Versinnlichung: Kants transzendentaler Schematismus und seine Revision in der Nachfolge 3110475138, 9783110475135

Wird die Verbindung von Materie und Form, Begrifflichkeit und Sinnlichkeit, von Sinnlichem und Unsinnlichem zum Problem,

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Versinnlichung: Kants transzendentaler Schematismus und seine Revision in der Nachfolge
 3110475138, 9783110475135

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Danksagung
Einleitung
1. Die transzendentale Semantik des Schematismus
2. Aufbau der Untersuchung
3. Forschungsstand und Methodik
Die Schematismuslehre im Lichte Kants
I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen
II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit
1. Apologie der Sinnlichkeit
2. Die Unterscheidung zwischen Begriff, Idee und Gefühl
3. Kompatibilität zwischen kritischen und anthropologischen Schriften
4. Einführung des Versinnlichungsbegriffs
5. Sinn und Einbildungskraft als ‚zwei Stücke der Sinnlichkeit‘
III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess: Das Schema zwischen Bild und Wort
IV. Begrifflichkeit im Gebrauch: Das Schema als ‚Drittes‘ der Urteilskraft
V. Die Schemata
1. Schemata empirischer Begriffe
2. Schemata rein sinnlicher Begriffe
2.1 Operative Bildlichkeit
2.2 Implizite Prädikation
2.3 Transzendentale Semiose
3. Schemata reiner Verstandesbegriffe
4. Der antizipatorische Charakter des Schematismus
VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung und Schematisierung ‚ohne Begriff‘
1. Symbolische Darstellung
2. Schematisierung ‚ohne Begriff‘
3 . Die Performativität der symbolischen Reflexion
VII. Zeichen und Symbol als ‚Gebrauchsweisen‘ sinnlicher Gestalten
Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants
I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Salomon Maimon
1. Rationaler Dogmatismus und empirischer Skeptizismus
2. Die Einbildungskraft und die Vollendung der unendlichen Annäherung
3. Das Differentiale und der Satz der Bestimmbarkeit als Überwindung des Schematismus
4. Die symbolische Erkenntnis
5. Die Rationalisierung der Sinnlichkeit
II. Hamanns Kritik am ‚Purismus der Vernunft‘
1. Die kantischen Reinigungen der Philosophie
2. Die ‚Sakralität‘ der Sprache
III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘
1. Die Metakritik am kantischen Schematismus
2. Der aposteriorische Charakter der Begrifflichkeit
3. Die Funktion der Sinnlichkeit und das Gehör als Sinn der Sprache
4. Darstellender, ausdrückender und reell bedeutender Geist
IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Wilhelm von Humboldt
1. Die Artikulation
2. Das Wort
3. Einbettung der doppelten Versinnlichung in die Sprache
V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel
1. Verleiblichung und Funktion der Sinne in der Anthropologie
2. Die Artikulation der Sprache im ‚Theoretischen Geist‘
3. Die Nachsprachlichkeit des Denkens
Schematismus als Versinnlichung
I. Versinnlichung und Embodiment
1. Die Ästhesiologie Plessners
2. Versinnlichung als transzendentale Bedingung der Verkörperung
II. Schematismus als modale Versinnlichung
1. Bild, Figur und Wortlaut als transzendentale Gestalten
2. Die Gestalten im Gebrauch
Schlusswort und Ausblick
Literaturverzeichnis
Personenregister

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Versinnlichung

Band XX

Actus et I mago Berliner Schriften für Bildaktforschung und Verkörperungsphilosophie Herausgegeben von Horst Bredekamp und Jürgen Trabant Schriftleitung: Marion Lauschke

Lidia Gasperoni

Versinnlichung Kants transzendentaler Schematismus und seine Revision in der Nachfolge

Publiziert mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Exzellenzclusters "Bild Wissen Gestaltung. Ein Interdisziplinäres Labor" der Humboldt-Universität zu Berlin.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein Einbandgestaltung unter Verwendung von Francesco Colonna: „Hypnerotomachia Poliphili“, 1499.

ISBN 978-3-11-047513-5 e-ISBN (PDF) 978-3-11-047617-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047521-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. © 2016 Walter De Gruyter GmbH, Berlin/Boston Zugl.: Berlin, Technische Universität, Diss., 2015 u. d. T. ‚Schematismus als Versinnlichung. Kants transzendentale Semantik und ihre Revision in der Nachfolge‘ Redaktionelle Mitarbeiterin der Reihe: Johanna Schiffler Reihengestaltung: Petra Florath, Berlin Druck und Bindung: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg Printed in Germany Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706 www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis



Danksagung



Einleitung





IX 1

1. Die transzendentale Semantik des Schematismus

10



2. Aufbau der Untersuchung

16



3. Forschungsstand und Methodik

20

Die Schematismuslehre im Lichte Kants

I.

Der Schematismus im Erkenntnisvermögen



II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

32 44



1. Apologie der Sinnlichkeit

47



2. Die Unterscheidung zwischen Begriff, Idee und Gefühl

49

3. Kompatibilität zwischen kritischen und anthropologischen Schriften

4. Einführung des Versinnlichungsbegriffs

5. Sinn und Einbildungskraft als ‚zwei Stücke der Sinnlichkeit‘

55 58 62

III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess: Das Schema zwischen Bild und Wort

81

IV. Begrifflichkeit im Gebrauch: Das Schema als ‚Drittes‘ der Urteilskraft

89



V. Die Schemata

100



1. Schemata empirischer Begriffe

102



2. Schemata rein sinnlicher Begriffe

116



2.1 Operative Bildlichkeit 2.2 Implizite Prädikation 2.3 Transzendentale Semiose

120 123 128



3. Schemata reiner Verstandesbegriffe

138



4. Der antizipatorische Charakter des Schematismus

150



VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung und Schematisierung ‚ohne Begriff‘

153



1. Symbolische Darstellung

155



2. Schematisierung ‚ohne Begriff‘

164



3 . Die Performativität der symbolischen Reflexion

166



VII. Zeichen und Symbol als ‚Gebrauchsweisen‘ sinnlicher Gestalten

170

Rev ision des Schematismus in der Nachfolge Kants

I.



Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Salomon Maimon

187

1. Rationaler Dogmatismus und empirischer Skeptizismus 189

2. Die Einbildungskraft und die Vollendung der unendlichen Annäherung

194

3. Das Differentiale und der Satz der Bestimmbarkeit als Überwindung des Schematismus

197



4. Die symbolische Erkenntnis

200



5. Die Rationalisierung der Sinnlichkeit

204

II. Hamanns Kritik am ‚Purismus der Vernunft‘

207





1. Die kantischen Reinigungen der Philosophie

207



2. Die ‚Sakralität‘ der Sprache

210



III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

213



1. Die Metakritik am kantischen Schematismus

217



2. Der aposteriorische Charakter der Begrifflichkeit

230

3. Die Funktion der Sinnlichkeit und das Gehör als Sinn der Sprache

232

4. Darstellender, ausdrückender und reell bedeutender Geist 239



IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Wilhelm von Humboldt

245



1. Die Artikulation

251



2. Das Wort

253



3. Einbettung der doppelten Versinnlichung in die Sprache 260

V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

263

1. Verleiblichung und Funktion der Sinne in der Anthropologie

267





2. Die Artikulation der Sprache im ‚Theoretischen Geist‘

269



3. Die Nachsprachlichkeit des Denkens

277

Schematismus als Versinnlichung

I.



Versinnlichung und Embodiment

285

1. Die Ästhesiologie Plessners

291

2. Versinnlichung als transzendentale Bedingung der Verkörperung

299

II. Schematismus als modale Versinnlichung

309





1. Bild, Figur und Wortlaut als transzendentale Gestalten

313



2. Die Gestalten im Gebrauch

320



Schlusswort und Ausblick

331



Literaturverzeichnis

335



Personenregister

347

Danksagung

Dieses Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift, die im Februar 2015 von der Technischen Universität Berlin angenommen wurde. Die Promotion wurde durch ein dreijähriges Stipendium des DAAD gefördert, das es mir ermöglicht hat, die Forschungsarbeit in Deutschland frei und explorativ durchzuführen. Die Drucklegung wurde durch die freundliche Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung ermöglicht. An Gloria Freitag geht mein Dank für die Korrektur des Manuskripts und an die Mitarbeiter des De Gruyter Verlags für die Unterstützung bei der Publikation. Ein besonderer Dank geht an Horst Bredekamp, Jürgen Trabant und Marion Lauschke, die mein Buch in die Reihe Actus et Imago aufgenommen haben. Es ist eine große Ehre, dieses Buch im Rahmen dieser Reihe veröffentlichen zu dürfen, da einige Motive meiner Forschung in Zusammenarbeit mit der Bildakt-Forschungsgruppe entstanden sind. Mein Interesse an der Verbindung zwischen Kant und den Verkörperungstheorien wurde durch ein Treffen mit John Michael Krois verstärkt, der leider nur den ersten Schritten dieser Arbeit folgen konnte. An Jürgen Trabant geht ein besonderer Dank; er hat diese Forschungsarbeit thematisch unterstützt, insbesondere in Hinsicht auf die Reaktualisierung der philosophischen Ansätze Herders und Humboldts für die zeitgenössische Sprach- und Erkenntnistheorie. An Günter Abel geht mein Dank als Betreuer dieser Arbeit. Er hat die erste Forschungsidee gefördert und mich immer wieder in meiner Idee bestärkt und zu ihrer Ausarbeitung motiviert. Bei Christoph Asmuth möchte ich mich bedanken für seine Offenheit und Neugier, die er dieser Arbeit stets entgegengebracht hat. Die vielen gemeinsamen Veranstaltungen und Forschungsreisen im Rahmen des internationalen Forschungsnetzwerks für Transzendentalphilosophie und Deutschen Idealismus waren stets wichtige Gelegenheiten für mich, die Hauptmotive meiner Arbeit zu präzisieren. Für die produktiven und inspirie-

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Danksagung

renden Gespräche ist all denjenigen zu danken, denen ich in diesen Jahren im Rahmen des Forschungsnetzwerks begegnet bin. Mirella Capozzi gilt ein herzlicher Dank für die langjährige Betreuung an der römischen Fakultät für Philosophie an der Universität Sapienza. Ich danke ihr für all die langen Gespräche über die Philosophie Kants, ihre Grenzen und Potentiale. Für ihre anhaltende Unterstützung und den lebendigen Austausch ist Sara Fortuna, Tullio Viola und Giuseppe Di Salvatore herzlich zu danken. Auch an alle Freunde, die hier nicht einzeln genannt werden können und die meine Arbeit aus der Nähe und Ferne fachlich und freundschaftlich unterstützt haben, richtet sich mein herzlicher Dank. Insbesondere möchte ich mich bei Philippe Merz, Frank Steffen, Max Winter und Simon Gabriel Neuffer bedanken, die mit mir die Freigeist-Akademie ins Leben gerufen haben, und bei allen, die an der Akademie teilgenommen haben. Ich danke ihnen allen, Teil dieses philosophischen und didaktischen Experiments zu sein. Danken möchte ich auch Matthias Ballestrem, der mit mir im Rahmen der Akademie zusammen unterrichtet hat und mit dem ich über die Anwendbarkeit einiger Aspekte dieser Arbeit auf den architektonischen Entwurf nachgedacht habe. Meinen Eltern und meiner Tante gilt ein besonderer Dank. Sie haben mich in diesen Jahren in meinen Entscheidungen unterstützt und an meine Arbeit geglaubt. Sie haben mir immer den Weg von Italien nach Deutschland offengehalten und die Wichtigkeit der Neugier, des kritischen Geistes und der freien Initiative beigebracht. Mein letzter Dank richtet sich an meinen Mann, Max Winter, der mit dieser Arbeit mindestens ebenso intensiv gelebt hat, wie ich. Ich danke ihm für die Liebe, die er mir und dieser Arbeit entgegengebracht hat. Ohne seine sprachliche Hingabe und seine philosophische Genauigkeit wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Für den philosophischen Austausch und die treue Auseinandersetzung, in denen wir einander seit dem Studium begegnen und begleiten, bin ich ihm sehr dankbar. Dieses Buch ist meiner Familie und meinem Mann gewidmet.

E inleitung

Das Schema, dem ein wechselvolles Schicksal innerhalb der Philosophiegeschichte attestiert werden kann, ist bei Kant die transzendentale Bedingung der Entstehung von Bedeutung. Die spezifische Konnotation des Schema-Begriffs als eines Vermittlers geht systematisch zwar auf Kant zurück, lässt sich aber historisch bereits vor und auch nach Kant nachweisen. Der Artikel von Werner Stegmaier im Historischen Wörterbuch der Philosophie zeichnet die unterschiedlichen Deutungen des Schemas nach, das „nur an einzelnen, aber empfindlichen Stellen der Philosophiegeschichte […] zum Terminus“ wurde, „um dann rasch wieder durch andere Begriffe ersetzt zu werden“.1 Die ständige Wiederkehr des Schema-Begriffs kann die Vermutung hervorrufen, dass der Begriff des Schemas – wie Umberto Eco mit Blick auf die Kognitionswissenschaften behauptet hat2 – eine Art ‚Gespenst‘ der Philosophiegeschichte darstellt, das in einigen Phasen verschwindet und in anderen wieder auftaucht, ohne dass seine Funktion je vollständig erfasst wurde. Bis heute gibt es keine systematische Geschichte des Schemas, was nicht zuletzt Kants Verwendung des SchemaBegriffs betrifft, deren Herkunft ungeklärt ist.3 Das Schema steht grundsätzlich für eine dynamische und figurative Struktur – eine Skizze oder Silhouette, deren Funktion selten systematisch untersucht wurde, obwohl dem Schema bis heute die Funktion einer darstellenden Synthesis zugeschrieben wird. Man greift auffällig häufig gerade dann auf 1

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3

Stegmaier 1992, S. 1246 [Hervorhebung L. G.]. Zur Verwendung des SchemaBegriffs im Kognitivismus und in der Philosophie des Geistes siehe Hermann 1992, Marshall 1995, S. 3–36 und Lenk 2001, S. 16f. Eco 2000, S. 147: „Das Gespenst des Schematismus spukt in vielen gegenwärtigen Untersuchungen, doch das Geheimnis dieser verborgenen Kunst ist noch nicht entschleiert worden“. Herder (Metakritik, in FHA, 8, S. 414, Anmerkung 1.) sieht Bacon als die Hauptquelle für die kantische Verwendung des Wortes ‚Schematismus‘ an.

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Einleitung

den Begriff des Schemas zurück, wenn es um die Form einer Synthesis geht. Beispiele dafür sind die Verwendung von Schemata in der Beschreibung von mentalen Modellen, in der Hirnforschung für Prototypen oder sogar Hirnkonstruktionen, und im Allgemeinen für Datenstrukturen. Der Schematismus zeigt eine formale Strukturierung an, die unterschiedliche Bestandteile verbindet, um so ein Drittes zu realisieren, welches das einzig erscheinende Resultat des Prozesses darstellt. Das Dritte ist kein Aggregat von distinkten Bestandteilen, sondern Resultat des Prozesses selbst, in dem die Bestandteile lediglich gedanklich unterschieden werden können. Die meisten Erklärungsansätze des Schemas sind darauf konzentriert, seinen prozessualen Charakter hervorzuheben. Das Schema ist folglich nicht mit dem Inhalt seiner Darstellung oder Vorstellung zu verwechseln, sondern deutet einen Mechanismus, Vorgang oder Prozess an, der bestimmte Inhalte vermittelt, ohne sie dabei zu fixieren.4 Das Schema umfasst sowohl die Methode des Gebrauchs schon gegebener Sachverhalte als auch die Transformation und Erzeugung neuer Sachverhalte. Das Schema legt keine Interpretation im Vorhinein fest, sondern ermöglicht sie in ihrer Vielfalt und unter Berücksichtigung ihrer bestimmten Inhalte in kulturellen, interpersonellen, sprachlichen und wissenschaftlichen Kontexten. Seine gestalterische, reaktivierende und dynamische Funktion ist daher das Grundmerkmal des Schema-Begriffs in der Geschichte der Philosophie: Unter ‚Schema‘ und ‚Schematisierung‘ ist bereits bei Platon die dynamische Bestimmung allgemeiner Begriffe, bei Aristoteles der Prozess der Gestaltung im Allgemeinen und bei Paulus derjenige der Verwandlung in den Leib Christi zu verstehen. Bei Bacon steht der Schema-Begriff für die Umgestaltung der Gegenstände der Erfahrung, während er bei Fichte eine Totalisierung erfährt und in Beziehung zum Bild gesetzt wird. Später setzt sich diese dynamische Konnotation fort im motorischen Schema von Bergson, dem Verhältnis zwischen Schematismus und Anblick bei Heidegger und dem Bildschema von Johnson und Lakoff.5 Unter den unterschiedlichen Bedeutungen des Schema-Begriffs in der Geschichte der Philosophie sind meines Erachtens zwei weitere hervorzuheben, die von Stegmaier in dieser Form nicht behandelt werden und an denen sich die Vermittlungsfunktion des Schemas verdeutlichen lässt: Erstens seine Stellung in der Antike und zweitens seine Rolle in der phänomenologischen Beschreibung der Aspekte bei Roman Ingarden. An dieser Erweiterung lässt sich zugleich herausstellen, inwiefern dem Schema

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Desideri (2016, S. 126) spricht von einer „unbestimmten Regelmäßigkeit“ („regolarità indeterminata“). Siehe dazu auch Desideri 2011 und 2015. Diese Verwendungen werden auch von Werner Stegmaier (1992. S. 1246–1262) näher behandelt.

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Einleitung

eine wesentliche Funktion als Grundstruktur der Vermittlung, Übertragung und Interpretation von Bedeutung zukommt. Seit der Antike wird dem Schema die Funktion einer sinnlichen Vermittlung zugeschrieben, die den Übergang von der Abstraktheit von Gesetzen, Modellen oder Grundfiguren (etwa in Tanzchoreographien) zur Konkretion der einzelnen Anwendungen gewährleistet. Schon in der griechischen Antike zeigt sich die Funktion des Schemas als Vermittlung und Überlieferung von kulturellen und wissenschaftlichen Kenntnissen. Auch die Etymologie ist diesbezüglich bemerkenswert. Die Herkunft des Wortes aus der Aorist-Form des griechischen Verbs έχειν (haben) erklärt seine abstrakte Bedeutung als eine dynamische Haltung, da das griechische Verb sich insofern von unserem Gebrauch des Verbs ‚haben‘ unterscheidet, als damit nicht primär ein ‚Besitzen‘, sondern eher ein ‚Halten‘ angezeigt wird – Lallot beschreibt es als „une manière d’être“.6 Luisa Maria Catoni untersucht die Verwendungen des Schemas in der Antike vor allem in der Geometrie, im Theater sowie im Tanz und verortet die dynamische Funktion der Schemata in der Visualisierung, in der Kommunikation und in der Möglichkeit eines Umsturzes. Schemata dienten demnach besonders dazu, visuelle und nichtvisuelle Gestalten zu verstehen, zu vermitteln und zu transformieren.7 Die Schemata stellen sinnliche Vermittler wie etwa auf Vasen gemalte menschliche Tanzfiguren dar, die die Kommunikation und Mitteilung von Bedeutung ermöglichen. Catoni weist zu Recht darauf hin, dass die Interpretation des Schemas als geometrische Figur in der Antike sekundär ist im Vergleich zu der Funktion, die dem Schema in den mimetischen Künsten zukommt, gerade weil „das Resultat der mimetischen Künste notwendigerweise eine partielle Version des imitierten Gegenstandes und nicht seine Verdoppelung ist“.8 Der visuelle Charakter des Schemas macht den Darstellungsgegenstand sichtbar und dadurch vermittelbar. Insofern bewegt sich das Schema schon in den Tanzchoreographien der Antike immer zwischen Bestimmtheit und Unbestimmtheit, und dies auf der Grenze zwischen vorgegebenen Formen und deren Veränderbarkeit. Die Schemata sind nach Catoni gerade solche Ausdrucksmittel,9 die an sich fast nicht existieren und nur in der Spannung zwischen Veränderbarkeit und Unveränderbarkeit, zwischen Stasis und Bewegung bestehen. Dieser gewissermaßen schwebende Charakter der Schemata kann auch als ihre Migra6

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Lallot 2004, S. 160: „Le dérivé σχήμα se rattache sémantiquement à cette valeur intransitive du verbe: il ne désigne jamais une possession, un avoir, mais toujours et seulement un maintien, une manière d’être“. Vgl. Casewitz 2004. Catoni 2008, S. 3–9. Die Vermittlungsfunktion des Schema-Begriffs in der Antike vor allem bezüglich der Verbindung zwischen Schema und Rhythmus wird auch von Silvana Borutti (2006, S. XLI–XLIII) hervorgehoben. Catoni 2008, S. 76. Vgl. ebd., S. 125.

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Einleitung

tionsfähigkeit beschrieben werden.10 Damit wird ausgedrückt, dass die Schemata nicht von der Praxis ihres Erkennens und ihrer Anwendung getrennt werden können: Sie dürfen also nicht auf den schematischen Inhalt verkürzt werden, sondern sind auf der Ebene seiner Vermittlung anzusiedeln. Diese Vermittlungsebene ist zugleich nicht von einer Verkörperungspraxis zu trennen, wie sie heute etwa im Ansatz des Bildschemas eine grundlegende Rolle spielt.11 Unter Berücksichtigung der Unterschiede kann sowohl in antiken als auch in modernen Verwendungen des Schemas die Funktion bemerkt werden, eine Auswahl von Merkmalen zu treffen, um so die Bedeutung eines Sachverhaltes zu vermitteln. Und wegen des jeweils partiellen Charakters dieser Vermittlung moduliert sich bei jedem Gebrauch die Bedeutung selber. So kann die allgemeine Aufgabe des Schemas schon seit der Antike darin gesehen werden, dass es die Vermittlung von Bedeutung im sichtbaren Gebrauch ermöglicht.12 Die prozessuale (und nicht ‚inhaltliche‘) Bedeutung des Schema-Begriffs, bei der das Schema als Auswahl von Merkmalen fungiert, fundiert insbesondere die Auffassung des Schemas bei Roman Ingarden, dessen ästhetische Phänomenologie sich im Zuge der Kontroverse zwischen ihm und Husserl über das Verhältnis von Realismus und Idealismus herausbildet. Als schematisch gilt bei Ingarden die Grundstruktur der Manifestation von ‚Aspekten‘.13 In der literarischen Fiktion – wie etwa in einem Roman – treffen sowohl der Autor als auch der Leser eine Auswahl von Aspekten des Werkes, die parat gehalten werden, d.h. Aspekte, die potentiell zum Ausdruck und zur Interpretation gelangen können und die jeweils aktualisiert werden müssen. Ohne eine schematische Strukturierung seiner Aspekte wäre jedes Werk vollständig bestimmt und es wäre beispielsweise nicht möglich, von ein und demselben Werk zwei (und potentiell unendlich viele) verschiedene Interpretationen vorzunehmen, die das Leben eines Werkes verändern, retten oder beenden können. Die Aspekte sind einem Schema zugeordnet, das – ähnlich dem ‚fast nicht existierenden‘ Schema der Antike – bei Ingarden ‚fast leer‘ ist und doch einige 10

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Catoni 2005, S. 179. Außerdem ist hervorzuheben, dass die Vermittlungsfunktion des Schemas im Lateinischen später als ‚figura‘ übersetzt wird. Wie in erster Linie von Auerbach (1967, S. 55–57) herausgearbeitet wurde, ist darin auch der Grund zu sehen, dass das Schema sich nicht als philosophischer Begriff etabliert hat und seine Bedeutung stets zwischen der Figuration und der bildhaften symbolischen Übertragung geschwankt hat. Diese Zweideutigkeit findet sich gerade in den romanischen Sprachen in Ausdrücken für ‚metaphorische Rede‘ – zum Beispiel im italienischen ‚linguaggio figurato‘ und im französischen ‚langage figurée‘. Vgl. dazu auch Obergfell 1985, S. 60f. Siehe Bredekamp 2010, S. 104. Das ist eine Thematik, die insbesondere Catoni (2005, S. 111) für die Verwendung des Schema-Begriffs in der Antike hervorhebt. Ingarden, LK, § 41, S. 355–364. Dazu siehe Stjernfelt 2007, S. 350f.

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Einleitung

Merkmale enthalten muss, um darüber eine Bedeutung erfassen zu können. Für ihn betrifft das Schema nicht nur die Gegenstände der Fiktion, sondern auch die der Wahrnehmung. Bei ersteren ist der potentielle Charakter der Aspekte sicherlich am deutlichsten zu erkennen, da sie rein erzeugt sind – Ingarden würde ‚rein intentional‘ sagen, da er sie wie erwähnt im Zusammenhang der Kontroverse zwischen Realismus und Idealismus behandelt, die den Austausch zwischen Husserl und seinen Nachfolgern prägt. Nicht nur in fiktionalen Prozessen, sondern auch in der Wahrnehmung selbst ist der Schematismusprozess für die Aktualisierung der Aspekte zuständig, bei der eine Verflechtung unterschiedlicher Elemente involviert ist, wie der Fall von Kippbildern exemplifiziert. Es geht letztlich darum zu erklären, wie es möglich ist, dass schematische Strukturen zugleich eine bestimmte Erkenntnis und deren Modifikation gewährleisten können. Auch in der Kognitionswissenschaft und -psychologie werden Stabilität und Veränderbarkeit der Schemata thematisiert.14 Hans Lenk bezeichnet Schemata deshalb zusammenfassend als ‚Aktivierungsprozesse‘: Als Prozesse verstanden, erstrecken sich Schemata von der ersten Ebene einer biologisch-genetisch festgelegten Schematisierung bis hin zu der einer Metainterpretation, und zwar derjenigen einer Metasprache, in der über sprachliche Ausdrücke gesprochen wird. Lenk untersucht die kogni­ tionswissenschaftliche Auffassung des Schemas insbesondere in Bezug auf Rumelhart, der Schemata als aktive Prozesse beschreibt,15 die wichtige Funktionen in der Wahrnehmung, im Verstehen von Sprache, in der Erinnerung, in Lernprozessen und in der Lösung von Problemen ausüben: „Schemata stellen nicht alles Einzelne, jedes Detail eines repräsentativen oder wahrnehmenden Erlebens dar, sondern sie treffen eine Auswahl, sie selektieren. […] Die Merkmale engen sozusagen die Bedeutungen eines Begriffes ein“.16 Die Betonung der Funktion des Schemas als Prozess für die Auswahl von Merkmalen läuft jedoch Gefahr, das Schema allein auf den empirischen Gebrauch von Begriffen zu reduzieren, ohne ihn einer transzendentalen Perspektive zuzuordnen. So wird das Schema zum bloßen Träger der Bedeutung gemacht, die mit dem Gebrauch meist übereinstimmt. Die Ermangelung einer transzendentalen Perspektive in den meisten Verwendungsweisen des Schema-Begriffs wirft einen Schatten auf dessen sachlichen Kern, gemäß dem es gerade kein Träger von Bedeutung, sondern – wie noch zu erklären sein wird – deren Bedingung ist, wobei sich das Schema 14

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Zum Schema-Begriff in der Kognitionspsychologie siehe Hermann 1992, S. 1262f. Dazu auch Lenk 2001, S. 17–93. Für einen Vergleich zwischen der Schematismuslehre Kants und dem ‚Frame-Begriff‘ von Marvin Minsky siehe Jung 2005, S. 265– 276. Rumelhart 1980, S. 33–58. Lenk 2009, S. 206f.

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Einleitung

bestimmter sinnlicher Formen bedient, die jedoch nicht empirisch, weil nicht in der Erfahrung zu finden sind.17 Dieser Mangel einer transzendentalen Perspektive führt meines Erachtens letztlich auch zur inhaltlichen Interpretation des Schemas in Davidsons Dualismus von Schema und Welt, in dem das Schema als verkürzter Inhalt verstanden und daher dessen prozessuale Bedeutung ausgeblendet wird. Der prozessuale Charakter kann hingegen nicht mit dem verkürzten Inhalt gleichgesetzt werden. Es scheint daher angebracht, kurz auf Davidsons Kritik am Schema-Welt Dualismus einzugehen. Davidson bezeichnet den Dualismus zwischen Schema und Inhalt als das dritte Dogma des Empirismus.18 So verbindet er den Schema-Begriff mit dem Problem des conceptual relativism, dessen Definition gerade lautet: „The reality itself is relative to a scheme“.19 Davidson interpretiert die Schemata als Bezeichnungen natürlicher Sprachen und geht von einem konstitutiven Relativismus aus, der unter anderem die relative Unübersetzbarkeit einzelner Bedeutungen impliziert.20 Das Schema steht dabei für einen Vermittler im Sinne einer Vermittlungsfunktion, die den semantischen Zugang zur Realität gewährleistet. Zeigt sich nun dieser Vermittler als mit einer kulturellen und sprachlichen Relativität behaftet, so ergibt sich daraus das Problem von Bedingtheit und Relativität des Inhalts des Denkens selbst.21 Auf dieser inhaltlichen Ebene ist das Problem der so genannten conceptual schemes also mit demjenigen des Relativismus verbunden. Dabei wird das Schema auf den Inhalt reduziert, den es überträgt, und seine Funktion liegt hauptsächlich darin, eine bestimmte Auffassung einer Theorie zu bezeichnen – so hätten etwa Euklid, Newton und Einstein unterschiedliche Schemata des Raumes entwickelt. In diesem Sinne gibt es unterschiedliche Schemata, die Zugang zu unterschiedlichen Sachverhalten schaffen; das Problem liegt darin zu verstehen, ob es Sachverhalte gibt, die nur durch bestimmte Schemata zugänglich sind.22 Durch die Überwindung des Dualismus wird für Davidson der unmittelbare Zugang zur Welt wiederhergestellt.23 Der 17

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Das ist ein Aspekt, den Eco hervorragend ans Licht bringt, wenn er schreibt (2000, S. 146): „Tatsächlich findet man eine Spur des kantischen Schematismus (in Verbindung mit einer konstruktivistischen Vorstellung von der Erkenntnis) in vielen Spielarten der heutigen Kognitionswissenschaft, auch wenn sie diesen Zusammenhang zuweilen nicht zur Kenntnis nimmt. Freilich darf man, wenn man heute auf Begriffe wie Schema, Prototyp, Modell, Stereotyp trifft, diese ganz gewiß nicht mit Kants Begriff gleichsetzen (beispielweise implizieren sie keinen Transzendentalismus), und man darf sie auch nicht als Synonyme betrachten“. Davidson 1973, S. 11. Davidson 1973, S. 20. Vgl. Davidson 1973, S. 7. Vgl. Davidson 1973, S. 7 und 11f. Zum Relativismus begrifflicher Schemata siehe Marconi 2007, S. 62. Davidsons Schlusswort liest sich wie folgt (1973, S. 20): „Given the dogma of a dualism of scheme and reality, we get conceptual relativity, and truth relative to a

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Einleitung

skizzierte Relativismus basiert auf der Gleichsetzung von Schemata und Inhalten – im Fall von Davidson von Schemata und Sprachen, wobei unter ‚Sprache‘ nicht der Typus der Sprache, sondern der einzelsprachliche Ausdruck, nicht der sprachliche Prozess, sondern sein Inhalt zu verstehen ist. Somit übersieht Davidson die Möglichkeit, nicht so sehr den Dualismus zu überwinden, sondern vielmehr ihn ‚zu unterlaufen‘, wie Abel aus Sicht der Interpretationsphilosophie gezeigt hat.24 Eine transzendentale Untersuchung dagegen hätte auf die prozessuale Strukturierung der Bedeutung zu zielen, die vom spezifischen Inhalt der Bedeutung absieht und vor einem solchen Relativismus anzusiedeln wäre. Es geht ihr um die sinnliche Artikulation und den transzendentalen Gebrauch, um über diese die Bedeutungserfahrung zu beschreiben. Davidsons Kritik am Schema vernachlässigt folglich die prozessuale Bedeutung des SchemaBegriffs.25 Der prozessuale Ansatz entgeht meines Erachtens auch der Kontroverse über den konzeptualistischen oder nicht-konzeptualistischen Charakter der Schemata – möchte jedoch ebenso wenig im Sinne der Kritik McDowells am Dualismus verstanden werden.26 Das Schema steht nicht selbst für eine inhaltliche Vielfalt, sondern ermöglicht, dass sich überhaupt eine kulturelle und

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scheme. Without the dogma, this kind of relativity goes by the board. Of course truth of sentences remains relative to language, but that is as objective as can be. In giving up the dualism of scheme and world, we do not give up the world, but reestablish unmediated touch with the familiar objects whose antics make our sentences and opinions true or false“. Insbesondere Günter Abel hat die Perspektive des Interpretationismus in Bezug auf die Kritik Davidsons an dem Schema als drittes Dogma des Empirismus deutlich gemacht (1993, S. 328): „Davidson möchte auf alle epistemischen Vermittler verzichten, dadurch den Dualismus überwinden […]. Der Interpretationist dagegen möchte den Dualismus nicht so sehr überwinden als ihn vielmehr unterlaufen und darin nicht eine vermittlungslose Unmittelbarkeit zwischen Interpretation und Welt etablieren, sondern vornehmlich auch das, was hier überhaupt als eine So-undso Welt und des näheren als die darin vertrauten Objekte und Ereignisse gelten kann […] kurz: als eine Interpretationswelt auffassen“. So könnte Davidson Kritik am Schema auch als ein Missverständnis des concep­tual scheme Quines angesehen werden, das gerade auch Transformations- und Verschiebungsprozesse miteinschließt. Siehe dazu Quine 1960, S. 275. Dazu auch Stegmaier, 1992, S. 1258. Siehe McDowell 2009, S. 121: „My claim that the dualism is incoherent depends on the thought that the domain of rational interrelatedness is coextensive with the domain of the conceptual“. Und weiter: „Scheme-content dualism is incoherent, because it combines the conviction that world views are rationally answerable to experience – the core thesis of empiricism – with a conception of experience that makes it incapable of passing verdicts, because it removes the deliverances of the senses from the domain of the conceptual. According to the dualism, experience both must and cannot serve as a tribunal. […] But I am suggesting that this basic empiricism is not easy to dismiss“ (S. 125f.).

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sprachliche Vielfalt entfalten kann. Aus diesem prozessualen Gesichtspunkt heraus befindet sich das Schema vor jedem Dualismus, weshalb der Kritik Davidsons nur insofern zuzustimmen ist, als auch für ihn das Schema nicht rein repräsentationalistisch zu fassen ist. Ohne diese transzendentale Vermittlungsfunktion – d.i. als Bedingung und nicht als Träger – könnte die Sprache nicht unsere Wahrnehmung und unser Denken prägen, und die Erfahrung würde nur einen unmittelbaren, interpretationslosen Anwendungs- und Erkenntnisprozess der Realität darstellen. Die Referenz würde zwar keinen Dualismus voraussetzen, jedoch hätte die Rede von der transzendentalen Begründung der Referenz gar keinen Sinn mehr, und gleichzeitig auch nicht die Rede von einem Empirismus und Rationalismus. Es geht hingegen nicht darum – wie Trabant anmerkt –, „den Relativismus zu hassen, sondern ihn in einem vernünftigen Universalismus aufzuheben“.27 Dieser Universalismus ist Ergebnis eines transzendentalen Arguments, bei dem die Schemata keinesfalls mit den Sprachen gleichzusetzen sind. Insofern enthält der Schema-Begriff eine prozessuale Charakterisierung der Referenz. Das ist meines Erachtens der Sinn der Schematismuslehre Kants, die das Schema zur Bedingung der Entstehung von Bedeutung macht und zu Unrecht bis heute für obskur, versteckt und widersprüchlich gehalten wird. Dabei wird häufig unterstellt, Kant hätte sie nur auf den wenigen Seiten der Kritik der reinen Vernunft behandelt und dann nicht weiter verfolgt. Meist wird übersehen, dass Kant bis in die letzten Jahre seines Lebens den Schematismus als Kernpunkt seiner Philosophie angesehen hat.28 Schon in der Kritik der reinen Vernunft macht er klar, dass der semantische Bezug zur Welt nicht ohne Schematismus erfolgen kann. Ohne Schematismus ist streng genommen keine Erkenntnis von Bedeutung möglich. Und genau das ist der Anknüpfungspunkt, an dem ich die Schematismuslehre Kants aufgreifen möchte. Dabei geht es mir nicht so sehr um ihre immanente Rekonstruktion, sondern primär darum, die sprach- und erkenntnistheoretische Relevanz dieser Lehre in systematischer Hinsicht hervorzuheben. Im Zuge der Kopernikanischen Wende Kants wird das Schema mit dem Problem der Darstellung einzelner Anschauungen und begrifflicher Merkmale verbunden. Gerade dort, wo die Darstellung zum Problem wird, erweist sich die grundlegende Funktion des Schemas als aufschlussreich. Wie schon gesehen, ist im Schema-Begriff generell die Funktion der Vermittlung eines allgemeinen Inhalts durch eine konkrete Gestalt enthalten. Diese Konkretisierung behandelt Kant nun als Prozess der Vermittlung von Begrifflichkeit und Sinnlichkeit, dank der das abstrakte Allgemeine eine reelle Bedeutung annimmt. Die rein 27 28

Trabant 1998, S. 191. Kant, AA XVIII, II: 686.

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logische Bedeutung der Begriffe – die ohne Schemata nur Funktionen sind – kann sich daher nur in der Schematisierung realisieren: die Bedeutung kommt ihnen zu durch „Sinnlichkeit, die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert“.29 Der Schematismus wird somit als Synthesis zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit eingeführt. Das Schema ist dabei als ein Versinnlichungsprozess zu verstehen, der hingegen nicht mit einem Verkörperungsprozess verwechselt werden sollte. Ich möchte die Aktualität der Schematismuslehre Kants dadurch stärker hervorheben, dass ich in ihr die genannte Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit als eine Versinnlichung auslege. Unter Transzendentalphilosophie werde ich dabei die allgemeine Frage der Bedingungen unserer synthetischen Erkenntnis verstehen, ohne deshalb die Grenzen dieser Erkenntnis, ganz im Sinne Kants, als Schranken anzusehen. In der Untersuchung der Schematismuslehre werde ich insbesondere die Sphäre der anschaulichen Erkenntnis mit der symbolischen Darstellung und dem Bezeichnungsvermögen in Verbindung bringen, die sich Kant zufolge jenseits der Erkenntnis im Reich der Symbole, Metaphern, künstlerischen Ausdrücke und Zeichen bewegen. Dass die Erkenntnis eine begrenztere Sphäre im Vergleich zum Denken und dem Gefühlsausdruck ist, wird von Kant selbst als Grundlage der Schematismuslehre vorausgesetzt, wenn er sie als Restriktionslehre einführt, durch die der Gebrauch der Begrifflichkeit auf die Sinnlichkeit begrenzt und zur gleichen Zeit realisiert wird. Diese Realisierung hat jedoch keine bloße Abbildfunktion; im Gegenteil ist sie Bedingung der Bedeutung selbst, die im sinnlichen Gebrauch der Begriffe entsteht. Hierbei ist das Schema als Bedingung der Entstehung von Bedeutung fundamental, woraus sich die Frage ergibt, ob die Schematismuslehre tatsächlich als transzendentale Lehre der gesamten Bedeutungserfahrung gelten kann. Diese Frage sprengt unmittelbar den systematischen Rahmen der Schematismuslehre innerhalb der Kritik der reinen Vernunft, da sie die weiter­gehende Frage aufwirft, was Bedeutung überhaupt ist. Somit gerät der Schematismus ungewollt in Verbindung mit anderen Ebenen der Bedeutungserfahrung, die zwar aus orthodoxer Sicht zu keiner Erkenntnis führen, sich jedoch trotzdem als unentbehrlich erweisen – und sei es auch nur in regulativer Hinsicht. Angesprochen sind etwa die Funktionen des symbolischen Denkens und die des Gebrauchs von Zeichen und Metaphern für die Bildung der Begrifflichkeit und der Strukturierung unserer Erkenntnis. Während innerhalb der Kantforschung die allgemeine Problematik der Entstehung von Bedeutung oft auf die bloße Rekonstruktion des Übergangs von den Deduktionen zu den Grundsätzen innerhalb der Kritik der reinen Vernunft herabgesetzt wird, lassen sich außerhalb

29

Kant, KrV, B 187, A 147.

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dieser Tradition zahlreiche Versuche nachweisen, die Aktualität des Schematismus für eine transzendentale Semantik hervorzuheben.

1. D ie t ra nszendent a le Sema nt i k des Sc hemat ismus Im Gebrauch erfolgt die Vermittlung von Bedeutung stets durch sinnliche Gestalten, wie etwa durch die Wörter einer Sprache. Die Bedeutung erweist sich somit im Gebrauch als sinnlich bedingt. Ohne ihre sinnliche Form könnte Bedeutung schlechthin nicht vermittelt werden. Dass Bedeutung trotz Missverständnissen im praktischen Gebrauch mitgeteilt werden kann, ist kein Grund, nicht nach den Bedingungen dieses Gebrauchs selbst zu fragen. Eine pragmatische Perspektive, welche die Bedeutung auf den Gebrauch zurückführt, kann meines Erachtens die Bedingungen der Möglichkeit einer Bedeutung nicht verstehen, die sich im Gebrauch realisiert, weil gerade diese Realisierung erklärungsbedürftig bleibt. Die Suche nach den Bedingungen der Möglichkeit von Bedeutung erweist sich somit als Aufgabe einer Transzendentalphilosophie, die aus der deskriptiven Untersuchung des Denkens heraus die Möglichkeit seiner Entstehung zu erklären versucht. Die gesamte Bedeutungserfahrung hat eine sinnliche Struktur, in der unser Denken erscheint. Diese sinnliche Form ist nicht nur Träger von Bedeutung, sondern impliziert deren aktive Gestaltung. Wir denken in Bildern und Lauten, und diese sinnlichen Medien sind derart konstitutiv für unser Denken, dass wir eigentlich oft direkt Bilder und Laute denken. Daher erscheint die Frage berechtigt, ob Bilder und Wortlaute nicht einfach nur als beliebige sinnliche Ausgestaltungen unseres Denkens, sondern als spezifische Bedingungen des Denkens zu bezeichnen sind, das sich notwendigerweise zwischen Bildern und Wortlauten artikuliert. Daraus entsteht die systematische Frage, ob die Bedingung dieser Artikulation nicht als eine transzendentale, zugleich aber sinnliche Struktur der Bedeutung zu beschreiben ist. Im vertrauten Gebrauch erscheint die Bedeutung zunächst als gegeben, doch in der Tat kann sie erfunden, überliefert und transformiert werden. Die Gegebenheit erweist sich jeweils dann als ein Konstrukt, wenn die Veränderbarkeit der Bedeutung erfahren wird. Die Grenze zwischen Bedeutung und Gebrauch ist sicherlich schwer zu fassen. Die Bedeutung eines Wortes oder eines Bildes realisiert sich im konkreten Gebrauch, und sie kann in vielen Fällen inhaltlich unterschiedlich bestimmt werden. Selbst wenn sie genau festgelegt ist, scheint die Bedeutung von einer strukturellen Unbestimmtheit charakterisiert zu sein, die auch im Gebrauch nicht vollkommen aufgehoben wird. Wir erleben alltäglich die provisorische Natur des begrifflichen Gebrauchs, indem wir den Umfang unserer Begriffe erweitern, Neues dazulernen und eventuelle

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Missverständnisse aufklären. Die Sprache hat somit eine relative Bestimmtheit, die dem gewöhnlichen, vertrauten und standardisierten Gebrauch sinnlicher Gestalten (wie Bilder und Wörter) entspricht, jedoch nicht für immer festgelegt ist, sondern im Gegenteil jeweils erfragt, verdeutlicht, geändert und revidiert werden kann. Die Grenze zwischen Vertrautheit und Veränderbarkeit des sprachlichen Gebrauchs zeigt sich am deutlichsten, wenn Kommunikation gelingt oder scheitert, Übersetzungsschwierigkeiten auftreten oder neues Wissen entsteht. Wittgenstein behauptet, dass „für eine große Klasse von Fällen der Benutzung des Wortes ‚Bedeutung‘“ die Bedeutung eines Wortes „sein Gebrauch in der Sprache“ ist.30 Demzufolge erkenne ich etwa, dass eine Farbe rot ist, weil ich „Deutsch gelernt habe“.31 Und diese entscheidende Funktion des Gebrauchs gilt nicht nur für die Erkenntnis von Wörtern, sondern ebenso für das Erkennen von Bildern, Figuren oder körperlichen Bewegungen. Der Gebrauch ermöglicht, dass die Bedeutung in konkreten Gestalten erkannt wird, und dazu ist es nötig, über bestimmte Praktiken (wie eben das Erlernen einer Sprache) zu verfügen. Doch zugleich lässt sich die Bestimmung von Bedeutung nicht allein auf diese empirische Ebene des Gebrauchs reduzieren. Es bedarf daher einer grundsätzlichen Klärung des Verhältnisses zwischen Bedeutung und Gebrauch. Nehmen wir das bereits erwähnte Beispiel, eine Farbe als rot zu erkennen. Kann die Bedeutung dieser Farbe allein auf die Tatsache zurückgeführt werden, dass wir sie in der Praxis als rot erkennen, oder gibt es noch eine andere Ebene der Bedeutung, die unseren Gebrauch vielleicht nicht unmittelbar bestimmt, ihn aber in gewisser Weise prä-konstituiert und die somit als eine Grundstruktur dieses Gebrauchs zu kennzeichnen ist, die nicht empirisch abgeleitet werden kann? Eine Farbe kann primär durch Bilder exemplifiziert und durch Wörter beschrieben werden, während sich andere Begriffe nur schwer direkt durch Bilder darstellen lassen. Die Vielfalt der Abbilder und der Bilder ist groß: Es gibt Begriffe wie Zahlen, die als ein Schriftzeichen, als einzelnes empirisches Bild oder als abstrakte arithmetische Regel zum Ausdruck gebracht werden können. Und es gibt Begriffe, die in ihrer Komplexität schwer darstellbar sind – wie der Begriff ‚Kausalität‘–, weil ihre Allgemeinheit unter den partikulären Charakter des Bildes gedrängt wird, das jedoch bloß eine Andeutung, ein Beispiel für eine konventionelle Darstellung eines abstrakten Begriffes sein kann. Und es gibt Begriffe, die bildlich konstruiert werden, wie im Fall eines Dreiecks. Schließlich gibt es sogar Bilder, die eigentümliche Beispiele von sich 30

31

Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (PU) 43: „Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‚Bedeutung‘ – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“. Wittgenstein, PU 381: „Wie erkenne ich, dass diese Farbe Rot ist? – Eine Antwort wäre: ‚Ich habe Deutsch gelernt‘“.

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selber sind: Landschaften, Gesichter, Kunstwerke. Bei allen diesen Beispielen handelt es sich um eine Bedeutung ganz unterschiedlicher Art, die aber jeweils durch sinnliche Gestalten zur Darstellung gelangt. Die gegenseitige Nichtreduzierbarkeit von Gestaltung und Gebrauch aufeinander spiegelt sich bei Kant darin wieder, dass der Schematismus nicht auf die bildliche Darstellung reduziert werden kann. Kant bemerkt, dass es unzweifelhaft Begriffe gibt, die leichter durch Bilder zur Darstellung gelangen können, deren vermittelst der Schemata entstandene, allgemeine Bedeutung selbst jedoch nicht auf Bilder reduziert werden kann. Die Bedeutung bildet sich zwar im Gebrauch heraus, der aber von der sinnlichen Struktur bedingt wird, womit der Schematismus letztlich die Methode der sinnlichen Artikulation des Gebrauchs ist. Und diese Methode, die für Kant die Bedingung der Bedeutung ist, übt eine Vermittlungsfunktion aus. Die Schematismuslehre kann daher als Gestaltungslehre verstanden werden. Die Frage ist nun, ob Bedeutung entweder immanent sprachlich oder rein empirisch erklärt werden kann – oder ob ihre Erklärung auf eine grundlegendere Ebene angewiesen ist, die beide vermittelt und so erst verständlich werden lässt. Wird das Problem der sinnlichen Artikulation von Bedeutung ausgeblendet, vereinfacht sich sicherlich die Analyse ihres Gebrauchs; gleichzeitig aber steigt damit die Gefahr, Bedeutung als schlicht gegeben vorauszusetzen – eine Gegebenheit, die entweder empirisch oder rein sprachlich verstanden werden kann. So behauptet schon Josef Simon: „Nur solange sich die Frage nach der Bedeutung nicht stellt, kann man pragmatisch davon ausgehen, dass Wörter in jedem Gebrauch ‚dieselbe‘ Bedeutung haben“.32 Hinter der transzendentalen Unterscheidung zwischen Bedeutung und Gebrauch steht die Annahme einer transzendentalen Semantik als Untersuchung der Bedingungen der Möglichkeit der Bedeutungsentstehung. Die vorliegende Untersuchung folgt insofern dem Ansatz Hogrebes, als dieser die transzendentale Semantik einerseits von der nicht-empirischen, logischen und andererseits zugleich von der empirischen, linguistischen Semantik unterscheidet.33 Während die letzteren beiden von der Gegebenheit der Bedeutung ausgehen, stellt die transzendentale Semantik gera32

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Simon 2005, S. 23. Siehe auch Simon 2003, S. 561: „‚Das Gewöhnliche‘ der sogenannten normalen Sprache besteht darin, dass die Frage nach einer von den gegebenen Zeichen verschiedenen Bedeutung sich ‚gewöhnlich‘ nicht stellt und nur ‚gelegentlich‘ gestellt werden muss. Die Philosophie beginnt, wo ‚etwas‘, z.B. der Begriff der Vernunft, sich nicht mehr von selbst versteht“. Ich möchte hier nur kurz an Hogrebes Kritik der empirischen Semantik erinnern (1974. S. 76): „Denn jeder Versuch einer empirischen Semantik, dem Problem der Intension empirisch durch Beobachtung des Sprachgebrauchs beizukommen, muss notwendig scheitern, weil die Intensionalität von empirischen Intensionen sich prinzipiell nicht durch Rückgang auf Intensionen desselben Intensionalitätscharakters angehen lässt“.

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de deren Gegebenheit ausdrücklich in Frage. Die Frage nach den Bedingungen ihres Entstehung- und Konstitutionsprozesses führt zu derjenigen nach dem Status des Zeichens und im Allgemeinen nach dem Verhältnis zwischen Semantik und Semiotik.34 Die Weise der Gegebenheit, wie sie in der Semiotik angenommen wird, ist „das Eingangsproblem einer transzendentalen Semantik“,35 für die Bedeutung keine unhintergehbare Voraussetzung mehr ist. Die Frage nach der Entstehung von Bedeutung, deren transzendentale Bedingung für Kant im Schematismus zu suchen ist, impliziert daher diejenige nach den semantischen Regeln des semiotischen Gebrauchs. Während Hogrebe die transzendentale Semantik primär als Methode zur Behandlung des Konstitutionsproblems in der kantischen Philosophie ansieht und das konstitutive Prinzip schließlich der ästhetischen Urteilskraft zuschreibt,36 besteht mein Vorhaben darin, die Schematismuslehre als Theorie der Gestaltung von Bedeutung zu erklären, die von Anfang an den Anspruch hat, eine transzendentale Theorie der semantischen Gestaltung zu sein.37 Ausgangspunkt der Transzendentalphilosophie Kants ist gerade die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, denen mittels des Schematismus Bedeutung verliehen wird, womit der Schematismus auf mehreren Ebenen die Synthesis zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit leistet. Die vorliegende Einleitung dient entsprechend nicht primär einer Klärung der allgemeinen Frage nach einer transzendentalen Semantik, sondern ihrer spezifischen Entfaltung als einer transzendentalen Semantik des Schematismus. Wenn hier zwischen Bedeutung und Gebrauch unterschieden wird, darf dies nicht im Sinne einer Hypostasierung des semantischen Inhalts jenseits des Gebrauchs verstanden werden. Wenn Frege ein ‚drittes Reich‘ von festen Bedeutungen außerhalb der spezifischen Bedeutung (als Gegenstand des Ausdrucks) und des Sinns (als des Ausdrucks selbst) annimmt, liegt darin meines Erachtens 34

35 36 37

Vgl. Hogrebe 1974, S. 80f.: „Somit kann die bedeutungsvolle Materialität von Zeichen als das wirkliche caput mortuum aller semiotischen Semantik, ja der Semiotik überhaupt angesehen werden. Mithin ist auch die Frage beantwortet, ob Bedeutung überhaupt im Rahmen der Semiotik zureichend bestimmt werden kann. Keineswegs. Vielmehr erweist sich die Semantik der allgemeinen Zeichentheorie als voraussetzungsvolle Semantik eines schon als Etwas semantisch zugerichteten Etwas; und sie bleibt auf diese semantische Zurichtung stets angewiesen, wenn Zeichen unter den Bedingungen von ‚semantical rules‘ überhaupt als anwendbar auf Gegenstände oder Situationen gedacht sollen werden können“. Hogrebe 1974, S. 81. Siehe Hogrebe 1974, S. 117. Dieser Aspekt wird von Hogrebe ausführlich hinsichtlich der Konstitution der Erfahrung behandelt, siehe dazu 1974, S. 118–140. Gerade deswegen gehe ich hier auch nicht weiter der Frage nach, ob die synthetischen Grundsätze der Erfahrung die objektive Realität der Bedeutung gewährleisten können. Stattdessen soll die Gestaltung selbst hinterfragt werden, die sich meines Erachtens nicht auf die Bedeutungsart reduzieren lässt.

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der Versuch, die Bedeutung von ihren konkreten Darstellungen abzulösen und somit den Gegenstand systematisch vom Sinn und von den Interpretationspraktiken zu trennen.38 Dies ist ausdrücklich nicht die Richtung, in die ich gehen möchte. Denn bei der Untersuchung der Bedeutung handelt es sich um eine transzendentale sinnliche Strukturierung, die im Gebrauch immer schon intentional zugerichtet ist. Die gesamte Bedeutungserfahrung artikuliert sich durch sinnliche Gestalten, welche dazu dienen, unsere einzelnen Erfahrungen zu konstituieren. Daraus folgt, dass es nicht einfach unterschiedliche, wenn man will sogar unendlich viele Gebrauchsweisen gibt, sondern dass diese Vielfalt eine transzendentale Strukturierung voraussetzt, welche die Bedeutung im subjektiven Gebrauch bereits potentiell bestimmt. Der Gebrauch ist somit eine Aktualisierung der Bedeutung, die ohne ihn lediglich potentiell bleiben würde. Im Gebrauch der Sprache lässt sich eine weitere Auffassung der Bedeutung – etwa in Anschluss an Humboldt als Denkstil – ausmachen, wie sie zum Beispiel das Weltbild einer Einzelsprache prägt. Hierbei handelt es sich also nicht nur um den Gebrauch des einzelnen Individuums, sondern einer gesamten Kultur, die jene Sprache spricht. Wenn die Verschiedenheit der Sprachen eine Verschiedenheit der Denkstile ist, lässt sich dies meines Erachtens gerade auf die sinnliche Gestaltung der Bedeutung zwischen Bild und Wortlaut zurückführen, wie sie im Gebrauch erscheint. So ließe sich etwa erklären, warum einige Denkstile sich stärker als andere auf den symbolischen Gebrauch von Bildern und Wortlauten stützen – ohne damit eine Beurteilung vorzunehmen.39 Und trotz einer gewissen Abhängigkeit vom gängigen Gebrauch einer Sprachgemeinschaft bleiben wir in diesen Denkstilen nicht komplett befangen: so gibt es viele sinnliche Schnittstellen, die Raum für relative Übersetzungen und Übertragungen eröffnen und somit eine Vermittlung von semantischen Sachverhalten ermöglichen. Um die Entstehung von Bedeutung zu erklären, ist ein Prozess der Synthesis anzunehmen, der keine Vermittlung zwischen etwas für sich Bestehendem anzeigt, sondern als umfassender Gestaltungsprozess zu bestimmen ist. Denn die Auffassung der Synthesis im Sinne einer Gestaltung ist transzendentalphilosophisch und muss von einem rein empirischen Verständnis der Synthesis abgegrenzt werden. Ihr Unterschied kann meines Erachtens über eine Kritik des Verkörperungsbegriffs erklärt werden. Dass unser Denken und Handeln immer verkörpert ist, beschreibt die Tatsache, dass unsere semantische Erfahrung nicht von unserem Körper und von der Synästhesie unserer Wahr38 39

Eine ähnliche Kritik wird auch von Abel (1999, S. 75f.) in Bezug auf die Interpretationstheorie der Referenz vorgebracht. Gerade aus der Frage nach dieser Denkdifferenz entstand meines Erachtens die große Faszination Heideggers für die japanische Denkart des Wortes ‚Sprache‘, die im Text ‚Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner und einem Fragenden‘ (GA, 12) hervortritt.

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nehmung zu trennen ist. Diese Verkörperung kann jedoch nicht als ein neutrales physiologisches Instrument unseres Denkens verstanden werden, sie bleibt immer kulturell eingebunden. Im Gegensatz zu solchen Vorstellungen analysiert die Transzendentalphilosophie diese Synthesis anhand gedanklicher Unterscheidungen und versucht so, ihr gesamtes Potential ans Licht zu bringen. Sie schafft somit überhaupt erst die Voraussetzungen der Rede von einer Verkörperung. Eine Revision der Schematismuslehre im Sinne einer Theorie der Versinnlichung kann dazu beitragen, diese Voraussetzungen explizit zu machen. Die vorliegende Untersuchung stellt somit den Versuch dar, ausgehend von der kantischen Schematismuslehre die Transzendentalphilosophie als eine Versinnlichungslehre der Bedeutungserfahrung aufzuzeigen. Dabei wird es insbesondere darum gehen, eine prozessuale Dimension der Sinnlichkeit herauszuarbeiten, die Bedingung der Artikulation der Bedeutungserfahrung zwischen bildlichen und diskursiven Bestimmungen ist. Der Schematismus ist bei Kant die transzendentale Bedingung der Entstehung von Bedeutung. Ohne diesen Prozess kann die Begrifflichkeit keinen Gebrauch haben und keiner Realität entsprechen. Dieser Synthesisprozess, in dem Begrifflichkeit und Sinnlichkeit heuristisch unterschieden werden, ist nicht nur Bedingung der Herstellung des semantischen Bezugs zur Realität, sondern auch Methode der Gestaltung dieses semantischen Bezugs. Das erlaubt es Kant, die entscheidende Differenzierung zwischen Bild, Figur und transzendentalem Begriff einzuführen, indem er den drei Weisen des sinnlichen Gebrauchs von Begriffen drei unterschiedliche Arten von Schemata zuordnet: Die empirischen Begriffe können mit Bildern, die sinnlichen Begriffe mit konstruierten Figuren und die transzendentalen Begriffe nur durch Wörter dargestellt werden. Die Gemeinsamkeit dieser drei Arten von Begriffen ist ihre Synthetisierung in der Zeit, die Kant vor allem in den anthropologischen Schriften mit der diskursiven Funktion der Zeichen in Verbindung bringt. Die Gestaltung der Schemata ist bestimmend, weil ihre Begriffe eine direkte Entsprechung in den Anschauungen haben können, während alle Begriffe, denen dies nicht möglich ist, sich nur indirekt darstellen lassen. Diese andere Art der Darstellung verfährt daher durch Analogie. Sie wird von Kant als symbolisch bezeichnet und von der bloßen Bezeichnung abgegrenzt. Schon aus diesen einführenden Worten lässt sich ablesen, dass die Darstellungstheorie Kants nicht von den Anschauungen absehen kann, welche die eigentlichen sinnlichen Bedingungen der Bedeutungserfahrung sind, die – direkt oder indirekt – insgesamt als Versinnlichung zu bezeichnen ist. Mit der Auslegung als Versinnlichungslehre geht zugleich eine Umgestaltung der Schematismuslehre einher, die durch die Revision ihrer systematischen Stellung bei Maimon, Hamann, Herder, Humboldt und Hegel vorgenommen wird, von denen sie mit symbolischen, bezeichnenden, expressiven und sprach-

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lichen Funktionen versehen wird. Der prozessuale Charakter des Schematismus zeigt sich insbesondere an der ausdrücklichen Einführung der Sprache und dem Interesse an der imaginativen Kraft von Denk- und Kunstprozessen unter Kants Nachfolgern. Diese Versuche – insbesondere die Metakritik Herders, die Sprachphilosophie Humboldts und die Psychologie Hegels – können als Reaktionen auf interne Erfordernisse der kantischen Philosophie aufgefasst werden, welche im Keim schon eine Versinnlichungslehre impliziert, die in der Folge sprachlich und ästhetisch ausgebaut werden konnte. Wenn diese Versuche hier rekonstruiert werden, dann handelt es sich dabei nicht um eine historische, sondern um eine dezidiert erkenntnistheoretische Herangehensweise, die gleichwohl aufdeckt, wie der Schematismus in der Philosophiegeschichte verschiedentlich auftaucht, ohne jedoch je in seinem systematischen Potential ausgeschöpft zu werden. Das muss als Grund dafür gelten, warum der Schematismus bis heute primär mit Kant verbunden wird, während der Schema-Begriff in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen thematisch wird, ohne je die Weite des kantischen Schematismus zu erreichen.

2. Au f bau der Unter suc hu ng Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil ist auf die Schematismuslehre fokussiert, wie Kant sie in der Kritik der reinen Vernunft skizziert, in der Kritik der Urteilskraft von der symbolischen Darstellung abgrenzt und in der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht in Bezug auf die Sinnlichkeit und die Bezeichnung ergänzt. Der Versuch, bei Kant eine transzendentale Schematismuslehre zu rekonstruieren, versteht sich jedoch nicht primär als ein dem kantischen Werk internes Unterfangen, sondern zielt darauf, das in der Konzeption des Schematismus enthaltene sprach- und erkenntnistheoretische Potential freizulegen. Somit wird die systematische Stelle des Schematismus nicht so sehr mit Blick auf die Architektonik Kants, sondern auf die systematische Frage nach der Bedingung der Artikulation von Bedeutung beleuchtet. Bei Kant wird diese Frage in der Kritik der reinen Vernunft dort eingeführt, wo er die sinnliche Bedingung der Begrifflichkeit einem Erkenntnisprozess zuordnet, durch den sich Erfahrung strukturiert, und dabei eine transzendentale Gestaltung der Erfahrung umreißt, die sich zwischen Bildern und Begriffen artikuliert und nicht vom Gebrauch absehen kann. Die Ebene des Erkennens ist dabei von der angrenzenden Ebene des Symbols zu unterscheiden, auf der keine direkte, sondern eine lediglich indirekte sinnliche Darstellung erfolgt, die dazu dient, das Denken zu versinnlichen. Sowohl die direkte als auch die indirekte Darstellung beschreibt Kant als Versinnlichung und unterscheidet sie vom Bezeichnungsvermögen, dem die Funktion zugeordnet wird, das diskursive Denken

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durch Zeichen zu begleiten, damit die Begriffe ins Gedächtnis gerufen werden können. Die ersten fünf Kapitel sind dem Schematismus im Erkenntnisvermögen gewidmet. Hier werde ich zeigen, wie ausgehend von der Schematismuslehre Kants dessen Erkenntnistheorie umstrukturiert werden kann. Diejenigen Aspekte, die meines Erachtens mittels der Schematismuslehre verdeutlicht werden können, sind erstens die isolierende Methode (Kap. I), die in der Untersuchung der Erkenntnisvermögen angewandt werden kann, und zweitens die in dieser enthaltene Auffassung der Sinnlichkeit. Die Sinnlichkeit ist entsprechend als eine spezifische Gestaltungsfunktion aufzufassen, die ich durch die Einführung des Versinnlichungsbegriffs erklären und vom Verkörperungsbegriff abgrenzen möchte (Kap. II). Der Schematismus betrifft nur die sinnliche Gestaltung von Bedeutung, in der eine klare Trennlinie zwischen Bild, konstruierter Figur und Wortlaut gezogen werden kann. Diese Aspekte lassen sich anhand einer Versinnlichungslehre erklären, in der sich die Bedeutung zwischen Bild und Wort erstreckt und dabei die unterschiedlichen Methoden der Figuration und Verlautlichung einbezieht, die sich an der transzendentalen Funktion der Sinne zeigen (Kap. III). Der Schematismus ist ein Vermögen der Urteilskraft, d.h. ein Vermögen der Anwendung von Regeln, die inhaltlich nicht vorgegeben sind (Kap. IV). Die Begrifflichkeit kann, wie zu zeigen sein wird, nicht vom sinnlichen Gebrauch absehen, der sich in einen empirischen, einen rein sinnlichen und einen kategorialen untergliedert. Durch die schematische Synthesis ergibt sich bei Kant eine dreifache Strukturierung der Schemata als empirische, rein sinnliche und reine, die Kant wiederum mit den spezifischen Gestalten des Begriffs, der Figur und des Bildes verbindet (Kap. V). Die zwei weiteren Kapitel des ersten Teils sind der genannten indirekten (symbolischen) Darstellung (Kap. VI) und der Bezeichnung (Kap. VII) gewidmet. Es gilt hier vor allem zu klären, ob Kant diese Vermögen vom Schematismus getrennt hält oder ob das Schema umgekehrt etwa auf das Symbol oder das Zeichen reduziert werden kann. Was die symbolische Darstellung angeht, so ist sie eine nur indirekte Darstellung, die eine Analogie zwischen einer Idee und einem sinnlichen Begriff und somit eine Übertragung von sinnlichen, erkennbaren Eigenschaften auf die Idee ermöglicht, die an sich nicht empirisch ist. Diese symbolische Darstellung bedient sich indirekt der Sinnlichkeit zum Ausdruck von Ideen und Gefühlen, obwohl diese für Kant eine angemessene Entsprechung weder in der sinnlichen Erfahrung noch in der begrifflichen Bestimmung erreichen können. Es ist folglich bei Kant von einer dreifach gegliederten Versinnlichungslehre auszugehen, in der zwischen einer schematischen, einer symbolischen und einer expressiven Darstellung unterschieden werden kann. Ihr Zusammenhang mit der Schematismuslehre besteht darin, dass es in letzterer auch um die Frage nach der Genese der Begriffe geht, die bei genauerem

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Hinsehen einen Bildungsprozess erfordert, der symbolische Ausdrücke und Übertragungen von Begriffen impliziert. Auf der sich damit ergebenden Ebene einer Metabegrifflichkeit, der die Kategorien zugeordnet werden können, ist schließlich auf das Bezeichnungsvermögen einzugehen. Es zeigt sich dabei, dass die Zeichen die Begriffe nicht nur begleiten, sondern durch ihren Verlautlichungsprozess die Begriffe überhaupt erst konstituieren. Die Untersuchung der symbolischen und expressiven Darstellung und schließlich der Funktion der Bezeichnung in der Begriffsbildung dient gerade dazu, die offenen Probleme des Schematismus klarer zu definieren. Es geht folglich um die transzendentale Aufgabe, eine systematische Lehre der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit zu entwickeln, die nicht nur die empirische Erfahrung, sondern die gesamte Erfahrung umfasst. Ich möchte diese erweiterte Form der Erfahrung als gesamte Bedeutungserfahrung bezeichnen, womit ausdrücklich auch die Erfahrung semantischer Bezüge angesprochen ist, die nicht in der empirischen Welt erfahrbar sind. Diese Erweiterung des ErfahrungsBegriffs bedeutet jedoch nicht, dass Kants kritische Unterscheidung zwischen Erkenntnis, Denken und Ausdruck von Gefühlen schlicht eingeebnet werden soll; im Gegenteil wird sie auf diese Weise noch verstärkt, weil sie über das Kriterium des unterschiedlichen transzendentalen Gebrauchs der Begriffe begründet wird. Diese Rekonstruktion der Schematismuslehre als Theorie der Versinnlichung kann meines Erachtens bei Kant selbst ausgemacht werden, zeigt aber zugleich den Versuch an, sie weiterzudenken. Und diese Umgestaltung lässt sich in erster Linie an den metakritischen Revisionsversuchen in der unmittelbaren Nachfolge Kants ablesen, welche gewissermaßen die Systemstelle des Schematismus weiterentwickeln. Der zweite Teil ist dieser Umgestaltung der Systemstelle des Schematismus in der Nachfolge Kants gewidmet. Wenn ich von Systemstelle spreche, dann deshalb, weil die anvisierte Umgestaltung sich häufig nicht direkt auf den Schematismus bezieht, sondern den Gedanken einer jetzt insbesondere sprachlich aufgefassten Synthesis verschiedentlich weiterentwickelt. Insgesamt gesehen bestimmen jedoch die problematischen Aspekte der Schematismuslehre Kants zunächst ihre Rezeption. Die Versuche, sich produktiv mit ihr auseinanderzusetzen, werden von der Kant-Forschung im engeren Sinne zu Unrecht häufig ausgeblendet, obwohl sich an ihnen viel über die internen Spannungen, offenen Probleme und das systematische Potential von Kants Philosophie lernen lässt. Dieses Potential kann meiner Meinung nach heute nur auf der Grundlage eben jener Erweiterung und teilweise Revision seiner Schematismuslehre in der Nachfolge ausgeschöpft werden. Damit sind die Ansätze von Maimon, Hamann, Herder, Humboldt und Hegel angesprochen, die sich kritisch auf die mit dem Schema angezeigte Systemstelle beziehen. Die Hauptthemen dieser Umgestaltung der Schematismuslehre sind der fiktionale Charakter der Begrifflichkeit,

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die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit sowie die Erweiterung der Funktion der Einbildungskraft, der Sprache, der symbolischen Erkenntnis und der Zeichen in der Gestaltung des Denkens und schließlich die Betonung der kognitiven Leistung des Gebrauchs und des Lernens in der Begriffsbildung. Die erste der hier untersuchten Umgestaltungen der kantischen Philosophie ist die von Salomon Maimon (Kap. I), der einen rationalistischen Dogmatismus mit einem empirischen Skeptizismus verbindet. Die Erweiterung der Dimension des Denkens geht für ihn mit einer Auffassung der Realität einher, die sich sukzessive von der Voraussetzung der Gegebenheit der Erfahrung emanzipiert. Die Realität erscheint insofern als ein Gemachtes und kann im Unterschied zu Kant auch Ideen zugesprochen werden, welche eine unendliche Annäherung implizieren, die Maimon mit der symbolischen Erkenntnis in Verbindung bringt, um daraus eine Lehre der gedichteten Begriffe zu entwickeln, deren Realität allein durch den unendlichen Verstand gesichert ist. Trotz des starken Gewichts, das Maimon der konstruktiven Einbildungskraft und den symbolischen Prozessen verleiht, werde ich seine Reduktion der Sinnlichkeit auf rationale Bestimmungen hinterfragen und zeigen, dass sie zu keiner Begründung der prozessualen Bedingungen des endlichen Denkens führen kann. Die Metakritik Hamanns (Kap. II) bringt eine eigentümliche, tief sinnliche Materialität der Sprache zum Ausdruck, die jedoch im Unterschied zu Maimon theologisch begründet wird. Maimon und Hamann stellen meines Erachtens zwei Seiten eines Denkens dar, das – nach Maimon formaliter und nach Hamann materialiter – von einer symbolischen Rationalität geprägt ist. Die symbolische Rationalität wird jedoch in beiden Fällen nicht über die dem Denken eigene Prozessualität allein begründet. So gesehen stellen beide Ansätze eine spezifische Überschreitung derjenigen Grenzen des kritischen Denkens dar, die laut Kant für die transzendentale Perspektive wesentlich sind. Herder dagegen entwirft eine Metakritik des Schematismus, in welcher die Transformation vom Bild zum Begriff gerade über die Bestimmung der sinnlichen Gestaltung geschaffen wird (Kap. III). So verbindet Herder die Ansätze Hamanns und Kants miteinander, indem er die Materialität der Empfindung in den Gestaltungsprozess der Reflexion miteinbezieht. Und trotzdem erreicht diese Reflexion als Gestaltungsprozess nicht die Ebene des SymbolischTranszendentalen, sondern wird von Herder vor allem auf die Kunst und das Gefühl bezogen. Auch der Ansatz Humboldts (Kap. IV) ist von einem dezidiert sprachlichen Interesse motiviert, jedoch zugleich von einer Immanenz geprägt, die sich daran ablesen lässt, dass Sinnlichkeit und Spontaneität in der Sprache selbst vereinigt werden, die sich durch das Wort zwischen Bild und Zeichen artikuliert. Der Fokus liegt damit auf der das Denken strukturierenden Tätigkeit der Sprache. Diese Tätigkeit wird schließlich zum Hauptinteresse Hegels (Kap. V): sie bildet den Kern seines Geistbegriffs, dessen Bewegtheit zugleich als

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eminent sprachlich erscheint. All diese Ansätze setzen sich demnach auf unterschiedliche Weise mit dem Problem der Spontaneität des Denkens in dem Versuch auseinander, diese zu begründen und bis in ihre sinnlichen Gestaltungen hinein zu verfolgen. Der dritte Teil zeichnet den letzten Schritt der Umgestaltung der kantischen Schematismuslehre nach, indem die im zweiten Teil dargestellte, metakritische Umgestaltung insgesamt auf den Versinnlichungsbegriff bezogen und somit erneut mit der Sprach- und Erkenntnistheorie Kants konfrontiert wird. Dabei wird sich zeigen, dass die transzendentale Bedeutung der Versinnlichung ihre Wurzeln in Kants Sinnlichkeitslehre hat, wie sie insbesondere von Herder und Hegel umgestaltet und von Humboldt noch in sprachlicher Hinsicht ergänzt wird. Die bereits erwähnte Abgrenzung des Versinnlichungsbegriffs vom Embodiment-Ansatz von Mark Johnson und George Lakoff soll in diesem Zusammenhang erneut thematisch und unter Rückgriff auf die Ästhesiologie Plessners systematisch präzisiert werden (Kap. I). Die Untersuchung wird zeigen, inwiefern der Versinnlichungsbegriff dazu geeignet ist, als transzendentale Bedingung der Verkörperung zu gelten. Im Anschluss daran (Kap. II) soll mein eigenes Verständnis des Schematismus als transzendentale Versinnlichung präsentiert werden, welche die Artikulation unserer gesamten Bedeutungserfahrung durch Gestalten und Gestaltungsprozesse umfasst. Gestalten sind darin reine Formfunktionen, die ich in Bilder, Figuren und Laute unterscheiden möchte. Die Gestaltungsprozesse hingegen betreffen transzendentale Gebrauchsweisen, die ich als zeichenhaft, symbolisierend und ausdrückend kennzeichne. Am Ende wird sich die Versinnlichung als die eigentliche transzendentale Bedingung aller Arten der Verkörperung erweisen, die als intentional wahrgenommene oder hervorgebrachte Synästhesien immer kulturell bedingt und somit relativ bleiben.

3. For sc hu ngsst a nd u nd Me t ho d i k Der Debatte um das Schema und den Schematismus fehlt es bis heute an einer systematischen und historischen Untersuchung, die sie abgesehen von ihren verstreuten Verwendungen innerhalb der Philosophiegeschichte als systematische Grundbegriffe rekonstruiert. Ihre historische Entwicklung lässt sich in groben Zügen den entsprechenden Lexika entnehmen.40 Zur Verwendung in der Antike ist insbesondere auf die bereits genannte, wegweisende Arbeit von Maria

40

Vgl. insbesondere den Eintrag im Historischen Wörterbuch der Philosophie von Stegmaier und Hermann (1992).

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Luisa Catoni zu verweisen, die zugleich Anlass für eine Wiederbelebung der Debatte um den Schema-Begriff vornehmlich im Kontext der Bildtheorie war.41 Die Untersuchung steht vor der Aufgabe, die Aktualität der Schematismuslehre Kants herauszustellen, indem das Schema als prozessuale Bedingung der Entstehung und Darstellung von Bedeutung erwiesen wird. Prozessual heißt dabei, dass es nicht lediglich um die Vermittlung zwischen zwei getrennten Vermögen geht, sondern sich Bedeutung in diesem Prozess überhaupt erst realisiert. Die Aktualität besteht – so lautet die Grundthese – darin, dass das Schema als Prozess der Versinnlichung interpretiert werden kann, in dem sich Bedeutung zwischen Bildern und Begriffen im Gebrauch artikuliert. Damit wird insbesondere seine produktive Funktion in der Strukturierung der Bedeutung hervorgehoben.42 Die Interpretation des Schematismus als Versinnlichungsprozess der gesamten Bedeutungserfahrung geht auf eine Revision der Schematismuslehre Kants zurück. Der damit verfolgte Ansatz versteht sich von Beginn an als eine durchaus kritische Würdigung der Sprach- und Erkenntnistheorie Kants. Es geht nicht primär um eine minutiöse Rekonstruktion, sondern um eine Umgestaltung, die sich jedoch weiterhin der transzendentalphilosophischen Perspektive verpflichtet weiß. Eines sollte bereits jetzt deutlich geworden sein: Es wird nicht primär um eine Untersuchung der Schematismuslehre als systematischer Schnittstelle in der Kritik der reinen Vernunft gehen. Stattdessen wird der Blick auf den Gesamtzusammenhang der kantischen Transzendentalphilosophie gerichtet, die in der Kritik der reinen Vernunft ihr Fundament hat. Ich möchte also genau dort beginnen, wo viele Untersuchungen der Kantforschung enden, und zwar an der systematischen Stelle, die vielen als die unschlüssigste und rätselhafteste Stelle der Philosophie Kants gilt. Daraus folgt zugleich, dass ich mich bei diesem Unterfangen auf Forschungslinien berufe, die über eine rein immanente Interpretation des kantischen Werks in dem Interesse hinausgehen, die spezifisch semantische und semiotische Kraft des Schematismus herauszustellen. Dabei fällt auf, dass beide Traditionslinien im Wesentlichen nebeneinander existieren, ohne miteinander ins Gespräch gekommen zu sein. Und sie sind in der Tat auf den ersten Blick schlecht zu vereinbaren, weil sie aus

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Siehe Catoni 2004 und 2005. Zum Schema-Begriff in der Antike siehe auch Celentano/Chiron/Noël 2004. Zur Bedeutung des Schema-Begriffs für die Bildakt-Theorie siehe Bredekamp 2010, S. 104. Aus diesem Gesichtspunkt werden in Heideggers Interpretation des Schematismus gerade die poietischen Aspekte des Versinnlichungsprozess und weniger die Betrachtung des Bildes für das Sein in den Vordergrund gestellt. Die vorliegende Interpretation der sinnlichen Gestaltungen des Schematismus erfolgt daher eher im Horizont der Deutung Cassirers.

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unterschiedlichen Motivationen heraus agieren und über divergierende Kompetenzen verfügen. Die Kantforschung hat sich bis auf wenige Ausnahmen darauf beschränkt, die Fäden der Schematismuslehre innerhalb des Werkes in philologischer Detailarbeit zusammenzuführen. Obwohl eine allgemeine Systematik des Schematismus aus heutiger Sicht weiterhin als Desiderat zu gelten hat, liegen selbstverständlich zahlreiche Untersuchungen im Kontext der kantischen Philosophie vor, vor deren Hintergrund die Begriffe des Schemas und des Schematismus nicht selten als exklusive Probleme der Kantforschung erscheinen und zudem im Anschluss an Kants eigene Bemerkungen zugleich als ausgesprochen dunkel gelten. Innerhalb der Kantforschung sind die mit Abstand meisten Arbeiten daher systemarchitektonischen Überlegungen zum Status der SchematismusLehre in Kants Werk gewidmet.43 Weitere Schwerpunkte bilden das Verhältnis zwischen Einbildungskraft, Bild und Begriff;44 die Funktion der Sprache und der Zeichen im Schematismus;45 sowie schließlich die Beziehung von Nicht-Konzeptualismus und Konzeptualismus.46 Trotzdem sind auch bedeutende Beiträge zur Entwicklung einer transzendentalen Semantik im Anschluss an die kantische Schematismus-Konzeption geleistet worden, unter denen vor allem Wolfram Hogrebes Kant und das Problem einer transzendentalen Semantik zu nennen ist.47 Gewissermaßen quer zur Kantforschung liegt eine Forschungstradition, die den Schematismus ausgehend von seiner Revision im Rahmen der postkantischen Philosophie untersucht. Diese Arbeit ist methodisch von der Philosophie Ernst Cassirers inspiriert; insbesondere seine Wiederentdeckung und Aktualisierung der Philosophie Humboldts, Herders und Maimons in der Sprach- und Erkenntnistheorie ist ein Wegweiser für den Versuch, die Schematismuslehre Kants zu re-aktualisieren. Seine Hervorhebung des kritischen Wertes der von diesen Denkern entwickelten Revisionen der Philosophie Kants, vor allem in Bezug auf die Sprache und auf die Funktion der Sinnlichkeit für den prozessualen Charakter des Denkens, ist daher ein ständiger Querbezug dieser Arbeit. Dabei steht insbesondere die Funktion der Sprache und der Zeichen als ein offenes Problem im Vordergrund, das Kant seinen Nachfolgern vererbt.

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Vgl. Chiodi 1961, Chipman 1972, Pippin 1976, Obergfell 1985, Guyer 1987, Longuenesse 1998, Ameriks 2000 und Aportone 2009. Zur Einbildungskraft siehe Mörchen 1930, Gibbons 1994, Düsing 1995 und Makkreel 1997. Zum Bild siehe Bennett 1987 und Haag 2007. Siehe dazu Lamacchia 1970 und 1972, Riedel 1976, Schönrich 1981, Villers 1997, La Rocca 2003 und Capozzi 2012. Vgl. Heidemann 2004, Hanna 2005 und Grüne 2009. Hogrebe 1974. Vgl. auch Brandi 1960 (2010), Kaulbach 1968, Butts 1969, Garroni 1979, Eco 2000, Simon 2003, Fortuna 2005 und Formigari 2007.

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Vertreter dieser Traditionslinie finden sich insbesondere in der deutschsprachigen und in der italienischen Forschung.48 Einen Überblick gibt der zuletzt von Ulrich Gaier und Ralf Simon herausgegebene Sammelband Zwischen Bild und Begriff: Kant und Herder zum Schema.49 Obwohl den Exponenten dieser Tradition das Verdienst zugerechnet werden sollte, einen kritischen Umgang mit den systematischen Fragen des Schematismus etabliert zu haben, laufen diesbezügliche Untersuchungen nicht selten wiederum Gefahr, die transzendentalphilosophische Tragweite des Schematismus gerade bei Kant in den Hintergrund zu rücken, indem sie die behandelten Sachthemen aus ihrer Verankerung in dessen Epistemologie herauslösen. Zwar finden sich in den meisten der angeführten Arbeiten Verweise auf verschiedene Aspekte des Schematismus, meist aber ohne dessen gesamten Umfang zu berücksichtigen. Beide Forschungstraditionen haben wie gesagt nur bedingt kompatible Interessen. Erstere stellt sich selten die Frage nach der Aktualität der Transzendentalphilosophie Kants und hält an Kants kritischen Unterscheidungen fest, die zweite hingegen geht freier mit ihnen um und bezieht sich nicht zuletzt auf die Revisions- und Überwindungsversuche in der unmittelbaren Nachfolge Kants. Erstere möchte möglichst nah am Text bleiben, um den Text wieder zum Leben zu erwecken; die zweite denkt, dass der Text gerade lebt, indem er mit guten Gründen tradiert wird. Die erste respektiert den Text so sehr, dass sie darüber ihren eigenen systematischen Ansatz verliert, die zweite interpretiert den Text ausgehend von Problemen der Gegenwart. Die erste hält ihre Interpretation aktuell für den Text; die zweite stellt sich die Frage nach der Aktualität ihrer eigenen Interpretation. Die erste kann große Philologie sein, die zweite große Philosophie werden. Und da die textuellen Bezüge auf den Schematismus bei Kant begrenzt sind, war dem Schematismus bei den Vertretern der ersten Tradition oft ein nur kurzes Leben beschieden, während er bei denen der zweiten fortlebt. Diese beiden Interpretationswege sind hier nur als Grenzdimensionen zu verstehen, weil es in der Tat einige Vermittlungsversuche gibt, die den Primärtexten treu bleiben und trotzdem eine systematische Fragestellung verfolgen. Diese Versuche über die Schematismuslehre sind für die vorliegende Arbeit die wichtigsten Bezugspunkte. Parallel zu diesen verwende ich gleichzeitig die philologische Forschung für die Analyse der einzelnen Textstellen, ohne dabei jedoch extensiv auf die unterschiedlichen Strömungen einzugehen, die aus systematischer Sicht von nachrangigem Interesse sind. Ich beziehe mich nicht nur

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Siehe dazu Simon 1966, Gessinger 1994, Di Cesare 1996, Trabant 1998 und 2012, Bayer 2002, Bertram 2006, Borsche 2006 und 2010, Formigari 2007, Stetter 2010 und Forster 2012. Siehe Gaier und Simon 2010.

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und nicht hauptsächlich auf den Schematismus, wie er in der Kantforschung im engeren Sinne vorkommt. Die Diskussion letzterer findet sich primär in den Fußnoten und ist als Vertiefung der internen Probleme des kantischen Werkes zu verstehen. Die Arbeit versucht, ein Gleichgewicht zwischen diesen zwei Interpretationsstrategien zu finden, indem sie die Schematismuslehre soweit philologisch auslegt, dass aus den Texten systematische Probleme hervorgehen, die in der Folge mit und ohne Kant behandelt werden können. Insgesamt zielt meine Untersuchung jedoch darauf, die philosophische Relevanz des Schematismus aus heutiger Sicht herauszustellen und bezieht sich vornehmlich auf Forschungsbeiträge, die entweder aus historischer oder aus systematischer Sicht an der Umgestaltung der Schematismuslehre interessiert sind. Die Arbeit wendet aus diesem Grund eine integrative Methode an, die darauf abzielt, die verschiedenartigen Lesarten des Schematismus zur Kenntnis zu nehmen und systematisch aufeinander zu beziehen. Ihr originärer Beitrag zur Forschung soll darin bestehen, die Relevanz des Schematismus als Versinnlichung für die Sprach- und Erkenntnistheorie herauszustellen. Die hier vorgeschlagene Lesart des Schematismus als einer Theorie der Versinnlichung kann sich ebenfalls lediglich bedingt auf direkte Vorarbeiten stützen. So hat Dirk Oschmann Untersuchungen zum Begriff der Versinnlichung des 18. Jahrhunderts vorgelegt, deren Fokus allerdings auf der Literaturtheorie dieser Zeit liegt.50 Was hingegen gänzlich fehlt, sind Überlegungen zum Verhältnis von Versinnlichung und Verkörperung – und zwar sowohl in Bezug auf Kant,51 als auch im Kontext der gegenwärtigen Theorien des Embodiment.52

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Siehe Oschmann 2002 und 2007. Zum Versinnlichungsbegriff bei Kant siehe Gasché 1994 und 2003. Zum Verkörperungsbegriff bei Kant siehe Shell 1996, Svare 2006 und Nuzzo 2008. Insbesondere wird der Embodiment-Ansatz von Mark Johnson und George Lakoff in Betracht gezogen, die sich in ihrer kognitiven Semantik explizit auf Kant beziehen. Siehe Johnson 1980 und zusammen mit Lakoff 1987 und 1999.

D ie S chematismuslehre im L ichte K ants

Der Schema-Begriff erfährt bekanntlich seine erste und ausführlichste Behandlung in der Kritik der reinen Vernunft, ohne dabei ein Unikum in Kants Schriften zu bleiben, in denen das Problem des Schemas eine weitere Entwicklung und Spezifikation erhält. Noch im berühmten Entwurf zu einem Brief an Tieftrunk von 1797 bemerkt Kant: „Überhaupt ist der Schematism[us] einer der schwierigsten Punkte […]. Ich halte dieses Kapitel für eines der wichtigsten“.1 Trotz dieser Bemerkung finden sich neben dem kurzen Passus der Kritik der reinen Vernunft insgesamt wenige ausdrückliche Hinweise auf die systematische Funktion des Schematismus. Was in der Folge vielen – denken wir etwa an Herder, Heidegger, Cassirer – und offenbar auch Kant selbst als Kernstück seiner Transzendentalphilosophie gilt,2 soll hier jedoch nicht anhand ihrer Rekonstruktion behandelt, sondern umgekehrt als Dispositiv verwendet werden, um die Transzendentalphilosophie so umstrukturieren zu können, dass der Schematismus als Theorie der gesamten Bedeutungserfahrung gelesen werden kann. Viele Aspekte des Schematismus hat Kant nicht erschöpfend behandelt. Trotzdem ist unzweifelhaft, dass dieser in der Kritik der reinen Vernunft skizzierte Prozess für Kant die Entstehung von Bedeutung umfasst. Meines Erachtens hat Kant als einziger in der Geschichte der Philosophie den Schematismus als systematische Bedingung für die Entstehung und Artikulation von Bedeutung angesehen, womit er zugleich die Bedingungen von Begrifflichkeit und Sinnlichkeit grundsätzlich hinterfragt. Dem Schema wird in dieser Arbeit eine systematische Funktion zugeschrieben, die Kant später in der Kritik der praktischen Vernunft, der Kritik der Urteilskraft sowie in der Anthropologie durch

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Kant, AA XVIII: 686. Heidegger geht in Kant und das Problem der Metaphysik (GA, 3, S. 89) sogar so weit zu sagen, dass die elf Seiten des Schematismus-Kapitels „das Kernstück des ganzen umfangreichen Werkes ausmachen müssen“.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Abgrenzungen zu anderen Vermögen des Denkens weiter spezifiziert, indem er sie von der symbolischen Darstellung und dem Bezeichnungsvermögen unterscheidet. Die folgende Interpretation des Schematismus-Kapitels soll deshalb nicht allein die internen Probleme der Kritik der reinen Vernunft behandeln, sondern zugleich die Erweiterungen in den Blick nehmen, die der Schematismus insbesondere in der Kritik der Urteilskraft und in den anthropologischen Schriften erfährt. In beiden wird die Schematismuslehre auf andere Ebenen der Bedeutungserfahrung bezogen. Diese Erweiterung ist jedoch, wie ich zeigen möchte, in der ursprünglichen Formulierung des Schematismus bereits angelegt, insofern in ihr Probleme, die die sinnliche Erfahrung und die Bildung von Begriffen betreffen, offengelegt werden, die eine symbolische, semiotische und sprachliche Erweiterung nahelegen. Der Schematismus ist für Kant die transzendentale Bedingung der Synthesis von Sinnlichkeit und Begrifflichkeit und stellt den Kern seiner Erkenntnistheorie dar, insofern das Schema als Vermittler zwischen Begriffen und reinen Anschauungen die Entstehung einer auf die Erfahrung beziehbaren Bedeutung als direkter Darstellung von Begriffen ermöglicht. Die Bedeutung ist jedoch auch in der direkten Darstellung nicht einfach vorgegeben, sondern realisiert sich im Zuge der Schematisierung zwischen den zwei Polen des Begriffs und der Anschauung. Die Bestandteile dieses Prozesses – die unserer heuristischen Auslegung als Koordinaten dienen – sind nach Kant der Verstand und die Sinnlichkeit. Das Problem des Schemas nun entspringt gerade im Zusammenhang mit der kantischen Unterscheidung zwischen Verstand und Sinnlichkeit als zwei radikal verschiedenen Vermögen, die keinesfalls aufeinander reduziert werden können und daher ein ‚Drittes‘ erfordern, um vermittelt werden zu können. Damit das Schema die Funktion der Vermittlung ausüben und die Anwendung der Begriffe auf die Erscheinungen ermöglichen kann, muss es mit beiden Vermögen homogen sein.3 Der Schematismus eröffnet insofern eine prozessuale Dimension der Bedeutung, die sich nicht einfach ihrer sinnlichen Darstellung anpasst, sondern sich in ihr erst konstituiert. Es handelt sich um einen produktiven und synthetischen Prozess, der sich zwischen der abstrakten (begrifflichen) Bestimmung und der konkreten (anschaulichen) Mannigfaltigkeit artikuliert: „Diese Synthesis des Mannigfaltigen der sinnlichen Anschauung, die a priori möglich und notwendig ist, kann figürlich (synthesis speciosa) genannt werden“.4 Hierin

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In der Reflexion 5612 (AA XVIII: 253) zur Metaphysik bemerkt Kant in Bezug auf die Handlungen der Vernunft, das Wort ‚Erscheinung‘ bedeute an sich schon Schema. Für den Hinweis auf diese Reflexion danke ich Mirella Capozzi. Kant, KrV, B 151.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

zeigt sich eine transzendentale Semantik, die als Konsequenz der kopernikanischen Wende angesehen werden kann, nach welcher es nicht die Anschauung ist, die sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten muss, sondern der zufolge der wahrgenommene Gegenstand selbst gemäß der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens gestaltet wird, ohne deshalb rein subjektiv zu sein.5 Das synthetische Potential des Denkens wird so zur bewegenden Kraft des Erkenntnisprozesses, in dem der Gegenstand gleichzeitig species und figura, Begriff und Gestalt ist. Die Erkenntnis ist somit versinnlichende und gleichzeitig versinnlichte Gestaltung des Denkens. Wenn Kant von ‚figürlicher Synthesis‘ redet, handelt es sich wohlgemerkt nicht um diejenige symbolische Erkenntnis, die Lambert im Neuen Organon auch als „figürlich“ bestimmt, „und zwar vornehmlich in so fern die Zeichen, wodurch sie vorgestellt wird, sichtbar oder Figuren sind“.6 Trotz Lamberts Feststellung des zweideutigen Charakters des Figürlichen, das auch Metaphern und Worte von abstrakten Begriffen kennzeichnet, ist Kants Bestimmung der Synthesis als figürlich nicht mit der indirekten Zurschaustellung der Begriffe zu verwechseln. Denn der Schematismus agiert zunächst nicht symbolisch, d.h. er ist keine bloß indirekte Darstellung, die eine Vorstellung zur Sichtbarkeit bringt, sondern primär eine direkte Darstellung, die die Vorstellung selbst gestaltet und dadurch erst ermöglicht – was wiederum nicht bedeutet, dass diese Darstellung ein bloß subjektives Produkt der Vorstellung ist, das den Anspruch auf objektive Realität nicht erfüllen kann.7 Im Schematismus erfolgt die Darstellung im Bereich des anschaulich Bestimmbaren. Es handelt sich um eine subjektive Bedeutung, die sich dennoch in Anschauungen als möglich, als wirklich und als notwendig beweisen lässt, und mithin um eine Bedeutung, die eine direkte Darstellung in der anschaulichen Realität haben kann, die von einer indirekten Darstellung unterschieden werden sollte, der eine direkte Entsprechung in den sinnlichen Anschauungen fehlt.

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Es handelt sich um eine Paraphrasierung der Stelle aus der Vorrede zur zweiten Auflage der KrV (B XVIf.). Lambert, NO, II, S. 473f. (§22). Hans Lenk (2001, S. 18) zufolge ist Kant die Einführung des Schema-Begriffs zu verdanken: „Es war Kant, der in seiner Kritik der reinen Vernunft den Schemabegriff in die Erkenntnistheorie einbrachte. Und zwar sah er in dem Schemabegriff bzw. in der Funktion von Schemata des Verstandes die mögliche Verbindung zwischen der Sinnesrezeption, der Sinneswahrnehmung (genauer: der reinen Formen und Gestalten) einerseits und begrifflicher Erfahrung andererseits; Sinneswahrnehmung wird durch eine schematische, besser: schemagebundene oder schematisierende, Strukturierung und eine entsprechende – bei Kant insbesondere zeitliche – Deutung von dem Material, das in den Sinnen vorliegt, zur Erkenntnis gebracht“. Vgl. auch Bahr (2004, S. 177): „Das kritische Unternehmen Kants beginnt da, wo Darstellung zum Problem wird“.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Sinnlichkeit ist gerade die zwischen der Erkenntnis und dem Denken bestehende Grenze, welche die Erkenntnis und das Denken folgendermaßen voneinander unterscheidet: das Feld der Erkenntnis wird genau dann überschritten, wenn eine sinnliche Anwendung der gedachten Begriffe nicht möglich ist. Die Sinnlichkeit stellt eine Restriktion der Anwendung der Kategorien dar, die als logische Funktionen sowohl vom Verstand (als Kategorien) als auch von der Vernunft (als Ideen) verwendet werden. Nur diejenige Erkenntnis aber, die einen Bezug auf die Sinnlichkeit hat, kann den Anspruch auf objektive Realität erheben. Im Gegensatz dazu bilden Begriffe, Urteile und Schlüsse, die diesen Bezug nicht aufweisen, die viel weitere Region des Denkens, die im weitesten Sinne Domäne der Vernunft ist. Ohne Bezug zu einem Gegenstand ist keine bestimmende, sondern lediglich eine symbolische Darstellung möglich, die durch Analogie erfolgt. Wenn sich das Schema als Bedeutung mit Anschauung und Begriff erweist, dann ist die Idee als eine (begriffliche) Bedeutung ohne (direkte) Anschau­ung anzusehen und das Gefühl als (intuitive) Bedeutung ohne Begriff.8 Dementsprechend ist die gesamte Bedeutungserfahrung bei Kant durch Schemata, Ideen und Gefühle charakterisiert, während die Darstellung in eine schematische, eine symbolische und eine schematische ohne Begriff unterschieden werden kann. Die schematische Darstellung ist eine direkte Darstellung der Begriffe durch die Anschauungen und die Subsumption dieser unter erstere. Die symbolische Darstellung verbindet bestimmte Kenntnisse analogisch, um eine Idee oder ein subjektives Gefühl zum Ausdruck zu bringen. Die Schematisierung ohne Begriff ist schließlich ein rein sinnlicher Ausdruck, der ohne Begriffe erfolgt. Ohne die symbolische Darstellung aber würde sich die Bedeutung nur auf die bekannten Begriffe und Anschauungen beziehen. Die Analogie ermöglicht dagegen die Darstellung neuer Denkbestimmungen, die nicht empirisch gegeben sind, weshalb sie auch die Problematik der Kreativität umfasst, die sich der erkennenden Regulierung entzieht. Wollte man diesen Komplex als eine Theorie der Darstellung auffassen, so würde sie sich auf die gesamte Bedeutungserfahrung beziehen. Die Darstellungsweisen (schematische, symbolische und schematische ohne Begriff) umreißen die Semantik Kants und sind von der Ebene der Bezeichnung zu unterscheiden, bei der es primär um das Verhältnis zwischen Begriffen und Zeichen und im weitesten Sinne um das Verhältnis von Darstellung und Ausdruck geht. Diese Unterscheidungen werden jeweils in den nächsten Kapiteln in Betracht gezogen, um das Potential und gleichzeitig die problematischen Aspekte zu erklären, die eine Darstellungslehre mit sich bringt, in der der Schematismus als eine Ebene der Darstellung gedeutet wird – und zwar als die Ebene der Erkenntnis, auf der eine direkte Verbindung zwischen 8

Hogrebe 1974, S. 124.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Begriffen und Anschauungen erzeugt wird, die von anderen Ebenen der Bedeutungserfahrung zu unterscheiden sein wird. Diese Überlegung gilt es im Folgenden schrittweise zu entwickeln in der Überzeugung, dass die Interpretation zunächst des Schematismus, dann der symbolischen Darstellung und schließlich der Bezeichnung eine Reihe von Aspekten und Problemen freilegt, welche im Schematismus-Kapitel nur angedeutet werden.9 Wenn also der Schematismus in gewisser Hinsicht eine Antwort auf die transzendentale Frage der Synthesis zwischen Sinnlichkeit und Begrifflichkeit darstellt, impliziert ihre Erweiterung auf die symbolische und sprachliche Dimension des Denkens eine Transformation der transzendentalen Frage nach der Vermittlung selbst. Vermittlung wird so zur Versinnlichung als dem Prozess der Entstehung von Bedeutung. Dieser erste Teil der Untersuchung ist der Schematismuslehre im gesamten Werk Kants gewidmet, mit besonderer Aufmerksamkeit auf ihre sprach- und erkenntnistheoretischen Implikationen. Die ersten Kapitel (I bis V) beschränken sich auf den Schematismus im Erkenntnisvermögen, wie Kant ihn in der Kritik der reinen Vernunft behandelt. Das Kapitel VI wird dagegen die symbolische Darstellung als eine Ebene des Denkens ‚jenseits‘ der direkten sinnlichen Darstellung der Begriffe untersuchen. Und das Kapitel VII wird schließlich kurz auf die Unterscheidung zwischen Darstellung und Bezeichnung eingehen.

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Vgl. Cassirer, ECW, 17, S. 240f.

I . D er S chematismus im E rkenntnisverm ö gen

In der Kritik der reinen Vernunft leistet der Schematismus die Vermittlung zwischen den zwei heterogenen Vermögen des Verstandes und der Sinnlichkeit, die im Erkenntnisprozess zwar immer schon zusammenwirken, jedoch auf transzendentaler Ebene als getrennte untersucht werden. Die schematische Bestimmung betrifft, wie bereits erwähnt, nicht das Denken im Allgemeinen, sondern nur eine besondere Region desselben, die Kant als Erkenntnis kennzeichnet. Schematisiert werden nur Begriffe, die mit den Anschauungen synthetisiert werden können. Diese Synthesis ist jedoch nicht nur empirisch, sondern betrifft auch Begriffe, die keine direkte Entsprechung in den empirischen Anschauungen haben – wie etwa die Kategorien, die mit den reinen Anschauungen synthetisiert werden. Die im Schematismus entstehende Bedeutung umfasst also die Darstellung und Subsumption des gesamten Bereichs des Sinnlichen, d.h. aller Sachverhalte, die in Zeit und Raum möglich sind. Bei Kant ist das Schema die systematische Bedingung für die Entstehung von Bedeutung, welche in den unterschiedlichen Vermögen von Sinnlichkeit und Verstand ihr Fundament hat.10 Verstand und Sinnlichkeit ergänzen sich gegenseitig, und erst ihre Synthesis ermöglicht die Erkenntnis eines Gegenstandes. Daher „haben die Kategorien keinen anderen Gebrauch zum Erkenntnisse der Dinge, als nur so fern diese als Gegenstände möglicher Erfahrung angenommen werden“.11 Dieser Aspekt wird auch in §34 der Prolegomena von 10

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Siehe Kant, KrV, B 145–146. Zweifellos ist hier auch an folgende, berühmte Behauptung Kants zu denken (B 76f., A 52): „Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“. Kant, KrV, B 148. Vgl. auch B 166: „Wir können uns keinen Gegenstand denken, ohne durch Kategorien; wir können keinen gedachten Gegenstand erkennen, ohne durch Anschauungen, die jenen Begriffen entsprechen. Nun sind alle unsere Anschauungen sinnlich, und diese Erkenntnis, so fern der Gegenstand derselben

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I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

Kant zusammenfasst, der betont, dass „die Sinne nicht die reinen Verstandesbegriffe in concreto, sondern nur das Schema zum Gebrauche derselben in die Hand geben“, und es „über das Feld der Sinnlichkeit hinaus ganz und gar keine Anschauung gibt, jenen reinen Begriffen es ganz und gar an Bedeutung fehle, in dem sie durch kein Mittel in concreto können dargestellt werden“.12 Erkenntnis besteht entsprechend heuristisch aus zwei Bestandteilen: Begriff und Anschauung; und ohne Vermittlung zwischen ihnen entsteht nach Kant keine auf die Erfahrung beziehbare Bedeutung, also keine Erkenntnis.13 Diese Erkenntnis ist dennoch in keinerlei Weise als bloße adaequatio zwischen Anschauung und Vorstellung anzusehen, d.h. als vollständig abbildende Wiedergabe der sinnlichen Mannigfaltigkeit. Im Gegenteil erhält diese Mannigfaltigkeit erst im Prozess der schematischen Erfahrung eine erkennbare Bedeutung. Die spezifische Funktion des Schemas erschließt sich erst, wenn sowohl von einer physiologischen Auffassung der Sinnlichkeit als auch von einer rein fiktionalen und instrumentellen Auffassung der Begrifflichkeit Abstand genommen wird, wie Adorno treffend ausdrückt: „Der Begriff muss in gewisser Weise nach dem Anschauungsmaterial sich richten. Er darf es nicht zurichten; er darf nicht willkürlich damit verfahren, sondern er muss selber so beschaffen sein, dass er in einem gewissen Sinn dem entspricht“.14 Die Hypostasierung entweder der Begriffe oder der Sinnesdaten reduziert den Schematismus dagegen von vornherein auf ein mechanisches und statisches Verfahren der Vermittlung zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit, d.h. auf eine bloße Prozedur, in der die Bedeutung in einem gewissen Sinn schon von der Seite der Begrifflichkeit oder Sinnlichkeit vorgeschrieben ist. Der Schematismus jedoch – so die hier vertretene Interpretation – dient gerade dazu, diese Polarisierung zu vermeiden und daher die Entgegensetzung zwischen Empirismus und Rationalismus zu überwinden: Die Erkenntnis kann nämlich weder bloße Wiedergabe der Sinnesdaten noch reine Projektion einer fiktiven Begrifflichkeit sein. Im Gegenteil ist die Erkenntnis bei Kant deshalb produktiv, weil sie eine besondere Dimension des Synthetischen darstellt, das mit den Worten Adornos auch als das ‚Nichttautologische‘ bezeichnet werden kann, als „der Gedanke, dass die Erkenntnis mehr erkennen soll als eigentlich bloß sich selbst“.15 Dass dieser Gedanke sich bei Kant rekonstruieren lässt, bedeutet hin-

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gegeben ist, ist empirisch. Empirische Erkenntnis aber ist Erfahrung. Folglich ist uns keine Erkenntnis a priori möglich, als lediglich von Gegenständen möglicher Erfahrung“. Kant, AA IV: 316f. Kant, KrV, B 147: „Sich einen Gegenstand denken, und einen Gegenstand erkennen, ist also nicht einerlei“. Adorno 1959, S. 199. Adorno 1959, S. 197.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

gegen nicht, er sei bei ihm unproblematisch. Im Gegensatz dazu bedarf es einer eingehenden Reflexion auf die Bedingungen der Entstehung synthetischen Wissens, aus dem Bedeutung entsteht. Die synthetische Aktivität des Erkennens hat demnach als produktiv, aber nicht als schöpferisch zu gelten und soll es gerade ermöglichen, die Realität interpretieren zu können, ohne sie dabei auf eine rein subjektive Fiktion zu reduzieren. Die leitende Frage des Schematismus ist meines Erachtens die, inwieweit den unterschiedlichen Konkretisierungen der Bedeutung ein allgemeiner Prozess zugrunde liegt: Können sie auf einen rein empirischen oder rein logischen Beweis zurückgeführt werden? Diese Frage greift zugleich auf die Unterscheidung zwischen Empirismus und Rationalismus zurück, die Kant in ihrer Ausschließlichkeit überwinden möchte. Der Schematismus lässt sich in dieser Lesart nicht auf die Funktion einschränken, lediglich Begriffe mit Sinnesdaten zu verbinden, sondern er stellt die Regel dieser Ver­ bindung dar.16 Daher ist genauer die prozessuale Bedingung der Bedeutung zu untersuchen, die Begriffe überhaupt erst realisiert und die Sinnesdaten in Erkenntnisse transformiert. Das Schema erweist sich damit als Vollzugsform.17 Es erscheint als die Grundstruktur der Erkenntnis und ihre spezifische Grundregel. Die Grundelemente, die sich heuristisch trennen lassen, sind die Dimension der Begrifflichkeit als abstrakte Funktion der begrifflichen Bestimmung sowie die Dimension der Sinnlichkeit, in der die Sinnesdaten empfunden werden. Erst im Schematismus aber können die Sinnesdaten von der reinen Empfindung zur Wahrnehmung gelangen und können die Begriffe in concreto angewendet werden – so grenzt Kant die schematische Darstellung von solchen Empfindungen ab, die bloß subjektiv bleiben, keine direkte Entsprechung in den Begriffen haben und daher als Gefühle bezeichnet werden. In diesem Sinne ist der Schematismus ein Prozess der Bestimmung und der Restriktion zugleich, in dem die Bedeutung auf einige Bedingungen eingeschränkt wird, welche tatsächlich in den Anschauungen ein Korrelat haben. 16

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Alberto Peruzzi betont, Kant gelinge es mit der Schematismuslehre, zwei entscheidende Fehler zu vermeiden: der erste bestehe in der Auffassung der Denkprozesse als begriffliche Kalküle; der zweite in der Interpretation derselben als ein Assoziationsnetz: „In quanto mediati da schemi, i concetti non sono entità autonome di un’ontologia formale, ma non sono neppure una somma di ‚rappresentazioni’ soggettiva che si sedimenta per induzione“ (2004, S. 577). Friedrich Kaulbach bezeichnet das Schema als eine Vollzugsform und dabei ist es ihm gelungen, die bewegende Kraft des Schemas zu beschreiben, dem er nichtsdestotrotz eine ontologische (und keine funktionale) Rolle zuschreibt. So ist bei ihm die Rede von einem ontologischen Verhältnis zwischen Begriff und Bild, das er auf die Auffassung von der gefesselten Natur bei Kant bezieht. Die Bewegung des Schemas geht auf diese Weise eher in die Richtung einer Vorschrift als in die eines Schreibens, womit die Interpretation Gefahr läuft, den Schematismus zu ontologisieren und so dessen funktionale und produktive Bestimmung zu unterlaufen. Vgl. Kaulbach 1973, S. 109–111.

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I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

Ohne die Schematisierung würden sowohl die Begriffe als auch die Sinnesdaten keine Bedeutung haben. Das grundlegende Problem des Schematismus ist es, die Heterogenität dieser Bestandteile nicht aufzuheben, sondern die Bedingung ihrer Verbindung transzendental zu erörtern. Ihnen liegen mit den Kategorien einerseits, sowie Raum und Zeit andererseits jeweils reine Formen zugrunde. Seit der Dissertatio ist der Schema-Begriff bei Kant eng mit dem Problem der Bestimmung der Sinnlichkeit verbunden und deutliches Kennzeichen der kopernikanischen Wende, die eine Gleichstellung von Sinnlichkeit und Verstand impliziert.18 Die Vermittlung von Begriffen und Anschauungen hat mehrere Ebenen, die ich kurz einführen möchte, um den Rahmen der einzelnen Schemata bei Kant zu verdeutlichen, bevor dann der Schematismus allgemein als Bedingung dieser sinnlichen Erfahrung untersucht werden kann.19 Im Schematismus können drei Ebenen unterschieden werden: eine empirische, eine rein sinnliche und eine kategoriale. Die empirische Ebene betrifft Begriffe, die in den Anschauungen zu einer empirischen Darstellung gelangen und unter die empirische Anschauungen subsumiert werden können. Hiermit ist der empirische Gebrauch von Begriffen angesprochen, die durch Bilder artikuliert werden können. Die zweite, rein sinnliche Ebene umfasst Begriffe wie zum Beispiel den eines Dreiecks, die in den Anschauungen konstruiert werden können. Die Konstruktion stellt dabei eine vollkommene Entsprechung zwischen Begriff und Anschauung her und entspricht in erster Linie der Methode der Mathematik. Wir werden jedoch sehen, inwiefern diese Konstruktion nicht nur die geometrische Figur, sondern auch das Schriftzeichen charakterisiert, das als konstruierte Gestalt zur schriftlichen Bezeichnung gelten kann. Die dritte, kategoriale Ebene betrifft hingegen die Schematisierung der reinen Begriffe. In ihrem Fall entfaltet sich der transzendentale Prozess der Synthesis zwischen Kategorien und reinen

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Die Frage nach dem Schema entsteht schon in den vorkritischen Schriften Kants. Der Schema-Begriff taucht zum ersten Mal in Nova Dilucidatio (1755) auf, wo er für das „Schema intellectus divini“ (AA I: 414) steht, d.h. für das Schema des göttlichen Verstandes, der die Koexistenz und Verbindung der Substanzen gewährleistet. In der Dissertatio (1770) dann wird der Schema-Begriff in unterschiedlicher Bedeutung verwendet: In §4 wird das Schema mit einem Schattenriß (adumbratio) gleichgesetzt (AA II: 393). In §13 (AA II: 398) hingegen werden die Schemata auf Zeit und Raum als Formen der Sinnlichkeit bezogen, die als Schemata und Bedingungen beschrieben werden: „Haec principia formalia universi phaenomeni absolute prima, catholica et cuiuslibet praeterea in cognitione humana sensitivi quasi schemata et conditiones, bina esse, tempus et spatium, iam demonstrabo“. An dieser Stelle wird somit zum ersten Mal die Verbindung zwischen den Schemata und den reinen Formen der Anschauungen hergestellt. Die Untersuchung einzelner Schemata wird in Kap.V ausgeführt.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Anschauungen. Dieser Prozess ist die eigentliche Bedingung der Erfahrung und der Realisierung der Begrifflichkeit selbst. Die drei Ebenen stellen mithin unterschiedliche Arten der Schematisierung dar, die sich zwar alle als Synthesis der Begrifflichkeit und Sinnlichkeit in einem Dritten erweisen, trotzdem aber als drei verschiedene Schematisierungsprozesse zu beschreiben sind. Denn Kant führt den Schematismus als das erste Hauptstück der Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft ein, „welches von der sinnlichen Bedingung handelt, unter welcher reine Verstandesbegriffen allein gebraucht werden können“,20 und daher primär die Anwendung der Kategorien auf Anschauungen und die Subsumption der letzteren unter die ersteren betrifft. Hierin folgen wir dem internen Leitfaden der Kritik der reinen Vernunft, der die isolierte Untersuchung der Sinnlichkeit und der Kategorien sowie die Beschreibung ihrer Verbindung anzeigt. Aus dieser Vermittlung werden diejenigen Grundsätze der Erfahrung bestimmt, welche synthetische Urteile a priori sind und aus denen sich andere Urteile herleiten lassen, die „selbst aber keinem anderen subordiniert werden können“. Gerade wegen dieses ursprünglichen Charakters können sie nach Kant „Prinzipien (Anfänge)“ genannt werden.21 Die Schemata reiner Verstandesbegriffe stellen damit die Grundlage für den Übergang zwischen den Kategorien und den Grundsätzen dar, die als Bedingungen der Erfahrung die objektive Realität der Synthesis zwischen Kategorien und reinen Anschauungen gewährleisten. Die Schematismuslehre umfasst aber ebenso sinnliche und empirische Begriffe, die nicht in gleicher Weise heterogen sind wie Verstandesbegriffe und Anschauungen. Die Schemata sinnlicher und empirischer Begriffe sind weder überflüssig noch gänzlich unproblematisch, sondern gerade deshalb von herausragendem Interesse, weil sie eine Systematik der Begriffsbildung erkennen lassen, die von Kant im eigentlichen Schematismus-Kapitel jedoch lediglich angedeutet wird. Sie rücken dann in den Fokus der Aufmerksamkeit, wenn die Bedingungen der Erfahrung in Beziehung gesetzt werden zu Problemen der Sprach- und Erkenntnistheorie – und vor allem zu der Konzeption eines semantischen Prozesses, der das Problem der Bestimmtheit als solcher in der Erfahrung zum Thema hat.22 Damit wird zwar der engere Bereich synthetischer Urteile a priori und der Grundsätze verlassen, nicht jedoch die Sphäre eines synthetischen Erkenntnisprozesses, der die Gestaltung von Bedeutung sowie die Anwendung und Subsumption jeder Art von Begriffen umfasst. Es wird also die These vertreten, dass jede Art der Schematisierung einen semantischen Prozess beschreibt

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Kant, KrV, B 175, A 136. Kant, AA IX: 172. Insbesondere Flach (2001, S. 464–473) hat die kantische Schematismuslehre in Bezug auf das Thema der Gesetzmäßigkeit der Natur interpretiert.

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I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

und dieser daher nicht auf die Anwendung nur der Kategorien reduziert werden kann, die für Kant vermeintlich die Kernproblematik des Schematismus-Kapitels darstellt.23 Die Unterscheidung der drei Ebenen der Schematisierung hängt eng zusammen mit der Unterscheidung unterschiedlicher Arten von Begriffen, die Kant in der Logik Jäsche erörtert, in der er es als Fehler bezeichnet, die Begriffe in allgemeine, besondere und einzelne einzuteilen; Begriffe seien vielmehr per definitionem allgemein: „nicht die Begriffe selbst[,] nur ihr Gebrauch kann so eingetheilt werden“.24 Doch bereits innerhalb der Kritik der reinen Vernunft ist die Frage nach der Anwendung der reinen Verstandesbegriffe auf Erscheinungen „die Ursache, welche eine transzendentale Doktrin der Urteilskraft notwendig macht“.25 Und es ist gerade dieser Gebrauch, der die Verstandesbegriffe semantisch realisiert. Die Frage nach der Heterogenität zwischen Begriffen und Erscheinungen wird von Kant auf zweierlei Weise beantwortet: die erste Antwort betrifft das Vermögen der Urteilskraft, die das Wie der Subsumption ermöglicht; die zweite betrifft die Methode selbst, die durch ein Drittes verfährt, „was einerseits mit der Kategorie, andererseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muss, und die Anwendung der ersteren auf die letzte möglich macht“.26 Das Schema als ‚Drittes‘, das Kant als das transzendentale Schema bezeichnet, ist durch drei Merkmale gekennzeichnet: es muss rein (was für Kant „ohne alles Empirische“ bedeutet), intellektuell und sinnlich sein.27 Dass das Schema nichtempirisch, aber zugleich sinnlich sein soll, ist dabei der zentrale Punkt, der Kants Ansatz noch heute erkenntnistheoretisch relevant erscheinen lässt und im Mittelpunkt der nun folgenden Untersuchung des Schematismus stehen soll. Kant, so die Vermutung, erkennt zwar den irreduziblen Charakter von Sinnlichkeit und Begrifflichkeit, ohne dabei jedoch das Problem der Bedeutungsgebung zu einem eigenständigen Thema zu machen. Das Schema ist nicht als ein Konkretes in der Erfahrung zu finden, ist aber mit der Sinnlichkeit, d.h. mit der sinnlichen Dimension der Erkenntnis ver-

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Vgl. Pendlebury (1995, S. 780): „The question of how intuitions can be subsumed under categories raises the more general question of how they can be subsumed under concepts of any type. […] The truth is that Kant rightly thinks that the subsumption of intuitions under categories is more problematic than their subsumption under mathematical and ordinary empirical concepts“. Kant, AA IX: 91. Die Spezifizierung der Begriffe ihrem Gebrauch nach wird später noch Gegenstand einer ausführlicheren Analyse anhand der Unterschiede zwischen den einzelnen Schemata sein. Siehe unten, Kap. V. Kant, KrV, B 177, A 138. Ebd. Kant, KrV, B 178f., A 139.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

bunden und hat daher einen anschaulichen Charakter.28 Es lässt sich durchaus in Wahrnehmungsprozessen erkennen – was hingegen nicht bedeutet, dass es für etwas empirisch Gegebenes gehalten werden dürfte. Vielmehr stellt es auf näher zu bestimmende Weise die Bedingungen der Artikulation und Gestaltung von Bedeutung dar, die als gegeben erscheinen kann, jedoch genau genommen in Wahrnehmungsprozessen jeweils erst erzeugt wird. Ebenso kann die Unterscheidung zwischen reinen, sinnlichen und empirischen Begriffen als gegeben erscheinen, obwohl sie sich letztlich auf ihre jeweilige Schematisierung zurückführen lässt. Auf das Spannungsverhältnis zwischen Gegebenheit und GemachtSein der Begriffe wird noch häufiger zurückzukommen sein. Der empirische Gebrauch von Begriffen, die für Kant von Wörtern begleitet werden, wird von ihm nicht geleugnet und mit dem Begriff der Bedeutung in Verbindung gebracht, wenn er etwa in Bezug auf §445 der Vernunftlehre Meiers anmerkt: „Der […] gewöhnliche Gebrauch bestimmt die Bedeutung der Worte“.29 Das Schema aber entspricht wohlgemerkt nicht dem gewöhnlichen Gebrauch, sondern steht für dessen transzendentale Strukturierung.30 Denn der Gebrauch der Begriffe durch Worte bedarf einer schematischen Gestaltung, die, sofern sie die Bedingungen des Gebrauchs anzeigt, als transzen­dental bezeichnet werden muss. Diese transzendentale schematische Strukturierung ermöglicht somit die Artikulation der Bedeutung von sinnlichen Gestalten wie Bildern und Wortlauten im Gebrauch. Innerhalb dieser transzendentalen Strukturierung möchte ich die Funktion der Sinnlichkeit hervorheben, die ­meines Erachtens bei Kant nicht nur eine rezeptive, sondern auch eine aktive Funktion hat und nicht empirisch herzuleiten ist. Diese aktive Funktion der Sinnlichkeit wird von Kant insbesondere auf die Vermittlungsfunktion der Zeit bezogen. Das Schema ist primär eine Zeitbestimmung, die sich als „die formale Bedingung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes“ als einerseits intellektuell und andererseits sinnlich erweist.31 Durch

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Mit den Worten von Josef Simon ausgedrückt (1971, S. 30): „Der kantische transzendentalphilosophische Ansatz kann durchaus als Versuch gesehen werden, die Grenzen zu bestimmen, innerhalb derer ‚Bedeutung‘ als Möglichkeit des Bezuges auf einen Gegenstand von einem universalen Gesichtspunkt aus zu bestimmen wäre“. Kant, AA XVI: 818f. (R 3409): „Der [bekannte] gewöhnliche Gebrauch bestimmt die Bedeutung der Worte. Man muß keine eigne Bedeutungen alter Worte, auch nicht neue Worte statt alter aufbringen. Verba valent sicut numi; a nomos: Gesetz“. Zum Vergleich zwischen Kants Bemerkung und dem Satz Baumgartens, nach dem „verba valent sicut nummi“, siehe Capozzi 2002, S. 510. Vgl. Aportone 2009, S. 328: „Das Schema verändert oder bestimmt nicht den Begriff, sondern gehört zu ihm als Verfahren seiner Anwendung bzw. Bestimmung seiner Bedingungen“. Kant, KrV, B 178f., A 139.

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I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

die Befreiung aus der Unterwerfung unter den Verstand bei Leibniz und Wolff, die Kant vornimmt, ergibt sich eine eigentümliche Funktion der Sinnlichkeit, und wird die Frage nach der schematischen Vermittlung zwischen Sinnlichkeit und Verstand dringlich. Später wird zu problematisieren sein, wie diese sinnliche, zeitlich-räumliche Dimension auch die Sinne als solche involviert. Die interne Schwierigkeit bei der Interpretation des kantischen Schematismus liegt darin, den Prozess von seinen einzelnen Bestandteilen zu unterscheiden – was bei Kant die isolierende Methode leisten soll, auf die ich kurz eingehen möchte. Kant zielt mit ihr darauf, die einzelnen Bestandteile der Erkenntnis je getrennt zu betrachten, um die spezifischen Eigenschaften aufzuzeigen, die sie charakterisieren. Durch die isolierende Analyse der Vermögen, die schon Aristoteles in De Anima 32 als die zentrale Schwierigkeit bei der Beschreibung von Wahrnehmungsprozessen ausmacht, geht Kant die Gefahr einer statischen Beschreibung der Erkenntnis ein, die sich lediglich als Kombination von Bestandteilen und nicht als Prozess erweist. Daraus ergibt sich die Frage, ob die angezeigte Vermittlung letztlich auf einem ontologischen oder einem rein heuristischen Dualismus basiert. Dieses Problem lässt sich anhand der Behandlung sowohl der Methode als auch ihrer einzelnen Bestandteile entfalten. Die Vorgehensweise der Transzendentalen Ästhetik beschreibt Kant wie folgt: Wir würden „zuerst die Sinnlichkeit isolieren, dadurch, daß wir alles absondern, was der Verstand durch seine Begriffe dabei denkt, damit nichts als empirische Anschauung übrig bleibe“. Zweitens würden wir „alles, was zur Empfindung gehört, abtrennen, damit nichts als reine Anschauung und die bloße Form der Erscheinungen übrig bleibe, welches das einzige ist, das die Sinnlichkeit a priori liefern kann“.33 Diese isolierende Methode wird von Kant in der Methodenlehre noch spezifiziert und mit der Vorgehensweise eines Chemikers verglichen, der die Materie zuschneidet, um die Werte der einzelnen Substanzen zu bestimmen. Es ist demzufolge wichtig, die Vermögen voneinander zu isolieren, damit sie „nicht mit anderen, mit welchen sie im Gebrauche gewöhnlich verbunden sind, in ein Gemische zusammenfließen“.34 Hans Vaihinger behandelt in seinem Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft diese isolierende Methode und deutet eine kurze Rezeptionsgeschichte des Problems unter den Nachfolgern Kants an – insbesondere bei Reinhold, Hamann, Herder und Jacobi. In deren Debatte kommt die wichtige Frage auf, ob die so gekennzeichnete Methode materiell oder abstrakt, d.h. ob die Isolierung zwischen den Vermögen ontologisch oder

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Zu Aristoteles’ Kritik an der Auffassung der Seele als Mischungsverhältnis siehe Werke, 13, S. 16f. Kant, KrV, B 36, A 22. Kant, KrV, B 870, A 842.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

lediglich heuristisch zu verstehen sei. Für Vaihinger selbst ist sie „zunächst eine logische, abstrakte Sonderung“, und das Bestreben Kants wäre es „zu zeigen, wie das Ganze der Erkenntnis aus diesen verschiedenen Elementen entstehe“. Weiterhin hätte Kant damit gezeigt, „was die Sinne, was Verstand und Vernunft bei der Erkenntnis thuen und wie durch das Zusammenwirken derselben ein Ganzes – Erkenntnis entstehe“.35 Obwohl die Unterscheidung zwischen Verstand und Sinnlichkeit folglich mit Vaihinger zunächst als rein heuristisch gedeutet werden kann, sind zugleich kritische Einwände gegen diese Lesart ernst zu nehmen. Nach Herder etwa macht die isolierende Methode die Sinnlichkeit zu einer „sonderbaren Wissenschaft“36 und das Schema zu „einer ‚dritten Fiktion‘ zwischen zwei verschwundenen Fiktionen“.37 Und obwohl Hegel die Verbindung der Vermögen durch den Schematismus als „eine der schönsten Seiten der kantischen Philosophie“ bezeichnet, „wodurch reine Sinnlichkeit und der reine Verstand, die als absolut entgegengesetzte Verschiedene vorhin ausgesagt wurden, vereinigt werden“, macht er Kant den Vorwurf, den Sinn dieser Verbindung als Einheit nicht begriffen zu haben: „Denken, Verstand bleibt ein Besonderes, Sinnlichkeit ein Besonderes, die auf äußerliche, oberflächliche Weise verbunden werden, wie ein Holz und Bein durch einen Strick“.38 Laut Hegel „macht das Isolieren der Tätigkeiten den Geist ebenso nur zu einem Aggregatwesen und betrachtet das Verhältnis derselben als eine äußerliche, zufällige Beziehung“.39 Und auch Deleuze problematisiert anhand der Auslegungen Maimons und Fichtes den statischen Charakter der Vermögen bei Kant: Dieser habe die Anforderungen einer genetischen Methode ignoriert und die transzendentale Untersuchung auf „fix und fertige Vermögen“ gegründet. Dabei würde Kant die Harmonie der Vermögen vernachlässigen, die er erst in der Kritik der Urteilskraft im Zuge der Untersuchung zur Genese der Vermögen in deren freier Übereinstimmung erörtere.40 Diese Kritik an Kant stellt für die vorliegende Untersuchung eine besondere Herausforderung dar, weil sie den Kern des Schematismus berührt: Auch wenn es stimmt, dass Kant durch die isolierende Methode zur Untersuchung der spezifischen Aspekte der einzelnen Vermögen kommt, läuft er damit zugleich Gefahr, den Schematismus auf eine bloß mechanische Vermittlungsfunktion zu reduzieren, bei der die eigentümliche Hervorbringung von Anschauungen und Begriffen zwar deskriptiv auftaucht, aber letztlich nicht erklärt werden kann.

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Vaihinger 1892, S. 121f. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 349. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414. Hegel, W, 20, S. 348. Hegel, W, 10, S. 242. Deleuze 2003, S. 89f.

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I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

Kant geht mithin das Risiko ein, lediglich die theoretische Beschreibung einer möglichen Überwindung der Kluft zwischen Begriffen und Anschauungen zu leisten – ohne aber deren spezifische Genese zu erklären. Herders Etikettierung des Schemas als ‚Fiktion‘ steht insofern paradigmatisch für das Risiko, die Vermittlungsfunktion aufgrund ihres statischen Charakters überflüssig werden zu lassen. Der Unterschied zwischen Sinnlichkeit und Verstand wird von Kant in der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft noch verschärft, indem er die Funktion der Einbildungskraft einschränkt.41 Die isolierende Methode kann dazu führen, die Rolle der Einbildungskraft innerhalb der Synthesis herabzumindern, um das Risiko zu vermeiden, sie auf empirische und psychologische Elemente reduzieren zu müssen. Dabei würde die Einbildungskraft in ihrer Eigenständigkeit gefährdet und die Synthesis an die Spontaneität zurückverwiesen. Die Dynamisierung des Erkenntnisprozesses läuft damit Gefahr, als willkürlich wahrgenommen zu werden. Dieser schwierige Aspekt tritt auch in Bezug auf das Problem der unbekannten Wurzel der zwei Stämme der Erkenntnis auf,42 das Kant in der Anthropologie wiederum am Beispiel der chemischen Methode als die Frage formuliert, „wie das Ungleichartige aus einer und derselben Wurzel entsprossen sein könne“.43 Dies ist die Stelle, an der Kant in einer Anmerkung das Problem der Zusammensetzung der Vorstellungen durch den Unterschied zwischen der mathematischen Vergrößerung und der dynamischen Erzeugung erklärt, „wodurch ein ganz neues Ding (wie etwa das Mittelsalz in der Chemie) hervorkommt“, und mit der Frage schließt: „In welchem Dunkel verliert sich die menschliche Vernunft, wenn sie hier den Abstamm zu ergründen, ja auch nur zur errathen es unternehmen will?“.44 Wenn Kant demnach in Bezug auf die Einbildungskraft einen Schritt zurück macht, so sind es seine Nachfolger, die einen Schritt nach vorne versuchen – was, wie sich zeigen wird, wiederum mit anderen Risiken verbunden ist. Ein Beispiel dafür ist der Versuch Maimons, einen Monismus der Einbildungskraft zu etablieren und die Differenz zwischen Verstand und Sinnlichkeit durch ein rationales Prinzip der Bestimmbarkeit aller Gegenstände des Denkens einzuebnen.45

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Die Unterschiede zwischen den zwei Auflagen der ersten Kritik sind hier nicht Gegenstand und werden nur erwähnt, um zu signalisieren, inwiefern Kant grundsätzlich empfänglich für das Problem eines dynamischen, spontanen Erkenntnisprozesses ist. Einige Aspekte des Problems der zwei Auflagen der Deduktion und ihrer Unterschiede werden in II.5 erneut in Betracht gezogen, um die Funktion der Einbildungskraft zu erörtern. Siehe Kant, KrV, B 30, A 16. Kant, AA VII: 177. Ebd. Siehe dazu Kap. I des zweiten Teils.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Es ist in diesem Zusammenhang essentiell anzumerken, dass die dem Schematismus zugrundeliegende isolierende Methode das Risiko enthält, die Artikulation des Denkens von der Sprache im weitesten Sinne zu trennen und das Schema auf eine bloß statische Vermittlung zu reduzieren. Hier ist nur die Rede von einem Risiko (und nicht von einem Fehler), das jede transzendentale Beschreibung mit sich bringt, wenn sie die genetischen und dynamischen Aspekte des Schematismus nicht umfasst. Eine gewisse Dichotomie von Rezeptivität und Spontaneität bleibt das grundlegende Problem der Sprach- und Erkenntnistheorie Kants, sodass sich sogar von einer „Sprachverdrängung“ durch Kant sprechen lässt.46 Dabei ist die ‚Sprachlosigkeit‘ des Denkens sicher die naheliegendste Gefahr, der sich der Schematismus dann aussetzt, wenn er in einem ontologischen Dualismus befangen bleibt. Wird dieser Dualismus hingegen als ein lediglich heuristischer angesehen und kritisch revidiert, kann die latente Sprachlichkeit des Schematismus hervortreten. Dies ist der Kritikpunkt, den vor allem Hamann und Herder hervorgehoben haben und der unter dem Stichwort des Purismus der Vernunft im Hinblick auf die Sprachlichkeit des Denkens bekannt ist. Die damit eingenommene Perspektive beschränkt sich jedoch häufig auf den Kontext der Kritik der reinen Vernunft, ohne die Kritik der Urteilskraft und die Anthropologie Kants zu berücksichtigen, in denen die Sprache, die Funktion der Sinne und das Problem der Darstellung erneut in Betracht gezogen werden. Die Prozessualität des Schematismus in der Artikulation des Denkens zwischen Bildern und Begriffen kann als Hauptgrund dafür genannt werden, die Einbildungskraft in den Mittelpunkt der Untersuchung zu stellen und den Unterschied zwischen Sinnlichkeit und Verstand als primär heuristischen zu behandeln.47 Die Berücksichtigung der Funktion der Sprache und der symboli46 47

Jürgen Villers (1997) behandelt sowohl das Problem der Sprachlosigkeit als auch das Potential der latenten Sprachlichkeit der Philosophie Kants. Villers 1997, S. 319f.: „Gute Gründe sprechen dafür, bei der Interpretation des kantischen Schematismus-Begriffs die A-Auflage der Deduktion zugrunde zu legen: Denn das Schematismus-Kapitel wurde 1787 von Kant ohne Änderungen in die zweite Auflage übernommen. Deshalb können sich wichtige, gegenüber 1781 neue terminologische Unterscheidungen – wie die zwischen ‚Form der Anschauung‘ und ‚formaler Anschauung‘ oder zwischen ‚figürlich‘ und ‚intellektueller Synthesis‘ – im Schematismus-Kapitel weder finden, noch seiner Deutung zugrunde gelegt werden. Ebenso baut die grundlegende Unterscheidung zwischen schematisierender reiner und bildergebender empirischer Einbildungskraft auf einer Stelle auf, die sich nur in der A-Deduktion findet (vgl. Kant, KrV, A 120). Wie auch das TriangelBeispiel (Paradigma eines reinen empirischen Begriffs) an zwei Stellen der A-Deduktion anknüpft (vgl. Kant, KrV, A 105 und 124), die sich nicht mehr in der B-Auflage finden. […] Kant scheint mit dem Schematismus-Kapitel eine systematische Lücke der ersten Deduktion schließen zu wollen, und wieder steht die Einbildungskraft im Mittelpunkt“.

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I. Der Schematismus im Erkenntnisvermögen

schen Erkenntnis in der Erkenntnistheorie wird später zeigen, inwiefern eine prozessuale Auffassung des Schematismus ausschließlich die heuristische Form jenes Dualismus zulässt. Trotz der mit der strikten Unterscheidung von Sinnlichkeit und Verstand verbundenen Gefahr, diese als fixe und gleichsam ontische Differenz aufzufassen, muss dennoch hervorgehoben werden, inwiefern die Analyse beider Seiten einen Beitrag zum Verständnis ihrer letztlich als prozessual aufzufassenden Vermittlung leisten kann. Nach der Problematisierung der isolierenden Methode soll kurz die Struktur der folgenden Kapitel erklärt werden, die – wie bereits erwähnt – den Schematismus ausschließlich innerhalb der Erkenntnistheorie behandeln. Ich werde mich zunächst auf die getrennte Untersuchung der Bestandteile des Schematismus konzentrieren und dabei zuerst auf den gestalterischen Charakter der Sinnlichkeit (Kap. II) eingehen. Diesem Aspekt werde ich große Aufmerksamkeit schenken, um auf diese Weise zu zeigen, dass ein aktivisches Verständnis der Sinnlichkeit unerlässlich für das Funktionieren der einzelnen Schematisierungen ist. In diesem Zusammenhang werde ich daher den Kernbegriff der Versinnlichung einführen, der die Auslegung des Schematismus als sinnliche Gestaltung der Bedeutung zwischen Bild und Wortlaut strukturiert (Kap. III). Anschließend werde ich mich auf den abstrakten Charakter der Begriffe konzentrieren. Nach der Untersuchung der einzelnen Bestandteile der Sinnlichkeit werden zur Einführung der Schemata zunächst einige ihrer allgemeinen Aspekte thematisiert: erstens die kantische Zuordnung des Schematismus zur Urteilskraft und zweitens die Ausdifferenzierung der Begriffe (Kap. IV). Anschließend werde ich die Schemata als drei unterschiedliche Ebenen der Schematisierung erklären, um am Ende anzudeuten, inwieweit der Schematismus den Begriffen gegenüber eine antizipatorische Funktion ausübt (Kap. V).

I I . D ie G estaltungsfunktion der S innlichkeit

Die Sinnlichkeit restringiert die Spontaneität der Begrifflichkeit, und durch diesen Restriktionsakt verwirklicht sie die reale Bedeutung der Begriffe, deren allgemeiner Charakter sich nach Kant erst im Gebrauch unterscheidet. Während nun die Spontaneität der Vorstellungskraft den Verstand kennzeichnet, stellt die Sinnlichkeit die Rezeptivität der Vorstellungskraft dar. Beide Vermögen können nach Kant sowohl logisch als auch genetisch unterschieden werden.48 Auf der ersten, rein logisch-deskriptiven Ebene sind die Vermögen als voneinander isoliert anzusehen. Die Sinnlichkeit ist dabei die intuitive Art der Erkenntnis, der Verstand hingegen die diskursive. Beide Charakterisierungen lassen sich nicht aufeinander reduzieren: Reine Anschauungen können niemals als Begriffe definiert werden, die Kategorien niemals als Anschauungen. Auf genetischer Ebene – welche die Beziehung auf den Gegenstand in der Erkenntnis impliziert – ist die Sinnlichkeit die Bedingung der Anwendung der Begriffe, die ohne die sinnliche Restriktion keine reale Anwendung haben können. Beide Vermögen sind für die Erkenntnis erforderlich und stehen in einem ergänzenden Verhältnis zueinander. Der Verstand „kann uns das nicht lehren, was die Sinne, und umgekehrt“.49 Durch die Sinnlichkeit kann der Begriff in concreto erkannt und von der Idee unterschieden werden, die eine solche sinnliche Entsprechung nicht hat. Diese Konkretisierung der Begriffe durch die Sinnlichkeit ist daher gleichzeitig als eine Bedeutungsgebung zu verstehen: „Unsere sinnliche und empirische Anschauung kann ihnen [den bloßen Gedankenformen] allein Sinn und Bedeutung verschaffen“.50

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Siehe Kant, AA XV: 83: „Der logische Unterschied des Sinnlichen und intellectualen. Der reale Unterschied. Genesis“. Kant, AA XV: 82. Kant, KrV, B 149.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Das Ziel der folgenden Überlegungen ist es, zu zeigen, inwiefern ausgehend von einer in heuristischer Perspektive isolierten Betrachtung der Vermögen eine Spezifizierung ihrer jeweiligen Funktionen gelingen kann, durch die sich der Prozess der Synthesis als ein immer schon sinnlich bestimmter beschreiben lässt. Damit wird insbesondere die aktive, gestalterische Funktion der Sinn­lichkeit hervorgehoben, die für Kant wohlgemerkt ein Vermögen sowohl der Sinne als auch der Einbildungskraft ist. Letztere ermöglicht als Vermögen der Anschauungen die Darstellung vom Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart51 und erfolgt stets als genetische Synthesis, was die eigentümliche Gestaltungsfähigkeit der Sinnlichkeit unterstreicht.52 Insbesondere zwei Momente der Sinnlichkeit müssen mit Blick auf den Schematismus in der Sprach- und Erkenntnistheorie bei Kant (wie auch später bei seinen Nachfolgern) hervorgehoben werden: erstens die Aktivität der Sinnlichkeit und zweitens ihr transzendentaler Charakter. Um die so skizzierte Auffassung der Sinnlichkeit zu vertreten, ist es zunächst wichtig, die Reichweite des Schemas zu spezifizieren, das sich zwischen Begriff und Bild artikuliert und für Kant von Symbolen und Zeichen abzugrenzen ist. Die Interpretation des Schematismus hat zu zeigen, inwiefern das Verständnis der Sinnlichkeit als ein Vermögen, das nicht auf die Begrifflichkeit reduziert werden kann, die semantische und semiotische Relevanz des SchemaBegriffs hervorhebt. Wenn unter Schematismus nur die Synthesis zwischen reinen Anschauungen und Kategorien verstanden würde, dann wären – wie Kant am Anfang der Transzendentalen Ästhetik erläutert – zunächst die Prinzipien der Erkenntnis a priori und anschließend deren Synthesis a priori zu untersuchen. Und zu den Prinzipien der Erkenntnis a priori rechnet Kant auf Seiten der Sinnlichkeit nur die reinen Formen der Anschauung (Zeit und Raum), die zum Zwecke der Synthesis mit den Kategorien die sinnliche Mannigfaltigkeit zu einer Einheit a priori bringen. Wird hingegen unter dem Schematismus der Prozess des Gebrauchs empirischer, sinnlicher und reiner Begriffe verstanden, 51 52

Vgl. Kant, KrV, B 151. Diesbezüglich muss unbedingt angemerkt werden, dass Kant selbst nur einmalig den Begriff ‚Gestaltung‘ verwendet, und zwar im zehnten Convolut des Opus Postumus und dort gerade als Bezeichnung der Sinnlichkeit (AA XXII: 419f.): „Alle unser Erkent. Verm. besteht in zwey Acten, Anschauung u. Begriff – beyde als reine d.i. nicht empirische Vorstellungen (denn diese erfordern schon Einflus auf die Sinne d.i. Warnehmungen, welche jene Vorstellungen schon voraussetzen) gehen aus dem Vorstellungsvermögen aus Gestaltung (species) und Gedanke hervor, und die Stellen worinn wir die Gegenstände dieser Vorstellungen setzen sind Raum und Zeit welche für sich keine Realität (Existenz) haben, sondern bloße dem Subject inhärirende Formen sind (entia rationis) aber doch dem Qvantitativen Verhältnisse nach grenzenlos in Ansehung des qvalitativen aber eine innere unendliche Mannigfaltigkeit enthalten“.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

dann ist die Sinnlichkeit insgesamt – und nicht nur ihre reine Form – involviert, wie sie gerade in den Sinnen und in der Einbildungskraft gestalthaft tätig ist. Wenn der Schematismus als semantischer und semiotischer Prozess verstanden werden soll, dann sind meines Erachtens die sinnlichen und empirischen Schemata – die im Schematismus-Kapitel selbst nur durch Beispiele (das des Dreiecks und des Hundes) erwähnt werden – von systematischem Interesse. Um den sinnlichen Umfang des Schematismus zu bestimmen, richtet unsere Untersuchung ihre Aufmerksamkeit daher auf den Gesamtzusammenhang der Sinnlichkeit bei Kant. Dabei wird es insbesondere um die synthetische Funktion der Gestaltung gehen, die aus der Kritik der reinen Vernunft allein nicht hervorgeht. Nur deshalb kann Kant auch die rein subjektive Empfindung aus seiner Analyse ausklammern und zu einer vermeintlich unproblematischen Einordnung der empirischen Anschauungen gelangen. Im Gegensatz dazu werde ich versuchen, die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit in den Vordergrund zu stellen, um dadurch einem möglichen Riss zwischen Figuration und Gestaltung vorzubeugen, den etwa Stephan Otto folgendermaßen beschreibt: „Durch Kants ‚figürliche Synthesis‘ zieht sich somit ein Riss: eine selber figurierende Synthese – wie jene der vormodernen Denker – darf sie nicht werden; folglich muss sie zu einer Synthese geraten, die einzig vom Verstand ‚bestimmt‘ und kraft eben dieser ‚Bestimmung‘ figuriert wird. Wenn nun aber Figuration mit Veranschaulichung einhergehen soll, wie könnte dann ein Verstand, der in den Sinnen die Anschauung erst ‚suchen‘ muss, jetzt anschaulich figurieren?“.53 Die Hervorhebung der Synthesis speciosa kann als Versuch angesehen werden, einerseits die Spontaneität des Denkens nicht auf eine intellektuelle Anschauung zu reduzieren und andererseits die Sinnlichkeit nicht zur Magd der Spontaneität zu degradieren. Der angezeigte Riss wird damit zur transzendentalen Herausforderung. Es wird sich zeigen, dass dieser Versuch sich gerade in einer eingehenden Deutung der eigentümlichen Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit entfalten kann, die sich als Versinnlichung auffassen lässt.

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Otto 2007, S. 106. Dieser Riss wird in Kap. VI erneut und dort gerade in Bezug auf die Auslegung von Stephan Otto diskutiert, der ihn im Zusammenhang mit der Erinnerung problematisiert.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

1. Ap olog ie der Si n n l ic h keit Die Tatsache, dass die Sinnlichkeit bei Kant im Schematismus auf die Spontaneität der Begrifflichkeit verweist, bedeutet nicht, dass sie keine eigene Funktion hat und nur als Magd des Verstandes anzusehen ist. In seiner ‚Apologie der Sinnlichkeit‘ verteidigt Kant sie vielmehr vor einer möglichen Zurückführung auf den Verstand. In Auseinandersetzung mit Leibniz, Wolff, Baumgarten und deutschen Logikern wie Meier (dessen Handbuch seine Logikvorlesungen strukturierte) kritisiert Kant die Unterordnung der Sinnlichkeit unter den Verstand und entwirft dementsprechend eine neue Auffassung der Erkenntnis.54 Der Unterschied zwischen Sinnlichkeit und Verstand liegt für ihn nicht bloß im jeweiligen Grad an Deutlichkeit, sondern ist ein radikal qualitativer, da die Sinnlichkeit nicht durch Begriffe bestimmt werden kann. In Bezug auf die Frage, „ob sinnliche Vorstellungen nach Leibniz blo[ß] verworrene Verstandesvorstellungen“ sind, schreibt Kant lediglich: „Der Verstand schaut nicht an“.55 Und einer Reflexion zur Anthropologie zufolge „betrügen die Sinne nicht, weil sie nicht Urtheilen“.56 Die Deutlichkeit kennzeichnet im Gegenteil sowohl die Sinnlichkeit als auch den Verstand, und „ein großer Fehler der Leibniz-Wollfischen Schule“ – schreibt Kant im §7 der Anthropologie – „war nämlich die Sinnlichkeit bloß in einem Mangel der (logischen) Deutlichkeit zu setzen, die Beschaffenheit aber der Verstandsvorstellung in der Deutlichkeit“.57 Die Deutlichkeit betrifft hingegen sowohl die Anschauungen als auch die Begriffe, und die letzteren schaffen daher nicht erst Deutlichkeit in den verworrenen Anschauungen, sondern jede Vorstellung – sei sie sinnlich oder begrifflich – kann deutlich werden. Dies Werden ist also keine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit. Durch seine Apologie der Sinnlichkeit gegen diese ‚alte Klage‘ vertritt Kant eine neue Auffassung derselben, die nun nicht mehr als trügerisch, über den Verstand gebietend und ihn verwirrend erscheint, sondern in ihrer wesentlichen Funktion erfasst wird, die ihr in der Vorstellung von Gegenständen neben dem Verstand zukommt. Wie auch immer man diese Wende deuten mag – eines ist sicher: Die Sinnlichkeit ist nicht mit einer bloßen Passivität und Verworrenheit gleichzusetzen, die nur dank der Begrifflichkeit des Verstandes zur Deutlichkeit gelangt.

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Zur Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand aus logischer Sicht siehe Capozzi 2002, S. 368–376. Kant, AA XVIII: 25. Kant, AA XV: 94. Kant, AA VII: 140. Siehe auch AA IX: 33–36 und AA XXIII: 23: „[…] Sinnlichkeit ist nicht Verworrenheit der Vorstellungen, sondern subjektive Bedingung des Bewußtseins“. Vgl. auch La Rocca 2003, S. 131.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Für Kant ist deshalb gerade die Vorstellung eines passiven Charakters der Sinnlichkeit, die nur affiziert würde, „eigentlich die Ursache alles des Übels, was man ihr nachsagt“.58 Und obwohl die Passivität nach Kant durchaus ein strukturelles Merkmal der Sinnlichkeit ist, „was wir doch nicht ablegen können“, sollte sie nicht als Passivität dem Verstand gegenüber, sondern zunächst lediglich als Charakterisierung dafür angesehen werden, dass die Sinnlichkeit affiziert und stimuliert wird. Dieser Aspekt betrifft vor allem nur die Sinne, die durch die Berührung mit äußeren Gegenständen die Wahrnehmung konstituieren. Und passiv ist dabei nur diese Berührung, weil – wie im Folgenden durch die Untersuchung der einzelnen Sinne gezeigt werden soll – schon die bloß sinnliche Wahrnehmung immer eine Umformung der Sinnesdaten mit sich bringt.59 Aktivität und Passivität können dabei zwar in abstracto getrennt werden, sind jedoch in der Erfahrung selbst beide involviert und insofern nicht trennbar.60 Die Sinnlichkeit ist daher keine neutrale Aufzeichnung der Sinnesdaten, die mittels der Begrifflichkeit zur Darstellung gelangen, sondern sie ist selbst die Bedingung der Wahrnehmung, die in sich die sinnliche Gestaltung enthält und sich weder auf die Spontaneität des Verstandes noch auf eine rein empirische Bestimmung reduzieren lässt. Die transzendentale Gleichstellung der Sinnlichkeit, die Kant im Zuge seines Gegenentwurfes zur Leibniz-Wolffischen Schule vornimmt, geht also mit einer Kritik an der physiologischen Perspektive Lockes einher, bei der die Sinnlichkeit auf die rein empirische Ebene reduziert wird.61 In diesem Sinn kann man mit Eco zu dem Schluss kommen, dass Kant, 58 59

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Kant, AA VII: 144. Matthias Wunsch (2011, S. 82f.) behandelt die aktive Funktion der Sinnlichkeit in den anthropologischen Schriften Kants vor allem in Bezug auf die Einbildungskraft: „Kant had already used the concept ‘formative faculty/power’ before his first anthropology lecture in the winter semester of 1772/3. His early conception of the formative faculty first emerges in 1769/1770, thus at the same time that he was developing his new theory of sensibility. The relevant passages are the Reflections 313a–326, where Kant describes the modes of formation that he later sets out synoptically in his first anthropology lecture. Thus according to the published material Kant’s theory of the formative faculties emerges in the time from 1769 to 1773. As it concerns the conception of sensibility, the central thought – which, judging by Adickes’ dating, Kant probably first set down in 1773/1775 – is that sensibility includes not just the receptive capacities, the senses, but also the active faculties of the formation of sensible representations“. Vgl. Svare 2006, S. 174: „This activity and passivity, moreover, are different aspects of the same event. They may be distinguished conceptually, but they cannot be separated in the real world“. Mit Angelica Nuzzo gesprochen (2008, S. 263): „As the opposite of critique, physiology is characterized by its merely empirical and psychological nature, and by the confusion between the experiential context in which our concepts occur and the source of these concepts“. Siehe dazu auch Guyer 2008, S. 79: „[…] Kant’s problem

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

was die englischen Empiristen angeht, „nach einer transzendentalen Begründung für jenen Prozess [sucht], den sie im Grunde als eine vernünftige Art, sich in der Welt zu bewegen, auffassten, deren Berechtigung sich darin zeigt, dass sie sich letztlich bewährt“.62 Die physiologische Auffassung der Sinnlichkeit ist demzufolge ungeeignet, ihr spezifisches Gestaltungspotential zu erklären, das vom Ausdruck und von der Darstellung begrifflicher Bedeutung zu trennen ist. Dabei ist anzumerken, dass die isolierende Methode in diesem Zusammenhang wirklich nur eine heuristische Perspektive darstellt, um die einzelnen Funktionen der Vermögen betrachten zu können, ohne sie dabei zu hypostasieren und den Prozess ihrer Synthesis auf eine bloße Zusammensetzung zu verkürzen. Auch darf das Schema nicht als Kriterium gelten, mit dem eine graduelle Deutlichkeit bestimmt wird, wie schon Cassirer gesehen hat: „Das ‚Schema‘ ist nicht der verblasste Schemen eines wirklichen empirischen Objekts, sondern das Vorbild und gleichsam das Modell zu möglichen Gegenständen der Erfahrung“.63 Mit ihm tritt eine Gestaltung in der Wahrnehmung ein und nicht etwa nur eine Prägung auf der Seite des Verstandes, so als ob er seine eigenen Formen auf die einzelnen Anschauungen übertragen würde. Diese Gestaltungsfähigkeit ist nicht nur Werk der Spontaneität des Verstandes, sondern erfolgt auch dank der Sinnlichkeit, die eine entscheidende Funktion bei der Umformung sinnlicher Daten ausübt. Für unsere Untersuchung stellt sich daher die Aufgabe, diese spezifische Aktivität der Sinnlichkeit in Kants Werk zu rekonstruieren, welche Grundbedingung der Erkenntnis ist. Dieser Aspekt wird in den Kapiteln II.3–II.5 ausgeführt.

2. D ie Unter sc heidu ng z w isc hen Beg r i f f, Ide e u nd Gef ü h l Eine Zusammenfassung der Hauptunterscheidungen der Momente des sinnlichen Bewusstseins, die im Folgenden rekonstruiert und diskutiert werden, wird von Kant selbst in der Transzendentalen Dialektik gegeben, die deshalb anfangs im Ganzen wiedergegeben werden soll:

62 63

with Locke’s ‘physiology’ was that it was empirical, that is, that it attempted to determine both the contents of human knowledge and its boundaries through a purely empirical investigation of the human capacity for cognition […] Kant, by contrast, supposes that he could provide what he called a ‘transcendental’ determination of the fundamental structures of our cognition, and therefore that he could also provide a transcendental rather than an empirical determination of its limits“. Eco 2000, S. 85. Cassirer, ECW, 3, S. 598.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

„Die Gattung ist Vorstellung überhaupt (repraesentatio). Unter ihr steht die Vorstellung mit Bewusstsein (perceptio). Eine Perzeption, die sich lediglich auf das Subjekt, als die Modifikation seines Zustandes bezieht, ist Empfindung (sensatio), eine objektive Perzeption ist Erkenntnis (cognitio). Diese ist entweder Anschauung oder Begriff (intuitus vel conceptus). Jene bezieht sich unmittelbar auf den Gegenstand und ist einzeln; dieser mittelbar vermittelst eines Merkmals, was mehreren Dingen gemein sein kann. Der Begriff ist entweder ein empirischer oder reiner Begriff, und der reine Begriff, so fern er lediglich im Verstande seinen Ursprung hat (nicht im reinen Bilde der Sinnlichkeit) heißt Notio. Ein Begriff aus Notionen, der die Möglichkeit der Erfahrung übersteigt, ist die Idee, oder der Vernunftbegriff“.64 Auf der deskriptiven Ebene – also vor der Betrachtung des genetischen Erkenntnisprozesses selbst, in dem sich Bedeutung erst realisiert – wird das Verhältnis zwischen Gefühl, Begriff und Idee mittels der isolierenden Methode untersucht, durch welche erstens die subjektive von der objektiven Empfindung unterschieden und zweitens die letztere von der Idee abgegrenzt wird. In der objektbezogenen Empfindung, die die Bedingung einer Bedeutungserfahrung mit Anschauung und Begriff ist, ergibt sich eine Differenz zwischen Sinnlichkeit und Verstand, die keinesfalls als eine Zurückführung eines Vermögens auf das andere erklärt werden kann. Wie schon am Beispiel der Methode der Chemie ersichtlich,65 ist es Kant durch eine getrennte Untersuchung der Vermögen möglich, deren jeweilige Eigenschaften zu spezifizieren und die Nichtreduzierbarkeit des einen auf das andere aufzuzeigen. Das Risiko einer solchen Vorgehensweise ist bereits erläutert worden; es besteht darin, dass auf diese Weise die Synthesis selbst als eine bloß statische Zusammensetzung erscheinen kann. In einer isolierten Betrachtung der Sinnlichkeit kann diese von vornherein als eine Gestaltung verstanden werden, die im Gebrauch der Begriffe immer schon impliziert ist. Der Untersuchung der Sinnlichkeit ist der erste Teil der Elementarlehre der Kritik der reinen Vernunft gewidmet, weil „die Bedingungen, worunter allein die Gegenstände der menschlichen Erkenntnis gegeben werden, denjenigen vorgehen, unter welchen selbige gedacht werden“.66 Ist hingegen keine objektbezogene sinnliche Bedingung gegeben, handelt es sich um einen bloßen Gedanken, der nur analogisch zur Darstellung gelangt oder eine rein subjektive Empfindung ist. Dem Schematismus liegen daher zwei Differenzierungen zugrunde: die erste betrifft den Unterschied zwischen Begriffen und Ideen, die zweite den 64 65 66

Kant, KrV, B 376f., A 320. Siehe oben 2. Kant, KrV, B 30, A 16.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Unterschied zwischen objektiver und subjektiver Empfindung. Im ersten Fall unterscheidet Kant zwischen den Begriffen, die eine Darstellung in den Anschauungen haben können und den Ideen, denen grundsätzlich keine Anschauung angemessen ist. Im zweiten Fall grenzt er das rein subjektive Gefühl deutlich von der subjektiven Empfindung ab, die eine Entsprechung in den inneren und äußeren Anschauungen haben kann. Die Sinnlichkeit kann nun als ein erkenntnistheoretisches Kriterium angesehen werden, das dazu dient, einerseits den objektbezogenen Begriff von den Ideen im weitesten Sinn zu unterscheiden, andererseits die bloß subjektive von der objektiven Empfindung zu differenzieren. Die Empfindung ist im Allgemeinen das Kriterium bei Kant, anhand dessen zwischen Gefühl, Begriff und Idee unterschieden wird. Somit lässt sich – wie schon erwähnt – die gesamte Bedeutungserfahrung dreifach gliedern: 1. Gefühl: mit (subjektiver) Empfindung aber ohne (Bestimmungs-)Begriff; 2. Schema: mit (objektiver) Empfindung und (Bestimmungs-)Begriff; 3. Idee: ohne (objektive) Empfindung und mit (Reflexions-)Begriff. Im dritten Fall ist die Anschauung, die eine objektbezogene Empfindung darstellt, durch welche laut Kant ein Gegenstand gegeben wird, als negatives Kriterium zu deuten, um mit diesem den Begriff von einem bloßen Gedanken zu unterscheiden, dem kein sinnlicher Gegenstand entspricht und der „hyperphysisch“ gebraucht wird.67 Es ist gerade das Fehlen an Anschauung, das der Unterscheidung zwischen Phaenomena und Noumena zugrunde liegt und das die Erkenntnis von der weiteren Sphäre des Denkens abgrenzt.68 Wenn man 67 68

Siehe Kant, KrV, B 88, A 63f. Siehe die Stelle der Kritik der reinen Vernunft (B 294f., A 235f.), an der Kant in Bezug auf den Unterschied zwischen Phaenomena und Noumena die Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft anhand der Metapher der Insel einführt: „Wir haben jetzt das Land des reinen Verstandes nicht allein durchreiset, und jeden Teil davon sorgfältig in Augenschein genommen, sondern es auch durchmessen, und jedem Dinge auf demselben seine Stelle bestimmt. Dieses Land aber ist eine Insel, und durch die Natur selbst in unveränderliche Grenzen eingeschlossen. Es ist das Land der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben von einem weiten und stürmischen Ozeane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank, und manches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt, und indem es den auf Entdeckungen herumschwärmenden Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in Abenteuer verflechtet, von denen er niemals ablassen, und sie doch auch niemals zu Ende bringen kann. Ehe wir uns aber auf dieses Meer wagen, um es nach allen Breiten zu durchsuchen, und gewiß zu werden, ob etwas in ihnen zu hoffen sei, wo wird es nützlich sein, zuvor noch einen Blick auf die Karte des Landes zu werfen, das wir eben verlassen wollen, und ernstlich zu fragen, ob wir mit dem, was es in sich enthält, nicht allenfalls zufrieden sein könnten, oder auch aus Not zufrieden sein müssen, wenn es sonst überall keinen Boden gibt, auf dem wir uns anbauen könnten; zweitens, unter welchem Titel wir denn selbst dieses Land besitzen, und uns wider alle feindselige Ansprüche gesichert halten können“.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

nämlich die sinnliche Bedingung wegnimmt, so fällt damit „alle Bedeutung, d.i. Beziehung aufs Objekt“ weg, weshalb man „durch kein Beispiel sich selbst fasslich machen kann, was unter dergleichen Begriffe denn eigentlich für ein Ding gemeint sei“.69 Weiter heißt es: „Fehlt diese Bedingung der Urteilskraft (Schema), so fällt alle Subsumption weg; denn es wird nichts gegeben, was unter den Begriff subsumiert werden könne“.70 Das Fehlen sowohl reiner als auch empirischer Anschauungen ist daher das Kriterium, mit dem die transzendentale Bedeutung der Kategorien von ihrem rein logischen Gebrauch unterschieden wird. Die Kategorien haben zwar ihren Ursprung nicht in den Anschauungen und sind nicht auf Anschauungen zurückführbar, aber ausgehend von diesen logischen Formen kann der Verstand auch andere mögliche Dinge, „die gar nicht Objekte unserer Sinne sind“,71 als Gegenstände denken.72 So schließt Kant: „Die Lehre der Sinnlichkeit ist nun zugleich die Lehre von den Noumenen im negativen Verstande, d.i. von Dingen, die der Verstand sich ohne diese Beziehung auf unsere Anschauungsart, mithin nicht bloß als Erscheinungen, sondern als Dinge an sich selbst denken muß“.73 Und weiter: „was also von uns Noumenon genannt wird, muß also als ein solches nur in negativer Bedeutung verstanden werden“.74 Auf dieser Ebene können die transzendentalen Ideen ein Schema nur im Sinne eines regulativen und nicht die Erkenntnis bestimmenden Prinzips sein;75 und sie können in keiner Weise eine konstitutive Erweiterung unserer Erkenntnis 69 70 71 72

73 74

75

Kant, KrV, B 300, A 241. Kant, KrV, B 304f., A 247f.. Siehe Kant, KrV, B 306f. Siehe auch die Anmerkung in der Kritik der reinen Vernunft (B 166), in der Kant festhält, dass „die Kategorien im Denken durch die Bedingungen unserer sinnlichen Anschauung nicht eingeschränkt sind, sondern ein unbegrenztes Feld haben“. Kant, KrV, B 307. Kant, KrV, B 309. Siehe auch Kant, KrV, B 342, A 286: „Wenn wir unter bloß intelligibelen Gegenständen diejenigen Dinge verstehen, die durch reine Kategorien, ohne alles Schema der Sinnlichkeit, gedacht werden, so sind dergleichen unmöglich. Denn die Bedingung des objektiven Gebrauchs aller unser Verstandesbegriffe ist bloß die Art unserer sinnlichen Anschauung, wodurch uns Gegenstände gegeben werden, und, wenn wir von der letzteren abstrahieren, so haben die erstern gar keine Beziehung auf irgend ein Objekt“. Siehe dazu den Abschnitt der Transzendentalen Dialektik ‚Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft‘, in dem Kant die regulative Bedeutung des von den Ideen gegebenen Schemas behandelt (insbesondere B 702f., A 674f. und in Bezug auf die psychologische Idee B 711f., A 683f.): „Die psychologische Idee kann auch nichts andres als das Schema eines regulativen Begriffs bedeuten“. In Kap. VI werde ich auf diese rationale Verwendung des Schemas zurückkommen.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

über die Objekte möglicher Erfahrung hinaus darstellen. Im Gegenteil führen sie zu den systematischen Einheiten, die über die Sinne hinaus das Ziel der Annäherung selbst setzen und dadurch nur so gedacht werden können, als ob die Reihe ihrer Merkmale vollendet wäre.76 Deshalb können theoretisch zwei Bedeutungen des Schemas unterschieden werden: einmal das Schema als Bestimmung und einmal das Schema als Reflexion, die Kant – laut La Rocca – „durch die Heranziehung der Als-Ob-Perspektive zu erklären sucht“.77 Der Unterschied zwischen einer im eigentlichen Sinne schematischen und einer reflektierenden Darstellung wird in Kapitel VI näher beleuchtet. Wichtig ist jedoch schon jetzt anzumerken, dass in unserer ganzen Untersuchung die positive, regulative Bedeutung dieser Unterscheidung nur auf der sprach- und erkenntnistheoretischen Ebene behandelt wird, welche jedoch laut Kant fundamental für den praktischen Gebrauch der Ideen ist.78 Für die weitere Argumentation ist es an dieser Stelle hinreichend, diese Unterscheidung zwischen sinnlicher Erkenntnis und unsinnlichem Denken anzuführen. Die Anschauung dient als negatives Kriterium zur Unterscheidung sowohl des Begriffs von der Idee als auch der objektiven Empfindung von der subjektiven. In Bezug auf Begriff und Idee ist sie deshalb ein negatives Krite­ rium, weil die Idee nicht sinnlich ist, in Bezug auf objektive und subjektive Empfindung, weil das Gefühl nicht objektbezogen ist. Deshalb schreibt Kant: „Ästhetik ist die philosophie über die Sinnlichkeit, entweder des Erkenntnisses oder des Gefühls“.79 Das Gefühl als rein subjektive Empfindung wird in der Kritik der reinen Vernunft ausgeklammert, weil es die Affizierung des Gemüts selbst – und nicht die des Gemüts durch einen Gegenstand – darstellt. In den Reflexionen zur Anthropologie hingegen werden das Gefühl und die Wahrnehmung als die jeweils subjektiv-absolute und die objektiv-relative Dimension der Empfindung bestimmt. Kant unterscheidet dabei zwischen einem absoluten und einem relativen Sinn: „durch den letzten referiren wir unsre Empfindung auf ein obiect, durch den ersten auf uns selbst“.80 Mit der rein subjektiven Empfindung wird demnach eine Bedeutungserfahrung beschrieben, die nicht objektiv bestimmt werden kann: Kein äußerlicher Gegenstand kann eine direkte Entsprechung des Gefühls sein und dementsprechend auch kein bestimmender Begriff. Sowohl die äußerliche Anschauung als auch die begriffliche Bestimmung können vielmehr nur indirekt und analogisch zur Darstellung eines inneren

76 77 78 79 80

Vgl. Kant, KrV, B 730, A 702. Vgl. La Rocca 2011, S. 31, und natürlich Vaihinger 1911, S. 44. Für die Erörterung des positiven regulativen Gebrauchs der Vernunft siehe Kant, KrV, B XXV. Kant, AA XVII: 492. Kant, AA XV: 108.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Zustandes dienen. Das Gefühl kann jedoch eine besondere Art der Schematisierung erfahren, die – wie Kant in §35 der Kritik der Urteilskraft erklärt – eine Schematisierung ohne Begriff ist, d.h. eine Schematisierung, die keinem Begriff angepasst werden kann und dadurch zum rein sinnlichen Ausdruck führt. Wir werden diese Schematisierung noch in Betracht ziehen, um an ihr die Bedeutung einer expressiven Schematisierung bei Kant zu klären.81 Anhand der Bestimmung des Gefühls lässt sich bei Kant die Grenze zwischen Subjektivität und Objektivität erkennen, die eine grundlegende Funktion in der Unterscheidung einzelner Sinne ausübt. Denn obwohl alle Sinne von außen affiziert werden, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihres Grades an Objektivität und Subjektivität, die in der Wahrnehmung ineinanderfließen. Somit ist die Grenze selbst im Urteilen nur kritisch zu ziehen. Man kann sich über innere und äußere Empfindungen äußern, jedoch kann das nur im Bewusstsein des Grads an Subjektivität der eigenen Urteile geschehen. Deswegen zieht Kant eine klare Grenze zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen: Erstere sind bloß subjektiv, die zweiten objektiv. Wahrnehmungsurteile können daher keine Bestimmungsurteile über den Gegenstand sein: „zum Beispiel bei der Berührung des Steins empfinde ich Wärme, ist ein Wahrnehmungsurteil, hingegen: der Stein ist warm, ein Erfahrungsurteil. Es gehört zum letzteren, daß ich das, was bloß in meinem Subject ist, nicht zum Object rechne“.82 Zweifellos ist bei vielen Urteilen der Übergang vom Wahrnehmungszum Erfahrungsurteil möglich; nämlich immer dann, wenn die Empfindung auf ein Objekt beziehbar ist und anschauliche Gründe angenommen werden können, um das Urteil zu beweisen und es für ein Bestimmungsurteil über den Gegenstand zu halten. Wenn aber diese Bedingung nicht erfüllt wäre, bliebe das Urteil bloß subjektiv möglich und könne nicht objektiv unter Begriffe gebracht werden.83 Die rein subjektive Empfindung lässt sich daher nicht schematisieren und kann nicht in einem Erfahrungsurteil ausgedrückt werden, weil die subjektive Wahrnehmung sich nicht so auf das Objekt übertragen lässt, als ob sie eine Bestimmung des Objektes selbst wäre. Die damit angezeigte Spannung zwischen Subjektivität und Objektivierung bloß subjektiver Urteile lässt sich nicht kritisch auflösen, sondern nur eingrenzen; ihr kommt eine grundlegende Funktion in den Reflexionsurteilen als einem Denken zu, das sich außerhalb objektiver Grenzen bewegt.

81 82 83

Siehe Kap. VI.2. Kant, AA IX: 113 (Anmerkung). Zur Unterscheidung zwischen Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteilen hinsichtlich der Anwendbarkeit der Kategorien siehe Prauss 1971, S. 166.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Begriffe, Ideen und Gefühle werden zwar einerseits von Kant darüber unterschieden, ob sie jeweils eine Entsprechung in der Sinnlichkeit haben oder nicht. Deshalb kann es scheinen, als hätten zumindest die Ideen gar nichts, und die Begriffe nur bedingt etwas mit der Sinnlichkeit zu tun. Andererseits aber sind alle drei insofern auf die Sinnlichkeit angewiesen, als sie einer Versinnlichung bedürfen. Und zwar werden selbst Ideen versinnlicht, indem sie symbolisch dargestellt werden. Das ist aus kantischer Sicht zunächst weitestgehend unproblematisch, weil es der Konzeption der indirekten Entsprechung folgt, die – wie wir sehen werden – durch Analogie verfährt.84 Doch diese indirekte, symbolische Versinnlichung basiert streng genommen auf einer direkten, die zwar nicht den Gegenstand bestimmt, den Ideen aber eine sinnliche Form verleiht, die unerlässlich ist, damit sie gedacht werden können. Es ist diejenige bestimmende Versinnlichung, kraft der die Idee einen Wortlaut erhält. Die Annahme dieser zweiten Form der Versinnlichung, der bei Kant lediglich die Schematisierung der Kategorien entspräche, ist im Vergleich zur ersten wesentlich voraussetzungsreicher, insofern sie über die kantische Systematik hinausweist: Kant selbst ist nämlich an einer strikten Trennung zwischen Begriffen und Ideen interessiert, weshalb eine sinnliche Realisierung dieser Art von ihm unterbewertet bleibt. Denn diese Versinnlichung setzt zugleich eine Erweiterung der transzendentalphilosophischen Perspektive auf Themen voraus, die Kant lediglich in der Anthropologie – und damit außerhalb des kritischen Unterfangens – abhandelt. Daher wird es im folgenden Kapitel darum gehen müssen, die systematische Kompatibilität zwischen kritischen und anthropologischen Schriften zu plausibilisieren.

3. Kompat ibi l it ät z w isc hen k r it isc hen u nd a nt h rop olog isc hen Sc h r i f ten Die vorgeschlagene Interpretation der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit setzt offensichtlich eine gewisse Kontinuität und Kompatibilität zwischen den kritischen und den anthropologischen Schriften Kants voraus. Eine solche Verbindung lässt sich vor allem für die Verkörperungslehre in Betracht ziehen, der zufolge es keine Begrifflichkeit gibt, die nicht verkörpert ist.85 Die Wiedergewinnung der Dimension der Verkörperung ist das Hauptziel der Untersuchung Body and Practice in Kant von Helge Svare,86 der die Auffassung 84 85 86

Siehe dazu Kap. VI. Zur Problematik der Bestimmung des Menschen bei Kant siehe Brandt 2007, S. 102–125 und Battaglia 2010, S. 163–166. Svare 2006, S. 2: „The aim of this work is to show that this established image of Kant as a philosopher who ignores embodied human existence is radically wrong. Not only does Kant, throughout his career, in works published before and after the

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

von einer Kontinuität zwischen anthropologischen Schriften und den drei Kritiken vertritt, so wie er auch die transzendentale Psychologie als legitimen Teil der Transzendentalphilosophie behandelt.87 Das Schema wird dabei von Svare ausdrücklich als „embodied practice“ bezeichnet, obwohl das Embodiment im engeren Sinne als Körperbewegung verstanden wird: „My main thesis, however, is that in Kant’s theory of schematism the cognitive agent must be perceived as an embodied agent, and the cognitive acts ascribed to this agent as embodied acts or practices“.88 Dieser Ansatz schließt sich an die Auffassung des Schemas als Handlungsschema an, und ist daher mit der von Piaget vertretenen Position vergleichbar.89 Svare hingegen sollte das Verdienst zugerechnet werden, die Verkörperung mit dem Begriff der Praxis verbunden zu haben und die anthropologischen Untersuchungen der Sinne in der Transzendentalphilosophie eingeführt zu haben.90 Dennoch werden hier unter Verkörperung ausdrücklich körperliche Praktiken angezeigt und wird nicht der Versuch unternommen, die Aktivität der kantischen Sinnlichkeit in Bezug auf die Sinne und die Einbildungskraft als Prozesse der Verkörperung selbst zu untersuchen, wie sie in der Anthropologie vorkommen. Ein Versuch, einen solchen nicht-reduktionistischen Ansatz durch eine Neugewichtung der Opposition zwischen den anthropologischen Schriften und der Transzendentalphilosophie Kants zu etablieren, wird von Angelica Nuzzo in ihrem Buch Ideal Embodiment. Kant’s Theory of Sensibility unternommen.91 Die Sinnlichkeit wird von ihr aktivisch bestimmt und zum Körper in Beziehung gesetzt, der damit nicht nur – wie in der Physiologie oder Psychologie – den Gegenstand der Erfahrung, sondern die Bedingung der Erfahrung selbst darstellt:

87 88 89

90 91

Critique, constantly reflect upon the fact that human life is embodied, but he is also occupied in exploring the philosophical implications of this fact. […] Bringing this aspect of Kant’s philosophy into the light is important, not only because it has too long been generally ignored, but also because it is highly relevant to contemporary discussions in philosophy about, for example, embodiment, learning and practice. By taking his philosophy of embodiment into account, we discover that far from being outdated, Kant stands out as a true contemporary“. Svare 2006, S. 140 und S. 148: „[…] the cognitive theory defined in the anthropology is, roughly, the same as the one we find in the Critique“. Svare 2006, S. 178. Svare (2006, S. 300) vergleicht den Ansatz von Kant mit dem von Piaget: „I think that what Piaget calls sensorimotor intelligence is more or less the same as what Kant calls understanding (…) Kant’s understanding is associated with our capacity to act regularly in the world“. Gerade dieser Aspekt dient am Ende des Buchs von Helge Svare (2006, S. 309) zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Ansatz von John McDowell. Vgl. Nuzzo 2008, S. 5.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

„The body is not a (more or less contingent) object of experience but a necessary a priori condition thereof. As the transcendental site of sensibility, the body displays a formal, ideal dimension essential to our experience as human beings. Such experience could not be possible if it were not rooted in the formal structure of our embodiment“.92 Dem Versuch, die transzendentale Funktion des Körpers als eine Dimension der Sinnlichkeit zu deuten, die nicht die gleiche Ausdehnung wie der empirische Körper hat, sollte man das Verdienst zurechnen, eine Auffassung von Verkörperung zu vertreten, die sich nicht auf eine rein empirische und physiologische Perspektive reduzieren lässt. Um die aktive und selbständige Dimension des Körpers bei Kant zu erklären, rekurriert Nuzzo zutreffenderweise auf die Realität des äußeren Sinns anhand der Beispiele der entgegengesetzten Gegenstände im Raum und des Orientierungsgefühls.93 Der Körper steht daher nicht nur mit der Sinnlichkeit im engeren Sinne in Verbindung, sondern auch mit der übersinnlichen Vernunft, die durch den Verkörperungsprozess zugänglich wird. Entsprechend bemerkt Nuzzo: „Human rationality is embodied rationality“.94 Somit wird eine Dimension des Körpers sichtbar, die sich nicht auf einen bloßen Mechanismus zurückführen lässt.95 Und gleichzeitig wird auf diese Weise eine Dimension des Denkens beschrieben, die selbst verkörpert ist. Die anthropologischen Schriften werden jedoch letztlich von Nuzzo nicht in Betracht gezogen, vor allem nicht in Bezug auf die epistemischen Aspekte der Bestimmung der einzelnen Sinne und der Einbildungskraft, welche die hier vertretene Interpretation einer aktiven Funktion der Sinnlichkeit im Schematismus nahelegen. Die erwähnten Erweiterungsversuche, die Rationalität innerhalb einer Verkörperungslehre zu erklären, drücken zwar das Desiderat aus, eine Transzendentalphilosophie des Menschen als Ganzem zu entwickeln, können jedoch die spezifisch semantische wie semiotische Form der Versinnlichung nicht erklären, die dem Schematismus meines Erachtens zugeschrieben werden muss. Auch diejenigen Versuche, die im Gegenteil auf das Disembodiment der kantischen Philosophie hinweisen, blenden die Funktion der Sinnlichkeit in Verbindung mit

92 93

94 95

Nuzzo 2008, S. 9. Siehe dazu auch Gibbons 1994, S. 71: „Perhaps the most intriguing suggestion from the incongruent counterpart is that the activities of constructing and schematizing are activities of embodied subjects who can recognize regions of space, as well as handedness, by occupying regions of space and having hands (or some other oriented part), and by possessing the capacity to recognize orientation through feeling“. Nuzzo 2008, S. 295. Die praktische Bedeutung der Verkörperung der Vernunft wird von Susan Meld Shell in The Embodiment of Reason (1996, S. 8f.) behandelt. Nuzzo 2008, S. 292.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

den anthropologischen Schriften Kants weitgehend aus.96 Die Kompatibilität zwischen Transzendentalphilosophie und Anthropologie wird von mir hingegen in Bezug auf die transzendentale Funktion der Sinnlichkeit angenommen. Dieser Ansatz ist als Versuch anzusehen, die pragmatische Anthropologie, von der Kant sich geweigert hatte, sie als physiologisch zu bezeichnen, mit den Bedingungen des sinnlichen Gebrauchs der Begrifflichkeit in Verbindung zu bringen. Die Kompatibilitätsannahme läuft damit nicht länger auf eine Erweiterung der Transzendentalphilosophie durch die Dimension des Körpers hinaus. Im Gegenteil wird die Transzendentalphilosophie in ihrem idealistischen Ansatz radikalisiert, indem die Sinnlichkeit innerhalb der transzendentalen Beschreibung als Bedingung der gestaltenden Versinnlichung des Denkens auftritt.

4. E i n f ü h r u ng des Ver si n n l ic hu ngsb eg r i f f s Versinnlichung ist nicht mit Verkörperung zu verwechseln. Der Schematismus erfordert die Annahme einer charakteristischen, aktiven Funktion der Sinnlichkeit, die sich aus der Bestimmung der einzelnen Sinne und der Einbildungskraft ergibt, die nicht mit Prozessen physiologischer Natur gleichgesetzt werden kann. Damit wird ein genuin transzendentaler Ansatz vertreten, der die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit zur transzendentalen Bedingung der Artikulation von Bedeutung zwischen Begriff und Bild erhebt. Die mit der Versinnlichung verbundenen Themen – wie etwa das der Sinne und der Einbildungskraft – werden häufig zu Unrecht auf die Problematik des Embodiment übertragen, obwohl die Versinnlichung eine eigene Dimension der Sprach- und Erkenntnisprozesse darstellt, die – wie bereits gesehen – nicht mit einer Verkörperung gleichzusetzten ist. Der Begriff des Embodiment geht meines Erachtens ursprünglich auf ein Übersetzungsproblem zurück, im Zuge dessen die kantische Auffassung des sinnlich bestimmten Denkens mit Embodiment übersetzt wird. Diese Übersetzung hat weitreichende Folgen für die sachliche Debatte, denn damit werden die spezifisch sinnlichen Komponenten der Versinnlichung auf den Umfang der körperlichen Wahrnehmung reduziert.97 Die Folge ist eine Überlagerung des Versinnlichungsbegriffs durch den des Embodiment, was dazu beigetragen hat, dass erstere häufig im Kontext einer Verkörperungsproblematik rezipiert worden ist.98 Eine wichtige Ausnahme in der Rezeptionsgeschichte des Schematismus96 97 98

Siehe dazu Zammito 2002, S. 298. Zur mind-body-Interaktion, siehe Ameriks 2000, S. 84–127. Bei einer Übersetzung des Wortes ‚Versinnlichung‘ als „sensible rendering“ hingegen wird die Dimension des Sinnlichen gewahrt, obwohl der Versinnlichung hier der Vorteil eines griffigen Terminus fehlt. Siehe zum Beispiel die Übersetzung der Kritik der Urteilskraft ins Englische von Werner S. Pluhar (1987, S. 232).

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Kapitels ist die Auslegung Heideggers, der die Schemabildung ausdrücklich als „die Versinnlichung von Begriffen“99 bezeichnet. Sie wird im dritten abschließenden Teil erneut in Betracht bezogen, wenn es um die systematische Entfaltung eines Ansatzes der Versinnlichung geht.100 An dieser Stelle werde ich mich vorerst auf eine deutliche Unterscheidung zwischen Verkörperung und Versinnlichung bei Kant beschränken. Es kann demnach festgehalten werden, dass die Versinnlichung die Bedingung der Bedeutung ist, während die Verkörperung die Bedeutung als Faktum voraussetzt und nicht nach der Bedingung ihrer Entstehung fragt, kurz: Versinnlichung ist transzendental, Verkörperung schon immer empirisch. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit wird somit im Schematismus radikalisiert. Wir müssen also zunächst von der Versinnlichung ausgehen, wie Kant selbst sie auffasst. Er schreibt in Hinsicht auf das höchste Gut: „Ohne diese Versinnlichung ist es ein Gedanke ohne Gegenstand“.101 Würden wir jedoch versuchen, eine Idee wie die des höchsten Guts zu versinnlichen, indem wir ihr eine Realität zuschreiben, so handelte es sich dabei aus kantischer Sicht um eine unzulässige Ontologisierung. Dennoch muss sie, um überhaupt gedacht werden zu können, versinnlicht werden, aber eben auf andere Weise. Diese Weise nun ist näher als symbolische bzw. im weiteren Sinne als analogische Versinnlichung zu bestimmen. Diese zwei Formen der Versinnlichung – die für die folgenden Analysen wegweisend sein werden – erhalten ihre paradigmatische Ausformulierung in der Kritik der Urteilskraft: „Alle Hypotypose (Darstellung, subiectio sub adspectum), als Versinnlichung, ist zweifach: entweder schematisch, da einem Begriffe, den der Verstand faßt, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken, und dem keine sinnliche Anschauung angemessen werden kann, eine solche untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urteilskraft demjenigen, was sie im Schematisieren beobachtet, bloß analogisch, d.i. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahren, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalten nach, übereinkommt“.102 Versinnlichung steht somit bei Kant für zweierlei: es gibt einerseits Begriffe, die eine direkte Entsprechung in den Anschauungen finden und andererseits Begriffe, die nur indirekt in den Anschauungen zur Darstellung gelangen können. Diese letzteren erfordern die Reflexion durch Analogie. Beide Versinnlichungen   99 100 101 102

Heidegger, GA, 3, S. 97. Auf Heideggers Auslegung werde ich mich im dritten Teil (Kap. I) dieser Unter­ suchung erneut beziehen. Kant, AA XXIII: 70. Kant, KU B 255.

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sind intuitiv, weil sie sich Anschauungen bedienen und in dieser Hinsicht bestimmte Begriffe und Ideen sinnlich machen können, was für Kant heißt, „die allgemeine Idee im Beispiele zeigen und das Abstracte in concreto“.103 Ohne diese versinnlichende Darstellung wäre jede allgemeine Bestimmung ohne Bedeutung, denn sie kann sich nur durch Anschauungen überhaupt verständlich machen. Die Sinnlichkeit gibt insofern den Begriffen Realität, während im Fall bloßer Gedanken – die keine direkte Entsprechung in der Sinnlichkeit haben – das Sinnliche als Substrat einer Analogie für die Reflexion dient.104 Die Versinnlichung trägt zum Prozess der Bedeutungsgebung bei, obwohl sie oft auch von Kant selbst als bestimmende Versinnlichung (wie im Schematismus) auf eine bloß visuelle Darstellung oder als reflektierende Versinnlichung (wie im analogischen Denken) auf einen sinnlichen Ausdruck reduziert wird, der keine objektive Realität erlangen kann. In Bezug auf die Versinnlichung eines Begriffes, dem ein Objekt entsprechen kann, wird mit der Versinnlichung ein Prozess konstitutiver Bedeutungsgebung angezeigt, der nur in der Mathematik für Kant zur anschaulichen Konstruktion der Begriffe gelangen kann. Und im Fall eines reflektierenden Urteilens ermöglicht die analogische Versinnlichung – in der die Anschauungen zu Symbolen (und nicht zu Schemata) der Begriffe werden – den künstlerischen Ausdruck und im Allgemeinen den metaphorischen Diskurs. Wie Stephan Otto in Bezug den Hypotypose-Begriff richtig beobachtet hat, greift „Kant mithin gar nicht auf Ciceros und Quintilians ‚Anschaulichkeit‘ zurück, er spielt vielmehr an auf das griechische Verbum hypotypoun, das ‚Erstellung eines Entwurfs‘ oder ‚Umrisses‘ bedeutet […]. Nicht im Gefälle also einer ‚Veranschaulichung‘, sondern im Sinne eines ‚Entwurfskonzepts‘ eignet der kantischen Hypotypose ihre Kontur“.105 Dabei dient die Anschauung nicht als Anpassungs- und Nachahmungsmuster, sondern markiert einen bildenden Ausdrucksprozess, durch den die Begriffe überhaupt erst realisiert werden. Diese bildende Kraft des Ausdrucksprozesses ist prägendes Merkmal der Verwendung des Versinnlichungsbegriffs in der Aufklärung. Hier wird die Versinnlichung hauptsächlich auf die ästhetische Macht einer Steigerung der mimetischen Erkenntnis bezogen, die Oschmann als ein Prinzip der aufkläreri103 104

105

Kant, AA XV: 79 (R 206). Diesbezüglich siehe die schwer datierbare Reflexion 215 (AA XV: 82) aus Kants Handexemplar von Baumgartens Metaphysica: „Sinnlichkeit hat ohne Verstandesbegrif keinen Zusammenhang, und der erste ohne die letzte keine realität. Der Verstand komt entweder zur sinnlichkeit als reflexion oder die Sinnlichkeit zum Verstande als Erhellung“. Siehe auch die erste Fassung der Einführung in die Kritik der Urteilskraft. Vor allem in §VIII (AA XX: 223) problematisiert Kant die Funktion der Versinnlichung für das reflektierende (und nicht bestimmende) Urteilen. Otto, 2007, S. 111. Siehe auch (S. 110) die Auslegung des Hypotypose-Begriffs bei Cicero und Quintilian.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

schen Sprach- und Dichtungstheorie deutet: „Der Prozess der Versinnlichung transformiert die Sprache vom bloßen Medium gleichsam zum Organon der Erkenntnis“.106 Dies betrifft hauptsächlich die Macht der literarischen Sprache, die sich anstrengen muss, die Lebendigkeit und Bewegungskraft der Welt nicht bloß wiederzugeben, sondern mit ihrer bewegenden Kraft noch tiefgreifender zu beleben. Die Versinnlichung wird von Kant dem ästhetischen und rhetorischen Kontext entnommen und, wie Gasché hervorhebt, zur Grundlage der transzendentalen Darstellung gemacht107: „Durch die Schemata und die Symbole erhalten die Gemütskräfte den Schwung, ohne den der Geist leblos bliebe. Es stellt sich also heraus, dass Kant den philosophischen Begriff der Hypotypose völlig umgestaltet, indem er ihn mit Eigenschaften ausstattet, die dem rhetorischen Gebrauch des Begriffs entstammen“.108 Somit dehnt die Versinnlichung nach Gasché die bildende Kraft der Einbildungskraft bis hin zur Dichtung aus – sie wird „nicht einfach Fiktion im Sinne von Täuschung, sondern ein Formen, Gestalten oder Prägen im Sinne der Etymologie von fingere. Eine solche Dichtung der Einbildungskraft ist Komposition oder Erfindung“.109 Versinnlichung soll im Folgenden als Kennzeichen der aktiven Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit angesehen werden, um so eine Theorie der Sinnlichkeit bei Kant anzudeuten. Um diese zu verstehen, ist es essentiell, den Punkt zu markieren, an dem meines Erachtens über Kant hinauszugehen ist. Wie bereits angedeutet wurde und an der Schlüsselstelle der Kritik der Urteils-

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Oschmann 2002, S. 295: „Der Prozess der Versinnlichung transformiert die Sprache vom bloßen Medium gleichsam zum Organon der Erkenntnis. Sobald darüber hinaus die Sprache derart von ihrer repräsentationalen Funktion entbunden und als ein unverfügbar Vorgängiges begriffen wird, vermag sie selbst neue Ordnungen zu generieren, und dies wiederum wird am Ende die Bedingung dafür sein, dass die Dichtung aus dem Stadium der Nachahmung allmählich heraustreten und zur Präsentation, das heißt zur Darstellung übergehen kann“. Für eine ausführliche­re Erklärung der Versinnlichung bei Lessing, Schiller und Kleist siehe auch Oschmann, 2007. Gasché 1994, S. 163 „Im Unterschied zu dem rhetorischen Gebrauch des Begriffs, der ihn als Bezeichnung für das lebhafte Malen einer Vielzahl von ästhetisch oder moralisch interessanten Szenen noch immer recht weit faßt, faßt Kant neuer und origineller Gebrauch von ‚Hypotypose‘ diesen Begriff viel enger: Bei ihm benennt er die Produktion der Realität unserer Begriffe und damit der Lebendigkeit unseres Gemüts und seiner Vermögen. Die Hypotypose wird daher am besten als eine transzendentale Darstellung bezeichnet“. Gasché 1994, S. 169. Gasché 1994, S. 171.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

kraft ersichtlich ist, spricht Kant selbst von einer zweifachen Versinnlichung und unterscheidet sie in eine schematisch-bestimmende und eine symbolische. Um eine aktivische Lesart der Sinnlichkeit zu stützen, muss daher der Problemkontext der symbolischen Versinnlichung zunächst eingeklammert werden, damit die schematische Versinnlichung als Bestimmungsverfahren der Erkenntnis herausgestellt werden kann. Damit verbunden ist eine Revision seiner Erkenntnistheorie durch die Berücksichtigung sowohl seiner anthropologischen Schriften als auch – im zweiten Teil – des transzendentalen Versuchs Maimons und der metakritischen Revision Herders. Der Versinnlichungsbegriff stellt meines Erachtens die Spur dar, der man zu folgen hat, um den Schematismus als semantischen Prozess einer sinnlichen Gestaltung zu bestimmen. In dieser Hinsicht ist die Kompatibilität zwischen den anthropologischen Schriften und den Kritiken hier nicht als eine problemlose Überschneidung zu deuten, sondern als Folge eines kritischen Erweiterungsversuchs anzusehen, die sprach- und erkenntnistheoretische Problemstellung in ihrer Komplexität und Fülle von Referenzen zu betrachten. Aus diesem Blickwinkel werden auch die Revisionsversuche in der Nachfolge Kants untersucht; vor allem Herder ist es, der Kant in seiner Auslegung des Schematismus dazu bewegen möchte, einen „neuen Metaschematismus tönender Gedankenbilder“ einzuführen.110 Das soll bereits hier erwähnt werden, um die herausragende Bedeutung der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit im Schematismus anzudeuten, die meines Erachtens von Kant zwar gesehen, jedoch nicht systematisch in die Transzendentalphilosophie eingeführt wird. Im Folgenden sollen diese Aspekte nun schrittweise entwickelt und zum Schematismus in Beziehung gesetzt werden. Zunächst hat es dabei um die Spezifizierung der einzelnen Sinne zu gehen, um anschließend die Synthesis der Einbildungskraft untersuchen zu können.

5. Si n n u nd E i nbi ldu ngsk ra f t a ls ‚ z wei St üc ke der Si n n l ic h keit ‘ Die Sinnlichkeit enthält mehrere Schichten: Sie muss erstens von der rein subjektiven Empfindung unterschieden werden, die dem Zustand des Gefühls entspricht. Zweitens ist sie auf die gegenstandsbezogene Empfindung bezogen. Auf dieser Ebene kann der Gegenstand gegenwärtig sein und in dieser Gegenwart durch die Sinne wahrgenommen werden. Der Gegenstand kann jedoch auch abwesend sein und nur vorgestellt werden. Jetzt ist es daher an der Zeit, die objektbezogene Empfindung sowohl in ihrer Gegenwart als auch ohne ihre Gegenwart genauer zu untersuchen. In der Anthropologie schreibt Kant dazu: 110

Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

„Die Sinnlichkeit im Erkenntnisvermögen (das Vermögen der Vorstellungen in der Anschauung) enthält zwei Stücke: den Sinn und die Einbildungskraft. Das erstere (Sinn) ist das Vermögen der Anschauung in der Gegenwart des Gegenstandes, das zweite (Einbildungskraft) auch ohne die Gegenwart desselben“.111 Die Untersuchung der einzelnen Sinne wird in der Kritik der reinen Vernunft nicht unternommen, da es dort nur um die Form der Sinnlichkeit geht, die – anders als die Materie der Erscheinung, die nur a posteriori gegeben ist – a priori bereit liegt.112 Und diese Form ist die reine Anschauung, die durch ihre Isolierung von Begriffen und von empirischen Empfindungen erörtert wird. Die reinen Formen der Anschauung, Zeit und Raum, sind im Schematismus mit den reinen Begriffen verbunden. Sie stellen somit die sinnliche Bedingung der Grundsätze der Erfahrung dar – soweit gibt es die innere Struktur der Kritik der reinen Vernunft bis zur Erläuterung der Grundsätze vor. In diesem Rahmen ist der Schematismus – wie schon erwähnt – nur ein notwendiger, jedoch nicht ausführlich entfalteter Schritt, der zur Überbrückung des Dualismus zwischen Sinnlichkeit und Verstand dient, und dessen synthetisierende Macht in den Sinnen keinen direkten Ursprung hat. Bei der Erkenntnis handelt sich nach Kant nur um eine gegenstandsbezogene Empfindung, und deshalb heißt „diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, empirisch. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung“.113 Die Empfindung stellt nur die Materie der Erscheinung, abgesehen von ihrer Form dar, welche ermöglicht, „dass das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet werden kann“.114 Die Formen der sinnlichen Anschauungen sind Zeit und Raum, deren Bestimmung nicht begrifflich erfolgen kann – die transzendentale Ästhetik dient gerade dazu, ihren formalen, anschaulichen Charakter zu erklären. Ohne die Formen der Anschauungen wäre die Sinnlichkeit deshalb nur passiv, dem Verstand gegenüber leidend, während sie eben durch diese Formen eine Vorbildung erfährt: Die sinnliche Mannigfaltigkeit bekommt damit einen schon synthetischen Charakter, der Bedingung für ihre Subsumption unter Begriffe ist, wie Kant anmerkt: „Raum und Zeit sind die Formen der Verbindung in der Anschauung und dienen, die Categorien in concreto anzuwenden“.115 Ihre Vorbildung ermöglicht den Übergang von der Materie zur Form der sinnlichen 111 112 113 114 115

Kant, AA VII: 153. Vgl. Kant, KrV, B 35f., A 21. Kant, KrV B 33, A 20. Kant, KrV B 34. Kant, AA XVIII: 393 (Hervorhebung L.G.).

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Anschauungen, die durch den Schematismus mit den Begriffen vermittelt werden. Sowohl die Zeit als auch der Raum sind im Schematismus impliziert, und dieser Aspekt wird in Bezug auf die Betrachtung einzelner Sinne noch deutlicher werden.116 Diese sind nämlich die ersten Rezeptoren des unbestimmten Gegenstandes einer empirischen Anschauung, den Kant als Erscheinung definiert: „Die Wirkung eines Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von demselben affiziert werden, ist Empfindung. Diejenige Anschauung, welche sich auf den Gegenstand durch Empfindung bezieht, heißt empirisch. Der unbestimmte Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung“.117 Die Gegebenheit wird schon durch die Sinne zur Gestalt gemacht, und Kant bezeichnet die Anschauungen in der Anthropologie selbst als „Gestalten der Dinge“.118 Die leitende These meiner Interpretation besteht deshalb darin, diese Gegebenheit immer schon als eine Versinnlichung zu deuten und die quaestio facti von der Klage über die Passivität der Sinnlichkeit zu befreien. Der passive Aspekt der Sinnlichkeit kann nur auf die Rezeptivität bezogen werden, indem die Sinne auf einen äußeren Reiz reagieren. Ohne eine transzendentale Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit hätte jedoch diese Stimulation keine sinnliche Form, in der sich die Bedeutung realisieren könnte. Daher zielt die vorliegende Untersuchung nicht darauf ab, den Ursprung des synthetischen Verfahrens des Schematismus in den Sinnen zu begründen, sondern die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit als zentrales Merkmal in den Prozess der Schematisierung zu integrieren, der damit nicht empirisch oder physiologisch, sondern rein transzendental zu bestimmen ist.119 Es wird somit der Versuch unternommen, die 116

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Das Problem der unterschiedlichen Funktionen der Zeit und des Raumes im Schematismus hat eine umfangreiche Debatte ausgelöst, die sich insbesondere an der Anmerkung zur Analytik der Grundsätze in der zweiten Auflage entzündet hat, wo Kant den Raum zur Bedingung der Wahrnehmung äußerer Gegenstände erklärt. Diese Debatte, die hier nicht eingehend untersucht werden kann, wird zum Teil von Johannes Haag (2007, S. 280–281) zusammengefasst. Vgl. außerdem auch Strawson 1966, S. 30f., und Guyer 1987, S. 167f.: „The spatiality of objects of appearances will be the ultimate condition of the objective validity of the categories, even if it does not figure in the actual schematization of them“. Vgl. dazu auch die Zusammenfassung dieser Problematik von Hughes 2007, S. 229–237. Im abschließenden dritten Teil werde ich erklären, inwieweit von einer transzendentalen Bedeutung von Zeit und Raum in der Schematisierung bezüglich des Bildes und des Lautes auszugehen ist. Kant, KrV B 34, A 19f. Kant, AA VII: 191. Siehe dazu Karl Hepfer (2006, S. 103–105), der bezüglich der kantischen Lehre zu Recht darauf besteht, dass der Schematismus als ein Verfahren zu verstehen ist, „das durch die Sinne gegebene Daten anhand eines bestimmten Merkmals ordnet und strukturiert, und Kant behauptet an keiner Stelle, dass dieses Verfahren seinen

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Funktion der Sinnlichkeit als weitaus umfassender zu deuten, als üblicherweise angenommen wird, womit zugleich die einzelnen Sinne selbst als transzendentale Funktionen in den Blick kommen. Wenn nun der Schematismus entsprechend als Prozess angesehen wird, der zur Erläuterung des Gebrauchs von Begriffen, Zeichen und Bildern dienen soll, dann verändert sich sowohl die innere Struktur als auch die Reichweite der vorzunehmenden Untersuchung, da sie unter die Elemente der formalen Anschauung nicht nur die reinen Formen der Zeit und des Raums zählt, sondern auch die Funktion der Sinnlichkeit. Dabei wird sich herausstellen, dass die Sinnlichkeit zahlreiche transzendentale Aspekte umfasst, was eine bloß empirische, physiologische und psychologische Bestimmung derselben unplausibel erscheinen lässt. Diese Aspekte sind insbesondere in den anthropologischen Schriften Kants zu finden, in denen die Untersuchung der Funktionen der Sinne und der Einbildungskraft im Vordergrund steht. Es wird sich zeigen, inwiefern die Wirkung der Begrifflichkeit nicht von der Gestaltungsfähigkeit der Sinnlichkeit abgetrennt werden kann, und warum im Fall der Bedeutungsgebung genau genommen nicht von einer Gegebenheit der Bedeutung gesprochen werden sollte. Die Gestalt wird damit zum zentralen Kennwort für die systematische Analyse der Sinnlichkeit bei Kant – besonders mit Blick auf die Verhältnisse zwischen den Sinnen, den Anschauungen und den Erscheinungen. Eine solche Untersuchung der Sinnlichkeit mit Fokus auf die Gestalt kann jedoch nicht von ihren zwei Gegenstücken absehen und sollte daher zugleich die Funktion sowohl der Sinne als auch der Einbildungskraft berücksichtigen. Ihr systematischer Zusammenhang wird von Kant, wie bereits erwähnt, insbesondere in der Anthropologie und in den auf sie bezogenen Reflexionen entwickelt, die er zum Teil als Antwort auf die Kritik Hamanns und Herders entworfen hat.120 Hier bestimmt Kant die Rolle der Sinne in Bezug auf die Vorstellung der äußeren Gegenstände und die Erkenntnis der abstrakten Begriffe. Die fünf Sinne stellen nach Kant den Bezug zu den äußeren Gegenständen her. Sie sind keine bloßen Rezeptoren, sondern spielen eine grundlegende Rolle in der Vorstellung der Gegenstände und in ihrer möglichen sprachlichen Bezeichnung. Auf der Ebene der Sinne findet sich bei Kant eine ähnliche Spannung zwischen Subjektivität und Objektivität, wie sie in Bezug auf den Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Empfindung herausgearbeitet werden konnte. Nach Kant gibt es fünf Organsinne, deren Empfindung in einzelnen Organen zu lokalisieren ist und die sich dahingehend unterscheiden, ob die entsprechenden Sinne mehr objektiv als subjektiv oder mehr subjektiv als objektiv

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Ursprung in den Sinnen habe. Im Gegenteil: er weist wiederholt darauf hin, dass es zu den apriorischen Voraussetzungen unserer Erkenntnis zu zählen ist“. Vgl. dazu Erdmann 1882, S. 11–16.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

sind.121 Zu ersteren zählt der Tastsinn, das Gehör und das Gesicht; zu letzteren der Geschmack und der Geruch. Die Spannung zwischen Objektivität und Subjektivität bringt jedoch keine starre Trennung zwischen den Sinnen mit sich, sondern zeigt eine komplexe Synästhesie in der Wahrnehmung an – deren Bedeutung als „Sensorium commune“122 Kant jedoch nur einmal erwähnt und die erst für Herder entscheidend ist. Die Sinne sind demnach nicht starr als objektiv oder subjektiv zu charakterisieren: Sie besitzen vielmehr eine physiologische Natur, die im ganzen synästhetischen Prozess variieren kann und moduliert wird; sie schwanken sozusagen zwischen Objektivität und Subjektivität. Kant bemerkt, dass wir in einigen Fällen sogar eine Umkehrung oder besser: eine Umwandlung einer äußeren Beziehung in eine innere erleben können, wenn zum Beispiel die Empfindung so stark wird, „dass das Bewusstsein der Bewegung des Organs stärker wird“.123 Das Verstehen von Bedeutung ist also eine äußere Beziehung, die durch eine starke Empfindung zu einer inneren wird, weil so die Aufmerksamkeit gewissermaßen auf das empfangende Organ gerichtet wird. Erklärt wird das am Beispiel des Sprechens: Wenn eine Person so laut redet, dass es in den Ohren schmerzt, dann tritt das Verstehen der Bedeutung in den Hintergrund, das normalerweise die primäre Funktion des Hörens einer sprechenden Person ist. Abgesehen von der als synästhetisch deutbaren Formulierung, „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“,124 die den notwendigen Zusammenhang zwischen Sinnlichkeit und Verstand ausdrückt, behandelt Kant die Synästhesie nicht explizit, bzw. nur teilweise mit Blick auf die Frage nach dem Vikariat der Sinne: Wenn ein Sinn fehlt, kann ein anderer seine Stellung einnehmen und ihn ersetzten. Über diese Ersatzfunktion bestimmt er die Eigenschaften einzelner Sinne. Das Problem lässt sich am besten anhand des Beispiels von Personen erklären, denen bestimmte Sinne fehlen – wie etwa diejenigen, die stumm sind und sich durch Gebärdensprache ausdrücken. Die im Schematismus angelegte Synästhesie kommt allerdings erst bei Herder zu ihrer vollen Entfaltung und soll zudem später auf den Ansatz Plessners bezogen werden, der meines Erachtens eine mit Kant kompatible, ‚isolierende Ästhesiologie‘ vertritt, in der jene Synästhesie immer schon a posteriori ist. Was in der anthropologischen Untersuchung der Sinne in Bezug auf den Schematismus betont werden sollte, ist ihre Funktion in der Wahrnehmung und

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Kant, AA VII: 154. Kant, AA VII: 116. Vgl. dazu vor allem den Brief von 10. August 1795 an Soemmerring (AA XII: 30–35). Siehe auch die Antwort Soemmerrings von 22. August 1795 (AA XII: 39), in dem mit sensorium commune ein Organ gemeint ist. Kant, AA VII: 156f. Dazu siehe Sturm 2009, S. 261f. Kant, KrV, B 76, A 51.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

die genaue Bestimmung einer Gestalt. Für Kant sind es gerade die äußeren Sinne, die an der Hervorbringung der Gestalt beteiligt sind. Der Tastsinn dient dazu, eine physische Gestalt zu erfassen und wird deswegen als „der wichtigste und am sichersten belehrende, dennoch aber der gröbste“ bezeichnet: „Ohne diesen Organsinn würden wir uns von einer körperlichen Gestalt gar keinen Begriff machen können“.125 Die Grobheit des Tastsinnes liegt nach Kant in seiner Unmittelbarkeit, die ihn vom Sinn des Sehens unterscheidet: dieser ist nämlich „ein Sinn der mittelbaren Empfindung“, die durch das Licht affiziert wird, was dennoch so wenig und so sanft geschieht, dass er als der edelste Sinn beschrieben wird, dem eine besondere Feinheit bei der Bestimmung einer Gestalt zukommt. Unter den äußeren Sinnen unterscheidet sich davon das Gehör, weil es keine Gestalt des Gegenstandes hervorbringt. An der Bestimmung des Gehörs kann abgelesen werden, inwieweit die Anschauung bei Kant visuell konnotiert ist. Das Hören ist nämlich eine „Empfindung ohne Erscheinung und Gefühl in der Entfernung“, während mit dem Sehen die Erscheinung „in der Entfernung“126 gemeint ist. Die Funktionen der Sinne lassen sich als transzendental bestimmen, weil sie nicht nur zur Artikulation der Bedeutung dienen, sondern zugleich in enger Verbindung mit den reinen Anschauungen von Zeit und Raum stehen – die für Kant keinesfalls auf die Begrifflichkeit zu reduzieren sind.127 Diese Problematik betrifft insbesondere das Verhältnis zwischen dem Hören und der Zeit sowie dem Sehen und dem Raum, wie es in den Reflexionen über die Anthropologie ausdrücklich wird. Diese Deutung der Sinne vollzieht sich im transzendentalen Horizont Kants, der die „subjektive Beschaffenheit der Sinnesart“,128 die an 125 126 127

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Kant, AA VII: 155. Kant, AA VII: 156; AA XV: 110. Hierbei spielt der Unterschied zwischen Formen der Anschauung und formaler Anschauung eine wichtige Rolle, vor allem in der entsprechenden Differenzierung zwischen potential und actual form. Für Chiodi (1961, S. 261) ist dieser Unterschied das Neue, das im §26 der B-Deduktion in der Kritik der reinen Vernunft hinzukommt: „è in questo quadro che va collocata la grande novità del §26, e cioè l’accentuazione, circa lo spazio ed il tempo, del carattere di intuizioni formali, a scapito di quello di forme dell’intuizione“. Dieser Aspekt wird von Béatrice Longuenesse (1998, S. 216–229) in Bezug auf die Synthesis speciosa ausführlich behandelt. Die Formen der Anschauungen sind reine Anschauungen, die in der Abstraktion von der Materie behandelt und in der transzendentalen Ästhetik als isoliert untersucht werden. Ihre Funktion ist jedoch als eine lediglich potentielle anzusehen, da ihre Vorbildung sich erst in der schematisierenden Synthesis realisieren kann. Nach Longuenesse (1998, S. 221) ist die Einführung der formalen Anschauungen in §26 der Deduktion B deshalb von großer Bedeutung, weil Kant damit die Dimensionen von Zeit und Raum als schon in der Synthesis speciosa implizierte bestimme. Dabei werde eine aktuelle Form der Anschauungen eingeführt, „a form synthesized by the intervention of spontaneity“. Kant, KrV, B 45.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

die subjektive Empfindung von Farben, Tönen, Wärme usw. gebunden ist, in der Betrachtung der Anschauungen ausklammert. Dieser Zusammenhang soll im Folgenden über eine Analyse der Gestaltungsfunktion der Sinne bei Kant vertieft werden. In diesem Zusammenhang ist die jeweilige Funktion der Zeit und des Raumes im angezeigten Gestaltungsprozess von besonderem Interesse. Die Schematismuslehre betrifft die Konstitution (und nicht die Konstruktion) des Gegenstandes der Bedeutungserfahrung – und die Gestalt wird zum Kernbegriff dieses Konstitutionsprozesses. Auf der Ebene der Wahrnehmung ist sie primär eine visuelle Gestalt, während die Gestalt für das Gehör näher am Begriff und daher weniger visuell konnotiert ist. Es geht daher bei dieser Gestalt mehr um ein abstraktes Ganzes von Merkmalen, das sich sinnlich-akustisch realisiert. Sowohl Gesicht als auch Gehör sind formale Sinne, d.h. sie gehen auf die Form des Gegenstandes, auf den sie bezogen sind: „Die Sinne sind entweder obiektiv oder subiektiv. Die erstere gehen entweder auf Materie (Gefühl) oder Form (Gesicht und Gehör). Die letztere entweder auf Gestalt oder Spiel: Gesicht und Gehör“.129 Die Gestalt spielt bei Kant deshalb eine wesentliche Rolle, weil sie als Medium die Vorstellung eines Gegenstandes nach den Verhältnissen des Raumes ermöglicht, während die Zeit keine Gestalt hervorbringen kann. Die Zeit ist vielmehr die „Bedingung a priori aller Erscheinungen“130 und bezieht sich nach Kant unmittelbar auf das Innere und nur mittelbar auf die äußeren Erschei­ nungen, deren unmittelbare Bedingung der Raum ist. Und „weil diese innere Anschauung keine Gestalt gibt“ – bemerkt Kant in der Transzendentalen Ästhetik –, „suchen wir auch diesen Mangel durch Analogie zu ersetzen, und stellen die Zeitfolge durch eine ins Unendliche fortgehende Linie vor“.131 Die Gestalt ist deshalb das eigentliche Erkenntnismittel aller Gegenstände, weshalb auch die zeitliche Reihe in der räumlichen Gestalt eine – wenn auch bloß analogische – Darstellung erhält.132 Und nicht zufällig wird die Dimension der Zeit von Kant oft mit dem Begriff des Spiels beschrieben, um sie so vom gestalthaften Cha-

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Kant, AA XV: 108. Vgl. dazu auch die späteren Vorlesungen Kants, AA XXV, II: 1242–1245 und 1452–1454. Kant, KrV, B 50, A 34. Kant, KrV, B 50, A 34. Diesbezüglich siehe die wichtige Reflexion 683 (AA XV: 304): „Die Vorstellung eines Gegenstandes nach den Verhaltnissen des Raumes ist die Gestalt und deren Nachahmung das Bild. Die Form der Empfindungen Erscheinung ohne Vorstellung eines Gegenstandes besteht blos in der Zusammenordnung der Empfindungen nach Verhältnis der Zeit und die Erscheinung heißt ein Gefolge (oder Reihe oder das Spiel). Alle Gegenstände können sinnlich oder anschauend erkannt werden nur unter einer Gestalt“.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

rakter des Raumes zu differenzieren.133 Das Denken einer Linie – das immer schon mit dem gedanklichen Ziehen einer Linie einhergeht – stellt dabei exemplarisch die Gestaltungsfunktion der Einbildungskraft dar: „Wir können uns keine Linie denken, ohne sie in Gedanken zu ziehen“.134 Und die Reflexion 6359 schließlich bezieht diese Wechselbestimmung auf den Begriff des Schematismus: „Dass die Zeit durch eine Linie (die doch ein Raum ist) und der Raum durch eine Zeit (eine Stunde gehens) ausgedrückt wird, ist ein Schematism der Verstandesbegriffe“.135 Auf die Ebene des visuell-räumlichen Ziehens einer Linie, das die Nähe zwischen schematischer und diagrammatischer Methode anzeigt, wird später noch einzugehen sein.136 Zunächst soll hier die akustisch-zeitliche Gestaltung näher beleuchtet werden, weil sie für Kant die Bedingung der Artikulation von Bedeutung zwischen Bild und Begriff darstellt. Gerade weil das Gehör keine visuelle Gestalt hervorbringen kann, ist es so wichtig für die Schematisierung, in der Gehör und Zeit eng verbunden sind: „Weil das Gehor auf die Zeit einschlägt, so begleitet es alle Verstandesvorstellungen vom obiect, bringt aber keine Vorstellung des obiects hervor“.137 Und kurz darauf: „Weil das Gehör keine Gegenstände vorstellt, so dient es vortreflich zum Zeichen der Sache (Worte)“.138 Gerade wegen der mittelbaren Distanziertheit vom Gegenstand (durch die Luft) sind die Laute „die geschicktesten Mittel der Bezeichnung der Begriffe“, weil sie mit dem Begriff die Allgemeinheit teilen. Dieser Aspekt wird für Kant exemplarisch durch den Fall des Taubgeboren verdeutlicht, der „nie zu etwas Mehrerem, als einem Analogon der Vernunft gelangen“139 kann. Er kommt daher „nie zu wirklichen Begriffen, weil die Zeichen, deren er dazu bedarf, keiner Allge­ meinheit fähig sind“.140 Diese Allgemeinheit macht die Zeichen zu Wächtern – und nicht zu Symbolen – der Begriffe, die an sich nichts bedeuten und nur der Bezeichnung dienen: „Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken, und umge133

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Die allgemeine Unterscheidung zwischen Gestalt und Spiel, die eine wichtige Rolle in der Klassifizierung der Künste spielt, wird in der Kritik der Urteilskraft folgendermaßen erörtert (KU, B 42, A 42): „Alle Form der Gegenstände der Sinne (der äußern sowohl als mittelbar auch des innern) ist entweder Gestalt, oder Spiel: im letztern Falle entweder Spiel der Gestalten (im Raume, die Mimik und der Tanz); oder bloßes Spiel der Empfindungen (in der Zeit)“. Der Spiel-Begriff ist wesentlich für die Bestimmung der Musik, die Kant als „Spiel der Empfindungen“ oder „Spiel der Eindrücke“ beschreibt. Siehe zum Beispiel die Reflexion 806 (AA XV: 356). Kant, KrV, B 154. Kant, AA XVIII: 687. Dieser Aspekt wird später in Bezug auf die diagrammatische Auslegung des Monogramms betrachtet (siehe Kap. V.2.1). Kant, AA XV: 99. Vgl. Capozzi 2006 und 2012. Kant, AA XV: 101. Kant, AA VII: 155. Kant, AA VII: 159.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

kehrt die vorzüglichste Art der Gedankenbezeichnung ist die durch Sprache, dieses größte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen“. Die Bezeichnung würde anders gesagt ohne die Funktion des Gehörs nicht erfolgen und wäre auf den beispielhaften und einzelnen Charakter einer Bild-Gestalt fixiert. Das Gehör ermöglicht somit zugleich eine Verinnerlichung wie auch eine Äußerung der Bezeichnung, die zur Artikulation der Allgemeinheit beiträgt.141 Der innere Sinn ist daher in Bezug auf den engen Zusammenhang zwischen Zeit, Gehör und Zeichen eine Verinnerlichung des Gegenstandes, die gleichzeitig einen innerlichen Bezug zu den Gegenständen des äußeren Sinnes herstellt. Die Zeit ermöglicht demnach die Verinnerlichung der Bedeutung, die sich sprachlicher Zeichen bedient, wohingegen der Raum die Veräußerlichung der Bedeutung ermöglicht, die sich durch Bilder und konstruierte Figuren artikuliert.142 Gerade weil die innere Anschauung für Kant keine Gestalt ‚gibt‘, ist es eine bloße Analogie, wenn die Zeitfolge „durch eine ins Unendliche fortgehende Linie“ vorgestellt wird, „in welcher das Mannigfaltige eine Reihe ausmacht“.143 Daher kann es nicht verwundern, dass Kant schreibt: „Das Schema der Zeit [ist] eine Linie“.144 Die Gestalt im Sinne eines Bildes ist immer nur konkretes Beispiel eines Begriffes, das – wie sich zeigen wird – in der Kritik der Urteilskraft als Definition der empirischen Anschauungen vorkommt. Das Sehen ist gerade an das Hier und Jetzt des Bildes gebunden und kann nicht zur Bezeichnung dienen, die vom Bild abstrahiert: „Wenn man den Begriff nicht von Bildern absondern kann; so wird man niemals rein und fehlerfrey denken können“.145 Dieser Satz wird in der Metaphysik Volckmann auf die Darstellung abstrakter Begriffe durch Bilder vor allem bei Heraklit und Pythagoras bezogen. Aristoteles hingegen sei derjenige unter den Griechen, der diese Darstellung weiter entwickele, indem er „für die abstractesten Ideen Wörter“ erfun-

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Diesbezüglich sind die Collegentwürfe über Anthropologie aus den 70er und 80er Jahren sehr aufschlussreich (AA XV: 802). Die Definition des Gehörs liest sich wie folgt: „Mittelbar (mehr subiectiv). Theilt die Zeit ein, stellt die Gestalt des Gegenstandes gar nicht vor. Der Eindruk ist innigst“. Das ist der Sinn derjenigen Übersetzung, die Henry Allison „temporalese“ nennt, was mehr als eine bloße Übersetzung der reinen Begriffe in zeitlichen Ausdrücke sei, wie er (2004, S. 221) erklärt: „It is rather more like a matter of translating what is thought in a pure concept into temporal terms, into ‘temporalese’, if you will. But this way of putting it may easily lead to misunderstanding, since it glosses over the crucial point that a thought is being ‚translated” from its natural discursive form into a non-discursive one. Thus, the model of the translation of a sentence or term from one natural language to another cannot be applied here without significant qualifications“. Kant, KrV, B 50, A 34. Kant, AA XXIII: 27. Kant, AA XXVIII: 369.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

den habe.146 Dieser Aspekt wird im folgenden Kapitel in Bezug auf das Schema als Artikulation von Bedeutung zwischen Begriff und Bild genauer zu untersuchen sein.147 Die Sinne sind also durch spezifische Funktionen charakterisiert, die sich in der Artikulation der Bedeutung niederschlagen, weshalb sie nicht auf ihre psychologischen und physiologischen Aspekte reduziert werden können. Es geht bei ihnen weder um die Beurteilung psychischer Zustände,148 noch lassen sie sich ausschließlich mittels einer experimentellen, physiologischen (heutzutage: neurophysiologischen) Methode analysieren, da sie schon immer einen semantischen Bezug herstellen. Die Sinnlichkeit ist zwar zweifellos empirisch und physiologisch verankert, impliziert aber eine transzendentale Ebene, dank der sie Bedingung der Artikulation von Bedeutung zwischen Wortlaut und Bild ist. Denn ohne die Sinne – die immer schon eine Versinnlichung darstellen – wäre eine solche Artikulation nicht möglich. Die Sinnlichkeit ist insofern nicht nur Bedingung einer bestimmten Vorbildung der sinnlichen Mannigfaltigkeit, sondern auch einer Gestaltung derselben zwischen Begriff und Bild, wobei den Sinnen eine transzendentale Funktion zukommt, die – wie sich im Anschluss an die Untersuchung des Schematismus bei Kant zeigen wird – nicht nur rein semiotisch, sondern genetisch und vorsprachlich ist. An dieser Stelle muss zunächst hervorgehoben werden, dass die Anschauungslehre nicht in ihrer ontologischen Bedeutung behandelt wird. Es wird daher auch nicht um das Problem der ontologischen Realität von Zeit und Raum gehen, das den Ausgangspunkt für Kants Auseinandersetzung mit den Raumtheorien von Newton und Leibniz darstellt und prägend für die Bestimmung der Anschauungen ist, insofern sie nicht auf begriffliche Bestimmungen zurückführbar sind. Ob nun alle Gegenstände der Sinne sich notwendigerweise in zeitlichen und räumlichen Verhältnissen befinden,149 ist eine Frage, die eine ebenso lange wie komplexe Rezeptionsgeschichte hat und eine Auseinandersetzung mit der Relativitätstheorie und der zeitgenössischen Quantenphysik impliziert. Sie soll hier zugunsten einer Untersuchung der transzendentalen Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit nicht weiter verfolgt werden. Diesbezüglich sind zwei Aspekte hervorzuheben, die Kant zwar anführt, aber systematisch und terminologisch nicht weiter zuordnet: Einerseits ist eine gewisse Reduktion des Schemas auf die figurative Bestimmung zu verzeichnen. Kant hebt die Funktion der lautlichen Formung in Bezug auf das Verhältnis zwischen Wörtern und Begriffen zwar hervor, aber er bezeichnet sie nicht als 146 147 148 149

Kant, AA XXVIII: 369. Siehe unten, Kap. III. Vgl. dazu Kant, AA XV: 105: „Man ist gewohnlich voll von Empfindung, wenn man leer an Gedanken ist“. Siehe Kant, KrV, B 50, A 34.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

eine Gestalt, deren Begriff er für das Sehen und den Tastsinn reserviert. Im Gegensatz dazu ist es meines Erachtens angemessen, auch in Bezug auf die Formung des Lautes von einer (akustischen) Gestalt zu reden – wie es in paradigmatischer Weise von Bühler im Sinne des Klanggesichts und Wortbildes beschrieben wird.150 Und obwohl Kant diese Auffassung nicht systematisch vertritt, bin ich der Meinung, dass die von seiner Schematismuslehre ausgehende Annahme einer Versinnlichung mit der Definition des Wortes als Gestalt kompatibel ist. Andererseits möchte ich kurz darauf hinweisen, dass bei Kant auch eine kinästhetische Bestimmung der Gestalt zu finden ist, die er mit Blick auf den Tastsinn und auf inkongruente Gegenstände im Raum einführt151 und die für die Verkörperungstheorie von besonderer Bedeutung ist.152 Die Sinnlichkeit umfasst neben der Hervorbringung von Gestalten durch die Sinne eine weitere Ebene der Synthesis, auf welcher der Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart vorgestellt werden kann. Alle Empfindungen sind nach Kant „unwillkührlich“,153 weil sie die Gegenwart des Gegenstandes erfordern, welche als eine Abhängigkeit vom physiologischen Reiz (Stimulus) erklärt werden kann: Sie rezipieren den Gegenstand so, wie er durch die Empfindungen gegeben wird, obwohl diese Gegebenheit – wie sich zuvor gezeigt hat – immer schon durch die Sinne gestaltet wird. Dass jedoch die Sinnlichkeit nicht nur Eindrücke liefert, sondern auch eine Synthesis derselben hervorbringt, kann das Problem der Gestaltung als solcher noch nicht lösen. Denn die Gestaltung enthält zugleich die begrifflichen Komponenten, die in der reinen Rezeption der Sinne nicht enthalten sind. Damit ist die spezifische Funktion der Einbildungskraft als einer Synthesis angesprochen, die nicht direkt von physiologischen Reizen abhängt: „Dass die Einbildungskraft ein notwendiges Ingredienz der Wahrnehmung selbst sei, daran hat wohl noch kein Psychologe gedacht. Das kommt daher, weil man dieses Vermögen teils nur auf Reproduktionen einschränkte, teils, weil man glaubte, die Sinne lieferten uns nicht allein Eindrücke, sondern setzten solche auch so gar zusammen, und brächten

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Dieser Aspekt kann hier nicht näher untersucht werden. Siehe Bühler 1999, §18, S. 276f. und 283f. Vgl. auch Albano Leoni (2009, S. 181), der die Funktion des Klanggesichts in der Wahrnehmung der Wörter hervorhebt. Siehe insbesondere die Abhandlung Kants Von dem ersten Gründe des Unterschiedes der Gegenden im Raum (1768), AA II: 375–383 und vgl. dazu Scaravelli 1951, S. 389–421. Darauf werde ich Zusammenhang der diagrammatischen Auslegung des Monogramms zurückkommen (siehe Kap. V.2.1) Im dritten Teil unserer Untersuchung werden einige Andeutungen in Bezug auf die Funktion der Kinästhesie im Gestaltungsprozess bei Merleau-Ponty und Plessner zu diskutieren sein (siehe Kap. I.1). Kant, AA XV: 103.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Bilder der Gegenstände zuwege, wozu ohne Zweifel, außer der Empfänglichkeit der Eindrücke, noch etwas mehr, nämlich eine Funktion der Synthesis derselben erfordert wird“.154 Die bloße Rezeption der Sinne allein schafft demnach keine Synthesis im Sinne einer Bedeutungserfahrung, wie sie im Allgemeinen die Wahrnehmung kennzeichnet, die immer zugleich eine begriffliche Komponente enthält. Das darf jedoch nicht so gedeutet werden, als ob die gesamte Bedeutungserfahrung auf der begrifflichen Komponente gründete – dagegen spricht die bereits untersuchte Funktion der subjektiven Empfindung. In Abwesenheit eines Gegenstandes erfolgt ein indirekter Bezug auf die Anschauungen. Eine durch die Synthesis der Einbildungskraft hervorgebrachte Vorstellung ist nämlich eine sinnliche, aber nicht notwendigerweise aktuell erfahrene Vorstellung. Darauf deutet das ‚auch‘ im oben zitierten Ausdruck Kants „auch ohne die Gegenwart“ hin. Die Einbildungskraft ist also – wie Kant selber betont – „jederzeit sinnlich“.155 Im Fall der Schematisierung der Kategorien, in der die Bedingungen der Erfahrung und der Konstitution des Gegenstandes selbst beschrieben werden, sind Kategorien und Anschauungen vermittelt. Die Funktion der Einbildungskraft wird in der Kritik anhand der Problemstellung der transzendentalen Deduktion der Kategorien entwickelt. Weil das Schematismus-Kapitel in den beiden unterschiedlichen Auflagen der Kritik unverändert bleibt, weist es potentiell Bezüge sowohl zur ersten als auch zur zweiten Auflage auf, die hier anhand der Funktion der Einbildungskraft im Schematismus untersucht werden sollen. Damit werden die erkenntnistheoretischen Motive für die gewichtigen Veränderungen der Deduktion in der zweiten Auflage ausgeklammert.156 154 155

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Kant, KrV, A 120 (Anmerkung). Kant, KrV, A 124. Es handelt sich dabei um einen Aspekt, den insbesondere Heidegger hervorgehoben hat (GA, 3, S. 147): „So kann die transzendentale Einbildungskraft als reine endliche Anschauung nicht nur, sie muss sogar als Grundbestimmung der endlichen Transzendenz ‚sinnlich‘ sein“. Ich werde in Kap. I des dritten Teils darauf zurückkommen. Zur Stellung der Einbildungskraft in den beiden Auflagen der Deduktion siehe Mörchen 1930, S. 352–386. Er fasst die wesentlichen Unterschiede zwischen den Auflagen folgendermaßen zusammen: „1. Die Einbildungskraft steht in der 1. Auflage als selbstständiges Erkenntnisvermögen zwischen den Sinnen und dem Verstande; in der zweiten wird sie als Vermögen der figürlichen Synthesis zu einer bloßen Funktion des Verstandes. 2. Demgemäß wird sie in der 2. Auflage weniger ausführlich erörtert und verliert ihre zentrale Stellung im äußeren Schema der Beweiskette. 3. Der terminologische Unterschied von produktiver und reproduktiver Einbildungskraft wird in der 2. Auflage deutlicher gewahrt. 4. Doch hängt mit der Verdrängung der reproduktiven als des ontischen Fundaments der produktiven Einbildungskraft eine Verdeckung ihrer eigentümlichen Zeitlichkeit, die sich in der

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Problematik der isolierten Beschreibung der Vermögen und ihrer jeweiligen Funktionen geht nicht zuletzt auf die Veränderung zwischen den beiden Auflagen der Deduktion zurück: In der ersten Auflage wird der Einbildungskraft die Funktion einer Synthesis der Reproduktion zwischen Apprehension und Rekognition zugeschrieben, die Kant jeweils mit den Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes verbindet. In der zweiten Auflage dagegen übernimmt die Synthesis der Einbildungskraft die Funktion einer figürlichen Synthesis speciosa, die „eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste Anwendung desselben […] auf Gegenstände der uns möglichen Anschauung“ ermöglicht.157 Zwei der von Kant vorgenommenen Unterscheidungen sind für die Schematismuslehre von großer Bedeutung: Einerseits wird in der zweiten Auflage der Deduktion die Synthesis speciosa von der Synthesis intellectualis unterschieden,158 die eine nur logische Verstandesverbindung ist und zur objektiven Realität die erste, anschauliche Synthesis erfordert.159 Andererseits wird in beiden Auflagen der Unterschied zwischen produktiver und reproduktiver Ein-

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1. Auflage gezeigt hatte, zusammen. 5. Gleichwohl muss auch die Interpretation der 2. Auflage auf das Verhältnis von Einbildungskraft und Zeit führen, zumal da jetzt der Einbildungskraft das Vermögen der Selbstaffektion zuerkannt wird“. Ein wichtiger Aspekt ist von Klaus Düsing (1995, S. 66) betont worden, der ein Indiz für diese Veränderung in der Tatsache sieht, dass „Kant in seiner Spätzeit in der Regel nicht mehr vom Schematismus der Einbildungskraft, sondern vom Schematismus der Urteilskraft spricht“. Siehe dazu auch Bennett 1966 (insbesondere §34, Imagination in the Transcendental Deduction, S. 134–138), Gibbons 1994, Longuenesse 1998, Wunsch 2007 und Haag 2007. In Bezug auf die Behandlung der Einbildungskraft auch Hepfer 2006, S. 73–83 und 111–199. Kant, KrV, B 152. Gerade die veränderte Auffassung des Verhältnisses zwischen Verstand und Einbildungskraft in der zweiten Auflage liegt der Kritik Heideggers zugrunde (GA, 3, S. 82–84). Siehe Haag 2007, S 263: Die Synthesis speciosa „ist mit anderen Worten, die Spezialisierung der Synthesis intellectualis, die synthetische Wirkung der Spontaneität des Verstandes hinsichtlich Anschauungen überhaupt bezeichnet, auf die Bedingungen, unter denen das Mannigfaltige in unserer Sinnlichkeit gegeben ist“. Zum Problem des Verhältnisses zwischen den beiden Arten der Synthesis siehe Mörchen 1930, S. 358 und Chiodi 1961, S. 256. Letzterer bezieht sich auf den Aufsatz von Enzo Paci über die Schematismuslehre, in dem Paci die Interpretation Heideggers in dem Versuch heranzieht, die Hierarchisierung der Vermögen zu überwinden (1955, S. 387–414, und 1956, S. 37–56). Vgl. Hepfer 2006, S. 107: „Die Einbildungskraft stellt hier, in einem produktiven Akt der temporalen Indizierung und durch eine spontane Abstraktionsleistung von der empirisch kontingenten Reihenfolge ihres Auftretens, eine Verbindung der gegebenen Daten der Sinne her und schafft so die Voraussetzung dafür, dass diese, gemäß den Erkenntnisbedingungen des Subjekts, in eine Form gebracht werden, in der sie sich als Grundlage für Erkenntnisse eignen“. Vgl. dazu auch Mörchen (1930, S. 141), der sich anhand der Logik Pölitz auf den zeitlichen Charakter der Einbildungskraft bezieht.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

bildungskraft hervorgehoben. Die erste dient der reinen Anwendung der Spontaneität der Begrifflichkeit auf die Anschauungen, während die zweite durch Assoziation verfährt und empirischen Gesetzen folgt.160 Die Trennung von produktiver und reproduktiver Einbildungskraft lässt sich auf die Konzeption beider in §28 der Anthropologie beziehen. Hier wird zunächst noch einmal betont, dass die Einbildungskraft ein „Vermögen der Anschauungen auch ohne Gegenwart des Gegenstandes“ ist, und die Unterscheidung ihrer produktiven und reproduktiven Funktionen wird als diejenige zwischen einer exhibitio originaria und einer exhibitio derivativa beschrieben: Während die erste „vor der Erfahrung vorhergeht“, bringt letztere „eine vorher gehabte empirische Anschauung ins Gemüt“ zurück: „Die Einbildungskraft ist (mit andern Worten) entweder dichtend (produktiv), oder bloß zurückrufend (reproduktiv)“.161 Die dichtende Einbildungskraft wird den reinen Raum- und Zeitanschauungen zugeordnet,162 weshalb ihr produktiver Charakter nicht als schöpferische Macht verstanden werden sollte, eine bestimmte Sinnesvorstellung hervorzubringen, die „vorher unserem Sinnesvermögen nie gegeben war“.163 Gerade auf dieser Ebene sind für Kant die Sinne entscheidend, und nichts kann bestimmte Mängel an Sinnen ersetzen, wie er anhand von Beispielen anthropologischer Natur erklärt. 160

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Kant, KrV, B 152. Für einen Vergleich mit der ersten Auflage der Deduktion siehe A 117f., wo von produktiver und reproduktiver Synthesis die Rede ist, sowie A 120f., wo Kant sich explizit auf das Vermögen der reproduktiven Einbildungskraft bezieht. Kant, AA VII: 167. Heidegger deutet in den Davoser Disputationen die exhibitio originaria in Bezug auf die Endlichkeit des Menschen (GA, 3, S. 280): „Kant bezeichnet die Einbildungskraft des Schematismus als exhibitio originaria. Aber diese Originalität ist eine exhibitio, eine solche der Darstellung, des freien Sichgebens, worin eine Angewiesenheit auf ein Hinnehmen liegt. Also diese Originalität ist zwar in gewisser Weise da als schöpferisches Vermögen. Der Mensch als endliches Wesen hat eine gewisse Unendlichkeit im Ontologischen. […] Diese Unendlichkeit, die in der Einbildungskraft herausbricht, ist gerade das schärfste Argument für die Endlichkeit. Denn Ontologie ist ein Index der Endlichkeit. Gott hat sie nicht. Und dass der Mensch die exhibitio hat, ist das schärfste Argument seiner Endlichkeit. Denn Ontologie braucht nur ein endliches Wesen“. Siehe Kant, AA VII: 167: „Reine Raumes- und Zeitanschauungen gehören zur erstern Darstellung; alle übrige setzen empirische Anschauung voraus, welche, wenn sie mit dem Begriffe vom Gegenstande verbunden und also empirisches Erkenntniß wird, Erfahrung heißt. – Die Einbildungskraft, so fern sie auch unwillkürlich Einbildungen hervorbringt, heißt Phantasie. Der, welcher diese für (innere oder äußere) Erfahrungen zu halten gewohnt ist, ist ein Phantast. – Im Schlaf (einem Zustande der Gesundheit) ein unwillkürliches Spiel seiner Einbildungen zu sein, heißt träumen“. Kant, AA VII: 167f.: „Die productive aber ist dennoch darum eben nicht schöpferisch, nämlich nicht vermögend, eine Sinnenvorstellung, die vorher unserem Sinnesvermögen nie gegeben war, hervorzubringen, sondern man kann den Stoff zu derselben immer nachweisen“.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Produktivität der Einbildungskraft besteht darin, den Stoff der Sinne in Form zu transformieren und zu erhalten. Diese Gestaltung ist die transzendentale Bedingung der reproduktiven Einbildungskraft, die auf einer empirischen (zurückführenden) Ebene agiert.164 Die notwendige Verbindung, die Kant zwischen den Sinnen und der Einbildungskraft herstellt, kann jenseits der anthropologischen Nuancierung in ihrer transzendentalen Dimension betrachtet werden: „Eben so ist es mit jedem besonderen aller fünf Sinne bewandt, dass nämlich die Empfindungen aus denselben in ihrer Zusammensetzung nicht durch die Einbildungskraft können gemacht, sondern ursprünglich dem Sinnesvermögen abgelockt werden müssen“.165 Und weiter: „Wenn also gleich die Einbildungskraft eine noch so große Künstlerin, ja Zauberin ist, so ist sie doch nicht schöpferisch, sondern muss den Stoff zu ihren Bildungen von den Sinnen hernehmen“.166 Das produktive Vermögen ist daher primär eine Synthesis, die in Bezug auf die Sinne eine Transformation ermöglicht. Sie impliziert genauer eine Präformation der Sinne, die zum Erscheinen der Sinnesdaten führt; insofern schließt das Phänomen immer schon eine Versinnlichung mit ein. Die gestalterische, transzendentale Potentialität der Sinne wird durch die Einbildungskraft ausgeführt. Die Einbildungskraft steht also für eine Versinnlichung, welche Bedeutung zum Erscheinen bringt und bei der Sinn und Gedanke schwer zu trennen sind, gerade weil „die Einbildungskraft, welche dem Verstande Stoff unterlegt, um den Begriffen desselben Inhalt (zum Erkenntnisse) zu verschaffen, vermöge der Analogie ihrer (gedichteten) Anschauungen mit wirklichen Wahrnehmungen jenen Realität zu verschaffen scheint“.167 Die Einbildungskraft wirkt dabei nur auf die Form und nicht auf den Stoff der Sinne, was jedoch nicht so zu verstehen ist, als ob sie nur reine Einbildung wäre; sondern ihre Aktivität dient der

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165 166 167

Siehe folgende Stelle der KU (A 234): „Es ist anzumerken: dass, auf eine uns gänzlich unbegreifliche Art, die Einbildungskraft nicht allein die Zeichen für Begriffe gelegentlich, selbst von langer Zeit her, zurückführen, sondern auch das Bild und die Gestalt des Gegenstandes aus einer unaussprechlichen Zahl von Gegenständen verschiedener Arten, oder auch einer und derselben Art, zu reproduzieren […]“. Vgl. dazu Mörchen 1930, S. 382: „Die produktive Einbildungskraft ist Bedingung der reproduktiven; d.h. es muss zuvor möglich sein, Erscheinungen überhaupt ‚hervorzuführen‘, ehe es möglich ist, diese und jene bestimmte Erscheinung, die einmal gewesen ist, ‚wieder hervorzuführen‘“. Kant, AA VII: 168. Ebd. Kant, AA VII: 169. Kant bemerkt hier die Bedeutung einer gewissen Gleichsetzung zwischen Sinn und Gedanken in den sprachlichen Ausdrücken.

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

Formierung von Sinnesdaten.168 Das betrifft auch die Ebene der Reproduktion – die wichtige Bezüge zum Gedächtnisproblem enthält169 –, vor allem aber die Ebene der transzendentalen Produktion im Schematismus, der als Versinnlichung zu konzipieren ist. Zusammenfassend kann diese Produktion also als versinnlichende Gestaltung bezeichnet werden. Im Allgemeinen kann der Prozess des Schematismus selbst als eine Neuorientierung der Problemstellung der Deduktion gedeutet werden,170 weil er eine operative Lösung des Gebrauchs der Begriffe in Zeit und Raum voranbringt. Er stellt einen weiteren, prozessualen Schritt gegenüber der Deduktion der Kategorien dar, insofern einerseits die Kategorien nur durch den Schematismus eine objektive Bedeutung erlangen, dem Schematismus aber andererseits nicht nur die Kategorien, sondern auch sinnliche und empirische Begriffe zugeordnet sind, womit er einen breiteren Aktionsradius als die Deduktion hat und sogar Aufschluss darüber geben kann, wie das Verhältnis von Deduktion und sinnlichen wie empirischen Begriffen zu bestimmen wäre. Darauf wird später noch einzugehen sein.171 Damit wären die isolierten Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstands in eine vielschichtige Bedeutungserfahrung überführt, die immer schon Versinnlichung ist, sich der Begriffe bedient und gleichzeitig Begriffe gestaltet. Die Einbildungskraft ist die Synthesis selbst und kann daher als der Prozess schlechthin und ferner als Ausweg aus dem Dualismus zwischen Sinnlichkeit und Verstand angesehen werden. Wie sich im weiteren Verlauf der Untersu­ chung zeigen wird, ist diese Hinsicht auch zentrales Merkmal der Revisionsversuche in der Nachfolge Kants. Ich möchte damit nicht behaupten, dass das Schematismusproblem in der Kritik der reinen Vernunft in jedem Fall grundlegender als das der Deduktion sei, obwohl sich diese Möglichkeit in systematischer Hinsicht nicht ausschließen lässt.172 168 169

170

171 172

Die Wirkung der Einbildungskraft auf die Form der Dinge begründet nach Hermann Mörchen (1930, S. 330) ihre Bedeutung als reine Einbildung. Diesbezüglich vertritt Stephan Otto (2007, S. 112f.) den Ansatz einer deutlichen „Aussparung der Theorieprobleme der Erinnerung und ihrer Anschaulichkeit“ und kritisiert den Zusammenhang zwischen der Synthesis der Reproduktion in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft und dem Gedächtnis. Der Begriff einer Neuorientierung wird der Untersuchung von Sarah Gibbons (1994, S. 58) entnommen: „My contention is that the Schematism provides a reorientation of the problems and solutions offered in the Transcendental Deduction“ (Hervorhebung L.G.). Siehe unten, Kap. V. Insbesondere Matthias Wunsch (2007, S. 10–14) hat diesen Aspekt eines grundlegenderen Charakters des Schematismusproblems gegenüber dem Deduktionsproblem diskutiert und behandelt diese zwei Probleme als die Wie-Frage und die DassFrage. Die Lösung der letzteren würde die Betrachtung der ersteren begründen: „Aus diesen Gründen ist m.E. davon auszugehen, dass die Schematismuslehre für

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Einbildungskraft gehört zur Sinnlichkeit, „weil alle unsere Anschauung sinnlich ist“.173 Jedoch sind ihre Produkte oder Bildungen „nicht so allge­ mein mitteilbar, als die Verstandesbegriffe“.174 Ihre Bildungen sind daher konstitutiv sinnlich, insofern sie den Begriffen ihre sinnliche Form geben, ohne die sie keine Bedeutung hätten. Es kann daher angenommen werden, dass die Veränderung der zweiten Auflage einerseits nicht so sehr die synthetische Funktion der Einbildungskraft, sondern genauer ihren Status als Vermögen leugnet, was dem Versuch Kants geschuldet ist, ihrer psychologischen Nuancierung vorzubeugen; andererseits neigt Kant dazu, die Spontaneität des Verstandes in die Synthesis zu integrieren, welche ohne sinnliche Bedingung keine Möglichkeit hätte, Bedeutung zu erkennen.175 An der Einbildungskraft lässt sich die Spannung zwischen den zwei Richtungen der schematischen Synthesis ablesen: einerseits die Versinnlichung der Begriffe zur Anwendung auf die Erscheinungen, andererseits die Subsumierung der sinnlichen Erscheinungen unter Begriffe. Auch letztere muss als Versinnlichung gelten – mit und ohne Gegenwart des Gegenstandes. Das Phänomen lässt sich dabei nicht auf den Gegenstand reduzieren, dessen sinnliche Wahrnehmung bereits eine Gestaltung impliziert. Auf dieser Ebene spielen die von Kant für anthropologisch gehaltenen Aspekte der Gestaltungsfunktion einzelner Sinne eine zentrale Rolle, weil sie im übertragenden Prozess der Einbildungskraft die Artikulation der Bedeutung als raum-zeitliche Gestalt ermöglichen. Somit zeigen sich die Umrisse einer Bedeutungserfahrung, die nicht von der plastischen (räumlichen), assoziativen (zeitlichen) und kinästhetischen (raum-zeitlichen) Gestaltung abzutrennen ist.176 An der Einbildungskraft lassen

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Kant selbst vom Erfolg der transzendentalen Deduktion abhängig ist. Demnach ist aber das Deduktionsproblem in Kants Problemarchitektur in systematischer Hinsicht grundlegender als das Schematismusproblem“. Kant, KrV, B 151. Kant, AA VII: 169. Vgl. dazu Chiodi 1961, S. 255. Mit dieser Interpretation geht zugleich eine revidierte Auffassung der von Kant in der Anthropologie vollzogenen Differenzierung zwischen den drei verschiedenen Arten des sinnlichen Dichtungsvermögens und derjenigen Sinne einher, die als mehr objektiv denn subjektiv beschrieben werden. Siehe dazu Kant, AA VII: 174: „Diese sind das bildende der Anschauung im Raum (imaginatio plastica), das beigesellende der Anschauung in der Zeit (imaginatio associans) und das der Verwandtschaft aus der gemeinschaftlichen Abstammung der Vorstellungen voneinander (affinitas)“. Bei Kant lässt sich nicht von einer kinästhetischen Gestalt sprechen, obwohl die Bewegung eine wichtige Rolle sowohl in der Erläuterung des Tastsinns als auch in der Beschreibung des Raumes spielt. Die Betastung – wie schon oben in der Untersuchung der einzelnen Sinne erwähnt – erfordert nämlich Bewegung, damit man (AA VII: 154) „von allen Seiten sich einen Begriff von der Gestalt eines Körpers machen könne“. In Bezug auf die Bewegung schreibt Kant (KrV B 155): „Bewegung eines Objektes im Raume gehört nicht in eine reine Wis-

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II. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit

sich mithin die Konturen der Synästhesie zwischen den einzelnen Sinnen ausmachen: Durch sie erfolgt eine allgemeine, übertragende Synthesis zwischen Sinnlichkeit und Begrifflichkeit, die beide stets in der Bedeutungserfahrung involviert sind. Und diese Synästhesie zwischen akustischen, figurativen, kinästhetischen und – wenn auch in geringerem Maße – geruchlichen und geschmacklichen Aspekten lässt sich nicht vom Schematismus trennen. Ihr dynamisches Geflecht muss mittels der transzendentalen Beschreibung schematischer Bildungen entwirrt werden, indem ausgehend von Kant ihre Gestaltungsfunktion hervorgehoben und somit versucht wird, einer Hypostasierung der Frage nach dem Ursprung der Verwandtschaft zwischen den Vermögen vorzubeugen. Darin liegt letztlich die Chance, die tieferen Wurzeln des vermeintlichen Dualismus freizulegen. Die angenommene Reinheit sowohl der Anschauungen als auch der Kategorien wäre demnach primär als ein heuristisches Hilfsmittel zu verstehen, das dazu dient, die wahre Breite der Artikulation von Bedeutung zu erfassen. Reine Anschauungen und reine Kategorien sind folglich Grenzbegriffe einer Erkenntnis, die immer sinnlich ist, und eines Denkens, das immer intuitiv ist. Die Problematik, die unter anderen auch Kaulbach gesehen hat, dass das „Produzieren objektiver Gegenstandsgestalten durch Einbildungskraft zugleich auch eine Leistung des Denkens und Sprechens ist“,177 wird im Anschluss an die Untersuchung der Schematismuslehre und ihrer Abgrenzung zum Symbolbegriff zu thematisieren sein. Für Kant ist diese produktive Darstellung ohne Gegenwart des Gegenstandes der Einbildungskraft zuzuschreiben, die in diesem Sinne im Schematismus als eine „exhibitio originaria“ im Unterschied zu der von ihr abgeleiteten Darstellung einer „exhibitio derivativa“ angesehen werden kann, die bereits empirische Anschauungen voraussetzt und damit von der ersten Ebene der schematischen Bestimmung abhängt. Um diese Aktivität der Urteilskraft – die auch mit dem Begriff der energeia178 bezeichnet werden kann – zu erklären, vergleicht Kaulbach das Schema mit der Unterschrift, die all-

177 178

senschaft, folglich auch nicht in die Geometrie; weil, daß etwas beweglich sei, nicht a priori, sondern nur durch Erfahrung erkannt werden kann. Aber Bewegung, als Beschreibung eines Raumes, ist ein reiner Actus der sukzessiven Synthesis der Mannigfaltigen in der äußeren Anschauung überhaupt durch produktive Einbildungskraft, und gehört nicht allein zur Geometrie, sondern sogar zur Transzendentalphilosophie“. In Bezug auf die Bewegung diskutiert Alexandra Makowiak (2009, S. 146) den originären Charakter des Raumes und der Zeit: „De ce point de vue, à travers le caractère transcendantal du mouvement, Kant insiste sur le caractère non moins originaire de l’espace et du temps en tant que représentations acquises – invalidant ainsi toute interprétation, qui tendrait à faire valoir le caractère plus originel de l’un ou de l’autre“. Kaulbach 1981, S. 98. Zum energeia-Begriff bei Humboldt siehe Kap. IV des zweiten Teils.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

gemeiner als die einzelnen Schriftzüge ist.179 Vor der Behandlung des Schematismus als konstitutivem Prozess der Begrifflichkeit (Kap. IV), soll die Relevanz der Versinnlichung für die Hervorbringung von ‚Gestalten‘ im Schematismus erklärt werden.

179

Kaulbach 1968, S. 296: „Die reine Einbildungskraft würde im Schema ihre ‚Unterschrift‘ ausbilden: was man ‚Unterschrift‘ nennt, fällt nicht mit dem hier und jetzt vollzogenen Schriftzug zusammen, sondern ist viel allgemeiner. Die ‚Unterschrift‘ verliert sich ebenso wie auch das Schema nicht in dem Hier und Jetzt eines einzelnen Schriftzuges, sondern ist eine allgemeine und zugleich aktive Form, welche in der schreibenden Hand wirksam ist, wenn sie jeweils zur Realisierung beliebig vieler einzelner Schriftzüge ansetzt. In diesem Sinne darf das Schema als Unterschrift der reinen Einbildungskraft gelten“.

I I I . D ie ‚G estalt ‘ im V ersinnlichungsprozess: Das S chema zwischen Bild und Wort

Die Gestalt hat sich als Schlüsselbegriff für die Konzeption der Sinnlichkeit erwiesen. Das Gehör hingegen kann nach Kant keine Gestalt hervorbringen und ist transzendental mit der Zeit verbunden, die konstitutiv für den inneren Sinn ist. Damit wird die Gestalt zu einer bloß visuellen Figurierung, die sich von einer rein akustischen Darstellung unterscheidet, die Kant folglich auch nicht als Gestalt bezeichnet.180 Im Gegensatz dazu soll hier auch im Fall des akustischen Verfahrens von einer Gestalt die Rede sein, und zwar im Sinne eines Ganzen, das zur Realisierung des Wortlautes führt. Das Schema selbst wird so zu einer Versinnlichungsgestalt, die sich nicht ausschließlich visuell konkretisiert. Auf diese Weise lässt sich eine bestimmte Funktion des Gehörs andeuten, die in der anthropologischen Charakterisierung einzelner Sinne nicht aufgeht, welche Kant etwa zu der erwähnten Behauptung verleitet, dass Taubgeborene die Abstraktheit der Begriffe nicht erreichen könnten. Zugleich aber unterscheidet sich die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit in visuelle und nicht-visuelle Aspekte, welche die sinnlichen Bedingungen des Schematismus als Artikula­ tion von Bedeutung zwischen Bild und Wort deutlich machen. Das Wort ist also auch eine Gestalt, aber nicht im visuellen Sinn. Nur unter Berücksichtigung dieser Unterscheidungen kann von einer umfassenden transzendentalen Versinnlichung die Rede sein, welche die Funktion der Sinnlichkeit im Gestaltungsprozess anzeigt. Wie sich im zweiten Teil unserer Untersuchung erweisen wird, motiviert genau dieser prozessuale Charakter der Sinnlichkeit Humboldts Beschreibung der vielfältigen sinnlichen Manifestationen der Sprache.181 Ohne diese Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit wäre Abstraktionsfähigkeit im Ausdruck und im Gebrauch streng genommen nicht möglich und nicht darstellbar. Die Transformation und Realisierung der Begriffe setzt daher 180 181

Diese Problematik ist bereits in Kap. II.5 thematisiert worden. Siehe Kap. IV des zweiten Teils.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

eine Versinnlichung voraus, und das obwohl sie nicht unmittelbar von der Gegenwart eines Gegenstandes abhängt: Denn es handelt sich um eine prozessuale Bestimmung der Sinnlichkeit, die in der Bildung der Gestalt am Werk ist. Diesen Aspekt hat Kant gesehen, wenn er die Einbildungskraft als einen Teil der Sinnlichkeit bestimmt, deren Darstellung auch unabhängig von der Gegenwart des Gegenstandes möglich ist. In der Realisation von Bedeutung ist die Gestaltungsfunktion frei von der Rezeptivität der Sinne. Wenn man jedoch annimmt, dass schon die Sinne in ihrer transzendental-prozessualen Funktion diese Transformation der bloß rezipierten Sinnesdaten ermöglichen, ist es gerade die Gestalt, die den Prozess und das Resultat dieser Emanzipation bezeichnet. Der prozessuale Charakter der Sinnlichkeit bringt eine Transformation mit sich, die sich in einer nicht-sprachzentrierten Gestaltung entfaltet, in der Bedeutung zwischen Wortlaut und Bild artikuliert wird – d.h. eine Gestaltung, in der die Gestalt insbesondere in Bezug auf akustische und visuelle Aspekte hervortritt. Durch die so angezeigte Auslegung der Sinnlichkeit – welche meines Erachtens bei Kant in den anthropologischen Schriften vorbereitet wird – ändert sich der Status des Dualismus und somit auch der isolierenden Methode, die sich als eine lediglich heuristische Unterscheidung erweist, in der die Sinnlichkeit zur Architektur eines Prozesses wird, der sich semantisch im Gebrauch realisiert. Der vorgeschlagene prozessuale Ansatz hinsichtlich der Sinnlichkeit kann meines Erachtens auch als ein Perspektivenwechsel innerhalb der Debatte um den non-konzeptualistischen oder konzeptualistischen Charakter der Erkenntnistheorie Kants angesehen werden, wie er etwa von Robert Hanna und John McDowell vertreten wird. Denn bereits Hanna beschreibt, inwiefern bei Kant einige Aspekte der Sinnlichkeit als derart unabhängig erscheinen, dass sie nicht auf begriffliche Bestimmungen reduziert werden können. Er vertritt daher gegen McDowell und mit Evans eine nicht-inferentielle Auffassung der erkenntnistheoretischen Bedingungen, der eine nicht-begriffliche Phänomenologie zugrunde liegt, die er jedoch anhand der kantischen Form der Anschauungen erklärt.182 Damit spezifiziert er denjenigen intuitiven Gehalt der Erkenntnis, der 182

Siehe dazu Hanna 2005, S. 247: „I will argue that Kant not only defends the existence and meaningfulness of nonconceptual content, but also offers a fundamental explanation of nonconceptual content that can be directly transferred to the contemporary debate and significantly advance it“. Siehe auch S. 249f.: „The crucial point grasped by Kant, Dretske, and Evans alike is that nonconceptual cognitive capacities are ‘sub-rational’ or ‘non-rational’ capacities only in the sense that they are necessary but not sufficient for our rational cognitive capacities, not in the sense that they are irrational or arational. So nonconceptual content does not exclude rationality: on the contrary, on the Kant-Dretske-Evans picture, nonconceptual cognition and its content constitute the proto-rationality of all minded human or non-human animals“.

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III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess

nicht begrifflich ist und eine Art ‚proto-Rationalität‘ als Grundlage der Rationa­ lität konstituiert. Ihre Dimension erstreckt sich vom Gefühl bis zur Einbildungskraft und umfasst somit unterschiedliche Aspekte der kantischen Sinnlichkeit. McDowell vertritt das Gegenkonzept eines konzeptualistischen Ansatzes, demzufolge „we should understand what Kant calls ‚intuituion‘ – experential entake – not as a bare getting of an extra-conceptual Given, but as a kind of occurrence or state that already has conceptual content“.183 Somit sieht McDowell in der Unterscheidung zwischen Formen der Anschauungen und formalen Anschauungen den Beweis dafür, dass die Sinnlichkeit immer schon die Aktivität des Verstandes voraussetzt. Der hier vertretene Versinnlichungsansatz hingegen kann meines Erachtens diese kurz skizzierte – aber in der Kantforschung sehr ausführlich dokumentierte184 – Debatte weiterbringen, weil er sich gerade der­ jenigen fehlenden systematischen Stelle annimmt, die sowohl Non-Konzep­ tualisten als auch Konzeptualisten nicht näher untersuchen: nämlich der pro­­ zessualen Bestimmung der Sinnlichkeit, die an sich zwar eine potentielle Gestaltungsfunktion enthält, jedoch den Gebrauch formal strukturiert und sich im Gebrauch materiell realisiert. Aus dieser Perspektive erscheinen die Formen der Anschauungen als eine potentielle, transzendentale Strukturierung des Gehaltes. Die Form wird somit zur prozessualen Bedingung der Materie. Der Schematismus erweist sich hierbei als die prozessuale Darstellung jeder Bedeutungserfahrung. Die Sinnlichkeit übt eine Präformation aus, die von Kant lediglich angedeutet wird und deren weitere Zuspitzung ich anhand des Revi­ sionsversuchs von Herder diskutieren werde.185 Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass es nicht zu einer Substanzialisierung des sinnlichen Gehaltes kommt, sondern im Rahmen der transzendentalen Heuristik bei der Beschreibung des Prozesses bleibt. Und das bedeutet wiederum keine Konzeptualisierung der Sinnlichkeit, sondern lediglich die Hervorhebung ihres prozessualen Charakters in der Wahrnehmung. Sicherlich könnte man die non-konzeptualistischen und konzeptualistischen Ansätze noch ausführlicher auf den Versinnlichungsprozess beziehen, was jedoch eine umfangreiche Diskussion erforderlich machen würde, die hier nicht unternommen werden kann; und zwar nicht nur aufgrund der mit ihr 183

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185

McDowell 1996, S. 9. Und noch deutlicher (1996, S. 39): „We find ourselves always already engaging with the world in conceptual activity within such a dynamic system. (…) conceptual capacities are not exercised on non-conceptual deliverances of sensibility. Conceptual capacities are already operative in the deliverances of sensibility themselves“. Für eine erste Übersicht über diese Debatte und insbesondere für einen systematischen Vergleich zwischen McDowell und Sellars in Bezug auf die Einbettung der Formen der Anschauungen in die Aktivität des Verstandes siehe Heidemann 2003, S. 14–43. Siehe Kap. III des zweiten Teils.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

zweifellos verbundenen, inhaltlichen Herausforderung. Denn so wie der Versinnlichungsprozess als die fehlende systematische Stelle beider Ansätze angesehen werden kann, spielt auch der Schematismus in beiden keine wesentliche Rolle, wenn von seiner bloßen Erwähnung im Zusammenhang der Erkenntnistheorie Kants einmal abgesehen wird. Seine genaue Funktion wird innerhalb dieser Ansätze nicht untersucht, wodurch meines Erachtens die gesamte Debatte Gefahr läuft, vor-transzendental und naiv-phänomenologisch zu sein. So werden die Schemata von Hanna als quasi-Anschauungen, aber auch als quasibegrifflich bestimmt,186 was wiederum den Dualismus nur scheinbar löst, da er nicht darüber hinausgeht, die Schemata als anschaulich und trotzdem als mit den Begriffen kompatibel zu fassen.187 Sie werden hierbei wiederum auf – letztlich empirische – Stereo- und Prototypen (also nicht prozessuale Bedingungen) reduziert.188 Der Versinnlichungsprozess ist jedoch mehr als eine bloß empirische Strukturierung eines nicht-begrifflichen Gehaltes, deren Statik die transzendentale Gestaltung ja gerade überwinden möchte. Die Sinnlichkeit bewirkt eine Restriktion der Begriffe, die sich in der Anwendung auf bestimmte Anschauungen beziehen. Erst mittels dieser Restriktion können die Begriffe sich realisieren und damit Bedeutung erlangen. Die Artikulation der Bedeutung erfolgt laut Kant zwischen zwei Erkenntniselementen: den Bildern und den Wörtern. Dazwischen erfolgt ein Schematismus, der insgesamt als eine Versinnlichung gelesen werden kann. Damit ist ausdrücklich keine bloße Zuschreibung sinnlicher Merkmale gemeint, die einen Begriff zur Darstellung bringen können, oder umgekehrt begrifflicher Merkmale, die einem sinnlichen Phänomen zukommen. Im Gegenteil wird Versinnlichung hier als Prozess der Gestaltung selbst verstanden, ohne den Bedeutung nicht möglich wäre. Dieses Verständnis setzt zugegebenermaßen eine eigenwillige Lesart der kantischen Lehre voraus, da es der Schematisierung eine deutlich stärkere performative Kraft zuschreibt, als Kant selbst dies tut. Wie ich aber gezeigt habe, ist dieser Ansatz mit der kritischen Philosophie Kants zumindest kompatibel. Das Schema ist nach Kant ein Produkt der Einbildungskraft und ist als solches vom Bild zu unterscheiden. Das Bild ist eine einzelne, konkrete Anschauung und dem Begriff gegenüber heterogen. Das Schema dagegen stellt eine Methode dar, um einem Begriff sein Bild zu verschaffen bzw. ein Bild unter einen Begriff zu subsumieren. Es gibt, wie bereits erwähnt, unterschiedliche Grade der Heterogenität zwischen Bild und Begriff. Wie sich im Verlauf unserer Untersuchung der einzelnen Schemata noch zeigen wird, besteht die allgemeine 186 187 188

Vgl. Hanna 2005, S. 267. Vgl. Hanna 2005, S. 286 (Fußnote 51). Hanna 2005, S. 270.

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III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess

Funktion des Schemas darin, den Übergang zwischen Bildern und Begriffen zu ermöglichen. Zugleich dient seine Einführung dazu, den Fall derjenigen Kategorien aufzuklären, die gar nicht in Bildern dargestellt werden können, jedoch nichtsdestotrotz eine Versinnlichung erfordern. Als zentraler Punkt der hier vertretenen Auslegung hat demnach die Annahme zu gelten, dass Begriffe sich generell ihrer diskursiven (akroamatischen) Gestaltung nicht entziehen können. Das Verhältnis zwischen Begriffen, Schemata und Bildern steht im Fokus derjenigen Interpretationen des Schematismus-Kapitels, welche die Frage nach der Bedeutung und ihrer Ausdrucksform in den Vordergrund stellen. Kant ist zunächst einmal das Verdienst anzurechnen, das Schema nicht auf das Bild reduziert und im Gegenteil das Problem des Schematismus vom Gesichtspunkt des partikulären Charakters des Bildes her betrachtet zu haben, das in einem heterogenen Verhältnis zum Begriff steht. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass es im Schematismus sowohl um unterschiedliche Arten der sinnlichen Darstellung eines Begriffes geht – wie zum Beispiel im Fall des Hundes, der in Form eines Wortes, einer Umschreibung, eines Bildes, einer Skizze usw. vorkommen kann – als auch um den transzendentalen Prozess der Darstellung reiner Begriffe. Diese zwei Ebenen, die im Laufe der Betrachtung immer deutlicher unterschieden werden, markieren die interne Schwierigkeit des Schematismus. Auf der ersten Ebene – die noch nicht im engeren, ‚reinen‘ Sinn transzendental ist – geht es nicht um die Bedingung der Entstehung von Bedeutung in Form eines Bildes oder eines Wortes, sondern mehr um die empirisch-synthetische Aktivität der Schematisierung, die immer schon synästhetisch ist. Auf der zweiten Ebene hingegen betreten wir das Feld einer prozessualen Synthesis als Bedingung der Bedeutung selbst. Diese unterschiedlichen Ebenen können auch als deskriptiv und genetisch beschrieben werden: Deskriptiv ist die Versinnlichung insofern, als sie unseren semantischen Bezug zur Welt bestimmt. Marconi bezeichnet diese Perspektive daher als naiv: „In this naive view, part of semantic competence is represented by a certain store of mental images associated with words, such as the image of a dog, of a table, of a running man. Thanks to these images we can apply to the real world words such as ‚dog‘, ‚table‘, and ‚run‘. This is done by comparing our images with the output of perception (particularly of vision). […] Now the point is not that we lack mental images: there are good reasons to believe that we do have something of the kind. The point is that in the naive picture, the use of images in relation to the real world or perceptual scene is left undescribed“.189 189

Marconi 1997, S. 145.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Genetisch dagegen lässt sich die Referenz als solche im Verhältnis zwischen Wörtern und Bildern erkennen, die nicht auf eine bloße Assoziation zurückgeführt werden kann, sondern einen Wahrnehmungsprozess impliziert, der – wie mit Blick auf die Urteilskraft bereits erläutert werden konnte – dynamisch und immer mit dem Gebrauch verbunden ist. Gerade die Einsicht in diesen prozeduralen Charakter des Schematismus190 war bei Kant – nach Auffassung von Marconi – deutlicher als bei vielen gegenwärtigen Erkenntnistheoretikern ausgeprägt.191 Dabei lässt sich der Unterschied zwischen Bildern und Wörtern an einem spezifischen Mangel an Allgemeinheit der Bilder festmachen, welche die Regel ihrer eigenen Anwendung nicht in sich enthalten: „the concept exceeds in generality both the object of experience and its image“.192 Ein eindeutiger Beleg für diese Interpretation ist die Bedeutung, die Kant dem Gehör und dem Wort für das diskursive Denken beimisst. Insbesondere das Wort ist für Kant eng mit dem diskursiven Charakter des Denkens verbunden und ermöglicht die Absonderung des Begriffes von Bildern. Es ist sogar so, dass, „wenn man den Begriff nicht von Bildern absondern kann“, man „niemals rein und fehlerfrey denken können“ wird.193 Gerade weil der Begriff dem Bild nicht entspricht, entwickelt sich zwischen ihnen eine Bezeichnung, die sinnlich ist und trotzdem keine eigene Bedeutung hat, sodass sie zur Gestaltung der Begriffe geeignet ist. Somit realisiert sich im Schematismus der Übergang vom Bild zum Begriff, was den Raum einer Versinnlichung eröffnet, die keineswegs als eine bloß empirische Verbildlichung, sondern als transzendentale Gestaltung verstanden werden muss, in der der Begriff sich zwischen Bildern und Wörtern artikuliert. Ich hoffe gezeigt zu haben, dass Schemata nicht nur im Sinne der figürlichen Realisierung verstanden werden sollten. Denn die Schemata – und das ist ein wichtiger Gedanke Kants – können weder auf Bilder noch auf das Figurative reduziert werden, obwohl beide im Schematismus eine konstitutive Funktion ausüben. Die figürliche Realisierung ist sicherlich eine wichtige Dimension des Schematismus, die insbesondere in Bezug auf die Funktion der Diagramme im Denken weiter entwickelt worden ist.194 Aber diese 190

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Siehe Butts 1969, S. 290–300. Vgl. Bennett 1966, p. 141: „Instead of associating each concept with a single image, or with a set of exactly similar images, Kant’s theory associates each concept with a rule for image-production“. Vgl. Marconi 1997, S. 146–147: „Interestingly, Kant saw more clearly than some modern theorists that the interface of language and perception has to be procedural in nature. Such an insight is embedded in his doctrine of the schematism in the Critique of Pure Reason. The doctrine is intended to solve many different problems at the same time, which makes it difficult and at time confused“. Marconi 1997, S. 148. Kant, AA XXVIII: 369. Das gedankliche Ziehen einer Linie zur Darstellung der Zeit spielt dann auch eine wichtige Rolle in Sybille Krämers Auslegung des Schematismus (2012, S. 84), die

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III. Die ‚Gestalt‘ im Versinnlichungsprozess

Dimension des Schematismus ausschließlich im Sinne eines figurativen Ziehens auszulegen, impliziert meines Erachtens eine reduktionistische Auffassung desselben. Die Bedeutung von Bildern darf nicht ihnen selbst zugeschrieben werden, sondern wird im Prozess ihrer Wahrnehmung überhaupt erst erzeugt. Daraus ergibt sich das Problem einer Zurückführung aller Bilder auf Begriffe und umgekehrt die Unmöglichkeit der bildlichen Vorstellung aller, vor allem der abstrakten Begriffe, da für Kant die Kategorien keinesfalls auf Bilder bezogen werden können. Heidegger führt aus diesem Grund einen weiteren Sinn der Bilder ein, der nicht auf den Bildgehalt reduzierbar sein soll. Entsprechend dieser Spezifizierung kann er behaupten, dass „der Bildcharakter notwendig zum Schema gehört“.195 Dabei wird das Schema weder auf eine abstrakte Vorstellung, noch auf ein bloßes Abbild reduziert, sondern verbleibt im Horizont jener Versinnlichung, die den Schematismus charakterisiert. Obwohl Heidegger, wie Cassirer anmerkt, von einer Perspektive der Transzendenz ausgeht, die dem transzendentalen Horizont Kants in der Kritik der reinen Vernunft und dem Vorhaben des Schematismus innerhalb des Werkes fremd bleibt,196 ist dennoch das Verdienst dieser Interpretation herauszustellen. In erster Linie liegt es darin, die Nähe des Schema-Bildes zur Einheit des Begriffes erkannt zu haben, ohne dabei den partikulären Charakter des Bildes zu vernichten. Denn nur so kann das Schema auf „die Einheit der allgemeinen Regel vielfältig möglicher Darstellungen“197 zielen. Das Schema braucht dabei nicht in gleichem Maße spezifiziert zu sein wie ein Bild oder ein Wort: Das Schema, im weitesten Sinn eines Schattenrisses oder einer Andeutung, stellt eine Auswahl von Merkmalen dar, die nicht definitiv und vollständig ist. Dadurch kann es sich zwischen der Abstraktheit der Wörter und der Konkretheit der Bilder entfalten, d.h. es kann die konkrete Form der Bedeutung sein: „Die Schemata lehren uns, selektiv zu lesen, insofern die Einbildungskraft im Vorhinein bestimmte der Mannigfaltigkeiten des Sinns auswählt, die wissenschaftlich bedeutsam gemacht werden können“.198 Daher findet sich in der Schematismuslehre auch die erste Andeutung einer akustisch-

195

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im Zusammenhang der Schemata sinnlicher Begriffe in Kap. V.2.1 näher zu untersuchen sein wird. Heidegger, GA, 3, S. 97. Weiter heißt es (GA, 3, S. 99): „Hieraus wird erst das Wesentliche des Schema-Bildes deutlich: es hat seinen Anblickcharakter nicht nur und zuerst aus seinem gerade erblickbaren Bildgehalt, sondern daraus, dass es und wie es aus der in ihrer Regelung vorgestellten möglichen Darstellung herausspringt und so gleichsam die Regel in die Sphäre der möglichen Anschaulichkeit hineinhält“. Siehe Cassirer, ECW, 17, S. 247. Heidegger, GA, 3, S. 99. Makkreel 1997, S. 61.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

semiotischen Natur des Denkens, die später in der Kritik der Urteilskraft spezi­ fiziert und in der Rezeptionsgeschichte des Schematismus oft übersehen wird.199 Mit dem Schematismus spricht Kant unterschiedliche Ebenen der Hervorbringung von Bildern anhand von Begriffen und Anschauungen an, was in der Untersuchung der einzelnen Schemata zu klären ist.200 Im Allgemeinen ist es die Absicht Kants, Schemata nicht auf die bloße Assoziation von Bildern und Begriffen einzuschränken, sondern mit ihnen einen Prozess der Hervorbringung eines figurativen Elements des Denkens zu beschreiben. Dabei sollte das Figurative nicht mit einer bildhaften Vorstellung gleichgesetzt werden. Es handelt sich mehr um die mögliche Artikulation des Figurativen.201 Eco übersetzt Sellars‘ ‚Imaging‘ mit ‚Figurare‘ als Vorstellung „sowohl im Sinn des Konstruierens einer Figur, des Zeichnens eines Strukturschemas, als auch in dem Sinn, in dem man beim Anblick eines Steins sagt, ‚ich stelle mir vor‘, dass er innen hart ist“. Und weiter: „Dieses Vorstellen, um zu begreifen, und vorstellende Begreifen, ist in Kants System von entscheidender Bedeutung: es erweist sich als essentiell sowohl für die transzendentale Begründung der empirischen Begriffe als auch für die Ermöglichung von Wahrnehmungsurteilen (impliziten und nicht verbalisierten) wie dieser Stein“.202 Es ist nun an der Zeit zu erklären, inwieweit die Ebenen des Schematismus dieses transzendentale Figurative im Unterschied zur akroamatischen Bestimmung entfalten. An dieser Stelle möchte ich erneut für den Versinnlichungsbegriff argumentieren, der meines Erachtens die Dichotomie von Sinnlichkeit und Begrifflichkeit überwindet und sich vor allem von den visuellen Konnotationen emanzipiert, durch welche – wie gerade gezeigt wurde – die Reichweite der Gestaltung im Schematismus nicht erfasst werden kann. In der Folge wird nun untersucht, inwiefern die Begrifflichkeit zu dieser Gestaltung beiträgt.

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Umberto Eco spricht an dieser Stelle (2000, S.88) von der „semiosischen Natur der Erkenntnis“. Siehe Kap. V. Gasché 2003, S. 214f.: „When Kant, in the Critique of Pure Reason, says that schemata are what make images possible, it becomes clear that, even though they can be numbered and identified, they are not empirical figures but modifications of the transcendental possibility of figures“. Eco 2000, S. 98. Der Originaltext auf Italienisch behält den Sinn dieses Übersetzens bei, das in der deutschen Version nicht als bewusste Entscheidung von Umberto Eco selbst präsentiert wird (1997, S. 63): „Per ragioni che saranno chiare tra poco, propongo di tradurre imaging con ‘figurare’ (sia nel senso di costruire una figura, di tracciare un’ossatura strutturale, che nel senso in cui si dice, vedendo la pietra, ‘mi figuro’ che sia dura all’interno. […] Questo figurare per comprendere e comprendere figurando è cruciale nel sistema kantiano“.

I V. Begrifflichkeit im G ebrauch : Das S chema als ‚ Drittes‘ der U rteilskraft

Die hier vertretene Auffassung der Sinnlichkeit verändert den Blick auf das Problem der Anwendung von Begriffen, da diese definitiv nicht mehr als bloße Verdeutlichung einer verworrenen Sinnlichkeit angesehen werden können. Es ist somit kein gradueller Übergang zwischen Begriffen und Anschauungen möglich; im Gegenteil: ihre Verbindung ist zum Problem geworden. Systematisch wird dieses Problem von Kant zuerst in der Trennung von Sinnlichkeit und Verstand sowie ihrer Verbindung im Schematismus-Kapitel der Kritik der reinen Vernunft behandelt. Unter der Voraussetzung, dass Begriffe und Anschauungen nicht gleichartig, sondern vielmehr ungleichartig sind und unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Ebenen angehören, wird die Subsumption von Anschauungen unter Begriffe und die Anwendung der letzteren auf die ersteren zum Problem: „Wenn der Verstand überhaupt als das Vermögen der Regeln erklärt wird, so ist Urteilskraft das Vermögen, unter Regeln zu subsumieren, d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht“.203 Der Verstand bestimmt folglich die begriffliche Regel, unter der die Subsumption erfolgt, enthält aber nicht die Methode, die das Verfahren der Subsumption erst ermöglicht.204 Diese Methode der Regelanwendung wird von der Urteilskraft beigesteuert. Bedeutung ist somit immer in eine Bedeutungserfahrung eingespannt und lässt sich grundsätzlich nicht von der Methode der Regelanwendung trennen oder auf Verstandesbegriffe reduzieren. Dass diese Aktivität vom dynamischen Charakter des Anwendungs- und Interpretationsprozesses abhängt und – zumindest nicht im Rahmen des diskursiven Denkens – nicht als Appli-

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Kant, KrV, B 171, A 132. In Bezug auf das Problem der Regel stellt Béatrice Longuenesse (1998, S. 50) eine Verbindung zwischen der Bestimmung des Begriffes selbst als Regel in der Deduktion A der Kritik der reinen Vernunft und dem Schema her.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

kation fixer Anwendungsgesetze verstanden werden darf, muss als der Hauptgrund für die Tatsache angesehen werden, dass die Schematismuslehre der Urteilskraft unterstellt ist. Denn der Verstand ist „einer Belehrung und Ausrüstung durch Regeln fähig“, während die Urteilskraft „ein besonderes Talent“ aufweist, „welches gar nicht belehrt, sondern nur geübt sein will“.205 Entsprechend vergleicht Kant das Üben der Urteilskraft mit dem so genannten Mutterwitz als einer Art angeborener Begabung, deren Fehlen „keine Schule ersetzen kann“.206 Sicherlich können unterschiedliche Kenntnisse erworben werden, aber die Anwendung kann nicht allein auf diese Belehrung zurückgeführt werden, die jedes Mal in den jeweiligen Sachverhalten ausgeübt werden muss.207 Die Anwendung einer Regel in concreto erfordert also die Aktivität des Urteilens, was Fähigkeit und Geschicklichkeit zugleich voraussetzt.208 Ohne diese Anwendung würde überhaupt kein Urteilen möglich sein. Das zeigt sich für Kant am Nutzen von Beispielen, die „die Urteilskraft schärfen“, ohne ihre Funktion ersetzen zu können.209 Diese Einübung der Urteile ist deshalb möglich, weil das Beispiel „kein Merkmal“ ist, und „nicht als theil zum Begriffe, sondern als Anschauung zum Gebrauche des Begrifs“ gehört.210 Die so skizzierte Aktivität der Urteilskraft wird häufig mit dem Begriff der Regel und dem unbestimmten Charakter der Bedeutung bei Wittgenstein verglichen.211 Es ist deshalb besonders wichtig anzumerken, dass die Unbestimmtheit bei Kant primär die Ebene der empirischen Schematisierung betrifft,

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Kant, KrV, B 172, A 133. Kant, KrV, B 172, A 133. Siehe auch die Bestimmung der ‚Talente im Erkenntnisvermögen‘ in §54 der Anthropologie Kants (AA VII: 220). Vgl. dazu auch Hogrebe 1974, S. 114. Die Fähigkeit entspricht hier dem Sinn des englischen ‚ability‘. Vgl. Pippin 1982, S. 133: „We must be able to specify the kinds of instances in which such a rule could be applied to in our experience. And to do that, Kant now claims, we need the strange ability of ‘transcendental judgment’“. Vgl. Kant, KrV, B 173f., A 134: „So sind die Beispiele der Gängelwagen der Urteilskraft, welchen derjenige, dem es am natürlichen Talent desselben mangelt, niemals entbehren kann“. Kant, AA XVI: 318. Die Reflexion 2331 bezieht sich auf §125 der Vernunftlehre Meiers über den Unterschied zwischen klarer, deutlicher und dunkler Erkenntnis. Insbesondere Jonathan Bennett (1966, S. 142) hinterfragt das Verhältnis zwischen der Unbestimmtheit des Schemas – das als mentales Bild nicht vollkommen spezifiziert sein muss – und seiner Spezifizierung in Form einer Regel-Anwendung. Kant behauptet diesbezüglich in der Anthropologie: „Witz hascht nach Einfällen; Urteilskraft strebt nach Einsichten“ (AA VII: 221). In diesem Sinne kann der Vergleich zwischen der Schematismuslehre und der Theorie der Aspekte auf Roman Ingarden erweitert werden, der eine Verdeutlichung des Schematismus in Bezug auf die Bestimmung von Aspekten anbietet, die immer noch Unbestimmtheitsstellen in sich bergen. Siehe dazu die Einleitung und als Vertiefung Gasperoni 2011, S. 7–29 und 2012, S. 77–87. Sehe auch Lobsien 2012, S. 73f.

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IV. Begrifflichkeit im Gebrauch

in der die empirischen Begriffe durch die Erfahrung im Prinzip unendlich spezifizierbar und trotzdem im Gebrauch als Ganze bestimmbar sind. Somit bleiben die rein sinnliche Konstruktion und die rein diskursive Schematisierung von der Unbestimmtheit unberührt. Auf transzendentaler Ebene lässt sich auch der Unterschied zwischen intuitiver und diskursiver Erkenntnis thematisieren. Im Laufe unserer Untersuchung wird wiederholt der Unterschied zwischen Mathematik und Philosophie herangezogen, um zu zeigen, dass die Philosophie für Kant nicht mit der mathematischen Erkenntnis gleichgesetzt werden kann, deren Begrifflichkeit sich ihm zufolge vollkommen intuitiv erfassen lässt. In der Philosophie dagegen ist eine solche, vollkommen intuitive Entsprechung nicht möglich, da sie sich keiner Begriffe bedient, die vollkommene Anschauungen einschließen: Im diskursiven Denken ist keine vollständige Entsprechung von Begriffen und Anschauungen möglich, sondern letztere sind lediglich Referenzen der Begriffe, durch welche sie gebraucht werden können. Und diese Diskursivität haftet der Urteilskraft nicht nur auf empirischer, sondern vor allem auf reiner Ebene an, also bei der semantischen Bestimmung von Urteilen, die nicht aus der Erfahrung abgeleitet werden können und trotzdem Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung selbst sind. Diese Ebene entfaltet sich bei Kant in einem komplexen Geflecht zwischen Begriffen und Urteilen, das ein Leitthema unserer Untersuchung bleiben wird. Auf diskursiver Ebene ist die Versinnlichung rein sprachlich: Es handelt sich um ein versinnlichendes Denken, das nur in der Sprache zur Entfaltung kommen kann. Genauer ist es auf der Ebene des akroamatischen Charakters derjenigen Diskursivität anzusiedeln, die durch den Laut (also für das Hören) zur Entfaltung kommt.212 Insofern ist es nicht abwegig zu sagen, dass auch die Kategorien sinnlich sind, da sie in der Sprache ausgedrückt werden, obwohl ihre Bedeutung nicht empirisch dargestellt werden kann. Für diese reine Sprache gibt es zwar keine Bilder, was aber nicht bedeutet, dass das Denken damit rein fiktiv sei; es zeigt vielmehr an, dass es rein sprachlich ist – im Sinne einer Versinnlichung als Versprachlichung. Doch die rein sprachliche Bestimmung der Kategorien wird von Kant nicht in der Transzendentalphilosophie untersucht, obwohl er – wie sich noch zeigen wird – die ersten Philosophen für „Dichter“ hält213 und in der Logik Jäsche ebenfalls eine Produktivität der Philosophie annimmt, wenn er bemerkt, dass „die Form eines Begriffs als einer discursiven Vorstellung jederzeit gemacht ist“.214

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Zur Betonung der Funktion des Hörens in der akroamatischen Bestimmung der Diskursivität siehe Capozzi 2012, S. 341, siehe dazu auch Capozzi 2011. Das geschieht in der Logik Dohna-Wundlacken (AA 24: 698). Zur Unterscheidung zwischen Darstellungs- und Bezeichnungsvermögen siehe Kap. VII. Kant, AA IX: 93.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Funktion der Urteilskraft ist demnach geeignet, die Systemstelle der Sprache im Schematismus zu erhellen. Denn die propositionale Ebene der Urteile ist laut Kant dafür zuständig, synthetische Bedingungen der Erfahrung a priori zu formulieren. Das (propositionale) begriffliche Denken bleibt dabei rein diskursiv und kann sich nicht derselben anschaulichen Konstruktion der Begriffe wie die Mathematik bedienen; trotzdem steht es vor der Aufgabe, eine transzendentale Ebene zu bestimmen, die allgemeingültig ist, ohne dabei den subjektiven Charakter des begrifflichen Gebrauchs aufzuheben. Die Funktion des Urteilens erweist sich insofern als grundlegend nicht nur für die bereits skizzierte transzendentale Wende in Bezug auf die Bestimmung der Sinnlichkeit, die zur Gestaltung der Bedeutung zwischen Begriffen und Bildern beiträgt, sondern auch für die transzendentale Wende hinsichtlich der begrifflichen Abstraktion, die semantischer Regeln bedarf. Der Begriff der semantischen Regel (semantical rule) als Bezeichnung für das Schema findet sich etwa bei Butts und Hogrebe.215 Die Semantik des Schematismus kann für beide nicht vom Urteilen getrennt werden, in dem jeder Begriff sinnlich realisiert wird. Die prozessuale Allgemeinheit des Schemas kann insofern mit dem Prozess der Erfüllung verglichen werden.216 Einerseits ist nun das Schema Funktion einer Regel, die in methodischer Hinsicht das Verfahren der Subsumption und der Anwendung allgemeiner Begriffe ermöglicht; andererseits entzieht sich diese Regel nicht den potentiell unendlichen Erfül215

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Hogrebe 1974, S. 101, Butts 1969, S. 290–300. Wie Wolfram Hogrebe anmerkt, kommt die Bezeichnung des Schemas als semantical rule ursprünglich von Foundations of the Theory of Signs von Charles Morris (1938, S. 23), demzufolge eine semantische Regel „within semiotic a rule which determines under which conditions a sign is applicable to an object or situation“ bezeichnet. Und weiter: „such rules correlate signs and situations denotable by the signs“. Der Prozess der Erfüllung kommt auch in der Bestimmung der schematischen Ansichten Roman Ingardens vor. Siehe dazu oben, Einleitung. Insbesondere Frank Obergfell hat den Schematismus anhand des Erfüllungsprozesses in Bezug auf Kants Abstraktionstheorie behandelt, die den konzeptualistischen Ansatz Lockes überwindet (1985, S. 57–58): „Wir sehen, dass der Begriff zunächst nicht eine allgemeine anschauungsanaloge Vorstellung eines allgemeinen Merkmals ist, das genetisch aus einer Komparation von mehreren Vorstellungen hervorginge und letztlich als eigene Vorstellung unklar bleibe, wie das allgemeine Dreieck Lockes gezeigt hat, sondern dass der Begriff die verstandesentsprechende Vorstellung einer Regel der Verknüpfung der Merkmale der anschaulichen Vorstellung ist, wobei diese Regel immer gebunden bleibt an die je einzelne anschauliche Erfüllung der Merkmale, des Verbundenen, aber als Regel doch offen ist gegenüber einer Vielzahl von möglichen Erfüllungen. Die Erfüllungen sind im Begriff hinsichtlich einer offenen Vielzahl notwendig enthalten, aber als Erfüllungen selbst nur in der anschaulichen Vorstellung verfügbar. Genau diese Art der Allgemeinheit der begrifflichen Vorstellung ist es, die Kant in der ‚Kritik der reinen Vernunft‘ unter dem Titel ‚Schematismus der Begriffe‘ behandelt und dort die Einbildungskraft als Vermögen dieses Schematismus reklamiert“.

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IV. Begrifflichkeit im Gebrauch

lungen, die den Begriff realisieren und dadurch gleichzeitig restringieren. Wie sich zeigen wird, betrifft dieser Aspekt hauptsächlich die Schematisierung empirischer Begriffe, deren sinnliche Vollständigkeit nach Kant zwar unerreichbar ist, nicht aber die Schematisierung mathematischer Begriffe, deren Erfüllung konstruktiv gelingt. Die Urteilskraft, in der Subsumption und Anwendung als zwei Richtungen des gleichen Prozesses erscheinen, zeigt den interpretativen Charakter des Schematismus an, in dem die Sinnesdaten durch Begriffe interpretiert werden.217 Dadurch kommt eine gesamte Klasse von begrifflichen Inhalten zum Ausdruck, die im einzelnen Gebrauch variieren kann. Das ist der Grund, warum Kant eine solche Synthese gleichzeitig als „speciosa“ und als „figürlich“ bestimmt.218 Es ist eine Synthesis, die – wie Cassirer in den Davoser Disputationen mit Heidegger bemerkt – „sich der Spezies bedient“.219 Gerade als Speziesproblem, das für Cassirer zum Kern des Bild- und Symbolbegriffes führt, ist der Schematismus der transzendentale Prozess, der die Stabilität der Begriffe und die Variabilität ihrer einzelnen Anwendungen gewährleistet. Die Frage nach einem schematischen Dritten betrifft daher ein sehr breites Spektrum, das von der Abstraktheit der Begriffe bis hin zur Konkretheit der Anwendung weite Teile der Erkenntnistheorie tangiert. Hier soll zunächst dem Leitfaden der Schematismuslehre Kants gefolgt werden. Die Schemata ermöglichen den Gebrauch der Begriffe, die sich in einer sinnlichen Darstellung realisieren. Damit Begriffe Bedeutung haben können, bedürfen sie eines Anwendungsverfahrens, in dem sie als mögliche semantische Merkmale von Anschauungen auftreten, womit die Erkenntnis von Gegenständen gewährleistet wird. Für Kant können wir „Dinge nur durch Merkmale erkennen“.220 Ohne die Merkmale, die er für Erkenntnisgründe hält, ist die Prädikation der empfundenen Realität daher von keiner reellen (subjektiven und objektiven) Relevanz. Der Begriff ist zunächst „eine allgemeine Vorstellung oder eine Vorstellung dessen, was mehreren Objekten gemein ist, also eine Vorstellung, sofern sie in verschiedenen enthalten sein kann“.221 Der allgemeine Charakter des

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Vgl. Allison 2004, S. 209: „Understanding the possession of a schema as a recognitional capacity also provided the key to understanding the connection between schemata and the imagination, since the capacity in question is essentially interpretative. Specifically, it is a capacity to interpret the sensible data as sufficiently instantiating the criteria thought in the concept to warrant the subsumption of the intuition under the concept“. Kant, KrV, B 151. Cassirer, in: Heidegger GA, 3, S. 276. Kant, AA XVI: 298 (R 2281). Kant, AA IX: 91.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Begriffs – der für Kant eine bloße Tautologie ist222 – kann daher nicht die Regel der Anwendung der Begriffe auf die konkreten Fälle enthalten, sondern diese Regel kann sich nur im Gebrauch zeigen, der zuerst die Abstraktheit oder Konkretheit der Sphäre eines Begriffs, d.h. die verschiedenen Grade der Abstraktion von Begriffen bestimmt.223 Kant bemerkt beispielsweise, dass ich „in dem Begriffe Substanz nicht so viel als in dem Begriffe Kreide“ denke.224 Die Bildung des allgemeinen Charakters der Begriffe kann demnach formallogisch – durch die Operationen der Komparation, Reflexion und Abstraktion – erklärt werden, nicht aber ihr Gegenstandsbezug: Die objektive Realität der Begriffe erweist sich erst im Gebrauch im weitesten Sinne.225 Ihre Bildung darf jedoch nicht nur als Induktion aus empirischen Merkmalen verstanden werden.226 In den logischen Schriften sind grundsätzlich drei Ebenen des Gebrauchs der Begriffe zu unterscheiden: er ist intellektuell, empirisch oder willkürlich. Diesen drei Ebenen entsprechen ferner drei Arten von Begriffen: Der Materie nach unterscheiden sich die Begriffe in gegebene (dati) und gemachte (factitii), wobei beide entweder a priori oder a posteriori sein können. Die a priori gegebenen Begriffe werden Notiones genannt, während die a posteriori gegebenen Begriffe Erfahrungsbegriffe sind. Die a priori gemachten Begriffe sind genauer die mathematischen Begriffe, die a posteriori gemachten Begriffe hingegen diejenigen, die wir uns aus der Erfahrung machen. Die drei Ebenen (intellektuell, empirisch und willkürlich) bezeichnen damit die drei Arten von Begriffen, die für ihre Anwendung in concreto (und nicht bloß in abstracto, d.h. als Gebrauch der Begriffe untereinander in Ansehung der Gattung und der Spezies) eine Schematisierung erfordern. Es gibt nun nach Kant reine Verstandesbegriffe, welche a priori gegeben sind, und rein sinnliche Begriffe, die erdichtet sind. Diese beiden Arten von Begriffen teilen sich den apriorischen Charakter, unterscheiden sich jedoch der Materie nach. Diese ist im Gegensatz dazu gemeinsames Merkmal der Verstandesbegriffe und der empirisch gegebenen Begriffe. Letztere werden jedoch auch – und darin liegt ein Problem – als ‚gemacht‘ beschrieben. Diese interne Spannung zwischen einer logischen Definition und einer Realdefinition der empirischen Begriffe wie auch der gegebene Charakter der Notionen werden daher in Kapitel 5 über deren Schematisierung ausführlicher zu problematisieren sein. Es ist dennoch 222 223 224 225 226

Vgl. Kant, AA IX: 91. Vgl. Kant, AA IX: 92. Kant, AA IX: 100. Deswegen sind nach Kant nicht die Begriffe selbst, sondern ist ihr Gebrauch einzuteilen; siehe AA IX: 91. Der Begriff der komparativen Allgemeinheit wird von Kant (KrV, B 124, A 91f.) in Bezug auf die Induktion verwendet, um die „strenge Allgemeinheit der Regel“ nicht mit den Eigenschaften empirischer Regeln gleichzusetzten.

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IV. Begrifflichkeit im Gebrauch

wichtig, bereits zu diesem Zeitpunkt zu betonen, dass die Bedeutung von Begriffen sich nicht in der nominalen Erklärung erschöpft. Sie entfaltet sich vielmehr erst im Gebrauch, und d.h. in der Regel ihrer Anwendung auf den konkreten Gegenstand. Auf diese Weise erfolgt bei Kant die Überwindung der konzeptualistischen und nominalistischen Ansätze Lockes und Berkeleys. Die Begriffe sind mithin bis zu einem gewissen Grad bestimmt.227 Das betrifft auch den Begriff von Etwas als dem abstraktesten Begriff, „welcher mit keinem von ihm verschiedenen etwas gemein hat“228 und der daher die weiteste „Brauchbarkeit“229 aufweist, da er den größten Umfang hat, insofern er alle anderen Begriffe, die gedacht werden können, enthält. In der Reihe der Begriffe gibt es nach Kant zwar eine höchste Gattung, jedoch keine species infima im Sinne einer Art, „die nicht wieder sollte Genus sein können“.230 Kant nimmt daher keinen Begriff an, der für die vollkommene Spezifizierung aller Merkmale eines möglichen Dinges steht. Die Bestimmung eines Dinges löst sich folglich nicht in der vollkommenen begrifflichen Bestimmung auf, sondern hängt mit dem Gebrauch zusammen. Die Spezifizierung eines Begriffes lässt sich auf diese Weise nicht von seiner Brauchbarkeit – also seinem Gebrauch – trennen. Die interne Reihe der Merkmale eines Begriffes ist deshalb jedoch nicht mit dem Gebrauch des Begriffs in der Vorstellung der Dinge zu verwechseln, der sich anhand des logischen Wesens des Begriffes untersuchen lässt, aber nicht mit dem Begriff selbst identifiziert werden kann. Anders als die des realen Wesens ist die Bestimmung des logischen Wesens eines Begriffs noch Aufgabe der Logik, die die wesentlichen Merkmale eines Begriffs liefert. Diese Merkmale sind für die Bezeichnung eines Begriffes und für seine Unterscheidung von anderen Begriffen wesentlich. Im Gegensatz dazu ist die Bestimmung des realen Wesens eines Begriffes nicht Aufgabe der Logik, da in ihr keine empirischen Gründe herangezogen werden können. In der Reflexion 3966 bemerkt Kant dazu: „Das logische Wesen ist der subiective Grundbegrif und gilt nicht vor alle, ist auch Wandelbar; das realwesen ist obiectiv; eines geht auf die Bedeutung eines Worts, welche sich freylich allmahlig abschleift und durch den Gebrauch einstimig wird“.231 Und in der

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Béatrice Longuenesse (1998, S. 127) verbindet die logische Operation der Komparation mit der Bildung von Begriffen und Schemata. Kant, AA IX: 95. Siehe auch die entsprechende Reflexion 2870 (AA XVI: 553) und insbesondere die Reflexion 2879 (AA XVI: 557): „Wir abstrahiren nicht das merkmal der Übereinstimung, sondern von der Verschiedenheit“. Kant, AA IX: 96: „Je mehr Dinge nur durch einen Begriff können vorgestellt werden: desto größer ist die Sphäre desselben. So hat z.B. der Begriff Körper einen größeren Umfang als der Begriff Metall“. Kant, AA IX: 97. Kant, AA XVII: 369.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Methodenlehre der Logik Jäsche wird das logische Wesen nicht zufällig im Zusammenhang mit der Wortbestimmung erklärt: „Unter bloßen Namen-Erklärungen oder Nominal-Definitionen sind diejenigen zu verstehen, welche die Bedeutung enthalten, die man willkürlich einem gewissen Namen hat geben wollen, und die daher nur das logische Wesen ihres Gegenstandes bezeichnen, oder bloß zu Unterscheidung desselben von andern Objecten dienen. Sach-Erklärungen oder Real-Definitionen hingegen sind solche, die zur Erkenntniß des Objects, seinen innern Bestimmungen nach, zureichen, indem sie die Möglichkeit des Gegenstandes aus innern Merkmalen darlegen“.232 Die Nominaldefinition scheint daher die willkürliche, sprachliche Bezeichnung des logischen Wesens zu sein, und so ist die Form der Begriffe nach Kant „als einer diskursiven Vorstellung […] jederzeit gemacht“.233 Die sachliche Erklärung der Natur des Objekts ist im logischen Wesen unerkennbar. Zugleich wird eine solche reale Erklärung in der Logik nur auf die Möglichkeit einer genetischen Definition bezogen. Eine Definition ist für Kant vollständig genetisch, „wenn sie einen Begriff giebt, durch welchen der Gegenstand in concreto dargestellt werden“ kann,234 was nur auf mathematische Definitionen zutrifft, da nur die Mathematik Begriffe konstruieren kann. Anhand des Unterschieds dieser beiden Definitionsformen lässt sich die Methode erhellen, durch welche zunächst ein gewisser Grad an Deutlichkeit im logischen Wesen eines Begriffs erreicht werden kann: Analytisch werden die einzelnen Merkmale differenziert, die schon im logischen Wesen eines Begriffes enthalten sind, synthetisch wird eine Erweiterung der Merkmale durch die Anschauung vollzogen, ohne damit die Begriffe auf anschauungsangepasste Vorstellungen zu reduzieren. Die Ausübung der Spontaneität ist also nicht ausschließlich auf der Ebene der Begrifflichkeit anzusiedeln, sondern erfordert zu ihrer Realisierung eine Synthesis mit den Anschauungen, die sich nach Kant im Urteilen entweder direkt (schematisch) oder indirekt (analogisch) vollzieht.235 Die Bestimmung des Abstraktionsgrades der Begriffe geschieht folglich vor allem im Urteilen, in 232

233 234 235

Kant, AA IX: 143. Siehe auch die Stelle aus der Logik Blomberg (AA XXIV: 116): „Wenn ich Wörter ausspreche, und mit denselben einen gewissen Begriff verbinde so ist das, was ich bey diesem worte, und Ausdruck hier dencke, das Logische Wesen“. Kant, AA IX: 93. Kant, AA IX: 144. Vgl. Makkreel (1997, S. 26): „Kants Einbildung zeigt sowohl die Erfindungskraft von Baumgartens facultas fingendi als auch die Abstraktionsfähigkeit, die Wolff herausgestrichen hatte. Sie reflektiert sowohl Baumgartens Interesse am Konkreten als auch Wolffs Interesse an Form“. Diesbezüglich siehe auch Wunsch 2011, S. 74f.

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IV. Begrifflichkeit im Gebrauch

dem verschiedene Vorstellungen zu einer Einheit geführt werden, die gerade den Begriff ausmacht.236 In der Synthesis verschiedener Vorstellungen wird eine Prädikation erzeugt, die nicht nur eine bloße Anwendung der Begriffe ist, sondern ihre Brauchbarkeit überhaupt ermöglicht. Die Funktion der begrifflichen Prädikation verändert sich bei Kant schon bei der Unterscheidung zwischen Urteil und Satz: denn beide sind sprachlich konnotiert und auf modaler Ebene zu differenzieren. Sowohl das Urteil als auch der Satz sind sprachliche Ausdrücke, und ihr Unterschied liegt deshalb auch nicht etwa in der Tatsache, dass nur der Satz ein sprachlicher Ausdruck sei, sondern dass sie zwei unterschiedliche modale Bedeutungen haben: „Im Urteile wird das Verhältnis verschiedener Vorstellungen zur Einheit des Bewusstseins bloß als problematisch gedacht; in einem Satze hingegen als assertorisch“.237 Somit lässt sich nach Kant der Unterschied zwischen der Prädikation von Phaenomena und Noumena nicht sprachlich, sondern nur auf modaler Ebene ziehen, da das Urteil über ein Noumenon lediglich problematisch sein kann.238 Dieses letzte ist an sich nicht widersprüchlich, jedoch durch Annahme sinnlicher Gründe assertorisch nicht beweisbar.239 Ohne dass wir uns im Detail auf die Problematik der Modalität der Urteile einlassen können, soll hier festgehalten werden, dass das synthetische Vermögen des Urteilens alle Begriffe betrifft, die im Gebrauch zur Prädikation dienen. Die Richtung dieses Gebrauchs ist zweifach, weil die Prädikation sowohl die Anwendung als auch die Subsumption betrifft. Im Gebrauch kommen die Begriffe als gegeben und als gemacht vor, da sie einerseits in Begleitung der Wörter als schon gegeben angewendet werden, andererseits im Gebrauch jeweils erst gemacht werden. Der Gebrauch – den es in Bezug auf die unterschiedlichen Schemata weiter zu erklären gilt – ist daher von essentieller Bedeutung sowohl für die Erschaffung neuer Begriffe als auch für die subjektive und intersubjektive Erweiterung bereits gegebener Begriffe. Diese Unabdingbarkeit des Gebrauchs für die Realisierung der Begriffe stellt meines Erachtens die logische Wurzel des Schematismus dar. Und gerade weil die Begrifflichkeit sich erst im Gebrauch realisiert, kann die Sinnlichkeit als die eigentliche Quelle der Bedeutungsgebung gelten. An diesem Punkt ist aber darauf hinzuweisen, dass der Gebrauch nicht etwa auf die Erwerbung der Begriffe in der Erfahrung begrenzt ist, sondern auch eine transzendentale Ebene 236 237 238

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Siehe diesbezüglich §17 der Logik Jäsche (AA IX: 101). Siehe dazu auch Capozzi 1987, S. 113f. Kant, AA IX: 109. Siehe dazu das Hauptstück der KrV, Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena, insbesondere B 310–315, A 254–259. In Kap. II.2 ist dieser Unterschied in Bezug auf die Sinnlichkeit erläutert worden.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

impliziert, die häufig übersehen wird. Dass auf empirischer Ebene Sinnlichkeit involviert ist, die durch die Erfahrung empirische Begriffe darlegen kann und sie in einem pragmatischen Vollzug ständig neu realisiert, sollte nicht zu dem Schluss verleiten, die gesamte Bedeutungsgebung erfolge allein im empirischen Gebrauch. Denn Kant hat meines Erachtens richtig gesehen, dass es zwei weitere Ebenen der Bedeutungsgebung gibt, die nicht empirisch, sondern rein sinnlich sind. Die diskursive Erkenntnis, die sich nur der Wörter bedient, und die Mathematik, die ihre Begriffe anhand der anschaulichen Konstruktion bildet, sind zwei weitere Ebenen dieser Bedeutungsgebung, die ebenfalls Sinnlichkeit involvieren und ebenso vom Gebrauch abhängig sind. Dieser wird durch die Synthesis von Begrifflichkeit und Sinnlichkeit zwischen Bildern und Wörtern strukturiert.240 Der Bezug der Begriffe zum synthetischen Gebrauch von sinnlichen Gestalten – der im Schematismus erfolgt – lässt sich anhand der Auffassung der Begrifflichkeit bei Kant verdeutlichen, der sich kritisch mit dem Projekt einerArs combinatoria auseinandersetzt241 und damit auf die Überwin240

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Dass die Bezeichnung dabei eine instrumentelle (von der Synthesis getrennte) Funktion als Hervorbringung von Stellvertretern der Begriffe spielt, die die einzelnen Sinne involviert, jedoch nicht zur Bildung der Abstraktheit der Begriffe beiträgt, wird in Kap. VII behandelt. Siehe Tonelli 1964. Diese Wendung lässt sich nach Marco Sgarbi (2010, S. 206f.) durch die Deutung der Kategorien- und Schemalehre Kants anhand der Auslegung von Rabe und der aristotelischen Tradition erklären. Mirella Capozzi hat die verschiedenen Positionen Kants in diesem Zusammenhang untersucht und betont, dass Kant in der Reflexion 4937 des Jahrs 1776 einem philosophischen Algorithmus zwar nicht grundsätzlich skeptisch gegenüber steht, seine Funktion jedoch nur in der Läuterung und nicht in der Erweiterung der Erkenntnisse sieht, weshalb es in einigen Bemerkungen der späteren Jahre so aussehen könne, als ob Kant dem Projekt Leibnizʼ einer Ars combinatoria eine gewisse „Superiorität“ zuerkennt, weil er „denkt, einige grundlegende Urbegriffe, d.h. die Kategorien und die Vernunftidee, gefunden zu haben und dass eine solche Kunst die Anwendung der möglichen Zusammensetzungen erleichtern könnte“ (2002, S. 218f., Übersetzung L.G.). Diese den Begriffen interne Technik dient jedoch in keinem Fall zur Erfindung neuer Begriffe oder zur Erweiterung der Erkenntnis im Allgemeinen, sondern ist ein Mittel zur Verdeutlichung bestimmter Zusammenhänge zwischen den Begriffen und betrifft die bloß logische Methode. Darin liegt zugleich eine propositionale Spezifikation jener Grammatik des Denkens, die Kant in Analogie zur Sprache so beschreibt: „Da die Form der Sprache und die Form des Denkens einander parallel und ähnlich ist, weil wir doch in Worten denken, und unsere Gedanken andern durch die Sprache mittheilen, so giebt es auch eine Grammatic des Denkens“ (Kant, AA XXIX, 1: 31). Die Parallelität von Sprache und Denken wird zum Problem, weil beide eine eigene Form und eine je eigene Grammatik haben. In den Prolegomena wird die Grammatik des Denkens auf die Vollständigkeit der Kategorientafel bezogen, was hier nicht näher behandelt werden kann. Siehe dazu Kant, AA IV: 323. Jürgen Villers (1997, 323f.) nimmt auf die Vorlesungen über die Metaphysik Bezug und kritisiert Kant: „Man sieht hier wieder, wie Kant – dem auf der Schule seine

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IV. Begrifflichkeit im Gebrauch

dung sowohl konzeptualistischer als auch nominalistischer Ansätze abzielt.242 Somit erweist sich der Unterschied zwischen den Vermögen des Verstandes und der Sinnlichkeit als Grundvoraussetzung für den synthetischen Charakter der Erkenntnis. Da es im Sinnlichen „keine Vollendung“ gibt,243 ist der Gebrauch der Begriffe zwar nie vollkommen deutlich; trotzdem gelingt er in den Sprach- und Erkenntnisprozessen, die sich im Schematismus als Versinnlichung konstituieren.244 Es ist nun an der Zeit, die einzelnen Schemata in Betracht zu ziehen.

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Muttersprache mit und an der lateinischen Sprache gelehrt wurde – sich de facto vollkommen unreflektiert am Model der lateinischen Schulgrammatik orientiert und dieses verabsolutierend tatsächlich zu glauben scheint, dass sich alles Denken (wie auch alles Sprechen) auf die grammatischen Kategorien der Ars Latina reduzieren ließe. Das reine Denken aber als Verbindung von Sinnlichkeit und Verstand in der reinen Anschauung der Zeit geht dem sinnlichen Bezeichnungsvermögen stets voraus und soll so von jedweder Verunreinigung durch die besondere Eigenart der natürlichen Sprache bewahrt werden“. Frank Obergfell (1985, S. 52) hat die Überwindung des Konzeptualismus von Locke und des Nominalismus von Berkeley durch Kant behandelt. Vgl. dazu auch Klaus Düsing (1995, S. 61), der den Ansatz Kants mit dem von Locke, Berkeley, Hume, Aristoteles, Husserl vergleicht und bemerkt: „Kants Lehre vom Schematismus ist also von grundlegender Bedeutung; sie vertritt keine der Varianten des BegriffsNominalismus, ohne doch eine der traditionellen realistischen Positionen der Metaphysik adaptieren zu müssen. Kants Fundierung seiner Theorie vom Erkenntniswert der Begriffe, der Anschauungen und der beide vermittelnden Schemata ist vielmehr transzendental-idealistisch. Diese Fundierung wird deutlich an seiner Lehre vom transzendentalen Schema“. Kant, AA XVI: 539. Darauf verweist bereits Cassirer, wenn er bemerkt (ECW, 3, S. 600): „Die Einschränkung der Kategorien auf die Sinnlichkeit bedeutet gegenüber der rationalistischen Metaphysik eine völlig neue und paradoxe Forderung, und diese Forderung galt es durchzuführen, ohne dadurch das logische Recht des reinen Begriffs nach der Art des Sensualismus verkümmern zu lassen“.

V. D ie S chemata

Laut Kant gibt es drei Arten von Begriffen, die schematisiert werden können: empirische, rein sinnliche und reine. Die Schematisierung der reinen Verstandesbegriffe folgt der internen Architektonik der Kritik der reinen Vernunft und kann als notwendiger Schritt für die Bestimmung der Grundsätze der Erfahrung gelten. Die Schemata der rein sinnlichen und empirischen Begriffe werden von Kant dagegen nur angedeutet. Obwohl sie nicht die gleiche Systemstellung der Kategorien haben, werde ich zeigen, dass sie grundlegend für Erkenntnis- und Sprachprozesse sind. Diese Schemata sind in unterschiedlicher Hinsicht bedeutende Bestandteile des kritischen Denkens: Die Schematisierung sinnlicher Gegenstän­de in der Mathematik unterscheidet sich wegen ihres Konstruktionsverfahrens deutlich vom diskursiven, philosophischen Denken. Und die Schematisierung empirischer Gegenstände, die auf den ersten Blick vollkommen unproblematisch erscheinen kann, verweist bei genauerem Hinsehen auf das Problem des Gebrauchs und der Bildung von Erfahrungsbegriffen und deren sprachlichen Ausdrücken. Die Unterscheidung zwischen drei Arten von Schemata und Schematisierungen ist nicht zu vernachlässigen, weil sie – wie aus den logischen Schriften hervorgeht – sich im Gebrauch der Begriffe widerspiegelt. Der Gebrauch strukturiert damit für Kant auf unterschiedlichen Ebenen die Bedeutung der Begriffe. Sowohl in Bezug auf den Schematismus als Prozess der Urteilskraft als auch auf die Funktion der Beispiele im Denken konnte die zentrale Stellung des Gebrauchs für die Anwendung und das Erkennen von Begriffen aufgewiesen werden, wie sie wiederum mit Kants Auffassung der Begrifflichkeit zusammen hängt, die auf die Überwindung konzeptualistischer und nominalistischer Positionen zielt. Wie bereits erklärt, werden in den logischen Schriften Kants drei Arten von Begriffen bestimmt: der Materie nach werden sie in gegebene (dati) und gemachte (factitii) unterschieden; beide können zudem entweder a priori oder a posteriori sein. A priori gegebene Begriffe sind Notiones, a posteriori

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V. Die Schemata

gegebene Begriffe hingegen Erfahrungsbegriffe. A priori gemacht sind die mathematischen Begriffe und a posteriori gemachte Begriffe sind diejenigen, die wir uns aus der Erfahrung machen. Es gibt dabei drei Ebenen der Erzeugung: eine intellektuelle, eine empirische und eine willkürliche, die für ihre Anwendung in concreto der Schematisierung bedürfen. Entsprechend hat auch die Schematisierung als Ermöglichung des Gebrauchs von Begriffen drei Ebenen: die intellektuelle der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe, die empirische der Schematisierung empirischer Begriffe und die konstruierte der Schematisierung rein sinnlicher Begriffe. Diese Unterscheidungen dienen uns hier zunächst nur zur Einführung, damit deutlich wird, dass die dem Schematismus zugrunde liegende, logische Struktur systematisch ist, d.h. alle Begriffe bezeichnet, die nach Kant unser Denken artikulieren. Zudem markieren die Unterscheidungen die Grenze zwischen Begriffen und Ideen – die für Kant in keinerlei Weise schematisiert werden können. Ob eine solche Unterscheidung vor der Schematisierung schon möglich ist, wird im Folgenden zu klären sein. Es geht dabei um die Frage, ob überhaupt ‚der Materie nach‘ von einer Gegebenheit der Begriffe die Rede sein kann oder sie sich nicht vielmehr erst im Zuge der Schematisierung bildet. Diesbezüglich ist der von Makkreel eingeführte Begriff der Kristallisation hilfreich, um mit ihm den Prozess zu erklären, „durch den das vage und flüssige Spiel der Einbildungskraft und des Verstandes plötzlich in eine Form gefasst wird“.245 Somit wird das doppelte Wesen der Gestalt (einmal als Resultat und einmal als Prozess) ins Spiel gebracht, was wiederum den konstitutiv gemachten Charakter der Begriffe nicht nur bezüglich ihrer diskursiven Form, sondern auch als transzendentale Bedingung ihres reflexiven Gebrauchs überhaupt anzeigt. Ich werde später auf diesen systematischen Aspekt zurückkommen.246 Die Schematismuslehre umfasst das allgemeine Problem der Subsump­ tion und Anwendung der Begriffe verschiedener Art, die wiederum je unterschiedliche Verhältnisse zu den Anschauungen haben. In den nächsten Kapiteln (V.1 bis V.3) werden die drei Arten von Schemata ganz bewusst getrennt voneinander behandelt, um so das Grundverfahren jeder Schematisierung herauszuarbeiten. Denn es handelt sich bei ihnen nicht nur um Übergänge innerhalb des Rahmens der Bedingungen synthetischer Urteile a priori und allgemein des Unterschieds zwischen Erkenntnis und Denken, sondern um offene Schnittstellen, deren Analyse geeignet ist, einen neuen systematischen Zugang zur Transzendentalphilosophie zu eröffnen. Im Allgemeinen kann noch einmal betont werden, dass jede Schematisierung als ein vielschichtiger Prozess anzu-

245 246

Makkreel 1997, S. 87. Siehe unten, Kap. 6.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

sehen ist, der sich zwischen Gegebenheit und Gebrauch von sinnlichen Formen entfaltet. Kants Unterscheidung der drei Ebenen von Schematisierung ist insofern von herausragendem systematischem Interesse, als mit ihr zugleich drei Ebenen einer transzendentalen Sprach- und Erkenntnistheorie angezeigt sind. Dabei ist jedoch die vorrangige Schwierigkeit zu beachten, die eine solche isolierende Beschreibung mit sich bringt: Sie liegt in der statischen Analyse eines grundsätzlich synthetischen Prozesses, der überhaupt erst Bedeutung erzeugt, die sich in der Folge in konkreten Formen stabilisiert. Damit ist eine Spannung zwischen dem Prozess und seinen Resultaten angezeigt, die alle Ebenen der Schematisierung betrifft. Kant etwa bedient sich der Beispiele des Dreieckes und des Hundes, erklärt die Schematisierung als eine Methode und deutet gleichzeitig bestimmte Produkte an – wie das Monogramm oder das Bild. Im Folgenden soll daher versucht werden, diese Aspekte der Schematisierung zu systematisieren, nicht um die interne Spannung zwischen dem Prozess und seinen Resultaten aufzulösen, sondern um seine Gründe zu erklären und zu diskutieren.

1. Sc hemat a empi r isc her Beg r i f fe Der empirische Begriff bezieht sich nach Kant unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft und kann nicht mit einem besonderen Bild der Erscheinung gleichgesetzt werden. Zwischen einem empirischen Begriff und einem Bild herrscht ein qualitativer Unterschied, obwohl im Bild die Realität eines empirischen Begriffs zur direkten Manifestation gelangen kann – was in der Schematisierung der Kategorien nicht möglich ist. Die empirischen Begriffe sind ihren Bildern gegenüber also in einer anderen Weise als die Verstandesbegriffe heterogen, die „niemals in irgend einer Anschauung angetroffen werden können“.247 Und dass Bilder unter empirische Begriffe subsumiert werden können, bedeutet nicht, dass zwischen ihnen eine homogene Entsprechung gelingt.248 So gedeutet, würde das Problem des Gebrauchs von Regeln in der Subsumption und Anwendung empirischer Begriffe liegen, wie etwa Pippin bemerkt: „If the concept is not different from its schema, then it is impossible to explain the relation between a rule, and the conditions under which the rule can be correctly employed“.249 Die Repräsentation des Gegenstandes ist sicherlich dem Begriff gegenüber in einer anderen Weise heterogen, indem sie mittels des Schemas in den 247 248

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Kant, KrV, B 176, AA 137. Geoffrey Warnock (1967, S. 80) und Lauchlan Chipman (1972, S. 44–46) gelingt die Spezifizierung dieses Unterschieds zwischen empirischen Begriffen und reinen Verstandesbegriffen. Chipman vertritt jedoch die Meinung, dass es eine vollkommene Entsprechung zwischen empirischen Begriffen und deren Schemata gibt. Pippin 1976, S. 166.

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V. Die Schemata

Anschauungen eine empirische Entsprechung finden kann, während die Verstandesbegriffe eine vollkommen heterogene Ebene der Vorstellung konstituieren, die keine Entsprechung in den einzelnen empirischen Anschauungen hat. Jedoch ist dieses Verhältnis zu den Anschauungen nicht mit der Identität zwischen empirischen Begriffen und Bildern zu verwechseln. Beim Gebrauch empirischer Begriffe kann man jederzeit auf die Erfahrung rekurrieren, die ihren Gebrauch und ihre objektive Realität als berechtigt erscheinen lässt: „Wir bedienen uns einer Menge empirischer Begriffe ohne jemandes Widerrede, und halten uns auch ohne Deduktion berechtigt, ihnen einen Sinn und eingebildete Bedeutung zuzueignen, weil wir jederzeit die Erfahrung bei der Hand haben, ihre objektive Realität zu beweisen“.250 Ihre Anwendung ist aber deswegen nicht unproblematisch.251 Kant selber führt die Schematisierung empirischer Begriffe wie folgt ein: „Noch viel weniger erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben jemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich jederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft, als eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung, gemäß einem gewissen allgemeinen Begriffe“.252 Das Problem liegt darin zu verstehen, wie die Subsumption und Anwendung eines empirischen Begriffes – wie etwa eines Hundes – verfährt, ohne ständig auf die einzelnen Anschauungen angewiesen zu sein. Die Lösung Kants liegt darin, den Schematismus als eine Methode zu beschreiben, welche zur Bildung der Gestalt führt. Somit steht der Begriff von einem Hund für eine Regel, „nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu sein“.253 Wir sind in der Lage, über einen Hund zu sprechen, ihn zu malen oder zu zeichnen, ohne dabei immer einen besonderen Hund vor Augen haben zu müssen. Und trotzdem verfährt die Verbindung zum partikulären Bild durch ein Schema – was Kant als Gestalt beschreibt. Das Bild kann also als Resultat der Anwendung der Begriffe in concreto angesehen werden.254 Einerseits erklärt 250 251 252 253 254

Kant, KrV, B 116f., A 84. Vgl. Haag 2007, S. 264–272. Inwieweit diese Schemata nach Kant angeblich unproblematisch sind, wird von Paul Guyer behandelt (1987, S. 159). Kant, KrV, B 180, A 141. Ebd. Siehe dazu Pippin, 1982, S. 145: „Images are always individuals; they are in the fact the result of the concepts used in concreto, and they thus presuppose some method of application, some way of understanding how a universal rule, a collection of

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Kant die Schematisierung empirischer Begriffe quasi als Konstruktionsverfahren einer Gestalt, das ausgehend vom Begriff die Gestalt eines empirischen Gegenstandes schafft, ohne auf ihn angewiesen zu sein, womit die produktive Macht der Einbildungskraft betont wird, die uns Anschauungen gibt. Andererseits ist es, wie Eco bemerkt, „wohl kein Zufall, dass Kant wenige Zeilen nach diesem Beispiel [des Hundes] den berühmten Satz schreibt, wonach dieser Schematismus unseres Verstandes, der sich auch auf die bloße Form der Erscheinungen bezieht, eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele sei. Er ist eine Kunst, ein Verfahren, eine Arbeit, ein Konstruieren, aber man weiß sehr wenig darüber, wie er funktioniert. Denn es ist klar, dass die schöne Analogie mit dem Flussdiagramm, die zum Verständnis der schematischen Konstruktion des Dreiecks hilfreich war, beim Hund sehr viel schlechter funktioniert“.255 Die Auslegung Ecos – die im nächsten Kapitel genauer analysiert wird – greift den bedeutenden Unterschied zwischen der Konstruktion eines Dreiecks und der des Bildes von einem Hund auf. Beim empirischen Schema ist das konstruktive Moment der objektbezogenen Erfahrung zugewiesen, während das rein sinnliche Schema die Konstruktion verlangt, ohne dabei bloße Fiktion zu sein. Der Begriff vom Hund bezieht sich direkt auf den Gegenstand ‚Hund‘, der Teil der äußeren Wahrnehmung ist, während der Begriff eines Dreiecks oder eines Zeichnens ein konstitutives Moment in sich schließt, das eine allgemeingültige, unveränderbare Konstruktion ist.256 Das Schema als Anwendung in concreto wird von Bennett als mentales Bild erklärt, und zwar als subjektive Vorstellung von einem empirischen Begriff. Diese Interpretation fasst den empirischen Charakter dieser Art von Schema als ein Bild auf, das nicht vollkommen bestimmt sein muss, und problematisiert zugleich seine allgemeine und prozessuale Bedeutung, dank der die Schemata empirischer Begriffe nicht mit den Bildern selber, sondern mit ihrer Anwendung gleichzusetzen sind.257 Die Schemata empirischer Bilder sind von einem solchen subjektiven Charakter gekennzeichnet; sie können jedoch nicht auf diese partikuläre, subjektive Ebene reduziert werden und enthalten

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general markers sufficient to distinguish that rule from others, is applied in the face of sensible Materie. That is, he clearly insists we do need a Schematism for empirical concepts. As we shall see, such an issue is different from that relevant to transcendental schemata, but important nonetheless“. Eco 2000, S. 103f. Siehe dazu unten Kap. V.2. Bennett 1966, S. 141f.: „Admittedly, an image or mental picture need not be entirely specific: imagined things, like fictional things and unlike real ones, can disobey the law of excluded middle. But there are limits of this sort of indeterminacy. […] Kant avoids this impasse by associating each concept with a rule“. Siehe zum referentiellen Charakter der Anwendungsregeln der Begriffe auf ihre spezifischen Fälle auch S. 145.

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V. Die Schemata

eine prozessuale Einheit, die Pippin im Gegensatz zu Bennett als universelle Gestalt beschreibt.258 Bei Bennetts Deutung des Schemas als mentalem Bild hingegen wird übersehen, dass die Operation mit empirischen Begriffen nicht nur auf einer bloß bildhaften Ebene, sondern auch auf einer Versinnlichungsebene im weiteren Sinne erfolgt, die sowohl Bild- als auch Lautgestalten umfasst. Diese transzendentale Versinnlichungsgestalt lässt sich nicht auf eine empirische, bildhafte Darstellung reduzieren, weil sie über eine eigene Semantik verfügt.259Auch wenn – wie Josef Simon behauptet – „der Passus über den Schematismus empirischer Begriffe im Kontext der Kritik der reinen Vernunft […] nur eine Überleitung zum Schematismus der reinen Verstandesbegriffe ist, und auch dieser Passus in diesem Kontext wiederum nur ein Übergang zu den ‚Grundsätzen‘ des reinen Verstandes ist“,260 führt uns gerade dieser Passus zum wichtigen Problem der Bildung empirischer Begriffe, deren Gehalt potentiell aus unendlichen Merkmalen besteht. Nach Kant sind „alle unsre Begriffe demnach Merkmale und alles Denken ist nichts anders als ein Vorstellen durch Merkmale“.261 Der Spezifikations- oder Abstraktionsprozess erfolgt durch eine Reihe von Merkmalen, die unendlich ist, „weil wir zwar ein höchstes genus, aber keine unterste species haben“.262 Das logische Wesen ist „der erste Grundbegriff aller nothwendigen Merkmale eines Dinges (esse conceptus)“,263 und dabei bezieht sich Kant auf die Grundmerkmale, die notwendigerweise zum Grundbegriff eines Dinges gehören. Obwohl also der Begriff vom Hund durch potentiell unendliche Merkmale spezifiziert werden kann, ist die Eigenschaft des ‚Vierfüßig-Seins‘ ein Grundmerkmal, ohne das ein Ding kein Hund sein kann. Im Vergleich zwischen dem Satz aus der Logik Jäsche, der lautet: „der 258

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Vgl. Pippin 1982, S. 148: „In fact this Gestalt, clearly itself not a rule, seems to approach the original meaning of σχήμα. For an image to be thought under a concept, Kant now argues, the concept itself must be thought or represented as a unity, a totality of components. I must be able to imagine ‘dog-in-general’ for the rule that is the concept dog to determine all possible dog images. We should note too that this Gestalt does not seem to be what Bennett has called a ‘private mental image’. It is a universal Gestalt, the ground for the production of any particular image, whether privately conceived or empirically apprehended, and again seems more and more like an abstract object“. Diesbezüglich wird oft der Vergleich zwischen dem Schema und dem Bild-Begriff bei Wittgenstein herangezogen. Dazu Eco 2000, S. 100: „Allenfalls könnte man sagen, dass Kants Schema weniger dem gleicht, was man üblicherweise unter einem ‚geistigen Bild‘ (das die Vorstellung einer Fotografie evoziert) versteht, als Wittgensteins ‚Bild‘, einem Satz, der die gleiche Form hat wie die Tatsache, die er darstellt, in dem Sinn, wie man bei einer algebraischen Formel oder einem technisch-wissenschaftlichen ‚Modell‘ von ‚ikonischer‘ Beziehung spricht“. Simon 2003, S. 256. Kant, AA IX: 58. Kant, AA IX: 59 . Kant, AA IX: 61.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Philosoph macht nur gegebene Begriffe deutlich“,264 und der Behauptung aus der Logik Philippi, nach der „Gegenstände der Natur niemals vollkommen deutlich sind, weil wir die Reihe der coordinirten Merkmale niemals zu Ende bringen“,265 scheint deutlich zu werden, dass der Schematismus für den Gebrauch der Begriffe zuständig ist – und zwar sogar für den Gebrauch des abstraktesten Begriffs von ‚Etwas‘.266 Im Gebrauch eines empirischen Begriffes erfolgt eine Auswahl von Merkmalen, deren Menge potentiell unendlich ist und die dennoch im Subsumptions- und Anwendungsprozess in einer wirklichen – und in der Tat partiellen – Gestalt zur Darstellung gelangt. Und gerade diese Teilansicht ist im Terminus Gestalt angezeigt, und zwar als ein Ganzes, das als einheitlich wahrgenommen wird. Wie Pippin zu Recht beobachtet: „We already know that the list of Merkmale that define an empirical concept is indefinite, never comple­table. If that is so, then what does the ‚imagination‘ look to in thinking some set of markers together as a ‚universal‘ whole, a schematic totality?“.267 Der Schematismus der empirischen Begriffe lässt sich nicht auf eine Abstraktion der Merkmale reduzieren; im Gegenteil führt er uns zum grundlegenden Problem der Bildung von Begriffen, womit der Prozess des Gebrauchs der Begriffe in den Vordergrund rückt.268 Die Vollkommenheit der empirischen Begriffe ist in diesem Sinne in actu und das dank der Einbildungskraft als dem Vermögen der Vermittlung und Vereinheitlichung verschiedener Merkmale in einer Vorstellung. Hier ist absichtlich die Rede von Vorstellung und nicht von Darstellung, um den aktuellen Charakter der Auswahl von Merkmalen im Gebrauch der empirischen Begriffe hervorzuheben. Dies wird auch von Josef Simon gesehen: „Insofern ist jeder empirische Begriff ‚mein‘ (vorläufiger) Begriff. Jedes Bild von ihm ist eine mir hier und jetzt mögliche Vorstellung 264 265

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Kant, AA IX: 64. Kant, AA XXIV, 1: 413. Der Vergleich mit den Poeten und Rednern, die „die Deutlichkeit durch eine Menge coordinirter Merkmale zu Stande bringen“, ist diesbezüglich sehr aufschlussreich. In der Logik Jäsche (AA IX: 95) bestimmt Kant den Begriff von Etwas als einen abstrakten Begriff, „welcher mit keinem von ihm verschiedenen etwas gemein hat. […] Denn das von ihm Verschiedene ist Nichts, und hat also mit dem Etwas nicht gemein“. Siehe dazu La Rocca 2003, S. 136. Pippin 1982, S. 147. Vgl. Haag 2007, S. 274: „Ich bin der Ansicht, dass Kants abstraktive Theorie der Bildung empirischer Begriffe empirische Schemata nicht überflüssig macht“. Insbesondere bemerkt Haag (S. 264), dass die Schematisierung empirischer Begriffe keine überflüssige Theorie sei: „Auch wenn die Schematisierung empirischer Begriffe nicht im transzendentalen Sinne Bedingung der Möglichkeit von Gegenstandsbezug ist – weil dieser Gegenstandsbezug keine empirische Begriffe voraussetzt – erfordert die Anwendung empirischer Begriffe eine Zuordnung empirischer Schemata“.

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V. Die Schemata

seines Inhalts, und nur in dem Maße, in dem ich die Kunst oder das Verfahren, ihm sein Bild zu verschaffen, ‚blind‘ beherrsche, wird er mir deutlich“.269 Der subjektive Charakter der empirischen Schematisierung betrifft die Bestimmung der empirischen Einheit der Apperzeption, die nur subjektive Gültigkeit hat, und so ist „die Einheit des Bewusstseins, in dem, was empirisch ist, […] in Ansehung dessen, was gegeben ist, nicht notwendig und allgemein geltend“.270 Eine Interpretation, welche die Abstraktion und die Anwendung der Begriffe als zwei Richtungen desselben Schematismus ansieht – einerseits als Subsumierung bestimmter Merkmale und andererseits als pragmatische Schließung einer Reihe von Merkmalen271 –, erfasst sicherlich die Bestimmung der Gestaltung als einen aus dem Verhältnis zwischen Ganzem und Teilen resultierenden Prozess, also als eine endliche Auswahl von Merkmalen. Aber sie geht das Risiko ein, den Gebrauch selbst zu umgehen und den gestaltlichen Charakter der Schematisierung auf die Subsumption und Erkenntnis einzelner Merkmale zu reduzieren. Die Gestalt als Totalität lässt sich hingegen nicht als die Summe einzelner Merkmale verstehen und der Schematismus mithin auch nicht als bloßer Subsumptions- und Anwendungsprozess, wie Heidegger anhand des Beispiels eines Hauses erklärt: „Diese Vorzeichnung der Regel ist kein Verzeichnis im Sinne der bloßen Aufzählung der ‚Merkmale‘, die an einem Haus vorfindlich sind, sondern ein ‚Auszeichnen‘ des Ganzen dessen, was mit dergleichen wie ‚Haus‘ gemeint ist“.272 Wenn eine Anschauung einen bestimmten Begriff als Merkmal hat, kann die Schematisierung erfolgen, und die Anschauung wird zu einem Beispiel dieses Begriffes. Kant führt den Begriff des Beispiels in §59 der Kritik der Urteilskraft ein, um zwei Arten von Anschauungen zu unterscheiden: „Die Realität unserer Begriffe darzutun werden immer Anschauungen erfordert. Sind es empirische Begriffe, so heißen die letzteren Beispiele. Sind jene reine Verstandesbegriffe, so werden die letzteren Schemata genannt“.273

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Simon 2003, S. 249 und S. 354: „Der ‚Begriff‘ ist willkürlich, weil er sich meiner Synthesis in dem Modus verdankt, in dem ‚ich‘ mit meiner Urteilsbildung zu Ende komme. Damit ist er für mich gerade nicht willkürlich“. Geoffrey Warnock (1967, S. 80) diskutiert die Unterscheidung zwischen der Anwendung, dem Gebrauch und dem Besitzen eines Begriffes. Kant, KrV, B 140. Siehe Forgione 2006, S. 87: „[…] Schematismo e astrazione in Kant sono la stessa e medesima operazione, considerata solo sotto due aspetti distinti e invertiti: l’astrazione, così come lo schematismo sussuntivo, non diversamente dai dettami dell’empirismo, concerne la possibilità di registrare, di marcare una particolare nota, mentre lo schematismo applicativo riguarda l’applicazione dell’insieme di note o di attributi che formano un concetto, in sede di giudizio“. Heidegger, GA, 3, S. 95. Kant, KU, B 254, A 251.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Wie jetzt deutlich geworden ist, lässt sich die Gestalt also nicht auf Bilder reduzieren, sondern stellt eine Auswahl von Merkmalen dar, die – sei es durch Sprache, sei durch Bilder – als Totalität zur Darstellung gelangt.274 Wie bereits mehrfach angemerkt wurde, eröffnet die Kritik der Urteilskraft diesbezüglich einen weiteren Horizont, der im nächsten Kapitel mit Blick auf den Unterschied zwischen schematischer und symbolischer Darstellung genauer zu untersuchen sein wird. Hier ist es wichtig festzuhalten, dass der exemplarische Charakter der Schemata empirischer Begriffe eine kreative Funktion in der Bildung der Begriffe ausübt, die in der Kritik der reinen Vernunft nicht im Vordergrund steht, weshalb aus dem Schematismus-Kapitel die Bildung der Begriffe jener Art offen bleibt, deren Gebrauch nicht nur als ein Subsumptions- und Anwendungsprozess, sondern als Darstellung angesehen werden kann. Als „musterhaft“ gilt in §57 der Anthropologie ein Werk des Genies, „d.i. wenn es verdient als Beispiel (exemplar) nachgeahmt zu werden“.275 Die unendliche Reihe der Merkmale ist für Eco gerade der Grund, warum Kant am Anfang der Kritik der reinen Vernunft behauptet, dass „in der transzendentalen Philosophie keine Begriffe auftauchen dürfen, die etwas Empirisches enthalten: Gegenstand der Synthesis a priori kann nicht die Natur der Dinge sein, die in sich ‚unerschöpflich‘ ist“.276 In der Erfahrung sind immer neue Spezifizierungen eines empirischen Begriffs zu finden. Dieser Aspekt enthält das Problem der Gestaltung von Bedeutung im diskursiven Gebrauch: Die empirischen Begriffe sind nun an die Erfahrung der Sprechenden und Hörenden gebunden und lassen sich nicht vom Kontext der einzelnen Bedeutungsgebungen abstrahieren. Daher könnte man fragen, ob die Schemata empirischer Begriffe nicht einfach auf den Gebrauch empirischer Begriffe zu reduzieren sind. Diese Frage wird oft bejaht, und zwar dann, wenn eine andere Frage vernachlässigt wird, nämlich die nach der Bildung der empirischen Begriffe selbst. 274

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Vgl. Fortuna 2005, S. 94: „[…] lo schema empirico di gatto o di cane è un’immagine in concreto (visiva, uditiva o motoria che sia) che rappresenta tutta la categoria attraverso un esempio“. Diesbezüglich hat Werner Flach (2001, S. 469) betont, inwiefern die Schemata empirischer Begriffe Beispiele „für gegenständliche Bestimmtheit [sind], der, und das ist hierbei ganz besonders mitzudenken, bestimmungslogisch die Unbestimmtheit korreliert“. In diesem Zusammenhang nähert sich dieser Gestalt-Begriff sicherlich einer Untersuchung der Gestaltungstheorie, die jedoch hier nicht berücksichtigt werden kann. Kant, AA VII: 224: „Nun heißt das Talent zum Erfinden das Genie. Man legt aber diesen Namen immer nur einem Künstler bei, also dem, der etwas zu machen versteht, nicht dem, der blos vieles kennt und weiß; aber auch nicht einem blos nachahmenden, sondern einem seine Werke ursprünglich hervorzubringen aufgelegten Künstler; endlich auch diesem nur, wenn sein Product musterhaft ist, d.i. wenn es verdient als Beispiel (exemplar) nachgeahmt zu werden“. Dazu siehe auch Wagner 2008, S. 140. Eco 2000, S. 88.

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V. Die Schemata

So kann vor allem in der Folge Wittgensteins der Eindruck entstehen, der Gebrauch erfordere kein (inhaltliches) Schema.277 Im Gegenteil ist das Schema deshalb nicht überflüssig, weil auch im Fall der empirischen Begriffe durch die Bildung im Gebrauch nicht erklärt werden kann, inwieweit sie sowohl durch Bilder als auch durch Wörter zur Gestaltung gelangen und diese Gestalten als Zeichen oder als Symbole verwendet werden können.278 Eco behandelt ähnliche Probleme anhand des Beispiels eines Schnabeltiers und verwendet es als Prüfstein des Schematismus: „Dass Kants Schematismus – in dem Sinn, dass er diese Vorstellung zwingend nahelegt – einen Konstruktivismus impliziert, ist, insbesondere im Blick auf die Wiederaufnahme Kants in den modernen Kognitionswissenschaften, keine neue Erkenntnis. Doch in welchem Maße das Schema ein Konstrukt sein kann und muss, das müsste sich weniger daran zeigen, dass man bereits konstruierte Schemata (wie das des Hundes) anwendet; das eigentliche Problem ist die Frage, was geschieht, wenn man das Schema eines noch unbekannten Gegenstandes konstruieren muss“.279 Das Schnabeltier ist gerade ein Schema von einem noch unbekannten Gegenstand, der später dennoch entdeckt wird. Das Beispiel stellt insofern zwei Probleme dar: zuerst die Bildung der empirischen Begriffe, die als ‚gegeben‘ wahrgenommen werden, und zweitens die Bildung neuer Begriffe, die später als ‚gegeben‘ wahrgenommen werden. Das Problem des Schnabeltiers zieht Eco als Prüfstein der Kritik der Urteilskraft heran, und zwar genauer der Unterscheidung zwischen bestimmenden und reflexiven Urteilen.280 Gerade durch die reflexive Urteilskraft kommen Ausdrücke für Gegenstände zustande, die als ‚neu‘ zu kennzeichnen sind. Das Unbekannte findet seine erste Bestimmung als Etwas und anschließend eine spezifischere Benennung über das Erlernen einer konventionellen Benennung oder durch Erfindung neuer Ausdrücke. Die Erfindung geschieht dabei auf einer reflexiven Ebene, die das symbolische Denken impliziert und für Kant dann zur Bestimmung wird, wenn eine direkte Entsprechung in den Anschauungen vorliegt, oder besser gesagt: wenn die Anschauungen erkennbare Beispiele für die erfundenen Ausdrücke darstellen. Die Schematisierung empirischer Begriffe erhält objektive Realität in der Erfahrung und ihre Anwendung erfolgt in synthetischen Urteilen a posteriori,

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Zum Beispiel Wittgenstein, PU, 73. Darauf werde ich im abschließenden dritten Teil zurückkommen. Vgl. dazu insbesondere Dascal und Senderowitcz 1992, S. 141f.: „An empirical concept is nothing but a word with a determinate reference. Nevertheless, we must remember that we have no access to the thing referred to by the word not to its inner structure. All we know is what we can learn from experience. At this point the importance of nominal definitions becomes apparent“. Eco 2000, S. 108. Vgl. Eco 2000, S. 109.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

die in der Erfahrung ihre Quelle haben müssen.281 Der Abstraktionstheorie genügt jedoch nicht die Erklärung der Bildung der Begriffe als solche, wie Eco am Problem des Schnabeltiers zeigt. Denn die Abstraktionstheorie stellt aus Kants Sicht nur eine negative Bedingung dar und erfordert zusätzlich die positiven Bedingungen der Komparation und der Reflexion.282 Diese drei Operationen dienen bloß dazu, schon gegebene Begriffe zu spezifizieren, können jedoch die Möglichkeit und Bildung der Begriffe selbst nicht erklären.283 Diese Spannung zwischen Gegebenheit und Bildung der Begriffe hinterlässt deutliche Spuren in den logischen Schriften Kants, in denen er die empirischen Begriffe an der Grenze zwischen Logik und Erkenntnistheorie als solche beschreibt, die gegeben und gemacht sind. In §2 der Logik Jäsche wird eine weitere Unterscheidung zwischen a priori gegebenen Begriffen im Gegensatz zu a posteriori gegebenen gezogen, und erst in §102 der Logik in der Methodenlehre erklärt Kant, die gemachten Begriffe könnten sowohl a priori als auch a posteriori sein, wobei letztere Gegenstände der Erfahrung seien, die synthetisch gemacht werden.284 Dass diese synthetisch gemachten Begriffe erst in der Methodenlehre vorkommen, ist nicht von sekundärer Bedeutung, weil Kant gerade dort zu zeigen beansprucht, „wie wir zur Vollkommenheit des Erkenntnisses gelangen“.285 Und das kann nicht analytisch erfolgen, sondern nur synthetisch, d.h. die Deutlichkeit der Begriffe kann nicht durch die analytische Untersuchung der Merkmale eines Begriffes erreicht, sondern nur aus der Erfahrung synthetisch hergeleitet werden: Bei „[…] empirischen Begriffen Wasser Feuer Luft u. dgl. soll ich nicht zergliedern, was in ihnen liegt, sondern durch Erfahrung kennen lernen, was zu ihnen gehört. Alle empirischen Begriffe müssen also als gemachte Begriffe angesehen werden, deren Synthesis aber nicht willkürlich, sondern empirisch ist“.286 281 282 283

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Vgl. Kant, KrV, B 1f. Vgl. Kant, AA IX: 95: „Denn durchs Abstrahiren wird kein Begriff, die Abstraction vollendet ihn nur und schließt ihn in seine bestimmten Grenzen ein“. Kant, AA XVI: 552 (R 2865). Vgl. Ginsborg 2006, S. 40: „The upshot of this seems to be that we cannot regard the appeal to comparison, reflection, and abstraction as constituting Kant’s answer to the question of how empirical concepts are possible, but only as explaining how concepts we already possess can be clarified or made explicit“. Siehe auch Ginsborg für die Betrachtung der Ansätze von Locke, Berkeley und Hume in Bezug auf das Problem der Bildung empirischer Begriffe sowie Obergfell 1985, S. 47–51. Frank Obergfell (1985, S. 64) interpretiert diese Begriffe im Sinne einer freien Gestaltung: „Dieser Art sind alle Phantasiebegriffe und projektiven Begriffe, deren ganzheitlicher Sachgehalt entweder nie in der Erfahrung vorfindbar ist (Sphinx) oder noch nicht (Schiffsuhr)“. Kant, AA IX: 139. Kant, AA IX: 141. In der Reflexion 2935 (AA XVI: 581) zieht Kant eine Unterscheidung zwischen empirisch gegebenen Begriffen (wie der Begriff des Körpers) und

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V. Die Schemata

Die Erfahrungsbegriffe enthalten daher eine synthetische Bestimmungsfunktion, die ich dem Gegenstand der Erfahrung nicht einfach ablese, sondern „willkührlich auflese“.287 Der Anwendungsbereich dieser Funktion ist jedoch nicht ausreichend spezifiziert und schwebt oft zwischen der Abgrenzung zur Gegebenheit des Gegenstandes und der Erweiterung des gegebenen logischen Wesens: Die interne Spannung zwischen Gegebenheit und Gemacht-Sein der Erfahrungsbegriffe erhält daher keine deutlichen Konturen in Bezug auf den Schematismus. Einerseits scheint Kant mit ihr auf die Entgegensetzung zwischen Willkürlichkeit und Gegebenheit des Bezugs zum Gegenstand abzuzielen, andererseits könnte sie auch als interne Spannung innerhalb der Definition des Begriffes selbst verstanden werden. Auf dieser letzten Ebene liegt das von Eco besprochene Problem der Bildung empirischer Begriffe, und genauer der Wortbestimmungen. Nach Kant muss zwischen der (logischen) Nominaldefinition gegebener empirischer Begriffe, die das enthält, „was man iederzeit bey einem Worte in dem Begriffe denkt“ und der Realdefinition dessen unterschieden werden, „was iederzeit der Sache zukomt“.288 Die Nominaldefinition bezeichnet das logische Wesen, während die Realdefinition seine objektive Realität betrifft, die nur a posteriori im Gebrauch dargelegt werden kann.289 Die Reflexion 2931 bringt meines Erachtens Licht in den Unterschied zwischen Nominalund Realdefinition: „Ich gebe entweder einem Wort seinen Begrif (Wortbestimmung) dem Gebrauch nach oder dem willkührlichen Begriff ein Wort und errichte einen Gebrauch; das erste ist declaration nominalis, das zweyte declaratio realis“.290 Und in der Reflexion 2954 schreibt Kant: „Erfahrungsbegrif ist nur Zeichen der Erfahrung“.291 Die gegebene und gemachte Bedeutung der empirischen

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empirisch gemachten Begriffen (wie der Begriff von Wasser). Kant, AA XVI: 572: „Erfahrungsbegriffe sind auch gemacht, weil sie das object durch Warnehmungen, die ich willkührlich auflese, bestimmen und zusammensetzen. Aber weil der Gegenstand selbst gegeben wird, so kann man ihn analysiren“. Kant, AA XVI: 576. Siehe Kant (Anmerkung), KrV, A 242: „Ich verstehe hier die Realdefinition, welche nicht bloß dem Namen einer Sache andere und verständlichere Wörter unterlegt, sondern die, so ein klares Merkmal, daran der Gegenstand (definitum) jederzeit sicher erkannt werden kann, und den erklärten Begriff zur Anwendung brauchbar macht, in sich enthält. Die Realerklärung würde also diejenige sein, welche nicht bloß einen Begriff, sondern zugleich die objektive Realität desselben deutlich macht. Die mathematische Erklärungen, welche den Gegenstand, dem Begriffe gemäß, in der Anschauung darstellen, sind von der letzteren Art“. Vgl. dazu Böhme 1986, S. 29–33. Kant, AA XVI: 579. Kant, AA XVI: 586. Insbesondere Claudio La Rocca hat bei Kant die Funktion der Bezeichnung für den empirischen Begriff hervorgehoben (2003, S. 137): „Ciò che significa che il rapporto originario tra intuizione e concetto non è di rappresentazio-

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Begriffe kann daher wie folgt erläutert werden: Als gegeben versteht man diese Begriffe in der Erlernung des (sprachlichen) Gebrauchs, als gemacht hingegen sind sie mit Blick auf den Prozess ihrer Entstehung zu beschreiben. So erklärt sich auch Ecos Schnabeltierproblem, in dem die Bezeichnung selbst eine Gestaltungsfunktion annimmt. Auf diese Weise erscheint der gegebene Charakter der empirischen Begriffe in einem anderen Licht. Denn ihre Gegebenheit ist nicht etwa ursprüngliche Voraussetzung der Schematisierung, sondern ihr Resultat, insofern in ihr Begriffe so angewendet werden, als ob sie gegeben wären. Insofern ist es korrekt zu sagen, die Begriffe realisierten sich immer nur im Gebrauch, was für Kant im Urteilen geschieht. An diesem Punkt setzt auch die Kritik Maimons bezüglich des fiktionalen Charakters aller Begriffe an: Die Erfahrung – oder besser gesagt: das vorausgesetzte Faktum der Erfahrung – ist für ihn nicht ausreichend für die Erklärung der Begriffe empirischer Art. An seine Stelle tritt ein rationaler Prozess, der ähnlich wie im Schematismus im Allgemeinen das Problem der Bildung und des Gebrauchs von Begriffen erklärt, die an sich immer eine Auswahl in actu sind. Auf die Kritik Maimons an Kant wird später noch ausführlich eingegangen;292 hier ist lediglich anzudeuten, inwiefern sie auf eine interne Problematik des Schematismus hinweist. Der schematische Prozess bietet eine Lösung des Problems an, das mit dem zugleich gegebenen als auch gemachten Wesen der Begriffe angezeigt ist. Denn er ermöglicht sowohl die Stabilität als auch die Modifikation der Bedeutung der Begriffe, die in unterschiedlichen Anwendungs- und Ausdrucksformen zur Vor- und Darstellung gelangen können.293 Ohne die Schematisierung würden die empirischen Begriffe – und nicht nur sie, sondern, wie wir später sehen werden, alle Begriffe – in ihrer sprachlichen Kristallisation294 gefangen bleiben, ohne modifizierbar zu sein,295 wodurch der perspektivische Charakter

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ne, ma appunto di designazione, ossia che il primo passo è l’aggancio segnico dell’oggetto che può avvenire sulla base di Merkmale diversi, in unione non preordinata, in certo senso arbitraria (limitata solo dalla capacità di quei Merkmale di essere principio di identificazione)“. Siehe Kap. I des zweiten Teils Diesbezüglich diskutiert Henry Allison (2004, S. 208) die Ähnlichkeit zwischen Beispielen und Bildern: „Images share with examples the property of fixedness or determinacy, that is, they are inherently particular. That is why Kants insists in the Schematism that mathematical and empirical concepts must be grounded in schemata rather than images. (…) In other words, in order to be able to judge that a particular figure is a triangle, one needs not simply the concept (that of a figure enclosed by three straight lines) but also its schema“. Zum Kristallisations-Begriff von Makkreel siehe oben, Kap. V.3. Raphaël Ehrsam (2011, S. 151) bemerkt: „ […] le schème d’un concept empirique es empreint de la contingence ayant marqué la formation du concept, et de ce fait, il comprend de façon essentielle en lui-même la possibilité de sa modification“.

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V. Die Schemata

des Gebrauchs dieser Begriffe verloren ginge.296 Wenn dem so ist: wenn also dem Schematismus diese konstruktive Prozessualität zukommt, dann kann man mit Heidegger fragen, „in welchem Sinne hier überhaupt noch von Subsumption ‚unter Begriffe‘ gesprochen werden darf“.297 Die Schematisierung empirischer Begriffe bringt uns dem Problem der semantischen Unbestimmtheit näher, das sich darin zeigt, dass die natürliche Sprache zur konkreten Form des Ausdrucks und der Darstellung abstrakter Begriffe wird. Denn es ist die Ebene des empirischen Ausdrucks, die den gewöhnlichen Gebrauch unserer Begriffe prägt. In diesem Gebrauch findet eine Auswahl von Merkmalen statt,298 die Ähnlichkeiten zum symbolischen Prozess aufweist, in dem nach Kant eine indirekte Assoziation von schon intuitiv gegebenen Merkmalen erfolgt. In Maimons Erweiterungsversuch dann ist es die Einbildungskraft, die eine unendliche Reihe Merkmale schließt und so die unendliche Annäherung des Begriffs ausmacht, indem sie die endliche Gestalt jedes Mal transformiert, weshalb schließlich Herder sie explizit mit dem Wort selbst in Verbindung bringt. An dieser Stelle ist der Begriff der Motiviertheit einzuführen, die – wie man sehen wird – Grundeigenschaft aller Schemata ist, sich jedoch jeweils anders artikuliert, wie Eco beobachtet: „Man kann die Schemata auch in dem Sinn als äußerst unnatürlich betrachten, als sie in der Natur nicht präexistieren, doch das ändert nichts daran, dass sie motiviert sind“.299 Diese Motiviertheit der Schemata realisiert sich im Prozess des Gebrauchs des Begriffs, der als Auswahl von bestimmten Merkmalen angesehen werden kann, die in den Anschauungen einen Beleg finden. Dieser Prozess nähert den Schematismus empirischer Begriffe demjenigen symbolischen Verfahren an, das jedes Mal bestimmte Merkmale des schon bestehenden (also motivierten, aber nicht vollkommenen) Begriffs in ein vorläufiges Ganzes schließt. Dieser Aspekt ist daher zu Recht

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299

Vgl. Haag 2007, S. 267. Heidegger GA, 3, S. 110. Insbesondere Emilio Garroni und Michael Hohenegger haben diesen Aspekt deutlich gesehen (1999, S. LIII): „[…] la formazione di uno schema empirico comporta, rispetto all’immagine-schema, una selezione simile a quella che caratterizza specificamente (nel senso di: ‘rispetto a uno schema già costituito’) un simbolo, dato che e nel primo caso e nel secondo bisogna selezionare alcuni tratti ed escluderne altri. C’è di più, come si accennava: che perfino il significato delle categorie, almeno sotto un profilo linguistico, non può essere in tutti i sensi attinto immediatamente e a priori nel suo schema puro, e contiene anch’esso una valenza analogica, se si tiene conto del fatto che, in tanto si può parlare di concetti puri […], in quanto le parole che li designano hanno invece un significato indiretto, cioè un’esibizione simbolica“. Siehe auch Forgione 2006, S. 100. Eco 2000, S. 145.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

mit der Problematik der semantischen Unbestimmtheit in Verbindung gebracht worden. Diese Motiviertheit in der Schematisierung empirischer Begriffe kann als subjektiver, einzelner Gebrauch der Begriffe verstanden werden. Insbesondere Cassirer deutet das eigentliche Thema der Schematismuslehre als „die Frage nach der psychologischen Möglichkeit des Allgemeinbegriffs“,300 d.h. als einen Gebrauch, in dem der allgemeine Begriff zur subjektiven Konkretheit einzelner Anwendungen gelangt, ohne dabei willkürlich konstruiert zu sein.301 Beim empirischen Schematismus geht es um die Zeit und den Raum des Subjektes. Das Schema stellt das Hier und Jetzt des subjektiven Gebrauchs des ­Subjektes dar, der sich in der raumzeitlichen Dimension der objektbezogen Wahrnehmung entfaltet. Dieser Aspekt kann auch als Perspektivismus der empirischen Schemata bezeichnet werden, da er den subjektiven Charakter der schematischen Realisierung eines empirischen Begriffes beschreibt. An Überlegungen von Sellars anknüpfend bezeichnet Haag das Schema der empirischen Begriffe als „die Methode der Konstruktion von Bild-Modellen aus verschiedenen möglichen Perspektiven des Subjekts. Die Methode ist also die Methode der Konstruktion von etwas wesentlich perspektivischem“.302 Was

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Cassirer, ECW, 3, S. 596: „Der Schematismus ist bestimmt, die innere ‚Ungleichartigkeit‘ zu heben, die zwischen dem reinen Verstandesbegriff und den sinnlichen Anschauungen, auf die er angewandt werden soll, zu bestehen scheint. […] Es muss gezeigt werden, wie eine sinnliche Anschauung, die als solche nur einen bestimmten Einzelinhalt zu bezeichnen scheint, die Fähigkeit erlangen kann, zum Ausdruck einer Gesamtklasse von Inhalten zu werden und zu jeden von ihnen nach seiner konstitutiven Beschaffenheit wiederzugeben. An diesem Grundproblem greift die Lehre vom Schematismus ein. Ihr eigentliches Thema ist die Frage nach der psychologischen Möglichkeit des Allgemeinbegriffs“. Siehe auch Cassirer, ECW, 24, S. 234: „Concepts are psychologically actualized by ‘schemata’, not by images“. Vgl. Eco 2000, S. 144: „Obwohl von ein und demselben Ding verschiedene mögliche schematische Darstellungen gibt, darf man das Schema von ihm nicht willkürlich konstruieren“. Haag 2007, S. 289. Haag bezieht diesen Ansatz auf Sellars (1978, S. 233). Der perspektivische Charakter der Schemata wird auch von Sarah Gibbons (1994, S. 76f.) diskutiert. Umberto Eco (2000, S. 105–108) behandelt das Schema empirischer Begriffe in Bezug auf das 3D-Modell von Marr, das jedoch nur als eine Darstellung der Bedeutungsproblematik anzusehen ist und das Schema nicht auf die bildhafte Konstruktion zurückführen kann. Der Modell-Begriff wird hier in Bezug auf die Auslegung von Friedrich Kaulbach (1973, S. 126f.) in Betracht gezogen, der das Modell im Zusammenhang des Vermögens der reflektierenden Urteilskraft und in der Gegenüberstellung zum Schema behandelt. Dazu Grüne 2009, S. 143f. und S. 193. Obwohl es an dieser Stelle nicht möglich ist, näher auf die von Haag vertretene Auslegung des Bild-Modell-Begriffs einzugehen, möchte ich kurz darauf hinweisen, dass eine solche Reduktion des Schemas auf die bildhafte Charakterisierung nicht die ganze Weite des Schemas als Versinnlichung zwischen Bild und Laut erfasst, obwohl Haag zu Recht darauf hinweist, dass die Rezeptivität durch sinnli-

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V. Die Schemata

nun in dieser Art von Schematisierung perspektivisch ist, kann am Prozess der Referenz selbst festgemacht werden, die sich im Gebrauch von Begriffen realisiert und nicht nur auf die Konstruktion von Bild-Modellen zu reduzieren ist, da es – wie gesehen – in der Schematisierung empirischer Begriffe um eine Gestaltung geht, die mit der Perspektivität des Gebrauchs in Verbindung steht, von dem der Begriff nicht getrennt werden kann. Der Gebrauch kann sowohl eine bildhafte als auch eine rein lautliche Artikulation des Begriffs realisieren. Die Rede von Bild-Modellen erfasst also nicht die Gestaltungsfunktion dieser empirischen Schematisierung, deren perspektivischer Charakter nicht mit ihrer bloßen Subjektivität verwechselt werden darf, die vom Gebrauch unabhängig ist. Die Gegebenheit der Begriffe erweist sich somit als Moment innerhalb des Prozesses der sprachlichen Schematisierung, was auch Humboldt hervorhebt, demzufolge „erst im Individuum die Sprache ihre letzte Bestimmtheit erhält“.303 Die so angezeigte Perspektivität ist zugleich Ausdruck der spezifischen Dunkelheit der Referenz aus subjektiver Sicht, die Josef Simon auf die schematische Vermittlung zwischen Bild und Begriff bezieht: „Nach Kant verdanken wir die ‚Bedeutung‘ unserer Begriffe (als ihre ‚Beziehung auf Objekte‘) dem Schematismus als einem ‚Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen‘. Das kann nun aber nicht mehr so verstanden werden, als hätte man zunächst den Begriff von etwas, von dem man sich außerdem noch ein Bild verschafften wollte. Ohne Bild, d.h. ohne das, was ich mir darunter vorstellen kann, wäre der Begriff für mich kein Begriff (von etwas). Wegen dieses Rückbezuges auf mich bleibt auch nach Kant die Referenz dunkel. Das sie herstellende Verfahren folgt keiner Regel, die man angeben könnte. […] Diese ‚Dunkelheit‘ ist nun aber in ihrer systematischen Notwendigkeit begriffen. Sie gehört zur Aufklärung, insofern sie als Aufklärung über die Grenzen der ‚reinen‘ Vernunft verstanden ist“.304 Eine Schematismuslehre empirischer Begriffe, die sich nur auf der Ebene der subjektiven Anwendung der Begriffe auf die Erscheinungen durch die Konstruktion von Bildern oder im Allgemeinen durch die Entsprechung von inneren Vorstellungen und Erscheinungen bewegt, begreift nicht den Sinn der Referenz selbst, die sich subjektiv artikuliert, aber trotzdem eine Gestaltung ist, die sich schematisch, d.h. transzendental zwischen Bildern und Wortlauten entfaltet.305 In ihrem fortlaufenden Prozess zwischen Ganzem und Teilen markieren

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che Eigenschaften geprägt ist (siehe dazu Haag 2007, S. 429). Mein Eindruck ist, dass die Bild-Modelle bei Haag trotzdem Gehalte und nicht prozessuale Bedingungen von Vorstellungen bezeichnen (siehe weiter S. 432). Humboldt, GS, VII, S. 64. Simon 2003, S. 246. Inwieweit die Wahrnehmung von Bildern und Wörtern dem physiognomischen Prozess ähnelt, kann hier nicht weiter behandelt werden. Vgl. dazu insbesondere

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

die empirischen Schemata begriffliche Kristallisationen subjektiver und perspektivischer Art. So hat in diesem Kontext auch die naive Bedeutung des Schemas als stilisierte Facette, Skizze, Andeutung unter der Voraussetzung ihre Berechtigung, dass es sich dabei nur um empirisch gegebene Verkürzungen handelt, die nicht die Bedeutung des Schemas in der Gestaltung des Ganzen umfassen, die vielmehr dem symbolischen und sprachlichen Prozess entsprechen. Die Sinnlichkeit in ihrer Gestaltungsfunktion wurde hervorgehoben, um deutlich zu machen, dass die Bedeutung durch den Versinnlichungsprozess zwischen Wortlauten und Bildern zur Artikulation kommt. Bei der Schematisierung empirischer Begriffe spielt dieser Aspekt eine grundlegende Rolle: Dieser Prozess ist die dynamische Performanz der sprachlichen Gestaltung selbst. Genau dies meint Humboldt, wenn er sich auf die Sprache als energeia im Unterschied zum ergon bezieht. Die Sprache hat daher ihre letzte Bestimmtheit im individuellen Gebrauch. Die Schematisierung empirischer Begriffe ist somit geeignet, diese Form der Versinnlichung zu erklären, in der sich im Gebrauch der Sprache das Denken selbst gestaltet. Der mit der Schematisierung empirischer Begriffe einhergehende Konstruktivismus betrifft daher nicht nur die Begriffe selbst, die – wie oben erklärt – als ‚gemacht‘ aufgefasst werden können, sondern die Sprache als solche. Die Spannung zwischen der Gegebenheit und dem Gemacht-Sein der empirischen Begriffe zeigt die Tätigkeit der Sprache als eine dynamische Funktion des Bezeichnungsvermögens an, wie sie systematisch erst in der Nachfolge Kants von Hamann, Herder und Humboldt ausgearbeitet wurde.

2. Sc hemat a rei n si n n l ic her Beg r i f fe Während die Schematisierung empirischer Begriffe auf eine Entsprechung in den einzelnen empirischen Anschauungen (mit und ohne Gegenwart des Gegenstandes) angewiesen ist, lässt sich die Schematisierung sinnlicher Begriffe als ein Konstruktionsverfahren erklären, das allein auf reinen Anschauungen beruht und nicht direkt auf empirische Anschauungen angewiesen ist.306 Diese Schematisierung ist nicht perspektivistisch, sondern erfolgt durch eine Konstruktion, die unter bestimmten Regeln erfolgt. Um diesen Aspekt an einem Beispiel zu erklären, nimmt Kant auf die Schematisierung geometrischer Figuren wie der eines Dreiecks Bezug: Dessen Schema „kann niemals anderswo als

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Fortuna 2012, S. 22–32. Haag 2007, S. 290: „Hinsichtlich dieses Hervorbringens interessiert uns […] die Konstruktionsmethode selbst“. Und weiter (S. 291): „Diese Schemata [der sinnlichen Begriffe] können deshalb, wie auch die empirischen Schemata, auf Erscheinungen angewendet werden; doch ihr eigentliches Interesse liegt darin, dass wir ohne diese Anwendung mit ihnen operieren können“.

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V. Die Schemata

in Gedanken existieren, und bedeutet eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung reiner Gestalten im Raume“.307 Mit den rein sinnlichen Schemata kann in einer ganz anderen Art operiert werden als mit den Schemata empirischer Begriffe, deren Bedeutung stets von empirischen Sachverhalten abhängt und daher mit dem jeweiligen Gebrauch variiert. Die rein sinnlichen Schemata dagegen sind Methoden der Konstruktion. Dadurch besitzen sie einen anderen Vollzugscharakter als die empirischen Schemata. Das bedeutet nicht, dass die sinnlichen Schemata nicht auf Gegenstände der Erfahrung angewendet werden könnten – der Fall des Musikinstruments einer Triangel zeigt gerade das Gegenteil. Ihre primäre Funktion aber ist eine konstruktionale. Während zum Beispiel das Erkennen der geometrischen Figur eines Dreiecks im Musikinstrument der Triangel eine direkte empirische Anwendung des sinnlichen Begriffs auf eine Erscheinung darstellt, ist der Dreiecks-Begriff selbst nicht auf die empirische Anwendung angewiesen. Weil das konstruktionale Moment in der Schematisierung sinnlicher Begriffe so wichtig ist, lässt sich in ihrem Fall mit Robert Butts auch von einer Prozedur im Unterschied zum Prozess der empirischen Schematisierung sprechen.308 Die Prozedur ist im Vergleich zum Prozess ein geregelteres Verfahren, d.h. ein Verfahren, das bestimmten Regeln der Konstruktion folgt. Es handelt sich dabei um striktere Regeln – was weder das Problem ihrer Anwendung auflöst, noch dem Schematismus seinen prozessualen Charakter nimmt: Die Schematisierung sinnlicher Begriffe impliziert sowohl ein synthetisches Urteil a priori als auch eine praktische, figurative Handlung. Es handelt sich einerseits um ein Urteil, das die Anwendung etwa eines geometrischen Begriffs regelt, und andererseits um die Konstruktion, die eine Figur hervorbringt – ohne diese dabei auf ein konkretes Bild zu reduzieren, denn dieses „würde die Allgemeinheit des Begriffs nicht erreichen, welche macht, dass dieser für alle, recht- oder schiefwinklichte etc. gilt, sondern immer nur auf einen Teil dieser Sphäre eingeschränkt sein“.309 Abgesehen von der Bildung von 307

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Kant, KrV, B 180, A 141. Dieser Aspekt lässt sich nach Obergfell (1985, S. 96) über den Begriff der Erfüllung erläutern: „[…] die Mathematik [ist] sozusagen über einen reinen Schematismus ihrer Begriffe durch die Erfüllungsbedingungen der reinen Anschauung zu synthetischen Erkenntnissen a priori berechtigt, was empirischen Begriffen nie gelingt, die ihre Erfüllungsbedingungen immer in den nachträglichen, zufällig empirischen Bedingungen finden“. Butts (1969, S. 296) bezeichnet procedure als das schematische Verfahren der Anwendung sinnlicher Begriffe, das eine Figur (und nicht ein spezifisches Bild) hervorbringt: „Kant appreciated this problem, and so thought of the schema of a sensible concept as a procedure for producing an image, a procedure that would allow the imagination to delineate a figure without making a specific image“. Vgl. auch Svare 2006, S. 182. Kant, KrV B 180, A 141.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Urteilen üben diese Schemata eine figurative Funktion aus, können aber nicht auf Bilder reduziert werden: „In der Tat liegen unsern reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemata zum Grunde“.310 Kant versteht – wie etwa im Fall des Schemas eines Dreiecks – unter sinnlichen Begriffen die „Figuren im Raume“.311 Trotz seines figurativen Charakters kann der Begriff eines Dreiecks jedoch nicht auf ein einzelnes Bild reduziert werden. Deshalb muss das Schema in sich die allgemeine Definition seiner Konstruktion enthalten, welche den bildhaften Gebrauch des Begriffs ermöglicht. Das Schema entspricht also nicht dem einzelnen Bild eines Dreiecks, sondern der Methode seiner Konstruktion. Und das, obwohl man auf einem ersten Blick denken könnte, dass das Schema des Dreiecks gleichsam sein Bild sei.312 Es handelt sich somit um eine methodische Ebene, die nach Regeln verfährt und nicht mit der empirischen Erfahrung vermengt werden sollte.313 Kant erklärt dies folgendermaßen: „So viel können wir nur sagen: das Bild ist ein Product des empirischen Vermögens der productiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raume) ein Product und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wornach die Bilder allererst möglich werden, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen, und an sich demselben nicht völlig congruieren“.314 Das Schema sinnlicher Begriffe kann nicht mit dem Bild gleichgesetzt werden, sondern ist selbst Bedingung der Möglichkeit der Bild-Konstruktion. Die Erkenntnis der Figuren in der empirischen Wirklichkeit wird dann durch die Schemata empirischer Begriffe gewährleistet, deren Merkmale in der Erfahrung zu erkennen sind. An dieser Stelle wäre das erste Beispiel des Schematis-

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Kant, KrV B 180, A 140f. Kant, KrV, B 181, A 142. Zur Diskussion dieses Ansatzes siehe insbesondere Mörchen 1930, S. 426f.: „Doch darf dies ‚Gleichsam‘ nicht übersehen werden. Das Schema ist ja nicht ein kontinuierliches Nacheinander von Bildvorstellungen; die möglichen Bilder werden zugleich gesehen, und zwar auf Grund eines vorgängigen Überschlags der im Begriff vorgezeichneten Möglichkeiten; sie werden als mögliche gesehen und nicht als gleichzeitig oder nacheinander aktualisierte. Das Bild wird dadurch wirklich, dass faktisch eine durch das Schema dargebotene Möglichkeit gewählt wird; es wird überhaupt durch das Schema möglich, insofern die durch das Schema gegebenen Möglichkeiten im Schematisieren anschaubare, d.h. Möglichkeiten von Anschaubarem (von Bildern) sind. Denn Bild ist hier etwas in einer sinnlichen Anschauung Aufweisbares überhaupt. Es zeigt sich so, dass das Schema in sich selbst eine Beziehung auf mögliche Bilder hat. Diese Beziehung lässt sich nicht nur deduzieren, sondern in der Struktur des Schemas selbst aufweisen“. Somit kann man mit Sybille Krämer (2009, S.14) behaupten: „Das bedeutet, Schemata sind die figürlichen Realisierungen begrifflicher Strukturen“. Kant, KrV, B 181, A 142.

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V. Die Schemata

mus-Kapitels zu erwähnen, anhand dessen Kant die Gleichartigkeit des empirischen Begriffs eines Tellers mit dem rein geometrischen Begriff eines Kreises erwähnt, „indem die Rundung, die in dem ersteren gedacht wird, sich im letzteren anschauen lässt“.315 Dabei besteht für Kant eine bestimmte Gleichartigkeit zwischen beiden, deren Probleme bezüglich der Bildung empirischer Begriffe bereits thematisiert wurden. Wie das Bild der empirischen Schematisierung nicht nur figurativ, sondern im weiteren Sinn gestaltlich als Totalität von Merkmalen zu verstehen ist, so ist der sinnliche Schematismus nicht rein bildhaft. Kant versteht unter einer Figur einen geschlossenen Raum.316 Es ist hier die Rede nicht von einem partikulären Bild ohne Grenze und Konturen, sondern von einer Figur, die nach bestimmten Regeln konstruiert werden kann. Diese Figur sollte nicht mit der Form verwechselt werden, die bei einem empirischen Gegenstand gelegentlich erkannt wird – also nicht mit der Dreiecks-Form, die wir im Musikinstrument der Triangel wiedererkennen können. Die Konstruktion kann sicher dabei helfen, die Form eines Gegenstandes zu erkennen und festzustellen, jedoch erschöpft sich ihre Funktion darin nicht. Die Konstruktion einer Figur allein würde das Problem der Subsumption und Anwendung dieser Form nicht auflösen, in der es nicht nur um die Einbildung, sondern auch um den Gebrauch von Regeln geht – wie bei den empirischen Begriffen. Dazu wird also mehr gefordert, nämlich – wie Kant es im Kapitel über die Postulate des empirischen Denkens fasst – „dass eine solche Figur unter lauter Bedingungen, auf denen alle Gegenstände der Erfahrung beruhen, gedacht sei“.317 Das Schema enthält also die Bedingungen der Anwendung und der Subsumption der geometrischen Figur: Das Schema des Dreiecks kann also „niemals anderswo als in Gedanken existieren“318 und findet trotzdem in den Anschauungen eine vollständige Realisierung. Die Funktion des sinnlichen Schemas ist im Laufe der Rezeptionsgeschichte des Schematismus-Kapitels auf drei unterschiedliche Weisen erklärt worden: einerseits als originär figurative Realisierung des Denkens, zweitens als implizite, propositionale Prädikation und drittens als Subsumption- und Anwendungsprozess semiotischer Natur (wenn das Monogramm als Schrift315 316

317 318

Kant, KrV, B 176, A 137. Siehe Kant, KrV, B 268, A 220f.: „So ist in dem Begriffe einer Figur, die in zwei geraden Linien eingeschlossen ist, kein Widerspruch, denn die Begriffe von zwei geraden Linien und deren Zusammenstoßung enthalten keine Verneinung einer Figur; sondern die Unmöglichkeit beruht nicht auf dem Begriffe an sich selbst, sondern der Konstruktion desselben im Raume, d.i. den Bedingungen des Raumes und der Bestimmung desselben, diese haben aber wiederum ihre objektive Realität, d.i. sie gehen auf mögliche Dinge, weil sie die Form der Erfahrung überhaupt a priori in sich enthalten“. Kant, KrV, B 271, A 224. Vgl. Kant, AA VIII: 191. Kant, KrV, B 180, A 141.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Zeichen verstanden wird). Während die erste Auslegung auf eine Diagrammatik abzielt, bezieht sich die zweite auf die propositionale Bedeutung des sinnlichen Schemas – d.h. auf die propositionalen Definitionen der Geometrie, die der Konstruktion einer Figur zugrunde liegen und nach Kant nur von der Mathematik geleistet werden können. Die dritte Deutung dagegen distanziert sich von der geometrischen Funktion des sinnlichen Schemas und damit auch stärker vom Text des Schematismus-Kapitels, in dem allein der Terminus ‚Monogramm‘ auf einen semiotischen Prozess hindeutet. Alle drei Interpretationen erfassen wichtige Aspekte dieser Problematik, ohne jedoch eine umfassende systematische Erklärung der sinnlichen Schematisierung zu leisten.

2 .1 O p er at ive Bi ld l ic h ke it Im Zusammenhang der Artikulation von Bedeutung zwischen Bild und Wortlaut wurde bereits erwähnt, dass mit ihr eine spezifisch figurative Dimension der Konstruktion ins Spiel kommt, wenn Kant vom Ziehen einer Linie als Darstellung der Zeit spricht. Insbesondere in der Schematismus-Interpretation von Sibylle Krämer enthält dieses Ziehen im Keim bereits die grundlegende Funktion einer operativen Bildlichkeit, d.h. es ist ein Ziehen, das keine bloße Abbildung, sondern ein originäres Zeichnen ist, das sich erst in der Operation selbst realisiert und dadurch als Prozess der Erkenntnis in konstruktionaler Weise gedeutet werden kann. Somit entwirft Kant laut Krämer „die Lineatur des Sche­­matismus als ein Verfahren, den erfahrungsunabhängigen Allgemeinbe­ griffen gleichwohl eine Anschauungsbasis zu eröffnen“.319 Im sinnlichen Schematismus lässt sich die produktive Bedeutung der Konstruktion erkennen. Der Gegenstand wird durch seine Figuration nicht nur beschrieben, abgebildet und wiedergegeben, sondern tiefgreifend geprägt. Die figurative Konstruktion stellt die transzendentale Ebene des konstruierten Figurativen dar, das jedoch nicht mit dem Bild gleichgesetzt werden kann, weil sie eine zweidimensionale Fläche ist, also eine Fläche ohne Perspektive, eine Fläche ohne dreidimensionalen Raum. Die Konstruktion lässt sich weder mit der Figur noch mit dem sinnlichen Begriff gleichsetzten: sie ist vielmehr eine Figu-

319

Krämer 2012, S. 84: „In der Philosophie hat Kant auf die unhintergehbare Zeitlichkeit und Prozessualität der Linie als Linienzug aufmerksam gemacht: Sich eine Vorstellung von der Linie machen heißt, sie – in Gedanken – zu ziehen. Im Linienzug wird die Zeit ‚äußerlich‘ und ‚figürlich‘ mithin der Anschauung zugänglich. Daher empfiehlt er die Lineatur des Schematismus als ein Verfahren, den erfahrungsunabhängigen Allgemeinbegriffen gleichwohl eine Anschauungsbasis zu eröffnen. Die Linie und mit ihr das Schema bilden für Kant ein Mittleres und Drittes, situiert zwischen Denken und Anschauung und daher auch prädestiniert, die Kluft von Denken und Wahrnehmung, von Empirie und Idealität zu überbrücken“.

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ration, die eine Regel, eine Methode des Konstruierens impliziert. Diese Schematisierung realisiert sich als vollkommene Entsprechung von Anschauung und Begriff nur in der Mathematik, deren Konstruktion nicht perspektivisch ist. Die Konstruktion ist in dieser Hinsicht die eigentliche Vermittlung zwischen Figur und Begriff, und das schematische Dritte entspricht beiden. Bei genauerem Hinsehen ist diese Konstruktion ein spezifischer Gebrauch der Figur, etwa der geometrischen Linien und Figuren, die jedoch auch in unterschiedlicher Weise angewendet werden können. Die Konstruktion kann zum Beispiel auch in der Veranschaulichung diskursiver Relationen verwendet werden, ohne aber zur Konstruktion eines anschaulichen Gegenstandes zu gelangen. Die mathematische Konstruktion stellt somit eine regulative Methode dar, die für andere figurative Konstruktionen als Prüfstein dienen kann. Diese Unterscheidung zwischen mathematischen und etwa diskursiven, konstruktionalen Anwendungen dient meines Erachtens dazu, eine interne Spannung der Diagrammatik aus kritischer Sicht zu erklären. Die operative Funktion des Monogramms der sinnlichen Schematisierung wird insbesondere von Krämer gerade mit dem Diagrammatischen in Verbindung gebracht, also mit einer hybriden Form von Bild und Text, in der Anschauung und Begriff zur Synthesis kommen. Krämer erklärt die Ähnlichkeit zwischen dem Monogramm und dem Diagrammatischen daher wie folgt: „Im ‚Monogramm‘ erweisen sich Sinnlichkeit und Intellektualität als komplementär. Und in eben dieser Vermittlungs- und ‚Scharnierfunktion‘ zwischen Anschauung und Begriff, die gleichwohl erst beide Seiten als aufeinander beziehbare hervorbringt, vermuten wir auch die erkenntnistechnische Leistung des Diagrammatischen“.320 Die diagrammatische Gestaltung dient in diesem Fall zur Veräußerlichung der Begrifflichkeit, die sich innerhalb der Fläche entwickelt und zur Hilfe des Denkens angewendet wird. Ihr Spannungsbogen bewegt sich zwischen Figurativem und Diskursivem. Die Fläche dient als Tilgung der bildlichen Fülle zur reinen Konstruktion von Relationen. Sie dient zur Darstellung nicht von Gegenständen, sondern von diskursiven Sachverhalten. Die Fläche befindet sich somit auf der Grenze zwischen Verräumlichung und Verinnerlichung des Diskursiven. Sie dient zur Visualisierung des Denkens und somit zur Darstellung diskursiver Relationen. Durch diese Visualisierung erfolgt einerseits eine räum­ liche Fixierung, andererseits können durch die Linearität komplexe diskursive Relationen gelesen, erfasst und revidiert werden. In der diagrammatischen Ordnung wird der Gedanke räumlich gestaltet, ohne dadurch dem Denken die Lesbar­ keit zu entziehen. Die Fläche wird so zur „experimentellen Tafel des Denkens“.321 320 321

Krämer 2009, S. 111. Ebd.

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Sie ist einerseits bildlich, andererseits diskursiv, und deswegen wird sie als eine Hybridform beschrieben. Auf die transzendentale Bedeutung des Diagramms wird am Ende dieser Untersuchung noch zurückzukommen sein. Denn jenseits der kantischen Lehre zeigt sich die konstruierte Gestalt als hybride Funktion zwischen den Grenzpolen des Bildes und des Diskursiven, was wiederum den Brückenschlag zu heutigen Bestimmungen des Diagramms ermöglicht.322 Doch bereits Kants Konzeption des sinnlichen Schemas ist bemerkenswert, und das in zweierlei Hinsicht. Als erstes ist die diskursive Bedeutung des sinnlichen Schemas als konstruierte Gestalt zu nennen. Kant bezieht sich auf das rein sinnliche Schema als Monogramm. In diesem Fall handelt es sich um eine konstruierte Figur, deren Anschauung dem Begriff vollkommen entspricht, weil es für ihre Konstruktion eine Regel gibt, die, wenn sie richtig angewandt wird, nicht nur zur Erkenntnis des geometrischen Gegenstandes führt, sondern auch zur apodiktischen Notwendigkeit, dass es sich dabei um die vollkommene Entsprechung zwischen Figur und Begriff handelt. Und dennoch hat diese Konstruktion ein diskursives Moment, das die Regel gibt und die Figur erst lesbar macht. So kann die geometrische Konstruktion nicht vom mathematischen Verfahren im weitesten Sinne absehen, welches das Schema des Dreiecks gibt, d.h. eine synthetische Regel konstruiert.323 Als zweites ist der Umstand zu nennen, dass diese Regel die Form eines Urteils hat. Deshalb bezieht sich etwa Schelling auf diesen sinnlichen Schematismus, um zu behaupten, er hätte auf der Sprache zu beruhen. Schelling hat die erkenntnistheoretische Problematik insofern richtig erfasst, als er betont, das Schema sei die notwendige Bedingung der Bildung derjenigen Urteile, bei denen eine bestimmte Figur als Dreieck (mit allen seinen Merkmalen) erkannt wird, ohne diese Erkenntnis aber auf den Besitz weder des Begriffes noch des Bildes zu reduzieren.324 Sie gilt für die geometrischen Figuren, zeigt aber vor allem die Unmöglichkeit an, diskursive Begriffe durch Kon322 323 324

Diese Aspekte werden in Kap. II.1 des dritten Teils in Betracht gezogen. Siehe dazu Kant, KrV, B 747f., A 719f. Schelling schreibt im System des transzendentalen Idealismus (SW, 3, S. 509): „Das Schema zeigt sich im gemeinsten Verstandesgebrauch als das allgemeine Mittelglied der Anerkennung jedes Gegenstandes als eines bestimmten. Daß ich, so wie ich einen Triangel erblicke, er sey nun von welcher Art er wolle, in demselben Augenblick des Urtheil fälle, diese Figur sey ein Triangel, setzt eine Anschauung von einem Triangel überhaupt, der weder stumpf noch spitz- noch recht-winklicht ist voraus, und wäre vermöge eines bloßen Begriffs vom Triangel so wenig, als vermöge eines bloßen Bilds von demselben möglich, denn da das letztere nothwendig ein bestimmtes ist, so wäre die Congruenz des wirklichen mit dem blos eingebildeten Triangel, wenn sie auch wäre, eine blos zufällige, welches zur Formation eines Urtheils nicht zulänglich ist“. Und gerade auf Grund dieser notwendigen Verbindung mit dem Urteilen sollte nach Schelling „der ganze Mechanismus der Sprache auf demselben beruhen“.

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struktion zu beweisen. Das Schema ist mithin auf dieser Ebene sprachlich. Für Kant liegen den reinen sinnlichen Begriffen in der Tat „nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemata zum Grunde“.325 Diese Schemata sind hochgradig ambivalent, weil sie Urteile und Bilder umfassen, ohne auf sie reduziert werden zu können. Wenn also einerseits die sinnlichen Begriffe nicht einfach Bilder sein können, muss andererseits erklärt werden, worin eigentlich ihre figurative Dimension liegt und was sie vom rein diskursiven Denken unterscheidet. Die Konstruktion stellt eine spezifische Operation dar, die sich bei Kant sowohl an der Ausformulierung mathematischer Regeln (5.2.2) als auch an der Schrift (5.2.3) ablesen lässt. Das sinnliche Schema kann in diesem letzten Sinn als grafisches Zeichen interpretiert werden.

2 . 2 I mpl i z ite P r äd i k at ion Die Verwendung des Konstruktions-Begriffs in der sinnlichen Schematisierung führt, wie bereits erwähnt, bei Kant zur Problematik des Unterschieds zwischen Mathematik und Philosophie, und es ist nicht zufällig, dass das Schema gerade im Abschnitt über die Disziplin im dogmatischen Gebrauch der Transzendentalen Methodenlehre von Kant erneut erwähnt wird, in dem Kant erklärt, dass einen Begriff zu konstruieren heißt, „die ihm korrespondierende Anschauung a priori dar[zu]stellen“. Anhand des Kriteriums der Konstruktion zieht er eine klare Trennlinie zwischen Mathematik und Philosophie: „Die philosophische Erkenntnis ist die Vernunfterkenntnis aus Begriffen, die mathematische aus der Konstruktion der Begriffe“.326 Konstruieren bedeutet, dass die im Begriff schon enthaltene Anschauung kein Muster voraussetzt. Insofern ist die Konstruktion produktiv im eigentlichen Sinn des Wortes. Die Mathematik bedient sich einzelner Anschauungen in der Konstruktion von Begriffen, und dennoch sind die Anschauungen kein Muster der Konstruktion.327

325 326 327

Kant, KrV, B 180, A 140f. Kant, KrV, B 741, A 713. Siehe Kant, KrV, B 741f., A 713f.: „So konstruiere ich einen Triangel, indem ich den diesem Begriffe entsprechenden Gegenstand, entweder durch bloße Einbildung, in der reinen oder nach derselben auch auf dem Papier, in der empirischen Anschauung, beidemal aber völlig a priori, ohne das Muster dazu aus irgend einer Erfahrung geborgt zu haben, darstelle. Die einzelne hingezeichnete Figur ist empirisch, und dient gleichwohl, den Begriff, unbeschadet seiner Allgemeinheit, auszudrücken, weil bei dieser empirischen Anschauung immer nur auf die Handlung der Konstruktion des Begriffs, welchem viele Bestimmungen, z.E. der Größe, der Seiten und der Winkel, ganz gleichgültig sind, gesehen, und also von diesen Verschiedenheiten, die den Begriff des Triangels nicht verändern, abstrahiert wird“.

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Die Mathematik konstruiert das Allgemeine im Besonderen; die philosophische Erkenntnis dagegen kann das Allgemeine im Besonderen nur diskursiv erfassen und im Fall des empirischen Allgemeinen erfahren.328 Nur die Herstellung eines Bezugs auf die reine Anschauung, die sowohl für die Mathematik als auch für die Philosophie konstitutiv ist, berechtigt daher zur Verwendung des Schema-Begriffs auch in der Konstruktion eines mathematischen Begriffs.329 Beide Disziplinen unterscheiden sich jedoch in der Methode, da die Philosophie keine Begriffe konstruieren kann, während die Mathematik hingegen die sinnlichen Anschauungen als vollkommene Erkenntnismittel verwenden kann. Eine solche Auffassung der Versinnlichung der Begriffe als vollkommene sinnliche Darstellung ist für Kant eine spezifische Eigenschaft der mathematischen Methode, zu der die Philosophie nie gelangen kann. In der mathematischen Konstruktion schafft die Einbildungskraft eine ursprüngliche Konstitution.330 Die Mathematik kann mit sinnlichen Anschauungen so operieren, dass sie diese als direkte Konstruktionsmittel verwendet, die rein aus Begriffen erzeugt werden. Anders gesagt: für die Mathematik sind die Anschauungen nicht gegeben, sondern sie werden zur begrifflichen Konstruktion verwendet331

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Kant, KrV, B 742, A 714: „Die philosophische Erkenntnis betrachtet also das Besondere nur im Allgemeinen, die mathematische das Allgemeine im Besonderen, ja gar im Einzelnen, gleichwohl doch a priori und vermittelst der Vernunft, so daß, wie dieses Einzelne unter gewissen allgemeinen Bedingungen der Konstruktion bestimmt ist, eben so der Gegenstand des Begriffs, dem dieses Einzelne nur als sein Schema korrespondiert, allgemein bestimmt gedacht werden muß“. Diese Auffassung ist Mirella Capozzi zu verdanken (2012, S. 329f.): „The mention of the term ‘schema’ confirms that also mathematical concepts, that Kant calls ‘pure sensible concepts’, need schemata in order to find a connection to something in intuition. […] This model is called by Kant the ‘pure’ and ‘schematic’ construction of the concept, which allows the mathematician to demonstrate, e.g. the properties of the circle in general in any empirical construction of it“. Siehe auch Capozzi 1981, S. 445: „In the Critique the concept of geometrical space is said to require no philosophical legitimation. Geometry’s peculiarity consists in its being a quantitative science whose objects are considered ‘together with their quality’. The schemata of geometrical figures are in fact monograms, i.e. ‘figurative’ schemata“. Vgl. dazu Young 1992, S. 171: „The construction of arithmetical concept is said to involve the exercise of imagination, not because Kant thinks that such knowledge somehow rests upon mental imaging, but because he thinks that it depends upon our ability to use such general procedures to construe sensible things as constituting collections of definite number. To construe them in this way is to construe them as something more than what they present themselves as being, since it is to construe them as conforming to certain general rules or procedures. Arithmetical knowledge thus rests upon the exercise of imagination in just the sense that I have suggested that Kant gives to this term in general“. Siehe dazu Ferrarin 1995, S. 137: „We need to take seriously Kant’s notion that mathematical construction is the understanding’s determination of sense: the intu-

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– im Unterschied zur Philosophie, deren schematische Synthesis eine sinnliche Bedingung erfordert, die nicht schon im Begriff enthalten ist. So schreibt Kant: „Alle unsere Erkenntniß bezieht sich doch zuletzt auf mögliche Anschauungen; denn durch diese allein wird ein Gegenstand gegeben. Nun enthält ein Begriff a priori (ein nicht empirischer Begriff) entweder schon eine reine Anschauung in sich, und alsdann kann er construiert werden; oder nichts als die Synthesis möglicher Anschauungen, die a priori nicht gegeben sind, und alsdann kann man wohl durch ihn synthetisch und a priori urtheilen, aber nur discursiv, nach Begriffen, und niemals intuitiv durch die Construktion des Begriffes“.332 Die Philosophie kann den anschaulichen Gegenstand nicht allein aus den Begriffen konstruieren, erklärt aber die Bedingungen und Regeln seiner Konstruktion,333 die diskursiv (und nicht axiomatisch) sind. Dieser Unterschied zwischen Mathematik und Philosophie scheint die Verwendung des sinnlichen Schemas auf die Konstruktion zu reduzieren; im Gegenteil aber liegt der konstruktive Charakter des sinnlichen Schematismus darin, dass dieser Bedingung des Bildes ist, da nämlich durch ihn „die Bilder allererst möglich werden“.334 Somit wird auf dieser Ebene des Schematismus der Bezug zu Anschauungen hergestellt: auch die Mathematik erfordert diesen Bezug, um dann mit den Anschauungen konstruktiv zu operieren. Die Unterscheidung zwischen Mathematik und Philosophie betrifft jedoch nicht nur die Weise, in der beide mit Bildern operieren, sondern auch die Urteile, mit denen sie die eigenen Gegenstände bestimmen. Im Fall der mathematischen Begriffe kann man deshalb von Definitionen reden, was für empirische Begriffe wegen der ständigen Variationen nicht gilt, denen auf der empirischen Ebene ein Wort (als Bezeichnung und nicht als Begriff) in verschiedenen sinnlichen Situationen unterliegt.335 Hierbei handelt es sich um die Explikation, die laut Kant eigentlich nur die empirischen Begriffe betrifft. Sie kann daher auch als Wortbestimmung gedeutet werden. Und auch im Fall der a priori gegebenen Begriffe ist nach Kant keine Definition möglich, da es in ihrem Fall keine direkte, vollkommene Anpassung an die Gegenstände gibt, weshalb Kant den Begriff der Exposition präferiert. Weder empirische noch reine Begriffe können definiert werden. Darin unterscheiden sie sich gerade

332 333 334 335

ition in which we construct mathematical objects is not just a means, an auxiliary ladder to throw away after using it, because it exhibits the objective validity of mathematical definitions in space and time. And the question of synthetic in mathematics cannot be reduced to a discussion of its method of its demonstrative procedure: intuition accounts first of all for the synthetic genesis of concepts and judgments“. Kant, KrV, B 747f., A 719f. Ebd. Kant, KrV, B 181, A 142. Vgl. Kant, KrV, B 756, A 728.

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von den mathematischen Begriffen: „Also bleiben keine andere Begriffe übrig, die zum Definieren taugen, als solche, die eine willkürliche Synthesis enthalten, welche a priori konstruiert werden kann, mithin hat nur die Mathematik Definitionen“.336 Die Begriffe der Philosophie dagegen können weder mit Axiomen noch mit Demonstrationen gleichgesetzt werden. Im Zuge der Abgrenzung zwischen philosophischen und mathematischen Begriffen erwähnt Kant bei ersteren keine rein sinnlichen Begriffe und scheint somit eine Gleichsetzung von rein sinnlichen Begriffen und mathematischen Begriffen zu suggerieren. Auch in der Kritik der Urteilskraft, in der Schemata und Beispiele als diejenigen Anschauungen gelten, die der direkten Darstellung dienen, werden die sinnlichen Begriffe nicht erwähnt. Lässt sich daraus schließen, dass diese Ebene der Schematisierung auf die mathematische Konstruktion beschränkt ist? Wenn mit dem rein sinnlichen Schema tatsächlich die Definition und die vollkommene Figur gemeint sind, die die Konstruktion eines mathematischen Begriffs ermöglichen, entstünde die Frage, wie sich eine solche Gleichsetzung begründen ließe. Wenn hingegen mit diesen Schemata die Prozedur angezeigt wird, durch welche sich die mathematischen Begriffe der Anschauungen bedienen können, dann wären diese Schemata selbst Bedingungen eines solchen anschaulichen Zugangs, der – obwohl rein konstruktiv – sich der sprachlichen Beschreibung bediente. Die Frage ist also letztlich, ob auf dieser Ebene das Schema nur der Herstellung des Bezugs auf die Anschauungen dient, ohne dass dabei die Funktion des Urteilens ins Spiel käme, welche die Regel der Synthese selbst abgibt. Umberto Eco merkt diesbezüglich an, dass das Schema eine Regel zur Erzeugung einer Figur sei, die gleichzeitig alle Eigenschaften des Begriffes enthalte: Die Figur wird sozusagen zur impliziten Darstellung des Begriffes gemacht. Er vergleicht das Schema mit dem Flussdiagramm, das den Computer-Operationen zugrunde liegt und die Schritte visuell veranschaulicht, denen eine zeitliche Struktur unterliegt. In ähnlicher Weise leitet die schematische Regel die begriffliche Konstruktion geometrischer Figuren an, ohne bei jedem Schritt explizit zu werden.337 Somit reduziert Eco das Diagramm nicht auf das Figurative und hebt stattdessen die diskursive Bedeutung hervor, die im Diagramm immer schon mitgedacht werden muss. Diese zeitliche Struktur kann auch im Sinne einer implizit propositionalen Struktur der Figur als diskursiver Regel verstanden werden. Die sinnlichen Schemata haben somit einen deutlich diskursiven Charakter. Die schematische Regel ermöglicht den Übergang vom Begriff zur Figur gerade mittels des Urteils, das diese Anwendung innerhalb der Mathematik definieren und im Fall der Philosophie explizieren oder exponieren kann. 336 337

Kant, KrV, B 757, A 729. Vgl. Eco, 2000, S. 101.

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Daher ist die im Schema enthaltene Regel ein Konstruktionsbild, das sprachlich zur Entfaltung kommt, wie Ehrsam zu Recht hervorhebt: „le schème des concepts géométriques n’est rien d’autre qu’une image, mais traversée de langage“.338 Das Schema ist die dem Bild implizite propositionale Definition, die Bild und Sprache konstruktiv verbindet.339 Die Konstruktion einer Figur ist dann gleichzeitig ein sprachliches Urteilen, das den singulären und konkreten Charakter des Bildes explizit macht. Dabei eröffnet sich innerhalb des Schematismus der Raum für eine Ebene der Bedeutungserfahrung, die das synthetische Vermögen als Bedingung des wissenschaftlichen Wissens gründet, das eine begrenztere Sphäre unseres Erkenntnisvermögens ist.340 Auf dieser Ebene erfolgt eine propositionale Kristallisation wissenschaftlichen Wissens, das mit der Philosophie eine nicht-sprachzentrierte Semiotik gemeinsam hat, die sich figurativer Zeichen bedient und sich nicht nur auf nominaler, sondern auch auf propositionaler Ebene entfaltet. Damit deutet sich eine restriktive Auffassung der rein sinnlichen Schematisierung an, die von den beiden anderen Ebenen (der kategorialen und der empirischen) spezifiziert wird.341

338 339 340

341

Ehrsam 2011, S. 148. Raphaël Ehrsam beschreibt diese sprachliche Bedeutung des Bildes als „le fonctionnement sémiotique d’une figure“. (2011, S. 149). Vgl. Ehrsam 2011, S. 152: „Kant sait pertinemment que la connaissance physique n’est pas l’horizon de la totalité de nos concepts, et, qui plus est, il sait que nos concepts empiriques ne peuvent jamais atteindre la précision et l’invariance des concepts géométriques“. Mit ‚restriktiver Auslegung‘ ist hier eine spezifische Auffassung des sinnlichen Schematismus gemeint. Viele Interpretationen des Monogramms sind dagegen nicht-restriktiv, insofern sie dem Monogramm-Begriff eine viel weitere Funktion (als generisches Synonym vom Schema) zusprechen. Diese Ansätze greifen jedoch nicht den spezifischen konstruktiv-semiotischen Charakter der sinnlichen Schematisierung auf. Siehe etwa die Interpretation von Schaper 1964, S. 290: „Kant himself speaks of schemata as ‘monograms of the pure imagination a priori’ (B 181). My view, when fully worked out, would have to maintain that such schematic monograms have Gestalt character, and are therefore as such not restricted to cognitive and even linguistics expression. Although Kant formulated his schemata as basic only to intellectual understanding which operates discursively, this does not make the schemata themselves discursive. They remain that in terms of which, and under the conditions of which, the listening of marks, the recognition of special relations and similarities, etc., i.e., all discursive understanding, is possible. With the adaptation of Kant’s doctrine of schemata which is here proposed (and which I believe to be compatible with Kant’s own narrower formulation in all essentials), schemata can be seen as the conditions under which men are active and formative in many different ways. The schematic suggestions, so tentatively raised by Kant, provide directions and frames also for non-discursive modes of insight, of social and creative coming to terms with the life we are living and making“.

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2 . 3 Tr a n sz e nde nt a le S e m io s e Die dritte der hier diskutierten Interpretationen der sinnlichen Schemata besteht darin, sie als die semiotischen Bedingungen der Bedeutungserfahrung zu verstehen. Diese Ebene des Schematismus umfasst nicht nur die mathematische Konstruktionsmethode, sondern ist auch der Ort des transzendentalen Fundaments der Zeichenhaftigkeit, über die sich in begrifflicher Hinsicht wiederum eine klare Trennlinie zwischen Mathematik und Philosophie ziehen lässt – vor allem in Bezug auf den Unterschied zwischen Symbol und Zeichen. Diese Deutung wird im Folgenden im Rahmen der Explikation des Versinnlichungsbegriffs eine wichtige Rolle spielen, da sich die Entfaltung der Bedeutung zwischen Bild und Wort ohne eine bezeichnende Versinnlichung kaum begründen lässt. Der sinnliche Schematismus wird zur Bedingung des visuellen Zeichens. Diese These kann sich auf die Bedeutung des Monogramms stützen, das im griechischen μονόγραμμος einen graphischen Zug meint, der sich wortwörtlich übersetzen lässt als: „aus einer Linie bestehend oder auch nur aus Linien bestehend, von Zeichnungen, die nur aus Linien bestehen, Umriß“. Dennoch kann ein Monogramm auch im Anschluss an μονόγραμματος interpretiert werden, und in diesem Fall bedeutet es „aus einem Buchstaben bestehend“.342 Als letzteres würde es zum Beispiel die Initiale des Vor- und Nachnamens oder wichtige Abkürzungen (etwa von Wappen) darstellen. Im Allgemeinen ist für ein Monogramm die Bedeutung einer eingeschlossenen Figur charakteristisch, die wie eine geometrische Figur aus begrenzten und wesentlichen Zügen besteht: Es geht bei einem Monogramm also stets darum, einerseits bestimmte Züge zu erkennen und zu benennen, andererseits die innere Konstitution einer Figur zu bestimmen, die eine Vollkommenheit beinhaltet. Diese Vollkommenheit kann dabei als die Konstruktion sowohl einer geometrischen Figur als auch eines Zeichens ausgelegt werden. Das konstruktionale Moment erinnert darin an das Wesen des Zeichens, das ursprünglich konstruiert ist und trotzdem als vorgegeben angesehen werden kann. Auf der Ebene der sinnlichen Schematisierung kann die Rede auch von einer eingeschlossenen Figur sein, welche keine geometrische Figur, sondern ein Schriftzeichen ist, das eine festgelegte Form hat.343 Damit wird ein Aspekt in den Schematismus eingeführt, den Kant der Anthropologie zuweist. Dort dient das Bezeichnungsvermögen zur Beschaffung von Zeichen, die nur als Wächter der Bedeutung firmieren und nicht selbst zur Bildung der Bedeutung beitragen. So wird der willkürliche Charakter der Zei342 343

Beide Übersetzungen stammen aus dem Griechisch-Deutschen Handwörterbuch von Pape 1908, S. 202. Hans Adler bemerkt (2010, 107): „Kant formuliert hier ein Problem neu, das auch nach ihm noch aktuell bleibt, die Frage nämlich, was bei semiotischen Prozessen im Gehirn vor sich geht, genauer: was semiotische Prozesse überhaupt sind“.

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chen unterstrichen, dessen theoretische Fundierung die Schematismuslehre als Theorie unterschiedlicher Artikulationen der Bedeutungserfahrung leistet.344 In der Verbindung von Schematismus und Bezeichnung kann der MonogrammBegriff als Grundmerkmal des Schematismus auftreten, sofern dieser als semiotischer Prozess aufgefasst wird. Die semiotische Deutung des Monogramms ist besonders hilfreich, um die Artikulation der Bedeutung zwischen Wort und Bild, also zwischen akustischem und visuellem Gebrauch des Zeichens zu erklären – und somit den Unterschied zwischen Wort und Bild als prozessualen und der Sprache immanenten zu bestimmen. Denn ohne die Annahme einer Versinnlichung bliebe dieser Gebrauch, diese semiotische energeia des Denkens unerklärt, worauf noch zurückzukommen sein wird. Bevor genauer auf die vorgeschlagene semiotische Deutung eingegangen wird, sind kurz die möglichen Gründe zu erklären, die Kant zur Unterscheidung zwischen Schema, Zeichen und Symbol bewegen. Sein Interesse ist offenbar, die Zeichen als Wächter vom idealen und musterhaften Charakter der symbolisch festgelegten Bedeutung getrennt zu halten, die er als symbolische Darstellung von der Ebene der schematischen Darstellung unterscheidet, jedoch trotzdem als eine ständige Gefahr für die Anwendung und Erkenntnis der Begriffe hält. Der Schematismus kann nichts inhaltlich festlegen, weil die materielle Bedeutung selbst sich nur in der Vermittlung zwischen Begriffen und Anschauungen konstituiert. Deswegen stellt er die Methode der formalen Bildung und nicht der Festlegung von Bedeutung dar. Die Schematisierung sinnlicher Begriffe gelangt – wie sich schon in der impliziten propositionalen Bedeutung gezeigt hat – zu einer Konstruktion, die zum Beispiel gewisse Regeln für die Konstruktion eines Dreiecks gibt, das, wenn die Regeln nicht befolgt werden, aufhört, ein solches zu sein. Im Fall des Monogramms als Zeichen tritt dieser Aspekt noch deutlicher hervor, da es als eine Figur dargestellt wird, die zur Artikulation der Bedeutung dient, ohne sie festzulegen, d.h. zum Symbol zu machen. Dass zwischen Zeichen und Symbol eine deutliche Trennung gemacht werden sollte, geht schon aus den frühen Beobachtungen zu §440 des Auszugs aus der Vernunftlehre Meiers hervor. An der Stelle von Meiers Definition des Zeichens als „signum, symbolum“345 präzisiert Kant: „Nicht jedes Zeichen ist

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Emilio Garroni (1979, S. XIII) bemerkt in der Einleitung zur italienischen Übersetzung des Buchs von Wolfram Hogrebe Kant und das Problem einer transzendentalen Semantik: „C’è che una fondazione trascendentale, improntata al pensiero di Kant, della semiotica non può non suggerire una considerazione importante: che il vero luogo metateorico del famoso ‘principio di arbitrarietà’, cioè il principio fondamentale (nonostante ogni riserva) della semiotica moderna, è precisamente la filosofia kantiana“. In Bezug auf die Problematik der logischen Bezeichnungskunst und die Gleichsetzung von ‚Zeichen‘ und ‚signum, symbolum‘ bei Meier siehe Pozzo 2000, S. 283f.

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Symbol“.346 Er greift daher wieder auf die Unterscheidung zwischen Mathematik und Philosophie zurück, sofern die erste zur einer symbolischen Konstruktion fähig ist, die mittels reiner Anschauungen ihr apodiktisches Wissen konstruieren kann, wie oben bereits geklärt wurde. Die Mathematik kann also direkt mit Figuren und Zahlen operieren: Sie hat deshalb Zugang zur einer direkten sinnlichen Darstellung, weil sie ihre Begriffe „auf der Tafel zeichnet und sinnlich macht“. Dagegen können die Ideen der Philosophie „nicht ganz sinnlich gemacht werden“.347 Die Mathematik verfügt entsprechend über eine symbolische Konstruktion,348 die sich anders als die ostensive Konstruktion der Geometrie Charakteren bedient – das Verfahren der Algebra wird daher auch als charakteristische Konstruktion beschrieben.349 Gerade weil die Philosophie diskursiv und nicht konstruktiv mit Begriffen operiert, lässt sie sich nach Kant nicht auf eine symbolische Erkenntnis reduzieren und lässt sich ihr diskursiver Charakter in kein rationales Kalkül auflösen: „Die Erkenntniß ist symbolisch, wo der Gegenstand in dem Zeichen erkannt wird; aber bei der discursiven Erkenntniß sind die Zeichen nicht Symbola, indem ich in dem Zeichen nicht den Gegenstand erkenne, sondern das Zeichen mir nur die Vorstellung von dem Gegenstand hervorbringt“.350 Der Unterschied zwischen Schema und Symbol ist außerdem relevant, wenn es darum geht, die Anwendung der Begriffe durch den Verstand von der durch die Vernunft getrennt zu halten: Der erste bedient sich im Urteilen bei Begriffen, die in den Anschauungen gegeben sind; die zweite dagegen kann einen Teil dieses Urteilens so zum Ganzen machen, als ob es in den Anschauungen gegeben wäre. Der sinnliche Schematismus ermöglicht eine Konstruk­ tion, die einerseits eine konkrete Teil-Figur ist (die weiter zur Bildung eines Zeichens zusammengesetzt werden kann), andererseits den abstrakten Charakter des Begriffs behält. Im symbolischen Verfahren gelangt eine Bedeutung zum Ausdruck, die in den formalen Charakter des Zeichens übergeht und ein 346

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Kant, AA XVI: 814. Das Symbol wird von Kant als „Zeichen vom Zeichen“ beschrieben. Die Problematik des Unterschieds zwischen Schema, Symbol und Zeichen wird in Kap. VI und VII ausführlicher untersucht. Kant, AA XVI: 54. Siehe dazu M. Capozzi 2012, S. 314–315.: „[…] given that is not possible to connect both word and concept to a sign in concreto capable of preserving the universality of the concept, the language of philosophers is never completely free from the peril of ambiguity. This being the case, philosophers do consider their concepts ‘alongside the signs [neben den Zeichen]’, or ‘through the signs [durch die Zeichen]’, but cannot imitate the mathematicians who deal with their concepts unter den Zeichen or in den Zeichen“. Zitate aus Kant, AA II: 291 und 278. Vgl. Kant, KrV, B 746, A 718. Vgl. Kant, KrV, A 735, B 763. Kant, AA XXVIII: 238. Siehe auch Kant, AA II: 291f. Zum Unterschied zwischen Zeichen und Symbol in den frühen Schriften Kants im Vergleich mit Leibniz, Locke, Meier, Crusius und Baumgarten siehe Lamacchia 1970, S. 57–82.

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bestimmtes Teil zum Ganzen macht, um so eine ideale, rationale Bedeutung zu erzeugen, die keine direkte Entsprechung in der Erfahrung haben kann. Kant nennt das Symbol das „Zeichen vom Zeichen“, also eine „analogische Anschauung“,351 und definiert Symbole als „cryptische Zeichen, die durch ihre Eigenschaften etwas Anderes analogisches bedeuten“.352 In der Transzendentalen Dialektik erfolgt die Bestimmung der Monogramme in Abgrenzung zum Ideal der Vernunft, was zur Konsequenz hat, dass das Monogramm als ein „erreichbares Muster möglicher empirischer Anschauungen“353 gefasst wird und daher auf die Seite der empirischen Erkenntnis rückt. Doch „als ein Schema kann“ – wie Makkreel zu Recht anmerkt – „ein Monogramm klarerweise nicht empirisch sein und muss daher als eine Regel zur Erzeugung von Konfigurationen von Linien verstanden werden“.354 Das Schema als prozessuale Bedingung der Referenz kann nicht auf die Erfahrung, noch auf Ideale reduziert werden, die in ihrem Inhalt bestimmt sind. Vom Problem der Bestimmung im Verhältnis zwischen Schema und Symbol lassen sich auch Spuren im Briefwechsel mit Hamann finden: In einem Brief an ihn vom 6.  April 1774 beschreibt Kant das Monogramm als eine schon symbolisch erzeugte Figur, die sich gewisser Zeichen bedient. So könne ein „heiliges Monogramm“, das aus sieben Punkten, Buchstaben, Zahlen usw. besteht, zum Symbol unterschiedlicher Bedeutungen – etwa jeder Punkt als ein Tag in der Schöpfungsgeschichte – dienen. Allerdings darf es für Kant eben gerade nicht für ein Zeichen gehalten werden, weil das eine Bestimmung des Objekts bein­ halten würde. Kant schließt den Brief mit der polemischen Bitte an Hamann, seine Meinungen doch bitte „in der Sprache der Menschen“ zu formulieren, da er als „armer Erdensohn […] zu der Göttersprache der anschauenden Vernunft

351 352 353

354

Kant, AA XVI: 814. Kant, AA XV: 819. Kant, KrV, B 598f., A 570f.: „So ist es mit dem Ideale der Vernunft bewandt, welches jederzeit auf bestimmten Begriffen beruhen und zur Regel und Urbilde, es sei der Befolgung, oder Beurteilung, dienen muß. Ganz anders verhält es sich mit denen Geschöpfen der Einbildungskraft, darüber sich niemand erklären und einen verständlichen Begriff geben kann, gleichsam Monogrammen, die nur einzelne, obzwar nach keiner angeblichen Regel bestimmte Züge sind, welche mehr eine im Mittel verschiedener Erfahrungen gleichsam schwebende Zeichnung, als ein bestimmtes Bild ausmachen, dergleichen Maler und Physiognomen in ihrem Kopfe zu haben vorgeben, und die ein nicht mitzuteilendes Schattenbild ihrer Produkte oder auch Beurteilungen sein sollen. Sie können, obzwar nur uneigentlich, Ideale der Sinnlichkeit genannt werden, weil sie das nicht erreichbare Muster möglicher empirischer Anschauungen sein sollen, und gleichwohl keine der Erklärung und Prüfung fähige Regel abgeben“. Makkreel 1997, S. 48.

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gar nicht organisiert“ sei. Und weiter: „Was man mir aus den gemeinen Begriffen nach logischer Regel vorbuchstabieren kann, daß erreiche ich noch wohl“.355 In den Schriften Kants gibt es nur zwei andere mir bekannte Stellen, an denen das Wort ‚Monogramm‘ auftaucht: einmal in einer Reflexion zur Anthropologie, wo Kant das Monogramm im Gegensatz zum Begriff des Idols verwendet,356 und einmal in einem Fragment aus dem Handschriftlichen Nachlass, wo er mit ihm „das heilige Symbol“ der Moraltheologie anspricht, die nicht theoretisch, sondern moralisch und von der Schwärmerei abzutrennen sei, welche die Theologie mit der Theosophie verwechsle.357 Dabei kritisiert Kant die negativen Konsequenzen der Gleichsetzung des Monogramms mit dem Idol und somit die dogmatische Schwärmerei. Obwohl der Charakter des Monogramms also durchaus als ambivalent zu gelten hat, kann dies keinen Schatten auf seine Funktion im Schematismus werfen.358 Denn der Unterschied zwischen Schema und Symbol betrifft den allgemeinen Unterschied zwischen Zeichen und Symbol, da die Philosophie mit Zeichen operiert, die nicht zu Symbolen werden können. Die Zeichen sind jedoch in einem gewissen Sinne konstruiert, obwohl die Philosophie mittels dieser Zeichen keine Begriffe erzeugen kann.359 Das Monogramm ist innerhalb der hier vertretenen, semiotischen Deutung des sinnlichen Schemas eine Bestimmungsform, die zur sprachlichen Bezeichnung dient und nicht mit der symbolischen Festlegung gleichzusetzen ist. Die Bedeutungsgebung der Monogramme ist nicht symbolisch, weil sie nicht materialiter bestimmt wird, sondern sich wie das Lesen und Sprechen in der jeweiligen Situation vollzieht. Die Vernunft kann symbolisch denken, aber 355 356

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358

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Kant, AA X: 156. Kant, AA XV: 391 (von Adickes etwa auf 1776–1778 datiert, also um die Zeitspanne des Briefwechsel mit Hamann): „Ein Schattenriß der Imagination ist nicht eine Idee, welche so zu sagen ein Monogramm der Vernunft* ist welche und eine methodische Zeichnung der Bilder nach einem princip. *gegen ein idol der Einbildungskraft, welches sich von den oberflachen abgesondert hat. Es ist kein schema der ideen“. Kant, AA XVIII: 449: „Das ist das heilige Symbol der moraltheologie, das monogramm seines geheimnisvollen wesens, aber um theosophie und theurgie zu verhüten. Die dreyfache Function im Verhaltnisse muß in Gott ein dreyfaches Ursprüngliches Princip seiner Thatigkeit voraussetzen; aber dies können wir nicht einsehen. Numerische Identitaet ist die Einheit des Individui: dessen, was in Verschiedenen Beziehungen als Viel betrachtet worden. Die specula Betrachtung Gottes in dieser dreiyfachen Personlichkeit ist nicht theoretisch, sondern moralisch. theologie als theosophie als vermessenheit und Schwarmerey“. Oscar Meo (2004, S. 94f.) betont diesbezüglich, wie wichtig es sei, den prozessualen Charakter des Schemas nicht mit der negativen Bedeutung des Monogramms in der Dialektik zu verwechseln. Das Verhältnis zwischen Schema und Symbol wird sich in Teil II unserer Untersuchung als wiederkehrendes Motiv der Revisionsversuche von Herder, Humboldt und Hegel erweisen.

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V. Die Schemata

der Verstand kann nicht symbolisch erkennen. Der Begriff des Monogramms wird von Kant gerade in Bezug auf die Abgrenzung zwischen Schema und Symbol, Verstand und Vernunft verwendet, ohne ihn dabei ausdrücklich als semiotisch zu kennzeichnen. Das Monogramm bewegt sich also bei Kant auf der kritischen Grenze zwischen Schema und Symbol und kann beide Funktionen annehmen: als Schema kann es eine Figur sein, die zur Artikulation der Bedeutung dient (jedoch keine Bedeutung festlegt); als Symbol hingegen nimmt es eine bestimmte Bedeutung an, die als solche erkannt, aber nicht artikuliert wird. Denn als Zeichen ist ein Monogramm nur Mittel zur Artikulation der Bedeutung; als Symbol wird es zu einem starren Ganzen gemacht, das keiner Artikulation dient. Obwohl Kant das Monogramm im Spannungsfeld zwischen Schema und Symbol, Zeichen und Idol ansiedelt, bezieht er sich nicht direkt auf das Zeichen. Diese Deutung ist im Gegenteil nur der Rezeptionsgeschichte der Schematismuslehre zu entnehmen. Und, wie Eco richtig gesehen hat, zu sagen, dass „im allgemeinen Rahmen der kantischen Lehre ein semiotisches Fundament impliziert ist, ist eine Sache, eine andere aber ist die Frage, ob Kant jemals eine Theorie darüber entwickelt hat, wie wir den Dingen, die wir wahrnehmen, seien es nun Bäume, Hunde, Steine oder Pferde, Namen zuweisen“.360 Während also die zweite (mathematisch-propositionale) Deutung – die ich in Kap. V.2.2 behandelt habe – das Monogramm als eine allgemeine Bezeichnung im Sinne von ‚Umriss‘ oder ‚Figur‘ interpretiert,361 spricht diese hier anvisierte dritte Deutung dem Monogramm eine rein semiotische Bedeutung zu, die das Schema nicht auf die Funktion eines Stellvertreters – weder des Begriffes noch des Gegenstandes – zurückführt, sondern als genetischen Prozess der Bezeichnung versteht, der die semiotische Artikulation von Bedeutung allererst ermöglicht. Daher ist hier auch nicht die Rede von einzelnen Zeichensystemen, sondern von Zeichenhaftigkeit im weitesten Sinn. Das Monogramm kann in Analogie zur Figur als das konstruktionale Moment semiotischer Artikulation angesehen werden, ohne dabei mit der Bedeutung identifiziert zu werden. Zwischen Bildern und Wörtern eröffnet sich nun der Raum einer Schematisierung, die zugleich Bezeichnung ist. Insbesondere Lamacchia und Makkreel haben auf die semiotische Bestimmung des Monogramms hingewiesen. Makkreel skizziert die sowohl mathematische als auch im weitesten Sinne sprachliche Bedeutung des Monogramms wie folgt: „Bis hierher sind von der Einbildungskraft hervorgebrachte Monogramme als 360 361

Eco 2000, S. 83f. Herbert James Paton (1936, S. 36) unterscheidet im Allgemeinen zwei Bedeutungen des Monogramms: einmal als eine Reihe von Buchstaben und zweitens als eine Skizze. Diese zweite Bedeutung ist ihm zufolge als ältere Verwendung des Monogramms anzusehen.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Schemata mathematischer Figuren erörtert worden. In seiner gebräuchlichsten Verwendung ist ein Monogramm aber eine Konfiguration von Buchstaben oder Initialen, die für einen Namen stehen. Ebenso kann die figürliche Synthesis genauso gut sprachlich wie mathematisch expliziert werden“.362 Makkreel sollte das Verdienst zugerechnet werden, die zwei unterschiedlichen Anwendungsbereiche des sinnlichen Schematismus gesehen zu haben. Er bedient sich dabei der Metapher des Lesens, um die formale Analyse des Bewusstseins „durch Hinzufügung einer konventionellen sprachlichen Dimension zur Erkenntnistheorie zu erweitern“.363 Diese konventionelle sprachliche Dimension sollte jedoch nicht dazu führen, das monogrammatische Schema ausschließlich als alphabetisches Zeichen zu interpretieren364 – vor allem nicht im transzendentalphilosophischen Horizont Kants, der das Schema vor den einzelnen sprachlichen Konkretisierungen verortet. Ansonsten wäre die Rede von einem transzendentalen Fundament hinfällig. Denn gerade deshalb neigt Kant dazu, das Bezeichnungsvermögen nicht in der Transzendentalphilosophie anzusiedeln, da dieser sonst vorgeworfen werden könnte, eine rein psychologische und empirische Beschreibung der Sprach- und Erkenntnisprozesse zu sein und keine Untersuchung von deren Bedingungen. Im Schematismus geht es also nicht um das Monogramm als einzelne sprachliche Ausdrucksform, die mit Buchstaben oder einzelnen Ideogrammen zu identifizieren wäre, sondern ausschließlich um die Bedingung der Zeichenhaftigkeit, die als Fundament der Verschiedenheit der Sprachen zu gelten hat, deren theoretische Struktur später für Humboldt zentral sein wird. Die Referenz als rein semiotische kann sich zwischen der akustischen und visuellen Tätigkeit der Sprache entfalten, deren sinnlich verflechtenden Elemente der Vielfalt der Sprachen zugrunde liegen. Das bedeutet weder, dass die Schemata damit sprachlich werden, noch dass ihr semantischer Bezug auf die sprachliche Bezeichnung reduziert wird. Vielmehr bringt der Schematismus eine Semiotik 362

363 364

Makkreel 1997, S. 50. Siehe auch die Auslegung des Monogramms in Bezug auf die zusammensetzende Bezeichnung mehrerer Buchstaben bei Makowiak 2009, S. 214 (auch Fußnote 100 auf derselben Seite). Makkreel 1997, S. 50. Rudolf Makkreel (1997, S. 51) räumt den Buchstaben großes Gewicht ein und neigt dazu, die semiotische Ebene auf die Lesemetapher zu konzentrieren: „Wenn es sich um Buchstaben handelt, dann entziffert das monogrammatische Schema sie als alphabetische Zeichen, und das transzendentale Schema liest sie als Wörter. Tatsächlich können wir vier Tätigkeiten unterscheiden, die Kant mit Sprache und der Analyse von textlichem Material verbindet, nämlich buchstabieren (spelling), entziffern (deciphering), lesen (reading) und auslegen (interpreting). Normalerweise liest man Buchstaben als Bestandteile von Wörtern, die Bedeutung haben, aber wenn die Buchstaben unlesbar oder durcheinander sind, muss man sie entziffern. Wenn es, auf der anderen Seite, ein Problem auf der Ebene der Bedeutung von Wörtern oder Sätzen gibt, muss man eine Auslegung versuchen“.

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V. Die Schemata

zur Entfaltung, welche nicht sprachzentriert ist und somit das Bewegungspotential der Zeichen sprachlicher wie nicht-sprachlicher Natur ermöglicht.365 Die Transformationen der Bedeutungen werden also nicht mit einzelnen, zeichenhaften Bestimmungen gleichgesetzt. Der dynamische Charakter des Zeichens hängt daher mit dem konstruktionalen Charakter der Figur als solcher zusammen. Das ist der Konvergenzpunkt der beiden Aspekte des Monogramms (als geometrische Figur und als Zeichen).366 Die interne Funktion als Figur ist dabei das Grundmerkmal des Zeichens, das einerseits den sprachlichen Bezug herstellt, andererseits aber Resultat einer Bildung ist. Diese figurative Funktion des Zeichens ist deshalb im sinnlichen Schematismus als transzendentales Fundament anzusiedeln und als eine Tilgung der bildlichen Fülle in der Figur zu verstehen.367 So differenziert etwa Cesare Brandi ausgehend von der Schematismuslehre Zeichen und Bilder als Resultate der Schematisierung: das Zeichen ist Resultat des Übergangs von der sinnlichen Wahrnehmung zum Begriff; das Bild dagegen ist Resultat des Übergangs vom Begriff zur sinnlichen Wahrnehmung. Brandi beschreibt diese Übergänge aus einer historisch-genetischen Perspektive auf die Entwicklung der Sprache vom Bild zum Zeichen, die ihm zufolge nicht als grundsätzlich heterogen anzusehen sind. Im Gegenteil sind sie ursprünglich identisch und werden erst im Bewusstsein getrennt.368 Hier muss lediglich festgehalten werden, dass das sinnliche Schematisieren, das durch monogrammatische Schemata erfolgt, die semiotische Gestaltung darstellt. Obwohl Ada Lamacchia erkennt, dass Kant unter Monogramm eine

365 366

367 368

Zur nicht-sprachzentrierten Semiotik siehe Krois 2011, S. 68. Hjemslev unterscheidet zwei Funktionen der Zeichen: einmal intern als Figur und zweitens extern als äußerer (im weitesten Sinne sprachlicher) Bezug. Vgl. Hjelmslev 1974, §12 Zeichen und Figuren, S. 50: „Wir haben so allen Grund zur Annahme, dass wir mit diesem Merkmal – der Konstruktion der Zeichen aus einer stark begrenzten Anzahl von Figuren – ein wesentliches Grundmerkmal in der Sprachstruktur gefunden haben. Sprachsysteme lassen sich also nicht als bloße Zeichensysteme beschreiben. Nach dem ihnen zugeschriebenen Zweck sind sie in erster Linie Zeichensysteme; aber nach ihrer internen Struktur sind sie in erster Linie etwas anderes, nämlich Systeme von Figur, die zur Zeichenbildung benutzt werden können. Die Definition der Sprache als ein Zeichensystem hat sich also nach näherer Analyse als unzulänglich erwiesen. Sie zielt nur ab auf die externen Funktionen der Sprache, das Verhältnis der Sprache zu nichtsprachlichen Faktoren, die sie umgeben, aber nicht auf die eigenen, internen Funktionen der Sprache“. Vgl. dazu die Kritik von Eco 1985, S. 39f. Auf diesen Aspekt werde ich in Kap. II.1 des dritten Teils zurückkommen. Brandi 2001, S. 13f.: „Fra segno e immagine non c’è una eterogeneità originaria come fra il fenomeno e la categoria: segno e immagine sono all’origine la stessa cosa che la coscienza rivolge in due direzioni diverse“.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Andeutung, eine Skizze oder einen Umriss versteht,369 deutet sie die Funktion der Schemata als zeichenhafte Zurschaustellung370 und bestimmt darüber den Unterschied zwischen Zeichen und Symbolen.371 Lamacchia verbindet somit Kants Verwendung des Monogramms ausgehend vom Diktum der ‚verborgenen Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele‘ mit der Ars signandi von Leibniz, da Kant die Bestimmungsfunktion des Schematismus damit in die Nähe einer potentiell willkürlichen Kunst rücke.372 Die Gefahr des willkürlichen Charakters des Schemas führt insofern – wie oben bereits gezeigt – zur eigentümlichen Ambivalenz des Monogramms in den Schriften Kants insgesamt und insbesondere im Schematismus-Kapitel als systematischem Ort der semantischen und semiotischen Synthesis. Die semiotische Deutung des Monogramms steht zunächst vor der Aufgabe, die Verhältnisse zwischen Schema und Zeichen so zu erklären, dass dabei eine statische Auffassung des semiotischen Prozesses vermieden wird. Wenn nun aber das Monogramm nicht bloß für die Anwendung des sinnlichen Begriffs auf die Erscheinung steht und vielmehr als Grundbezeichnung für einen spezifisch semiotisch-schematischen Prozess dient, dann ist mit ihm zugleich das Problem der Bestimmung sowohl des Prozesses des Schematismus als auch seiner Resultate angesprochen, das die interne Spannung des Schematismus-Kapitels umfasst. Diese Spannung besteht darin, die bewegende und dynamische Aktivität des Schematisierens von dessen Resultaten zu trennen, die als Kristallisationen angesehen werden können. Somit ist den Resultaten eine (wenn auch nur provisorische) Statik eigen. Und insbesondere das Monogramm enthält – auch in seiner gewöhnlichen Bedeutung eines willkürlichen Zeichens wie etwa als Wappen373 – den statischen Charakter einer Schriftfigur, die als Zeichen und als Symbol verwendet werden kann. Angesichts dieser Doppelfunktion bewegt sich Kant in einem tückischen Bereich an der Grenze zwischen Bezeichnung und Symbolisierung der Begriffe und geht jederzeit das Risiko ein, den zeichnenden Gebrauch auf die symbolische Erkenntnis oder die schematische Handlung auf das festgesetzte Produkt zu reduzieren. Daher kann das Monogramm als mögliche Achillesferse der Schematismuslehre gelten, und zwar als die Stelle, an der die Gestaltungsfähigkeit des Schematismus ihre Kraft 369

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372 373

Lamacchia 1970, S. 128. Ada Lamacchia (1970, S. 135–151) vergleicht den Schematismus mit den Phantasmata bei Thomas von Aquin, und Klaus Düsing mit den Phatasmata bei Aristoteles (1995, S. 59). Lamacchia 1970, S. 127: „Kant mostra di intendere pienamente la funzione degli schemi come esibizione segnica“. Lamacchia 1972, S. 383f. „Die determinierende Funktion der Semanteme kommt ganz der sinnlichen und transzendentalen Einbildungskraft zu und folglich der Produktion von Zeichen und Symbolen“. Vgl. Lamacchia 1970, S. 87f. Siehe auch Lamacchia 1972, S. 380. Vgl. Kant, AA VII: 192.

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V. Die Schemata

verliert. Kaulbach etwa schreibt dazu, dass die „Rede vom Monogramm freilich nicht unbedenklich ist, obwohl in ihr das ‚Schreiben‘ anklingt: Sie verführt leicht dazu, den Bewegungscharakter des Schemas vergessen zu lassen, indem sie die Vorstellung erweckt, als handele es sich um eine Art Stempel, der fix und fertige Figuren aufweist, von denen man durch Abdruck beliebig viele Kopien hervorzubringen vermag“.374 Dass das Monogramm in dieser Hinsicht als problematischer Aspekt der prozessualen Vermittlungsfunktion der Schematisierung angesehen werden kann, ist für solche Interpretationen relevant, die wie Kaulbach den energeiaCharakter des Schematisierens in den Vordergrund rücken, um so das Verfahren insgesamt deutlich von der Fixierung seiner einzelnen Bedeutungen zu trennen. Bei genauerem Hinsehen aber steht das Monogramm dem dynamischen Charakter des Schematisierens nicht entgegen; und zwar dann nicht, wenn es als eine allgemeine, prozessuale Bezeichnung gedeutet wird, die keinen semantischen Ausdruck festlegt (also nicht zur Hervorbringung von festen Symbolen dient), sondern die Möglichkeit dieses Ausdrucks auf semiotischer Ebene bedingt. Auf diese Weise entfaltet sich innerhalb der Schematismuslehre eine Semiotik im Sinne einer Theorie des willkürlichen Charakters der Zeichen. Mit ihr wird eine Verbindung zum Bezeichnungsvermögen hergestellt, das Kant auf anthropologischer Ebene untersucht. Im nächsten Kapitel soll deshalb die Möglichkeit diskutiert werden, mit Blick auf die anthropologischen Schriften Kants Aspekte des Bezeichnungsvermögens in die Systematik des Schematismus zu integrieren. Die semiotische Deutung, die das Monogramm als Zeichen erklärt, distanziert sich von der Lehre Kants, in der das Bezeichnungsvermögen und die Verhältnisse zwischen Sprache und Denken innerhalb der empirischen Psychologie behandelt werden, in denen vom Begriff des Monogramms jedoch kein Gebrauch gemacht wird.375 Die Kontinuität zwischen der Schematismuslehre und dem Bezeichnungsvermögen soll deshalb hier durch den Rückgriff auf die Konzeption eines Prozesses der Versinnlichung begründet werden, in welcher der Sinnlichkeit eine wesentliche Funktion in der Artikulation der Bedeutungserfahrung zwischen Wort und Bild zukommt. Die Systemstellung der Sinne in den anthropologischen Schriften wird daher mit der transzendentalen Funktion von Raum und Zeit im Schematismus verbunden, was zur genannten Auffassung des Schematismus als Prozess der Versinnlichung (und nicht der Verkörperung) führt, die als Bedingung sowohl der semantischen als auch der semiotischen Artikulation der Erfahrung zu gelten hat.

374 375

Kaulbach 1973, S. 107. Siehe unten, Kap. VII.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die semiotische Lesart des sinnlichen Schematismus bringt im Zeichen den prozessualen Charakter der Sinne zum Vorschein, weshalb die so angezeigte Struktur als Versinnlichung zu bestimmen ist. Wenn das Schema nach Kant eine Zeit- und Raumbestimmung ist, dann lässt sich fragen, welche Funktion die Sinnlichkeit im Zeichen genau ausübt. Gerade durch die Konzeption des sinnlichen Schematismus als semiotischem Prozess wird eine nicht-empirische, rein sinnliche Auffassung der Sinnlichkeit nahegelegt, der im semiotischen Prozess eine performative Funktion zukommt, ohne die eine Artikulation der Bedeutungserfahrung zwischen Wort und Bild nicht möglich wäre. Wie ausgehend vom Schematismus ein semiotischer Versinnlichungsprozess entwickelt werden kann, der den Wortlaut bestimmt, wird Thema des folgenden Kapitels sein.

3. Sc hemat a rei ner Ver st a ndesb eg r i f fe Nach der allgemeinen Einführung in die Problematik des Schematismus und der beispielhaften Deutung der Schematisierung empirischer und sinnlicher Begriffe erläutert Kant, wie die reinen Verstandesbegriffe auf Erscheinungen angewendet werden können. Bei ihnen handelt es sich um Begriffe, deren Bedeutung nicht direkt durch Bilder dargestellt werden kann und die daher in Bildern keine Entsprechung haben. Der Schematismus hat hier die Funktion, die Heterogenität zwischen Kategorien und den reinen Anschauungen von Zeit und Raum zu überwinden. Er ist damit die Grundlage des zweiten Hauptstücks der Transzendentalen Doktrin der Urteilskraft, in der die Grundsätze der Erfahrung bestimmt werden, welche die Erfahrung aller Gegenstände sinnlicher Art ermöglichen. Die Aufgabe dieses Schematismus ist also primär, den reinen Verstandesbegriffen die sinnliche Bedingung vorzulegen, mittels welcher sie „allein gebraucht werden können“.376 Das ermöglicht es, die Realität durch Kategorien zu beurteilen. Die transzendentale Prädikation erfolgt durch die Zeit, die eine Verinnerlichung der Erscheinungen ermöglicht, während der Raum zu ihrer Veräußerlichung beiträgt. Der Schematismus ist also auch auf dieser Ebene eine Restriktionslehre, durch welche der Gebrauch der Begriffe durch die sinnlichen Bedingungen restringiert und dadurch zugleich realisiert wird. Die Sinnlichkeit, die hier rezeptiv ist, betrifft für Kant lediglich die reinen Formen der Anschauung und in keinerlei Weise direkt die sinnliche Mannigfaltigkeit. Diese wäre ohne die Synthesis in Zeit und Raum nur eine lose sinnliche Strömung ohne Form. Die sinnliche Restriktion ermöglicht den Gebrauch von Begriffen und insbesondere von reinen Begriffen, die ohne diese sinnliche Bedingung keine Bedeutung hätten. 376

Kant, KrV, B 175, A 136.

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V. Die Schemata

Es ist somit nicht verwunderlich, dass Kant das oberste Prinzip aller synthetischen Urteile darin sieht, dass ein Gegenstand „unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung“ steht.377 Durch den reinen Schematismus findet die Übertragung der Katego­ rientafel in die Zeit statt. Wie Kant selber erklärt, sind die transzendentalen Schemata durch die Ordnung der Kategorien selbst gegliedert. Dabei geht es nicht um eine „trockene und langweilige Zergliederung dessen, was zu transzendentalen Schemata reiner Verstandesbegriffe überhaupt erfordert wird“,378 sondern um eine systematische Umwandlung der Kategorien durch die reinen Anschauungen. Die Kategorien sind somit auf äußere Anschauungen anwendbar und können durch die Zeit alle Gegenstände der Sinne unter sich subsumieren. Die von Kant in der Deduktion der Kategorien (§24 der zweiten Auflage) der Kritik der reinen Vernunft unternommene Rechtfertigung der reinen Begriffe macht ihre Schematisierung nicht überflüssig, weil diese den anschaulichen Gebrauch der Begriffe ermöglicht, die ohne sie keine Bedeutung hätten. Die Schematisierung als Anwendungs- und Subsumtionsprozess erfolgt auf transzendentaler Ebene durch die Zeit (und den Raum) und strukturiert sich wiederum durch Schemata, welche die Produkte der Versetzung der Kategorientafel in der Zeit sind. Entsprechend der Kategorientafel ist das Schema der Quantität die Zahl; das Schema der Qualität ein Sein in der Zeit, ein Nichtsein in der Zeit und eine leere Zeit; das Schema der Relation die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, das Reale in der Sukzession und das Zugleichsein der Bestimmungen zwischen Substanzen und Akzidenzien; und schließlich das Schema der Modalität die Bestimmung der Vorstellung eines Dinges zu irgendeiner Zeit, das Dasein eines Gegenstandes in einer bestimmten Zeit und das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit.379 Die intuitive Gestaltung dieser Schematisierung stellt für Kant eine nicht-figürliche Strukturierung der reinen Begriffe

377 378 379

Kant, KrV, B 145, A 110. Kant, KrV, B 181, A 142. Kant, KrV, B 184f., A 145: „Man sieht nun aus allem diesem, dass das Schema einer jeden Kategorie, als das der Größe, die Erzeugung (Synthesis) der Zeit selbst, in der sukzessiven Apprehension eines Gegenstandes, das Schema der Qualität die Synthesis der Empfindung (Wahrnehmung) mit der Vorstellung der Zeit, oder die Erfüllung der Zeit, das der Relation das Verhältnis der Wahrnehmungen unter einander zu aller Zeit (d.i. nach einer Regel der Zeitbestimmung), endlich das Schema der Modalität und ihrer Kategorien, die Zeit selbst, als das Correlatum der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie die zur Zeit gehöre, enthalte und vorstellig mache. Die Schemata sind daher nichts als Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen, nach der Ordnung der Kategorien, auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitbegriff in Ansehung aller möglichen Gegenstände“.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

in der Zeit dar.380 Die Synthesis zwischen Kategorien und Zeit bleibt jedoch meines Erachtens eine bloße Korrelation und wird von Kant nicht als Prozess der Realisierung der Kategorien selbst als zeitlichen Gestalten aufgefasst – wie Riedel betont: „Der Kategorien bedarf auch die reine Anschauung, ein Vermögen freilich nicht der reinen Vernunft, sondern der Sinnlichkeit, die sich in eigener Weise aktualisieren muß“.381 Die reinen Begriffe lassen sich in der Zeit schematisieren. Ihrer Form nach sind sie – wie alle anderen Begriffe auch – „gemacht“, nur dass sie, anders als empirische und sinnliche Begriffe, keine äußere Empfindung zu ihrer Grundlage haben; deshalb sind sie der Materie nach a priori „gegeben“.382 Auch hier zeigt sich somit die Relevanz einer Integration des genetischen Verhältnisses zwischen Zeit und Gehör in die Transzendentalphilosophie: Die Zeit ist die Bedingung nicht nur einer vorstellungsmäßigen Verinnerlichung, sondern der Versinnlichung der Bedeutung durch Zeichen (im weitesten Sinn), und diese Fähigkeit zeigt sich gerade in der Bildung von Begriffen, die keine Entsprechung in der äußeren Welt haben und trotzdem keine Fiktionen sind. Auch auf dieser Ebene der Schematisierung kann von deren sinnlicher Gestaltung nicht abgesehen werden, was wiederum die Begriffe nicht auf ihre Bezeichnung reduziert, sondern sie durch den genetischen Charakter ihres Gebrauchs bestimmt. Die Heterogenität zwischen reinen Begriffen und Bildern ist so radikal, dass keine Bilder von Kategorien existieren können, wie Kant eindeutig fest-

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Die Verbindung zwischen den Kategorien und der Zeit kann als eine reine Zusammensetzung gedeutet werden, also im Sinne desjenigen Zusammensetzens, das Kant als Compositio auf die Darstellung der Zeit und des Raumes bezieht und das im Mittelpunkt des Briefes steht, den Kant am 11. Dezember 1797 an Tieftrunk in dem Versuch richtet, neues Licht in die Problematik des Schematismus zu bringen. Dazu sagt Kant, AA XII: 222f.: „Der Begrif des Zusammengesetzten überhaupt ist keine besondere Categorie, sondern in allen Categorien (als synthetische Einheit der Apperception) enthalten. Das Zusammengesetzte nämlich kann als ein solches, nicht angeschaut werden; sondern der Begrif oder das Bewußtsein des Zusammensetzens (einer Function die allen Categorien als synthetischer Einheit der Apperception zum Grunde liegt) muß vorhergehen, um das mannigfaltige der Anschauung gegebene sich in einem Bewußtsein verbunden, d.i. das Objekt sich als etwas Zusammengesetztes zu denken, welches durch den Schematism der Urtheilskraft geschieht indem das Zusammensetzen mit Beweußtsein zum innern Sinn, der Zeitvorstellung gemäs einerseits, zugleich aber auch auf das Mannigfaltige in der Anschauung gegebene Anderseits bezogen wird“. Jedoch kann diese Zusammensetzung nicht als ein analytisches Verhältnis angesehen werden, wie Allison (1983, S. 187f.) andeutet: „[…] since the schematized categories already stand in connection with time (as rules for the transcendental synthesis of the imagination), the connection between these categories and their schemata can be determined analytically“. Riedel 1989, S. 51. Kant, AA IX: 93.

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V. Die Schemata

stellt. Die Folge ist eine eigene Semantik des Schematismus reiner Verstandesbegriffe.383 Was die figurative Gestaltung angeht, lässt sich hingegen diskutieren, welches Bild der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe angemessen sein könnte. Wie bereits erwähnt, nimmt vor allem Heidegger auch für die reine Schematisierung eine allgemeine Bezeichnung des Bildes im Sinne einer Erschaffung im Anblick an.384 An dieser Stelle soll jedoch nicht näher auf die Frage des Bildseins eingegangen werden, weil der Schematismus allgemein als Prozess der Bildung einer reinen Kristallisation aufgefasst wird, die wiederum Bedingung der Erfahrung ist. Die Gründe für die besondere Hervorhebung der diskursiven Dimension dieser Schematisierung liegen in der Gestaltungsfunktion, welche die sprachliche Bezeichnung in ihr ausübt, die jedoch Kant selbst nicht systematisch entfaltet und die daher im Folgenden präzisiert werden soll. Die Kategorien sind der Materie nach gegeben, der Form nach gemacht; dennoch bedürfen sie der Anschauungen, um gebraucht werden zu können. Welchen Status aber haben diese Begriffe, die sich erst unter sinnlichen Bedingungen realisieren, zugleich jedoch radikal von Anschauungen unterscheiden?385 Der Schematismuslehre zufolge wäre zu antworten, dass nicht die Kategorien selbst, sondern nur deren Gebrauch sich im Schematismus realisiert. So würde wiederum ein Dualismus zwischen Kategorien und Anschauungen angenommen, die im Schematismus nur zur bloßen Zusammensetzung gelangen. Die Spontaneität dieser Zusammensetzung würde somit ausschließlich auf der Seite 383

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La Rocca 1989, S. 149: „Allein das soll schon ersichtlich machen, dass die Semantik reiner Verstandesbegriffe auf keinen Fall mit der Semantik empirischer und geometrischer Begriffe gleichzusetzten ist“. Heidegger, GA, 3, S. 99. Was den ideellen Charakter des Bildes angeht, fragt Hogrebe im Anschluss an Fichte nach dem Bildsein der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe (1974, S. 102): „Das Bild der Kategorien ist demnach mögliches Bildsein, ist Bild vom Bilde. Reflektiert man auf das Ganze dieser Bestimmungen, so wird man der Formulierung Fichtes aus seiner Transzendentalen Logik zustimmen können, in der die Kategorien gefasst werden als ‚die absolute Denkform’, setzend eben Sinn und Verstand und Bedeutung überhaupt alles Bildwesens“. Die Stelle von Fichte stammt aus der Schrift Über das Verhältnis der Logik zur Philosophie oder transzendentale Logik (1812), Werke, IX, S. 137. Auch beim Bild des Bildes geht es meines Erachtens um die Dimension der Begrifflichkeit in einer genetischen Perspektive, die für die vorliegende Untersuchung von besonderer Relevanz ist und dennoch nicht anhand des Bildes erklärt werden soll. Nach Wolfram Hogrebe ermöglichen die transzendentalen Schemata sogar die „Bestimmbarkeit von Sinn“. Siehe dazu 1974, S. 102. Diesbezüglich möchte ich auf die Untersuchung dieser Problematik bei Stephanie Grüne hinweisen, die sich insbesondere auf ihre Deutung zwischen Konzeptu­ alisten und Nonkonzeptualisten konzentriert. In der Kritik der Auffassung von Johannes Haag, nach welchem „das genetische Primat von Anschauungen gegenüber Begriffen nicht in Bezug auf die Schemata der Kategorien vertreten“ werden kann (2009, S. 137, und Haag 2007, S. 199), untersucht Grüne die Auffassung eines solchen Primats bei Kant. Siehe dazu Vorderobermeier 2012, S. 148f.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

der Begrifflichkeit selbst liegen. Wenn im Gegensatz dazu der Schematismus – wie hier vorgeschlagen wird – als Prozess der Bedeutungsgestaltung angenommen wird, dann müssen auch der Status der Begrifflichkeit und die Bildung der Begriffe in der Erkenntnistheorie Kants hinterfragt werden, was sich später insbesondere Maimon und Herder zur Aufgabe machen. Die nun vorzunehmende Untersuchung der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe hat sich daher, ähnlich wie schon die der Schematisierung empirischer Begriffe, dem Problem der Begriffsbildung zu widmen. In der Schematisierung der Kategorien können zwei Perspektiven unterschieden werden: die erste ist eine der Architektonik der Kritik der reinen Vernunft immanente Perspektive, die in der Schematisierung den Übergang von der Deduktion der Kategorien zu den Grundsätzen der Erfahrung sieht und den Schematismus insgesamt innerhalb der kantischen Architektonik behandelt.386 Die zweite Perspektive dagegen rückt die allgemeine Problematik des Status reiner Begriffe (und nicht nur der Kategorien) in den Vordergrund, die in den Anschauungen keine bildhafte Darstellung finden und so das diskursive Denken konstituieren. Mit ihr werden daher die Grenzen der kantischen Architektonik überschritten. Jenseits der bloßen Schematisierung der Kategorientafel kann in der Schematisierung reiner Begriffe eine begriffliche Metaebene der Wissenschaft erblickt werden, insofern sich in ihr die objektive Realität wissenschaftlicher Begriffe andeutet, wie sie sich zum Beispiel in einer Fachsprache konstituiert. Damit ist zugleich die Grundfrage nach dem Status abstrakter Begriffe angesprochen.387 Die Schematisierung verweist anders gesagt auf eine begriffliche Metaebene, die im vermeintlich abstrakten Denken gebildet und im wissenschaftlichen Diskurs gebraucht wird, der sich nicht in Bilder fassen lässt.388 Die erste der beiden genannten Perspektiven auf die Schematismuslehre kann auf eine lange und wechselhafte Karriere in der Kantforschung zurück­ blicken, die primär daran interessiert war und weiterhin ist, die Funktion des Schematismus innerhalb des kantischen Systems zu verstehen. Ihr Grundgedanke einer bloßen Vermittlung zwischen Kategorien und Anschauungen kann in vieler Hinsicht als widerlegt angesehen werden, weil insbesondere die vermeintliche Gegebenheit der Begriffe zweifelhaft geworden ist und zunehmend dem Schematismus als Gestaltungsprozess selbst zugesprochen wird. Die damit einhergehende Distanzierung von der kantischen Architektonik hat der Schematismuslehre eine neue Blüte beschert. Aber auch die zweite der beiden 386 387 388

Als prominenteste Vertreter sind zu nennen Guyer 1987, Teil III Principles of empirical Knowledge und Pippin 1982, Kapitel 5 Schemata. Es ist insbesondere Sellars (1967, S. 642), der sich im Anschluss an Aristoteles auf die Kategorien als „meta-conceptual summa genera“ bezieht. Der Unterschied zwischen Kategorien und reinen Begriffen bei Kant wird hier nicht näher untersucht. Siehe dazu etwa Aportone 2009.

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V. Die Schemata

Perspektiven, die allgemein erkenntnistheoretisch geprägt ist, hat mit spezifischen Problemen zu kämpfen. Besonders das Wie der Artikulation einer reinen Semantik ist erklärungsbedürftig, und mit ihm stellt sich das Problem der Bildung und der Gegebenheit der Begriffe, das einer nicht nur genetischen, sondern auch transzendental-synthetischen Lösung bedarf. Denn mit ihm ist neben dem Bildungsprozess reiner Begriffe auch deren transzendentaler Gebrauch im Gegensatz zum empirischen angesprochen. Gerade ausgehend von der Weiterentwicklung dieser Fragen entsteht in der Nachfolge Kants das Bedürfnis, die Sprache als Bildungsprozess des Denkens selbst anzusehen. Wir werden im nächsten Teil unserer Untersuchung sehen, wie in der Nachfolge Kants die Problematik des fiktionalen und ‚gemachten‘ Charakters der Kategorien aufgenommen wird und im Zuge dessen der Schema-Begriff eine Konnotation bekommt, die ihn von seiner Bedeutung als chimärischer Gestaltung entfernt, um an ihm einen Darstellungsprozesses hervorzuheben, der als sinnliche Artikulation des Denkens gefasst werden kann.389 Obwohl damit hinsichtlich der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe vor allem die zweite Perspektive – und nicht die der Kritik der reinen Vernunft immanente – eingenommen wird, soll hier zunächst der kantische Ansatz geltend gemacht werden, um sowohl dessen eigentümliche Probleme als auch sein systematisches Potential herauszustellen, das meines Erachtens häufig übersehen wird. Hinsichtlich der Schematisierung reiner Verstandesbegriffe können zwei Ebenen unterschieden werden: einerseits eine urteilsmäßig-propositionale Ebene, auf der die Bedeutung der Begriffe zur Explikation gelangt, andererseits eine begrifflich-lexikalische Ebene, die primär einzelne Begriffe (wie etwa der Zahl, der Beharrlichkeit, des Realen) betrifft. Auf der ersten Ebene sind somit die synthetischen Urteile a priori anzusiedeln, ohne die keine Bedeutungsgebung erfolgen könnte; sie stellen eine Synthesis der reinen Begriffe mit reinen Anschauungen dar. Das Resultat dieser Synthesis ist diskursiv. Es handelt sich hierbei um synthetische Urteile a priori.390 Im Fall der synthetischen Urteile 389

390

Zur Bestimmung des Fiktionsbegriffs siehe Borutti 2006, insbesondere S. XXXVI: „Una prospettiva finzionale sul senso non afferma semplicemente che conosciamo i dati attraverso i nostri significati interpretativi presupposti: in prospettiva poietica si può certamente parlare di interpretazione come modo di darsi del dato, ma l’interpretazione va allora intesa come una messa in forma che è agente di oggettivazione“. Kant erläutert diesen Unterschied anhand folgender Beispiele (Kant, KrV, B 192, A  153): „Sage ich, ein Mensch, der ungelehrt ist, ist nicht gelehrt, so muss die Bedingung: zugleich, dabei stehen; denn der, so zu einer Zeit ungelehrt ist, kann zu einer andern gar wohl gelehrt sein. Sage ich aber, kein ungelehrter Mensch ist gelehrt, so ist der Satz analytisch, weil das Merkmal (der Ungelehrtheit) nunmehr den Begriff des Subjekts mit ausmacht, und alsdenn erhellt der verneinende Satz

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

a priori handelt es sich spezifisch um Urteile, die a priori die Bedeutungserfahrung erweitern. Deswegen können sie nicht für empirische Beschreibungen gehalten werden; es sind Bedingungen der Erfahrung selbst. Die durch diese Urteile erfolgende Erweiterung des Wissens entspricht also einem transzendentalen Wissen, in dem sie nicht nur deskriptiv, sondern präskriptiv wirken. Die Synthesis mit der Zeit ist zugleich eine transzendentale Strukturierung. Die Zeit, als Form des inneren Sinns, ist die Bedingung und das Medium der synthetischen Urteile a priori. In einer Anmerkung der zweiten Auflage erklärt Kant außerdem, dass „wir, um die Möglichkeit der Dinge, zu Folge der Kategorien, zu verstehen, und also die objektive Realität der letzteren darzu­ tun, nicht bloß Anschauungen, sondern sogar immer äußere Anschauungen bedürfen“.391 Gerade diese Anmerkung hat zu einer Debatte über die Funktion des Raumes im Schematismus geführt, die hier allerdings nicht weiter vertieft werden soll,392 da sich durch eine Positionierung innerhalb dieser Debatte nichts an der grundsätzlichen Annahme ändern würde, die Kant „das oberste Principium aller synthetischen Urteile“ nennt: „ein jeder Gegenstand steht unter den notwendigen Bedingungen der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen der Anschauung in einer möglichen Erfahrung“.393 Diese Begründung ist für Kant deshalb wichtig, weil sie zeigt, inwiefern der Bezug zu Gegenständen an sich synthetisch im Sinne einer produktiven Tätigkeit als Bedingung der Erfahrung des Gegenstandes ist. Ohne diese Tätigkeit wäre die Vorstellung eines Gegenstandes nur ein rein subjektives Hervorrufen, d.h. ein assoziatives Denken, das auf die Erfahrung angewiesen wäre, jedoch nur „eine Rhapsodie von Wahrnehmungen sein würde, die sich in keinen Kontext nach Regeln eines durchgängig verknüpften (möglichen) Bewusstseins, mithin auch nicht zur transzendentalen und notwendigen Einheit der Apperzeption, zusammen schicken würden“.394 Das produktive Vermögen der Synthesis führt daher dazu, die Bedingung der Konstitution unterschiedlicher Wahrnehmungen eines Gegenstandes zu realisieren. So nimmt der Begriff objektive Realität an, die als Bedingung aller Erfahrungen gilt. Dieser Ansatz wird im System der Grundsätze ausführlich behandelt, in dem die Prinzipien der objektbezogenen Erfahrung bestimmt werden. Mit Blick auf die begriffliche Ebene hingegen behauptet Kant, dass die Kategorie ein Verstandesbegriff sei, der „ganz außerhalb aller Anschauung liegt“,

391 392 393 394

unmittelbar aus dem Satze des Widerspruchs, ohne dass die Bedingung: zugleich, hinzu kommen darf“. Kant, KrV, B 291. Siehe dazu Kap. II.5. Kant, KrV, B 197, A 158. Kant, KrV, B 195f., A 156.

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V. Die Schemata

die ihm dennoch „untergelegt werden“ müsse.395 Fraglich ist somit der Status dieser Begriffe: sind sie vorschematisch oder werden sie erst im Schematismus gebildet? Oder sind sie sogar angeboren? Diesbezüglich ist wichtig zu betonen, dass diese Begriffe – anders als die empirischen Begriffe – nicht per Abstraktion gefunden werden. Sie sind keine Produkte der Abstraktion von der Sinnlichkeit, sondern rein. Trotzdem behandelt Kant das Verhältnis zwischen reinen Begriffen und Erfahrung (in §27 der Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe) als eine epigenetische Problematik: „die Behauptung eines empirischen Ursprungs wäre eine Art von generatio aequivoca“.396 Die Reinheit der Begriffe sollte nach Kant jedoch nicht so aufgefasst werden, als seien sie angeboren; vielmehr sind sie später erworben. Hier geht es vor allem um eine acquisitio.397 Durch die Schematisierung werden die Begriffe im Urteilen gebraucht und somit realisiert – und diese Realisierung lässt sich gleichzeitig als eine Methode des Erwerbs erklären. Sie sind deshalb nicht weniger rein und werden auch nicht aus der Erfahrung abgeleitet. Ihr Erwerb spielt sich in einer Bedeutungserfahrung ab, in deren Verlauf zugleich überhaupt erst die Methode des Erwerbs erlernt wird. Dabei ist natürlich fraglich, was dies für die Kategorien bedeutet. Die Spannung zwischen Vorgegebenheit und Realisierung der Kategorien betrifft meines Erachtens unterschiedliche Aspekte der Erkenntnistheorie Kants, unter anderem die Bestimmung des funktionalen Charakters der Kategorien und das Bezeichnungsverhältnis zwischen Begriffen und Wörtern, die ich kurz skizzieren möchte.398 In der kritischen Philosophie, die sich jenseits der Grenzen der Logik erstreckt, sind „die Kategorien, ohne Schemata, nur Funktionen des Verstandes zu Begriffen“.399 Und auf Basis dieser Funktionen lässt sich eine logische wie 395 396 397

398 399

Kant, Preisschrift, AA XX: 274. Kant, KrV, B 167. Siehe dazu Sgarbi 2010, S. 167f. Marco Sgarbi bezieht diese kantische Charakterisierung der Begrifflichkeit auf die Habitus-Theorie der aristotelischen und wolffschen Tradition, die weitreichende Implikationen auch für die Bedeutung des Schemas hat, das, wie bereits gesehen (siehe Einleitung), gerade in der lateinischen Tradition in engem Verhältnis zum Habitus-Begriff steht. Siehe dazu auch Pippin 1982, S. 101f. Der Bezug Kants auf die ars combinatoria ist auch Teil dieser Problematik und wurde in Kap. V behandelt. Kant, KrV, B 187, A 147. Siehe auch KrV, B 130f.: „[…] denn alle Kategorien gründen sich auf logische Funktionen in Urteilen, in diesen aber ist schon Verbindung, mithin Einheit gegebener Begriffe gedacht. Die Kategorie setzt also schon Verbindung voraus“. Schulthess betont die Bedeutung der Differenz zwischen Kategorien und Funktionen, die in keinerlei Weise aufeinander reduziert werden dürften: „Man darf nun Kategorie und Funktion nicht einfach vermengen. Die Kategorie gründet auf Funktionen. Sie ist der durch die Funktion selbst in gewisser Weise bestimmte

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

methodische Verbindung zwischen Verstand und Vernunft im Gebrauch der Begriffe herstellen. Die Vernunft kann die Kategorie der Relation jenseits der sinnlichen Erkenntnis als bedingungslos denken. Die Erkenntnis eines Gegenstandes realisiert sich im Schematismus in Verbindung mit der Sinnlichkeit. Die Verbindung zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit ist die Bedingung der Erkenntnis, aber nicht des Denkens. Auch ohne Anschauung ist die Form des Denkens dennoch konsistent: „Lasse ich […] alle Anschauung weg, so bleibt noch die Form des Denkens, d.i. die Art, dem mannigfaltigen einer möglichen Anschauung einen Gegenstand zu bestimmen“.400 Der Funktions-Begriff und seine Rolle in der Unterscheidung von Phaenomenon und Noumenon würden uns hier vom Kern der Betrachtung abbringen. Trotzdem muss festgehalten werden, dass Kant unterscheidet zwischen solchen Begriffen, die eine mögliche Entsprechung in den Anschauungen haben und also eine (sinnliche) Bedeutung annehmen können, und denjenigen, die keine sinnliche Entsprechung und daher eine nur rationale Bedeutung (in der Sphäre der Vernunft) haben. Es ist bereits erklärt worden, inwiefern die Sinnlichkeit als Kriterium der Unterscheidung zwischen Begriffen und Ideen gelten kann.401 Auf der Seite der Spontaneität erhält diese Unterscheidung in den unterschiedlichen Vermögen ihre Begründung: Einerseits ist die Bedeutungsgebung des Verstandes endlich und sinnlich, andererseits kann sich die Vernunft jenseits der Grenzen der Sinnlichkeit ausdehnen und somit auch den Ideen eine Bedeutung verschaffen, die sozusagen nicht reell ist. Diese Vermögen haben jedoch in den Kategorien der Relation ihren Ursprung. Daher argumentiert Kant, dass die Kategorien ohne die sinnlichen Bedingungen bloß Funktionen seien. Der Funktions-Begriff liegt dem Unterschied zwischen Begriffen und Ideen zugrunde, so Adickes: „die Kategorien als reine Begriffe sind auf alle

400 401

Argumentbereich der Funktion, der als solcher die Bestimmungen des Denkens eines Gegenstandes überhaupt ausmacht, der also reine Form des Denkens eines Gegenstandes ist. Dieses kategoriale Bestimmen des Gegenstandes überhaupt ist aber nicht das empirische Bestimmen eines Gegenstandes. Es ist vielmehr das trans­zendentale Bestimmen, das denn auch den bloß transzendentalen Inhalt des Gegenstandsbegriffes und so jedes Gegenstandes ergibt“ (Schulthess 1981, S. 295). Siehe auch Aportone 2009, S. 319: „Dass die Funktionen Begriffe genannt werden, könnte auch als Zeichen einer Auffassung derselben gedeutet werden, welche die strikte Dichotomie von Regeln und Vorstellungen ablehnt, d.h. die Ansicht, dass einerseits die Vorstellungen innere Gegenstände sind und die Regeln auf sie, so wie die Werkzeuge auf empirische Gegenstände, angewandt werden können und andererseits die Regeln keine repräsentationale Natur haben, oder anders als Vorstellungen aufzufassen sind“. Kant, KrV, A253f. Siehe oben, Kap. II.2.

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V. Die Schemata

Objekte, einerlei ob Phaenomena oder Noumena, anwendbar. […] Was die letztere ausschließt, ist nur der Mangel an Anschauung“.402 Der Gebrauch von Begriffen und Ideen wird durch die Entsprechung in den Anschauungen bestimmt, löst jedoch nicht das Problem auf, das später für Maimon und Herder so wichtig sein wird, und zwar das der sprachlichen Bezeichnung, das ihnen gemeinsam ist und ihre Realität ausmacht. Der Funktions-Begriff als „die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen“,403 berührt diese Sprachproblematik nur teilweise, etwa wenn Kant den Unterschied zwischen Urteil und Satz, das Bezeichnungsvermögen oder das Verhältnis zwischen Wörtern und Begriffen behandelt. Der Unterschied zwischen Urteil und Satz besteht für Kant nicht darin, dass der Satz eine sprachliche Äußerung des Urteils und letzteres nur der (sprachlose) mentale Akt wäre, sondern liegt in der modalen Bestimmung: Das Urteil ist problematisch, der Satz ist assertorisch. Ein irgendwie sprachloses Denken ist folglich unmöglich. Das verdeutlicht auch die Anthropologie, in der Kant anmerkt, dass „die vorzüglichste Art der Gedankenbezeichnung die durch Sprache ist, dieses größte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen“.404 Ich habe bereits erwähnt, dass ohne die Funktion des Gehörs keine Bezeichnung vollzogen werden kann.405 Das Gehör ermöglicht sowohl eine Verinnerlichung wie auch eine Äußerung der Bezeichnung, die zur Artikulation des Allgemeinen beiträgt. Die Kategorien können als Produkte des Schematismus angesehen werden, die als sprachlich konnotierte Begriffe als mögliche Funktionen des Urteilens bereitstehen. Insgesamt spiegelt sich in der Bildung der Begriffe nicht nur die subjektive Zeit des Gebrauchs von Begriffen, sondern auch die Zeit des Gebrauchs der Sprache selbst als intersubjektiver und einzelsprachlich konnotierter Praxis. Dabei findet man in der Schematismuslehre sowohl die epistemische als auch die historische Spannung zwischen dem gleichzeitig konventionellen und kreativen Gebrauch der Sprache. Der Schematismus besteht genau genommen aus dieser Spannung und ist insofern keine bloße Vermittlung zwischen Vermögen, sondern erlaubt die Einsicht in die Bildung und den Gebrauch von Begriffen überhaupt. Stärker als bei Kant tritt dies in den Kritiken in seiner Nachfolge hervor, die das Problem der Bildung der Kategorien in Bezug auf die Tätigkeit der Sprache und des Denkens im Allgemeinen thematisieren, womit eine komplette Umstellung des Prozesses selbst angezeigt ist, der als die Gestaltung seiner Bestandteile angesehen werden kann.

402 403 404 405

Adickes 1924, S. 70. Kant, KrV, B 93, A 68. Kant, AA VII: 192. Siehe oben, Kap. III.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Viele von denen, die versucht haben, die Schematismuslehre Kants auszubuchstabieren, sehen in ihr den ursprünglichen Prozess der Begriffsbildung. Zu ihnen kann später auch Heidegger gerechnet werden, der betont: „Im transzendentalen Schematismus bilden sich allererst die Kategorien als Kategorien. Sind diese aber die echten ‚Urbegriffe‘, dann ist der transzendentale Schematismus die ursprüngliche und eigentliche Begriffsbildung überhaupt“.406 Und weiter: „In der Frage nach dem möglichen Gebrauch der Kategorien wird ihr eigenes Wesen selbst allererst Problem. Diese Begriffe stellen vor die Frage nach der Möglichkeit ihrer ‚Bildung‘ überhaupt. Demnach ist die Rede von der Subsumption der Erscheinungen ‚unter Kategorien‘ nicht die Formel einer Lösung des Problems, sondern sie enthält gerade die Frage, in welchem Sinne hier überhaupt noch von Subsumption ‚unter Begriffe‘ gesprochen werden darf“.407 Und auch Cassirer äußert sich in eine ähnliche Richtung, wenn er festhält, „daß unsere reinen Begriffe nicht der Abstraktion, sondern der Konstruktion ihr Dasein verdanken; daß sie nicht Bilder und Abzüge der Gegenstände, sondern Vorstellungen eines synthetischen Grundverfahrens sind“.408 Hermann Mörchen etwa vertritt einen Ansatz, demzufolge „die Kategorien ‚ursprünglich‘ Schemata sind“ und verbindet somit die Bildungsfunktion der Schemata mit der Einbildungskraft, in der die Spontaneität ihren Ursprung hat: „Die Einbildungskraft ist ein ‚notwendiges Ingredienz‘ des Begriffs“.409 Lamacchia dagegen spricht von den Kategorien als Erstarrungen (solidificazioni) von schematischen Prozessen.410 Trotz der immer potentiell bestehenden Unbestimmtheit der einzelnen Anschauungen ist der Schematismus ein Prozess, der eine Sprache der Kategorien ermöglicht, d.h. eine Kristallisation von Begriffen, die im Urteilen gebraucht werden. Der Charakter der Kategorien als Bildungen zeigt dabei in den Augen Maimons, Herders und Hegels die eminent sprachliche Funktion des Schematismus an, die von Kant vernachlässigt wurde. Die Begriffsbildung wird von ihnen mit der symbolischen Erkenntnis in Verbindung gebracht, dank derer neue Erkenntnisse erzeugt werden können. Diese Interpretation verändert die Funktion des Schematismus fundamental, da er sich damit als grundlegender Prozess der Gestaltung einer begrifflichen Metaebene erweist, der nicht auf die Deduktion der Kategorien reduziert werden kann.

406

407 408 409 410

Heidegger, GA, 3, S. 110. Vgl. Paci 1955, S. 394: „Senza lo schema e cioè senza il legame con l’esperienza spaziale e temporale tutti i concetti, ‘indistintamente’ non sarebbero che pensiero vuoto, pensiero puramente formale e cioè pensiero del nulla“. Siehe dazu auch Salvucci 1957, S. 79. Heidegger, GA, 3, S. 110. Cassirer, ECW, 3, S. 598. Mörchen 1930, S. 438. Vgl. Lamacchia 1970, S. 150.

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V. Die Schemata

Auch wenn die Schematismuslehre auf diese Weise durch die Annahme einer genetischen Funktion der Begriffsbildung erweitert werden kann, löst dies noch nicht das grundlegende Problem der schematischen Vermittlung zwischen Begriffen und Anschauungen, das ein Problem des Objektivitätsanspruchs der reinen Begriffe ist. Denn selbst wenn die kategorialen Formen sprachlich konstituiert werden, bleibt die Frage bestehen, wie sie auf die Erscheinungen anwendbar sein können. Diese Frage wird von La Rocca wie folgt spezifiziert: „Aus den reinen Formen des sprachlichen Begreifens kann nicht erkannt werden, ob (und im bejahenden Fall wie) diese zugleich auch Formen eines Weltverstehens sind; und weiter, ob die Formen des sprachlichen Begreifens auf die Formen einer ursprünglichen semiotischen Strukturierung der Erfahrungswelt zurückgeführt werden müssen, nach denen sich das phänomenale Geschehen abspielen kann“.411 Das Modell einer Repräsentation, für das die Funktion der Kategorien in deren Anwendung auf die sinnliche Erfahrung besteht und daher den Schematismus an die Frage nach der objektiven Realität der Begriffe kettet, muss daher durch ein transzendentales und prozessuales ersetzt werden. Kant weist darauf hin, dass an dieser Stelle nicht eigentlich von Begriffen, sondern von Vorstellungen gesprochen werden sollte: Die Zahl ist zum Beispiel „eine Vorstellung, die die sukzessive Addition von Einem zu Einem (Gleichartigen) zusammenbefaßt“, während das Schema der Substanz die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit ist, „d.i. die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andre wechselt“.412 Wollte man Kant präzisieren, müsste man hinzufügen, dass es eigentlich nicht die Vorstellung, sondern genauer die Ausübung ihrer Funktion und im weitesten Sinne der transzendentale Gebrauch sind, die der Kategorie eine diskursive Bedeutung verleihen. Die sinnliche Bedingung realisiert die Kategorie, indem sie der transzendentalen Diskursivität ein Kriterium der Beschreibung unserer Bedeutungserfahrung an die Hand gibt. Durch die sinnliche Bedingung realisiert sich die Kategorie rein diskursiv. Damit ist eine Metaebene der Begrifflichkeit angesprochen, auf der allgemeingültige Prinzipien definiert werden, die nicht die Vorstellung selbst betreffen, sondern die diskursive und formale Konstitution der Bedeutungserfahrung anzeigen. Und wenn unter der sinnlichen Bedingung ausschließlich die versinnlichende Bezeichnung verstanden wird, dann macht dies zugleich deutlich, dass die Repräsentation bei Kant nur im Sinne einer schematischen Bildung der Begriffe aufgefasst werden darf.

411 412

La Rocca 1989, S. 151. Kant, KrV, B 183, A 144. (Hervorhebungen L.G.).

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Und genau das ist der Weg, den diejenigen Autoren eingeschlagen haben, die den Schematismus als eine prozessuale Antizipation von Bedeutung verstanden haben. Aus deren Sicht handelt es sich beim Schematismus um eine Metakonzeptualität als prozessuale Bedingung der Gestaltung von Bedeutung. Diese geht aus einer transzendentalen Beschreibung, die darauf zielt, die Bedingung der Bedeutung auf erkenntnistheoretischer Ebene zu erklären. Sie wird mit Blick auf den Schematismus insbesondere von Hans Lenk untersucht, der unterschiedliche Stufen der Schema-Interpretation unterscheidet, deren letzte die der Metainterpretation ist, „nämlich die erkenntnistheoretische oder – wenn man so will – methodologische Stufe, auf der wir uns unsere Interpretationsverfahren und -methoden oder die Interpretationsergebnisse und -verfahren wiederum als Gegenstände einer Analyse vornehmen und zum Gegenstand höherstufiger (Meta-) Interpretation machen“.413 Entsprechend ließe sich im Fall der reinen Schematisierung von einer semantischen Fixierung (Kristallisation) der Sprache reden, insofern in der Sprache eine diskursive Metaebene ausgemacht werden kann, die zum Gegenstand der transzendentalen Theorie wird. Und auch bezüglich der rein sinnlichen Schematisierung kann eine solche Fixierung angenommen werden, wie ich sie in Bezug auf die mathematischen Definitionen behandelt habe. In der Erkenntnistheorie kann eine Versinnlichungslehre jedoch eine gewisse Prediskursivität miteinschließen, indem sie einerseits die sinnlichen Bedingungen der Bedeutungserfahrung als Bilder, Diagramme und Wörter fasst, andererseits die Methode ihrer Anwendung erklärt. Damit ist zugleich die Genese des diskursiven Denkens angesprochen, die Kant zwar andeutet, jedoch leider nicht systematisch in Bezug auf die Versinnlichung erörtert, welche die Erkenntnis gerade mit der symbolischen und expressiven Kreativität in Verbindung bringt. Diese kann deshalb in die Konzeption des Schematismus eingeführt werden, weil sich so der Raum für eine Meta-Diskursivität als synthetischer Bedingung der Bedeutungserfahrung a priori eröffnet. Diesen Aspekt möchte ich abschließend noch kurz in einem kritischen Ausblick vertiefen, um dann die symbolische Versinnlichung, die nicht-begriffliche Schematisierung und die Funktion der Bezeichnung zu thematisieren.

4. Der a nt i z ipator isc he Cha ra k ter des Sc hemat ismus Die Bedeutung der Begriffe lässt sich also nicht von der Schematisierung trennen, die im Allgemeinen als Anwendung von Regeln verstanden werden kann. Diese Anwendung ist jedoch durch eine interne Spannung charakterisiert: Einerseits ist sie tatsächlich eine Anwendung gegebener Begriffe, andererseits 413

Lenk 2004, S. 79f.

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V. Die Schemata

steht die Schematisierung auf transzendentaler Ebene für die Bildung der Begriffe selbst. Diese Bildung bewegt sich also zwischen Altem und Neuen, zwischen Übertragung und Transformation, Konvention und Kreativität. Dieser Umstand soll im Folgenden als der antizipatorische Charakter der Schematisierung bezeichnet werden. Er kann jeweils unterschiedlich spezifiziert werden – je nachdem, welche der drei Ebenen der Schematisierung in Betracht gezogen wird: empirisch gesehen steht die antizipatorische Funktion der Schematisierung in enger Verbindung mit dem Erlernen, dem Gebrauch und der Kreation der Begriffe, die in der empirischen Erfahrung zwischen Bildern und Wörtern anzusiedeln sind; rein sinnlich kann die antizipatorische Funktion der Schematisierung als eine figürliche Konstruktion mathematischer Begriffe gedeutet werden, die keine bloße Veranschaulichung ist, sondern zugleich eine hilfreiche Visualisierung komplexer diskursiver Relationen, die etwa mit Diagrammen in Verbindung gebracht werden können. Auf der Ebene der rein transzendentalen Begriffe schließlich eröffnet sich die Dimension einer Metabegrifflichkeit, auf der die diskursive Erkenntnis auch als Versinnlichungsprozess erklärt werden kann. Gerade auf dieser letzten Ebene lässt sich somit eine Versinnlichungslehre verorten, in der die Bedingungen der Erfahrung expliziert werden. Nur so kann ein Begriff gleichzeitig als Regel und als Methode verstanden, und nur so kann der reine Begriff zur transzendentalen Funktion werden. Die herausragende Rolle der Regel in der Zuschreibung des Schematismus der Urteilskraft wurde bereits erwähnt, um zu verdeutlichen, dass der Schematismus keine Lehre des Inhalts ist, sondern eine Lehre der formalen Gestaltung der Bedeutungserfahrung. Nur so kann meines Erachtens der antizipatorische Charakter des Schematismus als ‚vorbegrifflich‘ verstanden werden – aber nicht im Sinne eines nicht-begrifflichen Denkens, sondern hinsichtlich der Entstehung der Begrifflichkeit, die in der Versinnlichung ihre gestaltende Bedingung hat.414 Diese Auslegung stellt jedoch eine Radikalisierung und Umgestaltung der kantischen Lehre dar, die ich im nächsten Teil anhand der Revisionsversuche bezüglich der systematischen Stellung des Schematismus rekonstruieren möchte. Wenn Kant behauptet: „Denn sind die Regeln einmal weg, so weiß man nicht voran man sich halten soll“,415 hebt er meines Erachtens die Relevanz der Regel für das Erkennen und die Artikulation von Bedeutung hervor. Wie ich zu zeigen versucht habe, beinhaltet der Schematismus eine tiefere transzendentale 414

415

In Kap. III habe ich bereits erklärt, inwieweit die Versinnlichung als ein alternativer Ansatz in der Debatte zwischen dem non-konzeptualistischen und konzeptualistischen Charakter der Erkenntnistheorie angesehen werden kann. Im dritten Teil (Kap. I) werde ich auf diesen Punkt mit kritischem Blick auf den Ansatz von Alva Noë zurückkommen. Kant, AA XXIX, 1,1: 17.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Strukturierung der Bedeutungserfahrung, die auf der Grenze von Semiotik und Semantik liegt. Aus dieser Perspektive übt der Schematismus eine antizipatorische Funktion aus, die Kant richtig erfasst, wenn er das Schema nicht als eine konkrete Gestalt, sondern als Methode deutet. Das Schema ist eine Methode der Gestaltung, die jede Bedeutungserfahrung strukturiert. Die Gestaltung kann deshalb als interne Herausforderung der Transzendentalphilosophie Kants gelten, von der es zu zeigen gilt, dass sie notwendigerweise auftritt, wenn die verschiedenen Ebenen des Schematismus präsent gehalten werden. Denn innerhalb jeder Schematisierung entsteht das Problem des genetischen Charakters der Begriffe, was zur Annahme eines systematischen Gestaltungsprozesses nötigt, in dem deutlicher zwischen Bedingungen und Gebrauch unterschieden wird. Nur so kann der Schematismus zur Lehre der Bedeutungsgestaltung werden, in der nicht nur die sinnliche Erkenntnis, sondern auch das diskursive Denken durch die Versinnlichung transzendental gestaltet wird, da es rein sprachlich ist. Meines Erachtens kann der Schematismus gerade in diese Richtung erweitert werden, indem man ihn mit Blick auf die symbolische Darstellung und das Bezeichnungsvermögen hinterfragt – was in den nächsten zwei Kapiteln (VI und VII) unternommen wird – und ihn so letztlich in Beziehung zu den Problemen der Kreativität und der Expressivität setzt. Nur so kann der Schematismus eine organisierende Gestaltung sein, die nicht nur die sinnliche Erfahrung strukturiert, sondern auch die Darstellung des Übersinnlichen und des Emotionalen transzendental erörtert. Erst auf diese Weise kann der Schematismus als Versinnlichungsprozess die in ihm enthaltene Grenze zwischen Erkenntnis, Denken und Gefühl überwinden. Und nur so kann die Versinnlichungslehre die Mechanismen der Kreativität beleuchten, die sich jederzeit in unterschiedlichen Graden in der Bedeutungserfahrung abspielen.

V I . ‚ D oppelte‘ V ersinnlichung und S chematisierung ‚ohne Begriff ‘

Ausgehend von der transzendentalen Bedingung, nach der für die Realität unserer Begriffe „immer Anschauungen erfordert werden“,416 ist bei Kant die Darstellung eines Begriffs eine Versinnlichung, was jedoch nicht bedeutet, dass jeder Begriff durch den Schematismus zur objektiven Realität gelangt. Denn schematisiert werden nur diejenige Begriffe, die eine direkte Entsprechung in den Anschauungen haben. Von dieser schematisch-bestimmenden Ebene, die bis hierhin untersucht wurde, ist die einer symbolischen Versinnlichung zu unterscheiden, um die es nun gehen soll.417 Der Schematismus wird von Kant als ein Erkenntnisprozess in Abgrenzung zu anderen Handlungs- und Darstellungsprozessen definiert. Er betrifft nicht die Typik der praktischen Vernunft, die ähnlich denen der theoretischen Vernunft die Aufgabe haben, allgemeine Gesetze auf konkrete Fälle anzuwenden. Für die praktische Anwendung des Gesetzes der Freiheit ist demnach kein Schema erforderlich.418 So wird die praktische Vernunft vor dem Mystizismus bewahrt, der „das, was nur zum Symbol diente, zum Schema macht, d.i. wirkliche, und doch nicht sinnliche, Anschauungen […] der Anwendung der moralischen Begriffe unterlegt und ins Überschwengliche hinausschweift“.419 Somit können Schemata nicht dazu dienen, das Übersinnliche darzustellen. In der Kritik der reinen Vernunft diskutiert Kant in Bezug auf die Idee der Vernunft das Problem ihrer Darstellung und bestimmt sie nur als bloßes „Analogon von einem Schema der Sinnlichkeit“.420 Das Schema wird damit zum erkenntnistheoretischen Kriterium, das dazu dienen kann, die unterschiedlichen Darstel-

416 417 418 419 420

Kant, KU, B 254, A 251. Zur Einführung des Versinnlichungsbegriffs siehe oben, Kap. II.4. Kant, AA V: 67f. Kant, AA V: 70f. Kant, KrV, B 693, A 665.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

lungsweisen des Denkens gegeneinander abzugrenzen. Es ermöglicht die Differenzierung der Bestimmungsebene der objektbezogenen Erkenntnis von den anderen Prozessen der Darstellung. Das – bereits angeführte421 – Kriterium betrifft sowohl die Begriffe, die gerade wegen dieser sinnlichen Entsprechung von den Ideen unterschieden werden, als auch die objektbezogenen Empfindungen, die nicht mit den bloß subjektiven Empfindungen verwechselt werden dürfen, wie auch Lamacchia festhält: „Von der einschränkenden Bedingung der Schematisierung hebt sich also ein Denken von etwas Unbestimmten ab, das wie ein Gegenstück oder Negativ der direkten, objektiven Determination der Erkenntnis bleibt“.422 Die Schematisierung erfolgt aufgrund einer anschaulichen Abgrenzung in zweierlei Richtung: mittels des Verhältnisses von Begriffen und Anschauungen lassen sich zum einen die Begriffe von den Ideen – als Begriffe ohne die Restriktion der Anschauungen – abgrenzen, und zum anderen die Anschauungen von den Gefühlen – als Anschauungen ohne die Restriktion der Begriffe. Die Schematismuslehre kann daher als Abgrenzungs- und Restriktionslehre angesehen werden, welche die objektive Erkenntnis vom Denken trennt. Nur der Schematismus als Objektbestimmung kann dabei für Kant zur Erweiterung unserer Erkenntnis beitragen, während der Schematismus der Analogie nur zur Erläuterung der Ideen dient. Gerade deswegen ist der Anwendungsbereich des Schematismus kritisch von solchen Versuchen abzugrenzen, eine Analogie als eine direkte Darstellung zu verstehen. Die kritische Lehre des Symbols ermöglicht es, dass jeder Begriff und jede Empfindung zur (zumindest indirekten) Darstellung gebracht werden kann. In der Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik spricht Kant explizit von einer „Symbolisierung“ und definiert sie als eine „Nothilfe für Begriffe des Übersinnlichen“.423 So wird die Erkenntnis als diejenige Bestimmungsebene beschrieben, die von den viel weiteren und

421 422

423

Siehe dazu Kap. II.2. Lamacchia 1972, S. 381. Francesca Manco sieht in der kantischen Auffassung der Einbildungskraft die Möglichkeit angelegt, eine Philosophie der symbolischen Formen zu begründen (2009, S. 113–147). Dazu auch Nawrath 2010, S. 228f. Kant, AA XX: 279f.: „Einen reinen Begriff des Verstandes, als einem Gegenstande möglicher Erfahrung denkbar vorstellen, heißt, ihm objektive Realität verschaffen, und überhaupt, ihn darstellen. […] Diese Handlung, wenn die objektive Realität dem Begriff geradezu (directe) durch die demselben correspondirende Anschauung zugetheil, d.i. diese unmittelbar dargestellt wird, heißt der Schematism; kann er aber nicht unmittelbar, sondern nur in den Folgen (indirecte) dargestellt werden, so kann sie sie Symbolisierung des Begriffs genannt werden. Das erste finden bey Begriffen des Sinnlichen statt, das zweyte ist eine Nothülfe für Begriffe des Übersinnlichen, die also eigentlich nicht dargestellt, und in keiner möglichen Erfahrung gegeben werden können, aber notwendig zu einem Erkenntnisse gehören, wenn es auch blos als ein praktisches möglich wäre“.

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VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

unbestimmteren Regionen einerseits des Denkens und andererseits des Gefühls umgeben ist. In der Kritik der Urteilskraft führt Kant die symbolische Darstellung gerade im Unterschied zur Schematisierung als direkter anschaulicher Darstellung ein. Die symbolische Darstellung hat demnach einerseits eine heuristische und regulative Funktion in der Abgrenzung zwischen Denken und Erkenntnis, andererseits konstituiert sie eine weitere Ebene der Bedeutungserfahrung, die in einem analogischen Verhältnis zum Schematismus steht. Daher kann man von einer doppelten Darstellung und zugleich von einer doppelten Versinnlichung sprechen: Die direkte vollzieht die anschauliche Darstel­lung des Begriffes durch ein Schema, die indirekte dagegen kann nur symbolisch sein und wird durch eine Analogie hergestellt. Die Darstellung ist insgesamt Aufgabe der Urteilskraft, die Kant bekanntlich wie folgt definiert: „Urteilskraft ist überhaupt das Vermögen, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken. Ist das Allgemeine (die Regel, das Prinzip, das Gesetz) gegeben, so ist die Urteilskraft, welche das Besondere darunter subsumiert […] bestimmend. Ist aber nur das Besondere gegeben, wozu sie das Allgemeine finden soll, so ist die Urteilskraft bloß reflektierend“.424 In der Reflexion geht es zum einen um einen Begriff, den nur die Vernunft denken und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann,425 zum anderen um ein Gefühl, das unter keinen adäquaten Begriff subsumiert werden kann. Wie wir weiter in Kap. VI.2 sehen werden, erfolgt im Fall der Versinnlichung des Gefühls eine Schematisierung ohne Begriff.

1. Sy mb ol isc he Da r stel lu ng Die Reflexion ist eine indirekte Darstellung, die in kritischer Hinsicht die Grenze zwischen Erkenntnis und Denken, oder besser gesagt: zwischen symbo­ lischer und bestimmender Erkenntnis markiert. Besonders berühmt ist in diesem Zusammenhang Kants Metapher der Handmühle zur Darstellung des monarchischen Staats: Zwischen beiden besteht keine Ähnlichkeit, und trotzdem werden sie verbunden, um die Bedeutung eines Begriffs mittels einer Analogie darzustellen. Darin zeigt sich für Kant „ein doppeltes Geschäft“ der Urteilskraft: „erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden“.426 424 425 426

Kant, KU, B XXVf., A XXIIIf. Siehe auch AA IX: 131–133. Vgl. Kant, KU, B 255f., A 252. Kant, KU, B 257, A 254. Siehe auch §35 der Kritik der Urteilskraft (B146, A 144), in dem der Sinn einer Schematisierung ohne Begriff in Bezug auf das Prinzip der Urteilskraft erläutert wird.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die Reflexion erweist sich somit als weitere Funktion des Urteilens neben der schematischen (direkten) Bestimmung des Begriffes durch eine Anschauung. Die Unterscheidung zwischen schematischer und symbolischer Darstellung ermöglicht es Kant ferner, eine ausschließlich symbolische Erkenntnis von Gott anzunehmen und einen Anthropomorphismus abzulehnen. Durch die Trennung zwischen Bestimmungsfunktion und Analogie wird vermieden, dass jede abstrakte Reflexion oder jedes subjektive Gefühl für einen Bestimmungsgrund objektiver Erkenntnis gehalten wird. Der, wenn auch nur heuristische, Unterschied zwischen Begriff, Schema und Sache selbst – in der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft wird er als „μετάβασις εἰς ἄλλο γένος (Übergang in eine andere Gattung)“427 beschrieben – begründet das komplexe Geflecht unseres Denkens, innerhalb dessen die Reflexion für Kant nur eine indirekte und derivative Funktion hat. Insbesondere ausgehend von der Religionsschrift scheint es möglich, nicht nur von einer doppelten Versinnlichung, sondern auch von einem doppelten Schematismus zu sprechen, da Kant präzisiert: „Das ist der Schematismus der Analogie (zur Erläuterung), den wir nicht entbehren können. Diesen aber in einen Schematismus der Objektsbestimmung (zur Erweiterung unserer Erkenntnis) zu verwandeln, ist Anthropomorphism“.428 Die Begriffe sind demnach zwar auf Gegenstände des Denkens übertragbar, stellen jedoch keine objektive Erweiterung des Denkens dar.429 Angesichts der kritischen Grenze zwischen Bestimmung und Reflexion ist die Rede von einem doppelten Schematismus möglich, womit der Schematismus selbst zum regulativen Begriff des Denkens wird. Und Kant ist sich bewusst, dass an sich jedes Urteil, das sich nicht widerspricht, möglich ist, was für ihn gleichzeitig bedeutet, dass es vorläufig ist und nur durch den Erwerb von Gründen bestimmend werden kann. Dies ist ein Aspekt, den Kant am Urteilen hochschätzt, wie etwa aus der Philosophischen Enzyklopädie hervorgeht: „Es ist wunderbar, wie einem jeden bestimmenden Urteil ein vorläufiges vorhergeht“.430 Die Vorläufigkeit ist konstitutives Element des Urteilens, das nur 427

428

429 430

Kant, AA VI: 64. Diese Anmerkung in der Religionsschrift ist entscheidend, um die Bedeutung der Beschränktheit der menschlichen Vernunft für Kant zu erfassen. Kant, AA VI: 64. Siehe auch Kant, KU, B 258f., A 255: „So ist alle unsere Erkenntnis von Gott bloß symbolisch; und der, welcher sie mit den Eigenschaften Verstand, Wille, u.s.w., die allein an Weltwesen ihre objektive Realität beweisen, für schematisch nimmt, gerät in den Anthropomorphism, so wie, wenn er alles Intuitive weglässt, in den Deism, wodurch überall nichts, auch nicht in praktischer Absicht, erkannt wird“. Siehe auch Kant, AA XX: 280. Zum Anthropomorphismus-Begriff bei Kant siehe Becker 2011, S. 159. Vgl. Kant, AA XVIII: 220 und Kant, AA XX: 363: „kein Schema kein[e] Erkenntnis“. Kant, AA XXIX,1: 24.

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VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

durch Erwerbung wahrer Gründe zur Bestimmung werden kann. Das vorläufige Urteil als sprachliche Äußerung betrifft sowohl die Bestimmung als auch die Reflexion, die als Weisen der Darstellung intuitionsbezogen sind: Auch die symbolische Ebene bezieht sich – wenn auch nur indirekt – auf Anschauungen (seien es Bilder oder Worte), die in der Erfahrung erworben werden. Es ist daher nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass ein mögliches Urteil zum bestimmenden Urteil wird, jedoch ist ausgeschlossen, dass ein reflektierendes Urteil zu einem bestimmenden wird, falls der Begriff keine direkte Entsprechung in den Anschauungen hat. Nach Kant liegt der unrechte Gebrauch des Wortes ‚symbolisch‘ genau darin, es der intuitiven Vorstellungsart entgegenzusetzten, weil die symbolische Darstellung „nur eine Art der intuitiven ist“.431 Der intuitive Charakter der Darstellungsarten verdeutlicht meiner Meinung nach, was es heißen kann, die Darstellung als Versinnlichung aufzufassen. Denn die Darstellungsarten sind beide intuitiv. Auf diese Weise hebt Kant den Unterschied zwischen cognitio symbolica und cognitio intuitiva auf, der für Leibniz, Wolff und Baumgarten grundlegend ist.432 Die symbolische Darstellung ist folglich nicht blind, bedient sich der Anschauungen jedoch nur indirekt, weshalb übersinnlichen Gedanken keine objektive Realität zugeschrieben werden kann. Und diese indirekte Darstellung eines Begriffs ist weiterhin nicht mit der Funktion des Zeichens zu verwechseln, weil – wie sich im nächsten Kapitel zeigen wird – das Symbol bei Kant nicht mit dem Zeichen gleichzusetzten ist, was zu der nicht zu unterschätzenden Konsequenz führt, dass eine solche symbolische Darstellung nicht in einer formalen Zeichensprache zum Ausdruck kommen kann. Es gibt keine Erfahrung, die nicht versinnlicht und im weitesten Sinne schematisiert ist, da die symbolische Erkenntnis für Kant auf der schematisierten Begrifflichkeit basiert. Die Anschauungsbezogenheit der Begriffe, sei sie bestimmend oder analogisch dargestellt, ist ein wichtiger Aspekt von Kants Theorie der Darstellung, die im Allgemeinen als eine transzendentale Lehre der Versinnlichung der Begriffe interpretiert werden kann, da jeder Begriff, um Begriff sein zu können, einer (direkten oder indirekten) Darstellung in den Anschauungen bedarf. Daher sind die Anschauungen in dreifacher Weise zu erörtern: Wenn sie Bedingungen der Realität empirischer Begriffe sind, stellen sie Beispiele dar; wenn sie Bedingungen der Realität reiner Verstandesbegriffe sind, stellen sie Schemata dar und wenn sie Bedingungen der (indirekten) Realität der Ideen sind, stellen sie Symbole dar. In dieser Struktur liegt zugleich eine Abänderung der Schematismuslehre: Die Schematisierung, die in der Kritik der reinen Vernunft empirische, rein sinnliche Begriffe und Verstandesbegriffe 431 432

Kant, KU, B 256, A 252. Vgl. dazu Meo 2004, S. 145, Rolf 2006, S. 44, und Maly 2012, S. 21–23.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

umfasste, wird in der Kritik der Urteilskraft ausschließlich auf reine Verstandesbegriffe bezogen, und die Schemata empirischer Begriffe werden nur als Beispiele bezeichnet. Es handelt sich demnach nicht um eine Erweiterung der Schematisierung, sondern im Gegenteil um deren Abgrenzung gegenüber dem symbolischen Denken und im weitesten Sinn der (empirischen) Sprache, insofern die Schematisierung auf die Vermittlung zwischen reinen Anschauungen und reinen Begriffen beschränkt wird.433 Sie wird mit anderen Worten von Kant nicht zum Prozess einer vielschichtigen Bedeutungsgebung erhoben – wie er im Keim in den drei Formen der Schematisierung der Kritik der reinen Vernunft enthalten war –, sondern bezeichnet nun ausschließlich die Vermittlung zwischen Anschauungen und Kategorien.434 Die in Bezug auf die empirischen und rein sinnlichen Schemata untersuchten Probleme werden also von Kant in der Abgrenzung zwischen Beispielen, Schemata und Symbolen aufgehoben, ohne dass dabei jedoch eine systematische Theorie des Schematismus entwickelt würde, die in die angezeigte Richtung einer Versinnlichungstheorie erweitert werden könnte, um so dem Bewegungscharakter der symbolischen Darstellung gerecht zu werden, der nach Kaulbach der grundlegende Charakter des Symbols ist und mit dem Modell-Begriff zu vergleichen wäre.435 Der im vorherigen Kapitel untersuchte, bestimmende Schematismus wirft gewisse Probleme auf: Vor allem die Bildung der empirischen und reinen Begriffe scheint, wie gezeigt wurde, nicht auf einem bestimmenden Schematismus zu beruhen, weil sie ein Prozess semantischer und semiotischer Natur ist, in dem die Begriffe so vorkommen, als ob sie vorgegeben wären, obwohl sie sich erst im Gebrauch bilden. Und ihr Gebrauch hat ausge­ prägte symbolische Elemente, die später insbesondere von Herder herausgestellt werden, der in gewisser Weise den symbolischen Versinnlichungsprozess in den Schematismus einbettet. Für Kant hingegen ist dieser symbolische Prozess Bedingung der Darstellung des Übersinnlichen und steht daher nur indirekt und analogisch mit der schematischen Bestimmungsebene in Verbindung. Unsere Untersuchung geht jedoch gerade in die entgegensetzte Richtung und folgt darin, wie sich noch zeigen wird, den Spuren Herders. Es ist die Richtung einer Erweiterung und Systematisierung des Schematismus als Versinnlichungslehre, die darauf abzielt, die symbolische Darstellung in Bezug auf die Begriffsbildung zu thematisieren. Diese Erweiterung aber lässt sich nicht durch 433 434 435

Siehe dazu Gasché 1994, S. 162. Und gerade deswegen hat Kant keine großen Bedenken, sich auf einen doppelten Schematismus in der Religionsschrift zu beziehen. Siehe dazu Kaulbach 1973, S. 127: „Hier macht Kant deutlich, dass die Modellbilder, deren sich die Sprache bedient, Ausdruck freier Bewegung der Phantasie und nicht nach ‚Regeln‘ konstruierte Figuren sind. Daher zeigen sie, wie aus den kantischen Beispielen sichtbar wird, Bewegungscharakter“.

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VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

den Schematismus selbst begründen, wie Kant ihn beschreibt. Man könnte dagegen einwenden, dass Kant sich für diese genetische Frage überhaupt nicht interessiert, da es in der Erkenntnistheorie nur um die Anwendungs- und Subsumptionsproblematik zwischen Begrifflichkeit und Anschauungen gehe. Demgegenüber denke ich an vielen Stellen gezeigt zu haben, dass die im Schema­ tismus sich realisierende Begriffsbildung eine ursprüngliche Übertragung erfordert, die sich im Wortlaut kristallisiert. Wir werden gleich in Bezug auf das Bezeichnungsvermögen auf diese Problematik zurückkommen. Der Unterschied zwischen Schemata und Symbolen ist auf einer modalen Ebene von großer Bedeutung, weil er es erlaubt, die empirisch beweisbare Erkenntnis von der subjektiv metaphorischen Sphäre des Denkens zu unterscheiden. Jedoch erfolgen auch im Rahmen der empirischen und wissenschaftlichen Erkenntnis metaphorische Übertragungen, die sich sprachlich artikulieren.436 Diese Übertragung kann in Bezug auf die Funktion der Antizipation für den bestimmenden Charakter der Begriffe aufgezeigt werden. Doch auch mit Kant lässt sich ein Schritt in diese Richtung gehen, weil – wie er in der Kritik der Urteilskraft bemerkt – gerade „unsere Sprache voll von dergleichen indirekten Darstellungen [ist], nach einer Analogie, wodurch der Ausdruck nicht das eigentliche Schema für den Begriff, sondern bloß ein Symbol für die Reflexion enthält“.437 Die Sprache selbst kann folglich als ein Versinnlichungsprozess erscheinen, in dem Schematisierung und Symbolisierung verflochten und nur kritisch (modal) voneinander abzugrenzen sind, um die objektive Realität unserer Urteile zu erkennen: Die Schematisierung kann von der Möglichkeit zur Wirklichkeit und apodiktischen Objektivität der Urteile gelangen, während die Symbolisierung nur von möglichen Urteilen Gebrauch macht. Genetisch gesehen lässt sich jedoch die Reflexion als ständiger Übertragungsprozess nicht von der Stabilisierung der Bedeutung auf der Ebene der bestimmenden Urteilskraft trennen. Wie Makkreel zu Recht anmerkt, spielt die Sprache in der indirekten symbolischen Darstellung von Ideen „eine umfassendere, intuitive Rolle“438 und „wir können sehen, dass die empirische Geschichte eines Wortes selbst Hinweise für die Reflexion auf seine Bedeutung geben kann“.439 Deshalb führt er den Begriff der Bedeutsamkeit (significance) ein, um 436

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Dieser Aspekt wird im nächsten Teil dieser Untersuchung anhand der Auffassung der symbolischen Erkenntnis bei Maimon und des allegorisierenden Prozesses des Metaschematismus bei Herder problematisiert und im dritten und letzten Teil in Bezug auf die Funktion der Metaphern als Verkörperungsprozesse bei George Lakoff betrachtet. Kant, KU, B 257, A 253. Makkreel 1997, S. 159. Makkreel 1997, S. 160.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

den nichtreferentiellen Typ von Bedeutung als Modus der symbolischen Darstellung zu erklären.440 Was eigentlich zur Realisation kommt, ist somit nicht der Begriff selbst, sondern sein Gebrauch, der im Fall der Reflexion schon eine Interpretation der Erfahrung miteinschließt: „Während Schemata ein bestimmendes Lesen der Natur möglich machen, erlauben uns symbolische Darstellungen zu einer reflektierenden Auslegung von Dingen zu kommen, die die Natur übertreffen“.441 Die reflektierende Urteilskraft kann daher als eine Ebene der Interpretation gedeutet werden, und zwar als „an expansive mode of thought that appeals not just to the understanding, but to reason as a framework for interpreting particulars“.442 Ist nun nicht die Sprache dieser gesamte Versinnlichungsprozess, der den prozessualen und modalen Unterschied zwischen Schema und Symbol in sich enthält? Wenn dem so wäre, würde die Sprache den Unterschied zwischen bestimmender und reflektierender Urteilskraft umfassen. Mit dieser Interpretation ginge jedoch zugleich das Risiko einher, den prozessualen Sinn der schematischen Artikulation zu verkürzen, welche die sinnliche Gestaltung (zwischen Bildern und Wortlauten) erfasst.443 Dieser Unterschied zwischen Schema und Symbol wäre nicht aufgehoben, sondern dynamisiert, woraus sich die Aufgabe jeder Kritik am Status abstrakter Reflexion ergäbe, den mehrdeutigen Bezug zur objektiven Realität auszubuchstabieren. Somit würde die Performanz des symbolischen Denkens in die Bildung der Begriffe einfließen. Dennoch findet sich in der symbolischen Darstellung eine ähnliche Spannung zwischen Produkt und Prozess, wie sie hier bereits in Bezug auf den Schematismus diskutiert wurde. Auf transzendentaler Ebene findet sich eine solche Spannung zwischen Begriff und Urteil, auf sprachlicher Ebene eine zwischen Wort und Satz. In der symbolischen Darstellung handelt es sich ebenfalls um eine Spannung zwischen Begriff und Urteil, die auf sprachlicher Ebene zwischen dem symbolisch angewandten Wort und dem metaphorischen Satz besteht. 440

441 442 443

Makkreel 1997, S. 165: „Die Schemata der ersten Kritik waren direkte Weisen der Darstellung der Kategorien des Verstandes, die sie auf die Besonderheiten der Sinnlichkeit anwendbar machten. Sie wurden als semantische Regeln angesehen, die den Kategorien objektive, referentielle Bedeutung (meaning) geben. Der in der dritten Kritik eingeführte symbolische Modus der Darstellung fügt einen nichtreferentiellen Typ von Bedeutung hinzu, den wir Bedeutsamkeit (significance) nennen. Symbolische Darstellungen sind indirekte Weisen des Ausdrucks bestimmter Ideen, die direkt mittels Begriffen nicht artikuliert werden können“. Makkreel 1997, S. 166. Makkreel 2006, S. 223. Dazu Meier-Oeser 2011, S. 86: „Schema und Symbol, die bei Kant funktional an die Stelle dessen treten, was in den älteren Tradition der cognitio symbolica durch die Formel ‚Wörter oder andere Zeichen‘ benannt worden war, sind für ihn weder Wörter noch Bilder im eigentlichen Sinn“. Auf diese Problematik werde ich im nächsten Kapitel zurückkommen.

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VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

Ein Symbol allein ist auf sprachlicher Ebene kein metaphorischer Satz – auch nicht für Kant, wenn er in der Kritik der Urteilskraft behauptet, das Symbol im Sinne einer Übertragung zu verstehen.444 Die Frage, ob Kant in der Beschreibung der symbolischen Erkenntnis überhaupt über die Metapher spricht, wird von Eckard Rolf mit Blumenberg und Gadamer in Verbindung gebracht, die „diese Frage zur gleichen Zeit (1960) bejahen, der letztere eher nebenbei (nämlich in Klammern), der erstere explizit“, was bedeute, dass „die Metapher grundsätzlich eine bestimmte Art von Aussage, eine Prädikationsart sei. Das jedoch, was die Metapher, d.h. die metaphorische Aussage oder Äußerung, beinhaltet, kann ein Symbol sein“.445 Die Beispiele von Kant sind in der Tat kristallisierte Metaphern, d.h. metaphorische Ausdrücke, die sich in Worten verfestigt haben: „So sind die Wörter Grund (Stütze, Basis), Abhängen (von oben gehalten werden), woraus fließen (statt folgen), Substanz (wie Locke sich ausdrückt: der Träger der Accidenzen), und unzählige andere nicht schematische, sondern symbolische Hypotyposen und Ausdrücke für Begriffe nicht vermittelst einer direkten Anschauung, sondern nur nach einer Analogie mit derselben, d.i. der Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz andern Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung direkt korrespondieren kann“.446 In den Wörtern kristallisiert sich somit ein metaphorischer Prozess, der eine implizite Geschichte in sich birgt und als metaphorische Spur der Begriffe angesehen werden kann.447 Diese metaphorische Bestimmung betrifft gerade Begriffe, die Beispiele von Kategorien sind, wie Riedel betont: „Die kritische Sprachreflexion klärt auf, wie wir uns Begriffe dieser Art gebildet haben; wobei herauskommt, daß dies nicht wesentlich anders geschieht als in der Bildung 444

445 446 447

Die Frage, ob das Prinzip des §59 der Kritik der Urteilskraft, demzufolge die Schönheit ein Symbol der Sittlichkeit ist, diese Spannung wiedergibt, würde uns vom Thema abbringen. Eines ist sicher: Mit dem Symbol ‚Schönheit‘ denken wir nicht unmittelbar an die ‚Sittlichkeit‘ und wir bedienen uns einer Metapher, um eine symbolische Verbindung zwischen ihnen zu herstellen, die sich als Urteil entfaltet. Rolf 2006, S. 51. Auch Sebastian Maly (2012, S. 204–211) nimmt Bezug auf Blumenberg. Kant, KU, B 257, A 253f. Gerade diese metaphorische Spur kann mit der Auffassung der Wahrheit in Verbindung gebracht werden, die Nietzsche in der Schrift Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne wie folgt vertritt (KSA, I, S. 880f.): „Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Herr von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen“.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

jener Begriffe, die nur eine Bezeichnung und nicht den Begriff der Sache ausmachen (wie die Kategorien). Begriffsbildung geschieht grundsätzlich durch Analogie. Eine Gemeinsamkeit zwischen Begriffen und Symbolen besteht außerdem darin, dass der Gebrauch der Begriffe auf einer immer nur vorläufigen Auswahl bestimmter Merkmale basiert, was sie den Symbolen annähert, deren Bildung ebenfalls auf einer Auswahl beruht, indem etwa ein Teil einer Sache zum Verständnis des Ganzen herangezogen wird. So sind auch die Kategorien – als Begriffe, die an sich rein a priori gebildet werden sollten – nicht frei von Bezeichnungswörtern, die eine indirekte Darstellung miteinschließen. Da die Kategorien nicht empirisch gebildet werden können, jedoch auch nicht angeboren, sondern erworben sind, stellt sich insbesondere in ihrem Fall die Frage, wie sie eigentlich gebildet werden. Nicht zufällig ist die Kategorienbildung ein Aspekt, auf den Maimon und Herder zurückkommen, was hier im nächsten Teil untersucht werden soll. Die Sprache, der die beiden Darstellungsarten sich bedienen, ist dieselbe, während die zur Darstellung gebrachte Erfahrung verschieden ist, weshalb eine Bedingung eingeführt werden muss, um sie zu unterscheiden – und zwar die Möglichkeit einer direkten (oder indirekten) Bezogenheit auf die Anschauung. Dieses Kriterium lässt sich regulativ anwenden. Zwar kann man behaupten, eine gewisse Aussage über Gott sei bestimmend (schematisch), doch ist man damit für Kant im Irrtum, weil es von Gott nur eine indirekte Darstellung geben kann. Wie lässt sich jedoch dieser Unterschied in Bezug auf eine bekannte und eine unbekannte Wahrheit erklären? Nach Kant ist der allgemeinste Begriff ein ‚Etwas‘. Wie also kommt ein unbekanntes Etwas zu einer bestimmten begrifflichen Bezeichnung? Hier kommt dem metaphorischen Prozess eine konstitu­ tive Funktion in der Bildung der Begriffe zu. Diesbezüglich kann man zunächst fragen, inwieweit ein symbolischer Prozess selbst wiederum eine neue Bestimmung hervorbringen kann.448 Im diskursiven Denken gibt es auf lexikalischer Ebene keine Unterscheidung zwischen Begriffs-Zeichen und Begriffs-Symbolen, weil beides Gestalten sind, die in der Prädikation und in der Figuration zur Explikation gelangen. Daher unterscheiden sich für Kant auf dieser Ebene auch Philosophie und Mathematik voneinander. Für letztere funktionieren Zeichen wie feste Symbole, während erstere den diskursiven Charakter der Begriffe nicht überwinden kann, die daher strukturell vieldeutig bleiben. Hier haben wir es mit einer Spannung zu

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Insbesondere Emilio Garroni hat die Wichtigkeit des Beispiel-Begriffs bei Kant hervorgehoben. Siehe dazu Garroni 1992, S. 142: „L’espressione ‘esempio’ […] aveva tutti i requisiti per essere destinata a mutare profondamente l’orientamento generale della filosofia critica“.

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VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

tun, insofern unser Gebrauch diskursiver Begriffe dem von Symbolen ähnelt, weil der diskursive Gebrauch es wegen seiner Vieldeutigkeit erfordert, dass eine (potentiell) unendliche Reihe von Merkmalen in einer sinnlichen Gestalt eingeschlossen und gleichsam kristallisiert wird. In diesem Zusammenhang scheinen die Begriffe den Sachen so anzuhaften, dass keine Reflexion erforderlich ist, um sie verstehen zu können. Die Reflexion erfolgt jedoch vor der Bestimmung. Sie ist von vorläufigem Charakter, der – wie bereits mehrfach erwähnt – die Erkenntnis gegenüber dem Denken auszeichnet. Hier sind alle an sich nicht widersprüchlichen Urteile möglich, von denen nur einige zu bestimmenden Urteilen werden können, und zwar all diejenigen, die in den Anschauungen eine (nach Kant reine, sinnliche oder empirische) Darstellung finden. Alle anderen Urteile bleiben reflektierende Urteile. Die schematische Versinnlichung ist insofern das Kriterium des Übergangs von der Reflexion zur Bestimmung. Die Frage, inwieweit dies einen intersubjektiv geteilten Gebrauch impliziert, der immer wieder reflektiert werden muss, ist später insbesondere in der Auseinandersetzung mit Wittgenstein vertieft worden.449 Im §40 der Kritik der Urteilskraft erklärt Kant die Idee eines gemeinschaftlichen Sinnes gerade als ständige Rücksicht auf die Vorstellungen der anderen in der eigenen Reflexion, „um gleichsam an die gesamte Menschenvernunft sein Urteil zu halten, und dadurch der Illusion zu entgehen, die aus subjektiven Privatbedingungen, welche leicht für objektiv gehalten werden könnten, auf das Urteil nachteiligen Einfluß haben würde. Dieses geschieht nun dadurch, dass man sein Urteil an andere, nicht sowohl wirkliche, als vielmehr bloß mögliche Urteile hält, und sich in die Stelle jedes andern versetzt, indem man bloß von den Beschränkungen, die unserer eigenen Beurteilung zufälliger Weise anhängen, abstrahiert“.450 Im Anschluss an die Analyse des Versinnlichungsprozesses müssen zwei problematische Aspekte hervorgehoben werden: Erstens denke ich gezeigt zu haben, inwieweit die symbolische Darstellung in den Schematismus eingeführt werden kann und welche sprach- und erkenntnistheoretischen Konsequenzen sich für den Schematismus daraus ergeben würden. Zweitens möchte ich den Status des Gefühls betonen, dem die systematische Stellung eines ursprünglichen, schematisierbaren, im Leib verankerten Bewusstseins zukommt, denn:

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Diesbezüglich soll hier insbesondere auf das Buch von Sara Fortuna Die Philosophie des Kippbilds hingewiesen werden, das den Unterschied zwischen schematischer und symbolischer Darstellung in Bezug auf die Bedeutung des Kippbilds bei Wittgenstein untersucht (2012, S. 25f.): „Das Entscheidende ist, dass es sich dabei bloß um eine bestimmte Gebrauchsweise von Sprache handelt, deren Besonderheit Kant gegenüber dem normalen Gebrauch (bei dem die Wörter „Charakterismen“ sind) hervorheben will. Hier findet sich das Modell vom Kippbild wieder, in dem ein Wort mehrere Bedeutungen haben kann, und wir uns dessen auch bewusst sind“. Vgl. Makkreel 1997, S. 202f.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

„Ästhetik ist die philosophie über die Sinnlichkeit, entweder des Erkenntnisses oder des Gefühls“.451 Eine solche Gestaltung liegt dem Ausdruck zugrunde und kann primär in der Kunst realisiert werden, die eine Versinnlichung ‚ohne Begriff‘ miteinschließt, d.h. einen expressiver Gebrauch, der nicht diskursiv ist.

2. Sc hemat isier u ng ‚oh ne Beg r i f f ‘ In §35 der Kritik der Urteilskraft führt Kant in Bezug auf das subjektive Prinzip der Urteilskraft als Prinzip des Geschmacks den Prozess einer Schematisierung ohne Begriffe ein: „Weil nun dem Urteile hier kein Begriff vom Objekte zugrunde liegt, so kann es nur in der Subsumption der Einbildungskraft selbst (bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird) unter die Bedingungen, dass der Verstand überhaupt von der Anschauung zu Begriffen gelangt, bestehen. D.i. weil eben darin, dass die Einbildungskraft ohne Begriff schematisiert, die Freiheit derselben besteht […]“.452 Es handelt sich um eine freie Schematisierung, die keine Entsprechung im Begriff haben kann und nicht von ihm ausgeht. Mit dieser Versinnlichung hängt für Kant vor allem die Problematik derjenigen Mitteilbarkeit des Gefühls (der Lust am Schönen) zusammen, die nur zur reinen Reflexion führen kann und die „weder eine Lust des Genusses, noch einer gesetzlichen Tätigkeit, auch nicht der vernünftelnden Kontemplation nach Ideen“ ist. Somit finden wir bei Kant eine andere Dimension der Einbildungskraft, die produktiv im Sinne einer ursprünglichen Schöpfung ist. In ihr vollzieht sich eine Transformation der sinnlichen Bedingung zur Erzeugung des Ausdrucks, und es sei hier nur nur flüchtig daran erinnert, dass Kant die Schönheit „den Ausdruck ästhetischer Ideen“ nennt.453 Hierbei werden komplexe ästhetische Verhältnisse produziert, die wiederum von den Bedingungen der sinnlichen Wahrnehmung abhängen, also von demjenigen Verhältnis zwischen Anschauungen (Zeit und Raum) und Sinnen, das sich uns als das Kernstück der Versinnlichung zeigt. Und auch hier ist der Ausdruck mit der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit verbunden, die sich der gleichen sinnlichen Strukturen der objektiven Wahrnehmung bedient, nur dass sie diese als rein subjektive gestalten kann.

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Kant, AA XVII: 492. Insbesondere Stephan Otto (2008, S. 104) problematisiert einen gewissen Ausschluss der subjektiven Empfindung aus den objektiven Grenzen der Erkenntnis durch Kant anhand der Kritik Jacobis, welcher beobachtet: „Die Vollkommenheit der Empfindung bestimmt die Vollkommenheit des Bewußtseyns mit allen seinen Modifikationen. Wie die Rezeptivität, so die Spontaneität, wie der Sinn, so der Verstand“. Kant, KU, B 145f., A 143f. Siehe dazu Wagner 2008, S. 155. Kant, KU, B 203f., A 201f.

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VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

Im Ausdruck zielt diese Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit nicht auf die objektive Erfahrung des Gegenstandes, sondern auf die gesamte subjektive Erfahrung, der kein Begriff adäquat ist. Und diese ästhetische Erfahrung artikuliert sich in der den einzelnen Sinnen eigenen Macht, einen radikal subjektiven Ausdruck erzeugen und direkt Gefühle erwecken zu können. Diese Wirkungsweise hatte sich bereits am Beispiel des Sprachtons gezeigt, der sowohl zur Bestimmung als auch zum Ausdruck von Gefühlen dienen kann. Kant beschreibt damit eine spezifische Eigenmacht der Sinnlichkeit, die ihren Ausdruck in einer Kunstlehre findet. Sie skizziert eine sinnliche Produktion, für die keine objektiven Beispiele gegeben werden können. Es handelt sich um jeweils neue Produk­ tionen, die in der subjektiven Performativität der Sinnlichkeit ihren Ursprung haben. Die Wahrnehmung des Bildes lässt sich dadurch weder auf die Erkenntnis des dargestellten Gegenstandes noch auf das diskursive Begreifen einer Idee reduzieren, sondern enthält eine eigene Expressivität: die Farbe. Die Bedeutungserfahrung des Lautes wiederum lässt sich weder auf die Erkenntnis einer sprachlichen Bezeichnung noch auf die symbolische Interpretation einer ideellen Bezeichnung beschränken; ihre Expressivität umfasst mit dem (musikalischen) Ton qualitativ eine zeitliche Dimension.454 Und so hat auch die Bewegung im Anschluss an den Tastsinn ihre eigene sinnliche Dimension, die nach Kant der Gestaltung in der Plastik zugrunde liegt.455 Wie Gilles Deleuze bemerkt, betrifft diese Art von Schematisierung jedoch nicht direkt die Materie als einzelne Farbe oder einzelnen Ton, sondern die Komposition als ihre sinnliche Zusammensetzung und Gestaltung, anhand derer nur die Form des Gegenstandes reflektiert wird.456 In der Aufteilung der Künste hebt Kant gerade die Bedeutung dieser sinnlichen Qualitäten für das Verhältnis zwischen Sinnen (Gehör, Gesicht und Tastsinn) und Künsten (Musik, Malerei, Plastik) hervor – und mit ihnen das merkwürdige Phänomen, „dass diese zwei Sinne, außer der Empfänglichkeit für Eindrücke, so viel davon erfor-

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Ich erinnere an die Reflexion von Kant AA XV: 108, auf die ich mich schon in Kap. II.5 bezogen habe: „Die Sinne sind entweder objectiv oder subjectiv. Die erstere gehen entweder auf Materie (Gefühl) oder Form (Gesicht und Gehör). Die letztere entweder auf Gestalt oder Spiel: Gesicht und Gehör“. Kant unterscheidet den Ausdruck im Sprechen in Artikulation (Worte), Gestikulation (Gebärden) und Modulation (Töne). Siehe dazu KU, B 205, A 203. Vgl. Esser zur Bestimmung der Bewegung (1997, S. 174): „Der Begriff der Bewegung ist daher aus der Reflexion auf unser Sehen erst gewonnen und bestimmt nicht die Vorlage selbst oder prädeterminiert deren Apprehension, indem er sie in das Schema zwingt. Das wird also erst in der Reflexion über das sinnliche Aufnehmen, über die Akte des Sehens oder Hörens konstituiert“. Auf das Problem der Bewegung werde ich im dritten Teil in Bezug auf das Körper-Schema zurückkommen. Deleuze 2003, S. 86f.

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derlich ist, um von äußern Gegenständen, vermittelst ihrer, Begriffe zu bekommen, noch einer besondern damit verbundenen Empfindung fähig sind, von welcher man nicht recht ausmachen kann, ob sie den Sinn, oder die Reflexion zum Grunde habe; und dass diese Affektibilität doch bisweilen mangeln kann, obgleich der Sinn übrigens, was seinen Gebrauch zum Erkenntnis der Objekte betrifft, gar nicht mangelhaft, sondern wohl gar vorzüglich fein ist“.457 Im Ausdruck zeigt sich also die eigene Macht der Sinnlichkeit, die in der Kunst den Verstand sogar verwirren kann, wie Kant in der Anthropologie anmerkt: „Der Reichtum, den die Geistesprodukte in der Redekunst und Dichtkunst vom Verstande auf einmal (in Masse) darstellen, bringt diesen zwar oft in Verlegenheit wegen seines vernünftigen Gebrauchs, und der Verstand geräth oft in Verwirrung, wenn er sich alle Acte der Reflexion, der hiebei wirklich, obzwar im Dunkelen, anstellt, deutlich machen und auseinander setzen soll. Aber die Sinnlichkeit ist hiebei in keiner Schuld, sondern es ist vielmehr Verdienst von ihr, dem Verstande reichhaltigen Stoff, wogegen die abstracten Begriffe desselben oft nur schimmernde Armseligkeiten sind, dargeboten zu haben“.458 Wie an diesen Stellen paradigmatisch deutlich wird, schreibt Kant der Sinnlichkeit also durchaus eine eigentümliche Macht zu, die sie als unabhängig vom Begriff erscheinen lässt und die sogar als Herausforderung unseres begrifflichen Vermögens auftreten kann, insofern wir etwa vor der Aufgabe stehen, mächtige oder uns bislang unbekannte Gefühle unter einen Begriff bringen zu wollen. Somit wird die Bedeutungserfahrung durch drei Formen der transzendentalen Produktion erweitert: erstens durch den Ausdruck der subjektiven Empfindung, zweitens über die symbolische Darstellung und drittens durch die schematische Darstellung. Diese drei intuitiven Ebenen konstituieren den ganzen Versinnlichungsprozess bei Kant.

3. D ie Per for mat iv it ät der sy mb ol isc hen Ref lex ion Das diskursive Denken steht vor der komplexen Herausforderung, transzendentale Urteile formulieren zu müssen, die keine direkte Entsprechung in den Anschauungen haben, und daher nicht empirisch überprüft werden können, die 457 458

Kant, KU, B 212f., A 210. Kant, AA VII: 144f. Dazu bemerkt Claudio La Rocca (2003, S. 266): „In questa singolare oscurità si muove lo schematismo estetico: nella strana penombra di un sentimento di sé che non è autocoscienza e di una lettura del fenomeno che non è predicazione, dunque che ha luogo senza la luce del concetto e che tuttavia toglie ogni cecità al nostro rapporto con le immagini, le moltiplica, le rifrange, le fa parlare. In questo gioco d’ombre l’immagine prende vita“. Siehe dazu auch Wagner 2008, S. 131–142.

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VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

jedoch trotzdem Bedingungen der Erfahrung sind. Sie sind diskursiv, aber dennoch keine Metaphern. Sie werden durch Reflexion erzeugt, also durch eine derivative Art der Versinnlichung, zu der es lediglich der Worte bedarf. Bewegen wir uns im Kreis? Führen wir uns die verschiedenen Ebenen der Schematisierung noch einmal vor Augen: Bei der empirischen Schematisierung ist der Übergang von der Reflexion zur Bestimmung weniger problematisch. Genetisch gesehen ist er möglich, weil die Reflexion den Status der Hypothese annehmen kann, die dann empirisch überprüft wird. Dieser Prozess betrifft auch all diejenigen erworbenen Begriffe, deren Gebrauch wir erlernen und fast für selbstverständlich halten. Im Falle empirischer Urteile können wir in der Regel zwischen einer bestimmenden und einer metaphorischen Redeweise unterscheiden. Es handelt sich um erstere, wenn sich empirische Gründe für das Urteil anführen lassen; geht dies nicht, haben wir es mit einem metaphorischen Ausdruck zu tun, der sich nur indirekt auf die empirische Realität bezieht. Die sinnliche Schematisierung dagegen beinhaltet eine Konstruktion, die sich grundsätzlich von der Bestimmung der empirischen Schematisierung unterscheidet, da es in ihr zu einer vollkommenen Entsprechung zwischen Begriff und Anschauung kommt. So gibt es eindeutige Regeln für die Konstruktion etwa geometrischer Figuren – was sich für die Konstruktion von Diagrammen nicht uneingeschränkt behaupten lässt, da letztere immer auch diskursive Komponenten enthalten. Die Konstruktion mathematischer Figuren erweist sich daher als regulatives Ideal, an dem die Überprüfbarkeit der Erkenntnis restriktiv gemessen werden kann. Im philosophischen Denken ist hingegen im Unterschied zur empirischen und sinnlichen Schematisierung keine Übereinstimmung von Begriff und Anschauung möglich, weshalb die Begriffe auch nicht gebildet werden können, indem von Anschauungen abstrahiert wird. Gleichzeitig aber handelt es sich bei philosophischen Urteilen nicht – wie in der Mathematik – um Definitionen. Trotzdem können sie nicht einfach als metaphorisch beschrieben werden, da in ihnen die Möglichkeit enthalten ist, bestimmend zu sein. Um die Transzendentalphilosophie als bestimmend zu charakterisieren, verfolgt Kant daher die Strategie, sie als Bedingung der Entstehung von Bedeutung auszuweisen. Dies erfolgt auf propositionaler Ebene, auf der die Urteilskraft nicht rein reflexiv, sondern bestimmend wirkt, was systematisch in den Grundsätzen ausgeführt wird. Wir haben hingegen gesehen, inwiefern sich in einer Untersuchung des Schematismus die Gegebenheit der Begriffe als problematisch erweist, die doch eigentlich Grundlage der Schematisierung sein sollte. Doch der Schematismus leistet meines Erachtens nicht nur die Synthesis zwischen Begriffen und Anschauungen – denn dies würde bereits die Gegebenheit von Begriffen voraussetzen – sondern kann so aufgefasst werden, dass er gerade die

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Bildung von Begriffen ermöglicht. Begriffe formieren sich zunächst als laut­ liche Einheiten und werden folglich lautlich versinnlicht. Das gilt ausdrücklich auch für reine Begriffe, d.h. also solche, denen keine Anschauung zugeordnet werden kann, wenn Versinnlichung hier eben nicht diese mechanische Zuordnung bedeutet, sondern für den Prozess der Formierung des Begriffs als Wortlaut steht – wobei mit Wortlaut verständlicherweise nicht allein die arbiträre Form gemeint ist, sondern der grundlegendere Umstand, dass Begriffe erst in ihrer sinnlichen (und das heißt vor allem: zeitlichen) Äußerung Realität haben und nur so gedacht werden können. Obwohl somit das Resultat dieses Prozesses als geschlossene Bestimmung erscheinen kann, impliziert der Prozess eine im weitesten Sinne metaphorische Übertragung. Dem trägt eine Wendung aus der Logik Dohna-Wundlacken Rechnung, die aus Sicht der Kritik der reinen Vernunft zunächst überraschend erscheinen mag: „Die ersten Philosophen waren Poeten. Es gehörte nämlich Zeit dazu, für abstrakte Begriffe Worte auszufinden, daher man anfangs die übersinnlichen Gedanken unter sinnlichen Bildern vorstellte“.459 Die metaphorische Übertragung versinnlicht den ideellen Begriff und kann Grund der Kristallisation sogar philosophischer Begriffe sein. Die Versinnlichung ist in diesem Fall ein Gebrauch. Wenn also der metaphorische Prozess einerseits eine abgeleitete Funktion hat, indem er sich der Begriffe so bedient, als ob sie vorgegeben wären, so hat er andererseits auch eine ableitende Funktion, indem er die Begriffe selbst transformiert. Die symbolische Darstellung erweitert den bestimmenden (im engsten Sinn schematischen) Gebrauch der Begriffe, was deshalb möglich ist, weil beide Versinnlichungen urteilende Tätigkeiten und Gebrauchsweisen sind. Es handelt sich daher um eine Symbolisierung und nicht nur um eine Festlegung von Symbolen – ansonsten wäre unser Denken eine Reihe von schematischen Abkürzungen ohne propositionalen Gebrauch. Durch den metaphorischen Prozess erst wird die Schematisierung dynamisch, weil das Schema und die in ihm eingeschlossenen Prädikate zum Zwecke neuer begrifflicher Konstellationen übertragen werden; somit „wirken die sprachlichen und nicht-sprachlichen Metaphern hier ursprünglich-organisierend. Sie entziehen sich der begrifflichen Positivierung“.460 Die im metaphorischen Prozess enthaltene Reflexion wirkt auch antizipatorisch, weil sie einen bestimmten Inhalt extrapoliert und so die Darstellungskraft der Bedeutungserfahrung erweitert,461 wie auch Fortuna anmerkt: „Metaphorische Ausdrücke haben demnach kein wörtliches Äquivalent, sondern die primäre gegenständ­

459 460 461

Kant, AA XXIV: 698. Den Hinweis auf dieses Zitat habe ich Mirella Capozzi zu verdanken, siehe insbesondere Capozzi 2006. Abel 1993, S.83. Vgl. Makkreel 2006, S. 242.

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VI. ‚Doppelte‘ Versinnlichung

liche Bedeutung verschiedener Wörter wird mittels eines analogischen Prozesses transformiert. Daher wird dieser Prozess, der gegenständliche Bedeutungen in metaphorische Bedeutungen transformiert, als völlig natürlich und allen Sprachen inhärent betrachtet“.462 Die symbolische Darstellung zeigt also durch die Metapher eine fundamentale Verbindung zwischen Denken, Sprache und Erfahrung auf, und sie zeigt vor allem, dass die Unterscheidung zwischen Erkenntnis und Denken zunächst eine kritische und heuristische ist, die als Hilfs­­mittel angesehen werden muss, um die verschiedenen Funktionen der Sprache zu differenzieren. Insbesondere die Bezeichnungsfunktion der Sprache soll daher im nächsten Kapitel näher beleuchtet werden.

462

Fortuna 2012, S. 172f.

V I I . Z eichen und S ymbol als ‚G ebrauchsweisen‘ sinnlicher G estalten

Der sprachliche Charakter der Vernunft und ihrer Begriffe ist der Ausgangspunkt für die Metakritik Hamanns am sogenannten Purismus der Vernunft, und es ist zugleich einer der Kernpunkte der kritischen Auseinandersetzung mit der kantischen Philosophie in der Nachfolge. Trotz der Tatsache, dass Kant die Betrachtung der Sprache nicht in die Transzendentalphilosophie einführt, finden sich in Kants Schriften zahlreiche Spuren zur Sprache, denen auch in der Kantforschung immer mehr Beachtung geschenkt wird.463 Inwieweit Kant über die Sprache geschwiegen hat oder inwieweit es unterschiedliche Phasen in seinem Denken über die Sprache gibt, ist eine Frage, die in der Kantforschung kontrovers diskutiert wird, wobei unterschiedliche Ursachen in Betracht gezogen werden, um zu erklären, weshalb eine systematische Untersuchung der Sprache bei Kant fehlt.464 Einige Aspekte der Sprachtheorie Kants sind bereits im Zusammenhang der ersten zwei Kapitel erwähnt worden und sollen hier nur noch einmal kurz zusammenfasst werden. Eine eigenständige Rekonstruktion kann an dieser Stelle dagegen nicht unternommen werden. Mir geht es vielmehr darum, die transzendentale Systemstelle zu beschreiben, an der eine Untersuchung der 463

464

Insbesondere Capozzi (2012) untersucht bei Kant das Verhältnis zwischen Begriff und Wort und die Relevanz des Bezeichnungsvermögens für die Begriffsbildung. Dazu auch Formigari 1994. Für eine Zusammenfassung der unterschiedlichen Ansätze siehe auch Forgione 2006, S. 16–23. Tullio De Mauro (1965) hat die Frage nach Kants ‚Schweigen‘ bezüglich der Sprache aufgeworfen. Zur Kritik der kantischen Auffassung der Sprache ist sicherlich die Untersuchung von Jürgen Villers (1997) erneut zu erwähnen, der eine ausführliche Rekonstruktion der ‚historischen und systematischen Gründe für die Sprachlosigkeit der Transzendentalphilosophie‘ entfaltet. Siehe dazu auch Paltrinieri 2009, S. 141 und Nawrath 2010, S. 207f. Ob Kant eine Philosophie der Sprache vertreten hat, ist die Frage des Aufsatzes von Michael Forster (2012), der diese Problematik auf die unterschiedlichen Phasen des kantischen Denkens bezieht.

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VII. Zeichen und Symbol

Sprache zu verorten wäre.465 Gerade deshalb habe ich mich vor allem in der Behandlung der Sinnlichkeit und des Monogramms auf die Sprache bezogen. Zuerst soll die schon angedeutete Funktion der Sprache zusammengefasst werden, um dann die Abgrenzung zwischen Darstellung und Bezeichnung bei Kant angehen zu können. Die Sprache wurde hier zum ersten Mal in Bezug auf die Behandlung des Unterschieds zwischen Urteil und Satz thematisch: beide sind sprachlich und nur auf modaler Ebene zu differenzieren. Das bedeutet, dass es nach Kant kein sprachloses Denken gibt. Mit dem Urteilen wird also die Sprache zum Problem, und die Darstellung lässt sich nicht vom Urteilen trennen, sei es bloß bestimmend oder reflektierend. Das Verhältnis zwischen Anschauungen und Begriffen, das sich direkt oder indirekt im Urteilen realisiert, ist nicht willkürlich, weil die Darstellung selbst bei Kant nicht willkürlich ist. Damit ist zugleich der grundlegende Unterschied zwischen Symbolen und Zeichen angesprochen, insofern letztere ein willkürliches Verhältnis zwischen Anschauungen und Begriffen herstellen und dazu dienen, Begriffe hervorzurufen.466 Dass zwischen Zeichen und Symbol eine klare Trennung vorgenommen werden sollte, geht bereits aus einer frühen Bemerkung zu §440 der Vernunftlehre Meiers hervor. Zu Meiers Definition des Zeichens als „signum, symbolum“467 präzisiert Kant wie bereits erwähnt: „Nicht jedes Zeichen ist Symbol“.468 In der Kritik der Urteilskraft grenzt Kant die zwei Arten der Darstellung sehr deutlich vom Bezeichnungsvermögen ab, das Charakterismen verwendet, die „Bezeichnungen der Begriffe durch begleitende sinnliche Zeichen“ sind und „die gar nichts zu der Anschauung des Objekts Gehöriges enthalten, sondern nur jenen, nach dem Gesetze der Assoziation der Einbildungskraft, mithin in subjektiver Absicht, zum Mittel der Reproduktion dienen; dergleichen 465

466

467

468

Daher bewegt sich meine Untersuchung im Horizont der transzendentalen Semantik von Hogrebe (1976), der die Sprache in Bezug auf die Vermittlungsfunktion des Schematismus behandelt. Vgl. Schönrich 1981. Siehe dazu auch Di Cesare 1997, S. 183. Wie schon erwähnt, heißt es in den Vorlesungen über die Metaphysik (AA XXVIII: 238): „Die Erkenntnis ist symbolisch, wo der Gegenstand in dem Zeichen erkannt wird; aber bei der diskursiven Erkenntnis sind die Zeichen nicht Symbola, indem ich in dem Zeichen nicht den Gegenstand erkenne, sondern das Zeichen mir nur die Vorstellung von dem Gegenstand hervorbringt“. Rolf vergleicht (2006, S. 8) den willkürlichen Charakter des Zeichens bei Kant mit dem Ansatz Saussures. Meier, Vernunftlehre §440. In Bezug auf die Problematik der logischen Bezeichnungskunst und die Gleichsetzung von ‚Zeichen‘ mit ‚signum, symbolum‘ bei Meier siehe Pozzo 2000, S. 283f. Kant, R 3398a, AA XVI: 814. Das Symbol wird von Kant als „Zeichen“, d.h. als eine „analogische Anschauung“ beschrieben. Diese Problematik ist von mir auch in Kap. V.2.3 in Bezug auf die semiotische Deutung des Monogramms in Betracht gezogen worden.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

sind entweder Worte, oder sichtbare (algebraische, selbst mimische) Zeichen, als bloße Ausdrücke für Begriffe“.469 Somit wird nicht nur die Bezeichnung, die eine bloß willkürliche Begleitung der Begriffe ist, auf die instrumentelle Funktion der Zeichen reduziert, sondern auch die sprachliche Ausdrucksfunktion als solche (abgesehen von der Dichtkunst). Dies erschließt sich ebenfalls aus der Untersuchung des Bezeichnungsvermögens in der Anthropologie, in der die symbo­ lische Darstellung von der Zeichenverwendung unterschieden wird: „Charaktere sind noch nicht Symbole; denn sie können auch bloß mittelbare (indirekte) Zeichen sein, die an sich nichts bedeuten, sondern nur durch Beigesellung auf Anschauungen und durch diese auf Begriffe führen; daher die symbolische Erkenntnis nicht der intuitiven, sondern der diskursiven entgegengesetzt werden muss, in welcher letzteren das Zeichen (charakter) den Begriff nur als Wächter (custos) begleitet, um ihn gelegentlich zu reproduzieren“.470 Andererseits deutet Kant den Gebrauch der Zeichen im Zusammenhang der engen Verbindung zwischen Zeit und Gehör. Dieses nimmt keine (visuelle) Gestalt wahr; es richtet sich auf die abstrakte Form selbst und dient zur Bezeichnung des abstrakten Charakters der Begrifflichkeit. Die Dimension des Denkens ist schon immer eine der Sprache und diese ein innerliches Hören – wie folgende Bemerkung Kants aus der Anthropologie zeigt: „Alle Sprache ist Bezeichnung der Gedanken, und umgekehrt die vorzüglichste Art der Gedankenbezeichnung ist die durch Sprache, dieses größte Mittel, sich selbst und andere zu verstehen. Denken ist Reden mit sich selbst […] folglich sich auch innerlich (durch reproductive Einbildungskraft) Hören“.471 Diese Verbindung zwischen Denken, Hören und Zeit wurde in Bezug auf die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit untersucht, um zu zeigen, dass sie in der Konzeption der Einbildungskraft enthalten ist und eine wesentlich bedeutendere Stellung in der Erkenntnistheorie einnehmen sollte, als dies von Kant suggeriert wird, der sie zu Unrecht nicht in die Transzendentalphilosophie einführt, wie hier argumentiert wurde. Diese Verbindung sollte entsprechend nicht der reproduktiven, sondern der produktiven Einbildungskraft zugeschrieben werden. Die Reproduktion dagegen ist für Kant eng mit der Assoziation und dem Gedächtnis verknüpft.472 Wie bereits gezeigt werden konnte, nimmt Kant einen 469 470 471 472

Kant, KU B 255–256, A 252. Kant, AA VII: 191. Kant AA VII: 192. Kant, AA XV: 818: „Die (wilkührlichen) Zeichen sind entweder stellvertretend (vicaria) oder blos begleitende (associata). […] Jene sind die Buchstaben in der Algebra, diese sind Gedächtniszeichen. Unter den letzten sind die Worte die beste, weil sie an sich nichts bedeuten […]“.

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VII. Zeichen und Symbol

Primat des Gehörs bei der Verwendung von abstrakten Begriffen an, indem er den Taubgeborenen die Fähigkeit zum Besitz abstrakter Begriffe abspricht. Unter den Sinnen zeichnet sich das Gehör tatsächlich dadurch aus, dass es keine Vorstellung des Gegenstandes hervorbringt, sondern sie nur begleitet, wie am Beispiel der Hervorbringung der Gestalt durch das Sehen (das Gesicht) und den Tastsinn erklärt werden konnte. Wenn wir die bis hier beschriebene Funktion des Gehörs mit der oben genannten Bestimmung der Zeichen vergleichen, „die an sich nichts bedeuten, sondern nur durch Beigesellung auf Anschauungen und durch diese auf Begriffe führen“,473 kommen wir meines Erachtens zu folgender Schlussfolgerung: Im Übergang vom konkreten Bild zum abstrakten Wort spielen die Sinne eine zentrale Rolle. Und angesichts der begleitenden Funktion des Gehörs ist dieser Übergang kaum von der sprachlichen Bezeichnung zu trennen, indem gerade das Gehör exakt die Eigenschaften der Zeichen besitzt, nämlich nicht an der Gestalt des Gegenstandes beteiligt und zugleich zeitlich zu sein. Gerade das Gehör, das – wie bereits erwähnt – „auf die Zeit einschlägt“,474 begleitet alle Verstandesvorstellungen vom Objekt. Die lautlichen Zeichen befinden sich im Einklang mit dem formalen Charakter der akustischen Wahrnehmung und mit der zeitlichen Verinnerlichung wahrgenommener Merkmale. Trotzdem sind die Zeichen bloße Begleiter dieser Wahrnehmung, die an sich eine begriffliche Gestaltung und keine zeichenhafte zu sein scheint. Den Zeichen kommt Kant zufolge dennoch eine wichtige Funktion im Denken zu, da sie bestimmte Gedanken und Begriffe ins Gedächtnis rufen. Ohne Zeichen könnten wir keine Begriffe verwenden, gerade weil diese sonst keine Form hätten. Und – wie es in den Vorlesungen über Metaphysik heißt – „Worter sind nicht symbola, denn sie geben kein Bild ab“.475 Mit Sinnlichkeit bezeichnet Kant sowohl die Vorstellung des Gegenstandes durch den Sinn (also in dessen Gegenwart), als auch diejenige Vorstellung ohne die Gegenwart des Gegenstandes, welche die Einbildungskraft vollzieht. Daher bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Sinne keine bloßen Rezeptoren sind, sondern eine grundlegende Rolle in der Vorstellung der Gegenstände und, wie wir anschließend sehen werden, für die Möglichkeit ihrer Bezeichnung spielen. Dies ist ein Aspekt, der in der Kritik der reinen Vernunft nicht ausführlich behandelt wird, da Kant die Anschauung dort unter Abstraktion von jeder empi473 474 475

Kant, AA VII: 191. Kant, AA XV: 99. Kant, AA XV: 710. Aber in der gleichen (zwischen 1775–1777 datierbaren) Refle­ xion 1486 beobachtet Kant: „In ieder Sprache bedeuten die Worter blos symbola und durch diese die Verstandesbegriffe. Die Anschauung wird nicht dem symbolischen, sondern der Erkentnis durch Begriffe entgegengesetzt. Die symbolische Vorstellung dient vielmehr zur Anschauung. Characteristisch ist ein Begrif, wenn er den ganzen Unterschied ausdrückt“.

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

rischen Bestimmung untersucht; er ist jedoch in der Anthropologie und in den auf die Anthropologie bezogen Reflexionen präsent. Hier bestimmt Kant die Funktionen der Sinne in Bezug auf die Vorstellung der äußeren Gegenstände und die Erkenntnis der abstrakten Begriffe. Ich habe gezeigt, wie vor allem die zeitliche Dimension des Gehörs eine Verinnerlichung der Sinnesdaten ermöglicht. Denken, Sprechen und Hören sind über ihre zeitlichen Eigenschaften wesentlich verbunden. Die Abgrenzung zwischen der Konkretheit der Bilder und der Abstraktheit der Begriffe spielt im Schematismus deshalb eine entscheidende Rolle, weil das Schema als Gestalt den Übergang vom Bild zu demjenigen Begriff ermöglicht, dem keine Bilder entsprechen. Meiner Meinung nach liegt das Hauptinteresse Kants darin zu vermeiden, dass der Schematismus auf eine Bedeutungsgebung reduziert wird, in der die Bedeutung mit einem festen Symbol identifiziert wird, das einem Bild ähnelt. Im Allgemeinen würde sich ohne Schematismus die Prädikation der Realität entweder auf rein fiktionale Begriffe einer privaten Sprache beschränken, oder sie würde auf eine enttäuschende Suche nach der notwendigen Objektivität des sinnlichen Datums hinauslaufen. Die transzendentale Bestimmung der Zeit und des Raumes in Zusammenhang mit dem Gehör- und dem Gesichtssinn zeigt zunächst, inwiefern in der schematischen Bedeutungsgebung immer schon die abstrakte phonetische Gestalt und die konkrete bildliche Gestalt involviert sind. Der Schematismus ermöglicht folglich gerade als Versinnlichung den Übergang vom Bild zum Begriff, ohne dabei die semantische und semiotische Funktion von Bildern und Wort-Lauten aufeinander zu reduzieren. Und diese Funktion lässt sich grundsätzlich nicht von der Sprache als Bedingung des semantischen Bezugs zur Welt trennen. Es mag vielleicht überraschen, dass Kant in einer Reflexion zur Anthropologie schreibt: „In unsrer Muttersprache sind wir von den sachen zu Worten, in einer fremden von den Worten zu Sachen gekommen; daher in der unbekannten die Worte die Sachen und alsden dadurch die Muttersprache geben, aber umgekehrt nicht“.476 Ich denke, dass gerade diese Reflexion die grundlegende Rolle der Sprache bei Kant hervorhebt, die sich als Bedeutungsgebung auf den Prozess des Schematismus gründet, bei dem es sich nicht um einen Anpassungsprozess handelt, in dem die Bedeutung als solche schon vorgegeben ist, sondern sich erst in der Gestaltung realisiert. Daher stellt der Schematismus einen Referenzprozess dar, in dem das Schema den Begriff bedeutet und im Erlernen der Sprache zugleich Zugang zur Sache ist. 476

Kant, AA XV: 147.

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VII. Zeichen und Symbol

Das Zeichen ist für Kant nicht am Inhalt der Vorstellung beteiligt. Ihm kommt als Resultat einer willkürlichen Beziehung eine formale Funktion zu, die jedoch bei Kant eine bloße Begleitung der Begriffe durch Wörter ist. Und diese Begleitung setzt schon einen Gebrauch der Sprache voraus. Das ist der Grund, warum ich mich von Kant distanzieren und im folgenden, dritten Teil der Untersuchung auf Zeichen und Symbole als Gebrauchsweisen sinnlicher Gestalten beziehen werde. Denn Zeichen und Symbole sind selbst wohlgemerkt keine Gestalten, sondern können als solche gebraucht werden, was darauf hinweist, dass ihnen eine Funktion in Gebrauchs- und Interpretationspraktiken zukommt. Daher ist Kants strikte Trennung zwischen Zeichen und Symbolen meines Erachtens zwar ernst zu nehmen, wobei jedoch präsent gehalten werden muss, dass er ihren Status als Gebrauchsweisen und mithin als transzendentale Verbindung zwischen Darstellung und Bezeichnung gerade nicht sieht, was letztlich dazu beiträgt, dass die Sprache und das Zeichen innerhalb der kantischen Systematik von nur geringer Relevanz sind. Nur am Rande soll erwähnt sein, dass die wesentliche Verbindung zwischen Darstellung und Bezeichnung auch Konsequenzen für Kants Beurteilung der unterschiedlichen Sprachen hat – wie aus den Vorlesungen über die Anthropologie (schon aus den Jahren 1772/1773) deutlich hervorgeht: Während die griechische Sprache durch die lautliche Artikulation die Abstraktheit der Begriffe erreichen kann, wird das Chinesische von Kant als eine Sprache beschrieben, die der Starrheit des Bildes verhaftet bleibe – dieselbe Starrheit, die den ersten Spracherwerb bei Kindern auszeichnet. Anhand der sprachphilosophischen Versuche Humboldts und Hegels, die es im nächsten Teil der Untersuchungen zu berücksichtigen gilt, wird deutlicher werden, inwieweit Kants Trennung zwischen Darstellung und Bezeichnung zur negativen Beurteilung sowohl des Sprachgebrauchs bei Taubgeborenen als auch des Chinesischen führt. Insbesondere Humboldts ‚antisemiotischer Ansatz‘ und seine Annahme einer dynamischeren Verbindung zwischen Darstellung und Bezeichnung werden sich als ein schlüssigerer Ansatz hinsichtlich der Artikulation erweisen, die nicht mit der Begleitungsfunktion der Zeichen zu verwechseln ist.477 477

Siehe dazu Kant, AA XXV, II: 126, 338. Siehe dazu insbesondere Kap. IV des zweiten Teils. Diese konstitutive Auffassung der Bezeichnung in Bezug auf den doppelten Schematismus bei Kant ist der Ausgangspunkt für Sara Fortuna in ihrer Untersuchung zum Problem des Kippbilds. Sie beobachtet (2012, S. 37): „Die Beziehung nämlich, die ursprünglich zwischen sinnlichem Schema und symbolischem Schema besteht, ist keineswegs willkürlich und ebenso wenig ikonisch (in der allgemeinen Bedeutung von Ikonizität als natürlicher Ähnlichkeit). Es handelt sich vielmehr um eine Verbindung von Bedeutung und Zeichen, die a posteriori auf die Verdoppelung der ersten Ebene der Wahrnehmung, die von der Einbildungskraft hervorgebracht wird, aufbaut und weshalb alle, die eine Sprache beherrschen, Lautbild und Bedeutung als miteinander verknüpft empfinden; die Verbindung von Bedeutungen und

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Die Schematismuslehre im Lichte Kants

Die zeitliche Natur des Zeichens lässt sich nicht auf die „Erkenntnis des Gegenwärtigen als Mittel der Verknüpfung der Vorstellung des Vorhergesehen mit der des Vergangenen“478 verkürzen, wie Kants Definition des Bezeichnungsvermögens lautet. In transzendentaler Hinsicht ist also eine produktive zeitliche Dimension des Zeichens anzunehmen, die Kant nicht in seine Erkenntnistheorie einbettet, in der Zeit und Raum als transzendentale Anschauungen gelten.479 In der Anthropologie hingegen lässt sich eine solche Dimension erkennen, die ich unter dem Oberbegriff eines Prozesses der Versinnlichung in die Transzendentalphilosophie einführen möchte. Die Gründe dafür werden meines Erachtens von Kant selbst bereitgestellt – und zwar in seinen Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Anschauungen, Sinnen und Begriffen. Zugleich lassen sich auf diese Weise die offenen Probleme des Schematismus erklären, der ohne die Annahme einer solchen Versinnlichung nicht als Prozess der Gestaltung von Bedeutungserfahrung verstanden werden kann. Im nächsten Teil der Untersuchung werde ich zeigen, dass die metakritischen Revisionsversuche gerade darauf zielen, die eigentümliche Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit und mit ihr der Sprache hervorzuheben.480

478 479

480

Lauten wird von den Sprechenden als notwendig wahrgenommen, ohne dass dies auf eine objektive Begründung zurückgeführt werden könnte“. Kant, AA VII: 191. Reinhard Brandt (1994, S. 31) bezieht diese Zeit-Problematik im Allgemeinen auf die Unterscheidung zwischen Transzendentaler Ästhetik und Anthropologie: „Hierauf beharrt die Anthropologie und nötigt damit die ‚transzendentale Ästhetik‘, sich in folgender Alternative zu entscheiden: Entweder werden Raum und Zeit aus der perspektivlosen Anschauung eines omnipräsenten Wesens entwickelt, oder aus der Perspektivbindung des Menschen. Wenn das letztere der Fall ist, gehören zu den notwendigen Vorstellungen beim Raum ein jeweiliges Hier und bei der Zeit die modalen Zeitbestimmungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wie sie in der kantischen Anthropologie tatsächlich entwickelt werden, während die ‚Transzendentale Ästhetik‘ sie rigoros ausschließt“. Riedel 1989, S. 60.

R evision des S chematismus in der N achfolge K ants

Im vorherigen Teil habe ich die Schematismuslehre untersucht und dabei insbesondere zwei unterschiedliche Formen der Darstellung beschrieben: Die schematische und symbolische Darstellung bilden Kants Lehre einer doppelten Versinnlichung, die er wiederum vom Bezeichnungsvermögen abgrenzt. Der Schematismus artikuliert sich zwischen der Konkretheit der einzelnen Anschauungen und der Abstraktheit der Begriffe, und ihm wird die schwierige Aufgabe zugeschrieben, die Bedingung der Bedeutung zu sein, ohne dabei jedoch die irreduzible Unbestimmtheit der einzelnen Anwendungen aufzuheben. Der Schematismus ermöglicht die Bestimmung eines partikulär Erkennbaren, aber er löst sich nicht in ihm auf. Er lässt das Denken zur Erkenntnis gelangen, ohne dadurch die Erfahrung des Partikularen auf ein hypostasiertes Allgemeines zu reduzieren, dem keine Veränderungen zukommen. Er ermöglicht den Übergang von einzelnen Anschauungen zu Begriffen durch Gestaltungsformen (wie Bildern, Zeichen, Wörtern). Er kann jedoch nicht mit diesen Gestaltungsformen gleichgesetzt werden, weil er die Methode der Gestaltung selbst ist, in der letztlich der spezifische Gehalt der einzelnen Anwendungen nicht vorgeschrieben werden kann. Dabei ermöglicht er die Bedeutungsgestaltung, die sich weder von den Gestaltungsformen noch von deren Gebrauch ablösen kann. Doch dieser Gestaltungsprozess selbst wird von Kant nicht ausführlich entfaltet. In der Tat scheint Kant in der Kritik der Urteilskraft für die ausschließliche Beschränkung des Schematismus auf das reine Erkenntnisvermögen zu argumentieren: Der Schematismus ist dort nur für die Anschaulichkeit der reinen Verstandesbegriffe zuständig, also nicht mehr für die empirischen Begriffe und sowieso nicht für die Vernunftbegriffe, welche nur durch Symbole versinnlicht werden können. Und in der Anthropologie wiederum werden diese Gestaltungsformen, trotz ihrer Untersuchung im Zusammenhang von Sinnlichkeit, Einbildungskraft und Bezeichnungsvermögen, nicht in das System einer transzendentalen doppelten Versinnlichungslehre eingeführt. Dort werden auch die

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Gestalten der Dinge, „so fern sie nur zu Mitteln der Vorstellung durch Begriffe dienen“, als Symbole und die daraus resultierende Erkenntnis als „symbolisch oder figürlich (speciosa)“ bezeichnet.1 Die anthropologische Untersuchung ist jedoch außerhalb des Systems situiert, obwohl sie möglicherweise mit diesem kompatibel wäre. Somit wird der Schematismus selbst nicht zum prozessualen Verbindungsfaden der Gestaltungsformen, der er potentiell hätte sein können. Der gestalterische Charakter der schematischen und symbolischen Erkenntnis kann daher als eine von Kant offen gelassene Problematik angesehen werden, die er selbst in gewisser Weise im Opus Postumum anspricht, wenn er behauptet, dass „Ideen Dichtungen sind“.2 Diese in der unmittelbaren Nachfolge Kants unbekannte Behauptung über den dichterischen Charakter des Denkens wird hingegen zum Leitmotiv der Revision seiner Philosophie. Sie wird als ein systematisches Erfordernis angesehen, das nicht nur den Status der Ideen selbst, sondern im Allgemeinen die ganze Architektonik der kantischen Philosophie betrifft und von einer gewissen – oft dualistisch gedeuteten – Auffassung von Sinnlichkeit und Begrifflichkeit ausgeht, die es weiter zu entwickeln gelte. Die von mir bislang als heuristisch bezeichnete ‚isolierende Methode‘ Kants wird damit zum erkenntnistheoretischen Problem erhoben. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass die genetische Bestimmung der Transzendentalphilosophie eine Reaktion auf Kant ist, obwohl Kant selbst bereits die für diese Bestimmung notwendige transzendentale Wende geschaffen hat. Der Versuch, die unterschiedlichen Bestandteile dieses Prozesses heuristisch zu trennen, kann als transzendentaler Versuch gedeutet werden, vor dem eigentlich semantischen Prozess selbst die Bedingungen seiner Gestaltung auszu­ buchstabieren. Das kantische System stellt meines Erachtens die Grundlagen für diese semantische Interpretation der Transzendentalphilosophie bereit und enthält bereits das ihr eigentümliche Potential, das es allerdings zu explizieren gilt. Diese Perspektive – die von Anfang an profiliert wurde – führt meine Untersuchung damit notwendigerweise über die primär interne Rekonstruktion der kantischen Philosophie hinaus, wie sie im ersten Teil durchgeführt wurde. Im zweiten Teil der Untersuchung wird die Umgestaltung der Schematismuslehre in der Nachfolge Kants untersucht. Diesbezüglich möchte ich zwei unterschiedliche Ansätze zur Untersuchung heranziehen: Erstens werde ich zeigen, dass in der Nachfolge Kants Schematismuslehre mit dem Ziel revidiert wird, einen Ort für die Sprache im weitesten Sinne zu schaffen und eine radikal prozessuale Auffassung des Denkens zu entwickeln. Zweitens werde ich gegen Ende der Darstellung dieser Revisionsversuche erklären, inwieweit diese Auffassung mit der Schematismuslehre als Versinnlichungslehre kompatibel ist. Ich 1 2

Kant, AA VII: 191. Kant, AA XXI: 101 (Hervorhebung L.G.).

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

möchte also die Schematismuslehre Kants heranziehen, um zu erklären, inwieweit die Revision ihrer Funktion nach zu einer Erweiterung und Prozessualisierung der Transzendentalphilosophie führt. Bedeutende Aspekte der Schematismuslehre werden somit erneut in Betracht gezogen, um sie mit den Meta­kritiken der kantischen Philosophie zu konfrontieren. Gleichzeitig möchte ich erklären, inwieweit die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit, der Sprache und der symbolischen Erkenntnis in Bezug auf den Schematismus thematisiert werden kann. Die Kriterien dieser Revision können mit Cassirers Worten wie folgt zusammengefasst werden: „Alle ‚Metakritik‘, die gegenüber der ‚Kritik der reinen Vernunft‘ versucht wurde, knüpfte immer wieder an diesen Punkt (Sprache) an und versuchte, von ihm aus das kantische System aus den Angeln zu heben. […] Und doch hat die ‚Kritik der reinen Vernunft‘, obwohl sie selbst den Problemen der Sprache fernstand, durch die mittelbaren Wirkungen, die von ihr ausgegangen sind, auch die Form der Sprachphilosophie entscheidend umgestaltet“.3 Ich werde mich im Folgenden häufig auf die transzendentale Stellung des Schematismus beziehen, womit der Schematismus als Bedingung der Bedeutung gemeint ist, die durch die Einbildungskraft gestaltet wird. Ich beziehe mich damit nicht direkt auf den Schematismus, weil dieser in der Nachfolge meist für überwindbar oder gar für überflüssig gehalten wird. Trotzdem sollen die Konsequenzen dieser Überwindungsversuche untersucht und zugleich gezeigt werden, dass die Schematismuslehre in der Nachfolge zu Unrecht als verzichtbar beschrieben wird. Mein Vorhaben ist es hier, den philosophischen Wert dieser Umgestaltung der Schematismuslehre aufzuweisen, die nur auf den ersten Blick statisch zwischen Bildern und Begriffen situiert ist, bei genauerem Hinsehen jedoch dynamisch, in ständiger Wechselwirkung zwischen transzendentalen Bedingungen, Prozessen und deren Produkten zur Entfaltung kommt. Im Schematismus findet man tatsächlich diejenige alte Spannung zwischen energeia und ergon wieder, die seit Aristoteles diskutiert und insbesondere von Humboldt in Bezug auf die Sprache untersucht wird. An dieser Stelle sollte daher angemerkt werden, dass die Kritik des statischen Charakters des Schematismus in den Revisionsversuchen der kantischen Philosophie mit der Betonung des entscheidenden Gestaltungscharakters der Sprache einhergeht; die Sprache wird gewissermaßen zum Synonym des Schematismus. Gleichwohl sollte dessen semantische Dimension nicht grundsätzlich auf den sprachlichen Gebrauch eingeengt werden, da sie auch andere, nicht-diskursive Gebrauchsweisen miteinschließt, 3

Cassirer, ECW, 16, S. 108f.

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wie sie zum Beispiel im Erkennen von Bildern auftreten. Der Schematismus ist vielmehr auf noch zu erläuternde Weise Bedingung der Sprache. Dieser Aspekt wird etwa von Schelling aufgegriffen, wenn er im System des transzendentalen Idealismus anmerkt, dass sich aus der Notwendigkeit des Schematismus schließen lasse, „dass der ganze Mechanismus der Sprache auf demselben beruhen wird“.4 Im Allgemeinen kann man mit Blick auf die Kritik an Kant behaupten, dass die Vermittlungsfrage des Schematismus deshalb als ein Problem der Sprache weiterentwickelt wird, weil in der Sprache der Anschauungsbezug immer schon impliziert ist. Dennoch ist bislang bereits deutlich geworden, dass der Schematismus nicht uneingeschränkt mit einer Vermittlungsfrage zu identifizieren ist, obwohl die von Kant angewandte isolierende Methode leicht zu einer solchen Überzeugung führen kann. Der Schematismus lässt sich nicht auf seine sprachliche Dimension reduzieren, weil er einen Prozess der Artikulation und Gestaltung von Bedeutung zwischen Bildern und Wörtern umfasst und daher über eine semiotische Weite im Sinne eines allgemeinen Bezeichnungsprozesses verfügt, die Bedingung der Sprache selbst ist. In der Nachfolge wird gerade diese semiotische Deutung des Schematismus nicht nur mit Blick auf die Sprache, sondern vor allem auf die Anschauungsbezogenheit des Denkens hervorgehoben. Gerade deswegen ist die Auffassung der Sprache in der Nachfolge Kants nicht nur eine Erweiterung oder Ergänzung, sondern eine Umgestaltung der Philosophie Kants, welche die Erkenntnistheorie im Ganzen betrifft. Daher halte ich diese Umgestaltung nicht nur für eine wichtige Phase innerhalb der Geschichte der Erkenntnistheorie, sondern auch für ein noch immer aktuelles Problem zeitgenössischer Erkenntnistheorien – vor allem unter Berücksichtigung des Verkörperungsansatzes, der im dritten Teil kritisch behandelt wird. Die von mir getroffene Auswahl an Ansätzen, welche die kantische Philosophie rezipiert, revidiert und transformiert haben, ist verständlicherweise nicht erschöpfend, da etwa auf Reinhold, Jacobi, Schleiermacher, Schelling und Fichte nicht ausführlich eingegangen wird. Außerdem wären Denker zu berücksichtigen, die abgesehen von Kant, vor Kant und zur Zeit von Kant alternative Ansätze entwickelt haben. Beispiele sind Giambattista Vico, der in La scienza nuova eine performative Auffassung der Sprache, der Zeichen und der Einbildungskraft vertritt,5 oder Francis Bacon, der den Schema-Begriff ebenfalls verwendet und später ein wichtiger Bezugspunkt für Herder sein wird. Viele Denker in der Nachfolge Kants jedoch erwähnen den Schematismus entweder gar nicht oder nur flüchtig und entwickeln dennoch ihre Ansätze 4 5

Schelling, SW, 3, S. 509. Siehe dazu den von Jürgen Trabant herausgegebenen Sammelband Vico und die Zeichen (1995).

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gerade um diesen prozessualen Kernpunkt herum. Insbesondere die Denker, die ich behandeln werde, haben diesen Kernpunkt in Bezug auf die Sprache thematisiert. Zwei Kriterien haben die Untersuchung angeleitet. Berücksichtigt werden nur solche Revisionsansätze der kantischen Schematismuslehre, die (1.) den transzendentalen Prozess, der bei Kant von der doppelten Versinnlichung und ihrem Verhältnis zum Bezeichnungsvermögen ausgeübt wird, auf genetische Weise bestimmen und die (2.) die Umgestaltung dieses transzendentalen Prozesses auf die Sprache als Artikulation der Bedeutung zwischen Bild, Symbol und Zeichen beziehen. Die Kombination der beiden Kriterien kann folgendermaßen ausbuchstabiert werden: In diesem Teil der Untersuchung geht es um die in der Nachfolge Kants durchgeführte, genetische Umgestaltung des transzendentalen Prozesses (des Schematismus) in Bezug auf die Sprache als Artikulation der Bedeutung zwischen Bild, Symbol und Zeichen. Die Ansätze, die aus dieser Auswahl hervorgehen, sollen als Zwischenstationen des Argumentationsweges, der in diesem Teil eingeschlagen wird, vorab kurz skizziert werden. Salomon Maimon kehrt die Philosophie Kants in dem Versuch um, einen rationalistischen Dogmatismus und einen empirischen Skeptizismus zu vertreten. Die Erweiterung der Dimension des Denkens geht mit einer Auffassung der Realität einher, die sich von der Voraussetzung der sinnlichen Gegebenheit der Erfahrung emanzipiert. Die Realität ist insofern ein Gemachtes und betrifft auch die Ideen, die eine unendliche Annäherung implizieren, welche Maimon mit der symbolischen Erkenntnis in Verbindung bringt und folglich eine Lehre der gedichteten Begriffe entwickelt, deren Realität allein durch den unendlichen Verstand gesichert ist. Trotz der starken Gewichtung der konstruktiven Einbildungskraft und der symbolischen Prozesse, die Maimon eine gewisse Achtung Fichtes einbringt,6 reduziert er die Anschauungen auf rationale Bestimmungen, die wiederum nicht als prozessuale Bedingungen des endlichen Denkens begründbar sind. Die Metakritik Hamanns hingegen betrifft eine eigentümliche, tief sinnliche Materialität der Sprache, die jedoch im Unterschied zu Maimon theologisch begründet wird. Maimon und Hamann stellen meines Erachtens zwei Seiten derselben Problematik dar, und zwar die eines Denkens, das – nach Maimon formaliter und nach Hamann materialiter – von einer symbolischen Rationalität geprägt ist, die jedoch nicht durch die dem Denken eigene Prozessualität allein gewährleistet werden kann. So gesehen stellen beide Ansätze eine spezifische Überschreitung derjenigen ontologischen Grenzen des kritischen Denkens dar, die bei Kant dem Problem der synthetischen Bedingungen der 6

Fichte (GA, IV, 3, S. 32) bezieht sich auf Maimon, um die Relevanz der Konstruk­ tionsmethode hervorzuheben. Dieser Aspekt wird von Engstler 1990, S. 243–260 und Beiser 2003, S. 233–247 behandelt.

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Erfahrung a priori zugrunde liegen. Herder wiederum entwirft eine Sprachlehre, die nicht nur auf Abbildung, sondern primär auf die Gestaltung des Denkens abzielt. Daher entwickelt er eine Metakritik des Schematismus als einer sinnlichen Gestaltung, in der vom Bild ausgehend der Weg zum Begriff gebahnt wird. Damit verbindet Herder die Ansätze von Hamann und Kant, indem er die Materialität der Empfindung in den Gestaltungsprozess der Reflexion miteinbezieht.7 Und trotzdem erreicht diese Reflexion als Gestaltungsprozess nicht die Ebene des Symbolisch-Transzendentalen, sondern wird von Herder vor allem auf die Kunst und das Gefühl bezogen. Herder offenbart insofern schlicht ein anderes philosophisches Interesse als Kant, da es ihm nicht um eine transzendentalphilosophische Bestimmung einer der Sprache zugrundeliegenden Prozessualität geht. Auch der Ansatz Humboldts ist von einem tief sprachlichen Interesse motiviert, jedoch von einer gewissen Immanenz geprägt, weil Sinnlichkeit und Spontaneität in der Sprache vereinigt werden, die sich durch das Wort zwischen Bild und Zeichen artikuliert. Der Fokus liegt damit auf derjenigen Tätigkeit der Sprache, die das Denken prägt und strukturiert. Diese Tätigkeit wird schließlich zum Hauptinteresse Hegels: sie bildet den Kern seines Geistbegriffes, dessen Bewegung zugleich als eine eminent sprachliche erscheint. All diese Ansätze setzen sich demnach auf unterschiedliche Weise mit dem Problem der Spontaneität des Denkens in dem Versuch auseinander, sie zu begründen und bis in ihre sinnlichen Gestaltungen zu verfolgen. Hegel steht nicht etwa deshalb am Ende dieses Weges, weil es nach Hegel kein Sinn mehr hätte zu philosophieren, sondern weil er in gewisser Weise zu Kant zurückkehrt, und zwar zum Problem der Funktion der Anschauung, der Sprache und der Einbildungskraft im Denken, deren Verhältnis ich deshalb im dritten Teil eine eigenständige Untersuchung in Bezug auf die Verkörperungstheorie von Mark Johnson und George Lakoff widmen werde. Diese unterschiedlichen Ansätze bilden die Konturen einer Konstellation von Themen, die ich hier als wiederkehrende Motive bezeichnen möchte. Der Ausgangspunkt vieler der Metakritiken betrifft in erster Linie die Einbildungskraft in dem Versuch, den als ontologisch rezipierten Dualismus einerseits zwischen Sinnlichkeit und Verstand, andererseits zwischen produktiver und reproduktiver Einbildungskraft zu überwinden.8 Dieser Versuch einer Erweiterung der Funktion der Einbildungskraft führt erstens zu einer Neugewichtung der Konstruktionsmethode, zweitens zur Priorisierung der Anthropologie gegenüber der Psychologie und motiviert drittens die Einführung und Einbettung der 7

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Siehe dazu Cassirer, ECW, 4, S. 117: „Man könnte die Ableitung der Sprache aus Affekt und Leidenschaft das Hamannsche Moment, ihre Rückführung auf die Kraft der Reflexion und Besonnenheit das kantische Moment in Herders Sprachtheorie nennen“. Siehe dazu Metz 1991, S. 382–386.

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Sprache in die Erkenntnistheorie, die gleichzeitig durch ihre anthropologische und sprachliche Erweiterung nicht vom Denken und der Vernunft abzulösen ist. Auf diese Weise wird auch die weitergehende Kritik der kantischen Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft sowie zwischen Mathematik und Philosophie verständlich, die etwa Herder äußert: „Auch die Philosophie konstruiert Begriffe, zwar nicht durch Linie oder andre mathematische Zeichen, aber durch Worte“.9 Die Sprache steht nun in einer engen Verbindung mit der Tätigkeit des Denkens und kann nicht als ein bloßes Produkt oder Ausdrucksmittel angesehen werden. Folglich lässt sich die Sprache auch nicht von ihrem Gebrauch trennen. In diesem Rahmen wird die Funktion des Zeichens und des Symbols in der Bildung der Begriffe betont und somit der nachrangige Charakter der Begriffe – sogar der reinen Begriffe wie etwa der Kategorien – in den Vordergrund gerückt, da ihre Gegebenheit nicht schlicht vorausgesetzt werden kann und mit der Sprache im weitesten Sinne in Verbindung steht. Die Tätigkeit der Sprache und im Allgemeinen des Denkens wiederum wird auf eine bestimmte Auffassung der Sinnlichkeit bezogen, die eine eigene Gestaltungsfunktion ausübt, die den ganzen Mensch prägt und eng mit der Erlernung der Sprache verbunden ist. Dieser holistische Ansatz konfrontiert die Transzendentalphilosophie daher mit der historischen Dimension des Denkens, seiner Relativität und der Verschiedenheit der Sprachen in dem Versuch, auf diese Weise das Verhältnis zwischen Anthropologie, Ontologie und Wissenschaft genauer ausbuchstabieren zu können.10 Zusammenfassend wird der Schematismus also mit der produktiven, holistischen und sprachlichen Auffassung der kognitiven Prozesse konfrontiert, durch die Begriffe zur Gestaltung gelangen. Durch diese Konstellation kommen nun dem Schematismus neue Aufgaben und Aktionsradien zu. Und trotzdem wird sich am Ende dieses Teiles zeigen, dass er weiterhin als der transzendentale Prozess der Bedeutungserfahrung gelten kann. Ungeachtet dieser Zielvorgabe soll die Betrachtung der Ansätze weder als eine schlicht historische Progression, noch als ein Argumentationsweg im engeren Sinn gedeutet werden. Der Weg von Kant zu Hegel sollte hinsichtlich des Schematismus als eine Radikalisierung der Gestaltungsfunktion gelesen werden, deren Stationen den Leitfaden zur Untersuchung der zwischen ihnen liegenden Ansätze abgeben können. Zugleich aber ist den jeweils unterschiedlichen Interessen der Autoren an dieser Thematik Rechnung zu tragen. Die kritischen Ausblicke am Ende jedes Kapitels dienen dazu, diese   9 10

Herder, WE, VIII, p. 563. Siehe dazu Quillen 1993, S. 35f.: „Rispetto ai contemporanei l’interprete ha il vantaggio di disporre di un certo distacco, che gli consente di apprendere tutta la storia della filosofia post-kantiana come un’oscillazione tra due versanti della filosofia: antropologico e ontologico“.

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Verschiedenheit der philosophischen Interessen aufzuzeigen. Es geht dabei vor allem darum, die Funktion des Schematismus insbesondere in Bezug auf seine Abgrenzung zu empirischen Bildern, Zeichen und Symbolen zu behandeln. Somit wird zwar sein Aktionsradius deutlich erweitert, aber gleichzeitig die systematische Frage nach seiner Funktion radikalisiert. So artikuliert sich die Schematismus-Problematik nicht allein historisch, sondern verfolgt ein dezidiert theoretisches Interesse. Hier übernimmt die Interpretation der Geschichte die Aufgabe einer Umgestaltung, welche die Problematik selbst erweitert und transformiert. Die unterschiedlichen Ansätze in der Nachfolge Kants sollen entsprechend als ein Argumentationsweg nur im dem Sinne begriffen werden, dass sie durch eine epistemologische Linse gelesen werden, um so die eigentümliche Prozessualität des Denkens ausgehend von der Versinnlichung hervorzuheben. Alle diese Denker behandeln die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit und kritisieren die apriorische Gegebenheit der Anschauungen. Einige, wie Humboldt und Hegel, sprechen an unterschiedlichen Stellen ausdrücklich von einer Verkörperung und einer Verleiblichung, ohne jedoch Bezug auf den Versinnlichungsbegriff zu nehmen, den Kant in der Kritik der Urteilskraft einführt und dessen prozessualer Charakter meines Erachtens durch die Revisionsversuche mit Blick auf die Tätigkeit der Sinnlichkeit, der Sprache und des Denkens erneut ans Licht gebracht werden kann. Doch dieser entscheidende Schritt – der schließlich die systematische Einführung des Versinnlichungsbegriffs erfordert – ist erst im Rückblick auf gesamten Weg möglich, der im Folgenden nachgezeichnet werden soll.

I . D ie symbolische Vollendung der E rkenntnis nach Salomon M aimon

Der Versuch einer Revision der Transzendentalphilosophie wird zuerst durch die Philosophie Salomon Maimons unternommen, der gegen eine steife und unkritische Auslegung des kantischen Systems gekämpft hat. Seine Lektüre der Kritik der reinen Vernunft begann 1786.11 Der entstandene Kommentartext wurde 1789 durch die Vermittlung von Marcus Herz an Kant weitergeleitet, der sich mit der positiven Anmerkung äußerte, dass „nur wenige zu dergleichen tiefen Untersuchungen soviel Scharfsinn besitzen möchten, als Hr. Maymon“.12 In Maimons Versuch über die Transzendentalphilosophie dient die Methode des Kommentars ausgehend von der jüdischen Tradition der Textexegese einerseits einer möglichst treuen Wiedergabe der Argumentation der Kritik der reinen Vernunft, andererseits einer Revision und Ergänzung des kantischen Systems mit dem Ziel, ein neues „Koalitionssystem“ zu schaffen, das sich ergänzend auf die gesamte Philosophiegeschichte bezieht.13 Die vielschichtige Form, in der Maimon seine Überlegungen präsentiert, hat ihm nicht selten die Kritik eingebracht, unklar zu sein.14 Die Verflechtung von Deutungsebenen, 11

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Maimon schreibt in seiner Lebensgeschichte (LG, S. 201f.): „Ich beschloss nun, Kants Kritik der reinen Vernunft, wovon ich oft hatte sprechen hören, die ich aber noch nie gesehen, zu studieren. Die Art, wie ich dieses Werk studierte ist ganz sonderbar. Bei der ersten Durchlesung bekam ich von jeder Abteilung eine dunkle Vorstellung, nachher suchte ich diese durch eigenes Nachdenken deutlich zu machen und also in den Sinn des Verfassers einzudringen, welches das eigentliche ist, was man sich in ein System hineindenken nennt“. Kant, AA XI: 49. So schreibt Maimon in seiner Lebensgeschichte (S. 202): „Daher muß dieses Buch demjenigen zu verstehen schwerfallen, der aus einer Steifigkeit im Denken sich bloß das eine dieser Systeme geläufig gemacht hat, ohne auf alle andern Rücksicht zu nehmen“. Kant schreibt jedoch im März 1794 abwertend an Reinhold (AA XI: 495): „Was aber z. B. ein Maimon mit seiner Nachbesserung der kritischen Philosophie (dergleichen die Iuden gerne versuchen, um sich auf fremde Kosten ein Ansehen von Wichtig-

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sprachlichen Aspekten und terminologischen Übersetzungsversuchen kann jedoch nicht über den Drang zur Ergründung der Wahrheit hinwegtäuschen, der Maimon antreibt, wie er selbst in seiner Lebensgeschichte erklärt.15 Was diese Verflechtung von Interpretationsebenen vor allem nicht verdecken kann, ist Maimons deutliche Kritik des Dualismus zwischen Sinnlichkeit und Verstand, hinter dem er eine Starrheit des Denkens vermutet. Insbesondere Deleuze hat das Problem einer solchen Starrheit als eines der genetischen Methode insgesamt angesehen, die gerade von Maimon und Fichte in den Mittelpunkt ihres Denkens gerückt wird. Kant hätte, laut Deleuze, die Kritik Maimons durchaus ernst genommen und in der Kritik der Urteilskraft das Verhältnis zwischen den Vermögen dynamisiert aufgefasst.16 Allerdings lässt sich diese

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keit zu geben) eigentlich wolle, nie recht habe fassen können und dessen Zurechtweisung ich Anderen überlassen muß“. Kiesewetter schreibt am 15. Dezember 1789 an Kant (AA XI: 115): „Maimon habe ich bei ihm [Marcus Herz] kennen gelernt. Sein äußeres verspricht nicht viel, um so mehr, da er wenig und schlecht spricht. Ich habe seine Transcendentalphilosophie zu lesen angefangen, bin aber noch nicht weit fortgerückt; doch bin ich schon gleich Anfangs nicht seiner Meinung; auch mangelt ihm, wie es mir scheint, sehr oft Präcision“. Engstler (1990, S. 30f.) etwa betont, dass „jeder Interpret, der unter den im Versuch verstreuten Äußerungen einen nachvollziehbaren, argumentativen Zusammenhang herstellen will, daher genötigt ist, den Gang von Maimons Denken gegen den Gang seiner Darstellung zu rekonstruieren“. Zur Methode des Kommentars bei Maimon siehe auch Freudenthal 2003, S. 7. Zum philosophischen Stil von Maimon siehe Cassirer, ECW, 4, S. 78. Maimon, LG, S. 146: „Da ich nun die Wahrheit aufzusuchen, meine Nation, mein Vaterland und meine Familie verlassen habe, so kann man mir nicht zumuten, dass ich geringfügiger Motive halber der Wahrheit etwas vergeben sollte“. Deleuze 2003, S. 89f.: „Die Postkantianer, insbesondere Maimon und Fichte, erhoben gegen Kant einen grundlegenden Einwand: Kant habe die Anforderungen einer genetischen Methode ignoriert. Dieser Einwand hat zwei Bedeutungen, eine objektive und eine subjektive: Kant stützt sich auf Tatsachen und sucht lediglich nach deren Bedingungen; aber er beruft sich auch auf fix und fertige Vermögen und bestimmt deren Verhältnis oder Proportion, wobei er bereits voraussetzt, daß sie irgendeiner Harmonie fähig sind. Wenn man bedenkt, daß der Versuch über die transzendentale Philosophie von Maimon aus dem Jahre 1790 stammt, muß man einräumen, daß Kant dem Einwand seiner Schüler teilweise zuvorkam. Die beiden ersten Kritiker beriefen sich auf Tatsachen, suchten nach den Bedingungen dieser Tatsachen und fanden sie in den bereits ausgebildeten Vermögen. Gerade dadurch verwiesen sie auf eine Genese, die sie selbst nicht zu leisten vermochten. Aber in der Kritik der (ästhetischen) Urteilskraft stellt Kant das Problem einer Genese der Vermögen in ihrer ersten freien Übereinstimmung. […] Die allgemeine Kritik hört auf, eine bloße Konditionierung zu sein und wird zu einer transzendentalen Formation, einer transzendentalen Kultur, einer transzendentalen Genese“. In Differenz und Wiederholung (1992, S. 223) bezieht sich Deleuze auf die Kritik Maimons an der Dualität von Begriff und Anschauung und spricht vom Paradox einer „bloß äußeren Harmonie in der Lehre der Vermögen“.

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I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

Rezeptionslinie nur schwer nachweisen.17 Und wichtiger ist an dieser Stelle auch, die erkenntnistheoretische Bedeutung des Ansatzes von Maimon in Bezug auf die Unterscheidung zwischen einer schematischen und symbolischen Darstellung herauszustellen, die bei Kant in der Abgrenzung der Erkenntnis vom Denken in der Kritik der reinen Vernunft seinen erkenntnistheoretischen Ausgang nimmt und in der Kritik der Urteilskraft ausführlicher in Bezug auf die symbolische Darstellung formuliert wird. Vier Aspekte der Erkenntnistheorie Maimons sollen daher in Betracht gezogen werden, um seine Kritik an Kant hinsichtlich der Unterscheidung von Vermögen in der Bildung von Begriffen und Ideen zu verdeutlichen: Erstens die Beschreibung von Maimons philosophischem Ansatz eines dogmatischen Rationalismus und empirischen Skeptizismus (I.1), zweitens die Funktion der Einbildungskraft (I.2), drittens die Aufstellung des Satzes der Bestimmbarkeit als expliziter Ersatz der Schematismus-Lehre Kants (I.3), und schließlich die Erweiterung der Funktion der Vernunft, der Einbildungskraft und der symbolischen Erkenntnis im Kontext der Bildung der Begriffe (I.4).

1. R at iona ler Dog mat ismus u nd empi r isc her Skept i z ismus Der Versuch über die Transzendentalphilosophie zeichnet sich durch eine besondere Sensibilität für das Problem der Darstellung aus: Maimon begreift die Unterscheidung von Sinnlichkeit und Verstand als das Grundproblem der Erkenntnistheorie Kants. Und er legt ein besonderes Augenmerk auf den Unterschied zwischen quid juris und quid facti als dem Problem der Legitimierung der Anwendung von Begriffen auf Erscheinungen einerseits und dem Problem

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Salomon Maimon schrieb den Versuch über die Transzendentalphilosophie zwischen 1786 und 1789. Eine Kopie des Buchs wird durch Marcus Herz am 7. April 1789 an Kant geschickt, der am 26. Mai 1789 einen Kommentarbrief an Herz zurückschickte, in dem er anmerkte (AA XI, S. 49): „Ich war schon halb entschlossen das Manuskript so fort, mit der erwähnten ganz gegründeten Entschuldigung, zurück zu schicken; allein ein Blick, den ich darauf warf, gab mir bald die Vorzüglichkeit desselben zu erkennen und, daß nicht allein niemand von meinen Gegnern mich und die Hauptfrage so wohl verstanden, sondern nur wenige zu dergleichen tiefen Untersuchungen soviel Scharfsinn besitzen möchten, als Hr. Maymon […]“. Die Lektüre des Versuches durch Kant liegt demnach vor der Veröffentlichung der Kritik der Urteilskraft – für deren Einsendung sich Maimon am 15. Mai 1790 bedankte; zwar gibt es in der dritten Kritik keine Spur einer Berücksichtigung der Kritiken Maimons, obwohl dies – wie noch zu zeigen sein wird – von einem inhaltlichen Gesichtspunkt aus durchaus angemessen gewesen wäre.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

der Gegebenheit der Erscheinungen selbst andererseits.18 Maimon deutet dieses Problem im Lichte des Verhältnisses zwischen Seele und Körper: „Wollen wir die Sache genauer betrachten, so werden wir finden, dass die Frage quid juris? mit der wichtigen Frage die alle Philosophen von jeher beschäftigt hat, nämlich die Erklärung der Gemeinschaft zwischen Seele und Körper, oder auch mit dieser, die Erklärung von Entstehung der Welt (ihrer Materie nach) von einem Intelligenz; einerlei ist“.19 Hinsichtlich des Faktums der Erfahrung ist Maimon der Auffassung, dass Kant es voraussetzt, ohne es transzendental zu begründen und damit einen ontologischen Dualismus einführt. Die Frage lautet daher für Maimon: „Ist die Ausfüllung dieser Lücke möglich, und können wir sie daher unter die Desiderate zählen? Oder ist dieses bloß eine eitle Hoffnung, die nie erfüllt werden kann? Nach Kant muss man das Letzte zugeben, indem nach ihm Sinnlichkeit und Verstand zwei Hauptrequisite zum Denken eines Objekts sind“.20 Nach Maimon sind drei Ansätze zur Beantwortung der Fragen quid juris und quid facti auszumachen: erstens derjenige der Empiristen, die „kein so wenig materielles als formelles Prinzip a priori zugeben wollen“; zweitens der Ansatz der empirischen Dogmatiker und rationalen Skeptiker, die behaupten, „dass die Objekte unsrer Erkenntnis uns a posteriori gegeben, aber die Formen derselben in uns a priori sind“, und drittens der Ansatz der rationalen Dogmatiker und empirischen Skeptiker, die annehmen, „dass sowohl die Formen als die Objekte unsrer Erkenntnis selbst in uns a priori sind, und dass dieses Vermögen nicht bloß darin bestehet, uns gegebene Objekte durch von uns gedachte Formen zu erkennen, sondern durch diese Formen die Objekte selbst hervorzubringen“.21 Der zweite Ansatz entspricht nach Maimon der Erkenntnistheorie Kants, in der das Erkennen nicht durch eine unmittelbare Wahrnehmung, „sondern bloß vermittelst der Wahrnehmung eines Schema’s oder Merkmals an den Objekten“ geschieht.22 Die dritte Position hingegen ist die Umkehrung des kantischen Ansatzes, die Maimon für sich beansprucht: Sie dient einerseits zur Erweiterung der Funktion der Vernunft, andererseits zur Bezweiflung der Gegebenheit der Erfahrung. Die Gegebenheit der Erfahrung wird laut Maimon von Kant nicht erklärt und bleibt deswegen eine unbezweifelbare Annahme, die er selbst im Unter18 19 20 21 22

Für den Unterschied zwischen quid juris und quid facti siehe Kant, KrV, B116, A84. Maimon, VT, 62. Maimon, GW, II, S. 521. Maimon, VT, 433/436. Maimon, VT, 435.

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I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

schied jedoch zu Kant hinterfragt, indem er versucht, den gedeuteten Dualismus der Erkenntnistheorie Kants auf eine Auffassung zu gründen, welche unter Realität diejenige der Gegenstände nicht nur der Erkenntnis, sondern auch des Denkens auffasst. Er versteht diese Verschiebung als eine Erneuerung des Rationalismus in Analogie zu Leibniz und vergleicht seinen rationalistischen Ansatz mit dem von Platon, für den die Ideen „die wahren Objekte des Verstandes“ seien.23 Diese Erweiterung der Realität auf das Denken im Allgemeinen spiegelt sich in der Bestimmung seiner Philosophie als dogmatischer Rationalismus und empirischer Skeptizismus wieder, in der die rationalistische Erweiterung ihr Pendant in der Skepsis gegenüber der Gegebenheit von Erfahrung findet, womit der Rationalismus die Skepsis fundiert. So fasst Maimon seinen Ansatz folgendermaßen zusammen: „Ich behaupte nämlich mit Herrn Kant, dass die Gegenstände der Metaphysik keine Objekte der Anschauung, die in irgend einer Erfahrung gegeben werden können, sind. Ich weiche aber von ihm darin ab, indem er behauptet, dass sie gar keine Objekte sind, die auf irgend eine Art vom Verstande bestimmt gedacht werden können. Ich hingegen halte sie für reelle Objekte, die ob sie schon an sich bloße Ideen sind, dennoch durch die aus ihnen entspringenden Anschauungen bestimmt gedacht werden können; und durch Reduktion der Anschauungen auf ihre Elemente, sind wir im Stande, neue Verhältnisse unter ihnen zu bestimmen, um dadurch die Metaphysik als Wissenschaft zu behandeln“.24 In diesem Rahmen erfolgt eine Reduktion der Anschauungen auf rationale Verhältnisse. Die Bestimmung der Objekte ist auf diese Weise rational und ihre Realität ist primär im Denken anzusiedeln. Somit vertritt Maimon einen empirischen Skeptizismus, der gleichzeitig die Realität der Objekte auf die Bestimmungsfunktion der kantischen Vernunft zurückführt, womit der negative, ‚sinnliche‘ Unterschied zwischen Begriffen und Ideen unterlaufen wird.25 In diesem Zuge wird der Schematismus rationalisiert, und es entsteht für Maimon das systematische Problem, ein gemeinsames Verfahren für alle Begriffe zu beschreiben – seien es Begriffe oder seien es Ideen im kantischen Sinne.26 Das Objektive findet daher bei Maimon seinen Grund im Erkenntnisvermögen 23 24 25 26

Maimon, GW, II, S. 521f. Maimon, VT, 195f. Siehe dazu Gasperoni 2012, S. 111–128. Cassirer (ECW, 4, S. 80) merkt diesbezüglich an: „Die Erkenntnis bedarf, um den Sinn der Entgegensetzung zwischen Subjekt und Objekt zu erfassen, keineswegs der Annahme einer realen Sphäre, die gänzlich außerhalb des Systems des Wissens und des Wißbaren liegt. Vielmehr ergibt sich diese Entgegensetzung aus der Aufgabe und dem Charakter des Wissens selbst“.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

selbst. In diesem werden diejenigen Funktionen des Denkens bestimmt, die den Objekten Realität verleihen. Maimon entwickelt nun eine Theorie der unendlichen Annäherung, in der sich die objektive Notwendigkeit der Denkbestimmungen im Gebrauch der Begriffe auflöst, der ihre Allgemeinheit und Gültigkeit gewährleistet.27 Die subjektive Notwendigkeit der Darstellung hängt entsprechend mit der Auffassung der Vollkommenheit der Begriffe zusammen, die nach Maimon eine unendliche Annäherung impliziert, die dem unvollkommenen Charakter des menschlichen Verstandes inhäriert und sich vom unendlichen Verstand unterscheidet, für den diese Vollkommenheit in actu ist. Dabei strebt der endliche Verstand eine ideelle Vollkommenheit an, und in seiner Endlichkeit befindet er sich immer in einer antinomischen Spannung zur vollkommenen Unendlichkeit. Entsprechend gibt es für Maimon auch keine Idee, die nicht antinomisch ist. Der Begriff der Antinomie erfährt daher eine eigenständige Entwicklung, die auf der Rezeption der jüdischen Tradition und dem Studium von Autoren wie Maimonides, Spinoza, Wolff und eben auch Kant basiert. Dem Studium der Kabbala und der Texte von Maimonides verdankt Maimon die Problematik des Unterschieds von Form und Materie, die er auf den Unterschied von Form und Inhalt bezieht, der im Zusammenhang der Bestimmung von heiligen Namen auftritt. Die heiligen Namen, als an sich willkürliche Zeichen, werden in der Auslegung der Kabbala als natürlich betrachtet, sodass „alles, was mit diesen Zeichen vorgenommen wird, auf die Gegenstände selbst, die sie vorstellen, Einfluss haben muss“.28 Maimon kritisiert jedoch diese ontologische Verbindung von Form und Inhalt. Die Kabbala als Lehre ist für ihn daher nichts anderes als ‚ein erweiterter Spinozismus‘, in dem die Entstehung der Welt als eine Einschränkung des göttlichen Wesens verstanden wird. Während die Kabbalisten jedoch behaupten, dass die Kabbala eine objektive göttliche Wissenschaft sei, tendiert Maimon im Gegenteil dazu, die von Gott repräsentierte Unendlichkeit mit den Kategorien zu verbinden, die „im Subjekt selbst gegründet“29 seien, um so die Verbindung von Unendlichkeit und Endlichkeit in den Bestimmungen des Denkens zu verankern. Und noch wichtiger ist seine Bestimmung Gottes als „letztes Subjekt“, das die vollständige Bestimmung der Unendlichkeit dar27

28 29

In der Tat schreibt Maimon (VT, 175): „Der Ausdruck: objektive Notwendigkeit hat gar kein[e] Bedeutung, indem Notwendigkeit immer einen subjektiven Zwang, etwas als wahr anzunehmen, bedeutet. In Ansehung der Evidenz in Wissenschaften müssen wir auf die Allgemeinheit der Sätze Acht haben, und dieses auch nicht an und für sich, weil ein allgemeiner Satz nicht mehr wahr ist, als ein weniger allgemeiner, es kommt nur auf den richtigen Gebrauch dieser Sätze an, nämlich je allgemeiner ein Satz ist, je weniger läuft man Gefahr sich in dessen Gebrauch zu irren“. Maimon, LG, S. XIV. Vgl. dazu Gasperoni 2016. Maimon, LG, S. XIV.

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stellt.30 In der kritischen Auseinandersetzung mit den Schriften der Kabbala entwickelt Maimon nicht zuletzt die Kernfrage seiner Philosophie, und zwar: wie die Spannung von Endlichem und Unendlichem zu erklären sei, die in der Erkenntnistheorie der Spannung von Darstellung und Vorstellung und in der Sprache derjenigen von Form und Inhalt entspricht. Maimon sieht also von Anfang an eine symbolische Spannung zwischen Unendlichem und Endlichem, die die Sprachlichkeit der Begriffe charakterisiert. Die unendliche Annäherung betrifft sowohl Begriffe als auch Ideen und ist eine transzendentale Bedingung unseres Denkens, die Maimon als eine allgemeine Antinomie des Denkens bestimmt, die von grundlegender Bedeutung für den Gebrauch von Begriffen in der Sprache ist. Diese konstitutive Unvollkommenheit verhindert jedoch nicht etwa den Gebrauch, sondern befördert ihn im Gegenteil. Der antinomische Charakter des Denkens betrifft dabei die Ideen aller Wissenschaften, insofern „sie nicht nur in der Metaphysik, sondern auch in der Physik, ja sogar in der evidentesten aller Wissenschaften, nämlich der Mathematik anzutreffen sind, und […] daher die Antinomien eine weit allgemeinere Auflösung erfordern“.31 Die unendliche Annäherung unterscheidet sich je nachdem, ob es um Verstandes- oder Vernunftideen geht: bei den ersteren handelt es sich um eine materiell gesetzte Vollkommenheit, die die konstitutive Unvollkommenheit der Anschauungen überwindet; bei den letzteren dagegen handelt es sich um eine formal gesetzte Vollkommenheit, die die konstitutive Unvollkommenheit des Denkens überwindet. Die erste Überwindung geschieht durch Wiederholung der Regel,32 während die zweite die antinomische Struktur des Denkens selbst anzeigt, die Maimon systematisch über das mathematische Beispiel der irrationalen Wurzel erklärt.33 In diesem Fall „gerät die Vernunft in eine Antinomie, indem sie eine Regel, wornach man diese mit Gewissheit finden muss, vorschreibt, und zugleich die Unmöglichkeit dieses zu

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33

Maimon, VT, 226. Maimon, VT, 227. Maimon, VT, 79f.: „Sie [die Verstandesideen] brauchen nur zu ihrer materiellen Vollständigkeit eine beständige Wiederholung eben dieser Regeln. Da aber diese Wiederholung ihren Bedingungen nach, unendlich sein muß, so bleiben sie bloße Ideen, sie haben mit dem Grade ihrer materiellen Vollständigkeit einerlei Grad der Richtigkeit in der Anwendung“. Vgl. dazu auch Jacobs 1960, S. 261 und Verra 1976, S. 682: „Es wird dann Aufgabe der Mathematik sein, das Problem ‚quid juris‘ auf eine ganz andere Weise zu begründen, gerade weil die Mathematik tatsächlich eine Art von ‚reellem‘ Denken ist, sogar die einzige Art des Denkens, in der die Kategorien legitim Anwendung finden können. Diese von Maimon vertretenen Thesen bedeuten aber keine bloße Entwicklung oder Vervollständigung des kantischen Kritizismus, sondern vielmehr eine grundsätzliche Veränderung von dessen Hauptlinien“. Vgl. dazu Buzaglo 2002, Kauferstein 2006 und Gasperoni 2015.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

bewerkstelligen, beweiset. Dieses sind Beispiele von Ideen und den daraus entspringenden Antinomien der Mathematik“.34

2. D ie E i nbi ldu ngsk ra f t u nd d ie Vol lendu ng der u nend l ic hen A n nä her u ng Der Prozess der unendlichen Annäherung gilt somit für alle Vermögen: sowohl der Verstand als auch die Vernunft ermöglichen eine Vollendung, die sich der Idee entweder materiell oder formal unendlich annähert. Die Einbildungskraft hingegen ist das Vermögen, das die Funktion hat, die unendliche Reihe zu schließen, um eine Totalität vorzustellen, die „keine Funktion der Vernunft, wie Kant haben will, sondern der transzendenten (die Gränzen der Erkenntniß überschreitenden) Einbildungskraft“ ist, „worin sie also mit der Vernunft im Widerstreit geräth. Das Streben nach Totalität (beständige Näherung zu derselben) ist ein unbezweifeltes Faktum, und betrifft nicht blos das Erkenntnißvermögen, sondern alle Vermögen ohne Unterschied“.35 Maimon verdeutlicht diese antinomische Spannung zwischen Vernunft und Einbildungskraft durch die Funktion einer unendlichen Reihe, die von einer irrationalen Zahl geschlossen wird. Die Zahl ist ein Beispiel für die Vernunftidee, weil sie einerseits eine unendliche Annäherung impliziert, andererseits aber in der Darstellung diese Reihe abschließt und den Gebrauch ermöglicht. Die Vernunftidee, die vom Bedingten ausgehend das Unbedingte denkt, „kann nur alsdann gebraucht werden, wenn diese Reihe endlich ist“. Und diese endliche Vollendung wird der Einbildungskraft zugeschrieben, die mittels einer Übertragung eine konkrete Darstellung hervorbringt, welche für die Vernunft nur imaginär ist.36 Die Vorstellung eines letzten Gliedes einer unendlichen Reihe hat demzufolge in der Einbildungskraft ihren Ursprung.37 Trotzdem sind die Produkte der Einbildungskraft bloße Fiktionen, die in Konflikt mit der Vernunft geraten können: „Die Einbildungskraft treibt ihr Spiel mit ihnen, und stellt ihre Fikzionen als reelle Objekte vor. Die Vernunft aber kehrt sich daran nicht, und erklärt sie für was sie wirklich sind, für bloße Fikzionen“.38 Diesbe34 35

36 37 38

Maimon, VT, 229. Maimon, NL, S. 197f.: „Das Streben nach Totalität in unserer Erkenntniß ist eine besondere Art von dem Streben nach der höchsten Vollkommenheit überhaupt. Die Vorstellung dieser höchsten Vollkommenheit aber ist umgekehrt eine besondere Art von der Vorstellung der Totalität unserer Erkenntniß überhaupt. Das Streben nach Totalität ist eine Vollkommenheit, die Vorstellung dieser Totalität als Objekt aber ein Mangel. Nicht auf diese Vorstellung, sondern auf das Streben muß natürliche Religion und Moral gegründet seyn“. Siehe dazu Maimon, NL, S. 203. Siehe dazu Maimon, NL, S. 205. Maimon, NL, S. 206.

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I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

züglich kann man in der Philosophie Maimons von einem Monismus der Einbildungskraft reden, weil er der Einbildungskraft die grundlegende Funktion der Realisierung des Denkens zuschreibt.39 Das antinomische Verhältnis zwischen Vernunft und Einbildungskraft ändert nach Maimon den regulativen Gebrauch, der für Kant die Ideen charakterisiert, denn: „nicht die bloße Vorstellung der Unendlichkeit einer Reihe, sondern die Vorstellung dieser unendlichen Reihe und ihr letztes Glied als gegeben, macht sie zu einer Idee“.40 Die Ideen werden daher nicht von der Vernunft, sondern durch die Einbildungskraft vollendet, und nur in ihrem fiktionalen Charakter können sie als Methoden verstanden werden, um neue Wahrheiten zu erfinden. So gelten die Ideen als bloße Fiktionen, die jedoch für die Philosophie unerlässlich sind, da sie eine neue Reflexionsebene schaffen, auf welcher neue Wahrheiten erfunden werden können. Eine Fiktion oder Erdichtung ist nach Maimon „in der allgemeinsten Bedeutung eine Operation der Einbildungskraft, wodurch eine nicht objektiv notwendige Einheit im Mannigfaltigen eines Objekts hervorgebracht wird“.41 Somit ist Gegebenheit bei Maimon nicht von einer fiktionalen Gestaltung trennbar, und es ist, wie Atlas richtig betont hat, eigentlich das Schema, das die Idee symbolisiert und damit gerade die Ebene der kantischen Reflexion realisiert.42 Die sinnliche Gegebenheit wird daher rationalisiert. Maimon behauptet, dass „die sinnlichen Objekte verworrene Vorstellungen von diesen Vernunft-Objekten“ sind.43 Und es ist gerade dieser Aspekt, der Kant auf den Plan ruft, der in einem Brief an Herz vom 26. Mai 1789 Maimons Ansatz mit demjenigen der leibniz-wolffschen Schule gleichsetzt.44 Kant 39

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43 44

Dazu Jacobs 1960, S. 267: „Maimon’s contribution to the thought of his time was to extend the tether of the imagination from the gross world of sense to which Kant had confined it, to the distilled world of pure concepts. He freed the imagination from the toils of metaphor and anthropomorphism and established its fundamental allegiance to the world of ideas, its root and anchor. If he dimmed the glare of sense, it was the better to reveal the invisible world to the inner vision“. Maimon, NL, S. 206. Maimon, GW III, S. 61. Vgl. Atlas 1964, S. 101f. Auch Hogrebe (1974, S. 32) betont die Relevanz des Fiktions-Begriffs bei Maimon, welcher die systematische Stellung der Konstitutionsfrage bei Kant annimmt. Maimon, VT, 436. Siehe Kant, AA XI: 49f.: „Wenn ich den Sinn derselben richtig gefaßt habe, so gehen sie darauf hinaus, zu beweisen: daß, wenn der Verstand auf sinnliche Anschauung (nicht blos die empirische, sondern auch die a priori) eine gesetzgebende Beziehung haben sollt, so müsse er selbst der Urheber, es sey dieser sinnlichen Formen, oder auch sogar der Materie derselben, d.i. der Obiecte, seyn, weil sonst das qvid juris nicht Gnugthuend beantwortet werden könne, welches aber nach Leibnizisch-Wolfischen Grundsätzen wohl geschehen könne, wenn man ihnen die Meynung beylegt, daß Sinnlichkeit von dem Verstande gar nicht specifisch unterschieden wären, sondern jene als Welterkenntnis bloß dem Verstande

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begreift also die Gefahr, die eine Reduktion der Sinnlichkeit auf Verstandesbestimmungen mit sich bringen kann, und bekämpft sie mittels der Apologie der Sinnlichkeit.45 Angesichts der behaupteten Selbstständigkeit der Sinnlichkeit erklärt sich auch die geringe Achtung für den dichterischen Charakter des rationalen Prozesses, der bei Maimon die Funktion der Einbildungskraft ausmacht. Es steht dabei für Kant zu viel auf dem Spiel und das – wie ich noch zeigen werde – auch mit gewissem Recht. Die Sinnlichkeit wird von Maimon jedoch nicht im Sinne der leibnizwolffschen Schule gedeutet. Denn Maimon teilt grundsätzlich das Vorhaben Kants, die Sinnlichkeit nicht einfach logisch auf die Deutlichkeit des Verstandes zu reduzieren. Er betont nämlich, dass der Unterschied zwischen Sinnlichkeit und Intellektuellem „offenbar transzendental ist und nicht bloß die Form der Deutlichkeit oder Undeutlichkeit, sondern den Ursprung und den Inhalt derselben betrifft, so daß wir durch die erstere die Beschaffenheit der Dinge an sich selbst nicht bloß undeutlich, sondern gar nicht erkennen, und, so bald wir unsre subjektive Beschaffenheit wegnehmen, das vorgestellte Objekt mit den Eigenschaften, die ihm die sinnliche Anschauung beilegte, überall nirgend anzutreffen ist, noch angetroffen werden kann, indem eben diese subjektive Beschaffenheit die Form desselben als Erscheinung bestimmt“.46 Maimons Rationalisierung der Sinnlichkeit durch den Verstand ist daher nicht logisch, sondern transzendental. Das beginnt mit der Auffassung von Zeit und Raum, welche wie bei Kant „so wohl Begriffe als Anschauungen“ sind, wobei Maimon hinzufügt: „die letztern setzen die ersten voraus“.47 Zeit und Raum können nur als empirische Anschauungen verstanden werden. Als reine Anschauungen sind sie eigentlich Erdichtungen, die von der Einbildungskraft vorgestellt werden: „Das Außereinandersein in Zeit und Raum, hat in der Verschiedenheit der Dinge seinen Grund, d.h. die Einbildungskraft die eine Nachäfferin des Verstandes ist, stellet darum die Dinge a und b außer einander in Zeit und Raum vor; weil der Verstand sie als verschieden denkt“.48 Wegen der Zurückführung der reinen Anschauungen auf den Erdichtungsprozess und der damit verbunde-

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zukomme, nur mit dem Unterschiede des Grades des Bewusstseyns, der in der ersteren Vorstellungsart ein Unendlich-Kleines, in der zweyten eine gegebene (endliche) Größe sey und daß die Synthesis a priori nur darum objective Gültigkeit habe, weil der Göttliche Verstand, von dem der unsrige nur ein Theil, oder, nach seinem Ausdrucke, mit dem unsrigen, obzwar nur auf eingeschränkte Art, einerley sey, d.i. selbst Urheber der Formen und der Möglichkeit der Dinge der Welt (an sich selbst) sey“. Dies wurde in Kap. II.1 des ersten Teils gezeigt. Kant, KrV, B 61f., A 44. Maimon, VT, 18. Maimon, VT, 133f.

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I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

nen Überwindung des vermuteten Dualismus ist Maimon genötigt, den Schematismus aufzugeben, um eine neue Vermittlungsebene zur Erklärung der Gegebenheit und objektiven Realität der Gegenstände zu schaffen.

3. Da s D i f ferent ia le u nd der Sat z der Best i m mba rkeit a ls Ü b er w i ndu ng des Sc hemat ismus Die Schematismuslehre Kants wird von Maimon zuerst durch den Differentialbegriff und später im Versuch einer neuen Logik durch den Satz der Bestimmbarkeit (als abstrakte Verbindung von Subjekt und Prädikat) ersetzt, ohne dabei aber die Funktion der Sinnlichkeit zu integrieren, die ebenfalls rationalisiert wird: „Die Verstandsideen, d. h. das Unendlichkleine jeder sinnlichen Anschauung und ihrer Formen, welches den Stoff zur Erklärung der Entstehungsart der Objekte liefert“.49 Wie Cassirer zu Recht betont hat, wird „der Begriff und Terminus des Differentials zum Ausdruck für das Problem der Erkennbarkeit und logischen Beherrschbarkeit des Besonderen“50 und „der Verstand verlangt Begriffe, in denen diese Verschiedenheit [der Dinge] gegründet ist“.51 Wenn die objektive Realität der Empfindungen geleugnet wird, dann ist es das Differentiale, das die bis zum unendlich Kleinen sich annähernde Verbindung zwischen Erscheinung und Bewusstsein gewährleistet: „Diese Differentiale der Objekte sind die sogenannte Noumena; die daraus entspringende Objekte selbst aber sind die Phänomena“.52 Das Problem des Bezugs der Erkenntnis auf reelle Objekte wird im Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens von 1794 durch den Satz der Bestimmbarkeit weiter ausbuchstabiert, der für Maimon seine Antwort auf die Schematismus-Problematik darstellt.53 49 50

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Maimon, VT, 82. Cassirer, ECW, 4, S. 93. Siehe auch Moiso 1972, S. 9, und Kauferstein 2006, Kapitel XII. Luis Eduardo Hoyos (2008, S. 277) erklärt, inwieweit Maimon sich vom Differential-Begriff von Leibniz distanziert: „Maimon borgt sich das PhilosophieModell von Leibniz nur formell, d.h. ohne sich für die ontologisch-transzendenten Folgen zu interessieren, die aus der Monadologie folgen“. Für einen Verglich zwischen Leibniz und Maimon siehe auch Yakira 2003, S. 54–79. Cassirer, ECW, 4, S. 95. Maimon, VT, 32. Ernst Bloch (1985, S. 154) entwickelt eine metaphorische Deutung des Differentialen bei Maimon: „Mit einem Blick: Ein Mann geht in den Wald und findet ein kleines Schiffchen aus Borke, mit Ornamenten und einem kleinen Mast, der daraufgeklebt ist, und er nimmt es mit nach Hause. Es ist ihm dieses Schiffchen gegeben, er hat es wirklich nicht gemacht. Er hat es aber gemacht, als er sechs Jahre alt war, und an dieser Fundstelle liegen lassen“. Maimon, NL, S. 171: „Auf diese Frage: mit welchem Recht wir diese Erkenntniß, die sich auf reelle Objekte überhaupt bezieht, von bestimmten Objekten gebrauchen können? antwortet Kant durch den Schematismus unter Bestimmungen der

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Der Satz der Bestimmbarkeit wird in drei untergeordnete Grundsätze gegliedert: erstens den Grundsatz des Subjektes, nach dem „das Subjekt in einem Urteile […] an sich (außer seiner Verbindung mit dem Prädikate) darstellbar sein“ [muss], zweitens den Grundsatz des Prädikats, nach dem „das Prädikat […] nicht an sich, sondern bloß in der Verbindung mit dem Subjekte darstellbar sein“ muss, und einen dritten Grundsatz, nach dem „von allen Paaren einander entgegen gesetzter möglicher Prädikate […] einem gegebenen Subjekte nur eines aus einem einzigen bestimmbaren Paar unmittelbar zukommen“ kann.54 Das Schema wird bei Maimon so zur Vermittlungsmethode zwischen dem reellen, gedachten Objekt und dem Objekt der Anschauung, und selbst die Notwendigkeit der Kategorien „beruht auf dem Grundsatze der Bestimmbarkeit“.55 Das Objekt der Anschauung ist im kantischen Sinn das Schema des gedachten Objekts, lediglich die Vermittlung ist eine rationale, unendliche Annäherung; somit ist zum Beispiel das Schema zur Idee eines unendlichen Verstandes nach Maimon unser Verstand.56 Wir nehmen „(zum wenigsten als Idee) einen unendlichen Verstand an, bei dem die Formen zugleich selbst die Objekte des Denkens sind; oder der aus sich alle mögliche Arten, von Beziehungen und Verhältnissen der Dinge (der Ideen) hervorbringt. Unser Verstand ist eben derselbe, nur auf eine eingeschränkte Art“.57 Hier verortet Maimon ent-

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nothwendigen Form der Anschauung. Ich nehme gleichfalls diesen Schematismus an, entwickle aber denselben aus dem Grundsatze der Bestimmbarkeit“. Maimon (NL, S. 391) spezifiziert die Aufgabe des Grundsatzes wie folgt: „[…] man soll ein synthetisches Prinzip (Grundsatz), das sich, so wie das analytische, auf ein Objekt überhaupt bezieht, ausfindig machen, woraus sich alle synthetischen sich auf bestimmte Objekte beziehenden Urtheile herleiten lassen“. Maimon, GW, VII, S. 203. Siehe Ehrlich 1986, S. 84, Beiser 1987, S. 311 und Schechter 2002, S. 40. Maimon, NL, S. 134. Vgl. Maimon, VT, 365/367. Maimon, VT, 65. In Bezug auf die Funktion eines unendlichen Verstandes bei Maimon siehe Atlas 1964, S. 62–108, und Ehrensperger 2006, S. 114–121. Hoyos (2008, S. 275) thematisiert die zwei unterschiedlichen Auslegungen des unendlichen Verstandes bei Maimon. So kann dieser Begriff als ein epistemologisches oder als ein ontologisches Ideal angesehen werden: im ersten Fall handelt es sich um eine ‚schwache‘, im zweiten Fall um eine ‚starke‘ Auslegung, die den unendlichen Verstand als ontologische Bedingung der Realität behandelt. Die Grenze zwischen den zwei Auslegungen ist meines Erachtens bei Maimon oft verschwommen; mein Augenmerk liegt jedoch hier auf der ersten, epistemologische Auslegung, die den unendlichen Verstand mit Blick auf das Problem einer ideellen Darstellung betrachtet. Siehe dazu Atlas 1964, S. 73: „If it were possible to dissolve synthetic propositions into analytic ones, the question quid juris would be satisfactorily solved. For in that case propositions concerning experience would be identical with logical, formal propositions, and the former like the latter would contain an identity of form and matter. In fact, the concept of an intellectus infinitus implies for

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sprechend die Unterscheidung zwischen synthetischen und analytischen Urteilen, die als eine Unterscheidung im Grad an Vollkommenheit der Erkenntnis verstanden werden kann.58 Da das Verstandesvermögen beschränkt ist, kann sie nicht zur analytischen Vollkommenheit gelangen, die allein dem unendlichen Verstand eigen ist.59 Die Sinnlichkeit selbst ist das Resultat dieser Unvollständigkeit: „Herr Kant behauptet, dass Sinnlichkeit und Verstand zwei ganz verschiedene Vermögen sind, ich behaupte hingegen, dass, ob sie schon in uns als zwei verschiedene Vermögen vorgestellt werden müssen, sie doch von einem unendlichen denkenden Wesen als eine und eben dieselbe Kraft gedacht werden müssen, und dass die Sinnlichkeit bei uns der unvollständige Verstand ist“.60 Für eine eigenständige Funktion der Sinnlichkeit hat Maimon folglich wenig übrig. Die ideelle Vollständigkeit des Denkens affiziert das endliche Denken und gewährleistet den Bezug zur objektiven Realität, die von einer tief verwurzelten Einheit abhängt. Trotz dieser Aufhebung des Endlichen in einer analytisch vollendeten Unendlichkeit,61 die als solche die Erkenntnis erweitern und eine beispielhafte Entsprechung in der Mathematik finden kann,62 hat Maimon auch den endlichen Prozessen der Einbildungskraft und des symbolischen Erkennens eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt, was im Folgenden noch zu vertiefen ist.

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Maimon the idea of an a priori anticipation of the logical possibility of reality, i.e., a reality dissolvable into analytical propositions“. Vgl. Maimon, VT, 61/63. Siehe dazu auch den Aufsatz von Maimon Über die Wahrheit, erschienen 1790 im Berlinischen Journal für Aufklärung. Hier befasst sich Maimon mit dem Ansatz von Tieftrunk und bestätigt die Auffassung der synthetischen Erkenntnis, die dieser „in Ansehung unsers eingeschränkten Verstandes annimmt; und darin werde ich leicht mit ihm [Kant] einig werden“ (GW, II, S. 489). Maimon, VT, 181: „Die Allgemeinheit muß freilich einen objektiven Grund haben, d.h. der Satz muß bei einem unendlichen Verstande analytisch sein, den wir aber nicht einsehen können“. Vgl. Maimon, VT, 182/184. Maimon, NL, S. 25. Dies lässt sich daran ablesen, dass Maimon den kantischen Unterschied zwischen Mathematik und Philosophie nicht leugnet (VT, 1/2): „Die Mathematik bestimmt ihre Gegenstände völlig a priori, durch Konstruktion; folglich bringt darin das Denkungsvermögen sowohl die Form, als die Materie seines Denkens aus sich selbst heraus. So ist es aber nicht mit der Philosophie beschaffen: in derselben bringt der Verstand bloß die Form seines Denkens aus sich selbst heraus; die Objekte aber, worauf diese angewandt werden soll, müssen ihm von irgend anders woher gegeben werden“.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

4. D ie sy mb ol isc he Erken nt n is Aufgabe der produktiven Einbildungskraft ist die Schaffung von Idealen.63 Maimon tendiert dazu, die Einbildungskraft als ein transversales Vermögen zu betrachten, das systematisch den Dualismus zwischen der produktiven und der reproduktiven Einbildungskraft unterläuft. Dabei leugnet er nicht den Unterschied zwischen diesen beiden Formen der Einbildungskraft, sondern erweitert die Funktion der produktiven Einbildungskraft bis hin zur Bestimmung derjenigen transzendentalen Ausdrücke, welche die Philosophie charakterisieren. Das bedeutet, dass die produktive Einbildungskraft die Vollendung solcher Begriffe ermöglicht, die als ideale Ausdrücke mit transzendentaler Bedeutung gelten können. Diese Problematik entwickelt Maimon in der Schrift Über die philosophischen und rhetorischen Figuren von 1793,64 sowie in seinem Versuch einer neuen Logik oder Theorie des Denkens von 1794. Hier werden diejenigen Begriffe hinterfragt, die den Wortschatz der Philosophie konstituieren und die Maimon in seinem Philosophischen Wörterbuch aufführt. Die philosophischen Figuren sind „Vorstellungsarten, die in Ansehung des Objekts worauf sie sich beziehen, nicht ursprünglich, sondern durch eine Operation der Einbildungskraft, von andern übertragen sind“, aber „durch eine Täuschung“ als direkte Beziehung auf jene Objekte angesehen werden.65 Trotz des täuschenden Charakters der Fiktionen führt Maimon damit eine gewisse sprachliche Dimension in das produktive Vermögen der Einbildungskraft ein. In dieser Hinsicht ist seine Auslegung der Tropen wichtig, d.h. der Ausdrücke, „die von ihrer ursprünglichen auf andre Bedeutungen abgeleitet worden sind“.66 Die Fiktionen der Philosophie bringen eine Übertragung hervor und stellen einen willkürlichen Bezug zwischen Wort und Begriff her. Diese Bedeutung der symbolischen Erkenntnis begründet etwa die Hochachtung, die Maimon später bei Hans Vaihinger genießt, für den „Maimon insbesondere das ganze Ergebnis der kantischen Philosophie ganz richtig dahin zusammen[fasst], dass nur symbolische Erkenntnis möglich sei“.67 Der Versuch über die Transzendentalphilosophie endet mit einer Abhandlung Über die symbolische Erkenntnis – und dieser Schluss erscheint noch bedeutender, wenn wir bedenken, dass Maimon, wie erwähnt, den Versuch als einen Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft konzipiert. Maimon unter63 64 65 66 67

Vgl. Maimon, GW, IV, S. 268. Diese Schrift ist in den Streifereien im Gebiete der Philosophie (GW, IV, S. 245–272) enthalten. Maimon, GW, IV, S. 260. Maimon, GW, IV, S. 270. Vaihinger 1911, S. 43.

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I. Die symbolische Vollendung der Erkenntnis nach Maimon

sucht die Bedeutung der Tropen hier in Bezug auf die transzendentalen Ausdrücke: „In jeder Sprache finden sich transzendentale Ausdrücke, oder solche, die materiellen und immateriellen Dingen gemein sind“.68 Die symbolische Erkenntnis ist für Maimon deshalb von so großer Bedeutung, weil wir durch ihre Hilfe „sowohl zu den abstrakten, als zu den aus diesen verschiedentlich komponierten Begriffen [gelangen], und […] im Stande [sind], aus schon bekannten Wahrheiten neue zu erfinden, d.h. überhaupt unsere Vernunft zu gebrauchen“.69 Der symbolische Bezug präsentiert sich zwar als vollkommen, ist jedoch nur eine Täuschung, die gleichwohl in der Philosophie von großem Nutzen ist, vor allem in der Beschreibung und Entwicklung von Theorien – Leibniz’ Monaden, der Begriff vom leeren Raum, die Vorstellungen von Raum und Zeit als Objekten der Anschauungen an sich sind für Maimon Fiktionen solcher Art. Er zeigt damit, dass transzendentale Begriffe keine ursprünglichen Ausdrücke sind, sondern gewissermaßen eine symbolische Geschichte enthalten: „Die Erfindung der Sprache verrät außerordentlich viel Witz und Scharfsinn zugleich; denn die transzendentalen Ausdrücke bedeuten transzendentale Begriffe“.70 Maimon verbindet außerdem durch die symbolische Erkenntnis das Problem der symbolischen Darstellung mit dem des willkürlichen Charakters der Zeichen, die Verhältnisse unter Gedanken darstellen, ohne das philosophische Denken in eine ars characteristica aufzulösen.71 Diese Verbindung von symbolischer Erkenntnis und Bezeichnungsvermögen – die für Kant getrennt bleiben sollten – ist die Folge der rationalistischen Auffassung der Realität: „Wir sehen uns also hier gezwungen, etwas als ein reelles Objekt zu denken, ohne dass wir es anschauend erkennen, wir können es also nicht anders, als durch Zeichen vorstellen, und es ist daher (wenn es ein Gegenstand der Erkenntnis überhaupt sein soll) ein Gegenstand symbolischer Erkenntnis“.72 Diese Vorstellung lässt sich nicht konstruieren, weil sie reine Formen betrifft, die keine 68 69 70

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Maimon, VT, 306. Maimon, VT, 265. Diese Auffassung der symbolischen Erkenntnis geht auf Lambert zurück (siehe §12 des Neues Organon). Maimon, VT, 309. Siehe dazu Atlas 1957, S. 260: „These terms were originally and genuinely formed to signify material objects; only at later time were they transferred from their original domain of sensuous objects to the realm of abstract ideas. The employment of these terms for the designation of intellectual and abstract concepts is not original with man but it is an ideational superstructure produced by the later development of the human mind“. Vgl. Maimon, VT, 284/285: „Die philosophische Symbolik ist hierin von der mathematischen unterschieden, daß nämlich in dieser, die Zeichen der irresolubilen Begriffe, so wie die, ihrer verschiedenen Beziehungen auf einander, von allen, die sich derselben bedienen, auf einerlei Art verstanden werden; in jener hingegen nur die letztern, nicht aber die erstern, dieses Glück haben, woraus Mißverständnisse und ewige Wortstreitigkeiten notwendig entspringen müssen“. Maimon, VT, 272 (Hervorhebungen L.G.).

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Objekte der Anschauung selbst sind.73 Zu diesen Formen zählt Maimon auch die Kategorien74, die eine willkürliche Assoziation zwischen Wörtern und Begriffen darstellen. Die symbolische Erkenntnis betrifft daher nur eine bestimmte Art von Zeichen, nämlich die willkürlichen, d.h. Zeichen, die kein Ähnlichkeitsverhältnis mit Objekten haben.75 Während die natürlichen Zeichen „alle Worte sind, wodurch Anschauungen oder Begriffe, die in Anschauungen dargestellt werden können, ausgedrückt werden“,76 sind die willkürlichen Zeichen im Gegenteil Wörter, „die nicht durch Assoziation des Wortes mit dem Gegenstande, sondern mit dem, bei Veranlassung des Gegenstandes gedachten, Begriff erlernet werden“.77 Diese Wörter beziehen sich nicht auf Gegenstände der Anschauungen und müssen erlernt werden, jedoch nicht wie natürliche Zeichen durch eine Wiederholung der willkürlichen Verknüpfung des Worts mit der dadurch bezeichneten Sache, sondern in Bezug auf das Zeichen selbst. Alle Zeichen sind daher willkürlich, auch wenn einige als natürlich gebraucht werden. Dieser Unterschied wird von Maimon in Bezug auf den Unterschied zwischen bildenden Künsten und der Sprache erläutert: erstere „enthalten entweder zu viel oder zu wenig, in Bezug auf das dadurch bezeichnete Ding“.78 Sie greifen nicht das Allgemeine im Begriff. Die willkürlichen Zeichen der Sprache scheinen im Gegenteil bestimmte Definitionen zu enthalten, die zum Beispiel die Übersetzbarkeit der Begriffe von der Muttersprache in eine Fremdsprache ermöglichen. Der Unterschied zwischen einer bestimmend-anschauenden und einer symbolischen Darstellung lässt sich nun bei Maimon nicht von der Bezeichnung und von der Sprache trennen.79 Das Zeichen ist in keinem Fall ein bloßer Begleiter, sondern es stellt ein Mittel dar, „das[,] was an sich kein Objekt der Anschauung ist, doch als ein solches vorzustellen“.80 Und wenn Maimon schreibt, dass „die symbolische Erkenntnis sogar einen Vorzug vor der anschauenden hat, indem jene sich weiter erstreckt als diese“, spricht er als Kritiker Kants in dem

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Siehe Maimon, VT, 276/278. Siehe Maimon, VT, 276/278. Siehe dazu Maimon, VT, 312/314. Maimon, VT, 276/278. Maimon, VT, 277. Maimon, VT, 293. Maimon, VT, 294: „Von dieser Art ist die Sprache, welche eine Sammlung von, aus einer geringen Anzahl möglicher Töne, durch ihre mannigfaltigen Kombinationen entspringenden, Worten ist. Ich will hier nicht die Sprachen ihrem Ursprung nach, sondern bloß wie sie bei uns jetzt sind, betrachten“. Vgl. auch Maimon, VT, 278: „Die Worte, die zur symbolischen Erkenntnis gehören, werden nicht durch Assoziation des Wortes mit dem Gegenstande, sondern mit dem, bei Verlassung des Gegenstandes gedachten, Begriff erlernet“. Maimon, VT, 278.

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Versuch, die Wirksamkeit der symbolischen Erkenntnis für die reelle Gestaltung des Denkens anzudeuten.81 Die Annahme des Erlernens philosophischer Begriffe, die in einer unvollendeten Sprache gefasst sind, vermeidet die Gleichsetzung zwischen philosophischer und mathematischer Symbolik, weil „nämlich in dieser, die Zeichen der irresolubilen Begriffe, so wie die, ihrer verschiedenen Beziehungen auf einander, von allen, die sich derselben bedienen, auf einerlei Art verstanden werden; in jener hingegen nur die letztern, nicht aber die erstern, dieses Glück haben, woraus Mißverständnisse und ewige Wortstreitigkeiten notwendig entspringen müssen“.82 Somit greift Maimon den kantischen Unterschied zwischen Mathematik und Philosophie auf, obwohl er – wie bereits gezeigt wurde – den Unterschied zwischen intuitiver und diskursiver Erkenntnis verwischt, indem er die Bildung mathematischer Begriffe in das Verfahren des Verstandes und der Vernunft einschließt.83 Die symbolische Gestaltung ist nach Maimon ein Kriterium, das dazu dient, Sprachen zu vergleichen und herauszufinden, inwieweit einige von ihnen vollkommener als andere seien. Diese Problematik wird in der Folge insbesondere von Humboldt und Hegel näher behandelt und stellt insgesamt ein wiederkehrendes Motiv der Sprachphilosophie zu Beginn des 19. Jahrhunderts dar. Maimon führt dazu den Begriff der Vollkommenheit der Sprache ein und bezieht die Sprache auf eine angenommene ideale Sprache, in der – wie in seiner Darstellungstheorie insgesamt – „Zeichen (Wörter) mit den dadurch bezeichneten Dingen (Begriffen) aufs genauste übereinstimmen“.84 Die wirklichen Sprachen stehen daher in einem Verhältnis der unendlichen Annäherung an die idealische und vollkommene Sprache, die Maimon primär als eine Sprache der Philosophie versteht und die ihn entsprechend veranlasst, ein philosophisches Wörterbuch zu verfassen.85 Trotz der Betonung des konstruktiven Charakters des Denkens folgt Maimon also Kant auf dem Weg einer diskursiven Bestimmung der Sprache, welche die Begriffe nicht auf rationale Rechnungen zurückführen will.

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Vgl. dazu Rolf 2006, S. 52. Maimon, VT, 284/285. Vgl. Maimon, VT, 285f. Maimon, VT, 298. Vgl. auch VT, 301: „Man wird die Entstehungsart der Begriffe und ihre Verhältnisse zu einander aus der Entstehungsart der Zeichen und ihrer Verhältnisse zu einander mit Gewißheit angeben können, und dadurch die Einsicht der Wahrheit sehr erleichtern“. Siehe dazu Maimon, VT, 327/329.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

5. D ie R at iona l isier u ng der Si n n l ic h keit Ein Vorzug von Maimons Gedankengang – den ich hier nur skizziert habe – lässt sich meines Erachtens in der Erweiterung der Rolle der Einbildungskraft im Verhältnis von Denken und Sprache erkennen. Damit zeigt er auf, inwiefern die Transzendentalphilosophie hinsichtlich der Bildung der Begriffe einen neuen Bezug zur symbolischen Erkenntnis eröffnen kann, deren Gebrauch jedoch zugleich eine skeptische Distanz erfordert, weil er nur als subjektiv notwendig gelten kann. Dies unterläuft den kantischen Unterschied zwischen einer produktiven und einer reproduktiven Einbildungskraft, indem letztere bis zur Assoziation erweitert wird, deren Gesetz sogar „die Entstehungsart der transzendentalen Begriffe erklären lässt“.86 Das wiederum führt Maimon dazu, den Status der philosophischen und wissenschaftlichen Sprache zu hinterfragen. Auf diese Weise werden Semantik und Semiotik von Maimon durch die Erklärung der Entstehung und des Gebrauchs philosophischer Begriffe transzendental verbunden – das Beispiel des fiktionalen Charakters von Raum und Zeit zeigt dies eindrücklich. Obwohl der Fiktionsbegriff bei Maimon immer auch die Konnotation der Täuschung beibehält, führt er mit ihm eine wichtige Funktion hinsichtlich der Gestaltungsfunktion des Schematismus ein, die für Kant von der symbolischen Erkenntnis und der Bezeichnung getrennt gehalten wird. Die Fiktionalität der Einbildungskraft kann mit der Bedeutung der Gestalt als endlicher Auswahl von (potentiell unendlichen) Merkmalen in Verbindung gebracht werden, und zwar als eine Gestalt, die einen provisorischen Dogmatismus mit sich bringt, weil sie den Gebrauch ermöglicht, ohne ihn definitiv festzulegen. Außerdem impliziert diese Fiktionalität auch einen Skeptizismus, der die provisorische Schließung der Merkmale wieder öffnen und transformieren kann. Doch ein empirischer Skeptizismus wie derjenige Maimons lässt sich meines Erachtens nicht einfachhin über die Rationalisierung der Sinnlichkeit begründen. Dass der mit ihm verbundene provisorische Dogmatismus die Realität gestaltet und dadurch Begriffen Realität gibt, impliziert meines Erachtens keine schlichte Rückkehr zum graduellen Übergang von der Sinnlichkeit zur Begrifflichkeit, aber er allein kann nicht die Grundlage des empirischen Skeptizismus sein, der einer Begründung bedarf, um die Sinnlichkeit als eigentüm­ liche Funktion der Erkenntnis auszuweisen. Die Gestaltungsfunktion der Einbildungskraft als provisorische Schließung einer Reihe von Merkmalen kann als ein Versinnlichungsverfahren angesehen werden, das in der transzendentalen Beschreibung der Sinne und in der Sprache seinen systematischen Ort hat. Ein Skeptizismus im Bewusstsein des provisorischen Charakters des Dogmatis86

Maimon, GW, IV, S. 458f.

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mus ändert nämlich die Auffassung sowohl des Rationalismus als auch des Empirismus und eröffnet den Raum für eine Versinnlichungstheorie, in der Fiktion in Gestalt übergeht, sich im Gebrauch konkretisiert und nicht länger als täuschend erscheint. Der kritische Punkt der Philosophie Maimons besteht daher einerseits in der radikalen Rationalisierung der Sinnlichkeit, andererseits in der Bestimmung der positiven und fruchtbaren Leistung der Idee, die er – wie Cassirer betont – „dennoch wiederum zur bloßen Fiktion herabsetzt“.87 Die Idee wird von Maimon als die Bedeutungserfahrung schlechthin betrachtet, womit sie das sinnlich bedingte Feld des Verstandes umfasst. Die Idee ist die funktionale Bestimmung der Erfahrung und unterläuft den kantischen Unterschied zwischen Begriffen und Ideen, zwischen Verstand und Vernunft. Und ihre Funktion kann sich nicht ohne die Einbildungskraft verwirklichen, welche die für die Idee konstitutive unendliche Annäherung fiktiv abschließt und brauchbar macht. Maimon führt daher zwar Kontingenz in die Sprache ein, in die Besonderes und Allgemeines zusammen einfließen, er verkennt jedoch ihre Konsistenz im Gebrauch, die nur fiktional bleibt. Was er damit sieht, ist der willkürliche Charakter der symbolischen Erkenntnis in der Bezeichnung des Allgemeinen; was er hingegen nicht erklärt, ist, was diese willkürliche Bezeichnung an sich motiviert und inwiefern sie nicht auch von dritten Instanzen gewährleistet sein könnte. In diesem Sinn kann man bei Maimon von einem Monismus der Einbildungskraft reden, dessen Realitätsbezug jedoch nicht wie bei Kant von der Sinnlichkeit, sondern vom Verstand, der Vernunft und in letzter Instanz vom unendlichen Verstand bedingt ist. Die Konsequenz ist eine gewisse Abwertung der Sinnlichkeit, die riskiert, im Fall der bestimmenden Funktion der Einbildungskraft in den graduellen Übergang von einer verworrenen Sinnlichkeit zur deutlichen Begrifflichkeit zurückzufallen. Cassirer spricht an dieser Stelle von einem Missverständnis Maimons hinsichtlich der kantischen Sinnlichkeitstheorie, deren Funktion eigentlich eine sinnliche Bedingung des Erkenntnisvermögens und keine direkte Einwirkung auf es sei: „Denn die Kritik der reinen Vernunft versteht unter der Erfahrung, unter der Erkenntnis a posteriori nicht eine durch die Dinge an sich bewirkte Erkenntnis, sondern eine Erkenntnis, die nicht durch die bloßen Gesetze des Erkenntnisvermögens bestimmt wird“.88 Dadurch präsentiert sich bei Maimon erneut die Kluft zwischen Besonderem und Allgemeinem, die nach Cassirer den Verknüpfungspunkt zwischen der Philosophie Maimons und der Kritik der Urteilskraft darstellt, insofern „in beiden ein und derselbe eigenartige metaphysische Hilfsbegriff auftritt. Die Kluft 87 88

Cassirer, ECW, 4, S. 100. Cassirer, ECW, 4, S. 87.

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z­ wischen dem Allgemeinen und dem Besonderen der Erkenntnis erscheint vom Standpunkt des ‚endlichen‘ empirischen Verstandesgebrauchs freilich als unüber­ ­brückbar: Aber sie schließt sich, sobald wir den Gedanken eines unendlichen und göttlichen Verstandes wenigstens problematisch zulassen und einführen“.89 In dieser Hinsicht besteht das Risiko, die Objektivität der Bedeutungserfahrung auf andere Entitäten zu übertragen, wie etwa auf den Vorgang der Konstruktion, auf den analytischen Charakter der Mathematik oder auf die ideale Vollkommenheit eines unendlichen Verstandes. Es ist das Risiko eines – wenn auch subjektiven – graduellen und angleichenden Übergangs von einer unvollkommenen Vorstellung zu einer vollkommenen (jedoch idealen) Darstellung. Obwohl Maimon die Philosophie als eine „Sprachlehre“ definiert,90 bezieht er die wirkliche Sprache immer auf eine ideale Sprache, in der „Zeichen, (Wörter) mit den dadurch bezeichneten Dingen (Begriffen) aufs genauste übereinstimmen“.91 Die höchste Vollkommenheit sei zwar nie zu erreichen, „wir können uns aber doch, wenn wir nur wollen, derselben bis ins Unendliche immer mehr nähern“.92 Der Ansatz Maimons ist schließlich behandelt worden, um zu zeigen, dass die Zentralität der sprachlichen und fiktionalen Bedeutung der Begrifflichkeit das Risiko mit sich bringt, die Funktion der sinnlichen Gestaltung in der Sprache zu übersehen. Außerdem kann sie die Rückkehr zu einer rationalistischen Erkenntnistheorie implizieren – muss es jedoch nicht unbedingt –, die nur mit großen Schwierigkeiten transzendental begründet werden könnte, ohne die begrifflich-diskursive Relativität zu unterlaufen. Die Zeichen würden auf diese Weise zu wirklichen Repräsentationen einer idealen Darstellung, in der sich die Funktion der Zeichen selbst auflöste. In Bezug auf den im ersten Teil untersuchten Schematismus könnte man schließlich mit Maimon die semantische und semiotische Dimension der symbolischen Darstellung in den Schematismus einbetten, ohne dadurch die Sinnlichkeit abzuwerten, weil gerade die Sinnlichkeit das konkrete Gewand der symbolischen Übertragung darstellen kann. Dieser Aspekt, der schon in Bezug auf den Versinnlichungsprozess bei Kant untersucht wurde, wird im nächsten Kapitel in Hinsicht auf die Kritiken Hamanns und Herders erneut in Betracht gezogen werden.

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Cassirer, ECW, 4, S. 90. Für eine vertiefende Diskussion des Revisionsansatzes von Maimon siehe Bondeli 2006, S. 319–340. Maimon, VT, 296. Maimon, VT, 298. Maimon, VT, 329.

I I . H amanns K ritik am ‚ P urismus der V ernunft ‘

Der genetisch-symbolische Charakter des Denkens kann mit Hamanns Kritik am Purismus der kantischen Vernunft in Verbindung gebracht werden, wie er sie in seiner Metakritik von 1784 vorträgt. Hamann erklärt diesen Purismus mittels der drei Reinigungen der kritischen Philosophie. Nach dem formalen Versuch Maimons kann die Metakritik Hamanns – so die These – als die materielle Variante der Erweiterung der kantischen Vernunft angesehen werden. Im folgenden, kürzeren Kapitel werde ich die Einführung der Materialität der Sprache in die kantische Vernunft behandeln (II.1) und schließlich ihre problematische theologische Begründung herausstellen (II.2).

1. D ie k a nt isc hen Rei n ig u ngen der Ph i losoph ie Es sind drei Reinigungen der Philosophie, die Hamann widerlegen möchte: die erste ist die Reinigung der Philosophie von aller Überlieferung, Tradition und allem Glauben; die zweite betrifft die transzendentale Bestimmung des Denkens unabhängig „von der Erfahrung und ihrer alltäglichen Induction“.93 Die dritte Reinigung betrifft die Sprache, die Hamann als „das einzige und letzte Organon und Kriterion der Vernunft“ bezeichnet und mit der Überlieferung und Usum in Verbindung bringt.94 Somit führt er eine revidierte Fassung der Zweideutigkeit der Vernunft selbst ein, die er mit dem Satz „Rezeptivität der Sprache und Spontaneität der Begriffe!“ zusammenfasst.95 Die Sprache mit ihren Wörtern wird so zur gemeinsamen Wurzel der Zweistämmigkeit der Vernunft, die als Denken auf ihr beruht und durch sie zur Gestaltung gelangt.96 93 94 95 96

Hamann, MK, 1967, S. 222. Ebd. Ebd. Hamann rezipiert das Problem der Zweistämmigkeit der Erkenntnis zuerst in der Rezension der Kritik der reinen Vernunft von 1781. Siehe Hamann 1967, S. 216.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Die Sprache enthält die gelungene endliche Entsprechung zwischen Ausdruck und Begriff, ohne dabei die unendliche Fülle des Ausdrucks aufzulösen, die sich historisch und sinnlich entfaltet. Sie hat folglich gleichzeitig eine raumzeitliche Geschichte, in der das Denken sich durch die Sprache der Musik – die Hamann als die „älteste“ bezeichnet –, der Malerei und der Zeichnung konstituiert. Bei Hamann handelt es sich daher um viele Arten von Zeichen und dadurch „erweitert sich“ – wie Josef Simon betont – „der Zeichenbegriff über die Sprachzeichen im engeren Sinn hinaus“.97 Die Verbindung zwischen Anschauungen, Sinnen und Sprachzeichen wird von Hamann jedoch nicht nur in einem historisch-genetischen Horizont entfaltet, sondern erhält zugleich eine transzendentale Stellung: „Laute und Buchstaben sind also reine Formen a priori, in denen nichts, was zur Empfindung oder zum Begriff eines Gegenstandes gehört, angetroffen wird, und die wahren, ästhetischen Elemente aller menschlichen Erkenntnis und Vernunft“.98 Die Wörter werden somit zu den eigentlichen Vermittlungsbestimmungen, weil sie einerseits als „sichtliche und lautbare Gegenstände“ zur Sinnlichkeit, andererseits „nach dem Geist ihrer Einsetzung und Bedeutung“ zur Begrifflichkeit gehören.99 Die Wörter haben demnach für Hamann sowohl ein ästhetisches als auch ein logisches Vermögen.100 Sie treten so an die transzendentale Stelle der kantischen Schematisierung: „Folglich sind Wörter sowohl reine und empirische Anschauungen, als auch reine und empirische Begriffe: Empirisch, weil Empfindung des Gesichts oder Gehörs durch sie bewirkt; rein, in so fern ihre Bedeutung durch nichts, was zu jenen Empfindungen gehört, bestimmt wird“.101 Somit übernimmt die Sprache die Rolle einer Bedeutungsgebung der Mannigfaltigkeit und impliziert gleichzeitig auch diejenige indirekte Versinnlichung, die Kant in der Kritik der Urteilskraft als symbolisch bezeichnet, was jedoch Hamann noch nicht wissen konnte.102 Der empirische Charakter der Begriffe wird nicht direkt mit der Erfahrung gleichgesetzt, jedoch mit der Sinnlichkeit in Verbindung gebracht. Gesicht und Gehör werden auf diese Weise zu transzendentalen sinnlichen Bedingungen der Entfaltung der Bedeutung zwischen Bildern und Wörtern. Zu Recht bezeichnet Achermann daher den Ansatz Hamanns als semiotischen Naturalismus, um ihn so vom sensualistischen

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Zum Problem des Verhältnisses zwischen Erscheinungen und Begriffen in Bezug auf die Schematismuslehre siehe Simon 1979, S. 143. Simon 2005, S. 25. Hamann, MK, S. 224. Hamann, MK, S. 226. Siehe dazu Achermann (2005, S. 53), der die Zeichentheorie Hamanns, in der eine „drastische Aufwertung von Lautfolge und Zeichenbild“ erfolgt, mit den Ansätzen von Peirce und Husserl vergleicht. Vgl. Hamann, MK, S. 226. Hamann, MK, S. 226. Vgl. Simon 2005, S. 27.

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II. Hamanns Kritik am ‚Purismus der Vernunft‘

Immaterialismus oder Spiritualismus Berkeleys zu unterscheiden. Die Position Hamanns beruht ihm zufolge „auf einer intimen Verknüpfung von Zeichenmittel und Kraftübertragung“.103 Achermann betont, dass bei Hamann „die fundamentale Körperlichkeit des Worts sinnliche Erfahrung erst ermöglicht“.104 Eine grundlegende Funktion der Sinnlichkeit in Verbindung mit der raum-zeitlichen Dimension anzunehmen bedeutet jedoch nicht, den Unterschied zwischen Zeichen, Empfindungen und Begriffen zu eliminieren. Nichts in den Zeichen gehört zur Empfindung oder dem Begriff des Gegenstandes – wie die schon erwähnte Beobachtung Hamanns deutlich zeigt: „Laute und Buchstaben sind also reine Formen a priori, in denen nichts, was zur Empfindung oder zum Begriff eines Gegenstandes gehört, angetroffen wird“.105 Wegen des qualitativen Unterschieds zwischen Gedanken und Zeichen, Begriffen und Wörtern stellt sich das Problem, wie ein Übergangsprozess zwischen ihnen möglich ist. Die synthetische Kraft dieses Prozesses kann nicht auf die Sinnlichkeit reduziert werden, weil er eine Spontaneität impliziert, die zur Einheit der mannigfaltigen Ausdrücke führt.106 In den letzten Abschnitten seiner Metakritik kommt Hamann auf das Problem der Konstruktion und Erfindung von Wörtern auf der Seite des Verstandes zurück und bezieht sich erneut auf das Problem der Verbindung zwischen Form und Materie in der nominalen Bestimmung, die den Kernpunkt seines Briefwechsels mit Kant um 1774 ausmachte: „Ist es möglich aus dem Begriffe der Vernunft die Materie ihres Namens, d.i. die 7 Buchstaben oder 2 Silben im deutschen oder irgend einer andern Sprache zu finden?“.107 Während der kritische Ansatz eine negative Antwort darauf bedeuten würde, lässt sich mit Blick auf die Sprache eine bejahende Antwort begründen, da sie diejenige Übertragung ermöglicht, die von Kant in der Religionsschrift als μετάβασις εἰς ἄλλο γένος bezeichnet wird.108 103 104

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Achermann 2005, S. 46. Achermann 2005, S. 49. Jürgen Villers (1997, S. 233–246) fasst die sprachlichen Kernthesen Hamanns wie folgt zusammen: „1. Sprache ist autonomer Gegenstand der Philosophie […] 2. Sprache konstituiert Vernunft 3. Sprache und damit auch Vernunft sind geschichtlich bedingt […] 4. Sprache und Vernunft sind gesellschaftlich bedingt […] 5. Eine reine Vernunft ist […] eine Fiktion […] 6. Sprache vermittelt Rezeptivität und Spontaneität […] 7. In der Philosophie sollte an die Stelle der Vernunftkritik Sprachkritik treten […]“. Hamann, MK, S. 224. Vgl. Achermann 2005, S. 50. Hamann, MK, S. 226. Diese Übertragung kann zwar für Kant nur von regulativer Bedeutung sein, für Hamann (MK, 1967, S. 227) jedoch lässt sie selbst die Trennung zwischen Judentum und Heidentum als einen Idealismus erscheinen. John R. Betz nimmt auch auf Hamanns Abhandlung Golgotha und Scheblimini Bezug und betont (2009, S. 257): „Thus, any ultimate opposition or dialectic between paganism (qua the quest for the

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

2. D ie ‚Sa k ra l it ät ‘ der Sprac he Diese Wandlung, die für Kant in der Sprache nur ein endliches Mittel finden kann, gründet dagegen für Hamann in der Veranschaulichung der Sprache selbst, die von höchster Spiritualität ist: „was die Transzendental-Philosophie metagrabolisirt [im Sinne von ‚eine Leere ausloten‘],109 habe ich um der schwachen Leser willen, auf das Sacrament der Sprache, den Buchstaben ihrer Elemente, den Geist ihrer Einsetzung gedeutet“.110 Ähnlich dem Sakrament ist das Wort bei Hamann nicht nur die Vermittlung selbst, sondern auch Mitteilung, Einprägung und Einverleibung,111 und die spirituelle Wandlung, die das Wort daher mit sich bringt, lässt sich bei ihm nicht anders als theologisch begründen. Wie Josef Simon betont, versteht Hamann grundsätzlich den kritischen Gesichtspunkt einer menschlichen Endlichkeit, die auch die Beziehung zwischen Sprache und Vernunft bestimmt; trotzdem ist für ihn diese Endlichkeit weder als ein Erkenntnisanspruch noch als eine pragmatische Resultante, sondern theologisch ‚als Geschöpf‘ zu verstehen, das der Mensch selbst ist.112 Auch

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eternal truths of reason) and Judaism (qua historical revelation) collapses. And when, under metacritical leverage, it finally does, when it finally gives way, as Hamann fully intends, the result is a metabasis eis alles genos, i.e., a categorical leap into Christianity, to which paganism (qua reason) and Judaism (qua the law) respectively point, and in which both are fulfilled“. Siehe dazu Bayer 2002, S. 414. Hamann, MK, S. 227 [Hervorhebung L.G.]. Siehe auch Bayer, 2002, S. 422: „Im Schlusssatz seiner Metakritik stellt Hamann dar, wie er Kants Kritik der reinen Vernunft gelesen hat. Was Kant lang und breit über die reine Vernunft zu sagen hat, wendet Hamann im Kern auf die Sprache, die, sakramental verstanden, als das wahre Element der Vernunft sichtbar gemacht wird. Hamann überlässt es der Aktivität seines Lesers, mit Hilfe des lutherischen Sakramentsverständnisses den diesem korrespondierenden Gesichtspunkt der Idiomenkommunikation und damit die Ehekunst gegen die von Kant geübte Scheidekunst fruchtbar zu machen“. Siehe Hamann, MK, S. 226. Josef Simon bemerkt dazu (2005, S. 31): „Hamanns Denkansatz ist im Grunde nicht philosophisch, sondern theologisch bestimmt. Wenn er ‚den Menschen‘ nicht wie Kant unter dem Gesichtspunkt der Kritik definitiver Erkenntnisansprüche nur noch in ‚pragmatischer Hinsicht‘ bestimmt, sondern theologisch als Geschöpf und damit als ein ‚endliches‘ Wesen ansieht, versteht er Kant dennoch ‚besser‘ als z.B. Jacobi […]“. Die Problematik der theologischen Begründung der Philosophie Hamanns wird auch von Oswald Bayer thematisiert (2002, S. 396): „Hamanns auf sprachliche Vermittlung von Sinnlichkeit und Verstand abhebende Kritik der ‚reinen‘ Vernunft ist in seinem Gottes personale Anrede und elementare Weltimmanenz verbindenden Schöpfungsverständnis begründet. Ohne die sprachliche Wahrnehmung der darin zur Geltung kommenden konkreten Kreatürlichkeit muss die metaphysische Frage nach Gott trotz ihrer auf letzte Gewissheit gehenden Absicht in reine Willkür ausarten. Dies gilt zugleich für die von Gott mit der Sprache eingesetzte Vernunft, die nur von dieser Einsetzung her in Wahrheit verstanden werden kann“. Vgl. dazu auch Weishoff 1998, S. 138f. und Gaier 2006, S. 115–117.

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II. Hamanns Kritik am ‚Purismus der Vernunft‘

wenn Kant, der sich als „armer Erdensohn“ versteht, der „zu der Göttersprache der anschauenden Vernunft gar nicht organisiert“ ist,113 ihn an die apologetische und symbolische Bedeutung seines Denkens erinnert, ist Hamann und seiner Metakritik das Verdienst anzurechnen, die gestalterische und einprägende Bedeutung der Wörter herausgestellt zu haben und den weiten erkenntnistheoretischen Sinn von Zeichen im Gebrauch zu erörtern, der sich im Reden realisiert. Reden ist nach Hamann immer ein Übersetzen: ein Übersetzen „aus einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heißt, Gedanken in Worte, – Sachen in Namen, – Bilder in Zeichen; die poetisch oder kyriologisch, historisch, oder symbolisch oder hieroglyphisch – und philosophisch und charakteristisch sein können“.114 Die Begriffe sind jedoch nicht vorgegeben, sondern realisieren sich erst im Gebrauch; und trotzdem bleibt das Problem der Gewährleistung des Verstehens von einem ideellen Wesen abhängig, wie wiederum Josef Simon bemerkt hat: „Das Entscheidende ist, dass das Andersverstehen für Hamann also nicht nur eine Schwäche des menschlichen sprachlichen Verhaltens ist. Ihm steht kein demgegenüber ‚idealer‘ Sprachbegriff eines göttlichen Logos mehr gegenüber, in dem identisches Verstehen garantiert und der das nachzuahmende Vorbild wäre“.115 Trotz des willkürlichen Bezugs der Zeichen auf die Begriffe dienen sie nicht nur dazu, Begriffe hervorzurufen, sondern haben die Funktion einer ständigen Versinnlichung der Bedeutung, die nach Hamann die schöpferische Kraft der Sprache enthüllt, die jedoch letztlich nicht von ihrer Funktion als Vermittlerin des göttlichen Geistes zu trennen ist.116 Während bei Maimon eine bestimmte Sakralisierung der Vernunft auffällt, durch welche die Sinnlichkeit in eine rationalisierte Einbildungskraft eingebettet wird, erfolgt bei Hamann also eine Sakralisierung der schon immer versinnlichten Endlichkeit, die sich nicht von ihrem Status, die Endlichkeit eines Geschöpfes zu sein, trennen lässt. Wenn bei Hamann demnach eine Transzendierung und – wie Michael Forster beobachtet – eine Übersimplifizierung des ganzen kantischen Systems erfolgt,117 so stellt er dennoch eine grundlegende Frage an das System selbst, und zwar die Frage nach der historischen und anthropologischen Bildung der Begriffe und der impliziten

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Kant AA X: 156. Hamann, SW, II, S. 199. Simon 1983, S. 15. Mit Vorsicht vergleicht Josef Simon (1983, S. 16–18) die Bedeutung des Übersetzens bei Hamann mit der These Quines zur Unbestimmtheit der Übersetzung. Auf diesen Aspekt hat insbesondere Peter Meinhold (1979, S. 63) hingewiesen. Vgl. Forster 2010, S. 292.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Funktion, die diese Bildung im Gebrauch hat.118 Genau diese Spannung zwischen dem gegebenen und gemachten Charakter der Begriffe wird deshalb im nächsten Kapitel in Bezug auf die Auslegung des kantischen Schematismus durch Herder zu untersuchen sein.

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Siehe für die Betrachtung dieses Aspekts bei Hamann Majetschak 1989, S. 470.

I I I . H erders ‚ M etaschematismus t ö nender G edankenbilder‘

Während der Schematismus bei Maimon und Hamann nicht in allen seinen Bestandteilen untersucht und kritisiert wird, erfolgt bei Herder das Gegenteil.119 Seine Metakritik der reinen Vernunft bewegt sich – ähnlich dem Versuch von Maimon – in die Richtung einer Akzentuierung des performativen Charakters des Denkens, der jedoch in der Sprache und im weitesten Sinn in der Sinnlichkeit seinen Ursprung hat, worin Herder wiederum Hamann näher steht als Maimon.120 Bei Herder ist meines Erachtens der Versuch zu beobachten, die Gestaltung des Denkens durch die Sinnlichkeit zu erklären, sodass reine Spontaneität nicht ohne Sinnlichkeit zu denken ist.121 Ich werde die Kritik Herders an der kantischen Schematismuslehre daher als einen ersten Schritt auf dem Weg in Richtung einer eigentlichen Versinnlichungstheorie interpretieren, die jedoch bei Herder noch rein subjektiv bleibt. Schon in der Abhandlung über den Ursprung der Sprache von 1772 sieht Herder die Aufgabe des Philosophen darin, „einen Faden der Empfindung liegen[zu]lassen, indem er den andern verfolgt“ und fügt hinzu: „In der Natur

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Michael Forster (2010, Kap. 8) vertritt zwei Thesen: die erste ist, dass eine zeitliche Priorität der sprachlichen Theorie Herders Hamann gegenüber beweisbar sei; die zweite ist, dass die sprachliche Theorie Herders höherwertig sei. Er behauptet (S. 314): „In sum, the common picture of Hamann as a deep well of seminal ideas in the philosophy of language, who inspired Herder to reproduce and publicize them, and thereby founded a whole intellectual tradition, is basically a myth. Herder was the real innovator here, and his ideas are also greatly superior to Hamann’s in substance“ (Hervorhebung L.G.). Von den zwei Thesen, die er vertritt, ist hier vor allem der zweite in Betracht zu ziehen, da er von der Überzeugung geprägt ist, dass die enge Verbindung zwischen Denken und Sprache bei Herder ausführlicher und systematischer als bei Hamann ausbuchstabiert ist. Für einen systematischen Vergleich zwischen Hamann und Herder siehe Forster 2010, S. 132–134. Siehe dazu insbesondere Borsche 2006, S. 140.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

aber sind alle die Fäden ein Gewebe!“122 Die Philosophie isoliert die einzelnen Funktionen der Sinne, die jedoch in der Wahrnehmung in einer für den Menschen konstitutiven Synästhesie zusammenfließen. Der Mensch ist in den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit „noch ein Zögling des Ohrs, durch welches er die Sprache des Lichts allmählich erst verstehen lernet“.123 Das Denken ist bei Herder grundsätzlich an eine Besinnung gebunden, deren performative Kraft in der sinnlichen Wahrnehmung anzusiedeln ist, wie Cassirer betont: „Erst die Besinnung ist es, die flüchtige sinnliche Regung zu einem in sich Bestimmten und Unterschiedenen und damit erst zu einem eigentlichen geistigen Inhalt macht“.124 Die Sprach- und Erkenntnistheorie Herders verfolgt daher die Strategie, die gestalterischen Prozesse hervorzuheben, die zur Darstellung des Gegenstandes führen, ohne sie jedoch zu rationalisieren; vielmehr werden sie in der Sinnlichkeit fundiert. Daher wird diejenige Metastasis näher untersucht, die wir nach Herder „nicht begreifen“, aber durch welche „uns der Gegenstand ein Gedanke“ ist.125 Die Konstitution von Denkbildern ist bei Herder als eine radikale Versinnlichung zu interpretieren, da die Begriffe nicht von ihrer sinnlichen Gestaltung isoliert werden können. Er bezieht sich jedoch nicht erkenntnistheoretisch auf den Versinnlichungsbegriff. Das kantische Schema ist entsprechend für Herder eine „dritte Fiktion zwischen zwei verschwundenen Fiktionen“.126 Im Dualismus zwischen Sinnlichkeit und Verstand, im Übergang von Bildern zu Begriffen erweist sich das Schema als ein Technizismus, ein fiktionales Konstrukt, welches den Prozess der Gedankenbildung nicht wiedergibt. Erst durch eine Metastasis, die wir nach Herder nicht begreifen, wird der Gegenstand zum Gedanken. Somit ist das Problem der Konstitution von Denkbildern nicht beigelegt, sondern erscheint lediglich in einem anderen Licht. Bei Herder stellt die Einbettung der Sinnlichkeit in den Gestaltungsprozess einen Physiologismus dar; trotzdem wird der Gestaltungsprozess selbst in der Beschreibung der Funktion der Sinne nicht auf die physiologische Empfindung reduziert. Ähnlich wie Kant zielt Herder nicht darauf, eine direkte Entsprechung von Begriffen und Sinnesdaten zu entwickeln. Mehr jedoch als Kant wird von Herder die Dimension der Empfindung im Denken problematisiert.

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Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, in FHA, 1, S. 745 Für die Entstehung des Schema-Begriffs bei Herder siehe den Aufsatz von Gaier (2010, S. 22), der sich auf die Verwendung der Begriffe ‚Schema‘ und ‚Metaschematisieren‘ bei Paulus bezieht. Für diese Deutung in Bezug auf Hamann siehe auch den Aufsatz von Hans Adler (2010, S. 139f.). Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, in FHA, 6, S. 141. Cassirer, ECW, 11, S. 95. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 418. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414.

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Das Denken steht damit gewissermaßen vor der Aufgabe, die Sinnlichkeit als Ganze nicht zu transzendieren.127 Das betrifft im Allgemeinen auch die Wahrnehmung der Gegenstände durch die Sinne, die uns Typen und Gestalten liefern. Damit wird jedoch das Problem des Unterschieds zwischen Empfindung und Erfahrung nicht aufgelöst: Das wahrgenommene Bild kann nicht mit dem durch die Sinnesorgane empfundenen Bild gleichgesetzt werden, und das empfundene Bild entspricht nicht dem Bild auf der Netzhaut des Auges. Die Sprache ist entsprechend die Artikulation, die Typen zur Entfaltung bringt, die nur notgedrungen auch als Abbilder dienen. Somit verbindet Herder die raum-zeitliche Dimension mit den Sinnen des Sehens und des Gehörs und erkennt, dass das Gehör dabei eine grundlegendere Rolle in der Artikulation der Sprache ausübt.128 So ergibt sich eine neue und dynamischere Form des Schematismus, der als „ein neuer Metaschematismus tönender Gedankenbilder“129 definiert wird, und in dem ein Übergang vom Bildhaften bis zum abstrakten Begriff nur im Horizont einer Versinnlichung überhaupt möglich ist. Die sinnliche Dimension wird damit zum integralen Bestandteil des Schematismus, da dieser gerade in den Sinnen seine Dynamik entfaltet. Die Dimension des Denkens lässt sich bei Herder nur als eine historische, genealogische, holistische, anthropologische Dimension erklären, die sprachgebunden ist.130 Die Philosophie kann daher die Frage der Genese der Begriffe nicht unterlaufen, wie auch Ralf Simon bemerkt: „Es ist letztlich der Beginn des genealogisches Denkens, der sich bei Herder abzeichnet. […] Genese ist geltungsrelevant, so Herder“.131 Im Gegensatz dazu riskiert der Schematismus bei Kant wegen des Mangels einer systematischen Behandlung der Sprache als statische Fiktion interpretiert zu werden. Herder entwickelt stattdessen in der Metakritik der reinen Vernunft eine antireduktionistische und vor allem sprachliche Form des schematischen Überganges.

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Diesbezüglich betont Hans Adler (2010, 142): „Was Kant als konstruktive Funktion der Einbildungskraft bei der Begriffsbildung herausarbeitet – d.h. gerade nicht auf Abstraktion von Gegebenem abhebt – wendet Herder in eine Kritik unfundierter Abstraktion, deren Kern in der Kritik an der Distanz von den menschlichen Sinnen oder der Abwesenheit der menschlichen Sinne in diesem Prozess besteht“. An dieser Stelle nimmt Herder – wie Brigitte Hilmer (2010, S. 199) betont – eine Umgestaltung der kantischen Anschauung durch die Sprache an, welche jedoch so lange nicht als eine Auflösung interpretiert werden kann, wie die Anschauungen weiterhin ihre eigene Funktion in der Sprache ausüben sollen. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420. Angelica Nuzzo (2010, S. 200) sieht den Vorzug der Philosophie Herders darin, der Spannung zwischen Logik und Geschichte die zentrale Stellung im philosophischen Diskurs und der Logik eine genetische Bedeutung verliehen zu haben (S. 204): „Herder’s account of logic is primarily developmental or genetic“. Simon, 2010, S. 118.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Im Folgenden soll es primär darum gehen, die angedeutete Transformation der kantischen Schematismuslehre durch Herder in der Metakritik und der Kalligone nachzuzeichnen; deswegen wird auf die früheren Schriften nur Bezug genommen, um bestimmte Aspekte von Herders Sinnlichkeits- und Sprach­ t­ heorie aufzunehmen, die zweifellos eine andere Prägnanz besitzen als die anthropologischen Reflexionen Kants, welche von ihm nicht in den Kontext der Transzendentalphilosophie eingebettet werden können. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, die Untersuchung von Herders Standpunkt mit denjenigen Schriften anzufangen, die in direkter Auseinandersetzung mit den Schriften Kants stehen, um so den Fokus auf den Schematismus zu legen. Die These des Übergangs vom Tastsinn zum Gesichts- und Gehörsinn in der Entwicklung der Sprache wurde von Herder schon im Vierten Kritischen Wäldchen von 1769, in Schriften wie Abhandlung über den Ursprung der Sprache von 1772, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele von 1774 sowie in Plastik von 1778 entworfen. Diese Schriften sollen im Folgenden untersucht werden, wobei hin und wieder zugleich vertiefend auf den späteren Versuch Herders einzugehen ist, eine Umgestaltung des kantischen Schematismus vorzunehmen. Es gilt also mit Herder zu verstehen, ob eine Versinnlichungslehre zur Erweiterung der gesamten semantischen Artikulation des Denkens führen oder lediglich eine Erweiterung des semiotischen (willkürlichen) Ausdrucks mit sich bringen würde. Anders gefragt: Lässt die Einbettung der Gestaltungsfunktion der Sinne in die Transzendentalphilosophie eine neue Dimension der Bedeutung erscheinen, oder erklärt sie nur besser und vielseitiger, wie Bedeutung zum Ausdruck kommt? Im ersten Fall wäre die Metaschematisierung als solche als Versinnlichung und Versprachlichung zu verstehen. Durch die Einführung des Metaschematismus könnte der Schematismus tatsächlich zu dem originär semantischen und semiotischen Verfahren werden, das er zumindest potentiell bereits bei Kant schon ist. Es wird daher versucht, den statischen Charakter einer rein vorgegebenen Begrifflichkeit zu überwinden, die ohne sinnliche Gestaltung nur eine haltlose Dichtung darstellt, welche nach Herder nicht von dem Sinn und der Konstruktion des Sinnes getrennt werden kann. Im zweiten Fall wäre eine solche Erweiterung zwar suggestiv, jedoch würde die Transzendentalphilosophie nicht konstitutiv davon profitieren, da ihr synthetisches Vermögen unverändert bliebe. Der Ansatz Herders scheint daher als Prüfstein geeignet zu sein, um die Bedeutung einer solchen Einbettung zu untersuchen und um zu verstehen, ob sie eine Erweiterung der Transzendentalphilosophie oder einen Ausweg aus dieser darstellt.132 132

Das vorliegende Kapitel kann zugleich als Auseinandersetzung mit den Beiträgen des von Ulrich Gaier und Ralf Simon herausgegebenen Sammelbands Zwischen Bild und Begriff: Kant und Herder zum Schema (2010) gelesen werden, in dem die

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Hier ist jedoch zunächst Schritt für Schritt vorzugehen. Die folgende Untersuchung der Philosophie Herders geht von der Erörterung seiner Kritik des kantischen Schematismus aus (III.1) und vertieft insbesondere drei Aspekte, die in den abschließenden Kapiteln behandelt werden – und zwar den aposteriorischen Charakter der Begrifflichkeit (III.2), die Funktion der Sinnlichkeit (III.3) und die Bestimmung der symbolischen Darstellung (III.4).

1. D ie Me t a k r it i k a m k a nt isc hen Sc hemat ismus In der Metakritik von 1799 kehrt Herder die Schematismuslehre Kants um, indem er den Grund der Gestaltung des Denkens und der Verbindung zwischen Sprache und Denken ausgehend von der Sinnlichkeit erörtert, deren Behandlung ausdrücklich auch die Sinne miteinbezieht. Somit erfolgt eine sprach- und erkenntnistheoretische Verknüpfung der Transzendentalphilosophie im engeren Sinn mit den historischen und anthropologischen Dimensionen des Denkens, die Adler mit dem Ausdruck der „mesokosmische[n] Dimension der Philosophie“ belegt hat, nach welcher „das Ganze der menschlichen Erkenntnis auf der Ganzheit des erkennenden Menschen basiert“.133 Dieser holistische Ausgangspunkt macht die Transzendentalphilosophie zur Beschreibung eines Prozesses, in dem Bedeutung und ihre Artikulation zusammenfallen. Dieser gesamte Prozess lässt sich nicht vom sprachlichen Ausdruck im weitesten Sinne isolieren.134 Transzendentalphilosophisch gesehen werden durch diese holistische Perspektive die Grenzen des reinen Verstandes gesprengt, dessen Spontaneität nun die Aufgabe zukommt, alle Dimensionen des Denkens zu umfassen. Der in diesen Grenzen eingezwängte Schematismus bleibt dabei dunkel. Herder behauptet: „Der menschliche Verstand hat eine viel höhere Kraft als dunkel zu schematisieren. Er kann seine erfassten Merkmale durch Worte ausdrücken, er kann sprechen, dass man Dinge sehe und ihn vernehme“.135 Die Spontaneität muss daher immer in Verbindung mit der Sinnlichkeit stehen.136

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sogenannte Vermittlungsfrage des Schematismus mit dem metaschematischen Ansatz von Herder von verschiedenen Seiten beleuchtet wird. Adler 1990, S. 44. Siehe dazu auch Gaier 2010, S. 32. Katherine Arens deutet den holistischen Ansatz Herders als eine Erweiterung seiner Psychologie (1990, S. 189): „His psychology is not a study of mind, but rather soul – Herder extends the idealist definition of mind towards the modern notion of psyche, including more than conscious potentials which can be revealed in dreams or visions“. Insbesondere Charles Taylor (1995, S. 95) hat den Ausdruck „holism of meaning“ ver­ ­wendet, um dieses Zusammenfallen in der Sprache zu beschreiben: „The holism of meaning is one of the most important ideas to emerge from Herder‘s new perspective“. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 425. Auf die Verbindung von Spontaneität und Rezeptivität hat insbesondere Ulrich Gaier hingewiesen (1988, S. 205).

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Herder hält den Schematismus für ein überflüssiges Geschäft des Verstandes und sieht seine Aufgabe in der Versprachlichung selbst, auch wenn er – wie Bertram betont hat – eine nicht-reduktionistische Auffassung der Sprache vertritt: Er „begreift die Sprache als ein irreduzibles Moment menschlicher Praxis, ohne sie als differentia specifica dieser Praxis zu verstehen“.137 In der Sprache verbinden sich also Ausdruck und Wahrnehmung, in deren Zusammenhang Form und Materie unzertrennlich sind.138 Und Herder bezieht sich explizit auf die Begriffe von Materie und Form, die „in der Metaphysik so viel leere Begriffe, schneidende Behauptungen und aus ihnen entspringende, Wortkriege verursacht, dass wir uns, wenn von irgendeiner Sache etwas Bestimmtes gesagt werden soll, vor ihnen zu hüten haben“.139 Er beschreibt die Materie als Bauzeug und die Form als die Konstruktion des Baues. Die Trennung zwischen ihnen verhindert ihm zufolge die Erklärung der Gestaltung und führt lediglich zur Schaffung von Idolen, wie es Raum und Zeit in der Sinnlichkeitstheorie sind, die, als isoliert betrachtet, die Funktion der Sinnlichkeit nicht ausschöpfen. Die Metakritik ist daher im Kern eine Kritik der isolierenden Methode Kants, durch welche die beschriebenen Begriffe zu starren und leeren Dichtungen und das Geflecht des kritischen Denkens zu einer separierenden Analyse seiner Bestandteile werden, die als lebens- und gebrauchsfremd erscheinen. Die Metakritik könnte insofern als eine Lehre der Einwirkung aller Kräfte der Seele aufeinander gelesen werden,140 in der zunächst keine reine Sinnlichkeit gegeben ist, sondern die Anschauungen immer schon in Verbindung mit den einzelnen Sinnen stehen. Raum und Zeit sind daher nicht vom Hören und Sehen zu trennen. Somit verbindet Herder die transzendentale, empirische und anthropologische Ebene der kantischen Erörterung der Sinnlichkeit zu einer „Physiologie der menschlichen Erkenntniskräfte“,141 womit auch die Kategorientafel revidiert wird,142 die als Bestimmungstafel oder als Versinnlichungstafel bezeich137 138

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Bertram 2006, S. 227f. Diesbezüglich ist es wichtig, an den Unterschied zwischen broad expressivism und narrow expressivism zu erinnern, den Michael Forster (2010, S. 103–106) in Bezug auf Hamann und Herder einführt, nach welchem für Herder „non-linguistic art involves thought and meaning, and hence language“. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 347. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 319f.: „Alle diese Kräfte sind nicht nur im Gebrauch, sondern auch in ihrer Entwicklung, vielleicht auch in ihrem Ursprunge einander so nah, so mitwirkend und verwickelt ineinander, dass wir nicht wähnen dürfen, wir haben ein anderes Subjekt genannt, wenn wir eine andere Verrichtung desselben nannten. Mit Namen zimmern wir keine Fächer in unserer Seele; wir teilen sie nicht ein, sondern bezeichnen ihre Wirkungen, die Anwendung ihrer Kräfte. Die empfindende und sich Bilder erschaffende, die denkende und sich Grundsätze erschaffende Seele sind ein lebendiges Vermögen in verschiedener Wirkung“. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 343. Diese Tafel findet sich in Metakritik, in FHA, 8, S. 369.

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

net werden könnte. Angesichts dieser Kritik von Sinnlichkeit und Begrifflichkeit kann kaum erstaunen, dass auch die Revision des Schematismus in den Fokus der Metakritik rückt, für welche die Subsumption nicht nur den Gebrauch bestehender, sondern die Erwerbung neuer Erkenntnisse darstellt. Der Versuch Herders muss daher nicht allein als eine Umkehrung des kantischen Schematismus, sondern zugleich als eine Radikalisierung der synthetischen Erweiterung der Erkenntnis durch die Sinnlichkeit gelesen werden. Die Handlung des Verstandes ist in dieser Hinsicht keine ursprüngliche, spontane Handlung, sondern ein Verstehen, das immer schon produktiv sinnlich ist. So erklärt Herder entsprechend die doppelte Bestimmung der Begrifflichkeit, die bei Kant einerseits als gemacht, andererseits als gegeben auftritt. Auf der ersten Ebene handelt es sich um die Begrifflichkeit in ihrer Genesis als dem Prozess selbst, der zur Bildung der Begriffe führt.143 Hier erfolgt nach Herder die eigentliche Präformation auf der Seite der Sinnlichkeit. Die Spontaneität wird mit einer Handlung des Verstehens zusammengesetzt, die sich in der Sprache (im weitesten Sinne) realisiert. Auf der zweiten Ebene jedoch haben die Begriffe den Charakter eines Gegebenen, da sie in der Sprache formiert und im Gebrauch immer wieder aktualisiert werden. Auch auf dieser Ebene erfolgt also eine Formierung, die jedoch nicht ursprünglicher als die der Sinnlichkeit ist, sondern als eine solche nur erscheint, weil die Begriffe als vorgegeben empfunden werden. Anhand der Verbindung dieser zwei Ebenen lässt sich die revidierte Auffassung der Kategorien bei Herder erklären. Seine Antwort auf die Frage „Wie entstanden also diese Kategorien? Etwa priorisch, ohne Gegenstände, von einem andern Wesen dem menschlichen Verstande als eine Tafel angeheftet, damit durch sie Erfahrung möglich würde?“, ist eindeutig ablehnend: „Offenbar nicht also. Menschlich sind diese Begriffe gedacht, in einer menschlichen Sprache ausgesprochen. Der Actus, durch den sie hervorgebracht wurden, ist die Handlung des Verstandes selbst, und zwar seine einzige, fortwährende Handlung, ohne welche er kein Verstand ist. Sobald der menschliche Verstand begreift, muß er kategorisieren“.144 Es wird daher nicht verwundern, dass die Tafel von ihm auch als eine „Genealogie menschlicher Verstandesbegriffe“ bezeichnet wird,145 die sich auf zweier143

144 145

Diese Spannung zeigt meines Erachtens, dass für Kant die Gegebenheit der Begriffe durchaus ein Problem darstellt. Sicherlich interessiert er sich – wie Tilman Borsche betont hat (2010, S. 61) – für das Problem der Geltung der Begriffe. Trotzdem würde ich sein Interesse am gegebenen Charakter der Begriffe nicht nur als „beiläufig“ bezeichnen, weil diese Spannung als eine erkenntnistheoretische an vielen Stellen des kantischen Werks auftritt. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 413. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 365.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

lei Weise spezifizieren lässt: einerseits als die Bestimmung des Seins, andererseits als die Übertragung dieser Bestimmung in etwas, was in uns organisch selbst gegeben ist. In der ersten Tafel finden wir Sein, Nebeneinander, Nacheinander, In- und Durcheinander. In der zweiten organischen Tafel werden diese Bestimmungen als Bewusstsein, Gesicht (als Organ des Nebeneinander), Gehör (als Organ des Nacheinander) und Gefühl (als Organ des In- und Durcheinander) verstanden.146 Die Sinne sind daher in jeder Gestaltung schon immer miteinbezogen, wie Herder unmissverständlich schreibt: „Die Sinne präformieren, d.i. sie bilden ihm [dem Verstand] das Mannigfaltige zu Einem, das er sich nicht erschafft, sondern anerkennend sich aneignet und eben hierdurch Verstand ist“.147 Und er bezeichnet als „vorzüglich“ gerade die drei Sinne, die Kant in der Anthropologie als eher objektiv denn subjektiv darstellt, und zwar Gesicht, Gehör und Gefühl (Tastsinn).148 Hierin scheint bei Herder der Gedanke einer Versinnlichung auf, in welcher der Verstand nicht von der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit zu trennen ist.149 Der Satz „Ich habe verstanden“ bringt daher den tieferen Sinn der eigentlichen Funktion des Verstandes zum Ausdruck und beugt dem Eindruck einer Verworrenheit der Vorstellung im Verhältnis von Verstand und Sinnlichkeit vor: „Soll unser Verstand verstehen, so muss ein Verständliches vor ihm sein, das für ihn Bedeutung habe; Verstand ohne alles Verständliche ist ein Unding, so viel leere Wortkapseln wir ihm auch anhängen mögen“.150 Wörter, die nicht am Prozess des Verstehens teilnehmen, sind nicht nur – wie bei Kant – Wächter der Begriffe, sondern vielmehr leere Wächter der Begriffe, „Wortlarven“, welche unter der ‚Knute der Übervernunft‘ stehen.151 Die Sprache übt im Gegenteil eine aktive Funktion aus, und die Wörter sind keine bloßen Begleiter, sondern die eigentlichen Mittel des Denkens – so Herder:

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Vgl. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 401f. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 398. Siehe dazu auch die Beobachtung Herders (S. 402): „Organisation ist unsre Form, Wesen des Verstandes, wie des Verstandenen, ohne welche dieses ihm nichts, ohne welche er sich selbst aber auch nichts bedeutet. Er hat diese Form und nimmt sie in Alles, worüber er sich verständigt“. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 398. Siehe oben, Kap. II.5 des ersten Teils. Siehe dazu Heinz 2010, S. 220: „Der Verstand gestaltet seine Begriffe notwendigerweise in beiderlei Kunstformen, d.h. er versinnlicht sie in Formen des Neben- und Nacheinander, in Bildern und Tonfolgen“. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 397. Für die Auseinandersetzung Herders mit der Philosophie Leibniz’ und der an dieser von Kant geübten Kritik sind die Seiten 485–488 der Metakritik aufschlussreich, in denen Herder sich auf das Problem der Verworrenheit der Sinnlichkeit bezieht. Für ihn scheint der Preis, den Kant für die Kritik der Position Leibniz’ zahlt, die Annahme des nicht weniger problematischen Dinges an sich zu sein. Siehe dazu Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 558.

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

„Die menschliche Seele denkt mit Worten; sie äußert nicht nur, sondern sie bezeichnet sich selbst auch und ordnet ihre Gedanken mittelst der Sprache. Sprache, sagt Leibniz, ist der Spiegel des menschlichen Verstandes, und, wie man kühn hinzusetzen darf, ein Fundbuch seiner Begriffe, ein nicht nur gewohntes, sondern unentbehrliches Werkzeug seiner Vernunft. Mittelst der Sprache lernten wir denken, durch sie sondern wir Begriffe ab und knüpfen sie, oft haufenweise, ineinander“.152 Ausgehend von dieser Auffassung der Sprache und der Sinnlichkeit fragt Herder nach dem genetischen Verfahren, das zur Bildung der Begriffe führt und damit direkt den Schematismus betrifft: „Statt nämlich zu transzendieren, kehre die Vernunft auf den Ursprung ihres Besitzes, d.i. in sich selbst zurück, mit der Frage: ‚Wie kamst du zu dir und zu deinen Begriffen? Wie hast du diese ausge­ drückt und angewandt, verkettet und verbunden? Woher kommt es, dass du ihnen allgemeine, notwendige Gewißheit zueignest?‘“153 Die Antwort Herders kehrt zur Begrifflichkeit zurück und problematisiert die Gegebenheit der Begriffe in dem Versuch, sie in einer Erfahrung zu begründen, die den Unterschied zwischen Materie und Form dynamisiert und nicht hypostasiert. Somit erweitert Herder den Aufgabenbereich jeder Schematisierung. Die Schemata werden als statische Fiktionen beschrieben. Herder bezieht so den ursprünglichen Schematismus-Begriff auf Bacon, „der aber ganz etwas anderes und Reelleres damit wollte“.154 Im Gegensatz dazu verkenne Kant das Schema als Funktion einer dritten Fiktion „zwischen zwei verschwundenen Fiktionen“155 – wobei Fiktion hier nicht das Produkt eines Prozesses, sondern einen Schemen im Sinne eines vagen Konstrukts meint, das keine Begründung erfährt. Der Schematismus basiert demnach für Herder grundsätzlich auf einem falschen Verständnis des Verhältnisses zwischen Regel und Bild, was sich an der Adaption des Beispiels einer Schematisierung des empirischen Begriffs des

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Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 320. Siehe dazu Adler 1990, S. 37: „Bei Herder erreicht das Dunkle schließlich einen neuen Status mit der Behauptung, daß es nicht nur thematisiert werden müsse, sondern daß es den Status eines grundsätzlichen Problems habe, ohne dessen Lösung alles Philosophieren bodenlos und – deshalb – vergebens sei. […] Dieser Weg ist die Geschichte der Anerkennung des Dunklen als nicht hintergehbares anthropologisches Datum, das in der ‚Wissenschaft von der sinnlichen Erkenntnis‘ (def. Baumgarten) – der Ästhetik – seinen philosophischen Ort findet“. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 342. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414, Anmerkung 1. Francis Bacon ist ein wichtiger Bezugspunkt der Metakritik Herders. Siehe etwa die Stelle (S. 344), an der Herder in Bezug auf Bacon bemerkt, dass dieser keinen Unterschied zwischen Idolen und Ideen, „zwischen leeren Satzungen und wahren Bezeichnungen“ sehe. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 414.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Hundes verdeutlichen lässt. Er nimmt Bezug auf die Behauptung Kants, dass der Begriff vom Hund eine Regel bedeute, „nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu sein“.156 Diesbezüglich fragt er sich einerseits, warum man bei einem vierfüßigen Tier unbedingt an einen Hund und nicht auch an ein Pferd oder einen Esel denken müsse. Denn diese Beliebigkeit wird vom Schematismus nicht ausgeschlossen, da gerade die Abstraktion von bestimmten Merkmalen die Gattung erweitert und damit die Vorstellung generischer macht. Andererseits betrifft die Kritik Herders die Möglichkeit, ein vierfüßiges Tier ohne Gestalt zu denken: „Soll ich es mir aber ‚ohne irgendeine Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, ohne jedes mögliche Bild, das ich in concreto darstellen kann‘, denken, so denke ich in der Regel (denn kein vierfüßiges Tier lässt sich ohne Tiergestalt und ohne vier Füße denken) gar nichts“.157 Kant würde demnach – so die Kritik – dem Schematismus eine Funktion zuschreiben, die er nicht haben kann, und zwar „sich Bilder in abstracto ohne jedes mögliche Bild in concreto vorzustellen“.158 Die Vorstellung setze daher einen Schema-Begriff voraus, der systematisch zwar der Gestalt vorgeordnet sei, trotzdem jedoch die Gestalt selbst vorstellt. Herder nennt diese Vorstellung einen Unbegriff, dem eigentlich die formierende Kraft fehle, um die Wandlung der Begriffe in Gestalten zu vollziehen. Da der Schematismus von einem Unbegriff ausgeht, eignet er sich nicht zu der ihm zugeschriebenen Funktion. Auch die Kritik Herders am Schematismus bewegt sich daher meines Erachtens gerade im Spannungsfeld zwischen gegebenem und genetischem Charakter der Begriffe. Soviel zunächst zur Kritik Herders an der Schematismuslehre Kants. Die Deutung Herders hat jedoch nicht nur die aufgezeigte negative Seite, die darauf zielt, die Lehre Kants zu entwerten, sondern enthält auch eine systematisch weit interessantere und konstruktive Bedeutung, die dadurch zur Geltung kommt, dass Herder die eigentliche Fragestellung des Schematismus thematisiert, die für ihn in den Denkbildern des menschlichen Verstandes besteht.159 Diese positive Seite der Kritik Herders wird nun genauer zu untersuchen sein.

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Kant, KrV, B 180, A 141. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 415. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 416. Siehe dazu Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 417: „Überhaupt musste diese ganze Schematopöie mißraten, da sie von einem Unbegriff (der Vorstellung eines Triangels, der alle Gestalten der Triangel, eines Hundes, der alle Hundegestalten vorstellte) ausging. Lasset uns, vergessend diese dunkeln Formeln, von Denkbildern des menschlichen Verstandes reden“.

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Herder erkennt die Funktion einer Empfindung und Denken betreffenden Metastasis, die „wir nicht begreifen“ und durch die „uns der Gegenstand ein Gedanke“ ist.160 Und er bemerkt gleichzeitig, dass durch den inneren Sinn eine Verinnerlichung stattfindet, die dazu dient, die unterschiedlichen Eindrücke der einzelnen Sinne zusammenzubringen und zu vergleichen. Zwei Aspekte sind dabei besonders hervorzuheben: der erste betrifft die Bezeichnung der Eindrücke einzelner Sinne als Typen, die auf die einzelnen Organe zurückzuführen sind, mittels derer sie empfunden werden. Damit werden Bilder, Töne, Gerüche, Geschmacks- und Gefühlarten als einzelne Sinne in die transzendentale Sphäre eingeführt. Der zweite Aspekt besteht darin, dass der innere Sinn als sensorium commune, „das aller dieser verschiedenen Eindrücke inne ward, notwendig eine Versammlung der Abdrücke (Ektypen) sehr verschiedener Typen“ wird.161 Der innere Sinn ermöglicht insofern eine Synthesis zwischen den Sinnen, die eine Präformation vollzieht. Diese Annahme hebt jedoch nicht den Unterschied zwischen Empfindung und Erfahrung auf, da – wie schon erwähnt – das wahrgenommene Bild nicht mit dem durch die Organe empfundenen Bild gleichgesetzt werden kann: „Das Bild, das meine Seele empfängt, ist ganz ihrer Art, nicht das Bild auf der Netzhaut des Auges; es ist von ihr empfangen, in ihre Natur metaschematisiert. Indessen war’s vom Eindruck veranlasst, und sofern ein geistiges Bild einem körperlichen ähnlich sein kann, ist es ihm ähnlich“.162 Der Eindruck ist nun der Ausgangspunkt des Denkens, und zwischen dem geistigen und dem körperlichen Bild herrscht ein Ähnlichkeitsverhältnis, jedoch keine Entsprechung. Hier wird von einem neueren „Metaschematismus tönender Gedankenbilder“163 gesprochen, der diese Metastasis realisiert und in dem die Einbildungskraft die Funktion hat, diesen geistigen Typus zu behalten. Der geistige Typus lässt sich transformieren und auf unterschiedliche Ebenen beziehen: er kann Gegenstand des Willens, der Triebe, der Wünsche usw. werden. Die Einbildungskraft hingegen gewährleistet diejenige Beharrlichkeit, die Kant der Substanz zuschreibt und die nach Herder im Denkbild selbst zu finden ist. Und innerhalb dieses Typus kommt eine Synästhesie zum Ausdruck, die sich subjektiv realisiert, je nachdem, wie die Sinne wirken. In dieser Synästhesie sind zum Beispiel die Typen des Auges und Ohrs „abgesetzter, reiner, heller und klarer“ als die anderen Sinne. Die Synästhesie beschreibt also nicht

160 161 162 163

Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 418. Ebd. Ebd. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

nur die Verhältnisse der Sinne untereinander, sondern sie wird zur transzendentalen Bedingung der Artikulation des Denkens selbst. Ralf Simon legt diese philosophische Grundintention Herders deshalb als eine „Sensualisierung der begriffslogischen Grundannahmen des Rationalismus und damit als dessen radikaler Gegenentwurf“ aus und erklärt sie – mit einem Neologismus – zum „Projekt einer characteristica sensualis“.164 Herder integriert demnach die Sinnlichkeit direkt in den Schematismus, da dieser von der Gestaltungsfunktion des Tons lebt, und schlägt somit eindeutig den Weg einer Versinnlichung ein, in welcher der Unterschied zwischen Anthropologie und Psychologie definitiv überwunden scheint. Noch wichtiger ist hervorzuheben, wie gerade in der Zusammensetzung die Entstehung der Sprache durch Artikulation stattfindet. Die Sprache selbst ist diese sinnliche Artikulation,165 welche die Typen zur Entfaltung bringt. Die Sprache ist somit gleichzeitig versinnlichend und versinnlicht, indem die Sinne sowohl produktiv als auch rezeptiv sind.166 Die Sinne sind in der Sprache immer schon aktiv, aufgrund des Metaschematismus, der in der Sprache erfolgt.167 Sie ermöglichen die Artikulation des Denkens zwischen Bild und Wort, welche als diejenigen Pole angesehen werden können, die schon in der Schematismuslehre Kants zu finden sind, da das Schema selbst Methode des Überganges zwischen Begriff-Wort und Bild ist. Was bei Herder hingegen wesentlich deutlicher ausbuchstabiert wird, ist die semiotische Aufgabe einer Schematisierung, die ihre Semantik überhaupt nur mittels sinnlicher Gestalten realisiert.168 Die Sprache 164

165 166

167 168

Simon 2010, S. 100f. Zum Begriff der Synästhesie siehe insbesondere die Interpretationen von Maurer (2010, S. 57–72) und Bertram (2006, S. 235). Dieser beobachtet: „Die sinnliche Organisation des Menschen, die in dieser Weise untrennbar mit der Sprache zusammenhängt, lässt sich am besten mit dem Begriff der Synästhesie fassen. Wer Sprache versteht, dessen Sinnlichkeit gewinnt eine synästhetische Anlage: Alle Sinne spielen für ihn zusammen“. Siehe Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 419 und Bertram (2006, S. 228) für die Interpretation eines nicht-reduktionistischen Ansatzes der Sprache bei Herder. Vgl. dazu Hilmer 2010, S. 202f.: „Schematisierung findet auf drei Ebenen statt: durch die einzelnen Sinne, durch die sprachliche Grammatik und durch die Worte selbst. Die Schemata sind nicht vorgegeben, sondern bilden sich in der Betätigung und Erfahrung aus. […] Die Sinne schematisieren in ihrem Bereich sowohl ‚rezeptiv‘ […] als auch ‚produktiv‘“. Siehe dazu Fortuna 2005, S. 145: „[…] la Metacritica individua nella schematizzazione un dispositivo attivo già all’interno dei sensi“. Insbesondere Ralf Simon (2010, S. 116f.) unterstreicht die grundlegende Beziehung zwischen Bezeichnung und Bild bei Herder: „Es ist die sprachliche Funktion der Bezeichnung, die dem bildhaften Charakter des innerlichen Gepräges zum Bild verhilft. Herder denkt die Sprache als eine in die sinnlichen Vorstellungen hinein vermittelte Exegese dieser Vorstellungen so, dass daraus beides zugleich entspringt: artikulierte Sprache und Bild“. Tilman Borsche betont, dass mit der Auffassung jedes Begriffs als Bildwortes kein iconic turn als Überwindung des linguistic turn,

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

ist daher „mehrfach ikonisch gebunden“, wie wiederum Ralf Simon bemerkt: „als Protobilder wandern sensuelle Reize in den inneren Sinn ein und dort werden sie semiotisiert, damit die semiotische Funktion manifeste Vorstellungsbilder erzeugen kann“.169 Das Wort als lautbares Merkmal ist nach Herder das Resultat einer Spannung zwischen der ständigen Veräußerung und Verinnerlichung im Denken: „Er [der Mensch] musste, er wollte äußern, was er in sich sah und fühlte; so ward, unterstützt von Stimme und Gebärden, den innern Abdrücken seiner Seele, ein lautbares Merkmal, das Wort. Zwischen beiden Sinnen, dem Ohr und Auge, und den verschiedenen Eindrücken, die beide gewährten, drängte es sich hervor; es ward der empfangenen Eindrücke typisierender Ausdruck“.170 Im Metaschematismus ist die Synästhesie nicht von der sinnlichen Wirkung trennbar, die mit den Sinnen zusammenhängt. Dadurch transformiert sich die kantische Synthesis von Neben- und Nacheinander in ein sinnliches Fließen der Wahrnehmung, die jederzeit von der Plötzlichkeit des Bildes oder der Stimme unterbrochen werden kann: „Wenn also Gedankenbilder eindringen, wecken, einander schnell folgen, wenn sie regsam bezeichnen, dauernd in uns hallen und wiederhallen sollen, so mußten sie tönen“.171 Trotz dieser Wirksamkeit sind Bilder Denkbilder, und die Sprache lässt sich nicht auf die Sinnlichkeit reduzieren. In Anschluss an Überlegungen von Jürgen Trabant kann auch davon die Rede sein, dass bei Herder die Kategorien zu Begriffen der sprachlichen Vernunft werden.172

169 170 171 172

sondern eine Erweiterung des linguistic turn selbst angesprochen ist (2006, S. 141): „Herder schreibt in dem Bewusstsein, dass jedes Wort Antwort ist. Mehr noch, dass jeder Begriff Bildwort ist: d.h. etwas darstellt, das er selbst nicht erdacht, sondern vorgefunden hat, indem er es aufnimmt, wiedergibt und ggf. modifiziert bzw. kritisiert. Grundbegriffe sind Bildworte. Das ist nicht der iconic turn, der den Grundsatz lehrt: Bilder statt Worte, sondern eine Überwindung des linguistic turn durch Erweiterung: Worte als Bilder, nicht Abbilder von Sachen, Einkleidung der Begriffe, sondern Wort-Bilder als Quellen neuer Gedanken. Bilder werden Begriffe durch ihre Signatur im Wort. Begriffe entstehen, indem Bilder zu Worten geprägt und damit Glieder eines unendlichen Netzes von Analogien – dem Gewebe der ‚Sprache‘ – werden; eines Gewebes von Gewohnheiten, das weitere Gewebe an sich bindet: solche von Gewohnheiten des Wahrnehmens, des Urteilens, der moralischen Gefühle usw.“. Siehe dazu auch Hilmer 2010, S. 204. Simon 2010, S. 111. Vgl. auch Heinz 2010, S. 219. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420 Vgl. Trabant 2006, S. 249.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Das Begreifen erstreckt sich über die Bilder hinaus, und die Sprache, um diese übertragende Abstraktion zu ermöglichen, tönt und klingt „ätherisch“173: „In diesem Verstande ist die ganze Sprache Allegorie; denn jederzeit drückt in ihr die Seele ein anderes durch ein anderes aus (ἄλλο ἀγορεύει, ἄλλο νοεῖ), Sachen durch Zeichen, Gedanken durch Worte, die im Grunde nichts miteinander gemein haben“.174 Und trotzdem wird das Begreifen nicht auf das sich allegorisch Entfaltende des Denkens reduziert, dessen Begriffe auch die Möglichkeit haben, sich von den Bildern zu entkleiden, obwohl auch dem hellsten Begriff „das Bildhafte nie ganz entnommen werden kann“.175 Herder nimmt an dieser Stelle Bezug auf die Algebra176 als Beispiel einer Disziplin, die sich gerade auf die Entsprechung von Zahlen und Zeichen gründet, und unterscheidet sie von der Philosophie. Wie schon Kant, hebt auch Herder den diskursiven Charakter des philosophischen Denkens hervor; jedoch begründet er die Diskursivität philosophischer Begriffe nicht durch die Unmöglichkeit, sie in Bilder zu übersetzen, sondern vielmehr durch den genetischen Prozess, der von Bildern ausgehend zu Begriffen gelangt, die keinen Bezug zu jenen haben. Das Verhältnis zwischen spekulativen Begriffen und Bildern ist daher auf nicht-reduktive Art sprachlich: „Da man sich nämlich bei spekulativen Begriffen keine groben Bilder der Erfahrung denken konnte, nahm man, wie der Zufall sie gab, aus dem Zusammenhang der Sprache, aus Erinnerungen, wo und wann man das Wort zuerst gehört hatte, oft aus dem Schalle des Worts selbst Züge zusammen und formte daraus eine Nebengestalt, wie die Kritik sie angibt, ein Schema“.177 Wenn das Schema nur eine Nebengestalt ist, stellt sich die Frage, woher die ursprüngliche Gestalt kommt. Sie entspricht nicht dem Wort selbst, das – letztlich ähnlich wie bei Kant – nur den Begriff aufruft und von ihm unterschieden bleibt. Das Schema ist vielmehr als Nebengestalt eine Schattierung der Sache 173

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Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 421. Diesbezüglich betont Ralf Simon (2010, S. 101): „Sprache ist grundsätzlich die Exegese ihrer sinnlichen Herkunft, selbst wenn im Zuge der Sprachentwicklung die fundierende Bildlichkeit zurückgedrängt wird und die Begriffe der Verständigkeit in den Vordergrund treten“. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 421. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 421. Siehe dazu Gaier 2010, S. 9: „Wollte man es auf Schlagworte verkürzen, dann stellt sich Kant die Frage, wie man Kategorien veranschaulicht, während Herder die Frage stellt, wie man Bilder verbegrifflicht“. Siehe dazu Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 422: „Die Algebra selbst mit ihren Zahlen und Zeichen, durch Ordnung, Stellung, Verwandlung und Minderung derselben hat dieses Bildhafte (es betreffe Größe und Operation) auf genaueste bestimmt und eben hierauf die Sicherheit ihres Geschäfts gegründet“. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 422.

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

selbst.178 Der Schematismus wird folglich in eine Sprachlehre gewandelt, die nach Herder nicht ein Schema des Sinns, sondern den Sinn selbst zur Darstellung bringt: „Denn was nicht reiner Ausdruck des Begriffs, sondern nur sein Schema ist, war nur die Frucht eines schematischen, d.i. Wortspielenden Schattenverstandes. Sinn kann durch nichts dargestellt oder vertreten werden, als durch sich selbst; ein Schema seiner ist Leersinn“.179 So wird in der gesamten Sprache die Handlung des Verstandes erkannt, die sich in jeder menschlichen Sprache spiegelt. Somit beschreibt Herder den Übergang vom Metaschematismus – der den allegorischen Charakter des Denkens zur Schau stellt – zur Bestimmung einer Grammatik des Denkens, das an sich schon Rede und Sprache als solche voraussetzt. Er behauptet nämlich: „der Grundbau der Rede in allen Sprachen ist Typus eines zusammenhängenden Akts des wirkenden Verstandes“.180 Die so bezeichnete Aktivität des Verstandes wird über die grammatischen Funktionen der Sprache erläutert, geht jedoch das Risiko ein, die Frage des Schematismus unbeantwortet zu lassen. Bei Herder – wie bei Kant – ist der Verstand durch eine spezifische Spontaneität charakterisiert. Obwohl nämlich den Begriffen eine gewisse Aposteriorität zugeschrieben wird, stellt der Verstand für Herder eine apriorische Kraft dar: Wenn die Spontaneität beim Verstand liegt, dann muss jedoch – anders als bei Kant – sein semantischer Bezug von der Sprache gewährleistet sein: „Durchaus bezeichnen in ihr sinnliche Worte die feinsten Begriffe des Verstandes, sodass nicht welches Wort, sondern in welchem Sinn das Wort dort und hier gebraucht wird, den Ort des Begriffes entscheidet“.181 Der prozessuale Charakter des Verstehens – das Herder oft mit der Begriffsbildung gleichsetzt – führt zu einer im Vergleich zu Kant konkreteren Auffassung der Begriffsbildung. Das Allgemeine, so Herder, ist nämlich eine Generalisierung, die als Absicht immer eine Partikularisierung hat.182 Herder sieht folglich keinen Platz für den ursprünglichen Schematismus, sondern nur für einen Metaschematismus, der eine grundlegendere semiotische Funktion als der kantische einnimmt, da es in ihm letztlich um den Bildungsprozess der Sprache selbst geht, die sowohl in ihrer Ausdrucks- als auch Bedeutungsgebung bestimmt wird.183 Schafft ein solcher Metaschematismus – 178 179 180 181 182 183

Siehe zur Verwendung der Bezeichnung der Wortschatten als σκιάματα und nicht als σχήματα Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 425. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 427. Ebd. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 482. Siehe dazu auch S. 593f. Siehe Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 513. Hans Adler (2010, S. 146) schreibt diesbezüglich: „Metaschematisieren als produktiver Rezeptionsprozess wird als Äquivalent der Arbitrarität des Sprachzeichens im Prozess des Ausdrucks (Semiose) begriffen, wobei die Zeichen letzten Endes deiktische Funktion haben“.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

so ist zu fragen – den semiotischen und semantischen Übergang von Bildern zu Gedankenbildern? Löst Herder auf diese Weise nicht die eigentümliche Funktion der Schematisierung auf und verliert durch die Betonung ihrer sprachlichen Funktion den Sinn der Schematisierung selbst? Der Punkt ist hier also, ob Herder mit seiner Metaschematisierung die ursprüngliche Frage des Schematismus beantworten kann – und zwar die Frage nach einer transzendentalen Semantik, welche in der Artikulation des Denkens zwischen Bild und Wort die Bedingung des Bezugs der Begriffe auf die Gegenstände der Erfahrung erklärt. Kant selbst stellt diese Frage, wenn er – wie aus der Metaphysik Volckmann hervorgeht – die Physiologie von der Metaphysik unterscheidet: Die Erste bezieht sich zwar auf die Frage des Ursprungs, die nach Kant auch wichtig sein mag, ohne aber die grundlegende Frage der Metaphysik zu beantworten, welche die Anwendung selbst der (irgendwie) schon gegebenen Begriffe betrifft. Darüber hinaus behauptet er: „Die Untersuchung der Physiologie ist immer gut; allein sie gehört nicht in die Metaphysic. So kann man z.B. fragen: wie kommen wir zur Sprache? zu den Organen? Aber die Metaphysik frägt eigentlich nur, was wir damit für einen Gebrauch machen sollen?“184 Bei Herder hingegen ist die semiotische Entstehung und Entfaltung gleichzeitig eine semantische Bedingung. Gerade weil der Begriff sich ausgehend vom Bild generiert, ist er auch im Bild wiederzuerkennen. Die Einführung des Begriffs der Artikulation scheint mir in diese Richtung zu gehen, indem damit ein Schema-Begriff eingeführt wird, der immer schon eine Handlung ist, was später insbesondere für Fichte und Bergson wichtig sein wird.185 Damit gelingt es Herder, das kantische Problem der Vermittlung zu lösen und die Schematisierung als eine Versprachlichung zu beschreiben, die immer schon eine Versinnlichung impliziert, in der die Begrifflichkeit zur Entfaltung kommt.186 Es ließe sich jedoch auch darauf hinweisen, dass sowohl Kant als auch Herder von verschiedenen Standpunkten ausgehend versuchen, die Gestaltung des Denkens nicht als ein Vermittlungsproblem, sondern als ein Synthesis-Problem zu behandeln. Denn für beide sind Begrifflichkeit und Sinnlichkeit schon immer in der Erkenntnis involviert, jedoch ist für Herder eine deutliche Ausweitung der Gestaltungsfunktion der Synthesis zu verzeichnen: wie auch für Maimon ist das gesamte Denken – und nicht nur die Erkenntnis – von dieser Gestaltungsfunktion betroffen. Das bedeutet aber nicht 184 185 186

Kant, AA XXVIII: 377. Sowohl Fichte als auch Bergson verwenden den Begriff des Schemas in Bezug auf den Handlungsprozess (nicht nur im praktischen Sinn). Vgl. Borsche 2010, S. 87. In dieser Hinsicht kann man die Meinung von Ralf Simon (2010, S. 113) teilen, der bemerkt hat, dass „Kant und Herder am selben Vermittlungsproblem“ arbeiten, „einmal vom bewusstseinstheoretischen Standpunkt aus, einmal von einem sensualistischen Standpunkt aus“.

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

etwa, dass Herder die Vermittlung des Schemas nicht mehr braucht und eine Philosophie ohne ein Drittes vertritt, sondern lediglich, dass dieses Dritte eben die Gestaltung selbst ist und ihre einzelnen Bestandteile nur in heuristischer Weise als getrennt betrachtet werden können. Die Frage hat sich daher auf den Grund dieses heuristischen Verfahrens zu fokussieren. Jede Vermittlung ist bei Herder eher eine Artikulation und Gestaltung als die Überbrückung eines Dualismus, da dieser in der Erfahrung immer schon überwunden ist. Dieser Ansatz hat zwei unmittelbare Konsequenzen: erstens Herders Versuch, in einer Topik der Regionen der Sinne, der Einbildungskraft und des Verstandes eine strikte Grenzziehung zwischen den Vermögen zu vermeiden,187 und zweitens die Kritik des Unterschieds zwischen phaenomenon und noumenon. Letzterer wird von ihm wie folgt erklärt: „Phänomenon heißt, was erscheint; Noumenon, was sich der Verstand (νοῦς) denkt. Dies denkt er sich nicht hinter und außer, sondern an dem Phänomenon; und damit ist die ganze Verwirrung gehoben. Die griechischen Worte bezeichnen beide Begriffe so genau, dass hierbei kein Missverständnis sein sollte“.188 Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Artikulation nicht in der Lage ist, die ganze Weite der Schematismusproblematik abzudecken. Denn diese als Kern einer Transzendentalphilosophie hat nicht allein die semiotische Artikulation zwischen Bildern und Begriffen sowie die Entstehung und den Gebrauch von Zeichen zu erklären, sondern auch die synthetische Funktion des Denkens, das nicht auf die Sinnlichkeit reduziert werden kann. Gefragt ist demnach die Erhellung der semantischen Artikulation als ein Versinnlichungsprozess, der nicht nur die semiotische Entfaltung von Bedeutung zwischen Wörtern und Bildern, sondern auch ihren Gebrauch erklärt. Auf dem Spiel steht damit eine mögliche Entsprechung von Semiotik und Semantik im Gebrauch, welche in der Folge nicht zufällig mit der Problematik des kindlichen Spracherwerbs in Verbindung gebracht wird. Um dieses Thema etwas eingehender zu beleuchten, wird es im Folgenden zunächst um den aposteriorischen Charakter der Begrifflichkeit, dann um die Funktion der Sinnlichkeit und den Primat des Hörens und schließlich um Herders Analyse der symbolischen Darstellung in Kants Kritik der Urteilskraft gehen.

187 188

Siehe Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 484. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 469.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

2. Der ap oster ior isc he Cha ra k ter der Beg r i f f l ic h keit In der Metakritik schreibt Herder: „Wie es ohne Gegenstände keine Anschauungsformen gab, so gibt es ohne sie auch keine Gedankenformen“.189 Begriffliche Gegebenheit ist nicht einfach voraussetzbar, ohne die Anschauungen miteinzubeziehen, weil der Gedanke immer schon eine sinnliche Verwandlung impliziert. Damit wird der Schematismus zu einem genetischen Prozess der Begrifflichkeit, der sich vom Bildlichen über den Ausdruck und die Bezeichnung erstreckt. Das Allegorisieren, das nach Herder unsere Seele und Sprache ständig vollziehen,190 ist demnach eine Versinnlichung, welche zum Gebrauch und gleichzeitig zur Bildung der Begriffe dient.191 Somit verschärft sich die Funktion einer Schematisierung, in der die Subsumption der Erscheinungen unter Begriffe nicht mehr von der Anwendung der Begriffe auf Erscheinungen zu trennen ist. Hierbei lässt sich schließlich von einer Gestaltung im engeren Sinne, zumindest aber von einer ständig provisorischen Situiertheit der Begriffe und der mit ihnen implizierten Metaphern sprechen.192 Die Begrifflichkeit präsentiert sich nun in einer sinnlichen Bestimmung und bleibt offen für andere Anwendungen. Aus diesem Grund wird für Herder auch das Thema der Erlernung und des Gebrauchs der Sprache bei Kindern relevant, dessen Reichweite sich bis in die logischen Strukturen des Denkens

189 190 191

192

Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 469. Vgl. Herder, Über Bild, Dichtung und Fabel, in FHA, 4, S. 635. So interpretiert Michael Forster den sprachphilosophische Ansatz Herders (2010, S. 16): „1. Thought is essentially dependent on, and bounded in scope by, language – i.e. one can only think if one has a language, and one can only think what one can express linguistically. […] 2. Meanings or concepts are – not the sorts of things, in principle autonomous of language, with which much of the philosophical tradition has equated them, e.g. the referents involved, Platonic forms, or mental ideas, but instead – usages of words. 3. Conceptualization is intimately bound up with (perceptual and affective) sensation“. Die Situiertheit der Begriffe wird von Liisa Steinby wie folgt erklärt (2010, S. 159): „Was man genau mit dem Begriff meint, schwankt je nach dem einzelnen konkreten Gegenstand“. Siehe auch S. 155: „Während Erkenntnis für Kant als Subsumtion des Gegenstandes unter einen Begriff, d.h. als ein Wiedererkennen des Angeschauten im Begriff erscheint, besteht begriffliche Erkenntnis für Herder darin, dass etwas (Nicht-Begriffliches) auf den Begriff gebracht wird. Ein weiterer Unterschied ist, dass während der Gegenstand der Erkenntnis für Kant phänomenal, d.h. dem Akt des Erkennens immanent ist, für Herder kein Zweifel besteht, dass die Erkenntnis als ‚das Ding an sich‘, d.h. Gegenstände außerhalb von uns, betrifft. Herder kritisiert die Idee eines prinzipiell unerreichbaren ‚Dinges an sich‘ und sieht in diesem ein Produkt reiner Abstraktion, eine irregelaufene, leere Idee als ein Ding hypostasiert“.

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

erstrecken kann.193 Dieses Phänomen wird übrigens auch von Maimon berücksichtigt, der – wie bereits angedeutet wurde – die Funktion der symbolischen Erkenntnis auf die Begrifflichkeit ausweitet. In Bezug auf die Möglichkeit, den Gebrauch der Begriffe in abstracto zu bestimmen, schreibt Maimon: „Allein hier ist nicht die Rede von den Begriffen, sondern von ihren Ausdrücken. Es ist unmöglich den Gebrauch dieser letztern in Abstracto kennen zu lernen, ehe man denselben in Konkreto kennen gelernt hat“.194 Hierbei geht es um Ausdrücke, deren Bedeutung im Gebrauch zu suchen ist. Diese Passage entstammt Maimons Abhandlung Erklärung einer allgemeinbekannten merkwürdigen anthropologischen Erscheinung von 1800, die er dem von Kant gestellten Problem der Erlernung des Wortes ‚Ich‘ bei Kindern widmet. Das Wort Ich sowie die ‚Fürwörter‘ – also die Pronomen – lernt das Kind laut Maimon durch den Gebrauch: das Sprechen, dessen Folge ein inneres Bewusstsein ist, in dem sich die Reihe des Ich vollendet. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, die damit verbundenen Probleme detailliert zu erörtern, sondern lediglich darum, auf die genetische Methode Maimons hinzuweisen, die eine aposteriorische Auffassung der Begriffe mit sich bringt, indem ihre Bildung auf die kognitive Entwicklung des Kindes zurückgeführt wird, in der die Sprache eine schöpferische Funktion übernimmt.195 Die Sprache lässt sich insofern nicht von ihrer anthropologischen und historischen Dimension trennen, die entsprechend einen Überlieferungsprozess erfordert.

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194 195

Zur Bildung der Begriffe siehe insbesondere das Werk Viertes Kritisches Wäldchen, in FHA, 2, S. 252–255. Angelica Nuzzo hat zuletzt mit Blick auf die Bedeutung bemerkt, die Herder den Kindermädchen wegen der ‚begrifflichen‘ Erziehung der Kinder zuspricht (2010, 206): „Concepts are the a posteriori of language. Thinking is one with speaking so that we would not be able to think were we not thinking in and through language. Framing this thesis in the developmental perspective of the earlier essay, Herder repeats that ‘in our first education we learn thoughts through words, and the nursemaids that form our tongue are hence our first teachers of logic’. Genetically, the first concepts are always ‘sensible concepts’ [Abhandlung über den Ursprung der Sprache, in FHA 1, S. 556f.]“. Maimon, GW, VII, S. 528. Dazu Gaier 1988, S. 198: „Der Verstand bleibt in einem dialektischen Verhältnis an den historischen Moment der Wortschöpfung gebunden. […] Die in Merkmalen bezeichnende und den so konstituierten Begriffe in Sprache festhaltende Funktion des Verstandes ist es auch, die für Herder ein Äquivalent dessen schafft, was Kant sich nur als Apriori der reinen Verstandesbegriffe erklären kann“. Vgl. auch Adler 2010, S. 147. In Bezug auf die Funktion der Sprache schreibt Lisa Steinby (2010, S. 156): „Begriffe und Sprache stehen somit für Herder – anders als für Kant – in einer engen, inneren Beziehung zueinander: in der Sprache sind die Erzeugnisse unseres Verstandes und des Verstands der vor gegangenen Generationen gespeichert, und die angeeignete Sprache schenkt uns die Mittel, unsere Welt zu begreifen“.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Wie schon gesehen, spricht Herder in Bezug auf das Allgemeine von einem Prozess der Generalisierung, der eine Partikularisierung zur Absicht hat. Diese Absicht jedoch gründet nicht in der Sprache selbst, sondern in einer angeborenen Fähigkeit des Menschen, die Herder als Besonnenheit bestimmt, die – wie Trabant beobachtet – als das „Bedürfnis des Menschen, die Welt kennenzulernen“, zu verstehen ist.196 Diese Fähigkeit stellt lediglich eine Disposition zur Sprache dar, weil Herder die kognitive, innerliche Sprache als nicht angeboren, sondern dialogisch bestimmt.197 Die Disposition zur Sprache lässt sich wiederum nicht von der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit trennen, weil sie sich durch die Sinne realisiert. Im folgenden Kapitel wird daher die dichtende Funktion der Sinnlichkeit bei Herder zu untersuchen sein, um auf diesem Weg erklären zu können, inwiefern durch die Sinne das Allgemeine immer schon in einer Partikularisierung begriffen ist. Genauer geht es um die Frage der Bildung von abstrakten Begriffen, also um die Begründungsfrage, die wiederum die Spontaneität des Metaschematismus bei Herder betrifft: Wie kommt dieser Prozess zu seinen eigenen Begriffen?

3. D ie Fu n k t ion der Si n n l ic h keit u nd d a s Gehör a ls Si n n der Sprac he Die Sinne gewinnen schon in den früheren Schriften Herders als Bedingungen der Sprache und der Erkenntnis an Bedeutung. Die Sinne, die Kant in der Anthropologie behandelt – und zwar nicht im Rahmen der schematischen und symbolischen Darstellung –, erfahren bei Herder die aufgezeigte Aufwertung. Ohne die Sinne, so lautet Herders Grundauffassung, würde das Denken nicht zur Gestaltung kommen. Die Sinne vollziehen daher die Präformation der Empfindungen; sie sind eng mit der Sprache verbunden und bereiten das Terrain für das Verstehen. Zur Verdeutlichung sei noch einmal der wegweisende Satz angeführt: „Die Sinne präformieren, d.i. sie bilden ihm [dem Verstand] das Mannigfaltige zu Einem, das er sich nicht erschafft, sondern anerkennend sich aneignet und eben hierdurch Verstand ist“.198 Das Verhältnis zwischen Sinnen und reinen Anschauungen – das bei Kant in den Tiefen der anthropologischen Reflexion rekonstruiert werden 196 197 198

Siehe dazu Trabant 2006b, S. 220. Trabant 2006b, S. 223. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 398. Siehe dazu auch die Beobachtung Herders auf den Seiten 109–110: „Sogar in die Konformation der Sinne trägt der Verstand solche nicht über; denn nicht er, der diese Konformation nicht einmal versteht, sondern nur gebraucht, einzig und allein der allumfassende Verstand des Weltganzen hat ihm diese Konformation zubereitet. […] Er hat diese Form und nimmt sie in alles, worüber er sich verständigt“.

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

musste199 – ist für Herder offenkundig. Was das grundsätzliche Verständnis der Sinne angeht, unterscheiden sich meines Erachtens Kant und Herder jedoch nicht wesentlich. Beide heben die sprach- und erkenntnistheoretische Funktion der ‚objektiveren‘ Sinne (also Gesicht, Gehör und Tastsinn) hervor, und finden vergleichbare Unterschiede zwischen ihnen, die sich grob zusammengefasst wie folgt ausnehmen: Das Gesicht ermöglicht die Bildung der figürlichen Gestalt, während der Tastsinn zur Bildung einer körperlichen Gestalt führt und das Gehör der Sinn der Sprache ist. Jedoch ist die Stellung der Sinne bei beiden zu unterscheiden: Bei Kant ist die Funktion der Sinne nicht transzendental, sondern physiologisch und anthropologisch konnotiert, und die Verbindung zwischen Sinnen und Anschauungen wird bei ihm erst im Rahmen der Bestimmung von Gestalten, Bildern und Wörtern ausgeführt. Diesbezüglich ist deutlich geworden, dass Kant – obwohl er den Sinnen keine ausdrücklich transzendentale Stellung zuspricht – die semantische Artikulation zwischen Bildern und Wörtern in seiner Transzendentalphilosophie ohne Rückgriff auf die Sinne nur unzureichend erklären kann, insbesondere weil das Gehör für Kant wesentlich zum Gebrauch abstrakter Begriffe beiträgt, ohne dass Kant damit die begriffliche Anwendung und Subsumption erhellen könnte. Im Gegensatz dazu ist die Bezeichnung bei Herder durchaus auf die Sinnlichkeit zurückzuführen, die das Denken gestaltet. Folglich bettet er das Bezeichnungsvermögen in die bestimmende und – wie im nächsten Kapitel deutlicher werden wird – auch die symbolische Darstellung im kantischen Verständnis ein,200 die sich daher nicht voneinander trennen lassen. Der Metaschematismus erklärt so, inwiefern im Denken immer schon eine

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Siehe oben, Kap. II.5 des ersten Teils. Dieser Aspekt ist von Christian Stetter deutlich gesehen worden (2010, S. 78, Note 39): „Kants und Herders Sprachauffassung unterscheiden sich, so betrachtet, weniger hinsichtlich ihrer grundlegenden semiotischen Funktion, die auch von Herder in der Repräsentation gesehen wird, als hinsichtlich ihrer Stellung in der ‚Topologie‘ des menschlichen Bewusstseins. Bei Herder ist Sprache der Metasinn, der die Funktion der menschlichen Sinne im buchstäblichen Verstand des Wortes zu einem System kommunizierender Röhren zusammenschließt – und daher selbst noch als ein Sinn aufzufassen ist. Bei Kant steht die Sprache gewissermaßen quer zur grundlegenden Unterscheidung von Sinnlichkeit und Intellektualität: in Betracht ihrer willkürlich artikulierten Formen ist sie dem Erkenntnisvermögen zuzurechnen, obwohl sie, phänomenal betrachtet, sinnlich wahrgenommen wird. Dank dieser ihrer Doppelnatur sitzt die Sprache als philosophisch zu bedenkender Gegenstand exakt im ‚blinden Fleck‘ der kantischen Erkenntnistheorie“. Siehe dazu auch Simon 2001, S. 149: „Herders zentrales Argument gegen Kant besteht darin, dass die Sprachlichkeit des Denkens die vorgebliche ‚Reinheit‘ der Vernunft dementiert“.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Versinnlichung am Werk ist, da ohne sie keine Gestaltung möglich wäre, die den apriorischen Charakter der Begrifflichkeit aufhebt.201 Meine Auslegung ist zunächst als ein Versuch zu verstehen, die bei Kant rekonstruierte Versinnlichungslehre durch das Verständnis der Sinne bei Herder zu erweitern, die jedoch nicht frei von anthropologischen und ästhetischen (im Sinne einer Schönheitslehre) Implikationen ist, wie ich am Ende dieses Kapitels zeigen möchte. Daher möchte ich im Folgenden zunächst Herders Verständnis der Sinne direkt mit der Transzendentalphilosophie Kants in Beziehung setzen, weil auf diese Weise die Interpretation des Schematismus als semiotischem und semantischem Prozess schärfere Konturen gewinnt. Dazu muss geklärt werden, inwiefern die aufgezeigte Physiologisierung der Psychologie durch Herder tatsächlich mit der Transzendentalphilosophie Kants kompatibel ist. Ob schließlich die Theorie zum embodied mind in der Version von Mark Johnson und George Lakoff einen ähnlichen Weg einschlägt, wird im letzten Teil der Untersuchung zu fragen sein.202 Der geeignete Ausgangspunkt für die Analyse der herderschen Sinnlichkeit ist der Begriff der Synästhesie. Denn erkenntnistheoretisch wird der innere Sinn von Herder als sensorium commune definiert, in dem alle Sinne zusammenfließen. In der Natur ist insofern „nichts geschieden, alles fließt durch unmerkliche Übergänge auf- und ineinander; und gewiß, was Leben in der Schöpfung ist, ist in allen Gestalten, Formen und Kanälen nur Ein Geist, Eine Flamme“.203 Die Philosophie ist daher angehalten, nicht nur die einzelnen Wirkungen der Sinne, sondern auch die Kraft selbst zu betrachten, in der sie immer schon vereint sind. Bei Herder ist die Synästhesie gleichermaßen eine Synergie.204 Deshalb ist es schwierig, bei Herder von einer Hierarchie als vertikaler Ordnung der Sinne untereinander zu sprechen, gerade weil die Sinne verschiedene Wirkungen haben, die in der Wahrnehmung immer schon im Zusammenfluss sind. Es handelt sich im Gegenteil – wie Trabant betont – um eine horizontale Ordnung der Sinne.205 201 202 203

204 205

Zur Kritik des Apriorismus Kants in Bezug auf die Sinnlichkeit siehe insbesondere Gaier 1988, S. 185–195. Siehe unten, Kap. I.2 des dritten Teils. Herder, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, in FHA, 4, S. 338. Es ist außerdem wichtig anzumerken, dass für Herder keine Psychologie möglich ist, „die nicht in jedem Schritte bestimmte Physiologie sei“ (S. 340). Siehe dazu Formigari 2003, S. 137. Trabant 1990, S. 358. Dieser Aspekt ist auch bei Kant wichtig, der die einzelnen Funktionen der Sinne aus der Perspektive ihres Mangels bei Menschen untersucht – wie das Beispiel der Taubgeborenen für die Betrachtung des Gehörs gezeigt hat, bei dem er zur Behauptung kommt (AA VII: S. 155), dass ein Taubgeborer „nie zu etwas Mehrerem, als einem Analogon der Vernunft gelangen“ könne. Dazu schreibt Herder bereits 1774 (Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Was die Funktionen der einzelnen Sinne angeht, nimmt der Tastsinn eine prominente Stellung ein, was sich auch in der Kunsttheorie Herders widerspiegelt.206 Die vom Tastsinn gebildete Gestalt ist dabei eine körperliche: „Etwas, was wir täglich erfahren könnten, wenn wir aufmerkten, dass das Gesicht uns nur Gestalten, das Gefühl allein, Körper zeige: dass Alles, was Form ist, nur durchs tastende Gefühl, durchs Gesicht nur Fläche, und zwar nicht körperliche, sondern nur sichtliche Lichtfläche erkannt werde“.207 Außerdem scheint das Gefühl eine gewisse Zweideutigkeit zu implizieren: es steht nämlich einerseits für das innere Gefühl und andererseits für das äußere Gefühl. Während das erstere mit dem Gehör als Sinn der Verinnerlichung in Verbindung steht, ist das äußere Gefühl gerade der Tastsinn. Beide sind jedoch verwandt, weil der Tastsinn die Grundlage für die weitere Artikulation der Laute mittels des Gehörs bildet.208 Und im Vierten Kritischen Wäldchen wird das Gefühl als „das Organ aller Empfindung andrer Körper“ definiert.209 Der innere Sinn des Gefühls ermöglicht somit den Übergang zwischen den Sinnen und schafft eine komplexere Dimension des Raumes, in der sowohl das Gesicht als auch der Tastsinn wirksam sind.210 In der Plastik entwickelt Herder eine Lehre der Wahrheit, die dem Gefühl zugeschrieben werden kann, insofern es keine Täuschung zulässt.

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Seele, in FHA, 4, S. 357), Stumm- und Taubgeborene zeigten „durch sonderbare Proben, wie tief die Vernunft, das Selbstbewußtsein, wo sie nicht nachahmen können, schlummre […]“. Joachim Gessinger bemerkt diesbezüglich (1994, S. 84), bei Herder sei auffällig, dass er sich nicht ausdrücklich mit Diderots Lettre sur les sourds et muets auseinandergesetzt hätte. Siehe dazu Plastik, in FHA, 4, S. 250f. Zur Aufwertung des Tastsinns in der Philosophie Herders siehe Zeuch 2000, S. 1: „Bei der Aufwertung des Tastsinns wird Johann Gottfried Herder eine Schlüsselrolle zugesprochen. Unter diesem Vorzeichen erfährt er eine Renaissance“. Siehe dazu auch Adler 1990, S. 121. Herder, Plastik, in FHA, 4, S. 15. Zur Zweideutigkeit siehe Gessinger 1994, S. 81 und Kim 2002, S. 165–167. Herder, Viertes Kritisches Wäldchen, in FHA, 2, S. 296. Zum Gefühl siehe auch Gessinger 1996, S. 41: „In short, the fourth Kritisches Wäldchen was designed to untangle the aesthetical perceptions of the three main senses and to discuss them in terms of their proper spheres (though in fact Herder more than once was led astray by the terms he employed in his description). He argued that the eye perceives the simultaneity and contiguity of objects, the ear their succession in time, and touch their coexistence and composition, their totality. Touch was therefore preeminent, and this encouraged Herder to use ‘Gefühl’ as a general term for aesthetical sentiment […]“. Gessinger (1994, S. 88) sieht die Sinnen-Lehre Herders explizit als eine Erweiterung des komplementären Paares Gesicht und Gefühl durch das Gehör an und spricht von deren Trias. Siehe dazu auch Kim 2002, S. 165, Tani 2000, S. 90, und Fortuna 2005, S. 124f. Zuletzt ist dieses Thema auch von Yann Philipp Leiner untersucht worden (2012, S. 151f.).

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Das Gehör ist der Sinn der Sprache, dem eine Mittelstellung in der Sinnesordnung zukommt, wie aus dem Wäldchen deutlich hervorgeht: „Das Gehör allein, ist der Innigste, der Tiefste der Sinne. Nicht so deutlich, wie das Auge ist es auch nicht so kalt; nicht so gründlich wie das Gefühl ist es auch nicht so grob; aber es ist so der Empfindung am nächsten, wie das Auge den Ideen und das Gefühl der Einbildungskraft. Die Natur selbst hat diese Nahheit bestätigt, da sie keinen Weg zur Seele besser wusste, als durch Ohr – und Sprache“.211 Die Mittelstellung des Gehörs hängt näher mit der Struktur des Lautes zusammen, der den Ausdruck ermöglicht. Während die Gegenstände des Gesichts für Herder unaussprechlich bleiben, sind die Gegenstände des Gehörs „mit Bewegung verbunden“. Doch auch diese Bewegung ist artikuliert; sie bleibt nicht schwebend, sondern bestimmt ihre Gegenstände im Ausdruck. Der Laut wird somit zum Dritten des Ausdrucks: bei ihm lässt sich die semantische Verwandlung jener Artikulation erkennen, in der er zur sprachlichen Bezeichnung wird.212 Wir werden sehen, inwieweit auch Humboldt und Hegel diese Funktion der sprachlichen Artikulation für das Denken hervorheben.

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Herder, Viertes Kritisches Wäldchen, in FHA, 2, S. 357. Diese Mittelstellung des Gehörs wird in der Abhandlung über den Ursprung der Sprache (FHA, 1, S. 746– 749) durch die unterschiedlichen Weisen bestätigt, in denen das Gehör als mittlerer Sinn bezeichnet wird. Sechs Aspekte spezifiziert Herder genauer: das Gehör ist der mittlere der menschlichen Sinne in Ansehung (1.) der Sphäre der Empfindbarkeit von außen, (2.) der Deutlichkeit und Klarheit, (3.) der Lebhaftigkeit, (4) der Zeit, (5.) des Bedürfnisses, sich auszudrücken sowie (6.) der Entwicklung des Menschen. Empfindungen, Anschauungen und Sprache erscheinen so in einer holistischen Perspektive. Zur Bestimmung des Gehörs als Mittelsinn siehe Trabant 1990, S. 358, Gessinger 1996, S. 44, Kim 2002, S. 171–173, und Maurer 2010, S. 65. Dazu Fortuna 2005, S. 147: „In questo modo il linguaggio verbale bilancia costantemente la componente espressiva attraverso una sua peculiare sospensione, una forma di distacco che è resa possibile attraverso la forma fonica“. In Bezug auf die Funktion des unartikulierten und artikulierten Lautes vergleicht Jürgen Trabant (1990, 363f.) Herder, Humboldt und Hegel: „Leaving the phoné in the interiority of the reflecting soul, Herder seems to anticipate the fundamental idea of Derrida’s Grammatology : the inner soundless mark is an architrace. But the central position of audition contradicts such an assumption: sound and listening to the sound are the starting-point of language. But the sound present in Herder’s language nucleus is the voice of the object, not the voice of the subject. And this voice is, according to an Aristotelian distinction, psóphos, unarticulated sound, and not phoné, articulate sound. We might speak of a psopho-centrism in Herder. But since the reflective listening to the voice of the object is the real starting-point of human language, Herder’s position then is, actually, best referred to as oto-centrism. […] The voice of the speaker and the dialogue do enter the scene immediately after the constitution of the nucleus of language. But, quite obviously, the voice of the object and the subject’s ear occupy a privileged position. […] Humboldt thus considers all possi-

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Das Bezeichnungsvermögen kann nicht von Verstand und Urteil getrennt werden. Die Benennung ist daher Teil des Verstandes und des Urteiles: „Auch in den tiefsten Sprachen ist Vernunft und Wort nur Ein Begriff, Eine Sache: logos. Der Mensch gaffet so lange Bilder und Farben, bis er spricht, bis er, inwendig in seiner Seele, nennet. Die Menschen, die, wenn ich so sagen darf, viel von diesem innern Wort, von dieser anschauenden, göttlichen Bezeichnungsgabe haben, haben auch viel Verstand, viel Urteil“.213 Die Bezeichnung ist also für Herder eine Gestaltung, die eine metaphorische oder besser: eine übertragende Gestaltung impliziert, welche sie vom Empirischen absondert. Es ist jedoch wichtig anzumerken, dass diese Gestaltung in der Sinnlichkeit anzusiedeln ist. Die Einführung der Gestaltungskraft als Transformationsvermögen lese ich als Versuch Herders, den ontologischen Dualismus zwischen Verstand und Sinnlichkeit definitiv zu überwinden. Beide gehen zusammen und haben trotzdem eine je eigene Prozessualität und Synthesis, welche der Versinnlichungsprozess selbst ist. Michael Forster spricht daher im Zusammenhang der innigen Verbindung zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit bei Herder von einer „quasi-empirist theory of concepts“, die er wie folgt erklärt: „sensation is the source and basis of all our concepts, but we are able to achieve non-empirical concepts by means of a sort of metaphorical extension from the empirical ones – so that all our concepts ultimately depend on sensation in one way or another“.214 Zusammengefasst liest sich das so: „all our meanings, or concepts, are of their nature based in (perceptual or affective) sensation“.215 Was Forster hier als Quasi-Empirismus bezeichnet, sollte jedoch meines Erachtens eindeutiger als Versinnlichung beschrieben werden, weil erst damit die Bedeutung der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit herausgestellt wird, deren Funktion eben gerade nicht empirisch ist, obwohl sie sich in der Erfahrung abspielt. Denn die Transformationen und Gestaltungen, die aus dieser Versinnlichung resultieren, sind nicht empirisch, sondern sinnlich. Das hat meiner Auffassung nach weitreichende Implikationen auf heuristischer Ebene, auf der die Bedeutungserfahrung eben nicht empirisch, sondern transzendental zu beschreiben ist, um so eine Versinnlichungstheorie ausbuchstabieren zu können, die der Komplexität der Artikulation von Bedeutung gerecht wird. Gerade der Quasi-Empirismus hat

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bilities opened up by the voice, he is the most complete phonocentrist. […] Sound [in Hegel] is not, as in Herder, between the tactile and the visual impression, it is at the top of sensory impressions due to its quasi-immaterial quality. Hegel’s primacy of the voice can therefore more precisely be labelled subjective phono-supramacy“. Herder, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, in FHA, 4, S. 358. Wie Michael Maurer (2010, S. 66) betont, bieten die Sinne bei Herder sowohl die körperliche Voraussetzung des Geistigen als auch das ‚Mittel‘ der Ideenbildung. Forster 2010, S. 16f. Forster 2010, S. 71.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

nach Forster bedeutende Konsequenzen für die Übersetzungs- und Interpreta­ tionstheorie Herders, da die quasi-empiristische Auffassung der Begrifflichkeit bestimmte Gebrauchsaspekte impliziert. Auch an dieser Stelle würde ich jedoch eher von einer Versinnlichung sprechen. Damit ist zugleich eine kritische Distanz zu Herders Verständnis der Sinnlichkeit verbunden, weil in ihr offen bleibt, ob sie die Fähigkeit hat, einen synthetischen Prozess zu begründen, der nicht nur aposteriorisch, sondern auch apriorisch ist, d.h. einen synthetischen Prozess, der Bedingung der Gestaltung selbst ist. Die Beschreibung der Sinnlichkeit bei Herder kann meines Erachtens vor allem in seinen genetischen Zügen eine transzendentale Dimension entfalten, in der das Denken seinen synthetischen Charakter a priori behält, weil, wie Forster richtig sieht, gerade die sinnliche Dimension der Bedeutung die Bestimmung des Denkens nicht im Gebrauch der Begriffe auflöst. Sie schafft stattdessen eine – wie ich es nennen möchte – transzendentale Stelle für die Empfindungen und Bilder. Die Annahme einer solchen Stelle ermöglicht gerade die metaphorische Verwandlung des Empirischen, die bei Herder eine sinnliche Konnotation hat. Denken kann bei Herder nicht auf etwas hinweisen, ohne versinnlicht zu werden.216 Und die Bestimmung der einzelnen Funktionen der Sinne wird nicht auf den physiologischen Körper als Ort ihrer Zusammenwirkung reduziert. Die Sinnlichkeitslehre entspricht daher nicht einer Verkörperungslehre, obwohl der Körper ihr transzendentales Areal darstellt – denken wir zum Beispiel an die Funktion, die nach Herder das Nervengebäude spielt.217 Die einzelnen Sinne sind nicht von der Darstellung und dem Ausdruck zu trennen.218 Damit werden die Sinne letztlich zur transzendentalen Bedingung der Artikulation der Bedeutungserfahrung zwischen Bild und Wort.

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Insbesondere Lia Formigari (2003, S. 135) hat auf die Bestimmung eines „pensée corporelle“ bei Herder hingewiesen: „l’esprit trouve dans le corps l’organe qui permet d’organiser et communiquer les perceptions. Le corps, écrivait Herder dans les Kritische Wälder, est le point de contact de l’esprit avec le monde“. Siehe dazu auch Tani 2000. Siehe zum Beispiel Herder, Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, in FHA, 4, S. 346: „Unterlag unsre Seele dem Meere kommender Wellen von Reiz und Gefühl von außen: so gab uns die Gottheit Sinne; von innen, so webte sie uns ein Nervengebäude“. Vgl. dazu Pénisson 1990, S. 293f., und Scheider 1996, S. 59: „The tactile paradigm of aesthetic experience established by Herder against the visual paradigm of the Enlightenment opens up a dimension of depth behind what is now only the surface of appearances, it penetrates the exterior into an interior which by this act comes into being. This new paradigm is shaped after the model of bodily self-awarness which Herder celebrates as an originating moment, the symbolic moment of origin where the ‘soul creates a body for itself’, which also is the origin of symbolic expression“.

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

4. Da r stel lender, ausd r üc kender u nd re el l b edeutender Geist Wie gezeigt übt nach Herder der symbolisch-allegorisierende, sprachliche Prozess eine genetische Wirkung auf die Begrifflichkeit aus, die nach Kant im doppelten Geschäft der Urteilskraft zur Darstellung gelangt. Es wäre daher zu prüfen, ob der angezeigte Prozess auch in der Lage ist, die Unterscheidung zwischen schematischer und symbolischer Versinnlichung aufzunehmen und gegebenenfalls zu transformieren. Jenseits dieser Unterscheidung kann die Sprache für Herder, mit Cassirer gesprochen, „ganz als ein Erzeugnis der unmittelbaren Empfindung und zugleich als ein Werk der Reflexion, der Besinnung gefasst werden: weil ebendiese letztere nichts Äußeres ist, was nachträglich zum Inhalte der Empfindung hinzutritt, sondern weil sie in ihn als konstitutives Moment eingeht“.219 Das Problem ist nun, den Status einer Verleiblichung der Sinnlichkeit zu verstehen, in deren Folge die Empfindung in den Mittelpunkt von Herders Ästhetik rückt – vor allem diejenige subjektive Empfindung, die aus Kants Sicht nie zur Bestimmung objektiver Erkenntnis fungieren kann. Im Interesse einer systematischen Weiterentwicklung der Schematismuslehre ist daher Herders sensualistische Erweiterung des Schematismus wieder an die Grenzen einer transzendentalen Artikulation der Bedeutung zurückzubinden, um zu verstehen, ob die Fragestellung Herders – wie etwa Borsche behauptet – „in Konkurrenz zur Transzendentalphilosophie“220 steht. Wenn bei Herder tatsächlich eine Neugewichtung der symbolischen Darstellung erfolgt und seine gesamte Philosophie letztlich mit Pénisson als eine Dekategorisierung verstanden werden kann,221 dann drängt sich verständlicherweise die Frage auf, inwieweit Herder sich mit der symbolischen Darstellung und dem Bezeichnungsvermögen auseinandersetzt, wie sie von Kant in der Kritik der Urteilskraft behandelt werden. In der Kalligone behauptet Herder: „Alles am Menschen ist darstellend, ausdrückend, reell bedeutend. Nicht wie in einer Schachtel wohnt der Menschen Geist, die ihn belebende, ihm angeborene Kraft, sondern charakteristisch und energisch ausgedrückt in seinen Gliedern, Bewegungen und Gebärden. Die Stirn des Menschen, sie zeigt nicht etwa nur jetzt und dann Gedanken, sie ist eine Gedankenform“.222 219 220 221 222

Cassirer, ECW, 11, S. 95. Zeuch (2010, S. 261f.) spricht von einem „Weg aus der Krise der Repräsentation in der Moderne“. Borsche 2010, S. 55. Vgl. Gaier 2006, S. 124f. Pénisson 1990, S. 292. Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 720. Vgl. Fortuna 2005, S. 143: „La condizione perché si produca questa sintesi sensoriale e cognitiva è la componente espressiva“.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Schon in Bezug auf den aposteriorischen Charakter der Begrifflichkeit und die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit ist gezeigt worden, inwieweit die Metapher bei Herder ein genetischer Prozess ist.223 Sie hat eine grundlegende Erkenntnisfunktion, weil das Begreifen in sich schon eine Verwandlung und Übertragung impliziert. Dieser Aspekt lässt sich daher mit der kantischen Unterscheidung zwischen direkter (schematischer) und indirekter (symbolischer) Versinnlichung vergleichen.224 In der Kalligone setzt sich Herder explizit mit der Kritik der Urteilskraft auseinander. So schreibt er in der Vorrede: „Mit eben dem Recht und aus eben der Pflicht, aus und mit welchen ich der Kritik der leeren Vernunft eine Metakritik zugab, führe ich der Kritik der Urteilskraft eine Kalligone zu, gleich unbekümmert, wie man sie aufnehme: denn wer sich darüber den mindesten Kummer machte, hätte keine Metakritik geschrieben“.225 In der Schrift widmet er dem §59 eine ausführliche Interpretation, in dem Kant die Schönheit zum Symbol der Sittlichkeit erklärt und seine Lehre einer doppelten Versinnlichung entwirft. Herder nun scheint Kant eine ungenaue Verwendung des Symbol-Begriffes vorzuwerfen, denn – so behauptet er – „nicht jeder Begriff […], den ich mit einer Sache verbinden will, instituiert Symbole“.226 Und er merkt an, Kant irre sich im Fall des Beispiels der Handmühle und gerate in eine Wortverwirrung,227 denn es sei ein „sinnverkehrender Gebrauch des Wortes“, das nicht für jeden ein Symbol darstelle. Vor allem erkenne man die metaphorische Bedeutung nicht im, sondern am Symbol. Gerade diese Kritik ist bedeutend, weil sie klarstellt, dass es im Beispiel der Handmühle um ein Urteil und nicht um ein Wort geht, oder anders gesagt: um eine Metapher und nicht um ein Symbol. Insofern setzt das Beispiel immer schon eine Interpretation voraus.228 Das Symbol steht für die anschauliche Entsprechung mit dem Begriff, wobei das Natursymbol die vollkommenste Entsprechung darstellt. An ihm lässt sich die Bedeutung so direkt erkennen, als ob sie naturgegeben wäre. Herder unterscheidet – ähnlich wie Maimon – zwischen Natursymbolen und konventionellen Symbolen. In Bezug auf erstere erklärt er, dass „jedes Ding bedeutet, d.i. es trägt die Gestalt dessen was es ist“. Daher werden Natursymbole als „die darstellendsten, ausdrückendsten, prägnantesten“ beschrieben.229 223 224 225 226 227 228 229

Dazu Steinby 2010, S. 143. Dieser Aspekt wurde in Kapitel VI des ersten Teils der vorliegenden Untersuchung behandelt. Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 647. Herder, Kalligione, in FHA, 8, S. 952. Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 952. Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 953. Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 956.

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

Zwar sind auch diese Symbole konventionell, doch hat nach Herder jede echte Konvention in der Natur ihren Grund. Damit erklärt Herder die Wirkung, die jede Symbolisierung in sich trägt und die zur Ausdrucksfähigkeit jedes Ding beiträgt. Für die konventionellen Symbole bedeutet dies, dass sie als graduierbar im Sinne eines Aufstiegs zum Natursymbol verstanden werden können. Die natürliche Verbindung kann daher als Vorbild für die Orientierung der konventionellen Bedeutungsgebung gelten. Somit skizziert Herder mit wenigen Strichen eine menschliche Symbolik: „Die Kunst also, die am Naturausdruck lebendiger Formen haftet, ist äußerst strenge und sparsam mit Symbolen“.230 Von dieser symbolischen Verwandlung sind auch Hören und Sehen betroffen. Natürliche und konventionelle Symbole haben eine unterschiedliche Stellung, je nachdem, ob sie durch das Auge oder das Ohr zum Ausdruck gelangen. Die Malerei sollte dementsprechend den Naturgestalten möglichst nahe kommen, und die Griechen gelten Herder in Sachen Naturtreue als die „weisesten Meister“.231 Im Gegensatz dazu üben die Symbole für das Ohr eine andere Funktion aus: „Dem Ohr dagegen sind Symbole von einer andern Art; sie legen ihre Natur ab und werden selbst, was sie bedeuten. So Töne; ihr Klang und Gang und Rhythmus bedeuten nicht nur, sondern sind Schwingungen des Mediums sowohl als unsrer Empfindungen; daher ihre innigere Wahrheit, ihre tiefere Wirkung. So die Worte der Sprache; das Symbolische der Laute oder gar der Buchstaben bleibt in einer uns geläufigen Sprache außerhalb der Seele; diese schaffet und bildet sich aus Worten eine diesen ganz fremde, ihr selbst aber eigne Welt, Ideen, Bilder, wesenhafte Gestalten“.232 Die Funktion des Symbols für das Ohr wird dennoch zum Kriterium der Betrachtung der Dichtung und ihrer inneren Wirkungen, die sie von der Malerei oder dem allegorischen Drama unterscheiden. Dieser Aspekt wird jedoch von Herder nicht primär erkenntnistheoretisch, sondern kunsttheoretisch vertieft, wobei es ihm um die ästhetische Bedeutung des Lautes geht. Das Hören ist derjenige Sinn, der eine Vermittlung zwischen Lauten und den innersten Gefühle der Seele leistet. Die Aufmerksamkeit wird dabei eher auf die „innige Wahrheit“ und „tiefere Wirkung“ der Laute gelenkt, womit die Ästhetik zu einem kunsttheoretischen Verständnis der Sinne wird.

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Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 958. Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 958: „Auch hierin waren die Griechen die weisesten Meister. Ihre Allegorien und Personifikationen, geschweige ihre untergeordneten Merkzeichen, sind fast Natursymbole“. Herder, Kalligone, in FHA, 8, S. 959.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Bei Herder lässt sich insofern der Versuch erkennen, nicht nur eine Psychologie, sondern auch eine Ästhetik auszubuchstabieren, welche die Physiologie miteinbezieht.233 Die Analyse der Sinne, die in einem sprach- und erkenntnistheoretischen Zusammenhang fruchtbar gemacht werden kann, entfaltet sich hauptsächlich in der Bestimmung der einzelnen Künste. Herders auf das Gefühl ausgerichtete Auffassung der Sinnlichkeit führt weiterhin zu einem bestimmten Verständnis des Verhältnisses von Plastik und Malerei, wie schon das Gehör zur Bestimmung der Musik beitrug.234 Die angenommene Synästhesie entfaltet ihre volle Kraft in Herders Interpretation der Kunst und lässt sich schwer von seiner Auffassung der kulturell geprägten Lebensformen trennen.235 So tritt sie zum Beispiel in der Abhandlung Über Bild, Dichtung und Fabel hervor, in der die Bestimmung der Sinne mit regionalen Unterschieden in Verbindung gebracht wird: „Nach dem Auge hat sodann Ohr und Gefühl, insonderheit die tastende Hand, der Seele die meisten Ideen gegeben; der Geschmack und Geruch weniger, insonderheit in den nordischen Regionen“.236 Solche Beobachtungen anthropologischer und physiologischer Art bestätigen Kant wiederum in der Überzeugung, bei Herders Analyse handele es sich nur um poetische Erklärungen und Allegorien, die nicht zur Philosophie gehörten und beliebig blieben.237 Jenseits oberflächlicher Differenzen liegt der gegenseitigen Verken233 234

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In diese Richtung geht auch die Kritik von Bertram (2006, S. 235f.) an Michael Forster. Siehe dazu die Bestimmung der Sinne in Bezug auf die einzelnen Künste in Plastik (FHA, 4, S. 263): „In der Bildnerei, bei einem Solido kann nichts durchscheinen: sie arbeitet für die Hand und nicht fürs Auge“. Und weiter (S. 276): „Die Formen der Skulptur sind so einförmig und ewig, als die einfache reine Menschennatur; die Gestalten der Malerei, die eine Tafel der Zeit sind, wechseln ab mit Geschichte, Menschenart und Zeiten“. Zum Begriff der Synästhesie siehe Zeuch 2000, S. 279, und zur Bedeutung der Plastik insbesondere Leiner 2012, S. 152. John H. Zammito bezeichnet Herder als „an aesthetic psychologist“ und bemerkt (2002, S. 332): „Herder’s theory of developmental psychology thus carried him inevitably to a theory of cultural difference and of historical proliferation and cumulation“. Herder, Über Bild, Dichtung und Fabel, in FHA, 4, S. 633. Für diese Kritik siehe Kants Rezension zu Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, insbesondere folgende Beobachtung (AA VIII: 60): „Aber so wenig wollen wir untersuchen, ob nicht der poetische Geist, der den Ausdruck belebt, auch zuweilen in die Philosophie des Vf. eingedrungen; ob nicht hier und da Synonymen für Erklärungen und Allegorien für Wahrheiten gelten; ob nicht, statt nachbarlicher Übergänge aus dem Gebiete der philosophischen in den Bezirk der poetischen Sprache, zuweilen die Grenzen und Besitzungen von beiden völlig verrückt seien; und ob an manchen Orten das Gewebe von kühnen Metaphern, poetischen Bildern, mythologischen Anspielungen nicht eher dazu diene, den Körper der Gedanken wie unter einer Vertügade zu verstecken, als ihn wie unter einem durchscheinenden Gewande angenehm hervorschimmern zu lassen“. Zum Denkstil der Philosophie Herders siehe Herz 1996, S. 45f. und 63–68. Für

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III. Herders ‚Metaschematismus tönender Gedankenbilder‘

nung jedoch bei näherem Hinsehen ein je systematisch zu unterscheidendes Verständnis von Dichtung zugrunde: Für Kant ist die Philosophie Herders eine Dichtung, weil sie mit Metaphern und Allegorien arbeitet und die erkenntnistheoretischen Grenzen der Philosophie überschreitet; für Herder wiederum ist die Philosophie Kants eine Dichtung, weil sie statisch und erfahrungsfremd ist, womit das Schema eine bloße Fiktion bleibt.238 Pénisson behauptet, dass „[…] die Herdersche Semiotik keine Philosophie [ist], sondern eine endlose Produktion des Sinns, eine Semiose, dem gewidmet, was Hegel mit dem Namen ‚schlechte Unendlichkeit‘ brandmarkte“. Folgerichtig bezeichnet er die Semiotik Herders als eine „philosophia non perennis“.239 Ich würde nicht so weit gehen. Denn wie gezeigt werden konnte, lässt sich von Herders Verständnis der Sinne ausgehend eine Versinnlichungslehre denken, die durchaus philosophisch relevant ist. Trotzdem bleibt Pénissons Einwand berechtigt, und das aus zwei Gründen: erstens weil er – obzwar in kritischer Absicht – den provisorischen Charakter der Begrifflichkeit bei Herder hervorhebt, den auch Michael Forster240 – jedoch in affirmativer Weise – in Verbindung mit dem Gebrauch von Regeln bringt; zweitens, weil er somit den problematischen Kern der Herdeschen Philosophie hervorhebt, in der das Problem der Bedeutung als solche und vor allem ihrer begrifflichen Kristallisation noch offen bleibt.241 Denn Herder versäumt es zu erklären, inwiefern sich durch das genetische Verständnis der Begriffsbildung das semantische Verhältnis zwischen Mannigfaltigkeit und Einheit ändert. Es mangelt Herder an einer transzendentalen Begründung der Gestaltung selbst, verstanden als sprach- und erkenntnistheoretische Wandlung der Begrifflichkeit, die sich semantisch kristallisiert, um dann als gegeben zu erscheinen und zur Bedeutungsartikulation gebraucht zu werden.242 Trotz der grundsätzlichen Möglichkeit, mit Herder einen transzendentalphilosophischen Erweiterungsversuch der Schematismuslehre anzuvisieren, bleibt doch zu konstatieren, dass bei ihm das Verständnis der Sinne letztlich

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einen grundlegenden Vergleich zwischen Kant und Herder in Bezug auf die Anthro­pologie siehe insbesondere Zammito 2002, S. 315. Den Begriff der Dichtung bei Kant und Herder untersucht Tilman Borsche (2010, S. 65). Pénisson 1990, S. 302. Siehe Forster 2010, S. 72f. Siehe oben, Kap. V des ersten Teils. Siehe dazu Leiner 2012, S. 139: „Somit hat Herder keinen abstrakten Erkenntnisbegriff, sondern Erkennen ist für ihn immer an die unmittelbare Tätigkeit aus der Empfindung heraus gebunden; es ist selbsttätiges Schöpfen aus der verborgenen Gottesnatur heraus, die über Gefühl und Empfindung annäherungsweise erfahrbar wird und die letzten Endes Quell und Antrieb aller Erkenntnis und Kulturgestaltung ist“.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

einer Anthropologisierung und Ästhetisierung unterzogen wird, in deren Mittelpunkt eine auf dem Empfindungsbegriff aufbauende Ästhetik steht – wobei hinzuzusetzen ist, dass es sich dabei um die subjektive Empfindung handelt, die für Kant grundsätzlich ungeeignet zur Bestimmung objektiver Erkenntnis ist. Der subjektive Charakter der Sinnlichkeit bei Herder ist gerade Ausgangspunkt für die Kritik Plessners, der in Abgrenzung dazu eine objektive Ästhesiologie entwickelt, die ich im dritten Teil mit Merleau-Ponty243 und den Ansätzen zum embodied mind in Verbindung bringen werde. Vor allem die letzten in der Variante von Mark Johnson und George Lakoff schlagen einen ähnlichen Weg ein, insofern sie für die metaphorische Ausweitung der Begrifflichkeit durch die körperliche Handlung und einen monistischen Ansatz der Einbildungskraft eintreten, ohne sich dabei jedoch auf Herder zu beziehen.244 Bevor diese Verkörperungsansätze näher untersucht werden, sollen hier abschließend die semantischen Aspekte der Versinnlichung vertieft werden. In den nächsten Kapiteln werden zwei weitere Ansätze in Betracht gezogen: einerseits derjenige Wilhelm von Humboldts, durch den der produktive Charakter des Schematismus mit der internen Dynamik der Sprache in Verbindung gebracht werden kann; andererseits derjenige Hegels, dessen behaupteter Übergang vom Bild zum Denken mittels der Zeichen erzeugenden Phantasie näher zu beleuchten sein wird.

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Yann Philipp Leiner vergleicht diesbezüglich Herder mit Merleau-Ponty (2012, S. 137): „Wie für Herder ist auch für Merleau-Ponty der Leib die Grundlage der menschlichen Erkenntnis. Mit der Kategorie des Leibes versucht letzterer zwei Sachgassen zu umgehen; einmal diejenige eines zu starken Empirismus und auf der anderen Seite diejenige eines zu strengen Intellektualismus. Beide Sichtweisen sind sich nach Merleau-Ponty der Bedeutung des Leibes und seiner konstituierenden Wirkung auf alle Erkenntnis nicht hinreichend bewußt. Der Leib wird als Ursache beider Sichtweisen verkannt, obwohl auf der leiblichen Erfahrungsebene die Grundlage und Grenze aller Erkenntnis zu sehen ist. Sowohl die leibliche Wahrnehmung der Innerlichkeit, als auch die Wahrnehmung von Äußerem vollziehen sich im Zentrum des Leibes, der in seiner natürlichen und weltlichen Bedingtheit das eigentliche Subjekt der Erkenntnis ist. Der Leib bildet folglich eine Zwischensphäre von innen und außen, innerhalb derer beide Erfahrungsebenen Anteil haben“. Insbesondere Hans Adler (2010, S. 153) hat auf diesen Aspekt hingewiesen.

I V. Das Wort zwischen S ymbol und Z eichen bei W ilhelm von H umboldt

Die Sprache ist für Wilhelm von Humboldt die eigentlich gestaltende Dimension des Denkens. Sie dient nicht nur und nicht primär der Darstellung, sondern hauptsächlich der Gestaltung des Denkens und ist „kein freies Erzeugnis des einzelnen Menschen“,245 sondern gehört zum Geist eines ganzen Volks. Die Sprache ist somit gleichermaßen ständige Erzeugung des Neuen als auch Überlieferung des Alten. Sie verkörpert die Spannung zwischen gemachtem und gegebenem Charakter der Begriffe, die als die Kernproblematik der herderschen Kritik an der kantischen Begrifflichkeit herausgearbeitet wurde. Und wie gesehen, betrifft einer der wichtigsten Kritikpunkte Herders an Kant den Entstehungsprozess der Begriffe – und zwar insbesondere der abstrakten Begriffe oder Kategorien, die bei Kant als Bedingungen der Erkenntnis gelten, von Herder hingegen als Resultate eines Gestaltungsprozesses gedacht werden. Die Beschreibung dieses Prozesses, der bei Herder ein enges Verhältnis zwischen sprachlichem Gebrauch und Denken involviert, wird von Humboldt dagegen nicht mehr mit der Frage nach dem Ursprung der Sprache verbunden,246

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Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium, in Gesammelte Schriften (GS), IV, S. 24. Vgl. Trabant 1990, S. 107f. Siehe dazu auch Stetter 1997, S. 405: „Von der Transzendentalphilosophie ‚entlehnt‘ Humboldt den Gedanken der Weltkonstitution, der dem Sensualismus Herders grundsätzlich fremd war, und eben hierin gelangt er ein wesentliches Stück über den herderschen Standpunkt hinaus. Erst damit ist der Gesichtspunkt gewonnen, aus dem sich die ‚ursprüngliche‘, poetische Produktivität der Sprachfähigkeit kategorial entfalten lässt. Anschließend an Herders Theorie der ‚Verwillkürlichung‘, d.h. der Konventionalisierung des Wortes qua Element der menschlichen Sprache, die er im zweiten Teil des Fragments referiert, wird Humboldt in der Betrachtung der literarischen Produktion Goethes und insbesondere Schillers die sprachliche Artikulation als dasjenige Verfahren begreifen, das es der dichterischen Einbildungskraft ermöglicht, gegen ‚das Reich der Wirklichkeit‘ eine ideale Welt des Möglichen zu entwerfen“.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

sondern – im Anschluss an Kant und beeinflusst von Fichte – als transzendentale, prozessuale Bedingung des Denkens selbst angesehen: In einem kurzen Text zu Reinholds Rezension von Fichtes Wissenschaftslehre bezieht sich Humboldt auf den Unterschied zwischen Kant und Fichte hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Resultat der Tätigkeit und der Tätigkeit selbst. Den Begriff der Tätigkeit bringt er dabei vor allem mit dem Ansatz Fichtes in Verbindung, die Möglichkeit der Abstraktion im Handeln selbst zu begründen,247 wohingegen Kant „bei den Resultaten anfängt, nicht bei der Kraft selbst“.248 Und das führt nach Humboldt dazu, dass Kant nicht dazu kommt, „das Theoretische mit dem Praktischen hinlänglich zu verbinden“.249 Der Vergleich zwischen Kant und Fichte zeigt die Richtung der Methode Humboldts an, die einerseits von der hypothetischen Vorgehensweise der kantischen Erkenntnistheorie, andererseits von Fichtes praktischem Impetus inspiriert ist. Das Geistige bleibt – so schreibt Humboldt 1827 in einem Brief an Becker – „das Erste und Hauptsächliche an der Sprache“,250 die nicht auf die weiterhin wichtigen Funktionen des Materiellen (Phonetischen) und der Physiologie reduziert werden darf. Die Sprache ist somit keineswegs nur das Resultat einer bloßen Abbildung und Bezeichnung von Gedanken; im Gegenteil ist sie die „einzige Vermittlerin“251 dieser beiden Dimensionen in einem tätigenden, handelnden Dritten, welches das Wort ist, das mehr ist als ein Abbild. Auf diese Weise transformiert Humboldt die Auffassung der Einbildungskraft, die nun „theils symbolisierend, theils sonst bildend, vorzüglich in der Sprache beschäftigt ist“.252 Im Folgenden hat insbesondere die Funktion des Wortes im Zentrum zu stehen, weil sie einerseits die Vermittlungsfunktion des Schemas in einem neuen Licht erscheinen lässt, andererseits dazu geeignet ist, das Verhältnis von Bildern und Zeichen zu erhellen – beide Aspekte sind im ersten Teil bereits im Kontext der kantischen Schematismuslehre herausgestellt worden. Der Sprache kommt bei Humboldt die Funktion einer dynamischen Kristallisation zu: In ihr lassen sich die Bestimmungen erkennen, die jede Einzelsprache formieren, ohne dass dabei die Sprache überhaupt als ein ‚totes‘ Pro247

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Siehe Humboldt, Materialien vom Mai 1798, in GS, XIV, S. 451: „Die rein wissenschaftliche Philosophie stellt die durch sich selbst bestimmte (von der Erfahrung unabhängige) Möglichkeit (des Selbstbewusstseyns und der Erfahrung, als der von der kritischen vorausgesetzten, und in Rücksicht auf ihre Möglichkeit unbestimmt gelassen Thatsachen), als ihr Objekt auf. Diese Möglichkeit ist der rein wissenschaftliche Vernunftgebrauch selbst in seinen schlechthin nothwendigen Handlungsweisen“. Humboldt, Materialien, GS, XIV, S. 452f. Humboldt, Materialien, GS, XIV, S. 453. Humboldt, Brief an Karl Ferdinand Becker von 20. Mai 1827, in WE, V, S. 266. Humboldt, Grundzüge, S. 50. Humboldt Brief an Karl Ferdinand Becker von 20. Mai 1827, in WE, V, S. 266f.

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IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

dukt definiert würde, das mechanisch erlernt werden könnte, wie an der berühmten Stelle aus Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues zu lesen ist: „Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jenem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische seyn“.253 Humboldt bringt mit diesen Worten exemplarisch zum Ausdruck, was unter einer sprachlichen Versinnlichung zu verstehen ist: Ein aktivischer, verlebendigender Prozess in Abgrenzung zum Verständnis der Sprache als System fixer Bedeutungen. Dieser Sinn, der durch die Parallelisierung mit der energeia im Unterschied zum ergon noch unterstrichen wird, soll im Folgenden in seinen Konsequenzen für das Verständnis sowohl der Einbildungskraft als auch der Versinnlichung untersucht werden. Der Akzentuierung des aktivischen Charakters zufolge lässt sich die Sprache jenseits des Sprechens nicht porträtieren, und das Sprechen als Vorgang gestattet jeweils nur Momentaufnahmen, in denen eine unzertrennliche Verbindung zwischen Intellektualität und Sprache stattfindet. Die Bestimmung der Sprache als energeia zeigt den entscheidenden Primat der Tätigkeit vor dem Produkt an, der mit Humboldts Hochachtung für Fichtes Auffassung der Tätigkeit des Anschauens in Verbindung gebracht werden kann. Humboldts Sprachbegriff füllt nicht allein eine Lücke innerhalb der kantischen Systematik, sondern er verschiebt die Grenze zwischen schematischer, symbolischer und zeichenhafter Darstellung und öffnet auf diese Weise den Blick für eine dynamische Bestimmung dieses Prozesses. Wir haben es hier demnach tatsächlich mit einer transzendentalphilosophischen Umgestaltung zu tun, da es Humboldt – im Unterschied zu Herder – nicht an methodischer Strenge mangelt.254 Die genetische Bestimmung der Sprache ist für Humboldt kein rein linguistisches Problem und kann auch nicht als psychisches Phänomen abgetan werden, sondern betrifft das Denken im Allgemeinen, das jenseits seiner Versinnlichung nicht zur Erscheinung gelangen kann. Der spezifisch genetische 253 254

Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 45f. (Hervorhebung L.G.). Gerade wegen der Nähe zur strengen Methodik der kantischen Schule einerseits und zum Gedanken der dynamischen Entwicklung der herderschen Schule andererseits sieht Cassirer (ECW, 16, S. 118) in der Sprachphilosophie Humboldts eine Versöhnung des Konflikts zwischen Kant und Herder.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Charakter der Sprache stellt dabei eine besondere Herausforderung für ihre Beschreibung dar, denn – wie Eugenio Coseriu anmerkt – „da die Sprache dynamisch ist, muss sie auch dynamisch dargestellt werden“.255 Das hat nicht nur Konsequenzen für die moderne Linguistik, sondern trägt die Reflexion auf den Status einer Transzendentalphilosophie, welcher es um die systematische Integration der Sprache geht und die daher vor der Aufgabe steht, den semantischen Bezug zwischen Subjektivität und Objektivität durch die Sprache neu zu bestimmen. In diesem Rahmen räumt Humboldt – wie schon Herder – der Anthropologie eine grundlegendere Stellung ein als Kant. Bei Humboldt lässt sich Sprache grundsätzlich nicht von der intellektuellen Tätigkeit und der Synthesis der Sinne trennen.256 Die genetische Bestimmung der Sprache betrifft also die Konstitution des Gegenstandes als solchem, die als sprachlich bedingt aufgefasst wird. Damit distanziert sich Humboldt von Vorstellungen der Sprache als bloßem Verständigungsmittel – als Instrument zur Darstellung schon bestehender Gedanken –, um in ihr „das bildende Organ des Gedanken“ zu erblicken.257 Zwischen Denken und Sprache besteht insofern keine Isomorphie; im Gegenteil steht die Sprache für die dem Denken eigentümliche Synthesis: „Subjektive Tätigkeit bildet im Denken ein Object“.258 Wie Humboldt schreibt, ist die Sprache die eigentliche Vermittlerin sowohl zwischen Subjekt und Objekt als auch zwischen verschiedenen Subjekten: „Die Sprache ist gerade insofern objectiv einwirkend und selbständig, als sie subjectiv gewirkt und abhängig ist“.259 Folglich betrachtet Humboldt die Synthesis- und Vermittlungsproblematik Kants auch aus einem anderen Gesichtspunkt, da das Objektive „das eigentlich zu Erringende“260 ist. Das Denken ist somit nicht nur ein „Reden mit sich selbst“,261 sondern auch ein Reden mit den Anderen. Die neue

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Coseriu 1988, S. 11. Siehe Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 53–55. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 53. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 55. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S.63. Für Christian Stetter gründet die Überwindung der Cartesischen Tradition der Isomorphie von Gedanken und sprachlichem Ausdruck darin, dass Humboldt die Sprache als Medium (2012, S. 116f.) „nicht mehr vom Standpunkt der Repräsentation aus betrachtet, nicht mehr als pures Mittel der Darstellung fasst, […] als Medium im modernen Sinne, das dem Mediatisieren gegenüber nicht neutral ist, sondern es durch seine internen Formen prägt“. Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium, in GS, IV, S. 28. Vgl. dazu auch Cassirer ECW, 16, S. 122. Kant, AA VII: 192.

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IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

dialogische Dimension262 instituiert einen ebenfalls neuen Dualismus „zwischen Anrede und Erwiderung“,263 in dem sich Verstehen (und Nicht-Verstehen) vollziehen und in dem die Gegebenheit der Begriffe als Resultat eines dialogischen Prozesses erscheint: in Begriffen vererbt sich der Prozess ihrer Herausbildung, die im Sprechen erfolgte und ständig von Neuem erfolgt. Das dialogische Sprechen ist daher eine notwendige Bedingung des Denkens, denn es vollzieht sich darin die Prüfung und Anerkennung der Objektivität der Worte. Damit festigt sich die zentrale Rolle, die dem Prozess des Erlernens einer Sprache schon von Maimon und Herder zugesprochen wurde. Die Kraft des kantischen synthetischen Urteils wird von Humboldt auf die Sprache und vor allem auf das Sprechen übertragen, ohne dabei die Bedeutungsgestaltung auf ein rein psychisches Phänomen zu reduzieren. Das heißt meines Erachtens, dass die Sprache – und insbesondere das Wort – in die gesamte doppelte Versinnlichung Kants hineingezogen wird. Und nicht nur das. Ausgehend vom Geflecht zwischen Bestimmtem und Bestimmbarem wählt Humboldt den ‚Weg der Verschiedenheit‘ der Sprachen. So bereitet die Bestimmung der Sprache als energeia (und nicht als ergon) die wichtige Unterscheidung zwischen Sprache und Sprechen vor, die das „Gewebe“ der Sprache ausmacht, „in dem jeder Theil mit dem andren und alle mit dem Ganzen in mehr oder weniger deutlich erkennbarem Zusammenhange stehen. Der Mensch berührt im Sprechen, von welchen Beziehungen man ausgehen mag, immer nur einen abgesonderten Theil dieses Gewebes, thut dies aber instinctartig immer dergestalt, als wären ihm zugleich alle, mit welchen jener einzelne nothwendig in Uebereinstimmung stehen muß, im gleichen Augenblick gegenwärtig“.264 Im Sprechen realisiert sich das hic et nunc jedes Gebrauchs und gerade „im Individuum erhält die Sprache ihre letzte Bestimmtheit“.265 Dennoch ist nicht jede sprachliche Handlung eine reine Schöpfung, sondern zunächst einmal ein besonderer Gebrauch in (mehr oder weniger bewusster) verändernder Absicht. Somit steht ein einzelner Akt im Zusammenhang einer potentiellen Unendlichkeit von Bestimmungen, welche die Sprache (wenn auch nur in ihren parat gehaltenen Bestimmungen) ist. Die Sprache ist nach Humboldt „eine unerschöpfliche Fundgrube, in welcher der Geist immer noch Unbekanntes entdecken und die 262

263 264 265

Insbesondere Donatella Di Cesare hat auf diesen Aspekt hingewiesen und ihn als „Dreidimensionalität der Sprache“ (2004, S. XLI) bezeichnet. Sie sieht in dieser neuen Dimension der Sprache die Überwindung des Schematismus selbst als die Überwindung des Solipsismus, den sie allerdings für ein Kennzeichnen der Metaphysik bis hin zu Kant und Hegel hält. Humboldt, Grundzüge, S. 50. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 70. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 64.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Empfindung noch nicht auf diese Weise Gefühltes wahrnehmen kann“.266 Gerade deswegen sind, wie bei Kant,267 Synonyme in der Sprache letztlich nur eine oberflächliche Erscheinung, insofern es nicht zwei oder mehrere Wörter geben kann, die genau die gleiche Bedeutung haben. Auch wenn eine Sprache zwei unterschiedliche Ausdrücke für angeblich denselben Gegenstand kennt – Humboldt nennt das Beispiel von freedom und liberty im Englischen –, „so ist der Gebrauch derselben bei feinsinnigen und sprachkundigen Rednern doch nicht gleichgültig“.268 Der Gebrauch also erzeugt die semantische Differenziertheit und hält sie am Leben. Dieser unerschöpfliche Charakter der Sprache verleiht ihr eine „dunkle, unenthüllte Tiefe“.269 Die Sprache impliziert eine Unendlichkeit, die für Humboldt die Frage nach dem Ursprung der Sprache zu einer unbeantwortbaren werden lässt. Beide Aspekte – die einzelne Aktualisierung von potentiell unendlichen Bestimmungen sowie die Tiefe und Unendlichkeit der Sprache – sind auch dem Schematismus nicht fremd, dessen Ursprung nicht zu finden ist, weil er, wie Josef Simon betont hat, gerade die Komplexität der Referenz selbst zur Schau stellt. Mit Humboldt kann nun deutlicher werden, inwieweit das Prozessuale des Schematismus mit der Sprache, verstanden als energeia, in Verbindung steht. Gleichzeitig stellt sich die Frage, die alle bis hierher behandelten Kritiken betrifft, ob der Schematismus Kants als eine semantische wie semiotische – und im weitesten Sinne sprachliche – Gestaltung des Denkens verstanden werden kann. Für ihre Beantwortung oder mindestens ihre Vertiefung ist es meines Erachtens wichtig, die Bestimmungen der Artikulation und des Wortes in der Vermittlungsproblematik bei Humboldt einer eingehenderen Prüfung zu unterziehen.

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Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 62. Siehe dazu Kant AA VIII: 152: „Denn obgleich in jeder Sprache einige Worte in mehrerer und verschiedener Bedeutung gebraucht warden, so kann es doch gar nicht lange währen, bis die, so sich im Gebrauche desselben Anfangs veruneinigt haben, den Mißverstand bemerken und sich an deren Statt anderer bedienen: daß es also am Ende eben so wenig wahre Homonyma als Synonyma giebt“. Für den Hinweis auf diesen Aspekt des kantischen Denkens habe ich Mirella Capozzi zu danken (siehe 2012, S. 334). Humboldt, Grundzüge, S. 107. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 62. Siehe dazu auch S. 56f.

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IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

1. D ie A r t i k u lat ion Die Artikulation macht nach Humboldt das Wesen der Sprache aus. Sie ist Bedingung der eigentlichen Versinnlichung des Tons, dessen Bedeutung nur in seinem artikulierten Gewand wahrgenommen werden kann. Sie wird gleichwohl nicht auf die körperliche Dimension der durch die Organe erfolgenden Artikulation reduziert, sondern stellt den eigenen Prozess der Sprache dar, die als „sich ewig wiederholende[n] Arbeit des Geistes“ beschrieben wird, „den artikulierten Laut zum Ausdruck des Gedanken fähig zu machen“.270 Eben diese vorrangige Bedeutung der Artikulation für die Gestaltung des Denkens erklärt auch den ständigen Bezug Humboldts auf die Taubstummen, die, obwohl sie keinen Zugang zu den Lauten haben, durch die Verbindung zwischen Denken und Sprachwerkzeugen das Artikulationsvermögen beherrschen.271 Wie schon gezeigt wurde,272 bezieht sich Kant auf dasselbe Beispiel, um mit diesem die Unersetzlichkeit des Gehörs zu erklären. Trotz der Hilfe des Sehens und der Übertragung der Laute durch Nachahmung von Bewegungen der Sprachorgane kommt der Taubgeborene für Kant „nie zu wirklichen Begriffen, weil die Zeichen, deren er dazu bedarf, keiner Allgemeinheit fähig sind“.273 Daran zeigt sich erneut, wie eng das Verhältnis zwischen Zeichen und Laut bei Kant ist: ohne die lautlichen Zeichen kann der Taubgeborene ihm zufolge nicht zu Begriffen gelangen, welche jenseits des partikulären Charakters des Bildes nur durch die spezifisch zeitliche Dimension des Lautes artikuliert werden können. Für Humboldt hingegen ist die Artikulation nicht mehr auf den Mechanismus der Lauterzeugung beschränkt, sondern macht das Wesen der Sprache selbst aus. Entsprechend hängt die Beherrschung des Sprachvermögens von der als nicht lautlich verstandenen Artikulation ab, in welcher dem Laut als Zeichen eine dienende Funktion zukommt.274 Die Sprache besitzt damit in der Tat die doppelte Natur, die schon Kant im Zusammenhang des Gehörsinns zu finden meint: letzterer dient in seiner artikulierten Form entweder zur Bildung der Begriffe oder er wirkt direkt auf das Gemüt. Im ersten Fall erscheint die unzertrennliche Verbindung zwischen intellektueller Tätigkeit und dem Ton als transzendentale Bedingung, da durch sie das Denken zur Ausprägung gelangt und der Übergang von der Vorstellung 270 271 272 273 274

Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 46. Vgl. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 66. Siehe oben, Kap. II.5. Kant, AA VII: 159. Für eine ausführliche Behandlung dieses Themas im 18. Jahrhundert siehe Gessinger 1994, S. XVIIf.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

zum Begriff möglich wird.275 Im zweiten Fall ist der Laut die subjektive Empfindung und hängt in seiner Wirkung nicht von der Artikulation ab. Als artikulierter ist der Laut der Vermittler schlechthin.276 Ähnlich wie die Zeit bei Kant die Vermittlungsfunktion des Schemas trägt, ermöglicht bei Humboldt der Laut die Vermittlung von sinnlicher Vorstellung und Begriff gerade dank seiner Zugehörigkeit zu beiden. Der Laut verbindet Materie und Form, ist somit rezeptiv wie produktiv und stellt eine innerlich-äußere Dimension dar; nur so kann er die Brücke zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven schlagen, die etwa Cassirer folgendermaßen beschreibt: Der Laut „ist auf der einen Seite gesprochener und insofern von uns selbst hervorgebrachter und geformter Laut; auf der anderen Seite aber ist er, als gehörter Laut, ein Teil der sinnlichen Wirklichkeit, die uns umgibt“.277 Der Laut ist gleichzeitig materiell und formell und vermittelt zwischen Gegenstand und dem Menschen, der – Humboldt zufolge – „sich mit einer Welt von Lauten“ umgibt, „um die Welt von Gegenständen in sich aufzunehmen und zu bearbeiten“.278 Der Ton ist dabei vor der Schrift einzuordnen und betrifft alle Schriftarten – auch diejenigen, die als Figurenschriftarten verstanden werden. Dieser Problematik widmet Humboldt den Aufsatz Über die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau von 1824. Die Buchstabenschrift gilt Humboldt darin als „Schrift des Tons“: „Die Eigenthümlichkeit der Sprache besteht darin, dass sie, vermittelnd, zwischen dem Menschen und den äussren Gegenständen eine Gedankenwelt an Töne heftet“.279 Daher erklärt Humboldt eine vom Laut unabhängige Begriffsschrift für unmöglich und setzt die Verbindung zwischen Denken und Laut als grundsätzlich voraus.280 Daraus folgt, 275 276

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Humboldt, Grundzüge, S. 44. Siehe dazu Borsche 1981, S. 274–277: „Die Artikulation als solche kann also nicht als ein natürliches Phänomen begriffen werden, und zwar weder akustisch noch physiologisch. Dennoch ist sie, wie Humboldt betont, vom natürlichen Laut nicht zu trennen. […] So ist die Artikulation zwar sinnlich durch ihre notwendige Verbindung mit dem natürlichen Laute. […] Obwohl also die Artikulation notwendig an den Laut gebunden ist, kann man sie von ihrer äußeren Gestalt, dem hörbaren Laut her gar nicht begreifen. Ihr innerer Zweck allein kann ihren Begriff erschließen. […] Die Artikulation ist das Formprinzip der Sprache […] Mit Hilfe des Begriffs der Artikulation läßt sich also in der Tat deutlicher bestimmen, inwiefern die Sprache die Fähigkeit besitzt, dem Menschen als das Medium zu dienen, in dem er ‚zugleich sich selbst und die Welt bildet‘. Selbstbewußtsein und dessen Artikulation in der Sprache sind eins und unzertrennlich voneinander“. Cassirer, ECW, 11, S. 23. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 60. Dazu Roscher 2006, S. 113–116, und Ferron 2009, S. 75f. Humboldt, Über die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau, in GS, V, S. 110. Vgl. Humboldt, Über die Buchstabenschrift, in GS, V, S. 112. Besonders Jürgen Trabant (1998, S. 81) hat in seinen Artikulationen dieser Problematik bei Hum-

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IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

dass alle Schriftarten – auch die sogenannten Figurenschriftarten – in Wahrheit nicht um den Laut umhin können. Außerdem entwickelt Humboldt eine Lehre des Vorzugs der alphabetischen Schrift vor anderen Schriftsystemen, da sie für ihn das Gliederungswesen der Sprache zur Schau stellt und der artikulierten und artikulierenden Natur der Sprache angemessener ist als die Figurenschriften.281 Letztere, wie zum Beispiel die hieroglyphische Schrift, werden von ihm daher auf ihre lautlichen Elemente zurückgeführt, obwohl sie an der Bildlichkeit haften, die sie von der prozeduralen Natur des Lautes entfernt. Es kann hier keine abschließende Einschätzung des Unterschieds der Schriftarten und des vermeintlichen Vorzugs der Flexion in der Satzbildung gegenüber der Einverleibung und der Isolation vorgenommen werden.282 Stattdessen ist systematisch gesehen vorrangig, die prozedurale Stellung des Wortes zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt zu beleuchten.

2. Da s Wor t Der Ton leistet die Vermittlung zwischen Anschauung und Begriff; als artikulierter ist er in der Wortform zu finden, denn „allein das tönende Wort ist gleichsam eine Verkörperung des Gedanken, die Schrift eine des Tons“.283 Der artikulierte Laut schlechthin ist das Wort und dieses der verkörperte Begriff. Das Wort gibt dem Begriff sowohl seine Gestalt als auch eine sinnliche Geltung; denn es ist gleichermaßen allgemein und individuell; es kann als unteilbares Ganzes und zugleich als Teil eines unendlichen Ganzen angesehen werden.284 Es

281

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boldt große Aufmerksamkeit gewidmet und dabei versucht, die sprach-theoretischen Implikationen von Humboldts Schrifttheorie anzugehen und zu betonen, inwiefern Humboldt erkannt hat, „dass die sogenannten Ideo-graphien in Wirklichkeit Logo-graphien sind“. Vgl. Humboldt, Über die Buchstabenschrift, in GS, V, S. 115: „Das alphabetische Lesen und Schreiben dagegen nöthigt in jedem Augenblick zum Anerkennen der zugleich dem Ohr und dem Auge fühlbaren Lautelemente, und gewöhnt an die leichte Trennung und Zusammensetzung derselben; es macht daher eine vollendet richtige Ansicht der Theilbarkeit der Sprache in ihre Elemente in eben dem Grade allgemein, in welchem es selbst über die Nation verbreitet ist“. Siehe dazu Trabant 2012, S. 310f. Jürgen Trabant hält diesen Aspekt für „völlig inaktuell“ bei Humboldt. Humboldt, Über die Buchstabenschrift, in GS, V, S. 109. Siehe dazu Humboldt, Grundzüge, S. 53f.: „Das Wort kann allerdings auch als unteilbares Ganzes genommen werden, wie man auch in der Schrift wohl den Sinn einer Wortgruppe erkennt, ohne noch ihrer alphabetischen Zusammensetzung gewiß zu sein, und es wäre möglich, dass die Seele des Kindes in den ersten Anfängen des Verstehens so verführe. […] Nun aber ist dasjenige, was die Artikulation dem bloßen Hervorrufen seiner Bedeutung (welches natürlich auch durch sie in höherer Vollkommenheit geschieht) hinzufügt, daß sie das Wort unmittelbar durch seine Form als einen Teil eines unendlichen Ganzen, einer Sprache, darstellt. […]

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

schafft Einheit und bleibt trotzdem in seiner Artikulation partikular und für eine mannigfaltige Bestimmung offen. Diesen Vermittlungsprozess bezeichnet Humboldt selbst als Verkörperungsprozess, in dem Denken und Anschauung in der energeia der Sprache unzertrennlich verbunden sind. Auf diese Weise stellt das Wort ein in der Sprache erzeugtes Objekt dar. In den Grundzügen des allgemeinen Sprachtypus schreibt Humboldt diesbezüglich: „Das Wort ist kein Gegenstand, vielmehr den Gegenständen gegenüber etwas Subjektives, nun aber soll es im Geiste des Denkenden doch ein Objekt, von ihm erzeugt und auf ihn zurückwirkend sein“.285 Trotz des allgemeinen, synthetischen Charakters der Sprache aber verliert Humboldt die systematische Differenzierung zwischen Wort, Symbol und Zeichen nicht aus den Augen, die in den Grundzügen entwickelt wird. Dabei ist auffällig, dass diese Differenzierung keine starre Abgrenzung von einzelnen Bestandteilen der Sprache, sondern eine sensible Beschreibung der vielschich­ tigen und prozessualen Gestaltung von Bedeutung in der Sprache darstellt. Das Wort wird zum Prozess, der sich zwischen symbolischem und zeichenhaftem Gebrauch artikuliert und im Unterschied zu beiden dynamisch bleibt. Es ist nun an der Zeit, die spezifische Entfaltung dieses Prozesses näher zu untersuchen. Insofern die Sprache im Allgemeinen „zugleich Abbild und Zeichen, nicht ganz Product des Eindrucks der Gegenstände, und nicht ganz Erzeugniss der Willkühr der Redenden ist, so tragen alle besondren in jedem ihrer Elemente Spuren der ersteren dieser Eigenschaften, aber die jedesmalige Erkennbarkeit dieser Spuren beruht, ausser ihrer eigenen Deutlichkeit, auf der Stimmung des Gemüts, das Wort mehr als Abbild, oder mehr als Zeichen nehmen zu wollen“.286 Das Wort wird somit zur konkreten Form der Gestaltung des Denkens, die jedoch als Abbild oder Zeichen aufgefasst werden kann. Es darf hingegen nicht als Abbild oder Zeichen definiert werden, obwohl es in beide Richtungen hin ausgelegt werden kann – je nachdem, wie das in ihm enthaltene Verhältnis zwischen Inhalt und Ausdruck bestimmt wird, wie Trabant bemerkt: „Das Wort ist nun insofern Abbild und Zeichen zugleich, als es […] – wie das Bild – eine unauflösliche Verbindung von Ausdruck und Inhalt hat“.287 Das Wichtige ist daran nicht nur, dass Humboldt die Einbettung des Zeichens und des Bildes im Wort erkennt, sondern auch, dass er die Spezifizität beider erhält. Somit spielen auch das Bild und das Abbildhafte in der Sprache eine grundlegende Rolle.288

285 286 287 288

Das Sprachlernen von Kindern ist […] ein Wachsen des Sprachvermögens durch Alter und Übung“. Humboldt, Grundzüge, S. 50. Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium, in GS, IV, S. 29. Zur der Stellung des Wortes zwischen Abbild und Zeichen siehe Stetter 1997, S. 437. Trabant 2012, S. 166. Vgl. Trabant 2012, S. 169.

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IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

Der Grundirrtum der Sprachwissenschaft liegt nach Humboldt darin, „die Wörter als bloße Zeichen anzusehen“.289 Seine eindeutige Weigerung, das Wort mit dem Zeichen zu identifizieren, kann als antisemiotischer Ansatz seiner Sprachphilosophie gelten, welche die Vermittlung als semantische Artikulation auffasst, die durch die semiotische Willkürlichkeit der Zeichen nicht aufgehoben wird.290 Dieser entscheidende Aspekt wird dort noch deutlicher, wo Humboldt das Wort ausdrücklich vom Symbol und vom Zeichen unterscheidet. Eigentlich ist das Wort zwar sowohl mit dem Zeichen als auch mit dem Symbol verwandt, aber trotzdem „seiner innersten Natur nach von beiden verschieden“.291 Die Angabe der Verwandtschaft des Wortes mit Zeichen und Symbol hängt davon ab, wie das Verhältnis zwischen Idee und Körperstoff, zwischen Sinnlichem und Unsinnlichem, zwischen Form und Materie im Wort gemeint ist. Indem der Laut den Begriff gestaltet, ist das Verhältnis zwischen Laut und Begriff mit dem Symbol verwandt: „Insofern das Wort den Begriff in einen sinnlichen Stoff vor der Einbildungskraft verwandelt, gleicht es dem Symbol. Denn es schiebt der Idee eine Gestalt unter und abstrahiert bei dem körperlichen Gegenstand von der Totalität seiner Wirklichkeit, indem es ihn an einem Merkmale festhält und ihn in diesem durch etwas ihm Fremdes, einen Ton, bezeichnet“.292 Dennoch lässt sich das Wort nicht mit dem Symbol gleichsetzen, weil es die Einheit zwischen Form und Materie nicht erreicht, die das Symbol ausmacht. Das Wort schließt somit die Möglichkeit einer vielschichtigen Gestaltung des Verhältnisses zwischen Sinnlichem und Unsinnlichem in sich, in dem die Sprache sich zwischen Konkretheit und Abstraktheit der Gedanken artikuliert.293 289 290

291 292 293

Humboldt, Grundzüge, S. 99. Dieser Ansatz wird insbesondere von Tilman Borsche (1981), Donatella Di Cesare (2004) und Jürgen Trabant (1990, S. 32f., und 2012) vertreten. Insbesondere Trabant rekonstruiert in seiner zuletzt erschienenen Monografie Weltansichten (2012, S. 157–167) die Entwicklung der Sprachphilosophie Humboldts in den Jahren 1795– 1826 in Hinsicht auf das Verhältnis zwischen Wort und Zeichen. Für einen Vergleich zwischen Humboldt und Saussure siehe Kuße 2007, S. 149–171. Humboldt, Grundzüge, S. 99. Humboldt, Grundzüge, S. 99. Siehe dazu Borsche 1981, S. 258: „Das Symbol ist nicht gleichgültige Hülle des sonst ‚unabhängigen‘ Begriffs, beide sind wesentlich verbunden. Im Zeichenverhältnis zeigt sich der Begriff als gänzlich losgelöst von dem beliebigen Zeichen, im Symbolverhältnis erscheint er als durchaus gebunden an das bestimmte Symbol. Das Wort aber vermittelt beide Verhältnisse, indem es den Begriff allererst bildet. Das ausgesprochene Wort meint einen Begriff, es hat Bedeutung; dieses Verhältnis ist ihm wesentlich. Der Begriff aber, den es meint, ist der konkrete Begriff, der nichts anderes ist als das jeweils im Sprechen Bedeutete“.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Die Gestalten sind jenseits dieses Gebrauchs nicht vorgegeben. So impliziert die Sprache auf der Ebene des Gebrauchs diejenige doppelte Versinnlichung, die für Kant von den unterschiedlichen Darstellungsweisen abhängt.294 Die Sprache kann daher als abbildende, zeichenhafte oder symbolische Tätigkeit ausgelegt werden, und „das Wort, als Bezeichnung des Begriffs, ist verwandt mit dem Zeichen und mit dem Symbol“.295 Auf der anderen Seite ist das Zeichen nicht mit dem schriftlichen Ausdruck gleichzusetzen; dieser stellt vielmehr für den Laut die Möglichkeit dar, vom Begriff abzuweichen und darin seine willkürliche Gestaltung zu erkennen. Bedeutung realisiert sich also in der Tätigkeit der Sprache selbst und in ihrem Gebrauch. Entsprechend beendet Humboldt den Abschnitt der Grundzüge, in dem er Wort, Symbol und Zeichen voneinander abgrenzt, mit folgender Beobachtung: „Wörter und Wortlaute können aber, wie alle anderen Gegenstände, in ihrer Beschaffenheit und Zahl und im Zusammenhang mit ihrer Bedeutung als Symbole behandelt werden, und so mag es wohl zu verstehen sein, wenn von den ägyptischen Priestern erzählt wird, daß sie die Götter durch das aneinander gereihte Austönen der sieben Vokale feierten“.296 Diese Bemerkung ist insofern bedeutsam, als die Annahme, dass die Zahl der Buchstaben symbolisch gedeutet werden kann, einen der thematischen Leitfäden des Briefwechsels zwischen Kant und Hamann darstellt, wie er bereits im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung in Bezug auf die semiotische Deutung des Monogramms erwähnt wurde.297 Im Brief vom 6. April 1774 an Hamann diskutiert Kant in einer Interpretation der Hermes-Figur die Darstellung der göttlichen Zahl 7. Diese Darstellung hält Kant in kritischer Perspektive nicht für göttlich, sondern für symbolisch – und zwar als indirekte sinnliche Darstellung des Unsinnlichen. Deswegen bittet er Hamann ironisch, seine Meinungen doch in der Sprache der Menschen und nicht in derjenigen der Götter zu formulieren. Denselben Weg verfolgt nun auch Humboldt, der das Symbolische zwar in bestimmten Ausdrücken und Wörtern erkennt, jedoch nicht mit dem Wortlaut gleichsetzt. Gerade weil die Sprache kein Produkt, sondern eine Tätigkeit ist, liegt das Symbolische 294 295

296 297

Siehe dazu Kap. VI. Humboldt, Grundzüge, S. 99. In Bezug auf die symbolische Verwendung des Wortes bemerkt Humboldt (Ebd.): „Insofern das Wort den Begriff in einen sinnlichen Stoff vor der Einbildungskraft verwandelt, gleicht es dem Symbol. Denn es schiebt der Idee eine Gestalt unter und abstrahiert bei dem körperlichen Gegenstand von der Totalität seiner Wirklichkeit, indem es ihn an einem Merkmale festhält und ihn in diesem durch etwas ihm Fremdes, einen Ton, bezeichnet. Der Laut schließt also, auf diese Weise einer Hieroglyphe gleich, den Begriff in sich“. Humboldt, Grundzüge, S. 100. Siehe oben, Kap. V.2.3.

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IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

im Gebrauch, wodurch auch die Annahme verschiedener Grade symbolischen Denkens möglich wird. Das Wort ist einerseits eine Gestaltungsform nicht nur im Sinne eines transzendentalen Prozesses und hat andererseits die konkrete Form einer Einzelsprache, die in bestimmten Formen zur Gestaltung gelangt, wie Humboldt erklärt: „Das Wort faßt jeden Begriff als einen allgemeinen auf, bezeichnet streng genommen immer Klassen der Wirklichkeit, selbst wenn es ein Eigenname ist, das es alsdann alle, der Zeit und dem Raum nach verschiedenen Zustände des Bezeichneten (ihn als eine Klasse vorstellend, in welcher er in allen diesen Zuständen ebenso, wie verschiedene Individuen, in einem Gattungsbegriffe enthalten ist) zusammenfaßt. Er macht aber sich selbst und mithin auch den in ihm enthaltenen Begriff zu einem Individuum der Sprache“.298 Eine gewisse Verkörperung des Wortes lässt sich bei Humboldt auf der transzendentalen Ebene durch die Bestimmung der Sprache selbst als Vermittlung erklären, in der Rezeptivität und Intellektualität, Anschauung und Begriff, Sinnliches und Unsinnliches zusammenfallen; zur gleichen Zeit betrifft die Sprache auch die konkrete Gestaltung der Einzelsprache, die daraus resultiert. Somit weist Humboldt auf eine mögliche Synthesis zwischen transzendentalem, universellen Prozess und partikularer Mannigfaltigkeit hin.299 Gerade durch die prozessuale genetische Beschreibung der Sprache zeichnet Humboldt ein Bild der sprachlichen Vielfalt, das nicht in einen Relativismus führt, sondern die Notwendigkeit der Transzendentalphilosophie selbst aufzeigt, die sich demzufolge auf die Prozessualität und nicht auf den Gehalt der Repräsentation zu konzentrieren hat. In der Gestalt wird eine Synthesis zwischen Äußerem und Innerem nicht auf der Basis der Repräsentation, sondern auf der des Prozesses instituiert, der sie bildet. Aus diesem Grund kann Humboldt – im Vergleich zu Kant und Herder – in noch radikalerer Weise die Überwindung des Repräsentationalismus zugutegehalten werden: Nicht der repräsentationale Gehalt, sondern der Prozess der Sprache selbst ist dabei der spannende Punkt, der – wie gezeigt – verschiedene Aspekte seiner Philosophie betrifft.300 298 299

300

Humboldt, Grundzüge, S. 90f. Dieser Aspekt wird vor allem von Jürgen Trabant (1998, S. 191) hervorgehoben, der im Anschluss an den kognitivistischen Ansatz von George Lakoff betont, dass „es nicht darum geht, den Relativismus zu hassen, sondern ihn in einem vernünftigen Universalismus aufzuheben“. Siehe dazu insbesondere die Aufsätze von Christian Stetter (2010 und 2012, S. 119), der die Philosophie Herders noch dem Repräsentationalismus zuordnet. Außerdem möchte ich auf den Aufsatz von Gerold Prauss, Wilhelm von Humboldt als Kantia-

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

Die Tätigkeit der Sprache und die Entwicklung des Denkens lassen sich nach Humboldt nicht nur in Bezug auf die lexikalische Ebene der Begriffe, sondern vor allem mit Blick auf die syntaktische Ebene der Rede analysieren, die sich zudem in Typologie und Grammatik der Sprachen spiegelt – was hier jedoch nicht näher behandelt werden kann. Die Rede ist die höchste Manifestation der Freiheit des Sprechenden, der im Gebrauch seine eigene Gestaltung der Sprache realisiert: „Vieles im Periodenbaue und der Redefügung lässt sich aber nicht auf Gesetze zurückführen, sondern hängt von dem jedesmal Redenden oder Schreibenden ab. Die Sprache hat dann das Verdienst, der Mannigfaltigkeit der Wendungen Freiheit und Reichthum an Mitteln zu gewähren, wenn sie oft die Möglichkeit darbietet, diese in jedem Augenblick selbst zu erschaffen“.301 Hier tritt die Rede als prozessuale Strukturierung der Sprache hervor, die jedes Mal neu gestaltet werden muss – auch wenn Humboldt bewusst ist, dass jede Realisierung bis zu einem gewissen Grad von der Zugehörigkeit zu einer Sprache und einem bestimmten Volk abhängt. Die damit verbundene, transzendentale Bedeutung der Tätigkeit – die sozusagen Bedingung der Sprache selbst ist – spiegelt sich für Humboldt außerdem unmittelbar in der inneren Sprachform: „Dieser ihr ganz innerer und rein intellectueller Theil macht eigentlich die Sprache aus“.302 Gerade wegen ihres innerlichen Charakters ist diese Sprach-

301

302

ner über Sprache verweisen, in dem er die Sprachphilosophie Humboldts mit den Anschauungen der Zeit und der Raumes in Verbindung bringt (2010, S. 200): „Reine Subjektivität als reine Geistigkeit ist Sprache, weil wie erstere auch Sprache ontologisch reine Zeitlichkeit ist. Denn jedoch bedarf jedes Subjekt als ein solches Zeitlich-Inneres für ein anderes solches Inneres als ein anderes Subjekt zu äußern, wie auch umgekehrt, damit ein jedes einem jeweils anderen begegnen könne. Denn als zueinander anderes Inneres können sie, wie jedes Andere für ein Subjekt, auch füreinander nur in der Gestalt von etwas Äußerem begegnen. Möglich ist das nur, indem ein jedes solche Innere in etwas Äußeres hinein sich äußert: in Gestalt von diesem oder jenem Objekt, so dass dadurch solches Innere selbst als solches Äußere auftritt. Und mit dieser Theorie der Sprache als Sich-Äußern eines Inneren ist Humboldt auch der erste, der sie nicht mehr auf die bloße Repräsentation verengt, wie es die Überlieferung seit Platons Kratylos und Aristoteles‘ De Interpretatione tat, und wie auch Kant es noch im vollen Umfang tut, und wovon sich Hamann oder Herder noch nicht lösen können“. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 93. Donatella Di Cesare (2004, S. LXXVIIIf.) hat die Tätigkeit der Sprache als Enérgeia bezüglich der Priorität der Rede erklärt. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 86. Zur inneren Sprachform siehe den Vergleich zwischen Herder und Humboldt von Brigitte Hilmer (2010, S. 205): „Humboldt konnte erkennen, dass die aus der Einheit des Selbstbewußtseins geborenen Formen der Vernunft und die von Herder

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IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

form schwer zu fassen, zumindest schwerer als die Erfassung ihrer Manifestationen in der äußeren Form, die durch die Sprache gestaltet wird. Der innerliche Charakter der Sprachform kann meines Erachtens als Spur des impliziten kantischen Erbes Humboldts gedeutet werden: Denn die innere Sprachform ist eine Tätigkeit, die nie vollkommen ausbuchstabiert und auf Gesetze zurückgeführt werden kann; sie ist gewissermaßen in der Seele angesiedelt und schwer zu greifen. Ähnlich wie die verborgene Kunst des Schematismus bei Kant scheint sie auf einen in der Seele versteckten Mechanismus zurückzugreifen. Trotz der allgemeinen, transzendentalen Differenzierungen bleibt die Untersuchung Humboldts jedoch nicht auf dieser (vielleicht überschätzten) Ebene stehen, sondern wird in Bezug auf die äußere Form der Sprache weiterentwickelt.303 Deshalb reduziert er meines Erachtens die Problematik der Rede auch nicht auf den alltäglichen Gebrauch und nimmt stattdessen den weiteren semantischen Gebrauch der Sprache in Poesie und Prosa zum Vorbild. Im täglichen Gebrauch erfolgt eine gewisse Abnutzung der Metaphern,304 da sie implizit verwendet werden – ein Aspekt, der später für Nietzsche von grundlegender Bedeutung sein wird.305 Im Gegensatz dazu kann in der Poesie die metaphorische Bedeutung der Sprache ans Licht kommen. Humboldt beschreibt einen prozessualen Charakter der Sprachen,306 in dem der Geist eines Volkes zur Entfaltung kommt. Hier geht es um die Tätigkeit der Sprache als allgemeiner Bedingung für die vielfältige Gestaltung des Denkens, die wiederum in Kultur und Geschichte durchscheinen kann. Der Gebrauch hat dabei nicht nur eine individuelle Bedeutung, sondern kann auch auf einer allgemeineren Ebene untersucht werden, die für Humboldt die Manifestation des Geistes eines Volks in der Sprache darstellt. Und er weist auf den Unter-

303

304 305 306

dagegen gehaltenen Strukturen der Bildungen produktiver Sinnlichkeit in einem eigenen Grund (der ‚inneren Sprachform‘) zusammenhängen müssen“. Das Thema wird auch von Plessner (GS, III, S. 156–163) behandelt. Siehe unten, Kap. I.1 des dritten Teils. Gerade deswegen teile ich die Auslegung von Donatella Di Cesare (2004, S. LXXIV– LXXVI), die die innere Sprachform als einen Grenzbegriff deutet und für eine Relativierung der herausgehobenen Stellung plädiert, die Humboldts Begriff der inneren Sprachform schon von Steinthal verliehen worden ist – was sich vor allem in der Auffassung ausdrückte, dass die äußere Sprachform von der inneren Sprachform abhänge. Im Gegenteil argumentiert Di Cesare für die Relevanz der äußeren Sprachform und der Rede als eigentlich realisierender Tätigkeit des Denkens. Dieser Abnutzungsprozess bezüglich der Metaphern wird von Humboldt erklärt, siehe Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 94. Siehe dazu Nietzsche, KSA, I, S. 880f. Dieses Thema ist in Kap. VI.1 schon erwähnt worden. Humboldt widmet dieser Problematik den Abschnitt ‚Charakter der Sprachen‘ in seinem Werk Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, siehe GS, VII, I, S. 165–192.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

schied zwischen einem bloß alltäglichen und einem tief poetischen Gebrauch der Sprache hin.307 Davon betroffen sind sowohl der Ausdruck der tieferen Gefühle der Menschheit als auch der Gebrauch der Begriffe einer Fachsprache und der Philosophie selbst. Diesbezüglich schätzt Humboldt insbesondere das Sanskrit als Ausdruck des Indischen Geistes, der „vorzugsweise auf die Sonderung und Aufzählung der Begriffe hinging“,308 sowie die Bedeutung der Prosa für die Philosophie – die, wie gezeigt wurde, auch ein wichtiges Thema für Kant und Maimon ist.309

3. E i nb e t t u ng der dopp elten Ver si n n l ic hu ng i n d ie Sprac he Der Umstand, dass der Gestaltungsprozess nicht nur etwas Geistiges, sondern in erster Linie eine lautliche Versinnlichung ist, in welcher der artikulierte Laut den Unterschied zu einem bloß durch einen unartikulierten Schrei geäußerten Gefühl ausmacht, rückt die Artikulation ins Zentrum der Sprachphilosophie Humboldts. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit wird damit auf den Laut bezogen, der die Artikulation trägt. Denn der Laut ermöglicht einen Gestaltungsprozess, der in der Sinnlichkeit erfolgt und in inniger Verbindung mit der Zeit steht. Hierbei hat die Sinnlichkeit eine gewisse Gestaltungspriorität. Sie ist auf transzendentaler Ebene die eigentümliche Formung der Materie, weil ihre eigene Gestaltungsfunktion nicht ohne geistige Tätigkeit zu erfassen ist. In diesem Sinn könnte der geistige Prozess selbst als eine Versinnlichung im Wort angesehen werden, in der „Sinnen- und Gefühlsgehalt zugleich, und wieder synthetisch, als Stoff vernichtet und als Form erhalten wird, was das Werk der Einbildungskraft ist, der Vermittlerin der entgegensetzen Naturen in der Menschheit“.310 Das Wort ist nach Humboldt ein verkörperter Begriff. Obwohl die Verwendung des Verkörperungsbegriffs hier gerade im Sinne der Verlautlichung ausgelegt werden soll, bin ich der Meinung, dass es sich bei Humboldt gerade 307 308 309 310

Siehe dazu Di Cesare 2004, S. CIIIf. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 191. Siehe dazu Kant AA XXVIII: 369f. und Maimon, VT, 314/315. Humboldt, Grundzüge, S. 91. Dazu Stetter 2004, S. 21: „Die Funktion des Wortes besteht darin, die logische Geltung, d.h. seinen semantischen Wert, mit seiner sinnlichen und seiner Gefühlsgeltung zu vermitteln. Möglich ist dies nur – das klassische Schematismus-Problem –, indem sein Sinnen- und Gefühlsgehalt ‚als Stoff vernichtet und als Form erhalten wird‘ [Grundzüge, S. 91], d.h. als die nach den Möglichkeiten des Lautsystems gebildete artikulierte Form, die nur als solche logische Geltung gewinnen kann, eben darum aber auch die Wahrnehmung und das Gefühl ‚affiziert‘, d.h. stets den ganzen Menschen anspricht“.

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IV. Das Wort zwischen Symbol und Zeichen bei Humboldt

nicht primär um eine Verkörperung, sondern um eine Versinnlichung handelt. Denn nur so könnte die wichtige Abgrenzung zwischen Wort, Zeichen und Symbol als eine gelungene Kritik der doppelten Versinnlichung bei Kant begriffen werden, der die Versinnlichung letztlich auf eine anschauliche (direkte oder indirekte) Darstellung reduziert und diese vom Zeichen abgrenzt. Vom Gesichtspunkt Humboldts aus, demzufolge die Sprache sich stets zwischen Abbild und Zeichen bewegt und das Wort mit dem Zeichen und dem Symbol verwandt ist, lässt sich dagegen eine umfassendere Versinnlichungslehre entfalten, ohne ihre Gegenstände zu toten Entitäten zu erklären. Die Abgrenzung zwischen Zeichen, Wort und Symbol bleibt kritisch: Die Realisierung der Sprache durch diese Gebrauchsweise impliziert eine kritische Arbeit des Geistes, die darauf ausgelegt ist, die Artikulation des Unsinnlichen durch das Sinnliche zu begreifen. In der Funktion des Wortes lässt sich jedoch ein Versinnlichungsprozess erkennen, in dem die Dimensionen des Zeichens und des Symbols zu kommunizierenden Bereichen werden, wobei die Materialität der Sprache nicht zur willkürlichen Bezeichnung herabgesetzt wird, sondern der semantischen Artikulation des Lautes dient, die den Sprachen ihre besondere Form gibt.311 Das Wort als artikulierter Laut wird nun zur Bedingung der Entstehung der Bedeutung, die sich zwischen Bildern, Zeichen und Symbolen artikuliert. Die Artikulation ist daher eine semantische, in der die Sprache nicht auf die Arbitrarität des Zeichens reduziert werden kann. Die Artikulation lässt sich nicht vom Gebrauch als intentionaler Tätigkeit trennen. Ein gutes Beispiel dafür ist Humboldts Unterscheidung zwischen wissenschaftlichem und konventionellem Gebrauch der Sprache: „Beide gehören insofern in Eine Classe, als sie, die eigenthümliche Wirkung der Sprache, als eines selbstständigen Stoffes, vertilgend, dieselbe nur als Zeichen ansehen wollen. Aber der wissenschaftliche Gebrauch thut dies auf dem Feld, wo es statthaft ist, und bewirkt es, indem er jede Subjectivität von dem Ausdruck abzuschneiden, oder vielmehr das Gemüth ganz objektiv zu stimmen versucht, und der ruhige und vernünftige Geschäftsgebrauch folgt ihm hierin nach; der conventionelle Gebrauch versetzt diese Behandlung der Sprache auf ein Feld, das der Freiheit der Empfänglichkeit bedürfte, drängt dem Ausdruck eine, nach Grad und Farbe bestimmte Subjectivität auf, und versucht es, das Gemüth in die gleiche zu versetzen“.312 311

312

Vgl. insbesondere Trabant 2012, S. 240: „Die Materialität der Sprache ist nichts Gleichgültiges, Arbiträres. Sie ist selber semantisch. Und es ist – nebenbei gesagt – auch gerade der Laut, die Stimme, die nichts Gleichgültiges für die Sprache ist: Menschliche Sprache ist, was immer Derrida dazu sagt, an die phöné gebunden“. Humboldt, Über das vergleichende Sprachstudium, in GS, IV, S. 30f.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

In dieser Unterscheidung zeigt sich meines Erachtens, dass die Artikulation des Wortes nicht auf einer rein lexikalischen Ebene stehen bleibt, sondern als Gebrauch schon den Satz – und somit das kantische Urteilen – impliziert, der die potentielle Entfaltung des Wortes zwischen Zeichen und Symbol zur Ausführung bringt. In dieser semantischen Ausführung der ‚Rede‘, in der nach Humboldt das ‚Wesen der Sprache‘ liegt,313 kommt Neues zustande; denn in ihr kann sich in Form der alternativen Anwendung endlicher Artikulationsmittel Kreativität entfalten und einen neuen Gebrauch etablieren, der letztlich – im Sinne Kants – die Möglichkeit besitzt, wiederum exemplarisch zu werden und somit dem Denken neue semantische Dimensionen zu eröffnen.314 Die genetische Methode, in der die kantische Vermittlungsproblematik anklingt und die offenbar von der kritischen Methodik beeinflusst ist, kehrt damit schließlich zum transzendentalphilosophischen Ansatz Kants zurück, belehrt diesen allerdings über das prozessuale Potential der Schematismuslehre. Sie ist Ausdruck eines neuen Holismus, der jedoch die diskursive Vernunft als regulatives Prinzip respektiert.315 Humboldt rekurriert demnach, wie schon Kant, auf die Einbildungskraft, um die Sinnlichkeit mit dem Denken in Verbindung zu bringen, obwohl er ihr eine stärker schöpferische Kraft zuspricht, als Kant dies tut. Die Einbildungskraft stellt „überhaupt eine Welt von Lauten zwischen den Menschen und die Wirklichkeit“ dar und kann von der Sprache grundsätzlich nicht getrennt werden.316 Humboldt verleibt sich insofern die Transzendentalphilosophie Kants gewissermaßen ein, ohne jedoch seine Sprachphilosophie als Transformation der Systematik der Gemütskräfte anzusehen, an der er festhält. Die Umgestaltung der Denkvermögen erfolgt meines Erachtens erst bei Hegel in Bezug auf das Verhältnis von Anthropologie und Psychologie sowie die Funktion des Zeichens als Übergang zum Denken.

313

314 315 316

Siehe dazu Humboldt, Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues, in GS, VI, I, S. 147: „Die Sprache liegt nur in der verbundenen Rede, Grammatik und Wörterbuch sind kaum ihrem todten Gerippe vergleichbar“. Zur Einführung neuer Regeln in die Sprache vgl. Di Cesare 2004, S. LXVII. Vgl. Kuße 2007, S. 168. Humboldt, Grundzüge, S. 126f. Dazu auch Ferron 2009, S. 76.

V. D ie ‚ Z eichen machende P hantasie‘ bei H egel

Auch Hegel fügt an der Systemstelle des Schematismus eine Untersuchung der Sprache und der Funktion des Zeichens ein.317 Die Einführung der Sprache als Prozess der Vermittlung und der Synthesis hat Hegel mit den Revisionsversuchen der bis hierher behandelten Denker gemeinsam, die Kant aus unterschiedlichen Motiven heraus dafür kritisieren, die Dimension der Sprache vernachlässigt zu haben.318 In der Bestimmung des Theoretischen Geistes – mit seinen drei Momenten der Anschauung, der Vorstellung und des Denkens – bezieht Hegel sich zwar nicht auf die Schematismuslehre. Doch er gibt der Tätigkeit des Geistes eine eindeutig synthetische Funktion, die in Bildern, Zeichen und Symbolen zur Ausgestaltung kommt und nicht nur eine Vermittlung zur Erzeugung eines aggregierten Dritten darstellt, sondern die Umarbeitung des Unmittelbaren zu einem Geistigen und gleichzeitig die Ermöglichung des Denkens und der Kategorien ist. Die damit angezeigte Tätigkeit ist auch für Hegel eminent sprachlicher Art. Somit wird der Sprache eine gestaltende Dimension zugesprochen, 317

318

Siehe Sandkaulen 2004, S. 158: „Die ‚nahmengebende Kraft‘ der Sprache tritt funktional an die Stelle des Schematismus: dass Hegel diesem Gedanken gemäß Kants Transzendentalphilosophie von Grund auf reformuliert und sie so zugleich als erste Etappe der Philosophie des Geistes in sein System integriert, ist evident, obwohl bisher, wie es scheint, nicht bemerkt“. Vor allem Hamann, Herder und Humboldt sind von Hegel rezipiert worden – nur Maimon bleibt in dieser Hinsicht eine Stimme außerhalb des Chors. Siehe auch Simon 2003, S. 559: „Die Sprachbezogenheit ist bei Kant in dieser Deutlichkeit noch nicht mit im Blick. Der spätere Philosoph kann den früheren verdeutlichen. Bei Hegel ist die Sprache ‚in ihrer eigentümlichen Bedeutung‘ die individuelle ‚Kraft des Sprechens als eines solchen, welche das ausführt, was auszuführen ist‘. Ihre ‚eigentümliche Bedeutung‘ hat sie in der Gestaltung der Darstellung des eigenen Fürwahrhaltens angesichts der Differenz der individuellen Gesichtspunkte. Die ‚Kraft des Sprechens‘ ist die sich auf fremde Vernunft hin gestaltende Urteilskraft“. Zum Einfluss Herders auf Hegel siehe Forster 2011, S. 146f.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

die – um den Kernbegriff dieser Untersuchung in Bezug auf Hegel einzuführen – nicht nur als eine Versinnlichung, dem sinnlichen Ausdruck entsprechend, von Unsinnlichem (etwa durch Zeichen), zu gelten hat, sondern gewissermaßen die Entstehung des Denkens selbst vorführt. Dieser Prozess einer sprachlichen Entäußerung, in dem ausgehend von der Empfindung das scheinbar Unmittelbare zum Mittelbaren wird, kommt zunächst in der Phänomenologie des Geistes ans Licht, und zwar im Kontext der Einführung der Sprache in der sinnlichen Gewissheit und später in der Bestimmung der Sprache als Dasein des Geistes.319 Besonders der Abschnitt zur sinnlichen Gewissheit verdeutlicht, wie sich durch die Sprache in partikularen Ausdrücken wie „dieses Stück Papier“ eine allgemeine Bezeichnung realisiert: „Als ein Allgemeines sprechen wir auch das Sinnliche aus; was wir sagen, ist: Dieses, d. h. das allgemeine Diese“.320 Die Sprache hebt somit im Sprechen die gemeinte Partikularität durch die Allgemeinheit des Bezeichnenden auf. Diese Dialektik ermöglicht eine auf das Wissen ausgerichtete Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, in der das subjektive Aufzeigen des Objektes als Hier und Jetzt die eigentliche Natur des Unmittelbaren enthüllt: denn erst diese Bezeichnung erschließt das allgemeine Hier und Jetzt. Somit erzeugt die Sprache selbst die Bewegung innerhalb der sinnlichen Gewissheit, die an sich diese Bewegung erfährt, sie wieder vergisst und immer wieder von vorne anfängt. Sie wird von nun an von Hegel als die „Dialektik der sinnlichen Gewissheit“ bezeichnet,321 die gerade wegen ihres sprachlichen Ausdrucks nicht in sich selber gefangen bleibt, sondern in das Moment des Wahrnehmens übergeht. Diesen Übergang beschreibt Hegel als die ‚göttliche Natur‘, die das Sprechen hat und die näher darin besteht, „die Meinung unmittelbar zu verkehren, zu etwas anderem zu machen, und so sie gar

319

320 321

Siehe zu diesem letzten Aspekt, der hier nicht ausführlicher behandelt werden kann, folgende Stelle aus der Phänomenologie des Geistes (W, 3, S. 478f.): „Wir sehen hiermit wieder die Sprache als das Dasein des Geistes. Sie ist das für andere seiende Selbstbewußtsein, welches unmittelbar als solches vorhanden und als dieses allgemeines ist. Sie ist das sich von sich selbst abtrennende Selbst, das als reines Ich = Ich sich gegenständlich wird, in dieser Gegenständlichkeit sich ebenso als dieses Selbst erhält, wie es unmittelbar mit den anderen zusammenfließt und ihr Selbstbewußtsein ist; es vernimmt ebenso sich, als es von den anderen vernommen wird, und das Vernehmen ist das zum Selbst gewordene Dasein. Der Inhalt, den die Sprache hier gewonnen, ist nicht mehr das verkehrte und verkehrende und zerrissene Selbst der Welt der Bildung, sondern der in sich zurückgekehrte, seiner und in seinem Selbst seiner Wahrheit oder seines Anerkennens gewisse und als dieses Wissen anerkannte Geist. […] Der Inhalt der Sprache des Gewissens ist das sich als Wesen wissende Selbst“. Hegel, W, 3, S. 85. Hegel, W, 3, S. 90.

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V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

nicht zum Worte kommen zu lassen“.322 Möchte ich dieser Verkehrung hingegen damit vorbeugen, „dass ich dies Stück Papier aufzeige“ – so Hegel weiter –, „so mache ich die Erfahrung, was die Wahrheit der sinnlichen Gewissheit in der Tat ist; ich zeige es auf, als ein Hier, das ein Hier anderer Hier, oder an ihm selbst ein einfaches Zusammen vieler Hier, d.h. ein Allgemeines ist; ich nehme so es auf, wie es in Wahrheit ist, und statt ein unmittelbares zu wissen, nehme ich wahr“.323 Die Sprache wird hier in gewisser Weise schematisch, weil sie ermöglicht, dass das Allgemeine im Besonderen ausgesprochen und erkannt wird. Die Möglichkeit einer solchen Erkenntnis wiederum deutet den problematischen Status des Allgemeinen an, das mittels der Sprache die Grenzen der unmittelbaren sinnlichen Gewissheit überwinden kann. Im hegelschen System erweist sich die Sprache daher in keiner Weise als bloß instrumentell; im Gegenteil ist sie die Methode selbst, die die dialektische Bewegung des Geistes vorantreibt.324 Hegels Kritik trifft dabei mit der dualistischen und isolierenden Vorgangsweise der kantischen Erkenntnistheorie denselben Punkt, der auch bei den übrigen der bislang untersuchten Ansätze ausgemacht werden konnte. Kant gelinge es nicht – so ließe sich der Einwand zusammenfassen –, eine prozessuale Synthesis zu bestimmen, die den dynamischen, historischen und holistischen Charakter des Denkens zur Entfaltung bringt. Obwohl direkte Bezugnahmen Hegels auf die Schematismuslehre selten sind, bewegt sich auch seine Kritik an Kant im Allgemeinen in eine ähnliche Richtung: Was die Transzendentalphilosophie Kants nicht greife, sei die Einheit von Sinnlichkeit und Verstand, obwohl er in der transzendentalen Einbildungskraft „beide Erkenntnisstücke in Eins gesetzt“ habe. Und trotzdem: „Denken, Verstand bleibt ein Besonderes, Sinnlich322 323

324

Hegel, W, 3, S. 92. Hegel, W, 3, S. 92. Dazu Simon 1966, S. 22: „Die Abstraktheit, Unwahrheit der Stufe der ‚sinnlichen Gewissheit‘ erweist sich an der Unvollkommenheit ihres sprachlichen Ausdrucks (Unartikuliertheit), die der Wahrheit des menschlichen Beweußtseins unangemessen ist. – In diesem Sinne ist es konsequent, wenn die Sprache überhaupt zum Anlass der Aufhebung der Stufe der ‚sinnlichen Gewißheit‘ wird und damit die dialektische Bewegung der ‚Phänomenologie‘ in Gang bringt“. Siehe auch Simon 2002, S. 35: „Bei ihrem eigenen Wort genommen, müßte die ‚sinnliche Gewißheit‘ ein stummes, wortloses Zeigen bleiben, und was nicht zum Wort kommen kann, kann auch nicht in die Philosophie kommen. Von einem wortlosen deiktischen Bezeichnen kann keine ‚Rede‘ sein, und deshalb ist die ‚rein‘ sinnliche Gewißheit auch kein möglicher Anfang“. Dazu Nuzzo, 2006 S. 77: „My aim is to show that the language in which Hegel’s philosophy is written is constitutive of the dialectical method that structures speculative philosophy as system. Language is not simply the static medium, given once and for all, in which method is carried through; language, for Hegel, is itself method. Method, in turn, is neither instrument of knowledge nor the particular manner or mode peculiar to the process of cognition“. John McCumber vertritt einen ähnlichen Ansatz (2006, S. 112).

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

keit ein Besonderes, die auf äußerliche, oberflächliche Weise verbunden werden, wie ein Holz und Bein durch einen Strick“.325 Die Einheit dieser Bestandteile ist hingegen für Hegel nicht als äußerliches Aggregat, sondern als ein Verhältnis höherer Prozessualität, Wahrheit und Einheit zu betrachten: „Das Isolieren der Tätigkeiten macht den Geist ebenso nur zu einem Aggregatwesen und betrachtet das Verhältnis derselben als eine äußerliche, zufällige Beziehung. […] Das Wahre, das solcher Befriedigung zugeschrieben wird, liegt darin, dass das Anschauen, Vorstellen usf. nicht isoliert, sondern nur als Moment der Totalität, des Erkennens selbst, vorhanden ist“.326 Die Notwendigkeit eines Erweises der originären Synthesis, welche die unterschiedlichen Bestandteile nicht als bloßes Aggregat, sondern als Einheit enthält, motiviert unter anderem den Weg einer genetischen Entwicklung des Erfahrungsbegriffs in der Phänomenologie und sorgt bei Hegel für eine systematische Abgrenzung zwischen Anthropologie und Psychologie. Geist wird dabei mit den Stichwörtern „Tätigkeit“, „Einheit“ und „Prozess“ assoziiert, das Geistlose wiederum stellt das „Einheitslose“ dar.327 Die Ausdifferenzierung dieser Tätigkeit ist Hegel entsprechend der Leitfaden, anhand dessen die Beschreibung der einzelnen Seelenvermögen von der Bewegung ihres Tuns unterschieden wird. Obwohl Hegel sich im Abschnitt zum Theoretischen Geiste in der Enzyklopädie nicht direkt auf die Schematismuslehre bezieht, nimmt er darin de facto die Grundelemente der kantischen Erkenntnistheorie auf, um sie allerdings in der Überzeugung umzugestalten, dass die Philosophie Kants bei der Auffassung des Geistes als Bewusstsein stehen bleibe, weil sie das „Ich als Beziehung auf ein Jenseitsliegendes“328 und somit die Ideen immer auf das Phänomen als solches reduziere. In der Anmerkung zu §420 der Enzyklopädie heißt es entsprechend: „Die nähere Stufe des Bewusstseins, auf welcher die kantische Philosophie den Geist auffasst, ist das Wahrnehmen, welches überhaupt der Standpunkt unsers gewöhnlichen Bewusstseins und mehr oder weniger der Wissenschaften ist“.329 Ausgehend von dieser Kritik entwickelt Hegel seine phänomenologische Psychologie, die ihre deskriptive Grundlage in der anthropologischen Beschreibung der Vermögen hat, der es jedoch letztlich nicht gelingt, die spezifische Einheit der Tätigkeit des Geistes zu erklären. Die Abgrenzung zwischen Anthropologie 325 326 327 328 329

Hegel, W, 20, S. 348. Hegel, Enz., §445 (Anmerkung) Siehe Hegel, Vorlesungen über die Philosophie des subjektiven Geistes, in GW, 25.1, S. 151f. und S. 157. Hegel, Enz., §415 (Anmerkung) Hegel, Enz., §420 (Anmerkung)

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V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

und Psychologie wird daher das Thema des ersten Kapitels zu Hegel sein, das nicht als Versuch verstanden werden sollte, eine systematische Erörterung seiner Psychologie zu leisten, sondern das lediglich einige ihrer Aspekte beleuchtet, um an ihnen die Umgestaltung des transzendentalen Ortes des Schematismus anzudeuten. In diesem Zusammenhang möchte ich drei Aspekte der Tätigkeit des Geistes behandeln: erstens die Funktion der Verleiblichung in der Anthropologie (V.1), zweitens die artikulierende Tätigkeit der Sprache (V.2) und drittens den Prozess der Zeichen machenden Phantasie (V.3).

1. Verleibl ic hu ng u nd Fu n k t ion der Si n ne i n der A nt h rop olog ie Hegels Unterscheidung zwischen Anthropologie und Psychologie bewegt sich in den Bahnen des kantischen Standpunkts, von dem aus betrachtet die Anthropologie auf der Ebene der empirischen Erkenntnis verbleibt. Dennoch wertet Hegel die systematische Stellung der Anthropologie auf. Denn sie fungiert ihm zufolge nicht als empirische Abhandlung jenseits der Grenzen der Transzendentalphilosophie, sondern markiert die erste Stufe des Subjektiven Geistes – d.h. des Geistes in Beziehung auf sich selbst330 – und stellt insofern das Moment der Unmittelbarkeit des Geistes dar.331 Wie Herder hebt Hegel die konstitutive Funktion der Anthropologie hervor und ordnet ihr ebenfalls die Untersuchung der Empfindung zu. Beide behandeln die Empfindung mithin als Ausgangspunkt der synthetisierenden Prozesse des Denkens und verbinden die Empfindung mit der Betrachtung der einzelnen Sinne, die Kant als primäre Aufgabe der Anthropologie ansieht. Somit setzen sie die beiden von Kant in der Einführung zur Transzendentalen Ästhetik unterschiedenen Arten von Empfindungen miteinander in Beziehung, von denen Kant nur die objektbezogene Empfindung als der Erkenntnis fähig hält.332 Diese Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Empfindung wird von Herder und Hegel auch nicht geleugnet. Für Herder ist jedoch insbesondere die subjektive Empfindung Ausgangspunkt desjenigen Umgestaltungsprozesses, den er als Metaschematismus bezeichnet, und der die tragende Säule seiner Ästhetik bildet. Und auch für Hegel sind sie relevante Unterscheidungen eines Systems, das die kantische Transzendentalphilosophie jedoch auf gewisse Weise radikalisiert. Während Herder die Anthropologie selbst als holistische Philosophie behandelt, weist Hegel ihr eine untergeordnete Funktion

330 331 332

Vgl. Hegel, Enz., §385. Vgl. Hegel, Enz., §387. Siehe dazu oben, Kap. II.2 des ersten Teils.

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gegenüber der systematisch auf sie folgenden Psychologie zu.333 Insbesondere die Empfindung spielt dabei trotz ihres unmittelbaren Charakters eine grundlegende Rolle: „Alles ist in der Empfindung und, wenn man will, alles, was im geistigen Bewußtsein und in der Vernunft hervortritt, hat seine Quelle und Ursprung in derselben; denn Quelle und Ursprung heißt nichts anderes als die erste, unmittelbarste Weise, in der etwas erscheint“.334 Das erste Auftreten auch geistiger Gehalte in der Empfindung ist mithin kein Ausdruck eines systematischen Vorrangs letzterer. Und auf dieser Übergangsstufe findet auch eine spezifische Verleiblichung statt,335 die Hegel als sowohl organisches wie geistiges Moment deutet: Sie ist genauer die Entäußerung innerer Empfindungen, wobei das Subjekt überhaupt „erst durch die Verleiblichung der inneren Bestimmungen“ dazu kommt, „dieselben zu empfinden“.336 Die Verleiblichung ist daher äußerlich betrachtet Gegenstand der Anthropologie; tritt jedoch die innere Beziehung der Empfindungen in den Vordergrund, die nur durch die Verleiblichung fassbar sind, wird sie zum Gegenstand der Psychologie und ist hier wiederum die erste Bedingung der Entäußerung des Sinnlichen. In der Unterscheidung zwischen Anthropologie und Psychologie spielen die Sinne bei Hegel deshalb eine grundlegende Rolle, weil sie die empirische Grundlage des Geistigen darstellen – wobei wiederum zu beachten ist, dass es sich bei dieser Grundlage nicht um einen systematischen Vorrang handelt. „In der Empfindung ist die ganze Vernunft, – der gesamte Stoff des Geistes vorhanden“.337 Auf der anthropologischen Ebene ist die Empfindung jedoch sinnlich strukturiert. Die Sinne bilden „das einfache System der spezifizierten Körperlichkeit“338 und gliedern sich in drei Momente: erstens die physische Idealität, welche die Sinne des bestimmten Lichts und des Klanges umfasst; zweitens die differente Realität der Sinne des Geruchs und Geschmacks, und drittens die irdische Totalität als Sinn des Gefühls.

333

334 335 336 337 338

Dazu Trabant 2006b, S. 218: „Die Sprachlichkeit der Vernunft macht Herders Anthropologie tatsächlich zu einer Philosophie der Sprache. Und dies ist etwas wirklich Neues, und insofern ist Herder, wie sehr er auch immer eingelassen ist in europäische Diskurstraditionen, wirklich ein Neuanfang. Humboldt wird ihm genau in dieser Hinsicht nachfolgen. So wie die Sprachlichkeit der Vernunft die Differenz Herders zu Kant ausmacht, so macht sie auch die Differenz Humboldts zu Hegel aus – vielleicht weniger radikal, weil Hegel im Gegensatz zu Kant ja durchaus die Ebene der sprachlichen Vernunft kennt, sie dann durchschreitet und hinter sich läßt. Humboldts ‚Geist‘ dagegen verbleibt (fast) völlig im Bereich des Sprachlichen“. Hegel, Enz., §400 (Anmerkung) Siehe dazu Hegel, Enz., §401. Hegel, Enz., §401 (Zusatz). Hegel, Enz., §447 (Zusatz). Hegel, Enz., §401 (Zusatz).

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V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

Abgesehen von der eigenwilligen Bezeichnung der Sinne, die schon auf ihre nicht rein organische Grundlage hinweist, distanziert sich Hegel nicht von der anthropologischen Differenzierung der Sinne bei Kant und, was die Mittelstellung des Gehörs angeht, Herder. Die Klarheit, mit der er die Verbindung zwischen Gehör, Zeit und Ton herstellt, ist trotzdem nennenswert: Im Unterschied zum Gesicht, „dem Sinne der innerlichkeitslosen Idealität“, wird das Gehör als „der Sinn der reinen Innerlichkeit des Körperlichen“ bezeichnet. Der schon von Kant angedeutete Bezug des Gesichts und des Gehörs auf Raum und Zeit wird bei Hegel zwar grundsätzlich bestätigt, aber anders gewichtet. Denn es handelt sich dabei nicht um Raum und Zeit als gegebene Anschauungen a priori, sondern um den Bezug des Gesichts auf das Licht als „physikalisch gewordenen Raum“, sowie den Bezug des Gehörs auf den Ton als „physikalisch gewordene Zeit“.339 Die Mittelstellung des Gehörs zwischen Gesicht und Gefühl wird hingegen in der Anmerkung zu §448 deutlich: „Für das Gehör endlich ist der Gegenstand ein materiell bestehender, jedoch ideell verschwindender, im Tone vernimmt das Ohr das Erzittern, d.h. die nur ideelle, nicht reale Negation der Selbständigkeit des Objektes. Daher zeigt sich beim Gehör die Abtrennlichkeit der Empfindung zwar geringer als beim Gesicht, aber größer als beim Geschmack und beim Geruch“.340 Der Ton steht somit in engster Verbindung mit der Materialität und Idealität des Wahrgenommen und ist der eigentliche materielle Träger des Übergangs zum Geistigen.

2. D ie A r t i k u lat ion der Sprac he i m ‚The ore t isc hen Geist ‘ Hegel betont, dass die Haupterscheinungen dieser Verleiblichung durch die Sprache bekannt sind.341 Die Sprache besitzt als leibliche Erscheinung ihre eigene Stellung in der Anthropologie, die sich auf die abstrakte Leiblichkeit der Stimme stützt, die durch Verbreitung und das Verschwinden des Tons die innere Realität zur Artikulation bringt. Diese abstrakte Leiblichkeit ist aber „auf dem Standpunkte der natürlichen Seele“ noch kein „vom freien Willen hervorge­ brachtes Zeichen, noch nicht durch die Energie der Intelligenz und des Willens 339 340 341

Hegel, Enz., §401 (Zusatz). Hegel, Enz., §448 (Zusatz). Siehe dazu Hegel, Enz., §401 Zusatz. Zur Verwandlung der Stimmgebärde in Sprachlaute siehe Gessinger 2002, S. 112: „Der entscheidende Vorgang, der die Stimmgebärde in Sprachlaute verwandelt, ist die Artikulation. Dort, wo die Stimme etwas janusköpfig auf das ungegliederte Ganze des Leibes und das System artikulierter Sprachlaute blickt, bilden Gebärde und Artikulation das Gelenk zwischen Körperzeichen und Sprachsymbol“.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

artikulierte Sprache, sondern nur ein von der Empfindung unmittelbar hervorgebrachtes Tönen, das, obgleich dasselbe der Artikulation entbehrt, sich doch schon vielfacher Modifikationen fähig zeigt“.342 Wie Kant, Herder und Humboldt verbindet auch Hegel Sprache und Ton mittels der Artikulation: „Die artikulierte Sprache ist daher die höchste Weise, wie der Mensch sich seiner innerlichen Empfindung entäußert“.343 Die Artikulation entfaltet die Tätigkeit der Sprache als eine Entäußerung von der Empfindung. Alles, was in der Empfindung enthalten ist, wandelt sich damit in Denken, in dem wiederum die Sprache sich in der Artikulation der Unmittelbarkeit der Empfindung zum Mittelbaren wandelt. Die Wandlung der Empfindung in Denken ist daher ein mittelbarer Prozess. Die Sprache gewinnt bei Hegel die Funktion einer Vermittlung, die gleichzeitig ein Übergang von der Unmittelbarkeit zur Mittelbarkeit ist, da die geschaffene Vermittlung keine äußerliche, sondern eine innerlich-wissende Beziehung ist, in der Subjektivität und Objektivität in Einheit begriffen sind. Diese Wandlung ist das Moment des Geistes als dem subjektiven, theoretischen Geist, dem Hegel denjenigen Teil der Enzyklopädie widmet, der in den entsprechenden Vorlesungen von 1822 bis zur letzten Fassung von 1830 immer mehr Bedeutung erlangt.344 Der Theoretische Geist entfaltet sich in drei Momente: Anschauung, Vorstellung und Denken. In der Anschauung erfolgt die Objektivierung des inneren und äußeren Empfundenen. Sie ist damit der „Beginn des Erkennens“345 und ihre Tätigkeit „bringt sonach zunächst überhaupt ein Wegrücken der Empfindung von uns, eine Umgestaltung des Empfundenen in ein außer uns vorhandenes Objekt hervor“.346 Im Zuge dieser Umgestaltung, die Hegel auch als Umwandlung bezeichnet, werden die Empfindungen räumlich und zeitlich gesetzt. Jedoch bleibt die Anschauung in das Außersichsein ‚versenkt‘ und darf nicht mit der Vorstellung verwechselt werden: „Erst wenn ich die Reflexion mache, dass ich es bin, der die Anschauung hat, erst dann trete ich auf den Standpunkt der Vorstellung“.347 Der vorstellende Geist eignet sich entsprechend die Anschauung an, die nun erinnert wird und deshalb gegenwärtig bleibt. Zur Erklärung rekurriert Hegel auf das sprachliche Beispiel des Satzes ‚ich habe dies gesehen‘: „Damit wird keine bloße Vergangenheit, vielmehr zugleich die Gegen342 343 344

345 346 347

Hegel, Enz., §401 (Zusatz). Ebd. Siehe insbesondere Hegel, GW, 13 (Enzyklopädie 1817), S. 207–217, GW, 19 (Enzyklopädie 1827), S. 325–343 und GW, 25.1 und 25.2 für die Vorlesungen zwischen 1822 und 1828. Hegel, Enz., §448 (Zusatz). Ebd. Hegel, Enz., §449(Zusatz).

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V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

wärtigkeit ausgedrückt; […] was ich gesehen habe, ist etwas, das ich nicht bloß hatte, sondern noch habe, – also etwas in mir Gegenwärtiges“.348 Die Vorstellung als „erinnerte Anschauung“ ist die „Mitte zwischen dem unmittelbaren Bestimmt-Sich-Finden der Intelligenz und derselben in ihrer Freiheit, dem Denken“.349 Sie konstituiert damit das zweite Moment des Theoretischen Geistes und untergliedert sich in Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis. Auf der ersten Stufe handelt es sich in der Vorstellung um denselben Inhalt der Anschauung, also einer Empfindung in Zeit und Raum – jedoch – wie gezeigt – als erinnerter und bewahrter. Das Bild dagegen ist das Resultat dieser Erinnerung, die nicht mehr die unmittelbare Gegenwart der Sache erfordert, was auf Kosten der Klarheit und Frische der Vorstellung geht, wie Hegel betont: „Die Anschauung verdunkelt und verwischt sich, indem sie zum Bilde wird“.350 Diese Aufbewahrung der Anschauung im Bild ist nach Hegel ein bewusstloses Meiniges.351 Auch wenn Hegel also ähnlich wie Kant das Bild als die Ablösung der Vorstellung von der unmittelbar gegebenen Anschauung sieht, behandelt er das Bild nicht als Produkt – wie Kant – der empirischen Einbildungskraft, sondern der Erinnerung. Das Bild ist ein innerliches Produkt, ein, wie man sagen könnte, mentales Bild, das, um zum Dasein zu kommen, die Anschauung erfordert.352 Auch bei Kant ist das Bild nicht mit dem Gegenstand gleichzusetzen, sondern ist ein Resultat der Einbildungskraft, deren Aufgabe darin besteht, „das Mannigfaltige der Anschauung in ein Bild [zu] bringen“.353 Jedoch entsteht die Subsumptionsproblematik bei Hegel in einer gewissermaßen phänomenologischen Perspektive ausgehend vom Bild selbst und setzt somit nicht schon den Begriff voraus, der hier systematisch noch nicht relevant ist. Die eigentümliche Vorstellung realisiert sich also in der „Synthese des 348 349 350 351

352

353

Hegel, Enz., §450 (Zusatz). Hegel, Enz., §451. Hegel, Enz., §452 (Zusatz). Dieser Aspekt wird in Enz. §453 deutlich: „Das Bild für sich ist vorübergehend, und die Intelligenz ist als Aufmerksamkeit die Zeit und auch der Raum, das Wann und Wo desselben. Die Intelligenz ist aber nicht nur das Bewußtsein und Dasein, sondern als solche das Subjekt und das Ansich ihrer Bestimmungen; in ihr erinnert, ist das Bild, nicht mehr existierend, bewußtlos aufbewahrt“. Und: „Das Bild ist das Meinige, es gehört mir an; aber zunächst hat dasselbe noch weiter keine Homogeneität mit mir, denn es ist noch nicht gedacht, noch nicht in die Form der Vernünftigkeit erhoben; zwischen ihm und mir besteht vielmehr noch ein von dem Standpunkt der Anschauung herrührendes, nicht wahrhaft freies Verhältnis, nach welchem ich nur das Innerliche bin, das Bild aber das mir Äußerliche ist“. Siehe dazu Enz., §454: „Solches abstrakt aufbewahrte Bild bedarf zu seinem Dasein einer daseienden Anschauung; die eigentliche sogenannte Erinnerung ist die Beziehung des Bildes auf eine Anschauung, und zwar als die Subsumtion der unmittelbaren einzelnen Anschauung unter das der Form nach Allgemeine, unter die Vorstellung, die derselbe Inhalt ist“. Kant, KrV, A 120.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

innerlichen Bildes mit dem erinnerten Dasein“.354 Diese genetische Perspektive verbindet Hegel mit Herder, da es für beide darum geht, die Heterogenität zwischen Bild und Begriff nicht aufzuheben, sondern die Entstehung des Begriffes ausgehend vom Bild zu erörtern. Hier erfolgt nun der Übergang von der Erinnerung zur eigenständigen Vorstellung, die in der Einbildungskraft zur Gestaltung kommt und drei Formen enthält: sie kann erstens als reproduktive Einbildungskraft, in der das Bild ins Dasein tritt, zweitens als assoziative Einbildungskraft, in der das Bild sich durch die Assoziation mit anderen Bildern zu einer allgemeinen Vorstellung fortbildet, und drittens als symbolisierende und zeichnende Phantasie bezeichnet werden, in der das sinnliche Dasein des Bildes die doppelte Form des Symbols und des Zeichens annimmt. Auf dieser letzten Stufe wird die sinnliche Gestaltung der allgemeinen Vorstellung realisiert und gleichzeitig semiotisiert. Die Verwirklichung der allgemeinen Vorstellung kommt als Symbol und als Zeichen zustande: „Die Phantasie ist der Mittelpunkt, in welchem das Allgemeine und das Sein, das Eigene und das Gefundensein, das Innere und Äußere vollkommen in eins geschaffen sind“.355 Die im Bild veranschaulichte Allgemeinheit der Vorstellung ist jedoch zunächst eine nur subjektive Objektivität, die noch vom Dasein des Gefundenen abhängt. Das Bild enthält also einerseits die allgemeine Vorstellung, andererseits ihre Entsprechung im Dasein der Anschauung. In der Vorstellung erfolgt die Emanzipation des Bildes vom Gefundenen, vor allem von seiner Materialität. Hier beweist sich die eigentliche Tätigkeit der Intelligenz, die diese Materialität aufhebt und umgestaltet.356 Der subjektive und objektive Charakter des Bildes kann sich dabei in zwei Formen entfalten – je nachdem, ob die Tätigkeit der Intelligenz sich auf die Verallgemeinerung der Subjektivität oder der Objektivität des Bildes richtet: der erste Fall betrifft das Symbol, der zweite das Zeichen. Das Symbol und das Zeichen sind daher beide konstitutiv in der „doppelten Form des bildlichen Daseins“.357 Die symbolisierende Phantasie „wählt zum Ausdruck ihrer allgemeinen Vorstellungen keinen anderen sinnlichen Stoff als denjenigen, dessen selbständige Bedeutung dem bestimmten Inhalt des zu verbildlichenden Allgemeinen 354 355 356

357

Hegel, Enz., §454. Hegel, Enz., §457 (Anmerkung). Diesbezüglich lässt sich die im Bild erfolgende Aufhebung bei Hegel mit der BildTheorie Fichtes vergleichen, derzufolge das Bild des Bildes erst im Verstand konstituiert wird. Zur paradigmatischen Bedeutung der Lehre vom Bild in der Wissenschaftslehre siehe Asmuth 1997, S. 297. Dazu Siemek 2001, S. 54: „Erst im Bild des Bildes wird das Bild selbst erkannt, aber nicht mehr dargestellt. Auf der Suche nach dem Sinn verschwindet das Bild, so wie die bloße Darstellung des Bildes immer die Frage nach seinem Sinn aufwirft“. Siehe auch Bertinetto 2001, S. 269–306. Hegel, Enz., §455 (Zusatz).

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V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

entspricht“,358 während im Zeichen der äußerliche Stoff willkürlich gewählt wird: „Wenn die Intelligenz etwas bezeichnet hat, so ist sie mit dem Inhalte der Anschauung fertig geworden und hat dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde Bedeutung zur Seele gegeben“.359 Und auch Hegel weist darauf hin, dass aufgrund dieses willkürlichen Verhältnisses die Bedeutung der Zeichen – insbesondere der Sprachzeichen – erst gelernt werden muss, was von Anfang an ein wiederkehrendes Motiv unserer Untersuchung war. Im Zeichen zeigt sich also die freie und willkürliche Tätigkeit der Intelligenz, welche die äußere Anschauung für die Produktion neuer Bedeutung braucht. Die Bedeutung wird nicht von der gegebenen Anschauung bedingt, sondern gestaltet sie im Zeichen selbst und emanzipiert sich damit zugleich vom bildhaften Charakter des Symbols: „Durch diese dialektische Bewegung kommt somit die allgemeine Vorstellung dahin, zu ihrer Bewährung nicht mehr den Inhalt des Bildes nötig zu haben, sondern an und für sich selber bewährt zu sein, also unmittelbar zu gelten“.360 Die Gegebenheit wird in diesem Gestaltungsprozess aufgehoben, weshalb Hegel von einer Tilgung des unmittelbaren und eigentümlichen Inhalts der Anschauung spricht, die einen anderen semantischen Inhalt erhält. Die Sprache erweist sich somit in systematischer Hinsicht als Aufhebung der unmittelbaren Anschauung, in deren Folge das räumliche Dasein verinnerlicht wird, was gleichzeitig eine Aufhebung in der Zeit ist. Dieser Prozess geschieht im Ton, den Hegel als „die erfüllte Äußerung der sich kundgebenden Innerlichkeit“ beschreibt.361 Die Willkürlichkeit ist der zentrale Aspekt der Zeichenhaftigkeit als Tilgung der Anschaulichkeit. Hegel steht somit in der langen Tradition der semiotischen Auffassung der Sprache, die von Humboldt durch die Unterscheidung zwischen Wort und Zeichen erweitert wird: Humboldt leugnet nämlich nicht, dass das Zeichen willkürlich ist, sondern vertritt einen Ansatz, demzufolge das Wort nicht auf das Zeichen reduziert werden kann. Der Grundirrtum der Sprachwissenschaft besteht nach Humboldt darin, „die Wörter als bloße Zeichen anzusehen“.362 Diese antireduktionistische Position ist daher als antisemiotischer Ansatz seiner Sprachphilosophie bezeichnet worden, da der Laut im Wort nicht nur zur Bezeichnung dient, sondern der Sprache eine Form gibt. Insbesondere Jürgen Trabant deutet Hegels Auffassung der Tilgung der Anschauung durch die Zeichenhaftigkeit als eine Vernichtung des Materials in Abgrenzung zur Auffassung Humboldts. Hegel würde die symbolischen Qualitäten vernachlässigen, die Humboldt in der Sprache hervorhebt: „Vom Blickpunkt 358 359 360 361 362

Hegel, Enz., §457 (Zusatz). Ebd. Ebd. Hegel, Enz., §459. Humboldt, Grundzüge, S. 99.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

der Hegelschen Systematik siedelt Humboldt die Sprache etwas ‚tiefer‘ an als Hegel: Sie sitzt gleichsam an der Übergangstelle zwischen dichterisch-symbolisierender und zeichenmachender Phantasie. Und diese tiefere Position ist eigentlich die modernere und interessantere“.363 Während die Tilgung der Anschauung im Zeichen bei Hegel sicherlich weder zur Wertschätzung der Materialität des Lautes in der Sprache noch zur Bestimmung der lautlichen Eigenschaften der verschiedenen Sprachen führt, kann sie als Ausdruck der Prozessualität des Geistes gedeutet werden. Die Tilgung des Materials im Zeichen ist zwar ein Hauptresultat des rationalistischen Ansatzes Hegels, aber nicht in dem simplen Sinne, dass die Vernunft sich das Material aneignet; im Gegenteil konstituiert sie sich allererst in der Aufhebung des Materials. Dass diese Aufhebung nicht zur Wertschätzung des Lautes führt, kann meines Erachtens als eine Differenz im theoretischen Interesse Hegels und Humboldts gedeutet werden: Während Hegel darauf abzielt, die Tätigkeit des Geistes bis hin in die Formen des Denkens zu erklären, konzentriert Humboldt seine Untersuchung auf die Beschreibung der Tätigkeit und Form der Sprache selbst, ohne das Problem der Entstehung der Begrifflichkeit in der Tätigkeit der Sprache syste­ matisch näher zu beleuchten. Diese Differenz erklärt ferner auch die Kritik Derridas an Hegel, die sinnlichen und symbolischen Aspekte des Zeichens unterschätzt zu haben. Auch hier wäre auf die besondere Stellung zu verweisen, die Hegel der Sprache zuspricht: Das Problem besteht für ihn nicht darin, die sinnlichen und symbolischen Nuancen der Sprache zu untersuchen, sondern darin, den Prozess auszubuchstabieren, in dem der Geist das Symbol im Zeichen aufhebt, um so die Möglichkeit einer von der Sinnlichkeit entäußerten Begrifflichkeit zu erklären.364 Das produktive Gedächtnis hat es folgerichtig für Hegel „nur mit Zeichen zu tun“.365 Die durch diese Tilgung charakterisierte Begrifflichkeit wird nicht vorgegeben, sondern überhaupt erst ‚gemacht‘. Josef Simon hebt deshalb die Funktion des Zeichens als ein „reines Tun“ hervor: „Das Zeichen hat als ein wesentlich sinnliches die Problematik der Sinnlichkeit in ihrer ganzen Schärfe an sich. Das Problem der Transzendenz ist bei Hegel in das Problem des Zeichens und letztlich in das der Sprache ‚aufgehoben‘“.366 Die Sprache selbst und das Wort 363 364 365 366

Trabant 2012, S. 173f. Für einen eingehenderen systematischen Vergleich zwischen Hegel und Derrida siehe Dow Magnus 2001, insbesondere S. 89 und S. 109. Hegel, Enz., §458 (Anmerkung). Simon 1966, S. 165–167. Dazu auch S. 169: „Die Eindeutigkeit des Zeichens bedeutet, dass die Verknüpfung zwischen Zeichen und Bedeutung (trotz des absoluten Gegensatzes) jeweils fest steht, aber nicht a priori und auch nicht in der Sprache als positivem System“. In Bezug auf die Funktion des Zeichens als „Befreiung des Denkens von den Einschränkungen der Anschauung“ siehe Sánchez de León Serrano 2013, S. 82f.

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V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

sind nicht vorgegeben. Wenn also nach Humboldt das Wort die doppelte Form des Zeichens und des Symbols enthält, ist bei Hegel das Bild der Ausgangspunkt dieser doppelten Artikulation, das Wort hingegen Resultat des Tilgungsprozesses. Wenn Hegel also einerseits die Tilgungsfunktion des Zeichens – das die Abstraktion des Denkens ermöglicht – stärker macht, ist er andererseits nicht unbedingt daran interessiert zu untersuchen, inwieweit das Wort die symbolische und zeichenhafte Natur des Bildes reproduziert. Aber das ist, wie erwähnt, ein spezifisches Problem der Sprachphilosophie, das Humboldt vertieft und das nicht im systematischen Fokus Hegels liegt. Nichtsdestotrotz führt Hegel einige Probleme an, die in der vergleichenden Sprachforschung seiner Zeit zur Debatte standen und die er durch die Lupe seines Begriffs des tätigen Geistes betrachtet. Einerseits behandelt er die Korrelation zwischen der Vollkommenheit der Grammatik und dem Bildungsniveau der Völker, andererseits äußert er sich über den Vorzug der Buchstabenschrift gegenüber der Hieroglyphenschrift. Was die erste Problematik betrifft, so ist der Einfluss von Humboldt eindeutig, obwohl Hegel sich ausdrücklich erst in der Enzyklopädie von 1830 auf die Abhandlung Über den Dualis bezieht, in der Humboldt die Ansicht vertritt, die Sprache sei „Abdruck des Geistes und der Weltansicht der Redenden“367 und insofern die eigentümliche Vermittlerin zwischen den Denkkräften und in keinem Fall bloßes Verständigungsmittel.368 Was die zweite Problematik anbelangt, vertritt Hegel die These, dass die Buchstabenschrift für das Denken deshalb von Vorteil sei, weil sie durch die Tonsprache zur vollkommeneren Artikulation gelange: „Die Buchstabenschrift ist an und für sich die intelligentere; in ihr ist das Wort, die der Intelligenz eigentümliche würdigste Art der Äußerung ihrer Vorstellungen, zum Bewußtsein gebracht, zum Gegenstand der Reflexion gemacht“.369 Während die Hieroglyphenschrift von der Analyse der Vorstellungen ausgeht, entsteht der Name in der Buchstabenschrift durch die Analyse der Natur des Zeichens selbst, was 367 368

369

Humboldt, Über den Dualis, in GW, VI, I, S. 23. Humboldt, Über den Dualis, in GW, VI, I, S. 26: „Die Objektivität erscheint aber noch vollendeter, wenn diese Spaltung nicht in dem Subjekt allein vorgeht, sondern der Vorstellende den Gedanken wirklich außer sich erblickt, was nur in einem andren, gleich ihm vorstellenden und denkenden Wesen möglich ist“. Hegel, Enz., §459 Anm. Siehe dazu McCumber 2006, S. 119: „Because words are derived from tones and so are actual sounds, they have externality to Spirit; but the externality is merely transient, and because its connection to thought is arbitrary, it is resistance-free. It is this combination of transient externality a lack of resistance, in turn, which constitutes the great virtue of the word for Hegel. For the word alone permits the intelligence (and by extension scientific Spirit itself) to remain fully with itself in its utterance, satisfy itself internally, and, in the form of comprehensive cognition [des begreifenden Erkennens], to bring into being the unlimited freedom and reconciliation of mind with itself (Enz., §444 Zusatz)“. Vgl. auch Forster 2011, S. 162f.

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Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

eine dynamische und von der Vorstellung abstrahierte Artikulation des Gedankens ermöglicht. Daher bezeichnet Hegel eine auf einer hieroglyphischen Schriftsprache fußende Philosophie auch als ‚statarisch‘.370 Für ihn ist die Sprache in keiner Weise nur eine bloße Bezeichnung und Vermittlung der Gedanken, sondern konstitutive Gestaltung des Denkens selbst. Es geht dabei weniger um die Beziehung zwischen Schrift und dem Denken im Allgemeinen, als vielmehr um diejenige zwischen Schrift und Philosophie als spekulativem Denken, dem nach Hegel die Buchstabenschrift angemessener ist.371 Es ist daher wichtig anzumerken, dass Hegel die Willkürlichkeit des Zeichens als das Produkt der Tätigkeit des Geistes und nicht als das Produkt eines Abstraktionsprozesses versteht, der von einer bildhaften und symbolischen Imitation der Natur ausgeht. Dieser antinaturalistische Ansatz in der Auffassung der Entstehung des Zeichens markiert die Grenze zwischen Hegel und Herder, der das Zeichen als semiotisches Produkt eines langen, evolutionären Prozesses sieht und die Sprache noch von der Abbildung her versteht.372 Diese Distanz zu Herder kann wiederum als Nähe zu Humboldt gelesen werden, der im Wort die Verwandtschaft zwischen Symbol und Zeichen setzt. Sicherlich geht Hegel nicht tiefer auf die Problematik der Artikulation des Wortes zwischen Symbol und Zeichen in Bezug auf unterschiedliche Sprachen und ihre jeweiligen Typologien ein. Somit kommt Hegel trotz des expliziten Bezugs auf Humboldts Über den Dualis zur eindeutigen Feststellung des Vorzugs der alphabetischen gegenüber der hieroglyphischen Schrift – ohne anzumerken, dass beide zunächst eine lautliche Natur haben.373 Dieser Gedanke prägt insbesondere Humboldts Abhandlung Über die Buchstabenschrift, die Hegel nicht erwähnt und der zufolge das Wort als Laut sich in Richtung eines Bildes oder in Richtung eines Zeichens artikulieren kann. Die Artikulation führt zur eigentlichen Natur des Namens als „Verknüpfung der von der Intelligenz produzierten Anschauung und ihrer Bedeutung“,374 die als zunächst vorübergehende die Tätigkeit des Gedächtnisses erfordert, um etabliert und gebraucht zu werden. Entscheidend ist dabei, dass es das 370 371

372 373 374

Hegel, Enz., §459 (Anmerkung). Gessinger 2002, S. 115: „Die von Hegel gegenüber der ‚hieroglyphischen‘ Schriftsprache der Chinesen als ‚intelligenter‘ qualifizierte Buchstabenschrift war aber für ihn nicht deshalb intelligenter, weil sie eine höhere Stufe der Progression des menschlichen Geistes darstellte, sondern weil sie der Form des Denkens angemessener sei“. Im gleichen Band siehe auch den Aufsatz von Franco Lo Piparo (S. 145– 152), der diese Problematik in Bezug auf Platon und Aristoteles behandelt. Dieser Unterschied zwischen Hegel und Herder wird genauer von Lucia Ziglioli (2014) untersucht. Zum Vorzug der Hieroglyphenschrift siehe den kritischen Beitrag von Eschbach und Eschbach-Szabo 2002, S. 139. Hegel, Enz., § 460.

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V. Die ‚Zeichen machende Phantasie‘ bei Hegel

Gedächtnis für Hegel nicht mehr mit dem Bild, sondern mit dem Wort zu tun hat: „Das Wort gibt demnach den Gedanken ihr würdigstes und wahrhaftes Dasein“.375 Hier entwickelt sich eine so tiefe Vertrautheit mit der Bedeutung des Wortes, dass das Äußere selbst fast verschwindet.376 Die Bedeutung hat vertraut zu werden, damit sie der Vergegenständlichung dient und somit die Einheit zwischen Subjektivität und Objektivität erschafft: „Das Gedächtnis ist auf diese Weise der Übergang in die Tätigkeit des Gedankens, der keine Bedeutung mehr hat, d.i. von dessen Objektivität nicht mehr das Subjektive ein Verschiedenes ist, so wie diese Innerlichkeit an ihr selbst seiend ist“.377 Und somit schafft Hegel den Übergang zum Denken, das als „Gedanken haben“378 die Einheit von Inhalt und Gegenstand ist.

3. D ie Nac hsprac h l ic h keit des Den kens Insofern lässt sich das Denken – sogar das logische Denken – grundsätzlich nicht von der Tätigkeit der Sprache ablösen. Die Sprache schafft eine Metaebene der Begrifflichkeit. Dies ins Auge fassend, lässt Eugenio Coseriu seinen Aufsatz über die Überwindung der Einzelsprachlichkeit im Wort mit der Feststellung beginnen, „dass wir mit Hegel über Hegel hinausgehen müssen, in der Sprachphilosophie und auch in der Philosophie des Zeichens“.379 Ausgehend von der Auffassung der Sprache als intentioneller Gestaltung vertritt Coseriu den Ansatz der Nachsprachlichkeit von Fachsprachen, die nicht vorsprachlich oder nichtsprachlich sind, sondern erst auf Grundlage der Sprache möglich werden: „Damit ist die Fachsprache stets Überwindung der Einzelsprachlichkeit, wenigstens im lexikalischen Bereich (d.h. gerade in dem Bereich, der unmittelbar die erste Gestaltung der Welt betrifft)“.380 Dieses Thema jedoch kann bei Hegel nicht weiter vertieft werden. Es betrifft das Verhältnis zwischen Wissen und Sprache, zwischen Logik und Sprache. Insbesondere kann hier nicht der Weg des formellen Charakters der Sprache betreten werden, der ein Werk des Verstandes ist, „der seine Kategorien in sie einbildet“.381 Hier 375 376 377 378

379 380 381

Hegel, Enz., § 462 (Zusatz). Dazu Hegel, Enz., §462. Hegel, Enz., §464. Siehe dazu Simon 2002, S. 41f. Hegel, Enz., §465. Siehe auch dazu §467 Zusatz: „Das Denken hat folglich auf diesem Standpunkte keinen anderen Inhalt als sich selber, als seine eigenen, den immanenten Inhalt der Form bildenden Bestimmungen; es sucht und findet im Gegenstande nur sich selbst. Der Gegenstand ist daher hier vom Denken nur dadurch unterschieden, dass er die Form des Seins, des Fürsichbestehens hat. Somit steht das Denken hier zum Objekt in einem vollkommen freien Verhältnisse“. Coseriu 1992, S. 3. Coseriu 1992, S. 25. Hegel, Enz., §459 (Anmerkung).

278  

Revision des Schematismus in der Nachfolge Kants

spricht Hegel sogar von einem logischen Instinkt,382 der das Grammatische hervorbringt, womit letztlich zugleich das Problem der Herleitung der Kategorien angesprochen ist, das sich ihm in der Logik stellt. Mit diesem ist eine bestimmte Auffassung der philosophischen Tätigkeit als Bewegung des Begriffes selbst verbunden, die dessen empirische, theologische oder ästhetische Konnotation aufhebt. Dieser Gedanke verbindet Hegel mit der kantischen Transzendentalphilosophie, die er in gewisser Hinsicht radikalisiert. Abschließend gilt es aufzuzeigen, inwieweit Hegel den transzendentalen Ort des Schematismus einerseits bestätigt und andererseits neu gestaltet: Die Bestätigung betrifft wesentlich die Gestaltungsfunktion der Vorstellung – und in dieser der Sprache, die als genetischer Prozess zwischen Anschauung und Denken, zwischen Bild und Wort aufgefasst wird. Somit realisiert sich ausgehend vom Bild diejenige doppelte Versinnlichung, die schon Kant annimmt, und in der die schematische und die symbolische Darstellung sich anhand der Begriffe einerseits und der Anschauungen andererseits unterscheiden lassen. Die Gedanken operieren bei Hegel jedoch nicht mit Bildern und sind trotzdem versinnlicht und versinnlichend. Das Symbol und das Zeichen sind im Wort und weiter im Begriff enthalten, dessen Semiose jedoch Hauptinteresse der Semantik geworden ist. Somit wird der Schematismus zur Vermittlung zwischen Anschauung und Begrifflichkeit im Reich der Vorstellung. Insofern vertritt Hegel einen repräsentationalen Ansatz, der eine Versinnlichung beschreibt, die von der Physiologie bis zur abstrakten Ebene des Denkens reicht, ohne deswegen die einzelnen Stufe zu vernichten. Folglich können bei Hegel wie bei Kant die eigenen Gedanken sowohl auf der Stufe des Symbols ausgedrückt als auch weiter in Richtung des abstrakten Denkens realisiert werden, in dem eine dynamische Philosophie zur Entfaltung gelangen kann. Aufgrund dieser Fokussierung auf die eigentümliche Tätigkeit des Geistes wird jedoch von Hegel nicht näher untersucht, inwieweit die Sinnlichkeit, die Sprache und das Symbol selbst als konstitutive Elemente auf dem Weg zum Zeichen und Wort aufgefasst werden können. Die Tätigkeit des Geistes riskiert somit, die tragende Kraft ihrer eigenen Bewegung zu sein, die, um sich weiter ausgestalten zu können, immer eine bewusste Handlung zu implizieren scheint. In diesem Sinne kommt bei Hegel sicherlich der Verleiblichung eine wichtige Funktion zu, obwohl er sich nie auf den eigentümlichen Prozess der Versinnlichung als eigene Gestaltungstätigkeit des Geistes bezieht. Dieser Aspekt ist daher im nächsten und letzten Teil meiner Untersuchung in Bezug auf die Begriffe der Versinnlichung und der Verkörperung zu thematisieren.

382

Hegel, Enz., §459 (Anmerkung).

S chematismus als V ersinnlichung

Das Schema ist bei Kant die transzendentale Bedingung der Bedeutung, während der Schematismus der Prozess ist, durch den die Bedeutung sich realisiert. Ohne Schematismus haben weder Begriffe noch Anschauungen einen Gebrauch. Dieser konkretisiert sich in Schemata als sinnlichen Gestalten. Im ersten Teil unserer Untersuchung konnte gezeigt werden, dass im Schematismus-Kapitel drei Ebenen der gestalterischen Hervorbringung zu unterscheiden sind: eine empirische, eine sinnliche und eine rein begriffliche. Der Schematismus insgesamt ist für Kant ein Bestimmungsprozess, der sich innerhalb der Grenzen der anschaulichen Erkenntnis vollzieht. Jenseits dieser Grenzen hingegen ist lediglich eine indirekte Darstellung der Begriffe und Gefühle möglich, die auch als symbolische Erkenntnis bezeichnet wird. Die gesamte Darstellung wird also entweder direkt oder indirekt realisiert, und somit gibt es keine Bedeutungserfahrung, die nicht versinnlicht ist. Es ist sogar von einer Versinnlichung auszugehen, die so ursprünglich erzeugend ist, dass sie ohne Begriffe operieren kann. Diese drei Formen der Darstellung sind wiederum insgesamt vom Bezeichnungsvermögen abzugrenzen, das die Funktion der willkürlichen Begleitung der Begriffe durch Zeichen ausübt und so ermöglicht, dass im Denken abstrakte Bestimmungen versinnlicht werden. Nur so können diskursive Bestimmungen zum anschaulichen Ausdruck gelangen, mit denen nicht konstruktiv operiert werden kann, wie es im Gegenteil für Kant etwa in der Mathematik der Fall ist. Schemata sind als Versinnlichungsmethoden keine repräsentationalen Inhalte, sondern transzendentale Prozesse des semantischen Bezugs zur Welt. Im Gegensatz dazu deuten andere Autoren vor und nach Kant die Schemata im Sinne einer semantisch-repräsentationalen Struktur, wodurch sie als bloße Träger der Bedeutung aufgefasst werden. Ausgehend vom Beispiel des Schemas eines Hundes als stilisierter Figur hat sich diese Auffassung des Schemas als Träger derjenigen Merkmale etabliert, die für die Wiedererkennung des Gegenstandes und die Anwendung des Begriffs unbedingt notwendig sind. Sie läuft

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Schematismus als Versinnlichung

jedoch Gefahr, das Schema als einen Schemen im Sinne einer verkürzten Zusammensetzung inhaltlicher Merkmalen anzusehen. Insofern ist der vermeintliche Dualismus zwischen Schema und Realität nicht so sehr, wie Davidson meint, ein Dogma, sondern vielmehr Anzeichen eines falsch gestellten Problems. Denn wie Kant richtig sieht, ist das Schema ein Prozess und kein fixer Inhalt.1 Einem ähnlichen Missverständnis erliegen auch all diejenigen Interpretationen, welche die Schemata zu bloßen Trägern der Bedeutung machen und dadurch ebenfalls die prozessuale Natur des Schematismus vernachlässigen.2 Dieses Problem wird schon bei Kant als die Schwierigkeit beschrieben, den Schematismus von seinen Resultaten getrennt zu halten. Die einzelnen Schemata sind also nur in einem prozessualen Sinn und nicht als Resultate des Prozesses zu erfassen. Die Ausblendung des prozessualen Charakters der Schemata kann zugleich als Mangel einer transzendentalen Perspektive angesehen werden, den etwa Umberto Eco für das Hauptproblem derjenigen zeitgenössischen Theorien hält, die den Schema-Begriff bzw. ihm ähnliche Begriffe wie Prototyp oder Modell anwenden.3 Dieser spezifisch prozessuale Charakter des Schematismus hingegen rückt in der unmittelbaren Nachfolge Kants von Maimon bis Hegel ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wenngleich bei diesen Autoren auf den ersten Blick eine Verabschiedung des Schematismus zu verzeichnen ist. Dass Kant mit der Schematismuslehre ins Herz des synthetischen Wesens der Denkprozesse vorgestoßen ist, wird in der Nachfolge erkannt, wobei jedoch die performative Kraft dieser schematischen Artikulation hinterfragt und zugleich erweitert wird, was meines Erachtens sowohl zur Verabschiedung als auch zur Wiedergeburt des Schematismus beigetragen hat. Die Schwierigkeit der Interpretation bestand gerade darin, dass das Schema in der Nachfolge Kants kaum noch ausdrückliche Beachtung findet, weil ausgehend von der Kritik an der Gegebenheit der Begrifflichkeit und der Sinnlichkeit der gestalterische und pragmatische Charakter des Denkens und der Sprache hervorgehoben und der Schematismus als zu überwindender, repräsentationaler Prozess angesehen wird. Ich habe mich dennoch auf diese Versuche bezogen, da sie gerade in dieser Überwindung den Kern des Schematismus freilegen und weiterentwickeln. Dabei hoffe ich gezeigt zu haben, inwieweit sich durch eine nicht-reduktionistische Auslegung der Schematismuslehre Kants und ihrer Rezeption dessen sys-

1 2

3

Vgl. Abel 1993, S. 320–328. Dazu rechne ich auch die Verwendung des Schema-Begriffs von Strawson (1993, S. 39): „Material bodies constitute the framework. Hence, given a certain general feature of the conceptual scheme we possess, and given the character of the available major categories, things which are, or possess, material bodies must be the basic particulars“. Siehe dazu Eco 2000, S. 146.

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Schematismus als Versinnlichung

tematische Relevanz erweisen lässt. In diesem Zusammenhang war jeweils auf die besonderen Interessen einzugehen, die diese Revisionsversuche anleiten. Die Rede von einer Versinnlichungslehre impliziert zweifellos eine Umgestaltung der Schematismuslehre Kants, die durch deren unterschiedliche Revisionen inspiriert ist. Trotz der damit verbundenen, teilweisen Umgewichtung bin ich davon überzeugt, dass der Schematismus, wie Kant ihn entworfen hat, als transzendentale Semantik gelesen werden kann. Drei Gründe sprechen dabei für die Aktualität der Schematismuslehre Kants: Erstens hat Kant den Schematismus in eine Lehre über die Bedingung der Bedeutungsentstehung überführt, zweitens hat er diese Lehre auf den Unterschied zwischen Bild, konstruierter Figur und Wortlaut bezogen und drittens hat er erkannt, dass die Entstehung von Bedeutung sich nur im Gebrauch realisieren kann. Der Gebrauch wiederum wird von ihm semantisch in drei Weisen der Darstellung unterschieden: eine eigentlich schematische, eine symbolische und eine schematische, die jedoch ohne Begriff auskommt. Noch zu klären sind hingegen folgende Fragen: Inwieweit ist die Entstehung von Bedeutung als eine Bedeutungserfahrung zu verstehen? Inwiefern ist die Unterscheidung zwischen Bild, konstruierter Figur und Wortlaut innerhalb der heutigen Philosophie relevant? Und wie können die genannten drei Weisen der Darstellung in Bezug auf die Bezeichnung spezifiziert werden? Die kantische Schematismuslehre ist zwar grundsätzlich erweiterbar, darf jedoch nicht zu einer bloß empirischen Beschreibung verkommen, damit weiterhin von einem transzendentalen Ansatz gesprochen werden kann. Die Erweiterung betrifft insbesondere den Erfahrungsbegriff, der nicht ausschließlich empirisch verstanden werden darf, sondern eine Bedeutungserfahrung anzeigt, welche die bestimmende Darstellung, die symbolische Darstellung und die Bezeichnung umfasst. Bei Kant steht die bestimmende Darstellung allein für den Schematismus. Ich jedoch möchte aus den bereits aufgezeigten Gründen alle drei der genannten Prozesse unter dem Begriff des Schematismus zusammenfassen. Insgesamt beinhaltet der Schematismus als semantischer wie semiotischer Prozess sowohl die bestimmende und die symbolische Darstellung als auch die Bezeichnung, ohne deshalb seinen transzendentalen Charakter zu verlieren, der hier als antizipatorischer Charakter bestimmt wurde.4 Im Anschluss an seine zuvor rekonstruierte Revision definiere ich die Schematismuslehre als 4

Siehe oben, Kap. VI.3. Anhand der Auslegung von Makkreel ist bereits betont worden, wie die im metaphorischen Prozess implizierte Reflexion antizipatorisch wirkt, weil sie einen bestimmten Inhalt zum Dienst einer Erweiterung der Darstellungskraft der Bedeutungserfahrung selbst extrapoliert. Dazu Fortuna 2012, S. 172–173: „Metaphorische Ausdrücke haben demnach kein wörtliches Äquivalent, sondern die primäre gegenständliche Bedeutung verschiedener Wörter wird mittels eines analogisches Prozesses transformiert. Daher wird dieser Prozess, der

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Schematismus als Versinnlichung

modale Theorie der Versinnlichung der Bedeutungserfahrung. Im vorliegenden, abschließenden Teil geht es mir darum, diese Definition systematisch zu erläutern und von Ansätzen der Verkörperung abzugrenzen. Diese Versinnlichungslehre beinhaltet dreierlei: (1.) Die Erfahrung wird auf die gesamte Bedeutungserfahrung erweitert, womit das Denken von Ideen und der Ausdruck subjektiver Empfindungen in den Schematismus miteinbezogen werden. (2.) Die Artikulation der Bedeutungserfahrung erfolgt über sinnliche Gestalten (Bild, Figur und artikulierter Laut) als transzendentale Bedingungen der Versinnlichung. (3.) Genauer besteht die Artikulation im Gebrauch der sinnlichen Gestalten als Zeichen oder als Symbole. In Kapitel I möchte ich erklären, inwieweit der Versinnlichungsprozess eine eigentümliche, transzendentale Dimension der Erkenntnis anzeigt, die mit dem zeitgenössischen Verkörperungsansatz nur unzureichend bestimmt werden kann. Hierbei werde ich also einen großen Sprung hin zu zeitgenössischen Debatten der kognitiven Semantik machen. Das Spektrum der Theorien zum embodied mind kann sicherlich nicht auf diesen Ansatz reduziert werden. Unter dem Oberbegriff ‚Embodiment‘ sammelt sich eine Vielzahl an Theorien. Dennoch scheint mir der Ansatz von Johnson und Lakoff derjenige zu sein, der Kant noch am nächsten kommt. Gerade deswegen kann in Abgrenzung zu diesem die Aktualität Kants noch deutlicher hervortreten. Johnson und Lakoff halten das Problem der semantischen Bedingungen der Kognition für ein Problem der Erkenntnistheorie, verstehen die Bedeutung nicht als vorgegebene und versuchen, ihren Entstehungsprozess auszubuchstabieren. Außerdem beziehen sie sich explizit auf die Erkenntnistheorie Kants und insbesondere auf den SchemaBegriff. Sie sprechen vom Embodiment im Sinne einer Erweiterung der Einbildungskraft. Die Differenz zwischen Versinnlichung und Verkörperung beziehe ich dabei erstens auf die Ästhesiologie von Plessner und zweitens auf den Ansatz des Embodiment in der Version von Mark Johnson und George Lakoff. In Kapitel II werde ich dann meinen eigenen Ansatz des Schematismus als eine modale Versinnlichungslehre ausführen.

gegenständliche Bedeutungen in metaphorische Bedeutungen transformiert, als völlig natürlich und allen Sprachen inhärent betrachtet“. Zur antizipatorischen Funktion ästhetischer Schemata siehe Desideri 2015.

I . V ersinnlichung und E mbodiment

In diesem abschließenden Teil der Untersuchung soll also diejenige Versinnlichungsproblematik aufgegriffen werden, die im ersten Teil in Bezug auf die Sinnlichkeit eingeführt wurde. Ich möchte insbesondere spezifizieren, was es heißt, die Schematismuslehre als eine Lehre der Versinnlichung zu interpretieren und dabei zugleich aufzeigen, warum sie nicht als Lehre der Verkörperung verstanden werden darf – obwohl sie mit dieser auf empirischer Ebene kompatibel ist. Und schließlich geht es mir darum zu zeigen, dass gerade Embo­ diment, was häufig mit ‚Verkörperung‘ übersetzt wird, nicht mit der Ver­ sinnlichung gleichzusetzen ist. Der Embodiment-Ansatz kann demzufolge die angezeigte Weite des Schematismus nicht ausschöpfen. Deshalb bedarf der als Versinnlichung verstandene Schematismus einer systematischen Erklärung, die meines Erachtens von Kant im Keim vorbereitet und in der Nachfolge weiter entfaltet wird – wie ich hoffe, in dieser Untersuchung bereits anhand der semantischen und semiotischen Auslegungen der transzendentalen Stellung des Schematismus ans Licht gebracht zu haben. Versinnlichung ist der Begriff, den Kant für die Darstellung von Bedeutung insgesamt verwendet. Er entzieht diesen Begriff damit dem semantischen Feld der Rhetorik und bezeichnet mit ihm den Darstellungsprozess des Denkens, da es ihm letztlich um die Möglichkeit der Darstellung aller Gegenstände des Denkens geht, seien es Begriffe oder Ideen. Damit gibt er dem Gedanken eines Gestaltungsprozesses, der im 18. Jahrhunderts in kunsttheoretischen Debat­ ­ten prominent war, eine systematische Stellung. Es ist eine Versinnlichung, die nicht von der Steigerungs- und Ausdruckskraft der Sprache und im Allgemeinen der Kunst zu trennen ist, durch die – wie Oschmann in Bezug auf die Verwendung der Inversion in der Sprache bei Condillac, Diderot und Herder zeigt – die Bewegung in der Sprache selbst erfahrbar gemacht und also die Sprache als Organon des ganzen Denkens aufgefasst wird.5 5

Vgl. Oschmann 2002, S. 300.

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Schematismus als Versinnlichung

Im ersten Teil dieser Untersuchung wurde unter Versinnlichung die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit bei Kant als dasjenige Vermögen verstanden, das auf transzendentaler Ebene Sinne, Anschauungen und Einbildungskraft verbindet. Diesbezüglich habe ich erklärt, inwieweit Kants anthropologische Bemerkungen über die prozessualen Relationen zwischen ‚objektiven‘ Sinnen (Gehör, Gesicht und Tastsinn), Anschauungen (Zeit und Raum), Darstellung und Bezeichnung in den Zusammenhang seiner Transzendentalphilosophie eingebettet werden können, ohne diese deshalb auf eine physiologische oder psychologische Lehre zu reduzieren. Die Verbindung zwischen Gehör, Zeit und der Abstraktheit der Begriffe, zwischen Gesicht, Raum und Gestalt, und schließlich zwischen Tastsinn und physischer Gestalt wird jedoch von Kant selbst nicht auf den Schematismus bezogen. Im Gegenteil eröffnet meines Erachtens erst die Erklärung dieser Relationen als Elemente einer transzendentalen Versinnlichungslehre den Raum für eine Analyse der gestaltenden Funktion der Sprache, deren Fehlen in der Nachfolge Kants als der eigentliche Mangel seiner Philosophie angesehen wird. Durch die Umgestaltung der kantischen Theorie der Sinnlichkeit wird meines Erachtens daher die systematische Stelle offengelegt, an der es die Transzendentalphilosophie zu erweitern gilt, ohne dabei ihr heuristisches Potential zu verschenken.6 Über die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit eröffnet sich zugleich der Raum für eine andere Erweiterung der kantischen Erkenntnistheorie bezüglich der so genannten ‚doppelten Versinnlichungslehre‘ und der Unterscheidung zwischen dieser und der Bezeichnung.7 Es ist gezeigt worden, dass Kant den Versinnlichungsbegriff in der Kritik der Urteilskraft zusammen mit dem Begriff der Hypotypose verwendet, um die Darstellung insgesamt auszudifferenzieren, indem er zwischen einer schematischen und einer symbolischen Darstellung unterscheidet, wobei erstere zur direkten Darlegung der Begriffe durch Anschauungen dient, während die zweite eine indirekte Darstellung ist, die durch Analogie verfährt und Symbole verwendet. Die schematische Darstellung wird dabei auf die Schematisierung der reinen Verstandesbegriffe begrenzt, da die empirischen Schemata als Beispiele definiert und die Schemata rein sinnlicher Begriffe nicht erwähnt werden. Die Funktion des Schematismus wird da eingeschränkt, wo sie nur noch für die Versinnlichung der Kategorien zuständig ist. Hier haben das Bild, das Monogramm und die Bezeichnung der Begriffe – seien sie rein, sinnlich oder empirisch – keine transzendentale Funktion. Das Wort hingegen wird mit Blick auf seine metaphorische Entwicklung und auf die Bezeichnung eingeführt. Der symbolischen Versinnlichung kommt die Funktion zu, Begriffe darzustellen, denen keine Anschauung angemessen ist. Diese 6 7

Vgl. oben, Kap. II.3–II.5 des ersten Teils. Siehe oben, Kap. VI und VII.

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I. Versinnlichung und Embodiment

Genese ist jedoch nicht ursprünglich, sondern stützt sich indirekt auf die erkenntnistheoretische Ebene der Schematisierung, die Begriffe darstellt, die eine Entsprechung in den Anschauungen haben können. Die symbolische, indirekte Darstellung basiert daher auf der direkten Darstellung. In Bezug auf die symbolische Darstellung konnte außerdem gezeigt werden, inwieweit sie potentiell dazu in der Lage ist, eine ursprüngliche Präsentation zu erzeugen, d.h. die Darstellung eines Gegenstandes ‚ohne Begriff‘. In §35 der Kritik der Urteilskraft erklärt Kant die eigentümlich subjektive Macht einer Schematisierung ohne Begriff, die er als das originäre Prinzip der Urteilskraft bezüglich des Geschmacks beschreibt. Es handelt sich hierbei um eine dritte Art der Versinnlichung, durch die Gefühle zum Ausdruck gelangen. Wenn also bei Kant überhaupt von einem nicht-begrifflichen Charakter der Darstellung gesprochen werden soll, dann hier. Diese Schematisierung ‚ohne Begriff‘ beruht auf der eigentümlichen Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit, die nicht nur unabdinglich für die Erkenntnis ist, sondern auch Begriffe generieren kann. Bei Gefühlen handelt es sich folglich für Kant um eine Schematisierung ohne Begriff, der in der Versinnlichung gewissermaßen erst zum begrifflichen Ausdruck kommt. Die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit, die weder auf den Körper noch auf die Begrifflichkeit reduzierbar ist, stellt diejenige transzendentale Verbindung zwischen Sinnen, Anschauungen und Begriffen dar, die es ermöglicht, die gesamte Bedeutungserfahrung in Zeit und Raum zu gestalten.8 Trotz der Bezeichnung dieses Prozesses als Versinnlichung bei Kant hat sich dieser Terminus in der Erkenntnistheorie nicht etabliert. Seine Verwendung bleibt auf den Bereich der künstlerischen Gestaltung begrenzt, weil er gerade dort seine primäre Erklärungskraft entfaltet.9 Die generative Funktion der Darstellung als Versinnlichung wird in der Nachfolge Kants vor allem von Herder und insbesondere in Bezug auf die Sprache und die Einbildungskraft hervorgehoben. Das zeigt sich vornehmlich am Begriff der sinnlichen Präformation bei Herder: „Die Sinne präformieren“.10 Herder hält die gestaltende Funktion der Sinnlichkeit für die eigentümliche Kraft des Metaschematismus, hebt sie jedoch hauptsächlich in den Künsten hervor. Trotzdem ist es Herder, der meines Erachtens die transzendentale, empirische   8

  9 10

Diese Gestaltungsfunktion kann auch mit all denjenigen Praktiken in Verbindung gebracht werden, die auf ein knowing-how im Gegensatz zum knowing-that zurückgeführt werden können, nicht-begrifflich sind und dennoch ständig begriffliche Bedeutung generieren. Vgl. dazu Abel 2010. Dieser Aspekt ist in Bezug auf die figurative Handlung in der Gestaltung insbesondere von Krämer (2012) hervorgehoben worden, die im Schematismus eine generative synthetische Figuration am Werk sieht. Siehe dazu Kap. V.2.1. Auch dazu und zur Bedeutung der Inversion bei Condillac, Diderot und Herder siehe Oschmann 2002, S. 293. Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 398. Siehe Kap. III des zweiten Teils.

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Schematismus als Versinnlichung

und anthropologische Ebene des kantischen Ansatzes der Sinnlichkeit zu einem philosophischen Projekt verbindet, das er als „Physiologie der menschlichen Erkenntniskräfte“ bezeichnet,11 durch welche die Kategorientafel zu einer Bestimmungstafel wird, die somit aus meiner Sicht gleichsam als eine Versinnlichungstafel zu bezeichnen wäre. Wir haben bereits gesehen, wie auch Humboldt sich des Verkörperungsbegriffs bedient, um die Verkörperung des Gedankens im Wort als artikuliertem Laut zu erklären, jedoch in Bezug auf die Schrift auch von einer Versinnlichung spricht, die vor der komplexen Aufgabe steht, die Lebendigkeit des Wortlautes darzustellen.12 Damit ist jedoch in keiner Weise eine isomorphe und physiologische Beziehung zwischen Gedanken und Gegenstand gemeint, im Gegenteil: es ist eine sinnliche Funktion der Artikulation im Laut, der sicherlich auch physiologisch im Körper zu finden ist. Hegel unterscheidet hingegen deutlicher zwischen Sinnlichkeit und Körper, wenn er in der enzyklopädischen Anthropologie von einer Verleiblichung spricht13 und sie als ein Moment des Organischen begreift, ohne dabei zu vergessen, dass „erst durch die Verleiblichung der inneren Bestimmungen das Subjekt dahin [kommt], dieselben zu empfinden“.14 Innerlich betrachtet wird die zunächst äußerliche Verleiblichung dann zum Gegenstand der Psychologie und dadurch zur ersten Bedingung der Entäußerung des Sinnlichen. Mit der Umgestaltung der transzendentalen Stellung des Schematismus geht meines Erachtens bei Herder, Humboldt und Hegel die Hervorhebung der Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit einher, welche die sprachliche Bestimmbarkeit der Bedeutung ermöglicht. Trotzdem etabliert sich der Versinnlichungsbegriff in der Folge nicht im erkenntnistheoretischen Kontext. Ein Grund dafür liegt vermutlich darin, dass – wie oben in Bezug auf die Bewegung bereits gezeigt wurde – in der Versinnlichung häufig eine Form der Darstellung gesehen wird, die die Lebhaftigkeit des Ausdrucks (und nicht die Konstitution) des Denkens betrifft. Insbesondere von Herder und Humboldt aber wird die Konstitution des Gegenstandes mit dem genetischen Charakter der Sprache selbst in Verbindung gebracht wird, ohne dies jedoch transzendental weiter zu begründen. Diese Begründung erfolgt bei Hegel in Bezug auf das Zeichen, obwohl auch er den Versinnlichungsbegriff nicht systematisch verwendet. Trotz seiner vielfältigen Erweiterungen und Revisionen wird der Schematismus nicht für eine geeignete Theorie zur sinnlichen Entfaltung von Denkprozessen gehalten. Nur Herder geht in diese Richtung, wenn er seinen Ansatz als einen „neuen Metaschematismus tönender Gedankenbilder“ prä11 12 13 14

Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 343. Vgl. Humboldt, Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in GS, VII, I, S. 46. Dazu Kap. IV des zweiten Teils. Siehe dazu Hegel, Enz. §401. Siehe Kap. V des zweiten Teils. Hegel, Enz., §401 Zusatz.

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I. Versinnlichung und Embodiment

sentiert.15 Deshalb möchte ich mit dem Versinnlichungsbegriff gegen alle Versuche einer Substantialisierung der Sinnlichkeit und für eine formale Auffassung derselben argumentieren, nach welcher die Sinnlichkeit Bedingung der sinnlichen Form der Begrifflichkeit ist, die sich zwischen Bild und Laut artikuliert. Wenn man diese Artikulation nicht als immer schon vorausgesetzt annehmen und eine transzendentale Begründung ihrer unterschiedlichen Anwendungen einfordern möchte, dann bietet sich meines Erachtens nur der Weg, die Versinnlichung als Gestaltungsprozess einzuführen. Diesen Weg haben meines Erachtens sowohl Heidegger als auch die Autoren des Projekts einer philosophischen Anthropologie eingeschlagen, von denen ich insbesondere Plessner hervorheben möchte. Der Schematismus lebt von der transzendentalen Auffassung der Sinnlichkeit als der eigentlichen Bedingung jeder Gestaltung. Es ist insbesondere Heidegger, der die systematische Stellung der Versinnlichung in der Schematismuslehre hervorgehoben hat. Da das Schema weder auf das empirische Bild noch den isolierten Begriff reduziert werden kann, braucht es eine Charakterisierung, die seine eigene Funktion beschreibt. Dies ist für Heidegger die Versinnlichung, die „primär in der Einbildungskraft geschieht“.16 Wie bereits erwähnt, definiert er die Schemabildung als „die Versinnlichung von Begriffen“.17 Er bezieht sich auf die reine Versinnlichung als „das Hinnehmen von etwas, was sich im Hinnehmen selbst zwar allererst bildet, also eines Anblickes, der aber gleichwohl nicht das Seiende darbietet“.18 Insofern sei diese ursprüngliche Versinnlichung bei Kant keineswegs nur als Aufzählung von Merkmalen, sondern als „Auszeichnen des Ganzen“ zu deuten,19 womit Heidegger anerkennt, dass diese Versinnlichung primär in der Einbildungskraft geschieht, die, an sich als „heimatlos“ zwischen Rezeptivität und Spontaneität schwebend,20 die eigentliche Wurzel der beiden Stämme der Erkenntnis und die transzendentale Verwurzelung der reinen Anschauung sei, womit die systematische Stellung der Sinnlichkeit rückblickend in Frage gestellt wird: „So, wie die transzendentale Ästhetik am Anfang der Kritik der reinen Vernunft steht, ist sie im Grunde unverständlich. Sie hat nur vorbereitenden Charakter und kann eigentlich erst aus der Perspektive des transzendentalen Schematismus gelesen werden“.21 Dennoch vertieft Heidegger nicht weiter, inwieweit dieser Versinnlichungsprozess mit der Wahrnehmung in Verbindung steht. Die reine Anschauung entspringt 15 16 17 18 19 20 21

Herder, Metakritik, in FHA, 8, S. 420. Heidegger, GA, 3, S. 96–97. Heidegger, GA, 3, S. 97. Heidegger, GA, 3, S. 91–92. Heidegger, GA, 3, S. 95. Heidegger, GA, 3, S. 136. Heidegger, GA, 3, S. 145.

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Schematismus als Versinnlichung

der Einbildungskraft und wird nicht in ihrer eigenen Gestaltungsfunktion untersucht. Diese Untersuchung scheint hingegen ein primäres Anliegen der philosophischen Anthropologie zu sein, wie hier nur angedeutet werden kann. Cassirer, Scheler und Plessner beziehen sich um 1930 herum explizit auf die aktive Funktion der Sinnlichkeit, die von ihnen im Rahmen eines Verkörperungsansatzes interpretiert wird, der jedoch meines Erachtens die Merkmale einer Versinnlichungstheorie erfüllt.22 Das bedeutet wohlgemerkt nicht, der Gestaltungsprozess könne von der Synästhesie absehen, welche die Wahrnehmung empirisch konstituiert. Die Sinne sind physiologische Bedingungen der Gestaltung, doch ihre Gestaltungsfunktion selbst lässt sich nicht deshalb allein physiologisch beschreiben. Sie ist Bedingung eines Konstitutionsprozesses, der Bedeutung realisiert und damit systematisch vor der empirischen Synästhesie des Körpers einzuordnen ist. Die Sinnlichkeit stellt somit die transzendentale Bedingung einer rezeptiven Spontaneität dar und ist das formale Konstitutionsmoment der Begrifflichkeit. An dieser Stelle mag es hilfreich erscheinen, sich die Kritik Cassirers am dogmatischen Sensualismus in Erinnerung zu rufen. Dieser Ansatz hypostasiert die Gegebenheit der Empfindungen als solche und verkennt darin, „dass es auch eine Aktivität des Sinnlichen selbst, um den Goetheschen Ausdruck zu gebrauchen, auch eine ‚exacte sinnliche Phantasie‘ gibt, die sich in den verschiedensten Gebieten geistigen Schaffens als wirksam erweist“.23 Es gibt demnach eine Aktivität des Sinnlichen, die nicht mit dem bloßen Sensualismus zu ver22

23

Siehe insbesondere Krois 2011, S. 181: „Philosophical anthropology, by contrast [gegen Husserl] can be characterized as the consistent, systematic attempt to overcome Cartesianism. Instead of beginning with the individual thinking subject, philosophical anthropology began with the irreducible fact of human Embodiment, taking this to include the first, second and third person perspectives“. Cassirer, ECW, 11, S. 17–18. Diese Beobachtung findet sich in der Einleitung und Problemstellung der Philosophie der symbolischen Formen, deren Analyse insbesondere der Sprachphilosophie Herders und Humboldts eine wichtige Referenz für unsere Untersuchung darstellt. Es ist außerdem wichtig anzumerken, dass die Wiederbelebung der Lehre Goethes mit der Hervorhebung der Aktivität des Sinnlichen einhergeht. An dieser Stelle möchte ich den Ansatz von Jean Petitot (2004, S. 17) erwähnen, der in seiner Morphologie Goethe große Beachtung schenkt. Die Morphologie ist außerdem Grundlage für die von Petitot entwickelte Lehre eines morpho-dynamischen Schematismus (1975), die jedoch hier nicht vertieft werden kann – es sei jedoch auf Bondì 2012 für eine Untersuchung der Theorie semantischer Formen verwiesen, die im CREA (Centre de Recherche en Épistémologie Appliquée) in Frankreich entwickelt worden ist. Zu Goethe bemerkt Petitot: „Dans la Métamorphose goethéenne s’unifient ainsi le régulier et le singulier, le générique et le spécifique, le collectif et l’individuel, l’unité et la diversité. Et si un type peut avoir une diversité ouverte de variantes, c’est que ces variantes sont reliées entre elles par des transformations. La morphologie goethéenne est inséparable de la ‘Métamorphose’ comme théorie des transformations morphologiques“.

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I. Versinnlichung und Embodiment

wechseln ist. Inwieweit das Projekt einer philosophischen Anthropologie Cassirers sich auf die Schemata bezieht und den Symbol-Begriff wie auch die Gestalttheorie miteinbezieht, kann hier nur flüchtig erwähnt werden.24 Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass sich eine transzendental-konstitutive Versinnlichungslehre meines Erachtens auf der Ebene einer philosophischen Anthropologie bewegt, der es um die Bestimmung der Sinnlichkeit zwischen Transzendentalphilosophie und Anthropologie geht, was insbesondere an der Sinnlichkeitstheorie Plessners verdeutlicht werden kann, in der die Sinne zu Modalitäten werden.

1. D ie Ä st hesiolog ie Plessner s Plessners Projekt einer philosophischen Anthropologie bezieht sich explizit auf Kants Schematismus, der in Die Einheit der Sinne als Konstitutionsproblem eingeführt und in Bezug auf die Sinne gedeutet wird. Ich lese den Ansatz Plessners daher als Ergänzung zu dem hier unternommenen Versuch, eine Versinnlichungslehre zu entwickeln. Bezüglich der Auffassung der sinnlichen Organisation des Menschen unterscheidet Plessner drei Ansätze: der erste, den er als absolut bezeichnet, betrifft die Auffassung der sinnlichen Qualitäten „als unmittelbarer Offenbarungen“.25 Es handelt sich dabei um die Verabsolutierung des Abbildungscharakters der Eindrücke – Plessner bezieht diese Auffassung auf Bergson und auf die von ihm für besser gehaltene Variante der Goethe-Piklerschen Theorie, der Cassirer – wie vorhin schon erwähnt – in der Kritik des dogmatischen Sensualismus eine systematische Stellung einräumt. Herder hingegen wird von Plessner die Einsicht in die Subjektivität der Sinnenqualität zugeschrieben, welche eine detaillierte Charakteristik einzelner Sinne erlaube, aber bei der Beschreibung subjektiver Zustände und bloßen Vorstellungsweisen stehen bleibe. Diese Kritik steht insofern im Einklang mit meinem kritischen Ausblick bezüglich der Auffassung der Sinnlichkeit bei Herder, in dem es letztlich ebenfalls um die Kritik der Subjektivierung der Sinne insbesondere in Bezug auf ihre Funktion in den in der Kunst versinnlichten Gefühlen ging.26 Mit Plessner erfolgt daher eine weitere Umgestaltung der Sinnlichkeit nach Herder, der bis hierhin als derjenige gelten konnte, der die eigentümliche Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit in Abgrenzung zu Kants Schematismus erkannt und zugespitzt hatte. Plessner deutet die Ästhesiologie Herders folglich als eine subjektive Ästhesiologie, der zwar das wichtige Verdienst zugerechnet 24

25 26

Ich verweise bezüglich der Untersuchung der philosophischen Anthropologie Cassirers wieder auf Krois 2011, S. 185, und auf Cassirer, ECN, 1, insbesondere S. 34–36. Plessner, Einheit der Sinne (1923), in Gesammelte Schriften (GS), III, S. 306. Vgl. Kap. III.4, S. 99.

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Schematismus als Versinnlichung

werden sollte, sich von einer absoluten Auffassung der Sinnlichkeit entfernt zu haben, die jedoch durch eine objektive Ästhesiologie weiterentwickelt werde müsse. Letzteres bezeichnet die Strategie Plessners, sowohl die absolute als auch die subjektive Auffassung der Sinne zu überwinden: „Die Qualitäten sind nicht absolute Seinszustände und sie sind keine subjektiven Zustände. Sie sind vielmehr die Weisen, in denen absolutes, das heißt vom Bewusstsein losgelöst beharrendes Sein, der Stoff, die Materie gegenständlich: für ein Bewusstsein wirklich werden kann“.27 Die so objektiv gedeuteten Sinnesqualitäten werden von Plessner als „Verbindungsarten“ verstanden, „die Brücken zwischen Geist und Körperleib und damit zwischen Geist und körperlicher Welt“28 schlagen und somit in ihrer Vermittlungsfunktion mit der systematischen Funktion des Schematismus verglichen werden können: „die Ästhesiologie setzt an Stelle der kantischen Konstitutionstheorie der Natur, wie sie in der transzendentalen Ästhetik, in der Kategorienlehre und im Schematismus niedergelegt ist, eine neue Theorie der Naturgegenständlichkeit, deren Zentralidee die Lehre von den Modalitäten enthält“.29 Der Begriff der Modalität ist für Plessner der Anschauungslehre von Zeit und Raum gegenüber vorzuziehen, weil er sowohl konkreter als auch universeller sei. Die Modalität ermöglicht eine Perspektive auf die Sinne, die im Allgemeinen von allen Typen der Sinngebung handelt und sich nicht nur für die „physikalische Deutung der Natur“ interessiert.30 Die Vielschichtigkeit der Architektonik Plessners stellt, ohne hier ins Detail gehen zu können, meines Erachtens ein wichtiges Beispiel des transzendentalen Wertes der isolierenden Methode dar, durch welche die Sinne, die in der synästhetischen Wahrnehmung nur vermischt vorkommen, heuristisch getrennt werden. Was Plessners Modalitätstheorie vor allem im Anschluss an Kant wieder einführt, ist die Abgrenzung zwischen einer transzendentalen und einer empirischen Betrachtung der Sinnlichkeit, die von Herder nivelliert worden war. Die empirische Betrachtung impliziert schon das intentionale Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt, während die transzendentale die einzelnen Modalitäten der Sinnlichkeit nur heuristisch beschreibt. Plessner denkt somit die empirische Verkörperung ausgehend von den Modalitäten der Sinne – und nicht umgekehrt die Sinne ausgehend von der Verkörperung. Denn diese ist überhaupt nur ausgehend von der Spezifizität der Sinne zu verstehen, die

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Plessner, GS, III, S. 310. Plessner, GS, III, S. 300. Plessner, GS, III, S. 305. Zum Konstitutionsproblem im Lichte Kants siehe auch S. 313–314. Plessner, GS, III, S. 305.

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I. Versinnlichung und Embodiment

nicht so sehr den Gehalt, sondern vielmehr die Funktion der Empfindung als sinnlicher Struktur betrifft.31 Die Funktion der Verkörperung ist die empirische Synästhesie, in welcher die Sinne in ihrem Zusammenwirken die Erfahrung schon intentional gestalten.32 Wenn innerhalb dieser Synergie die Sinne heuristisch – also vor der Erfahrung – analysiert werden sollen, ist die richtige Methode nach Plessner diejenige, „Grenzfälle“ aufzusuchen, bei denen das Material in seiner „Reinheit als Ton, Farbe, Linie usw. auftritt“: „an solchen Fällen, wie sie etwa im Musizieren, Zeichnen, Schreiben, Sprechen, in den Versuchen abstrakter Bildkunst, im konstruktiven Verfahren der Geometrie gegeben sind, lässt sich die spezifische Tragfähigkeit eines sinnlichen Modus für einen spezifischen Modus menschlichen Verhaltens erproben“.33 Die Synästhesie kann im Gegensatz dazu nicht in ihrem reinen Charakter untersucht werden, weil sie als Zusammenwirken unterschiedlicher Sinne schon eine intentionale Zuwendung voraussetzt: „Dieser ganze Aktionsbereich zielt auf die Menschen zugängliche Welt und schließt somit ihn mit allen seinen Sinnen ein. Auf dieses Dispositiv an Sinnlichkeit fällt der einzelne zurück, greift er zurück, wenn er seine Möglichkeiten auskosten will. Auskosten schließt immer auch Aktivität mit ein“.34 Da, wo die Sinne verschmelzen, entsteht also für Plessner eine Handlung, in der er dreierlei unterscheidet: „Schematismus der Wissenschaft (der reinen Geometrie)“, „Tagmatismus der Sprache und Schrift“ und „Thematismus der Kunst (der reinen Kunst)“.35 Diese Leistungen können wiederum als Grenzfälle verstanden werden: Die Konstruktion steht für das „methodische Vorgehen mit Rechnung und Zeichnung“, das syntagmatische Bedeuten erfolgt durch die Gliederung der Bedeutung durch Sprache und Schrift, und die thematische Sinngebung „leistet die Kunst durch Formung ihres jeweiligen Materials nach Maßgabe der Proportion“.36 Diese dreifache Artikulation der Bedeutung erinnert nicht zufällig an Kants Unterscheidung zwischen schematischer Darstellung, symbolischer Darstellung und Schematisierung ohne Begriff. Doch obwohl Plessner den Schematismus als allgemeine Konstitutionsfrage behandelt,37 bezieht 31 32 33 34 35 36 37

Vgl. Plessner, Anthropologie der Sinne (1970), in: Plessner, GS, III, S. 375–378. Plessner, GS, III, S. 201–203, S. 379 und S. 390. Zu beachten ist auch der Bezug Plessners auf das Theater (S. 391). Plessner, GS, III, S. 380. Plessner, GS, III, S. 388. Zur Architektonik siehe Plessner, GS, III, S. 189–190. Plessner, GS, III, S. 190. Siehe Plessner, GS, III, S. 381: „Schreiben, Zeichnen, Schematisieren, graphisch Darstellen und verwandte Operationen bergen ein eminentes Problem, das Kant im Schematismuskapitel der Kritik der reinen Vernunft berührt hat. In Richtung auf

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Schematismus als Versinnlichung

er ihn in seiner Architektonik der Sinne ausschließlich auf die Konstruktion und nicht auf die komplette Artikulation der Grenzfälle, die nun zwischen sinnlichen Modalitäten und Leistungen erfolgt. Beide Bereiche sind außerdem durch die Sinnlichkeit verbunden: Denn die Konstruktion agiert in der optischen Sphäre und bedient sich der Bilder, während die Musik eine Komposition in der akustischen Sphäre darstellt und eine rein zeitliche Kunst ist. Die Grenzfälle schlechthin – von Plessner auch als reine Fähigkeiten bezeichnet – sind also Raum und Zeit in den jeweiligen Operationen der Geometrie und der Musik: Während die erste für Plessner tief mit dem Schematismus Kants verbunden ist und allein eine Linienschematik besitzt,38 welche die geometrische Begriffsbildung als eine rein optische bestimmt, gehört die Musik allein der akustischen Sphäre an. Die Sprache agiert hingegen sowohl optisch als auch akustisch und gelangt dadurch zu der ihr eigenen Sinngebung, deren Gehalte für Plessner in der Kunst „thematisch gedeutet“ werden können.39 Die Synästhesie selbst, in der diese Leistungen zur intentionalen Ausführung kommen, kann nicht als Grenzfall beschrieben werden, sondern ist schon immer eine Verkörperung. Diese Verkörperung liegt den vielen Fällen zugrunde, in denen ein fehlender Sinn durch einen anderen ersetzt wird. Die zahlreichen Beispiele von Blinden, die mit dem Tastsinn ihre Sehfähigkeit ersetzen, sind für Plessner kein Anzeichen einer transzendentalen Synästhesie, sondern im Gegenteil ihres empirischen Charakters, weil die Grenzfälle über-

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die Erkenntnis der Möglichkeit exakter Naturbeschreibung erscheint bei ihm das Schema als Zwischen- und Bindeglied, dem die Anwendbarkeit der Kategorien auf Anschauung zu danken ist, als Vorstellung einer Methode, wonach Bilder allererst möglich werden. Den derart gesichteten Zusammenhang zwischen ‚Natur‘, Exaktheit ihrer Darstellung nach Gesetzen, Schematisierung und bildmäßiger Anschaulichkeit dahingestellt – liegt nicht die Vermutung analoger Funktionen der Einbildungskraft zumindest für den Aufbau der Geisteswissenschaften nahe, die auf Exaktheit, Typisierung und bildmäßige Anschaulichkeit, wenn auch in einem anderen Sinne als die Naturwissenschaften, nicht verzichten können? Wird die Phantasie nicht zu anderen, der Schematisierung verwandten, nur andersartigen ‚Methoden‘ der Vermittlung, Verdichtung, Konkretisierung aufgerufen und auch imstande sein, wenn es sich um Durchführung einer Idee im künstlerischen oder praktisch-politischen Sinne handelt? Zwischen Vernunft, Vernehmen und Hören, das kein Anschauen und keine bildhafte Verarbeitung von Tönen ist, […] besteht ein innerer, gewachsener Zusammenhang, der an der unverwechselbaren Eigenart musikalischer Mitteilung sinnfälligen Ausdruck gewinnt“. Vgl. Plessner, GS, III, S. 190: „Kant hat zum ersten Male in dieser Weise das Geheimnis des geometrischen und algebraischen Wertes der Linien zu deuten verstanden, indem er zur Vermittlung zwischen Kategorie und Anschauung das Schema als Verfahren, wonach Bilder allererst möglich werden, einschob, welche Entdeckung in der Tat jene Bewunderung verdient, die ihr Hegel und Schopenhauer haben zuteil werden lassen“. Plessner, GS, III, S. 177.

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I. Versinnlichung und Embodiment

schritten werden, um bestimmte Leistungen zu erfüllen. Diese Überschreitung kann wiederum methodisch gewendet werden, um die unterschiedlichen Modalitäten zu untersuchen, ohne selbst eine transzendentale Modalität zu sein – zumindest nicht vom Gesichtspunkt des sinnlichen Gebrauchs aus. Hier geht es vielmehr um „Bedeutungsakzente“, durch welche das Weltbild kulturell zu einer vielfältigen Gestaltung kommt – dieses Verschiedenheitspotential liegt auch der Hochachtung zugrunde, die Plessner für Herder und Humboldt hegt, die den Wert fremder Kulturen hervorgehoben haben.40 Auf diese Weise behandelt Plessner die Bedeutung der inneren Sprachform, die nur in der Veränderung dieser Akzente zur äußeren Form gelangen kann. Dieser Ansatz der Synästhesie, der im Folgenden mit dem von Merleau-Ponty verglichen werden soll, steht meines Erachtens für einen transzendentalen Versuch, die Verkörperung als empirisch und relativ zu erklären und ihr als verkörperter Bedeutungserfahrung eine heuristisch isolierende Untersuchung der Modi der Sinnlichkeit vorzuordnen, die synthetisch a priori mit den Prozessen ihres Gebrauchs verbunden sind. Die Sinne stehen in direkter Verbindung mit den Operationen und den unterschiedlichen Gebräuchen, die von den sinnlichen Gestalten gemacht werden. Durch eine solche Auffassung der Modalität kann laut Plessner eine Hermeneutik der Sinne entworfen werden, welche der Philosophie bis dato fehle. So beendet Plessner seine Anthropologie der Sinne wie folgt: „Als Modalitäten des Daseins geben die Sinne ihr Geheimnis nicht preis. Erst in der Arbeit mit und an ihnen zeigen sie, was sie können und was ihnen verwehrt ist“.41 So zieht Plessner meines Erachtens die methodische Grenze zwischen transzendentaler und empirischer Beschreibung der Bedeutungserfahrung und entwickelt eine kritische Theorie der Verkörperung, deren Artikulation in sich eine Untersuchung der Modalität der Sinne und der Leistungen einschließen muss, die ich als transzendentale Versinnlichung bezeichnen möchte. Es bleibt hervorzuheben, dass für Plessner die Wahrnehmung für ein leibliches Wesen gerade „der Modalität nach“ a priori ist.42 Anhand des Primats der Wahrnehmung lässt sich die Nähe zwischen Plessner und Merleau-Ponty erkennen, die jedoch nur vereinzelte schriftliche Spuren hinterlassen hat. Ich werde meine Aufmerksamkeit vor allem auf die methodische Verschiedenheit zwischen beiden hinsichtlich ihrer Konzeption der Synästhesie als Synthesis der Sinne richten: während nämlich Plessner, wie bereits gesehen, die isolierende Methode anwendet, um die Sinne in ihrer Ver-

40 41 42

Siehe dazu zum Beispiel Plessner, GS, III, S. 172. Plessner, GS, III, S. 393. Plessner, GS, III, S. 310.

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Schematismus als Versinnlichung

schiedenheit und gegenseitigen Kontrastierung zu untersuchen, spricht MerleauPonty der synthetischen Kraft der Sinne das Primat in der Wahrnehmung zu.43 Dieser Vergleich, der hier nur skizziert werden kann, ist meines Erachtens aufschlussreich, da sich auf diesem Weg die Unterscheidung zwischen Verkörperung und Versinnlichung präzisieren lässt. Mit Plessner habe ich für die Relevanz der Versinnlichung hinsichtlich einer Untersuchung der Modalitäten der Sinnlichkeit – und zwar der (transzendentalen) Grenzfälle in der Sinnlichkeit – argumentiert, um diese transzendentale Versinnlichung zugleich von derjenigen Verkörperung abzugrenzen, die als synästhetisch und immer nur kultur-relativ aufzufassen ist. Diese Kritik werde ich im nächsten Kapitel auf den Verkörperungsansatz von Johnson und Lakoff beziehen. In diesem Kapitel möchte ich jedoch zunächst noch genauer untersuchen, ob die Synästhesie geeignet ist, eine transzendentale Versinnlichungstheorie zu begründen. Merleau-Ponty gilt als einer der wichtigsten Verfechter des Primats der Synästhesie in der Wahrnehmung. Er betont die Bedeutung des Köper-Schemas für die Synästhesie nicht zufällig gerade dort, wo er sich auf Herders sensorium commune bezieht. Sowohl Plessner als auch Merleau-Ponty heben demnach die Auffassung der Sinnlichkeit bei Herder hervor, obwohl die Absicht Plessners, wie bereits gesehen, gerade darin liegt, diese von ihm für subjektiv gehaltene Konzeption Herders durch eine objektive Untersuchung der Modalitäten der Sinnlichkeit zu ersetzen. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Merleau-Ponty um eine Zuspitzung der Auffassung von Herder, welche die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit in den Vordergrund stellt. In der Phänomenologie der Wahrnehmung richtet sich Merleau-Pontys Kritik gegen den Intellektualismus, der das Subjekt von der Wahrnehmung abstrahiere und die Wahrnehmung auf die Wahrnehmung von etwas reduziere. Diese Auffassung der Wahrnehmung und somit der Sinne scheitere an der Beschreibung der wirklichen Erfahrung. Sie reduziere die Sinne auf Instrumente, durch welche die Erfahrung ein bloß sinnliches Gewand erlange, das vom Denken abstrahiere. So seien die Sinne keine Zugänge zur Erfahrung, sondern nur getrennte Teile eines intellektualisierten Ganzen. In Wahrheit ist das Sinnliche für Merleau-Ponty dieses Ganze, in dem Empfindung sich als „Koexistenz und Kommunion“ erweist.44 Die Besonderheit jedes Sinnes steht jedoch nicht vor dem Ganzen, sondern realisiert sich erst im Ganzen: „Die synästheti-

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Vgl. dazu Russo 2010, S. 8–11. Merleau-Ponty, PW, S. 251. Siehe auch S. 250: „Doch in Wahrheit ist da nur die räumliche und zeitliche Spur der Bewußtseinsakte. Betrachte ich diese innerlich, so finde ich nur ein einziges Erkennen, das ohne Ort ist, eine Seele ohne Teile, und es ist so wenig ein Unterschied zwischen Denken und Wahrnehmen als zwischen Sehen und Hören“.

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I. Versinnlichung und Embodiment

sche Wahrnehmung ist die Regel“.45 Dieses Ganze als ‚Kommunikation‘ der Sinne untereinander ist demnach für Merleau-Ponty das Wesen der Synästhesie selbst,46 die nur durch eine Rückkehr vom Intellektualismus hin zum Leib begreifbar wird.47 Nur als Synästhesie kann der Gegenstand zur umfassenden Wahrnehmung gelangen, nur so kann die Struktur eines Dinges erfasst werden. Diese Synästhesie ist keine geistige Tätigkeit, sie „ist vom Körper (nicht vom Subjekt) gemacht“.48 Und trotzdem gelangt man dadurch nie zum Gegenstand selbst: „ein jeder Aspekt des Dinges, der in unsre Wahrnehmung fällt, bleibt eine Einladung, noch über ihn hinaus wahrzunehmen, und ein bloßer momentaner ‚Anhaltspunkt‘ im Prozess des Wahrnehmens“.49 Es muss jedoch als fraglich gelten, ob diese synästhetische Einheit des Körpers geeignet ist, das gesamte Spektrum abzudecken, das Merleau-Ponty dem Körperschema zuschreibt, d.h. Einheit gleichzeitig des Leibes, der Sinne und des Gegenstandes und außerdem noch für Ausdruck, Darstellung und Bedeutung verantwortlich zu sein.50 Der Leib allein soll sowohl Natur- als auch Kulturgegenständen ihren Sinn geben; dennoch ist er angeblich vor jeglicher Reflexion und Wissenschaft einzuordnen.51 Meines Erachtens müsste hingegen zwischen zwei Arten von Synästhesie unterschieden werden: Einer präreflexiven und einer reflexiven Synästhesie, in der Wahrnehmung eine intentionale Zuwendung miteinschließt. Merleau-Ponty dagegen läuft Gefahr, im Gegensatz zu Plessner die Diversität der einzelnen Sinne auf transzendentaler Ebene zu

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Merleau-Ponty, PW, S. 268. Dazu Merleau-Ponty, PW, S. 260: „Es ist durchaus kein Widerspruch und nicht unmöglich, dass ein jeder Sinn im Inneren der großen eine kleine Welt konstituiert, ja eben auf Grund seiner Besonderheit ist ein jeder Sinn dem Ganzen notwendig und öffnet er sich seinerseits diesem Ganzen“. Vgl. Merleau-Ponty, PW, S. 263: „Die Sinne sind voneinander und von der intellektuellen Einsicht verschieden, insofern ein jeder von ihnen eine nie völlig übertragbare Seinsstruktur mit sich trägt. Dies erkennen wir, wenn wir uns von allem Bewußtseinsformalismus befreien und den Leib als das Subjekt der Wahrnehmung begreifen“. Merleau-Ponty, PW, S. 272. Merleau-Ponty, PW, S. 273. Vgl. Merleau-Ponty, PW, S. 274–275: „Durch den Begriff des Körperschemas ist nicht allein die Einheit des Leibes auf neue Weise bestimmt, sondern durch diese auch die Einheit der Sinne und die Einheit des Gegenstandes. Mein Leib ist der Ort des Phänomens des Ausdrucks, oder vielmehr dessen Aktualität selbst; in ihm geht jede visuelle Erfahrung z.B. mit einer auditiven schwanger und umgekehrt, und ihr Ausdruckswert begründet die vorprädikative Einheit der wahrgenommenen Welt und hierdurch auch die Darstellung im Verbalausdruck wie die intellektuelle Bedeutung. Mein Leib ist die allen Gegenständen gemeinsame Textur, und zumindest bezüglich der wahrgenommenen Welt ist er das Werkzeug all meines ‚Verstehens‘ überhaupt“. Vgl. Merleau-Ponty, PW, S. 275.

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Schematismus als Versinnlichung

nivellieren. Die reflexive Synästhesie – sei sie auch Produkt einer im engeren Sinne körperlichen Intentionalität, durch welche beispielsweise die eigene Wahrnehmung einer synästhetischen Dimension genauer begriffen oder Funktionsstörungen der Sinne ersetzt werden können – hängt immer von einer intentionalen Zuwendung ab, die einen faktischen Gebrauch impliziert. Die transzendentale Versinnlichung abstrahiert heuristisch vom Körper und untersucht die Sinnlichkeit als potentielle Gestaltungsfunktion, die im Schematismus zum Gebrauch kommt. Das bedeutet nicht, dass die Versinnlichung ‚ohne Körper‘ ist; sie geht nur nicht primär von den Erscheinungen des Körpers aus, sondern hinterfragt die Bedingungen dieser Erscheinungen und minimiert sie zu Grenzpolen. Im Vergleich der unterschiedlichen Funktionen der Synästhesie bei Plessner und Merleau-Ponty habe ich versucht, die transzendentale Grenze zu erklären, welche die objektive Auffassung der Modalitäten der Sinne von der empirischen Auffassung ihrer Einheit abgrenzt, welche wiederum eine synästhetische Verkörperung darstellt, die vom intentionalen Gebrauch abhängt. Dieser setzt eine schon intentionale Zuwendung voraus und entfaltet sich dadurch subjektiv und relativ. Diese Grenze ermöglicht es trotzdem, in der Kunst von einer Synästhesie zu sprechen, die neue sinnliche Synthesen hervorbringen kann, denen keine diskursive Erkenntnis angemessen ist. Die Verkörperung setzt also immer eine intentionale (aber nicht unbedingt bewusste) Handlung voraus, durch welche die potentielle Synästhesie zur Gestaltung kommt. Auf dieser Ebene bewegen wir uns – wie Plessner richtig bemerkt – schon in Weltbildern. Diese systematische Stellung der Verkörperung kann ebenfalls mit dem Ansatz von Alva Noë in Verbindung gebracht werden, der sich explizit auf Merleau-Ponty bezieht und den kantischen Unterschied zwischen Anschauungen und Begriffen im Sinne der sensomotorischen Bedeutung der Anschauungen deutet, die für Kant blind sind und für Noë die praktisch-motorische Erkenntnis charakterisieren: „To perceive you must be in possession of sensorimotor bodily skill“.52 Trotz der Betonung praktischer Fähigkeiten in der sensomotorischen Wahrnehmung kommt Noë gleichzeitig zu der Feststellung, dass Farben und Laute eine wesentliche (salient) Funktion in der Wahrnehmung ausüben,53 so als ob sie grundlegendere, strukturierende Aspekte der Wahrnehmung seien, die anhand empirischer Einzelfälle bewiesen werden – ohne dass dies jedoch weiter erläutert würde.

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Noë 2004, S. 11. Vgl. zur Funktion der Laute – am Ende der Untersuchung der Funktion der Farben – bei Alva Noë (2004, S. 161): „Colors als visually salient ways objects affect their enviroment. Sounds, in comparison, are audibly salient ways in which events […] affect their environment“.

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I. Versinnlichung und Embodiment

Die isolierende Methode Kants in Bezug auf die Sinne, die sich in unserer Untersuchung als extrem fruchtbar erwiesen hat, wird schlicht nicht angewendet. Die durch McDowell filtrierte Lektüre von Kant und die fast vollkommene Ausblendung der Sinnlichkeitsdebatte im 18. Jahrhunderts bei Noë haben meines Erachtens als Haupthindernisse für die Erfassung der funktionalen Bedeutung der Sinnlichkeit im Schematismus zu gelten, die in der Dichotomie zwischen Nicht-Konzeptualismus und Konzeptualismus befangen bleibt, in der letztlich keine systematische Stellung der Versinnlichung vor der sensomotorischen Verkörperung vorgesehen ist. Dieses Vor sollte nicht im Sinne einer Konzeptualisierung, sondern einer Transzendentalisierung gelesen werden – an der es vielen der gegenwärtigen Ansätze des Kognitivismus mangelt, weshalb ihre Einführung zu deren Umgestaltung beitragen kann. Denn aus transzendentaler Sicht lassen sich die Grenzfälle sinnlicher Erfahrung und ihre Synästhesie diskursiv beschreiben, was jedoch nicht als Intellektualisierung sinnlicher Verhältnisse missverstanden werden darf. Bevor ich diese Perspektive in einer eigenständigen Lesart der Schematismuslehre entwickle, soll nun erneut die Unterscheidung zwischen Versinnlichung und Verkörperung geprüft werden, indem sie auf den kognitivistischen Ansatz der Verkörperung von Lakoff und Johnson bezogen wird. Dieser stellt in meiner Untersuchung sowohl wegen seines expliziten Bezugs auf den kantischen Schema-Begriff als auch wegen seiner Annahme basaler sinnlichen Strukturen einen exemplarischen Prüfstein dar, anhand dessen gezeigt werden kann, dass Versinnlichung nicht auf Verkörperung reduziert werden kann.

2. Ver si n n l ic hu ng a ls t ra nszendent a le Bed i ng u ng der Verkör p er u ng In diesem Kapitel werde ich den Versinnlichungsansatz Kants in Beziehung zur Konzeption des Embodiment setzen, wie sie Johnson und Lakoff seit den achtziger Jahren in mehreren Schriften entwickelt haben. Wie bereits erklärt, wird diese Konzeption aus dem weiteren Spektrum der Embodiment-Theorien deshalb ausgewählt, weil Johnson und Lakoff eine semantisch-kognitivistische Grundlage des Erkenntnisprozesses annehmen und sich explizit auf Kant beziehen. Dennoch zeigen sich meines Erachtens zugleich Parallelen zu Plessner und Merleau-Ponty, genauer zu deren Skepsis gegenüber einem Intellektualismus der Wahrnehmung.54 Obwohl ihr Ansatz im Vergleich mit dem Enaktivismus eine moderate Variante des Embodiment darstellt, ist er aufgrund dieser Kritik des Intellektualismus und der Hervorhebung des Interaktionsraums zwischen Subjekt und Umwelt für die Verkörperungstheorien repräsentativ, die hier nicht 54

Siehe dazu Johnson 2007, S. 11.

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Schematismus als Versinnlichung

detaillierter untersucht werden können. Dabei kann gezeigt werden, dass Sinnlichkeit oftmals zu schnell mit Verkörperung gleichgesetzt wird, Versinnlichung oft zu schnell zur Verkörperung geworden ist. In der Folge hat man die transzendentale Begründung der Interaktion zwischen Subjekt und Umwelt verabschiedet oder auf die körperliche Ebene reduziert. Das hat auch dazu beigetragen, dass im Embodiment viele Aspekte zusammenfließen, die eigentlich durch Versinnlichung und Verkörperung zu erklären wären. Ich argumentiere dafür, die bestehenden Embodiment-Theorien durch eine grundlegendere Ebene zu ergänzen, die ich als transzendental bezeichnen werde. Johnson und Lakoff beziehen ihren Ansatz direkt auf die Konzeption der Einbildungskraft und die Schematismuslehre Kants und erweitern sie durch die Annahme verkörperter Schemata. Diese Erweiterung von Johnson und Lakoff entspricht meines Erachtens nur teilweise dem bereits erwähnten Versuch, die Erkenntnistheorie Kants als eine Verkörperungslehre auszulegen, wie er vornehmlich von Helge Svare und Angelica Nuzzo unternommen wird.55 Beide Interpretationen zeigen primär, wie sinnvoll die Einbeziehung der Philosophie Kants im Rahmen des Embodiment-Ansatzes ist, entfalten die Versinnlichung jedoch nicht als transzendentale Bedingung der Verkörperung. Dies bleibt meines Erachtens ein offenes Problem, insofern die Verkörperung die Schematismuslehre in diesem Fall nur auf der Ebene empirischer Bedeutung erweitern kann. Die Erkenntnistheorie Kants wird damit gewissermaßen durch eine weitere Dimension ergänzt, indem der Sinnlichkeit die Kinästhesie und die Bewegung zur Seite gestellt werden, doch diese Erweiterung betrifft nicht die systematische Stellung des Schematismus, dessen empirische Ebene der Verkörperung in der Versinnlichung gründet. Durch die Analyse der Verkörperungsproblematik bei Kant wird mit anderen Worten dessen Anschauungstheorie mittels des Embodiment-Begriffs revidiert, ohne dass aber in entgegengesetzter Richtung mit Hilfe Kants der Embodiment-Begriff einer Revision unterzogen würde. Dieser Versuch ist im zweiten Teil schon in Bezug auf Herder ausgeführt worden, der als der eigentlich klassische Vertreter des Embodiment-Ansatzes angesehen werde sollte und dessen Revision in gewisser Weise von Hegel unternommen wird, für den die Anthropologie eine Theorie der Verleiblichung ist, die systematisch der Psychologie vorgeordnet wird, jedoch dafür zuständig bleibt, die Gestaltung der Begrifflichkeit auszuführen. Somit zeichnet Hegel den Weg der Erweiterung der Anthropologie durch die Verkörperung vor, obwohl er sie als eine bloße Verleiblichung beschreibt und ihre Gestaltungsfunktion in der Psychologie verortet, in der die Sinnlichkeit angesiedelt wird, 55

Auf beide wurde im ersten Teil dieser Untersuchung bereits eingegangen, um den Versinnlichungsbegriff einzuführen und ihn von dem der Verkörperung abzugrenzen. Siehe dazu Kap. II.3.

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I. Versinnlichung und Embodiment

die sich im Zeichen realisiert, ohne dass dieser Prozess ausdrücklich als Versinnlichung gekennzeichnet würde. Als ein ähnlicher Versuch wird sich in diesem Kapitel derjenige von Johnson und Lakoff erweisen. Ich möchte daher nicht die Möglichkeit einer Kompatibilität zwischen Transzendentalphilosophie und Theorie des Embodiment ausschließen, sondern lediglich zeigen, dass der Embodiment-Begriff nicht die ganze Weite des Schematismus abdeckt und daher einige Aspekte seiner transzendentalen Semantik übersieht, die ich für systematisch relevant halte, da sich aus ihnen eine antiskeptische und nicht-relativistische Theorie der Bedeutungserfahrung entwickeln lässt. Meine These ist, dass die Annahme eines Embodiment auf empirischer Ebene mit Kant kompatibel ist und trotzdem nicht die transzendentale Tiefenstruktur der kantischen Schematismuslehre erreicht, die ich als eine modale Versinnlichungslehre auslege. Dieses Kapitel steht vor der Aufgabe, die Aktualität der Transzendentalphilosophie in Bezug auf den Schematismus aufzuzeigen. Zunächst werde ich den Embodiment-Ansatz von Johnson und Lakoff rekonstruieren, um ihn anschließend mit demjenigen Kants zu konfrontieren. Zunächst möchte ich das Verständnis der kognitiven Semantik erklären, die Johnson und Lakoff als die notwendige Grundlage ihres experiential realism ansehen und die ihren Ansatz meines Erachtens demjenigen Kants annähert. In Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind untersucht Lakoff die Funktion der kognitiven Semantik in der Erkenntnistheorie. Seine Grundthese lautet: „A philosophy of experiential realism requires a cognitive semantics“.56 Dem Embodiment-Ansatz zufolge ist unsere Erfahrung vorbegrifflich (preconceptually) strukturiert. Die Strategie von Johnson und Lakoff besteht darin, einen dritten Weg zu den Positionen aufzuzeigen, die sie als Objektivismus und Subjektivismus fassen und als ‚Mythen‘ ablehnen. Das fundamentale Prinzip des Objektivismus ist die objektive Realität, in der die Objekte feste Eigenschaften haben, die objektiv erkannt werden können. Der Subjektivismus hingegen behauptet, Gefühle und Emotionen seien die einzigen verlässlichen Quellen unseres Erkennens. Seine Gefahr liegt darin, die Bedeutung des abstrakten Denkens zu unterschlagen, sodass die metaphorische Sprache nur Zeichen unserer Unfähigkeit ist, objektiv zu sprechen und denken. Die von Johnson und Lakoff untersuchte dritte Dimension ist demgegenüber die einer experientialist synthesis, in der die Kluft zwischen Objektivismus und Subjektivismus überwunden und die Objektivität der Erkenntnis bestimmt wird. Diese beinhaltet drei Elemente: erstens die Verkörperung des Geistes, zweitens das kognitive Unbewusste und drittens das metaphorische Denken.

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Lakoff 1987, S. 269.

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Schematismus als Versinnlichung

Die metaphorische Bestimmung der kognitiven Semantik ist der Kernpunkt von Metaphors we live by. Hier versuchen Lakoff und Johnson eine Metaphorologie der kognitiven Strukturen und insbesondere der Bild-Schemata zu entwickeln. Unsere Konzeptualisierung und Kategorisierung ist demnach wesentlich metaphorisch. Die Metapher wird folglich nicht nur im Sinne einer sprachlichen Übertragung verstanden, sondern betrifft das Denken insgesamt.57 Die metaphorischen Übertragungen und Erweiterungen der wortwörtlichen (literal) Bedeutung haben eine empirische Grundlage und sind nicht bloß willkürlich. Der Embodiment-Ansatz kennzeichnet diese empirische Grundlage anhand schematischer, räumlicher Strukturierungen. Demnach gibt es kein Denken, das rein abstrakt und disembodied ist, vielmehr ist das ganze Denken verkörpert und hat insofern eine empirische Grundlage,58 die im Denken selbst erweitert und transformiert werden kann. Diese Erweiterung ist nun im weitesten Sinne metaphorisch, was jedoch im vertrauten, alltäglichen Gebrauch meist übersehen wird. In Wahrheit ist die Kultur selbst metaphorisch: „The conceptual systems of cultures and religions are metaphorical in nature. Symbolic metonymies are critical links between everyday experience and the coherent metaphorical systems that characterize religions and cultures. Symbolic metonymies that are grounded in our physical experience provide an essential means of comprehending religious and cultural concepts“.59 Metaphern existieren also nicht nur in der Erfahrung, sondern wirken auf die Erfahrung und die Handlung selbst und gestalten diese. Es sind sogar Metaphern anzunehmen, denen eine realitätserschaffende Kraft zukommt.60 Der Embodiment-Ansatz unterscheidet so zwar zwischen direktem und indirektem Verstehen, was stark an Kant erinnert, ohne allerdings beides deutlich voneinander abzugrenzen.61 Diese metaphorische Ebene fundiert das so 57

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Johnson/Lakoff 1980, S. 6: „The most important claim we have made so far is that metaphor is not just a matter of language, that is, of mere words. We shall argue that, on the contrary, human thought processes are largely metaphorical. This is what we mean when we say that the human conceptual system is metaphorically structured and defined. Metaphors as linguistic expressions are possible precisely because there are metaphors in a person’s conceptual system“. Johnson/Lakoff 1980, S. 19: „In actuality we feel that no metaphor can ever be comprehended or even adequately represented independently of its experiential basis“. Johnson/Lakoff 1980, S. 40. Johnson/Lakoff 1980, S. 145: „New Metaphors have the power to create a new reality. This can begin to happen when we start to comprehend our experience in terms of a metaphor, and it becomes a deeper reality then we begin to act in terms of it“. Vgl. dazu Johnson/Lakoff 1980, S. 176 und insbesondere S. 177 für die Auflistung. Diese Unterscheidung integriert zugleich einen Ansatz der semantische Wahrheit, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann (S. 179): „It is because we

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I. Versinnlichung und Embodiment

genannte abstrakte Denken der Wissenschaften und der Philosophie, die somit ihre Grundlage in der Erfahrung hat. Auf der ersten Ebene – für Kant diejenige des bestimmenden Schematismus – finden wir bestimmte Schemata, die unsere direkte Erfahrung strukturieren und Grundlagen für das metaphorische Verstehen sind. Sie funktionieren vor-begrifflich.62 Diese Schemata sind also Strukturen, die zusammen mit basalen Begriffen für universell wirksam gehalten werden können, obwohl Johnson und Lakoff an dieser Stelle nicht zufällig nur von einer Hypothese reden.63 Im Gegensatz dazu sind alle anderen Begriffe kultur-relativ. Ich halte diesen Bezug auf den hypothetischen Charakter der objektiven Schemata für ein Symptom der transzendentalen Unterbestimmtheit der Schemata des Embodiment-Ansatzes. Die Bestimmungsfunktion der Schemata kann nur hypothetisch objektiv sein – und das meines Erachtens deshalb, weil der transzendentale Charakter der Schemata nicht erkannt wird und ihre Bedeutung essentiell an eine Verräumlichung gebunden bleibt.64 So werden nur bestimmte Aspekte der Sinnlichkeit stark gemacht, insbesondere die visuelle und motorische Struktur des Raumes, während andere Aspekte – etwa die akustische Bestimmung der Wahrnehmung – ausgeblendet bleiben. Ich möchte an dieser Stelle genauer auf den Bezug des EmbodimentAnsatzes auf Kant eingehen, wie ihn Johnson in The Body in the mind herausstellt. Er erkennt darin die Relevanz der Schematismuslehre an, insofern diese die zentrale Rolle der Einbildungskraft betont: „there can be no meaningful experience without imagination“.65 Johnson hält die Spaltung zwischen bestim-

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understand situations in terms of our conceptual system that we can understand statements using that system of concepts as being true, that is, as fitting or not fitting the situation as we understand it. Truth is therefore a function of our conceptual system. It is because many of our concepts are metaphorical in nature, and because we understand situations in terms of those concepts, that metaphors can be true or false“. Zur Definition des Experiential Bases of Metaphors-Ansatz siehe Lakoff 1987, S. 278: „Schemas that structure our bodily experience preconceptually have a basic logic. Preconceptual structural correlations in experience motivate metaphors that map that logic onto abstract domains. Thus, what has been called abstract reason has a bodily basis in our everyday physical functioning“. Vgl. dazu Lakoff 1987, S. 302: „The existence of directly meaningful concepts – basic-level concepts and image schemas – provides certain fixed points in the objective evaluation of situations. The image-schematic structuring of bodily experience is, we hypothesize, the same for all human beings. Moreover, the principles determining basic-level structure are also universally valid, though the particular concepts arrive at may differ somewhat“ (Hervorhebung L.G.). Lakoff 1987, S. 272: „The basic logic of image schemas is due to their configurations as gestalts – as structured wholes which are more than mere collections of parts. Their basic logic is a consequence of their configurations. This way of understanding image schemas is irreducibly cognitive“. Johnson 1987, S. 151.

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Schematismus als Versinnlichung

mender und reflektierender Einbildungskraft für hoch problematisch und erweitert deshalb die Funktion letzterer auf die bestimmende Einbildungskraft, die ihm entsprechend ebenfalls als kreativ gilt. Auf der Ebene der einzelnen Bestandteile des erkenntnistheoretischen Prozesses bezieht sich Johnson explizit auf Kant, indem er die non-propositionale Strukturierung der Schemata aufgreift. Denn sie ist das Schema, das Johnson von seiner Konnotation bei Neisser und Rumelhart abgrenzt.66 Johnson nennt die Schemata Bild-Schemata (image-schemes), „because they function primarily as abstract structures of images. They are gestalt structures, consisting of parts standing in relations and organized into unified wholes, by means of which our experience manifests discernible order“.67 Er bezieht sich also auf die gestaltliche Funktion der Schemata, durch die ein diskretes Ganzes realisiert wird, was zur Manifestation der Bedeutungserfahrung dient. Für Johnson ist es das Verdienst Kants, die imaginative und non-propositionale Funktion des Schemas erkannt zu haben.68 Die non-propositionale und prozessuale Funktion des Schemas zieht für Johnson zugleich die Grenze zwischen dem Schematismus und dem diagrammatischen Ansatz, in dem Schemata mit besonderen Bildern identifiziert werden. Er beschreibt dabei das Missverständnis der diagrammatischen Auslegungen der Schemata wie folgt: „they tend to make us identify embodied schemata with particular rich images or mental pictures. The distinction between schemata and rich images is crucial and merits considerable attention“.69 Die Schemata sind hingegen weder einzelne, konkrete Bilder noch mentale Bilder; sondern sie operieren auf der abstrakten Ebene der Organisation unserer Erkenntnis. Sie haben innerhalb dieser Organisation also einen dynamischen Charakter.70 Johnson verbindet somit den dynamischen Charakter der 66

67 68

69 70

Johnson 1987, S. 19: „I want to propose a meaning for the term ‘schema’ that differs in important respects from what has come to be the standard meaning of the term in recent cognitive science. My use of the term derives from its original use as it was first elaborated by Immanuel Kant. He understood schemata as nonpropositional structures of imagination. Today, by contrast, schemata are typically thought of as general knowledge structures, ranging from conceptual networks to scripted activities to narrative structures and even to theoretical frameworks“. Johnson 1987, S. XIX. Siehe dazu Johnson 1987, S. 21: „Kant understood schemata as structures of imagination that connect concepts with percepts. He described them as ‘procedures for constructing images’ and as thus involving perceptual patterns in our bodily experience. As we shall see, Kant’s interpretation is somewhat limited by his peculiar view of concepts, but he does recognize the imaginative and nonpropositional nature of schemata“. Johnson 1987, S. 23. Johnson 1987, S. 29: „It is important to recognize the dynamic character of image schemata. I conceive of them as structures for organizing our experience and comprehension. Kant went so far as to claim [… ] that schemata are actually preconceptual structuring processes whose structures can ‘fit’ general concepts and can gen-

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I. Versinnlichung und Embodiment

Schemata mit der Einbildungskraft, die auch bei Kant das generative Vermögen der Schemata ist. Letztere haben keine starre Struktur, sondern sind von einer bloß relativen Stabilität gekennzeichnet, indem sie eine konventionelle Fixierung in unserem semantischen Gebrauch erfahren, die jedoch nicht absolut feststeht, sondern vom Kontext und von anderen semantischen Variablen abhängt. Diese konventionelle Bedeutung der Schemata bezeichnet Johnson als „literal“71 und löst so diejenige Spannung zwischen dem gegeben und dem gemachten Charakter der Begrifflichkeit bei Kant auf, die er trotz der grundsätzlichen Anerkennung der imaginativen Natur der Schemata für eine Grenze der kantischen Philosophie hält.72 Johnson greift die imaginative Natur der Schemata in der Geschichte der Philosophie – insbesondere bei Platon, Aristoteles und Hobbes – auf, um so den Ansatz Kants als eine Alternative zum Verständnis der Einbildungskraft als bloßer Kreativität in der Kunst, in den wissenschaftlichen Erfindungen oder als rein psychisches Phänomen zu präsentieren. Bei Kant selbst geht er auf den Unterschied zwischen reproduktiver und produktiver Einbildungskraft ein, betont die zeitliche Dimension der letzteren und weist auf die methodische Schwierigkeit hin, in der Schematismuslehre den Prozess von dessen Produkten zu trennen. Die Bedeutung der kantischen Einbildungskraft für seinen eigenen Ansatz schildert er folgendermaßen: „all meaningful experience and all understanding involves the activity of imagination which orders our representations (the reproductive function) and constitutes the temporal unity of our consciousness (the productive function)“.73 Er bezieht sich dabei auf den HypotyposisBegriff der Kritik der Urteilskraft – ohne jedoch den Versinnlichungsbegriff aufzugreifen oder die Schwierigkeit zu thematisieren, den Schematismus von der symbolischen Darstellung zu differenzieren, insofern vermeintlich ‚wortwörtliche‘ Ausdrücke eine metaphorische Darstellung voraussetzen. Johnson sieht bei Kant zu überwindende Probleme: einerseits die Kluft zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit, andererseits diejenige zwischen schematischen und metaphorischen Strukturen. Und auf beide wendet er eine Erweiterungsstrategie an: hinsichtlich der ersten vertritt er einen Verkörperungsansatz, nach welchem „there is no particular reason to exclude embodied imagination from the

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72 73

erate particular images, thereby giving our experience meaningful order and organization that we can understand. He also saw schemata as structures of imagination“. Siehe auch Johnson 1987, S. 30: „Such conventionalized meanings are called ’literal’. It is necessary, however, to remember that even these literal meanings are never wholly context-free – they depend upon a large background of shared schemata, capacities, practices, and knowledge“. Vgl. dazu Johnson 1987, S. 21. Johnson 1987, S. 157.

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Schematismus als Versinnlichung

bounds of reason“.74 Was die zweite Kluft anbelangt, erweitert er die Funktion der Kreativität auch auf unsere Erfahrung und nicht nur auf die Entstehung des Neuen: „Creativity is possible, in part, because imagination gives us imageschematic structures and metaphoric and metonymic patterns by which we can extend and elaborate those schemata“.75 Diese Erweiterung stellt gleichzeitig eine Umgestaltung der Funktion des Schematismus dar, die sich bei Johnson vor allem als eine des Begriffs der ‚Erfahrung‘ erweist: „Experience, then, is to be understood in a very rich, broad sense as including basic perceptual, motor-program, emotional, historical, social, and linguistic dimensions. I am rejecting the classical empiricist notion of experience as reducible to passively received sense impressions, which are combined to form atomic experiences“.76 Diese Auffassung der Erfahrung ermöglicht es ferner, dass die Schemata nicht zu relativistischen Strukturen werden und dennoch als embodied objektiven Charakter haben.77 Johnson argumentiert so für eine nicht-objektivistische Verteidigung des Realismus und der Erkenntnis, indem er eine experientialist cognitive semantics vertritt, die darin besteht, die Erkenntnis anhand ihrer Strukturen zu verstehen.78 Bestandteile dieses erkenntnistheoretischen Ansatzes sind die prototypische Kategorisierung, die Bild-Schemata, die so genannten metaphorischen Projektionen, die Metonymie und die narrativen Strukturen. Der EmbodimentAnsatz lässt sich daher so zusammenfassen, dass erstens die metaphorische und abstrakte Sphäre des Denkens weit ausgedehnter als die empirische und dass zweitens die Grundlage dieser Metaphorik sensomotorisch ist. Die Ähnlichkeit mit Kant betrifft meines Erachtens zunächst vor allem die Methode, da der Embodiment-Ansatz den Körper in gewisser Weise für die Bedingung der Strukturierung des Denkens hält. Er vertritt also keinen objektivistischen Ansatz, sondern untersucht gerade gegen den Objektivismus den Prozess, der die Erfahrung als solche strukturiert. Diese ist nun nicht bloß gegeben und dadurch reell, 74 75 76 77

78

Johnson 1987, S. 168. Johnson 1987, S. 169. Johnson 1987, S. XVI. Johnson 1987, S. 196: „Image schemata can have a public, objective character (in a suitably defined sense of ‚objective‘), because they are recurring structures of embodied human understanding“. Johnson 1987, S. 209: „The basic epistemological finding of this ‚experientialist‘ (cognitive semantics) approach is that knowledge must be understood in terms of structures of embodied human understanding, as an interaction of a human organism with its environment (which includes its language, cultural traditions, values, institutions, and the history of its social community)“.

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I. Versinnlichung und Embodiment

sondern erfordert eine kognitivistische Erklärung. Insofern ist der Embodiment-Ansatz im Einklang mit dem kantischen Ansatz, an dem ihn das Wie des Verhältnisses zwischen Körper und Geist interessiert: „My purpose is not only to argue that the body is ‘in’ the mind (i.e., that these imaginative structures of understanding are crucial to meaning and reason) but also to explore how the body is in the mind – how it is possible, and necessary, after all, for abstract meanings, and for reason and imagination, to have a bodily basis“.79 Somit nimmt der Embodiment-Ansatz einen Begriff der Bedeutung an, der als transzendental angesehen werden könnte, da er auf die Erörterung der Bedingungen der Erfahrung zielt. Und Johnson und Lakoff gehen tatsächlich in diese Richtung, wenn sie ihren Ansatz als nonpropositional bezeichnen. Denn die Bedeutung wird als Element einer verkörperten und nicht-propositionalen Struktur untersucht, um zu zeigen, dass sie der propositionalen Struktur des Denkens zugrunde liegt: Die nicht-propositionale Struktur übt eine eindeutig antizipatorische Funktion auf die propositionale aus, was nicht bedeutet, dass propositionale Strukturen weniger wirksam seien, sondern lediglich, dass sie sich auf eine grundlegendere Ebene beziehen. Und gerade diese Antizipation ist von mir als die Hauptfunktion des Schematismus erklärt worden. In methodischer Hinsicht könnte der Ansatz von Johnson also als transzendentalphilosophisch gelten. Zudem ist er grundsätzlich in der Lage, die Revisionsversuche der kantischen Schematismuslehre zu integrieren, wie sie hier rekonstruiert wurden. Insbesondere Maimon und Herder haben die wesentliche Funktion der Einbildungskraft und der symbolischen Erkenntnis im Denken angenommen. Trotz dieser Gemeinsamkeiten fällt der Ansatz von Johnson und Lakoff meines Erachtens hinter das historisch erreichte, transzendentale Niveau zurück. Denn die Verwurzelung des metaphorischen Denkens in der sensomotorischen Strukturierung der Schemata bleibt auf kultur-relative Praktiken beschränkt. Zudem kommt der Sinnlichkeit keine systematische Relevanz zu. Die Schemata als Bedingungen kultureller und empirischer Gegebenheiten können aufgrund ihrer sensomotorischen Struktur nicht als objektive ausgewiesen werden und bleiben hypothetisch objektiv – zumindest bis zum Beweis ihres Innatismus, dessen Annahme meines Erachtens für ein weiteres Symptom einer mangelnden transzendentalen Fundierung gehalten werden muss. Die sensomotorische Strukturierung kann empirisch erforscht werden, ist deshalb wesentlich Teil einer Verkörperung, die uns aber nicht über die synthetischen Strukturen a priori belehrt, welche als Bedingungen der Gestaltung des Denkens zu gelten

79

Johnson 1987, S. XVI.

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Schematismus als Versinnlichung

haben.80 Diese Gestaltungsfunktion ist ein wesentlicher Teil des Schematismus als Versinnlichung. Die Verkörperungstheorie widerspricht diesem Ansatz nicht, bleibt aber meines Erachtens auf der Ebene der empirischen Erkenntnis stehen, die a posteriori wesentlich durch Isomorphie mit der Realität charakterisiert ist. Trotz der prominenten Rolle der metaphorischen Diskursivität wird letztlich die zentrale Frage des Schematismus nicht gestellt, und zwar inwieweit die synthetische Erkenntnis a priori transzendentale Bedingung der Bedeutungserfahrung ist. Daher bleiben die sinnlichen und reinen Schemata unbehandelt. Bilder, Diagramme und Wortlaute werden lediglich als empirische Erscheinungen behandelt und nicht als Elemente einer eigentlich operativen Dimension, in der sich die Erscheinung erst entfaltet und durch die das Denken zum Gebrauch und zur Transformation der Begrifflichkeit gelangt. Die Frage des kantischen Schematismus ist die, wie Bedeutung entsteht. Und die Beantwortung dieser Frage erfordert einen transzendentalen Ansatz, der vom Embodiment-Ansatz nicht zur Kenntnis genommen wird. Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich erneut betonen, dass der Ansatz Plessners eine Kritik dieser Form der Verkörperung ist, insofern er die Verkörperung nicht leugnet, sondern transzendental zergliedert und daher gerade als empirische Gestaltung einsichtig macht. Im nächsten Kapitel möchte ich abschließend zeigen, was systematisch unter einer transzendentalen Auffassung des Schematismus als Versinnlichungslehre verstanden werden kann.

80

Insbesondere Lia Formigari (2007, S. 87f) hat die Grenzen der kognitiven Semantik bezüglich des Isomorphismus herausgestellt.

I I . S chematismus als modale V ersinnlichung

Den Schematismus als Versinnlichung zu begreifen heißt nicht, seine transzendentale Form empiristisch aufzulösen; vielmehr ist damit eine Einbettung der symbolisierenden und bezeichnenden Versinnlichung in den Schematismus angezeigt. Die Versinnlichung ist daher ausdrücklich nicht als Embodiment im Sinne der Verkörperung zu verstehen. Sie steht für die Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit, wie sie im Gebrauch aktualisiert wird. Nur so kann eine prozessuale Synthesis zwischen Sinnlichkeit und Begrifflichkeit statthaben. Die Schematismuslehre hält diese Ebenen zusammen und macht sie dennoch nicht zu starren Abstraktionen. Im Gegenteil ist die transzendentale Epigenesis eine Gestaltung, die gleichzeitig eine funktionale Morphogenese enthält, ohne den semantischen Inhalt zu bestimmen; nur so zeigt sich die performative und genetische Kraft des Schematismus. In diesem Kapitel möchte ich nun meine eigene Lesart der Schematismuslehre vorstellen, der zufolge die sinnlichen Gestalten auf transzendentaler Ebene als Bild, Figur und Wortlaut zu fassen sind, die sich wiederum auf der modalen Ebene des Gebrauchs als Zeichen oder Symbol artikulieren können. Die erste Ebene bestimmt die elementaren sinnlichen Gestalten, während die zweite Ebene deren Gebrauch betrifft. Aus diesen zwei Ebenen besteht der Schematismus. Gerade aus seiner systematischen Stellung als Gestaltung des Gegenstandes heraus ist es möglich, eine Theorie der Artikulation der gesamten Bedeutungserfahrung zwischen Bild und Wortlaut zu entwickeln. Dieser Ansatz zielt mithin darauf, die ersten zwei Teile der vorliegenden Untersuchung zu verbinden, indem er die im zweiten Teil herausgearbeitete systematische Stellung des Schematismus als Gestaltungsfunktion erneut auf Kants Konzeption bezieht. Die daraus resultierende Lesart des Schematismus kann daher als letzte der hier aufzuzeigenden Umgestaltungen der Schematismuslehre verstanden werden. Ich beziehe mich dabei auf die Begriffe ‚Schematismus‘, ‚Schemata‘ und

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Schematismus als Versinnlichung

‚Schematisierung‘ einerseits noch im kantischen Sinne, weil ich denke, dass der Schematismus zu Recht als Bedingung der Artikulation von Bedeutung auf reiner, rein sinnlicher und empirischer Ebene gilt. Ohne den Schematismus kann die Synthesis zwischen Begrifflichkeit und Sinnlichkeit nicht erfasst werden. Andererseits revidiere ich die kantische Lehre, indem ich die semantische Bestimmung der Erfahrung auf die gesamte Bedeutungserfahrung erweitere und somit die Grenze zwischen Erkenntnis und Denken mindestens in Bezug auf die Sinnlichkeit aufweiche und den Schematismus als eine Versinnlichung auslege, die nicht nur bestimmend, sondern auch reflexiv und expressiv ist. Ich behalte die kantische Unterscheidung zwischen empirischen, rein sinnlichen und reinen Begriffen somit bei, spitze jedoch zugleich ihre formale Gestaltung durch die Schemata und ihre funktionale Bestimmung durch den Gebrauch zu. Auf diesem Weg möchte ich auch die Bedeutung des Schema-Begriffs als Grenze des Begreifens erneut rehabilitieren, wie sie die Geschichte dieses Begriffs gekennzeichnet hat.81 Diese Grenze ist jedoch nicht – wie für Kant – als eine sinnliche Grenze zwischen Erkenntnis und Denken zu verstehen, sondern als eine modale Grenze zwischen den verschiedenen Gebrauchsweisen von transzendentalen Gestalten, die alle als Versinnlichungsprozesse zu gelten haben. Die Begrifflichkeit ist folglich kein fertiges Produkt, sondern wird ständig im Gebrauch gestaltet. Nichtsdestotrotz denke ich, dass die Unterscheidung zwischen Schematismus und Gebrauch insofern relevant ist, als im Schematismus eine transzendentale Strukturierung des Gebrauchs erfolgt, der seine Gestaltungsbedingung ist. So operiert der Gebrauch sowohl mit empirischen als auch mit transzendentalen Regeln, die den Gebrauch nicht vorgeben, sondern formal anleiten. Somit möchte ich zeigen, dass die Unterscheidung zwischen Schema und Gebrauch keine Metaposition ist82 und auf transzendentaler Ebene weiterhin Sinn ergibt, gerade weil Bilder, Wörter, Schriftzeichen und Diagramme keine isolierten Erscheinungen der Bedeutung sind, von denen wir beliebig Gebrauch machen können, sondern deren systematischer Zusammenhang anhand spezifischer Gestaltungsfunktionen erklärt werden kann, womit sie als formale Bedingungen der Bedeutung selbst erfasst werden. Die Unterscheidung zwischen Schemata als transzendentalen Gestalten und Schematisierung als transzendentaler Gestaltung im Gebrauch ist insofern essentiell. Der Gebrauch

81 82

Siehe dazu Stegmaier 1992, S. 1246. Insbesondere Sybille Krämer (2002) hat die Frage gestellt, wie sinnvoll die Unterscheidung zwischen einem Schema und seinem Gebrauch in der Sprache ist und diese unter anderem auf Wittgenstein bezogen. Ich beziehe diese Frage hingegen nicht nur auf die Unterscheidung zwischen Schema und Gebrauch im Verhältnis zwischen Sprache und Sprechen, sondern im Allgemeinen auf die Gestaltung der Bedeutung, also auch im engen Sinne nicht-sprachlicher Bedeutung.

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II. Schematismus als modale Versinnlichung

wiederum ist im Anschluss an Kant in einen zeichenhaften, einen symbolischen und einen expressiven zu differenzieren. Die behauptete transzendentale Struktur der Schematismuslehre, die auf der Unterscheidung zwischen Gestalten (Bild, Figur und Wortlaut) und Gebrauch (zeichenhaft, symbolisch und expressiv) beruht, lässt sich über den Begriff der Versinnlichung – verstanden als Gestaltungsprozess – verbinden. Damit zeigt sich eine transzendentale Potentialität, die im Gebrauch zur Ausführung und Aktualisierung kommt. Die Schematismuslehre wird somit zu einer Theorie der Versinnlichung der Bedeutungserfahrung, welche auf die Freilegung der transzendentalen Regeln der Bedeutungsgestaltung zielt. Damit soll ausdrücklich dem kantischen Gedanken Rechnung getragen werden, nach dem in der transzendentalen Bestimmung Begriffe nicht auf Bilder reduziert werden können; stattdessen können sie von Zeichen begleitet, symbolisch ausgedrückt und expressiv geprägt werden. All diese Themen sind meiner Ansicht nach bei Kant schon angelegt und werden in der Nachfolge lediglich ausdrücklicher hervorgehoben. Diese Konstellation von Themen erscheint heutzutage meist als eine Ansammlung isolierter Problemstellungen: Phänomenologische und semiotische Bildtheorien, diagrammatologische Erklärungen und sprachanalytische Ansätze sind Beispiele für Versuche, die Eigentümlichkeit jeweils nur einer Ebene der Gestaltung zu thematisieren, ohne sie in einer systematischen Theorie zusammenzuführen. Einer solchen Theorie nähert sich hingegen die Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Schemata und Schematismus, Gestalten und Gestaltungen, Produkten und Prozess. Was auf den ersten Blick rein deskriptiv erscheinen mag, kann uns darüber belehren, mit welchen gestalterischen Modalitäten wir operieren und inwieweit und mit welchem Ausdrucksziel diese synthetisiert werden können. Vor allem aber erweist sich so die produktive – und nicht nur abbildende – Macht der Gestaltung. Über den sinnlich-transzendentalen Charakter der Gestaltung lässt sich die vielfältige kulturelle Verkörperung des Denkens erfassen und als Erscheinung der transzendentalen Versinnlichung verstehen. Diese Relation zwischen Verkörperung und Versinnlichung ist meines Erachtens nicht frei von praktischen Implikationen, die im Schlusswort in Form eines Ausblicks in Bezug auf die Pädagogik und die Kunsttheorie angedeutet werden sollen. Anhand des Ansatzes von Plessner konnte bereits gezeigt werden, dass die verschiedenen erkenntnismäßigen, mathema­tischen und künstlerischen Erscheinungen als Facetten der gleichen systematischen Konstitu­ tionsfrage zu gelten haben, die er zusammenfassend einer objektiven Ästhesiologie zuordnet.83 83

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die Relevanz des Konstitutionsproblems der Ausgangpunkt einer transzendentalen Semantik bei Wolfram Hogrebe ist (1974, insbesondere S. 15–38).

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Schematismus als Versinnlichung

Eine solche systematische Entfaltung der Gestaltung im Schematismus kann mit anderen Worten nur über sein Verständnis als Versinnlichung erfolgen, während die oben erwähnten Ansätze – insbesondere der Bildtheorie – in der Regel auf den Verkörperungsansatz rekurrieren. Der Embodiment-Ansatz, wie er von der Versinnlichung abgegrenzt wurde, spielt beispielsweise in der zuletzt zu verzeichnenden Renaissance des Schema-Begriffs im Rahmen der Bildakttheorie eine wesentliche Rolle, die sich jedoch meist aus der antiken Verwendung des Schemas speist.84 Das Schema wird so als ein formales Kriterium gedeutet, das vor allem in der Kunst musterhaft auf den Betrachter wirkt. Diese Wirkung wiederum wird auf die verkörperte Natur der Bewegung bezogen, die durch das Bild erkannt und miterlebt wird. Auf diese Weise lässt sich der Schema-Begriff der Antike im Sinne einer Vermittlung von Bewegungsfiguren durch eine Verkörperungspraxis aufgreifen.85 Auf transzendentaler Ebene lässt sich der Schema-Begriff der Antike jedoch meines Erachtens nicht mit dem Schema insgesamt gleichsetzen, gerade weil das Schema, wie gezeigt, nicht auf das Empirisch-Musterhafte reduziert werden kann, das immer schon eine Interpretation und intentionale Hinwendung auf körperliche Bewegungen voraussetzt. Das Schema ist Bedingung der Bedeutungserfahrung und nicht nur ihr musterhafter Vermittler. Das verkörperte Musterhafte – wie es auch die Bezeichnung des Schemas als einer Sphäre von Etiketten bei Goodman andeutet86 – ist hingegen meines Erachtens auf der Ebene einer empirischen Interpretation anzusiedeln, die eine bereits bestehende, kulturelle Artikulation der Bedeutung entfaltet.87 In transzendentaler Hinsicht ist die Schematismuslehre somit eine systematische Theorie der Versinnlichung, die nicht nur Bilder, sondern auch konstruierte Figuren, Diagramme, Schriftzeichen und Wortlaute untersucht, ohne sie dabei als bloße Erscheinungen oder Repräsentationen für sich stehen zu lassen. Denn sie orientiert sich an der transzendentalen Frage, wie Begrifflich-

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86 87

Dieser Bezug geht vor allem von der eingangs besprochenen Untersuchung Catonis (2005) zum Schema-Begriff in der Antike aus. Siehe dazu die Einleitung. Horst Bredekamp schreibt diesbezüglich (2010, S. 104): „Das Schema gibt Standards der Bewertung und damit auch der Orientierung und der Nachahmung durch die besondere Form der lebendigen Figur vor“. Somit wird das Schema nicht als bloßes Schema der Wahrnehmung gedacht, womit für die lebendige Haltung, die das Bild musterhaft vermittelt, plädiert und das Bild selbst als schematischer Bildakt interpretiert wird, dessen Definition bei Bredekamp lautet (2010, S. 104): „Er umfasst Bilder, die darin musterhafte Wirkungen erzielen, dass sie auf unmittelbare Weise lebendig werden, oder Lebendigkeit simulieren“. Siehe dazu Goodman 1975, S. 76–78. Dieser Aspekt ist von mir im vorherigen Kapitel im Vergleich zwischen Plessner und Merleau-Ponty und in der Kritik der kognitiven Semantik von Johnson und Lakoff angedeutet worden.

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II. Schematismus als modale Versinnlichung

keit zu einer sinnlichen Gestaltung kommt. Schließlich kann der Schematismus auch nicht auf die Figuration reduziert werden, obwohl letztere sicherlich – wie etwa Gottfried Boehm betont – mit „einer Akzentverschiebung vom Produkt auf den Prozess“ verbunden und auch von einer inhärenten Zeitlichkeit gekennzeichnet ist.88 Der Schematismus enthält neben dem Figurativen jedoch zugleich eine Diskursivität, die rein zeitlich ist, im Fall theoretischer Begriffe nicht direkt unter Bilder gebracht werden kann und insgesamt ein lautlicher Grenzpol der Darstellung ist. Die Schematismuslehre ist meines Erachtens eine Methode der Gestaltung, in der heuristisch zwischen Gestalten und deren Gebrauch unterschieden werden kann.

1. Bi ld , Fig u r u nd Wor t laut a ls t ra nszendent a le Gest a lten Bild und Wortlaut konstituieren jeweils den akustischen und visuellen Grenzpol der Bedeutungserfahrung und bleiben in einer heuristisch-analytischen Betrachtung starr und bewegungslos. In der Erfahrung hingegen treten sie in einer Synästhesie als einer Synthese auf, die zur Wahrnehmung des empirischen Gegenstandes in Zeit und Raum unerlässlich ist. Im künstlerischen Ausdruck kann freilich mit bestimmten Aspekten der Sinnlichkeit operiert werden, während andere vollkommen ausgeblendet bleiben; und gleichzeitig kann mit synästhetischen Kombinationen gespielt werden. Denn es gibt viele Synästhesien, welche die Empfindung suggeriert, die Wahrnehmung hervorhebt und die Kunst intentional hervorbringt, um so Erkenntnis, Denken und Ausdruck zu erweitern. Die Sprache selbst ist eine komplexe Synästhesie, in der die Materialität der inneren und äußeren Wahrnehmung erfasst und ausgedrückt wird – gerade diese expressive Kraft der Sprache begründet die rhetorische Bedeutung der Versinnlichung. Die Grenzpole des Bildes und des Wortlautes werden hier als potentiell gestalterische Bedingungen der gesamten Bedeutungserfahrung verstanden: Sie artikulieren das Hier und Jetzt des gegenwärtigen, erinnerten und projektierten semantischen Bezugs. Im Bild realisiert sich die Bedeutung in der Distanz des Räumlich-Visuellen und im Wortlaut der akustischen Artikulation. Dazwischen liegt die Figur, die als räumlich konstruierte – wie im Fall des Diagramms – auch diskursive Bestandteile enthalten kann; das Diagramm ist dabei eine hybride Form, die zum konkreten Hilfsmittel bei der Ausdifferenzierung zwischen Bildlichkeit und Diskursivität dienen kann. Zwischen diesen drei Gestalten artikuliert sich potentiell unsere Bedeutungserfahrung. Der potentielle Charakter dieser Artikulation sollte jedoch nicht im Sinne einer Entkräf88

Siehe Boehm 2007, S. 34 und S. 52.

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Schematismus als Versinnlichung

tung ihrer Gestaltungsfunktion verstanden werden, sondern dient vielmehr als Hinweis auf ihre transzendentale Funktion, die ihnen als Bedingung der Bedeutungserfahrung zukommt. Die Gestalten entsprechen daher nicht unmittelbar den wahrgenommenen Gestalten; es sind in erster Linie Erkundungsgestalten der Wahrnehmung. Es ist hier nicht möglich, alle drei Gestalten im Detail zu analysieren, da mit ihnen jeweils ein eigener Bereich der Sprach- und Erkenntnistheorie angezeigt ist. Ich möchte hier daher nur die transzendentale Stellung andeuten, die jede dieser drei Gestalten von den jeweils anderen im Schematismus abgrenzt. Das Bild in seiner Konkretheit und Simultaneität bringt uns direkt mit dem empirischen Charakter unserer Wahrnehmung in Verbindung, in der wir nach dem konkreten Charakter des Wahrnehmungsgegenstandes fragen. Die Visualisierung ist für Kant nach dem Tastsinn – der jedoch grob bleibt – das konkreteste Kriterium für den Realitätsbezug unserer Wahrnehmung; und alles, was nicht unter ein Bild gebracht werden kann, wird als rein diskursiver Gebrauch bezeichnet. Es geht mir jedoch gerade nicht um die Frage, wie man zur Bildung von Bildern gelangt, weshalb auch die Debatte, ob Bilder existieren oder nur von Bildlichkeit die Rede sein kann, hier nicht weiter vertieft werden soll. Für die Analyse des Gebrauchs hingegen wird die Bildlichkeit von besonderem Interesse sein.89 Auf formaler, gestalterischer Ebene möchte ich jedoch feststellen, dass der konkrete Charakter der Bilder sich insbesondere in ihrer Fülle zeigt, die die eigene Semantik der Bilder ausmacht und ihre haptische Dimension als einen sekundären Aspekt erscheinen lässt.90 Letztere betrifft nicht die Bilder als solche, sondern eher den Gebrauch, der von ihnen gemacht wird. Das Bild existiert, insofern es eine visuelle Fülle besitzt, die es – wie sich mit Plessner 89 90

Siehe unten, Kap. II.2. Dazu Stetter 2005, S. 119 und Boehm 2004, S. 28f.: „Bilder besitzen eine eigene, nur ihnen zugehörige Logik. Unter Logik verstehen wir: die konsistente Erzeugung von Sinn aus genuin bildnerischer Mitteln. Und erläuternd füge ich hinzu: Diese Logik ist nicht-prädikativ, das heißt nicht nach dem Muster des Satzes oder anderer Sprachformen gebildet. Sie wird nicht gesprochen, sie wird wahrnehmend realisierend“. Obwohl Boehm dadurch die Potenz des Ikonischen hervorhebt, aufgrund derer das Bild als anschauliche Fülle nicht auf die Sprache und Diskursivität reduziert werden kann, bringt er das Bild in eine Entgegensetzung zur Sprache als verbaler Auffassung des Sinnes. Die nicht-verbale Natur ist jedoch meines Erachtens kein Sonderrecht des Bildes, sondern aller Gebrauchsweisen der Wahrnehmung, welche sich der Verbalisierung entziehen. Ich werde in Bezug auf die ‚Schematisierung ohne Begriff‘ auf diesen Aspekt zurückkommen. Dieser Aspekt wird in gewisser Weise auch von Gottfried Boehm gesehen, wenn er bemerkt (2004, S. 43): „Jenseits der Sprache existieren gewaltige Räume der Visualität, des Klanges, der Geste, der Mimik und der Bewegung. Sie benötigen keine Nachbesserung oder nachträgliche Rechtfertigung durch das Wort. Der Logos ist eben nicht nur die Prädikation, die Verbalität und die Sprache. Sein Umkreis ist bedeutend weiter. Es gilt ihn zu kultivieren“ (Hervorhebung L.G.).

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II. Schematismus als modale Versinnlichung

annehmen lässt – zum Grenzpol der Wahrnehmung macht, da das Bild nicht auf andere sinnliche Gestalten reduziert werden kann. Hierbei wird das Bild nicht in seinem bildlichen Gehalt, sondern in seiner formalen Gestaltung betrachtet. Somit kann man meines Erachtens feststellen, dass eine Gestalt ohne Fülle kein Bild ist.91 Der Umstand, dass auch Blindgeborene etwa bestimmte bildliche Sachverhalte über den Tastsinn wahrnehmen können, verweist zwar auf eine zweifellos im Bild enthaltene haptische Komponente, über die sich in gewissen Fällen der dargestellte Sachverhalt erschließen lässt. Dennoch kann die Wahrnehmung von Bildern nicht auf das Erkennen eines solchen Sachverhaltes verkürzt werden. Dass bei der Wahrnehmung wie auch bei der Hervorbringung von Bildern eine haptische Dimension ins Spiel kommt, ist ein physiologischer Aspekt, der alle Sinne betrifft, die in ihrer Ausführung physiologisch durch motorische und phonetische Bewegungen artikuliert werden und zur Orientierung für die Erkenntnis von sinnlichen Sachverhalten dienen kann. Davon bleibt die transzendentale Ebene jedoch unberührt, da auf ihr die Fülle als die formale Bedingung des Bildes untersucht wird. Als Grenzpol der Wahrnehmung ist das Bild eine anschauliche Fülle, die dem haptischen Gebrauch fremd bleibt, sodass sogar John Michael Krois letztlich anerkennt, dass „das rein visuelle Element der Rothko-Bilder – ihre Farbe und die vorgetäuschte Tiefe – für Menschen ohne Sehvermögen nicht zugänglich ist“.92 Und das, obwohl er sonst die Ansicht vertritt, dass die Ikonizität des Bildes keine Augen brauche und nicht ausschließlich vom Sehen abhänge. Zwar kann der Linienzug haptisch übersetzt und somit auch wahrgenommen werden, aber diese sinnliche Übersetzung ist immer schon ein intentionaler Verkörperungsakt und damit ein spezifischer Gebrauch von Bildern – wie etwa das Lippenlesen bei Menschen ohne Hörvermögen. Jenseits der haptischen und visuellen Dimension des Bildes lässt sich eine weitere Dimension der Visualisierung annehmen, die das kantische Monogramm aufgreift. Es handelt sich um die Figur, die primär zur konstruktiven Realisierung der Begrifflichkeit dient. Kant selbst zeigt, dass für diese figurative Gestaltung eine körperliche Dimension erforderlich ist, die für die Bewegung und die Orientierung zuständig ist. In ihnen erweist sich indirekt ihre grundlegende Funktion, und zwar diejenige, mit Bildern performativ zu handeln bis hin zur Aufhebung des konkreten, dichten Charakters des Bildes und zur Verräumlichung des diskursiven Lautes. Diese Figuration kann mit dem Diagramm in Verbindung gebracht werden, das einerseits mit der Zweidimensionalität und Simultaneität des Bildes operiert, andererseits die diskursive Linearität miteinschließt, und somit eine Hybridisierung von Sprache und Bild ist, wie Krämer 91 92

Siehe dazu Stetter 2005, S. 119. Krois 2011, S. 160.

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Schematismus als Versinnlichung

anmerkt: „die Fläche wird zum Denkzeug und Gedankenlabor. Wir denken auf dem Papier, mit dem Papier“.93 Das Diagramm als hybride Form lässt sich einerseits als Verflachung des Bildes in seiner Fülle und als Verräumlichung der Sprache ansehen. Trotzdem sollte seine eigene, prozedurale Dimension hervorgehoben werden. So schreibt etwa Schmidt-Burkhardt: „Die Verflachung des Denkraums in die zweite Dimension wird durch die reflexive Tiefe des Diagramms, die sich als semantische Dichte niederschlägt, wieder aufgehoben“.94 Es handelt sich dabei jedoch um eine potentielle Operation, die das Denken selber zur neuerlichen Gestaltung bringen kann. Ob dieser Operationsraum eine echte Alternative zum Bild und Text sein kann, betrifft nicht das Diagramm selbst als Gestalt, sondern den Gebrauch, der von ihm gemacht wird: Es kann also sowohl Motor einer neuen Verbalisierung als auch nur bloße Darstellung komplexerer diskursiver Verhältnisse sein. Diesbezüglich halte ich die Ausdifferenzierung von Goodman für beachtenswert, der das Diagramm als Aufhebung der konstitutiven Merkmale der Bilder deutet und betont, Diagramme seien artikulierter als Bilder. Innerhalb der Unterscheidung zwischen artikulierten und dichten Schemata untergliedert er die dichten Schemata in piktoriale und diagrammatische Schemata, zwischen denen er einen graduellen Übergang annimmt.95 Gerade weil Diagramme eine eigene, operative Dimension zwischen Bildern und Diskursivität darstellen, sind sie durch eine performative Visualisierung gekennzeichnet, die uns über den nicht-figurativen Charakter der Diskursivität belehrt – und diesbezüglich sollte gegebenenfalls auch der konstruktive Charakter der Mathematik erneut hinterfragt werden. Außerdem stellt die Konstruktion der Figur, die nicht auf das Diagrammatische reduziert werden kann, gerade dasjenige Moment dar, in dem die Figur als Schrift-Zeichen gebraucht werden kann. Das figurative Zeichen löst sich von der vollkommenen (etwa geometrischen) semantischen Identität zwischen Begriff und Anschauung und wird zum anschaulichen, figurativ Bezeichnenden, das an sich keine feste Bedeutung hat und zur Bezeichnung dient. In der zeichenhaften Artikulation wird man sich – wie im Anschluss an Humboldt und Hegel gesagt werden könnte – des artikulierten Wesens der Begrifflichkeit

93

94 95

Krämer 2012, S. 97. Zur Bestimmung des Diagramms siehe Krämer 2003, S. 158 und als Einführung in die unterschiedlichen Ansätze der Diagrammatologie Schmidt-Burkhardt 2012, S. 40–45. Schmidt-Burkhardt 2012, S. 40. Vgl. Goodman 1975, S. 212. Christian Stetter (2005, S. 121–126) spricht an dieser Stelle von dem Resultat von Tilgungsoperationen, womit die Diagramme als (S. 125) „graphische Abkürzungsverfahren für komplexe Schematisierungen“ verstanden werden, deren Voraussetzung ihre logische Lesbarkeit ist. Zur Funktion der Diagramme als kognitive Bilder siehe Boehm 2004, S. 28–43.

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II. Schematismus als modale Versinnlichung

bewusst und kann mit ihr in einer Weise operieren, die sich der Visualisierung entzieht. Der artikulierte Laut stellt das Moment der Abstraktion von der visuellen Gegenstandsbezogenheit des Bildes und den Übergang zum rein diskursiven Denken dar. Ihm ist eine Konstruktion eigen, die der Weg zur Allgemeinheit ist, insofern sie rein diskursiv vom Bild absieht und die Möglichkeit philosophischer und ideeller Begriffe ausmacht. Dieser Unterschied zwischen bildhafter und zeichenhafter Entwicklung hat sowohl epistemologische als auch sprachtheoretische Implikationen, indem er eine Entwicklung vom Bild bis hin zur Sprache anzeigt: Das Bild kann erstens an seinen eigenen anschaulichen Gehalt gebunden bleiben und so nur in seinen bildhaften Zügen erscheinen; zweitens kann es als Bezeichnung des Begriffes verwendet werden und somit in Richtung einer Artikulation der Begrifflichkeit gehen, die im Laut die letzte Abstraktionsstufe erreicht, wie etwa Hegel hervorhebt.96 Die Gestalten sind daher potentielle Tilgungsgestalten, die nur im Gebrauch entfaltet werden und vom Bild zum Wortlaut führen können. Dazu bemerkt Stetter, dass die Unterwanderung des Diagrammatischen durch die Logik des Bildes ein Resultat von Tilgungsoperationen ist, die am Material exemplifiziert werden.97 Mit Tilgungsoperation ist jedoch hier nicht gemeint, dass die Gestaltung gezielt auf die diskursive Bezeichnung reduziert würde. Sie ist keine Purifikation des Materials, sondern seine potentielle Gestaltung, die dabei nicht vom Bild oder Schriftzeichen bereinigt werden sollte. Die operative Fülle des Bildes und der operationale Charakter der Figur sind für die Erkenntnis und das Denken im Allgemeinen konstitutiv. Den Schematismus möchte ich jedoch nicht auf diese operative Visualisierung reduzieren, sondern zeigen, dass er gerade die Gestaltung zwischen Bild und Wortlaut ermöglicht und somit Bedingung auch derjenigen Diskursivität ist, die durch die Versinnlichung allererst möglich wird. Der zeichenhafte Charakter des Gebrauchs realisiert sich diskursiv durch die Artikulation des Lautes. Kant hat richtig gesehen, dass die Abstraktheit der Begriffe eine tautologische Bestimmung ist, da der Begriff an sich immer abstrakt ist und sich erst im Gebrauch realisiert und ausdifferenziert. Das mag auch der Grund dafür sein, dass er die versinnlichende Natur des Lautes nicht in die Transzendentalphilosophie einführt. Damit ist im Gegenteil diejenige Perspektive angesprochen, die von Herder, Humboldt und Hegel eingenommen wird, 96

97

Siehe dazu Brandi 2009, S. 13. Stetter bezieht sich auf die ‚Verschriftlichung der Sprachen‘ als Tilgungsprozess (2005, S. 116): „Damit jede Sprache der Welt mit einem Repertoire von dreißig bis vierzig Figuren verschriftet und geschrieben werden konnte, musste aus diesen jede Spur von Ikonizität, mehr noch: jede Spur von Bedeutung getilgt sein“. Vgl. Stetter 2005, S. 121.

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Schematismus als Versinnlichung

bei denen die Verbindung zwischen Gehör, Zeit und Laut zur Bedingung der Artikulation des Denkens und der Abstraktheit der philosophischen Begriffe wird, die im Horizont Kants rein diskursiv bleiben. Somit kann die Akroamatik des Denkens nicht vom Versinnlichungsprozess als ihrer Bedingung getrennt werden. Der Schematismus ist folglich nicht auf die Visualisierung und Figuration beschränkt, da er zugleich eine andere Art der Versinnlichung miteinschließt, die den Laut betrifft. Die lautliche Artikulation der Begrifflichkeit wird in der Schematismuslehre rehabilitiert, und das nicht im Sinne des Phonozentrismus, sondern der grundlegenden Gestaltungsfunktion, welche die lautliche Artikulation – wie Humboldt zeigt – in allen Sprachen innehat. Um Missverständnisse zu vermeiden, muss angemerkt werden, dass es bei dieser Auffassung der Gestaltung nicht um die bloße Artikulation ‚derselben‘ Bedeutung zwischen Bild und Wortlaut geht, sondern eigentlich um die Entstehung der Bedeutung selbst in dieser Gestaltung. Damit ist eine funktionale Weltansicht verbunden, in der das Denken in unterschiedlichen Proportionen mit zeichenhaftem oder metaphorischem Gebrauch behaftet ist. Der damit angezeigte, genetische Transformationsprozess ist bisweilen auch als ein faktisch-genetischer Übergang vom Bild zum Wortlaut in der historischen Entwicklung der Sprache gedeutet worden, wie er sich insbesondere im Vergleich zwischen hieroglyphischen und phonetischen Sprachen zeigt, der vor allem Hegel zur Annahme des Vorzugs der Buchstabenschrift hinsichtlich der Entwicklung des philosophischen Denkens geführt hat. Diesbezüglich ist wiederum der Ansatz Humboldts zu berücksichtigen, da bei ihm das Wort sowohl mit dem Zeichen als auch mit dem Symbol verwandt ist, die seine Gebrauchsweisen sind.98 Der Unterschied zwischen visueller und akustischer Verarbeitung der Bedeutung ist, wie bemerkt, sowohl epistemologisch als auch im engeren Sinne sprachtheoretisch relevant. Dies ist insbesondere von Brandi gesehen worden, der ausgehend von der Schematismus-Problematik die genetischen Aspekte des Schemas untersucht. Mit Blick auf die Erkenntnistheorie betont er, dass „gerade die Bildung des Schemas den Punkt anzeigt, an dem die Wahrnehmung von etwas in die Erkenntnis von etwas übergeht; doch das Schema, gerade weil es noch kein Begriff ist, bleibt zugleich Bild und Erkenntnis von etwas. Und je 98

Vgl. Humboldt, Grundzüge, S. 99. Siehe dazu IV.2 des zweiten Teils der vorliegenden Untersuchung. Der Laut lässt sich als die eigene Gestalt der abstrakten Refle­ xion fassen. Wie gezeigt werden konnte, verfügen auch Kulturen ohne Schrift über eine Metasprache. Dieses Thema kann hier nicht weiter vertieft werden – stattdessen soll auf den lehrreichen Aufsatz von Ludwig Jäger (2003, 199) hingewiesen werden, der eine solche These vertritt. Dieser Aufsatz ist in Bezug auf die Kritik Derridas an Hegel schon zitiert worden. Im Grunde vertritt Jäger den Humboldtschen Ansatz, nach welchem auch Schriftsysteme Lautsprachen sind (siehe S. 205f.).

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mehr es Bild bleibt, desto mehr wird die Erkenntnis intuitiv strukturiert und weniger intellektuell entwickelt“.99 Die Gestalten sind in diesem Sinne transzendentale Grenzgestalten, zwischen denen die Schematisierung sich entfalten kann. Die Bedeutungserfahrung realisiert sich insofern immer gestaltlich und bewegt sich stets zwischen diesen Grenzpolen, die unsere empirische Wahrnehmung strukturieren, wobei der Laut den Modus der Zeit und das haptische und visuelle Bild den Modus des Raumes anzeigt. Gerade weil diese Gestaltung nicht die bloße Artikulation einer schon gegebenen Bedeutung ist, sondern ihre Produktion umfasst – die natürlich sowohl ursprünglich schöpferisch als auch vom gewöhnlichen, vertrauten Gebrauch geprägt sein kann – ist jede Gestalt von einer spezifischen Operativität charakterisiert, die meines Erachtens transzendental ist.100 Das bedeutet, dass die Gestalten sinnliche Bedingungen der potentiellen Gestaltung sind, die sie bedingen, aber nicht bestimmen. Die Gestalten sind in einer potentiellen Form schon Methode der Gestaltung, weil ihre Grenzeigenschaften zur Gestaltung beitragen und sie bedingen. Diese transzendentalen Schemata sind also funktionale Begriffe, doch dies nur potentiell. Sie sind rein rezeptiv und werden im Gebrauch aktiviert.101 Erst im Schematismus als modaler Haltung werden die Gestalten als Grenzpole bewegt; ihre Grenzeigenschaften werden in actu, vermischen sich synästhetisch und bringen uns an die Grenzen der Erkenntnis, des übertragenden Denkens und der Expressivität. Die Versinnlichung ist also die potentiell formale Bedingung der Verkörperung. Die Gestalten sind Methoden der Realisierung der Begrifflichkeit, sodass in deren Aktualisierung die Ab- und Anwesenheit dieser Gestalten erkannt werden kann. Sie sind rein formal, in keiner Weise intentional und somit Hauptmomente einer performativen Theorie der Medialität, die letztlich ein anderer Ausdruck für die Schematismuslehre ist, in der die Medien nicht auf die bloße Vermittlung und Übertragung von Wissen zu reduzieren sind, sondern die   99

100

101

Brandi 2009, S. 12 (Übersetzung L.G.): „La formazione dello schema segna il punto in cui la percezione della cosa trapassa in conoscenza della cosa stessa: ma lo schema, appunto perché non è ancora concetto, resta contemporaneamente immagine e conoscenza della cosa. E tanto più resterà immagine, quanto più la coscienza sarà strutturata intuitivamente e meno sviluppata intellettualmente“. Günter Abel hat einen ähnlichen Aspekt in Bezug auf Bilder betont (2004, S. 369): „Alle diese Funktionen von Bildern in Prozessen hängen im Kern von ihrer sinnlichen Anschaulichkeit, von der sinnlich-ästhetischen Form ihrer Bedeutung und mithin auch von unserer Fähigkeit ab, uns auf sie zu verstehen“. Hierin teile ich die Auffassung von Christoph Asmuth (2011), der die Bildlichkeit (S. 109) nicht als Teil der Objektwelt interpretiert. Sie ist (S. 113) „ein Konzept, dass erkenntnistheoretisch formuliert, erst durch Konstruktion in der Wirklichkeit hervorgebracht wird, um dann in der Wahrnehmung eingelöst zu werden. Dazu ist die Sprache gar nicht notwendig, sondern nur ein Wissen, das durchaus als performativ zu betrachten ist“.

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Schematismus als Versinnlichung

Bedeutung selbst erschaffen. Wie bereits erklärt, entkräftet die Annahme ihrer Potentialität nicht die Behauptung ihrer Gestaltungsfunktion, weil letztere transzendental gemeint ist. Der Schematismus ist letztlich der Versinnlichungsprozess der Artikulation der Bedeutungserfahrung zwischen Bild und Wortlaut. Und somit ist das Schema kein Drittes, sondern die funktionale Bedingung der Gestaltung selbst. Es kann schließlich in keiner Weise auf die begrifflichen, inhaltlichen Bezeichnungen reduziert werden, die es selber hervorbringt. Diese potentielle Versinnlichung ist die gestaltliche Bedingung der Artikulation der Bedeutung, die sich im Gebrauch realisiert, der im nächsten Kapitel kurz erörtert werden soll.

2. D ie Gest a lten i m Gebrauc h Die Realisierung der zuvor erläuterten sinnlichen Gestalten erfolgt über drei Formen des Gebrauchs: Dieser kann zeichenhaft, symbolisch und expressiv sein. Wurde bislang aufgezeigt, wie die Gestalten den Gebrauch sinnlich präformieren, geht es in diesem Kapitel darum zu verdeutlichen, inwiefern die Realisierung der Gestalten von ihrem Gebrauch abhängt. Das Verhältnis zwischen Gestalten und Gebrauchsweisen soll zudem anhand von Beispielen erläutert werden. Die transzendentalen Gestalten (Bild, Figur, Wortlaut) sind die Formen der Versinnlichung und nicht die Regeln ihres Gebrauchs, obwohl die skizzierte Gestaltenlehre eine Metareflexion auf die Medialität sicherlich nicht ausschließt. Bilder, Figuren und Wortlaute sind an sich keine Zeichen und auch keine Symbole, sondern sie können als solche gebraucht werden.102 Zeichenhafte, symbolische, expressive Gebrauchsweisen sind deshalb als transzendentale Haltungen zu bestimmen, d.h. Schematisierungen im Sinne von Methoden der Gestaltung selbst. Sie erinnern nicht zufällig an die kantische Unterscheidung zwischen bestimmender oder symbolischer Versinnlichung und einer Schematisierung ohne Begriff. Diese Gebrauchsweisen sind keine sinnlichen Vermittler, sondern mediale Prozesse,103 die auch für eine Aktivierung der Gestalten im Gebrauch stehen können, d.h., dass die Bedeutung selbst aus der Synthesis zwischen Gestalten und Gebräuchen resultiert. Letztere betreffen nicht den partikulären Inhalt jedes empirischen Gebrauchs, sondern seine formale und modale Struktur. Deswegen sollten sie nicht mit dem empirischen Gebrauch etwa der Sprache verwechselt werden. Im empirischen Gebrauch sind die sinnlichen Gestalten Formen der mannigfaltigen Erscheinung und können daher für bloß verkürzte Schemata der Erfahrung gehalten werden. Hier ist der Gebrauch eine kulturelle, 102 103

Vgl. die Auffassung des Zeichens bei Günter Abel, insbesondere 2004, S. 20–24. Siehe dazu Posner 2010, S. 145.

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II. Schematismus als modale Versinnlichung

historische und subjektive Praxis, die das Schema als verkürzten Inhalt eines Sachverhaltes verwendet. Diesbezüglich hat Wittgenstein gezeigt, dass die Bedeutung eines Wortes mit dem Gebrauch zusammenhängt, der nicht auf die bloße Bezeichnung reduziert werden kann, der zufolge die Zeichen für die Sachen stehen, sondern einen komplexeren Prozess andeutet – was wiederum das Verständnis vom Erlernen eines bestimmten Gebrauchs radikal verändert, indem eine handlungspragmatische Komponente eingeführt wird, da die Bezeichnung selbst keine bloße Benennung einer schon gegebener Bedeutung ist.104 Der Gebrauch selbst ist der semantische Prozess, der bestimmten Regeln folgt. Diese Bedingtheit der semantischen Gestaltung durch den Gebrauch kann auf empirischer Ebene durch das Schema erklärt werden, das einerseits bestimmt ist und dadurch zur Vermittlung von Inhalten und Praktiken führt, andererseits unbestimmt bleibt und dadurch die Transformation von Inhalten und Praktiken erlaubt. Das Schema ist somit eine Konkretisierung von Inhalten und Praktiken, die sich potentiell auch anders hätten entwickeln können, wobei die Vielfalt dieser Konkretisierungen ein Beweis für die angesprochene Potentialität ist. Diese Vielfalt an möglichen Konkretisierungen von Inhalten und Praktiken kann meines Erachtens zwar empirisch auf den Gebrauch zurückgeführt werden; die eigentümliche Gestaltungsfunktion des Gebrauchs als Gestaltung von Bedeutung aber kann nur über die Annahme einer transzendentalen Synthesis als der formalen Strukturierung des Gebrauchs erklärt werden. Es handelt sich hierbei um die Strukturierung des Gebrauchs vor dem Inhalt, d.h. um die Modalität, mit der ein schematischer Inhalt zur Gestaltung kommt. Die Einführung der Konzeption eines transzendentalen Gebrauchs kann daher als Methode für die heuristische Analyse der Gebrauchsweisen sinnlicher Gestalten angesehen werden. Die Spontaneität, die Kant im Schematismus dem Verstand zuschreibt, ist nun eigentlich der Gebrauch, der zeichenhaft, symbolisch oder rein expressiv die sinnlichen Gestalten aktualisiert. Die transzendentale Untersuchung dieser Gebrauchsweisen geht also mit einer Suspendierung des empirischen Gebrauchs einher, die jedoch nicht als eine Vernichtung der konstitutiven Unbestimmtheit jedes Gebrauchs gelesen werden sollte. Hier geht es nämlich nicht um den Inhalt, sondern um den Prozess der Schematisierung, die gerade den provisorischen Charakter des Gebrauchs sinnlicher Gestalten stiftet. Nehmen wir etwa folgende Beobachtung Wittgensteins: „Wenn wir die Bedeutung eines Symbols auf einen Schlag erfassen, können wir das Verstehen als intuitiv betrachten. Das Verstehen kann aber auch diskursiv sein: man gelangt zur Kenntnis der Bedeutung durch die Kenntnis

104

Vgl. Wittgenstein, PU, 26.

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des Gebrauchs“.105 Was Wittgenstein hier beschreibt, ist nicht das einzelne empirische Erfassen von Bedeutung, sondern die prozessuale Struktur des Erfassens im Fall von symbolischer Bedeutung. Es geht dabei um die Weisen dieses Erfassens, die Wittgenstein wie folgt beschreibt: Die intuitive Weise ist eine unmittelbare („auf einen Schlag“), während die diskursive ein mittelbares („durch die Kenntnis des Gebrauchs“) Erfassen anzeigt. Diese zwei Weisen stellen eine formale Struktur des Erfassens von Bedeutung dar, die jede partikuläre Erfahrung betrifft, die uns nach unserem Erfassen selbst belehrt, weil wir uns im intuitiven Erfassen eines Symbols beispielsweise über dessen diskursiven Charakter bewusst werden und so zu einer anderen Eigenschaft des Symbols gelangen können. Dieser Blickwechsel im Erfassen des Symbols ist möglich, weil die sinnliche Gestalt präsent bleibt und die sinnliche Grundlage eines solchen Wechsels abgibt. Dieser Blickwechsel ist die eigentliche Realisierung der sinnlichen Gestalt, deren Bedeutung also nicht nur das Erfassen des dargestellten Sachverhaltes, sondern genauer die Weise dieses Erfassens ist. Indem so der prozessuale Charakter der Wittgensteinschen Unterscheidung hervorgehoben wird, lässt sich feststellen, dass es sich bei genauerem Hinsehen nicht um ein Symbol handelt, sondern um eine sinnliche Gestalt, die als Symbol gebraucht wird. Denn die sinnlichen Gestalten entfalten in ihrer Synthesis mit dem symbolischen Gebrauch andere Funktionen, gerade weil sie eine eigene Präformation ausüben, die von Gebrauchsweisen vielfältig realisiert werden kann. Im Folgenden möchte ich erklären, wie diese Synthesis zwischen Gestalten und Gebrauchsweisen genauer zu bestimmen ist. Der zeichenhafte Gebrauch entspricht einer direkten Gestaltung der Bedeutung mittels einer sinnlichen Gestalt. Der symbolische Gebrauch ist dagegen eine analogische Gestaltung der Bedeutung. Der rein expressive Gebrauch schließlich steht für eine ausschließlich sinnliche Gestaltung, die nur mit der Sinnlichkeit, also ‚ohne Begriff‘ operiert. Die Synthesis zwischen Gestalten und Gebrauchsweisen möchte ich nun anhand dreier Beispiele verdeutlichen. In der Visualisierung können Bilder für direkte Darstellungen der Wirklichkeit gehalten werden. In diesem Halten – die das Schema etymologisch von Anfang an ist106 – werden visuelle Gestalten als Inhalte erkannt. Die Bilder sind somit Hinweise auf die Wirklichkeit von Begriffen, deren objektive Realität durch visuelle Gestalten direkt zur Schau gestellt werden kann. Gerade wegen ihrer visuellen Fülle und Konkretheit sind Bilder für direkte Darstellungen der Wirklichkeit zu halten, und da die Differenz zwischen Gestalt und Gegenstand

105 106

Wittgenstein, Vorlesungen 1930/1935, S. 182. Zur Ähnlichkeit mit Kant siehe Rolf 2006, S. 35. Siehe dazu das zweite Kapitel der Einleitung zur Vermittlungsfunktion des Schema-Begriffs.

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II. Schematismus als modale Versinnlichung

sich nur schwer erfassen lässt, ist diese Erfassung im Fall von Bildern meist intuitiv. So mag es scheinen, dass auf visueller Ebene die Bilder den Sachen unmittelbar anhaften; doch das ist nicht die einzige Funktion des Bildes, die sich erst im Gebrauch erweist. Denn die Bedeutung wird den Gegenständen so zugeordnet, als ob der Gegenstandsbezug unmittelbar empfunden wäre. Diese Unmittelbarkeit stellt jedoch in Wirklichkeit eine Verkürzung des transzendentalen Horizontes auf die intuitive Erfahrung der Erkenntnis von Bildern dar, die von einem Gebrauch abhängt, der die Bedeutung inhaltlich gestaltet. Wenn man dagegen von dem der Gestalt unmittelbar zugeschriebenen Inhalt absieht und somit nur die Gestalt ‚ohne Inhalt‘ für möglich hält, kann man dieselbe Gestalt als Gestalt für eine andere Bedeutung ansehen und somit das Bild in seiner zeichenhaften Natur erkennen – insofern haben Kant und vor allem Hegel Recht, wenn sie die Bezeichnung nicht auf die Darstellung verkürzen, um so die Tilgungsoperation hervorzuheben, die der zeichenhafte Gebrauch auf das Bild ausüben kann und die den Weg zum Begriff eröffnet. Ausgehend vom Bewusstsein dieses zeichenhaften Gebrauchs kann man in Bildern eine Als-Ob-Struktur erkennen: Wir können Bilder als Symbole von etwas erkennen, was nicht in der äußeren Wahrnehmung zu finden ist; und wir bringen Bilder hervor, die wiederum nur als Symbole dienen. Während also der zeichenhafte Gebrauch eines Bildes die Bestimmungsfunktion hat, übt der symbolische Gebrauch eine Übertragungsfunktion aus. Der expressive Gebrauch des Bildes hingegen betrifft ihren sinnlichen Charakter, den ich bereits in Bezug auf die Fülle eingeführt habe.107 Diese drei Gebrauchsweisen des Bildes möchte ich am Beispiel des Betrachtens von Gemälden erläutern – was jedoch nicht zu dem Missverständnis verleiten soll, der Bild-Begriff würde damit auf den eines Gemäldes zurückgeführt. Es soll vielmehr nur deshalb von einem Gemälde ausgegangen werden, um ‚das gleiche materielle Bild‘ als Betrachtungsobjekt mit den Lesern gemeinsam zu haben. Das Gemälde der Mona Lisa von Leonardo da Vinci ist ein Kunst-Bild. Als sinnliche Gestalt präformiert es potentiell die Operativität des Gebrauchs, weil man durch ein Bild nicht zur direkten sinnlichen Darstellung eines ideellen Begriffes gelangen kann. Diese Präformation ist also eine potentielle Bedingtheit der Darstellung und ist – gerade im Sinne des kantischen Schemas – die Methode der Darstellung selbst. Im Gebrauch wird das Bild aktualisiert und somit zum Medium der Darstellung selbst gemacht, sodass die Wahrnehmung vom Bild eine bestimmte Konkretisation dieser Medialität ist.108 Im Gemälde 107

108

Der expressive Gebrauch ist in Bezug auf Kants Schematisierung ohne Begriff in Kap. VI.2, in Bezug auf die Fülle als Eigenschaft des Bildes in Kap. II.1 dieses Teils untersucht worden. Der Konkretisations-Begriff geht auf die literarische Phänomenologie Roman Ingardens zurück, der jede Auslegung des literarischen Werks als Konkretisation

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Schematismus als Versinnlichung

der Mona Lisa lassen sich die drei unterschiedlichen Gebräuche heuristisch analysieren: zuerst kann der dargestellte Sachverhalt für ein Zeichen gehalten werden; so werden die Linienzüge zum Erkennen des Darstellungsgegenstandes genutzt, und zwar einer ‚Frau in einem bestimmten Alter, mit besonderen Gesichtszügen, Kleidern, hinter der eine Landschaft abgebildet ist‘, usw. Außer dieser bestimmenden Charakterisierung können im Gemälde sinnliche Merkmale als Symbole für eine ideelle Bedeutung gehalten werden – in den verschiedenen Auslegungen hat sich zum Beispiel eine eigene ‚Hermeneutik des Lächelns der Mona Lisa‘ entwickelt, um zu verstehen, wofür dieser physiognomische Ausdruck steht. Und schließlich kann man von diesen begrifflichen Bedeutungen absehen und nur die anschaulichen Eigenschaften des Ölgemäldes analysieren, in erster Linie ihre Fülle, Perspektive, das Verhältnis der Farben usw. Alle diese Elemente können auf den ersten Blick als nicht-begrifflich aufgefasst werden, obwohl ihr Wahrnehmungsgehalt begrifflich klassifiziert wird. Und trotzdem ist diese sinnliche Betrachtung vor der Klassifikation wichtig, um zu bemerken, inwieweit beispielsweise der sinnliche Gebrauch der Farbe den Begriff der Farbe selbst in der Kunst transformiert. So könnte man der Ansicht sein, Leonardo habe den Begriff der Perspektive oder Caravaggio den Begriff des Lichts in der Malerei transformiert, weil sie kraft der sinnlichen Expressivität der Darstellung den Begriff zu einer neuen Bestimmung gebracht haben, sodass zum Beispiel der Begriff des Lichts in der Kunst ohne die ästhetische Praxis von Caravaggio heute schwer vorstellbar wäre. Im Gemälde der Mona Lisa sind alle der genannten Gebrauchsweisen zu finden; doch die Kopräsenz der Gebrauchsweisen ist keine notwendige Bedingung für das Erfassen des Bildes. In der Farbfeldmalerei Rothkos etwa ist der zeichenhafte Gebrauch sehr schwach ausgeprägt und nur an der Bezeichnung von Feldern zu erkennen, während der expressive Gebrauch von Farben dominiert. In der realistischen Fotografie hingegen ist der zeichenhafte Gebrauch sehr präsent. Die drei transzendentalen Gebrauchsweisen sind auch im Fall von Figuren wiederzufinden, die aus Linien bestehen. Die Linie ist ein gutes Beispiel für die Relevanz der transzendentalen Unterscheidung zwischen Gestalt und Gebrauch in den Figuren. Die Linie kann die Funktion der Abgrenzung von Gegenständen ausüben. Sie dient zur Abgrenzung der kennzeichnenden Züge, die den Gegenstand hervorbringen. Die Gestaltpsychologie hat gezeigt, inwiefern diese Abgrenzung eine ideelle und nicht immer eine faktische Wahrneh-

von schematischen Aspekten auffasst, in der bestimmte Aspekte aktualisiert werden, die potentiell im Werk enthalten sind. Daher kann er das literarische Werk als eine schematische Struktur von Aspekten bezeichnen. Vgl. Ingarden, LK, §62–64, S. 343–370. Siehe dazu auch die Einleitung der vorliegenden Untersuchung.

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II. Schematismus als modale Versinnlichung

mung ist, weil hier eine Interpretationspraxis im Spiel ist, die sie vervollständigt und abrichtet. Die Konturen eines Schattens sind oft unscharf und werden trotzdem als Linien eines Schattenrisses wahrgenommen. Die Techniken der bildenden Kunst, die angewandt werden, um mit den Bestimmungslinien der figurativen Darstellung zu spielen, sind vielfältig und ebenso die Kippbilder, die unserer Wahrnehmung den täuschenden Charakter unseres Vertrauens zur Linie vor Augen führen. Die Konstruktion einer Figur basiert auf der Linie, die nämlich figurativ ist – weshalb Kant zu Recht anmerkt, dass wir „keine Linie denken können, ohne sie in Gedanken zu ziehen“.109 Mit der Konstruktion wird die Linie zeichenhaft verwendet. Wenn zum Beispiel eine gerade Linie nicht geometrisch konstruiert oder handgezeichnet ist, ist sie dem Bild ähnlicher als der Figur. Die Verwendung der Linie im Gemälde etwa ist nicht ausschließlich auf die Konstruktion ausgerichtet, sondern kann auch die materielle Eigenschaft und ästhetische Qualität ihres Zuges unterstreichen. Die Linie kann auch für symbolisch gehalten werden; für Kant ist sie die analogische Darstellung der Zeit schlechthin. Die Bedeutung der Linie entstammt – wie im Fall des Bildes – also einerseits ihrer sinnlichen Bedingtheit und andererseits ihrem Gebrauch. Beide sind eng verbunden und nur heuristisch voneinander zu trennen, um die unterschiedlichen möglichen Gebrauchsweisen der Linie zu begreifen – sodass zum Beispiel eine Linie ein Symbol für bestimmte Begriffe und nicht für andere ist. Die Linie kann dabei für die Konstruktion von Figuren, Diagrammen und Schriftzeichen verwendet werden. Wenn hingegen eine konstruierte Figur als Symbol verstanden wird, ist sie dem Bild ähnlicher. Insbesondere das Diagramm kann also das Resultat unterschiedlicher Synthesis-Prozesse sein: die Synthesis zwischen hybrider Figur und Konstruktion führt zu neuem Wissen, die Synthesis zwischen hybrider Figur und symbolischem Gebrauch zur bildlichen Darstellung komplexerer diskursiver Verhältnisse, während die Synthesis zwischen hybrider Figur und expressivem Gebrauch die Auflösung des Diagramms in das Bild anzeigt. Eines ist sicher: Trotz seiner kognitiven Leistung erreicht das Diagramm nicht die Ebene der diskursiven Kristallisation, auf der sich der Begriff durch die lautliche Versinnlichung realisiert. Im zeichenhaften Gebrauch wird die Dichte des Bildes aufgehoben, das als bloße Figur zur Bestimmungsgestalt der Konstruktion dienen kann. Die Konstruktion der Schriftzeichen kann aber im diskursiven Denken die vollkommene Entsprechung von Anschauung und Begriff nicht erreichen. So ist die diskursive Bestimmung von Bedeutung grundsätzlich von der mathematischen Konstruktion zu unterscheiden, in der Zeichen als Symbole gelten.

109

Kant, KrV, B 154.

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Schematismus als Versinnlichung

Der zeichenhafte und der symbolische Gebrauch haben im Wortlaut keinen sinnlich erkennbaren Unterschied: Durch einen Wortlaut lässt sich sowohl ‚Spiegel‘ als auch ‚Seele‘ versinnlichen, und nur wenn diese Wortlaute in einem Urteil verwendet werden, kann ihr Gebrauch bestimmt werden. Die Urteile ‚der Spiegel ist rund‘ und ‚die Augen sind der Spiegel der Seele‘ kennzeichnen zwei unterschiedliche Gebrauchsweisen desselben Wortes: im einen Fall wird der Spiegel zeichenhaft, im anderen symbolisch für die Versinnlichung der Bedeutung von ‚Seele‘ gebraucht. Während das Wort allein uns nicht direkt mit dieser Unterscheidung konfrontiert – weshalb wir uns oft in der Verwendung von Wörtern ihres Gebrauchs nicht bewusst sind – ist der Unterschied zwischen diesen zwei Versinnlichungen im Bild sofort ersichtlich: Das Wort ‚Spiegel‘ lässt sich unter ein zeichenhaftes Bild bringen, das Wort ‚Seele‘ dagegen nur unter ein symbolisches Bild. Und so ist der Gebrauch eine Interpretationspraxis im weitesten Sinn, die auch nicht-linguistische Zeichen und Symbole betrifft.110 Im Bild wie im Urteil spielt der Kontext eine grundlegende Rolle, weshalb wir im Gemälde Der falsche Spiegel von Magritte sofort merken, dass das Auge symbolisch gebraucht werden kann und soll. Auch wenn auf syntaktischer Ebene dieser Unterschied auch lautlich durch bestimmte metaphorische Konnektoren wie ‚als ob‘ oder ‚wie‘ erkennbar sein kann, ist die Unterscheidung zwischen Begriffen und Ideen im Gebrauch der Urteile zu erweisen – indem der symbolische Gebrauch eine Analogie impliziert, die kein Bestimmungsurteil sein kann. Aus dieser Perspektive wird die Urteilskraft Kants von der Gegebenheit der Begriffe emanzipiert und dagegen ihr primär genetischer Charakter hervorgehoben. Denn die Gegebenheit ist nur im Sinne des etablierten Gebrauchs der Begrifflichkeit möglich und betrifft nicht die Begriffe selbst, sondern ihren Gebrauch – wie auch Josef Simon bemerkt: „Der Begriff ist in jedem Fall eingebettet in ein besonderes Zeichengeschehen als eine besondere Geschichte“.111 Die Tatsache, dass auf lexikalischer Ebene intuitiv keine Unterscheidung zu fassen ist, deutet gerade auf die Funktion des Wortlautes hin, der den zeichenhaften Gebrauch schlechthin versinnlicht. Hierbei wird die Unmittelbarkeit der visuellen Realität des Denkens getilgt, in dem auch diejenigen Gegenstände versinnlicht sind, die nicht visualisiert werden können. In der lautlichen Synthesis realisiert sich das diskursive Denken und somit die Sprache, die abstrakt operieren kann. Diese Abstraktheit bedeutet hingegen nicht, dass das Denken nicht sinnlich ist; es wird lautlich versinnlicht, d.h. vom Laut bedingt,

110 111

Poser schreibt (1992, S. 164): „[…] Zeichen sind nicht fixierte Designatoren, sondern durch Interpretationsregeln charakterisiert […]“.Vgl. Abel 1993, S. 439. Simon 1989, S. 67.

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II. Schematismus als modale Versinnlichung

womit das Denken letztlich kraft der lautlichen Gestalt ein Reden mit sich selbst und mit anderen sein kann. Durch die lautliche Versinnlichung erfolgt diejenige Kristallisation der Begrifflichkeit, die ich in Bezug auf die drei Arten der Begriffe,112 die das Schematismus-Kapitel gliedern, bereits behandelt habe. Empirische, rein sinnliche und reine Begriffe entsprechen kraft der lautlichen Versinnlichung der gleichen Gestalt, und zwar dem Wortlaut. Ihre Unterschiede entfalten sich erst im Gebrauch. Erst im Urteilen kommt die lautliche Gestalt für Kant zur Prädikation der Bedeutungserfahrung und zur Begriffsbildung. Besonders die philosophische Begrifflichkeit lässt sich nicht von der Dimension der Sprache ablösen. Dieser Aspekt wird schon von Kant mit Blick auf die Verbindung zwischen Zeit, Laut und Begriff erwähnt und dann in seiner Nachfolge hervorgehoben, in der die Schematisierung zum transzendentalen Prozess der im weitesten Sinne sprachlichen Bildung der Begriffe umgestaltet wird. Die Sprache ist hier insbesondere als energischer Charakter der Schematisierung angesehen worden, als seine versinnlichende Kraft, durch die er sich bis zur symbolischen Dimension erweitert, ohne damit die Begriffe selbst als Symbole zu behandeln. Im Gegenteil eröffnet sich im Schematismus ein sprachlicher Raum, in dem kein Platz für Freges ‚drittes Reich‘ reiner Bedeutungen ist. Und trotzdem erfolgt in diesem Raum diejenige Überwindung der Einzelsprachlichkeit, durch welche – für Coseriu in einer Radikalisierung des kantischen Ansatzes durch Hegel – die Sprache zur Objektivität und Abstraktion gelangen kann.113 Außer dem zeichenhaften oder symbolischen Gebrauch umfasst die lautliche Versinnlichung ohne Zweifel auch einen expressiven Gebrauch. Wie im Fall der figürlichen Konstruktion von der Dichte oder Fülle des Bildes abstrahiert wird, so kann von der lautlichen Resonanz dann abgesehen werden, wenn es allein um die begriffliche Bestimmung geht. Davon wird hingegen in Sprache, Dichtung und Musik nicht abgesehen, die vom expressiven Gebrauch des Lautes leben. Nur im Gebrauch realisiert sich die Begrifflichkeit, die als Zeichen oder als Symbol verwendet werden kann. Kant hat nicht nur gesehen, dass nicht alle Zeichen Symbole sind, sondern ebenfalls, dass die urteilsmäßige Dimension des Gebrauchs sowohl den Schemata als auch den Symbolen zuzuschreiben ist, die jeweils in der bestimmenden und in der reflektierenden Urteilskraft zur Darstellung gelangen und somit das ganze Denken versinnlichen. Kants Unterscheidung zwischen schematischer und symbolischer Darstellung ist im Sinne einer methodisch-modalen Unterscheidung zwischen einer bestimmenden und einer metaphorischen Verwendung der Begrifflichkeit zu verstehen, die sich 112 113

Siehe dazu Kap. V des ersten Teils. Siehe dazu Kap. V.3 des zweiten Teils.

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Schematismus als Versinnlichung

beide derselben Sprache bedienen und trotzdem in unterschiedlichen modalen Bereichen des Denkens bewegen. Die transzendentalen Gebrauchsweisen können zudem hinsichtlich ihres modalen Charakters unterschieden werden. In der kantischen Erkenntnistheorie erweist sich die Modalität somit als konstitutiv für die Unterscheidung zwischen Erkenntnis, Denken und Gefühl, in denen sich ihm zufolge drei unterschiedliche Versinnlichungen realisieren. Gerade weil sie in der Versinnlichung vermischt sind, erfolgt ihre analytische Trennung nicht auf der Ebene der Relation, sondern der Modalität, die auch für Kant quer zu den übrigen Kategorien liegt. Dies geschieht im Horizont der kritischen Unterscheidung Kants zwischen einem rein möglichen und einem solchen möglichen Denken, das als wirklich bewiesen werden kann. Rein möglich ist für Kant ein Denken, das rein subjektiv bleibt und keines empirischen Beweises fähig ist. Es wird nie zur Erkenntnis im engeren Sinne. Das Denken hat daher einen größeren Umfang als die Erkenntnis. Es kann nämlich rein subjektiv, privat oder analogisch sein und muss nicht den Kriterien der Erkenntnis genügen. Die Bedeutungserfahrung kann also anhand des Schematismus heuristisch analysiert werden, um so nicht nur eine Theorie der Medialität, sondern eine Kritik der Medialität zu entwerfen, in der die Verbindung zwischen Gestalten und Gebrauchsweisen modal verknüpft wird. Ohne diese modal geprägte Kritik wäre es nicht möglich, den konventionalen vom kreativen Gebrauch jeder Versinnlichungsgestalt zu unterscheiden.114 Diese Struktur des Schematismus kann als ein potentiell genetischer Prozess der Artikulation von Begrifflichkeit zwischen Bild, Figur und Wortlaut im Gebrauch gedeutet werden. Es handelt sich dabei um Transformationen der unterschiedlichen Gestaltungen – etwa die Transformation von einem Bild in ein Schriftzeichen, von diskursiven Bestimmungen in Diagramme, von Piktogrammen in lautliche Bestimmungen usw., die ich hier nicht im Detail behandeln kann. Wie Humboldt anmerkt, ist die Hieroglyphe keine feste gestalterische Bestimmung des Denkens, sondern eine interne Dimension der Sprache: Die Weltansicht lässt sich deshalb nicht auf die Figur reduzieren, weil sie primär

114

Insofern lässt sich diese Interpretation durchaus mit Cassirers Auffassung der symbolischen Formen vergleichen (Cassirer, ECW, 11, S. 40): „Die Symbolischen Zeichen aber, die uns in der Sprache, im Mythos, in der Kunst entgegentreten, ‚sind‘ nicht zuerst, um dann, über dieses Sein hinaus, noch eine bestimmte Bedeutung zu erlangen, sondern bei ihnen entspringt alles Sein erst aus der Bedeutung. Ihr Gehalt geht rein und vollständig in der Funktion des Bedeutens auf. Hier ist das Bewußtsein, um das Ganze im Einzelnen zu erfassen, nicht mehr auf die Anregung des Einzelnen selbst, das als solches gegeben sein muss, angewiesen, sondern hier erschafft es sich selbst bestimmte konkret-sinnliche Inhalte als Ausdruck für bestimmte Bedeutungskomplexe“.

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II. Schematismus als modale Versinnlichung

eine Dimension des Gebrauchs zur Schau stellt, der sich abbildend, zeichenhaft und symbolisch in der Sprache artikulieren kann. Der Schematismus als Versinnlichung ermöglicht die Gestaltung von Bedeutung, in der nur heuristisch zwischen Gestalten und deren jeweiligem Gebrauch unterschieden werden kann. Der Schematismus ist somit ein regelförmiges Bestimmungsverfahren, das sich für die Hervorbringung neuer Bedeutungen symbolischer Prozesse, für die Erkenntnis aber empirischer Beweise und sinnlicher Konstruktionen bedient. Für den diskursiven Zugang zur Begrifflichkeit und insbesondere der reinen Begrifflichkeit der Wissenschaften, der Fachsprachen und der Philosophie hingegen bedient es sich der Sprache.

S chlusswort und Ausblick

Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, die Schematismuslehre Kants als transzendentale Theorie der Bedeutung aufzuzeigen. Die Verwendung des Schema-Begriffs sollte hervorgehoben und dabei zugleich abgegrenzt werden von den anderen Verwendungen dieses Begriffs in der Philosophiegeschichte, welche in einigen Fällen zwar dessen Vermittlungsfunktion erkennen, sie jedoch nicht mit der transzendentalphilosophischen Bestimmung dieses Prozesses in Verbindung bringen, was sich hingegen als unerlässlich erwiesen hat, wenn im Schematismus die Bedingung der Bedeutungsgebung gesehen werden soll. Drei zentrale Überlegungen haben zu dieser Schlussfolgerung geführt. Zuerst wurde die Schematismuslehre Kants als Bedingung der Entstehung von Bedeutung untersucht. Hierbei wurde insbesondere Kants Darstellungstheorie in Betracht gezogen, die sich als schematisch, symbolisch und schematisch ‚ohne Begriff‘ entfaltet und vom Bezeichnungsvermögen unterschieden wird. Ziel dieses Abschnittes war es, die Bestimmungsfunktion mit symbolischen und rein expressiven Prozessen in Verbindung zu bringen, womit gleichzeitig die transzendentale Funktion eines zeichenhaften Prozesses für die Entstehung der Bedeutung aufgezeigt wurde. Die Verbindung zwischen schematischen und symbolischen Prozessen sowie die gestalterische Funktion der Sprache und der Sinnlichkeit wurden in der Nachfolge Kants zu Themen der Revision seiner Sprach- und Erkenntnistheorie; das zu zeigen war das zweite Hauptanliegen der Arbeit. Trotz der Hervorhebung der unterschiedlichen Interessen der behandelten Autoren habe ich sie als ein Prisma der Umgestaltung der Schematismuslehre Kants in dem Versuch gelesen, die interne Spannung zwischen Schemata und Schematismus in die Richtung des Verhältnisses von Gestalten und ihren Ge­ brauchsweisen sowie der Hervorhebung der transzendentalen Gestaltungsfunktion der Sinnlichkeit zu verschieben. Dieser Aspekt steht im Zentrum des dritten Abschnitts der Arbeit, in dem ich die Versinnlichung vom Embodiment abgrenze und meinen eigenen Ansatz des Schematismus als Versinnlichung erkläre.

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Schlusswort und Ausblick

Auf diesem Weg konnte gezeigt werden, dass die Bedeutung im Schematismus in zweierlei Hinsicht zur Gestaltung kommt: als Gestalten sind die Schemata einerseits die sinnlichen Vermittlungsformen der Bedeutung, als Gestaltung anderseits ist der Schematismus der Gebrauch dieser sinnlichen Gestalten. Der Schematismus erscheint somit insgesamt als Versinnlichung, die einerseits die Gestalten (Bild, Figur und Wortlaut) sowie anderseits ihre transzendentalen Gebrauchsweisen (zeichenhaft, symbolisch und expressiv) umfasst. Die Gestalten sind nur in ihrer Anschaulichkeit potentielle Formen der Bedeutung, die in der Aktualisierung der Gebrauchs- und Interpretationspraktiken zur Erfassung gelangen. Die Bedeutung ist somit eine Synthesis zwischen Gestalten und Gebrauchsweisen. Mit der so verstandenen Theorie der Versinnlichung geht eine Kritik der Medialität einher, d.h. eine Kritik der unterschiedlichen Modalitäten, durch welche die Bedeutungserfahrung sich realisiert. Die Bedeutung erscheint durch die sinnlichen Modalitäten im empirischen Gebrauch: Kraft des sinnlichen Charakters dieser Vermittler ist es möglich, den Gebrauch zu hinterfragen, der von den Modalitäten gemacht wird. Dass die Bedeutung erfasst wird, sollte kein Grund sein, nicht über ihre eigene Strukturierung nachzudenken, die im Gegenteil ein Reservoir von gestalterischen Möglichkeiten bietet, welche die Form unserer Bedeutungsgebung ändern können. Diese Versinnlichungslehre bezieht somit die Bedeutung nicht primär auf den Gegenstand der Darstellung, sondern auf die Gestaltung selbst. Es geht dabei nicht um die Erfassung des Gegenstandes der Darstellung, sondern um die Modalität der Darstellung. Dieser Aspekt wird oft ausgeblendet, als ob Erkenntnis und Denken primär auf die inhaltliche Erfassung der Gegenstände unserer Versinnlichung gerichtet seien; im Gegenteil ist die Versinnlichung selbst konstitutiv für unsere Bedeutungserfahrung. Wir erleben alltäglich, dass die Modalität unserer Versinnlichung ein wesentlicher Teil unserer Bedeutungserfahrung ist. In einem Streit finden wir oft nicht dessen Gegenstand selbst, sondern die Art und Weise, wie sich die andere Person uns gegenüber verhält, störend; in der Kunst lassen wir uns von der ‚Art‘ überzeugen, wie auch bereits lang bekannte, universelle Themen versinnlicht werden; und viele der Begegnungen mit Menschen anderer Kulturkreise hinterlassen in uns den Eindruck, dass wir den Gegenstand ihrer Rede vielleicht erfasst haben, die Denkweise der anderen Kultur hingegen noch nicht – ein Prozess, der mit Humboldt auch auf die Denkstile und Charaktere der Sprache bezogen werden kann. Die Semantik ist daher nicht nur inhaltlicher, sondern auch modaler Natur: Bedeutung hängt nicht nur vom Gehalt, sondern von den Modalitäten ihrer Versinnlichung ab. Diesen Aspekt der Bedeutung hat die vorliegende Arbeit gezielt beleuchtet, ohne dabei jedoch auf der Ebene einer empirischen Beschreibung der genannten Phänomene stehen zu bleiben. Sie hat dabei die transzendentale Strukturierung dieser Versinnlichung her­

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Schlusswort und Ausblick

vorgehoben, ohne dabei die Unbestimmtheit der empirischen Erfahrung zu leugnen. Eine Kritik der Medialität kann insofern als das systematische Ergebnis dieser Untersuchung angesehen werden, weshalb abschließend auf mögliche Anwendungsfelder hingewiesen werden soll, welche die kritische Stoßrichtung veranschaulichen und zugleich als Ausblick auf verbleibende Probleme einer Theorie der Versinnlichung dienen können. Ein Anwendungsfeld der Versinnlichungstheorie besteht in der im weitesten Sinne pädagogische Methodik, da mit ihr die Vermittlung von Bildern, Figuren und Wortlauten in Bezug auf die Konstruktion, die Darstellung und den Ausdruck von Wissen, diskursiven Begriffen und Gefühlen angesprochen ist. So ließe sich etwa an eine ausgleichende Verwendung rein diskursiver Darstellungsformen in Anbetracht des Übergewichts der Bilder und Diagramme im Rahmen der Wissensvermittlung denken. Gerade weil Bilder nicht alle diskursiven Sachverhalte zur Darstellung bringen können, ist es wichtig, nicht den Eindruck zu erwecken, Bilder stünden für die Realität unseres Denkens.1 Im Gegenteil kann die Abstraktionsfähigkeit der Sprache gerade als kritische Einstellung zum vermeintlich gegeben Charakter der Realität und als gestalterisches Medium der intersubjektiven Kommunikation hervorgehoben werden, ohne dabei zu vergessen, dass von jeder sinnlichen Gestalt unterschiedlich Gebrauch gemacht werden kann. Im pädagogischen Rahmen sollte also die Grenze zwischen Figurativem und Diskursivem gewahrt bleiben, was nicht bedeutet, dass auf die Verwendung von figurativen Schemata ganz zu verzichten wäre. Die Aufmerksamkeit sollte jedoch auf der Frage liegen, inwieweit Schemata Organisations- und Versinnlichungsstrukturen sind, die sowohl Bestimmungsformen als auch analogische Übertragungen ermöglichen, weshalb wir schon als Kinder erfahren können, dass unsere Versinnlichung ein Prozess des Lernens, der Revision und der Erweiterung von Bedeutung ist. Durch eine Kritik der Medialität gelangt man meines Erachtens auch zur Bestimmungen der für die Konstruktion von Wissen und Modellen geeigneten sinnlichen Prozesse und Modalitäten.2 1

2

Dazu siehe Brandt, 2008, S. 35f.: „Das optisch Wahrnehmbare sagt für sich gar nichts, wenn es nicht mithilfe vorhergehender Gedanken und Erkenntnisse erkannt wird. […] Die Kompetenz der Bilder wird zu Lasten der Begriffe und der sprachlichen Erkenntnis überschätzt. In den Schulen führen sie, wenn die begriffliche Arbeit nicht auf das Bilderbegucken folgt, zur Infantilisierung, wie der Markt es sich wünscht. Bilder haben rhetorische Funktionen, sie sollen den Käufer hin zum Kauf der Ware führen, Bilder sind suggestiv, sie machen uns glauben, wir hätten irgend etwas erkannt“. Zur Anwendung der Schemata im Sinne des problem solving siehe die ausführliche Untersuchung von Marshall (1995), die den Schema-Begriff Kants insbesondere mit den psychologischen Studien von Bartlett und Piaget vergleicht und auf die Konstruktion von Modellen und Diagrammen bezieht. Siehe dazu auch Desideri 2016.

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Schlusswort und Ausblick

Die Kritik der Medialität – die unter Rückgriff auf Peirce und Dewey systematisch zu vertiefen wäre – kann außerdem auf die Kunst bezogen werden, um in ihr die Modalitäten des sinnlichen Ausdrucks zu unterscheiden und zu analysieren. Diese heuristische Untersuchung der Modalitäten der künstlerischen Handlung sollte nicht nur als eine bloße Zergliederung ihrer Elemente, sondern als Möglichkeit zur Potenzierung der Versinnlichungsmodalitäten und -prozesse aufgefasst werden, zu denen die Kunst freien Zugang hat. Somit könnte die Versinnlichungsaufgabe der Kunst erneut unterstrichen werden, wenn diese in der Darstellung die Bedeutung selbst transformiert und neu erzeugt und somit wiederum als Beispiel für die Wahrnehmung dienen kann. Der exemplarische Charakter des Kunstwerks richtet sich dabei nicht primär auf die Bedeutung als Gegenstand, sondern auf seine Versinnlichungskraft.3 Eine dritte und letzte Anwendung der Versinnlichungslehre, die ich andeuten möchte, besteht in der Möglichkeit, eine systematische Untersuchung von Entwurfsprozessen vorzunehmen, die aus mehreren Medien bestehen. Der architektonische Entwurfsprozess ist dafür paradigmatisch. Die Anwendung von Diagrammen in der Architektur ist zum Beispiel ein Mittel, um durch figürliche Visualisierung einen Entwurf zu schaffen, der als ‚Schema‘ des Werks fungiert. Es ist hier nicht möglich, die etablierte Verwendung des DiagrammBegriffs in der Architektur näher zu untersuchen, die nicht unumstritten ist. Die Versinnlichungslehre bietet die Möglichkeit, den konstruktionalen Charakter des Diagramms zu untersuchen, um dabei diejenigen Aspekte hervorzuheben, die empirisch prüfbar und mathematisierbar sind und im Diagramm zur Bestimmung gelangen können, gleichzeitig jedoch auch Aspekte auszumachen, die sich dieser Diagrammatisierung entziehen – wie etwa diskursive, historische oder rein subjektive Wahrnehmungen, die gegebenenfalls anderer Versinnlichungsmodalitäten des Entwerfens wie etwa einer literarischen oder rein expressiven Gestaltung bedürfen. Dies sind lediglich drei denkbare Anwendungen einer Kritik der Medialität, deren Kern die transzendentale Umgestaltung der Schematismuslehre Kants darstellt. Als transzendentale erhebt sie den Anspruch, in der Untersuchung der verschiedenen Versinnlichungsmodalitäten und -prozesse nicht reduktionistisch zu verfahren. Wenn sie als Versinnlichung bestimmt wird, soll dies gerade nicht heißen, sie erschöpfe sich in einer empirischen Synthesis. Die Versinnlichung ist transzendentale Bedingung der Verkörperung und als solche Grundlage des ästhetischen Experimentierens wie auch der semantischen Fülle.

3

In diese Richtung kann auch der Versuch von Boehm verstanden werden, der die Lesart von Bildern als reine ‚Linearität‘ in Frage stellt – als einer Lesart, die nur bestimmende und keine symbolischen oder rein expressiven Aspekte des Linienzugs und des Bildes aktualisiert (Boehm 1988, S. 67).

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P ersonenregister

Abel, Günter 7, 14, 168, 282, 287, 319f., 326 Achermann, Eric 208f. Adickes, Erich 48, 132, 146f. Adler, Hans 128, 215, 217, 221, 227, 231, 235, 244 Adorno, Theodor W. 33 Albano Leoni, Federico 72 Allison, Henry E. 70, 93, 112, 140 Ameriks, Karl 22, 58 Aportone, Anselmo 22, 38, 142, 146 Arens, Katherine 217 Aristoteles 2, 39, 70, 99, 136, 142, 181, 258, 276, 305 Asmuth, Christoph 272, 319 Atlas, Samuel 195, 198, 201 Auerbach, Erich 4 Bahr, Petra 29 Battaglia, Fiorella 55 Bayer, Oswald 23 Becker, Ferdinand 246 Becker, Ralf 156 Beiser, Frederick C. 183, 198 Bennett, Jonathan 22, 74, 86, 90, 104f. Bertinetto, Alessandro 272 Bertram, Georg W. 23, 218, 224, 242 Betz, John R. 209 Bloch, Ernst 197 Boehm, Gottfried 313f., 316, 334 Böhme, Gernot 111 Bondeli, Martin 206 Bondì, Antonino 290 Borsche, Tilman 23, 213, 219, 224, 228, 239, 243, 252, 255 Borutti, Silvana 3, 143

Brandi, Cesare 22, 135, 317–319 Brandt, Reinhard  55, 176, 333 Bredekamp, Horst  4, 21, 312 Butts, Robert E.  22, 86, 92, 117 Buzaglo, Meir  193 Capozzi, Mirella  22, 28, 38, 47, 69, 91, 97f., 124, 130, 168, 170, 250 Caravaggio  324 Casewitz, Michel  3 Cassirer, Ernst  21f., 27, 31, 49, 87, 93, 99, 114, 148, 181, 184, 188, 191, 197, 205f., 214, 239, 247f., 252, 290f., 328 Catoni, Maria Luisa  3f., 4, 21, 312 Chiodi, Pietro  22, 67, 74, 78 Chipman, Lauchlan  22, 102 Coseriu, Eugenio  248, 277, 327 Dascal, Marcelo  109 Davidson, Donald 6–8 Deleuze, Gilles 40, 165, 188 De Mauro, Tullio 170 Desideri, Fabrizio 2, 284, 333 Di Cesare, Donatella 23, 171, 249, 255, 258–260, 262 Dow Magnus, Kathleen 274 Düsing, Klaus 22, 74, 99, 136 Eco, Umberto 1, 6, 22, 48f., 88, 104f., 108f., 111, 113f., 126, 133, 135, 282 Ehrensperger, Florian 198 Ehrlich, Avraham 198 Ehrsam, Raphaël 112, 127 Engstler, Achim 183, 188 Erdmann, Benno 65 Eschbach, Achim 276 Eschbach-Szabo, Viktoria 276 Esser, Andrea Marlen 165

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Personenregister

Ferron, Isabella 252, 262 Fichte, Johann Gottlieb 2, 40, 141, 182f., 188, 228, 246f., 272 Flach, Werner 36, 108 Forgione, Luca 107, 113, 170 Formigari, Lia 22f., 170, 234, 238, 308 Forster, Michael N. 23, 170, 211, 213, 218, 230, 237f., 242f., 263, 275 Fortuna, Sara 22, 108, 116, 163, 168f., 175, 224, 235f., 239, 283 Freudenthal, Gideon 188 Gaier, Ulrich 23, 210, 214, 216f., 217, 226, 231, 234, 239 Garroni, Emilio 22, 113, 129, 162 Gasché, Rodolphe 24, 61, 88, 158 Gasperoni, Lidia 90, 191–193 Gessinger, Joachim 23, 235f., 269, 276 Gibbons, Sarah L. 22, 57, 74, 77, 114 Ginsborg, Hannah 110 Goethe, Johann Wolfgang von 245, 290f. Goodman, Nelson 312, 316 Grüne, Stephanie 22, 114, 141 Guyer, Paul 22, 48, 64, 103, 142 Haag, Johannes 22, 64, 74, 103, 106, 113–116, 141 Hamann, Johann Georg 15, 18f., 39, 42, 65, 116, 131f., 170, 183f., 206–214, 218, 256, 258, 263 Hanna, Robert 22, 82, 84 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 15f., 18–20, 40, 132, 148, 175, 184–186, 203, 236f., 243f., 249, 262–278, 282, 288, 294, 300 316–318, 323, 327 Heidegger, Martin 14, 21, 27, 59, 74f., 87, 93, 107, 113, 141, 148, 289 Heidemann, Dietmar 22, 83 Heinz, Marion 220, 225 Hepfer, Karl 64, 74 Herder, Johann Gottfried 1, 15f., 18–20, 22f., 39–42, 62, 65f., 83, 113, 116, 132, 142, 147f., 158f., 162, 182, 184f., 206, 212–245, 247–249, 257f., 264, 267–270, 272, 276, 285, 287–292, 295f., 300, 307, 317 Hermann, Theo 1, 5, 20 Herz, Andreas 242 Herz, Marcus 187–189, 195 Hilmer, Brigitte 215, 224f., 258 Hogrebe, Wolfram 12f., 22, 30, 90, 92, 129, 141, 171, 195, 311 Hohenegger, Hansmichael 113 Hoyos, Luis Eduardo 197f.

Humboldt, Wilhelm von 14–16, 18–20, 22, 79, 81, 115f., 132, 134, 175, 181, 184, 186, 203, 236, 244–263, 268, 273–276, 288, 290, 295, 316–318, 328, 332 Husserl, Edmund 4f., 99, 208, 290 Ingarden, Roman 2, 4f., 90, 92, 323f. Jacobi, Friedrich Heinrich 39, 164, 182, 210 Jacobs, Noah Jonathan 193, 195 Jäger, Ludwig 318 Johnson, Mark 2, 20, 24, 234, 244, 284, 296, 299–307, 312 Jung, Tobias 5 Kauferstein, Christian 193, 197 Kaulbach, Friedrich 22, 34, 79f., 114, 137, 158 Kim, Dae Kweon 235f. Krämer, Sybille 86, 118, 120–122, 287, 310, 315f. Krois, John Michael 135, 290f., 315 Kuße, Holger 255, 262 Lakoff, George 2, 20, 24, 159, 184, 234, 244, 257, 284, 296, 299–303, 307, 312 Lallot, Jean 3 Lamacchia, Ada 22, 130, 133, 135f., 148, 154 Lambert, Johann Heinrich 29 La Rocca, Claudio 47, 53, 106, 111, 141, 149, 166, 175 Leibniz, Gottfried Wilhelm 39, 47f., 71, 98, 130, 136, 157, 191, 195–197, 201, 220f. Leiner, Yann Philipp 235, 242–244 Lenk, Hans 1, 5, 29, 150, 241, 269 Leonardo da Vinci 323f. Longuenesse, Béatrice 22, 67, 74, 89, 95, 130, 275 Lo Piparo, Franco 276 Magritte, René 326 Maimon, Salomon 15, 18f., 22, 40f., 62, 112f., 142, 147f., 159, 162, 183, 187–207, 211, 213, 228, 231, 240, 249, 260, 263, 282, 307 Majetschak, Stefan 212 Makkreel, Rudolf A. 22, 87, 96, 101, 112, 131, 133f., 159f., 163, 168, 283 Makowiak, Alexandra 79, 134 Maly, Sebastian 157, 161 Manco, Francesca 154 Marconi, Diego 6, 85f. Marshall, Sandra P. 1, 333 Maurer, Michael 224, 236f. McCumber, John 265, 275 McDowell, John 7, 56, 82f., 299 Meier-Oeser, Stephan 160

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Personenregister

Meinhold, Peter 211 Meo, Oscar 132, 157 Merleau-Ponty, Maurice 72, 244, 295–299, 312 Metz, Wilhelm 184 Mörchen, Hermann 22, 73f., 76f., 118, 148 Moiso, Francesco 197 Nawrath, Thomas 154, 170 Nietzsche, Friedrich 161, 259 Noë, Alva 151, 298f. Nuzzo, Angelica 24, 48, 56f., 215, 231, 265, 300 Obergfell, Frank 4, 22, 92, 99, 110, 117 Oschmann, Dirk 24, 60f., 285, 287 Otto, Stephan 46, 60, 77, 107, 113, 164 Paci, Enzo 74, 148 Paltrinieri, Gian Luigi 171 Paton, Herbert J. 133 Pendlebury, Michael 37 Pénisson, Pierre 238f., 243 Peruzzi, Alberto 34 Petitot, Jean 290 Pikler, Julius 291 Pippin, Robert B. 22, 90, 102f., 105f., 142, 145 Plessner, Helmuth 20, 66, 72, 244, 259, 284, 289–299, 308, 311f., 314 Poser, Hans 326 Posner, Roland 320 Pozzo, Riccardo 129, 171 Prauss, Gerold 54, 257 Quillien, Jean 185 Quine, Willard van Orman 7, 211 Reinhold, Carl Leonhard 39, 182, 187, 246 Riedel, Manfred 22, 140, 161, 176 Rolf, Eckard 157, 161, 171f., 203, 322 Roscher, Rainhard 252 Rothko, Mark 315, 324 Rumerlhart, David 5, 304 Russo, Marco 296 Salvucci, Pasquale 148 Sánchez Léon Serrano, José Maria de 274 Sandkaulen, Birgit 263

Scaravelli, Luigi 72 Schaper, Eva 127 Schechter, Oded 198 Scheider, Helmut 238 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 122, 182 Schmidt-Burkhardt, Astrit 316 Schönrich, Gerhard 22, 171 Schulthess, Peter 145f. Senderowitcz, Yaron 109 Sgarbi, Marco 98, 145 Shell, Susan Meld 24, 57 Siemek, Marek 272 Simon, Josef 12, 22f., 38, 105–107, 115, 208, 210f., 250, 263, 265, 274, 277, 326 Simon, Ralf 23, 215f., 224–226, 228, 233 Stegmaier, Werner 1f., 7, 20, 310 Steinby, Liisa 230f., 240 Stetter, Christian 23, 233, 245, 248, 254, 257, 260, 314–317 Sturm, Thomas 66 Strawson, Peter Frederik 64, 282 Svare, Helge 24, 48, 55f., 117, 300 Tani, Ilaria 235, 238 Taylor, Charles 217 Tonelli, Giorgio 98 Trabant, Jürgen 8, 23, 182, 225, 232, 234, 236, 245, 252–255, 257, 261, 268, 273f. Vaihinger, Hans 39f., 53, 200 Verra, Valerio 193 Villers, Jürgen 22, 42, 98, 170, 209 Vorderobermeier, Konrad 141 Wagner, Astrid 108, 164, 166 Warnock, Geoffrey J. 102, 107 Weishoff, Axel 210 Wittgenstein, Ludwig 11, 90, 105, 109, 163, 310, 321f. Wunsch, Matthias 48, 74, 77, 96 Yakira, Elhanan 197 Zammito, John H. 58, 242f. Zeuch, Ulrike 235, 239, 242 Ziglioli, Lucia 276

Actus et I mago Berliner Schriften für Bildaktforschung und Verkörperungsphilosophie Herausgegeben von Horst Bredekamp und Jürgen Trabant Bilder sind keine Abbilder, sondern erzeugen im Bildakt, was sie darstellen. Sie verfügen über eine handlungsstiftende Kraft und wirken selbst lebendig. Bildkompetenz lässt sich keineswegs ausschließlich aus der traditionell überbewerteten Visualität des Menschen ableiten: Menschen reagieren auch deshalb auf Bilder, weil ihr unbewusstes neurologisches Körperschema, das aus der Integration taktiler, propriozeptiver, vestibulärer, visueller und akustischer Informa­ tio­nen entsteht, durch Bildschemata affiziert wird. Diese neuere Erkenntnis der Kognitionswissenschaften entspricht älteren Vorgaben der Verkörperungsphilosophie, die eine genuine Tradition im europäischen Sprachraum hat. In den Studien der Reihe „Actus et Imago“ wird eine Bild- und Verkörpe­ rungstheorie entwickelt, die in der Lage ist, Bildproduktion, Bildverstehen und Bildakte zu erklären. Im Ausgang vom belebten Leib leisten sie einen Beitrag zum Verständnis des menschlichen Reflexionsvermögens, das sich in ikoni­schen wie sprachlichen Formen und Interaktionen verkörpert.

In der Reihe sind bereits erschienen: Band 1

Sehen und Handeln hrsg. von Horst Bredekamp und John M. Krois ISBN 978-3-05-005090-4

Band II

John Michael Krois. Bildkörper und Körperschema hrsg. von Horst Bredekamp und Marion Lauschke ISBN 978-3-05-005208-3

B a n d I I I Thomas Gilbhard Vicos Denkbild. Studien zur „Dipintura“ der „Scienza Nuova“ und der Lehre vom Ingenium ISBN 978-3-05-005209-0

B a n d I V Stefan Trinks Antike und Avantgarde. Skulptur am Jakobsweg im 11. Jahrhundert: Jaca – León – Santiago ISBN 978-3-05-005695-1

Band V

Das bildnerische Denken: Charles S. Peirce hrsg. von Franz Engel, Moritz Queisner und Tullio Viola ISBN 978-3-05-005696-8

B a n d V I Verkörperungen hrsg. von André L. Blum, John M. Krois und Hans-Jörg Rheinberger ISBN 978-3-05-005699-9

B a n d V I I Das haptische Bild. Körperhafte Bilderfahrung in der Neuzeit hrsg. von Markus Rath, Jörg Trempler und Iris Wenderholm ISBN 978-3-05-005765-1

Band VIII

John Bender und Michael Marrinan Kultur des Diagramms übers. von Veit Friemert

Band IX

Bodies in Action and Symbolic Forms. Zwei Seiten der Verkörperungstheorie hrsg. von Horst Bredekamp, Marion Lauschke und Alex Arteaga



ISBN 978-3-05-006140-5

Band X

Ulrike Feist Sonne, Mond und Venus. Visualisierungen astronomischen Wissens im frühneuzeitlichen Rom



ISBN 978-3-05-006365-2

Band XI

Paragone als Mitstreit hrsg. von Joris van Gastel, Yannis Hadjinicolaou und Markus Rath



ISBN 978-3-05-006425-3

Band XII

Bildakt at the Warburg Institute hrsg. von Sabine Marienberg und Jürgen Trabant



ISBN 978-3-11-036463-7

978-3-05-005765-1

B a n d X I I I Robert Felfe Naturform und bildnerische Prozesse. Elemente einer Wissensgeschichte in der Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts

ISBN 978-3-11-036455-2

B a n d X I V Carolin Behrmann Tyrann und Märtyrer. Bild und Ideengeschichte des Rechts um 1600

ISBN 978-3-11-036350-0

B a n d X V Das Entgegenkommende Denken hrsg. von Franz Engel und Sabine Marienberg ISBN 978-3-11-043956-4

B a n d X V I Formwerdung und Formentzug hrsg. von Franz Engel und Yannis Hadjinicolaou

ISBN 978-3-11-043847-5

B a n d X V I I Andreas Plackinger Violenza. Gewalt als Denkfigur im michelangelesken Kunstdiskurs ISBN 978-3-11-040346-6

B a n d X V I I I Yannis Hadjinicolaou Denkende Körper – Formende Hände. Handeling in Kunst und Kunsttheorie der Rembrandtisten

ISBN 978-3-11-0403885-7