional contents on the two planets are different. It is just that the inhabitants of the

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two planets do not know this. »[E]arthlings and twin-earthlings need not be able to tell that they have different concepts, if water and twater are indistinguishable to them. They are not omniscient about the inferential commitments implicit in their own concepts. For the interpreter who is making sense of their practices, and who is able (not perceptually, but conceptually) to distinguish H2O and XYZ, can understand transported earthlings as mistaking the XYZ they look at for water, as inappropriately applying the concept they express with their word ›water‹ to the unearthly stuff. The circumstances of appropriate noninferential application of the concept expressed by the English word ›water‹ require that it be applied in response to a sample of H2O.« (ME 119–120) This answer is acceptable, but it takes some effort to see this. Let us start with the following question. If earthlings and twin-earthlings have different concepts, what is that difference? This seems a rather stupid question to ask because the answer is all too obvious. Earthlings and twin-earthlings have different stuff about them. Facts matter for the identity of concepts. Factual differences lead to conceptual differences. After all, this is what the TwinEarth argument establishes. However, Brandom cannot answer this way. The reason is that he does not assign facts the kind of metaphysical independence that is usually supposed. The general view is that facts are outside the conceptual. They are there no matter what concepts we have. Their composition and structure is completely independent of our thoughts and concepts. Brandom does not think so. In his view »facts are true claims« (ME 327). Of course, he does not mean that we have the power to create facts simply by saying things. Facts are independent of our claimings, i. e. the acts of making claims. What they are not independent of is what is claimed, i. e. the contents of true claims. But claims, even in the sense of contents, are crucially dependent on our practices. Contents, in Brandom’s view, are individuated by the role they play in our game of giving reasons and asking for reasons. So on his view the factual does not stand outside the conceptual. This way of thinking about facts is just the other side of his deflationism about semantics. For someone who is not a deflationist, semantics concerns the relationship between independent facts on the one hand, and psychological processes and verbal productions described in nonsemantic terms on the other. Psychological processes and verbal productions qualify as thought and language in virtue of being appropriately related to facts, i. e. in virtue of having semantic properties. When Brandom rejects the idea of semantic facts, he also rejects the idea that facts are completely independent of the conceptual. Briefly, the difference between the customary picture and the Brandomian

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picture is this. In the customary picture, unconceptualized, extralinguistic facts are cut off from psychological and verbal processes, and the gap between the two is bridged by semantic facts. Brandom rejects semantic facts because he does not think there is a gap to be bridged. »Discursive practices incorporate actual things. They are solid – as one might say, corporeal: they involve actual bodies, including both our own and the others (animate and inanimate) we have practical and empirical dealings with. […] According to such a construal of practices, it is wrong to contrast discursive practices with a world of facts and things outside it, modeled on the contrast between words and the things they refer to. It is wrong to think of facts and the objects they involve as constraining linguistic practice from the outside – not because they do not constrain it but because of the mistaken picture of facts and objects as outside it.« (ME 332) Now it emerges why the simple answer to the stupid question is not good enough for Brandom’s purposes. Of course, he can and does accept that the difference between earthly and twin-earthly concepts is due to a factual difference between Earth and Twin-Earth. But this factual difference cannot be invoked to explain the conceptual difference, because factual difference is one piece with conceptual difference. The difficulty becomes easier to see if we rephrase the question in this way. How could it be that earthlings and their twins have different concepts even though this difference is completely unknown to them? The simple answer is this. Earthlings and their twins do not know the facts about the chemical composition of the stuff around them. It is these unknown facts which make the two kinds of stuff different. Since the word ›water‹ is tied to different kinds of things on the two planets, the semantic facts about the word ›water‹ are different on the two planets. Since earthlings and twin-earthlings are not aware of the factual difference between their planets, they are not aware of the conceptual difference between them either. Factual ignorance explains semantic ignorance. But on Brandom’s view the factual is permeated by the conceptual, it is not an independent factor. So appealing to unknown factual differences cannot provide an explanation. Facts are true claims, and the conceptual resources of earthlings and twin-earthlings are insufficient to formulate claims about the chemical composition of the colorless, tasteless stuff around them. So it seems that the difficulty the conclusion of the TwinEarth argument presents for Brandom is not that it clashes with his view, but rather that he cannot explain what makes it true. But we can find a way out. Brandom says that the inferential commitments implicit in the use of the concepts on the two planets are different. On his account commitment is a normative notion. To say that we are committed

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to something is not to describe what we, as a matter of fact, do but what we ought to do. So even though the earthling transported to Twin-Earth does call the local stuff ›water‹, and thus behaves exactly like the natives, there is a crucial difference between them: the transported earthling is wrong, whereas the natives are right. So the unknown difference underlying the difference between the earthly and twin-earthly concept is a difference in the norms governing the use of concepts. The earthly concept ought to be applied to H2O, its twin ought to be applied to twater. This reply is of the right form. But how could we establish that the norms applying on Earth and Twin-Earth are indeed different? Conceptual norms, according to Brandom, are instituted by the normative attitudes of conceptusers: concept-users assess the particular applications of the concept as correct or incorrect (ME 37), and it is from these assessments that the norms emerge. So, if the norms governing the word ›water‹ are indeed different on the two planets, the normative attitudes exhibited by the inhabitants must be different. They must find particular applications of the word ›water‹ correct and incorrect in a way that gives rise to a systematic difference. But how could the practical activity of assessment systematically diverge if neither earthlings nor their twins can tell water from twater? Putnam’s original discussion provides a clue. (I adapt the story to the Brandomian framework.) The first idea is this. The norm governing the use of ›water‹ is indexically tied to the liquid we actually have around us. When we assess someone’s using the term in non-inferential reports, i. e. when he describes what he sees, we evaluate his claim with respect to the stuff right there, the stuff he is looking at. Now the stuff, we, the inhabitants of Earth are exposed to, is water, i. e. H2O. By approving the non-inferential application of ›water‹ to H2O, we maintain the norm that it is correct to call H2O ›water‹. Of course, we are not aware of maintaining this norm. All the same, water gets caught up in our linguistic practice. But this is only part of the story. The normative practice as described so far does not forbid the application of ›water‹ to twater. The norm it gives rise to rules out the application of the word to vodka and other liquids, but not to twater. First, because there is no twater around us; second, because if there were, we could not tell it from water. What we have here is a problem of projection. Our normative attitude exhibited towards non-inferential applications is compatible both with the norm that ›water‹ applies to and only to H2O, and with the norm that the word applies to and only to colorless, tasteless etc. liquid. How can we explain that it is the first rather than the second norm which gets established? In other words, how do we fix what should count as the same thing as the one we call ›water‹? And here is the second idea. The projection is made along the line

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of hidden structure, nature or essence, whatever it is which explains why all pieces of water are pretty much alike and have the observable properties they do, and not along the line of the observable properties themselves. This kind of projection can be instituted by our normative attitudes. Here is an example. Suppose my daughter surprises me with the idea that what I am drinking consists of a vast number of small, transparent people whom I thoughtlessly murder by drinking them. Then I ask whether she is drinking the same, and she answers that she would not be that cruel, and it is only me committing the massacre. If I respond by saying ›So you’re drinking water, and I drink little people‹, tacitly disapproving the application of the word ›water‹ to the water-looking crowd of little people, I exhibit a normative attitude which favors one line of projection rather than the other. What is in her glass and what is mine may look alike, but they cannot be the same, because their structure is different. Summing it up, the norm tying ›water‹ to water is established this way. First, the word is indexically linked to H2O. Second, the projection is made on the basis of hidden structure. Both parts can be instituted by normative attitudes. So the situation matches Brandom’s description. On the one hand, earthlings would not know that their concept does not apply to twater. On the other hand, they would still violate the norm governing the use of the concept if they called twater ›water‹. The norm, implicit in their practice, is roughly this: ›water‹ applies to whatever has the same hidden structure as the stuff around you. But the liquid on Twin Earth does not have the same structure. I conclude that the Twin Earth argument is not a threat for Brandom’s inferentialism. He has the resources to accommodate externalism within his account.

III The second objection to CRS concerns the possibility of intersubjective understanding. Understanding is normally explained in terms of shared meanings. But inferential roles are not shared. Suppose Romeo and Juliet have met different bachelors and have developed different inferential habits. Drawing on his experience, whenever Romeo meets a bachelor, he infers that the person in question is free and happy, whereas Juliet, whose experience is different, infers that he is lonely and miserable. If the inferential role ›bachelor‹ plays in their intellectual economy is different, how can they understand each other? The source of the problem is that inferential practice is sensitive to the information possessed, and people possess different information. So

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the inferential roles, which determine their concepts, are different. So their concepts are different. Even though Brandom’s inferential roles are social and normative rather than individual and factual, he is equally affected by the problem. Relying on the social and normative character of inferential roles he can say that certain speakers apply the concept correctly whereas others have only partial understanding of it. Say, Juliet is right, from ›bachelor‹ one should infer to ›miserable‹ and not ›happy‹, and Romeo’s use of the word is not quite right. But this does not explain how they can understand each other. The existence of a right concept does not help, unless the concept is shared. Once again, Brandom is fully aware of this problem. His answer (ME 477– 490, 633–636) is intriguing but somewhat sketchy and not fully coherent. In this section I give a reconstruction, and leave the problems for the following sections. Brandom first offers a diagnosis. The problem, he says, arises from the tension between inferentialism and the commonsensical picture of communication. According to the commonsensical picture, communication is like transportation. Thoughts are the goods to be transported, and words are the vehicles. An act of communication is successful if the goods arrive in good order, i. e. if the recipient grasps the thoughts the speaker intended to get across. Understanding then consists in sharing thoughts. So meanings, the thoughts words carry, must be shareable by the speaker and the recipient. If the meanings are not common to them, the recipient cannot grasp what the speaker means. The transportation model of understanding therefore presupposes shareable and thus transportable contents. But inferentialism, as we have seen, does not seem to countenance entities which could serve as such contents. Given this diagnosis, the inferentialist might respond by adjusting his notion of content so that it could be shared and transported. The easiest way is to select from the totality of the inferential role a set of inferences which are somehow privileged and show that this privileged core is intersubjectively shared. One may, for example, say that the inferences from ›bachelor‹ to ›male‹ and to ›unmarried‹, which both Romeo and Juliet endorse, belong to the privileged core, whereas the inferences to ›happiness‹ or ›misery‹ do not. Inferences in the privileged core are constitutive of meaning, inferences outside it are not. The former depend on the mastery of the concept, the latter are underwritten by real world knowledge. In this way ›bachelor‹ would have the same meaning for Romeo and Juliet, and they would only differ in their opinions about bachelors. Brandom holds that this solution is perfectly compatible with his account, but, for reasons whose discussion I defer until

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the last section, he does not choose this path.5 What he suggests instead is getting rid of the transportation model. This alone is not enough. The transportation model is commonsensical, and nearly all theoretical accounts of understanding are varieties of this model. We cannot abandon it without putting something in its place. So the tenability of Brandom’s solution depends on the plausibility of what he suggests as a replacement. What he suggests is ›scorekeeping‹. As it was mentioned earlier, Brandom describes inferential role in terms of commitments and entitlements. Scorekeeping is keeping track of the others’ commitments and entitlements. I keep score on you when I register, for example, that given your claim that p, you should also believe q and you also have reasons to believe r. Understanding is successful scorekeeping. »The sort of understanding or uptake of such a performance [making a claim] required for successful communication is for the audience to figure that performance correctly in its score: to attribute the right commitment to the one making the claim.« (ME 479–480) But the problem, as we have seen is that inferential role is sensitive to collateral information, or, to put it differently, what the person in question believes. Suppose you say ›Deans are generally incompetent‹. This claim entitles you to question the competence of particular deans. Wasserkopf is a dean. Should we put in your score the entitlement to the claim ›Wasserkopf is incompetent‹? That depends on whether you know that Wasserkopf is a dean, and whether you believe he is an exception to the rule. I can only keep your score right, if I have exactly the same information as you, which is impossible. So, at first sight, scorekeeping does not get us any further than transportation. Adhering to the idea that there is one right score would be assuming the existence of shared contents. This would not be but a variation of the transportation model. What Brandom suggests is more radical. »The inferential contents are essentially perspectival – they can be specified only from a given point of view. What is shared is a capacity to navigate and traverse differences in points of view, to specify contents from different points of view.« (ME 485) 5

There are two reasons for not taking the route which Brandom would not find convincing. First, the distinction between meaning-constitutive and non-meaning-constitutive inferences corresponds to the distinction between analytic and synthetic statements. But Brandom rejects analytic truths only in so far as they are regarded as a priori and unrevisable – but meaning-constitutive inferences need not be analytic in that sense (ME 634). Second, one might wonder what psychological difference there is between the two kinds of inference. How are certain inferences marked in the mind as underwritten by meaning? This is a problem for CRS, but not for Brandom. He may say that the distinction is not psychological but depends on the normative practice of the community. The privileged, meaning-consitutive inferences are supported by social norms.

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So there is no such thing as the content of a claim. The content of a claim varies with the framework of auxiliary information within which it is considered. Viewed together with different background assumptions one and the same claim confers different commitments and entitlements. So there is no single correct score. Understanding a claim is to know what difference it makes when it is added to particular systems of beliefs, e. g. to figure out what commitments and entitlements Romeo and Juliet would undertake – given their different opinions on bachelors – by asserting ›Lonesome Jim is a bachelor‹ or ›Lonesome Jim, a long time bachelor, has recently got married‹. To understand a claim thus is to be capable of identifying its inferential significance against various backgrounds. What underwrites this capacity is the semantic property Brandom calls intension. It is a function from collateral information to commitments and entitlements (ME 482). Basically, it tells us what commitments and entitlements the acceptance of a claim brings with it, given a prior set of beliefs. Brandomian intension, of course, is not intension in the usual sense, since it is not defined in terms of possible worlds. Brandom uses the term, because this semantic property resembles usual intensions in its ability to capture subtle differences.6 Notice that Brandomian intension should not be confused with content. Intension is a constant property, which belongs to the expression itself. Content is a variable property; it is what the intension function yields when it is applied to a given set of collateral information. Intension is the rule of calculation of inferential significance, content is the inferential significance the calculation yields when a particular background is assumed. Even though Brandom does not discuss this, it is clear that intension conceived in this way can be put to two sorts of uses: to learn about and to learn from others. From the claims one makes and from what we know about his beliefs we can guess what else he might believe – what reasons he might have for making that claim and what he might think the claim provides reason for. The more we know about the other – the better we know his background beliefs –, the better our guesses will be. If we keep the score from our own perspective, rather than from the other’s, we can figure out how our own commitments and entitlements should change if we were to accept a given claim. For instance, if Romeo says ›Lonesome Jim is a bachelor‹, Juliet learns from this that Lonesome Jim is miserable, even though Romeo himself believes 6

In fact, it is more fine-grained. Usual intensions cannot distinguish between necessarily coextensive expressions like ›3‹ and ›17 + 18 + 19‹. But saying to a kid ›You get 3 pieces of chocolate‹ and ›You get 17 + 18 + 19 pieces of chocolate‹ will change the kid’s score differently if he does not know that 3 = 17 + 18 + 19.

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the contrary. This twofold applicability is an attractive feature of the account, because the notion of understanding indeed comprises two things: finding out what goes on in other people’s minds and using other people’s ideas in developing our own picture of the world. We may also see that the Brandomian account abandons the transportation model indeed. Even though intensions are shared, they do not get transported. Knowledge of intensions is like knowledge of the language. It is a prerequisite of understanding what is said by a particular person on a particular occasion rather than understanding it. It is not something we learn when somebody says something. It is a precondition of learning about and from the speaker. And the actual learning of something is again no transportation. The commitments and entitlements we register in the score are not associated with a claim as it is itself. They attach to a claim plus a given set of collateral information. The claim alone does not carry a specific class of commitments and entitlements. But this is not yet the complete picture. Brandom offers a »three-leveled approach« (ME 484). Inferential significance or content is on the middle level. From this we may move »up« to intension, which is a relativization of content to collateral information, but we may also move »down« to extension (ME 485). The downward move is also scorekeeping, it is keeping score from our perspective. So how does it differ from the case just described as learning from others, when we feed our own background knowledge into the intension of the speaker’s claim and thus calculate how our commitments and entitlements should change if we accept the claim? Extension is to be invoked when intension cannot enable us to calculate the score from our perspective. This may happen in two ways. First, as we will see in the next section, sometimes intension is not shared. Second, the speaker’s way of identifying the object of discourse may involve commitments which the hearer does not share. Imagine that you discuss the government’s policy and your partner, who has a pretty low opinion of the prime minister says: ›That scumbag has called a press conference‹. Even though you do not share his opinion, you may still »extract information« (ME 700, AR 180) from his claim, use it as a premise to reason with, say, to conclude that the prime minister wants to make an announcement. This cannot be explained in terms of intension. Intension can be invoked to explain how your partner derives his entitlement to that claim. His background assumptions entitle him to a low opinion of the prime minister and he also knows that the prime minister has called a press conference. This and the intension of ›That scumbag has called a press conference‹ together explain why he says just that. But your capacity to extract information from this claim cannot be explained in this way. The collateral information you operate

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with is that the prime minister is a nice guy and the intension of ›scumbag‹ prohibits its application to nice guys. So the information you have and the intension of the claim do not tell you how to modify your commitments and entitlements. What you need to realize is that ›that scumbag‹ as it was used by the speaker can be substituted with ›the prime minister‹. To make this substitution is to figure out that the two expression tokens are correferential, in other words, that their extension is identical. It is important that extension as used here should not be construed as a semantic property underlying scorekeeping in the way which intension underlies scorekeeping in the other cases. Brandom is not going for the KripkeanPutnamian idea that mutual understanding between people with different or even incompatible convictions can be explained in terms of reference. First, the Kripkean-Putnamian approach applies only to rigid designators, and Brandom does not make this qualification. Second, and more importantly, the Kripke-Putnam view works with a substantive notion of reference: it assumes that reference is a genuine relation between words and things like »heavier than« is genuine relation between the blackboard and a piece of chalk. But Brandom is a deflationist about reference. In his view, the statement, ›that scumbag‹ said by you and ›the prime minister‹ said by me have the same reference does not describe a genuine semantic fact that the two expression tokens stand in a semantic relation with one and the same thing. There are no genuine semantic facts of this kind. The statement about the identity of reference merely expresses – i. e. makes explicit – my willingness to substitute your ›that scumbag‹ with the ›prime minister‹. If this is the way reference or extension is understood here, two things follow. First, we do not have transportation of shared contents here either. Since extension is no genuine property, it is not something that your words and my words can have in common. So it cannot be transported. Second, our capacity to extract information difference of opinion notwithstanding has no special semantic grounding. We need to know the intension, but we do not need a different sort of semantic knowledge. All we need in addition is some knowledge of background assumptions and a bit smartness. Indeed, what Brandom discusses in this context is merely the linguistic devices with which we can maintain the identity of reference across differences in opinion. Such devices include anaphoric pronouns (»You said he will hold a press conference?«), quotations (»You said ›that scumbag‹ will hold a press conference?«) and de re locutions (»You said of the prime minister that he will hold a press conference?«). These devices enable one to keep talking of the same thing without embracing the convictions of the speaker. Their competent use enables one to express the information extracted, i. e. to reformulate the speaker’s claim

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within the hearer’s perspective, but it is not what makes extracting information possible.

IV There is a three-page long stretch in ME (482–485) with which the reconstruction in the previous section seems difficult to square. Brandom makes there two claims: the notion of intension is problematic, and, therefore, we should not try to solve the problem of understanding by identifying meaning with a shared core of inferential roles. The second claim is clear: we have already seen that Brandom does not wish to privilege certain inferences as meaningconstitutive and identify content with this set. What is unclear is the first claim and the transition to the second. The first claim is unclear because intension is explicitly invoked and endorsed later on (ME 485, 635). The transition is unclear because we have no explanation of how the notion of intension is linked to the privileged core strategy. I think the confusion derives from two things. First, Brandom does not distinguish here between the general notion of intension and a more specific one we get if we adopt a certain restriction. According to the general notion, as described above, intension is a function from collateral information to commitments and entitlements. Suppose we adopt the restriction that intension is a constant function, i. e. it yields the same commitments and entitlements whatever collateral information we have. For example, the intension of ›bachelor‹ could be this: whatever information one has, ›x is male and x is unmarried‹ commit one to ›x is a bachelor‹; and whatever information one has, ›x is a bachelor‹ commits one to ›x is male‹ and ›x is unmarried‹. This notion of intension corresponds to the traditional notion of meaning against which Quine’s criticism in »Two Dogmas« is directed. This traditional notion indeed distinguishes between two kinds of inferences: ones which are constitutive of meaning and ones which are underwritten by collateral information. The inference from ›bachelor‹ to ›male‹ would count as constitutive of meaning, but Juliet’s inference from ›bachelor‹ to ›happy‹ and Romeo’s inference to ›miserable‹ would be licensed by collateral information. Hence, this notion indeed leads to the privileged core strategy, which Brandom rejects. The same is not true of the general notion. If intension is not a constant function, the intension of ›bachelor‹ may include the following: given the information that most bachelors are happy, ›x is a bachelor‹ commits one to ›x is male‹ and ›x is unmarried‹ and entitles one to ›x is happy‹; given the information that most bachelors are miserable, ›x is a bachelor‹

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commits one to ›x is male‹ and ›x is unmarried‹ and entitles one to ›x is miserable‹. Intensions which include clauses like these do not support a distinction between inferences based on meaning and inferences based on collateral information. Someone who draws an inference following one of these patterns relies both on meaning and collateral information, because meaning includes reference to collateral information. Therefore, if intension is not a constant function, meaning cannot be set against collateral information.7 Keeping this in mind, this part of ME should be read in this way. At the beginning Brandom introduces the general notion of intension, then he shifts the discussion to intension as constant function. This explains how he can move from the criticism of intension to the rejection of the privileged core strategy: intension as constant function, i. e. meaning in the traditional sense, is committed to the privileged core. It also explains one of his arguments against the notion of intension: if you are not free to stipulate intensions, but regard them as implicit in language use, what features of language use determine the intension (ME 482–483)? This, as he points out, is just Quine’s worry: how do you decide which inferences are included in the privileged core (ME 484)? The criticism in the section is directed against the restricted notion of intension but does not affect the general one. This is why he can use the general notion later on. A second thing which aggravates the confusion is that Brandom does not distinguish the criticism of the notion of intension as such and the criticism directed against using it within the framework of the transportation model of communication. He points out that in communication across generations we cannot rely on shared intensions. Rutherford and Bohr did not associate the same intension with ›electron‹ as contemporary physicists, we may still understand them (ME 483, see also AR 167). This is why – says Brandom – »it is hard to find a champion for an intensional transportation model of communication« (ME 483). This remark is not directed against the notion of intension itself, but against its use as a shared and transportable entity within the transportation model. Consequently, it does not contradict anything in the previous section. In the reconstruction intensions appear as entities which are shared but not transported. We rely on them in calculating the commitments and entitlements in the light of sets of collateral information which may differ from person to person. 7

Another way of seeing this is that intensions which are constant functions can be rendered in the traditional ›… means …‹ form – e. g. ›bachelor‹ means ›unmarried male‹ –, whereas intensions which are not constant cannot be expressed in this way.

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All in all, these pages do not undermine the reconstruction offered in the previous section.

V We saw that Brandom’s account has two prongs: one employing the notion of intension, and one employing the (non-substantial) notion of extension. Apart from saying that they are aspects of one and the same scorekeeping activity, he does not discuss how the two are related (ME 485). I suggest that they are importantly different, which Brandom does not see, and this creates tensions in his conception. One may distinguish between two conceptions of understanding. These are not contradictory views but different targets for explanation. The first, which might be termed narrow or linguistic conception, takes understanding to be something automatically achieved if one knows the language. This is the conception which is associated with the idea of linguistic rules or conventions, the idea that it is in virtue of certain rules or conventions that physical items – like spoken or written words – have meanings. It holds that all it takes to understand a sentence is to know the meanings of the lexical items and the rules of grammar. The second conception, call it understanding in the broad sense, regards understanding as involving more than grasping what the rules determine. A couple of examples might help: finding out that a remark is ironical; identifying the unpronounced premise of an enthymematic inference; guessing why someone says something; understanding someone who mixes up similar sounding words. Take someone who, on a particular occasion, fails to do one of these things, say, does not notice the irony. Does he understand what was said? Yes and no. Yes: he understood the words. No: he did not get the point. The sense in which he understood what was said is the narrow, the sense in which he did not is the broad sense of understanding. To understand in the first sense we only need to know the language, to understand in the second sense we also need a kind of smartness or intelligence.8 Keeping this distinction in mind, talk of intension may be seen as an attempt to capture what is involved in narrow or linguistic understanding. It is the intension which tells one what to make of a claim in general. It provides the rules for scorekeeping: it says what commitments and entitlements flow from the claim given any particular set of collateral information. Intension does not reveal whether the speaker is serious; it does not shed light on his motivations; it does not tell us what the speaker must have thought when 8

The distinction is not beyond dispute. Davidson, for example, denies it.

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what he says sounds too wrong to be seriously meant; it does not tell us how fragmented or confused speech can be best made to cohere. In short, it appears to afford the sort of understanding which does not require intelligence in addition to the knowledge of language. At one point Brandom himself links intension to linguistic competence: »Sharing intensions is speaking the same language in the strong sense« (ME 483). In the strong sense, because it is obvious that we can speak the same language without sharing intensions: Bohr and Rutherford spoke English just as contemporary physicists do. If intension is tied to narrow or linguistic understanding, extension seems to be connected to understanding in the broad sense. As it has been argued in section III, understanding via identification of extension does not have a semantic basis of its own. Moreover, Brandom appeals to extension exactly in those cases which involve the use of non-linguistic abilities. First, in the Bohr-Rutherford type cases, in which intensions are not shared (AR 167), where the concepts are radically different. Like understanding Aristotle, this is not just a matter of linguistic competence but of interpretative intelligence. Second, in cases described by Donnellan and Kripke in terms of ›referential use‹ and ›speaker’s reference‹, respectively (ME 488). Here the speaker offers an identifying description which, taken literally, does not identify anything or identifies something else than what the speaker is thinking of. When this happens, getting the message requires not just linguistic competence, but an ability to guess what the other must be thinking about. Indeed, these kinds of cases are standard examples of what I called broad understanding. These considerations are not sufficient to show that Brandom tacitly invokes two different conceptions of understanding. This might be just forcing a distinction on him which he might reject or find irrelevant. I think, however, that these two conceptions are indeed present, and the failure to realize it produces tensions in his account. First, intension, which, on the face of it, seems to explain narrow understanding is also invoked for the explanation of broad understanding. Second, and much more importantly, Brandom thinks he rejects the privileged core strategy whereas he is committed to it. I start with the second and explain the first on the way. One way to solve the problem of intersubjective understanding would be to individuate concepts in terms of a limited number inferences, i. e. to adopt the privileged core strategy. Even though Brandom does not rule this out as an option, he does not adopt it (ME 484, 634). One of his reasons is that »mastery of a special subset of distinguished inferences […] is not in general sufficient for grasp of the concept. For such grasp requires that one be hooked up to a function that takes as its argument repertoires of concomitant commitments available as auxiliary hypotheses and yields inferential significances as its val-

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ues. Carrying on a conversation involves being able to move from perspective to perspective, appreciating the significance a remark would have for various interlocutors.« (ME 635, italics in the original) The idea is that the privileged inferences are insufficient: we need all inferences, not just the privileged ones. Here is an example. You, John and I sit down to eat. John, even though he is very hungry, eats very little. You tell him: ›You’re stupid. You aren’t overweight at all‹. In order to understand you, I must figure out that you believe that John does not eat because he is on a diet, and he is on a diet because he thinks he is overweight. This takes knowing the inferential connections between being hungry and eating, thinking oneself overweight and going on diet, being on diet and repressing one’s hunger, thinking falsely that one is overweight and being stupid, etc. There are good many inferences which go into understanding your claim. I need all of them to get what you mean. If we accept the distinction between inferences which are meaning-constitutive and which are not, presumably, some inferences employed here end up in the second group. Now if we drop these non-meaning-constitutive inferences, the story will not add up. So the subset of a privileged subset of inferences is insufficient for understanding. The quotation exposes the first tension. The kind of understanding we have here is broad. One may very well know what the sentences ›You are stupid‹ and ›You are not overweight at all‹ literally mean and yet fail to grasp their significance in the given context. This failure is then not linguistic or semantic. However, the »function« mentioned in the quotation is intension. So it seems that intension provides understanding in the broad sense, in contrast with the remarks which suggest that it has to do with understanding in the narrow sense. At this point we should not make much of this. If Brandom does not have a distinction between narrow and broad understanding, there is no tension to talk about. The second tension cannot be removed that easily. Moreover, it also shows that Brandom needs the distinction, so his position suffers from the first tension as well. I maintain that, contrary to what he says, he cannot avoid selecting a privileged set of inferences. Differently put, intension cannot include all legitimate inferences involving the claim; it cannot contain more than a privileged set. Let us start from the fact that Brandom’s account is normative. The inferential roles which give content to our claims contain the inferences we should perform or approve rather than the ones we actually perform or approve. So inferential roles are specified normatively, not factually. The norms they embody are instituted by our social practices. Brandom has a sophisticated picture of how this is done, but the details are not interesting for our purposes. What matters is something that Brandom does not see,

Brandom and Two Problems of Conceptual Role Semantics

229

namely, that socially instituted norms cannot extend to all inferences which we agree with. There are inferences which are novel in the sense that they do not follow a socially established pattern, yet do not shift the meaning of expressions. Here is an example. You walk along the rails, and find part of a snake with the head and without the tail on the left side, and part of a snake with the tail and without the head on the right side. You would probably infer that it was the train which has cut it into two. If you draw this inference, you use ›snake‹, ›rail‹, ›train‹ or ›cut‹, etc. in the usual sense. You neither change their meaning, nor extend it. Nevertheless, you do not simply say what you are expected to say given the inferential role of the expressions. You put things together in a novel way. And when the audience understands you, they capture these novel connections. Of course, it is technically possible to construe the intension of the claim ›The train has cut the snake into two‹ in such a way that it includes that the conditions described entitle one to assert the sentence. But it is very implausible that the intension of this claim actually includes such a clause. Intensions are sustained by the normative practice of the community, and the inference is novel exactly because it is not included in that practice. Talking of trains cutting snakes into two is so peripheral that it cannot come to be part of a norm. One might try to include this in the intension by making intension more abstract, as referring not to snakes and trains but soft and hard objects, pressure, sharp edges, etc. But doing this would be developing a theory of mental representation, rather than doing what Brandom does, analyzing the discursive practice of a community. Brandom has resources to explain novelties, but one cannot appeal to them in this case. One is to say that a particular performance involving a concept may be novel for an individual who has not completely mastered the concept (ME 636, cf. 39–41). When it comes to technical terms of a profession or a discipline the norm is set by the experts, and the laymen have limited understanding. But the snake inference is not novel in this way: it does not demand expert knowledge. The other explanation Brandom may give stems from his view that norms are present in the form of dispositions (ME 636, cf. 28–29, 35), and dispositions outrun their actual manifestations. This may indeed account for the fact we find certain inferences good even though we have never met them before.9 Yet it does not apply to this case. It is true that we are disposed to approve the snake inference. The problem is that this disposition 9

This is the core of Brandom’s solution to the Kripkenstein paradox. Meaning is rooted in normative dispositions which decide between right and wrong usage even in cases we have not encountered before.

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Gábor Forrai

cannot be explained by socially instituted norms. The inference is too special to fit any socially established general pattern precisely. Since it also diverges from those patterns, the fact that we endorse it cannot be explained simply in terms of those patterns. The socially established norms do explain why we do not reject it – it does not clash with the patterns –, but do not explain why we are disposed to accept it. This inference is just one example which does not seem to be part of the socially sustained inferential role of the claim it involves. There are an enormous number of good inferences of this kind. Inductive inferences are sensitive to context: they may be defeated or reinstated by changes in a lot of different circumstances. Some of those circumstances are so well-known in the speech community that we have every right to include them in the intensions – as pieces of collateral information affecting the commitments and entitlements conferred by the given claim. For instance, everyone knows that ›x is a smart and hardworking student‹ entitles one to the claim that ›x is likely to get a good grade‹. Everyone knows that this entitlement is undercut by information that x was asked about the only topic he did not study, or that he was sick on the day of examination. But there is an indefinite number of circumstances which may undermine the inference, and for many of them we have not been prepared. We are smart, so we can see their relevance, but this ability is not a matter of language learning or enculturation. Social practice, which is necessarily limited, cannot foresee all the conditions under which we may affirm or deny a sentence. The two tensions have the same root. On the one hand, Brandom describes language as a social game subject to norms. If one often and strongly violates these norms, he is not playing the game. On the other hand, Brandom is aware that playing the game alone is not always sufficient for understanding. But one cannot account for both perspectives in terms of the same conceptual apparatus. If intension belongs to »language in the strong sense«, it cannot be invoked to explain the sort of understanding which requires ingenuity. If inferential roles are sustained by social norms, they cannot include all good inferences. Summing it up: the social-normative conception of inferential role comes with a narrow conception of understanding, and the ambition to use it to explain understanding in the broad sense must be given up. It is important to see that this tension does not undermine Brandom’s reply to the issue of intersubjective understanding. His crucial move is to replace the transportation model with the scorekeeping model, and the tension we found does not threaten that move. It does not show that the scorekeeping model as such is wrong, it is a problem merely for a particular version of the scorekeeping model.

Brandom and Two Problems of Conceptual Role Semantics

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Moreover, the tension can be resolved. I would like to finish with two remarks on how. First, to preserve the social-normative character of inferential roles is to maintain some distinction between narrow and broad understanding. Social regulation is necessarily limited. Socially instituted inferential roles cannot provide detailed instruction on how a claim has to be understood in all possible situations. Therefore, such inferential roles cannot account for all instances of understanding. So there must be room for a different conception. Brandom, indeed, tacitly acknowledges this by explaining certain instances in terms of extension. However, he does not see the difference between the two parts of his account because what matters for him is that both involve scorekeeping, and he does not pay much attention to what we rely on when we are engaged in scorekeeping. Second, since normative regulation cannot specify all the good inferential moves one can make with a concept, Brandom has to face Quine’s question: how do you decide what inferences are privileged? But answering this does not force him to distinguish between inferences which flow from the meaning and inferences which are supported by collateral information. As we have seen in the previous section, his intensions may make essential reference to collateral information. In fact, he is in good position to answer to Quine’s challenge. He does not demand that inferential roles be unrevisable. Moreover, he analyzes social norms in terms of I-thou relations (ME, 38–9), which means roughly that social norms arise from specific interactions between particular individuals. This would allow him a good deal of flexibility. He does not have to assume that there is a specific list of privileged inferences which are binding for everyone. He may allow that the privileged set does not have sharp boundaries and its membership can be assessed differently by different members of the community.

Gergely Ambrus

Inferentialism and the Content of Perception

»The concepts for which inferential notions of content are least obviously appropriate are those associated with observable properties such as colors.« (Brandom: Articulating Reasons. 47.)1

Introduction The general framework in which Brandom lays out his philosophical system is an inferentialist theory of content. Inferentialism holds, broadly speaking, that the meaning of a sentence is its inferential role, i. e. the sets of sentences which may be inferred from it, and from which it may be inferred. For such an approach one of the most difficult cases to handle are perceptual reports, which involve words that seem to refer to experiences and experiential qualities, the meaning of which seems not to be exhausted by their inferential role. In the following I shall analyse Brandom’s inferentialist interpretation of perceptual reports and some of its metaphysical implications.

I. Brandom’s theory of perception and perceptual reports According to many empiricist theories, perception involves experience, which is independent of perceptual judgments, plays a role in justifying perceptual judgments and also in determining the meaning of perceptual reports. Brandom, however, denies all this, in line with his general rationalist-pragmatist approach to semantics and metaphysics. First I shall present his views and then consider some prima facie plausible objections and replies to them. To present Brandom’s views on perception, it is useful to contrast them with some of their important rivals. Firstly, Brandom rejects all sorts of sensedatum theories, traditional and modern, which may be characterized by the following tenets. (1) In perception we are confronted with something phenomenally given, a sense-datum, that possesses a certain phenomenal nature. 1

Robert Brandom: Articulating Reasons. Cambridge/Mass. 2000.

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Gergely Ambrus

(2) We get to know this phenomenal nature by acquaintance, by perceiving sense-data directly. (3) From this direct knowledge of sense-data, we make an inference (consciously or unconsciously) to the content of perception, i. e., to which physical objects we perceive. Hence, experience plays a justifying role for perceptual judgments. Brandom follows Sellars in rejecting such accounts that embody the »Myth of the Given«,2 and accepts his arguments to the point that there is no non-inferential knowledge of sense-data, and sense-data cannot play a role in justifying perceptual judgments (for justification of judgments or beliefs is possible only by other beliefs, i. e. by locating them in the space of reasons). In rejecting the Myth of the Given, Brandom is in alliance with McDowell,3 who also departs from Sellars’ views. Brandom, however, also distinguishes his view from McDowell’s in the following respects. According to McDowell, perception involves experience, but the contents of experience are always conceptualized, i. e. brought under concepts. That is, contrary to the sensedatum theories and the Myth of the Given: (4) Experience has no nonconceptual phenomenal nature.4 It is senseless to ask, what a perceptual experience is like prior to its being brought under concepts. (5) Perceptual experiences are independent from perceptual judgments. In perception we are confronted with (conceptualized) experiences prior to the endorsing them, i. e. prior to making a perceptual judgment. (6) As the contents of experiences are always conceptualized, experience can play a justificatory role for perceptual judgments. Brandom agrees with Sellars and McDowell in rejecting the Myth of the Given and also in holding that the contents of perception are always conceptualized. But he claims, contrary to McDowell, that »no experience is necessary« for accounting for perception. He proposes a two-factor theory, according to

2

Wilfrid Sellars: Empiricism and the Philosophy of Mind. Cambridge/Mass. 1997 (1956). 3 John McDowell: Mind and World. Cambridge/Mass. 1994. 4 This forecloses not only sense-datum theories but also some adverbial and direct realist theories as well, for it implies that neither of the following analyses of perception can be correct. When perceiving a physical object, (a) we directly perceive non-physical sensedata that possess phenomenal properties, the nature of which is directly known to us; or (b) our experience of physical objects possesses the phenomenal properties (qualia), the nature of which is directly known to us; or (c) we directly perceive physical objects that possess the phenomenal properties (secondary qualities), the nature of which is directly known to us.

Inferentialism and the Content of Perception

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which perception consists of a reliable differentially responsive disposition, and a conceptually articulated responsive capacity. He writes: »(…) we think of there being two elements one needs to master in order to be able to make a certain kind of observation report, two distinguishable sorts of practical know-how involved. First, one must have acquired a reliable differential responsive disposition: a disposition reliably to respond differentially to some kind of stimulus. Which stimuli we can come differentially to respond to depends on how we are wired up and trained. Humans lack the appropriate physiology to respond differentially to different radio frequencies, for instance, without technological aids. Blind mammals cannot respond differentially to colors. These capacities are something we can share with nonconceptual creatures such as pigeons – or as far as that goes, with photocells and thermostats. Second, one must have the capacity to produce conceptually articulated responses: to respond to red things not just by pecking at one button or closing one circuit rather than another, but by claiming that there is something red present. I think we should understand this latter capacity as the ability to take up a certain kind of stance in the space of reasons: to make a move in what Sellars calls ›the game of giving and asking for reasons‹ of a sort that can both serve as and stand in need of reasons.«5 Thus, according to Brandom’s rationalist-pragmatist view, it is a necessary condition of perception that we apply concepts to the content of perceptions (the rationalistic aspect); the meaning of concepts are determined by the inferential role of the relevant words (the linguistic-pragmatist aspect); and experience is not necessary for giving an account of perception (the anti-empiricist aspect). To unpack a bit Brandom’s view, I shall investigate what the claim »no experience is necessary« amounts to. We may ask: for what exactly is experience unnecessary? First of all, Brandom is not interested in the phenomenology of perception. His aim concerning perception is, in line with his overall philosophical project, to give an account of perceptual judgments and perceptual claims. Keeping this in mind, we may interpret the »no experience is necessary« thesis as claiming that in determining the content of perceptual claims like »That’s a blue necktie«, we need not refer to experiences. On this interpretation we may expect from Brandom’s two-factor theory that it is capable of correctly capturing linguistic behavior: by applying it, we can determine the conditions 5

Robert Brandom: No Experience Necessary: Empiricism, Non-inferential Knowledge, and Secondary Qualities. www.nyu.edu/gsas/dept/philo/courses/representation/papers/ BrandomNEN.pdf. 2000, 9–10.

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Gergely Ambrus

under which a person would assert a certain perceptual report, and we can also account for the understanding of perceptual reports. But we may expect something more, namely, that it can also account for certain generally attributed features of perceptual contents, which are explained by the empiricists by referring to the nature of experience – without, of course, relying on any concept of experience. Leaving out experience altogether from the description of perception may seem implausible, for it is very hard to deny that there is some experiential or phenomenal element of perception. Brandom, however, need not deny this, for he claims only that phenomenal elements of perception play no role in determining the content of perceptual judgments/claims. However, even if we grant that Brandom’s claim is a semantic one, namely that the content of perceptual judgments involves no reference to phenomenal qualities, it could nevertheless have some metaphysical and epistemological implications, which may not be acceptable, and hence constitute indirect grounds for rejecting the »no experience necessary« thesis. To investigate this, we should consider the following issues: (a) Is Brandom’s theory really adequate for describing the linguistic behavior related to perception-talk? (b) Are his explanations for the generally attributed features of perceptions acceptable? (c) What metaphysical implications Brandom’s account of perceptual content may have? I shall grant that the answer to question (a) is in the affirmative, and address only (b) and (c). As for (b): Brandom intends to give an account of certain generally attributed features of perception, which are most commonly explained with reference to some concept of experience, and thus by relying on a certain metaphysical picture of perception. He accepts that: (i) The contents of perception have a phenomenal element. (ii) The contents of perception are immediate, presented directly to the perceiver. (iii) The contents of perception appear as external and objective to the perceiver.6 (iv) We are incorrigible about how things perceptually seem to us. Now, how does Brandom account for these features? The phenomenal element. Prima facie, (i) seems to contradict the »no experience necessary« thesis. Brandom seeks to reconcile them in the following way: he claims that there is no experience either as of sense-data or in 6

As McDowell puts it, perception has »objective purport«, it seems to be about the world, not about mental objects.

Inferentialism and the Content of Perception

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the McDowellian sense, but he also claims that humans are sentient, human perception involves some phenomenal element (or »sentience«, as he calls it). Hence the question arises, how Brandom’s concept of sentience ought to be interpreted, in order to reconcile it with the »no experience necessary« thesis. I suggest the following: a. Though there is no experience as conceived by the sense-datum theorists and McDowell, there is sentience, a phenomenal element or aspect of human perceptions. b. The character of sentience gets determined by perceptual judgments (by the concepts which are applied in the judgments). c. There is no independently existing phenomenal layer between perceptual judgments and the stimuli which elicit them. Immediacy. Theories of perception, according to which the content of perceptual judgments involves experience, account for (ii) by claiming that it is the experiential element that we grasp directly or non-inferentially. According to sense-datum theories, experience has an object with a nonconceptual phenomenal nature, which we grasp directly (by acquaintance). According to McDowell, although the content of perceptual experience is conceptualized, it requires no inference to grasp its (conceptually articulated) nature, we confront it directly as already conceptualized. According to Brandom, in order to account for the immediateness of perception we need not rely on any conception of experience, according to which it exists independently of perceptual judgments. For Brandom perceptions are just judgments: we cannot separate judgments and experience waiting to be judged. The immediacy of perceptions can be explained by saying that perceptual judgments are elicited directly by certain stimuli, in a way in which inferences play no role. The appearance of externality and objectivity. The appearance of the externality and objectivity of perceptual content, i. e., that it seems to us that we perceive external objects which have objective natures, needs explaining. Sense-datum theorists and also their predecessors, 18th century theorists of ideas, explained the appearance of externality by the (alleged) phenomenological fact that when having an experience, we are directly aware neither of ourselves as experiencers, nor of the act or mode of experiencing; we are only aware of the object of experiencing (Russell and Moore, but also Hume argued this way)7. As for the appearance of objectivity: Russell and other 20th 7

Cf. e. g. David Hume: A Treatise of Human Nature. Oxford 1975. Book I. Part IV. Sect. 6. Of Personal Identity; George Edward Moore: The Refutation of Idealism. In: Mind 12 (1903). 433–453.; Bertrand Russell: Knowledge by Acquaintance and Knowledge by De-

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Gergely Ambrus

century sense-datum theorists reified the objects of experiences as sense-data (and sensibilia), thus accounted for the apparent objectivity of the content of perception by relying on the (postulated) objectivity of sense-data. On the other hand, McDowell also states that there is a layer of experience separate from judgments, which is objective and external, in the sense that its nature is determined by concepts, the meaning of which is not subjective, but determined by a linguistic community, that is intersubjectively. This is why the contents of experience seem objective and external to us, even before we make a judgment about what we perceive. Brandom provides an alternative explanation. According to his story, perceptions are just judgments: there is no independent layer of experience waiting to be judged. The reason why the content of perceptions appear as objective and external, is that when perceptual judgments are made, they are already placed in »the game of giving and asking for reasons«, and thus they are open to criticism in the light of collateral commitments. (For example, if I perceive that this is a blue necktie, this judgment commits me to other judgments, e. g. that it is not green, that it is shorter than one meter, etc.) Whether these commitments can be upheld will be judged by the community, hence it will seem that the content of my perceptual judgment is objective, for it is liable to checks independent of me.8 Incorrigibility. Sense-datum theories hold that utterances such as »This looks green« refer to an entity, a sense-datum which has an objective phenomenal nature, an »objective seeming« which is independent of the perceiver. This phenomenal seeming is how it seems phenomenally to the perceiver; hence there is no room for making a mistake in judging, judgments about how things seem to us are incorrigible. Brandom’s alternative account for the – apparent – incorrigibility of judgments about perceptual appearances is taken over from Sellars. Sellars claimed that it is the above – wrong – metaphysical picture, which led to a wrong interpretation of the »seems« or »looks« idiom. According to Sellars, we learn first how to use »This is green« and only after how to use »This seems green«. First we acquire a reliable differentially responsive disposition and a conceptually articulated responsive capacity keyed to the utterance »This is green« in normal conditions. Having learnt this, we learn to use »This seems green«: scription. In: Proceedings of the Aristotelian Society 11 (1911). 108–128; Bertrand Russell: The Problems of Philosophy. London 1912. 8 Brandom claims that McDowell’s account for the appearance of externality and objectivity of perceptual content is also coherent. He, however, suggests that McDowell upholds an element of Cartesian metaphysics, namely that there is an independently intelligible act of will in judging, which he rejects. Brandom: op. cit. 9.

Inferentialism and the Content of Perception

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namely, we use this sentence in circumstances we would utter »This is green«, were observation conditions normal, but we are uncertain whether they are normal. Hence »This seems green« does not express an incorrigible judgement, but a withdrawal from judgment instead. This is why there is no room for mistake – no judgment, no possibility of mistake. Sellars’ and Brandom’s view that »is-talk« is prior to »seems-talk« has the metaphysical implication that there is no need to postulate an objective appearance, a sensory intermediary between the perceiver and the perceived objects, to account for the meaning of »This seems green« (not even in the case when it is not green). Hence they can account for the – apparent – incorrigibility of judgments of appearance, without postulating experience as an independent entity. A sense-datum theorist may object, that this account of the meaning of »seems« ignores that it does seem somehow phenomenally to the perceiver even when the judgment »This is green« (say, this tie is green) is false, or even when the perceiver is uncertain and withholds his judgment. And it is this phenomenal seeming which is the content of the claim »This seems green«. But Brandom could reject this objection. For he need not deny that there is a phenomenal element is such cases of perception, but has to claim only that the nature of the phenomenal element is identified by reference to the concepts applied in the perceptual judgments, not by the intrinsic character of the phenomenal element. Hence, the content of the perceptions are determined by the concepts applied in the judgments, not by the intrinsic (i. e. nonconceptualized) character of the phenomenal element. So much so, that the phenomenal element may as well be missing, or radically different from what we take it to be like. Interpreting Brandom this way is also supported by his use of the well-known chicken sexing example.9 Usually chicken sexing is taken to show that it is possible to have a reliable discriminatory disposition based on visual perception, without being able to tell on what feature of the visual experience the discrimination is based. Brandom, however, claims that empirical research has shown that in chicken sexing it is the olfactory, not the visual stimuli that play a role. If that is true, then it seems that experience (or at least visual experience) is completely irrelevant for the chicken sexing capacity.10

9 10

Brandom: op. cit. 13. Ibid.

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II. Objections After this short summary we may consider some plausible objections to Brandom’s views. The inconsistency objection A prima facie plausible objection is that Brandom’s two-factor theory is inconsistent, because: (i) According to Brandom’s view, it is a part of perceiving something that we have a capacity of conceptually articulated responsiveness. For example, we perceive that there is a snake over there, if we can locate this perception in the game of giving and asking for reasons, i. e. if we can draw theoretical and practical inferences from it (e. g. that it is a dangerous situation, or that we’d better flee). (ii) For having a conceptually articulated responsiveness capacity, we need empirical concepts (»snake«, »dangerous«, etc.). (iii) For having empirical concepts, having experience is necessary, for empirical concepts may be acquired only by reference to experiences (semantic empiricism). Hence, Brandom’s claim that no experience is necessary is inconsistent with his conceptualism about perception. Brandom’s answer would be, I assume, to reject (iii). His views on acquiring empirical concepts may be uncovered from his interpretation of Sellars on the same topic, with which he seems to agree.11 According to Sellars, we acquire empirical concepts in two steps. First we acquire a reliable differentially responsive disposition, and then gradually learn how to locate the adjoining linguistic utterances in the relevant language-game. For example, when we learn the concept red, we first acquire the relevant reliable differentially responsive disposition: upon being confronted with something red, we are disposed to utter the word »red« or »This is red«. When we see something red and hear the word »red« in conjunction repeatedly, we conjoin the two sort of stimuli, and acquire a disposition to conjoin the visual stimuli of something red with the auditory stimuli of hearing »red« (and after a while with our disposition to say »red«). After that we gradually learn how to use the word »red« (and »This is red« and similar sentences) in the relevant language-game. Learning a concept is a linguistic achievement, according to Sellars and Brandom, i. e. it consists of in learning the usage/inferential role of 11

Robert Brandom: Tales of the Mighty Dead. Cambridge/Mass. 2002. 12. IV. A Rationalist Account of the Acquisition of Empirical Concepts.

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the words. By the time we are able to draw some fundamental inferences from »This is red« (e. g. that »This is a colour«, or »This is more similar to orange then to blue«, etc.), we are entitled to say that we have acquired the concept of redness. Now, this description of (empirical) concept acquisition does not rely on any conception of experience, hence the inconsistence objection may be answered with it. Now, I have some worries with the first step. The description of the learning process involves that we are able to identify and reidentify the relevant stimuli (the stimuli we receive when seeing something red and hearing the word »red«.) But how do we do this? It seems that there are basically two options. (a) By identifying and reidentifying the visual experience of seeing red and the auditory experience of hearing »red«. (b) By identifying and reidentifying the neural states caused by the red objects and by the string of sounds »red«. (a) clearly cannot be an option for Brandom, since he is denying any role of experience. (b) might be consistent with his »experience-ignorant« account – Brandom actually claims that identification of stimuli is dependent on how we are wired. Nevertheless, it is not clear how this idea fits with Brandom’s overall approach to concepts, according to which the reference of concepts are determined socially, i. e. by the use and agreement of the linguistic community. The problem is that if there is some brute, irreducible natural (neural) fact at the very start of the process of empirical concept acquisition, which plays a fundamental role in determining the meaning (reference) of the concepts, then the meaning of empirical concepts cannot be said to be essentially determined by social and not by natural factors. Further, if there are such irreducible neural facts, which underlie the fixation of the meaning of empirical concepts, how can we know that there are no further neural facts, similarities on the neural level between certain sorts of stimuli, which also play an important role in the identification of stimuli, in rendering them into types? For example, neural facts which underlie the categorisation of certain stimuli as belonging to the same sensory modality? And in general, how can we know where to draw the line between the neural and the social facts, according to which we order the stimuli into types?

Genuine perception and mere observation Another objection against Brandom’s account of perception may be that it implies that there is no substantial difference between »genuine perception« and »mere observation«, between perceiving an »ordinary« physical object with

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Gergely Ambrus

perceptible properties, e. g. a vapor trail in a cloud chamber, and observing a »theoretical« physical object with imperceptible properties, e. g. a mu meson. Brandom acknowledges this consequence and embraces it: it is a strong intuition that there is a fundamental difference between perceiving a vapor trail and observing a mu meson, but this intuition is false, he claims, it rests on wrong background theories of perception. He writes: »If it turns out that I can reliably differentially respond to a certain sort of state of affairs by noninferentially reporting the presence of a state of affairs of that sort, and if I know that I am reliable in this way, then I think that true reports of this kind deserve to be called observationally acquired knowledge. This is in some ways a fairly radical view – though, I think, a defensible one. For one consequence of thinking of observation this way is that there is no particular line to be drawn between what is in principle observable and what is not. The only constraints are what a reporter can be trained under some circumstances reliably to differentiate, and what concepts she can then key the application of to those responsive dispositions. Thus a properly trained physicist, who can respond systematically differently to differently shaped tracks in a cloud chamber will, if she responds by noninferentially reporting the presence of mu mesons, count as genuinely observing those subatomic particles. She may start out by reporting the presence of hooked vapor trails and inferring the presence of mu mesons, but if she then learns to eliminate the intermediate response and respond directly to the trails by reporting mesons, she will be observing them. ›Standard conditions‹ for observing mu mesons will include the presence of the cloud chamber, just as standard conditions for observing the colors of things includes the presence of adequate light of the right kind. And the community for whom ›mu meson‹ is an observation predicate will be much smaller and more highly specialized than the community for whom ›red‹ is one. But these are differences of degree, rather than kind.«12 According to a more commonsensical description, what happens when a suitably trained physicist observes a mu meson, is that he perceives a vapor trail in the cloud chamber, a perceptible object with perceptible properties, and from this he infers that there is a mu meson, an imperceptible object, there. After some training, however, he may be conditioned to »jump directly to the conclusion« and judge that there is mu meson, without going through the inferential process. But even in this case, the natural interpretation seems to be that he perceives the perceptible object first, and this perception elicits 12

Brandom: No Experience Necessary: Empirism, Non-Inferential Knowledge, and Secondary Qualities. 10.

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his judgment that there is mu meson there. So, it seems, one cannot observe an imperceptible »theoretical« object without perceiving some ordinary perceptible object: perceiving perceptible objects is a precondition for any observation. Brandom may reject this objection by saying that the observation of mu mesons does not require that the observer also perceives a vapor trail in the cloud chamber (i. e. a macroscopic object). But how? Well, according to Brandom’s theory, all perceptions require the application of concepts, and it is at least possible, (though, admittedly, not very likely), that someone has not acquired the concept of vapor trail, but has acquired the concept of mu meson nonetheless. If so, then it is possible that a person, effected by the relevant stimuli, observes a mu meson without perceiving a vapor trail in the cloud chamber. Hence the latter cannot be a necessary condition for the former. Now, I do not wish to judge this view of Brandom here. Instead, I want to make clear some of its implications. First, as I already stressed, Brandom is not denying that some phenomenal element or sentience adjoins (most) perceptions13. What he rejects is that there is experience either as of sense-data or in the McDowellian sense. His sentience/experience distinction may be highlighted by his interpretation of McDowell on this issue. He writes: »Since McDowell also takes concept use to be a linguistic achievement (in line with Sellars’ doctrine that to grasp a concept is to master the use of a word), he takes it that we learn to have perceptual experiences only when we come to have a language. Thus perceptual experience is not something we share with nonlinguistic animals such as cats and chimpanzees. No doubt there is some sort of broadly perceptual attunement to things that we do share with our primate and mammalian cousins. We might call it ›sentience‹. But it will not qualify as experience, according to McDowell’s rationalist usage.«14 So sentience as opposed to experience is the »broadly perceptual attunement to things« that we share with nonlinguistic animals. Second, sentience so conceived, is part of most perceptions, but it does not play any role in determining the content of perceptions. This may be explicated further as: (a) though sentience adjoins perceptions, there are not any perceptible features of sentience upon which we build our discriminatory capacities, and (b) there may even be perceptions without any sentience.

13

Though his view seems to be compatible with the idea that there may be cases of perception without any adjoining sentience (e. g. blind-sight cases or »zombi-perception«). 14 Brandom: op. cit. 4.

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Gergely Ambrus

Third, there is no ontological difference between perceptible and imperceptible properties, hence no difference between perceptible ordinary objects and imperceptible theoretical objects. The second feature of Brandom’s view helps to explain the third. Intuitively, there is a clear difference between perceiving an ordinary physical object and observing an imperceptible theoretical object: while the ordinary physical object is perceptually given15, the theoretical object is not, while we identify the former directly by its perceptible features, we identify the latter inferentially. But Brandom could reply that this objection is question-begging: it presupposes that in identifying the content of our perceptions, we rely on perceptible features of sentience, the phenomenal element adjoining perceptions. But we should reject this, he suggests, we should not be misled by our false (Cartesian) intuitions. It is not entirely clear whether Brandom would accept (b). His use of the chicken sexing example may support this, but it may also be understood as showing only that discrimination and observational knowledge is not based on some perceptible features of perception, as we (and even the perceivers themselves) take it to be. But this does not imply that our perceptual discriminatory capacities are not always conjoined with some phenomenal element (in this case with olfactory elements). Be it as it may, (a) can be upheld even if one does not accept (b). Still, whether it is possible that sentience is completely missing or not, may be relevant to some other worries concerning Brandom’s conception of sentience, namely to the issue of how we know that we are sentient. I address this problem in the following section. The third feature of Brandom’s view may be explicated as follows. All objects of perception are on a par: between ordinary physical objects, say, vapor trails, and theoretical objects, say, mu mesons, there is only a difference of degree, not of kind. After all, they all inherit their identity conditions from certain concepts. In the case of vapor trails from folk physical concepts (shape, volume, colour), in the case of mu mesons from concepts of particle physics (charge, spin, etc.). Hence all objects are »theory-laden«, they are identified by concepts, which belong to certain theories. Therefore it does not seem to be an important difference that perceptible properties are attributed to certain objects (relying on our folk theory), while not to others.

15

This is also admitted by McDowell: he holds that the content of perception is given, but already conceptualized.

Inferentialism and the Content of Perception

245

Knowing one’s own sentiences There is a further problem with Brandom’s account of perception which concerns sentience. Brandom acknowledges that humans are both sentient and sapient: sentience, he says, is what distinguishes humans from thermostats or landmines (and we may add, I think, robots and phenomenal zombies), sapience is what distinguishes us from simpler biological creatures such as parrots. Robots or zombies may share our sapient capacities, i. e. our conceptually articulated responsive capacities, but have no sentience, while parrots may have sentience adjoining their reliable differentially responsive dispositions, but have no sapience, no conceptual capacity to locate utterances in the space of reasons. My worry is that I do not see how we can know on Brandom’s theory that we are sentient. For, according to him, sentience adjoins human perception, but it does not figure in his two-factor theory. If so, how do we know that we are sentient? One suggestion may be, that besides perceiving something, say a red spot, we also perceive that we are sentient, i. e. we perceive that some phenomenal element is also present while perceiving the red spot. This, however, cannot be the case. For to perceive that we have sentience besides perceiving a red spot, we need not only to have a reliable differentially responsive disposition and a conceptually articulated responsive capacity, which would be a perception of a red spot, but a different reliable differentially responsive disposition with a conceptually articulated responsive capacity, which would be a perception of a red spot and the sentience. However,,in normal conditions we do perceive red spots sentiently, but such perceptions are described by Brandom as being in a reliable differentially responsive disposition to red things and having a conceptually articulated responsive capacity connected to »This is red« or like utterances. Another suggestion might be that human perceptions necessarily involve sentience. This may be so if sentience necessarily adjoins perceptual judgments. So we do not perceive that we are sentient, but have an a priori argument that we must be. One such argument may be that the content of perceptions must have a – however indeterminate – phenomenal core which is determined by the concepts applied in perceptual judgments (without intuitions concepts would be empty). Now, whatever we think of the worth of such an argument, it seems that Brandom could not accept it anyway. For his views seem to imply that it is conceivable that robots or zombies – who have no sentience whatsoever – may have the same sort of perceptual judgments as humans.16 16

It may be objected that conceivability does not entail possibility, hence a creature

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Gergely Ambrus

Summary Now, to sum up: the most important elements of Brandom’s views on perception may be grasped by the following tenets. (1) Perception comprises two elements, a reliable differential responsive disposition to stimuli and a conceptually articulated responsiveness capacity for locating perceptual claims in the space of reasons. (2) Neither experience nor sentience play any role in perception. (3) Nonetheless we are sentient while perceiving. I considered the objection that (1) and (2) may be inconsistent, because having a conceptually articulated responsiveness capacity requires having empirical concepts, which, in turn, seem to require having experiences. This led to Brandom’s rationalistic account of empirical concept acquisition. In connection with this, I have suggested that there is some unclarity about how and where to draw the line between the natural and social factors which determine the meaning of empirical concepts. In other words, how does the hard wiredness of responsive dispositions to stimuli and the social determination of the reference of concepts fit? I also investigated some metaphysical implications of Brandom’s view that there is no difference between genuine perception and mere observation, namely that all observable objects are ontologically on a par; and that sentience, though it adjoins perception, plays no role in it. I also raised some worries about how to account for our knowledge that we are sentient within the frames of Brandom’s theory.

having perceptual judgements but lacking sentience altogether may be conceivable, but not possible. If it were true that sentience and perceptual judgements are conjoined with metaphysical necessity, then we could know a priori that we are sentient. But I have no argument for such a claim.

Tamás Demeter

Where Rationality Is1

The paper contrasts Robert Brandom’s account of rationality with that of Daniel Dennett. It argues that neither of them is tenable, and sketches an alternative outlook that avoids the problems. In spite of their fundamental differences, both Brandom and Dennett employ a robust, i. e. explanatory and predictive notion of rationality, and for different reasons they both fail to offer a plausible theory supporting it. The lesson offered here is that rationality should not be treated alongside with other norms prescribing behaviour, as it cannot be accounted for in the same terms. Instead of ascribing rationality a robust role in a philosophical understanding of behaviour, it should be assigned a more modest one: its function should be not located in the context of explaining and predicting behaviour, but in the context of narratives folk psychological interpretation offers.

I. Introduction It is common wisdom in philosophy that rationality plays a central role in our everyday understanding of human behaviour. We understand others on the assumption that they are rational agents, meaning that their beliefs and desires form a coherent system, and that they typically choose a course of action that follows from this system. Rationality thus operates on the set of beliefs, desires and other mental states we ascribe to agents, and given these we can predict and explain behaviour reliably, just because agents typically do what they rationally ought to do. This is what discriminates our understanding of the inhabitants of the social world from that of other objects around us. Rationality is thus normative: given the agent’s mental states, our reliance on it tells us what he ought to do. The assumption of rationality is thus an assumption of conformity to a norm or a set of norms. Psychological explanation and prediction are made possible by relying on this assumption. Without 1

I’m indebted to Jane Heal and Martin Kusch for the conversations we had on topics discussed here. I’m grateful for the financial support provided by the Hungarian State Eötvös Fellowship.

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Tamás Demeter

rationality there is no way of gaining cognitive access to an agent’s behaviour based upon his attitudes: inferences from attitude ascriptions to behaviour remain ungrounded if a significant degree of rationality is not ascribed to the agents at the same time. Without presupposing rationality on the agent’s part, having beliefs or desires does not establish any conclusion concerning his actions. Thus, lacking rationality, attitudes could not serve as reasons explaining the agents’ behaviour. On Robert Brandom’s account norms, which rationality is a species of, are made possible as a result of the relevant social practices. In fact, social practices are constitutive of norms and thus of rationality, as he says in his Articulating Reasons (77, hereafter AR);2 one might also want to say, as Brandom does in Making It Explicit (292, hereafter ME),3 that norms supervene on them. Rationality as a norm is built upon practices that are essentially linguistic and discursive: »Being rational is understood here generically as being able to play the game of giving and asking for reasons, which is to engage in a specifically linguistic social practice.« (ME 230) As linguistic practices entail interpretative practices, rationality cannot be grasped independently of our discourses, but this does not mean that it is merely ascribed to agents, that agents are merely interpreted as rational. Their rationality is genuine, though it is both derivative and objective: it derives from »the implicit practical taking of states, performances and expressions as intentionally contentful« (ME 61), and it is already there in those practices themselves, in the rules we follow while engaging in them. While engaging in discursive practices where assertions can be made, i. e. in »the game of giving and asking for reasons« (AR 189), we conform to rules that govern the conditions of proper application of expressions. In order for expressions to play a proper part in our discursive practices, i. e. to have a »discursive status«, it is not enough to have a mere regularity of its use in the community. We must also acknowledge, or »keep track of,« the »commitments« those take who are engaged in these practices, and also whether they are »entitled to« those commitments (AR 195–6). Discursive statuses are present in the linguistic practices of the community, and to adopt an explicitly discursive stance toward them is their »making explicit« (ME 639). And in the explicit recognition of discursive statuses, their rules, commitments and entitlements, implicit in our linguistic practices is where, for Brandom, rationality is. 2

Robert B. Brandom: Articulating Reasons: An Introduction to Inferentialism. Cambridge/Mass. 2000. 3 Robert B. Brandom: Making It Explicit: Reasoning, Representing, and Discursive Commitment. Cambridge/Mass. 1994.

Where Rationality Is

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Brandom articulates his position by contrasting his interpretationist account with that of Dennett. In this paper I first sketch Brandom’s way starting from Dennett’s account of rationality and intentionality, which Brandom thinks »a useful place to start« his investigations (ME 55), arriving at the account he gives. Secondly, I point out that Brandom’s critique of Dennett is fundamentally misplaced as he misrepresents Dennett’s basic commitments. Thirdly, I argue that, surprisingly enough, the two approaches are similar to some degree. The similarity of Brandom’s and Dennett’s story consists in a commitment to a robust, i. e. explanatory-predictive, notion of rationality that neither of them can explain satisfactorily. Finally, I will suggest replacing this robust notion by a minimalist one, which gives up the idea that ›rationality‹ is a property of agents whose ascription can serve the purposes of explanation and prediction.

II. From Dennett’s Stance to Brandom’s Rationality On Dennett’s account, when we explain or predict the behaviour of fellow humans and some animals we do that from the intentional stance. We take agents to be intentional systems, accordingly attribute them intentional states, and on this basis we calculate their expected behaviour, or cite them as an explanation of their past behaviour. When we attribute intentional states we expect the agents to behave as they should given the states attributed, because these states amount to reasons for action. There is thus, as Brandom says (ME 56) »a normative core« of the intentional stance: it does not result in a description of mental architecture analogous to some scientific description, but in a kind of normative expectation concerning future behaviour, or in a reason-giving interpretation of past behaviour. The intentional stance could not prove to be useful without presupposing norms to which the agent conforms, i. e. without some pressure of rationality. Brandom (ME 57) attributes Dennett a position according to which intentional ascription is not description at all, as its value is judged exclusively on its predictive utility as opposed to its descriptive accuracy: »Dennett’s most controversial claim is his stance stance – his claim that there is no room for a distinction between actually being an intentional system and being appropriately treated as one. Intentional systems, things that have intentional states, just are whatever things it is predictively useful to adopt the intentional stance toward.« And Brandom is certainly right in saying so if he considers Dennett’s earlier writings only,4 which he actually does. More recently, however, Den4

Cf. Daniel Dennett: Intentional Systems. In: Journal of Philosophy 68 (1971). 87–106.

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nett ceased to separate predictive utility and descriptive accuracy so sharply.5 On this more recent and amended account, we describe, from the intentional stance, »real patterns« in the agent’s behaviour which are made salient by our interpretations. These patterns of behaviour are caused by the internal functioning of agents, and are thus independent from our interpretations. Thus, the existence of these patterns makes true the descriptions of behaviour whose truth explains their predictive utility – an explanation which was painfully missing from Dennett’s earlier, and therefore as it stood incomplete account. According to Dennett’s more recent position, while taking the intentional stance we calculate the agents’ reasons for action on the basis of their circumstances and the real patterns in their behaviour. Then we use these calculations for further calculations while explaining and predicting their behaviour. Being mere behavioural patterns, the patterns themselves are not intentional; intentionality is only attributed to them due to the observer taking the intentional stance. Thus intentionality is not an intrinsic property of agents: their reasons themselves are not there; they are only attributed on the basis of calculation. So the agents’ intentionality is not genuine, not original, but derived. It derives from the way we interpret them, from our intentional stance toward them. The calculation of behaviour from the ascribed intentional states is based on, and made possible by, the norms of rationality that prescribes an ideal order of behaviour given the agent’s circumstances and attitudes. The assumption that agents similar to us are rational means that they do what they have reasons for and do not do things for nothing. Rationality, similarly to intentionality, is not a genuine property of agents either: it is there only if behaviour is interpreted from the intentional stance. And again, similarly to intentionality, the assumption of rationality is based on the real patterns of behaviour: rationality is calculated as »the statistical effect of very many concrete minutiae producing, as if by a hidden hand, an approximation of the ideal order.«6 What we have here then in the understanding of rational behaviour is calculation all the way down. We calculate intentional states, and calculate the rules for further calculations too on the basis of real patterns in behaviour. Now Brandom (ME 58 ff) thinks that Dennett’s view is incoherent. For him a distinction needs to be drawn between simple intentional systems that are merely intentionally interpretable and interpreting intentional systems that actually interpret other systems that way. If we do not take interpreting systems to be genuinely intentional and say that interpreting intentional systems 5 6

Cf. Daniel Dennett: Real Patterns. In: Journal of Philosophy 88 (1991). 27–51. Ibid. 43.

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are the ones that are interpreted as such, then we open an infinite regress – namely interpreting systems as interpreting systems that are interpreting etc. – and that eventually does not explain anything. So the way they are intentional cannot be the same as the way simple systems are intentional. Taking the intentional stance is itself an intentional state that cannot be attributed but genuine, as we need to prevent the regress to start. The intentional stance shows up, as it were, in the attitude attributions implicit in our social practices. And when we go explicit by ascribing the attitudes we attribute implicitly in practice, by using operators such as ›believes that‹ or ›desires that,‹ the intentional stance gets articulated too (AR 174). Accordingly, Brandom (ME 61, 630) assigns genuine intentionality to the community (more precisely, he says that only communities can be »interpreted« as having genuine intentionality): it is already there in the discursive, i. e. in social, practices of treating agents as intentional, even if it is still implicit at this level. The members of community derive their intentionality from one another, not from an external observer: their intentionality is »the product of their own activity, not that of the theorist interpreting that activity« (ME 61). And as intentionality and rationality go hand in hand, the latter is similarly implicit in our practices of attribution and can be made explicit just as well. This gives rise to what, following Sellars, Brandom (ME 105 f.), calls »expressive rationality«, which is »a form of rationality that centers on the notion of expression: making explicit in a form that can be thought or said what is implicit in what is done.« (AR 56)

III. The Foundations of Rationality The reason then why Brandom thinks Dennett’s position to be misplaced is that he does not think the intentional stance could be explained without some sort of genuine intentionality – an idea that comes from Searle,7 but Brandom gives it his own distinctive flavour. This flavour comes from Brandom’s and Dennett’s shared conviction that a system cannot be interpreted as intentional without assuming it to be rational, which in turn presupposes an understanding of what norms are. But here their roads diverge as Brandom denies that norms can be explained by using some non-normative vocabulary, something Dennett thinks definitely possible. However, while Dennett’s account is far from being satisfactory, Brandom’s is disturbing and overlooks some serious considerations – or at least so I will argue. 7

John Searle: Minds, Brains, and Programs. In: Behavioural and Brain Sciences 3 (1980). 417–424.

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Dennett grounds his notion of rationality on the basis of evolutionary game theory, more specifically on the optimal foraging theory.8 According to this theory animals should optimize the net amount of energy gained in a given period of time, i. e. to maximize the energy gained and minimize the energy invested. This is a strategy to follow under evolutionary pressure. For example, if an animal is not disposed to leave a source of food if depleted, i. e. if it is not disposed to invest energy under certain circumstances, then its fitness suffers, or more concretely: the animal goes extinct eventually. And conversely, if it is eager to leave good sources of food without being forced by the circumstances, then its fitness suffers again, in this case by jeopardizing its own security. The optimal strategy, the pattern of behaviour to be followed here and in similar cases, can be mathematically modelled, which gives a list of the kinds of behaviour that can lead to evolutionary advantage for those following them. Due to the resulting advantage, these kinds of behaviour proliferate in the population, because those not following them simply go extinct, or have less offspring (and thus the behaviour goes extinct in the long run). This analysis can be extended to practical decision making in general: following highly complex calculations, this model can eventually give the »ideal order« to be approximated by the patterns of human behaviour too, that is the norms of rationality. And given that following these norms is beneficial conformity proliferates, thus most of the time agents will do what they rationally ought to do. Now this approach seemingly accomplishes the reduction of the normative to the non-normative, by showing its proper home in the selective processes of evolution, and it makes plausible that the rationality of some kind of behaviour may be explained this way. However, it seems all too optimistic that this explanation can be generalized so as to encompass ›rationality‹ in its really intriguing uses, that is, in the explanation of human social behaviour. The problem is that in these cases, where rationality is most interesting to us, we face far more complex situations. It is, however, not their increasing combinatorial complexity that poses a special problem. Perhaps, this could be treated evolutionarily, step by step as time passes and natural selection goes.9 The proper reason why an evolutionary story seems highly unlikely here is due to social complexity. Relevantly similar social situations are highly unlikely

8

Daniel Dennett: Cognitive Ethology: Hunting for Bargains or a Wild Goose Chase. In: Brainchildren: Essays on Designing Minds. Cambridge/Mass. 1998. 9 Although there are serious problems to be dealt with in the case of calculating behaviour from attitudes ascribed, cf. Adam Morton: Folk Psychology Is Not a Predictive Device. In: Mind 105 (1996). 1–19.

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to re-emerge frequently enough so as to provide a real chance for an optimal strategy to be stabilized in such situations. Thus following Dennett’s scenario would leave us without an explanation of how acting rationally in previously unencountered situations is possible, given the fact that it is calculated on the basis of previous experience. In order to cover these cases too, an explanation is needed that shows that it is possible to extrapolate effectively what is learned from the past, that is, that a generally applicable »ideal of rationality« can be distilled from previous experience. But this hardly can be possible if Dennett’s story is true, and therefore the evolutionary story must fail in this context. What is rational to do or to believe in social situations depends, at least partly, on interlocking systems of values, beliefs, desires, etc. that is, on the interpretation of other parties to the situation. These attitudes are attributed to the agents on the basis of their behaviour, thereby discerning real patterns in it. However, as Dennett willingly acknowledges, behaviour allows for radically different interpretations and predictions of the agents, interpretation picks out patterns of behaviour and there is no »deeper fact of the matter« that could decide which one of the possible and incompatible interpretations is true. Nothing intrinsic in the agents’ behaviour determines which pattern is to be picked out: »I see that there could be two different systems of belief attribution to an individual which differed substantially in what they attributed – even in yielding substantially different predictions of the individual’s future behavior – and yet where no deeper fact of the matter could establish that one was a description of the individual’s real beliefs and the other not. In other words, there could be two different, but equally real patterns discernible in the noisy world. The rival theorists would not even agree on which parts of the world were pattern and which noise, and yet nothing deeper would settle the issue. The choice of a pattern would indeed be up to the observer, a matter to be decided on idiosyncratic pragmatic grounds.«10 Given all this there is no way of specifying the »ideal order« to which behaviour should converge in any given social situation, because what the situation is depends on our interpretations. There are no social situations independent of interpretation: to the extent they are independent, they are not social (but behavioural, neural, etc.). And the same applies to the outcome: our judgement on the rationality of the agents’ behaviour depends on our interpretations. The course of behaviour eventually followed in a social situation will be rational under some interpretations, and irrational under some other. Now it seems that evolutionary game theory can be useful in explaining rationality where »facts of 10

Dennett: Real Patterns. 49.

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the matter« determine an optimal strategy, but in social situations, as they depend essentially on interpretations which are not made true or false by relevant facts, this cannot be the case. The optimal strategy to be followed in a social situation should depend upon interpretation, and as there is no optimal (uniquely true) interpretation there is no optimal strategy either. The benefits of Dennett’s account are thus dubious. We might gain the possibility of calling ›rational‹ animals of the kind that we do not even think of as rational, but we are not a step closer to explaining what rationality is where it plays its proper part, namely in the social world, in the space of reasons. Consider an illustration of this point. Michael Frayn, in his Copenhagen, dramatises Heisenberg’s visit to Bohr in 1941, an event whose significance was interpreted differently by the parties as their later correspondence shows. Frayn reconstructs the meeting in an inconclusive series of scenes showing that, in spite of relatively small differences between their memories, its interpretation is notoriously uncertain. On the basis of what is said Heisenberg’s visit might have several incompatible meanings: he might want to inform Bohr, that he will not develop an atomic bomb so the Allies should not do so either; to discuss the problem of calculating the critical mass either for finding a solution or justifying himself in not finding it; to express his solidarity with Bohr in the occupied Denmark; or to find out something about the Allies’ atomic bomb project, and so on. The lesson is not primarily about memory – that it is vague, fallible, indeterminate, etc. It is about, as Frayn himself says, »the epistemology of intention.«11 To put it in Dennett’s words: there are several patterns in Heisenberg’s behaviour, past and present, linguistic or otherwise, to build interpretations upon – neither of which is privileged by deeper facts of the matter. What is then rational for Bohr to say or do? That depends on his interpretation of what the situation is: once it is fixed a rational course of action may be chosen. But, to repeat, what Bohr takes the situation to be is not grounded in facts, only in his interpretation picking out some pattern of behaviour, i. e. in what he takes Heisenberg’s intentions to be. Ascribing intention is a matter of interpretation ungrounded by facts, and as intentions are essential to social situations thus explanation and prediction in them is indeterminate too. Thus in social situations Dennett’s idea of rationality cannot help to explain or predict human behaviour in the light of some ideal order as there is simply no such order, as it depends on interpretations hanging in the air. Let us now turn to Brandom’s account. Brandom rejects the idea of reducing normative facts to something non-normative, so he rejects Dennett’s ap11

Michael Frayn: Post-Postscript. In: Copenhagen. London 2000. 136.

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proach altogether which tries to do this by reducing rationality to an optimal behavioural strategy specified in terms of evolutionary costs and benefits. The basis of Brandom’s rejection is Wittgenstein’s famous regress argument: a norm cannot be reduced to regularities of behaviour, as any piece of future behaviour can be fitted with the norm under some interpretation, because the norm itself does not tell us the conditions of its correct interpretation. Brandom (ME 21) concludes from this that a »pragmatist conception of norms«, as he calls it, is required which is based on »a notion of primitive correctness of performance implicit in practice.« This arises from the fact that practices can be carried out right or wrong, norms are thus implicit in practice, and as rationality and intentionality are explained in terms of practice, norms are indispensable in explanation: it is, as Brandom says, »norms all the way down« (ME 625), as the distinction between normative and non-normative facts is itself drawn in the normative vocabulary of our linguistic »scorekeeping« practices within which we keep track of the »commitments« and »entitlements« of those taking part in our discursive practices. Rationality is thus explained on three levels by reference to (1) norms implicit in our thinking and language, i. e. practices governing the application of concepts, that (2) form the basis of our implicit attitude attributions, and which (3) we express in our attitude ascriptions explicitly (cf. ME 636 ff.). As the relevant social practices are public, they account for the objectivity of norms, which is crucial for understanding them adequately (ME 63), otherwise they could not count as standards of right and wrong. And this crucial point is missing from dispositionalist accounts, such as Dennett’s for instance, that reduce norms to dispositions to behave in specific ways under specific conditions, i. e. to something non-objective and non-normative. The problem with Brandom’s account is that it does not explain norms; instead he takes them to be primitive. The obvious problem this account faces is this: How could norms, taken as primitive, be accommodated in the causal order of the natural world? This poses a problem for Brandom because he holds the majority view that science is a descriptive enterprise, and it »will never run across commitments in its cataloging of the furniture of the world« (ME 626).12 But if norms are not part of the natural world on their own right, how can they be causes of e. g. behaviour? Brandom’s answer is that norms themselves are not causally efficacious, instead »[w]hat is causally efficacious is our practical taking and treating ourselves and each other as having com12

He could, perhaps, avoid the following objection if he adopted a view of natural laws as normative. In this case, however, he should pay the price in other respects, cf. e. g. Stephen Mumford: Normative and Natural Laws. In: Philosophy 75 (2000). 265–282.

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mitments (acknowledging and attributing commitments) – just as what is causally efficacious is umpires and players dealing with each other in a way that can be described as taking the score to include so many strikes and outs« (ME 626). This account leads to a serious problem. If causal efficacy belongs to our »practical taking and treating« then why should we keep the talk about norms, why should not we be just contented with the talk about mutual attributions, given that only these are required for the explanation of behaviour? In this case presupposing norms in themselves, as implicit in practice, seems superfluous. For our explanations we need only (2) and (3) from the above levels. Brandom, however, thinks that (1), i. e. norms implicit in practice, is the basis of our mutual attributions. He thinks that because he refuses to explain these attributions reductively in non-normative terms, and his reason for refusal is that he thinks reductive explanations threaten objectivity, accounting for which is an indispensable part of any explanation of norms. Now Brandom’s view seems incoherent as it stands. If norms implicit in practice are the basis of our attributions, it does not make sense to say that they are not causally efficacious and only their attributions are. Given that our attributions are based on norms implicit in practice, the causal efficacy of our attributions derives also from the norms themselves. If not, then there is no proper role for the norms to play in Brandom’s account, and thus they are useless; and if yes, if they are the basis of our attributions, then it is hard to understand this relation if it is not causal, and therefore Brandom has no theory of how norms can be placed in the natural world. This problem for Brandom’s arises only because he overlooks the possibility to explain norms with reference to a naturalistic account of conventions. He (ME 232 f.) echoes Davidson while arguing that relying on conventions presupposes discursive practices, as a convention essentially relies on the beliefs, desires, intentions etc. of those who take part in the convention. And this is true if one has in mind David Lewis’ classic account of conventions that relies on mutual mental state attributions.13 Nevertheless, it is possible, as Sellars’ other student, Ruth Millikan showed, to analyse ›convention‹ without relying on the intentional idiom.14 Conventions in this sense are just regularities of behaviour that proliferate in the population due to the weight of precedent. Some of these conventions – and among them most importantly, both for Millikan and Brandom, language conventions – are solutions to coordination 13

David Lewis: Convention. Cambridge/Mass. 1968. Ruth Garrett Millikan: Language Conventions Made Simple. In: Journal of Philosophy 95 (1998). 161–180. For a different but still naturalistic/evolutionary account see: Brian Skyrms: The Evolution of the Social Contract. Cambridge/England 1996. 14

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problems, i. e. problems whose solution requires coordinated behaviour for a common purpose and that have more than one non-trivial, equally good solutions, none of which is salient in any relevant respect to the parties. The successful solutions of these problems count as positive precedents and become stabilized in a given population as a convention due to the fact that they prove to be good at coordinating behaviour when such need arises. Once a solution is stabilized this way, it can be treated as an objective norm: it does not pay to violate or desert it as the others follow this strategy, and the coordination problem, if it arises, cannot be solved without everyone conforming to the convention. So if anyone violates the convention everyone is worse off, because the problem remains unsolved. But even if Millikan gives a good naturalistic account of social norms in general, it cannot provide a satisfactory account of rationality in particular. And the reason is that her account, if applied to rationality, would bring us back to the same ballpark which Dennett’s approach belongs to, and with it to the problems we encountered there: namely that the notion of rationality based on these naturalistic grounds cannot be generalised so as to include social situations, because these essentially involve interpretations of the parties, interpretations that cannot be conclusively true, lacking facts of the matter that could make them so. Norms of rationality cannot be treated as conventions of behaviour as they operate on situations that can be interpreted, and constantly re-interpreted in divergent ways. Thus, it cannot prescribe any course of behaviour in any given situation because there are no »given situations« independent of interpretation. Any course of behaviour can be rationalized by giving it a suitable interpretation plus a suitable interpretation of the situation in which it takes place. This shows that rationality is not one among many social norms, one which can be explained away along with them. This shows that rationality is a very special norm.

IV. Clarifying Analogies Before turning to my proposal concerning how to understand rationality in social contexts, it may serve the purposes of clarification if I explain how the difference between these two accounts of rationality struck me. While reconstructing Brandom’s and Dennett’s accounts of rationality, I could not resist the temptation to read Brandom as if he was giving his picture of rationality a »Kantian« flavour, and Dennett as giving it a »Lockean« one. Let me expand on what I mean by this hoping that it contributes to a better understanding of their similarities and differences.

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By saying that Brandom’s account has got a »Kantian« flavour I mean that his argument struck me as if he argued that norms in general and rationality in particular are »empirically real and transcendentally ideal«. On the one hand, they are »empirically real« as they are there implicit in, and can be made explicit from, practices that are inconceivable without them; practices must exhibit or conform to norms in order to count as practices at all. On the other hand, they are »transcendentally ideal« as we cannot make sense of them independently of the practices themselves. Thus practices, in order to count as practices, must be carried out in accordance with norms that can be revealed, made explicit, from them, while the norms themselves have no existence independent of the practices for which they serve as norms. If read this way, Brandom’s account resonates with the central theses of Kantian transcendental aesthetics: for Kant space and time are forms of our sensibility, conditions of possibility of experience, to which any phenomenon of our experience conforms, but they are nothing if conceived in themselves, independently of the objects of possible experience. And this is how Brandom envisages the relation of norms and practices, too. By saying that Dennett’s account has got a »Lockean« flavour I mean that his argument struck me as if he argued that rationality is a »secondary quality« of behaviour. For him, rationality is in the beholder’s eyes when he interprets behaviour. However, this interpretation is not arbitrary, as it is grounded in the real patterns of behaviour and conforms to the requirements of intentional interpretation. Rationality emerges as a result of some interaction between real patterns of behaviour and the observer who recognises them by adopting the intentional stance. Were there no patterns, no intentional stance, rationality could not be ascribed to behaviour, thus rationality presupposes both. This seems to resonate with Locke’s account of secondary qualities, such as e. g. colour, which are powers in the object to cause certain ideas in the observer’s mind: a certain configuration both of the mind independent qualities of the object and of the observer’s mind are necessary in order to have ideas of secondary qualities. Of course, I do not mean these points as strict historical analogies. I only think that they may show something about how Dennett and Brandom envisage rationality. Both of them deny the transcendent independence of the ideals against which right and wrong, rational and irrational can be measured, and both assert that attribution and ascription plays a crucial role in it, and both admit that rationality plays a robust explanatory and predictive role in understanding behaviour. Nevertheless, their approaches are significantly different, as they tell different philosophical stories about the interrelations of the considerations on which they agree.

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V. Dissolving Rationality My very sketchy proposal for understanding our ascriptions of rationality in social situations starts from an insight I borrow from Martin Kusch.15 He points out that folk psychological platitudes »function as standards of rationality«, meaning that violating platitudes like ›those who are thirsty seek to drink‹ or ›fear entails avoiding behaviour‹ would strike us as irrational, and constant violation would risk exclusion from the community. While I agree with this, I do not think Kusch is right when he goes further by claiming that these platitudes are norms in the sense that they encourage conformity to them by obliging agents to act a certain way in order to be counted as rational, and thereby as members of community. My reason for disagreement is the same as in Dennett’s case, namely, that interpretations ungrounded in facts play a central role in understanding social situations. If these platitudes are norms for behaving in certain ways, then they prescribe rational behaviour in particular situations. But given that a course of behaviour, as Frayn’s play clearly illustrates it, can be interpreted in several incompatible ways from which one cannot choose on the basis of facts, the platitudes on which our interpretation rely cannot prescribe any specific behaviour. Any behaviour can be made out to accord with some interpretation, and thus any behaviour can be shown to exhibit some rationality. As Jane Heal points out: »when a mistake is agreed to have been made we will often look for, and find, a reason why it was made, not just in the sense of a cause or regularity in its making but in the sense of some excuse which reconciles the mistake with the idea that, even in making it, the perpetrator was exercising his or her rationality.«16 And what is more, any platitude can be used for the purposes of interpretation, provided that some others are also used in the narrative which taken together build up a coherent story. The point I am making is this. Rationality is not a property of behaviour; rather, it is a property of our interpretations. Rationality and the coherence of psychological narratives is just one and the same thing. If we manage to give a coherent interpretation of someone’s behaviour, then we portray him as rational. Therefore psychological platitudes are not norms for rational behaviour but norms or rules for our interpretations. Rationality is so to speak encoded in folk psychology. The platitudes are not imperatives telling us what 15

Martin Kusch: The Sociophilosophy of Folk Psychology. In: Studies in History and Philosophy of Science 28 (1997). 1–25. 10. 16 Jane Heal: Understanding Other Minds from the Inside. In: Anthony O’Hear (ed.): Current Issues in Philosophy of Mind. Cambridge/England 1998. 99.

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to do; they are more like the rules of chess that tell us what moves are allowed if someone chooses to play chess, but they do not tell us when to play chess. Similarly, platitudes tell us how to go along if we decide to interpret a course of behaviour relying on the conceptual resources of our psychological vocabulary, i. e. when we decide to play the »game of giving and asking for reasons« as Brandom, following Sellars, likes to say. Furthermore, as the rules of chess typically do not prescribe any specific move on the table, the rules of psychological interpretation also allow for taking several possible courses while building up our psychological narratives. And here the analogy ends. While playing chess one is not allowed to undo moves, in psychological interpretations it is possible to re-write previous interpretations, and say that they were mistaken for some reason. One can acknowledge that his interpretation of some previous behaviour was flawed, and can replace it by some other when, for instance, reinterpretation is necessary for maintaining the narrative coherence of the story we feel most appropriate as an agent’s interpretation. From this angle, it is possible to think about psychological platitudes as conventions of psychological storytelling whose function is to stabilize the meaning of expressions used in our interpretations. Fixing the meanings of the relevant terms in relation to other terms is what psychological platitudes do thereby fulfilling the required stabilizing function. Thus platitudes are definitional: they state existing conceptual connections between different expressions in the psychological idiom. They are the rules along which psychological storytelling must proceed in order to make up coherent narratives. But they do not prescribe any particular move in this process: the narratives can take several turns depending on the interpreter’s bias; just like in chess the player can take several moves in almost any given situation. The possibilities are fixed only by steps taken previously, but in the case of psychological narratives they can be undone by reinterpretation. Once an interpretation is accepted, and until it is accepted, some further interpretations are allowed and some others are excluded depending on the constraints posed by psychological platitudes. Of course, acceptance here does not entail truth, as it is not grounded in facts. It is grounded in the affective sensibilities of the interpreter, in what he feels a satisfactory account of the agent’s behaviour. And in turn, psychological narratives influence our sensibilities, our standards of acceptance for other interpretations. Using Millikan’s account, the conventions, or norms, relevant for folk psychological narratives can be specified naturalistically as linguistic conventions of the psychological discourse. Accordingly, while interpreting behaviour we rely on reproduced linguistic patterns that proliferate due to the weight of

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precedent. Successful precedents are those in which one manages to give an interpretation that satisfies those interested, meaning that they accept the interpretation offered. While deciding about the acceptance of a psychological narrative we literally decide on how we feel about the agents, social situations, courses of behaviour, and the precedents thought to be relevant in the given context of interpretation. Our decision is based on our previous experiences and interpretations accepted. In this context the cases of successful communication are the occasions when we successfully manage to convey the affections we experience in relation to the situation at stake. Thus, by expressing our affective responses, we configure the affective sensibilities of the listeners. By making them understand how we feel about the situation discussed, we push them towards seeing the situation in the same lights as we do, towards feeling about in the same way. This is what our psychological narratives do, and the reason why they can do it is that the conventions of psychological storytelling give us the interpersonal rules for making up coherent narratives expressing our social sensibilities whose coherence portrays behaviour as rational. And this is where rationality is: it is in the coherence of our psychological narratives.

VI. Conclusions Let me summarize the lessons I offered here. 1) Dennett’s account of rationality works in those cases where an exact calculation of optimal behaviour is possible. It presupposes that the situation in which the calculation is to be made can be specified in sufficient detail. Intentions, and other mental states, are essential parts of human social situations, and they cannot be specified unequivocally because they are up for interpretation not grounded in facts. Therefore Dennett’s calculative rationality cannot work in the case of human social behaviour. 2) Brandom’s account of rationality relies on a primitive notion of normativity not to be explained reductively. For Brandom the norms of thinking themselves are not part of the causal order of the world, they only form the basis of our attitude attributions that are part of the causal order. But he fails to explain how norms can be causally inefficacious but still be the basis of attributions, and also why primitive norms are needed in his account if they are not part of the causal order. Thus norms are redundant and make his account incoherent. 3) A feasible account of rationality can be based on giving up the idea of a robust rationality that plays a role in the explanation and prediction of behaviour. Instead, rationality should be treated as emerging from the coherence of psychological narratives we tell about behaviour.

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Coherent psychological narratives can portray agents as behaving rationally in social situations: rationality is thus a property of psychological interpretations, and not of behaviour.

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BIOGRAPHISCHE NOTIZEN

Gergely Ambrus, seit 2005 Associate Professor an der Universität Miskolc, Ungarn. Studium der Philosophie an der Eötvös Universität Budapest; 2001 PhD an der Eötvös Universität Budapest (Intentionalität, Bewußtsein, Naturalismus). Forschungsstipendien an den Universitäten Wien und Liverpool. Forschungsschwerpunkte: Philosophie des Geistes, Sprachphilosophie, Geschichte der analytischen Philosophie. Buchveröffentlichungen: Die Metaphysik des Bewußtseins 2007 (ung.); Philosophie des Geistes (Mitherausgeber) 2008 (ung.). Wolf-Jürgen Cramm, seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften der ETH Zürich. Studium der Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft in Konstanz und Frankfurt am Main; 2003 Promotion (Repräsentation oder Verständigung? – Eine Kritik naturalistischer Philosophien der Bedeutung und des Geistes); 2001–2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der RWTH Aachen; 2004–2007 an der Universität Dortmund. Buchveröffentlichungen: Diskurs und Reflexion (Mitherausgeber) 2004; Der Ort der Vernunft in einer natürlichen Welt (Mitherausgeber) 2008; Aufsätze zur Sprachphilosophie und Philosophie des Geistes. Christoph Demmerling, seit 2008 Professor für Philosophie an der Universität Marburg. Studium der Philosophie, Literaturwissenschaft und Linguistik in Konstanz und Florenz; 1992 Promotion Konstanz;1998 Habilitation Dresden; Vertretungsprofessuren in Berlin, Frankfurt am Main, Gießen, Leipzig, Marburg und Osnabrück. Arbeitsgebiete: Sprachphilosophie, Hermeneutik, Anthropologie, Kultur- und Wissenschaftsphilosophie, praktische Philosophie. Buchveröffentlichungen als Autor: Sprache und Verdinglichung 1994; Grundprobleme der analytischen Sprachphilosophie (gemeinsam mit Th. Blume) 1998; Sinn, Bedeutung, Verstehen 2002; Philosophie der Gefühle (gemeinsam mit H. Landweer) 2007. Tamás Demeter, Senior Research Fellow am Institut für Philosophische Forschung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Forschungsstipen-

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Biographische Notizen

dien an der Universität Cambridge, der Eötvös Universität Budapest, IASH Edinburgh, NIAS Wassenaar und MPIWG Berlin. Forschungsschwerpunkte: Philosophie des Geistes, Geschichte des Britischen Empirismus. Buchveröffentlichungen: Typographie der Ideen 2002 (ung.); Essays on Wittgenstein and Austrian Philosophy 2004; Philosophie des Geistes (Mitherausgeber) 2008 (ung.). Gábor Forrai, seit 1997 Professor für Philosophie an der Universität Miskolc, Ungarn. 1989 Dr. phil. an der Eötvös Universität Budapest; 1993 PhD in Philosophie an der Universität Notre Dame, USA; 2001 Habilitation an der Universität Miskolc; 2003 DSc (Doktor der Ungarischen Akademie der Wissenschaften); Forschungsstipendien an den Universitäten Oxford, Notre Dame, Edinburgh, Marburg. Forschungsschwerpunkte: Analytische Sprachphilosophie, Philosophie des Geistes. Buchveröffentlichungen: Rudolf Carnap 1984 (ung.); Reference, Truth and Conceptual Schemes: A Defense of Internal Realism 2001; Die Lehre der Zeichen. Lockes Erkenntnistheorie und Metaphysik 2005 (ung.); Intentionality: Past and Future (Mitherausgeber) 2005; Philosophie des Geistes (Mitherausgeber) 2008. Éva Gedő, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philosophischen Fakultät der Universität Miskolc, Ungarn. Studium der Geschichte, Deutschen Sprache und Literatur an der Eötvös Universität Budapest; 2006 Promotion Budapest; Forschungsaufenthalte an der Universität Giessen, an der HumboldtUniversität Berlin. Buchveröffentlichungen als Autorin: Die dezisionistische politische Philosophie Carl Schmitts 2008 (ung.); Herrschaft. Legitimation. Ideologie (Mitherausgeberin) 2008 (ung.); Beiträge zur politischen Philosophie. Sebastian Knell, Wissenschaftlicher Assistent am Philosophischen Seminar der Universität Basel. Buchveröffentlichung: Propositionaler Gehalt und diskursive Kontoführung. Eine Untersuchung zur Begründung der Sprachabhängigkeit intentionaler Zustände bei Brandom 2004; Aufsätze zu Themen der theoretischen und praktischen Philosophie. Jasper Liptow, Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Philosophie der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Studium der Philosophie in Hamburg und Giessen. Buchveröffentlichungen: In der Welt der Sprache. Konsequenzen des semantischen Holismus 2008 (Mitherausgeber); Regel und Interpretation. Eine Untersuchung zur sozialen Struktur sprachlicher Praxis 2004.

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Barbara Merker, Professorin für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. 1994 Habilitation Münster (Wünsche, Bedürfnisse, Glück); Vertretungsprofessuren in Bremen, Osnabrück und Erfurt. Arbeitsgebiete: Phänomenologie, v. a. Heidegger und Husserl, Kant und Hegel, Theorien der Intentionalität, Sprachphilosophie, Kulturphilosophie, praktische Philosophie. Buchveröffentlichungen: Selbsttäuschung und Selbsterkenntnis. Zu Heideggers Transformation der Phänomenologie Husserls 1988; Angemessenheit. Zur Rehabilitation einer philosophischen Metapher (Mitherausgeberin) 1998; Subjektivität und Anerkennung (Mitherausgeberin) 2004; Beiträge zur Phänomenologie, Ethik, Kant, Hegel. Karl Mertens, seit 2004 Professor für Philosophie an der Universität Würzburg. Studium der Philosophie, Deutschen Philologie und Geschichte in Köln, Freiburg und Zürich; 1993 Promotion in Köln; 2001 Habilitation in Kiel; Vertretungsprofessur in Köln. Buchveröffentlichung: Zwischen Letztbegründung und Skepsis. Kritische Untersuchungen zum Selbstverständnis der transzendentalen Phänomenologie Edmund Husserls 1996; Beiträge zur Handlungstheorie, Erkenntnistheorie, Ethik, Sozialphilosophie, Rhetorik, Philosophie des Geistes und Phänomenologie. Csaba Olay, Oberassistent an der Eötvös Universität Budapest. Forschungsstipendien an der Internationalen Akademie für Philosophie in Liechtenstein, an den Universitäten Tübingen, Freiburg und Graz; Promotion 2006 in Freiburg (Gadamer und Wittgenstein); Forschungsschwerpunkt: Philosophie im 20. Jhdt. (Heidegger, Hannah Arendt, Gadamer, philosophische Hermeneutik, Interpretationstheorie, Lebensphilosophie, Theorie der Geisteswissenschaften, Sprachphilosophie). Buchveröffentlichungen: Hans-Georg Gadamer: Phänomenologie der ungegenständlichen Zusammenhänge 2007; Der politische Existentialismus von Hannah Arendt 2008 (ung); Beiträge zu Wittgenstein, Gadamer, Heidegger, Arendt, Hermeneutik. Bernd Prien, seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Universität Münster. Studium der Philosophie und Mathematik an den Universitäten Wuppertal und Emory, Atlanta; 2004 Promotion Wuppertal. Buchveröffentlichungen: Kants Logik der Begriffe. Die Begriffslehre der formalen und transzendentalen Logik Kants 2006; Das Spektrum der kritischen Philosophie Immanuel Kants (Mitherausgeber) 2007; Beiträge zur Sprachphilosophie, zur Philosophie Kants und Wittgensteins.

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Biographische Notizen

Gerson Reuter, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich »Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel« an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Studium der Philosophie, Germanistik und Musikwissenschaft in Frankfurt am Main und Berlin; 2003 Promotion in Frankfurt am Main. Buchveröffentlichung als Autor: Bedeutungen und soziale Praktiken 2006. Tibor Schwendtner, Universitäts-Dozent an der Universität Miskolc, Ungarn. Studium der Chemie, der Geschichte und Theorie der Wissenschaft und Technik und der Philosophie an der Eötvös Universität Budapest; 1999 Promotion Budapest; 2004 Habilitation; Forschungsstipendien an den Universitäten Heidelberg, Wien, Wuppertal, Frankfurt am Main. Buchveröffentlichungen als Autor: Die Wissenschaftsauffassung Martin Heideggers 2000 (ung., dt. 2005); Freiheit und Phänomenologie 2003 (ung.); Husserl und Heidegger. Untersuchung einer philosophischen Auseinandersetzung 2008 (ung.); Hermeneutik und die Naturwissenschaften (Mitherausgeber) 2001 (ung.); Beiträge zur Phänomenologie, Hermeneutik, Wissenschaftsphilosophie.