Verkörperungen von Herrschaft: Zorn und Macht in Texten des 12. Jahrhunderts 9783110472066, 9783110470833

Recent years have witnessed growing interest in anger as a literary and societal phenomenon. Delving into this topic, th

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Verkörperungen von Herrschaft: Zorn und Macht in Texten des 12. Jahrhunderts
 9783110472066, 9783110470833

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Macht und Herrschaft
Institutionalisierung und Personalisierung
Verkörperung
Textauswahl und Vorgehen
Methode
1. Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft
1.1 Aristoteles: Zorn als hierarchisierende Emotion
1.2 Philodem von Gadara: Der ‚natürliche‘ Zorn als weise Reaktion
1.3 Seneca: Zorn als Raserei
1.4 Laktanz: Zorn als Voraussetzung von Herrschaft
1.5 Zusammenfassung der Ergebnisse
2. Eine Theorie zu Zorn und Herrschaft aus dem 12. Jahrhundert – der Policraticus von Johannes von Salisbury
2.1 Verkörperung(en) von Herrschaft
2.2 Der Zorn Gottes als Drohung und Strafe
2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
3. Eine neue Konzeptualisierung von Zorn und Herrschaft im 12. Jahrhundert – von der Chanson de Roland zum Rolandslied
3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland
3.1.1 Die dulce France – der Zerfall einer intakten Einheit
3.1.2 Die Exklusivität des Herrschers
3.1.3 Exkurs: Ganelon als machtvolle Verkörperung von Zorn
3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied
3.2.1 Entproblematisierung des Heldenzorns
3.2.2 Herrscherzorn als bedrohliche Aura
3.2.3 Herrscherzorn als Verkörperung des rîche
3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
4. Das 12. Jahrhundert als Wendepunkt – eine neue Sicht von Zorn und Herrschaft in den Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins
4.1 Otto von Freising
4.1.1 Buch I: tamquam unum corpus – Kollektive als ein Körper im Zorn
4.1.2 Buch II: Friedrich Barbarossa – Herrscherzorn zwischen Person und Institution
4.1.3 Herrschaftsgeschichte als Verlagerung von Zorn erzählen
4.2 Rahewin
4.2.1 Herrscherzorn als letztes Mittel in Italien
4.2.2 Ein doppeltes Bild von Friedrich Barbarossa – Zorn in der Auseinandersetzung mit dem Papst
4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
5. Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother
5.1 Zorn einzelner Figuren
5.1.1 Die Riesen als machtvolle Verkörperungen von Zorn
5.1.2 Konstantin als Verkörperung machtlosen Zorns
5.2 Zorn und Erzählen
5.2.1 Tabuisierung von Rothers Zorn
5.2.2 Die Erzählung als Geschichtskonstruktion
5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
Fazit und Ausblick
Bibliographie
Register

Citation preview

Evamaria Freienhofer Verkörperungen von Herrschaft



Trends in Medieval Philology

Edited by Ingrid Kasten, Niklaus Largier and Mireille Schnyder Editorial Board Ingrid Bennewitz, John Greenfield, Christian Kiening, Theo Kobusch, Peter von Moos, Uta Störmer-Caysa

Volume 32



Evamaria Freienhofer

Verkörperungen von Herrschaft Zorn und Macht in Texten des 12. Jahrhunderts



Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

ISBN 978-3-11-047083-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-047206-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047091-8 ISSN 1612-443X Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen ­Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com



Vorwort Dieses Buch ist die für den Druck gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Dissertation. Sie entstand im Rahmen des Projektes „Emotionalität in der Literatur des Mittelalters“ am Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ der Freien Universität Berlin und wurde im Januar 2012 vom dortigen Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften angenommen. Mein besonderer Dank gilt Ingrid Kasten, deren Engagement als Betreuerin, Projektleiterin und Gutachterin das Entstehen dieser Arbeit allererst ermöglicht hat. Elke Koch und Martin Baisch haben mich stets ermutigt und mir vom Einstieg ins Thema bis zur Fertigstellung des Buches wichtige Anregungen gegeben. Für die Entwicklung und Bearbeitung der Fragestellung waren mehrere Diskussionsforen maßgeblich. So danke ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Forschungskolloquium von Ingrid Kasten für konstruktive Kritik und fruchtbare Diskussionen sowie den Kolleginnen und Kollegen am Sonderforschungsbereich, beim Brackweder Arbeitskreis und im Projekt „Politische Sprache im Mittelalter“ an der Universität Frankfurt a. M. für interdisziplinäre Horizonterweiterungen. Die freundschaftliche und intellektuell stimulierende Atmosphäre am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie war mir ebenfalls eine große Freude und Hilfe. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme in die Reihe TMP – und hier besonders Mireille Schnyder für ihre Anregungen zur Überarbeitung  –, Jacob Klingner, Annika Goldenbaum, Maria Zucker und Lena Ebert vom Verlag Walter de Gruyter für die gute Zusammenarbeit sowie der Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften für die Übernahme der Druckkosten. Monika Kopyczinski hat den Text lektoriert sowie das Register erstellt. Ihre Hilfe und ihr Zuspruch haben wesentlich zum Gelingen des Buches beigetragen. Bettina Ganse bin ich für eine große Reise dankbar und Horst und Elisabeth Freienhofer für zahlreiche erholsame Urlaube. Meinem Mann Ludger danke ich für das Wichtigste. Ihm ist dieses Buch gewidmet.



Inhalt Einleitung   1 Macht und Herrschaft   3 Institutionalisierung und Personalisierung  Verkörperung   10 Textauswahl und Vorgehen   12 Methode   15 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 2 2.1 2.2 2.3

 7

 23 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft  Aristoteles: Zorn als hierarchisierende Emotion   25 Philodem von Gadara: Der ‚natürliche‘ Zorn als weise Reaktion   30 Seneca: Zorn als Raserei   34 Laktanz: Zorn als Voraussetzung von Herrschaft   41 Zusammenfassung der Ergebnisse   46 Eine Theorie zu Zorn und Herrschaft aus dem 12. Jahrhundert – der Policraticus von Johannes von Salisbury   47 Verkörperung(en) von Herrschaft   48 Der Zorn Gottes als Drohung und Strafe   55 Zusammenfassung der Ergebnisse   58

3

Eine neue Konzeptualisierung von Zorn und Herrschaft im 12. Jahrhundert – von der Chanson de Roland zum Rolandslied   61 3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland   61 3.1.1 Die dulce France – der Zerfall einer intakten Einheit   64 3.1.2 Die Exklusivität des Herrschers   68 3.1.3 Exkurs: Ganelon als machtvolle Verkörperung von Zorn   78 3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied   88 3.2.1 Entproblematisierung des Heldenzorns   91 3.2.2 Herrscherzorn als bedrohliche Aura   98 3.2.3 Herrscherzorn als Verkörperung des rîche   108 3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse   122



VIII 

 Inhalt

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Das 12. Jahrhundert als Wendepunkt – eine neue Sicht von Zorn und Herrschaft in den Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins   123 4.1 Otto von Freising   125 4.1.1 Buch I: tamquam unum corpus – Kollektive als ein Körper im Zorn   125 4.1.2 Buch II: Friedrich Barbarossa – Herrscherzorn zwischen Person und Institution   134 4.1.3 Herrschaftsgeschichte als Verlagerung von Zorn erzählen   146 4.2 Rahewin   148 4.2.1 Herrscherzorn als letztes Mittel in Italien   149 4.2.2 Ein doppeltes Bild von Friedrich Barbarossa – Zorn in der Auseinandersetzung mit dem Papst   155 4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse   163 5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3

 165 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother  Zorn einzelner Figuren   168 Die Riesen als machtvolle Verkörperungen von Zorn   168 Konstantin als Verkörperung machtlosen Zorns   177 Zorn und Erzählen   181 Tabuisierung von Rothers Zorn   181 Die Erzählung als Geschichtskonstruktion   186 Zusammenfassung der Ergebnisse   191

Fazit und Ausblick  Bibliographie  Register 



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Einleitung Nemo autem regere potest, nisi qui et regi („Herrschen kann aber nur, wer sich beherrschen kann“).1 Dieses Diktum Senecas aus dem Traktat De ira (Über den Zorn) bringt eine Extremposition auf den Punkt, wie Zorn und Herrschaft zusammenzudenken sein könnten. Nämlich schlicht gar nicht. Zorn gilt dieser Auffassung zufolge als Affekt, der den Zornigen überwältigt und zu irrationalen Handlungen hinreißt, die ihm selbst oder seiner Umwelt extremen Schaden zufügen. Hat der Betreffende auch noch Verfügungsgewalt über Untergebene inne, kann dieser Schaden ins Uferlose wachsen. Wahre Herrschaft zeichnet sich laut Seneca dagegen eben gerade nicht durch das willkürliche Ausleben von Gefühlen aus, sondern zeigt sich in vollendeter Selbstbeherrschung.2 Ein Ausagieren von Zorn gilt ihm als Zeichen von Schwäche und Regierungsunfähigkeit. Das Vorgehen gegen äußere Feinde und Bestrafungen von Untergebenen sollten dementsprechend niemals von Zorn geleitet sein. Dem steht ein anderes antikes Motto gegenüber – wiederum eine Extremposition, allerdings am anderen Ende der Skala. So schreibt der christliche Apologet Laktanz in seiner Abhandlung De ira dei (Vom Zorn Gottes): Ubi ergo ira non fuerit, imperium quoque non erit („Wo kein Zorn war, da wird auch keine Herrschaft sein“)3 und setzt damit Zorn an den Ursprung jeglicher Machtausübung. Zorn ist für ihn ein Mittel Gottes und des Herrschers, die Menschen in Schach zu halten. Zusammen mit der Gunst (gratia) ergänzt er sich wie Zuckerbrot und Peitsche zu einem perfekten Repertoire herrscherlicher Machtausübung. Eine Gunstbezeugung Gottes oder des Herrschers soll zu positivem Handeln animieren, Zorn hingegen über die Erzeugung von Angst und Schrecken von schlechten Taten abhalten. Im Gegensatz zu Gott bedienen sich weltliche Herrscher aber des Zorns nicht nur, um für Ordnung und Gerechtigkeit zu sorgen, sondern er ist für sie essentieller Garant ihrer Macht: [A]ufer iram regi, non modo nemo parebit, sed etiam de fastigio praecipitabitur („Nimm dem König seinen Zorn, dann wird ihm

1 Seneca, De ira, 2, 15. Zitiert nach folgender Ausgabe und Übersetzung: L. Annaeus Seneca: De ira – Der Zorn. In: Ders.: Die kleinen Dialoge. Bd. 1. Herausgegeben, übersetzt und mit einer Einführung versehen von Gerhard Fink, München, Zürich 1992, S. 96–309, hier S. 177. 2 Siehe hierzu seinen an Kaiser Nero gerichteten Traktat: Seneca: De clementia. Über die Milde. In: Philosophische Schriften. Lateinisch und Deutsch. Bd. 5. Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Manfred Rosenbach, Darmstadt 1989, S. 2–93. 3 Laktanz, De ira dei, 23, 13. Zitiert nach folgender Ausgabe und Übersetzung: Laktanz: De ira dei. Vom Zorne Gottes. Eingeleitet, herausgegeben und erläutert von Heinrich Kraft und Antonie Wlosok, Darmstadt 1971, S. 75–77.



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 Einleitung

nicht nur keiner mehr gehorchen, sondern man wird ihn sogar von seiner Höhe stürzen“).4 In der Herrschaftstheorie des 12. Jahrhunderts – stellvertretend soll im Folgenden der Policraticus von Johannes von Salisbury untersucht werden – finden sich zwar die beiden antiken Extrempositionen wieder, diese werden aber streng getrennt jeweils der göttlichen bzw. der weltlichen Sphäre zugeteilt, sodass keinerlei Ambivalenz entsteht: Gottes Zorn ist legitim und funktional, menschlicher Zorn kommt hingegen reinem Wahnsinn gleich und sollte, insbesondere beim Ausüben von Herrschaft, vermieden werden. Auch in literarischen und historiographischen Erzählungen der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ist Zorn allgegenwärtig, in mannigfaltigen Situationen wird er geschildert oder erwähnt. Beispielhaft soll dies nachfolgend anhand dreier narrativer Texte analysiert werden: des Rolandsliedes, der Gesta Frederici und des König Rother. Anders als der Policraticus geben diese Texte nicht eindeutige Handlungsanweisungen für Herrscher, sondern erzählen auf vielschichtige Weise davon, wie Machtverhältnisse entstehen, aufrechterhalten und unterlaufen werden. Dass dabei Zorn nicht etwa ausgeklammert, sondern gerade für die Darstellung von Herrschaft funktionalisiert wird, ist die These dieser Forschungsarbeit, wie und mit welchen Wirkungen dies geschieht, die leitende Fragestellung.5 Die vier Werke gelten als die zentralen Konzeptualisierungen von Herrschaft im 12. Jahrhundert und sollen im Folgenden erstmals gemeinsam mit dem Fokus auf die Zorndarstellung untersucht werden.6 Zuvor möchte ich jedoch einleitend den spezifischen Fokus, die Herangehensweise sowie die zentralen Begrifflichkeiten der vorliegenden Analyse darlegen.

4 Laktanz, De ira dei, 23, 10, S. 75–77. 5 Für den Zusammenhang zwischen einer Emotion und Machtprozessen aus phänomenologischer Sicht siehe Hilge Landweer: Scham und Macht. Phänomenologische Untersuchungen zur Sozialität eines Gefühls, Tübingen 1999 (Philosophische Untersuchungen 7). 6 Auch der Eneasroman (vor 1190) Heinrichs von Veldeke käme infrage und brächte weitere wichtige Aspekte (Zorn und Genderkonstruktionen, Mediävalisierung antiker Stoffe, Selbstreflexion der Figuren) ins Spiel. Auf diese Öffnung wurde zugunsten der hier gewählten Fokussierung verzichtet. Zur Internalisierung und Reflexion von Zorn im Eneasroman vgl. Klaus Ridder: Kampfzorn. Affektivität und Gewalt in mittelalterlicher Epik. In: Eine Epoche im Umbruch. Volkssprachliche Literalität 1200–1300. Cambridger Symposium 2001. Hrsg. von Christa Bertelsmeier-Kierst/Christopher Young unter Mitarbeit von Bettina Bildhauer, Tübingen 2003, S. 221–248, hier S. 232–236.





Macht und Herrschaft 

 3

Macht und Herrschaft Die heterogenen und variantenreichen narrativen Inszenierungen von Zorn hat die Forschung vor allem mit zwei Konzepten zu erfassen versucht. Klaus Ridder beschreibt Zorn als Kampfemotion, die den Helden seit der Antike bis ins Mittelalter auszeichnet. Er macht darauf aufmerksam, dass ein solcher Zorn sich auf „das Normsystem einer Kriegergemeinschaft“ bezieht und dass Ehre im Zentrum ihres Wertekanons steht. Er bemerkt auch: „Das Verhaltensmodell ‚Zorn und Gewaltrausch‘ ist dabei ein zentrales Element des archaischen Heldenideals“.7 Für historiographische Texte und Passagen aus Fürstenspiegeln hat Gerd Althoff das Konzept des Herrscherzorns entwickelt, das literaturwissenschaftliche Studien bereitwillig adaptieren.8 Während Kampfzorn darauf beruht, dass er sich unmittelbar in Gewalt umsetzt, zeichnet sich Herrscherzorn dadurch aus, dass er als Zeichen innerhalb einer öffentlichen Kommunikationssituation dazu dient, Machtkonflikte und deren Lösung sichtbar zu machen. Zorn wird hier zwar als auf Gewalt verweisendes Zeichen am Körper des Königs angesehen, von einer Gewaltausübung selbst bleibt er aber getrennt. Herrscherzorn-Konzept und Kampfzorn-Konzept verbindet, dass sie die Emotion auf die Strukturierung von Gemeinschaft beziehen und das Verhalten einer einzelnen herausgehobenen Figur (Herrscher oder Held) mit einem übergeordneten Norm- und Regelsystem in Verbindung setzen. Der Held verteidigt sich im Zorn gegen die Herabsetzung seiner Ehre. Ehre, so Ridder, „ist aber nicht in erster Linie ein innerer Wert, sondern sie konkretisiert sich vor allem in Konflikten, in denen rechtliche Bindungen und personale Verpflichtungen in Frage

7 Für beide Zitate: Ridder, Kampfzorn, S. 222. 8 Siehe Gerd Althoff: Ira Regis: Prolegomena to a History of Royal Anger. In: Anger’s Past. The Social Uses of an Emotion in the Middle Ages. Hrsg. von Barbara Rosenwein, Ithaca, London 1998, S. 59–74, hier vor allem S. 74. Zur Adaption siehe Ridder, Kampfzorn, S. 231: „Die TyrusEpisode assoziiert darüber hinaus das Konzept des herrscherlichen Zornhandelns“, wobei hier ein Verweis auf Althoff genügen soll und nicht näher ausgeführt wird, inwiefern und mit welchen Abweichungen Alexander in der Tyrus-Episode Herrscherzorn zugeschrieben wird. Siehe auch Thorsten W. D. Martini: Facetten literarischer Zorndarstellungen. Analysen ausgewählter Texte der mittelalterlichen Epik des 12. und 13.  Jahrhunderts unter Berücksichtigung der Gattungsfrage, Heidelberg 2009, S. 74. Etwas kritischer hingegen Hildegard E. Keller: Zorn gegen Gorio. Zeichenfunktion von zorn im althochdeutschen Georgslied. In: Codierungen von Emotionen im Mittelalter. Hrsg. von Stephen C. Jaeger/Ingrid Kasten, Berlin, New York 2003, S. 115–142, hier S. 124.



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 Einleitung

stehen“.9 Ähnlich verhält es sich mit dem Herrscher, der mit seinem Zorn in Konflikten zuweilen eine übergeordnete Macht- und Rechtsposition vertritt.10 Beide Konzepte liefern wichtige Anhaltspunkte für ein besseres Verständnis der Zorndarstellungen des 12.  Jahrhunderts. Wenn sie jedoch lediglich als hinreichende Erklärungsmuster anzitiert werden, bleiben wichtige Erkenntnisse über die Funktionen von Zorn verstellt. Denn die Texte entwerfen kreative und vielfältige Konzeptualisierungen, die sich nur mit einer offeneren Herangehensweise genauer erfassen lassen. So stürmen in vielen Erzählungen zwar Krieger im Zorn in den Kampf und Herrscher lösen Konflikte durch ein Zur-Schau-Stellen ihres Zornes. Die Darstellungsmodi unterscheiden sich aber oft auf je spezifische Weise. Darüber hinaus wird die Emotion als Teil von diplomatischen Begegnungen gezeigt, in Briefen erwähnt und in Gesetzen aufgeführt. Sie bestimmt Beratungen genauso wie Kampfsituationen. Manchmal wirkt sie vereinend, indem sie eine Fürstengruppe gegen einen gemeinsamen Feind zusammenschweißt. Zuweilen hat sie einen spaltenden Effekt, wenn sie den Streit zwischen Anhängern des gleichen Lagers zum Eskalieren bringt. An anderen Stellen entfaltet Zorn eine hierarchisierende Wirkung, indem er als machtvoll zur Schau gestellte Emotion Beteiligte dazu bringt, sich unterzuordnen. Nicht zuletzt findet zudem der Zorn Gottes immer wieder Erwähnung. Dieser Variationsreichtum soll im Folgenden näher untersucht werden. Dabei wird der Gedanke von Ridder und Althoff aufgenommen, dass die Emotion zur Strukturierung von Gemeinschaften dient. Statt nur Pole auf einer Skala von Gewaltanwendung und Gewaltvermeidung sowie zwei bestimmte Figurentypen (Held und Herrscher) aufzusuchen, soll jedoch einer Problematik nachgegangen

9 Ridder, Kampfzorn, S. 222. Vgl. dazu auch Wolfgang Haubrichs: Ehre und Konflikt. Zur intersubjektiven Konstitution der adeligen Persönlichkeit im frühen Mittelalter. In: Spannungen und Konflikte menschlichen Zusammenlebens in der deutschen Literatur des Mittelalters. Bristoler Kolloquium 1993. Hrsg. von Kurt Gärtner/Ingrid Kasten/Frank Shaw, Tübingen 1996, S. 35–58. 10 Jan-Dirk Müller: Spielregeln für den Untergang. Die Welt des Nibelungenliedes, Tübingen 1998, S. 204, formuliert ähnlich für das Nibelungenlied: „Psychische Antriebe, die natürlich durchaus zu erkennen sind, gründen nicht in dem Kern des Selbst, sondern in Konstellationen und Ordnungen, in denen die jeweilige Figur steht.“ Miriam Riekenberg: Literale Gefühle. Studien zur Emotionalität in erzählender Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. [u. a.] 2006, S. 80, fasst dies auf Alexanderroman, Rolandslied und König Rother bezogen als Defizit: „Trotz des Herausstellens [einzelner vorbildhafter Figuren; E. F.] ergibt sich allerdings keine subjektiv oder individuell anmutende Charakterzeichnung. Dazu fehlt den Erzählern nicht nur das notwendige Bewusstsein gegenüber Subjektivität, sondern auch das entsprechende rhetorische Repertoire, auf dessen Basis sie z. B. Emotionen innovativ, kreativ und nach Belieben ausgestalten können.“





Macht und Herrschaft 

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werden, die in beiden Konzepten anklingt, aber auch über diese hinausführt. Es handelt sich hierbei um die Frage, welche Funktionen Zorn bei der Konzeptualisierung von Macht und Herrschaft zukommen. Unter Macht soll hier mit Heinrich Popitz in einem allgemeinen Sinn „das Vermögen, sich gegen fremde Kräfte durchzusetzen“, verstanden werden.11 Diese Bestimmung ist für mittelalterliche Texte insofern besonders passend, als sie offen lässt, was das Vermögen, sich durchzusetzen, genau ausmacht und auf welcher Art von Überlegenheit es beruht. Gleichzeitig kann dieses Vermögen Einzelne und Gruppen, gewaltvolle oder gewaltfreie Durchsetzungen und Unterordnungen betreffen. Diese Offenheit entspricht der mittelhochdeutschen Begrifflichkeit, in der sich die Bedeutungen von Macht, Kraft, Gewalt von Einzelnen oder Gruppen ebenfalls überlagern.12 Macht bezieht sich zudem auf spontane Aushandlungen von Hierarchie. Ein solcher Machtbegriff erlaubt, Konflikte und Konstellationen, wie sie die Texte schildern, als Machtprozesse im Vollzug und in ihrer je spezifischen Eigendynamik zu betrachten. Es wird also davon ausgegangen, dass Zorn innerhalb von Machtaushandlungen eine bedeutungskonstituierende Funktion zukommt: Mithilfe der Emotion wird zuweilen allererst die Entstehung von Hierarchie gezeigt; sie verweist nicht einfach immer nur auf bereits bestehende Machtgefälle.13 Um längerfristige Veränderungen von Hierarchie fassen zu können, wird ebenfalls mit Popitz „Herrschaft als institutionalisierte Macht“ verstanden.14 Als solche bezeichnet Herrschaft eine festgeschriebene und allgemein akzeptierte

11 Heinrich Popitz: Phänomene der Macht, 2., stark erweiterte Aufl., Tübingen 1992, S. 22. Zur Diskussion weiterer Machttheorien und deren Anwendbarkeit auf mittelalterliche Alexanderromane siehe Ralf Schlechtweg-Jahn: Macht und Gewalt im deutschsprachigen Alexanderroman, Trier 2006, S. 3–30. 12 Siehe dazu Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch. Mit den Nachträgen von Ulrich Pretzel, 38., unveränderte Aufl. Stuttgart 1992, Eintrag ‚maht‘: Vermögen, Kraft, Körperkraft, Anstrengung, Gewalt; Vollmacht; Menge, Fülle; bes. Menge von Menschen, von Kriegern; Eintrag ‚kraft‘: Kraft, Gewalt: Menge, Fülle bes. von Kriegern (Heeresmacht), von Gut und Vorräten aller Art; Eintrag ‚gewalt‘: Gewalt, Macht; Herrschaft, deren Gebiet; Vollmacht; Menge, Überfluss. 13 Damit grenze ich mich von Althoff ab, der ein anderes Verhältnis von Zorn und Hierarchie ansetzt: Für ihn fungiert die Emotion als Zeichen einer bereits bestehenden Überlegenheit. Ihr kommt also keine bedeutungskonstituierende, sondern nur eine verweisende Funktion zu. 14 Popitz, Phänomene der Macht, S. 232. Zur mittelhochdeutschen Begrifflichkeit siehe wiederum Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, Eintrag ‚hêrschaft‘: Herrenwürde, Herrenmacht, Hoheit, Herrlichkeit; Stolz, Hochmut; Recht und Besitzung eines Herrn, Herrschaft; obrigkeitlich Amt und Gebiet; versammelte Herren, vornehme Gesellschaft; Obrigkeit, Herrscherfamilie; Herr, Herrin; Dienstherrschaft.



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 Einleitung

übergeordnete Position in der Gesellschaft. Auf die Texte bezogen sind darunter Königtum, Kaisertum und Fürstentum zu fassen, die sich in den Gestalten der jeweiligen Herrscher personalisieren und zuweilen auch als abstrakte Begriffe in der Narration niederschlagen (imperium, regnum, potestas, rîche). Während Herrschaft ein relativ statisches Dominanzverhältnis bezeichnet, ist Macht eher als ein spontaner Prozess aufzufassen, der sich über Gewaltanwendung genauso wie über symbolisches Handeln, Gesten und Sprechen vollziehen kann.15 Für die Analyse der Texte bedeutet das zweierlei. Erstens wird so das Spannungsverhältnis zwischen (zorniger) Herrscherperson und der jeweiligen von ihr verkörperten Institution in den Blick genommen. Zweitens wird auf diese Weise eine Brücke zwischen Text und politischer Ideengeschichte geschlagen. Denn Texte schildern Herrschaft nicht nur, sondern haben auch teil an längerfristigen Veränderungen von Herrschaftsvorstellungen. Hier knüpfe ich methodisch und hinsichtlich der Textauswahl an historische Studien an. Ähnlich wie Stefan Weinfurter und Bernhard Jussen die Verwendung von imperium bzw. von regnum als Indikator für eine veränderte Idee von Staatlichkeit untersuchen,16 nehme ich die in den unterschiedlichen Erzählungen für eine politische Kollektivität wichtigen Termini in den Blick. Dies sind insbesondere imperium (für die Gesta Frederici), dulce France (für die Chanson de Roland) und rîche (für Rolandslied und König Rother). Die im Folgenden behandelten Texte schildern Machtkonflikte und dynamisieren derart Herrschaftsverhältnisse auf der Ebene der Handlung. So entstehen Machtgefälle zwischen den Figuren erst im Laufe der Erzählung und sind nicht von Vornherein durch die postulierten Ausgangspositionen in der gesellschaftlichen Hierarchie festgeschrieben. Dabei erfüllt die Gestaltung von Zorn eine wichtige Funktion. Wie Macht in den Texten  – unabhängig von der offiziellen Stellung des Herrschers, häufig aber auch in Übereinstimmung mit dieser – über Zorn hergestellt und zuweilen auch untergraben wird, bildet einen der Untersuchungsschwerpunkte. Dabei wird zu zeigen sein, dass die Gestaltung der Emotion sowohl für die Konstruktion von Macht als auch für diejenige von Herrschaft fruchtbar gemacht wird. Zorn – so die zentrale These – regelt nicht nur

15 Siehe dazu auch auf historische Untersuchungsgegenstände bezogen: Die Sinnlichkeit der Macht. Hrsg. von Jan Andres/Alexa Geisthövel/Matthias Schwengelbeck, Frankfurt a. M., New York 2005. 16 Siehe Stefan Weinfurter: Wie das Reich heilig wurde. In: Gelebte Ordnung  – Gedachte Ordnung. Ausgewählte Beiträge zu König, Kirche und Reich. Aus Anlaß des 60. Geburtstages. Hrsg. von Helmut Kluger/Hubertus Seibert/Werner Bomm, Ostfildern 2005, S. 361–383, sowie Bernhard Jussen: The King’s Two Bodies Today. In: Representations 106 spring (2009), S. 102–117.





Institutionalisierung und Personalisierung 

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spontan verlaufende Aushandlungen von Hierarchien, sondern prägt auch die Darstellung längerfristig sich verändernder Herrschaftskonzeptionen.

Institutionalisierung und Personalisierung Innerhalb der Geschichtswissenschaft wird das 12. Jahrhundert als Wendepunkt für die hier fokussierten Gegenstände – Zorn und Hierarchie – bestimmt. So konstatieren beispielsweise Weinfurter und Jussen für diese Periode eine Veränderung von Staatlichkeit, die sich als „Institutionalisierung“ beschreiben lässt.17 Auch Althoff macht eine veränderte Haltung gegenüber Zorn unter Friedrich Barbarossa aus: „The angry ruler was once more respectable“.18 Betrachtet man diese beiden Befunde zusammen, ließe sich formulieren: Herrschaft wird im 12.  Jahrhundert zugleich institutionalisierter und emotionaler als in den Jahrhunderten zuvor. Was zunächst wie ein Widerspruch erscheint, nimmt die vorliegende Studie als Ausgangspunkt und rückt so das zeitspezifische Wechselspiel von Institutionalisierung und Personalisierung in den Blick. Die vorliegende Textauswahl berücksichtigt dies insofern, als die analysierten Texte die beiden für das 12. Jahrhundert zentralen mittelalterlichen Herrscherfiguren – Karl den Großen und Friedrich Barbarossa – narrativ aufbereiten.19 Das Wechselspiel von Institutionalisierung und Personalisierung bildet damit den roten Faden der Untersuchung. Unter Personalisierung soll hier verstanden werden, dass Herrschaft durch einen Vertreter ausgeübt und verkörpert wird. Es geht also um eine heuristische Anwendung des Personenbegriffs und keine terminologische. Sowohl moderne, meist die Individualität betonende Personenkonzepte, als auch mittelalterliche Ansätze zur Person, die eher den Gemeinschaftsbezug herausstellen, gehen in diese Bestimmung von Personali-

17 Weinfurter, Wie das Reich heilig wurde, S. 373; Jussen, Two Bodies, S. 108–109. 18 Althoff, Ira Regis, S. 73. 19 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins erzählen als Vorgeschichte zum eigentlichen Schwerpunkt, der Regierungszeit Friedrich Barbarossas, von Herrschern seit dem 11. Jahrhundert. Chanson de Roland und Rolandslied widmen sich Karl dem Großen, der König Rother entwirft mit seinem Titelhelden einen fiktiven Ahnen Karls. Auf die große Bedeutung Karls des Großen im 12. Jahrhundert verweist nicht zuletzt dessen von Friedrich Barbarossa angestrebte Heiligsprechung im Jahr 1165. Alexanderroman und Eneasroman werden in dieser Studie ausgeklammert, weil sie Herrschaft anhand von antiken Helden schildern. Eine Untersuchung, die – wie die hier vorliegende – Aktualisierungstendenzen nachgeht, hätte bei der Behandlung dieser beiden Texte die antike Erzähltradition noch stärker einzubeziehen.



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 Einleitung

sierung nicht von Vornherein mit ein.20 Innerhalb der Forschung wird an dieser Stelle gern eine Dichotomie eröffnet: Der ‚persönlichen‘ Seite (der Herrscher ist gekränkt und verletzt) wird eine politische gegenübergestellt (der Herrscher entscheidet in seiner Funktion als nach Gott zweithöchster Richter). ‚Persönlich‘ bezeichnet in diesem Zusammenhang häufig eine negative, zu vermeidende Involvierung, die der Idee einer übergeordneten Institutionalität im Wege steht.21 Implizit wird hier die Frage danach aufgeworfen, ob es sich um herrscherliche Entscheidungen nach ‚subjektiven‘ oder ‚objektiven‘ Kriterien handelt. Zorn wird dabei häufig der ‚persönlichen‘, ‚subjektiven‘ Seite zugeordnet. Die Unterscheidung von ‚persönlich/subjektiv‘ im Gegensatz zu ‚politisch/objektiv‘ soll im Folgenden nur dann aufgenommen werden, wenn sie von den Primärtexten selbst explizit gemacht wird, auf analytischer Ebene wird stattdessen zwischen ‚personal‘ und ‚institutionell‘ unterschieden. Die Stellung von Zorn innerhalb dieser Differenzierung ist dabei bei Weitem nicht so eindeutig, wie in manchen Analysen behauptet. Er wird sowohl zur Personalisierung als auch zur Institutionalisierung von Herrschaft eingesetzt. Institutionalisierung wird in gewisser Weise als Komplementärbegriff zu Personalisierung gesehen, da darunter das Auf-Dauer-Stellen von Macht in übergeordneten, die einzelnen Personen überdauernden Strukturen und Ordnungsinstanzen verstanden wird. Der sprachliche Niederschlag einer solchen Institutionalisierung wurde für lateinische Texte aus dem 12. Jahrhundert bereits untersucht. So erkennt Weinfurter anhand dessen, wie imperium, nämlich verbunden mit sacrum, verwendet wird, „daß man damit begann das Reich in Entsprechung zur sancta ecclesia, zur heiligen Kirche, als eine Institution zu denken“.22 Jussen stellt eine ähnliche Entwicklung für den Terminus regnum fest: „At some point in medieval history, regnum turned from a king’s attribute into an abstract, personified institutional subject with kingship being an internal office

20 Siehe weiterführend: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Hrsg. von Gerd Althoff, Sigmaringen 1988; Günther Mensching: Selbstbewußtsein und Person im Mittelalter, Würzburg 2005; Martin Thurner: Die Einheit der Person. Beiträge zur Anthropologie des Mittelalters, Stuttgart 1998; Berthold Wald: Substantialität und Personalität. Philosophie der Person in Antike und Mittelalter, Paderborn 2005. 21 Peter Haidu: The Subject of Violence. The Song of Roland and the Birth of the State, Bloomington, Indianapolis 1993, S. 154, wendet diese Dichotomie auf die Chanson de Roland an, um Karl den Großen dort als Vertreter eines neuen, nicht von ‚persönlicher‘ Rache, sondern im Dienste einer übergeordneten Gerichtsbarkeit fungierenden Herrschers zu deuten. Diese und weitere solcher Setzungen der Forschung sollen nachfolgend an den entsprechenden Stellen diskutiert werden. 22 Weinfurter, Wie das Reich heilig wurde, S. 373.





Institutionalisierung und Personalisierung 

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of the abstract actor regnum“.23 Zentrales Kriterium für die Institutionalisierung ist dabei, dass regnum von der Person des Herrschers abstrahiert und selbst als Akteur vorgestellt wird.24 Letztlich geht es bei Weinfurter wie bei Jussen um die Untersuchung von Institutionalität, bevor die Institution ‚Staat‘ als politische Entität etabliert war.25 Während einige Studien den Begriff „Staat“ verwenden, um mittelalterliche Herrschaftsverhältnisse als Vorläufer heutiger politischer Gebilde zu charakterisieren, verwendet Jussen vorsichtiger den Begriff „Staatlichkeit“.26 Dieser Unterschied in der Nomenklatur ist mit sehr verschiedenen Vorgehensweisen verbunden. Während Jussen und Weinfurter nach sprachlichen Evidenzen suchen, die auf eine Veränderung der Idee von Staatlichkeit verweisen, setzen Studien, die von ‚Staat im Mittelalter‘ sprechen, häufig Kriterien an, die eben diesen Staat in der Moderne ausmachen, wie zum Beispiel die Monopolisierung der Strafgewalt.27 Die vorliegende Studie schließt insofern an Weinfurter und Jussen an, als sie die in den unterschiedlichen Narrationen sich niederschlagenden Begriffe in die Analyse miteinbezieht.

23 Jussen, Two Bodies, S. 108. 24 Jussen, Two Bodies, S. 109. 25 Siehe dazu Peter Strohschneider: Institutionalität. Zum Verhältnis von literarischer Kommunikation und sozialer Interaktion in mittelalterlicher Literatur. Eine Einleitung. In: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittelalterlicher Literatur. Hrsg. von Beate Kellner/Ludger Lieb/Dems., Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 1–26, S. 5: „Erst wenn man ‚Institutionalität‘ als eine Prozeßkategorie konzipiert und ‚Institutionen‘ als Resultate und Verlaufsformen von geschichtlichem Wandel, tritt nämlich der Anschein von Dauer oder Stabilität, den ‚Institutionen‘ typischerweise haben, als selbst eine spezifische institutionelle Leistung hervor. Es liegt an dieser Stelle eine wichtige – sozusagen – Pointe des Institutionellen: Auch die festesten ‚Institutionen‘ sind dynamische Prozesse der Institutionalisierung und DeInstitutionalisierung.“ 26 Bernhard Jussen: Staat im frühen Mittelalter? In: Lelewel-Gespräche 2 (2010). http://www. perspectivia.net/content/publikationen/lelewel-gespraeche/2-2010/jussen_staat, Abs. 10 (Zugriff vom 10.8.2010). 27 Siehe z. B. Odilo Engels: Vorstufen der Staatwerdung im Hochmittelalter. Zum Kontext der Gottesfriedensbewegung. In: Historisches Jahrbuch 97/98 (1978), S. 71–86; Herrschaft und Staat im Mittelalter. Hrsg. von Hellmut Kämpf, Darmstadt 1974; aus literaturwissenschaftlicher Perspektive auch Haidu, Subject; sowie Marianne Ott-Meimberg: Kreuzzugsepos oder Staatsroman? Strukturen adeliger Heilsversicherung im deutschen Rolandslied, Zürich, München 1980 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 70). Für einen historisch wie theoretisch breiten Überblick über „die Grundlagen und Gründe für den Aufstieg und die steile Karriere der auf den Staat fixierten Vorstellungswelt“ siehe Klaus Roth: Genealogie des Staates. Prämissen des neuzeitlichen Politikdenkens, Berlin 2003, hier S. 16. Zum 12. Jahrhundert siehe dort, S. 383–451.



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Obwohl Personalisierung und Institutionalisierung als Gegenbegriffe angelegt sind, lassen sich beide meistens schwer voneinander trennen. Da Zorn in der Regel eng an die Person des Zürnenden gebunden ist, wirft er bezüglich der Ausübung besonders von institutionalisierter Macht zentrale Fragen auf. So kann anhand von Urteilen und Strafen mit oder ohne Zorn das Verhältnis von Person und Institution, Subjektivität und Objektivität beim Herrschen austariert werden.28 Für das Mittelalter zeigen das Untersuchungen, wie die von Hans Jacob Orning und John E. A. Jolliffe, die  – ganz anders als Althoff, der die rein strategische Dimension von Zorn besonders herausstellt  – gerade die Bindung an die Person des Herrschers sowie eine damit einhergehende Unberechenbarkeit der Emotion als wichtige Momente effektiver Machtausübung betonen.29 Der Herrscher kann aber auch als übergeordnete Instanz erscheinen, indem ihm ein gerechter Zorn zugeschrieben wird, der an den gerechten Zorn Gottes erinnert. Die Emotion situiert sich demnach auf der Grenze von Institutionalisierung und Personalisierung, Objektivität und Subjektivität.

Verkörperung Inwieweit Zorn das Scharnier zwischen Person und Institution bildet, wird im Folgenden näher zu zeigen sein. Dass die Institution letztlich allein durch den Herrscher-Körper sichtbar wird, ist bereits eine der Grundthesen von Ernst Kantorowicz. Dessen Buch Die zwei Körper des Königs nimmt den Rechtssatz „The King’s Two Bodies“ englischer Juristen aus der Tudor-Zeit zum Ausgangspunkt, um das Verhältnis von natürlichem und politischem Körper des Königs bis ins 12. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Während der „natürliche Körper“ den einzelnen sichtbaren Königskörper bezeichnet, der Spuren von Krankheit, Alter und Hinfälligkeit aufweisen kann, umfasst der „politische Körper“ alles unsichtbar Dauerhafte, Unantastbare und Übergeordnete. Das Sprechen vom „Körper“ dient Kantorowicz vor allem dazu, Institution und Person dialektisch und unauflösbar aufeinander zu beziehen:

28 Dies ist eine Thematik, die auch heute noch – allerdings immer als Ausschlussverhältnis – von Belang ist. So gilt in einem heutigen juristischen Verfahren die emotionale Involviertheit des Richters als Kriterium für einen Befangenheitsantrag. Recht und Unrecht sollen sich gerade als objektive Befunde vermitteln und sich nicht in einer emotionalen Reaktion des Richters widerspiegeln. 29 Siehe Hans Jacob Orning: Unpredictability and Presence. Norwegian Kingship in the High Middle Ages, Leiden, Boston 2008, sowie John E. A. Jolliffe: Angevin Kingship, London 1955.



Verkörperung 

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Der politische Körper schließt den natürlichen ein, aber der natürliche Körper ist der geringere, und mit diesem ist der politische Körper konsolidiert. So hat er [der König, E. F.] einen natürlichen Körper, mit dem Königsstand und der königlichen Dignität ausgestattet und geziert; aber er hat nicht einen natürlichen Körper, der vom Königsamt und der Königswürde verschieden und getrennt wäre, sondern den natürlichen und den politischen Körper gemeinsam und unteilbar. Diese zwei Körper sind in einer Person inkorporiert und bilden einen Körper, nicht zwei verschiedene.30

Der König wird also nicht als Wesen mit zwei Körpern verstanden, die einander je nach Situation ablösen. Vielmehr sind beide Körper immer gleichzeitig anwesend, denn obwohl sie einander nahezu ausschließen, bedingen sie sich auch gegenseitig. Gegensätze wie sterblich und unsterblich bzw. sichtbar und unsichtbar befinden sich hier in einem dialektischen Verhältnis, in dem das eine nicht ohne das andere gedacht werden und seine Identität sich erst durch das Gegenüber bestimmt. Tatsächlich bietet Kantorowicz Konzept zentrale Anknüpfungspunkte für die vorliegende Untersuchung. Denn auch hier geht es – genauso wie für Kantorowicz  – um die Frage, inwiefern sich im 12.  Jahrhundert eine abstrakte Idee von Staatlichkeit herausgebildet hat. Für diese Fragestellung sind das Verhältnis von übergeordneter Institution und konkretem Herrscherkörper sowie von Einzelnem und Kollektiv zentral. Auch einen der Grundlagentexte, den Policraticus von Johannes von Salisbury, bezieht Kantorowicz bereits in seine Deutung mit ein. Damit haben die Gemeinsamkeiten aber auch schon ein Ende. So findet sich die Emotion „Zorn“ bei Kantorowicz nicht und der Körperbegriff hat in seinen Ausführungen eher den Status einer Metapher. Zugleich bleibt er theoretisch und abstrakt. In der folgenden Untersuchung sollen hingegen anhand der narrativen Texte des 12.  Jahrhunderts Körper in Aktion in den Blick genommen werden. Die zentrale Analysekategorie wird daher der Begriff der Verkörperung sein, wie ihn Elke Koch entwickelt: Narrative Texte bilden einen spezifischen Diskurs, in dem über Körper nicht nur abstrahierend gesprochen wird, sondern handelnde, erlebende und interagierende Körper auftreten und zu beobachten sind. Der Begriff der Verkörperung wird daher auf Gebrauchsformen, Einsatz- und Erlebensweisen von Körpern auf der Ebene der Darstellung bezogen.31

Dieses Verständnis erweitere ich auf doppelte Weise. Zum einen geht es im Folgenden um die Darstellung von zornigen Körpern nicht nur in narrativen,

30 Ernst H. Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs. ‚The King’s Two Bodies‘. Eine Studie zur politischen Theorie des Mittelalters, München 1990. Englisches Original: Princeton 1957. Hier zitiert in der deutschen Übersetzung, S. 33. 31 Elke Koch: Trauer und Identität, Berlin, New York 2006 (TMP 8), S. 61.



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sondern auch in theoretischen Texten. Erstaunlicherweise werden dort, insbesondere in Senecas De ira und Johannes von Salisbury Policraticus Zornsymptome und -gesten ausführlich und anschaulich entfaltet, die die narrativen Texte gerade aussparen. Zum anderen verwende ich den Verkörperungsbegriff ebenso hinsichtlich der Dichotomie von Person und Institution, also herrschaftsbezogen. Auch in diesem Punkt ist die Gegenüberstellung von Theorie und Narration erhellend. Während theoretische Texte, die eine Funktion von Zorn für Macht bzw. Herrschaft annehmen, von einer Verkörperung vollkommen absehen, entwerfen die Gesta Frederici, das Rolandslied und der König Rother komplexe Verkörperungen von Herrschaft und Macht durch Zorn. Eine besondere Rolle spielen hierbei zwei Problemfelder, die untersucht werden sollen: Inwiefern sind Zorn und Gewalt verbunden?32 Und: Welches Verhältnis besteht zwischen Zorn und Irrationalität bzw. Rationalität?

Textauswahl und Vorgehen Zorn als eine zentrale Voraussetzung dauerhaften Regierens? Dieser Standpunkt wird nicht nur angesichts heutiger politischer Entscheidungsprozesse überraschen, in denen überschwängliche negative Emotionen relativ rar sind. Auch für mittelalterliche Entwürfe von Herrschaft erscheint er zunächst befremdlich. Denn es ist allgemein bekannt, dass Zorn schon seit der Antike als zu unterlassende Sünde und vorübergehender Wahnsinn gilt. Auch mittelalterliche Fürstenspiegel schließen ihn dementsprechend als angemessenes Verhalten eines Herrschers aus.33 Diese Situation spiegelt sich in der mediävistischen Forschung insofern wider, als eine systematische Untersuchung der Frage, wie Zorn und Hierarchie

32 Ridder, Kampfzorn, S. 222, sieht das Streben des Helden nach Ehre im „Verhaltensmodell ‚Zorn und Gewaltrausch‘“ ins Körperliche umgesetzt. Bei Althoff, Ira Regis, verweist Zorn zwar auf Gewalt, bleibt von einer Gewaltausübung selbst aber theoretisch getrennt. 33 Auch in der prominenten Theorie von den zwei Körpern des Königs von 1957, die das Aufkommen einer abstrakten Staatlichkeit bis ins Mittelalter verfolgt, erwähnt Kantorowicz Zorn (genauso wie andere Emotionen) nicht. Der Historiker Lucien Febvre, Kulturen der Gefühle in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Ingrid Kasten/Gesa Stedman/Margarete Zimmermann, Stuttgart 2002 (Querelles. Jahrbuch für Frauenforschung 7), S. 10, forderte bereits in den 1930er-Jahren, „der Erforschung der Emotionen einen zentralen Platz innerhalb des Programms der sich damals formierenden nouvelle histoire einzuräumen“.





Textauswahl und Vorgehen 

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zusammenhängen, noch aussteht.34 Diesem Desiderat begegnet die folgende Studie, indem sie bisher getrennt behandelte Textsorten zusammen untersucht sowie begriffliche Differenzierungen und methodische Erweiterungen vornimmt. Nach der hinführenden Darstellung (Kapitel 1 und 2) theoretischer Reflexionen (von Aristoteles, Philodem von Gadara, Seneca, Laktanz und Johannes von Salisbury Policraticus) wird der Konnex von Zorn und Herrschaft erstmals sowohl in der Geschichtsschreibung (den Gesta Frederici) als auch in literarischen Entwürfen (Chanson de Roland/Rolandslied und König Rother) eruiert (Kapitel 3 bis 5). Dabei werden die Begriffe „Herrschaft“ und „Macht“ für verschiedene Ebenen der Analyse fruchtbar gemacht, wobei die Frage nach der Verkörperung (von Zorn und Herrschaft) die zentrale Untersuchungsperspektive darstellt. Die vier Texte aus dem 12. Jahrhundert, die hierfür näher untersucht werden sollen, gehören unterschiedlichen Gattungen und Diskursen an. Der auf Latein verfasste Policraticus (1156–1159) Johannes von Salisbury gilt gemeinhin als Fürsten- oder Gesellschaftsspiegel und nähert sich der Frage nach gelingender Herrschaft aus theoretischer Sicht. Zorn verhandelt er an einigen prägnanten Stellen und bezieht die Emotion auf die bereits angerissenen Fragen nach Institutionalisierung und Personalisierung. Das Rolandslied (ca. 1170) ist im Gegensatz dazu in der Volkssprache verfasst und gestaltet Macht- und Herrschaftskonflikte narrativ,35 Gleiches gilt für die anonyme Brautwerbungserzählung König Rother (1160/70). Die Gesta Frederici (1160), die gemeinhin der Historiographie zugerechnet werden, sind wiederum auf Latein verfasst, aber anders als der Policraticus erzählen auch sie – insbesondere in den Passagen, die Zorn erwähnen – mehr, als dass sie theoretisch reflektieren. Der Analyse der narrativen Texte stelle ich die beiden Kapitel in chronologischer Ordnung voran, die dem Konnex von Zorn und Hierarchie in theoretischen Reflexionen nachgehen.36 Im ersten Kapitel sollen die antiken Vorläufer dargestellt werden. Es werden aristotelische, epikureische, stoische und christliche

34 Erste Vermutungen siehe Koch, Trauer und Identität, S. 288; erste Ansatzpunkte bietet auch Althoff, Ira Regis, der davon ausgeht, dass Zorn innerhalb einer öffentlichen Kommunikationssituation eine für alle lesbare Zeichenfunktion zukommt: Indem der Herrscher Zorn demonstriert, signalisiert er zum Beispiel seine Entschlossenheit in den Krieg zu ziehen. Im Anschluss daran siehe Keller, Zorn gegen Gorio. 35 Die Analyse von Zorn und Macht in der Chanson de Roland soll vor allem eine Vergleichsfolie für das Rolandslied erarbeiten. 36 Für kurze Abrisse von theoretischen antiken und mittelalterlichen Positionen zu Zorn und deren Bedeutung für literarische Texte  – allerdings nicht im Hinblick auf Hierarchie  –, siehe Albrecht Classen: Anger and Anger Management in the Middle Ages. Mental-Historical Perspectives. In: Mediaevistik 19 (2006), S. 21–50, sowie Martini, Facetten, S. 87–99.



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Konzeptionen vorgestellt, aber keineswegs eine erschöpfende Auswahl. Es geht weniger darum, ein komplettes Panorama aller möglichen Sichtweisen hinsichtlich dieser Emotion zu liefern, als vielmehr darum, einige exemplarisch, aber ausführlich zu erarbeiten.37 So bietet die Rhetorik des Aristoteles Ansatzpunkte für eine Lektüre, die Zorn funktional auf Macht bezieht. Philodem von Gadara legt mit dem „natürlichen Zorn“ ein Konzept vor, in dem Zorn und Rationalität sich nicht per se ausschließen, was für die Interpretation von Rolandslied, Gesta Frederici und König Rother von zentraler Bedeutung ist. Für Seneca, in De ira und De clementia, schließen sich Zorn als Wahnsinn und weise Herrschaft gegenseitig aus. In Laktanz De ira dei werden hingegen Zorn und Herrschaft aufeinander beziehbar. Das zweite Kapitel theoretischer Reflexionen stellt dann mit Johannes von Salisbury Policraticus einen mittelalterlichen Ansatz dar, der sich stark an Seneca und den Stoikern orientiert. Die vier Texte des Untersuchungskorpus gelten als zentrale Herrschaftskonzeptualisierungen des Mittelalters und wurden bislang noch nicht auf den Aspekt „Zorn“ hin analysiert.38 Forschungen zu anderen Texten existieren bereits. So wurden für Lamprechts Alexander (um 1160) Deutungen geliefert, die die Funktion von Zorn für die Konstruktion von Herrschaft ausloten. Dabei wird

37 Genauso hätten auch noch Erwägungen von Platon, Plutarch oder Cicero hinzugezogen werden können. Augustinus Bemerkungen zu Zorn sind so kurz, dass sie über den Konnex von Zorn und Herrschaft/Macht weit weniger Aufschluss geben. Indirekt kommt die augustinische Diskussion über den Zorn Gottes im Kapitel zu De ira dei von Laktanz sowie im Kapitel zum Policraticus des Johannes von Salisbury zur Sprache. Dort werden auch der augustinische Entwurf des rex iustus und andere zentrale mittelalterliche Theorien zu Zorn (Tugend- und Lasterkataloge) erwähnt und hinsichtlich der behandelten Thematik eingeordnet. Auffallend ist die meist bewertende Perspektive, die eine funktionale Sicht der Emotion dominiert oder gar verstellt. Thomas von Aquin soll hier nicht untersucht werden, weil er im Wesentlichen aristotelische Grundlegungen weiterentwickelt, dies aber erst nach der Entstehung der hier behandelten Texte. 38 Eine Textanthologie zum Thema „Zorn“ für ein breites Publikum liefert: Zorn. Spielarten eines großen Gefühls. Texte von Homer bis Thomas Mann. Hrsg. von Ricarda Junge, Frankfurt a. M. 2014. Neben antiken Passagen finden sich dort auch kurze Texte und Ausschnitte aus der neueren deutschen Literatur. Die dort abgedruckte Geschichte Vom Zornbraten von Ludwig Bechstein geht auf eine altfranzösische Kurzerzählung zurück, die später ins Mittelhochdeutsche übertragen wurde. Zu der unterschiedlichen Funktionalisierung von Zorn in diesen beiden Texten siehe genauer Evamaria Freienhofer: Ir traget zwêne zornbrâten. Die Funktion von Stolz und Zorn für die Geschlechterkonstruktion in den Kurzerzählungen La dame escoillée und Frauenzucht. In: Rache – Zorn – Neid. Zur Faszination negativer Emotionen in der Kultur und Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Martin Baisch/Evamaria Freienhofer/Eva Lieberich, Göttingen 2014 (Aventiuren 8), S. 153–169.



Methode 

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vor allem die heroische Anlage der Herrscherfigur betont.39 Für den Herzog Ernst B (zwischen 1210 und 1230) hat Thorsten Martini im Wesentlichen zwei Funktionen von Zorn ausgemacht. Zum einen lasse die Emotion die Grenze zwischen Politik und Privatheit verschwimmen. Zum anderen bilde der Zorn eine wichtige Schnittstelle im Erzählgefüge: „Strukturell steht er [der Zorn, E. F.] am Übergang oder Beginn neuer narrativer Untereinheiten“.40 Nach der in doppelter Hinsicht dynamisierenden Funktion von Zorn – er bringt Gegensätze zwischen Person und Amt, zwischen der Institution und demjenigen, der sie verkörpert, ins Wanken und strukturiert gleichzeitig die Erzählung in ihrem Verlauf  – soll auch in der vorliegenden Analyse gefragt werden.41 Zum Willehalm Wolframs von Eschenbach hat Koch eine wichtige Überlegung formuliert, die anhand der im Folgenden untersuchten Texte weiter verfolgt werden soll: „Während Trauer vor allem als Performanz von Zugehörigkeit identitätskonstituierend ist, fungiert Zorn, so die Hypothese, in komplementärer Weise als Performanz von Macht“.42 Ob und inwiefern Zorn nicht nur Hierarchie, sondern auch Zusammengehörigkeit konstituiert, soll hier als Frage zunächst noch offen bleiben.

Methode Policraticus, Rolandslied, Gesta Frederici und König Rother werden in Close Readings auf die Frage hin untersucht, welche Rolle sie Zorn bei der Darstellung von Machtkonflikten und der Konzeptualisierung von Herrschaft zusprechen. Die Grenzen zwischen Literatur und Historiographie, zwischen Theorie und Erzählung sowie zwischen Gattungszugehörigkeiten werden dabei zunächst ausgeblendet. Statt vorgängiger Einordnungen der Texte als fiktional oder faktual,

39 Siehe Schlechtweg-Jahn, Macht, S. 41–86, der allerdings eine Abschwächung dieser heroischen Anlage in der Straßburger Fassung feststellt. Während in der Vorauer Version Alexander als Kind das Pferd Bucephalus in überschwänglichem Zorn zähmt und dadurch seine Herrschaftstauglichkeit erweist – nur wer das Pferd unterwirft, hat ein Anrecht auf die Krone –, schwächt der Straßburger Text die Darstellung ab, indem er keinen Zorn Alexanders mehr erwähnt. 40 Martini, Facetten, S. 166. 41 Dabei soll aber nicht die stark dichotomische Denkweise Martinis, Facetten, S. 166, übernommen werden, der die Auflösung starrer Grenzen stets als Defizit formuliert: „Vor allem die nicht immer zu durchschauende Verquickung von öffentlichem und privatem Zorn prägt die Dichtung.“ 42 Koch, Trauer und Identität, S. 288.



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 Einleitung

didaktisch oder unterhaltend, als der Chanson de geste oder der Brautwerbungsepik zugehörig sollen die Analysen selbst Unterschiede in den Zorngestaltungen und -funktionalisierungen zutage bringen. Eine Antwort auf die Frage, ob und inwiefern sich theoretische Diskurse und literarische Inszenierungen diesbezüglich unterscheiden, wird ein wichtiges Ergebnis der vorliegenden Untersuchung sein. Gleiches gilt für die Konzeptualisierung von Zorn und Herrschaft in literarischem im Vergleich zu historiographischem Erzählen.43 Dabei werden die Darstellungsstrategien und narrativen Strukturen der Texte in den Mittelpunkt gestellt.44 Zorn kommt so nicht nur in seiner Funktion für die Aushandlung von Macht und Herrschaft auf der Ebene der Handlung in den Blick, sondern gewinnt auch in seiner strukturellen Bedeutung für die jeweiligen Erzählungen Kontur. Dies ist aus methodischer Sicht insbesondere für die Gesta Frederici ein Novum, da der Text im Bezug auf Zorn vor allem als Lieferant von Aussagen über die Herrschaftspraxis Friedrich Barbarossas gelesen wurde. Hier wird er erstmals in seiner Textualität und in Gänze untersucht – der gesamte Teil Ottos von Freising genauso wie Rahewins Fortsetzung. Für die anderen Texte ist der Fokus auf den Konnex von Zorn und Macht/ Herrschaft in unterschiedlichem Grade neu. Eine Episode des Policraticus ist schon daraufhin befragt worden, wie sie beide Themenkomplexe verbindet.45 Im Folgenden sollen aber erstmals alle Passagen, die Zorn erwähnen, analysiert werden. Für das Rolandslied stehen Studien, die sich mit Herrschaft beschäftigen, neben solchen, die sich der Zorndarstellung widmen.46 Eine Verbindung beider Aspekte ist bisher nur selten angestrebt worden. Der Vergleich von Chanson de Roland und Rolandslied soll herausarbeiten, ob und inwiefern der mittelhoch-

43 Für ein Zusammenlesen von historiographischen und literarischen Texten siehe bereits Corinna Dörrich: Poetik des Rituals. Konstruktion und Funktion politischen Handelns in mittelalterlicher Literatur, Darmstadt 2002, S. 6: „Sowohl der nicht autonome Status literarischer Texte im Mittelalter als auch der für neuzeitliche Vorstellungen oftmals befremdlich fiktionale Charakter historiographischer Quellen erlaubt es aus kultursemiotischer Sicht, beide Texttypen für die Frage auszuwerten, wie Rituale prinzipiell konstruiert sind und wie mit ihrer Hilfe Bedeutung generiert wird.“ 44 Vgl. im Ansatz ähnlich, aber auf den Gegenstand ‚Ritual‘ bezogen Dörrich, Poetik. Dagegen auch im Ansatz anders verfährt Christiane Witthöft: Ritual und Text. Formen symbolischer Kommunikation in der Historiographie und Literatur des Spätmittelalters, Darmstadt 2004, die sich eher auf die Frage konzentriert, wie Texte und Realität im Austausch miteinander zu denken sind. Otto Neudeck: Erzählen von Kaiser Otto. Zur Fiktionalisierung von Geschichte in mittelhochdeutscher Literatur, Köln, Weimar, Wien 2003, untersucht historiographische und literarische Darstellungen von Kaiser Otto auf ihre unterschiedlichen Grade von Fiktionalisierung hin. 45 Classen, Anger, S. 28 f. 46 Für umfassendere Forschungsberichte siehe die jeweiligen Kapitel.



Methode 

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deutsche Text das Verhältnis von Zorn und Herrschaft gegenüber seinem altfranzösischen Vorläufer neu konzeptualisiert. Im König Rother fallen die zornigen und gewaltbereiten Riesen  – Lehnsmänner des Titelhelden  – ins Auge, deren Bedeutung schon mehrfach beleuchtet wurde. Die Frage nach der Funktion von Gewalt hat dabei allerdings überwogen, Zorn ist überdies kaum näher betrachtet worden. Durch die einzelnen Analysen wird ein synchroner Querschnitt unterschiedlicher Konzeptualisierungen von Zorn und Herrschaft angestrebt. Abschließend wird sich zeigen, wie sich das daraus ergebende komplexe Mosaik mit verschiedenen Überschneidungen und Berührungspunkten zwischen den Texten methodisch wie inhaltlich nochmals globaler verorten lässt. Um die verschiedenen Funktionen von Zorn auf den unterschiedlichen Ebenen möglichst umfänglich zu erfassen, soll im Vergleich zu bestehenden mediävistischen Studien ein mehrdimensionales Verständnis von Zorn angesetzt werden. So hat Klaus Grubmüller einen wichtigen Anstoß dazu gegeben, Zorn einerseits diskursgeschichtlich und andererseits historisch-semantisch über die Verwendung der Termini zorn, nît und haz näher zu beschreiben.47 Solche historisch-semantischen Überlegungen bilden auch einen wichtigen Grundpfeiler meines Vorgehens. Zorn soll nachstehend zum einen semasiologisch über das historische Wortfeld untersucht werden, das im Lateinischen Termini wie ira, iracundia, furor, rabies, saevitia und indignatio, im Altfranzösischen ire, curuçus, doel, dolur, rancune und im Mittelhochdeutschen zorn, nît, haz, grim, gram, ungemach, wuot, erbolgen, leit und ande mit Ableitungen umfasst. Allerdings ist hierbei anzumerken, dass Zorn nicht allein über Emotionswörter bestimmt werden kann. Da es sich um ein nicht klar abgestecktes Feld handelt, das kulturell und historisch variabel ist, muss mit Kippeffekten und Überschneidungen gerechnet werden. So überlagern sich zum Beispiel in ihrer historischen Semantik Trauer, Schmerz und Zorn viel mehr als heute. Deshalb soll neben dem semasiologischen Zugang zum anderen ein onomasiologisches – also von einem Konzept der Emotion ausgehendes – Verständnis zugrunde gelegt werden. Dieses dient eher der heuristischen Analyse, als einer abschließenden Definition. Mit Aristoteles soll Zorn als Emotion angesehen werden, die sich aus zwei Komponenten zusammensetzt: einer Kränkung und

47 Klaus Grubmüller: Historische Semantik und Diskursgeschichte. Zorn, nît und haz. In: Codierungen von Emotionen im Mittelalter. Hrsg. von Stephen C. Jaeger/Ingrid Kasten, Berlin, New York 2003 (TMP 1), S. 47–69.



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dem Streben, diese Kränkung zu vergelten.48 Eva-Maria Engelen beschreibt diese beiden Komponenten hinsichtlich ihrer Funktionalität auch als „evaluative“ und „motivationale Funktion“ von Zorn.49 Zorn ist insofern evaluativ, als er eine Situation auf eine Erniedrigung hin bewertet und einordnet. Er ist motivational, weil er hinsichtlich der erkannten Kränkung zur Gegenwehr animiert.50 Die Texte des Untersuchungskorpus setzen selten beide Komponenten ausführlich innerhalb einer Inszenierung um. Doch erlaubt diese Bestimmung vergangenheitsorientierte (mehr den Verstoß betonende) von zukunftsgerichteten (eher die Wiedergutmachung herausstellenden) Konzeptualisierungen der Emotion zu unterscheiden. Die Zukunftsorientierung kann dabei zuweilen so weit gehen, dass gar keine Kränkung mehr erkennbar ist und Zorn eine rein einschüchternde, drohende Funktion zukommt. Der semasiologische Ansatz garantiert, dass alle Szenen erfasst werden, in denen Zornvokabular erwähnt wird: Es werden also auch Stellen analysiert, die Zorn nicht ausführlich als Emotion anhand einer Figur gestalten, sondern ihn nur kurz anführen. Dies ist insofern zentral, als dadurch eine spezifische Eigenart des Untersuchungsgegenstandes konturiert werden kann. Denn was Zorn in narrativen Texten des 12. Jahrhunderts deutlich von anderen Emotionen abhebt, ist die überwiegende Kargheit und Kürze seiner Darstellung. Während zum Bei-

48 Zur aristotelischen Definition von Zorn, wie sie die Rhetorik bietet, siehe ausführlicher Kapitel 1. 49 Eva-Maria Engelen: Eine kurze Geschichte von ‚Zorn‘ und ‚Scham‘. In: Archiv für Begriffsgeschichte 50 (2008), S. 41–73, hier S. 50. 50 Heutige Definitionen von Zorn knüpfen an Aristoteles an, indem sie evaluative und motivationale Momente der Emotion erwähnen und gleichzeitig die schon bei Aristoteles angelegte Verbindung von Zorn und Rechtsempfinden aufgreifen. Siehe dazu z. B. Brockhaus Enzyklopädie Online, Wissenmedia in der InmediaOne GmbH, Gütersloh, München 2005–2014 (Zugriff vom 1.12.2011), Eintrag ‚Zorn‘: „elementarer Affekt mit unterschiedlich starker aggressiver Tendenz, zum Teil mit vegetativen Begleiterscheinungen (Erblassen, Erröten u. a.) verknüpft; im Normalfall Reaktion auf Beeinträchtigungen durch die Umwelt, v. a. durch fremde Verhaltensweisen, die eine persönlich empfundene oder objektive Sollens- oder Rechtsnorm verletzen. Durch den Gehalt an rationalen und im weitesten Sinn ethischen Komponenten unterscheidet sich der Zorn von der Wut; er ist eine spezifisch menschliche Reaktion.“ Siehe auch Duden Deutsches Universalwörterbuch. Herausgegeben und bearbeitet vom Wissenschaftlichen Rat und der Mitarbeiter der Dudenredaktion unter Leitung von Günther Drosdowski. 2. völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage Mannheim 1989, Eintrag ‚Zorn‘: „heftiger Unwille über etwas, das man als Unrecht empfindet, oder was den eigenen Wünschen zuwiderläuft.“ Zu einer Abgrenzung von Zorn und Wut, die eine epochale Zuordnung vornimmt, siehe Johannes F. Lehmann: Im Abgrund der Wut. Zur Kultur- und Literaturgeschichte des Zorns, Freiburg i. Br./Berlin/Wien 2012 (Rombach Litterae 107). Lehmann stellt dem ‚antiken Zorn‘ die ‚moderne Wut‘ gegenüber und diagnostiziert anhand der Analyse von literarischen Texten einen Bruch um 1800.



Methode 

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spiel Inszenierungen von Trauer derselben Zeit auf mannigfache Weise Gesten und Körper schildern, Klagemonologe aneinanderreihen und von Figuren- und Erzählerkommentaren durchdrungen sind, begnügen sich Schilderungen von Zorn des 12. Jahrhunderts mit einem Minimum an inszenatorischem Aufwand.51 Der onomasiologische Zugang erlaubt, auch mit Zorn verbundene Szenarien in die Analyse miteinzubeziehen, die die Emotion nicht explizit erwähnen oder gestisch andeuten, aber dennoch typischen Zorn-Szenarien in ihrer Konfliktstruktur gleichen, nämlich der Aufeinanderfolge von Kränkung und Vergeltung. Indem Schilderungen, die Zorn explizit erwähnen, mit solchen kontrastiert werden, in denen Zorn ausbleibt, ist eine genauere Beantwortung der Frage möglich, wann der Emotion welche Funktion für die Ausübung und Darstellung von Herrschaft und Macht zukommt. Darüber hinaus wird auf diese Weise der Tatsache Rechnung getragen, dass die Texte Zorn nicht nur verbal, sondern auch körpersprachlich darstellen, sodass nicht allein auf (Zorn-)Wörter, sondern auch auf (Zorn-)Gesten zu achten ist. Hier begegnen heute gängige Vorstellungen, wie diejenige, dass man vor Zorn die Gesichtsfarbe ändert. Die Texte codieren aber auch vollkommen eigene und spezielle Gesten, wie etwa das Zwirbeln des Bartes als Zeichen von Zorn. Es kommt zudem vor, dass mit Zorn verbundene Szenarien allein situativ greifbar sind. Sie gleichen typischen Zorn-Szenarien in ihrer Konfliktstruktur, ohne dass sie die Emotion explizit erwähnen oder als Gesten darstellen. Das heißt also, ein rein historisch-semantisches Vorgehen, das sich auf bestimmte Termini konzentriert, wird hier auf mehrfache Weise erweitert, um mittelalterliche Dynamiken von Zorn auf umfassendere Weise erfassen und beschreiben zu können. Gliederung und Vorgehen orientieren sich an der Besonderheit des Gegenstandes. So unterscheidet sich Zorn hinsichtlich seiner Allgegenwärtigkeit in mittelalterlicher Literatur kaum von anderen Emotionen wie Trauer, Freude oder Angst.52 Der Herausforderung der Kargheit und Kürze seiner Darstellung begegnet die vorliegende Studie, indem sie auf der Ebene der Gattungen eine Öffnung auf theoretische Traktate und Texte sowie auf zeitlicher Ebene eine Öffnung

51 Für die zahlreichen und ausführlichen Inszenierungen von Trauer und deren Deutung siehe Koch, Trauer und Identität, sowie Urban Küsters: Klagefiguren. Vom höfischen Umgang mit der Trauer. In: An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnungen in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters. Hrsg. von Gert Kaiser, München 1991 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 12), S. 9–75. Für sich verändernde Darstellungslogiken und -modi verschiedener Emotionen innerhalb einer Gattung siehe Jutta Eming: Emotion und Expression. Untersuchungen zu deutschen und französischen Liebes- und Abenteuerromanen des 12.–16. Jahrhunderts, Berlin, New York 2006. 52 Siehe z. B. Riekenberg, Literale Gefühle.



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hin zur Antike vornimmt. Neben den Erzählungen von Macht und Herrschaft – Rolandslied, Gesta Frederici und König Rother  – werden, wie bereits dargelegt, mit dem Policraticus ein theoretischer Text sowie zur Vorbereitung der Analysen auch antike Traktate und Passagen hinzugezogen, die Zorn zum zentralen Gegenstand haben. Dies sind im Wesentlichen die über Jahrhunderte ausschlaggebend gebliebenen Ausführungen von Aristoteles, die großen antiken Traktate zum Zorn von Philodem von Gadara und Seneca sowie die Schrift zum Zorn Gottes von Laktanz. Es wurden gerade diese Werke ausgewählt, weil sie in konzentrierter, aber ausführlicher Form Aspekte entfalten, die vorhöfische Zorn-Darstellungen zu erhellen vermögen. Es geht im Folgenden nicht darum, eine direkte Abhängigkeit mittelalterlicher von antiken Konzeptionen im Einzelnen nachzuweisen. Vielmehr liefern die antiken Grundlegungen eine Systematik und Symptomatik von Zorn, die sich so weder in Theorien noch in den narrativen Inszenierungen des 12.  Jahrhunderts je in dieser Ausführlichkeit wiederfindet.53 Gerade diese Alterität – sei sie den Diskurs- oder den Epochenunterschieden geschuldet – hat einen besonderen Erkenntniswert. Der enorme Fundus von Möglichkeiten in der Antike, Zorn und Herrschaft/Macht zusammenzudenken, lässt die Knappheit und zugleich Besonderheit der analysierten literarischen mittelalterlichen Entwürfe deutlicher hervortreten. Auch für die ausgewählten antiken Texte wird das Verfahren eines Close Readings gewählt, mit dem ausgesuchte Stellen genau analysiert werden, die für den hier gewählten Fokus von Macht und Herrschaft zentral sind. Die antiken Entwürfe werden so nicht nur als Lieferanten allgemeiner Hintergrundinformationen zu Zorn behandelt, sondern sie öffnen die Augen für mögliche Funktionalisierungen der Emotion genauso wie für spezifische Problemkonstellationen.54

53 Dass mittelalterliche Betrachtungen zu Emotionen dennoch – selbst in ihrer Kürze – auf antike Theorien zurückgehen, bemerkt Anja Kühne: Vom Affekt zum Gefühl. Konvergenzen von Theorie und Literatur im Mittelalter am Beispiel von Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur, Göppingen 2004, S. 46, die allerdings von Affekten statt von Emotionen spricht: „Mittelalterliche Theologen äußern sich in verschiedenen Zusammenhängen zu den Affekten, in Predigten, Rhetoriklehren, Fürstenspiegeln, naturwissenschaftlichen Abhandlungen, in mystischen Schriften oder in moraltheologischen Traktaten. Eine von der Antike unabhängige christliche Affektenlehre existiert nicht.“ 54 Darin unterscheidet sich mein Vorgehen von demjenigen bereits vorliegender Studien: Classen, Anger, S. 21–50, und Martini, Facetten, S. 87–99, stellen antike Theorien sehr verkürzt dar und beschränken sich auf die Bewertung von Zorn. Dabei betont Classen die Gefährlichkeit, Martini hingegen die Ambivalenz. An Funktionen der Emotion sind beide nur peripher interessiert.



Methode 

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Während sich geschichtswissenschaftliche Analysen überwiegend auf historische Quellen stützen, und sich literaturwissenschaftliche Studien hauptsächlich mit literarischen Texten befassen, wird hier – wie oben vorgestellt – eine Zusammenschau beider Textsorten angestrebt.55 Inspiriert von beiden Forschungszusammenhängen soll die Funktion von Zorn dabei auf drei verschiedenen Ebenen untersucht werden: Wie häufig in literaturwissenschaftlichen Ansätzen üblich, unterscheide ich zum einen die Handlungs- von der Darstellungsebene (Ebenen 1 und 2). Gegenüber geschichtswissenschaftlichen Ansätzen rückt damit zusätzlich zur sozialen Funktion von Zorn die Rolle der Emotion für das Erzählen in den Blick.56 Neben den Zeugen von Zorn im Text werden so auch die potentiellen Rezipientinnen und Rezipienten für die Analyse wichtig.57 Das heißt, Erzählerkommentare und mit Zorn verbundene Darstellungsstrategien werden genauso fokussiert wie die Frage, inwiefern Zorn-Darstellungen die Texte strukturieren und ob sie sich im Laufe der Erzählung verändern. Neben dieser Unterscheidung von Handlungs- und Darstellungsebene nehme ich darüber hinaus eine  – von geschichtswissenschaftlichen Arbeiten angeregte – Differenzierung vor, die auch Veränderungen von Herrschaft berücksichtigt (Ebene 3). Dabei soll es vor allem um die Frage gehen, inwiefern sich im Mittelalter eine Idee von Staat bzw. Staatlichkeit herausgebildet hat und wie diese zu beschreiben ist.58 Zorn hat dabei bisher keine Rolle gespielt. Es wird aber zu zeigen sein, wie mithilfe der Emotion nicht nur spontan sich vollziehende Machtprozesse geschildert werden, sondern wie Zorn auch mit längerfristigen institutionellen Veränderungen verbunden wird.

55 Für den Fokus auf historische Quellen siehe Althoff, Ira Regis; für die Konzentration auf literarische Texte Keller, Zorn gegen Gorio; Martini, Facetten; Ridder, Kampfzorn; Riekenberg, Literale Gefühle; für eine interdisziplinäre Herangehensweise siehe die Gesamtheit der Beiträge in: Das Mittelalter (2009) 14/1: Furor, zorn, irance. Interdisziplinäre Sichtweisen auf mittelalterliche Emotionen. Hrsg. von Bele Freudenberg, die sich jeder für sich dennoch jeweils mit einer Textsorte beschäftigen. 56 Grundlegend für die Bestimmung sozialer Funktionen von Zorn siehe Anger’s Past. The Social Uses of an Emotion in the Middle Ages. Hrsg. von Barbara Rosenwein, Ithaca, London 1998. 57 Dies erfordert eine Differenzierung des Ansatzes von Althoff. Zorn kommt dann eine doppelte Zeichenfunktion zu: eine auf der Handlungsebene und eine auf der Darstellungsebene. Für eine kritische Diskussion, was die Anwendung von Zeichentheorien für Emotionsdarstellungen in mittelalterlichen Texten angeht, siehe Koch, Trauer und Identität, S. 48–55. 58 Siehe oben den Abschnitt „Institutionalisierung und Personalisierung.“



1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft Ziel des Kapitels ist es, anhand zentraler moralphilosophischer Texte der Antike Problemkomplexe zu beschreiben, die für die Analyse von Zorn, Macht und Herrschaft in den Texten des 12. Jahrhunderts relevant sind. Zorn wird in der Antike häufig und kontrovers behandelt. Im Griechischen wird die Emotion im Wesentlichen mit den Wörtern orgē, thymos, mēnis, cholos und nemesis bezeichnet, die jeweils unterschiedliche Bedeutungsaspekte von Zorn hervorheben.1 Im Lateinischen werden allein orgē und thymos mit ira (Zorn) übersetzt.2 Daneben sind wiederum mit speziellen Nuancierungen die Termini iracundia, furor, rabies, saevitia und indignatio in Gebrauch. Von den vielen antiken Autoren, die sich mit dem Thema „Zorn“ auseinandersetzen, sollen vier exemplarisch näher betrachtet werden: Aristoteles (384–323 v. Chr.), der Epikureer Philodem von Gadara (ca. 110–ca. 40 v. Chr.), der Stoiker Seneca (1–65 n. Chr.) und der christliche Apologet Laktanz (ca. 250–ca. 325 n. Chr.). Aristoteles behandelt Zorn hauptsächlich in einzelnen Passagen der Rhetorik und der Nikomachischen Ethik. Von Philodem sind Fragmente eines Traktates Über den Zorn erhalten. Senecas De ira widmet sich in drei Büchern ausführlich der Symptomatik, den schlimmen Folgen und der Therapie des Zorns. Laktanz diskutiert in seiner Schrift De ira dei die Frage, ob Gott Emotionen zuzuschreiben sind. Dabei sieht er Zorn als wichtige Voraussetzung für Herrschaft an. Obwohl zwischen Aristoteles und Laktanz Äußerungen zum Zorn eine Zeitspanne von etwa 800 Jahren liegt, setzt sich jeder Autor kritisch mit den Vorgängern auseinander. Diese Auseinandersetzung folgt allerdings nicht der hier gewählten Gliederung, welche die Autoren chronologisch vorstellt, sondern ist gekennzeichnet von Parallelitäten, Sprüngen und Bezügen auf Schriften, die heute nicht mehr erhalten sind.3 Obwohl Aristoteles, Philodem, Seneca und

1 Für die Nuancen der Begriffe und eine Auffächerung nach Autoren siehe: William V. Harris: Restraining Rage: The Ideology of Anger Control in Classical Antiquity, Cambridge (MA), London 2001, S. 50–68. 2 Siehe dazu den Eintrag ‚ira‘ im Thesaurus Linguae Latinae. Bd. 7, Sp. 361 f. 3 Die verschiedenen philosophischen Schulen, denen Aristoteles, Philodem, Seneca und Laktanz angehören, entwickeln sich parallel und stehen im ständigen Austausch miteinander. Philodem argumentiert in seinem Traktat über den Zorn sowohl gegen die peripatetische Würdigung als auch gegen ältere stoische Verdammungen dieser Emotion, indem er sie als angeborene Disposition begreift, die per se weder als gut noch schlecht, sondern als ‚natürlich‘ anzusehen sei. Seneca wendet sich im ersten Buch seines Traktats vehement und explizit gegen Aristoteles und im zweiten Buch nicht weniger vehement, aber nur implizit gegen Philodem. Dies hat einleuchtend nachgewiesen: Janine Fillion-Lahille: Une méprise à propos du De ira de Sénèque. La



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 1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft

Laktanz nicht nur verschiedenen Epochen, sondern auch unterschiedlichen Denkund Argumentationstraditionen (peripatetisch, epikureisch, stoisch, christlich) angehören, ergibt sich eine gemeinsame – wenn auch kontroverse – Traditionslinie im Schreiben über Zorn, die hier nicht im Einzelnen dargelegt werden soll, sondern auf die ich unter dem Fokus auf Macht und Herrschaft lediglich einige Schlaglichter werfe: Bei Aristoteles interessiert neben der Definition von Zorn vor allem die hierarchisierende Wirkung der Emotion. Philodem entwirft als einziger Autor einen produktiven Zusammenhang von Zorn und Weisheit. Seneca liefert ausführliche Verkörperungen von Zorn. Laktanz behauptet, dass Zorn am Beginn jeglichen Herrschaftsverhältnisses stehe. Der dabei gewählte Fokus auf Macht und Herrschaft ist neu. So ist es in der bisherigen Forschung durchaus üblich, die Stellung von Zorn in den Herrschaftsentwürfen der Autoren zu benennen, nur sporadisch werden aber die Passagen und Traktate zum Zorn auf den Machtaspekt hin gelesen.4 Dementsprechend überwiegt die Meinung, dass beim Großteil antiker Autoren Zorn und ‚gute‘ Herrschaft sich gegenseitig ausschlössen.5 Während Seneca Zorn tatsächlich keine

polémique du livre II ne vise pas Aristote, mais Epicure. In: Revue des Etudes latines 48 (1970), S. 296–308. Auch Marcello Gigante: Seneca, ein Nachfolger Philodems? In: Epikureismus in der späten Republik und der Kaiserzeit. Hrsg. von Michael Erler in Zusammenarbeit mit Robert Bees, Stuttgart 2000, S. 32–41, verweist darauf, dass Seneca zumindest einige Schriften Philodems gekannt haben muss. Auch Laktanz schaltet sich, wiederum einige Jahrhunderte später, in diese Auseinandersetzung ein, indem er peripatetische, epikureische und stoische Auffassungen zu dekonstruieren und seine christliche Vorstellung vom gerechten Zorn Gottes zu etablieren versucht. 4 Zum Zusammenhang von Zorn und Hierarchie bei Aristoteles siehe David Konstan: Aristotle on Anger and the Emotions: the Strategies of Status. In: Ancient Anger. Perspectives from Homer to Galen. Hrsg. von Susanna Braund/Glenn W. Most, Cambridge 2003, S. 99–120; Engelen, Kurze Geschichte; zum Zusammenhang von Zorn und Herrschaft bei Laktanz siehe: Jan Assmann: Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa, München 2000, S. 53–61. 5 Siehe exemplarisch das Kapitel zu herrscherlichem Zorn in: Harris, Restraining Rage, S. 229– 263. Bei Aristoteles findet sich diese Ansicht in der Politik, in der er unterschiedliche Herrschaftsformen gegeneinander abwägt. Philodem entwirft sein friedfertiges Herrscherbild in dem nur fragmentarisch erhaltenen Text Über den guten König nach Homer. Seneca entfaltet das Ideal des zornlosen Herrschers in der an den jungen Kaiser Nero gerichteten Schrift De clementia. Außer für Laktanz gilt also: Nemo autem regere potest, nisi qui et regi („Herrschen kann aber nur, wer sich beherrschen kann […].“ Aus: L. Annaeus Seneca: De ira – Der Zorn. In: Ders.: Die kleinen Dialoge. Bd. 1. Herausgegeben, übersetzt und mit einer Einführung versehen von Gerhard Fink, München, Zürich 1992, S. 96–309, hier 2, 15, S. 177. Alle Zitate und Übersetzungen stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dieser Ausgabe. Seitenzahlen werden im Fließtext direkt im Anschluss an die Übersetzung angegeben und beziehen sich immer auf die hier erwähnte Ausgabe).





1.1 Aristoteles: Zorn als hierarchisierende Emotion 

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Macht steigernde oder erhaltende Funktion zuspricht, sondern die Emotion als zu vermeidende verdammt und Laktanz – am anderen Ende der Skala – Zorn als Voraussetzung jeglicher Herrschaft setzt, fallen die Entwürfe von Aristoteles und Philodem komplexer aus. Insgesamt ergibt sich so gerade im Hinblick auf Macht und Herrschaft eine sehr starke Ambivalenz von Zorn, die nicht in einer reinen Verdammung oder ungetrübten Anerkennung seiner Funktion für Machtprozesse aufgeht. Wie bereits angekündigt und im Hinblick auf die Texte des 12. Jahrhunderts als zentral erachtet, bildet einen weiteren Schwerpunkt der Analyse die Frage, inwiefern und wie die Autoren Zorn als verkörpertes Phänomen beschreiben. Es werden also insbesondere Symptome, Gesten und Handlungen in den Blick genommen, die Aristoteles, Philodem, Seneca und Laktanz bei der theoretischen Betrachtung der Emotion und ihrer Folgen schildern.

1.1 Aristoteles: Zorn als hierarchisierende Emotion Aristoteles ist für diese Untersuchung auf zweifache Weise zentral. Zum einen liefert er eine Definition von Zorn, die alle Nachfolger beim Schreiben über die Emotion bis ins Mittelalter prägt.6 Zum anderen räumt er Zorn eine zentrale Funktion bei der Aushandlung von Macht ein. Dies gilt nicht so sehr für die Politik, in der Aristoteles jegliche konstruktive Funktion von Zorn verwirft.7 Vielmehr widmet sich Aristoteles dem Wechselverhältnis von Zorn und Macht in der Niko-

Für weitere Nachweise dieser zum Sprichwort gewordenen Weisheit, siehe August Otto: Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer, Leipzig 1890, S. 296, der auf das Vorkommen dieser Maxime schon bei Plato und Aristoteles hinweist. 6 Dabei sei angemerkt, dass Aristoteles Zorn nicht im Rahmen einer systematischen Emotionstheorie, sondern immer im Bezug auf andere Fragestellungen diskutiert. Siehe Christof Rapp: Vorbemerkungen zu Kap. II, 2–11: Die ‚Emotionen‘, In: Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt und erläutert von dems., Darmstadt 2002 (Aristoteles Werke in deutscher Übersetzung 4). Zweiter Halbband, S. 543–583, hier S. 545. In der Nikomachischen Ethik behandelt er Emotionen und Zorn insofern, als sie für die Bestimmung des Tugendbegriffes eine Rolle spielen. Im zweiten Buch der Rhetorik wird Zorn auf die Frage hin beleuchtet, wie ein Redner seine Zuhörer für die eigene Argumentation gewinnen kann. 7 Die Gefahr, von Zorn überwältigt zu werden, führt er in seiner Abwägung unterschiedlicher Herrschaftssysteme (Königtum, Tyrannis, Aristokratie, Oligarchie, Politeia und Demokratie) dafür an, dass lieber viele statt eines Einzigen herrschen sollten: Durch die soziale Kontrolle minimiere sich das Risiko, dass Zorn die Urteilskraft negativ beeinflusse, siehe Aristoteles: Politik. Übersetzt und erläutert von Eckart Schütrumpf, Darmstadt 1991 (Werke in deutscher Übersetzung 9), III, 15, 1286 a, Teil 1, S. 80 und III, 16, 1287 a, Teil 2, S. 82 f. Gerechte Urteile sorgten im Ge-



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 1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft

machischen Ehik und der Rhetorik.8 In diesen Texten steht nicht eine unantastbare Vormachtstellung des Herrschers im Zentrum, sondern eine facettenreiche hierarchische Gesellschaftsordnung, die sich ständig neu formiert: „The world implied by Aristotle’s account of anger is hierarchical, consisting of people who are superior or inferior in regard to strength, wealth, status and the like“.9 In der Nikomachischen Ethik setzt Aristoteles Zorn als wichtige Voraussetzung für ein ideales praktisch-politisches Handeln an, das den eigenen Wert in der Gesellschaft behauptet: Denn wer nicht zürnt [thymos, E. F.], wo er soll, gilt als einfältig, und ebenso wer es nicht tut, wie und wann und wem er soll. Ein solcher scheint keine Empfindungen und keinen Schmerz zu kennen; da er nicht zürnt, wird er sich nicht wehren. Doch ist es sklavisch, sich Beschimpfungen gefallen zu lassen und die Seinigen nicht dagegen zu schützen.10

genzug dafür, dass die Untertanen sich nicht selbst im Zorn gegen das bestehende (tyrannische) System erhöben, siehe Aristoteles, Politik, V, 10, 1312 b, Teil 3, S. 79 f. 8 Zu Emotionen in der Rhetorik siehe grundlegend: Rapp, Vorbemerkungen; sowie die Beiträge von Stephen R. Leighton, John M. Cooper, Dorothea Frede, Gisela Striker und Martha C. Nussbaum in: Essays on Aristotle’s Rhetoric. Hrsg. von Amélie Oksenberg Rorty, Berkeley, Los Angeles 1996. Zu Emotionen bei Aristoteles im Allgemeinen siehe W. W. Fortenbaugh: Aristotle on Emotion. A Contribution to Philosophical Psychology, Rhetoric, Poetics, Politics and Ethics, London 1975; H. N. Gardiner: The Psychology of the Affections in Plato and Aristotle. In: The Philosophical Review 28/1 (1919), S. 1–26 und Stephen R. Leighton: Aristotle and the Emotions. In: Phronesis 27 (1982), S. 144–174. Zum Zorn bei Aristoteles siehe Pierre Aubenque: Sur la définition aristotélicienne de la colère. In: Revue philosophique de France et de l’étranger 148 (1957), S. 300–317; Änne Bäumer: Die Bestie Mensch. Senecas Aggressionstheorie, ihre philosophischen Vorstufen und ihre literarischen Auswirkungen, Frankfurt a. M. u. a. 1982, I. Teil, Kap. 1: Aristoteles: Entwicklung einer Zorntheorie, S. 17–40; Olivier Bloch: Un imbroglio philologique: Les fragments d’Aristote sur la colère. In: Energeia. Études aristotéliciennes. Offertes à Antonio Jannone. Hrsg. vom Centre international d’études platoniciennes et aristotéliciennes, Paris 1986, S. 135–144; Janine Fillion-Lahille: La colère chez Aristote. In: Revue des Études Anciennes 72 (1970), S. 46–79 und Robert Renehan: Aristotle’s Definition of Anger. In: Philologus 107/1/2 (1963), S. 61–74. Zu nemesis: Rona Burger: Ethical Reflections and Righteous Indignation: Nemesis in the Nicomachean Ethics. In: Essays in Ancient Greek Philosophy. Bd. 4: Aristotles Ethics. Hrsg. von J. P. Anton/A. Preus, Albany (NY), S. 127–139. Die Bedeutung und Funktion von Zorn für Herrschaft und Macht ist bisher kaum in den Blick genommen worden. Ausnahmen bilden Konstan, Aristotle on Anger, sowie Engelen, Kurze Geschichte. 9 Konstan, Aristotle on Anger, S. 112. 10 Aristoteles: Die Nikomachische Ethik. Griechisch-Deutsch. Übersetzt von Olof Gigon, neu herausgegeben von Rainer Nickel, Düsseldorf, Zürich 2001, IV, 11, 1126 a, S. 171. Alle Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dieser Ausgabe. Ich begnüge mich damit, die deutsche Übersetzung zu zitieren, setze aber das jeweils für Zorn gewählte griechische Wort als Substantiv in Klammern. Aristoteles verwendet im Wesentlichen zwei Termini für Zorn. Zu thymos und orgē bei Aristoteles siehe Bäumer, Bestie Mensch, S. 25: Während thymos „eher die zugrun-





1.1 Aristoteles: Zorn als hierarchisierende Emotion 

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Hier wird deutlich, dass Aristoteles Zornreaktionen für angebracht hält, wenn es darum geht, die eigene gesellschaftliche Position oder die der Seinigen zu bewahren und gegen als Unrecht empfundene Angriffe zu verteidigen. Wo, gegen wen und wie Zorn geäußert werden soll, überlässt Aristoteles der Wahrnehmung und dem Ermessensspielraum der Einzelnen.11 Eva-Maria Engelen nennt diese Eigenschaft der aristotelischen Zornkonzeption die „evaluative Funktion, denn Zorn evaluiert eine Situation auf eine Erniedrigung hin“.12 Auch Aristoteles Definition von Zorn in der Rhetorik betont die hierarchisierende Funktion der Emotion: Es soll also Zorn [orgē, E. F.] ein mit Schmerz verbundenes Streben nach einer vermeintlichen Vergeltung sein für eine vermeintliche Herabsetzung einem selbst oder einem der Seinigen gegenüber von solchen, denen eine Herabsetzung nicht zusteht.13

Wem „eine Herabsetzung nicht zusteht“, wird anschließend näher ausgeführt: Solchen, die uns etwas schuldig sind, da wir ihnen eine Wohltat erwiesen haben; solchen, die sich uns in den Weg stellen, wenn wir danach streben, ein Bedürfnis zu befriedigen; solchen, von denen wir etwas anderes erwartet haben; solchen, die spotten und höhnen; Freunden, die sich nicht wie solche verhalten.14 Neben diesen situationsabhängigen Charakterisierungen macht Aristoteles jedoch ein hierarchisches Kriterium besonders stark: Zorn regt sich vor allem dann, wenn ein Unterlegener Kränkendes äußert. Diesen Sachverhalt hebt er hervor, indem er ihn an die prominente erste Stelle in seiner Aufzählung setzt: Man meint aber, es stehe einem zu, von denen geehrt zu werden, die nach Herkunft, Macht, Tugend und überhaupt nach allem, worin man selbst weit überlegen ist, unterlegen sind,

de liegende ‚seelische Potenz‘“ meint, bezeichne orgē „dagegen den Vollzug des Affektes“. Sie führt des Weiteren an (S. 38): thymos „ist spontan, energetisch“ und orgē „reflektiert, reaktiv“. Dabei räumt sie aber ein (S. 39), dass es sich hier nur um Tendenzen handele, da Aristoteles letztlich kein systematisches Begriffsraster für Zorn und verwandte Emotionen entwickelt habe. 11 Diese bewerten erfahrungsgemäß kleine Abweichungen eher positiv: „Zuweilen loben wir, die daran [am Zorn, E. F.] Mangel haben, und nennen sie milde oder umgekehrt die Bösartigen als männlich und als fähig zu regieren“; Aristoteles: Nikomachische Ethik, III, 11, 1126 b, S. 173. Aristoteles macht hier auf eine Deutungspraxis aufmerksam, in der Zorn mit Männlichkeit und Regierungsfähigkeit gleichgesetzt wird. 12 Engelen, Kurze Geschichte, S. 50. 13 Aristoteles, Rhetorik, II, 2, 1378 a. Hier wie im Folgenden zitiert in folgender deutschen Übersetzung: Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt und erläutert von Christof Rapp, Darmstadt 2002 (Werke in deutscher Übersetzung 4), S. 73. Alle Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dieser Ausgabe. 14 Siehe Aristoteles, Rhetorik, II, 2, 1379 a–1380 a, S. 74–78.



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 1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft

wie zum Beispiel in Geldsachen der Reiche gegenüber dem Armen und im Reden der Redner gegenüber dem, der unfähig ist zu reden, und der Herrscher gegenüber dem Beherrschten und derjenige, der meint, er sei würdig zu herrschen, gegenüber demjenigen, der meint, er verdiene es, beherrscht zu werden.15

Aristoteles Definition in der Rhetorik liegt demnach eine zunächst sehr klar erscheinende Aussage zum Zusammenhang von Zorn und Hierarchie zugrunde: Eine Kränkung ruft dann berechtigterweise Zorn hervor, wenn der Kränkende unterhalb des/der Gekränkten steht, wobei es nicht alleine um eine institutionalisierte Unterlegenheit (Herrscher – Beherrschte) geht, sondern auch um nicht institutionalisierte Gefälle, die Besitz oder auch Fähigkeiten betreffen können (Reiche – Arme, Rhetoren – Dilettanten). Aristoteles relativiert diesen Zusammenhang insofern, als er die Unterlegenheit vom Empfinden des Gekränkten abhängig macht. Nur wenn dieser sich als dem Beleidiger überlegen empfindet, wird er überhaupt zornig. Damit offenbart Aristoteles gesellschaftlichen Status als instabiles Konstrukt. Überlegenheit und Unterlegenheit sind keine festen Größen, sondern hängen sowohl von der Wahrnehmung des einzelnen ab als auch – in weit höherem Maße – von der öffentlichen Meinung. Es ist nicht nur wichtig für die Stellung und den Zorn, wer kränkt, sondern auch, wer dabei zusieht.16 Sowohl der Beleidigung als auch dem Zorn kommen also Schlüsselfunktionen bei der Bewahrung oder dem Verlust öffentlichen Ansehens zu: Aristotle envisages a world in which self-esteem depends on social interaction: the moment someone’s negative opinion of your worth is actualized publicly in the form of a slight, you have lost credit, and the only recourse is a compensatory act that restores your social position. Anger is just the desire to adjust the record in this way – the internal correlative to the outward loss of respect.17

Der geäußerte Zorn in Form einer vergeltenden Handlung verweist denjenigen auf seinen Platz zurück, der zu kränken und abzuwerten versuchte. Das Wechselspiel von Beleidigung und zorniger Gegenreaktion konstituiert demnach soziale Hierarchien: Eine akzeptierte Beleidigung ist fähig, Ansehen und Stellung in der Gesellschaft zu zerstören und den Beleidigten innerhalb der sozialen Rangfolge abrutschen zu lassen. Eine zornige ‚Antwort‘ vermag hingegen, diese Abwertung

15 Aristoteles, Rhetorik, II, 2, 1379 a, S. 74 f. 16 Siehe Aristoteles, Rhetorik, II, 2, 1379 b, S. 76. 17 Konstan, Aristotle on Anger, S. 114.





1.1 Aristoteles: Zorn als hierarchisierende Emotion 

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abzuwehren und den eigenen Status zu bewahren.18 Dabei siedelt Aristoteles Kränkung und Zorn auf zwei unterschiedlichen Ebenen an. Eine Beleidigung ist für ihn eine öffentlich wahrnehmbare Handlung, der Zorn hingegen „ein mit Schmerz verbundenes Streben nach einer vermeintlichen Vergeltung“; Aristoteles, Rhetorik, II, 2, 1378 a, S. 73. Zorn selbst wird in der Rhetorik nicht als öffentlich wahrnehmbare Handlung verstanden, mit deren Hilfe die ‚Ursprungssituation‘ wiederhergestellt werden kann, sondern als eine Vorstufe einer solchen. Erst wenn Zorn sich äußert, kommt ihm eine restabilisierende Funktion hinsichtlich des öffentlich geschmälerten (Selbst-)Wertes zu. Wie Zorn sich äußert, entfaltet Aristoteles in der Rhetorik nicht: So bleiben zornige Handlungen und andere Verkörperungen der Emotion wie Symptome und Gesten ausgespart: So werden z. B. die im ersten Buch der naturwissenschaftlichen Schrift Über die Seele thematisierten, für Emotionen essentiellen körperlichen Bedingungen und Zustände in den Definitionen der Rhetorik nicht erwähnt. Offensichtlich deshalb, weil sie außerhalb dessen liegen, worauf der Redner unmittelbar einwirken kann.19

Die hier angesprochenen „körperlichen Bedingungen und Zustände“ werden in Über die Seele folgendermaßen beschrieben: Auf verschiedene Weise aber würden der Physiker und der Dialektiker über jeden der Affekte handeln, z. B. was der Zorn [orgē; E. F.] ist. Der eine würde ihn nämlich als Streben nach Wiedervergeltung des Schmerzes oder ähnlich definieren, der andere als Sieden des Blutes, das um das Herz fließt und warm ist.20

18 Zugleich hält Zorn Gruppen solidarisch zusammen, deren Verbundenheit sich unter anderem gerade darin manifestiert, dass der eine auf Beleidigungen zornig reagiert, die nicht ihm selbst, aber den ihm Zugehörigen gelten. So betont Aristoteles in der Rhetorik ausdrücklich, dass Zorn die angemessene Reaktion auf „Herabsetzung von einem selbst oder einem der Seinigen“ (Aristoteles, Rhetorik, II, 2, 1378 a, S. 73) darstelle, und in der Nikomachischen Ethik, dass es – wie oben bereits dargestellt – sklavisch sei, „sich Beschimpfungen gefallen zu lassen und die Seinigen nicht dagegen zu schützen“ (Aristoteles, Nikomachische Ethik, IV, 11, 1126 a, S. 171). Diese Solidarisierung über Zorn sparen sowohl Engelen, Kurze Geschichte, als auch Konstan, Aristotle on Anger, aus. Hier soll sie hingegen besonders betont werden, weil sie auch in mittelalterlichen Inszenierungen von Zorn und Herrschaft von großer Bedeutung ist. Siehe dazu besonders das erste Buch der Gesta Frederici Ottos von Freising. 19 Jakub Krajczynski/Christof Rapp: Emotionen in der antiken Philosophie. Definitionen und Kataloge. In: Pathos, Affekt, Emotion. Transformationen der Antike. Hrsg. von Martin Harbsmeier/Sebastian Möckel, Frankfurt a. M. 2009, S. 47–78, hier S. 76. 20 Aristoteles: Über die Seele. Griechisch-Deutsch. Mit Einleitung, Übersetzung (nach W. Theiler) und Kommentar hrsg. von Horst Seidl. Griechischer Text in der Edition von Wilhelm Biehl und Otto Apelt, Hamburg 1995, S. 9 f.



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Hier wird zwar eine physiologische Seite von Zorn, aber kein von außen sichtbares Zornsymptom geschildert. Lediglich in der Nikomachischen Ethik verweist Aristoteles auf eine Verkörperung von Zorn, die auch nach außen sichtbar und spürbar wird. So entwickelt er einen Zusammenhang von Zorn und Tapferkeit und führt die Emotion mit der Ausübung von körperlicher Gewalt eng: Man führt auch den Zorn auf die Tapferkeit zurück. Denn mutig scheinen auch jene, die aus Zorn wie die wilden Tiere auf jene losgehen, die sie verwundet haben, und so gelten denn auch die Tapferen als zornmütig.21

Während Zorn hier als Ansporn zum Kampf fungiert und unmittelbar Gewalt auslösende Wirkung hat, suggeriert die Rhetorik andere zornige Reaktionen, führt aber nicht aus, wie diese aussehen könnten. Einerseits setzt die Annahme, dass Zorn eine Macht generierende Funktion innerhalb einer öffentlichen Kommunikationssituation zukommt, eine Äußerung der Emotion voraus. Andererseits bleibt der zornige Körper dabei zugleich vollkommen außen vor. Verkörperungen von Zorn in Form von Symptomen, Gesten oder Mimik bilden hier demnach weitgehend eine Leerstelle.

1.2 Philodem von Gadara: Der ‚natürliche‘ Zorn als weise Reaktion In Philodems Traktat Über den Zorn ist vor allem die Unterscheidung von ‚natürlichem‘ und ‚nichtigem‘ Zorn von Bedeutung.22 Mit dem ‚natürlichen‘ Zorn stellt Philodem einen Zusammenhang von Zorn und Weisheit her, den die anderen

21 Aristoteles, Nikomachische Ethik, III, 11, 1116 b, S. 125. 22 Dem Epikureer Philodem kommt hier auch insofern eine Sonderstellung zu, als seine Schriften, im Gegensatz zu denjenigen von Aristoteles, Seneca oder Laktanz, nur bruchstückhaft überliefert sind. Der Großteil seiner Werke wurde Mitte des 18. Jahrhunderts auf stark beschädigten Papyri in der Villa seines Mäzens Piso in Herculaneum entdeckt. Zur Entdeckung und der schwierigen Rekonstruktion von Philodems Schriften siehe: Daniel Delattre: La Villa des Papyrus et les rouleaux d’Herculaneum. La bibliothèque de Philodème, Liège 2006 (Cahiers du CEDOPAL 4). Zum Verhältnis von Philodem zu seinem Gönner und Freund Piso siehe: Peter Scholz: Senatorisches Mäzenatentum: Überlegungen zum Verhältnis von Dichtern und Gelehrten und römischen nobiles in republikanischer Zeit. In: Die Kunst der Mächtigen und die Macht der Kunst. Untersuchungen zu Mäzenatentum und Kulturpatronage. Hrsg. von Ulrich Oevermann/Johannes Süssmann/Christine Tauber, Berlin 2007 (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 20), S. 25–46.





1.2 Philodem von Gadara: Der ‚natürliche‘ Zorn als weise Reaktion 

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antiken Autoren negieren, der aber für die hier vorgestellten Texte aus dem 12. Jahrhundert – insbesondere für das Rolandslied – zentral ist. Der gesamte erste Teil von Über den Zorn widmet sich der negativen Darstellung der Emotion, ihren nachteiligen Folgen und dem Schaden, den der Zornige sich selbst zufügt.23 Die wahrscheinlich an junge Schüler gerichteten Ermahnungen reichen von der Feststellung, dass Zorn ein gemeinschaftliches Philosophieren verhindere und damit den Weg zur Weisheit verstelle, bis dahin, dass er zuweilen sogar in Selbstmord münde.24 Die Symptome dieses Zorns, der sich im weiteren Verlauf des Textes als der ‚nichtige‘ Zorn herausstellen wird, gleichen denjenigen einer chronischen Erkrankung. Neben typischen Merkmalen wie Wutausbrüchen, Anschwellen, Erregung, Empörung und Rachewunsch werden quälende Angstzustände, Atemnot, epileptische Zuckungen von Armen und Beinen, bleibende Lungenschäden mit Schmerzen in den Seiten und häufige Anfälle von Melancholie als Folgeschäden von Zorn angeführt.25 Indem Philodem Zorn auf solche Weise zunächst kategorisch ablehnt, folgt er einer der zentralen Ansichten der epikureischen Schule, die Emotionen als zu vermeidende Übel einstuft. So gilt als wichtigste Eigenschaft des epikureischen Weisen, von jeglichen emotionalen Regungen frei zu sein und damit einhergehend über eine unerschütterliche innere Ruhe (ataraxia) zu verfügen. Dement-

23 Für die Übersetzung ins Englische siehe Filodemo: L’ira. Edizione, traduzione e commento a cura di Giovanni Indelli, Napoli 1988, S. 111, 1–122, 6. Für den altgriechischen Originaltext siehe Filodemo: Il buon re secondo Omero. Edizione, traduzione e commento a cura di Tiziano Dorandi, Napoli 1982. Für eine genaue Übersicht über die erhaltenen Teile des Traktates, deren Inhalt und Quellen siehe: Bäumer, Bestie Mensch, S. 42–58. Philodem verwendet hauptsächlich die Termini orgē und thymos für Zorn und erklärt explizit, aber nicht eindeutig, wann er welches Wort gebraucht. Darüber hinaus unterscheidet er kenē orgē (‚nichtigen Zorn‘) und physikē orgē (‚natürlichen Zorn‘), die er zu thymos aber nicht weiter ins Verhältnis setzt. Beides führt in der Forschung dazu, dass thymos bei Philodem auf gegensätzliche Weise gelesen worden ist. Während Bäumer, Bestie Mensch, S. 53, ihn mit dem positiven ‚natürlichen Zorn‘ identifiziert, sieht Michael Erler: Der Zorn des Helden. Philodems De ira und Vergils Konzept des Zorns in der Aeneis. In: Grazer Beiträge. Zeitschrift für Klassische Altertumswissenschaft 18 (1992), S. 103–126, hier S. 117 f., in ihm gerade den negativen ‚nichtigen Zorn.‘ 24 John Procopé: Epicureans on Anger. In: Philantropia kai eusebeia. Festschrift für Albrecht Dihle zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Glenn W. Most/Hubert Petersmann/Adolf M. Ritter, Göttingen 1993, S. 363–386, argumentiert, dass sich die Schrift weniger an Philodems Schüler im Allgemeinen, als an eine kleinere Gruppe Eingeweihter richte. Ihr Aufbau gehe, anders als üblich, von der Praxis zur Theorie, sie sei stark polemisch und ihr Stil mangelhaft (S. 367). Vgl. dagegen Giovanni Indelli: Per l’interpretazione dell’opera filodemea sull’ira (PHerc. 182, coll. XXXIV–L). In: Proceedings of the XVIth International Congress of Papyrology. Hrsg. von R. Bagnall u. a., New York 1981, S. 153–161. 25 Filodemo, L’ira, S. 114.



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sprechend fällt Philodems Sicht auf Zorn von Königen, Herren und Richtern aus: Dieser wird als Gefahr für ein dauerhaftes Regieren und ein gerechtes Urteilen eingestuft.26 Insgesamt identifiziert Philodem gute Herrschaft mit Weisheit und mit der Absenz von Emotionen, gleicht also den vorbildlichen Herrscher dem Ideal des epikureischen Weisen an. Im zweiten Teil seines Werkes Über den Zorn relativiert Philodem die rein negative Sicht, indem er zwei Arten von Zorn unterscheidet: den ‚nichtigen‘ Zorn (kenē orgē), der auf einer schlechten Disposition beruht und nur Schaden anrichtet, und den ‚natürlichen‘ Zorn (physikē orgē), den er mit einer positiven Disposition in Zusammenhang bringt, der nur kurz andauert und keine schlimmen Folgen hat.27 Das Attribut ‚natürlich‘ kann dabei auf drei unterschiedliche Weisen verstanden werden: Zum Ersten ist Zorn insofern eine ‚natürliche‘ körperliche Reaktion, als er ebenso unvermeidbar ist, wie etwa das Verspüren von Schmerz; zum Zweiten ist Zorn ‚natürlich‘ im Sinne von nützlich, indem er etwa die eigene Sicherheit garantiert; zum Dritten bezieht sich die Einordnung ‚natürlich‘ auf das Prinzip der Übereinstimmung, das davon ausgeht, dass die Dinge eine bestimmte Natur haben, die wiederum eine bestimmte, diesen angepasste Reaktion erfor-

26 Siehe Filodemo, L’ira, S. 117 (König), S. 118 (Herr) und S. 120 (Richter). Diese Ablehnung von Zorn findet sich auch in einem weiteren Traktat Philodems mit dem Titel Über den guten König nach Homer, in dem ebenfalls ein milder, besonnener Herrscher favorisiert wird: Aus den noch erhaltenen spärlichen Aussagen lässt sich schließen, dass Philodem einen herrscherlichen Zornausbruch weder im Umgang mit Untertanen noch im Kampf billigen würde. Philodem, On the Good King, Col. 24, S. 30 (Milde im Umgang mit Untertanen) und Col. 27, S. 31 (Mäßigung im Kampf), zitiert nach der englischen Übersetzung von Elizabeth Asmis: Philodemus’ Poetic Theory and On the good king according to Homer. In: Classical Antiquity 10 (1991), S. 1–45, hier S. 28–45. Odysseus und Nestor gelten Philodem unter anderem deswegen als die weisesten homerischen Helden, weil weder Neid noch Zorn sie je überwältigen (Philodem, On the Good King, Col. 29, S. 41). 27 Filodemo, L’ira, S. 124, 7. Erler, Zorn des Helden, S. 120, fasst dies mithilfe der epikureischen Begriffe „Physis“ und „Diathesis“ folgendermaßen zusammen: „Mit Blick auf Philodems Zornanalyse kann man also sagen: Zorn als Bestandteil der Physis ist allen Menschen gemeinsam und deshalb gut. Jedoch tritt nun mit der Diathesis das Prinzip der Individualität hinzu, welches qualifizierend das natürlich Vorgegebene modifiziert. Ist die sich aus bestimmter Atomkonstellation ergebende Disposition gut, dann behält das, was die Natur vorgibt, seine Qualität. Ist die Disposition schlecht, dann führt dies zu einer Verschlechterung, wie Philodem dies z. B. vom Zorn behauptet.“ Für eine Kontextualisierung, die ‚natürlichen‘ und ‚nichtigen‘ Zorn bei Philodem auf Epikurs Gegenüberstellung von ‚nichtigen‘ und ‚natürlichen‘ Begehren bezieht, siehe: Julia Annas: Epicurean Emotions. In: Greek, Roman and Byzantine Studies 30/2 (1990), special issue: Proceedings of the Conference on Tradition and Innovation in Epicureanism, Duke University, 1989, S. 145–164.





1.2 Philodem von Gadara: Der ‚natürliche‘ Zorn als weise Reaktion 

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dern.28 Philodem koppelt so den ‚natürlichen‘ Zorn mit Weisheit: Denn dieser geht mit der richtigen Beobachtung der Natur der Dinge einher und ist frei von falschen Meinungen über den Schaden und die Strafen derer, die den Schaden zufügten.29 Damit rekurriert Philodem auf zwei Hauptforderungen an den epikureischen Weisen, erstens die Natur der Dinge zu erfassen und sich zweitens vor falschen Meinungen zu hüten.30 So etabliert er eine Sonderstellung des Weisen, denn nur dieser sei letztlich fähig, den Schaden und die Absichtlichkeit dessen, der ihn auslöst, als solche zu erkennen.31 Der ‚natürliche‘ Zorn findet sich also besonders beim Weisen und zeichnet sich durch seine Berechtigung sowie seine kurze Dauer aus.32 Auch bei Philodem ergibt sich so ein ambivalenter Zusammenhang von Zorn und Herrschaft. Dieser liegt vor allem im Ideal des epikureischen Weisen begründet, dem der vorbildliche Herrscher angeglichen wird. Er soll einerseits frei von Zorn sein, andererseits verweist das Empfinden eines ‚natürlichen‘ Zorns aber gerade auf seine gute Konstitution und richtige Einschätzung der Umwelt. Ob er nach außen tritt oder irgendwelche Folgen für die Umwelt hat, bleibt dabei unerwähnt.33 Eine Verkörperung des ‚natürlichen‘ Zorns in Form von Gesten oder Symptomen bleibt bei Philodem also ebenso eine Leerstelle wie bei Aristoteles

28 Zur Entfaltung dieser Bedeutungen von ‚natürlich‘ mithilfe von Äußerungen des Epikureers Demetrius siehe Procopé, Epicureans on Anger, S. 37 f. 29 Filodemo, L’ira, S. 124, 7: „[M]ostriamo l’affezione stessa separatamente come un male, dal momento che è dolorosa o analoga a ciò che è doloroso, mentre in connessione con la disposizione d’animo riteniamo che possa essere definite anche un bene: risulta, infatti, dall’osservare com’è la natura delle cose e dal non avere false opinioni relativamente al calcolo degli svantaggi e alle punizioni di coloro che arrecano danno.“ 30 Siehe Indelli, Opera filodemeo, S. 154. 31 Obwohl Über den Zorn keine explizite Definition der Emotion mehr enthält, ist anzunehmen, dass Philodem (ähnlich wie Aristoteles) Zorn als zweistufig begreift, als zugefügten Schmerz und Wunsch diesen zu vergelten. Dabei räumt er der Kategorie der Absichtlichkeit sowie der Wahrnehmung des Geschädigten eine zentrale Rolle ein: Zornig wird man, weil ein beliebiger anderer einem absichtlich einen Schaden zufügt, oder weil man dies zumindest annimmt. Zu Zweistufigkeit und Absichtlichkeit von Zorn bei Philodem siehe Procopé, Epicureans on Anger, S. 369. 32 Siehe Filodemo, L’ira, S. 122, 7 und S. 124, 7. 33 Dies veranlasst Annas, Epicurean Emotions, dazu, die Authentizität des ‚natürlichen‘ Zorns infrage zu stellen. Denn gerade die moderate, kurze Empfindung scheint ihr ein Zeichen dafür, dass es sich um keinen echten Zorn handeln kann (hier S. 163): „[I]t is odd to find the ideal person, who presumably feels natural anger, described as un-angered, and odd to have his behavior described in terms of appearance and reality.“ Auch Don Paul Fowler: Epicurean Anger. In: The Passions in Roman Thought and Literature. Hrsg. von Susanna Braund/Christopher Gill, Cambridge 1997, S. 16–35, hier S. 30, macht vor allem auf Widersprüche in Philodems Argumentation aufmerksam und verortet diese in der Emotion Zorn selbst: „I should prefer to see in this



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 1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft

die Verkörperung des Zorns, der in Kommunikationssituationen Herabsetzungen abwehrt.

1.3 Seneca: Zorn als Raserei Seneca schließt insofern an Aristoteles und Philodem an, als auch er Zorn und gutes Herrschen im Ausschluss denkt. Was ihn jedoch deutlich von beiden Vorgängern abhebt, ist zum einen die Tatsache, dass er dabei keinerlei Ambivalenzen zulässt. Zum anderen liefert er ausführliche Schilderungen von zornigen Körpern. Wie sich Seneca das ideale Verhältnis von Zorn und Herrschaft vorstellt, entwickelt er in der Schrift De clementia, die er, wie er selbst an seinen Zögling Nero schreibt, verfasst hat, um „ein Spiegel zu sein und dich dir zu zeigen als einen Menschen, der zur größten Freude aller Menschen werden wird“.34 Hier empfiehlt er, Zorn beim Herrschen unbedingt zu vermeiden (siehe z. B. De clementia, III, 4, S. 37 und III, 6, S. 39) und auch eine Macht stabilisierende Funktion spricht Seneca der Emotion ab.35

implausible Epicurean vacillation a sign of how deeply ingrained is the ambivalence towards anger with which I began.“ 34 (ut quodam modo speculi uice fungerer et te tibi ostenderem peruenturum ad uoluptatem maximam omnium; De clementia, I, 1). Hier und im Folgenden zitiert in der lateinischen Ausgabe und deutschen Übersetzung: L. Annaeus Seneca: De clementia. Über die Milde. In: Philosophische Schriften. Lateinisch und Deutsch. Bd. 5. Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Manfred Rosenbach, Darmstadt 1989, S. 2–93, S. 3. Alle Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dieser Ausgabe. Seitenzahlen werden im Fließtext direkt im Anschluss an die Übersetzung angegeben und beziehen sich immer auf die hier erwähnte Ausgabe. Der Zorn des Herrschers kommt in De clementia explizit zur Sprache und hat nur als zu vermeidende Entgleisung ohne jegliche positive Funktion einen Platz. 35 Siehe dazu auch Maria Bellincioni: Potere ed etica in Seneca. Clementia e voluntas amica, Brescia 1984, S. 46, die entsprechend argumentiert, dass nur in crudelitas und clementia ein Ausdruck der übergeordneten Stellung des Herrschers zum Ausdruck komme, wohingegen ira den Herrscher hingegen auf eine Stufe mit allen anderen Menschen stelle: „Vero è che la clemenza, come il suo contrario, la crudeltà, presuppone la potestas ulciscendi, e quindi un rapporto fra superiore ed inferiore […] mentre l’ira è passione in cui tutti gli uomini possono incorrere, e Seneca non manca di farlo notare: è cupiditas poenae exigendae, non facultas (ira I, 3, 2).“ Zur von Seneca verfolgten doppelten Strategie von Machtversicherung und Ermahnung in De clementia siehe Eleanor Winsor Leach: The Implied Reader and the Political Argument in Seneca’s Apocolocyntosis and De Clementia. In: Seneca. Hrsg. von John G. Fitch, Oxford 2008, S. 264–297. Auch Achim Kopp: Staatsdenken und politisches Handeln bei Seneca und Lucan, Pforzheim 1969, weist auf diese doppelte Ausrichtung hin. Er hebt hervor, dass Seneca die Monarchie als





1.3 Seneca: Zorn als Raserei 

 35

Die zentrale Herrschertugend sieht Seneca darin, clementia (Milde) zu üben, die er definiert als „Mäßigung in der Macht zu strafen oder Zurückhaltung des Höherstehenden gegenüber dem Untergebenen, wenn Strafen festzusetzen sind“ (temperantia animi in potestate ulciscendi uel lenitas superioris aduersus inferiorem in constituendis poenis; De clementia, II, 3, S. 17).36 Obwohl sie wie das positive Gegenstück zum Zorn erscheinen mag, ist eine solch einfache Opposition nicht haltbar. Denn Seneca führt gleich mehrere Begriffe an, zu denen sich clementia auf unterschiedliche Weise konträr oder komplementär verhält. Mit der severitas, also der Strenge beim Strafen, ergänzt sie sich zu einem insgesamt angemessenen Umgang mit Übeltätern, bei denen manchmal über ein hartes Vorgehen mehr zu erreichen ist, zuweilen aber auch über Nachsicht. Ihre beiden negativen Gegenstücke sind laut Seneca die crudelitas als Maßlosigkeit im Strafen und die misericordia als Maßlosigkeit im Straferlass.37 Beide lehnt er ab, da sie nicht vom Streben nach dem Wohl des Volkes, sondern von der Überwältigung durch Emotionen geleitet sind. Crudelitas ist Folge der Überwältigung durch Zorn, misericordia derjenigen durch Mitleid. Seneca sieht beide Haltungen als irrational und damit als verwerflich an. Die clementia ist hingegen frei von jeglicher emotionaler Regung und deshalb für Seneca eine Tugend, eine Verhaltensweise, an der man vor allem einen guten Herrscher erkennt: Nullum tamen clementia ex omnibus magis quam regem aut principem decet. Ita enim magnae uires decori gloriaeque sunt, si illis salutaris potentia est; nam pestifera uis est ualere ad nocendum. Illius demum magnitude stabilis fundataque est, quem omnes tam supra se esse quam pro se sciunt, cuius curam excubare pro salute singulorum atque uniuersorum cotidie experiuntur, quo procedente non, tamquam malum aliquod aut noxium animal e cubili prosilierit, diffugiunt, sed tamquam ad clarum ac beneficum sidus certatim aduolant. Niemanden jedoch von allen ziert Milde mehr als einen König oder Kaiser. So nämlich ist seine große Macht auch seine Ehre und sein Ruhm, wenn sie Macht zum Wohl der Menschen ist; verderbenbringende Gewalt nämlich ist es, Macht zu haben, um zu schaden.

Regierungsform grundsätzlich befürworte, aber nur verbunden mit einem Herrscherideal, das von clementia geprägt sei. 36 Es ist viel darüber diskutiert worden, was Seneca genau unter clementia versteht, ob es sich eher um eine juristische oder ethische Handlungsmaxime handelt. Karl Büchner: Aufbau und Sinn von Senecas Schrift über die Clementia. In: Hermes 98 (1970), S. 203–223, hier S. 223, besteht darauf, dass die clementia „kein technischer Fachbegriff, sondern ein philosophischer Existenzbegriff, eine Tugend“ ist. Manfred Fuhrmann: Seneca und Kaiser Nero. Eine Biographie, Berlin 1997, S. 192 f., stellt hingegen fest, dass die clementia als ursprünglich rein ethischer Begriff bei Seneca auch juristische Bedeutung erhält. 37 Siehe Seneca, De clementia, II, 2, S. 16–21.



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 1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft

Dessen Größe endlich ist standfest gegründet, von dem alle wissen, er ist ebenso über ihnen wie für sie, dessen Sorge sie täglich für das Wohl jedes einzelnen und aller wachen spüren, vor dessen Nahen sie nicht, als sei ein böses oder schädliches Tier von seinem Lager aufgesprungen, fliehen, sondern wie auf ein leuchtendes, wohltätiges Gestirn zufliegen. (De clementia, I, 3, S. 31)

Neben der Zeichenhaftigkeit von clementia, die die große und richtig ausgeübte Macht eines Herrschers seinem Volk offenbar macht, ist hier vor allem die Sogwirkung dieser Tugend ins Bild gesetzt. Während zorniges und grausames Verhalten Furcht und Flucht beim Volk auslösen, lässt clementia den Herrscher zu einem lichtvollen Magnet werden, der alle mit seinem Wohlwollen anzieht und ansteckt.38 Damit zeigt sich die Größe des Herrschers nicht nur in der Milde, sondern durch diese erhält sie erst ihr Fundament, ihre Stabilität.39 Seneca behält in seiner Profilierung der clementia gegenüber ira und crudelitas ein zentrales Moment der aristotelischen Zorn-Definition bei. Senecas clementia antwortet letztlich auf dieselbe Frage: Wie sieht eine angemessene Reaktion auf begangenes Unrecht aus und wie kann es wieder gutgemacht werden? Seneca verfolgt primär eine ethisch-moralische Stoßrichtung und verbindet diese eng mit der Position und Person des Herrschers. Dadurch erhält das aristotelische reaktive Vergeltungsmoment des Zorns eine offizielle, nahezu juristische Dimension: Es geht bei severitas und clementia nicht um persönliche Genugtuung, sondern um ein angemessenes Verhalten bei der offiziellen Strafzumessung zum Nutzen des Allgemeinwohls. Seneca entwirft clementia und severitas als ideale Verhaltensnormen der öffentlichen Hand in Person des guten Herrschers. Die ira wertet er allein als Ausdruck persönlicher Schwäche, die zwar in der Realität oft das herrscherliche Verhalten bestimmt, dem aber seiner Meinung nach keiner-

38 Zur Gleichsetzung von Nero mit der Sonne siehe Pierre Grimal: Le ‚De clementia‘ et la royauté solaire de Néron. In: Revue des Études Latines 49 (1971), S. 205–217, der bemerkt, dass sich die Stellen, an denen Nero, allerdings noch expliziter als hier, mit der Sonne verglichen wird, auf die ägyptische Sonnentheologie des Königtums stützt und diese propagandistisch – aber nicht offen politisch, sondern nur bildlich andeutend – zur Erhöhung des Kaisers funktionalisiert. Zur immensen Bedeutung von Strategien, die Herrschaft und Macht anhand von Beispielen aus der Natur veranschaulichen beziehungsweise über Metaphern visualisieren, siehe Winsor Leach, Implied Reader, S. 288–294. 39 Dieses Argument untermauert Seneca mit einem pragmatischen Hinweis auf den Beitrag, den ein mildes Verhalten zur Beliebtheit des Herrschers und damit zu dessen eigener Sicherheit leisten kann: Indem er sich wohlwollend verhält, schafft er sich weniger Feinde, die ihm nach dem Leben trachten und mehr Freunde, die sein Leben schützen wollen (Seneca, De clementia, I, 13 und I, 19). So wirkt clementia unmittelbar Macht und Existenz erhaltend.





1.3 Seneca: Zorn als Raserei 

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lei regulierende Funktion zukommt, weder zwischen Individuen noch zwischen sozialen Instanzen, wie dem Herrscher und seinem Volk.40 Der Traktat De ira ergänzt De clementia insofern, als hier ausgeführt wird, inwiefern Zorn schädlich und verwerflich ist.41 Philodems Annahme eines ‚natürlichen‘ Zorns ablehnend etabliert Seneca dabei ein Ausschlussverhältnis von Zorn und Weisheit: Zorn „gehört nicht zu dem, was sich allein schon aus unserem Menschsein ergibt und daher auch den Weisesten widerfährt.“ (non ex his, quae condicione quadam humanae sortis eveniunt ideoque etiam sapientissimis accidunt; De ira, II, 2, 2, S. 150 f.) Er macht darauf aufmerksam: Et si sapientis est peccatis irasci, magis irascetur maioribus et saepe irascetur: sequitur, ut non tantum iratus sit sapiens, sed iracundus. Atqui, si nec magnam iram nec frequentem in animo sapientis locum habere credimus, quid est, quare non ex toto illum hoc affectu liberemus? Und wenn es dem Weisen entspräche, über Verfehlungen in Zorn zu geraten, dann wird er noch mehr über die größeren ergrimmen, und wird oft wütend werden. Daraus folgt, dass der Weise nicht nur zornig, sondern jähzornig ist. Wenn wir nun aber glauben, weder für

40 Ähnlich wie Johannes im Policraticus wählt auch Seneca eine Körpermetapher, um das Verhältnis von Herrscher und Staat in einem Rat an Nero zu veranschaulichen: Nam si, quod adhuc colligitur, animus rei p. tute es, illa corpus tuum, uides, ut puto, quam necessaria sit clementia; tibi enim parcis, cum uideris alteri parcere. Parcendum itaque est etiam inprobandis ciuibus non aliter quam membris languentibus, et, si quando misso sanguine opus est, sustinenda acies est, ne ultra, quam necesse sit, insidat („Denn wenn, was bislang gefolgert wird, du wirklich die Seele des Staates bist, der Staat aber dein Körper, dann siehst du, meine ich, wie notwendig Milde ist, denn dich schonst du, wenn du einen anderen zu schonen scheinst. Schonen muß man daher auch tadelnswerte Bürger nicht anders als schlaffe Glieder, und wenn einmal Blut fließen muß, so muß die Schneide aufgehalten werden, damit sie nicht tiefer eindringt als nötig.“; De clementia, I, 5, S. 35) Nero wird hier aufgefordert, sich die Folgen mangelnder clementia am eigenen Leib vorzustellen, wobei die Bürger mit Neros Gliedern in eins gesetzt werden. Senecas Rat besteht mithin darin, beim Strafen zu erwägen, inwieweit es für die Zukunft nützlich ist. Eine Amputation unnützer Glieder nimmt man nur vor, wenn keine Hoffnung auf Besserung oder sogar eine Gefahr für den übrigen Körper besteht. 41 Der Titel De ira verspricht zwar eine umfassende und vielleicht auch systematische Abhandlung über den Zorn. Der an Senecas Bruder Novatus gerichtete Text behandelt jedoch auf oft unterhaltsame und anekdotenhafte Weise hauptsächlich die Schädlichkeit des Zorns. Eine Systematik der Darstellung ist dabei nur schwer festzustellen. So streitet sich die Forschung seit geraumer Zeit besonders über die Struktur von Senecas Ausführungen. Es stehen ältere Ansichten, die vor allem deren Disparatheit und Widersprüchlichkeit betonen (siehe Paul Rabbow: Antike Schriften über Seelenheilung und Seelenleitung auf ihre Quellen untersucht. Bd. 1: Die Therapie des Zornes, Leipzig, Berlin 1914, S. 138–142), neueren gegenüber, die einen logischen Aufbau zu rekonstruieren versuchen (siehe Paola Ramondetti: Struttura di Seneca, De ira, II–III: Una proposta d’interpretazione, Bologna 1996, sowie Fillion-Lahille, Méprise).



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 1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft

großen noch für anhaltenden Zorn sei Raum in der Seele des Weisen, warum befreien wir ihn nicht ganz von dieser Leidenschaft? (De ira, II, 6, 3, S. 158 f.)

Dies ist eine rhetorische Frage, zu deren Beantwortung Seneca im Folgenden eine ausgiebige, teilweise auch redundante Argumentation bereitstellt: Der Seelenzustand des Weisen kann nicht allein von der Bosheit seiner Umwelt abhängen;42 sein Zorn müsste, um den Vergehen der Menschen angemessen zu sein, andauern und sich ständig steigern;43 der Weise begreift, „wie unbillig und riskant es ist, sich über ein allgemeines Laster zu erbosen“ (intellegit, quam et iniquum sit et periculosum irasci publico vitio; De ira, II, 10, 2, S. 164 f.); er sieht ein, dass es unnütz ist gegen die Natur zu zürnen, die es für nur sehr wenige Auserwählte vorsieht, im Laufe ihres Lebens weise zu werden;44 die durch Zorn verbreitete Furcht ist kein Ziel, das der Weise anstrebt;45 er erkennt die Gefährlichkeit von Zorn und vermeidet ihn: „Jede Pflicht wird der Weise erfüllen, ohne dabei etwas Schlechtes zu Hilfe zu nehmen, und nichts beimengen, wobei er allzu ängstlich auf die Dosis achten müßte“ (Omnia, quae debet sapiens, sine ullius malae rei ministerio efficiet nihilque admiscebit, cuius modum sollicitius observet; De ira, II, 13, 4, S. 174 f.). Obwohl Seneca den Weisen nicht als idealen Herrscher bezeichnet, wird mit dem Blick auf seine Schrift De clementia doch die Parallele deutlich: Sowohl der Weise als auch der ideale Herrscher tun das Nötige, aber niemals im Zorn.46

42 Siehe Seneca, De ira, II, 7, 1, S. 158 f. 43 Siehe Seneca, De ira, II, 9, 1, S. 160 f. 44 Siehe Seneca, De ira, II, 10, 4, S. 166 f. 45 Siehe Seneca, De ira, II, 11, 2, S. 168 f. 46 Auf den Zorn des Herrschers selbst geht Seneca in De ira in Form von Anekdoten über verschiedene Herrscher aus der (ferneren) persischen und hellenistisch-mazedonischen sowie der (näheren) römischen Vergangenheit ein. In den einzelnen Exempla kommt das Wort ira nicht vor, stattdessen überwiegen die Begriffe crudelitas (Grausamkeit) und saevitia (Wüten). Diese bezeichnen das willkürliche und grausame Verhalten von Dareios über Xerxes, Alexander, Lysimachos und Lucius Sulla bis hin zu Caligula, das Seneca ausführlich beschreibt und oft in einer schockierenden Pointe gipfeln lässt, in der z. B. der wütende König einem Untertan als Strafe für Kritik dessen Söhne zum Mahl vorsetzt und dieser aus Angst vor weiteren Grausamkeiten sagt, es habe ihm gut geschmeckt (siehe Seneca, De ira, III, 15, 1 S. 256 f.). Zu diesem Erzählstil siehe Fuhrmann: Seneca und Nero, S. 129–153. Bäumer, Bestie Mensch, S. 74, schlägt folgende Zusammengehörigkeit der beiden Schriften Senecas vor: „Da das Verhalten der Herrscher auch in ‚de ira‘ häufig Gegenstand der Untersuchung ist, könnte man ‚de ira‘ als Analyse falscher Verhaltensweisen und destruktiver Folgen, ‚de clementia‘ als einen aus dieser Analyse resultierenden Appell an den amtierenden Herrscher Nero verstehen.“





1.3 Seneca: Zorn als Raserei 

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Anders als Aristoteles nimmt Seneca in De ira zudem eine rein destruktive Wirkung von Zorn an, die er mit drastischen Vergleichen und Beispielen beschreibt: Iam vero, si effectus eius damnaque intueri velis, nulla pestis humano generi pluris stetit. Videbis caedes ac venena et reorum mutuas sordes et urbium clades et totarum exitia gentium et principum sub civili hasta capita venalia et subiectas tectis faces nec intra moenia coercitos ignes, sed ingentia spatia regionum hostili flamma relucentia. Wenn du nun gar seine verheerenden Auswirkungen berücksichtigst, dann geht dir auf, daß keine Seuche die Menschheit mehr Opfer gekostet hat. Du stößt auf Morde und Giftanschläge und Prozeßgegner, die sich wechselseitig ins Verderben reißen, auf die Vernichtung von Städten, den Untergang ganzer Völker und auf gekrönte Häupter, die man in die Sklaverei verkauft, auf Fackeln, ins Dachgebälk geworfen, auf Feuersbrünste, die sich nicht mit einer Stadt begnügten, vielmehr auf unübersehbar weite Räume, erglühend in feindlicher Flamme. (De ira, I, 2, 1, S. 99 f.)

Zorn wirkt in nahezu jeder Hinsicht als zerstörerisch: Er vernichtet Menschen, Städte, Völker, treibt die Rechtsprechung zum Exzess, missachtet Herrschaftsverhältnisse, kurz stürzt jegliche Ordnung um.47 Dementsprechend rät Seneca davon ab, sich dieser Emotion hinzugeben, ganz gleich, wie die soziale Konstellation beschaffen ist.48 Trotz dieser Unterschiede hält Seneca wie Aristoteles und Philodem an einer zweistufigen Definition von Zorn (als zugefügtem Schmerz und Wunsch diesen

47 Es wurde mehrfach vorgeschlagen, für das Wort ira bei Seneca zwei verschiedene Übersetzungen zu wählen: ‚Zorn‘ gemäß der philosophischen Tradition vor Seneca und ‚Wut‘ oder ‚Aggression‘ für ira im zerstörerischen Sinne Senecas. So z. B. von Bäumer, Bestie Mensch, S. 75 f.: „Wo Seneca sich der philosophischen Tradition anschließt, ist es adäquat, ira nach wie vor mit ‚Zorn‘ wiederzugeben. Wenn Seneca aber […] grausames Verhalten und die Freude am Menschenblut beschreibt, kann nicht mehr von ‚Zorn‘ die Rede sein. Hier bietet sich zur Wiedergabe der Begriff ‚Aggression‘ an […].“ Gregor Maurach: Seneca. Leben und Werk, Darmstadt 1991, S. 82, bevorzugt daher ‚Wut‘. 48 Ergo ira abstinendum est, sive par est, qui lacessendus est, sive superior sive inferior. Cum pare contendere anceps est, cum superiore furiosum, cum inferiore sordidum. Pusilli hominis et miseri est repetere mordentem: mures formicaeque, si manum admoveris, ora convertunt („Somit muß man sich des Zorns enthalten, ob nun derjenige, den man treffen müßte, einem ebenbürtig ist, ob er höher oder tiefer steht. Mit einem gleichstarken Gegner zu streiten ist riskant, mit einem überlegenen wahnwitzig, mit einem unterlegenen schimpflich. Typisch für einen schwachen, jämmerlichen Menschen ist es, auf den, der ihm weh tut, loszugehen. Mäuse und Ameisen beißen zu, wenn man nach ihnen greift.“; De ira, II, 34, 1, S. 213 f.)



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 1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft

zu vergelten) fest.49 Er verschiebt den Fokus aber auf die Symptome von Zorn und auf die von diesem ausgelösten Handlungen: [N]am ut furientium certa indicia sunt audax et minax vultus, tristis frons, torva facies, citatus gradus, inquietae manus, color versus, crebra et vehementius acta suspiria, ita irascentium eadem signa sunt: flagrant emicant oculi, multus ore toto rubor exaestuante ab imis praecordiis sanguine, labra quatiuntur, dentes comprimuntur, horrent ac surriguntur capilli, spiritus coactus ac stridens, articulorum se ipsos torquentium sonus, gemitus mugitusque et parum explanatis vocibus sermo praeruptus Wie bei Wahnsinnigen sichere Merkmale sind der entschlossene, drohende Gesichtsausdruck, der finstere Blick, die wutverzerrten Züge, der gehetzte Gang, die zitternden Hände, Wechsel der Gesichtsfarbe sowie häufiges und übermäßig heftiges Atemholen, so finden sich bei Zornigen dieselben Anzeichen: Flackern und Funkeln der Augen, tiefe Röte im ganzen Gesicht, weil aus innerstem Herzen das Blut aufbraust, die Lippen zittern, die Zähne sind zusammengebissen, hochauf sträuben sich die Haare, der Atem geht mühsam und keuchend, die Gelenke verdrehen sich von selbst und knacken, dazu Knurren und Brüllen, undeutliche Worte, die Sprache abgehackt (De ira, I, 1, 2, S. 97 f.).

Die Emotion erscheint hier als reine verzerrte Äußerlichkeit, die im Versagen der Sprache gipfelt. Körper und Artikulation des Zornigen sind zu denen eines wilden, rasenden Tieres mutiert. Seneca stellt hier ein Repertoire gestischer, mimischer und sprachlicher Merkmale von Zorn zusammen, das über Jahrhunderte, bis Johannes von Salisbury und darüber hinaus, die Verkörperung von Zorn als Wahnsinn bestimmen wird. Gerade die vollkommen ungebremste Zügellosigkeit und Aktivität des Zorns macht diesen noch schlimmer als die anderen, von Seneca ebenfalls verdammten Leidenschaften: Ceteris enim aliquid quieti placidique inest, hic totus concitatus et in impetu est doloris, armorum, sanguinis, suppliciorum minime humana furens cupiditate, dum alteri noceat sui neglegens, in ipsa irruens tela et ultionis secum ultorem tracturae avidus. Quidam itaque e sapientibus viris iram dixerunt brevem insaniam. Bei den anderen findet sich noch etwas Überlegung und Ruhe, diese [ira, E. F.] aber ist reine Erregung und folgt ihrem dumpfen Drang; Schmerz, Waffen, Blut, Hochgericht, das ist ihr ganz unmenschliches, rasendes Verlangen. Wenn sie nur einem schaden kann, achtet sie ihrer selbst nicht, stürzt sich mitten in die Speere und giert nach Rache, auch wenn diese den Rächer ins Verderben reißt. Daher nannten einige weise Männer den Zorn einen vorübergehenden Wahnsinn. (De ira, I, 1, 1, S. 97 f.)

49 Siehe dazu Seneca, De ira, I, 3, 2, S. 103: Aristotelis finitio non multum a nostra abest: ait enim iram esse cupiditatem doloris reponendi. („Die Definition des Aristoteles ist von der unseren nicht sehr verschieden: Er meint nämlich, der Zorn sei der Wunsch, Leid zu vergelten.“)





1.4 Laktanz: Zorn als Voraussetzung von Herrschaft 

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Ira wird hier als agierende Person gezeigt, die so von Rache besessen ist, dass sie sich ohne zu zögern aufspießen ließe.50 Dadurch erscheinen das Verlangen nach Rache und die Umsetzung derselben untrennbar im personifizierten Zorn verkörpert.51 Ähnlich wie die Schilderung des Zornigen den Zorn mit seinen Symptomen identifiziert, bilden hier Emotion und Handlung, Zorn und Rache, eine unauflösliche Einheit, die keinen Raum für Reflexion und Alternativen lässt.52 Auch Seneca liefert ähnlich wie Aristoteles und Philodem keine Verkörperungen von Zorn, die diesen als kontrolliertes oder in Machtprozessen konstruktives Phänomen am Körper des Zornigen in Erscheinung bringen. Dies liegt auch überhaupt nicht in seinem Interesse. Seneca dienen Verkörperungen von Zorn nur dazu, die Emotion in ihrer Destruktivität sichtbar werden zu lassen. Wenn jemand zornig wird, gerät er außer sich, macht Kommunikation unmöglich und gefährdet soziale Strukturen. Dies alles offenbart sich am Wahnsinn widerspiegelnden, stammelnden und Gewalt ausübenden Körper des Zornigen, gemäßigte Verkörperungen von Zorn sind hier undenkbar.

1.4 Laktanz: Zorn als Voraussetzung von Herrschaft Laktanz entfaltet in seinem Traktat De ira dei – anders als die bisher behandelten antiken Autoren  – offen und eindeutig eine herrschaftsrelevante Funktion

50 Emotionen als Personifikationen zu sehen, die von außerhalb auf den Menschen einwirken, ist eine verbreitete Vorstellung in der Antike, siehe dazu: Hartmut Böhme: Gefühl. In: Vom Menschen. Handbuch historische Anthropologie. Hrsg. von Christoph Wulf, Weinheim, Basel 1997, S. 525–547. 51 Auch in mittelalterlichen Illustrationen und Skulpturen findet sich das von Seneca zusammengestellte Repertoire an Zornsymptomen und die von ihm postulierte Eigenschaft des Zornigen, zur Verwirklichung der Rache über die eigene Leiche zu gehen. Siehe dazu das Bildmaterial bei Lester K. Little: Anger in Monastic Curses. In: Anger’s Past. The Social Uses of an Emotion in the Middle Ages. Hrsg. von Barbara Rosenwein, Ithaca, London 1998, S. 9–35. 52 William S. Anderson: Anger in Juvenal and Seneca, Berkeley, Los Angeles 1964, S. 150, macht auf den Unterschied zwischen Rhetorikern und Seneca aufmerksam: „The anger which Seneca discusses involves angry acts, not angry words“. Während zornige Reden im Sinne der Rhetoriker bestimmte Absichten verfolgen, also hochgradig rational eingesetzt werden, koppelt Seneca Zorn und irrationale Handlung. Für eine genaue Analyse dieser Kopplung mithilfe eines Phasenmodells von Zorn siehe Katja Maria Vogt: Anger, Present Injustice and Future Revenge in Seneca’s De Ira. In: Seeing Seneca Whole. Perspectives on Philosophy, Poetry and Politics. Hrsg. von Katharina Volk/Gareth D. Williams, Leiden, Boston 2006, S. 57–74.



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 1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft

von Zorn.53 Gerade seine Behauptung, dass Zorn den Grundstein von Herrschaft bilde, ist für die Analyse der Texte aus dem 12. Jahrhundert relevant, die ebenfalls, wenn auch auf je unterschiedliche Weise, eine Macht generierende und Herrschaft stabilisierende Funktion von Zorn entwerfen.54 Im Wesentlichen diskutiert Laktanz die Frage, ob Gott Gnade (gratia) und Zorn (ira) zuzuschreiben sei oder nur Zorn, nur Gnade oder ihm sogar beides abgesprochen werden müsse.55 Die Möglichkeit, dass Gott nur Zorn empfinden könne, verwirft er umgehend. Die Auffassung, dass Gott nur gnädig sei, schreibt er der Stoa zu und führt sie genauer aus, um schließlich auch sie zu widerlegen: „Denn wenn Gott den Gottlosen und Übeltätern nicht zürnt, dann liebt er auch gewiß nicht die Frommen“.56 Diese Begründung entspricht der dualistischen Denkweise Laktanz’, in der es nur Gut und Böse zusammen geben kann oder beides nicht: [I]n rebus enim diversis aut in utramque partem moveri necesse est aut in neutram. („Denn bei Gegensätzen wird man notwendig entweder in beide Richtungen hin bewegt oder in keine.“; De ira dei, 5, 8, S. 13)57

53 Er entwickelt eine solche am Zorn Gottes, wobei er sich mit stoischen, epikureischen und peripatetischen Ansichten auseinandersetzt, die er in Auszügen präsentiert und widerlegt. Zu Laktanz und seiner Rezeption des Epikureismus siehe: José Kany-Turpin: Lactance, un critique méséstimé de l’Épicurisme. In: Epikureismus in der späten Republik und der Kaiserzeit. Hrsg. von Michael Erler in Zusammenarbeit mit Robert Bees, Stuttgart 2000, S. 218–230. 54 Am deutlichsten geschieht dies, wie zu zeigen sein wird, im König Rother, der Zorn und Gewalt als Ursprung mittelalterlicher Herrschaftsgeschichte imaginiert. 55 Siehe Laktanz: De ira dei, 2, 9, S. 7. Hier und im Folgenden zitiert in der lateinischen Ausgabe und deutschen Übersetzung: Laktanz: De ira dei. Vom Zorne Gottes. Eingeleitet, herausgegeben, übertragen und erläutert von Heinrich Kraft und Antonie Wlosok, Darmstadt 1971. Alle Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dieser Ausgabe. Seitenzahlen werden im Fließtext direkt im Anschluss an die Übersetzung angegeben und beziehen sich immer auf die hier erwähnte Ausgabe. 56 Laktanz: De ira dei, 5, 8, S. 13: [N]am si deus non irascitur inpiis et iniustis, nec pios utique iustosque diligit. 57 In einem seiner Hauptwerke, den Divinae institutiones (303–311) findet sich die Entfaltung theologischer Grundlagen, auf denen auch der Traktat De ira dei aufbaut: ein Monotheismus mit einem Gott, der als Lenker der Welt agiert und sich in menschliche Belange einmischt; ein dualistisches Welt- und Menschenbild, das Gut und Böse, Seele und Körper gegeneinander stellt; der Glaube an ein Tausendjähriges Reich nach Christi Wiederkunft (Chiliasmus), ein römisch geprägter Religions- bzw. Gottesbegriff; und nicht zuletzt die grundsätzlich positive Bewertung von Emotionen innerhalb des göttlichen Heilsplanes. Siehe aus religionswissenschaftlicher, historischer und theologischer Sicht: Andreas Löw: Hermes Trismegistos als Zeuge der Wahrheit. Die christliche Hermetikrezeption von Athenagoras bis Laktanz, Berlin, Wien 2002; Elizabeth De Palma Digeser: The Making of a Christian Empire. Lactantius and Rome, Ithaca, London 2000; Wolfram Winger: Personalität durch Humanität. Das ethikgeschichtliche Profil christlicher Handlungslehre bei Lactanz, Frankfurt a. M. 1999.





1.4 Laktanz: Zorn als Voraussetzung von Herrschaft 

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Anders als die Epikureer sieht Laktanz Gott nicht als enthobene Instanz, die sich niemals in weltliche Belange einmischt, sondern setzt göttliche Vorsehung und Sorge um die Menschen als zentrale Akzente seiner Religionsauffassung. Damit einhergehend rechnet er Gott sowohl Gnade als auch Zorn zu. Dass die Welt von einem übergeordneten ‚Herrscher‘ gelenkt wird und dass dieser, nur indem er in Zorn gerät oder Gnade empfindet, seine Leitungsfunktion überhaupt erfüllt, setzt er dabei als unhintergehbares Faktum. Seine Vorstellung vom zornigen und gnädigen Gott untermauert er mit einem Vergleich: [S]i quis dominus habet in familia servos bonum ac malum, utique non aut ambos odit aut ambos beneficiis et honore prosequitur – quod si faciat, et iniquus et stultus est –, sed bonum […] adloquitur amice […], malum vero maledictis verberibus nuditate fame siti conpedibus punit, ut et hic exemplo ceteris sit ad non peccandum et ille ad promerendum, ut alios metus coerceat, alios honor provocet. Wenn ein Hausherr unter seinem Gesinde einen guten und einen schlechten Knecht hat, so wird er gewiß nicht beide hassen oder beide mit Geschenken und Ehren bedenken – er wäre sonst ungerecht und töricht –, sondern den guten redet er freundlich an […]; den schlechten aber straft er mit Schelten, Schlägen, Blöße, Hunger, Durst und Fesseln, damit dieser den übrigen als Beispiel diene, nicht zu sündigen, und jener, die Verdienste zu sammeln, so dass die einen die Furcht zügele, die anderen die Ehre anreize. (De ira dei, 5, 12, S. 15)

Zorn als Impuls, der für Gerechtigkeit und Ordnung sorgt, räumt Laktanz demnach eine wichtige Funktion beim Lenken des Haushalts wie der Welt ein und parallelisiert damit das große Ganze mit dem kleinsten römischen Herrschaftsbereich, der familia.58 Der Mensch wird dabei als Wesen angesehen, das sich nur gut verhält, wenn es ständig mit Zuckerbrot (Gnade) und Peitsche (Zorn) in Schach gehalten wird. Dementsprechend definiert Laktanz Zorn als „die Bewegung eines Gemüts, das sich zur Bestrafung der Sünden erhebt“ (motus animi ad coercenda peccata insurgentis; De ira dei, 17, 20, S. 61). Die Formulierung suggeriert, dass der Zürnende sich im Augenblick des Zürnens gegenüber den anderen erhöht und nicht schon zuvor ihnen übergeordnet sein muss. Dies schließt Laktanz in der Epitome divinarum institutionum (der gekürzten Form der Divinae institutiones) jedoch explizit aus: [S]ed qui terminos eius ignorant, irascuntur paribus aut etiam

58 Dadurch erreicht er eine „Kommensurabilität biblischen und römischen Denkens, d. h. die Möglichkeit, biblische Aussagen in römischen Kategorien angemessen auszudrücken“ (Heinrich Kraft/Antonie Wlosok: Zur Einführung. In: Laktanz: De ira dei. Vom Zorne Gottes. Eingeleitet, herausgegeben, übertragen und erläutert von dens., Darmstadt 1971, S. VII–XXV, hier S. XXV). Gegen eine solche Kommensurabilität und für eine klare Grenzziehung zugunsten des christlichen Glaubens argumentiert Buchheit, Vinzenz: Cicero inspiratus – Vergilius propheta? Zur Wertung paganer Autoren bei Laktanz. In: Hermes 118 (1990), S. 357–372.



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 1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft

potioribus; inde ad immania facinora prosilitur, inde ad caedes, inde ad bella consurgitur. („Aber die, die seine [des Zorns; E. F.] Grenzen nicht kennen, werden zornig auf Gleich- oder Höherrangige; daher versteigt man sich zu entsetzlichen Untaten, daher erhebt man sich zu Totschlag und Kriegen.“; Epitome Divinarum Institutionum, 56, 4)59 Zornig zu sein gilt also als Privileg und Pflicht des Übergeordneten. Laktanz setzt auch bei der göttlichen Herrschaft auf die Strategie, durch Zorn abzuschrecken: [S]i enim nullus alteri servit nisi coactus, omne igitur imperium metu constat, metus autem per iram. nam si non moveatur quis adversus parere nolentem, nec cogi poterit ad obsequium. […] ubi ergo ira non fuerit, imperium quoque non erit. Wenn nämlich keiner einem anderen dient, außer im Zwang, dann gründet sich alle Herrschaft auf der Furcht, die Furcht besteht aber durch den Zorn. Denn wenn dem, der nicht gehorchen will, keiner zürnt, so wird er auch nicht zum Gehorsam gezwungen werden können. […] Wo also kein Zorn war, da wird auch keine Herrschaft sein. Gott hat aber die Herrschaft; darum muß er notwendig auch den Zorn haben, auf dem die Herrschaft beruht. (De ira dei, 23, 13, S. 77)

In diesem Sinne entwirft Laktanz eine Herrschaft Gottes, die sich zentral über Emotionen strukturiert und erhält. Die Ökonomie aus herrscherlichem Zorn und Furcht der Untergebenen gilt – in Analogie zum Entwurf des Zorns Gottes – auch für die weltliche Herrschaft: [I]ra igitur ad coercitionem peccatorum, id est ad regendam subiectorum disciplinam data est a deo, ut metus licentiam comprimat et compescat audaciam. („Der Zorn also ist zur Maßregelung bei Verfehlungen, das heißt zum Lenken der Zucht von Untergebenen, von Gott verliehen worden.“; Epitome, 56, 4, S. 124) Wird im Beispiel vom Hausherren Gottes Verhalten mit dem eines menschlichen Herren nur verglichen, so stellt Laktanz hier eine direkte Verbindung zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre her: Gott selbst hat den irdischen Herrschern den Zorn zum angemessenen Regieren verliehen. Im Gegensatz zu Gott bedienen sich diese aber nicht nur des Zorns, um für Ordnung und Gerechtigkeit zu sorgen, sondern er ist für sie essentieller Garant ihrer Macht: [A]ufer iram regi, non modo nemo parebit, sed etiam de fastigio praecipitabitur.

59 Zitiert nach: Lactantius Caeli Firmiani Lactanti: Epitome Divinarum Institutionum. Hrsg. von Eberhard Heck und Antonie Wlosok, Stuttgart 1994, S. 87. Die deutsche Übersetzung hier wie im Folgenden zitiert nach: Laktanz: Göttliche Unterweisungen in Kurzform. Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Eberhard Heck und Gudrun Schickler, Leipzig 2001, S. 124. Alle Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dieser Ausgabe. Seitenzahlen werden im Fließtext direkt im Anschluss an die Übersetzung angegeben und beziehen sich immer auf die hier erwähnte Ausgabe.





1.4 Laktanz: Zorn als Voraussetzung von Herrschaft 

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(„Nimm dem König seinen Zorn, dann wird ihm nicht nur keiner mehr gehorchen, sondern man wird ihn sogar von seiner Höhe stürzen.“; De ira dei, 23, 10, S. 74 f.) Doch bleibt auch Laktanz nicht bei einer rein positiven Bestimmung des Zorns. Der auf Ordnung und Gerechtigkeit im menschlichen Zusammenleben bedachten ira stellt er einen ungerechten Zorn gegenüber, den er Gott schon gar nicht, aber auch nicht einmal den Menschen zuordnen möchte: [I]ra autem quam possumus vel furorem vel iracundiam nominare, haec ne in homine quidem debet esse, quiat tota vitiosa est, ira vero quae ad correctionem vitiorum pertinet, nec homini adimi debet nec deo potest, quia et utilis est rebus humanis et necessaria. Aber der Zorn, den wir Wut oder Jähzorn nennen, der darf nicht einmal im Menschen sein, weil er ganz fehlerhaft ist; der Zorn jedoch, der zur Besserung der Fehler dient, darf nicht dem Menschen und kann nicht Gott genommen werden, denn er ist den menschlichen Verhältnissen dienlich und notwendig. (De ira dei, 17, 21, S. 61)

Indem er für den ungerechten Zorn die Termini furor und iracundia wählt, setzt er ihn begrifflich von der (gerechten) ira ab. Diese beschränkt er aber auch hier nicht auf Gott, sondern räumt ihr eine wichtige Rolle bei der Regelung des menschlichen Zusammenlebens durch die Menschen selbst ein. Ähnlich wie in der Parallelisierung von Gott und Mensch im Beispiel vom Hausvater wird deutlich, dass Zorn zur Bestrafung der Sünden an eine übergeordnete Instanz gebunden bleibt: Zürnen darf also nur derjenige, der den Sündern übergeordnet ist und die Verantwortung für sie trägt.60 Ähnlich wie Aristoteles und Philodem spart auch Laktanz die Frage nach der Körperlichkeit von Zorn aus.61 Für ihn sind alleine dessen Ursache, die Anteilnahme Gottes am irdischen Geschehen, und dessen Wirkung, die Verbreitung von Furcht und damit einhergehend die Stabilisierung von Herrschaft, relevant.

60 Kraft/Wlosok, Einführung, S. XXIII, weisen kritisch auf diese Verengung bei Laktanz hin: „Aber welche Bedeutung der Zorn für einen Menschen haben könnte, der nicht die Funktionen des Pater familias oder Imperator wahrzunehmen hat, das versucht er gar nicht erst zu beantworten.“ 61 Dies ist bezogen auf seine Ausführungen zu Gott wenig verwunderlich. So liegt es in christlicher Tradition, sich kein Bild von Gott zu machen. Damit gerät Laktanz in eine unlösbare Situation: Einerseits entwirft er Gott parallel zu den Menschen als mit Gefühlen ausgestattetes Wesen, das durch seinen Zorn Anteil an irdischen Belangen beweist. Andererseits ist Gott insofern enthoben, als diese Anteilnahme vollkommen körperlos bleibt. Augustinus, der etwa ein Jahrhundert nach Laktanz nochmals auf den Zorn Gottes zurückkommt, löst diese Problematik in den Worten Engelens, Kurze Geschichte, S. 57, folgendermaßen: „Der Zorn Gottes ist nur in Analogie zum menschlichen Zorn zu verstehen. Gottes Zorn ist nicht emotional, weil nicht körperbasiert.“



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 1 Antike Theorien zu Zorn und Herrschaft

Symptome, Gesten und mimischer Ausdruck der Emotion interessieren ihn hingegen – auch auf menschliche Herrscher bezogen – überhaupt nicht.

1.5 Zusammenfassung der Ergebnisse Was die Funktion von Zorn für Macht und Herrschaft angeht, liefern die hier behandelten antiken Autoren eine ambivalente Einschätzung. Seneca bewertet Zorn als rein destruktive Kraft. Eine zentrale Bedeutung für die Etablierung von Machtverhältnissen räumen ihm hingegen Aristoteles und Laktanz ein, wobei der eine die hierarchisierende Wirkung von Zornesäußerungen in öffentlichen Situationen betont und der zweite die Furcht verbreitende Funktion von Zorn als herrschaftsstabilisierendes Moment hervorhebt. Beides sind Aspekte, auf die bei den Analysen der Texte aus dem 12. Jahrhundert vermehrt geachtet wird. Mit Philodem rückt ein weiterer Gesichtspunkt ins Feld der Aufmerksamkeit, der ebenfalls zentral für die folgenden Textanalysen ist: Das Verhältnis von Zorn und Weisheit. Alle anderen Theorien – mittelalterliche Fürstenspiegel sowie der Policraticus des Johannes von Salisbury mit eingeschlossen  – sehen Zorn und Weisheit als sich gegenseitig ausschließende Verfassungen an. Philodem profiliert mit seinem Konzept des ‚natürlichen‘ Zorns hingegen die Emotion gerade nicht als Absenz, sondern als Ausdruck von Weisheit und ist damit für die Inszenierungen der narrativen Texte des 12. Jahrhunderts zum Teil relevanter als Herrschaftstheorien oder -didaxen, die in zeitlich wesentlich näherem Umfeld entstanden sind. Auffallend ist, dass die hier dargestellten antiken Ansätze  – unabhängig davon, wie sie Zorn im Hinblick auf Macht und Herrschaft bewerten  – letztlich nur eine einzige Möglichkeit der Verkörperung von Zorn anbieten: Zorn als Raserei und Gewaltausbruch. Besonders anschaulich sind in diesem Zusammenhang Senecas Beschreibungen zorniger Körper. Die Entwürfe der anderen Autoren zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass einerseits die Sichtbarkeit von Zorn implizit die Voraussetzung dafür bildet, dass sie ihn als für Machtprozesse funktional erachten. Andererseits werden körperliche Äußerungen vollkommen ausgeblendet, die für eine solch notwendige Wahrnehmbarkeit sorgen könnten. Die Theorie enthält hier gleichsam einen blinden Fleck: Sie bietet Ideen an, die Zorn und Macht konstruktiv aufeinander beziehen, stellt aber keine Verkörperungen bereit, die einen solchen Bezug ermöglichen.



2 Eine Theorie zu Zorn und Herrschaft aus dem 12. Jahrhundert – der Policraticus von Johannes von Salisbury Johannes von Salisbury Policraticus (1159)1 steht in der herrschaftsbezogenen theoretischen Reflexion von Zorn vor allem in der Tradition von Seneca, was die Verdammung und die Verkörperung der Emotion als Raserei angeht. Zu Aristoteles oder Philodem finden sich kaum Anknüpfungspunkte, da Zorn weder eine hierarchisierende Wirkung noch ein konstruktiver Zusammenhang zu Weisheit zugesprochen wird. An Laktanz ist der Policraticus insofern anschließbar, als es auch hier um den Zorn Gottes geht. Dessen herrschaftstheoretische Bedeutung wird jedoch konkreter entfaltet. Darüber hinaus bringt Johannes einen neuen Aspekt ins Spiel, der auf die zeitspezifische Diskussion von Herrschaft im 12. Jahrhundert verweist. Es handelt sich um die Konzeption des Staates als Organismus und die Überblendung dieses Staatskörpers mit dem Herrscherkörper. Zorn kommt bei der Visualisierung des Staates durch den Herrscher – als unbedingt zu vermeidende Entgleisung – eine wichtige Rolle zu. Es sei jedoch vorausgeschickt, dass Zorn im Policraticus zwar zuweilen angesprochen wird, er aber kein Hauptthema des Werkes darstellt.2

1 Johannes von Salisbury: Policraticus. Lateinisch–Deutsch. Ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Stefan Seit, Freiburg, Basel, Wien 2008 (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 14). Alle Zitate und Übersetzungen stammen, wenn nicht anders angegeben, aus dieser Ausgabe (nachfolgend zitiert als Pol.). Seitenzahlen werden im Fließtext direkt im Anschluss an die Übersetzung angegeben. Sofern die zitierten Stellen nicht in dieser Ausgabe vorhanden sind, wird auf die lateinische Gesamtausgabe verwiesen: Ioannis Saresberiensis Episcopi Carnotensis Policratici sive de nugis curialium et vestigiis philosophorum. Libri VIII. Recognovit et prolegomenis, apparatu critico, commentario, indicibus instruxit Clemens C. I. Webb. 2 Bde., London 1909. Unveränderter Nachdruck 1965 (zitiert als Webb, Policraticus). Des Weiteren wird die deutsche Übersetzung von mir in Anlehnung an die Übersetzung der jeweiligen englischen Ausgabe aufgeführt; diese sind, für die Bücher 1–3: Joseph B. Pike: Frivolities of Courtiers and Footprints of Philosophers. Being a Translation of the First, Second, and Third Books and Selections from the Seventh and Eighth Books of the Policraticus of John of Salisbury, Minneapolis 1938 (zitiert als Pike, Frivolities); für die Bücher 4–6: The Stateman’s Book of John of Salisbury. Being the Fourth, Fifth, and Sixth Books, and Selections from the Seventh and Eighth Books, of the Policraticus. Translated into English with an Introduction by John Dickinson, New York 1963 (zitiert als Dickinson, Statesman’s Book). 2 Zorn kommt im Vergleich zur Gesamtlänge des Textes relativ selten und von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht in längeren Ausführungen vor. Mithilfe von HSCM (Historical Semantics Corpus Management), einem Programm zur korpusbasierten historischen Semantik, das vom Leibniz-Projekt Politische Sprache im Mittelalter. Semantische Zugänge an der Goethe-Universität



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 2 Der Policraticus von Johannes von Salisbury

2.1 Verkörperung(en) von Herrschaft Schon der Untertitel des dem Kanzler Thomas Beckett gewidmeten Werkes: De nugis curialium et vestigiis philosophorum („Frivolities of Courtiers and Footprints of Philosophers“)3 verweist darauf, dass Johannes einen umfassenden Gesellschaftsentwurf anstrebt, der nicht nur den Herrscher, sondern auch die Rolle des Hofes und der Philosophie miteinbezieht.4 Erstmalig werden zudem Bauern und Handwerker in ihrer staatstragenden Funktion erfasst: Sie bilden die Füße, auf denen der Gesellschaftskörper steht und mit denen er sich fortbewegt. Hier wird deutlich, dass der Policraticus Herrschaftstheorie und ‑ethik in Einklang bringt, indem er die unterschiedlichen Teile des Staates mit den Gliedern und Organen eines Körpers vergleicht. Er verwendet dabei das bis dahin der Kirche vorbehaltene Bild vom Kollektiv als Körper im säkularen Zusammenhang: „Johannes übertrug die Körpermetapher – die Metapher Walahfrid Strabos von der Kirche auf die res publica, den Staat“.5 Der Text bietet dabei neue, zeitspezifische Relationierungen von Körper(n) und Herrschaft, die sich nicht als eindimensionale herrschaftstheoretische

Frankfurt am Main unter der Leitung von Bernhard Jussen entwickelt wurde, konnten folgende Ergebnisse ermittelt werden: Der Terminus ira mit all seinen Ableitungen findet sich an 52, indignatio an 24 und iracundia an neun Stellen im Policraticus. Ganz herzlich möchte ich mich an dieser Stelle bei Silke Schwandt bedanken, die mich in das Programm eingewiesen hat. Siehe dazu Bernhard Jussen/Alexander Mehler u. a.: A Corpus Management System for Historical Semantics. In: Sprache und Datenverarbeitung. International Journal for Language Data Processing 31 (2007), S. 81–89; Alexander Mehler/Rüdiger Glein u. a.: eHumanities-Desktop – eine webbasierte Arbeitsumgebung für die geisteswissenschaftliche Fachinformatik. In: Proceedings of the Symposium ‚Sprachtechnologie und eHumanities‘, 26.–27. Februar 2009, Duisburg, Essen 2009. 3 Siehe die gleichnamige Übersetzung von Joseph B. Pike. 4 Siehe Hans-Werner Goetz: J. v. Salisbury. In: Lexikon des Mittelalters. Hrsg. von RobertHenri Bautier u. a., München 1980–1999, Bd. 5, Sp. 599–601, hier Sp. 600: „Das aus der Synthese von klass[ischer] Tradition und Zeiterfahrung erwachsene Werk weitet sich zu einer moralisierenden, zeitkrit[ischen] Staats- und Gesellschaftslehre und zu einer auf hohem Bildungsniveau verfaßten philosoph[ischen] Lehrschrift aus.“ Dies ist auch bei der Interpretation des Titels häufiger betont worden, so z. B. von Peter von Moos: Geschichte als Topik. Das rhetorische Exemplum von der Antike zur Neuzeit und die historiae im Policraticus Johanns von Salisbury, Hildesheim, Zürich, New York 1988 (Ordo 2), S. 581: „Policraticus ist keine gelehrt-metaphorische Periphrase für ‚Fürstenspiegel‘. […] Der von Johann zweifellos bewußt so allgemein und polyvalent gehaltene Titel erlaubt – wie das ganze Werk selbst – letztlich nur eine umfassende Erklärung: Die Philosophie soll den ‚Hof‘ beherrschen, nicht umgekehrt.“ 5 Georges Duby: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus. Übers. von Grete Osterwald, Frankfurt a. M. 1986, S. 384.





2.1 Verkörperung(en) von Herrschaft 

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Umbrüche beschreiben lassen. So ist die Frage, ob Herrschaft im Policraticus säkularisiert wird, zugleich mit ja und nein beantwortet worden.6 Genauso zeichnet sich der Text dadurch aus, dass er zwischen einem personalen und einem abstrakten Entwurf von Herrschaft schwankt.7 Einerseits wird die res publica als menschlicher Organismus erfasst, dessen Glieder und Organe funktional auf die einzelnen Gruppen des Gemeinwesens abgebildet werden. Diesem Kollektivkörper ist der Herrscher als Kopf eingegliedert. Der Staat wird so als unabhängiger Akteur imaginiert und die res publica gerät im Sinne von Weinfurter und Jussen zu einer transpersonalen Abstraktion und eigenständigen Institution. Andererseits wird dieser Staat wieder auf den Herrscher abgebildet: „In VI, 1 erscheinen z. B. die ausführenden Organe, die Beamten und die Soldaten unter Preisgabe des Bildes vom Staatskörper, in dem der Herrscher der Kopf ist, als die Hände des Herrschers“.8 Der Herrscher verkörpert also letztlich wiederum das gesamte Kol-

6 So attestiert Tilman Struve: Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 16), S. 123–148, S. 124, dem Policraticus eine „Neubelebung des heidnisch-römischen Respublica-Begriffs“, der zur Folge hat, „daß die für das Mittelalter charakteristische Anschauung von der Ecclesia als corpus Christi von einer gleichsam ins Christliche übertragenen Respublica-Vorstellung verdrängt wird.“ Diese Ablösung möchte Struve, S. 148, jedoch keinesfalls als Säkularisierung gedeutet wissen. Anders argumentiert hier Johannes Spörl: Grundformen hochmittelalterlicher Geschichtsanschauung. Studien zum Weltbild der Geschichtsschreiber des 12. Jahrhunderts, München 1935. Nachdruck Darmstadt 1968, S. 109: „Sie [Johanns Lehre vom Tyrannenmord; E. F.] ist in diesem Zusammenhang wichtig, weil sie eine gewisse Säkularisation des Staates voraussetzt. […] Der Staat und sein Oberhaupt haben keinen sakrosankten Charakter mehr.“ Auch Quentin Taylor: John of Salisbury, the Policraticus and Political Thought. In: Humanitas 19 (2006) 1/2, S. 133–157, S. 142, bemerkt eine Trennung von Religion und Politik bei Johannes. Ebenso Wilhelm Berges: Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters, Stuttgart 1938. Unveränd. Nachdruck 1952 (Monumenta Germaniae historica 2), S. 43, der einen „Geltungsverlust der Heilslehre im Bereich des Politischen“ feststellt. 7 Stefan Seit: Einleitung. In: Johannes von Salisbury: Policraticus. Lateinisch-Deutsch. Ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von dems., Freiburg, Basel, Wien 2008 (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 14), S. 11–54, S. 21, plädiert dafür, dass im Policraticus ausgehend „von Überlegungen über die individuelle Qualifikation eines Herrschers der Übergang zur Erörterung der res publica als einer ‚transpersonalen‘ Größe vollzogen wird.“ Wilhelm Kleineke: Englische Fürstenspiegel vom Policraticus Johanns von Salisbury bis zum Basilikon Doron König Jakobs I., Tübingen 1973, S. 2, konstatiert hingegen, indem er für das lateinische res publica das Wort „Staat“ verwendet: „Selbst Johann von Salisbury, der den Staat funktional als eine organische, Herrscher und Beherrschte umfassende und über beiden stehende Einheit versteht, kann diesen Organismus nicht als Willensträger denken, sondern faßt den Staat als Quelle und Vollstrecker des Gesetzes immer im Herrscher.“ 8 Kleineke, Englische Fürstenspiegel, S. 35, Fußnote 1. Ebenso Cary J. Nederman: John of Salisbury, Arizona 2005 (Medieval and Renaissance Texts and Studies 288), S. 60: „It bears emphasis



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 2 Der Policraticus von Johannes von Salisbury

lektiv. Besonders für das Rolandslied und die Gesta Frederici werden sich dieses Wechselverhältnis von Staat und (Herrscher-)Person sowie das Nebeneinander von Säkularität und Sakralität als zentral erweisen. Für Johannes – und das wird sich als zentraler Unterschied zu den narrativen Texten des 12. Jahrhunderts herausstellen – verkörpert der Herrscher nur dann auf ideale Weise den Staat, wenn er vollkommen zornfrei agiert.9 Zorn wird hier ähnlich wie bei Seneca als persönliche Gekränktheit gesehen, die beim Richten und Strafen keinen Platz haben sollte. Dabei geht die Beschreibung herrscherlicher Aufgaben, insbesondere des Rechtsprechens mit einer speziellen Darstellungsstrategie einher, die die Verkörperung von Zorn als Wahnsinn zugleich präsent hält und ablehnt. Besonders eindrücklich geschieht dies in der Anekdote, die von der Auseinandersetzung zwischen dem antiken Philosophen Plutarch mit einem seiner Sklaven berichtet.10 Der Sklave, der aufgrund eines Vergehens hart

that John’s conception of the nature of political power is an entirely personalized one: the incumbent makes the office.“ Laut Taylor, John of Salisbury, S. 140, korrespondiert dieser Herrscher jedoch erstmals mit einem Territorium: „Unlike his predecessors, who treated the principe as a particular person whose authority rested on fealty, John equated ‚the prince‘ with ‚the public power‘, whose authority corresponded to a specific territory.“ 9 Um sein Plädoyer gegen Zorn zu stützen, führt Johannes auch christliche Quellen an. So greift er die Lehre des Apostels Paulus auf, der im Brief an die Galater (Gal 5, 20) neben anderen Verhaltensweisen Zorn als Laster verurteilt, das die Erlangung christlichen Heils verhindert (siehe Pol., VII, 24; Webb, Policraticus, Bd. 2, S. 210). Eine Steigerung findet diese ins Christliche gewendete Ablehnung von Zorn darin, dass Johannes den Sündenkatalog Gregors des Großen referiert. Dieser rechnet die Emotion sogar den sieben Todsünden zu, aus denen sich alle weiteren Vergehen ableiten lassen (siehe Pol., VIII, 1; Webb, Policraticus, Bd. 2, S. 228). Aus ira entstehen rixae, tumor mentis, contumeliae, clamor, indignatio und blasphemiae. Auch das Wort indignatio findet also in die Todsündenlehre Eingang und erscheint so eng mit ira verbunden. Im Gegensatz zu allen anderen Todsünden zeichnet sich der Zorn dadurch aus, dass er den Zornigen sich selbst vergessen lässt: ira auferat et seipsum (Pol., VIII, 1; Webb, Policraticus, Bd. 2, S. 230). Zur Bedeutung von Gregor dem Großen in einer Funktionsgeschichte der Haupt- bzw. Todsündenschemata siehe Rainer Jehl: Die Geschichte des Lasterschemas und seiner Funktion. Von der Väterzeit bis zur karolingischen Erneuerung. In: Franziskanische Studien 64 (1982), S. 261–359, hier bes. S. 296–302; zu den antiken Ursprüngen der Todsündenkataloge und deren Tradierung in mittelalterlichen Entwürfen siehe Carla Casagrande/Silvana Vecchio: I sette vizi capitali. Storia dei peccati nel Medievo, Torino 2000, hier bes. das Kapitel ‚Ira‘, S. 54–77; zu einer genauen Sichtung des orts- und zeitgleichen literarischen Materials siehe Morton W. Bloomfield: The Seven Deadly Sins. An Introduction to the History of a Religious Concept, with Special Reference to Medieval English Literature, Michigan 1952, hier bes. S. 105–121; Richard Newhauser: The Treatise on Vices and Virtues in Latin and the Vernacular, Turnhout 1993, versucht hingegen erstmals eine eigene Gattung „Sünden- und Lastertraktat“ zu definieren und zu systematisieren. 10 Auf die herrschaftstheoretische Bedeutung dieser Episode hat bereits Classen, Anger, S. 28 f., aufmerksam gemacht: „ John elevates him [Plutarch, E. F.] into the ideal model of a ruler





2.1 Verkörperung(en) von Herrschaft 

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bestraft werden soll, wirft seinem Herrn zorniges Verhalten vor (siehe Pol., IV, 9, S. 128–131). Diesen Vorwurf entkräftet Plutarch mit einer rhetorischen Frage, die vor allem Symptome aufruft, die Zorn als vorübergehenden Wahnsinn erscheinen lassen: [N]umquid quod vapulas tibi irasci videor? Estne ira mea si a me debitum recipis? Ex vultune meo an ex voce, an ex colore an etiam ex verbis ira me corruptum intelligis aut correptum? Michi quidem neque oculi, opinor, truces, sunt neque os turbidum, neque immaniter clamo, neque in spumam ruboremque feveresco, neque pudenda dico aut paenitenda, neque omnino trepido ira aut gestio. Haec omnia quippe, si nescis, signa irarum esse solent. Scheine ich Dir etwa zornig zu werden, weil du Schläge erhältst? Ist es denn mein Zorn, wenn du von mir empfängst, was du verdienst? Liest du etwa aus meiner Mimik oder aus meiner Stimme oder aus meiner Gesichtsfarbe oder auch aus meinen Worten, ich sei von Zorn fortgerissen? Ich habe, so glaube ich, weder wilde Augen noch einen verzerrten Mund, noch schreie ich grauenhaft, noch tritt mir Schaum vor den Mund oder entbrenne ich in Zornesröte, noch sage ich Dinge, für die ich mich zu schämen oder Strafe verdient hätte, noch zittere ich vor Zorn oder gestikuliere ich. Dies alles sind freilich, falls du es nicht weißt, für gewöhnlich Anzeichen von Zornausbrüchen. (Pol., IV, 9, S. 130 f.)

Indem der Philosoph die Emotion als körperliche Entgleisung anschaulich macht und gleichzeitig vollkommen ruhig erscheint, straft er den Sklaven Lügen. Dabei steht nicht nur Plutarchs überlegte Entgegnung einem Außer-Sich-Sein im Zorn entgegen, sondern auch der Erzähler unterstreicht nochmals die Gelassenheit des Philosophen, der lente quidem et leniter sed summa cum gravitate („gelassen und ruhig, aber mit dem größten Nachdruck“; Pol., IV, 9, S. 130) spricht. Indem gleichzeitig Symptome von Zorn ausführlich erwähnt werden, die auf ein vollkommenes Außer-Sich-Sein verweisen, wird aber die Vorstellung präsent gehalten, dass Zorn einem vorübergehenden Wahnsinn gleichkommt, der beim Strafen keine Rolle spielen sollte. Ähnlich verfährt Johannes, wenn er die Aufgabe von Richtern beschreibt. Auch sie sollen ihre Entscheidungen unbeeinflusst von Zorn und Hass sowie von Furcht und Sympathie treffen: Omnes quoque carnis et sanguinis religio iudiciaria propellit affectus evacuans iram et odium, metum et amicitiam; Pol., V, 12.11 Im

who exerts justice and metes out punishment wherever it is necessary. E negativo, however, John poignantly addresses contemporary rulers who might be guilty of this deadly sin, ira, or anger, whereas the veritably just ruler maintains his calm and does not exempt a perpetrator from receiving his punishment even when the latter challenges him in having broken his own principles.“ 11 Webb, Policraticus, Bd. 1, S. 334.



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 2 Der Policraticus von Johannes von Salisbury

Unterschied zum Fall des Philosophen ist beim Richter der Zusammenhang von Amt (auctoritas) und Charakter (ingenium) wichtig: Et summatim ita ius reddi debet ut auctoritatem dignitatis ingenio suo augeat. Sed et in cognoscendo nec excandescere adversus eos quos malos putat, nec precibus clamitosorum illacrimari oportet; id enim non est constantis et recti iudicis, cuius motum animi vultus detegit. (Pol., V, 15)12 Kurz gesagt, sollte er so Gerechtigkeit üben, dass er die Autorität seines Amtes durch seine Fähigkeiten und seinen Charakter vermehrt. Wenn er von Ereignissen hört, sollte er weder gegen jene in Zorn ausbrechen, die er für schlecht hält, noch sollte er von den Bitten Unglücklicher zu Tränen gerührt werden; denn es nicht die Aufgabe eines strengen und gerechten Richters, Gefühle in seinem Gesicht sehen zu lassen.13

Nach dieser klaren Anweisung, die vor allem das Zeigen von Emotionen beim Rechtsprechen – also die Kontrolle des nach außen sichtbaren Körpers – betrifft, schildert Johannes erneut in all ihrer entstellenden Drastik die bereits bekannten Zornsymptome: ein rotes Gesicht, Schaum auf den zuckenden Lippen, herumwirbelnde Arme, hüpfende Beine, einen zitternden Körper. Er ergänzt, dass ein solchermaßen von seinem Zorn Besessener in seinem gesamten Verhalten einem Wahnsinnigen gleiche: toto gestu non tam iratum exprimit quam insanum (Pol., V, 15) und setzt so antike Verkörperungen von Zorn fort, die im Wesentlichen auf Seneca beruhen.14 Ein gemäßigter Zorn, mit dessen Hilfe der Richter das Recht auch emotional verkörpert, ist für ihn also undenkbar.15 Gesteigert findet sich dieses Ausschlussverhältnis von Zorn und Rechtsprechen, wenn Johannes den vorbildlichen Herrscher als Abbild der Gerechtigkeit

12 Webb, Policraticus, Bd. 1, S. 344. 13 Übers. E. F., s. a. Dickinson, Stateman’s Book, S. 144: „And, in short, he should so mete out justice as to increase the authority of his office by his talents and character. In hearing cases he ought not to burst out in anger against those whom he thinks wrong-doers, nor on the other hand be brought to tears by the petitions of the unfortunate; for it is not the part of a firm and just judge to display his emotions in his face“. 14 Webb, Policraticus, Bd. 1, S. 345. Das Zitat lautet vollständig: [A]ut si sanguinem faciei ira accendit et quasi excludit in superficie, spumantia torquentur labra, brachia iactantur, saliunt pedes, corpus trepidat et toto gestu non tam iratum exprimit quam insanum. 15 Dem entspricht, dass Johannes sich an anderer Stelle dem Ausspruch Ciceros anschließt, dass Zorn jegliche Erkenntnis verhindere, siehe Pol., VII, 7; Webb, Policraticus, Bd. 2, S. 117. Diese Wirkung fasst er auch einmal als Trübung, welche die Augen der Seele blind mache: Serena tibi celum ne turbetur prae indignatione oculis animae tuae (Pol., VIII, 25; Webb, Policraticus, Bd. 2, S. 419).





2.1 Verkörperung(en) von Herrschaft 

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erscheinen lässt.16 Ohne sich auf das Thema „Zorn“ zu beziehen, schreibt Ernst H. Kantorowicz dazu: In einigen vielzitierten Kapiteln zu Anfang des Vierten Buches des ‚Policraticus‘ entwickelte Johannes von Salisbury seine Doktrin vom rex imago aequitatis. Die Metapher vom König als Abbild der Gerechtigkeit ist alt […]. Johanns Version läßt nur eine kleine Variation des alten Themas erkennen, eine scheinbar geringe Verschiebung von dem mehr liturgischen zu dem mehr rechtlichen Aspekt Christi, wie ihn der Herrscher repräsentiert.17

Mit dem Fokus auf Zorn wird Kantorowicz Konzept von den zwei Körpern des Königs und der von ihm konstatierte Übergang von einem Christ centered kingship zu einem law centered kingship vom 11. zum 13. Jahrhundert um eine emotionstheoretische Perspektive erweitert. Johannes König, den Kantorowicz in das Anfangsstadium des law centered kingship datiert, zeichnet sich dadurch aus, dass er Zorn vermeidet. Der natürliche Körper spiegelt in diesem Sinne die Affektlosigkeit des politischen Körpers, des Gesetzes, das er sichtbar macht. So beschreibt Johannes, sich auf die Zwei-Schwerter-Lehre beziehend,18 das Schwert des weltlichen Herrschers als Waffe, die zur Ahndung von Vergehen bereit steht, aber niemals im Zorn bestraft: Hic siquidem ‚gladius est columbae‘, quae sine felle rixatur, sine iracundia ferit, et, cum dimicat, nullam omnino concipit amaritudinem. Nam sicut lex culpas persequitur sine odio

16 Taylor, John of Salisbury, S. 156: „The rule of law, equity, the common good – these are the great objects of the public will as embodied in the prince.“ 17 Kantorowicz, Zwei Körper des Königs, S. 113. Eine einseitige Ausrichtung auf das römische Recht und zivilistische Einflüsse bei Kantorowicz bemängelt Max Kerner: Johannes von Salisbury und die logische Struktur seines Policraticus, Wiesbaden 1977, S. 96–101, hier S. 151. Er zeigt ergänzend auf, dass und inwiefern Johannes Entwurf auch von kirchlichem Recht geprägt ist, siehe dort S. 155–157. 18 H.-W. Goetz: Zwei-Schwerter-Lehre. In: Lexikon des Mittealters. Hrsg. von Robert-Henri Bautier u. a., München 1980–1999, Bd. 9, Sp. 725–726, hier Sp. 725, erklärt den Ursprung dieser Lehre folgendermaßen: „Die Z. entstand in der Frühphase des Investiturstreits durch typolog.allegor. Exegese von Lukas 22, 28. Im Passionsbericht sagen die Jünger zu Jesus: ‚Siehe, hier sind zwei Schwerter‘, worauf dieser antwortet: ‚Das ist genug‘ (‚Satis est‘).“ Beide Parteien, Verfechter einer kirchlichen wie diejenigen einer weltlichen Vormachtstellung, verwenden diese Bibelstelle immer wieder für ihre Argumentation. Dementsprechend hat der weltliche Herrscher entweder sein Schwert direkt von Gott erhalten und ist deshalb dem Papst zur Seite gestellt, oder der Papst nimmt eine Mittlerfunktion ein, sodass ihm der König/Kaiser untersteht. Johannes schaltet sich direkt im Anschluss an die zitierte Stelle in diese Diskussion ein und plädiert für den Vorrang der Kirche, die das blutige Schwert (gladium sanguinis) durch den weltlichen Fürsten führe, siehe Pol., IV, 1, S. 67.



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 2 Der Policraticus von Johannes von Salisbury

personarum, ita et princeps delinquentes rectissime punit, non aliquo iracundiae motu sed mansuetae legis arbitrio. Dieses ‚Schwert ist nämlich das einer Taube‘, die ohne Gehässigkeit streitet, die ohne Jähzorn tötet und die, wenn sie kämpft, gar keine Erbitterung empfindet. Denn wie das Gesetz, frei von Hass gegen die Personen, die schuldhaften Taten verfolgt, so straft auch der Fürst die Übeltäter völlig unparteiisch; er läßt sich keineswegs durch Jähzorn erregen, sondern handelt nur aufgrund des leidenschaftslosen Urteils des Gesetzes. (Pol., IV, 2, S. 66 f.)

Über das Bibel-Zitat vom Schwert als Taube,19 die ohne jegliche zornige Involvierung (felle, iracundia, amaritudo) zuschlägt, kommt Johannes über den Vergleich mit dem Gesetz, das ebenso emotional unbeteiligt (sine odio personarum) zur Strafverfolgung schreitet, zum idealen Herrscher. Dieser wird insofern zum Abbild eines übergeordneten, enthobenen Gesetzes stilisiert, als er vollkommen ungerührt strafen soll. Er verkörpert das Gesetz also nicht über Emotionen, indem er etwa auf Gesetzesbrecher zornig wird, sondern in ihm spiegelt sich die über den Menschen sowie deren Regungen stehende Position von Recht und Gesetz als emotionale Ungerührtheit. Dabei ist die Darstellung insofern gesteigert, als hier auch sämtliche körperlichen Symptome von Zorn – selbst als abschreckende Szenarien  – ausgespart bleiben. Das Muster von Zorn als Wahnsinn wird also anders als beim strafenden Philosophen und dem Recht sprechenden Richter nicht präsent gehalten, sondern komplett ausgeblendet.20 An einer einzigen Stelle ist zu finden, dass auch das Gesetz selbst zornig strafen kann: Inspice verba legis et quanta indignatione crimen hoc persequatur

19 Für den Nachweis siehe Pol., S. 394, Anm. 10: „Siehe Jer 46,16Vg: ‚gladii columbae‘.“ 20 Unterstützt wird die Forderung nach herrscherlicher Selbstkontrolle durch eine Reihe von Exempla im siebten Buch. Dort wird die ungerührte Reaktion des Pompeius auf eine Bemerkung geschildert, die ihn zugleich in seiner Machtposition anerkennt und provoziert: Sed is neutra in parte mutato uultu utrumque cavit, ne aut hilari fronte libenter agnoscere potentiam aut tristi iram profiteri videretur. (Webb, Policraticus, Bd. 2, S. 220; „But he not altering his countenance in either sense, took care neither to seem pleased at the recognition of his power by assuming a proud front, nor to confess anger by a cloudy one“; Dickinson, Statesman’s Book, VII, 25, S. 326). Eine ähnliche Episode begegnet kurz darauf, wenn der Herrscher Pisistratus angesichts der Provokationen seines Freundes Trasippus, die bis dahin reichen, dass er ihn anspuckt, seine Seele und Stimme von Zorn freihält (animum et vocem ab ira cohibuit; Webb, Policraticus, Bd. 2, S. 221). In diesen Exempelerzählungen ist von einer Bestrafung durch die öffentliche Hand keine Rede und auch das Wort lex bleibt aus. Vielmehr erscheinen die Provokationen wie persönliche Beleidigungen der Herrscher, die auf vorbildliche Weise eine emotionale Involvierung vermeiden und eine persönliche Rache ablehnen. Ira wird hier zum Signum persönlicher Gekränktheit, von der ein Herrscher frei sein sollte. Potentielle Zornsymptome bleiben auch hier unerwähnt.





2.2 Der Zorn Gottes als Drohung und Strafe 

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attende: […]. („Sieh die Worte des Gesetzes an und beachte, mit welcher Empörung es seine Aufmerksamkeit darauf richtet, dieses Verbrechen zu verfolgen.“; Pol., V, 16)21 Mit dieser Aufforderung an den Rezipienten leitet Johannes die Schilderung der besonders harten Bestrafung von Richtern und Herrschern ein, die gegen ihre Amtspflichten verstoßen. Während Richter und Herrscher selbst niemals im Zorn ihrer Aufgabe nachkommen sollen, ruft ihr eigenes Fehlverhalten im Amt den Zorn des Gesetzes hervor.22 Die lex wird über die Zuschreibung der Emotion personifiziert und die Strafzumessung als äußerst hart charakterisiert. Amtsmissbrauch erscheint derart als Verstoß, der eine zornige Reaktion verdient. Wenn Herrscher oder Richter also nicht auf angemessene und vorgeschriebene Weise das Gesetz verkörpern und umsetzen, wird das Gesetz selbst als ein zorniges vorgestellt. Mehr als die Visualisierung von Zorn an einem imaginären (Gesetzes-)Körper interessieren dabei allerdings die verheerenden Folgen für die Gesetzesbrecher.

2.2 Der Zorn Gottes als Drohung und Strafe Ähnlich dem Zorn des Gesetzes bleibt auch der Zorn Gottes häufig auf die Erwähnung eines Wortes beschränkt und weitgehend körperlos.23 Zugleich kommen

21 Webb, Policraticus, Bd. 1, S. 350, Übers. E. F., s a. Dickinson, Stateman’s Book, S. 149: „Examine the words of the law and observe with what indignation it hunts down this crime: […].“ 22 Dies gilt insbesondere für Bestechlichkeit, wie das Beispiel des Richters Bileam illustrieren soll: Neque enim Balaam ex eo culpatur, quod populi Dei causam dampnaverat aliudve dixerit quam quod Dominus inspirabat, sed quia avaritia excecatus, infidelium causam instruens, quomodo ad provocandam iram Dei delinqueret Israel dictante malitia procuravit. („Denn auch Bileam wird nicht deshalb verurteilt, weil er die Sache des Volkes Gottes verworfen hatte oder auch weil er anderes sprach, als was Gott ihm eingab, sondern weil er, durch seine Habgier verblendet, auf Weisung der Schlechtigkeit dafür Verantwortung trug, wie sich Israel verfehlte, so dass es den Zorn Gottes aufreizte; damit verschaffte er der Sache der Ungläubigen die nötigen Beweismittel.“; Pol., V, 11, S. 258 f.) Der Zorn Gottes erscheint hier weniger parallel zum zornig strafenden Gesetz, sondern wird in den Betrug des Richters als berechenbare Größe eingebaut. 23 Johannes erwähnt selbstverständlich und an vielen unterschiedlichen Stellen ira, indignatio, furor und iracundia Gottes. Er setzt die göttliche Fähigkeit zum Zorn demnach als gegeben voraus und kann sich dabei auf die Bibel und besonders das Alte Testament berufen. Eine umfassende Zusammenschau und Analyse der Bibelstellen zum Gotteszorn liefert Ralf Miggelbrink: Der zornige Gott. Die Bedeutung einer anstößigen biblischen Tradition, Darmstadt 2002. Er unterscheidet zwischen dem Zorn Gottes als Metapher und als emotionale Qualität bzw. Involviertheit. Indem er Darstellungsstrategien fokussiert, kann er den Zorn Gottes als Indiz für die Wandlungen des Gottesbildes bzw. für die Begreifbarkeit und Darstellbarkeit Gottes fassen. Dabei stellt er zahlreiche Verschiebungen zwischen einzelnen Bibeltexten und deren Gestaltung des



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 2 Der Policraticus von Johannes von Salisbury

ihm bei der Konzeption von Herrschaft im Policraticus mehrere Funktionen zu, die auch für die im Folgenden untersuchten narrativen Texte von Bedeutung sind. Erstens dient er dazu, dem Herrscher eine komplexe Mittlerposition zwischen Gott und den Beherrschten einzuräumen. So zeichne sich der vorbildliche Herrscher dadurch aus, dass er vor dem Zorn Gottes keine Angst habe, sondern diesen von seinem Volk weg auf sich selbst lenke: Verus utique rex et iustus princeps et dignus qui Altissimi frangeret iram; qui, dum se pro populo flagellanti Deo opposuit, indignationis eius flagellum amouit. („Ein wahrer König und Herrscher, der gerecht und würdig ist, den Zorn des Allerhöchsten zu bezähmen, indem er sich selbst schützend vor sein Volk stellt, wendet die Peitsche der Empörung ab.“; Pol., II, 27)24 Der rex iustus definiert sich somit nicht nur über den Umgang mit seinem eigenen Zorn, sondern auch der Umgang mit dem Zorn Gottes wird zum zentralen Charakteristikum. Erst die Bereitschaft, sich diesem zu unterwerfen, macht den guten Herrscher aus. Er soll es also nicht nötig haben, sich mithilfe von Zorn über seine Untertanen zu erhöhen, lässt sich aber auch selbst nicht vom Zorn Gottes einschüchtern. Zweitens entwirft Johannes eine zentrale Rolle von Gottes Zorn bei der Entstehung und Übertragung irdischer Herrschaft. Einerseits erkennt er das Prinzip der Erbfolge an, andererseits stellt er aber den Zorn Gottes als wichtiges Verteilungsprinzip daneben: Quid, obsecro, tam potentia regna tam cito subvertit et transtulit? Certe indignatione Dei, quam in se multiplex iniustitia provocabat. („Was, bitte, brachte mit solcher Macht so schnell die königlichen Herrschaften zu Fall und übertrug sie auf andere Inhaber? Gewiss ist es der Unwille, den die mannigfache Ungerechtigkeit bei Gott hervorrief.“; Pol., IV, 12, S. 156 f.) Damit wird die Gottgefälligkeit des Herrschers als Kriterium über die Abstammung gestellt und der Zorn Gottes als Regulativ weltlicher Herrschaftsabfolgeprinzipien imaginiert. Weltliche Herrschaft erscheint als direkt von Gott sanktionierte und hat keinen Bestand als den von Gott gewollten.25 Dementsprechend muss das Diktum von Laktanz („Wo kein Zorn ist, da wird auch keine Herrschaft sein“) für Johannes

Gotteszorns fest. Er differenziert (S. 56) etwa den Zorn Gottes als Naturkatastrophe, als kriegerischen Feind, als Krankheit, als „Tun-Ergehen-Zusammenhang“, als individuelles Strafgericht und sogar als Begierden des Herzens, also in die inneren Antriebskräfte des einzelnen Menschen verlagert. 24 Webb, Policraticus, Bd. 1, S. 148, Übers. E. F., s a. Pike, Frivolities, S. 131 f.: „A true king in­ deed and a prince, just and worthy to check the wrath of the Most High who, exposing himself in defence of his people to the scourging of the Lord, stayed the lash of his indignation.“ 25 Dies gilt auch für den Ursprung von schlechter Herrschaft: Tandem in furore Domini dati sunt reges, alii quidem boni, alii vero mali („Schließlich sind unter dem Unwillen des Herrn Könige eingesetzt worden; die einen waren zwar gut, die anderen aber schlecht“; Pol., VIII, 18, S. 332).





2.2 Der Zorn Gottes als Drohung und Strafe 

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abgewandelt werden zu: ‚Wo kein Zorn Gottes ist, da wird auch keine Herrschaft sein.‘ Denn es findet im Policraticus keine Übertragung von Gottes Zorn und dessen Macht verstetigender Wirkung auf den weltlichen Herrscher statt. Der Zorn Gottes fungiert drittens als Strafe. So führt Johannes Beispiele dafür an, wie die indignatio divina in Gestalt unterschiedlicher Wunder (veris variisque miraculis) Herrscher gerade in dem Moment tötet, in dem sie sich dem von Gott verbotenen Zeitvertreib des Jagens hingeben.26 Auch über das jüdische Volk, das auf mehrere Warnungen nicht hören will und immer weiter gegen göttliche Gebote verstößt, kommt der Zorn Gottes (indignatio Dei beziehungsweise divina indignatio) als verheerende Strafe in Form von Hunger, Vertreibung, Bränden, Vergewaltigungen und Krieg, deren destruktive Wirkung Johannes explizit hervorhebt.27 Er zitiert Josephus, der von unverkennbaren Anzeichen göttlichen Zorns (evidentibus signis et indiciis iracundiae et indignationis divinae) berichtet, die die Zerstörung Jerusalems ankündigen und die Bewohner zur Umkehr bewegen sollten. So habe ein heller Stern wie ein Schwert (stella praefulgens gladio) über der Stadt geschwebt.28 Dieser Vergleich erinnert an die bereits analysierte Stelle vom Schwert des Herrschers: „Es steht für die vollstreckende Gewalt (Gerichtsschwert, Richtschwert, Justitia) im Gegensatz zu Stab/Zepter als Symbol verurteilender Gewalt“.29 Dabei wird jedoch der Zorn Gottes in seiner Ausdrucksform als vollkommen verschieden von menschlichem Zorn entworfen: Statt als körperliche Manifestation zeigt er sich als Veränderung des Kosmos.30 Der Policraticus thematisiert den Zorn Gottes viertens in seiner Potentialität als effizientes Herrschaftsmittel. Denn selbst als nicht ausagierter, beeinflusst er als Drohung das Verhalten der Menschen:

26 Siehe Pol., I, 4; Webb, Policraticus, Bd. 1, S. 30. 27 Pol., II, 5 und II, 7; Webb, Policraticus, Bd. 1, S. 74 und 82. 28 Siehe Pol., II, 4; Webb, Policraticus, Bd. 1, S. 72. 29 Gernot Kocher: Schwert. In: Lexikon des Mittelalters. Hrsg. von Robert-Henri Bautier u. a., München 1980–1999, Bd. 7, Sp. 1644–1645, hier Sp. 1645. An einer weiteren Stelle, in der Johann den Propheten Jesaja zitiert, um so zu belegen, wie verbindlich die göttliche Vorsehung ist, werden Zorn Gottes und Schwert zusammengebracht, siehe Pol., II, 22; Webb, Policraticus, Bd. 1, S. 126; Dickinson, Stateman’s Book, S. 112. 30 Die Unkörperlichkeit des göttlichen Zorns bewegt Augustinus dazu, diesen gerade nicht als Emotion zu begreifen, sondern nur als Analogie zur strafenden Wirkung menschlichen Zorns. Siehe dazu Engelen, Kurze Geschichte, S. 57. Die strenge Trennung von göttlicher und menschlicher Sphäre sowie von Zorn und Recht auf Erden unterminiert Johannes an einer Stelle im achten Buch, die die Tötung von Tyrannen legitimiert (siehe Pol., VIII, 20, S. 350 f.). Zorn Gottes und Zorn Moses zeigen hier den Verstoß gegen das von ihnen einmal als Herr und einmal als Diener vertretene Recht an.



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 2 Der Policraticus von Johannes von Salisbury

Legitur in libro Numerorum quod cum Madiantis fornicans Israel indignationem Domini provocaverit, donec Finees Zambri filium Salu cum succuba Madianitide educto ense transverberavit et in occasu nocentum quievit ira Dei. Im Buch Numeri steht zu lesen, Israel habe, indem er mit Midianiterinnen Ehebruch beging, den Unwillen Gottes erregt, bis schließlich Pinhas den Zambri, den Sohn des Salus, mit dem Schwert durchbohrte, nachdem Zambri vorher zusammen mit der Midianiterin, die bei ihm schlief, weggeführt worden war; mit dem Tod der Ruchlosen besänftigte Pinhas den Zorn Gottes. (Num 25,6 f.) (Pol., V, 10, S. 248 f.)

Johannes entwirft hier eine Abstufung, indem er zunächst das etwas schwächere indignatio als Anzeichen beginnenden Zorns und darauf den eine stärkere emotionale Involvierung anzeigenden Terminus ira als Realisation von Zorn verwendet. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Johannes um die Wirksamkeit der drohenden Funktion des (göttlichen) Zornes weiß. Er macht sich diese an mehreren Stellen als verbale Strategie selbst zu nutze, indem er den Verweis auf Gottes Zorn als Drohelement in seine Ratschläge einbaut: Gesang sei zu unterlassen, denn er errege die indignatio Gottes.31 Nach Ijob, den Johannes anführt, erregt auch Heuchelei den Zorn Gottes: Simulatores, inquit Iob, et callidi provocant iram Dei, […]. („Die Heuchler und verschlagenen Menschen erregen den Zorn Gottes.“; Pol., V, 7, S. 224 f.) Alles Geschriebene und jegliche Kunst müssten der pietas dienen, sonst komme vom Himmel die ira Dei herab.32 Skrupellose Machtgierige erreichten zwar, was sie wollten, aber zögen auch den Zorn Gottes auf sich: Tandem itaque quod petitur optinetur, sed, ut dici solet, Deo irato; VII, 19.33 Gerade auch der drohende Charakter des Gotteszorns wirkt modellbildend für die narrativen Texte des 12. Jahrhunderts. So übertragen sie zum Teil das Modell auf den christlichen Herrscher, dessen Feinde sich alleine schon durch die Vorstellung, dieser könnte zornig werden, einschüchtern lassen.

2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verhandlung von Zorn Johannes vor allem dazu dient, das Verhältnis von Herrscher und öffentlicher Hand zu klären und von Ambiguitäten freizuhalten. Dabei setzt er Weisheit und Gerechtigkeit mit

31 Siehe Pol., I, 6; Webb, Policraticus, Bd. 1, S. 42. 32 Siehe Pol., VII, 11; Webb, Policraticus, Bd. 2, S. 136. 33 Webb, Policraticus, Bd. 2, S. 179. Mit dem Verweis ut dici solet markiert Johannes die Drohung mit dem Zorn Gottes als verbreitete Kommunikationstechnik.





2.3 Zusammenfassung der Ergebnisse 

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der Absenz von Zorn gleich. Der gute Herrscher ist für ihn ein Abbild der Gerechtigkeit, weil er ungerührt urteilt und straft. Gerechtigkeit und Gesetz spiegeln sich gerade im niemals affizierten Herrscher wider. Ira fungiert in dieser Konzeption ausschließlich als Signum persönlicher Gekränktheit und erscheint als Wahnsinn und Todsünde durch und durch negativ. Ergänzend – aber nicht im Widerspruch dazu – entwirft Johannes mehrere Verbindungen von Zorn und Herrschaft anhand des gerechten Zorn Gottes. Dieser reguliert zum einen das irdische Zusammenleben, indem er Vergehen bestraft. Als drohende Strafe vermag er aber auch zukünftiges Verhalten zu beeinflussen, ohne direkt ausagiert zu werden. Gleichzeitig setzt Johannes den Zorn Gottes als Ursprung jeglicher irdischer Herrschaft und als bedeutenden Garanten für deren Kontinuität: Nicht allein die Erbfolge entscheidet, ob ein Herrscher an die Macht kommt, sondern Gottes Zorn vermag jederzeit die Thronfolge zu beeinflussen. Anders als menschlicher Zorn wird der Zorn Gottes nicht anhand von Gesten oder Symptomen veranschaulicht, sondern bleibt gleichsam körperlos und allumfassend. Er äußert sich als kosmische Veränderung oder als für viele Menschen tödliche Katastrophe. Dies bestätigt den Befund, dass die Verkörperung von Zorn für Johannes nur als Wahnsinn und immer im Ausschluss zu Weisheit denkbar ist. Zugleich führt er dadurch antike Entwürfe fort, in denen die Verkörperung eines machtvollen und kontrollierten Zorns genauso eine Leerstelle bildet.



3 Eine neue Konzeptualisierung von Zorn und Herrschaft im 12. Jahrhundert – von der Chanson de Roland zum Rolandslied 3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland Das Rolandslied des Pfaffen Konrad ist die Übertragung der altfranzösischen Chanson de Roland ins Mittelhochdeutsche.1 Obwohl die Oxforder Fassung des altfranzösischen Textes wahrscheinlich nicht die Übersetzungsvorlage Konrads gewesen ist, verspricht ein Vergleich mit dieser ältesten erhaltenen Version der Chanson de Roland Aufschluss über einen Wandel der Konzeption von Zorn und Herrschaft, der sich im späten 12.  Jahrhundert im deutschen Teil des Reiches bemerkbar macht.2 Um die Aktualisierungstendenzen im Rolandslied erfassen zu können, wird zunächst die Herrschafts- und Zorndarstellung des altfranzösischen Textes in den Blick genommen. Es sei vorausgeschickt, dass sich im Altfranzösischen der Chanson de Roland das Wortfeld von Zorn und Trauer stark überschneidet, weit mehr als im Mittelhochdeutschen des Rolandsliedes. Die speziellen Nuancen von maltalent, rancune, ire/irance, doel, dolur, rage und curuçus decken dabei auf unterschiedliche Weise die Bedeutungstrias „Zorn, Leid und Trauer“ ab.3

1 Das Rolandslied des Pfaffen Konrad. Mittelhochdeutsch–Neuhochdeutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Dieter Kartschoke. Durchgesehene Ausgabe, Stuttgart 1996 (nachfolgend zitiert als RL). 2 Zur Datierung der Oxforder Fassung siehe Cesare Segre: La Chanson de Roland. Édition critique par Cesare Segre. Nouvelle édition refondue. Traduite de l’italien par Madeleine Tyssens, Genf 2003, S. 47. Hier sind alle Forschungsmeinungen zusammengefasst und ausgewiesen. Segre selbst plädiert für eine Entstehung der Oxforder Handschrift im zweiten Viertel des 12.  Jahrhunderts. Hans-Erich Keller: La Chanson de Roland: poème de propagande pour le royaume capétien du milieu du XIIe siècle. In: Ders.: Autour de Roland. Recherches sur la chanson de geste, Paris, Genf 1989, S. 77–92, spricht sich hingegen für eine Entstehung um 1170 aus. 3 Zur Überschneidung von Zorn und Trauer im altfranzösischen irance sowie zu einem ersten Vergleich von Chanson de Roland und Rolandslied hinsichtlich dieser Emotionen als Attribute des Herrschers siehe Evamaria Heisler [jetzt: Freienhofer]: Christusähnlicher Karl. Die Darstellung von Zorn und Trauer des Herrschers in der Chanson de Roland und im Rolandslied. In: Das Mittelalter 14 (2009), S. 67–79. Aus linguistischer Sicht und mit einem breiteren Textkorpus siehe auch schon Georges Kleiber: Le mot ‚ire‘ en ancien français. XIe–XIIIe siècles, Paris 1978.



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

Die Chanson de Roland4 erzählt von der Belagerung Saragossas durch Karl den Großen und entfaltet dabei die zahlreichen Anfechtungen, denen eine Hoheitsgewalt ausgesetzt ist, die sich zwischen religiösen und weltlichen Geltungsansprüchen situieren und sich der Interessen der eigenen Fürsten sowie der Bedrohung durch äußere Feinde erwehren muss.5 Zorn wird dabei in unterschiedlichen Konstellationen und Ausprägungen dargestellt: Er erscheint als Aufbrausen der Vasallen in Aushandlungsprozessen, als Regulativ im diplomatischen Umgang mit dem Feind sowie als wichtiger Kampfantrieb. Bisherige Studien legen ihren Fokus auf den Zorn der Helden – nicht des Herrschers – und kommen zu dem Ergebnis, dass die Emotion in der Chanson de Roland vor allem als nach außen gerichteter, stark verkörperter (An-)Trieb visualisiert wird.6 Zudem erscheint Zorn nicht zuletzt deshalb als äußerst ambivalent, weil er als wirkungsvolles und zugleich gefährliches Mittel zur Aushandlung von Hierarchien gezeigt wird.7 Tatsächlich setzt die Darstellung der Emotion die Figuren – insbesondere im christlichen Lager – auf mehrfache und mehrdeutige Weise in Beziehung. So werden Roland und Ganelon, die großen Gegenspieler parallelisierend und abgrenzend

4 Das altfranzösische Rolandslied. Zweisprachig. Übersetzt und kommentiert von Wolf Steinsieck. Nachwort von Egbert Kaiser, Stuttgart 1999. Im Folgenden zitiere ich nach dieser Ausgabe (zitiert als CdR), kommentiere die Übersetzung von Steinsieck aber anhand von: La Chanson de Roland. Übersetzt von Hans-Wilhelm Klein, München 1963 (Klassische Texte des Romanischen Mittelalters 3) und eigenen semantischen Überlegungen. 5 Siehe Robert Morrissey: L’Empereur à la barbe fleurie. Charlemagne dans la mythologie et l’histoire de France, Paris 1997, S. 75. Während es im ersten und dritten Teil der Chanson de Roland vor allem um Konflikte innerhalb der christlichen Gemeinschaft geht, widmet sich der Mittelteil im Wesentlichen dem Aufeinandertreffen von Christen und Heiden. Zur Dreigliedrigkeit der Erzählung siehe André Burger: Turold, poète de la fidélité: Essai d’explication de la Chanson de Roland, Genf 1977, S. 48 f. 6 Siehe Ilse Nolting-Hauff: Zur Psychoanalyse der Heldendichtung: Das Rolandslied und die einfache Form ‚Sage‘. In: Poetica 10 (1978), S. 429–468, S. 467, die Zorn als Produkt des kollektiven Unbewussten deutet, das im Erzählen von Geschichte(n) als exzessive Aggression punktuell an die Oberfläche drängt. Siehe auch Jean Rychner: La narration des sentiments, des pensées et des discours dans quelques œuvres des XIIe et XIIIe siècles, Genf 1990, S. 418 f., der heldenepisches Erzählen insgesamt an einer extrovertierten Emotions- und Zorngestaltung festmacht. Siehe auch Haidu, Subject, S. 79, der für die christlichen Helden feststellt: „It is anger that drives them.“ 7 Die konstruktive und destruktive Wirkung von Zorn bei der Aushandlung von Macht stellt Haidu, Subject, heraus, siehe S. 66–84 und S. 152–177. Joseph I. Donohoe: Ambivalence and Anger. The Human Center of the Chanson de Roland. In: The Romanic Review 42 (1971), S. 251– 261, macht auf die zwiespältige Gestaltung von Zorn im Streit zwischen Roland und Olivier aufmerksam.





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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aufeinander bezogen.8 Auch in der Beziehung zwischen Roland und Olivier, die als enge Freunde gelten, dient Zorn dazu, einerseits Ähnlichkeit, andererseits Differenz zu erzeugen und auszustellen.9 Während diese Funktionen von Zorn in der Chanson de Roland bereits mehrfach diskutiert wurden, steht die Relationierung von Zorn und Herrschaft – also einer institutionalisierten andauernden Form von Macht – noch weitgehend aus. Herrschaft soll daher im Folgenden auf zweifache Weise untersucht werden: Zum einen nehme ich in Anlehnung an Jussen und = das Abstraktum dulce France in den Blick, das in engem Zusammenhang zum Kampfzorn der christlichen Krieger steht.10 Zum anderen beleuchte ich die im Hinblick auf Zorn eher vernachlässigte Figur des Herrschers.11 Dabei wird zu zeigen sein, dass sich der Zorn Karls des

8 Während André Burger: Le rire de Roland. In: Cahiers de Civilisation Médiévale 3 (1960), S. 2–11, hier S. 6, über den Aufbau und die Zorngestaltung der beiden Ernennungsszenen – eine formale Parallelsetzung Rolands und Ganelons annimmt, konstatiert Haidu, Subject, S. 84, eine funktionale Übereinstimmung: „Roland and Ganelon share the same fundamental characterological trait: an irascible touchiness when the point of honor is disturbed.“ Für Philipp Jeserich: Feudales Ethos und theologische Sinnstiftung. Segregation und Komplementarität in der Chanson de Roland. In: ZFSL 120 (2010), S. 245–287, hier S. 265, unterscheidet sich Roland in seinem Umgang mit Zorn hingegen gerade fundamental von Ganelon, der seine privaten Interessen über das Gemeinwohl setze. 9 Die Ähnlichkeit von Roland und Olivier besteht darin, dass ihnen beim Kämpfen keiner das Wasser reichen kann, siehe Haidu, Subject, S. 81; Simon Gaunt: Gender and Genre in Medieval French Literature, Cambridge 1995, S. 35; Patricia Harris Stablein: The Structure of the Hero in the Chanson de Roland: Heroic Being and Becoming. In: Olifant 5 (1977), S. 105–118, S. 112. Dass Zorn dabei eine große Rolle spielt, wird der Figur Rolands selbst in den Mund gelegt, siehe CdR, V. 1558 f. Darüber hinaus ist Zorn aber auch abgrenzendes Moment zwischen Roland und Olivier. So baut sich in den Szenen, in denen sie darüber streiten, ob Roland Karl zu Hilfe rufen soll, eine Differenz auf, die in der Frage Rolands gipfelt: ‚Por quei me portez ire?‘ („‚Warum zürnt Ihr mir?‘“; CdR, V. 1722) 10 Anders als Haidu, Subject, der ein modernes Verständnis von ‚Staat‘ ansetzt, um Herrschaftskonzeptionen in der Chanson de Roland zu bestimmen, gehe ich von Jussens und Weinfurters Studien aus, die anhand der Verwendung von Abstrakta Ideen von Staatlichkeit untersuchen, vgl. Weinfurter, Wie das Reich heilig wurde; Jussen, Two Bodies. Siehe hierzu auch meine Ausführungen in der Einleitung. 11 Die Forschung zur Chanson de Roland hat Karls Zorn bisher noch nicht systematisch untersucht. Dies gilt auch für meinen Aufsatz, siehe Heisler [Freienhofer], Christusähnlicher Karl, der zwar die Rolle von Karls Zorn in den Ratsszenen des Rolandsliedes genauer betrachtet, sich bei der Untersuchung der Chanson de Roland aber vor allem auf die Emotionsdarstellung in einem begrenzten Ausschnitt (Bestimmung der Nachhut und Reaktion des Heeres auf den Hornruf) beschränkt. Morrissey, L’Empereur, bietet erst für eine Episode ganz am Ende des Textes eine Deutung von Karls Zorn. Diese erkläre und diskutiere ich im Abschnitt zu Ganelons Prozess. Auch Gaunt, Gender and Genre, S. 28, klammert die Karlsfigur aus seiner Untersuchung aus,



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Großen in Funktion und Verkörperung stark von demjenigen seiner Vasallen unterscheidet und darin den Ausgangspunkt für die Gestaltung von Herrscherzorn im Rolandslied bildet.12 Ein Fokus auf Institutionalisierung und Personalisierung bietet sich an, weil in dieser Beziehung fundamentale Veränderungen im mittelhochdeutschen Text vorgenommen werden. Darüber hinaus soll ein Exkurs zu Ganelon herausarbeiten, wie in der Chanson de Roland anhand der Figur des Verräters machtvolle Verkörperungen von Zorn erprobt werden, die das Rolandslied zugunsten einer Profilierung des Herrscherzorns ausspart.

3.1.1 Die dulce France – der Zerfall einer intakten Einheit In der Chanson de Roland wird eine übergeordnete Einheit genannt, der sich die christlichen Figuren verpflichtet fühlen, die dulce France.13 Neben zwölf Belegen, bei denen der Terminus überwiegend geographische Bedeutung hat, stehen elf Verwendungen, die den körperschaftlich-ideellen Wert hervorheben.14 Eine Tendenz zur Abstraktion im Sinne von Weinfurter und Jussen ist festzustel-

die vor allem Roland und Olivier als „competing models of masculinity“ des Textes fokussiert. Stablein, Structure, bezieht zwar Karl und sein Weinen in die Konzeption des Heroischen mit ein, seinen Zorn lässt sie aber unkommentiert 12 Eine Übereinstimmung von Herrscherzorn und Heldenzorn in der Chanson de Roland sieht Raimund Rütten: Symbol und Mythus im altfranzösischen Rolandslied, Braunschweig 1970 (Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 4), S. 117: „sein [Karls; E. F.] Zorn ist die Reaktion auf die Verletzung seiner potestas, seines ‚Heils‘, durch den Verrat Ganelons.“ Ähnlich wie der Held, der sich in seinem Ansehen und Status gekränkt sieht und diesen zornig verteidigt, wird hier der Herrscher vorgestellt. Der Mechanismus erscheint als derselbe, nur dass er sich statt auf honur auf potestas bezieht. Karl-Heinz Bender: König und Vasall. Untersuchungen zur Chanson de geste des XII. Jahrhunderts, Heidelberg 1967, S. 24, geht ebenfalls von einer Übereinstimmung von Herrscher und Held im Zorn aus. Seiner Meinung nach „dürfen wir Zorn und Stolz als die beiden archetypischen Eigenschaften des Helden bezeichnen. Da die archetypischen Heldeneigenschaften den Wesenskern Charlemagnes ausmachen, weisen die Gestalten des Kaisers und der Helden, seiner Vasallen, die gleichen Grundlinien auf. Die Helden- und die Königsgestalt sind demnach in der direkten Charakterisierung einander weitgehend angeglichen.“ 13 Bereits im ersten Anblick Karls bei der Ankunft der heidnischen Boten im christlichen Lager ist eine Spur gelegt für die Bedeutung des Abstraktums dulce France, das den König und seine Vasallen aufeinander bezieht: Für die Fürsten ist es das Land, aus dem sie kommen (siehe CdR, V. 109), Karl wird es als Herrschaftsbereich zugeordnet (siehe CdR, V. 116). 14 Verwendungen mit überwiegend geographischer Bedeutung sind: CdR, V. 16, 109, 116, 360, 573, 702, 706, 1054, 2661, 2773, 3579 und 3673. Eher körperschaftlich-ideelle Bedeutung haben:





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len, wenn dem „süßen Frankreich“ eine zu beleidigende Ehre sowie Gefühlsqualitäten zugeschrieben werden. Eine solche Personifizierung findet insbesondere während des Kampfgeschehens in Ronceval statt, wobei die abstrakte, übergeordnete Einheit vor allem mit dem Kampfzorn der christlichen Krieger verbunden wird. Dabei nimmt Zorn einen ambivalenten Status ein: Erst kann mit seiner Hilfe die Unversehrtheit der dulce France garantiert werden, dann wird er zunehmend zum Zeichen der Versehrung einer christlichen Nachhut, die nicht mehr im Stande ist, sich der heidnischen Übermacht zu erwehren. Dieser Wandel lässt sich anhand einer Reihe von Zweikämpfen zwischen Christen und Heiden nachvollziehen, die jeweils ähnlich strukturiert sind: Auf eine Provokation von Seiten der Heiden folgt eine zornige Reaktion der Christen. Zunächst fordert Aelroth, ein Neffe Marsilies, Roland mit den folgenden Worten heraus: ‚Feluns Franceis vait disant si mals moz: Traït vos ad ki a guarder vos out. Fols est li reis ki vos laissat as porz. Enquoi perdrat France dulce sun los, Charles li magnes le destre braz del cors.‘ ‚Niederträchtige Franken, heute werdet ihr mit den Unseren kämpfen. / Verraten hat euch der, der euch zu beschützen hatte. / Töricht ist der König, der euch an den Pässen zurückließ.  / Noch heute wird das liebliche Frankreich sein Ansehen verlieren  / Und Karl der Große seinen rechten Arm.‘ (CdR, V. 1191–1195)

Diese Rede imaginiert die dulce France als Person, die ein Ansehen zu verlieren hat. Zugleich überblendet sie das Abstraktum mit Karl dem Großen: Während jene ihr Ansehen verliert, wird dieser um seinen rechten Arm gebracht.15 Der Kollektivkörper – bestehend aus den einzelnen Helden und personifiziert in der dulce France – erscheint auf diese Weise durch den König selbst verkörpert. Die Beleidigung ist also eine dreifache: Aelroth schmäht das Abstraktum, die jenem zugehörigen Helden und den Herrscher. Darauf reagiert Roland mit Schmerz: Quant l’ot Rollant, Deus! si grant doel en out! („Als Roland dies hörte, Gott! welch großen Schmerz empfand er da!“;

CdR, V. 1064, 1194, 1210, 1223, 1695, 1927, 1985, 2017, 2379, 2431 und 2579. Für alle Belege siehe Herbert Backes: Dulce France – suoze Karlinge. In: PBB 90 (1968), S. 23–42, hier S. 25. 15 Siehe dazu Koch, Trauer und Identität, S. 121: „Das Motiv der rechten Hand betont die reichspolitische Bedeutung des Helden und suggeriert zugleich eine körperliche Nähe, die zwischen Karl und Roland durch die Blutsverwandtschaft gestiftet ist.“



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CdR, V. 1196) und der Tötung Aelroths.16 Auch wenn an dieser Stelle nicht explizit Zorn (durch ire, maltalent, rancune) aufgerufen wird, ist deutlich, dass diese Reaktion der aristotelischen Zorndefinition entspricht: Sie besteht aus Schmerz und dem Wunsch, diesen zu vergelten. Wenn erzählt wird, wie Roland den Provokateur tötet: Er zerstört dessen Rüstung, bricht ihm alle Knochen in der Brust, das Rückgrat und am Ende den Hals, dann kommt dies einer regelrechten Zerstückelung gleich. Dass Roland auf Aelroths Versuch, Karl und die dulce France herabzusetzen, derart zornig reagiert, zeigt seine Identifikation mit beiden zu diesem Zeitpunkt. Gleichzeitig erscheint Roland so tatsächlich wie der erfolgreich zurückschlagende rechte Arm des Kaisers. Am Ende des Zweikampfes hebt sich damit ein intakter christlicher Kollektivkörper von einem in seine Einzelteile zerlegten Heidenleib ab. Ähnliches wiederholt sich – abgesehen von der Körpermetaphorik – mit Olivier und danach nochmals mit Turpin.17 Diese drei parallel konstruierten Szenen zeigen gerade über die Zorndarstellung, wie sehr sich die christlichen Krieger mit ihrem Herrscher und dem Frankenreich identifizieren. Sie zürnen und kämpfen für deren Ansehen sowie Unversehrtheit und sind dabei sehr erfolgreich. Die Auseinandersetzung mit dem Heiden Climborin bildet schließlich einen Wendepunkt. Dabei beginnt die Szene, ähnlich wie die drei vorhergehenden, mit einer Beleidigung: Tere Major, ço dit, metrat a hunte, / A l’emperere si toldrat la curone. („Das Land der Ahnen, so sagt er, wird er mit Schande überziehen / Und dem Kaiser die Krone entreißen.“; CdR, V. 1532 f.) Anstelle von dulce France steht

16 Im Text steht an dieser Stelle für Schmerz doel. Ein weiterer, nahezu synonymer Ausdruck ist dolur. Im Altfranzösischen Wörterbuch, Adolf Toblers nachgelassene Materialien, bearbeitet und herausgegeben von Erhard Lommatzsch. 11 Bde., Wiesbaden 1925–1973, Bd. 2, findet sich für duel/dol: Schmerz, lauter Jammer, beklagenswerte Sache (Sp. 2094 f.); für dolor: körperlicher Schmerz, schmerzende Stelle, seelischer Schmerz, betrübende Sache (Sp. 1997). 17 Als Falsaron, der Bruder Marsilies, sieht, dass sein Neffe tot ist, empfindet er ebenfalls Schmerz (doel) und greift Olivier an. Wieder gilt die Schmähung dem Frankenreich: ‚Enquoi perdrat France dulce s’onur!‘ („‚Noch heute wird das liebliche Frankreich seine Ehre verlieren‘“; CdR, V. 1223) und wieder sind die unmittelbar darauffolgenden Reaktionen Zorn: Ot le Oliver, sin ad mult grant irur („Als Olivier dies hört, ergreift ihn […] mächtiger Zorn“; CdR, V. 1224) sowie Tötung – wenn auch nicht die Zerstückelung – Falsarons (siehe CdR, V. 1229). Leicht abgewandelt folgt eine vergleichbare Szene mit Turpin, der auf Corsablis trifft. Statt dass Corsablis Karl oder das Frankenreich beleidigt, droht der Heidenkönig den christlichen Kriegern mit dem Tod. Von Turpin wird gesagt, er hasse Corsablis, anstelle von doel oder ire ist hier von haïr (CdR, V. 1243 f.) die Rede. Die Begegnung endet auf dieselbe Weise wie bei Roland und Olivier. Turpin tötet Corsablis und beantwortet danach dessen Provokation verbal. Dabei wird deutlich, dass Turpin die Drohung doch als Beleidigung Karls aufgefasst hat (siehe CdR, V. 1254). Wiederum werden also der Herrscher und seine Helden in eins gesetzt.





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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hier Tere Major und auch die Machtschmälerung des Kaisers wird nicht als körperliche Versehrung vorgestellt, sondern als Entwendung der Krone. Die Beleidigung erscheint so vergleichsweise weniger existentiell: Sie bezieht sich auf die Macht des Herrschers, nicht aber auf seinen Körper. Eine Reaktion von Roland, Olivier oder anderen fränkischen Rittern bleibt daraufhin aus. Die Veränderung wird gerade dadurch besonders hervorgehoben, dass auf das vorherige auslösende Moment von Leid, die Beleidigung des Frankenreichs und des Kaisers, noch angespielt wird, hier aber eine Schmerzbekundung fehlt. Stattdessen löst die Tötung eines tapferen Kriegers das kollektive Leid und auch den Zorn Oliviers aus. Denn erst als der Heide Climborin den Christen Angelier de Gascogne tötet und der Kollektivkörper nun tatsächlich ein Glied verliert, reagieren die Franken geschlossen mit einer Schmerzbekundung: Dient Franceis: ‚Deus, quel doel de prodome!‘ („Die Franken sagen: ‚Gott, welcher Schmerz um einen edlen Ritter!‘“; CdR, V. 1544) Dass die Franken eine Einheit bilden, wird daran deutlich, dass sie als mit einer Stimme sprechend dargestellt werden.18 Die drei parallelen Beleidigungsszenen zu Beginn des Kampfes werden also mit drei weiteren wiederum parallelen Leidszenen während des Kampfes kontrastiert. Roland, Olivier und Turpin begegnen erst einer Schmähung des fränkischen Kollektivs mit zorniger Rache, dann konstituieren sich die anwesenden Franken als Leidensgemeinschaft, die den Tod eines tapferen Kampfgefährten ahndet. Auslöser von Zorn ist nicht mehr wie zuvor die Schmähung der dulce France oder von deren Oberhaupt Karl, sondern die Schädigung des kämpfenden Kollektivs durch den Tod eines seiner Mitglieder. An die Stelle des intakten kollektiven Herrschaftskörpers ist nun die versehrte Kampfgemeinschaft getreten.19

18 Ähnlich, nur ganz ohne beleidigende Worte, vollziehen sich die darauffolgenden Zweikämpfe von Roland und Turpin. Auch als der Heide Valdabrun den fränkischen Herzog Sanson tötet, reagieren die Franken wieder mit einer einstimmigen Schmerzbekundung (Dient Franceis: ‚Deus, quel doel de baron!‘ „Die Franken sagen: ‚Gott, welcher Schmerz um einen edlen Krieger‘“; CdR, V. 1579) und Roland mit Leid (siehe CdR, V. 1580 f.) und der Tötung Valdabruns (siehe CdR, V. 1584–1587). Etwas zurückgenommen wiederholt sich der Ablauf nochmals mit Turpin. Wieder findet ein tapferer Graf durch Heidenhand den Tod und wird von den Franken beklagt: Dient Franceis: ‚Barun, tant mare fus!‘ („Die Franken sagen: ‚Edler Krieger, welches Unglück für dich!‘“; CdR, V. 1604) Turpin spricht seine eigene Trauer um den Toten aus (siehe CdR, V. 1609) und streckt den verantwortlichen Heiden tot nieder (siehe CdR, V. 1612). 19 Dass die Kampfgemeinschaft dabei stets als Teil der übergeordneten Herrschaftsgemeinschaft Karls gedacht wird, lässt sich an einer Aussage Oliviers sowie an einem Kommentar Turpins ablesen. So benennt Olivier den wahrscheinlichen Tod Rolands als Schädigung des Frankenreiches: ‚Vos i murrez e France en ert hunie.‘ („‚Ihr werdet hier sterben, und das Frankenreich wird dadurch entehrt werden.‘“; CdR, V. 1734) Turpin betont, dass Karl sie rächen werde (siehe CdR, V. 1744).



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Zorn ist jetzt nicht mehr die Reaktion auf eine angedrohte Verletzung, sondern beantwortet bereits vollzogene ‚Amputationen‘. Dies weist darauf hin, dass die von der Emotion ausgelöste Gegenwehr die Auslöschung der Nachhut zwar verzögern, nicht aber aufhalten kann. Am Zorn lässt sich demnach ablesen, wie sich die fränkische Gemeinschaft vom erfolgreichen, intakten zum zunehmend versehrten Kollektivkörper wandelt. So steht am Ende des Kampfes keine heile christliche Gemeinschaft, sondern die dulce France wird  – im Gegenteil  – von unterschiedlichen Instanzen als beklagenswerter, seiner guten Vasallen entledigter und seiner Blüte beraubter Herrschaftsbereich bezeichnet (siehe CdR, V. 1695, 1985, 2431). Zorn garantiert in diesem Fall keine stabile Herrschaft.

3.1.2 Die Exklusivität des Herrschers Karl der Große wird mithilfe der Emotionsdarstellung auf mehrfache Weise von seinen Leuten abgehoben. Trauer spielt dabei eine wichtigere Rolle als Zorn. Die Exklusivität Karls lässt sich bereits daran erkennen, dass zum Teil andere Emotionswörter gewählt werden: Statt von doel ist bei ihm für Schmerz häufiger von dolur die Rede, statt ire steht in der Beratungsszene maltalent (ohne Verweis auf Schmerz).20 Darüber hinaus erhält sein Bart als Bezugspunkt von Reden und Gesten zentrale Bedeutung bei der Darstellung von Machtprozessen.21 Im Kampf nimmt Karl, anders als seine Helden, eher die Rolle des Trauernden ein als diejenige des zornig Dreinschlagenden.22 Als er Roland und alle anderen tot findet, reagiert er mit Klagen und Bartraufen:

20 In der Chanson de Roland ist insofern eine Tendenz in der Verwendung von doel und dolur festzustellen, als dass doel und seine Ableitungen häufiger mit ire (siehe CdR, V. 304, 971), maltalent (siehe CdR, V. 2056), curuçus (siehe CdR, V. 1813, 1835) und rancune (siehe CdR, V. 2301) stehen, wohingegen dolur allein in Karls Brief an Marsilie mit ire verbunden wird. Der zorntypische Schmerz wird also eher mit doel bezeichnet. Dazu passt, dass diese Bezeichnung auch weitaus häufiger in Kampfszenen für das anspornende Gefühl verwendet wird. In Karls Totenklage steht hingegen vermehrt dolur (siehe CdR, V. 2901, 1907, 2914) und auch, wenn es um Schmerz im allgemeinen, übergeordneten Sinne geht (siehe CdR, V. 716, 1437, 1655, 1679, 3488). 21 Die Hervorhebung des leuchtend weißen Bartes bei der Ankunft der heidnischen Boten (siehe CdR, V. 117) lässt die in der Szene zur Schau gestellte Macht auch am Körper des Königs selbst offenbar werden und deutet bereits hier auf die wichtige Rolle des Bartes des Herrschers in den Kampf- und Beratungsszenen voraus. 22 Zur Unterscheidung Karls von seinen Leuten über die Emotionsdarstellung auch in anderen Szenen siehe Heisler [Freienhofer], Christusähnlicher Karl, S. 69–74.





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‚Deus!‘ dist li reis, ‚tant me pois esma[i]er Que jo ne fui a l’estur cumencer!‘ Tiret sa barbe cum hom ki est iret; ‚Gott‘, sagte der König, ‚wie sehr schmerzt es mich  / Daß ich bei Anbeginn des Kampfes nicht dabei war.‘ / Er rauft seinen Bart, wie jemand, der verzweifelt ist; (CdR, V. 2412–2414).

In dieser Situation fungiert Karls Bart als Zeichen seiner Trauer, die sich auf alle anwesenden Franken überträgt. Die Geste verdeutlicht, wie sehr Karl vom Verlust des Neffen affiziert ist und in welchem Maße der Tod der Nachhut und insbesondere Rolands eine Schwächung seiner Macht bedeutet.23 Wie zum Beweis fallen die anwesenden Franken in eine kollektive Ohnmacht und ergehen sich in Trauer um die Gefallenen nach dem Vorbild des Kaisers: Die übereinstimmende und simultane Reaktion lässt sie wie ein Körper erscheinen. Erst als Naimes darauf hinweist, dass die Heiden noch nicht weit gekommen sind und mahnt: ‚Car chevalez! Vengez ceste dulor!‘ („‚Nun reitet los! Rächt diesen Schmerz!‘“; CdR, V. 2429), nehmen die Franken angeführt von Karl die Verfolgung auf. Schmerz mündet bei Karl also nicht wie bei seinen Vasallen Roland, Olivier und Turpin unmittelbar in Zorn und einen Angriff, sondern die Aufforderung von Naimes wird benötigt, um den Kaiser und das Heer in Bewegung zu setzen. Statt Zorn wird dem Herrscher an dieser Stelle also (re-)integrierende Trauer um die verlorene Nachhut zugeschrieben.24

23 Steinsieck, Altfranzösisches Rolandslied, S. 322: „Bart und Schnurrbart sind seit merowingischen Zeiten ein Zeichen für Stärke, Männlichkeit, Macht und majestätische Aura.“; siehe auch Helmut Hundsbichler: Bart. In: Lexikon des Mittelalters (1977) Bd. 1, Sp. 1489–1491. Siehe dazu Eduard Stemplinger: Bart. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hrsg. von Hanns Bächtold-Stäubli unter Mitwirkung von Eduard Hoffmann-Krayer, Berlin, New York 1987, unveränderter Nachdruck der Ausgabe Berlin, Leipzig 1927, Sp. 929–931, hier Sp. 929: „Der B., als Zeichen der Männlichkeit, enthält wie das Haar gleichsam die Substanz der betr. Person. Im B. liegt die Stärke“; und Sp. 930: „Wer sich Haar oder B. abschneiden ließ, unterwarf sich dadurch der Gewalt des andern.“ Als Ganelon gefangen gesetzt wird, werden ihm Bart und Schnurrbart ausgerissen (siehe CdR, V. 1824), was einer vollkommenen Entmachtung gleichkommt. 24 Im Unterschied zu den Vasallen erscheint bei Karl zudem Gott als wichtiger Unterstützer des Rachevollzugs. Dieser hält für den fränkischen Herrscher die Sonne an und schickt ihm einen Engel, der die Vergeltung an den Heiden sanktioniert: ‚Venger te poez de la gent criminel.‘ („‚Du kannst Dich rächen an dem verbrecherischen Volk.‘“; CdR, V. 2456) Dabei kommt auch die Rachehandlung  – alle Heiden werden entweder erschlagen oder ertrinken  – vollkommen ohne Schmerz oder Zorn aus. Nach dem Sieg dankt Karl Gott (siehe CdR, V. 2480). Als er sich zur Ruhe begibt, wird vor dem Einschlafen erneut sein Schmerz (doel) um Roland und Olivier (CdR, V. 2512 f.) geschildert, der wiederum Weinen und Klagen des Kaisers zur Folge hat (siehe CdR, V. 2517). Selbst im Traum, der einen Angriff seiner Nachhut voraussagt, kann sich Karls Schmerz



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

Die einzige Stelle, an der Schmerz eine Angriffsaktion Karls auslöst – wiederum ohne explizit Zorn zu nennen – befindet sich vor Beginn des großen Kampfes gegen Baligant. Eine zeitliche Raffung von zugefügtem Schmerz und Angriffsimpuls zeigt sich jedoch auch hier in Karls Reaktion auf den Boten Baligants, der ihm den Abzug verweigert: Carles li reis en ad prise sa barbe; Si li remembret del doel e [del] damage, Mult fierement tute sa gent reguardet; Puis si s’escriet a sa voiz grand e halte: ‚Barons franceis, as chevals e as armes!‘ König Karl faßte sich an seinen Bart.  / Und entsinnt sich seines Schmerzes und seines Verlustes; / Stolz blickt er auf sein gesamtes Kriegsvolk. / Dann ruft er mit seiner mächtigen und lauten Stimme: / ‚Fränkische Krieger, auf die Pferde und zu den Waffen!‘ (CdR, V. 2982–2986)

Wieder verweist der Bart – im Nachdenken, Kummer und Zorn immer Hauptbezugspunkt am Körper des Kaisers  – auf die Herausforderung von Karls Macht. Nachdem der tote Roland und der dadurch ausgelöste Schmerz zunächst lähmend auf den Kaiser wirken, löst hier die Erinnerung daran den Kampfimpuls aus. Auch diese Darstellung von Schmerz und Rache des Kaisers unterscheiden diesen von den Vasallen der Nachhut.25

nicht in Kampf umsetzen: Li reis en ad e dulur e pitet; / Aler i volt, mais il ad desturber. („Der König ist voller Schmerz und Mitleid; / Er will dort hingehen, aber er wird daran gehindert.“; CdR, V. 2547 f.) Als Hinderungsgrund erscheint hier allerdings nicht ein Versinken in Schmerz und Trauer, sondern ein großer Löwe: Devers un gualt uns granz leons li vi[e]nt, / Mult par ert pesmes e orguillus e fiers („Aus einem Wald kommt ihm ein mächtiger Löwe entgegen; / Über alle Maßen schrecklich, stolz und wild“; CdR, V. 2549 f.), den die Forschung mit Baligant identifiziert. In der weiteren Darstellung der Chanson de Roland wird Baligant – anders als in Karls Traum angedeutet – allerdings ebenso wenig zornig und angriffslustig gezeigt wie Karl selbst, obwohl er zahlreiche Anlässe zu zornigen Angriffen hätte (siehe CdR, V. 2788 f., 2802 f., 2839, 2842, 3504–3506). Beide Herrscher, Karl und Baligant, werden also darüber parallelisiert, dass sie Schmerz über tote bzw. verletzte Gefolgsleute empfinden, aber deshalb nicht in Zorn geraten. Karls mehrfache und ausgedehnte Totenklagen machen ihn, seine Trauer und die Betrauerten jedoch einzigartig. Siehe hierzu Paul Zumthor: Typologische Untersuchung der ‚planctus‘ im Rolandslied. In: Altfranzösische Epik. Hrsg. von Henning Krauss, Darmstadt 1978 (Wege der Forschung 354), S. 273–289. 25 Dies gilt auch für die Szene, als Karl Naimes tödliche Verwundung rächt. Hier wird die für Roland und alle anderen Vasallen geltende Abfolge von Schmerz und Kampfimpuls zeitlich verkehrt: Erst tötet Karl den Angreifer von Naimes (siehe CdR, V. 3446–3450), dann empfindet er Schmerz (doel) beim Anblick des verletzten Gefolgsmannes (siehe CdR, V. 3451–3453).





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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Die Tendenz, über die Emotionsdarstellung eine Exklusivität Karls herzustellen, gilt auch für die Ratsszene zu Beginn und die Gerichtsszene am Ende des Textes. So wird Karls Zorn in der ersten Beratung wesentlich zurückgenommener dargestellt als derjenige Ganelons, Rolands oder Oliviers, worauf bereits die andere Wortwahl verweist. Statt ire steht hier maltalent und damit ein Terminus, der eher mit „Unmut“ zu übersetzen wäre und eine schwächere Form der Emotion bezeichnet: Li empereres respunt par maltalant: ‚Alez sedeir desur cel palie blanc! N’en parlez mais, se jo nel vos cumant!‘ Der Kaiser antwortet ihm zornig [besser: mit Unmut; E. F.]: / ‚Geht und setzt Euch auf diese weiße Decke! / Sprecht nicht mehr davon, wenn ich es Euch nicht befehle!‘ (CdR, V. 271–273)

Karl richtet diese Worte an Turpin, der sich als vierter anbietet, als Bote zu Marsilie zu gehen.26 Über den Grund für die zornige Reaktion kann nur spekuliert werden. Aber unbestritten ist der Unterschied zu den bereits analysierten Zorndarstellungen: Karls Unmut wird nicht mit Schmerz (doel, dolur) verbunden.27 Statt vergeltend, also als Reaktion auf eine Provokation oder Beleidigung, erscheint er vielmehr lenkend.28 Der Unmut des Herrschers erscheint hier weniger vergangenheits- als zukunftsorientiert. Er sanktioniert nicht bereits erfolgtes Verhalten, sondern indiziert eine Erwartung, die sich auf künftige Entscheidungen richtet. Auch schon vorher beeinflusst der Kaiser den Verlauf der Beratung: Er beruft den Rat ein und unterbreitet seinen Fürsten das Angebot Marsilies’, indem er seine eigene Ahnungslosigkeit darüber Ausdruck verleiht, was den Heidenkönig tatsächlich dazu bewegen sollte, Christ zu werden: ‚Mais jo ne sai quels en est sis curages.‘ („‚Doch weiß ich nicht, wie es in seinem Herzen aussieht.‘“; CdR, V. 191) Als Roland als erster das Wort ergreift und fordert, die Belagerung Saragossas nicht aufzuheben sowie die von Marsilie bereits getöteten christlichen Boten zu rächen, reagiert Karl nachdenklich und zurückhaltend:

26 Nachdem der Herrscher zuvor schon Roland, Olivier und Naimes als Boten – ohne Unmut – abgelehnt hat, weist er nun auch Turpins Angebot – mit Unmut – zurück. 27 Laut Kleiber, Ire, S. 349, ist dies das Unterscheidungskriterium zwischen ire und maltalent. 28 Diese Deutung von Karls Verhalten, wenn auch nicht auf die Emotion bezogen, findet sich schon bei Erich Köhler: ‚Conseil des barons‘ und ‚jugement des barons‘. Epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied. In: Altfranzösische Epik. Hrsg. von Henning Krauss, Darmstadt 1978 (Wege der Forschung 354), S. 368–412, hier S. 383: „Der Kaiser will die Wahl jetzt offenbar in eine bestimmte Richtung lenken.“



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

Li emper[er]e en tint sun chef enbrunc, Si duist sa barbe, afaitad sun gernun, Ne ben ne mal ne respunt sun nevuld. Der Kaiser hielt sein Haupt gesenkt, / Strich sich den Bart und drehte den Schnurrbart, / Weder zustimmend noch ablehnend antwortete er seinem Neffen. (CdR, V. 214–216)

Unabhängig davon, dass das Senken des Kopfes zuvor schon einmal mit dem Nachdenken Karls verbunden wird (siehe CdR, V. 138) und das Streichen des Bartes sowie das Drehen des Schnurrbartes später im Text als Gesten der Trauer auftauchen (siehe CdR, V. 772), kommt es hier wohl vor allem darauf an, Bart und Schnurrbart wiederum als Herrschaftszeichen zu begreifen.29 Indem Karl an dieser Stelle also seinen Bart streicht und seinen Schnurrbart dreht, performiert er seinen Machtanspruch. Diese Geste zeitigt insofern Wirkung, als sie sich unmittelbar auf die Franken überträgt: Franceis se taisent, ne mais que Guenelun („Die Franken schweigen bis auf Ganelon“; CdR, V. 217).30 Auch als Naimes sich selbst als Boten anbietet, lehnt Karl ab, indem er sich selbst auf Bart und Schnurrbart beruft: ‚Vos estes saives hom; Par ceste barbe e par cest men gernun, Vos n’irez pas uan de mei si luign.‘ ‚Ihr seid ein kluger Mann; Bei diesem Bart und diesem Schnurrbart, Ihr werdet Euch in nächster Zeit nicht so weit von mir entfernen.‘ (CdR, V. 248–250)

Bart und Schnurrbart verleihen seiner Ablehnung Nachdruck und ähnlich wie bei einem Schwur bei Gott oder auf die Bibel erscheinen sie als Garanten für Karls Macht. Dies wiederholt sich kurz darauf nochmals, als Roland und Olivier sich um das Botenamt streiten: Respunt li reis: ‚Ambdui vos en taisez! Ne vos ne il n’i porterez les piez. Par ceste barbe que veez bla[n]che[ie]r, Li duze per mar i serunt jugez!‘

29 Siehe wieder Steinsieck, Altfranzösisches Rolandslied, S. 322; Hundsbichler, Bart; Stemplinger, Bart, Sp. 930. 30 Letzterer plädiert vehement dafür, Marsilies Angebot anzunehmen. Indem er als einziger nicht mit Verstummen auf das Schweigen und die Gesten Karls reagiert, wird er an dieser Stelle als Außenseiter markiert.





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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Der König antwortete: ‚Schweigt alle beide!  / Weder Ihr noch er werdet den Fuß dorthin setzen. / Bei diesem Bart, den Ihr so weiß […] seht, / Zu Unrecht werden die zwölf Pairs dazu bestimmt!‘ (CdR, V. 259–262)

Wieder haben Karls Worte verbindlichen Charakter. Es ist erstens klar, dass weder Naimes, noch Roland, noch Olivier mit der Mission betraut werden und zweitens bringt Karl erneut alle Franken zum Schweigen, was der Erzähler besonders hervorhebt: Franceis se taisent: as les vus aquisez. („Die Franken schweigen: seht, sie sind still geworden.“; CdR, V. 263)31 Karl greift leitend in den Rat ein, indem er ihn durch seine Frage initiiert sowie Vorschläge annimmt und ablehnt. Diese Leitungsfunktion wird dadurch besonders hervorgehoben, dass Gesten und Aussagen des Herrschers regelmäßig den Großteil der Franken verstummen lassen. Die (im Ablauf nun folgende, aber bereits zu Beginn des Abschnitts zitierte) Ablehnung Turpins bringt eine Veränderung in der Machtdarstellung. Mit der Erwähnung von Karls Unmut verschwinden Bart und Schnurrbart zunächst einmal aus dem Zeichenrepertoire des Herrschers. Er beruft sich von nun an unmissverständlich auf seine Befehlsgewalt. Mit seinem maltalent wird also seine Herrschaftsausübung explizit und zugleich verbal statt gestisch. Während zuvor das Ausstellen von Bart und Schnurrbart zu einer weitgehenden Unterordnung mit vereinzelten Abweichungen führte, die sich vor allem indirekt als (zustimmendes) Schweigen äußerten, thematisieren die Figuren nach Karls Unmut die Befehlsgewalt des Herrschers und die Folgebereitschaft der Vasallen mehrfach und ausdrücklich.32 Anders als beim Verweis auf den Bart erscheint Karls Wille

31 Dies ist eine der seltenen Stellen, an denen der Erzähler die zweite Person Singular (as = du hast) wählt, um die Rezipienten zu adressieren. 32 Zunächst spricht Karl selbst im Unmut den ersten Befehl aus, den er auch als solchen benennt: ‚N’en parlez mais, se jo nel vos cumant!‘ („‚Sprecht nicht mehr davon, wenn ich es Euch nicht befehle!‘“; CdR, V. 273) Dies bringt eine Kommunikation über Willen und Befehle des Herrschers in Gang, von der das Streitgespräch zwischen Roland und Ganelon geprägt ist. So bietet Roland nun nicht wie zuvor eigenmächtig an, zu Marsilie zu gehen, sondern schickt voraus: ‚Si li reis voelt‘ („‚Wenn der König will‘“; CdR, V. 295). Ganelon antwortet ihm darauf nicht wie in der vorherigen Auseinandersetzung einfach ablehnend oder zustimmend, sondern beruft sich auf Karls Befehl: ‚Carles comandet que face sun servise‘ („‚Karl befiehlt, daß ich ihm zu Diensten bin‘“; CdR, V. 298). Dem Herrscher gegenüber wiederholt Ganelon seine Dienstbereitschaft, wieder unter explizitem Verweis auf den ergangenen Befehl: ‚Ademplir voeill vostre comandement.‘ („‚Ich will Euren Befehl ausführen.‘“; CdR, V. 309) Auch Karl bedient sich noch zweimal dieser expliziten Form, die den Befehl nicht nur erteilt, sondern auch als solchen benennt. Als Ganelon Karl darum bittet, für seinen Sohn zu sorgen, da er selbst wahrscheinlich nicht von der Mission zurückkehren werde, rügt Karl ihn für seine väterliche Fürsorglichkeit und besteht erneut auf der Ausführung des Befehls: ‚Tro[p] avez tendre coer. / Puisquel comant, aler vus en estoet.‘ („‚Ihr



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nun verhandelbar und seine Macht geschwächt. Sein Unmut sorgt also nicht unmittelbar für Unterordnung. Dennoch folgt Karls maltalent in der Ratsszene einer anderen Logik als der Zorn seiner Vasallen. So wird Herrscherzorn hier nicht mit Schmerz verbunden und reagiert nicht auf vergangene Verstöße oder Beleidigungen, sondern versucht, zukünftiges Handeln einzuleiten. Es wird dabei darauf verzichtet, Unmut am Körper des Königs sichtbar zu machen. Gängige Zornsymptome werden ausgespart und auch die Geste des Bartstreichens bleibt von der Emotion getrennt. Der abschließende Prozess gegen Ganelon zeichnet sich dadurch aus, dass Karl der Große zunächst nahezu hinter einer höheren Instanz verschwindet. Der Herrscher klagt Ganelon an, die zwölf Pairs verraten zu haben, um sich selbst zu bereichern (siehe CdR, V. 3756). Anstatt sich direkt für dieses Fehlverhalten zu rächen, was in seiner Herrschaftsbefugnis stünde, strebt Karl eine konsensuale Entscheidung im Sinne Gottes an.33 Denn zum einen bittet er die Franken um ihr Votum, zum anderen wendet er sich während des Gerichtskampfes an Gott

habt ein sehr weiches Herz.  / Da ich es befehle, müßt ihr aufbrechen.‘“; CdR, V. 318) Befehl zum Aufbruch und Unausweichlichkeit des Aufbruches fallen in diesem Satz in eins. Es gibt für Ganelon keine andere Handlungsmöglichkeit, da der Befehl des Kaisers an ihn ergangen ist. Nachdem Ganelon kurz darauf den zwölf Pairs droht, wirft Karl ihm unberechtigten Unmut vor und wiederholt die Aufforderung: ‚Trop avez maltalent. / Or irez vos certes, quant jol cumant.‘ („‚Euer Unmut ist sehr groß. / Ihr werdet nun aufbrechen, da ich es anordne.‘“; CdR, V. 328) Die von Karl behauptete unmittelbare performative Kraft seiner Befehle wird von Ganelon jedoch zweimal hinausgezögert. Obwohl sich die Kommunikation im Rat mit dem Unmut des Herrschers verändert, da die herrscherliche Befehlsgewalt explizit wird, bleibt Ganelons Verhalten davon unberührt. Der befohlene Aufbruch wird durch den Appell für seinen Sohn an den Kaiser und die Drohung an die Pairs zumindest verzögert. Dadurch wird wieder deutlich, dass Ganelon zwar einerseits dem Herrschaftsbereich Karls angehört, sich andererseits aber auch von diesem weg bewegt. Für alle sinnfällig wird dies kurz darauf in der bereits erwähnten Szene, als Ganelon den von Karl als Zeichen des Auftrags überreichten Handschuh fallen lässt, was die anwesenden Franken als negative Vorausdeutung lesen: ‚De cest message nos avendrat grant perte.‘ („‚Diese Gesandtschaft wird uns großes Verderben bringen.‘“; CdR, V. 335) 33 Ganelon plädiert hingegen auf Rache statt auf Verrat: „Venget m’en sui, mais n’i ad traïsun.“ (CdR, V. 3778) Der Erzähler macht jedoch schon bei Ganelons Übereinkunft mit Marsilie klar, dass es sich um traïsun seinz dreit („ruchlosen Verrat“; CdR, V. 511) handelt. Wörtlich übersetzt hieße es wohl besser: Verrat ohne Recht/Verrat ohne rechtliche Grundlage. Das heißt, schon zu diesem frühen Zeitpunkt wird ausgeschlossen, dass es sich um eine rechtmäßige Fehde handeln könnte. Für Haidu, Subject, S. 173, steht in der Verhandlung gegen Ganelon eine fundamentalere Frage als die nach Verrat oder Fehde zur Debatte. Er verortet hier in gewissem Sinne die Geburt des ‚modernen‘ Staates. Denn das feudale Racheprinzip, dem zufolge sich jeder eigenmächtig gegen Verstöße oder das, was er als solche ansieht, wehrt, weiche einer Bestrafung durch die ‚öffentliche Hand.‘ Damit widerspricht er dem von ihm selbst aufgestellten Postulat, das Andere (zeitlich Entrückte) nicht zum Gleichen (Heutigen) reduzieren zu wollen, siehe Peter Haidu:





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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und benennt diesen als Offenbarer von Recht: ‚E! Deus,‘ dist Carles, ‚le dreit en esclargiez!‘ („‚Ach Gott‘, sagte Karl, ‚laßt das Recht ans Licht kommen!‘“; CdR, V. 3891)34 Dabei erscheint Karl während der gesamten Verhandlung – ganz anders als in der ersten Beratungsszene – weitgehend passiv. Er beeinflusst den Urteilsfindungsprozess weder über das, was er sagt, noch über seine Gesten. Herrscherzorn wird dabei weder als lenkende Emotion, noch als schmerzliche Reaktion auch nur angedeutet. Die Einflusslosigkeit des Herrschers wird bereits ausgestellt, nachdem Karl die Anklage vorgetragen hat, in der er deutlich macht, dass Ganelon sich tatsächlich Schlimmes hat zu Schulden kommen lassen. Die Franken bleiben angesichts der Vorwürfe vollkommen unbeeindruckt und schließen sich nicht von Vornherein der herrscherlichen Anklage an: Respundent Francs: ‚Ore en tendrum cunseill.‘ („Die Franken antworten: ‚Darüber werden wir nun beraten.‘“; CdR, V. 3761)35 Sie kommen auf Anraten Pinabels sogar dazu, für einen Freispruch Ganelons beim Kaiser zu plädieren. Hier wird die Unabhängigkeit des Gremiums vom Kaiser deutlich demonstriert. Daraufhin stellt Karl am Ende von Laisse 276 fest: ‚Vos estes mi felun!‘ („‚Ihr seid mir gegenüber Verräter!‘“; CdR, V. 3814) und zeigt sich zu Beginn der folgenden Laisse niedergeschlagen:36 Quant Carles veit que tuz li sunt faillid, Mult l’enbrunchit e la chere e le vis; Al doel qu’il ad si se cleimet caitifs.

The Semiotics of Alterity: A Comparison with Hermeneutics. In: New Literary History 21/3 (1990), S. 671–691, S. 678. 34 Wieder aufgenommen wird diese Auffassung eines Rechtes, das von Gott kommt, durch die kurz darauf von Karls Kämpfer Thierry an seinen Gegner Pinabel gerichteten Worte: ‚Deus facet hoi entre nus dous le dreit!‘ („‚Gott soll heute zwischen uns beiden Recht sprechen!‘“; CdR, V. 3898) Neben Thierry schließt sich zudem der Erzähler selbst dieser Sicht an, indem er ebenfalls auf das zu erwartende Eintreten von dreit verweist: tresque li dreiz en serat („bis das gerechte Urteil ergangen ist“; CdR, V. 3849), und den Ausgang des Prozesses mit Gott in Verbindung bringt: Deus set asez cument la fins en ert („Gott weiß sehr wohl, wie das Ende aussehen wird“; CdR, V. 3872). An einer Stelle gibt der Erzähler einen Hinweis auf das Ende: N’ad deservit que altre ben i ait; („Keinen anderen Lohn [als Prügel; E. F.] hat er verdient“; CdR, V. 3740). 35 Genauso ungerührt zeigen sie sich allerdings auch gegenüber der Verteidigungsrede Ganelons: Respundent Francs: ‚A conseill en irums.‘ („Die Franken antworten: ‚Wir werden zur Beratung schreiten.‘“; CdR, V. 3779) 36 Die Chanson de Roland ist in Laissen, durch Versmaß und Assonanz zusammengehaltenen, unregelmäßig langen Sinnabschnitten, verfasst.



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

Als Karl sieht, daß ihn alle im Stich gelassen haben,  / Senkt er tief sein Angesicht, und in dem Schmerz,  / Den er empfindet, nennt er sich einen unglücklichen Mann. (CdR, V. 3815–3817)

Karls Schmerz und seine Gesten setzen keine Handlung in Gang. Weder versucht der Kaiser nun aktiv die allgemeine Meinung zu beeinflussen, noch wird die Bereitschaft Thierrys, für Karl im Zweikampf anzutreten, als Folge der Emotionsäußerung dargestellt. Thierrys Entschluss stand bereits vorher fest: Als alle sich mit einem Freispruch einverstanden erklären, verweigert er sich als einziger (siehe CdR, V. 3805 f.). Die Entscheidung, für den Kaiser zu kämpfen, liegt also vor dessen Trauerbekundung. Im Folgenden ergreift Thierry vollends die Initiative, fordert den König auf, nicht so sehr zu klagen: ‚[N]e vos dementez si!‘ (CdR, V. 3824), spricht davon, Ganelon zum Tod durch Erhängen zu verurteilen: ‚Pur ço le juz jo a pendre e a murir‘ (CdR, V. 3831) und erklärt sich bereit, für dieses Urteil, das er als sein eigenes bezeichnet, einzutreten: ‚Mun jugement voel sempres guarantir.‘ (CdR, V. 3836) Anders als Karl erntet er nun auch die Zustimmung der Franken (siehe CdR, V. 3837). Die Zurückhaltung des Kaiser geht hingegen so weit, dass Pinabel ihn dazu auffordert, in seiner eigenen Verhandlung für Ruhe zu sorgen: ‚Sire, vostre est li plaiz: / Car cumandez que tel noise n’i ait‘ (CdR, V. 3841 f.). Karl reagiert nicht und beschränkt sich darauf, den weiteren Ablauf des Prozesses zu gewährleisten, indem er von Pinabel und Thierry je 30 Bürgen annimmt. Seine nächste, hier bereits erwähnte Äußerung erfolgt, als der Kampf zwischen beiden bereits fortgeschritten ist: ‚E! Deus […]le dreit en esclargiez!‘ („‚Ach Gott […] laßt das Recht ans Licht kommen!‘“; CdR, V. 3891) Karl verhält sich wie ein Platzhalter Gottes. Er ruft diesen darum an, das rechte Urteil zu bringen, und sorgt notdürftig dafür, dass der Prozess seinen Lauf nimmt, aber vom Versuch einer aktiven herrscherlichen Einflussnahme kann keine Rede sein. Der Ausgang des Zweikampfes wird indirekt als Wunder Gottes inszeniert, indem Thierry und Pinabel wie David und Goliath erscheinen. Die Franken weinen schon vor dem Kampf aus Mitleid mit dem körperlich so unterlegen geschilderten Thierry (siehe CdR, V. 3871). Nach hartem Kampf, gegenseitigen Unterwerfungsaufforderungen und einer schlimmen Verwundung Thierrys unterliegt letztlich der stärkere Pinabel und Gott hat mit einem Wunder das Recht offenbart: Escrient Francs: ‚Deus i ad fait vertut! Asez est dreiz que Guenes seit pendut E si parent, ki plaidet unt pur lui.‘ Die Franken rufen aus: ‚Gott hat ein Wunder getan!  / Mit Fug und Recht soll Ganelon gehängt werden / Und seine Verwandten, die für ihn gebürgt haben.‘ (CdR, V. 3931–3933)





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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Nun wird Karl etwas aktiver, indem er auf Thierry zugeht, ihn in seine Arme schließt und ihm das Blut mit seinen Marderpelzen abtrocknet (siehe CdR, V. 3935–3940). Es werden aber hauptsächlich Gesten der Wertschätzung und Ehrerbietung geschildert, Gefühle des Kaisers hingegen nicht näher beschrieben. Abschließend ruft er nochmals Grafen und Herzöge zusammen, um über die Bürgen zu entscheiden (siehe CdR, V. 3946). Erst nachdem ihm die Franken bestätigt haben, dass die Bürgen sterben sollen, thematisiert Karl einem seiner Vögte gegenüber wieder seinen Bart und seine Befehlskraft: ‚Par ceste barbe dunt li peil sunt canuz, / Se uns escapet, morz ies e cunfunduz.‘ („‚Bei diesem Bart, dessen Haare schneeweiß sind, / Wenn auch nur einer entkommt, bist du tot und erledigt.‘“; CdR, V. 3954) Die Verfügungsgewalt ist während des gesamten Rechtsfindungsprozesses wie ausgesetzt und Karl gleicht eher einem Organ, das die von anderen gefassten Entscheidungen ausführt, denn als Mitbestimmender. Nachdem alle gemeinsam – Bayern, Alemannen, Poiteviner, Bretonen, Normannen und Franken – entschieden haben, dass Ganelon eines grausamen Todes sterben muss, und die Vierteilung des Verurteilten in allen Details (Binden Ganelons an vier Pferde, Antreiben der Pferde durch Knechte, Überdehnung von Ganelons Sehnen, Brechen all seiner Glieder, Fließen des Blutes über das grüne Gras) geschildert worden ist, stellt erstens der Erzähler fest, dass es Recht ist, Verrat mit dem Tod zu ahnden: Hom ki traïst altre, nen est dreiz qu’il s’en vant. („Es ist nicht recht, daß der, der einen anderen verrät, sich dessen rühmen kann.“; CdR, V. 3974)37 Zweitens  – und das ist im hier fokussierten Zusammenhang weitaus wichtiger – deutet der Erzähler nun das gesamte Geschehen in einem Nebensatz als Rache des Kaisers um: Quant li empereres ad faite sa venjance („Nachdem der Kaiser seine Rache genommen hatte“; CdR, V. 3975). In der nächsten laisse similaire wird der Nebensatz nochmals aufgenommen, allerdings mit der markanten Umformulierung: Quant l’emperere ad faite sa justise / E esclargiez est la sue grant ire („Nachdem der Kaiser sein Recht hat ergehen lassen / Und sich sein großer Zorn gelegt hat“; CdR, V. 3988 f.).38 Auffallend ist jedoch, dass Karl am Ende gar

37 Ähnlich kommentierte der Erzähler auch schon die Hinrichtung der Bürgen: Ki hume traïst sei ocit e altroi. („Wer einen anderen verrät, tötet sich und andere.“; CdR, V. 3959) 38 Morrissey, L’Empereur, S. 78, bemerkt zu dieser Erwähnung von Karls Zorn: „sa colère ne peut éclater qu’une fois le duel judiciaire fini et qu’il se trouve libre de punir au nom de la justice et de la volonté de Dieu.“ Erst als Gott seinen Willen im Zweikampf offenbart habe, könne Karl demnach seinem Zorn freien Lauf lassen. Diese Deutung beruht darauf, dass Morrissey einen (inneren) Konflikt Karls zwischen seiner Verwandtschaft zu Roland und seiner Funktion als Herrscher annimmt. Neben den Spannungen, die im Verlauf der Handlung entfaltet werden, bildet dieser Konflikt, den Morrissey als Vermischung von Privatem und Öffentlichem charakterisiert, den zentralen Punkt, an dem die Chanson de Roland Herrschaft verhandele. Die Lö-



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

nicht zornig gezeigt wird. Vielmehr schreibt der Text dem Herrscher die Verurteilung und Bestrafung Ganelons, aus der Karl und seine Emotionen, wie gezeigt, weitestgehend herausgehalten werden, im Nachhinein als Rache und Zorn zu. Einerseits verkörpert der Kaiser insofern das juristische Geschehen, als sein Zorn und seine Rache nicht an ihm sichtbar werden. Andererseits wird das konsensual gefundene und von Gott sanktionierte Urteil wieder auf die Person des Herrschers abgebildet. Dabei werden in den beiden parallelen Laissen-Anfängen Rache (venjance), Zorn (ire) und Recht (justise) in Karl amalgamiert. Auch die Verwendung des Verbes esclargier unterstützt diese Interpretation. So ruft Karl einmal Gott an, das Recht ans Licht zu bringen: ‚[L]e dreit en esclargiez!‘ (CdR, V. 3891) und nach der Vollstreckung des Urteils erfahren die Rezipienten über Karl: esclargiez est la sue grant ire („[dass; E. F.] sich sein großer Zorn gelegt hat“; CdR, V. 3989). Diese parallele Formulierung in solch dichter Folge setzt das Zutagetreten von göttlichem Recht und herrscherlichem Zorn letztlich in eins. Die Emotion wird dabei nur benannt, aber nicht in Symptomen, Gesten oder Aktionen verkörpert. Personalisierung erfolgt hier ohne jegliche Verkörperung rein nominell.

3.1.3 Exkurs: Ganelon als machtvolle Verkörperung von Zorn Während bei Karl und seinen treuen Vasallen Zornsymptome und -gesten (bis auf die Umsetzung von Zorn in Gewalt) weitgehend ausgespart bleiben, wird Ganelon

sung, dass Thierry, der nicht mit Karl verwandt ist, am Ende den toten Roland ersetzt, hebe die Herrschaft des Kaisers auf ein allgemeingültiges, von privaten Bindungen befreites Niveau (siehe Morrissey, L’Empereur, S. 79). Dabei ist anfechtbar, dass Verwandtschaft zur Zeit der Chanson de Roland eine rein private Angelegenheit gewesen sein soll. Vielmehr konnten bereits mehrere Studien die öffentlich-politische Relevanz familiärer Bindungen in der Vormoderne aufzeigen, die deutlich von unserem heutigen sehr auf das Private beschränkten Konzept von Verwandtschaft abweicht, siehe dazu Dorothea Kullmann: Verwandtschaft in epischer Dichtung. Untersuchungen zu den französischen chansons de geste und Romanen des 12. Jahrhunderts, Tübingen 1992 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 242). Darüber hinaus machen Karls Totenklagen deutlich, dass er zwar um den Neffen, aber auch um den tapferen Vasallen trauert (siehe Laissen 206–210). Wo genau Karls Zorn dabei zu verorten ist, bleibt unklar. Denn einerseits ordnet Morrissey die Emotion der privat-persönlichen Seite des Kaisers zu. Andererseits geht er aber davon aus, dass dieser den Zorn nur zu dem seiner Position angemessenen Zeitpunkt und auf die angebrachte Weise äußert, nämlich wenn Gott und die Franken Ganelon bereits für rechtmäßig schuldig befunden und die grausame Strafe festgelegt haben. Dass Karl zuvor schmerzerfüllt den Kopf senkt, als die Fürsten Ganelon freisprechen wollen (siehe CdR, V. 3816 f.), sieht Morrissey als klares Zeichen dafür an, dass der Kaiser zu dieser Gelegenheit sein Privatinteresse, den Neffen zu rächen, dem allgemeinen Willen unterordnet.





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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an zwei Stellen als machtvolle Verkörperung von Zorn dargestellt. Dabei wird die Figur über Zorn nicht negativiert, sie erscheint vielmehr als Experimentierfeld für verschiedene Relationierungen von Zorn, Macht und Herrschaft. Als es darum geht, wer als Bote zu den Heiden gehen soll, und Roland Ganelon vorschlägt, reagiert dieser aufgebracht und mit einer beeindruckenden Gestik und Mimik: E li quens Guenes en fut mult anguisables De sun col getet ses grandes pels de martre, E est remés en sun blialt de palie. Vairs out [les oilz] e mult fier lu visage, Gent out le cors e les costez out larges Und der Graf geriet darüber in helle Aufregung. / Von seinem Hals riß er die großen Marderpelze / Und stand dort in seinem seidenen Obergewand. / Seine Augen funkelten und sein Antlitz war äußerst grimmig, / Sein Körper war wohlgestaltet und er hatte eine breite Brust (CdR, V. 280–284).39

Hier gilt, was Rychner allgemein für die Chanson de Roland festgestellt hat: Ganelons Reaktion wird in der Darstellung stark visualisiert und sehr körperlich vorgestellt. Er wirft als Zeichen seiner Kampfbereitschaft den langen Marderpelz von den Schultern.40 Auch das Funkeln seiner Augen sowie sein wildes bzw. stolzes (fiers) Gesicht zeugen von Angriffslust.41 Die Inszenierung des Textes hebt darauf ab, zwei gegensätzliche Zustände – Enge und Weite, Bedrängnis und deren Abwerfen – in einer Reaktion miteinander zu verbinden.42 Dabei erinnert

39 Die neuere Forschung plädiert dafür, anguisables an dieser Stelle mit „zornig“, „wütend“ oder zumindest mit „beleidigt“, „aufgeregt“ zu übertragen, wohingegen ältere Übersetzer noch „angstvoll“ und „von Furcht ergriffen“ bevorzugen. Siehe den gesamten Beitrag von Burger, Rire; siehe auch Silvio Pellegrini: L’ira di Gano. In: Ders.: Studi Rolandiani e Trobaodorici, Bari 1964, S. 122–135, S. 126 f; und auch Köhler, Conseil des barons, S. 386 f.: „Ganelons wütende Reaktion hat ihre Ursache nicht in physischer Angst um sein Leben.“ In etwas abgeschwächter Form unterstützt diese Deutung auch Steinsieck, Altfranzösisches Rolandslied, in seiner Übersetzung und der entsprechenden Anmerkung, S. 329: „‚anguisables‘ ist eher ‚aufgeregt‘, ‚beleidigt‘ als ‚voller Angst‘ oder ‚Furcht‘.“ Klein, Chanson de Roland, S. 25, übersetzt hingegen noch: „Doch Graf Ganelon ward von Furcht ergriffen.“ 40 Siehe Haidu, Subject, S. 68, zur Deutung dieser Geste als Ablegen des Mantels, um besser an das Schwert zu kommen, also Angriffsbereitschaft zu signalisieren. 41 Zu Bedeutung und Verwendung von fiers in der Chanson de Roland siehe Glyn S. Burgess: Orgueil and Fierté in Twelfth-Century French. In: Zeitschrift für Romanische Philologie 89 (1973), S. 103–122, hier S. 105, wo sie fierté als „combination of pride and ferocity“ bezeichnet. Im Neufranzösischen hat sich die Bedeutung hingegen auf „Stolz“ verengt. 42 Das altfranzösische anguisables geht wie mittelhochdeutsch angest und neuhochdeutsch „Angst“ auf lateinisch angustia zurück, das Enge und Bedrängnis bezeichnet. Siehe dazu auch



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

die Reaktion zum einen an phänomenologische Beschreibungen und Metaphern, die auch heute noch gängig sind, um die zentrifugale Kraft von Zorn zu betonen.43 Zum anderen wird aber jegliche Unkontrolliertheit, die etwa einer Vorstellung von Zorn als Explosion innewohnt, ausgelassen. Geste und Gesicht Ganelons erscheinen vielmehr als kontrollierte emotionale Manifestationen seines Machtwillens und verfehlen nicht ihre Wirkung: Die Anwesenden, die gesellschaftlich mit ihm auf einer Stufe stehen, sind beeindruckt von seiner Erscheinung: Tant par fut bels tuit si per l’en esguardent. („Er war so überaus schön, daß alle seine Standesgenossen ihn anschauten.“; CdR, V. 285) Seine Reaktion und vor allem sein Aussehen verschaffen ihm also in diesem Moment Respekt. Dass Ganelons Zorn kontrolliert und mit einem Machtanspruch versehen ist, zeigt sich auch, als er die Emotion – auf Rolands Angebot hin, selbst als Bote zu den Heiden zu gehen – diesem gegenüber offen thematisiert: Guenes respunt: ‚Pur mei n’iras tu mie! Tu n’ies mes hom ne jo ne sui tis sire. Carles comandet que face sun servise: En Sarraguce en irai a Marsilie; Einz i f[e]rai un poi de [le]gerie, Que jo n’esclair ceste meie grant ire.‘

den Artikel „angoissos“, in: Altfranzösisches Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 394. Als Bedeutungen werden dort angeführt: bedrängt, beklommen, in Besorgnis; eifrig bedacht auf; schwer, qualvoll. Der etymologisch enthaltene Aspekt körperlicher Bedrängnis und Enge wird in diesen Übersetzungen stark berücksichtigt. Nur wenig hilfreich für die historische Semantik des mittelhochdeutschen Wortes ist: Rolf Endres: Zum Wortinhalt von ‚angest‘ im Rolandslied des Pfaffen Konrad. In: Psychologie in der Mediävistik. Gesammelte Beiträge des Steinheimer Symposions. Hrsg. von Jürgen Kühnel u. a., Göppingen 1985 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 431), S. 79–105. Siehe dagegen Andrea Sieber: Die angest des Herkules. Zum Wandel eines emotionalen Verhaltensmusters in mittelalterlichen Trojaromanen. In: Codierungen von Emotionen im Mittelalter. Hrsg. von Stephen C. Jaeger/Ingrid Kasten, Berlin, New York 2003 (TMP 1), S. 222–234, hier S. 227 f.; Annette Gerok-Reiter: Angst – Macht – Ohnmacht. Emotionscrossing in Hartmanns Erec? In: Machtvolle Gefühle. Hrsg. von Ingrid Kasten, Berlin, New York 2010 (TMP 24), S. 218–259, hier bes. S. 222–230. Der Terminus anguisables erscheint noch zur Beschreibung der Enge von Wegen (siehe V. 3126). In V. 3444 bezeichnet er die Situation von Naimes, als dieser von den Heiden im Kampf in die Enge getrieben wird, siehe Joseph J. Duggan: A Concordance of the Chanson de Roland, Columbus (OH) 1969. 43 Zur phänomenologischen Beschreibung von Zorn siehe Hermann Schmitz: Zorn und Scham an der Wiege von Rechtskulturen. In: Ders.: Höhlengänge. Über die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie, Berlin 1997, S. 153–165, hier bes. S. 158. Für einen Ansatz, der die Emotion über Metaphern fasst, siehe z. B. Zoltán Kövecses: Metaphors of Anger, Pride, and Love. A Lexical Approach to the Structure of Concepts, Amsterdam, Philadelphia 1986, hier bes. S. 11–38.





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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Ganelon antwortet: ‚Du wirst auf keinen Fall an meiner Stelle gehen! / Du bist nicht mein Lehnsmann und ich bin nicht dein Lehnsherr. / Karl befiehlt, daß ich ihm zu Diensten bin: / Ich werde daher nach Saragossa zu Marsilie gehen. / Ich werde mich dort eher ein wenig leichtfertig verhalten, / Als diesen meinen großen Zorn zu vergessen.‘ (CdR, V. 296–301)44

Erst hier verwendet Ganelon explizit das Wort ire für die Erniedrigung, die Roland ihm zugefügt hat. Der Text trennt also die unmittelbaren körperlichen Reaktionen (Abwerfen des Pelzes, Funkeln der Augen) und die Benennung dieser Reaktionen als ire.45 Damit evoziert das Wort ire weniger eine spontane, schnell vorübergehende emotionale Reaktion, sondern bezeichnet vielmehr eine nachhaltige Kränkung, die Ganelon zu rächen gelobt. Damit gilt, was sich schon in der Gestik andeutet: Zorn erschöpft sich nicht in einer impulsiven, ephemeren Explosion, sondern wird zum Mittel der Drohung, einem Zustand des Schadens, der aufzuhören verspricht, wenn er vergolten ist.46

44 Klein, Chanson de Roland, S. 25 f. übersetzt die beiden letzten Verse abweichend:„aber dort werde ich einen schlimmen Streich vollbringen, um meinen großen Zorn zu kühlen.“ Beide suggerieren letztlich, dass Ganelon hier seine Rache ankündigt. Wörtlicher hieße Que jo n’esclair ceste meie grant ire (V. 301) in etwa: als dass ich diesen meinen großen Zorn nicht aufheitern werde. Siehe den Eintrag: „esclairier, esclarier“, in: Altfranzösisches Wörterbuch, Sp. 912–914, hier Sp. 912, wo genau dieser Vers unter der Bedeutung „aufheitern“ zitiert wird. Die Grundbedeutung des Verbes ist konkret „hell werden“, „leuchtend machen“, auf Zorn bezogen wird aber auch noch die Bedeutung „seinen Zorn auslassen“ angeführt. 45 Dem altfranzösischen Wort ire entsprechen im Neuhochdeutschen zwei Bedeutungsfelder: Zorn und Trauer. Bei Wörtern derselben Familie hält sich die Semantik von Niedergeschlagenheit und Erregung die Waage, sodass nur schwer zu entscheiden ist, ob die Bedeutung zorniger Kummer oder trauriger Zorn überwiegt, siehe dazu: Altfranzösisches Wörterbuch, Bd. 4.2, Sp. 1440. Dies passt einerseits zum Befund von Müller, Spielregeln, S. 208, der trûren und zorn im Mittelhochdeutschen als Reaktionen auf leit als „‚defekten Status‘, der von einem anderen verschuldet ist“, parallel setzt. Andererseits greift seine Unterscheidung in passives trûren und aktiven zorn im Blick auf das altfranzösische ire nicht. Hier sind beide Komponenten in einem Wort verschmolzen und es ist je nach Kontext zu entscheiden, welche semantischen Anteile, Zorn oder Trauer, aktive Gegenwehr oder passives Erleiden jeweils überwiegen. Siehe dazu auch Kleiber, Ire. 46 Burger, Rire, S. 11, verweist darauf, dass Ganelon Roland nicht aus Feigheit zürnt, sondern aus einer Ehrverletzung heraus: „Avant de lancer son défi, il tient à bien marquer que ce n’est pas la peur qui a provoqué sa colère, qu’il est prêt à obéir.“ Dem stimmt auch Pellegrini, L’ira, S. 127, zu, wenn er schreibt: „In effetti, quel che dilania Gano non è paura ma orgoglio offeso.“ Gekränkter Stolz – und nicht Angst – gilt also als Auslöser für Ganelons Zorn.



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

Erst als Roland Ganelon auslacht (siehe CdR, V. 302), schlägt die Inszenierung um.47 Nun ist keinerlei Machtanspruch Ganelons mehr spürbar, was sich wiederum in seinen körperlichen Reaktionen widerspiegelt: Quant ço veit Guenes que ore s’en rit Rollant, Dunc ad tel doel pur poi d’ire ne fent, A ben petit que il ne pert le sens Als Ganelon sieht, daß Roland nun über ihn lacht, / Empfindet er solchen Schmerz, daß er beinahe vor Zorn zerspringt. / Es fehlt nicht viel, und er verliert den Verstand (CdR, V. 303–305).

Hier wird Zornes-Mimik und -Gestik durch eine Innensicht der Figur ersetzt, die die Intensität der Kränkung verdeutlicht. Anstelle von Macht wird hier Machtverlust im Bild des Zerspringens gefasst.48 Anstelle von Kontrolle ist hier von einer Einbuße des Verstandes – also einem grundlegenden Kontrollverlust – die Rede. Was danach folgt ist allerdings auch hier nicht ein Rasen Ganelons: Er versichert Roland gegenüber seine Feindschaft und erklärt sich  – an den Kaiser gerichtet  – dazu bereit, das Botenamt zu übernehmen (siehe CdR, V. 306–309). Über die Zorngestaltung wird in dieser Szene schrittweise die Unterordnung Ganelons inszeniert, der sich zunächst noch Respekt einflößend widersetzt, um sich am Ende, wenn auch widerstrebend, in das Botenamt zu fügen.

47 Zur beleidigenden Funktion von Lachen siehe Gerd Althoff: Vom Lächeln zum Verlachen. In: Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Werner Röcke/Hans Rudolf Velten, Berlin, New York 2005 (TMP 4), S. 3–16, hier S. 10: „Eine dritte Form codierten Lachens findet sich im Hohn- und Spottgelächter, mit dem Gegner verächtlich gemacht oder gereizt wurden.“ 48 Zur Deutung des Zerspringens als Spaltung Ganelons in einen wertgeschätzten und einen herabgesetzten Teil siehe Haidu, Subject, S. 72. Meiner Meinung nach verweist das Bild der Spaltung vor allem auf die Intensität der Emotion und damit die Stärke der Kränkung, die Roland mit seinem Lachen erzeugt. Siehe Roland im Kampf: Si grand doel ad que par mi quiet fendre. (CdR, V. 1631; ich übersetze: „Er glaubt vor Schmerz in der Mitte zu zerspringen.“) Steinsieck, Altfranzösisches Rolandslied, S. 129, übersetzt hier: „Er glaubt, vor Schmerz mitteninne zu zerspringen.“ Klein, Chanson de Roland, S. 97, übersetzt hingegen: „So großen Schmerz empfindet er, daß er denkt, das Herz zerspringe ihm (wörtlich: es zerspringe in der Mitte).“ Das Bild, durch das Empfinden einer Emotion zu zerspringen, erscheint damit zumindest in der Chanson de Roland nicht als auf eine Stelle beschränkte Darstellungsstragie, sondern als gängige Vorstellung. Dabei ist wieder darauf hinzuweisen, dass der Text fendre auch (und noch häufiger) als sehr konkreten Spaltvorgang vorstellt (siehe CdR, V. 1694, 3604, 3927: Spalten des Kopfes bzw. Helmes; siehe CdR, V. 2295: der auseinander gebrochene Olifant; siehe CdR, V. 1432: Der Himmel spaltet sich).





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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Obwohl Ganelon den Handschuh fallen lässt, als der Kaiser ihm das Amt überträgt, und alle Anwesenden voraussehen, dass er seine Mission schlecht erfüllen wird (siehe CdR, V. 333–335), verkörpert er gerade als Bote bei Marsilie nochmals machtvoll herrscherlichen Zorn. Dies kündigt sich bereits zu Beginn der Szene an, wenn seine Vorbildlichkeit hervorgehoben wird: Mais li quens Guenes se fut ben purpenset. Par grant saver cumencet a parler Cume celui ki ben faire le set Graf Ganelon aber hatte sich alles wohl überlegt. Mit großem Geschick beginnt er zu sprechen, Wie jemand, der sich darauf gut versteht (CdR, V. 425–427).

Die Übereinstimmung im guten und überlegten Sprechen lässt Ganelon wie den verkörperten Karl erscheinen.49 Denn auch diesen stellt uns die Chanson de Roland als äußerst überlegt sprechend vor: De sa parole ne fut mie hastifs: / Sa custume est qu’il parolet a leisír. („Was das Reden anging, so war er keineswegs voreilig: / Seine Gewohnheit war, zu reden, wenn er es für richtig hielt“; CdR, V. 140 f.)50 Ganelon ist in diesem Moment nicht der Verräter, als der er später verurteilt wird, sondern Bote Karls des Großen, der ungeschönt dessen Botschaft überbringt: ‚Iço vus mandet Carlemagnes, li ber, Que recevez seinte chrestientet; Demi Espaigne vos voelt en fiu duner Se cest acorde ne vulez otrier, Pris e liez serez par posted; Al siege ad Ais en serez amenet. Par jugement serez iloec finet; La murrez vus a hunte e a viltet.‘

49 Es wird sonst nur noch einer anderen Figur diese positive Eigenschaft zugesprochen, nämlich Pinabel im Prozess gegen Ganelon: Ben set parler e dreite raisun rendre („Er versteht sich gut darauf, zu reden und überzeugend zu argumentieren“; CdR, V. 3784). Dort geht es aber weniger um das überlegte als um das überzeugende Sprechen. So gesehen ist die Übereinstimmung zwischen Ganelon und Karl in dieser Zuschreibung einzigartig. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Ganelon im Gespräch mit Blancandrin kurz zuvor nichts gegen Karl sagt, sondern nur gegen Roland und Olivier. Es erscheint, als verrate er nicht eigentlich den Kaiser, sondern nur dessen ihm verhasste Vasallen. 50 Klein, Chanson de Roland, S. 17, übersetzt hier etwas anders: „Der Kaiser hielt sein Haupt geneigt. / Mit seinen Worten war er nicht vorschnell. / Seine Gewohnheit ist, langsam und bedächtig zu reden.“ Das Altfranzösische Wörterbuch, Bd. 5, Sp. 618, führt als Übersetzung für a leisir an dieser Stelle „mit Muße“ an.



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

‚Karl der Große, der edle Krieger, verlangt von Euch, / Den heiligen Christenglauben anzunehmen.  / Halb Spanien will er Euch zum Lehen geben.  / Wenn Ihr dieser Übereinkunft nicht zustimmen wollt, / Werdet Ihr mit Gewalt gefangengenommen und gefesselt werden; / Zur Residenz nach Aachen werdet Ihr geführt werden,  / Dort werdet Ihr durch ein Urteil Euer Ende finden; / Dort werdet Ihr in Schmach und Schande sterben.‘ (CdR, V. 430–437)

Ganelon überbringt nicht nur das Angebot zur Güte, sondern führt mit lebhaften Farben vor Augen, was Marsilie droht, wenn er sich nicht zum Christentum bekehrt. Die Überlegtheit im Sprechen scheint hier im (gezielten) Ausstoßen von Drohungen und Provokationen zu bestehen.51 Marsilie reagiert auf Ganelons Rede mit Zorn und unmittelbar darauffolgender Gewalt gegen den Boten: Li reis Marsilies en fut mult esfreed. Un algier tint, ki d’or fut enpenet; Ferir l’en volt, se n’en fust desturnet. König Marsilie war darüber sehr aufgebracht, / In der Hand hielt er einen Wurfspieß, der mit goldenen Federn versehen war;  / Damit wollte er ihn schlagen, wenn man ihn nicht davon abgehalten hätte. (CdR, V. 437–439)52

Diese Reaktion des heidnischen Herrschers erhält ein besonderes Gewicht, indem sie zu Beginn der nächsten Laisse nochmals wiederholt wird, diesmal zusätzlich mit Hinweis auf die veränderte Gesichtsfarbe: Li reis Marsilies ad la culur muee; / De sun algeir ad la hanste crollee. („König Marsilie wechselte die Gesichtsfarbe; / Er schwang den Schaft seines Wurfspießes.“; CdR, V. 441 f.)53 Ganelons Drohung fruchtet also insofern, als sie den Bedrohten nicht kalt lässt. Dieser beantwortet die verbale Herausforderung aber nicht mit einer Rede, sondern greift sofort zu körperlicher Gewalt. Durch diesen Kontrast wird Ganelons ruhiges und überlegtes Verhalten erneut betont. Anstatt sich beeindruckt oder emotional affiziert zu zeigen, führt er gezielte Drohgebärden aus: So greift er zu seinem Schwert (siehe CdR, V. 443) und wirft seinen Mantel von den Schultern (siehe CdR, V. 464).

51 Dies gilt nicht nur für Ganelons verbales, sondern auch für sein körperliches Agieren. 52 Klein, Chanson de Roland, S. 33, übersetzt mult esfreed mit „tief erschrocken“. Das Altfranzösische Wörterbuch, Bd. 3, Sp. 1052, führt als Übersetzung für esfreed an dieser Stelle „heftig erregt, zornig“ an. Der Terminus esfreedement kommt nur an einer weiteren Stelle in der Chanson de Roland vor (siehe CdR, V. 2767). Hier bezeichnet er die Reaktion von Baligants Boten auf den Anblick des besiegten und verstümmelten Marsilie. 53 Ich schlage die Übersetzung vor: „Marsilies Gesichtsfarbe veränderte sich“, da so der unwillkürliche Charakter des Vorgangs mehr hervortritt. Dies ist auch nicht so bei Klein, Chanson der Roland, S. 33.





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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Während Ganelon mit seinem Drohgebaren alle einschüchtert, wird Marsilies Zorn mit einer Rüge von seinen eigenen Vasallen (siehe CdR, V. 453–455) und des Boten Ganelon (siehe CdR, V. 469) beantwortet. Im Gegensatz zu Ganelons Verhalten bringt Marsilies Zorn also Unterlegenheit statt Überlegenheit. Anstelle ihres eigenen Herren bewundern die Heiden den christlichen Boten: Dient paien: ‚Noble baron ad ci!‘ („Da sagen die Heiden: ‚Welch ein edler Ritter!‘“; CdR, V. 467) Als Ganelon Karls Botschaft erneut vorträgt und abermals mit Degradierung und Tod droht, falls Marsilie sich nicht bekehre, reagiert der Adressierte mit Erbleichen, das der Erzähler als Symptom von Zorn (ire) deutet: Marsilies fut esculurez de l’ire; („Marsilie wurde bleich vor Zorn“; CdR, V. 485). Als weiteres Zeichen seines Zorns wirft Marsilie das Siegelwachs zu Boden,54 bevor er Karls Botschaft vorliest: ‚Carle me mandet, ki France ad en Baillie, Que me remember de la dolur e de l’ire, Ço est de Basan e de sun frere Basilie, Dunt pris les chefs as puis de Halt[il]íe; Se de mun cors voeil aquiter la vie, Dunc li envei mun uncle, l’algalife; Altrement me m’amerat il mie.‘ ‚Karl, der über das Frankenreich herrscht, fordert mich auf,  / Ich solle mich an seinen Schmerz und seinen Zorn erinnern, / Was Basan und seinen Bruder Basilie anging, / Die ich auf den Anhöhen von Haltilie enthaupten ließ; / Wenn ich mein Leben erhalten will, / Soll ich ihm meinen Onkel, den Kalifen, schicken, / Andernfalls wird er mir ganz und gar nicht wohlgesonnen sein.‘ (CdR, V. 488–494)

Mit dem Brief wird Marsilies ire nun der ire Karls gegenübergestellt. Während am Heidenkönig die Emotion als unwillkürliches körperliches Symptom geschildert wird, erscheint bei Karl Zorn als Argument im Brief diskursiviert. Dabei fällt auf, dass der Brief einen anderen Akzent setzt als die Botschaft, die Ganelon überbringt. Letzterer fordert Marsilie mit Versprechen und Drohungen zur Bekehrung auf. Der Brief erinnert hingegen auch an die Kränkung und den Schmerz, die Marsilie Karl zugefügt hat, als er dessen Boten töten ließ. Indem Ganelon, der Bote Karls, ohne Zorn agiert und argumentiert, ist die Emotion allein dem Kaiser

54 CdR, V. 486: Freint le seel, getet en ad la cire. Ich halte mich hier an die Übersetzung von Klein, Chanson de Roland, S. 35: „Er erbricht das Siegel, warf das Wachs zu Boden“, die das Abrupte/Aggressive des Wortes erhält. Steinsieck, Altfranzösisches Rolandslied, S. 43, glättet hingegen zu „entfernt das Wachs“. Siehe Altfranzösisches Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 1643, für jeter/ geter: „wegwerfen, von sich tun, fahren lassen, ablegen“.



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

vorbehalten. Zorn erscheint dadurch in dieser Szene exklusiv als Herrscheremotion, verleiht aber allein dem Auftreten Ganelons körperliche Präsenz. Dabei wird zugleich der Machtkontrast verdeutlicht: Während Marsilies Zorn Machtlosigkeit dokumentiert, artikuliert Karl (verkörpert durch Ganelon) seinen Zorn, um das zukünftige Handeln des Feindes zu beeinflussen.55 Einen Abschluss findet die Szene in einer weiteren machtvollen Geste Ganelons – der erneut sein Schwert zieht, als Marsilies Sohn ihn von Zorn ergriffen töten will – sowie Marsilies Entschuldigung: ‚Bel sire Guenes,‘ ço li ad dit Marsilie, ‚Jo vos ai fait alques de legerie, Quant por ferir vus demustrai grant ire. Guaz vos en dreit par cez pels sabelines; Melz en valt l’or que ne funt cinc cenz livres: Einz demain noit en iert bele l’amendise.‘ ‚Edler Ganelon‘, hat Marsilie zu ihm gesagt, / ‚Ich habe etwas leichtfertig an Euch gehandelt, / Als ich Euch in meinem großen Zorn schlagen wollte. / Ich gebe Euch Genugtuung mit diesen Zobelpelzen, / In Gold sind sie mehr als 500 Pfund wert. / Vor morgen nacht wird es eine treffliche Entschädigung geben.‘ (CdR, V. 512–517)

Mit diesem Angebot, materielle Genugtuung für eine Kränkung zu leisten, wird eine gängige mittelalterliche Herrscherpraxis in ihr Gegenteil verkehrt. Ist es sonst üblich zu bezahlen, um den Zorn des Königs zu besänftigen, so bietet Marsilie als Herrscher seinem eigentlich unter ihm stehenden Gegenüber Ganelon eine Ablöse für sein eigenes zorniges Verhalten.56 Auf diese Weise erscheint Marsilie als Herrscher endgültig entmachtet. Er hat sich Ganelons Zorngebaren vollkommen untergeordnet. Sein eigener Zorn verschafft ihm keinen Respekt, sondern wird zum Sinnbild seiner Hörigkeit. Hier ist Zorn, anders als in Karls Brief, kein Machtmittel, sondern negativierendes Attribut des heidnischen Herrschers. Zugleich sieht Ganelon – der zeitweise auf wirkungsvolle Weise Karls Zorn verkörpert hat – nun von seinem einschüchternden Gebaren ab und gliedert sich in den heidnischen Herrschaftsbereich ein.57

55 Diese drohende, zukunftsorientierte Funktion von Zorn unterscheidet Karl von seinen Kriegern, bei denen Zorn vergeltend, also rückwärtsgewandt, geschildert wird. 56 Zur Gängigkeit des Bezahlens für den Zorn des Herrschers siehe das Kapitel zu den Gesta Federici sowie Udo Göllmann: Das Geld des Königs. Zu den finanziellen Beziehungen zwischen Krone und Adel in England 1154–1216, Frankfurt a. M. 2002, hier bes. S. 124–130. 57 Im mittelhochdeutschen Text erscheint diese Szene wie eine Kontrakfaktur des altfranzösischen Vorbildes. Die Begegnung Marsilies und Geneluns (Ganelon) wird dort nicht über Zorn strukturiert, um die jeweils von den beiden Figuren verkörperten Herrschaftsverbände einander





3.1 Zorn und Herrschaft in der Chanson de Roland 

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Letztlich ist die Zorngestaltung der Chanson de Roland fragmentarisch und lässt sich nicht in eine kontinuierliche, übergreifende Deutung von Herrschaft integrieren. Der Zorn der Helden und das Abstraktum dulce France werden zwar in den Kämpfen zwischen Heiden und Christen aufeinander bezogen, stehen aber in keinem konstruktiven Verhältnis. Zorn dient hier lediglich dazu, die Vernichtung der christlichen Nachhut und den Verfall der Einheit anzuzeigen. Auch bei der Gestaltung der Herrscherfigur kommt Zorn eine untergeordnete Rolle zu. Karl wird zwar von seinen Kriegern abgehoben, diese Exklusivität wird aber im Wesentlichen über die Darstellung von Trauer sowie die Prominenz seines Bartes erreicht. Zorn erscheint hingegen nur sehr zurückgenommen und kaum durch den Herrscher verkörpert. Eine machtvolle Verkörperung von Zorn wird hingegen ausgerechnet an der Verräterfigur Ganelon erprobt. Dabei wird dieser nicht negativiert, sondern erlangt durch die Performanz von Zorn zumindest zeitweilig Ansehen und Macht. Diese Aspekte der Darstellung werden im Rolandslied so verändert, dass ein kontinuierlicher Zusammenhang von Zorn und Herrschaft entsteht, der im folgenden Unterkapitel erarbeitet werden soll.

gegenüberzustellen, sondern drei Veränderungen schwächen die Opposition ab. Zum einen wird Karls Zorn mit keinem Wort im Brief erwähnt. Stattdessen wird zum zweiten eine weitere, in der Chanson de Roland eigentlich mit beschwichtigender Funktion versehene Figur, nämlich Marsilies Berater Blanscandiz, zornig geschildert (siehe RL, V. 2151–2153). Drittens werden die zur Versöhnung überreichten fürstlichen Geschenke für Genelun nicht als Entschädigung für Zorn deklariert, sondern als Belohnung für den besiegelten Verrat, siehe dazu Marion Oswald: Gabe und Gewalt. Studien zur Logik und Poetik der Gabe in der frühhöfischen Erzählliteratur, Göttingen 2004 (Historische Semantik 7), S. 280–286. Dies entspricht einer grundsätzlichen Tendenz im Rolandslied, Genelun als Verräter in ein rein negatives Licht zu rücken. Ein Erzählerkommentar, der Genelun mit einem von Würmern zerfressenen Baum vergleicht und als Motiv für sein Verhalten nît gepaart mit gebe nennt: durch nît und durch gebe („aus Haß und Habgier“; RL, V. 1980) bestätigt, dass die Figur durchgängig und unmissverständlich als Verräter stigmatisiert wird. Zu Angst und Pracht als Teile der Negativierungsstrategie, siehe Annette Gerok-Reiter: Die Angst des Helden und die Angst des Hörers. Stationen einer Umbewertung in mittelhochdeutscher Epik. In: Das Mittelalter 12/1 (2007), S. 127–143, S. 133: „Das heißt, die vorangestellte Angstszenerie entlarvt Geneluns zur Schau gestellten Glanz als schönen, als bloßen Schein, macht diesen Glanz zum Zeichen der Weltverfallenheit. […] Damit wird deutlich, auf was die Angst in diesem Text letztlich verweist: Gerade nicht auf ein psychologisch differenzierendes Kennzeichen des einen bestimmten, individuell gezeichneten Helden Genelun. Die Emotion Angst ist vielmehr umgekehrt ein allgemeingültiger [Hervorhebung im Original; E. F.] Index für mangelndes Gottvertrauen und Weltverfallenheit.“



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied Das Rolandslied weist im Vergleich zur Chanson de Roland eine deutlich veränderte Zorn- und Herrschaftsgestaltung auf.58 Dabei sind drei grundlegende Neuerungen zu nennen, die nachfolgend ausführlicher dargestellt werden sollen: Erstens wird Zorn auf der Ebene der christlichen Vasallen entproblematisiert.59

58 Hier sei nur angemerkt, dass sich die Darstellungsweise im Rolandslied von derjenigen in der Chanson de Roland bereits formal grundsätzlich unterscheidet. Dies geht im Wesentlichen mit der von der Forschung längst konstatierten stilistischen Veränderung vom altfranzösischen zum mittelhochdeutschen Text einher. So bemerkt beispielsweise Ricarda Bauschke: Chanson de Roland und Rolandslied. Historiographische Schreibweise als Authentisierungsstrategie. In: Deutsche Literatur und Sprache von 1050–1200. Festschrift für Ursula Hennig zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Annegret Fiebig und Hans-Jochen Schiewer, Berlin 1995, S. 1–18, S. 13: „Er [Konrad; E. F.] ersetzt den epischen Formelstil durch einen grundsätzlich anderen Erzählduktus.“ Dabei zeichnet sich die andere Erzählhaltung vor allem durch größere Ausführlichkeit aus, wie sich bereits an der unterschiedlichen Länge beider Texte (9049 Verse des Rolandsliedes im Gegensatz zu 4002 Versen der Chanson de Roland) ablesen lässt. Des Weiteren weichen die Laissentechnik sowie die Erzählformeln einer ausführlicheren Entfaltung der Handlung, die ohne Wiederholungen einzelner Sinnabschnitte fortlaufend erzählt wird. Die Wirkung dieser Veränderungen beschreibt Waltraud-Ingeborg Geppert: Christus und Kaiser Karl im deutschen Rolandslied. In: PBB 78 (1956), S. 349–373, hier S. 353: „Während im französischen Epos der Handlungsablauf in rascher, fast atemberaubender Folge vorgetragen wird, weitet der Pfaffe Konrad die Erzählung […] zu predigthafter Betrachtung aus.“ Zu predigthaften Elementen im Rolandslied siehe Herbert Backes: Bibel und ars praedicandi im Rolandslied des Pfaffen Konrad, Berlin 1966. Zur Korrelation beider Texte hinsichtlich ihrer Gliederung siehe Antje Missfeldt: Ein Vergleich der Laisseneinheiten in der Chanson de Roland (HS. O) mit der Abschnittstechnik in Konrads Rolandslied. In: ZfdPh 92/3 (1973), S. 321–338. Der veränderte Erzählstil wird häufig als „Vergeistlichung“ bezeichnet und als so weitgehend angesehen, dass die beiden Texte unterschiedlichen Gattungen zugerechnet werden. So bemerkt Walter Haug: Die geistliche Umformulierung profaner Typen. ‚Rolandslied‘, Brautwerbungsepen, ‚Alexanderroman‘. In: Ders.: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen zum Ende des 13. Jahrhunderts. 2. überarb. und erw. Aufl., Darmstadt 1992, S. 75–90, hier S. 80: „Er [Konrad; E. F.] baut die heroischen Motivationen ab und bietet ein Märtyrerdrama in Schwarzweißmanier.“ Siehe dazu auch Friedrich Ohly: Die Legende von Karl und Roland. In: Studien zur frühmittelhochdeutschen Literatur. Cambridger Colloquium 1972. Hrsg. von L. P. Johnson/H.-H. Steinhoff/R. A. Wisbey, Berlin 1974, S. 292–343, S. 344. 59 In den beiden Disputen zwischen Roland und Olivier werden zum Beispiel Differenzen zurückgenommen, wie schon Matthias Meyer: Monologische und dialogische Männlichkeit in Rolandsliedversionen. In: Modelle von Männlichkeit in der Literatur des 13. Jahrhunderts. Hrsg. von Martin Baisch u. a. Göttingen 2003 (Aventiuren 1), S. 25–50, hier S. 36, bemerkt: „Der von Gaunt herausgearbeitete Riss in der monologischen Männlichkeit der Chanson de Roland (ihre grundlegende Dialogizität) wird so weitgehend gekittet […].“ Tatsächlich wird Zorn nicht zwischen den Streitenden thematisiert, sondern Turpin fordert sie auf: ‚nu tuot ir ez durch mînen





3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 

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Zweitens wird neben dem Terminus dulce France, den der mittelhochdeutsche Text mit (suoze) Karlinge überträgt, ein neues Abstraktum (rîche) und damit einhergehend eine andere Ökonomie von Trauer und Zorn eingeführt. Drittens schreibt das Rolandslied Ganelon keinerlei machtvolle Verkörperungen von Zorn zu, sondern profiliert Karl den Großen als Herrscher, der seine Macht im Innern wie im Äußern mithilfe der Emotion etabliert und stabilisiert. Diese Veränderungen deuten sich zum Teil bereits in der von Konrad hinzugefügten Hoflagerdarstellung (siehe RL, V. 625–708) an, bei der es sich anerkanntermaßen „um Kernszenen für das Kaiserbild im deutschen Rolandslied handelt“.60 Hier wird ein ausgefeiltes Konzept idealer Herrschaft entfaltet, zu dem höfisch-weltliche Prachtelemente genauso dazu gehören wie die starke Betonung des Rechts und die strahlende Stilisierung des Herrschers selbst.61 Dabei wird die stufenlos struktu-

trechtîn, / zürnet nicht mêre.‘ („‚Ihr tut es für Gott. / Streitet nicht länger.‘“ RL, V. 6034 f.) Der symbolische Verweis auf eine Opposition von Roland und Olivier wird ebenfalls abgeschwächt. Olivier spaltet Roland nicht mehr, wie in der Chanson de Roland, den Helm und kommt so mit seinem Schwert dem Kopf des Freundes nah. Es bleibt bei einem ungefährlicherem: er sluoc Ruolanten / mitten ûf den helm („Er schlug Roland / mitten auf den Helm“; RL, V. 6473). Die Dramatik der Auseinandersetzung erscheint so zurückgenommen. Die Auseinandersetzung zwischen Roland und Genelun (Ganelon) wird dadurch vereindeutigt, dass die Figur des Verräters unmissverständlich negativiert wird. 60 Horst Richter: Das Hoflager Kaiser Karls. Zur Karlsdarstellung im deutschen Rolandslied. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 102 (1973), S. 81–101, hier S. 96. Die Hoflager-Szene wird in der Forschung so genannt, weil sie gegenüber der entsprechenden Szene in der Chanson de Roland auch höfische Elemente in das Heerlager Karls des Großen integriert. Siehe dazu Kartschoke, Kommentar, S. 649 f.: „Konrad hat die folgende Passagen gegenüber seiner Vorlage stark angereichert und des Kaisers Heerlager zu einem Hoflager erweitert.“ 61 Karl-Ernst Geith: Carolus Magnus. Studien zur Darstellung Karls des Großen in der deutschen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, München 1977 (Bibliotheca Germanica 19) bemerkt S. 94: „Bestehen die Erweiterungen der Vorlage in der Regel aus geistlichen Elementen, so fällt an dieser Schilderung Karls und seines Hofes die Ausweitung der Angaben in der ChdR um rein weltliche und höfische Vorstellungen auf.“ Diese besondere Gestaltung erklärt Annette GerokReiter: Der Hof als erweiterter Körper des Herrschers. Konstruktionsbedingungen höfischer Idealität am Beispiel des Rolandsliedes. In: Courtly Literature and Clerical Culture. Höfische Literatur und Klerikerkultur. Hrsg. von Christoph Huber/Henrike Lähnemann, Tübingen 2002, S. 77–92, S. 82, kulturhistorisch: „Zur Darstellung idealer Herrschaft gehörte für den deutschen Erzähler um 1170 und den Erwartungshorizont seines Publikums […] auch die ausdifferenzierte weltliche Repräsentation von Herrschaft in einem kultivierten Hofambiente.“ Stephan FuchsJolie: Rother, Roland und die Rituale. Repräsentation und Narration in der frühhöfischen Epik. In: Zentren herrschaftlicher Repräsentation im Hochmittelalter. Geschichte, Architektur und Zeremoniell (Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen und archäologischen Erforschung 7). Hrsg. von Caspar Ehlers/Jörg Jarnut/Matthias Wemhoff, Göttingen 2007, S. 171– 196, hier S. 188, argumentiert ähnlich, allerdings gattungs- statt herrschaftsbezogen, wenn er



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

rierte Gesamtschau des altfranzösischen Erzählers im mittelhochdeutschen Text als dreistufige Annäherung der Boten an den Kaiser inszeniert.62 Die Perspektive der Ankömmlinge wechselt mit kurzen Sentenzen, die Karls Herrschaft auf ein allgemeines politisches wie heilsgeschichtliches Niveau heben.63 Rechtskenntnis und -pflege werden als wichtige Beschäftigungen der Karl unterstehenden Ritter gezeigt (siehe RL, V. 661 f.) und gleichzeitig als zentrale Qualität des Herrschers entfaltet (siehe RL, V. 702–705).64 Es ist bisher jedoch wenig beachtet worden,

hier „die Entwicklung von der heldenepischen Chanson de geste zum höfisierten, ideologisierten Staatsroman“ feststellt. 62 Richter, Hoflager, S. 82 f., betont neben der starken Erweiterung, vor allem die veränderte Erzählperspektive sowie die sich in der schrittweisen Annäherung der Boten steigernde Darstellung. Horst Wenzel: Repräsentation und schöner Schein am Hof und in der höfischen Literatur. In: Ders.: Höfische Repräsentation. Symbolische Kommunikation und Literatur im Mittelalter, Darmstadt 2005, S. 22–59, hier S. 49, bemerkt, dass hier nicht nur ein Wahrnehmungsprozess, sondern ein Erkenntnisprozess von Herrschaft in Szene gesetzt werde: „Das ‚Sehen‘ dieser Szene beschränkt sich jedoch nicht auf die bildhafte Imagination, sondern erweist sich zugleich als ein intellektuelles (symbolisches) Sehen: die poetische Wahrnehmung (imaginatio) verbindet sich mit der Einsicht (intellectus), daß die Ranghöhe des Kaisers in dieser Welt unübertreffbar sei, verbindet die Erscheinung mit der Idee.“ 63 Ein Beispiel für solche Sentenzen ist die Erkenntnis der Boten, daz der keiser wole wære über alle dise werlt mære („der Kaiser sei sicher noch herrlicher als alle diese Erscheinungen“; RL, V. 637 f.) bzw. dass seine Herrschaft alle in ihren Bann zwingt: wider sîner herscephte ne dörfte sich nieman behefte („Gegen seine Macht könne sich keiner auflehnen“; RL, V. 639 f.). Am Ende der boumgarten-Szene konstatiert der Erzähler: sît Salomon erstarp, / sô ne wart sô grôz herschapht / noch newirdet niemer mêre („Seit der Zeit König Salomons / hat es keine so große Macht gegeben, / und wird es auch nie wieder geben“; RL, V. 671–673). Dieter Kartschoke: Kommentar. In: Das Rolandslied des Pfaffen Konrad. Mittelhochdeutsch–Neuhochdeutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von dems. Durchgesehene Ausgabe, Stuttgart 1996, S. 627–750, S. 53, übersetzt hier herschapht mit „Pracht“. Um sowohl die Integration von Gewaltpotential und Rechtspflege als auch die Relation zwischen Herrscher und Gemeinschaft miteinzubeziehen, habe ich mich für die Übersetzung mit ‚Macht‘ entschieden. 64 Zum korporativen Gebrauch von herschapht, das die Rechtsmündigkeit aller betont, siehe Barbara Haupt: Das Fest in der Dichtung. Untersuchungen zur historischen Semantik eines literarischen Motivs in der mittelhochdeutschen Epik, Düsseldorf 1989 (Studia humaniora 14), S. 63: „Das Wort bezieht sich zunächst auf die Gemeinschaft – denn der geistliche Erzähler faßt hier zusammen  – und zwar auf eine Gemeinschaft mit eigener Gesetzgebungskompetenz; sodann wird herschapht gleichsam übertragen – mittels der Salomon-Karl-Relation – auf die integre Herrscherperson. Es geht hier also nicht um die Illusion eines herrschaftsfreien Raumes, doch ebenso wenig um die Verbildlichung einer theokratischen Deszendenztheorie in Reinform. Der theokratisch begründeten Herrschaft des Kaisers steht gleichgewichtig eine korporatives Gebilde gegenüber, das sich nicht als ein Untertanenverband von Rechtsunterworfenen begreifen läßt, sondern als eine Körperschaft von Rechtsmündigen, die kraft ihrer Eigenverantwortung die Herrschaft des Kaisers zu stützen vermögen.“





3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 

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dass in der Hoflagerszene auf beiden Ebenen – der fürstlichen wie der herrscherlichen – auch auf Zorn angespielt wird.

3.2.1 Entproblematisierung des Heldenzorns Anspielungen auf Zorn sind in der Hoflagerdarstellung, gerade was Karls Fürsten angeht, nur vermittelt anzutreffen. Als die heidnischen Kuriere ins nähere Umfeld  – in den boumgarten des Kaisers  – treten, sehen sie die Vasallen sich im Schießen und Springen messen (siehe RL, V. 649), Musik machen (siehe RL, V. 650 f.), kämpfen (siehe RL, V. 653 f.), mit ihren Schwertern auf Stahl schlagen (siehe RL, V. 655 f.) und sich im Schildkampf üben (siehe RL, V. 663), wobei Zorn unerwähnt bleibt. Doch obwohl Karls Vasallen in dieser Szene nicht direkt Zorn zugeschrieben wird, erscheint die Emotion dennoch in Gestalt von Bären und Löwen, die alsô grimme (V. 646) einander angreifen. Mit dem Adverb grimme wählt Konrad ein Wort aus dem semantischen Feld „Zorn“, das zudem „seit alters stehendes beiwort des löwen“ ist.65 Sollten die Löwen hier indirekt auf Karls Vasallen verweisen, so geht von deren Zorn keine Gefahr für das bestehende Herrschaftssystem aus. Der Löwe als Inbegriff des kriegerischen (Kampf-)Zorns erscheint in der Hoflagerdarstellung im Gegenteil als reibungslos integriert in

65 Grimm, Jacob/Grimm, Wilhelm: Deutsches Wörterbuch. 33 Bde., 1854–1972. Fotomechanischer Nachdruck der Erstausgabe, München 1984, Bd. 9, Sp. 342. Die Bedeutungsentwicklung von grimme wird dort folgendermaßen beschrieben: „als ausgangspunkt der entwicklung ist der begriff der zähneknirschenden wut anzusetzen“ und unter 1): „am nächsten heran an diesen ausgangspunkt führt die bedeutung ‚in wut geratend, zornwütig, ergrimmt‘“ (Sp. 340), aber: „der weitaus vorherrschende gebrauch zeigt das adj. in einem von 1 deutlich unterschiedenen sinne, mehr dauernde eigenschaft als vorübergehenden zustand bezeichnend, also acer, atrox, ferox, ferus, efferus, trux, sævus u. ä.“ (Sp. 341). Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, S. 76, gibt als Bedeutung für das Adverb grimme „zornig, unfreundlich, wild; schmerzlich; heftig, sehr“ an. Gerok-Reiter, Hof, siehe S. 81, und Fuchs-Jolie, Repräsentation, siehe S. 173, deuten Löwen und Bären genauso wie die Schatten spendenden Adler (siehe RL, V. 658–660) und durch die Luft jagenden Falken (siehe RL, V. 664) als in das höfische Ambiente integrierte Zeichen kaiserlicher Machtdemonstration. Udo Friedrich: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter, Göttingen 2009 (Historische Semantik 5), S. 175, differenziert hingegen: „Die Tiere bilden in diesem Rahmen die Chiffre einer Spannung von Natur und Kultur ab, indem von der Peripherie bis ins Zentrum sich das Maß höfischer Disziplinierung steigert.“ Während Adler und Falken als eigentliche Sinnbilder höfischer Verfeinerung den Kern von Macht und Herrschaft Karls des Großen darstellen, verkörpern Löwen und Bären für ihn das zwar domestizierte, aber eben auch wilde Gewaltpotential.



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die Herrschaft Karls des Großen.66 Die Emotion „Zorn“ wird als im Dienste der Macht stehende visualisiert, die sich im eigenen Herrschaftsraum nicht destruktiv auswirkt. Allerdings ist sie hier, im Innern des Machtbereiches, den Tieren vorbehalten, was darauf verweisen könnte, dass Zorn der christlichen Helden im Rolandslied bewusst auf Kämpfe gegen äußere Feinde beschränkt bleibt. Er wird über die Zuschreibung an Tiere aus dem Verhaltensrepertoire der Krieger im heimischen Lager ausgeschlossen, aber in der Gestaltung eben auch als wichtiges Potential angedeutet, auf das ein Herrscher, der sich gegen Feinde durchzusetzen hat, zurückgreifen können muss. Weitere Stellen des Rolandsliedes, die christliche Krieger mit Löwen gleichsetzen, bestätigen das in der Hoflagerdarstellung Angedeutete.67 So spricht Karl gegenüber Ogier sein uneingeschränktes Vertrauen aus, was Empfinden und Ausleben von Zorn im darauffolgenden Kampf angeht: ‚[D]û hâst rechte aines lewen muot, der nieman nechein lait entuot, erne werde ergremt. Swer dich mit übele erweget, der hât harte missevaren.‘

66 Der Löwe ist das Wappentier Rolands (siehe RL, V. 3986, 4121) und damit das Zeichen eines der wichtigsten Krieger Karls des Großen. Andere christliche Streiter werden im Kampf mit Löwen verglichen (siehe RL, V. 4114–4116) und am Ende gewinnt sogar Tirrich, der im Traum Karls als Windhund erscheint, im Zweikampf gegen Binabel den Mut eines Löwen (siehe RL, V. 8929). Sinnbildlich wird die Verbindung des Löwen mit Zorn, als Zernubele auf Rolands Schild einschlägt und dieser in Zorn gerät: mit dem swerte hiu er ûf den lewen. / dô erbalc sich der degen / Ruolant mit zorne. („und hieb darauf mit dem Schwert auf den Löwen.  / Da geriet der Held  / Roland in Wut.“; RL, V. 5057–5059) Die Chanson de Roland verbindet den Löwen hingegen bei weitem nicht so stark mit (Kampf-)Zorn. So beschränkt sich der altfranzösische Text auf einen einzigen solchen Vergleich: Quant Rollant veit que la bataille serat, / Plus se fait fiers que leon ne leupart. („Als Roland sieht, daß die Schlacht stattfinden wird, / Gebärdet er sich wilder als ein Löwe oder Leopard.“; CdR, V. 1110 f.) Ansonsten werden Löwen nur noch als Geschenke für Karl (siehe CdR, V. 30) und in Gebeten erwähnt, die sich auf Daniel in der Löwengrube beziehen (siehe CdR, V. 2386, 3105). 67 Siehe die bereits angeführten Stellen sowie das folgende Beispiel im Fließtext. Weitere Erwähnungen von Löwen, denen aber für die Zorn-Thematik nur eine periphere Bedeutung zukommt: Blanscandiz rät als Geschenke für Karl Bären und Löwen, Jagdhunde, Schlachtrösser, Jagdfalken, Maultiere, Kamele an (siehe RL, V. 463); Karl träumt von bedrohlichen Löwen und Bären bzw. einem einzelnen Löwen, die aber alle gegnerische Krieger verkörpern (siehe RL, V. 7092, 7102); der Erzähler vergleicht die Rettung der christlichen Krieger mit der Rettung Daniels aus der Löwengrube (siehe RL, V. 8182).





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‚Du hast wahrlich das Herz eines Löwen, / der keinem ein Leid antut, / wenn er nicht gereizt wird. / Wer dich aus Bosheit reizt, / um den ist es geschehen.‘ (RL, V. 7803–7807)

Alles, was den Krieger in Rage bringt, wird als übel bezeichnet und der Zorn in jedem Fall als angemessen angesehen.68 In der Aussage Karls weist im Entferntesten nichts darauf hin, dass die Emotion in Konflikt zur eigenen Ordnung oder dem höheren Plan geraten könnte. Die Darstellung der Emotionen von Christen im Kampf folgt dieser Charakterisierung. Sie wird insofern entproblematisiert, als nicht Schmerz oder Leid, sondern Zorn als Kampfansporn genannt wird. Roland bringen nicht etwa leid oder ungemach, nicht riuwe, arebeit, smerze, sêre, pîn, swaere oder angest – alles Termini, die wie doel oder dolur die Semantik von physischem Schmerz und seelischem Leid abdecken – dazu, gegen seine Feinde loszuschlagen.69 Sein Angreifen wird hingegen viel durchgängiger alleine mit einem für die mittelhochdeutsche Heldenepik typischem Zornvokabular eingeleitet: Ruolant was ergremt harte („Roland war voll Kampfeswut“; RL, V. 4139), dô erbalc sich der degen / Ruolant mit zorne („Da geriet der Held / Roland in Wut“; RL, V. 5058 f.), Ruolant erbalc sich („Roland geriet in Wut“; RL, V. 5343) und vil harte erbalc er sich („wurde er sehr wütend“; RL, V. 6318).70 Dabei bestimmt nicht so sehr das Beleidigungs- und Vergeltungsmoment die Kampfhandlung, vielmehr wird Zorn ohne direkten Auslöser zum Motor, der die Beteiligten und das Geschehen vorantreibt. Dementsprechend gibt es zwar noch vereinzelte Provokationen und Gegenreden, aber die systematische Strukturierung der Kampfdarstellung nach dem Prinzip „Krän-

68 Friedrich Ohly: Zum Reichsgedanken des deutschen Rolandsliedes. In: Die Reichsidee in der deutschen Dichtung. Hrsg. von Rüdiger Schnell, Darmstadt 1983 (Wege der Forschung 589), S. 110–147, formuliert etwas anders nuanciert, S. 134: „Daß der Löwe nur zum Zorn gereizt sich in den Kampf stürzt, darauf liegt der Nachdruck, darin liegt der Sinn für den Vergleich Rolands und der christlichen Helden mit dem Löwen, der ohne diese bestimmte Nuance schon in der Chanson gezogen war.“ 69 Die Liste der Begriffe entnehme ich: Christina Lechtermann: Schmerz und Imagination. In: Kunst der Bewegung. Kinästhetische Wahrnehmung und Probehandeln in virtuellen Welten. Hrsg. von ders./Carsten Morsch, Bern u. a. 2004 (Publikationen zur ZfG N. F. 8), S. 137–157, hier S. 138. Es fehlt der Terminus ande, ant, der laut Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, S. 4, die „Kränkung, die einem widerfährt, das dadurch verursachte schmerzliche Gefühl“ bezeichnet. Siehe auch das Verb anden mit der Bedeutung „seinen Zorn über etwas betätigen, ahnden, rügen, rächen; unpers. mit Akk. kränken, schmerzen.“ 70 Die Aussage er rezurnte vil harte („Er war sehr zornig“; RL, V. 6805) leitet hingegen keinen Angriff ein, sondern erfolgt nach der Tötung des Heiden, der Rolands Schwert stehlen wollte.



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kung – Leid – Gewaltausbruch“ fällt vor allem auf Seiten der Christen weg.71 Der christliche Held schlägt hier nicht zu, weil er gekränkt worden ist, sondern weil sein Zorn ihm den Impuls zum Kampf liefert. Die Zornkonzeption entspricht also nicht mehr dem aristotelischen Dreischritt (Beleidigung – Schmerz – Rachelust), sondern folgt einer anderen Logik: ‚Ich muss kämpfen, also bin ich zornig‘.72 Zorn fungiert so bei den Christen als Voraussetzung für gutes Kämpfen, aber nicht primär als Ausdruck einer Schädigung, die ein Individuum oder eine Gruppe erfahren hat und die auf Wiedergutmachung pocht.73 Stattdessen wird diese

71 Hans H. Pütz: Die Darstellung der Schlacht in mittelhochdeutschen Erzähldichtungen von 1150 bis um 1250, Hamburg 1971 (Hamburgische Philologische Studien 15), S. 45, bemerkt nicht ganz vollständig: „Der Schlachtbeschreibung des Rolandsliedes liegt ein Schema zugrunde, das in zwölffacher Variation wiederkehrt und folgendes Aussehen hat: Herausforderung der Christen – Rede und Gegenrede – Zweikampf – Massenschlacht. Der zentrale Unterschied zum Kompositionsprinzip der Chanson beruht auf der konsequenten Beteiligung der Heere am Schlachtgeschehen.“ Denn auch die Herausforderungen sowie die Art, wie sie von den Christen aufgenommen werden, ändern sich innerhalb des Schemas. Die Provokationen der Heiden beziehen sich nicht allein auf König und Frankenreich, sondern treffen auch Gott und Heilige, haben aber keine explizit kränkende Wirkung auf die Christen. 72 Riekenberg, Literale Gefühle, S. 33, fasst diese Konzeption von Zorn als „notwendige Kampfeswut und -lust“. Ein Extremfall dieser Logik ist Rüdiger im Nibelungenlied. Nachdem er Gunther, Gernot, Giselher, Volker und Hagen seiner Treue und Freundschaft versichert hat, aber ein Kampf wegen des Treueversprechens an seine Herrin Kriemhild unausweichlich erscheint, gerät er pötzlich in den für einen Angriff nötigen Zorn: Als er im [Hagen; E. F.] daz gelobte, den schilt huop Rüedegêr. / des muotes er ertobete. done béit er dâ niht mêr, / dô lief er zuo den gesten einem degen gelîch. / manegen slac vil swinden sluoc der marcgrâve rîch. („Als er ihm [Hagen; E. F.] das versprochen hatte, hob Rüdiger den Schild. Er raste in kämpferischer Wut, wartete nicht länger und lief den Gästen entgegen, einem Ritter gleich. Viele schnelle Hiebe teilte der mächtige Markgraf aus.“; NL, Str. 2206); in Original und Übersetzung zitiert nach der Ausgabe: Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch–Neuhochdeutsch: Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor. Ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse. Durchgesehene und verbesserte Ausgabe, Stuttgart 2002 (zitiert als NL). Siehe dazu auch Müller, Spielregeln, S. 205. 73 Die einzige Ausnahme, die schildert, wie Leid im christlichen Lager mit Zorn gepaart zum Kampf führt, ist die Szene, als Roland erkennt, dass Olivier tödlich verwundet ist. Nachdem Roland um den Freund geweint und einen Klagemonolog gesprochen hat, wendet er sich gegen die Heiden (siehe RL, V. 6442–6454). An keiner anderen Stelle werden Trauer und Zorn so eng geführt, mündet der Verlust eines Mitstreiters so unmittelbar in ein Engagement im Kampf. Damit wird die Einzigartigkeit Oliviers für Roland herausgestellt, die aber in kein Konkurrenzverhältnis zu einer übergeordneten Gemeinschaftsidee gesetzt wird. Im Gegenteil rekurriert Roland auf eine solche in seinem Klagemonolog: ‚diu süeze Karlinge / nemach dich niemer überwinde.‘ („‚Das süße Frankreich / wird über deinen Verlust nicht hinwegkommen.‘“; RL, V. 6440 f.) Es geht hier, anders als im altfranzösischen Text, nicht primär um die gekränkte Ehre des süßen Frankreich, sondern um den Verlust, den es verschmerzen muss.





3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 

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Kampfmotivation auf die Heiden verlagert. Sie sind es nun, die „in der Sphäre von Beleidigung und Vergeltung“ argumentieren.74 Es geht dabei vor allem um Beleidigungen des Königs und Tötung von Verwandten und Vasallen, wobei die Heiden gemäß eines weltlichen Begriffs von êre kämpfen.75 Die Christen stellen sich hingegen in den Dienst Gottes. Ihre Kampfbereitschaft wird heilsgeschichtlich überhöht und religiös legitimiert, indem sie sich für die êre Gottes, der Christenheit und des rîches einsetzen.76

74 Siehe Friedrich Maurer: Leid. Studien zur Bedeutungs- und Problemgeschichte, besonders in den grossen Epen der Staufischen Zeit, Bern, München 41969, S. 83. 75 Marsilie sagt: ‚Olivier unt Ruolant  / habent mir sô herzelaide getân,  / komet der zwelve dehainer dan, / sône gescach mir nie sô laide.‘ („‚Olivier und Roland haben mir solchen Schmerz zugefügt / entkommt auch nur einer der Zwölf, / so ist mir nie größeres Leid geschehen.‘“ RL, V. 3586–3589); Cursabiles bietet die von ihm angeführten Helden an: ‚[D]ie rechent gerne dînen anden.‘ („‚Die brennen darauf, dein Leid zu rächen.‘“ RL, V. 3631); Malprimis betont: ‚Ruolant hât mir vil ze laide getân / dîn urloup wil ich hân / daz ich daz müese rechen‘ („‚Roland hat mich schwer beleidigt. / Ich bitte um Erlaubnis, / dafür Rache nehmen zu dürfen‘“; RL, V. 3653); Targis von Tortelose will hingegen die Herabsetzung Marsilies durch Roland rächen: ‚dînen künclichen namen er verdruchte‘ (RL, V. 3692); als er die heidnischen Heere aufstellt, benennt Marsilie als Motivation zum Kampf, den Willen zur Vergeltung: ‚Karl vergiltet mir drîe stunt‘ („‚Karl wird mir dreifach vergelten‘“; RL, V. 3800). 76 Siehe dazu Sonja Kerth: „Den armen Iudas er gebildot“ – Feindbilder im Rolandslied des Pfaffen Konrad und im Willehalm Wolframs von Eschenbach. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 42 (1995), S. 32–37, die als typische Charakteristika der Heiden im Rolandslied superbia, Machtgier und Ruhmessucht sowie Bindung an das eigene Leben und die eigene Familie feststellt. Siehe ebenso Rose B. Schäfer-Maulbetsch: Studien zur Entwicklung des mittelhochdeutschen Epos. Die Kampfschilderung in Kaiserchronik, Rolandslied, Alexanderlied, Eneide, Liet von Troye und Willehalm, Göppingen 1972, Bd. 2, S. 398, die aber fälschlicherweise von einer einseitigen Zuschreibung von Zorn an die Heiden ausgeht. Siehe dagegen bereits Riekenberg, Literale Gefühle, S. 52: „Von Zorn im Kampf ist allerdings sowohl bei den Christen als auch bei den Heiden die Rede […].“ Tatsächlich stürmen beide Seiten gleichzeitig ohne Differenzierung mit nîde aufeinander zu (siehe RL, V. 4627 f. und V. 5002 f.) und sowohl einzelne christliche als auch einzelne heidnische Krieger kämpfen mit grimme und mit nîde oder Figuren beider Gruppen werden mit Zorn-Attributen versehen (siehe RL, V. 5298 und 6373 für heidnische und siehe RL, V. 4711 und 6821 für christliche Krieger, die mit grimme agieren; siehe RL, V. 5065 für einen heidnischen und siehe RL, V. 4167, 4422, 4560 und 8221 für christliche Krieger, die mit nîde kämpfen). Dabei sind aber Tendenzen festzustellen: Während mit grimme für beide Gruppen ausgeglichen verwendet wird, überwiegt mit nîde deutlich bei den Christen. Ähnliches gilt für die Verteilung von Attributen: So führt der Erzähler den Heiden als Alterôt, der wilde (RL, V. 3540) ein, wohingegen Karls Vasall Haimunt, der grimme genannt wird (RL, V. 7841). Während die Heiden häufig als Kollektiv mit einem Zornattribut versehen werden: die wuotgrimmen (RL, V. 4585), Haiden, die grimmen (RL, V. 4735), haiden grimmen (RL, V. 5518), grimmige diet (RL, V. 8299), wüetegen haiden (RL, V. 8315), kommt das für die Christen kein einziges Mal vor. Die christliche Gemeinschaft wird hingegen nur mit vorübergehenden zornigen Reaktionen verbunden:



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Die so erreichte Entproblematisierung wird dadurch zusätzlich verstärkt, dass im Rolandslied eine vollkommen andere Relation von Herrschafts-Abstrakta und Emotionen gewählt wird. Es überträgt zum einen die altfranzösische Konstruktion der dulce France ins Mittelhochdeutsche als suoze Karlinge.77 Zum anderen wird ein neues Abstraktum, nämlich rîche, eingeführt und mit dem Zorn des Herrschers verbunden.78 Die Personifizierung der suoze Karlinge ist bereits festgestellt, die veränderte Emotionsgestaltung aber noch nicht in den Blick genommen worden.79 Signifikanterweise spielt das personalisierte Abstraktum

[C]hristen mit zorne / bestuonten si dâ vorne. (RL, V. 7058 f.), die christen wâren geraizet (RL, V. 8249). Siehe auch Mary Dobozy: The Meaning of Virtus. Heroic Vocabulary in Konrad’s Rolandslied. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 224 (1987), S. 241–253, die die Gegenüberstellung beider Gruppen anhand eines breiteren heroischen Vokabulars untersucht. Zur Verteilung von wuot und grimme, siehe bes. S. 247 f. Die Differenz hervorhebend argumentiert hingegen Angelika Lehmann: Angst, Gefahr und Angstbewältigung. In: An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnungen in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters. Hrsg. von Gert Kaiser, München 1991 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 12), S. 211–236, S. 219: „Die Heiden sind mit den Affekten der Furcht, der Angst und der Verzagtheit offenbar hinreichend stigmatisiert.“ 77 Es ist darüber diskutiert worden, ob die suoze Karlinge im Vergleich zum altfranzösischen Vorbild geistlicher oder weltlicher gedacht wird: Ulrich Ernst: ‚Kollektive Aggression‘ in der Chanson de Roland und im Rolandslied des Pfaffen Konrad. Die Idee des Gottesfriedens als Legitimationsmodell für Reconquista und welfische Expansionspolitik. In: Euphorion 82 (1988), S. 211–225, wertet die dulce France in der Chanson de Roland vor allem als eine nationale Einheit und bemerkt für das Rolandslied eine deutlich veränderte Darstellungstendenz: „Während in der Chanson die Liebe der Helden zur dulce France stark betont und der Krieg gegen die Araber ansatzweise als Verteidigung des Vaterlandes dargestellt wird, hat der Pfaffe Konrad die Vorlage entfranzösisiert und die heilsgeschichtliche Komponente – Kampf der Christen gegen die Heiden – im Dienst der Kriegspropaganda verstärkt.“ (S. 221). Diesem Befund stimmt auch Backes, Dulce France, S. 25, zu, der zu dem Schluss kommt, dass das Attribut suoze als Anspielung auf die dulcedo Gottes „ein sehr wichtiges Element der Vergeistlichung, die Konrad dem Stoff hat zuteil werden lassen“, darstellt. Dagegen behauptet Eberhard Nellmann: Die Reichsidee in deutschen Dichtungen der Salier- und frühen Stauferzeit. Annolied – Kaiserchronik – Rolandslied  – Eraclius, Berlin 1963, S. 187: „Karlingen bedeutet offensichtlich eine Akzentuierung des weltlichen Reichsgedanken.“ 78 Zur These, dass rîche mit Herrscherzorn verbunden wird, siehe Kapitel „Zorn und Herrschaft im Rolandslied“ sowie meine Ausführungen in der Einleitung, Abschnitt „Macht und Herrschaft.“ Mehr zur Reichsidee als zur sprachlichen Einbettung und Konstruktion des Begriffes rîche siehe Jean-Paul Allard: Le Rolandslied et l’idée d’empire. Le poème de Conrad dans son contexte littéraire et politique. In: Littérature, civilisation, linguistique aux concours d’allemand. Études rassemblées par Eugène Faucher, Richardmenil 1997 (Bibliothèque des nouveaux cahiers d’allemand 6), S. 203–236; Ohly, Reichsgedanken; Nellmann, Reichsidee. 79 Zur Personifizierung siehe Backes, Dulce France, S. 40 f.: „Somit zeichnet suoze bei Konrad nicht mehr, wie dulce in der Chanson, primär ein nationales Territorium aus, es ist auf einzelne





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im Rolandslied als Bezugspunkt für den Zorn der Krieger keine Rolle. Weder provozieren die Heiden ihre christlichen Gegner, indem sie die (suoze) Karlinge beleidigen, noch behaupten Roland, Olivier oder Turpin, das Ansehen derselben bewahren zu wollen. Das heißt, die suoze Karlinge bildet, anders als die dulce France, für die christlichen Krieger keinen identifikatorischen Rahmen, der sie zu Zorn und Kampf anspornt. Der (suozen) Karlinge bleiben vielmehr Trauer und Verlustbewältigung vorbehalten, was zu einer veränderten Emotionsökonomie führt und die Stellung von Zorn im Text weiter entlastet.80 Zorn der christlichen Krieger erscheint hier nicht als hoffnungsloser Versuch zu ändern, was unwiderruflich ist, sondern Trauer verdeutlicht die Akzeptanz des nahen Untergangs. Dabei bleiben die Helden stets mit Karl verbunden. So fällt die Nähe von Karlinge zu Karls Namen auf, die Konrad gegenüber einer direkten Übertragung der altfranzösischen (dulce) France in suoze Francrîche gezielt gewählt hat.81 Wie eng das Abstraktum mit der Person Karls verbunden ist, zeigt sich nicht nur an der Namensähnlichkeit, sondern Karl verkörpert genau die Trauer, die Roland und er selbst für das Abstraktum Karlinge

Bewährte exemplarisch übergegangen, deren Gesamtheit im Rahmen des Nachhutkampfes  – und ausschließlich hier – mehrmals hymnisch zur Person: suoze Karlinge wird.“ Die Bezeichnung suoze Karlinge findet sich nur sechsmal, davon sind dreimal die Bewohner des Landes gemeint. Karlinge(n) ohne Attribut kommt hingegen häufiger vor und bezeichnet dann fast ausschließlich die Bewohner oder das Land im geographischen Sinne. 80 Als Genelun gefangen genommen wird, sagt Karl zu ihm: ‚von dir ainem muoz Karlingen iemer wainen‘ („‚Durch deine Schuld allein wird Frankreich ewig weinen müssen‘“; RL, V. 6095 f.). Karlinge(n) kommt hier einmal als Personifizierung auch ohne das Attribut suoze vor. Roland versichert, wie bereits erwähnt, dem sterbenden Olivier: ‚die süeze Karlinge nemach dich niemer überwinde‘ („‚Das süße Frankreich wird über deinen Verlust nicht hinwegkommen‘“; RL, V. 6440) und später nochmals: ‚[S]ô wainet Karlinge ir liebe gebornen.‘ („‚[S]o wird Frankreich seine lieben Söhne beweinen.‘“ RL, V. 6746 f.) und auch als Turpin stirbt, beteuert Roland: ‚[S]üeze Karlinge, / zuo wem scol ich nu dingen? / nu muostu iemer wainen.‘ („‚Süßes Frankreich, auf wen soll ich noch hoffen? / Du wirst ewig weinen müssen.‘“; RL, V. 6621–6623) 81 Backes, Dulce France, S. 39: „[S]o ist es höchst wahrscheinlich, daß er bewußt und mit Absicht die vom Karlsnamen abgeleiteten Bezeichnungen wählte und sie auf Karl den Großen bezog.“ Die Bezeichnung Francrîche findet sich hingegen nur zweimal (siehe RL, V. 3206, 3749) und nie in Subjektposition.



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voraussagen.82 Dabei bezeichnet er Roland als seine rechte Hand und macht ihn so im Trauern zu einem zentralen Teil des herrscherlichen Körpers.83

3.2.2 Herrscherzorn als bedrohliche Aura Die Hoflagerdarstellung erwähnt an der prominenten ersten Stelle des Tugendkataloges, der Karl den Großen charakterisiert, Zorn als eine wichtige Option im Umgang mit Feinden: den vîanden was er gremelîch („Seinen Feinden gegenüber war er zornig“; RL, V. 697).84 Damit wird hier  – relativ zu Beginn des Textes  – kein rein friedliebendes, nachgiebiges Bild des Herrschers entworfen, sondern es werden auch kriegerische Eigenschaften aufgenommen.85 Wäre dieser Tugendka-

82 Siehe Judith Klinger: Ohn-Mächtiges Begehren. Zur emotionalen Dimension exzessiver manheit. In: Machtvolle Gefühle. Hrsg. von Ingrid Kasten, Berlin, New York 2010 (TMP 24), S. 189–217, hier S. 195–199; Küsters, Klagefiguren, S. 26: „Die große Klageszene auf dem Schlachtfeld von Ronceval um den gefallenen Held Roland wird integraler Bestandteil der Karlsmythe […].“ 83 Siehe RL, V. 7517: dû wære mîne zesewiu hant. In der Chanson de Roland ist die Bezeichnung Rolands als rechte Hand Karls Inhalt der heidnischen Provokation, was die Stellung ungleich unsicherer erscheinen lässt. Erst indem Roland erfolgreich zurückschlägt, erweist er sich als der rechte Arm Karls des Großen. Im Rolandslied verkörpert hingegen der Herrscher im Trauern, dass Roland ein Teil seiner selbst gewesen ist. 84 Indem Kartschoke, Rolandslied, hier „Den Feinden war er feind“ übersetzt, übergeht er die emotionale Dimension von gremelich. Bei Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, findet sich bei gremelich ein Verweis auf das Adjektiv gram, dessen Bedeutung mit „zornig, unmutig; erzürnt, aufgebracht über, mit gen; feindselig erzürnt, mit dat.“ angegeben wird. Siehe auch Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 8, Sp. 1791 zu genau dieser Stelle im Rolandslied: „feindselig auf gesinnung und verhalten bezogen.“ Allgemein wird dort jedoch angegeben: „feindselig, zornig, grimmig“ mit dem Hinweis: „in verschiedenen nuancen, die aber im einzelfall leicht verflieszen.“ Richter, Hoflager, S. 94, interpretiert dies als Parallelsetzung des Herrschers mit Gott: „Wenn Karl z. B. seinen Feinden gegenüber als grimmig, zornig, den Hilfsbedürftigen gegenüber aber mild und barmherzig auftritt (v. 697–98), so lassen sich aus dem Alten Testament zahlreiche Stellen anführen, an denen es ganz parallel von Gott heißt, daß auch er seinen Feinden schrecklich ist.“ 85 Damit trifft nicht ganz zu, was Wenzel, Repräsentation, S. 53, vorschlägt, nämlich, dass die Aufzählung von Karls Herrschertugenden „mit den Tugendkatalogen übereinstimmen, die in den Fürstenspiegeln dem christlichen rex justus zugeordnet werden.“ Dies mag für Gerechtigkeit, intensiven Gottesbezug, Nachsicht, erbarmende Milde und Freigebigkeit durchaus gelten, Zorn gehört jedoch nicht zum gängigen Bild des rex iustus, wie es als Ideal von Augustinus entworfen und über zahlreiche Fürstenspiegel bis zum 12. Jahrhundert tradiert wurde. Zur mittelalterlichen Darstellungstradition des rex iustus und rex iniquus siehe Michael Szurawitzki: Contra den ‚rex iustus / rex iniquus‘? Der Einfluss von Machiavellis Il Principe auf Marlowes Tamburlaine,





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talog emblematisch für den gesamten Text, müssten Karls Reaktionen auf heidnische Provokationen überwiegend zornig ausfallen. Doch ganz entgegen dieser Vermutung wird der Kaiser fast nie zornig im Umgang mit Feinden gezeigt.86 Stattdessen wird Zornvokabular zur Beschreibung seiner Reaktionen vermieden und auch der Wunsch nach Vergeltung bleibt oft aus.87 Auf Paligans Boten, die ihn herausfordern, reagiert er zum Beispiel mit dem Streichen des Bartes und der klaren Formulierung seines Machtanspruches, aber ohne expliziten Zorn: Der kaiser begonde den bart straichen. er sprach: ‚wie waiz er mich sô waichen? ich haize der voget von Rôme. alle wertlîche crône, die sculen mir sîn untertân. wie getorste mich Paligân sô ungezogenlîchen grüeze? er muoz mirz gebüeze.‘ Der Kaiser strich sich den Bart.  / Er sagte: ‚Warum glaubt er mich so schwach?  / Ich bin Vogt von Rom,  / alle Kronen der Welt  / müssen mir untertan sein.  / Wie konnte Paligan wagen, / mich so ungebührend grüßen zu lassen? / Er wird mir dafür zahlen müssen.‘ (RL. V. 7651–7658)

Der offensichtlichen Infragestellung seiner Macht begegnet der Kaiser, ähnlich wie in der Chanson de Roland an anderer Stelle, mit einem Griff an den Bart, der

Shakespeares Heinrich V. und Gryphius‘ Leo Armenius, Würzburg 2005 (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft 550), S. 24–60. Zu den Herrschertugenden, die Augustinus in De civitas Dei für den rex iustus postuliert, siehe dort die Tabelle S. 30 f. Zum pseudo-cyprianischen Traktat De XII abusivis saeculi, siehe dort S. 35 f. Hier kommt gegenüber Augustinus sogar die Anweisung iracundiam differe hinzu, also vom Jähzorn abzusehen. Auch Haupt, Fest, S. 41, bemerkt einen Bruch im Karlsbild der Hoflagerdarstellung: „Interessanterweise weist nun aber das Karlsbild des deutschen Rolandsliedes die zunächst eher widersprüchlich anmutende Verbindung vom Typus des rex iustus et pacificus mit dem Typus des rex bellipotens auf.“ 86 Damit geht eine besondere Wortwahl einher: Karl werden vor allem von anderen Figuren zwar grimme und anden als Reaktion auf seine Feinde zugeschrieben, der Terminus zorn mit all seinen Ableitungen ist hingegen ganz den Beratungs- bzw. der Gerichtsszene vorbehalten. 87 Erst Ermahnungen seiner Gefolgsleute bringen ihn dazu, sich an den Heiden zu rächen. Siehe dazu Küsters, Klagefiguren, S. 27: „Wichtig ist hier der Kontrast zur Heroenfigur Roland. Während der durch die Klage noch zusätzlich zur Rache und zur Aktion stimuliert wurde, droht der Kaiser in seiner trauernden Kontemplation zu erstarren und muß erst durch energische Mahnungen aus dieser Handlungshemmung herausgelöst werden.“



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als Zeichen seiner Herrschaft fungiert.88 Bevor er seinen Machtanspruch verbal äußert, artikuliert er ihn mithilfe der Geste und macht ihn dadurch an seinem eigenen Körper sichtbar.89 Von einer Wirkung seiner Worte auf Handlungsebene wird nicht berichtet, aber als er kurz darauf seine Fürsten zum Kampf aufruft, heißt es: [V]il wîslîchen er si manete („Voll hoher Weisheit spornte er sie an“; RL, V. 7680). Der kontrollierten Antwort auf die Herausforderung folgt also ein weiser Kampfaufruf. Die Nicht-Erwähnung von Zorn wird dabei insofern besonders hervorgehoben, als Paligan in derselben Situation – nämlich als er sich vor dem Kampf an seine Leute richtet – überaus zornig geschildert wird: [D]er künc begunde ze redene / harte zornlîchen („Der König nahm das Wort / voll großen Zornes“; RL, V. 7194 f.). Diese Strategie, beide Herrscher gegenüberzustellen und dabei Karls letztlich nachsichtiges Verhalten gegenüber Feinden zu betonen, wiederholt sich auch an anderer Stelle. So kämpft Paligan im abschließenden Zweikampf mit Zorn, Karl aber nicht: [D]ie haiden vacht grimmeclîche. / der kaiser wolt im nicht entwîche („Der Heide kämpfte erbittert. / Der Kaiser wollte ihm nicht weichen“; RL, V. 8463 f.). Selbst als Paligan dem Kaiser anbietet, dass dieser sein Vasall werden solle, reagiert Karl weise statt zornig: Der kaiser antwirt im mit witzen („Karl antwortete ihm weise“; RL, V. 8479) und bietet Paligan im Gegenzug die Taufe an.90

88 Die Herausforderung besteht darin, dass ihn die heidnischen Boten zum Gefolgsmann Paligans degradieren wollen: ‚du dienest im von rechte‘ (RL, V. 7635), und im Auftrag ihres Herren Zinsen von ihm einfordern: ‚im sîn zins bringest‘ (RL, V. 7634). Darüber hinaus loben sie die Macht ihres Herren: ‚vil michel ist sîn hêrscaft (RL, V. 7637) und beschimpfen Karl als ‚übermüeter kaiser‘ (RL, V. 7627). 89 Dabei bleibt die Berufung auf Gott nicht aus. Denn die Drohungen, die die Boten ihrem Herrn Paligan ausrichten sollen, schränkt er ein mit: ‚ist daz mir sîn got gan‘ („‚Schenkt mir Gott die Gnade‘“; RL, V. 7667) und ordnet seine eigene Macht dadurch dem Willen Gottes unter. 90 Zu Karls Weisheit siehe RL, V. 772, 895, 1262, 7680, 8479. Das heißt, anders als in der Chanson de Roland werden die beiden Figuren nicht über die Absenz von Zorn einander zugeordnet, sondern die Emotion dient hier eher der Bildung eines Kontrastes. Darüber hinaus wird der Kampf nicht allein als Auseinandersetzung der beiden Herrscher gezeigt, sondern im Grunde als Konflikt zwischen Gott und Teufel. So werden Gott und Teufel als direkt am Kampf beteiligt geschildert: dâ wolt got ersichern / den sînen lieben dienestman („Da wollte Gott / seinen lieben Diener auf die Probe stellen“; RL, V. 8446 f.) bzw. dô erhalt sich der vâlant („Da faßte der Teufel noch einmal Fuß“; RL, V. 8457). Dabei wird die Bedrohung Karls durch Paligan – genauso wie zuvor diejenige Rolands durch Olivier  – im Vergleich zur Chanson de Roland entdramatisiert. Denn Paligans Klinge versehrt nur peripher den Kopf des Kaisers: Statt die Kopfhaut abzutrennen, schneidet er ihm nur die Haare ab.





3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 

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Dass die Herrschaftspraxis des Kaisers gegenüber seinen Feinden von ZornAbstinenz gekennzeichnet ist, zeigt sich auch in der Szene, in der Karl gegenüber Marsilies Boten – eher zu Beginn der Erzählung – seinem Zorn entsagt: ‚[N]u birt ir daz selbe zeichen. mînem zorn muoz ich entwîchen. diu palme bezeichenôt den sigenunpht. ôwî ob ez hernâch sô komt, daz sich Marsilie bekêret, sô wirdet diu cristenheit wole geêret. Swaz Marsilie hât wider mir getân, durch got scholt ir vride hân.‘ ‚Nun seid ihr zu mir entsandt / und führt das gleiche Zeichen. / Ich muß von meinem Zorn lassen. / Die Palme bedeutet Sieg. / Ach, wenn es dann wirklich geschähe, / daß sich Marsilie bekehrt, / so triumphiert das Christentum. / Was immer Marsilie gegen mich unternommen hat, / in Gottes Namen sollt ihr Frieden haben.‘ (RL, V. 826–834)

Die Charakterisierung den vîanden was er gremelîch wird in dieser Reaktion erneut konterkariert. Dabei stellt sich der christliche Herrscher in den Dienst der Christenheit und verzichtet auf die eigene Genugtuung, die ihm ein zorniges Vorgehen verschaffen würde. Obwohl die von Marsilie getöteten christlichen Boten eigentlich eine Rachehandlung Karls begründen, nimmt der Kaiser zugunsten des höheren Ziels, die Heiden zu bekehren, davon Abstand. Zorn wird aus dem Verhaltensrepertoire des Herrschers im Umgang mit seinen Feinden komplett herausgenommen. Es werden zwar Zorn-Szenarien entworfen, die Emotion dem Kaiser aber nicht zugeschrieben und auch nicht durch diesen verkörpert.91 Umso verblüffender ist es, dass Karls  – niemals gezeigter  – Zorn eine drohende Wirkung auf seine Feinde entfaltet. So schwebt die Furcht davor wie ein Damoklesschwert über den Köpfen seiner Gegner. Marsilie bemerkt etwa über Karl: ‚[S]ô er die gîsel gwinnet,  / er ist alsô grimme.‘ („‚Wenn er die Geiseln in seiner Gewalt hat, / wird er nicht besänftigt sein.‘“; RL, V. 490 f.) und sagt voraus, wie der christiche Kaiser die heidnischen Boten töten lässt, sobald er erkennt, dass die Heiden nicht halten, was sie versprechen (siehe RL, V. 492–495). Ein solch konsequent vergeltendes Verhalten Karls des Großen existiert nur in der Imagination seiner Feinde. Auch der heidnische König Zernubele drängt Marsilie zum Kampf, um Karls potentiellen Zorn in Schach zu halten, der die Tötung

91 Dieser Befund bestätigt zunächst das in den antiken Theorien – außer von Philodem – vertretene Ausschlussverhältnis von Zorn und Weisheit. Insgesamt wird Karl aber, wie noch zu zeigen ist, als Herrscher dargestellt, dessen zornige Reaktionen nicht seiner Weisheit widersprechen.



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heidnischer Geiseln bewirken könnte: ‚[W]irdet der kaiser übeles muotes, / ich ne getrûwe ime nehaines guotes.‘ („‚Wenn der Kaiser zornig wird, traue ich ihm nichts Gutes zu.‘“; RL, V. 3785 f.) Beide Vorstellungen führen letztlich nicht zu einer vollkommenen Einschüchterung der Heiden.92 Dennoch leuchtet durch solche Reden, die den Zorn des Kaisers fürchten, ein zur eigentlichen Handlung paralleles Bild des Herrschers auf. Dies geschieht auch in der Aussage eines Syrers, der Paligan von den Kampfvorbereitungen im christlichen Lager berichtet: ‚[H]êrre ich war mit listen komen an die christen, dâ sach ich den grimmigen kaiser. er fröut sich dîner raise, die wir her haben getân. er redete: ‚scol ich den lîp hân, ich gereche mînen anden.‘‘ ‚Herr, ich war heimlich / bei den Christen / und habe dort den grimmigen Kaiser gesehen. / Der freute sich über den Kriegszug, / auf dem wir hierher gekommen sind. / Er sagte: ‚Wenn ich am Leben bleibe, / werde ich für meinen Schmerz Rache nehmen.‘‘ (RL, V. 7951–7957)

Ohne dass dies zuvor als Intention Karls gezeigt würde, wirkt so der Ausspruch des Kaisers von der Rache für das zugefügte Leid im Nachhinein als zumindest den Syrer einschüchternde Drohung. Einen Abschluss findet die Reihe von Reden, die Karls Zorn als beängstigendes Faktum erwähnen, mit Joleun, der zu Paligan spricht: ‚[D]och wil ich dir für wâr sagen, der kaiser ist alsô grimme, erne gefliuhet niemer hinne durh dehainer slachte nôt.‘ ‚Doch will ich dir nicht verheimlichen, / daß der Kaiser so zornig ist, / daß er um nichts in der Welt / von hier fliehen wird.‘ (RL, V. 8384–8387)

Diese Voraussage bestätigt sich insofern im Folgenden Geschehen, als Karl tatsächlich nicht flieht. Die Vorstellung, dass seine Beharrlichkeit im Kampf auf Zorn beruht, bewahrheitet sich dabei aber nicht.

92 Im ersten Fall schlägt Blanscandiz eine andere als die von Marsilie zunächst favorisierte Lösung vor und im zweiten Szenario führt die Befürchtung, dass Karl im Zorn die Geiseln töten könnte, trotzdem zu einer Kampfansage, die die eigene Stärke lobt (siehe RL, V. 3788–3792).



3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 



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Das Rolandslied zeigt also eine deutliche Diskrepanz zwischen der Art, wie Karl selbst im Umgang mit seinen Feinden dargestellt wird, und der Art, wie diese ihn wahrnehmen. Obwohl der Kaiser nie mit grimme auf die Heiden reagiert, nennen ihn diese dennoch den grimmen kaiser. Statt einer Herrscherpraxis des Zorns verleiht der Text dem Kaiser somit eine Aura des Zorns, die ein Machtpotential über Handeln und Emotionen seiner Feinde aufscheinen lässt. Karls Verhältnis zu den Heiden wird durch eine weitere Darstellungsstrategie bestimmt, die in eine ähnliche Richtung arbeitet. So wird der Zorn des Herrschers an mehreren Stellen mit dem Zorn Gottes überblendet und signifikanterweise geschieht dies wieder alleine in Figurenreden und nicht als Verkörperung.93 Dabei wird Karl eine initiative und aktive Rolle zugeteilt, wenn er sich gleich zu Beginn des Textes unter Tränen an Gott wendet und ihn bittet, die Heiden Spaniens bekehren zu dürfen.94 Den Zorn Gottes bringt allerdings erst der von Gott als Antwort geschickte Engel ins Spiel: ‚[G]ot hât dich erhœret, daz liut wirdet bekêret. die dir aber wider sint, die heizent des tiuveles kint unt sint allesamt verlorn. die slehet der gotes zorn an lîbe unt an sêle. die helle bûwent si iemermêre.‛

93 Dass das Rolandslied den Zorn Gottes nennt, erwähnt bereits Hanno Rüther: Zur Darstellung und Funktionalisierung von Zorn in Hartmanns von Aue Erec, im Rolandslied des Pfaffen Konrad und im Buch des Dede Korkut. In: Usbekisch-deutsche Studien. Indogermanische und außerindogermanische Kontakte in Sprache, Literatur und Kultur. Hrsg. von Heike Bismark u. a., Münster 2005, S. 297–316, hier S. 307, ohne allerdings die Stellen zu analysieren. Vollkommen unbeachtet bleibt der Zorn Gottes im Rolandslied hingegen bei Riekenberg, Literale Gefühle, S. 51–56. Zur Relation von Gottes Zorn und Karls siehe etwas vereinfachend auch Ridder, Kampfzorn, S. 241: „In der christlich überformten Heldenepik (Rolandslied) ist der zornige Krieger und Herrscher Instrument des Gotteszornes im Kampf gegen Andersgläubige.“ 94 So steht im Rolandslied die Szene, mit der die Chanson de Roland endet, am Anfang: Der weinende Karl im Dialog mit Gott, der ihm durch einen Engel den Auftrag überbringen lässt, Christen zu helfen und Heiden zu bekämpfen. Doch trotz dieser Übereinstimmung der Grundkonstellation wird in den beiden Szenen jeweils ein völlig anderer Bedeutungszusammenhang erzeugt. Der altfranzösische Karl reagiert mit großem Widerwillen und Trauergesten auf die Aufforderung, erneut in den Krieg zu ziehen (siehe CdR, V. 3999–3402). Karl im Rolandslied bittet selbst um den Auftrag und erscheint zum einen ungleich aktiver und zum anderen enger mit Gott verbunden.



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‚Gott hat dich erhört: / Das Heidenvolk wird bekehrt werden. / Die sich dir aber widersetzen, / werden Kinder des Teufels heißen / und alle verdammt sein. / Sie wird der Zorn Gottes treffen / in diesem und jenem Leben. / Sie werden ewig in der Hölle wohnen.‘ (RL, V. 57–64)

Gleich zu Beginn des Textes setzt hier eine höhere Instanz das Vorgehen Karls gegen die Heiden mit Zorn in Verbindung. Dabei wird weniger eine emotionalkörperliche Seite des Erzürnten aufgerufen als mit dem Verb „schlagen“ die Wirkung auf denjenigen geschildert, der den Zorn auszuhalten hat.95 Dies ist die einzige Stelle an der Gottes Zorn von einer anderen Figur als Karl thematisiert wird. An allen weiteren Stellen erscheint der Kaiser als derjenige, der über den Zorn Gottes spricht, so zum Beispiel, als er nach dem Tod der Nachhut um Gottes Hilfe bittet: Der kaiser viel zuo der erde. er sprach: ‚wol du himelischer hêrre, der tac, derne gewert uns nicht. nu sende uns, hêrre, ain liecht, daz wir die râche dâ genemen. dû scolt uns sigenunft geben. sent über si dînen zorn, daz si genozzen icht sô hin komen. daz diene ich nacht unt tac, alsô lange ich nu leben mac.‘ Der Kaiser fiel zur Erde / und betete: ‚Wohlan, Herr des Himmels, / der Tag verläßt uns. / Sende uns, Herr, Licht, / damit wir Rache nehmen können. / Schenke uns den Sieg. / Laß deinen Zorn über sie ergehen, / damit sie nicht ungestraft davonkommen. / Dafür will ich Dir Tag und Nacht danken, / solange ich das Leben habe.‘ (RL, V. 6990–6999)

In dieser Rede setzt der Kaiser sich und seine Leute als diejenigen ein, die den göttlichen Zorn umsetzen, wobei er die Formulierung daz wir die râche dâ genemen als konkrete Verwirklichung des Imperativs sent über si dînen zorn imaginiert. Eine ähnliche Überblendung erfolgt an anderer Stelle mithilfe der parallelen Verwendung von anden.96 Karl ruft beim Aufstellen seines Heeres dazu auf: ‚[H]iute rechen wir unseren anden.‛ („‚Heute rächen wir unsern Schmerz.‘“; RL,

95 Das ist eine typische Form, über den Zorn Gottes zu sprechen, die Johannes von Salisbury schon im Policraticus praktiziert. 96 Auch Heiden sprechen mehrfach darüber, anden zu rächen (siehe RL, V. 533, 3631, 8013). Diese Wünsche bleiben aber stets im Diesseits verhaftet und werden nicht mit Gottes anden verbunden.



3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 



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V. 7786) – gemeint ist das Leid über Rolands Tod (siehe RL, V. 7784) –, um kurz vor Beginn des Kampfes vor allem die Kränkung Gottes anzuführen, die diesem durch die Ungläubigkeit der Heiden widerfährt: ‚[J]â birn wir dâ zuo gehalten, daz wir den gotes anden an in sculen rechen.‘ ‚Wir haben noch unser Leben, / damit wir die Gotteslästerung / an ihnen rächen können.‘ (RL, V. 8159–8161)

Der Krieg gegen Paligan wird somit nicht nur als Rache für den Tod Rolands deklariert, sondern erhält in den Worten des Kaisers einen höheren Sinn: Er ahndet auch eine Lästerung Gottes. Damit wird der Figur des Kaisers eine hohe Deutungsautnomie zugesprochen. Das Wort anden setzt beide Kampfmotivationen und dadurch auch Gott und Herrscher parallel. Darüber hinaus ordnet sich die Karlsfigur demütig Gott unter.97 Als er nach seinem ersten Traum erwacht, in dem er den Verrat Geneluns voraussieht, ruft Karl Gott mit folgenden Worten an: ‚[G]nædeclîcher trechtîn, hêrre, ich hân garnet dînen zorn, ê müez er über mich komen, der mîner manigen sünden lâ daz liut nicht entgelten.‘ ‚Gnädiger Herr Gott,  / ich habe Deinen Zorn verdient.  / Er möge zuvörderst über mich kommen, / laß meine vielen Sünden / nicht das Volk entgelten.‘ (RL, V. 3049–3065)

Diese Rede lässt den Kaiser wie einen rex iustus erscheinen, der sich nicht nur über den Umgang mit seinem eigenen Zorn, sondern auch über den Umgang mit dem Zorn Gottes definiert. Erst die Bereitschaft, den Zorn Gottes auf sich zu ziehen, um ihn vom Volk fernzuhalten, macht den guten Herrscher aus. Kurz darauf äußert Karl die Ergebenheit gegenüber Gott auch nochmals öffentlich: ‚[S]wiez got noch verendet, daz rechet mîne sünde

97 So hat schon Grubmüller, Historische Semantik, S. 55, darauf aufmerksam gemacht: „Gottes Zorn kann aber auch den Sünder treffen […], z. B. den Kaiser Karl, der sich schuldig fühlt am Unglück der Christen.“ Diese Formulierung impliziert, dass im Rolandslied Kaiser Karl vom Zorn Gottes getroffen werde. Dies ist aber nicht der Fall, denn der Herrscherfigur wird nur in den Mund gelegt, dass sie den Zorn Gottes verdient habe.



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– got refset mich darumbe – unt ander mîner vorderen.‘ ‚Wie immer Gott es ausgehen läßt, / das ist die Strafe für meine Sünden – / deshalb straft mich Gott – / und die meiner Ahnen.‘ (RL, V. 7454–7457)

Unabhängig davon, worin die Sünde besteht, wird Karl hier (ganz im Sinne des Policraticus) nicht nur als Instrument göttlichen Zorns, sondern auch als diesem devot gezeigt.98 Er hat keine Angst vor der Zukunft und dem Ausgang des Krieges, sondern stellt sich vor seine Leute und begibt sich in die Hand Gottes. Dies erfahren die Rezipienten wieder aus Karls Mund selbst, sodass Gottes Zorn im Rolandslied hauptsächlich im Sprechen der Herrscherfigur existiert. Dadurch erscheint der Kaiser als derjenige, der über den Zorn Gottes am besten Bescheid weiß und diesen zugleich auf Erden personifiziert. Auf eine Verkörperung in Form von Zorn-Symptomen oder Gesten wird dabei vollkommen verzichtet. Alleine Auswirkungen für die vom Zorn Getroffenen werden zur Sprache gebracht. Hier lohnt es sich erneut auf die Hoflagerdarstellung zurückzukommen und die Schilderung von Karls Körper näher zu betrachten: [S]în antlizze was wunnesam. die boten harte gezam, daz si in muosen schouwen. jâ lûchten sîn ougen sam der morgensterne. man erkante in vile verre. nieman ne dorfte vrâge, wer der keiser wære. nieman ne was ime gelîch. sîn antlizze was zierlîch. mit volleclîchen ougen ne mochten si in nicht gescouwen. diu liuchte gab in den widerslac sam der sunne umbe mitten tac. Sein Antlitz war von großer Schönheit. / Die Boten kam es schwer an, / daß sie ihn ansehen mußten. / Seine Augen leuchteten / wie der Morgenstern. / Schon von weitem erkannte man ihn. / Niemand mußte fragen, / wer denn nun der Kaiser sei. / Keiner war ihm gleich. / Sein Antlitz war herrlich. / Mit ungeschützten Augen / konnten sie ihn nicht ansehen / Der Glanz blendete sie / wie die Sonne am Mittag. (RL, V. 683–696)

98 Zu Karls Sünde siehe Ohly, Legende, S. 333–340.





3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 

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Der Glanz, der dem herrscherlichen Körper entspringt und den Heiden aus der Nähe unerträglich ist, wurde in vielen Studien oft und facettenreich gedeutet.99 Herrschaft offenbart sich hier nicht primär durch den goldenen Thron oder durch andere Insignien, sondern am Körper des Herrschers selbst.100 Das Strahlen der Gegenstände wird ganz auf den herrscherlichen Körper verlagert, sodass Herrschaft und ihr Träger in dieser Szene zu einer charismatischen Gestalt verschmelzen.101 Dies hat Karina Kellermann unter Rekurs auf Kantorowicz folgendermaßen beschrieben und erklärt: Die körperliche Aura des Königs wird visualisiert durch Licht- und Gestirnsmetaphorik, zentriert in seinem Gesicht. Der Glanz seiner Augen und sein leuchtendes Antlitz, nicht die Krone, kennzeichnen den König. Wie ist das möglich? Indem Dichter und Maler den physischen Körper des Königs durchsichtig machen und in derselben Person auch den überirdischen Körper erstehen lassen: ‚gemina persona‘.102

99 Einige Interpreten konzentrieren sich vor allem auf die Frage, wie der Splendor imperii hier eine Christus-, David-, Salomon- oder Moses-Ähnlichkeit Karls erzeugt; siehe z. B. Richter, Hoflager, S. 87: „Kaiser Karl bildet also Christus ab, er erfüllt Christi Forderungen und lebt somit in der Nachfolge Christi. Zum Zeichen dessen leuchtet sein Antlitz wie der Morgenstern.“ Ebenso Geppert, Christus, S. 368: „und der Vergleich der Augen Karls mit dem Morgenstern gibt den Hinweis auf Christus, dessen Symbol dieses Gestirn ist.“ Zur Bedeutung und Verwendung des Begriffes splendor in mittelalterlichen Quellen sowie den antiken und christlichen Traditionen, die mittelalterliche Glanzvorstellungen bestimmen, siehe Wolfram Herwig: Splendor imperii. Die Epiphanie von Tugend und Heil in Herrschaft und Reich, Graz, Köln 1963 (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 20, 3). 100 Karl-Bernhard Knappe: Repräsentation und Herrschaftszeichen. Zur Herrscherdarstellung in der vorhöfischen Epik, München 1974 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 17), S. 236, weist etwa auf diesen zentralen Gestaltungsunterschied zur Chanson de Roland hin. 101 Siehe dazu die allerdings nicht auf das Rolandslied bezogene Formulierung von Percy Ernst Schramm: Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu einer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert, Stuttgart 1956, Bd. 3, S. 1067: „der König ist das Zeichen des Staates.“ 102 Karina Kellermann: Die körperliche Inszenierung des Königs. Ein mittelalterliches Kulturmuster. In: KulturPoetik 1/2 (2001), S. 159–181, S. 172 f. Mit „gemina persona“ meint Kellermann die göttlichen und menschlichen Anteile des Königtums. Sie spricht hier bewusst nicht über „die Trennung der abstrakten Idee des Königtums oder des Staates von der spezifischen Person, dem singulären Repräsentanten dieser Idee“, denn sie behauptet (S. 170), immer unter Berufung auf Kantorowicz: „Im „Mittelalter nun werden diese abstrakte Idee und ihre Begrifflichkeit konkretisiert und verkörpert in der Diskussion um die göttlichen und menschlichen Anteile des Königtums“.



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Ob und wie dieses Charisma Karls am Anfang des Rolandsliedes im weiteren Verlauf des Textes gefüllt wird, lässt sich angesichts des bereits Erarbeiteten nun klar beantworten: Gerade die Stellen, an denen von Karls Zorn gegenüber seinen Feinden die Rede ist, erzeugen im Folgenden das Charisma des Herrschers, das mehr als Aura denn als Praxis zu beschreiben ist. So strahlt Karls potentieller Zorn auf seine Gegner aus, ohne dass der christliche Herrscher je tatsächlich zornig gegen jene gezeigt wird.103 Weniger offensichtlich, aber sinnvoll, sind hier auch die Stellen einzuordnen, an denen Gottes Zorn thematisiert wird. Indem Karl als einzigem Sterblichen die Definitions- und Deutungshoheit über den göttlichen Zorn zugesprochen wird, erscheint er gleichsam wie die Personifikation Gottes auf Erden. Dass seine Erscheinung die Heiden in der Hoflagerdarstellung derart blendet, dass sie nicht hinschauen können (siehe RL, V. 693 f.), begründet die weitere Erzählung demnach auf doppelte Weise: durch die bedrohliche Aura des Herrscherzorns und durch Karls exklusives Verhältnis zu Gott. Glanz und Ausstrahlung des Herrschers bleiben dabei aber die einzigen Verkörperungen von Macht. Verkörperungen von Zorn dienen hier (noch) nicht dazu, Machtgefälle zu erzeugen oder zu stabilisieren.

3.2.3 Herrscherzorn als Verkörperung des rîche Ganz anders funktioniert Herrscherzorn im Umgang mit den eigenen Leuten. Hier ist die Emotion nicht primär Teil einer Imagination, die Aura und Charisma des Herrschers erzeugt, sondern Zorn sorgt als für alle sichtbare Verkörperung für (stabile) Machtverhältnisse. Dabei ist das Verhältnis der Herrscherfigur zum Abstraktum rîche von besonderer Bedeutung.104 So wird hier die These vertreten,

103 Laut Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Neu Isenburg 2005, S. 159, beruht „Herrschaft charismatischen Charakters […] auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen“. Die ‚Hingabe‘ der Heiden, die eher als vorübergehende Einschüchterung zu bezeichnen ist, erscheint insofern nicht alltäglich, als sie alleine auf einem Glauben an die verheerende Wirkung von Karls Zorn beruht. Dieser wird aber nie realisiert, sondern im Glanz des königlichen Körpers sublimiert. 104 Zur Überblendung des Abstraktums mit der Person Karls des Großen siehe bereits Roswitha Wisniewski: Der Epilog des deutschen Rolandsliedes. In: ZfdA 93 (1964), S. 108–122, die einerseits schreibt (S. 112): „Karl scheint das rîche als ein ‚etwas‘ zu empfinden, das seiner Obhut anvertraut ist“, andererseits aber zu dem Schluss kommt (S. 114): „Es ergibt sich, daß wir grundsätzlich mit personaler Bedeutung des Wortes rîche (‚Kaiser Karl‘) rechnen dürfen.“ Das rîche hat ihrer Meinung nach also Objekt- und Subjektstatus, wobei sie letzteren an die Person Karls zurückbindet. Dem schließt sich Kartschoke an, indem er rîche in diesen Fällen mit ‚Kaiser‘





3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 

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dass sich das rîche in den Ratsszenen und in der Gerichtsszene als Entität des Herrscherzorns erweist.105 Damit ist gemeint, dass der Begriff in seiner Bedeutung als Abstraktum und als Bezeichnung der Gemeinschaft durch Karl verkörpert wird. Während die Ratsszenen mithilfe der Zorngestaltung etablieren, was mit des rîches êre genau gemeint und inwiefern diese auf dem Spiel steht,106 sorgt

übersetzt. Siehe Kartschoke, Rolandslied, die Übersetzungen von RL, V. 2182, S. 157; RL, V. 3172, S. 225; RL, V. 6082, S. 417; RL, V. 8746, S. 587; RL, V. 8830, S. 539. Klaus Zatloukal: Zwischen Kaiser und Fürst. Zur Erzählstrategie des ‚Rolandslied‘-Dichters. In: Ir sult sprechen willekomen. Grenzenlose Mediävistik. Festschrift für Helmut Birkhan zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Christa Tuczay/Ulrike Hirhager/Karin Lichtblau, Bern, Berlin 1998, S. 714–733, nimmt diesen Befund kritisch auf und legt das Oszillieren von rîche zwischen den Bedeutungen „Kaiser“ und „Fürstengemeinschaft“ sowie der Funktion als übergeordnetem Abstraktum offen. Er identifiziert demnach rîche nicht mit dem Kaiser, sobald es eine Subjektposition im Satz einnimmt, sondern begreift es dann in seinem Status als eigenständige abstrakte Entität vergleichbar wie Jussen es mit Blick auf regnum tut, siehe JUSSEN, Two Bodies. Andere Forscher beschäftigen sich mit der Frage, ob der Begriff eine weltlich-politische oder eine religiöse Entität bezeichnet. Schon Nellmann, Reichsidee, S. 169, konstatiert, dass „der Begriff rîche bei ihm [Konrad; E. F.] eine verwirrende Offenheit nach mehreren Seiten“ gewinnt. Mit dieser Offenheit meint Nellman vor allem, dass rîche national, herrschaftspolitisch, aber auch religiös-heilsgeschichtlich verwendet wird und sich nicht problemlos in die forschungshistorische These einer reinen ‚Vergeistlichung‘ der Chanson de Roland durch Konrad einfügen lässt. Ohly, Reichsgedanken, S. 123, plädiert für eine rein christlich-religiöse Interpretation, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass „der Begriff des Reiches sich in der deutschen Rolanddichtung mit dem der Christenheit weitgehend deckt.“ Allard, Idée d’empire, S. 231, behauptet sogar eine Heiligkeit des Reiches, die die Kirche nur noch als untergeordnete Institution akzeptiere, aber nicht mehr zur Heiligung brauche. Jeffrey Ashcroft: Honor imperii – des riches ere: The Idea of Empire in Konrad’s Rolandslied. In: German Narrative Literature of the Twelfth and Thirteenth Centuries. Studies Presented to Roy Wisbey on his Sixty-fifth Birthday. Hrsg. von Volker Honemann u. a., Tübingen 1994, S. 139–156, macht darauf aufmerksam, dass die Benutzung von des rîches êre im Rolandslied die Sakralität des Reiches betont. 105 Dadurch hebt es sich markant von den bereits erwähnten Abstrakta ab. Anders als sein altfranzösisches Vorbild dulce France ist das rîche nicht Bezugspunkt und Ansporn für den Zorn der Helden. Auch von suoze Karlinge wird rîche deutlich unterschieden, indem es im gesamten Text nur zweimal und im Vergleich zur weinenden Karlinge auch eher indirekt mit Trauer in Verbindung gebracht wird. Erstens beweint Karl Roland, Olivier und Turpin als kint des rîches („Söhne des Reiches“; RL, V. 6976) und vorderestez künne („ihr Ersten des Reiches“; RL, V. 6980). Er stellt die tapferen Krieger damit in ein Verwandtschaftsverhältnis zum Abstraktum, rîche selbst wird aber nicht als Subjekt der Trauer genannt. Zweitens sagt Karl auf Geneluns Vorschlag hin, Roland als Nachhut zurückzulassen, Betrübnis für das rœmische rîche voraus: ‚ez ist vil wætlîche, / du getrüebest alles rœmische rîche‘ („‚Denn es ist sehr wahrscheinlich, / daß du das ganze Römische Reich betrübst,‘“ RL, V. 3108 f.). 106 Zatloukal, Erzählstrategie, S. 716 f., macht an der Formel êre des rîches deutlich, welche Strategie die Überblendung letztlich verfolgt: „Konrads êre des rîches ist wohl mit dem propa-



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

der Zorn des Herrschers in der abschließenden Gerichtsszene für die Restituierung des rîche. Des rîches êre ist in der ersten Ratsszene noch nicht Bezugspunkt für den Zorn des Herrschers. Stattdessen gibt Karl das Angebot der Heiden an seine Leute mit der Bitte weiter, zur Ehre Gottes ‚nu râtet gotes êre‘ (RL, V. 907) darüber zu entscheiden. Darauf dass Roland, Olivier, Turpin und Naimes – anders als in der Chanson de Roland – von einer List der Heiden überzeugt sind und zum Angriff raten, reagiert der Kaiser beunruhigt, aber zurückhaltend: [D]er keiser geswîgete vile stille. er marcte ir iegelîhes willen. getruobet was sîn gemüete, iedoch vertruogenz sîne michele güete, daz er sich es nicht erzeigete. daz houbet er nider neigete, daz sîn nieman innen wart. Der Kaiser sagte kein einziges Wort / Er hörte die Meinung jedes einzelnen an. / Sein Herz war in Aufruhr, / doch seine große Güte verbarg es ihnen, / so daß er sich nicht verriet. / Er senkte das Haupt, / daß ihm niemand ins Gesicht sehen konnte. (RL, V. 1047–1053)

Betrübnis oder Aufregung werden hier im Inneren des Kaisers lokalisiert. Sein Kopfsenken wird explizit damit erklärt, dass er dieses Innere vor den anderen zu verbergen versucht. Worüber er aufgebracht ist und warum er seine Beunruhigung versteckt, wird nicht ausgeführt. Auch den Verlauf der Beratung beeinflusst diese emotionale Reaktion des Kaisers nicht, denn sie bleibt – wie von ihm intendiert – von allen seinen Leuten unbemerkt. Diese Darstellung inszeniert Karl als vorbildlichen Herrscher, der diffuse Gefühle zu verbergen weiß. Dabei wird die Vorbildlichkeit durch den Zusatz, dass er aus großer Güte so handle, besonders hervorgehoben.

gandistischen Wortgebilde Friedrichs I. Barbarossa honor imperii zu identifizieren, jenes beliebten Schlagworts der Politik des Kaisers, das den Inbegriff der Rechte des Reiches, also des Königs und Kaisers, bedeutet. Verletzt man die Rechte des Reichs, verletzt man auch jene des Kaisers und umgekehrt. Alle Vorgänge innerhalb des kaiserlichen Machtbereichs, gleichgültig ob dieser praktisch oder nur theoretisch besteht, die nicht die Zustimmung des Kaisers besitzen, sind Verletzungen der êre des rîches, und damit der Majestät. Er kann daher in solchen Fällen monokratisch nicht für sich, sondern für das Reich, also doch für sich, Recht schaffen.“ Er sieht also die besondere Leistung der Abstraktion darin, dass sie, zurückgebunden an die Person des Herrschers, dessen Macht vermehrt. Der Herrscher steht so nicht nur für sich selbst als mächtigste Person im politischen Gefüge, sondern verkörpert auch die Fürstengemeinschaft genauso wie eine transpersonale Idee.



3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 



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Erst als ein Streit zwischen Roland und Genelun entsteht, unterbricht eine für alle wahrnehmbare Zorn-Reaktion des Kaisers die Diskussion: [D]er keiser zurnte harte. mit gestreichtem barte, mit ûf gewunden granen hiez er die phacht vüre tragen. ‚ir stêt mit unzüchten. daz wil ich‘, sprach er, ‚richten, wirdet ez iuweht mêre. tuot ez durch gotes êre unde gesamnet iuch einer rede, diu uns der heilige geist gebe, daz wir des besten râmen.‘ si sprâchen alle: ‚âmen.‘ Der Kaiser war sehr erzürnt. / Er strich sich den Kinnbart, / zwirbelte die Barthaare / und ließ das Gesetz bringen.  / ‚Ihr benehmt euch schlecht‘,  / sagte er. ‚Ich werde es bestrafen, / wenn es noch einmal vorkommt. / Tut es zu Ehren Gottes / und einigt euch auf eine Meinung, / die der Heilige Geist uns eingeben möge, / damit wir das Beste beschließen.‘ / ‚Amen‘, sagten sie alle. (RL, V. 1154–1165)

Indem der Kaiser das Gesetz vortragen lässt, bestätigt er öffentlich seine Stellung als oberster Rechtssprecher und Gesetzeshüter.107 Die Gesten des Bartstreichens und des Schnurrbartzwirbelns machen dabei seinen Zorn als kontrollierte Machtausübung am kaiserlichen Körper sichtbar.108 Indem er sich zudem auf auf gotes êre (RL, V. 1161) beruft und die Fürsten nachdrücklich dazu auffordert, sich einig zu werden, stellt er seinen Zorn zugleich in den Dienst von Einheit, Recht und Gott.109 Das daraufhin erschallende einstimmig gesprochene âmen wirkt

107 Laut Kartschoke, Rolandslied, S. 668, kann die phacht vüre tragen „sowohl ‚bringen‘ wie ‚rezitieren‘, ‚weisen‘ im rechtsgeschichtlichen Sinn des Wortes heißen.“ Wenn das Gesetz im Sinne von „bringen“ als Codex des schriftlichen Rechts vor den Kaiser und seine Leute getragen wird, steht der Aspekt der Sichtbarkeit im Vordergrund. Meint vüre tragen hingegen „rezitieren“, so ist betont, was tatsächlich im Gesetz steht. 108 Anders als in der Chanson de Roland werden Bartstreichen und Schnurrbartzwirbeln an dieser Stelle nicht mit Nachdenklichkeit (oder Trauer), sondern mit Zorn verbunden. 109 Siehe dazu Susan L. Clark: „Genelun erbleichte harte“. The Dark Figure and the Responsibility for Carnage in Das Rolandslied. In: The Dark Figure in Medieval German and Germanic Literature. Hrsg. von Edward R. Haymes/Stephanie Cain Van D’Elden, Göppingen 1986, S. 1–26, hier S. 9: „One has the sense that Karl, as Konrad portrays him, cannot tolerate ambiguities; once he determines his course he maintains it, and he likes as little fuss as possible in his deliberations.“



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

wie eine unmittelbare Erfüllung von Karls Forderung: Noch bevor die Fürsten in der anschließenden Beratung unter sich zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen, antworten sie hier bereits mit einer Stimme. Damit wird Herrscherzorn als unmittelbar wirkungsvolles Machtmittel in Szene gesetzt, das das Gewünschte hervorbringt, bevor die Vasallen es bewusst ausführen.110 Zugleich wird die êre (Gottes) mit dem Ideal von Einheit verbunden. Kurz darauf treten die Fürsten mit dem mehrheitlichen Ergebnis (nur Genelun ist dagegen) vor den Kaiser, einen Boten zu schicken. Gerade mit der Auswahl des Kuriers wird nun das rîche prominent. Dies weist auf die besondere Bedeutung des Amtes für die Gemeinschaft, das Abstraktum und den Herrscher hin. Bischof Johannes schlägt dem Kaiser vor, einen Boten zu wählen, ‚[D]er dir beste gevalle, der durch sîne güete daz rîche behüete.‘ ‚[D]er dir am besten geeignet scheint, / durch seine Tüchtigkeit / das Reich vor Schaden zu bewahren.‘ (RL, V. 1289–1291)

Bereits in diesem Ratschlag werden die Person des Kaisers (der dir beste gevalle), das Abstraktum (daz rîche behüete) und der Bote als Einheit gesehen. Weitere Angebote und Vorschläge – ausgenommen Rolands und Turpins freiwillige Meldungen (siehe RL, V. 1300–1303 und V. 1332–1336)  – reproduzieren diese Übereinstimmung.111 So bietet sich nach Roland Olivier als Bote ‚durch des rîches êre‘ („‚zum Ruhme des Reiches‘“; RL, V. 1314) an.

110 Siehe dazu Karl Stackmann: Karl und Genelun. Das Thema des Verrats im Rolandslied des Pfaffen Konrad und seinen Bearbeitungen. In: Poetica 8 (1976), S. 258–280, hier S. 259: „Der Vorrang des Kaisers vor den Fürsten sollte über das hinaus, was die Chanson dazu in andern Zusammenhängen bot, sinnfällig gemacht werden.“ Der beherrschte Zorn Karls steht in starkem Gegensatz zur Überschwänglichkeit Rolands und Geneluns, die aufspringen, wenn sie etwas zu sagen haben: Uf spranc der helt Ruolant (RL, V. 911 und 1140), Genelûn ûf spranc (RL, V. 1093). Alle anderen treten vor oder beginnen einfach zu sprechen. Anders als die Chanson de Roland ordnet das Rolandslied durch diesen zurückhaltenderen Marker Roland und Genelun als Kontrahenten einander zu. Damit wird ein übereinstimmender Überschwang angedeutet, ihre Konfrontation wird aber nicht primär über Zorn entfaltet. So tragen die Vasallen weniger ihre Auseinandersetzung in zornigen Dialogen aus. Stattdessen wird die Emotion selbst mehr zum Thema gemacht, indem sie dazu dient, andere zu diffamieren und auszuschließen (siehe RL, V. 1111–1125). 111 Die Stelle, an der Karl im altfranzösischen Text mit maltalent (CdR, V. 271) auf das Angebot Turpins reagiert, wird kaum verändert. So erteilt der Herrscher dem Bischof auch im mittelhochdeutschen Text eine Absage mit unminnen (RL, V. 1354), was äquivalent zum altfranzösischen Wort maltalent ist.



3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 



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Karl lehnt sowohl Roland als auch Olivier ab und begründet dies mit deren Überschwang und Hang zu zornigen Worten: ‚[D]du bist ze gæhe mit der rede, unde Ruolant, mîn neve, mit zornlîchen worten. daz ist mir ze vorchten, si stœrent grôze êre. gewähene dere rede nicht mêre.‘ ‚Du bist zu schnell fertig mit dem Wort, / wie mein Neffe Roland / mit seinen Zornausbrüchen. / Ich fürchte nämlich, / sie machen großen Ruhm zunichte. / Sprich also nicht mehr davon.‘ (RL, V. 1326–1332)

Karl bezieht seine Ablehnung wiederum auf êre und bezeichnet Überschwang und zornige Worte als Verstoß gegen eine solche. Er sucht offensichtlich einen Boten, der ähnlich wie er selbst, im Umgang mit den Heiden diplomatisch auftritt, das höhere Ziel im Auge behält und sich nicht zu schnell aufbringen lässt. Daraufhin schlägt Roland Genelun unter zweimaligem Rekurs auf das rîche vor: ‚[D]er aller tiuresten boten einer, den ich in deme rîche kan gezeigen. […] wâ vünde man nû deheinen man, der deme rîche baz gezæme?‘ ‚[E]iner der allerbesten Boten, / die das Reich vorweisen kann. / […] / Wo fände man heute irgendeinen, / der das Reich würdiger verträte?‘ (RL, V. 1368–1381)

Während rîche hier zunächst geographische Bedeutung hat, kommt dem Terminus in der zweiten Erwähnung die Funktion eines personifizierten Abstraktums zu. Dabei wird der Bote als Vertreter des Reiches, der zu diesem passen soll, näher bestimmt. Den Vorschlag, Genelun zu schicken, nehmen die Fürsten übereinstimmend an: er gezæme wole deme rœmischeme vogete, / sware er in sende wolde („er tauge durchaus für den Vogt von Rom, / wohin immer der ihn schicken wolle“; RL, V. 1380 f.).112 Die Formulierung, die die zustimmende Reaktion der Fürsten schil-

112 Dabei werden allerdings die sonst für einstimmige Meinungen gewählten Formulierungen vermieden. Stattdessen steht hier: die fürsten, alsô si sâzen, / vestenden alle under in […] („Die Fürsten auf ihren Plätzen / beteuerten sich alle gegenseitig […].“ RL, V. 1377 f.) Dies könnte darauf verweisen, dass dieser Bote die Einheit gefährdet.



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

dert, nimmt die Konstruktion mit gezæme wieder auf, nur rîche wird durch eine Umschreibung Karls (rœmischeme vogete), und somit das Abstraktum durch die Person des Kaisers, ersetzt. Der Bote entspricht also nicht nur der Gemeinschaft im transpersonalen Abstraktum, sondern auch der Person des Herrschers selbst. Bei der Einsetzung Geneluns betont Karl die Funktion des Boten als Sprechorgan des Kaisers und gliedert ihn zugleich dem herrscherlichen Körper an: ‚alsô wis mîn zunge unde mîn munt‘ („‚In diesem Sinne sei meine Zunge und mein Mund‘“; RL, V. 1512).113 Karl hebt zudem mehrfach Geneluns Bedeutung für das Ansehen des rîche hervor (siehe RL, V. 1414, 1509, 1516). Das Abstraktum wird in der Ratsszene demnach eng mit Karls Lenkerfunktion und seinem Körper verbunden. Zugleich macht der Zorn des Herrschers deutlich, dass das zu erreichende Ideal die Einmütigkeit zwischen den Vasallen und damit die Einheit der Gemeinschaft ist. Dass diese Einheit in Gefahr ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Genelun sich durch die Bestimmung zum Boten nicht mehr dem Reich zugehörig fühlt: ‚nu hât mich der hêrre Ruolant / ûz disme rîche versant‘ („‚Jetzt hat mich Herr Roland / aus diesem Reich verbannt‘“; RL, V. 1384 f.). Diese Aussage sowie das FallenLassen des Handschuhs machen eine Störung in der christlichen Gemeinschaft offenbar, die auch Karls wiederholter Rekurs auf das Abstraktum nicht wieder einholen kann. Es deutet sich hier schon an, was sich im Verrat bestätigt: Karl verkörpert das Reich, Genelun aber nicht.114

113 Roland lobt bei seinem Angebot, als Bote zu den Heiden zu gehen, sein wachsames untrügliches Auge, das die wahre Absicht der Gegner erspähen und dem Kaiser offenbaren könne (siehe RL, V. 1301 f.). Im Auftrag an Genelun wird explizit, warum Karl Olivier und Roland ablehnt: Er sucht kein Auge, sondern einen Mund. Wenn der Bote bei den Heiden vor allem diplomatisch sprechen soll, sind Roland und Olivier mit dem Hang zu zornigen Worten natürlich fehl am Platz. Genelun mit seinem diplomatischen Geschick scheint hingegen geeignet. Von dieser Einschätzung weicht Karl auch dann nicht ab, als er Genelun wegen Zornes ermahnt: ‚Genelûn, geswige mîn, / lâ dise rede sîn. / du bist ein wîse hêrre. / nune zürne nicht sô sêre.‘ („‚Genelun, mein Schwager, / sprich nicht so. / Du bist ein weiser Fürst, / laß also diese Wut.‘“ RL, V. 1404–1407) und ihm Zorn und Angst unterstellt und diese Reaktion als ‚unmännlich‘ disqualifiziert: ‚[B]edenke dich, helt tiure, / zorn ist nehein guot. / nim widere mannes muot. / habe nehein angest, / die wîle dû mich lebende weist.‘ („‚Bedenke dich, teurer Held, / Zorn ist von Übel. / Kehre zu männlicher Gesinnung zurück. / Fürchte nichts, / solange du mich am Leben weißt.‘“ RL, V. 1497–1501) Zur manheit als variablem Textkonstrukt unter anderem im Rolandslied siehe Klinger, Manheit. 114 Die Genelun zugeschriebenen Wolfsblicke (RL, V. 1417: er tete die wülvîne blicke) verweisen unter anderem darauf, dass er sich nicht positiv für das rîche engagieren wird. Siehe auch Kartschoke, Rolandslied, S. 671: „Der Wolfscharakter Geneluns ist eindeutig negativ konnotiert und bedeutet ‚Blutdurst‘, ‚Raublust‘ oder auch gleich den ‚Teufel‘ (siehe Richter).“ Alleine die von Geneluns Anblick eingeschüchterten Heiden sehen in ihm einen angemessenen Vertreter des Reiches: [S]i sprâchen, daz er deme rîche wole zæme. (RL, V. 2182) Kartschoke, Rolandslied,





3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 

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Dieser Unterschied wird in einer weiteren Situation sinnfällig am Körper des Kaisers inszeniert. Hier sorgt nicht sein Zorn für Einheit, sondern seine Angst spiegelt die Bedrohung des rîche wider. So heißt es von Karl, als er zum ersten Mal Rolands Hilferuf hört: [D]er kaiser begunde vor angesten swizzen, er kom ain tail ûz sînen wizzen. er undulte harte. daz hâr brach er ûz der swarte. Dem Kaiser brach der Angstschweiß aus. / Er verlor ganz seine Besonnenheit. / Er wurde sehr unruhig / und raufte sich das Haar. (RL, V. 6075–6078)

Wie schon Judith Klinger bemerkt hat, entspricht diese Inszenierung von Karls Körper genau der Situation des rîche, in dem Moment, in dem die Nachhut bis fast auf den letzten Mann vernichtet ist: „Die Entgrenzung des Herrscherleibs, die auch Roland bei seinem ersten Hornruf erfasst, korrespondiert an dieser Stelle mit einer akuten Gefährdung der Reichsgrenze“.115 So verkörpert die Karlsfigur gerade in diesem Moment größten Außer-Sich-Seins  – das unter den üblichen Umständen dem rîche wahrscheinlich nicht angemessen wäre – das Abstraktum auf kongruente Weise.116 Geneluns Tadel: ‚[D]ise ungebære / gezimet nicht dem rîche.‘ („‚Diese Unbeherrschtheit / steht dem Kaiser schlecht an.‘“ RL, V. 6081 f.) verdeutlicht hingegen, dass Genelun nicht (mehr) im Dienste von Kaiser und Reich agiert. Die in den Ratsszenen entfaltete und in Karls Angstreaktion wieder aufgenommene Diskussion darüber, wie Karl, Genelun und das rîche zueinander

S. 157, übersetzt hier: „Sie sagten, er sei des Kaisers würdig.“ Meiner Meinung nach muss rîche hier nicht unbedingt das christliche Imperium oder den Kaiser bezeichnen, sondern es könnte auch das heidnische Reich gemeint sein. Dieses wird häufiger ebenso als rîche bezeichnet (siehe RL, V. 293, 485, 769, 2595, 6727, 8775). Es ergäbe sich dann in der indirekten Rede der Heiden eine Spanne zwischen Genelun, den sie als dem (heidnischen) Reich würdig ansehen, und ihrem König Marsilie, dessen Schläge Genelun nicht hinnehmen will. 115 Klinger, Manheit, S. 197. 116 Lehmann, Angst, S. 217, sieht Angst und rîche hingegen in einem Ausschlussverhältnis. So argumentiert sie für Roland: „[M]it ihm wird ein christlicher Glaubensstreiter vor Augen gestellt, der sich ausschließlich mit dem abstrakten Ganzen (riche) identifiziert und dem ein Eigenleben als Person, die sich bedroht und angsterfüllt erfahren könnte, schlechterdings fehlt.“ Hinsichtlich der Karlsfigur räumt sie ein (S. 221): „Die Ängste des tatenlosen Repräsentanten finden ihre Berechtigung insofern, als die Sorge des Kaisers um seinen Heros, aber auch um die christliche Gemeinschaft als Zeichen seiner Verantwortlichkeit, seiner Hellsichtigkeit und seiner Weisheit gewertet werden“.



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

stehen, wird in der Gerichtsszene abschließend geklärt.117 Bei deren Analyse nehme ich weniger den Konflikt von ‚archaischem‘ und ‚modernem‘ Recht in den Blick, der als zentraler Aspekt herausgestellt worden ist.118 Vielmehr soll hier herausgearbeitet werden, wie das zuvor gefährdete rîche in der Verhandlung als intakte Einheit rekonstituiert wird.119 Dabei spielt der Zorn des Herrschers wiederum eine wichtige Rolle.120 Obwohl Karl der Große nicht unabhängig von seinen

117 Das Rolandslied verändert auch diese Szene deutlich gegenüber der Chanson de Roland. Hier sind vor allem die Festnahme Geneluns, sein Gefesseltsein vor Gericht, der Verlauf des Prozesses und die Rolle Karls in den Blick genommen worden. Hans Fehr: Das Recht in der Dichtung, Bern 1931, S. 87, führt die Veränderungen darauf zurück, dass sich die Texte an ihren jeweiligen regionalen Prozessrechten orientierten und schreibt über Konrad: „Er stellt deutsches, nicht französisches Prozeßverfahren dar [Hervorhebung im Original, E. F.].“ Siehe dazu auch Erich Klibansky: Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen des 12.–14. Jahrhunderts, Berlin 1925, Nachdruck 1967, S. 63, zu den Veränderungen gegenüber der Chanson de Roland, die zeigen würden, „daß auch dieser geistliche Dichter eine genaue Kenntnis der deutschen Prozeßform besessen haben muß“. 118 So schlägt Brigitte Janz: Dune verwindest niemir disin tác (6105). Rechts- und Zeitzeichen im Rolandslied des Pfaffen Konrad. In: Mediävistik 7 (1994), S. 119–142, S. 124, vor, dass erst der mittelhochdeutsche Text den Widerspruch zwischen alten und neuen rechtlichen Grundsätzen profiliere: „Erst im deutschsprachigen Rolandslied ist dieser Rechtskonflikt zwischen altem sofortigem Tötungsrecht und späterer Verurteilung vor Gericht inszeniert.“ In eben diese Richtung denkend führt Ruth Schmidt-Wiegand: Prozeßform und Prozeßverlauf im Rolandslied des Pfaffen Konrad. Zum Verhältnis von Dichtung und Recht im Mittelalter. In: Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie. Hrsg. von Gerhard Dilcher/Bernhard Diestelkamp, Berlin 1986, S. 1–12, hier S. 7, zur Darstellung Karls des Großen aus: „Es stehen sich im Rolandslied zeitgenössische und archaische Rechtsvorstellungen gegenüber. Diese Diskrepanz […] betrifft auch die einzelnen Personen, wie die des Kaisers, der auf der einen Seite als oberster Schirmherr der Christenheit ganz modern [Hervorhebung im Original; E. F.] im Sinne der Epoche handelt, der auf der anderen Seite aber noch immer von dem elementaren Gedanken der Rache erfüllt ist.“ Diese Aussage bezieht sich zum einen auf Karls an den gerade als Verräter identifizierten Genelun gerichtete Ankündigung: ‚[I]ch gerich ez, ob ich mac.‘ („‚Das werde ich rächen, wenn ich kann.‘“ RL, V. 6099) und zum anderen auf Karls Rede in der Gerichtsszene, die Genelun Vergehen gegen die Christenheit vorwirft (siehe RL, V. 8771–8784). 119 Damit schließe ich an Petra Canisius-Loppnow: Recht und Religion im Rolandslied des Pfaffen Konrad, Frankfurt a. M., Berlin, New York 1990 (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 22), S. 268, an, die die Rolle der Gerichtsszene im Rolandslied vor allem in der „vor den Fürsten durchgeführten exemplarischen Reinigung des christlichen Gemeinschaftsverbandes“ sieht. 120 Den Zorn des Kaisers, der anders als in der Chanson de Roland zweimal innerhalb der Szene anhand von Figurenrede und Schilderungen des herrscherlichen Körpers dargestellt wird, lassen bisherige Deutungen entweder unkommentiert (siehe Schmidt-Wiegand, Prozeßform, S. 7; siehe auch Janz, Rechts- und Zeitzeichen, S. 128; Canisius-Loppnow, Recht, S. 242 sowie Ott-



3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 



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Fürsten ein Urteil spricht und beim Zweikampf nur zusieht und betet, lässt ihn die Gestaltung seines Zornes wesentlich aktiver den Prozessverlauf beeinflussen als in der Chanson de Roland.121 Dass dabei letztlich das rîche zur Debatte steht, zeigt schon der Beginn des Prozesses. So ruft Genelun die übergeordnete Entität als Zeugin an: ‚[D]az erziuge ich mit dem rîche.‘ („Das Reich ist mein Zeuge.“; RL, V. 8746),122 Karl antwortet ihm als des rîches herre („das Reichsoberhaupt“; RL, V. 8748). Zwischen beiden Figuren werden also vor allem Wohl und Existenz des Reiches verhandelt und nur zweitrangig die Frage von Recht und Unrecht. Dies deutet sich auch in der Bitte von Geneluns Verwandten an, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Sie beginnt – anders als im altfranzösischen Text – mit dem Eingeständnis, dass Genelun große Schuld treffe und kommt dann auf den Zorn des Kaisers sowie den Nutzen für das rîche zu sprechen: ‚[G]estille, hêrre, dînen zorn. lâz in ze dînen hulden kom durh dîner swester êre. des bite wir dich, hêrre. Genelûn dienet dem rîche iemer vorchtlîche.‘

Meimberg, Staatsroman, S. 243) oder sehen ihn als Rechtsbeugung an, wie zum Beispiel Monika Schulz: ‚Was bedürfen wir nu rede mêre?‘ Bemerkungen zur Gerichtsszene im Rolandslied. In: Amsterdamer Beiträge zur Älteren Germanistik 50 (1998), S. 47–72, hier S. 69: „[…] der Kaiser als custos legis ist für die Vollstreckung des rechten Urteils nach der lex scripta verantwortlich; in seinem Beeinflussungsversuch seine judiziale Funktion offensichtlich missachtend, macht er sich prima facie offenbar selbst eines Vergehens gegen das Gesetz schuldig.“ 121 Dagegen bewertet Ott-Meimberg, Staatsroman, S. 246, Karls Rolle als eher marginal: „Die Prozeßstruktur erscheint so schon deshalb als gegebener Modus gerade adelig-fürstlicher Heilsversicherung, weil sie eben den Fürsten das Recht, die Rechtsfindung, an die Hand gibt, den Herrscher aber – man vergleiche die ‚Titelminiatur‘ der Hoflagerszene – auf die zwar glanzvolle, letztlich aber doch vor allem passive Richterpose, auf die Funktion des Koordinators und Integrators, reduziert.“ Damit spielt Ott-Meimberg die Darstellung von Fürsten und Kaiser gegeneinander aus: Weil diese so stark, müsse jener so schwach gezeigt werden. Ähnlich eng sieht auch Hugo Kuhn: Tristan, Nibelungenlied, Artusstruktur, München 1973 (Bayerische Akademie der Wissenschaften. Sitzungsberichte 5), S. 33, den Konflikt: „[D]ie durchgehende Struktur ist ein Loyalitätskonflikt unter den Paladinen, der erst im Prozeß gegen Genelun zu seinem Höhepunkt kommt und erst mit dem Gottesurteil des Prozesses gelöst wird.“ Siehe auch Stackmann, Karl und Genelun, S. 263: „[D]er Kaiser der Gerichtsszene, der sich bei der Einbringung der Klage gegen Genelun von allen im Stich gelassen sieht und sogar, dies über das von der Chanson Gebotene hinausgehend, seine Abdankung anbietet (V. 8820), er unterscheidet sich, was die Schwäche seiner Position betrifft, in nichts von seinem Vorbild in der Chanson.“ 122 Ich übersetze hier abweichend von Kartschoke, S. 587, der die Person des Kaisers an die Stelle von rîche setzt: „Du bist mein Zeuge.“



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

‚Herr, unterdrücke deinen Zorn / und sei ihm gnädig / um deiner Schwester Ehre willen. / Darum bitten wir dich, Herr. / Genelun wird dem Reich / stets ehrfürchtig dienen.‘ (RL, V. 8765–8770)

Diese Rede verleiht Karls Zorn Bedeutung, indem sie ihn als Hinderungsgrund für einen Gnadenerlass setzt. Als Argumente werden sowohl ein persönliches, der Verweis auf das Ansehen von Karls Schwester, als auch ein politisches, der Nutzen einer solchen Gnade für das Reich, angeführt. Darauf reagiert Karl mit großem Zorn: Der kaiser erzurnte harte  / mit ûf gevangem barte. („Der Kaiser zürnte sehr, / den Bart in der Faust.“; RL, V. 8771 f.) Anders als in der Ratsszene streicht Karl hier nicht seinen Bart oder zwirbelt seinen Schnurrbart, sondern formt seine Hand zur Faust um den Teil seines Körpers, der für seine Macht steht. Damit signalisiert er die Entschlossenheit, die eigene Stellung zu verteidigen und den Verstoß gegen das rîche zu ahnden.123 Die anschließende Rede Karls betont nicht seinen persönlichen Rachewillen, sondern hebt auf die historische und die heilsgeschichtliche Dimension des Verrates ab: ‚[M]an scol ez iemer ze mære sagen, daz wirz an im gerochen haben, unz an der werlte ende. diu christenhait ist harte geschendet, des gât uns michel nôt. jâne geschach nie sus getân mort.‘ ‚Man soll künftig davon erzählen, / daß wir dafür an ihm Rache genommen haben, / bis zum Jüngsten Tag. / Die Christenheit ist grausam entehrt, / wir sind gezwungen, so zu handeln. / Wahrlich, noch nie ist solcher Frevel geschehen.‘ (RL, V. 8779–8784)

Der êre der Schwester wird hier das Ansehen der Christenheit entgegengesetzt. Der Verweis auf das Ende der Welt lässt zudem eine Parallele von Geneluns individuellem Strafgericht und dem Jüngsten Gericht anklingen. Indem Karl zudem das umfassende ‚wir‘ statt eines vereinzelnden ‚ich‘ wählt, betont er die Gemeinschaft der Christenheit. Eine Wirkung seines Zorns und seiner Worte schildert der Text an dieser Stelle nicht. Als unmittelbar darauf Binabel vortritt, um Geneluns Unschuld im Zweikampf zu beweisen, reagiert die Gemeinschaft der Fürsten mit

123 Riekenberg, Literale Gefühle, S. 54, macht  – wenngleich etwas psychologisierend  – auf die spezifische Inszenierung aufmerksam: „Diese besondere Gebärde, die ausschließlich hier auftaucht, macht die hohe Intensität von Karls Zorn evident. Die Faust bzw. das Umgreifen des Bartes, das eine Faust bildet, lässt erahnen, dass selbst der Kaiser am liebsten auf Genelun einschlagen würde.“



3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 



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Schweigen: Die fürsten geswîcten lange. (RL, V. 8807) und alleine der Kaiser wird erneut zornig geschildert: [V]on manne ze manne sach der kaiser hin unt her. vil harte zurnete er Von Mann zu Mann / blickte der Kaiser im Kreis. / Er wurde sehr zornig (RL, V. 8808–8810)

Auf diese Weise wird er, ganz anders als im Ganelon-Prozess der Chanson de Roland, über die Zorngestaltung als treibende Kraft des Verfahrens prominent gemacht. Seine anschließende Rede hebt hervor, dass das Ansehen des Reiches auf dem Spiel steht: ‚[W]ânu friunt unt man? swâ ich mich versûmet hân, ist daz ich leben scol, ich erhale mich sîn vil wol. ich ergetze sies iemer mêre, daz sie die êre an dem rîche icht gewinnen. unt varent sie genozzen hinnen, daz wil ich iemer gote clagen. die crône scol ich mêre denne nicht tragen.‘ ‚Nun, Freunde und Vasallen? / Habe ich unrecht getan, / werde ich, wenn ich das Leben behalte, / es vollständig wiedergutmachen. / Ich werde sie dafür entschädigen, / wenn sie die Ehre / im Reich wiederherstellen. / Wenn jene so davonkommen, / werde ich das ewig Gott klagen. / Dann werde ich die Krone nicht mehr tragen.‘ (RL, V. 8808–8820)

Dass Karl hier mit dem Verzicht auf die Krone droht, dokumentiert erneut, dass der Herrscher eher als Behüter des rîche auftritt denn als Richter.124 Anders als in der Situation, in der Karl aus Angst um Roland und die Nachhut außer sich gerät, wird hier nicht der Körper des Herrschers als affiziert gezeigt, sondern Karl droht

124 Siehe Knappe, Repräsentation, S. 243, Anm. 1014: „Wenn wir Karl in der Kaiserchronik bei seinem Schwerte schwören sehen, hier aber die Krone in den Schwur einbezogen finden, und in weit gewichtigerem Kontext als in den anderen Werken mit gleichem Schwur, so können wir an der Wahl des Zeichens vielleicht schon eine Facettierung des Herrscherbildes sehen: in der K.Chr. ist […] die dominierende Herrschaftsausübung das Richten – ‚daz riche rihten‘ steht synonym für ‚herrschen‘ – und das Schwurzeichen das Schwert des Gerichts. Im Rolandslied dagegen ist es das Zeichen des charismatischen Königtums in seiner Gesamtheit, die Krone.“



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

‚nur‘ mit dem Ablegen der Krone. Dies könnte darauf verweisen, dass das rîche an dieser Stelle nicht (mehr) direkt in Gefahr ist. Unmittelbar im Anschluss an den herrscherlichen Zorn und Karls Drohung tritt Tierrich vor und bietet sich als nächster Verwandter Rolands an, im Zweikampf gegen Binabel anzutreten. Zorn und Drohung des Herrschers werden somit als wirksame Performanz von Macht inszeniert, die die festgefahrene Situation zu dynamisieren vermag. So ist das Angebot Tierrichs zwar nicht explizit in seinem Inhalt auf Karls Zorn bezogen  – der Vasall sagt nicht: ‚Ich biete mich an, weil unser Herrscher so zornig ist‘ –, aber die Art, wie die Handlungsabfolge geschildert wird, suggeriert einen solchen Zusammenhang: Direkt nach Karls Drohung tritt Tierrich vor: Tirrich dar für trat. (RL, V. 8821) Zorn und Drohung des Kaisers manifestieren also einerseits die Bedrohung des Reiches, mobilisieren andererseits aber auch dazu, diese abzuwenden. Dass Tierrich in diesem Sinne und nicht nur wegen der Verwandtschaft zu Roland für Karl kämpft, macht seine Argumentation im Dialog mit Binabel deutlich: ‚Genelûn hât si durh miete hin gegeben unt hât ungetriuwelîchen gerâten an daz rîche unt wolt dâ entêren die crône mînes hêrren unt zerstœren die hailigen cristenhait.‘ ‚Genelun hat sie für Geld verkauft / und hat in verräterischer Absicht / dem Kaiser geraten / und wollte damit / der Krone meines Herrn Schmach antun / und die heilige Christenheit schwächen.‘ (RL, V. 8828–8833)

Tierrichs Rede macht explizit, was Karls Drohung, auf die Krone zu verzichten, implizit enthält: So lange Genelun nicht angemessen bestraft wird, bleiben das Reich verraten, die Krone entehrt und die Christenheit geschändet. Tierrich verdeutlicht somit den Zusammenhang von Reich, Krone und Christenheit, der sich zuvor schon andeutet, und stellt sich und sein Kämpfen in den Dienst dieser Trias. An der Figur wird auf doppelte Weise der Zusammenhang von Zorn und Herrschaft exemplifiziert. Zum einen wird sie als für den Herrscherzorn sensibel ausgewiesen, indem ihr als einziger eine Reaktion auf Bartgeste und Drohung des Kaisers zugeschrieben wird. Zum anderen entwickelt sich Tierrich im Kampf gegen Binabel unter Einwirkung Gottes selbst zum zornigen Krieger. Obwohl er äußerlich nicht Roland, Olivier und den anderen Helden Karls gleicht, die wie Löwen kämpfen, lässt Gott ihn wie diese werden:



3.2 Zorn und Herrschaft im Rolandslied 



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[D]er elliu dinc wol kann aine gezechen, der wolt es anderes scaffen. Tirrich gewan eines lewen muot. Doch der alle Dinge  / allein zu bewirken vermag,  / wollte es anders zu Ende bringen.  / Tierrich gewann den Mut eines Löwen. (RL, V. 8926–8929)

Die Löwenhaftigkeit auch dieses Kriegers steht also unproblematisch im Dienste Gottes und des Kaisers.125 In der Gerichtsszene wird Karls Zorn als letzlich machtvolle Emotion geschildert, die den Herrscher als Verkörperung des rîche auszeichnet und diesem zugleich die nötige êre (wieder)verschafft. Zorn wirkt innerhalb des Prozesses dynamisierend und im Kampf entscheidend. Die Handlung des Rolandsliedes endet mit der Feststellung: [S]ô wart diu untriuwe geschendet. („So wurde der Verrat gerächt.“; RL, V. 9015) Dass es dabei nicht allein um die Wiederherstellung von Recht geht, sondern insbesondere auch um die Restituierung einer intakten christlichen Gemeinschaft, zeigt sich auch auf andere Weise an der Emotionsgestaltung: Während die versammelte Gemeinschaft zu Beginn der Gerichtsszene noch als aufgewühlt charakterisiert wird: [D]er hof wart vil grimme. (RL, V. 8684), folgt auf den Zweikampf allgemeine Freude: [D]â wart michel fröude unt lof. (RL, V. 8988) Kurz darauf erscheinen die Fürsten einstimmig (bî ainem munde; RL, V. 8999) dazu bereit, das Reich vom Verräter und dessen Anhängern zu reinigen: [D]az rîche scolte werden gerainet. (RL, V. 8995) Was in der Beratungsszene zur Debatte steht, nämlich Einheit der Fürsten und Übereinstimmung des rîche mit Gott, wird hier in der Gerichtsszene konsolidiert. Dabei werden Zorn und Staatlichkeit in keinem Ausschlussverhältnis gedacht. Vielmehr wird im Herrscherzorn die prekäre Lage des rîche zum einen verkörpert und zum anderen über diese Verkörperung gelöst. Denn der Zorn des Kaisers wirkt hier nicht nur als Ausdruck seiner persönlichen Rache, sondern vermag zumindest einen Vasallen für die Teilnahme am Zweikampf zu mobilisieren. Die Umgestaltung des Rolandsliedes gegenüber der Chanson de Roland koppelt an dieser Stelle Abstraktion und Verkörperung, indem sie rîche und Zorn des Herrschers funktional aufeinander bezieht.

125 Ähnlich wie bei den Auseinandersetzungen der beiden Heere, christlichem und heidnischem, dient aber auch hier Zorn nicht dazu, Tierrich und Binabel von einander abzuheben, vielmehr kämpfen beide übereinstimmend: si vâchten mit grimme (RL, V. 8975).



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 3 Von der Chanson de Roland zum Rolandslied

3.3 Zusammenfassung der Ergebnisse Das Verhältnis von Zorn und Herrschaft ist im 12. Jahrhundert im deutschen Teil des Reiches ein Thema, über das nachgedacht und das im Vergleich zur französischen Vorlage verändert wird. Eine Aktualisierungstendenz besteht vor allem darin, das Konzept des Heldenzorns nur noch in seiner unproblematischen Variante als effektiven Kampfzorn zu adaptieren und den Zorn des Herrschers zu profilieren. Zum einen wird die Emotion Teil einer herrscherlichen Aura, die Feinde einschüchtert und charismatischen Glanz erzeugt. Zum anderen reguliert und löst der Zorn des Herrschers als konkrete Verkörperung im Inneren des eigenen Herrschaftsbereichs Konflikte, die die Einheit der christlichen Gemeinschaft (des rîche) gefährden. Obwohl diese Veränderungen teilweise mit den Entwürfen in Johannes von Salisbury Policraticus übereinstimmen, weicht das Rolandslied dennoch in einem zentralen Punkt von seinem herrschaftstheoretischen Zeitgenossen und auch von antiken Diskursen über Zorn und Herrschaft ab. Es zeigt Zorn nicht als unkontrollierbare, rasende Entstellung, sondern als äußerst kontrollierte Verkörperung von Macht. Dazu wählt es eine vollkommen andere Körpersprache, die dem seit Seneca mit Zorn verbundenen Symptom-Arsenal deutlich widerspricht. Kontrollierte Mikro-Bewegungen am Körper des Herrschers lösen extrovertierte, unbeherrschte Bewegungsexzesse ab. Im Mittelpunkt dieser Mikro-Bewegungen stehen das Halten und Streichen des Bartes sowie das Zwirbeln des Schnurrbartes. Diese Gesten übernimmt das Rolandslied von der Chanson de Roland, verbindet sie allerdings konsequenter mit Zorn. Anders als die wahnsinnige Raserei, als die Zorn traditionell gesehen und die häufig auch mit einem Verlust von Sprache zusammengebracht wird, ist der kontrollierte Zorn Karls des Großen im Rolandslied eine kommunikative Glanzleistung. Nicht nur die Griffe an Bart und Schnurrbart als Symbole für Macht, Männlichkeit und Stärke, sondern auch die damit meist einhergehenden gezielten und gemessen ausgeprochenen Worte des Kaisers verweisen auf eine neue Semantisierung von Zorn. Er bedeutet für den Zornigen nicht mehr, aus der üblichen Konversation herauszufallen, alle Konventionen und Regeln zu vergessen, sondern aktiviert im Gegenteil ein subtiles und wirksames Regelwerk, das Kommunikation zur Machtkommunikation werden lässt. Dieser Zorn ist insofern aristotelisch, als ihm eine Zeichenfunktion in einer öffentlichen Situation zukommt. Der aristotelische Dreischritt (Beleidigung – Kränkung – Wunsch zur Vergeltung) tritt hingegen zurück. Auch der Strafaspekt ist untergeordnet. Beim Zorn des Herrschers im Rolandslied geht es nicht so sehr darum, vergangene Vergehen zu vergelten, als zukünftiges Verhalten zu beeinflussen.



4 Das 12. Jahrhundert als Wendepunkt – eine neue Sicht von Zorn und Herrschaft in den Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins Anders als im Rolandslied wird in den Gesta Frederici Macht nicht nur in Konflikten zwischen dem Kaiser, seinen Fürsten und Byzanz verhandelt. Vielmehr kennzeichnet den Text gerade eine Vielfalt weiterer Fronten. So nehmen auch die Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst ebenso wie die Unterwerfung der italienischen Städte breiten Raum ein. Darüber hinaus – und das ist für die nachfolgende Analyse zentral – erzählen die Gesta Frederici nicht von einer einzigen Zeit und deren Konflikten. Vielmehr reiht Ottos von Freising Teil verschiedene Ereignisse mit diversen Akteuren aus dem Zeitraum zwischen etwa 1080 bis zum September 1156 aneinander, Rahewin widmet sich nach Ottos Tod als Fortsetzer des Werkes Konflikten von August 1156 bis Februar 1160. Insgesamt schildert der Text also Ereignisse aus einer Periode von 80 Jahren.1 Zorn ist dabei relativ selten, aber in allen Konstellationen, Zeitschichten und  – außer in den Exkursen – in allen formal noch so verschiedenen Teilen des Textes anzutreffen. Hier sollen nun erstmals alle Zorn-Szenarien im Hinblick auf ihre Funktion für die gesamte Erzählung in den Blick genommen werden.2 Das heißt, auch Zorn von Herrschern, die vor Friedrich Barbarossa regierten und von denen vor allem das

1 Neben der Vielfalt unterschiedlicher Konstellationen und Zeitschichten charakterisiert den Text auch eine große formale Heterogenität. Passagen, die konkrete Auseinandersetzungen erzählen, wechseln mit theoretischen Exkursen über theologisch-philosophische Fragen. Die narrative Entfaltung von Konflikten weicht zuweilen einer Collage-Technik, die Briefe aneinanderreiht. Diese sollen tatsächlich zwischen den einzelnen Instanzen hin und her gegangen sein und sind zum Teil einzig in den Gesta Frederici überliefert. Darüber hinaus bestehen zwischen Ottos und Rahewins Büchern erhebliche Unterschiede. Siehe dazu Roman Deutinger: Rahewin von Freising. Ein Gelehrter des 12. Jahrhunderts, Hannover 1999, S. 26, 94, 106, 139. 2 Durch diese Betrachtung des Textes verändert sich der Status des Gegenstandes. Er wird als ganzer und aus literaturwissenschaftlicher Perspektive untersucht. Die Gesta Frederici dienten bisher vor allem den Geschichtswissenschaften als Quelle. Es ist durchaus üblich, dem Werk vereinzelte Informationen über die Regierungszeit Friedrich Barbarossas zu entnehmen, siehe dazu Franz-Josef Schmale: Einleitung. In: Bischof Otto von Freising und Rahewin: Die Taten Friedrichs oder richtiger Cronica. Übersetzt von Adolf Schmidt. Hrsg. von dems., Darmstadt 1965, S. 1–81, hier S. 16. Dies gilt auch für die zuletzt erschienenen Monographien von Knut Görich: Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert, Darmstadt 2001, und Heinz Krieg: Herrscherdarstellung in der Stauferzeit. Friedrich Barbarossa im Spiegel seiner Urkunden und der staufischen Geschichtsschreibung, Ostfildern 2003 (Vorträge und Forschungen 50). Eine Ausnahme bildet Sverre Bagge: Ideas and Narrative in Otto of Freising’s Gesta Frederici. In: Journal of Medieval History 22/4 (1996), S. 345–377, der



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

erste Buch erzählt (Heinrich IV., Heinrich V., Lothar III, Konrad III.), sowie Zorn von Gruppen und Untergebenen werden in die Deutung integriert. Dabei dient als Ausgangspunkt, was Goetz bemerkt: Der Bischof [Otto von Freising; E. F.] greift nicht bestimmte Beispiele heraus, um an ihnen allgemeine Wahrheiten zu begründen, sondern er schreibt durchgängig Geschichte, um sie in ihrem geordneten Verlauf gleichsam für sich selbst sprechen zu lassen.3

Es gibt also einen inneren Zusammenhang, in dem Vergangenheit und Gegenwart als sinnvoll aufeinander folgende Zeitabschnitte in Bezug gesetzt werden.4 Hier sind insbesondere die Zeit vor Friedrich Barbarossa sowie die Herrschaft des Stauferkaisers selbst gemeint. Die zentrale These ist, dass Zorn und die mit ihm verbundenen Darstellungsstrategien bei Otto dazu beitragen, eine solche historische Entwicklung mit zu konstituieren. Diese lässt sich anhand der Kategorien „Abstraktion und Verkörperung“ sowie „Institutionalisierung und Personalisierung“ greifbar machen. Dabei sind vom Rolandslied bereits bekannte Phänomene anzutreffen, wie die Personifikation von Kollektivabstrakta oder die Bedrohlichkeit von Herrscherzorn für Feinde. Darüber hinaus eröffnen die Gesta Frederici Ottos aber auch neue Aspekte, wie die Frage nach der Anwesenheit und Abwesenheit des Herrschers sowie der Erwähnung von Herrscherzorn in Gesetzen. Rahewins Werk wird getrennt betrachtet, weil es Ottos Konzeption nicht weiterführt. Seine Darstellung ist von einer vollkommen anderen Problematik bestimmt, die jedoch für alle hier behandelten Texte aus dem 12.  Jahrhundert erhellend ist. Wie noch zu zeigen sein wird, handelt es sich vorwiegend um das Verhältnis von Friedrich Barbarossas Politik, die davon geprägt ist, mithilfe von Herrscherzorn die Ehre des Reiches (honor imperii) zu bewahren, und einer narrativen Umsetzung, die auf diese Politik reagiert. Es ist also davon auszugehen, dass die Gesta Frederici durch einen doppelten Bruch gekennzeichnet sind, was die Darstellung von Zorn und Herrschaft angeht: Otto konzeptualisiert den Übergang vom ersten Buch (der Vergangenheit) zum zweiten (der Gegenwart des 12.  Jahrhunderts) als Sprung und auch zwischen Ottos und Rahewins Teil bestehen markante Unterschiede.

für Ottos Werk – wenn auch nicht im Hinblick auf Zorn und Herrschaft – eine Gesamtdeutung anbietet. 3 Hans-Werner Goetz: Das Geschichtsbild Ottos von Freising. Ein Beitrag zur historischen Vorstellungswelt und zur Geschichte des 12. Jahrhunderts, Köln, Wien 1984, hier S. 61. 4 Siehe dazu auch Goetz, Geschichtsbild, S. 310 f.: „Die Vergangenheit interessiert daher neben ihrer Funktion als Heilsgeschichte vor allem als ‚Vorgeschichte‘ der eigenen Zeit […].“





4.1 Otto von Freising 

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4.1 Otto von Freising 4.1.1 Buch I: tamquam unum corpus – Kollektive als ein Körper im Zorn Dass sich zwischen dem ersten und dem zweiten Buch der Gesta Frederici formal und inhaltlich ein Bruch ergibt, hat die Forschung bereits mehrfach bemerkt.5 Dass sich erst das zweite Buch Friedrich Barbarossas Vorgehen im Reich und in Italien widmet, könnte eine Erklärung dafür sein, warum das erste Buch hinsichtlich der Zorn-Darstellung weitgehend vernachlässigt worden ist: Da in Hinblick auf Zorn hauptsächlich Friedrich Barbarossa interessiert, hat man bisher den Teil nicht konsultiert, der sich mit der Zeit vor ihm beschäftigt. Hier wird hingegen gefragt, inwiefern die Konzeptualisierung von Zorn im ersten Buch von derjenigen im zweiten abweicht und ob sich Tendenzen erkennen lassen, wie die Ära Friedrich Barbarossas mit jener vor ihm in Verbindung gesetzt wird.6 Zorn in der Zeit vor dem Stauferkaiser ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er Kollektive zu Einheiten zusammenschweißt. Bereits bei der Schilderung des Eröffnungskonfliktes der Gesta Frederici zwischen Papst Gregor VII. und Kaiser Heinrich IV. wird die Einheit des Reiches als zentrales Prinzip politischen Handelns etabliert.7 So wendet sich der Papst gegen den Kaiser, um das

5 So hat Lars Hageneier: Die frühen Staufer bei Otto von Freising oder wie sind die Gesta Frederici entstanden? In: Grafen, Herzöge, Könige. Der Aufstieg der frühen Staufer und das Reich (1079–1152). Hrsg. von Hubertus Seibert und Jürgen Dendorfer, Ostfildern 2005 (MittelalterForschungen 18), S. 363–396, darauf aufmerksam gemacht, dass nur das zweite Buch im eigentlichen Sinne Ottos Auftrag entspreche, von den Taten Friedrichs zu berichten. Im ersten schreibe er hingegen die Chronik, sein früheres Geschichtswerk, weiter und um. Zur Zusammengehörigkeit von Gesta und Chronica siehe auch Goetz, Geschichtsbild, S. 282; Eberhard F. Otto: Otto von Freising und Friedrich Barbarossa. In: Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze und Arbeiten aus den Jahren 1933 bis 1959, Darmstadt 1965 (Wege der Forschung 21), S. 247–277, insb. S. 270; mehr die Unterschiede betonend siehe Elisabeth Mégier: Tamquam lux post tenebras, oder: Ottos von Freising Weg von der Chronik zu den Gesta Frederici. In: Mediaevistik 3 (1990), S. 131–265, S. 132; Walther Lammers: Weltgeschichte und Zeitgeschichte bei Otto von Freising, Wiebaden 1977, S. 84; Karl F. Morrison: Otto of Freising’s Quest for the Hermeneutic Circle. In: Speculum 55/2 (1980), S. 207–236, S. 207, 214, 226, 231. 6 Einen ersten Ansatzpunkt bietet Bagge, Ideas, S. 349, der behauptet, dass Widersprüchliches und Disparates im ersten und zweiten Buch typologisch aufeinander beziehbar sei und in der Verbindung sich erst die zentrale Botschaft des Textes erschließe. Diese bestehe darin, Friedrich als Erneuerer der rechten Weltordnung zu loben. Auf diese Deutung komme ich am Ende des Kapitels zu Otto von Freising nochmals zurück. 7 Die Gesta Frederici – insbesondere Ottos Teil – sind einem ähnlichen Einheitsideal verpflichtet wie das Rolandslied, siehe dazu Jeffrey Ashcroft: ‚Si waren aines muotes.‘ Unanimity in Konrad’s Rolandslied and Otto’s and Rahewin’s Gesta Frederici. In: Medieval Knighthood IV. Pa-



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

gespaltene Reich (imperium gravissime scissum fuisset) dem Einheitsideal wieder näherzubringen.8 Der Ausschluss aus der christlichen Gemeinde soll Heinrich, der schon „als von den Seinen im Stich gelassen“ (tamquam a suis destitutum; Gesta I, 1, S. 122 f.) gilt, auch noch die Unterstützung der Kirche entziehen. Der Bann soll ihm den letzten Stoß versetzen und damit den Weg frei machen für ein erneutes Zusammenrücken widerstreitender Gruppen. Obwohl Otto die Motivation Gregors gutheißt, deutet er dessen Vorgehen als problematisch: Cuius rei novitatem eo vehementius indignatione motum suscepit imperium, quo numquam ante hec tempora huiusmodi sententiam in principem Romanorum promulgatam cogno­ verat. Dieses ungewöhnliche Vorgehen versetzte das Reich in umso heftigere Empörung, als man wußte, daß niemals bisher ein solcher Spruch gegen einen römischen Kaiser verkündet worden war. (Gesta I, 1, S. 122 f.)9

Indem der Papst gegen das Gewohnheitsrecht verstößt, erlangt er nicht die Solidarität der Fürsten gegen den Kaiser, wie eigentlich beabsichtigt, sondern macht sich selbst zum Ziel einer zornigen Reaktion.10 Da das imperium als Träger der kollektiven Empörung genannt und nicht in einzelne Personen oder Gruppen ausdifferenziert wird, erscheint es wie eine einzige Person, die mit Zorn auf die Anmaßung des Papstes reagiert. Das Abstraktum wird über die Emotionszuschreibung personifiziert und dadurch die Fürstengemeinschaft, die zum Kaiser hält, (kurzzeitig) als homogene Gruppe konstituiert.11 Dem Bann kommt somit

pers from the fifth Strawberry Hill Conference 1990. Hrsg. von Christopher Harper-Bill und Ruth Harvey, Woodbridge 1992, S. 23–50. Otto fasst es jedoch weiter, indem er es nicht nur auf Kaiser und Fürsten, sondern explizit auch auf die Übereinstimmung von oberster weltlicher und höchster geistlicher Gewalt bezieht. 8 Gesta I, 1, S. 122 f. Alle Zitate und Übersetzungen stammen, wenn nicht anders angegeben, aus: Bischof Otto von Freising und Rahewin: Die Taten Friedrichs oder richtiger Cronica. Übersetzt von Adolf Schmidt. Hrsg. von Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1965 (nachfolgend zitiert als Gesta). Seitenzahlen werden im Fließtext direkt im Anschluss an die Übersetzung angegeben und beziehen sich immer auf die hier erwähnte Ausgabe. 9 Schmidt übersetzt imperium als Adverbiale des Ortes: „Dieses ungewöhnliche Vorgehen erregte im Reich umso heftigere Empörung […].“ In der lateinischen Konstruktion ist das Reich aber selbst Träger des Gefühls, weshalb ich die Übersetzung an dieser Stelle verändert habe. 10 Zur anderen Gestaltung des Investiturstreits in der Chronica, siehe Morrison, Quest, S. 232 f. 11 Auf ähnliche Weise personifiziert auch der Brief von Konrad III. an Manuel Komnenos das imperium. Konrads Reaktion auf die Schmähungen des byzantinischen Gesandten wird dabei auf zweierlei Weise beschrieben. Während der Brief sie zunächst vor allem als Verwunderung (admirata, miramur; Gesta I, 26, S. 176 f.) charakterisiert, bezeichnet er sie im folgenden Satz relativ





4.1 Otto von Freising 

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zwar eine einigende Kraft zu, aber nicht im päpstlichen Sinne. Denn statt den Kaiser mithilfe der Fürsten zu stürzen, schweißt die Exkommunikation eine Gemeinschaft gegen den Papst selbst zusammen. Die spontane Reaktion weiß Heinrich IV. zu seinen Zwecken zu kanalisieren, indem er sich leidenschaftlich beklagt (affectuose conqueritur; Gesta I, 1, S. 122): Hac querimonia omnium animi eo facilius contra Romanam ecclesiam inclinari poterant, quo et laici secularis honoris consideratione accensi et episcopi consilio clericorum suorum, quibus recenter conubia ab eodem pontifice inhibita fuerant, inflammati voluntati principis accedebant. Durch diese Klagen vermochte er alle um so leichter gegen die Römische Kirche aufzubringen, als die Laienfürsten im Hinblick auf die weltliche Ehre verärgert und die Bischöfe von ihren Klerikern aufgestachelt waren, weil ihnen der Papst neuerdings die Ehe verboten hatte; daher stimmten sie den Absichten des Kaisers zu. (Gesta I, 1, S. 122 f.)

Die Einheit im Zorn gegen den Papst wird dabei nicht als Einheit der Motivationen dargestellt. Doch obwohl die Interessen der weltlichen von denjenigen der geistlichen Fürsten abweichen, mündet die Unzufriedenheit dennoch in einem gemeinsamen Handeln: Alle sprechen sich für die Enthebung Gregors aus und ernennen – mit Zustimmung des Kaisers – Klemens III. zum Gegenpapst. Die Episode gipfelt in einer letzten Aktion der Fürsten, in der nochmals die Einheit im Zorn hervorgehoben wird. Gemeinsam verfassen sie einen Schmähbrief, in dem sie den Beweggrund für die Absetzung des Papstes erneut – diesmal zu einem ‚wie Du uns, so wir Dir‘ – umakzentuieren: Unde communi consilio prenominato pontifici scriptum conviciis et detractionibus plenum dirigere presumpserunt, inter cetera dicentes: Sicut hactenus solebas dicere, quod nullus nostrum esset episcopus, ita scias, quod nulli nostrum deinceps eris apostolicus. Darauf erkühnten sie sich, auf gemeinsamen Beschluß an diesen Papst ein Schreiben voller Beschimpfungen und Herabsetzungen zu richten, worin es unter anderem hieß: ‚Wie du

unvermittelt als Zorn. Dies ist eine der seltenen Stellen, an denen ira im ersten Buch verwendet wird, sonst steht meistens das schwächere indignatio. Vielleicht liegt das an der Briefform, denn in schriftlichen Verlautbarungen, wie Urkunden und Verkündungen von Geldbußen erscheint meist ira. Das Wort bezeichnet somit einerseits eine stärkere emotionale Involvierung und fungiert andererseits als offizieller (schriftlicher) Begriff bei der Ahndung oder Wiedergutmachung von Verstößen. Die Verwunderung erscheint dabei wie eine Vorstufe von ira und wird dem gesamten Reich (universi imperii nostri; Gesta I, 26, S. 176 f.) zugeschrieben. Auch hier kommt Zorn somit eine einigende Wirkung zu. Das Kollektiv wird als Einheit zunächst in der Verwunderung und dann im Zorn vorgestellt.



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

bisher zu erklären pflegtest, daß keiner von uns Bischof sei, so mögest du wissen, daß du künftig keinem von uns Papst sein wirst.‘ (Gesta I, 1, S. 124 f.)

Da der Papst die Fürsten nicht akzeptierte, lehnen sie ihn nun ab und bestreiten damit seine Verfügungsgewalt über sie. Der Konflikt zwischen Kaiser und Papst, zwischen weltlichen und geistlichen Fürsten, bestimmt – wie in der Ausdifferenzierung der Motivationen bereits angedeutet – noch die weiteren Generationen bis hin zu Friedrich Barbarossa. Die Einheit des imperium im Zorn, erscheint so wie eine kurze Episode in einer langen Geschichte der Spaltung. Die vereinende Wirkung von Zorn wird in einer weiteren Episode des ersten Buches erzählt, in der wiederum Heinrich IV. als Protagonist auftritt. Anders als in der Auseinandersetzung mit dem Papst formiert der König nun nicht eine Gemeinschaft im Zorn hinter sich, sondern bringt sie gegen sich selbst auf. So gibt der Text als Grund für den Ausbruch des Sachsen-Aufstandes den „Mutwille des Königs“ (principis lascivia ortum; Gesta, I, 4, S. 126 f.) an und führt näher aus: Dum enim predictus princeps in iuvenili adhuc positus etate, toto regno silente dominiumque suum humiliter portante, prefatam terram ingressus fuisset, iuveniliter dixisse fertur se mirari nullum per totum imperii ambitum inveniri, in quo vires suas exercere posset, idque non virtuti, sed ignavie deputabat. Quod dictum non secundum naturam generis sui percusso ere mox transit, sed tam efficaciter in mentibus plurium radices figens germinavit, ut tota in brevi provincia illa adversus ipsum commota et in unum corpus coadunata innumeris populis et gentibus letifera pocula ministraverit. Denn als dieser Fürst einst noch in jugendlichem Alter in dieses Land gekommen war, während das ganze Reich sich friedlich verhielt und seine Herrschaft demütig ertrug, da soll er in jugendlichem Übermut gesagt haben, er wundere sich, daß man im ganzen Reich keine ehrgeizige Aufsässigkeit finde, an der er seine Kräfte erproben könne, und das bewertete er nicht als Tugend, sondern als Feigheit. Dieser Ausspruch geriet nicht wie sonst derartige Worte, nachdem er einmal geprägt war, in Vergessenheit, er schlug vielmehr in vielen Köpfen Wurzel und sproßte so kräftig, daß in kurzer Zeit das ganze Land, gegen den König aufgestachelt, zu einem Leib zusammengewachsen, unzähligen Völkern und Stämmen todbringende Giftbecher reichte. (Gesta I, 4, S. 126 f.)

Ähnlich wie zuvor hebt auch diese Schilderung die verbindende Kraft von Zorn hervor, ohne dass einer der typischen Termini für Zorn fällt. Die Verwendung eines Kollektivabstraktums wird an dieser Stelle ebenfalls vermieden und stattdessen die Einheit im Bild der Einzelnen, die zu einem einzigen Körper zusammenwachsen, anschaulich gemacht. Gleichzeitig erscheint die Emotion als Prozess. Die herausfordernden Worte Heinrichs lösen nicht unmittelbar eine Handlung aus, sondern wirken zunächst im Inneren der Einzelnen weiter. Erst nachdem das Gefühl gereift ist wie ein Samenkorn, tritt es als Aktion nach außen.





4.1 Otto von Freising 

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Die Innensicht bietet keinen psychologischen Nachvollzug. Die Metapher vom keimenden Samen lässt die Entstehung des Gefühls eher als einen natürlichen Prozess erscheinen, der – wenn das Korn auf fruchtbaren Grund fällt – wie von selbst und bei vielen parallel abläuft. Die Gemeinschaft im Zorn wird auch hier also nicht primär als Übereinstimmung von Meinungen und Einschätzungen, sondern als konzertiertes Handeln erzählt, das im Bild eines Körpers seinen sinnfälligen Ausdruck findet. Eine ähnlich vereinende Wirkung  – wiederum mit der Formulierung von einem Körper – findet sich ebenfalls in einer rein innerkirchlichen Streitigkeit. Dabei ist die Auseinandersetzung zunächst nicht von Zorn geprägt.12 Erst als Bernhard von Clairvaux ohne offizielle Zustimmung Roms ein eigenes Glaubenbekenntnis verlesen lässt, um die Auseinandersetzung mit Gilbert von Poitiers endgültig zu beenden, kommt indignatio ins Spiel. Das Kardinalskollegium fasst das Verhalten Bernhards als Affront auf, da dieses die Stellung des Papstes und damit einhergehend auch den Status der Kardinäle selbst anficht. Otto lässt die Kardinäle ihre Empörung über Bernhard in einer direkten Rede an den Papst thematisieren. Sie werfen Bernhard Eingriffe in die alleine dem Römischen Stuhl zustehenden Rechte vor. Als verschlimmerndes Moment führen sie weiterhin an, dass er sich diese in der Anwesenheit von Papst und Kardinälen angemaßt habe (siehe Gesta I, 61, S. 256–260). Dem Papst selbst halten die Kardinäle vor, über private Freundschaften sein Amt zu vergessen. Dabei schreibt Otto ihnen ein Selbstverständnis als Papst-

12 Otto widmet dem Problem, über das sich die einzelnen kirchlichen Parteien streiten, eine ausführliche Darstellung. Ausgehend vom Prozess gegen Abaelard, über die strittigen Fragen der Trinitätslehre bis hin zum Prozess gegen Gilbert von Poitiers, entwickelt Otto eine narrative Linie, die die Diskussion dogmatischer Fragen mit der Schilderung konkreter Ereignisse etwa bei den Konzilien in Paris (1147) oder Reims (1148) verbindet. Die großen Kontrahenten im Streit darum, ob Gott drei – Vater, Sohn und Heiliger Geist – oder ein einziger sei, sind Abaelard und Gilbert auf der einen und Bernhard von Clairvaux auf der anderen Seite. Joachim Ehlers: Monastische Theologie, historischer Sinn und Dialektik. Tradition und Neuerung in der Wissenschaft des 12. Jahrhunderts. In: Antiqui und moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter. Hrsg. von Albert Zimmermann, Berlin 1974, S. 58–79, S. 78 deutet den Streit zwischen Bernhard und Abaelard als Kontroverse um wissen(schaft)stheoretische Fundierungen und bemerkt: „Der Kampf Bernhards von Clairvaux gegen Abaelard erscheint von da her als ein Versuch, im letzten Augenblick die Bedrohung monastischen Glaubens- und Weltverständnisses abzuwenden.“ Für eine genaue Zusammenfassung und Deutung von Gilberts Position in der Trinitätsdebatte siehe Suitbert Gammersbach: Gilbert von Poitiers und seine Prozesse im Urteil der Zeitgenossen, Münster 1959, S. 33–41.



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

Macher zu: Erst von den Kardinälen erhalte der Papst seine Macht.13 Indem die Kardinäle die ausbleibende Reaktion des Kirchenoberhauptes auf persönliche Verstrickungen zurückführen, vollziehen sie in ihrer Rede schon, was diese zu Beginn nur andeutet: Sie entledigen den Papst verbal seiner öffentlichen Funktion oder drohen ihm zumindest damit, falls er nicht gegen die Anmaßung Bernhards vorgehe. Diese Rede der Kardinäle zeitigt insofern sofort eine Wirkung, als der Papst einlenkt. Im Anschluss daran vermag auch Bernhard durch eine demütige Antwort die Kardinäle zu beschwichtigen.14 Die indignatio der Kardinäle erweist sich so als wirksame Performanz von Macht. Beide Adressaten ordnen sich ihr unter und das ursprüngliche Kräfteverhältnis ist wieder hergestellt. Die zeitweilige Gefährdung der Einheit von Papst und Kardinälen wird dabei auch über die Gestaltung der Emotion evident gemacht. Statt zusammen mit dem Papst einen Körper zu bilden, verselbstständigt sich das Kardinalskollegium alleine zu einem Körper mit einer Stimme im Zorn: Quod Gallicane ecclesie factum tam graviter sacer cardinalium senatus accepit, ut cum magna mentis indignatione curiam intraret ac tamquam unum corpus effecti una omnes voce pontifici suo dicerent Dieses Verhalten der französischen Kirche erregte beim heiligen Senat der Kardinäle so schweren Anstoß, daß er mit tiefer Entrüstung zur Kurie ging und die Kardinäle, gleichsam ein Leib geworden, alle einstimmig zu ihrem Papst [sprachen]. (Gesta, I, 61, S. 256 f.)

13 ‚Scire debes, quod a nobis, per quos tamquam per cardines universalis ecclesie volvitur axis, ad regimen totius ecclesie promotus, a privato universalis pater effectus, iam deinceps te non tuum, sed nostrum potius esse oportere nec privatas et modernas amicitias antiquis et communibus preponere, sed omnium utilitati consulere Romaneque curie culmen ex officii tui necessitudine curare et observare debere.‘ („‚Du solltest wissen, daß du von uns, in denen wie in ihren Angeln die Achse der gesamten Welt sich dreht, zur Herrschaft über die ganze Kirche berufen und damit aus einem Privatmann zum Vater der gesamten Kirche gemacht worden bist; infolgedessen darfst du nicht dir, sondern mußt vielmehr uns gehören und darfst nicht neue private Freundschaften den alten gemeinsamen vorziehen, du mußt vielmehr auf das Gemeinwohl bedacht sein und, wie es dein Amt erfordert, die Oberhoheit der Römischen Kirche wahren und im Auge behalten.‘“; Gesta I, 61, S. 256 f.) 14 Hocque tam humili quam modesto ipsius responso predicta cardinalium indignatio conquievit, ita tamen, ut prefatum scriptum, tamquam inconsulta curia prolatum, velut auctoritatis pondere careens, pro simbulo in ecclesia, quod in conciliis contra hereses congregates fieri solet, non haberetur. („Diese demütige und bescheidene Antwort beschwichtigte den Unwillen der Kardinäle, doch nur unter der Voraussetzung, daß jene Niederschrift, weil sie ohne Befragung der Kurie abgefaßt war und des Gewichts ihrer Bestätigung entbehrte, in der Kirche nicht als ein Glaubensbekenntnis gelten solle, wie es auf den gegen Häresien veranstalteten Konzilen abgelegt zu werden pflegt.“; Gesta, I, 61, S. 259)





4.1 Otto von Freising 

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Otto verwendet hier dasselbe Bild, mit dem er auch schon den Zusammenschluss der Sachsen gegen Heinrich verdeutlicht. Wie die Provinz Sachsen im Widerwillen gegen den Kaiser „zu einem Leib zusammengewachsen“ (in unum corpus coadunata; Gesta I, 4), so erscheint nun das empörte Kardinalskollegium „gleichsam ein Leib geworden“ (tamquam unum corpus; Gesta I, 61). Zur Beschreibung der Gemeinschaft zwischen Kardinalskollegium und Papst nimmt Otto die Körpermetapher nochmals auf, als er seiner Erleichterung darüber Ausdruck verleiht, dass der Konflikt so versöhnlich beigelegt werden konnte: Benedictus per omnia Deus, qui sic ecclesie sue, sponse sue previdit, ne vel summa membra a capite suo dissiderent, vel tantus religiosarum et discretarum personarum numerus Gallicane ecclesie aliquod iudicii pondus a sede Romana reportans scismatis non parvi occasion esset. Gepriesen sei in alledem Gott, der es für seine Kirche, seine Braut, so gefügt hat, daß weder die obersten Glieder in Widerspruch zu ihrem Haupt gerieten, noch die überaus große Zahl der frommen und erlauchten Persönlichkeiten der französischen Kirche durch ein schwerwiegendes Urteil des Römischen Stuhls betroffen wurden, das Anlaß zu einem sehr bedeutungsvollen Schisma gegeben hätte. (Gesta I, 61, S. 258 f.)

Für Otto sind die Einheit und der Körper der Kirche wieder hergestellt. Nachdem die Kardinäle als eigener Körper im Zorn gegen Bernhard und den Papst sich zeitweilig zu verselbstständigen drohten, erscheinen sie nun wieder als oberste Glieder und der Papst als Haupt. An die Stelle des Kardinalskörpers ist somit das Bild von der Kirche als Körper getreten. Mithilfe ihres Zorns haben die Kardinäle es geschafft, Bernhard in ihre Machtsphäre zu (re-)integrieren und den Papst als Haupt der Kirche an seine Aufgabe zu erinnern. Mit Heinrich V. begegnet in den Gesta Frederici erstmals explizit Zorn als eine dem Herrscher zugeschriebene Emotion. Otto verweist zunächst summarisch auf viele tapfere Taten Heinrichs und dessen Verdienste bei der Einigung des Reiches, um dann eine Episode zu erzählen, die sich zuträgt, als der Kaiser auf der Höhe seiner Macht ist und die zugleich einen Moment absoluter Ohnmacht illustriert.15

15 Anhand der Regierung Heinrichs V. werden neben inneren Angelegenheiten des Reiches vor allem dessen äußere Erweiterung und Befriedung geschildert. So stellt der Text Heinrich zunächst als in beiden Bereichen äußerst effektiven Herrscher vor, der im Innern zu unterwerfen und nach außen Furcht zu verbreiten versteht: Hic armis strennuissimus totum imperium ita in brevi sue subiecit ditioni, ut et omnes in Romano orbe positi subiectionis iugum humiliter portarent et vicini dominationem eius suspectam habentes metu obrigescerent. („Dieser außerordentlich tüchtig im Waffenhandwerk, brachte in kurzer Zeit das ganze Reich in seine Gewalt, so daß alle Menschen in der römischen Welt das Joch der Untertänigkeit willig trugen und die Nachbarn, die



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In dieser Episode, die Heinrichs Angriff der Festung Mouzon schildert, kommt es zu einem Zornausbruch des Herrschers, als er erkennen muss, dass seine Strategie fehlschlägt, die Bewohner der Stadt mit der Tötung ihres Herren, des Grafen Reginald, zu erpressen. Da die Gräfin, die sich innerhalb der Stadtmauern befindet, just in der Nacht, die sich die listigen Untertanen des Grafen als Aufschub erbeten haben, einen Sohn zur Welt bringt, haben diese einen neuen Herren und sind dadurch nicht mehr mit dem ehemaligen erpressbar. Diese listige Untergrabung von Heinrichs Macht erregt den Zorn des Herrschers und gibt zugleich Anlass, Herrscher und Gott ins richtige Verhältnis zu setzen: Qua de re inflammatus princeps predictum comitem ad patibulum trahi iussit. Cumque a principibus, qui aderant, ne id faceret, rogaretur, ipsoque in proposito perseverante, a quibusdam, ut saltem divina animadversione a cepto desisteret, diceretur, turbato pre ira oculo, repondisse fertur: Celum celi domino, terram autem dedit filiis hominum. Tandem tamen irrationabili motu defervescente, cunctorum precibus augustus inclinatus a mortis sententia animum revocavit Da befahl der Kaiser in loderndem Zorn, den Grafen auf den Galgen zu ziehen. Obwohl die anwesenden Fürsten ihn baten, das zu unterlassen, beharrte er bei seinem Entschluß, und als einige sagten, er solle doch wenigstens im Hinblick auf die göttliche Strafe von seinem Vorhaben abstehen, soll er mit zorngetrübtem Blick erwidert haben: Der Himmel gehört dem Herrn des Himmels, die Erde aber hat er den Menschenkindern gegeben. Schließlich kühlte sich seine Wut durch eine unergründliche Regung ab, und der Kaiser ließ sich durch die allgemeinen Bitten erweichen und widerrief das Todesurteil (Gesta I, 11, S. 150 f.).

Dieses Auflodern Heinrichs im Zorn trägt in keiner Weise zum Machtzuwachs oder der Legitimation des Kaisers bei, obwohl Zorn ja eine angemessene Reaktion auf die listige Gegenwehr der Stadtbewohner sein könnte. Hier erscheint er vielmehr als Ausdruck von Ohnmacht eines Herrschers, der zwar noch die Tötung des Grafen befehlen kann, sich gegenüber seinen Gegnern aber geschlagen geben muss. Der Zorn verdunkelt Heinrichs Blick so sehr, dass er nicht nur im wörtlichen Sinne blind zu werden scheint, sondern auch im übertragenen: Er erkennt seine Stellung im Verhältnis zu Gott nicht mehr. Anstatt sich diesem unterzuordnen, fordert er ihn heraus, indem er die weltliche Herrschaft als eigenständige von Gott losgelöste behauptet. Zorn ist hier als Gefühl der Ohnmacht angesichts der listigen Stadtbewohner und als Gefühl der Anmaßung, das Heinrich sogar Gott

seiner Machtentfaltung mißtrauisch gegenüberstanden, sich aus Furcht wie erstarrt verhielten.“; Gesta I, 10, S. 148–151) All das schafft er durch den Einsatz von Waffen, also mithilfe kriegerischer Mittel, wohingegen von Zorn oder anderen Emotionen nicht die Rede ist.





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provozieren lässt, durch und durch negativ.16 Die Metapher des Feuers deutet dabei die unkontrollierbare und potentiell zerstörerische Wirkung der Emotion für den Zornigen an. Während Empörung und Zorn von Gruppen durchaus als Macht steigernde Performanzen gezeigt werden, wird hingegen in dieser Episode eine legitime hierarchisierende Funktion von Herrscherzorn verworfen. Eine weitere Besonderheit des ersten Buches und damit der Zeit vor Friedrich Barbarossas Herrschaft besteht darin, Zorn und genealogische Herrschaftskontinuität zu verbinden. Herzog Friedrich II., der in vielen Konflikten als äußerst bedacht, nachsichtig und niemals zornig geschildert wird,17 empört sich auf seinem Totenbett angesichts des drohenden Verlustes seines Sohnes und einzigen Erben im Kreuzzug gegen seinen Bruder, den Kaiser Konrad: [A]crem in mente contra dominum et fratrem suum Conradum regem indignationem gerens, quod filium suum Fredericum, quem ipse tamquam primogenitum ac nobilissime prioris comparis sue filium unicum […] totius terre sue heredem fecerat, crucem permiserat accipere. [E]r zürnte seinem Herrn und Bruder, dem Kaiser Konrad, weil dieser seinem Sohn Friedrich erlaubt hatte, das Kreuz zu nehmen, denn er hatte ihn als seinen Erstgeborenen und den einzigen Sohn seiner hochedlen Gemahlin zum Erben seines ganzen Landes eingesetzt […]. (Gesta I, 42, S. 210–213)18

Friedrichs Empörung wird nicht als negative Emotion markiert. Weder ein Kommentar Ottos noch eine Figurenreaktion weisen auf einen solchen Tadel hin. Es erscheint vielmehr legitim, dem drohenden Verlust des eigenen, blutsverwandten Nachfolgers mit indignatio zu begegnen. Gerade die sonstige Ruhe des Herzogs markiert seine einmalige Empörung als außergewöhnliche Reaktion auf eine außergewöhnliche Bedrohung: die Auslöschung seines Herrschergeschlechts. Diese Norm erscheint an einer weiteren Stelle des ersten Buches, im Brief Kaiser Konrads III. an den Komnenos Manuel: Si enim idem nuntius tuus Nyky-

16 Indem der Zorn des Herrschers, wie ausdrücklich betont wird, auf nicht rational nachvollziehbare Weise verraucht, konterkariert diese Emotionsdarstellung gerade die von Heinrich formulierte Anmaßung: Die menschliche Sphäre wird als eine komplett von Gott gelenkte gezeigt. Er erscheint als unsichtbarer Urheber und übergeordnete Macht, die nicht nur frei über Handlungen und Geschick der Menschen, sondern auch über deren Emotionen verfügt. Dies wird aber nicht explizit gemacht, sondern bleibt der Formulierung irrationabili implizit. 17 Siehe besonders Gesta I, 13, S. 154 f., wo Herzog Friedrichs Besonnenheit und Bedachtheit dem Wüten des Volkes gegenüber gestellt wird. 18 Mégier, Lux, S. 217 f., wertet diese Zornesschilderung als Kritik am Kreuzzug, die letztlich auch Otto von Freising selbst so vertrete. Dieser Deutung widersprechen Stellen, an denen Otto, den Kreuzzug begrüßt, siehe Gesta I, 36, S. 200 f.; I, 45, S. 216 f. und I, 66, S. 270 f.



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forus unicum filium nostrum Heinricum in presentia nostra morti dedisset, ad maioren iram maiestatis nostre animum provocare non poterat. („Denn hätte dein Gesandter Nikephoros unseren einzigen Sohn Heinrich vor unseren Augen ermordet, so hätte er bei uns nicht größeren Zorn erwecken können.“; Gesta I, 26, S. 176 f.) Indem Konrad die Ermordung des einzigen Thronfolgers als Vergleich für andere Vergehen heranzieht, denen mit Zorn zu begegnen ist, wird die Gefährdung genealogischer Kontinuität als absolut legitimer Anlass und Musterbeispiel berechtigten Zorns gesetzt.

4.1.2 Buch II: Friedrich Barbarossa – Herrscherzorn zwischen Person und Institution Mit dem zweiten Buch – und dem Auftritt Friedrich Barbarossas auf der politischen Bühne – verändert sich die Funktionalisierung von Zorn in den Gesta Frederici. Die zentrale Neuerung ist, dass der Zorn des Herrschers nicht mehr stigmatisiert wird, sondern ihm im Gegenteil eine wichtige (Droh-)Funktion bei der dauerhaften Durchsetzung von Macht zukommt.19 Für Otto gilt Macht dann als verlässlich etabliert, wenn die Untergebenen den Gesetzen auch in Abwesenheit des Herrschers Folge leisten. Muss dieser hingegen immer wieder mit seiner Präsenz für die Einhaltung der Regeln sorgen, kann nicht von einer längerfristigen Etablierung die Rede sein. Diesbezüglich unterscheiden sich Italien und die deutschen Teile des Reiches in den Gesta Frederici zunächst nicht allzu sehr: Hier wie dort tritt Chaos ein, wenn der Herrscher nicht im Land ist. Dennoch werden die Reichsteile diesseits der Alpen als dem König ergebener Rechtsraum imaginiert, wohingegen Italien als noch zu unterwerfender Abschnitt dargestellt wird. Dies zeigt sich auch an der jeweils vollkommen

19 Diese Funktion von Zorn hat schon Orning, Unpredictibility, S. 316, für norwegische Sagas festgestellt: „The chief aim of the anger was therefore to scare the adversary into submission. The king’s inadequate power apparatus made this element of fear an important condition for his dominance, and the effectiveness of the anger was dependent on it appearing overwhelming and unpredictable.“ Unberechenbarkeit und Drohfunktion von Zorn spielen auch in meiner Analyse eine wichtige Rolle, aber es wird zu zeigen sein, dass Zorn – anders als von Orning angenommen – auch bei Abwesenheit des Herrschers zum Machterhalt beiträgt. Orning kommt auf die Bedeutung von Zorn für Herrschaft noch mehrfach zu sprechen (siehe vor allem S. 153, 168–170, 183–189 und 272–275). Thomas Zotz: Präsenz und Repräsentation. Beobachtungen zur königlichen Herrschaftspraxis im hohen und späten Mittelalter. In: Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien. Hrsg. von Alf Lüdtke, Göttingen 1991, S. 168–194, klammert die Emotion aus.





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anderen Rhetorik: Während Otto für Italien ein juridisches Vokabular (leges, iura) wählt, um die Abtrünnigkeit der italienischen Städte als Rechtsverstoß zu markieren (siehe Gesta, II, 14, S. 310 f.), spricht er für die Teile diesseits der Alpen vom imperium wie von einer verlassenen, erschütterten Person (siehe Gesta II, 45, S. 372 f.) und etabliert es derart als unhinterfragte Gegebenheit, die existiert, selbst wenn der Herrscher abwesend ist und Einzelne sich nicht ordnungsgemäß verhalten. Er schildert hier die Unruhen als Ausnahmefälle und nicht als generelle Missachtung von Rechten und Gesetzen. Das Herrschaftsgebilde bleibt dadurch intakt und es entsteht kein abtrünniger Block, wie das für Italien festzustellen ist. Diesem Unterschied korrespondiert die Inszenierung des Herrschers: Agiert er in den deutschen Teilen des Reiches als strenger, aber nie zorniger Richter, so wird er in Italien als aufbrausender und angriffslustiger Feldherr gezeigt.20 Bereits im ersten Buch, als Friedrich Barbarossa noch nicht Kaiser und König ist, sondern noch als Herzog agiert, sorgt er im eigenen Reich effektiv für Frieden, ohne dass ira, indignatio oder iracundia erwähnt würden. So schickt Kaiser Konrad III. ihn voraus, um den Zustand des Reiches zu stärken. Friedrich erfüllt die übernommene Aufgabe entschieden, aber nicht emotionsgeleitet: Qui per Bulgariam Pannoniamque iter faciens mense Aprili ad propria rediit illoque quosdam ex propriis ministerialibus suis pro bono pacis, boni iudicis exercens officium, suspendio peremit.

20 Diese Rolle Friedrichs in Italien vermittelt schon der offizielle Auftrag Friedrich Barbarossas an Otto von Freising. So erwähnt der Kaiser die Emotion in dem Brief, in dem er die Taten umreißt, die der Autor in den Gesta Frederici schildern soll, im Zusammenhang mit einem Feldzug gegen Rom: Post hec expeditionem Romam movimus et valida manu Lombardiam intravimus. Hec quia propter longam absentiam imperatorum ad insolentiam declinaverat et suis confisa viribus aliquantum rebellare ceperat, nos animo indignati omnia fere castella eorum furore debito et iusto non militum, sed serventium destruximus. („Dann haben wir einen Zug nach Rom unternommen und sind mit einem starken Aufgebot in die Lombardei einmarschiert. Da diese wegen der langen Abwesenheit der Kaiser unbotmäßig geworden war und im Vertrauen auf ihre Stärke sich heftig aufzulehnen begonnen hatte, haben wir, darüber empört, fast alle Festungen nicht von Rittern, sondern von Knechten in ihrer notwendigen und berechtigten Wut zerstören lassen.“; Brief Kaiser Friedrichs an Otto). Diese Schilderung setzt indignatio des Kaisers und furor der Seinen als rechtmäßige Reaktionen auf die unrechtmäßigen Erhebungen der Römer. Zorn wird hier als machtvolle und Gewalt anspornende Emotion gezeigt. Indem Friedrich Barbarossa und sein Heer auf die insolentia mit Empörung reagieren und sie unterbinden, erlangen sie und ihre Regeln im Leben der Römer jäh wieder an Bedeutung. Indignatio schafft hier also Präsenz von Herrschaft, indem sie Normen und Rechte ins Gedächtnis ruft, die die Römer vergessen haben, während der Kaiser nicht anwesend war. Dabei bleibt es nicht bei einer reinen Drohfunktion von Zorn, sondern die gewünschten Machtverhältnisse werden mithilfe von Gewalt durchgesetzt.



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Dieser zog durch Bulgarien und Ungarn und kam im April in seine Heimat; dort ließ er, das Amt eines guten Richters ausübend, einige seiner Ministerialen zur Sicherung des Friedens an den Galgen hängen. (Gesta I, 65, S. 264 f.)

Der Herzog waltet unbeteiligt seines Amtes, das darin besteht, Ministeriale zum Tode zu verurteilen und dadurch für Frieden im eigenen Reichsteil zu sorgen. Richteramt und Amtsträger werden hier (wie bei Johannes von Salisbury im Policraticus) verbunden, indem die emotionale Ungerührtheit die überzeitliche und übermenschliche Gerechtigkeit des Urteils widerspiegelt. Dieser Sachverhalt wird nicht ausführlich als solcher entfaltet, sondern in der kurzen Klausel pro bono pacis gefasst. Die Widerspiegelung eines übergeordneten Rechtsprinzips im Herrscher wiederholt sich, als Friedrich an seinem Krönungstag einem Bittsteller die erflehte Gnade verwehrt, was Otto mit folgenden Worten erzählt: Nec pretereundum estimo, quod, dum finito unctionis sacramento diadema sibi imponeretur, quidam de ministris eius, qui pro quibusdam excessibus gravibus a gratia sua adhuc privati sequestratus fuerat, circa mediam ecclesiam ad pedes ipsius se proiecit, sperans ob presentis diei alacritatem eius se animum a rigore iustitie emollire posse. Ipse vero mentem in priori severitate retinens et tamquam fixus manens constantie sue omnibus nobis non parvum dedit indicium, dicens non ex odio, sed iustitie intuitu illum a gratia sua exclusum fuisse. Nec etiam sine admiratione plurium, quod virum iuvenem, tamquam senis indutum animo, tanta flectere a rigoris virtute ad remissionis vitium non potuit gloria. Ich glaube auch Folgendes nicht übergehen zu sollen: als ihm nach Beendigung des Sakramentes der Salbung die Krone aufgesetzt wurde, warf sich ihm einer seiner Dienstmannen, dem er noch als Privatmann wegen einiger schwerer Vergehen seine Gnade entzogen hatte, mitten in der Kirche zu Füßen in der Hoffnung, ihn wegen der heiteren Stimmung dieses Tages erweichen und vom harten Rechtsstandpunkt abbringen zu können. Er aber verharrte bei seiner früheren Strenge; er blieb fest und gab uns allen damit ein Beispiel seiner nicht geringen Stetigkeit, wobei er erklärte, er habe jenen nicht aus Haß, sondern aus Gerechtigkeitssinn von seiner Gunst ausgeschlossen. Auch dies erregte bei den meisten Bewunderung, daß dieser junge Mann sich gewissermaßen die Gesinnung des Alters angeeignet hatte, so daß ihn seine glorreiche Erhöhung nicht erweichen und zur Vergebung von Vergehen veranlassen konnte. (Gesta II, 3, S. 286–290)

Friedrichs Verhalten wird hier mit rigor, constantia und severitas in Verbindung gebracht, Wörter für Zorn (ira, indignatio oder iracundia) bleiben hingegen erneut unerwähnt, wobei odio vom Herrscher selbst explizit als Motiv abgelehnt





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wird.21 Indem Friedrich durch dieses Verhalten nur positive Reaktionen auslöst, erscheint er wie das Idealbild eines gerechten und unnachgiebigen Richters.22 Die Privatperson und deren Konflikte werden auf diese Weise in eine Amtsperson überführt, die sich ihrer herausgehobenen Position bewusst ist.23

21 Otto vollzieht eine diskursive Umsortierung bereits bestehender Herrschertugendsysteme, die eine Rehabilitierung von ira erlaubt. Auch Rahewin verwendet ira nur an zwei Stellen als zu vermeidende Emotion: Zum einen preist sich der Mailänder Graf Guido von Biandrate selbst als guten Ratgeber der Stadt an, weil er frei von Hass, Freundschaft, Zorn (ira) und Mitleid sei (siehe Gesta III, 49, S. 492 f.). Zum anderen rät der Bischof von Piacenza Friedrich Barbarossa, sich von Gerechtigkeit statt Zorn leiten zu lassen: Non plus apud te valeat Mediolanensium scelus quam tua dignitas, ne magis ire tue quam fame, quam iustitie consuluisse videaris. („Das Verbrechen der Mailänder darf dir nicht über deiner Würde stehen, damit es nicht den Anschein hat, als wärest du dabei mehr auf Befriedigung deines Zorns als deines guten Rufs und der Gerechtigkeit bedacht gewesen.“; Gesta IV, 26, S. 576) Otto dient der Terminus odio dazu, die negative persönliche Involvierung in politische Konflikte zu kennzeichnen. Dies ist in der Krönungsszene so und wiederholt sich, als Friedrich sich dafür entscheidet, dem ihm verhassten Wilhelm zu helfen, um die Grenzen des Reiches zu bewahren (siehe Gesta II 52, S. 384 f.). Der Blick auf andere Akteure bestätigt diese Semantisierung von odio. So wird der fast unersättliche Rachedurst des Bischofs Adalbert gegen die Erben Kaiser Heinrichs als odio qualifiziert (siehe Gesta I, 17, S. 158 f. und I, 23, 168 f.). Ebenso herrscht zwischen Böhmen und Sachsen lange dauernder Hass (perpetui odii; Gesta I, 22, S. 166 f.). Auch Rahewin übernimmt in Ansätzen diese Konzeption von odio als anhaltender emotionaler Abneigung, die vor allem dann als Motivation angeführt wird, wenn ein Verhalten delegitimiert werden soll. Siehe den Brief Rahewins an Kanzler Ulrich und Notar Heinrich für die Begründung, warum Rahewin keine Augenzeugen zurate zieht: [Q]ui vero presto fuerunt, aut vincentis principis obsequio aut odio eorum qui victi sunt contra fidem rerum falsa confirmant. („[D]ie aber dabei waren, berichten entweder aus Liebedienerei gegenüber dem siegreichen Fürsten oder aus Haß gegen die Unterlegenen den wirklichen Vorgängen zuwider Falsches.“; S. 394 f.) Eine völlig andere Vorstellung von odio extrahiert Daniel L. Smail: Hatred as a Social Institution in Late-Medieval Society. In: Speculum 76/1 (2001), S. 90–126, hier S. 100, aus Notarsakten im spätmittelalterlichen Marseille. Er kann zeigen, wie Hass dort als Rechtsinstanz institutionalisiert wird. Für eine Verwendung von odio, die ausnahmsweise fast in Smails Sinne ist, vgl. Gesta III, 15, S. 426 f. 22 Siehe dazu auch Hagen Keller: Die Idee der Gerechtigkeit und die Praxis königlicher Rechtswahrung im Reich der Ottonen. In: La giustizia nell’ alto medioevo (secoli IX–XI), Spoleto 1997 (Settimane di studio 44), S. 91–131, S. 127, der eine zunehmende Bedeutung des Gerichtssektors wie der königlichen Jurisdiktion feststellt: „Für das staufische Herrscherideal hatte die strikte Durchsetzung des Rechts höchsten Stellenwert.“ Siehe auch Timothy Reuter: The Medieval German Sonderweg? The Empire and its Rulers in the High Middle Ages. In: Kings and Kingship in Medieval Europe. Hrsg. von Anne J. Duggan, London 1993, S. 179–211, S. 208, der Friedrich Barbarossas Verhalten in einer der Welt enthobenen, abstrakten Gerechtigkeitsidee verortet: „Otto of Freising could depict him [Friedrich Barbarossa; E. F.] on his coronation day as a stern ruler, bound not by earthly ties but solely by the objective necessities of abstract justice.“ 23 Siehe dagegen Theo Broekmann: Rigor iustitiae. Herrschaft, Recht und Terror im normannisch-staufischen Süden (1050–1250), Darmstadt 2005, S. 111: „Barbarossa stellte mit seinem



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Auch das Vorgehen Friedrichs als König nach seiner Rückkehr in die deutschen Teile des Reiches entspricht dieser Darstellung. Statt von ira ist hier wieder von einer strengen Strafe die Rede: Er bestellt die Hauptübeltäter, den Erzbischof Arnold von Mainz und den Pfalzgrafen Hermann, zu einem Reichstag ein. Dem einen erlässt er wegen des hohen Alters die Strafe, wohingegen er den anderen nach einem alten Gesetz dazu verurteilt, mehrere Meilen einen Hund zu tragen, bevor die Todesstrafe vollstreckt wird. Ohne jeglichen Zorn vermag Friedrich so, Angst und Schrecken zu verbreiten, die als Garanten für dauerhaften Frieden angesehen werden.24 Hier spiegelt sich nicht nur das übergeordnete Recht in der ungerührten Haltung des Herrschers wider, sondern auch die abschreckende Wirkung von strengen Richtsprüchen wird in Szene gesetzt. Dabei wird deutlich, dass dauerhafte Herrschaft immer auch auf Einschüchterung beruht. Völlig ausgespart bleibt Herrscherzorn – auch in den deutschen Teilen des Reiches – dennoch nicht. So erhält er einen wichtigen Status als Formulierung in Gesetzen: Est enim lex curie, quod quisquis de ordine principum principis sui iram incurrens compositionem persolvere cogatur, centum librarum debitor existat, ceteri minoris ordinis viri, sive ingenui sive liberi vel ministri, decem.

Verhalten private Motive über Prinzipien, die seine neue Rolle als König vorsah, ja handelte womöglich sogar aus persönlichem Haß. So oder ähnlich muß der Vorwurf gelautet haben, der nun aufkam und gegen den Otto von Freising mit seiner Darstellung nachträglich Stellung bezog.“ Siehe auch Görich, Ehre, S. 311: „Lieferte er [Otto; E. F.] mit der Episode um den rigor iustitiae rückblickend ein Motto für die ersten Regierungsjahre des Kaisers, gerade um ihn gegen den mit Blick auf Tortona erhobenen Vorwurf zu verteidigen, er sei kein gerechter Richter?“ Ähnlich argumentiert auch Hartmut Boockmann: Ghibellinen oder Welfen, Italien- oder Ostpolitik. Wünsche des deutschen 19. Jahrhunderts an das Mittelalter. In: Italia e Germania. Imagini, modelli, miti fra due popoli nell’ Ottocento: Il Medioevo. Das Mittelalter. Ansichten, Stereotypen und Mythen zweier Völker im neunzehnten Jahrhundert: Deutschland und Italien. Hrsg. von Reinhard Elze/Pierangelo Schiera, Bologna, Berlin 1988, S. 127–150, hier S. 140, wenn er die nicht gewährte Gnade als unangenehmen Zwischenfall und Ottos Ausführungen als im Nachhinein gelieferte Entschuldigung interpretiert. Eine verdeckte Kritik Ottos an Friedrich Barbarossa sieht hier Reinhard Schneider: Implizierte Normen königlichen Handelns und Verhaltens – Herrschaftspraxis in Abhängigkeit von ungeschriebenen Leitvorstellungen. In: Prozesse der Normbildung und Normveränderung im mittelalterlichen Europa. Hrsg. von Doris Ruhe/Karl-Heinz Spiess, Stuttgart 2000, S. 203–216, S. 211. 24 Hoc tam districto iudicio per totam Transalpini imperii latitudinem promulgato tantus omnes terror invasit, ut universi magis quiescere quam bellorum turbine inservire vellent. („Als dieses strenge Urteil im ganzen transalpinischen Reich verbreitet wurde, befiel alle ein solcher Schreck, daß sie lieber Frieden halten, als sich auf Kriegswirren einlassen wollten.“; Gesta II, 48, S. 378 f.)





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Es gibt nämlich ein Gesetz des Hofes, daß jeder aus dem Stande der Fürsten, der sich den Zorn seines Kaisers zuzieht und eine Buße zahlen muß, hundert Pfund verwirkt hat, die übrigen Männer geringeren Standes, Edle, Freie und Ministerialen, zehn. (Gesta II, 46, S. 374 f.)25

Anstelle von Vergehen wird hier der Zorn des Herrschers als Grund für Bußstrafen angeführt und erscheint derart eher als Institution denn als ausagiertes Gefühl.26 Zugleich wird so dem Gesetz ein Moment von Unvorhersagbarkeit eingeschrieben, das Hilda Grassotti ähnlich für die kastilisch-leonische Institution der ira regia (I. R.) beschreibt: „Der I. R. zu verfallen, setzte kein Verbrechen voraus: es genügte, den Unwillen oder Groll des Königs erregt zu haben, aus Gründen, die durch keine wirkliche Schuld bedingt waren“.27 Das Gesetz wird derart an die Person Friedrich Barbarossas und deren Urteilsvermögen gebunden. Die Unberechenbarkeit fördert die Drohfunktion: Wenn man nicht genau weiß, wofür eine Strafe droht, lebt man in ständiger Furcht, hinterfragt das eigene Verhalten umso mehr und wird so leichter lenkbar.28 Dieser dem Gesetz implizite Drohmechanismus lässt sich anhand der Konflikte in Italien konkreter und detaillierter verstehen. Denn erst hier, wo Friedrich Barbarossas Herrschaft noch nicht institutionalisiert ist, werden zentrale Voraussetzungen für eine gelungene Machtausübung durch Zorn offenbar. Im Hinüberschwenken von den deutschen Gebieten nach Italien nimmt der Text zugleich einen Perspektivwechsel vor. Herrscherzorn kommt nicht mehr als Formulierung im Gesetz vor, sondern gerät in seiner Wirkung auf die Feinde in

25 Das Motiv des Zahlens wird auch im Umgang mit den italienischen Städten relevant. Hier zeigt es, dass diese noch nicht dem Herrschaftsbereich zugehörig sind. Zum einen schließen sie sich – wie zum Beispiel Spoleto – selbst aus, weil sie die im Text mehrfach mit ius und iustitia in Verbindung gebrachten Abgaben an den König nicht leisten. Zum anderen akzeptiert Friedrich Barbarossa von den Mailändern keine Bußzahlungen (siehe Gesta II, 18, S. 314 f.) und auch von den Räubern vor Verona nimmt er kein Geld an (siehe Gesta II, 42, S. 370 f.). Sie dürfen nicht zur Besänftigung des Herrscherzorns bezahlen, werden also nicht als zugehörig angesehen. 26 Dies ist anders als von Orning, Unpredictibility, für norwegische Sagas festgestellt. 27 Siehe dazu Hilda Grassotti: Ira Regia. In: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München, Zürich 1991, Sp. 643 f., hier Sp. 644. 28 Auch die allgemeinen Friedensgesetze, die Friedrich in Roncaglia erlässt und die Rahewin wiedergibt, enthalten einen Abschnitt, in dem die Strafe mit dem Zorn des Herrschers begründet wird: Receptoribus etiam malefactorum, qui predictam pacem violaverint, et ementibus nostre indignationi subiciendis et eadem pena feriendis. („Wer Übeltäter, die den vorgenannten Frieden verletzen, aufnimmt oder von ihnen etwas kauft, soll unserem Zorn verfallen und ist mit der gleichen Strafe zu belegen.“; Gesta IV, 10, S. 530 f.) Hier sorgt der Zorn des Herrschers weniger für Unvorhersagbarkeit, denn sowohl das Vergehen als auch die Strafe werden genau bestimmt. Es scheint eher darum zu gehen, das Gesetz über Zorn an die Person des Herrschers zu binden.



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den Blick. So zeigt die Angst vor der ira principis an, wie weit die dauerhafte Etablierung von Herrschaft fortgeschritten ist. In Mailand als der aufsässigsten von Italiens Kommunen besteht zunächst keine Furcht vor dem Zorn des Herrschers: Porro, ut in rebus caducis ex arridentis fortune blandimento fieri solet, rebus secundis elata in tantam elationis extumuit audaciam, ut non solum vicinos quosque infestare non refugiat, sed et ipsius principis maiestatem non reformidando eius ausa fuerit incurrere recenter offensam. Wie es aber nun zu geschehen pflegt, wenn einem in der Vergänglichkeit das Glück lockend lächelt, wurde sie [die Stadt Mailand; E. F.] durch ihre Erfolge übermütig, und ihre Kühnheit schwoll schließlich so übermäßig an, daß sie sich nicht scheute, alle ihre Nachbarn anzugreifen, ja sogar ohne jede Ehrfurcht vor der Majestät des Herrschers dessen Unwillen von neuem zu erregen wagte. (Gesta II, 15, S. 310–313)

Auf diese mangelnde Ehrfurcht reagiert Friedrich Barbarossa mit Zorn und einem Angriff Mailands. Dabei spielt die Unberechenbarkeit der Emotion eine wichtige Rolle, denn indem Otto Friedrichs Zorn dreifach motiviert, macht er den eigentlichen Auslöser der Emotion zugleich schwerer greifbar: Dumque a prenominatis consulibus per arida, ubi nec stipendia inveniri nec ex mercatu haberi possent, circumduceretur loca, indignatione motus, iussis primo, ut ad propria redirent, consulibus, in Mediolanenses arma convertit. Accessit ad huius indignationis cumulum, quod ex maxima imbrium effusione totus exacerbatus fuisse dicitur exercitus, ut ex hac duplici, inedie videlicet et celi inclementie, molestia cuncti, prount poterant, principem adversus eos conciterant. Alia itidem huius commotionis causa non parva fuit, quod princeps temeritatis illorum in hoc tumorem presenserat, quod non solum civitates, quas destruxerant, reedificari pati nollent, quin etiam ad iniquitatis illorum assensum ipsius nobilem et incorruptum hactenus animum pecunia inclinare ac corrumpere satagebant. Doch als er von den Konsuln durch unfruchtbare Gegenden umhergeführt wurde, wo man Nahrungsmittel weder finden noch kaufen konnte, da befahl er den Konsuln heimzukehren und wandte sodann zornentbrannt die Waffen gegen die Mailänder. Es steigerte seinen Zorn noch mehr, daß das ganze Heer infolge überaus starker Regengüsse so erbittert gewesen sein soll, daß wegen dieser doppelten Belastung durch Hunger und schlechtes Wetter alle, soviel sie konnten, den König gegen sie aufhetzten. Eine weiter nicht unbedeutende Ursache dieser Erbitterung war, daß der König schon ihren aufgeblasenen Übermut erkannt hatte, denn sie wollten nicht nur den Wiederaufbau der von ihnen zerstörten Städte nicht dulden, sondern versuchten sogar, seinen Edelmut und seine bisherige Unbestechlichkeit durch Geld wankend zu machen und zu verführen, ihre Ungerechtigkeit gutzuheißen. (Gesta II, 18, S. 314 f.)

Die Emotion folgt an dieser Stelle nicht genau kalkulierbaren „Spielregeln der Politik“, die zweckorientiert und eindeutig nachvollziehbar sind, sondern wird





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mit Mehrdeutigkeiten und Unsicherheiten versehen.29 Statt seinen Zorn auf die Konsuln von Como und Lodi zu richten, die ihn und sein Heer hungern lassen, wendet Friedrich sich gegen Mailand. Zudem wird die Empörung durch einen so großen Unsicherheitsfaktor wie das Wetter gesteigert und dann auch noch indirekt über die Aufstachelung des Heeres. Letztlich erweist sich zudem die sonst übliche Praxis, Geld zur Besänftigung des herrscherlichen Zorns zu bezahlen, als nutzlos, ja wirkt im Gegenteil sogar noch den Unmut verstärkend. Damit wird die Emotion so an die Person Friedrichs und die besondere Situation zurückgebunden, dass eine Spannung zwischen Berechenbarkeit und Unberechenbarkeit entsteht, die Zorn gerade zu einem solch wirksamen Machtinstrument werden lässt. Einerseits orientiert er sich an allgemein gültigen Normvorstellungen, die jeder kennt und einhalten sollte: Wenn ich dies oder jenes begehe, habe ich mit dem Zorn des Herrschers zu rechnen und erhalte die entsprechende Strafe. Andererseits wird über die Unberechenbarkeit herrscherlichen Zorns eine Atmosphäre der Furcht und Unsicherheit etabliert, die Untergebene oder zu Unterwerfende erst gefügig macht.30

29 Siehe Gerd Althoff: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde. Darmstadt 1997. Siehe ebenso Görich, Ehre, S. 14: „wir wissen, daß nach der Vorstellung der Autoren die Äußerung von Zorn und Trauer ihren wohldefinierten Platz im politischen Geschehensablauf hatte, daß es Konventionen über die Formen gab, in denen Zorn geäußert und wie und wann er gezeigt wurde. Seine öffentliche Demonstration […] war eine Technik der Machtausübung.“ 30 Siehe dazu auch Orning, Unpredictability. Eine ähnliche mehrfache Motivierung von Herrscherzorn sowie die enge Verknüpfung der Emotion mit Gewalt kennzeichnet auch die Auseinandersetzung mit Spoleto: Peractis ibi aliquot diebus, cum fodrum a vicinis civitatibus et castellis et oppidis exquireretur, Spoletani indignationem principis incurrunt. Dupliciter enim peccaverant, cum DCCCarum librarum facti essent obnoxii, partim defraudando, partim falsam monetam dando. Audaxit huius indignationis cumulum, quod Guidonem comitem cognomento Guerram, inter omnes Tuscie procures opulentiorem, de Apulia in legatione imperatoris ad ipsum redire volentem, in sua civitate hospitatum, comprehendere captumque tenere ausi sunt. Quodque his peius erat, preceptum principis eum relaxari iubentis contempserunt. Imperator ergo plus de captivitate proceris sui quam de fraudatione pecunie motus in Spoletanos transtuit arma. („Als er sich einige Tage dort aufgehalten hatte und von den benachbarten Städten, Burgen und Flecken das Fodrum eingetrieben wurde, zogen die Spoletaner den Zorn des Kaisers auf sich. Denn zweifach hatten sie gefehlt, indem sie, zur Zahlung von 800 Pfund verpflichtet, das Geld teils unterschlugen, teils in falscher Münze zahlten. Es steigerte diesen Zorn, daß sie es wagten, den Grafen Guido mit dem Beinamen Guerra, den reichsten von allen Großen Tusciens, gefangenzunehmen, als er von Apulien als Gesandter des Kaisers zu diesem zurückkehren wollte und in ihrer Stadt herbergte, und in Haft zu halten. Und noch schlimmer war es, daß sie dem Befehl des Kaisers, ihn freizulassen, nicht gehorchten. Der Kaiser, mehr über die Gefangenhaltung eines seiner Großen erzürnt als



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Dass der Angriff Mailands erfolgreich ist, zeigt sich kurz darauf, als die Angst vor dem Zorn des Königs nun das Handeln der zuvor wenig eingeschüchterten Stadtbewohner bestimmt: Mediolanenses non solum dampno presentium, sed et metu futurorum stupefacti Girardi consulis, tamquam huius mali auctoris, domum principis iram mitigaturi, diruunt. At princeps huius rei nichil pensi habens ad Ticinum usque amnem, maiores his clades irrogaturus, procedit. Die Mailänder waren nicht nur durch den gegenwärtigen Verlust erschreckt, sondern sorgten sich auch wegen der Zukunft, und, um den Zorn des Königs zu beschwichtigen, zerstörten sie das Haus des Konsuls Girard als des Urhebers dieses Unheils. Dem König aber war dies völlig gleichgültig; er rückte bis an den Tessin vor in der Absicht, ihnen noch schwerere Niederlagen zu bereiten. (Gesta II, 19, S. 316 f.)

Indem Herrscherzorn in der Vorstellung der Feinde zunächst als unwirksam und dann als wirkungsvoll imaginiert wird, rückt die Tatsache in den Vordergrund, dass er sich erst durch Gewalt Geltung verschaffen muss. Dies zeigt sich auch bei der Belagerung Tortonas: Erat autem predicta arx non solum suis viribus, sed etiam Mediolanensium fortitudine et vicinorum baronum, quorum unus marchio Opicius cognomento Malaspina fuit, presidiis munita obque tante opis confidentiam ad propellendam principis iram instrui ausa. Die Burg wurde aber nicht nur durch ihre eigenen Mannen, sondern auch durch die Truppen der Mailänder und Besatzungen benachbarter Barone, deren einer der Markgraf Opizo mit dem Beinamen Malaspina war, verteidigt; im Vertrauen auf diese starken Streitkräfte wagte man anzuordnen, sie sollten den Angriff des Herrscherzorns [Änderung der Übersetzung, E. F.] abschlagen. (Gesta II, 22, S. 320 f.)31

Ähnlich wie die Mailänder erweisen sich auch die Einwohner von Tortona zunächst als resistent gegen den Zorn des Herrschers, indem sie auf ihre militärische Stärke vertrauen. Friedrich Barbarossa wird in der darauf folgenden intensiven militärischen Auseinandersetzung nicht zornig dargestellt, aber die Wucht des Angriffs ruft die Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft jäh wieder ins Gedächtnis der Belagerten:

über die Unterschlagung des Geldes, richtete nun seine Waffen gegen die Spoletaner.“; Gesta II, 37, S. 358 f.) 31 Dies ist eine der wenigen Stellen, an denen ich nicht der Übersetzung von Schmidt folge, da er principis iram zu „des erzürnten Königs“ personalisiert. Im hier fokussierten Zusammenhang ist aber gerade die Nuancierung des Originals wichtig, das vom Zorn des Herrschers spricht.





4.1 Otto von Freising 

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Urgentur iaculis, urgentur balistis, quodque his gravius est, propria remordentur coscientia, eo quod proprio principi rebellando, quicumque ex eis deprehensi fuissent, patibuli, quod inpresentiarum erectum cernebant, expectabant supplicium. Sicut enim est magna miseris tyrannice obviantibus immanitati consolatio conscientie spes, sic e converse tali principi, qui non solum legittimus iudex, sed et pius presul dici potest, reluctari conantibus miserie miseriam cumulate contra conscientiam debite sententie metus. Sie wurden überschüttet mit Wurfspeeren, überschüttet mit Schleudersteinen, und, was schlimmer ist als dies, sie litten Gewissensbisse, weil sie sich gegen ihren eigenen König empört hatten und nun alle, die gefangengenommen würden, erwarteten, zur Strafe an den Galgen gehängt zu werden, den sie mit eigenen Augen vor sich aufgerichtet sahen. Denn während für die Unglücklichen, die sich der Unmenschlichkeit eines Tyrannen widersetzen, ihr gutes Gewissen ein großer Trost ist, häuft im Gegensatz dazu bei denen, die gegen einen solchen Fürsten zu kämpfen wagen, der nicht nur ein rechtmäßiger Herrscher, sondern auch ein gütiger Vorgesetzter genannt werden kann, gegen ihre bessere Einsicht die Furcht vor der verdienten Strafe Elend auf Elend. (Gesta II, 23, S. 322 f.)

Diese Schilderung setzt Friedrich Barbarossa im Bewusstsein seiner Feinde wieder als proprio principi, legittimus iudex und pius presul ein. Dabei wird das äußere Einprasseln von Speeren und Steinen mit dem inneren Einsetzen von Gewissensbissen parallel gesetzt. In dem Maße wie die Bewohner Tortonas Gewalt erleiden, erkennen sie, wer ihr rechtmäßiger Herrscher ist. Hatten sie zuvor keine Angst vor dem Zorn des Herrschers, so bekommen sie nun dessen militärische Macht zu spüren.32 Anhand der Darstellung von Friedrichs Verhalten in Italien lässt sich rekonstruieren, wodurch Herrscherzorn ursprünglich seine drohende Wirkung bezieht: Er ist unberechenbar und geht mit unerbittlicher Gewalt einher. Erst wenn dieser Zusammenhang den Aufrührern klar geworden ist, unterwerfen sie sich Fried-

32 Einen abschließenden kurzen Rekurs auf den Zorn des Herrschers liefert die Rede der Geistlichen von Tortona, die Friedrich entgegenziehen, um sich zu ergeben: Numquid ex federe seditiose civitatis iram principis incurrimus? („Haben wir uns etwa mit der aufrührerischen Stadt [Mailand; E. F.] verbündet und dadurch den Zorn des Königs erregt?“; Gesta II, 26, S. 330 f.) Diese rhetorische Frage – es waren ja nicht die Geistlichen, sondern die anderen Bewohner von Tortona – ruft nochmals die mangelnde Furcht vor dem Zorn des Herrschers als ein zentrales Versagen der italienischen Stadtbewohner ins Gedächtnis. Daraufhin demonstriert Friedrich gegenüber den Geistlichen von Tortona gegen sein inneres Gefühl äußerlich beharrliche Strenge: Cognitis his princeps animum quidem intus ad misericordiam flexum presensit, sed dissolutionis suspicionem vitans extra eum in prioris severitatis constantia servavit, illis, ut ad arcem redeant, iussis. („Als der König dies erfuhr, fühlte er im Innern zwar sein Herz zum Mitleid geneigt, aber um den Verdacht der Schwäche zu vermeiden, beharrte er nach außen hin standhaft auf seiner bisherigen Strenge und befahl jenen, in die Burg zurückzukehren.“; Gesta II, 27, S. 334 f.)



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richs Herrschaft. Anders als im Rolandslied ist Zorn hier nicht als Aura vorgestellt, die dem Herrscher im Umgang mit den Feinden anhaftet wie ein besonderer Glanz, sondern die Angst vor dem Zorn des Herrschers muss sich erst durch eine Praxis der Gewalt Geltung verschaffen. Gleichzeitig findet auch bei Otto eine strukturelle Angleichung von Gotteszorn und Herrscherzorn statt. So wird Herrscherzorn sowohl im Gesetz an Friedrichs Hof als auch in den Auseinandersetzungen mit den italienischen Städten nie als verkörperter geschildert, Zorngesten und -symptome am Herrscherkörper werden vollkommen ausgespart.33 Die Emotion interessiert immer nur in Hinsicht auf ihre verheerenden Folgen für die Gesetzesübertreter. Zorn steht nicht als Emotion in seiner Wirkung auf den Zornigen, sondern als Ordnungsprinzip im Mittelpunkt, was ihn letztlich dem Zorn Gottes bei Laktanz und Johannes von Salisbury ähnlich macht. Dieser gleicht eher einer Institution als einem menschlichen Gefühl. Eine weitere Besonderheit im Sprechen über Friedrichs Zorn unterstützt diese Deutung: So tritt in Ottos Teil der Gesta Frederici die Vorstellung, dass Zorn lenkbar ist, dreimal auf – einmal im Bezug auf den Zorn Gottes und zweimal zur Charakterisierung von Friedrichs Zorn. Als auf dem Weg nach Italien Friedrichs Heer beim Durchqueren der Engpässe in den Bergen einige heilige Stätten verletzt, veranlasst der Herrscher eine Kollekte zur Reparatur der Schäden, um den Zorn Gottes von den Seinen abzulenken: [P]ulchre communi utilitati consulens, pulchre rectoris officium implens, ut maxima adorsurus negotia ante omnia rectorem et plasmatorem omnium, sine quo nichil bene inchoatur, nichil prospere consummatur, placandum eiusque offensam a populo suo avertendam intenderet.

33 Eine abweichende Inszenierung bietet die Begegnung Friedrich Barbarossas mit den Römern. Sie weist zugleich auf Rahewins Darstellung von Zorn und iustitia voraus. Als Friedrich vor Rom liegt, um bald die Kaiserkrone entgegenzunehmen, tritt ihm eine Gesandtschaft der Römer entgegen, bietet ihm die Herrschaft an, verlangt aber als Gegenleistung ein Schutzgelübde und Geldzahlungen an Beamte. Friedrich wird, bevor er auf diese Provokation antwortet, als iusta indignatione inflammatus („empört“; Gesta II, 32, S. 346 f.; wörtlicher: in gerechter Empörung entflammt) bezeichnet und seine Sprechweise, nachdem er seine Antwort beendet hat, als non sine condigna mentis indignatione („in berechtigter Empörung“; Gesta II, 33, S. 352 f.) charakterisiert. Während Otto Zorn und iustitia in der übrigen Darstellung nur vermittelt aufeinander bezieht, findet hier zum ersten Mal eine sprachliche Amalgamierung von Zorn und iustitia statt. Gleichzeitig wird mit inflammatus die emotionale Affizierung des Herrschers deutlicher gemacht als sonst. Auch die Erwähnung von mentis koppelt die Empörung noch deutlicher an die Person des Herrschers als dies in den bisher analysierten Szenen der Fall ist.





4.1 Otto von Freising 

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[D]amit sorgte er vorbildlich für das allgemeine Beste und erfüllte vorbildlich die Pflicht eines Führers, indem er, im Begriff, große Unternehmungen zu beginnen, vor allem danach strebte, den Lenker und Bildner des Alls, ohne den nichts glücklich begonnen wird, zu versöhnen und seinen Zorn von seinem Volke abzuwenden. (Gesta, II, 12, S. 304 f.)

Der Zorn Gottes erscheint hier wie eine dauerhafte Einrichtung, die man auf sich ziehen oder von sich ablenken kann, die aber unabhängig davon immer besteht. Eine Formulierung wie ‚den Zorn Gottes erregen‘ hätte den gegenteiligen Effekt, indem sie den vorübergehenden, spontanen Charakter betonte. Parallel dazu schreibt Otto über Friedrichs Zorn gegen Mailand: Non tamen post, […] consilium mutavit et ad compescendam Mediolanensium contuma / ciam iram convertit. („Nicht lange danach änderte er aber seinen Plan […] und richtete nun seinen Zorn auf die Zähmung des Trotzes der Mailänder.“; Gesta II, 52, S. 384 f.) Auch diese Formulierung suggeriert, dass der Zorn des Herrschers nicht einmalig wegen eines ganz bestimmten Vergehens gegen eine gewisse Person oder Gruppe entsteht, sondern als dauerhafte Einrichtung gegen diesen oder jenen gewendet werden kann.34 Die andere Stelle, die vom lenkbaren Zorn des Herrschers spricht, imaginiert diesen als abwendbaren. So beenden die Veroneser ihre auf dem Reichstag in Regensburg an Friedrich Barbarossa gerichtete Rede folgendermaßen: Recipiat ergo bonus princes devoti populi sui purgationem innocentie et convertat indignationis sui aeculos contra Medionlanensium et Romanorum superbiam. („Möge also der gütige Fürst die Rechtfertigung der Unschuld seines ergebenen Volkes annehmen und die Stacheln seines Zorns gegen den Übermut der Mailänder und Römer richten.“; Gesta II, 47, S. 376 f.)35 Die Inszenierung von Herrscherzorn im zweiten Buch zeichnet sich also dadurch aus, dass sie die Emotion zugleich mit Personalisierungs- und Institutionalisierungstendenzen versieht.36 An die Person des Herrschers bindet Zorn insbesondere, dass er als unberechenbar gezeigt wird. Der Institutionscharakter von Zorn wird hingegen dadurch herausgestellt, dass er in Gesetzen diskursiviert und als dauerhafte Einrichtung sprachlich umgesetzt wird.

34 Ähnlich verhält es sich mit der Formulierung ‚den Zorn des Herrschers auf sich ziehen‘ (indignationem incurrere) aus der Perspektive der Gegner. Siehe dazu Gesta II, 10, S. 300 f.; II, 15, S. 312 f. (hier: offensam incurrere) sowie II, 37, S. 358 f. 35 Die Stachelmetapher charakterisiert den Herrscherzorn als für andere äußerst unangenehmes, physisch spürbares Phänomen, das es unbedingt zu vermeiden gilt. Dadurch wird er erneut als wirksames Drohinstrument anschaulich gemacht. 36 Zu einem anderen Ergebnis kommt Orning, Unpredictability, der Zorn in norwegischen Sagas als rein an die Person gebundenem Phänomen die Gegenposition zu einer Pser von Herrschaft einräumt.



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

4.1.3 Herrschaftsgeschichte als Verlagerung von Zorn erzählen Zorn ändert sich von einem Buch zum anderen hauptsächlich hinsichtlich seiner Funktionalisierung. Wird er zuvor häufig als kollektive, Einheit stiftende Emotion gezeigt, die sich von unten nach oben richtet, so entwickelt er sich unter Friedrich Barbarossa zur Emotion des Herrschers, mit deren Hilfe dieser seine Machtinteressen gegen die lombardischen Städte durchsetzt.37 Dabei wird Zorn in einem Spannungsverhältnis zwischen Personalisierung und Institutionalisierung gehalten. Er erscheint zugleich als situationsgebundene, unberechenbare Reaktion des Herrschers und als Gesetzesformel, die einen Preis zum Ausgleich festsetzt. Auch die Ähnlichkeit mit dem Zorn Gottes fördert den Institutionscharakter. Damit einhergehend ändern sich die für Zorn angeführten Metaphern. Während in der Zeit vor Friedrich Barbarossa Metaphern vorherrschen, die die Wirkung der Emotion auf die Zornigen selbst ins Bild setzen (Samenkorn, Blutegel, Ein-Körper-Metapher), kommen zur Inszenierung von Zorn unter Friedrich Barbarossa weit weniger Metaphern zum Einsatz und wenn, dann sind es solche, die den institutionellen Charakter und gerade nicht die Spontaneität der Emotion betonen (den Herrscherzorn auf jemanden lenken, den Herrscherzorn auf sich ziehen). Das Bild vom Zorn, der seine Stacheln spüren lässt, rückt zudem die Wirkung auf andere in den Mittelpunkt. Herrscherzorn interessiert nicht so sehr in seinem Effekt auf den Zornigen selbst, sondern vielmehr in seiner Funktion als Macht generierende Drohung.38 Die Erkenntnis von der Unterschiedlichkeit beider Zorn-Darstellungen führt auf die Debatte über das Verhältnis beider Bücher zurück. Dieses ist ausgehend von der Zorn-Darstellung weder als völlig disparates zu sehen, noch geht es alleine in einem typologischen Verweiszusammenhang auf.39 Der Text stellt nicht einfach zwei Konzeptionen von Zorn gegenüber, sondern konstruiert sie als

37 Die Emotion wird kaum noch als kollektive Reaktion imaginiert. Eine Ausnahme bildet die Wut des Volkes bzw. das wütende Volk (plebis furori; Gesta I, 13, S. 154 f.; furente populo; Gesta II, 34, S. 354 f.). Diese Form der kollektiven Emotion erscheint in allen Herrschaftsepochen gleichermaßen. Dabei geht es aber weniger um die vereinigende Kraft von Zorn als um den Aspekt des Wütens. 38 Anders ist dies bei der Metapher vom Entflammen im Zorn, die übergreifend vorkommt (siehe inflammatus in Gesta I, 11, S. 150 f. und II, 32, S. 346 f.), allerdings bei Heinrich V. negativ und bei Friedrich positiv eingebunden wird. 39 Für eine Interpretation, die das erste und das zweite Buch als disparate Teile ansieht, siehe Hageneier, Die frühen Staufer, S, 384. Für eine Deutung, die einen typologischen Zusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Buch vorschlägt, siehe Bagge, Ideas.





4.1 Otto von Freising 

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historische Abfolge von zwei unterschiedlichen Herrschaftskonzepten. Dies lässt sich wiederum an der Formulierung vom einen Körper (tamquam in unum corpus) nachvollziehen: Wird sie im ersten Buch fast ausschließlich zusammen mit Zorn verwendet,40 kommt sie im zweiten Buch nur an einer einzigen Stelle, bei der Wahl Friedrich Barbarossas zum König, vor: No / nas Martii, id est tertia feria post Oculi mei semper, in oppido Franconefurde de tam inmensa Transalpini regni latitudine universum, mirum dictu, principium robur non sine quibusdam ex Italia baronibus tamquam in unum corpus coadunari potuit. Ubi cum de eligendo principe primates consultarent – nam id iuris Romani imperii apex, videlicet non per sanguinis propaginem descendere, sed per principum electionem reges creare, sibi tamquam ex singulari vendicat prerogativa  –, tandem ab omnibus Fredericus Suevorum dux, Frederici ducis filius, petitur cunctorumque favore in regem sublimatur. [So; E. F.] konnte am 4. März, am Dienstag nach Okuli in Frankfurt wunderbarerweise trotz der ungeheuren Ausdehnung des transalpinen Reiches der bedeutendste Teil der Fürsten einschließlich einiger Barone aus Italien gewissermaßen zu einem Leibe vereinigt werden. Als dort die Fürsten über die Wahl des Königs berieten – denn dieses Recht, nämlich daß das Königtum sich nicht nach Blutsverwandtschaft vererbt, sondern daß die Könige durch Wahl der Fürsten eingesetzt werden, beansprucht das römische Reich als sein besonderes Privileg – wurde schließlich Herzog Friedrich von Schwaben, der Sohn des Herzogs Friedrich, von allen gefordert und durch die Gunst aller zum König gewählt. (Gesta II, 1, S. 284 f.)

In der Wahl erscheinen die Fürsten zum letzten Mal als zu einem Körper vereinte Gruppe, die Friedrich Barbarossa einstimmig zu ihrem König wählt. Der Text lässt gleichzeitig Zorn auf den Herrscher übergehen, indem er fast keinen Zorn von Kollektiven mehr zeigt, sondern ab hier hauptsächlich den Herrscher im Zorn. Ein Zusammenhang von Zorn und Genealogie findet nun auch keinerlei Erwähnung mehr. Vielmehr stellt Otto bei der Wahl Friedrich Barbarossas zum König als besonders heraus, dass im Römischen Reich Herrschaft durch Wahl und nicht durch Vererbung nach Blutsverwandtschaft weitergegeben wird (siehe Gesta II, 1, S. 284 f.). Die Tötung des ältesten Sohnes bedeutet innerhalb eines solchen Systems keine große Gefahr für die Kontinuität von Herrschaft. Dement-

40 Eine Ausnahme bildet die Verwendung der Metapher vom einen Körper in der Beschreibung Ungarns. Hier ist nicht von Zorn die Rede, aber von einem Zusammenstehen im Kampf: Si quando vero exercitum rex ducere voluerit, cuncti sine contradictione quasi in unum corpus adunantur. („Wenn der König einmal einen Kriegszug unternehmen will, vereinigen sich alle zu einem Körper.“; Gesta I, 33, S. 194 f.) Die Gefügigkeit Ungarns wird ausführlich als Gegenbild zur Aufsässigkeit der Italiener entworfen. Dass sich die Ungarn für ihren Herrscher im Kampf zu einem Körper vereinen, ist nur ein Detail in einer langen Liste an Vorzügen gegenüber den Italienern (siehe Gesta I, 33, S. 194 f.).



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sprechend gibt sie auch keinen Anlass mehr zu Zorn. Der Konnex von Genealogie und Zorn ist demnach im zweiten Buch aufgehoben oder wird zumindest nicht mehr erwähnt. Damit entwerfen die Gesta Frederici Ottos von Freising über die Darstellung von Zorn die eigene Zeit als Wendepunkt, an dem Herrschaftskonzepte sich ablösen, Stellungen von Herrschern und Emotionen in der Ökonomie der Macht sich verändern. Zorn ist somit nicht nur eng mit der Durchsetzung von Macht in den dargestellten Konflikten verbunden, sondern dient über die Dynamisierung von Herrschaftskonzepten auch zur Konstruktion von Geschichte im Sinne eines historischen Ablaufes. Sinnbildlich kommt der „Körper“ (corpus) dabei vor allem als Metapher für Gruppen vor, der zornige Herrscherkörper bleibt hingegen ausgespart.

4.2 Rahewin Rahewin folgt insofern Ottos Entwurf, als auch er ab dem dritten Buch zorniges Verhalten als eine zentrale Eigenschaft Friedrich Barbarossas behandelt. Dies geschieht im Wesentlichen innerhalb von zwei Konflikten: bei der Unterwerfung der italienischen Städte sowie im Streit mit Papst Hadrian IV. Zugleich durchbricht Rahewin Ottos Konzeption von Zorn und Herrschaft auf mehrfache Weise.41 Erstens greift er Zorn-Inszenierungen auf, die bei Otto der Zeit vor Friedrich Barbarossa vorenthalten sind – insbesondere die Wirkung von Zorn als Gruppen vereinende Kraft –, und vernachlässigt derart die von Otto konstruierte historische Abfolge. Zweitens nimmt er den Zusammenhang von Zorn und der dauerhaften Etablierung von Macht nicht auf. So sind weder die Geltung von Regeln bei Abwesenheit des Herrschers noch die Angst vor dem Zorn des Herrschers als Indikatoren dafür, inwieweit Herrschaft institutionalisiert ist, ein Thema. Darüber hinaus macht er keinen Unterschied darin, wie Friedrich mit seinen eigenen Leuten und den abtrünnigen Städten Italiens umgeht. Strenge und Zorn kommen jeweils in beiden Verhältnissen vor.42 Drittens rückt er den Körper des Herrschers mehr in

41 Es gibt zentrale Unterschiede zwischen Rahewin und Otto als Autoren der Gesta Frederici, die sich auch auf die jeweilige Gestaltung von Zorn und Herrschaft auswirken. Grundsätzlich sind hier die verschiedenen Formate der beiden Gelehrten zu nennen, die eine jeweils andere Erzählhaltung zur Folge haben: Während Otto selbst in politische Konflikte und Entscheidungsprozesse involviert war, blieb Rahewin auf die Beobachterposition mit wenigen eigenen Einblicken festgelegt. Dadurch ist Rahewin auf Briefe und Dokumente angewiesen, von denen er weit mehr in den Text einfügt als Otto (siehe dazu ebenfalls Deutinger, Rahewin, S. 26, 94). 42 Schreibt Otto Friedrich im Umgang mit den eigenen Leuten konsequent keinen Zorn, sondern Strenge zu, so findet sich bei Rahewin eine Stelle, die den Herrscher zornig zeigt, weil einige



4.2 Rahewin 

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den Fokus, schildert also auch Symptome und Gesten, wohingegen er die Parallelsetzung von Herrscherzorn und Zorn Gottes zurücknimmt. Damit einhergehend ist bei ihm das Bestreben, Herrscherzorn als Institution erscheinen zu lassen, weniger ausgeprägt als bei Otto. Insgesamt leitet ihn ein vollkommen anderes Interesse als seinen Vorgänger. Während jener Zorn als Macht förderndes Drohinstrument in ein übergeordnetes Herrschafts- und Textkonzept integriert, ist Rahewins Entwurf von einer grundsätzlichen Diskrepanz gekennzeichnet: Einerseits etabliert er ein Idealbild legitimer Herrschaft, deren Bestehen gerade nicht primär auf Zorn beruht. So stellt er den Zorn des Herrschers – insbesondere in Italien – als letzte Option dar, die nur dann zum Einsatz kommt, wenn alle anderen Strategien versagen. Andererseits ist Friedrich Barbarossas Zorn sowohl im Umgang mit den italienischen Städten als auch in der Auseinandersetzung mit dem Papst als unumgängliches Faktum präsent.43 Die Überformung der Emotion mithilfe eines herrschaftlichen Legitimationsvokabulars übernimmt er dabei von Friedrich Barbarossas Kanzlei selbst.44

4.2.1 Herrscherzorn als letztes Mittel in Italien Friedrichs Zorn erscheint deshalb als letztes Mittel im Umgang mit den italienischen Städten und insbesondere mit Mailand, weil Rahewin zunächst viele Stadien des Konfliktes schildert, ohne je die Emotion als gegen die Feinde gerich-

seiner Soldaten unaufgefordert den Kampf aufnehmen (siehe Gesta III, 37, S. 472 f.). Desgleichen erwähnt Rahewin mehrfach Friedrichs Strenge in Italien, die er also nicht im Hinblick darauf differenziert, wie stark dessen Herrschaft etabliert ist. 43 Siehe dazu auch Deutinger, Rahewin, S. 119: „Man mag einen Zug von Realismus oder gar Individualismus darin sehen, daß Rahewin offenbar – d. h. soweit nachprüfbar – keine Eigenschaften, die der literarische Typ eigentlich erfordern würde, einer widerstrebenden Wirklichkeit einfach überstülpt; sondern auf eine Verankerung in der Realität achtet;“ Ebenso wenig scheint er eine Eigenschaft, die offenbar so genuin zu Friedrichs Politik gehört wie dessen Zorn, vernachlässigen zu wollen. 44 Siehe dazu Deutinger, Rahewin, S. 94: „Schon Otto hat in seinen beiden Gesta-Büchern Briefe inseriert, um die Darstellung zu untermauern oder teilweise auch um besonders anschauliche Texte die Darstellung der Ereignisse ersetzen zu lassen, doch beschränkte er sich auf Briefe, die ihm mehr oder weniger zufällig in die Hände geraten waren, wobei sich die Provenienz der Stücke nur selten eindeutig bestimmen läßt. Rahewin hingegen hat Dokumente systematisch gesammelt, wobei freilich nicht immer zu entscheiden ist, wieviel davon auf seine eigene Initiative zurückging und was ihm von anderer Seite planmäßig zur Verfügung gestellt wurde. Der größte Teil seiner Inserte stammt aus der kaiserlichen Kanzlei.“



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

tete zu erwähnen. So thematisiert die Ansprache Friedrichs, die zum Angriff Mailands aufruft, iustitia als leitende Handlungsmaxime und die Unversehrtheit des Reiches (imperii) als zu bewahrendes Gut (Gesta, III, 32, S. 462–464), wohingegen von Zorn keine Rede ist. Friedrich wird als Herrscher bezeichnet, „bei dem königliche Strenge sich mit jugendlicher Heiterkeit verband, so daß er gleichzeitig gefürchtet und geliebt zu werden verdiente“; Gesta III, 32, S. 436. Die Vorstellung, dass ein Herrscher Furcht erzeugen soll, wird hier zwar erwähnt. Dies geschieht aber – anders als etwa bei Laktanz – durch Strenge, nicht durch Zorn. Der erste Angriff Mailands wird als nicht von Emotionen geleitet, sondern als durch mehrere Rechtsverfahren abgesicherter geschildert (siehe Gesta III, 32 und 33, S. 464 f.).45 Sogar eine Verzögerung wird erwähnt, weil Friedrich den Mailändern noch eine Gelegenheit zum Einlenken geben möchte: „Denn der hochherzige Fürst war bereit, ihnen lieber Verzeihung zu gewähren, wenn sie sich besserten, als nach Verwüstung des Landes zum Schaden vieler über ein unglückliches Volk zu triumphieren“; Gesta III, 34, S. 466 f. Erst als all dies nichts hilft, belagert Friedrich die Stadt. Als die Mailänder nach vielen Angriffen, Toten und Verletzten um Frieden bitten, lenkt Friedrich sofort ein und Rahewin verbindet diese Nachsicht erneut mit einer allgemeinen Charakterisierung des Herrschers: Princeps pro regali mansuetudine, pro humanitate naturali cives civitati, civitatem civibus servare cupiens, gratum habebat, cognito populum de pace sentire, consilioque habito, cum videret omnium animos summa alacritate id appetere, de pacis pacto et conditione pertractat. Der Fürst, der in seiner königlichen Milde und angeborenen Menschenfreundlichkeit wünschte, die Bürger ihrer Stadt, die Stadt ihren Bürgern zu erhalten, war froh, als er erfuhr, daß das Volk an Frieden dachte, und als er im Kriegsrate sah, daß alle mit großem Eifer danach strebten, verhandelte er über den Abschluß und die Bedingungen des Friedens. (Gesta III, 50, S. 495)

Auffallend ist, dass Rahewin das Ausbleiben von Zorn und die Nachsicht des Herrschers mehrfach mit einer allgemeinen Charakterisierung von dessen Wesen koppelt. Er strebt ein Bild an, das den Kaiser als zwar durchsetzungsfähigen, aber friedfertigen und milden Menschen entwirft. So wird auch bei der öffentlichen Unterwerfung Mailands dem Kaiser eine gnädige Miene zugeschrieben (siehe Gesta III, 51, S. 500 f.). Der abschließende Friedensvertrag sieht vor, dass Mailand Geld bezahlt, wobei es darum geht, die Gnade des Herrschers wieder zu errei-

45 Auch Friedrichs Feldzug gegen Polen wird nicht als zorniger Akt, sondern als Ahndung von Rechtsverletzungen erzählt (siehe Gesta III, 2, S. 400 f.).



4.2 Rahewin 

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chen (siehe Gesta III, 50, S. 498 f.), nicht aber darum, seinen Zorn zu beschwichtigen. Ein zentraler Unterschied zu Otto besteht also darin, dass Rahewin Zorn gerade nicht als Mittel zur Erlangung und Erhaltung von Macht zeigt, sondern die Schilderung der Emotion zunächst vermeidet. Dies könnte als ein Verweis darauf gelesen werden, dass er Zorn zumindest nicht als naheliegendes legitimes Verhalten eines Herrschers ansieht. Erst als die Mailänder ihren Eid brechen, kommt es zu einer Schilderung von Friedrichs Zorn. Als dieser den erneuten Aufruhr Mailands vor Vornehmen des Abendlandes zur Sprache bringt, wird Zorn in seinem Gesicht ablesbar: exhibens vultum iusti doloris simul et regalis indignationi indicem („sein Gesicht trug zugleich das Kennzeichen berechtigten Schmerzes und königlicher Entrüstung“; Gesta IV, 25, S. 570 f.). Dem Verdacht einer negativen emotionalen Involvierung beugt Rahewin vor, indem er die Emotion jeweils mit einem Herrschaftsattribut versieht. Der Schmerz ist berechtigt (iustus), die Empörung königlich (regalis). Dementsprechend bezeichnet Friedrich Barbarossa den mailändischen Aufruhr als Majestätsbeleidigung und als Unrecht am Reich und begründet sein Vorgehen gegen die Mailänder mit dem kaiserlichen Machtanspruch und der Strenge der Gesetze. Darüber hinaus spricht er die Anwesenden als Glieder des römischen Reiches an und bezeichnet sich selbst als Haupt (siehe Gesta IV, 25, S. 572 f.). Indem sein eigenes Gesicht zuvor Zeichen von Zorn trug und ihm nun alle Anwesenden „wie von einem göttlichen Impuls angetrieben“ (ac velut impetu quodam divino incitati; Gesta IV, 26, S. 572 f.) zustimmen, überblendet die Inszenierung Kaiser und Fürsten und lässt sie zu einem Körper im Zorn werden, ohne jedoch die für Otto typische explizite Formulierung dafür zu wählen. Anders als im ersten Buch, in dem sich unterlegene Gruppen zu einer Einheit im Zorn gegen einzelne Herrscher zusammenfinden, entsteht eine Gemeinschaft im Zorn, an deren Spitze der Herrscher agiert. Damit wählt Rahewin eine vollkommen andere Inszenierungsform für den Zorn des Herrschers als Otto. Die Emotion macht hier nicht einzigartig, unberechenbar und dadurch für Feinde bedrohlich, sondern führt das eigene Lager als Einheit an. Im weiteren Verlauf der Kämpfe in Italien bleibt diese machtvolle Inszenierung von Herrscherzorn jedoch einzigartig. Als Friedrich erfährt, dass Mailänder die Burg Trezzo zerstört haben, ist zwar nochmals von seinem Zorn die Rede, diesem kommt aber keine einende oder effektiv konfrontierende Wirkung zu, sondern er wird von Friedrich kontrolliert: Hec audiens Fredericus paulisper mestus, iram cohibuit, indignationem dissimulavit, impetum militum continuit, curiam ante indictam apud Roncaliam gloriose celebravit et ibidem copiosam multitudinem bellatorum collegit. Deinde cum maxima cura ultum ire iniurias festinat



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

Als Friedrich dies hörte, war er eine Zeitlang betrübt; aber er unterdrückte seinen Zorn, verbarg seine Entrüstung, hielt die Angriffslust der Ritter im Zaum und feierte den zuvor angesagten Reichstag in Roncaglia mit Glanz und sammelte ebendort eine stattliche Menge Krieger um sich. Dann aber beeilte er sich, mit größtem Eifer die Beleidigungen zu rächen (Gesta IV, 38, S. 594 f.).

In der Zusammenschau damit, dass Rahewin zuvor Zornesschilderungen fast ganz vermeidet, ist diese Stelle als ein weiteres Indiz dafür zu lesen, dass er Zorn letztlich nicht als Macht förderndes Instrument ansieht.46 Dies lässt sich insbesondere auch im Konflikt Friedrichs mit den Bewohnern von Crema nachweisen, einer Stadt, die ebenfalls von ihm abgefallen ist. Hier macht die Performanz von Herrscherzorn zwar einen Machtanspruch geltend, vermag aber letztlich nicht, diesen auch durchzusetzen. An die Stelle eines herrscherlichen Zornausbruches und der darauf unmittelbar folgenden Unterwerfung der Abtrünnigen, wie dies bei Otto der Fall ist, setzt Rahewin eine Eskalationsstruktur. Je erbitterter sich die Cremasken gegen die Belagerung wehren, desto zorniger wird der Herrscher und je heftiger dieser gegen Crema vorgeht, desto vehementer ist die Gegenwehr.47 Dass Zorn einem Anspruch auf Überlegenheit gleichkommt, zeigt sich bereits in Friedrichs erster Reaktion auf einen Ausfall der belagerten Cremasken: Rediens augustus, cum de pertinaci hostium audacia comperisset, indignatione simul et ira permotus est, ut, qui iam pene in supremis se potius humiles ac supplices exhibere deberent, incursions facerent et victores suos ipsi turbare non metuerent erumpnosa obsidione inclusi. Als der Kaiser bei seiner Rückkehr von dem hartnäckigen Wagemut der Feinde erfuhr, ergriff ihn Entrüstung und zugleich Zorn darüber, daß sie, die schon beinahe in äußerster Not eher demütig um Gnade bitten sollen, noch Angriffe machten und sich nicht scheuten, ihre Überwinder zu beunruhigen, obwohl sie durch eine drückende Belagerung eingeschlossen waren. (Gesta IV, 55, S. 612–615)48

46 Auch in den weiteren Auseinandersetzungen mit Mailand bleibt Friedrichs Zorn unerwähnt, obwohl es zu einem Mordversuch an ihm (siehe Gesta IV, 43, S. 596–599) und einem Angriff einer Burg am Comer See von Seiten der Mailänder (siehe Gesta IV, 58, S. 618 f.) kommt. 47 Siehe dazu auch Dietrich Becker: Die Belagerung von Crema bei Rahewin, im Ligurinus und im Carmen de gestis Frederici I. imperatoris in Lombardia. Untersuchungen zur literarischen Form staufischer Geschichtsschreibung, Mannheim 1975, S. 241: „das Kapitel erhält seine Wirkung durch die steigernde Antithese – hier Zorn Barbarossas, dort Grausamkeit der Cremasken.“ 48 Die seltene Dopplung von ira und indignatio dient dabei dazu, das Ausmaß von Friedrichs Zorn hervorzuheben. Siehe auch Becker, Belagerung, S. 236, der beide Begriffe voneinander abgrenzt, indem er indignatio als „Unwille über die Verletzung der gültigen Ordnung“ als der



4.2 Rahewin 

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Gerade weil Friedrich Barbarossa die Feinde eigentlich für unterworfen hält, gerät er in Zorn. Mit Gewalt versucht sein Heer, die eigene Vormachtstellung durchzusetzen, diese wird aber von den Belagerten nicht akzeptiert. Dieser Darstellung entspricht auch die zweite Stufe des Konfliktes: Ea calamitas paulisper Frederico tristitiam et dignam indignationem comparavit. Qui ubi impetum insanientium continere non poterat ac sevientium furorem reverentia principis non cohibebat, placuit in contumaces vindicte severitatem exercere, ut, quos non correxit lenitatis patientia, saltem indubitati supplicii pena coherceret. Über diese Mißerfolge war Friedrich eine Zeitlang traurig und mit Recht empört. Da er den Angriffsgeist der Rasenden nicht eindämmen konnte und die Ehrfurcht vor dem Kaiser ihrer grimmigen Wut nicht Einhalt gebot, beschloß er, über die Störrischen eine strenge Strafe zu verhängen, um sie, die geduldige Sanftmut nicht auf den rechten Weg brachte, wenigstens durch den unzweifelhaften Vollzug der Todesstrafe zu zähmen. (Gesta, IV, 56, S. 614 f.)

Anders als bei Otto kommt Friedrichs Zorn eine vergeltende statt einer drohenden Funktion zu: „Die Paronomasie ‚digna indignatio‘ betont die Bedeutungsverwandtschaft der beiden Worte und macht auf die verletzte dignitas des Kaisers aufmerksam, also auf nichts anderes als auf ein ‚crimen laesae maiestatis‘“.49 Dadurch erscheint die Emotion zwar legitim, aber wirkt zugleich weniger effektiv: Sie vermag gerade nicht, den Feind von seinem aufrührerischen Verhalten abzubringen und ihm (Ehr-)Furcht einzuflößen, sondern sorgt für weitere Gegenwehr. Als weder Empörung noch Strafen zum gewünschten Erfolg führen, äußert sich wieder Friedrichs Zorn und der damit einhergehende Machtanspruch wird erneut offenbar: Hec dicens, vehementer iratus, quod in sorte captivorum constituti equales cum victoribus conditiones sibi ponerent, voce preconis declarari iussit, ne ulterius ad se profugerent neve fidem sperarent; nulli enim esse parcendum. So sprach er, und heftig darüber empört, daß sie, die sich in der Lage von Gefangenen befanden, sich auf gleichen Fuß mit den Siegern stellten, ließ er durch seinen Herold verkünden, sie dürften künftig bei ihm nicht mehr Zuflucht suchen und auf Gnade hoffen; denn keiner werde geschont. (Gesta, IV, 56, S. 614–617)

Rechtssphäre zugehörig bestimmt, und ira in Ergänzung dazu als Äußerung von Zorn versteht. Die Dichotomie von innen (indignatio) und außen (ira) trägt er zusätzlich heran, ohne dass diese im Text selbst angesprochen wäre. Einer solchen Bestimmung widerspricht Gesta IV, 38, S. 594 f., wo sowohl ira als auch indignatio im Innern zwar gespürt, aber nach außen hin nicht gezeigt werden. 49 Becker, Belagerung, S. 242.



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

Hier wird die aristotelische Bestimmung, dass Zorn einen Anspruch auf Überlegenheit manifestiert, nochmals explizit gemacht. Gerade weil Friedrich die Cremasken für eigentlich unterworfen und besiegt hält, erregt deren standhaftes Aufbegehren seinen Zorn. Dies gibt sich auch späterhin nicht, denn die Belagerten wehren sich ungebrochen auch mithilfe diverser Listen: Fredericus et calliditate simul et audacia eorum magis irritabatur („wurde Friedrich durch ihre Schlauheit und ihre Kühnheit noch mehr gereizt“; Gesta IV, 67, S. 650 f.). Erst nach weiteren erbitterten Kämpfen und vielem Hin und Her, entscheidet Friedrich am Ende die Belagerung für sich. Anders als bei Otto löst der Zorn des Herrschers sich dabei nie von Friedrich Barbarossa ab und geht als Instanz in die Imaginationen der Feinde über. Er bleibt als Emotion an den König gebunden und wird als Motor für die Eskalation des Machtkonfliktes – statt als dessen Lösung zugunsten des zornigen Herrschers – gezeigt. Damit erscheint Friedrichs Herrschaft viel umkämpfter und zugleich unsicherer als bei Otto. Zorn verkommt dabei vom wirkungsvollen Drohmittel zum Signum der Unterlegenheit. Ein letztes Zeichen dafür, dass Rahewin Zorn beim Herrschen zwiespältig gegenübersteht und die Emotion bei der Schilderung Friedrich Barbarossas zugleich dennoch nicht auslässt, liefert die Charakteristik des Kaisers am Ende des gesamten Textes. Hier hält Rahewin nochmals abschließend den Körper des Herrschers von dauerhaftem Zorn frei, indem er den stets leicht geröteten Hals Friedrichs beschreibt und folgendermaßen deutet: [E]umque illi crebro colorem non ira, sed verecundia facit. („[D]iese Färbung aber ruft meist nicht der Zorn hervor, sondern das Schamgefühl.“; Gesta IV, 86, S. 708 f.) Noch deutlicher als in den anderen Charakterisierungen Friedrichs wird hier Zorn als Wesenszug des Herrschers ausgeschlossen. Die Tatsache, dass dies so explizit geschieht, könnte darauf verweisen, dass Friedrich Barbarossas Zorn nicht ignorierbar war. Ansonsten hätte Rahewin die Röte des Halses als Zeichen der Scham werten und eine Erwähnung von Zorn einfach vermeiden können. Auf diese Weise entsteht andeutungsweise ein doppeltes Bild von Friedrich Barbarossa als Herrscher. Denn zum einen pocht Rahewin darauf, dass dieser nicht genuin zornig sei, zum anderen thematisiert er mehrfach und auf zwiespältige Weise dessen Zorn – einmal als machtvolle Performanz von Einheit mit den Fürsten, ansonsten aber zumeist als Zeichen der Ohnmacht gegenüber den italienischen Aufrührern. Die nun folgende Analyse des Konfliktes zwischen Friedrich Barbarossa und Papst Hadrian IV. bestätigt diesen Eindruck und sorgt für weitere Klarheit in der Frage, worauf dieses doppelte oder sogar multiple Bild des Herrschers in Rahewins Teil zurückzuführen ist.



4.2 Rahewin 

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4.2.2 Ein doppeltes Bild von Friedrich Barbarossa – Zorn in der Auseinandersetzung mit dem Papst In der Schilderung des Konfliktes zwischen Friedrich Barbarossa und Papst Hadrian IV. kommt eine weitere Besonderheit von Rahewins Darstellung zum Tragen. Im Gegensatz zu Otto nimmt er eine Vielzahl von Briefen auf, damit jeder Leser, der sich einer Partei zuneigen möchte, nicht durch meine Worte und Behauptungen, sondern durch die eigenen Schreiben der Parteien selbst angezogen und gelockt, frei wählen kann, welcher Partei er seine Gunst zuwenden will. (Gesta III, 10, S. 411)

Von ihm selbst berichtete Partien treten dem gegenüber in den Hintergrund und die Ideologie der Briefe gewinnt dadurch breiten Raum. Für die Untersuchung von Zorn hat dies zwei Folgen: Erstens ist noch weniger als im dritten Buch davon auszugehen, dass die Zorn-Darstellung aus einem Guss ist, und zweitens wird deutlich, wie die einzelnen Parteien Zuschreibungen der Emotion für ihre Zwecke funktionalisieren. Zugleich erweisen sich sowohl der honor imperii als auch der Zorn des Herrschers als zentrale Größen staufischer Politik und politischer Aushandlungen von Macht, die durch die Briefe vorgenommen werden.50 Im Folgenden wird demnach ein Konstrukt in den Blick genommen, das der Vorstellung von der Ehre des Reiches (des rîches êre) im Rolandslied verwandt ist.

50 Insgesamt spielt honor imperii in Ottos wie Rahewins Teil der Gesta Frederici bei der Aushandlung aller möglichen Konflikte, mit Byzanz oder den Päpsten, eine Rolle. Mit Zorn wird er aber einzig in der Auseinandersetzung zwischen Friedrich Barbarossa und Hadrian IV. versehen. In Konflikten, die mit Zorn verbunden sind, kommt Otto nicht auf honor zu sprechen. Auch die Formel vom honor imperii ist bei ihm nur äußerst selten und nie in unmittelbarem Zusammenhang mit Zorn anzutreffen. Dies ist folgerichtig, weil honor imperii sich als Formulierung zum größten Teil in inserierten Briefen findet. Weder von Otto noch von Rahewin wird der Ausdruck allzu oft im übrigen Text verwendet. Da Otto weniger Briefe in seinen Teil aufnimmt, kommt honor imperii auch seltener vor. Im ersten Buch der Gesta Frederici ist entweder von der Ehre zweier Reiche, des byzantinischen und des römischen (siehe Gesta I, 26, S. 178 f. und Gesta I, 25, S. 170), oder von der Ehre zweier Institutionen, der Kirche und des Reiches (siehe Gesta I, 67, S. 272 f.) die Rede. Ansonsten wird noch einmal unter Heinrich V. der erschütterte honor regni (siehe Gesta I, 14, S. 156 f.) und von den Römern in einem Brief an Konrad III. der honor ihres Reiches erwähnt (siehe Gesta I, 26, S. 178). Die Formulierung honor imperii findet sich nur, als Konrad den Utrechter Streit zur Ehre des Reiches beendet (siehe Gesta I, 70, S. 278). Ottos Teil entwirft die Ehre des Reiches durchgängig als anzustrebendes Ideal. Wenn er sie in ihrer Gefährdung thematisiert, dann eher als entrissene oder erschütterte denn als gekränkte oder beleidigte. Für Stellen, an denen honor imperii bei Rahewin nicht mit Zorn verbunden ist, siehe Gesta IV, 5, S. 518 f.; IV, 51, S. 610 f.; IV, 60, S. 622 f.; IV, 63, S. 640 f. und IV, 73, S. 660 f. Hier erscheint die Ehre des Reiches wie bei Otto als anzustrebendes Ideal.



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

Die Diskussion darüber, ob der Terminus honor imperii sich primär auf ein Abstraktum oder die Herrscherperson selbst bezieht, gleicht ebenfalls den bereits dargelegten Deutungen zum Rolandslied.51 Meiner Meinung nach bleibt hier wie dort festzustellen, dass mithilfe einer Formel und der Art, wie diese sprachlich eingebunden wird, eine Institutionalisierung im Sinne von Jussen und Weinfurter vorangetrieben wird.52 Gleichzeitig steigert die Rückbindung dieser Institutionalisierung an die Person des Herrschers dessen Macht, wobei Zorn eine zentrale Rolle spielt.53 Diesen Mechanismus staufischer Politik gilt es im Folgenden anhand der Auseinandersetzung von Kaiser und Papst näher zu beschreiben.

51 Schon Peter Rassow: Honor imperii. Die neue Politik Friedrich Barbarossas 1152–1159, München, Berlin 1940, S. 91, hat darauf aufmerksam gemacht, dass Ehre bei Friedrich Barbarossa nicht nur dessen Person betrifft, sondern als honor imperii mit dem „Hoheitsrecht des Reiches und der Bindung des Papstes an die Erhaltung und Ausgestaltung dieses Hoheitsrechtes“ deutlich mehr umfasst. Herbert Grundmann: Rezension von Peter Rassow, Honor imperii. In: Historische Zeitschrift 164 (1941), S. 577–582. Neu erschienen in: Friedrich Barbarossa. Hrsg. von Gunther Wolf, Darmstadt 1975 (Wege der Forschung 390), S. 26–32, hier S. 29, widerlegt diese rein rechtliche Ausdeutung des Begriffs. Auch Görich, Ehre, S. 7, wehrt sich gegen eine Sicht, die honor als rechtlichen Begriff definiert, und strebt an (S. 19), „die Auswirkungen der Ehre als vergleichsweise ‚archaischer‘ Handlungsnorm auf die Politik des Staufers wahrzunehmen“. Dabei legt er die Formel einseitig personal aus: „Transpersonaler Bezug und konkrete, auf die Person des Herrschers fixierte Staatsvorstellung treten einander in den Formulierungen honor imperii und honor imperatoris/noster/imperialis zwar idealtypisch gegenüber, aber zu Recht wandte sich schon Dieter von der Nahmer gegen eine verengende Deutung der Formel und stellte fest: ‚honor imperatoris und honor imperii konnten füreinander stehen‘  – ein ‚schwieriger Befund‘, da eigentlich nur der Kaiser als konkret handlungsfähige Person Ehre gewinnen oder verlieren konnte, nicht aber das abstrakte Reich“. Er zitiert Dieter von der Nahmer: Zur Herrschaft Friedrich Barbarossas in Italien. In: Studi Medievali 15/2 (1974), S. 587–703, hier S. 699. Odilo Engels: Honor imperii. In: Lexikon des Mittelalters. Hrsg. von Robert-Henri Bautier u. a., München 1980–1999, Bd. 5, Sp. 119, macht hingegen auf die seit dem Beginn des 12. Jahrhunderts mit dem honor-imperii-Begriff verbundene Tendenz aufmerksam, „über die Person des Herrschers hinaus das Reich als eine institutionelle Größe zu kennzeichnen“. Gunther Wolf: Der Honor imperii als Spannungsfeld von Lex und Sacramentum im Hochmittelalter. In: Miscellanea Medievalia 1969, S. 189–207, zeigt die lange Tradition des Begriffs und dessen starke Verankerung zwischen rechtlicher und sakramentaler Sphäre auf. 52 Siehe Weinfurter, Wie das Reich heilig wurde, und Jussen, Two Bodies, bzw. meine diesbezüglichen Ausführungen in der Einleitung sowie in Kap. 3 der vorliegenden Untersuchung. 53 Krieg: Herrscherdarstellung, S. 354, betont die damit einhergehende Bedeutung von Zorn, die er allerdings nicht auf die Ehre des Reiches, sondern alleine auf Friedrichs Ehre bezieht: „Sämtliche Autoren bezeugen das ausgeprägte Ruhm- und Ehrstreben und die große Empfindlichkeit des Herrschers bei Verletzungen seines honor. Regelmäßig reagiert Barbarossa in solchen Fällen mit indignatio oder ira und bemüht sich unter allen Umständen, die erlittene Schmach zu rächen, um seine Ehre wiederherzustellen.“



4.2 Rahewin 

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Den Inhalt der Kontroverse zwischen Friedrich und Hadrian IV. bildet die Frage, welche Institution, regnum oder sacerdotium, letztlich über welcher steht. Diese Auseinandersetzung entzündet sich an dem Wort beneficium. In der Übersetzung als ‚Wohltat‘ birgt es zwar eine gewisse Überheblichkeit, aber in der Bedeutung von ‚Lehen‘ kann es als große Provokation aufgefasst werden, denn dann sähe der Papst den Kaiser als seinen Lehnsmann an. Indem Hadrian diesen zweideutigen Terminus in einem Brief an Friedrich verwendet und damit die Verleihung der Kaiserkrone bezeichnet, löst er am Hof des Kaisers eine zornige Reaktion aus, die an dieser Stelle nicht Inhalt eines Briefes ist, sondern von Rahewin selbst geschildert wird: Talibus litteris lectis et per Reinaldum cancellarium fida satis interpretatione diligenter expositis, magna principes qui aderant indignatione commoti sunt, quia tota litterarum continentia non parum acredinis habere et occasionem futuri mali iamiam fronte sua preferre videbatur. Precipue tamen universos accenderat, quod in premissis litteris inter cetera dictum fuisse acceperant dignitatis et honoris plenitudinem sibi a Romano pontifice collatam et insigne imperialis corone de manu eius imperatorem suscepisse, nec ipsum penitere, si maiora beneficia de manu eius suscepisset, habita consideratione, quanta ecclesie Romane per ipsum possent incrementa et commoda provenire. Als dieser Brief verlesen und vom Kanzler Rainald in ziemlich genauer Übersetzung sorgfältig erläutert worden war, erfaßte die anwesenden Fürsten tiefe Empörung, weil der gesamte Inhalt des Briefes offensichtlich überaus scharf war und schon in seiner äußeren Form den Anlaß zu künftigen Mißhelligkeiten bot. Besonders aber hatte es alle empört, als sie vernahmen, daß darin unter anderem behauptet wurde, die Fülle der Würde und Ehre sei dem Kaiser vom römischen Bischof verliehen worden, er habe die Kaiserkrone aus dessen Hand empfangen und es würde ihn nicht reuen, wenn er noch größere Lehen aus seiner Hand empfangen hätte, in der Erwägung, welch große Förderung und Vorteile der Römischen Kirche durch ihn zuteil werden könnten. (Gesta III, 12, S. 414 f.)

Die Empörung der Fürsten zeigt hier an, dass diese die Bezeichnung der Krone als beneficium als Schmähung des Kaisertums auffassen. Damit verdeutlicht die Emotion hier erstens das Verständnis von beneficium im Sinne einer großen Herausforderung an die kaiserliche Machtstellung. Zweitens zeigt sie die Zugehörigkeit der Fürsten zum Herrscher und zu dessen Herrschaftsgebilde an. Dabei kommt eine implizite ‚Arbeitsteilung‘ zwischen Fürsten und Kaiser zum Ausdruck. Während diese sich empören, bleibt jener unerwähnt oder wirkt beschwichtigend ein, wie an späterer Stelle, als der Konflikt zwischen kaiserlichen Fürsten und päpstlichen Legaten weiter eskaliert: Als ein Legat darauf beharrt, dass Friedrich das Kaisertum vom Papst verliehen wurde, steigert sich der fürstliche Zorn, was unter anderem an der Verwendung von iracundia statt indignatio festzustellen ist: Ob hoc dictum eo processit iracundia, ut unus eorum, videlicet Otto palatinus comes de Baioaria, ut dicebatur, prope exerto gladio cervici illius mortem inten

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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

taret. („Wegen dieses Wortes stieg der Zorn so an, daß einer von ihnen, nämlich der Pfalzgraf Otto von Bayern, beinahe mit gezücktem Schwert den Nacken des Legaten bedroht haben soll.“; Gesta III, 12, S. 416 f.) Die Steigerung lässt sich darüber hinaus auch an der ungehemmten Gewaltbereitschaft festmachen. Rahewin schreibt Friedrich dabei eine nicht von Zorn geleitete, sondern zügelnde Rolle auf den Leib: At Fredericus auctoritate presentie sue interposita tumultum quidem compescuit. („Friedrich aber machte das Gewicht seiner Anwesenheit geltend und beschwichtigte so den Tumult.“; Gesta III, 12, S. 416 f.) Dass Rahewin Friedrichs Zorn ausspart, zeigt – ähnlich wie im Teil zu Italien –, dass Rahewin (Herrscher-)Zorn letztlich nicht als adäquate Reaktion auf Beleidigungen ansieht. Die Schilderung dieser Ereignisse erfolgt im inserierten Brief Friedrichs, den dieser im Reich verteilen lässt, in Nuancen anders, wobei gerade die Zuschreibung von Zorn einen signifikanten Unterschied darstellt: Certe ad vocem illam nefandam et omni veritate vacuam non solum imperialis maiestas debitam indignationem concepit, verum omnes principes qui aderant tanto furore et ira sunt repleti, quod sine dubio illos duos iniquos presbiteros mortis sententia dampnassent, nisi hoc nostra intercepisset presentia. Erklärlicherweise erfaßte bei dieser ruchlosen, aller Wahrheit baren Behauptung nicht nur die kaiserliche Majestät berechtigte Empörung, sondern auch alle anwesenden Fürsten wurden von solcher Wut und solchem Zorn gepackt, daß sie zweifellos jene beiden gottlosen Priester zum Tode verurteilt hätten, wenn unsere Gegenwart es nicht verhindert hätte. (Gesta III, 13, S. 418–421)

Die Differenzierung von Fürsten und Kaiser ist hier zwar ebenfalls zu finden und wird insbesondere über die Schilderung von Zorn erreicht. So reagiert der Kaiser im Sinne eines übergeordneten Prinzips, was sich an der Verwendung von imperialis maiestatis als Selbstbezeichnung ebenso ablesen lässt wie an der Spezifizierung debitam indignationem. Es handelt sich um gerechten Zorn, der sich an der kaiserlichen Majestät manifestiert. Den Fürsten werden hingegen furor und ira als unmittelbar gewaltbereite Qualitäten zugeteilt. Im Gegensatz zu Rahewin, der Herrscherzorn an dieser Stelle vermeidet, bezeichnet der Brief des Kaisers jedoch den Herrscher selbst übereinstimmend mit den Fürsten als von Empörung ergriffen. Die Gemeinschaft rückt so zusammen, wobei Friedrich Barbarossa als ihr emotionaler Anführer und nicht nur als beschwichtigender, aber letztlich emotional unbeteiligter Ruhepol imaginiert wird. Hier wird deutlich, dass in der Herrschaftsideologie Friedrich Barbarossas Zorn ein wichtiger Stellenwert zukommt. Dies ist eine Tatsache, an die Rahewin zwar zuweilen – vor allem in den Auseinandersetzungen mit den italienischen Städten – Zugeständnisse macht. Gerade die Gegenüberstellung derselben Szene  – zum einen erzählt von Rahewin und



4.2 Rahewin 

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zum anderen in Friedrichs Brief wiedergegeben – zeigt aber, dass Rahewin selbst die Bedeutung von Herrscherzorn in seinen Schilderungen möglichst gering zu halten versucht. Auch die zentrale Rolle, die Friedrich Barbarossas Politik, der Ehre des Reiches einräumt, lässt sich hauptsächlich aus Briefen rekonstruieren. So stellt der Kaiser im eben erwähnten Schreiben den Konflikt von Anfang an unter die Ägide des honor imperii: Er legt dar, dass die päpstlichen Legaten gerade in dem Moment erschienen seien, als der Kaiser und seine Fürsten über die Ehre des Reiches und das Wohl der Kirchen beraten hätten (siehe Gesta III, 13, S. 418 f.). Dabei hätten die Legaten sich den Anschein gegeben, zur Ehre des Reiches beitragen zu wollen (siehe Gesta III, 13, S. 418 f.). Nach der Schilderung des allgemeinen Zorns wendet sich Friedrich direkt an den Papst und macht diesen auf die Schmähung des Reiches aufmerksam, wobei er sich selbst bzw. die Fürsten (nobis) und das Abstraktum (imperio) eng führt: [U]niversitatem vestram super tanta ingnominia nobis et imperio condolere rogamus, sperantes, ne honorem imperii, qui a constitutione Urbis et Christiane religionis institutione ad vestra usque tempora gloriosus et imminutus presumptuosa elatione imminui patiatur [D]aher bitten wir euch jetzt insgesamt mit uns und dem Reich über diese große Schmach Schmerz zu empfinden, und wir hoffen, eure ungeteilte, aufrichtige Treue werde nicht zulassen, daß die Ehre des Reiches, die seit der Gründung der Stadt und seit der Aufrichtung der christlichen Religion bis auf eure Zeit glorreich und ungeschmälert bestanden hat, durch eine so unerhörte Neuerung, durch eine so vermessene Überheblichkeit beeinträchtigt werde (Gesta III, 13, S. 420 f.).

Wie schon so oft, wird das Reich hier – allerdings in Übereinstimmung mit den Fürsten und dem Herrscher – als Person vorgestellt, die gekränkt auf eine Beleidigung reagiert. Auf diese Weise wird das Abstraktum als eigenständiger Akteur etabliert und zugleich mit der Gemeinschaft in Deckung gebracht, was als die Macht des Herrschers befestigende Strategie wiederum typisch für Friedrich Barbarossas Politik ist. Im darauf folgenden Brief Hadrians an die Erzbischöfe und Bischöfe in derselben Angelegenheit, wertet der Papst die emotionale Affizierung Friedrichs um. Er markiert sie als Aufregung, die jeglicher institutioneller oder moralischer Begründung entbehrt „und geriet darüber in so heftige Erregung, daß es eine Schmach ist“ (in tantam animi commotionem exarsit, ut convitia; Gesta III, 19, S. 432 f.). Er bittet seine Adressaten darum, beschwichtigend auf den Kaiser einzuwirken: Unde confidimus eum a sui animi motu consilio et persuasione vestra facile revocandum. („Daher vertrauen wir darauf, daß er durch euren Rat und Zuspruch leicht von seiner erregten Stimmung abgebracht werden kann.“; Gesta



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

III, 19, S. 432 f.) Friedrichs Argumentation mit dem honor imperii setzt der Papst dabei die Ermahnung entgegen, sich an katholischen Kaisern der Vergangenheit zu orientieren und so Ehre auf Erden (honorem in terris; Gesta III, 19, S. 434 f.) zu erreichen. Er übernimmt gerade nicht Friedrichs Konzeption von Zorn als herrschaftliche Reaktion auf eine Schmähung des Reiches, sondern setzt die Emotion als negative Überwältigung. Die Bischöfe antworten Hadrian im Modus, den Friedrich in seinem Brief vorgegeben hat und erweisen sich dadurch dem Kaiser zugehörig. Sie bestimmen die Öffentlichkeit des Reiches zum Subjekt der Kränkung durch den Papst: commota est universa res publica imperii nostri („ist […] die gesamte Öffentlichkeit unseres Reiches in Aufregung versetzt worden“; Gesta III, 20, S. 434 f.) und kommen zu dem Schluss: liberam imperii nostri coronam divino tantum beneficio ascribimus („die freie Krone unseres Reiches schreiben wir allein göttlicher Verleihung zu“; Gesta III, 20, S. 436 f.). Wieder werden das Reich selbst und die es umfassende Gemeinschaft über Zorn verbunden: Die Aufregung ist eine allgemeine. Implizit und im Nachhinein wird Friedrichs Zorn auf diese Weise – auch aus der Sicht der Fürsten – im Sinne des Kaisers legitimiert: Er steht im Dienste der Allgemeinheit und vertritt das Ansehen des Reiches gegenüber dem Papst. Diese übereinstimmende Haltung zwingt Hadrian zum Einlenken. Denn er erkennt nach dieser Antwort der Bischöfe Friedrichs Empörung als rechtmäßige Reaktion an, indem er besser geeignete Boten zu dessen Besänftigung schickt (ad leniendum eius animum nuntios mittit; Gesta III, 21, S. 438). Dies, genauso wie Friedrichs Empfang der Legaten, schildert Rahewin selbst (siehe Gesta III, 24, S. 448 f.). In der Ansprache der päpstlichen Boten ist wiederum von der Ehre des Reiches sowie vom Zorn Friedrichs die Rede: Quanta dilectione sancta Romana ecclesia amplitudinem et honorem imperii vestri amplectatur, quam sine conscientia peccati vestram satis invita sustinuerit indignationem, et scripta presentia et in ore nostro posite vive vocis officium declarabit. Mit welcher Liebe die heilige Römische Kirche die Hoheit und Ehre eures Reiches umfaßt, wie schwer sie ohne Bewusstsein eines Vergehens euren Zorn ertragen hat, das wird euch das vorliegende Schreiben sowie das in unseren Mund gelegte lebendige Wort klar machen. (Gesta III, 25, S. 448 f.)

Als Gegenpart zum Reich, das Friedrich in seinem Brief als zorniges Subjekt entwirft, wird hier die Römische Kirche als eine den Zorn des Herrschers erleidende Person beschrieben. Gleichzeitig wird das imperium von Friedrichs Zorn abgeschieden und der Römischen Kirche eingegliedert. Weniger provokativ als zuvor, aber mit einer ähnlichen Stoßrichtung, kennzeichnet die päpstliche Partei



4.2 Rahewin 

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Friedrichs Zorn somit erneut als persönliche Reaktion, die keinen übergeordneten Interessen dient. Der daraufhin verlesene Brief Hadrians führt Friedrichs Aufgebrachtheit gegen die Römische Kirche zunächst darauf zurück, dass dieser auf schlechte Einflüsterungen gehört habe (siehe Gesta III, 26, S. 448 f.). Er greift nochmals Friedrichs Zorn über das Wort beneficium auf und stellt ausführlich dessen Bedeutung als Wohltat und eben gerade nicht als Lehen klar (siehe Gesta III, 26, S. 450 f.). Nachdem Friedrich den Boten „ein Verzeichnis gewisser anderswo noch zu behandelnder Punkte, die den Keim zur Zwietracht enthielten, wenn nicht eine entsprechende Besserung erfolge“ (Gesta III, 27, S. 453) überreicht hat und die päpstlichen Legaten – wiederum unter Rekurs auf die Ehre des Reiches – zu seiner Zufriedenheit geantwortet haben, zeigt der Herrscher sich besänftigt und der Konflikt ist erst einmal beigelegt. Obwohl Hadrians Brief Friedrichs Zorn als Produkt von falschen Einflüsterungen herunterzuspielen versucht, erscheinen die Entschuldigung des Papstes und die Beilegung der Streitigkeiten letztlich dennoch als die Folge der Emotion. Gerade weil diese von Friedrich so konsequent mit herrschaftlichem Vokabular und dem Abstraktum imperium verbunden wird und die Fürsten diese Deutung übernehmen, ordnet sich der Papst zuletzt unter. Honor imperii und Zorn des Herrschers erweisen sich so als umstrittene, aber machtvolle Zentralbegriffe staufischer Politik, die dazu geeignet sind, die kaiserliche Machtposition zu befestigen. Bei Rahewin selbst kommt Zorn als legitime Reaktion nur an einer weiteren Stelle vor – als der Konflikt zwischen Kaiser und Papst erneut aufflammt, wobei die Unerhörtheit der päpstlichen Provokation hervorgehoben wird: Proinde occasionem querens, cum audisset, quod regalia principi tam ab episcopis et abbatibus quam a civitatibus et proceribus recognita fuere, litteras in fronte quidem leniores, diligentius vero considerate acriori commonitione plenas, super hoc negotio dirigit, easque quidam indignus et vilis nuntius presentans, antequam recitate fuissent, disparuit. Qua de re commotus caloreque iuvenili ad vicem rependendam accensus, meditationem concipit, non quidem per abiectam, sed per honoratam illi respondere personam. Er [der Papst; E. F.] suchte daher eine Gelegenheit, und als er erfuhr, daß dem Kaiser die Regalien von den Bischöfen und Äbten ebenso wie auch von den Städten und Vornehmen zuerkannt worden seien, richtete er über diese Angelegenheit einen Brief an ihn, der zwar dem ersten Anschein nach sanft, bei genauerem Zusehen aber voller Vorwürfe war; der unwürdige gemeine Bote, der ihn überbrachte, verschwand, bevor er verlesen worden war. Darüber empört und in jugendlichem Feuer danach brennend, Vergeltung zu üben, faßte er [Friedrich; E. F.] den Entschluß, ihm nicht durch eine verächtliche, sondern durch eine vornehme Person zu antworten. (Gesta IV, 18, S. 552 f.)



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

Zorn und der damit einhergehende Wunsch, die Herabsetzung zu vergelten, führt Rahwin hier mit der Jugend des Herrschers eng – nicht mit dessen Wesen. Gegenüber der Metapher vom Brennen, die ja auf einen Kontrollverlust verweist, obsiegt letztlich die Überlegtheit, mit der Friedrich die Beleidigung beantwortet. Indem er keine niedrige, sondern eine ehrenvolle Person zum Boten bestimmt, vergilt er auf umgekehrte Weise Gleiches mit Gleichem. Statt den Papst zu erniedrigen, erhöht er sich selbst. Zorn geht hier nicht einmal indirekt, z. B. als Drohung, mit Gewalt einher, sondern wird in Umgangs- und Kommunikationsformen kanalisiert. Er mündet im Anspruch auf Ehre und Macht durch die Bestimmung des Boten. Der Ehraspekt taucht dabei in der Wortwahl honoratam personam nochmals auf. Einem solchermaßen eingehegten Zorn steht Rahewin aufgeschlossen gegenüber.54 Am Konflikt zwischen Hadrian und Friedrich lässt sich an einer Stelle deutlich sehen, dass Rahewin Herrscherzorn ausspart, diesem also zurückhaltend, wenn nicht sogar kritisch, begegnet. Die inserierten Briefe machen hingegen deutlich, dass der Zorn des Herrschers und die Ehre des Reiches zentrale Pfeiler von Friedrich Barbarossas Politik bilden. Sie werden (kommunikativ) eingesetzt, um Machtkonflikte zugunsten des Kaisers zu entscheiden und entfalten eine Dominanz, der sich letztlich auch Rahewin selbst nicht entziehen kann. Die Diskrepanz zwischen seiner Zurückhaltung gegenüber Herrscherzorn auf der einen und doch recht häufigen narrativen Konzessionen auf der anderen Seite, lassen sich letztlich also darauf zurückführen, dass er zwischen zwei Positionen schwankt. Zum einen ist er dem eigenen Idealbild von (zornfreier) Herrschaft verpflichtet und zum anderen der Politik Friedrich Barbarossas, seines Auftraggebers und eigentlichem Gegenstand seines Berichtes.

54 Dies ändert sich auch im weiteren Verlauf des Konfliktes nicht. Als Hadrian sich weigert, Friedrichs Wahl zu akzeptieren, reagiert der Kaiser in Rahewins Schilderung wiederum mit einer zornigen Kommunikationshandlung, die nicht hinterfragt wird: Princeps ergo, et ipse accepta occasione, suam hoc modo solatur indignationem. Iubet notario, ut in scribendis cartis nomen sum preferens Romani episcope subsecundet et dictionibus singularis numeri impsum alloquatur. („Der Kaiser nun erleichterte seinen Zorn bei günstiger Gelegenheit auf folgende Weise. Er befahl dem Notar, bei der Ausfertigung von Schriftstücken seinen Namen voranzustellen, den des Römischen Bischofs aber ihm folgen zu lassen und ihn im Singular anzureden.“; Gesta IV, 21, S. 556 f.) Wiederum verleiht Friedrich mithilfe von kommunikativen Mitteln – nicht mithilfe von Gewalt oder deren Androhung – seinem Machtanspruch Ausdruck. Dies ist die letzte, für den hier fokussierten Zusammenhang ergiebige Stelle. Des Weiteren referieren Briefe mithilfe von Zitaten aus der Bibel oder von anderen Autoritäten gelegentlich auf Zorn (Gesta IV, 22, S. 558 f.; S. 561; Gesta IV, 36, S. 590 f.). Der Tod Hadrians (siehe Gesta IV, 52) löst den Konflikt auf natürliche Weise.





4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse 

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4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse Die Gesta Frederici sind ein Text mit mehreren Brüchen, die sich auch in der ZornDarstellung abbilden.55 So unterscheiden sich bei Otto die ersten beiden Bücher – und damit die Zeit vor und die Ära unter Friedrich Barbarossa – dadurch, wie Zorn funktional eingebunden wird. Schildert Otto in der Vergangenheit vor allem Zorn von Gruppen als einigende Kraft gegen höher stehende Einzelpersonen, avanciert die Emotion unter Friedrich Barbarossa selbst zum wirkungsvollen Droh­ instrument des Herrschers. Dieser Bruch wird mithilfe der Metapher vom einen Körper (tamquam unum corpus) als Übergang erzählt, bei dem mit der Wahl Friedrichs zum Kaiser der Zorn der Fürsten gleichsam an den Herrscher abgegeben wird. Bei Otto erscheint Zorn somit als Teil eines übergeordneten Herrschaftsund Textkonzeptes, im Rahmen dessen die Regierung Friedrich Barbarossas als historischer Wendepunkt gezeigt wird. Rahewin räumt – anders als Otto, bei dem das Wort „Körper“ vor allem als Metapher für eine zusammengewachsene Gruppe fungiert  – dem Körper des Herrschers mehr Raum ein. Die Erwähnung von Symptomen (wie geröteter Haut oder einem von Zorn gezeichneten Gesicht) bleibt aber ebenfalls nur kurz und spärlich, sodass übereinstimmend für beide Autoren festzustellen ist, dass eine Verkörperung von Zorn nur sehr zurückgenommen stattfindet. Darüber hinaus führt Rahewin Ottos Entwurf nicht fort. Sein Textteile, das dritte und das vierte Buch der Gesta Frederici, sind vielmehr selbst davon geprägt, dass sie Zorn als

55 Ein Detail bestimmt buch- und situationsübergreifend die gesamte Zorn-Gestaltung in den Gesta Frederici: Häufig wird die Außergewöhnlichkeit des Zorn auslösenden Verhaltens betont. Dies geschieht zum einen, indem die Ungewöhnlichkeit, das bisher nicht Dagewesene, durch Beigaben wie cuius rei novitatem („Dieses ungewöhnliche Vorgehen“; Gesta I, 1, S. 122 f.), inusitato orationis tenore („ungewöhnlichen Ton der Rede“; Gesta II, 32, S. 346 f.), insolita legatione („ungewöhnliche Botschaft“; Gesta III, 12, S. 416 f.), insolita et inaudita („ungewohnt und unerhört“; Gesta III, 20, S. 436 f.), nova et gravia et numquam prius audita („neue und harte und nie zuvor gehörte“; Gesta IV, 36, S. 590 f.) explizit hervorgehoben wird. Zum anderen erscheint als begleitende Reaktion von Zorn häufig Verwunderung, die ebenfalls die Außergewöhnlichkeit der Anmaßung, allerdings als emotionale Qualität hervorhebt: et est admirata universi imperii nostri latitudo („und unser ganzes Reich verwunderte sich sehr darüber“; Gesta I, 26, S. 176 f.), stupore nimio et ammiratione repleti sumus („erfüllte uns im höchsten Maße Erstaunen und Verwunderung“; Gesta II, 8, S. 294 f.), Quare satis mirari non possumus („können wir uns nicht genug darüber wundern“; Gesta II, 32, S. 346 f.), sine grandi ammiratione non ferimus („unsere große Verwunderung darüber nicht verhehlen“; Gesta III, 26, S. 448 f.) und qui cum indignatione mirabantur („die sich mit Entrüstung wunderten“; Gesta IV, 36, S. 590 f.). Damit ergibt sich für die gesamten Gesta Frederici ein enger Zusammenhang von Zorn und Gewohnheit. Die Emotion wird auch zur Hüterin von Althergebrachtem stilisiert.



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 4 Die Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins

Verhaltensweise des Herrschers auf höchst heterogene Weise entwerfen. Zuweilen entfaltet Zorn bei Rahewin eine Macht steigernde Wirkung, zumeist wird er aber eher vermieden oder als Zeichen von Ohnmacht stigmatisiert. Insgesamt entsteht eine Diskrepanz zwischen Rahewins eigenem Idealbild von Herrschaft und Friedrich Barbarossas Politik, die sich gerade an der Schilderung von Zorn erkennen lässt. Während die von Rahewin so zahlreich inserierten Briefe aus der kaiserlichen Kanzlei den Zorn des Herrschers als wichtiges Mittel darstellen, um die Ehre des Reiches zu verteidigen, sind Rahewins eigene Passagen eher zurückhaltend mit einer solch positiven Einbindung der Emotion. Dennoch räumen auch sie Friedrich Barbarossas Zorn einigen Raum ein. Dies lässt sich vor allem an den Stellen sehen, in denen Rahewin Zorn als Wesenszug des Kaisers explizit ausschließt. Als Zentralbegriff staufischer Politik ist Zorn (zusammen mit dem Terminus honor imperii) offensichtlich so wichtig, dass er selbst von einem Autor, der eigentlich einen zornfreien Herrscher als Figur seiner Narration bevorzugt hätte, nicht ignoriert werden kann. Darin besteht nun gerade auch die Bedeutung von Rahewin für alle anderen hier betrachteten Entwürfe von Herrschaft. Gerade die bei ihm festgestellte Diskrepanz vermag Aufschluss darüber zu geben, warum das Rolandslied, warum Ottos von Freising Teil der Gesta Frederici und warum – wie noch zu sehen sein wird – auch der König Rother Zorn als maßgeblichen Aspekt dauerhafter Herrschaft narrativ durchspielen: Als fundamentales Konzept von Friedrich Barbarossas Ideologie und Politik ist er so virulent, dass ihn auch diese anderen Erzählungen aus dem staufischen Umfeld – auf je ganz unterschiedliche Weise – konstruktiv in ihre Entwürfe von Herrschaft integrieren.



5 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother Der König Rother ist in vielerlei Hinsicht anders als die in den vorigen Kapiteln behandelten Texte. Über seinen Autor oder Auftraggeber liefert er keine Angaben.1 Die schriftlich fixierte Version geht wahrscheinlich auf verschiedene mündliche Stufen zurück und verarbeitet diese auf komplexe Weise.2 Dem Text liegen keine historischen Ereignisse zugrunde, sondern er erzählt ein fiktives Geschehen.3 Ganz ohne historische Anbindung bleibt die Erzählung dennoch nicht, denn sie fingiert die Handlung als Ursprung der Genealogie Karls des Großen, indem sie Rother und seine Frau als dessen Großeltern vorstellt. Was den König Rother mit dem Rolandslied und den Gesta Frederici verbindet, ist die narrative

1 Dies hat zu unterschiedlichen Hypothesen über die Entstehung des König Rother geführt. Eine Bestimmung, die sich sowohl gegen eine Spielmanns- als auch gegen die  – mittlerweile zum Konsens gewordene – Adelshypothese wendet, bietet Rolf Bräuer: Literatursoziologie und epische Struktur der deutschen ‚Spielmanns‘- und Heldendichtung. Zur Frage der Verfasser, des Publikums und der typologischen Struktur des Nibelungenliedes, der Kudrun, des Ortnit-Wolfdietrich, des Buches von Bern, des Herzog Ernst, des König Rother, des Orendel, des Salman und Morolf, des St.-Oswald-Epos, des Dukus Horant und der Tristan-Dichtung, Berlin 1970. 2 Der Frage, wie sich der Übergang von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit im König Rother niederschlägt, widmet sich Walter Haug: Struktur, Gewalt und Begierde. Zum Verhältnis von Erzählmuster und Sinnkonstitution in mündlicher und schriftlicher Überlieferung. In: Ders.: Brechungen auf dem Weg zur Individualität. Kleine Schriften zur Literatur des Mittelalters, Tübingen 1995, S. 3–16. Siehe daran anknüpfend auch Christian Kiening: Arbeit am Muster. Literarisierungsstrategien im König Rother. In: Wolfram-Studien 15 (1998), S. 211–244, der sich vor allem für die Literarizität des Erzählens im König Rother interessiert. Gegen eine zu strikte Verbindung von Schriftlichkeit und Literarizität und damit gegen Haug und Kiening argumentiert Lorenz Deutsch: Die Einführung der Schrift als Literarisierungsschwelle. Kritik eines mediävistischen Forschungsfaszinosums am Beispiel des König Rother. In: Poetica 35 (2003), S. 69–90. 3 Dennoch gibt es zahlreiche Versuche, Figuren und Konstellationen des Textes als Bezüge auf historische Personen und Ereignisse zu deuten. Siehe dazu Klaus Siegmund: Zeitgeschichte und Dichtung im König Rother. Versuch einer Neudatierung, Berlin 1959; Ders.: Rot-her und Imperator Rubeus (Barbarossa)  – Typus und Realität im Epos vom König Rother. In: Stauferzeit. Geschichte, Literatur, Kunst. Hrsg. von Rüdiger Krohn/Bernhard Thum/Peter Wapnewski, Stuttgart 1978, S. 132–142; Ferdinand Urbanek: Kaiser, Grafen und Mäzene im König Rother, Berlin 1976; Dagmar Neuendorff: Kaiser und Könige, Grafen und Herzöge im Epos vom König Rother. In: Neuphilologische Mitteilungen 85 (1984), S. 45–58; Wilhelm Störmer: Königtum und Kaisertum in der mittelhochdeutschen Literatur der Zeit Friedrich Barbarossas. In: Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des staufischen Kaisers. Hrsg. von ­Alfred Haverkamp, Sigmaringen 1992, S. 581–601.



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 5 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother

Behandlung der Frage, wie Macht institutionalisiert werden kann und welche Funktion Zorn dabei zukommt.4 Institutionalisierung wird in diesem Werk von einer ganz anderen Seite angegangen. So fehlt etwa ein abstrakter rîche-Begriff, und dementsprechend ein Konstrukt, das der Ehre des Reiches (honor imperii, des rîches êre) ähnlich wäre.5 Auch Termini wie lant oder hof, die weitaus häufiger vorkommen als rîche, weisen keine Tendenz zur Abstraktion auf. Dennoch bildet das Auf-Dauer-Stellen von Macht ein Hauptthema der Erzählung.6 So fehlt Rother am Anfang ein Nachkomme, den er am Ende des Textes

4 Zu anderen Aspekten und Teilen des Werkes, wie etwa der Kemenatenszene siehe Hans Fromm: Die Erzählkunst des ‚Rother‘-Epikers. In: Euphorion 54 (1960), S. 347–379; Monika Schulz: Iz ne wart nie vrowe baz geschot. Bemerkungen zur Kemenatenszene im König Rother. In: Literarische Kommunikation und soziale Interaktion. Studien zur Institutionalität mittel­ alterlicher Literatur, Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 73–88. 5 Zum fehlenden rîche-Begriff siehe Uwe Meves: Studien zu König Rother, Herzog Ernst und Grauer Rock (Orendel), Frankfurt a. M., Bern 1976, S. 53. Zu êre siehe Haupt, Fest, S. 73: „Herrschaft, ja höchste Herrschaft wird durch den Protagonisten repräsentiert, und die ere bleibt, auch aufgrund der Kombination mit einem Possessivpronomen (V. 112, 119, 125), immer auf die Person bezogen.“. Hier sind noch die Stellen KR, V. 538, 561, 603, 667, 1250, 1961, 2042, 3677, 4486, 4681 und 4756 zu ergänzen, in denen jeweils Rothers êre in Verbindung mit seinem Namen oder mit einem Possessivpronomen zur Sprache kommt. Im Folgenden, sofern nicht anders angegeben, zitiert nach der Ausgabe und Übersetzung König Rother. Mittelhochdeutscher Text und neuhochdeutsche Übersetzung von PETER K. STEIN. Hrsg. von INGRID BENNEWITZ, Stuttgart 2000 (zitiert als KR). Kritisch gegenüber einer Deutung, die sich am êre-Begriff des König Rother abarbeitet, äußert sich Markus Stock: Kombinationssinn. Narrative Strukturexperimente im Straßburger Alexander, im Herzog Ernst B und im König Rother, Tübingen 2002, S. 273, Anm. 153: „Das in manchen Forschungsbeiträgen in den Mittelpunkt der Interpretationsanstrengung gerückte Stichwort êre […] birgt ein Problem, da der Begriff bei äußerst positiver Belegung zur semantischen Leere tendiert: Er bezeichnet die Idealität des Protagonisten und die allgemeine Anerkennung dieser Idealität.“ Der Begriff bleibt nicht Rother vorbehalten, sondern auch Constantins êre (KR, V. 896) sowie die seiner Tochter (KR, V. 2189) werden erwähnt. 6 Siehe dazu auch Christa Ortmann/Hedda Ragotzky: Brautwerbungsschema, Reichsherrschaft und staufische Politik. Zur Bezeichnungsfähigkeit literarischer Strukturmuster am Beispiel des König Rother. In: ZfdPh 112 (1993), S. 321–343, hier S. 325: „Brautwerbung führt […] die Prämissen dauerhafter Herrschaft vor.“ Als deren Voraussetzungen dauerhafter bestimmen Ortmann/Ragotzky, S. 333, funktionierende lehnsrechtliche Bindungen, die historische Legitimation von Herrschaft und den Sieg des christlichen Glaubens mit Gewalt, die der Text in drei Etappen entwickelt. Ebenfalls für eine Einteilung in drei Teile plädiert Gudula Dinser: Kohärenz und Struktur. Textlinguistische und erzähltechnische Untersuchungen von König Rother, Köln, Wien 1975; Dagmar Neuendorff: Studie zur Entwicklung der Herrscherdarstellung in der deutschsprachigen Literatur des 9.–12. Jahrhunderts, Stockholm 1982, S. 151–204 und S. 300–312, sieht gerade in der christlichen Verankerung von Rothers Herrschaft die Voraussetzung dafür, dass diese von Dauer sein kann.





5 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother 

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hat und an den er seine Macht weitergibt. Im Mittelpunkt steht also die Kontinuität von Herrschaft auch über Generationen hinweg. Dabei wird die Begründung einer genealogischen Herrscherabfolge zum zentralen Gegenstand gemacht.7 In der Form einer gefährlichen Brautwerbung wird geschildert, wie der Titelheld, oberster Machthaber des weströmischen Reiches, noch unverheiratet und kinderlos, um die Tochter Konstantins, des Herrschers des oströmischen Reiches, anhält.8 Dabei kommt es zu zahlreichen Konflikten, die Rother mithilfe seiner eigenen Listigkeit und Freigebigkeit, der Loyalität seiner Leute und mithilfe von unglaublich starken und zornigen Riesen überwindet, sodass am Ende die endgültige Heimführung der Braut, die Geburt eines Sohnes und der Rückzug Rothers in ein Kloster steht. Die Erzählung räumt Zorn eine große Bedeutung für die Konstruktion von Herrschaft ein. Den Facetten dieser Bedeutung wird nun erstmals anhand einzelner Figuren sowie zweier Aspekte des Erzählens – der Tabuisierung von Rothers Zorn sowie dem Einsatz von Zorn als Mittel der Geschichtskonstruktion – nachgegangen.9 Das erste Unterkapitel widmet sich der Frage, wie die Riesen auf

7 Siehe dazu Walter Müller-Römheld: Formen und Bedeutung genealogischen Denkens in der deutschen Dichtung bis um 1200, Frankfurt a. M. 1958, S. 102: „Dem König Rother kommt aus genealogischer Perspektive unter den Dichtungen des 12. Jahrhunderts eine besondere Rolle zu. Neben Veldekes Eneide bietet dieses Werk den einzigen Nachweis für eine zukunftsgerichtete Genealogie vom Mittelpunkt der Dichtung aus, d. h. für die Verknüpfung einer dichterischen Gestalt mit einer historischen Persönlichkeit der Nachzeit.“ 8 Zur Kritik am Brautwerbungsschema als zu schablonenhafte Konstruktion der Forschung siehe Armin Schulz: Morolfs Ende. Zur Dekonstruktion des feudalen Brautwerbungsschemas in der sogenannten ‚Spielmannsepik‘. In: PBB 124/2 (2002), S. 233–249. 9 Hubertus Fischer: Gewalt und ihre Alternative. Erzähltes politisches Handeln im König Rother. In: Gewalt und ihre Legitimation im Mittelalter. Hrsg. von Günther Mensching, Würzburg 2003, S. 204–234, S. 217, verweist zum Beispiel nur am Rande auf Zorn, indem er ihn mit den Worten Görichs, Ehre, S. 14, als „Technik der Machtausübung“ bezeichnet und im Wesentlichen Althoffs Idee aufgreift, Zorn als Zeichen innerhalb einer öffentlichen Kommunikationssituation aufzufassen. Stephan Fuchs-Jolie: Gewalt – Text – Ritual. Performativität und Literarizität im König Rother. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 127 (2005), S. 183–207, kommt gar nicht auf Zorn zu sprechen. Gleiches gilt für Tina Boyer: The Chained One: An Analysis of the Giant Witold in König Rother. In: Intertextuality, Reception, and Performance: Interpretations and Texts of Medieval German Literature. Hrsg. von Sibylle Jefferis, Göppingen 2010, S. 77–94, die sich mit der Darstellung des wildesten von Rothers Riesen Witold beschäftigt. Sie merkt dessen hohes Gewaltpotential an, geht aber nicht näher auf die Zorn-Darstellung ein. Eine Ausnahme bildet mein eigener Aufsatz Evamaria Freienhofer: Tabuisierung von Zorn als Herrscherhandeln im König Rother. In: Machtvolle Gefühle. Hrsg. von Ingrid Kasten, Berlin, New York 2010 (TMP 24), S. 87–103, auf dem zum Teil die vorliegende Analyse aufbaut. Im Nachfolgenden sollen die Hauptbeobachtungen am Text stärker konturiert und in die



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 5 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother

machtvolle Weise Zorn verkörpern und dadurch Rothers übergeordnete Position etablieren und befestigen. Dabei entfaltet der König Rother einen Aspekt, der im Rolandslied und den Gesta Frederici auch eine Rolle spielt, auf völlig andere Weise. Es handelt sich um die Androhung und Anwendung von physischer Gewalt, die hier nicht nur als Imagination von Feinden oder Untergebenen erscheint, sondern in Form multipler Verkörperungen durch die Zornigen selbst. Daran anschließend werden die beiden Herrscher Konstantin und Rother in den Blick genommen, die beide – auf jeweils andere Art – von machtvollem Zorn freigehalten werden. Abschließend wird die Funktion von Zorn für die Geschichtskonstruktion des Königs Rother und damit einhergehend für die ursprüngliche Begründung von dauerhafter Herrschaft beleuchtet.

5.1 Zorn einzelner Figuren 5.1.1 Die Riesen als machtvolle Verkörperungen von Zorn Die drohende und dadurch Macht steigernde Funktion von Rothers Riesen ist bereits mehrfach festgestellt worden.10 Dabei heben bisherige Studien vor allem die Gewalttätigkeit der Riesen als wichtige Voraussetzung von Rothers Herrschaft hervor. Doch ist es nicht nur diese Eigenschaft, welche Asprian, Witold, Grimme und deren Artgenossen zu perfekten Machtinstrumenten Rothers werden lässt, sondern auch ihr Zorn.11 Gegenüber dem Rolandslied und den Gesta Frederici

übergeordneten Fragestellungen eingebettet werden. Darüber hinaus kommen ein Unterkapitel zur Figur Konstantins und ein Unterkapitel hinzu, der die Bedeutung von Zorn innerhalb der Geschichtskonstruktion des König Rother reflektiert. 10 Siehe Fischer, Gewalt, S. 214: „Es fällt deshalb nicht schwer in ihnen [den Riesen; E. F.] Verkörperungen des herrscherlichen terror zu sehen, der timor erzeugt, damit Macht oder wie in diesem Fall: Gegenmacht am Hofe Konstantins entstehen kann.“ Siehe ebenso Annette GerokReiter: angest/vorhte  – literarisch. Möglichkeiten und Grenzen der Emotionsforschung zwischen Text und Kontext. In: ZfK 2 (2010), S. 15–22, S. 18: „Zieht man die Funktionalisierung der Angst im politischen Herrschaftsdiskurs hinzu, erweist sich der Terror, den Rother und seine Riesen entfalten, als notwendige Machtdemonstration, um den widerständigen Konstantin sowohl zu politischer Einsicht in die Verpflichtungen gegenüber dem christlichen Herrschaftsverbund als auch zur Einsicht in seine Sünden – etwa sein illegitimes Verhältnis mit seiner Tochter – zu bringen.“ Zum nicht mit dem heutigen negativen Verständnis zu vergleichenden Verständnis von ‚Terror‘ in mittelalterlichen Quellen siehe Ernst-Dieter Hehl: Terror als Herrschaftsmittel des früh- und hochmittelalterlichen Königs. In: Das Mittelalter 12 (2007), S. 11–23. 11 Diese Deutung erscheint schon angesichts der sprechenden Namen zweier der Riesen plausibel: Witold ist eine Zusammensetzung aus mhd. wîc (Kampf) und holt (liebend), heißt also so





5.1 Zorn einzelner Figuren 

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kommt bei den Riesen im König Rother ein neuer Aspekt zum Tragen: Während die beiden bisher betrachteten Texte zwar eine Macht steigernde Funktion von Zorn zeigen, bleibt eine eventuelle Intention des Zornigen unerwähnt. Im König Rother werden die Riesen und ihr Zorn hingegen von Beginn an explizit mit politischem Kalkül verbunden, das darauf abzielt Feinde einzuschüchtern.12 Gewaltanwendung ist dabei nur eine Facette der Einschüchterungsstrategie. Dass und wie Zorn jeweils eine Drohfunktion zugeschrieben wird, bleibt hingegen noch zu untersuchen. Um Nuancen erfassen zu können, wird hier – in Abhebung von der übrigen Forschung – zunächst auf dem Unterschied von Gewaltandrohung und Gewaltanwendung beharrt.13 Denn nur ein solches Vorgehen verspricht, Zorn in seinen vielfältigen Bezugsmöglichkeiten zu Gewalt zu erfassen.14 Daneben bildet die Verkörperung von Zorn wiederum eine zentrale Kategorie der Analyse, wobei auch hier markante Unterschiede zum Rolandslied und den Gesta Frederici zu bemerken sind. So inszenieren die schweren Stangen, die zwei Männer gemeinsam nicht anheben können (KR, V. 911–914), und der Staub,

viel wie ‚Kampf liebend‘. Grimme ist das mittelhochdeutsche Wort für ‚schrecklich, wild, zornig‘. Insbesondere der zweite Name weist darauf hin, dass die Riesen als Personifikationen kaum zu zügelnder Gewaltbereitschaft aber auch von Zorn entworfen sind. 12 Siehe dazu nicht ganz zutreffend Riekenberg, Literale Gefühle, S. 28: „Die vorherrschende ‚emotionale Thematik‘ besteht in der Vortäuschung von Zorn und der damit einhergehenden Erzeugung von Angst und (Ehr-) Furcht.“ Die Schilderung vorgetäuschten Zorns ist eine Alternative unter anderen. So kommt es zu Situationen, in denen die Riesen nur so tun, als ob sie toben und dadurch die Einheimischen vor Angst schwitzen lassen (siehe KR, V. 898–900), oder in denen sie eine imposante Demonstration ihrer Fähigkeiten liefern, um erfolgreich von Rothers Geheimtreffen mit der Königstochter abzulenken (siehe KR, V. 2165–2176). Doch gleichzeitig gibt es zahlreiche Schilderungen von deren Zorn, die die Emotion als unhintergehbare beschreiben. Eine genaue Analyse und Klassifizierung der Szenen, die eine Drohfunktion von Zorn entwerfen, steht noch aus. 13 Siehe beispielhaft Fischer, Gewalt, S. 210 f., dessen Definition von Gewalt beide in eins setzt: „‚Gewalt‘ soll hier zuvörderst als physische Gewalt beziehungsweise als Anwendung oder Androhung physischer Gewalt verstanden werden, nicht nur in dem landläufigen Sinn von potestas als Macht, Herrschaft, Macht des Gebieters, Herrschaftsgebiet oder Vollmacht.“ Fuchs-Jolie, Gewalt, S. 201, verweist ebenfalls auf die beiden Dimensionen potestas und violentia und deren Anlage in der historischen Semantik des mittelhochdeutschen gewalt. Für weitere Beiträge zum Thema „Gewalt“ im Mittelalter siehe: Gewalt im Mittelalter. Realitäten – Imaginationen. Hrsg. von Manuel Braun/Cornelia Herberichs, München 2005. 14 Gleichzeitig wird so nochmals ein kontrovers diskutiertes Problem der mediävistischen Zornforschung in den Blick genommen. Es handelt sich um die Frage, ob und wann Zorn Gewalt vermeidend wirkt und wann er unmittelbar mit Gewalt verbunden ist. Während Althoff darauf abhebt, dass Zorn in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters vor allem eine Gewalt vermeidende Zeichenfunktion zukommt, betont Ridder die unmittelbare Verbindung von Emotion und Gewalt im Kampfzorn der Helden. Im Zorn der Riesen deutet sich eine dritte Möglichkeit an.



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den die Riesen beim Gehen stärker aufwirbeln als andere beim Reiten (KR, V. 652–654), diese Figuren als Sinnbilder überschwänglicher, physischer Kraft. Die gleich bei der Einführung der Riesen derart anschaulich gemachte körperliche Exorbitanz scheint implizit eine Lizenz zu unkontrolliertem Zürnen zu enthalten. Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass auch der Zorn der Riesen nicht als reine Raserei dargestellt wird, sondern gerade daraus seine Macht generierende Wirkung bezieht, dass er in der Schwebe zwischen Exorbitanz und Kontrollierbarkeit gehalten wird. Die Verkörperung erfolgt dabei kaum über Symptome, sondern mehr über Gesten. Einen besonderen Status erhalten Gegenstände mit unterschiedlichen Funktionen: Während Schwerter und Stangen die Körper der Riesen gleichsam ‚verlängern‘ und die Angriffsbereitschaft versinnbildlichen, dienen Ketten dazu, diese im Zaum zu halten. Schon als Rothers engster Vertrauter Berchter diesem rät, die Riesen unbedingt auf die Reise mitzunehmen, kommen grundlegende Merkmale von deren Zorn zur Sprache: [S]war sie einin zorn willen han, sowilich in intwichet vor der stangin, unde her in mit deme swerte gelangit, der ne dorfte umbe daz sin leben nimmir einin pfenninc gegeven. Nu vore, kuninc Rother, derre wigande zwelfe ober mere, so ne dar uns nehein man mit sime volke bestan, her ne moze virlesin den leben. Wohin immer sich ihr Zorn richtet, / derjenige, der ihrer Stange entkommt, braucht, dann, / wenn einer von ihnen ihn mit dem Schwert erreicht, / für sein Leben / keinen Pfennig mehr zu geben / König Rother, nun führe mit dir / zwölf dieser Helden über das Meer, / dann wagt es niemand, / sich uns mit seinen Kriegern gegenüberzustellen, / ohne daß er sein Leben verlieren muß. (KR, V. 671–680)

Der Status der Riesen im Plan der Brautwerber wird hier deutlich formuliert: Sie sollen den einschüchternden Part übernehmen. Dabei wird Zorn als Auslöser dafür gesehen, dass die Riesen ihre immense Körperkraft gegen jemanden einsetzen. Nur wenn sie zornig sind, schlagen sie auch zu. Aus Berchters Rede ist nicht eindeutig zu entscheiden, ob die Emotion als Reaktion auf Provokationen oder als Habitus der Riesen gesehen werden muss, ob sie also nur auf Kränkungen zornig reagieren, um dann gezielt Gewalt auszuüben, oder ob sie als grundsätz-



5.1 Zorn einzelner Figuren 



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lich zornig gelten und deshalb eine ständige Gefahr darstellen.15 Der Zorn der Riesen oszilliert ständig zwischen diesen beiden Möglichkeiten, wird weder nur als permanente Raserei, noch nur als punktuelle Reaktion auf erfahrenes Unrecht vorgestellt. Seine Unberechenbarkeit und seine drohende Wirkung werden auf diese Weise verstärkt. Dadurch schreibt ihm Berchter in der Ökonomie der Macht, die darauf beruht, Gegner zu unterwerfen, eine zentrale Bedeutung zu: Um den Zorn der Riesen und die damit einhergehende Lebensgefahr zu vermeiden, verhalten sich die Eingeschüchterten, so wie es von ihnen erwartet wird. Physische Gewalt muss bei dieser Form der Unterwerfung gar nicht erst angewandt werden. Der Erzähler bestätigt die Einschätzung Berchters, als er den stärksten der Riesen, Witold, vorstellt: [D]a under hette her einin riesin vreisam, des moste man groze hote han. der gienc gebunden alse ein lewe unde was der aller kunisten eine der ie motir barn gehiez. swenne man in von der kitenin geliez, deme nitete nieman einin zorn, er ne hette den lib virlorn. Unter diesen hatte er einen furchterregenden Riesen, / auf den man sorgfältig aufpassen musste. / Der ging gebunden wie ein Löwe einher / und war einer der Kampfgewaltigsten von denen, / die jemals Sohn einer Mutter genannt worden sind. / Wenn man ihn von der Kette ließ, / dann gab es keinen, der ihn in Wut brachte, / ohne sein Leben zu verlieren. (KR, V. 758–765)16

15 Die Formulierung swar suggeriert ähnlich wie die Schilderung von Friedrich Barbarossas Zorn in den Gesta Frederici eine Lenkbarkeit und Richtung von Zorn, was diesen zumindest sprachlich als bereits vorhandene Verfassung erscheinen lässt, die sich nur gegen jemanden richten muss. 16 Es ist auffallend, wie selten Stein zorn mit „Zorn“ übersetzt. Er wählt stattdessen „Aggressivität“, „Wut“ oder „Unmut.“ Zum Bedeutungsspektrum und der Verwendung von zorne im König Rother siehe Riekenberg, Literale Gefühle, S. 55 f.: „Am häufigsten tritt insgesamt zorn selbst oder in einer Abwandlung, wie z. B. zornecliche oder zurnig, auf. Eine breite Differenzierung im sprachlichen Ausdruck ist nicht gegeben. Die Folge ist daher zwangsläufig, dass etwa in dem Wort zorn sämtliche Konnotationen und Bedeutungsfelder, abhängig von der jeweiligen dargestellten Situation und ihrer Wirkung im Text inbegriffen sind.“ Tatsächlich decken die Bedeutungen, die bei Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, S. 338, für zorn genannt werden, mehr ab, als wir heute unter „Zorn“ verstehen würden. Das Wort heißt nicht nur „plötzlich entstandener Unwille, Heftigkeit, Zorn, Wut“, sondern kann auch das bezeichnen, „worüber man aufgebracht ist“ sowie das Ergebnis „Zank, Streit.“ Siehe dazu auch den Artikel „Zorn“ in: Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 16, München 1984, Sp. 90–107, hier Sp. 90: „in den ältesten



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Das mittelhochdeutsche zorn bezeichnet an dieser Stelle die Kränkung, also den Auslöser von Zorn. Die Emotion erscheint an dieser Stelle als vorübergehende Reaktion, denn es wird suggeriert, dass Witold nicht rasend um sich schlägt, sobald seine Ketten gelöst werden, sondern erst, wenn jemand ihn kränkt. Die Emotion erhält dadurch zugleich eine Begründung, denn sie vollzieht sich nicht ohne vorausgegangenes (Fehl–)Verhalten, wobei die Einschätzung dessen, was als Provokation oder Kränkung gilt, im Empfinden des Zornigen verortet wird. Im Austarieren von Machtverhältnissen erhält er demnach eine zentrale Funktion. Er zeigt an, wann Gewalt droht und Unterordnung angebracht ist. Die Ketten veranschaulichen das Paradoxon eines kontrolliert unkontrollierten Zorns und die große Bedrohung, die ein aufgebrachter Witold für das Umfeld darstellt. Was in der Figurenrede Berchters und der Beschreibung Witolds durch den Erzähler noch ankündigenden Charakter hat, wird im Folgenden anhand mehrerer Situationen und in unterschiedlichen Konstellationen erzählt. Dass und wie die Drohungen gelingen, zeigt sich in den Figurenreden der Eingeschüchterten. So antworten etwa einige Bürger Konstantinopels, die die Ankunft Rothers beobachtet haben – der unter dem Namen Dietrich als sein eigener verstoßener Gefolgsmann reist –, auf die Frage der Königin nach Ziel und Zweck von dessen Reise: [W]er vorten die vreislichen diet: da newart schowenis niet! dar ligit ein gebunden vor sime zorne, wir werin anderis die virlorne. Wir hatten Angst vor den grauenerregenden Leuten: / So kam es gar nicht zu einer Besichtigung! / Dort liegt einer, den man wegen seiner Aggressivität angekettet hat, / andernfalls wären wir alle verloren gewesen. (KR, V. 849–852)17

Die Bürger sind von Witold, der nach ihrer Interpretation wegen des von ihm drohenden Zorns in Ketten liegt, derart eingeschüchtert, dass sie den Strand sofort verlassen und gar nicht erst weitere Informationen einholen. Sie glauben, dass er sie töten wird, wenn man ihn von der Kette lässt. Diese Erkenntnis veranlasst

vocabularen, glossen und sonstigen übersetzungsschriften giebt zorn das lat. ira, iracundia und verwandtes wieder. als ursprüngliche Bedeutung dürfte aber nicht die gemüthsbewegung als solche anzusehen sein, sondern ‚kampf, streit mit thaten und worten‘, verbunden mit der entsprechenden erregung […] innerhalb des deutschen hat sich also das wort erst allmählich auf das seelische gebiet eingeschränkt.“ 17 Stein übersetzt wahrscheinlich mit Aggressivität, um hervorzuheben, dass zorn hier als Habitus zu verstehen ist.



5.1 Zorn einzelner Figuren 



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sie sofort zur Flucht und Witolds Zorn wird auf diese Weise gerade als von Ketten gebändigter als äußerst beängstigend gezeigt. Während sich die Einschüchterung der Bürger durch Witolds Zorn noch als unbestimmte Flucht Bahn bricht, beeinflusst das Stampfen des Riesen Asprian die Entscheidung, ob Rother/Dietrich an Konstantins Hof aufgenommen werden soll, eindeutig zu Rothers Gunsten. Dabei erfolgt die Verkörperung von Zorn als exorbitante auf Gewalt verweisende Geste: Asprian der riese trat / in de erden biz an daz bein. („[S]tampfte der Riese Asprian / bis über den Knöchel in den Erdboden.“; KR V. 942 f.) Dass diese Demonstration ihre Wirkung nicht verfehlt, lässt sich an Konstantins Frage erkennen, die er im Anschluss an Asprians Stampfen an seine Gefolgsleute richtet und in der er das Verhalten der Riesen als Zorn deutet: [W]az wert iz umme den virtrivenen man? mir is leit, daz er ie here quam, unde die sine holden dunkint mich harte irbolgen, die habent so notlic gesite: Da stet ein unde tredet, der gezeme wole in der helle deme tuvile zo eime gesellen! Was geschieht mit dem Vertriebenen?  / Mir ist es unangenehm, daß er je hergekommen ist, / und seine Gefolgsleute / wirken auf mich sehr gereizt, / sie benehmen sich gewalttätig: / dort steht einer da und stampft, / der würde in der Hölle / gut als Kumpan zum Teufel passen! (KR, V. 953–960)18

Konstantins Ratgeber sind gleichermaßen eingeschüchtert und empfehlen ihrem Herrn unter Verweis auf ihr aller Leben, Dietrich/Rother wohlwollend am Hof aufzunehmen: diz ist ein vreislicher diet, den sul wir grozliche geben, daz sie uns lazen daz leben („dies hier aber sind schreckliche Leute,  / denen gegenüber wir uns großzügig erweisen müssen, / damit sie uns das Leben lassen“; KR V. 964–966). Der Zorn der Riesen wirkt also auf alle Feinde gleichermaßen einschüchternd und führt zum gewünschten Ergebnis. Eine weitere machtvolle Zornesgeste vollzieht Asprian, als Konstantin den weit entfernt geglaubten Rother beleidigt:

18 Für erbelgen findet sich bei Lexer, Mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch, „zornig werden, zürnen, sich entrüsten.“



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Alse Asprian dise rede virnam, den schilt er vazzen began unde vordirte sin wicgewete. Als Asprian das hörte, / ergriff er seinen Schild / und verlangte nach seiner Rüstung. (KR, V. 1000–1002)

Anders als beim Stampfen nimmt die Geste hier Ausrüstungsgegenstände in Anspruch, die auf einen Kampf verweisen. Schild und Rüstung rufen allerdings weniger den Angriff als die Verteidigung auf, was darauf verweist, dass Asprians Zorn hier eine Beleidigung seines Herrn abwehrt. Dass er zudem aber auch auf einen Angriff ausgerichtet ist, macht Asprians darauffolgende Rede unmissverständlich deutlich. In der Rede droht er Konstantin und seinen Leuten mit dem Tod, falls diese in attackieren, und vergisst auch nicht, dabei auf seine Stange, das Zeichen seiner Angriffsbereitschaft, zu verweisen (KR, V. 1003–1013). Der Rückbezug wird deutlich  – Konstantin begreift, dass Asprian eine Kränkung abwehrt – und die Drohung gelingt – er nimmt die Beleidigung zurück. Obwohl dieser Zornausbruch von der List-Handlung aus unmotiviert und irrational erscheint, erfüllt er erfolgreich den Zweck, Rother aufzuwerten und Konstantin herabzusetzen. Zorn als Drohung zeigt wieder seine Wirkung, ohne dass jemand physisch zu Schaden kommt.19 Dies gilt auch für die zuvor analysierten Stellen. Der Zorn der Riesen wird zwar mit Gewalt eng geführt, er verweist aber nur auf eine potentielle Gewaltanwendung, und indem er diese androht, führt er letztlich zu deren Vermeidung: Bei der Ankunft Dietrichs/Rothers kommt es zu keinen (kriegerischen) Auseinandersetzungen, da die Furcht vor den zornigen Riesen die Bürger sofort das Feld räumen lässt. Indem Asprians Zorn Konstantin und seine Leute dermaßen einschüchtert, dass sie Dietrich/Rother am Hof akzeptieren, kann ein offener Konflikt vermieden werden.20

19 Zum Bruch in der List-Handlung und der Gleichsetzung von Asprians Geste mit Gewalt siehe Kiening, Arbeit, S. 230 f.: „Auf Dissonanzen und Konflikte verbaler Art reagieren sie [die Riesen; E. F.] mit unmittelbarer körperlicher Gewalt und haben dementsprechend Schwierigkeiten, Rothers Auftreten als Dietrich, diese verbal begründete Verstellung also, immer mitzuvollziehen. […] Spricht Konstantin von den eingekerkerten Boten, wird Asprian zum vehementen Verteidiger Rothers und fällt damit aus der Rolle (v. 1000–1013). Konstantin bemerkt es nicht, oder anders gesagt, im Sinne der kompositorischen Motivierung: Er darf es nicht bemerken.“ 20 Damit gilt, was schon Fischer, Gewalt, S. 214, festgestellt hat, ohne dass er dabei die Funktion von Zorn genauer bestimmt hätte: „Die Dichtung stellt freilich nicht die körperliche Stärke als solche in den Mittelpunkt, sondern die Stärke als latente Bedrohung, die ihrerseits beträchtliche





5.1 Zorn einzelner Figuren 

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Doch obwohl durch die Drohgebärde Gewalt oft vermieden wird, bleiben Unkontrollierbarkeit und Gewaltexzess über sonstige Reaktionen der Riesen genuin mit Zorn verbunden. So etwa, als Asprian mit Konstantins verwöhntem Löwen kurzen Prozess macht, indem er ihn an der Wand zerschmettert (KR, V. 1146–1152) oder bei anderer Gelegenheit einen Kämmerer mit einem Fausthieb den Kopf zerschlägt (KR, V. 1646–1649). Zorn bleibt dabei unerwähnt, obwohl sich der Löwe und der Kämmerer provokant verhalten. Der eine frisst den Gästen an der Festtafel das Brot vom Tisch, der andere macht ihnen zu anderer Gelegenheit den Ehrenplatz streitig.21 Die Gewalt der Riesen an den beiden erwähnten Stellen erfolgt ohne vorherige emotionale Motivierung oder Ankündigung. Dies kann als ein weiteres Indiz für meine Deutung gelesen werden, dass der Zorn der Riesen zumindest im ersten Teil des König Rother eher als Androhung von Gewalt denn als deren Motivation inszeniert wird. Dies ändert sich im zweiten Teil, nachdem Rother erneut, diesmal allerdings unter seiner echten Identität, nach Konstantinopel zurückkehrt, um die verlorene Braut wiederzuholen. Als es zum Kampf gegen die Heiden kommt, werden Zorn (nît) und Gewalt der Riesen eng geführt: dar liefen do mit nide zwene riesen vreisam („Da stürmten (nämlich) voller Kampfeswut zwei schreckliche Riesen herzu“; KR, V. 4224 f.).22 An dieser Stelle ist die Emotion Teil des Kampfes geworden. Statt um Einschüchterung durch Zorn scheint es nunmehr um Zorn als Antrieb im Gefecht zu gehen. So wird auch Witold, immer wenn Schlachten bevorstehen, vom Erzähler als der grimmige man (KR, V. 4255) oder sogar der zurnigste man (KR, V. 2706) bezeichnet. Dabei etabliert die Gestaltung des Zornes – im Gegensatz zum ersten Teil – jedoch keine Sonderstellung der Riesen als alleinig aggressiv. Auch Wolfrat, ein weiterer Lehnsmann Rothers, wird mit Zorn und

Machtwirkung entfaltet.“ Wie gezeigt werden konnte, ist „die Stärke als latente Bedrohung“ aber gerade im Zorn der Riesen bzw. in dessen Deutung durch Bedrohte zu finden. 21 In der Zusammenschau von Droh- und Gewaltszenen wird ein zentraler Machtmechanismus deutlich, der implizit auch im Rolandslied und den Gesta Frederici Ottos von Freising zum Tragen kommt: Die Drohung mit Gewalt funktioniert nur, wenn deren Gebrauch als wahrscheinlich angenommen wird, und die Anwendung von Gewalt ist hinsichtlich des Erlangens und Bewahrens von Macht nur wirkungsvoll, wenn sie ein Drohpotential aufbaut. Zur Struktur von Drohungen siehe Popitz, Phänomene, S. 79–103. Zu Drohung und Verheißung als Macht generierende Verfahren in unterschiedlichen historischen und modernen Kontexten siehe: Drohung und Verheißung. Mikroprozesse in Verhältnissen von Macht und Subjekt. Hrsg. von Evamaria Heisler [jetzt: Freienhofer]/Elke Koch/Thomas Scheffer, Freiburg i. Br. 2007 (Scenae 5). 22 Zur Semantik von nît im Vergleich zu zorn siehe Grubmüller, Historische Semantik, S. 47–69.



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Gewalt assoziiert: do hette Wolfratis zorn gemachit blutige sporn („hatte die Kampfeswut Wolfrats blutige Spuren gezeichnet“; KR, V. 4337 f.).23 Nachdem die Schlacht gewonnen ist, rücken allerdings wieder die Riesen in den Mittelpunkt. Mit einer auf religiöse Motive und Argumente zurückgreifenden Rede plädiert Asprian dafür, Konstantin und seine Stadt zu verschonen. Und siehe da: Witold vorchte den heilant („Witold fürchtete den Erlöser“; KR, V. 4423) und hält eine Rede gegen Gewalt und für das Seelenheil, sodass es danach zu einer kollektiven Gewaltentsagung der Riesen kommt: Die riesen allentsament worfin die stangin uz der hant („Alle Riesen miteinander warfen ihre Stangen aus der Hand“; KR, V. 4453 f.). Die Stangen als Zeichen von Gewalt werden hier weggeworfen, Zorn als Drohung aber bleibt bestehen. So wird zumindest Witold noch einmal zornig gezeigt, als er den besiegten Konstantin sieht: [D]o in Widolt gesach, ovilliche he sprach: he lach inde beiz in die stangin, daz die voris flamme dar uz voren dicke. die vreislichen blicke sach man an deme konin man, dar ne mochte neman zo gegan. Als aber Witold diesen erblickte, / gab er Zeichen des Unmuts von sich: / Er wälzte sich auf dem Boden und biß in die Stange, / daß Feuerfunken / in großer Zahl daraus hervorsprühten. / Furchterregende Blicke / warf der kampfwütige Mann um sich, / niemand wagte es, / ihm nahe zu kommen. (KR, V. 4657–4664)

An dieser Stelle zeigt sich, dass die Stange nicht aus dem Repertoire verschwunden ist, sondern umgewertet wird: Indem Witold nun hineinbeißt, wird der Gegenstand, der zuvor für die Gewalttätigkeit und das Ausleben von Zorn stand, zum Sinnbild der Selbstbeherrschung. Die Ketten sind zudem von dem Zureden durch Umstehende flankiert und werden hier nicht ausdrücklich erwähnt: sine rededen ime vile evene mide, / he hof die meisten unside („Hätten sie ihm nicht besänftigend zugeredet, / hätte er größtes Unheil angestiftet“; KR, V. 4665 f.). Ein

23 Daneben gibt es auch immer noch Schilderungen von Gewalt ohne Zorn: [D]i siechen lagen in den wal. / swa sigein we rief, / Widolt in ane lief / unde trat eme in den munt: / der ne wart nimer gesunt! / sie mostin durch not dagen / unde beiden dumenstagis, daz dar nie man genas. („[D]ie Verwundeten lagen auf dem Schlachtfeld herum. / Wo immer einer Schmerzenslaute ausstieß, / kam Witold zu ihm gerannt / und gab ihm einen Tritt ins Gesicht: / ein solcher wurde niemals wieder gesund! / Sie konnten nicht anders, als sich still zu halten / und auf das Jüngste Gericht zu warten, so daß da niemand mit dem Leben davonkam.“; KR, V. 4280–4287).





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Einwirken von außen ist zwar zur Beschwichtigung von Witolds Zorn noch nötig, aber Worte reichen aus, um den Riesen sich selbst kontrollieren zu lassen. Die sprühenden Funken führen die Exorbitanz von dessen Kraft und Emotion nochmals vor Augen und verweisen zugleich auf das gängige Bild vom Brennen und Lodern im Zorn, das im König Rother ansonsten allerdings nie zur Visualisierung der Emotion herangezogen wird. Dass die drohende Wirkung von Zorn auch in seiner (selbst-)beherrschten Form erhalten bleibt, zeigt sich in dieser Szene zum einen daran, dass sich zunächst keiner mehr Witold zu nähern wagt. Zum anderen thematisiert die Königin  – wenn auch auf für ihren Mann sehr spöttische Weise – nochmals die Gefährlichkeit von Witolds Zorn: inbreche her von der lannin, / din leven were irgangin („Könnte er sich von seiner Kette befreien, / wäre dein Leben zu Ende!“; KR, V. 4685 f.)24 Die Riesen ändern also im Laufe der Handlung ihr Verhalten, von drohendem Gebaren über gewaltvolles Kämpfen hin zu gewaltfreiem Benehmen. Diesen Stationen wird Zorn auf jeweils unterschiedliche Weise zugeordnet: Erst fungiert er als Androhung von Gewalt, dann als Antrieb zu Gewalt und am Ende führt seine mühsame Kontrolle zu Gewaltlosigkeit, wobei die Drohfunktion erhalten bleibt. Zorn ist nicht mit Gewalt gleichzusetzen, sondern erhält im König Rother einen Sonderstatus. Er bleibt als wirkungsvolle Drohung den Riesen vorbehalten und wird nicht anhand von Herrscherfiguren inszeniert. Wie zu sehen sein wird, zeichnet sich dies schon an Rothers Gegenspieler König Konstantin sowie dem Heidenkönig Ymelot ab, gilt aber erst recht für den Titelhelden selbst.

5.1.2 Konstantin als Verkörperung machtlosen Zorns Der König Rother kreist nicht nur um die Frage, wie mithilfe der Zorn-Darstellung positive von negativer Herrschaft abzugrenzen ist.25 Vielmehr steht Zorn als Macht bringende Emotion selbst im Vordergrund. Dementsprechend wird Konstantin über die Emotion nicht primär moralisch abgewertet, sondern seine Unterlegen-

24 Erst an dieser Stelle, nicht aber bei der Schilderung von Witold im Zorn, werden die Ketten nochmals erwähnt. Auch sie sind also nicht aus dem Repertoire verschwunden, sondern bei der Visualisierung von Zorn lediglich in den Hintergrund getreten. 25 Dass dies der Fall ist bemerken – wenn auch nicht direkt auf Zorn bezogen – bereits Fischer, Gewalt, S. 209: „In exemplarischer Gegenüberstellung wird eine Typologie des guten und des schlechten Herrschers entworfen“ und Kiening, Arbeit, S. 228: „Rother und Konstantin sind als Gegentypen angelegt: Wo der eine die gerechte Sache vertritt, handelt der andere tyrannisch gegenüber den Schwächeren und opportunistisch gegenüber den Stärkeren.“



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heit gegenüber Rothers Macht über die Zorn-Darstellung verdeutlicht.26 Diese Strategie bestimmt schon in der ersten Werbungsphase die Figurengestaltung. Als Rothers Bote, der sich zuvor bei Konstantin abgesichert hat, jedes Anliegen unbehelligt vortragen zu dürfen, die Heiratsabsichten seines Herrn vorbringt, reagiert Konstantin zornig, aber machtlos: [T]rorich sprach do Constantin – zurnich was der mot sin –: ‚daz ich die rede irloubit han, des moz ich lange trorich stan!‘ Mit bekümmerter Miene sprach da Konstantin / – er war erzürnt –: / ‚Daß ich dir erlaubt habe, deine Botschaft vorzutragen, / davon werde ich noch lange Kummer haben.‘ (KR, V. 324–327)

Die nach außen sichtbare Trauer führt hier ebenso wenig wie der im Innern der Figur verankerte Zorn zu einer machtvollen Reaktion. Zusammen mit Konstantins Rede spiegeln beide in diesem Moment eher wider, dass dem König die Hände gebunden sind.27 Noch drastischer wird das Gefälle zwischen Konstantin und Rothers Macht im weiteren Verlauf der Handlung geschildert. So bringt die bereits erwähnte zornige Reaktion des Riesen Asprian Konstantin dazu, von jeglichem ernsthaften Machtanspruch gegenüber Rother zurückzutreten. Zuvor hatte Konstantin den vermeintlich abwesenden Rother im Beisein der Riesen und Dietrichs/Rothers geschmäht. Nach einer zornigen Tirade Asprians entschuldigt er sich: Constantin zo ime sprach: ‚herre, ir zornit ane not,

26 Ähnlich argumentiert Rita Zimmermann: Herrschaft und Ehe. Die Logik der Brautwerbung im König Rother. Frankfurt a. M. u. a. 1993, vor allem mit dem Ziel, den Brautvater Konstantin und Gegenspieler Rothers zu rehabilitieren. Sie bemerkt, dass es letztlich darum geht, wie Machtpositionen miteinander relationiert und ausgehandelt werden: „Da ein nicht-ebenbürtiger Werber den sozialen Rang und die gesellschaftliche Geltung der Brautsippe infrage stellt, indem er sich mit dieser für vergleichbar hält, wird Constantins aggressives Vorgehen erklärbar: Die Werbung wird als Affront angesehen, da sie die ‚wirkliche‘ soziale Potenz seines Geschlechts unterschätzt“; S. 43. Ohne dass sie die Zornthematik weiter verfolgt, impliziert die Autorin mit dieser These, dass Konstantin über die Emotion nicht einfach negativiert wird, sondern seinen Status gegenüber den Anwärtern auf seine Tochter zu behaupten versucht. 27 Zum Motiv der Selbstbindung, das auch vorbildlichen Herrschern zugeschrieben wird und deren Macht in Machtlosigkeit verkehrt, siehe Harald Haferland: Das Vertrauen auf den König und das Vertrauen des Königs. Zu einer Archäologie der Skripts ausgehend von Hartmanns von Aue Iwein. In: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005), S. 335–376.



5.1 Zorn einzelner Figuren 



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wande huch hi neman missebot! die rede die ich han getan, die suld er nicht zo nide han. mich machent getrunkin mine man, daz ich hute alse en tore gan!‘ Konstantin sprach zu ihm: / ‚Herr, Ihr seid ohne Grund erbost, / denn hier hat Euch niemand ungebührlich behandelt! / Die Worte, die ich eben geäußert habe, / sollten Euch nicht zu Feindseligkeiten veranlassen.  / Meine Leute machen mich betrunken,  / so daß ich mich heute wie ein Tor verhalte!‘ (KR, V. 1015–1021)

Der Figur wird zugeschrieben, dass sie einem Kräfte-Messen im Zorn aus dem Wege geht und stattdessen lieber vorschützt, betrunken gewesen zu sein. Damit wird Asprians Zorn als absolut wirksame Performanz von Macht vorgestellt, die Konstantin in keiner Weise zur Verfügung steht. Diese Inszenierung wird in einem späteren Kommentar der Königin zur Überlegenheit der Ankömmlinge nochmals explizit gemacht: ‚[D]ise ne sin dir aver kumin nicht rechte, sie voren gote knechte, mich dunkit, daz sie dine meistere sin. du torstis baz in daz ouge din gegrifin mit thiner hant, den du zornetis wider dessen wigant immer mit eineme hare! hude ne is din gebare nicht kunincliche getan: du zuckis dich trunckenheit an!‘ ‚Diese nämlich kommen dir gar nicht gelegen, / (denn) sie haben tüchtige Ritter bei sich, / mir kommt vor, sie sind dir über. / Du würdest dich eher getrauen, in dein Auge / zu fahren mit deiner Hand, als gegen diesen Helden / auch nur im geringsten zornig aufzumucken. / Heute ist dein Auftreten / gar nicht königlich: / du hast Trunkenheit vorgeschützt!‘ (KR, V. 1082–1091)

In dieser Rede setzt die Königin Zürnen als königliches Gebaren und spricht damit aus, was der König Rother in zahlreichen Szenen vorzuführen scheint: Wer zürnt, hat Macht. Dieser Befund stimmt insofern nicht ganz, als Rother zwar (sogar königliche) Macht hat, aber nie zürnt. Auch das Verhalten der Riesen beschreibt er nicht vollkommen treffend, denn es wird eher Machtgewinnung durch Zorn in ihrer Prozessualität und in unterschiedlichen Varianten vorgeführt, als dass die Emotion als statisches Zeichen von Überlegenheit fungiert. Konstantins Frau beschreibt ihren Mann in diesem Moment als absolut nicht seine machtvolle Posi-



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tion verkörpernden Feigling, der sich eher selbst körperlichen Schaden zufügen würde, als machtvollen Zorn zu demonstrieren. Die Funktion von Zorn als statisches Zeichen von Überlegenheit scheint nur an einer Stelle auf und wird Konstantin zugeschrieben. Als Asprian dessen Löwen gegen die Wand schmettert, weil der ihm an der Festtafel Brot vom Teller geschnappt hat, kommt Konstantin in arge Bedrängnis, wohingegen die Königin mit Schadenfreude reagiert: Die kunincgine sach gerne den zorn, / daz der lewe was virloren („Die Königin sah mit Freuden den Aufruhr darüber, / daß der Löwe zugrunde gegangen war“; KR, V. 1172 f.). Sie nutzt die Gelegenheit um an ihren Mann zu appellieren, dass er die gefangenen Boten freilassen solle. Doch gegenüber den Unterlegenen und Geschundenen beharrt er auf seinem Zorn: Der kuninc, ioch in der note, sprach, daz her dies nine tete. ir bete were al verloren, se mostin dolen sinen zorn. Selbst in dieser bedrängten Lage sprach der König, / daß er das niemals tun werde. / Ihre Bitte sei völlig sinnlos, / sie müßten seinen Grimm erdulden. (KR, V. 1198–1201)

Während ein Zürnen gegenüber körperlich überlegenen Gegnern wie den Riesen keinesfalls infrage kommt, lässt Konstantin an den ihm vollkommen ausgelieferten Boten seinem Zorn freien Lauf. Deren desolate Situation und deren körperlicher Verfall während des über einjährigen Aufenthalts in Konstantins Kerkern wird mehrfach hervorgehoben. Zorn hat hier keinerlei Macht bringende Funktion, sondern ist nur ein Ausleben kompletter Überlegenheit. Kontrastierend dazu wird in einer ähnlichen Szene wieder Konstantins Unterordnung unter das Recht des Stärkeren geschildert: Asprian erschlägt den Kämmerer des Herzogs Friedrich, eines mächtigen Gefolgsmannes Konstantins, weil dieser ihm den für Rother reservierten Platz am Tisch streitig gemacht hat. Als sich Friedrich an Konstantin wendet, ist dieser nicht bereit, seinen Leuten Recht zu verschaffen, sondern verweist sie an Dietrich/Rother (KR, V. 1740–1743). Doch auch Herzog Friedrich verzichtet aus Angst vor der Anwesenheit des Riesen Witold am Hof auf eine Gerichtsverhandlung (KR, V. 1751–1755). Damit erscheint Konstantin nicht nur in seiner Machtposition gegenüber den Gästen degradiert, sondern auch seine herrscherliche Funktion als oberster Richter ist geschmälert. Zorn und Gewalt der Riesen haben ihn so eingeschüchtert, dass er sich nur in der Zweisamkeit mit der Königin über die ihm zugefügte Schmach zu beklagen wagt. Als diese ihn harsch abweist, beharrt er nicht auf seinem Zorn: Den zorn



5.2 Zorn und Erzählen 



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liez Constantin bestan (KR, V. 1814).28 Der anfangs so weit gefürchtete Konstantin erfährt durch Rothers Boten und dessen Riesen eine fortschreitende Entmachtung, die sich auch an seinem Zorn ablesen lässt. Dieser erscheint nicht (mehr) als machtvoller Verweis auf eine Gewalt, die er auszuüben bereit und stark genug ist, sondern verkommt zu einem Aufbegehren im Geheimen oder einer Geste der Willkür gegenüber Wehrlosen.29 Der Unterschied von Konstantins Zorn und dem Zorn der Riesen macht sich auch in vollkommen andersartigen Verkörperungen bemerkbar. Während die zornigen Riesen bedrohliche Gesten vollziehen und Macht beanspruchende Reden halten, werden Konstantin vor allem entschuldigende, resignierende Worte – und an einer Stelle eine traurige Haltung – zugeschrieben. Die wenig Macht fördernde Wirkung seines Zorns spiegelt sich so auch in seinem Auftreten wider.

5.2 Zorn und Erzählen 5.2.1 Tabuisierung von Rothers Zorn Kiening ordnet den Riesen im Bezug auf Rother eine doppelte Funktion zu: Auf Handlungsebene sichern die Riesen Dietrich/Rother, komplementär zu der Freigebigkeit, mit der er sich ere verschafft, Respekt, drängen sie Konstantin in die Defensive und schaffen sie Freiräume für ‚diplomatische‘ Aktionen wie den Kemenatenbesuch. Auf kom-

28 Stein übersetzt hier: „Konstantin verzichtete auf eine weitere Auseinandersetzung“; S. 151. 29 Die Emotion wird in der Inszenierung des Heidenherrschers Ymelots weit weniger häufig thematisiert. Dennoch wird auch er an zwei Stellen über Zorn konturiert. So schreibt ihm der Text eine gewisse Zorn-Kompetenz zu, als Konstantins Tochter bei Tisch laut auflacht und dem Zorn auf ihren Vater entsagt (KR, V. 3880–3884). Ymelot durchschaut sofort das Lachen und die Zorn-Entsagung der Königstochter als Zeichen dafür, dass Rothers Kundschafter sich in den Saal eingeschlichen haben müssen (KR, V. 3895–3905). Als der Kampf gegen Rother bereits im Gange ist und die Heiden sich in der Überzahl befinden, sieht Ymelot, dass Rother unerwartet von Arnold, dem Vertriebenen, den Rother zuvor reich beschenkt hatte und der in Konstantinopel zurückgebliebenen war, Hilfe zueilt. Ymelot beharrt angesichts dieser Veränderung der Kräfteverhältnisse auf der eigenen Überlegenheit, indem er seinen Zorn thematisiert: ‚[W]och, geniz sint die recken, / die woldin uns irsreckin!an den gerechich minin zorn, / sie havent ouch den lib virlorn!‘ (‚Pah, dort kommen jene Vertriebenen daher, / die wollen uns wohl Angst einjagen! / Die werden meinen Zorn zu spüren bekommen, / und ihr Leben ist auch bereits verspielt!‘; KR, V. 4111–4114) Damit wird in der Figur Ymelot ein Konzept von Herrscherzorn angedeutet, das an den Zorn von Rothers Riesen erinnert. Eine einschüchternde Wirkung dieser Drohung wird aber nicht geschildert und Ymelot im Kampf getötet, sodass dieses Konzept von Herrscherzorn zwar kurz anklingt, aber nicht als erfolgreiches entfaltet wird.



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 5 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother

positorischer Ebene profilieren sie Rother als denjenigen, der archaische Gewalt von sich selbst fernhält und doch über sie verfügt, als den, der das Archaische zu bändigen und zu kontrollieren vermag.30

Gerade letztere Einordnung entspricht zwar Kienings Deutung, nach der der König als allmächtiger Herrscher über das Geschehen und als Herr der Erzählung selbst gezeichnet wird. Allerdings räumt er mit dieser Interpretation der Rother-Figur einen Handlungsspielraum ein, den diese gar nicht ausfüllt: Rother wird zwar listig und aktiv gezeigt (siehe KR, V. 712–725, 916–940, 1965–2020, 3844 f., 3994) – er organisiert die Brautwerbung unter falschem Namen, er verteilt Geschenke, die ihm später viele Verbündete garantieren  – doch, sobald die Sprache auf den Einsatz von Zorn kommt, fällt Rother aus dem Text. Er wird nie als Initiator oder auch nur explizit Zustimmender gezeigt, wenn es darum geht, die Riesen zu instrumentalisieren. Auf den Rat Berchters erfolgt keinerlei Schilderung von Rothers Reaktion. Was der Vertraute rät, wird gleich darauf als weitere Handlung erzählt. Auch immer dann, wenn die Riesen eingesetzt werden, um als Ablenkungsmanöver zu dienen, geht die Initiative von Berchter, nie von Rother selbst aus. Zorn wird sogar in seinem strategischen Einsatz von ihm fern gehalten. Das Gleiche gilt für die Emotion selbst. Rother ist zwar in vielen Augenblicken, die eigentlich seinen Zorn erwecken müssten, anwesend, eine zornige Reaktion seinerseits wird hingegen nie erzählt. Dies ist umso auffallender, als Rother nicht generell von Gefühlen freigehalten wird. Die Trauer um seine Boten, die er vorausgeschickt hat und die von Konstantin gefangen genommen wurden, wird häufig nicht nur erwähnt, sondern auch in Form von Weinen und Trauergesten des Königs dargestellt (KR, V. 435–441, 448–456), sein Zorn hingegen weder geschildert noch auch nur angedeutet. An die Stelle seines Zorns wird systematisch der Zorn der Riesen gesetzt. Als Rother unter dem Namen „Dietrich“ bei Konstantin darum bittet, in dessen Land aufgenommen zu werden, gewährt Konstantin ihm zwar das Erbetene, warnt den Ankömmling aber zugleich davor, je Interesse an der Königstochter zu zeigen. Dabei brüstet er sich, Rother besiegt zu haben, indem er dessen Boten eingekerkert hat. Eine Reaktion Dietrichs/Rothers bleibt unerwähnt. Statt-

30 Kiening, Arbeit, S. 231. Fuchs-Jolie, Repräsentation, S. 171–196, hier S. 178, formuliert dies folgendermaßen: „Auch Rother hat also gleichsam einen Löwen in seinem Gefolge und setzt ihn sowohl als Zeichen seiner Verfügung und Zähmung über naturhafte Gewalt als auch als Drohung und Mittel tatsächlicher Gewalt ein.“



5.2 Zorn und Erzählen 



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dessen tritt Asprian, Anführer der Riesen, in den Ring und beginnt einen Dialog mit Konstantin: Alse Asprian dise rede virnam, den schilt er vazzen began unde vordirte sin wicgewete. her sprach: ‚man butit uns hi unrechte! ir habit minen herren zo swache gezalt: Rother sante gote knechte in diz lant! sower die heiz binden, des mochte her noch lichte untgelden!‘ Als Asprian das hörte, / ergriff er seinen Schild / und verlangte nach seiner Rüstung. / Er sprach: ‚Man verweigert uns hier unser Recht! / Ihr schätzt meinen Herrn zu gering ein: / Rother sandte vortreffliche Ritter in dieses Land! / Und wer diese in Ketten legen ließ, / dem kann es noch leicht geschehen, daß er dafür büßen muß!‘ (KR, V. 1000–1007)

Hier wird klar ausgesprochen, dass Rother durch Konstantins Provokation Unrecht geschieht. Eine zornige Reaktion des Königs wäre also  – zumal in der Logik der Erzählung, die die List an dieser Stelle schlicht ignoriert  – durchaus verständlich und angebracht. Doch wird sie ausgespart und stattdessen der Riese Asprian in den Fokus gerückt. Dessen Worte mit der abschließenden Drohung, seine berüchtigte Stange einzusetzen, lassen Konstantin sofort einlenken, wobei er Asprians Zorn überhaupt erst als solchen benennt und seinen eigenen als Trunkenheit ausgibt (KR, V. 1016–1021) Nach weiteren Beteuerungen Konstantins endet das Ganze mit der lapidaren Feststellung: Asprianis zorn was irgan („Asprians Wut war verraucht“; KR, V. 1030). Die von Konstantin beabsichtigte Einschüchterung und Herabsetzung wird durch Asprians Zorn abgewehrt und in ihr Gegenteil gewendet. Am Ende ist Konstantin der Unterlegene. Damit erhält Zorn eine regulierende und Hierarchie stiftende Funktion. Wer mit seinem Zorn den anderen in die Schranken verweisen kann, verschafft sich Macht und Überlegenheit. Gerade diese gemäßigte Form von Zorn, die auf Unterordnung pocht und bei Wiedergutmachung vergeht, wäre eines sich Ehrfurcht verschaffenden Königs nur zu angemessen. Aber über Rother erfahren wir an dieser Stelle nichts. Ebenso lässt sich die Tabuisierung von Rothers Zorn an folgender Passage zeigen. Konstantin hat Rothers Braut mittlerweile wieder zurückentführen lassen und sitzt gerade an einer Festtafel mit seinem gesamten Gefolge und dem Heiden Ymelot. Diesen möchte er nun doch als zukünftigen Schwiegersohn – und damit vor allem als Verbündeten gegen Rother – akzeptieren. Was keiner weiß: Rother hat sich mit einigen Begleitern in den Festsaal eingeschlichen und sitzt nun heimlich unter dem Tisch: 

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 5 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother

[D]o horter als daz Constantin redite mit den gestiche sin. Die heideniskin kuninge vrowetin sich der menige unde sprachin, queme Rother, er wurde irtrenkit in deme mere odir bosliche virlorn. Dort konnte er alles mithören, was Konstantin / mit seinen Gästen redete. / Die Heidenkönige / waren in Hochstimmung im Vertrauen auf ihre große Kriegsmacht / und sprachen, wenn Rother käme, / würde er entweder im Meer ertränkt / oder er nähme irgendwie anders ein schimpfliches Ende. (KR, V. 3860–3866)

Dass Rother auf diese Prahlerei, die ja nicht einmal an ihn direkt gerichtet ist, nicht reagiert, leuchtet unmittelbar ein. Denn jeder Laut könnte ihn verraten und unnötig in Gefahr bringen.31 Ein Ausbleiben seines Zorns würde an dieser Stelle nicht weiter auffallen, wenn der Erzähler die Leserschaft nicht durch einen gezielten Satz darauf stieße. Er lässt die Situation nicht einfach verstreichen, sondern schiebt eine mögliche Wirkung des provokanten Gespräches zwischen den Heiden und Konstantin nach: [D]az ware Widolt zorn! („Das hätte Witold rasend gemacht!“; KR, V. 3867) Damit lenkt der Erzähler den Blick auf Witold, sodass Rothers Reaktion eine Leerstelle bleibt. Der Riese wird so vor den König geschoben, verdeckt ihn geradezu. Hätte der Erzähler Rother nur als positiven Herrscher zeigen wollen, hätte er den König seinen Zorn unterdrücken lassen können. Doch Rother wird nun einmal partout nicht zornig, aber auch nicht beherrscht gezeigt. Rothers Zorn könnte somit als Gegenstand von „Tabu-Strukturen“ aufgefasst werden, die Martin Baisch und Elke Koch als „sprachliche oder bildliche Strategien des Umschreibens, Verhüllens, Unsichtbarmachens“ bezeichnen.32 Es bleibt nicht dabei, dass Rothers Zorn einfach nur nicht erwähnt wird, sondern das Nicht-Erwähnen wird hervorgehoben, indem ein möglicher Zorn von Rothers Riesen eingeblendet wird. Ridder beschreibt dies auf anderes Material bezogen als Erscheinen des Tabuisierten im ästhetischen Wahrnehmungsprozess. Er fasst Tabu-Wahrnehmungen als Reflexionsprozesse auf:

31 Im Folgenden schreckt Rother allerdings nicht davor zurück, Konstantins Tochter auf seine Anwesenheit hinzuweisen, indem er ihr unter dem Tisch einen Ring an den Finger steckt. Tatsächlich verrät ihn deren Lachen, sodass er gefangen genommen wird und es endlich zum alles entscheidenden Kampf kommen kann. 32 Martin Baisch/Elke Koch: Einleitung. In: Neugier und Tabu. Regeln und Mythen des Wissens. Hrsg. von dens., Freiburg i. Br. 2010 (Scenae 12), S. 7–23, hier S. 14.



5.2 Zorn und Erzählen 



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Reflexion in dem Sinne, dass ein tabuisiertes Objekt einerseits aus der Welt der symbolischen Kommunikation ausgegrenzt, andererseits als unterdrücktes Objekt nachträglich in ästhetische Wahrnehmungen und Diskurse wieder aufgenommen wird.33

Der Mechanismus im König Rother ist dieser Wechselbewegung ähnlich – etwas wird weggelassen, um hinterher als Weggelassenes wieder aufgenommen zu werden. Dennoch gibt es auch einen zentralen Unterschied zu Ridders Gegenstand. Denn dieser geht von einem in der Gesellschaft als Tabu geltendem Thema (dem sexuellen Übergriff) aus und untersucht dann dessen Verarbeitung in literarischen Texten. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die literarischen Inszenierungen das eigentlich Tabuisierte gerade verarbeiten und sichtbar machen. Im König Rother ist dies insofern anders, als Herrscherzorn nicht als gängiges gesellschaftliches Tabu angesehen werden kann. Dafür gibt es  – obwohl die Gefährlichkeit der Emotion ja häufig betont wird – keine Evidenz. Das Tabu wird erst durch die Erzählung selbst ein solches, wobei der Text ein Zornhandeln Rothers als Tabu etabliert. Dabei wird das Aussenden der Drohung durch Zorn tabuisiert, nicht die imaginiert drohende Wirkung an sich. So kommt Rothers Zorn im Innern des eigenen Herrschaftsbereiches als gefürchteter ein einziges Mal zur Sprache. Die Situation ist folgende: Während Rother nach der erfolgreichen Brautwerbung in seinem Land umherreist, um die Ordnung nach seiner Abwesenheit wieder herzustellen, entführt ein Spielmann die gewonnene Braut unter den Augen von Rothers Vertrauten Lupold und nimmt sie mit zurück zu Konstantin. Nicht nur Lupold fürchtet daraufhin Rothers Zorn: nu vortich, herre dinen zorn, daz mer der lif si verlorn („Nun fürchte ich, Herr, deinen Unmut, daß ich mein Leben verwirkt habe!“; KR, V. 3305 f.) Auch Rothers Volk hat Angst vor dem Zorn seines Königs: si vorten Rotcheres zorn („Sie fürchteten Rothers Unmut [besser: Zorn; E. F.]“; KR, V. 3272). Hier wird Rothers Zorn zwar als wahrscheinliche Reaktion antizipiert, aber als der Herrscher nach Hause kommt und von seiner entführten Braut hört, schließt er eine zornige Reaktion seinerseits dezidiert aus: [V]orchtes du minen zorn, so were din dienest ovele verlorn, daz du mir dicke hast getan.

33 Klaus Ridder: Grenzüberschreitungen. Tabu-Wahrnehmung und Lach-Inszenierung in mittelalterlicher Literatur. In: Dichtung und Didaxe. Lehrhaftes Sprechen in der deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Henrike Lähnemann/Sandra Linden, Berlin, New York 2009, S. 135–153, hier S. 136. Seine Analysen beschränken sich auf das Motiv des sexuellen Übergriffs als Tabubruch.



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 5 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother

[…] gezornit ich immir widir dich, so dadich alse Judas der sich selvin virlos. Müßtest du wirklich vor meinem Zorn zittern,  / so würde die Dienstbereitschaft schlecht belohnt, / die du mir so oft bewiesen hast. / […] / Würde ich dir auch nur im geringsten zürnen, / verhielte ich mich wie Judas, / der sich selber ins Verderben stürzte. (KR, V. 3339– 3348)

Zorn wird durch die Figur selbst mit schweren Geschützen abgewehrt. Rother verbindet sich über den Judasvergleich mit seinem treuen Gefolgsmann, wie die Jünger sich Jesus verpflichteten, und vergleicht eine zornige Reaktion mit dem Verrat am Gottessohn. Dem Verhältnis von Herrscher und Untergebenem wird auf diese Weise eine heilsgeschichtliche Dimension verliehen. Während eine Gewaltanwendung Rothers im Krieg oder beim Strafen nicht geschildert wird, erfährt Rothers Zorn eine ostentative Tabuisierung und wird von der Figur selbst explizit abgelehnt. Rothers Sprechakt besteht nicht darin, gegenüber Lupold auf die Vollstreckung einer physischen Strafe zu verzichten – er könnte ja einfach sagen: ‚Fürchte dich nicht vor einer Strafe!‘  –, sondern er entwertet den Vorwurf, er selbst könne gegenüber seinen loyalen Lehnsmännern jemals in Zorn geraten. Die Rotherfigur wird also nicht nur unauffällig und implizit von Gewalt, sondern auch auffällig und ausdrücklich von Zorn freigehalten. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass im König Rother Zorn und Gewalt, Kontrollverlust und Machtgewinnung konzeptuell so stark verbunden sind wie in keinem anderen der bisher behandelten Texte.

5.2.2 Die Erzählung als Geschichtskonstruktion Hier ist nochmals auf eine Besonderheit des Textes zurückzukommen, auf die bereits Christian Gellinek aufmerksam gemacht hat: Die im König Rother häufigen Ortswechsel und Synchronisierungen verschiedener Zeitebenen sind für den Dichter technische Hilfsmittel, Requisiten, um zu unterstreichen, worum es ihm letztlich in seiner Brautwerbung ging: die Erneuerung des Herrscheramtes durch Gründung eines neuen Herrschergeschlechts. Der Dichter versucht die ‚berühmte‘ Nachkommenschaft Rothers, Pippin den Kurzen und Karl den Großen zu poetisieren.34

34 Christian Gellinek: Die Rolle der Heiligen im König Rother. In: Journal of English and Germanic Philology 64 (1965), S. 496–504, hier S. 502.





5.2 Zorn und Erzählen 

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Statt von einer Poetisierung Karls des Großen wird auch umgekehrt von einer ‚Historisierung‘ des fiktiven Geschehens um Rother gesprochen. So sieht Kiening in der Erzählung den Entwurf eines Ursprungs mittelalterlicher Herrschafts­ geschichte: Der Text verlagert die Anfänge der karolingischen Dynastie in eine genealogisch präzise, aber historisch unpräzise Vorzeit und führt wiederum diese Verlagerung als Fluchtpunkt einer mythisierenden narrativen Vergegenwärtigung vor. Dadurch, daß sich im zweiten Teil des Epos genealogische, geographische und heilsgeschichtliche Aspekte konkretisieren, erhält auch die Doppelung der ‚Brautwerbungshandlung‘ spezifische Perspektive: Sichtbar wird eine Welt im Übergang zur ‚Geschichte‘, eine Welt, in der sich politische Rationalität, diplomatische Raffinesse und inszenatorisches Kalkül durchsetzen, zugleich aber mit der Indienstnahme des Archaischen auch die Bedingungen von dessen narrativer Inszenierung zum Vorschein bringen. Konstruiert wird ein politischer Mythos im literarischen Gewand, der auf Überblendungen beruht, die wiederum als Grundlage des narrativen Sinnmusters bedürfen, das sie transformieren und transzendieren.35

In der vorliegenden Untersuchung soll Kienings Idee aufgegriffen werden, dass die Handlung des Königs Rother einen Ursprung mittelalterlicher Herrschaftsgeschichte konstruiert, der dazu dient, sich im 12. Jahrhundert selbst zu verorten. Dabei ist es meiner Meinung nach wichtiger, die Funktion der Riesen bei der Gründung der Karlsgenealogie zu bestimmen, als sie einer archaischen Sphäre zuzuordnen.36 Denn Rother nimmt sie nicht nur kurzzeitig in Dienst, sondern sie werden langfristig und für alle Zukunft in sein Herrschaftssystem integriert. Die bisherige Analyse wirft diesbezüglich zwei Fragen auf: Was bedeuten die Riesen für die Erzählung, und warum wird Rother nicht zornig gezeigt? Es ist zu überlegen, ob die Tabuisierung von Rothers Zorn mit der Art von Gewaltenteilung zusammenhängt, die Stephan Fuchs-Jolie für die Herrschaft Rothers proklamiert: Das Machtgefüge von Rothers ‚moderner‘ Herrschaft wird als ausdifferenziert beschrieben; es ist funktional aufgespalten, den Figuren werden verschiedene Kompetenzbereiche zuge-

35 Kiening, Arbeit, S. 241. 36 Anders argumentiert Kiening, Arbeit, S. 231: „Die Riesen erscheinen wie archaische Relikte, lebendige Fossilien heroischer Vorzeit.“ Siehe zu einer solchen Lesart von Riesen im Mittelalter allgemein Hans Fromm: Riesen und Recken. In: DVjs 60 (1986), S. 42–59. Erneut erschienen in: Ders.: Arbeiten zur deutschen Literatur des Mittelalters, Tübingen 1989, S. 305–324. Stock, Kombinationssinn, S. 280, spricht hingegen von einer „Verkörperung verschiedener Prinzipien durch verschiedene Figuren“ und meint, dass die Riesen nicht als archaische Relikte zu bewerten sind, sondern innerhalb von Rothers ausdifferenzierter Herrschaft den Part der Gewaltausübung übernehmen. Siehe ebenso auch Fuchs-Jolie, Gewalt, S. 205.



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 5 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother

ordnet. Den Riesen ist die physische Gewalt zugeordnet – die Figur Rothers kann so weitgehend davon freigehalten werden.37

Diese Bestimmung ist insofern zu pauschal, als die Riesen innerhalb der Erzählung ihr Verhalten ändern. Zu Beginn verkörpern sie vor allem potentielle Gewalt, die im Kampf gegen die Heiden dann massiv zur Anwendung kommt und der sie schließlich unter der Einwirkung Gottes entsagen. Das heißt also, dass ihnen nicht generell und dauerhaft innerhalb Rothers Herrschaftssystem die Funktion zukommt, Gewalt auszuüben. Beständiger scheint dagegen schon eher ihr Zorn. Zumindest Witold gerät auch nach der Zähmung noch in Zorn. Dieser wird nun jedoch von seinem eigentlichen Ziel auf ein Ersatzobjekt umgeleitet: Witold beißt in seine Stange, statt auf Konstantin loszugehen (KR, V. 4657–4668). Die Kontrolle von Zorn wird hier auch auf die Figur selbst verlagert. Nicht mehr nur die Ketten halten ihn zurück, sondern auch er sich selbst unter gutem Zureden. Die Emotion bewahrt gleichwohl ihre drohende Funktion, denn die Königin bezeichnet Witolds Verhalten als Zorn und verwendet es als einschüchterndes Argument, um Konstantin dazu zu bringen, endlich seine Tochter freizugeben (KR, V. 4668– 4686). Neben dem Verhalten der Riesen ändert sich aber auch deren Status innerhalb von Rothers Herrschaftsverband. Zu Beginn der Handlung scheinen sie noch nicht dazuzugehören, und erst Rothers schriftliche Aufforderung lässt sie an dessen Plan Anteil nehmen: [S]inin brief er do sante zo eime unkundigen lande. da was ein riese der hiez Asprian, der ne mer zo hove niquam. Sein Sendschreiben schickte er auch / in ein unbekanntes Land. / Dort residierte ein Riese namens Asprian, / der noch nie zuvor zu einem Reichstag gekommen war. (KR, V. 630–633)

Am Ende, nachdem Rother und seine Frau wieder wohlbehalten nach Bari zurückgekehrt sind und ihr Sohn Pippin geboren und getauft worden ist, stellt sich die Situation genau umgekehrt da. Rothers Lehnsmänner, die ihn bei der schwierigen Brautwerbung unterstützt haben, wollen keine Belohnung annehmen, sondern sich lieber vom Hof entfernen. Asprian sticht als einziger hervor:

37 Fuchs-Jolie, Gewalt, hier S. 204 f.



5.2 Zorn und Erzählen 



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[D]o sprac der riese Asprian: ‚wir sulin hie bestan! ich ne kome nimmir hinne ane des koningis minne.‘ Da sprach der Riese Asprian: / ‚Wir müssen noch hierbleiben! / Ich jedenfalls werde mich niemals entfernen / ohne die gnädige Erlaubnis des Königs.‘ (KR, V. 4817–4820)

Derjenige, der zuvor an keinem einzigen Reichstag teilgenommen hat, erscheint nun als der am meisten Ergebene von allen. Er unterstellt mit dieser Rede seine Anwesenheit und Abwesenheit dem Befehl des Königs und wirkt so vollkommen Rothers Herrschaftsgewalt devot. Nur wenige Verse später erhalten er und die anderen Riesen reiche Lehen von Rother, was sie auch faktisch zu dessen Herrschaftsbereich gehören lässt. Nun unterscheidet sie kaum noch etwas von Rothers anderen Gefolgsleuten, die ebenfalls großzügig mit Ländereien belohnt werden. Doch zum Abschied wird ihr (Sonder-)Status in Rothers Herrschaft nochmals thematisiert. Als die anderen Gefolgsleute Rothers um Geleitschutz bitten, melden sich die Riesen zu Wort: [D]o sprach Asprian: ‚wan ritit ir dar an? swen dar ieman bestat, wie gewis er den minin schilt hat!‘ des antwerde do Widolt: ‚ich bin allin holt, die Rother sin underdan, der nelazich nimmir nicheinin man, swa ich von ime hore sagen, dar mich die voze mogen getragen.‘ Da sprach der Riese Asprian: / ‚Warum reitet ihr nicht (einfach) dorthin? / Jeder von euch, den dort jemand bedroht, / kann fest mit meiner Waffenhilfe rechnen!‘ / Dem fügte Witold hinzu: / ‚Ich stehe loyal zu allen von ihnen, / die Rother ergeben sind, / von ihnen werde ich niemals einen im Stiche lassen, / wo immer ich Nachricht von ihm erhalte, / wenn mich meine Füße zu ihm zu tragen vermögen.‘ (KR, V. 4898–4907)

Das Drohpotential der Riesen wird also in abgemilderter Form von Rothers Herrschaft absorbiert und zum Allgemeingut gemacht. Jeder kann im Falle einer Gefahr von außen darauf zurückgreifen. Zorn wird dabei aber nicht mehr als ausschlaggebender Impuls für ein Handeln der Riesen vorgestellt. Vielmehr soll man sie einfach rufen, wenn es Probleme gibt.



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 5 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother

Hier ist erneut auf die Situation zurückzukommen, in der Lupold seine Angst vor Rothers Zorn äußert, weil er nicht gut genug auf die in seine Obhut gestellte Braut aufgepasst hat, und in der Rother dieser Befürchtung eine klare Absage erteilt. Beides soll hinsichtlich der Absorption von Zorn im System nochmals von einer anderen Warte aus gedeutet werden. Indem Lupold und dem Volk überhaupt Angst vor Rothers Zorn zugeschrieben wird, erhält die Emotion, obwohl sie nicht gezeigt und von der Figur selbst sogar abgelehnt wird  – als geltende und abschreckende Instanz innerhalb von Rothers Herrschaftsbereich Geltung.38 Da die Furcht vor Rothers Zorn von den Untergebenen internalisiert ist, braucht die zornige Reaktion sich nicht zu zeigen. Hier zeigt sich ein Bezug zu Friedrich Barbarossa in den Gesta Frederici Ottos von Freising. Dort zeichnen sich die italienischen Städte zunächst dadurch aus, dass sie den Herrscher während seiner Abwesenheit nicht fürchten und deshalb seine Gesetze nicht beachten. Im Innern des Reiches wird der Zorn des Herrschers hingegen in einem Gesetz verankert, das Bußzahlungen für dessen Besänftigung vorsieht. Den Weg einer solchen Institutionialisierung der Emotion wählt der König Rother gerade nicht. Statt einer gesetzlichen Verankerung nimmt er eine Internalisierung des drohenden Herrscherzorns in den Beherrschten vor. Herrschaft erscheint so nicht nur in der Perspektive auf den Herrscher, sondern auch im Blick auf die von ihm Beherrschten als stark personal gebunden. Doch ähnlich wie der Zorn der Riesen, der nach der gelungenen Brautwerbung und der gesicherten Herrschaftsnachfolge indirekt und implizit ins System überführt wird, wird die Angst vor Rothers Zorn nicht wieder erwähnt, ist aber als latente Motivation für Gehorsam und Leistung nun einmal angedeutet. Daran ändert auch der Kommentar des Erzählers nichts: Dar horde manich got knecht / Rotheres lantrecht / unde wie sin zorn was getan („Da vernahmen viele vortreffliche Gefolgsleute, / was Rother unter Recht verstand / und wie es um seinen Unmut bestellt war“; KR, V. 3351–3353). Obwohl die Ursprünge von Rothers Herrschaft – im Innern andeutungsweise und in der Durchsetzung gegen äußere Gegner ganz immens  – auf Zorn und Gewalt beruhen, erscheint diese am Ende als vollkommen befriedete, von Zorn freie. Doch endet der König Rother nicht mit dieser Szenerie, sondern er inszeniert darüber hinaus die vollkommen problemlose Übergabe der Macht von Rother auf Pippin. Dafür muss der Titelheld nicht einmal sterben, sondern er zieht sich aus allen weltlichen Belangen zurück und Pippin übernimmt die Herrschaft:

38 Damit setze ich einen anderen Akzent als Neuendorff, Herrscherdarstellung, S. 174 f., die vor allem Rothers Zornverzicht als Nächstenliebe interpretiert.





5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse 

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Bezogen auf Rother wird ein solcher Schritt zum letzten Ausweis für das durch ihn verkörperte Herrscherideal. Mit wohlbegründeter Hoffnung auf ewiges Heil zieht er sich aus dem Erzählgeschehen zurück, damit nicht zuletzt den in historische Wahrheit überführten innerweltlichen Verlauf der Geschichte freigebend.39

Indem Rothers Körper von Zorn freigehalten wird, erscheint auch der „innerweltliche Verlauf der Geschichte“ verkörpert in seinen Nachfolgern als ein Herrschen ohne Zorn. Der natürliche wie der politische Körper sind vollkommen frei von der Emotion bis in die kommenden Generationen, aber gleichzeitig wird der Ursprung von Macht und Herrschaft als Ergebnis von Zorn und Gewalt imaginiert. Nur die glaubhafte Androhung von Gewalt im Zorn gepaart mit einer punktuellen Anwendung von Gewalt vermag dauerhafte Herrschaft zu begründen. Es gilt hier letztlich das Diktum von Laktanz: Ubi ergo ira non fuerit, imperium quoque non erit („wo kein Zorn war, da wird auch keine Herrschaft sein“; De ira dei, 23, 13, S. 75–77), auch wenn dieser Ursprung von Macht und Herrschaft am Ende der Erzählung kaschiert wird.

5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse Die diesem Kapitel vorhergehenden Analysen arbeiten einer teleologischen Deutung zu, die das 12. Jahrhundert als wichtige Etappe innerhalb einer Entwicklung des Herrscherzorns entwirft. So wäre anhand des Vergleichs von Chanson de Roland und Rolandslied sowie der Analyse der Gesta Frederici Ottos von Freising zu vermuten, dass die Emotion innerhalb der Darstellung von Herrschaft den Status wechselt und dass Zorn im 12. Jahrhundert zu einem zentralen Machtinstrument wird, das hauptsächlich der Herrscher selbst anwendet, um seinen Ansprüchen im Umgang mit den eigenen Untergebenen oder mit Feinden Geltung zu verschaffen. Der König Rother widerlegt eine solch einsträngige Entwicklungsthese insofern, als er den Konnex von Zorn und Herrschaft auf völlig andere Weise narrativ gestaltet. Die Emotion wird zwar durch die Inszenierung der Riesen als Voraussetzung von dauerhafter Herrschaft gezeigt und gleichzeitig an Konstantin als ohnmächtige Reaktion profiliert. Aber die Darstellung erweist sich darüber hinaus als eine, die nicht in Dichotomien wie „positiv – negativ“, „notwendig –

39 Corinna Biesterfeldt: Moniage  – Der Rückzug aus der Welt als Erzählschluss. Untersuchungen zu Kaiserchronik, König Rother, Orendel, Barlaam und Josaphat, Prosa-Lancelot, Stuttgart 2004, S. 61.



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 5 Zorn und Gewalt als Ursprung von Herrschaft im König Rother

zu vermeiden“ aufgeht. Vielmehr wählt sie mit der Auslagerung der Emotion auf die Riesen und der Tabuisierung von Rothers Zorn einen dritten Weg. Zorn wird einerseits in enger Verbindung mit Gewalt in den Figuren der Riesen als Ursprung von Herrschaft imaginiert und ermöglicht deren dauerhafte Institutionalisierung. Der natürliche wie politische Körper des Königs, der die genealogische Folge bis hin zu Karl dem Großen begründet, wird hingegen von Zorn freigehalten. Ein Konzept von severitas im Sinne einer ungerührten, aber angemessenen Strafpraxis wie bei Seneca oder Johannes von Salisbury entwickelt der Text nicht, ebenso wenig wie ein Konzept von kontrolliertem Zorn wie im Rolandslied. Vielmehr wird eine enge Verbindung von Zorn und Gewalt etabliert, die das System begründet und von diesem absorbiert wird. Indem die Absorption als Ursprung mittelalterlicher Herrschaftsgeschichte imaginiert wird, erhält Zorn auch hier vergleichbar wie in den Gesta Frederici eine doppelte Funktion: Er dient nicht nur zur Darstellung von Machtprozessen, sondern auch zur Konstruktion von Geschichte. Statt eines Übergangs wird im König Rother über die Emotion ein Ursprung und statt eines Verlaufs ein Beginn von Geschichte markiert.



Fazit und Ausblick Die in der vorliegenden Studie vorgenommenen thematischen und methodischen Öffnungen haben zu mehreren neuen Erkenntnissen geführt. Diese betreffen Funktionalisierungen von Zorn in Macht- und Erzählprozessen, Unterschiede zwischen theoretischem und narrativem Diskurs und die Vergleichbarkeit von Literatur und Historiographie. Das Innovative dieser Untersuchung der ZornThematik besteht darin, dass nicht bestimmte Konzepte der Emotion (im Sinne von Kampfzorn oder Herrscherzorn), Gattungszugehörigkeiten oder Diskurstraditionen vorausgesetzt wurden und die Analyse leiteten, sondern die einzelnen Texte und deren je spezifische Inszenierungen von Zorn in den Blick genommen wurden.1 Der Fokus wurde gegenüber anderen Studien einerseits erweitert durch den Einbezug jeweils aller Figuren- und Gruppenkonstellationen der Texte sowie ergänzt durch die semasiologische und onomasiologische Vorgehensweise der Untersuchung von Gestik und Konfliktstrukturen. Andererseits wurde die Frage nach der Bedeutung von Zorn auf dessen Funktion in Machtkonflikten und für Herrschaftskonzeptionen zugespitzt. Dieses Vorgehen baut zwar auf bisherigen Forschungsansätzen zu Zorn in narrativen Texten des 12. Jahrhunderts auf, hat aber zu wesentlich differenzierteren Resultaten geführt. Als ein Hauptergebnis kann festgehalten werden, dass sich im 12. Jahrhundert in den deutschen Teilen des Reiches ein neues Konzept von Herrschaft entwickelt, das dem Zorn des Herrschers eine grundlegende Funktion einräumt. Am deutlichsten lässt sich dieser Befund an den Veränderungen sehen, die das Rolandslied gegenüber der Chanson de Roland vornimmt. Während der altfranzösische Text Herrschaftsabstrakta genauso wenig wie die Figur des Herrschers über Zorn profiliert oder gar aufeinander bezieht, weist die mittelhochdeutsche Bearbeitung spezifische Personalisierungs- und Institutionalisierungstendenzen auf. Der rîche-Begriff sowie der Zorn des Herrschers haben sich dabei als zentrale, eng aufeinander bezogene Kategorien der Neu-Konzeptualisierung erwiesen. Herrschaft wird zugleich in einem Abstraktum von der Person des Herrschers gelöst und über die Gestaltung von Zorn wieder an diese zurückgebunden. Die Analyse der Gesta Frederici Ottos von Freising und Rahewins unterstützt diesen Befund einer Veränderung. Indem Otto von Freising innerhalb seiner Erzählung

1 Siehe dagegen Ridder, Kampfzorn; Grubmüller, Historische Semantik; und Martini, Facetten, die entweder davon ausgehen, dass Zorn-Darstellungen in Gattungsvorgaben, Diskurstraditionen oder in beidem aufgehen. Für Althoff, Ira Regis, illustrieren einzelne Zorn-Passagen vor allem das Funktionieren politischer Spielregeln.



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 Fazit und Ausblick

einen Bruch in der Darstellung von Zorn vollzieht, grenzt er die vorhergehende Herrschaftsepoche und die Regierungszeit Friedrich Barbarossas voneinander ab. Zorn avanciert unter Friedrich zum wichtigen Macht-Instrumentarium, das dazu dient, sich in der Person des Herrschers zu zeigen und zugleich Herrschaft als dauerhafte Institution zu etablieren. Die Analyse des König Rother stützt diese Feststellung, wobei in diesem Werk der Aspekt genealogischer Kontinuität besonders wichtig ist. So hat sich die Annahme bestätigt, dass Zorn nicht nur spontane Aushandlungen von Machtverhältnissen bestimmt, sondern auch die Darstellung längerfristig sich verändernder Herrschaftskonzeptionen prägt. Auch die Funktion von Zorn innerhalb von Machtprozessen lässt sich nun für die hier interpretierten Texte präzisieren. So konnte gezeigt werden, dass die Emotion weder nur als ‚harmloses‘ Zeichen innerhalb einer öffentlichen Kommunikationssituation, noch als reiner Kampfantrieb inszeniert wird. Vielmehr haben die einzelnen Analysen erwiesen, dass die Funktion von Zorn in Machtkonflikten häufig gerade zwischen dem von Althoff vorgeschlagenen Herrscherzornkonzept (Zorn zur Gewaltvermeidung) und dem von Ridder etablierten Kampfzornkonzept (Zorn als Gewaltrausch) zu verorten ist.2 Zentral für dieses Dazwischen erweist sich der Zorn als Drohung – und damit ein Konzept, das bereits Laktanz und Johannes von Salisbury in ihren Ausführungen über den Zorn Gottes entwickeln. Ähnlich wie dieser erzeugt auch der Zorn des Herrschers (im Rolandslied und den Gesta Frederici) bzw. der Zorn der Riesen (im König Rother) Angst und beeinflusst dadurch fremdes Verhalten. Zorn fungiert hier nicht primär als rein rational verstandenes Zeichen, sondern der Bedrohte wird selbst emotional affiziert, er fürchtet sich, ist beeindruckt oder eingeschüchtert.3 Die Beziehung zwischen Drohendem und Bedrohtem ist nicht vorgezeichnet, sondern entwickelt sich dynamisch, ist abhängig von den jeweiligen Reaktionen und Gegenreaktionen; gerade diese Dynamik unterscheidet Zorn als Drohung von Zorn als Zeichen im Sinne Althoffs. Für die untersuchten Texte kennzeichnend ist, dass (Herrscher-)Zorn eher in der Imagination der Feinde existiert und seine Wirkung entfaltet, als dass er tatsächlich narrativ dem Körper des Herrschers entspringt.

2 Siehe Althoff, Ira Regis und Ridder, Kampfzorn. 3 Dieser Befund widerspricht Gerd Althoff: Empörung, Tränen, Zerknirschung. ‚Emotionen‘ in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters. In: Frühmittelalterliche Studien 30 (1996), S. 60–79, S. 78, der eine emotionale Wirkung von Emotionsäußerungen auf Beteiligte ausschließt: „sie [die Emotionen; E. F.] wurden so rational aufgenommen und verstanden, wie sie ausgesandt wurden.“





Fazit und Ausblick 

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Zu Gewalt und deren Anwendung steht Zorn als Drohung in einem komplexen Verhältnis. Das Funktionieren von Drohungen basiert darauf, dass der Zornige bereit ist, Gewalt anzuwenden. Diese signalisierte Bereitschaft führt aber, wenn sie glaubhaft ist, dazu, dass die angedrohte Gewalt ausbleiben kann. Zorn ist so genuin mit Gewalt verbunden und doch auch von ihr getrennt. Ihm kommt damit in der Ökonomie der Macht eine zentrale Aufgabe zu. Er macht glaubhaft, dass es der Zornige ernst meint, um gleichzeitig den Ernstfall zu vermeiden. Dies unterscheidet Zorn als Drohung von Kampfzorn, denn in Kampfszenen bildet der Wechsel von Provokation und Revanche ein zentrales Strukturmuster und Zorn fungiert in diesen Fällen häufig gerade als Antrieb zu Gewalt. Es stellt einen Unterschied zum Zorn Gottes bei Laktanz und Johannes von Salisbury dar, dass die Texte meist mehr die motivationale, zukunftsgerichtete Dimension betonen, wohingegen sie das evaluative, vergangenheitsorientierte Moment zurückstellen. Die Emotion wird weitaus seltener einhergehend mit einer Rache- oder Strafaktion gezeigt als im Sinne einer reinen Beeinflussung von zukünftigem Verhalten. Dies gilt in gleichem Maße für das Rolandslied und die Gesta Frederici, wird aber mit der Inszenierung der Riesen im König Rother ins Extrem geführt. Ein weiteres Ergebnis besteht darin, dass Zorn nicht nur hierarchische Gefälle etabliert, sondern auch Zusammengehörigkeit herstellt.4 Eine solche solidarisierende Funktion von Zorn ist in der antiken Theorie (bei Aristoteles) bereits angelegt und von der Forschung bisher weitgehend ausgeklammert worden. Die einigende Wirkung von Zorn nehmen die narrativen Texte auf je unterschiedliche Weise in den Dienst für die Herrschaftsdarstellung. So führt Herrscherzorn im Rolandslied dazu, dass sich die Vasallen auf eine Meinung einigen. Die Emotion wirkt hier als Einheit schaffende Kraft von oben. Im ersten Teil der Gesta Frederici bildet sich hingegen häufig eine Einheit der gemeinsam Zürnenden gerade in Opposition zu übergeordneten Machthabern. Die heuristische Unterscheidung von Institutionalisierung und Personalisierung hat sich als hilfreiches Instrumentarium erwiesen, um die verschiedenen Konzeptualisierungen von Zorn im 12.  Jahrhundert zu vergleichen. Gleichzeitig wird die Begrenztheit dieses Instrumentariums ersichtlich. Während die Pers-

4 Hier sei nochmals auf die bereits erwähnte Hypothese von Koch, Trauer, S. 288, verwiesen: „Während Trauer vor allem als Performanz von Zugehörigkeit identitätskonstituierend ist, fungiert Zorn, so die Hypothese, in komplementärer Weise als Performanz von Macht“. Diese Annahme kann durch die vorliegende Untersuchung insofern bestätigt werden, als Zorn tatsächlich und überwiegend als Performanz von Macht inszeniert wird. Die Emotion sorgt allerdings auch für Zusammengehörigkeit und Gemeinschaftsbildung auf horizontaler Ebene.



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 Fazit und Ausblick

pektive auf Zorn, Macht und Herrschaft auch für spätere als die hier untersuchten Texte interessante Ergebnisse verspricht, ist die Frage nach Relationen von Institution und Person für Herrschaftsentwürfe des 12. Jahrhunderts besonders fruchtbar, da sie wie der Policraticus explizit und wie Rolandslied, Gesta Frederici bzw. König Rother implizit um diese Thematik kreisen. Als erster wichtiger Unterschied zwischen den narrativen Texten und dem theoretischen Entwurf des Policraticus kann festgehalten werden: Theorie versucht die Grenze zwischen Person und Institution abschließend zu klären, Narrationen tendieren dazu, diese Grenze zu verwischen. Während Johannes von Salisbury Herrscher und Richter nur dann als Verkörperungen von Recht und Gerechtigkeit akzeptiert, wenn sie absolut unbeteiligt und emotionslos herrschen und richten, steht im Rolandslied und in den Gesta Frederici auch der zürnende König für Staatlichkeit und Gerechtigkeit. Dichotomien wie Personalisierung und Institutionalisierung, Subjektivität und Objektivität werden dabei auf jeweils andere Weise zum Verschwimmen gebracht und sind nur noch in Nuancen voneinander abzuheben. So ist nicht zu entscheiden, ob das Gesetz, das in den Gesta Frederici die ira principi als Zahlungsanlass erwähnt, derart die Festlegung der Strafe auf den Herrscher hin personalisiert oder den Zorn des Herrschers institutionalisiert. Beide Lesarten halten sich die Waage. Ob es sich dabei tatsächlich um einen Unterschied handelt, der in der Verschiedenheit der Diskurse fußt, bleibt hier als Frage offen. Denn natürlich ist ein didaktischer Text, was der Policraticus ja zum Teil auch ist, eher darauf ausgerichtet, für Klarheit zu sorgen, wohingegen narrative und vor allem literarische Texte mit Grenzen spielen und diese unterlaufen. Der Unterschied könnte jedoch ebenso im Entstehungsort begründet liegen: Gerade weil Friedrich Barbarossa in den deutschen Teilen des Reiches eine derart prominente Herrscherfigur und seine Politik und Selbstdarstellung von Zorn geprägt ist, kreisen Texte aus seinem Umkreis um dieses Thema. Der Policraticus als angelsächsisches Produkt basiert hingegen mehr auf allgemeinen Grundsätzen zu Zorn und Herrschaft. Ein weiterer wichtiger Unterschied – diesmal zwischen antiker Theorie und Narration  – besteht darin, dass die Entwürfe von Aristoteles, Philodem und Laktanz zwar durchaus konstruktive Verbindungen von Zorn und Macht entwerfen, dafür aber keine Verkörperungen vorschlagen. Stattdessen übernehmen sie, wenn auch zum Teil nur implizit, im Wesentlichen die Vorstellung von Zorn als Wahnsinn, wie sie die Stoa und insbesondere Seneca propagiert. So werden in den antiken Texten Haareraufen, Erröten, Kontrollverlust und Schreien vor Zorn ausführlich beschrieben. In den narrativen Entwürfen des 12. Jahrhunderts sind Schilderungen von zornigen Körpern hingegen weitgehend zurückgenommen, sodass Zorn nicht primär als Raserei erscheint. Stattdessen werden Möglichkeiten gefunden, die das konstruktive Verhältnis von Zorn und Macht auch 



Fazit und Ausblick 

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mithilfe von Verkörperungen widerspiegeln. Dies geschieht am konsequentesten im Rolandslied, das in den Gesten des Bartstreichens und Schnurrbartzwirbelns eine kontrollierte Form von Zorn codiert, die innerhalb der theoretischen Tradition keine Entsprechung hat. Die anderen narrativen Texte weisen davon abweichende Verkörperungsstrategien auf. So verbindet Rahewin in seinem Teil der Gesta Frederici unwillkürliche Symptome von Zorn mit herrschaftlichem Legitimationsvokabular. Der König Rother schildert einschüchternde Zornesgesten im Wesentlichen nur anhand der Riesenfiguren, die aber im Laufe der Handlung zu einer kontrollierten Form von Zorn übergehen. Insgesamt ist festzustellen, dass alle Narrationen – allerdings am wenigsten die Ottos von Freising, der auf Verkörperungen weitgehend verzichtet – eine Form finden, Zorn als wichtiges Herrschaftsinstrument und nicht als ungezügelten, rein destruktiven Wahnsinn zu verkörpern. Damit liefern die Analysen der narrativen Texte auch einen Beitrag zur Theorie von den zwei Körpern des Königs von Ernst Kantorowicz. Die Emotion, die sich in den Inszenierungen am natürlichen Körper zeigt, dient auch zum Sichtbarmachen des politischen Körpers. Beide Körper werden narrativ über die Gestaltung von Zorn miteinander verwoben. Insofern, und das ist eine fundamentale Erweiterung von Kantorowicz Theorie, fungieren Emotionen in den untersuchten narrativen Texten als wichtige Scharniere zwischen dem politischen und dem natürlichen Körper des Königs, sind weder dem einen noch dem anderen eindeutig und unumstößlich zuzuordnen.5 Man kann sogar so weit gehen und behaupten, dass die Entstehung einer Idee von Staatlichkeit in den narrativen Texten daran gebunden wird, dass eine jahrtausendelang überlieferte Verkörperung von Zorn als Wahnsinn einer Indienstnahme von Zorn für die Verkörperung von Herrschaft weicht. Diese Instrumentalisierung der Emotion nimmt letztlich antike Ansichten von Aristoteles und Philodem auf, die Zorn und Weisheit nicht per se als einander ausschließende Zustände annehmen. So erscheint im Rolandslied Karl der Große gerade dann als die Inkarnation eines weisen Herrschers, wenn er kontrollierten Zorn mithilfe von Mikrogesten äußert und dadurch Einmütigkeit unter seinen Vasallen erreicht.

5 Es ist nicht ganz klar, warum Kantorowicz Emotionen aus seiner Theorie ausklammert. Es könnte zum einen am untersuchten Material liegen: Da der Policraticus Manifestationen von Zorn als Äußerungen des politischen Körpers am natürlichen Körper ausschließt, folgt ihm sein Interpret stillschweigend. Zum anderen ist aber auch denkbar, dass Kantorowicz vor allem an längerfristigen Eigenheiten des natürlichen Körpers interessiert ist, wie Krankheit oder Alter, und dass so ephemere Veränderungen wie Emotionsäußerungen gar nicht in seinem Horizont sind.



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 Fazit und Ausblick

Ein Grund dafür, warum sich das Verhältnis von Zorn und Herrschaft im 12. Jahrhundert verändert, ist bereits angedeutet worden, soll nun aber nochmals explizit formuliert werden. Ich gehe davon aus, dass es sich nicht um eine globale Veränderung politischer Ideengeschichte handelt, die sich in allen Reflexionen und literarischen Inszenierungen dieser Zeit finden lässt, sondern dass ein konkreter äußerer Einfluss auf die hier behandelten narrativen Texte des 12. Jahrhunderts gewirkt hat. Sie alle stehen im Umkreis Friedrich Barbarossas und gehen auf kreative Weise mit dessen Zorn-Politik um. Offensichtlich war dessen Politik, die Zorn und Staatlichkeit verquickt, so virulent, dass nicht nur der historiographische Text, die Gesta Frederici, der sich explizit mit dieser Politik befasst, darauf eingeht, sondern auch die literarischen Entwürfe, das Rolandslied und der König Rother Wege finden, Zorn, Macht und Herrschaft kreativ und konstruktiv aufeinander zu beziehen. Dabei lässt sich gerade an Rahewins Teil der Gesta Frederici sehen, dass beim Schreiben über Herrschaft im Umfeld des Stauferkaisers eine konstruktive Sicht auf Zorn unumgänglich war. Denn obwohl Rahewin mit seinem Unbehagen gegenüber Zorn eher einer stoischen Verdammung der Emotion verhaftet bleibt, kann er nicht umhin, ihn dennoch als legitimes Verhalten Friedrichs darzustellen. Inwiefern dieser Befund als Teil einer längerfristigen, globalen Veränderung von Herrschaft in allen möglichen Diskursformen zu sehen ist, bleibt mit weiteren Untersuchungen zu klären. Historiographisches und literarisches Erzählen über Zorn – und hier müssten ebenfalls weitere Studien folgen  – unterscheiden sich in der Art, wie sie die Emotion darstellen. Während die Gesta Frederici vor allem davon geprägt sind, dass sie machtvollen Zorn gar nicht (Otto von Freising) oder nur vorsichtig in unwillkürlichen Symptomen (Rahewin) verkörpern, schildern die literarischen Inszenierungen Zornesgesten als ein Gebaren, das auf äußerst wirkungsvolle Weise Macht verschafft. Ein kategorialer Unterschied zwischen Funktionalisierungen von Zorn in beiden Erzählvarianten konnte hingegen nicht festgestellt werden.6 In beiden

6 Hier ist anzumerken, dass die historiographischen Gesta Frederici deutlich mehr Gebrauch von Vergleichen und Metaphern machen, um Zorn zu beschreiben, als das Rolandslied oder der König Rother. Vom Lodern, vom Keimen eines Samenkorns, vom Blutsaugen eines Egels und von den Dornen des Zorns ist die Rede, wohingegen die eher literarischen Entwürfe auf eine Metaphorisierung der Emotion verzichten. Vgl. dazu Hayden White: Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa, Frankfurt a. M. 2008 (Englisches Original: Baltimore 1973), S. 50: „Durch den poetischen Akt, der den formalen Analysen vorangeht, bringt der Historiker seinen Untersuchungsgegenstand hervor und legt gleichzeitig vorab die begriffliche Strategie fest, der er sich bei seinen Erklärungen bedienen will.“ Diese von White für die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts getroffene Aussage ist übertragbar auf das hier formu-





Fazit und Ausblick 

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Formen dient Zorn dazu, Machtkonflikte zu schildern und die Narration auf inhaltlicher und formaler Ebene zu strukturieren. Dies zeigt sich zum einen daran, wie Figuren über die Zorn-Darstellung parallelisiert, in Opposition gesetzt oder besonders hervorgehoben werden. Zum anderen wird aber auch der Erzählverlauf mithilfe der Emotion gegliedert und dynamisiert. Die Gestaltung von Zorn kann dabei sowohl einen Epochenumbruch (wie in den Gesta Frederici Ottos von Freising) oder einen Ursprung (wie im König Rother) markieren. Der Befund, dass in zwei der drei untersuchten narrativen Texte, mithilfe von Zorn Geschichte konstruiert und eine Selbstverortung innerhalb eines historischen Kontinuums vorgenommen wird, lässt die mittelalterlichen Entwürfe nicht mehr fern von der heutigen Erfahrungswelt erscheinen. So werden seit Norbert Elias und den späten 1930er-Jahren bis zu Peter Sloterdijk und der unmittelbaren Vergangenheit immer wieder Versuche unternommen, mithilfe von Zorn den gegenwärtigen Menschen in einem historischen Verlauf zu verorten.7 Zorn erscheint dabei entweder als überwundene Wildheit (Elias) oder als zurückzugewinnende Kraft des antiken Menschen (Sloterdijk), übernimmt aber – im 12. Jahrhundert genauso wie heute – eine wichtige Funktion bei der historischen Selbstverortung.

lierte Ergebnis: Historiographische Texte – in diesem Fall die Gesta Frederici – sind literarischen Darstellungsmustern verpflichtet, im untersuchten Textkorpus sogar stärker als die literarischen Texte, in denen sich keine poetischen Vergleiche oder Metaphern für Zorn finden. 7 Siehe Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 2 Bde., Frankfurt a. M. 151990 (zuerst erschienen: 1939); Peter Sloter­ dijk: Zorn und Zeit. Politisch-psychologischer Versuch, Frankfurt a. M. 2006.





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Register A Angst 1, 19, 31, 79, 138–144, 190

ira 17, 23, 59, 127, 172 Irrationalität 1, 12, 35, 174

C Close Reading 15, 20 crudelitas 35, 38

K Kampfzorn (Konzept) 3, 194 Karl der Große 7, 61–122, 197 Körper, siehe Verkörperung ––Ein-Körper-Metapher, siehe tamquam unum corpus ––Kollektiv- 48–49, 65–69, 125–134 ––natürlicher 10, 53, 192, 197 ––politischer 8, 10, 53, 191–192, 197 ––Staats- 47–49 ––Zwei-Körper-Theorie 10–12, 53–55, 107, 197

D dulce France 6, 61–97 E Ehre 3, siehe êre ––auf Erden 160 ––des Reiches 124, 155, 159, 160, 162, 164 ––Gottes 95, 110, 112 êre 95, 109, 112, 113, 155 F Friedrich Barbarossa 7, 16, 123–164, 190, 194–199 furor 17, 23, 45, 158 G Gotteszorn 42–45, 47, 55–59, 103–106, 144, 195 grimme 17, 91 H Heinrich IV. 124, 125, 127, 128 Heinrich V. 124, 131 Herrschaft ––als institutionalisierte Macht 5 ––Konzepte im 12. Jh. 2 ––Veränderungen von 21 Herrscherzorn (Konzept) 3, 194 Herzog Ernst B 15 historisch-semantisch 17, 19 Hoflagerdarstellung 89–92, 98, 106, 108 honor imperii, siehe Ehre des Reiches I imperium 1, 6–8, 126, 135, 160–161 Institutionalisierung 7–13, 145, 156, 166, 193–196

O Objektivität 8–10 onomasiologisch 17, 19, 193 P Papst Gregor VII. 125 Papst Hadrian IV. 148, 154–155, 159–162 Personalisierung 7–13, 78, 124, 145–146, 195–196 R Rationalität 12, 14 regnum 6, 8 res publica 48–49 rîche 6, 89, 95–122, 155, 166, 193 S sancta ecclesia 8 Schmerz 17, 27, 32, 39–40, 65–71, 94 semasiologisch 17–19, 193 severitas 35–36, 136, 192 Staatlichkeit 6–21, 121, 196–198 Subjektivität 4, 8–10 Subjektstatus 108, 160 T Tabuisierung von Zorn 164, 181–186 tamquam unum corpus 130–131, 147, 163 Trauer 15–19



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 Register

U Unberechenbarkeit 10, 134, 139–141, 171 V Verkörperung von Zorn 10–12, 196–197 ––im König Rother 168–181, 188 ––im Policraticus 48–59 ––im Rolandslied 89–94, 103–111, 121, 122 ––in den Gesta Frederici 163, 198 ––in der Antike 23–47 ––in der Chanson de Roland 64–65, 79–87 W Willehalm 15 Wortfeld Zorn, siehe Zornvokabular Z zorn 17, 171, 172 Zorn als ––Destruktion 39 ––Einschüchterungstrategie 18, 58, 122, 169–175, 197 ––Gefahr 32 ––Machtgarant 43–45, 179 ––Machtinstrument 141, 168, 191 ––Ohnmacht 132, 154, 164 ––Raserei 34–41, 46, 122 ––Todsünde 50, 59 ––Wahnsinn 2, 12–14, 40–41, 50–59, 196–197 Zornauslöser ––Beleidigung 28–29, 65–67, 71–82, 94–95, 151 ––Empörung 126, 129, 133, 157, 160 ––Kränkung 8, 17–19, 27–29, 81–86, 172 Zorndarstellungen, siehe Zornmetaphern, -symptome Zorndimensionen ––evaluativ 18, 27, 195 ––motivational 18, 195 ––Vergangenheitsorientierung 18, 195 ––Zukunftsorientierung 18, 71, 86, 195



Zornfunktionen ––Drohung 55–59, 81, 120, 134–163, 168–191, 194–195 ––Einheit stiftend 128–131, 146–148 ––Machtgenerierung 30, 42, 146, 170, 175 ––Machtperformanz 15, 72, 120, 130, 154 ––Machtsteigerung 133, 164 ––Rache 41, 67–81, 94, 99–105, 195 ––Vergeltung 18–19, 27–29, 40, 66 Zorngesten, siehe Zornsymptome Zornmetaphern 80, 133, 145–148, 162, 198–199 Zornmimik 40, 46, 79 Zornsymptome 12, 20–33, 122, 197–198 ––Augen 40, 51, 79 ––Bart 68–77, 87, 99, 118–122, 197 ––Erbleichen 85 ––Faust 118, 175 ––Haareraufen 115, 196 ––Hals 154 ––Kontrollverlust 82, 162, 186, 196 ––Röte 40, 51, 154, 196 ––Stampfen 173–174 Zorn und ––die Ökonomie der Macht 44, 89, 148, 171, 195 ––Genealogie 133, 165–167, 187, 192, 194 ––Gewalt 3–6, 30, 41, 78, 94, 142, 165–192, 194–195 ––Hierarchie 5–7, 12–15, 28, 62, 183 ––Rechtsprechung 32, 39, 50–52, 78 ––Strafe 35–38, 50–59, siehe severitas ––Weisheit 14, 24, 30–33, 37–40, 46, 58–59, 197 Zornvokabular 17, 18, 93, 99