Verschulden im Steuerrecht: Eine Untersuchung zu Vorsatz und Fahrlässigkeit im formellen und materiellen Steuerrecht, exemplarisch vertieft anhand des Einkommensteuergesetzes [1 ed.] 9783428462896, 9783428062898

140 109 14MB

German Pages 145 Year 1987

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Verschulden im Steuerrecht: Eine Untersuchung zu Vorsatz und Fahrlässigkeit im formellen und materiellen Steuerrecht, exemplarisch vertieft anhand des Einkommensteuergesetzes [1 ed.]
 9783428462896, 9783428062898

Citation preview

Schriften zum Steuerrecht

Band 32

Verschulden im Steuerrecht Eine Untersuchung zu Vorsatz und Fahrlässigkeit im formellen und materiellen Steuerrecht, exemplarisch vertieft anhand des Einkommensteuergesetzes

Von

Dr. Werner Barwitz

Duncker & Humblot · Berlin

WERNER BARWITZ

Verschulden im Steuerrecht

Schriften zum Steuerrecht Band 32

Verschulden im Steuerrecht Eine Untersuchung zu Vorsatz und Fahrlässigkeit im formellen und materiellen Steuerrecht, exemplarisch verdeft anband des Einkommensteuergesetzes

Von

Dr. Wemer Barwitz

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Barwitz, Wemer: Verschulden im Steuerrecht: e. Unters. zu Vorsatz u. Fahrlässigkeit im formellen u. materiellen Steuerrecht, exemplar. vertieft anhand d. Einkommensteuergesetzes I von Wemer Barwitz. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1987. (Schriften zum Steuerrecht; Bd. 32) ISBN 3-428-06289-2

NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1987 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hermann Hagedorn GmbH & Co, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06289-2

Vorwort In der zivil- und strafrechtlichen Dogmatik hat sich mittlerweile weithin die Erkenntnis durchgesetzt, daß Vorsatz und in besonderem Maße Fahrlässigkeit als Zurechnungsmodi im Sinne einer verschuldensabhängigen Verantwortlichkeit ihrem Inhalt nach weniger von semantischen oder formalen Kriterien beeinflußt werden dürfen, sondern sich auszurichten haben nach "der Ordnungsaufgabe und der Funktion der Rechtsfolgenorm" (Erwin Deutsch). Diese Erkenntnis auch für den Bereich des öffentlichen Rechts - hier am Beispiel des Steuerrechts - fruchtbar zu machen, ist das Ziel dieser Untersuchung über das "Verschulden im Steuerrecht". Die Arbeit wurde Ende September 1986 abgeschlossen und im Wintersemester 1986/87 von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg als Dissertation angenommen. Sie wurde betreut von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Jakob, dem ich für weiterführende Anregungen und hilfreiche Hinweise danke. Ferner gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert, der mir als Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl während des Entstehens der Arbeit den nötigen Freiraum und jegliche Unterstützung angedeihen ließ, meinem Kollegen Herrn Akad. Rat Roland Jüptner für vielerlei konstruktive Kritik sowie anregende Gespräche und nicht zuletzt Frau Ursula Derakhchan für sorgfaltigste Betreuung des Manuskripts. Werner Barwitz

Inhaltsübersicht

Einführung

l3

Erster Teil Überblick über die zur Untersuchung gelangenden Normen des Steuerrechts, bei deren Anwendung Verschuldensfragen Bedeutung erlangen

A. Bestimmungen aus dem Bereich des materiellen Steuerrechts

14 14

I. Einkommensteuerrechtliche Normen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .

14

II. Bestimmungen der Abgabenordnung über das Steuerschuldrecht ... . .

14

B. Steuerverfahrensrechtliche Normen der Abgabenordnung .. . . . . . . . . . . . . . .

15

c. Bestimmungen des finanzgerichtlichen Verfahrensrechts .................

15

Zweiter Teil Grundsätzliches zu Begriff und Inhalt des VerschuIdens in den (traditionellen) Rechtsgebieten des Zivil- und Strafrechts

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht

17 18

I. Allgemeines ..................................................

18

1. Der Normbestand des BGB ..................................

18

2. Der Geltungsbereich des §276BGB ...........................

18

II. Vorsatz.......................................................

19

1. Definition .................................................

19

2. Intellektuelle Vorsatzelemente ................................

20

3. Voluntative Vorsatzelemente .................................

21

III. Fahrlässigkeit .................................................

21

1. Die Funktion der Fahrlässigkeit im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

8

Inhaltsübersicht

2. Der Streit um die erforderliche Sorgfalt - das zentrale Problem der zivilrechtlichen Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gründe fiir die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der zu wahrenden Sorgfalt ...................................... b) Der Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die sogenannte "subjektive Lehre" - Fahrlässigkeit als individueller Vorwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die sogenannte "objektive Lehre" - Fahrlässigkeit als objektiviertes (typisiertes) Verschulden. . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Differenzierende Betrachtung der erforderlichen Sorgfalt nach dem jeweiligen Zweck der Verschuldensnorm ...... dd) Zur Individualbetrachtung drängende Gesichtspunkte . . . . ee) Grobe Fahrlässigkeit als qualifizierte Form der Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22 22 23 23 24 27 32 33

B. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Strafrecht ....................

37

I. Allgemeines ..................................................

37

1. Der Normbestand des Strafgesetzbuchs ........................

37

2. Folgerungen fiir die strafrechtliche Verschuldensdogmatik ........

38

11. Vorsatz............................................... . . . ..... 1. Vorsatz als Element des subjektiven Tatbestands ................

38 38

2. Vorsatz als Kategorie der Schuld (sog. Vorsatzschuld) ............

39

III. Fahrlässigkeit .................................................

41

1. Fahrlässigkeit als Unrechtsmerkmal ........................... 2. Fahrlässigkeit als Element der Schuld (sog. Fahrlässigkeitsschuld) . .

42 42

3. Die sachliche Rechtfertigung der DoppelsteIlung der strafrechtlichen Fahrlässigkeit ..............................................

43

4. Differenzierung nach Fahrlässigkeitsgraden .....................

44

C. Ergebnis der Betrachtung von Verschuldensfragen des Zivil- und Strafrechts

45

Dritter Teil Grundsätzliches zur Auslegung und Anwendung von Verschuldensnormen im Steuerrecht A. Zur Möglichkeit einer einheitlichen Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 47

I. Der Wortlaut des Gesetzes als Auslegungskriterium ................

47

1. Die Terminologie der Verschuldensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

2. Steuerrechtliche Fahrlässigkeit und "Einheit der Rechtsordnung" ..

49

11. Die Auslegung nach dem Zweck steuerlicher Verschuldensnormen ...

54

1. Der hohe "Bedarf" an Teleologie bei der Auslegung von Zurechnungs-

normen des Steuerrechts ....................................

54

Inhaltsübersicht

9

2. Notwendigkeit der differenzierenden Betrachtung steuerlicher Verschuldensnormen nach ihrer Zugehörigkeit zu den Teilgebieten des materiellen Steuerrechts, des Verwaltungsverfahrensrechts sowie des Finanzprozeßrechts .........................................

56

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts ...........

59

I. Zurückhaltende Verwendung von Verschuldensnormen durch den Steuergesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

11. Rechtsfragen des vorsätzlichen Verhaltens .........................

60

III. Rechtsfragen der Fahrlässigkeit insbes. im Hinblick auf die in Steuerangelegenheiten zu wahrende Sorgfalt ................................

62

1. Untauglichkeit des Maßstabs der (zivilrechtlichen) diligentia quam in

suis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2. Zur Sachgerechtigkeit generalisierender und individueller Sorgfaltsanforderungen im Steuerschuldrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unmaßgeblichkeit der Fahrlässigkeitsbegriffe des Zivil- und Strafrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kein strafahnlicher Charakter steuerschuldrechtlicher Rechtsfolgen ................................................... c) Zur Hafttiefe steuerschuldrechtlicher Rechtsbeziehungen . . . . . . d) Steuerliche Fahrlässigkeit im Blickwinkel des Prinzips der Steuergerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Veranlassung und Verschulden (insbes. Fahrlässigkeit) als Zurechnungselemente im Rahmen der Feststellung steuerrechtlicher Leistungsfähigkeit ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines ....................................... bb) Veranlassung als Kausalzurechnung zur beruflichen! betrieblichen Sphäre ................................ Steuerliche Fahrlässigkeit im Blickwinkel der Einfachheit der Rechtsanwendung ....................................... g) Zur Möglichkeit einer Entlastung aufgrund individuellen Unvermögens bei der Feststellung grober Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . h) Ergebnis ...............................................

o

3. Zur Zulässigkeit der Ermittlung steuerlicher Fahrlässigkeit im Wege der typisierenden Betrachtungsweise .......................... a) Ausgangslage und "Typisierungsbedarf' .................... b) Notwendigkeit zur Herstellung größtmöglicher Konkordanz von Legalität und Praktikabilität .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 63 64 65 66 68 73 73 74 82 85 86 86 86 87

C. Verschulden im steuerlichen Verwaltungsverfahrensrecht .................

89

I. Vorsatz................................................... . ...

89

11. Fahrlässigkeit und gebotene Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

1. Unbrauchbarkeit des Maßstabs der eigenüblichen Sorgfalt ........

90

2. Zur Sachgerechtigkeit individueller bzw. generalisierender Sorgfaltsanforderungen ..............................................

90

10

Inhaltsübersicht a) Folgerungen aus der dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrensrechts im Hinblick auf die Verwirklichung des materiellen Rechts................................................. b) Rechtssicherheit und Fahrlässigkeitsmaßstab ................ c) Zur Unverträglichkeit eines personalen Sorgfaltsmaßstabs mit der Zurechnung des Verschuldens eines steuerlichen Beraters ... . . d) Notwendigkeit einer subjektiven Betrachtung zum Schutz des rechtsunkundigen Steuerpflichtigen? ....................... e) Objektive Beurteilung der groben Fahrlässigkeit .............

90 91 92 94 95

3. Zulässigkeit der typisierenden Feststellung verfahrensbezogener Fahrlässigkeit ..................................................

95

D. Verschulden im Finanzprozeßrecht ...................................

96

I. Vorsatz.......................................................

96

II. Fahrlässigkeit und Sorgfaltsmaßstab ..............................

96

1. Zur Angemessenheit individueller bzw. objektiver Sorgfaltsanforderungen .................................................... a) Prozessuales Verschulden im Brennpunkt zwischen materialer Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit ................. b) Zurechnung eines Vertreterverschuldens und Sorgfaltsmaßstab . . . c) Zum Schutzbedürfnis des prozessual unerfahrenen Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unzulässigkeit einer typisierenden Fahrlässigkeitsfeststellung . . . . . .

96 96 97 98 98

Vierter Teil

Die Verschuldensnormen im einzelnen Darstellung unter Bildung von Fallgruppen

100

I. Fallgruppe: Verschuldensfragen an der Nahtstelle zwischen steuerrechtsrelevanter Sphäre undPrivatsphäre - zur Abzugsfähigkeit aufschuldhaftes Verhalten zurückzufiihrender Aufwendungen als Werbungskosten! Betriebsausgaben und außergewöhnliche Belastungen im Einkommensteuerrecht ...................................................

100

1. Abzugsfähigkeit von Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben trotz schuldhafter Verursachung? .................................. a) Problemstellung......................................... b) Werbungskosten und Betriebsausgaben als verschuldensindifferente Größen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verschulden und Zwangsläufigkeit außergewöhnlicher Belastungen . . . a) Zur "Verortung" des Verschuldens im Tatbestand des § 33 EStG .. b) Zwangsläufigkeit bei fahrlässigem Verhalten des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100 100 101 102 102 103

Inhaltsübersicht

11

11. Fallgruppe: Haftung für Schädigungen des Steuergläubigers bei Verletzung steuerlicher Rechtspflichten ...............................

106

1. Haftung des Steuerpflichtigen nach §§69, 72AO ................

a) Rechtsnatur der Haftung ................................. b) Normzweck der Haftungstatbestände ....................... c) Verschulden ............................................

106 106 107 107

2. Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers nach § 42 d EStG . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur der Haftung ................................. b) Normzweck der Lohnsteuerhaftung ........................ c) Verschuldenserfordernis und Verortung des Verschuldens ..... d) Objektivierter Fahrlässigkeitsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

110 110 110 110 112

III. Fallgruppe : Rechtsfolgen der Verletzung von steuerverfahrensrechtlichen Rechtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

1. Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 152 AO) ..............

a) Rechtsnatur ............................................ b) Normzweck ............................................ c) Entschuldbarkeit und Fahrlässigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113 113 113 113

2. Möglichkeit eines Haftbefehlsantrags zum Vollstreckungsgericht bei unentschuldigtem Fernbleiben des Vollstreckungsschuldners im Termin zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (§ 284 Abs.7 Satz 1 AO) ................................................. a) Regelungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parallelregelung in §901 ZPO ............................. c) Unentschuldigte Säumnis des Vollstreckungsschuldners .......

115 115 115 115

IV. Fallgruppe: Verstöße gegen steuerverfahrensrechtliche Obliegenheiten. . .

116

1. Ausschluß der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verschulde-

ter Fristversäumnis, § 110 Abs.1 Satz 1 AO .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur und Normzweck der Wiedereinsetzung .......... b) Fristgerechtes Handeln als Obliegenheit des Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausschluß der Wiedereinsetzung bei schuldhafter Verspätung. .

2. Ausschluß einer Änderung von Steuerbescheiden zugunsten des Steuerpflichtigen, wenn diesen am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen oder Beweismittel ein grobes Verschulden trifft, § 173 Abs.1 Nr.2 Satz1 AO ............................................. a) Rechtsnatur und Normzweck ............................. b) Rechtzeitiges Vorbringen steuermindernder Tatsachen oder Beweismittel als Obliegenheit des Steuerpflichtigen .......... c) Grobes Verschulden des Steuerpflichtigen .................. aa) Meinungsstand zur groben Fahrlässigkeit. . . . . . . . . . . . . . . bb) Zur Begründung und Kritik eines subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs ...................................... cc) Die Argumente Eggesieckers ......................... dd) Objektivierte Sorgfaltsanforderungen als sachgerechter Zurechnungsmaßstab ...............................

116 116 116 117

118 118 119 119 119 120 121 122

12

Inhaltsübersicht 3. Rücknehmbarkeit eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Begünstigten von dessen Rechtswidrigkeit, § 130 Abs.2 Nr. 4 2. Alt. AO .................. a) Rechtsnatur und Normzweck ............................. b) Grobe Fahrlässigkeit und Sorgfaltsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123 123 123

V. Fallgruppe: Zuwiderhandlungen gegen finanzprozessuale Mitwirkungspflichten .....................................................

125

1. Rechtsnatur und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

2. Schuldhaftes Ausbleiben des Verpflichteten ....................

125

VI. Fallgruppe: Verstöße gegen finanzprozessuale Obliegenheiten ........

126

1. Ausschluß der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verschuldeter Fristversäumung, § 56 Abs. 1 FGO .........................

126

2. Zulässigkeit der Auferlegung von Prozeßkosten bei verschuldetem prozessualem Fehlverhalten eines Beteiligten, §§ 135 Abs. 4, 137 FGO a) Rechtsnatur und Normzweck ............................. b) Verschulden des Beteiligten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zum Verschuldenserfordernis ........................ bb) Fahrlässigkeit und Sorgfaltsmaßstab ...................

126 126 127 127 127

3. Verletzung von prozessualen Obliegenheiten nach dem Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFG EntlG) ......................................... a) Rechtsnatur und Normzweck ............................. b) Von den Präklusionsvorschriften erfaßtes Fehlverhalten ....... c) Zum Fahrlässigkeitsmaßstab in Art. 3 §3 VGFG EntiG ....... d) Zum Fahrlässigkeitsmaßstab in Art. 3 §7 Abs.2 VGFG EntiG ...

129 130 130 130 131

Fünfter Teil Ergebnisse

133

Literaturverzeichnis

136

Einführung Während sich im Zivil- und Strafrecht Zurechnungsfragen fahrlässiger oder vorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung bzw. Tatbegehung eingehender und nachhaltiger Diskussion erfreuen, führen sie im Steuerrecht bislang ein Schattendasein, das allenfalls blitzlichtartig und zumeist kasuistisch im Bereich einiger weniger Normen l beleuchtet worden ist. In Anbetracht der Tatsache, daß Verschuldensprobleme an durchaus exponierten und für die Rechtspraxis bedeutsamen Stellen 2 des Steuerrechts auftreten, muß dies als Mangel empfunden werden. Diese Arbeit soll ein Versuch sein, das Defizit an Grundsätzlichem hinsichtlich Funktion und Inhalt des Verschuldens im Steuerrecht zu vermindern. Nach einer Auflistung der zu untersuchenden Steuerrechtsnormen (Erster Teil) und einer Tour d'horizon über die Zurechnungssysteme des Zivil- und Strafrechts (Zweiter Teil) folgt im dritten Teil eine nach den Teilmaterien des materiellen Steuerrechts - beschränkt auf den Bereich des Einkommensteuergesetzes und den steuerschuldrechtlichen Teil der Abgabenordnung -, Verwaltungsverfahrensrechts und des finanzgerichtlichen Verfahrensrechts differenzierende teleologische Betrachtung der Verschuldensprobleme, wobei den Rechtsfragen der Fahrlässigkeit, insbes. der zu beachtenden Sorgfalt, besondere Aufmerksamkeit gilt. Ein vierter Teil ist der Verprobung der gewonnenen Erkenntnisse anhand der einzelnen Normsituationen gewidmet. Nicht behandelt werden Rechtsprobleme schuldhaften Verhaltens im Sinne der steuerstraf- und bußgeldrechtlichen Vorschriften des achten Teils der Abgabenordnung, da diese Bestimmungen kraft der Verweisung in § 369 Abs. 2 AO auf das Vorliegen strafrechtlicher Schuld abstellen.

1 Etwa bei §§ 4 Abs. 4,9 Abs. 1 Satz 1 EStG schuldhaft verursachte Aufwendungen als Betriebsausgaben/Werbungskosten - oder §§ 110, 173 AO. 2 Hier sei nur auf die steuerlichen Haftungstatbestände und die "Zwangsläufigkeit" außergewöhnlicher Belastungen hingewiesen.

Erster Teil

Überblick über die zur Untersuchung gelangenden Normen des Steuerrechts, bei deren Anwendung Verschuldensfragen Bedeutung erlangen A. Bestimmungen aus dem Bereich des materiellen Steuerrechts:

Hierbei sollen nicht umfassend Verschuldensfragen sämtlicher Einzelsteuergesetze dargestellt werden - dies würde den Ertrag dieser Untersuchung auch nicht erheblich vermehren - , sonderp. unter Beschränkung auf die materiellrechtlichen Regelungen des Einkommensteuergesetzes und der Abgabenordnung die Frage nach dem Inhalt steuerrechtlichen Verschuldens gestellt werden. I. Einkommensteuerrechtliche Normen: Fraglich ist hier die Abzugsfahigkeit schuldhaft herbeigeführter Aufwendungen als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) bzw. Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Ähnlich stellt sich die Frage, ob durch schuldhaftes Verhalten entstandene Aufwendungen eines Steuerpflichtigen zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 1,2 Satz 1 EStG und damit als außergewöhnliche Belastungen abzugsfahig sein können. Im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Inanspruchnahme des Arbeitgebers zur Haftung im Lohnsteuerabzugsverfahren nach § 42 d EStG hat die Frage, ob der Arbeitgeber die Lohnsteuer schuldhaft nicht oder zu niedrig einbehalten hat, erhebliche Bedeutung. 11. Bestimmungen der Abgabenordnung über das Steuerschuldrecht: § 69 Satz 2 AO statuiert die steuerliche Haftung von Vertretern, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in folge "vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten" nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.

Eine Haftung bei Verletzung der Pflicht zur Kontenwahrheit in vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Weise ordnet § 72 AO an.

c.

Bestimmungen des finanzgerichtlichen Verfahrensrechts

15

B. Steuerverfahrensrechtliche Normen der Abgabenordnung: I. Nach § 110 AO hindert Verschulden bei der Einhaltung einer gesetzlichen Frist die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. 11. Im Rahmen der Änderung von Verwaltungsakten sieht das Gesetz in zwei Fällen Rechtsnachteile bei Verschulden des Steuerpflichtigen vor: § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO erlaubt die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte u.a. dann, wenn die Rechtswidrigkeit (scilicet des Verwaltungsaktes) dem Begünstigten infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO hindert "grobes Verschulden" des Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen und Beweismitteln, die zu einer niedrigeren Steuer führen, eine Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen. IH. Von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist nach § 152 Abs. 1 Satz 2 AO abzusehen, wenn die Versäumnis (bei der Abgabe einer Steuererklärung) entschuldbar erscheint. IV. § 169 Abs.2 Satz 2 AO ordnet an, daß die Festsetzungsfrist im Falle leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, bei (vorsätzlicher) Steuerhinterziehung zehn Jahre beträgt. Da diese Vorschrift, was das Verschulden angeht, tatbestandlich Schuld i.S. der steuerstraf- und bußgeldrechtlichen Nonnen der §§ 369 ff. AO voraussetzt, wird sie im Rahmen dieser U ntersuchung nicht behandelt. V. Bleibt der Vollstreckungs schuldner ohne ausreichende Entschuldigung dem Tennin zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung fern, so läßt § 284 Abs. 7 Satz 1 AO ein Ersuchen zum Amtsgericht um Anordnung der Erzwingungshaft zu. VI. Rechtsfragen im Zusammenhang mit Verschulden i.S. der §§ 369 ff. AO bleiben als strafrechtliche Materie bei dieser Untersuchung außer Betracht. C. Bestimmungen des finanzgerichtlichen Verfahrensrechts:

I. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 FGO kann gegen einen ehrenamtlichen Richter, der sich ohne genügende Entschuldigung zu einer Sitzung nicht rechtzeitig einfindet, ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. , H. § 56 Abs. 1 FGO, der § 110 Abs. 1 Satz 1 AO in seinem Regelungsinhalt entspricht, schließt für den Bereich des gerichtlichen Verfahrens die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei schuldhafter Versäumung der Frist aus. III. § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO regelt, daß bei schuldhaftem Ausbleiben eines Beteiligten von der mündlichen Verhandlung trotz Anordnung des persön-

16

1. Teil: Überblick über die zu untersuchenden Verschuldensnormen

lichen Erscheinens das Gericht das bereits angedrohte Ordnungsgeld festsetzt. IV. Nach § 135 Abs. 4 FGO können die Kosten eines erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens insoweit nicht der Staatskasse auferlegt werden, als sie durch das Yerschulden eines Beteiligten entstanden sind. Gemäß § 137 FGO können einem Beteiligten die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn ihm ein schuldhaftes prozessuales Fehlverhalten zur Last fällt. V.

Schließlich stellt das VGFG EntlG in seinem (hier nur interessierenden) Artikel 3 in zwei Fällen auf Verschuldensfragen ab: Gern. Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFG EntlG dürfen verspätet vorgebrachte Erklärungen und Beweismittel dann vom Gericht zurückgewiesen werden, wenn - neben weiteren Voraussetzungen - der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Ein Antrag auf Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über Aussetzung der Vollziehung nach§ 69 Abs. 3 FGO aufgrund von Umständen, die bereits im ursprünglichen Verfahren gegeben waren, kann nach Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFG EntlG erfolgreich auf diese Umstände nur gestützt werden, wenn sie damals ohne Verschulden nicht geltendgemacht worden sind.

Zweiter Teil

Grundsätzliches zu Begriff und Inhalt des Verschuldens in den (traditionellen) Rechtsgebieten des Zivil- und Strafrechts Die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf die Erfahrungen und Erkenntnisse, welche in den genannten Rechtsgebieten hinsichtlich der Auslegung und Anwendung von Verschuldensnormen vorliegen, ergibt sich nicht bereits aus einem Gebot der übereinstimmenden Auslegung gleichlautender Rechtsbegriffe, wie etwa "Fahrlässigkeit" in den verschiedenen Rechtsgebieten 1. Indes gibt es mehrere Gründe, die solches Vorgehen veranlassen. Das materielle Zivil- wie auch das Strafrecht sind Rechtsgebiete, die eine lange Entwicklungsgeschichte aufweisen. Dies gilt nicht zuletzt für Verschuldensfragen des Zivilrechts und Probleme der strafrechtlichen Schuld. Nicht nur durch gesetzgeberische Akte, auch und vor allem aufgrund lebhafter Auseinandersetzungen in der Literatur, haben sich in diesen Rechtsgebieten zu Verschuldensfragen Strukturen gebildet, die heute weithin Zustimmung erfahren und deshalb als relativ gesicherter Bestand für Auslegungsfragen in anderen Rechtsgebieten nutzbar gemacht werden können. Auch enthält das Zivilrecht als maßgebliche Sorgfaltsmaßstäbe im Rahmen der Fahrlässigkeitsprüfung mit den §§ 276 BGB ("die im Verkehr erforderliche Sorgfalt"), 277 BGB (culpa in concreto, diligentia quam in suis), 347 HGB ("Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns") und weiteren Normen mehr gesetzliche "Substanz" als die zur Untersuchung kommenden steuerrechtlichen Verschuldensnormen. Schließlich erscheint das Eingehen auf die zivil- und strafrechtlichen Verschuldensfragen auch deshalb erforderlich, weil in den einschlägigen Stellungnahmen zu den steuerrechtlichen Verschuldensfragen in der Regel die Erkenntnisse aus diesen Rechtsgebieten zugrunde gelegt werden und, davon ausgehend, vor allem im Rahmen der Prüfung, ob fahrlässiges Verhalten gegeben ist, die Frage diskutiert wird, welcher Verschuldensbegriff - der zivilrechtliche oder der des Strafrechts - im Steuerrecht der geeignete sei.

1 Bereits an dieser Stelle sei auf die geringe Tragfähigkeit des Postulats von der "Einheit der Rechtsordnung" hingewiesen.

2 Barwitz

18

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht I. Allgemeines

1. Der Normbestand des BGB Die Bestimmungen des BGB sind, was Fragen des Verschuldens anbelangt, lückenhaft. Zwar regelt das Gesetz im allgemeinen, ob Verschulden Voraussetzung für den Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge ist, soweit es jedoch um die Frage geht, welches Verhalten letztlich als schuldhaft anzusehen ist, gibt das BGB nur unvollständig eine Antwort: Die §§ 276, 277 BGB gelten nach der Gesetzessystematik des BGB nur für Verschuldensfragen im Rahmen von Schuldverhältnissen, sie bestimmen, welches Verhalten ein Schuldner "zu vertreten" hat, nämlich grundsätzlich "Vorsatz und Fahrlässigkeit" (§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dabei verwendet das Gesetz die Begriffe des Vertretenmüssens und des Verschuldens durchaus nicht synonym, das BGB kennt daneben, wie §§ 279,459 i.V.m. 462 BGB beispielsweise zeigen, ebenso Fälle, in denen der Schuldner auch unverschuldete Umstände zu vertreten hat. Für die hier nur interessierende Frage nach dem Inhalt zivilrechtlichen Verschuldens bleibt festzuhalten, daß der Gesetzgeber, wenn er den Oberbegriff des Verschuldens verwendet, darunter Vorsatz und Fahrlässigkeit als Verschuldensformen versteht. Während sich eine Definition des Vorsatzes im BGB nicht findet, handelt nach der Bestimmung des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB fahrlässig, "wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt". Diesen Grundsatz, daß auf die verkehrserforderliche Sorgfalt abzustellen ist, durchbricht das Gesetz in einer Reihe von Normen, nach denen die Beachtung derjenigen Sorgfalt, die der Schuldner in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt ("culpa in concreto", "diligentia quam in suis")2 genügt, sofern kein Fall grober Fahrlässigkeit gegeben ist (§ 277 BGB).

2. Der Geltungsbereich des § 276 BGB Die Bedeutung des § 276 BGB, insbesondere der Definition des Abs. 1 Satz 2, ist nicht auf das Recht der vertraglichen Schuldverhältnisse beschränkt. So findet der Fahrlässigkeitsbegriff des § 276 BGB Anwendung im Rahmen des 2 Eine solche den Schuldner privilegierende Haftungsbeschränkung gilt nach § 690 BGB für die Haftung des unentgeltlichen Verwahrers, nach § 708 BGB für die Haftung des Gesellschafters einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, nach § 1359 BGB für die Haftung von Ehegatten hinsichtlich ihrer aus dem Eheverhältnis folgenden Pflichten, nach § 1664 Abs.1 BGB für die Haftung der Eltern gegenüber ihren Kindern bei Ausübung der elterlichen Sorge, nach § 2131 BGB für die Haftung des Vorerben gegenüber dem Nacherben sowie nach § 1 d Abs. 2 AbzG für die Haftung des Abzahlungskäufers.

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht

19

mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannten 3 Rechtsinstituts des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo)4 und im Bereich der deliktischen HaftungS, soweit diese nicht als verschuldensunabhängige Oefährdungshaftung, wie beispielsweise die Haftung des Tierhalters nach § 833 BOB ausgestaltet ist. 11. Vorsatz Vorsätzliches Verhalten als Verschuldensform hat im Zivilrecht eine ungleich geringere Bedeutung als im Strafrecht. Während § 15 StOB die Strafbarkeit grundsätzlich nur bei vorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung vorsieht, genügt im Bereich des Zivilrechts im allgemeinen 6 vorsätzliche oder fahrlässige Tatbestandsverwirklichung für den Eintritt der Rechtsfolge. Demgemäß haben Abgrenzungsfragen insbesondere zwischen bedingt vorsätzlichem und bewußt fahrlässigem Verhalten in der zivilrechtlichen Judikatur und Literatur nicht eine so heftige Diskussion wie im Strafrecht? erfahren. 1. Definition Eine Begriffsbestimmung des Vorsatzes findet sich im BOB nicht, jedoch besteht Einigkeit, daß Vorsatz bewußte und gewollte Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale bedeutet 8 .

Dazu Palandt-Heinrichs, 45. Aufl., Anm. 6 A zu § 276 BGB mit Nachweisen. In BGHZ 6, 330, 333 heißt es zu den Voraussetzungen einer Haftung aus culpa in contrahendo: "Die Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluß ist eine solche aus einem in Ergänzung des geschriebenen Rechtes geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis, das aus der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entspringt und zur verkehrsüblichen Sorgfalt im Verhalten gegenüber dem Geschäftsgegner verpflichtet"; so auch BAGE 2, 217,219 . Wenn der BGH hier von der "verkehrsüblichen" Sorgfalt spricht, so ändert dies nichts daran, daß der Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB für anwendbar erklärt werden soll. S Beispielsweise nach §§ 823, 839 BGB, siehe dazu nur Mertens in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 43 zu § 823 BGB und Papier in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 243 zu § 839 BGB m.w.N. 6 Eine Ausnahme stellt insoweit z.B. § 826 BGB dar, der eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung voraussetzt. 7 Siehe dazu die Darstellung von Cramer in SchönkejSchröder, 22. Aufl., Rdnr. 68ff. zu § 15 StGB; Wetzet, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 69 hält dieses Abgrenzungsproblem für "eine der schwierigsten und umstrittensten Fragen des Strafrechts". 8 BGH NJW 1965, 962, 963, ständige Rechtsprechung; Hanau in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 49 zu § 276; Deutsch, Haftungsrecht, I S. 252; Larenz, Schuldrecht I, 13. Aufl., § 20 II S. 258; Reimer Schmidt in SoergeljSiebert, 10. Aufl., Rdnr. 2 zu § 276 BGB; unscharf Palandt-Heinrichs, 45. Aufl., § 276 Anm. 3a: "Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolges". 3

4



20

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

2. Intellektuelle Vorsatzelemente Das Wissenselement des Vorsatzes ist bereits dann gegeben, wenn der Handelnde die Tatbestandsverwirklichung als Folge seines HandeIns für möglich hält 9 . Das im Rahmen der intellektuellen Vorsatzelemente am häufigsten diskutierte Problem ist die Frage, ob neben der Kenntnis der Umstände, die den objektiven Tatbestand ausmachen, auch das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit (Pflichtwidrigkeit) erforderlich ist. Während der Gesetzgeber für den Bereich des Strafrechts diese Frage nunmehr in § 17 StGB mit seiner Regelung des Verbotsirrtums verneint und das Unrechtsbewußtsein dem Bereich der strafrechtlichen Schuld (i.S. des dreistufigen Deliktsaufbaus) zugeordnet hat (sog. Schuldtheorie), besteht im Zivilrecht eine positiv-rechtliche Regelung nicht. Nach einer Mindermeinung lO soll die Schuldtheorie auch im Zivilrecht Anwendung finden, die herrschende Ansicht vertritt den Standpunkt, daß für den Bereich des Zivilrechts im Grundsatz das Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit Bestandteil des Vorsatzes ist (sog. Vorsatztheorie)l1. Ausnahmen von der Vorsatztheorie sollen jedoch insoweit gelten, als im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB Vorsatz erfordernde Schutzgesetze aus dem Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht zur Anwendung kommen l2 , beim (subjektiven) Tatbestand der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung nach § 826 BGB das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit nicht verlangt wird 13 und nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht bei einem Verstoß gegen gemeinhin bekannte, grundsätzliche Rechtspflichten ein aktuelles Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit nicht notwendig ist 14. 9 Herrschende Ansicht, Staudinger-Löwisch, 12. Aufl., Rdnr. 13 zu § 276 BGB; Hanau in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 53 zu § 276 BGB. 10 BAGE 1, 69, 79f.; Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Halbband, 15. Aufl., § 210 I 2; Hanau in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 55 ff. zu § 276 BGB. 11 So RGZ 72, 4, 6 (Ausschließung aus einer Genossenschaft wegen Vertragsverletzung); RGZ 68, 431, 437f. (deliktische Haftung); BGHZ 67, 279, 280 (§ 640 Abs. 1 RVO); BGH NJW 1965,962,963; BGHZ 69, 128, 142 (Amtshaftung nach § 839 BGB); Larenz, Schuld recht 1,13. Aufl., § 20 II S. 259ff.; Jauernig-Vollkommer, 3. Aufl., Anm. II 1 a zu § 276 BGB; Palandt-Heinrichs, 45. Aufl., Anm. 3 b zu § 276 BGB; Reimer Schmidt in SoergeljSiebert, 10. Aufl., § 276 Rdnr. 11. 12 Siehe dazu Hanau in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 56 zu § 276 BGB mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum in Fußnote 120. 13 Hanau a.a.O. mit Rechtsprechungsnachweisen in Fußnote 118. Der BGH hat dies als Grundsatz auch für die Generalklausel des § 1 UWG ausgesprochen, in BGHZ 27,264, 273 heißt es: " ... ist im allgemeinen davon auszugehen, daß demjenigen, der in Kenntnis aller Tatumstände objektiv sittenwidrig im Sinne von § 1 UWG gehandelt hat, auch ein Verschulden trifft". 14 BGH NJW 1970, 1082; Jauernig-Vollkommer, 3. Aufl., Anm. II 1 a zu § 276 BOB; Palandt-Heinrichs, 45. Aufl., Anm. 3 b zu § 276 BGB.

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht

21

Ob aufgrund dieser Ausnahmen von der Vorsatztheorie das Postulat nach der uneingeschränkten Geltung der Schuldtheorie, verbunden mit einer typisierenden Betrachtungsweise bei der Vorsatzschuld 15, berechtigt ist, erscheint zumindest sehr zweifelhaft. Der Vorsatz setzt nun einmal Kenntnis und nicht KennenMüssen voraus und ist damit subjektiv angelegt. Im übrigen hat Deutsch 16 überzeugend unter Betonung des wertungsjuristischen Ansatzpunktes nachgewiesen, daß eine differenzierende Betrachtungsweise unter Berücksichtigung des jeweiligen Normzwecks geboten ist, um zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen. Es ist zwar richtig, daß mit der Lehre von der Unbeachtlichkeit eines auf "Rechtsblindheit" beruhenden Irrtums eine gewisse Objektivierung, Standardisierung des Vorsatzes erzielt wird, da diese jedoch nur einen kleinen Ausschnitt der denkbaren Fälle erfaßt, läßt sich daraus eine Forderung nach der generellen Übernahme der Schuldtheorie ins Zivilrecht nicht herleiten. 3. Voluntative Vorsatzelemente

Als voluntatives Element setzt der Vorsatz das Wollen der Tatbestandsverwirklichung voraus, wobei in Entsprechung zum Strafrecht es genügt, wenn der Handelnde die als möglich erkannte Tatbestandsverwirklichung (billigend) in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz). III. Fahrlässigkeit

1. Die Funktion der Fahrlässigkeit im Zivilrecht

Die Fahrlässigkeit stellt, soweit das Zivilrecht Rechtsfolgen von schuldhaftem Verhalten abhängig macht, also das Verschuldensprinzip gilt, sowohl nach den gesetzlichen Regelungen als auch in der Rechtspraxis den wichtigsten Zurechnungsgrund dar. Zurechenbarkeit bedeutet dabei die Feststellung der Verantwortlichkeit einer Person für ein bestimmtes Verhalten oder einen bestimmten Erfolg im Hinblick auf eine Rechtsfolge 17 • Das BGB läßt im Vertrags- wie im Deliktsrecht überwiegend seine Sanktionen bereits bei fahrlässigem Verhalten eintreten, schon daraus erklärt sich die Bedeutung dieser Verschuldensform 18.

So Geilen JZ 1964, 6, 8ff. Haftungsrecht I, S. 265 ff. 17 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 64; Larenz, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, S. 60ff. und passim. 18 Die zivilrechtliche Fahrlässigkeit wird im Rahmen dieser Untersuchung als Unterfall des Verschuldens angesehen; der vom BGH (Großer Senat in Zivilsachen) NJW 1957, 785, 786 und im Schrifttum vor allem von Nipperdey NJW 1957, 1777ff. vertretenen Ansicht, verkehrs richtiges Verhalten schließe bereits die Tatbestandsmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit aus, kann nicht gefolgt werden. Der BGH hat diese Rechtsprechung inzwischen auch stillschweigend wieder aufgegeben (siehe nur BGH NJW 1982, 1149,2155). 15

16

22

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

2. Der Streit um die erforderliche Sorgfalt das zentrale Problem der zivi/rechtlichen Fahrlässigkeit

a) Gründe für die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der zu wahrenden Sorgfalt Eine Ursache dafür ist zunächst in der Vielgestaltigkeit der Regelungen und Rechtsfolgen der Verschuldensnormen zu sehen. Es gibt keine Fahrlässigkeit "an sich", Bezugspunkt der Fahrlässigkeit ist der Tatbestand und die Rechtswidrigkeit seiner Verwirklichung 19 • Mit dieser Anknüpfung an heterogene Tatbestände und deren gleichfalls heterogene Rechtsfolgen erlangt die Fahrlässigkeit trotz der bündigen und prima facie auch griffigen Formulierung in § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB ("fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht läßt") verschiedene Gestalt: So ergeben sich beispielsweise aus fahrlässigem Verhalten Ansprüche auf Ausgleich von Vermögensschäden aus Vertrag oder Delikt (§§ 280, 286, 823 BGB), Ansprüche auf Entschädigung in Geld mit Genugtuungsfunktion (§ 847 BGB), Gestaltungsrechte zum Rücktritt vom Vertrag (§§ 325, 326 BGB), zur Anfechtung einer Willenserklärung (§ 123 Abs. 2 BGB) oder zur Kündigung einer Gesellschaft (§ 723 Abs. 1 Satz 2 BGB), der Ausschluß vom gutgläubigen Eigentumserwerb (§ 932 Abs. 2 BGB), Schadensersatzansprüche beim Rücktritt vom Verlöbnis (§§ 1298, 1299 BGB), die Beschränkung oder der Wegfall der Unterhaltsverpflichtung (§ 1611 Abs. 1 BGB, sogenanntes "sittliches Verschulden"). Der Gesetzesausleger des BGB kann sich bei der Anwendung von Verschuldensnormen nicht auf die Feststellung beschränken, der Gesetzgeber habe mit § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB ja eine abschließende Regelung getroffen, die nach der Gesetzessystematik zumindest für das gesamte Schuldrecht des BGB zu gelten habe. Zum einen wird bereits bestritten, daß § 276 BGB hinsichtlich der Fahrlässigkeit eine erschöpfende Regelung darstelle 20 , zum anderen würde ein solchermaßen gesetzespositivistisches Vorgehen den Weg zur erforderlichen Prüfung abschneiden, welcher Verschuldensmaßstab bei wertorientierter Betrachtungsweise 21 der einzelnen Verschuldensnorm angemessen ist. Angeführt werden muß hier auch die geschichtliche Entwicklung der Fahrlässigkeit und der erforderlichen Sorgfalt 22 • Die Entwicklungslinie des 19 Deutsch, Haftungsrecht I, S. 270; eine Ausnahme gilt bei der Verletzung von Obliegenheiten, dort kann von "Rechtswidrigkeit" nicht gesprochen werden. 20 So Nipperdey in NJW 1957, 1777, 1780f., der bei Wahrung der "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" davon ausgeht, daß das verkehrsrichtige Verhalten dem Rechtfertigungsgrund der Sozialadäquanz unterfalle und damit § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB für fahrlässiges Verhalten gar keine Verschuldensregelung enthalte: "Vielmehr ist der objektive Fahrlässigkeitsbegriff beim unvorsätzlichen Delikt mit der Rechtswidrigkeit identisch" (a.a.O. S. 1780). 21 Dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., S. 192ff.

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht

23

Fahrlässigkeitsmaßstabs weist nicht eindeutig in die objektive oder subjektive Richtung, sie verläuft, um bei der bildlichen Sprache zu bleiben, wellenförmig. Während im klassischen römischen Recht die Fahrlässigkeit (culpa) in einem objektiven Sinne verstanden wurde, gewann in der Nachklassik zunehmend der Gedanke der subjektiven Vorwerfbarkeit an Bedeutung 23 • Die anschließend einsetzende, bis heute anhaltende Gegenbewegung führt zurück zum Maßstab des diligens pater familias, darüber hinaus aber auch zur Standardisierung nach der professio 24 , die nunmehr u.a. im Handelsrecht ihren Niederschlag gefunden hat 25 . b) Der Meinungsstand Als kleinster gemeinsamer Nenner in der zivilrechtlichen Diskussion um die Fahrlässigkeit kann die Feststellung gelten, daß die Fahrlässigkeit wie der Vorsatz einen intellektuellen und einen voluntativen Teil enthält: Das intellektuelle Element besteht darin, daß die Tatbestandsverwirklichung für den Handelnden vorhersehbar war, das voluntative Element bedeutet, daß die Tatbestandsverwirklichung bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt auch vermeidbar war 26 . Die Kernfrage, welche Sorgfalt im Zusammenhang mit der Erkennbarkeit und Vermeidbarkeit zu wahren ist, wird unterschiedlich gelöst. aa) Die sogenannte "subjektive Lehre" Fahrlässigkeit als individueller Vorwurf Ein Teil des Schrifttums vertritt die Ansicht, Fahrlässigkeit bedeute einen Vorwurf an die konkrete Person und es sei deshalb bei der Frage eines Sorgfaltsverstoßes auf die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Handelnden abzustellen 27. 22 Auf die Rechtsgeschichte der Fahrlässigkeit kann hier nicht vertieft eingegangen werden; siehe dazu etwa Hübner, Subjektivismus in der Entwicklung des Privatrechts in: Festschrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag 1976, S. 715fT., insb. S. 731 fT. und ausführlich Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 9fT. 23 Hübner a.a.O. S. 732 m.N. 24 Hübner a.a.O. S. 732 hält es für bezeichnend, daß dieser am Beruf orientierte Sorgfaltsmaßstab gerade in der wirtschaftlich ausgerichteten Epoche der Kommentatoren entstanden ist. 2S SO z.B. in § 347 Abs. 1 HGB "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns", § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG "Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" , § 43 Abs. 1 GmbHG "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes". 26 BGHZ 39, 281, 285f.; BGH JZ 1954, 297; LaTenz, Schuldrecht 1,13. Aufl., § 20 III S. 261; Hanau in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 75 zu § 276 BGB; JauemigVollkommer, 3. Aufl., Anm. III 1 a zu § 276 BGB. 27 Brodmann AcP 99 (1906), 327fT., insb. 377ff.; Nipperdey NJW 1957, S. 1777fT. ordnet die Frage, ob die objektiv erforderliche Sorgfalt gewahrt wurde, also ein

24

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

Begründet wird die subjektive Lehre unterschiedlich: So wird gesagt, das subjektive Element dürfe aus dem Begriff der Sorgfalt nicht entfernt werden. Sorgfältig zu sein bedeute, sich so zusammenzunehmen, so aufmerksam zu sein, wie es dem normalen Typus eines Menschen entspricht. Naturgemäß sei das Verhaltensergebnis je nach Veranlagung und Fähigkeit des Einzelnen verschieden 28. Andere argumentieren, daß Fahrlässigkeit wie Vorsatz Schuldformen darstellten und nur ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab die Annahme eines "einheitlichen Schuldbegriffes" ermögliche 29 • Nipperdey hat aus der Verweisung des § 276 Abs. 1 Satz 3 BGB auf die Bestimmungen über die Deliktsfähigkeit in §§ 827, 828 BG B den Schluß gezogen, bereits aus dieser Regelung ergebe sich, daß das Gesetz auch im Rahmen der Fahrlässigkeit von einem individuell vorwerfbaren Verhalten als Haftungsvoraussetzung ausgehe 30 • Er ist der Ansicht, diese Verweisung ergebe keinen Sinn, wenn die subjektive Vorwerfbarkeit für das fahrlässige Verhalten keine Bedeutung habe.

bb) Die sogenannte "objektive Lehre" Fahrlässigkeit als objektiviertes (typisiertes) Verschulden Die Rechtsprechung des Reichsgerichts 31 und des Bundesgerichtshofs 32 ist der subjektiven Lehre nicht gefolgt, sie hält mit einem Großteil des Schrifttums 33 für den Bereich des Zivilrechts grundsätzlich einen objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab für sachgerecht. verkehrsrichtiges, "sozialadäquates" Verhalten gegeben ist, der Stufe der Rechtswidrigkeit zu, im Rahmen der Frage nach dem schuldhaft fahrlässigen Verhalten hält er die Prüfung, ob auch subjektiv (unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse des Handelnden) ein vorwerfbares Verhalten vorliegt, für erforderlich. Differenzierend geht Leonhard, Allgemeines Schuldrecht des BGB, S. 435ff. vor: Hinsichtlich der angesichts der Umstände des Einzelfalls erforderlichen Sorgfalt erkennt er die Berechtigung eines abstrakten (objektiven) Maßstabs an (S.440ff.), ein persönlicher (subjektiver) Maßstab müsse jedoch bei der Prüfung gelten, ob der Sorgfaltsverstoß den "Vorwurf eines sittlichen Fehlers" gegenüber dem Handelnden begründet. 28 Brodmann a.a.O., S. 380f. 29 Leonhard a.a.O., S. 435f., der dies auch rechtsethisch zu begründen versucht: "Wer eine Fahrlässigkeit ohne vorwerfbares Verhalten annimmt, für den kann das Schuldprinzip nichts als eine rein positive Vorschrift ohne ethische Rechtfertigung bedeuten". 30 A.a.O. (Fußnote 27) S. 1781 f. 31 RGZ 68, 422, 423; 95,16, 17f.; 152, 129, 140; 156, 34, 51; 163,200, 208f., st.Rspr. 32 BGHZ 5, 318, 319; 24, 21, 27 (Großer Senat in Zivilsachen); 39, 281, 283; 80, 186, 193; 87, 27, 35. Das Bundesarbeitsgericht hat in BA GE 5, 1, 18 (Großer Senat) offengelassen, ob nicht neben der (objektiven) Sorgfaltsverletzung zusätzlich noch individuelles Verschulden erforderlich ist. 33 Stathopoulos, Festschrift für Larenz zum 80. Geburtstag, S. 631 ff.; Buchner NJW 1967,2381 ff., insb. 2383f.; Palandt-Heinrichs, 45. Aufl., Anm.4 B a zu§ 276 BGB; Hanau

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht

25

Wichtig erscheint es, zunächst festzuhalten, daß auch die Vertreter eines objektivierten Fahrlässigkeitsbegriffes nicht hinsichtlich des zur Beurteilung anstehenden Sachverhalts typisieren, vielmehr die erforderliche Sorgfalt nach den Umständen des konkreten Falles bestimmt wird 34 . Die Individualität der objektiven Sachlage bleibt somit auch bei einer typisierenden Fahrlässigkeitsbetrachtung unberührt. Der entscheidende Unterschied zur subjektiven Lehre liegt darin, daß bei der Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt eine Abkoppelung von der Individualität des Handelnden stattfindet. Nicht die in Anbetracht der persönlichen Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse subjektiv mögliche Sorgfalt stellt den Maßstab dar, sondern es wird gefragt, welche Sorgfalt von einem (fiktiven) gewissenhaften Teilnehmer des Rechtsverkehrs in der fraglichen Situation erwartet werden konnte. Hat der Handelnde die solchermaßen standardisierte Sorgfalt nicht beachtet, so fällt ihm ein Sorgfaltsverstoß zur Last, auch wenn dieses Fehlverhalten darauf beruht, daß er kraft seiner ihm eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse selbst bei Anspannung aller Willenskräfte zu pflichtgemäßem Verhalten nicht imstande gewesen wäre. Die für die Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt maßgebende Bezugsperson (im römischen Recht der diligens pater familias, also der sorgsame

Hausvater) wird dabei nicht gleichsam für alle Lebenslagen einheitlich umschrieben, vielmehr findet, soweit dies möglich ist, eine Differenzierung nach zum Teil eng gefaßten Verkehrskreisen und nach Personengruppen statt 35 • Das Abstellen aufVerkehrskreise kann als konsequente Fortführung des Gedankens aufgefaßt werden, den der Gesetzgeber im Handelsrecht mit der Sorgfalt eines "ordentlichen Kaufmanns", ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" , "ordentlichen Geschäftsmannes" kodifiziert hat. Besondere Hervorhebung verdient - nicht zuletzt wegen erheblicher praktischer Bedeutung - das Abstellen auf die jeweiligen Berufskreise sowie die Bildung gesonderter Verkehrskreise für typischerweise besonders gefährliche Tätigkeiten 36 • in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 78ff. zu § 276 BGB; Jauernig-Vollkommer, 3. Aufl., Anm. III 2 b zu § 276 BGB. 34 In RGZ"147, 353, 356 heißt es dazu: "daß die im Verkehr erforderliche Sorgfalt um so größere Vorsichtsmaßnahmen erfordert, je größer die Gefahr ist, der begegnet werden soll, ist ein in der Rechtsprechung ... anerkannter Grundsatz". 3S Diese Differenzierung geht auf das Reichsgericht zurück, so z.B. RGZ 126, 329, 331 "Sorgfalt eines ordentlichen Schiffers", RGZ 95, 16, 18 "Kreis kleiner oder mittlerer Besitzer und Gewerbetreibender auf dem platten Lande". Der Bundesgerichtshof hat sich dem angeschlossen, z.B. BGHZ 5, 318 "Sorgfalt ... , die von tüchtigen, gewissenhaften Rennfahrern angewendet wird" und berücksichtigt bei der Gruppenbildung auch das Lebensalter; BGH LM § 276 (Be) BGB Nr. 2 spricht insoweit von der "typischen Verschiedenheit ganzer Altersklassen", in dieser Entscheidung werden die Kinder als Gruppe anerkannt. Weitere Nachweise aus der überaus zahlreichen Judikatur finden sich bei Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S.40ff. sowie bei Hanau in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 82 zu § 276 BGB.

26

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

Welchem Sorgfaltsstandard die Bezugsperson genügen soll, wird terminologisch nicht eindeutig beschrieben. So wird gesagt, der Standard richte sich nach dem, "was der normale und gesunde Verkehr erfordert"37, nach der Sorgfalt eines "durchschnittlich sorgfältigen" 38 , "durchschni ttlichen" 39 , "ordentlichen"40, "gewissenhaften und besonnenen"41 Angehörigen des maßgeblichen Verkehrskreises. Vorzugswürdig erscheint der Maßstab eines gewissenhaften, vernünftigen Verkehrsteilnehmers. Das Abstellen auf das "Normale", "Durchschnittliche" birgt die Gefahr in sich, daß der tatsächlichen Verkehrsübung eine normative Kraft beigemessen wird, die sie nicht hat und angesichts des normativen Maßstabs des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht haben darf. Die tatsächliche Übung kann einen Anhaltspunkt für die zu wahrende Sorgfalt abgeben 42 , andererseits entspricht aber die erforderliche nicht stets der im Verkehrskreis üblichen Sorgfalt, so daß eine von den Verkehrsteilnehmern mehrheitlich praktizierte "Unsitte" nicht maßstabbestimmend sein kann 43 . Zur Rechtfertigung des objektiven Sorgfaltsmaßstabs werden unterschiedliche Argumente vorgebracht. Die Entstehungsgeschichte des BGB ist dabei nur von beschränktem Aussagegehalt. Dies ergibt sich zum einen daraus, daß das Abstellen auf den "Willen des Gesetzgebers" nur eine von mehreren möglichen Auslegungsmethoden darstellt 44 , vor allem aber hat Erwin Deutsch 45 nachgewiesen, daß sich aus den Materialien zum BGB zwar Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die objektive Lehre der Intention des Gesetzgebers entspricht, letzte Klarheit sich jedoch daraus nicht gewinnen läßt. Am häufigsten wird argumentiert, die Anwendung eines objektiven Sorgfaltsmaßstabs sei aus Gründen des Vertrauensschutzes und zur Erzielung eines angemessenen Schadensausgleichs notwendig46 •

36 So z.B. RGZ 128, 39, 43: erhöhte Sorgfaltsanforderungen bei einer Treibjagd; BGHZ 5, 318, 319 (Autorennsport). 37 RGZ 95,16,17. 38 BGH NJW 1982, 1149 zur Sorgfalt eines Kraftfahrers. 39 BGH NJW 1976, 1504 zur Sorgfalt eines Kraftfahrers. 40 RGZ 58, 162, 164. 41 BGH VersR 1976, 775, 776 zur Sorgfalt eines Basketballspielers. 42 Entlastend wurde sie von BGHZ 65,304,308 berücksichtigt; nach RGZ 163, 129, 134 stellt sie einen "wertvollen Anhaltspunkt" dar. 43 BGHZ 8, 138, 140f. zur Praxis der Zahnärzte, mit ungesicherten Nervnadeln zu behandeln. 44 Dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., S. 302ff. 45 Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 15 ff. 46 Buchner NJW 1967, 2381, 2382; Staudinger-Löwisch, 12. Aufl., § 276 Rdnr. 16; Palandt-Heinrichs, 45. Aufl., Anm. 4 B a zu § 276 BGB; Jauernig-Vollkommer, 3. Aufl., Anm. III 2 b zu § 276 BGB.

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht

27

Nach Albrecht Zeuner 47 stehen sich dort, wo im Zivilrecht Verschuldensfragen auftreten, die Beteiligten typischerweise in gewissen "Rollen" gegenüber, er hält deshalb eine nach Lebensbereichen abstufende Objektivierung für sachgerecht. Diese Begründungen entbehren nicht der Plausibilität, jedoch begegnet die durchgehende Anwendung eines objektiven Sorgfaltsmaßstabs im gesamten Zivilrecht Bedenken: Die von der Argumentation her auf das vertragliche und deliktische Haftungsrecht ausgerichtete Ansicht vermag Besonderheiten der Interessenlagen bei familienrechtlichen Verschuldensfragen, aber auch Ausnahmen im Rahmen des Haftungsrechts 48 nicht zu erklären. cc) Differenzierende Betrachtung der erforderlichen Sorgfalt nach dem jeweiligen Zweck der Verschuldensnorm Nachdem, wie soeben dargelegt wurde, ein einheitlicher Sorgfaltsmaßstab für den gesamten Bereich des Zivilrechts nicht gelten kann, erscheint eine differenzierende Betrachtungsweise, die den Sorgfaltsmaßstab vom Gesetzeszweck ausgehend bestimmt, angemessen. Diese Lösung entspricht auch einer in der Literatur im Vordringen befindlichen, mittlerweile wohl überwiegend vertretenen Auffassung 49 • Die Rechtsprechung hat bislang zu dieser Sichtweise nicht ausdrücklich Stellung genommen, die beiden Entscheidungen des BGH, die hier herangezogen werden können, stehen aber, zumindest, was die Ergebnisse anbelangt, mit der differenzierenden Lehre in Einklang 50 . Einen erheblichen Beitrag zur Ermittlung des normadäquaten Fahrlässigkeitsmaßstabs hat Erwin Deutsch mit seiner Untersuchung "Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt" geleistet. Da sich aus dieser Arbeit Erkenntnisse darüber 47

iz 1966, 1ff. insb. S. 8.

So soll nach der herrschenden Ansicht die Frage eines individuellen Sorgfaltsverstoßes bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nach § 847 BGB und bei der Abwägung des beiderseitigen Mitverschuldens nach § 254 BGB zu beachten sein. 49 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 114; ders., Haftungsrecht I, S. 281 f.; Larenz, Über Fahrlässigkeitsmaßstäbe im Zivilrecht in: Festschrift für Walter Wilburg 1965, S. 129ff.; ders., Schuldrecht I, 13. Aufl., § 20 III S. 265f.; Ulrich Huber, Zivilrechtliche Fahrlässigkeit in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber, S. 253ff.; Reimer Schmidt in SoergeljSiebert, 10. Aufl., Rdnr. 15 zu § 276 BGB; Staudinger-Löwisch, 12. Aufl., Rdnr. 16 zu § 276 BGB. 50 So beschränkt der Beschluß des Großen Senats in Zivilsachen vom 4. März 1957 (BGHZ 24, 21 ff.) seine - als obiter dictum geäußerten - Bedenken gegen einen individuellen Beurteilungsmaßstab auf das "Haftungsrecht" , in BGHZ 39, 53 ff. wird für die Ausschließung aus einer Genossenschaft ein individueller Sorgfaltsmaßstab angelegt. Der Leitsatz lautet: "Verlangt die Satzung zur Ausschliessung eines Genossen eine schuldhafte Schädigung der Genossenschaft, so kann ein Vorstandsmitglied wegen Verletzung seiner Obliegenheiten nur dann ausgeschlossen werden, wenn ihm nach seinem Bildungsgrad und seinen persönlichen Fähigkeiten ein Verschulden zur Last fallt." Eine Begründung, weshalb hier individuelle Vorwerfbarkeit erforderlich ist, enthält die Entscheidung nicht. 48

28

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

gewinnen lassen, welche Wertungen jeweils zur Annahme eines objektivierten oder eines subjektiven Sorgfaltmaßstabs führen, erscheint es notwendig, zumindest die tragenden Gedanken hier zu skizzieren. Nach Deutsch hat die Fahrlässigkeit die Funktion eines Zurechnungsgrundes 51 , wobei die Zurechnung eine Verknüpfung zwischen einem Verhalten oder einem Erfolg und dem Willen einer Person herstellt und damit der Abgrenzung von zufälligem Geschehen dient. Er unterscheidet zwischen subjektiver und objektiver Zurechnung, dabei stellt er fest, daß die subjektive Zurechnung von der "individualistischen Existenz des Menschen" ausgeht, während bei der objektiven Zurechnung die "kollektivistische Existenz des Menschen" in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. Zwischen den Extremformen der streng subjektiven Zurechnung i.S. persönlicher Vorwerfbarkeit und einer weitreichenden objektiven Zurechnung, wie etwa dem Erfordernis adäquater Kausalität - die als Maßstab den mit einem Höchstmaß an Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestatteten "optimalen" Beobachter verwendet - sieht Deutsch Übergangsformen. Hierzu rechnet er die "Stufe der objektiv-typisierten Sorgfalt, welche hinsichtlich Erkenntnis, Vermeidung und Steuerung der Gefahr die nach dem Standard des allgemeinen oder besonderen Verkehrskreises vorausgesetzten Fähigkeiten zum Ausgangspunkt hat" 52. Dabei kommt Deutsch zur Erkenntnis, daß mit der beschriebenen Unterscheidung von Verantwortlichkeitskategorien erst etwas über die Methode der Zurechnung ausgesagt ist: "Die Arten der Zurechnung sind Kategorien der Rechtsordnung ohne eigenen materialen Gehalt. Die Zurechnungs lehre vermag nicht anzugeben, an welche Zurechnungsform eine bestimmte Rechtsfolge angeschlossen werden SOll"53. Die Beantwortung der Frage, ob die zur Prüfung anstehende Norm einen persönlichen Schuldvorwurfvoraussetzt oder ob objektiv-typisierte Fahrlässigkeit ausreichend ist, hängt nach Deutsch ab von der "Wertung der besonderen Interessenlage, die sich zunächst an den Wertvorstellungen des Gesetzes orientiert, ... letztlich aber von der Ordnungsaufgabe und der Funktion der Rechtsfolgenorm, also dogmatischen und rechtspolitischen Erwägungen"54. In der Folge untersucht Deutsch unter Bildung von Fallgruppen, die sich als Komplexe von Normen mit gleichen oder ähnlichen Ordnungsaufgaben darstellen und tatbestandlich Fahrlässigkeit als Zurechnungsform enthalten, welcher Sorgfaltsmaßstab der besonderen Funktion der Normen der jeweiligen Fallgruppe am besten entspricht.

Als eine Fallgruppe faßt er die fahrlässige Verletzung von Pflichten aus einem Schuldverhältnis auf, worunter die Erscheinungsformen der Unmöglichkeit und des Verzugs (§§ 275, 280, 284ff. 306ff., 323ff. BGB) sowie der positiven 51

Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 64ff.

52 A.a.O. S. 299. 53 54

A.a.O. S. 67. A.a.O. S. 299f.

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht

29

Forderungsverletzung fallen. Für diesen Komplex hält er grundsätzlich einen objektiven, nach dem Sorgfaltsstandard der Verkehrskreise differenzierenden Fahrlässigkeitsbegriff für sachgerecht, Ausnahmen sollen nur bei ausdrücklicher Bestimmung wie z.B. für die culpa in concreto gelten 55. Er begründet dies im wesentlichen mit dem Gesichtspunkt der Praktikabilität der gröberen Betrachtung, der geringeren Hafttiefe des Schuldverhältnisses, in das der Schuldner nicht mit seiner ganzen Individualität verstrickt sei, dem dadurch geschaffenen Ansporn, das Mindestmaß zu erreichen 56, dem Interesse an der Sicherheit des Rechtsverkehrs 57, sowie mit der Haftung für den Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB, die das Übergewicht der Gläubigerinteressen zum Ausdruck bringe 58 • Die nächste Fallgruppe bildet Deutsch aus Normen, die die fahrlässige Verletzung einer allgemeinen Rechtspflicht zum Gegenstand haben. Er untersucht die Frage nach der erforderlichen Sorgfalt exemplarisch für die Fälle der unerlaubten Handlung (§§ 823ff. BGB) und des grob fahrlässigen Erwerbs des unrechtmäßigen Besitzes an einer fremden beweglichen Sache (§§ 932, 937, 955, 990 BGB) und gelangt dabei zum Ergebnis, daß auch für diese Fallgruppe generell ein objektiver Sorgfaltsmaßstab entsprechend den Erfordernissen des engeren Verkehrskreises gerechtfertigt ist. Er begründet dies für den Bereich der unerlaubten Handlungen damit, daß auf diese Weise eine sozialgerechte Abgrenzung der Risikobereiche von Schädiger und Geschädigtem stattfinde 59, sowie mit dem Vertrauensgrundsatz im Rechtsverkehr, nach dem man in der Regel sich darauf verlassen dürfe, "daß im sozialen Verkehr mit der Sorgfalt ordentlicher Verkehrskreisangehöriger zu Werk gegangen wird" 60 • Differenzierend geht Deutsch bei der Schmerzensgeldregelung des § 847 BGB vor: Soweit der Schmerzensgeldanspruch die Funktion des Ausgleichs immateAa.O. S. 325. Aa.O. S. 304, das Kriterium der unterschiedlichen "Hafttiefe" von Rechtsbeziehungen übernimmt Deutsch von Heinrich Henkel, Recht und Individualität, S. 10f., 76ff. 57 Aa.O. S. 310. Deutsch befürchtet: "Die Exkulpation durch den persönlichen Fähigkeitsstand könnte in das Vertragsgeschäft eine erhebliche Unsicherheit hineintragen. Die künftigen Gläubiger würden auf Befähigungsnachweisen bestehen, Erfolgsgarantien verlangen oder auf Kosten der Schuldner oder ihrer Abnehmer in Versicherungen ausweichen". 58 A.a.O. S. 312. In der Tat wäre die garantieähnliche Einstandspflicht des § 278 BGB mit der Annahme eines individuellen Fahrlässigkeitsmaßstabs für Vertragsverletzungen nicht vereinbar. 59 Aa.O. S.327ff.; eine ausreichende Berücksichtigung der Individualität sieht Deutsch in der Bildung von Verkehrskreisen und Anerkennung von Personengruppen mit eigenen Sorgfaltsstandards (Jugendliche, alte Menschen), die hierin zum Ausdruck kommende "Beschränkung auf typische Besonderheiten" hält er für erforderlich. 60 A.a.O. S. 140. 55 56

30

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

rieller Schäden hat, soll eine nach objektivem Maßstab fahrlässige Verletzung der in § 847 Abs. 1 Satz 1 BGB aufgezählten Rechtsgüter genügen, soweit dagegen der Anspruch die Aufgabe erfüllt, dem Geschädigten Genugtuung wegen der eingetretenen Verletzung zu verschaffen 61 , hält er persönliche Vorwertbarkeit, im Rahmen der Fahrlässigkeit dementsprechend einen individuellen Sorgfaltsmaßstab für erforderlich. Maßgeblich sei dabei, daß das Interesse des Verletzten an Genugtuung, soweit es auf Vergeltung gerichtet sei, versage, wenn dem Täter sein Verhalten nicht vorgeworfen werden könne 62 . Im Rahmen der Frage der Gutgläubigkeit beim Erwerb des Besitzes (§§ 932 Abs. 2, 937 Abs. 2, 955 Abs. 1 Satz 2, 990 Abs. 1 Satz 1 BGB), bei der grobfahrlässige Unkenntnis des Erwerbers von der fehlenden Berechtigung eines Dritten einen gutgläubigen Eigentumserwerb ausschließt, ist nach Deutsch eine objektive Fahrlässigkeitsauffassung gerechtfertigt. Den Grund hierfür sieht er darin, daß zur Bestimmung der durch das Erhaltungsinteresse des Eigentümers bedingten Grenzen des Verkehrsschutzes ein objektiver Sorgfaltsmaßstab wegen der Festlegung des Verkehrskreises nach der Eigenart des Erwerbsgeschäfts und der Zugehörigkeit des Erwerbers zu einer bestimmten Gruppe von Verkehrsteilnehmern besonders geeignet ist 63 . Einen weiteren Normkomplex bildet Deutsch aus den Fällen der fahrlässigen Verletzung von Obliegenheiten. Unter Obliegenheiten versteht Deutsch im Anschluß an Reimer Schmidt 64 "die im eigenen und fremden Interesse auferlegten Pflichten minderer Intensität", die sich von Rechtspflichten dadurch unterscheiden, "daß kein Anspruch auf obliegenheitsgemäßes Verhalten besteht und daß die vollendete Obliegenheitswidrigkeit keinesfalls Schadensersatzansprüche auslöst, sondern nur zu anderen, dem Belasteten nachteiligen Rechtsfolgen führt, vor allem, daß entweder ein an sich dem Obliegenheitsbelasteten zustehendes Recht ganz oder teilweise nicht entsteht oder entfällt, oder daß einem anderen ein Recht zuwächst oder nicht verlorengeht"65. Er legt für die Fälle der §§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB (Erfordernis der Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern), 149 BGB (unverzügliche Anzeige des verspäteten Zugangs einer Annahmeerklärung), 122 Abs. 2 BGB (fahrlässige Unkenntnis des Anfechtungsgrundes), 179 Abs. 3 Satz 1 BGB (fahrlässige Unkenntnis vom Mangel der Vertretungsmacht), 307 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB (fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich der Unmöglichkeit der Leistung), 460 61 Diese sog. Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldanspruchs ist zwar umstritten, vom Bundesgerichtshof (Großer Senat in Zivilsachen) in BGHZ 18, 149, 155ff. jedoch ausdrücklich anerkannt worden. 62 Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 339. 63 A.a.O. S. 345. 64 Die Obliegenheiten, S. 315. 65 Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 348.

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht

31

Satz 2 BGB (grob fahrlässige Unkenntnis vom Mangel der Kaufsache) und 377 Abs. 1 HGB (unverzügliche Untersuchungs- und Rügepflicht beim Handelskauf) dar, daß insoweit ein objektiver Fahrlässigkeitsmaßstab der Interessenlage entspricht, wobei er dem Verkehrsschutz eine maßgebliche Rolle zuschreibt. Beim wichtigsten Beispiel der zivilrechtlichen Obliegenheiten, der Regelung über das Mitverschulden in § 254 BGB, ist nach Deutsch zu differenzieren. Soweit es um das "Ob" einer zurechenbaren Mitverursachung nach § 254 Abs. 1 oder des zurechenbaren Unterlassens einer Schadensabwendung oder -minderung geht, hält er im allgemeinen den objektiven, nach Verkehrskreisen und Personengruppen typisierenden Maßstab des deliktischen und vertraglichen Haftungsrechts auch hier für anwendbar 66 • Eine Berücksichtigung auch subjektiver Momente müsse jedoch im Ausnahmefall gelten, wenn die Frage auftritt, ob es dem Geschädigten zur Minderung eines Körperschadens zumutbar gewesen wäre, sich einer bestimmten Operation zu unterziehen. Den Grund dafür, daß in einem solchen Fall auch Eigenheiten der Person in Rechnung zu stellen sind, sieht Deutsch darin, daß eine solche Maßnahme unmittelbar in die körperliche Integrität eingreift. Im Rahmen der Frage des" Wie" der Schadensaufteilung, d.h. der Höhe des Ersatzanspruchs, findet nach Deutsch bei der nach dem Gesetz vorzunehmenden Abwägung des beiderseitigen Verschuldens die jeweils individuell mögliche Sorgfalt beim Geschädigten, aber auch beim Schädiger, entlastend Berücksichtigung. Die Abwägung dürfe jedoch nicht allein auf die Prüfung persönlicher Vorwerfbarkeit reduziert werden 67 . Als letzte Fallgruppe untersucht Deutsch die fahrlässige Verletzung von Pflichten der Familienordnung unter Einbeziehung des typisch familienrechtlichen Instituts des "sittlichen Verschuldens". Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß für diesen Bereich im allgemeinen ein individueller Sorgfaltsmaßstab zu gelten hat. Er begründet dies für die Fälle des "sittlichen Verschuldens", die eine Verletzung sittlicher Pflichten gegen sich selbst zum Gegenstand haben (z.B. §§ 1611 Abs. 1 BGB, 65 EheG a.F., 1579 Abs. 1 Ziffer 3 BGB; unterhaltsrechtliche Sanktionen, wenn der Unterhaltsberechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig bzw. durch sittliches Verschulden selbst herbeigeführt hat) aus der "Fundierung der Unterhaltspflicht in familiären Bindungen"68, für den bis 30.6.1977 bestehenden Scheidungsgrund der schweren Eheverfehlung (§ 43 Satz 1 EheG a.F.) "aus dem sittlichen Wesen der Ehe, dem Hinabreichen der "Hafttiefe" dieser Rechtsbeziehung bis in den Grund des A.a.O. S. 361. A.a.O. S. 365. Deutsch betont, " ... daß die Entlastung aus der Individualität keine allgemeine ist, sondern nur für die abwägende Entscheidung gilt und auch insoweit nur einen Umstand von mehreren darstellt, der zudem erst nach dem Anteil an der Verursachung rangiert." 68 A.a.O. S. 377. 66 67

32

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

Menschlich-Persönlichen ... und aus den besonderen Folgen des Bestehens eines Scheidungsgrundes aus Verschulden ... "69 und für die erbrechtlichen Folgen der Pflichtteilsentziehung bei ehrlosem oder unsittlichem Lebenswandel (§ 2333 Ziffer 5 BGB) sowie der Erbunwürdigkeit (§ 2339 Abs. 1 BGB) aus den einschneidenden persönlichen Wirkungen 70. Im Rahmen der Haftung des Vormunds gegenüber dem Mündel für schuldhafte Pflichtverletzungen (§ 1833 Abs. 1 Satz 1 BGB) hält Deutsch angesichts "der freien Stellung des Vormunds gegenüber dem Mündel und dessen Vermögen" die objektive, auf den "Lebenskreis" des Vormundes abstellende Fahrlässigkeitsauffassung für sachgerecht 71 • Als Ergebnis seiner Untersuchung gelangt Deutsch zu dem Schluß, daß Ausnahmen vom im Zivilrecht grundsätzlich anzuwendenden objektiven Sorgfaltsmaßstab in Form der subjektiven Zurechenbarkeit "nicht aus einem einheitlichen Prinzip abzuleiten sind, vielmehr nach Grund, Umfang und Folge auf unterschiedlichen Eigenheiten beruhen" 72 . dd) Zur Individualbetrachtung drängende Gesichtspunkte Dieses Fazit Erwin Deutschs ist sicher bei einer extrem diffizilen, feinstrukturierten Betrachtungsweise zutreffend, allerdings wäre es hilfreich, wenn sich Grobstrukturen aufzeigen ließen, die geeignet sind zu erklären, welche tragenden Wertungen grundsätzlich zur Annahme eines individuellen Sorgfaltsmaßstabs führen. Einen Schritt in diese Richtung hat Karl Larenz 73 unternommen, der den von Deutsch gefundenen Ergebnissen im wesentlichen zustimmt und gleichfalls die Notwendigkeit eines wertungsjuristischen Ansatzes betont. Er ist der Ansicht, daß sich fast alle von Deutsch dem individuellen Sorgfaltsmaßstab zugeordneten Fälle darauf zurückführen lassen, "daß entweder wegen ihres einer Strafe ähnlichen Charakters die Rechtsfolge nur dann gerechtfertigt ist, wenn dem Handelnden ein persönlicher Vorwurf gemacht werden kann, oder doch der für den objektiv-typisierenden Maßstab grundlegende Gedanke einer gerechten Risikoverteilung sowie der "Vertrauensgrundsatz" im Verkehr hier ausscheidet. "74 Diesem Ansatz kann grundsätzlich gefolgt werden, er bedarf aber der Ergänzung: Wenn Larenz die Möglichkeit einer Ehescheidung wegen schuldhafA.a.O. S. 382. A.a.O. S. 384. 71 A.a.O. S. 374. 72 A.a.O. S. 386. 73 Über Fahrlässigkeitsmaßstäbe im Zivilrecht in: Festschrift für Wilburg zum 60. Geburtstag, S. 129ff. und Schuldrecht I, 13. Aufl., § 20 III S. 265f. 74 Über Fahrlässigkeitsmaßstäbe im Zivilrecht a.a.O., S. 135. 69 70

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht

33

ter Eheverfehlung als "einer Strafe nicht unähnlich" ansieht7 s, so erscheint dies in der Sache angreifbar und ist zu sehr auf die Rechtsfolge der Scheidung bezogen. Die in diesem Fall und auch ansonsten im Bereich des Familienrechts regelmäßig treffende Begründung für einen individuellen Sorgfaltsmaßstab ist bereits in der Natur der Ehe bzw. anderer familienrechtlicher Beziehungen, also dem der Rechtsfolge zugrundeliegenden Rechtsverhältnis, angelegt. Dem gerecht wird die Argumentation Heinrich Henkels, daß bei solchermaßen höchstpersönlichen Rechtsbeziehungen die "Hafttiefe" den gesamten Menschen als Individuum erfaßt, weshalb eine objektivierende Betrachtungsweise ausscheide 76 . Auch muß in Fällen, in denen jemand spontan einem anderen in einer Notoder Gefahrensituation beisteht und wegen seines Mangels an Fertigkeiten oder Kenntnissen objektiv fahrlässig einen Schaden herbeiführt nicht auf das von Larenz gebrauchte Argument der Billigkeit zurückgegriffen werden. Es genügt hier der Hinweis darauf, daß eine - wenn auch gegebenenfalls mißglückte Rettungsaktion keine typische Teilnahme am Rechtsverkehr darstellt77, vielmehr in einer Ausnahmesituation stattfindet und mithin, - da es einen typischen "Helfer in der Not" nicht gibt -, eine Standardisierung der Sorgfalt nicht möglich ist7s . Im wesentlichen sind es damit drei Gesichtspunkte, die zur Annahme eines individuellen Sorgfaltsmaßstabs im Zivilrecht führen: Zum ersten ist dies die Erkenntnis, daß bestimmte Rechtsbeziehungen oder Gegebenheiten ihrer Natur nach einer Standardisierung nicht zugänglich sind, zum zweiten kann sich wegen der erhöhten "Hafttiefe" eines Rechtsverhältnisses eine Typisierung verbieten und schließlich kann aus dem strafähnlichen Charakter einer Rechtsfolge sich das Erfordernis individueller Vorwerfbarkeit ergeben. ee) Grobe Fahrlässigkeit als qualifizierte Form der Fahrlässigkeit Hat sich zur einfachen Fahrlässigkeit mittlerweile zumindest in der Literatur eine nach dem Normzweck differenzierende Auffassung über die zu wahrende Sorgfalt durchgesetzt, so leidet die Diskussion der groben Fahrlässigkeit zum A.a.O. (Fußnote 74). Recht und Individualität, S. 78. 77 Henkel a.a.O. S. 78. 78 Dieses Argument kann auch unterstützend für den Bereich des Familienrechts herangezogen werden: Da es weder den Ehegatten noch potentielle Erb- oder Pt1ichtteilsberechtigte als Typus gibt, scheidet hier grundsätzlich ein standardisierter Sorgfaltsmaßstab für die Fahrlässigkeitsprüfung aus. Ebenso kann damit erklärt werden, weshalb im Rahmen des § 254 BG B bei der Frage nach der Kürzung des Schadensersatzanspruchs die individuell mögliche Sorgfalt zum Tragen kommen kann. Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens kann wegen der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles nicht typisierend geurteilt werden. 75

76

3 Barwitz

34

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

großen Teil unter undifferenzierten und fonnelhaften Aussagen vor allem seitens der Rechtsprechung. Auch hier stellt sich die Frage einmal dahin, ob sich die grobe Fahrlässigkeit für das gesamte Zivilrecht einheitlich bestimmen läßt 79 und andererseits, ob und ggf. inwieweit dabei die individuellen Eigenschaften des Handelnden zu berücksichtigen sind, also subjektive Vorwerfbarkeit gefordert wird. Der Rechtsprechung des Reichsgerichts können einheitliche Aussagen über das Wesen der groben Fahrlässigkeit, insbesondere, was die Berücksichtigung der individuell möglichen Sorgfalt anbelangt, nicht entnommen werden. Festzustellen ist aber, daß im Rahmen der einen gutgläubigen Erwerb hindernden groben Fahrlässigkeit der Sorgfaltsverstoß stets objektiv umschrieben wurde: Danach soll erforderlich sein eine "besonders schwere Verletzung der gebotenen Sorgfalt" 80 ,maßgeblich sei, "ob die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden und ob das unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem einleuchten mußte" 81 , grobe Fahrlässigkeit liege vor, "wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden"82. Der Bundesgerichtshof ist in seiner grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1953 83 der Rechtsprechung des Reichsgerichts zwar insoweit gefolgt, als er eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in einem ungewöhnlich großen Maße verlangt, gleichzeitig aber feststellt, bei der Prüfung dieser Frage seien "auch subjektive, in der Individualität des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen"84. Diesem subjektiven Verständnis der groben Fahrlässigkeit ist der Bundesgerichtshof - zumindest dem Wortlaut seiner Entscheidungen nach - seither treu geblieben 85 , das Bundesarbeitsgericht ist dieser Auffassung 79 Wobei Normen unterschiedlichster "couleur" in den Blickpunkt rücken, wie z.B. der Ausschluß des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten nach § 932 Abs. 2 BGB mit zahlreichen Parallelvorschriften wie beispielsweise § 16 Abs. 2 WG im Wechselrecht, die Haftungsbeschränkung für den Notgeschäftsführer nach § 680 BGB, die Leistungsbefreiung des Versicherers bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers nach §§ 61, 62 Abs. 2 VVG mit ständig wachsender Relevanz und nicht zuletzt die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (DB 1983, 1207f.) nunmehr auf vorsätzliches und grob fahrlässiges Verhalten begrenzte Schadensersatzpflicht des Arbeitnehmers bei "gefahrgeneigter" Arbeit. 80 RGZ 95, 16, 18. 8t RGZ 141, 129, 131. 82 RGZ 163, 104, 106. 83 BGHZ 10, 14ff., auch hier ging es um die Frage des Ausschlusses des gutgläubigen Erwer_gs nach §§ 932 Abs. 2 BGB, 366 HGB wegen grober Fahrlässigkeit. 84 A.a.O. S. 17. 85 So fordert der Bundesgerichtshof für den Rückgriff des Sozial versicherungsträgers nach § 640 RVO "schwere subjektive Vorwerfbarkeit" (MDR 1970,918), im Rahmen der Haftungserleichterung für den Nothelfer nach § 680 BGB müsse auch "die subjektive (personale) Seite der Verantwortlichkeit gerade dieses Täters in dieser Situation"

A. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Zivilrecht

35

gefolgt 86 . Darüber hinaus wurde vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts der Terminus der "schweren Schuld" im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerhaftung bei gefahrgeneigter Arbeit herangezogen 87. Die Frage, ob es einen einheitlichen, sogar über die Grenzen der einzelnen Rechtsgebiete hinaus gültigen Begriff der groben Fahrlässigkeit gibt, wird von der Rechtsprechung teils stillschweigend 88, teilweise ausdrücklich 89 bejaht, eine Begründung erfolgt jedoch nicht. Das Schrifttum hat sich dieser Judikatur zum großen Teil angeschlossen 90, andererseits wird auch eine objektive Bestimmung der groben Fahrlässigkeit vertreten 91 • Im Vordringen ist hier - ebenso wie im Bereich der einfachen Fahrlässigkeit - eine Ansicht, die die Existenz eines rechtsgebietsüberschreitenden oder auch nur rechtsnormüberschreitenden einheitlichen Begriffs der groben Fahrlässigkeit leugnet und statt dessen die Entscheidung zugunsten eines objektiven oder subjektiven Maßstabs für die in Frage stehende Rechtsnorm unter Berücksichtigung des Regelungsziels und -zusammenhangs gesondert vornimmt 92 • Eine eingehende Darstellung dieser differenzierenden Auffassung erscheint hier nicht erforderlich, es genügt, die wesentlichen Differenzierungskriterien aufzuzeigen. Im Grundsatz kommen bei der Frage, ob für die Annahme grober Fahrlässigkeit neben dem Erfordernis eines objektiv schweren Sorgfaltsverstoßes auch subjektive Vorwerfbarkeit vonnöten ist, die selben Wertungen wie bei der einfachen Fahrlässigkeit zum Tragen. Das bedeutet, daß z.B. die einen festgestellt werden (BGH JZ 1972, 163, 164). Repräsentativ ist die Formulierung des Bundesgerichtshofs in VersR 1967,908 zur Haftung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 LuftVG, wo es heißt, der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit setze "einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der verkehrserforderlichen Sorgfalt voraus." 86 BAG NJW 1972, 1388 zur Haftung des Arbeitnehmers. 87 BAGE 5, 1, 18, dies führte allerdings nicht zur intendierten Klarstellung der Rechtslage, sondern eher zu Rechtsunsicherheit; umschrieben werden sollte damit nichts anderes als Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, wie BAG DB 1983, 1207f. zeigt. 88 Das Bundessozialgericht übernimmt in BB 1982, 559 die Definition aus BGHZ 10, 14 ff. (Fußnote 83) für das grob fahrlässige Herbeiführen der Arbeitslosigkeit nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 AFG. 89 So stellt der Bundesgerichtshof in VersR 1966, 1150 fest, der Schuldbegriff des § 61 VVG decke sich mit dem des Bürgerlichen Rechts. 90 Hanau in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 3 und 10ff. zu § 277 BGB; Jauernig-Vollkommer, 3. Aufl., Anm. III 3 azu§ 276 BGB; Staudinger-Löwisch, 12. Aufl., Rdnr. 53 zu § 276 BGB; Palandt-Heinrichs, 45. Aufl., Anm. 2 a zu § 277 BGB; Röhl JZ 1974, 521 ff. 91 Reimer Schmidt in Soergel-Siebert, 10. Aufl., Rdnr. 4 zu § 277 BGB; Buchner NJW 1967, 2381 ff., insb. 2384f. 92 Deutsch, Haftungsrecht I, S. 29Of.; ders., Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 155f.; von Reuter, Grobe Fahrlässigkeit im Privatversicherungsrecht, S.44f. und passim; Bokelmann, Grobe Fahrlässigkeit, S. 151 ff. und passim. 3'

36

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

gutgläubigen Erwerb nach § 932 Abs. 2 BGB ausschliessende grobe Fahrlässigkeit einer Berücksichtigung der Individualität des Erwerbers wegen ihrer Funktion der Abgrenzung von Erwerbs- und Erhaltungsinteresse nicht zugänglich ist 93 und daß andererseits, soweit der Anspruch nach § 847 BGB Genugtuungszwecken dient bzw. es um die Frage der Höhe des Ersatzanspruchs im Rahmen des § 254 BGB geht, sehr wohl der Umstand persönlicher Vorwerfbarkeit auch bei der groben Fahrlässigkeit von Bedeutung ist 94 • Auf eine Besonderheit der Behandlung der groben Fahrlässigkeit im Bereich des Haftungsrechts bleibt noch hinzuweisen. Diese resultiert daraus, daß angesichts der immer weiter fortschreitenden Versicherung gegen Haftungsrisiken verschiedenster Art sowie einer weitgehenden Schadenstragung durch den Staat und private Unternehmen sich die Inanspruchnahme des tatsächlichen Schädigers, also des Versicherungsnehmers, öffentlich Bediensteten, Arbeitnehmers häufig auf den Regreßweg, der zumindest grob fahrlässiges Verhalten voraussetzt 95 , beschränkt. Diese "Mediatisierung der Haftung"96 bedeutet, daß die grobe Fahrlässigkeit für die Rechtspraxis in der Mehrzahl der Fälle zum maßgeblichen Zurechnungsgrund für die persönliche Inanspruchnahme des Schädigers wird, sich gleichzeitig aber auch ihre Funktion ändert. Die Funktion des Schadensausgleichs, die zur Abgrenzung der Risikobereiche von Schädiger und Geschädigtem einen objektiven Sorgfaltsstandard rechtfertigt, wird in diesen Fällen primär von einem zwischengeschalteten Kollektivvermögen, nämlich dem Versicherungs-, Staats- oder Unternehmensvermögen erfüllt 97 • Lediglich ausnahmsweise kommt es - zumeist im Wege des Regresses - tatsächlich zu einer Schadenstragung durch den Schadens stifter, deren Hauptzweck nicht mehr der Schadensausgleich zwischen Schädiger und Geschädigtem sein kann, da diese Funktion vom Kollektivvermögen bereits erfüllt wurde. Die Inanspruchnahme des Schädigers im Regreßwege dient dem Zweck, die Versicherten, Arbeitnehmer usw. anzuhalten, jedenfalls ein Mindestmaß an Sorgfalt walten zu lassen, mit anderen Worten geht es um präventive (erzieherische) Funktionen, die hier durch das Damoklesschwert der letztendlichen Schadenstragung intendiert sind. Mit dem Argument, daß Prävention nur dann ihr Ziel erreichen könne, 93 Deutsch, Haftungsrecht I, S. 290; von Reuter a.a.O., S. 23 f. weist überzeugend nach, daß der Bundesgerichtshof trotz seiner in BGHZ 10, 14ff. getroffenen Aussage zugunsten der Berücksichtigung individueller Eigenschaften beim gutgläubigen Erwerb in der Sache nach objektiven Kriterien entscheidet. Auch RöhlJZ 1974, 521, 525 will beim gutgläubigen Erwerb eine Ausnahme vom Erfordernis persönlicher Vorwerfbarkeit gelten lassen. 94 Deutsch a.a.O. (Fußnote 93). 95 So z.B. §§ 61,62 Abs. 2 VVG, 640 RVO, 78 Abs. 2 BBG i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG, Art. 78 Abs. 2 BayBG i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG. 96 Röhl JZ 1974, 521,522; Deutsch, Haftungsrecht I, S. 290 spricht insofern davon, daß der Schaden vom "Individual- zum Sozialschaden" geworden sei. 97 Röhl JZ 1974, 521 f.

B. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Strafrecht

37

wenn dem Schädiger sein Verhalten individuell zum Vorwurf gereicht, wird für die zum Regreß führende. grobe Fahrlässigkeit neben einem objektiv schweren Sorgfaltsverstoß auch dessen subjektive Vorwerfbarkeit gefordert 98 • Ob dieses Ergebnis sich auch im Prozeß bewähren kann, erscheint angesichts der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß ein Anscheinsbeweis bei der Frage nach grober Fahrlässigkeit in der Regel wegen der Berücksichtigung der Umstände, "die die subjektive Seite der Verantwortlichkeit betreffen", ausgeschlossen sei 99 , zweifelhaft. In geeigneten Fällen muß es jedenfalls zulässig sein, aus einem (typischen) äußeren Geschehensablauf auf subjektive Vorwerfbarkeit zu schließen!oo. Damit zeigt sich, daß auch im Bereich der zivilrechtlichen groben Fahrlässigkeit eine dem Normzweck gerecht werdende differenzierende Betrachtungsweise sinnvoll ist, das Postulat vom einheitlichen Begriff der groben Fahrlässigkeit ist bislang nicht mit Gründen versehen worden und ist einer tragfähigen argumentativen Absicherung wohl auch nicht zugänglich.

B. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Strafrecht I. Allgemeines

1. Der Normbestand des Strafgesetzbuchs

Ebenso wie im Bereich des Zivilrechts hat der Gesetzgeber auch in den Regelungen des Allgemeinen Teils des StGB, was Definitionen anbelangt, Zurückhaltung geübt. So wird in § 15 StGB lediglich die Frage nach der Strafbarkeit von vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln beantwortet, was im Strafrecht unter "Vorsatz" und "Fahrlässigkeit" zu verstehen ist, bleibt offen und damit der Rechtsprechung und Rechtslehre zur Klärung überlassen. Auch den Terminus der (strafrechtlichen) "Schuld" gebraucht der Gesetzgeber ohne inhaltliche Konkretisierung. Allerdings kann aus den gesetzlichen Bestimmungen über den Verbotsirrtum (§ 17 StGB), die Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen (§ 20 StGB) und die verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) gegengeschlossen werden, daß strafrechtliche Schuld jedenfalls zur 98 Deutsch, Haftungsrecht I, S. 290f.; Röhl JZ 1974, 521, 522ff.; Bokelmann, Grobe Fahrlässigkeit, S. 159; differenzierend von ReuteT (Fußnote 92), S. 38 und öfters, der auch bei Vorhandensein eines kollektiven Schadensträgers den Regreßnormen z.T. Risikoverteilungscharakter zuschreibt. Dabei erscheint die Prämisse, Prävention (Erziehung zu verkehrssorgfaltigem Verhalten) setze individuelle Vorwerfbarkeit voraus, unter dem Gesichtspunkt angreifbar, daß auch und gerade ein standardisierter, objektiver Sorgfaltsmaßstab erzieherische Wirkung zu erzielen vermag. 99 BGH VersR 196!l, 668; VersR 1969, 77, 78. 100 Röhl JZ 1974, 521, 528.

38

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

Voraussetzung hat, daß der Täter die Einsicht hatte oder zumindest gewinnen konnte, Unrecht zu tun, und er entsprechend dieser Einsicht zu handeln imstande war. Das Erfordernis der Schuld als Voraussetzung für eine Bestrafung des Täters ist im übrigen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits vom Grundgesetz garantiert 101. 2. Folgerungen for die strafrechtliche Verschuldensdogmatik

Aus der Vorgabe zweier verschiedener Bezugspunkte strafrechtlichen "Verschuldens", nämlich zum einen im Hinblick auf die Verwirklichung der Merkmale des objektiven Straftatbestandes und zum anderen hinsichtlich der Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens, erklärt sich die im Strafrecht streng zwischen "Unrecht" und "Schuld" unterscheidende Dogmatik. Dem entspricht es, wenn die im Strafrecht herrschende Ansicht 102 im Rahmen des nach Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld differenzierenden dreistufigen Deliktsaufbaus Vorsatz und Fahrlässigkeit sowohl als Kategorien des subjektiven Tatbestands als auch der Schuld ansieht, so daß zu Recht von einer "Doppelstellung" 103 im Deliktssystem gesprochen werden kann. 11. Vorsatz 1. Vorsatz als Element des subjektiven Tatbestands

Als Merkmal des Unrechtstatbestands hat der Vorsatz die Aufgabe, die Verknüpfung zwischen dem äußeren Erfolgs- bzw. Sachverhaltsunwert und dem Täterwillen herzustellen. Diese Funktion ist als "personale Unrechtslehre" im Strafrecht heute ganz überwiegend anerkannt 104 und wird treffend von Wilhelm Gallas dahin beschrieben, daß der Vorsatz im Unrechtsbereich "Träger des subjektiven Handlungssinns"I05 sei. 101 BVerfGE 9, 167, 169; 50, 125, 133, zur Begründung heißt es dort: " ... setzt jede Strafe Schuld voraus (nulla poena sine culpa; vgl. auch § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Dieser Grundsatz hat Verfassungsrang; er ist an der Idee der Gerechtigkeit orientiert und findet seine Grundlage im Rechtsstaatsprinzip und in Art. 1 Abs. 1 GG ... " 102 Gallas ZStW 67 (1955),1 ff., 46 in Fußnote 89; Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., S. 347; Rudolphiin Systematischer Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 3 zu § 16 StG B; Lackner, 16. Aufl., Anm. II 5 c und III 5 a zu § 15 StG B; Dreher / Tröndle, 42. Aufl., Rdnr. 28 vor § 1 StGB; Schroeder in Leipziger Kommentar, 10. Aufl., Rdnr. 12 zu § 15 StGB; Schönke(Schröder-Lenckner, 22. Aufl., Rdnr. 120 vor §§ 13ff. StGB m.w.N. In BGHSt 9, 370, 377 wird unter Weiterführung der Auffassung des Großen Senats (BGHSt 2, 194, 200ff.) der Vorsatz allerdings noch als selbständiges, vom (normativen) Urteil der Vorwerfbarkeit unabhängiges Schuldelement angesehen. 103 Schönke(Schröder-Lenckner a.a.O. (Fußnote 102). 104 Schönke (Schröder-Lenckner, 22. Aufl., Rdnr. 54 vor §§ 13 ff. StGB mit zahlreichen Nachweisen. 105 A.a.O. (Fußnote 102) S. 46.

B. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Strafrecht

39

Ebenso wie im Zivilrecht wird der Vorsatz überwiegend als "Wissen und Wollen der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden objektiven Merkmale" definiert lO6 , die Ungenauigkeiten dieser Formulierung, insbesondere was Fragen des bedingt vorsätzlichen Verhaltens anbelangt, werden hingenommen. 2. Vorsatz als Kategorie der Schuld (sog. Vorsatzschuld)

"Schuld ist Vorwerfbarkeit. Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können. Der innere Grund des Schuldvorwurfes liegt darin, daß der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden, sobald er die sittliche Reife erlangt hat und solange die Anlage zur freien sittlichen Selbstbestimmung nicht ... vorübergehend gelähmt oder auf Dauer zerstört ist. Voraussetzung dafür, daß der Mensch sich in freier, verantwortlicher, sittlicher Selbstbestimmung für das Recht und gegen das Unrecht entscheidet, ist die Kenntnis von Recht und Unrecht. Wer weiß, daß das, wozu er sich in Freiheit entschließt, Unrecht ist, handelt schuldhaft, wenn er es gleichwohl tut." Mit diesen Worten beschreibt der Große Strafsenat des Bundesgerichtshofs 107 prägnant den Inhalt des Schuldurteils als materialen Vorwurf einer rechtsfeindlichen oder zumindest den Geboten der Rechtsordnung gegenüber gleichgültigen Gesinnung an den Täter. Dem entspricht es, wenn von der im strafrechtlichen Schrifttum herrschenden Lehre die Schuld als "tadelnswerter Mangel an Rechtsgesinnung"108 und mit ähnlichen Formulierungen lO9 gekennzeichnet wird. 106 leseheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., § 29 II 2 S. 235; Schönke / Schröder-Cramer, 22. Aufl., Rdnr. 12 zu § 15 StGB; Rudo!phi in Systematischer Kommentar, Rdnr. 1 zu § 16 StGB; Dreher/Trönd!e, 42. Aufl., Rdnr. 2 zu § 15 StGB; Lackner, 16. Aufl., Anm. II zu § 15 StGB. Diese Kurzfonnel geht zurück auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts, nach der Vorsatz das "bewußte Wollen aller Merkmale des äußeren Tatbestands" bedeutet (RGSt 58, 247, 249; 70, 257, 258). Eine nach Vorsatzarten differenzierende Definition findet sich im Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 (BR-Drs. 200/62) in § 16: "Vorsätzlich handelt, wem es darauf ankommt, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen, wer weiß oder als sicher voraussieht, daß er den gesetzlichen Tatbestandverwirklicht, oder wer die Verwirklichung für möglich hält und sich mit ihr abfindet." 107 BGHSt 2, 194, 200f. 108 leseheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., § 39 II S. 345. 109 Nach We!ze!, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., § 19 III, S. 141 geht es im Schuldbereich um das "Sichausrichten-Können des Willens nach verpflichtenden Sollensgehalten", Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, 2. Aufl., S. 129 betont den materialen

40

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

Das Erfordernis so verstandener Schuld folgt dabei nicht nur aus den gravierenden Eingriffen, denen der Täter durch die staatliche Strafsanktion unterworfen wird, sondern vor allem auch daraus, daß mit der Bestrafung ein sozialethischer Tadel gegen den Täter ausgesprochen wird. In der Literatur umstritten ist der Maßstab des Schuldurteils. Während ein Teil der Lehre den Täter selbst in seiner ganzen Individualität zum Maß bei der Frage nach vorwerfbarer Willensentscheidung gegen das Recht heranzieht 110, stellt die wohl überwiegende Auffassung darauf ab, ob eine (gedachte) Vergleichsperson in der Lage des Täters erfahrungsgemäß "der Tatversuchung hätte widerstehen können"lll. Dabei soll maßgeblich sein, ob ein nach Lebensalter, Geschlecht, Beruf, körperlichen Eigenschaften, geistigen Fähigkeiten und Lebenserfahrung dem Täter entsprechender Mensch unter den gegebenen äußeren Umständen und bei Beachtung eines Normalmaßes an Rechtsgesinnung und Willenskraft sich hätte für das Recht entscheiden können 112. Auf den ersten Blick scheint das Erfordernis eines streng individuell verstandenen Mangels an Rechtsgesinnung vorzugswürdig zu sein, wird es doch der Natur des Schuldurteils als persönlicher Vorwurf in scheinbar idealer Weise gerecht. Bedenkt man jedoch die Konsequenzen, die sich daraus in materieller, aber auch in verfahrensmäßiger Hinsicht ergeben, wird deutlich, warum diese Auffassung sich nicht hat durchsetzen können. Zum einen würde sich daraus die Privilegierung des Gewohnheitsrechtsbrechers, der sich bereits gar keine Gedanken mehr über das Verbotensein seines Handeins macht, ja zur Bildung aktuellen Unrechtsbewußtseins wegen Abstumpfung seines Rechtsgefühls nicht imstande wäre, ergeben, was nicht nur unter dem Gesichtspunkt materieller Gerechtigkeit, sondern auch aus kriminalpolitischen Erwägungen 113 nicht hingenommen werden kÖnnte. Zum anderen ist der individuelle Willensfehler, der die Freiheit, sich anders (für das Recht) entscheiden zu können, voraussetzt, einem Nachweis durch den Strafrichter nicht zugänglich 114 • Gehalt der Schuld als sittliche Schuld, als "freie, selbstverantwortliche Willensentscheidung gegen eine erkannte sittliche Pflicht". Die unentbehrliche Funktion einer auf der Gewissensethik im Kantschen Sinne beruhenden Rechtsgesinnung für die Wirksamkeit des positiven Rechts weist Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl., S. 81 f. nach. 110 So insbesondere Welzel a.a.O., S. 140f. 111 Jescheck a.a.O. (Fußnote 109), S. 346 mit zahlreichen Nachweisen. 112 Besonders betont wird der objektive Charakter des Maßstabs bei dem zu treffenden Unwerturteil von Gallas ZStW 67 (1955), 1 ff., 45, der feststellt, insoweit handele es sich "um den Schluß, der bei einer generalisierenden, an sozialethischen Wertmaßstäben orientierten Betrachtung aus einer ... Tat und ihren Beweggründen auf die GesamteinsteIlung des Täters zu den Anforderungen des Rechts zu ziehen ist". 113 In diesem Sinne auch Jescheck a.a.O (Fußnote 111). 114 Letztlich geht dieser Befund zurück auf die Unlösbarkeit des zwischen "Deterministen" und "Indeterministen" bestehenden Streites um die Möglichkeit des Menschen zur freien Willensentscheidung; auf diesen Streit um die Willensfreiheit (ausführlich dazu

B. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Strafrecht

41

Als brauchbarer Schuldmaßstab kommt damit zwangsläufig nur ein vergleichender in Betracht, will man nicht den Grundsatz, daß die Bestrafung materiale, sozialethische Schuld des Täters voraussetzt, aufgeben und - wegen §§ 46 Abs. 1 Satz 1, 17 ff. StGB de lege ferenda - den Vergeltungsgedanken aus den Strafzwecken verbannen. Zugleich zeigt sich, daß selbst bei den Paradefällen subjektiver Zurechnung, im Bereich der strafrechtlichen Schuld, der Berücksichtigung der Individualität Grenzen gesetzt sind. Soweit die Willenskraft und Rechtsgesinnung des Täters in Frage stehen - und dies ist ja das eigentliche Substrat des Schuldvorwurfs - , hat das Schuldurteil, was den Maßstab anbelangt, normativen Charakter. III. Fahrlässigkeit Im Grundsätzlichen besteht heute weitgehend Einigkeit, was die Voraussetzungen der Strafbarkeit fahrlässiger Deliktsbegehung anbelangt. Diesen Grundkonsens in Rechtsprechung ll5 und Literatur 116 spiegelt § 18 des Entwurfs eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962 wider, der folgende Definition der unbewußten und der bewußten Fahrlässigkeit vorsah: § 18 Abs. 1: "Fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt außer acht läßt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und fähig ist, und deshalb nicht erkennt, daß er den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht. " § 18 Abs. 2: "Fahrlässig handelt auch, wer es für möglich hält, daß er den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, jedoch pflichtwidrig und vorwerfbar im Vertrauen darauf handelt, daß er ihn nicht verwirklichen werde." Angesichts des Umfangs der Diskussion um die Struktur des Fahrlässigkeitsdelikts und der Vielzahl der hierzu vorgeschlagenen Aufbaumodelle ll7 ist eine auch nur ansatzweise erschöpfende Darstellung dieser Fragen im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Mit der nunmehr überwiegenden Lehre ll8 ist davon auszugehen, daß strafrechtliche Fahrlässigkeit nicht eine bloße Schuldform darstellt, sondern entsprechend dem Vorsatz sowohl den U nrechts- als auch den Schuld bereich prägt. Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., § 20 S. 142ff., Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., § 37, S. 328ff.) kann hier nicht näher eingegangen werden. 115 RGSt 56, 343, 349; 58, 130, 134; 67, 12, 18. 116 Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., § 54 I S. 456; Lackner, 16.Aufl., Anm. 1II zu § 15 StGB; DreherjTröndle, 42. Aufl., Rdnr. 13 zu § 15 StGB. 117 Eine Übersicht der verschiedenen Lösungsvorschläge findet sich bei Schroeder in Leipziger Kommentar, 10. Aufl., Rdnr. 122ff. zu § 16 StGB. 118 Schünemann JA 1975, 435ff., 516; WetzeI, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 131 ff.; Jescheck a.a.O. (Fußnote 116), S. 456f.; Schroeder in Leipziger Kommentar,

42

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

1. Fahrlässigkeit als Unrechtsmerkmal

Im Unrechtsbereich setzt die Fahrlässigkeit eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung und die objektive Erkennbarkeit (Vorhersehbarkeit) der Tatbestandsverwirklichung voraus 1l9 . Der Sorgfaltsmaßstab ist hier ein vergleichender, normativer, der sich an den Erfordernissen des Rechtsverkehrs orientiert. Wenn gesagt wird, dasjenige Verhalten sei sorgfältig, "das ein einsichtiger und besonnener Mensch in der Lage des Täters einschlagen würde" 120, so entspricht dieser Maßstab der "im Verkehr erforderlichen Sorgfalt" des Zivilrechts. Da auch im Strafrecht bei der Ermittlung des einzuhaltenden Sorgfaltsstandards nicht pauschal entschieden, sondern nach Verkehrskreisen, engen sozialen Bereichen differenziert wird, zeigt sich, daß dieser Lehre § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB als Vorbild gedient hat 121 • 2. Fahrlässigkeit als Element der Schuld (sog. Fahrlässigkeitsschuld)

Die Fahrlässigkeitsschuld setzt aufgrund des zu wahrenden Schuldprinzips zweierlei voraus: Zunächst ist ebenso wie bei der Vorsatztat erforderlich, daß der Täter im Bewußtsein bzw. vorwerfbarer Unkenntnis der Rechtswidrigkeit gehandelt hat, wobei ein aktuelles Unrechtsbewußtsein nur im Falle der bewußten Fahrlässigkeit vorstellbar ist, während im Bereich der unbewußten Fahrlässigkeit regelmäßig die Frage nach potentiellem Unrechtsbewußtsein 122 zu stellen sein wird. Hinsichtlich der zu fordernden Anstrengungen in Bezug auf die Gewinnung des Unrechtsbewußtseins gilt auch hier ein objektiver Maßstab. Daneben hat die Fahrlässigkeit im Schuldbereich die Funktion eines Korrektivs, dessen Notwendigkeit sich aus der Tatsache ergibt, daß auf der Unrechtsebene ein objektiver Standard zugrunde gelegt wird, der für sich alleine 10. Aufl., Rdnr. 144ff. zu§ 16 StGB; Schönke/ Schröder-Cramer, 22. Aufl., Rdnr.136f., 188 zu § 15 StGB; Lackner, 16. Aufl., Anm. III 1, 5 zu § 15 StGB. Die Rechtsprechung nimmt zu dieser Frage in der Regel (mangels Entscheidungserheblichkeit) nicht Stellung; der herrschenden Lehre folgt ausdrücklich das OLG Köln, NJW 1963, 2381, 2382. 119 So jedenfalls die herrschende Lehre. Siehe dazu nur Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., S. 457 f. und Schönke/ Schröder-Cramer, 22. Aufl., Rdnr. 119 zu§ 15 StGB mit umfangreichen Nachweisen. Nach einer Mindermeinung, die u.a. von Samson in Systematischer Kommentar, 2. Aufl., Anhang zu § 16 StGB Rdnr. 13ff. vertreten wird, sollen dagegen (bereits) auf der Schuldebene die individuellen Fähigkeiten des Täters maßgeblich für die zu wahrende Sorgfalt sein. 120 Diese Formulierung von Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 132 kann als repräsentativ für die Strafrechtslehre gelten. 121 Welzel a.a.O., S. 131 spricht von einem "allgemeinen Leitbild". 122 Darunter ist der Vorwurf an den Täter zu verstehen, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht erkannt zu haben, obwohl ihm dies kraft seiner individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten möglich gewesen wäre.

B. Inhalt und Funktion des Verschuldens im Strafrecht

43

betrachtet dem strafrechtlichen Schuldprinzip nicht genügen würde. Demgemäß ist weitere Voraussetzung der Fahrlässigkeitsschuld, daß der Täter bei den ihm individuell zur Verfügung stehenden Kräften, Kenntnissen und Erfahrungen die objektiv gebotenen Sorgfaltsanforderungen erkennen und ihnen genügen hätte können und daß für ihn die Verwirklichung des Tatbestandes voraussehbar war 123 • Daß die Feststellung der individuellen Vorhersehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung im Strafprozeß Probleme aufwirft, liegt auf der Hand. Die Rechtsprechung löst sie entsprechend der Ermittlung des potentiellen U nrechtsbewußtseins im Bereich der Vorsatzschuld dadurch, daß sie ein normatives Urteil fällt, wobei die Individualität des Täters im Rahmen der Tatsachengrundlage Berücksichtigung findet l24 . 3. Die sachliche Rechtfertigung der DoppelsteIlung der strafrechtlichen Fahrlässigkeit

Nach einem Teil des Schrifttums 125 soll bereits im Bereich des Unrechtstatbestands beim Fahrlässigkeitsdelikt die dem Täter individuell mögliche Sorgfalt maßstabbildend sein. Begründet wird dies im wesentlichen damit, daß eine Zwischenstufe der objektiven Sorgfaltswidrigkeit nicht erforderlich und der Maßstab eines "einsichtigen Menschen" ungeeignet sei, auch könne die individuelle noch besser als die objektive Vermeidbarkeit als Korrektiv gegen die in der Praxis stark betonte Erfolgshaftung dienen l26 • Überzeugen kann keines der genannten Argumente. Daß mit typisierenden Sorgfaltsanforderungen der Rechtspraxis ein handhabbarer Maßstab gegeben wird, belegt eindrucksvoll das Beispiel des Zivilrechts, welches überwiegend als normativen Maßstab die Erfordernisse des Rechtsverkehrs verwendet. Begrüßenswert ist das Ziel, der Tendenz zur "Erfolgshaftung" im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte gegenzusteuern, jedoch ist eine solche Beschränkung der Strafbarkeit auf individuell vorwerfbares Verhalten ebenso gut auf der Schuldebene erreichbar. Schließlich kann auch das Argument, für eine Zwischenstufe der objektiven Sorgfaltswidrigkeit im Unrechtsbereich gebe es keinen sachlichen Grund, nicht überzeugen. Die sachliche Rechtfertigung des doppelten Maßstabs ist bereits im System der Rechtsfolgen der Tat nach §§ 38ff. StGB angelegt, sie 123 Die Notwendigkeit, die Individualität des Handelnden im Schuldbereich zu berücksichtigen, betont bereits das Reichsgericht in RGSt 39, 2, 5; 56, 343, 349; 58, 130, 134[; 74, 195, 198. 124 BGH NJW 1957, 1526, 1527; in dieser Entscheidung wird als normativer Maßstab die Lebenserfahrung angegeben. Schönke I Schröder-Cramer, 22. Aufl., Rdnr. 200 zu § 15 StGB weisen zu Recht daraufhin, daß damit in der Sache anhand von Adäquanzkriterien geurteilt wird. 125 Insbesondere Samson in Systematischer Kommentar, 2. Aufl., Anhang zu § 16 StGB Rdnr. 13ff. 126 Samson a.a.O., Rdnr. 113, 114.

44

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

ergibt sich aus der Unterscheidung zwischen Strafen, die eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und schuldhafte Tat voraussetzen und Maßregeln der Besserung und Sicherung, für deren Verhängung im allgemeinen tatbestandsmäßigrechtswidriges Verhalten ausreicht 127 • Diese Zweigleisigkeit der Sanktionen des Strafrechts und die zugrundeliegende Absicht des Gesetzgebers würden durch die Aufnahme eines individuellen Sorgfaltsmaßstabs in den Tatbestandsbereich konterkariert. Das zeigt sich deutlich am Beispiel eines greisen Kraftfahrers, der infolge Altersabbaus zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs nicht mehr in der Lage ist, dies durch zahlreiche gravierende Verkehrsverstöße unter Beweis gestellt hat, zur Erkenntnis seiner Ungeeignetheit wegen Senilität jedoch nicht mehr imstande ist. Verortet man die Verletzung der individuell möglichen Sorgfalt bereits im Tatbestand, könnte dem Kraftfahrer die Fahrerlaubnis nach §§ 69 i.V.m. 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht entzogen werden, da er wegen Wahrung der ihm persönlich möglichen Sorgfalt nicht tatbestandsmäßig gehandelt hätte. Der Zweck der Maßregeln besteht aber neben der Besserung des Täters auch darin, daß das Gemeinwesen vor dem besonders gefährlichen Täter geschützt werden soll 128 , weshalb bei teleologischer Betrachtung die tatbestandsausschließende Sorgfalt allein nach objektiven Kriterien zu bestimmen ist. Das Ziel einer effektiven Prävention schließt es aus, darauf abzustellen, ob der Täter selbst seine Gefährlichkeit im Hinblick auf strafrechtlich geschützte Rechtsgüter erkennen und vermeiden konnte, es gebietet die objektivierende Betrachtung der tatbestandlich zu wahrenden Sorgfalt. Da die (herrschende) Lehre von der DoppelsteIlung der Fahrlässigkeit sowohl dem Normzweck der Maßregeln als auch dem Schuldprinzip Rechnung trägt und somit dem Rechtsfolgensystem des StGB angemessen ist 129 , verdient sie den Vorzug. 4. Differenzierung nach Fahrlässigkeitsgraden

Eine Unterscheidung nach Graden der Fahrlässigkeit hat im Strafrecht nur eingeschränkte Bedeutung. Relevant wird das Maß der Sorgfaltswidrigkeit zum einen dort, wo Straftatbestände Leichtfertigkeit voraussetzen 130 , zum anderen 127 So die §§ 63, 64 Abs. 1 (Unterbringung), 69 Abs. 1 Satz 1 (Entziehung der Fahrerlaubnis) und 70 Abs. 1 Satz 1 (Anordnung eines Berufsverbots) jeweils i. V.m. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB. 128 Lackner, 16. Aufl., Anm. 2 zu § 61 StGB; Dreher / Tröndle, 42. Aufl., Rdnr. 1 vor § 61 StGB; prägnant formuliert dies Stree in Schönke /Schröder, 22. Aufl., Vorbemerkung vor §§ 61 ff. StG B, Rdnr. 2: "Die im Staat organisierte menschliche Gemeinschaft muß und darf sich vor ihren gefährlichen Mitgliedern in einem Umfang schützen, der ihr Sicherungsbedürfnis befriedigt." 129 Schünemann JA 1975,435,440 gebraucht in diesem Zusammenhang den Terminus der "Substratadäquanz", in der Sache handelt es sich bei der Ermittlung der zu wahrenden Sorgfalt um einen Anwendungsfall der Methode teleologischer Auslegung. 130 Dies gilt z.B. für §§ 97 Abs. 2, 138 Abs. 3, 264 Abs. 3 StGB. Die Leichtfertigkeit wird dabei entsprechend der herrschenden Ansicht zur Fahrlässigkeit des Zivilrechts als objektiv schwerer und subjektiv unentschuldbarer Pflichtverstoß definiert (BGHSt 14, 240, 255; 20, 315, 327).

C. Ergebnis der zivil- und strafrechtlichen Betrachtung

45

im Rahmen der Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB, da dort das "Maß der Pflichtwidrigkeit" ausdrücklich als Kriterium genannt wird.

c. Ergebnis der Betrachtung von Verschuldensfragen des Zivil- und Strafrechts Beide Rechtsgebiete stimmen darin überein, daß Verschuldensfragen nur lückenhaft vom Gesetzgeber geregelt wurden, weshalb bei Auslegungsfragen der Wortsinn und die Systematik des Gesetzes l3l nur wenig ertragbringend sind. Deshalb tritt als wichtigstes Auslegungskriterium der Zweck des Gesetzes in den Vordergrund, der sich in einigen Fällen bereits aus den "Motiven" oder Begründungen des Gesetzgebers ergibt, zumeist aber aus den objektiven Zwecken 132 der Rechtsmaterie oder des Rechtssatzes, in dessen Kontext die Verschuldensnorm steht, deutlich wird. Dem Rechtsanwender ist damit aufgetragen, zunächst die Interessenlage des sozialen Sachverhalts, der vom Gesetz geregelt werden soll, zu ermitteln. Sodann gilt es festzustellen, welche Auslegung angesichts der gegebenen Interessenlage zur angemessenen Berücksichtigung der in Frage stehenden Interessen am besten geeignet ist; hat der Gesetzgeber oder der Verfassunggeber bereits eine Interessenbewertung vorgenommen 133, so ist diese in den Auslegungsvorgang einzubeziehen. Besondere Bedeutung erlangt dadurch die Eigenart, die Natur des der Verschuldensnorm zugrunde liegenden Lebenssachverhalts, die "Natur der Sache" wird zum gewichtigen Auslegungskriterium 134. Dem entspricht es, daß bereits der Gesetzgeber bei der Normsetzung den Eigenheiten, dem Wesen der zu regelnden Materie angesichts des Gleichheitsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung tragen muß. Der Gesetzgeber verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn sich für eine differenzierende Behandlung der zu vergleichenden Fälle "keine vernünftigen Erwägungen finden lassen, die sich aus der Natur der Sache ergeben oder sonstwie einleuchtend sind"135.

In der Definition des Vorsatzes stimmen Zivil- und Strafrecht insoweit überein, als es um die intellektuelle und voluntative Beziehung des Handelnden zu den Merkmalen des (objektiven) Tatbestands geht: Gefordert wird die positive Kenntnis der Umstände, die den Tatbestand erfüllen und - je nach Art 131 Zur grammatikalischen und systematischen Auslegung eingehend LaTenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., S. 307ff. 132 LaTenz a.a.O., S. 322 spricht insoweit von "objektiv-teleologischen Kriterien". 133 Hierzu zählt beispielsweise das verfassungsrechtlich durch das Grundrecht der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und das Rechtsstaatsprinzip, einfachrechtlich nach § 46 Abs.1 Satz 1 StGB abgesicherte strafrechtliche Schuldprinzip, auch die Privilegierung der Gläubigerinteressen nach § 278 Satz 1 BGB ist hier anzuführen. 134 So auch LaTenz a.a.O. (Fußnote 131), S. 323. 135 BVerfGE 10, 234, 246, ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

46

2. Teil: Grundsätzliches zum Verschulden im Zivil- und Strafrecht

des Vorsatzes - der Wille zur Tatbestandsverwirklichung bzw. das Inkaufnehmen der Tatbestandsverwirklichung. Unterschiedlich beantwortet wird die Frage nach der notwendigen Beziehung des Handelnden zur Rechtswidrigkeit seines Verhaltens. Während im Zivilrecht nach herrschender Ansicht Vorsatz das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit erfordert, genügt im Strafrecht vorwerfbare Unkenntnis derselben. Anders verhält es sich im Bereich der Fahrlässigkeit. Bei der Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt gehen Zivil- und Strafrecht bereits prinzipiell verschiedene Wege, zudem wird innerhalb der beiden Rechtsmaterien der Fahrlässigkeitsmaßstab überwiegend nicht einheitlich, sondern ausgehend vom Normzweck unterschiedlich gesetzt. Als tragende Gesichtspunkte, die zur Anwendung objektiv gefaßter Sorgfaltsanforderungen in weiten Teilen des Zivilrechts führen, haben sich im Bereich der Vertragsverletzungen die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf Wahrung der gruppen- oder verkehrstypischen Sorgfalt durch den Vertragspartner unldie im allgemeinen geringe Hafttiefe der Schuldverhältnisse, im Deliktsrecht die dadurch erzielte sachgerechte Abgrenzung der Risikobereiche von Schädiger und Geschädigtem im Hinblick auf die Schadenstragung erwiesen. Die Annahme individueller Sorgfaltsanforderungen kann dadurch veranlaßt sein, daß wegen der Natur eines Rechtsverhältnisses - insbesondere bei großer "Hafttiefe" oder aufgrund der Tatsache, daß eine der Typisierung nicht zugängliche Sondersituation vorliegt, eine Standardisierung ausgeschlossen ist. Auch kann der strafähnliche Charakter einer Rechtsfolge das Erfordernis persönlicher Vorwerfbarkeit bedingen. Im Strafrecht folgt das Erfordernis eines subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs auf der Schuldebene aus dem repressiven Charakter des staatlichen Strafausspruchs. Soweit dagegen die strafrechtlichen Maßregeln präventiven Zwecken dienen und deshalb nur an tatbestandsmäßig-rechtswidriges Verhalten anknüpfen, ist die zu wahrende Sorgfalt objektiviert aufzufassen. Selbst im Bereich der strafrechtlichen Schuld, die gemeinhin als Musterbeispiel subjektiver Zurechnung angesehen wird, hat sich gezeigt, daß der Berücksichtigung der Individualität Grenzen gesetzt sind, soweit es um den Vorwurf an den Täter geht, er habe Unrechtsbewußtsein nicht entwickelt, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.

Dritter Teil

Grundsätzliches zur Auslegung und Anwendung von Verschuldensnormen im Steuerrecht A. Zur Möglichkeit einer einheitlichen Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen I. Der Wortlaut des Gesetzes als Auslegungskriterium Obgleich der Ermittlung des Wortsinns als Auslegungsmethode höchst unterschiedliches Gewicht beigemessen wird 1 , soll sie hier zum Ausgangspunkt der Untersuchung gemacht werden. Wenn die Wortlautinterpretation auch oftmals mehrere Auslegungsergebnisse als mit dem Wortsinn vereinbar zuläßt, so steckt sie doch den Grundrahmen ab, innerhalb dessen sich die unter Zuhilfenahme weiterer Auslegungsgesichtspunkte gefundene Lösung regelmäßig zu halten hat 2 • Zunächst bedarf es demgemäß einer Bestandsaufnahme der vom Gesetzgeber in steuerrechtlichen Verschuldensnormen verwandten Begriffe.

1 So einerseits der Reichsfinanzhof in RFHE 42, 162, 163: "Gesetze sind aber nicht nach ihrem Wortlaut, sondern nach ihrem Sinn und Zweck auszulegen", andererseits der Bundesfinanzhofin BStBl 111 1961,210,211: "Für die Auslegung eines Steuergesetzes ist aus Gründen der Rechtssicherheit in erster Linie der Wortlaut des Gesetzes maßgebend". Auch in der Literatur wird der grammatikalischen Methode unterschiedliche Bedeutung zuerkannt: Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 104 ordnet sie den "Hilfsmethoden" zu, nach Paulick, Lehrbuch des allgemeinen Steuerrechts, 3. Aufl., S. 118f. Rdnr. 282, Beisse, Kapitel "Auslegung" in: Handwörterbuch des Steuerrechts, 1. Bd., 2. Aufl., S. 137, Kruse, Steuerrecht I Allgemeiner Teil, 3. Aufl., S. 92f. und Weber-Fas, Grundzüge des allgemeinen Steuerrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 83 muß jede Auslegung beim Gesetzeswortlaut beginnen. 2 Diese Auslegungsgrenze des noch möglichen, äußersten Wortsinns folgt m.E. zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 2, 3 GG und zwar insbes. im Hinblick auf die Bindung von Verwaltung und Rechtsprechung an das Gesetz (Gewaltenteilungsgrundsatz), aber auch sub specie des Grundsatzes der Rechtssicherheit. Sie entspricht auch der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BStBl 111 1965, 82; 261,262; BStBl 11 1970, 119, 120,597,598; 1974, 572, 576; 1980,97,98) und nicht zuletzt der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, das darin auch eine der Rechtsfortbildung durch die Gerichte gesetzte rechtsstaatliche Schranke sieht (BVerfG BB 1984, 141 ff., Sozialplanansprüche im Konkurs).

48

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

1. Die Terminologie der Verschuldensnormen

Der Sprachgebrauch des Steuergesetzgebers ist uneinheitlich und beschränkt sich nicht auf die im Zivil- und Strafrecht gebräuchlichen Verschuldenskategorien des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit. So finden sich offene Formulierungen wie "Verschulden"3, "ohne ausreichende (genügende) Entschuldigung"4, "schuldhaft" 5 , "grobes Verschulden" 6 , an anderer Stelle wird das Gesetz etwas konkreter und knüpft die vorgesehenen Rechtsfolgen an "vorsätzliches oder grob fahrlässiges" Verhalten 7 • Der Ertrag einer wortlautorientierten Auslegung ist demgemäß gering. Zwar lassen sich die Rechtsbegriffe "schuldhaft", "Verschulden", "grobes Verschulden" ohne Mühe durch Kombinationen von Vorsatz und einfacher bzw. grober Fahrlässigkeit substituieren, die Frage nach dem Inhalt steuerrechtlichen Verschuldens wird damit aber noch nicht beantwortet. Was die Verschuldensform des Vorsatzes anbelangt, so kann darunter auch im Steuerrecht nichts anderes als das Wissen und Wollen (bzw. Inkaufnehmen) der Verwirklichung der (objektiven) Tatbestandsmerkmale verstanden werden. Insoweit handelt es sich um einen Begriff, dem auf allen Gebieten der Rechtsordnung 8 im juristischen Sprachgebrauch ein einheitlicher Begriffsinhalt gegeben wird. Offen bleibt dagegen bei der Wortlautinterpretation die Frage, ob der Vorsatz im Steuerrecht das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit des Handeins voraussetzt 9 • Damit ist freilich erst etwas über die in der steuerrechtlichen Praxis nur eine untergeordnete Rolle spielende lO Verschuldensart des Vorsatzes gesagt. Als weniger aufschlußreich erweist sich die Wortlautanalyse bei der weitaus bedeutenderen Verschuldensform der Fahrlässigkeit. Unter Fahrlässigkeit wird im allgemeinen, aber auch im juristischen Sprachgebrauch ein unsorgfältiges, unachtsames Verhalten verstanden 11. Zur Frage, welchem Sorgfaltsmaßstab der Handelnde gerecht werden muß - und das ist auch im Steuerrecht die Kernfrage -, gibt der Wortlaut keine Auskunft. Dem möglichen Wortsinn 3 Siehe §§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO, 56 Abs. 1, 135 Abs. 4, 137 Satz 2 FGO, Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFG EntlG. 4 Siehe §§ 284 Abs. 7 Satz 1 AO, 30 Abs. 1 Satz 1 FGO, Art. 3 § 3 Abs. 2 VGFG EntlG. 5 § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO. 6 § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO. 7 Siehe §§ 69 Satz 2, 72, 130 Abs. 2 Nr. 4 AO. S Zum Zivil- und Strafrecht siehe oben Zweiter Teil unter A II und B II. 9 Da Zivil- und Strafrechtsdogmatik insofern die getrennten Wege der Vorsatz- bzw. Schuldtheorie gehen, kann von einer einheitlichen Begriffsauffassung nicht die Rede sein. 10 Dies folgt daraus, daß bei allen hier behandelten Normen die verschuldensabhängigen Rechtsfolgen auch bereits im Falle fahrlässiger Tatbestandsverwirklichung eintreten. 11 Zur (strittigen) Etymologie des Wortes fahrlässig siehe die Zusammenstellung der Hauptansichten bei Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 12 in Fußnote

29.

A. Einheitliche Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen?

49

entsprechen deshalb unterschiedliche Sorgfaltsstandards, insbesondere werden ihm die oben im Ersten Teil referierten Fahrlässigkeitsmaßstäbe des Zivil- und Strafrechts gerecht. In Anbetracht des Wortsinns möglich sind vor allem die folgenden Auffassungen: -

Es gilt ein objektiver Sorgfaltsmaßstab. Die im Steuerrecht zu wahrende Sorgfalt ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nach einem normativen Maßstab zu bestimmen, dabei bleiben die individuellen Eigenschaften des Handelnden außer Betracht, so daß unterdurchschnittliche Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen nicht entlastend wirken 12.

-

Im Bereich des Steuerrechts ist die geforderte Sorgfalt nach einem subjektiven Maßstab zu bestimmen. Für die zu beachtende Sorgfalt sind neben den (äußeren) Umständen des Einzelfalles auch die individuellen Eigenschaften des Handelnden maßgeblich, so daß unterdurchschnittliche Fähigkeiten und Kenntnisse entlasten 13.

-

Im Steuerrecht wird nur die Wahrung der eigenüblichen Sorgfalt gefordert. Grundlage des Fahrlässigkeitsurteils sind die Umstände des Einzelfalls, die persönlichen Eigenschaften des zu sorgfältigem Verhalten Verpflichteten finden in zweifacher Hinsicht Berücksichtigung: Zum einen gehen sie in die Tatsachengrundlage des Fahrlässigkeitsurteils ein, zum anderen bilden sie aber auch den Maßstab des Urteils, indem auf die üblicherweise in eigenen Angelegenheiten praktizierte Sorgsamkeit abgestellt wird, weshalb der persönliche Schlendrian entschuldigen kann l4 . 2. Steuerrechtliche Fahrlässigkeit und "Einheit der Rechtsordnung"

Nachdem sich bei der reinen Wortlautauslegung gezeigt hat, daß die verschiedensten Fahrlässigkeitsmaßstäbe dem möglichen Wortsinn entsprechen, stellt sich die Frage, ob sich aus der Verwendung gleichlautender Begriffe in unterschiedlichen Rechtsgebieten Folgerungen für deren Auslegung insbesondere im Hinblick auf eine einheitliche Inhaltsbestimmung ziehen lassen. Damit ist ein Auslegungskriterium angesprochen, das an den identischen Wortlaut von Rechtsbegriffen anknüpft und als Gesichtspunkt der "Einheit der Rechtsordnung" in der Rechtsprechung 15 und Literatur 16 diskutiert wird. Vorweg ist klarzustellen, daß sich das Postulat von der "Einheit der RechtsordDies entspricht den Sorgfaltsanforderungen des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dies wäre die Transposition des schuldbegründenden Fahrlässigkeitsmaßstabs des Strafrechts. 14 Zum Anwendungsbereich der diligentia quam in suis im Zivilrecht siehe oben Zweiter Teil Fußnote 2. 15 BFH BStBi III 1961, 188, 190; 1967, 175, 177 zur Anknüpfung der Steuerbarkeit an zivilrechtliche Rechtsbegriffe bzw. zivilrechtliche Rechtsgestaltungen. 16 Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, S. 208f., 256f.; Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, S. 208ff. 12 13

4 Barwitz

50

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

nung" in der steuerrechtlichen Diskussion als changeable Argumentationsfigur erwiesen hat. Gebräuchlich sind insbesondere zwei Facetten, die bereits aufgrund ihres verschiedenen Ansatzpunktes wenig Gemeinsamkeiten aufweisen. Zum einen wird bei den Rechtszwecken angesetzt und teleologisch argumentiert, daß bei der Auslegung einer Vorschrift die gesetzgeberischen Wertungen anderer Rechtsgebiete nicht unterlaufen werden dürfen 17, also die Herstellung einer Art praktischer Konkordanz der Teilrechtsordnungen dem Norminterpreten aufgegeben. Diese Variante betrifft nicht die grammatikalische Auslegung. Zum anderen wird, wie bereits oben angesprochen, die Wahrung von Rechtseinheit insoweit gefordert, als in verschiedenen Rechtsgebieten verwandte gleichlautende Rechtsbegriffe einheitlich auszulegen seien 18. Was den Maßstab der einfachen Fahrlässigkeit angeht, kann ein Gebot zur Auslegung unter Beachtung der Einheit der Rechtsordnung nicht hilfreich sein, da es bereits an der Prämisse einheitlicher und gefestigter Sorgfaltsanforderungen außerhalb des Steuerrechts fehlt. Wie oben im zweiten Teil dargelegt wurde, gelten im Zivil- und Strafrecht nicht nur grundsätzlich verschiedene Sorgfaltsmaßstäbe, sondern darüber hinaus wird auch innerhalb dieser Rechtsgebiete differenziert. Anders verhält es sich bei der Verschuldensform der groben Fahrlässigkeit. Geht man mit der noch herrschenden Ansicht davon aus, daß die grobe Fahrlässigkeit des Zivilrechts einen individuell nicht entschuldbaren schweren Sorgfaltsverstoß voraussetzt 19 und die vom Gesetzgeber nur anders genannte, allgemein aber inhaltlich entsprechend der zivilrechtlichen groben Fahrlässigkeit aufgefaßte 20 "Leichtfertigkeit" ebenfalls auf subjektive Verantwortlichkeit 17 Der Hauptanwendungsfall dieser Spielart des Postulats von der Rechtseinheit lag bis vor kurzem im Bereich der Frage nach der steuerlichen Abzugsfähigkeit betrieblich oder beruflich veranlaßter Geldstrafen und Bußgelder nebst zugehöriger Verfahrenskosten, die vom BFH lange Zeit im wesentlichen mit der Begründung verneint wurde, es sei mit dem Zweck einer Strafe nicht vereinbar, "Geldstrafen dadurch zu mildern oder aufzuheben, daß ihre Entrichtung zu einer Steuersenkung führe" (BFH BStBl II 1972, 623, 624). Aufgegeben wurde diese Rechtsprechung mit dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 21.11.1983 (BStBI II 1984, 160, 166), der prompt vom Gesetzgeber mit der Anordnung der Nichtabzugsfähigkeit in §§ 4 Abs. 5 Nr. 8,9 Abs. 5 EStG, 10 Nr. 3 KStG durch Gesetz vom 25.7.1984 (BGBI I S. 1006) beantwortet wurde. 18 Im Steuerrecht erlangt diese Frage vor allem dann Bedeutung, wenn der Gesetzgeber, wie dies häufig der Fall ist, im Steuertatbestand zivilrechtliche Rechtsbegriffe (z.B. Miete, Pacht, Schenkung usw.) verwendet und sich wirtschaftliche Betrachtungsweise und Einheit der Rechtsordnung als Auslegungsgesichtspunkte divergierender Richtung gegenüberstehen. Ein Teil der Literatur (Beisse, Kapitel "Auslegung" in: Handwörterbuch des Steuerrechts, 2. Aufl., S. 134; Weber-Fas, Grundzüge des allgemeinen Steuerrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 10 I S. 82) bezieht das Postulat der Rechtseinheit nur auf die Auslegungsmethoden. Damit ist allerdings nicht viel gewonnen; insbesondere geht der von Weber-Fas (a.a.O. S. 82f.) bezweckte Schlag gegen die der teleologischen Methode zuzurechnende wirtschaftliche Betrachtungsweise ins Leere. 19 Dazu siehe oben Zweiter Teil A III 2 b bb.

A. Einheitliche Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen?

51

beim Handelnden abstellt, kann insofern von bestehender Rechtseinheit ausgegangen werden. Abzuklären ist daher, welches Gewicht dem Satz von der Einheit der Rechtsordnung im Hinblick auf den Inhalt grober Fahrlässigkeit im Steuerrecht zukommt. Die Bandbreite des Spektrums der in der Literatur zur Wertigkeit der Rechtseinheit bei der Gesetzesauslegung vertretenen Ansichten reicht von "bedeutungslos" bis "unerläßlich". So hat A. Hafferburg im Jahre 1959 wegen der unterschiedlichen Auslegung des Rechtsbegriffs der Fahrlässigkeit im Zivilund Strafrecht den "Rechtsnotstand" ausgerufen und gefordert, "ein so fundamentaler Rechtsbegrifr' müsse "nach Möglichkeit einheitlich ausgelegt werden"21. Als Vertreter der Gegenposition kann Georg Crezelius zitiert werden, der den Gesichtspunkt der Rechtseinheit wegen inhaltlicher Unbestimmtheit für unpraktikabel hält: "Da das Schlagwort von der Einheit der Rechtsordnung nicht kodifiziert und von hohem Abstraktionsgrad ist, bedürfte es erst seiner Konkretisierung, um für die Rechtsanwendung eingesetzt werden zu können." 22 Zwischen diesen Extrempositionen stehen Autoren wie Klaus Tipke 23 und Heinrich Wilhelm Kruse 24 , die die Berechtigung des Postulats der Rechtseinheit im Grundsatz als Auslegungsgesichtspunkt anerkennen, gleichzeitig aber betonen, daß diese Forderung durchaus im Einzelfall mit Rücksicht auf andere Auslegungskriterien zurücktreten muß. Die Rechtsprechung ist gleichfalls uneinheitlich. So hat das Bundesverfassungsgericht, dem die Fälle unterschiedlicher Auslegung des selben Rechtsbegriffes regelmäßig unter dem Gesichtspunkt der nach Art. 3 Abs. 1GG gewährleisteten Steuergerechtigkeit zur Überprüfung gestellt werden, in der vielzitierten Entscheidung vom 21. Januar 1962 25 zwar die "Eigenart des in erster Linie fiskalischen Zwecken dienenden Steuerrechts" anerkannt, gleichzeitig aber gefordert, daß der Gesetzgeber "die Entsprechung von Privat- und Steuerrecht durchgehend zu wahren, also die Ordnungsstruktur des Zivilrechts zu achten" habe, wenn er prinzipiell an Rechtsformen des bürgerlichen Rechts anknüpft 26 . Diese Entscheidung betrifft zwar unmittelbar nur die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers, muß jedoch erst recht für die Gesetzesauslegung 20 leseheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., § 54 II 2 S. 461 f. mit zahlreichen Nachweisen. 21 NJW 1959, 1398 fT., 1402, dabei stellt Hafferburg die Unverständlichkeit divergierender Auslegungsergebnisse bei ein und demselben Begriff für den juristischen Laien in den Vordergrund. 22 Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, S. 209. Ähnlich spricht Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, S. 199von einer "abstrakten Leerformel", die keine inhaltliche Entscheidungshilfe darstelle. 23 Steuerrecht, 10. Aufl., S. 6fT.; JuS 1970, 149ff. 24 Steuerrecht I Allgemeiner Teil, 3. Aufl., S. 102f. 25 BVerfGE 13, 331 fT. 26 A.a.O. S. 339f.

4'

52

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

Gültigkeit haben. Sie darf allerdings in ihrer Tragweite nicht überschätzt werden, da ihr eine Norm zugrunde lag, in der der Gesetzgeber zunächst die zivilrechtliche Unterscheidung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaft übernahm, dann jedoch (systemwidrig) ohne hinreichenden sachlichen Grund eine verschärfte Besteuerung der personen bezogenen Kapitalgesellschaften im Vergleich zu anderen Kapitalgesellschaften anordnete 27 . Dieser Befund wird untermauert durch nachfolgende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen ausdrücklich ein Abgehen von der zivil rechtlichen Auslegung zur Verhinderung von Steuerumgehungen 28 und zur "Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte"29 für zulässig erachtet wird. Auch die Rechtsprechung der Finanzgerichtsbarkeit beurteilt die Bedeutung der rechtseinheitlichen Auslegung unterschiedlich 30 . Während der Reichsfinanzhof unter dem Einfluß Enno Beckers und Kurt Balls die Eigenständigkeit des Steuerrechts als Rechtsgebiet betonte und die Abkehr vom zivilistischen Denken hin zur endogen steuerrechtlichen Argumentation betrieb 31 , vollzog die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zunächst eine Wendung hin zur Maßgeblichkeit der zivilrechtlichen Strukturen auch für das Steuerrecht. So fordert das Gericht, daß geprägte Rechtsbegriffe des Zivilrechts "im Interesse der Rechtseinheit und der Rechtssicherheit in der gesamten Rechtsordnung möglichst in dem gleichen Sinn verwendet werden sollten" 32 , wiederholt spricht es von einem "Primat des bürgerlichen Rechts vor dem Steuerrecht" 33 , der "maßgebenden Ordnungsfunktion des bürgerlichen Rechts für die gesamte Rechtsordnung einschließlich des Steuerrechts"34.

In jüngerer Vergangenheit mehren sich hingegen wieder Entscheidungen, in denen der Bundesfinanzhof auf den Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsord27 Konkret ging es in BVerfGE 13, 331 ff. um die Hinzurechnung von Vergütungen an wesentlich Beteiligte bzw. deren Ehegatten zum Gewinn aus Gewerbebetrieb nach § 8 Ziff. 6 GewStG i.d.F. vom 1. Dezember 1936. 28 BVerfGE 22, 156ff., 161, körperschaftsteuerliehe Nichtanerkennung nachträglich festgesetzter Vergütungen an Gesellschafter-Geschäftsführer. 29 BVerfGE 25, 309ff., 313, kein Übergang des Rechts auf Verlustabzug beim sog. Mantelkaufwegen fehlender wirtschaftlicher Identität. Das Gericht stellt im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG fest, es sei" von der Verfassung her nicht geboten, daß die Finanzgerichte unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung und der Vorhersehbarkeit der Steuerbelastung die zur Anwendung kommenden steuerrechtlichen Begriffe und Institute stets und ausschließlich entsprechend ihrem bürgerlich-rechtlichen Gehalt auslegen." 30 Zur Entwicklungslinie ausführlich Grimm DStZ/A 1978, 283ff. 31 Zum Ausdruck kam dies in der Dominanz der damals gesetzlich in § 4 AO 1919 und § 1 Abs. 2, 3 StAnpG 1934 festgeschriebenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise bei der Auslegung von Steuernormen. 32 BFH BStBl III 1961, 188, 190 zum Begriff der "gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen". Eine Ausnahme soll (nur) gelten, wenn ein gegenteiliger Wille des Steuergesetzgebers klar feststellbar ist. 33 BFH BStBl III 1967,781,782 m.w.N. 34 BFH BStBl III 1962, 310, 311 unter Bezugnahme auf BVerfGE 13, 331 ff.

A. Einheitliche Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen?

53

nung nur beiläufig oder gar nicht eingeht 35 , woraus geschlossen werden kann, daß zumindest die Stufenbildung mit dem "Primat des Zivilrechts" nicht mehr aufrechterhalten wird. M.E. ist der Schluß von der Identität des Wortlauts auf einen stets übereinstimmenden Begriffsinhalt zu vielen Relativierungen ausgesetzt, als daß ihm in der juristischen Argumentation besondere Valenz zukommen könnte. Zunächst zwingt das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG in seiner Ausprägung des Gebots von Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit nur dazu, daß sich die Gesetzesinterpretation im Rahmen des (noch) möglichen Wortsinnes bewegt, ein Grundsatz rechtseinheitlicher Auslegung läßt sich daraus nicht ableiten 36 • Als Beleg seien hier nur zwei Beispiele verschiedener Normebenen genannt: Im von rechtsstaatlichen Maximen durchgehend geprägten 37 Strafrecht wird ohne Bedenken der "Besitz" i.S. des § 246 Abs. 1 StGB in Abweichung von §§ 854ff. BGB als bloßes tatsächliches Herrschaftsverhältnis aufgefaßt 38 . Das Grundgesetz verwendet in verschiedenem Zusammenhang (Art. 2 Abs. 1,9 Abs. 2,20 Abs. 3,28 Abs. 1 und 3, 98 Abs. 2 GG) den Begriff der "verfassungsmäßigen Ordnung". Daß dieser Rechtsbegriff durchaus unterschiedlich als Gesamtheit der Verfassungsnormen, im Sinne elementarer Verfassungsgrundsätze, entsprechend der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder im Sinne der mit dem Grundgesetz vereinbaren Rechtsordnung ausgelegt wird, findet die Billigung sowohl des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten Elfes-UrteiP9 als auch der staatsrechtlichen Literatur 40 • Hinzu kommt, daß die übereinstimmende Auslegung eines in mehreren Regelungszusammenhängen verwandten Rechtsbegriffs zufallig in dem Sinne sein kann, als unterschiedliche Wertungsgesichtspunkte im Einzelfall zum 35 So BFH BStBI 11 1970, 284ff. (Leasing-Urteil); BStBl 11 1977, 796, 798 (UBahnröhre, Wirtschaftsgutbegriff des Steuerrechts). Besonders deutlich wird dies in BFH BStBl 11 1977, 384, 387; in dieser Entscheidung prüft der BFH zunächst eingehend, zu welchem Ergebnis die wirtschaftliche Betrachtungsweise führt und bemerkt anschließend eher beiläufig: "Gründe dafür, daß in diesen Punkten das Steuerrecht ... dem bürgerlichen Recht folgen müßte, sind nicht zu ersehen." 36 Ähnlich Becker / Riewald / Koch, Anm. 3 (7) zu § 1 StAnpG. 37 Zu den vor allem aus Art. 103 Abs. 2 GG abgeleiteten Garantiefunktionen der Strafgesetze, unter denen das Bestimmtheitsgebot eine herausragende Stellung einnimmt, siehe ausführlich Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., S. 19f., 105ff. 38 Siehe dazu nur Schönke/Schröder-Eser, 22. Aufl., Rdnr. 9 zu § 246 StGB m.w.N. 39 BVerfGE 6, 32, 38; dort heißt es ausdrücklich, das zu Art. 2 Abs. 1 GG gefundene Auslegungsergebnis könne "nicht mit dem Hinweis darauf entkräftet werden, daß "verfassungsmäßige Ordnung" in anderen Bestimmungen des Grundgesetzes unzweifelhaft etwas anderes bedeute, der Begriff aber überall denselben Inhalt haben müsse. Die Auslegung hängt vielmehr von der Funktion ab, die der Begriff innerhalb der jeweiligen Norm zu erfüllen hat". 40 Von Münch in von Münch, 3. Aufl., Rdnr. 29 zu Art. 2 GG; von Mangoldt/ Klein/ Starck, 3. Aufl., Rdnr. 16 zu Art. 2 Abs. 1 GG.

54

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnonnen

gleichen Auslegungsergebnis führen können 41 , so daß nur scheinbar eme tragfähige Argumentationsbasis vorliegt. Schließlich ergibt sich die Schwäche des Gebots einer Einheit der Rechtsordnung aus seiner rein formalen Betrachtungsweise. Dieser an den Buchstaben des Gesetzes anknüpfende Topos ist darauf angelegt, an sich im Hinblick auf den Wortsinn mögliche Auslegungsvarianten aus dem Interpretationsvorgang zu eliminieren, noch ehe die (materiale) Frage aufgeworfen wird, welche Auffassung am besten dem Normzweck entspricht. Mit anderen Worten wird dadurch die Vorrangstellung der Teleologie bei der Auswahl unter mehreren mit dem Wortlaut des Gesetzes vereinbaren Interpretationsmöglichkeiten bereits im Ansatz mißachtet. Den Ausschlag zugunsten eines bestimmten Ergebnisses kann der Satz von der Einheit der Rechtsordnung nur unter mehreren Alternativen geben, die dem Norrnzweck gleichermaßen gerecht werden 42 . Dementsprechend kann an dieser Stelle lediglich als Merkposten festgestellt werden, daß ein individueller Maßstab der groben Fahrlässigkeit im Einklang mit der im Zivil- und Strafrecht überwiegenden Auffassung stünde.

11. Die Auslegung nach dem Zweck steuerrechtlicher Verschuldensnormen 1. Der hohe "Bedarf' an Teleologie bei der Auslegung von Zurechnungsnormen des Steuerrechts Das Steuerrecht hat mit anderen Rechtsgebieten gemein, daß es - vor allem in seinen materiell-rechtlichen Normen - häufig mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeitet, zu deren inhaltlicher Klärung die grammatikalische Auslegungsmethode außer der Absteckung der Grenzen des möglichen Wortsinns nichts beitragen kann. Damit erlangt neben systematischen Überlegungen der Normzweck (Telos) maßgebliche Bedeutung für das Auslegungsergebnis 43 • 41 So verhält es sich beispielsweise, wenn von der im Zivil- und Strafrecht herrschenden Ansicht die zur Venneidung grober Fahrlässigkeit geforderte Sorgfalt im Grundsatz nach individuellen Kriterien bestimmt wird. Während dies im Strafrecht mit dem repressiven Charakter der Rechtsfolgen begründet wird, stellt das zivilrechtliche Schrifttum präventive Überlegungen in den Vordergrund. 42 Zu weitgehend und pauschal erscheint daher auch die Aussage von Claus Grimm in DStZ / A 1978, 283, 286, die übereinstimmende Auslegung habe zunächst "die Vennutung der Richtigkeit für sich". 43 Diese den Zweck des Rechtssatzes in den Vordergrund stellende Auffassung setzt sich nunmehr auch in der steuerrechtlichen Diskussion zunehmend durch, s. dazu nur Beisse, Kapitel "Auslegung" in: Handwörterbuch des Steuerrechts, 1. Bd., 2. Aufl., S. 138 ff., der auch gesetzessystematische Überlegungen zur teleologischen Methode rechnet; Pauliek, Lehrbuch des allgemeinen Steuerrechts, 3. Aufl., S. 119f. Rdnr. 285; Tipke JuS 1970, 149ff., insb. 151 ff.; Kruse, Steuerrecht I Allgemeiner Teil, 3. Aufl., § 8 11 S. 92; Weber-Fas, Grundzüge des allgemeinen Steuerrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 83 f.; Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 38 ff. mit Blick auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise des Steuerrechts.

A. Einheitliche Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen?

55

Der immer noch schwelende Streit, ob es diesbezüglich auf die Zweckgebung seitens des Gesetzgebers beim Erlaß der Norm (sog. subjektive Lehre)44 oder auf einen hiervon unabhängigen objektiven Gesetzeszweck (sog. objektive Lehre)45 ankommt, kann hier keine vertiefte Behandlung erfahren. Tatsächlich hat die unterschiedliche Schwerpunktsetzung einerseits auf die Motivation, den Willen des historischen Gesetzgebers, andererseits auf die objektiven Zwecke der Norm, worauf Armin Spitaler46 zutreffend hinweist, in der Mehrzahl der Fälle keine Auswirkung für das Auslegungsergebnis, da der Gesetzgeber seine Regelungsabsicht zumeist im Normtext deutlich zu machen weiß. Daß letztlich die "objektive Lehre" vorzugswürdig ist, weil sie es ermöglicht, Änderungen des von der Norm zu regelnden sozialen Sachverhalts - ohne auf ein Diktum des Gesetzgebers warten zu müssen - , im Rahmen der Auslegung Rechnung zu tragen, verdeutlicht Gustav Radbruch 47 : "Soweit die Auslegung praktisch, schöpferisch, produktiv, überwissenschaftlich ist, ist sie aber jeweils durch die sich wandelnden Rechtsbedürfnisse bestimmt. Der Wille des Gesetzgebers, dessen Feststellung ihr Ziel und ihr Ergebnis ist, wird deshalb nicht durch die Auslegung auf einen bestimmten Inhalt für alle Zeit fixiert, sondern bleibt rihig, auf neue Rechtsbedürfnisse und Rechtsfragen veränderter Zeitverhältnisse mit neuen Bedeutungen zu antworten, er ist nicht zu denken als der einmalige Willensvorgang, der das Gesetz hervorgerufen hat, sondern als der das Gesetz tragende Dauerwille." Darüber hinaus ergibt sich die Notwendigkeit vertiefter teleologischer Betrachtung, was die Fahrlässigkeit anbelangt, aus deren Funktion als Zurechnungsgrund. Die Zurechnung eines Erfolges oder eines tatsbestandsmäßigen Verhaltens zum Willen einer Person kann, wie die obige Betrachtung des Zivil44 In diesem Sinne etwa Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 101 f., der allerdings gleichzeitig an den Gesetzgeber den Appell richtet, zusammen mit dem Gesetz eine dem Gesetzesverständnis dienende Begründung insbes. im Hinblick auf den damit verfolgten Regelungszweck zu veröffentlichen; ähnlich Pauliek, Lehrbuch des allgemeinen Steuerrechts, 3. Aufl. S. 115 Rdnr. 273. 45 So beispielsweise Beisse, Kapitel "Auslegung" in: Handwörterbuch des Steuerrechts 1. Bd., 2. Aufl., S. 134f.; Kruse, Steuerrecht I Allgemeiner Teil, 3. Aufl., S. 91 f.; WeberFas, Grundzüge des allgemeinen Steuerrechts der Bundesrepublik Deutschland, S. 83 f. In diese Richtung zielt auch die Rechtsprechung des BVerfG, nach der zur Ermittlung des objektiven Gesetzeszwecks die Entstehungsgeschichte einer Norm und die Gesetzesmaterialien lediglich unterstützend und nur dann herangezogen werden können, wenn die Absicht des Gesetzgebers in irgendeiner Weise im Wortlaut des Gesetzes ihren Niederschlaggefunden hat (sog. Andeutungstheorie, BVerfGE 1, 299, 312; 11, 126, 130f.; 13,261, 268). Eine interessante Parallele hierzu findet sich im Zivilrecht im Rahmen der Auslegung mehrdeutiger letztwilliger Verfügungen: dabei soll ebenfalls nur ein Wille de&. Erblassers beachtlich sein, der in der letztwilligen Verfügung zumindest andeutungsweise enthalten ist (Palandt-Edenhofer, 45. Aufl., Anm. 4 b zu § 2084 BGB mit zahlreichen Nachweisen aus der Rspr.). 46 StbJb 1956/57, 105ff., 130f. ·47 Rechtsphilosophie, 7. Aufl., S. 211f.

56

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

und Strafrechts gezeigt hat, in graduell abgestufter Weise verschieden erfolgen. Je nachdem, ob der festzustellende Sorgfaltsverstoß auf die konkrete Person in ihrer Individualität oder auf eine "typische" gedachte Vergleichsperson bezogen wird, sind Formen subjektiver und objektiver Zurechnung dort anzutreffen 48 • Die für das Fahrlässigkeitsurteil zentrale Frage nach der zu wahrenden Sorgfalt kann nicht von formalen Kriterien 49 abhängig gemacht werden, sondern ist das haben inbes. Erwin Deutsch 50 für den zivilrechtlichen Bereich und Bernd Schünemann 51 im Hinblick auf die strafrechtliche Fahrlässigkeit überzeugend nachgewiesen - zu lösen unter Beachtung der der Verschuldensnorm zugrundeliegenden (materialen) Wertungsgesichtspunkte. Dabei läßt sich feststellen, daß der Fahrlässigkeitsmaßstab innerhalb eines Rechtsgebiets um so eher einheitlich bestimmt werden kann, je umfassender die Rechtsmaterie von einer bestimmten Wertung durchdrungen und geprägt ist 52 • Im Steuerrecht tritt das Erfordernis materialer Betrachtungsweise noch deutlicher zutage, da sich Hinweise auf das Maß der zu wahrenden Sorgfalt regelmäßig weder dem Gesetzeswortlaut noch den einschlägigen Gesetzesmaterialien entnehmen lassen. 2. Notwendigkeit der differenzierenden Betrachtung steuerlicher Verschuldensnormen nach ihrer Zugehörigkeit zu den Teilgebieten des materiellen Steuerrechts, des Verwaltungsverfahrensrechts sowie des Finanzprozeßrechts

Sollen rechtsnormüberschreitend allgemeine Aussagen über steuerliches Verschulden, insbes. über Fahrlässigkeitsmaßstäbe, getroffen werden, so stellt sich naturgemäß zunächst die Frage, ob dies für alle der oben 53 aufgelisteten Normen in Form einer Gesamtschau möglich ist. Voraussetzung dafür wäre, daß diese Vorschriften zumindest in wesentlichen Zügen eine einheitliche Zwecksetzung hätten, indem sie der Lösung gleichgelagerter Interessenlagen dienten. Dabei kann - das ist inzwischen unbestrittene Ansicht 54 - der Hauptzweck der Besteuerung, nämlich die Erzielung von Einnahmen zur Finanzierung der 48 Grundlegend zur Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Zurechnung Larenz, Hegels Zurechnungslehre, S. 90ff. 49 Als formales Kriterium ist z.B. der übereinstimmende Wortlaut von Verschuldensnormen aufzufassen. 50 Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 1963. 51 Modeme Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gefährdungsdelikte, JA 1975, 435ff., 511 ff., 647ff., 715ff., 787ff. . 52 So erfordert der Schuldgrundsatz (nulla poena sine culpa) für eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tatbegehung durchgehend einen individuellen Sorgfaltsverstoß des Täters. 53 Siehe oben Erster Teil. 54 Siehe dazu nur Kruse, Steuerrecht I Allgemeiner Teil, 3. Aufl., S. 93f.; Pauliek, Lehrbuch des allgemeinen Steuerrechts, 3. Aufl., S. 120 Rdnr. 285.

A. Einheitliche Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnonnen?

57

Haushalte öffentlich-rechtlicher Gemeinwesen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 AO), nicht zur Begründung eines steuerlichen Auslegungsleitsatzes "in dubio pro fisco" mit dem Ziel möglichst hoher Steuereinnahmen herangezogen werden. Dem anerkennenswerten Finanzbedarf der öffentlichen Haushalte - Allgemeininteresse - steht insoweit gleichrangig gegenüber das legitime Individualinteresse der Steuerbürger an einer möglichst gerechten, und das heißt wohl tendenziellindividuell, einer möglichst geringen Steuerbelastung 55 . Zudem würde durch eine solche Sichtweise den unterschiedlichen Zwecksetzungen der Normen des materiellen Steuerrechts, die neben der Beschaffung der Haushaltsmittel auch soziale Lenkungsaufgaben oder die Vereinfachung der Besteuerung zum Gegenstand haben 56, nicht Rechnung getragen. Ebenso lassen sich aus den - als steuerrechtsspezifische Konkretisierungen des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) aufzufassenden 57 - elementaren Grundsätzen einer gerechten Besteuerung, insbes. aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, keine globalen Aussagen über die Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen ableiten. Zwar ist heute anerkannt, daß diese Grundsätze nicht nur für die (richterliche) Rechtsanwendung, sondern ebenso für die Gesetzgebung und Verwaltung im Steuerrechtsbereich von herausragender Bedeutung sind, wenngleich ihre Wirkkraft vor allem im Hinblick auf den Steuergesetzgeber durchaus uneinheitlich beurteilt wird 58. Sie erfahren jedoch in mehrfacher Hinsicht Einschränkungen: Teilt man die Materie Steuerrecht (gewissermaßen vertikal) in die Teilmaterien des materiellen Rechts, Verwaltungsverfahrensrechts und Prozeßrechts, so zeigt sich, daß die materialen Gerechtigkeitsmaximen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und des Leistungsfähigkeitsprinzips durch konkurrierende Rechtszwecke im Ausmaß unterschiedliche Relativierungen erfahren. Während das materielle Steuerrecht, insbes. das Einkommensteuerrecht, vom Zweck einer sozialgerechten Abschöpfung wirtschaftlicher 55 Ähnlich Kruse, Steuerrecht I Allgemeiner Teil, 3. Aufl., S. 93f., der feststellt, die Absicht der Erzielung von Einnahmen sei "nicht der Zweck der Steuergesetze i.S. der teleologischen Auslegung", sondern "nur das Motiv für die Schaffung von Steuergesetzen und ihre allgemeine finanzpolitische Aufgabe". 56 Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 17 f. unterscheidet die drei N onngruppen der "Finanzzwecknonnen", "Sozialzwecknonnen" und "Vereinfachungsnonnen". 57 Zur verfassungsrechtlichen Ableitung s. Jakob, Steuern vorn Einkommen I, S. 34ff.; Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 27ff. 58 Dem Standpunkt des BVerfG, daß Art. 3 Abs. 1 GG auch im Steuerrecht nur ein "Willkürverbot" bedeute und daher der Gesetzgeber aus sachlich einleuchtenden Gründen Abweichungen vorn Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit anordnen könne (BVerfGE 43, 108, 119ff., st. Rspr.) tritt insbesondere Tipke (Steuerrecht, 10. Aufl., S. 31 ff.) entgegen, der aus Art. 3 Abs. 1 GG die Forderung an den Gesetzgeber nach der Auswahl sachgerechter Besteuerungsprinzipien und deren konsequenter, wertungsmäßig folgerichtiger Durchführung ableitet. Das BVerfG indessen sieht in einer Verletzung des Erfordernisses der Systemgerechtigkeit lediglich ein Indiz für die Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (BVerfGE 59, 36, 49).

58

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

Leistungsfähigkeit beherrscht wird 59, tritt dieser Telos im Verwaltungsverfahrensrecht und im Finanzprozeßrecht zunehmend in Konkurrenz mit Verfahrensmaximen, deren Zweck darin besteht, in angemessener Zeit eine verbindliche Entscheidung im Steuerverfahren oder in Steuerstreitigkeiten herbeizuführen, also Rechtssicherheit zu erzeugen. Allerdings läßt sich auch im materiellen Steuerrecht das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht in reiner Form verwirklichen, da wegen des Massencharakters des Besteuerungsverfahrens bereits die Normen des Steuerschuldrechts leicht handhabbar sein müssen 60 • Auf legislativer Ebene wird dies deutlich durch Vereinfachungsnormen wie Pauschbetragsregelungen für Werbungskosten und Sonderausgaben 61 oder Bestimmungen über Freibeträge und Freigrenzen 62, im Bereich der Exekutive wird das Mittel der typisierenden Betrachtungsweise 63 eingesetzt, um der Flut von Steuerfällen Herr zu werden. Angesichts dieser doch grundlegenden Unterschiede in der Zwecksetzung von Steuergesetzen erscheint eine nach Rechtsmaterien differenzierende Betrachtung der Verschuldensnormen unumgänglich 64 , auch und gerade soweit es darum geht, allgemeine Aussagen über deren Interpretation zu treffen. Daß letztlich das Auslegungsergebnis im konkreten Anwendungsfall von der Teleologie der jeweiligen Verschuldensnorm abhängig ist 65 , kann den Wert grundsätzlicher Erkenntnisse als Leitlinien nicht in Frage stellen. Demgemäß wird bei der folgenden Analyse der Wertungsgesichtspunkte differenziert nach den Bereichen des materiellen Steuerrechts, Verwaltungsverfahrensrechts und des Finanzprozeßrechts.

59 Wenngleich in zunehmendem Maße das Steuerrecht für die Erfüllung sozialer Steuerungszwecke in Anspruch genommen wird, was nunmehr in § 3 Abs. 1 Satz 1 AO ausdrücklich für zulässig erklärt wird, so steht doch der Finanzzweck ganz überwiegend im Vordergrund. 60 Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 57 spricht insoweit vom "Praktikabilitätsprinzip". 61 Siehe dazu etwa §§ 9 a (Werbungskosten), 10 c (Sonderausgaben) EStG. 62 So z.B. §§ 16 Abs. 4, 17 Abs. 3, 18 Abs. 4, 19 Abs. 2 - 4,20 Abs. 4, 23 Abs. 4, 24 a EStG. 63 Hierunter fällt als beliebte und häufig praktizierte Spielart dieser generalisierenden Rechtsanwendungsmethode die Aufstellung von Pausch- bzw. Richtsätzen in den Verwaltungsvorschriften. 64 In diesem Sinne explizit Beisse, Kapitel "Auslegung" in: Handwörterbuch des Steuerrechts, 1. Bd., 2. Aufl., S. 135 ff., der allgemein für die teleologische Auslegung der Steuergesetze eine "Differenzierung nach Rechtsgebieten" für notwendig hält. 6S Dies zeigt sich m.E. deutlich bei den heterogenen Formen der Fahrlässigkeit im Zivilrecht (s.o. Zweiter Teil A III).

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

59

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts I. Zurückhaltende Verwendung von Verschuldensnormen durch den Steuergesetzgeber Betrachtet man den positiv-rechtlichen Normbestand des Einkommensteuerrechts und des steuerschuldrechtlichen Teils der Abgabenordnung, so fällt auf, daß der Steuergesetzgeber in diesen Bereichen höchst selten für den Eintritt von Rechtsfolgen schuldhaftes Verhalten (insbes. des Steuerpflichtigen) voraussetzt. Konkret ist dies nur für einige Haftungstatbestände der Abgabenordnung 66 der Fall, soweit bei der Anwendung einkommen steuerlicher Vorschriften über Verschuldensfragen diskutiert wird 6 7, findet dies im Gesetz selbst keine Stütze, sondern beruht darauf, daß in den Auslegungsvorgang Überlegungen sozialethischer und rechtspolitischer Natur sowie Verhältnismäßigkeitserwägungen eingebracht werden, aufgrund derer die Berücksichtigung von Schuldmomenten geboten sein soll. Mit dieser Erkenntnis, daß im Steuerschuldrecht unter den Normen, in deren Tatbestand Verschulden relevant wird, die "gekorenen" nach Zahl und praktischer Bedeutung gegenüber den "geborenen" das Übergewicht haben, entsteht bereits prima vista der Eindruck, der Gesetzgeber habe wegen der von ihm selbst angeordneten Wertneutralität des Steuerrechts 68 weitgehend auf die Verwendung rechtsethisch wertender Verschuldenselemente bewußt verzichtet und die von Rechtsprechung und Literatur vorgenommene "Aufladung" wertneutraler Normen mit Verschuldenselementen stünde daher zumindest tendenziell im Widerspruch zu dieser Entscheidung. Ob diese (grundsätzliche) These Einschränkungen durch konkurrierende Wertungsgesichtspunkte erfährt, bedarf an dieser Stelle keiner abschließenden Klärung, ein Lösungsversuch bleibt den auf die einzelnen Verschuldensnormen bezogenen Ausführungen 69 vorbehalten.

66 Siehe §§ 69, 72 AO; §§ 70, 71 AO setzen demgegenüber die Begehung bestimmter Steuerstraftaten bzw. -ordnungswidrigkeiten voraus. 67 Dies gilt vor allem im Bereich der Frage nach der Abzugsfähigkeit (grob) schuldhaft herbeigeführter Aufwendungen als WerbungskostenjBetriebsausgaben nach §§ 9 Abs. 1 Satz 1,4 Abs. 4 EStG bzw. als außergewöhnliche Belastungen gern. § 33 EStG und bei der Betätigung des Auswahlermessens der Behörde darüber, wer - der Arbeitnehmer als Steuerschuldner oder der Arbeitgeber als Haftender - für nicht oder fehlerhaft einbehaltene Lohnsteuer gern. § 42 d EStG in Anspruch genommen wird. 68 Die Abgabenordnung schreibt in § 40 nicht nur die profiskalische Seite fest, wenn dort ein Gesetzes- oder Sittenverstoß als für die Besteuerung unerheblich erklärt wird, vielmehr bleibt der Makel der Rechtswidrigkeit oder Sittenwidrigkeit steuerlich sowohl bei steuerbegründenden als auch bei steuermindemden Sachverhalten außer Betracht. So deutlich Tipke j Kruse, Rdnr. 6 zu § 40 AO: "Muß der Händler den aus dem Verkauf gestohlener oder geschmuggelter Waren erzielten Erlös als Betriebseinnahmen verbuchen, so sind die an den Dieb oder Schmuggler geleisteten Zahlungen Betriebsausgaben". 69 Siehe unten Vierter Teil.

60

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

11. Rechtsfragen des vorsätzlichen Verhaltens In Entsprechung zum zivil- und strafrechtlichen Verständnis des Vorsatzes 70 bedeutet Vorsatz auch im Steuerrecht unstreitig die Kenntnis der den objektiven Tatbestand des Steuergesetzes erfüllenden Umstände, verbunden mit dem Wollen - bzw. dem Inkaufnehmen bei der Art des bedingten Vorsatzes - der Tatbestandsverwirklichung. Als Verschuldensform des materiellen Steuerrechts spielt der Vorsatz im Vergleich mit der Fahrlässigkeit eine untergeordnete Rolle, was einmal darauf beruht, daß nach dem Gesetz regelmäßig bei beiden Verschuldensformen Rechtsnachteile eintreten und - damit eng zusammenhängend - sich zum anderen daraus ergibt, daß die vorsatzbegründenden intellektuellen und voluntativen Elemente wegen ihrer strengen Ausrichtung auf die Individualität des Handelnden 71 in der Praxis häufig nicht nachweisbar sind. Ob der Vorsatz im Steuerrecht daneben das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit bzw. - in den Fällen des sog. Verschuldens gegen sich selbst, den Obliegenheitsverletzungen - das Wissen um die "Obliegenheitswidrigkeit"72 erfordert, oder ob dies entsprechend der strafrechtlichen Dogmatik eine Frage steuerrechtlicher "Schuld" ist, soll hier nur in der der geringen praktischen Relevanz 73 entsprechenden Kürze behandelt werden. Vgl. Zweiter Teil Allund B 11. Als Zurechnungsform stellt der Vorsatz die engste Verknüpfung zwischen dem Willen des Handelnden und der Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolgs her, was im Prozeß zur Folge hat, daß ein prima-facie-Beweis insoweit bereits grundsätzlich (so Palandt-Heinrichs, 45. Aufl., Vorbem. 8 a aa vor § 249 BGB, Thomas-Putzo, 14. Aufl., Anm. 4 b zu § 286 ZPO),jedenfalls aber wegen Fehlens eines entsprechenden Erfahrungssatzes ausgeschlossen ist. Der individuelle Willensentschluß ist seinem Wesen nach einem erfahrungsmäßigen, auf die Typizität der Ereignisse abstellenden Nachweis in aller Regel nicht zugänglich. 72 Dieser Terminus von Deutsch (Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 59 und öfters) ist der nicht sonderlich klaren Formulierung Reimer Schmidts (Die Obliegenheiten, S.318), der die rechtliche Mißbilligung von Obliegenheitsverletzungen als "analog rechtswidrig" bezeichnet, vorzuziehen. 73 Praktische Bedeutung vermag diese Frage bei Normen, die Nachteile nur bei vorsätzlichem oder grob fahrlässigem Verhalten eintreten lassen, in bestimmten Konstellationen durchaus zu erlangen, wie folgendes Beispiel zeigt: Der Geschäftsführer einer GmbH setzte in der Steuerbilanz 1980 eine rechtlich unzulässige Rückstellung an, was zu einer niedrigeren Körperschaftsteuerfestsetzung und -zahlung führte. Dabei waren ihm die tatsächlichen Umstände bewußt, er irrte jedoch leicht fahrlässig über die Passivierungsfahigkeit. Bevor das Finanzamt die Körperschaftsteuernachzahlung realisieren kann, fällt die GmbH in Konkurs und ihr Geschäftsführer wird nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Bei Anwendung der strafrechtlichen Schuldtheorie läßt der Irrtum über die Pflichtwidrigkeit den Tatbestandsvorsatz unberührt, die Vorsatzschuld ist wegen Vermeidbarkeit des Irrtums gegeben, so daß ein Haftungsanspruch bestünde. Nach der Vorsatztheorie dagegen läßt der Irrtum über die Rechtswidrigkeit (in der Regel) den Vorsatz entfallen, eine leicht fahrlässige Pflichtverletzung aber löst nach § 69 AO keinen Schadensersatzanspruch aus. 70

71

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

61

Die Lösung dieser Frage ist im Hinblick auf die Eigenart der zur Beurteilung anstehenden Rechtsmaterie vorzunehmen, insbes. muß sie dem jeweiligen Rechtsfolgensystem entsprechen. So findet der differenzierte dreistufige Deliktsaufbau des Strafrechts mit der Verortung des Unrechtsbewußtseins auf der Schuldstufe seine Rechtfertigung in rechtspolitischen und sanktionsbezogenen Erwägungen. Da die Straftatbestände des Besonderen Teils des StGB überwiegend vorsätzliche Tatbegehung voraussetzen, sollen kriminalpolitisch unerwünschte Strafbarkeitslücken verhindert werden, hinzu kommt, daß die "Schuldtheorie" besser dem dualistischen Sanktionssystem von Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung entspricht. Ausdruck dieser teleologischen Überlegungen ist die nunmehrige Regelung des Tatbestands- und Verbotsirrtum in den §§ 16, 17 StGB. Im Zivilrecht hingegen besteht zu solch kunstvoller Gliederung der Rechtsfolgevoraussetzungen keine Veranlassung 74 . Zum einen bewirkt die Auslösung verschuldensabhängiger Sanktionen des· Zivilrechts ganz überwiegend sowohl vorsätzliches als auch fahrlässiges Verhalten, zum anderen sieht das Zivilrecht nicht unterschiedliche Rechtsfolgen je nachdem vor, ob ein Tatbestand allein vorsätzlich 75 oder zusätzlich im Bewußtsein der Rechtswidrigkeit verwirklicht wurde 76. Es erscheint daher sachgerecht, wenn als Bezugspunkt des bürgerlich-rechtlichen Vorsatzes die objektiv widerrechtliche Tatbestandsverwirklichung angesehen wird und demgemäß der Rechtsirrtum grundsätzlich dieselbe Behandlung wie der Tatsachenirrtum erfährt. Soweit das materielle Steuerrecht Sanktionen an vorsätzliches Verhalten anknüpft, steht der Sinn und Zweck des Verschuldenserfordernisses einer vorsatzausschließenden Wirkung sowohl des Rechts- als auch des Tatsachenirrtums nicht entgegen. Ebenso wie das Zivilrecht sieht das Steuerrecht keine qualitativ unterschiedlichen Rechtsfolgen für bloß tatbestandsmäßig-vorsätzliches und bewußt rechtswidriges Handeln vor. Diesem "Alles-oder-Nichts"Prinzip auf der Rechtsfolgenseite 77 entspricht es am ehesten, wenn man -

74 Ebenso Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 61, der zutreffend darauf hinweist, daß Tatbestandsstrukturen nicht Selbstzweck sein dürfen: "Die Zuweisung und Ordnung der Elemente können im Privatrecht nur insoweit besonderes Interesse beanspruchen, als sie von praktischer Bedeutung sind". 7S Im Hinblick auf die Verwirklichung der (objektiven) Tatbestandsmerkmale. 76 Die negatorischen (z.B. §§ 862, 1004 BGB) bzw. quasinegatorischen Unterlassungsansprüche können hier nicht herangezogen werden, da sie lediglich einen objektiv rechtswidrigen Eingriff voraussetzen und damit weder Tatbestandsvorsatz (bzw. -fahrlässigkeit) noch das Bewußtsein der Widerrechtlichkeit vonnöten ist. 77 Das bedeutet, daß beispielsweise schuldhaft herbeigeführte Aufwendungen entw~der "zwangsläufig" i.S. des § 33 Abs. 1 EStG und damit (vorbehaltlich des § 33 Abs. 3 EStG) in voller Höhe abzugsfähig sind, oder aber wegen Fehlens der Zwangsläufigkeit bereits dem Grunde nach keine außergewöhnlichen Belastungen darstellen. Gleiches gilt etwa bei der Haftung nach §§ 69,72 AO, die entweder in voller (Schadens-)Höhe oder gar nicht eingreift.

62

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

gewissermaßen spiegelbildlich - auf der Seite der Rechtsfolgevoraussetzungen den Vorsatz auf die pflicht- bzw. obliegenheitswidrige Verwirklichung der (objektiven) Tatbestandsmerkmale bezieht und damit dem Rechtsirrtum wie dem Irrtum über tatsächliche Umstände vorsatzausschließende Wirkung beimißt'8. Soweit in der steuerrechtlichen Literatur überhaupt auf die Frage des Pflichtwidrigkeitsbewußtseins eingegangen wird, geschieht dies mit wenigen Worten zugunsten der auch hier vertretenen "Vorsatztheorie", eine argumentative Absicherung dieses Ergebnisses sucht man vergebens 79 • Kann wegen eines Rechtsirrtums Vorsatz nicht angenommen werden, so bleibt bei Vermeidbarkeit des Irrtums immer noch die Möglichkeit der Sanktionierung wegen Fahrlässigkeit offen. Für Ausnahmen von der vorsatzausschließenden Wirkung des Rechtsirrtums in den Fällen von "Rechts blindheit", wie dies im zivilrechtlichen Bereich vertreten wird 80, sehe ich keinen Anlaß. Ein solcher Irrtum wird nämlich in aller Regel die Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit erfüllen und dadurch die steuerliche Sanktion auslösen. Daß nach der hier vertretenen Auffassung ein auf nur leichter oder mittlerer Fahrlässigkeit beruhender Rechtsirrtum bei zumindest grob fahrlässige Verwirklichung voraussetzenden Steuernormen keine Rechtsnachteile zur Folge hat 81 , ist als Konsequenz der Wertung, die der Gesetzgeber mit gelockerten Sorgfaltsanforderungen zum Ausdruck gebracht hat, hinzunehmen. IH. Rechtsfragen der Fahrlässigkeit insbes. im Hinblick auf die in Steuerangelegenheiten zu wahrende Sorgfalt

Die Frage nach dem geltenden Fahrlässigkeitsmaßstab ist - und das hat rechtsgebietsübergreifend Gültigkeit - nicht nur eines der in der Rechtslehre am intensivsten diskutierten Themen aus dem weiten Feld der Verschuldensprobleme, sondern hat zudem für die Rechtspraxis große Bedeutung. Dabei kann unter dem Vorbehalt durch den Zweck der konkreten Verschuldensnorm bedingter Abweichungen im Einzelfall auch für das Steuerrecht davon ausgegangen werden, daß die Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt durch die tragenden Wertungen und spezifischen Interessenlagen der jeweiligen Rechtsmaterie maßgeblich beeinflußt wird. Im folgenden gilt es zu ermitteln, welcher der mit dem Wortlaut des Begriffes "Fahrlässigkeit" vereinbaren Sorgfaltsmaßstäbe der Eigenart des materiellen Steuerrechts tendenziell am besten gerecht wird. 78 Ebenso für eine Gleichbehandlung von Rechts- und Tatsachenirrtum im Zusammenhang mit der Ermessensbetätigung nach § 42 d Abs. 3 Satz 2 EStG Offerhaus BB 1982, 793,796. 79 So stellen Tipke / Kruse in ihrer Kommentierung (Rdnr. 8 zu § 69 AO) lediglich marginal fest: "Vorsätzlich handelt, wer die Pflichten gekannt und ihre Verletzung gewollt hat." Im gleichen Sinne Amold Müller GmbHR 1984, 45, 46. 80 Siehe dazu oben Zweiter Teil A II 2. 81 Vgl. hierzu den in Fußnote 73 gebildeten Haftungsfall.

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

63

1. Untauglichkeit des Maßstabs der (zivi/rechtlichen) diligentia quam in suis

Diejenigen Fälle, in denen das BGB statt der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ausnahmsweise die für den Schuldner eigenübliche Sorgfalt zum Maßstab des Fahrlässigkeitsurteils erklärt, werden im wesentlichen mit der Überlegung gerechtfertigt, daß es sich dort um engere Rechtsbeziehungen handele, bei denen sich die Partner so nehmen, wie sie sich kennen 82. Für das Steuerrecht ist dieser Maßstab des "Eigenüblichen" ungeeignet. Zwar erzeugen auch die materiell-rechtlichen Normen des Steuerrechts (steuer-)schuldrechtliche Beziehungen zwischen Steuergläubigern und Steuerschuldnern, denen über weite Strecken das allgemeine Schuldrecht des BGB als Vorbild gedient hat und die deshalb häufig einer analogen oder rechtsgedanklichen Heranziehung von Vorschriften des BGB zugänglich sind 83 • Jedoch unterscheidet sich seiner Eigenart nach das Steuerschuldverhältnis grundlegend von den Anwendungsfällen der konkreten Fahrlässigkeit des Zivilrechts, denen gemein ist, daß sie ein vertraglich begründetes Schuldverhältnis mit personalem Bezug oder treuhänderischem Charakter voraussetzen. Das steuerliche Schuldverhältnis entsteht demgegenüber kraft Gesetzes, wer Schuldner und Gläubiger des Steueranspruchs sein soll, unterliegt nicht der Disposition der Beteiligten, sondern ergibt sich zwingend aus den Steuerrechtsnormen. Die persönlichen Eigenarten und Umstände des Steuerpflichtigen bleiben im steuerlichen Bereich grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, sie sind als die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinflussende Faktoren vom Gesetz anerkannt 84 • 2. Zur Sachgerechtigkeit generalisierender und individueller Sorgfaltsanforderungen im Steuerschuldrecht

Nachdem, wie sich gezeigt hat, dem Maßstab der eigenüblichen Sorgfalt die steuerrechtliche Anerkennung versagt werden muß, verbleiben als diskussionswürdige Fahrlässigkeitsmaßstäbe die standardbezogenen Anforderungen, wie sie in § 276 Abs. 1 Satz 2BGB und weiteren zivilrechtlichen Bestimmungen 85 ihren Niederschlag gefunden haben, sowie die weitgehend die Individualität des 82 Hanau in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 23 zu § 277 BGB; Deutsch, Haftungsrecht I, S. 291. Diese Rechtfertigung wird ebenso wie die Praktikabilität des haftungsbeschränkenden Maßstabs der eigenüblichen Sorgfalt zunehmend in Frage gestellt; Ausdruck dessen ist - de lege lata - die teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der culpa in concreto und - de lege ferenda - die Forderung nach ihrer Ersetzung durch einen geeigneteren Sorgfaltsmaßstab (Deutsch a.a.O., S. 292mit zahlreichen Nachweisen). 83 Dazu Tipke, JuS 1970, 149f. 84 Durch individuelle Lebensumstände bedingte Posten der Einkommensverwendung können beispielsweise nach §§ 33 - 33 b EStG als außergewöhnliche Belastungen steuermindemde Berücksichtigung finden. 85 SO Z.B. in §§ 347 Abs. 1 HGB, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG.

64

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

Handelnden berücksichtigenden Anforderungen, wie sie aus dem Bereich strafrechtlicher Schuld bekannt sind. Im Rahmen der Fragestellung nach dem Umfang der Berücksichtigung individueller Momente ist auch aus steuerrechtlicher Sicht streng zwischen der Individualität der zu beurteilenden objektiven Sachlage und der persönlichen Eigenart des zu sorgfältigem Verhalten Verpflichteten zu unterscheiden. Hinsichtlich der äußeren Umstände des konkreten Einzelfalls gilt der Grundsatz, daß diese insgesamt in die Tatsachengrundlage des Fahrlässigkeitsurteils einzustellen sind 86. Die eigentliche Problematik liegt wie im Zivil- und Strafrecht hingegen bei der Bewertung eines Verhaltens als pflichtgemäß bzw. pflichtwidrig. Ob hierbei ein Vergleich mit einem (gedachten) gewissenhaften, sorgfältigen Steuerpflichtigen anzustellen ist 87 oder ob jeder Steuerpflichtige die ihm nach seiner physischen und psychischen Disposition 88 persönlich zumutbare Sorgfalt zu wahren hat 89 , soll nunmehr in den Mittelpunkt topischer Betrachtung rücken. a) Unmaßgeblichkeit der Fahrlässigkeitsbegriffe des Zivil- und Strafrechts Bei der Ermittlung des dem Steuerschuldrecht adäquaten Fahrlässigkeitsmaßstabs liegt es nahe, zunächst nach wertungs- und wesensmäßigen Parallelen im Hinblick auf die Verschuldensnormen des Schuldrechtsteils des BGB zu fragen. Ein solcher Vergleich erweist sich jedoch sehr bald als unergiebig. Die Rezeption vieler schuldrechtlicher Institute des Bürgerlichen Rechts in das Steuerschuldrecht 90 hat nämlich vorwiegend den regelungs technischen Zweck 86 Zur Zulässigkeit typisierender Betrachtung bei der Feststellung steuerlicher Fahrlässigkeit s. Dritter Teil B III 3. 87 Ein so verstandener objektivierter Sorgfaltsmaßstab wird in einigen Urteilen des BFH (BStBl II 1971,615 zur Haftung nach § 109 AO a.F.; BStBllI 1982,749,751 zum Ausschluß der Zwangsläufigkeit außergewöhnlicher Belastungen wegen grober Fahrlässigkeit) angewandt und auch von einem Teil des Schrifttums (Klein j Orlopp, 3. Aufl., Anm. 8 zu § 69 AO; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 33 f.; Koch, 2. Aufl., Rdnr. 9 zu § 69 AO; JakobjJüptner StuW 1983, S.206, 216 zur Zwangsläufigkeit außergewöhnlicher Belastungen) vertreten. 88 Im Bezug auf Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten in steuerlichen Angelegenheiten. 89 So vereinzelte BFH-Judikate (BStBl III 1958, 367 zur steuerrechtlichen Haftung) und die in der Literatur herrschende Ansicht (Tipke j Kruse Rdnr. 9 zu § 69 AO, Rdnr. 7 zu § 109 AO a.F.; v.Wallis in HübschmannjHeppj Spitaler, Rdnr. 16 zu § 69 AO; Kühn j Kutter j Hofmann, 14. Aufl., Anm. 3 c zu § 69 AO; Schwarz in Schwarz, Rdnr. 14 zu § 69 AO; Mösbauer DStR 1982, 123, 125 und StB 1985, 93, 95; Mittelbach DStZj A 1984, 211,212; Fichtelmann, Haftung für Steuerschulden, S. 15 f.; Guthj Ling, Steuerrechtliche Haftung, S. 17; Münstermann, Die Verschuldenshaftung Dritter nach § 109 Reichsabgabenordnung in: Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze (Hrsg. Günther Felix), S. 303, 307f.). 90 Siehe dazu die Zusammenstellung derjenigen Regelungen des Steuerschuldrechts, denen das BGB Pate gestanden hat, bei Tipke JuS 1970, 149, 150.

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

65

der Rechtsvereinfachung mittels eines Rückgriffs auf bekannte und bewährte Strukturen. Dies gilt auch und gerade für die "Fahrlässigkeit", soweit sie der Gesetzgeber als Zurechnungsform in das Steuerrecht übernommen hat. Das Maß der zu wahrenden Sorgfalt kann - soweit nicht bereits der Gesetzgeber selbst eine diesbezügliche Regelung getroffen hat - nur unter Berücksichtigung der Eigenart der jeweiligen Rechtsmaterie und damit im Wege materialer Betrachtung ermittelt werden. Wie sich gezeigt hat 91 , sind es im Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse Überlegungen des Vertrauensschutzes im Hinblick auf die Wahrung der gruppen- oder verkehrstypischen Sorgfalt, im Deliktsrecht Erwägungen einer gerechten Auferlegung bzw. Aufteilung des Schadensrisikos. Diese zivilrechtlichen Wertungen finden im Steuerrecht kein Pendant. Zwar ist es möglich, einen steuerlichen Verkehrskreis zu definieren, dem Steuerpflichtigen darin eine "Rolle" zuzuweisen und von ihm die Wahrung der Sorgfalt eines "gewissenhaften Steuerpflichtigen"92 zu verlangen. Jedoch fehlt es im Steuerrecht an der Freiwilligkeit der Teilnahme am Rechtsverkehr, da das Steuerschuldverhältnis und andere steuerliche Rechtspflichten 93 unabhängig von einem Willensentschluß des (virtuell) Steuerpflichtigen kraft Gesetzes entstehen. Das bürgerlich-rechtliche Vertrauens- und Verkehrsschutzargument beruht darauf, daß die Teilnahme am Rechtsverkehr grundsätzlich zur Disposition des einzelnen gestellt ist 94 und es deshalb gerechtfertigt und für den Betroffenen zumutbar erscheint, wenn von ihm die Beachtung der verkehrskreis- oder gruppentypisch geforderten Sorgfalt erwartet wird. Demnach erweist sich ein Vergleich mit dem Vertrags- und Deliktsstatut des BGB als wenig aussagekräftig. Zur Bestimmung des Inhalts steuerrechtlicher Fahrlässigkeit bedarf es folglich einer auf die Spezifität des Steuerschuldverhältnisses abstellenden eigenständigen Argumentation. b) Kein strafähnlicher Charakter steuerschuldrechtlicher Rechtsfolgen Die Wertung, daß Rechtsfolgen, die ihrer Natur nach nicht nur auf einen interessengerechten Vermögensausgleich unter den Parteien ausgerichtet sind, sondern daneben oder ausschließlich einen Tadel, eine Maßregelung der Person beinhalten, einen individuell vorwerfbaren Sorgfaltsverstoß voraussetzen, findet im materiellen Steuerrecht kein Anwendungsfeld. Die Sanktionen beschränken sich hier auf die Vermögenssphäre des Steuerpflichtigen, ein gegen die Person gerichteter Tadel des pflichtwidrigen Verhaltens ist damit nicht verbunden 95 . Dazu ausführlich Zweiter Teil A ur 2 b. Die in einem solchen normativen Maßstab zum Ausdruck kommende Tautologie ist dem Verfasser bewußt; sie erscheint indes unvermeidlich und wird von der Rechtslehre stillschweigend hingenommen. 93 Siehe dazu §§ 33 ff. AO. 94 Dieses Prinzip der Privatautonomie erfährt nur ausnahmsweise z.B. durch Kontrahierungszwang bei Monopolstellungen Einschränkungen. 91

92

5 Barwitz

66

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

c) Zur Hafttiefe steuerschuldrechtlicher Rechtsbeziehungen Ein wichtiger Auslegungstopos im Rahmen der Frage, ob der Eintritt der Rechtsfolgen einer Verschuldensnorm die Verletzung der individuell möglichen oder der objektiv gebotenen Sorgfalt voraussetzt, läßt sich aus dem Wesen der Sorgfalt erfordernden Rechtsbeziehung gewinnen. Der Wert dieses auf die "Natur der Sache" abstellenden Kriteriums hat sich vor allem im Zivilrecht aufgrund der dort bestehenden Verschiedenheit der Rechtsverhältnisse erwiesen 96 • Es obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber, die zur Vermeidung von Sanktionen erforderliche Sorgfalt näher zu beschreiben, insbes. über die Berücksichtigung der Individualität der Person zu befinden. Dabei hat dieser einen weiten Gestaltungsspielraum, dessen Grenzen vor allem durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dergestalt gezogen sind, daß auf das Wesen der Rechtsmaterie Bedacht zu nehmen ist 97 • Konkretisiert das Gesetz den Sorgfaltsmaßstab - wie dies häufig und vor allem auch im Steuerrecht der Fall ist 98 - nicht, obliegt die Entscheidung über die Erheblichkeit persönlicher Eigenarten zwangsläufig dem Rechtsanwender im Wege der Auslegung. Ziel der Interpretation hat dabei die Sachgerechtigkeit des ermittelten Maßstabs zu sein. Die Beantwortung der Frage, inwieweit das Recht den Menschen an einem wie auch immer gestalteten Typus mißt oder ihn als Individuum betrachtet, muß bei dem Grad der persönlichen Eingebundenheit in ein Rechtsverhältnis ihren Ausgangspunkt nehmen. In der Tat ist festzustellen, daß die Rechtsordnung über weite Strecken die Eigenheiten und Eigenschaften der Person in Gänze für rechtlich irrelevant oder nur hinsichtlich eines bestimmten Segments für bedeutsam erklärt. Es sind dies diejenigen Bereiche, in denen der einzelne in einer sozialen Rolle, der "Sozialgestalt"99 eines Mieters, Käufers, Kraftfahrers, Bauherrn etc. am Rechtsleben teilnimmt. Über die Beteiligten solchermaßen geprägter Rechtsbeziehungen sagt Heinrich Henkel treffend: "Sie gehen in diesen Sozialgestalten einander nur insoweit an, als der 95 Soweit nach §§ 4 Abs. 5Nr. 8,9 Abs. 5, 12 Nr. 4 EStG Geldstrafen, Bußgelder etc. nicht steuermindernd wirken dürfen, bedeutet dies nicht eine eigenständige steuerliche Strafsanktion, sondern dient lediglich der Erhaltung der Wirkkraft einer bereits ausgesprochenen Maßregelung. Das Steuerrecht (be-)wertet insofern nicht selbst ein inkriminiertes Verhalten, sondern respektiert nur die Wertung des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, daß Geldstrafen und -bußen (in voller Höhe) auf dem Täter lasten sollen. 96 Siehe dazu oben Zweiter Teil A 111 2 b cc. 97 Nichts anderes fordert das BVerfG, wenn es aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Willkürverbof ableitet: "Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, kurzum wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß." (BVerfGE 1, 14, 16 (LS 18), 52, SüdweststaatUrteil, st. Rspr.). 98 Gegenbeispiele sind insofern die im zweiten Teil in FN 25 a'Ufgezählten Konkretisierungen aus dem Handelsrecht. 99 Heinrich Henkel, Recht und Individualität, S. 8ff. und passim.

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

67

gemeinsame Bezug reicht; im übrigen aber bleiben sie, sowohl hinsichtich der anderen Rollen, die sie im sozialen Leben ausfüllen, wie auch vor allem in dem Kern ihrer Individualität, einander unerschlossen." 100 Dadurch, daß der Mensch in einer Vielzahl solcher sozialer Rollen - häufig sogar gleichzeitig - im Rechtsverkehr auftritt, wandelt sich der Ausschnitt rechtlich relevanter Individualität der Größe wie der Lage nach ständig. Hierbei können als Determinanten vor allem die Dauer und die Intensität, der personale Bezug eines Rechtsverhältnisses angesehen werden 101. Die Erkenntnis, daß das Segment rechtlich erheblicher persönlicher Eigenschaften vom Wesen der konkreten rechtlichen Beziehung abhängig ist, hat nicht nur Gültigkeit für den Bereich des Zivilrechts, sondern gilt ebenso für denjenigen Bürger, der sich dem Staat in einer dem öffentlichen Recht zuzurechnenden "Sozialgestalt" eines Wahlbürgers, Straßenverkehrsteilnehmers, Wehrpflichtigen und nicht zuletzt eines Steuerpflichtigen gegenüber sieht. Auch die "Hafttiefe"102 verwaltungsrechtlicher Rechtsverbindungen divergiert in starkem Maße. Dies wird deutlich, vergleicht man beispielsweise die polizei- und sicherheitsrechtliche Verantwortlichkeit des "Störers" mit der Rechtsposition eines Kriegsdienstverweigeres. Während für die Inpflichtnahme des "Störers" ohne Rücksicht auf Verschulden die Verursachung l03 einer Gefahr ausreicht, so daß die persönliche Individualität des Verantwortlichen ohne Belang ist, bedarf es bei der Entscheidung über die Berechtigung einer Kriegsdienstverweigerung der umfassenden Würdigung der Person des Antragstellers lO4 . Für das Steuerrecht ist festzustellen, daß der Bürger als Steuerpflichtiger nicht umfassend mit seiner Person in ein Pflichtenverhältnis eingebunden ist. Die Entstehung des (einkommensteuerlichen) Steueranspruchs hängt ab von der objektiven Erbringung einer nach dem Katalog der Einkunftsarten des EStG steuer baren Leistung, dabei bleiben persönliche Merkmale außer Betracht. Nach dem Steuergesetz interessiert insoweit nur, welche Steigerung wirtschaftli. cher Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtige durch seine Tätigkeit als "LandA.a.O. S. 9. Dies wird deutlich, vergleicht man einen Barkauf des täglichen Lebens mit einem Arbeitsverhältnis. Der Barkauf ist dadurch gekennzeichnet, daß er innerhalb kürzester Zeit abgewickelt wird und das Interesse der Parteien nahezu ausschließlich dem Kaufgegenstand und dessen Eigenschaften gilt, dementsprechend geringes Gewicht hat die Person von Käufer und Verkäufer. Das Arbeitsverhältnis hingegen ist auf Dauer angelegt und führt zu einer Eingliederung in das soziale Gebilde eines "Betriebs", weshalb neben dem Austausch Arbeitsleistung - Entgelt die Individualität von Arbeitnehmer und Arbeitgeber Bedeutung erlangt. 102 Terminus nach Heinrich Henkel, Recht und Individualität, S. 10 und ständig. 103 Wobei überwiegend die "unmittelbare" Verursachung gefordert wird (Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl., S. 102f.) 104 So lautet § 26 Abs. 4 Satz 1 WehrpflichtG: "Die Ausschüsse haben bei ihrer Entscheidung die gesamte Persönlichkeit des Antragstellers und sein sittliches Verhalten zu berücksichtigen." 100 101

S'

68

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

und Forstwirt", "Selbständiger", "Gewerbetreibender" usw. im Veranlagungszeitraum erfahren hat. Damit werden nach Grund und Umfang die steuerbaren Einkünfte an teils vom Steuerrecht aus der Lebenswirklichkeit übernommene, teils vom Steuerrecht eigens definierte "Rollen" der Teilnahme am Wirtschaftsleben angeknüpft. Daß der Steuergesetzgeber hierbei mit Typusbegriffen arbeitet 105 , kann als gesetzgebungstechnischer Ausdruck der Befugnis, aber auch der Notwendigkeit einer objektivierten, generalisierenden Betrachtungsweise angesehen werden. Ähnliches gilt in den Fällen, in denen das Steuerrecht aufgibt, für die Begleichung der Steuerschulden Dritter Sorge zu tragen oder sonstige Vorkehrungen zur Meidung von Schädigungen des Steuerfiskus zu treffen 106. Auch insoweit findet sich der Steuerpflichtige nicht umfassend mit seiner Person in ein Rechtsverhältnis eingebunden, das Steuerrecht betrachtet ihn vielmehr in seiner sozialen Funktion, seiner Rolle als Arbeitgeber, Vorstand einer Aktiengesellschaft, Vormund, Bankangestellter usf. und erwartet von ihm die Einhaltung des in der jeweiligen Funktion maßgeblichen Standards. Die geringe Hafttiefe steuerschuldrechtlicher Rechtsverhältnisse weist damit in die Richtung einer generalisierenden Sichtweise der steuerrechtlich geforderten Sorgfalt. d) Steuerliche Fahrlässigkeit im Blickwinkel des Prinzips der Steuergerechtigkeit Versucht man die Bestimmung der im Steuerrecht zu wahrenden Sorgfalt unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), so liegt es nahe, zunächst dessen steuerrechtliche Ausprägung in Gestalt der Gleichmäßigkeit der Besteuerung 107 heranzuziehen. Konkret lautet dabei die Frage, ob der verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zur Entscheidung zwischen generalisierenden und individuell-persönlichen Sorgfaltsanforderungen maßgeblich beitragen kann. Daß eine isolierte Betrachtung unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht hilfreich ist, zeigt sich sehr bald. Sowohl ein durchgängig praktizierter objektiver, genereller Sorgfaltsmaßstab als auch eine strikt die Individualität der Person beachtende Fahrlässigkeitsauffassung wirken - rein technisch gesehen - gleichmäßig. Dies hat seinen Grund darin, 105 So zutreffend Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 69f. Al1gemein zur Verwendung von Typusbegriffen im Recht Heinrich Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 2. Aufl., S. 471 ff.; ders., Recht und Individualität 1958; Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, insbes. S. 237ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., S. 443 ff. 106 Damit sind die Haftungstatbestände der §§ 42 d EStG, 69 i. V.m. 34, 35 sowie 72 AO angesprochen. 107 Diese grundsätzliche Gleichheitsverbürgung ist auch im Steuerrecht unbestritten und vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 19, 101, 114: "Grundsatz der gleichmäßigen Belastung der Steuerzahler", BVerfGE 19, 134: "Recht auf Gleichbehandlung") mehrfach bestätigt worden.

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

69

daß sich ein Gebot der Gleich- oder Ungleichbehandlung nur mit Rücksicht auf (materiale) Wertungen oder Sachgesetzlichkeiten ergeben kann lOB , m.a.W. es keine Gleichheit an sich gibt, sondern nur im Hinblick auf bestimmte Gerechtigkeitsvorstellungen über die Gleich- oder Ungleichbehandlung zweier Sachverhalte befunden werden kann. Ob aus steuerrechtlicher Sicht die Individualität der Person "wesentlich" ist, darüber läßt sich dem Gleichheitsprinzip alleine nichts entnehmen. Hat sich soeben die Notwendigkeit gezeigt, bei der Argumentation die das Steuerrecht prägenden Gerechtigkeitsmaximen zum Ansatzpunkt zu nehmen, so wird dem im folgenden dadurch Rechnung getragen, daß die Auswirkungen des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (sog. Leistungsfähigkeitsprinzip) auf die Lösung des Problems des steuerlichen Fahrlässigkeitsmaßstabs abgeleitet werden sollen. Das Leistungsfähigkeitsprinzip, dem als wesentlichem Bestandteil des nach Art. 3 Abs. 1 GG verbürgten Gebots der Steuergerechtigkeit selbst verfassungsrechtliche Dignität zugeschrieben wird 109, findet - jedenfalls dem Grunde nach - als "sachgerechtes Fundamentalprinzip der Besteuerung"110 vor allem im Bereich des Einkommensteuerrechts weitestgehende AnerkennungllI. Es hat sich nicht zuletzt auch in der finanzgerichtlichen Judikatur als Argumentationskriterium von erheblichem Gewicht erwiesen. So waren es vor allem Gesichtspunkte der gleichmäßigen Ermittlung einkommensteuerlicher Leistungsfähigkeit, die die Rechtsprechung zu einer Korrektur des vom Gesetzeswortlaut her ("Aufwendungen zur Erwerbung ... ", § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) final angelegten Werbungskostenbegriffs hin zu einer Interpretation im Sinne von "Veranlassung" (entsprechend der Regelung über die Betriebsausgaben in § 4 Abs.4 108 Dem entspricht es, wenn das Bundesverfassungsgericht aus Art. 3 Abs. 1 GG die Forderung ableitet, daß "weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich" behandelt wird (BVerfGE 4,144,155, Hervorhebungen des Verfassers) und daß hierbei "eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise" (BVerfGE 3, 58, 135; 18, 38,46) anzuwenden sei. 109 So das Bundesverfassungsgericht (BStBl II 1982,717,725; BStBl II 1984,357, 359f. jeweils m.w.N.) unter Hinweis auf die Verbürgung des Leistungsfahigkeitsprinzips in Art. 134 der Weimarer Reichsverfassung und die Begründung zum Regierungsentwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes (u.a. EStG 1975), wo es heißt, es sei "das Prinzip der Steuergerechtigkeit ... , jeden Bürger nach Maßgabe seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfahigkeit mit Steuern zu belasten" (BT-Drs. 7/1470, S. 211 f.). Freilich ist damit keine uneingeschränkte Geltung verbunden, wie in BVerfG BStBl 11 1977, 135, 138 zum Regelungsspielraum des Gesetzgebers statuiert wird: "Zur reinen Verwirklichung des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist der Gesetzgeber auch bei der Einkommensteuer von Verfassungs wegen nicht verpflichtet". 110 Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 52. 111 Aus dem nahezu unübersehbaren Schrifttum siehe nur Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 34ff.; Klein, Gleichheitssatz und Steuerrecht, S. 208ff.; Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, S. 155ff.; Tipke, a.a.O. (FN 110), S.52ff. mit zahlreichen Nachweisen.

70

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

EStG) bewogen haben l12 • Auch die wirtschaftliche Betrachtungsweise des Steuerrechts betritt - jedenfalls soweit sie die Gesetzesauslegung anbelangt kein methodologisches Neuland, sondern erscheint unter Leistungsfahigkeitsgesichtspunkten als "hochpotenzierte Form teleologischer Rechtsanwendung"113 geboten. "Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit heißt, das Vermögen durch den Steuereingriff so zu senken, daß auch die Fähigkeit aller zur Befriedigung ihrer persönlichen Bedürfnisse in gleichem Umfang gesenkt wird" 114. Die damit verbundenen Probleme vor allem im Hinblick auf die Trias der Bestimmung von Steuergegenstand, Bemessungsgrundlage und Steuersatz (Steuertarif)115 sind von elementarer Bedeutung für das gesamte Steuerrecht, sollen hier aber nur insoweit beleuchtet werden, als sie für die Frage individualisierender oder generalisierender Betrachtung des Steuerpflichtigen relevant sind. Insbesondere kann im Rahmen dieser Untersuchung keine Darstellung der ideengeschichtlichen Entwicklung des Leistungsfähigkeitsprinzips erfolgen 116, vielmehr sollen anhand des geltenden Einkommensteuerrechts die zu positivem Recht geronnenen Gerechtigkeitsvorstellungen des Gesetzgebers im Hinblick auf die Ausgestaltung einer leistungsfahigkeitsorientierten Besteuerung als Ausgangspunkt genommen werden. Eine Betrachtung des Bausystems des Einkommensteuergesetzes ergibt, daß sich die Ermittlung des Leistungsfähigkeitsindikators "Einkommen" in der Grobstruktur auf zwei Ebenen zu vollziehen hat 1l7 . Auf der ersten Ebene geht es darum, aus der Vielzahl von Arten der Beteiligung am wirtschaftlichen Verkehr diejenigen herauszufiltern, welche sachlich dem einkommensteuerlichen Nexus unterfallen. Dieser Ermittlung der "steuerbaren Leistungen" 118 dient die Umschreibung der Einkunftsarten in § 2 Abs. 1 EStG, ergänzt von der Anordnung des Nettoprinzips in § 2 Abs. 2 EStG, das nur reale Steigerungen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit 119 in Form der Nettogrößen "Gewinn" bzw. "Überschuß" erfaßt wissen will. Der Gesetzgeber 112 So wird das Bedürfnis einer Gleichbehandlung von Werbungskosten und Betriebsausgaben in BFH BStBlIII 1962, 192, 194 mit "der inneren Verwandtschaft zwischen Betriebsausgaben und Werbungskosten und dem Gebot gleichmäßiger Besteuerung", in BFH BStBi III 1961, 63, 64 mit dem "Interesse an einer gerechten und gleichmäßigen Besteuerung" gerechtfertigt. 113 Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 38. 114 So die Definition von Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 21. 115 Ausführlich zur Terminologie Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 133ff. 116 Siehe dazu eingehend Jakob / Jüptner, Steuerfragen der mittelbaren Parteienfinanzierung über Organisationen, S. 70ff. 117 Ebenso Tipke a.a.O. (FN 115) S. 163. 118 Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 58, 104. 119 Damit gilt es, innerhalb der Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes den Reinvermögenszugang zu ermitteln.

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

71

bedient sich damit zur Bestimmung der "sachlichen Seite der EinkommensteuerPflicht" 120 mit dem Hauptzweck der Grenzziehung zwischen "Einkommenssphäre" und "Vermögenssphäre" 121 gesetzgebungstechnisch der abstrakten Festlegung typischer Leistungen in der abschließenden Aufzählung der Einkünftetatbestände. Mit dieser generalisierenden Umschreibung objektiver Leistungsfähigkeitskriterien tritt zwangsläufig die Tätigkeit des Steuerpflichtigen in den Vorder-, seine persönlichen Verhältnisse und Eigenschaften in den Hintergrund 122. Einer zweiten Ebene ist es vorbehalten, Korrekturen der so ermittelten objektiven Leistungsfähigkeit (Gewinn, Überschuß) hin zur individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerbürgers vorzunehmen. Als materiale Gerechtigkeitsmaxime "fordert das Leistungsfähigkeitsprinzip, das für die Einkommensverwendung konkret verfügbare Einkommen der individuellen Steuerperson zu belasten" 123 • Steuerlich erfaßt werden soll daher nur das disponible, dispositive Einkommen, so daß bestimmte Posten der Einkommensverwendung, der (privaten) Lebenshaltung, für die grundsätzlich das Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG gilt, dennoch in Abzug gebracht werden dürfen. Bei anderen Arten der Einkommensverwendung, wie z.B. Aufwendungen zur Erlangung von Baudarlehen oder zur Förderung im weiteren Sinne sozialer Zwecke (§ 10 b EStG) führen allerdings nicht Leistungsfähigkeitsgesichtspunkte, sondern sozialpolitische Überlegungen zur Abzugsfähigkeit. Die individuellen Umstände des Steuerpflichtigen finden dabei in sehr unterschiedlichem Ausmaß Berücksichtigung und es zeigt sich, daß selbst bei der Bestimmung individueller Leistungsfähigkeit der Gesetzgeber nicht ohne generalisierende Betrachtung auskommt. Ein Höchstmaß an Objektivierung enthält § 32 a Abs. 1 Satz 2Nr. 1 EStG mit der betragsmäßigen Festlegung des sog. Grundfreibetrags, der existenznotwendige Einkommensverwendung des Steuerpflichtigen und seiner Familie (für Wohnen, Essen, Kleidung usw.) abdecken soll. Im Bereich der Sonderausgaben nach §§ 10ff. EStG finden die persönlichen Umstände und Dispositionen des Steuerpflichtigen weitgehend Berücksichtigung, soweit nicht die generalisierenden Höchstbeträge vor allem bei den sog. Vorsorgeaufwendungen dem Grenzen setzen. Ebenfalls im Grundsatz auf Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 57. Terminologie nach Jakob a.a.O. 122 Irrelevant sind insoweit vor allem die mit der Erbringung der steuerbaren Leistung seitens des Steuerpflichtigen verfolgten Intentionen und Motive, so daß es nicht darauf ankommt, ob mit der Tätigkeit elementare Lebensbedürfnisse oder Luxusbedürfnisse finanziell gesichert werden sollen, ob der Steuerpflichtige sein Tun als sozial nützlich oder weniger nützlich ansieht und dergleichen. 123 Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 30. Ähnlich Wanner in Jakob (Hrsg.), Die Förderung politischer Parteien über Spendensammelvereine, S. 94ff., 97. Tipke (Steuerrecht, 10. Aufl., S.288) spricht in diesem Zusammenhang in Anlehnung an das berufliche / betriebliche Nettoprinzip vom "privaten Nettoprinzip" , Kröner (StuW 1985, 115, 118) gebraucht den Begriff des "subjektiven Nettoprinzips". 120

121

72

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

individuelle Betrachtung angelegt sind die Bestimmungen der §§ 33 ff. EStG über die Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen, die einer gerade gegenüber dem "Normalen" gesteigerten Sonderbelastung im Einzelfall Rechnung tragen sollen. Andererseits enthalten die §§ 33 abis 33 c EStG für wichtige Bereiche belastender Lebenssituationen typisierende Bestimmungen unter Anordnung von Pausch- und Höchstbeträgen 124. Es zeigt sich damit, daß auf der zweiten Ebene, die dem Ziel der Individualgerechtigkeit durch Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen gewidmet ist, naturgemäß die Individualität der (wirtschaftlichen) Lebensumstände in den Vordergrund rückt. Diese prinzipielle Individualbetrachtung ist indes keine "subjektive" Sichtweise in dem Sinne, daß es für die Bestimmung konkreter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit auf die Vorstellungen, das Empfinden des Steuerbürgers selbst ankäme. Subjektiv ist die Ermittlung persönlicher Leistungsfähigkeit insoweit, als es um die Berücksichtigung bestimmter indisponibler oder für besonders förderungswürdig gehaltener Arten der Einkünfteverwendung im konkreten Einzelfall geht. Dagegen kommt dem Steuerpflichtigen nicht die Kompetenz der Bewertung darüber zu, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ihm erwachsene Aufwendungen als Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sind, dies bleibt einer generalisierenden Betrachtung vorbehalten. Soweit das Leistungsfähigkeitsprinzip als steuerrechtlicher Gradmesser von Belastungsfähigkeit dem Ziel einer gleichmäßigen Besteuerung verschrieben ist, bedarf es einer objektivierenden und zugleich normativen Sichtweise 125 • Damit hat sich der Steuergesetzgeber auf der Ebene persönlicher Leistungsfähigkeit in der Konfliktsituation zwischen generalisierender und individualisierender Gerechtigkeit für den Kompromiß einer objektivierten Beurteilung des individuellen Tatsachensubstrats entschieden. Diese Lösung kann als weiterer Gesichtspunkt zugunsten eines generalisierenden Maßstabs steuerlicher Fahrlässigkeit angeführt werden.

124 Ähnlich objektivierende Wirkung hat die Bestimmung der nichtabzugsfahigen zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 1 und 3 EStG, die nur (grob) nach der Höhe der Einkünfte, dem Familienstand und der Anzahl der Kinder differenziert. 125 Ähnlich Walz, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, S. 161; JakobjJüptner StuW 1983, 206, 216; dies., Steuerfragen der mittelbaren Parteienfinanzierung über Organisationen, S. 78, 106 f. Die Notwendigkeit, anhand eines Maßstabs des "Normalen" zu beurteilen, kommt im übrigen auch im positiven Recht zum Ausdruck, z.B. wenn nach § 33 Abs. 1 EStG die Außergewöhnlichkeit von Belastungen mittels eines Vergleichs mit den normalerweise, üblicherweise durch die Lebensführung bedingten Aufwendungen festzustellen ist.

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

73

e) Veranlassung und Verschulden (insbes. Fahrlässigkeit) als Zurechnungselemente im Rahmen der Feststellung steuerrechtlicher Leistungsfähigkeit aa) Allgemeines Ist der Ansatzpunkt leistungsfähigkeitsorientierter Einkommensbesteuerung bei grober Betrachtung in der Differenz von Einnahmen und Ausgaben, die durch eine steuerbare Tätigkeit oder Leistung veranlaßt sind, zu sehen 126, so wird deutlich, welche zentrale Bedeutung der Veranlassung als Zurechnungsmodus von Vermögenssteigerungen und -minderungen zur Person des Steuerpflichtigen und insbesondere dessen steuerbarer Tätigkeit für die Schaffung von Steuergerechtigkeit zukommt. Daß Zurechnungsfragen über die einzelnen Rechtsgebiete hinweg von einer Relevanz sind, die ganzen Juristengenerationen Diskussionsstoffbot und immer noch bietet, ist augenscheinlich. Im Steuerrecht stellt sich das Zurechnungsproblem in potenzierter Schärfe: Während es im Zivil- und Strafrecht, aber auch in weiten Teilen des öffentlichen Rechts 127 (nur) darum geht, einen bestimmten rechtlich relevanten Erfolg, ein tatbestandsmäßiges Verhalten mit der Verantwortungssphäre einer Person zu verknüpfen 128, hat es die steuerliche "Veranlassung" mit einem verfeinerten Zuordnungszentrum zu tun. Nachdem das Band zwischen der konkreten Vermögensänderung und der Person des Steuerpflichtigen hergestellt ist - das ist in der Mehrzahl der Fälle unproblematisch 129 - , muß zusätzlich gefragt werden, ob diese Vermögensänderung auf eine der im einkommensteuerlichen Nexus stehenden wirtschaftlichen und sozialen Aktivitäten zurückzuführen ist - dies stellt den Streitstoff der Veranlassungsdiskussion dar. Auch für die Fahrlässigkeit als Verschuldensform gilt, daß diese im einkommensteuerlichen Bereich eine besondere Funktion hat. Im Deliktsaufbau des Zivil- und Strafrechts ist das (fahrlässige) Verschulden neben der rechtswidrigen Tatbestandsverwirklichung als für den Eintritt der Rechtsfolge kumulativ notwendige Voraussetzung ausgestaltet 130. Soweit fahrlässiges Verhalten im Einkommensteuerrecht rechtserheblich werden kann - das ist grosso modo die Frage nach der Abzugsfähigkeit schuldhaft herbeigeführter Aufwendungen als 126 Die "persönlichen" Abzüge der Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen sollen hier ausgeklammert bleiben. 127 Etwa im Polizei- und Sicherheitsrecht bei der Frage nach dem Verursacher einer Gefahr oder eines Schadens, der sog. Störerproblematik. 128 Wobei die Zurechnung enger (Beispiel: Strafrecht) oder weiter (Beispiele: negatorische Unterlassungsansprüche des Zivilrechts, Störerverantwortlichkeit im öffentlichen Recht) an den Willen der Person anknüpft. 129 Zu den Zweifelsfällen der subjektiven Zurechung von Einkünften siehe Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 103ff. 130 In diesem Sinne jeweils das zivilrechtliche Verschuldensprinzip und das strafrechtliche Schuldprinzip.

74

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

Betriebsausgaben/Werbungskosten oder außergewöhnliche Belastungen wirkt die Fahrlässigkeit im Hinblick auf die steuerliche Anerkennung der Aufwendungen jedenfalls potentiell rechtsfolgehindernd. M.a.W. hat die sich herkömmlich komplementär zu anderen Zurechnungselementen verhaltende Fahrlässigkeit im Einkommensteuerrecht eine antagonistische Stellung zugewiesen bekommen. bb) Veranlassung als Kausalzurechnung zur beruflichen/betrieblichen Sphäre Nicht nur bei der Regelung von Fragen des Verschuldens, sondern ebenso bei dem Problemkreis steuerlicher Veranlassung hat sich der Gesetzgeber eine aus anderen Rechtsgebieten in Zurechnungsfragen bereits bekannte - Zurückhaltung auferlegt und die Abklärung dessen, was inhaltlich die Zurechnung zur steuerrelevanten Sphäre ausmacht, der Lehre und vor allem der Rechtsprechung übertragen 131. Diese Offenheit des Veranlassungsbegriffs und seine zentrale Stellung im einkommensteuerlichen System 132 schaffen dem Rechtsanwender einen weiten Argumentationsspielraum 133, innerhalb dessen er zur wertungsund zeitbezogenen Interpretation aufgerufen ist. Eine umfassende Darstellung der überaus zahlreichen Judikate und des nicht minder umfangreichen Schrifttums zum Problemkreis der Veranlassung kann hier nicht erfolgen, vielmehr soll eine Beschränkung auf das Grundsätzliche stattfinden l34 . In der frühen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wurde - entsprechend der unterschiedlichen Formulierung des Gesetzes in §§ 4 Abs. 4 und 9 Abs. 1 Satz 1 EStG - einem kausalen Verständnis der Betriebsausgaben 135 ein final ausgerichteter Werbungskostenbegriff136 gegenübergestellt. Eine partielle Angleichung zwischen Betriebsausgaben- und Werbungskosten begriff bedeutete 131 Der Bestand an positiv-rechtlichen Bestimmungen ist mit § 4 Abs. 4 EStG ("Betriebsausgaben sind Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind"), § 8 Abs. 1 EStG ("Einnahmen sind alle Güter, die ... dem Steuerpflichtigen im Rahmen der Einkunftsarten ... zufließen") und § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ("Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen") erschöpfend aufgezählt, eine Definition der Betriebseinnahmen sucht man vergebens. 132 Siehe dazu nur Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl. S. 242fT. 133 Der im übrigen, betrachtet man Umfang und Vielfalt der Stellungnahmen in der Literatur, auch ausgeschöpft wird. 134 Eine Zusammenstellung des Meinungsstands samt Darstellung der einschlägigen rechtshistorischen Entwicklung findet sich beispielsweise bei Wanner in Jakob (Hrsg.), Die Förderung politischer Parteien über Spendensammelvereine, S. 94fT., 102fT. 135 BFH BStBi III 1959,269,270; BStBi III 1960, 511; dort wird explizit Veranlassung mit "Verursachung" gleichgesetzt. 136 So definiert der BFH in BStBi III 1958, 103, 104: "Der Werbungskosten begriff ist in erster Linie ein finaler, d.h. die Aufwendungen müssen zum Zwecke der Werbung, Sicherung und Erhaltung der Einkünfte gemacht werden". Ähnlich BFH BStBi III 1961, 431 ff. und BStBl III 1964, 184f.

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

75

das Urteil des VI. Senats des BFH vom 2. März 1962 137 , nach dem für den Bereich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten alle beruflich veranlaßten Aufwendungen Anerkennung finden, was mit der Entstehungsgeschichte des EStG, vor allem aber mit der "inneren Verwandtschaft zwischen Betriebsausgaben und Werbungskosten" im Hinblick auf die Abgrenzung zu den Ausgaben der Einkommensverwendung und mit Blick auf das "Gebot gleichmäßiger Besteuerung" begründet wird 138. Diese Rechtsprechung entwickelte der BFH dergestalt fort, daß bei Betriebsausgaben und Werbungskosten - jedenfalls solchen im Rahmen der Einkünfte nach §§ 19 und 21 EStG - der betriebliche/berufliche Zusammenhang gleichermaßen sowohl durch finale als auch im Wege kausaler Betrachtung festgestellt werden könne 139. Als derzeitiger Stand der BFH-Rechtsprechung zur Veranlassungsfrage können die Aussagen des Urteils des VI. Senats vom 28. November 1980 140 angesehen werden: "Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des BFH sind Werbungskosten über den Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG hinaus nicht nur Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen, sondern überhaupt alle Aufwendungen, die durch den Beruf veranlaßt sind (00 .). Der erkennende Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß dieser Begriff der Werbungskosten insofern deckungsgleich mit dem Begriff der Betriebsausgaben des § 4 Abs. 4 EStG ist ( ... ). Eine berufliche bzw. betriebliche Veranlassung ist bei Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bzw. bei Betriebsausgaben stets dann anzunehmen, wenn 0 b je k t i v ein Zusammenhang mit dem Beruf oder Betrieb besteht und sub je k ti v die Aufwendungen zur Förderung des Berufs bzw. des Betriebs gemacht werden (... ). Dabei setzen Werbungskosten wie Betriebsausgaben stets zwingend einen solchen objektiven Zusammenhang voraus, während die subjektive Absicht, mit der Ausgabe den Berufbzw. den Betrieb zu fördern, kein in jedem Fall notwendiges Merkmal des Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenbegriffs ist, weil z.B. auch unfreiwillige Ausgaben und Zwangsaufwendungen nach dem objektiven Nettoprinzip Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben sind."141 BStBi III 1962, 192 ff. Aa.O. S. 194. Nach BFH BStBl II 1972, 880f. genügt auch im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Veanlassungszusammenhang von Aufwendungen für deren Abzugsfähigkeit. 139 So der IV. Senat des BFH CBStBi II 1970, 379, 380) für Betriebsausgaben, der VIII. Senat des BFH CBStBi II 1972,880) zum Begriff der Werbungskosten bei nichtselbständiger Arbeit sowie Vermietung und Verpachtung. 140 BStBi II 1981, 368 ff. 141 BFH a.a.O. S. 369, vom VI. Senat bestätigt in BStBi II 1984, 315, 316. Entsprechend betont der BFH CBStBI II 1985, 427) nunmehr für die Betriebseinnahmen, daß deren betriebliche Veranlassung "anhand der gegebenen objektiven Verhältnisse" festzustellen sei. 137 138

76

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

Dieser Rechtsprechung hat sich der VIII. Senat - unter Erweiterung des Anwendungsbereichs auf alle Werbungskosten bei Überschußeinkünften - 142 angeschlossen, vom Großen Senat des BFH wurde sie für den Bereich der Betriebsausgaben im Geldbußen-BeschlußI43 gebilligt. Zur Frage des Inhalts steuerlicher Kausalität im Hinblick auf den geforderten Veranlassungszusammenhang hat sich der BFH bislang nicht dezidiert geäußert. Im Unfallkosten-Beschluß des Großen Senats des BFHI44 wird dazu lediglich statuiert, daß für die Beantwortung der Frage nach der Abzugsfähigkeit bestimmter Aufwendungen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten zivil- und strafrechtliche Bedingungstheorien untauglich seien, es bedürfe vielmehr einer eigenständigen (steuerrechtlichen) Prüfung, ob ein Aufwand beruflich oder betrieblich veranlaßt sei 145. Durch welche Kriterien diese steuerrechtliche Veranlassung gekennzeichnet ist, bleibt offen. Im überaus umfangreichen Schrifttum zur Veranlassungsproblematik lassen sich drei Hauptlinien ausmachen. (1) Das finale Zurechnungskonzept Tipkes und Wassermeyers. Diese Ansicht betont stark die Subjektivität des Handelnden, indem sie in der Motivation, der Zweckrichtung des HandeIns das maßgebliche Zurechnungskriterium sieht. "Betriebliche / berufliche Vermögenszugänge ... oder Abgänge ... liegen vor, wenn die Zugänge oder Abgänge durch ein Handeln (Tun, Dulden, Unterlassen) verursacht oder bewirkt werden, das betrieblich / beruflich motiviert ist oder Erwerbszwecken dient ... Daraus, daß es ursächlich auf die Motivation des Steuerpflichtigen, auf den von ihm verfolgten Zweck ankommt, ergibt sich, daß Erwerbshandlungen nicht nur solche sind, die objektiv der Erwerbstätigkeit dienen, sondern auch solche, die ihr vom Standpunkt des Handelnden aus dienen; der Handelnde hat einen Beurteilungsspielraum. "1~ Wassermeyer konkretisiert dies dahingehend, daß unter "Veranlassung" die Umstände der Willensbildung, die zum "vermögenswirksamen" Akt geführt haben, mithin ein innerer Vorgang des Steuerpflichtigen zu verstehen seil 47 •

BFH BStBI II 1982, 37ff., 39 zu Einkünften aus Kapitalvermögen. BFH Gr.S. BStBi II 1984, 160ff., 163. 144 BStBl II 1978, 105ff. 145 BFH Gr.S. a.a.O. (FN 144) S. 108, ebenso bereits der VI. Senat in BStBl II 1970, 662,663. 146 Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 246; den darüberhinaus von der BFH-Rechtsprechung postulierten objektiven Zusammenhang mit dem Beruf hält er nur als Beweismittel für die subjektive Zwecksetzung des Steuerpflichtigen für relevant (StuW 1979, 193, 199). 147 Wassermeyer StuW 1982, 352, 358f. 142 143

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

77

(2) Steuerrechtliehe Veranlassung als Kausalzurechnung. Ein kausales Veranlassungskonzept wird z.B. von Mattern l48 , Lange 149 , Tiedtke 150 , Balke l5l , Jakob 152 , Söhn 153 und Wanner l54 befürwortet. Die Vertreter dieser Auffassung betonen den Charakter der Veranlassung als objektives Zurechnungselement und stellen, indem sie Veranlassen mit Verursachung gleichsetzen, eine Kausalbetrachtung an, deren Procedere Söhn deutlich von der finalen Sichtweise abgrenzt: "Aus dem objektiven Nettoprinzip folgt, daß Aufwendungen, die in einem objektiven (wirtschaftlichen) Zusammenhang mit der beruflichen (betrieblichen) Tätigkeit stehen, Werbungskosten (Betriebsausgaben) sein müssen, selbst wenn der Steuerpflichtige subjektiv Privatausgaben tätigen will, während umgekehrt Ausgaben, die in einem objektiven (wirtschaftlichen) Zusammenhang nur mit der Privatsphäre stehen, Privatausgaben sein müssen, selbst wenn sie der Steuerpflichtige subjektiv in der Absicht tätigt, seinen Beruf (Betrieb) zu fördern" 155 . (3) Veranlassung als final-kausale Beziehung. Diese Ansicht, zu deren Entwicklung maßgeblich Offerhaus 156 beigetragen hat und die nach Offerhaus als "funktional-finale Betrachtungsweise"157 zu charakterisieren ist, hat den Veranlassungsbegriff der jüngeren BFH-Rechtsprechung 15B in wesentlichen Zügen beeinflußt. Betriebliche Veranlassung von Aufwendungen bedeutet danach "objektiv im Zusammenhang mit dem Betrieb stehend und subjektiv ihm zu dienen bestimmt"159, entsprechendes soll für die BB 1969, 1049ff. für den Bereich der Betriebsausgaben. BB 1971, 405ff. und DB 1978, 1854ff. 150 FR 1978, 493ff. 151 FR 1979, 424ff. 152 Steuern vom Einkommen I, S. 128ff.; ebenso JakobjJüptner, Steuerfragen der mittelbaren Parteienfinanzierung über Organisationen, S. 92ff. 153 StuW 1983, 193ff. 154 A.a.O. (FN 134) S.116ff. m.w.N. aufS. 118ff. Dem kausalen Lager im weiteren Sinne kann auch Kröner (StuW 1985, 115ff.) zugerechnet werden, der bei der Veranlassung zwischen einer Betrachtung der Genese - dabei sollen äußere (objektive) Auslöser kausaler, innere (subjektive) Handlungsauslöser finaler Beurteilung unterliegen - und der Geschehenswürdigung, welche allein unter Kausalitätsgesichtspunkten vorzunehmen sei, differenziert, dabei jedoch ohne sachliche Rechtfertigung die Geschehenswürdigung allein der Beweisebene zuordnet. ISS Söhn StuW 1983, 193, 196. 156 Siehe nur BB 1979, 617ff., 621f. 157 Offerhaus a.a.O. S. 621 FN 91 in Anlehnung an die Terminologie bei der Abgrenzung des Betriebsvermögens vom Privatvermögen. 158 Siehe die Nachweise in FN 139-145. 159 Offerhaus a.a.O. (FN 156) S. 621. 148

149

78

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

berufliche Veranlassung gelten 160. Dabei hält Offerhaus eine Überprüfung der (subjektiven) Förderungsabsicht anhand objektiver Kriterien für sachgerecht, den hierfür geeigneten Modus procedendi gibt er jedoch nicht an 161. Bei der Lösung der Frage, ob Veranlassung im steuerlichen Sinne einen subjektiven (finalen) oder einen objektiv-kausalen Vorgang beschreibt respektive ein Konglomerat subjektiver und objektiver Elemente darstellt, helfen zunächst semantische Überlegungen 162 wenig weiter. Der Versuch, sich dem "richtigen" Veranlassungsbegriff auf dem Wege einer Harmonisierung mit anderen einkommensteuerlichen Zuordnungssystemen zu nähern, ist als Schritt in die Richtung einer Systematisierung prinzipiell zu begrüßen. Um damit tragfähige Entscheidungen treffen zu können, müssen die zum Vergleich herangezogenen Lösungen paralleler Fragestellungen ihrerseits, gemessen an verfassungsrechtlichen Leistungsfähigkeitsgesichtspunkten, unzweifelhaft sein. Daran fehlt es aber häufig. Deutlich wird dies, wenn Offerhaus sich zur Absicherung seines funktional-finalen Veranlassungsbegriffs auf die Ähnlichkeit mit der Umschreibung des gewillkürten Betriebsvermögens durch die BFH -Rechtsprechung beruft 163. Das gewillkürte Betriebsvermögen wird nun aber nicht nur von einem Großteil des Schrifttums l64 in seiner Berechtigung bereits dem Grunde nach angezweifelt, hinzu kommt, daß die Definitionsversuche der Rechtsprechung durchaus keine einheitliche Linie erkennen lassen 165. Damit erweist es sich als notwendig, auch bei der Bestimmung des Inhalts steuerlicher Veranlassung das Ziel einer leistungsfähigkeitsgerechten Einkünfteermittlung in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Wie bereits dargelegt 166 , geht es bei der Abgrenzung der betrieblichen/beruflichen Sphäre um ein Problem objektiver Abgrenzung; Leistungsfähigkeit - im einkommensteuerlichen Sinne - ist demgemäß kein Gefühl, kein subjektiver Eindruck des Steuerpflichtigen 167, sondern Ergebnis einer wertenden Beurteilung des fragliOfferhaus a.a.O. S. 622. Offerhaus a.a.O. S. 621. 162 Wie etwa die Erörterungen von Wassermeyer (StuW 1982, 352, 358) und Offerhaus (BB 1979, 617, 620) zur Abgrenzung von "veranlassen" und "verursachen". 163 Offerhaus BB 1979, 617, 621. 164 Siehe dazu nur Tipke, StuW 1980, 1, 7f.; Heinicke in Schmidt, 5. Aufl. Anm. 26 zu § 4 EStG mit zahlreichen Nachweisen. 16S Vgl. die Zusammenstellung von Formulierungen aus der BFH-Judikatur in BFH BStBi II 1977, 150, 151 f. Ob mit den Anforderungen einer objektiven Eignung zur Förderung des Betriebs sowie eines (subjektiven) Widmungsaktes mit entsprechendem bilanzmäßigem Ausweis (so BFH BStBi 11 1985, 654, 655) nunmehr eine dauerhafte Umschreibung gefunden ist, erscheint fraglich. 166 Siehe oben d. 167 Deutlich formuliert dies Söhn StuW 1983, 193, 196: "Der Steuerpflichtige darf nicht "nach seinen Vorstellungen" über die Grenze zwischen Werbungskosten (Betriebsausgaben) und Privatausgaben "verbindlich" entscheiden können, sonst ist das objektive Nettoprinzip "manipulierbar"." 160 161

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

79

ehen Sachverhalts. Stellt danach die zu ermittelnde Leistungsfähigkeit eine objektive Größe dar, so bedarf es bei der Differenzierung zwischen privaten und betrieblichen / beruflichen Vermögensänderungen einer objektiven Zurechnung. Diesem Erfordernis genügen weder ein rein finaler noch ein kausal-finaler Veranlassungsbegriff, da beide Konzepte - zumindest teilweise - die Motivation, die subjektive Handlungsrichtung des Steuerpflichtigen ungefiltert als Kriterium der steuerrechtlichen sphärischen Zuordnung anerkennen. Daran kann auch das Bemühen der Vertreter eines (auch) finalen Veranlassungsverständnisses, beim Nachweis der betrieblichen oder beruflichen Motivation (also im Bereich der "objektiven Beweislast", der sog. Feststellungslast) notfalls auf objektive Umstände zurückzugreifen 168, nichts ändern, die grundsätzlichen Bedenken bleiben. Daß steuerliche Veranlassung damit als Kausalitätsproblem zu behandeln ist l69 , zeigt auch ein Blick auf die geläufigen Formen zivil-, straf- und öffentlichrechtlicher Zurechnung, die als Gemeinsamkeit jeweils eine Prüfung unter Kausalitätsgesichtspunkten vorgeschaltet haben, der jeweils unterschiedliche weitere Zurechnungselemente wie etwa Verschuldenserfordernisse nachgeordnet sind. Wird Veranlassung als finaler, innerer Vorgang des Handelnden begriffen, so ist dies dem Vorwurf ausgesetzt, allenfalls nachrangig zu berücksichtigende subjektive Elemente zum (erstrangig) maßgeblichen Zurechnungskriterium zu erheben 170. Versteht man Veranlassung demgegenüber i.S. einer Kausalbetrachtung, so bleibt die Tatsache, daß wirtschaftliche Dispositionen in der Regel aufwillensgesteuerte und zweckgerichtete Handlungen zurückzuführen sind, gleichwohl nicht unbeachtet. Da kausale Veranlassung im hier verstandenen Sinne nicht auf einen naturwissenschaftlich-logischen Zusammenhang beschränkt ist, können als relevante Ursachen sowohl äußere Umstände als auch subjektive Beweggründe als Folge der steuerbaren Tätigkeit oder Leistungserbringung den Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit herstellen. Inhaltlich ist die für steuerliche Veranlassung erforderliche Kausalitätsfeststellung in zweifacher Hinsicht eine objektive. Eine erste und sehr weite Eingrenzung der in Betracht zu ziehenden Ursachen einer Vermögensänderung erfolgt durch die Anwendung der - weithin als 168 So Tipke, StuW 1979, 193, 199; Wassermeyer, StuW 1982, 352, 363, der einen objektiven Zusammenhang nur als Indiz anerkennen will. 169 Ebenso explizit Jakob I Jüptner, Steuerfragen der mittelbaren Parteienfinanzierung über Organisationen, S. 106f. und passim; Wanner (Fußnote 134) S. 118 ff. Dementsprechend wird auch das zivilrechtliche "Veranlassungsprinzip" bei der Rechtsscheinhaftung i.S. von Verursachung verstanden, wie Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, S. 474resümiert: "Das Veranlassungsprinzip ist daher nichts anderes als das Prinzip der reinen Kausalhaftung unter einem anderen Namen." 170 Ähnlich Jakob I Jüptner, a.a.O. (Fußnote 169), S. 87: " ... mit einer ... Motivierung sollen inhaltliche Weichen gestellt, aber nicht äußerste Grenzen einer Zurechnung gefunden werden."

80

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

Grundform juristischer Kausalfeststellung anerkannten 171 - Äquivalenztheorie in Gestalt der conditio-sine-qua-non-Formel. Daß diese Überprüfung der Ursächlichkeit objektiven Charakter hat, folgt daraus, daß sie ihren Erkenntniswert aus der Lebenserfahrung schöpft oder mit den Worten Jeschecks: " ... für die Bedingungsqualität einer Handlung kommt es allein darauf an, ob sie den Erfolg aufgrund des Kausalgesetzes nach unserem Erfahrungswissen tatsächlich herbeigeführt hat." 172 Die Sichtweise ist individuell, aber gleichzeitig objektiv, entscheidend ist "das, was man generell zu erwarten pflegt"173. Verbleibenund das ist ganz überwiegend der Fall- nach der Anwendung der Äquivalenztheorie mehrere, teils der Berufs- bzw. Betriebs-, teils der Privatsphäre zugehörige Faktoren im Ursächlichkeitsbereich einer Vermögensänderung, so bedarf es einer bewertenden Auswahl der "entscheidenden"174, "wesentlichen"175 Ursache, welche für die sphärische Zuordnung der Vermögensänderung zum beruflichen oder privaten Bereich maßgeblich sein soll. Diese Auswahl ist deshalb im Bereich der Veranlassung häufig schwierig, weil anders als in herkömmlichen Zurechnungssystemen, die mit (vertypten) Tatbeständen, Rechtswidrigkeits- und Verschuldenserfordernissen über zusätzliche Filter verfügen, dem Einkommensteuerrecht weitere Zurechnungskriterien genereller Natur nicht zur Verfügung stehen und wohl auch nicht zu leisten sind l76 . Das Ziel, ein "subsumtionsfestes Abgrenzungskriterium" für alle denkbaren Grenzfälle zu entwickeln, erscheint damit unerreichbar 177 • Die Kriterien, anhand derer eine wertende Gewichtung der Kausalfaktoren vorgenommen werden soll, sind bis dato weder von der Rechtsprechung noch von der Literatur entwickelt worden. Auf die verschiedenen Ansätze dazu, wie z.B. das Erfordernis eines "überwiegenden wirtschaftlichen Zusammenhangs mit dem Betrieb"178 oder die Anleihe bei der sozialversicherungsrechtlichen Lehre von der" wesentlichen Bedingung" 179 kann hier nicht vertieft eingegangen 171 Zu Recht weisen Jakobi Jüptner a.a.O. (Fußnote 169), S. 104auf die "Akzeptanz" der conditio-sine-qua-non-Forrnel hin. Die Tatsache, daß diese nur (negativ) bestimmte Umstände als Ursachen ausschließt und nicht (positiv) die möglichen Ursachen bewertet, begründet zugleich ihre Verläßlichkeit, aber auch ihre Vorläufigkeit. 172 Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts Allgemeiner Teil, 3. Aufl., S. 227. 173 Jakob I Jüptner a.a.O. (Fußnote 169), S. 106 unter Betonung der "Regelhaftigkeit" als Erkenntnisquelle. 174 Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 128. 175 Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 247. 176 Mit ähnlichen Problemen hat es die Frage nach der Verursachung einer Gefahr oder Störung im Bereich des Polizei- und Sicherheitsrechts zu tun, bei der ebenfalls "die Eingrenzung des Kreises der relevanten Ursachen ... innerhalb des Verursachungsbegriffes gefunden werden" muß (Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl., S. 102). 177 Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 128. 178 Mattem BB 1969, 1049, 1050. 179 Etwa in BFH BStBl II 1970,662,663; BFH Gr.S. BStBl II 1978, 105, 108 oder bei

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

81

werden, ein Lösungsversuch muß ebenso anderweitiger monographischer Behandlung vorbehalten bleiben. Wichtig ist der Befund, daß auch im Rahmen der Ursachenbewertung dem Ziel einer gerechten Ermittlung objektiver Leistungsfähigkeit durch eine am "N ormalen" ausgerichtete, 0 bjektivierte Betrachtungsweise Rechnung getragen werden muß. Dies stellt auch den schmalen Grundkonsens dar, den die neueren Lösungsvorschläge des Schrifttums - eine Ausnahme gilt natürlich für die Vertreter eines finalen Veranlassungsbegriffs zur Abgrenzung bei multifaktoriellen Ereignissen gemein haben: So spricht sich Jakob für eine "Interpolation zwischen den Veranlassungszentren" aus 180; dabei könne sich die sphärische Zuordnung an dem Grad formaler Ähnlichkeit orientieren, den der konkrete zu entscheidende Sachverhalt zu bereits eindeutig als beruflich oder privat qualifizierten Sachverhalten aufweise l8l . Der Rechtsprechung sei es vorbehalten, den dabei bestehenden Beurteilungsspielraum durch Bildung "induktiver Entscheidungsmuster" allmählich enger zu ziehen 182. Ähnlich will neuerdings Walz unter Bildung von Fallgruppen mit einer "Objektivierung durch Techniken der Verrechtlichung von Lebenserfahrungen" der Veranlassungsproblematik zu Leibe rücken l83 : "Die steuerrechtliche Subsumtion kann nicht auf eine eindeutige Definition mit notwendigen und hinreichenden Bedingungen zurückgreifen; sie muß vielmehr an sozialen Verhaltensweisen ansetzen, in denen sich typischerweise die berufliche Veranlassung ausprägt."I84 Eine sehr weitgehend objektivierende Sichtweise vertrittwohl unter dem Eindruck der Aufgabe eines Finanzrichters der Tatsacheninstanz - Kröger l85 • Unter Berufung auf die Judikatur des Bundesfinanzhofs hält er nicht nur die inneren Tatsachen, die Motivation des Steuerpflichtigen für unerheblich und durch eine Betrachtung der objektiven Interessenlage im Wege der "Normaleinschätzung" zu ersetzen, auch bei nur schwer feststellbaren äußeren Umständen, wie z.B. der Nutzung von Gegenständen im persönlichen Lebensbereich des Steuerpflichtigen, soll eine Beurteilung i.S. des nach der Lebenserfahrung typischen stattfinden 186. Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 247f. Kritisch zur Übertragung dieser Lehre in das Einkommensteuerrecht Tiedtke, FR 1978,493, 498f. 180 Jakob, StRK-Anmerkung EStG 1975, § 19 Abs. 1 Nr. 1 R. 1,3, S. 8. 181 Jakob a.a.O. 182 Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 123. 183 Walz StuW 1986, 21 ff. Dabei soll sich im Vergleich mehrerer Judikate aus der Herausarbeitung von Ähnlichkeit und Unterschied eine "wissenschaftlich begleitete Fallrechtsdogmatik" entwickeln (a.a.O. S. 42). 184 Walz a.a.O. S. 39. Walz hält aus diesem Grunde die Typisierungsproblematik für ein Charakteristikum der Rechtsanwendung im Abgrenzungsbereich zwischen privater und beruflicher / betrieblicher Sphäre. 185 StuW 1978, 289ff. 186 Kröger a.a.O. S. 292f. Ob die von Kröger vorgeschlagene unwiderlegliche Vermutung aufgrund einer "Normaleinschätzung" allerdings nicht über das Ziel hinausschießt, erscheint zumindest zweifelhaft. 6 Barwitz

82

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnonnen

Erweist sich damit unter dem Gesichtspunkt des objektiven Nettoprinzips nur ein objektives, von der Lebenserfahrung geprägtes Verständnis der einkommensteuerlichen Veranlassung als leistungsfähigkeitskonform, so ist damit ein weiterer Gesichtspunkt zugunsten eines standardisierten Fahrlässigkeitsmaßstabs gewonnen. Eine am Normalen (Veranlassung) bzw. am NormativDurchschnittlichen (Fahrlässigkeit) messende Betrachtungsweise fügt sich harmonisch in ein System objektiver Zurechnung bzw. Nicht-Zurechnung zur steuerlich relevanten Sphäre ein. f) Steuerliche Fahrlässigkeit im Blickwinkel der Einfachheit der Rechtsanwendung

Die Umsetzung des Steuerrechts in Steuerverwaltungsakte leidet nicht nur unter der immer noch bestehenden Kompliziertheit, "Unübersichtlichkeit und Verworrenheit"187 des positiven Rechts, sie muß daneben vor allem zwei Umstände tatsächlicher Art zu bewältigen versuchen: Diese bestehen zum einen im "Massencharakter der steuerpflichtigen Vorgänge" 188, zum anderen resultieren sie aus den Schwierigkeiten der Ermittlung von steuerlich relevanten Umständen, die in der dem Finanzbeamten nur schwer zugänglichen Privatsphäre des Steuerpflichtigen oder gar in dessen Innerem (wie dies etwa bei Entschlüssen, Intentionen usw. der Fall ist) begründet sind 189. Diese "Rahmenbedingungen" der Rechtsanwendung im Steuerrecht führen zwangsläufig dazu, daß die Betrachtungsweise in dieser Rechtsmaterie sich verstärkt dem in Anbetracht des Normzwecks Wesentlichen, Typischen zuwendet und die übrigen individuellen Eigenarten der objektiven Sachlage sowie der Person des Steuerpflichtigen außer Ansatz läßt. Damit ist jedoch beileibe keine allein der steuerrechtlichen Gesetzesanwendung eigentümliche Problematik angesprochen, diese stellt sich im Massenverfahren des Steuerrechts nur in erhöhter Schärfe: Gemeint ist der Antagonismus zwischen genereller Norm und individuellem Sachverhalt, zu dessen Auflösung 190 Karl Engisch anschaulich feststellt: "So erscheint der konkrete Einzelfall in der Totalität seiner individuellen Züge eher als Ausgangspunkt denn als Gegenstand juristischer Behandlung. Die Eigenart des Falles wird gleichsam getötet, wenn die juristischen Begriffe ihn ,einfangen' und die rechtlichen Sanktionen sich seiner bemächtigen"191. 187 Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 57. Daß dieses Problem des Nonnenvollzugs nicht auf das Steuerrecht begrenzt ist, sondern als Erscheinung in weiten Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts auftritt, belegt eindrucksvoll die Analyse von Frido Wagener (VVDStRL 37 (1979), S. 215fT., insb. 244fT.), der eine "Not der Selbstbestimmung durch Regelungsüberlastung" (a.a.O. S. 244) auf der Vollzugsebene konstatiert. 188 Isensee, StuW 1973, 199, 200. Nach Tipke (Steuerrecht, 10. Aufl., S. 5) erläßt die Finanzverwaltung ca. 150 Millionen Verwaltungsakte pro Jahr. 189 Isensee, a.a.O. 190 Darunter ist letztlich nichts anderes als der juristische Subsumtionsvorgang zu verstehen.

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

83

Ein Ansatz zur Lösung dieses Dilemmas ist es, bei der (teleologischen) Gesetzesauslegung die Durchführbarkeit der Norm als Auslegungskriterium heranzuziehen 192. Solche Praktikabilitätserwägungen finden sich nicht nur in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 193 und des Bundesfinanzhofs l94 zur Auslegung von Steuernormen, auch andere Fachgerichte 195 erkennen zunehmend vor allem für die Bereiche der modernen Massenverwaltung die leichte Durchführbarkeit des Gesetzes als Interpretationsgesichtspunkt an. Im steuerrechtlichen Schrifttum werden sie als "bedeutsamer Hilfsgesichtspunkt"l96 oder als bloßes "technisches Prinzip"197 dem Grunde nach gebilligt, ihre Wertigkeit als Auslegungstopos ist im einzelnen jedoch noch weitgehend ungeklärt 198 . Nur hingewiesen werden kann an dieser Stelle auf die zunehmende Bedeutung, die der "Verwaltungsförmigkeit" von Gesetzen in der Gesetzgebungslehre zugeschrieben wird 199. Unter diesem Gesichtspunkt der Praktikabilität erweisen sich standardisierte Sorgfaltsanforderungen gegenüber einem subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff als 191 Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, S. 200. Mit ähnlicher Tendenz Heinrich Henkel, Recht und Individualität, S. 7ff. Daher kann Ruppel (DStZ 1984, 547, 548) nicht gefolgt werden, wenn er die "Individualisierung als Gesetzesprinzip" des Steuerrechts zu erkennen glaubt. 192 Weitere Lösungsmöglichkeiten bestehen darin, bei der Rechtsanwendung auf der Sachverhaltsebene die Individualität des Falles durch eine (materiell) "typisierende Betrachtungsweise" seitens Verwaltung und Judikatur zurückzudrängen, bzw. auf der Beweisebene eine (widerlegbare) Vermutung zugunsten des "Normalen", "Typischen" aufzustellen. 193 Siehe nur BVerfGE 13, 290, 316; 13, 331, 341; 22, 156, 161 f. 194 So z.B. BFH BStBi III 1956, 226, 228; BStBi III 1961, 188, 189. 195 In diesem Sinne der BayVGH (BayVBI 1982, 342, 343) zur pauschalierenden Regelung über die Erstattung der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Dienststätte nach bayerischem Reisekostenrecht. Deutlich insoweit auch das BVerwG (BVerwGE 55, 54, 60), wenn es betont, der "rechtliche Gesichtspunkt der Praktikabilität" sei "zugleich auch eine Auslegungshilfe, wenn der Versuch unternommen wird, den typisierenden Charakter einer gesetzlichen Regelung überhaupt in Zweifel zu ziehen oder zu Lasten der Praktikabilität in seiner Bedeutung zu verengen". 196 Felix in Felix (Hrsg.), Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze, S. 124,129. Ähnlich Herb, Berufliche Ausbildung und Fortbildung im Einkommensteuerrecht, S. 201 ff. 197 Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 57. 198 So spricht Felix (a.a.O. Fußnote 196) lediglich von "sehr unterschiedlichen Wertsituationen bei den einzelnen Steuergesetzen und darüber hinaus bei den einzelnen Bestimmungen. " 199 Siehe dazu nur Novak in: Praxis der Gesetzgebung, (Hrsg. Bundesakademie für öffentliche Verwaltung), S. 127ff., der unter der "Verwaltungsförmigkeit" von Gesetzen deren "praxisorientierte und vollziehbare Ausformung" versteht. Dementsprechend lautet einer der Prüfungspunkte der Hausanordnung des BMI "Verfahren bei der Vorbereitung von Gesetzen, Verordnungen und Allgemeinen Verwaltungsvorschriften" (zitiert nach Novak, a.a.O. S. 129): "Vorschriften müssen so gefaßt und aufeinander abgestimmt sein, daß sie bestmöglich praktikabel und vollzugsgeeignet sind".

6'

84

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnonnen

deutlich überlegen. Die Feststellung, ob sich jemand angesichts der äußeren Umstände des Falles vorhalten lassen muß, er habe sich, verglichen mit einem (gedachten) gewissenhaften Steuerpflichtigen, unsorgfältig verhalten, kann obzwar der zugleich normative und deskriptive Maßstab des "Gewissenhaften" nicht immer leicht zu bestimmen ist - auch in einem Massenverfahren getroffen werden; sie hat im übrigen den Vorteil einer besseren Vorhersehbarkeit der im Einzelfall zu wahrenden Sorgfalt aufgrund des generalisierenden (Vergleichs-) Maßstabs. Demgegenüber erscheint es zumindest sehr fraglich, ob die Finanzbehörden - und gegebenenfalls auch die Finanzgerichte - nicht mit der Aufgabe der Ermittlung der dem Steuerpflichtigen individuell möglichen, von ihm persönlich zu erwartenden Sorgfalt überfordert wären. In der Tat käme es bei einem entsprechenden Vortrag des Steuerpflichtigen dazu, daß sich Finanzbehörden und -gerichte eingehend mit dessen angeblich verminderten körperlichen oder geistigen Fähigkeiten - erforderlichenfalls auch im Beweiswege - auseinandersetzen müßten. Neben einer Befragung von Angehörigen, Angestellten, engeren Bekannten etc. über die Person des Steuerpflichtigen käme vor allem die Einholung von Sachverständigengutachten 2°O für die Erforschung der individuellen Disposition in Betracht. Daß die Finanzverwaltung, die nach § 88 AO zur Ermittlung der persönlichen Fähigkeiten im Einzelfall verpflichtet wäre, zur Erfüllung dieser Aufgabe jedenfalls nicht durchgehend in der Lage wäre, bedarf keiner weiteren Darlegung. Auch wenn man Praktikabilitätserwägungen nur als unterstützendes Argument im Rahmen der Auslegung ·von Steuernormen zulassen will 201 , können sie bei der Bestimmung des Inhalts steuerlicher Fahrlässigkeit zum Tragen kommen, da sich bereits unter Leistungsfähigkeitsgesichtspunkten ein objektiver Sorgfaltsmaßstab als geboten erwiesen hat. Daß die praktische Handhabbarkeit der Gesetze als Auslegungsmaxime im Verwaltungsrecht anzuerkennen ist, ergibt sich aus dem Bedürfnis der Umsetzung der Normen in eine (gleichmäßige) Verwaltungspraxis. Ihren normativen Wert erhalten Verwaltungsgesetze nicht bereits durch ihre Existenz, sie bedürfen vielmehr der Anwendung und des Vollzugs durch die Exekutive; dabei geht es in Bereichen der Massenverwaltung nicht um die Durchführung im einzelnen Fall, es muß vielmehr sichergestellt 200 Wie sie etwa aus dem Strafverfahren zur Feststellung der Schuldf'ähigkeit des Angeklagten bekannt sind oder auch zur Ennittlung der geistigen und körperlichen Eignung zum Führen von Fahrzeugen nach dem Straßenverkehrsrecht (§§ 2 a Abs. 4 Satz 1 StVG. 3 Abs. 2 StVZO) dienen. 201 Dies kann m.E. allerdings nur dann gelten, wenn es um die Auswahl unter mehreren Interpretationsmöglichkeiten geht, deren praktische Umsetzung jeweils möglich ist, die aber einen unterschiedlich großen Verwaltungsaufwand erfordern, m.a.W. Effizienzgesichtspunkte in Frage stehen. Ist absehbar, daß ein mögliches Auslegungsergebnis von der Verwaltung im Massenverfahren nicht annähernd bewältigt werden kann, vennag der Mangel an Praktikabilität ausschlaggebende Bedeutung zu erlangen. Dem entspricht es, wenn der BFH (BStBi III 1956, 226, 228; 1961, 188, 189) die Gleichmäßigkeit der Besteuerung mit der leichten Durchführbarkeit der Steuergesetze verknüpft.

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

85

sein, daß das Gesetz auch angesichts der Unzahl seiner Anwendungsfalle vollzieh bar ist zoz . Als rechtsstaatliche Auslegungsgrenze ist auch den Praktikabilitätserwägungen der mögliche Wortsinn der auszulegenden Vorschrift gesetzt. g) Zur Möglichkeit einer Entlastung aufgrund individuellen Unvermögens bei der Feststellung grober Fahrlässigkeit Bei der Lösung der Frage, ob die grobe Fahrlässigkeit des Steuerrechts neben einem (objektiv) gravierenden Sorgfaltsverstoß auch subjektive Unentschuldbarkeit erfordert, m.a.W. unterdurchschnittliche Fähigkeiten und Kenntnisse in die Bestimmung des Maßes der zu wahrenden Sorgfalt einfließen müssen, kann auf die Erkenntnisse der zivilrechtlichen Betrachtung Z03 zurückgegriffen werden. Entgegen den spärlichen Begründungsversuchen der im Zivilrecht überwiegenden Ansicht kann als Beleg für eine durchgängige Berücksichtigung der Individualität des Handelnden weder der "Wesensbegriff der groben Fahrlässigkeit"Z04 noch die Behauptung einer "parallelen Stellung" zwischen grob fahrlässigem und vorsätzlichem Verhalten zo5 und schließlich nicht die angeblich schwereren Rechtsfolgen, die nach dem Gesetz nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit eintreten sollenzoo, angeführt werden. Während der Vorsatz qua definitione ("Wissen und Wollen") stets die Funktion subjektiver Zurechnung zur Person erfüllt, kann ein solches "Wesensmerkmal" bei der groben Fahrlässigkeit nicht ausgemacht werden. Diese stellt wie die einfache Fahrlässigkeit einen neutralen Zurechnungsmodus dar, der je nach der Natur des Regelungskontextes, in dem er Anwendung findet, sowohl im Sinne subjektiver Zurechnung als auch in der Gestalt objektiver Zurechnung Z07 seine normzweckspezifische Fayon finden kann. Daß jedenfalls für das Steuerrecht eine Argumentation

202 Ähnlich Schwarze DÖV 1980, 581 ff., 593, der die "praktische Handhabbarkeit" als eigenständigen Auslegungsgrundsatz neben den vier "klassischen" Auslegungsmethoden auffaßt. Sieht man als Zweck der Verwaltungsgesetze (auch) ihre Durchführbarkeit an, so erscheint die Praktikabilität als Topos im teleologischen Bereich verortet. 203 Siehe oben Zweiter Teil A 111 2 b ee. 204 So aber der Bundesgerichtshof (BGHZ 10, 14, 17). 205 Aufdieses Argument stützen sich vor allem Sanden V~rsR 1967, 1013, 1016 und, ihm folgend, Lohe VersR 1968, 323, 325ff. 206 Darauf beruft sich jedoch Sanden VersR 1967, 1013, 1016. 207 So wird beispielsweise im Rahmen des § 5 Abs. 2Satz 1 StrEG, wonach keine Entschädigung für vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführte Strafverfolgungsmaßnahmen zu leisten ist, grobe Fahrlässigkeit nach allgemeiner Ansicht (K/einknecht I Meyer, 37. Aufl., Rdnr. 9 zu § 5 StrEG; Meyer, Rdnr. 40ff. zu § 5 StrEG; Schätz/er, 2. Aufl., Rdnr. 41 f. zu § 5 StrEG,jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung) nicht im Sinne individueller Vorwerfbarkeit verstanden, sondern am objektiven, abstrakten' Maßstab gemessen und damit als Instrument objektiver Zurechnung gebraucht.

86

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

mit schwereren Rechtsfolgen bei grober Fahrlässigkeit nicht stichhaltig wäre 208 , zeigt sich deutlich im Bereich der steuerrechtlichen Haftungstatbestände, die einerseits zumindest grobe Fahrlässigkeit voraussetzen (§§ 69, 72 AO), andererseits eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht anordnen (§ 42 d EStG). Die Hinwendung des materiellen Steuerrechts zum Erfordernis grober Fahrlässigkeit ist daher nicht durch besonders gravierende Rechtsfolgen erklärbar, sondern stellt eine rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers dergestalt dar, daß ein Versehen, wie es jedem Menschen unterlaufen kann, nicht bereits sanktionsauslösend wirken soll. Mit dieser - für den Steuerpflichtigen gegenüber der Einstandspflicht für jegliche Art von Fahrlässigkeit privilegierenden - Beschränkung der Rechtsfolgen auf besonders intensive Sorgfaltsverstöße ist keine Entscheidung zwischen generalisierenden und individuellen Sorgfaltsanforderungen verbunden. h) Ergebnis Als Ergebnis der teleologischen Untersuchung über die Fahrlässigkeit in den Normen des materiellen Steuerrechts erweist sich ein objektiver Maßstab im Sinne der Sorgfalt, die von einem gewissenhaften Steuerpflichtigen zu erwarten ist, aus mehreren Gründen als angezeigt. Die in Frage stehenden Rechtsfolgen haben weder strafähnlichen Charakter, noch entspringen sie Rechtsverhältnissen mit einer besonderen Hafttiefe. Vor allem aber fügen sich ein kausales Veranlassungsverständnis und ein generalisierender Fahrlässigkeitsmaßstab in ein stimmiges System der Ermittlung objektiver Leistungsfähigkeit. 3. Zur Zulässigkeit der Ermittlung steuerlicher Fahrlässigkeit im Wege der typisierenden Betrachtungsweise

a) Ausgangslage und "Typisierungsbedarf" Hat sich soeben gezeigt, daß der Fahrlässigkeitsmaßstab des materiellen Steuerrechts auf Normalerfordernisse des Rechtsverkehrs ausgerichtet ist, so stellt sich konsequent die Frage, ob nicht auch bei der Feststellung der Tatsachengrundlage des Fahrlässigkeitsurteils - wobei unter Tatsachen hier die äußeren Umstände des zu entscheidenden Falles verstanden werden - ein typisierendes Vorgehen der Finanzbehörde zulässig sein soll. Ein Bedarf an typisierender Betrachtung des äußeren Sachverhalts läßt sich zum einen aus der Vielzahl und Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte vor allem in Haftungsfällen und im Bereich der Verschuldensfragen bei außergewöhnlichen Belastungen, zum anderen aus der Schwierigkeit der Ermittlung von objektiven Umständen, die in der Sphäre des Steuerpflichtigen liegen, herleiten 209 • Andererseits ist die 208 Zur mangelnden Plausibilität im Zivilrecht siehe nur v. Reuter, Grobe Fahrlässigkeit im Privatversicherungsrecht, S. 31 f. 209 Es sind dies also ähnliche Erwägungen, wie sie auch bei der Frage nach dem zutreffenden Maßstab der Fahrlässigkeit anzustellen waren.

B. Verschulden in den Tatbeständen des materiellen Steuerrechts

87

Finanzbehörde nach dem Untersuchungsgrundsatz des § 88 AO verpflichtet, "alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände"210 zu ermitteln und zu berücksichtigen. Die im skizzierten Spannungsfeld zwischen "gesetzlichem Sollen" und "realem Können"211 der Verwaltung entbrannte, nun bereits über Jahrzehnte andauernde Typisierungsdiskussion kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingehend gewürdigt werden 212 , andererseits erscheint eine kurze Stellungnahme angesichts der Bedeutung des Problems unumgänglich. b) Notwendigkeit zur Herstellung größtmöglicher Konkordanz von Legalität und Praktikabilität Im Einklang mit der herrschenden Steuerrechtslehre 213 lassen sich im Rahmen der Rechtsanwendung 214 nach der Intensität der Vermutungswirkung zwei Grundformen typisierender Betrachtungsweise unterscheiden: Bei der Methode der materiellen Typisierung wird "ein typischer, seiner individuellen Eigenheit entkleideter Sachverhalt" auch dann der Subsumtion zugrundegelegt, "wenn sich erweist, daß es sich individuell anders zugetragen hat"21S, letztlich geht es um die unwiderlegbare Vermutung des "Normalen". Demgegenüber ist die Spielart der formellen Typisierung dadurch gekennzeichnet, daß "der typische Sachverhalt ... lediglich die Bedeutung einer Sachverhaltsvermutung"216 hat, die durch einen Nachweis von individuellen Besonderheiten widerlegbar ist. Eine zwar unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten prima vista hehre Lösung wäre es, der Steuerverwaltung und erst recht den Finanzgerichten jegliche Typisierung zu untersagen mit dem Argument, alleine der Gesetzgeber dürfe ein solches Vorgehen - innerhalb bestimmter verfassungsrechtlicher Grenzen 217 zulassen oder gebieten 218 . Die Folge wäre der Kollaps der Steuerverwaltung, ein Siehe § 88 Abs. 2AO. So die Charakterisierung des Konflikts durch Isensee StuW 1973, 199,202. 212 Dazu grundlegend Isensee, Die typisierende Verwaltung, 1976; Herb, Berufliche Ausbildung und Fortbildung im Einkommensteuerrecht, S. 122 ff. mit einer ausführlichen Darstellung des derzeitigen Streitstands. 213 Jakob, Steuern vom Einkommen I, S.40; Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 576; Isensee StuW 1973, 199, 200; Kruse, Steuerrecht I Allgemeiner Teil, 3. Aufl., S. 110ff.; Herb a.a.O., S. 138ff. 214 Die Befugnis des Gesetzgebers zur typisierenden Normsetzung steht hier nicht in Frage. 215 Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 40. Daher kann man insofern mit Herb a.a.O. (Fußnote 212), S. 140durchaus von einem "fingierten" Sachverhalt sprechen. 216 Jakob a.a.O. 217 Dazu Herb a.a.O. (Fußnote 212), S. 129ff. mit Nachweisen aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts. 218 So in der Tat Pestalozza in Schmitt Glaeser (Hrsg.), Festschrift Boorberg Verlag 1977, S.185ff., 188, der aus § 24 Abs.2VwVfG gerade für Massenverfahren ein 210

211

88

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnonnen

rechtsstaatlich noch weniger wünschenswertes Ergebnis. Aber auch der in der Literatur vor allem von Isensee präferierte Lösungsweg über die materielle Typisierung hin zur "brauchbaren Illegalität"219 erweist sich im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Besteuerung nach individueller Leistungsfähigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) als nicht gangbar, so daß die jüngere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs mit Recht zunehmend von ihm abrückt 220 . Als von Verfassungs wegen hinnehmbarer und wohl den Anforderungen der Praktikabilität steuerlicher Rechtsanwendung hinreichend Rechnung tragender Ausweg verbleibt als - an § 88 AO festzumachende - Beweismethode die formelle Typisierung: Soweit den Finanzbehörden die Ermittlung der konkreten Umstände jedes Einzelfalles unmöglich ist, dürfen sie - unter Verzicht auf eine Ermittlung der Einzelumstände - die typische, erfahrungsmäßige Sachlage als Indiz verwenden, dem Steuerpflichtigen obliegt es dann, gegebenenfalls die Vermutung durch den Nachweis atypischer Geschehensmerkmale zu widerlegen 221 . Anhand eines Beispiels zur Zwangsläufigkeit außergewöhnlicher Belastungen läßt sich die Bewährung formeller Typisierung auch für das Fahrlässigkeitsurteil nachweisen: Erklärt der Steuerpflichtige, daß er hohe Schadensersatzzahlungen wegen eines Verkehrsunfalls auf einer Privatfahrt, bei dem er unter besten Fahrbedingungen auf gerader Strecke und breiter Fahrbahn frontal in einen vorschriftsmäßig entgegenkommenden Pkw geprallt sei, habe leisten müssen, so darf der Finanzbeamte ohne weitere Nachforschung von einem erfahrungsgemäß besonders schweren Verkehrsverstoß, also grob fahrlässigem Verhalten ausgehen und die Zwangsläufigkeit des Unfallereignisses verneinen 222 • Dem Steuerpflichtigen bleibt es unbenommen, diese Vermutung dadurch auszuräumen, daß er nachweist, sein auf dem Rücksitz mitfahrender fünfjähriger Sohn habe mit ihm "blinde Kuh" spielen wollen und ihm zu diesem Zweck plötzlich beide Augen zugehalten, so daß er auf die linke Fahrbahnseite geraten sei.

"grundsätzliches Typisierungsverbot" für Verwaltungsentscheidungen ableitet. Ähnlich Tipke j Kruse, Rdnr. 6 zu § 88 AO mit einer kategorischen Ablehnung einer "Notkompetenz" der Verwaltung zur Typisierung. Differenzierend Söhn in HübschmannjHeppj Spitaler, Rdnr. 68 zu § 88 AO, der eine Typisierungskompetenz der Verwaltung im Grundsatz anerkennt, eine solche jedoch nicht gelten lassen will, "wenn und soweit der Gesetzgeber den Gesetzesvollzug selbst erleichtern kann". 219 Isensee StuW 1973, 199ff., 205. 220 Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 40. Dennoch halten sich "Nester" materieller Typisierung hartnäckig, wie sich am Beispiel beruflich veranlaßter Promotionskosten (BFH BStBl II 1978,431 ff.) deutlich zeigt. 221 Ähnlich Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 576; Jakob a.a.O., S. 40f.; Herb a.a.O. (Fußnote 212), S. 211 f.; Kröner StuW 1985,115, 119f. 222 Nach der BFH-Rechtsprechung schließt grob fahrlässiges Verhalten regelmäßig Zwangsläufigkeit aus (BStBl III 1963,499, 501).

C. Verschulden im steuerlichen Verwaltungsverfahrensrecht

89

C. Verschulden im steuerlichen Verwaltungsverfahrensrecht I. Vorsatz

In Entsprechung zur geringen praktischen Bedeutung der Verschuldensform des Vorsatzes im Bereich des Verfahrens nach der Abgabenordnung sollen dazu wenige Worte genügen. Umschreiben läßt sich diese Verschuldensform hier als Wissen und Wollen (bzw. Inkaufnehmen) der Umstände, die den Tatbestand der Verfahrensvorschrift erfüllen, in Kenntnis der Pflichtwidrigkeit bzw. Obliegenheitswidrigkeit dieses Verhaltens. Der Rechtsirrtum kann hier dem Irrtum über tatsächliche Umstände aus denselben Gründen gleichgestellt werden, wie sie bereits zum materiellen Steuerrecht dargelegt wurden 223 : Auch im steuerlichen Verwaltungsrecht sind keine unterschiedlich gestuften Rechtsfolgen für allein tatbestandsmäßig-vorsätzliches einerseits und zusätzlich bewußt rechtswidriges Verhalten andererseits vorgesehen, so daß einer vorsatzausschließenden Wirkung des Rechtsirrtums insofern nichts entgegensteht. Bei Vermeidbarkeit des Irrtums bleibt die Möglichkeit einer Sanktionierung wegen fahrlässigen Verhaltens. 11. Fahrlässigkeit und gebotene Sorgfalt

Als steuerverfahrensrechtlicher Zurechnungsgrund hat die Fahrlässigkeit ihre wichtigsten Anwendungsgebiete im Bereich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) und bei der Frage des Ausschlusses der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen groben Verschuldens des Steuerpflichtigen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO). Vor allem zu diesen Vorschriften hat die Rechtsprechung eine umfangreiche Kasuistik fahrlässigen Verhaltens entwickelt, die Aussagen zur Grundsatzfrage eines individuellen oder generalisierenden Sorgfaltsmaßstabs im Verwaltungsverfahrensrecht sind dabei regelmäßig knapp gehalten und tendieren - ohne nähere Begründung - einmal in die objektive 224 , ein andermal in die subjektive Richtung 225 • Eine klare Linie hat die Rechtsprechung damit noch nicht gefunden.

Siehe dazu oben B II. So lassen BFH HFR 1964,350,352, BStBi II 1978, 667, 669 und das Hess. FG EFG 1985, 154 eine Entlastung aufgrund subjektiver Merkmale (Unerfahrenheit, mangelnde Bildung) bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO (§ 86 AO a.F.) nicht zu. 225 In diesem Sinne zahlreiche Judikate des BFH aus jüngerer Zeit (BStBI II 1983, 324, 328, BStBi II 1984,2, 3, 693, 694, BStBi II 1986, 120, 121), die für die Annahme grober Fahrlässigkeit im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO auf die dem Steuerpflichtigen nach seinen Kenntnissen, Erfahrungen und seinem Bildungsstand individuell mögliche Sorgfalt abstellen. 223

224

90

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

1. Unbrauchbarkeit des Maßstabs der eigenüblichen Sorgfalt

Eine Heranziehung dieses (zivilrechtlichen) Sorgfaltsmaßstabs scheidet ebenso wie im Steuerschuldrecht deshalb aus, weil auch im steuerlichen Verwaltungsverfahren keine vertraglich begründeten Rechtsbeziehungen mit personalem Bezug oder Treuhandcharakter anzutreffen sind. 2. Zur Sachgerechtigkeit individueller bzw. generalisierender Sorgfaltsanforderungen

a) Folgerungen aus der dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrensrechts im Hinblick auf die Verwirklichung des materiellen Rechts Daß die Normen über das Verwaltungsverfahren nicht Selbstzweck sind, sondern an erster Stelle der Verwirklichung des materiellen Verwaltungsrechts dienen, findet im Steuerrecht 226 wie auch im übrigen Verwaltungsrecht 227 gleichsam als Grundkonsens weitestgehende Anerkennung. Trägt man dem bei der Ermittlung des Maßstabs der im Steuerverfahren zu wahrenden Sorgfalt Rechnung, so können diejenigen Wertungsgesichtspunkte, die bereits im materiellen Steuerrecht für die Annahme generalisierender Sorgfaltsanforderungen sprachen, (mittelbar) auch für das Verfahrensrecht argumentatives Gewicht erlangen. Die Topoi der geringen Hafttiefe der Steuerschuldverhältnisse, des objektiven Charakters des Verfahrens zur Leistungsfähigkeitsbestimmung und nicht zuletzt der einfachen Handhabbarkeit der materiell-rechtlichen Steuernormen müssen auch bei der Auslegung verfahrensrechtlicher Normen Beachtung finden. Dies folgt aus der Erkenntnis, daß das Verwaltungsverfahrensrecht vornehmlich der "Richtigkeitsgewähr"228 im Hinblick auf die Verwaltungsentscheidung dient. Liegt nun aber nach materiellem Einkommensteuerrecht der Entscheidung eine generalisierende Beurteilung am Maßstab des im Sinne der Verkehrsanschauung "Normalen" zugrunde, so würde eine weitgehende Berücksichtigung der Individualität des Steuerpflichtigen bei der Frage verfahrensbezogener Fahrlässigkeit der beschriebenen Zwecksetzung des Verfahrensrechts zuwiderlaufen. 226 Siehe dazu nur Beisse, Kapitel "Auslegung" in: Handwörterbuch des Steuerrechts, 2. Aufl., 1. Bd., S. 134, 136; Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 567; Mattem BB 1969, 1049, 1054. 227 Ossenbühl NVwZ 1982, 465f.; Häberle in Schmitt Glaeser (Hrsg.) Festschrift Boorberg Verlag, S. 47ff., 49; Hufen, Fehler im Verwaltungsverfahren, S. 35; ebenso die Begründung zum Regierungsentwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes 1973 (BT-Drs. 7/910) zu §§ 41, 42 EVwVfG: " ... sollen Verfahrens- und Formvorschriften überwiegend das Verfahren nur im Interesse einer richtigen Sachentscheidung in bestimmte Bahnen und Formen zwingen, haben mithin gegenüber dem materiellen Recht nur eine dienende Funktion." 228 Ossenbühl NVwZ 1982, 465, 466.

C. Verschulden im steuerlichen Verwaltungsverfahrensrecht

91

Bedenken ergeben sich dabei insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines letztlich von Art. 3 Abs. 1 GG verbürgten - gleichmäßigen Vollzugs verfahrensrechtlicher Normen. Einem Fahrlässigkeitsverständnis, das die dem Steuerpflichtigen angesichts seiner Bildung, Erfahrung, Intelligenz usw. individuell mögliche Sorgfalt zum Maßstab erhebt, kann von der Steuerverwaltung vor allem im Hinblick auf die Vielzahl von Anwendungsfällen zu §§ 110, 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht stets und gleichmäßig Rechnung getragen werden. Da der Topos mangelnder Vollzugseignung der Norm sogar bei der Auslegung des materiellen Steuerrechts zu berücksichtigen ist 229 , muß er erst recht die Interpretation von Begriffen des zugehörigen Verwaltungsverfahrensrechts in den - rechtsstaatlich gebotenen - Grenzen des möglichen Wortsinns beeinflussen können 23o . Auch hier geht es nicht um Gesichtspunkte der Effizienz 231 oder Verwaltungsökonomie im Sinne eines hohen bzw. geringen Aufwandes bei der Bearbeitung des Einzelfalles, denen von manchen Autoren bloßer" Verwaltungswert" 232, von anderen ausdrücklich ein "Rechtswert"233 zuerkannt wird. Vielmehr ist festzustellen, daß die Finanzverwaltung eine Erforschung der dem Steuerpflichtigen in persona zumutbaren Sorgfalt in der Flut von Fällen schlichtweg nicht leisten kann. b) Rechtssicherheit und Fahrlässigkeitsmaßstab Gleichberechtigt neben dem Auftrag der Verwirklichung materialer Einzelfallgerechtigkeit dient das Verwaltungsverfahrensrecht dem ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3, 28, Abs. 1 Satz 1 GG) abzuleitenden 234Grundsatz der Rechtssicherheit.

229

230

195f.

Vgl. oben 2f. Ähnlich Gast in: Vom Rechtschutz im Steuerrecht (Hrsg. Günter Felix), S. 181 ff.,

231 Zu den Aspekten, unter denen der Begriff der Effizienz im Staats- und Verwaltungsrecht Relevanz erlangen kann, siehe etwa Leisner, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 6ff. 232 So dezidiert Felix in Felix (Hrsg.), Von der Anwendung und Auslegung der Steuergesetze, S. 124ff., 127. Ähnlich Leisner a.a.O. (Fußnote 230), S. 60, der in der Effizienz "ein bescheidenes instrumentales Prinzip" sieht. 233 In diesem Sinne Schwarze DÖV 1980, 581 ff., 585; Degenhart DVBI 1982, 872ff., 884; Ossenbühl NVwZ 1982, 465, 466f.; Hufen NJW 1982, 2160ff., 2168f.; lsensee StuW 1973, 199ff., 203; Häberle AöR 98 (1973), 625ff., 631; ders. in: Schmitt Glaeser (Hrsg.), Festschrift Boorberg Verlag, S. 47ff., 55; zumeist unter Hinweis darauf, daß "Effizienz" für sich betrachtet kein Wert zukommen kann, diese ihren Rechtswert vielmehr nur aus der Verbindung mit Rechtsnormen schöpfen kann. Zutreffend weist Borgs in Meyer / Borgs, 2. Aufl., Rdnr. 16 zu § 29 VwVfG daraufhin, daß nunmehr durch § 29 Abs. 21. Alt. VwVfG ein "ordnungsgemäßes Funktionieren der Verwaltung" positiv-rechtlich anerkannt ist. 234 BVerfGE 2,380403; 60, 253, 267, st.Rspr. des BVerfG; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. 1, 1. Aufl., S. 796f.; Schnapp in von Münch, 3. Aufl., Rdnr. 26 zu Art. 20 GG; Kopp, 3. Aufl., Rdnr. 2 zu § 32 VwVfG; Erichsen/ Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl., 247 f.

92

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnormen

Die Rechtssicherheit gebietet zunächst, daß im verwaltungsbehördlichen wie auch in einem sich etwa anschließenden gerichtlichen - Verfahren in angemessener Frist die (streitige) Rechtslage durch eine für die Beteiligten verbindliche Entscheidung geklärt wird; darin liegt ihre bedeutsame Befriedungsfunktion. Im Verwaltungsverfahrensrecht hat der Gesetzgeber zur Erreichung dieses Zwecks insbesondere Rechtsbehelfsfristen 235 und damit zusammenhängend das Institut der Bestandskraft von Verwaltungsakten 236 , abel'" auch das Instrument verschuldensabhängiger Präklusion 237 normiert. Diesen Regelungen ist es gemein, daß sie eine stark typisierende, auf den Normalfall abstellende Wirkung haben, welche besonders ausgeprägt bei den Rechtsbehelfsfristen zu Tage tritt. Selbst wenn dabei Härten zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit auftreten können, darf der Gesetzgeber dem "Typisierungsinteresse" an einheitlichen, übergreifenden Maßstäben im Interesse der Rechtssicherheit den Vorrang einräumen 238 • Daraus folgt, daß das Ziel einer raschen Herbeiführung von Rechtsfrieden ebenso bei der Auslegung von Rechtsbegriffen des Verwaltungsverfahrensrechts als gewichtiger Interpretationspunkt anzusehen ist. Auch unter diesem Aspekt erscheint ein generalisierender Fahrlässigkeitsmaßstab angezeigt, da dieser zwar nicht von der häufig schwierigen Ermittlung der in der Sphäre des Steuerpflichtigen liegenden äußeren Umstände suspendiert 239 , jedoch den Finanzbehörden zumindest keine aufwendige und zeitraubende Persönlichkeitserforschung auferlegt. Ein objektiver Sorgfaltsstandard wird zudem den Anforderungen an die Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit staatlichen Handelns für den Bürger, einem weiteren Element der Rechtssicherheit 240 , besser gerecht. Der Einzelne vermag das ihm an Sorgfalt abverlangte eher zu kalkulieren, wenn er aus dem in anderen Fällen angelegten Maßstab auf seine Steuerangelegenheiten Rückschlüsse ziehen kann. c) Zur Unverträglichkeit eines personalen Sorgfaltsmaßstabs mit der Zurechnung des Verschuldens eines steuerlichen Beraters Anlaß zu kritischer Betrachtung gibt die im Jahre 1983 vom Bundesfinanzhof entwickelte 241 und seitdem mehrfach bestätigte 242 Judikatur zum Begriff des Siehe §§ 355 Abs. 1, 356 Abs. 2AO. Siehe §§ 130,131,172 - 177 AO. 237 In § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO. 238 BVerfGE 60, 253, 300ff. zur Zurechnung des Verschuldens eines Prozeßbevollmächtigten nach §§ 173 VwGO, 85 Abs. 2ZPO im verwaltungs gerichtlichen Asylverfahren. 239 Zur Zulässigkeit einer (formell) typisierenden Fahrlässigkeitsfeststellung siehe unten 3. 240 Badura, Staatsrecht, S. 205. 241 BFH BStBl 11 1983, 324ff. 235

236

C. Verschulden im steuerlichen Verwaltungsverfahrensrecht

93

groben Verschuldens im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO, nach der einerseits grobe Fahrlässigkeit dann gegeben ist, wenn der Steuerpflichtige die ihm persönlich zuzumutende Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt, der Steuerpflichtige dabei aber andererseits grob fahrlässiges Verhalten seines steuerlichen Beraters wie das Verschulden eines Bevollmächtigten zu vertreten hat. Ohne hier im einzelnen auf die Problematik der Zurechnung eines Beraterverschuldens eingehen zu können, scheint mir die Wertung des BFH, der Steuerpflichtige dürfe sich seiner Einstandspflicht für die auf grobem Verschulden beruhende Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit einer Steuererklärung nicht durch die Übertragung der Bearbeitung auf einen steuerlichen Berater entziehen können 243 , sachgerecht 244 • Ob sich die - in § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO nicht geregelte - Zurechnung eines Beraterverschuldens allerdings durch eine "systematische Auslegung mehrerer Bestimmungen der AO 1977"245 rechtfertigen läßt oder ob es hierfür nicht einer ausdrücklichen Anordnung durch den Gesetzgeber bedürfte:wi, erscheint zumindest nicht unzweifelhaft. In nuce wendet der BFH damit, beschränkt auf die Einschaltung eines steuerlichen Beraters, den Rechtsgedanken des § 278 BGB an 247 , dadurch modifiziert, daß für den Berater jedenfalls im Hinblick auf Rechtskenntnis erhöhte und vor allem objektive Sorgfaltsanforderungen gelten sollen. Mit dieser Verantwortlichkeit für fremdes Verschulden 248 ist es nur schwerlich vereinbar, wenn der BFH im gleichen Atemzug betont, grobe Fahrlässigkeit setze voraus, daß das Fehlverhalten dem Steuerpflichtigen nach seinen individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten zum Vorwurf gereiche. Für den Gedanken des § 278 BGB, daß der Schuldner bei Einschaltung von Hilfspersonen zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten das Risiko eines schuldhaften Verhaltens dieser Hilfspersonen zu tragen hat, ist kein Platz in einem Fahrlässigkeitskonzept streng BFH BStBl II 1984, 2ff., 48f., 256f. BFH BStBi II 1983, 324, 326f. 244 Ebenso Thiel JbFSt 1977/78, 97ff., 107; Domann BB 1979, 516ff., 519; Mittmann DStZ/ A 1981, 121 ff.; Rönitz StbKongrRep 1982, 127ff., 134; Grube JbFSt 1983/84, 37ff., 56f.; Kutter StbKongrRep 1983, 267ff., 273f.; Mittelbach DStZ/A 1984, 319ff.; HampelZfZ 1984, 226ff., 229f.; Klein/Orlopp, 3. Aufl., Anm.14czu§ 173 AO; List NWB F2, S.4055ff., 4060ff.; Kötter NWB F2, 4239, 4255; v. Wallis in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Rdnr. 44 c zu § 173 AO. 245 BFH BStBi II 1983, 324, 326; der Sache nach handelt es sich dabei jedoch um eine Analogie in malam partern. 246 In diesem Sinne Tipke / Kruse, Rdnr. 31 zu§ 173 AO; Eggesiecker DStR 1980, 161ff., 164; Späth DStZ/A 1980, 130ff.; Weber-Grellet StBp, 1979, 145ff., 148f. 247 Ebenso Hanau in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 9 zu § 278 BGB. In BFH BStBi 11 1983, 324, 327 wird der mit der Ausarbeitung der Steuererklärung betraute Berater ausdrücklich als "Erfüllungsgehilfe" des Steuerpflichtigen angesehen. 248 Eigenes Auswahl- oder Überwachungsverschulden des Steuerpflichtigen ist danach nicht erforderlich. 242 243

94

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnonnen

persönlicher Verantwortlichkeit. Darüber hinaus sind Zweifel angezeigt, ob der BFH tatsächlich eine umfassende Entlastung aus der Individualität zulassen will: Die von ihm hervorgehobenen "persönlichen Entschuldigungsgründe ... mangels steuerlicher Kenntnisse"249 sind nämlich für die weit überwiegende Zahl der Steuerpflichtigen gruppentypisch, eine singuläre Erscheinung kann darin nicht gesehen werden. d) Notwendigkeit einer subjektiven Betrachtung zum Schutz des rechtsunkundigen Steuerpflichtigen? Ein häufig zugunsten individueller Sorgfaltsanforderungen angeführtes Argument lautet in der Formulierung einer Verfügung der OFD Köln vom 14.5.1980:

"Die Anwendung des subjektiven, auf die Person bezogenen, Verschuldensbegriffs, der die Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls und der persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen verlangt, gewährleistet die zutreffende Besteuerung des rechtsunkundigen, ungewandten Steuerpflichtigen, der in besonderem Maße auf die Fürsorge der Finanzbehörden angewiesen ist (vgl. § 89 AO). "250 Diese Ansicht wird von einem Großteil des Schrifttums 251 geteilt. Der Schluß von der steuerrechtlichen Unwissenheit auf die Maßgeblichkeit der Individualität der Person des Steuerpflichtigen ist indes nicht zwingend, da auch bei der Annahme objektivierter Sorgfaltsanforderungen den im allgemeinen geringen Rechtskenntnissen des Steuerbürgers dadurch Rechnung getragen werden kann, daß bei der Beschreibung der maßgeblichen Vergleichsperson im Hinblick auf deren Steuerrechtskenntnisse keine überhöhten Anforderungen gelten dürfen. Insofern muß dem "Üblichen" starker Einfluß auf den normativen Sorgfaltsmaßstab beigemessen werden. Ein individueller Sorgfaltsmaßstab für das Verwaltungsverfahren ist daher auch nicht im Interesse des Schutzes des Steuerpflichtigen vor überzogenen Anforderungen notwendig, die Art der Zurechnung ist vielmehr unabhängig vom (empirischen) Stand der beim Steuerbürger normalerweise anzutreffenden Rechtskenntnisse.

BFH BStBi 11 1983, 324, 328. Verfügung OFD Köln S 0071-4-St 311 vom 14.5.1980 StEK AO 1977 § 173 Nr. 15 unter 2. 251 Von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Rdnr. 44 zu § 173 AO; Klein/ Orlopp, 2. Aufl., Anm. 14 zu § 173 AO, zweifelnd nunmehr die 3. Aufl., Anm. 14 zu § 173 AO; Kühn/ Kutter/ Hofmann, 14. Aufl., Anm. 6a zu§ 173 AO; Thiel JbFSt 1977 /78, 97ff., 107; Domann BB 1979, 516ff., 518; Philipp DStZ/A 1981, 167, 170; Hampel ZfZ 1984, 226ff., 229. 249

250

C. Verschulden im steuerlichen Verwaltungsverfahrensrecht

95

e) Objektive Beurteilung der groben Fahrlässigkeit Hat sich bei der materiell-rechtlichen Betrachtung 252 gezeigt, daß die grobe ebenso wie die einfache Fahrlässigkeit als wesensmäßig neutrale Zurechnungsmedien ihre subjektive oder objektive Ausrichtung in Entsprechung zu ihrem jeweiligen Regelungskontext erfahren, so gilt im Verwaltungsverfahrensrecht nichts anderes. Ein - wie auch immer gearteter - "Wesensbegriff" der groben Fahrlässigkeit steht damit objektiven Sorgfaltsanforderungen nicht entgegen. Entsprechend den oben dargestellten Wertungen kann hier grobe Fahrlässigkeit allgemein beschrieben werden als außergewöhnlich schwerer Verstoß gegen die vom steuerlichen Verwaltungsverfahrensrecht dem Steuerpflichtigen generell a bverlangten Sorgfaltsanforderungen.

3. Zulässigkeit der typisierenden Feststellung verjahrensbezogener Fahrlässigkeit Ein "Typisierungsbedarf' hinsichtlich der äußeren Umstände bei Sorgfaltsverstößen gegen verfahrensrechtliche Pflichten ist vor allem im Bereich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) und der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgrund der Vielzahl von Anwendungsfällen, aber auch im Hinblick auf die Schwierigkeiten einer Ermittlung der in der Sphäre des Steuerpflichtigen liegenden Details der objektiven Sachlage, festzustellen. Da das Verfahrensrecht nicht nur der Verwirklichung des materiellen Rechts verpflichtet ist, sondern gleichzeitig die Funktion hat, "der Leistungsfähigkeit und Wirksamkeit der Verwaltung zu dienen"253, muß diesem Bedarf dadurch Rechnung getragen werden, daß der Finanzverwaltung insoweit die Befugnis zu einer formell typisierenden Verfahrensweise eingeräumt wird. Eine Anwendung dieser - wiederum an § 88 AO festzumachenden - Beweismethode sieht auch der Einführungserlaß zur AO 1977 254 vor, der BFH hat dies im Widerspruch zu seinem subjektiven Fahrlässigkeitsverständnis jedenfalls dem Grunde nach gebilligt 255 .

Siehe dazu oben B III 2. Ossenbühl NVwZ 1982,465,466. 254 BStBl I 1976, 576, 611. Dort heißt es zu § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO: "Ein grobes Verschulden kann im allgemeinen angenommen werden, wenn der Steuerpflichtige trotz Aufforderung eine Steuererklärung nicht abgegeben hat, allgemeine Grundsätze der Buchführung (§§ 145 - 147) verletzt oder ausdrückliche Hinweise in ihm zugegangenen Vordrucken, Merkblättern oder sonstigen Mitteilungen der Finanzbehörde nicht beachtet". 255 BFH BStBl II 1984, 693, 694. Danach handelt ein Steuerpflichtiger regelmäßig grob fahrlässig im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO, "wenn er ... eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen ganz bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet." 252

253

96

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnonnen

D. Verschulden im Finanzprozeßrecht Ähnlich wie im steuerlichen Verwaltungsverfahrensrecht hat der Gesetzgeber auch die Sanktionierung eines prozessualen Fehlverhaltens durch Gesetzesformulierungen wie "Verschulden"256, "schuldhaft"257 usw. sowohl für vorsätzliche als auch für fahrlässige Verwirklichung des Tatbestands der prozessualen Norm angeordnet. I. Vorsatz

Fälle eines bewußten und gewollten Zuwiderhandelns gegen prozeßrechtliche Bestimmungen sind im wesentlichen nur bei intendierter Prozeßverschleppung vorstellbar und demgemäß jedenfalls im Verfahren vor den Steuergerichten 25S nicht sehr häufig. Die in diesem Zusammenhang auftretende Frage, ob neben dem Tatsachenirrtum auch der Irrtum in Bezug auf die Pflichtwidrigkeit eines Verhaltens vorsatzausschließend wirkt, ist ebenso wie im Bereich des Verwaltungsverfahrensrecht 259 zu bejahen 260 , die Möglichkeit einer Sanktionierung aufgrund fahrlässiger Tatbestandsverwirklichung bleibt davon unberührt. 11. Fahrlässigkeit und Sorgfaltsmaßstab 1. Zur Angemessenheit individueller bzw. objektiver Sorgfaltsanforderungen

a) Prozessuales Verschulden im Brennpunkt zwischen materialer Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit Die Konfliktsituation zwischen materialer Gerechtigkeit und zügiger Erzielung von Rechtsfrieden, in der sich prozeßrechtliche Verschuldensnormen befinden und deren Auflösung bei der Auslegung interpretationsbedürftiger Begriffe des Prozeßrechts oberstes Ziel ist, beschreibt treffend das Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 20.4.1982 261 über die Zurechnung von Vertreterverschulden bei der Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren:

So z.B. in§§ 56 Abs. 1,135 Abs. 4, 137 Satz 2FGO, Art. 3 § 7 Abs. 2VGFG EntiG. Siehe § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO. 258 Anderes mag im Strafprozeß gelten, wenn dem Angeklagten die Vorteile der nach § 51 Abs. 1 StGB grundsätzlich auf die zu erwartende Freiheitsstrafe anzurechnenden Untersuchungshaft möglichst lange gesichert werden sollen. 259 Siehe oben C I. 260 Ebenso die h.M. zum Zivilprozeß: Schuhmann in Stein/ Jonas, 20. Aufl., Rdnr. 35 zu § 233; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, 43. Aufl., Einleitung III 7 A. 261 BVerfG E 60, 253 ff. 256 257

D. Verschulden im Finanzprozeßrecht

97

"Die Entstehungsgeschichte der Wiedereinsetzungsvorschriften im Zusammenhang mit den Fragen der Zurechnung des Vertreterverschuldens macht deutlich, daß den gesetzgebenden Körperschaften nachhaltig bewußt war, es mit einer Grenzfrage im Spannungsfeld zwischen materialer Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Verfahrenseffektivität zu tun zu haben. Zugleich wird immer wieder die Frage angesprochen, generelltypisierende Regelungen mit dem Bedürfnis der angemessenen Behandlung des möglicherweise atypischen Einzelfalles oder von Gruppen von Einzelfällen in Einklang zu bringen. "262 Somit finden auch hier die "zurechnungsrelevanten" Wertungen des materiellen Steuerrechts einen Wirkungsraum, dies jedoch mit der Maßgabe, daß Auslegungskriterien, die die praktische Anwendbarkeit der Steuergesetze im Hinblick auf ihren massenhaften Vollzug durch die Finanzbehörden betreffen, naturgemäß im gerichtlichen Verfahrensrecht nicht herangezogen werden können. Es verbleiben deshalb im wesentlichen die Gesichtspunkte der geringen Hafttiefe steuerschuldrechtlicher Rechtsbeziehungen und der Tatsache, daß die Sanktionen des materiellen Steuerrechts keinen Straf- bzw. strafähnlichen Charakter aufweisen, welche beide in die Richtung eines objektivierten Sorgfaltsmaßstabs deuten. Daneben sprechen Gesichtspunkte der Rechtssicherheit für ein objektives Verständnis der Fahrlässigkeit. Die Sorgfalt eines "gewissenhaften Prozeßbeteiligten" ist nicht nur leichter zu ermitteln und die sich daraus ergebenden Anforderungen im Einzelfall leichter zu kalkulieren, ein solcher Maßstab ist vor allem einem zügigen Verfahrensverlauf eher dienlich. b) Zurechnung eines Vertreterverschuldens und Sorgfaltsmaßstab Nach §§ 155 FGO i.V. mit 85 Abs.2 ZPO hat im finanzgerichtlichen Verfahren die vertretene Partei für ein Verschulden ihres Bevollmächtigten wie für eigenes Verschulden einzustehen. Eine derartige Einstandspflicht für Verschulden des Prozeßvertreters ist im Prozeßrecht die RegeF63, eine Ausnahme bildet insoweit lediglich der Strafprozeß. Die ratio dieser objektiven Zurechnung ist in einer gerechten sphärischen Zuordnung des Risikos von Fehlverhalten des Prozeßvertreters zu sehen, m.a.W. soll sich die prozessuale Situation des Prozeßgegners nicht dadurch verschlechtern, daß sich eine Partei eines Verfahrensbevollmächtigten bedient 264 . Dementsprechend läßt sich diese Zurechnung von Fremdverschulden nur dann rechtfertigen, wenn man die von der Partei selbst zu wahrende Sorgfalt an objektiven Maßstäben mißt, da mit der "Haftung" für den Vertreter die Verbindung zum Willen, zur Person der Partei BVerfGE a.a.O. S. 287. Eine Zurechnung des Vertreterverschuldens findet gleichermaßen statt im Zivilprozeß, im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, im Verwaltungsprozeß sowie im sozialund arbeitsgerichtlichen Verfahren. 264 Ähnlich Thomas / Putzo, 14. Aufl., Anm. 4 b zu § 85 ZPO, Anm. III 4 e zu § 51 ZPO. 262 263

7 Barwitz

98

3. Teil: Zur Auslegung steuerrechtlicher Verschuldensnonnen

auf den Minimalstandard einer sphärischen Verknüpfung reduziert ist. Ausdruck solcher Überlegungen ist es, wenn im Strafverfahren, das zur Feststellung persönlicher Verantwortlichkeit und demgemäß individueller Sorgfaltswidrigkeit aufgerufen ist, dem Angeklagten ein schuldhafter Verfahrensverstoß seines Verteidigers nicht zur Last fällt 265 . Daß die Frage nach der Zurechnung eines Vertreterverschuldens - wie die Frage nach dem angemessenen Sorgfaltsmaßstab - wesentlich von den materiell-rechtlichen Wertungen beeinflußt wird, kommt in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts deutlich zum Ausdruck: "Im Strafprozeß tritt die öffentliche Gewalt dem beschuldigten Bürger gegenüber, um die härteste Sanktion der Rechtsgemeinschaft, den Strafanspruch wegen schuldhaft begangenen Unrechts durchzusetzen ... Eine strafrechtliche Verurteilung greift einseitig in so höchstpersönliche Rechtsgüter wie Freiheit und Ehre des Verurteilten ein. Dies ist ein zureichender Grund, dem Verurteilten das Verschulden seines Verteidigers nicht zuzurechnen."266 c) Zum Schutzbedürfnis des prozessual unerfahrenen Steuerpflichtigen Auch im finanzgerichtlichen Verfahren dürfen die dem Bürger als Beteiligtem auferlegten Sorgfaltsanforderungen nicht überspannt werden. Dies gilt insbes. im Hinblick auf eine vorauszusetzende Kenntnis prozessualer Bestimmungen. Es erscheint deshalb geboten, dem dadurch Rechnung zu tragen, daß die Sorgfaltsanforderungen, was Rechtskenntnisse anbelangt, bei dem nicht rechtskundig vertretenen nach einem niedrigen Maßstab bestimmt werden. Freilich können hierzu allgemeine Aussagen angesichts der unterschiedlichen Intensität der Anstrengungen, die in verschiedenen prozessualen Situationen den Beteiligten abverlangt werden, kaum getroffen werden. So ist etwa die Versäumung einer gesetzlichen oder richterlichen Frist regelmäßig mit geringfügigen Vorkehrungen vermeidbar, während es für den prozessual unerfahrenen häufig eine schwere Aufgabe darstellt, die für den Rechtsstreit erheblichen Tatsachen vollständig und rechtzeitig vorzubringen 267 . Damit tendiert auch der Fahrlässigkeitsmaßstab des finanzgerichtlichen Verfahrensrechts hin zu den Sorgfaltsanforderungen, deren Erbringung von einem gewissenhaften Prozeßbeteiligten erwartet werden kann. 2. Unzulässigkeit einer typisierenden FahrlässigkeitsJeststeliung

Im Unterschied zum Verwaltungsverfahren ist im Verfahren vor den Finanzgerichten eine Vermutung zugunsten des "normalen", "üblichen" Sachverhalts 265 BGHSt 14, 306, 308; BayObLG, Großer Senat für Strafsachen, GA 1971, 115, 118; Wendisch in Löwe (Rosenberg, 24. Aufl., Rdnr. 56f. zu§ 44 StPO; Kleinknecht( Meyer, 37. Aufl., Rdnr. 18 zu § 44 StPO. 266 BVerfGE 35, 41, 50; ähnlich BayObLG a.a.O. S. 118. 267 Dies zur Venneidung der Präklusionsfolgen des Art. 3 §§ 3 Abs. 2, 7 Abs. 2VGFG EntlG.

D. Verschulden im Finanzprozeßrecht

99

nicht zulässig, die Finanzgerichte sind vielmehr nach der Untersuchungsmaxime

(§ 76 FGO) zur umfassenden Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet 268 . Eine

Befugnis zur (formellen) Typisierung kraft "Notkompetenz" kann den Finanzgerichten nicht zugebilligt werden, da sich mit Klageerhebung der Charakter des Verfahrens wandelt: Aus dem "flächendeckenden" Massenverfahren der Finanzbehörden kristallisieren sich einzelne Streitfälle heraus, die sodann einer Entscheidung im finanzgerichtlichen Individualverfahren bedürfen. "Der Gegenstand der richterlichen Tätigkeit ist nicht das Ganze des steuererheblichen Wirtschaftslebens, sondern allein der herausgelöste, einzelne Rechtsfall. "269 Damit korrespondierend muß sich die rechtliche Betrachtungsweise vom "Normalfall" hin zur Individualität der äußeren Umstände des Einzelfalles wenden.

268 Deutlich stellt das BVerfG (BStBi 11 1973,720, 722) die unterschiedliche Dichte der Ermittlungspflicht von Finanzbehörden und -gerichten heraus: "Für die Anforderungen, die an die Aufklärungspflicht der Finanzbehörden zu stellen sind, darf die Erwägung eine Rolle spielen, daß die Aufklärung einen nicht mehr vertretbaren Zeitaufwand erfordert (... ) Auch kann auf das Nerhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand und dem steuerlichen Erfolg abgestellt werden ... Die Finanzgerichte dürfen nicht etwa unter Abwägung des Arbeitsaufwands und des steuerlichen Erfolgs von einer weiteren Aufklärung absehen." Bedenklich erscheint daher die typisierende Vorgehensweise in BFH BStBI 11 1984, 693 f. 269 Isensee, StuW 1973, 199ff., 205.

7"

Vierter Teil

Die Verschuldensnormen im einzelnen Darstellung unter Bildung von Fallgruppen I. Fallgruppe: Verschuldensfragen an der Nahtstelle zwischen steuerrechtsrelevanter Sphäre und Privatsphäre zur Abzugsfähigkeit auf schuldhaftes Verhalten zurückzuführender Aufwendungen als Werbungskosten I Betriebsausgaben und außergewöhnliche Belastungen im Einkommensteuerrecht

1. Abzugsjähigkeit von Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben trotz schuldhajter Verursachung?

a) Problemstellung Wenngleich weder der Wortlaut des § 4 Abs. 4 EStG noch derjenige des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG hierzu Anlaß gibt, hat sich eine heftige und lang andauernde Kontroverse darüber entfacht, ob und gegebenenfalls inwieweit an sich betrieblich bzw. beruflich veranlaßte Aufwendungen, deren Entstehung auf einen schuldhaften Verstoß gegen die Rechtsordnung zurückgeht, einkommensmindernd berücksichtigt werden dürfen. Thematischer Schwerpunkt wurde dabei die einkommensteuerliche Behandlung von Kfz-Unfallschäden, die durch verkehrswidriges Verhalten auf einer betrieblich/beruflich veranlaßten Fahrt entstanden sind. In seinem Grundsatzurteil vom 2. März 1962 1 stellte der VI. Senat des BFH fest, daß grobes Eigenverschulden an der Schadensentstehung eine Lockerung des Zusammenhangs zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Berufbzw. Betrieb des Steuerpflichtigen mit der Folge der Nichtabzugsfähigkeit der Aufwendungen bewirken könne. Eine solche Lockerung soll danach vor allem dann stattfinden, wenn der Steuerpflichtige" vorsä tzlich oder gro b fahrlässig selbst eine Ursache für den Schaden gesetzt hat, Z.B. dadurch, daß er sich bewußt und leichtsinnig über Verkehrsvorschriften hinweggesetzt oder trotz Fahruntüchtigkeit den Pkw gesteuert hat. In solchen Fällen tritt der Gedanke, durch die Fahrt Einnahmen zu erzielen, zurück gegenüber den in der Person des Arbeitnehmers begründeten Verhältnissen und den öffentlich-rechtlichen Pflichten eines Staatsbürgers. "2 Diese Rechtsprechung wurde im folgenden vom VI. Senat wiederholt auch für den betrieblichen Bereich bestätigt 3 • 1 2

BStBl III 1962, 192 ff. BFH a.a.O. S. 194.

1. Fallgruppe: Einkommensteuerliche Abzugsposten

101

b) Werbungskosten und Betriebsausgaben als verschuldensindifferente Größen Die oben skizzierte Rechtsprechung des VI. Senats des BFH ist im Schrifttum auf nahezu einhellige Ablehnung gestoßen4, auch die Finanzgerichte sind ihr zum Teil nicht gefolgt 5 • Mit Beschluß vom 28. November 1977 6 hat der Große Senat des BFH - gemäß den Vorlagefragen beschränkt auf fahrlässiges Verhalten des Steuerpflichtigen - die Auffassung des VI. Senats verworfen und festgestellt: "Auf das Verschulden, die Strafbarkeit oder das moralische Verhalten des Steuerpflichtigen abzielende Wertungen sind für die Einordnung der Unfallkosten dieseits oder jenseits der Grenze des § 12 Nr. 1 EStG ungeeignet. Mit Recht hebt die Kritik an der bisherigen Rechtsprechung unter Hinweis auf § 5 Abs. 2 StAnpG (jetzt § 40 AG 1977) hervor, daß sich die Besteuerung grundsätzlich wertungsindifferent nur nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richtet (... ). Es kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, daß strafwürdiges oder verbotswidriges Verhalten ( ... ) ohne weiteres der privaten Sphäre zuzurechnen sei. Entscheidend für die Beurteilung auch eines solchen Verhaltens ist allein der Veranlassungszusammenhang. "7 Der Entscheidung des Großen Senats ist zuzustimmen. Über die entschiedene Vorlagefrage hinaus kann festgestellt werden, daß sowohl ein fahrlässiger als auch ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Rechtsordnung für sich alleine betrachtet nicht eine berufliche oder betriebliche Veranlassung von Aufwendungen ausschließenB. Wie im dritten Teil bereits ausgeführt wurde 9 , hat die Abgrenzung der beruflichen bzw. betrieblichen Sphäre von der Privatsphäre nach objektiven (Kausal-)Kriterien zu erfolgen. Die - ethisch bewertende Frage nach der Schuldhaftigkeit eines Verhaltens kann die Veranlassungsfrage weder sinnvoll ergänzen noch gar ersetzen. Als Verschuldensformen setzen BFH BStBI III 1967, 734, 735; BStBl II 1970,662,663 m.w.N. So bereits Baltzer DStZ/ A 1955,73,74; Thaddey FR 1970, 572, 573f.; von Bornhaupt FR 1971, 153, 154; Lange BB 1971, 405ff. Im gleichen Sinne auch das neuere Schrifttum: Drenseck in Schmidt, 5. Aufl., Anm. 2 h zu § 9 EStG; Littmann, 13. Aufl., Rdnr. 899 e zu §§ 4,5 EStG; Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 128f.; Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 247; von Wallis DStZ/ A 1978, 123, 124; Lange DB 1978, 1854ff.; Tiedtke FR 1978, 493ff.; Balke FR 1979, 424, 425; OjJerhaus BB 1979, 667, 670f. 5 Siehe dazu nur die sorgfältig begründete Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz vom 11.8.1975 (EFG 1975, 564ff.). 6 BFH Gr.S. BStBi II 1978, 105ff. 7 BFH Gr.S. a.a.O. S. 109. 8 Ebenso für die Einbeziehung auch des vorsätzlichen Fehlverhaltens OjJerhaus BB 1979,667,671; Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 247; Jakob, Steuern vom Einkommen I, S. 129; Drenseckin Schmidt, 5. Aufl., Anm. 2 hzu§ 9 EStG; Lange, BB 1971,405,408 und der Beschluß des Großen Senats des BFH vom 21.11.1983 (BStBl II 1984, 160 ff.) über die Abzugsfähigkeit von Geldstrafen und Bußgeldern als Betriebsausgaben. 9 Siehe oben Dritter Teil B III 2 e bb. 3

4

102

4. Teil: Die Verschuldensnonnen im einzelnen

Vorsatz wie Fahrlässigkeit gleichermaßen einen Bezugspunkt voraus, wie beispielsweise die rechtswidrige Verwirklichung der Merkmale des objektiven Tatbestands einer zivilrechtlichen Norm. Das Einkommensteuerrecht indes kennt im Bereich der Abgrenzung der Privat sphäre von der Berufssphäre weder Tatbestände, deren Verwirklichung Gegenstand eines Vorwurfs sein könnte, noch vermag ein Verstoß gegen nichtsteuerliche Rechtsvorschriften wegen der in § 40 AO angeordneten Wertneutralität des Steuerrechts 10 zugunsten oder zulasten des Steuerpflichtigen Einfluß auf die Besteuerung zu entfalten 11. Hinzu kommt, daß sowohl private als auch berufliche Aktivitäten des Steuerbürgers sich in ein und derselben Rechtsordnung bewegen, weshalb ein Gesetzesverstoß das inkriminierte Verhalten dementsprechend nicht als "privates" oder "berufliches" qualifizieren kann. Dies zeigt sich deutlich bei den vom Bundesfinanzhof im Beschluß vom 28. November 1977 diskutierten 12 und auch im Schrifttum eingehend abgehandelten 13 Problemfällen eines Fehlverhaltens im Straßenverkehr. So kann zu schnelles Fahren oder Fahren trotz infolge übermäßigen Alkoholgenusses herabgesetzter Fahrtüchtigkeit ebensogut auf beruflichen wie auf privaten Anlässen beruhen l4 . Die Aufgabe der sphärischen Abgrenzung von beruflichem und privatem Bereich sollen nicht die Ge- und Verbote des Straßenverkehrsrechts erfüllen - dafür sind sie auch mitnichten geeignet -, sie obliegt allein einer Kausalbetrachtung zur Feststellung beruflicher oder privater Veranlassung. 2. Verschulden und Zwangsläufigkeit außergewöhnlicher Belastungen a) Zur "Verortung" des Verschuldens im Tatbestand des § 33 EStG Nach der Legaldefinition des § 33 Abs. 1 EStG müssen außergewöhnliche Belastungen dem Steuerpflichtigen "zwangsläufig" erwachsen, was § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG dahingehend konkretisiert, daß sich der Steuerpflichtige diesen Aufwendungen "aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann." An dieser Zwangsläufigkeit der Aufwendungen kann es dann fehlen, wenn der Steuerpflichtige die wesentliche, ausschlaggebende Ursacheis 10 Schon im Hinblick auf § 40 AO verliert das Argument von der "Einheit der Rechtsordnung" für das Steuerrecht seine Überzeugungskraft. 11 In die selbe Richtung zielt der Einwand von Tiedtke (FR 1978, 493, 498) gegen die Übertragung der sozialversicherungsrechtlichen Lehre vom Schutzzweck der Nonn auf die Frage einkommensteuerlicher Veranlassung: "Im Steuerrecht gibt es aber, anders als im Unfallversicherungsrecht, keine Nonn, deren Schutzzweck die Einschränkung der Kausalitätsfolgen rechtfertigt, wenn der Unfall in nicht unbedeutendem Maß auch auf private Umstände zurückzuführen ist." 12 BStBIII 1978, 105, 109. 13 Siehe nur Offerhaus a.a.O. (Fußnote 8); Lange DB 1978, 1854, 1856f. 14 Angreifbar erscheint es daher, wenn in BFH BStBI 11 1978, 105, 109 für die Fälle von Fahren unter Alkoholeinfluß der Grundsatz aufgestellt wird, dabei könne "in den meisten Fällen" von privater Mitverursachung ausgegangen werden.

I. Fallgruppe: Einkommensteuerliche Abzugsposten

103

für die Entstehung der Belastung selbst schuldhaft gesetzt hat. Der Bundesfinanzhofbegründet dies zutreffend mit der Überlegung, daß "Zwangsläufigkeit" jedenfalls nur in denjenigen Fällen angenommen werden könne, "in denen der Steuerpflichtige von einem Ereignis "getroffen" wurde" 16. § 33 EStG erfaßt damit nicht Konstellationen, in denen sich der Steuerpflichtige kraft autonomer Entscheidung finanziellen Belastungen aussetzt oder sich in die naheliegende Gefahr solcher Belastungen begibt. Vorsätzliches Verhalten wie etwa die Teilnahme an einer Wirtshausschlägerei schließt die Zwangsläufigkeit daraus resultierender Belastungen - im Beispielsfall etwa die Pflicht zum Ersatz der Krankheitskosten des Kontrahenten - regelmäßig aus. b) Zwangsläufigkeit bei fahrlässigem Verhalten des Steuerpflichtigen Die Meinungspalette zur Frage, inwieweit sich Fahrlässigkeit und Zwangsläufigkeit im Sinne des § 33 EStG ausschließen, ist breit. Sie reicht von der Auffassung, daß fahrlässige Veranlassung von Aufwendungen generell die Annahme außergewöhnlicher Belastungen nicht hindere 17 bis hin zur Ansicht, bereits leichte Fahrlässigkeit sei schädlich, da Zwangsläufigkeit Unvermeidbarkeit des aufwandsstiftenden Ereignisses bedeute l8 . Dazwischen liegen Auffassungen, die die Grenze bei einem "besonders leichtfertigen Verhalten" 19 oder bei der "bewußten groben Fahrlässigkeit"20 ziehen. Die BFH-Rechtsprechung vertritt nunmehr den Standpunkt, "daß ein vorsätzliches oder leichtfertiges (grob fahrlässiges) Fehlverhalten den Aufwendungen das Merkmal der Zwangsläufigkeit nimmt. "21 Da Rechtsfragen im Dunstkreis der Sanktionen für schuldhaftes Verhalten ganz besonders vom Sinn und Zweck der fraglichen Norm beeinflußt werden, soll zunächst die Rechtsnatur des § 33 EStG eine knappe Darstellung erfahren. Trotz der (äußeren) Systematik des EStG - § 33 findet sich unter der Überschrift "Tarif' -, sind die Bestimmungen über außergewöhnliche Belastungen keine Tarifvorschriften, sondern beeinflussen die Bemessungsgrundlage "Einkommen"22. Die Rechtsprechung sieht in § 33 EStG eine BilligkeitsregeIS Zu den Problemen der Kausalitätsfeststellung bei außergewöhnlichen Belastungen, welche hier nicht vertieft werden können, siehe eingehend Jakob / Jüptner Stu W 1983, 206, 209ff. 16 BFH BStBl II 1983, 749, 750. 17 So von Bornhaupt NWB F3, 4581,4588, der Parallelen zur fahrlässigen Verursachung von Werbungskosten / Betriebsausgaben zieht. 18 Nach FG Münster, EFG 1976, 82, 83 soll § 33 EStG nur "unvermeidbare Notsituationen persönlicher Art" erfassen. 19 BFH BStBi III 1963, 499, 501. 20 FG Nürnberg, EFG 1974, 111, 112. 21 BFH BStBi II 1982, 749, 750 zur Abzugsfähigkeit von Schadensersatzzahlungen. 22 So auch Kanzler in Herrmann / Heuer / Raupach, Rdnr. 8 zu § 33 EStG; Drenseck in

104

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

lung, mit Hilfe derer "im steuerlichen Bereich unbillige Härten ausgeglichen werden" sollen 23 und nimmt eine Wesensverwandtschaft mit §§ 163,227 AG an. Der Billigkeit - oder besser: der Steuergerechtigkeit - dient § 33 EStG insofern, als es nach einkommensteuerlichen Gesichtspunkten der individuellen (subjektiven) Leistungsfähigkeit darum geht, nur das disponible Einkommen zu erfassen. Als Billigkeitsvorschrift im technischen Sinne kann § 33 EStG jedoch angesichts der nunmehr geltenden Fassung 24 nicht angesehen werden 25 . Billigkeitsregelungen wie etwa §§ 163,227 AG zeichnen sich dadurch aus, daß durch sie im Einzelfall ein zwar der Gesetzeslage entsprechendes, aber im Hinblick auf den Normzweck als ungerecht empfundenes Ergebnis im Wege der Ermessensentscheidung korrigiert werden kann 26 . Demgegenüber hat der Gesetzgeber nunmehr selbst die "außergewöhnlichen Belastungen" abstrakt-generell definiert, der Verwaltung verbleibt danach die Subsumtion, ein Raum für Billigkeitserwägungen ist ihr nicht eröffnet.

Nach dem Bausystem des Einkommensteuergesetzes hat § 33 EStG die Funktion eines AuJJangtatbestandes im Bereich der "privaten Abzüge"27 und steht damit wie der Grundfreibetrag (§ 32 a Abs. 1 Satz 2Ziff. 1 EStG) und die Sonderausgaben (§§ 10ff. EStG) im Dienste der Ermittlung subjektiver Leistungsfähigkeit 28 : Während die "gewöhnlichen" indisponiblen Aufwendungen für die private Lebensführung durch das Existenzminimum des Grundfreibetrags und die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs abgegolten sein sollen, dient die Generalklausel des § 33 EStG der Berücksichtigung indispositiver Aufwendungen, die ihren Grund in besonderen Lebenssituationen haben. Soweit also Verschuldensfragen im Zusammenhang mit der "Zwangsläufigkeit" von Belastungen relevant werden, bedeutet dies nicht die Prüfung individueller Vorwerfbarkeit im Sinne der Sichtweise des Strafrechts. Bezogen auf die Fahrlässigkeit ist vielmehr eigenständig zu entscheiden, ob der Steuerpflichtige trotz eines Sorgfaltsverstoßes durch die auf ihn einwirkenden äußeren Schmidt, 5. Aufl., Anm. 1 zu § 33 EStG; Tipke, Steuerrecht, 10: Aufl., S. 298; Jakob j Jüptner StuW 1983, 206, 207f. und § 2 Abs. 4EStG 1974. 23 BFH BStBl III 1963,499,500; ähnlich BStBl 11 1982,749, 750f.; FG Münster EFG 1976, 82, 83. 24 Zur Entwicklungsgeschichte der Gesetzesfassung dieser ursprünglich als Billigkeitsregelung ausgestalteten Norm siehe Kanzler in Herrmann j Heuer j Raupach, Rdnr. 2, 9 zu § 33 EStG. 25 In diesem Sinne auch die inzwischen wohl herrschende Meinung in der Literatur: Kanzler a.a.O. (Fußnote 24) Rdnr. 9 zu § 33 EStG; Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 298; Jakob j Jüptner StuW 1983, 206, 207; zweifelnd auch Drenseck in Schmidt, 5. Aufl., Anm. 1 zu § 33 EStG. 26 Vgl. dazu nur BFH BStBl 11 1972, 503, 504f., 918, 919. 27 Terminus nach Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 163. 28 Tipke, Steuerrecht, 10. Aufl., S. 163,298; Jakob j Jüptner, StuW 1983, 206, 208; Drenseck in Schmidt, 5. Aufl., Anm. 1 zu § 33 EStG; Kanzler in HerrmannjHeuerj Raupach, Rdnr. 7 zu § 33 EStG.

I. Fallgruppe: Einkommensteuerliche Abzugsposten

105

Ereignisse zwanghaft beeinflußt wurde, oder ob er, unberührt von einer Zwangslage, aus eigenem Antrieb ein schädigendes Ereignis herbeigeführt hat. Dabei kann nicht, wie von Bornhaupt 29 annimmt, die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Unbeachtlichkeit der Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten 30 auf die Abzugsfähigkeit von außergewöhnlichen Belastungen übertragen werden. Zum einen geht es im Rahmen des § 33 EStG nicht um eine sphärische Abgrenzung beruflicher und privater Aufwendungen, sondern stets und notwendig um private Abzüge aus Einkommensverwendung 31 , vor allem aber enthält § 33 Abs. 1 EStG mit dem Erfordernis der "Zwangsläufigkeit" ein Tatbestandsmerkmal, bei dessen Interpretation Verschuldensgesichtspunkte durchaus Eingang finden können 32 . Auch die Ansicht des FG Münster 33 , nach der jegliche Art von Fahrlässigkeit schadet, mithin Zwangsläufigkeit im Sinne von Unvermeidbarkeit verstanden wird, überzeugt nicht. Sofern die Rechtsordnung dem Bürger solch hohe Sorgfaltsanstrengungen abverlangt, wie diese etwa zur Annahme eines für den Kraftfahrer "unabwendbaren Ereignisses" nach Straßenverkehrsrecht 34 vorausgesetzt werden, hat dies seine Gründe darin, daß der Betrieb eines Kraftfahrzeugs erhöhte Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer mit sich bringt, so daß im Interesse einer gerechten Schadenstragung von dem Verursaeher dieser Betriebsgefahr erhöhte Gewissenhaftigkeit verlangt wird 35 . Solche Erwägungen des gerechten Schadensausgleichs und der Prävention sind Themen des Zivil- und Strafrechts, in der steuerlichen Betrachtung von Lebenssachverhalten finden sie keinen Platz. Aus diesem Grunde ist dem BFH36 zuzustimmen, wenn er die für die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen zu wahrende Sorgfalt anhand der Vergleichsperson eines "gewissenhaften Menschen" definiert und zugleich dem Befund Rechnung trägt, daß im Zeitalter zunehmender Technisierung die Gefahr menschlicher Fehlleistungen zumindest in gleichem Maße steigt, wobei bereits aus einem geringen Versagen enorme Schäden resultieren können: "Einfache Fahrlässigkeit im Sinne eines auch bei gewissenhaften Menschen vorkommenden, nicht ins Gewicht fallenden Außerachtlassens der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 BGB) schließt ... die Annahme eines zwangsläufigen Ereignisses noch nicht aus."3? NWB F3, S. 4581, 4588. BFH Gr.S. BStBi II 1978, 105 ff. 31 Jakob / Jüptner StuW 1983, 206, 208. 32 Im Ergebnis ebenso Littmann, 13. Aufl., Rdnr. 27 c zu § 33 EStG. 33 EFG 1976, 82f. 34 Konkret fordert § 7 Abs. 2 StVG, daß Fahrzeughalter und -führer "jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet" haben. 3S Zur Systemwidrigkeit einer Entlassung aus der Gejährdungshaftung bei Beachtung aller Sorgfalt siehe Deutsch, Haftungsrecht I, S. 379. 36 BStBI 11 1982, 749 ff. 29

30

106

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

Ist danach ein leichtes Versehen, eine geringfügige Unachtsamkeit steuerlich unschädlich, so hindert andererseits grob fahrlässiges Verhalten die Annahme eines zwangsläufigen Geschehensablaufs. Ein besonders schwerer Verstoß gegen die verkehrserforderliche Sorgfalt etwa dadurch, daß einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden, oder dasjenige unbeachtet blieb, was angesichts der gegebenen Umstände jedermann einleuchten mußte, unterläuft einem normal gewissenhaften Menschen nicht. Dies gilt entgegen der Auffassung des FG Nürnberg 38 nicht nur für die bewußte, sondern auch für die unbewußte grobe Fahrlässigkeit. Wer sich erst gar keine Gedanken über die Gefährlichkeit seines Tuns macht, der kann sich im Schadensfalle nicht darauf berufen, von dem eingetretenen Ereignis heteronom und zwanghaft betroffen worden zu sein, er muß das selbst gesetzte Risiko als autonomes Faktum vertreten 39 • Daß die dem Steuerpflichtigen hier auferlegten Sorgfaltsanforderungen nach dem Standard eines "gewissenhaften" Teilnehmers am Rechtsverkehr zu bemessen sind, ergibt sich bereits aus der Notwendigkeit einer objektiven Ermittlung individueller Leistungsfähigkeit 40 und läßt sich auch aus § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG selbst ableiten: Bestimmt sich die Höhe der abzugsfähigen Aufwendungen nach den objektiven, vergleichenden Kriterien der Notwendigkeit und Angemessenheit, so ist es sinnvoll, auch bei der Frage nach der Abzugsfähigkeit dem Grunde nach auf den objektivierten Steuerpflichtigen abzustellen 41 • Es kann schwerlich die ratio des § 33 EStG sein, die vorgeschaltete Frage grundsätzlicher Zwangsläufigkeit anhand der Individualität der Person des Steuerpflichtigen zu beurteilen und sodann die Abzugsfähigkeit der Höhe nach auf das objektiv notwendige Maß zu beschränken.

11. FaUgruppe: Haftung für Schädigungen des Steuergläubigers bei Verletzung steuerlicher Rechtspflichten 1. Haftung des Steuerpflichtigen nach §§ 69, 72 AO a) Rechtsnatur der Haftung Ihrem Rechtscharakter nach statuieren die §§ 69 und 72 AO eine persönliche, verschuldensabhängige; öffentlich-rechtliche Schadensersatzhaftung42 , der ent37 BFH a.a.O. S. 750, Hervorhebung vom Verfasser. Ähnlich bereits BFH BStBi III 1963, 499, 500. 38 EFG 1974, 111, 112. 39 In diesem Sinne wohl auch Jakob j Jüptner StuW 1983, 206, 216. 40 Siehe dazu ausführlich oben Dritter Teil B III 2 d. 41 Ähnlich Jakob j Jüptner a.a.O. (Fußnote 39) S. 216. 42 Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 22; Tipke j Kruse, Rdnr. 2 zu § 69 AO, Rdnr .. 2 zu § 109 AO a.F.; von Wallis in HübschmannjHeppj Spitaler, Rdnr. 1 b zu § 69 AO;

11. Fallgruppe: Steuerrechtliche Haftungsbestimmungen

107

stehende Haftungsanspruch des Steuergläubigers hat gemäß § 37 Abs. 1 AO steuerschuldrechtliche Natur. b) Normzweck der Haftungstatbestände Die Haftung nach § 69 AO - wie auch schon die Verantwortlichkeit nach § 109 AO a.F. - findet ihre Rechtfertigung darin, daß die in §§ 34 und 35 AO aufgeführten gesetzlichen Vertreter und sonstigen Repräsentanten die Rechtspflichten eines Steuerpflichtigen zu erfüllen haben, die dieser wegen Fehlens eigener Handlungs- oder Geschäftsfähigkeit oder aus anderen Gründen selbst nicht wahrnehmen kann 43 • Dem Steuergläubiger soll durch dieses Auseinanderfallen von Steuerschuldner und pflichtwidrig Handelndem kein Nachteil entstehen, so daß die Sicherstellung des Steueraufkommens im Vordergrund steht 44 • Ebenso der Sicherung der Steueransprüche dient die Haftung nach § 72 AO, die einen Verstoß gegen die sog. Kontensperre des § 154 Abs. 3 AO voraussetzt. Wenn schon entgegen der Pflicht zur Kontenwahrheit (§ 154 Abs. 1 AO) durch die Verwendung falscher oder erdichteter Namen die Nachprüfung der steuerlich relevanten Verhältnisse erschwert wurde, so sollen nach § 154 Abs. 3 AO nicht auch noch die Guthaben oder Wertgegenstände durch Herausgabe dem Zugriff der Finanzbehörden ohne deren Zustimmung entzogen werden. c) Verschulden Nach §§ 69 Satz 1, 72 AO ist für den Eintritt der Haftung qualifiziertes Verschulden, nämlich Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit erforderlich. Bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich, daß Bezugspunkt des Verschuldens (nur) die Pflichtverletzung ist, der Eintritt einer Schädigung des Steuergläubigers ist objektive Bedingung der Haftung. Vorsatz bedeutet demnach in diesem Zusammenhang die Kenntnis der in Frage stehenden steuerlichen Pflichten und willentliches Zuwiderhandeln bzw. Inkaufnehmen einer Pflichtverletzung45 • Im Hinblick auf die grobe Fahrlässigkeit herrscht insoweit Einigkeit, als ein besonders schwerer Verstoß gegen die gebotene Sorgfalt vorliegen muß46. Streit besteht allerdings darüber, ob im Rahmen der Haftungstatbestände der Koch, 2. Aufl., Rdnr. 2 zu § 69 AO; Mösbauer DStR 1982, 123; Münstermann in Felix (Hrsg.), Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze, S. 303, 305. 43 Tipke / Kruse, Rdnr. 1 zu § 69 AO. Auf dem gleichen Rechtsgedanken beruht die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit von Vertretern und Organen nach §§ 14 StGB und 9 OWiG. 44 Ähnlich Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 17. 4S Mittelbach DStZ/ A 1984,211; Müller GmbHR 1984,45,46; Guth/ Ling, Steuerrechtliche Haftung, S. 16; Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 33; von Wallis in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Rdnr. 15 zu § 69 AO; Tipke/ Kruse, Rdnr. 8 zu § 69 AO. 46 Vgl. nur Tipke/Kruse, Rdnr. 9 zu § 69 AO; von Wallis in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Rdnr. 16 zu § 69 AO.

108

4. Teil: Die Verschuldensnonnen im einzelnen

Abgabenordnung Fahrlässigkeit als Form objektiver Zurechnung aufzufassen ist, oder ob dabei auf individuelle Vorwerfbarkeit abzustellen ist. Während nach der älteren BFH-Rechtsprechung zu § 109 AO a.F.47 und der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung48 die persönlichen Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse des Steuerpflichtigen in die Grundlage des Fahrlässigkeitsurteils einzubeziehen sind, stellt die jüngere Judikatur des BFH49 mit einem Teil der Literatur 50 auf den objektivierten "gewissenhaften" Steuerpflichtigen ab. Eine überzeugende Begründung zugunsten individueller Sorgfaltsanforderungen findet sich bis dato nicht. Wenn Tipke / Kruse in ihrer Kommentierung des § 69 AOSI argumentieren, der "strafrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff' trage den persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen Rechnung und sei daher besser als der zivilrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff geeignet, "die Voraussetzungen der steuerrechtlichen Haftung zu definieren", so stellt dies eine Mischung aus Behauptung und Zirkelschluß ohne sonderliche Überzeugungskraft dar. Ebenso nicht stichhaltig ist der Hinweis von Guth / Ling 52 , daß das Steuerrecht gleich dem Strafrecht eine Materie des öffentlichen Rechts darstelle und deshalb persönliche Vorwerfbarkeit für eine Haftung erforderlich sei. Selbst im öffentlichen Recht wird die grobe Fahrlässigkeit nicht einheitlich im Sinne eines individuellen Vorwurfs verstanden, sondern dort, wo es der Normzweck gebietet, durchaus als Form objektivierter Verantwortlichkeit gebraucht, wie dies beispielsweise beim Ausschluß einer Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG53 der Fall ist. Schließlich hilft eine Berufung auf das Grundsatzurteil des BGH vom 11. Mai 1953 54 , wonach bei der Feststellung eines groben Sorgfaltsverstoßes "auch subjektive in der Individualität des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen" sind 55, nicht So explizit BFH BStBi III 1958, 367, 368; BFH HFR 1965, 32, 33. Tipke / Kruse, Rdnr. 9 zu § 69 AO, Rdnr. 7 zu § 109 AO a.F.; von Wallis in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Rdnr. 16 zu § 69 AO; Kühn/ Kutter/ Hofmann, 14. Aufl., Anm. 3 c zu § 69 AO; Schwarz in Schwarz, Rdnr. 14 zu § 69 AO; Münstermann in Felix (Hrsg.), Von der Anwendung und Auslegung der Steuergesetze, S. 303, 307f.; Guth/ Ling, Steuerrechtliche Haftung, S. 16; Fichtelmann, Haftung für Steuerschulden, S. 15f.; Mittelbach DStZ/ A 1984,211,212; Mösbauer DStR 1982, 123, 125; ders. StB 1985, 93, 95; ders. DStR 1986, 293, 294. 49 BFH BStBi 11 1971,614,615: "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns"; BStBi 11 1984,776,777: "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes"; BStBi 11 1986, 384, 385: "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes". 50 Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 33 f.; Klein/ Orlopp, 3. Aufl., Anm. 8 zu § 69 AO, 2 zu § 72 AO. 51 Rdnr. 9 zu § 69 AO. 52 Steuerrechtliche Haftung, S. 16. 53 Siehe dazu oben Dritter Teil Fußnote 207. 54 BGHZ 10, 14, 17. 55 Auf diese Entscheidung stützen sich u.a. Tipke/ Kruse, Rdnr. 9 zu § 69 AO und Mösbauer DStR 1982, 123, 125. 47

48

H. FalJgruppe: Steuerrechtliche Haftungsbestimmungen

109

weiter, da sie ohne Berücksichtigung von Regelungszusammenhang und Normzweck allein auf die übereinstimmende Begrifflichkeit abstellt. Richtet man die Wahl des angemessenen Fahrlässigkeitsmaßstabs am Wesen und Zweck der steuerlichen Haftung aus, so legt dies objektivierte Anforderungen nahe 56 . Da die §§ 69, 72 AO die Sanktion des' Ersatzes eines durch pflichtwidriges Verhalten verursachten Schadens des Steuergläubigers anordnen, besteht ihre Aufgabe in einer interessengerechten Abgrenzung der Risikobereiche einerseits der nach §§ 34, 35 AO verpflichteten Personen und andererseits des Steuergläubigers. Der Regelungszweck steuerrechtlicher Haftung weist somit eine starke Ähnlichkeit mit dem Telos deliktischer Verantwortlichkeit nach bürgerlichem Recht auf. Hinzu kommt, daß eine Sicherung des Steueraufkommens nicht wirksam erzielt werden kann, wenn dem potentiellen Haftungsschuldner der Einwand unterdurchschnittlicher Kenntnisse und Fähigkeiten zu seiner Entlastung offensteht. Demjenigen, der die Aufgabe eines gesetzlichen Vertreters, Vermögensverwalters oder Verfügungsberechtigten übernimmt, ist es zuzumuten, daß er sich mit den für ihn dadurch entstehenden steuerlichen Pflichten vertraut macht. Davon geht nunmehr auch der BFH aus, wenn er zur Sorgfaltspflicht nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO feststellt: "Der Geschäftsführer einer GmbH ist, wenn seine bisherigen Kenntnisse und beruflichen Erfahrungen nicht ausreichen, verpflichtet, sich über die ihm obliegenden gesetzlichen Pflichten auch steuerlicher Art zu informieren. Denn die ordnungsgemäße Beachtung der gesetzlichen Vorschriften muß von jedem kaufmännischen Leiter eines Gewerbebetriebs verlangt werden."57 Entsprechendes gilt für den nach §§ 72, 154 Abs. 3 AO Verpflichteten. Ein sozialethischer Tadel ist mit einer Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nicht verbunden, die Rechtsfolge äußert sich lediglich in einer vermögensrechtlichen Ausgleichspflicht. Daher besteht weder unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Hafttiefe des Schuldverhältnisses noch im Hinblick auf einen strafähnlichen Charakter der Rechtsfolge Anlaß, den zur Sorgfalt Verpflichteten in seiner ganzen Individualität zu betrachten. Somit erweisen sich für die Haftungstatbestände der AO standardisierte Sorgfaltsanforderungen als sachgerecht. Möglich und auch geboten erscheint dabei eine funktionsabhängige Differenzierung nach Berufskreisen, wie sie bereits vom BFH in seiner jüngeren Rechtsprechung 58 praktiziert wird, so daß an das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft strengere Anforderungen zu stellen sind. als an die Eltern als gesetzliche Vertreter eines Minderjährigen, der ein fremdvermietetes Wohnhaus sein eigen nennt. Im Ergebnis ebenso Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 33. BFH BStBl II 1986, 384; ähnlich bereits BFH BStBl II 1982, 521, 522 zur Haftung nach § 109 AO a.F. 58 BFH BStBl II 1971, 614, 615: "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns"; BStBl II 1984,776,777: "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes"; BStBl II 1986, 384, 385: 56 57

110

4. Teil: Die Verschuldensnonnen im einzelnen

2. Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers nach § 42 d EStG a) Rechtsnatur der Haftung § 42 d EStG statuiert eine der Steuerschuld des Arbeitnehmers akzessorische, - dem Wortlaut des Gesetzes nach - verschuldensunabhängige, persönliche Haftung des Arbeitgebers für nicht vorschriftsmäßig einbehaltene oder abgeführte Lohnsteuer, die durch Haftungsbescheid gemäß § 191 AO realisiert wird.

b) Normzweck der Lohnsteuerhaftung Die Einführung des Quellenabzugs durch den Arbeitgeber bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Rahmen der Erzbergerschen Finanz- und Steuerreform 59 diente im wesentlichen drei Zielen 60 : Zum einen sollten Steuerausfälle dadurch vermieden werden, daß die Einkünfte der Arbeitnehmer durch die Einbeziehung der Arbeitgeber sicher erfaßt werden können. Des weiteren sollte das Steuerverfahren durch die Einschaltung der Arbeitgeber billig und einfach ausgestaltet werden. Schließlich sollte die Steuer dem Fiskus früher und gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt zufließen. Um eine korrekte Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber zu gewährleisten, wurde gleichzeitig dessen Haftung bei Pflichtverletzungen eingeführt 61 • Diese profiskalische Teleologie hat sich bis heute nicht verändert 62 , so daß das Bundesverfassungsgericht feststellen kann: "Die Haftung für den Fall der Nichterfüllung wird jedenfalls durch die ... Garantie einer ordnungsmäßigen Besteuerung (... ) gerechtfertigt." 63 c) Verschuldenserfordernis und Verortung des Verschuldens Daß bei der Frage einer Inanspruchnahme des Arbeitgebers für nicht oder fehlerhaft einbehaltene bzw. abgeführte Lohnsteuer fehlendes Verschulden in Bezug auf den Pflichtenverstoß gänzlich unerheblich sein soll, wird, soweit ersichtlich, nirgends vertreten. Lebhaft umstritten ist jedoch, an welchem Tatbestandsmerkmal des § 42 d EStG eine Verschuldensprüfung festzumachen ist. Während die Rechtsprechung 64 und die herrschende Lehre 65 für die "Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes". Einer Übernahme der handelsrechtlichen Standards in das steuerliche Haftungsrecht steht hierbei nichts im Wege. 59 Konkret geschah dies durch § 45 EStG vom 29.3.1920 (RGBI. 1920, S. 359). 60 Ebenso Schick BB 1983, 1041, 1043. 61 Durch § 50 EStG vom 29.3.1920 (RGBI. 1920, S. 359). 62 Vgl. nur Schick a.a.O. (Fußnote 60); Drenseck in Schmidt, 5. Aufl., Anm. 2 a zu § 42 d EStG. 63 BVerfGE 44, 103, 104 zur Kirchenlohnsteuer (Beschluß gemäß § 93 a Abs. 3 BVerfGG). 64 BFH BStBl III 1964, 7, 8; BStBl II 1972, 364, 366; BStBl II 1981, 801, 804; st. Rspr. des BFH.

H. Fallgruppe: Steuerrechtliche Haftungsbestimmungen

111

Erfüllung der Haftungsvoraussetzungen des § 42 d Abs. 1 EStG ein objektives Fehlverhalten genügen lassen und die Schuldlosigkeit des Arbeitgebers erst bei der Ermessensbetätigung über die Inanspruchnahme des Arbeitsgebers (als Haftender) oder des Arbeitnehmers (als Steuerschuldner) berücksichtigen, ist nach einer Mindermeinung im Schrifttum 66 § 42 d Abs. 1 EStG um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal eines Verschuldens des Arbeitgebers zu ergänzen. In einer Grundsatzentscheidung vom 5.7.1963 67 begründete der BFH die Verfassungsmäßigkeit der (tatbestandlich) verschuldensunabhängigen Lohnsteuerhaftung zum einen damit, daß der Arbeitgeber beim Arbeitnehmer Regreß nehmen könne und andererseits die Entscheidung über die Inanspruchnahme des Arbeitgebers vom Finanzamt unter Beachtung der Grundsätze von "Recht und Billigkeit" im Ermessenswege zu entscheiden sei. Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde des Arbeitgebers verwarf der sog. Dreierausschuß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluß vom 18.12.1963 68 als offensichtlich unbegründet. Diese Rechtfertigungsversuche der Judikatur können verfassungsrechtliche Bedenken nicht zerstreuen. Der Hinweis auf die Regreßmöglichkeit des Arbeitgebers überzeugt nicht, da dem Arbeitgeber das Risiko eines Ausfalls des Regresses verbleibt und es gerade in solchen "pathologischen" Fällen, in denen etwa der Arbeitnehmer unbekannten Aufenthalts verzogen ist, zu einer Inanspruchnahme des Arbeitgebers kommt. Ebenso wird der Verweis auf eine "billige Ermessensbetätigung" dem anerkennenswerten Interesse des Arbeitgebers, für seinerseits unverschuldete Schäden nicht einstehen zu müssen, nicht hinreichend gerecht. Eine Art "Gefährdungshaftung" des Arbeitgebers im Lohnsteuerverfahren ist sachlich nicht gerechtfertigt 69 • Grundsätzlich gilt im Privatrecht wie im öffentlichen Recht für die Schadenshaftung das Verschuldensprinzip. Nur ausnahmsweise ist eine Gefährdungshaftung angeordnet, die ihren Grund darin findet, "daß unvermeidliche "Unglücksschäden" derjenige tragen sollte, in dessen Bereich die Gefahrenquelle liegt und der in erster Linie den Nutzen aus der ... gefährlichen Aktivität zieht" 70 • Mit seiner - unfreiwilligen - Teilnahme am Lohnsteuerverfahren eröffnet der Arbeitgeber jedoch keine Gefahrenquelle, die es vertretbar erscheinen ließe, ihm das Risiko von Steuerausfällen aufzuerlegen. Damit steht eine verschuldensunabhängige Lohnsteuerhaftung als unverhältnismäßige (unzumutbare) Berufsausübungsregelung 65 Littmann, 13. Aufl., Anm. 11 a zu § 42 d EStG; Ojjerhaus·BB 1982, 793, 795ff.; von Bornhaupt BB 1981, 2129ff. 66 Schick BB 1983, 1041, 1045ff.; Drenseck in Schmidt, 5. Aufl., Anm. 2 e zu § 42 d EStG. 67 BFH BStBl III 1963,468. 68 Mitgeteilt in DB 1964, 204f. (nicht veröffentlicht). 69 Ebenso Schick BB 1983, 1041, 1044. 70 Mertens in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 19 vor §§ 823 853 BGB.

112

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

unter dem Verdikt eines Verfassungsverstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG 71. § 42 d Abs. 1 EStG ist deshalb verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß der Arbeitgeber für Lohnsteuerabzugsbeträge nur dann haftet, wenn er diese schuldhaft nicht einbehalten oder abgeführt hat. "Schuldhaft" bedeutet dabei eine vorsätzliche oder fahrlässige Pflichtverletzung, eine (privilegierende) Beschränkung der Haftung des Arbeitgebers auf vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverstöße erscheint mir nicht angebracht. Wenn Schick demgegenüber die arbeitsrechtlichen Grundsätze der gefahrgeneigten Arbeit, wie sie in §§ 78 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2BBG, 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BRRG und den Beamtengesetzen der Länder (z.B. Art. 85 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2BayBG) sowie der Spezialregelung des § 32 AO ihren Niederschlag gefunden haben, zugunsten einer Haftungsprivilegierung des Arbeitgebers heranzieht 72 , so überzeugt dies nicht. Zwar wird der Arbeitgeber in funktioneller Hinsicht beim Lohnsteuerabzug wie ein Finanzbeamter tätig, jedoch stellt diese Tätigkeit für den Arbeitgeber anders als für den Finanzbeamten nur einen kleinen Ausschnitt seines unternehmerischen Schaffens dar, so daß sich die daraus resultierenden Risiken nicht vergleichen lassen. d) Objektivierter Fahrlässigkeitsmaßstab Als Fahrlässigkeitsmaßstab dient auch hier der "gewissenhafte Steuerpflichtige" als Vergleichsperson 73. Die Wertungen, die hier zur Anwendung objektiver Sorgfaltsanforderungen führen, gleichen den oben zu §§ 69,72 AO dargestellten, so daß sich auch die neuere BFH-Rechtsprechung, die im Bereich der Haftung nach § 69 AO mit Sorgfaltsstandards arbeitet14, auf die Lohnsteuerhaftung übertragen läßt. Einem Arbeitgeber ist es zuzumuten, daß er sich über seine lohnsteuerlichen Pflichten hinreichend informiert. Schließlich ist eine Zurechung des Verschuldens von Hilfspersonen analog § 278 BGB nur mit einem objektivierten Fahrlässigkeitsverständnis zu vereinbaren. Die §§ 38 ff. EStG über den Lohnsteuerabzug erzeugen zwischen Arbeitgeber und Finanzbehörde ein öffentlich-rechtliches schuldrechtsähnliches Pflichtenverhältnis 75 , innerhalb dessen es durchaus interessengerecht ist, wenn der Arbeitsgeber das Risiko eines Fehlverhaltens der von ihm mit den Lohnsteuerangelegenheiten betrauten Hilfspersonen wie eigenes Verschulden zu vertreten 71 A.A. insoweit Schick BB 1983, 1041, 1045, der von einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ausgeht. 72 Schick a.a.O. S. 1046. 73 Anderer Ansicht ist wohl Offerhaus BB 1982, 793, 796, der im Rahmen der Ermessensbetätigung - darauf abstellt, ob die Pflichten "subjektiv nach bestem Wissen erfüllt" wurden. 74 Siehe die Nachweise in Fußnote 58. 7S Zur entsprechenden Anwendung des § 278 BG B auf öffentlich-rechtliche Sonderverbindungen siehe Hanau in Münchener Kommentar, 2. Aufl., Rdnr. 9 zu § 278 BGB.

III. Fallgruppe: Steuerverfahrensrechtliche Rechtspflichten

113

hat, ohne sich auf die Exkulpationsmöglichkeit sorgfältiger Überwachung und Auswahl dieser Personen berufen zu können 76.

IH. FaUgruppe: Rechtsfolgen der Verletzung von steuerverfahrensrechtlichen Rechtspflichten 1. Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 152 AO)

a) Rechtsnatur Der Verspätungszuschlag ist ein spezifisch steuerrechtliches Druckmittel der Verwaltung in der Gestalt einer steuerlichen Nebenleistung, also weder Geldstrafe noch Geldbuße 77. b) Normzweck "Der Verspätungszuschlag dient dazu, den rechtzeitigen Eingang der Steuererklärungen und damit auch die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuer sicherzustellen. Er hat insoweit zugleich repressiven und präventiven Charakter ... "78. Zugleich geht es darum, den Finanzbehörden ein ordnungsgemäßes, planvolles "Veranlagungsgeschäft"79 zu ermöglichen. Dabei hat der Verspätungszuschlag eine zweifache Zielrichtung: Er wirkt insoweit repressiv, als er einen Nachteil an in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten anknüpft, daneben hat er insoweit präventive (vorbeugende) Funktion, als es darum geht, den Steuerpflichtigen für die Zukunft zu ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Erklärungspflichten anzuhalten 80. c) Entschuldbarkeit und Fahrlässigkeit Nach § 152 Abs. 1 Satz 2 AO ist von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags abzusehen, "wenn die Versäumnis entschuldbar erscheint". Entschuldbarkeit bedeutet, daß dem Steuerpflichtigen weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit zur Last fällt 81 . Die zur Vermeidung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs zu beachtende Sorgfalt bestimmen Rechtsprechung 82 und Literatur 83 gleichermaßen nach 76 So auch Schick a.a.O. (Fußnote 71) S. 1046. 77 TipkejKruse, Rdnr. 1 zu § 152 AO; Schuhmann DStZjA 1978, 302, 303; Kleinj Orlopp, 3. Aufl, Anm. 1 zu § 152 AO. 78 So die amtliche Begründung zum Entwurf einer Abgabenordnung (AO 1974), BTDrs. VIj1982, S. 129, zu § 97. 79 Tipkej Kruse, Rdnr. 1 zu § 152 AO. 80 Dabei unterscheiden Tipke j Kruse a.a.O. in strafrechtlicher Manier zwischen spezialpräventiver und generalpräventiver Wirkung; letztere ergebe sich bereits aus der Institution des Verspätungszuschlags als solcher. 81 Mösbauer BB 1982, 1294, 1297. 82 BFH HFR 1963, 29, 31 zu § 168 AO a.F.

8 Barwitz

114

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

den (individuellen) persönlichen Verhältnissen des Erklärungspflichtigen unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Erfahrungen, seiner geistigen und körperlichen Belastbarkeit. Diesem subjektiven Fahrlässigkeitsverständnis der herrschenden Ansicht kann nicht gefolgt werden. Es impliziert einen strafähnlichen Charakter der Sanktion "Verspätungszuschlag", den diese nicht hat 84 . Dem Bundesverfassungsgericht kann nicht gefolgt werden, wenn es im Verspätungszuschlag eine "Verwaltungssanktion" sieht, für die der rechtsstaatliche Grundsatz "nulla poena sine culpa" zu gelten habe 85 . Der Zweck des von § 152 AG vorgesehenen Vermögensnachteils besteht nicht darin, bei dem säumigen Steuerpflichtigen "Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten"86 zu üben, es geht vielmehr darum, den Erklärungspflichtigen mit Blick auf die Zukunft zu größerer Sorgfalt anzuhalten, so daß die erzieherische Wirkung im Vordergrund steht. Diese präventiv-erzieherische Funktion kann der Verspätungszuschlag aber nur dann wirksam erfüllen, wenn es gerade im Hinblick auf geforderte Kenntnis der steuerlichen Pflichten nicht auf den konkreten, sondern auf einen gedachten sorgfaltigen Steuerbürger ankommt. Denn gerade der nachlässige Steuerpflichtige, der seine Verpflichtungen deshalb nicht kennt, weil er sich nicht der Mühe unterzieht, sich darüber zu informieren, soll zur Anwendung der (objektiv) erforderlichen Sorgfalt angehalten werden 87 . Für einen objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstab spricht letztlich auch die in § 152 Abs. 1 Satz 3 AG angeordnete Verantwortlichkeit für das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Erfüllungsgehilfen, welches einen personalen Vorwurf gerade nicht zu begründen vermag.

83 Tipke/ Kruse, Rdnr. 5 zu § 152 AO, Rdnr. 6 zu § 268 AO a.F.; Paulick in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Rdnr. 22f. zu § 152 AO, Anm. 8 zu § 168 AO a.F.; Klein/Orlopp, 3. Aufl., Anm. 2 zu § 152 AO; Koch, 2. Aufl., Rdnr. 6 zu § 152 AO; Kühn/ Kutter / Hofmann, 14. Aufl., Anm. 3 b zu § 152 AO; Dumke in Schwarz, Rdnr. 22 zu § 152 AO; Schuhmann DStZ/ A 1978, 302, 303; Mösbauer BB 1982, 1294, 1297. 84 Ebenso Tipke / Kruse, Rdnr. 5 zu § 152 AO. 85 BVerfG, Beschluß vom 23.3.1983, StRK AO 1977 § 152 R. 2. Das Gericht verweist darin auf seine Rechtsprechung zur Ordnungsstrafe nach § 890 ZPO a.F. (BVerfGE 20, 323, 331). 86 BVerfGE 20, 323, 331. 87 Auch Tipke / Kruse, Rdnr. 5 zu § 152 AO erkennen wenngleich sie auf dem Boden eines subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs stehen - solche Erkundigungspflichten als Notwendigkeit an.

IH. Fallgruppe: Steuerverfahrensrechtliche Rechtspflichten

115

2. Möglichkeit eines Haftbefehlsantrags zum Vollstreckungsgericht bei unentschuldigtem Fernbleiben des Vollstreckungsschuldners im Termin zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (§ 284 Abs. 7 Satz 1 AG) a) Regelungszweck Das Erzwingungsverfahren soll den säumigen Vollstreckungsschuldner zur Abgabe eines Vermögensverzeichnisses veranlassen und dient damit letztlich dem Interesse des Gläubigers, Kenntnis über vorhandene pfändbare Vermögensgegenstände des Schuldners zu erlangen 88 . Die für den Schuldner einschneidende Sanktion der Erzwingungshaft findet ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung als Eingriff in die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) zum einen darin, daß sie der Vollstreckungsschuldner jederzeit durch die unschwierige - Abgabe der eidesstattlichen Versicherung abwenden kann und zum anderen aus der Erwägung, daß der Staat als allein zu Zwangsmaßnahmen Befugter unter Rechtsstaatsgesichtspunkten demVollstreckungsgläubiger die Verwirklichung seiner Ansprüche ermöglichen muß89. b) Parallelregelung in § 901 ZPO § 284AO hat sein Vorbild in den Vorschriften der ZPO (§§ 899-915) über die eidesstattliche Versicherung, wobei sedes materiae für die Anordnung der Haft § 901 ZPO ist. Auch die Anordnung der Erzwingungshaft nach § 901 ZPO setzt eine schuldhafte Terminsversäumung voraus, die im zivilprozessualen Schrifttum herrschende Meinung 90 wendet dabei § 337 ZP091 entsprechend an. c) Unentschuldigte Säumnis des Vollstreckungsschuldners Will der Schuldner die Haftanordnung vermeiden, so darf er sein Nichterscheinen weder vorsätzlich noch infolge Fahrlässigkeit verursacht haben. Dabei muß er sich am Fahrlässigkeitsmaßstab der objektiv gebotenen Sorgfalt messen lassen. Das gilt insbesondere dann, wenn der Vollstreckungsschuldner - wie dies überwiegend der Fall sein wird - Hinderungsgründe für seine Säumnis vorträgt. Ob ihm auch in Anbetracht dieser Gründe ein Erscheinen zumutbar gewesen wäre, darf nicht seiner subjektiven Einschätzung überlassen bleiben, sondern ist anhand einer objektiven Bewertung der Sach- und Interessenlage zu entscheiden. Solchermaßen objektivierten Sorgfaltsanforderungen steht die BVerfGE 61, 126, 134 zu § 901 ZPO. BVerfGE 61, 126, 136. 90 Zöller-Stöber, 14. Aufl., Rdnr. 4zu§ 901 ZPO; Thomasj Putzo, 14. Aufl.,Anm.1 czu § 901 ZPO; OLG Hamm, RPfleger 1977,111; KG NJW 1967,59. 91 Vertagung der Verhandlung u.a. dann, wenn die säumige Partei "ohne Verschulden am Erscheinen verhindert ist" (§ 337 Satz 1 ZPO). .88

89

8"

116

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

einschneidende Wirkung der freiheitsentziehenden Rechtsfolge nicht entgegen, denn die Haft wird hier nicht zu Vergeltungszwecken, sondern als Beugemittel angeordnet. IV. FaUgruppe: Verstöße gegen steuerverfahrensrechtliche Obliegenheiten

1. Ausschluß der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verschuldeter Fristversäumnis, § 110 Abs. 1 Satz 1 AO

a) Rechtsnatur und Normzweck der Wiedereinsetzung Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellt eine Entscheidung der Finanzbehörde dar, mittels derer eine an sich verspätete, nachgeholte Rechtshandlung als fristgemäß vorgenommen gilt mit der Folge, daß die bereits eingetretenen Rechtsnachteile mit Ex-tunc-Wirkung entfallen 92 • Der Normzweck des § 110 AO besteht in der Erzielung eines schonenden Ausgleichs der Spannungslage zwischen materialer Gerechtigkeit - hier: gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit - und dem Interesse der Rechtssicherheit mit der Notwendigkeit grundsätzlicher Fristenstrenge 93 • Gesetzliche Fristen sind in der Regel so bemessen, daß ausreichend Zeit zur Vornahme der notwendigen Rechtshandlung besteht. Ist einem Beteiligten fristgemäßes Handeln ausnahmsweise nicht möglich oder nicht zumutbar, so tritt der Grundsatz der Fristenstrenge zurück. b) Fristgerechtes Handeln als Obliegenheit des Verfahrensbeteiligten Bezugspunkt des Verschuldens ist hier die Obliegenheit des Steuerpflichtigen, ihm günstige Rechtshandlungen rechtzeitig und damit wirksam vorzunehmen. Der Obliegenheitscharakter ergibt sich daraus, daß eine Fristversäumnis für andere Verfahrensbeteiligte keine negativen Auswirkungen hat, sondern indifferent ist; m.a.W. liegt die Fristwahrung allein im Interesse des zu rechtzeitigem Handeln angehaltenen Beteiligten. Dementsprechend zieht die Säumnis auf der Rechtsfolgenseite weder Erfüllungs- noch Schadensersatzansprüche nach sich 94 • Einem möglichen Einwand, die Fristversäumung könne auch für Dritte, z.B. die Finanzbehörde, etwa dann von Bedeutung sein, wenn es um die Möglichkeit einer Verböserung im Einspruchsverfahren geht 95 , ist entgegenzuÄhnlich Söhn in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Rdnr. 2 zu § 110 AO. Tipke/ Kruse, Rdnr. 1 zu § 110 AO; Söhn in Hübschmann/ Hepp/ Spitaler, Rdnr. 2 zu § 110 AO. Zur verfassungsrechtlichen Konfliktlage bei den Wiedereinsetzungsvorschriften siehe ausführlich BVerfGE 60, 253, 267ff. 94 Zu dieser Charakterisierung der Obliegenheiten nach ihrem "Sanktionspotential" siehe Reimer Schmidt, Die Obliegenheiten, S. 104, 315 und öfters. 92

9~

IV. Fallgruppe: Steuerverfahrensrechtliche Obliegenheiten

117

halten, daß insofern nur ein reflexartiger Vorteil der Behörde und gerade kein rechtlich geschütztes Interesse vorliegt. c) Ausschluß der Wiedereinsetzung bei schuldhafter Verspätung Vorsätzliches oder fahrlässiges Verstreichenlassen einer Frist schließen nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Als zentrales Verschuldensproblem erweist sich auch hier die Frage nach dem Maßstab des Fahrlässigkeitsurteils. Während im steuerrechtlichen Schrifttum überwiegend 96 auf die dem Steuerpflichtigen individuell zumutbare Sorgfalt abgestellt wird, hält der Bundesfinanzhof97 mit einem Teil der Literatur 98 die objektiv gebotene Sorgfalt für maßgeblich. Trotz übereinstimmenden Wortlauts und gleichen Normzwecks gehen die Auffassung zu den Parallelvorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, was den Fahrlässigkeitsmaßstab anbelangt, auseinander. So stellt die herrschende Ansicht zu § 32 VwVfG99 auf die Sorgfalt eines gewissenhaften Verfahrensbeteiligten ab, im Verwaltungsprozeßrecht (§ 60 VwGO) plädiert die Judikatur 100 mit einem Teil des Schrifttums 101 für objektive Sorgfaltsanforderungen, während die wohl herrschende Lehre 102 die individuell zumutbare Sorgfalt für maßgeblich hält, ein subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff soll schließlich nach ganz überwiegender Meinung bei der Wiedereinsetzung gemäß § 233 ZPOI03 und § 44 StPOI04 gelten. 95 Die nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO grundsätzlich zulässige Verböserung setzt die Suspensivwirkung eines form- und fristgerechten Einspruchs voraus. 96 Tipkej Kruse, Rdnr. 4 zu § 110 AO; Söhn in Hübschmannj Hepp jSpitaler, Rdnr. 16 zu§ 110 AO; Koch, 2. Aufl., Rdnr. 8 zu§ 110AO;Kühnj Kutterj Hofmann, 14. Aufl., Anm. 3 zu § 110 AO; Schwarz in Schwarz, Rdnr. 4 a zu § 110 AO. 97 BFH HFR 1964, 352 zu § 86 AO a.F.; BFH BStBi II 1978, 667, 669; BStBi II 1982, 131,132. Demgegenüber prüfen die Finanzgerichte (so z.B. FG Nürnberg EFG 1983,434) vereinzelt individuelle Vorwerfbarkeit der Fristversäumung. 98 Schuhmann DStZj A 1980, 234fT.; in diesem Sinne wohl auch Kleinj Orlopp, 3. Aufl., Anm. 2 a zu § 110 AO. 99 Stelkens in StelkensjBonkjLeonhardt, 2. Aufl., Rdnr. 9 zu § 32 VwVfG; Obermayer, Rdnr. 25 zu § 32 VwVfG; Borgs in Meyer j Borgs, 2. Aufl., Rdnr. 6 zu § 32 VwVfG; Schwarze in Knack, 2. Aufl., Anm. 5.1 zu § 32 VwVfG. Für einen "subjektiven Fahrlässigkeitsbegriff' allerdings Kopp, 3. Aufl., Rdnr. 16 zu § 32 VwVfG. 1QO BVerwGE 13, 209, 213. 101 Redekerjvon Oertzen, 5. Aufl., Rdnr. 2 zu § 60 VwGO. 102 Kopp, 7. Aufl., Rdnr. 9 zu § 60 VwGO; Eyermann j Fröhler, 8. Aufl., Rdnr. 5 zu § 60 VwGO; Redekerjvon Oertzen, 8. Aufl., Rdnr. 3 zu § 60 VwGO. 103 Hartmann in Baumbachj Lauterbachj Albers j Hartmann, 43. Aufl., Einleitung III 7 A, Anm. 3 zu § 233; Thomas j Putzo, 14. Aufl., Anm. 4 b zu § 233 ZPO; Zöller-Stephan, 14. Aufl., Rdnr. 12 zu § 233 ZPO. 104 Wendisch in Löwe j Rosenberg, 24. Aufl., Rdnr. 23 zu § 44 StPO; Maul in Karlsruher Kommentar, Rdnr. 20 zu § 44 StPO.

118

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

M.E. sprechen im Bereich des § 110 AO die besseren Gründe für eine objektivierte Fahrlässigkeitsbetrachtung. An der Nahtstelle zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit, die bereits im Hinblick auf die äußeren Umstände von Fällen der Fristversäumung ohnehin reichlich mit Kasuistik beladen ist, kann die Berücksichtigung der Subjektivität des Beteiligten nur zu vermehrter Unsicherheit über das rechtlich Gebotene und geringerer Berechenbarkeit der behördlichen Entscheidung führen. Ein objektivierter Sorgfaltsmaßstab entspricht im übrigen auch der Natur des dem Verfahren zugrundeliegenden Steuerschuldverhältnisses, das weder eine sonderliche Hafttiefe aufweist, noch durch strafähnliche Rechtsfolgen gekennzeichnet ist, so daß das in § 110 Abs. 1 AO angesprochene "Verschulden" nicht im Sinne eines persönlichen Vorwurfs zu verstehen ist 105 • Dem steht der Befund, daß es sich bei einem Fristenverstoß um sogenanntes Verschulden gegen sich selbst handelt, nicht entgegen. Daraus, daß ein obliegenheitsgemäßes Verhalten typischerweise durch das eigene Interesse des Handelnden geboten sein wird, ergibt sich nicht etwa die Angemessenheit individueller Sorgfaltsanforderungen womöglich gar mit dem Maßstab der eigenüblichen Sorgfalt. Für die Beantwortung der Frage, ob eine fahrlässige Obliegenheitsverletzung einen Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche oder die persönlich mögliche Sorgfalt voraussetzt, kann der Obliegenheitscharakter einer Regelung nichts beitragen, maßgeblich ist auch in diesen Fällen die gesetzliche (Be-)Wertung der Interessenlage, die Natur des Rechtsverhältnisses und die Funktion des Obliegenheitstatbestands 106 • Die Unterscheidung zwischen Rechtspflicht und Obliegenheit hat weniger materialen Charakter als vielmehr regelungstechnische Natur im Hinblick auf die Intensität der Nötigung zu normentsprechendem Verhalten 107. Damit gilt auch im Bereich des § 110 Abs. 1 AO der Sorgfaltsmaßstab eines gewissenhaften Steuerpflichtigen. 2. Ausschluß einer Änderung von Steuerbescheiden zugunsten des Steuerpflichtigen, wenn diesen am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsachen oder Beweismittel ein grobes Verschulden trifft, § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO a) Rechtsnatur und Normzweck § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO stellt eine Präklusionsregelung für diejenigen Fälle dar, in denen der Steuerpflichtige nach dem Erlaß eines Steuerbescheids bestimmte ihm günstige Tatsachen oder Beweismittel erstmals geltend macht, obwohl er diese bereits in seiner Steuererklärung hätte vorbringen können und Im Ergebnis ebenso Hess. FG EFG 1985, 154. Ähnlich zum Fahrlässigkeitsmaßstab bei zivilrechtlichen Obliegenheiten Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, S. 350ff. 107 Siehe dazu Reimer Schmidt, Die Obliegenheiten, S. 314ff. und passim. lOS

106

IV. Fallgruppe: Steuerverfahrensrechtliche Obliegenheiten

119

er dies grob schuldhaft unterlassen hat. § 173 AO sucht ähnlich wie die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zwischen den Rechtsgütern der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auf der einen, sowie der materiellen Gerechtigkeit (Steuergerechtigkeit im Einzelfall) auf der anderen Seite zu vermitteln 108 • Durch den Ausschluß verspäteten Vorbringens soll der Steuerpflichtige (präventiv) dazu angehalten werden, seine Erklärungsund Mitwirkungspflichten mit der notwendigen Sorgfalt zu erfüllen 109. Dies findet seine Rechtfertigung darin, "daß die steuerlich relevanten Tatsachen oder Beweismittel zum Verantwortungsbereich des Steuerpflichtigen gehören und von ihm rechtzeitig vorgebracht werden müssen"llO. b) Rechtzeitiges Vorbringen steuermindernder Tatsachen oder Beweismittel als Obliegenheit des Steuerpflichtigen Bringt der Steuerpflichtige ihm günstige Tatsachen verspätet vor, so ist dies deshalb als (bloß) obliegenheitswidrig zu qualifizieren, weil die Rechtsordnung (auch die steuerliche) Verstöße gegen Gebote des eigenen Interesses, insbesondere was die Betreuung des eigenen Vermögens anbelangt, nicht mit der Statuierung echter Rechtspflichten und korrespondierenden Haftungs- oder Strafsanktionen zu vermeiden sucht lll. Die rechtzeitige Geltendmachung steuermindernder Tatsachen liegt aber ausschließlich im Interesse des Steuerpflichtigen. Dem entspricht es, wenn nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO die Folge grob schuldhafter Verspätung allein darin besteht, daß der Steuerpflichtige mit seinem verspäteten Vortrag ausgeschlossen ist, m.a.W. er ein an sich bestehendes Recht nicht (mehr) geltend machen kann. c) Grobes Verschulden des Steuerpflichtigen Einigkeit besteht hierbei darüber, daß "grobes Verschulden" die in der Praxis selten vorkommende Form des Vorsatzes sowie die praktisch überaus bedeutsame Form der groben Fahrlässigkeit umfaßt ll2 • aa) Meinungsstand zur groben Fahrlässigkeit Nach der Rechtsprechung des BFH ist grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr.2 Satz 1 AO anzunehmen, "wenn der Beteiligte die ihm persönlich Tipke / Kruse, Rdnr. 2 zu § 173 AO. Ähnlich Tipke/Kruse, Rdnr. 31 zu § 173 AO. 110 So die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf einer Abgabenordnung (AO 1974), BT-Drs. VI/1982, S. 153, zu § 154. m Im gleichen Sinne Weber-Grellet StBp 1979, 145, 148. 112 Siehe nur Tipke/ Kruse, Rdnr. 31 zu § 173 AO; von Wallis in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Rdnr. 43 zu § 173 AO und die Begründung zum Regierungsentwurf AO 1974, BTDrs. VI/1982, S. 153. 108 109

120

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

zuzumutende Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt" 113, die Judikatur der Finanzgerichte richtet mehrheitlich 114 die zu wahrende Sorgfalt ebenfalls nach der Person des Steuerpflichtigen aus. Auch das steuerrechtliche Schrifttum spricht sich ganz überwiegend 115 für die Berücksichtigung der individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Steuerpflichtigen aus, soweit ersichtlich vertritt allein Eggesiecker 116 eine objektivierte Fahrlässigkeitsauffassung. bb) Zur Begründung und Kritik eines subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs Die Verfechter eines individuellen Fahrlässigkeitsmaßstabs versuchen ihre Ansicht unterschiedlich zu rechtfertigen. So wird gesagt, die Notwendigkeit einer umfassenden Würdigung der Individualität der Person ergebe sich "aus einem natürlichen Verständnis des Verschuldens als Zurechenbarkeit und Vorwerfbarkeit einer Verhaltensweise"117. In Anbetracht der vielfältigen Erscheinungsformen und Zwecksetzungen von verschuldensabhängiger Zurechnung in unserer Rechtsordnung hat dieses - für den Bereich strafrechtlicher Schuldfeststellung zweifelsohne zutreffende - rechtsethische Argument im Zusammenhang mit einer verfahrensrechtlichen Präklusionsvorschrift wenig Überzeugungskraft. Ebensowenig hilfreich erscheint ein Vergleich mit "dem Verschuldensbegriff' des Verwaltungsrechts ll8 , der bislang nicht definiert ist und wegen der Vielgestaltigkeit verwaltungsrechtlicher Rechtsbeziehungen einer einheitlichen Bestimmung wohl auch nicht zugänglich ist. Ferner wird behauptet, eine analoge Heranziehung des § 276 BGB scheitere daran, daß die Abgabenordnung auf das BGB zu verweisen pflege, sofern dessen Regelungen auch für das Steuerrecht gelten sollen und in § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 113 BFH BStBi II 1983, 324, 328; BStBI II 1984,2,3; 256, 257; 693, 694; BStBi II 1986, 120, 121. 114 FG Nürnberg EFG 1978, 526, 527; FG Baden-Württemberg EFG 1980, 56, 263, 264; Nds. FG EFG 1981, 216, 217; FG Hamburg EFG 1981,606; FG DüsseldorfEFG 1982,443,444; FG Hamburg EFG 1982, 225, 226; FG Münster EFG 1982, 55; FG BadenWürttemberg EFG 1982,327,328; Saar!. FG EFG 1984, 162, 163; FG MünsterEFG 1984, 530. Einen objektivierten Maßstab wenden demgegenüber FG Nürnberg EFG 1979,476; Hess. FG EFG 1980, 531 und FG München EFG 1983, 156, 157 an. 115 Tipke/Kruse, Rdnr. 31 zu § 173 AO; von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Rdnr. 43, 44 zu § 173 AO; Klein/Orlopp, 2. Aufl., Anm. 14 zu § 173 AO, zweifelnd nunmehr aber 3. Aufl., Anm. 14 zu § 173 AO; Koch, 2. Aufl., Rdnr. 19 zu § 173 AO; Kühn/ Kutter/ Hofmann, 14. Aufl., Anm. 6 azu§ 173 AO;Frotscherin Schwarz, Rdnr. 13 a zu§ 173 AO; List NWB F2, 4055, 4059; Thiel JbFSt 1977 /78,97, 106f.; Domann BB 1979, 516,518; Weber-Grellet StBp 1979, 145, 148; Späth StB 1979,49,51; Philipp DStZ/ A 1981, 167,170; Lohmeyer StB 1981,25,28; Grube JbFSt 1983/84,37, 51f.; Schuhmann BB 1983, 438,441; Mittelbach DStR 1984, 319ff.; Hampel ZfZ 1984, 226, 229. 116 DStR 1980, 161, 163. l17 List NWB F2, 4055, 4059; in diesem Sinne wohl auch Thiel JbFSt 1977 /78,97,106. 118 So aber Frotscher in Schwarz, Rdnr. 13 a zu § 173 AO.

IV. Fallgruppe: Steuerverfahrensrechtliche Obliegenheiten

121

eine solche Verweisung nicht enthalten sei 119 • Diese Argumentation verkennt, daß es durchaus gängige Regelungstechnik des Gesetzgebers ist, den Rechtsbegriff der Fahrlässigkeit nicht näher zu bestimmen und insbesondere die Definition der zu wahrenden Sorgfalt der Rechtsprechung und Lehre zu überlassen 120. Daher wäre es gleichfalls nicht zwingend, aus dem Fehlen einer Verweisung auf strafrechtliche Bestimmungen, wie sie etwa in § 369 Abs. 2 AO getroffen ist, zu schließen, daß die Fahrlässigkeit des § 173 AO nicht im Sinne persönlicher Vorwertbarkeit verstanden werden könne. Die am häufigsten von den Verfechtern eines individuellen Sorgfaltsmaßstabs vorgetragene Begründung ist der Gedanke eines Schutzes "des rechtsunkundigen, ungewandten Steuerpflichtigen" 121. Daß diesem berechtigten Anliegen auch bei einer objektiven, generellen Bestimmung der erforderlichen Sorgfalt durch geringe Anforderungen an die Rechtskenntnis des Steuerpflichtigen Rechnung getragen werden kann, wurde bereits dargelegt l22 • cc) Die Argumente Eggesieckers Eggesiecker begründet sein Plädoyer für einen objektivierten Verschuldensbegriff unter anderem damit, daß die Ermittlung der individuell zumutbaren Sorgfalt in die schutzbedürftige Individualsphäre des Steuerpflichtigen eingreife 123 • Diesem Argument ist entgegenzuhalten, daß der Steuerbürger zum einen von Rechts wegen nicht verpflichtet wäre, vorzutragen, daß und weshalb von ihm nur unterdurchschnittliche Sorgfalt erwartet werden könne und zum anderen er ohne oder gegen seinen Willen keine Untersuchung seiner Person zu befürchten hätte 124. Des weiteren soll nach Eggesiecker ein Rückgriff auf den objekti~ierten Verschuldensbegriff des BGB deshalb naheliegen, "weil die Besteuerung nicht als Bestrafung, sondern ... als Gegenleistung für Staatsleistungen verstanden werden sollte" 125. Richtig daran ist, daß das Steuerrecht keine pönale Funktion hat. Ein Vergleich der Rechtsbeziehung zwischen Staat und Bürger im Hinblick auf die Erhebung von Steuern und die Gewährung staatlicher Leistungen mit den synallagmatischen Schuldverhältnis sen des bürgerlichen Rechts kann jedoch nicht überzeugen. Bereits nach der gesetzlichen Definition des § 3 Abs. 1 Satz 1 AO sind Steuern dadurch gekennzeichnet, Thiel JbFSt 1977/78,97, 106. § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB stellt insofern eine Ausnahme dar. 121 VerfügungOFD Köln S 0071 -4- St311 vom 14.5.1980, StEK AO 1977 § 173 Nr. 15 unter 2; ähnlich von Wallis in HübschmannjHepp jSpitaler, Rdnr. 44 zu § 173 AO; Kleinj Orlopp, 2. Aufl., Anm. 14 zu § 173; Thiel JbFSt 1977 j78, 97,107; Domann BB 1979, 516,518; Philipp DStZjA 1981, 167, 170. 122 Siehe oben Dritter Teil C II 2 d. 123 Eggesiecker DStR 1980, 161, 163. 124 Weder Finanzbehörden noch -gerichte haben Untersuchungs befugnisse hinsichtlich der Person des Steuerpflichtigen, wie sie etwa in §§ 81 ff. StPO normiert sind. 125 Eggesiecker DStR 1980, 161, 163. 119

120

122

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

daß sie kein Entgelt für eine besondere staatliche Leistung darstellen. Ihr Zweck liegt in der Hauptsache darin, (allgemein) den öffentlichen Finanzbedarf zu decken 126, so daß wegen Fehlens einer konkreten Leistungsbeziehung ein Vergleich mit do-ut-des-Schuldverhältnissen ausscheidet. dd) Objektivierte Sorgfaltsanforderungen als sachgerechter Zurechnungsmaßstab Nichtsdestotrotz gibt es gute Gründe für objektivierte Sorgfaltsanforderungen im Bereich der Änderungsvorschrift des § 173 AO. Einer dieser Gründe besteht darin, daß mit der Berücksichtigung der individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Steuerpflichtigen eine Variable in den Prozeß der Rechtsanwendung eingebracht wird, die zwangsläufig ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit erzeugt, weil der Fixpunkt einer Vergleichsperson fehlt 127 • Hinzu kommt, daß die Finanzgerichte bei der Feststellung der individuell zumutbaren Sorgfalt die Person des Steuerpflichtigen häufig nur oberflächlich würdigen und dabei in der Regel dessen beruflicher Stellung ausschlaggebende Bedeutung beimessen 128. In dieser Judikatur kann ein starkes Indiz dafür gesehen werden, daß nicht einmal das finanzgerichtliche Individualverfahren zur Überprüfung einer finanzbehördlichen Entscheidung dem Anspruch einer Ermittlung subjektiver Vorwerfbarkeit gerecht werden kann. Ferner ist die Zurechnung eines Verschuldens des steuerlichen Beraters nur dann zu rechtfertigen, wenn die Fahrlässigkeit des § 173 AO nicht im Sinne individueller Vorwertbarkeit, sondern als Form objektivierter Zurechnung verstanden wird. Der Gedanke, daß der Erklärungspflichtige für fehlerhaftes Verhalten in seiner Verantwortungssphäre einzustehen hat l29 , findet in einem Konzept streng individueller Verantwortlichkeit keinen Platz. Nicht zuletzt werden objektivierte Sorgfaltsanforderungen dem (präventiven) Zweck des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, den Steuerbürger zur sorgfältigen und vollständigen Erfüllung seiner Erklärungspflicht anzuhalten, besser gerecht als ein individuell ausgelegter Fahrlässigkeitsbegriff1 30 • Durch eine Hinwendung 126 Siehe dazu nur Tipke j Kruse, Rdnr. 14 zu § 3 AO; Spanner in Hübschmannj HeppjSpitaler, Rdnr. 35 zu § 3 AO. Daher kann allenfalls von einer generellen Entgeltlichkeit gesprochen werden. 127 Dieses Manko räumen auch einige Vertreter des subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffs (von Wallisin HübschmannjHeppjSpitaler, Rdnr. 44zu§ 173 AO; Philipp DStZj A 1981, 167, 170) ein. 128 So beispielsweise FG Nürnberg EFG 1978, 525, 526 "kaufmännischer Angestellter und stellvertretender Abteilungsleiter einer Firma"; FG Nürnberg EFG 1978, 526, 527 "Hausfrau, die nur stundenweise für ein Rechtsanwaltsbüro Schreibarbeiten verrichtet"; Schleswig-Holsteinisches FG EFG 1978, 359 "Polizeibeamter, der in seinem Fachgebiet Unterricht erteilt"; FG Hamburg EFG 1982, 225, 226 "selbständiger Maurermeister". 129 Klein j Orlopp, 3. Aufl., Anm. 14 c zu § 173 AO. 130 In diesem Sinne auch Philipp DStZ j A 1981, 167, 170.

IV. Fallgruppe: Steuerverfahrensrechtliche Obliegenheiten

123

zum Maßstab eines "gewissenhaften" Steuerpflichtigen werden die Sorgfaltsanforderungen nicht unzumutbar verschärft. Erkennt der Erklärungspflichtige, daß er mit der steuerlichen Beurteilung eines Sachverhalts überfordert wäre, so ist er gehalten, sich Rat von sachkundiger Stelle - notfalls durch Anfrage um Auskunft bei der Finanzbehörde (§ 89 AO) - einzuholen. Dem entsprechend sieht auch die auf dem Boden eines subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffs stehende Judikatur bisweilen in der Nicht-Zuziehung eines sachkundigen Dritten trotz Fehlens eigener Sachkunde eine Sorgfaltswidrigkeit 131.

3. Rücknehmbarkeit eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Begünstigten von dessen Rechtswidrigkeit, § 130 Abs. 2 Nr. 4 2. Alt. AO a) Rechtsnatur und Normzweck Die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts erfolgt durch eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde, mit der dem Begünstigten zu Unrecht gewährte Vorteile wieder entzogen werden, so daß eine Rechtsfolge vermögensrechtlicher Art vorliegt. Der Normzweck des § 130 Abs. 2 AO besteht in der Vermittlung zwischen den kollidierenden Rechtsgütern der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns (Art. 20 Abs. 3 GG) und des - ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden - Vertrauensschutzes des begünstigten Steuerbürgers auf den Bestand behördlicher Entscheidungen 132. Konkret wird in den Fällen grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nach § 130 Abs. 2 Nr. 4, 2. Alt. AO das Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts für nicht schützenswert erklärt. b) Grobe Fahrlässigkeit und Sorgfaltsmaßstab Bezugspunkt des (fahrlässigen) Verschuldens ist hier die Obliegenheit des Begünstigten, Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zu erlangen. Die steuerrechtliche Literatur bestimmt im Rahmen des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO die zu wahrende Sorgfalt unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Kenntnisse des Begünstigten, also nach einem individuellen Maßstab 133; die Rechtsprechung hatte - soweit ersichtlich - über die Frage des Sorgfaltsmaßstabs noch nicht zu befinden. Umstritten ist die Frage des Sorgfaltsmaßstabs bei der Parallelregelung des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG: Während im verwaltungsverfahrensrechtlichen Schrifttum ganz überwiegend FG Köln EFG 1984, 55, 56. Tipke j Kruse, Rdnr. 2 zu § 130 AO; Spanner in HübschmannjHepp j Spitaler, Rdnr. 14ff. zu § 130 AO. 133 Tipkej Kruse, Rdnr. 8 zu§ 130AO; Spannerin HübschmannjHeppjSpitaler, Rdnr. 41 zu § 130 AO; Kühnj Kutterj Hofmann, 14. Aufl., Anm. 3 e zu § 130 AO; Frotscher in Schwarz, Rdnr. 18 zu § 130 AO; WoernerjGrube, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten (AO 1977), 7. Aufl., S. 35. 131

132

124

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

ein individueller Sorgfaltsmaßstab gefordert wird 134, liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts stets dann vor, wenn der Begünstigte "die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer acht gelassen hat" 135. Zur Erfüllung des Normzwecks des § 130 Abs. 2 AO, der Abgrenzung des schutzwürdigen vom nicht-schutzwürdigen Vertrauen auf den Bestand des erlassenen Verwaltungsakts, erscheint ein objektivierter Fahrlässigkeitsmaßstab besser geeignet. Der Gesetzgeber der Abgabenordnung 1977 hat sich bei seiner Regelung der Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte zwar § 48 VwVfG als Vorbild dienen lassen,jedoch dabei die Bestimmungen der Sätze 1 und 2 des § 48 Abs. 2 VwVfG über die einzelfallbezogene Abwägung des Vertrauens des Begünstigten mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme nicht übernommen, sondern mit den in § 130 Abs. 2 AO enumerativ aufgezählten Rücknahmemöglichkeiten bereits auf der Gesetzesebene die Güterabwägung generell-abstrakt vorgegeben. Diese Lösung hat im steuerlichen Massenverfahren den Vorteil besserer Praktikabilität und erhöhter Rechtssicherheit 136 . Eben diesem Vorzug einer einfachen Feststellung der Rücknehmbarkeit eines Verwaltungsakts würde zumindest tendenziell ein subjektives, auf die - schwer zu ermittelnden - Erkenntnismöglichkeiten des Einzelnen abstellendes Fahrlässigkeitsverständnis zuwiderlaufen. Auch bei der Anwendung generalisierender Sorgfaltsanforderungen wird dem Begünstigten nichts unzumutbares abverlangt 137. Zum einen ist in das Fahrlässigkeitsurteil einzustellen, daß der durchschnittlich gewissenhafte Steuerbürger keine weitreichenden Steuerrechtskenntnisse besitzt. Hinzu kommt, daß die so bestimmte verkehrserforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer acht geblieben sein muß oder mit den Worten des Bundesverwaltungsgerichts: der Mangel des Verwaltungsakts "offensichtlich" war 13B . Schließlich legt die nach wohl überwiegender Ansicht stattfindende Zurechnung der grob fahrlässigen Unkenntnis eines Bevollmächtigten oder "Erfüllungsgehilfen"139 einen objektivierten Fahrlässigkeitsbegriffnahe. Eine Zurech134 Kopp, 3. Aufl., Rdnr. 73 zu § 48 VwVfG; Obermayer, Rdnr. 83 zu § 48 VwVfG; Meyer in Meyer j Borgs, 2. Aufl., Rdnr. 59 zu § 48 VwVfG; Klappstein in Knack, 2. Aufl., Anm. 8.4.3 zu § 48 VwVfG. Nach Stelkens in StelkensjBonkjLeonhard, 2. Aufl., Rdnr. 34 zu § 48 VwVfG soll jedoch eine Vermutung dafür sprechen "daß der Betroffene die Einsichtsfähigkeit eines Durchschnittsbürgers hat." 135 BVerwGE 40, 212, 217; 24,148, 150f. m.w.N. 136 So auch Tipke j Kruse, Rdnr. 1 zu § 130 AO. 137 A.A. wohl Kühn j Kutter j Hofmann, 14. Aufl., Anm. 3 e zu § 130 AO; Spanner in HübschmannjHeppjSpitaler, Rdnr. 41 zu § 130 AO. 138 BVerwGE 24,148,150; 40,212,217. 139 Woerner j Grube, a.a.O. (Fußnote 133), S. 35,96; Tipke j Kruse, Rdnr. 8 zu § 130 AO; Frotscher in Schwarz, Rdnr. 18 zu § 130 AO; Koch, 2. Aufl., Rdnr. 26 zu § 130 AO.

V. Fallgruppe: Finanzprozessuale Mitwirkungspflichten

125

nung des Verschuldens Dritter kann nur dann Platz greifen, wenn bei der grob fahrlässigen Unkenntnis im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO auf die objektive Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit abgestellt wird. Fordert man hingegen mit der herrschenden Lehre individuelles Erkennen-Können des Begünstigten, so stellt die Zurechnung des Erkenntnisvermögens eines Dritten einen Wertungswiderspruch dar.

v. Fallgruppe: Zuwiderhandlungen

gegen finanzprozessuale Mitwirkungspflichten

Die FGO läßt in zwei Fällen bei schuldhaften Verstößen gegen prozessuale Rechtspflichten die Festsetzung von Ordnungsgeld durch das Gericht zu: Zum einen gilt dies nach § 30 Abs. 1 Satz 1 FGO für das Nichterscheinen oder nicht rechtzeitige Erscheinen eines ehrenamtlichen Richters zur Sitzung bzw. sonstige Verstöße gegen seine Mitwirkungspflichten, zum anderen nach § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO für das Ausbleiben eines Beteiligten vom Termin trotz Anordnung seines persönlichen Erscheinens.

1. Rechtsnatur und Normzweck In beiden Fällen dient die Festsetzung eines Ordnungsgeldes weniger dazu, ein bereits geschehenes Fehlverhalten zu ahnden, als vielmehr dem (präventiven) Zweck, die ehrenamtlichen Richter und Prozeßbeteiligten von vornherein zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer prozessualen Pflichten anzuhalten 14ü. Durch das Druckmittel des Ordnungsgeldes soll nach § 30 Abs. 1 FGO wie auch nach den Parallelvorschriften der §§ 56 Abs. 1 GVG, 33 Abs. 1 VwGO und 21 SGG die reibungslose, insbesondere unverzögerte Tätigkeit des Gerichts sichergestellt werden,141 in den Fällen des § 80 Abs. 1 FGO sowie der parallelen Regelungen der §§ 95 Abs. 1 VwGO und 111 Abs. 1 SGG dient das persönliche Erscheinen des Beteiligten der Ergänzung und Klärung des Sachvortrags 142 .

2. Schuldhaftes Ausbleiben des Verpflichteten Weder Literatur noch Rechtsprechung haben sich bislang darüber geäußert, welchen Sorgfaltsanforderungen der zum Erscheinen Verpflichtete gerecht werden muß, um die Festsetzung eines Ordnungsgeldes zu vermeiden. Ausgangspunkt bei der Lösung dieser Frage muß wiederum der Normzweck sein, hier also die (präventive) Funktion, den ehrenamtlichen Richter bzw. den Kissel, Rdnr. 9 zu § 56 GVG, hinsichtlich einer Pflichtverletzung durch Schöffen. Siehe dazu nur Redeker j von Oertzen, 8. Aufl., Rdnr. 1 zu § 33 VwGO; Kissel, Rdnr. 8 zu § 56 GVG. 142 Tipkej Kruse, Rdnr. 1 zu § 80 FGO, List in HübschrnannjHeppjSpitaler, Rdnr. 2 zu § 80 FGO; Ziemer j Birkholz, 2. Aufl., Rdnr. 1 zu § 80 FGO; Kopp, 7. Aufl., Rdnr. 1 zu § 95 VwGO; Redekerjvon Oertzen, 8. Aufl., Rdnr. 1 zu § 95 VwGO. 140

141

126

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

Beteiligten zur Teilnahme an der Sitzung anzuhalten. Dieser vorbeugenden Zwecksetzung werden objektivierte Sorgfaltsanforderungen am ehesten gerecht. Die Sachgerechtigkeit eines Maßstabs des Normativ-Normalen zeigt sich besonders deutlich, wenn der zum Erscheinen Verpflichtete Gründe für sein Fernbleiben vorträgt und es um die Feststellung geht, ob ihm trotz der vorgebrachten Verhinderungsgründe ein Erscheinen zumutbar gewesen wäre. Eine solche Abwägung darf nicht der subjektiven Einschätzung des Betroffenen anheimgestellt bleiben, vielmehr bedarf es einer objektiven Bewertung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Dem steht die Rechtsnatur der Sanktion "Ordnungsgeld" nicht entgegen, denn diese trägt keinen Strafcharakter l43 . Zu beachten ist somit im Bereich des § 30 Abs. 1 Satz 1 FGO die Sorgfalt eines gewissenhaften ehrenamtlichen Richters, nach § 80 Abs. 1 Satz 3 FGO die Sorgfalt eines gewissenhaften Verfahrens beteiligten.

VI. Fallgruppe: Verstöße gegen finanzprozessuale Obliegenheiten 1. Ausschluß der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verschuldeter Fristversäumung, § 56 Abs. 1 FGO Wie im Verwaltungsverfahrensrecht, so gilt auch bei der Versäumung prozessualer Fristen ein objektivierter Fahrlässigkeitsmaßstab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen zu § 110 AOl44 verwiesen. 2. Zulässigkeit der Auferlegung von Prozeßkosten bei verschuldetem prozessualem Fehlverhalten eines Beteiligten, §§ 135 Abs. 4,137 FGO a) Rechtsnatur und Normzweck

§§ 135 Abs. 4 und 137 FGO bestimmen Ausnahmen von der grundsätzlichen Regelung des § 135 Abs. 1 FGO, nach der die Kosten des Verfahrens den unterliegenden Beteiligten treffen, für Fälle, in denen durch schuldhaftes Fehlverhalten im Prozeß oder im Vorfeld eines Prozesses vermeidbare Kosten entstehen. Zum einen bezwecken die genannten Bestimmungen das Ergehen einer gerechten Kostenentscheidung, indem sie ein (partielles) Abweichen von der grundsätzlichen Maßgeblichkeit des Prozeßerfolgs im Sinne des kostenrechtlichen "Alles-oder-Nichts-Prinzips" zulassen und so die Kostentragung flexibler gestalten 145. Vor allem aber soll dadurch einer Prozeßverschleppung vorgebeugt und eine prozeßfördernde Wirkung erzielt werden, indem die Beteiligten 143 Zumindest mißverständlich daher List in Hübschmannj Hepp jSpitaler, Rdnr. 7 ff. zu § 80 FGO, der von einer "Strafe" spricht. 144 Siehe IV. Fallgruppe unter 1. 145 Ähnlich Mittelbach StuW 1970, 207, 212; Os wald DStZj A 1969, 119, 120.

VI. Fallgruppe: Finanzprozessuale Obliegenheiten

127

angehalten werden, von vornherein in zumutbarer Weise bei der Sachaufklärung mitzuwirken 146; darin liegt die bedeutsame präventive Funktion. b) Verschulden des Beteiligten aa) Zum Verschuldenserfordernis Während sich das Verschuldenserfordernis im Hinblick auf eine Kostentragung bei den §§ 135 Abs. 4 und 137 Satz 2 FGO bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, folgert die BFH-Rechtsprechung ein - ungeschriebenes - Verschuldenserfordernis für die Fälle des § 137 Satz 1 FGO daraus, daß diese Bestimmung nur eine besondere Ausprägung des in § 137 Satz 2 FGO normierten Grundsatzes sei, wonach (nur) schuldhaft verursachte Kosten einem Beteiligten zur Last fallen sollen 147. Das Schrifttum hat sich ganz überwiegend dieser Judikatur angeschlossen l48 . Demgegenüber will Baltzer für den Eintritt der Kostenfolge des § 137 Satz 1 FGO die bloße Verursachung von (zusätzlichen) Kosten durch ein objektiv fehlerhaftes Verhalten des obsiegenden Beteiligten genügen lassen 149. Mir erscheint es vorzugwürdig, mit der herrschenden Ansicht auch im Bereich des § 137 Satz 1 FGO auf ein schuldhaft verspätetes Vorbringen abzustellen, da dies mit dem den §§ 135ff. FGO zugrunde liegenden System des materiellen Kostenrechts in Einklang steht: Danach wird die Kostentragung vom Grundsatz dominiert, daß dem unterlegenen Beteiligten ohne Rücksicht auf den Grund seines Unterliegens die Kosten auferlegt werden (§ 135 Abs. 1 FGO). Als Ausnahme von dieser Regel läßt sich das Prinzip erkennen, daß einem Beteiligten trotz Obsiegens diejenigen Kosten auferlegt werden können, die durch sein schuldhaftes Fehlverhalten verursacht worden sind 150; Ausdruck eines solchen kostenrechtlichen "Verschuldensprinzips" sind die §§ 135 Abs. 4 und 137 FGO. bb) Fahrlässigkeit und Sorgfaltsmaßstab In diesem Zusammenhang ist zunächst umstritten, welcher Grad der Fahrlässigkeit bei einem verspäteten Vortrag nach § 137 Satz 1 FGO dem Beteiligten zum Nachteil gereicht. Der Bundesfinanzhof vertritt den Standpunkt, daß dabei - ebenso wie bereits bei § 307 Abs. 3 Satz 1 AO a.F .151 - ein grob fahrlässiges Tipke j Kruse, Rdnr. 1 zu § 137 FGO. Siehe dazu nur BFH BStBi II 1971, 616, 617; BStBi II 1972, 354, 355. 148 Tipkej Kruse, Rdnr. 1 zu § 137 FGO; von Wallis in HübschmannjHeppjSpitaler, Rdnr. 3 zu § 137 FGO; Gräber, Rdnr. 4 zu § 137 FGO; Ziemer j Birkholz, 2. Aufl., Rdnr. 4 zu § 137 FGO. 149 Baltzer DStR 1967,278,279. 150 Ähnlich Tipke j Kruse, Rdnr. 2 vor § 135 FGO. 151 Dazu BFH BStBi III 1964, 185, 186; HFR 1964, 354: erforderlich sei "grobe Nachlässigkeit" . 146

147

128

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

Fehlverhalten vorausgesetzt sei l52 , das Schrifttum spricht sich hingegen überwiegend dafür aus, daß jegliches Verschulden, also auch einfache Fahrlässigkeit ausreiche 153 • Mir erscheint die letztgenannte Ansicht vorzugswürdig. Ob dies mit dem gegenüber § 307 Abs. 3 Satz 1 AO a.F. geänderten Wortlaut (statt "geltend machen können und müssen" nunmehr "geltend machen können und sollen") begründet werden kann l54 ist zweifelhaft. Näher liegt hier ein Vergleich mit den Tatbeständen der §§ 135 Abs. 4, 137 Satz 2 FGO und den Parallelvorschriften der §§ 155 Abs. 4 VwGO, 95 ZPO, welche allesamt die Auferlegung von Kosten bei "Verschulden" und damit bereits in Fällen schlichter Fahrlässigkeit zulassen. Es verbleibt zu klären, ob die kostenrechtliche Fahrlässigkeit ihrem Maßstab nach auf dasjenige ausgerichtet ist, was man generell von einem gewissenhaften Prozeßbeteiligten erwartet, oder ob sie im Sinne eines individualbezogenen Sorgfaltsverstoßes aufzufassen ist. Der BFH neigt wohl zu generalisierenden Sorgfaltsanforderungen 155, die finanzprozeßrechtliche Literatur läßt diese Frage unbeantwortet. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren soll demgegenüber ein den individuellen Eigenschaften des Beteiligten zugänglicher subjektiver Fahrlässigkeitsmaßstab gelten i56 , während im zivilprozessualen Schrifttum unter Verweis auf § 276 BGB die "im Prozeß zu beobachtende (erforderliche) Sorgfalt" für maßstabgebend erachtet wird 157. Ein generalisierender Sorgfaltsmaßstab erweist sich bereits im Hinblick auf eine gerechte Kostenverteilung als angemessen. Bei der Beantwortung der Frage nach einer Berücksichtigung individuell unterschiedlicher Erfahrungen, Kenntnisse, Fähigkeiten usw. darf nicht übersehen werden, daß die Wahl des Sorgfaltsmaßstabs sich stets und notwendig auf die Kostentragung seitens des Prozeßgegners bzw. sonstiger Beteiligter auswirkt. So sehr eine individualisierende Fahrlässigkeitsauffassung auch der Person des eines Sorgfaltsverstoßes bezichtigten Beteiligten gerecht werden mag, für die gegnerische Partei ist es von geringer Überzeugungskraft, wenn ihr im Kostenausspruch gesagt wird, daß der obsiegende Beteiligte zwar durch ein objektiv unsorgfaltiges Verhalten zusätzli152 BFH BStBI II 1971, 616, 617; BStBl II 1972, 354, 355. Zustimmend Kühnj Kutterj Hofmann, 14. Aufl., Anm.1 zu§ 137 FGO; Mittelbach StuW 1970, 207, 209. 153 TipkejKruse, Rdnr. 1 zu § 137 FGO; von Wallis in HübschmannjHeppjSpitaler, Rdnr. 3 zu § 137 FGO; Ziemer j Birkholz, 2. Aufl., Rdnr. 4 zu § 137 FGO. 154 In diesem Sinne von Wallis in HübschmannjHeppjSpitaler, a.a.O. (Fußnote 153); Ziemer j Birkholz, a.a.O. (Fußnote 153); Hess. FG EFG 1983, 217. ISS In BFH BStBl II 1971,616,618; BStBl 11 1972,354,355 wird darauf abgestellt, ob der Beteiligte "die für die Bearbeitung der Sache erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße außer acht läßt". 156 Eyermannj Fröhler, 8. Aufl., Rdnr. 18 zu § 155 VwGO; Kopp, 7. Aufl., Rdnr. 19 zu § 155,9 zu § 60 VwGO; Redeker j von Oertzen, 8. Aufl., Rdnr. 5 zu § 155, 3 zu § 60 VwGO (anders noch die 5. Aufl. ebenda). 157 Thomasj Putzo, 14. Aufl., Anm. 2 b zu § 95 ZPO; Leipoldin Steinj Jonas, 20. Aufl., Rdnr. 3 zu § 95 ZPO; Zöller-Schneider, 14. Aufl., Rdnr. 3 zu § 95 ZPO.

VI. Fallgruppe: Finanzprozessuale Obliegenheiten

129

che Prozeßkosten verursacht habe, ihm das jedoch aufgrund seiner geringen Intelligenz oder mangels entsprechender Schulbildung nicht zum Nachteil gereichen dürfe. Vor allem steht einem subjektiven Fahrlässigkeitsverständnis das Erfordernis entgegen, daß Regelungen über die Kostentragung im Prozeß einfach und leicht handhab bar sein müssen. So rechtfertigen sich die stark vereinfachenden Kostenregelungen der §§ 91 ff. ZPO, denen das Kostenrecht der FGO im wesentlichen nachgebildet ist, daraus, daß "es sich um wiederkehrende, typische Fragen handelt, und weil es unangemessen wäre, die Kostenfrage, die gegenüber der Hauptsache eine Nebenfrage ist, mit dem selben Aufwand an Mühe, Zeit und Kosten wie diese zu prüfen" 158. Unter diesem Gesichtspunkt einer einfachen Normanwendung erweist sich eine generalisierende Betrachtung als deutlich überlegen, da das Gericht kraft seiner Erfahrung das üblicherweise von einer Prozeßpartei zu erwartende Sorgfaltsmaß leicht bestimmen kann, die Erforschung der persönlichen Eigenschaften eines Beteiligten jedoch aufwendig und gegebenenfalls sogar kostenträchtig 159 ist. Zur Vermeidung von Kostennachteilen obliegt damit den Prozeßbeteiligten die Wahrung der im Prozeß erforderlichen Sorgfalt, eine Entlastung aus der Individualität findet nicht statt. Beim Maß der zu erbringenden Sorgfalt ist, insbesondere was Rechtskenntnis anbelangt, zu differenzieren zwischen rechtskundig vertretenen und nicht vertretenen Beteiligten. Würde die Anwendung eines objektivierten Sorgfaltsmaßstabs in Ausnahmefällen zu Härten in der Kostenfolge führen, so kann das Gericht dem im Ermessenswege Rechnung tragen.

3. Verletzung von prozessualen Obliegenheiten nach dem Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungsund Finanzgerichtsbarkeit (VG FG EntlG) Nach dem VGFG EntlG kann es in zwei Fällen zur Zurückweisung eines verspäteten Vorbringens kommen: Zum einen gilt dies nach Art. 3 § 3 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 VGFG EntlG für die erst nach Ablauf einer vom Gericht gesetzten Frist vorgebrachten Erklärungen oder Beweismittel, zum anderen nach Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFG EntlG im Verfahren über die Aufhebung oder Änderung eines Beschlusses gemäß § 69 Abs. 3 FGO (Aussetzung der Vollziehung) hinsichtlich der im ursprünglichen Verfahren schuldhaft nicht geltend gemachten Umstände.

Leipold in Stein/ Jonas, 20. Aufl., Rdnr. 6 vor § 91 I, 11 ZPO. Etwa in den Fällen, in denen nur die Einholung eines Sachverständigengutachtens die Persönlichkeitsstruktur des Beteiligten aufzuklären vennag. 158

159

9 Barwitz

130

4. Teil: Die Verschuldensnormen im einzelnen

a) Rechtsnatur und Normzweck Beide Male handelt es sich um Präklusionsvorschriften, wobei die Zurückweisung des Vorbringens nach Art. 3 § 3 Abs. 2 Satz 1 VGFG EntiG im Ermessen de~ Gerichts steht. Dabei kommt in Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFG EntiG der Gedanke zum Ausdruck, daß Tatsachen oder Beweismittel regelmäßig bereits in dem Verfahrens- oder Prozeßabschnitt vorgetragen werden müssen, in dem sie erstmals erheblich werden!60. Art. 3 § 3 VGFG EntiG trägt der Tatsache Rechnung, daß der Finanzprozeß zwar vom Amtsermittlungsgrundsatz des § 76 FGO geprägt ist, häufig aber Umstände den Ermittlungsmöglichkeiten des Gerichts entzogen sind mit der Folge, daß es ihrer Einführung in den Prozeß durch die Beteiligten bedarf. Waren die Beteiligten bis zum Inkrafttreten des VGFG EntlG-weitgehend sanktionslos!6!-nach§§ 65 Abs. 1, 76f. FGO zur Förderung des Prozesses insbesondere durch Abgabe wahrheitsgemäßer und vollständiger Erklärungen zum Sachverhalt aufgerufen, so bietet nunmehr die Möglichkeit der Fristsetzung und Präklusion verspäteten Vorbringens ein angesichts der Überlastung der Finanzgerichtsbarkeit notwendiges!62 Druckmittel im Interesse der Verfahrenskonzentration. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Zurückweisung verspäteten Vortrags weniger als Durchbrechung, sondern vielmehr als legitime Ergänzung der Amtsermittlungsmaxime!63. b) Von den Präklusionsvorschriften erfaßtes Fehlverhalten Ist eine Zurückweisung verspäteten Vorbringens nur dann zulässig, wenn der Beteiligte die Verspätung "nicht genügend entschuldigt" (Art. 3 § 3 Abs. 2) bzw. ihn ein "Verschulden" (Art. 3 § 7 Abs. 2) daran trifft, so bedeutet dies nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers, daß sowohl Vorsatz als auch jegliche Art von Fahrlässigkeit die tatbestandlichen Voraussetzungen im Hinblick auf das Verschuldenserfordernis erfüllen. c) Zum Fahrlässigkeitsmaßstab in Art. 3 § 3 VGFG EntiG Rechtsprechung der Finanzgerichte zu diesem Fragenkreis liegt, soweit ersichtlich, bislang nicht vor. Das Schrifttum vertritt überwiegend eine zwischen Tatbestand und gerichtlicher Ermessensbetätigung differenzierende Auffassung!64: Während es für die Frage einer genügenden Entschuldigung darauf 1(iO Siehe nur §§ 527ff. ZPO; anders freilich unter Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes § 128 Satz 2 VwGO. 161 Abgesehen von der Kostenfolge des § 137 FGO. 162 Zur Statistik im Hinblick aufGeschäftsanfall und Verfahrensdauer siehe Haarmann DStZ/A 1978, 203ff. und DB 1978, 953ff.; Meyer-Ladewig, NJW 1985, 1985, 1989f. 163 Im Ergebnis ebenso die Begründung zum Regierungsentwurf des VGFG EntiG (BT-Drs. 8/842 zu Art. 3 § 3, S. 14) und das prozeßrechtliche Schrifttum: Haarmann DB 1978,953,955; Meyer-Ladewig NJW 1978, 857, 860; Lohse DStR 1978,429, 430f.

VI. Fallgruppe: Finanzprozessuale Obliegenheiten

131

ankommen soll, ob angesichts der Umstände des Einzelfalles die Sorgfalt eines gewissenhaften Verfahrensbeteiligten gewahrt wurde, könne das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung über die Zurückweisung des verspäteten Vorbringens die individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse sowie die Prozeßerfahrung des Beteiligten berücksichtigen. Demgegenüber hält Späth 165 grundsätzlich die dem Beteiligten individuell zumutbare Sorgfalt für maßgeblich. Bei der Bestimmung des sachgerechten Sorgfaltsmaßstabs ist zunächst festzustellen, daß objektivierte Anforderungen dem Zweck der Verfahrenskonzentration besser gerecht werden und zudem unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit - konkret: der Vorhersehbarkeit einer Zurückweisung verspäteten Vortrags - zu präferieren sind. Andererseits bedeutet die Präklusion eines verspäteten Vorbringens stets eine Einschränkung des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)l66 und kann gegebenenfalls zum endgültigen Unterliegen im Prozeß führen, so daß ein Mindestmaß an Schutz gerade der nicht rechtskundigen Partei gewährleistet sein muß. Schließlich ist der Tatsache Rechnung zu tragen, daß sich der Steuerpflichtige als Beteiligter eines Finanzprozesses im allgemeinen in einer Sondersituation befindet, deretwegen es nicht von ihm erwartet werden kann, daß er sich bis ins Einzelne mit den ihm nach dem Prozeßrecht obliegenden Aufgaben vertraut macht. Dieser Wertungs situation entspricht es am ehesten, mit der im Schrifttum herrschenden Ansicht den Fahrlässigkeitsmaßstab differenzierend zu beschreiben: Eine präklusionshindernde "genügende Entschuldigung" setzt die Wahrung der Sorgfalt eines gewissenhaften Prozeßbeteiligten voraus 167 ; würden durch eine Zurückweisung des Vortrags angesichts der Person des Beteiligten unbillige Härten entstehen, so kann das Gericht dem im Ermessenswege Rechnung tragen. d) Zum Fahrlässigkeitsmaßstab in Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFG EntlG Auch Art. 3 § 7 VGFG EntlG steht im soeben (unter c) skizzierten Spannungsfeld zwischen den Zielen der Verfahrenskonzentration und der materiellen Richtigkeit der finanzgerichtlichen Entscheidung. Angesichts der einschneidenden Wirkungen einer Präklusion bedarf es hier - da die Vorschrift dem Gericht 164 So Haarmann DB 1978, 953, 955fT. und DStZjA 1978,203,207; Meyer-Ladewig NJW 1978, 857, 861; ebenso bereits die Begründung zum Regierungsentwurf a.a.O. (Fußnote 163) S. 14. 165 DStZj A 1980, 391, 393. 166 Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Präklusionsvorschriften siehe z.B. BVerfGE 60, 1, 5ff. (verspätetes Vorbringen im Zivilprozeß). 167 Ebenso Henn NJW 1979, 1374, 1375 zum schuldhaft verspäteten Vortrag im Zivilprozeß. Dabei erscheint es geboten, im Hinblick auf die generell zu erwartende Sorgfalt zwischen rechtskundig vertretenen und nicht vertretenen Beteiligten zu unterscheiden.



132

4. Teil: Die Verschuldensnonnen im einzelnen

kein Ermessen einräumt - jedoch einer Berücksichtigung "subjektiven Unvermögens" bereits im Rahmen des Tatbestandsmerkmals eines fehlenden Verschuldens. Zu beachten ist demnach die Sorgfalt eines gewissenhaften Prozeßbeteiligten, der Beteiligte kann sich dabei zu seiner Entlastung auf unterdurchschnittliche Befähigung berufen.

Fünfter Teil

Ergebnisse I. Verschulden im Zivil- und Strafrecht

1. Die Betrachtung von Verschuldensfragen des Zivil- und Strafrechts (Zweiter Teil) hat gezeigt, daß es in beiden Rechtsmaterien nicht möglich ist, einen für das gesamte Rechtsgebiet gültigen, einheitlichen Verschuldensmaßstab zu entwickeln. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, daß die Art der Zurechnung eines Erfolgs bzw. eines Verhaltens zum Willen einer Person abhängt von der Natur des Schuldverhältnisses, dem Charakter der potentiellen Rechtsfolge und nicht zuletzt dem Zweck der jeweiligen (Verschuldens-)N orm. 2. Die Sachgerechtigkeit eines objektivierten Fahrlässigkeitsbegriffs für weite Bereiche des Zivilrechts ergibt sich teils aus eher abstrakten Kriterien, teils aufgrund endogen zivilrechtlicher Wertungs gesichtspunkte. An abstrakten Kriterien sind inbes. zu nennen die (geringe) Hafttiefe der Schuldverhältnisse, das rollenhafte Auftreten der Beteiligten im Rechtsverkehr sowie die überwiegend - präventive und nicht-pönale Funktion der Rechtsfolgen. Spezifisch zivilrechtliche Topoi stellen beispielsweise die Erzielung einer gerechten Abgrenzung der Risikobereiche von Schädiger und Geschädigtem im Rahmen der deliktischen Haftung oder die Verantwortlichkeit für fehlerhaftes Verhalten von Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) dar. 3. Im Strafrecht steht die Wahl des angemessenen Fahrlässigkeitsmaßstabs im Spannungsfeld der konkurrierenden Rechtszwecke der Prävention und der Vergeltung. Während eine wirksame Prävention in die Richtung objektivierter Sorgfaltsanforderungen drängt, zwingt der einer Bestrafung zugrundeliegende Vergeltungsgedanke, das "Schuldprinzip", zur Feststellung einer individuell-subjektiven Sorgfaltswidrigkeit. 11. Verschulden im Steuerrecht 1. Der Wortlaut des Gesetzes kann zur Beantwortung steuerrechtlicher Verschuldensfragen nur sehr eingeschränkt beitragen. Der noch mögliche, äußerste Wortsinn steckt zwar die Grenzen zulässiger Auslegung ab, welchem der innerhalb dieser Grenzen liegenden Auslegungsergebnisse der Vorzug gebührt, vermag der Wortlaut nicht zu entscheiden. 2. Die teleologische Betrachtung der Verschuldensprobleme (Dritter Teil) hat ergeben, daß vorsätzliches Verhalten im Steuerrecht die Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Pflichtenverstoßes voraussetzt, also ein Irrtum über

134

5. Teil: Ergebnisse

die Rechtswidrigkeit den Vorsatz ausschließt. Bei der Frage nach dem angemessenen Fahrlässigkeitsmaßstab haben sich für die einzelnen Rechtsmaterien unterschiedliche Tendenzen gezeigt. a) Im materiellen Steuerrecht weisen die Natur der Steuerschuld- und Pflichtverhältnisse und der Regelungszweck deutlich in die Richtung objektivierter Sorgfaltsanforderungen. Dies ergibt sich aus der geringen Hafttiefe der Rechtsbeziehungen, dem nicht-pönalen Charakter der Rechtsfolgen, aber auch aus spezifisch steuerrechtlichen Gesichtspunkten wie etwa dem objektiven Charakter des Verfahrens zur Ermittlung wirtschaftlicher Leistungsrlihigkeit im Einkommensteuerrecht. Die Finanzverwaltung ist befugt, im steuerlichen Massenverfahren das Fahrlässigkeitsurteil im Wege einer formell typisierenden Betrachtung zu treffen, der Steuerpflichtige kann die (widerlegbare) Vermutung zugunsten des normalen, typischen Geschehensablaufs durch den Vortrag atypischer Umstände ausräumen. b) Auch im steuerlichen Verwaltungsverfahren erweisen sich objektivierte Sorgfaltsanforderungen als sachgerechte Form der Zurechnung. Dafür sprechen die dienende Funktion des Verfahrensrechts, die Verantwortlichkeit für ein Verschulden des steuerlichen Beraters, der Gesichtspunkt einer leichteren Handhabbarkeit im massenhaften Gesetzesvollzug und nicht zuletzt Gründe der Rechtssicherheit, insbes. der Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit behördlicher Entscheidungen. Die Finanzbehörde ist zu einer formell typisierenden Feststellung der Fahrlässigkeit befugt. c) Im Finanzprozeßrecht lassen sich allgemeine Aussagen zum Fahrlässigkeitsmaßstab wegen der dort bestehenden notorischen Konfliktlage zwischen materialer Gerechtigkeit und Rechtssicherheit kaum treffen, der telos der einzelnen prozessualen Norm entscheidet. In die Richtung einer objektivierten Betrachtung weist allerdings die Zurechnung des Verschuldens eines Prozeßvertreters. Für eine - wenn auch nur formell typisierende Fahrlässigkeitsbetrachtung ist im finanzgerichtlichen Individualverfahren kein Raum. 3. Die einzelnormbezogene Untersuchung des vierten Teils hat die im dritten Teil als Tendenz festgestellte Angemessenheit objektivierter Sorgfaltsanforderungen für die Bereiche des Steuerschuldrechts und des Verwaltungsverfahrensrechts bestätigt. Als wichtige Kriterien bei der Bestimmung der im Prozeß zu wahrenden Sorgfalt haben sich der - dem Ziel der Verfahrenskonzentration entsprechend - vorwiegend präventive Normzweck der prozessualen Bestimmungen, der nicht-pönale Charakter der Rechtsfolgen sowie (im Kostenrecht) die einfache Handhabbarkeit eines objektivierten Maßstabs erwiesen.

5. Teil: Ergebnisse

135

111. Trotz aller Vorbehalte zugunsten der Teleologie der einzelnen Verschuldensnorm lassen sich - rechtsgebietsübergreifend - als den Maßstab der Fahrlässigkeit wesentlich beeinflussende Faktoren die Hafttiefe des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses, also die Intensität des zwischen den Beteiligten stattfindenden sozialen Kontakts sowie der Charakter der von schuldhaftem Verhalten abhängigen Rechtsfolge ausmachen.

Literaturverzeichnis Badura, Peter, Staatsrecht, Systematische Erläuterung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, München 1986 Balke, Michael, Kraftfahrzeug-Unfallkosten: Nach Aufgabe des Verschuldensprinzips hin zur Motivationsforschung, FR 1979, 424ff. Baltzer, Andreas, Wann sind durch Kraftwagenunfall bedingte Aufwendungen Betriebsausgaben?, DStZI A 1955, 73f. Baltzer, Andreas, Zur Kostenpflicht des Obsiegenden im Steuerprozeß und im Vorverfahren (§§ 137 FGO, 252 AO), DStR 1967, 278f. Baumbach, Adolfl Lauterbach, Wolfgang 1Albers, Jan 1Hartmann, Peter, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 43. Aufl., München 1985 (zitiert: Bearbeiter in Baumbachl Lauterbachi Albersl Hartmann) Becker, Enno 1Riewald, Alfred1Koch, Kar!, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München, 1963ff. (zitiert: Becker/Riewald/Koch) Beisse, Heinrich, Kapitel "Auslegung" in: Handwörterbuch des Steuerrechts (Hrsg. Georg Strickrodt u.a.), Erster Band, 2. Aufl., München, Bonn 1981 Bokelmann, Erika, Grobe Fahrlässigkeit, Ein Beitrag insbesondere zu Individualisierungstendenzen im Haftungs- und Regreßrecht, Karlsruhe 1973 von Bornhaupt, Kurt Joachim, Schadensersatz im Einkommensteuerrecht, NWB Fach 3, 4581 ff. von Bornhaupt, Kurt Joachim, Urteilsanmerkung zu BFH Urteil VI R 70/69 vom 14. 8. 1970, FR 1971, 153f. von Bornhaupt, Kurt Joachim, Zur Inanspruchnahme des Arbeitgebers im Lohnsteuerhaftungsverfahren nach § 42 d des Einkommensteuergesetzes, BB 1981, 2129ff. Brodmann, Über die Haftung für Fahrlässigkeit, insbesondere über die Haftung des Schiffers, AcP 99 (1906), 327ff. Buchner, Herbert, Die Beurteilung des Verschuldens im Bürgerlichen Recht, NJW 1967, 2381 ff. Canaris, Claus-Wilhelm, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, München 1971 Crezelius, Georg, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, Grundlagen für eine liberale Besteuerungspraxis, Herne, Berlin 1983 Degenhart, Christoph, Das Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, DVBI 1982, 872ff. Deutsch, Erwin, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, Eine privatrechtliche Untersuchung, Köln, Berlin, Bonn, München 1963

Literaturverzeichnis

137

Deutsch, Erwin, Haftungsrecht, Erster Band: Allgemeine Lehren, Köln, Berlin, Bonn, München 1976 (zitiert: Haftungsrecht I) Domann, Rita, Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel (§ 173 Abgabenordnung), BB 1979, 516 ff. Dreher, Eduardl Tröndle, Herbert, Strafgesetzbuch, Kommentar, 42. Aufl., München 1985 (zitiert: Dreher 1Tröndle) Eggesiecker, Fritz, Kleinlich bei grobem Verschulden?, DStR 1980, 161 ff. Engisch, Karl, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, Heidelberg 1953 Enneccerus, Ludwig 1Nipperdey, Hans Carl, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Halbband, 15. Aufl., Tübingen 1960 Erichsen, Hans-Uwel Martens, Wolfgang, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl., Berlin, New York 1986 Eyermann, Erichl Fröhler, Ludwig, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., München 1980 (zitiert: Eyermann/Fröhler) Felix, Günther, Praktikabilitätserwägungen als Auslegungsgrundsatz im Steuerrecht, in: Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze, Festgabe für Armin Spitaler (Hrsg. Günther Felix), Stuttgart 1958, S. 124ff. Fichtelmann, Helmar, Haftung für Steuerschulden, Köln 1979 Gallas, Wilhelm, Zum gegenwärtigen Stand der Lehre vom Verbrechen, ZStW 67 (1955), Hf. Gast, Brigitte, Steuerliche Verfahrensnormen als Zweckmäßigkeitsvorschriften, in: Vom Rechtsschutz im Steuerrecht (Hrsg. Günther Felix), 1960, S. 181 ff. Geilen, Gerd, Strafrechtliches Verschulden im Zivilrecht?, JZ 1964, 6ff. Götz, Volkmar, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl., Göttingen 1980 Goutier, Klaus E., Die Haftung im Steuerrecht, Herne, Berlin 1978 Gräber, Fritz, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, München 1977 (zitiert: Gräber) Grimm, Claus, Das Steuerrecht im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Betrachtungsweise und Zivilrecht, DStZ 1A 1978, 283 ff. Grube, Georg, Grundsatzfragen zur Änderung von Steuerbescheiden nach § 173 AO, JbFSt 1983/84, 37ff. Guth, Jürgenl Ling, Rainer, Steuerrechtliche Haftung, Stuttgart 1982 Haarmann, Hans, Entlastung der Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit, DB 1978, 953ff. Haarmann, Hans, Entlastungsgesetz für die Finanzgerichtsbarkeit, DStZI A 1978, 203ff. Häberle, Peter, Effizienz und Verfassung, AöR 98 (1973), 625ff. Häberle, Peter, Verfassungsprinzipien "im" Verwaltungsverfahrensgesetz, in: Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Richard Boorberg Verlags (Hrsg. W. Schmitt Glaeser), Stuttgart, München, Hannover 1977, S. 47ff. Hafferburg, A., Der Begriff der Fahrlässigkeit im Zivilrecht, NJW 1959, 1398 ff.

138

Literaturverzeichnis

Hampel, Hans, Die Änderung und Aufhebung von Steuerbescheiden nach § 173 AO, ZfZ 1984, 226 ff. Henkel, Heinrich, Einführung in die Rechtsphilosophie, Grundfragen des Rechts, 2. Aufl., München 1977 Henkel, Heinrich, Recht und Individualität, Berlin 1958 Henn, Günter, Ausländer-Sicherheitsleistung für Prozeßkosten, NJW 1969, 1374ff. Herb, Ulrich, Berufliche Ausbildung und Fortbildung im Einkommensteuerrecht. Eine Darstellung anhand ausgewählter Beispiele unter besonderer Berücksichtigung der typisierenden Betrachtungsweise, Augsburger Dissertation 1986 Herrmann, Carl/ Heuer, Gerhard/ Raupach, Arndt, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar (Loseblatt), 19. Aufl., Köln 1950 ff. (zitiert: Bearbeiter in Herrmann / Heuer / Raupach) Huber, Ulrich, Zivilrechtliche Fahrlässigkeit, in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber (Hrsg. Ernst Forsthoff, Werner Weber, Franz Wieacker), Göttingen 1973, S. 253ff. Hübner, Heinz, Subjektivismus in der Entwicklung des Privatrechts, in: Festschrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag (Hrsg. Dieter Medicus, Hans Herrmann Seiler), München 1976, S. 715ff. Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung (Loseblatt), 8. Aufl., Köln 1981ff. (zitiert: Bearbeiter in Hübschmann/ Hepp/Spitaler) Hufen, Friedhelm, Fehler im Verwaltungsverfahren, 1. Aufl. Baden-Baden 1986 Hufen, Friedhelm, Heilung und Unbeachtlichkeit grundrechtsrelevanter Verfahrensfehler? Zur verfassungskonformen Auslegung der §§ 45 und 46 VwVfG, NJW 1982, 2160ff. Isensee, Jose/. Die typisierende Verwaltung: Gesetzesvollzug im Massenverfahren am Beispiel der typisierenden Betrachtungsweise des Steuerrechts, Berlin 1976 Isensee, Jose/. Verwaltungsraison gegen Verwaltungsrecht, StuW 1973, 199ff. Jakob, Wolfgang, Steuern vom Einkommen I, 1. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1980 Jakob, Wolfgang, StRK-Anmerkung EStG 1975, § 19 Abs. 1 Nr. 1 R 1, 3 Jakob, Wolfgang / Jüptner, Roland, Steuerfragen der mittelbaren Parteienfinanzierung über Organisationen, Stuttgart 1986 Jakob, Wolfgang / Jüptner, Roland, Zur Zwangsläufigkeit außergewöhnlicher Belastungen - Gedanken zur Systematik und Struktur eines Auffangtatbestandes, StuW 1983, 206ff. Jauernig, Othmar (Hrsg.), Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 3. Aufl., München 1984 (zitiert: Jauernig-Bearbeiter) Jescheck, Hans-Heinrich, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Berlin 1978 Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, (Hrsg. Gerd Pfeiffer), München 1982 (zitiert: Bearbeiter in Karlsruher Kommentar)

Kaufmann, Arthur, Das Schuldprinzip, 2. Aufl., Heidelberg 1976

Literaturverzeichnis

139

Kissel, Otto Rudolf, Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, München 1981 (zitiert: Kissel) Klein, Franz, Gleichheitssatz und Steuerrecht (Eine Studie über Gleichheit und Gerechtigkeit der Besteuerung im System des Grundgesetzes), Köln-Marienburg 1966 Klein, Franz/Orlopp, Gerd, Abgabenordnung, Kommentar, 2. Aufl., München 1979, 3. Aufl., München 1986 (zitiert: Klein/Orlopp) Kleinknecht, Theodor / Meyer, Karlheinz, Strafprozeßordnung, Kommentar, 37. Aufl., München 1985 (zitiert: Kleinknecht/Meyer) Knack, Hans-Joachim (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), Kommentar, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1982 (zitiert: Bearbeiter in Knack) Koch, Karl, Abgabenordnung AO 1977, Kommentar, 2. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1979 (zitiert: Koch) Kopp, Ferdinand 0., Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 7. Aufl., München 1986 (zitiert: Kopp) Kopp, Ferdinand 0., Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 3. Aufl., München 1983 (zitiert: Kopp) Kötter, Friedrich, Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten, NWB Fach 2, 4239ff. Kröger, Horst, Zum Veranlassungsprinzip im Einkommensteuerrecht, StuW 1978, 289ff. Kröner, Michael, Differenzierende Betrachtungen zum Betriebsausgaben- und Werbungskostenbegriff, StuW 1985, 115ff. Kruse, Heinrich Wilhelm, Steuerrecht I Allgemeiner Teil, 3. Aufl., München 1973 Kühn, Rolf/ Kutter, Heinz / Hofmann, Ruth, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 14. Aufl., Stuttgart 1983 (zitiert: Kühn/Kutter/Hofmann) Kutter, Heinz, Referat: "Änderung von Steuerbescheiden", StbKongrRep 1983, 267ff. Lackner, Karl, Strafgesetzbuch, Kommentar, 16. Aufl., München 1985 (zitiert: Lackner) Lange, Joachim, Kausalität und Verschulden im Steuerrecht, Ein Versuch zur Klärung des steuerlichen Kausalitätsbegriffs, BB 1971, 405 ff. Lange, Joachim, Schuldhaft verursachte Unfallkosten als Betriebsausgaben oder Werbungskosten, DB 1978, 1854ff. Larenz, Karl, Hegels Zurechnungslehre und der Begriff der objektiven Zurechnung, Neudruck der Ausgabe Leipzig 1927, Aalen 1970 Larenz, Karl, Lehrbuch des Schuldrechts, Erster Band Allgemeiner Teil, 13. Aufl., München 1982 (zitiert: Schuldrecht I) Larenz, Karl, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York 1979 Larenz, Kar!, Über Fahrlässigkeitsmaßstäbe im Zivilrecht, in: Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Wilburg, Graz 1965, S. 119ff.

Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch, (Hrsg. Hans-Heinrich lescheck, Wolfgang Ruß, Günther Wilms), 10. Aufl., Berlin, New York 1978ff. (zitiert: Bearbeiter in Leipziger Kommentar)

140

Li teraturverzeichnis

Leisner, Walter, Effizienz als Rechtsprinzip, Tübingen 1971 Leonhard, Franz, Allgemeines Schuldrecht des BGB, München und Leipzig 1929 List, Heinrich, Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen und Beweismittel, NWB Fach 2, 4055 ff. . Littmann, Eberhard, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., Stuttgart 1981 (zitiert: Littmann) Lohe, H.

w., Der Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit, VersR 1968, 323ff.

Lohmeyer, Heinz, "Grobes Verschulden" i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, StB 1981, 25ff. Lohse, Christian, Einflüsse der Vorschriften zur Entlastung der Finanzgerichtsbarkeit auf die Prozeßführung des Klägers, DStR 1978, 429ff. Löwe j Rosenberg, Großkommentar zur Strafprozeßordnung, (Hrsg. Peter Rieß), 24. Aufl., Berlin, New York 1984ff. (zitiert: Bearbeiter in LöwejRosenberg) von Mangoldt, Hermannj Klein, Friedrichj Starck, Christian, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, Band 1, 3. Aufl., München 1985 (zitiert: von MangoldtjKleinjStarck) Mattem, Gerhard, Zur einkommensteuerlichen Abzugsfähigkeit von Geldstrafen, Geldbußen und Prozeßkosten als Betriebsausgaben, BB 1969, 1049ff. Meyer, Dieter, Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG), Kommentar, 2. Aufl., Flensburg 1978 (zitiert: Meyer) Meyer, Hans j Borgs-Maciejewski, Hermann, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1982 (zitiert: Bearbeiter in MeyerjBorgs) Meyer-Ladewig, Jens, Das Gesetz zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren, NJW 1985, 1985ff. Meyer-Ladewig, Jens, Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit, NJW 1978, 857ff. Mittelbach, Rolf, Änderung von Bescheiden zugunsten des Steuerpflichtigen wegen neuer Tatsachen und Beweismittel, DStR 1984, 319ff. Mittelbach, Rolf, Haftung der Geschäftsführer für Steuerschulden der GmbH, DStZj A 1984,211 ff. Mittelbach, Rolf, Kostenpflichtig trotz Obsiegens, StuW 1970, 207ff. Mittmann, Volker, Zur Zurechnung des groben Berater-Verschuldens im Rahmen des § 173 Abs.1 Nr. 2 AO, DStZjA 1981, 121ff. Mösbauer, Heinz, Die Haftung des Vaters und der Mutter ehelicher Kinder (§ 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB) sowie der sorgeberechtigten Mutter nichtehelicher Kinder (§ 1705 BGB) im Steuerrecht, DStR 1986, 293ff. Mösbauer, Heinz, Zur Festsetzung von Verspätungszuschlägen bei Nichterfüllung steuerlicher Erklärungspflichten, BB 1982, 1294ff. Mösbauer, Heinz, Zur steuerrechtlichen Haftung der gesetzlichen Vertreter, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigten, DStR 1982, 123ff.

Literaturverzeichnis

141

Mösbauer, Heinz, Die Steuerberater-Haftung im Steuerrecht, StB 1985, 93ff. Müller, Amold, Die steuerrechtliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 1984, 45ff. von Münch, lngo, Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 3. Aufl., München 1985 (zitiert: Bearbeiter in von Münch) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, Schuld recht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., München 1985, Band 3 2. Halbband, Schuldrecht Besonderer Teil, 2. Aufl., München 1986 (zitiert: Bearbeiter in Münchener Kommentar)

Münstermann, Walter, Die Verschuldenshaftung Dritter nach § 109 Reichsabgabenordnung, in: Von der Auslegung und Anwendung der Steuergesetze, Festgabe für Armin Spitaler (Hrsg. Günther Felix), Stuttgart 1958, S. 303ff. Nipperdey, Hans Carl, Rechtswidrigkeit, Sozialadäquanz, Fahrlässigkeit, Schuld im Zivilrecht, NJW 1957, 1777ff. Novak, Ekkehard, Die Prüfung der Verwaltungsförmigkeit, in: Praxis der Gesetzgebung, (herausgegeben von der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung), Regensburg 1984, S. 127ff. Obermayer, Klaus, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, Darmstadt, Neuwied 1983 (zitiert: Obermayer) Offerhaus, Klaus, Zur Haftung des Arbeitgebers im Lohnsteuerverfahren, BB 1982,793 ff. Offerhaus, Klaus, Zur steuerrechtlichen Abgrenzung zwischen betrieblich (beruflich) veranlaßten und durch die Lebensführung veranlaßten Aufwendungen, BB 1979, 617ff.,667ff. Ossenbühl, Fritz, Verwaltungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und Rechtsschutzauftrag, NVwZ 1982, 465ff. Oswald, Franz, Kostentragung bei obsiegendem Urteil, DStZjA 1969, 119ff. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 45. Aufl., München 1986 (zitiert: Palandt-Bearbeiter) Pauliek, Heinz, Lehrbuch des allgemeinen Steuerrechts, 3. Aufl., Köln, Berlin, Bonn, München 1977 Pestalozza, Christian, Der Untersuchungsgrundsatz, in: Verwaltungsverfahren, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Richard Boorberg Verlags (Hrsg. W. Schmitt Glaeser), Stuttgart, München, Hannover 1977, S. 185ff. Philipp, Erwin, Einzelne Probleme der AO 1977, insbesondere des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, DStZjA 1981, 167ff. Radbruch, Gustav, Rechtsphilosophie, 7. Aufl., Stuttgart 1970 Redeker, Konradjvon Oertzen, Hans-Joachim, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1975, 8. Aufl. 1985 (zitiert: Redeker jvon Oertzen) von Reuter, Eberhard, Grobe Fahrlässigkeit im Privatversicherungsrecht, Karlsruhe 1977 Röhl, Klaus F., Zur Abgrenzung der groben von der einfachen Fahrlässigkeit, JZ 1974, 521 ff.

142

Literaturverzeichnis

Rönitz, Dieter, Wann ist ein Verschulden des steuerlichen Beraters dem Steuerpflichtigen zuzurechnen?, StbKongrRep 1982, 127ff. Rudolphi, Hans-Joachim/ Horn, Erhard/ Samson, Erich/ Schreiber, Hans Ludwig, Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch (Loseblatt), Stand Sept. 1984, (zitiert: Bearbeiter in Systematischer Kommentar) Ruppel, Alfred, Die Individualisierung in unserem steuerlichen Rechtsleben - der Weg ins Uferlose, DStZ/ A 1984, 547ff. Sanden, Georg, Zum Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit, VersR 1967, 1013ff. Schätzler, Johann-Georg, Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG), Kommentar, 2. Aufl., München 1982 (zitiert: Schätzler) Schick, Walter, Steuerschuld und Steuerhaftung im Lohnsteuerverfahren, BB 1983, 1041 ff. Schmidt, Ludwig (Hrsg.), Einkommensteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., München 1986 (zitiert: Bearbeiter in Schmidt) Schmidt, Reimer, Die Obliegenheiten, Karlsruhe 1953 Schönke, Adolf/ Schröder, Horst, Strafgesetzbuch, Kommentar, 22. Aufl., München 1985 (zitiert: Schönke / Schröder-Bearbeiter) Schuhmann, Helmut, Zum Begriff des "groben Verschuldens" des Steuerpflichtigen bei nachträglichem Bekanntwerden neuer Tatsachen oder Beweismittel, BB 1983, 438ff. Schuhmann, Helmut, Zum Merkmal des Verschuldens bei der Festsetzung von Verspätungszuschlägen (§ 152 Abs. 1 AO 1977), DStZ/ A 1978, 302ff. Schuhmann, Helmut, Zum Merkmal des Verschuldens bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO 1977), DStZ / A 1980, 234 ff. Schünemann, Bernd, Modeme Tendenzen in der Dogmatik der Fahrlässigkeits- und Gerahrdungsdelikte, JA 1975, 435ff., 511 ff., 647ff., 715ff., 787ff. Schwarz, Bernhard, Abgabenordnung (AO), Kommentar (Loseblatt), Freiburg i. Br. 1976ff. (zitiert: Bearbeiter in Schwarz) Schwarze, Jürgen, Administrative Leistungsfähigkeit als verwaltungsrechtliches Problem, DÖV 1980. 581 ff. Svergel, Hans Thomas / Siebert, Wolfgang, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, Band 2 Schuldrecht I, 10. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1967 (zitiert: Bearbeiter in Soergel/ Siebert) Söhn, Hartmut, Werbungskosten wegen doppelter Haushaltsführung und allgemeiner Werbungskostenbegriff, StuW 1983, 193 ff. Späth, Wolfgang, Zur Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen, StB 1979, 49ff. Späth, Wolfgang, Die Berichtigung von Steuerverwaltungsakten zugunsten des Steuerbürgers gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO - Zur Frage der Zurechnung eines Vertreterverschuldens zu Lasten des Steuerbürgers, DStZ / A 1980, 130 ff. Späth, Wolfgang, Fristsetzung nach § 3 VGFG EntlG und Zurückweisung verspäteten Vorbringens - Fristsetzung nach § 1 VGFG EntlG zur Vorlage der Prozeßvollmacht, DStZ/A 1980, 391ff.

Litera turverzeichnis

143

Spitaler, Armin, Beiträge zur steuerrechtlichen Auslegungslehre, StbJb 1956/57, 105ff. Stathopoulos, Michael, Bemerkungen zum Verhältnis zwischen Fahrlässigkeit und Rechtswidrigkeit im Zivilrecht, in: Festschrift Karl Larenz zum 80. Geburtstag (Hrsg. Claus-Wilhelm Canaris, Uwe Diederichsen), München 1983, S. 631 ff. Staudinger, Werner, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., Berlin 1979ff. (zitiert: Staudinger-Bearbeiter) Stein, Friedrich 1Jonas, Martin, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., Tübingen 1977ff. (zitiert: Bearbeiter in Stein/Jonas) Stelkens, Paull Bonk, Heinz 1Leonhardt, Klaus, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 2. Aufl., München 1983 (zitiert: Bearbeiter in Stelkens/Bonk/Leonhardt) Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2. Aufl., München 1984 Thaddey, Helmut, Die steuerliche Behandlung der Aufwendungen zur Beseitigung von Kfz-Unfallschäden, FR 1970, 572ff. Thiel, Jochen, Probleme bei der Aufhebung oder Änderung von Steuerverwaltungsakten außerhalb des Rechtsbehelfsverfahrens, JbFSt 1977/78, 97ff. Thomas, Heinz 1Putzo, Hans, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 14. Aufl., München 1986 (zitiert: Thomas/Putzo) Tiedtke, Klaus, Unfallkosten als Betriebsausgaben und Werbungskosten, FR 1978,493 ff. Tipke, Klaus, Bezüge und Abzüge im Einkommensteuerrecht, Ein kritischer Beitrag zum Aufbau und zur Terminologie des Einkommensteuergesetzes, StuW 1980, 1 ff. Tipke, Klaus, Steuerrecht, Ein systematischer Grundriß, 10. Aufl., Köln 1985 Tipke, Klaus, Steuerrecht und bürgerliches Recht, JuS 1970, 149ff. Tipke, Klaus, Zur Abgrenzung der Betriebs- oder Berufssphäre von der Privatsphäre im Einkommensteuerrecht, StuW 1979, 193ff. Tipke, Klaus 1Kruse, Heinrich Wilhelm, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, Kommentar, (Loseblatt) 11. Aufl., Köln, Stand 1983 (zitiert: Tipke/Kruse) Tipke, Klaus 1Kruse, Heinrich Wilhelm, Reichsabgabenordnung, Kommentar, (Loseblatt) 6. Aufl., Stand 1976 (zitiert: Tipke/Kruse) Wagener, Frido, Der Öffentliche Dienst im Staat der Gegenwart, Mitbericht in: VVdStRL 37 (1979), 215ff. von Wallis, Hugo, Zum Abzug von Unfall kosten bei Verstoß gegen Verkehrsvorschriften, DStZ/A 1978, 123ff. Walz, W. Rainer, Steuergerechtigkeit und Rechtsanwendung, Grundlinien einer relativ autonomen Steuerrechtsdogmatik, Heidelberg, Hamburg 1980 Walz, W. Rainer, Steuerrechtliches Case Law oder Dictum des Gesetzgebers? Am Beispiel der Betriebsausgaben und Werbungskosten im Einkommensteuerrecht, StuW 1986, 21 ff. Wanner, Eva, Referat "Einkommensteuerliche Problematik, insbesondere Veranlassung, Abzugsverbot und Geschenkbegrifr', in: Wolfgang Jakob (Hrsg.), Die Förderung politischer Parteien über Spendensammelvereine - Steuerliche Aspekte eines Aus-

144

Literaturverzeichnis

schnitts der Parteispendenproblematik, Protokoll eines Universitätsseminars, Augsburg 1986, S. 94ff. Wassermeyer, Franz, Das Erfordernis objektiver und subjektiver Tatbestandsmerkmale in der ertragsteuerlichen Rechtsprechung des BFH , ein Beitrag zu der im Ertragsteuerrecht maßgebenden "Kausalitäts"lehre, StuW 1982, 352ff. Weber-Fas, Rudolf, Grundzüge des allgemeinen Steuerrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1. Aufl., Tübingen 1979 Weber-Grellet, Heinrich, Die Änderung oder Aufhebung von Steuerbescheiden bei nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen (§ 173 Abs. 1 AO), StBp 1979, 145 ff. Welzel, Hans, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., Berlin 1969 W oerner, Lothar / Grube, Georg, Die Aufhebung und Änderung von Steuerverwaltungsakten (AO 1977), 7. Aufl., Stuttgart 1983 Zeuner, Albrecht, Gedanken über Bedeutung und Stellung des Verschuldens im Zivilrecht, JZ 1966, 1ff. Ziemer, Herbert / Birkholz, Hans, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2. Aufl., München 1970 (zitiert: Ziemer / Birkholz) Zöller, Richard, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 14. Aufl., Köln 1984 (zitiert: ZöllerBearbeiter)