Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung.: Zur Geschichte und Theorie eines scheinbar erforschten Themas 9783839448182

Coming to terms with the past between forgetting, instrumentalizing, and returning to the past. About the eventful histo

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German Pages 446 Year 2019

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Polecaj historie

Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung.: Zur Geschichte und Theorie eines scheinbar erforschten Themas
 9783839448182

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Zur Ontologie von Vergangenheit und Bewältigung
Unumgänglichkeiten, Möglichkeiten und Unschärfen
Vergangenheit und der menschliche Faktor
Ein kurzer Abriss moderner Vergangenheitsbewältigung
Von der Vormoderne bis Versailles 1919
Der Zweite Weltkrieg und die Anti-Hitler-Koalition
Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
1970-2000: Vergangenheitspolitischer Gezeitenwechsel
Die Globalisierung der Vergangenheitsbewältigung
Das dritte Jahrtausend: Linien, Zwickmühlen, Rückschläge
Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung im engeren Sinn
Nachwort
Anmerkungen
Quellen und Literatur

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Jürgen Reifenberger Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung.

Histoire  | Band 156

Jürgen Reifenberger, geb. 1948, hat an der Fernuniversität Hagen den Masterstudiengang »Formierung der europäischen Moderne: Geschichte und Literatur« absolviert und publizierte zu den politisch-religiösen Weltbildkonflikten vor dem Dreißigjährigen Krieg und zur aktuellen Fundamentalkrise der liberalen westlichen Demokratien. Zuvor war er langjährig als Sonderpädagoge tätig.

Jürgen Reifenberger

Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung. Zur Geschichte und Theorie eines scheinbar erforschten Themas

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildungen: Abb. 1: Pierre-Jacques Volaire, Ausbruch des Vesuvs, am 14. Mai 1771 (ca. 1771), Kunsthalle Karlsruhe Abb. 2: Gavrilo Princip erschießt Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau. Nachempfundene Illustration von Achille Bertrame in der italienischen Zeitung »La Domenica del Corriere« am 12. Juli 1914. Abb. 3: A ration party of the Royal Irish Rifles, the Battle of the Somme, ca. July 1916, Collections of the Imperial War Museums (collection no. 1900-02) Abb. 4: Acht der Angeklagten in Nürnberg, ca. 1945-1946, National Archives and Records Administration, National Archives Identifier (NAID) 540128 Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4818-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4818-2 https://doi.org/10.14361/9783839448182 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt ___________________________________________________________ Vorwort | 9 Einleitung | 17

Zur Ontologie von Vergangenheit und Bewältigung Unumgänglichkeiten, Möglichkeiten und Unschärfen | 23 Das Überdauern des Vergangenen | 23 Struktur und Ereignis | 25 Zeitschichten | 27 Vergangenheitsbewältigung als Teil eines allgemeinen Prinzips | 28 Das Überdauern des Unverfügbaren | 31 Evolutionäres Erbe | 31 Natürliche Umwelt und zweite Natur | 32 Psychosoziale Tradierungen | 33 Das Überdauern des Verfügbaren im kulturellen Gedächtnis | 35 Vergangenheit und der menschliche Faktor | 39 Metaphorisches und mythologisches Denken | 39 Instabilität und Korruption der Erinnerung | 42 Erinnerung. Selbstbehauptung. Individuum. | 45 Die Mittel | 47 Vergangenheitsbilder und Gesellschaft | 48 Anachronismen | 51 Vergangenheitsbilder und Herrschaft | 53 Sich im Schiffbruch an den Wogen festhalten? | 56

Ein kurzer Abriss moderner Vergangenheitsbewältigung Von der Vormoderne bis Versailles 1919 | 59 Amnestie und Amnesie | 60 Westfälischer Friede und Völkerrecht | 62 Aufklärung, industrielle Revolution und Menschenrechte | 65 Öffentlichkeit, Rechtsbewusstsein und Kriegsvölkerrecht | 70 Versailles 1919 | 73

Der Zweite Weltkrieg und die Anti-Hitler-Koalition | 79 Neue Erfahrungen, neue Wege | 79 Die Urmatrix moderner Vergangenheitsbewältigung | 87 Alliierte Differenzen West-Ost | 89 Vereinte Nationen und Menschenrechte in den 1940er Jahren | 90 Zwischenbilanz | 97 Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg | 103 Bundesrepublik: Doppelspiel und Restauration | 106 Ende des Schweigens und innerer Neuanfang | 110 Die Achtundsechziger | 111 Der Beginn der ‚langen Welle‘ | 118 1970-2000: Vergangenheitspolitischer Gezeitenwechsel | 123 Wiederkehr des Neoliberalismus | 123 Hayeks „Weg zur Knechtschaft“: Die politische Umsetzung | 128 Liberalisierung – Finanzkrise – politische Strukturkrise | 131 Die Verlagerung politischer Macht | 133 Freihandelszonen vs. staatliche Rechtsetzungsmonopole | 135 Konkurrenz privater und öffentlicher Rechtsetzungssphären | 140 Ordnungspolitische Druckmittel und Machtverschiebungen | 140 Die Globalisierung der Vergangenheitsbewältigung | 145 Friedenssicherung, Völkerstrafrecht, Menschenrechte | 145 Geopolitische Strategien der Vergangenheitsbewältigung | 151 Zur ‚Politökonomie tiefer Krisen‘ | 151 ‚Transitologie‘ | 156 Deutsche (Wieder-)Vereinigung und zweite Bewältigung | 162 Deutschland und der globale Aufstieg des Holocaust-Paradigmas | 179 Debatten, Deutungen und Veränderungen | 182 Zwischenbilanz | 190 Das dritte Jahrtausend: Linien, Zwickmühlen, Rückschläge | 195 Abschottung vs. Globalisierung | 197 Rückkehr der alten Geopolitik | 200 Am Scheideweg: Faustrecht oder Völkerrecht? | 208

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung im engeren Sinn Zwischen Sollen und Sein: Begriffliche Probleme | 217 Systemwechsel zur Demokratie? | 220 Bewältigung und Ökonomie | 224 Zwischen Fortschrittsglauben und Ambivalenz | 229 Vergangenheitspolitik heute: Kontinuitäten und Abbrüche | 233 Geschichtspolitik | 237 ‚Gute‘ vs. ‚schlechte‘ Geschichtspolitik | 241 Die Fragwürdigkeit des Aushandlungsbegriffs | 243 Der strukturelle Kern von Geschichtspolitik | 247 Nachwort | 253 Anmerkungen | 263 Quellen und Literatur | 397

Vorwort ______________________________________________________________

Der Begriff Vergangenheitsbewältigung geht auf die globalen Umwälzungen am Ende des Zweiten Weltkrieges zurück, als die Alliierten der AntiHitler-Koalition historisch ganz neue Instrumente des Kriegsvölkerrechts und der Politik zur Behandlung schuldig gewordener und besiegter Nationen und verantwortlicher Täter entwickelten und anwendeten. Er bezeichnete zunächst den Umgang der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit1, machte in Windeseile Karriere und prägte das politische Denken ganzer Generationen. Im Laufe der Zeit entwuchs er seiner speziellen historischen Zuordnung und etablierte sich als globaler Gattungsbegriff für den Umgang von Gesellschaften mit besiegten, untergegangenen oder abgetretenen Unrechtsregimes.2 Vergangenheitsbewältigung wurde zum Leitbegriff straf-, menschen- und völkerrechtlicher Entwicklungen, ebenso aber auch zum festen Bestandteil nationaler und globaler Diskussionen, in denen grundlegende Fragen gesellschaftlicher Moral- und Rechtsvorstellungen, nationaler Identität, demokratischer Selbstvergewisserung und politischer Zukunftsgestaltung abgehandelt werden. In den zahlreichen Systematisierungsversuchen tauchen als zentrale Elemente gelingender Bewältigung regelmäßig folgende Ziele und Bedingungen auf: Beendigung der Gewalt; (Wieder-)Herstellung demokratischrechtsstaatlicher Ordnung; Erforschung der Gewaltursachen; Schaffung von Strukturen, die eine Wiederholung der Geschehnisse unmöglich machen; Sühnung der Verbrechen; staatliche und zivilgesellschaftliche Rehabilitation der Opfer und Anerkennung des ihnen zugefügten Unrechts; Wiedergutmachung oder zumindest Entschädigung und schließlich gesellschaftliche Versöhnung, vermittelt über staatliche und zivilgesellschaftliche Foren und geschichtspolitische Konstruktionen, die Gräben einebnen, den Opfern Gehör verschaffen und zugleich den Tätern die Reintegration in die Gemeinschaft ermöglichen sollten. Dieser Katalog wurde ab den 1980er Jahren zur Blaupause für Systemwechselstrategien,

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die aus der Feder US-amerikanischer Politologen und Regierungsberater stammten und beanspruchten, an die erfolgreiche Nachkriegspolitik der Westalliierten zum Wiederaufbau und Wiedereingliederung Deutschlands, Österreichs und Japans nach 1945 anzuknüpfen. Die Verfahren der sog. ‚transitional justice‘, des ‚regime change‘ und der ‚Transitologie‘ sollten in den zahlreichen beendeten Diktaturen Afrikas, Südamerikas und Osteuropas die juristische Aufarbeitung, die gesellschaftliche Versöhnung und die innere Befriedung moderieren und den Wechsel der alten Systeme zu liberalen Demokratien steuern. Südafrika nach Ende der Apartheid und die postsozialistischen Staaten Osteuropas wurden zu stark beachteten Referenzmodellen und galten als Beispiele für die Plausibilität dieser Konzepte. Es waren die Jahre eines weitverbreiteten Optimismus des Westens, dessen liberale politischen Systeme und Ökonomien sich nach der Implosion des staatssozialistischen Widerparts und dem Zusammenbruch vieler Diktaturen offensichtlich als überlegen und krisenresilient erwiesen hatten. Aber die selbstgewisse Zuversicht war nur von kurzer Dauer, die Transitologieprogramme führten nicht zu den gewünschten Erfolgen von demokratischer Konsolidierung, Rechtssicherheit, langfristiger Gewaltprävention und gesellschaftlicher Stabilität.3 Offensichtlich greift das Konzept Ursachenerforschung-Demokratisierung-Sühne-Versöhnung zu kurz. Tatsächlich sind Defizite in Theorie und Praxis unübersehbar: Die wissenschaftliche Forschung ist in Ermangelung tragfähiger Theorien immer noch auf typisierende Beschreibungen angewiesen, wobei selbst über Umfang, Vollständigkeit und Gewichtung der Merkmale noch keineswegs Übereinstimmung besteht. Ein zentrales Probleme auf dem Weg zu einer Theorie ist erstens, dass Vergangenheitsbewältigung weithin mit der Aufarbeitung von Gewalt und Unrecht assoziiert wird – eine semantische Verengung, die außer Acht lässt, dass der Vorgang als permanente Auseinandersetzung des Menschen mit allen denkbaren Anforderungen der Vergangenheit zu denken ist – nicht nur mit seiner Gewaltgeschichte. Zweitens bestehen Unklarheiten über das Wirkungsverhältnis Vergangenheit-Gegenwart. So ist die Auffassung weit verbreitet, dass vergangene Geschehnisse kein präsentisches Objekt mehr darstellen, sondern, weil sie eben vergangen sind, nur noch in Form von geschichtlichen Erzählungen existieren. 4 Aber wir müssen davon ausgehen, dass vieles von dem, was als abgeschlossen betrachtet wird, in der Gegenwart nach wie vor präsent ist oder seine Wirkungen bis in die Gegenwart hinein ausstrahlt. Doch ist bis heute nicht vollständig ausgelotet, wie deren Wirkungen auf die jeweilige Gegenwart überhaupt zu definieren sind. Vorausgesetzt, dass

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auch Ereignisse aus früheren Zeiten Anforderungen an die jeweils Lebenden stellt, ergibt sich die Frage, welcher Art diese sein könnten, auf welche Weise sie in Erscheinung treten und welche Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung bestehen. Hier tritt das Problem hinzu, dass uns ein Teil solcher Ereignisse und ihrer Wirkungen mehr oder weniger unzugänglich ist. Diese ‚dunkle Materie‘ der Vergangenheit entzieht sich, obwohl vorhanden und wirksam, dem Bewusstsein, der Erkenntnis und der Bewältigung. Und selbst in Bezug auf bewusst wahrgenommene und gut ausgeleuchtete Vergangenheit haben sich die Brücken dorthin, unsere Erinnerung und unser Gedächtnis, als unzuverlässig und instabil herausgestellt. Unsere Identifizierungs-, Zugriffs- und Korrekturmöglichkeiten beschränken sich auf partielle Aspekte von Vergangenheitswirkungen, der Rest ist terra incognita oder unerreichbar. So gesehen erweisen sich die weißen Flecke auf der Karte des Beziehungsgeflechts Mensch-Vergangenheit-Gegenwart-Bewältigung als beträchtlich, die Ränder unscharf. Es bietet sich an, diese Karte einmal mehr aufzurollen und die Kantschen Fragen, was wir wissen können, tun sollen, hoffen dürfen und was der Mensch eigentlich ist, für die Sache in Anwendung zu bringen. Die Fragestellung leitet auch den zweiten Teil des Buches, der die Geschichte der Vergangenheitsbewältigung im engeren Sinn, also der gesellschaftlichen und staatlichen Auseinandersetzungen mit zurückliegenden Kriegen, Staats- und Gesellschaftsverbrechen umreißt. Wenn man die Wurzeln dessen, was wir heute als Vergangenheitsbewältigung bezeichnen, freilegen will, so kommt man um den Gedanken der Menschenwürde und der allgemeinen Gleichberechtigung aller Individuen nicht umhin. Die Idee der europäischen Aufklärung, mit Hilfe gemeinsamer und allgemein anerkannter Regeln, Rechtsordnungen und Garantiesysteme zum Schutz aller den Schutz und die Unversehrtheit jedes Einzelnen, seines Leben und seiner Existenz in Friedens-, aber auch in Kriegszeiten zu gewährleisten, bildete die Basis des späteren Kriegsvölkerrechts und des Völkerstrafrechts. Die Rechtsvorstellungen und die Begriffe dazu mussten erst einmal entwickelt werden; die Philosophie, die Geschichte und das Recht waren das Reservoir, aus dem sie generiert wurden, und die entstehenden Zivilgesellschaften trugen mit ihren Initiativen zur Verbreitung und zur politischen Umsetzung bei. In der Folge wurden Kriegshandlungen, seit Menschengedenken eher ein rechtsfreier Raum, nach und nach eingehegt; allfällige, moralisch geächtete, aber nicht kriminalisierte Kriegsgräuel zunehmend als sanktionierbare Kriegs-, Staats- und Gesellschaftsverbrechen interpretiert, für die die Verantwortlichen sich nicht mehr auf ihre Immunität berufen konnten. Heute lässt sich weder staatliches noch zivilgesellschaftliches Handeln denken ohne jenes Be-

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griffsinstrumentarium aus dem Umfeld der Menschenrechtsidee, das sowohl Instrument juristischer Verfolgung wie auch der Bewertung von Konflikten und der Formulierung politischen Widerstands und Protestes ist. Bis ins 19. Jahrhundert aber blieb in Ermangelung entsprechender Begriffe, Rechtsansprüche und -garantien oft nur das Vergessen, die stumme folgenlose Verzweiflung und das Gebet – was in Erweiterung von Wittgensteins Aphorismus darauf verweist, dass die Grenzen der Sprache auch die Grenzen der Welt und damit des Bewertens und Handelns bedeuten. Der eigentliche Umschlag in eine neue rechtsverbindliche Qualität erfolgte im Jahrzehnt nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Keimzelle war die Atlantik-Charta von 1941 – konzeptionelle Basis für die Gründung der Vereinten Nationen 1945 und die Deklaration der Menschenrechte 1948. Beide bildeten den Ausgangspunkt für die zukünftige völkerrechtliche Beurteilung internationaler Gewalt und Kriegsverbrechen, aber auch für die Behandlung der Probleme des ökonomischen Wettbewerbs und der internationalen Handelsbeziehungen. Allerdings sollte sich zeigen, dass selbst eine weitgefasste, mit großem Elan und unter günstigen Bedingungen begonnene Vergangenheitsbewältigung ihre konzeptionellen und realpolitischen Grenzen hat. Die neu gegründeten Vereinten Nationen konnten nach hoffnungsvollem Beginn ihr hoch gestecktes programmatisches Potential nicht ausschöpfen, weil die Umsetzung durch die Konfrontation zwischen dem Westen und dem staatssozialistischen Herrschaftsbereich weitgehend blockiert war. Nach Ende des Kalten Krieges bildeten sich neue Frontstellungen und Hemmnisse, die dazu führten, dass die Probleme des Völker- und Völkerstrafrechts, der Menschenrechte und Konfliktregelungen und der Ordnungsund Wirtschaftspolitik, bei allen Teilerfolgen, bis heute ungelöst sind. Auch die Bundesrepublik konnte die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht schließen, obwohl sie bis heute als das Land gilt, das sich am gründlichsten mit seiner Gewaltgeschichte auseinandersetzte und in dem die Entwicklung zu einem stabilen demokratischen Gemeinwesen so erfolgreich war wie in keinem anderen Staat mit ähnlicher Vorgeschichte. Dabei wird gern übersehen, dass die innere Befriedung des Landes bis in die 1960er Jahre unsicher und die politische Stabilität fragil blieb. Es brauchte annähernd eine ganze Generation, bis der Einfluss der alten Mentalitäten so weit zurückgedrängt war, dass von einer inneren Demokratisierung anstelle einer aufgepfropften, verordneten, militärisch durch die Alliierten abgesicherten gesprochen werden konnte. Dass sie gelang, war nicht zuletzt der prosperierenden Wirtschaft und den zeitweilig zweistelligen Renten- und Lohnzuwächsen im Rahmen der sozia-

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len Marktwirtschaft geschuldet. Das wiederum war darauf zurückzuführen, dass nach den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise 1929 ff. die Idee der staatlichen Einhegung und Regulierung der Arbeits-, Warenund Finanzmärkte in Europa und auch in den USA lange Zeit das politische Denken und das Regierungshandeln prägte.5 Nach dem Ende des Staatssozialismus und dem Aufstieg der USA zur alleinigen Weltmacht verfolgte der Westen diese Linie nicht weiter. Die Einbindung in westlich-liberale Gesellschaftsordnungen und in die wiedererstandenen neoliberalen Wettbewerbsregimes wurde zum Hauptziel der Systemwechselstrategien. Der Paradigmenwechsel sollte maßgeblich zu den internationalen Spannungen, ökonomischen Krisen und geopolitischen Konfrontationen beitragen, die die Welt seit Beginn des dritten Jahrtausends fast ununterbrochen in Atem halten. Hier deutet sich schon an, dass die spezielle Vergangenheitsbewältigung nicht mit der juristischen Aufarbeitung von Verbrechen oder mit der Installation von Gedenkstätten abgehandelt sein kann, sondern in eine vielfach verwobene Helix von Problemsträngen und Motiven eingebettet ist. Deren Strukturen lassen sich ohne den Blick auf scheinbar weit entfernte, internationale, auch ökonomische Entscheidungen und Entwicklungen nicht gänzlich erfassen. Der Text unternimmt den Versuch, diese Aspekte miteinander zu verbinden. Der dritte Teil befasst sich mit einer Reihe von Problemen politikund geschichtswissenschaftlicher Theorie- und Begriffsbildung, insbesondere mit drei Fragen: Ist Vergangenheitsbewältigung erstens nur als Übergang zur Demokratie, in Verbindung mit westlich-liberalen Prinzipien und Verfahren denkbar oder bedeutet dies eine politisch gewollte normierende Einengung eines viel komplexeren historischen Prozesses? Welche Rolle spielten und spielen zweitens ordnungs- und verteilungspolitische Fragen in vergangenheitspolitischen Konzepten? Und welche Rolle spielen drittens geschichtspolitische Strategien, mit welchen Mitteln arbeiten sie, welche Ziele verfolgen sie und was unterscheidet sie von Vergangenheitspolitik? Gerade hier verschwimmen die Grenzen zwischen einer zielgerichteter Bewältigung vergangener Gewalthandlungen und -strukturen einerseits und einer Symbolpolitik andererseits, die sich in Gedenk- und Erinnerungsritualen, in mahnendem Erinnern an alte Schuld, alte Fehler, alte Verbrechen und alte Katastrophen erschöpft oder sie mit neuen politischen Zielsetzungen verknüpft, die mit den Lehren aus der alten Gewaltgeschichte nichts mehr gemein haben – wenn sie nicht sogar einen Richtungswechsel, eine ‚Bewältigung der Bewältigung‘ in Szene setzen.

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Zum Schluss des Vorwortes noch eine Anmerkung zu einigen Fallstricken geschichtlicher Betrachtungen und Erzählungen: Der vorliegende Text orientiert sich, wie viele einschlägige Darstellungen, an der Chronologie der Ereignisse und damit an der Zeitschiene des Kalenders. Das ruft in der Regel immer noch die Vorstellung einer fortschreitenden, sich aufwärts entwickelnden, hoffnungsvollen Geschichte hervor, so wie der europäische Kalender mit der Geburt des christlichen Erlösers begann und die folgende Jahreszählung mit großen Erwartungen an seine Wiederkunft und die Erfüllung seines Heilsversprechens auflud. Der Glaube, dass ein Fortgang der Zeit und der Geschichte per se mit einem Zustreben auf einen höheren Zustand oder der siegreichen Durchsetzung einer höheren Vernunft verbunden ist, hat, zumindest in der westlichen Kultur, tiefe Wurzeln geschlagen und spiegelt sich auch im traditionellen Begriffskatalog der Historikerzunft: ‚Fortschritt, Prozess, Durchbruch, Entwicklung, Entfaltung‘, selbst das Wörtchen ‚noch nicht‘ – all das sugge riert, dass etwas zwar noch nicht (sic!) sichtbar und realisiert, aber vorhanden und in Reichweite ist und nur eines Impulses oder einer Zeitspanne bedarf, um auf die Welt zu kommen oder seine verborgenen Eigenschaften zur Geltung zu bringen. Aber der Glaube an den Fortschritt ist angesichts der Katastrophen des 20. Jahrhunderts gründlich ins Wanken geraten; die Metapher von der linear stets vorwärts schreitenden und zugleich in weitere Höhen steigenden Geschichte hat zwar nicht ihre Faszination, wohl aber ihre Gültigkeit verloren. An ihre Stelle ist die Überzeugung von der Offenheit der Geschichte getreten, deren zukünftiger Verlauf, weil der Mensch sie macht, potentiell alles umfasst, was er an konstruktiven wie an destruktiven Fähigkeiten zur Verfügung hat. Von daher mag es einerseits ein durchaus sinnfälliger Umstand sein, dass sich der Schluss des zweiten Teils nahtlos an die Einleitung anschließen ließe und diese wieder an ersteren. Hier ist eine zirkuläre Bewegung angedeutet, die trotz aller bewundernswerten Ideen, Erkenntnisse, Regelungen und Erfindungen auch für unsere Geschichte nicht ausgeschlossen werden kann: Die Krisen von heute könnten die Kriege von morgen und die erneute Vergangenheitsbewältigung von übermorgen sein – womit die Vergangenheit des 20. Jahrhunderts unter gänzlich neuen Bedingungen wieder vor uns läge und wir uns also möglicherweise in einem circulus vitiosus befänden. Andererseits beinhaltet die Offenheit der Geschichte ebenso die Chance, die Strukturen und Bedingungen, die den selbst verschuldeten Katastrophenzyklen zugrunde liegen, mit Hilfe erfahrungsund vernunftbasierter Strategien zu modifizieren und zu entschärfen. Im Sinne dieses skeptischen Optimismus sollte das Buch gelesen und das

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verwendete Vokabular, solange es noch nicht durch neue und treffendere Wortschöpfungen ersetzt ist, verstanden werden.

Einleitung ________________________________________________________

Im Februar 2015 verortete die „SZ“ unter der dramatischen Überschrift „Das Ende der Ruhe. In immer dichterer Folge branden die Krisen an Europas Grenzen“ die plötzliche Konfrontation Europas mit einer ganzen Reihe von neuen Problemen, darunter die Spannungen zwischen dem Westen und Russland und die Bedrohung durch Cyber-Kriege.6 Nun, jeder, der die Zeitläufte halbwegs verfolgt, kann dem beipflichten, und die Liste ließe sich beliebig erweitern, etwa um die Bedrohung durch radikale islamistische Bewegungen, die wirtschaftliche und technologische Konkurrenz der Schwellenländer, allen voran China, um die instabile Lage im Nahen Osten und die daraus erwachsenden Flüchtlingsbewegungen etc. Doch lassen sich die weltweiten Entwicklungen nicht vollständig abbilden, ohne auch die andere Seite in den Blick zu nehmen: die Bedrohungen, die aus der inneren Entwicklung der westlichen Staaten, aus der Zunahme nationalistischer, antidemokratischer und autoritärer Tendenzen und aus der allmählichen Veränderung ihrer Werte- und Verfassungssysteme resultieren. „Hätte man 1991 vorausgesagt,“ schrieb Gustav Seibt 2015 in der „SZ“, „dass die Vormacht des Westens schon zehn Jahre später wesentliche Teile ihres normativen Fundaments – rechtsstaatliche Grundsätze, Folterverbot, das Völkerrecht – binnen weniger Monate über Bord werfen würde, niemand hätte es geglaubt.“7 Seibts Kommentar spiegelt die Desillusionierung wider, die inzwischen an die Stelle der Blütenträume von Fortschritt, Wohlstand und Freiheit nach dem Mauerfall 1989 trat. Und in der Tat sind die Zeiten unruhig, die Feuilletons voller düsterer Betrachtungen, der Ton in Politik und Zivilgesellschaft ist zuweilen von schrillem Alarmismus, die Reden voller gegenseitiger Vorwürfe, Schuldzuschreibungen, Beschwörungen und Dramatisierungen. Die Politik ist unberechenbarer geworden, alte Gewissheiten gelten nicht mehr. Die bürgerliche Mitte in Europa hat, unübersehbar, ihre in der alten bipolaren Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg lange unbestrittene Deutungs- und Handlungsmacht eingebüßt. Auch in den Kernländern der Demokratie sind Tendenzen zu quasi permanentem Notstandsrecht, zur Auflösung verfassungsmäßiger Gewaltenteilung, zur Einschränkungen der Grundrechte und zur allmählichen

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Distanzierung von den Menschenrechtskonventionen keine Ausnahme mehr. Aber kommen die politischen Krisen wirklich so überraschend? Und sind die rechtsstaatlichen Irrwege des Westens, wie sie von H.A. Winkler diagnostiziert wurden, lediglich durch äußere Bedrohungen evoziert? Sind sie als notwendige Reaktion auf Gefährdungen durch terroristische Angriffe zu interpretieren und damit, quasi durch die Hintertür, zu legitimieren? Daran sind Zweifel angebracht. Die Gründe liegen tiefer, und dafür muss man schon einige Jahre zurückgehen. Bereits vor den rigorosen Sicherheits- und Gefahrenabwehrgesetzen nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September hatte es an Warnungen vor allmählichen Verwerfungen im Gefüge der westlichen Staaten in den vergangenen 25 Jahren nicht gefehlt. Sie bezogen sich auf die schon früher einsetzende schleichende Erosion der lange gepflegten gesellschaftlichen und ökonomischen Stabilität, auf die Veränderungen der sozialen und politischen Errungenschaften, die, teuer erkauft, aus den Erfahrungen des blutigen 20. Jahrhunderts resultierten, sie bezogen sich auf das schwindende Vertrauen der Bürger in die Versprechen des Gesellschaftsvertrages, deren Erosion bereits mit dem sukzessiven ordnungspolitischen Kurswechsel der transatlantischen Staaten in den 1980er Jahren begann. Diese Gefährdungen im Spannungsfeld von Ökonomie, Stabilität der Demokratie und Lehren aus der Vergangenheit hatte der verstorbene Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, im Blick, als er zu Beginn der griechischen Finanzkrise davon sprach, „wie massiv gerade moralische Übereinkünfte der Nachkriegszeit im Namen einer höheren, einer finanzökonomischen Vernunft zerstört werden“. 8 Ähnlich der englische Historiker Tony Judt: Heute seien die Gründe vergessen, warum „wir den Sozialstaat geerbt haben und wie er entstanden ist“ – jenen modernen Wohlfahrtsstaat, der die Funktion gehabt habe, eine „Wiederkehr der Vergangenheit zu verhindern – Wirtschaftskrisen und jene politische Instabilität, die zu Faschismus und Kommunismus geführt hatte“.9 Und: „Nicht zuletzt dank der Leistungen des Sozialstaats, der in der Nachkriegszeit errichtet wurde, verloren die Bürger allmählich jene beängstigende Unsicherheit, die die Politik zwischen 1914 und 1945 beherrscht hatte. Inzwischen gibt es Gründe für die Annahme, dass diese Sicherheit nicht von Dauer ist. In den westlichen Demokratien macht sich Angst wieder als wirksames Element des politischen Lebens bemerkbar.“10

Und schließlich hatte der Sozialdemokrat Klaus von Dohnanyi bereits kurz nach der Jahrtausendwende den US-Historiker Brustein zitiert, der die Wahlerfolge der Nationalsozialisten nicht in erster Linie auf Antisemitismus oder irrational-nationalistische Propaganda, sondern auf Hit-

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lers politische und soziale Versprechungen in einer Phase großer sozialer Not zurückführte: „Was wäre, wenn wir die entscheidenden Gründe für den Aufstieg der Nazis verfehlt hätten? Wären wir in der Lage, einen neuen Hitler, eine neue Nazipartei auszumachen? [...] Wenn die wirtschaftlichen Bedingungen, das Wahl- und Parteiensystem und die politischen Alternativen Deutschlands unter den Weimarer Bedingungen so in den USA, in Frankreich, Schweden oder Großbritannien bestanden hätten, dann hätten Millionen von Menschen in diesen Ländern möglicherweise genau das getan, was Millionen Deutsche taten – die NSDAP zu wählen und ihr beizutreten.“11

Angesicht tiefgreifender Umwälzungen, so Dohnanyi, sei der Aufbau stabiler und funktionstüchtiger institutioneller Strukturen des europäischen Sozialstaates eine der vordringlichen Lehren aus der Vergangenheit – „[…] lebenswichtige Stabilitätsfragen für die kommenden stürmischen Jahre, für Zeiten, die gefährlicher werden“.12 Schirrmacher, Judt, Dohnanyi – drei von vielen Stimmen, die ein profundes Unbehagen am gesellschaftlichen Umgang mit der Vergangenheit signalisieren. Letztlich schwingt dabei die Frage mit, ob das Projekt der Vergangenheitsbewältigung nicht in wichtigen Teilen sein Thema verloren hat und vom Weg abgekommen ist. Die tiefe Skepsis steht in deutlichem Gegensatz zu den eingeschliffenen Ritualen des Mahnens und Beschwörens, des Gedenkens und Erinnerns zur weit verbreiteten Überzeugung, dass Deutschland das Musterland des Umgangs mit der eigenen Vergangenheit ist, ein Land, das sich unnachgiebig und beharrlich seiner Verantwortung gegenüber seiner jüngeren Geschichte stellte und daraus jene Lehren zog, welche nach menschlichem Ermessen die Geschehnisse im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unwiederholbar machen sollten. Die Befassung mit dieser Vergangenheit, insbesondere mit den Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg und dem Holocaust erlebte in den letzten Jahrzehnten eine Konjunktur, die in den 1990er Jahren niemand erwartet hatte. Die wissenschaftlichen und politischen Deutungsversuche über Aufkommen, Wesen und Ziele des Nationalsozialismus und die pädagogischen, gesellschafts-, mentalitätsund geschichtspolitischen Konsequenzen, die man daraus zog, sind inzwischen ebenso wenig überschaubar wie die Zahl der Gedenkstättengründungen, Veranstaltungen, Initiativen und Forschungsprojekte. Diese Permanenz der Erinnerung und ihre zunehmende Intensität weckte nicht nur Unbehagen an den Inhalten und Formen, sie weckte auch Argwohn hinsichtlich der Motive der Protagonisten: Vor einiger Zeit erschien eine Ausgabe von „Ästhetik und Kommunikation“ unter dem Titel „Amoklauf des Gedenkens“. Mit dem Titel, so Dieter Hoff-

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mann-Axthelm im Editorial, renne man an „gegen das Ausmaß, in welchem derzeit der Zugang zu Geschichte und Vergangenheit sich auf öffentliche Gedenkrituale zu verengen scheint“. Das Verschwinden der Gegenwart hinter einer Gedenkinflation erfordere die Frage nach dem politischen Nutzen und nach den zuarbeitenden Institutionen und Interessen.13 Welche Aspekte der Vergangenheit oder besser: welche Lücken und Schwächen ihrer Bewältigung mochten die Veranlassung dazu sein, die breit ausgetretenen Pfade der öffentlichen Erinnerungskultur zu verlassen und den kritischen Rekurs auf die Vergangenheitsbewältigung mit sozialen und ökonomischen Gefährdungen zu konnotieren? Offensichtlich der Umstand,, dass Rückgriffe auf die jüngere Vergangenheit sehr viel mehr zu umfassen hätten als die stets notwendigen Warnungen vor dem Aufkommen neuer Diskriminierungswellen. Und in der Tat kann ein hoher rhetorischer und ritueller Aufwand ein trügerisches Gefühl gesellschaftlicher Sicherheit erzeugen, das aber auch nicht vor der Gefahr schützt, wieder in jener Vergangenheit zu landen, die man unter keinen Umständen nochmals erleben wollte. Die Zweifel an der Wirksamkeit der Erinnerungskultur werden nicht geringer dadurch, dass 2015, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die lange gepflegte Erinnerungsgemeinschaft der alliierten Antihitler-Koalition zerbrochen ist 14 und in demselben Jahr Mitglieder der jüdischen Communitiy in Frankreich aufgerufen wurden, ihre Koffer zu packen, um nach Israel überzusiedeln, das ihnen mehr Sicherheit bietet. 15 Der erste Fall zeigt, wie schnell sich historische Situationen verändern können, der zweite, wie wenig selbst tief verankerte Erinnerungskulturen in der Lage scheinen, Einfluss auf politisches Handeln zu nehmen – zumal auch die geschichtspolitischen Versuche der 1990er Jahre als gescheitert angesehen werden müssen, das Thema Holocaust als gemeinsamen Nenner der europäischen Union und des westlichen Zusammenhalts zu verankern. 16 Das Projekt wurde von zahlreichen Nationalstaaten nur unter Vorbehalt oder unter Druck angenommen und verlor in Krisenzeiten schnell seine Bindekraft. Hingegen scheinen heute eher wieder Bedrohungsszenarien über wirkliche oder eingebildete innere und äußere Gegner zu dominieren. Von daher mutet der Befund H.A. Winklers, dass die Lehren nachwirken, die man diesseits und jenseits des Atlantik aus der gemeinsamen Geschichte gezogen habe, bereits mit Erscheinen seines Buches überholt an. Auch seine Folgethese, dass etwa ein Krieg zwischen den Mitgliedsstaaten des Atlantischen Bündnisses und der Europäischen Union „vollends undenkbar geworden“ sei, muss als sehr gewagt gelten.17 Undenkbar mag vieles sein, aber das schließt nicht aus, dass es nicht dennoch eintreten kann. Für undenkbar

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hatte man 1913 schließlich auch den Ausbruch eines großen Krieges gehalten. Damals legte ein gewisser Normann Angell überzeugend dar, dass Weltkriege wegen der engen wirtschaftlichen Verflechtung der Länder im Zeitalter der Globalisierung unmöglich seien. Das Buch wurde zum Weltbestseller und fand allgemeine Zustimmung, nicht nur bei Intellektuellen. Der damalige Präsident der Stanford University war nach der Lektüre von der Stabilität der politischen Großwetterlage überzeugt: „Der große Krieg in Europa, der ewig droht, wird nie kommen. Die Bankiers weden nicht das Geld für solch einen Krieg auftreiben, die Industrie wird ihn nicht in Gang halten, die Staatsmänner können es nicht. Es wird keinen großen Krieg geben.“18

Angells Text kam unter dem Titel „The Great Illusion“ heraus, womit eigentlich beabsichtigt war, die weitverbreiteten unterschwelligen Ängste vor einem kommenden Kriege zu zerstreuen. Heute wissen wir, dass nicht die Angst vor dem Krieg eine Illusion war, sondern der Friedensoptimismus des Titels. Über diese bittere Ironie können wir, die hundert Jahre später Lebenden, den Kopf schütteln, aber es gibt keinen Grund, uns selbst für schlauer zu halten. Tatsächlich war man seinerzeit finanziell aufs Engste miteinander vernetzt, man bezog sich auf dieselben Traditions- und Wissensquellen, auf dieselben exponentiell-dynamischen Entwicklungsmodelle und Strategien zur Beschleunigung in Zeit und Raum, man teilte gemeinsam die Begeisterung für Technik und Naturwissenschaften; man teilte auch die Überzeugung, dass auf dem Wege des immerwährenden industriell-wissenschaftlichen Fortschritts die Verbesserung des Lebensstandards und die Fähigkeit der Nationen zur Behauptung in der internationalen Konkurrenz gewährleistet sein würde19; man beschwor die Kraft der europäischen Gelehrtenrepublik, man pflegte zwischen den nationalen Eliten einen regen kulturellen und ökonomischen, zwischen den europäischen Herrscherdynastien einen engen familiären Austausch. Und der Krieg kam trotzdem. Wenn selbst gestandenen Historikern wie Christopher Clark auch hundert Jahre später nicht viel mehr einfällt als seinem Buch über die Vorgeschichte und die Ursachen des Ersten Weltkriegs den Titel „Die Schlafwandler“ zu geben, so ist das bei aller Belesenheit und bei allem Fleiß doch Ausdruck einer gewissen analytischen Hilflosigkeit gegenüber der Komplexität des damaligen Geschehens und gegenüber den Schwierigkeiten, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.20 Gleichwohl bieten sich auch ihm für die derzeitigen globalpolitischen Konstellationen gewisse Parallelen zur Situation vor 1914 an.21

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung.

Wie man sieht, ist die Sache schwierig – und gerade deshalb gibt es genug Gründe, um vor dem Einstieg in die konkrete historische Analyse einige Klärungen vorzunehmen, die unser Verhältnis zur Vergangenheit überhaupt und die allgemeinen Bedingungen, Grenzen und Möglichkeiten ihrer Wahrnehmung und Bewältigung betreffen.

Zur Ontologie von Vergangenheit und Bewältigung _______________________________________________________________________

Unumgänglichkeiten, Möglichkeiten und Unschärfen Das Überdauern des Vergangenen Vergangenheit scheint auf den ersten Blick ein leicht zu fassender Begriff zu sein. Die Zeiteneinteilung etwa der lateinischen oder der deutschen Grammatik kennt die unvollendete oder nicht abgeschlossene (Imperfekt), die vollendete (Perfekt) und die mehr als vollendete Vergangenheit (Plusqamperfekt). Das mag vielleicht für eine richtige grammatische Anwendung in Berichten oder anderen Textgattungen genügen, aber in Bezug auf die komplexe Realität ist eine solche Einteilung wenig hilfreich. Es gibt Überlegungen, Vergangenheiten nach dem Grad der Einwirkungsmöglichkeiten der je Lebenden darauf zu unterscheiden. Danach wird Vergangenheit dann zu Geschichte, wenn „sie keiner direkten Einwirkung mehr zugänglich und nicht mehr veränderbar ist“. Aus dieser Sicht stellt sich eine gerade erst vergangene Vergangenheit als Zwitter dar, weil sie „in gewissen Aspekten noch durchaus präsent ist“. 22 Andererseits sagt Bernhard Schlink: „Aber was geschehen ist, ist geschehen. Das Vergangene ist unerreichbar und unveränderbar.“23 Doch schon der Fall einer unentschärften Bombe des Zweiten Weltkriegs kann uns ins Grübeln bringen. Das Ereignis des Abwurfs ist Vergangenheit, zugleich ist es nicht an sein Ende gekommen, weil die vorgesehene Detonation unterblieb. Das Ereignis ist quasi eingefroren, es dauert an, und darauf kann durch Entschärfung oder Auslösung der Detonation noch eingewirkt werden. Was wäre hier Vergangenheit, was Gegenwart, was abgeschlossen, was noch präsent – und wo wäre die Trennlinie? Oder nehmen wir den noch schwierigeren Fall eines afrikanischen Bronzekopfes, Ende des 19. Jahrhunderts von britischen Truppen auf Strafexpedition in Afrika geraubt, danach durch einem deutsch-jüdischen Sammler erworben, 1934 von den Nationalsozialisten zwangsversteigert, später an die Erben restituiert und 2018 erneut zum Verkauf angeboten: Eine doppelte Raubkunstgeschichte, in der Ereignisse unterschiedlicher Zeitschichten miteinander verwoben bis in die jetzige Gegenwart fortlaufen.24 Edmund

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de Waal schreibt in seinem Buch „Die weiße Straße. Auf den Spuren einer Leidenschaft“ über Teeschalen in seinem Plastikbeutel, die auf alt getrimmt worden waren: „Das Ineinandergreifen der Geschichten macht es so schwierig, herauszufinden, welche Zeitform ich verwenden soll: die Vergangenheit ist hier nicht besonders vergangen und die Gegenwart, die in meinem Beutel aneinanderschlägt, sehr, sehr alt. Zeitformen sind flüssig und schwer zu kontrollieren. Und es gibt so viele Geschichten, dass ein Album die einzige Möglichkeit scheint, sie zu sammeln, eine Art Plastikbeutel, in dem sie zusammenstoßen.“25

Die analytische Ontologie befasst sich aus philosophischer Sicht mit derartigen Problemen. Sie nähert sich der Sache allerdings von einer anderen Seite an: sie stellt nicht die Frage nach Vergangenheit und Gegenwart, sondern nach der Persistenz, also der Dauer und dem Überdauern von Dingen durch die Zeiten, über die Zeiten hinweg. Ohne zu tief in die schwierigen Fragen des Wesens der Zeit und besonders der historischen Zeit einzutauchen, sei hier als Grundannahme genannt, dass alle möglichen existierenden Dinge oder Entitäten26 zu verschiedenen Zeitpunkten, über Generationen, über die Jahrtausende oder noch längere Zeiträume hinweg beharren, dauern, und überdauern können. Der österreichische Philosoph Gerhard Runggaldier kommt zu dem Schluss, dass „Lebewesen und sortal bestimmte Dinge, d.h. Dinge einer bestimmten Sorte oder Art, im Laufe der Zeit mit sich selbst identisch bleiben, dass sie also als sie selbst weiterexistieren, sich in der Zeit gleichsam bewegen, indem sie immer im Jetzt existieren.“27 Dies ist auf zwei Wegen möglich: Zum einen bleiben sie ohne Veränderung ihrer Wesenseigenschaften in allem genau dieselben, die sie vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an waren (synchrone Identität). Darunter ließen sich m.E. etwa Mineralien wie Diamanten etc. einordnen. Zum anderen bleiben sie dieselben, die sie von Beginn an waren, obwohl sie sich verändern, obwohl sich im Laufe der Zeit neue und andere Eigenschaften herausbilden und alte verloren gehen (diachrone Identität). So ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Mensch auf seinem Entwicklungsweg vom Baby über den agilen Erwachsenen bis hin zum Greis grundlegende physische, mentale und intellektuelle Veränderungen durchläuft, ohne dass seine Identität als Person in Frage gestellt würde. Auf den zweiten Fall träfe die Bestimmung Pedro Schmechtigs zu: „Von einer Vielzahl von Objekten, die uns im Alltag umgeben, sagen wir, dass sie trotz zahlreicher Veränderungen über die Zeit hinweg weiterbestehen.“28 Die Vorstellungen vom „immer im Jetzt“ und „über die Zeiten mit sich identisch“ mögen etwas verwirrend sein. Aber wir sind, selbst ohne philosophische Ausbildung, sofort geneigt, der Aussage zuzustimmen,

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dass es etwa Liebe und Hass zwischen Menschen schon immer gab, dass also diese Entitäten durch die Zeiten persistieren. Wobei man auch hier unterscheiden muss: Die Liebe eines bestimmten Menschen zu einem anderen wäre ein zeitlich begrenztes, unwiederholbares Ereignis, das mit dem Erlöschen des Gefühls oder dem Tod des Menschen endet, wohingegen die Entität „Liebe“ als Ereignistyp, als grundlegende menschliche Fähigkeit über die Zeiten dauert und die Menschheit begleitet, solange diese in der Welt ist. Und wer wollte bestreiten, dass sich über die Jahrtausende die Ausdrucksformen der Liebe und das, was darüber gesagt wird, immer wieder änderten, ohne dass der grundlegende Sachverhalt, die Entität „Liebe“ als solche, dabei verloren ginge? Dieses Konzept des Fortwirkens und des Fort- und Überdauerns lässt sich auf alle möglichen Entitäten, Objekte, Dinge etc., anwenden. Man darf sich unter den „Dingen“ und „Objekten“, von denen die analytische Ontologie spricht, nicht nur konkrete alltägliche Gegenstände vorstellen, etwa ein Teeservice, das von der Großmutter geerbt und weiterverwendet wird. Als Entität gilt aus philosophischer Sicht alles, was vorhanden ist, alles, was existiert.29 Und als existierend wiederum gilt das, was kausal relevant ist, was also in irgendeiner direkten oder indirekten Form auf unser Leben, unsere Konstitution, unsere Disposition einwirkt, uns Bedingungen vorgibt und zu einem bestimmten Verhalten veranlasst oder bestimmte körperliche oder psychische Zustände hervorruft. 30 Darunter fallen alle möglichen abstrakten und konkreten, belebten und unbelebten, statischen und dynamischen Entitäten31: scheinbar unveränderliche und ereignislose Dinge wie etwa Steine, Berge etc.32, auch geringfügige Ereignisse wie das Rascheln einer Maus unter dem Sofa, ein scharfes Wort, ein kurzer Blick, Wolken, die sich vor die Sonne schieben; größere Entitäten wie Zyklen der biologischen Fortpflanzung, des Wachstums und Absterbens; ebenso aber auch komplexe kosmologische Prozesse, etwa die Dynamik unseres Sonnensystems und der Galaxien; im gesellschaftlichen Bereich umfassen sie kulturelle Hervorbringungen wie Sprache, Kunst, Artefakte, wissenschaftliche Erkenntnisse, Theorien und Ideen; schließlich gesellschaftliche Organisationsstrukturen wie soziale Institutionen und Sachverhalte, etwa Wirtschaftsordnungen, Dynastien, Staaten, Grenzziehungen, Ehen33 uvm. – alles, was eben ist und wirkt. Struktur und Ereignis Eine der Besonderheit aller möglichen Entitäten besteht darin, dass sie selbst dann noch langfristige Wirkungen und Strukturen hinterlassen können, wenn sie als zeitlich begrenztes einmaliges Ereignis beendet oder

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physisch schon nicht mehr vorhanden sind oder, wie etwa im Falle von Regeln und Erkenntnissen, als überholt gelten oder widerlegt, für ungültig erklärt oder durch neue ersetzt wurden. 34 Ereignisse schaffen lang dauernde Strukturen, wie sich am Beispiel des Urknalls verdeutlichen lässt, der als Beginn des uns bekannten Kosmos gilt: Er setzte im Bruchteil einer Millisekunde Energie frei, die in Materie umgewandelt wurde, in jene Materie, die bis heute dauert, aus der auch wir bestehen und aus der sich in einer Kette von emergenten Folgeereignissen Himmelskörper mitsamt ihren zyklischen Bewegungen bildeten, auf deren einen schließlich organische Materie entstand. Umgekehrt schaffen Strukturen auch Ereignisse. Ein einzelner, zeitlich begrenzter, in seinem konkreten Ablauf unwiederholbarer Vulkanausbruch wäre etwa ohne vorher entstandene und wiederkehrende Bewegungen der Materie und der Tektonik gar nicht möglich35, es setzt beharrende oder wiederkehrende Strukturen aus der Vergangenheit voraus, die wieder den Ablauf des Ereignisses beeinflussen. Der Hippokrates zugeschriebene Satz „Krankheiten befallen uns nicht aus heiterem Himmel, sondern entwickeln sich aus täglichen Sünden wider die Natur. Wenn sich diese gehäuft haben, brechen sie unversehens hervor“ signalisiert, dass in einem Ereignis immer auch der Vorlauf, die Vorgeschichte, die strukturelle Basis, mithin die Vergangenheit enthalten ist, die dieses Ereignis überhaupt erst ermöglicht. 36 Auch die Formel ‚Der König ist tot; es lebe der König!‘ bringt das Verhältnis von Struktur und Ereignis zum Ausdruck: Der König als konkretes menschliches Individuum ist mit seinem Ableben unwiederbringlich vergangen; unter diesem Aspekt stellt seine Existenz und sein Wirken ein unwiederholbares Ereignis dar. Aber seine Entscheidungen und Handlungen als Gesetzgeber, Herrscher und Kriegsherr sind tiefgreifend in die Realität eingeprägt, überdauern seine physische Existenz und persistieren als Bedingung neuer Gestaltung. Und die Königswürde wiederum ist Teil einer strukturellen Ereigniskette, die sich mit einem neuen Träger fortsetzt. ‚Der König ist tot‘ meint die Person als einmaliges Ereignis; ‚es lebe der König‘, meint die Tradition des Amtes als andauernde Struktur, die das neue Ereignis, den Nachfolger, erst hervorbringt. Diese wechselseitige Bedingtheit lässt sich auf alle Entitäten, so auch auf soziale, anwenden; und die letzteren sind für das Thema des Buches deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Bemühungen moderner Vergangenheitsbewältigung darauf zielen, Gewaltereignisse durch Veränderungen historischer Strukturen unwiederholbar zu machen. Entitäten können also „über die Zeit hinweg bestehen“, „als selbige Zeit überdauern“, „sich in der Zeit gleichsam bewegen“ „immer im Jetzt existieren“ und was der Formulierungen der Ontologen mehr sein mö-

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gen. Wenn sie nun durch die Zeiten persistieren und weiterwirken können, so verschwimmen die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Frage nach einer Trennlinie verliert an Bedeutung. 37 Das Problem einmaliger, zeitlich begrenzter Ereignisse und ihrer fortwährenden Folgewirkungen, die Frage des Überdauerns von Prozessen, Zyklen und Strukturen trieb im 20. Jahrhundert auch die Geschichtswissenschaften um. Der französische Historiker Marc Bloch schrieb: „Man stellt sich den Verlauf der Menschheitsgeschichte als das Ergebnis einer Reihe von kurzen und tief reichenden Schüben vor, von denen jeder nur den Zeitraum einiger Lebensalter erfüllt. Demgegenüber erweist eine genauere Beobachtung: Die großen Erschütterungen in diesem immensen Kontinuum sind durchaus imstande, sich von den nächstliegenden bis zu den entferntesten Zeiträumen fortzupflanzen.“38

Zeitschichten Nun ist leicht vorstellbar, dass zeitlich begrenzte, abgeschlossene, gleichwohl weiterwirkende Ereignisse ebenso wie persistierende Strukturen aus unterschiedlichen Epochen stammen. Sind sie zu einem bestimmten Zeitpunkt, in einer bestimmten Epoche noch gemeinsam existent, so bilden sie übereinandergelagerte, gleichzeitig vorhandene und unterschiedlich lange und unterschiedlich wirksame Zeitschichten.39 Den Anstoß zu derartigen Überlegungen gab der französische Historiker Fernand Braudel, und kaum je wurde aus dem Kreis der zumeist für trocken gehaltenen Geschichtswissenschaftler ein poetischeres und tiefgründigeres Konzept geschaffen als das von der ‚longue durée‘, der „Geschichte der langen und sehr langen Dauer“, der „langsamen Wandlungen, beharrlich wiederkehrenden Dinge und immer wieder neu beginnenden Kreisläufe“. 40 Braudel entwarf ein Weltbild, in dem zeitgleich mehrere Sphären unterschiedlicher Dauer und Geschwindigkeit existieren: Zuvorderst die unbewegte, ewig gleiche Welt der Natur, dann die sich nur langsam verändernden sozialen und politischen Strukturen41 und schließlich die in unablässigem Wandel begriffenen Ereignisse und Handlungen von Menschen.42 Die Gleichzeitigkeit und Überlagerung von „fast unveränderlichen Phänomenen langer Dauer, [...] zyklischen Bewegungen wie wirtschaftlichen Konjunkturen und kurzfristigen Ereignisabfolgen“43 erinnert an geologische Prozesse im Laufe der Erdgeschichte, in denen Erdkern, tektonische Platten und Erdoberfläche ein ähnlich aufeinander bezogenes Ensemble unterschiedlicher Schichten aus unterschiedlichen Erdzeitaltern bildet. Dieses Bild lässt sich auch auf gesellschaftliche und individuelle Entwicklungen übertragen, auf globale Einflusssphären, Machtverhältnisse, auf Einstellungen und Mentalität bis hin zu flüchtigen Erscheinun-

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gen wie Mode etc. Den unablässigen Wandel zu beschreiben ist das Metier der Journalisten, die jeden zweiten Tag ein Ereignis finden, das angeblich die Welt verändert. So wird gern die Wahl eines neuen Papstes oder des neuen Regierungschefs einer Großmacht zu einem grundstürzenden Ereignis hochgeschrieben. Aber bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass dies oft bloß eine der Ereignisvarianten ist, die über einen längeren Zeitraum immer wieder stattfinden, ansonsten aber die Welt, jedenfalls in bestimmten Zeitschichten, strukturell diejenige bleibt, die sie schon lange war. Es kommt auf die Perspektive an. Alles in allem sind also die Trennlinien von Vergangenheit und Gegenwart unscharf, beides ist unauflöslich miteinander verwoben, Ereignisse aus der Vergangenheit wirken fort, Prozesse unterschiedlichster Herkunft existieren über die Zeiten, sie beginnen und enden zu unterschiedlichsten Zeitpunkten und bilden Zeitschichten, in denen sie gleichzeitig vorhanden und wirksam sind. Gustav Droysen ahnte das Wesen der unvergangenen Vergangenheit, als er in seinem Grundriss der Historik schrieb: „Das Gegebene für die historische Forschung sind nicht die Vergangenheiten, denn diese sind vergangen; sondern das von ihnen in dem Jetzt und Hier noch Unvergangene, mögen es Erinnerungen von dem, was war und geschah, oder Ueberreste des Gewesenen und Geschehenen sein.“44 In dieses Netz zwischen Gegenwart und Vergangenheit ist das eingebettet, was so einprägsam wie irreführend als Vergangenheitsbewältigung bezeichnet wird – ein komplexer Vorgang, der selbst zu den persistierenden, noch dazu für den Menschen existentiellen Entitäten gehört und im folgenden die Beantwortung der eingangs gestellten Fragen erfordert: Was umfasst der Vorgang und welche Reichweite hat er? Welche Bedingungen grenzen ihn ein? Und welches sind die Möglichkeiten und Grenzen seiner Gestaltung? Vergangenheitsbewältigung als Teil eines allgemeinen Prinzips Die erste Frage zielt auf die weithin übliche Assoziierung des Kompositums Vergangenheitsbewältigung mit der Aufarbeitung von Gewalt und Unrecht. Das allerdings ist eine semantische Verengung, vergleichbar jener‚ Amerika‘ oder ‚Welt‘ zu sagen, aber ‚USA‘ und den ‚Westen‘ zu meinen. Zurückzuführen ist dies auf den Umstand, dass sich die Bedeutung ursprünglich aus der Geschichte des Zweiten Weltkrieges und seiner Bewältigung ableitete und zu einer gewissen Tradition verfestigte. Aber Begriffe sind Werkzeuge des Denken, von ihnen hängt die Reichweite unsere Wahrnehmungen und Interpretationen ab, und derartige Bedeutungs-

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verengungen führen leicht zur Verengung der Perspektive, was in diesem Fall aus dem Blick geraten lässt, dass Vergangenheit ebenso wenig nur aus zurückliegenden Gewalttaten besteht wie Amerika nur aus den USA. Werner Wertgen gab daher schon um die Jahrtausendwende, als zahlreiche Veröffentlichungen zum Thema erschienen, zu bedenken, dass, „wenn Individuen wie soziale Systeme den Rückgriff auf die Geschichte benötigen, um ihre Existenz verlässlich gestalten zu können“, sich dieser „Rückgriff nicht nur auf eine schuldhafte oder gescheiterte Geschichte beziehen kann“.45 In der Tat verweist schon die Etymologie von ‚Vergangenheit‘ darauf, dass es bei einem allgemeinem Begriff nur um die Gesamtheit aller zurückliegenden Ereignisse und Strukturen gehen kann. Zudem gibt es keinen Grund, Vergangenheit in ihrer konnotativen Bedeutung abzuwerten, indem man sie auf Gefährdungen, Hemmnisse und traumatische Erlebnisse reduziert, obwohl sie ebenso allgemeine Fortschrittsmöglichkeiten, konstruktive Entwicklungen und Chancen beinhaltet. So gesehen stellt sich die Bewältigung vergangener Gewalt als Spezialfall allgemeiner Vergangenheitsbewältigung, als Bewältigung im engeren Sinne dar und diese wiederum als Teil einer allgemeinen Bewältigung, die sich auf Anforderungen jedweder Art und Zeitebene bezieht. So gesehen sind unsere sämtlichen Lebensbedingungen bestimmt durch ununterbrochene und unumgängliche Bewältigung von materiellen, geistigen oder sozialen Bedingungen, Objekten und Prozessen, die ihren Ursprung in vergangenen Zeiten haben. Dabei ist der Begriff Vergangenheit an keinen zeitlichen Rahmen, an keine bestimmten Vorgänge, keine impliziten Assoziationen (etwa in dem Sinn: eine Frau oder ein Mann mit ‚Vergangenheit‘) gebunden. Vergangenheit kann sich auf weit zurückliegende Ereignisse beziehen oder auf solche, die erst kürzlich stattfanden. In ähnlicher Weise ist auch Bewältigung keineswegs ausschließlich auf die dunklen Seiten des Lebens oder spezielle Gewaltgeschichte zu beziehen. Sie ist vielmehr Teil einer allgemeinen Bewältigungsleistung, einer allgemeinen Daseinsbewältigung, die als ständige Auseinandersetzung des Menschen mit allen möglichen Anforderungen seiner jeweiligen Gegenwart und Vergangenheit einen unabweisbaren Lebensvorgang repräsentiert – eine anthropologische Grundkonstante und Grundbedingung menschlicher Existenz zur Entwicklung, Erhaltung und Reproduktion des Lebens, die letztlich die Herstellung einer, wenn auch nur temporären, Homöostase zum Ziel hat.46 Diese Anforderungen umfassen die ganze Bandbreite der Wirklichkeit, ob psychisch oder materiell, ob positiv oder negativ, in Kriegs- oder Friedenszeiten, ob naturgegeben oder sozial, individuell oder gesellschaftlich, ob in alltäglichen Verrichtungen oder im diplomatischen Verkehr der Nationen – wirklich in dem Sinne, dass

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etwas auf uns einwirkt, eine innere und äußere Reaktion auslöst und uns zwingt, Bewältigungsstrategien zur Problemlösung zu entwickeln und umzusetzen. Dabei ist auch der Begriff ‚Problem‘ offen für alle Inhalte, denn er bedeutet ursprünglich nur ‚schwierige, ungelöste Aufgabe‘. Die Abstufungen und Differenzierungen ergeben sich aus der materiellen, sozialen, kulturellen und psychologischen Tiefe, Komplexität und Dauer der Auseinandersetzung. Die Bewältigung einer Bergbesteigung ist etwas anderes als die Bewältigung des natürlichen Todes eines nahestehenden Menschen infolge von Alter. Das wiederum ist etwas ganz etwas anderes als dessen Tod infolge eines Gewaltverbrechens. Und das unterscheidet sich zweifelsohne von der Bewältigung der Nachricht, plötzlich und unvermutet Erbe eines Riesenvermögens geworden zu sein, das in der Vergangenheit angehäuft wurde und möglicherweise nicht nur Wohlstand und Einfluss mit sich bringt, sondern auch Klagen Geschädigter wegen Verbrechen, die im Zusammenhang mit dem Vermögen begangen wurden. Damit sind auch an den Vorgang der Bewältigung zunächst keine speziellen Themen oder Umstände geknüpft; ihm ist keine besondere Konnotation zugeordnet, außer vielleicht der, dass es sich um eine gewisse außergewöhnliche körperliche, geistige oder seelische Anstrengung handelt – und oft noch nicht einmal das. Im etymologischen Wörterbuch Kluges heißt es über „Bewältigung“ lapidar: „etwas in seine Gewalt bringen, eine Sache beherrschen“, „mit etwas fertig werden“. 47 Es kann alles bedeuten, es lässt sich auf jede Anforderung anwenden, die das Leben vorhält. In diesem Sinne wäre auch ein Satz Theodor Heuss ’ zu interpretieren, dem zufolge „alle Politik, die auf ein Morgen blickt, Bewältigung einer Vergangenheit bleibt“48 – egal, so lässt sich ergänzen, ob man damit die Gestaltung von Weltpolitik meint, die Instandsetzung maroder Verkehrswege oder, im sogenannten privaten Bereich, auch nur die Überwindung eines Trennungsschmerzes nach einem tiefen Zerwürfnis. Schließlich ist es für den Begriff zunächst auch ohne Bedeutung, welcher Mittel sich ein Bewältigungskonzept bedient, ob sie moralisch oder unmoralisch, zweckdienlich oder nicht zweckdienlich, erfolgreich oder erfolglos ist: Jeder, der sich auf Vergangenes bezieht, jeder, der das Erbe des Vergangenen in seinem Handeln berücksichtigt und zu korrigieren versucht, in welcher Richtung auch immer, betreibt Vergangenheitsbewältigung.49 Das verweist auch auf die Problematik des Begriffs. Alfred Grosser sagt: „Bewältigen heißt weder abschütteln noch verneinen, wohl aber Herr werden über. Bewältigen heißt somit freiwerden von durch Nutzbarmachen für.“50 Der Satz ist allgemein gültig im Guten wie im Bösen: Grosser meinte damit die Vergangenheitsbewältigung in Deutsch-

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land. Andererseits machte sich Hitler die Schwächen der Bestimmungen des Versailler Vertrags von 1919 zunutze, damit Deutschland sich seiner entledigen konnte – eine ganz andere Lesart von ‚frei werden‘ mit dem bekannten Ergebnis. Vergangenheitsbewältigung enthält auch stets alle Möglichkeiten der Geschichtsrevision, der Korrektur vorgängiger politischer, technischer, ökologischer und kultureller Entwicklungen, in welcher Richtung auch immer. Das Überdauern des Unverfügbaren Dass wir mit dem, was wir im Rahmen von Bewältigung tun, Wirkungen erzielen, dürfte auf der Hand liegen. Aber bevor wir diese Frage angehen, zunächst eine grundlegendere: Welche Möglichkeiten wirksamer Eingriffe in die Folgewirkungen vergangener Ereignisse und in die Bedingungen fortdauernder Strukturen bestehen überhaupt? Die Antworten hängen stark davon ab, auf welchen Ebenen, in welchen Sphären bestimmte Ereignisfolgen und fortdauernden Prozesse und Objekte angesiedelt sind: ob a) auf erd- und naturgeschichtlicher, b) auf evolutionsbiologischer, c) auf psychosozialer oder d) auf kognitiv-kultureller Ebene; sie hängen ferner davon ab, ob sie also physikalischer, materieller, politischer, geistiger, mentaler, kultureller oder psychischer Natur sind, ob sie ohne unser Zutun persistieren oder ob ihr Weiterwirken von unserem Handeln abhängt. Und wiederum hängen die Möglichkeiten zu ihrer Bewältigung davon ab, welche Einflussmöglichkeiten der Mensch auf sie hat: ob sie unumgänglich, unhintergehbar, unvermeidlich sind oder nicht, ob er über sie verfügen kann oder nicht, und schließlich, ob sie dem menschlichen Bewusstsein zugänglich sind oder sich der Wahrnehmung entziehen. Davon wird im folgenden die Rede sein, und wenn dort auch weiterhin der Begriff Vergangenheit auftaucht, so muss sich darüber im klaren sein, dass es sich um die fortdauernden Wirkungen einmaliger, abgeschlossener und damit vergangener Ereignisse handelt oder um solche Prozesse, Zyklen, wiederkehrende Muster und Strukturen, die in früheren Zeiten begannen und bis heute nicht abgeschlossen sind. Evolutionäres Erbe Auf den ersten Blick unumgänglich, unverfügbar und unvermeidlich, unabhängig vom Willen und Bewusstsein der je Lebenden, scheint das evolutionäre Erbe des Menschen, seine materiell-biologischen Voraus-Setzungen, seine genetischen Programme. Seine Wahrnehmungen und Verhaltensweisen werden, ebenfalls nach eigener Erkenntnis, nicht nur durch seine biographischen Prägungen und durch das entwicklungsge-

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schichtlich recht junge Großhirn reguliert, sondern ebenso durch die viel älteren Areale des limbischen Systems, des Kleinhirns und des Stammhirns, letzteres zuweilen auch Reptilienhirn genannt. Es sind dies Areale, deren Entwicklung lange vor dem Auftritt des Menschen auf der Weltbühne begann51 und die vor Zeiten unvergleichlich anderen Lebensanforderungen genügen mussten, gleichwohl bis heute wirksam sind. 52 Sie sind in unserer DNA gespeichert und überdauern in der Zeit, wie alle anderen Sektoren des menschlichen Genoms, im Zuge der Fortpflanzungsketten durch Replikation und Autoreplikation, durch die sich die Strukturen selbst erneuern oder vervielfältigen. Dieses persistierende naturgeschichtlich-evolutionäre Erbe mitsamt seinen animalischen Anteilen in Einklang zu bringen mit den später entstandenen zivilisatorischen Fähigkeiten, mit wechselnden kulturell-sozialen Erfordernissen, mit der ebenso evolutionär entstandenen Fähigkeit, nach moralischen Regeln vernünftig zu handeln53 und mit dem, was wir wissenschaftlich-technischen Fortschritt nennen, ist per se schon eine menschliche Bewältigungsleistung par excellence. Hier zeigen sich die Koexistenz und das Ineinanderspielen der naturgeschichtlichen und der viel jüngeren kulturgeschichtlichen Zeitebenen. Dass sich heute bereits die Möglichkeit abzeichnet, diese genetische Struktur des Menschen zu ändern, gleichsam Gott zu spielen, Eingriffe in seine Keimbahnen vorzunehmen und damit nicht nur einen einzelnen Menschen jenseits der natürlichen Evolution zu modifizieren, sondern in der Folge alle seine Nachkommen, ändert, jedenfalls bislang noch, nichts an den bisherigen grenzsetzenden und unhintergehbaren Naturvoraussetzungen menschlicher Entwicklung. Natürliche Umwelt und zweite Natur Die gleiche Unumgänglichkeit und Unverfügbarkeit gilt auch für die steten Anforderungen, welche die erd- und naturgeschichtlich entstandenen Umweltbedingungen an die menschliche Lebensbewältigung stellen. Die physikalischen, chemischen, geologischen und klimatischen Voraus-Setzungen wie Klima, Gezeiten, Jahreszeiten zwingen uns bei Strafe des Schadens oder Verderbens zur permanenten Anpassung, zur Einhaltung von Verhaltensregeln hinsichtlich Nahrung, Kleidung, Verkehrswegen, Zeitplanung etc. Wir können uns diesen vor Zeiten entstandenen und fortdauernden Objekten, Zyklen und Prozessen nicht entziehen, sie sind existenziell und unausweichlich Teil unserer Lebensgestaltung 54; der Begriff Natur-Gesetz weist darauf hin. Diese strukturellen Vor-Bedingungen sind das, was der Historiker Reinhard Koselleck als metahistorisch bezeichnet55: Sie sind Bedingungen unseres Handelns; wir können sie so,

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wie sie bestehen und vorgefunden wurden, nutzen, aber wir können im Großen und Ganzen (noch) nicht oder nie darüber verfügen, d.h. sie nach unserem Willen manipulieren, „ohne alles in Frage zu stellen“, wie Fernand Braudel schreibt. Wir sind also nicht annähernd Herr darüber, und wenn sich auch hier schon die Grenzen dieser Verfügbarkeit zunehmend verschieben56, so zeigen sich hier doch die Grenzen menschlichen Willens und menschlicher Gestaltungsmöglichkeit.57 Unübersehbar ist auch, dass die Spuren und Folgen jahrtausendelanger kultureller Tätigkeit wie alte Siedlungsbauten und Straßenführungen58, Bergwerke, Wasserregulierungen und Waldbewirtschaftungen usw. inzwischen so zahlreich sind, dass sie das ursprüngliche naturgeschichtliche Erbe, die sog. erste Natur, zu überdecken beginnen. „Auf der ganzen Welt“, schreibt C. Schrader in der „SZ“, „hinterlässt die Menschheit Spuren ihrer Aktivität, die sich noch in Jahrtausenden nachweisen lässt. Sie ist längst zu einer prägenden Kraft des Planeten geworden.“59 Auf dieser Vergangenheitsebene sind die Resultate vergangener menschlicher Tätigkeit als gespeicherte Informationen ebenso in das Gedächtnis der Materie und der Bewegung eingeprägt wie andauernde naturgeschichtlicher Prozesse und Zyklen. Und wie diese treten sie uns als je präsente und kausal relevante wirksame Umweltbedingungen gegenüber, zu denen wir uns unausweichlich verhalten müssen, egal, ob wir ihre Herkunft, ihre Ursachen und Wirkungen durchschauen, egal auch, ob wir bei der Bewältigung erfolgreich sind oder nicht.60 Psychosoziale Tradierungen Eine besondere Qualität des Fortdauerns kommt Ereignissen, Prozessen und Strukturen zu, die die innerpsychischen Folgen sozialer Handlungen, also die Folgen der Interaktion zwischen Individuen, Gruppen und Gesellschaften betreffen. Es ist dies ein weites Feld, das im Guten wie im Bösen alle Facetten menschlicher Möglichkeiten birgt: Rache, Grausamkeit, schlimmste Niedertracht und dunkelste Archaik ebenso wie menschliches Mitgefühl, Vergebung, Klugheit, Weitsicht und Größe. Unzweifelhaft hinterlässt gerade das Erleben von Gewalt nachhaltige mentale und psychische Spuren, etwa in Form individueller oder kollektiver Traumata, die im Unterbewussten, auf verschlungenen, oft unausgesprochenen Wegen gespeichert und tradiert werden, ungreifbar, unbehebbar, unerklärlich für ihre Träger und oft gegen deren Willen und als Last 61 oder als geheimer Antrieb – dies vielleicht sogar die wirkmächtigste aller Vergangenheitsebenen.62 Das Thema traumatischer Erfahrungen und ihrer Tradierungen in der fortschreitenden Zeit steht schon seit geraumer

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Zeit im Fokus der Forschung und der Theoriebildung 63, so etwa über die psychischen und psychosomatischen Wirkungen der Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs, die sich erst Jahrzehnte danach als schwerwiegende Spätfolgen manifestieren64; ebenso das Nachwirken traumatischer Erlebnisse bei den Nachkommen von Opfern des Holocaust, des Porrajmos an Sinti und Roma, des Aghet der Armenier noch Generationen später. Diese Vergangenheiten begleiten die Betreffenden ganz ohne ihr Zutun 65 und holen sie zu irgendeinem Zeitpunkt wieder ein – selbst dann noch, wenn die Erlebnisse in den Familien als Tabu behandelt wurden und darüber Schweigen herrschte. Man hat sich dieses Überdauern, gerade vonseiten der Psychoanalyse, lange Zeit als unbewusste soziale und kommunikative Übertragung von Generation zu Generation vorgestellt; heute kann die neurowissenschaftliche Forschung, zumindest in Tierversuchen, nachweisen, dass Traumata bei den ursprünglich Betroffenen epigenetische Veränderung auslösen, die auf die Nachkommen vererbt werden und bei diesen zu den gleichen körperlichen oder psychischen Reaktionen führen können.66 Auch wenn die Forschung hier noch keine absolut gültigen Ergebnisse gezeitigt hat, so liegt doch der Schluss nahe, dass das Erleben von Entsetzen und Erschrecken, von Entwürdigung, Hoffnungsund Aussichtslosigkeit auch auf genetischem Weg an die Nachkommen weitergegeben wird. Vielleicht gerade deshalb ist die poetische Form, mit der sich der Schriftsteller Ralf Rothmann dem Thema näherte, der Wirklichkeit näher als er selbst geahnt haben mag: „[Es gibt ein] Gedächtnis der Zellen in unserem Körper [...], auch der Samen- und Eizellen also, und das wird vererbt. Seelisch oder körperlich verwundet zu werden macht was mit den Nachkommen. Die Kränkungen, die Schläge oder die Kugeln, die dich treffen, verletzen auch deine ungeborenen Kinder, sozusagen.‘ Und was, fragt [sein Gegenüber,] vererbt der, der schießen muss? ‚Wahrscheinlich eine große Traurigkeit‘.“67

Umgekehrt lässt sich auch nicht ausschließen, dass Erlebnisse wie Sieg und Triumph, Erfolg Bestätigung und Zustimmung auf ähnlichen Wegen übertragen werden. Aber wie auch immer: Ob auf Ebene der Naturgeschichte, der Geschichte der materiellen Produktion oder auf der psychischen Ebene – die Spuren und Auswirkungen vergangener Prozesse und Ereignisse überdauern die Zeiten als Informationen in der Materie, als gespeicherte Energie und fortdauernde Bewegung, als Formengedächtnis, als genetisches Erbe, als neuronale Korrelate und was der Tradierungen mehr sein mögen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sich ihr Fortdauern unumgänglich und unabhängig vom menschlichen Willen und oft jenseits der bewussten Wahrnehmung, des bewussten Erinnerns vollzieht. Diese Objekte, Zyklen, Strukturen und Prozesse des scheinbar Vergangenen treten zu

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den je Lebenden in eine Wirkungsbeziehung entweder durch ihr bloße physische Existenz, ihre Gegenständlichkeit, oder aber auf schwer nachvollziehbaren Wegen, scheinbar ohne erkennbares Zutun aus sich selbst heraus; und gerade bei letzteren bleibt ihr Nachhall für die Betroffenen allzu oft ein unlösbares Rätsel. In gewisser Weise findet hier der Satz seine Anwendung, mit dem Christa Wolf ihren Roman „Kindheitsmuster“ beginnt: „Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd“. Man muss sich noch nicht einmal des Verhältnisses bewusst sein, so wie sich ein Flaneur nicht einmal des Bodens bewusst sein mag, auf dem er geht. Diese Beziehung können wir ebenso wenig umgehen wie das Atmen der Luft, in der wir uns bewegen. Das Überdauern des Verfügbaren im kulturellen Gedächtnis Ganz anders als mit den unumgänglichen oder unzugänglichen Vergangenheiten und ihrer fortdauernden Präsenz verhält es sich mit jenen Bereichen, die die gespeicherten und tradierten kognitiven Resultate vergangener kultureller, also handwerklich-geistig-sozialer Tätigkeit umfassen. Was damit gemeint ist, lässt sich in etwa mit der UNESCO-Definition „immaterielles Kulturerbe der Menschheit“ 68 und dem Prädikat „intangible cultural heritage“69 umschreiben. Doch im Unterschied zur UNESCO-Definition, die bereits auf eine Auswahl abzielt, Bewertungen vornimmt und von daher auch nicht unumstritten ist 70, soll es im Folgenden um alles gehen, was je von menschlichem Geist hervorgebracht wurde, um alle Bereiche menschlicher Tätigkeit, um alles, was auf dieser Ebene überhaupt der Fall ist und in irgendeiner Weise überliefert und in einem kulturellen Gedächtnis aufgehoben und gespeichert wurde. Dazu zählen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, alle künstlerischen, naturwissenschaftlichen, technischen, juristischen, philosophischen, politischen und religiösen Werke, alle Erfahrungen, Konstrukte, Erfindungen und Erkenntnisse, etwa soziale, politische, kulturelle oder religiöse Regeln, Gemeinschaftsbildungen und Weltbilder, Sitten und Gebräuche, alle Gesetzgebungs-, Meinungsbildungs- und Entscheidungsverfahren, Vermächtnisse wie Erbschaften, Stiftungen, technische oder landwirtschaftliche Verfahren, Forschungsprojekte aller Art, Archivbestände, Erzählungen, Berichte, Mythen uvm., kurz: was heute als kulturelles Gedächtnis bezeichnet wird.71 Spätestens seit Richard Dawkins aufsehenerregendem Buch „Das egoistische Gen“ werden geistig-kulturelle Informationen als ‚Meme‘ begriffen, die sich ähnlich den biologischen Genen, in replikatorischen Prozessen fortpflanzen und damit ebenfalls Entitäten darstellen.72

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Unumgänglichkeiten, Möglichkeiten und Unschärfen

Voraussetzung dafür war, dass der Mensch im Laufe der Evolution dieFähigkeiten erwarb, sich an vorgängige Ereignisse zu erinnern, sie durch Sprechen oder Schrift zu speichern und weiterzugeben, sie in Form schlüssiger oder scheinbar schlüssiger Erzählungen in eine Reihenfolge zu bringen, Konsequenzen daraus zu ziehen, sie, nunmehr als Erfahrung und Gebot, in sein Handeln zu integrieren, sie anderen mitzuteilen und sich mit anderen auszutauschen. Voraussetzung war ferner die Fähigkeit, sich in die Gedankenwelt Dritter hinein zu versetzen und sich ihre Arbeitsergebnisse zu eigen zu machen.73 Diese geistig-kulturellen Weltbilder, Kenntnisse und Verfahren verdanken ihr Fortdauern – im Unterschied zu den weiter oben dargestellten Entitäten – allein dem Umstand, dass sie von Generation zu Generation bewusst und gewollt erinnert, überliefert, aufbewahrt, neu vermittelt, wiederholt, bekräftigt und weiterentwickelt werden müssen, um gegenwärtig zu bleiben; sie sind angewiesen auf historische Forschung, auf fortdauernde Praxis, auf Institutionen und Archivierung, auf Praktiken, Rituale, Gedenken, Erinnerungen und Erzählungen, kurz: sie sind angewiesen auf Tradierungen und Tradierungstechniken, in welcher Form auch immer. Sobald aber das kulturelle Erbe des Vergangenen gesellschaftlich, d.h. von Menschen tradiert und vermittelt wird, unterliegt es einer Auswahl, es ist im Zuge bewusster Entscheidungen 74 einer Selektion verfügbar, wie im Fall des immateriellen Kulturerbes der UNESCO. Das Wörtchen ‚intangible‘ verrät, dass es sich um eine Festlegung handelt. Sie kann so ausfallen, aber ebenso gut auch anders. Und damit stellt sich die Frage, wie, unter welchen Bedingungen und nach welchen Kriterien bestimmte Ereignisse, Wissensbestände und Kenntnisse aus dem schier unendlichen Meer vergangener Wirklichkeiten herausgehoben und im Bewusstsein der jeweiligen Zeitgenossen als prägende Traditionen und Geschichtsbilder, als positive Vorbilder oder abschreckende Beispiele präsent und wirksam erinnert werden, andere hingegen aus dem Überlieferungsfundus verschwinden und dem Vergessen anheimfallen. Dass dabei stets moralische, politische oder anderweitige Auswahlkriterien eine Rolle spielten, dass Themen aus der Vergangenheit in Festlegungsprozessen von je her Schwankungen und Konjunkturen unterworfen sind, kann inzwischen als rezeptionstheoretisches Allgemeingut gelten. Aber vor der Behandlung dieses zentralen Themas ist es sinnvoll, noch etwas tiefer zu graben und die Frage zu stellen, welche allgemeinen psychologischen und kommunikativen Bedingungen bei der menschlichen Wahrnehmung der Wirklichkeit und dem gegenseitigen Austausch darüber eine Rolle spielen. Wer sich anschickt, gegenwärtige oder ver-

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gangene Realität zu bewältigen, muss eine Vorstellungen davon haben, Bilder entwickeln und das ganze komplexe Geschehen in eine für ihn selbst und für andere nachvollziehbare Ordnung bringen. Und da liegt sozusagen auch schon der Hase im Pfeffer: Wir sind kein allwissender und allverstehender Gott, der alles Vergangene und Gegenwärtige, alle Gedanken und Vorgänge in Mensch und Natur gleichzeitig bis ins kleinste Atom wahrnehmen, analysieren, deuten, speichern, in zeitliche und kausale Beziehungen setzen und vor allem auch anderen in nachvollziehbarer Form mitteilen kann. Wir können in der Regel nur kleine Ausschnitte der komplexen Wirklichkeit wahrnehmen und Vermutungen anstellen, wir können Modelle bilden etc., wir sind auf Hilfsmittel und Filter angewiesen, die sich als genuine Eigenschaften des Sprach- und Kulturwesens Mensch nicht umgehen lassen. Sie betreffen vor allem das metaphorische und mythologische Denken und Sprechen und die Instabilität von Gedächtnis und Erinnerung. Auch wenn diese Aspekte im folgenden als schwer hintergehbare, überkulturelle ‚conditions humaines‘ als überdauernde oder zumindest langfristig stabile Ausstattungen, Dispositionen und Eigenschaften des Menschen betrachtet werden und damit in die Nähe der nicht unumstrittenen anthropologische Sichtweise rücken75: Auf sie näher einzugehen lohnt deshalb, weil dies den Zugang zur komplizierten und konfliktreichen Bewältigungsgeschichte im 20. Jahrhundert erleichtert und zudem eine realistische Einschätzung der Grenzen und Möglichkeiten von Geschichtsschreibung und damit Vergangenheitsbewältigung überhaupt erlaubt.

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Vergangenheit und der menschliche Faktor Metaphorisches und mythologisches Denken Als Binsenweisheit kann gelten, dass wir mit allem Vorgefundenen stets viel mehr verbinden als das, was sich messen, wiegen, in Formeln packen und in irgend einer Form empirisch beweisen und rekonstruieren lässt. Die Annäherung an vorhandene Gegenstände oder Prozesse mit Hilfe wissenschaftlich-empirischer Methoden und Kategorien ist eher die Ausnahme; in der Regel und im Vollzug des Alltags benutzen wir Bilder, Metaphern und Symbole, die – anders als beim theoretischen Zugang – unserer direkten lebensweltlichen Erfahrung entstammen. Der metaphorische Zugang zur Welt drückt sich aus im bildlichen Sprechen, als Anwendung von Vergleich, Gleichnis, Parabel oder Allegorie unter Verzicht auf objektiv messbare Kriterien. Jeder weiß, was gemeint ist, wenn das „Staatsschiff in Seenot“ ist, wenn ein Mensch angeblich ein „Rad ab hat“ oder wenn die Bezeichnung „Vogel“ für „Flugzeug“ benutzt wird. Hier werden Eigenschaften eines Gegenstandes, die von anderen, bereits bekannten Vorgängen und Dingen stammen, auf einen anderen Gegenstand übertragen. Dieses Verfahren, sich ein Bild von der Realität zu verschaffen, hat mehrere Effekte: Mit der Übertragung reduzieren wir die Eigenschaften des Zielgegenstandes auf die Eigenschaften des bildgebenden Gegenstandes, wir verringern auf diese Weise Kompliziertheit und Komplexität76, schränken aber auch unsere Sicht der Dinge ein. Zugleich transportieren Metaphern stets Emotionen, sie enthalten das, was ein Sprecher an Stimmungen, Gefühlen und Vorurteilen mit ihnen verbindet: Hoffnungen, Wünsche und Ängste, Standpunkte, Bewertungen und Sichtweisen, Kritiken und Zustimmung, Absichten, Warnungen und Ermahnungen.77 Metaphern bilden „Daseinsbewältigungsstrategien, mit denen wir uns in einer übermächtigen und schwer zu deutenden Welt orientieren und uns über uns selbst verständigen“.78 Diese Form der Wirklichkeitsaneignung bildet sich aus, seit es Sprache gibt – und sie ist derart grundlegend für die Konstruktion von Realität, dass uns meistens gar nicht bewusst ist, dass wir „in Metaphern leben“. 79 Wir können nicht anders, und selbst der streng rational denkende Wissenschaftler ist nicht frei davon. Er kann darauf nicht verzichten, wenn er bestimmte Vorgänge auf allen Bedeutungsebenen verstehen will; und derjenige, der sich mit geschichtlichen Zusammenhängen und Abläufen, mit menschlichen Interaktionen in Raum und Zeit befasst, schon gar nicht. Ähnlich funktionieren Mythen, die großen langlebigen Erzählungen über Kosmos und Schöpfung, Aufstieg, Zerfall und Auferstehung, über

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Rituale und Gemeinschaftsbildungen, Zukunftsvorstellungen und Verheißungen: Auch sie reduzieren die Komplexität von Realität und füllen jene Leerstellen, die sich aus der allfälligen Differenz zwischen dem, was ist und dem, was wir wissen, ergeben. Die Vereinfachung schafft Beruhigung, Zuversicht, Selbst- und Weltvertrauen und nimmt damit die Angst vor den Unwägbarkeiten des Lebens und der Zukunft. Auch Vertrauen ist eine Form der Reduktion von Komplexität 80, ebenso der Glaube. Einerseits kommen wir ohne derartige Strategien nicht aus, wenn wir überhaupt in der Welt agieren wollen, andererseits ist das Problematische an ihnen, dass die Verengung des Blickfeldes, die Einschränkung der Wahrnehmung und das Ausblenden komplizierter Begleitumstände ein trügerisches Gefühl eigener Handlungsmächtigkeit hervorrufen kann, in dessen Folge sich im schlechtesten Fall „eine Gemeinschaft [...]von allen Realitätsbezügen abkoppelt, die tatsächlichen Probleme unter- und die eigenen Fähigkeiten überschätzt, die Rechte anderer und die Verpflichtungen ihnen gegenüber negiert und so den Weg in die Katastrophe oder ins Verbrechen geht“.81 Zum Mythos, zur Eindampfung komplexer Wirklichkeit gehört auch und vor allem die Personalisierung von Ereignissen, d.h. die Erschaffung eines übermächtigen Protagonisten oder Antagonisten, von der aus ein Handlungsgeflecht erzählt wird. Bei der Konzentration auf eine Übergestalt verschwinden Strukturen im Hintergrund – obwohl sie den Helden erst hervorgebracht haben, so, wie der erfolgreiche Torschütze im Fußball als Held gefeiert wird, der aber ohne seine Mannschaft nicht erfolgreich und siegbringend sein kann. Das gilt auch für Geschichtsschreibung und Vergangenheitskonstruktionen. Und hier kann es durchaus sein, dass die durch Erzählung selbstgeschaffenen Über-Personen oder ÜberMächte den eigenen Schöpfern als verobjektivierte fremde Kraft entgegentreten und diese den von ihnen selbst geschaffenen Wirkungen erliegen. Historische Mythen zeichnen Wege, die nachvollziehbar und erklärbar erscheinen, und sie definieren zugleich Zwecke und Ziele. Sie sind durch die Wirksamkeit ihrer Bilder und Inszenierungen ein mächtiger Hebel zur Gestaltung von Geschichte, zur Hervorbringung von Macht und Einfluss, zur Begründung und Legitimation politischer Gestaltung und gesellschaftlicher Ordnung. Sie schaffen Vorstellungen von Geschichte, ob sie zutreffen oder nicht, und die Art und Weise, in der dies geschieht, beeinflusst die Orientierungen und Begründungen für zukünftige Entwicklungen. Geschichte wird also gestaltet durch konkrete Handlungen und Entscheidungen und zugleich durch ihre Darstellung im Erzählen, sei es mündlich oder schriftlich. Diese doppelte Bedeutung ist

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im deutschen Begriff vom „Geschichte schreiben“ enthalten. Nicht nur Napoleon schrieb mit seinen Taten Geschichte, sondern auch die Bibel mit ihren Erlösungsversprechen. Das hat sich seit den großen Erzählungen der griechischen Mythologie oder des Alten Testaments, der Siegfried-Saga oder der Legenden über Armin, den Cherusker nicht geändert. Am Anfang war das Wort, und das Wort ist Fleisch geworden, so lautet eine zentrale, gleichwohl oft viel zu wenig beachtete Botschaft im Johannesevangelium. Und dass aus Worten und Geschichten Versprechungen wurden, aus Versprechungen Glaube, aus Glaube Taten, aus Taten Gemeinschaften und Organisationen und aus diesen überdauernde Herrschaftsstrukturen, wussten alle Reichsgründer mitsamt ihren Mytheningenieuren und Spindoktoren und das wissen auch alle, die mit ihrer Firma an die Börse gehen und Imperien schaffen wollen: Sie brauchen eine gute Story: Die einen, weil sie ohne diese keine Gefolgsleute, die anderen, weil sie keine Investoren zur Realisierung ihrer Pläne fänden. Wichtig hier ist nicht der Wahrheitsgehalt der Erzählung, denn die Einlösung des Versprechens liegt noch in der Zukunft, sondern die Glaubhaftigkeit, die Erzielung der Wirkung beim Hörer, das Gehörte für wahr zu halten. Derartige Mythen entstehen auch in der Gegenwart immer aufs Neue, teils, weil sie sich im Bereich der Medien als verkaufsfördernd erweisen, teils, weil sie im politischen Bereich als notwendig und sinnvoll zur Herstellung von Gemeinschaften und Identitäten, zu einem gemeinsamen Verständnis von sich, der Herkunft, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft82 angesehen werden. Die Wirklichkeit von Geschichte(n) und die Geschichte der Wirklichkeit sind zwei ganz unterschiedliche Dinge, und trotzdem unauflöslich miteinander verbunden, weil das eine aus dem anderen hervorgeht und weil Geschichten ebenfalls Teil der Wirklichkeit sind, denn Wirklichkeit ist, wie weiter oben gesagt, das, was wirkt – egal, ob physikalisch oder psychologisch. So stehen auch mythische Erzählungen und metaphorisches Denken stets in einem ergänzenden und zugleich konkurrierenden Verhältnis zum wissenschaftlich-analytischen Denken.83 Die naturwissenschaftliche Annäherung an ein Objekt wie, sagen wir, einen Berg wird in der Regel über die Messung und Katalogisierung seiner geologischen und physikalischen Eigenschaften, seiner Klimabedingungen, Flora und Fauna usw. erfolgen, und zugleich wird man die methodischen Fragen über diese Verfahren erörtern. Doch zeigt ein Blick in die menschliche Mythen- und Kulturgeschichte, dass der erwähnte Berg nie nur ein geologisch-physikalisches Faktum war, sondern stets auch Gegenstand der Projektion innerer Wahrnehmungen und Eindrücke: personifiziert als mächtiges, eigenständig agierendes Wesen, gedeutet als Sitz übernatürlicher und magi-

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scher Kräfte, als Heimat sagenumwobener Wesen, verehrt und angebetet als Spender reicher Ernten und Bodenschätze, gemieden, verflucht und gefürchtet als lebensfeindlicher Auslöser von Katastrophen, als erhabener Schauplatz göttlicher Vorzeichen oder Vorbote zukünftiger Ereignisse, heute aufgesucht als Ort von Outdoor-Events, als Ort der Alltagsflucht, der persönlichen Herausforderung, der Selbstfindung und was des Umgangs mit ihm und der Zuschreibungen mehr war und ist. Umgekehrt aber auch wird der Berg samt dazugehöriger Elemente, Eigenschaften und Erscheinungen gern als Metapher für soziale und kulturelle Prozesse verwendet, etwa, wenn der Karriereweg eines neuen Ministers bisher steil nach oben führte, er aber nun vor einem Berg von Aufgaben steht, in einen Abgrund von Korruption schaut und mit seinen Maßnahmen eine Lawine von Enthüllungen auslöst, die ihn und seine Partei jäh vom Gipfel der Macht stürzen lässt. Die metaphorische und mythologische Aneignung der Wirklichkeit ist eine unumgängliche und produktive, zugleich aber auch äußerst problematische und konfliktbehaftete Strategie zur Bewältigung des Daseins. Wir können damit Wege zu neuen Erkenntnissen vorbereiten und allfällige Leerstellen des Wissens füllen, wir können aber auch zu Gefangenen unseres metaphorischen Denkens und Erzählens werden und unsere Erkenntnismöglichkeiten und unsere Realitätswahrnehmung einschränken. Wir können uns damit Angst einjagen, uns aber auch von Furcht befreien – und wir können alte Verletzungen künstlich am Leben halten oder uns ihrer entledigen. Das hängt ganz davon ab, ob wir auf ihnen beharren, um ihre unzweifelhafte politische Wirksamkeit zu nutzen oder ob wir uns ihrer entledigen und an ihre Stelle die Erkenntnis der Wirklichkeit als handlungsleitende Grundlage setzen. Instabilität und Korruption der Erinnerung So weit zu den Strategien des metaphorischen und mythischen Denkens als Filter der Realität und zu den Wirkungen auf das menschliche Verhalten, die daraus entstehen. Diese vielfach verschränkten Wahrnehmungsprozesse und Interpretationen werden noch komplexer durch die schwankende Dauer und die Instabilität individueller und gesellschaftlicher Erinnerungs- und Gedächtnisleistungen. Hier sei vorausgeschickt, dass die inzwischen unübersehbare Literatur zur Erinnerungsforschung in den Neuro- und Kulturwissenschaften eine fast babylonische Begriffsvielfalt hervorgebracht hat, eine Vielzahl von Überschneidungen, synonymen Verwendungen, Konzepten und Definitionen.84 Das spiegelt sich bereits wider in der Mehrdeutigkeit des

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deutschen Begriffs „Erinnern“, in dem drei sehr unterschiedlichen Sachverhalte enthalten sind: das „sich erinnern“, „an jemanden oder etwas erinnern“ und „jemanden an etwas erinnern“ Das mag als philologische Spielerei erscheinen, aber die Sache enthält Fallstricke. Es wird sich zeigen, dass es einen großen Unterschied macht, ob man sich aus eigenem Vermögen erinnert, ob man an etwas erinnert wird, was einem entfallen war oder ob Teilnehmer, etwa im Rahmen von Gedenkveranstaltungen, an vergangene Geschehnisse erinnert werden, die ihnen noch gar nicht bekannt waren und von denen sie noch nie gehört hatten. Letzteres ist eine neue Information und so gesehen keine eigene Erinnerung, das einzige, was davon wirklich selbst erlebt wurde, ist der Vorgang der Vermittlung, des Lesens, Sehens oder Hörens fremder Erfahrungen. Dennoch wird es nicht selten als eigene, selbst erlebte Erinnerung wahrgenommen, weil das Gehirn die Herkunft der Informationen nicht zuverlässig unterscheidet. In der Folge lassen sich selbst erlebte Vorgänge und solche, von denen man durch Dritte Kenntnis erhielt, nicht klar voneinander trennen. Authentische eigene Erfahrungen und Zeugenschaften bilden mit Geschehnissen, die medial, etwa über Erzählungen, Berichte und Bilder aufgenommen werden, eine unauflösliche Einheit. Und dementsprechend lebt das, was wir als Individuum oder Gesellschaft für individuelle und für kollektive Erinnerung halten, fast ausschließlich von den Beobachtungen anderer, von fremden Darstellungen, fremden Wahrnehmungen, fremden Erfahrungen, fremden Erinnerungen. Was Marc Bloch vor Jahrzehnten über den Schwund direkter Beobachtung sagte, gilt heute, in Zeiten allgegenwärtiger Massenmedien und -kommunikation noch in viel größerem Maße.85 Auch der Begriff „Gedächtnis“ birgt funktionelle Abgrenzungsprobleme, denn er bezeichnet unterschiedliche Vorgänge, nämlich a) im Sinne von erinnerndem Gedenken (wie etwa bei „Gedächtniskirche“) und b) die Fähigkeit zum Speichern von Erfahrungen und Wissen. Bei a) gilt es wieder die Unterscheidung in fremde und eigene Erinnerung zu beachten. Bei b) ist zudem oft die Abgrenzung von „Gedächtnis“ und „Erinnerung“ unscharf, die Bedeutungen überschneiden sich, ähnlich wie im lateinischen „memoria“: Das bedeutet sowohl „Gedächtnis“ als auch „Andenken“ und „Nachricht“. Im englischen „memory“ und im französischen „memoire“ findet sich diese Mehrdeutigkeit ebenfalls. Das Problem liegt nun nicht nur in der Unterscheidung zwischen Eigenerfahrung und zugetragenen Informationen, sondern darin, dass es sich nicht um ein und dasselbe handelt: das Gedächtnis enthält mehr Informationen, als der bewussten und aktiven Erinnerung zugänglich ist. Denn manche Gedächtnisinhalte sind durch Verdrängung oder Amnesie gar nicht mehr

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abrufbar, andere lassen sich nur mit Hilfe äußerer Auslöser in die Erinnerung heben, etwa über externe Trigger, über einen bestimmten Duft, eine Musik, ein Bild. Als Erinnerung hingegen kann zunächst dasjenige gelten, was dem Einzelnen selbst bewusst und im Nachvollzug erlebbar ist, was aus eigenem Vermögen aus dem Gedächtnis abgerufen und anderen mitgeteilt werden kann – egal, ob es sich um eigene Erlebnisse oder nicht selbst erlebte Ereignisse handelt. In diesem Spannungsfeld sind sowohl die menschlichen Gedächtnisals auch die Erinnerungsleistungen dynamisch und zugleich unterschiedlich zuverlässig. Dynamisch deshalb, weil im Fluss der Ereignisse und des Erlebens dem Gedächtnis immer neue Informationen eingeschrieben werden, ohne dass die alten Informationen endgültig und spurlos gelöscht werden. Das Ganze lässt sich vergleichen mit einem Eintopf auf dem Feuer, in dem Teile nach oben kochen, wieder absinken, abgeschöpft werden, verdampfen, neue Zutaten hinzugefügt werden. Unterschiedlich zuverlässig deshalb weil der Zugriff auf Gedächtnisinhalte nicht in allen Bereichen in gleicher Weise erfolgt: Das Abrufen von Inhalten aus dem semantischen Gedächtnis, also der Zugriff auf den gespeicherten eigenen Wortschatz, auf gelernte Fertigkeiten und Kenntnisse usw. arbeitet zumeist stabil und relativ fehlerfrei. Die Reproduktion gelingt in weitgehend konstanter Qualität. Weithin geläufig ist die Fähigkeit alter Menschen etwa noch umfangreiche Texte wie Schillers „Glocke“ aufzusagen. Ganz anders dagegen das episodische Gedächtnis, welches selbst erlebte oder über dritte Personen oder Massenmedien vermittelte Ereignisse, Erzählungen und Handlungsabfolgen speichert: Hier ist unsere Fähigkeit zur immer gleichen soliden Rekonstruktion eines Vorgangs zweifelhaft. Um dieses episodische Gedächtnis geht es vor allem in Bezug auf die Verfertigung von Autobiographien und Vergangenheitsbildern. Es ist kein statisches Gebilde, es ist ständig einem Prozess des Hinzufügens, Überschreibens und Ergänzens ausgesetzt und in dieser Dynamik unterliegt das Abrufen von Informationen, das Erinnern, wechselnden Einflüssen, die wieder von verschiedenen Faktoren abhängig sind: Das menschliche Gehirn will für vergangene Ereignisse eine schlüssige, stringente Erzählung, die den eigenen Motiven, Bedürfnissen und Wünschen angepasst ist. Das Geschehen wird danach konstruiert, es entstehen Lücken, Hinzudichtungen, neue Gewichtungen, Verwechslungen, neue Verknüpfungen bilden sich, das Erlebte wird abhängig von jeweiligen Situationen und Stimmungslagen, Identitäten und Interessenlagen je neu und anders erzählt. Mit objektiver Wahrheit, mit dem tatsächlichen Verlauf der Vorgeschichte hat das nur bedingt zu tun, viel jedoch mit der Plausibilität der eigenen Biographie, mit der Konsistenz des Selbstbildes und der Ak-

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zeptanz durch sich und andere. Dass, wie Hannes Vollmuth schreibt, gebrochenen Menschen, seelisch Versehrten, angesichts misslungener Lebensentwürfe oft nur noch „der Ausweg bleibt, die Scherben ihres Lebens in eine schlüssige Erzählung zu überführen“86 gilt in der Sache auch für den Rest: „Nehmen Sie einem Durchschnittsmenschen seine Lebenslüge“, lässt Hendrik Ibsen seinen Dr. Relling im Bühnendrama ‚Die Wildente‘ sagen, „so nehmen Sie ihm zugleich sein Glück“. Und wirkt schon diese Neigung zur plausiblen autobiographischen Konstruktion als Filter und Zensor, so wird die Differenz zwischen Darstellung und tatsächlichem Vorgang noch größer dadurch, dass persönliche Erinnerungen verblassen, verschüttet und verdrängt werden; neue Ereignisse mischen sich darunter, welche die alten Erinnerungen und Interpretationen überformen und überschreiben, und auf diese Weise bildet sich eine schier unauflösliche Melange mit den ursprünglichen Wahrnehmungen. 87 Diese Instabilität und Wandelbarkeit des Erinnerns geht so weit, dass Menschen aus voller Überzeugung Vorgänge als selbst erlebt wahrnehmen, die in ihrem Leben gar nicht stattgefunden haben – ein Phänomen, das in der wissenschaftlichen Literatur als Pseudoerinnerung bezeichnet wird.88 Dem entgeht niemand. Die Erinnerung, sagt der Schriftsteller Cees Nooteboom, ist wie ein Hund, der sich hinlegt, wo er will. 89 Ein verlassener Partner wird die Geschichte seiner Beziehung anders gewichten und erzählen als zu dem Zeitpunkt, an dem er noch glücklich liiert war; und er wird sie wieder anders erzählen, wenn er nach der Trennung ein neues Glück gefunden hat und wieder anders, wenn er mit der Sache noch nicht fertig ist.90 Erinnerung. Selbstbehauptung. Individuum. Gedächtnis und Erinnerung sind einerseits also äußerst komplexe, leistungsfähige, zugleich aber auch dynamische, wandelbare und damit fragwürdige und fehlerbehaftete Prozesse. Andererseits sind wir in Bezug auf Persönlichkeitsbildung, auf Planungs- und Gestaltungsfähigkeit und in Bezug auf Identität, Selbstbehauptung und Autonomie existenziell auf eigene, schlüssige, konsistente und realitätsnahe Vergangenheitsbilder und biographische Entwürfe angewiesen. Das Zurückgreifen auf vertrauenswürdige, solide und tragfähige Erfahrungen und Fertigkeiten, auf eigene stimmige und sinnvolle Vergangenheitsbilder und auf die Fähigkeit zur Selbstvergewisserung aus eigener Kraft ist zentral für die Herausbildung stabiler und autonomer Persönlichkeit und Identität, für die Fähigkeit zur Kritik und Gestaltung, für die Selbstbehauptung gegenüber Konkurrenten, für die Frage, ob man zum

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handelnden Subjekt oder zum gehandelten Objekt wird. Wie sehr, zeigen die Folgen des Verlustes von Langzeit- und Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis, etwa im Fall einer Erkrankung am Morbus Alzheimer oder als Konsequenz einer posttraumatischen Amnesie: In einem solchen Extremfall sind alle Erfahrungen und Bezugssysteme nicht mehr abrufbar, die die Planung auch nur des nächsten Schrittes praktischer Lebensbewältigung voraussetzen91; das betreffende Individuum ist entweder handlungsunfähig oder auf Dritte angewiesen, die ihm Handlungskonzepte, Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln.92 Menschen ohne Gedächtnis und Erinnerung resp. mit Erinnerungen, die hauptsächlich von außen oktroyiert wurden, sind Objekte fremder Funktionalisierung, fremder Einrede und Manipulationen, im Guten wie im Bösen. „Wir sind, was wir erinnern“, schreibt Jan Assmann93; und gerade die Dramatik des Abhandenkommens von Sprache, Gedächtnis und Erinnerung hat die Menschen nicht erst seit dem Fall Kaspar Hauser fasziniert. Heute sind etwa Filme beliebt, in denen Protagonisten ihrer Identität verlustig gehen, weil ihre Erinnerung gelöscht oder ganz neu aufgebaut wurde und ihnen auf diese Weise suggeriert werden kann, sie seien eine andere Person. Diese Geschichten beziehen ihre Spannung nicht nur aus der Hilflosigkeit und Verstörtheit der Protagonisten, sondern ebenso aus den abgründigen Motiven der Manipulatoren. Die Bedeutung der Autobiographie im Sinne einer selbst verfertigten Lebensgeschichte, gilt schon für die Identitätsbildung heranwachsender Menschen. Die meisten kennen den unausweichlichen Streit zwischen Eltern und Kindern um das Bild von der Kindheit, um die Interpretation, ob die Söhne und Töchter eine glückliche Kindheit hatten, ob sie gerecht und verständnisvoll behandelt wurden, ob man ihre Bedürfnisse respektierte etc. Es liegt auf der Hand, dass es auf beiden Seiten um eine Auslegung der Vergangenheit geht, die mit der Verteidigung von Selbstbildern und zugleich mit der Frage der Gewinnung größerer Unabhängigkeit auf der einen und der Aufrechterhaltung bisheriger Bindungen auf der anderen Seite zu tun hat. Die Konsequenzen des Aushandelns von Vergangenheitsbildern sind auch in Bezug auf die Autorität etwa der Eltern beträchtlich: Kommen familienhistorische Fakten ans Licht, die der autobiographischen Legendenbildung entgegenstehen, verschiebt sich das Vorbild- und damit Machtgefüge erheblich. Mit einer derartigen „Geschichts“-Revision im familiären Rahmen geht nicht selten ein Desillusionierungsprozess einher, in dessen Folge sich die Einschätzung des sozialen Gewichts, der Reputation, der Glaubwürdigkeit und das Verhalten gegenüber den Ansprüchen, die darauf gründen, tiefgreifend ändern können. Die Sache wird dadurch komplizierter, weil auch die Identität, das

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‚Mit-sich-eins-sein‘ von Personen, Gruppen und Nationen eine persistierende Entität ist – aber eine diachrone, die viele Veränderungen durchlaufen kann: die von der Jugend zum Alter, vom Opfer oder reumütigen Täter zum dominierenden Akteur und umgekehrt, den Wechsel der Staats- oder Religionszugehörigkeit oder des Geschlechts – eine stete Entfremdung und Neuerfindung, quasi eine Häutung von alten Identitäten im Fluss der Zeit, der Umstände und des Bewusstsein, die stets vom Ziel der Herstellung einer Homöostase begleitet ist, einer Übereinstimmung eigener Motive und Bedürfnisse mit den jeweiligen Orientierungsund Handlungskonzepten. Das wird für das Thema Geschichtspolitik noch von Bedeutung sein. Die Mittel Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Motive und Zielsetzungen werden Darstellungen, Deutungen und Bewertungen von Vergangenheitsbildern in aller Regel mit den Mitteln des Arguments, der Rhetorik und der Inszenierungen ausgehandelt und verfertigt. Sie zielen auf die Verteidigung und Akzeptanz eigener Standpunkte und beziehen sich keineswegs nur auf den rationalen Kern des verhandelten Gegenstands, auf die Sache selbst, sondern appellieren zumeist auch an Gefühle und Unterbewusstsein. In Anschlag gebracht werden da etwa Berufungen auf schweigende Mehrheiten, Appelle an das Mitleid der Hörer, Verweise auf die eigene moralische Überlegenheit, Über- und Untertreibungen, manichäische Überzeichnungen in Gut und Böse, Vernachlässigung des Kontextes, Heranziehen von Vergleichen, Parallelen und Analogien, Überbetonung von Einzelfällen, willkürlicher Wechsel der Ebenen von Form und Inhalt, Versuche der Kontrolle von Themen durch Tabuisierung, durch Einschränkungen im Spannungsfeld zwischen religiösem Fundamentalismus und ‚political correctness‘, nicht zuletzt auch Einsatz von Totschlagsargumenten, Erwecken von Ängsten und Befürchtungen bis hin zu brachialen Überwältigungsmechanismen wie direkten Drohungen und Einschüchterungen, etwa durch Hinweise auf die eigene Macht und Stärke oder der Erzeugung eines Klima von Hass und Herabwürdigung unter Einsatz des Pathos als „Verwandtem der Lüge“ 94 oder auch nur schlichter Lügen, die wie Marcel Proust schrieb, eines der „wichtigsten und am meisten verwendeten Werkzeuge der Selbsterhaltung“ ist.95 Letztlich gründen die Effekte derartiger Strategien zu einem beträchtlichen Teil auf echter oder scheinbarer Plausibilität plus Autorität des Sprechers plus Inszenierung plus Anknüpfung an bestehende Dispositionen, an Wünsche und Motive wie Angst oder Erleichterung, Erlösung

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und Hoffnung, Wunsch nach Abgrenzung von anderen oder Wunsch nach Annäherung – und nicht zuletzt auf dem zutiefst menschlichen Bedürfnis, als Individuum Teil einer Gemeinschaft, eines Kollektivs, einer Mehrheit zu sein und nicht als Außenseiter Isolation und Sanktionen befürchten zu müssen.96 Von daher sind Berufungen auf Mehrheiten oder Inszenierungen, die den Adressaten das Gefühl vermitteln, zu einer schützenden, durch gemeinsame Werte verbundenen Mehrheit zu gehören, besonders wirksam.97 Wie manipulierbar Menschen unter dem Zwang der Verhältnisse und des Drucks der Gruppe sind und auf welchen schwankenden Grundlagen die Bildung von Gesinnungsgemeinschaften beruhen, lässt sich an den Followern von Twitter in vivo verfolgen.98 Wer den Zwang der Verhältnisse nutzen oder gar hervorbringen kann und die Inszenierung einer mehrheitlich scheinenden Bewegung dazu, der verfügt über Macht, Verhalten und Entscheidungen zu steuern. Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich bei alldem nur schwer ausmachen lässt, was bei der Bildung von Meinungen und Überzeugungen schwerer wiegt und den Ausschlag gibt: Die Plausibilität und Logik eines Arguments – oder doch eher die psychosozialen Techniken und Inszenierungen zu seiner Vermittlung. Vom Habermas’schen Ideal eines herrschaftsfreien Diskurses, in dem sich „Rationalität als zwangloser Zwang des besseren Argumentes“ entfaltet99, ist die gesellschaftliche Praxis der Beeinflussung, der persuasiven Kommunikation – auch die wissenschaftliche – allzu oft weit entfernt. Selbst rechtsstaatlich und streng formalisiert ablaufende Verhandlungsforen wie etwa Gerichtssitzungen, die im Allgemeinen als die Orte größtmöglicher Objektivität und strenger Verfahrensregeln zur Klärung eines vergangenen Geschehens gelten, sind davon nicht unberührt. In Strafprozessen etwa, die das Interesse des Boulevards und der breiten Öffentlichkeit erregen, lässt sich vieles davon wiederfinden.100 Und Gerichtsverhandlungen sind schließlich eine Subspezies von Vergangenheitsbewältigung, in der sich im Kleinen die Elemente der großen gesellschaftlichen Verfahren spiegeln. Vergangenheitsbilder und Gesellschaft Warum eine derart ausführliche Darstellung über metaphorisches und mythisches Denken, über die Unterschiede zwischen Erinnerung und Gedächtnis, über die Unzuverlässigkeit beider und über wechselnde Motivlagen beim Ringen um Selbstbild, Identität und Autonomie? Nun, die genannten Bedingungen gelten auch für die öffentlichen Auseinandersetzungen um vorherrschende Geschichtsbilder, um die großen Erinnerungen, Legenden und Erzählungen von Nationen und Staa-

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ten101: So, wie es ein individuelles Gedächtnis gibt, so gibt es auch ein gesellschaftliches Gedächtnis.102 In diesem stets in Bewegung befindlichen dezentralen Erinnerungsspeicher ist alles enthalten, was an die Oberfläche der gesellschaftlichen Erinnerung und als Geschichtsbild in das öffentliche Bewusstsein dringt103, was in irgend einer Form über die Vergangenheit gespeichert und tradiert wurde: alle Forschungen, Archivbestände, Baudenkmäler und Erinnerungsorte, alle künstlerischen Hervorbringungen, persönlichen Erinnerungen, Berichte, Mythen, Legenden und Erzählungen im privaten und öffentlichen Leben, kurz: alles, was weiter oben im Abschnitt über das kulturelle Erbe schon aufgeführt wurde. Und ähnlich wie individuelle Erinnerungen sind auch diese gesellschaftlichen dynamisch und instabil zugleich. Auch hier finden Prozesse statt, in denen vermittelte Ereignisse oder selbst erlebtes Geschehen verdrängt, unterdrückt, unterstrichen, hervorgehoben, vergessen, hinzugefügt, gelöscht, selektiert und neu konstruiert wird. Dieser stete Wandel ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Erstens findet jede Generation unterschiedliche politische und kulturelle Ausgangssituationen und Erkenntnislagen vor. Dementsprechend nähert sie sich der Vergangenheit unter je wechselnden Interessen und Motiven, Fragestellungen und Antworten, Sichtweisen und Erkenntnissen. Man denke nur daran, wie sich die Gedenkfeiern für Martin Luther oder den deutschen Nationalhelden Arminius im Laufe der letzten 150 Jahre gewandelt haben. Zweitens sind immer neue Akteure in wechselnden Zusammensetzungen und Qualitäten und mit je eigenen Gedächtnisspeichern und Erinnerungskulturen beteiligt. Beides zusammen ergibt einen ständigen generationsbedingten Gedächtnis- und Erfahrungs-Hiatus, zu dem sich drittens die wachsende Konkurrenz der kommerziellen Geschichtsbild-Produzenten im Aufmerksamkeitswettbewerb gesellt104: Professionelle Historiker, Hobbyforscher, Zeitzeugen, religiöse Gemeinschaften, staatliche und zivilgesellschaftliche, öffentliche und private Institutionen, nationale und supranationale Richtlinienkommissionen, Netzwerke, Think-Tanks, Spin-Doktoren, Vereine und Stiftungen, Journalisten, bildende Künstler, Verfasser historischer Romane, Dramen und Drehbücher, Produzenten einschlägiger Dokutainment- und Re-Enactment-Serien, Werbeagenturen uvm. Das sind die Akteure, die in stetem Austausch miteinander, aber auch in steter Konkurrenz zueinander stehen im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit, um die möglichst weitreichende Prägung der öffentlichen Erinnerung, um das Setzen von Ankerpunkten, die im öffentlichen Bewusstsein haften bleiben – um nicht zu sagen: um die Kollektivierung, Homogenisierung und Monopolisierung von Geschichtsbildern und öffentlicher Erinnerung. Im Feld durch-

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aus attraktiver und wirkmächtiger Mitspieler ist die Geschichtswissenschaft nur einer von vielen Zuträgern beim Zustandekommen der je dominierenden Geschichtsbilder, und angesichts der Konkurrenz von Akteuren und Interpretationen sitzen die Historiker oft genug zwischen allen Stühlen oder werden im schlechtesten Fall gar nicht erst zur Kenntnis genommen.105 Ganz abgesehen liegt es in der Eigenart der Disziplin, dass sie nur selten einfache und abschließende Antworten liefern kann, ohne ihre Forschungsergebnisse zu verkürzen und damit zu verfälschen – was wiederum den Boulevardmedien und dem breiten Publikum mit ihrem Bedarf an eingängigen und schnell orientierenden Darstellungen in die Hände spielt. Von dem, was diverse Dokutainmentserien an Geschichtsbildern liefern, entspricht vieles weder dem Stand der wissenschaftlichen Forschung noch ist es besonders erkenntnisfördernd. 106 In der Tat ist die Frage, was man etwa aus den endlosen Wiederholungen von Fernsehfeatures lernen soll, die sich aus der Kammerdienerperspektive, quasi mit dem Blick durchs Schlüsselloch den Schlafzimmergeheimnissen der Mächtigen widmen; es sind Darstellungen, die personalisieren und emotionalisieren, die aber nur selten Erhellendes zur Vorgeschichte, zu den Motiven der Beteiligten und zur Komplexität des Geschehens beitragen können. Und nicht zuletzt ist es dem Aufkommen und der Ausbreitung allgemein zugänglicher Veröffentlichungsmedien und Foren wie dem Internet geschuldet, dass die akademischen Eliten und Autoritäten nicht, wie noch im letzten Jahrhundert, die Diskussionen maßgeblich dominieren und die Deutungshoheit für sich beanspruchen können 107 – wobei das nicht immer größeren Schaden anrichtet, weil auch die Experten irren, wenn auch auf höherem Niveau. Und ähnlich wie beim familiären Aushandeln von autobiographischen Vergangenheitsbildern gibt es auch hier jenseits der Wahrheit den steten Spagat zwischen dem Beharren des Einzelnen auf eigenen, selbstbestimmten Erinnerungen und Sichtweisen und dem, was von staatlichen Institutionen oder gesellschaftlich einflussreichen Gruppen als sinnvolle Erinnerung angesehen und gefordert wird108, den Spagat zwischen „individueller Autonomie und kollektiver Normativität“. 109 Das funktionelle Gedächtnis, das Aleida Assmann ausmachte, ist schlicht nichts anderes als das, was man als politisch oder gesellschaftlich erwünscht erinnern soll: Es hat eine gemeinschaftsbildende Funktion. In diesem Sinn ist auch der merkwürdige bzw. unglückliche Begriff der „Heilung der Erinnerung“ zu verstehen, der im gemeinsamen Dokument der Evangelischen Kirche Deutschlands und der deutschen katholischen Bischofskonferenz verwendet wird. Hier geht es weniger um die historische Wahrheit als vielmehr um die Herstellung von gemeinsamen Geschichtserzählungen

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und Erinnerungsübereinkünften mit dem Ziel der Versöhnung und Annäherung. Dieser Widerstreit zwischen einem „wilden“ individuellen, nicht institutionell gesteuerten Gedenken einerseits und dessen zunehmender „Politisierung und Staatsnähe“ andererseits wird bei Historikern durchaus gesehen.110 Anachronismen Im Ergebnis all dessen finden wir in den öffentlichen und privaten Erinnerungen, Ritualen und Denkmodellen eine Melange aus qualitativ und inhaltlich unterschiedlichsten Überlieferungen vor – unumstrittenes Wissen neben anachronistischen Weltbildern, vertrauenswürdige Überlieferungen neben Skurrilitäten und blanken Legenden, nachweisbare Ereignisse neben Fiktion, Tradition neben Moderne, Konservatismus neben Innovation, Mythos neben Wissenschaft. „‚Vor dem ‚Richterstuhl der Vernunft‘ in der Philosophie und den Rationalitätsansprüchen der Natur- und Geisteswissenschaften“, schreibt Volker Steenblock, „können Traditionen eine Färbung des Vernunftwidrigen, Fabulösen und Rückständigen annehmen.“111 Das ist sehr zurückhaltend formuliert angesichts der Tatsache, dass seriöse Fakten in der Regel neben barem Unsinn stehen und bis heute nicht ausgemacht ist, welche Wahrnehmung die Oberhand gewinnt. Im Großen und Ganzen setzte sich zwar spätestens mit der Aufklärung in Alltag und Wissenschaft der Moderne weithin das technisch-rationale Denken, die wissenschaftlichen Erklärbarkeit des Kosmos und die Überzeugung von der Planbarkeit der Gesellschaft und der individuellen Lebensschicksale durch. Aber zum einen war der Weg dorthin voller Dornen, man denke an die Widerstände gegen das Kopernikanische Weltbild, an den Prozess des Vatikan gegen Galileo Galilei oder auch an den Spott und den Hass, der Charles Darwin von Seiten seiner Zeitgenossen entgegenschlug, und zum anderen wirken nach wie vor alte Weltanschauungen, die mit naturwissenschaftlichen oder evolutionshistorischen Erkenntnissen nicht zu begründen sind. Bis heute stehen etwa die rationalen Weltbilder in heftigem Widerstreit mit dem tradierten Glauben an übermenschliche Wirkkräfte – und das keineswegs nur in Kulturen, denen Rückständigkeit und fehlender Anschluss an die Moderne zugeschrieben wird. Derartige, teilweise archaische Vorstellungen sind bis heute lebendige und wirksame Bestandteile auch jener westlichen Kulturen, die sich gern auf die Traditionen der Aufklärung berufen. Evident werden diese Widersprüche in den Diskussionen zwischen den Anhängern der Evolutionslehre und den Verfechtern eines wie auch immer ge-

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arteten Schöpfungsplans112 oder auch in jenem vom Weiterwirken altbiblischer Vorstellungen von der Vollendung des göttlichen Heilsplans entsprechend der Vier-Reiche-Weissagung. 113 Die Mediävistin Felicitas Schmieder schrieb über dieses keineswegs immer friedliche Nebeneinander von Anachronismen: „Nach wie vor werden mittelalterliche religiöse Bilder in die moderne politische Sprache übertragen, heute wie damals ist Religion keineswegs Privatsache, wie bei uns in Europa oft geglaubt wird, sondern hochpolitisch, sie spielen in die moderne Weltpolitik herein wie im lateineuropäischen Mittelalter. In der islamischen Welt ebenso wie in Israel und in den Vereinigten Staaten von Amerika sitzen Anhänger fundamentalistischer eschatologischer Überzeugungen in den Regierungen, und sie kommunizieren in der alten eschatologischen Sprache. Wir haben die Bedeutung der Bilder vergessen, die Sprache verlernt. Sie wieder zu erlernen, ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis des mittelalterlichen Denkens und Wertesystems und damit unserer eigenen geistig-religiösen Vergangenheit, der Wurzeln unserer modernen Gesellschaft.“114

Das verweist einmal mehr darauf, dass Weltbilder und Wissensbestände aus unterschiedlichen Vergangenheiten und Zeiten zugleich wirksam sind, miteinander konfligieren und in kulturellen, politischen – und allzu oft auch in militanten – Auseinandersetzungen verhandelt und durchgesetzt werden. Und das verweist zugleich darauf, dass die Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung keineswegs als unaufhaltsam aufsteigende Linie zu sehen ist, die letztlich in ein wie auch immer gedachtes Paradies des endgültigen und unumkehrbaren Sieges menschlicher Vernunft führt, sondern eher als Spirale, in der sich nicht nur bahnbrechende Leistungen vergangener Generationen, sondern auch alte Gespenster immer wieder aufs neue finden, im Gegenwärtigen aufgehoben als Negation der Negation, als modifizierte Anwendung alter Vorstellungselemente auf moderne Verhältnisse und Zielsetzungen – Gespenster, die, wenn wir ihnen vorne den Eingang versperren, ohne weitere Umstände durch die Hintertür wieder herein kommen. Entgehen können wir der Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Vergangenheiten in der Geschichte, diesem „unermesslichen Trümmerfeld religiöser Traditionen [und] metaphysische[n] Behauptungen“115, nicht. Denn was immer wir auch unternähmen, um dieses Durcheinander zu bereinigen: Die Nebenwirkungen wären beträchtlich, wir hätten die Wahl zwischen Stillstand auf der einen und Orientierungsverlust auf der anderen Seite.116

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Vergangenheitsbilder und Herrschaft „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“ Dieser Satz aus George Orwells dystopischem Roman „1984“ mag in seiner Absolutheit durch den Verlauf der bisherigen Geschichte nicht zu belegen sein, denn schließlich verbreiteten sich bislang, trotz aller Versuche der Monopolisierung und Totalisierung von Geschichtsbildern, stets noch neue und subversive Erkenntnisse, welche alte Herrschafts- und Legitimationsdoktrinen erodieren ließen. Dass aber das Bemühen um derartige Kontrollen bis heute nicht aus der Welt ist und sich im steten Widerstreit mit neuen Weltbildern befindet, steht außer Frage. Es verweist darauf, dass Geschichtsbilder und Herrschaftsabsicherungen in engem Zusammenhang stehen.117 So galten bis ins 16. Jahrhundert in Europa die Schöpfungsgeschichte und die Erzählungen der Bibel als unbestrittene und unhinterfragbare göttliche Offenbarung, als Hauptquelle des Bildes vom Menschen und seiner gesellschaftlichen Ordnung, als Quelle zur Ableitung von Gesetzen und politischen Entscheidungen, zur Begründung politischer Herrschaft und zur Legitimation von Macht. 118 Der Wahrheitsgehalt der Schöpfungsgeschichte ließ und lässt sich historisch nicht begründen, und dennoch waren und sind die Erzählungen der Bibel politisch ungemein wirksam. Nach und nach entzog die wissenschaftliche Erforschung des Kosmos, der Natur und der Menschheitsgeschichte dem theologischen Weltbild die Grundlage. Die latinische Kirche, die diesen Prozess durch die Förderung der wieder neu entdeckten griechischen Philosophie selbst gefördert hatte, geriet dadurch zunehmend in einen nicht aufzuhebenden Spagat zwischen Wissenschaft und Schöpfungsmythos, in dessen Folge sich fast von selbst neue Akteure mit neuen Ansprüchen einfanden: Bereits in den 1520er Jahren sah der Schlettstädter Humanist und Historiker Jakob Wimpfeling die Gelehrtenrepublik als dritte Universalmacht neben Kirche und Reich heraufziehen119 – eine in damaliger Zeit risikoreiche und zugleich zukunftsträchtige Forderung. Die immensen politischen Folgen, die sich aus der Zersetzung historischer Mythen durch wissenschaftliche Erkenntnisse ergaben, zeigen sich beispielhaft auch auf einem anderen Kampffeld. Der Historiker Dieter Metzler weist etwa darauf hin, dass die sich allmählich verbreitenden Evolutionsforschung dem französischen Aufklärer Anquetil-Duperron argumentativ zu Hilfe kam, der schon lange zuvor den Anspruch auf prinzipielle Gleichheit aller Menschen erhoben hatte: „Die zukunftsweisende politische Dimension dieser [Anquetilschen] Betonung der gemeinsamen Geschichte des Menschen in der Natur [...]

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Vergangenheit und der menschliche Faktor weist auf die Bedeutung voraus, die der naturwissenschaftliche Beitrag der Evolutionsforschung für den gemeinsamen Ursprung der verschiedenen Menschenrassen dann im 19. Jahrhundert als Argumentationshilfe für die Sklavenbefreiung und die Propagierung der Menschenrechte haben wird.“120

Hier zeigt sich, dass die wissenschaftliche Erforschung des Vergangenen, der Herkunft, der Wurzeln und Ursprünge und deren Vermittlung in neuen entmythologisierten Geschichtsbildern weitreichende subversive Wirkungen dann entfalten kann, wenn sie bisher unbekannte Erkenntnisse, vergessene oder verschwiegene, für die Zeitgenossen neue und kreative Handlungsmodelle, Wege, Deutungen und Ideen zu Tage fördert und damit die Chance bietet, sich von überkommenen Machtstrukturen, Legitimationsbegründungen und Autoritäten zu emanzipieren. Andererseits gilt aber auch, dass die Verbreitung und Inszenierung plausibel erscheinender Geschichtsbilder und -mythen einen wirksamen Hebel zur Herausbildung systemkonformer Gesinnung und zur Sicherung der Loyalität der Bürger darstellt. Solche Erzählungen transportieren Sendungsbewusstsein, Auserwähltheit, kulturelle und moralische Überlegenheit, sie produzieren Sinn, sie zeigen Wege auf und schaffen damit Identifikationsangebote bis hin zu Opferbereitschaft und im Extremfall bis hin zur Selbstaufgabe. Deswegen, und weil dadurch ein schwer zu umgehender argumentativer Sog entsteht, kommt der geschichtspolitischen Produktion und Vermittlung möglichst breitenwirksamer Vergangenheitsnarrative in allen Gesellschaften hohe politische Priorität zu. Das bezieht sich insbesondere auf die Begründungen und Legitimation politischer Großziele wie Festigung innerer Gesellschaftsordnung und Gemeinschaftsbildung, Begründung von Territorial- und Besitzansprüchen, Raumerweiterung und -behauptung, Zukunftsplanung, Abgrenzung gegen Konkurrenten und Feinde, Immunisierung gegen Vorhaltungen, Vorwürfe und Verunsicherung, Aufrechterhaltung eines Idealbildes und nicht zuletzt der Machtabsicherung jeweiliger Eliten. Macht- und Besitzlegitimationen, die aus der Vergangenheit abgeleitet werden, fanden und finden sich überall und zu jeder Zeit. Man muss dazu gar nicht bis zum babylonischen König Nabonid zurückzugehen, der Tempel ausgraben ließ, um zu beweisen, dass seine Vorfahren schon vor Urzeiten geherrscht hatten und dass seine Macht daher unantastbar war.121 Staaten wie Russland122, Israel123 oder Indien124 etwa bedienen sich heute in ähnlicher Weise einer stark ideologisierten Archäologie, um ihr Terrain legitimatorisch abzustecken und abzusichern. Derartige Konstruktionen der Behauptung von Städtegründungen, militärischen Erfolgen oder Herrschergenealogien begleiteten schon die Entstehung der europäischen Nationalstaaten im 19. Jahrhundert. 125 Der Anspruch: Seht

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her, wir waren früher da, wir haben höhere und ältere Ansprüche auf kulturelle und politische Macht. Umgekehrt, quasi als andere Seite derselben Medaille, die Löschung und Zerstörung der Zeugnisse missliebiger konkurrierender oder besiegter Kulturen, etwa die bewusste Überbauung keltischer Quellheiligtümer mit christlichen Kapellen oder die Zerstörung von Maalula durch die al-Nusra-Milizen, die, wenn auch aus anderen Motiven nur das fortsetzten, was die europäischen Eroberer im 19. Jahrhundert begannen. Denn am Anfang der modernen Raubzüge durch die antiken Ruinen standen europäische Forscher und Sammler, die alles mitnahmen, was sie in die Finger bekamen.126 Mit der herrschaftsbildenden Überschreibung alter und der Schaffung neuer Mythen gingen stets diverse Varianten der Selbstidealisierung, der Selektion und Verdrängung, der Kanonbildung und Zensur, des Verschweigens, Löschens, Überschreibens oder Heraushebens einher. Das gilt nicht nur für Mao Tse Tungs Vorstellung vom chinesischen Volk als weißem Blatt Papier, das beschrieben werden kann 127, das gilt nicht nur für die Geschichte des Kolonialismus als der Geschichte der Unterdrückung und Löschung alter Traditionen und Sprachen kolonisierter Völker im Namen eines wie auch immer gearteten „zivilisatorischen“ Auftrages oder einer religiösen „Mission“. Sie finden sich in abgestuften Formen und mit subtileren Mitteln auch in modernen liberalen Demokratien: wenn etwa Anhänger des US-amerikanischen Exzeptionalismus befürchten, dass der Glaube an die USA als „besserer“ Nation, tugendhaft und nicht mit den Fehlern anderer Länder behaftet, durch neue, kritische und weniger schönfärbende Geschichtslehrpläne Schaden nehmen könnte.128 Für paradigmatisch kann ein Kommentar der kolumbianischen Comisión Nacional de Reparación y Reconciliación gelten: „Die Erinnerung ist ein Kampffeld, auf dem sich entscheidet, welche Sichtweise der Vergangenheit vorherrschen soll, in Funktion einer Zukunft, zu der man gelangen will. Aber die Erinnerung wird unter asymmetrischen Bedingungen konstruiert. Das heißt, nicht alle Erinnerungen haben unter gleichen Bedingungen Zugang zur politischen Szene.“ 129 Das bezieht sich auf den Umstand, dass Betroffene ebenso wie Geschichtswissenschaftler mit dem Problem konfrontiert sind, entweder von geschichtspolitischen Interessengruppen an den Rand gedrängt zu werden oder sich – mehr oder weniger freiwillig – auf deren Zielsetzungen einzulassen, um gehört zu werden. Zwar gelingt es zuweilen unabhängigen Fachleuten wie dem Historiker Manfred Berg im Fall der USA, den zahlreichen patriotischen Mythen zur Geschichte und Gründung der Nation den aktuellen Stand der historischen Forschung entgegen zu stellen, „an dem diese Mythen sich oft genug blamieren“.130 Doch allzu oft bleiben derartige Korrektur-

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versuche im öffentlichen Bewusstsein auf der Strecke, ihre Wirkungen begrenzt – ganz abgesehen davon, dass es selbst im Falle der Durchsetzung solcher unangenehmer Wahrheiten noch ein weiter Weg bis zur Umsetzung in politische Konsequenzen wäre. Sich im Schiffbruch an den Wogen festhalten? Ob also in individuellen Autobiographien, in familiären Selbstbehauptungskonflikten, in zivilgesellschaftlichen Vergangenheitsdiskursen, in staatlicher Geschichtspolitik oder in internationalen Geschichtsdiskussionen: Das Sprechen über die Vergangenheit, der Umgang mit ihr und die Auseinandersetzung um sie ist ein für die Herstellung von Identität und Handlungsfähigkeit existenziell wichtiges Terrain, und zugleich ist es hoch vermint. Und dieser Kampf wird eben nicht nur mit rationalen, wissenschaftlichen und logischen Argumenten ausgetragen, sondern ebenso vor dem Hintergrund unseres mythologischen und metaphorischen Zugangs zur Wirklichkeit, der Unzuverlässigkeit unserer Erinnerung, vor dem Hintergrund der Bedeutung konsistenter, wenn auch konstruierter Erzählungen für Persönlichkeit und Selbstbehauptung und schließlich vor dem Hintergrund des unauflöslichen Kampfes zwischen Wahrheitssuche und anderweitigen Interessen und Motiven. Auf das Verhältnis des Menschen zu seiner eigenen Geschichte und seinen eigenen Geschichtsbildern trifft wohl kaum ein Satz besser zu als jener, den Tobias Kniebe in Würdigung des verstorbenen Regisseurs Helmut Dietl schrieb: „Am Ende war er dann immer beides, Beobachter und Darsteller, Schöpfergott und Marionette, Lügner und Wahrheitssucher, Chronist und Fantast.“131 Nun steht die Frage, ob eine auch nur halbwegs ehrliche und ertragreiche Annäherung an die Vergangenheit ein hoffnungsloses Unterfangen ist, ob Geschichte, wie oft behauptet, einem Selbstbedienungsladen gleicht, aus dem jeder entnehmen kann, was er entnehmen will oder muss, gefesselt durch die Unzulänglichkeiten der eigenen Wahrnehmung und durch die Mühsal gemeinsamer Verständigung im Angesicht zahlloser unterschiedlicher Interessen, Erinnerungen und Geschichtsbilder, im Angesicht zumal des allgegenwärtigen und anschwellenden Streits um richtige und falsche Vergangenheitsbewältigung, um richtige oder falsche Lehren aus der Geschichte. Ist es so, wie der Philosoph Karl Löwith schreibt: dass die Orientierung an der Geschichte dem Versuch gleicht, sich inmitten eines Schiffbruchs an den Wogen festhalten zu wollen? 132 Ja und nein. Immerhin sind auch die Wogen Teil eines Elementes, das zwar fluide ist, aber doch trägt – und damit immer noch besser als ein haltlo -

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ses Nichts. Das Folgende wird zeigen, dass sich niemand den genannten Problemen und Schwierigkeiten entziehen kann, dass die Möglichkeit eines Scheiterns immer mitgedacht werden muss und dass bestimmte Strategien der Vergangenheitsbewältigung durchaus zurückführen können zu dem, was man verhindern wollte – bis hin zur Neuauflage und Verschärfung alter Konfliktlinien. Andererseits wurden aber auch Übereinkünfte erzielt und Lösungswege gefunden, die angesichts der dargestellten Probleme und angesichts berechtigter Skepsis gegenüber den conditions humaines fast an Wunder grenzen und den Schluss zulassen, dass aus Geschichte bei aller begründeten Skepsis durchaus gelernt werden kann.

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Von der Vormoderne bis Versailles 1919 Ereignisse vergehen unwiederbringlich, früher entstandene Strukturen hingegen können durch die Zeiten persistieren; beide aber, ob bedeutend oder unbedeutend, weitreichend oder nicht, wirken auf unterschiedliche Art weiter, und der Umgang mit ihnen ist, wie wir gesehen haben, ständiger und grundlegender Bestandteil unserer allgemeinen Lebensanforderungen. Doch steht außer Frage, dass gewaltbelastete Vergangenheit und die Erfahrungen der Bedrohung resp. Vernichtung von Leib, Leben und Existenzgrundlagen das individuelle und kollektive Gedächtnis besonders prägen, weil menschliche Gewaltanwendung jeder Form und Ebene133 auch zu den persistierenden Entitäten der Zivilisationsgeschichte gehört. Ob sie den anthropologischen Grundkonstanten zugeschlagen werden muss oder von gesellschaftlichen Ursachen und Verhältnissen abhängt, ist eine bisher ungeklärte Frage. 134 Auf jeden Fall spielte und spielt sie neben Naturkatastrophen immer eine herausgehobene Rolle in der menschlichen Wahrnehmung und Orientierung135 – eine Überlegung, die zur Beschäftigung mit dem führt, was heute als Vergangenheitsbewältigung geläufig ist: zur Aufarbeitung vergangener Gewalt. Dabei geht es weniger um individuelle Gewaltverbrechen wie Mord aus Eifersucht, räuberische Erpressung oder um eine Wirtshausschlägerei, die straf- und zivilrechtlich abgehandelt werden. Das ist auch Vergangenheitsbewältigung, aber sozusagen die kleine Schwester jener Vergangenheitsbewältigung, in der sich ganze Gesellschaften oder sogar die Völkergemeinschaft mit Kriegen, Staats- und Gesellschaftsverbrechen und ihren Folgen auseinandersetzen.136 In allgemeiner Form wird der Komplex von der neueren Forschung definiert als Gesamtheit der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit den strukturellen, personellen und mentalen Hinterlassenschaften gewaltbelasteter Vergangenheit.137 Diese Gesamtheit umfasst im Idealfall die materielle, politische, kulturelle und psychische Aufarbeitung des Geschehenen mit dem Ziel, Bedingungen herzustellen, die eine Wiederho-

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lung des Vergangenen zukünftig unmöglich machen. Diese komplizierten Prozesse vollziehen sich im großen und ganzen auf zwei Ebenen: Auf der einen greift das politische System mit verbindlichen „harten“ Entscheidungen, Gesetzen und Normen, mit Strafverfahren, Verboten, Wiedergutmachungen und Entschädigungen in das Leben und die Geschichtenicht nur der Täter und Opfer, sondern in die Lebensverhältnisse der gesamten Gesellschaft und, wenn es um internationale Konflikte und ihre Regelungen geht, gleich in die Lebensbedingungen mehrerer Gesellschaften ein. Auf der zweiten, der zivilgesellschaftlich-diskursiven Ebene, vollziehen sich die m.E. unverbindlichen „weichen“ Prozesse der Ursachenerforschung, der allgemeinen Bewusstseins-, Werte- und Willensbildung und der Herausbildung bestimmter Gedenk- und Erinnerungskulturen, die wiederum auf die politische Ebene zurückwirken. 138 In diesem Geflecht wirken moralische, geschichtspolitische, rechtliche und politische Entwicklungen wechselseitig aufeinander ein.139 Im folgenden Abschnitt wird es nicht nur, aber zunächst vor allem um die „harten“, die verbindlichen Entscheidungen von Exekutive, Legislative und Iudikative gehen. Amnestie und Amnesie Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass diese Ebene von Vergangenheitsbewältigung zwar als politisch wirksamer und handlungsleitender Begriff historisch neu ist, nicht aber als gesellschaftliche Praxis. Überlegungen und Verfahren zur Eindämmung von Gewalt, zum Ausgleich erlittenen Unrechts, zum Umgang mit Gegnern und Besiegten, Wehrlosen und Unbeteiligten und, weiter greifend, zur Wiederherstellung stabiler gesellschaftlicher Verhältnisse, zur Gewinnung lebenswerter Zukunftsperspektiven und zur Schaffung ausgleichender, friedenssichernder und konfliktpräventiver Lösungen bildeten stets einen zentralen Gegenstand ethischmoralischer Diskussionen und politisch-operativer Praxis. Sie sind ein Thema mit langer historischer Tradition140, man denke an das HinduGesetzbuch des Manu aus dem 2. Jahrhundert vor Christus, an den Perserkönig Cyrus (Kyros), dessen Gesetz von den Vereinten Nationen als erste Menschenrechtsdeklaration der Geschichte anerkannt ist, an Abu Bakr, den ersten Kalifen nach Mohammed, man denke an Vorformen des Kriegsrechts bei Griechen und Römern, an Platons Passagen in der Politeia, die Amnestie in Athen 403 v.C., man denke an die römische „Damnatio memoriae“, an Macchiavellis Rezepte zur Befriedung unterworfener Städte oder an den Umgang Ludwig XVIII. mit den Anhängern der Französischen Revolution. Wenn im folgenden besonders die europäische Entwicklung im Mittelpunkt steht, dann deshalb, weil die ersten

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spanischen und portugiesischen Eroberungen ab dem frühen 16. Jahrhundert den Beginn einer historischen Entwicklung markieren, in der die europäischen Mächte dem Globus ihren machtpolitischen, kulturellen, ökonomischen, staatspolitischen und vor allem militärischen Stempel aufdrückten.141 Das gilt auch für das entstehende Völkerrecht als Regelwerk für Konflikte. Hier spielte der Umstand eine Rolle, dass die europäischen Mächte auf geographisch engem Raum über tausend Jahre eine schier endlose Kette von Kriegen gegeneinander ausfochten. In deren Folge bildete sich eine besondere Kultur der Konflikt- und Friedensregelung, die wiederum auf einem gemeinsamen Kanon von Rechtssätzen aus dem römischen Recht und christlichen Moralvorstellungen basierte. Von der Frühen Neuzeit an drückten Formeln wie „Ewiger Friede“ oder „pax universalis“142 die nur zu menschliche Hoffnung aus, mit geeigneten Vertragswerken die Unwägbarkeiten zukünftiger Entwicklungen so weit wie möglich einzudämmen, eine Wiederholung kriegerischer Auseinandersetzungen nachhaltig zu verhindern und den erhofften Wirkungsbereich mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit räumlich und zeitlich so weit wie möglich auszudehnen.143 Dass derartigen Regelungen allzu oft nur der Befriedung der Bevölkerung mit dem Ziel der Sicherung der alten Herrschaftsverhältnisse und der Oktroyierung je eigener Weltvorstellungen dienten, zählt zu den Binsenweisheiten der Weltgeschichte und muss nicht näher erläutert werden.144 Von der Jetztzeit unterschieden sich die rechtlichen und politischen Instrumentarien zur Eindämmung und Beendigung von Gewalt und kriegerischen Konflikten gravierend: Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts beschränkten sich Friedens- oder Kapitulationsabkommen zumeist auf einen begrenzten Regelungskatalog von Entschädigungen, Reparationen, Kontributionen, Gebietsabtretungen, Festlegung von Truppenstärken und -bewaffnung etc. Fragen nach der individuellen moralischen und rechtlichen Schuld Verantwortlicher standen dabei nicht zur Debatte, auch wenn Klagen und Beschwerden über allfällige Grausamkeiten und Exzesse oft deutlich zur Sprache kamen und im Gedächtnis der betroffenen Bevölkerungen bis heute aufgehoben sind.145 In der Regel aber wurden Straffreiheit und Amnestien für alle Beteiligten vereinbart, Entschädigungen ausgeschlossen und den Opfern Amnesie verordnet. Damit wollte man langwierige Aufrechnungen verhindern und die Entstehung neuer Konfliktherde unterbinden.146 Die Akzeptanz und Verbreitung derartiger Praktiken speiste sich aus überkommenen historischen Traditionen und Mentalitäten. aus tief verwurzeltem Glauben an Kriege als schicksalhaftes Strafgericht Gottes 147, für die irdische Mächte nicht verantwortlich gemacht und daher auch nicht von ir-

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dischen Gerichten angeklagt werden konnten. Sie speiste sich auch aus aus einem bis in die späte Neuzeit immer weiter getriebenen, aus dem Mittelalter herrührenden Immunitäts- und Souveränitätsbegriff. Er beanspruchte letztlich, weil unter höherem göttlichem Recht stehend, die von Gesetzesbindungen befreite Herrschaftsvollmacht. Der heutige Gedanke der Gleichberechtigung und damit der Teilhabe- und Schutzrechte aller Mitglieder einer Gesellschaft war diesem Souveränitätsbegriff fern; humanitärer Menschenschutz und völkerrechtliche Sanktionen in Friedensund Kriegszeiten, wie sie heute zum Standard des öffentlichen Diskurses und des operativ-politischen Handelns gehören, spielten bis in die Neuzeit hinein kaum eine Rolle. Von daher waren unterlegene Gegner auf Gedeih oder Verderb der Gnade oder Ungnade des Siegers ausgeliefert, von natürlichem Recht auf Existenz und Leben war in der harten Konfliktpraxis nicht die Rede. Zwar gab es von je her in allen Kulturen eine Tradition der Menschenrechtsidee, aber sie hatte über lange Zeiten nur das moralische Gewicht auf ihrer Seite, ihr fehlte ein System von Rechtskodifikationen und -institutionen, mit deren Hilfe sich individuelle oder gesellschaftliche Ansprüche auf Gleichberechtigung und damit auf Schutz verbindlich und wirksam durchsetzen ließen. Westfälischer Friede und Völkerrecht Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 bildet sich immerhin erstmals ein System heraus, dem zumindest der Gedanke der Gleichberechtigung und Gleichrangigkeit der vertragschließenden Akteure zugrunde lag. Auf politischer Ebene brachte es ein neues System prinzipiell gleichberechtigter Territorialstaaten hervor, deren Souveräne nun – ungeachtet ihrer tatsächlichen Macht – auf der Grundlage gegenseitigen Achtung der territorialen Unversehrtheit und Unabhängigkeit das Letztentscheidungsrecht in ihrem Territorium innehatten. 148 Damit ging ein mittelalterliches, hierarchisch angelegtes Herrschaftssystem abgestufter Souveränitäten und verliehener Rechte unter Kaiser und römischem Papst zu Ende. An die Stelle jahrhundertealter, vielfach verschachtelter rechtlicher Abhängigkeiten zwischen Lehensherren und Vasallen traten nun Beziehungen zwischen formal unabhängigen und gleichrangigen souveränen Territorialstaaten. Zwar waren die alten lehensrechtlichen Machtansprüche im Laufe der Jahrhunderte schon längst ausgehöhlt und ließen sich realpolitisch kaum noch durchsetzen, dennoch waren die politischen Auswirkungen beträchtlich. Der Papst, der im Vertrag von Tordesillas 1498 als Lehensherr immerhin noch als Schiedsrichter für die Aufteilung der Welt zwischen Spanien und Portugal fungieren konnte, wurde 150 Jahre

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später mit seinem Einspruch gegen die Verträge von Münster und Osnabrück nur noch zur Kenntnis genommen. Er fungierte ebenso wie der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nur noch als ein Souverän unter anderen. Aber erstens war dies zunächst ein wertneutrales und unverbindliches, weil nicht einklagbares und durch rechtliche Instanzen erzwingbares Koordinationssystem. Es legte auf Grundlage der neuen Gleichberechtigung lediglich eine Reihe formaler Prinzipien des Umgangs zwischen Souveränen und Staaten in Krieg und Frieden fest, etwa die Beachtung traditioneller Rechtsgrundsätze wie die Verpflichtung zur Einhaltung von Verträgen oder den Vorrang neuerer Gesetze gegenüber älteren uvm. Zweitens war diese Gleichberechtigung keineswegs universal; das neue Prinzip war zunächst ein reines Recht zwischen Staaten, das zudem auch nur zwischen den europäisch-christlichen Vertragspartnern galt, es war ein europäisches Völkerrecht.149 Den „Rest“ der Welt, etwa überseeische Ethnien, nichtstaatliche Gesellschaften und Mächte ließ man außen vor. Damit verabschiedete man sich sukzessive von älteren und aus heutiger Sicht fortschrittlichen Vorstellungen über ein Völkerrecht, das für alle Staaten, Gesellschaften und zugleich für alle Menschen gelten sollte.150 Die schon damals strittige Konstruktion quasi-rechtsfreier Räume und Bevölkerungen und die Argumentation, dass dort, wo es keine Zivilisation und keine staatliche Hoheitsgewalt im europäischen Sinne gab, Okkupationen und wirtschaftliche Nutzung solcher Gebiete als gerechtfertigt galten, dass also dort, wo kein Besitz nach europäischem Recht anerkannt war, auch kein Raub oder andere Rechtsbrüche stattfinden konnten, bildeten die legitimatorische Grundlage für die Eroberungsund Kolonialkriege, die Europa 500 Jahre lang unter der Flagge der Christianisierung, später der Zivilisierung, führen würde. Dementsprechend waren die Bevölkerungen im überwiegenden Teil der eroberten Gebieten weitgehend rechtlos und der Willkür der Kolonisatoren ausgeliefert – bis hin zu faktischer Straffreiheit im Falle von Mord und Versklavung. Das europäische Kolonialrecht des 19. Jahrhunderts würde daraus ein doppeltes Rechtsystem entwickeln: Eins für die Bürger in Mutterland und Kolonien151 und eines für die eingeborene Bevölkerungen, denen die je nationalen Verfassungsrechte vorenthalten wurden152 und deren Rechtsbrecher oft unter Umgehung ordentlicher Gerichte von Verwaltungsbeamten oder sogar von zivilen Kolonialisten bestraft wurde.153 Die Exklusion und Privilegierung nach außen waren m.E. ein Abbild der inneren Exklusion des europäischen Absolutismus, deren bürgerlicher und bäuerlicher Bevölkerung und Handwerkern der Zugang

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zur „politischen Nation“ und damit zur politischen Vertretung ihrer Interessen und Ansprüche nach wie vor verwehrt blieb – von der weiblichen Bevölkerung, dem großen Heer der Leibeigenen oder den Angehörigen nichtchristlicher Glaubensrichtungen ganz zu schweigen. Die Privilegien der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und des aktiven und passiven Wahlrechts waren auch weiterhin an Erbadel, Klerus und Grundherrschaften gebunden.154 In den Verträgen des Westfälischen Friedens spielte der Gedanke, dass alle Individuen als Träger von Menschenrechten Anspruch auf Teilhabe an Entscheidungen und auf Schutz in Kriegsund Friedenszeiten hatten, noch keine Rolle. Der Mensch, wenn er denn nicht zu den Privilegierten gehörte, war Untertan und als solcher als Subjekt und gleichberechtigter Träger politischer Rechte in diesem System schlicht noch nicht vorhanden – mit einer Ausnahme: Der Souverän war nun, zumindest im Geltungsbereich des Westfälischen Friedens, immerhin gehalten, das Individualrecht der freien Religionsausübung seiner Untertanen und das Recht auf Gewissensfreiheit zu achten. 155 Aber die mittelalterlichen Strukturen der Ordo, der abgestuften, „von Gott ausgehende Weltordnung“ der hierarchischen Beziehungen blieben weitgehend erhalten.156 Drittens schrieb der Westfälische Friede das freie Recht des nun von seinen Lehensfesseln befreiten Souveräns auf die Führung von Kriegen fest.157 Dieses ius ad bellum konnte zwar über einvernehmliche vertragliche Regelungen begrenzt werden, unterlag ansonsten aber keinerlei Beschränkungen. Damit war 1648 das Geburtsjahr des staatlichen Krieges – das Monopol der Kriegführung ging auf die neuen souveränen Territorialstaaten über; an die Stelle der ungeregelten Kriege traten nunmehr die staatlich initiierten und verwalteten; der Friede als Ziel des Krieges wurde zur Vereinbarungssache. Das führte immerhin dazu, dass politisch-religiöse oder territoriale Konflikte nicht mehr allein durch militärische Aktionen bis zu Sieg oder Niederlage gelöst wurden, sondern auch am Verhandlungstisch mit Hilfe fester Verfahrensübereinkünfte. 158 Das Existenzrecht des Gegners wurde, anders als noch vor dem Westfälischen Frieden, nicht mehr bestritten. Doch ungeachtet dieses Fortschritts galten Krieg und Kriegführung jeder Art weiterhin weder als Verbrechen noch gab es dafür einen Straftatbestand, geschweige denn ein geeignetes Rechtssystem, mit dem man derlei hätte verfolgen können. Das ius ad bellum – auch zum Recht auf Angriffs-, Raub- und Strafkriege – wurde ebenso wenig in Frage gestellt wie das Recht auf Annexion, auf Einverleibung fremder Territorien. Damit bestand das Prinzip strafausschließender Souveränität und Immunität weiter, ohne dass die verantwortlichen Akteure Gefahr liefen, sich für bestimmte Kriegsgründe und für Ge-

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waltanwendung verantworten zu müssen. Infolgedessen blieb das Verfahren, nach kriegerischen Konflikten allgemeine Amnestie zu vereinbaren, Amnesie zu verhängen und Kriegsschuldfragen auszuklammern 159, bis ins 19. Jahrhundert allgemein akzeptierte Rechtsauffassung.160 Das wurde in der Schlussakte des Wiener Kongresses 1815 so praktiziert161 und hinterließ seine Spuren noch im Frankfurter Friedensvertrag nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71.162 Bismarck trat dem öffentlichen Verlangen nach Bestrafung des besiegten Napoléon III. nachdrücklich entgegen: „Allerdings ist die öffentliche Meinung nur zu sehr geneigt, [...] zu verlangen, dass bei Konflikten zwischen Staaten der Sieger sich mit dem Moralkodex in der Hand über den Besiegten zu Gericht setze und ihn für das, was er gegen ihn, und womöglich auch für das, was er gegen andere begangen, zur Strafe ziehe. Ein solches Verlangen ist aber völlig ungerechtfertigt; es stellen, heißt die Natur politischer Dinge, unter die die Begriffe Strafe, Lohn und Rache nicht gehören, gänzlich missverstehen, ihm entsprechen hieße, das Wesen der Politik fälschen.“163

Hier wurde, noch 100 Jahre nach der ersten Menschenrechtserklärung, der Anspruch erkennbar, die Immunitätsprivilegien der Protagonisten hoher Politik gar nicht erst zur Debatte zu stellen und die Souveräne mitsamt ihren Vertretern gänzlich aus der Sphäre der weltlichen Gerichtsbarkeit herauszuhalten. Aufklärung, industrielle Revolution und Menschenrechte Dennoch hatte die Unterminierung einer quasi übergesetzlichen Souveränität und Immunität und damit eines unbestrittenen Rechts auf Krieg, Annexion und Straffreiheit längst begonnen. Der Schlüssel dafür ist in mehreren Entwicklungssträngen der späten Neuzeit zu finden: a) in der Geistesbewegung der Aufklärung und ihren neuen Ideen vom Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft resp. Staat; b) in der industriellen Revolution; c) in der allmählichen Ausbreitung eines neuen Rechtsbewusstseins und d) in der Entstehung einer zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit. Die revolutionäre Grundidee der Aufklärung bestand darin, den Menschen als Wesen mit natürlichen Freiheits- und Teilhaberechten von Geburt an zu begreifen, den Anspruch auf umfassende Entfaltung geltend zu machen und diese Rechte unterschiedslos jedem zuzugestehen. Dieser Anspruch bedingte, jedwede Person gegen gesellschaftliche und staatliche Eingriffe zu schützen, und dies wiederum setzte die „Machteinschränkung der politisch Herrschenden im Staat durch (geschriebenes) Verfassungsrecht“ voraus164 – eine Vorstellung einer Gleichberechti-

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gungsordnung165, die den Schutz des Einzelnen durch den Staat und zugleich vor ihm forderte, damit im direkten Gegensatz zu den Herrschaftsphilosophien des Absolutismus stand und in der Folge „systemsprengendes Potenzial“ (Dieter Grimm) entfaltete. 166 Die spätaufklärerischen Versprechen von Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit fanden als kodifizierte Menschenrechte der ersten Generation Eingang in die ‚Virginia Bill of Rights‘ 1776, in die Verfassung der USA von 1787 und in die französischen Verfassung vom September 1791. Dass die revolutionären Volksbewegungen in Frankreich und den USA sich vor allen anderen Dingen eine Verfassung gaben, um sich als Bürger gegenseitig und dauerhaft ihren Rechtsstatus und damit Schutz zu garantieren, markierte den Beginn weitreichender kultureller und verfassungspolitischer Umwälzungsprozesse. Das lange 19. Jahrhundert von der Französischen Revolution bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war geprägt von der allmählichen Ablösung feudaler Herrschaftsprivilegien zugunsten der allmählichen Einräumung allgemeiner und gleicher Rechte, darunter des allgemeinen Wahlrechts. Dieser Grundkonflikt würde das Tableau für die erbitterten Verfassungsdebatten und -kämpfe in den nächsten 120 Jahren in Europa bilden. Die allmähliche Durchsetzung der neuen Gleichberechtigungsordnung war ein disparater Prozess, in dem die alten Exklusions- und Privilegierungsmechanismen selbst in den USA und in Großbritannien noch lange wirksam bleiben würden.167 Gleichwohl führte die Entwicklung allmählich zu neuen Sichtweisen auf die Rechte und Verpflichtungen des Einzelnen und des Staates in Friedens- und in Kriegszeiten, auf die Bewertungen, Verfahren und Übereinkünfte hinsichtlich des Herrschaftsund Legitimationsbegriffs und hinsichtlich der allgemeinen Beteiligungsund Schutzrechte. Sie veränderte die Sicht auf Krieg und Gewalt, auf den Umgang zwischen Siegern und Besiegten und auf die Definition von Frieden überhaupt, und sie veränderte allmählich die tief verankerte und weit verbreitete Deutung kriegerischer Auseinandersetzungen als schicksalhaft, gottgegeben und unvermeidlich, auch wenn derartig religiös oder transzendental aufgeladene Sinngebungsversuche nie ganz aus der Geschichte verschwanden.168 Ohne diesen tiefgreifenden Wandel der Mentalitäten, der Rechts- und Staatsphilosophie, ohne den Gedanken der Emanzipation des Einzelnen und seiner angeborenen Rechte, ohne den Siegeszug der geschriebenen Verfassungen mit ihren Rechtsgarantien lässt sich das, was wir heute, am Beginn des dritten Jahrtausends unter Bewältigung gewaltbelasteter Vergangenheit verstehen, nicht buchstabieren. Die Aufklärung ist das Fundament. Die Anerkennung der Rechte des Einzelnen, die individuellen Schutz- und Teilhaberechte sind wesent-

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liche Grundlage und Voraussetzung des modernen Völkerrechts und des Völkerstrafrechts169: sie sind letztlich Grundlage der Kriminalisierung von Kriegen und der Verfolgung von Kriegsgreueln aller Art. Die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts mit ihrer bis dato unbekannten Beschleunigung von Technologien und Produktivität gab diesen Prozessen in viererlei Hinsicht einen weiteren Schub: In der sozialen Frage, in der Entwicklung der Kriegstechnologie, im zunehmenden Rohstoffhunger der Nationen und, damit verbunden, in der zunehmenden geopolitischen Konkurrenz. In Bezug auf die sozialen Probleme lag es schlicht in der Logik der Menschenrechtsidee, dass die Frage auftrat, wie die Verfassungsversprechen der Freiheitsrechte mit den verheerenden Lebensverhältnissen und Arbeitsbedingungen des neu entstandenen Industrieproletariats in Einklang zu bringen seien. Neben Bürgertum und Adel waren mit den gewerkschaftlich und politisch organisierten Arbeitern und Handwerkern neue Protagonisten auf der politischen Bühne Europas erschienen. Ihre Forderungen führten etwa in Frankreich dazu, dass mit dem Art. 13 der 1848er Verfassung den Freiheitsrechten erstmals die wirtschaftlichen und sozialen Rechte, die sog. Menschenrechte der zweiten Generation, zur Seite gestellt wurden. Es ist dies ein Punkt, der für die weitere Entwicklung moderner Vergangenheitsbewältigung von Bedeutung sein wird, weil dies eine allmähliche Ausdehnung des Menschenrechtsbegriffs nach sich zog und die Basis für die Herausbildung des modernen Sozialstaates bildete. Zugleich hatte die industrielle Revolution beträchtliche Auswirkungen auf die Beziehungen, auf die Kriegsmotive und die strategischen Kriegsziele der Großmächte und die Art und Weise ihrer Kriegsführung. Der Übergang von der jahrtausendealten agrarisch geprägten Produktion zur industriellen Massenproduktion erforderte einen exponentiell steigenden Rohstoffbedarf, und der wiederum machte die Sicherung und Ausweitung traditioneller und die Gewinnung neuer Einflusssphären, Schutzzonen, Kolonialgebiete, Dominions etc. rund um den Erdball notwendig. Geostrategisches Behauptungsvermögen, ungehinderter Zugang zu neuen Märkten und Zugriff auf Rohstoffressourcen wurden zum Hauptbezugspunkt der jeweiligen nationalen Innen- und Außenpolitik. Die alten dynastisch und religiös geprägten Bündniskonstellationen und Kriegsgründe wurden abgelöst durch solche, die sich aus den ökonomischen und politischen Spannungs- und Konkurrenzverhältnissen der aufstrebenden Nationen untereinander ergaben. Diese Tendenz hatte sich bereits im Siebenjährigen Krieg 1756-1763 abgezeichnet, in den alle damaligen europäischen Großmächte involviert waren und dessen Schlachten in Europa, auf dem amerikanischen Kontinent, in Westafrika, in In-

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dien und auf den Philippinen geschlagen wurden. Man kann diesen Krieg durchaus als ersten europäischen Weltkrieg bezeichnen. Der britische Premierminister William Pitt würde später sagen, dass der Kampf zwischen Großbritannien und Frankreich um Amerika in Deutschland gewonnen wurde, weil ein Großteil der französischen Truppen hier gebunden war.170 Großbritannien, Hauptgewinner dieses Krieges und nach der Sieg über Spanien und Frankreich bei Trafalgar 1805 endgültig führende Seemacht, war bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts größtes Imperium und größte Industrienation der Welt. Das Empire kontrollierte oder beherrschte am Ende des Jahrhunderts ein Viertel der Landmasse der Erde. Doch neben alte Konkurrenten wie Spanien, Portugal, Frankreich, Russland und Österreich (das Osmanische Reich betrachtete man seinerzeit schon weniger als Konkurrent denn als mögliches Beuteobjekt) traten sukzessive neue Mitspieler: Deutschland, Japan, Italien und schließlich die USA, die Großbritannien und Spanien bereits aus den alten Einflusssphären in Nord-, Süd- und Mittelamerika und dem Pazifik verdrängt hatten. Es waren die Jahrzehnte des internationalen Faustrechts. Man bediente sich überall: Frankreich und Großbritannien in Asien und Afrika, Italien in Afrika, Russland im Kaukasus und Sibirien, die USA auf den Philippinen, in Mittelamerika, Kuba und Puerto Rico, Deutschland suchte zum Gespött der Welt den Rest in Afrika, Neu-Guinea etc. zu sichern, und alle zusammen fanden sich in China. Japan hatte sehr aufmerksam beobachtet, was mit China geschehen war und traf frühzeitig Vorkehrungen, um nicht ebenfalls Beute zu werden, sondern selbst in den Kreis der Jäger aufzurücken. Auf die wachsende Zahl geopolitischer Konkurrenten und auf deren steigendes Industrie- und Militärpotential reagierte das britische Empire mit diplomatischen Mitteln wie Absprachen zur Abgrenzung von Interessensphären, Beistandspakten und Abkommen zur Rüstungsbegrenzung, aber auch mit einer Ausweitung und Intensivierung militärischer Interventionen. Die Prämissen lauteten: Gleichgewicht der konkurrierenden Mächte, aber unter den Bedingungen der militärischen Dominanz und des Führungsanspruchs Großbritanniens und der Wahrung eines „vernünftigen Sicherheitsvorsprungs“.171 Doch unter dem Zwang zur Expansion waren die geopolitischen Räume und die Möglichkeiten ihrer Gestaltung merklich enger geworden. Global gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts keine nennenswerte Region mehr, auf die nicht einer der genannten Staaten Anspruch der einen oder anderen Art erhoben hätte. Zwar spielte das geltende Recht auf Annexion dem Expansionsbestreben der imperialen Mächte in die Hän-

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de, aber es wurde immer deutlicher, dass der traditionelle Mittelkatalog europäischer Großmächtediplomatie mit seinen wechselnden, zum Teil komplizierten und widersprüchlichen Bündnissen, offenen und geheimen Absprachen, bi- oder multilateralen Kooperationen und militärischen Interventionen die neuen Konflikte in dieser Epoche des Imperialismus nicht mehr beherrschen konnte.172 Der Zwang, alte Einflusssphären zu sichern und neue quasi auf Vorrat zu gewinnen, dabei ein Gleichgewicht der Kräfte zu wahren, expandierende Konkurrenten auf Abstand zu halten und diese gleichzeitig nicht als Handelspartner zu verlieren, glich einer Quadratur des Kreises. In diesem System der symbiotischen Konkurrenz der europäischen Nationalstaaten zeigte sich einmal mehr eine historische Grundkonstellation, die als Thukydides-Falle in die Literatur einging: ein Aufsteiger fordert einen etablierten Staat heraus und die Rivalität eskaliert bis hin zu militärischen Auseinandersetzungen – eine Konstellation, die nicht zuletzt zum Ersten Weltkrieg führte und sich auch heute, am Anfang des 3. Jahrtausends als ernstzunehmende und schwer lösbare Problemlage darstellt. In diesen Jahrzehnten des exponentiell wachsenden Bedarfs an Ressourcen, an Lebensgrundlagen wie Bodenschätzen, Wasser, Acker- und Weideland und zugleich an Absatzmärkten stiegen nicht nur die geopolitischen Spannungen. Die technologischen Fortschritte der industriellen Massenproduktion führten auch zur Effizienzsteigerung des militärischen Vernichtungspotentials und damit zu einem Wandel der Kriegsführung. Sukzessive begann sich in den zahllosen bewaffneten Konflikten mit zunehmenden Opferzahlen unter Soldaten und Zivilbevölkerung und dem steigenden Ausmaß von Gewalt und Grausamkeiten schon die maschinell-industrielle Kriegsführung des 20. Jahrhunderts abzuzeichnen173 – Folge der rasanten Entwicklung der militärischen Logistik, der Waffen-, der Kommunikations- und Transporttechnik.174 Es waren dies zugleich die Zeiten der über Mythen herbeifabulierten und -konstruierten Vorstellungen von „Nation“ und „Volk“, Erzählungen von moralisch tüchtigen und allen anderen überlegenen Schicksalsgemeinschaften die dazu bestimmt war, dem Auftrag einer vorgeblich gemeinsamen Vergangenheit zu folgen und in eine von Urzeiten an vorbestimmte lichte Zukunft zu schreiten. Es waren die Zeiten des sich gegenseitig aufschaukelnden militanten Nationalismus und Chauvinismus, des sozialdarwinistischen ‚survival of the fittest‘, in denen das Recht des Stärkeren, die Überbetonung von Durchsetzungsvermögen, Besitz und wirtschaftlichem Erfolg um (fast) jeden Preis zu Kriterien neuer Herrschaftslegitimation wurden.175 Dies bezog sich nicht nur auf den Umgang der Eliten mit den je eigenen armen und prekären Bevölkerungsschichten, sondern auch auf

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den Umgang mit schwächeren Staaten und mit den Bevölkerungen in den eroberten Kolonialgebieten. Und diese Programme funktionierten. Eric Hobsbawm schreibt: „Das dritte Kriterium [der Bestimmung eines Volkes als Nation], so traurig es sich anhört, war die erwiesene Fähigkeit zur Eroberung. Nichts ist so wirksam wie der Umstand, ein imperiales Volk zu sein, um einer Bevölkerung die eigene kollektive Existenz zu Bewusstsein zu bringen […]. Außerdem lieferten Eroberungen für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts den Darwinischen Beweis, dass ein Volk sich als soziale Gattung im Kampf ums Dasein erfolgreich behaupten konnte.“176

Öffentlichkeit, Rechtsbewusstsein und Kriegsvölkerrecht Vor diesem Hintergrund war die Herausbildung eines neuen Rechtsempfindens, eines neuen Rechts- und Unrechtsbewusstseins, das Kriege und Kriegsführung, Annexionen und Vertreibungen, Enteignungen und Zerstörungen, Massaker und Genozide nicht als legitime Mittel im sog. Überlebenskampf, sondern als strafwürdige Handlungen ansah, weder Selbstverständlichkeit noch Selbstläufer. Noch im 19. Jahrhundert waren Begriffe wie „Kriegsverbrechen“ oder „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ weithin ungebräuchlich, schon gar im Sinne rechtlicher Straftatbestände, die eine gerichtliche Verfolgung erlauben. In der Regel wurde im Zusammenhang mit der Tötung, Vertreibung und Enteignung von Wehrlosen, Zivilisten oder besiegten Gegnern von „Schrecknissen“ oder „Greueln“ gesprochen177 – wobei letzterer Begriff lange eine religiöse Konnotation im Sinne von „Sünde“ enthielt, von daher der irdischen Gerechtigkeit entzogen schien178 und rechtlich folgenlos blieb. Ähnliches galt auch für den Begriff „Opfer“ und seine allmähliche Veränderung und Verrechtlichung bis hin zur Entstehung des Begriffs „Kriegsopfer“.179 Derlei Unterscheidungen sind von großer Bedeutung, da sie den Unterschied ausmachen zwischen einer Tat ohne Sühne und dem Anspruch der Opfer auf Anerkennung des ihnen zugefügten Unrechts. Abgeschlossen ist diese Debatte bis heute nicht, wie man an der aktuellen Diskussion um die Bewertung der Vertreibung und physischen Vernichtung der Armenier 1915 sieht.180 Entstehung und Veränderung bestimmter Gerechtigkeitsvorstellungen und eines bestimmten Rechtsbewusstseins sind dynamisch-kulturelle Prozesse.181 Die allmähliche Transformation moralisch lobenswerter, aber unverbindlicher Maximen in gesellschaftlich-ethische Übereinkünfte und schließlich in verbriefte Rechte vollzieht sich stets über längere Zeiträume. Die Verwandlung eines moralischen Regelverstoßes, hier: „Greuel“, in die rechtliche Kategorie eines „Verbrechens“, also in einen Verstoß

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gegen die Rechtsordnung einer Gesellschaft, setzt voraus, dass ein Individuum mit gesetzlich geschützten Rechtsgütern, zuvörderst mit den zentralen Grundrechtsgarantien auf Leib und Leben, auf Freiheit, auf Gesundheit, im weiteren auf Ehre, Eigentum uvm., ausgestattet ist. Erst das führt zum Schutzeffekt durch die Gesellschaft und zum Anspruch auf Bestrafung des Rechtsbrechers einschließlich des Anspruchs auf Entschädigung und Wiedergutmachung. Derlei Übereinkünfte werden sukzessive im öffentlichen Diskurs zwischen den zivilgesellschaftlichen, politischen und staatlichen Akteuren ausgehandelt. Und so, wie sich etwa in der Bundesrepublik erst ab den 1970er Jahren langsam die Auffassung durchsetzte, dass „sexuelle Selbstbestimmung“ ein schützenswertes Rechtsgut darstellt und demzufolge eine Vergewaltigung in der Ehe als Verbrechen anzusehen und zu bestrafen ist 182, so waren im 19. Jahrhundert auch die ethisch-moralischen und rechtlichen Bewertungen von Kriegen, Kriegsgreueln und Opfern allmählichen Veränderungen unterworfen. Unter diesem Blickwinkel war die Zeit zwischen 1850 und 1950 eine wichtige Etappe auf dem langen und bis heute nicht beendeten Weg von den philosophisch-moralischen Ansprüchen auf Leben und Unversehrtheit bis hin zu ihrer Transformation in einklagbares Recht 183, von der alten und lange wirksamen Aristotelischen Deutung des Krieges als beliebiger Erwerbsart wie Landwirtschaft oder Fischerei184 bis hin zur internationalen und nationalen Ächtung und rechtlichen Sanktionierung kriegerischer Gewalt, von der archaischen Rache bis hin zu gesellschaftlich legitimierte Strafverfolgung – ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist, wenn er es denn je sein sollte und den man auch keineswegs für unumkehrbar halten sollte. Anstöße für die Entwicklung kamen aus der allmählichen Herausbildung einer wirksamen zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit, die die Greuel der modernen Massenkriege und die Verbrechen der imperialen Industriestaaten in ihren Kolonien kritisierte.185 Bis dato hatten sich militärische Auseinandersetzungen in Abwehr-, Eroberungs- oder Unterwerfungskriegen im Großen und Ganzen noch unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit abgespielt oder waren in Form fürstlicher Selbstdarstellungen, als triumphalistische Historienmalerei und ergebene Hofberichterstattung nur einigen wenigen zugänglich. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts betraten neue Akteure die politische Bühne: Über Presse und Fotografie trugen engagierte Einzelpersonen, Vereine und Parteien, Pazifismus- und Menschenrechtsbewegungen aus Kreisen des Bürgertums und der Arbeiterbewegung zur Veränderung des Bildes von Krieg und Gewalt bei. Im Krimkrieg 1853-56, einem der ersten industriell geführten Kriege, wurde einem breiten Publikum erstmals ein unverblümtes Bild des Elends und

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der Grausamkeiten vermittelt. Augenzeugenberichte und Photographien erreichten trotz weit verbreiteter staatlicher Zensur breite Teile der Bevölkerungen. Der Krimkrieg wurde zum ersten Medienkrieg der Geschichte, und die Berichterstattung führte – ebenfalls erstmals in der Geschichte – zum Sturz einer Regierung.186 Aufklärung und staatliche Verfassungen, zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit, Menschenrechts- und pazifistische Bewegungen einerseits, verschärfte ökonomische Konkurrenz der Nationalstaaten, steigendes Vernichtungspotential der Waffen und Aussicht auf neue Kriege – das waren die Ingredienzien, denen die Idee einer humanisierenden Einhegung von Kriegen und Kriegführung ihren allmählichen Erfolg verdankte. Es waren die Geburtsjahre des Roten Kreuzes, des humanitären Kriegsvölkerrechts, der Idee überstaatlicher präventiver Schlichtung militärischer Konflikte und der Idee einer universellen Gerichtsbarkeit. Damit verbunden sind die Namen Edmunde Dene Morel (Bewegung gegen die mörderische Ausplünderung des Kongos durch Belgien) Johann Caspar Bluntschli (Institut de droit international), Andrew Carnegie (American Society of International Law), William Randal Cremer (Interparlamentarische Union für internationale Schiedsgerichtsbarkeit), Gustave Moynier („Manuel des lois de la guerre sur terre“) Berta von Suttner („Die Waffen nieder“), Henri Dunant (Rotes Kreuz) uvm. Der US-amerikanische Präsident A. Lincoln hatte, was wenig bekannt ist, bereits 1863, während des Bürgerkriegs, eine Anweisung für die Kriegführung der Nordstaaten-Truppen erlassen, die nach ihrem Schöpfer Francis Lieber benannt ist. 187 Sie nahm im Grunde die Genfer Konvention vorweg, die ein Jahr später zustande kam und in der sich zunächst 12 Staaten auf Regelungen zum Schutz von Verwundeten und zur Neutralität des Sanitätspersonals verständigten. Das Rote Kreuz auf weißem Grund wurde internationales Schutzzeichen. 1899 unterzeichneten 25 Staaten die Haager Landkriegsordnung, die neben zahlreichen Verboten bestimmter Waffen- und Munitionsarten drei grundlegende Prinzipien enthielt: Erstens gibt es in bewaffneten Konflikten keine völlig rechtsfreie Räume; zweitens sind die Mittel der Kriegführung nicht beliebig und drittens sind Zivilpersonen, andere Nichtkombattanten und zivile Einrichtungen so weit wie möglich zu verschonen. In der zweiten Haager Konvention von 1907 wurde erstmals festgehalten, dass in den Fällen, die im beschlossenen „Kriegsgesetzbuch“ nicht enthalten sind, „die Bevölkerung und die Kriegführenden unter dem Schutze und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts bleiben, wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern feststehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Ge-

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wissens“. Ferner verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten bei Vertragsverletzung zum Schadensersatz und erklärten sich „für alle Handlungen verantwortlich, die von den zu ihrer bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden“. 188 Damit wurde immerhin das bisherige, oft schrankenlos ausgenutzte Kriegs-Gewohnheitsrecht durch eine gewisse rechtliche Einhegung der Kriegführung abgelöst. Aber obwohl diese Abkommen auf starken internationale Zuspruch stießen, waren die Schwachstellen doch unübersehbar: Es war nach wie vor ein exklusives europäisches Abkommen, es galt nur für die sog. „zivilisierten“ Staaten mit völkerrechtlich anerkannten Souverän und schloss von daher etwa staatenlose Gesellschaften in Afrika und Asien aus.189 Zudem hatten die Bestimmungen eher den Charakter freiwilliger Selbstverpflichtungen ohne Möglichkeiten der Sanktionierung von Verstößen. Das Problem der Verantwortlichkeit maßgeblicher Akteure und Täter, die an Kriegs- oder Gesellschaftsgreueln beteiligt waren, blieb zunächst ebenso ungelöst wie das der Durchsetzbarkeit einer internationalen Rechtsprechung. Die wiederum hätte eine freiwillige Selbstbeschränkung der eifersüchtig gehüteten Souveränität der Nationalstaaten erfordert. Man war auf den guten Willen der Vertragspartner angewiesen. Der aber war, das hatte schon Immanuel Kant vorausgesehen, nur eine schwache Grundlage für die Einhaltung von Regeln.190 Versailles 1919 Der Versailler Vertrag191 von 1919 bildete in mehrfacher Hinsicht eine historische Zäsur. Auch wenn Wilsons 14 Punkte zu früh kamen, wurde erstmals die seit Jahrhunderten diskutierte Idee eines Völkerbundes realisiert, seine Satzung wurde Bestandteil des Vertrages. Zum anderen wandelte sich die bisherige Praxis, das Thema Kriegsschuld auszuklammern, über vergangene Verbrechen Vergessens-Gebote zu verhängen und Generalamnestie zu vereinbaren. Das war nicht nur der erwähnten Entwicklung des humanitären Völkerrechts geschuldet, sondern auch dem weltweiten Schock, den die vernichtende Wucht der Kriegshandlungen und die Größe der Verbrechen auslöste.192 Bereits vor Ende des Krieges hatte Großbritannien Vorschläge zur Errichtung eines internationalen Tribunals vorgelegt, das die für Kriegsverbrechen Verantwortlichen der Achsenmächte zur Rechenschaft ziehen sollte. Nach Artikel 231 des Vertrages hatte Deutschland den Alliierten den Krieg aufgezwungen und wurde damit für alle Verluste und alle Schäden verantwortlich gemacht. Die Artikel 227-230 des Vertrages forderten, die wegen „Verstoßes gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges angeklagten Personen“ an die Alli-

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ierten auszuliefern und durch Militärgerichte abzuurteilen; dem politisch verantwortlichen Kaiser Wilhelm II. drohte die Verurteilung durch einen internationalen Gerichtshof „wegen schwerer Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge“. „Verstoß gegen das internationale Sittengesetz“ und gegen die „Gesetze und Gebräuche des Krieges“ – das hört sich zunächst nach luftiger und unbestimmter Gesetzeslage an, die einer Gesinnungsjustiz Tür und Tor öffnet. Tatsächlich aber standen mit der Genfer Konvention und der Haager Landkriegsordnung bereits zwei internationale Verträge zur Verfügung, die Deutschland seinerzeit auch unterschrieben hatte und damit die Verpflichtung zu einer eigenen nationalen Strafverfolgung von Kriegsverbrechen eingegangen war. 193 Die Chance zu ersten und erfolgreichen Kriegsverbrecherprozessen hätte also durchaus bestanden. Doch es blieb bei den guten Absichten, die Pläne wurden nie realisiert 194, denn die USA lehnten einen internationalen Gerichtshof ab 195, die Niederlande verweigerten die Auslieferung Wilhelms, und die von den Alliierten immerhin erzwungenen Kriegsverbrecher-Prozesse vor dem Leipziger Reichsgericht wurden von Deutschland erfolgreich hintertrieben 196 – was auch durch den schließlichen Verzicht der Siegermächte auf Einmischung in die Prozesse erleichtert wurde. Aber immerhin: Hier zeigen sich bereits jene ersten Keimformen der institutionalisierten juristischen Behandlung vergangenen Unrechts, die später zum Kanon der modernen Bewältigungspraxis gehören würde. Aus Sicht der Geschichte der Vergangenheitsbewältigung ist ebenso bedeutsam, dass im Vertrag von Versailles erstmals der Gedanke des Zusammenhangs zwischen ökonomischen Verteilungsproblemen und intraund internationalen Konflikten aufscheint. Die Idee der zweiten Generation der Menschenrechte, der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte, begann ihre Wirkung zu entfalten. Sozialpolitik war bereits im 19. Jahrhundert angesichts des Massenelends des Industrieproletariats nicht mehr nur als karitative Unterstützung einzelner Bedürftiger begriffen worden, sondern als politisches und systemfunktionales Instrumentarium, mit dessen Hilfe man politische Zielsetzungen wie etwa innere Pazifizierung, Humankapitalbildung und die Verwirklichung allgemein akzeptierter Werte zu realisieren trachtete. 197 Teil XIII des Versailler Vertrages nahm dieses Konzept auf und machte die Herstellung weltweiter sozialer Gerechtigkeit zu einer wesentlichen Voraussetzung einer stabilen internationalen Friedensordnung.198 Es war die Geburtsstunde der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die seit Gründung 1919 ihren Sitz in Genf hat.

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Der Versailler Vertrag war, wenn man so will, der Anfang politischer Vergangenheitsbewältigung, eine missglückte Uraufführung mit vielen hoffnungsvollen Ansätzen, aber auch vielen Schattenseiten. Das Bemühen um eine stabile internationale Friedensordnung und um die Durchsetzung von Gerechtigkeit war erkennbar vorhanden, aber vieles verlief im Sande, wurde hintertrieben oder ließ sich nicht durchsetzen, weil die Politik unwillig und das Recht schwach war. Über den Versailler Vertrag erschien bis heute eine schier unübersehbare Zahl von Veröffentlichungen, ohne dass ein Ende absehbar wäre; ebenso groß die Zahl der Interpretationen, insbesondere hinsichtlich der Fehler der Beteiligten und der Folgen für die weitere europäische Gewaltgeschichte, hinsichtlich der mangelhaften Vorbereitung der Sieger, hinsichtlich der Art und Weise, wie sie mit den Besiegten umgingen, welche Bedingungen sie ihnen auferlegten und in wie weit auch andere Optionen hätten genutzt werden können. Das kann an dieser Stelle ebenso wenig geklärt werden (wenn es denn je geklärt werden kann) wie die letztendliche Klärung von Kriegsschuld und Kriegsursachen. Aber die Bewertungen verweisen darauf, dass internationale Diplomatie im allgemeinen und die Herstellung tragfähiger, d.h. zukunftsfähiger Friedensvereinbarungen im besonderen keineswegs nur ein Spielfeld kühl und rational denkender Akteure ist, sondern stets auch bestimmt wird von menschlicher Schwäche, von Emotion und Irrationalitäten. Golo Mann etwa schrieb über den Vertrag: „Der Krieg hatte das Problem der Menschheit auf ihrem Diplomatentisch ausgebreitet. Das hätte ihnen Geist und Herz öffnen sollen, die Arbeit auf neue, große Weise zu beginnen. Sie wollten auch. Es fehlte nicht an gutem Willen. Aber ihre alten, schlechten Denkgewohnheiten, ihre gezwungene Besorgtheit um Dinge, die sie im Grunde nicht interessierten, ihr Alter, ihre Erziehung – das hatte ihnen die Aufgabe unmöglich gemacht.“199

Unbestritten ist, dass die Deutschen, als sie den Waffenstillstand unterzeichneten, von Amnestievereinbarungen ausgegangen waren wie in den Jahrhunderten vorher. Unbestritten ist auch, dass die erzwungene Alleinübernahme der Schuld, die erheblichen Reparationslasten und Rohstoffabgaben, die Abrüstungsvorgaben und substantiellen Gebietsabtretungen als schmachvoll empfunden wurden. Das sagt wohlgemerkt nichts über die Berechtigung der Siegerbedingungen aus, sondern lediglich etwas über die Befindlichkeit der Besiegten. Ob dieses Tableau sie in die Hände Hitlers trieb, wie oft diskutiert wird, sei dahingestellt. Die Historikerin MacMillan hält das für eine Legende; sie gibt mit Recht zu bedenken, dass die Konflikte, die nach 1919 ausbrachen, sehr viel älteren Ursprungs waren.200 Man kann ergänzen, dass das nicht nur auf die innerdeutschen Verhältnisse zutreffen mag, sondern auch auf die strukturelle

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Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges, auf die konfliktgeladenen fragilen, von Misstrauen und Konkurrenz bestimmten Beziehungen der europäischen Staaten des 19. Jahrhunderts. Aber als gegeben kann man wohl voraussetzen, dass die Reparationsforderungen des Vertrages mit zur Entstehung der Weltwirtschaftskrise 1929 beitrugen. Großbritannien und Frankreich hatten sich im Krieg bei den USA hoch verschuldet, sie brauchten zur Rückzahlung der Kredite die deutschen Reparationen, die die Deutschen wiederum über US-amerikanische Kredite finanzierten. 1929 platzte an der Wall Street eine Spekulationsblase, die Amerikaner forderten ihre Kredite aus Deutschland zurück, der Wirtschaftskreislauf kam wegen fehlender Aufträge zum Erliegen, in Deutschland brachen die Arbeitsplätze in ungeahntem Ausmaß weg, und an der Weigerung der Unternehmerverbände, die Leistungen für die Arbeitslosen zu erhöhen, zerbrach die SPD/DVP-Koalition. Die Parlamentsparteien gingen dazu über, dem Reichspräsidenten zunehmend das Regieren zu überlassen, um politisch nicht für die Misere verantwortlich gemacht zu werden. Die schleichende Selbstentmachtung des Parlaments war der Beginn des abschüssigen Weges in Notverordnungs- und Ermächtigungspolitik und in die politische Destabilisierung Deutschlands. Die wiederum spielte jenen starken demagogischen Kräften in die Hände, die die Kriegsziele von 1914 nicht aufgegeben hatten und die Ergebnisse des Versailler Vertrages revidieren wollten. Hagen Schulz spricht von einem „zerstörerischen Mittelweg“, den die Alliierten gewählt hatten, als Deutschland „unter Sonderrecht gestellt, militärisch entmachtet, wirtschaftlich ruiniert und politisch gedemütigt“ wurde, anstatt es „entweder, wie dies die französische Generalität forderte, erneut in eine Vielzahl deutscher Kleinstaaten aufzulösen oder aber die neuerstandene deutsche Demokratie, die Republik von Weimar, ohne Wenn und Aber in den Kreis der westlichen Staaten aufzunehmen“.201 Er folgt damit argumentativ John Maynard Keynes, einem der schärfsten Kritiker des Vertrages und Teilnehmer der damaligen britischen Verhandlungsdelegation. Keynes sah die besondere Schwäche des Vertrages in der verpassten Chance, „die Schwelle eines neuen Zeitalters“ jenseits von nationalistischer Verhetzung, Militarismus und Imperialismus zu überschreiten, „die Grundlagen des Lebens“ in einem als Einheit verstandenen Europa wiederherzustellen und die Neuordnung Europas in einem „Freihandelsverband“ mit einem wirklich handlungsfähigen „Völkerbund“ zu betreiben. 202 Große Gedanken und Entwürfe – das ist das eine. Rachebedürfnis, Verrat, Konzeptionslosigkeit und Kurzsichtigkeit der Sieger, Scheinheiligkeit, moralische Empörung, Uneinsichtigkeit und Realitätsverleugnung der Besiegten, die geistig noch im 19. Jahrhundert befangen waren – das ist das andere. Beides

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zusammen befeuerte die Rechtfertigungen, die Legenden- und Mythenbildung um Schuld, um als ungerecht empfundene Behandlung durch die Sieger, um Konsequenzen und Alternativen. Dieser Diskurs begann damals und würde unter anderen Vorzeichen seine Fortsetzung in den Auseinandersetzungen um die Vergangenheitsbewältigung nach dem Zweiten Weltkrieg finden. Aber wie auch immer: Das Thema Kriegsschuld war nun auf dem Tisch, auch die Frage der Bestrafung. Zusammen mit den ersten tastenden Versuchen zur Schaffung eines Völkerbundes und zusammen mit dem historisch neuen Gedanken sozialer Gerechtigkeit als Grundlage eines tragfähigen Friedens enthielt der vielgescholtene Versailler Vertrag bei allen Fehlern doch auch positive Elemente. Allerdings hatte sich auch nach dem Ersten Weltkrieg an den großen internationalen Konfliktlinien des 19. Jahrhunderts nichts Wesentliches geändert. Aus den Konkursmassen des untergegangenen Zarenreiches, der Habsburger Monarchie, des deutschen Kaiserreiches und des Osmanischen Reiches war eine Reihe neuer Staaten hervorgegangen, auch neue Protektorate unter Kontrolle der Kolonialmächte; man hatte sich aus diesen Konkursmassen zum eigenen Vorteil bedient, und die alten Konkurrenzen und Expansionsbestrebungen gingen weiter wie vor 1914. Der Erste Weltkrieg hatte die alten Probleme nicht beseitigt, seine sozialen und politischen Folgen hatte im Gegenteil autoritäre Bewegungen, Nationalismus, Rassismus und soziale Auseinandersetzungen und Verteilungskämpfe nochmals befeuert. Mit der Herausbildung neuer Nationalstaaten entstanden auch neue Konflikte. Latent oder offen standen überall auf den Agenden die Revisionen der Versailler Grenzziehungen, die Gewinnung neuen Raumes und der ethnischen Säuberungen, der rassischen oder kulturellen Entmischung der Nationalbevölkerungen. „Nach dem Waffenstillstand“, schrieb Jens Bisky, „begann 1918 eine neue Ära des Schlachtens, der Kriege, Revolutionen, Pogrome, Vertreibungen. Während in den Pariser Vorortverträgen [Versailler Vertrag. Der Verf.] die Satzungen des erwünschten Friedens verordnet wurden, war Europa nach dem Urteil des Historikers Robert Gerwarth ‚die mit Abstand gewalttätigste Region der Welt‘.“203 Die Gewaltwelle erschöpfte sich zeitweilig, aber in den 1930er Jahren lebten mehr als 60% der Europäer unter autoritären Regimes.204 Von daher war die Etablierung einer Diktatur in Deutschland zunächst keine historische Besonderheit. Die Besonderheit lag darin, dass das neue Regime von Beginn an ähnliche expansive geopolitische Ziele verfolgte wie das vergangene kaiserliche und eine massive Revision des Versailler Vertrages betrieb, während gleichzeitig die internationalen Bemühungen um wirksame Anti-Hitler-Bündnisse an jeweiligen Eigeninteressen und gegenseitigem Misstrauen scheiterten. Die

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nationalsozialistische Politik mündete in den nächsten, den Zweiten Weltkrieg – mit den bekannten Folgen der Exzesse von Gewalt und Vernichtung. Neu in der langen Geschichte der Kriegs- und Gesellschaftsverbrechen waren die systematische Politik der verbrannten Erde und die kühl kalkulierten und bürokratisch-industriell betriebene Massenmorde an Zivilisten. Nicht ganz so neu waren die Absichten, ganze Völker und Ethnien dem Hungertod auszuliefern oder anderweitig zu vernichten, teils, weil man sie als rassisch minderwertig ansah, teils, um den Raum zu schaffen, den man lebenswichtig für das eigene Volk ansah – wobei das eine oft nur der Vorwand für das andere war.

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Der Zweite Weltkrieg und die Anti-Hitler-Koalition Neue Erfahrungen, neue Wege Der Krieg dauerte von 1939 bis 1945. Eine wirksame Anti-Hitler-Koalition aus zunächst 26 Staaten unter Führung der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion bildete sich formell am ersten Januar 1942 – jenem Monat, in dem am Berliner Wannsee die Zusammenkunft jener Männer aus NS-Regierung und SS stattfand, die die bereits begonnene Ermordung der europäischen Juden koordinieren sollten. Zu diesem Zeitpunkt standen Teile Ostasiens, des pazifischen Raums und große Teile Europas schon unter Besatzung der Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan. Das Militärbündnis der Alliierten setzte sich, von der UdSSR und Frankreich abgesehen, im Großen und Ganzen aus denselben Führungsmächten zusammen wie im Ersten Weltkrieg. Im Unterschied zu 1919 ging man dieses Mal das Problem des Umgangs mit dem Gegner anders an, konsequenter, grundsätzlicher und systematischer. Noch während sich an der Ostfront, im Pazifik und im Atlantik, später am Mittelmeer und an der Kanalküste erbitterte Materialschlachten abspielten und Millionen Menschen ihr Leben ließen, begannen die Alliierten, Konzepte für eine tragfähige Nachkriegsordnung zu entwickeln. Die Akteure waren nicht nur bemüht, Konsequenzen aus dem zu ziehen, was man als Ursachen des Zweiten Weltkrieges betrachtete, sondern auch aus den Erfahrungen ihrer Vorgänger in früheren Vergangenheitsbewältigungen.205 Ab 1941 begannen die Planungen für einen in Umfang und Tiefe bis dato unerhörten Versuch kriegführender Mächte, Sühne und Wiedergutmachung von ihren Gegnern einzufordern, die geistigen, politischen und materiellen Ursachen und Bedingungen für die geschehenen Verbrechen zu ergründen und die inneren Verhältnisse wie Verfassungs-, Rechts- und Sozialstrukturen und Kultur des Gegners in der Absicht umzugestalten, einen so ungeheuerlicher Eroberungs-, Unterwerfungs-, Raub- und Vernichtungskrieg, wie ihn Deutschland führte, unwiederholbar zu machen. Die Fragen nach Schuld, Verantwortung, Wiedergutmachung und Sühne eines ganzen Volkes, seiner Elite und seiner Regierung wurden zu einem historisch ganz neuen Handlungsfeld zur Schaffung einer zukunftsorientierten Aufarbeitung vergangener Gewalt. Das Unterfangen, die Wiederholung des Geschehens ein für alle Mal unmöglich zu machen, setzte notwendigerweise eine umfassende Analyse des Geschehens voraus, eine Analyse der Anatomie einer ganzen Gesellschaft und eine Analyse dessen, was man für die Gründe ihrer Fehlentwicklung hielt, sozusagen eine politische Anamnese. Klare Vorstellungen über die Ursachen und Funktionsweisen des Vergangenen, schrieb der

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Politologe Helmut König, sind die Voraussetzung für die Beendigung fortwirkender Macht, für einen Neuanfang und für die Verunmöglichung der Wiederholung des Vergangenen.206 Nun, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sind derartige Strukturanalysen von Vergangenheitsbewältigung längst ein eigenes und interdisziplinäres Feld wissenschaftlicher Forschung, längst auch fester Bestandteil modernen Regierungshandelns. Die damaligen Zeitgenossen und politisch Verantwortlichen hatten keine derartigen Raster, sie waren die Pioniere, die Konzepte erst entwickeln mussten, und sie standen vor einem fast unübersehbaren Trümmerfeld menschlichen Handelns und menschlicher Verkehrsverhältnisse, nicht nur materiell-politisch, sondern auch moralisch und kulturell. Zudem gab es zwischen den Bündnispartnern und innerhalb der Staaten unterschiedlichste Vorstellungen und äußerst kontroverse Diskussionen. Fraglos bildete Roosevelts fulminante Rede über die vier Freiheiten 207 hier einen wichtigen, wenn nicht den wichtigsten Orientierungsrahmen. Aber ansonsten war zu Beginn der Anti-Hitler-Koalition nichts geklärt, weder die Behandlung der Verantwortlichen der Achsenmächte noch das zukünftige Schicksal Deutschlands noch die zukünftige internationale Ordnung. Die Planungsansätze der Alliierten waren geprägt durch unterschiedlichste sozial- und politikwissenschaftliche Expertisen, durch populäre Vorstellungen über Deutschland und den deutschen Faschismus, nicht zuletzt durch divergierende weltanschauliche Positionen. Die Sowjetunion und die Kommunistische Internationale gingen seit 1935 von einer Theorie der Agenten des Kapitals aus, wonach „der Faschismus an der Macht […] die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ darstellte. Aus dieser Konstruktion heraus trennte Stalin die „Hitler-Clique“ säuberlich vom deutschen Volk.208 Dementsprechend sah man den entscheidenden Hebel für eine gelingende Vergangenheitsbewältigung in „sozioökonomischen Struktureingriffen“ wie Bodenreform, Enteignung und Verstaatlichung von großen Industriebetrieben. 209 Der Planungsbereich ist wenig erforscht, bis heute bestehen Zweifel, ob der sozialistische Weg für die sowjetische Besatzungszone überhaupt von Beginn an vorgesehen war, doch aus den Dokumenten der Besatzungszeit lässt sich ablesen, dass die politisch-ökonomische Transformation konsequent unter der Regie der Sowjetunion stand.210 In den USA griff man vor dem Hintergrund einer „inneren Struktur“ der historischen Deutung, die als Schlüssel zur Vergangenheitsbewältigung gesehen wurde, u.a. auf humanistische Traditionen zurück, die vor allem eine „Erneuerung der Wertorientierungen“ in Deutschland bewir-

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ken sollte.211 Aber auch dort pflegte man eine ähnliche „Outlaw-Theorie“, der zufolge eine Gruppe von Verbrechern die Macht ergriffen und das Volk unterjocht hatte212; das NS-Regime wurde als Ausdruck einer „Verschwörung“ alter und neuer Eliten gegen den deutschen Staat gesehen. Der Vorwurf der Verschwörung wurde denn auch in den Nürnberger Prozessen 1946 zum zentralen Anklagepunkt gegen die politische Führung des Deutschen Reiches, auf dem die weiteren Punkte Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität fußten.213 Aber solche Konstruktionen bildeten sich erst im Verlaufe der Entwicklung heraus. Denn mit dem Problem, welche juristischen Konsequenzen aus den Verbrechen zu ziehen und wie die Täter überhaupt zu behandeln seien, betrat man hier trotz aller Entwicklungen des bestehenden Kriegsvölkerrechts Neuland.214 Angesichts der deutschen Kriegführung in Polen und den Einsatzgruppenmassakern in der UdSSR ging es um nichts weniger als das Problem, derartige Verbrechen, für die es keine historischen Parallelen gab, in juristische Kategorien und Begriffe zu fassen und zugleich das traditionelle Völkerrecht den neuen Gegebenheiten anzupassen.215 Teile dieser Planungsarbeiten lagen beim US-Geheimdienst OSS, der ein Großteil der verfügbaren Informationen über Deutschland und seine Verbündeten zusammenführte und auswertete – nicht nur, um die „Achillesferse des Dritten Reiches“, das heißt, seine politischen, ökonomischen und moralischen Schwachstellen zu identifizieren“, sondern auch, um daraus Ziele für die Nachkriegsordnung abzuleiten.216 In der Europa-Abteilung hatte man emigrierte deutsche Gesellschaftswissenschaftler rekrutiert, die zunächst mit der operativen Auswertung von Geheimdienstmaterialien beschäftigt waren, nach und nach aber in die Planungskonzepte für die Nachkriegszeit einbezogen wurden. Hier entstanden regelrechte Denkfabriken, die der US-Regierung interdisziplinär zuarbeiteten, Beweismaterial für die zukünftigen Prozesse zusammentrugen, Aufklärungsarbeit leisteten und zugleich die Völkerrechtsdebatten im Sinne der Menschenrechte zu beeinflussen suchten.217 Im Laufe dieser Arbeit schälte sich langsam der Gedanke heraus, führende gesellschaftliche Gruppen in ordentlichen und allgemein anerkannten Prozessverfahren für die unter ihrer Herrschaft geschehenen Verbrechen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, ohne dass etwaige Täter ihre individuelle Verantwortung unter Berufung auf besondere Verhältnisse in totalitären Staaten218 oder auf völkerrechtliche Immunität verneinen konnten. Aber bis zu den Nürnberger Prozessen und überhaupt zu einer konsistenten Deutschland-Politik war es ein weiter Weg, auf dem die unterschiedlichsten – und aus heutiger Sicht teilweise abenteuerlichen – Vorstellungen und Konzepte zur Debatte standen. So woll-

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te Churchill zunächst den harten Kern der Nazis zu Geächteten erklären und sie ohne weiteres erschießen lassen; Stalin plädierte ähnlich, aber erst nach Durchführung von Schauprozessen – ohne die später von den USA durchgesetzte faire Verhandlungsführung. Derartigen Verfahren neigte auch der US-Außenminister Hull zeitweilig zu. Gegen die Kriminalisierung von Angriffskriegen hatten anfangs die Sowjets Einwände, die Franzosen hingegen lehnten die amerikanischen Pläne ab, überhaupt einen Straftatbestand der „Verschwörung“ neu in das Völkerrecht einzuführen. Ähnlich widersprüchlich und kompliziert waren auch die Abstimmungen über das zukünftige Schicksal Deutschlands. Eine Zeit lang sympathisierten sowohl Churchill als auch Roosevelt mit dem Konzept des US-Finanzministers Morgenthau, das Deutsche Reich aufzulösen und eine totale Demontage der Industrieausrüstung durchzuführen. Das veranlasste die damals im Außenministerium tätige Eleonore Roosevelt, vor einem zweiten Versailles zu warnen. Der Morgenthau-Plan alarmierte zudem die britischen Tories, die darin eine Schwächung eigener Wirtschaftsinteressen sahen und ein starkes Nachkriegs-Deutschland als Marktpartner und als Gegengewicht gegen die Sowjetunion befürwortete. Die wiederum neigte, ebenso wie Roosevelt und Keynes, zeitweise einer Zerstückelung des Gegners zu, aber unter Vermeidung eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs ihrer Besatzungszone. Während Morgenthau in den eroberten Gebieten zunächst auch Nazis in der Zivilverwal tung einsetzen wollte, um Chaos zu verhindern, bereitete das Alliierte Hauptquartier unter General Eisenhower die schnelle Einsetzung einer zentralen und einsatzfähigen deutschen Zivilregierung vor. Und ähnlich den Morgenthau-Plänen, alle deutschen Kinder gänzlich ihren Eltern zu entziehen und unter Vormundschaft der Alliierten zu stellen, zog auch Roosevelt zeitweise eine Art von Fortpflanzungsverbot für die Deutschen in Erwägung. Über allen Diskussionen und Kooperationen schwebte das gegenseitige Misstrauen der Koalitionspartner, die Furcht vor einem Separatfrieden des je anderen mit den Achsenmächten. Wie groß die Befürchtungen waren, zeigt sich darin, dass etwa die sowjetische Seite höchst alarmiert war, als Hitlers Stellvertreter Hess sich auf den bekannten Flug nach England machte, um einen Separatfrieden auszuhandeln. Dabei war man aufeinander angewiesen, denn Roosevelt brauchte den sowjetischen Kriegseintritt gegen Japan, Stalin die Zweite Front der Westalliierten zur militärischen Entlastung der Sowjetunion. 219 Das gegenseitige Misstrauen war tief.220 Es war also ein mühseliger Weg, auf dem die Bündnispartner zunächst überhaupt erst Vertrauen zueinander fassen und sich über eigene und gemeinsame Absichten klar werden mussten. Im Ergebnis dieser Ab-

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stimmungsprozesse wurde ab 1941 eine ganze Serie von alliierten Übereinkünften auf den Weg gebracht. Sie enthielt zunehmend konkrete Zielsetzungen wie die bedingungslose Kapitulation Deutschlands und seiner Verbündeten, die militärisch-politische Kontrolle der besiegten Staaten mit dem Ziel ihrer politisch-kulturellen Neugestaltung, die Bestrafung der Verantwortlichen und schließlich die geopolitische Neuordnung Europas. Darüber hinaus wurden die Konturen einer neuen Weltordnung sichtbar, die zwar auch der Festigung der Anti-Hitler-Koalition und der Sicherung der je eigenen Vormachtstellung diente 221, vor allem aber weit in die Zukunft reichende Anstöße zur Fortschreibung des Völkerrechts und seiner Verschmelzung mit den Menschenrechten gab. Zu den für die weitere Entwicklung wichtigsten Initiativen, Gründungen und Erklärungen sind – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zu zählen: a) die Atlantik-Charta vom August 1941, eine Vereinbarung, die zunächst nur zwischen Roosevelt und Churchill ausgehandelt wurde. Diese Vorstufe zur Gründung der Vereinten Nationen222 wurde einige Monate später von 10 Regierungen einschließlich der Sowjetunion bestätigt und strebte ambitionierte Ziele an: Verzicht auf territoriale Bereicherung; gleichberechtigter Zugang aller zum Handel und zu Rohstoffen; Verzicht auf Gewalt; Selbstbestimmungsrecht der Nationen; internationale wirtschaftliche Kooperation, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, wirtschaftliche Ungleichgewichte zu beseitigen und den Schutz der Arbeitenden zu verbessern; Schutz der Völker vor Tyrannei; Freiheit der Meere und Entwaffnung der Nationen, um ein System dauerhafter Sicherheit zu gewährleisten223; b) die im Januar 1942 in Washington verabschiedete Deklaration der Anti-Hitler-Koalition. In ihr bekräftigten 26 Staaten einschließlich der Sowjetunion224, die sich selbst als „Vereinte Nationen“ bezeichneten, die Atlantik-Charta und verpflichteten sich, alle ihre Kräfte zum Kampf gegen die Achsenmächte einzusetzen und keinen separaten Waffenstillstand oder Frieden mit den Gegnern auszuhandeln; c) die Londoner Erklärung von 1943 über die Nichtigkeit von Enteignungen während des Krieges; d) die Moskauer Deklaration vom 1. November 1943; sie formulierte als zentrales Dokument der angestrebten Nachkriegsordnung u.a. die bedingungslose Kapitulation Deutschlands und die Bestrafung deutscher Greueltaten, aber auch die Grundzüge einer neuen internationalen Staatenorganisation 225; e) die im Oktober 1943 unter Beteiligung von 17 Staaten (ohne Sowjetunion) gegründete United Nations War Crimes Commission UNWCC;

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sie diente der Beweissicherung von Kriegsverbrechen der Achsenmächte und der Erfassung von Kriegsverbrechern; f) das Bretton-Woods-Abkommen von 1944, unterzeichnet von 44 Staaten, beinhaltete ein Zoll- und Handelsabkommen und die Gründung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, um die nach Weltwirtschaftskrise 1929ff und Zweitem Weltkrieg entstandenen Probleme des Güter- und Zahlungsverkehrs zu beheben; g) die Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945 mitsamt dem Statut für einen zukünftigen Internationalen Gerichtshof 226, unterzeichnet als Gründungsdokument der Vereinten Nationen in San Francisco von 50 Staaten; h) das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945, die Neuordnung Deutschlands, seine Entmilitarisierung, die Reparationen und den Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern betreffend; i) das Londoner Viermächte-Abkommen (Londoner Statut, auch Londoner Charta oder Nürnberger Charta) vom August 1945, das erstmals völkerrechtlich verbindlich die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Einzelpersonen definierte und einen Internationalen Militärgerichtshof bestimmte, vor dem derartige Fälle verhandelt werden sollten 227; j) der Beschluss die UN-Vollversammlung vom Dezember 1946, wonach die Rechtsgrundsätze des Londoner Vier-Mächte-Abkommens und die darin definierten Verbrechen nun als Grundsätze des Völkerrechts anerkannt wurden; k) die Pariser Erklärung der Menschenrechte vom Dezember 1948, welche sowohl die politischen und bürgerlichen Rechte als auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte enthielt und schließlich l) die Völkermordkonvention vom selben Monat, nach der Handlungen, die der Zerstörung oder Vernichtung nationaler, ethnischer, rassischer oder religiöser Gruppen dienen, von einem nationalen oder internationalen Gericht zu bestrafen sind.228 Aus Sicht der Geschichte von Vergangenheitsbewältigung sind aus dieser Vielzahl bedeutender Entscheidungen einige besonders zu erwähnen: Mit der Deklaration vom Januar 1942 (b) betrat eine internationale Staatenorganisation als „Vereinte Nationen“ die politische Bühne. Zunächst war auch sie exklusiv – so wurde den baltischen Staaten und dem Freien Frankreich die Unterschrift verweigert –, aber diese sog. „wartime UN“ (Dan Plesch) hatten von Beginn an durch die Unterschriften der „Big Three“ USA, Großbritannien und Sowjetunion, aber auch Chinas, Südafrikas, Australiens und anderer Alliierter ein beträchtliches politisches Potential. Dies umso mehr, als im Oktober 1943 aus dem Kreis der

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VN-Staaten die UNWCC (e) ins Leben gerufen wurde. Diese Kommission für Kriegsverbrechen bildete das erste multinationale Abkommen, in dem völkerrechtliche Konzepte für Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit entwickelt wurden. Neu war insbesondere, dass in diesem Rahmen erstmals Genozide, Angriffskriege und die Bildung krimineller Organisationen als strafwürdige Verbrechen aufgefasst wurden, neu war ebenso die Entwicklung eines Konzepts gemischter zivil-militärische Gerichtshöfe. Diese Aktivitäten wurden von den kleineren Staaten, namentlich von den Exilregierungen Polens und der Tschechoslowakei forciert, während die Außenministerien der USA und Großbritannien starke Vorbehalte hatten, da sie, jedenfalls damals noch, die mit dem Konzept verbundenen Eingriffe in die inneren Angelegenheiten eines Staates ablehnten.229 Das Londoner Viermächte-Abkommen von August 1945 (i) formulierte erstmals die Straftatbestände „Verbrechen gegen den Frieden“, „Kriegsverbrechen“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ als völkerstrafrechtliche Normen, die erlaubten, Verstöße individuell zu verfolgen.230 Nachdem die USA von ihren alten Versailler Bedenken hinsichtlich der Verletzung staatlicher Souveränität abgerückt waren, die noch zur Ablehnung der UNWCC geführt hatten bestand nun endlich die Möglichkeit, die bisher als unantastbar geltende Immunität auch hoher Amtsträger aufzuheben – Grundlage für die folgenden Kriegsverbrecherprozesse und Grundlage des heutigen Völkerstrafrechts. Im Kapitel VII der UN-Charta (g) wurden, ebenfalls erstmals, halbwegs wirksame Sanktionen zur Prävention oder Eindämmung kriegerischer Konflikte völkerrechtlich verbindlich. Das neue kollektive Sicherheitssystem basierte auf den Prinzipien des allgemeinen Gewaltverbotes, der Kriegsverhütung und der gemeinsamen Interventionen gegen Aggressoren bis hin zur Anwendung von Gewalt und war vor allem wirksam durch die Einbindung aller Großmächte.231 Dass der Sicherheitsrat als satzungsgemäßes Hauptvollzugsorgan dieses Mechanismus wegen der jahrzehntelangen Blockauseinandersetzungen seiner mächtigen Mitglieder faktisch neutralisiert sein würde und damit seinen Aufgabe nicht nachkommen konnte, steht auf einem anderen Blatt. Kapitel VII der UN-Charta stellte, auch dies eine historische Premiere, einen direkten Zusammenhang zwischen der Hebung des Lebensstandards und der Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts einerseits, der gesellschaftlicher Stabilität der Staaten und der friedlichen Beziehungen zwischen den Nationen andererseits her. Der Gedanke nahm jene Passagen des Versailler Vertrags wieder auf, welche die Erhaltung und Stabilisierung des Weltfriedens „nur auf dem Boden der sozia-

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len Gerechtigkeit aufgebaut“ sahen.232 Darin spiegeln sich die tiefgreifenden ordnungs- und sozialpolitischer Umbrüche und Neuorientierungen der Industriestaaten zwischen 1918 und den 1950er Jahren. Nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges hatten die meisten europäischen Ländern mit dem Aufbau staatlicher Systeme sozialer Sicherheit begonnen, ein Prozess, der sich noch während des Zweiten Weltkriegs beschleunigen sollte, im wesentlichen ausgelöst durch das Programm der „sozialen Sicherheit“ des britischen Politikers William Beveridge. 233 Selbst in den traditionell wirtschaftsliberalen USA setzte sich noch während der Weltwirtschaftskrise 1929ff. die Einsicht durch, dass der Staat für die Wirtschaft, aber auch für die soziale Sicherheit seiner Bürger Verantwortung tragen müsse. Ab 1933 wurde unter Präsident Roosevelt ein Regime staatlicher Regulierung der Wirtschaft, des Marktes und vor allem des Finanzsektors praktiziert, das viele Elemente sozialistischer und sozialdemokratischer Ordnungspolitik enthielt.234 Damit korrespondierend setzte man sich im Abkommen von Bretton Woods (f) die Stabilisierung der internationalen Wirtschaft zum Ziel: Mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT (in Kraft getreten 1948 und Vorläufer der WTO) sollten die durch den Zweiten Weltkrieg gestörten Handelsbeziehungen wiederbelebt, der Freihandel gefördert und bestehende Handelsschranken und Diskriminierungen beseitigt werden.235 Nikolaus Piper erinnerte aus gegebenem Anlass jüngst daran, dass das neue System nach dem Zweiten Weltkrieg als Friedensprojekt entstand.236 Die Gründung der Weltbank war zunächst für die Finanzierung des Wiederaufbaus der durch den Krieg zerstörten Staaten gedacht237, erweiterte aber ein Jahr später, nunmehr als Sonderorganisation der UNO, ihre Aufgaben um die allgemeine Förderung der Entwicklung der Mitgliedsländer und des Lebensstandards der Bevölkerung. Die Schaffung des Internationalen Währungsfonds (IWF) schließlich diente dem Aufbau einer neuen internationalen Währungsordnung und der Einrichtung fester Wechselkurse, um die Währungen der Handelspartner wieder miteinander konvertibel zu machen und dadurch den Güteraustausch zu gewährleisten. Die Unterzeichnerstaaten wollten damit verhindern, dass die aufgelaufenen hohen Staatsschulden der kriegführenden Mächte zu einem Zusammenbruch des dicht verflochtenen internationalen Wirtschaftssystems und damit zu ähnlich katastrophalen Gefährdungen der politischen Stabilität führten, wie sie aus den Versailler Reparationsbestimmungen erwachsen waren. Die Konstruktionsfehler dieser Handels- und Finanzordnung sind oft beschrieben und kritisiert worden, vor allem die schlecht gelöste Frage der Schulden souveräner Staaten und der rigiden Kreditbedingungen von IWF und Weltbank, die in den fol-

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genden sechs Jahrzehnten bei diversen Finanzkrisen eine umstrittene Rolle spielen würden. Aber man muss sich stets vergegenwärtigen, dass Politik zum einen die Kunst des Kompromisses ist, zum anderen stets bestimmte Interessenlagen widerspiegelt und zum dritten nur begrenzte Zeiträume und Wirkungen überblicken kann. Doch immerhin verweisen die komplexen Lösungsansätze mit den fünf Linien Demokratie-Menschenrechte-Ökonomie-Kriegsvölkerrecht-Völkerstrafrecht darauf, dass die internationale Staatengemeinschaft sehr wohl die tieferen Ursachen der Katastrophen zu verstehen bemüht war und ihr Augenmerk nicht nur auf die Bestrafung der Täter, sondern auch auf die politischen und sozialen Instabilitäten im Umfeld der Weltwirtschaftskrise und auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Begleitumstände und Faktoren richtete. Die Urmatrix moderner Vergangenheitsbewältigung In Bezug auf die operative Umsetzung der alliierten Nachkriegspläne für Deutschland nimmt der Abschnitt III des Potsdamer Abkommens eine herausgehobene Rolle ein.238 Hier flossen die politischen, ökonomischen und kulturellen Analysen und die beschriebene Kette internationaler Übereinkünfte ab 1941 ein, und dementsprechend war die Agenda der Siegermächte umfangreicher und vielschichtiger als die des Versailler Vertrages. Im Unterschied zu 1919 war man sich einig, Deutschland ganz zu besetzen, um die Kontrolle über die angestrebte Neuordnung in der Hand zu behalten. Zudem enthielt das Abkommen jetzt, auch dies ein Unterschied zu Versailles, eine Reihe abgestufter Handlungsfelder zur gründlichen Umgestaltung der inneren Verhältnisse: harte Vorgaben und Sanktionen in Bezug auf institutionelle Regelungen ebenso wie weiche, auf Diskurs und zivilgesellschaftlicher Interaktion beruhende Handlungsund Zielorientierungen. Die „harte“ verbindliche Vergangenheitspolitik wurde flankiert durch die Förderung demokratisch-zivilgesellschaftlicher Kultur und schließlich durch die Einleitung einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über moralische und politische Schuld und Verantwortung. In der Gesamtschau der Bestimmungen tritt gewissermaßen eine didaktische Struktur zutage, in der die Ebenen von politischen Inhalten, institutionellen Verfahren und Maßnahmen, die der mentalen und kulturellen Neuorientierung der Bevölkerung dienten, deutlich zu erkennen sind. Die Punkte lassen sich regelrecht wie eine moderne pädagogische Zieltaxonomie lesen, übertragen auf eine ganze Gesellschaft239:

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0. Leitziel: Verunmöglichung der Wiederholung der Vergangenheit; 1. Übernahme von Schuld und Verantwortung; 2. Aussicht auf Rehabilitation und internationale Reintegration; 3. Demokratisierung. auf der Grundlage einer Kultur der Menschenrechte und der Zivilgesellschaft; 4. Dezentralisierung und Auflösung politischer und wirtschaftlicher Machtkonzentrationen; 5. Denazifizierung: Mentalitätspolitische Maßnahmen: Diskriminierungsund Äußerungsverbote; 6. Denazifizierung: Ächtung von Tätern und Belasteten, Entfernung aus Ämtern, Internierung, Bestrafung; 7. De-Militarisierung; 8. Politische Kontrolle der Wirtschaft; So kam es. Nach der deutschen Kapitulation suspendierten die Alliierten Deutschland als Völkerrechtssubjekt und übernahmen die Regierungsgewalt. Das Land wurde in den Grenzen von 1937 von russischen, britischen, französischen und US-amerikanischen Truppen besetzt; 1949 würde man ihm neue Verfassungen oktroyieren, seine Souveränität würde es erst 1990, 40 Jahre später, nach Ende der deutschen Teilung mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag wiedererlangen, erst zu diesem Zeitpunkt endete die Nachkriegszeit mit den noch bestehenden Besatzungsbestimmungen. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher wurden 12 der 24 Angeklagten zum Tode verurteilt und hingerichtet, weitere Prozesse der einzelnen Besatzungsmächte folgten, darunter die der USAdministration gegen Ärzte und Juristen, Manager, Industrielle und Minister, von denen 24 zum Tode verurteilt und 12 hingerichtet wurden. Zusammen mit den verfassungskonstituierenden und mentalitätspolitischen Maßnahmen scheinen im Potsdamer Abkommen bereits alle Faktoren und Themen auf, die in den folgenden Jahren und Jahrzehnten im Umgang mit dem Nationalsozialismus, später im Umgang mit diktatorischen Staaten und sog. ‚failed states‘ eine Rolle spielen sollten. Das Abkommen, ob in der Praxis nun ganz oder teilweise angewendet, umgangen, bekämpft oder ignoriert240, enthält gewissermaßen die strukturelle Matrix jener Vergangenheitsbewältigung, die das Deutschland der Nachkriegszeit wesentlich konstituieren und prägen würde und deren Elemente sich in den Transformationsprozessen vieler Staaten in der Phase der dritten Demokratisierungswelle ab den 1970er Jahren wiederfinden. Und ebenso wie in letzteren spiegeln sich auch in der Umsetzung dieses ersten großen Projekts der Vergangenheitsbewältigung die Unzulänglichkeiten und Begrenzungen politischen Handelns und die unterschiedlichen Interpretationen aufgrund divergierender Interessen und Weltbilder.

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Alliierte Differenzen West-Ost Über die Notwendigkeit, dem nationalsozialistischen Expansions- und Unterwerfungsstreben ein Ende zu setzen und über die Ungeheuerlichkeit der Verbrechen bestanden kaum Differenzen. Über die strukturellen Ursachen und die notwendigen Schlussfolgerungen schon. Das eine führte zu einer befristeten und zweckgebundenen Übereinstimmung zwischen Westen und Osten, das andere war von Anfang an integraler Bestandteil der ideologisch-politischen Differenzen. Sie wurden sichtbar in den unterschiedlichen politischen Ordnungen, die die Alliierten ihren jeweiligen deutschen Besatzungszonen auferlegten. Die westliche Seite strebte eine liberale, demokratische und sozialstaatliche Republik mit den Menschenrechtsgarantien vor allem der ersten Generation an. Zwar stellten die Westalliierten auch in ihren Zonen die alten ökonomischen Machtagglomerationen und Netzwerke der Deutschen unter Kuratel oder lösten sie auf. Aber das war nicht Ausdruck eines umstürzenden gesellschaftspolitischen Programms; die privatrechtliche Eigentumsordnung stand nicht in Frage, das Bürgerliche Gesetzbuch behielt seine Gültigkeit. Auf der anderen Seite strebte die sowjetische Besatzungsmacht die Staatsform einer Volksdemokratie als Alternative zu liberalen Demokratien an; sie forcierte die Herausbildung eines wohlfahrtsstaatlich-autoritären Regimes, das ungeachtet eines formal bestehenden republikanischen Mehrparteiensystems auf den Prinzipien des demokratischen Zentralismus und der Diktatur des Proletariats beruhte – de facto auf dem Machtmonopol einer hierarchisch organisierten Kaderpartei stalinistischen Zuschnitts unter Verzicht auf die Gewaltenteilung von Exekutive, Legislative und Judikative. Im Unterschied zum Westen machte man hier die zweite Generation der Menschenrechte und, daraus abgeleitet, eine sozialistische Eigentumsordnung, zum Kern der neuen Verfassung. Gerade die Punkte 4 und 8 des Potsdamer Abkommens betrachtete man gemäß der Agententheorie der Komintern von 1935 als unumgängliche und wichtigste Voraussetzung, um die Wiederholung der Vergangenheit unmöglich zu machen. Hier standen sich also Richtungsentscheidungen gegenüber: auf der einen Seite Erhalt der klassischen liberalen und bürgerlichen Freiheiten unter Einbeziehung sozialstaatlicher Elemente, auf der anderen Beseitigung von Ausbeutung, Armut und Not durch eine neue, in diesem Fall sozialistische Eigentumsordnung – beides im Grundsatz und auf dem Papier durchaus ehrenwerte Zielsetzungen. Aber hier verliefen seit dem 19. Jahrhundert auch die alten scharfen und allzu oft blutigen Konflikte zwischen liberalem Bürgertum und sozialistischen resp. sozialdemokratischen Arbeiterbewegungen. Sie wurden nun nicht mehr allein auf der

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Straße, in den Fabriken und den Parlamenten ausgetragen, sondern auch auf globalem diplomatischen Parkett. Der Kampf um die erfolgreiche Verbreitung der je eigenen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung bildete eine neue Folie im alten Spiel um geopolitische Machtpositionen und Einflusssphären, in der sich die strukturell ähnlichen liberalen Staaten des Westens gegenseitig belauert und bekämpft hatten. Dieses Spiel war ja trotz des zeitweiligen Zusammengehens nie ganz suspendiert, aber jetzt kamen zu den alten Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen die ideologischen Konflikte hinzu. Die gemeinsamen Ziele und die Kooperation hatten eine durchaus vielversprechende Ouvertüre für eine neue Weltordnung gebildet. Sie basierte auf dem gemeinsamen Interesse an der Beendigung der nationalsozialistischen Herrschaft. Nun begann sich diese Interessengemeinschaft aufzulösen.241 Die westlichen Großmächte hatten nicht die Absicht, ihre im 19. Jahrhundert erreichte geopolitische Dominanz mitsamt den kolonialen und postkolonialen Einflusssphären preiszugeben. Ebenso verfolgte die Sowjetunion mit gewissen Modifizierungen ihr altes Konzept des Revolutionsexports und der Ablösung des Kapitalismus durch die Diktatur des Proletariats. Sie unterstützte die Befreiungsbewegungen in den immer noch zahlreichen Kolonien der Europäer nach Kräften, und sie nutzte die Ergebnisse des Weltkrieges, um den osteuropäischen Staaten ihr eigenes politökonomisches System zu oktroyieren und sie zugleich als Pufferstaaten zwischen sich und den Westen zu bringen. Ähnlich betrachteten die USA die Westbindung Westdeutschland als Schutzvorkehrung gegen etwaige Invasionsgelüste der Sowjetunion und gegen die Gefährdung ganz Westeuropas. Vereinte Nationen und Menschenrechte in den 1940er Jahren Diese grundsätzlichen Differenzen prägten die Debatten um die Gründung einer neuen Organisation der Völker – und um die Menschenrechte. Im Vordergrund stand hauptsächlich das Ziel der Gründung einer funktionierenden Weltorganisation, einer Weltregierung, die die Schwächen des alten Völkerbundes vermied. Und selbst deren spätere Gestalt sollte sich erst mit der Zeit herausbilden. Die Gründungsphasen waren keineswegs nur mit den edlen Motiven verbunden, die durch die späteren Erzählungen von den „Meilensteinen der Menschheit“ gern suggeriert werden, denn bei den Großen bestand keineswegs Einigkeit. So spielte Churchill eher mit dem Gedanken eines weltumspannenden angelsächsischen Empires und setzte in der Praxis auf Kooperation und Absprachen mit den USA, Australien und Canada, Stalin war an Bündnissen zur Bil-

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dung von Pufferstaaten interessiert, und Roosevelt hatte mit Widerstand im eigenen Land zu kämpfen, insbesondere mit denjenigen Kräften, die lieber wieder zum Isolationismus der USA zurückgekehrt wären.242 Die Menschenrechte hatten in den Überlegungen der Anti-Hitler-Koalition zunächst nur eine marginale Rolle gespielt. Das Konzept sah man eher als kriegspropagandistisches Mittel und als Instrument der Stärkung des Zusammenhaltes innerhalb der Anti-Hitler-Koalition. So fanden sich im ersten Gründungsentwurf von Dumbarton Oaks 1944 zwar schon die späteren Organisationsstrukturen der Vereinten Nationen, aber die Menschenrechte wurden lediglich an einigen wenigen Stellen des Textes erwähnt – und das auch nur in allgemeiner und unverbindlicher Form. 243 Doch die federführenden Staaten USA, Großbritannien, Sowjetunion und China hatten die Wirkungen der Rooseveltschen Ideen und der Atlantik-Charta auf die Weltöffentlichkeit unterschätzt, der Geist war aus der Flasche; er ließ sich nicht ohne weiteres zurückbefördern, die Idee der Menschenrechte entwickelte eine ungeahnte Eigendynamik und Sprengkraft.244 Auch wenn die Initialzündung von den Großmächten der Anti-Hitler-Koalition, insbesondere von den USA, ausgegangen war, so verdankte sich die weitere Erfolgsgeschichte der Menschenrechte der vielfältigen internationalen Resonanz, etwa dem Engagement kleinerer Staaten, lateinamerikanischer Bündnispartner oder der weltweiten Öffentlichkeitsarbeit engagierter Zivilorganisationen, die bei allen weltanschaulichen Differenzen der diversen sozialdemokratischen, sozialistischen, antikolonialistischen und bürgerlichen Strömungen gemeinsame Schnittmengen aufwiesen. Daneben waren es, ähnlich wie schon beim Zustandekommen der Genfer Konvention 80 Jahre zuvor, einzelne Persönlichkeiten, die, wie Eleonore Roosevelt, den Kampagnen ein Gesicht gaben und öffentlichkeitswirksam dafür warben, dass die Sicherung des Friedens ohne Menschenrechtsgarantien nicht zu haben war.245 Hinter den Kulissen knüpften Fachleute, hier vor allem zu nennen der ehemalige Völkerbund-Diplomat René Cassin, wirksame diplomatische Netzwerke. Cassin, der bereits seit Jahrzehnten am Problem der Einschränkung staatlicher Souveränität zugunsten der Menschenrechte gearbeitet hatte und sich als Mitglied fast aller wichtigen Konferenzen „stets am Puls dieser juristischen Suchbewegungen“ befand246, gilt inzwischen als einer der wichtigsten Akteure bei der Weiterentwicklung der Menschenrechte. Dass der Beschluss von 1948 den Titel „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ und nicht „Internationale Erklärung der Menschenrechte“ erhielt, ist letztlich auf seine Arbeit zurückzuführen. Der Unterschied ist gravierend, denn damit wurde deutlich, dass der Text nicht nur als Abkommen zwischen Staaten zu interpretieren war, sondern jeden einzel-

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nen betraf.247 Für sein Lebenswerk erhielt Cassin 1969 den Friedensnobelpreis. In den antikolonialen Befreiungsbewegungen nahmen der spätere indische Ministerpräsident Jawaharlal Nehru oder der junge Nelson Mandela die Idee des Selbstbestimmungsrechts der Völker auf und propagierten sie gegen die Position etwa Winston Churchills, der dieses Recht für das britische Empire schon bei der Abfassung der AtlantikCharta nur eingeschränkt gelten lassen wollte. 248 Auf diese Einflüsse – und nicht zuletzt, da scheinen sich die Historiker einig, auf glückliche Fügungen249 – ist es schließlich zurückzuführen, dass man in einem neuen Entwurf die Achtung der Menschenrechte als Prinzip verankerte und von Beginn an eine Menschenrechtskommission einrichte. 250 Derart verändert wurde der Text als Charta der Vereinten Nationen 1945 verabschiedet, und bereits 1946 erhielt die neue Menschenrechtskommission den Auftrag, drei Entwürfe vorzulegen: a) eine Menschenrechtserklärung („Bill of Rights“), b) eine Konvention, die diese Erklärung für die Mitgliedstaaten rechtsverbindlich machen sollte und c) eine Liste konkreter Durchsetzungsmaßnahmen (Implementation), die Petitionsverfahren, juristische und politische Interventionsmöglichkeiten umfasste. Der erste Auftrag stellte kein Problem dar, der Text traf auf allgemeine Zustimmung und wurde 1948 in Paris als „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ beschlossen. Das Dokument hatte in dreifacher Hinsicht historische Bedeutung: Es war, 320 Jahre nach Grotius’ und 250 Jahre nach Kants weitsichtigen Überlegungen, die erste ernstzunehmende Absichtserklärung einer weltweiten Staatenversammlung; es machte die Menschenrechte zum inhaltlichen Kern einer zukünftigen völkerrechtlichen Ordnung; und es enthielt zudem erstmals die Menschenrechte der ersten Generation (die sog. Abwehrrechte, also die klassischen politischen und bürgerlichen Rechte) gemeinsam mit den Leistungs- und Teilhaberechten, d.h. den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Allerdings: Die Erklärung hatte rein deklaratorischen Charakter – außer ihrem moralischen Gewicht besaß sie keinerlei völkerrechtliche Bindungskraft. Daraus mochten sich auch zu einem Gutteil die breite Zustimmung und die relativ reibungslose Annahme durch die Vereinten Nationen erklären. Es war „der letzte politische und moralische Akt“ der Siegermächte, wie Prost/Winter schreiben. 251 Die Schwierigkeiten begannen, als sie mit der Konvention rechtsverbindlich und mit der Implementationsliste konkret einklagbar werden sollte. Man muss erwähnen, dass zu diesem Zeitpunkt die unmittelbare Betroffenheit der Erlebnisse von Krieg, Tod und Not bereits verblasst war; vor dem Hintergrund der ideologischen Auseinandersetzungen wich die anfängliche Euphorie der

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Menschenrechts-Initiativen allgemeiner Ernüchterung, die Niederungen der geopolitischen Tagespolitik forderten ihr Recht. Plötzlich gab es gegen die Verabschiedung der Konvention Widerstand aus allen Ecken; wechselnde Koalitionen mit unterschiedlichsten Interessen bildeten sich: Das betraf zum ersten die inhaltliche Frage, welche Rechte überhaupt in die Erklärung aufgenommen werden sollten. Eine Reihe westlicher Staaten, allen voran die USA und Großbritannien, wehrte sich gegen die Gleichstellung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte mit den klassischen bürgerlichen Rechten, sie wollte eine Aufteilung der Verträge und einen Vorrang der bürgerlichen Rechte 252, was wiederum von den osteuropäischen Staaten abgelehnt wurde. In diesen Auseinandersetzungen spielte die liberale europäische Verfassungstradition eine Rolle: Die bürgerlichen Rechte auf Freiheit und Unverletzlichkeit der Person (etwa Verbot des Freiheitsentzuges ohne Gerichtsurteil, Rede- und Glaubensfreiheit, Recht auf Privateigentum) waren als Abwehrrechte gegen den absolutistischen Staat entwickelt worden. Soziale Leistungs- und Teilhaberechte wie das Recht auf Bildung oder auf allgemeine Gesundheitsvorsorge, wie sie inzwischen viele Verfassungen des Ostblocks und der Dritten Welt garantierten, galten hingegen als Bedrohung westlicher Politik- und Rechtstraditionen. Sie wurden im Unterschied zu den als absolut gesetzten bürgerlichen Rechten als relative Rechte betrachtet, deren Gewährleistung abhängig war von den sozialpolitischen und ökonomischen Möglichkeiten des Staates253 – was vieles bedeuten konnte, vor allem vor dem Hintergrund je wechselnder Verteilungs- und Steuerpolitik. In diesem Punkt wollte man keinerlei verbindliche Verpflichtungen eingehen. Dieser grundsätzliche Positionsunterschied der Alliierten hatte sich bereits bei den Nachkriegsplanungen für Deutschland gezeigt. Nun wurde er zentraler Streitpunkt der Menschenrechtsdebatten und zugleich Instrument des Kalten Krieges, in dem die Sowjetunion die eigenen „Erfolge in Bildung und sozialer Sicherheit hervorhob und das Versagen der kapitalistischen Länder an Beispielen wie Rassendiskriminierung, Arbeitslosigkeit, Kolonialisierung herausstellte“254, während der Westen umgekehrt das Fehlen bürgerlicher Rechte in den staatssozialistischen Systemen monierte. So sehr sich die Geister in der Frage der Gleichberechtigung der bürgerlichen und sozialen Rechte schieden: beide Gruppen hintertrieben gemeinsam das, was die Fachleute Implementationsmechanismen nennen. In diesem Fall ging es um das Recht jedes Bürgers auf individuelle Petitionen bei Menschenrechtsverstößen ihres Staates, um die Schaffung eines internationalen Rechtsschutzes255 und um gesicherte Klagewege. Das berührte das alte Problem der Einschränkung staatlicher Souveränität

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durch verbindliche Übernahme internationaler Rechtssätze in die nationalen Rechtssysteme und durch die Anerkennung supranationaler Gerichte. Für die Mitgliedsstaaten bargen Unterschrift und Ratifizierung das Risiko, bei Rechtsverstößen vor Gericht gezerrt zu werden und möglicherweise Sanktionen der Vereinten Nationen ausgesetzt zu sein; derlei wurde als Einschränkung staatlicher Souveränität gewertet, die zudem die Immunität der Staatsorgane, etwa der jeweiligen verantwortlichen Regierungschefs, unterminierte. Die Großmächte sahen nunmehr die Menschenrechte nicht mehr als Garanten, sondern als Gefährdung des Weltfriedens, da sie einen „direkten Angriff auf die staatliche Souveränität“ darstellten.256 Der Historiker Jan Eckel schreibt dazu lakonisch, dass „der unerschütterliche Wille der allermeisten Staaten, letzteres zu verhindern, [...] ein weiteres Grundmotiv [beleuchtet], das die Menschenrechtsarbeit der Vereinten Nationen prägt.“ 257 Die dekolonisierten afroasiatischen Staaten befürworteten das Petitionsrecht, die Sowjetunion lehnte es ab, weil sie aus verschiedensten Gründen Interventionsmöglichkeiten fremder Staaten argwöhnte.258 Die US-Regierung fürchtete Prozesse wegen der Diskriminierung ihrer afroamerikanischen Bevölkerung – ein Anklagepunkt, der von den osteuropäischen Ländern immer wieder vorgebracht worden war, um die USA zu diskreditieren. 259 Die Briten hatten zunächst über ein kompliziertes Verfahren nachgedacht, das legitime Petitionen zuließ, aber kommunistischen Machtmissbrauch ausschließen sollte. Das allerdings war praktisch undurchführbar, und so setzte sich schließlich das britische Kolonialministerium mit seiner ablehnenden Haltung durch, nach der mit Blick auf die eigene Kolonialpolitik „das Kolonialreich als Ganzes einer äußerst schädlichen Kritik ausgesetzt würde“.260 Als dann in den 1960er Jahren die Verhandlungen über die sog. Menschenrechtspakete geführt wurden, die endlich die Menschenrechtserklärung von 1948 verbindlich machen sollten (1966 als Teil der Menschenrechtspakte, zu denen auch der Sozialpakt gehörte, verabschiedet), vollzogen die westeuropäischen Staaten eine Kehrtwende: Sie sprachen sich nun für ein Petitionsrecht aus, da sie sich, wie Ridder schreibt, wegen der „Entlassung großer Teile ihres kolonialen Besitzes in die Unabhängigkeit nicht mehr um Klagen der dortigen Bevölkerung Sorgen machen“ mussten.261 In ähnlicher Weise lavierten in den Nachkriegsjahrzehnten die gerade erst dekolonisierten Nationalstaaten zwischen der Verpflichtung auf die Menschenrechte und der Sorge um ihre nationale Souveränität. 262 Einerseits warf man den Kolonialmächten – nicht zu Unrecht – vor, mit doppelten Standards zu agieren, d.h. Menschenrechte einzufordern, zugleich aber an den Kolonien festzuhalten und dies, wenn nötig, mit Gewalt,

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Notstandsgesetzen und Folter durchzusetzen.263 Aber in den folgenden Verhandlungen über die erwähnten Menschenrechtspakte kam der Widerstand gegen das Petitionsrecht gerade von diesen Staaten. Zentral wichtig war ihnen das Selbstbestimmungsrecht, das mit ihren Stimmen und mit der Unterstützung des Ostblocks an die Spitze der Menschenrechtspakte gesetzt und damit im Menschenrechtskatalog ganz oben angesiedelt wurde.264 Wie Andreas Eckert urteilt, war das politische Ziel der Dekolonisierung wichtiger als die Umsetzung der Menschenrechte – oder zugespitzt gesagt: „In den afrikanischen ‚Torwächter‘-Staaten 265 […] nahmen […] die Menschenrechte auf der Prioritätenliste der Regierenden keinen prominenten Platz ein.“266 Ein weiterer Grund für die zunehmenden Differenzen lag im grundlegenden Kurswechsel der US-Menschenrechtspolitik: Schon vor der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hatte sich der Wind in den USA gedreht, in der öffentlichen Diskussion war es nicht mehr ratsam, daran zu erinnern, dass die Großen Drei die Vereinten Nationen gemeinsam geplant hatten267; die USA verabschiedeten sich von der alten Rooseveltschen Politik der vier Freiheiten. Im Februar 1948 schrieb der einflussreiche Chefplaner des US-Außenministeriums, George Kennan: „Wir sollten Abstand davon nehmen, über unbestimmte – und in Bezug auf den Fernen Osten – unrealistische Zielstellungen wie Menschenrechte, Hebung des Lebensstandards und Demokratisierung zu sprechen. Der Tag ist nicht fern, an dem wir uns mit direkten Machtkonzepten befassen müssen. Je weniger wir durch idealistische Schlagwörter behindert sind, desto besser.“268

Das stand nun im deutlichen Widerspruch zur Rooseveltschen Politik, die stark von der Vision der Universalität der Menschenrechte unter Einbeziehung der ökonomischen Rechte getragen war. Mit dem als KennanMemorandum bekannt gewordenen Papier begann jene Linie der US-Außenpolitik, die unter dem Generalziel der Kommunismus-Bekämpfung und der Pax americana in den nächsten Jahrzehnten selbst demokratische Entwicklungen, nationale Unabhängigkeits- und soziale Reformbewegungen unter Generalverdacht stellte und bekämpfte. Diese Politik reichte vom Putsch gegen die Regierung Mossadegh 1953 im Iran über den Sturz des guatemaltekischen Präsidenten Guzmán, die Ermordung Patrice Lumumbas im Kongo, die Unterstützung des Völkermordes in Indonesien bis hin zum Vietnamkrieg und der Unterstützung neoliberaler Militärdiktaturen in Süd- und Mittelamerika. Sie entsprach damit letztlich der Politik der Sowjetunion, die die Protest- und Reformbewegungen in der DDR 1953, in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968 ähnlich blutig beendete. Unter der Logik der ideologisch-militärischen Blockkonfrontation, die keine Zwischentöne, sondern nur Freund oder

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Feind kannte, wurden die alten Kämpfe um geopolitische Dominanz und die neuen um die Vorherrschaft unterschiedlicher politökonomischer Systeme ab Ende der 1940er auch auf dem internationalen Feld der Menschenrechtsdebatten ausgetragen. Der Schwung der Anfangsbewegung erlahmte im Minenfeld des Kalten Krieges, der Blockade des Sicherheitsrates, der Konflikte um die Gleichstellung der zivilen und sozialen Menschenrechte, der Befürchtungen um die Aufgabe nationalstaatlichen Souveränität und schließlich der Ängste aller, sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit wegen etwaiger Verstoßes gegen Gewaltverbot und Menschenrechte einer supranationalen Rechtsprechung unterwerfen zu müssen oder sich gar Interventionen der Vereinten Nationen ausgesetzt zu sehen. Obwohl sich die Entwicklung ab den 1990er Jahren nach einer langen Latenzphase wieder beschleunigte, ist die Entwicklung der Menschenrechte zu einem universalen, wirksam einklagbaren Schutz- und Anspruchskatalog auch nicht annähernd gelöst. Das gilt für das Problem der Individualbeschwerde und der Bürgeranrufung eines internationalen Gerichtshofes, und das gilt trotz aller Kompromisse bei den Menschenrechtspakten von 1966 auch für die Gleichstellung der Menschenrechte der ersten und zweiten Generation.269 Es wäre allerdings verfehlt, die vier Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur unter dem Aspekt enttäuschter Erwartungen und unerreichter Zielsetzungen zu sehen. Die Lähmung des kollektiven Sicherheitssystems verhinderte nicht, dass sich die Vereinten Nationen in den folgenden Jahrzehnten durchaus erfolgreich anderen Aufgabenbereichen wie etwa Menschenrechtsschutz, Weiterentwicklung des Völkerrechts oder der Entkolonialisierung zuwandte. In diesem Punkt war ihre Attraktivität ungebrochen. Bis Mitte der 1960er Jahre stieg die Zahl der Mitglieder von 50 auf 118 an, wobei sich der Zuwachs vornehmlich aus asiatischen, afrikanischen, ozeanischen und karibischen Ländern rekrutierte, die im Zuge der Entkolonialisierung formal unabhängig geworden waren. Das Kräfteverhältnis verlagerte sich in der Generalversammlung – wenn auch nicht im fünfköpfigen Sicherheitsrat – von den früheren Kolonialmächten auf die ehemals Kolonisierten. Die Vereinten Nationen wurden „von einem Gremium, das primär aus den Alliierten des Zweiten Weltkrieges bestanden hatte, zu einer wirklichen Weltorganisation“. 270 Neue Mehrheiten und Koalitionen bildeten sich, und 1960 setzten die postkolonialen Staaten (auf Initiative der Sowjetunion und ohne die Stimmen des Westens) das Recht auf nationale Selbstbestimmung als UN-Menschenrechtsnorm durch.271 Gerade in den von blutigen Konflikten begleiteten Entkolonialisierungsprozessen konnten die Vereinten Na-

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tionen durch Deeskalation und Vermittlung beachtliche Erfolge verbuchen. In der Folge der gewandelten Zusammensetzung und der neuen Stimmenverhältnisse wurde die Entwicklungspolitik zu einem Schwerpunkt der Arbeit, an der sich nun auch die Staaten des Ostblocks beteiligten, die bisher in diesem Punkt eine Zusammenarbeit abgelehnt hatten. Den veränderten Konstellationen verdankte sich in den 1960er Jahren schließlich die Gründung der UNCTAD (Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung). Sie war als Gegengewicht gegen die Bretton Woods-Organisationen Weltbank und Internationaler Währungsfonds gedacht, in denen die Industriestaaten aufgrund ihres nach Kapitaleinlagen bemessenen Stimmenanteils eine fast unüberwindliche Dominanz besaßen.272 Schließlich wurden 1966 endlich auch die seit 1948 strittigen Menschenrechtspakte verabschiedet. Den Zivilpakt ratifizierten bis heute – mit allen erwähnten Einschränkungen und Schwächen – 168 Staaten (ohne die Volksrepublik China und sechs weitere Staaten), woraus den Regierungen des überwiegenden Teils der Weltbevölkerung die bindende Verpflichtung zur Einhaltung der zivilen Rechte und zur Gewährung des Klagerechts ihrer Bürger erwuchs. Ähnliches gilt auch für den Sozialpakt, wobei hier die USA sich bisher einer Ratifizierung verweigerten. Zwischenbilanz So weit zu einigen völkerrechtlichen Folgewirkungen jener vergangenheitspolitischen Übereinkünfte, mit denen die Siegermächte und die verbündeten Staaten bemüht waren, die Katastrophen der beiden Weltkriege und der Weltwirtschaftskrise zu bewältigen. Dass sie Gegenstand höchst unterschiedlicher Auslegung und Anwendung waren, verweist auf eine Grundbedingung von Vergangenheitsbewältigung: Die Interpretation der Vergangenheit richtet sich nach den jeweiligen Bedürfnissen zur Gestaltung von Gegenwart und Zukunft. Instrumentalisierung ist daher eine universale und unhintergehbare Eigenschaft nicht nur jedweder Vergangenheitsbewältigung, sondern überhaupt jeder Bezugnahme auf Geschichte, in welcher Form auch immer.273 Und doch hatte das Unterfangen bei allen Schwächen und blinden Flecken, bei allen Volten und Wendungen seiner Entwicklung eine ganz andere Qualität als der Versailler Vertrag oder der Wiener Kongress. Dieses erste große Projekt moderner Vergangenheitsbewältigung mit seinen ungeheuer komplizierten Abstimmungsprozessen, diametral entgegengesetzten Interessen und seiner Vielzahl an beteiligten Experten, Parteien, Regierungen, NGOs und Politikern unternahm nichts weniger als

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den Versuch, dem Wesen gesellschaftlicher Gewalt mitsamt den menschlichen Motiven, den strukturellen Ursachen und auslösenden Faktoren auf die Spur zu kommen und die Konsequenzen daraus völkerrechtlich und politisch abzusichern. Dabei spielten die Ansätze zur Beendigung oder zumindest Milderung existentieller Bedrohung, materieller Unsicherheit, Zukunftslosigkeit und Not der Menschen keine geringe Rolle. Das Ergebnis war eine ganze Serie historischer Premieren und Zäsuren. Neu war, dass mit dem globalen Siegeszugs des Selbstbestimmungsrechts und mit den Dekolonisierungsprozessen jenes Prinzip des souveränen Territorial- und Nationalstaates universal wurde, das die alten Kolonialstaaten bis dahin exklusiv für sich beansprucht hatten. Es endete die Beschränkung des Völkerrechts auf die europäischen Staaten und die Exklusion derjenigen politisch-kulturellen Gemeinschaften, die man bis dahin immer noch als unzivilisiert angesehen hatte.274 Neu war, dass im Europa der Nachkriegszeit nach langen Jahrhunderten blutiger feudaler und imperialer Konkurrenz und globaler Herrschaftsansprüche nun endlich ein nachhaltiger Bruch mit alten moralischen und politischen Gewissheiten vollzogen wurde. Die europäische Epoche globaler Entwicklung, die letztlich die großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hatte, war zumindest vom kolonialen Besitz her an ihr Ende gekommen. Dass sie in politischen und ökonomischen Strukturen fortdauert und sich die europäische Konkurrenz- und Expansionsdynamik nun zu einer globalen ausgeweitet hat, steht auf einem anderen Blatt. Zunächst aber führten die Krisen des politischen Liberalismus, des Nationalstaats und des Kolonialismus 275 zu einem anderen Verständnis europäischer Identität. Es basierte zunächst einmal auf, wie Weinke schreibt, ‚gewaltentsagendem Diskurs‘ und ‚Nie-wiederKrieg-Motiven‘276 und bezog sich – im Unterschied zur Vorkriegszeit – nun wesentlich und vor allem auf die Menschenrechte. Während dem Nie-wieder-Krieg-Motiv, wie wir wissen, keine lange Lebensdauer beschieden war, wurden die Menschenrechte zu einem festen Bestandteil europäischer Identität, ablesbar etwa in der Gründung des Europarates 1949, der Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950, der Konstituierung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 1959 – bis hin schließlich zur Implementierung der Menschenrechtspakte in die EU-Verträge von Maastricht und Lissabon. Neu war die Ächtung des Krieges, insbesondere des Angriffskrieges. Neu waren die tiefen Eingriffe fremder Mächte in die inneren Verhältnisse eines besiegten Staates, wie sie im Interventionskatalog des Potsdamer Abkommens und in den alliierten Strafprozessen in Nürnberg und Tokio und deren Folgeprozessen sichtbar wurden. Mit ihnen begann die Ära ei-

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nes Völkerstrafrechts mit fest umrissenen Tatbeständen und konkreter transnationaler Gerichtsbarkeit, die Ära dessen, was wir heute „transitional justice“ nennen. In diesen Punkten endete das 300 Jahre gültige menschenrechtsferne Völkerrechtssystem des Westfälischen Friedens mit seinem strikten Souveränitäts- und Immunitätsreglement trotz aller Widerstände gegen befürchtete Souveränitätsverluste. Es begann die Ära eines universalen Völkerrechts, dessen Dreh- und Angelpunkt die Menschenrechtserklärung von 1948 wurde. Neu war schließlich auch, dass die Siegermächte nun mit den jahrhundertealten Traditionen brachen, Schweigen und Amnestie über die im Krieg begangenen Verbrechen zu verhängen und sich von kurzsichtigen Eigeninteressen und Rachegedanken leiten zu lassen. Gerade für die besetzten oder angegriffenen Staaten und für die von den Deutschen zur physischen und kulturellen Auslöschung vorgesehenen jüdischen und osteuropäischen Bevölkerungen hätte es für eine umfassende Abrechnung nachvollziehbare Gründe gegeben. Überlegungen dazu waren durchaus vorhanden. Selbst der im April 1945 verstorbene Roosevelt, der mit seinen humanitären Weltordnungsvisionen die Anti-Hitler-Koalition mehr als jeder andere geprägt hatte, war nicht frei davon.277 Dass es bei allen Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten278, die die Nachkriegsregelungen der Alliierten begleiteten, nicht zur großen Abrechnung, zur Kollektivbestrafung und zu einem unwiderruflichen Ausschluss Deutschlands aus der Völkergemeinschaft kam, sondern stattdessen zum Wiederaufbau des Gegners und gleich zu einem Schritt in eine ganz neue Weltordnung, war nicht selbstverständlich – und ebenso wenig, dass man letztlich doch die Fehler von Versailles 1919 in die Rechnung einbezog.279 Denn nichts war anfangs unstrittig, weder das Ziel der Re-Integration, der Re-Sozialisierung der Besiegten und das Fortbestehen ihrer Nationen280 noch die nach anerkannten Rechtsgrundsätzen durchgeführten Prozesse und schon gar die Charta der Menschenrechte, und oft standen die Dinge auf des Messers Schneide. Balzac lässt in seinem ‚Haus Nucingen‘ den Protagonisten Bixiou ein Wort Heinrichs II. zitieren: ‚Es gibt keine absolute Tugend, nur Gelegenheiten und Umstände.‘ Und tugendhaft war keiner derjenigen, die im Zentrum dieser historischen Entwicklung standen.281 Alle Großmächte hatten sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht, wenn auch außer Frage steht, dass Deutschlands Vernichtungspolitik exzeptionell war. Keiner hatte eine weiße Weste. Augstein schrieb in seinem berühmten ‚Schiefe-Ebene‘-Artikel von 1985: „Das Gespenstische an der Potsdamer Konferenz lag darin, dass hier ein Kriegsverbrechergericht von Siegern beschlossen wurde, die nach den Maßstäben des späteren Nürnberger Prozesses allesamt hätten hängen müssen. Stalin zumindest für Katyn, wenn nicht überhaupt. Truman

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Der Zweite Weltkrieg und die Anti-Hitler-Koalition für die völlig überflüssige Bombardierung von Nagasaki, wenn nicht schon für Hiroshima, und Churchill zumindest als Oberbomber von Dresden, zu einem Zeitpunkt, als Deutschland schon erledigt war. Alle drei hatten sogenannte ‚Bevölkerungsumsiedlungen‘ verrückten Ausmaßes beschlossen, alle drei wussten, wie verbrecherisch diese vor sich gingen. Gemessen am Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Sauckel, der Hitler die Arbeitskräfte zutreiben musste, hätten sie alle drei hängen müssen. Denn sie haben sowohl angeordnet wie gewusst, was man von dem Tölpel Sauckel nicht unbedingt sagen kann. Auch gemessen an Generaloberst Jodl wäre ihr Schicksal der Strick gewesen.“282

Dem kann man folgen. Aber ebenso und mit guten Gründen kann man der Sichtweise des damaligen US-Chefanklägers Jackson folgen. Für ihn war der Beschluss der Sieger, nicht Rache zu üben, sondern die gefangenen Feinde freiwillig dem Richtspruch der Gesetze zu übergeben, „eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, die die Macht jemals der Vernunft“ einräumte.283 Gerade wegen aller dieser Umstände ist es umso höher zu bewerten, dass daraus ein ethisch unterfüttertes internationales Recht entstand, das sich von der Politik zu emanzipieren und ein Eigenleben als wirksamer Akteur neben Politik und Wirtschaft zu führen begann. So gesehen, war die Politik der Alliierten während des Zweiten Weltkrieges und in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein großer Wurf, ein Erfolg, der die Menschenrechtsdiskussion bis heute prägt und den die Machtpolitiker aller Couleur schon allein wegen ihrer bloßen normativen Kraft nicht ignorieren können. Die düstere, aber keineswegs unrealistische Sicht auf das Wesen des Menschen, die etwa William Golding im ‚Herrn der Fliegen‘ als seine persönliche Verarbeitung des Zweiten Weltkriegs anbot, hatte sich so extrem denn doch nicht bestätigt. 284 Die Zusammenarbeit der in ihren politischen Voraussetzungen eigentlich unvereinbaren Mächte in der Anti-Hitler-Koalition und das letztlich daraus erwachsene neue, nun humanitäre Völkerrecht war das Ergebnis zufälliger Konstellationen, wechselnder Mehrheiten, neuer Frontbildungen, tagespolitischer Entscheidungen, machtpolitischen Kalküls und ein Verdienst engagierter Einzelner, die das Glück des richtigen Moments auf ihrer Seite hatten. Unter diesen Aspekten war die Geschichte der Menschenrechte, wie Hoffmann schreibt, das „Produkt einer globalen Gewalt- und Konfliktgeschichte [...] die kein Telos besitzt und auch ganz anders hätte verlaufen können“.285 Aber es war auch das Ergebnis der Kompromissfähigkeit der Beteiligten, ein Sieg menschlicher Vernunft, der Einsicht in den Zwang zur Kooperation286 und in die Not-Wendigkeit, die globale Bedrohung, die der Menschheit aus der Gewaltpolitik der Achsenmächte erwuchs, zu beenden. Und schließlich war es das Resultat eines wachsenden und konstruktiven Geschichtsbewusstseins, in dem die Ergebnisse historischer und sozialwissenschaftlicher Forschung unmittelbarer Be-

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standteil dessen wurde, was Annette Weinke als „punitive Geschichtskultur“ bezeichnet.287 Juristische und historische Argumente begannen, Hand in Hand zu gehen. Geschichte wurde zum Zeugen und Sachverständigen für Tathergang, Motive, Umstände, Vorgeschichte und rechtliche Bewertung, zur Grundlage neuer juristischer Standards – und umgekehrt wurden juristische Kriterien zum Kompass historischer Forschung. Nicht umsonst begann die Urteilsbegründung des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg mit dem ausholenden Satz: „Am 5. Januar 1919, noch keine zwei Monate nach dem Abschluss des Waffenstillstandes, der den ersten Weltkrieg beendete und sechs Monate vor der Unterzeichnung der Friedensverträge zu Versailles, entstand in Deutschland eine kleine politische Partei, die sich die Deutsche Arbeiterpartei nannte.“288 So gesehen muss der Rückgriff auf historische Erfahrungen doch nicht immer nur dem Versuch gleichen, sich „an den Wogen festzuhalten“, wie am Ende des ersten Abschnitts gesagt. So gesehen auch lässt sich vielleicht besser nachvollziehen, was der Journalist Thomas Darnstädt in einem Feature über die Anti-Hitler-Koalition befand: dass der Zweite Weltkrieg ein „Glücksfall der Geschichte“ gewesen sei.289 Aber er meinte selbstverständlich nicht den zweiten Weltkrieg und die nationalsozialistische Eroberungs- und Vernichtungspolitik, er meinte die fast unwahrscheinliche Kooperation der ungleichen Alliierten und deren Schlussfolgerungen aus dem Krieg und dessen langer Vorgeschichte.

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Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Alle diese Entwicklungen bilden den Hintergrund der deutschen Debatten um Neubeginn und Aufarbeitung des Vergangenen unter dem Regime der alliierten Besatzungsmächte. Der nationale Umgang mit der Vergangenheit war von Anfang an von internationalen Erwartungen und Interventionen begleitet290, wobei allen Beteiligten klar war, dass eine formelle und informelle Wiedereingliederung Deutschlands in die Völkergemeinschaft ohne einen dezidierten Standpunkt zur Vergangenheit und zur Abwehr neuer rechtsnationalistischer Tendenzen nicht zu haben war.291 So weit bestand Einigkeit zwischen den wieder zugelassenen und unbelasteten Kräften in den Besatzungszonen, einschließlich der KPD. Ebenso gab es keine unüberbrückbaren Differenzen in der Zielsetzung, einen demokratisch-parlamentarischen Rechtsstaat liberaler Prägung mit Teilung der Gewalten zu konstituieren. In Fragen nach den Ursachen des Geschehenen dafür umso mehr. Hier gingen die Interpretationen ebenso so weit auseinander wie zwischen den Alliierten. Im Umfeld der Kirchen und des konservativen Bürgertums etwa wurde die Herausbildung des totalitären Staates u.a. auf das Verschwinden althergebrachter politischer und transzendentaler Ordnungen zurückgeführt, auf Säkularisierung und Vermassungsprozesse bei gleichzeitigen Individualisierungstendenzen. Warum dies allerdings ausgerechnet in Deutschland zu einer derart katastrophalen Entwicklung führte, nicht aber in den auf liberale Traditionen orientierten Staaten Europas, konnte man mit diesem Ansatz nicht erklären 292, 293 – wie überhaupt die Debatten unter „stark moralischen und abstrakten Vorzeichen“294 geführt wurden und durch Präzisionsmangel bei der Benennung von Ursachen, Verantwortlichkeiten und Funktionsweisen des Nationalsozialismus geprägt waren.295 Zudem diskutierte man, so der Historiker Eike Wiegast, „bemerkenswert selten [den] Verlust der politischen und individuellen Freiheitsrechte, wie er sich in der Absage der Nationalsozialisten an die Ideen von 1789 und in der Aufhebung dieser Rechte schon durch die Notverordnung vom 28. Februar 1933 manifestiert hatte“. 296 Diese thematischen Vernachlässigungen und Ungenauigkeiten würden in den Debatten der 1990er Jahre wieder eine Rolle spielen, als es um die inhaltliche Verengung der Vergangenheitsbewältigung und die zunehmende Fokussierung auf den Holocaust als Paradigma des Nationalsozialismus ging. Konkreter waren die Debatten über die politische Bedeutung von Eigentumsordnung und Sozial- und Wirtschaftspolitik.297 Man war sich ein gutes Jahrzehnt nach der Machtübertragung an Hitler sehr wohl bewusst, dass der Nationalsozialismus zunächst und zuvorderst auf die Beseitigung der Verfassung und der politischen und individuellen Freiheits-

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rechte zielte und danach – und noch vor der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung – auf die Eliminierung der linksliberalen, sozialistischen, sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Kräfte in Politik und Kulturleben. In der Frage des Anteils der Industrie- und Finanzverbände am Scheitern der Weimarer Republik, an der Errichtung, Stabilisierung und Expansion der NS-Diktatur und an der Vorbereitung des Krieges bestand nach 1945 zumindest für kurze Zeit zwischen Parteien und Gewerkschaften breite Übereinstimmung. Die immense politische Macht der Unternehmen im Industrie- und Bankensektor wurde „nicht nur von Kommunisten als entscheidende Voraussetzung für den Aufstieg der NSBewegung und die Errichtung des NS-Staates angesehen“. 298 Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich zu lesen, dass in den Westzonen eine umfassende Sozialisierungspolitik auch von der CDU forciert wurde, deren Ahlener Programm eine Neuordnung „von Grund aus“ forderte: „Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert[...]“.299

Das Bewusstsein von der immensen Bedeutung von Wirtschafts- und Sozialpolitik für die politische Loyalität der Bevölkerung und damit für den inneren Frieden war in den ersten Nachkriegsjahren nicht nur in der SBZ stark ausgeprägt, für die dies zum Kern der Vergangenheitsbewältigung gehörte sondern auch in den Westzonen. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass „der politischen Klasse der Nachkriegsjahre [...] noch durch eigenes Erleben die fatalen politischen Folgen der Krisenpolitik der späten Weimarer Regierungen bewusst [waren], die letztlich zum Niedergang des politischen Systems beigetragen habe“.300 Als der damalige Wirtschaftsdirektor Ludwig Erhard 1948 im Zuge der Währungsreform versuchte, freie und unregulierte Märkte durchzusetzen, stieg die Arbeitslosigkeit rapide an, und das massiven Wohlstandsgefälle wurde plötzlich sichtbar. Es kam zum einzigen Generalstreik der deutschen Nachkriegsgeschichte.301 Erhard musste seine Linie nach Intervention der Westalliierten revidieren. Abelshauser schrieb über diese Episode, dass „das Risiko eines Rückschlages [...] unter diesen Umständen umso größer [schien], als die Zahl der Arbeitslosen ständig stieg und damit auch die Gefahr innenpolitischer Instabilität [...] [D]ies war nicht nur die Auffassung des amerikanischen Direktors des Amtes für Wirtschaftsfragen der Alliierten Hohen Kommission.“302 Das Risiko eines Rückschlages bedeutete: die alten Gräben der Weimarer Republik wieder aufzureißen und

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damit die Gefahr erneuter Radikalisierung der Bevölkerung zu beschwören. Für derlei Gefahren besaß die Politikergeneration der Nachkriegszeit ein sensibles Gespür. Abelshauser charakterisiert die Weichenstellungen der ersten Jahren als Politik, in der „Prinzipien und ethische Kategorien wie Individualität, Würde, Solidarität und Pflicht [...] dem Kalkül von kurz- und langfristigen [...] Rentabilitätsüberlegungen“ den Rang abliefen. Sozialpolitik, folgerte er, wurde „letztlich nicht als Teilfunktion des wirtschaftlichen Systems gesehen, sondern im Wesentlichen als Verteilungspolitik verstanden, die tief in die Ordnung der Gesellschaft eingriff.“303 Der Erfolg des westdeutschen Wirtschaftswunders stand im Kontrast zu den Versorgungsproblemen der SBZ resp. der nun gegründeten DDR die ganz andere Reparationslasten zu tragen 304 und mit massiven Abwanderungsbewegungen technisch-industrieller Fachkräfte und Experten zu kämpfen hatte. Dort konnte man nicht, wie in Westdeutschland, mit Finanz- und Wiederaufbauhilfen rechnen. Im Verlaufe dieser Erfolgsgeschichte der Westzonen und unter dem Eindruck des Kalten Krieges rückten Gewerkschaften und SPD von ihren bisherigen Forderungen nach Sozialisierung der Schlüsselindustrien und der politischen Kontrolle der Wirtschaft ab. Am Ende stand als Kompromiss die gesetzliche Regelung weitgehender betrieblichen Mitbestimmung der Beschäftigten und die Wiederbelebung des Flächentarifvertrages. Die unbeschränkte Verfügung der Unternehmer über ihr Eigentum wurde zwar beschnitten, aber nicht, wie in der DDR aufgehoben. Im Zuge dieser Kompromisse wurden die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherungen sukzessive angehoben; die Renten, die noch direkt nach dem Krieg den sicheren Weg in die Armut bedeuteten, wurden Ende der 1950er Jahre an die Lohnentwicklung gekoppelt und stiegen um bis zu 60%; man führte das Kindergeld ein; der soziale Wohnungsbau, der, zumeist in der Regie städtischer Gesellschaften, bezahlbare Wohnungen schuf, erlebte eine Blütezeit. Träger und Motor dieses ordnungspolitischen Kompromisses war die große Koalition der Sozialpolitiker von CDU und SPD, die sich – mit Unterstützung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – an den Zielen größtmöglicher sozialer und politischer Stabilität unter demokratischen Verhältnissen orientierte. Die Linie des „staatlichen Sozialinterventionismus“305 entsprach dem Trend in den wichtigsten Industrienationen ab den 1920er Jahren.306 Ab hier entwickelte sich jene spezifische deutsche Form sozialer Demokratie, die bis heute als „soziale Marktwirtschaft“, als „Rheinischer Kapitalismus“ oder auch als „konservativkorporatistisches Wohlfahrtsregime“307 bekannt wurde. Diese Politik sollte Deutschland über Jahrzehnte hinweg einen stabilen sozialen Frie-

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den sichern und orientierte sich letztlich an den negativen Erfahrungen jenes Weges, den man in Weimar zur Bewältigung der Weltwirtschaftskrise 1929ff. eingeschlagen hatte: Verzicht auf gesamtstaatliche Rahmenund Strukturplanung, blindes Vertrauen in die Selbstregulierungskräfte der Märkte, staatliche Sparprogramme, welche die Krise noch verstärkten, und letztendlich eine „reaktionäre staatsinterventionistische Krisenbewältigung mit Entdemokratisierung, Militarisierung und schließlich Krieg“.308 Wenn auch viele sozialpolitische Instrumente der jungen Bundesrepublik schon aus dem Arsenal des Kaiserreiches und der Weimarer Republik stammten, so ist das Gesamtpaket doch als Teil der Bewältigung der ordnungspolitischen Fehler der späten Weimarer Jahre zu sehen. Dem Imperativ zur Schaffung einer ökonomisch fundierten dauerhaften Friedens- und Nachkriegsordnung würden auch die Vereinbarungen über die europäische Montanunion 1951 und die Gründung der EWG 1957 folgen. Robert Schumann stellte die Idee der Montanunion 1950, zwei Monate nach dem formalen Ende des Zweiten Weltkrieges, als „Grundstein zur Errichtung einer weiteren und vertieften Gemeinschaft zwischen den Völkern, die lange Zeit durch blutige Auseinandersetzungen entzweit waren“ vor.309 Noch die Befürworter der EU-Erweiterung und der Schaffung einer Eurozone würden 60 Jahre später mit dieser Grundidee argumentieren: „Die Europäische Union“, schrieb Theo Waigel 2012, „ist das Ende eines fast 1000-jährigen Krieges, den fast alle gegen fast alle geführt haben. Sie ist ein unverdientes Paradies für die Menschen eines ganzen Kontinents. EU ist das Kürzel für das goldene Zeitalter der europäischen Historie.“310 Doch zunächst geht es um die Frage, wie die neuen internationalen Paradigmen der Vergangenheitsbewältigung in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands und in der jungen Bundesrepublik rezipiert wurden. Bundesrepublik: Doppelspiel und Restauration Die inneren politischen Verhältnisse waren in den ersten Jahren – trotz der neuen Verfassung und trotz vieler verteilungspolitischer Kompromisse – keineswegs so stabil, wie das spätere Gründungserzählungen über die BRD suggerieren mögen. Die faktische Beendigung des verbrecherischen Regimes hatte die alten personellen und mentalen Strukturen keineswegs beseitigt. Damit stand das Problem, wie mit den beteiligten und kompromittierten Macht- und Funktionseliten umzugehen sei. Das betraf ebenso das Fortbestehen weitverbreiteter habitueller Einstellungen wie Antisemitismus, Rassismus, öffentlicher Ausgrenzungen, nationalisti-

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scher Ressentiments und allfälliger Bereitschaft zu antidemokratischen und autoritären Problemlösungen. In den neu zugelassenen Parteien, etwa in der Sozialistischen Reichspartei Deutschlands, hatten alte oder neu gebildete nationalsozialistische Netzwerke eine neue Heimat gefunden. Sie vertraten offen die Ziele der alten NSDAP bis hin zur erneuten „Lösung der Judenfrage“. Die Flüchtlingsverbände beschworen über den BHE resp. den Gesamtdeutschen Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten die Rettung des christlichen Abendlandes und agitierten für eine Zurückdrängung des Kommunismus und für eine Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937. Auf der anderen Seite lehnte die KPD trotz formaler Zustimmung zur rechtsstaatlicher Gewaltenteilung das liberale Verfassungssystem der BRD ab und strebte nach dem Vorbild der SED ein faktisches Ein-Parteien-System an. Die alten ideologischen Streitpunkte und Interessenlagen der Weimarer Republik waren ja nicht über Nacht verschwunden, ebenso wenig die Mentalitäten und Weltbilder des Nationalsozialismus. Diese Kämpfe setzten sich nicht nur auf der Straße, sondern auch im Parlament in einer Schärfe fort, die heutigen Zeitgenossen ganz ungewohnt vorkommen muss. So schreibt der Journalist Daniel Friedrich Sturm im Rückblick auf die ersten Jahre des neuen Staates: „In der Bonner Republik, im alten Plenarsaal am Rhein, ging es oftmals hoch her. Da wurde geätzt, gespottet und verhöhnt – immer wieder auch unter der Gürtellinie. Doch es waren beileibe nicht nur persönliche Verunglimpfungen, mit denen Redner den politischen Gegner überzogen. Hinter den Beleidigungen offenbarten sich tiefe ideologische Gräben, zumal bei feurigen Debatten um die Grundfragen der jungen Bundesrepublik […].“311

Unter diesen Aspekten war die Entwicklung zu einer rechtsstaatlichen Verfassungsdemokratie nicht zwangsläufig. Hildegard Hamm-Brücher charakterisierte diese Phase als eine Art demokratiepolitischer „Probezeit[...],rechtskonservativ und beängstigenden Schwankungen ausgesetzt“, und es schien ihr bis in die 60er Jahre keinesfalls sicher, ob „Bonn nicht doch hätte Weimar“ werden können, wenn es das florierende Wirtschaftswunder nicht gegeben hätte.312 Und das betraf nicht nur die ordnungs- und sozialpolitischen Auseinandersetzungen, sondern mehr noch die öffentlichen Einstellungen zu den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, zu den Fragen von Schuld und Sühne. Bereits vor Gründung der Bundesrepublik hatte sich in der Bevölkerung eine wachsende Abneigung gegen die alliierte Kriegsverbrecher- und Entnazifizierungspolitik abgezeichnet. Der Widerstand machte sich vordergründig vor allem an den als ungerecht empfundenen Entnazifizierungs-Spruchkammern 313 fest, die zunächst die Masse der leichteren Fälle abarbeiteten, während

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die Fälle der Schwer- und Schwerstbelasteten zurückgestellt wurden und später gar nicht mehr zur Verhandlung kamen.314 Aber im tieferen Grunde dürfte dem wohl eher das Fehlen eines allgemeinen Unrechtsbewusstseins vom verbrecherischen Charakter des NS-Regimes zugrunde gelegen haben. In dieser Gemengelage verfolgte die erste Regierung der neuen Bundesrepublik unter Konrad Adenauer eine Doppelstrategie. Während die offizielle und politische Öffentlichkeit sich deutlich vom alten Regime distanzierte, duldete man zugleich das zivilgesellschaftliche Beschweigen der Vergangenheit315 und integrierte auch hochrangige NS-Täter und Parteigänger durch staatliche und juristische Amnestie. 316 Es war eine politische Linie die der Politologe Helmut König als zentrales Versagen der BRD und zugleich als strukturelles Fundament der neuen BRD bewertet.317 Die Amnestie umfasste die pauschale Übernahme auch belasteter oder schuldiger Beamter in Finanzämtern, Bahn, Post, Gesundheitsdiensten und Krankenhäusern, im diplomatischen Dienst und in der Rechtsprechung, schließlich die Entlassung zahlreicher Kriegsverbrecher aus der Haft.318 Die Maßnahmen hatten den Charakter einer Rehabilitation, sie bekräftigten die in der Bevölkerung ohnehin weit verbreitete Neigung, „den fundamentalen Unrechtscharakter des NS-Regimes und seines Eroberungskrieges aus dem kollektiven Bewusstsein auszublenden“.319 Die 1950er Jahre, schrieb Ralph Giordano Jahrzehnte später, erschienen in der Rückschau wie „verspätete NS-Jahre“, deren Kern die „zweite Schuld“ war, die „kalte Amnestie für jede Art von Naziverbrechern, darunter hohe Repräsentanten des NS-Vernichtungsapparats: Blutrichter und -staatsanwälte, Militärs, Diplomaten, Wirtschaftsführer“.320 Alle politischen Parteien der Bundesrepublik buhlten, so sein Fazit, bis zum Ende der 1950er Jahre „von vornherein mit großzügiger Exkulpierung um Stimmen“, anstatt die „verstockten Massen zu einer ehrlichen, wenn auch schmerzhaften Auseinandersetzung mit sich selbst aufzurufen“.321 Gleichzeitig aber, so konzedierte er mit einer gewissen Resignation, waren die Parteien der Bundesrepublik nach den Spielregeln der neuen Demokratie letztlich abhängig vom Wähler – und diese Wähler rekrutierten sich noch für lange Zeit aus derselben Bevölkerung wie vor 1945. Man konnte „wohl die Führer einer bestimmten Geschichtsepoche verjagen, aber nicht das Volk, das sie hervorbrachte.“322 Vielleicht war es nicht die Mehrheit der Bevölkerung, die mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hatte und diese Einstellung nach dem Krieg beibehielt, aber es waren genug, um den Gedanken an rigorose Ächtung und Bestrafung der Täter zu verwerfen; es waren auch genug,

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um die anfängliche Linie der konsequenten juristischen Verfolgung der Täter zu den Akten zu legen. 1952 hielten es immerhin noch 37% der Befragten für besser, keine Juden im Land zu haben, und selbst im Jahr 1959 wäre Hitler nach Meinung von 41% ohne den Zweiten Weltkrieg einer der größten Staatsmänner gewesen323 – was immerhin auch bedeutete, dass fast die Hälfte der Befragten die Beseitigung von Demokratie und Grundrechten für akzeptabel hielt. Aber die Politik der Amnestie und Re-Integration der Täter erwuchs nicht allein aus der Rücksichtnahme auf die unbestreitbar noch vorhandenen Hitler-Sympathie der Wahlbevölkerung, sondern mehr noch aus der Logik des beginnenden Kalten Krieges und der scharfen Konfrontation mit der Sowjetunion: Nach Einschätzung der westlichen Siegermächte war die Einbindung Westdeutschlands in das transatlantische Wirtschafts- und Bündnissystem ohne Mitwirkung der traditionellen Eliten nicht zu bewerkstelligen. Hier knüpfte man gezielt an den auch beim Bürgertum und den Mittelschichten tief verwurzelten Anti-Bolschewismus an. Er wurde nun, inhaltlich zum Antikommunismus und Anti-Totalitarismus gewandelt, aber ansonsten ungebrochen, zur Voraussetzung der westdeutschen Bündnisfähigkeit im Rahmen der NATO und schließlich zur Begründung der schnellen Wiederbewaffnung Westdeutschlands. Der Preis dafür war die Straffreiheit der Täter.324 Sie und große Teile der deutschen Bevölkerung konnten sich damit in der Überzeugung bestätigt sehen, dass der Krieg im Osten gerechtfertigt und notwendig gewesen war. Die Rehabilitation der Täter war zugleich auch eine gewisse Rehabilitation der Hitlerschen Ostpolitik. In der Folge kam ein Großteil der Funktions- und Machtelite des Dritten Reiches in der neuen Republik wieder an die Schalthebel der Macht. Ihr militärtechnisches, bürokratisches und industrielles Wissen, aber auch die Kenntnisse und Erfahrungen derjenigen, die bei Justiz, SS, Gestapo und Geheimdiensten an der Terrorherrschaft des Hitler-Regime beteiligt waren, wurden im neuen Staat in den Dienst der gleichen Zielsetzungen wie zwischen 1933 und 1945 gestellt, nun aber seiner antisemitischen Komponente entkleidet.325 Unter anderen Voraussetzungen und in anderem Umfang griff auch die DDR auf die Kenntnisse und Dienste der alten nationalsozialistischen Funktionseliten zurück – von den belasteten Wissenschaftlern, die für die USA326 oder für Sowjetunion arbeiten würden, gar nicht zu reden. Das Beschweigen der Verbrechen und der Verzicht auf Bestrafung konterkarierten zusammen mit der Wiederzulassung der bislang verbotenen Großbanken und Arbeitgeberverbände und dem Verzicht auf die Auflösung von Kartellen und großen Konzernen – mit Einverständnis der West-Allierten – wesentliche Vorgaben des Potsdamer Abkommens. Die-

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se Richtungsentscheidungen prägten die weitere Geschichte der BRD maßgeblich und bildeten den Inhalt dessen, was später als Restaurationsphase der Adenauer-Ära in die Geschichtsschreibung eingehen sollte. Damit schien erstmals ein Problem auf, das auch allen folgenden Vergangenheitsbewältigungen innewohnt und bisher nicht gelöst ist: Wie vollständig kann Vergangenheitsbewältigung im Hinblick auf Täter und belastete Eliten vergangener Unrechtssysteme unter demokratischen Umständen überhaupt sein? Was kann sie leisten? Ralf Giordano schreibt dazu: „Offensichtlich liegt eine gewisse Gesetzmäßigkeit darin, dass Demokratien mit dem Erbe diktatorischer Vorläufer nicht fertig werden. Stets heißt es dabei, eine Abrechnung gefährde die zarte Pflanze der Demokratie, ihr Wachstum könne dadurch schwer beeinträchtigt, möglicherweise gar zerstört werden. Dieses Argument, dessen sich die Täter natürlich nur allzu gern bemächtigen, beschränkt sich keineswegs auf die deutsche Geschichte.“327 Auf der vergangenheitspolitischen Haben-Seite verfolgte die Bundesrepublik in den nächsten Jahrzehnten eine deutliche Distanzierung gegenüber dem alten Regime.328 Sie äußerte sich in der Ächtung nationalsozialistischer Ideen, der Verurteilung des Völkermordes an den Juden, der öffentlichen Rehabilitation der Männer und Frauen des 20. Juli 1944 und ihrer Befreiung vom „Ruch der Verräter“ 329 und in der Maßgabe zur Entmilitarisierung der Gesellschaft. Immerhin wurde auch die bald darauf gegründete Bundeswehr über das Konzept der „Inneren Führung“, auf Grundgesetz und Parlament verpflichtet, der Einsatz der Soldaten nach innen ausgeschlossen, um eine erneute antidemokratische Stoßrichtung der militärischen Verbände wie in Weimar und die Bindung an diktatorische Herrschaft wie im Dritten Reich zu verhindern. Außenpolitisch entsprach dieser Linie das offizielle Bekenntnis zur militärischen Abstinenz, zur Absage an nationale Großmachtpolitik, an großdeutsche Mitteleuropa-Konzepte resp. an deutsches Sonderbewusstsein 330 und der Beitritt zur UN-Völkermord- und europäischer Menschenrechtskonvention In diese Jahre fielen die Entscheidungen zur politischen Bindung an den USA, die Annäherung an Israel und die Pläne zur wirtschaftlichen und politischen Kooperation mit den westeuropäischen Staaten. 331 Bundesrepublik: Ende des Schweigens und innerer Neuanfang Anfang/Mitte der 1960er Jahre begann sich das Verhältnis von Politik und Öffentlichkeit zur jüngsten Vergangenheit zu wandeln. In der Gesellschaft bahnte sich an, was Hamm-Brücher als „ersten demokratischen Aufbruch“ der Bundesrepublik bezeichnete 332, als nicht nur for-

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mal-staatliche Demokratie, hinter deren Fassade, so kann man ergänzen, autoritär-faschistische Grundeinstellungen und Untertanendenken weiter ungestört existieren konnten und durch mentalitätspolitische Restriktionen in Schach gehalten mussten, sondern als tatsächliche und zivilgesellschaftlich praktizierte Demokratie. Die Studentenbewegung, die schon zu den unbelasteten Jahrgängen ab den 1940er Jahren gehörte, durchbrach die weitgehenden Ausblendung der NS-Vergangenheit, indem sie die antikommunistische und anti-totalitaristische Begründung der westdeutschen Gesellschaft, die Kontinuität der alten Eliten in der neuen Republik und ihren Umgang mit den Verbrechen scharfer Kritik unterzog. Zugleich rückte mit der zweiten Welle der NS-Prozesse, mit dem Ulmer Einsatzgruppen-Prozess 1958 und dem Auschwitz-Prozess 1965, der bürokratisch organisierte Massenmord an Juden ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. An die Stelle der Phase des Beschweigens, das sich punktuell schon ab Ende der 1950er Jahre gelockert hatte 333, trat die Phase der Aufarbeitung.334 Die politisch-strukturellen Ursachen des Nationalsozialismus, die Rolle und Verantwortung nicht nur der direkten Täter, sondern auch der Mitläufer und derjenigen, die geschwiegen hatten, wurden nun öffentlich verhandelt335 – versinnbildlicht etwa durch die Ohrfeige, die Beate Klarsfeld dem damaligen CDU-Kanzler Kiesinger 1968 vor laufenden Kameras verabreichte, um auf seine propagandistische Tätigkeit in der Rundfunkabteilung des Auswärtigen Amtes von 1940 bis 1945 hinzuweisen. Die Achtundsechziger Aber die Vergangenheiten, die in diesen Jahren verhandelt wurden, reichten viel tiefer als bis zu den Verbrechen des Dritten Reiches. Um zu verstehen, welche Umbrüche sich in der Zeit der sogenannten „Achtundsechziger-Bewegung“ vollzogen und wie aus einer von den West-Alliierten oktroyierten Demokratie allmählich ein tiefer zivilgesellschaftlicher Demokratisierungsprozess wurde, verlassen wir an dieser Stelle die zuweilen etwas trockene Strukturgeschichte und wechseln in die essayistische Form. Der folgende Abschnitt kann als Erinnerung eines Zeitzeugen firmieren, die sich aus Selbsterlebtem, Gehörtem und Gelesenen zusammensetzt und damit immerhin den Status einer historischen Quelle beansprucht. Vor allem zeigt sich hier, welche Verhaltensmuster, Traditionen und fortlaufenden Vergangenheiten seinerzeit unter welchen Bedingungen und mit welchen Mitteln aufgearbeitet und zur Disposition gestellt wurden, ohne dass man sich ihrer letztlich ganz entledigen konnte.

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Zunächst einmal: Die Frage, was die 68er waren und was sie bewirkten, ist äußerst schwierig zu beantworten. Auch wenn die damaligen Protagonisten sich mit vielem brüsten und ihre Gegner ihnen den geistigkulturellen Untergang Deutschlands zuschreiben mögen: Die Bewegung war dafür viel zu heterogen, sie war nur zum Teil politische Bewegung, etwa im Sinn gemeinsamer zielgerichteter Aktivitäten zur Erringung einer Parlamentsmehrheit. Die politischen Reformen von damals wurden in vielen Theoriezirkeln als ‚Systemkosmetik‘ verachtet; die SPD galt als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus, wie es eine populäre Metapher damals ausdrückte. Hinzu kommt: Ein nicht geringer Teil der Studentenbewegung dürfte legislative Parlamentsarbeit nur am Rande zur Kenntnis genommen haben. Darüber sollten auch die Tonnen von Papier mit politischen Verlautbarungen, Manifestationen und Aufrufen, die unaufhörlich in den Universitäten verteilt wurden, nicht hinwegtäuschen. Aber man hatte auch mit sich selbst zu tun, mit der Verfertigung der eigenen Biographie, vielen galten die damaligen Aktionen nicht nur als Befreiung von bleierner Nachkriegszeit, als Ende des quälenden Schweigens über die jüngste Vergangenheit, sondern gleichzeitig auch als spannende Unterhaltung, mit der man das Ende der eigenen Kindheit und den Beginn der Selbständigkeit und der akademischen Freiheit feierte. Wo die Formulierung politischer Ziele aufhörte und die Ablösung vom eigenen Elternhaus begann, ließ sich nur schwer auseinanderhalten. Man hatte eher ein gemeinsames Lebensgefühl als gemeinsame Ziele – trotz aller theoretischen Diskussionen. Es gab verbindende Themen wie Notstandsgesetze, die Prügelorgien beim Besuch des Schahs von Persien, US-Imperialismus, Vietnamkrieg, Hitlerdeutschland, die Hetze der Bild-Zeitung. Der Kampf gegen das ‚System‘ hielt die Studenten für gewisse Zeit zusammen,  aber was das System war und wie es zu bekämpfen war, darüber entwickelten sich früh erbitterte Auseinandersetzungen. Die Bewegung war spontan, weltanschaulich heterogen und auseinanderstrebend. Ende der 60er Jahre hatten sich bereits zahlreiche Fraktionen gebildet: moskautreue Kommunisten, Jungsozialisten, Maoisten, unorganisierte Marxisten, Stalinisten, Trotzkisten, Reichianer, Randgruppenstrategen, erste feministische Zirkel. Die Blütenträume reichten vom chinesischen Sozialismus über den spanischen Anarchismus bis hin zur kalifornischen Landkommune. Das gemeinsame Merkmal der Bewegung war ihre Kraft, ihr Schwung und der Wunsch, die versteinerte Nachkriegsordnung aufzubrechen; man agierte optimistisch, unbefangen und unbekümmert unter den Bedingungen exorbitanter wirtschaftlicher Zuwachsraten und geringer Arbeitslosigkeit. Es war eine eigentümliche Mischung aus tradierten Verhaltensund Denkmustern und dem starken Wunsch, sich des Alten zu entledi-

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gen: In den Seminaren wurde nicht nur die Frage einer neuen Gesellschaft und des neuen Menschen diskutiert, sondern nebenbei auch gleich ausgehandelt, wer von den Aktivisten Platzhirschqualitäten hatte und wer nicht. Das Podium im Audimax war gleichermaßen Balzplatz wie Leistungsschaubühne späterer Karrieren. Ökologisches Problembewusstsein war erst in Ansätzen vorhanden, das Benzin war billig, amerikanische Straßenkreuzer vermutlich auch der Traum vieler Anti-Vietnam-Aktivisten, das Leben war schön und würde ewig währen, man wusste alles besser, man stand auf der richtigen Seite, und entsprechend stark ausgeprägt war das Selbst- und Sendungsbewusstsein gegenüber der schuldbeladenen Kriegsgeneration. Für diese Generation stand unumstößlich fest, dass ihr die Zukunft gehörte. Sie träumte von persönlicher Befreiung in einem gerechten Gesellschaftssystem, verbunden mit dem Lebensstandard, den sie aus jenen Hollywoodfilmen kannte, mit denen sie aufgewachsen war. Diese Mischung aus persönlichen Grenzüberschreitungen, gesellschaftspolitischen und moralischen Zielsetzungen und der fast selbstverständlichen Überzeugung, Recht zu haben und gleichzeitig Spaß, diese Melange war ein Charakteristikum der Bewegung. Der Schwung der damaligen Jahre speiste sich also aus den unterschiedlichsten Vorstellungen über Demokratie, über den Sturz obsoleter Autoritäten, über die Beseitigung von Zwängen und über die Beendigung des großen Nachkriegsschweigens ebenso wie aus der kraftvollen hedonistischen und individualistischen Lebenslust beim Eintritt in das Erwachsenenleben. Derlei war im Deutschland der Nachkriegszeit nicht ganz neu: öffentliche Aufläufe junger Menschen hatte es auch schon früher gegeben – etwa die großen Krawalle um die Berliner Waldbühne in den 50er Jahren oder die Massentreffen am Bodensee, die durchaus als Vorläufer der Woodstock-Festivals bezeichnet werden können. Neu aber war, dass eine ganze Generation – Eltern, Wissenschaftler, Kirchenleute, Unternehmer, Soldaten und Politiker – von ihren Kindern aufs intensivste befragt wurde, was sie im Dritten Reich getan oder warum sie die Verbrechen zugelassen hatten. Das ist in der Geschichte ohne Beispiel. Die jungen Leute hatten ein feines Gespür für die Bedrängnis, in der sich die Älteren bei diesen Konfrontationen befanden, und selbstverständlich wurden auf oft bittere Weise auch alte Familienrechnungen beglichen. Es war eine Zeit flammender Überzeugungen und überschießenden Selbstbewusstseins, aber auch klirrender Selbstgerechtigkeit. Und man schenkte sich nichts in diesen oft quälenden Auseinandersetzungen. Wenn man nach den konkreten Folgen dieser Jahre suchen will, so findet man sie neben den oft unterschätzten Gesetzesprojekten der sozialliberalen Koalition Brandt/Scheel vielleicht am ehesten in den Verände-

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rungen der ungeschriebenen Regelwerke, die als erstarrte Anachronismen, als Element der Braudelschen ‚longue durée‘, die wechselhaften Verläufen deutscher Geschichte bis in die Moderne überdauerten: sie fanden sich in den Veränderungen der ungeschriebenen Regelwerke korporatistischer Traditionen und Verhaltenscodices zwischen Obrigkeit und Untertanen, Eliten und Massen. In dieser Zeit wurden Banker noch Bankbeamte genannt, die Frau des Arztes war die ‚Frau Doktor‘ und Amtsbesuche waren Bittgänge mit ungewissem Ausgang. Damals vereinbarte man keine Termine – man wurde vorgeladen oder vorgelassen. Was heute im Servicebetrieb einer Behörde zwischen Dienstleistern und Kunden angeboten und ausgehandelt wird, das wurde noch in der Nachkriegszeit bescheiden erbeten und vom Amte großmütig gewährt. Das Adjektiv ‚bescheiden‘, sagt der ‚Kluge‘ in der 23. Auflage, hat eine verwandte Bedeutungen im Sinne von ‚sich belehren lassen, zur Einsicht kommen, sich begnügen‘. Entsprechend war die ungeschriebene Etikette des persönlichen Umgangs. In diesem Umfeld wuchsen diejenigen auf, die später die 68er-Generation bilden sollten. Die 68er-Generation: das waren die jungen Frauen und Männer der Jahrgänge zwischen 1940 und 1950. In der Kindheit kamen die Mädchen mit Zöpfen daher, die Buben mit kurz geschorenen Haaren und schräg geschnittenem langen Fransen auf der Stirn. Man war entweder in den kirchlichen Jugendgruppen aktiv, in der Feuerwehr, bei den Schützenvereinen, bei den Inkorporierten oder bei den Pfadfindern oder in der Gewerkschaftsjugend. In der Freizeit ging man wandern und sang jene alten Volkslieder, die später verschwinden würden, weil man sie mit ihrem Missbrauch durch die Nazis assoziierte. Der Vater, so nach dem Krieg noch vorhanden, war das Familienoberhaupt, er sprach das letzte Wort, man war still, wenn die Erwachsenen miteinander redeten, man mischte sich nicht ungefragt ein, Nachfragen und Hinterfragen galt als ungehörig, um 8 Uhr abends war man daheim, wenn gefordert, die Mädchen machten einen Knicks, die Jungs nahmen ihre Mütze ab und machten einen tiefen Diener, wenn sie von Erwachsenen begrüßt wurden, man stand auf, wenn der Lehrer oder der Pfarrer in die Klasse kamen, und bei Bestrafung stand das Kind in gerader Haltung und mit vorgestreckten Händen und wartete auf den schneidenden Schmerz des Schlages mit dem Rohrstock, der je nach Charakter des Lehrers auf die Handinnenfläche oder auf den Handrücken erfolgte. Wohlgemerkt nicht überall und immer, aber mit alldem musste stets und überall gerechnet werden. Moralische Begriffe wie ‚Sittsamkeit‘ und ‚Keuschheit‘ waren nach wie vor wirksam und wirkten bis in die Gesetzbücher: es gab den Kuppeleiparagraphen im Strafgesetzbuch, der das gemeinsame Übernachten Unverheirateter unter Strafandrohung

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stellte, ein Mädchen war ein Flittchen, wenn es mit verschiedenen Jungs zum Tanzen ging, in den Kirchen lagen kleine Schriften aus, welche den Jungen im Falle der Selbstbefleckung(!) den sicheren Wahnsinn und Siechtum oder schwere Erkrankungen in Aussicht stellten, es gab die Strafandrohung des § 175 für gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern, die Frauen durften Bankkonten nur mit Erlaubnis ihrer Ehemänner eröffnen. All dies waren die noch lebendige Relikte längst vergangen geglaubter Zeiten, deren Wurzeln bis weit in die Vormoderne, bis in ständische Verfassungen und absolutistisch-klerikale Ordnungen zurückreichten. Und es waren dies die Lebensumstände derjenigen Jahrgänge, die später als die 68er-Generation bekannt wurde und die nun zwischen dem Alten und dem Neuen stand – was sich auch darin manifestiert, dass die Studierenden dieser Jahrgänge, zu den ersten Demonstrationen noch in Anzug und Krawatte, in Kostüm und mit Pumps erschienen, ganz in der geforderten Kleiderordnung der altehrwürdigen Alma mater. Der althergebrachte rituelle Respekt vor der Tradition war noch vorhanden und verschwand nicht über Nacht. Nun aber forderte die Generation der Kriegsteilnehmer, der aktiven Nazis oder der Mitläufer eben diesen Respekt unbeirrt aufs neue ein, während sich gleichzeitig das Wissen um die Geschehnisse im Dritten Reich – trotz des eisernen Schweigens in den Elternhäusern und in der Nachkriegsöffentlichkeit – zu verbreiten begann. Es war eine weit verbreitete Erfahrung der jungen Leute damals, dass sie in den sogenannten kritischen Seminaren zum ersten Mal überhaupt genaueres von den Vorgängen im Dritten Reich erfuhren. Zwar liefen in der Nachkriegszeit in den öffentlichen Kinos Dokumentationen über die Konzentrationslager, doch die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, war gering. Auch gab es Informationen darüber in den Kreisen der Gewerkschaften, der Antifaschisten und Kommunisten, aber dieses Material wurde an Stammtischen, im Elternhaus und in den Schulen mühelos als linke Propaganda abgetan. Es waren die Söhne und Töchter der konservativen bürgerlichen Familien, denen in den Vorlesungen und Seminaren zu Bewusstsein kam, was passiert war und in welchem Ausmaße die alten Traditionen mit den ungeheuerlichen Verbrechen verknüpft waren. ‚Obsolet gewordene Traditionen‘ war in den Diskussionen dieser Jahre einer der am häufigsten verwendeten Begriffe, obsolet: unscheinbar, abgenutzt, abgetragen. Aber es war mehr als das. Die Alten hatten nicht nur in bisher unbekannten Dimensionen gemordet und geraubt, sie hatten selbst wesentliche Teile deutscher Geschichte, Tradition, Wissenschaft, Kunst und Kultur negiert, zerschlagen, verschleudert. Sie waren desavouiert, entwertet, missbraucht. Die Jungen wollten damit nichts mehr zu tun ha-

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ben, und vielleicht waren es auch die Wut und die Bitternis über den unverschuldeten Verlust dieser Traditionen, die Verachtung gegenüber den Beteiligten oder Tätern, die die Auseinandersetzungen so scharf und unversöhnlich machten. Die Jungen entledigten sich dem mit den ihnen möglichen Mitteln, und es lässt sich behaupten, dass die alten informellen und ungeschriebenen Verhaltensmuster – der elitäre Standesdünkel, die Untertanendemut, der Kadavergehorsam, die Bittstellerei und die gnädige Gewährung durch Höhergestellte –, dass all dies erst in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wirklich begraben wurde und zwar dergestalt, dass der Kanon überkommener Rituale und Werte zur Zielscheibe des Spotts gemacht und das vaterländische Netzwerk von Universität, Ämtern, Kirche und Armee in demütigender Weise der Lächerlichkeit preisgegeben und regelrecht geschleift wurde. Vielleicht meinte die CDU diesen Sachverhalt, als sie in den 1980er Jahren  davon sprach, dass die 68er Deutschland mehr verändert hätten als dies Hitler getan habe. 336  Was die Ereignisse dieser Jahre in der Folge bewegt haben? Schwer zu sagen. Zunächst einmal: Ohne die Alliierten, ohne die deutschen Gründerväter und -mütter, ohne die vom Grundgesetz vorgegebenen Weichenstellungen wäre die spätere Entwicklung nicht möglich gewesen. Aber das Grundgesetz, so beispielhaft es formuliert war, stand in vielem auf dem Papier, und dass in Nachkriegsdeutschland große Demokratiedefizite im öffentlichen Leben bestanden, wurde weiter oben schon angedeutet. Verständlich, wenn man bedenkt, dass die Eliten des Dritten Reiches auch die Eliten der Aufbaujahre nach dem Kriege bildeten. Die Verfassung war Deutschland oktroyiert worden, gleichsam aufgebracht wie ein neuer Anstrich auf alte mürbe Wände. Es bestand Bedarf, das explizite Regelwerk mit Leben zu erfüllen und auch im Alltag zu leben. Tucholsky spottete einmal darüber, dass im Reichstag in Berlin Demokratie geübt würde, während draußen auf den großen Gütern der Junker die Landarbeiter morgens mit der Mütze in der Hand Appell standen. So ähnlich darf man sich den Sachverhalt im Nachkriegsdeutschland vorstellen. Wenn überhaupt ein Einfluss der 68er zu orten ist, dann in diesen wei chen Bereichen, im zivilgesellschaftlichen Umgang, in der Alltagskultur, in Bewertungsänderungen, in der Neuausrichtung von Sichtweisen und Handlungsmustern, im Bereich impliziter Regularien. Und mehr noch, die Studentenunruhen und die damit verbundenen politischen und kulturellen Veränderungen dürften gemeinsam mit der Innen- und Außenpolitik der Brandt/Scheel-Regierung dazu beigetragen haben, die deutschen Auslandsbeziehungen zu normalisieren, die nach wie vor durch offenes oder latentes Misstrauen der ehemaligen Kriegsgegner und Nachbarstaaten geprägt war. Dies war, wenn man so will, eine Fortführung der Ade-

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nauerschen Westorientierung und Versöhnungspolitik mit anderen Mitteln, auf anderer Ebene. Ob es nun um politische Aktionsformen ging oder um den persönlichen Umgang miteinander, um sexuelle Verhaltensweisen oder Konsumentenrollen, oder um die Frage der Vergangenheitsbewältigung zu normalisieren – überall zeichnete sich eine Annäherung an internationale Entwicklungen und Sichtweisen ab, weg vom deutschen Sonderweg und preußischen Militärstaat. Die deutschen Studenten und Studentinnen taten das, was ihre Kommilitonen in Paris, Bologna und Berkeley auch taten. Das Ausland konnte sich entspannen. Es war ein Anfang. Und so, wie man dort langsam begann, Langhaarfrisuren statt Knobelbecher mit Deutschland zu assoziieren, so bereitete sich auch im Inneren der Paradigmenwechsel vor: Der Einzelne galt nun nicht mehr zuvörderst als verpflichteter und pflichtschuldig(st)er Teil des Großen, der Korporationen Vaterland und Kirche mit all ihren Unterabteilungen wie Familie, Vereine, Parteien, Verbände etc., sondern als Individuum mit Ansprüchen und Schutzrechten, mit Rechten auf Eigenart und eigene freie Entfaltung. Die Verantwortung der Gesellschaft für den Einzelnen trat in den Vordergrund und löste die bis dahin besonders betonte Pflicht der Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft ab, ohne ihm gleich seine Individualitätsrechte absprechen zu wollen. An die Stelle alter Paradigmen wie ‚Ehre‘‚ Pflicht‘, ‚Gehorsam‘, ‚Einordnung‘ und ‚Disziplin‘ traten Begriffe wie ‚individuelle Selbstverwirklichung‘, ‚antiautoritäre Erziehung‘, ‚kompensatorische Förderung‘, ‚sexuelle Befreiung‘ oder ‚Empathie‘, und an die Stelle der alten ‚Kolonien‘ etwa und ihrer Bewohner, den ‚Mohren‘, trat die solidarische Aktion mit den Menschen in der Dritten Welt – Sichtweisen und Konstrukte, die sich insbesondere im Sprach- und Verhaltensduktus des pädagogischen und psychotherapeutischen Sektors niederschlugen und bis heute im Alltag, in den Talkshows, in den Kommunen, Pfarrgemeinden und Schulen ihre Wirkung entfalten. Aber wie gesagt: Die Wirkungen lassen sich im einzelnen schwer ausmachen, denn im Deutschland der Nachkriegszeit spielten von Anfang an noch andere Einflussfaktoren eine Rolle, etwa die elektronischen Massenmedien, oder die angloamerikanische Kultur, die sich im Unterschied zu heutigen martialisch-triumphalen Kampf-und Siegesattitüden in den frühen Jahren betont lässig, zivil und hierarchiefern gab und die junge Generation, also auch die 68er, stark beeinflusste. Nun, viele der damals Beteiligten sind heute in Positionen mit Macht und Einfluss zu finden, auf Lehrstühlen, in Ministersesseln, auf protestantischen Oberkirchenratsstühlen – ein Umstand, der dazu verführt, die Positionen der jungen Aktivisten mit denen zu vergleichen, die sie dreißig

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Jahre später als Staatssekretär einnehmen würden. Die Jungen heute mögen nicht ganz unrecht haben, wenn sie die alt gewordenen 68er für scheinheilige Revoluzzer halten, die seinerzeit als Aktivisten über die Gremienarbeit ihre politische, wissenschaftliche oder publizistische Karriere begründeten, die von den alten Straßenschlachten erzählen wie ihre Väter vom Russlandfeldzug, die sich selbst beweihräuchern und obendrein im Laufe der Jahre oft genug die Seiten wechselten. Alte und Konservative hingegen stellen die 68er unter den Dauer- und Generalverdacht, die alten Werte und Traditionen zerschlagen zu haben und so dafür verantwortlich zu sein, dass in dem ehemals schönen, reichen und disziplinierten Deutschland eine Generation von unzivilisierten und arbeitsunfähigen Ignoranten heranwächst. Angesichts des Fehlens stringenter Kausalität bleibt der Eindruck, dass die Wirkung der damaligen Vorgänge von beiden Seiten, Gegnern wie Anhängern schlichtweg nicht verortet werden können; dass sich etwas geändert hat, spürt jeder, der die Geschichte der letzten Jahrzehnte verfolgt hat. Was das ist, lässt sich noch halbwegs beschreiben. Wer daran aber im Einzelnen welchen Anteil trägt, und wo die Keime für das Spätere zu verorten sind, das zu beurteilen, entzieht sich unserer Beurteilung. Der Beginn der ‚langen Welle‘ Aber zurück zum historischen Faden: Vor den Bundestagswahlen 1969 bestand zum ersten Mal seit 1930 wieder die Chance einer SPD-Regierung. Das Motto der sozialdemokratischen Wahlkampagne „Mehr Demokratie wagen“ beschrieb nicht nur eine politische Linie, sondern sagte zugleich viel aus über die Atmosphäre der Gründungsjahre der Republik. Willy Brandt verkündete nach seinem Wahlsieg im Bundestag, er verstehe sich „als Kanzler nicht mehr eines besiegten, sondern eines befreiten Deutschlands“. Mit seiner, Brandts, Wahl habe „Hitler endgültig seinen Krieg verloren“.337 Die Zeit der ersten SPD/FDP-Regierung war eine Zeit des Aufbruchs: Anerkennung der geopolitischen Nachkriegsrealität durch die Verträge von Warschau und Moskau; im Inneren die Forcierung jener neuen Bildungspolitik, die von den Westalliierten schon 1945 vergeblich gefordert war. Die CDU hatte vor den Wahlen das Gespenst des Sozialismus an die Wand gemalt, was ihre Niederlage nicht verhinderte und sie in eine ungewohnte Oppositionsrolle drängte. Kennzeichnend für die damalige Atmosphäre ist eine kleine Episode: Der neue sozialdemokratische Finanzminister Alex Möller schlug angesichts der anhaltenden polemischen Angriffe der CDU-Fraktion im Bundestag einen harten Ton an: „Die, die diese beiden Weltkriege und die darauffolgende

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Inflation zu verantworten haben, stehen Ihnen geistig näher als der SPD.“338 Darauf hin titelte die Bild-Zeitung: „19 Worte beleidigen 15 Millionen Deutsche“, im Gegenzug brachte der Historiker Immanuel Geiss ein gut verkauftes Taschenbuch mit Aufsätzen von Historikern und Politologen auf den Markt339, zum Beweis dafür, dass Möllers Worte „in der Wissenschaft längst Gemeinplatz“ waren.340 Die „Zeit“ befand angesichts der öffentlichen Empörung, dass das Thema Kontinuität der Geschichte vom Kaiserreich bis Hitler so viel Sprengstoff enthielt, dass es schon längst in die politische Debatte gehört hätte. 341 Die Vergangenheit war keineswegs vergangen, sondern nur hinter dem großen Nachkriegskompromiss verschwunden. Nun brach sie auf. In diesen Jahren nahm die bis heute anhaltende „lange Welle“ der öffentlichen Kultur der Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust, der Kultur der „Vergangenheitsbewältigung“ ihren Ausgang.342 König schreibt diesen Aufbruch nicht nur dem „68er Anti-Anti-Kommunismus“ zu, dem er anfangs durchaus aufklärerische Qualität zugesteht, sondern sieht ihn auch als Resultat „a) alliierter Aufklärungen b) ausländischen Drucks c) theoretischem Einfluss jüdischer Intellektueller“.343 Dass alliierte Aufklärung und jüdische Intellektuelle erwähnt werden, mag für heutige Verhältnisse selbstverständlich erscheinen – nicht aber für die damaligen: In den USA, in Israel und in der weltweiten jüdischen Diaspora wurden Nationalsozialismus und Holocaust bis in die 1960er Jahre ebenso beschwiegen wie in Deutschland, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Die Beendigung dieses Schweigens und ihre Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Vergangenheitsbewältigung können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.344 Darauf wird noch einzugehen sein. Das Thema wuchs in der Zeit der sozialliberalen Koalitionen und der langen Regierungszeit Helmut Kohls in die gesellschaftliche Mitte. Hatten sich bisher insbesondere die Wissenschaften mit dem Gesamtsystem und den strukturellen Ursachen des Dritten Reiches beschäftigt, so rückten nun die konkreten beteiligten Personen, die Täter, die Mittäter345 und die Opfer des Holocaust346 ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dokumentarserien und Spielfilme befassten sich jetzt mit der Alltagsgeschichte der NS-Jahre, mit Konzentrationslagern, Judenpogromen und den Psychogrammen, Familienverhältnissen und Biographien347 führender Nationalsozialisten.348 Zugleich traten zum inhaltlichen Diskurs nun Fragen des Stils, der Symbole, der Glaubwürdigkeit und der Etikette politisch korrekter Interpretation – die NS-Vergangenheit wurde allmählich zum „allgegenwärtigen Thema politischer Kommunikation“.349 Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus geriet mehr und mehr zu einer Auseinandersetzung über die Form der Erinnerung an ihn, bei der es we-

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niger darum ging, was gesagt wurde, sondern vielmehr darum, wie es gesagt worden war. Das fand seinen Ausdruck etwa im Skandal um die Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Jenninger 350, um Helmut Kohls umstrittenes Wort von der „Gnade der späten Geburt“ und in der Diskussion um den Symbolgehalt von Ronald Reagans und Helmut Kohls Besuch des Bitburger Friedhofs.351 Hermann Lübbe schrieb damals in einem Essay über die Ausbreitung des politischen Moralismus und der Commonsense-Erzwingung, dass „die Empfindlichkeiten gegen Denkund Verhaltensweisen, durch die man sich an den Nationalsozialismus erinnert fand,[...] im bisherigen Verlauf der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht abgenommen, sondern zugenommen“ hätten. 352 Diese Commonsense-Erzwingungen finden wir übrigens heute wieder in den Diskussionen um ausländerfeindliche Bewegungen, um Asyldebatte und Flüchtlingsaufnahme353 – Grund genug, um die allfälligen Gefährdungen rechtsstaatlicher Verfassungsdemokratien durch Tendenzen zu einer Gesinnungsdemokratie im Auge zu behalten. So weit zunächst zu einigen Linien des bundesdeutschen Umgangs mit der eigenen Gewaltgeschichte, zu den Themenkonjunkturen und Metamorphosen, zu den Wechseln der Motive und Akteure, den perspektivischen Verengungen und Erweiterungen. Begleitet waren diese Prozesse stets von Dilemmata und ungeklärten Fragen, von Versäumnissen und Kompromissen, sichtbar etwa im Doppelspiel von Amnestie und Amnesie, in der Reintegration und Verschonung schuldig gewordener Eliten, in der Zurückweisung von Verantwortung und Schuld, im Bezweifeln der Legitimation von Strafrechtsverfahren und schließlich in allfälligen Befürchtungen vor Verlust eigener Identität und Souveränität durch erzwungene Übernahme fremder Erzählungen, Bewertungen, Maßstäbe und Deutungen. In ihnen fokussierten aber auch alle Elemente moderner Vergangenheitsbewältigung wie strafrechtliche Verantwortung, Bekenntnis von Schuld, Wiedergutmachung, Restitution, Entschädigung, Regulierung der Ökonomie und der Handelsbeziehungen, Aufbau demokratischer und sozialstaatlicher Strukturen uvm. Doch die Geschichte blieb und bleibt nicht stehen, die Verbrechen und Grausamkeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts endeten nicht mit der Kapitulation des Dritten Reiches, neue Staats- und Gesellschaftsverbrechen kamen hinzu, die jüngere Gewaltgeschichte begann die ältere zu überlagern. Umorientierungen, thematische Verlagerungen und Erweiterungen wurden sichtbar, auch Revisionen. Das Ende zahlreicher Gewaltherrschaften, Diktaturen und autokratischer Systeme in der dritten und vierten Welle der Demokratisierung 354 – etwa in Südafrika nach dem Ende der Apartheid, in Osteuropa nach dem Zusammenbruch des

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realen Sozialismus und in den südamerikanischen Staaten nach dem Verschwinden der neoliberalen Militärjunten – führte weltweit zur Beschäftigung mit der je eigenen zurückliegenden Gewaltgeschichte. Die Etablierung einer Kultur des Umgangs mit den Hinterlassenschaften vorhergehender Gewaltherrschaften nahm globale Dimensionen an. Die Bewältigung neuer Staats- und Gesellschaftsverbrechen entwickelte sich zu einem festen Bestandteil nationaler und internationaler Politik. Vergangenheitsbewältigung wurde zu einem Gattungsbegriff für allen Umgang mit Diktaturen.355 In diese Jahre fallen die Revitalisierung der lange suspendierten Menschenrechtspolitik und des Völkerstrafrechts, die Wiederaufnahme der Idee eines Internationalen Strafgerichtshofs, der Aufstieg des Holocaust-Paradigmas zu einem weltumspannenden Vergangenheitsnarrativ und schließlich die Verbreitung eines Modells von Vergangenheitsbewältigung, das sich auf die Erfahrungen der alliierten Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg berief. Diese Entwicklungen erhielten einen entscheidenden Schub durch das Ende des sozialistischen Machtsystems und damit der bipolaren Globalordnung der Nachkriegszeit, an deren Stelle nun die zeitweilige Hegemonie des transatlantischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems unter Führung der USA trat. Der damalige Zukunftsoptimismus und die euphorische bis triumphalistische Grundstimmung des Westens spiegeln sich in einem vielzitierten Aufsatz des Historikers Francis Fukuyamas über das „Ende der Geschichte“, dem zufolge die Entwicklung der Menschheit an ihren Höhe- und Endpunkt angekommen war, verkörpert in der Synthese von liberaler Demokratie und Marktwirtschaft und verwirklicht im US-amerikanischen Gesellschafts- und Verfassungsmodell.356 Diese These war allerdings von Anfang an heftig umstritten und wurde auch angesichts der neuen Globalkonflikte schnell obsolet, aber Fukuyamas Befund traf doch einen realen Kern. Denn in diesen Jahren beschleunigte sich die Abkehr von der sozialstaatlich orientierten transatlantischen Wirtschafts- und Ordnungspolitik der Nachkriegszeit zugunsten der harten renditeorientierten anglo-amerikanischen Wirtschaftsphilosophie. Sie ließ die alten und seit zwei Jahrhunderten ungelösten Konflikte um das Verhältnis zwischen den klassischen liberalen Freiheitsrechten und den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten, aber auch die Konflikte um den Primat von Politik oder Wirtschaft, in neuer Schärfe wieder aufleben. Um diese durchaus widersprüchlichen Linien, um die Involutionen und Evolutionen im Spannungsfeld von Vergangenheitsbewältigung, Menschenrechten und Wirtschaftspolitik wird es im Folgenden gehen.

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1970-2000: Vergangenheitspolitischer Gezeitenwechsel Wiederkehr des Neoliberalismus Aus den letzten Abschnitten dürfte deutlich geworden sein, dass der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Ordnung, sozialer Gerechtigkeit, gesellschaftlicher Stabilität und Weltfrieden eine wichtige Rolle in den Planungen der Anti-Hitler-Koalition spielte und auch in den Gründungsdiskussionen der Vereinten Nationen, der beiden deutschen Nachkriegsstaaten, der europäischen Montanunion und der EWG ein starkes Motiv bildete. Demzufolge hatte sich die westliche Politik der Nachkriegszeit lange an Konzepten ausgerichtet, die den entfesselten Manchester-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts ablehnten und die Ordnungsfunktion des Staates für den geregelten Marktwettbewerb, für Verteilungsfragen und für die soziale Absicherungen der Bevölkerung als notwendiges Korrektiv allfälliger Verwerfungen betrachteten. In diesen Jahren vergangenheitspolitisch begründeter sozialer Kompromisse bildete etwa das Modell der sozialen Marktwirtschaft, vertreten durch die ordoliberale Freiburger Schule, einen weltweit beachteten ordnungspolitischen Orientierungsrahmen.357 Angesichts exorbitanter Wachstumsraten ließen sich sozialpolitische Umverteilungen der industriellen Wertschöpfung ohne größere Probleme durchsetzen. Die Abflachung der Nachkriegskonjunktur, verbunden mit erheblichen Abwanderungsbewegungen westlicher Industrieproduktion in Länder der Dritten Welt358, führte 1974/75 zur ersten Weltwirtschaftskrise nach 1929 und zu den Folgekrisen 1980 und 1982. Angesichts hoher Inflationsraten und steigernder Arbeitslosigkeit gewannen Forderungen359 nach Befreiung der Finanz-, Handels- und Arbeitsmärkte von regulatorischen Fesseln zunehmend wieder an Einfluss. 360 Im konzeptionellen Zentrum dieser Bewegung stand, untrennbar verbunden mit den Namen August von Hayek, die Mont-Pelerin-Gesellschaft, 1947 als Gegengewicht gegen das damals dominierende Sozialstaatsparadigma gegründet. Auf die Vorstellungen dieser Bewegung näher einzugehen ist deshalb von Nutzen, weil sich in ihnen diejenigen ideologischen Blaupausen und Impulse wiederfinden, welche die unübersehbaren globalen Veränderungen bis heute vorantreiben. Die Grundposition des Neoliberalismus, oder, wie diese Denk- und Politikschule in den USA genannt wird, Neokonservatismus, steht, kurz gesagt, für den Dreischritt ‚Liberalisierung der Wirtschaft-DeregulierungPrivatisierung‘. Kern dieser Ideologie ist die Idee des Vorrangs des ‚Privaten‘ in seiner Bedeutung als ‚der öffentlichen Herrschaft, der Allgemein-

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heit entzogen‘. Nun ist zu konzedieren, dass die Forderung nach Schutz des Privaten zunächst eine Voraussetzung jeder Grundrechtsgarantie, wie etwa Freiheit des Glaubens, des freien Wortes, der Unverletzlichkeit der Person und der Wohnung, des Rechts auf Eigentum etc. bildet. Doch besteht die ideologische Besonderheit des extremen Neoliberalismus darin, dem Privateigentum einen besonderen immunisierenden Schutz zuzuweisen und jedweder Form öffentlicher Mitsprache oder Herrschaft darüber die Legitimation abzusprechen. In dieser Auslegung hätte jeder Eigentümer das Recht auf umfassende Verfügung über Grund und Boden, Immobilien, Rohstoffe, Industrieprodukte, Gewinne 361, Verwertungs- und Nutzungsrechte etc., ohne durch Ansprüche Dritter, etwa in Form von Steuern, Sozialabgaben, Umweltauflagen, menschenrechtlichen Standards o.ä. eingeschränkt zu werden. Unter dieser Grundvoraussetzung strebt der Neoliberalismus in seiner radikalen Ausprägung eine umfassende Verwandlung aller Lebensbereiche in privatwirtschaftlich organisierte Warenmärkte an, die ungehindert von staatlichen Regulativen ausschließlich dem Prinzip von Konkurrenz und Marktpreis, von Kauf und Verkauf unterliegen. Der Wiener Nationalökonom Friedrich August von Hayek, einer der Schöpfer dieser radikalen Denkschule, leitete diesen Anspruch aus dem historischen Erfolg der kapitalistischen Marktwirtschaft und dem Zuwachs an gesellschaftlichem Wohlstand ab, den sie lange Zeit mit sich brachte. Der Erfolg wiederum verdankt sich Hayek zufolge der Herausbildung einer Wirtschaftsordnung, die sich ausschließlich auf die Einhaltung von Verfahrensregeln wie Vertragstreue, Wettbewerb und individuellem Handeln beschränkte 362, ohne sie mit marktfremden Zwecken wie Gerechtigkeit oder auch nur der Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse zu vermischen.363 In diesem Ansatz ist die strikte Beschränkung auf Verfahrensregeln der schützenswerte Kern eines natürlich-evolutorischen, spontanen, sich selbst regulierenden Prozesses, der deswegen so erfolgreich war, weil er eben keine bestimmten Ziele anstrebte und keinen Plan verfolgte. Von daher stellen gesellschafts- oder sozialpolitisch motivierte Eingriffe in das Marktgeschehen, etwa gewerkschaftliche Aktivitäten364, karitative Zielsetzungen oder Solidaritätsbewegungen365, einen Rückfall in alte Instinkte und damit eine evolutorische Rückentwicklung dar.366 Um einen solchen Rückfall zu verhindern, fällt dem Staat die Aufgabe zu, die spontane Ordnung zu garantieren und den Schutz der privaten Sphäre, insbesondere des Eigentums und der daraus resultierenden Eigentümeransprüche und Gewinnerwartungen als oberste Verhaltensmaxime einer Gesellschaft durchsetzen – wenn nötig, unter Einsatz von Zwangs- und Disziplinierungsmitteln. 367 Da der „stets schwankende Wählerwille“ in einer partizipativen Massendemokratie

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die Verhaltensregeln der spontanen Ordnung stets gefährdet, plädierte Hayek für eine Einschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts und für die Einrichtung einer elitären Über-Instanz in Form einer gesetzgebenden Versammlung. Sie sollte die wesentlichen Verhaltensmaximen definieren, den öffentlichen Etat festlegen und ein weisungsgebundenes Parlament kontrollieren.368 Die Kritikpunkte sind vielfach formuliert worden, hier seien nur einige Aspekte angerissen: Die Berufung Hayeks auf einen naturgegebenen und ewigen Wettbewerb lässt die Fähigkeit des Menschen zu Kooperation, Altruismus und Höherentwicklung außer Acht und ist damit die ordnungspolitische Variante eines radikalen Sozialdarwinismus369, der das Recht des Stärkeren als natürliche Ordnung behauptet und zum positiven Recht erhebt. Sein Konzept des totalitären Individualismus und des Staates als Erfüllungsgehilfe autonomer Eigentümer lehnt in seinem Bestreben nach Immunisierung selbstregulierender Märkte nicht nur sozialistische, sondern auch sozialstaatliche Konzepte ab.370 Und weil es die Souveränität des Eigentümers anstrebt, gerät es mit den 1966 verabschiedeten Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen und ihrer Verschränkung ziviler und sozialer Grundrechte ebenso in Konflikt wie mit dem im Laufe von 250 Jahren gewachsenen liberalen Verfassungssystem einschließlich demokratisch legitimierter Gewaltenteilung und darauf basierender staatlicher Gewaltmonopole.371 Die wesentlichen Gedanken Hayeks, niedergelegt in seinem Buch „Der Weg zur Knechtschaft“, stammen bereits aus dem Jahr 1944. Sie waren gedacht als ideologische Alternative zum allgemeinen Trend der sozialdemokratischen und sozialistischen Problemlösungsansätze mit Hilfe eines staatlichen Interventionismus. Vermutlich gerade deshalb erfuhr von Hayeks in der Tendenz totalitärer Gesellschaftsentwurf in den 1970er Jahren eine erstaunliche Resonanz – wobei es verfehlt wäre, den Erfolg einer besonderen wissenschaftlichen Qualität seiner Entwürfe zuzuschreiben. Eher darf man davon ausgehen, dass die Konsistenz und die Originalität seiner Konstruktion ideale Voraussetzungen für die propagandistische Unterfütterung eines politisch gewollten Kurswechsels der Ordnungs- und Verteilungspolitik boten. Die Grundarchitektur des Hayekschen Entwurfs beeinflusste weltweit die wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, die global agierenden Eliten 372 und schließlich die Parteien und Parlamente so stark, wie es die Sozialstaatsideen in den 1940er und 50er Jahren taten, als linke Gesellschaftsentwürfe auch im Westen eine Blütezeit erlebten und die politischen Debatten dominierten. 373 Die ordnungspolitische Gegenbewegung führte zur Formierung einer einflussreichen neoliberalen Internationale374, als deren Zentrum bis heute

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die erwähnte Mont Pelerin Society fungiert. Die Gesellschaft bietet diversen theoretischen Ansätzen und Schulen heute ein Forum, dessen Gemeinsamkeit der Glaube an die Grundsätze von „freiem Markt, eingeschränktem und gleichwohl starkem Staat [...], unangefochtenem Privateigentum an Produktionsmitteln und privatwirtschaftlichem Unternehmenswettbewerb“ ist.375 Weil Hayeks Modell eine autoritär-diktatorische eigentumsorientierte Elite-Herrschaft impliziert, darf es nicht verwundern, dass seine Ideen auch für rechtspopulistische Bewegungen wie die bundesdeutsche AfD von Interesse sind.376 In den Jahrzehnten der globalen Ausbreitung des Hayekschen Gesellschaftsmodells wurden die Konturen eines informellen Zielkatalogs sichtbar, der als Blaupause der politisch-operativen Umsetzung der Trias ‚Liberalisierung der Wirtschaft-Deregulierung-Privatisierung‘ gelten kann. Bis heute spielt er in allen System- und Machtwechseln, Regimechanges, Putschen und überhaupt in gesellschafts- und staatspolitischen Veränderungen eine zentrale Rolle, sei es bei seiner Durchsetzung, sei es bei seiner Überwindung. Ohne Kenntnis dieser Ziele lassen sich nationale und geopolitische Dynamiken und die ihnen zugrundeliegenden Motive schlichtweg nicht analysieren. Zu den Kernpunkten des Katalogs, im weiteren Textverlauf als 8-Punkte-Programm bezeichnet 377, gehören folgende Maßnahmen: a) Ungehinderte Schaffung neuer Märkte durch Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge; Privatisierung öffentlichen Eigentums und Abbau der Staatsausgaben in diesem Bereich, Verbot von sog. „Quersubventionierungen“; b) Ungehinderte Preisbildung zwischen den Arbeitsmarktteilnehmern mit dem Ziel der Kommodifizierung der Lohnarbeit durch Einschränkung tariflicher Gestaltungsmöglichkeiten der Gewerkschaften; c) Einschränkung der Quersubventionierung: Senkung der Lohnnebenkosten: Verringerung des Arbeitgeberanteils für Renten- und Krankenversicherungen durch stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer; Senkung der staatlichen Steuerquoten für Unternehmen; d) Ungehinderte Schaffung neuer Märkte durch Aufhebung der Beschränkung von Spekulationsmöglichkeiten auf den Finanz- und Devisenmärkten; e) Ungehinderte Schaffung neuer Märkte durch Aufhebung von Handelsbeschränkungen jeder Art, etwa staatlicher Sozial- und Umweltstandards; f) Verringerung öffentlicher und Ausweitung privater Investitionen;

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g) Austeritätspolitik zur Senkung staatlicher Verschuldung, insbesondere Senkung der Staatsausgaben im Bereich Daseinsvorsorge und Sozialausgaben; Übernahme dieser Leistungen durch private Anbieter; h) Monetaristische Steuerung der Wirtschaftsabläufe von Angebot und Nachfrage allein über die Geldmenge; Ablehnung staatlicher Marktinterventionen wie etwa Steuererhöhungen oder Investitionszulagen. Re-Kommodifizierung der Arbeitskraft, Einschränkung der Quersubventionierung und Privatisierung sind die Basisziele, aus denen sich alle weiteren ableiten: Kommodifizierung meint hier die Verwandlung von Arbeitskraft als Existenzgrundlage in eine Ware. Ist die Verwandlung als allgemein gültige Maßgabe und Regel politisch erst einmal durchgesetzt, hat der Unternehmer in der Konsequenz keine weiteren Verpflichtung mehr, als den Marktpreis der Arbeit in Form eines Entgelts zu entrichten. Zusätzliche Kosten wie Sozialversicherungen, Spesen, Arbeitskleidung uvm. gehen dann ganz zu Lasten des Arbeitnehmers, der sie aus seinem Entgelt finanziert. Vor diesen Kosten ist der Unternehmer vor allem dann geschützt, wenn das Verbot der Quersubventionierung und das Gebot der Eigenwirtschaftlichkeit zum allgemeinen Gesetz wird. Das erfordert die Verwandlung jedes einzelnen Marktakteurs in eine eigenständige Wirtschaftseinheit. Unter dieser Voraussetzung ist keine Wirtschaftseinheit für die Übernahme der Kosten anderer Wirtschaftseinheiten verantwortlich. In diesem Fall sind Arbeitnehmer als ebenfalls eigenständige Wirtschaftseinheit gehalten, ihre anfallenden Kosten, etwa Lebens- und Gesundheitsvorsorge, aus ihrem Wirtschaftsertrag zu bestreiten und die entsprechenden Verträge mit anderen, ebenfalls privaten Wirtschaftseinheiten abzuschließen, die an die Stelle der bisherigen umlagefinanzierten und damit quersubventionierten Versicherungen treten. In solchen Prozessen ist zugleich das Prinzip der Marktschaffung und der Privatisierung enthalten. Wie lässt sich die weltweite Renaissance der neoliberalen Wirtschaftsideologie, die Rückkehr des Privateigentums und der ordnungspolitische Rückzug der Staaten erklären – obwohl relevante Politökonomen lange einen unumkehrbaren „evolutionären Trend zur Marktbeseitigung“ prognostizierten?378 Unter welchen Bedingungen, innerhalb welcher Entwicklungen und mit welchen Strategien konnte das Vordringen neoliberaler Regimes überhaupt bewerkstelligt werden? Dafür bietet sich eine Reihe von Erklärungen an, die die schleichenden Veränderungen von Rechtsstrukturen ebenso betreffen wie strategisches Management in historischen Zäsuren oder die Nutzung staatlicher oder zivilgesellschaftlicher Schwachstellen und Veränderungen geostrategischer Machtgefüge.

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Hayeks „Weg zur Knechtschaft“: Die politische Umsetzung Die substantiellen Elemente des 8-Punkte-Programms fanden sich schon in den Diktaturen Spaniens unter Franco, Portugals unter Salazar und Südafrikas unter Botha und Deklerk, aber auch im Regime der griechischen Obristen (1967-74) und in den zahlreichen Militärdiktaturen Südamerikas. Traurige Berühmtheit erlangte der Pinochet-Putsch 1973 gegen die sozialstaatlich orientierte Regierung Allende in Chile. 379 Wirtschaftswissenschaftler der Chicagoer Universität hatten in Zusammenarbeit mit chilenischen Ökonomen bereits vor dem Putsch einen Katalog wirtschaftspolitischer Maßnahmen ausgearbeitet, den die neue Junta nach dem gewaltsamen Ende der Allende-Regierung umsetzte: Privatisierung der Altersvorsorge, Liberalisierung des Handels, Reduzierung öffentlichen Ausgaben.380 Das waren nun allesamt Prozesse an der ökonomischen und politisch-kulturellen Peripherie. Aber auch im internationalen Wissenschaftsbetrieb und im Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit wurde das Konzept am Leben gehalten: Die Schwedische Staatsbank vergab den von ihr ausgelobten Wirtschafts-Nobelpreis seit seinem Bestehen überwiegend an Vertreter der neoliberalen Schule. 381 Das neoliberale Modell war also nie ganz von der politischen und ideologischen Bühne verschwunden. Seine Reputation hatte trotz der unappetitlichen politischen Umstände, unter denen es praktiziert wurde, keinen nachhaltigen Schaden genommen. Seine Renaissance in den industriellen Kernstaaten des transatlantischen Werte- und Wirtschaftsverbundes lässt sich auf jene Jahre datieren, in denen die hohe US-Verschuldung durch den Vietnamkrieg zu einer massiven Schwäche des Dollars führte. Dem begegnete die Regierung Nixon zunächst mit der Abkehr vom Bretton-Woods-System, indem sie 1971 die Golddeckung des Dollar382 und zwei Jahre später das feste Wechselkurssystem aufgab. Das führte erstens dazu, dass die Zentralbank nun die Geldmenge nach den Erfordernissen der Konjunktur steuern konnte. Zweitens waren die Banken nun in der Lage, Geld über bloße Kreditvergabe in ganz anderen Größenordnungen als zuvor selbst zu schöpfen. Zudem mussten sie diese Kredite auch nicht mehr durch eigenes Kapital absichern. Und drittens unterlagen die Wechselkurse und Zinssätze nicht mehr der politischen Regulierung durch staatliche Institutionen, sondern wurden nun von multinationalen Banken, Investmentfonds und transnationalen Unternehmen festgelegt. „Mit der Aufgabe der Goldbindung des Dollars und der Aufkündigung des Bretton-WoodsSystems der festen Wechselkurse im Jahr 1973“, schrieb Stefan Aust,

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„wurde der Startschuss zu einer märchenhaften Papiergeldvermehrung gegeben.“383 Dahinter steckte noch kein politisches Konzept, die Maßnahmen waren eher durch den Druck der Umstände erzwungen 384, aber sie erfüllten eine der Forderungen der neoliberalen Schule385: Sie ermöglichte zum einen die Wiederaufnahme jener Währungsspekulationen, die nach den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise 1929 ff. durch das System von Bretton Woods eingehegt worden waren. Und sie bildete zum anderen die Ouvertüre für den folgenden, nunmehr auch politisch gewollten und inszenierten Rückzug der westlichen Industriestaaten aus den Finanz-, Renten-, Waren- und Arbeitsmärkten und den Vorsorgesystemen.386 In Europa begann damit zunächst Großbritannien unter Margret Thatcher387, deren Politik der Privatisierung der Altersvorsorge, staatlicher und kommunaler Betriebe und der rigorosen Bekämpfung der Gewerkschaften stark von Hayeks Ideen beeinflusst war. 388 Die USA folgten in der Ära Reagan mit der Umsetzung jener Trickle-down-Theorie, nach der speziell der Vermögenszuwachs der Oberschicht gefördert werden sollte, weil dieses Geld über kurz oder lang nach unten durchsickern werde389 – ein Konzept, mit dem u.a. die massiven Steuersenkungen, die exorbitante Neuverschuldung des Staates, die Kürzungen der Sozialprogramme und die Einschränkungen gewerkschaftlicher Handlungsspielräume begründet wurden.390 Deutschland leitete den Kurswechsel 1982 mit jener Denkschrift des damaligen Wirtschaftsministers Graf Lambsdorff ein, in der Steuersenkungen, die Privatisierung öffentlicher Leistungen, und – insbesondere für die EU – „eine Ablehnung gemeinschaftlicher Regelungen [...]“ gefordert wurde, „die bereits im Stadium der Beratung [...] das Investitionsklima belasten“.391 Inhaltlich entsprach das Papier übrigens jener Denkschrift des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, die 1929 den mühselig ausgehandelten verteilungspolitischen Kompromiss zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften aufkündigte und damit das Ende der Weimarer Republik einläutete. Das LambsdorffPapier führte 1982 zum Bruch der SPD/FDP-Koalition. Der damalige Bundeskanzler Schmidt kritisierte zwar, dass Lambsdorff „eine Abwendung vom demokratischen Sozialstaat im Sinne des Art. 20 unseres Grundgesetzes und eine Hinwendung zur Ellenbogengesellschaft“392 wolle, allerdings hatte Schmidts Finanzminister Lahnstein bereits selbst eine„Agenda ’90“ vorbereitet, die im Grundtenor den Lambsdorffschen Positionen folgte.393 Lahnstein forderte „eine starke internationale Komponente“, ein Abbremsen des Anstiegs der Lohn- und Lohnnebenkosten, „Korrekturen der Sozialversicherungssysteme“, die „Stärkung der Eigenverantwortlichkeit“ im Gesundheitswesen, eine Konsolidierungsstrategie

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gegen Staatsverschuldung, die Veräußerung öffentlichen Eigentums zur Umwandlung von „Konsumkaufkraft in investitionsbereites Risikokapital“ und schließlich „Ausnahmen von den geltenden Normen (Lehrlingsvergütung, Ausbildungsordnung)“ zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.394 Mit diesen Papieren begann „ein Um- bzw. Abbau des Wohlfahrtsstaates, welcher bis heute anhält“, wie Abelshauser schreibt. 395 In den folgenden Jahrzehnten war die Realisierung der Eckpunkte durchaus erfolgreich – vor allem mit Blick auf das Ziel, die bestehenden Sozialstandards, Lohnfindungsprozeduren und Marktregulierungen in Europa über eine „starke internationale Komponente“, über den Ausbau der Europäischen Union und über die Schaffung supranationaler Gremien auszuhebeln.396 Das Ende des Ost-West-Konflikts 1989 beschleunigte die ordnungspolitische Expansion; damals wurde der Sprung in eine neue geopolitische Qualität vollzogen. Der ökonomische und politische Bankrott der Sowjetunion als Folge des Systemwettbewerbs ermöglichte den USA weltweit ein fast unbeschränktes Agieren. Sie nutzte ihre historisch einzigartige globale Machtstellung, um das neoliberale Programm schnell und umfassend als neuen Standard internationaler Wirtschafts-, Handels- und Finanzpolitik durchzusetzen. Politisch administriert wurde der ordnungspolitische Kurswechsel über das US-Finanzministerium im Zusammenspiel mit den alten Bretton-Woods-Institutionen Weltbank und IWF. Zwar waren diese Institutionen ursprünglich gegründet worden, um Armut zu bekämpfen, für verschuldete Staaten Kredite bereitzustellen und ihnen die weitere Teilnahme am internationalen Handelssystem zu ermöglichen. Allerdings rekrutierten sich die führenden Köpfe von Beginn an aus Kreisen US-amerikanischer Bank- und Finanzfachleute, welche die Kreditvergabe unter weitgehender Missachtung der eigenen ethischen Regeln397 zunehmend an den Vollzug neoliberaler Regeln knüpften. Aus dem Tableau konkurrenzloser Globalmacht, finanzieller Druckmittel und eines inzwischen weit fortgeschrittenen ordnungspolitischen Umdenkens erwuchsen in schneller Folge drei internationale Zielvereinbarungen resp. Vertragswerke mit beträchtlicher geostrategischer Wirkung: Der Washingtoner Konsens von 1990 398, der Maastrichter Vertrag zur Gründung der EU 1992399 und die Gründungsakte der Welthandelsorganisation WTO 1994.400 Allen diesen Übereinkünften lag die neoliberale Architektur zugrunde, und sie würden im nächsten Vierteljahrhundert die globalen Finanz- und Handelssysteme und die innenpolitischen Entwicklungen der Staaten so stark prägen wie das Abkommen von Bretton Woods knapp 50 Jahre zuvor. Im Maastrichter Vertrag wird die Abkehr von der ursprünglich stark wohlfahrtsstaatlich ausgerichteten

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europäischen Integrationsidee und die Hinwendung zu einer umfassenden Ökonomisierung der Gesellschaften besonders deutlich: Hatte man sich in den Gründungsdebatten nach dem Zweiten Weltkrieg lange an den Rooseveltschen Freiheiten der Rede und der Religion, der Freiheit von Not und Furcht orientiert, traten nun die vier Freiheiten des Warenund Kapitalverkehrs, der Dienstleistungen und der Freizügigkeit der Arbeitnehmer an ihre Stelle. Die EU-Gründung war für den modernen Neoliberalismus eine Erfolgsgeschichte in dreifacher Hinsicht: Ordnungspolitisch, weil hier die Ökonomisierung, Liberalisierungs- und Privatisierung der europäischen Lebens- und Politikverhältnisse zur dominierenden Idee wurde; geopolitisch, weil diesem großen Projekt auf einen Schlag zwölf Staaten beitraten, denen 1995 drei weitere und mit der Osterweiterung der EU 2004 nochmals zehn folgten; ideologisch und machtpolitisch, weil sich die wichtigen sozialdemokratischen Parteien Großbritanniens und Deutschlands mit dem Schröder-Blair-Papier von 1999 von ihren solidargesellschaftlichen und sozialstaatlichen Orientierungen lösten und den ordnungspolitischen Kurs ihrer jeweiligen Vorgänger Thatcher und Kohl übernahmen bzw. verschärften.401 Indem Schröder und Blair die historische Rolle des Staates bei der Schaffung von Wohlstand herabstuften und die Leistungen des Einzelnen und der Wirtschaft hervorhoben, näherten sich zwei Leitfiguren der europäischen Sozialdemokratie sukzessive der Hayekschen Logik an, nach der die Märkte unbehindert von Eingriffen aller Art sein sollten.402 Die Sozialdemokraten stellten 1999, zur Zeit dieses ordnungspolitischen Seitenwechsels, in allen EU-Ländern (mit Ausnahme Spaniens und Irlands) die Regierung, von denen eine Reihe der neuen Linie faktisch folgte – trotz heftiger Diskussionen in der Sozialistischen Internationale. Im Spätjahr stimmten sich auf dem Reformgipfel von Florenz US-Präsident Bill Clinton, EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, die SP-Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien, Portugal, Italien, Deutschland und Brasiliens Präsident Fernando Cardoso unter anderem über Reformen der Sozialversicherungssysteme ab. 2003 gab der wiedergewählte Kanzler Schröder seine Regierungserklärung ab, die als Agenda 2010 Geschichte machte – und den zeitlichen Ausgangspunkt für den politischen Absturz der europäischen Sozialdemokratie bildete, von dem sie sich bis heute nicht erholen sollte.403 Liberalisierung – Finanzkrise – politische Strukturkrise In den USA wurde der Paradigmenwechsel durch die rigorose Deregulierung der Finanzmärkte während der Regierungszeit Bill Clintons und seiner Finanzminister Jerry Rubin und Larry Summers befeuert 404 – wie

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man heute weiß, war es das Vorspiel für die weltweite Finanzkrise 2007/2008.405 Das seit 1932/33 bestehende Glass-Steagall-Gesetz, das die Trennung von Geschäfts- und Investmentbankenaktivitäten vorschrieb, wurde 1999 aufgehoben. Die Vorschrift war nach der Weltwirtschaftskrise erlassen worden, da man für Spekulationen mit Investmentpapieren auch die Spareinlagen der normalen Bankkunden eingesetzt hatte, die nach dem Zusammenbruch der Geschäfte vernichtet waren. Nach Aufhebung des Gesetzes wanderten die Investitionen von realen Waren- und Industriegeschäften zu den weitaus profitableren Geldanlagen im Finanzsektor, was sich allerdings negativ auf Lohnentwicklung und Konjunktur auswirkte. Die Zentralbank unter Alan Greenspan flutete die Finanzmärkte mit billigem Geld, um die private Schuldenaufnahme zu erleichtern, dadurch die Konjunktur zu befeuern und eine Neuauflage der Rezession der 1990er Jahre zu verhindern. Mit diesem Geld konnte der Banksektor günstige Konsumentenkredite und Hausfinanzierungen vergeben und zugleich die Kreditvergabestandards senken, sodass nun auch jene Arbeitnehmer und kleinen Gewerbetreibende Kredite erhielten, die unter normalen Umständen abgelehnt worden wären. Das Konzept bestand im Grunde aus einer schuldenfinanzierten Belebung der Nachfrage. Das funktionierte zunächst, die Konjunktur zog an, die Umsätze stiegen, die Wohnungspreise allerdings auch. Da aber viele Kreditnehmer bald von jener Stagnation der Beschäftigung, dem Ansteigen der Arbeitslosenzahlen und dem Sinken des Lohnniveaus betroffen waren, die aus der Abwanderung der Investitionen aus dem Industriesektor resultierte, konnten viele der Kredite nicht mehr bedient werden. Zunächst nutzten die Banken die seit den 1980er Jahren bestehende Möglichkeit der sog. gebündelten Verbriefung: schlechte Kreditforderungen konnten mit anderen Papieren gemischt am Markt angeboten werden. Ursprünglich zugelassen, um auch ärmeren Bevölkerungsschichten zu Wohneigentum zu verhelfen, wurden diese gebündelten Verbriefungen nun zu einem Hauptinstrument der Kreditrisikoabwälzung. Als Kaufanreiz für potentielle Großkunden wie Versicherungen, Rentenfonds, andere Banken und sonstige professionelle Anleger stattete man diese Forderungen, unter denen sich nun sogenannte toxischen oder Ramschpapiere befanden, mit einer – oft positiven – Bewertung der großen Rating-Agenturen aus. 406 Solche Papiere wurden übrigens von der Deutschen Bank noch zu einem Zeitpunkt auf dem Markt angeboten, als sie selbst bereits auf den Zusammenbruch des Immobilienmarktes spekulierte. 407 In Erwartung hoher Renditen408 kauften die internationalen Anleger Verbriefungen in Billionenhöhe – nicht zuletzt in Deutschland, wo die CDU/SPD-Regierung mit Finanzminister Steinbrück in der damaligen Deregulierungseuphorie die-

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se Finanzprodukte gerade genehmigt hatte. schließlich brachen die Immobilienpreise in den USA ein, die Papiere waren nichts mehr wert, große Anleger wurden über Nacht zahlungsunfähig, die Welle schwappte nach Europa über, das internationale Finanzsystem drohte zusammenzubrechen – eine Situation, die im Großen und Ganzen jener Entwicklung entsprach, die 1929 zum Börsenkrach und zur Weltwirtschaftskrise geführt hatte. Im Unterschied zu 1929 konnten die Regierungen der Industriestaaten den drohenden Zusammenbruch der Weltwirtschaft mit massiven geldpolitischen Interventionen verhindern, allerdings zu einem hohen Preis: Die Banken und Versicherungen wurden auf Rechnung der Steuerzahler mit Geld und Zahlungsgarantien gestützt, um den Zahlungsverkehr in Gang zu halten und Forderungen zu begleichen – was wiederum zum weltweiten Anstieg der Staatsverschuldung führte: Sie lag 2013 im Vergleich zur Vor-Krisenzeit um beachtliche 80% höher.409 Aufgrund dieser plötzlichen Belastung der Staatshaushalte gerieten die ökonomisch schwächeren und bereits hoch verschuldeten sog. PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien) nun selbst an den Rand der Zahlungsunfähigkeit und mussten ihrerseits von der EU und dem IWF mit neuen Krediten gestützt werden. Die EZB kaufte Banken und Versicherungen nun die hoch riskanten Anleihen der wankenden PIGSStaaten ab. Im Grunde übernahm damit die öffentliche Hand die Forderungen und Risiken der privaten Anleger und bewahrte sie so von dem drohenden Verlust ihrer Geldanlagen. Die neuen Gläubiger IWF und EU stellten unter Begriffen wie „notwendige Reformen“ und „Strukturanpassungen“ harte Bedingungen: Die Schuldnerländer waren gehalten, staatliches Eigentum an Investoren zu verkaufen, die Renten zu senken, den Arbeitsmarkt zu deregulieren und Arbeitsschutzbedingungen aufzuheben etc. – alles das eben, was als Konsequenz aus der 8-Punkte-Agenda (s. S. 126 f.) abzuleiten ist. EZB-Präsident Draghi nutzte die Situation zu einer generellen Absage an das bereits stark in Mitleidenschaft gezogene europäische Sozialstaatsmodell und plädierte für eine weitere Intensivierung des neoliberalen Kurses.410 Die Verlagerung politischer Macht Mit der Deregulierung des Finanz- und Bankensektors und der Freigabe hoch spekulativer Finanzprodukte entstand ein Derivatemarkt, auf dem nicht mit realen Waren, sondern mit Erwartungsprodukten gehandelt wird, mit Wetten auf die Preisentwicklung von Waren oder Wertpapieren, letztlich mit Wetten auf Versprechungen und Hoffnungen. 411 So

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übersteigt der Handel mit noch gar nicht vorhandenen, aber erwarteten Fördermengen an Erdöl die physisch existenten Mengen um das 15-fache412, das Verhältnis zwischen physisch vorhandenem Gold und dem Handel mit Anrechten auf Gold, dem sog. Papier-Gold, beträgt je nach Schätzungen zwischen dem 9-fachen (2012)413 und dem 200-fachen (2015)414. Das auf diesem luftigen Illusions-Markt generierte Finanzvolumen lag 2009 bei 600 Billionen Dollar, womit es den Wert der Realwirtschaft um das Zehnfache überstieg. 415 Die aus diesen Geschäften entstandenen Privat- und Firmenvermögen haben inzwischen exorbitante Ausmaße angenommen; die Profite daraus stehen, obwohl in einer irreal-virtuellen Sphäre von Potentialitäten entstanden, als Anlagekapital in der realen Welt zur Verfügung. Allein die 15 weltweit größten Vermögensverwalter, darunter Giganten wie Blackrock, JP Morgan Chase etc., betreuen derzeit das Vermögen institutioneller Anleger wie Versicherungen, Pensionsfonds und Stiftungen in Höhe von 22 Billionen Dollar; die 15 größten Verwalter von Privatvermögen, unter ihnen Goldmann Sachs oder die Schweizer UBS, betreuen etwa 10 Billionen Dollar. 416 Blackrock bspw. ist in Deutschland größter Anteilseigner bei 28 der 30 Firmen des Deutschen Leitindex.417 Das Gesamtvolumen des anlagebereiten Vermögens lag bei etwa 70 Billionen Dollar. 418 Ein Teil des Kapitals wird in Industriefirmen investiert; ein anderer Teil mit geringem Risiko in Staatsanleihen, mit denen die emittierenden Staaten jene laufenden öffentlichen Aufgaben finanzieren, die nicht über Steuereinnahmen gedeckt sind. 2013 hatten sich diese Schulden weltweit auf 43 Billionen Dollar erhöht – ein Anstieg von 80 Prozent gegenüber 2007, der Zeit vor der letzten Finanzkrise. Dieser Verschuldungssprung resultierte aus zwei Vorgängen: Zum einen aus dem durch die Konkurrenzregeln erzeugten Zwang zum internationalen Steuerwettbewerb „down to the bottom“, der zu sinkenden Steuereinnahmen und vor allem zu einer Schonung von Kapitaleinkünften führt.419 Die Wertschöpfung der Kapitalmärkte geht an den Fiskaleinnahmen vorbei. Aus Sicht großer Vermögenseigner bedeutet dies Steuerersparnis und zusätzlich verfügbares Geld – das wiederum gern in jene öffentliche Anleihen investiert wird, die die Staaten wegen eben der sinkenden Steuereinnahmen aufnehmen müssen. Zum anderen ist er eine Folge der Rettung eben jener Investoren durch öffentliche Gelder, die in der Finanzkrise 2007 ff. eigentlich bankrott gegangen waren. Im Grunde haben die Schuldner (die Staaten) die Gläubiger (die Finanzmarktakteure) mit neuer eigener Verschuldung gerettet. Die inzwischen fast irreparable einseitige Abhängigkeit der Politik von Investoren drängt die chronisch verschuldeten Nationalstaaten in einen ruinösen Wettbewerb um die besten Investitionsbedingungen und bringen sie damit in eine Zwick-

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mühle: Folgen sie den Forderungen nach guten Kapitalverwertungsbedingungen, etwa über Reduzierung umlagefinanzierter Sozialversicherungen und Steuern, Senkung der Löhne, Privatisierung öffentlichen Eigentums und Senkung der Staatsausgaben, bricht ihnen die Zustimmung der Wähler weg. Tun sie es nicht, bleiben Investitionen aus, Arbeitsplätze verschwinden, und wegen der schlechteren Einstufung der Rating-Agenturen steigen die Schuldzinsen für Staatsanleihen, aus der wieder jene höhere Staatsverschuldung resultiert, welche die sozialpolitischen Handlungsspielräume mindert – mit entsprechenden Reaktionen des Wahlvolkes. Diese Beziehungen bilden die Nahtstelle, an der ökonomische Macht in politische übergeht und an der das immense politische Potential von Kapital zutage tritt. Die Politik hat das Wachsen der Finanzmärkte nach Kräften gefördert. Nach der Finanzkrise versuchte man sich an Maßnahmen zu ihrer Eindämmung und Re-Regulierung: Basel III und IV, Volcker-Regel, Ende des Steuerwettbewerbs down to the bottom, Austrocknen der Kapitalflucht-Oasen etc. etc. Das alles hat wenig bis nichts genutzt. Inzwischen ist das politische Aktionspotential des Marktsektors auf einem Niveau angelangt, das sich mit den derzeitigen und herkömmlichen Regierungsinstrumentarien schlechterdings nicht mehr rückgängig machen lässt – eine Abhängigkeit, die merkwürdig anmutet, da der Kapitalismus als System zu seinem Überleben auf politische und ökonomische Institutionen angewiesen ist.420 Freihandelszonen vs. staatliche Rechtsetzungsmonopole Wurde die Handlungsmacht vieler Staaten durch die Krisenbewältigungsmechanismen, steigende Staatsverschuldung und politischen Druck der Gläubiger bereits faktisch eingeschränkt, stellt sich mit der Errichtung von Freihandelszonen ein weiteres Problem In den seit 2013 ff. laufenden Verhandlungen zwischen Kanada resp. den USA und der EU über die transatlantischen Projekte CETA und TTIP geht es vordergründig um den Abbau von Handelshemmnissen, um die Angleichung unterschiedlicher Industriestandards, den Wegfall von Zöllen etc. Die Brisanz liegt in der möglichen Schwächung verfassungsgebundener Rechtsetzungs- und Gesetzgebungssouveränität zugunsten privatwirtschaftlicher Regelwerke. Die bekannt gewordenen Vertragseinzelheiten deuten auf dauerhafte und institutionalisierte Eingriffe in die Grundarchitektur der demokratischen Verfassungsstaaten hin. Insbesondere mit der angestrebten Einrichtung nichtstaatlicher Schiedsgerichte wäre dem grundrechtsgebundenen Rechtsstaat ein weiterer normativer, nunmehr privater Rechtsetzungskonkurrent zur Seite gestellt. Dieser parallel agierende Konkurrent erfüll-

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te nicht die traditionellen Anforderungen der Rechtsstaatlichkeit, der Öffentlichkeit der Verhandlungen421, des für alle Bürger offenen Rechtswegs, der Berufungsmöglichkeiten, der Bindung der Rechtsprechung an Gesetze und der demokratischen Legitimation der Gerichte. Zudem stünde das Klagerecht ausschließlich Firmen oder Eigentümern mit bestimmten ökonomischen Ansprüchen zu, nicht aber Staaten und Bürgern. Nach allen bisherigen Erfahrungen zielen derart privilegierte Klagerechte vor allem auf Sozial- oder Umweltgesetze, die erwarteten Gewinne aus bereits getätigten Investitionen im Wege stehen. Gedacht ist aber auch an Klagemöglichkeiten gegen Gesetze, die zukünftig mögliche und denkbare, aber noch gar nicht reale Verwertungs- und Gewinnchancen einschränken könnten – eine Manifestierung spekulativer Besitzansprüche auf zukünftige Wertschöpfungen, die unter dem Begriff Valorisierung firmiert422 und bereits unter dem Stichwort Erwartungsprodukte angesprochen wurde. In solchen Konstruktionen findet sich der politische Anspruch des Neoliberalismus auf ausschließlich private und marktgerechte Nutzung aller realen und potentiellen, materiellen und immateriellen Ressourcen mitsamt ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Erträge und Nutzungsmöglichkeiten jenseits staatlicher Ordnungs-, Ausgleichs- und Lenkungsansprüche. Mit der Einrichtung einer Sondergerichtsbarkeit und der rechtlichen Privilegierung der Eigentümer würde die Verwirklichung der Hayekschen Forderung nach besonderem Schutz des Eigentums und der Gewinnerwartungen ebenso näher rücken wie die Entstehung einer über dem Staat stehenden elitären Über-Instanz. Zudem bedeutete die Hegemonie eines globalen privatrechtlichen Souveräns einen herben Rückschlag für den teuer erkauften und stets bedrohten Fortschritt des humanitären Völkerrechts. Sollte sich das Hayeksche Dogma durchsetzen, nach dem die Implementierung von Gerechtigkeitserwägungen oder Zwecken wie die Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse in die Sphäre der Wirtschaft ein „Rückfall in alte Instinkte“ und eine „evolutorische Rückwärtsentwicklung“ bedeutete, würden die vielfältigen, historisch gewachsenen Menschenrechtsnormen durch die allein gültige Regel der Ökonomisierung menschlicher Verkehrsverhältnisse ersetzt. Zusammen mit dem Verlust demokratisch legitimierter und grundrechtsgebundener Gestaltungs-, und Rechtsetzungskompetenz wären die politischen Veränderungen so tiefgreifend, dass Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung von einem „der gefährlichsten Angriffe auf die demokratischen Rechts- und Sozialstaaten“ sprach, die es je gegeben hat. 423 Allerdings sind die TTIP-Verhandlungen derzeit ganz auf Eis gelegt. Die Gründe dafür werden deutlich, wenn man das Verhältnis von Freihandelszonen, WTO und Vereinten Nationen, von 8-Punkte-Programm

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und Menschenrechtscharta in den letzten 40 Jahren betrachtet. Es erlaubt Einblicke in ein strategisches Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel der westlichen Industriestaaten, das zwischen dem Rückzug aus internationalen Institutionen und der Gründung neuer Organisationen changiert, um sich unliebsamer und vor allem völkerrechtsbasiert Entscheidungen zu entziehen. So hatte eine UN-Sondergeneralversammlung 1974 eine „Erklärung über die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung“ und eine „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten“ verabschiedet. Die Ziele waren ambitioniert: Faire Preisrelationen für die Dritte Welt, schrittweise Beseitigung von tarifären und nichttarifären Handelshemmnissen, um für die Staaten der Dritten Welt Zugang zu den Märkten der Industrieländer zu schaffen, volle Souveränität über die eigenen Rohstoffe, Verbot von wirtschaftlichem und politischem Druck, freie Wahl des Wirtschafts- und Sozialsystems ohne Diskriminierung, das Recht auf Revision der Ergebnisse kolonialer Gewaltherrschaft und Ausbeutung usw. – all das führte zu einer optimistischen Stimmung unter den Drittweltstaaten.424 Sie war jedoch nur von kurzer Dauer, denn die Umsetzung dieser Verbesserungen wurde von den entscheidenden Institutionen Weltbank und IWF und damit letztlich von den westlichen Industrienationen konterkariert. Auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) 1983 in Belgrad scheiterten die Bemühungen um eine sozial gerechtere ‚Neue Weltwirtschaftsordnung‘ schließlich – mit verheerenden „Konsequenzen für die Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit in den meisten Staaten der Dritten Welt“, wie Helmut Volger schreibt.425 Damit war bis auf weiteres eine Fortschreibung des Welthandelsrechts blockiert, welche die – nicht zuletzt aus der Kolonialzeit stammenden – Entwicklungsunterschiede der Handelspartner sukzessive abbauen sollte. Blockiert war auch die Möglichkeit, im Zuge globaler Vergangenheitsbewältigung mit der Revision der langen und blutigen Kolonialgeschichte zu beginnen. Nachdem die Initiative der UNCTAD 1983 gescheitert war, begannen auf Betreiben der USA, Australiens, Neuseelands, Japans und Westeuropas 1987 die Verhandlungen für die Gründung einer neuen internationalen Handelsorganisation, die 1994 als WTO ihre Arbeit aufnahm. Deren Ordnungspolitik beruhte von Anfang an auf den bekannten neoliberalen Grundsätzen. Damit stand die WTO im Gegensatz zu den Bestrebungen der UNCTAD; letztlich konterkarierte sie auch den VN-Sozialpakt von 1966, in dem die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte festgeschrieben wurden, darunter das Menschenrecht auf Wasser, Nahrung und Gesundheit.426 Als sich die alten Zielkonflikte auch in der WTO fortsetzten427, was 2001 zum Scheitern der Konferenz von Doha

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führte, gingen die führenden Exportnationen dazu über, die Regeln der Weltwirtschaft über multilaterale Freihandelsabkommen wie TTP, CETA und TTIP zu verhandeln, in denen sie ihre Verhandlungsmacht zur Umgehung lästiger Sozial-, Gesundheits- und Umweltschutzauflagen bedeutend leichter ausspielen können als in der WTO.428 15 Jahre nach Doha entdeckte Großbritannien plötzlich die sozialen und finanziellen Rahmenbedingungen der EU-Freihandelszone als Belastung. Nach einer groß angelegten Medienkampagne des neoliberalen Medien-Tycoons Rupert Murdoch429 und einem erfolgreichen Referendum, kündigte man 2016 die EU-Mitgliedschaft. Ein Jahr später zogen sich die USA unter Präsident Trump aus dem bereits unterzeichneten transpazifischen Abkommen TTP zurück, weil man Handelsnachteile für die eigene Wirtschaft befürchtete. Daraufhin legte auch die EU die Verhandlungen mit den USA über TTIP auf Eis. Sowohl Großbritannien als auch die USA setzen nun auf unilaterale Freihandelsabkommen, wobei sie gleichzeitig weitere Liberalisierungs- und Deregulierungswellen anstießen, insbesondere über die Senkung von Steuern und die Reduzierung der Staatsausgaben. Stattdessen begannen die USA, Strafzölle gegen die Freihandelspartner in spe von gestern zu verhängen und mit dem Gedanken des Austritts aus der WTO zu spielen. In zwei Sätzen zusammenge fasst: die UNCTAD wurde durch Gründung der WTO ausmanövriert, die WTO durch die Einrichtung multilateraler Freihandelszonen, und diese wieder werden konterkariert durch das Ausweichen auf bilaterale Abkommen und auf beginnenden Protektionismus – wobei die genannten Institutionen nebeneinander oder in Konkurrenz zueinander weiterexistieren. Konkurrenz privater und öffentlicher Rechtsetzungssphären Die oben skizzierte Schaffung immer neuer staats- und völkerrechts-ferner Regel- und Organisationssphären, in denen privatwirtschaftliche Akteure eine dominierende Rolle spielen, stellt wiederum Teil eines größeren Trends dar. Seit den 1980er Jahren ist das internationale Recht mehr und mehr zum Aktionsfeld von Privatisierungsprozessen geworden, in der dem Staat „das Monopol für die Aufrichtung von Verfügungsrechten immer stärker“ entgleitet.430 Der Grund liegt in der Entstehung eines „globalen Rechtspluralismus“ in den 1980er Jahren.431 Beruhte die alte, aus der Zeit des Westfälischen Friedens stammende Ordnung bis ins 20. Jahrhundert fast ausschließlich auf dem Zusammenspiel zwischen dem Völkerrecht und den nationalen Rechtssystemen, so existieren inzwischen eine Vielzahl von Rechtsetzungssphären mit eigenem Regelwerk

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und eigener Rechtsetzungsbefugnis. Organisationen wie die WTO erlassen etwa als staatlich gegründete internationale Organisationen Vorschriften, die teilweise unmittelbare und bindende Wirkung für Staaten und ihre Bürger haben, aber ganz eigenen Regeln folgen. Im Rahmen eines solchen supranationalen Rechts werden Entscheidungen getroffen, die weder an das allgemeine Völkerrecht noch an rechtsstaatliche und demokratische Legitimation gebunden sind. Die konkurrierenden und teilweise gegenläufigen Zielsetzungen der parallel agierenden Rechtssphären zeigen sich in bestimmten Konflikten zwischen Freihandelsinteressen und Umweltschutzbelangen432 ebenso wie in den angestrebten privaten Schiedsgerichte der Freihandelszonen. Letztere sind Einrichtungen, die, wie der ehemalige Verfassungsrichter Siegfried Broß befand, mit dem deutschen Grundgesetz und dem Völkerrecht kollidieren; die Bindung an beide Systeme wäre aus seiner Sicht nur garantiert, wenn solche Rechtsprechungsinstanzen ihren privaten Charakter verlören und als legitimierte Staatsschiedsgerichte organisiert würden.433 Neben diesem supranationalen Recht gewinnt seit geraumer Zeit ein transnationales Recht an Bedeutung, in dem internationale Konzerne selbst Verhaltensregelwerke zur Geltung bringen, die etwa die Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsschutzstandards oder die Korruptionsprävention betreffen. Hier zeigt sich ein Trend zu einem sog. „soft law“, in dem private Akteure unverbindliche ethische Standards der Kriminalitätsbekämpfung, des Menschenrechts- und Umweltschutzes setzen, während das „hard law“ des Staates eher beiseite steht 434 – wobei in der internationalen Diskussion noch nicht einmal geklärt ist, ob private Akteure im Unterschied zu staatlichen Stellen überhaupt den Verpflichtungen aus Grundrechten und damit des Völkerrechts unterliegen. 435 In diesen neuen Grauzonen supranationalen und transnationalen Rechts werden für hunderte von Millionen Menschen verbindliche und existentielle Entscheidungen getroffen, die der demokratisch legitimierten Rechtsetzung entzogen sind und sich zugleich den Anschein wertfreier, technisch ausgeklügelter und objektiver Verfahren geben, obwohl sie keineswegs interesselos sind.436 Der Trend zu unklaren Kontrollinstanzen und Verlusten rechtsstaatlicher Kompetenzen spiegelt sich in einem neuen internationalen Governance-Vokabular, das anstelle der traditionellen und verfassungsrechtlich klar definierten Begriffe wie „Regierung“, „Institution“, „Rechtsgarantie“, „Verantwortlichkeit“ oder „Recht und Gesetz“ nunmehr verschwommene Begriffe wie „Steuerung“ „Regime“ „Compliance“ und „Legitimität“ verwendet.437 Unbestritten ist, dass in der Globalisierung gemeinsame Werte- und Verfahrensstandards notwendig sind, um Konflikte verschiedener

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Rechtssysteme zu vermeiden. Die Frage ist nur, ob man der Privatisierung der Rechtsetzungsysteme nachgibt oder ob man zum Anspruch staatlich-demokratischer und völkerrechtlicher Gültigkeit zurückkehrt. Andreas Fischer-Lescano etwa plädiert für eine Neubestimmung von Legalität und Legitimität supranationaler Entscheidungen und für die Anerkennung der „Parallelisierung und Vernetzung von gesetzlicher und vertraglicher Geltungsproduktion“. Zudem hält er die Anpassung hergebrachter Demokratievorstellungen für notwendig: „In den transnationalen Arrangements, die zwar teilweise öffentliche Belange berühren, Recht aber häufig ohne staatliche Beteiligung im Vertragswege in Geltung setzen, scheint es gar einer grundlegenden Neuformulierung des Verhältnisses von Demokratie und Grundrechten zu bedürfen.“ 438 Fischer-Lescanos Vorschlag tendiert zur Anerkennung der Koexistenz mehrerer Systeme. Da dies unumgänglich Fragen der Verfassungen tangiert, wird auf diesem Feld auch das künftige Schicksal der bisherigen Rechtsordnungen, der liberalen Verfassungsstaaten und der demokratischen Legitimation ausgehandelt. Ordnungspolitische Druckmittel und Machtverschiebungen Die neoliberalen Erfolge bei der Öffnung verschlossener oder regulierter Märkte und bei der Durchsetzung neoliberaler Regimes beruhen inzwischen weniger auf dem Einsatz von Brachialmethoden, wie sie das britische Empire in China oder die USA in Japan noch im 19. Jahrhundert praktizierten.439 In Zeiten globalisierter Wirtschaftsbeziehungen basieren sie eher auf dem strukturellen Zwang staatlicher und privater Akteure, sich den neoliberalen Regelwerken zu unterwerfen, um Zugang zu den großen Märkten zu erhalten. Marktzugang: So kann sich derzeit kaum ein staatlicher oder privater Marktteilnehmer den Übereinkünften von Washington, Maastricht und Marrakesch entziehen, wenn er beim internationalen Warenaustausch im Spiel bleiben oder Investoren für nationale Industrieprojekte gewinnen will.440 Um Kredite des IWF oder der Weltbank zu erhalten sind unterentwickelte Länder um den Preis des Zusammenbruchs ihrer eigenen heimischen Märkte gezwungen, staatliche Unternehmen zu privatisieren und ihre Handelsgrenzen für subventionierte Waren der Industrienationen zu öffnen, obwohl sie mit deren Dumpingpreisen nicht konkurrieren können.441 Wie subtil solche Druckmittel aussehen können, zeigt das Verhalten der Weltbank in Chile.442 Zudem sehen die Bedingungen der WTO bei Regelverstoß schmerzhafte Sanktionen wie die Erhebung von Strafzöllen für den Fall vor, dass ein Staat Exportgüter subventioniert,

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um sich damit einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Das Instrument des Strafzolls oder gar des Ausschlusses ist ein mächtiger Hebel, denn mehr denn je entscheiden Zugang oder Nichtzugang zu den Märkten über die Wirtschaftskraft einer Nation und damit letztlich über die Frage ihrer Souveränität und ihrer Zukunft. Erfolgreiche Handelsbeziehungen sind zu einem entscheidenden Kriterium der Legitimation von Regierungen geworden, das politische Akteure nur bei Strafe des eigenen Scheiterns missachten können. Selbst Wirtschaftsgiganten wie China buhlen aus diesem Grund um die volle Mitgliedschaft im Kreis der marktwirtschaftlich definierten Staaten.443 Sowohl Welthandelsrecht als auch Menschenrechtsabkommen sind wesentliche Bestandteile des gültigen Völkerrechts, aber im Zweifelsfall orientieren sich die Staaten eher an der Einhaltung des Handelsrechts, da Sanktionen gegen Verstöße hier tiefgreifender, wirksamer, schmerzhafter und unmittelbarer sind. 444 Diese Aufspaltung des Völkerrechts ist letztlich seit den Debatten um die Gleichberechtigung der Menschenrechte der ersten und zweiten Generation in den frühen 1950er Jahren nicht gelöst. Aus diesen und anderen Konstellationen mag sich erklären, warum bei der überwiegenden Zahl internationaler Handelsabkommen bisher eine Implementierung der Menschenrechte verhindert werden konnte.445 Da auch den Staaten das Hemd näher ist als die Hose, setzen sich in der Regel die Vertreter des Neoliberalismus durch, die die Berücksichtigung der Menschenrechte als Eingriff in die Märkte und die Preisbildung sehen. Kreditregeln und Leitwährung: Dies umso mehr, als internationaler Handel im wirtschaftsliberalen System nach dem Prinzip kommunizierender Röhren funktioniert: die Exportüberschüsse der einen Staaten sind die Defizite der anderen.446 Ein solches System bringt zwingend Gläubiger und Schuldner hervor, wie auch in der Krise der EU-Währungsunion geschehen, und da Schuldenerlasse oder andere Formen der Entlastung nicht vorgesehen sind, gibt es immer Staaten, die zur Aufnahme von Krediten bei IWF, Weltbank oder privaten Investoren gezwungen sind.447 Diese Regelung ging auf Bretton Woods zurück und sollte sich als folgenreich erweisen. John Maynard Keynes hatte damals, um solche Situationen zu vermeiden, eine multilaterale Organisation vorgeschlagen, bei der ein Staat seine Importschulden bei einem Handelspartner mit seinen Exportüberschüssen in einem anderen Land bezahlen konnte. Das hätte lediglich eine gemeinsame Verrechnungswährung erfordert und dem Schuldnerstaat erlaubt, jene Kreditaufnahme zu vermeiden, die letzten Endes mit den Risiken politischer Abhängigkeit einhergeht. Der Keynes-Plan wurde abgelehnt, die USA setzten ihren WhitePlan durch, der die Gründung eines von allen Mitgliedsstaaten gemein-

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sam finanzierten Fonds vorsah, aus dem Kredite an Schuldnerländer vergeben wurden448 – Geburtsstunde des IWF.449 Der Vorteil für die USA lag auf der Hand: Sie konnten als größter Beitragszahler, dessen Währung zugleich Leit- und Ankerwährung war, über diese Institution (und über die Weltbank) Einfluss auf den internationalen Handel und damit auf die internationale Politik nehmen.450 Die Geschichte der Zahlungsschwierigkeiten von Staaten und der darauf folgenden Kreditvergabebedingungen von Weltbank und IWF liefert dafür genug Beispiele 451, und nach dem gleichen Muster gestalteten sich in jüngster Zeit auch die politischen Forderungen von EU und IWF bei der Kreditvergabe an Griechenland, Portugal und Irland. Verlust von cheques und balances: Unzweifelhaft verloren die Ideen der Sozialbindung des Privateigentums und der umlagefinanzierten Lebens- und Zukunftsvorsorgesysteme in den letzten dreißig Jahren weltweit an Einfluss. Die in den 1920er und 1930er Jahren weltweit noch von so vielen Hoffnungen begleitete sozialistische Alternative zum Kapitalismus hatte bereits mit den Verbrechen des Stalinismus an Attraktivität verloren und sich schließlich in den ökonomischen und politischen Bankrott manövriert. Mit dem Wegfall dieses für lange Jahre präsenten Konkurrenzmodells zum Kapitalismus entfiel auch die Notwendigkeit, die verteilungspolitischen Kompromisse der Nachkriegsjahre aufrecht zu erhalten, die ja im transatlantischen Raum zu einem historisch bislang nicht erreichten Grad an Wohlstand und sozialer Sicherheit geführt hatten. Diese positive Entwicklung wiederum trug – Ironie der Geschichte – dazu bei, die politische und kulturelle Bindung der abhängig Beschäftigten an die alten sozialistischen und sozialdemokratischen Selbsthilfemilieus und Interessenvertretungen zu lockern.452 Gerade in den Industrienationen Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland schwand die bis dahin starke Diskurs- und Mobilisierungsmacht der Gewerkschaften.453 und der mit ihnen verbundenen linksorientierten Parteien. Zudem hatte die internationale Gewerkschaftsbewegung versäumt, ihre Politik an die längst vollzogene Internationalisierung der Produktions-, Dienstleistungs- und Finanzbetriebe anzupassen454 und sich unter neuen Bedingungen als nunmehr multinationale Interessenvertretung der lohnabhängigen Bevölkerung zu profilieren. Unter dem Druck der Globalisierung und der damit verbundenen Auslagerung von Arbeitsplätzen wurden sie in Europa und in den USA von ehemals starken Akteuren zu Getriebenen, die die neuen Regeln nicht mehr mitbestimmen, sondern nur noch deren Vollzug verwalten konnten.455 Der ordnungspolitische Seitenwechsel sozialdemokratischer Parteien tat ein Übriges. Die klassische Linke ist derzeit weltweit marginalisiert. Abgesehen von einigen südamerikani-

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schen Regierungen, die selbst mit Misswirtschaft und Marktdruck zu kämpfen haben, und abgesehen von einigen europäischen Bewegungen existiert keine parlamentarische Partei oder Bewegung, die nicht einen starken bis dominanten neoliberalen Flügel aufwiese Im Gegensatz dazu nahm der direkte Regierungs- und Parlamentseinfluss neoliberaler Akteure über finanziell gut ausgestattete Unternehmens-Stiftungen, Thinktanks, Wirtschaftslobbyisten und über einen regen Personalaustausch zwischen Wirtschaft, Regierungen, Parteien, Verwaltungen und Medienkonzernen erkennbar zu. In Deutschland gilt neben einflussreichen Politikberatungsfirmen wie Berger und McKinsey insbesondere die 2000 vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründete Initiative Soziale Marktwirtschaft als zentrale neoliberale Instanz der Meinungsbeeinflussung, die den presseunterstützten öffentlichen Meinungswechsel zur Privatisierung und Deregulierung maßgeblich und erfolgreich prägte und damit die Agenda 2010 der Regierung Schröder vorbereitete.456 In den letzten Jahrzehnten hat sich die Atlantik-Brücke in Verbindung mit dem Bilderberg-Meeting, der Trilateralen Kommission und dem vermutlich mächtigsten Gremium weltweit, dem US-amerikanischen Council on Foreign Relations 457 als besonders einflussreiches Netzwerk auf internationaler Ebene herauskristallisiert. Global wie die Mount Pelerin Society und der Council arbeitet auch die Open Society Foundation. Deren Gründer, der US-amerikanische Börsenhändler George Soros, tritt für offene Gesellschaften, für Toleranz gegenüber Minderheiten und für Demokratie ein und unterstützt entsprechende Bewegungen, wie etwa den Maidan in der Ukraine, mit hohem finanziellen Einsatz. Kritiker wie Paul Schreyer werfen dem Milliardär allerdings vor, sich hauptsächlich gegen staatlichen Zentralismus und Autoritarismus zu engagieren, nicht aber gegen die entsprechende Machtausübung von Unternehmen458 – eine Linie, die durchaus mit dem oben dargestellten neoliberalen Anspruch des Primats der Wirtschaft gegenüber demokratisch legitimierter Politik korrespondiert. Ausdruck dieser Kräfteverschiebungen ist auch die beträchtliche Anzahl von Regierungen, in denen Angehörige der Wirtschaftseliten, seien sie Manager großer Finanzinstitute und Firmen, seien sie vermögende selbständige Geschäftsleute, selbst Schlüsselpositionen übernommen haben. Inzwischen scheint die Präsenz des Neoliberalismus so gut wie lückenlos, seine publizistische und ideologische Macht allgegenwärtig, fast vergleichbar mit der gleichgerichteten Massenpresse in den ehemaligen sozialistischen Staaten – mit dem Unterschied, dass er vom Leser nicht als Ideologie erkannt wird. Er durchdringt das Denken der Gesellschaft,

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die Programme der Parteien und das Handeln der Regierungen. Darauf wird im dritten Teil noch näher eingegangen. Dieser Verlust der ‚cheques und balances‘ betrifft nicht nur die Nationalstaaten, sondern auch die Vereinten Nationen. Hatten sie auf dem Feld der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte in den zurückliegenden Jahrzehnten bereits mit einer starken Konkurrenz im Dreieck Weltbank-IWF-WTO zu kämpfen, so steht jetzt die Integrität der Organisation selbst zur Debatte.459 Schlichter Geldmangel zwang Sekretariat und Unterorganisationen in den letzten Jahren verstärkt zu Kooperationen mit finanzkräftigen Globalkonzernen, deren Zielsetzungen den Standards der UN-Charta zuwiderlaufen – eine absurde Situation, die nicht nur bestimmte Zielsetzungen der Entwicklungs- und Sozialpolitik direkt konterkariert, sondern auch geeignet ist, die politische Legitimation und die moralische Integrität des Staatenzusammenschlusses zu schwächen. 460 Letzteres gilt selbst für solche philanthropischen Unternehmungen wie die Linda-und-Bill-Gates-Stiftung. Sie steht kurz vor der Aufnahme in den Verwaltungsrat der WHO, bezieht aber Einnahmen aus der Pharmaund der Nahrungsmittelindustrie, die nach dem Willen der Stifter projekt- und zweckgebunden verwendet werden müssen. Kritiker sehen wegen der unausweichlichen inhaltlichen Einflussnahme auf die WHO, zu deren Aufgaben schließlich die Regulierung von Medikamenten und ungesunden Lebensmitteln zählt, einen erheblichen Interessenkonflikt.461

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Die Globalisierung der Vergangenheitsbewältigung Friedenssicherung, Völkerstrafrecht, Menschenrechte Die aktuellen Integritätsprobleme der UN leiten zu der Frage über, welches Schicksal den weiteren Zielsetzungen beschieden war, die aus der Phase zwischen 1941 und 1948 erwuchsen. Schließlich gehörten zum Katalog der Bewältigung der blutigen Vergangenheit des 19. und 20. Jahrhunderts nicht allein die Hebung des Lebensstandards, die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und die Beseitigung wirtschaftlicher Ungleichgewichte, sondern ebenso die Menschenrechte, die Prävention oder Eindämmung kriegerischer Konflikte, das Kriegsvölkerrecht und die Sanktionierung von Gesellschaftsverbrechen. Dass die Euphorie der Gründungsphase schnell verflogen und die Bilanz der Friedenssicherung angesichts der Blockkonfrontation der Großmächte durchwachsen war, ist bekannt. Das setzte sich bis in die 1980er Jahre hinein fort. Die UdSSR und die USA als Großmächte des Sicherheitsrats waren tief in die Kriege in Afghanistan und zwischen dem Irak und Iran als Aggressor resp. als Waffenlieferanten verstrickt. Ungeachtet ihrer Verantwortung nach Kapitel VII der UN-Charta verhinderten sie mit ihren Vetos wirksame Interventionen. 1983 kritisierte der damalige Generalsekretär Pérez de Cuéllar angesichts der Ohnmacht der Vereinten Nationen, „dass regionale Konflikte buchstäblich zu Stellvertreterkriegen der mächtigeren Nationen ausarteten. In solchen Situationen besteht die Tendenz, die beratenden Organe der Vereinten Nationen zu umgehen bzw. auszuschalten oder […] sich ihrer ausschließlich zum polemischen Schlagabtausch zu bedienen [...]“.462 Als der damalige US-Präsident Reagan auch noch die Mitarbeit auf ein Minimum reduzierte und Zahlungen der Mitgliedsbeiträge aussetzte, waren die Gestaltungsmöglichkeiten der Vereinten Nationen auf einem Tiefpunkt angekommen. Besserung trat ein, als der neue sowjetischen Staatschefs Gorbatschow weitgehende Kooperation in Fragen der internationalen Sicherheit anbot. Noch gegen Ende der Ära Reagan, vor allem aber in Zusammenarbeit mit dem neuen, für ein UN-Engagement aufgeschlossenen US-Präsidenten George Bush wurden zwischen 1988 und 1992 14 Friedensmissionen eingerichtet – mehr als in den 40 Jahren zuvor. Diese Zahl erhöhte sich bis 2001 auf insgesamt 54.463 Gleichzeitig brachten die großen humanitären Katastrophen dieser Jahre eine Weiterentwicklung des humanitären Kriegsvölkerrechts mit sich. In dieser Zeit rückte man vom bisher sakrosankten Nichteinmischungsgebot der UN-Charta ab und stattete

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die Mandate mit dem Recht auf den Einsatz von Zwang und militärischer Gewalt aus. Doch gerade die humanitären Katastrophen führten die Vereinten Nationen in die nächste Krise. Denn ihr Anspruch auf umfassende Zuständigkeit für das globale Friedenssicherungssystem wurde mit dem Scheitern der UN-Missionen beim Zerfall Somalias Anfang der 1990er Jahre, beim Völkermord in Ruanda 1994 und in den Konflikten im jugoslawischen Bürgerkrieg zwischen 1991 und 1999 unterminiert. Die Interventionen verlagerten sich hin zu regionalen Bündnissen und Staatengruppen, etwa bei der Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO 1999 oder bei Bildung internationaler Allianzen unter Führung der USA im „Krieg gegen den Terror“. Die Vereinten Nationen begannen, die ihnen erst kürzlich zugestandenen Handlungskompetenzen für die Unterbindung und Beilegung bewaffneter Konflikte wieder zu verlieren – ein Prozess, der bis heute aktuell ist. Damit laufen sie, wie Gareiss/Varwick schreiben, nicht nur Gefahr, im Bereich der zentralen Aufgaben, zu deren Erfüllung sie 1945 gegründet wurden, marginalisiert zu werden. Es steht auch und bis heute das Problem, „ob die Fragen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit auch künftig in der Verantwortung eines kollektiven Friedenssicherungssystems verbleiben oder aber auf die Ebene der Staaten bzw. regionaler Bündnissysteme rückübertragen werden sollen. Bliebe diese Option de facto den Staaten auf Ad-hoc-Basis überlassen, würde dieser Weg über kurz oder lang zur Abkehr von einer internationalen Rechtsordnung führen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg unter vielen Rückschlägen entwickelt hat, über deren Notwendigkeit jedoch bei aller Fragilität ein weitgehender Konsens zwischen den Staaten besteht.“464 Das Dilemma, dass die Vereinten Nationen nicht mehr als gemeinsames und ausschließlich legitimiertes Organ zur Behandlung globaler Probleme gesehen, sondern durch parallele staatliche und nichtstaatliche Bündnisse und Organisationen mit eigenen strategischen Interessen jenseits von Menschen- und Völkerrechtsbindung an den Rand gedrängt werden, besteht nicht nur im Bereich der Ökonomie, wie im letzten Abschnitt dargestellt. Es besteht ebenso im Bereich der Konfliktlösung und Friedenssicherung. Die Ursachen liegen also keineswegs nur im Versagen der erwähnten Friedensmissionen der 1990er Jahre, sie sind struktureller Art, sie finden sich im weithin abnehmenden Willen zur Kooperation und in der Rückkehr zu geopolitischer hegemonialer Machtpolitik, deren Kraftzentren oft gar nicht einmal in nationalen Regierungen verortet werden können. Ganz anders und in gewisser Weise erfolgreicher dagegen die Folgegeschichte der allgemeinen Menschenrechte. Das hat seinen Grund darin,

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dass Menschenrechtsfragen nicht so leicht durch das nach wie vor bestehende Souveränitätsprinzip blockiert werden können wie die Sanktionierung von Angriffskriegen und die Weiterentwicklung kollektiver Friedenssicherungssysteme. Die Ideen der Menschenrechte verbreiteten sich von Beginn an wesentlich durch zivilgesellschaftliche Diskurse und politische Kampagnen, sie sickerten gleichsam in die verschiedenen Kulturen und in politische Argumentationen ein, und ihre Stärke lag stets darin, dass sich die operative Politik der inneren Logik und Attraktivität nur schwer entziehen konnte. Auch wenn die Normativität und Rechtsverbindlichkeit der Menschenrechte nach wie vor zu wünschen übrig lässt, spielten und spielen sie doch in alle internationale Beziehungsebenen hinein, in die Konflikte zwischen Ost und West, Demokratie und Diktaturen, Kolonialmächten und Kolonien, reichen und armen Ländern.465 Diese diskursive Präsenz bestand auch weiter, als die Großmächte im Kalten Krieg ihre globale Sicherheitspolitik auf Kosten der Menschenrechtsdebatten betrieben, um den fragilen strategischen Status quo und die geopolitische Stabilität in Zeiten des atomaren Patts nicht zu gefährden. So hielten sich die Blöcke in den Vereinten Nationen bei den Menschenrechtsverletzungen der je anderen Seite zurück, etwa bei den Interventionen des Warschauer Paktes in der DDR 1953, in Ungarn 1956, in der Tschechoslowakei 1968 oder im Vietnamkrieg der USA. In Jan Eckels beeindruckender Forschungsarbeit, inzwischen Referenzwerk zum Thema, lässt sich nachverfolgen, wie gerade die Enttäuschung über den „realpolitischen Zynismus“ der Großmächte die Entwicklung des Menschenrechts-Diskurses beschleunigte und ab den 1970er Jahren auf unterschiedlichsten Schauplätzen zu einer „Vitalisierung der nicht-staatlichen und staatlichen Menschenrechtspolitik“ führte. 466 Der rasante Zulauf zu Menschenrechts-NGOs und die zunehmende internationale Vernetzung solcher Gruppen ermöglichte effektive Kampagnen gegen eine Reihe von Diktaturen resp. repressiven Regierungen. Vor allem die Berichterstattung der 1961 gegründeten Amnesty International über die neoliberale Militärdiktatur des chilenischen Generals Pinochet trug dazu bei, dass sich Chile auf dem internationalen Parkett „stärker und dauerhafter isoliert sah als nahezu jedes andere Land seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“.467 Nicht zuletzt dieser global vernetzten Öffentlichkeit ist es zu verdanken, dass eine ganze Reihe von Regimes die Segel streichen mussten, darunter neben Chile auch die damaligen Diktaturen in Brasilien, Griechenland, Nigeria (Biafra), Südafrika (Apartheid), Argentinien und Kambodscha. Auf die politischen Wirkungen der damaligen Kampagnen dürfte zurückzuführen sein, dass nun auch westliche Regierungspolitiker das Feld für sich entdeckten. So engagierte sich der US-

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Präsident Jimmy Carter, ganz im Gegensatz zu seinem Vorgänger Richard Nixon, in Menschenrechtsfragen, ebenso der niederländische Regierungschef Joop den Uyl und der britische Außenminister David Owen. Hier finden sich die Anfänge jener Politik, die Eckel „Menschenrechte als außenpolitisches Programm westlicher Regierungen“ nennt. 468 Diese Linie verfolgte man nun auch für die politischen Auseinandersetzung des Westens mit den osteuropäischen Staaten und denen der „Dritten Welt“. Die Warschauer-Pakt-Staaten hatte schon lange das Ziel einer Konferenz zur europäischen Sicherheit verfolgt, mit der sie ein multilaterales System kollektiver Sicherheit anstrebten und die territorialen Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs verankern wollten. Ende der 1960er Jahre erklärten sich die NATO-Staaten zu Verhandlungen bereit. In der folgenden Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) boten sich für die neue Außenpolitik unerwartete Ansatzmöglichkeiten: In der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 wurden nicht nur die klassischen völkerrechtlichen Standards wie Souveränität, Gleichberechtigung, Nichteinmischung, Unverletzlichkeit der Grenzen etc. festgeschrieben, sondern, auf Betreiben des Westens, auch die völkerrechtlich immer noch neuen Prinzipien der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheit. Im Zuge dieser Diskussionen entstanden im Ostblock zahlreiche Bürgerrechtsbewegungen, die die Ergebnisse von Helsinki als inhaltliche Plattform für den Aufbau einer inneren Opposition nutzten. Beides zusammen, die KSZE-Akte und die Dissidentenbewegung, sollte die osteuropäischen Staaten, wie Eckel schreibt, „in ein multilaterales Netz von Menschenrechtsbestimmungen“ verwickeln, das auf lange Sicht und zusammen mit anderen Faktoren zum Ende der kommunistischen Herrschaftssysteme in den 1980er Jahren beitrug. 469 Auch das Verhältnis zwischen den westlichen Staaten und den Ländern der „Dritten Welt“ veränderte sich mit der wachsenden Bedeutung menschenrechtlicher Fragen. Die postkolonialen Regierungen gerieten wegen vielfältiger Menschenrechtsverstöße zunehmend in die Kritik westlicher Staaten, globaler NGOs und der eigenen Oppositionskräfte, nutzten aber das Thema ihrerseits, um Veränderungen des immer noch westlich dominierten Weltwirtschaftssystems in Gang zu bringen. Immerhin führten die Auseinandersetzungen dieser Jahre zu einer größeren globalen Akzeptanz der Charta von 1948, ablesbar nicht nur in der Verabschiedung einer afrikanischen Charta der Menschenrechte 1986, der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam 1990 und der Arabischen Charta der Menschenrechte von 1994. Zudem entstand in den letzten drei Jahrzehnten des alten Jahrtausends ein dichtes Netz offizieller, ziviler oder zwischenstaatlicher Organisatio-

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nen, die sich mit der Beobachtung oder Verfolgung staatlicher oder gesellschaftlicher Verbrechen befassen – von zahllosen NGOs über den Europarat bis hin zur Organisation der Amerikanischen Staaten oder jener der Afrikanischen Einheit bis hin zur OSZE. Die Zahl nationaler Verfassungen, die sich auf die Charta der Vereinten Nationen berufen, stieg in den 1990er Jahren an, ebenso die Zahl nationaler Gerichtsverfahren.470 Unübersehbar war, dass Menschenrechtsfragen von der operativen Politik nicht mehr ignoriert werden konnten, oder, wie Eckel es formuliert, „die Sprache der Menschenrechte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein fester Bestandteil der internationalen Politik wurde“, ja dass Menschenrechte in vielen Gegenwartsdiagnosen inzwischen als „zentrales Ordnungsprinzip globaler Moderne“ gesehen werden.471 Unter dem Strich also ein weiterer Schub, ein Bedeutungszuwachs für die Menschenrechte und das Kriegsvölkerrecht. Diese Entwicklung könnte man als Beleg für ein lineares, folgerichtiges und unaufhaltsames Fortschreiten der Geschichte deuten, so wie es im Optimismus der 1990er Jahre gern gesehen wurde, als westliche Geschichtsteleologie nun die sozialistische ersetzte, wie Annette Weinke beobachtete. Das würde allerdings ignorieren, dass die Debatten um die Menschenrechte der Verbreitung ihrer faktischen und rechtlichen Schutzwirkung bis heute weit voraus sind und letztlich keine der humanitären Katastrophen verhinderten, die die Weltöffentlichkeit in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts bewegten. Es würde übersehen, dass die Absichten und Ziele keineswegs auf einem einheitlichen und gemeinsamen Konzept beruhen, etwa auf den beiden Menschenrechtspakten von 1966, sondern sich vielmehr aus einem breiten und widersprüchlichen Spektrum unterschiedlichster kultureller Quellen und politischer Vorstellungen speisen. Und es würde schließlich ignorieren, dass die Ideen durchaus für die Erzeugung hehrer Selbstbilder und für die Verhüllung von Machtambitionen instrumentalisiert werden472, die der wirksamen und umfassenden Verbreitung der Menschenrechte keineswegs dienlich sein müssen. Diese komplexen Prozesse sind nicht-linear, emergent und ergebnisoffen; sie sind gekennzeichnet durch konkurrierende Ideen und Bewegungen, durch unvollendete Zielsetzungen, überraschende Volten und unvorhergesehene Ergebnisse, durch Rückschläge ebenso wie durch unerwartete Durchbrüche473; sie sind polyzentrisch, diskontinuierlich und ambivalent474, da sie, wie alle historischen Prozesse, letzten Endes auf menschlichen Motiven und Interaktionen, konkurrierender Ideen und Bewegungen beruhen.

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Diese Volatilität spiegelt sich auch in der Geschichte der Vergangenheitsbewältigungen zwischen 1973 und 1994. In dieser Phase globaler politischer Umbrüche kamen zahlreiche diktatorische Regimes an ihr Ende; die Zahl von Staaten mit – zumindest formal – demokratischem Status stieg weltweit von 34 auf 65. 475 Die Macht- und Systemwechsel betrafen u.a. die neoliberalen und antikommunistischen, teilw. vom Westen tolerierten oder unterstützten Gewaltherrschaften in Griechenland (1973), Portugal (1974), Spanien (1975), Chile (1975), Argentinien (1983), Brasilien (1985), Südkorea (1987) und Südafrika (1994), auf der anderen Seite ab 1989 die sozialistischen Regimes der UdSSR, Polens, Ungarns, der Tschechoslowakei, Bulgariens, Rumäniens und der DDR. 30 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden neue Wellen von Vergangenheitsbewältigung.476 In vielen der betreffenden Staaten wurde erstmals eine zivilgesellschaftliche und iuridische Kultur der Bewältigung zurückliegender Staats- und Gesellschaftsverbrechen entwickelt, sei es in Form von Strafverfolgung und Aburteilungen, wie sie aus Deutschland und Japan bereits bekannt waren, sei es in Form historisch neuer Wahrheitskommissionen, die Menschenrechtsverletzungen aller Art dokumentieren, den Opfern Genugtuung verschaffen und damit die Voraussetzungen für einen gesellschaftlichen Neuanfang schaffen sollten. 477 Und in den 1980er Jahren schließlich geriet auch das Völkerstrafrecht in Bewegung: die „individuelle Zurechenbarkeit“ von Verbrechen durch internationale Strafgerichtsbarkeit wurde schärfer gefasst; die alten Hürden von Immunität und staatlicher Souveränität, welche die meisten Verantwortlichen immer noch vor Strafverfolgung schützten, begannen zu fallen. 1993 und 1994 wurden die Internationalen Ad-hoc-Strafgerichtshöfe der Vereinten Nationen für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda eingerichtet, 1998 folgte die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag als ständige Einrichtung – auch wenn letzterer zwar eine völkerrechtliche Organisation, aber kein Organ der Vereinten Nationen ist. Daneben entstanden nach der Jahrtausendwende diverse gemischte nationale und internationale Gerichtshöfe, so etwa in Sierra Leone, Angola, Kambodscha etc. Für das Gesamt dieser Prozesse hat sich inzwischen der Begriff ‚transitional justice‘ eingebürgert – eine Bezeichnung, die sowohl die nationalstaatliche und internationale Strafverfolgung als auch die zivilgesellschaftliche Herstellung von Gerechtigkeit in Zeiten des Übergangs einschließt.478

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Geopolitische Strategien der Vergangenheitsbewältigung Aber gleichzeitig war die Geopolitik nicht suspendiert. Das alte Problem der Konkurrenz zwischen Großmachtpolitik einerseits und Völkerrecht bzw. Vereinten Nationen andererseits bestand weiter und tangierte auch die Linien von Gewaltaufarbeitung und politischem Neuanfang. Für die USA, die sich in den Umbrüchen der 1990er Jahre plötzlich in der Position des zentralen und für eine gewisse Zeit einzig relevanten globalen Gestalters wiederfanden, waren die oben erwähnten Serien von Systemumbrüchen von hohem geostrategischen Interesse. Damals wurden zwei konservativ geprägte theoretische Konzepte verfeinert, die miteinander verbunden waren und unmittelbar Eingang in die operative Politik der USA fanden: Die Strategie der ‚Politökonomie der Krise‘ und die ‚Transitologie‘, die Theorie der bewussten und geplanten Gestaltung gesellschaftspolitischer Macht- und Systemwechsel. Zur ‚Politökonomie tiefer Krisen‘ Diese Strategie befasst sich speziell mit dem Problem, wie unübersichtliche und instabile gesellschaftliche Verhältnisse als politischer Hebel zur Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftsregimes genutzt werden können. Am Beispiel Chiles 1973 und Russlands und der Ostblockstaaten nach 1989 lässt sich nachvollziehen, wie dieses Konzept gedacht war und umgesetzt wurde. 1995 hielt Michael Bruno, damaliger Vize-Präsident und Chefökonom der zur Weltbank gehörenden Internationalen Bank für WiederAufbau und Entwicklung in Tunis einen Vortrag vor der „International Economic Association“ mit dem Thema ‚Tiefe Krisen und Reform‘. Er stellte zunächst fest, dass ökonomische Krisen mit einer Schwächung der Regierung und unflexibel verharrender Gruppen verbunden sind. Das muss, so Bruno, nicht negativ sein, denn ungelöste Krisen können einen Führer hervorbringen, der, wenn er denn langfristige Reformlösungen parat hat, auf politische Unterstützung beim Kurswechsel rechnen kann: „Die politische Ökonomie tiefer Krisen neigt dazu, radikale Reformen mit positiven Ergebnissen hervorzubringen.“479 Was sich zunächst wie eine politische Binsenweisheit anhört, erhielt seine Sprengkraft durch die inhaltliche Konkretisierung: „Lateinamerikas Erfahrungen mit Anpassungen und Reformen sind ein gutes Beispiel für die anscheinend wohltätigen Wirkungen tiefer Krisen. Die Antwort der Region auf Inflation beinhaltete Stabilisierung, Handelsliberalisierung, Rentenreform, Unabhängigkeit der Zentralbank und anderer Elemente des sogenannten Wa-

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shingtoner Konsenses. Chile ist das archetypische Beispiel eines Landes, das alles das vollzog: Handelsreform 1974, Rentenreform 1978, Privatisierungswellen 1975 und 1985 und Zentralbankunabhängigkeit 1990.“480 Die chilenische Wirtschaftskrise war, wie bekannt, nach dem Wahlsieg der sozialistischen Allende-Regierung politisch herbeigeführt worden. Als Führer mit den langfristigen Lösungen firmierte General Pinochet, die Unterstützung kam von der Armee und den USA, die Wirtschaftsreformen folgten dem Konzept der Friedman-Schule, oder, wie Bruno es formulierte, dem Washingtoner Konsens. Solche Krisen lassen sich auch erzeugen. Unausgesprochen schien in Brunos Vortrag Hayeks Idee vom Staat auf, der, wenn nötig, unter Einsatz von Zwangsmitteln als Schützer von Eigentümeransprüchen auftritt und „den stets schwankenden Wählerwillen“ durch Einschränkung des Wahlrechts kontrolliert. Weder das verklausulierte Lob auf eine blutige Diktatur noch der Umstand, dass es durch ein führendes Mitglied der Weltbank vor internationalem Publikum ausgesprochen wurde, erregten damals das Interesse der Weltöffentlichkeit. Der Fall beleuchtet die Konkurrenz zwischen drei Sphären: Den ordnungs- und geopolitischen Großmachtstrategien, den Sozialpaktforderungen der UN-Menschenrechtscharta und schließlich den zivilgesellschaftlichen Bewegungen wie Amnesty International, deren Kampagnen später ja maßgeblich zum Ende des Pinochet-Regimes beitrugen. Ähnlich in Südafrika: Noch 1991 hatte Nelson Mandela aus dem Gefängnis geschrieben, es sei unvorstellbar, an den Verstaatlichungsplänen des ANC für Minen, Banken und Monopolindustrien etwas zu ändern. Er bezog sich auf die Freiheitscharta des ANC von 1955, in der neben den bürgerlichen Rechten für die eingeborene Bevölkerung auch die Rückgabe des „nationalen Reichtums, [des Erbes] Südafrikas“ eingefordert wurde.481 Erst jetzt übrigens gibt es Hinweise darauf, dass die Verhaftung und Verurteilung Mandelas 1963 auf eine Initiative der CIA zurückgeht. Wenn das zutrifft, dann mochte neben der allgemeinen Paranoia des Kalten Krieges gerade der betreffende Passus die Initiative der CIA ausgelöst haben.482 Dass die Blütenträume der Freiheitscharta nach 1995 zerstoben und auf den politischen Sturz des alten Apartheid-Regime eine neoliberal-liberale Demokratie folgte, hat mit der ökonomischen Zwangslage zu tun, in der sich Südafrika in den 1990er Jahren befand. Da sich die geopolitische Lage vollkommen geändert hatte, war von den globalen Verstaatlichungs- und Sozialisierungstendenzen der 1950er Jahre keine Rede mehr, es gab keine Blöcke neutraler und sozialistischer Staaten mehr, die solche Pläne politisch und ökonomisch unterstützt hätten. In dieser prekären Situation konnte das neoliberale 8-

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Punkte-Programm über Weltbank, Internationalem Währungsfonds und internationale Investoren ohne nennenswerten Widerstand exekutiert werden. Begünstigt wurde dies durch die zwiespältige Haltung des ANC und Nelson Mandelas selbst: So wurde, wie Hein Möllers vor einiger Zeit schrieb, „von Anfang der neuen Republik Südafrika versäumt, die demokratische Transformation mit einer sozialen und wirtschaftlichen zu flankieren.[...]“: Er verstünde nichts von Wirtschaft, sagte Mandela. Das hinderte ihn nicht, die neoliberale Politik, die sein Stellvertreter und späterer Nachfolger Thabo Mbeki durchsetzte, ‚alternativlos‘ zu nennen. Mandela hat nie Vorstellungen und Konzepte eines Sozialstaats entwickelt und protegiert, wie sie durchaus im ANC und bei seinen Allianzpartnern Anhänger hatten. Mbeki, dem Mandela die praktische und alltägliche Regierungsarbeit überließ, übernahm die Empfehlungen von Weltbank und Weltwährungsfonds, die in zahlreichen Workshops während der Übergangszeit die Weichen des neuen Südafrika zu stellen suchten.“483

In der Folge gab es weder einen Schuldenerlass für den neuen Staat noch Schadensersatz durch die Wirtschaft des alten Regimes, wohl aber den Zwang zur Bedienung der Schulden der alten Regierung und zum weiteren Verkauf von Staatsbetrieben. Die anfängliche Sozialpolitik musste rückgängig gemacht werden; die Regierung war gezwungen, von staatlichen Subventionen und Mindestlöhnen Abstand zu nehmen. Verstöße dagegen oder auch nur nicht-konforme politische Äußerungen der neuen Regierung galten den globalen Märkten als Beweis mangelnder Vertrauenswürdigkeit des Landes und führten zu Kursstürzen und zeitweilig zum Zusammenbruch der Währung, schließlich zur Kürzung von Hilfsgeldern der internationalen Organisationen und zur Kapitalflucht.484 Die ehemals sozialistischen Staaten Ost-Mitteleuropas hingegen übernahmen das 8-Punkte-Programm in der Übergangszeit schnell und umfassend, teils, weil man den Neoliberalismus als Alternative zur gescheiterten sozialistischen Planwirtschaft mit offenen Armen aufnahm485, teils, weil sich den alten, aber wandlungsfähigen Eliten die Chance bot, die ehemals staatlichen Vermögen und Sachwerte als privates Eigentum zu übernehmen, teils aber auch deswegen, weil man schlicht keine andere Wahl hatte, wollte man an internationale Finanzhilfen und Kredite privater Investoren gelangen. In der Sowjetunion allerdings war der Richtungskampf zwischen den demokratischen Reformern und der marktradikalen Jawlinskij/Allison-Fraktion zunächst unentschieden.486 Gorbatschow hatte als ordnungspolitisches Ziel der Perestroika eine Mischung aus Markt und sozialem Sicherheitsnetz nach Vorbild der schwedischen Sozialdemokratie vorgeschwebt, was mit dem Regelwerk des Neoliberalismus kollidieren musste. Zwar boten ihm die 1991 in London versam-

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melten Staatschefs der G7-Länder einen Sonderstatus bei IWF und Weltbank an, aber in der darauf folgenden Schuldenkrise verweigerten ihm beide Institutionen einen Schuldenerlass, während man der polnischen Regierung im gleichen Jahr aus politischen Gründen die Hälfte der bestehenden Schulden erließ.487 In dieser Situation empfahl die ‚Washington Post‘ den russischen Marktradikalen im August 1991 unter der Überschrift „Pinochets Chile – ein pragmatisches Beispiel für die Sowjetwirtschaft“, einen Putsch nach chilenischem Vorbild, um Gorbatschow zu entmachten. 488 Aber zunächst einmal setzten konservative Teile der KPdSU und der Armeeführung einen Umsturzversuch in Szene. Er wurde durch Boris Jelzin (damals neuer Präsident der Russischen Teilrepublik RSFSR oder auch Russischen Föderation) niedergeschlagen. In der Folge erklärten die Ukraine und andere Republiken der Sowjetrepublik ihre Unabhängigkeit, Gorbatschow musste als Staatspräsident der UdSSR zurücktreten, die UdSSR zerfiel. Mit Hilfe von Sondervollmachten begann Jelzin 1991, die Freigabe der Preise, ein Ende der Subventionen, Freihandel und die Privatisierung einer Viertelmillion staatlicher Betriebe durchzusetzen. 489 Das ging das nicht ohne massive politische Widerstände ab, da eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung noch andere Lösungen zur Neuaufteilung des sowjetischen Staatsbesitzes wollte. 490 Josef Stieglitz, damals Chefökonom der Weltbank, interpretierte die Lage folgendermaßen: „Nur ein Blitzkrieg während eines ‚Gelegenheitsfensters‘ für das ein ‚Übergangsnebel‘ sorgt, kann die Veränderungen herbeiführen, ehe die Bevölkerung eine Chance hat, sich zu organisieren und ihre zuvor als berechtigt angesehenen Interessen zu verteidigen.“ 491 Als Jelzin nach massiven, blutig niedergeschlagenen Protesten 1993 das Parlament auflöste, erklärte US-Außenminister Warren Christopher: „Die Vereinigten Staaten unterstützen nicht leichten Herzens die Suspendierung von Parlamenten. Aber dies sind außergewöhnliche Zeiten.“492 Nach der Parlamentsauflösung verabschiedeten die radikalen Neoliberalen, beraten von westlichen Finanzexperten, eine ganze Serie von Gesetzen im Sinne des 8-Punkte-Programms, was in der Folge zu einem weiteren Absturz der Wirtschaft führte. 493 1996 wurden erneut Wahlen abgehalten, die USA befürchteten einen Sieg des kommunistischen Präsidentschaftskandidaten Gennadi Sjuganow über Jelzin, der katastrophale Umfragewerte hatte. Die USA schickten Wahlkampfberater und überredeten den IWF, eine Anleihe über 10 Milliarden Dollar zu gewähren, obwohl die Vergabekriterien nicht erfüllt waren. Zudem drohte der IWF damit, den Geldfluss zu stoppen, falls Jelzin Reformen rückgängig gemacht würden. Noch vor der Wahl wurden 2 Milliarden Dollar wurden überwiesen, und nicht zuletzt im

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Aufwind dieser Geldflüsse gewann Jelzin die Wahl; danach stattete er dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton öffentlich seinen Dank ab. 494 Das Programm der Privatisierung von Schlüsselindustrien und der Aufhebung von Lebensmittel-Subventionen wurde fortgesetzt. In diesen Jahren entstand eine neue Schicht politisch einflussreicher Oligarchen, Magnaten und Milliardäre, die die alte Nomenklatura ablöste – oder aus ihr hervorging. Vermögenswerte und Gewinne in dreistelliger Milliardenhöhe wurden aus dem Land transferiert und damit der heimischen Wirtschaft entzogen. Verglichen mit der alten Sowjetunion nahm die Armut um ein Mehrfaches zu und betraf, je nach Schätzung, in den 1990er Jahren 30% bis über 50% der Bevölkerung – mit einer deutlichen Verbesserung im neuen Jahrtausend, aber einem hohen verbleibenden Armutsrisiko.495 Wayne Merry, von 1990 bis 1994 Chefanalytiker der Moskauer US-Botschaft, charakterisierte die Haltung der US-Regierung in diesem Prozess wie folgt: „Die US-Regierung zog die Wirtschaft der Politik vor. Wir entschieden uns, die Preise zu befreien, die Industrie zu privatisieren und einen wirklich ungezügelten, unregulierten Kapitalismus aufzubauen, und im Grunde hofften wir, dass sich Recht und Ordnung, Zivilgesellschaft und repräsentative Demokratie daraufhin irgendwie automatisch entwickeln würden. […] Unglücklicherweise bedeutete die Entscheidung, den Volkswillen zu ignorieren und politischen Druck zu machen.“496

Allerdings gelang es im Unterschied zu Krisenländern wie dem Irak 497 nicht, den wesentlichen Teil der russischen Industrie- und Rohstoffressourcen dauerhaft unter die Kontrolle internationaler Finanz- und Industrieakteure zu bringen. Mit Beginn der Präsidentschaft Wladimir Putins wurden die aus den 1990er Jahren stammenden Ausbeutungsrechte und Beteiligungen internationaler Gesellschaften und russischer Oligarchen stärkerer staatlicher Kontrolle unterworfen.498 Das mag möglicherweise ein Teil der Erklärung dafür sein, warum das politische System Russlands stärker in der westlichen Kritik steht als etwa die weitaus autokratischeren Systeme Saudi-Arabiens oder Ägyptens. Zur derzeitigen relativen politisch-ökonomischen Autonomie trägt auch der Umstand bei, dass die Staatsverschuldung mit 18% des Bruttoinlandsprodukts weitaus geringer ist als die der EU-Staaten oder der USA – und damit auch die Abhängigkeit von Weltbank, IWF oder privaten Finanziers. Ansonsten wurden die Ergebnisse der Jelzinschen Politik nicht grundlegend revidiert; das neue postsozialistische Russland folgte dem neoliberalen Regime ebenso wie die Volksrepublik China. Die großen Verstaatlichungs-, Kollektivierungs- und Enteignungswellen zwischen 1917 und den 1960er Jahren wurden in diesen Jahren revidiert. Damit gerieten im letzten Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende allein in diesen beiden Staaten etwa 1,6

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Milliarden Menschen von einem autokratisch-sozialistisches in ein autokratisch-neoliberales Regime. ‚Transitologie‘ Die Transitologie beschäftigt sich nicht allein mit der Durchsetzung des neoliberalen Modells, sondern integriert es in ein Konzept der Vergangenheitsbewältigung und des gesteuerten Übergangs von Diktaturen zu Demokratien. Führend in der ‚Transition to Democracy‘-Forschung wurde der Harvard-Politologe Samuel Huntington, seinerzeit einer der wichtigsten Politikberater der US-Regierung und daher nicht nur von wissenschaftlichem, sondern auch von beträchtlichem geopolitischen Einfluss. Huntington beschäftigte sich insbesondere mit zwei Problemen: a) wie das Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell der USA in Staaten verankert werden könnte, die sich in einer Phase des gesellschaftlich-politischen Regime- und Systemwechsels und der krisenhaften Instabilität befanden; b) wie in diesem Prozess mit gewaltbelasteter Vergangenheit umzugehen sei. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie der Geschichte, dass sich unter den Staaten, über die er forschte, nicht wenige befanden, in denen die USA zuvor selbst im Rahmen ihrer Doktrin der „nationalen Sicherheit“ für Militärputsche gesorgt hatten.499 Gleichwohl sah Huntington in seinem Buch „The Third Wave“ in Diktaturen aufgrund eines universalen überzeitlichen Verlangens nach Freiheit und Selbstbestimmung quasi übergeschichtlich bereits eine Tendenz zur Demokratie angelegt. Allerdings hegte er eine tiefe Skepsis gegenüber der historischen Wirksamkeit basisdemokratischer Prozesse. Für ihn waren die Ursachen der zahlreichen Demokratie-Krisen im Übermaß einer politischen Beteiligung und nicht einlösbarer Ansprüche der Bevölkerung zu finden, die zu wachsender Unregierbarkeit der Staaten führten. 500 Von daher vertrat er, wie Annette Weinke schreibt, ein „sparsames“ Demokratieverständnis und setzte weniger auf plebiszitäre Stimmungen als vielmehr auf die institutionell-repräsentativen Elemente politischer Willensbildung. In diesem Punkt allerdings war Huntington fest von der Gestaltbarkeit politischer und gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse überzeugt: Er erhob den Anspruch, ein wissenschaftlich planbares Verfahren bereitzustellen, das die Systemübergänge und Machtwechsel mit Hilfe von Bausteinen zur Implantierung a) politischer Institutionen, b) rechtsstaatlicher Strukturen und c) marktwirtschaftlicher Wirtschaftsordnung steuern könne. Die Vorlagen für derartige Bausteine entnahm er der operativen Besatzungspolitik der Alliierten in Westdeutschland, Japan und Italien nach dem

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Zweiten Weltkrieg und den Verfahrensbeispielen nach Ende der südamerikanischen Militärdiktaturen.501 Trotz der Berufung auf die alliierte Besatzungspolitik unterschieden sich die Ziele seiner Transitologie wesentlich von denen der 1940er Jahre. Und das berührte die Hauptfragen, die für jeden Übergang zur Demokratie nach dem Ende diktatorischer Macht zu stellen und eng miteinander verknüpft sind: Welcher Typ von Demokratie wird angestrebt? Wie sollte mit den direkt Schuldigen und generell mit den jeweils belasteten Eliten des alten Systems und wie mit den Opfern umgegangen werden? Was die erste Frage betrifft, muss man sich nochmals in Erinnerung rufen, dass die USA in den 1940er Jahren den Aufbau demokratischrechtsstaatlicher Institutionen und die verfassungsmäßige Absicherung der bürgerlichen Rechte anstrebten. Aber angesichts der weltweiten Popularität sozialdemokratischer und sozialistischer Ideen und nicht zuletzt unter dem Einfluss des Rooseveltschen ‚New Deal‘ hatte man ebenso sozialstaatlich-demokratische Modelle gefördert oder toleriert, die der Beteiligung der Bevölkerung an der ökonomischen Wertschöpfung und an politischen Entscheidungen einen festen Platz einräumten. In der Folge wurde vor allem in West- und Mitteleuropa die Sozialstaatlichkeit zum Bestandteil der Legitimationsbegründungen politischer Macht. 502 Neben die bürgerlichen Mitwirkungsrechte traten die sozialen Grundrechte503 – zusammengefasst einer prägnanten Formulierung Claudia Bogedans: „Soziale Demokratien beruhen im Gegensatz zu libertären Demokratien auf der Annahme, dass die Verteilung von Ressourcen entscheidend ist für die Wahrnehmung bürgerlicher und ziviler Rechte. Dem Staat fällt damit die Aufgabe zu, den Bürgerinnen und Bürgern jene Ressourcen zu gewähren, damit sie auch tatsächlichen Gebrauch von ihren Freiheitsrechten machen können.“ 504

Huntingtons Transitionskonzepte dagegen tendierten eher zur Errichtung minimalistisch-libertärer Elitendemokratien505, in denen der Aufbau staatlicher Institutionen und die Gewährung formaler Rechte im Mittelpunkt stand, sozialökonomische und Verteilungsfragen als Voraussetzung breiter politischer Beteiligung hingegen vernachlässigt wurden.506 Nun steht außer Frage, dass stabile Institutionen und rechtsstaatliche Gewaltenteilung für das Funktionieren einer Demokratie unverzichtbar sind. Doch die Beschränkung darauf zeigt gerade im Vergleich mit den Teilhabemöglichkeiten der sozialen Demokratie die Defizite libertärer Staatsvorstellungen: „Demokratie“, schreibt der Politikwissenschaftler Thomas Meyer, „hat auf die Dauer keinen unangefochtenen Bestand, wenn sie sich in einem formalen politischen Institutionensystem erschöpft, im extremen Schwundfall reduziert auf mehr oder weniger freie Wahlen, während gesellschaftliche und wirtschaftliche Macht sich der

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Mitverantwortung der von ihr Betroffenen entziehen und die sozialen Voraussetzungen ihrer Bürger zur erfolgversprechenden Mitwirkung an den politischen Entscheidungen hochgradig ungleich verteilt sind.“ 507 Meyers Kritik lässt sich im Kern auch auf die Transitologie münzen, die eben diesen Zusammenhang zwischen Verteilungsgerechtigkeit und gelingender partizipativer Demokratie vermissen lässt. Huntingtons Konzept unterschlägt damit einen wichtigen Zielbereich der alliierten Politik, der auch aus den Erfahrungen der Weltwirtschaftkrise 1929ff resultierte; seine Ordnungs- und Gesellschaftsvorstellungen sind eher als Teil der weiter oben beschriebenen Neoliberalismus-Renaissance und der „Politökonomie tiefer Krisen“ zu sehen. Zusammen mit seiner Skepsis gegenüber einem „Übermaß an Partizipation“ sollte diese Linie Auswirkungen auf die Vergangenheitsbewältigung vieler Staaten haben. Das berührt die zweite Frage, die des Umgangs mit den unmittelbar Schuldigen, mit den belasteten und desavouierten Eliten des alten Systems und ihren Opfern. Für Huntington stand die Konsolidierung der postdiktatorischen Gesellschaften im Vordergrund; von daher galten ihm Strafverfahren gegen Belastete ebenso wie das Verlangen nach Aufklärung und Gerechtigkeit nicht als notwendige Voraussetzung, sondern als Gefährdung eines Neuanfangs. Er empfahl, die belasteten militärischen und zivilen Machteliten in die Gesellschaft zu integrieren und parallel dazu Wahrheitskommissionen unter Regie der nationalen Eliten einzurichten, die den Rückfall in Gewalt verhindern und die Gesellschaft zur Aussöhnung führen sollten. Welche operativen Konsequenzen dieses Regiemodell hatte und in welches Geflecht globaler Akteure es eingebunden war, zeigte sich 1992 auf einer Konferenz in Salzburg, an der auch Huntington teilnahm. Damals trafen sich Juristen, Politiker, Wissenschaftler und NGOs aus den USA, aus Frankreich und aus einigen Ländern Südamerikas und des ehemaligen Ostblocks, um Probleme des Übergangs in den postkommunistischen Staaten zu beraten. Der Anstoß für die Tagung ging nicht von den Vereinten Nationen oder der Europäischen Union aus, sondern von einer privaten „Foundation for a Civil Society“. Diese Stiftung wurde wiederum von einem Netzwerk unterstützt, zu dem zeitweilig auch die Groß banken Citibank, J.P. Morgan, Vertreter der Tabakindustrie, der Europäischen Union und ein Redakteur der „New York Times“ gehörten. 508 Weitere Sponsoren waren der „German Marshall Fund of the United States“, die „Rockefeller Foundation“, der vom US-Kongress finanzierte „National Endowment for Democracy“ und die „Open Society“ des USamerikanischen Milliardärs George Soros – finanziell potente und politisch einflussreiche Stiftungs-Netzwerke, die ähnliche strategische Ziele

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wie das ‚Transition to Democracy‘-Konzept verfolgten.509 Die Teilnehmer tendierten mehrheitlich dazu, bestimmte Verfahren der Transitional Justice durch Experten quasi „von oben“ zu implantieren, wobei die neuen Instrumente des Völkerstrafrechts und der Justiztribunale ebenso ausgeblendet wurden wie die Praxis der Strafverfolgung in Chile und Argentinien nach Ende der Diktatur. Man darf davon ausgehen, dass diese neuen Instrumente als unerwünschte Konkurrenz zur Transitologie betrachtet wurden. Damit wurde die Chance vertan, den Osteuropäern Anregungen für ihre juristische Aufarbeitung der Staats-und Gesellschaftsverbrechen zu geben. Annette Weinke schreibt in ihrer Habilitationsarbeit u.a. dieser Art von beratender Steuerung zu, dass die osteuropäischen Staaten Strafverfahren lediglich auf nationaler Ebene einleiteten und sie in den folgenden Jahren sukzessive versanden ließen oder stoppten.510 Die aus politischen Gründen limitierte Aufarbeitung zurückliegender Verbrechen ist nicht nur auf dem Feld der Strafverfolgung erkennbar, sondern auch auf dem der außergerichtlichen Wahrheitskommissionen. Die Kommissionen entstanden in den 1980er Jahren nach dem Ende zahlreicher lateinamerikanischer Militärdiktaturen und wurden schnell zum internationalen Standard der Auseinandersetzung mit vergangener Gewalt. Zumeist verfolgen sie weiche mentalitätspolitische und zivilgesellschaftliche Ziele wie die Bestandsaufnahme der Verbrechen, die offizielle Anerkennung und Rehabilitation der Opfer, Bemühen um die Versöhnung der Nation und Vorschläge zu Entschädigungen.511 Exemplarisch dafür steht die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission TRC), die 1996 unter Leitung Bischof Tutus ihre Arbeit aufnahm. Obwohl sie bis heute wegen ihrer beispielhaften Integrations- und Versöhnungsleistung hoch gelobt wird, werden die praktischen Ergebnisse vielfach als unbefriedigend angesehen: Die Entschädigungszahlungen für Opfer blieben weit hinter den Erwartungen zurück, die versprochene Strafverfolgung für nicht kooperierende Täter wurde verschleppt und schließlich eingestellt.512 Das war nicht nur, aber auch dem widersprüchlichen Mandat der TRC geschuldet, in dem Ziele vorgegeben waren, die sich nur sich nur schwer miteinander vereinbar ließen. Zudem erschwerte eine komplizierte Struktur die Arbeit. So war eine Unterkommission für Amnestien zuständig, eine andere für die Entschädigung und Rehabilitation der Opfer, und eine dritte für Menschenrechtsverletzungen, die sich vornehmlich mit der Erzeugung einer „sozialen, narrativen und heilenden Wahrheit“ befasste. Die Kommission konnte zwar wie ein Gericht agieren, Beweise erheben und Belastete einvernehmen; sie konnte Tätern

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„konditionale Amnestie“ gewähren, d.h., sie von der Strafverfolgung freistellen, falls sie sich rückhaltlos geständig zeigten und nachwiesen, dass sie nicht aus persönlichen, sondern aus politischen Motiven gehandelt hatten. Aber sie hatte keinen Auftrag, sich mit allen möglichen Menschenrechtsverletzungen zu befassen. Gemäß dem Mandat blieben alle Verbrechen, die das alte Regime per Gesetz legitimiert hatte, von den Untersuchungen ausgespart; Vertreibungen, Rassentrennung und politische Benachteiligung behandelte man nur am Rand. 513 Zugleich aber sollte die Kommission die historische Wahrheit ergründen und ihren Beitrag zur Herstellung des gesellschaftlichen Friedens und der Versöhnung leisten – alles in allem ein Auftrag, dessen Realisierung einer Quadratur des Kreises glich. Im Ergebnis lasteten zahlreiche Kritiker dem Verfahren an, die Gerechtigkeit zugunsten von Frieden und Wahrheit zu vernachlässigen – wobei letztlich auch die Wahrheit zugunsten des gesellschaftlichen Friedens zu kurz kam. Statt einer gründlichen Aufarbeitung sei eine „autoritative Geschichtserzählung“ herausgekommen, die der Bevölkerung den Anschein wissenschaftlich erarbeiteter Tatsachen vorspiegelte. In Wirklichkeit aber habe es sich um historiographische „Mimikry“ gehandelt, um ein Geschichtsbild, das in erster Linie dem Zweck diente, die zurückliegenden Verbrechen vergessen zu lassen. Auch sei die Vorgeschichte des Regimes aus politischen Gründen bewusst kurz gehalten worden, sodass die politisch-ökonomischen Hintergründe vieler Verbrechen und die Rolle der Unterstützer und Nutznießer aus dem In- und Ausland, etwa die langjährige Kooperation des Westens mit dem Apartheidregime, nicht zur Sprache kam. Im Rahmen einer derart entpolitisierten und verkürzten Erzählung standen nicht das gesamte System der Diktatur und die Rolle ihrer Eliten zur Debatte, sondern nur die Verbrechen Einzelner, die den Hauptverantwortlichen nachgeordnet waren. 514 Resultat war denn auch ein öffentliches Geschichtsmanagement, das eher auf die öffentliche Wirkung des Grauens und auf die Darstellung von Einzelfällen zielte. Hier wiederum präsentierte man der Öffentlichkeit vorzugsweise Personen, die quasi unschuldig Gewalt und Unrecht erlitten hatten, weniger hingegen das Schicksal derjenigen, die sich in einer politischen Widerstandsbewegung betätigt hatten. Dass die TRC auf grauenerregende Einzelheiten statt auf systematische politische Analyse setzte, hatte im Übrigen einen weiteren negativen Aspekt: Da die öffentliche Erörterung von Hinrichtungen und Folterpraktiken Voraussetzung für die ‚konditionale Amnestie‘ war, führten die Geständnisse der Täter zu starken seeli schen Belastungen vieler Verfolgter oder ihrer Hinterbliebenen, zumal am Ende der Verhandlungen oft die Strafbefreiung der Schuldigen stand.515 Die Politik des gesellschaftlichen Friedens um fast jeden Preis

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ging so weit, dass diejenigen, die zum Vergessen und Vergeben nicht bereit waren, Gefahr liefen, gesellschaftlich diskriminiert zu werden. Für Weinke enthalten die Verfahren der TRC Merkmale zeitgenössischer transnationaler Aufarbeitungsdiskurse. Zugleich gilt ihr die Arbeitsweise auch als Beleg für die Wirksamkeit der Huntingtonschen Transitologie.516 In der Tat wurden hier die angestrebten Ziele erreicht, die Gesellschaft zu befrieden (wenn auch nicht zu versöhnen), die Eliten zu verschonen und eine liberale Demokratie mitsamt einem neoliberalen Ordnungsmodell zu installieren. Der Kommissionsvorsitzende Bischof Tutu räumte in der Rückschau ein, dass man an die maßgeblichen Täter nicht herangekommen sei. Und obwohl Südafrika, jedenfalls nach den Kriterien des libertären „Freedom House“517 inzwischen als vollständige Demokratie mit politisch-zivilen Freiheiten gilt, vergleichbar den USA oder den EU-Staaten, besteht das System der Apartheid, zu dessen Kennzeichen von Anfang an die eklatanten Unterschiede von Einkommen, Grundbesitz, Bildung und Vermögen gehören, strukturell weiter. 518 Auch dies sah Tutu Anfang des neuen Jahrtausends selbstkritisch: „[Für die von der Geschichte Benachteiligten] ist Freiheit gleichbedeutend mit sauberem Wasser, Strom aus der Steckdose, einem anständigen Zuhause und einem guten Job, die Kinder zur Schule schicken können und Zugang zum Gesundheitswesen zu haben. Ich meine, warum hätten wir sonst diesen Übergang vollzogen, wenn die Lebensqualität eines Menschen nicht verbessert würde? Wenn nicht, war die Wahl sinnlos.“519

Ob der politisch siegreiche ANC hier eine echte Wahl hatte, sei angesichts der Zwänge dahingestellt. Die Gründe dafür sind im Abschnitt über die „Politökonomie tiefer Krisen“ skizziert worden. Aber auf die folgenreiche Entscheidung zugunsten einer neoliberalen Ordnungspolitik ist möglicherweise zurückzuführen, dass Mandela zum Mythos der westlichen Welt und zum Symbol für das avancierte, was derzeit im westlichen Diskurs unter Freiheit verstanden wird. Und vielleicht blieb ihm dadurch jenes Schicksal erspart, dass seinem Zeitgenossen Patrice Lumumba 1961 zuteil wurde: beseitigt und vergessen zu werden.520 Weltweit ähnelten die Muster der politischen Neugestaltung und Aufarbeitungsprozesse trotz gewisser nationaler Unterschiede (Tschechien, Deutschland: Lustration) jenen in Südafrika: Systemwechsel zur liberalen Demokratie und Übernahme des neoliberalen 8-Punkte-Programms, begrenzte Strafverfahren und Wahrheitskommissionen mit durchwachsenen Resultaten. Wirklich befriedigende Lösungen der Elitenverstrickung, der Bestrafung von Tätern und der Entschädigung von Opfern gab es nirgendwo; im Geflecht zwischen Versöhnung und gesellschaftlichem Frieden, Gerechtigkeit und Wahrheit blieben letztere in der Regel auf der

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Strecke. Das kann man beklagen, aber tatsächlich ist die Herstellung der Balance in einem solchen Viereck bis heute ein ungelöstes Problem jeder Vergangenheitsbewältigung. Sie lässt an Ralph Giordanos bitteres Resümee der Adenauerschen Restaurationsphase denken, dem zufolge Demokratien offensichtlich gesetzmäßig mit dem Erbe diktatorischer Vorläufer nicht fertig werden. Dass die Belasteten und Verstrickten, wie er beobachtete, stets argumentierten, eine Abrechnung gefährde die zarte Pflanze der Demokratie, entspricht letztlich der Überzeugung Huntingtons. Nur machte dieser aus einer gesellschafts- und rechtspolitischen Not eine Tugend, indem er zugunsten der Stabilität postdiktatorischer Gesellschaften bewusst eine Lösung auf Kosten der Gerechtigkeit anstrebte. Aber immerhin, es gibt auch Entwicklungen, die ohne Wenn und Aber auf der Habenseite zu verbuchen sind und gewissermaßen eine Gegenbewegung zu Amnestie und Täterintegration bilden: Inzwischen sind die Grundsätze des Nürnberger Militärtribunals von 1945 fester Bestandteil des modernen Völkerstrafrechts, zudem Arbeitsgrundlage des Internationalen Strafgerichtshofes von Den Haag. Und nicht zuletzt haben sich mittlerweile die Wahrheitskommissionen weltweit als neues und festes Element nationaler Aufarbeitungsprozesse etabliert. Sie werden durch die Vereinten Nationen unterstützt und können trotz aller Schwächen bei konsequenter Anwendung eine wichtige Ergänzung des gesamten Aufarbeitungsinstrumentariums sein. Unter den Aspekten von Völkerrecht, Ordnungspolitik, geschichtspolitischer Regie, enttäuschten Erwartungen und Grenzen der Aufarbeitung werden im Folgenden auch die Aufarbeitungsprozesse in Deutschland analysiert. Deren Darstellung nimmt deswegen breiteren Raum ein, weil auch hier Blaupausen der Politökonomie tiefer Krisen und der Transitologie erkennbar sind, andererseits einige historische Besonderheiten eine Rolle spielen, die den Verlauf des Systemübergangs über die allgemeinen zeitgenössischen Transformationsmerkmale hinaus prägten. Deutsche (Wieder-)Vereinigung und zweite Bewältigung Mit der (Wieder-)Vereinigung veränderten sich die lange gültigen außenund innenpolitischen Prämissen der Nachkriegszeit grundlegend. Der unerwartete Fall der Mauer 1989 löste eine ganze Kette von Ereignissen aus, die nicht nur die politische und ökonomische Abwicklung der DDR und die Ausweitung des bundesdeutschen Verfassungs- und Gesellschaftssystems auf deren ehemaliges Staatsgebiet zur Folge hatte, sondern gleich die ganze europäische Nachkriegsordnung beendete: Der Wiedervereinigung folgte auf den Fuß die Gründung der Europäischen

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Union und ein halbes Jahrzehnt später die Erweiterung auf zahlreiche osteuropäischen Staaten. Deutschland wurde innerhalb von 10 Jahren vom Frontstaat an der Systemgrenze zwischen Ost und West zur geopolitischen Mitte Europas, umgeben von Staaten mit westlicher Orientierung und liberal-demokratischen Verfassungen. Am Beginn dieser Umbrüche stand die (Wieder-)Vereinigung zweier Staaten, die zwar aus ein und derselben geschichtlichen Entwicklung hervorgegangen, nach Zerfall und Teilung des Deutschen Reiches aber 40 Jahre lang politisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell unterschiedliche Wege gegangen waren Außer Frage steht, dass dieser Vorgang angesichts der komplexen innen- und außenpolitischen Probleme und Abstimmungsverfahren eine politische, administrative und diplomatische Meisterleistung darstellt – vor allem, wenn man bedenkt, dass die Ereignisse alle Beteiligten gleichsam überrollt hatten. Dennoch waren die drei wesentlichen nationalen und internationalen Verträge, die nur in Verbindung miteinander die Wiedervereinigung ermöglichten, bereits ein Jahr nach Fall der Mauer unter Dach und Fach. Sie umfassten den in Moskau unterzeichneten „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ vom 12. September 1990, den „Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik“ vom 18. Mai 1990 und den „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag“ vom 31. August 1990. Außenpolitik: Der Moskauer Zwei-plus-Vier-Vertrag bedeutete für Deutschland vor allem die Gewinnung der vollen staatlichen Souveränität und das „Ende der freiwillig-erzwungenen weltpolitischen Abstinenz“.521 Die vier Hauptalliierten des Zweiten Weltkriegs machten darin den Weg frei für eine Wiedervereinigung, erklärten das (von der BRD nie akzeptierte) Potsdamer Abkommen für beendet und verzichteten, zumindest formal, auf alle Besatzungsrechte. Die neuen Freiräume warfen Fragen nach der zukünftigen internationalen Rolle Deutschlands auf, vor allem danach, wie die Bundesrepublik „in ihrer Außenpolitik der NS-Vergangenheit gerecht werden konnte“.522 Die Verfechter einer Normalisierung, zumeist im konservativen Lager zu finden, begrüßten die Möglichkeit, den „Vergangenheitshemmschuh“, die bisherige „Geschichts-, Konturen- und Harmlosigkeit“ der Bundesrepublik abzulegen. 523 Auf der anderen Seite sahen die Normalisierungskritiker unter solchen Prämissen eine neue Vorkriegszeit heraufziehen und wollten daher die alten Beschränkungen ausbauen und stabilisieren.524 Es war dies, schreibt König,

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eine aufschlussreiche Diskussion, „weil in ihr, besonders auf der linken Seite des politischen Spektrums, die Frage nach den Lehren aus der NSVergangenheit die entscheidende Rolle spielte“. 525 Joschka Fischer, Außenminister der neuen SPD/Grünen-Regierung, gab seine Antwort auf diese Frage 1998, als er in einem Interview den Holocaust zum zentralen Bezugspunkt für die politische Identität der BRD erklärte: „Alle Demokratien haben eine Basis, einen Boden. Für Frankreich ist das 1789, für die USA die Unabhängigkeitserklärung. Für Spanien der Spanische Bürgerkrieg. Nun, für Deutschland ist das Auschwitz. Das kann nur Auschwitz sein. Die Erinnerung an Auschwitz, das ‚Nie-mehrAuschwitz‘ kann in meinen Augen das einzige Fundament der neuen Berliner Republik sein.“526

Das war in eben dem Jahr, als die Kohl-Regierung ihre Haltung zum Holocaust-Gedenken revidierte. Man kann dem Anspruch Fischers, das ‚Nie-mehr-Auschwitz‘ zum einzigen Fundament der neuen Republik zu machen, durchaus folgen. Aber erstens fehlte, mit Absicht oder nicht, jeder Hinweis auf zwei der bisherigen Säulen des Staatsverständnisses der Bundesrepublik, nämlich die Einbindung in die Menschenrechtskonventionen und die Identifikation mit der sozialstaatlichen Idee. Und zweitens verengte Fischer die vielfältigen strukturellen, ökonomischen und psychosozialen Ursachen des Nationalsozialismus auf ein Ereignis. Dem Gesamtgeschehen ging seine Komplexität verloren – und damit auch die Vielzahl an vergangenheitspolitischen Konsequenzen, die daraus zu abzuleiten war. Der aus seinem historischen Zusammenhang gerissene Holocaust wurde als Sinnbild einer mörderischen Vergangenheit insgesamt verallgemeinert, aus der sich so gut wie jede Konsequenz des außenpolitischen Tagesgeschäfts ableiten und rechtfertigen ließe. Der Einsatz solcher rhetorischer und moralischer Mittel zur Durchsetzung bestimmter politischer Entscheidungen ist Geschichtspolitik.527 Im konkreten Fall hieß das, den Holocaust als argumentatives Vehikel zu nutzen, um die neuen Freiräume des Moskauer Vertrages zu nutzen. Derartige Argumentationen sind eher als Dienstbarmachung von Geschichte zu sachfremden, in diesem Fall auch außenpolitisch begründeten Zwecken zu sehen: Die Bundesrepublik stand damals unter großem Druck der USA, sich an der Intervention zu beteiligen. 528 In der Folge war es schließlich die rot-grüne Regierung Schröder/Fischer, die mit dem Kosovo-Einsatz der Bundeswehr 1999 fünfzig Jahre militärischer Enthaltsamkeit Deutschlands beendete. 529 Die Armee wurde direkt in einem – verfassungsmäßig und völkerrechtlich umstrittenen – Krieg eingesetzt, wenn auch auf Wunsch und mit Zustimmung der ehemaligen westlichen alliierten Kontrollmächte.530 Die allmähliche Umwidmung der Bundeswehr von einer Wehrpflichtigenarmee mit Landesverteidigungs-

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auftrag zu einer ab 2011 weltweit agierenden Berufsarmee531 zeigt, wie eklatant sich die außenpolitischen Prämissen der neuen Berliner Republik seither gewandelt haben. Es war ein gewundener und weiter Weg vom totalen Verbot militärischer Bewaffnung im Potsdamer Abkommen 1945 über die Neugründung einer defensiven Bundeswehr 1955, über den ersten Kampfeinsatz im Jahr 1991532 bis hin zu dem Satz des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck, dass die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werden müsse.533 Der Nationalsozialismus als unmittelbar auf die Gesellschaft wirkendes Ereignis begann zu einem Stück Geschichte zu werden534, und damit veränderte auch der Begriff „Nachkriegsdeutschland“ seine Bedeutung: Deutschland wurde wieder zu einer kriegführenden Macht, und die politische Begründung für diesen Wandel war zunächst unmittelbar mit dem Hinweis auf Auschwitz verbunden. Bei späteren Bundestagsbeschlüssen zum Einsatz der Armee würde übrigens von Auschwitz gar nicht mehr die Rede sein: Die deutsche Unterstützung des französischen Militäreinsatzes in Syrien etwa zielte eher auf die innere Festigung der auseinanderstrebenden Europäischen Union. Die Berufung auf Auschwitz erwies sich als geschichtspolitischer Türöffner, mit dem die alte, vergangenheitspolitisch begründete militärische Beschränkung auf die Landesverteidigung außer Kraft gesetzt wurde. Hier fiel nach Gründung der Bundeswehr 1955 das zweite Tabu der Nachkriegszeit. Mit den hartnäckigen Versuchen der derzeitigen Verteidigungsministerin von der Leyen, den Einsatz der Bundeswehr im Inneren ins Spiel zu bringen, steht zumindest in diesem Bereich die gewichtigste vergangenheitspolitische Maßnahme der Gründerjahre im Bereich der Militärpolitik zur Disposition. Ob damit nun gleich die alten Gespenster des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des Dritten Reiches wieder hinter der Tür stehen, sei dahingestellt. Aber man sollte eingedenk sein, dass hier eine Beschränkung staatlicher Durchgriffsmöglichkeiten aufgegeben würde, die von den Verfassungsvätern und -müttern aus guten Gründen ins Grundgesetz geschrieben wurde. Ordnungspolitische Vergangenheitsbewältigung: Tiefgreifender noch als die außenpolitische Neuorientierung waren die innenpolitischen Veränderungen. Mit der (Wieder-)Vereinigung stand die Aufgabe, die Wirtschafts-, Verfassungs- und Rechtseinheit zweier Staaten herzustellen, die 40 Jahre lang getrennte Wege gegangen waren. Für die DDR bedeutete die Unterzeichnung des Einigungsvertrags im Kern die Angleichung an den Westen, die vollständige Übernahme des westdeutschen Systems der Sozialen Marktwirtschaft, gekennzeichnet durch Gewährleistung des Privateigentums, Abschaffung staatlicher Monopole, Einschränkung von Subventionen, schließlich Einführung des Währungs-, Sozial- und Ren-

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tensystems und des Arbeitsrechts. Die Gründe dafür sind bekannt: Die DDR war trotz partiell guter Industrieerzeugnisse und -standards finanziell am Ende, sie war Verliererin im politischen und ökonomischen Wettbewerb der Systeme. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung hatte die guten Lebensverhältnisse der sozialstaatlich-demokratischen Bundesrepublik und damit eine klare politische Perspektive vor Augen und kündigte die Loyalität auf, was die Regierung schließlich zur Öffnung der Grenze zwang und zum Ende des Regimes des sozialistischen Eigentumsund Wirtschaftsrechts führte. Die Zustimmung von Bundestag und neu gewählter DDR-Volkskammer zum Einigungsvertrag erweiterte den Geltungsbereich des bundesdeutschen Grundgesetzes mitsamt seinen eigentumsrechtlichen Bestimmungen auf das Gebiet des völkerrechtlich immer noch bestehenden Staates. Die Abwicklung der sozialistischen und die Wiederherstellung der bürgerlich-rechtlichen Eigentumsverhältnisse wurden der noch von der DDR gegründeten Treuhandgesellschaft übertragen. Zunächst war unter ihrem ersten Präsidenten, Karsten Rohwedder geplant, den Systemwechsel schonend zu gestalten, wettbewerbsfähige DDR-Betriebe zu sanieren und Kaufinteressenten auf den weitgehenden Erhalt entwicklungsfähiger Arbeitsplätzen zu verpflichten. Nachdem Rohwedder einem Attentat zum Opfer gefallen war, verfolgte seine Nachfolgerin Birgit Breuel eine marktliberale Linie. Der umfangreiche Industrie- und Liegenschaftsbestand wurde nun ohne Rücksicht auf den technischen Zustand, die möglichen Marktchancen und den tatsächlichen Marktwert veräußert. Hinzu kam, dass auch die noch konkurrenzfähigen Einheiten der DDR-Industrie übergangslos den Regeln des Weltmarktes ausgeliefert waren und durch die Umstellung der Preise auf eine starke D-Mark ihre vorhandene internationale Wettbewerbsfähigkeit einbüßten. Das führte zu einem Zusammenbruch weiterer Betriebe, zumal nun auch die bisherigen Absatzmärkte im untergegangenen sozialistischen Staatenblock wegen der dortigen Privatisierungen und Betriebsschließungen wegbrachen. Insgesamt fielen vier Millionen Arbeitsplätze weg, von denen mehr als zwei Millionen nicht wiederkamen; das Bruttosozialprodukt fiel innerhalb eines Jahres um ein Fünftel, das Lohnniveau sank beträchtlich, und die Arbeitslosigkeit stieg auf fast 20 Prozent, wobei die Quote in einzelnen Regionen noch weitaus höher war. In der Folge wanderten anderthalb Millionen Ostdeutsche in den Westen ab und setzten damit den Trend fort, der die DDR, aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, von ihrer Entstehung an begleitet hatte. Der mit den Umstrukturierungen erwartete Wirtschaftsaufschwung blieb aus, die Versprechungen der westdeutschen Politiker im Wahlkampf 1990 erwiesen sich als verfehlt,

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die hohen Erwartungen des Anfangs wurden enttäuscht. Skepsis machte sich auch deswegen breit, weil die rücksichtslose Abwicklungspolitik der Treuhandgesellschaft Spuren in der Einschätzung der Wiedervereinigung hinterlassen hatte.535 1993 glaubte eine große Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung, dass die Gesellschaft sich in einer tiefen Krise befand, die Hälfte ging davon aus, dass die Lage schlecht bleiben werde. Allerdings hatte sich die Bundesrepublik im Einigungsvertrag verpflichtet, den Übergang sozial abzufedern, den hoch defizitären Staatshaushalt der DDR auszugleichen und die Kosten der ostdeutschen Sozialausgaben zu übernehmen. Dadurch wurden in kurzer Zeit Subventionen in Billionen-Höhe fällig, in deren Folge sich die Staatsverschuldung fast verdoppelte.536 Aber gerade diesen Sozialsubventionen dürfte zu danken sein, dass die hohen Erwartungen des Beginns nicht in politisch schwer zu beherrschende Enttäuschung umschlugen – was darauf verweist, dass ökonomische Fragen stets auch zutiefst politische Fragen sind. Görtemaker schreibt: „So wie die alte Bundesrepublik seit ihrer Entstehung 1949 für die Westdeutschen einen erheblichen Teil ihrer Legitimität aus ihrem materiellen Erfolg bezog, für den damals der Begriff des ‚Wirtschaftswunders‘ geprägt wurde, hing auch die Akzeptanz der neuen Bundesrepublik bei den Ostdeutschen maßgeblich von der Fähigkeit der marktwirtschaftlichen Ordnung ab, für ihre materielle Zufriedenheit zu sorgen.“537

Während westdeutsche Unternehmen über Expansion in die neuen Märkte, Ausschaltung konkurrierender Unternehmen und Spekulationsprofite vor allem die Gewinne der ökonomischen Transformation mitnahmen538, war es zunächst vor allem die staatliche Subventionierung, die für diese Zufriedenheit sorgte. Die ordnungspolitischen Veränderungen vollzogen sich im Unterschied zu den schockartigen Systemwechseln in den anderen ehemaligen Ostblockstaaten relativ gemäßigt, da ein vergleichbar radikales Vorgehen die starken sozialstaatliche Traditionen in den Westbundesländern berührt und damit nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern auch im Westen soziale Spannungen ausgelöst hätte. So aber fiel die Einschätzungen der Ostdeutschen über ihre persönliche Situation deutlich positiver aus als die über die allgemeinen Lage: Zwei Drittel sahen das Jahr 1991 für sich als gut an, 1992 war die Zufriedenheit nochmals höher und erreichte die gleichen Umfragewerte wie im Westen. Obwohl der Systemwechsel sozial abgefedert wurde, sind die Nachwirkungen bis heute spürbar. Der größte Teil des ehemaligen DDRIndustriebestandes und der Liegenschaften befindet sich in der Hand westdeutscher oder internationaler Eigentümer. Statistisch gesehen sind die Vermögensunterschiede zwischen Ost und West beträchtlich, ebenso

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die Einkommensunterschiede. Das private Pro-Kopf-Vermögen ist halb so hoch wie in Westdeutschland, das BIP erreicht im Osten lediglich zwei Drittel des Westniveaus539, die Arbeitslosenquote liegt um ein Viertel höher als im Bundesdurchschnitt.540 Allerdings muss man in Rechnung stellen, dass nicht nur Ostdeutschland den Systemwechsel spürte. Der gleichzeitige neoliberale Paradigmenwechsel der Regierungen Kohl und Schröder hinterließ auch in Gesamtdeutschland seine Spuren: In den 20 Jahren nach der Wiedervereinigung fielen die Reallöhne trotz steigender Produktivität bundesweit. Der Lohnanteil an der gesamten Wertschöpfung sank kontinuierlich Die allgemeinen Entwicklungsunterschiede stellen heute nicht mehr nur ein Ost-West-, sondern inzwischen auch ein Nord-Süd-Problem dar – von den auseinanderdriftenden Vermögensverhältnissen innerhalb der Gesamtbevölkerung ganz zu schweigen. Auch Eigentumserwerb durch externe Investoren und Gewinnabwanderung im Osten sind mittlerweile keine speziellen Folgen der (Wieder-)Vereinigung mehr, sondern Begleitumstände der globalen Finanzmarkt-Deregulierung. So werden inzwischen zwei Drittel der Aktien der DAX-notierten Großunternehmen von ausländischen Investoren gehalten, mehr als die Hälfte der Gewinne fließen damit aus Deutschland ab. 541 Auf der positiven Seite der Wiedervereinigung ist immerhin zu verbuchen, dass der Industrieanteil des Ostens an der gesamten Bruttowertschöpfung heute zwar hinter Westdeutschland, aber mittlerweile immerhin im Durchschnitt der Europäischen Union liegt, noch vor Frankreich, Spanien und Großbritannien.542 Aufarbeitung staatlicher Kriminalität: Dem Mauerfall folgten nicht nur die Wiederherstellung der privatrechtlichen Eigentumsordnung und die Intensivierung der neoliberalen Agenda. Unversehens wurde auch das Thema Vergangenheitsbewältigung noch einmal aktuell. Diesmal aber ging es nicht um den Nationalsozialismus, sondern um die Aufarbeitung der DDR-Geschichte und um harte Vergangenheitsbewältigung, um personelle Überprüfungen in den Universitäten, Ämtern und im Justizwesen, bei Armee und Polizei – und insbesondere um die Rechtsverfolgung der DDR-Systemkriminalität und die Rehabilitation und Entschädigung der Opfer. Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) vom Oktober 1992 sah Rehabilitation und Entschädigung für alle vor, die zwischen Mai 1945 und Oktober 1990 in der SBZ und späteren DDR Opfer staatlichen Unrechts wurden. Mit dem Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vom November 1991 schuf man die Grundlagen zur Aufbewahrung der Stasi-Unterlagen, der Einsichtnahme durch Betroffene und zur Auskunftserteilung im Falle der Überprüfung auf Stasi-Zugehörigkeit.

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Innerhalb von fünf Jahren wurden daraufhin mehr als 1,7 Millionen Überprüfungen vorgenommen. Für Anklagen bei politischen Gewaltverbrechen konnte man auf die Unterlagen der Zentralen Ermittlungsstelle in Salzgitter zurückgreifen – ein Verfahren, das schon ab den 1960er Jahren praktiziert und kontrovers diskutiert worden war.543 Die Strafverfolgungen hatte man gleich nach Öffnung der Grenze 1989 eingeleitet. Nach der Ratifizierung des Einigungsvertrags und nach dem Wahlsieg der „Allianz für Deutschland“ fiel die Entscheidung, diese Linie beizubehalten und keine Generalamnestie für DDR-Systemkriminalität zu gewähren. Danach setzte eine Strafverfolgungswelle ein, die die politisch verantwortlichen Mitglieder des Politbüros der vergangenen DDR, aber auch die Spitzen von Regierung, Armee und Geheimdiensten einschloss. Sie zielte insbesondere auf politische Urteile, Rechtsbeugungen, Misshandlungen, Straftaten des Ministeriums für Staatssicherheit und alle Vorfälle an der Grenze. Allerdings zeigten sich hier alle Schwächen und Stärken, die schon aus anderen Vergangenheitsbewältigungen bekannt sind: der bisher noch stets vorhandene Hiatus zwischen Recht und Gerechtigkeit, Sühne und Versöhnung, Genugtuung für die Opfer und Bestrafung der Täter, Herstellung des gesellschaftlichen Friedens ließ sich auch hier nicht überbrücken. Die Grenzen des Rechts lagen schon deshalb auf der Hand, weil sich offensichtlich ein Geschehen nur schwer juristisch fassen lässt, das Jens Reich, einer der profiliertesten Bürgerrechtler der DDR, so formulierte: „Ein Land wurde heruntergewirtschaftet, zwei Generationen im Käfig gehalten, zu Bettlern gemacht und in die depressive Resignation gestoßen, die Menschheitsideale der großen sozialen Revolutionsbewegung wurden verraten [...].“544 Und gerade in Deutschland sollte sich das Problem, wie damit politisch und juristisch umzugehen war, als besonders kompliziert erweisen. Der Wunsch nach juristischer Aufarbeitung war in beiden Teilen Deutschlands stark – aber aus unterschiedlichen politischen Motiven. Die Bürgerrechtsbewegung der DDR wollte schlicht Genugtuung für die Opfer und lehnte Amnestien zur Herstellung eines inneren gesellschaftlichen Friedens ab. Auf der westdeutschen Seite lagen die Dinge komplizierter, denn hier spielte die Erinnerung an die 1950er Jahre eine Rolle: Mit den Prozessen nach dem Fall der Mauer stand auch die frühe Bundesrepublik und ihr Umgang mit der eigenen Vergangenheit unversehens wieder zur Debatte. Angesichts der Amnestiepolitik, die man in den ersten Jahren nach Gründung der BRD gegenüber den nationalsozialistischen Tätern betrieben hatte, stieß die neue Strafverfolgung auf erhebliche argumentative Schwierigkeiten. Man war sich durchaus bewusst,

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dass die schnelle Re-Integration der NS-Täter, die äußerst lückenhafte Strafverfolgung und das Beschweigen der Verbrechen kein Ruhmesblatt für die Bundesrepublik und ihren Anspruch war, sich der eigenen Vergangenheit konsequent gestellt zu haben. „Wie selbstverständlich“, schreibt Weinke, „schien vor allem die politische Klasse der ‚alten‘ Bundesrepublik davon auszugehen, dass aus der Negativerfahrung einer weitgehend ‚verdrängten‘ NS-Vergangenheit auch eine Art historischer Verpflichtung erwachsen würde, sich der juristischen Aufarbeitung der SED-Diktatur zu widmen.“545 Argumentativ war das Vorhaben nicht einfach zu begründen: Mit einer Gleichsetzung von DDR und nationalsozialistischer Diktatur, wie sie von vielen konservativen Kräften liebend gern zur inhaltlichen Basis der Aufarbeitung gemacht worden wäre 546, hätte auch immer eine Relativierung der deutschen Verbrechen vor 1945 im Raum gestanden. Die DDR hatte sich zwar diverser Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht, aber sie hatte weder eine Ausrottungspolitik betrieben noch Völkermord begangen. Eine Gleichsetzung verbot sich durch die schiere Größe der NS-Verbrechen und durch die Rücksichtnahme auf die Einmaligkeit des Holocaust von selbst. Stattdessen behalf man sich mit dem Konstrukt des Totalitarismus, der immer noch die Verwandtschaft zwischen Sozialismus und Nationalsozialismus nahelegte. Dieser Punkt sollte später wegen Verwischung der Unterschiede zu ernsthaften Zerwürfnissen mit jüdischen Gemeinden führen. 547 Auch wurde durchaus als Problem erkannt, dass westdeutsche „Justizjuristen“ (Annette Weinke) über die DDR-Systemkriminalität urteilten, was ehemaligen DDR-Funktionären und der PDS, die in Nachfolge der SED gegründet worden war, die Gelegenheit gab, der Bundesrepublik politisch motivierte Gesinnungsjustiz und Rückfall in die Kommunistenverfolgungen aus Zeiten des Kalten Krieges vorzuwerfen. Die Strafverfolgung war also schon aus geschichtspolitischen Gründen nicht so einfach wie gedacht, sie führte tief in die Versäumnisse der frühen deutschen Nachkriegsgeschichte zurück – und die Diskussion darüber handelte auch die aktuell vorhandenen ideologischen Streitpunkte in der BRD ab. Ebenso kompliziert gestaltete sich trotz mehrerer Optionen die juristische Seite. Eine Möglichkeit wäre gewesen, die Verantwortlichen für den Schießbefehl und die Ausführenden nach dem Völkerrecht anzuklagen. Es hätte eine Bestrafung erlaubt, wenn die Handlung „zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar war“ (Art. 7,2 der Europäischen Menschenrechtskonvention) – was in den meisten Fällen ja zutraf. Ein weiterer Vorteil wäre gewesen, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjährten. Das hätte vieles einfacher gemacht, zumal sich der da-

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malige Außenminister Genscher zur gleichen Zeit auf UNO-Ebene für ein internationales Völkerstrafrechtstribunal gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein einsetzte. Aber erstens hatte die Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt die Konvention gegen die Verjährung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht unterschrieben548, und zweitens waren die alten Reflexe gegen Tribunale à la Nürnberg 1945 im deutschen Konservatismus tief verwurzelt. Man wählte einen anderen Weg: Im Einigungsvertrag war vereinbart worden, dass die DDR dem Grundgesetz nach Art. 23 (alte Fassung) einfach beitritt. Damit ging man einerseits davon aus, dass es sich um die Wiedervereinigung zweier zusammengehöriger Landesteile handelte, in denen von Beginn an das Bundesrecht galt, auch wenn es in einem Teil zeitweise nicht ausgeübt werden konnte. Andererseits konnte man nicht negieren, dass die DDR ein völkerrechtlich anerkannter souveräner Staat gewesen war. Dem trug man etwa bei der Behandlung der Angehörigen der DDR-Auslandsspionage Rechnung: Diese wurden verurteilt, wenn sie in der BRD gearbeitet hatten, blieben aber straffrei, wenn sie ihrer Tätigkeit ausschließlich auf dem Gebiet der DDR nachgegangen waren. In diesem Fall galt die DDR als Ausland. Unter dem Strich wurden die Prozesse um die DDR-Systemkriminalität nun mit bundesdeutschem Verfahrensrecht geführt, die Anklagen aber auf Grundlage des vormals geltenden DDR-Recht erhoben549, wobei man aber dann doch in bestimmten Fällen das Völkerrecht heranzog. So erkannte der BGH im Zuge der Mauerschützen-Prozesse die DDR-Begründung für das Grenzgesetz prinzipiell als gültig an, schränkte aber zugleich ein, dass die Tötung unbewaffneter Flüchtlinge „wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen […] völkerrechtlich geschützte Menschenrechte“ auch in der DDR nicht rechtens sein konnte.550 Der Rechtslage war also kompliziert, aber der juristische Weg erwies sich auch aus einem anderen Grund als schwer gangbar. Hansgeorg Bräutigam, Vorsitzender Richter der 27. Großen Strafkammer beim Landgericht Berlin, der die Prozesse gegen die Staatsführung der DDR leitete, schreibt in der Rückschau: „Erich Honecker, Erich Mielke, Willi Stoph, Egon Krenz u. a. – nichts schien leichter, als ihnen den Prozess zu machen, so dachten nach der Wende viele. Aber die Gleichung ging nicht auf.“551 Und das wiederum hatte mit einer anderen vergangenheitspolitischen Konsequenz zu tun, die aus den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und den politischen Prozessen der DDR erwachsen waren. „Der Verfall des Rechtsstaates“, resümierte Bräutigam, führte „zu selbstherrlichen Eingriffen der Machthaber in das Strafverfahren und zur Degradierung des Beschuldigten zu einem bloßen Objekt des Strafverfahrens“. In den Prozessen nach der Wende hingegen sei es nicht um den

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Sozialismus oder um das DDR-Regime gegangen, sondern um individuelle strafrechtliche Schuld, bei dessen Ermittlung die Angeklagten die Geltung des materiellen und formellen Rechts wie jeder andere beanspruchen konnten.552 In der Tat war es vor allem dem Vorrang der Rechtsstaatlichkeit gegenüber dem Wunsch nach Gerechtigkeit geschuldet, dass letzten Endes nur wenige Angeklagte tatsächlich verurteilt wurden, und wenn, dann zu relativ geringen Haftstrafen, die den Erwartungen der Bürgerrechtsbewegung und der Opfer kaum entsprachen. 553 Das Verfahren gegen Erich Honecker etwa scheiterte an seinem nur schwer widerlegbaren schlechten Gesundheitszustand, ein Prozess hätte unter diesen Umständen gegen das Grundrecht auf Achtung der Menschenwürde verstoßen. Honecker konnte schließlich mit Unterstützung des Landes Berlin nach Moskau ausreisen, wodurch eine weitere gerichtliche Überprüfung entfiel.554 Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, wurde nicht wegen Handlungen während seiner Amtszeit verurteilt, sondern wegen zweifachen Polizistenmords im Jahr 1931, wobei die Anklage teilweise auf NS-Ermittlungsunterlagen fußte. DDR-Richter, die an den Prozessen gegen „Republikflüchtlinge“ beteiligt waren, profitierten von Richter-Privileg des Bundesgerichtshofes für NS-Richter. Eine Reihe weiterer zentraler Akteure wurde alsbald begnadigt, viele Straftaten waren bereits verjährt, das Rückwirkungsgebot des Grundgesetzes schloss die Bestrafung von Handlungen aus, deren Strafbarkeit zum Zeitpunkt ihrer Begehung nicht gesetzlich bestimmt war. (Art. 103,2 GG), und mit Datum vom 2. Oktober 2000 verjährten generell alle Straftaten mit Ausnahme von Mord. Von daher ist der Satz der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, dass man „Gerechtigkeit wollte und den Rechtsstaat bekam“ durchaus verständlich. Andererseits lässt sich aus anderer Perspektive dennoch von einer gelungenen Vergangenheitsbewältigung sprechen. Denn die Lehren, die in der BRD aus der Rechtsstaatsperversion des Nationalsozialismus gezogen wurden, erwiesen sich als stabil. Sie standen einer politischen und Gesinnungsrechtsprechung entgegen und räumten damit auch den Angeklagten aus der DDR jene Rechte ein, die sie selbst im umgekehrten Fall wohl nicht zugestanden hätten. Deshalb kann vom Versagen des Rechtsstaats, wie verschiedentlich argumentiert, nicht die Rede sein. 555 Wenn überhaupt, dann ist das unbefriedigende Resultat letztlich der Entscheidung geschuldet, auf die Anwendung des humanitären Völkerstrafrechts weitgehend zu verzichten, das im Übrigen auch von der DDR ratifiziert worden war. Eliten und geschichtspolitische Moderation: Nach der anfänglichen Euphorie der Grenzöffnung und des Mauerfalls hatte sich allseits Unzu-

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friedenheit über den Verlauf des Vereinigungsprozesses eingestellt. Zudem war das Klima der öffentlichen Debatten durch nicht enden wollende Veröffentlichungen über die Mitarbeiter der Staatssicherheit und ihre Methoden vergiftet. In Anbetracht der zahlreichen Dilemmata suchte man in den folgenden Jahren nach Wegen, um die mageren Resultaten der juristischen Aufarbeitung zu kompensieren und richtete die Überlegungen auf neue Aufarbeitungsinstrumente wie die Wahrheitskommissionen in Südafrika und Lateinamerika. So regten bekannte ostdeutsche Politiker wie Friedrich Schorlemmer, Wolfgang Thierse und Wolfgang Ullmann ein gesellschaftliches Tribunal an, um Schuld und Verantwortung der DDR-Führung jenseits einer eingeengten strafrechtlichen Sichtweise öffentlich zu verhandeln.556 Ullmann schlug zudem ein völkerrechtliches Tribunal vor, das sich mit Staatskriminalität befassen sollte. Der Vorschlag von Thierse u.a. stieß auf wenig Gegenliebe, man führte etwa die Praxis der Volksjustiz in der frühen DDR als abschreckendes Gegenbeispiel an. Auch dem Einzelvorstoß Ullmanns war kein Erfolg beschieden, weil sich die Regierungsparteien wegen der erwähnten konservativen Abwehrhaltung gegen Verfahren à la Nürnberg darauf festgelegt hatten, die Menschenrechte in den Mauerschützenprozessen nicht heranzuziehen – und schon gar nicht in einem Tribunal. Immerhin folgte der Bundestag im März 1992 zumindest einem Vorschlag der Bürgerrechtler Meckel und Gutzeit und setzte eine Untersuchungskommission zur „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ ein. Die Ziele dieser Kommission ließen deutlich das Bemühen erkennen, die Mängel der strafrechtlichen Vergangenheitsbewältigung durch geschichts- und mentalitätspolitische Aktivitäten zu mildern und zugleich die psychologisch-politischen Gräben zu planieren, die in den beiden deutschen Staaten nach vierzig Jahren Blockkonfrontation zweifellos vorhanden waren.557 Aber die Kommission selbst konnte diese Konfliktlinien nicht überwinden, denn es wurde nicht nur die DDR-Vergangenheit verhandelt, sondern ebenso der alte Parteienstreit über die westdeutsche DDR-Politik vor 1989 einschließlich der alten, nie wirklich beendeten ideologischen Grabenkämpfe im Spannungsfeld zwischen Sozialismus und Liberalismus.558 Vor diesem Hintergrund konnten weder die wissenschaftlichen noch die politischen Resultate dieses Parlamentsgremiums befriedigten. In diese Phase fielen die Bundestagswahlen 1994. Zur allgemeinen Überraschung behauptete sich die PDS in den Ost-Bundesländern als drittstärkste Kraft, in manchen Wahlkreisen als stärkste Partei; sie zog mit 30 Sitzen in den Bundestag ein, während CDU und SPD Stimmenverluste hinnehmen mussten. Das hatte nicht zuletzt mit den konkreten ma-

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teriellen Folgen der Vereinigungspolitik zu tun, die von Teilen der ostdeutschen Bevölkerung als Oktroyierung eines gänzlich vom Westen dominierten Konzepts empfunden wurde. Zudem waren die politischen Einstellungen und Mentalitäten in der ehemaligen DDR trotz aller grundsätzlichen Zustimmung zur Vereinigung differenzierter als im Westen weithin angenommen. Die in der Euphorie des Anfangs gehegten Hoffnungen auf eine vollkommene Negierung des untergegangenen Staates und seiner Geschichte durch die Bevölkerung erfüllten sich nicht. Denn schließlich gab es in der DDR eine nicht geringe Zahl von Menschen, die sich bei aller Distanz zum System mit den Lebensverhältnissen arrangiert und eine stabile Identifikation mit ihrer Lebensgeschichte und Erfahrungen entwickelt hatten, die sie nun durch die rigorose Kritik aus dem bundesdeutschen Westen in toto in Frage gestellt und entwertet sahen. Auch war die Identifikation mit dem antifaschistischen Selbstverständnis der DDR nicht zu unterschätzen, die sich stets darauf berufen hatte, im Unterschied zur Bundesrepublik die Lehren aus dem Nationalsozialismus personell und strukturell konsequent gezogen zu haben. Vor diesem Hintergrund beschloss man die Einrichtung einer weiteren Enquete-Kommission, zu deren wichtigsten Zielsetzungen die Versöhnung der deutschen Nachwende-Gesellschaft gehörte, die „auf dem Willen zu Offenheit, zu historischer Wahrheit und zu gegenseitigem Verständnis“ basieren sollte. Das Programm dieser zweiten Kommission hob deutlich ab auf die Enttäuschung der Opfer und Leidtragenden und auf die Leistungen der DDR-Opposition, aber auch auf den weitverbreiteten Eindruck, dass vom Eliten- und Eigentumswechsel besonders Westdeutsche profitierten und zugleich die persönlichen, kulturellen und materiellen Lebensleistungen der Menschen in der DDR nicht hinreichend gewürdigt wurden.559 Zumindest versuchte man daher nun, die historischen Erfahrungen in der DDR und der BRD gegenüberzustellen und sie unter Anlegung menschenrechtlicher Kriterien zu bewerten. Der inhaltliche Rahmen scheint plausibel, da die Anwendung anderer Maßstäbe die Gefahr barg, zu sehr in parteipolitisches Terrain abzudriften. Auch stellte die parlamentarisch betriebene Geschichtsaufarbeitung ein Novum dar, für das es kein Vorbild gab, auf das man sich bei der konzeptionellen Vorbereitung hätte beziehen können. Aus der Kommissionsarbeit ging immerhin ein konkretes erinnerungspolitisches Projekt wie die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte hervor, die aus dem eingezogenen Vermögen der SED finanziert wurde, entsprechende Aktivitäten fördern und die von der politischen Verfolgung Betroffenen beraten sollte. Gleichwohl blieb der einheitsstiftende und vergangenheitspolitische Ertrag auch dieser Kommission letztlich gering, die historisch gewachse-

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nen Ost-West-Unterschiede in den Mentalitäten und politischen Einstellungen ließen sich auf diesem Wege nicht beseitigen. Von daher war es kein Zufall, dass nach dem Abschluss der ersten Enquete-Kommission und den durchwachsenen Wahlergebnissen 1994, eine Phase, die auch als „Vereinigungskrise“ firmierte, eine breite Debatte über eine mögliche Generalamnestie für DDR-Systemstraftäter in Gang kam. Der Vorstoß ging von der SPD der neuen Bundesländer aus, der mit der PDS ein veritabler Konkurrent erwachsen war und die nun eine Pflicht zur Versöhnung einforderte.560 Damit versuchte man, verlorenes Terrain wiederzugewinnen und gleichzeitig Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die dem erklärten Ziel der inneren Einigung im Wege standen. Die Diskussion wurde von allen relevanten politischen Kräften aufgegriffen, barg allerdings wie alle bisherigen Vereinigungs- und Aufarbeitungsdebatten das Problem, immer wieder auf die Erfahrungen der westdeutschen Nachkriegsgeschichte zurückgreifen zu müssen, was einen Vergleich zwischen DDR und dem System des Nationalsozialismus zwangsläufig macht – ein Problem, das selbst dann, wenn man den notwendigen Unterschied zwischen Vergleich und Gleichsetzung beachtete, bei vielen DDR-Bürgern als Provokation empfunden wurde und das Misstrauen und die Abwehr gegen eine Oktroyierung der westlichen Geschichtserzählung und damit gegen eine Infragestellung der eigenen Identitätsgrundlagen bestärkte. Das war nicht der einzige Fallstrick der Debatten, zumal die Interessenlagen äußerst vielschichtig waren und die Kontroversen mit teilw. verblüffenden Volten und merkwürdig anmutenden inhaltlichen Koalitionen quer durch die politischen Lager ausgetragen wurden. Die Bürgerrechtsbewegung sprach sich verständlicherweise gegen eine Amnestie aus, die PDS dafür. Im Westen brachten Befürworter wie der Berliner Rechtswissenschaftler Uwe Wesel Adenauers Schlussgesetz in Stellung, mit dem man erfolgreich auf umfassende Integration gesetzt und allen Nationalsozialisten mit Ausnahme der Gestapo-Angehörigen Anspruch auf Wiedereinstellung in den öffentlichen Dienst zugestanden hatte. Die „Zeit“-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff wiederum zweifelte grundsätzlich an der Möglichkeit der Unrechts-Aufarbeitung mit den Mitteln des Rechtsstaates. Sie gehörte zum immer noch einflussreichen Kreis jener „Nürnberger Gnadenlobby“, die sich bereits nach dem Krieg an den Amnestiekampagnen für die in den Nürnberger Prozessen Verurteilten eingesetzt hatten und nun erneut für eine Amnestie eintraten. Es waren zumeist Konservative, und ihre Gründe lagen keineswegs in einer Verschonung von DDR-Funktionären, sondern in der genannten grundsätzlichen Ablehnung von Verfahrensweisen wie dem Nürnberger Tribunal. Die Frage allerdings, wie eine Amnestie funktio-

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nieren sollte, ohne dass eine Art Generalabsolution für die DDR-Straftäter herauskam, blieb man schuldig, wohl auch, wie Weinke vermutet, weil man der PDS nicht in die Hände spielen wollte. Zudem wurden im Westen Befürchtungen laut, dass mit der Strafrechtsverfolgung der DDRVerbrechen an alte repressive Strukturen in der BRD angeknüpft würde (politisches Strafrecht, Berufsverbote), was seinerzeit zu massiven internationalen Protesten geführt hatte. Um die Verwirrung komplett zu machen, zog die Linke der alten Bundesländer, die noch vor 1989 die mangelhafte Strafverfolgung der NS-Täter kritisiert hatte, nun den Integrationserfolg der Adenauerschen Politik als Argument heran, um für eine Amnestie zu werben. Das veranlasste wiederum Joachim Gauck zu dem bitteren Kommentar, dass nun der „Psyche und den Interessen der einst privilegierten Schicht [der DDR] mehr Verständnis und Nachsicht gewährt wird als der Masse der einst Unterdrückten“. 561 Die Regierung Kohl, die sich in dieser Frage weitgehend zurückgehalten hatte, machte nun klar, dass eine Generalamnestie nicht in Frage kam, signalisierte aber die Bereitschaft, kleinere Delikte der DDR-Systemkriminalität strafrechtlich nicht mehr zu verfolgen. Damit war zwar die SPD-Initiative gescheitert, de facto aber erledigte sich die weitere strafrechtliche Verfolgung durch die erwähnten rechtsstaatlichen Beschränkungen und die Verjährungsfristen von selbst. Besonderheiten und Charakteristika. In der deutschen Vergangenheitsaufarbeitung nach dem Mauerfall kamen alle Verfahren und Instrumente zur Anwendung, die zum Katalog moderner Vergangenheitsbewältigung gehören: „Harte“ Vergangenheitsbewältigung wie Wechsel der Eliten, Überprüfungen, Berufsverbote, Strafverfolgungen, Restitutionen und gesetzliche Maßnahmen zur Opferentschädigung und -rehabilitation, ‚weiche‘ mentalitäts-, geschichts- und erinnerungspolitische Initiativen wie die Enquete-Kommissionen, die Stiftung Deutsche Einheit und nicht zuletzt der Beschluss, die Akten der Geheimdienste für den öffentlichen Gebrauch und die wissenschaftliche Arbeit freizugeben. Was den parlamentarischen Versuch der Wahrheitsfindung und der historisch-politischen Bewertung angeht, so kommt insbesondere die Arbeit der Enquete-Kommissionen in der späteren fachwissenschaftlichen Beurteilung nicht gut weg. 562 Das Unterfangen, ein abschließendes Urteil über die DDR-Geschichte anhand teilweise ungeeigneter juristischer Maßstäbe und pauschaler moralischer Begriffe wie „Unrechts“-Staat zu fällen, mochte zwar bestimmte politische Einstellungen und Feindbilder bedienen, konnte aber eine fundierte und differenzierte historische Annäherung an das Thema nicht ersetzen, zumal die sozial- und alltagsgeschichtlichen Aspekte des untergegangenen Staates vernachlässigt und

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die Sichtweisen und Wahrnehmungen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung gar nicht berücksichtigt wurden. Schließlich kann von einer umfassenden Wahrheitsfindung schon deshalb nicht gesprochen werden, weil man zwar die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit freigab, nicht aber die Akten des ehemaligen Außenministeriums der DDR, in denen zahlreiche Gesprächsprotokolle zwischen west- und ostdeutschen Politikern enthalten sind.563 Deren Veröffentlichung hätte mit Sicherheit zu einer anderen historischen Gesamtbewertung geführt. So aber konnte eine stark schwarz-weiß gefärbte Erzählung entstehen, die der positiven Rolle der BRD und des Westens breiten Raum gab. Die Aufarbeitung des Geschehens erfolgte, ähnlich wie in Südafrika, hauptsächlich durch Experten und staatlich-parlamentarische Eliten. Die starke politische Einflussnahme verweist auf das Huntingtonsche Konzept zur Einrichtung von Wahrheitskommissionen unter der Regie nationaler Eliten, die die Vergangenheit vornehmlich mit dem Ziel aufarbeiten sollten, die Zukunft zu gestalten, den Rücksturz in die Gewalt zu verhindern und die Gesellschaft zur Aussöhnung zu führen. Das Konzept entfaltete, auch wenn öffentlich nur am Rande diskutiert, in Deutschland subkutan ebenfalls seine Wirkung. Neben den parlamentarischen Enquete-Kommissionen war die Freigabe der MfS-Akten ein historisches Novum. Die Möglichkeit zur Akteneinsicht schuf einerseits höhere Transparenz und erlaubte eine tiefere individuelle und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Vergangenen als vergleichbare andere Bewältigungsprozesse. Andererseits ging die Politik hier ein Wagnis ein, denn es ließ sich nicht mit letzter Sicherheit ausloten, wie weit dieser Weg ohne Gefahr politischer Instabilitäten begangen werden konnte. Zeitweise hatte sich derlei in der aufgeheizten Stimmung während der Enthüllungswelle der ersten Nach-Wendejahre angedeutet. Racheüberlegungen spielten jedoch nur vereinzelt eine Rolle, etwa in den öffentlich gemachten Abrechnungsphantasien Wolf Biermanns564, ohne auf nennenswerte Resonanz in der Bevölkerung zu stoßen. Dass derartige Unwägbarkeiten nach Ende der DDR vernachlässigt werden konnten, hatte allerdings auch mit anderen Faktoren zu tun, nicht zuletzt mit den erwähnten umfangreichen finanziellen, sozialpolitischen, und infrastrukturellen Maßnahmen und Zuwendungen des Bundes in den Regionen der neuen Bundesländer. Sie federten die Folgen der rigorosen Abwicklung und Re-Privatisierung der DDR-Industrie ab und trugen zu der von der Ost-Bevölkerung gewünschten Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse bei. Auch dies war im internationalen Vergleich eine Besonderheit, denn in den anderen ehemaligen Ostblockstaaten führte der radikale neoliberale Umbau zu einer rapiden Absen-

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kung des Lebensstandards der Bevölkerung oder brachte, wie etwa im Fall Südafrikas, keine Verbesserung der Situation. Ebenfalls einen anderen Weg beschritt man in der Frage des Umgangs mit den alten Eliten. Im Unterschied zur international inzwischen weit verbreiteten Praxis, die belasteten militärischen und zivilen Führungskräfte zu integrieren, fand kein Stabsoffizier der NVA Aufnahme in die Bundeswehr; auch bleibt den meisten ehemaligen Mitarbeitern der Stasi der Zugang zum Öffentlichen Dienst nach wie vor versperrt. Zusammen mit der extrem hohen Zahl von 1,7 Millionen Überprüfungen weicht diese ‚administrative Disqualifizierung‘ ab von einem Kernpunkt der Huntingtonschen Transitologie – was wohl darauf zurückzuführen ist, dass man diese Kräfte ohne weiteres durch Westdeutsche ersetzen konnte. Diese Lustration bildete einen auffälligen Kontrast zur Adenauer-Ära, in der selbst schwerstbelasteten Angehörigen von Wehrmacht 565, Gestapo und SS schnell wieder eine Tätigkeit in Geheimdiensten, Polizei und Bundeswehr ermöglicht worden war. Der eigentliche Grund für die unterschiedliche Behandlung dürfte in der sozialistischen Ausrichtung der hauptamtlichen Stasi- und Armeeangehörigen liegen, deren Weiterverwendung mit den sicherheits- und geopolitischen Positionen der Bundesrepublik weitaus weniger zu vereinbaren war als die des antikommunistisch geprägten früheren NS-Personals. Möglicherweise ist dem auch geschuldet, dass die CDU/FDP-Regierung 2011 die 1989 begonnene Überprüfungspraxis gegen die international üblichen Verjährungsfristen nochmals bis 2019 verlängerte und den Personenkreis sogar ausweitete.566 Selbst die NS-Straftäter unterlagen in der frühen Bundesrepublik für vergleichbare Delikte nicht so langfristigen Restriktionen. Die ‚administrative Disqualifizierung‘ der alten Funktions- und Diensteliten wurde, wenn man einmal von Tschechien absieht, in keinem anderen Land, auch in keinem ehemaligen Ostblockland, so intensiv betrieben wie im vereinigten Deutschland nach 1989. Der Historiker Timothy Garton Ash hält dennoch dafür, dass die deutsche Vergangenheitsbewältigung nach 1989 konsequenter und auch rechtsstaatlicher betrieben wurde als in den anderen osteuropäischen Staaten des ehemaligen Ostblocks.567 Dem kann man zustimmen; ohne Zweifel steht das Beharren auf rechtsstaatlichen Verfahren auf der Habenseite des Aufarbeitungsprozesses. Andererseits unterband der Verzicht auf die Anwendung des Völkerstrafrechts zugunsten des deutschdeutschen Rechts die Verfolgung zahlreicher Rechtsbrüche. Neben der Unzulänglichkeit der parlamentarischen Geschichtsaufarbeitung war das einer der Gründe, weswegen die Bilanz ebenso zwiespältig ausfällt wie die der zahlreichen anderen Bewältigungsprozesse nach 1945.

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Aus historischer Perspektive bemerkenswert ist: Deutschland war ab Ende des Zweiten Weltkrieges bereits einer der Hauptschauplätze der ersten modernen Vergangenheitsbewältigung des 20. Jahrhunderts – zunächst unter der Regie der Alliierten, dann in Verantwortung der DDR und der BRD mit ihren je unterschiedlichen Prämissen und Zielen. Hier wurde 1989 eine weitere Bewältigung der Folgen diktatorischer Gewalt in Angriff genommen, in deren Verlauf man die Lehren der ersten einbezog und zugleich auch deren ungelöste Probleme auf den Prüfstand stellte. Damit handelte es sich im Grunde um den Versuch einer doppelten oder besser: dreifachen Bewältigung: Um die der DDR-Vergangenheit, die der BRD-Nachkriegsgeschichte und schließlich um eine neuerliche Klärung der Stellung zum Nationalsozialismus im Lichte der Verfolgung der DDR-Systemkriminalität. Man muss konzedieren, dass das schwierige Unternehmen der (Wieder-)Vereinigung in den Bereichen der Verfassung und der sozialen und ökonomischen Ordnung erfolgreicher verlief als in vielen vergleichbaren anderen Staaten. Unverkennbar war aber auch hier, dass der Spagat zwischen der Suche nach Wahrheit, der rechtsstaatlichen Aufarbeitung der Verbrechen und der Opferanerkennung auf der einen Seite, den Bemühungen um Versöhnung und innere Einigung und den Initiativen zur Verfertigung einer auf Konsens zielenden und homogenen offiziösen Geschichtserzählung auf der anderen Seite letztlich niemanden wirklich zufriedenstellen konnte. Denn auch hier blieb der Eindruck der historischen Ungerechtigkeit bei nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung, sei es bei den Opfern, sei es bei unbeteiligt Betroffenen oder auch bei Tätern – ein ebenso unerfreuliches wie offensichtlich unumgängliches Residuum der Aufarbeitung. Deutschland und der globale Aufstieg des Holocaust-Paradigmas Die neuen Schübe von Vergangenheitsbewältigung ließen erwarten, dass das Thema Nationalsozialismus in den Hintergrund treten würde. Das Gegenteil war der Fall. Die Publikationen, die Gedenk- und Erinnerungsaktivitäten zum Thema Nationalsozialismus nahmen zu; die mediale Beschäftigung mit den Führungsfiguren des Nationalsozialismus, die Erforschung der Alltagsgeschichte und der Biographien einzelner Opfer wurde besonders in Deutschland intensiver.568 Claude Lanzmanns „Shoah“ hatte bereits in den 1980er Jahren die Gemüter bewegt, nun rückte der Holocaust mehr und mehr in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit; er schien auf in Spielfilmen und Feuilletons, in Fernsehfeatures, Büchern und Opferbiographien, in Gedenktagen und -veranstaltungen, Museen und Erinnerungsorten, in Unterrichtsmaterialien und Fortbildungs-

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angeboten, in öffentlichen Reden und wissenschaftlichen Veröffentlichungen – er wurde zum „zentralen Paradigma“ der Geschichte des Nationalsozialismus569, zur „zentralen Obsession“ des Umgangs mit der Vergangenheit570, hinter die andere Aspekte des Nationalsozialismus zurücktraten. Dafür steht sinnbildlich das Schicksal des 8. Mai als nationaler Gedenktag für das Kriegsende 1945 in Europa. Noch 2006 schrieb der Historiker Kleßmann, der 8. Mai sei „als Gedenktag für das Selbstverständnis der Republik nicht mehr wegzudenken“, er werde als europäisches Datum heute von vielen Europäern gefeiert und könne so Teil eines kollektiven europäischen Gedächtnisses werden.571 Für Europa einschließlich der alten DDR mochte dies stimmen, für das westliche Deutschland sicher nicht. Denn die Debatte war stets zwiespältig 572, für viele trug der 8. Mai 1945 den Ruch der Niederlage, der Kapitulation Deutschlands. Es sollte vierzig Jahre dauern, bis erstmals in der Geschichte der BRD überhaupt ein Bundespräsident öffentlich das heiße Eisen anpackte und den 8. Mai als Tag der Befreiung deutete. 573 Nach der Rede entbrannte eine äußerst emotionale und kontroverse Debatte darüber, ob das Datum als bundesweiter Gedenktag akzeptabel sei. Die Befürworter kamen aus Kreisen der SPD, der Grünen und Linken; die Konservativen wehrten die Initiativen u.a. mit dem Argument ab, der Tag sei durch die sowjetische Besetzung und die daraus folgende spätere DDR-Diktatur nicht Befreiung für alle Deutschen gewesen. 574 Die Gegner setzten sich durch, und 1996 deklarierte der Bundestag stattdessen den 27. Januar, den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, zum Datum des mahnenden Gedenkens an den Nationalsozialismus. 575 Obwohl damit eigentlich aller Opfer des Nationalsozialismus gedacht werden sollte, hat sich dieses Datum umgangssprachlich als Holocaust-Gedenktag in der Alltagssprache etabliert.576 Der Beschluss beendete den Streit um den 8. Mai, er war eine Richtungsentscheidung, wie die Akzente staatlicher Gedenkpolitik zum Dritten Reich künftig gesetzt werden sollten. 577 Hier ist der 8. Mai in Berichterstattung und öffentlicher Wahrnehmung inzwischen ein Tag wie jeder andere; die Süddeutschen Zeitung vom 8. Mai 2016 etwa erwähnte das Thema Kriegsende und Befreiung gar nicht; das Datum bewegt zumeist nur noch Linke und die greisen Überlebenden der Konzentrationslager. Der Aufstieg des 27. Januar zum nationalen Gedenktag markierte den Beginn einer beispiellosen Welle globaler Erinnerungs- und Vergangenheitspolitik, deren Schwerpunkt auf dem Genozid an den europäischen Juden liegt. Im Zeichen des Holocaust stand in den nächsten Jahren eine ganze Serie internationaler Übereinkommen, Initiativen und Be-

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schlüsse. 1997: Londoner Raubgoldkonferenz zur Regelung der Rückerstattung geraubten jüdischen Vermögens und des Verbleibs namenloser Konten im Jahr578; 1998: Gründung der ‚Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research‘ (ITF) in Stockholm; 2000: Erklärung des Stockholmer Internationalen Forums über den Holocaust; 2005: Beschlüsse der UN-Generalversammlung und des EU-Parlaments zum „International Day of Commemoration in Memory of the Victims of the Holocaust “ 579 2008: entsprechender Beschluss der OSZE-Staaten580; 2009: Theresienstädter Erklärung.581 Die neuere Forschung charakterisiert diese Vorgänge mit Begriffen wie „Privilegierung und Internationalisierung des Holocaust-Gedenkens“582, Expansionsschub des Auschwitz-Gedenkens583 etc. Als zentrale Schaltstelle der Holocaust-Internationalisierung584 sollte sich die Stockholmer ITF erweisen. Auf sie kurz näher einzugehen lohnt deshalb, weil sie die Motive und die Vernetzung der Beteiligten erhellt. Schon die weltweite Resonanz auf die Gründungseinladung des damaligen schwedischen Ministerpräsidenten war bemerkenswert. Einer der Gründe dafür lag in der neuen und nachdrücklichen Restitutionspolitik der USA nach der Raubgoldkonferenz. Denn während der Diskussionen um das Schicksal jüdischer Vermögenswerte war deutlich geworden, wie viele der im Zweiten Weltkrieg besetzten oder neutralen Staaten sich als Hehler oder Stehler an der nationalsozialistischen Raub- und Vernichtungspolitik beteiligt hatten. Stewart Eizenstat, der damalige Staatssekretär im US-Außenministerium, hatte im Auftrag des US-Präsidenten Clinton nicht nur die weltweite Restitution geraubten jüdischen Eigentums ins Werk zu setzen, sondern gilt auch als einer der entscheidenden Initiatoren der ITF. Die US-Regierung war mit ihren vielfältigen Möglichkeiten, politischen Druck auszuüben, direkt beteiligt. Beides zusammen dürfte erklären, warum der ITF so viele Staaten beitraten, die mit den nationalsozialistischen Verbrechen auf den ersten Blick nichts zu tun hatten.585 Zwei Jahre nach Gründung der ITF verabschiedeten hochrangige Regierungsvertreter aus 46 Staaten die sog. „Stockholmer Deklaration“. Mit ihr erkannten die Unterzeichner die universelle Bedeutung des Holocaust an und verpflichteten sich auf die immerwährende Erinnerung an die Schrecken, die die jüdischen Menschen durchleiden mussten.586 Die Erklärung setzte sich zum globalen Ziel, politische und soziale Führungskräfte bei der „Aufklärung, Erinnerung und Forschung über den Holocaust“ einzubinden. Indem sie die Verbrechen des Nationalsozialismus auf den Holocaust und die jüdischen NS-Opfer eingrenzte587 (die nichtjüdischen Ermordeten, Verschleppten, Versklavten, Vertriebenen und Be-

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raubten fanden als „weitere Opfer“ Erwähnung) und das exklusive Mandat der Holocausterinnerung beanspruchte588, bildete sich erstmals ein globales Zentrum holocaustzentrierter Deutungs- und Geschichtspolitik heraus. Aber die Stockholmer Erklärung war mehr als nur eine weitere Geste symbolischer Erinnerungspolitik589: Die Beteiligung der zur Zeit 27 Mitglieds- und sieben assoziierten Staaten ist an materielle und rechtliche Verpflichtungen geknüpft. Zu ihnen zählen juristische Verfahren und Sanktionen im Zuge der Restitutionsabkommen und Regelungen für die soziale und medizinische Betreuung Holocaust-Überlebender. Im weiteren Sinn fallen darunter europaweite parlamentarischen Initiativen zur Eindämmung rechtsradikaler und rassistischer Bewegungen und eine in vielen EU-Staaten neu eingeführte strafrechtliche Verfolgung der Holocaustleugnung.590 In der Konsequenz erwuchs daraus eine neue (und letzte) Welle von Strafverfahren gegen KZ-Personal; auch die EU-Sanktionen gegen Österreich wegen antisemitischer Tendenzen 591 und die kritischen Diskussionen um den rumänischen Beitritt zur EU aus dem gleichen Grund lassen sich dem zuordnen.592 Damit wurde ein halbes Jahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkriegs die lange ruhende Politik der „harten“ vergangenheitspolitischer Sanktionen revitalisiert. Debatten, Deutungen und Veränderungen Die internationalen Debatten um diesen Paradigmenwechsel waren heftig, teilweise polemisch und gehässig, mitunter bitter. Sie wurden unter Einsatz öffentlicher Diffamierungen 593 und Veröffentlichungsverbote594 geführt; es kam zu Vorwürfen gegen den politischen und geschäftlichen Missbrauch des Holocaust595 und gegen den als zwanghaft gedeuteten Einsatz des Antisemitismusvorwurfs596; man unterstellte die Absicht, den Holocaust über die Behauptung seiner Einmaligkeit und Unvergleichlichkeit597 zu sakralisieren, damit einer Verwandlung in eine Zivilreligion Vorschub zu leisten598 und ihn in einem quasi voraufklärerischen Habitus einer historischen Analyse zu entziehen. 599 Damit verbunden waren Auseinandersetzungen über die Verengung und Dekontextualisierung von Geschichte600, über die Hierarchisierung der Opfer 601 und den Ausschluss anderer Opfergruppen602, um die Gefahren staatlich verwalteter Geschichtsbilder und um die Frage, wer überhaupt den Holocaust-Vergleich auf je aktuelle Konflikte anwenden und das Deutungsmonopol darüber beanspruchen darf. Als in den 1980er Jahren die Pläne für ein Holocaust-Museum in New York bekannt wurden, befürchtete die KohlRegierung einen Reputationsverlust Deutschlands in der Welt und zugleich eine Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen. Nach-

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dem der Kanzler den Eindruck gewonnen hatte, dass das Projekt nicht Ausdruck antideutscher Politik US-amerikanischer Juden war, vollzog er einen Schwenk und bezeichnete den Holocaust nun als „Herzstück des deutschen Selbstverständnisses als Nation“ – der Holocaust wurde, wie Jakob Eder schreibt, von einer Last zu einer speziellen deutschen Verantwortung.603 Dieses Selbstverständnis entstand erst in den 1990er Jahren und prägte die Politik der folgenden Regierungen Schröder und Merkel. Nun finden sich derartigen Reaktionen und Kritikpunkte als allgemeine Argumentationsmuster geschichtspolitischer Debatten; sie sind die zivilgesellschaftlich-diskursive Begleitmusik jeder Geschichtsinterpretation, besonders dann, wenn es sich um grundlegende Richtungswechsel und Veränderungen handelt. Sie geben Auskunft über verdeckte und offene Absichten und Denkweisen, über Befindlichkeiten, Empfindlichkeiten und Ängste, und als solche sind sie wichtige Indikatoren historischer Analyse. Aber erhellender noch als der Blick auf die Debatten dürfte die Klärung der Frage sein, warum nach der Epochenwende 1989 die allgemeinen Gedenk- und Erinnerungsaktivitäten gegen alle Erwartungen zunahmen – und warum innerhalb dieser neuerlichen Welle überhaupt eine „Konjunktur des Holocaust“604 stattfand. Die Historikerin Elisabeth Kübler nennt zwei „zentrale Auslöser für die Hinwendung zur Holocausterinnerungspolitik“: a) die geopolitischen Umbrüche und die neuerlichen Genozide ab den 1990 Jahren, und b) die zunehmenden Forderungen an die europäischen Staaten, sich endlich selbstkritisch mit ihren eigenen Erinnerungslücken, Mythen und frommen Legenden in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg auseinanderzusetzen.605 Das ist im Kern richtig, aber Auslöser funktionieren nicht ohne die dazugehörigen Voraussetzungen – und zu diesen gehört der Wandel von Geschichtsbildern im Wechselspiel mit neuen Machtpositionen und den damit verbundenen neuen Handlungsmöglichkeiten, entsprechend der Beobachtung aus dem ersten Teil, dass Identitäten, auch die von Staaten oder Bündnissen, im Fluss der Zeit, der Umstände und des Bewusstsein, viele Veränderungen durchlaufen, die stets vom Ziel der Übereinstimmung eigener Motive und Bedürfnisse mit den aktuellen Orientierungs- und Handlungskonzepten begleitet ist. In den Gesellschaftswissenschaften wurde die holocaustbasierten Vergangenheits- und Geschichtspolitik im Dreieck USA-Israel-Europa sehr aufmerksam analysiert, und als besonders gewichtig kristallisierten sich folgende historischen Konstellationen und Zielsetzungen heraus: Beziehungen zwischen den USA und Israel: Die Holocaust-Rezeption, wie wir sie heute kennen, ist noch keine drei Jahrzehnte alt. Niemand hätte in den 1970er Jahren vermutet, dass dem Begriff des Holocaust

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und dem dahinter stehenden Verständnis von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft global einmal ein derartiges politisches und kulturelles Gewicht zukommen würde. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Holocaust weder in den USA noch in Israel beherrschendes Thema. Im Israel der frühen Gründerjahre herrschte, den Berichten von Amos Elon zufolge, weitverbreitete Scham darüber, dass „die jüdischen Opfer der Nazis[...] wie die Schafe zur Schlachtbank gegangen“ seien. 606 Das mag der kompensatorische Grund dafür gewesen sein, warum in den ersten Jahren nicht die heute dominierende Erzählung von der Shoah und der damit verbundenen Opferperspektive Bezugspunkt des jüdisch-staatlichen Selbstverständnisses war, sondern die von den Märtyrern, den aktiven und heroischen Kämpfer gegen den Nationalsozialismus. 607Peter Novick zufolge galt in den Nachkriegs-USA der Massenmord an den Juden zwar als schlimmstes Verbrechen der Nazis, aber keineswegs als einmaliges Ereignis. Erst nach dem Sechstagekrieg 1967 akzeptierten die USA Israel überhaupt als strategischen Verbündeten, und erst von da an wuchs die allgemeine Akzeptanz des jungen Staates und seines Selbstbildes als Zufluchtsort der Juden, bis er in den 1990er Jahren eine „zentrale Stellung im amerikanischen Leben“ einzunehmen begann. 608 In den 1960er Jahren und besonders mit dem Eichmann-Prozess rückte der Holocaust nicht nur ins Zentrum der Identität der amerikanischen Juden, sondern wurde auch zu „einem wichtigen Bestandteil der amerikanischen Zivilreligion“. Die Amerikanisierung des Holocaust, so eine Deutung von Levy und Sznaider, gebe der amerikanischen Nation „die immerwährende Möglichkeit, das Böse zu externalisieren und zugleich die Notwendigkeit der eigenen Mission, der freiheitlich-demokratischen Sendung, zu erneuern“.609 Gemeinsam mit Israel sahen sich die USA nun als Bewahrer des „heiligen Status des Holocaust“, dessen narrativen Primat anzuzweifeln bedeutete, den Holocaust selbst in Zweifel zu ziehen. 610 Im Zuge dieser Prozesse entstanden jene festen strategischen Bündnisse zwischen einflussreichen US-amerikanischen jüdischen611 und evangelikalen612 Interessengruppen und den Regierungen der USA und Israels, die heute aus der globalen Politik nicht mehr wegzudenken sind. Mit dem Ende des Warschauer Pakts stieg in den USA das Holocaust-Gedenken zum dominierenden Thema öffentlicher Geschichtsdebatten auf 613, in deren Folge die erwähnte ITF als „Transmissionsriemen der Europäisierung und Transnationalisierung des Gedenkens“614, zugleich aber auch als Instrument der verstärkten US-Restitutionpolitik gegründet wurde. 615 Geschichtspolitik und geostrategische Bündnisse gingen hier Hand in Hand mit der Wiedererlangung geraubten jüdischen Vermögens.616

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Politisch-kultureller Einfluss der Opfergruppen: Das nationalsozialistische Deutschland hatte aus rassistischen, sozialdarwinistischen, religiösen und politischen Gründen oder im Rahmen der Kriegführung und Raumeroberung die Angehörigen unterschiedlichster Ethnien, Nationalitäten, Religionsgemeinschaften, politischer Organisationen und Personen mit unerwünschten individuellen Eigenschaften und Merkmalen vertrieben, verschleppt, beraubt, inhaftiert, dezimiert oder für die Vernichtung vorgesehen. Davon betroffen waren Roma, Juden, sowjetische Kriegsgefangene, Teile der Zivilbevölkerung vor allem in den besetzten Ostgebieten, geistig oder körperlich Behinderte, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, bürgerliche Oppositionelle, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Zwangsarbeiter, Einwohner besetzter Gebiete, die Racheaktionen zum Opfer fielen u.v.m. Vergegenwärtigt man sich das Nachkriegsschicksal der verschiedenen Gruppen, so fällt auf, dass die jüdische Opfergruppe in Bezug auf ihre Stellung im internationalen Geschehen der Vergangenheitsbewältigung nach und nach eine besondere Stellung einzunehmen begann. Sie war nicht nur die einzige Gruppe, deren Verfolgung die Gründung eines eigenen Staats beschleunigte, dessen Existenz eng mit dem erklärten vergangenheitspolitischen Ziel in Zusammenhang stand, nicht wieder zum Opfer nationalsozialistischer oder anderer Verfolgungen zu werden. Auch in Bezug auf die Vernetzung und Integration der jüdischen Gemeinschaft in nationale und internationale Politik und in Bezug auf den Grad ihrer wissenschaftlichen, künstlerischen, medialen und finanziellen Ressourcen ist ihr in der Zwischenzeit keine der anderen Gruppen auch nur annähernd vergleichbar. Das hat u.a. zu tun mit spezifischen, langfristig gewachsenen religiös-kulturellen Traditionen, etwa dem besonders stark ausgeprägten jüdischen Verhältnis zu Erinnerung, Schrift und Wissenschaft. Keine andere Opfergruppe hat ein vergleichbares weltweites Netz an diplomatischen, kulturellen, wissenschaftlichen und ökonomischen Optionen vor Ort in so vielen Nationen, in denen ihre Angehörigen oft integraler Bestandteil der jeweiligen nationalen Eliten sind.617 Besonders die Verbindung mit den USA als führender Weltmacht stellte einen wirksamen globalpolitischen Hebel dar. 618 Hier liegen gewichtige Gründe für die Dominanz des Holocaust-Paradigmas, das allerdings seine Wirkung wiederum nur im Rahmen einer allgemeinen Intensivierung von Gedenk- und Geschichtspolitik entfalten konnte. Zeitweiliger Verlust von Bipolarität und Fortschrittsglauben: Es wurde vielfach angemerkt, dass nach dem Zerfall des kommunistischen Machtblocks auch der Westen in Identitätsprobleme geriet, da ihm die politisch einigende Kraft des guten Gegenentwurfs zum bösen kommu-

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nistischen Systemmodell abhanden kam.619 Damit entstand, so die Deutung, eine Lücke im Geflecht eines im Grund binär aufgebauten 620 oder radikal polarisierenden Politikverständnisses, das für seine Legitimation nunmehr auf einen zunehmenden geschichtlichen Rekurs und hier besonders auf den Holocaust angewiesen ist. Die Lücke wurde zusätzlich durch die schnelle Propagierung eines Kulturkampfes gegen den Islam wieder geschlossen und wirft damit einmal mehr die fast schon rhetorische Frage auf, ob der Liberalismus ebenso wie sein politökonomisches Konkurrenzmodell, der Kommunismus, überhaupt ohne echte oder selbst ausgerufene innere oder äußere Feinde und Bedrohungen existieren kann.621 Zudem wird vielfach darauf verwiesen, dass nach dem Verlust des Vertrauens in den technisch-zivilisatorischen Fortschrittsoptimismus angesichts der Katastrophen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts622 eine andere Grundidee der gemeinsamen Entwicklung gefunden werden musste: Nicht mehr neue Ufer waren zu erwarten, sondern die Wiederholung des Vergangenen galt es zukünftig zu verhindern. Es ist dies eine Überlegung, die in der anhaltenden Phase globaler Neoliberalisierung und im Zusammenhang mit möglichen geschichtspolitischen Disziplinierungseffekten in Zeiten sozialer Verwerfungen neue Aktualität gewinnt.623 Holocaust als geschichtspolitischer Kompromiss: Der holocaustbasierte Umgang mit der Vergangenheit wird funktional als gemeinschaftsbildende Leitidee nicht nur des atlantischen Bündnisses, sondern auch der EU-Erweiterung gedeutet. Die besondere Eigenschaft dieser Leitidee bestand, wie Jeismann annimmt, darin, sich über die konkurrierenden und teilweise konfliktträchtigen nationalen Geschichtserzählungen hinaus auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen: „Die europäische Einigung auf den Holocaust als negativen Gründungsmythos, wie umstritten auch immer, konnte nur gelingen, indem man die verfolgten und ermordeten Juden in ihrer Gesamtheit als etwas Drittes begriff, als etwas, was im Unterschied zu den Vertreibungsgeschichten sich nicht in den zwischenstaatlichen Beziehungen lokalisieren ließ. [...] Es mutet merkwürdig an, dass nun die Holocaust-Erinnerung strukturell ähnlich nationenübergreifend und einheitsstiftend sein soll, wie es zu bestimmten Zeiten der Antisemitismus war.“624

Bei näherem Hinsehen gewinnt die Bemerkung Jeismanns an Plausibilität. Denn erstens lässt sich gegen das „Nie-Wieder“ des Holocaust-Gedenkens wegen der außerordentlichen Grausamkeit und moralischen Verwerflichkeit des Geschehens nur schwer argumentieren. Und zweitens hat diese Version einer gesamteuropäischen Geschichtserzählung über die Zeit zwischen 1918 und 1945 den Vorteil, dass man die alten und mühselig zugedeckten politischen Gräben und Ressentiments in Europa

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und besonders in Deutschland nicht wieder aufreißen muss. Die geschichtspolitische Konzentration auf den Holocaust erlaubt, die ganze internationale Konfliktgeschichte vor 1945 zu umgehen, das macht ihr einigendes Potential aus. Dabei unterschlägt sie allerdings, dass etwa die Destabilisierung der Weimarer Republik und das Emporkommen der Nationalsozialisten nicht in erster Linie aus dem Antisemitismus – schon gar nicht aus einem eliminatorischen den es damals noch nicht gab –, sondern aus der Aufkündigung des Kompromisses von Weimar erwuchs, der die lange bestehenden politischen und ökonomischen Konflikte für ein paar Jahre mühsam gebändigt hatte. Der Nachhall dieser Konfliktlinien war in der BRD und im Westen noch in den 1950er Jahren zu spüren, bis er in den Wirtschaftswunderjahren der BRD seine Brisanz verlor und spätestens ab der Finanzkrise 2007/08 in neuen Formen und Fragestellungen wieder auftauchte. Und schließlich erlaubt die holocaust-orientierte Geschichtspolitik, den Überfall auf die Sowjetunion und die deutsche Kriegführung im Osten als nachrangiges Ereignis zu behandeln und damit der Verlegenheit zu entrinnen, sich mit den Opfergruppen und den Geschehnissen dort ebenso auseinanderzusetzen wie mit der Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung. Der Holocaust als mentalitätspolitisches Krisenkorrektiv: Der Zutritt zur nunmehr neoliberal orientierten westlichen Werte- und Verteidigungsgemeinschaft und die Mitgliedschaft in einer EU des Maastrichter Vertrages wurde an die Verpflichtung gebunden, Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen und aktiv für die Restitutions- und Anti-Holocaustpolitik der ITF einzutreten.625 Surmann beobachtete allerdings, dass die US-Forderungen sich nicht nur auf jüdisches Eigentum bezogen. Daraus schloss er, dass die ITF-Unterstützung der USA Teil eines Konzepts war, liberale, auf Marktwirtschaft basierende Gesellschaften mitsamt dazugehöriger Rechtssicherheit durchzusetzen. Er deutet diese Politik auch unter dem Aspekt der Wiederherstellung kapitalistischer Wirtschafts-, Rechts- und Machtverhältnisse.626 Ein interessanter Gedanke, der dazu anregt, auch den Antirassismus- und Antisemitismus-Initiativen der EU einen solchen Doppelcharakter zu unterstellen: schließlich lassen sich diese nicht nur als Einlösung konkreter vergangenheitspolitischer und menschenrechtlicher Verpflichtungen betrachten, sondern auch als geschichtspolitisches Instrument im Rahmen der erweiterten Liberalisierung und Deregulierung des europäischen Arbeitsmarktes und der im Kampf um Arbeit und Löhne zu erwartenden fremdenfeindlichen Ressentiments und Spannungen. Tatsächlich werden im Rahmen von Programmen zur Förderung bürgerschaftlicher Partizipation in der EU erhebliche Summen für die Erinnerung an die großen diktatorischen Ge-

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waltherrschaften des 20. Jahrhunderts mit dem erklärten Ziel aufgewendet, die Identifikation der europäischen Bürger mit den „Prioritäten der EU“ zu fördern.627 Hier entstand ein ausgedehntes Netz von öffentlich geförderten Instituten und Projekten mit geschichtspolitischen Zielsetzungen.628 Dementsprechend gibt es durchaus Ansätze, das HolocaustParadigma in Zeiten der globalen neoliberalen Agenden als moralisches und mentalitätspolitisches Korrektiv gesellschaftlicher Destabilisierungsprozesse aufzufassen, als „homogenisierenden und mobilisierenden Faktor“ für „fragmentierte Gesellschaften“, die unter „innerem sozioökonomischen oder extern bedingten Stress“ stehen. „Eine Welt ohne Vorurteile und Diskriminierung“, ließ der NS-Forscher Wolfgang Benz verlauten, „bleibt eine Utopie“: In einer modernen Gesellschaft, in der man stets von Neuem erklären muss, warum es dem einen gut geht und dem anderen nicht, wird es immer Ressentiments geben. Die Frage ist: Wie können wir das mörderische Potenzial kontrollieren, das darin steckt? Beim Antisemitismus ist das hierzulande nach 1945 gelungen. Da hielten die Dämme.“629

Wo ein Damm ist, muss auch eine Flut befürchtet werden. Die Metapher findet sich ähnlich auch bei jenem Nachwuchsakademiker, der vor einigen Jahren mit Hinweis auf die trotz der Finanzkrise erheblichen finanziellen Mittel der EU für die Holocausterinnerungspolitik darüber nachsann, „ob die seit 1945 errichteten Dämme größer werdenden sozialen Verwerfungen tatsächlich stand halten“.630 In ähnlichen Topoi des Zusammenhangs zwischen sozialen Verwerfungen und antisemitischen Tendenzen bewegte sich übrigens Götz Aly in seiner vorletzten großen Veröffentlichung631, in der er das Gleichheitsstreben und den Sozialneid von Sozialdemokraten und Gewerkschaften der Weimarer Republik 632 als einen Faktor des Antisemitismus ausmachte – woraufhin ihm, was zu erwarten war, vorgeworfen wurde, das Sozialstaatsprinzip zu denunzieren, um der marktliberalen Wende Argumente zu liefern. 633 Hier erweist sich die Gültigkeit der Beobachtung Helmut Königs: dass die Auseinandersetzungen um unsere jüngere Gewaltgeschichte ein Mittel der Austragung politisch-sozialer Konflikte sind, die anderswo ihren Ursprung haben, und erst nachträglich mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht werden.634 Zum Wandel des Holocaust-Begriffs: Obwohl der Holocaust weit über seine ursprüngliche Bedeutung hinaus in bestimmten Bereichen zu einem zivilreligiösen Sakrament und gleichzeitig zu einem system- und verfassungstragenden politischen Gesinnungsbegriff aufgeladen wurde, ist er doch keineswegs sakrosankt. Trotz des starken Einflusses der ITF und entgegen den zahlreichen Bemühungen, jene Deutung verbindlich zu machen, nach der es sich beim Holocaust um einen unvergleichlichen

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und einzigartigen635 Versuch der Vernichtung des jüdischen Volkes aus antisemitischen Motiven handelte, erfuhr der Begriff diverse Erweiterungen und Bedeutungsverschiebungen: So beobachteten Eckel und Moisel die zunehmende Verwendung des Begriffs als Synonym für Massen- und Kolonialverbrechen und als Paradigma für Opfererfahrung schlechthin.636 Damit stehen dem ursprünglichen Begriff heute Forschungsansätze gegenüber, die den Holocaust in einen größeren historischen und sozialen Kontext stellen und die tieferen strukturellen Entstehungs- und Verursachungsmechanismen von Völkermorden über eine vergleichende Genozidforschung zu fassen versuchen.637 Auch auf der politischen Ebene, etwa in einem Beschluss des Europaparlaments von 2005, wird mit dem Begriff des Holocaust inzwischen auch die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegen Sinti und Roma verbunden. Entsprechend dieser Erweiterung der Opfergruppen werden als Ursachen für das Geschehene nicht mehr allein Antisemitismus, sondern ebenso rassistische und religiöse Vorurteile genannt638 und mit der Forderung nach Bekämpfung sowohl des Antisemitismus als auch der Bekämpfung jeglicher Form von Intoleranz und Rassenhass verknüpft. 2012 weihte der damalige Bundespräsident in unmittelbarer Nähe des deutschen Bundestags eine Gedenkstätte für die ermordeten Sinti und Roma ein. Dieses Denkmal, in dessen Vorgeschichte sich auch die Geschichte der Hierarchisierung, Segmentierung und Separierung der nationalsozialistischen Opfer spiegelt, wurde auf Bitten der Sinti und Roma von einem jüdischen Künstler gestaltet. 639 Selbst die ITF erweiterte inzwischen ihr Programm um das Thema des „Genozids an den Roma“. Inzwischen finden auch hier und da in der deutschen Öffentlichkeit die Millionen sowjetischer Kriegsgefangener Erwähnung, die in Lagern des NS-Regimes ums Leben kamen. 640 Auch wenn der Holocaust nach wie vor den Ankerpunkt westlicher Geschichts- und Vergangenheitspolitik darstellt, haben sich hier die Perspektiven des Umgangs mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg graduell verschoben. Aber man muss auch konstatieren, dass solche Impulse auf staatlicher resp. Geschichtswissenschaftlicher Ebene immer noch rar gesät sind. Namentlich die nichtjüdischen politischen Opfer des Dritten Reiches, die Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter und bürgerlichen Oppositionellen, die 1933 zunächst ja das erste und hauptsächliche Ziel des nationalsozialistischen Terrors waren, sind aus dem gegenwärtigen Vergangenheitsnarrativ fast vollkommen verschwunden. Was davon bei der Bevölkerung ankam und ankommt, ist allerdings wieder eine ganz andere Frage. Man muss immer wieder darauf hinweisen, dass die dargestellten Linien eher die öffentlichen Diskurse, die

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staatliche Geschichtspolitik und die aus dem Holocaust-Paradigma entstandenen internationalen Verpflichtungen charakterisieren, während über die Akzeptanz bei der breiten Mehrheit wenig Klarheit besteht – und schon gar nicht über das Ausmaß stillschweigender oder offener Ablehnung. Zwischenbilanz Die Jahre zwischen 1970 und der Jahrtausendwende waren geprägt durch eine globale Serie politischer Umbrüche, die das Ende zahlreicher, auch westlich orientierter, diktatorischer Gewalt- und Militärherrschaften und der Einparteienregimes des sozialistischen Blocks nach sich zogen. Zumeist folgte auf den Machtverlust der politischen Funktionseliten die Transformation in liberale Verfassungsdemokratien, in deren Verlauf die während des Zweiten Weltkrieg entwickelten Bewältigungsverfahren angewendet wurden: Juristische Ahndung der Verbrechen, historische Aufarbeitung der Vergangenheit, Aufbau demokratisch-rechtsstaatlicher Systeme, Ausbau einer Zivilgesellschaft etc. Vor allem die Verfolgung staatlicher Verbrechen erhielt nach Jahrzehnten der Vakanz starken Auftrieb, da die internationale Gemeinschaft bei der Verschärfung und Anwendung des Völkerstrafrechts zunehmend kooperierte und das alte völkerrechtliche Tabu der Immunität staatlicher Akteure ab den 1980er Jahren zu bröckeln begann. dass weltweit eine erhebliche Ausweitung der strafrechtlichen Sanktionierung staatlicher Verbrechen, ebenso auch ein wirksamer Ausbau des Völkerstrafrechts und der individuellen Selbstbestimmungs- und Schutzrechte zu verzeichnen war (Normenexplosion), ist aus Sicht der Vergangenheitsbewältigung positiv zu bewerten. Von daher ist der weit verbreitete Optimismus der 1990er Jahre durchaus verständlich. Allerdings, und darauf bezog sich der Fukuyamasche Optimismus wohl eher, wurde in Europa bzw. weltweit die neoliberale Revision jener alten ordnungs-, sozial-, währungs- und finanzmarktpolitischen Übereinkünfte eingeleitet, die unter dem Eindruck von Weltwirtschaftskrise, Weltkrieg und der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges lange Zeit zum festen Bestand der transatlantischen Nachkriegspolitik gehörten. 641 Das Umsteuern begann bereits in den 1970er Jahren und wurde durch die Implosion des sowjetischen Imperiums wesentlich beschleunigt. Folgenreichster Schritt war die Liberalisierung der Finanz- und Währungsmärkte, von der Arthur F. Burns, Notenbankchef unter Nixon, gesagt hatte, „sie werde mit Sicherheit viel Elend über die Menschheit bringen“ 642. Aber in diesen Jahren ging sehr viel mehr zu Bruch. Die alte Roosevelt-

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sche Politik des „Great deal“, die Zielsetzungen der alliierten Konferenzen zwischen 1941 und 1948, der Ausbau sozialstaatlicher Demokratien – alle diese im besten Sinn vergangenheitspolitischen, auf den Menschen und seine Bedürfnisse gerichteten Projekte begannen hinter einer neuen Globalordnung zu verblassen, die, wenn es nach den neoliberalen Protagonisten geht, ausschließlich der kalten Logik betriebswirtschaftlicher Erfordernisse gehorcht.643 Manche Beobachter werten den Kurswechsel als Rückkehr zur inhumansten aller Kapitalismusvarianten, zum europäischen Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts, dessen katastrophalen sozialen Folgen Charles Dickens im „Weihnachtsmärchen“ oder im „Oliver Twist“, Friedrich Engels in der „Lage der arbeitenden Klassen in England“ oder Victor Hugo in „Les miserables“ eindringliche literarische Denkmale gesetzt hatten. Aber die dieser Phase folgenden verteilungspolitischen Kompromisse, namentlich die Einhegungen des ungehemmten ökonomischen Wettbewerbs, die über vierzig Jahre zentrale Bestandteile der Nachkriegspolitik gewesen waren, verschwanden als Gestaltungselemente der Vergangenheitsbewältigung aus der operativen Politik und dem öffentlichen Bewusstsein; sie fielen der gesellschaftlichen Amnesie anheim, die im Unterschied zur traumatisch bedingten individuellen Amnesie durch administrative, kulturelle und politisch-diskursive Verdrängung vorgängiger Erfahrungen und Geschichtsbilder gesteuert und hervorgerufen wird. Gleichzeitig bildete sich im transatlantisch-westlichen Bündnis zwischen Westeuropa, Israel und den USA eine global wirksame Geschichtserzählung heraus, die den Holocaust an den europäischen Juden ins Zentrum der Betrachtung rückte. Die Geschichte des Massenmordes an den europäischen Juden bekam nach dem allseitigen Beschweigen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten nun jenen geschichts- und gedenkpolitischen Stellenwert, der der historischen Bedeutung des Geschehens entspricht. Im besten Fall hätte sich diese Erzählung verbunden mit der Geschichte der ökonomisch-politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts und den daraus abgeleiteten politischen Konsequenzen. Aber in Zeiten der neoliberalen Paradigmendominanz trat der Holocaust geschichtspolitisch und operativ an die Stelle der Erzählung von der sozialstaatlichen Verteilungsgerechtigkeit. Damit wurde der ordnungspolitische Teil der ersten Vergangenheitsbewältigung, der seinerzeit eine zentrale Rolle spielte, revidiert. So bleibt in der Rückschau auf die letzten dreißig Jahre des 20. Jahrhunderts der Eindruck, dass den erfreulichen Weiterentwicklungen erhebliche Defizite und bedenkliche Rückfälle und Involutionen entgegenstehen. Vor allem wurden die Chancen verpasst, die sich aus den Umbrü-

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chen der 1990er Jahre ergaben. Die USA waren nach der Implosion des Ostblocks einzig verbliebene Weltmacht mit weitgehenden globalen Gestaltungsmöglichkeiten. Russland war paralysiert, Gorbatschows Angebote wurden in den Wind geschlagen, und China befand sich erst am Anfang der Entwicklung zu jener globalen Weltmacht, die heute im Westen als bedrohlich empfunden wird. Damals eröffnete sich ein Zeitfenster, innerhalb dessen ein internationales Regime der Kooperation unter der Federführung der Vereinten Nationen möglich schien und in dem die Charta der Vereinten Nationen von 1948 als Vorstufe zu einer Art informeller Weltverfassung hätte fungieren können. Dieses Zeitfenster wurde nicht genutzt. Es schloss sich stückweise mit der Richtungsentscheidung der transatlantischen Staatengemeinschaft für die globale Durchsetzung des neoliberalen Gesellschafts- und Wirtschaftswettbewerbs, der aufgrund seiner speziellen Strukturen per se eine permanente Bedrohung staatlicher Handlungs- und Schutzkompetenz und ein wesentliches Hemmnis für die umfassende Entfaltung der Menschenrechte darstellt. Es schloss sich mit der Entscheidung der USA, auf eine pax americana in einer unipolaren Welt hinzuarbeiten644; es schloss sich mit der raschen Ausrufung des Kampfes der Kulturen, es schloss sich mit den Golfkriegen der US-Präsidenten George H.W. und George W. Bush, aus denen die heute weltweit operierenden fundamental-islamischen Kampf- und Terrornetzwerke hervorgingen, (die wiederum in den Jahren der sowjetischen Besetzung Afghanistans entstanden waren); es schloss sich, gegen den Protest namhafter US-Politiker645, mit der Entscheidung der US-Regierung unter Bill Clinton 1997, statt der Vertiefung der Kooperation mit Russland die NATO-Osterweiterung voranzutreiben, was langfristig zu einer Neuauflage des Kalten Krieges und der alten Großmachtkonfrontation führte.646 Und es schloss sich, nach den Al-Quaida-Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center, mit der ‚Never-Ending-WarOn-Terror‘-Doktrin des zweiten Bush, mit der die USA das Recht auf Selbstverteidigung durch weltweite präventive Militärschläge auch gegen souveräne Staaten beanspruchten. Zusammen mit den nach wie vor schlummernden alten Konfliktpotentialen, die aus dem geopolitischen Verdrängungswettbewerb der aufstrebenden industriellen Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts und aus der Kolonialepoche entstanden und die durch die bipolare Ordnung des Kalten Krieges quasi eingefroren waren, bargen die neuen Entscheidungen schon den Keim jener globalen und nationalen Spannungen, die uns heute in Atem halten. Hier gilt der dem Hippokrates zugeschriebene Satz von den Krankheiten, die uns nicht aus heiterem Himmel befallen. Er erinnert einmal mehr daran, dass Ereignisse und beharrende Strukturen, Regeln, Denkweisen und Verhaltenswei-

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sen aus der jüngeren und ferneren Vergangenheit in unserem Leben präsenter und wirksamer sind als uns bewusst und lieb sein mag. Die Krankheiten, von denen hier die Rede ist, brachen nicht unversehens aus den ‚gehäuften Sünden wider die Natur‘ hervor, sondern entstanden aus dem Unvermögen, die vorgängigen Katastrophen-Erfahrungen über die kurzfristigen und widerstrebenden Sonderinteressen der Individuen und Gemeinschaften hinaus in eine globale Kooperation umzusetzen. Dass in den letzten 70 Jahren ein in der Weltgeschichte bislang nie erreichtes Niveau an Wohlstand, an Existenz- und Lebensvorsorgesicherheit, an bürgerlichen und sozialen Rechten zu verzeichnen war, kann dabei keine Beruhigung sein.

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Das dritte Jahrtausend: Linien, Zwickmühlen, Rückschläge Denn die ordnungspolitischen Neuorientierungen der letzten 30 Jahre entfalten ihre politische Wirkung jetzt, in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrtausends. Offensichtlich hat der ungehemmte Wettbewerb selbst jene Nationalstaaten an die Grenzen ihrer ökonomischen und politischen Belastbarkeit gebracht, deren Eliten den freien Austausch von Kapital, Waren, Informationen und Arbeitskräften vorantrieben. Man hatte weder die sozialen und psychologischen Folgen mit bedacht noch die Binsenweisheit, dass das Außenhandelsmodell der Nachkriegszeit neben Gewinnern auch Verlierer hervorbringt – und von letzteren nicht zu knapp. Die ‚angehäuften Sünden‘ brachten innerhalb dreier Jahrzehnte von der Peripherie her neue Armuts- und Kriegsflüchtlingsströme hervor – und in den transatlantischen Demokratien die Wiedererstehung nationalkonservativer Bewegungen, die sich gegen die als bedrohlich empfundenen Folgen globaler Marktschaffung und Wirtschaftsräume wendeten: Industrieverlagerungen zu billiger produzierenden Konkurrenzstaaten, Verknappung von Arbeitsplätzen bei gleichzeitig steigenden Anteilen von arbeitsuchenden Einwanderern und Flüchtlingen, zunehmender Einfluss neuer supranationaler Institutionen und privater Rechtsetzungssphären, Durchlässigkeit der Grenzen und in der Folge Diskussionen um nationale Souveränitätseinbußen und Auflösung nationaler Identitäten. In den westlichen Kernstaaten war der Wählerzuspruch zu diesen mehr oder weniger ausländerfeindlich und rassistisch gefärbten Bewegungen immerhin groß genug, um Einfluss auf Parlamente und Regierungen zu nehmen und die alten Parteien zu Zugeständnissen zu zwingen. Die ersten EUStaaten, in denen sich dieser Stimmungsumschwung in Regierungspolitik niederschlug, waren Ungarn und Polen, darauf folgte Großbritannien mit seiner Kampagne zum Ausstieg aus der EU; die nächsten Staaten, in denen eine solche Konstellation möglich scheint, sind Frankreich und Österreich nebst einer Reihe weiterer EU-Staaten. Als schließlich 2016 Donald Trump mit der Absage an Freihandelszonen, der Idee von Strafzöllen auf Importe zum Schutz der eigenen Wirtschaft und einem ‚America first‘-Programm zum neuen Präsidenten der westlichen Leitnation gewählt wurde, erreichten die Debatten um nationale Egoismen, Rückzugsund Aufkündigungstendenzen auch die Beziehungen zwischen den westlichen Bündnispartnern. Die plötzlich aufgebrochenen Differenzen in der Frage des Protektionismus resp. des Freihandels zeigten sich auf dem G7Treffen der westlichen Führungsstaaten im Mai 2017.647 Die Wahlerfolge nationalistischer Bewegungen evozierten neue Grundsatzdiskussionen über die politischen, sozialen und ökologischen

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Kosten und Nachteile der derzeitigen Weltwirtschaftsregeln. Plötzlich entdeckte man die Tücken des freien Handelsaustausches zwischen Ländern mit ähnlichen Technologie- und Industriestandards, aber unterschiedlicher Ausprägung der beiden Sektoren. Bertil Ohlin, WirtschaftsNobelpreisträger von 1977, hatte herausgefunden, dass in einem Land mit ausgedehntem Technologiesektor die hochqualifizierten Beschäftigten der IT- und Finanzwirtschaft finanziell vom Außenhandel profitieren, während er bei der geringer qualifizierten Industriearbeiterschaft zu Einkommens- und Arbeitsplatzverlusten führt. Für ein Land mit dem größeren Industriesektor hingegen sind diese Außenhandelseffekte genau umgekehrt. Trotz der politischen Tragweite dieser Erkenntnis war die Arbeit Ohlins von IWF und anderen lange ignoriert worden, weil man ausschließlich die Kostenvorteile großer internationaler Absatzmärkte für einheimische Firmen im Auge hatte, nicht aber die Verteilungsprobleme der Wertschöpfung, d.h. die Effekte für Lebensstandard und Einkommen.648 Das mag zunächst sehr theoretisch klingen, aber es betraf genau den Güteraustausch zwischen den USA/EU und Asien, dessen Freihandels-Verlierer jene Industriearbeiter im Westen waren, die schließlich Trump, Le Pen und Theresa May zum Wahlerfolg oder zu beträchtlichen Stimmanteilen verhalfen649 – was einmal mehr beweist, welcher politische Sprengstoff in ökonomischen Fragen enthalten ist. Selbst die Haupt-Protagonisten des globalen Freihandels richteten ihr Augenmerk jetzt auf die Nachteile der bisherigen Regelwerke. Die Europäische Kommission präsentierte im April 2017 Vorschläge für ein soziales Europa, die das Recht auf gute Ausbildung, faire Löhne, erschwingliche Pflegeleistungen u.a. enthalten. 650 Die OECD sah die Politik in der Pflicht, tätig zu werden, damit „Reichere und multinationale Unternehmen ihren Teil der Steuerlast tragen“. IWF, WTO und Weltbank mahnten bei eben jener Politik, die dem neoliberalen Dogma zufolge nicht in die Märkte eingreifen sollte, Interventionen an, um den Welthandel in geregelte Bahnen zu lenken und die Abwärtsentwicklung der Löhne, die Jobverlagerungen und andere negative soziale Folgen der offenen Weltmärkte zu bekämpfen.651 „IWF, OECD und das Weltwirtschaftsforum in Davos“, schrieb Markus Grabka vom Deutschen Wirtschaftsinstitut, „trugen jahrzehntelang neoliberales Gedankengut wie eine Monstranz vor sich her. […] Jetzt ändern diese riesigen Tanker ihren Kurs.“ 652 Aber zwischen Erkenntnis resp. Absichtserklärungen und der Beharrungskraft der Verhältnisse, die man in den letzten Jahrzehnten selbst geschaffen hatte, liegen Welten. Die Politik, an die sich OECD, WTO etc. mit der Vorstellung wandten, sie könne die sozialen Kosten des neoliberalen Ordnungssystems auffangen, ist dazu aus strukturellen und politi-

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schen Gründen gar nicht in der Lage. In der EU lassen sich die erwähnten Absichtserklärungen der Kommission faktisch kaum umsetzen. Die Sozialpolitik liegt, im Unterschied zu den Kapitalfluss- und Handelsregeln, zuvörderst in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedsstaaten, in denen wiederum ganz unterschiedliche Interessenlagen bestehen: Hier die südwesteuropäischen Staaten, die seit der Finanzkrise 2007 ff. unter hoher Arbeitslosigkeit und sozialer Verelendung leiden und gegen europäische Umlageverfahren im Sozialbereich wohl wenig Einwände hätten. Dort die osteuropäischen Staaten, die hohe Sozialstandards als Hindernis für den internationalen Standortwettbewerb sehen. In dieser Lage kann die EU kaum einlösen, was sie verspricht, nämlich „Schutz vor den Zumutungen der Globalisierung“ zu bieten.653 Die Finanzierung eines solchen Schutzes erforderte entweder eine höhere Staatsverschuldung oder gemeinsame Erhöhung der Ertragssteuern resp. stärkere Beteiligung der Wirtschaft an den Sozialbeiträgen. Bei ersterer sind die Grenzen international bereits erreicht: die weltweite Verschuldung hat inzwischen griechische Ausmaße angenommen. Weitere Kreditaufnahmen liefen auch bei den leistungsfähigen EU-Staaten auf eine Verteuerung der Schuldzinsen hinaus, was wiederum deren staatliche Handlungsspielräume weiter einengte. Höhere Steuern und Arbeitgeberanteile an den Sozialversicherungsbeiträgen hingegen mindern die Gewinnerwartungen der globalen Finanzmärkte und verschlechtern damit die nationalen Positionen im Wettbewerb um Investitionen. Und selbst, wenn der eher unwahrscheinliche Fall einträte, dass die EU-Staaten eine gemeinsame Linie gegen Sozial- und Steuerdumping und Kapitalflucht entwickelten: Die Probleme wären damit nicht vom Tisch, denn sie erforderten ein globales Vorgehen zu ihrer Lösung. Aber bereits nach der Finanzkrise waren die G7resp. die G-20-Staaten zu schwach und zu uneinig, um hier nennenswerte Erfolge zu erzielen. Abschottung vs. Globalisierung Die Staaten haben derzeit die Wahl zwischen Pest und Cholera: Hier der unausweichliche Zwang zu weiterer Globalisierung, dort die Tendenz, unter dem politischen Druck der Wähler zu nationalstaatlichen Alleingängen zurückzukehren, um die abwandernden Arbeitsplätze für die einheimische Bevölkerung zu retten und die nationale Wirtschaft zu stärken, die aber längst eine internationalisierte geworden ist. Derzeit werden die Regierungen einiger westlichen Führungsstaaten durch Mitglieder der Finanzelite selbst geführt654, während alternative Wirtschaftskonzepte angesichts der derzeitigen Bedeutungs- resp. Orien-

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tierungslosigkeit sozialstaatlicher Bewegungen keine Rolle spielen. Großbritannien unter May, Frankreich unter Macron und die USA unter Trump versuchen, dem vom Westen selbst evozierten Wettbewerbsdruck durch Protektionismus und Abschottung zu begegnen, um die eigene Industrie vor Arbeitsplatzverlagerungen und Importen zu schützen und den Zustrom ausländischer Arbeitskräfte zu begrenzen. Erkennbar ist das Bestreben, auf diese Weise die wachsende Unzufriedenheit der eigenen Wahlklientel aufzufangen und die brüchig gewordene parlamentarische Dominanz der liberalen Altparteien gegen die wachsenden nationalistischen Bewegungen zu behaupten: Strafzölle für bedrohlich erscheinende Importe, Beschränkungen der nationalen Arbeitsmärkte zugunsten der eigenen Staatsbürger, Eindämmung der Zuwanderung und Beschneidung öffentlicher Leistungen für Wanderungskräfte und Flüchtlinge.655 Das bedeutet allerdings keine Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftsregime, denn zugleich eröffneten sie eine neue Angebotsrunde für Investoren, indem sie sinkende Ertragssteuern, Lohnquoten, Lohnnebenkosten, Kürzungen der Sozialausgaben und, wenn man von den Militärbudgets absieht, Einschränkungen der Staatsausgaben in Aussicht stellten. Deutschland als erfolgreichste westliche Exportnation hatte diese Politik übrigens schon lange betrieben. Zudem investierte es die beträchtlichen Überschüsse seines Außenhandels nicht in staatliche Konjunkturprogramme, Lohnerhöhungen und Stärkung der Binnennachfrage. Das mindert in der Folge die Chancen anderer Exportnationen auf Absatzmärkte, die wiederum Arbeitsplätze schaffen könnten. Für diese Austeritätsund Niedriglohnpolitik, die ihr Vorbild bereits im Deutschen Kaiserreich hatte, muss die deutsche Bundesregierung seit geraumer Zeit heftige Kritik seiner westlichen Verbündeten einstecken 656 Man kann diese Linie als egoistisch bezeichnen, aber letztlich nutzt Deutschland lediglich die in Bretton Woods festgelegten Handelsregeln, die besagen, dass Schulden ohne Möglichkeit der Verrechnung mit anderweitigen Export-Guthaben direkt beim Gläubiger beglichen werden müssen. Das AußenhandelsBrot des einen die Not des anderen, und eine Regierung, die im Außenhandel zu viele Schulden aufbaut, gerät über kurz oder lang in politische Bedrängnis: Bei ihren Wählern, die nach Arbeitsplätzen fragen, bei den Investoren, die höhere Zinsen für Staatsanleihen fordern, und schließlich bei IWF und Weltbank, die mit Überbrückungskrediten winken, dafür aber ein unbarmherziges Austeritätsregime erzwingen. Aus diesem Tableau lässt sich einmal mehr ersehen, wie tief wirtschaftliche Fragen mit dem politischen Schicksal von Nationen verflochten sind. Ist – mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem „Washingtoner Konsens“ – die Idee des grenzenlosen neoliberalen Wirtschaftswettbewerbs

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ins Stocken geraten? Mit der Entscheidung der USA gegen multilaterale Freihandelszonen und der Absage Großbritanniens an freie Märkte scheint sie ihre mächtigsten Verfechter verloren zu haben. 657 Neoliberal war einmal, schrieb die Süddeutsche Zeitung im April 2017. 658 Aber das dürfte eine voreilige Prognose sein. Weder fällt der Kurswechsel Donald Trumps so radikal aus wie seinen Wahlversprechen nach zu erwarten war659, noch zeichnet sich überhaupt in den ordnungspolitischen Strategien der nationalen Regierungen eine grundlegende Abkehr vom Washingtoner Regelwerk ab. Ein Ende der globalen neoliberalen Freihandelsentwicklung lässt sich nicht absehen, auch wenn der Trend von WTO-Regeln zu bi- und multilateralen Abkommen und von da zu Protektionismus geht. Die Praxis wird von einzelnen Aufkündigungen kaum tangiert.660 Eher müssen die USA, für die die handelspolitische Isolierung und Sanktionierung von Gegnern stets ein gebräuchliches Instrument der Außenpolitik war, nun ihrerseits Sorge tragen, nicht vom Jäger zum Gejagten zu werden und sich plötzlich selbst an der Peripherie der großen Handels- und Investitionsströme wiederzufinden. Denn die Initiativen zu Freihandelsabkommen gehen inzwischen keineswegs mehr nur von den transatlantischen Industriestaaten aus, in denen sie einst aus der Taufe gehoben wurden, sondern ebenso von den asiatischen Staaten 661, die in den letzten dreißig Jahren die ordnungspolitischen Blaupausen des Westens erfolgreich übernommen und in puncto Technologie und Produktivität nahezu aufgeholt haben – nicht zuletzt unter massiver Investitionsbeteiligung der westlichen Finanzmärkte, die damit wesentlich zum Erstarken neuer Konkurrenten beigetragen haben. So kommentierte „Russia today“ das gut besuchte St. Petersburger Internationale Wirtschaftsforum 2018 mit leicht triumphierendem Unterton: „Es ist recht faszinierend, wie sich der Diskurs des SPIEF von der heute in London und Washington vorherrschenden isolationistischen Rhetorik unterschied. Putin sprach sich für Freihandel und Investitionen sowie für die Offenheit gegenüber chinesischen Unternehmen aus, die in Russland tätig sind [...]. Ein italienischer Besucher des Forums merkte an, wie die Welt seit Thatcher und Reagan auf den Kopf gestellt worden wäre. Ursprünglich seien diese es gewesen, die diese Agenda vorangetrieben hätten: ‚Hätten sie sich vor 30 Jahren je vorstellen können, dass Moskau und Peking für die kapitalistische Globalisierung eintreten würden?‘“662

Und weder China noch Russland sind global so isoliert, wie es nach einem Blick in die westliche Tagespresse den Anschein haben mag. In der östlichen Hemisphäre stehen Projekte wie die Seidenstraße und die eurasische Freihandelszone erst am Anfang ihrer Entwicklung. 663 Die in Aussicht gestellten Investitionsmöglichkeiten in einem eurasischen Wirtschaftsraum scheinen so verlockend, dass die bisherigen und sicher ge-

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glaubten Einflusssphären des Westens im Nahen und Fernen Osten neu gezeichnet werden müssen.664 In Zeiten neuer Konkurrenten und zunehmender Verteilungs- und Einflusskämpfe scheinen für viele Regierungen Alleingänge auf eigene Rechnung und flexible Wirtschaftsorientierungen verlockender zu sein als feste Kooperationen in überkommenen Bündnisverpflichtungen.665 Selbst eine Reihe von EU-Staaten zieht trotz der geopolitischen Konkurrenz mit China und Russland, trotz des eigenen Bekenntnisses zur westlichen Werte- und Verteidigungsgemeinschaft und trotz des Fehlens jeglicher Menschenrechtsimplementation eine Zusammenarbeit in Erwägung und orientiert sich, zumindest ökonomisch, nicht mehr ausschließlich an der transatlantischen Partnerschaft. 666 Der modernste europäische Verschiebebahnhof in Halle/Saale wurde bereits mit Blick auf die Seidenstraße fertiggestellt. 667 Das wiederum schafft auch für Staaten wie die USA, die derzeit Einfuhrbeschränkungen und politisch motivierte strafbewehrte Handelssanktionen selbst auf Kosten ihrer Bündnispartner verhängen, unhintergehbare Sachzwänge. Der Westen mag in seiner bisherigen Form aufhören zu existieren, die globale Handelsordnung in Auflösung begriffen und wir Zeugen einer Zeitenwende sein, wie der „Spiegel“ im Juli 2018 schreibt. 668 Das ändert aber weder am Fortbestehen des neoliberalen 8-Punkte-Programms noch an der darauf basierenden Freihandelsexpansion etwas. Die Teilnehmer sind wohl oder übel gehalten, diese Linie weiterzuverfolgen – mit allen bekannten Folgen für die zukünftige soziale und politische Stabilität im eigenen Land. Rückkehr der alten Geopolitik Es ist eine alte historische Erfahrung, dass, wer langfristig und expansiv Handel treiben, Märkte öffnen und dominieren, Rohstoffe ausbeuten, Produkte herstellen und verkaufen und Konkurrenten neutralisieren will, zur Absicherung seiner Geschäfte eine entsprechende politische und kulturelle Unterstützung und die Einbindung aller Beteiligten ins eigene Regel- und Bündnissystem anstrebt. Fern- und Großhändler waren zu allen Zeiten Psychologen, Diplomaten, Strategen und Krieger zugleich, und was für einzelne Pioniere gilt, trifft auch auf Wirtschaftsnationen zu: Man wird stets alle möglichen sicherheits- und handelspolitischen Optionen im Auge behalten. „Freihandelspartner“, umriss Anfang des neuen Jahrtausends der spätere Weltbankpräsident Robert Zoellick die USamerikanische Position, müssten „‚als Minimum‘ auch in Fragen der Außenpolitik und der nationalen Sicherheit kooperieren“. 669 Die Präsidentschaftskandidatin Hilary Clinton prägte das Wort von der Transatlanti-

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schen Freihandelszone TTIP als „ökonomischer NATO“. 670 Ähnlich multidimensional denkt auch China in Verfolgung seines Seidenstraßenprojekts671 und Russland in der Planung des eurasischen Wirtschaftsraumes.672 Der gezielte und kombinierte Einsatz von Handelsprivilegien, Kapitalflüssen und politisch-militärischen Vertragsbindungen ist Instrument von Bündnisbildungen und Raumgewinnung, ebenso aber auch ein Verfahren zur Schwächung strategischer Konkurrenten.673 Machtpolitik ist die Fortsetzung der Wirtschaft mit anderen Mitteln und umgekehrt, das war nicht erst so, seit die USA und Großbritannien vor 150 Jahren Japan resp. China mit Waffengewalt und sog. ‚asymmetrischen Verträgen‘ zwangen, ihre Märkte und Grenzen zu öffnen – ein Vorgehen, das sich weitere Imperialmächte wie Russland oder das aufstrebende Japan sehr schnell zu eigen machten.674 In Zeiten der Verbreitung von Atomwaffen ist eine solche Kanonenbootpolitik nur begrenzt möglich, aber konzertierte Aktionen von Wirtschafts- und Regierungs- resp. Parlamentsebene werden nach wie vor praktiziert675 und bilden die eigentliche Brennkammer imperialer Politik. Dieses funktionale und wechselseitige Zusammenspiel ist, wenn es auf Gebiete jenseits der eigenen nationalen Grenzen zielt, Teil dessen, was seit einem guten Jahrhundert als Geopolitik bezeichnet wird. Zwar war die Aneignung und Kontrolle geographischer Räume und kultureller Sphären stets Bestandteil menschlichen Handelns und imperialer Planung. Schon der Vertrag von Tordesillas 1494, in dem Papst Alexander VI. die Welt mit einer gedachten Nord-Süd-Linie nahe den Kapverden in zwei Hälften teilte und die östliche Hälfte Portugal, die westliche Spanien zuschlug, war eine solche geopolitische Entscheidung, und sie war die erste, die nicht nur die bekannte Welt, sondern den gesamten Globus umfasste. Aber erst mit der Zuspitzung des Konkurrenzkampfes der Industrienationen gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden Disziplinen wie die politische Geographie, die sich mit den Voraussetzungen und Möglichkeiten geostrategischer Raum- und Vorteilsgewinnung und -sicherung befassten. Spätestens seit der ‚Heartland‘-Theorie des britischen Geographen und Mitbegründers der ‚London School of Economics‘ Halford Mackinder, nach der die Beherrschung Eurasiens der Schlüssel zur Weltherrschaft war676, firmierten die Forschungsarbeiten der Wissenschaftler und ihre operative und strategische Verwendung unter dem Begriff Geopolitik. In der neueren kritischen Forschung werden die Ideen Mackinders als Versuch einer Elite charakterisiert, eine „aus den Fugen geratende Welt mit ihrer imperialistischen Perspektive zu disziplinieren“; die klassische Geopolitik insgesamt geriet unter den Verdacht des Sozialdarwinismus und des Neo-Lamarckismus.677 Dass in diesem Zusammen-

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hang verschiedentlich eingewendet wurde, Geopolitik sei eine Pseudowissenschaft, mag gute Gründe haben, tat ihrer Verbreitung und Wirksamkeit keinen Abbruch. Schließlich hatten auch religiöse Missionierungs- und Raumplanungskonzepte in ihrem ideologischen Kern keine empirisch-wissenschaftliche Grundlage, und dennoch waren und sind sie als Entität historisch wirksam. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand der Begriff aus den politischen Debatten. Geopolitik galt wegen ihrer Nähe zu den chauvinistischen Großmachtkonzepten des 19. Jahrhunderts als desavouiert. Zudem waren nennenswerte strategische Veränderungen von Grenzen und politischen Systemen im militärischen Patt der Blockkonfrontation, in der bipolaren Aufteilung der Macht- und Einflusssphären konkurrierender Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme nur zu haben um den Preis eines atomaren dritten Weltkrieges. Beides führte zu der An nahme, dass Geopolitik in den Planungen der Großmächte keine Rolle mehr spielte. Aber sie war nie suspendiert. Geopolitik wurde in Form von Stellvertreterkriegen und Einflussnahme auf neutrale Staaten und antikoloniale Bewegungen an der Peripherie jenseits des Warschauer Pakts und der NATO nach wie vor betrieben. Sie hatte in diesen Jahren lediglich ein anderes Gesicht, andere Bedingungen und andere Ziele als in der multipolaren Weltordnung vor 1914. Ihre offene Rückkehr auf die internationale Bühne erlebte sie ab den 1990 Jahren, als nach der Implosion des sowjetischen Herrschaftssystems einzig die USA zeitweilig zu globalen Interventionen und zur Schaffung geostrategischer Fakten in der Lage waren und dies auch nutzten. Der „Spiegel“ schrieb 1997: „Kein Staat in der modernen Geschichte war je so unangefochten die Nummer eins auf der Welt: Die USA verfü gen über die größte Militär- und Wirtschaftsmacht, sie dominieren die Zukunftsindustrien – und lassen ihre Überlegenheit provozierend spüren.“678 In den US-Regierungen begannen damals Politiker und Berater wie die Mackinder-Anhänger Paul Wolfowitz, Richard Cheney und Zbigniew Brzezinski679, die USA als Hegemon 680, als unanfechtbare globale Führungsmacht zu definieren und entsprechende geopolitischen Strategien zur Sicherung ihrer Vormachtstellung zu entwickeln. Brzezinski, der neben Henry Kissinger als einflussreichster Taktgeber US-amerikanischer Außenpolitik gilt, definierte in seinem Buch ‚Die einzige Weltmacht‘ die eurasische Region von „Lissabon bis Wladiwostok“ als „Schachbrett“, auf dem auch zukünftig der „Kampf um globale Vorherrschaft“ ausgetragen würde, weshalb keine Macht die Fähigkeit erlangen dürfe, „die Vereinigten Staaten aus Eurasien zu vertreiben“. 681 Diese Linie, vom ehemaligen US-Justizminister Ramsey Clark schon einige Jahre

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vor Brzezinskis Buch vorausgesehen (s. Anm. 643), gilt im Prinzip bis heute: Noch US-Präsident Barack Obama, der 2015 Amerika als „die wesentliche, die außergewöhnliche, die unverzichtbare“ Nation lobte 682, ließ sich von Brzezinski beraten, und auch die Mitarbeiter des derzeitigen Präsidenten Donald Trump bekräftigen den hegemonialen Anspruch der USA.683 Andererseits gibt es trotz aller starken Worte Anzeichen dafür, dass die USA ihre Vorstellungen einer unipolaren Welt überdenken: In einer aktuellen Analyse des US-Verteidigungsministeriums ist von einer posthegemonialen internationalen Ordnung die Rede, in der sich die amerikanische Militärstrategie den veränderten Gegebenheiten anpassen muss.684 Das postkommunistische Russland der 1990er Jahre entdeckte die Geopolitik neu, nachdem diese bis zum Ende der alten Sowjetunion als imperialistische Ideologie geächtet war. Man griff nun auf das Bild einer eigenen historischen Pufferfunktion zwischen asiatischen Eroberern und dem Westen zurück, aus der sich eine „geopolitische Sendung“ als Garant des Weltgleichgewichts ergeben habe. Mit Blick auf das Gewicht Chinas, mit dem man seinerzeit in Grenzstreitigkeiten verwickelt war, neigte man zu der Linie, dass eine starke, aber tendenziell isolationistische, nicht expansive Großmacht Russland auch im Interesse des Westens sei.685 Das mochte auch dem Umstand geschuldet sein, dass die außenpolitischen Optionen Russlands in den Regierungsjahren Boris Jelzins sehr begrenzt waren. In der Ära Putin änderten sich die Positionen. Unter dem Eindruck der Zurückweisung diverser sicherheits- und wirtschaftspolitischer Kooperationsangebote an den Westen und der als Bedrohung empfundenen Osterweiterung der NATO begann das Land, die eigene Dominanz in den GUS-Staaten auszubauen686 und auf eigenständige687 expansive Militär-, Bündnis- und Wirtschaftspolitik von Westeuropa über den Vorderen Orient bis Ostasien zu setzen. Ob das Land derzeit oder zukünftig Anspruch auf eine hegemoniale Weltmachtposition vergleichbar den USA entwickelt, ist unklar. Der militärische US-Geheimdienst DIA kam allerdings in einer Studie von 2017 zu dem Schluss, dass Russland derzeit lediglich einen Führungsanspruch in einer multipolaren Welt unter den Bedingungen der Machtbalance anstrebt. 688 Heute ist in Russland, ob vom Potential her berechtigt oder nicht, ein neues Selbstbewusstsein zu spüren, ein neuer Blick auf die eigene Rolle, der gar zu Überlegungen führt, ob Europa nicht lediglich eine westliche Halbinsel Asiens darstellt.689 Ähnlich wie Russland entwickelte China, ältestes Herrschaftskontinuum der Geschichte, bis in die Jetztzeit nie ein Expansionskonzept harter weltumspannender Dominanz, wie es in den USA nach dem Zweiten

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Weltkrieg zum Tragen kam. Man bezeichnete sich selbst seit der Antike als „Zhong Guo“, als Mittelland, als Reich der Mitte. Das war nicht nur eine geographische Selbstverortung – der Begriff korrespondierte mit dem eigenen historisch-kulturellen Selbstverständnis als Zentrum des Universums und Spitze der Weltordnung. Dieses Selbstbewusstsein hatte durchaus handfeste Gründe, denn das Reich galt auch den Europäern bis in die frühe Neuzeit als technologisch-politisch und kulturell ebenbürtig690, wenn nicht überlegen. Trotz des vorhandenen Potentials verfolgte das Land in einer eigentümlichen Mischung aus konfuzianistischen Geduldsidealen und kontrollierter Machtpolitik zum Erhalt der Stabilität und des Dogmas der Harmonie eine nicht hegemoniale Außenpolitik – eine Selbstbeschränkung, die den Historiker Jürgen Osterhammel von einem „Imperium ohne Imperialismus“ sprechen ließ. 691 Das bedeutete allerdings nur, dass man die eigenen Grenzen realpolitischer Einflussnahme zwar im Auge hatte, aber nicht generell auf offensive Geopolitik und militärische Interventionen verzichtete. Das Regime der kommunistischen Partei übernahm diese traditionellen Prämissen der Kaiser-Dynastien und koppelte die außenpolitischen Zielsetzungen stets eng an die innere industriell-technische Entwicklung. Mit dem Aufstieg zur zweitgrößten Industrienation hinter den USA änderten sich, der Logik dieses Zusammenhangs folgend, auch die Zielsetzungen und Parameter. Ye Zicheng, prominenter Politik-Professoren aus Peking, kam in einer Studie von 2011 zu dem Schluss, dass es keine Rolle spiele, ob China zu einer Weltmacht werden wolle. Entscheidend sei, dass es sich entwickeln muss, worauf der Status als Weltmacht ganz natürlich folgen würde. 692 Dieser Zeitpunkt ist, berücksichtigt man die reale chinesische Außenpolitik der letzten Jahre, für die chinesische Führung offensichtlich gekommen693; eine Reihe von Anzeichen sprechen dafür, dass die „Transformation zum herausfordernden Hegemon“ begonnen hat 694: Dazu zählen die Eröffnung eines Marinestützpunktes in Djibuti und die Beteiligung der chinesischen Kriegsflotte an gemeinsamen Marineübungen mit Russland sogar in der weit entfernten Ostsee. Ebenso sind neuerdings in Japan unter Abe, in der Türkei unter Erdogan, in Saudi-Arabien, im Iran und in Israel Tendenzen zu einer expansiven Außenpolitik vorhanden, die, wenn auch nicht hegemonial angelegt, so doch im regionalen Rahmen Ansprüche auf extranationale Gebiete, Nutzungsrechte und Einflusssphären erkennen lassen. Das derzeitige globale Tableau erinnert in mehrfacher Hinsicht an das strukturelle, geopolitische und kulturelle Bedingungsgefüge um 1900: Strukturell, weil wie damals mehrere Zentren gleicher oder ähnlicher ökonomischer Systeme695 um die Gewinnung und Absicherung von

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Märkten und Ressourcen konkurrieren. An der Spitze dieser Neuauflage einer multipolaren Weltordnung stehen derzeit die USA, China und Russland. Sie befinden sich in dem gleichen Dilemma wie die damaligen europäischen Großmächte: nämlich als Handelsnationen konkurrierende Partner zu sein, als souveräne politische Systeme aber Gegner. Die ‚gesellige Ungeselligkeit‘, die Kant dem Menschen zuschrieb, gilt grosso modo auch für Nationen. Einerseits können weder sie noch die anderen industriellen Nationalstaaten als gemeinsame Teilnehmer miteinander verflochtener Märkte Interesse am ökonomischen Niedergang ihrer Handelspartner haben, wenn sie nicht eigene Absatz- und Wirtschaftskrisen in Kauf nehmen wollen. Man denke an Großbritannien, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg heftig gegen die Pläne Morgenthaus wandte, Deutschland zu deindustrialisieren. Andererseits sind sie stets gezwungen, im ökonomischen Wettrennen nach geopolitischer Dominanz zu streben, da sie ansonsten Gefahr laufen, bei Rohstoff- und Energieversorgung, technologischer, auch militärtechnologischer Wettbewerbsfähigkeit und finanziellen Handlungsspielräumen ins Hintertreffen zu geraten und in dessen Folge die Stabilität ihrer politischen Systeme und ihrer Souveränität zu gefährden. Die neuere Geschichte bietet reichlich Beispiele für Staaten, die in dieser symbiotischen Verdrängungskonkurrenz in eine Sackgasse gerieten, angefangen vom politischen Niedergang des bankrotten Osmanischen Reiches über das Ende der ebenso bankrotten Sowjetunion bis hin zu Griechenland, das aufgrund seiner schier ausweglosen finanziellen Situation nur noch auf dem Papier als souveräner Staat bezeichnet werden kann. Auch geopolitisch ähnelt die Situation der Zeit um 1900: Damals begannen aufstrebende Industrienationen, an erster Stelle das Deutsche Kaiserreich, die industrielle und maritime Vorherrschaft Großbritanniens infrage zu stellen. Heute sind es die USA, die sich einem zunehmenden Konkurrenzdruck ausgesetzt sehen, obwohl ihr globaler Einfluss und ihre militärische Macht ab den 1990er Jahren ungleich größer waren als der des britischen Empire in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg. Es mag vielleicht voreilig sein, vom „Ende des amerikanischen Jahrhunderts“ zu sprechen, wie es Slavoj Žižek vor einiger Zeit tat. Die US-Rüstungsausgaben sind etwa doppelt so hoch wie die Russlands und Chinas zusammengenommen696, die USA unterhalten derzeit zwischen 700 und 1000 extraterritoriale Militärbasen und Stützpunkte weltweit, während Russland um die 20 betreibt und China derzeit seine erste Marinebasis in Djibuti eröffnet (die Zahlen schwanken je nach Quelle und Kriterium); nach wie vor ist der Dollar die unbestrittene Weltleitwährung mit allen ihr innewohnenden Machtoptionen.697 Die USA nebst NATO-Verbünde-

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ten sind mit Truppen in Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien, in Kirgisien, Usbekistan und Afghanistan und mit Ausbildern in Georgien unmittelbar oder nahe an den russischen Grenzen bzw. an den Grenzen des Iran und Chinas präsent – von den Kräften im pazifischen Raum, in Nahost und Afrika ganz zu schweigen. Die US- und die verbündeten NATO-Truppen stehen 2017 tausend Kilometer näher an Moskau als vor 1989 und hätten derzeit strategisch günstige Ausgangspositionen in einem eventuellen Konflikt. Aber ungeachtet all dessen wird die globale US-amerikanische Dominanz einschließlich ihrer militärischen „Reservemächte“ England und Frankreich 698 seit Beginn des 3. Jahrtausends durch neue Machtkonstellationen um China und Russland herausgefordert.699 Deren Regierungen stellen erkennbar die bisherige militärische und vor allem währungspolitische Rangordnung in Frage, indem sie etwa Wege suchen, aus dem System der Dollar-Leitwährung auszubrechen.700 So, wie das Britische Empire mit zunehmender Bedrängnis von der „weichen“ informellen, handels- und vertragspolitisch gestützten Herrschaftskontrolle zu direkter und harter exekutiver und militärischer Machtausübung überging, so hat die Zahl der direkten bewaffneten US-Interventionen oder handels- und finanzpolitischen Sanktionen rapide zugenommen, etwa gegenüber Nordkorea, Iran, Russland, China, was im einflussreichen Council on Foreign Relations bereits zu Bedenken führte, ob der Bogen nicht überspannt wird. 701 Zudem tragen die USA der neuen multipolaren Unübersichtlichkeit dadurch Rechnung, dass sie erstmals seit Ende des Kalten Krieges ihre strategische Luftflotte wieder in Daueralarmbereitschaft versetzen. 702 Dieser imperiale Kampf, derzeit auch als Neuauflage der Thukydides-Falle diskutiert 703, wird erneut um die sog. Pivot-Areas, um die entscheidenden strategischen Knotenpunkte der Geopolitik ausgetragen, die Mackinder vor dem Ersten Weltkrieg definiert hatte: Das in den 1820er Jahren begonnene „Große Spiel“ zwischen dem britischen Empire und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien findet heute seine Fortsetzung als Mehrparteien-Konflikt zwischen dem Westen, China, Russland und dem politischen Islamismus. 704 Neben der zentralasiatischen Region vom Kaspischen Meer bis zum Hindukusch stehen als weitere Pivot-Areas dieselben Krisengebiete im Fokus geopolitischer Planungen, die bereits vor 1914 umkämpft waren: Balkan, Baltikum, Schwarzmeerregion, Kaukasus, östlicher Mittelmeerraum, arabische Halbinsel einschließlich der Straße von Hormus und asiatischer Pazifik. Neu hinzugekommen sind die nördlichen Polarregionen und Afrika. Mit Russland, Großbritannien, Frankreich und der Türkei sind dieselben Mächte involviert wie um 1900; zu ihnen traten die USA und China als neue globale, Indien, Israel, die arabischen Staaten und der

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Iran als neue regionale Akteure. Die alten, nie wirklich gelösten geopolitischen Kernkonflikte flammen unter den alten Motiven, aber in neuen Konstellationen wieder auf. Jenseits des Kampfes um physische Räume überwölben neue religiöse Konkurrenzen das Spannungsfeld: vom chiliastischen christlich-jüdischen Fundamental-Zionismus über einen missionarischen Wahhabismus bis zur Kalifatsbewegung – allesamt mit terroristischen Derivaten und militärischen Flügeln. Insgesamt gibt es also gute Gründe, die augenblicklichen akuten und potentiellen Brennpunkte – vom derzeitigen Kriegsgeschehen in Syrien, im Irak und in Afghanistan bis hin zu den militärisch-konfrontativen Aufmarschbewegungen und Truppenübungen im Baltikum, am Mittelmeer, im Persischen Golf und im Gelben Meer – als Ausdruck eines Mehrparteienkonflikts im Rahmen des ‚Großen Spiels‘ zu interpretieren.705 Dieses Spiel wird zusätzlich befeuert durch die innenpolitischen Belastungen, denen besonders die exportorientierten Nationalstaaten durch den ruinösen neoliberalen Wirtschaftswettbewerb und durch ihre Abhängigkeit von den Finanzmärkten und von den Märkten ihrer politischen Gegner inzwischen ausgesetzt sind. Bereits 2008 versuchte der deutsche Bundesnachrichtendienst, die geopolitischen Folgen lang anhaltender Wirtschaftskrisen abzuschätzen. Falls Konjunkturmaßnahmen weltweit nicht wirkten, so lautete das dramatischste Szenario, könnte dies auch ohne direkte Abschottungspolitik eine „Entglobalisierung der Wirtschaft“ und damit eine weltweite Rezession nach sich ziehen. Während die transatlantischen Staaten wachsende Arbeitslosigkeit und die Belastungen der Sozialsysteme politisch und finanziell noch auffangen könnten, wären viele Schwellen- und Entwicklungsländer nicht mehr in der Lage, interne Konflikte durch Subventionen abzubauen und das eigene Militär einzubinden. Russland und China sähen sich aus ähnlichen Gründen möglicherweise gezwungen, Aggressionen nach außen zu lenken, um innenpolitische Spannungen zu neutralisieren, was wiederum folgenschwere Konflikte mit den USA nach sich zöge. BND-Chef Uhrlau sprach damals davon, dass die Welt vor einer „Metamorphose der Geopolitik“ stehe.706 Ganz abgesehen davon, dass eine Metamorphose, was auch immer damit gemeint sein mochte, nicht erkennbar ist, sondern nur die erweiterte Fortführung der in den 1990er Jahren rehabilitierten alten Geopolitik, scheint die Hypothese über außenpolitische Aggressionen aus innen- und wirtschaftspolitischen Gründen durchaus plausibel. Überraschen kann dabei, dass der BND gedankliche Anleihen bei der Sozialimperialismus-Theorie Ulrich Wehlers nimmt, nach der die deutschen Eliten vor dem ersten Weltkrieg bestrebt waren, in der Expansion nach außen „ein Heilmittel zu finden, das den Markt erweiterte, die Wirt-

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schaft sanierte, ihr weiteres Wachstum ermöglichte, die Gesellschaftsverfassung damit ihrer Zerreißprobe entzog und die inneren Machtverhältnisse aufs neue stabilisierte“.707 In erweiterter Betrachtung allerdings ließe sich der Gedanke des Zusammenhangs zwischen Innen- und Außenpolitik nicht nur auf China und Russland beziehen, sondern auch auf eine Reihe transatlantischer Demokratien: schließlich lastet der Druck, auch wenn er nicht gleich verteilt ist, ohne Ausnahme auf allen Beteiligten. Am Scheideweg: Faustrecht oder Völkerrecht? Denn unter den Bedingungen einer zunehmend erschöpften Erde und wachsender Weltbevölkerung, zugespitzter geopolitischer Konkurrenz und weithin vernachlässigter ausgleichender Verteilungspolitik haben die Versprechen von neuen Ufern und unerschöpflichen exponentiellen Wachstumsraten – bislang unverzichtbarer Treibstoff aller industriellen kapitalistischen, staatssozialistischen und staatskapitalistische Volkswirtschaften und Grundlage ihres inneren nationalen Zusammenhalts – mittlerweile an Glanz verloren. In den letzten Jahren entwickelten sich etwa die Einkommens- und Vermögensverhältnisse weltweit stark auseinander, so auch in den westlichen Kernstaaten. 708 Die Sozialwissenschaften wiederum verorteten einen Zusammenhang zwischen dem Grad sozialer Spaltung einer Gesellschaft und ihrer Rate von Rechtsverstößen und Gewalt.709 Ähnliches scheint auch für den Zulauf zu radikalen oder terroristischen Organisationen zu gelten.710 Der Schluss liegt nicht fern, dass das Faktum oder auch nur der Eindruck der je eigenen existentiellen Benachteiligung oder Gefährdung – vom Lebensstandard über Besitzstände bis hin zu Aufstiegsmöglichkeiten und Zukunftschancen – die Bereitschaft zur Aufkündigung normativer Übereinkünfte verstärkt, zu Konfrontation, Rechtsbruch und Einsatz von Gewalt, zu Alleingängen oder Ausweich- und Umgehungsstrategien, zumal, wenn keine erkennbaren gemeinsamen Lösungen oder politischen Ansätze zur Besserung in Sicht sind. „Aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts lernen wir“, schrieb Anja Mihr in der „Zeit“, „dass Menschenrechte ohne Rechtsstaatlichkeit und ohne Unterstützung der Bürger nicht durchsetzbar sind. Sofern staatliche Institutionen versagen, nehmen die Menschen ihre Rechte häufig selbst in die Hand, mit oft fragwürdigen Mitteln. In Zeiten der Auflösung von Staatlichkeit und Nationen wird dies deutlicher. Erst eine Symbiose von demokratisch funktionierenden Institutionen und dem Willen der Bürger, die Menschenrechte einzuhalten, lässt ihre positive Wirkung sich entfalten.“711 Was für den situativ schwankenden Willen der Bürger

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gilt, trifft ebenso auf das Verhalten von Nationen zu. Wenn imperiale Machtpositionen oder nationale Identitäten ins Wanken geraten, lassen sich ähnliche Mechanismen auch dort beobachten. Innenpolitisch bilden sie sich ab als Verhärtungen der Diskurse und vielfache Eingriffe in rechtsstaatliche Verfassungsstrukturen. Die Welt ist unsicherer geworden, befand Amnesty International im Jahresbericht 2017: Politiker sprächen inzwischen die „finstersten Instinkte der menschlichen Natur“ an, um Stimmung gegen Andersdenkende zu erzeugen und sie für soziale Probleme verantwortlich zu machen. Bemerkenswert ist, dass die USA und einige europäische Staaten stärker als früher in die Kritik an der Aushöhlung der Menschenrechte einbezogen sind.712 In der Tat entwickeln nicht einmal die wenigen (zumeist westlichen) Staaten, die sich selbst in verschiedenen Rankings das Prädikat „vollwertige Demokratie“ zuerkennen, nennenswerte Initiativen zur Weiterentwicklung oder auch nur Aufrechterhaltung der mühsam erkämpften Schutzrechte. Die politische Abkehr von diesen Garantien, deren völkerrechtliche Verankerung vor gerade erst 70 Jahren begonnen hat und deren volle Verwirklichung bis heute weder inhaltlich noch geographisch abgeschlossen ist, muss derzeit als stabile und kontinuierliche Tendenz angesehen werden. 713 Man denke etwa an die Aushebelung der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung in den EU-NATO-Staaten Polen, Ungarn oder beim NATO-Mitglied Türkei, an den seit zwei Jahren bestehenden Ausnahmezustand in Frankreich, an die Sicherheitsgesetze Großbritanniens und die dortigen Überlegungen zum Verlassen der Europäischen Menschenrechtskonvention714, an den US-Patriot-Act von 2001, der substantielle Verfassungsgarantien außer Kraft setzte oder auch an die derzeitige Flüchtlingsaufnahme- und Asylpraxis der europäischen Staaten. Als einziger Damm lässt sich momentan – neben den nur begrenzt wirksamen zivilgesellschaftlichen Diskursen – vor allem die europäische Rechtsprechung etwa des EuGH oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verorten. „Es gibt heute eine weltweite autoritäre Versuchung“, schreibt Jörg Lau in der „Zeit“: „Sie ist längst nicht mehr nur auf Diktaturen wie China, Scheindemokratien wie Russland und Autokratien wie die Golfstaaten beschränkt. [...] Zwischen glasklar despotischen Regimen und den zahlreichen Demokratien in Rückabwicklung gibt es immer mehr schillernde Zwischenstufen. Und doch handelt es sich um einen neuen Systemkonflikt, der allerdings anders als der Kalte Krieg nicht zwischen klar definierten Blöcken ausgetragen wird, sondern mitten durch die globalisierte Welt, durch die Staaten, die Gesellschaften, die politischen Systeme und ihre Parteien geht.“ 715

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Den innenpolitischen Reaktionen auf die Krisen und Belastungen entsprechen die außenpolitischen und interkulturellen Regressionen – Ausfluss des gegenseitigen tiefen Misstrauens, das die internationalen Beziehungen und besonders das Verhältnis zwischen den Großmächten inzwischen prägt. Der Westen hat Angst vor einer Spaltung Europas und der Unterminierung des transatlantischen Bündnisses durch Russland. Russland wiederum befürchtet die strategische Einkreisung durch die NATO und die handelspolitische Schwächung durch die G7-Staaten. Israel warnt vor wachsendem Einfluss des Iran im Nahen Osten 716; Österreich und Russland befürchten eine islamistische Unterminierung des Balkan717; China sieht ebenso wie Russland das japanisch-amerikanische Vorgehen im Gelben Meer und gegenüber Nord-Korea als potentielle Gefährdung seiner unmittelbaren Grenzen. Und alle, auch die Schwellenstaaten und Regionalmächte haben Angst, sich im globalen Wettbewerb auf der Verliererseite wiederzufinden. Dieses Klima findet seinen Niederschlag in protektionistischen Überlegungen und zunehmender Abschottung der physischen Grenzen718, in verstärkter Kontrolle ausländischer NGOs, externer kultureller Einflüsse und transnationaler Informationsströme719 – ein Szenario, das die „Süddeutsche Zeitung“ veranlasste, unter der Überschrift „Kriegsgedanken“ an die „Katastrophen des 20. Jahrhunderts“ zu erinnern, denen seinerzeit eine „Abkehr vom Prinzip der offenen Grenzen“ vorausgegangen sei.720 Desavouiert ist auch das historisch neue Völkerrechtskonzept der allgemeinen Schutzverantwortung und des Interventionsrechts bei schweren Menschenrechtsverletzungen, weil es im Verdacht steht, für geopolitisch motivierte Einmischungen in die inneren nationalen Angelegenheiten instrumentalisiert zu werden. 721 Besonders schwerwiegend erscheint die offene Rückkehr zu militärischen Optionen und zur wachsenden Neigung, das UN-Charta-Verbot von Angriffskriegen auszuhebeln722, das Kriegsvölkerrecht zu brechen und die Zuständigkeit der Vereinten Nationen unter Verweis auf deren Schwäche überhaupt zu bestreiten.723 Von hoher Brisanz ist in Anbetracht der rapide wachsenden Rüstungsbudgets, der intensivierten Entwicklung neuer offensiver Waffensysteme und eines aggressiven, international verhärteten Tons, dass alle Kooperations-, Vertrauensbildungs- und Deeskalationsmaßnahmen, wie sie zwischen den 1970er und 1990er Jahren mit Abkommen wie KSZE, SALT oder START zu verzeichnen waren, derzeit eingefroren sind. „Seit der Krim- und Ukraine-Krise befindet sich die Weltpolitik im Experimentalmodus“, schrieb Michael Stürmer vor einiger Zeit. „Bewährte Regeln der Krisenprävention und des Krisenmanagements gelten nur noch von Fall zu Fall, das leitende Personal scheint unerfahren im Manage-

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ment des Ernstfalls, und es fehlt der Kampfrhetorik an dem gebotenen Respekt vor den grenzenlosen Möglichkeiten der Zerstörung und Selbstzerstörung“724 Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht, dass sich die Welt nicht erst seit der Krim- und Ukrainekrise im Experimentalmodus befindet – wenn sie diesem überhaupt je entronnen sein sollte –, sondern dass Russland sich lediglich mit jenen imperialen Völkerrechtsübertretungen und Gewaltmaßnahmen in den neuerdings um China erweiterten Kreis der Großmächte zurückgemeldet hat, die auch im Westen nie suspendiert waren. Aber die Argumentation Stürmers gibt Anlass, über die zuweilen schwer nachvollziehbare Dialektik von Geschichte nachzudenken, nach der das Rettende dort wächst, wo die Not am größten ist – was übrigens jederzeit auch umgekehrt gilt. Die bipolare Blockkonfrontation der Nachkriegszeit führte die Menschheit mehr als einmal an den Rand einer atomaren Katastrophe. Andererseits brachte sie gerade deswegen im gegenseitigen Umgang der Kontrahenten ein besonderes Maß an Vorsicht, an kollektiven Sicherheitskonzepten und Konfliktbegrenzung. Ähnlich blockierte die globale Systemkonkurrenz zwischen Liberalismus und Sozialismus in vielen Aspekten die weitere Entwicklung der Menschenrechte. Aber die daraus resultierende weit verbreitete Enttäuschung über den „realpolitischen Zynismus“ der Großmächte beförderte wiederum den zivilgesellschaftlichen Diskurs, was schließlich dazu führte, dass das Thema von der Politik als wirksames Instrument der Systemauseinandersetzungen aufgegriffen wurde und dadurch einen Bedeutungsschub bis weit in die 1990er Jahre hinein erhielt. Diese ambivalente Spannung mit ihrer hoch fragilen Stabilität und den positiven Nebeneffekten bipolarer Systemkonfrontation fiel nach dem Ende des einen Blocks weg. Heute beflügelt die wieder aufgelebte Konkurrenz ökonomisch gleichgerichteter, politisch und kulturell aber unterschiedlicher Expansionssysteme neue imperiale Blütenträume. Dabei erhöht die neue Offenheit der geopolitischen Situation und die Aussicht auf große Raumgewinne die Neigung, auf Kosten der Sicherheits- und Rechtsstandards der Nachkriegszeit global Kopf und Kragen zu riskieren. Angesichts der Kumulierung struktureller Probleme, die in der Kontinuität langer historischer Konfliktlinien stehen, scheint die große Idee der allgemeinen konstitutiven Herrschaft des Menschen- und Völkerrechts, die alle Nationen, Nationalitäten, Gruppen und Individuen kooperativ und gleichberechtigt einschließen und schützen, Entwicklungsunterschiede ausgleichen und Konflikte auf rechtlichem Weg regeln sollte, auf dem Weg in ein langdauerndes Abseits. Vorläufiger Abschluss der Revision transatlantischer Vergangenheitsbewältigung ist die Entscheidung der US-Regierung unter

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Trump, die UNESCO und den Menschenrechtsrat zu verlassen. Sie veranlasste Norbert Frei, an die lange Vorgeschichte politisch unbearbeiteter Fehler und Versäumnisse zu erinnern, aber auch an die politische und moralische Reputation der USA unter Roosevelt, die sie ihrem Einsatz für die in der Atlantik-Charta versprochenen besseren Zukunft der Welt und für die dafür erforderlichen globalen Institutionen verdankte.725 Die Menschenrechtsidee mitsamt ihren rechtsstaatlich-demokratischen Voraussetzungen war stets gefährdet durch autokratisch-diktatorische Regierungsformen und totalitäre Weltvorstellungen religiöser oder weltlicher Provenienz, durch ethnische oder religiöse Konflikte. In den klaren Feindbildern des Kalten Krieges wurden diese Probleme in Bezug auf den Staatssozialismus gut verortet und daraus jenes antitotalitär-freiheitliche Gegenmodell gewonnen, dass zwar in der geopolitischen Praxis den eigenen Ansprüchen nie gerecht wurde, auf dessen Propagierung jedoch die damalige westlich-transatlantische Identität zum Vorteil der Menschenrechtsidee beruhte. Heute kommt das Gegenprojekt dazu nicht nur aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen, sondern aus der Mitte der liberalen Demokratien und ihrer Eliten selbst, ohne dass in der medialen Öffentlichkeit ein ausreichend entwickeltes Sensorium vorhanden wäre. Dessen Kernanspruch, die Hegemonie des neoliberalen Wettbewerbs und der Primat der Wirtschaft gegenüber der Politik, wuchs zwischen den 1970er und 1990er Jahren zum mächtigsten Antagonisten der Menschenrechtsidee heran und steht nun im Begriff, die mühselig erreichten völkerrechtlichen Regelsysteme und demokratischen Entscheidungsverfahren auf eine nachrangige legitimatorische Ebene herabzustufen. 726 Im Gesamt verlaufen die globalen politischen Frontlinien zwischen menschenrechtsbasierter Verfassungsdemokratie und autokratisch-oligarchischen Herrschaftsformen, öffentlich legitimierten Rechtsordnungen und parallel agierenden privaten Rechtsetzungssystemen, zwischen Verteilungsgerechtigkeit und Eigentumsansprüchen, Sozialstaatsidee und Neoliberalismus, kollektiven Nachhaltigkeitskonzepten und unbeschränkter privater Ressourcenausbeutung, zwischen staatlicher Völkerrechtsbindung und Betonung nationaler Souveränität, völkerrechtsbasierter Kooperation und geopolitischer Exklusionspolitik, multipolarem Kräftegleichgewicht und unipolaren Hegemonieambitionen, allgemeinem Gewaltverbot und imperialer Machtpolitik – wobei sich die Unterschiede zwischen den liberalen Verfassungsstaaten des Westens und dem sogenannten Rest der Welt zusehends verwischen.727 Allerdings: In der Geschichte verschwindet kaum eine Entität vollkommen und auf Dauer und schon gar nicht abrupt. So, wie der Neoliberalismus zwischen den 1930er und 1970 Jahren unter dem Ansturm

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sozialistischer oder sozialstaatlicher Bewegungen nicht verschwand, sondern, gleichsam im Boden ruhend, überdauerte, so ist die Idee der völker- und menschenrechtsbasierten Kooperation mitsamt ihren rechtlichen Kodifikationen, institutionellen Verankerungen und Interventionsmöglichkeiten728 nicht verschwunden. Die Vereinten Nationen stellen nach wie vor ein durchaus arbeits- und zukunftsfähiges Völkerforum dar und sind auf vielfältige Weise in internationale und nationalstaatliche Regelstrukturen und Verfahren eingebunden. Zu ihnen zählen neben den Menschenrechtskonventionen etwa die ILO-Arbeitsnormen, die UN-Umweltschutzabkommen, das Kyoto-Klimaschutzprotokoll, der soziale Menschenrechtspakt, die Unesco-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt und vieles andere. Auch wenn diese Abkommen keine weltweite Geltung erlangt haben und in ihrer Mehrzahl von einflussreichen Staaten nicht ratifiziert wurden, sind sie doch stark im zivilgesellschaftlichen Gedächtnis verankert und in allgemeinen Handlungskonzepten präsent – was zunächst einmal die Voraussetzung dafür bildet, ihnen auch gegen starke Interessengruppen und mediale Widerstände erneut Gehör zu verschaffen, sie weiter zu entwickeln und durchzusetzen. Dass dies auch gegen übermächtig scheinende strukturelle Zwänge möglich ist, zeigen die großen Konflikte ab Mitte des 19. Jahrhunderts, die um das humanitäre Kriegsvölkerrecht und um den rechtlichen Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben ausgefochten wurden und in die Gründung der Vereinten Nationen und ihre Chartas mündeten. Robin Niblett, Direktor des einflussreichen Royal Institute of International Affairs (Chatham House) in London stellte vor kurzem die Frage, ob wir vor der Wiederkehr des anarchischen Systems von Nationalstaaten und dem Rückfall in identitätsbasierte Konflikte der Vergangenheit stehen.729 Das ist eine der Kernfragen des 21. Jahrhunderts. Aber das Problem lässt sich nicht über die fortschreitende Herrschaft der Märkte oder über geopolitische Militärbündnisse lösen, wie Niblett nahelegt, sondern nur durch die Überwindung nationaler Souveränität, über die konsequente Konstitutionalisierung des Völkerrechts und dessen Entwicklung zur global maßgeblichen Rechtssphäre. Das wieder erfordert funktionierende Demokratien, in denen nicht, wie derzeit im allgemeinen Trend, autokratische Systeme oder zweifelhaft legitimierte nationale und supranationale Governance-Netzwerke weitreichende Entscheidungen treffen, sondern den Wahlbürgerschaften die Möglichkeit zur klaren Willensbekundung und zur verbindlichen Auftragserteilung gegeben wird. Die Durchsetzung einer solchen Konstitutionalisierung bedarf, wie Bardo Fassbender schreibt, eines neuen großen Impulses, ähnlich dem des Jahres 1945.730 So richtig dieser Gedanke sein mag, enthält er aller-

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dings unter der Oberfläche eine deprimierende historische Wahrheit: Denn der ‚neue große Impuls‘, wurde erst im Verlauf des Zweiten Weltkrieges ausgelöst, die damaligen Bewältigungsstrategien kamen letztlich durch die Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zustande; sie waren seine Vorbedingung und sein Ausfluss. Wenn das eine an das andere gekoppelt ist, wenn das Kind erst in den Brunnen fallen muss, um die entsprechenden Aktivitäten zu entwickeln, scheint es zweifelhaft, ob man sich ein 1945 zurückwünschen sollte: In einem solchen Fall wiederholte sich die Geschichte unter den heutigen waffentechnischen Bedingungen nicht als Farce, wie Marx schrieb, sondern als noch größere Katastrophe, denn ein dritter globaler Waffengang würde angesichts des angehäuften Vernichtungspotentials eine ganz andere Welt hinterlassen. Und selbst wenn es danach für Menschen noch zukunftswerte Perspektiven und entwicklungsfähige Umweltbedingungen gäbe, setzte ein neuer großer Impuls ein ähnliches Zusammentreffen glücklicher Umstände und günstiger politischer und personeller Konstellationen voraus wie 1945. Ohne die Gunst dieser Stunde waren die damaligen bahnbrechenden Ideen, Anstöße und Kooperationen nicht zu denken, von denen wir, auch wenn sie im Laufe der folgenden Jahrzehnte und besonders im Zeitfenster der 1990er Jahre mehr und mehr missachtet und verspielt wurden, noch heute profitieren. Die Zukunft hat sich derzeit in unguter Weise verengt, aber sie ist nicht alternativlos auf den derzeitigen Weg festgelegt. Nun müssen wir auf eine neue Chance hinarbeiten. Die Verantwortung für die weitere Entwicklung tragen in erster Linie die großen Industrienationen, die, wenn sie denn wollten, mit Hilfe ihrer vielfältigen Einflussmöglichkeiten und Druckmittel auch globale menschenrechtsbasierte Standards und Regelwerke durchzusetzen in der Lage wären. Die erforderlichen Kenntnisse und Verfahren sind vorhanden; was derzeit fehlt, ist die Einsicht, dass die alten imperialen Rezepte und Strategien keine Zukunft mehr bieten 731, ist der Wille zum Abschied von den alten und immer noch wirksamen historischen Strukturen 732, sind Vernunft, Kooperationsbereitschaft und Kompromissfähigkeit. Und dazu zählt als Voraussetzung ein neues Verständnis von dem, was wir Vergangenheitsbewältigung nennen, ein Verständnis, welches deren Vielschichtigkeit und Komplexität in ähnlicher Weise Rechnung trägt wie jenes, das die Nationen der Anti-Hitler-Koalition in den 1940er Jahren entwickelten – ohne dass es dazu erst eines neuen Krieges bedarf und ohne dass die alten Fehler wiederholt würden. Das erforderte ein anderes kritisches Verhältnis zum Erbe der Aufklärung, zu den Vorstellungen vom unendlichen Wachstum, von technischen Lösungen als Allheilmittel und der Illusion der autonomen Herrschaft über unsere Lebensvoraussetzungen. 733 Inso-

Ein kurzer Abriss moderner Vergangenheitsbewältigung

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fern ist eine mehrfache Vergangenheitsbewältigung nötig: Die emanzipatorische Bewältigung der fortdauernden Strukturen der Realgeschichte und die Überwindung unserer Mythen und Bilder davon, der falschen Annahmen und der Täuschungen, die sich damit trösten, dass die Zukunft eine neue bessere wird und die Vergangenheit vergangen ist, obwohl wir, wo wir auch gehen und stehen, von ihr umgeben und getragen, aber auch gefesselt sind.

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung im engeren Sinn ______________________________________________________________

Zwischen Sollen und Sein: Begriffliche Probleme Von der mühseligen Entstehung neuer Rechtsvorstellungen und -normen über die Entwicklung des humanitären Völkerrechts und zivilgesellschaftlicher Diskursmacht, vom Systemwechsel und der Suche nach strukturellen Konfliktursachen bis zum Streben nach gesellschaftlicher Stabilität und Unwiederholbarkeit der Gewalt: Aus dem zweiten Abschnitt wird deutlich, wie umfassend das Thema moderner Vergangenheitsbewältigung ist, wie viele Ebenen, Themen und Motive damit verbunden sind, welche Dynamiken der Ausweitung und ständig neuer Verästelungen im stetigen Wettlauf mit wachsenden Vernichtungspotentialen und immer komplexeren geopolitischen Konfliktfeldern dort hineinspielen. Vergangenheitsbewältigung erwies sich bei näherem Hinsehen als fast unentwirrbarer Knoten, in dem so gut wie alle Stränge der menschlichen Geschichte zusammenlaufen. Dementsprechend verzweigten sich auch die Fragestellungen der Geschichtswissenschaften. Stand bei den deutschsprachigen Historikern nach Ende des Zweiten Weltkrieges der Nationalsozialismus im Zentrum des Interesses, wendete man sich in den 1980er Jahren verstärkt dem deutschen Nachkriegsumgang mit dem Dritten Reich zu – der „zweiten Geschichte des Nationalsozialismus“, wie Peter Reichel schrieb.734 Internationalen Trends folgend begann man schließlich, sich mit allen politischen, wissenschaftlichen und ästhetischen Äußerungen und Entscheidungen zu beschäftigen735, die sich auf historische Ereignisse und Erzählungen überhaupt beziehen. Die gesellschaftliche Aneignung jedweder erinnerten Geschichte736 wurde unter Oberbegriffen wie Geschichtspolitik737, Erinnerungskultur738, Vergangenheitsbewältigung739, Geschichtskultur oder Bewältigung der Vergangenheit740 zu einem eigenen kulturhistorischen und politikwissenschaftlichen Arbeitsfeld.741 Doch gilt das besondere Interesse nach wie vor dem modernen Umgang mit Gesellschafts- und Staatsverbrechen742, deren Beendigung und Sühnung und schließlich den Wegen und Verfahren des Neuanfangs.

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Begriffliche Probleme

Trotz allen Forschungsaufwandes ist aber die Kernfrage, welche Bedingungen und Ziele diese Prozesse eigentlich umfassen – und umfassen sollen –, bisher nicht zufriedenstellend beantwortet. Schon in Bezug auf die deutsche Vergangenheitsbewältigung nach 1945 gehen die Ansätze weit auseinander743: Adorno zufolge ist die Aufarbeitung erst dann durchführt, wenn die ökonomischen Ursachen des Vergangenen beseitigt sind.744 Peter Reichel macht als Kern den „als unumkehrbar angesehenen Systemwechsel hin zur parlamentarisch-föderalen, sozial- und rechtsstaatlichen Demokratie“ aus.745 Michael Bock rechnet zu den „Bewältigungsleistungen“ neben den juristischen und personellen Maßnahmen (einschließlich Säuberung und Wiedergutmachung) auch die politisch-institutionelle Dimension mit Verfassung, Wirtschaftsordnung und Außenpolitik.746 Battis und andere sehen das Vorhandensein von Verbrechen, deren Beendigung und schließlich Demokratisierung als Voraussetzungen einer „Vergangenheitsbewältigung, die diesen Namen verdient“. 747 Nach der Definition des Politologen Helmut König schließlich umfasst der Komplex die „Gesamtheit jener Handlungen und jenes Wissens“, „in der sich die neuen demokratischen Systeme zu ihren nicht-demokratischen Vorgängerstaaten verhalten“ und mit deren „strukturellen, personellen und mentalen Hinterlassenschaften“ umgehen.748 Im Rahmen eines „extremen politischen Wandels“749 gehört dazu die „Entwicklung angemessener Vorstellungen über Ursachen und Funktionsweise des Vergangenen zur Beendigung eventuell fortwirkender Macht“ 750 und die Formulierung des Leitziels eines gesellschaftlichen Neuanfangs, der die Wiederholung des je Vergangenen unmöglich machen sollte. Die Schwierigkeiten, gültige Kriterien für derart komplexe gesellschaftliche Abläufe zu finden, sind bekannt. Gleichwohl scheint in allen diesen Ansätzen erkennbar das Ziel auf, zu einer validen Diagnose, zu einer aussagekräftigen Typologie der Bewältigung vergangener Gewalt zu kommen. Solche Verfahren sind notwendig und ertragreich, allerdings steckt in jeder Klassifizierung und jeder Modellbildung ein Problem, das Ulrich Streeck in Bezug auf die psychiatrische Diagnostik umriss: nämlich sich den „Denk- und Sprachschemata eines [...] herrschenden Systems“ unterzuordnen und einen „einheitlichen, wissenschaftlich normierten, skotomisierenden [negierenden, leugnenden] und fragmentierenden Blick“ zu übernehmen.751 Das gilt auch für Bewältigungsprozesse. Will der moderne, an sozialwissenschaftlichen Methoden orientierte Historiker zu einer Theorie kommen, braucht er zunächst Vergleichsgrößen und Bezugspunkte. Diese kann er nach bestimmten politischen Neuordnungen oder moralischen Gesichtspunkten, nach vorübergehenden historischen Phasen, gesell-

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 219 schaftlichen Wertsystemen und Praktiken auswählen; er kann sich etwa, wie oben mehrfach genannt, am Kriterium der Demokratisierung orientieren oder an der deutschen Vergangenheitsbewältigung nach 1945. Das ist nicht unüblich, führte aber zum halb spöttisch gemeinten Ausdruck von einer ‚DIN-Norm‘ der Vergangenheitsbewältigung. 752 Vor allem birgt ein solches Vorgehen Fallstricke. Denn legen sich Autor/inn/en in vergleichenden Untersuchungen auf bestimmte Bedingungen fest, laufen sie Gefahr, die komplexe Vielfalt historischer Vorgänge aus dem Auge zu verlieren und zu fragmentieren. Und knüpfen sie daran obendrein den Anspruch allgemeiner, wenn nicht gar universeller Gültigkeit, laufen sie Gefahr, in die Nähe segmentierter, politisch motivierter nationaler Geschichtserzählungen, um nicht zu sagen Propaganda, gerückt753 und als parteiliche politische Akteure ausgemacht oder vereinnahmt zu werden. Gerade weil Vergangenheitsbewältigung in hohem Maße die globalen Auseinandersetzungen zwischen konkurrierenden Anschauungen und Systemen prägt und über sie Kämpfe um zukünftige politische Entwicklungen, um Selbstbehauptung, Identität, Herrschaft und Legitimation ausgetragen werden, gilt es in diesem verminten Gelände das Diktum von Habermas zu beachten: „Sobald die Sicht des analysierenden Beobachters mit der Perspektive verschmilzt, die die Teilnehmer an Selbstverständigungsdiskursen einnehmen, degeneriert Geschichtswissenschaft zu Geschichtspolitik. [...] Es versteht sich von selbst, dass nur integre Wissenschaftler, die in dieser Hinsicht auf der Differenz von Beobachter- und Teilnehmerperspektive beharren, zuverlässige Experten sein können.“754

Nun sind auch Geschichtswissenschaftler als Teil der Gesellschaft vielfältigen Einflüssen ausgesetzt755 und vielfach in ein System von staatlicher und privater Projektfinanzierung und Forschungsförderung eingebunden. Von daher sind auch sie nicht frei von politischen Normierungen und Fragmentierungen, welche ihre Vorannahmen und Perspektiven beeinflussen und sich in der Summe als Verlagerung von Themenschwerpunkten und schwankenden Paradigmenkonjunkturen auswirken. Das gehört zu den Gründen, warum der Holocaust im Sog der politischen Kampagnen in der NS-Forschung der letzten 20 Jahre ein deutliches Übergewicht erhielt756 und warum man sich mehr mit der Bewältigungsgeschichte als mit der vorausgehenden Gewaltgeschichte, mehr mit der Beendigung und Aufarbeitung von Verbrechen als mit den auslösenden gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, mehr mit Modellen der Therapie als mit der Krankheit selbst beschäftigte. Diese Wanderungen der Themenschwerpunkte sind angesichts der weltweiten Trends der letzten 30 Jahre verständlich, bergen aber die Gefahr, die längst noch nicht erledigte weitere Analyse der Ursachen zu vernachlässigen und einer geschichtspoli-

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tisch nicht unerwünschten Kürzung und Verengung der Vorgeschichte zuzuarbeiten. Von daher ist Dirk Schmalers Bemerkung nachvollziehbar, mit der er davor warnte, die „Aufarbeitung der Vergangenheit zu überhöhen“ und „die Wahrnehmung der nationalsozialistischen Vergangenheit durch den vorgeblich erfolgreichen Umgang mit ihr zu ersetzen“. 757 Die Bemerkung vom ‚vorgeblichen Erfolg‘ verweist auf ein grundlegendes und bekanntes Problem. Bisher lässt sich – trotz Helmut Königs einprägsamer Formel von der „Gesamtheit jener Handlungen und jenes Wissens“ – kaum sagen, woran sich Vergangenheitsbewältigung letztlich überhaupt festmachen lässt: Demokratie? Systemwechsel? Austausch belasteter Eliten? Sühne und Wiedergutmachung? Gesellschaftliche Stabilität? Friede? Verwirklichung der Menschenrechte? Unwiederholbarkeit resp. Unumkehrbarkeit? Dauer der politischen und gesellschaftlichen Stabilität? Und in welcher Kombination, in welchem Umfang, in welcher Tiefe und mit welcher Nachhaltigkeit? Was kann Vergangenheitsbewältigung überhaupt leisten und wo sind ihre Grenzen? Von diesen nach wie vor offenen Fragen ausgehend, werden im Folgenden einige Positionen zur Vergangenheitsbewältigung darauf hin untersucht, ob sie der Komplexität solcher universellen Vorgänge genügen. Systemwechsel zur Demokratie? Es gehört inzwischen zum festen theoretischen Kanon, Vergangenheitsbewältigung vornehmlich als Ablösung von Diktaturen durch Demokratie zu betrachten.758 Dass eine Reihe von Staaten der westlichen Wertegemeinschaft diesen Weg nach dem Zweiten Weltkrieg gegangen ist, steht außer Frage. Ebenso, dass er wünschenswert ist und Demokratisierung Mittel der Wahl sein sollte. Aber vor dem Sollen steht das Sein, und vielfach ist schwer auszumachen, ob diese Bedingung eher als ideologische Selbstdarstellung des Westens zu verstehen ist, die allzu oft die tatsächliche Praxis schön redet. Die Frage ist, ob sie die zahlreichen historischen Varianten, Ausnahmen und Abstufungen hinreichend erfassen und abbilden kann. Dagegen sprechen einige Gründe: Erstens scheiden sich bereits bei dem Problem, um welche Demokratie es sich handeln sollte, die Geister. Die neuere Forschung legt an die Transformation der diktatorischen Regimes in Südafrika und Südamerika, im ehemaligen Ostblock und in den arabischen Staaten ganz unterschiedliche demokratietheoretische Maßstäbe: Eine Reihe von Autoren geht von einem maximalistischen Konzept als Voraussetzung gelungener Transformation aus, das heißt, von einer partizipativen Demokratie, die sich voll umfänglich an den Zielen der beiden Menschenrechtspakte von 1966 orientiert759 und die Wahrnehmung der sozialen und bürgerlichen

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 221 Rechte an die Frage der Verteilungsgerechtigkeit knüpft.760 Eine andere Richtung folgt dem geopolitischen Konzept des US-amerikanischen Politologen Samuel Huntington und hält eine minimalistische liberale Demokratie für ausreichend761, die sich auf freie Wahlen und Rechtsstaatlichkeit beschränkt. Wer letzteres Modell zugrunde legt, wird in der politischen und kulturellen Dominanz wirtschaftlicher Eliten, in der ungleichen Verteilung von Ressourcen und in den damit verbundenen sozialen Verwerfungen keine Demokratiedefekte feststellen. Das aber wäre eine Voraussetzung für nachhaltige gesellschaftliche Stabilität762 und damit für den Präventionsgedanken und die Forderung, die Wiederholung des je Vergangenen unmöglich zu machen. Zum zweiten sind Demokratien, egal welcher Ausformung, ständigen Veränderungen und Schwankungen, auch Defekten763 und Deformationen764, unterworfen, weil sie wie jede Gesellschaftsordnung fließende, historisch wandelbare soziale Systeme sind. Sie befinden sich in einem ständigen Wandel, und es mag sein, dass sie irgendwann mit den Referenzsystemen nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch den Namen gemein haben, wenn man realistischen Skeptikern wie Colin Crouch oder Jürgen Habermas folgen will. Selbst alte, traditionsreiche und scheinbar gefestigte Demokratien sind davor nicht gefeit. So werden etwa die USA auch im Westen nicht mehr einhellig als vollständige Demokratie gesehen 765; die Zweifel wachsen, ob es sich noch um einen Rechtsstaat handelt. 766 Und wenn nicht alle Indikatoren trügen, befinden sich autoritär-autokratisch-oligarchische Herrschafts- und Machtstrukturen, egal in welcher Weltregion, derzeit wieder auf dem Vormarsch.767 Wenn man also Demokratie schon zur unumgänglichen Voraussetzung gelingender Bewältigung erklärt, müssen die Bedingungen ihres Wandels und ihrer Gefährdung stärker als bisher in den Blick genommen werden, so wie es in der Demokratieforschung längst Praxis ist. Zum dritten lässt sich Demokratisierung schon deshalb nur schwer als Bedingung von Transformationen und Bewältigungen definieren, weil sie in schwer vorhersagbaren emergenten, widersprüchlichen und nichtlinearen Prozessen verlaufen. Schon ein Blick auf das Potsdamer Abkommen, die Urmatrix aller folgenden Transformationen zeigt, dass dort zwar schon der ganze Zielkatalog moderner Vergangenheitsbewältigung vorhanden war. Aber dieser Katalog wurde zunächst keineswegs unter demokratischen Bedingungen exekutiert, sondern unter Besatzungsrecht. Deutschland existierte in dieser Phase der „verordneten Vergangenheitsbewältigung“768 als demokratisches System noch gar nicht – geschweige denn als Staat. Ob es sich auf dem Weg dorthin befand, ließ sich damals nicht absehen. Alle Besatzungsmächte betrachteten die Bevölkerungen ih-

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rer Besatzungszone anfänglich als besiegte Feinde und hatten zunächst das Ziel im Auge, die alten Kräfte zu zerschlagen und eine Wiederholung des Geschehens unmöglich zu machen.769 Dass die Westalliierten demokratische Staaten repräsentierten, hieß auch nicht zwingend, dass sie ihre eigenen Verfassungsprinzipien und Werte auch überall verankert sehen wollten – man denke an die Pläne Roosevelts, Morgenthaus oder Churchills zur Aufteilung und zum politischen Status Deutschlands, man denke auch daran, dass die Außen- und Menschenrechtspolitik der Westalliierten in ihren jeweiligen Einflusssphären, in den Kolonien und in den Vereinten Nationen ganz anders aussah. Die Entwicklung Westdeutschlands zu einer Demokratie, zumal zu einer sozialen, gewann erst nach und nach, im Verlauf der Ereignisse, an Kontur. Sie verdankte sich zwar in beträchtlichem Maße dem damaligen Demokratie- und Menschenrechtsverständnis der USA in der Ära Roosevelt, war aber in erster Linie das Ergebnis geostrategischen Kalküls in der beginnenden Blockkonfrontation. Im Nachhinein haben wir uns an die Vorstellung gewöhnt, dass es nur so kommen konnte und nicht anders. Aber diese Entwicklung war kein Selbstläufer, sie unterlag keiner historischen Gesetzmäßigkeit, sondern hing von vielen zufälligen und situativen Faktoren ab. Schon von daher ist die Bedingung der Demokratisierung kein zuverlässiger Indikator und keine stabile Bedingung für Vergangenheitsbewältigung, zumal wenn man bedenkt, dass sich der damalige und erfolgreiche historische Verlauf später so auch nicht wiederholen sollte. Es ist ein schönes Beispiel dafür, was in der Geschichte im positiven Sinne möglich ist, aber als Referenzmodell ist es ungeeignet, weil es sich auf Bedingungen bezieht, die historisch längst obsolet geworden sind. Viertens fielen aus diesem Bezugssystem eine ganze Reihe von Staaten heraus. So wird in der westlichen Historiographie die Selbstdarstellung der damaligen sozialistischen Staaten, mit dem Sozialismus die Wurzeln des Faschismus ausgerottet zu haben, gern als ideologisch geleitete und politisch instrumentalisierte unvollständige und lückenhafte Geschichtspolitik dequalifiziert und von der „richtigen“ Vergangenheitsbewältigung des Westens abgegrenzt. Beide deutsche Staaten nahmen für sich in Anspruch, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, im Unterschied zum Systemkonkurrenten die richtigen Konsequenzen aus der Katastrophe gezogen und damit eine grundlegende Legitimation des eigenen politischen Systems erworben zu haben. Nun erfüllte die SBZ resp. die DDR ohne Frage nicht die Bedingung der Demokratie. Doch in Bezug auf die Entmachtung und Ablösung der alten belasteten Eliten war der extreme Wandel ja eher dort zu verzeichnen als in der Bundesrepublik, in der die Kontinuität der immer wieder rehabilitierten oder von konse-

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 223 quenter Strafverfolgung verschonten Macht- und Funktionseliten vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und das Dritte Reich bis hin zur BRD stets Gegenstand scharfer Kritik war. Wie würde man also den Umgang mit der Vergangenheit dort, wo man ja unter dem Leitziel, Krieg und Militarismus ein für alle Mal auszurotten, nicht nur Vergangenheitspolitik, sondern auch eine ausgedehnte Erinnerungs- und Gedenkkultur betrieb, bezeichnen? Ähnliche Fragen drängen sich in Bezug auf die Prozesse gegen die Roten Khmer in Kambodscha 770, auf die Diskussionen in Russland über die Verbrechen der Stalin-Ära und viele weitere Staaten auf.771 Schlägt man den Bogen weiter, würde das strikte Bestehen auf der Demokratiebedingung auch bedeuten, dass grob gerechnet 90 Prozent der Menschheit, die das derzeit wieder schwindende Glück entbehren müssen, in demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen zu leben, nicht zu denen gerechnet werden könnten, die eine Bewältigung betreiben, die diesen Namen verdient – selbst dann nicht, wenn in deren Gesellschaften Elemente von Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur vorhanden sind. Damit schrumpfte die Sphäre der Vergangenheitsbewältigung, durch die liberal-demokratische Brille beschaut, auf einen immer kleineren, als Norm definierten Bereich zusammen, während der große und wachsende Rest aus Anomalien und Abweichungen besteht. Eher jedoch scheint es so, dass es sich um eine Ausnahme handelt, die zu optimistisch als Regel gesehen wird. Ganz abgesehen davon und fünftens ist die Bedingung mehr als fragwürdig, weil Demokratien weder davor gefeit sind, Massenverbrechen zu begehen noch eine Garantie für deren umfassende Aufarbeitung bieten. Das kann sich auf Unrechts-und Schadenshypotheken erstrecken, die in einem zivilgesellschaftlichen oder staatlichen Teilbereich von Demokratien entstanden sind, man denke nur an die systematischen körperlichen, auch sexuellen Übergriffe in vielen europäischen Kinderheimen der Nachkriegszeit, man denke auch an den systematischen Kindesentzug der australischen Behörden bei den Aborigines oder an die Geschichte der Sklaverei in den USA, die nach Meinung des Historikers Thomas McCarthy immer noch auf ihre Vergangenheitsbewältigung wartet. 772Es kann dies das dunkle Erbe demokratischer Systeme im Zusammenhang mit der Installierung und Unterstützung blutiger Diktaturen oder der Inanspruchnahme ihrer zweifelhaften Dienste sein. 773 Es kann sich um Menschenrechtsverstöße oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit 774 handeln, die im Zuge kolonialer Herrschaft durch demokratische Systeme, etwa Frankreichs in Algerien und Indochina oder im Rahmen militärischer Interventionen wie die der USA in Vietnam begangen wurden. So wies Heribert Adam auf die vielfältigen Verdrängungen und Amnesien,

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unterlassenen Aufarbeitungen und lückenhaften justitiellen Sühnungen, fehlenden Elitewechsel und faulen Kompromisse hin, die den Umgang von Demokratien mit der eigenen Gewaltgeschichte prägten und prägen.775 Einen noch größeren Bogen schlug Koffi Anande, Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. Er rief die von demokratischen Staaten begangenen kolonialen und imperialen Verbrechen in Erinnerung776, die, bis heute verdrängt oder mit symbolischen Entschuldigungsgesten abgehandelt777, ihrer Aufarbeitung harren. Hier zeigt sich, dass zurückliegende und vergangene Ereignisse insofern überdauern, als sie, wenn sie nicht nachhaltig bewältigt werden, Strukturen hervorbringen, deren Wirkungen bis in die jeweilige Gegenwart reichen und sich potenzieren können – sinnfällig ausgedrückt in der nur selten so offen ausgesprochenen tiefen Erkenntnis eines deutschen Ministers während der großen Flüchtlingsbewegungen 2015 nach Europa: „Wir haben unseren Wohlstand auf dem Rücken der Entwicklungsländer aufgebaut. Das wird nicht mehr lange gut gehen. Diese Spannungen entladen sich.“ 778 Gerade das Thema Kolonialismus vermittelt im Übrigen auch eine Ahnung davon, dass die Aufarbeitung von Gewaltgeschichte in einem viel größeren Rahmen zu denken wäre als in jenem, der allgemein damit verbunden wird.779 Bewältigung und Ökonomie Die Verbindung zwischen ökonomischen Regelsystemen und Vergangenheitspolitik liegt nicht gleich so offen auf der Hand wie die zwischen Gesellschafts- resp. Staatsverbrechen und deren Strafverfolgung. Die Frage ist aus mehreren Gründen schwierig. Erstens wurde kaum ein Bewältigungsthema im Deutschland der Nachkriegszeit so kontrovers diskutiert wie die politischen Verbindungen zwischen Wirtschaft und NSDAP und die Rolle von Bürgertum, Industrie und Finanzsektor bei der Etablierung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Es ging um die Schuld der Eliten und damit um das Problem ihrer Legitimation, im tieferen Grund auch um den Zusammenhang von Verteilungsgerechtigkeit und Systemstabilität, ökonomischer Ordnung und Konfliktentstehung. Das Gelände war – und ist – schwer vermint, weil es systemische Grundlagen der Gesellschaftsordnung betrifft. Es mag u.a. diesem brisanten machtpolitischen und ideologiegeladenen Umfeld geschuldet sein, dass sich die Geschichtswissenschaften mit allem Möglichen befassen, nur eben nicht mit Ökonomie und Ordnungspolitik mitsamt ihrer historischen und sozialen Wirkungskraft.780 Von marxistischer Ansätzen, Ausnahmen781 und gewissen neuen Trends782 abgesehen steht man dem Thema in den gängigen

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 225 Bewältigungstheorien weitgehend distanziert gegenüber. So umfasst der Komplex für den Politologen Helmut König zwar „die Entscheidungen über eine Reihe institutioneller, ordnungs- und strukturpolitischer Alternativen“.783 Aber er verneint die vergangenheitspolitische Herleitung konkreter Imperative für die „Organisation der Ökonomie oder etwa für die Struktur des Steuersystems“784, weil sie wegen der Unverbundenheit von öffentlicher Kommunikation und politischer Entscheidung eine „Überforderung und Überdehnung“ der Meinungs- und Willensbildungsprozesse der jeweiligen Amtsinhaber ist.785 Nun mag diese Unverbundenheit wohl auf grundsätzliche Probleme repräsentativer liberaler Demokratien hinweisen. Aber zum einen wird nicht ganz klar, was seinem Urteil zugrunde liegt: Die angestrebten Ziele der Politik oder die tatsächlichen Ergebnisse? Die Pläne oder deren Realisierung? Wenn man vergangenheitspolitische Ziele am Grad ihrer Umsetzung misst, könnte man mit gleichem Recht die Strafverfolgung, die Sühnung oder die Wiedergutmachung unter das Verdikt der Überforderung stellen, denn die Differenzen zwischen hohen Ansprüchen und begrenzten Realisierungsmöglichkeiten gelten auch hier. Zum anderen: Die Organisation der Ökonomie wegen unterstellter Überforderung der Politik aus dem Feld auszublenden, ist vor allem deshalb nur schwer nachvollziehbar, weil die historische Praxis eine ganz andere Sprache spricht: Bereits im Versailler Vertrag hatte man ja erstmals eine Vorstellung vom kausalen Zusammenhang zwischen ökonomischen Verteilungsproblemen und gesellschaftlichen bzw. internationalen Konflikten entwickelt und daraus die ersten, wenn auch bescheidenen Konsequenzen gezogen. 20 Jahre später führte die Einsicht, dass die wirtschafts-, währungs- und reparationspolitischen Fehler von Versailles eine noch weitaus größere Katastrophe nach sich zog, zu den großen multilateralen Vertragsserien der Anti-Hitler-Koalition und später der Vereinten Nationen zwischen 1940 und den 1960er Jahren. Die Implementierung sozialer Regelungen und Schutzklauseln in Völkerrecht, UN-Charta und Menschenrechtserklärung, die Revision der Welthandels- und Währungsordnung in Bretton Woods, die feste Etablierung der Sozialstaatsidee in Europa und der Beginn einer europäischen Kooperation durch Gründung der Montanunion und der EWG: Sie resultieren aus der langen kontinentalen und kolonialen Gewaltgeschichte Europas ebenso wie aus den einschneidenden Erschütterungen in Folge der Weltwirtschaftskrise 1929ff. und aus den sozialen und politischen Verwerfungen der Weimarer Republik – in allgemeinster Form also aus der Herausbildung von Formen der Produktion und Distribution, in der Methoden wirtschaftlicher Expansion betrieben werden, „die andere zum Status von Opfern verurteilt und

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Wohlstand durch Tod erkauft“.786 Alle diese Regelwerke wurden, um im Duktus Königs zu bleiben, aus vergangenheitspolitischen Imperativen abgeleitet, die sich noch dazu auf verschiedene Vergangenheiten bezogen. Man war also durchaus in der Lage, in verzweigten multifaktoriellen Komplexen und Entwürfen zu denken und zu handeln und nahm die anstehenden Aufgaben mit Zuversicht und durchaus nicht erfolglos in Angriff. Es war die wichtigste, die zentrale Systemwechselfrage in allen Staaten, die während des Zweiten Weltkrieges von Deutschland besetzt waren, nach 1945 in den Machtbereich der Sowjetunion fielen und die Transformation bürgerlicher Republiken resp. konstitutioneller Monarchien zu sozialistischen Staats- und Eigentumsordnungen durchliefen. Die kommunistischen Parteien beriefen sich bei ihren Eingriffen in die Wirtschaftsstruktur vergangenheitspolitisch ausdrücklich auf ihren Standpunkt vom funktionellen Zusammenhang zwischen der alten Eigentumsordnung, den Regeln des ökonomischen Wettbewerbs und der Entstehung nationaler und internationaler Konflikte. Dieser Zusammenhang stand in der DDR bis zum Schluss im Vordergrund; er war fester Bestandteil der Kritik der europäischen 1968er-Bewegung am bisherigen Umgang mit der Vergangenheit und gehörte lange zum Argumentationsfundus und zum festen legislativen Handlungsrepertoire der europäischen Sozial- und Europapolitik. Gerade die BRD nach 1945 war ein Beispiel für diese gegenseitige Durchdringung von Politik und Ökonomie.787 Ebenfalls müssen ordnungs-, sozial-, eigentums- und steuerpolitische Fragen als ursächlich auslösende Momente für die Serie von Staatsstreichen in Südamerika ab den 1960 Jahren, also für den umgekehrten Weg, den Systemwechsel von der Demokratie zur Militärdiktatur, gesehen werden. Hier waren zwar auch geopolitische Motive von Belang: die USA wollten mit der Initiierung von Putschen und der Unterstützung der Junten im Rahmen ihrer Sicherheitsdoktrin jegliches Anwachsen sozialistischer Bewegungen verhindern, das sie als politischen Raumgewinn der Sowjetunion betrachteten. Aber im Kern ging es um die in Süd- und Mittelamerika besonders ausgeprägte ungleiche Verteilung des Grundbesitzes und um die Zukunft ausländischer Investitionen und Konzernniederlassungen, letztlich also um grundlegende wirtschaftliche und eigentumsrechtliche Entscheidungen. In den großen Systemwechselwellen der 1970er bis 1990er Jahre stand vordergründig wohl die Transformation von Diktaturen zu liberalen Demokratien im Vordergrund. Doch war auch hier die Ordnungspolitik ein zentrales Motiv: Die Moderierung der Bewältigungsprozesse

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 227 durch Transformationseliten788, zu denen man neben den alten und neuen nationalen Führungsschichten unbedingt globale Akteure wie IWF, Weltbank und internationale Kreditgeber unter Einbezug des medialen Umfeldes rechnen muss789, zielte erkennbar auf die Beibehaltung oder Re-Etablierung neoliberaler Wirtschaftsregimes, deren politisch-operativen Ziele in den Konzepten Huntingtons und in der ‚Politökonomie tiefer Krisen‘ formuliert worden waren. In Südafrika konnte das alte politökonomische System der Apartheid-Ära mitsamt seiner Eliten im Großen und Ganzen erhalten werden. Diesem Ziel wurde eine nachhaltige Aufarbeitung der Vergangenheit geopfert, wenn man von der mehr oder weniger symbolischen Bestrafung einer Reihe von Verantwortlichen aus dem Kreis der Funktionseliten absieht. In Chile blieb nach Ende der Militärjunta das blutig erzwungene, an Hayek orientierte neoliberale Ordnungsmodell der Pinochet-Ära weitgehend unangetastet. Erleichtert wurde dies durch den Umstand, dass die Führer der sozialistischen Bewegung während der Diktatur zum großen Teil eliminiert und die Organisationsstrukturen zerschlagen worden waren. Einzig die ehemaligen sozialistischen Staaten Osteuropas durchliefen einen doppelten Systemwechsel: den politischen zur liberalen Verfassungsdemokratie; den ökonomischen in Richtung auf ein neoliberales Wirtschaftsregime, wobei – mit Ausnahme der DDR und der Tschechoslowakei – die alten Führungsschichten weitgehend ungeschoren blieben oder sogar Teil der neuen Macht- und Funktionseliten wurden. Die deutsche Wiedervereinigung ist ein sinnfälliges Beispiel für den Konnex beider Sphären: Die Übertragung des demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungssystems auf das Gebiet der DDR ging Hand in Hand mit der Einführung marktwirtschaftlicher Regeln, mit der Wiedereinführung des Bürgerlichen Gesetzbuches, mit der Wiederherstellung des Privateigentums und dem Umbau der Finanz-, Sozial- und Rentenversicherungssysteme. Die Münchner Allianzversicherung übernahm etwa die Rentenversicherung der DDR, die Deutsche Bank die ehemalige Staatsbank. Die ökonomische Transformation und der Austausch der Führungskräfte wurden den Wirtschaftseliten übertragen; die Ablösung der politischen Elite oblag den staatlichen Stellen. Betrachtet man die große Zahl von Staatsgründungen und -havarien, von System-, Macht- oder Verfassungswechseln, von Putschen und Staatsstreichen, von Aufstiegen und Niedergängen geopolitischer Bündnisse und Imperien vom Ersten Weltkrieg bis heute und bricht man sie auf wesentliche Systemgrundtypen herunter, so zeichnen sich grosso modo folgende Konstellationen ab: Die politischen Transformationen führten entweder zu a) rechtsstaatlichen Verfassungsdemokratien, zu b) illiberalen bzw. defekten Demokratien oder zu c) autokratischen Staaten

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resp. d) Militärdiktaturen und blutiger Tyrannis. Zugleich waren alle Umbrüche und Neuordnungen, ob schleichend oder abrupt, friedlich oder mit Gewalt, stets von ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen über die Einführung, Beendigung resp. Beibehaltung entweder a) zentral verwalteter staatssozialistischer, b) marktwirtschaftlich-sozialstaatlicher oder c) marktwirtschaftlich-neoliberaler Ökonomiesysteme begleitet – wenn in ihnen nicht gar der tiefere Grund und der eigentliche Zweck politisch-konstitutioneller Neuausrichtung lag. Politik und Ökonomie bilden gleichsam eine Doppelhelix, auf deren einem Strang die politischen und auf deren anderem die wirtschaftlichen Herrschaftssysteme angesiedelt sind, und die über das Verhältnis zwischen den beiden jeweiligen Führungsschichten reguliert werden. Die beiden Stränge bedingen einander – unabhängig von der Vielzahl der Abstufungen, der Kombinations- und Variationsmöglichkeiten790; jeder Strang ist die conditio sine qua non des anderen; sie ergeben nur gemeinsam ein funktionelles Gan zes. Und als solches wurden diese Prozesse in den strategischen Interventionen der Transformationseliten auch stets begriffen. Moderne Bewältigungsvorgänge, Systemwechsel und ‚regime changes‘ umfassen also (neben der national- und völkerrechtlichen, der politisch-konstitutionellen, der moralischen, mentalitäts- und geschichtspolitischen Seite) in aller Regel ein ordnungspolitisches Programm inklusive der Frage des Verbleibs der alten Eliten. Entscheidungen über die Produktions- und Distributionsbedingungen, sei es deren Abwicklung, sei es ihre Beibehaltung, haben einen festen und zentralen Platz im Repertoire moderner Bewältigungs- und Transformationsstrategien – wobei sich nach den großen Sozialstaats-, Sozialismus- und Menschenrechtsbewegungen der 1920er bis 1970er Jahre in den letzten vier Jahrzehnten der Weg zu den diametral entgegengesetzten Systemen des Neoliberalismus durchsetzte. Es gab keinen Verzicht der Politik auf Gestaltung der Wirtschaft, wie die großen ökonomischen Umbrüche der 1970er bis 1990er Jahre zeigen, wohl aber einen Abriss zu den alten ordnungspolitischen Imperativen der Vergangenheit. Selbst der Umstand, dass die Politik damit ihre bisherigen und schwer erkämpften Eingriffskompetenzen zugunsten weitgehend deregulierter Wirtschaftsorganisation aufgab, ist nur eine Bestätigung des Sachverhalts. Von Überdehnung und Überforderung der Politik kann also weder im Rahmen der alten Vergangenheitspolitik noch im Rahmen ihrer neoliberalen Revision die Rede sein.

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 229 Zwischen Fortschrittsglauben und Ambivalenz Man sieht, zuweilen kann die Schaffung eines zu rigorosen Bedingungsgeflechts den Blick auf historische Prozesse eher einschränken als weiten – zumal die Umstände und Wege, Träger und Motive der Vergangenheitsbewältigung einem ständigen Wandel unterworfen sind. Dieser Wandel schließt, jedenfalls bislang, nicht nur den Fortschritt ein, sondern auch die Reversibilität, die Umkehr, die Involution, den Rückschritt. Daher sind weder Systemwechsel noch Vergangenheitsbewältigung per se Einbahnstraßen zu Gewaltlosigkeit und Gerechtigkeit, zur Herrschaft des demokratischen Rechtsstaates und der Menschenrechte. Wenn Helmut König etwa schreibt, dass „der Weg von der Diktatur zur Demokratie [...] ein Lehrstück für die Notwendigkeit eines dialektischen Blicks auf die Geschichte [ist] und kein Fall für schwache Nerven“ 791, dann ist zumindest der erste Teil der Aussage für sich genommen schlüssig. Aber er bildet den Sachverhalt unvollständig ab, weil in ihm eine unidirektionale Perspektive durchscheint, welche die Offenheit, die Emergenz, die Inkontingenz geschichtlicher Entwicklungen außer Acht lässt. Denn zum ‚dialektischen Blick‘ gehört auch die Prüfung des Spiels der Widersprüche, die Einbeziehung der Gegensätze, des Gegenläufigen, der Antithese. Und innerhalb dieses Spiels tritt ebenso gut ein in der Zeitgeschichte nicht seltener, wenn nicht inzwischen gar häufigerer Fall auf: der Wechsel von der Demokratie zu Diktatur und Autokratie, von sozialstaatlich und menschenrechtlich orientierten zu neoliberalen Ordnungssystemen, von bestimmten positiven Zielvorstellungen und Errungenschaften der Vergangenheitsbewältigung zu deren Revision. Diese Möglichkeit kommt aber in den Bewältigungs- und Transitionstheorien nicht zum Ausdruck: ihre Kriterien und Modelle orientieren sich immer noch an den großen Demokratisierungswellen nach dem Zweiten Weltkrieg, obwohl diese Tendenzen inzwischen gegenläufig sind.792 Ein Systemwechsel wie der seinerzeit von einem Weltbankvertreter positiv bewertete Militärputsch in Chile 1973 lässt sich mit derartigen normativ aufgeladenen und damit selektiven Modellen gar nicht klassifizieren und einordnen. Dabei fiele doch, wenn man den Begriff konsequent dialektisch denkt, der Putsch ebenfalls unter Vergangenheitsbewältigung, denn immerhin fand auch hier fraglos eine Bewältigung der „strukturellen, personellen und mentalen Hinterlassenschaften“ des demokratischen Vorgängersystems statt. Wenn theoretische Konzepte also dazu geeignet sein sollen, alle denkbaren Entwicklungen abzudecken, stellt sich die Fixierung auf Demokratisierungsnormen und unidirektionale Fortschrittsvorstellungen als Hindernis heraus – zumal, wenn diese sich letztlich an

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der Rhetorik und den Zielkatalogen der operativen Politik orientieren, wie sie in der Transitologie Huntingtons, der Weltbank und des IWF zum Tragen kamen. In den derzeit vorherrschenden wissenschaftlichen Ansätzen jedenfalls ist ein klarer Unterschied zwischen dem Begriff als Werkzeug der Erkenntnis und dem Begriff als strategischem, politischideologischem Steuerungsinstrument nicht immer zu erkennen. Polemisch könnte man in Anlehnung an den inzwischen verpönten ‚wissenschaftlichen Sozialismus‘ von einem ‚wissenschaftlichen (Liberal-)Demokratismus‘ sprechen. Allerdings haben neuere Überlegungen in den Geschichtswissenschaften das Problem bereits zur Kenntnis genommen: In Anbetracht der verschwimmenden Grenzen zwischen demokratischen und autokratischen Systemen und schwindendem Glauben an unaufhaltsamen Demokratiefortschritt zeichnet sich eine zunehmende Distanz zu normativ gebundenen Betrachtungsweisen ab. 793 Ähnliches ist auch in den Politikwissenschaften zu erkennen.794 Das eröffnet erstens die Chance, Transformation ohne Vorbedingungen und Einschränkungen als Oberbegriff für alle „Formen, Zeitstrukturen und Aspekte des Systemwandels und Systemwechsels“795 aufzufassen und ihn so aus dem Schwerkraftfeld politischer Programme, operativ-strategischer Zielsetzungen und Netzwerke zu lösen. Damit wäre die von Habermas gefor derte Differenz von Beobachter- und Teilnehmerperspektive wieder hergestellt. Zweitens würde eine solche Entkopplung die allfällige Möglichkeit zur Gegenläufigkeit, zum Abriss von Entwicklungen und zur Rückkehr auf alte Pfade berücksichtigen. Sie bezöge die Ambivalenz von Systemwechseln aller Art mit ein, die schon in Begriffen des Wandels wie ‚Reform‘, ‚Revolution‘, ‚Revision‘, ‚Restrukturierung‘, ‚Reformation‘ oder, ganz sinnfällig, ‚Re-Naturierung‘ aufscheint: Diese signalisieren mit dem Präfix „Re“ die schillernde Konstruktion eines ‚Zurück zu einer neuen und besseren Zukunft‘. Damit erweisen sich alle politischen und wissenschaftlichen Semantiken von ‚vorwärts‘, „aufwärts“, ‚Fortschritt‘, ‚neuen Ufern‘ und dergleichen als oszillierend, weil in ihnen sowohl ein bestimmter Inhalt als auch dessen Gegenteil zugleich aufgehoben sind. Diese Ambivalenz charakterisiert gleichermaßen die Vorgänge der Vergangenheitsbewältigung, mit denen Transformationen in der Regel einhergehen. Für Modelle, die alle „Formen, Zeitstrukturen und Aspekte“ erfassen wollen, ist es zunächst ohne Belang, ob Vergangenheitsbewältigung den Weg zur Demokratie nimmt oder nicht, ob die Mittel, die zur Anwendung kommen, moralischen Ansprüchen genügen oder nicht, ob sie zweckdienlich und erfolgreich sind oder nicht, ob sie in eine Katastrophe münden oder nicht.796 Eine solche normative Bewertung des Befundes wäre erst der nächste Schritt. So gesehen ist jeder politische Weg,

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 231 der sich auf Vergangenes bezieht, der das Erbe und die Strukturen des Vergangenen zu berücksichtigen und zu korrigieren versucht, Teil im Feld der Vergangenheitsbewältigung. „Bewältigen heißt weder abschütteln noch verneinen, wohl aber Herr werden über. Bewältigen heißt somit freiwerden von durch Nutzbarmachen für“ 797, schrieb Alfred Grosser. Damit war die Vergangenheitsbewältigung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gemeint, aber der Satz kann als die allgemeinste Begriffsbestimmung gelten, er lässt sich auf alles beziehen, was im Zusammenhang damit der Fall ist – im Guten wie im Bösen. Es bietet sich daher an, den Begriff ohne weitere Vorbedingungen als „Bewältigung der Hinterlassenschaft der Vergangenheit“ zu definieren. Begriffssystematisch wäre dies konsequent, etwa analog dem Gebrauch des Gattungsbegriffs ‚Mensch‘, der spätestens seit der Neuzeit selbst dann ohne Einschränkung seine Bestimmungsgültigkeit behält, wenn ein Mitglied der Gattung Verbrechen schwerster Art begeht798 oder überhaupt bestimmten moralischen, rassischen oder körperlichen Bedingungen nicht entspricht.799 Wenn man Vergangenheitsbewältigung so als abstrakteren, weniger determinierten Begriff mit geringerer Intension fasst, dann ist Demokratisierung eine spezielle positive Ausprägung innerhalb der ganzen Klasse von Bewältigungsvorgängen, zu der, so sehr eine solche Perspektive auch Unbehagen bereiten mag, ebenso die Politik der Nationalsozialisten zählte, die sich der Lasten und Beschränkungen des Versailler Vertrags entledigte, die Ergebnisse des Ersten Weltkrieges revidierte und der ersten deutschen Demokratie ein Ende machte – eine Vergangenheitsbewältigung ganz anderen Typs, die in einem normativ demokratie- und menschenrechtsorientierten Fortschrittsmodell nur schwer unterzubringen ist: die Revision, die Rückkehr zu alten Pfaden und Lösungswegen, die Revitalisierung anachronistischer Regeln, Traditionen, Weltvorstellungen und Konstellationen, die zeitweise in einem rezessiven Zustand geruht haben mochten, aber im Rahmen des Beharrungsvermögens langer Linien nie ganz verschwanden und unter neuen Bedingungen und Vergangenheiten ihre alte Dominanz wiedererlangten. Man muss heute konstatieren, dass auch die zeitweilig für unaufhaltsam und unumkehrbar gehaltene große Bewältigungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlichen Modifikationen und Überschreibungen ausgesetzt war. Wenn wir als damalige Grundelemente die Implementation der Menschenrechte in das Völkerrecht, die immunitätsausschließende Strafbarkeit von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das Recht auf eigene nationale Entwicklung und Integrität, den Schutz der Individualrechte, die Idee der ökonomischen Kooperation und die Ausbreitung wohlfahrts- und sozialstaatli-

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cher Ordnungspolitik in Anschlag bringen, dann sind sie nach wie vor durchaus präsent, aber nunmehr wieder in sozusagen rezessivem Zustand. Ihre Weiterentwicklung ist zum Erliegen gekommen, an ihre Stelle traten erneut die Linien der geopolitischen Expansion des Stärkeren, der Nichtbeachtung des Kriegsvölkerrechts und des Angriffskriegsverbots, der extensiven Auslegung des Rechts auf Selbstverteidigung durch Präventivangriffe, der neoliberalen Revision des Sozialstaatsgedankens und der Substanzverluste des parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaates. Diese bilden nun die Leitmerkmale für die Bewältigung der Bewältigung innerhalb einer neuen Vergangenheit, die sich im Fluss der Zeit, der Entscheidungen und der Ereignisse über die ältere vorausgehende legte und mit ihr verschmilzt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in näherer oder fernerer Zukunft neue Kräfte wiederum eine Renaissance der Nachkriegsideen einleiten, aber zunächst einmal, und das ist der vorläufig letzte Stand, wurden sie durch Elemente und Linien des 19. Jahrhunderts überschrieben. Und diese Überschreibungen führten unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts zurück zu den strukturellen Konstellationen jener Vor-Vergangenheit – oder um es mit den Worten Abelshausers zu sagen: „Es ist längst nicht mehr umstritten, dass die aktuelle Globalisierungsdynamik mit Erkenntnisgewinn in der Kontinuität des 19. und 20. Jahrhunderts interpretiert werden kann.“800 Ob sich das System der ersten modernen Bewältigung nun aus sich selbst heraus wandelte, quasi auf evolutionärem Weg, ist dabei schwer auszumachen.801 Doch spricht vieles dafür, dass der allmähliche Austausch seiner ursprünglichen (Nachkriegs-) Substanz im Verlaufe des Epochenumbruchs maßgeblich durch Transformationseliten beeinflusst und moderiert wurde, die die zentralen systemischen Bedingungen, Ansatzpunkte und Regeln möglicherweise besser kannten als viele Geschichts- und Politikwissenschaftler, denn fraglos konnten sie diese Prozesse zumindest für einen bestimmten Zeitraum und für bestimmte Bereiche in ihrem Sinn erfolgreich gestalten. Die Phase der ersten modernen Vergangenheitsbewältigung, die in den 1940er Jahren begonnen hatte, gehört grosso modo der Vergangenheit an. Ihr wurde mit dem Epochenumbruch der 1990er Jahre eine weitere aufmoduliert, mit der sich trotz der Kontinuität vieler Elemente die Architektur der Konsequenzen änderte, die man aus den Lehren der Vergangenheiten für die nationalgesellschaftlichen und internationalen Verkehrsformen gezogen hatte. Es sind dies Transformationen, die keinen Staat betreffen, sondern das Reich der Vergangenheitsbewältigung. Diese bisher ungeschriebene Geschichte einer Bewältigungstransformation, der Bewältigung einer Bewältigung, lässt sich nur verstehen, wenn man sie

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 233 mitsamt ihrer Überlagerungen, Akkumulationen und Modifikationen, Gegensätze und Reversionen in jenen dialektischen Blick nimmt, den König forderte. Vergangenheitspolitik heute: Kontinuitäten und Abbrüche Unterliegt ‚harte‘ Vergangenheitspolitik ähnlichen Verschiebungen und Ambivalenzen? Wird sie etwa durch ‚weiche‘ diskursive Aufarbeitung und symbolische Politik überlagert und in den Hintergrund gerückt? Der Unterschied zwischen beiden Sphären besteht, grob gesagt, darin, dass Handlungen des politischen Systems kollektiv verbindlich in die Lebensgeschichte von Tätern und Opfern, aber auch Nachgeborenen und Unbeteiligten eingreifen, während aus zivilgesellschaftlichen Diskursen keine unmittelbare Verbindlichkeit erwächst.802 König hatte noch zu Anfang des neuen Jahrtausends beobachtet, dass seit Beginn der 1990er Jahre „fast ausschließlich Fragen der Kommunikation über die NS-Vergangenheit [im Zentrum der Auseinandersetzungen stehen] und politische Entscheidungen in materialen Politikfeldern nicht länger die politische Tagesordnung bestimmen“.803 Er grenzt den Befund zwar auf den deutschen Umgang mit dem Nationalsozialismus ein, aber die Bedeutung des Themas lohnt die Frage, ob dies auf Deutschland zutrifft und, in erweiterter Sicht, ob hier eine allgemeine Tendenz vorliegt. Nun ist es schwierig zu umreißen, was die „politische Tagesordnung“ überhaupt ist und was sie definiert: Die Schlagzeilen der Presse? Regierungsverlautbarungen? Parteiprogramme? Einflüsse von Netzwerken und Interessengruppen? Juridische Grundsatzurteile? Bündnisverpflichtungen? Jenseits aller Definitionsprobleme kann man zumindest sagen, dass sich in der Bundesrepublik auch nach der Jahrtausendwende eine Reihe von Entscheidungen eindeutig auf den Nationalsozialismus als politischem System insgesamt bezogen, das nicht nur den Holocaust zu verantworten hatte, sondern auch die Beseitigung aller demokratischen Grundrechte, Strukturen und Regeln. Darunter wären einzuordnen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts804 zur Trennung von Polizei und Geheimdiensten805, die Beibehaltung der ‚inneren Führung‘ bei Aussetzung der Wehrpflicht und die Bindung der Armee an den parlamentarischen Souverän806 oder auch die Bemühungen zum NPD-Verbot in Deutschland. Weitreichende finanzielle, militärisch und politische, also ‚materiale‘ Konsequenzen hat die Haltung der deutschen Bundesregierung, das Existenzrecht Israels als deutsche Staatsraison zu betrachten. Die Position, 2008 durch eine umstrittene Rede Bundeskanzlerin Merkels vor der

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Knesset bekräftigt807, ist eindeutig darauf abgestellt, eine Wiederholung der Vergangenheit, etwa in Form eines wie auch immer gearteten Angriffs auf das jüdische Volk zu verhindern. Die Übernahme der Mitverantwortung für die Sicherheit Israels führte in der praktischen Konsequenz zu anhaltenden Lieferungen strategisch einsetzbarer Waffenträgersysteme an Israel808 – nicht zuletzt mit Blick auf den Iran, den Israel als Bedrohung ansieht. Die Linie der Bundesregierung berührt hier allerdings das Feld konkurrierender Vergangenheitspolitiken: Die Gründung des Staates Israel als Fluchtpunkt und Schutzort des weltweiten Judentums ist die Konsequenz aus den Erfahrungen des Holocaust und eine der folgenreichsten vergangenheitspolitischen Maßnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt. Der Iran wiederum leitet die Imperative seines Handelns aus dem Putsch gegen die demokratische Regierung Mossadegh 1953 und aus dem militärischen Angriff des Irak 1980 ab. Beide Interventionen waren von den USA vorbereitet und unterstützt worden, als deren Vorposten der Iran Israel betrachtet. 809 Israel wiederum sieht den Iran als Nachfolger Nazideutschlands. 810 Vor allen weiteren Vergleichen und Bewertungen ist bei beiden Kontrahenten unzweifelhaft das Ziel erkennbar, sich gegen die Wiederholung erlittener Gewalt zu immunisieren. Hier wird deutlich, dass sich Vergangenheitspolitik begrifflich nicht auf den Holocaust und überhaupt auf den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 beschränken kann, sondern in Korrespondenz mit mehreren sich überlagernden und miteinander verknüpften Vergangenheiten steht: Im heutigen Konflikt-Tableau des Nahen Ostens läuft eine Reihe historischer Linien zusammen, die vom frühen europäischen Antisemitismus, dem Ersten Weltkrieg und dem Sykes-Picot-Abkommen über den Holocaust811 bis hin zum Sechs-Tage-Krieg, dem Krieg zwischen Iran und Irak und den US-Invasionen im Irak reichen. Aber zurück zur unmittelbar Holocaust- und NS-bezogenen Vergangenheitspolitik. Deren ungebrochene Vitalität wurde im Jahr 2000 deutlich, als sich die EU-Staaten auf einen gemeinsamen Boykott gegen die Regierungsbeteiligung der als antisemitisch-rechtslastig eingeschätzten FPÖ einigten. Dieser Schritt erfolgte auf administrativ-politischer und eher symbolischer Ebene. Aber er war Ausgangspunkt für die Verabschiedung von Gesetzen in zahlreichen Ländern, die die Leugnung des Holocaust oder, wie in Frankreich, die Leugnung des Armeniergenozids unter Strafe stellten. Leggewie bezeichnet diesen gesamten, auf den Holocaust bezogenen Handlungskomplex als operative europäische Politik.812 Allerdings wurden derartige Leugnungs- und Wahrheitsgesetze wegen ihrer weitreichenden Eingriffe in das Grundrecht der Meinungsfreiheit mittlerweile durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrech-

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 235 te (EGMR) verworfen.813 814 Die Arbeit des EGMR verweist übrigens auf eine weitere fortlaufende vergangenheitspolitische Struktur: Sie fußt auf der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950, die als direkte Konsequenz aus dem Nationalsozialismus von allen europäischen Staaten ratifiziert wurde. Sie greift auf dem Weg über langfristige völkerrechtliche Verpflichtungen verbindlich in staatliche Souveränität und internationale Handlungsrahmen ein.Material wirksame und damit ‚harte‘ Konsequenzen eignen bis heute der Initiative der USA und Israels zur Gründung der ITF, die den Beitritt von Aufnahmekandidaten in die EU und in die NATO von der Stellung zum Holocaust und zur Rückerstattung geraubten jüdischen Vermögens abhängig machte. Es war dies kein völkerrechtlich verbindlicher Akt, keine Handlung auf legislativer Ebene, aber die politischen und wirtschaftlichen Folgen einer eventuellen Weigerung wären für die betreffenden Staaten so gravierend gewesen, dass das ITF-Paket quasi eine kollektive Wirkung erzeugte: Es hatte unmittelbare materielle Bedeutung für die zukünftigen Gestaltungschancen ganzer Volkswirtschaften, für die langfristige außenpolitische Orientierung der Beitrittskandidaten und für die Frage, ob man zum assoziierten Umfeld des transatlantischen Systems, zur abgehängten Peripherie oder gar zum Kreis seiner Gegner gehören wollte. Kollektive Verbindlichkeit muss also nicht über Gesetze, Gerichtsurteile und Verordnungen hergestellt werden. Auch Druckmittel moralischer, politischer oder wirtschaftlicher Art können diesen Wirkungsgrad erreichen und damit den angestrebten Zweck erfüllen. ITF-Beitritt als EU- oder NATO-Mitgliedschaftslegitimation, Restitutionspolitik, Strafbewehrung von Holocaustleugnung, das Existenzrecht Israels als deutsche Staatsraison, die Entscheidungen des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Das alles und mehr sind harte Maßnahmen, deutlich unterschieden von einer „Kultur der Erinnerung ohne unmittelbare politische Relevanz“. 815 Sie haben materielle, wirtschaftliche, soziale oder strafrechtliche Konsequenzen für Teile der Bevölkerung, sogar weitreichende geostrategische Konsequenzen für ganze Staaten und sind damit der Ebene materialer Politik zuzuordnen. Bestimmen also vergangenheitspolitische Entscheidungen „nicht länger die politische Tagesordnung“? Für Wiedergutmachungen, Strafprozesse gegen Täter und Verbote belasteter Täterorganisationen, die sich auf die NS-Geschichte beziehen, mag das zutreffen. Doch im Bereich der Rechtsordnung, der Verfassung und der Bündnisverpflichtungen sind Kontinuitäten vorhanden: Alte Weichenstellungen bleiben partiell vital, relevant und wirksam. Partiell deshalb, weil Teile der strukturellen Kon-

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sequenzen durch neue Imperative modifiziert, überschrieben oder gelöscht werden, die aus jüngeren Vergangenheiten erwachsen, aus neuerlichen Kriege und Terroraktionen, aus Völkermorden, Wirtschaftskrisen, geopolitischen Umbrüchen und Flüchtlingswellen, ohne dass die vorausgehenden Vergangenheiten halbwegs aufgearbeitet wären. Partiell auch deshalb, weil neue Imperative die strukturellen Konsequenzen und institutionellen Sicherungen der Zeit nach 1945 überschreiben. Paradigmatisch dafür sind die deutschen Bestrebungen zur erneuten Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten816, zur Legitimierung der Bundeswehr für den Einsatz im Inneren 817 oder ihrer Umwidmung von einer reinen Verteidigungs- in eine geopolitisch agierenden Offensiv- und Interventionsarmee – eine Entwicklung, die sich 2004 bereits mit dem Satz des damaligen Verteidigungsministers Struck andeutete, der noch zwanzig Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre: dass die Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt wird.818 Vergangenheitspolitik nimmt also ebenso wie der gesamte und größere Bereich der Vergangenheitsbewältigung fortlaufend neue Ereignisse und jüngere Vergangenheiten auf. Gleichwohl stellt sie als Ganzes eine persistierende Entität dar, zu denken als lange Linie, die sich vom Westfälischen Frieden über den Wiener Kongress, die Konferenz von Versailles, die Atlantik-Charta und das Potsdamer Abkommen bis zum deutschen Einigungsvertrag und den Verträgen von Maastricht zieht, von früheren historischen Epochen ganz zu schweigen. Dass im Fluss der Ereignisse und der Zeit bestimmte Praktiken obsolet werden und ihren Gegenstand und ihre Aktualität verlieren, dass mit neuen gewaltbesetzten Vergangenheiten alte Ziele, Regelungen und Verfahren in neuen aufgehen bis hin zu Regressionen, Abbrüchen und Beendigungen, ändert daran nichts. Vergangenheitspolitik als Ganzes fällt unter das, was weiter oben als diachrone Identität bezeichnet wurde: Sie bleibt mit sich selbst eins, sie behält ihre grundlegende Bestimmung auch dann, wenn sie im Zeitfortgang eine ganz andere geworden ist. Und diese grundlegende Bestimmung lässt sich mit dem Wort Theodor Heuss‘ umreißen, nach dem „alle Politik, die auf ein Morgen blickt, Bewältigung einer Vergangenheit bleibt“819 – wie auch immer dieses Morgen gedacht sein mag und auf welche Vergangenheiten sie zielt. Das aber hätte Konsequenzen für die Geschichtswissenschaften: Sie erforderten die Entwicklung substantieller Kriterien und Begrifflichkeiten, welche die historische Persistenz und zugleich den Wandel der Vergangenheitspolitik einbeziehen und sie von einem unabhängigen, quasi überzeitlichen Standpunkt aus abbilden, ohne sich den Blick durch Festlegung auf bestimmte zeit- und interessengebundene Normen versperren zu lassen820, die mit dem nächsten politischen

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 237 Kurswechsel ihre Gültigkeit verlieren. Nur durch die sorgfältige Unterscheidung des Notwendigen, Kontinuierlichen einerseits und des Fragilen, Wechselnden andererseits kann der Begriff Konturen annehmen.821 Erst dann kann die Herausarbeitung der Unterschiede beginnen. Geschichtspolitik Was lässt sich diesbezüglich zu Geschichtspolitik sagen? Die begriffliche Annäherung ist aus mehreren Gründen komplizierter als bei harter Vergangenheitspolitik: Erstens ist die Abgrenzung zu Vergangenheitspolitik nicht immer einfach; die Übergänge zwischen beiden Bereichen sind fließend. Welcher Fall vorliegt, hängt davon ab, wie konkret der kausale Zusammenhang zwischen einem vergangenen Ereignis, seinen Strukturen, Opfern, Tätern und anderweitig Beteiligten einerseits und den Handlungszielen und Motiven der Nachfolger andererseits ist. In Fragen von Wiedergutmachung, Sühne und Bestrafung, von Geboten und Verboten zur Beendigung fortwirkender Macht steht der vergangenheitspolitische Aspekt i.e.S. außer Zweifel. Je stärker hingegen der Anteil bündnis- oder geopolitischer Motive und Interessen, je stärker überhaupt die argumentative Vermischung mit anderen geschichtlichen Ereignissen und Vergangenheiten, desto eher handelt es sich um geschichtspolitische Instrumentalisierung. Zweitens sind die Konturen von Geschichtspolitik unschärfer, weil es sich nicht um klar zu umreißende verbindliche Entscheidungen wie Gesetze, Urteile, Vorschriften und Verträge handelt, sondern um die Erzeugung von Geschichtsbildern über symbolisches Handeln, über Diskurse, Debatten, künstlerische Darstellungen und politische Inszenierungen, mit denen Emotionen, Wertvorstellungen und Haltungen angesprochen und beeinflusst werden.822 Geschichtspolitik ist die Sphäre für die Interpretation von Vergangenheit zur Begründung der Politik von morgen und für die Herstellung gemeinsamkeitsstiftender Identitäten; sie ist die propagandistische Schwester von Vergangenheitspolitik, Katalysator, Motivatorin, Agitatorin, Vorbereiterin. Als solche leistet sie unter Rückgriff auf historische Ereignisse Überzeugungs-, Überwältigungs- und Überredungsarbeit. Sie kommt in Werte-, Verfassungs- und Leitdiskussionen, in außen- und innenpolitischen Orientierungsdiskussionen und in Migrationsauseinandersetzungen zur Anwendung; sie spielt in alle anderen Steuerungsfelder hinein. Geschichtspolitik ist also eine Schweizer Taschenmesser, eine steuernde Allzweckwaffe, ein Mittel zu übergeordneten Zwecken. Die Politik bedient sich eines beliebigen historischen Wissenspools eklektisch und von Fall zu Fall. Die geschichtliche Komplexität

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wird in situativ passende Teile zerlegt und argumentativ-instrumentell in neuen Zusammenhängen verwendet – was sie im Übrigen von systematischer Geschichtswissenschaft unterscheidet. Drittens sind in diesem Feld die legitimierten Machtinhaber und staatlichen Institutionen, zumindest unter demokratisch-pluralistischen Bedingungen, nur kleiner Teil einer Menge unterschiedlichster Akteure. Deren Spektrum reicht von Parteien, Stiftungen, Netzwerken und Verbänden über Medien, Künstler, Zeitzeugen, Stammtische und Einzelpersonen bis hin zu Geschichts- und Politikwissenschaftlern. Vermutete Wolfrum noch vor zwanzig Jahren, dass die „nachhaltigen und breitenwirksamen“ Geschichtsbildimpulse hauptsächlich von Politikern und Parteien mit privilegiertem Medienzugang ausgehen, so erwies sich das, wenn es überhaupt je der Fall gewesen sein sollte, als empirisch schwieriges und zunehmend unübersichtliches Terrain. 823 Die Gründe liegen a) in der allgemeinen Lockerung der Parteienbindung der Bevölkerungen in den westlichen Demokratien, b) im steigende allgemeinen Misstrauen in die Seriosität der professionellen Leitmedien und c) in der Herausbildung neuer globaldigitaler Austausch- und Diskussionsnetze. Gerade durch Anstieg und Verlagerung der Menge an Impulsen und Beiträgen ist noch schwerer als früher zu klären, welche Beteiligten mit welchen Mitteln welche Wirkungen erzeugen. Wohl ist davon auszugehen, dass erwünschte Effekte bei entsprechend intensiver Bearbeitung der Adressaten eintreten, aber letztlich ist nicht schlüssig nachweisbar, auf welchem Wege und in welchem Ausmaß dies geschieht. Man kann sich in der Regel nur über Inhalt und Ausmaß des Inputs, also über die produzierten Botschaften verständigen, nicht aber über den Output, über die beim Empfänger hervorgerufen Wahrnehmungen und Handlungsorientierungen. Viertens hatte die Geschichtswissenschaft noch stets mit dem Problem politischer Vereinnahmung oder aktiver Beteiligung an Politik zu tun. Abgesehen davon, dass auch immer Historiker als geschichtspolitische Akteure unmittelbar involviert sind824, gibt es drei Möglichkeiten gegenseitiger Beeinflussung: Die erste und am wenigstens desavouierte ist die rein fachwissenschaftliche Beratung der Politik. 825 Die zweite ist die passgenaue Übernahme machtstrategischer Zielsetzungen, Begriffe und Denkweisen in eigene Forschungskonzepte (Transitologie, Sozialismus). Die dritte schließlich ist die Umkehrung der zweiten: die politikseitige Instrumentalisierung von Forschungsergebnissen, die, ob von der Fachwissenschaft gewollt oder nicht, auf diese Weise Teil von Geschichtspolitik werden.

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 239 Spätestens seit der Verbandelung der Zunft mit der nationalsozialistischen Politik826, aber auch angesichts der Ausrichtung der DDR-Geschichtswissenschaften am staatlichen Imperativ der „Einheit von Wissenschaftlichkeit und Parteilichkeit“ ist man für das Problem freiwilliger oder erzwungener Komplizenschaft mit ideologisch-politischer Macht sensibilisiert.827 So bezeichnete die Historikerin Ute Daniel die professionelle Geschichtswissenschaft als ‚Ganoven‘ und ‚Gendarmen‘ zugleich: Ganove, weil sie allzu oft an der politischen Instrumentalisierung der Vergangenheit beteiligt ist, Gendarm, weil sie nunmehr für diese zuarbeitende Nähe der Wissenschaft zu politischen Zielen und Normen sensibilisiert ist.828 Und auf einer Tagung über moderne Heldenbilder wurde immerhin vermerkt, dass sich Historiker allzu oft an der Herstellung von Heldenbildern beteiligten anstatt diese Prozesse zu untersuchen. Trotz fachwissenschaftlicher und öffentlicher Ablehnung829 zeichnete sich in der Regierungszeit Helmut Kohls eine Gegenbewegung ab. Geschichtspolitik wurde als Instrument der Krisensteuerung und der konservativen Wende wiederentdeckt830, was wiederum das Interesse der Historiker und Politikwissenschaftler weckte und zu verstärkter Forschung führte. Die auf beiden Ebenen erkennbare Tendenz, den Ideologievorwurf gegen Geschichtspolitik zu entschärfen und die konstruktiven Aspekte zu betonen, führte zu heftigem Widerspruch. Heinrich August Winkler warf dem Befürworter Ernst Nolte vor, nicht Wissenschaft, sondern Geschichtspolitik zu betreiben, auch wenn er einräumte, dass das kein Monopol der Konservativen sei, sondern von den Linken der 68-Bewegung ebenso gemacht würde.831 Für Reinhart Koselleck verbot sich die Beteiligung von Historikern an Geschichtspolitik, weil schon das „unsägliche Schlagwort“ bezeugt, „dass Geschichte als Ideologie betrieben wird, statt, was ihre Aufgabe als Geschichtswissenschaft wäre, immer ideologiekritisch zu verfahren“.832 Ähnlich Norbert Frei: Aus seiner Sicht dienen Inszenierungen politischer Großereignisse nicht selten als Ersatz für zukunftsorientierte Politik, weshalb die Aufklärung über die Folgen solcher geschichtspolitischer Instrumentalisierungen ständige Aufgabe kritischer Geschichtswissenschaft zu sein hat. 833 Im Gegensatz dazu betrachtet Edgar Wolfrum Geschichtspolitik als pädagogisch-politische Aufgabe, die emanzipatorisch-aufklärerische Möglichkeiten bietet – wenn sie sich denn unter demokratisch-pluralistischen Bedingungen entfalten können.834 Das Problem, Geschichtspolitik als akzeptable Praxis demokratischer Staaten zu legitimieren – zumal mit fachwissenschaftlicher Unterstützung –, spaltet die Zunft 835, und der Streit wird, wenn man an Winklers und Kosellecks Einsprüche denkt durchaus polemisch geführt. Auf der anderen Seite warf der Historiker Manuel Becker einem

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Kritiker „geschichtspolitischen Defätismus“ vor 836 – was ebenfalls starker Tobak ist, weil jeder Defätismus-Vorwurf letztlich auf zersetzende Zweifel und fehlenden Glauben am Erfolg einer Sache zielt. Solche Vorwürfe brachten den Beschuldigten zu anderen Zeiten auf Scheiterhaufen, Schafott oder vor das Exekutions-Peloton, gehören aber heute eigentlich nicht mehr zum Argumentationsfundus moderner Fachwissenschaften. Zugespitzt lautet die so umstrittene Frage: Gehört Geschichtspolitik als weithin desavouierte ‚Magd der Diktatur‘ in die Schmuddelecke ideologisierter Wissenschaft und politischen Missbrauchs – oder hat sie in einem politisch korrekten demokratischen Umfeld auch positive Seiten? Im Grunde handeln diese Auseinandersetzungen von drei miteinander verbundenen Ebenen: a) von Geschichtspolitik als historischem Faktum, das als solches legitimer Forschungsgegenstand ist, b) von dem Problem, was sie begrifflich enthält und c) von der wissenschafts- und politikethischen Bewertung. Außer Frage steht, dass Geschichtspolitik schon immer betrieben wurde und auch der Begriff nicht neu ist. 837 Von daher steht beides bereits seit längerem im Fokus des geschichts- und politikwissenschaftlichen Interesses. Als kleinster gemeinsamer Nenner der Forschung kann gelten, was Uwe Backes schrieb: „Geschichtspolitik sei verstanden als Indienstnahme der Geschichte für politische Zwecke, insbesondere Erwerb oder Erhalt der Macht, Etablierung und Konsolidierung des politischen Systems. In diesem weiten, wertneutralen Verständnis ist Geschichtspolitik kein Spezifikum eines bestimmten Regimetyps, sondern mehr oder weniger in allen politischen Systemen, und zwar bei Regierenden wie Regierten, anzutreffen.“838 Auf dieser allgemeinsten Bestimmungsebene gibt es keine nennenswerten fachlichen Differenzen. 839 Auch nicht bei der weiteren Auffächerung in die Geschichtspolitiken unterschiedlicher Herrschaftssysteme und historischer Epochen, etwa mit Hilfe der drei Dimensionen institutionelle Herrschaft (polity), Verfahren (politics) und Inhalte (policy).840 Gerade solche Vergleiche gehören notwendig in ein systematisches Analyseraster, um im Längs- und Querschnitt den Kern geschichtspolitischer Ziele und Mittel herauszuschälen. Erst der Versuch, den Begriff normativ aufzuladen und ihm in der Gegenüberstellung demokratischer und autokratischer Systeme unterschiedliche politisch-moralische Legitimationsgrade zuzuweisen, evoziert Fragen an die Überlappung von wissenschaftlicher Theorie und Ideologie, weil solche Wertbestimmungen über die analytische Sicht hinausgehen.

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 241 ‚Gute‘ vs. ‚schlechte‘ Geschichtspolitik Spätestens an diesem Punkt wird die fachliche Auseinandersetzung um den Begriff selbst zum Kampffeld von Geschichtspolitik, denn hier werden Fragen um richtig oder falsch, um legitimiert oder nicht legitimiert verhandelt und fließen in die Auseinandersetzungen konkurrierender Politik- und Machtsysteme ein. Die Aufladung mit politisch gesetzten Normen tendiert dazu, den demokratischen Zwecken gute Mittel, gute Instrumentalisierung zu attestieren und den autokratischen schlechte Mittel, auch wenn beide, wie zu zeigen sein wird, in ihren rhetorischen Strategien und argumentativen Verfahren beträchtliche Übereinstimmungen aufweisen. Wenn dann noch die Systembedingungen, in die sie eingebettet sind, nur einer kursorischen und ungenauen Prüfung unterzogen werden, ohne die Differenz von Verfassungsanspruch und -wirklichkeit näher ins Auge zu fassen, steht ein solches Unterfangen mit einem Bein schon im instrumentellen Gebrauch von Geschichtspolitik. Wie sieht so etwas in der Praxis aus? Der Kern wertbestimmter geschichtspolitischer Modelle findet sich in der Verwendung antithetischer Begriffspaare, bei denen ‚Demokratie‘, ‚Pluralismus‘ und ‚zivilgesellschaftliches Aushandeln‘ auf der einen Seite, ‚Autokratie‘, ‚gelenkte Geschichtswissenschaften‘ und ‚Dogmatismus‘ auf der anderen scharf kontrastiert werden.841 Das Problem liegt nicht im Analyseraster selbst, wo derartige Kategorien selbstverständlich hingehören, sondern in den interpretierenden Schlussfolgerungen und in deren empirischer Absicherung. Manuel Becker etwa weist in seiner (ansonsten mit Gewinn zu lesenden) Dissertation den demokratischen Systemen kurzerhand die Merkmale „offener Bildung von Geschichtsbewusstsein“ mit „akzeptablen Verkürzungen“, „Zulassen von Vielfalt unterschiedlicher Erinnerungen“ und „begrenzter Einflussnahme“ staatlicher Akteure zu, in deren Geschichtskultur auch eine „Brüche und Widersprüche symbolisierende Infrastruktur“ gefördert wird. Diktaturen hingegen sind durch staatlich „verordnete und mitunter [sic!] staatspädagogisch indoktrinierte“ Geschichtspolitik mit „starken Verkürzungen“ charakterisiert, die bei „einheitlicher Reglementierung“ nur „systembejahende Infrastruktur“ fördert und zuweilen auch unliebsamer Erinnerungen“ bekämpft.842 Edgar Wolfrum wiederum, dem das Verdienst zukommt, Geschichtspolitik als einer der ersten systematisch ausgearbeitet zu haben, spricht von „gelenkter Geschichtswissenschaft“ in der Diktatur, in der das „Diktat des Konsenses vorherrscht“ und die „Vergangenheit gebraucht“ wird‚ was im Ergebnis zu „verformten Gedächtnissen“ führt.843 Klaus Schönhoven schließlich begreift Geschichtspolitik als Teil einer demokratischen politischen Kul-

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tur, die sich „den Prinzipien kritischer historischer Aufklärung aus demokratischer Verantwortung […] und nicht dem blinden Dienst am Dogmatismus“ verpflichtet sieht.844 Das sind interessante Aspekte und Kategorien, die mit Sicherheit Orientierungspunkte für eingehendere Untersuchungen bieten. Aber die von Wolfrum in Aussicht gestellte Möglichkeit, Geschichtspolitik mit Hilfe analytischer Raster bis auf die kleinsten Einheiten herunterzudeklinieren845, wird so nicht realisiert. In der bestehenden Form sind die erwähnten Befunde höchstens als Arbeitshypothesen, als Ausgangspunkt für die weitere Forschung geeignet, nicht aber als Resümees und Resultate – gut als Prüfkriterien, nicht als tragfähige Aussage. Dazu sind sie zu vage und holzschnittartig, zu wenig ausdifferenziert. Ihnen eignet eher der Charakter unpräziser pauschaler Behauptungen und idealisierter statischer Konstrukte, die jene historischen Dynamiken, Schwankungen, Defekte und Deformationen vernachlässigen, von denen im Abschnitt ‚Systemwechsel zur Demokratie‘ bereits die Rede war. So stellt sich die Frage, was „mitunter staatspädagogisch indoktrinierte Politik“ und „systembejahende Infrastruktur“ der Diktatur bedeutet? Was unterscheidet sie in dieser Formulierung von demokratischer Geschichtspolitik? Wie muss man sich „blinden Dienst am Dogmatismus“ denken? Wie die Differenz zwischen „akzeptablen“ und „starken“ geschichtspolitischen Verkürzungen? Und was sind ‚verformte‘ Gedächtnisse? Gerade auf diese letztere Metapher sei näher eingegangen, weil dahinter eine für die Begriffsbildung weithin geläufige subjektive Setzung von Norm und Abweichung steht. Sie korrespondiert in gewisser Weise mit der von Synode und Bischofskonferenz postulierten „Heilung von Erinnerung“, mit der Erzeugung „sozialer, narrativer und heilender Wahrheit“ wie in Südafrika oder der in Polen angestrebten „Eliminierung schadhafter, fehlerhafter Erinnerungscodes“846 – Formulierungen, die auf eine selbstbewusste Überzeugung hinsichtlich der Unterscheidung von ‚richtig‘ und ‚falsch‘ hindeuten und im Gegensatz zur Skepsis der meisten Geschichtswissenschaftler steht. Möglicherweise sind hier Vorstellungen virulent, den Trägern eines diktatorisch ‚ver-formten‘ (um nicht zu sagen kranken oder infizierten) Gedächtnisses ein demokratisch ‚ge-formtes‘ Gegenstück als Therapie zu offerieren. Der Gebrauch solcher normativer Dichotomien wird inzwischen durchaus kritisch gesehen. 847 Aber, abgesehen davon, dass eine Heilung von Erinnerung als Anmaßung und die Etikettierung ‚verformt‘ als Zumutung für die Gemeinten betrachtet werden kann, ergeben sich hier vor allem begrifflich-theoretische Probleme: Wolfrum stellt die Inhalte (polity) von Geschichtspolitik, also auch die Frage nach der historischen Wahrheit und dem Stand der wissenschaftlichen For-

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 243 schung zurück und bindet seine Diagnose der ‚Verformung‘ – resp. der korrekten Erinnerung – hauptsächlich an die ‚politics‘, an die Art der Verfahren.848 Im Licht der policy verlaufen die Trennlinien idealtypisch zwischen Gesellschaften mit grundrechtskonformen pluralistischen Aushandlungsdiskursen und geringen staatlichen Interventionsanteilen einerseits und solchen mit hohen staatlichen Oktroyierungs- und Repressionsgraden, mit Zwangsmaßnahmen, Tabuisierungs- und Schweigegeboten andererseits. Die Fragwürdigkeit des Aushandlungsbegriffs Nun dürfte außer Zweifel stehen, dass demokratische Diskursbedingungen den wünschenswerten Rahmen für Geschichtspolitik abgeben, weil sie durch ihre bloße grundrechtsorientierte Praxis selbst schon vergangenheitspolitische Konsequenzen aus vorgängigem Gewalt- und Unterdrückungsgeschehen repräsentieren und weil in diesem Modus die Komplexität von Geschichte und die Vielfalt ihrer Interpretationen am besten widergespiegelt und vor eindimensionalen Deutungsmonopolen mit alleinigem Wahrheitsanspruch geschützt werden kann. Trotzdem stehen der Plausibilität des ‚verformten‘ Gedächtnisses mehrere gewichtige Einwände entgegen: Erstens muss aus gedächtnistheoretischer Sicht berücksichtigt werden, dass Erinnerungen, die auf eigenen Erfahrungen aufbauen, letztlich unaustauschbar sind.849 Wohl kann man dem Einzelnen neue und sichterweiternde Erkenntnisse zumuten, aber letztlich muss schon der Versuch, ein Individuum zur Übernahme ‚fremder‘ Erinnerungen oder gar kollektiver Geschichtsbilder850 zu bewegen, als Eingriff in die bisherige Form seines Individualgedächtnisses und in den Bestand eigener biographischer Erfahrungen gelten. Das bleibt auch dann so, wenn ein solches Unterfangen herrschaftsfrei angelegt wäre und eine non-direktive, nicht herrschaftlich dominierte Auseinandersetzung zu einem reflektierteren Geschichtsbewusstsein beitragen kann. Selbst in einem demokratischen Umfeld ohne harte staatlich-politische Repressionen bleiben genug Möglichkeiten suggestiver Einflüsterungen, massiver zivilgesellschaftlicher Ächtung, rhetorischer Überwältigungskampagnen und wirksamer Tabuisierungsgebote, mit denen neue, politisch erwünschte Identifikationen erschlichen oder erzwungen werden.851 Der Verfasser als Angehöriger der 68er-Generation erinnert sich sehr wohl noch der quälenden Befragungen und besserwisserischen Zurechtweisungen, denen er in jungen Jahren, ausgestattet mit gutem Gewissen und missionarischem Eifer, die Angehörigen der deutschen Kriegsgeneration in seinem verwandtschaftlichen Umfeld unterzog – und dies keineswegs nur aus rein

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sachlichen vergangenheitsbezogenen Motiven. Hier ging es auch darum, die Sichtweise des Gegenübers um eigener Abgrenzungs-, Ablösungsund Selbstfindungsbestrebungen willen zu erschüttern. Das Thema möglicher Mitschuld an den Verbrechen des Dritten Reiches war dabei nur die argumentative Folie, vor der dieser Prozess stattfand. Es diente der eigenen Festigung und Bestätigung ebenso wie der Infragestellung und Verunsicherung des Gegenübers. Weil das im Kleinen wie im Großen gilt, verweist es auf den allgemeinen instrumentellen Charakter und die Funktionalität von Erinnerung und Gedächtnis. Beide nehmen eine zentrale Rolle bei der Selbstbehauptung und Identitätsbildung von Individuen und Gesellschaften ein und sind von daher jenseits aller biographischhistorischen ‚Wahrheiten‘ und Gewissheiten ständig eigenen und fremden Neuformulierungen, Neukonstruktionen und Überschreibungen ausgesetzt. Zweitens können solche Erinnerungsinterventionen, wenn sie massiv und pauschal gehandhabt werden, paradoxerweise über die Aktivierung der Identitätserhaltung in den Zielgruppen ganz eigene Geschichtsbilder und Identitäten schaffen, die der ursprünglich erwünschten „Besserung“ und der Übernahme neuer Geschichtserzählungen geradezu entgegenwirken.852 Ein solches Verhalten, wie es nach der (Wieder-)Vereinigung 1989 bei Teilen der ostdeutschen Bevölkerung zu beobachten war, ist im Modell nicht vorgesehen, verweist aber auf Schräglage von Aushandlungsprozessen auch unter demokratisch-zivilgesellschaftlichen Bedingungen. Drittens können die Aushandlungsbedingungen, nach denen sich Verformung von Formung unterscheiden soll, nicht zwingend und trennscharf entweder nur Demokratien oder nur Diktaturen zugeordnet werden. Das ist zwar weithin üblich 853, aber die Merkmalsgruppen lassen sich nicht als geschlossene dichotomische Blöcke, als striktes EntwederOder handhaben. Dafür sind die Grauzonen und Überschneidungen zu erheblich, die System- und Verfahrenswechsel zu sehr im Fluss. 854 Aber da die Selbstzuschreibung freier, ungehinderter und pluralistischer Aushandlung das argumentative Flaggschiff westlich-demokratischer Geschichtspolitik ist, ergibt sich die Frage, ob der Anspruch tatsächlich trägt. Grundbedingung des Aushandelns ist ja die gleichberechtigte Teilnahme gleich mächtiger Akteure. Von einem Aushandeln kann nur dann gesprochen werden, wenn ein Partner seinem Gegenüber Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung zu beeinflussen. 855 Übertragen auf das Verhältnis von Eliten und Massen in Demokratien setzt dies nicht nur die formale Garantie der Meinungs-, Rede- und Informations-

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 245 freiheit voraus, sondern auch die Realisierungsmöglichkeiten und das entsprechende Klima zu ihrer Ausübung – nicht zuletzt die Existenz nennenswerter gesellschaftspolitischer Alternativen, das Vorhandensein weltanschaulich unterschiedlicher handlungs- und durchsetzungsfähiger Strömungen mit entsprechender publizistischer Reichweite. Betrachtet man allerdings ein derartig verstandenes Bedingungsgefüge in höherer Auflösung, so werden drei aktuelle Entwicklungslinien sichtbar, die – nicht als Einzelfall und Ausnahme, sondern strukturell und systemisch – diesem Anspruch zuwider laufen: Mit dem Wegfall sozialistischer resp. sozialdemokratischer Einflusssphären nach 1989, dem Verschwinden wirksamer politischer Opposition und publizistischer Gegenmacht geriet das Spiel von cheques und balances – notwendige Bedingung für pluralistische Aushandlungsprozesse – aus dem Tritt. An die Stelle der politischen Nachkriegskonstellationen trat erneut ein kulturelles, ökonomisches, rechtliches, politisches und publizistisches Übergewicht der übrig gebliebenen konservativen Eliten und damit ein struktureller Monismus, eine gewisse weltanschauliche und informelle Monokultur. Das Fehlen alternativer Eliten führte nicht nur zum Verlust politischer Richtungs-, sondern auch publizistischer Meinungsvielfalt. Er wurde durch ökonomische Konzentrationsprozesse auf den globalen Medienmärkten856 und durch die Verflechtung der Informations- und Unterhaltungsbranche mit politischen und ökonomischen Eliten noch verstärkt. Beides ging einher mit Einbußen der Unabhängigkeit, der Objektivität und des Anspruchs auf umfassende Berichterstattung.857 Monopolisierung, fehlende Konkurrenz und Abhängigkeit von Eliten beschleunigten den Funktionswandel der Medien von der ‚vierten Gewalt‘ (als informeller Kontrollinstanz der Politik) hin zum Transmissionsriemen von Interessengruppen. Dieser Wandel ist auch in Deutschland gekennzeichnet durch instrumentelle Einbindung des professionellen Journalismus in politische Strategien und Netzwerke858, durch mediale Unterstützung und Parteinahme für privatwirtschaftliche, staatliche und regierungs- bzw. bündnispolitische Zielsetzungen und dementsprechende korrigierende Steuerung konträrer oder abweichender Meinungsmehrheiten in der Bevölkerung.859 Die Eliten- und Staatskonformität insbesondere der Leitmedien hat Konsequenzen für die Themengewichtung, die Informationsauswahl und die Gestaltung der Berichterstattung – einschließlich der schwierigen Frage journalistischer Selbstzensur.860 Die Trennung zwischen kommerzieller Werbung, Kommentaren zur politisch-moralischen Ausrichtung der Öffentlichkeit und informierender neutraler Berichterstattung ist, wenn es sie als journalistisches Qualitätsmerkmal überhaupt

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je gegeben haben sollte, längst aufgehoben. Interessante Einblicke in die instrumentellen und personellen Verflechtung von Eliten und Medien und deren Folgen für den Anspruch auf freie Information verschafft neben der Dissertation von Uwe Krüger die Schweizer Webseite ‚Swiss Propaganda Research‘, die sich besonders den internationalen Verflechtungen und der dominierenden Rolle des US-amerikanischen Council on Foreign Relations widmet.861 Die vergleichende Untersuchung ähnlicher Steuerungsnetzwerke in Russland und China dürfte erhellend sein. Für die Gestaltung von Aushandlungsprozessen sind ferner die neuen (bzw. alten) geopolitischen und innenpolitischen Frontstellungen von Bedeutung, innerhalb derer die staatliche Kontrolle globaler Informationsflüsse und die restriktive Handhabung der Meinungs- und Pressefreiheit strategisches Gewicht erhielt. Dass die Vormacht des Westens, wie Bisky schrieb, nach 2001 wesentliche Teile ihres normativen Fundaments über Bord warf, schlug auf die europäischen Mitglieder der westlich-demokratischen Wertegemeinschaft und ihre Handhabung der Meinungsfreiheit durch. Die staatlichen oder staatlich initiierten Instrumentarien umfassen inzwischen Filterungen, Blockierungen oder Löschungen von Inhalten und862 Einschränkungen der Arbeit transnationaler Nachrichtenportale und NGOs über Redaktionsdurchsuchungen und geheimdienstliche Anweisung zur Vernichtung redaktioneller Unterlagen 863 bis hin zu Verhaftungen864 oder Freiheitsstrafen aufgrund inhaltlich oder formal strittiger Meinungsäußerungen oder der Verbreitung unerwünschter Informationen. Gerade die Verwendung von Generalklauseln, die in vielen Fällen rechtsstaatlichen Standards nicht genügen, lässt das Delikt unbestimmt, gibt aber der Exekutive weiten Ermessensspielraum und führt zu einem Klima der Verunsicherung und der selbstzensierenden Vorsicht. Vor dem Hintergrund neu ausgerufener Informationskriege, Desinformationskampagnen und verhärteten allseitigen Misstrauens ist der altehrwürdige Satz „Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen“, in den Hintergrund getreten. Er wurde vor nicht allzu langer Zeit gern und häufig zur demokratischen Selbstdarstellung und zur Abgrenzung von totalitären Regimes verwendet. Über die grundsätzliche Bedeutung freier Meinungsäußerung für den Menschen als Sprachwesen sollte eigentlich kein weiteres Wort mehr notwendig sein.865 Aber inzwischen ist dieser zentrale Grundsatz durch die Diskussionen über die Legalität bzw. Strafbarkeit von Inhalten, über die staats- und gesellschaftsgefährdenden Wirkungen von Äußerungen, die gern als ‚hate speech‘ und ‚fake news‘ diskriminiert werden, massiven Erosionen ausgesetzt. Die Gefahr liegt darin, dass sie, weil sie allzu leicht instrumentalisierbar sind für die Unterdrückung und das Bestreiten der

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 247 Wahrnehmung anderer, das Abgleiten in eine mit formalem Wahlrecht ausgestattete Gesinnungsdiktatur befördern. Die Grenzlinie ist spätestens dann überschritten, wenn Proteste gegen Missstände im eigenen Land als von feindlichen Mächten gesteuert bezeichnet und damit in die Nähe der Agententätigkeit für konkurrierende Staaten gerückt werden, zu deren Bekämpfung das Mittel der Kriminalisierung legitim erscheint. Diese drei Prozesse – Verlagerung weltanschaulicher Dominanzen, Funktionswandel der Medien von Informations- zu politischen Meinungssteuerungsinstrumenten, Erosion der Meinungsfreiheit – sind nicht neu. Sie sind mitsamt ihrer Schwankungen und Ausschläge historisch persistierende Entitäten und wiederkehrende Elemente moderner Gesellschaftsgeschichte und von daher stets in die Untersuchung der aktuellen Aggregatzustände demokratischer Aushandlungsverfahren und deren Auswirkungen auf Geschichtspolitik einzubeziehen. Dann könnte sich herausstellen, dass Merkmale wie ‚systembejahende Infrastruktur‘, ‚staatspädagogisch indoktrinierte Politik‘ oder ‚Bekämpfung unliebsamer Erinnerung‘ nicht allein autokratisch-diktatorischen Systemen zuzuweisen wären. Der strukturelle Kern von Geschichtspolitik Wenn Erinnerung ein permanent fließendes prozesshaftes Gebilde ist, in dem stets aufs Neue Revisionen vorgenommen werden, die sich aus unterschiedlichsten, auch impertinenten866 Motiven speisen; wenn, wie wir im Fall der Meinungsfreiheit und -vielfalt gesehen haben, die Aushandlungsverfahren, die Bedingungen von ‚politics‘ ständig im Fluss sind, weil Herrschaftsbedingungen und Machtkonstellationen kommen und gehen: Wo wäre hier eine verlässliche Grenzlinie zwischen kritikwürdiger VerFormung und akzeptabler Formung zu erkennen? Die Antwort wäre: Nirgendwo. Es gibt es keinen archimedischen Punkt, keinen reinen stabilen Zustand, auf dem das Konstrukt fußen könnte. Wohl aber ist der Begriff, wenn er an einen idealtypischen und statischen demokratischen Aushandlungspluralismus gebunden und zu einem legitimen Akt mit universellem Gültigkeitsanspruch erklärt wird, als operativer kultur- und globalpolitischer Kampfbegriff verwendbar – womit wir wieder bei Kosellecks Kritik an Historikern wären, die Geschichtspolitik nicht nur untersuchen, sondern selbst betreiben. An der Gedächtnisverformung wird das Problem politisch normierter Modellbildung deutlich. Lassen sich dennoch substantielle Elemente, stabile Kerne und persistierende Merkmale von Geschichtspolitik herausfiltern – unabhängig von einzelnen Phasen und politischen Systemen, jen-

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seits allfälliger Wechsel von Akteuren, Umständen, Normen und Paradigmen? Lässt sich ein allgemeines Modell konturieren, das so viel Intension aufweist, dass es nicht inhaltsleer und verschwommen wird und so viel Abstraktion, dass es nicht als episodischer Spezialfall dasteht? Im Kern, in ihrer allgemeinsten Form ist Geschichtspolitik ein argumentativ-beeinflussendes verhaltenssteuerndes Verfahren zwischen Regierenden/Eliten und Regierten/Massen, ein Werkzeug zur Bewältigung politischer Probleme unter Einsatz historischer Begründungen, Geschichtsbilder und -interpretationen. Welcher Anteil an Deutungsmacht und Wirkung dabei den Eliten mitsamt den ihnen zur Verfügung stehenden medialen Instrumenten und Netzwerken zufällt, sei zunächst einmal dahingestellt.867 In gewisser Weise ähnelt der gesamte Komplex dem kommunikativen Interaktions- und Rollengeschehen moderner institutioneller Erziehungs- und Lernsysteme. Unterteilt in eine Hierarchie von Konkretisierungsgraden werden dort kognitive Ziele (Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten) und affektiv-emotionale Ziele (Internalisierung von Wertmaßstäben, Orientierungs- und Verhaltensmustern) entwickelt und unter Verwendung bestimmter Mittel (Auswahl von Inhalten, medial-rhetorische Präsentation, motivierende direktive und nondirektive Interaktionen) umgesetzt. Die Begriffe moderner Lernzieltaxonomien eröffnen die Möglichkeit, Geschichtspolitik gewissermaßen als volks- und universalpädagogisches Projekt zu betrachten und zu strukturieren. Im Unterschied zu schulisch-institutionellen Prozessen sind geschichtspolitische Steuerungslinien allerdings weniger an der kognitiven Entwicklung ihrer Adressaten interessiert, sondern mehr an affektivemotionalen Wirkungen, an der Erzeugung zustimmender Haltungen und affirmativer Rückkopplungen. Das wird in den Analysen Wolfrums, Backes‘ und anderer deutlich, in denen zahlreiche einschlägige Ziele und Mittel bereits identifiziert wurden, die im Folgenden zusammengefasst und um eigene ergänzt seien. Als Ziele (z), zu deren Durchsetzung auf Geschichte zurückgegriffen wird, können gelten: za) zb) zc) zd)

Erwerb oder Erhalt der Macht, Etablierung und Konsolidierung des politischen Systems868, Legitimation des politischen Handelns, Steuerung von Willensbildungsprozessen (deutlicher wäre: Willenssteuerungsprozesse) in Zeiten beschleunigten sozialen Wandels und nachlassender traditioneller Bindungskräfte869 über Heranziehung angeblicher historischer Parallelbeispiele870

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 249 ze) zf) zg) zh) zi)

zj) zk)

zl)

zm)

zn)

Berufung auf glanzvolle Vergangenheit zur Legitimation eigener Nachfolge- und neuer Besitz- und Machtansprüche, Vorbereitung von Rache und Revanche, Weckung kollektiver Aggressivität, Generierung permanenten Unfriedens, Markierung von Feinden und Verbündeten (über Abgrenzung, Exklusion, Inklusion), Verstetigung politischer, völkischer, sozialer und kultureller Vorurteile, Vermittlung eigener Überlegenheit und der Minderwertigkeit möglicher Kontrahenten (mit dem Ziel kultureller, politischer, ökonomischer oder territorialer Expansion und Verdrängung), Selbstreflexion, Selbstvergewisserung, Aufklärung und Selbstaufklärung,  Förderung von k1) Zivilität, k2) humaner Gesittung und k3) demokratisch-menschenrechtlicher Kultur über k4) selbstkritische Erinnerung an begangenes, anderen zugefügtes Unrecht in Bezug auf die Missachtung unteilbarer Menschenrechte und unteilbarer Humanitas, Überwindung von Mentalitäten, die zur Verleugnung, Abschiebung oder Überdeckung von Schuld und Verantwortung tendieren871, Einwirkung auf Erinnerung als Versuch, den natürlichen oder menschengemachten Katastrophen gegenzusteuern872 und eine Wiederholung zu verhindern, Orientierung auf Versöhnung und Kooperation im Zusammenleben von Nationen, Ethnien und religiösen Gemeinschaften.

Mittel (m) zur Realisierung dieser Ziele: ma)

Mobilisierung und Politisierung der Öffentlichkeit über Skandalisierung und Diffamierung873, mb) Inszenierung integrierender und desintegrierender Rituale874, mc) Gestaltung von Erinnerung über rhetorisch, symbolische und mediale Vermittlungs- und Propagandastrategien, md) Auswahl und Aufbereitung der Inhalte über Leugnung, Verharmlosung, Entkontextualisierung und Derealisierung, von Vergangenheit875, über thematische Verengung, Komplexitätsreduktion, Mythenbildung, Heroisierung, Sakrifizierung und monokausale Geschichtsdeutungen – einschließlich aller gegenläufigen Darstellungstendenzen wie Kontextualisierung, Entmythisierung etc., me) Überschreibung oder Löschung anderer Geschichtsbilder und kultureller Traditionen,

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Begriffliche Probleme Bestreiten der Berechtigung konkurrierender Erinnerungen und Geschichtsbilder,

und schließlich, als allgemeine unspezifische Rahmenbedingung: mg)

Gestaltung der ‚politics‘, der Freiheitsgrade diskursiver Verfahrensbedingungen, die von g1) der formellen Garantierung freier, ungehinderter pluralistischer Aushandlung über g2) informelle und legislative Interpretations-, Schweige- und Vergessensgebote und Tabuisierungen bis hin zum g3) Einsatz aller Grade struktureller oder direkter Gewalt reichen.

Was an diesem Katalog, der bewusst auf eine Ordnung nach politischmoralisch-ethischen Normen verzichtet, kann als systemunabhängige Konstante, als Strukturmerkmal von Geschichtspolitik betrachtet werden? Um es vorweg zu nehmen: Alles. Sämtliche Ziele und Mittel finden, wenn oft auch nur unregelmäßig wiederkehrend, in der jetzigen Moderne als funktionell systemneutrale Elemente von Geschichtspolitik ihre Anwendung; sie sind in unterschiedlichsten Konstellationen und Gewichtungen in jedwedem Staat präsent, in jedwedem politischen System und Kulturkreis, auf jeder Stufe der Skalen von weltanschaulichem Pluralismus bis Monismus, von Demokratie bis Diktatur. 876 Mit Ausnahme der kursiv gedruckten, die grosso modo erst mit der Aufklärung entstanden und damit zeitabhängig sind, können sie vermutlich sogar als epochenübergreifende, als persistierende Entitäten der Zivilisationsgeschichte behandelt werden. Veränderlich sind nur die technischen Mittel, die verwendeten Begriffe, die geopolitischen Szenarien, die jeweiligen Sujets und Gegenstände. Die Sujets variieren mit dem Entstehen neuer Vergangenheiten, neuer Erkenntnisstände und mit der je aktuellen Brauchbarkeit. So sind etwa die deutschen Mythisierungen und Heroisierungen der Befreiungskriege gegen Napoleon, die Propagandabilder vom ‚Erbfeind‘ Frankreich, die bis ins Dritte Reich hinein eine große Rolle spielten, im Zuge der EWGGründung und der gemeinsamen NATO-Mitgliedschaft obsolet geworden. Sie wurden ersetzt durch aktuelle Themensetzungen wie Rassismus, Holocaust, Islamismus etc. Dass alle aufgeführten Elemente als funktional systemübergreifend betrachtet werden, ohne sie eindeutig bestimmten politisch-moralischen Kriterien zuzuordnen, mag überraschen. Aber letztendlich ist dies eine Frage der analytischen Ausdifferenzierung. Die genannten Ziele und Mittel einschließlich aller ihrer Kombinationen ergeben mehr als 100 Fragestellungen – genug für nähere Untersuchungen, die der Forderung genü-

Geschichtswissenschaften und Vergangenheitsbewältigung i.e.S. 251 gen, Geschichtspolitik „bis auf die kleinsten Einheiten herunterzudeklinieren“. Das zu tun und begründete Ergänzungen, Änderungen oder Streichungen vorzunehmen, ist eine notwendige Aufgabe kritisch-distanzierter Politik- und Geschichtswissenschaften, weil sie Möglichkeiten bietet, den allfälligen Paradoxien, Abbrüchen, Emergenzen und Kehrtwendungen gesellschaftlicher Willensbildungsprozesse theoretisch auf den Leib zu rücken. Notwendig aber auch deshalb, weil Geschichtspolitik als zentrales Movens jeder Politik betrachtet werden muss; sie ist jener Inkubator, in dem sich eine Idee in eine Bewegung und schließlich in politische Macht und weitreichende Entscheidungen verwandelt – weswegen diesem Feld besondere Aufmerksamkeit gebührt.

Nachwort ______________________________________________

Mit dem Abschnitt über Geschichtspolitik endet die Tour auf den Pfaden, die die unvergangenen Vergangenheiten, die conditions humaines, die Bewältigung beider und die schwierigen Versuche, alle drei in Beziehung zu setzen und zu gestalten, miteinander verbinden. Was wäre die Quintessenz? Schwer zu sagen, weil sich, wie aus dem gesamten Text deutlich geworden sein dürfte, mehr Fragen als Lösungen ergeben. Die Arbeit geht auf drei weit verbreitete Annahmen ein: Dass Vergangenheit vergangen ist, dass es bei Vergangenheitsbewältigung um eine limitierte Anzahl von Themen, nämlich um die Aufarbeitung vergangener und die Vermeidung zukünftiger Gewalt geht und dass dies ein linearer unaufhaltsamer Prozess ist. Als zentraler Ausgangspunkt der Überlegungen ist festzuhalten: Vergangenheit lässt sich nicht einfach als abgeschlossene, weil zurückliegende Sphäre denken, die nur in Erzählungen und Erinnerungen der je Lebenden präsent, ansonsten aber der Einwirkung unzugänglich ist. Das gilt sicher für zurückliegende Ereignisse, die sich in ihrem konkreten Ablauf und Kontext so nicht mehr wiederholen und schon gar nicht mehr ändern lassen. Andererseits sind für die analytische Ontologie die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit nicht so klar auszumachen, weil aus ihrer Sicht Ereignisse, die als abgeschlossen bezeichnet werden, über lange Zeiträume weiterwirken und Dinge und Strukturen durch die Zeiten fortdauern, persistieren können. Diese sogenannten Entitäten lassen sich in grober Unterteilung zuordnen den materialen kosmologischen und geologischen Abläufen, der evolutionsbiologischen und gattungsgeschichtlichen Ebene, den psychosozialen Prozessen oder denen der kulturell-gesellschaftlichen Sphäre. Dabei persistieren verschiedene Entitäten auf unterschiedlichen Wegen: materiale Dinge etwa durch lang anhaltende stabile molekulare Bindung von Stoffen, durch das Beharrungsvermögen und Gedächtnis der Materie; kosmologische oder geologische Prozesse durch gespeicherte oder zugeführte Energie oder durch kausal sich fortsetzende Ereignisfolgen (Ereigniskaskaden); biologische Organismen über die Generationen hinweg durch Replikation und Weitergabe genetischer Informationen; menschliches Wissen, menschliche Weltbilder,

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung.

Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster schließlich persistieren durch Replikation von ‚Memen‘ über Imitation und Mimesis, über Traditionsrituale, über mündliche oder schriftliche Überlieferung oder unbewusste Übertragung vorgängiger Erfahrungen. So gesehen stellt sich nicht so sehr die Frage nach dem Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart, sondern eher die nach dem Weiterwirkenden und Persistierenden, nach den Kausalbeziehungen zwischen Ereignissen und Strukturen unterschiedlicher Entstehungszeit. Zusammen mit je neu auftretenden Entitäten bilden also vergangene Ereignisse und persistierende Strukturen der Naturgeschichte, des stammesgeschichtlichen Erbes, der Gesellschaftsgeschichte und der individuellen Biographien einschließlich der Erzählungen und Konstrukte darüber das Ensemble jener Anforderungen, die in der jeweiligen Gegenwart zu bewältigen sind. Diese Anforderungen werden hier als allgemeine Bewältigung bezeichnet. Im Kern handelt es sich dabei stets um die Sicherung menschlicher Existenz, seelischer und körperlicher Unversehrtheit und Entwicklungsmöglichkeiten, um Verfügungsmacht resp. Kontrolle von Individuen und Gruppen über eigene und fremde Räume und Ressourcen, um die Herrschaft über eigene und fremde Lebensverläufe, eigene und fremde Identität, die die Grundvoraussetzung für Handlungs- und damit Konkurrenzfähigkeit bildet – all dies zugleich verbunden mit dem Bestreben nach Herstellung einer zumindest temporären inneren und äußeren Homöostase. Aus beiden gemeinsam leitet sich das gesamte menschliche Motivrepertoire im Spektrum zwischen Atavismus und Zivilisation, Egoismus und Kooperation ab. Weil die Motive ebenfalls persistierende Entitäten repräsentieren, weil sie ihrem Zusammentreffen konfliktträchtig sind und weil sich ihre konkreten Mittel und Ziele in der fortlaufenden Zeit, im Wechsel kultureller und materieller Bedingungen beständig ändern, sind sie selbst Gegenstand von Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung als Teil allgemeiner Bewältigung bezieht sich auf alle Ereignisse und Strukturen, die vom Standpunkt der je Lebenden als zeitlich zurückliegend bezeichnet werden. Das ist insofern schwierig, als die Grenzlinien zwischen Gegenwart und Vergangenheit schwer zu bestimmen sind. In Bezug auf den speziellen Bereich von existentieller Bedrohung und Gefahr gehören dazu nicht nur die Aufarbeitung der Gewalt von Menschen gegen Menschen, sondern ebenso Maßnahmen zur künftigen Verhinderung von Natur- und technischen Katastrophen, Krankheiten, Nahrungsmittelknappheit etc. Im Amerikanischen gibt es zwei Begriffe für Sicherheit: ‚Security‘ bezeichnet den Schutz vor menschlicher Gewalt, ‚Safety‘ den Schutz vor sonstigen Gefährdungen. Die Bewältigung menschlicher Gewaltgeschichte fiele sozu-

Nachwort

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sagen unter die Security-Abteilung und stellt damit einen speziellen Teil von Vergangenheitsbewältigung dar; die Bewältigung anderer vorgängiger Ereignisse und Strukturen hätte die Gewährleistung von ‚Safety‘ zum Ziel. Die Bewältigungsmöglichkeiten präsenter Vergangenheiten umfassen eine Skala, die vom Ausgeliefertsein über ein Sich-arrangieren, über partielle Modifikationen und Stabilisierung bis hin zur Steuerung, Nutzung oder Beendigung reicht. Der Grad des Erfolgs hängt davon ab, ob diese Bereiche überhaupt menschlichen Erkenntnissen, Wahrnehmungen und Mitteln zugänglich und verfügbar oder ihnen entzogen sind. Gerade die Auseinandersetzung mit dem Erbe der Zivilisationsgeschichte ist über mehrere Faktoren definiert: erstens über den Stand des historischen Wissens; zweitens über die individuelle und kollektive Wahrnehmungs- und Rekonstruktionfähigkeit, über Erinnerung, Gedächtnis und mythologische und metaphorische Konstruktionen; drittens über die kulturelle Tradierung von einer Generation zur anderen; viertens darüber, welche Individuen, Gruppen oder Nationen welche Themen zu dominieren oder zu unterdrücken in der Lage sind. Weil hier stets das Thema von Identität – Ressource und Voraussetzung von Selbstbehauptungs-, Handlungs- und Konkurrenzfähigkeit – abgehandelt wird, mussten und müssen Vergangenheitsbilder stets neu definiert und erkämpft werden gegen Einsprüche, Verwehrungen und Ablehnungen anderer, gegen Konkurrenzen und Expansionen im permanenten Wechselspiel mit dem Verschwinden alter und dem Auftauchen neuer Vergangenheiten, alter und neuer Machtkonstellationen, Erkenntnisse, Erzählungen und Missionsbotschaften. Da der Einsatz von Gewalt stets inhärenter Teil dieser Auseinandersetzungen war, galt dem Problem und seiner Lösung in allen Kulturen von jeher die besondere Aufmerksamkeit von Politik und Philosophie. Europa, geprägt durch eine schier endlose Kette kriegerischer Konflikte, entwickelte ab der Frühen Neuzeit eine Kultur vertraglicher Gewaltregulierung, die die Verkehrs- und Austauschverhältnisse von Staaten kalkulierbarer machen und allfälligen Schutzbedürfnissen durch Gleichberechtigungsordnungen langfristig Rechnung tragen sollten. Die Aufklärung nahm das Doppelbedürfnis von Unversehrtheit und gleichzeitiger individueller und kollektiver Handlungsfreiheit ins Visier. Ihre Konzepte richteten sich insbesondere gegen absolut beanspruchte Immunität und Souveränität, gegen überkommene Berechtigungshierarchien, welche die Verfügungsmacht eines Souveräns über andere und deren Schicksal ohne Rechtfertigung begründeten, ohne dass er sich für die Folgen zu rechtfertigen hatte. Der Kampf um die Idee vom Menschen als

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung.

Wesen mit natürlichen Freiheits- und Teilhaberechten von Geburt an, welcher in Kriegs- und Friedenszeiten Schutz durch den Souverän, gleichzeitig aber auch vor ihm beanspruchen konnte, war eine Vergangenheitsbewältigung, die auf die Abwicklung persistierender feudal-absolutistischer Rechts- und Herrschaftsstrukturen zielte. Sie führte nicht nur auf den Weg allgemeiner politischer Teilhabe, Gewaltenteilung und demokratischer Herrschaftslegitimation, sondern auch zur Verrechtlichung von Kriegen und Kriegführung. Damit veränderte sich der Blick auf Schuld und Verantwortung und brachte auf diese Weise erst die Kategorien und Mechanismen moderner Bewältigung vergangener Gewalt hervor. Die Vertragsserie der Anti-Hitler-Koalition zwischen 1941 und 1948, besonders die großen Chartas von 1945 und 1948, kann man als Station auf einer Linie sehen, die vom Westfälischen Frieden über den Versailler Vertrag von 1919 bis in die derzeitige Gegenwart reicht. Das gesamte Projekt war multifaktoriell auf die Beendigung resp. Neuordnung verschiedener Vergangenheitsstrukturen unterschiedlicher Entstehungszeit und Dauer ausgerichtet: Auf die Erweiterung des Staatenvölkerrechts des Westfälischen Friedens um das humanitäre Völkerrecht; auf die alten Legitimationen von Kriegen, Kriegführung und Annexionen, auf die überkommenen Praktiken von Amnestie und Amnesie; auf die alten Immunitäten, Berechtigungshierarchien und Exklusionsordnungen; auf die Kolonialstrukturen; auf die imperiale Konkurrenz; auf die politischen Folgen historisch gewachsener Produktionsbedingungen, Währungs- und Handelsregeln; auf die Fehler des Versailler Vertrages und der Weimarer Republik; auf die Verbrechen des Dritten Reiches; schließlich auf die überkommenen rassistischen oder sozialen Vorurteilsdispositionen, Diskriminierungsmechanismen und obrigkeitsstaatlichen Mentalitäten – auf alles also, was durch die Motive von Einzelnen, Gruppen oder Nationen entstehen konnte im Kampf um die Sicherung eigener Unversehrtheit und Entwicklungsmöglichkeiten, um Verfügungsmacht, um Kontrolle über Räume und Ressourcen, Identitäten und Lebensverläufe, um die Herstellung einer Homöostase, die immer fragil und oft genug egozentrisch war. Den alliierten Akteuren des Zweiten Weltkriegs als Urheber des ersten modernen Projekts der Vergangenheitsbewältigung war die multifaktorielle Komplexität und Wirksamkeit sich überlagernder Vergangenheiten durchaus bewusst. Sie entwickelten ein entsprechend weitgefasstes Konzept, das vom Völkerrecht und Völkerstrafrecht über Gleichberechtigungsordnungen, demokratische Verfassungsstandards, zivilgesellschaftliche Diskursverfahren und Mentalitätspolitik bis hin zu ordnungs-, handels- und währungspolitischen Regelwerken reichte. Im Grunde war es

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ein Versuch, die historisch gewachsenen menschlichen Beziehungen und Verkehrsverhältnisse neu zu ordnen, das Verhältnis zwischen Egoismus und Kooperation neu auszutarieren und das alte Prinzip, nach dem die Not des einen das Brot des anderen ist, zu durchbrechen. In der derzeitigen Gegenwart sind die neueren Vergangenheiten, d.h. die historisch neueren Bewältigungsverfahren der Anti-Hitler-Koalition, hinter ältere Vergangenheiten zurückgetreten. Heute muss generell von einer Reversion dieser bahnbrechenden völker- und menschenrechtsbasierten Weichenstellungen gesprochen werden, innerhalb derer überwunden geglaubte Vergangenheitslinien und Strategien des 19. Jahrhunderts zu dominieren beginnen. Derartige Tendenzen, die durch allfällige geschichtspolitische Themenreduktionen und Simplifizierungen, Verweise auf Sachzwänge und schließlich durch bewusste politische Entscheidungen vorbereitet und herbeigeführt werden, lassen sich weltweit nicht nur in autokratischen Staaten ausmachen, sondern ebenso bei den aktuellen globalen Eliten und Akteuren. Quer durch Bevölkerungen, Staaten, Wirtschaftsräume und Bündnisse verlaufen die globalen politischen Frontlinien zwischen menschenrechtsbasierter Verfassungsdemokratie und autokratisch-oligarchischen Herrschaftsformen, zwischen Verteilungsgerechtigkeit und Eigentumsansprüchen, kollektiven Nachhaltigkeitskonzepten und unbeschränkter privater Ressourcenausbeutung, zwischen staatlicher Völkerrechtsbindung und nationaler Souveränität, völkerrechtsbasierter Kooperation und geopolitischer Exklusionspolitik, multipolarem Kräftegleichgewicht und unipolaren Hegemonieambitionen, allgemeinem Gewaltverbot und militärischer Machtpolitik, kooperativen Gleichberechtigungsordnungen und imperialer Exklusionspolitik. Wenn man die Frage stellt, wann eine auf Gewalt bezogene Vergangenheitsbewältigung vorliegt, die „diesen Namen verdient“, und wenn man alles zusammen nimmt – juristische Aufarbeitung, Wiedergutmachung, Beendigung vergangener Machtstrukturen, Demokratisierung – und an den Kriterien Vollständigkeit, Unwiederholbarkeit und Nachhaltigkeit misst, dann lautet die Antwort: Bisher noch überhaupt nicht. Die materiellen und psychischen Folgen zurückliegender Gewalt sind selbst in jenen nachdiktatorischen Staaten, die solche Programme durchlaufen haben, keineswegs beseitigt, die Wunden nicht verheilt, die fortlaufenden inneren Spannungen und Instabilitäten nicht zu übersehen. Es wurden Lehren gezogen und vergessen, Gräben zugeschüttet und wieder aufgerissen. In der Bilanz schließlich übersteigt die Zahl der ungesühnten Verbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg die Zahl der gesühnten bei weitem, von weiter zurückliegenden ganz zu schweigen. Über die alten Vergangenheiten legen sich neue.

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Vergangenheitsbewältigung lässt sich unter diesen Aspekten erstens als multifaktorieller Prozess bestimmen, der aus einer Vielzahl von Verfahren, Gegenständen und Bewertungen besteht, die in kulturellen, politischen und – nach wie vor auch in militanten – Auseinandersetzungen verhandelt und durchgesetzt werden. Weil das kulturelle Gedächtnis nichts gänzlich löscht, verschwinden die strukturellen Hinterlassenschaften der Vergangenheit nicht vollständig, sondern persistieren in einem rezessiven inaktiven Zustand, und bleiben als jederzeit reaktivierbare Handlungskonzepte präsent. Zweitens verweisen die historischen Wechselfälle darauf, dass die Bewältigungsstrategien in der historischen Realität multivalent, temporär begrenzt und reversibel sind. Sie haben letztlich nur einen gemeinsamen Nenner, ein einziges stabiles Merkmal: Die Gestaltung fortdauernd wirksamer Vergangenheitsstrukturen – nicht mehr und nicht weniger. Das kann deren Beendigung oder Revision ebenso beinhalten wie ihre Stabilisierung oder Wiederherstellung. In welcher Richtung und mit welchen Zielsetzungen das geschieht, ist eine Frage der Perspektive, eine Frage der Entscheidungen, der Machtverhältnisse und Interessen. Unter menschenrechtlichen Aspekten war die sozialstaatlich-demokratische Phase der Nachkriegszeit und die Blütezeit der beiden großen Chartas ein vergangenheitspolitischer Fortschritt, die Phase ab den 1990er Jahren ein Rückschritt. Der internationale Neoliberalismus als das derzeit dominierende Gesellschaftsmodell der globalen Eliten sieht das genau anders herum. Von daher ist der Weg zu einer menschenrechtsbasierten Verfassungsdemokratie lediglich eine spezielle Variante aller möglichen Bewältigungswege, die auch ihre Abwicklung, d.h. die Bewältigung einer Vergangenheitsbewältigung einschließt – bis hin zu autokratisch oder diktatorisch konzipierten Systemwechseln. Doch selbst wenn man den Weg zu einer kooperationsorientierten Gleichberechtigungsordnung präferierte: Ob seine globale Realisierung allein ausreicht, um dem alten Menschheitstraum vom ‚Ewigen Frieden‘, einer ‚pax universalis‘ und einer dynamischen, aber doch stabilen Homöostase der menschlichen Gemeinschaft oder überhaupt des terrestrischen Biotops näher zu kommen, muss angesichts der ambivalenten evolutionären Bewältigungsausstattung des Menschen mit einem Fragezeichen versehen werden. Schließlich bietet das humane Motivationstableau tausend Gründe für gewaltsame Konflikte: nicht nur die der materiellen Verteilungsgerechtigkeit, sondern auch die der Identitätskämpfe, der ethnischen, religiösen, kulturellen und politischen Gleichberechtigung oder Dominanz. Aber dass ein solcher Weg eine notwendige und unumgängliche Voraussetzung dafür ist, dürfte außer Frage stehen.

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Zweifelsohne sind die Errungenschaften der Ächtung und Verfolgung physischer, psychischer und struktureller Gewalt und das Bemühen um ihre Einhegung oder gar Beendigung und um die Beseitigung der Ursachen beeindruckend. Theoretisch sind inzwischen fast alle möglichen individuellen und kollektiven Schutz- und Teilhabeansprüche definiert und in den Chartas und ihren Ergänzungen festgelegt. Dennoch liegt ihre nachhaltige Durchsetzung derzeit außerhalb unseres konkreten Realisierungsvermögens. Ein solcher Weg hätte, in Abwandlung eines Marxschen Satzes, den Schutz des Einzelnen als Voraussetzung des Schutzes aller zur Bedingung. Wie das aussehen kann und ob ein solches Gesetz dann noch mit unseren derzeitigen Vorstellungen vom Menschsein zu tun hat; ob wir uns das überhaupt wünschen sollen, weil dies auch auf eine totalitäre Harmonie, eine quasi kollektive soziale Lobotomie, eine missbräuchlich gehandhabte ‚volonté generale‘ hinauslaufen könnte, steht in den Sternen. Auch ist allgemeiner Schutz ohne harte Kämpfe um das Recht auf eigene Entwicklung nicht zu haben, weil die Menschenrechte je nach Region und Kultur unterschiedlich gewichtet und ausgelegt werden. Zudem gälte es, endlich die historische Regel zu widerlegen, nach der die großen Fortschritte erst aus katastrophalen kriegerischen Auseinandersetzungen resultierten. Aber der Mensch ist ein Wesen mit einem speziellen Evolutionsmodus: Zu seiner Ausstattung gehört die Fähigkeit zur Entfremdung von bisherigen Zuständen und alten Dispositionen, ohne sie ganz abzustreifen. Er entfremdete sich vom Nomadendasein, von paganer Existenzweise, vom Ausgeliefertsein an Dunkelheit, von der Vorstellung irdischer Stellvertreter Gottes etc. etc. Er ist, wie die Geschichte auch, in der Summe ein lebendes Palimpsest, das sich selbst überschreibt – warum sollte er sich nicht auch von Gewalt und Krieg als allgemein gebräuchlichem Mittel je eigener Existenzsicherung entfremden können? Das Völkerstrafrecht existiert schließlich erst seit gut 70 Jahren, ebenso das allgemeine Verbot von Angriffskriegen, die Menschenrechtspakte sind seit etwas mehr als 50 Jahren in der Welt – gemessen an der Zivilisationsgeschichte eine kurze Zeitspanne. Auch wenn die Menschheit sich in dieser kurzen Zeit mehrfach an den Rand der Selbstauslöschung brachte, auch wenn die Regelwerke tausendfach gebrochen wurden und vermutlich noch tausendmal gebrochen werden, sollte niemand ihre normative Kraft unterschätzen. Denn sie erlauben es jedermann, seinen Wunsch auf ein besseres und menschenwürdiges Leben selbst dann zu formulieren, wenn ihm eigene Worte dafür nicht zur Verfügung stehen und seine Vorstellungen von diesem anderen Leben rudimentär und nebulös sind. Mit anderen Worten: Es liegt ein Orientierungsrahmen vor, dessen perspektivi-

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sches Potential noch gar nicht ausgeschöpft ist – vorausgesetzt, dass niemand vorher auf den Knopf drückt. Aber hier kann man in Abwandlung von Helmut Königs Aperçu sagen: Der verschlungene Weg von immerwährender Gewalt zum derzeit unvorstellbaren Ziel einer ‚pax universalis‘ ist ein Lehrstück für die Notwendigkeit eines dialektischen Blicks auf die Geschichte und kein Fall für schwache Nerven.

Anmerkungen 1.

2. 3.

4.

5.

„Der früheste Beleg für die Verwendung des Wortes findet sich in einer ‚Einladung zu einer Tagung zum 20. Juli‘ der Evangelischen Akademie Berlin im Sommer 1955.“ Helmut König, Michael Kohlstruck, Andreas Wöll (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, VS Verlag, Opladen 1998. Einleitung der Herausgeber, S. 7-14, hier: S. 8. Vgl. Peter Dudek: Vergangenheitsbewältigung. Zur Problematik eines umstrittenen Begriffs. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), Beilage 12, 1992, S. 44-53, hier: S. 44 ff. „Die Diskussion darüber, ob die großen Wellen der Demokratisierung am Ende dieses Jahrhunderts erfolgreich waren oder ob ein erheblicher Teil in einem unbestimmten ‚Zwischen‘ gestrandet ist, signalisiert einen neuen Pessimismus der Transitologie.“ Friedbert W. Rüb: Hybride Regime – Politikwissenschaftliches Chamäleon oder neuer Regimetypus? Begriffliche und konzeptionelle Überlegungen zum neuen Pessimismus in der Transitologie. In: Petra Bendel, Aurel Croissant, Friedbert W. Rüb (Hrsg.): Zwischen Demokratie und Diktatur VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2002, S. 93-118, hier: S. 93. Und: „Die Demokratie ist weltweit in Gefahr, selbst in bislang gefestigten Systemen greifen laut BTI autoritäre Tendenzen um sich, die Zahl der Diktaturen auf der Welt hat sich erhöht.“ Jan Puhl, Christoph Sydow, Christoph Titz über die Ergebnisse des Bertelsmann Transformation Index 2016: Die Welt wird ärmer. Radikaler. Undemokratischer. In: „Der Spiegel“ vom 28.2.2016 (online). URL: Siehe Literaturverzeichnis. „Da [...] die Vergangenheit präsentisch nicht existiert, stellen auch die Handlungen und Widerfahrnisse der Vergangenheit als solche kein präsentisches Objekt (mehr) dar. Vergangene Geschehnisse existieren als Objekte der Gegenwart nur in Form von Erzählungen. Wenn es um die Frage geht, ob und wie auf vergangene Geschehnisse reagiert werden soll, dann muss zuerst geklärt werden, was überhaupt geschehen ist. Das heißt, es müssen zuverlässige Geschichten erzählt werden.“ Werner Wertgen: Vergangenheitsbewältigung: Interpretation und Verantwortung. Ein ethischer Beitrag zu ihrer theoretischen Grundlegung. Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, Band 20. Ferdinand Schöningh-Verlag, Paderborn – München – Wien – Zürich 2001, S. 23. Vgl. dazu etwa Christopher Banditts Rezension von Hartmut Kaelbles „Mehr Reichtum, mehr Armut. Soziale Ungleichheit in

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6. 7. 8. 9. 10. 11.

12. 13. 14.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Europa vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart.“ Campus Verlag, Frankfurt am Main 2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Sylvie Kauffmann, Stefan Kornelius: Das Ende der Ruhe. In: „SZ“ vom 5.2.2015, S. 11 ff. Gustav Seibt über H.A.Winklers „Geschichte des Westens“: Mauerfall und Irrweg. In: „SZ“ vom 29.1.2015, S. 12. Frank Schirrmacher: Der griechische Weg: Demokratie ist Ramsch. In: „FAZ“ vom 1.11.2011 (online). URL: Siehe Lit.Verz. Tony Judt: Das vergessene 20. Jahrhundert. Die Rückkehr des politischen Intellektuellen. Hanser, München 2010, S. 18 f. Ebda., S. 29. Klaus von Dohnanyi: Hat uns Erinnerung das Richtige gelehrt? Eine kritische Betrachtung der sogenannten „Vergangenheitsbewältigung“. Rede im Rahmen der Reinhold-Frank-Gedächtnisvorlesung, Karlsruhe 2002 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Ebda. Dieter Hoffmann-Axthelm: Editorial. In: „Ästhetik und Kommunikation“. Heft 129/130, 36. Jahrgang, S.11-12, hier: S. 11. Putin als wie auch immer gewählter Nachfolge-Repräsentant jener Sowjet-Macht, deren Truppen 1945 das Vernichtungslager Auschwitz befreiten, nahm nicht teil an den Feiern zum 70. Jahrestag dieses Ereignisses. Niemand aus dem Kreis der westlichen Politiker schien sich daran zu stören, im Gegenteil. Eric Frey: Hoenlein: „Juden sollen sich vorbereiten, Europa zu verlassen.“ In: „derStandard“ vom 10.2.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „[P]aneuropäische Initiativen auf dem Feld der Geschichtspolitik [sind] auf nationaler Ebene weitgehend verpufft [...], wenn sie denn überhaupt registriert wurden. Zu nennen sind hier die Einführung europaweiter Gedenk- und Feiertage seitens des Europarats, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Europäischen Union – 27. Januar, 5. und 9. Mai sowie 23. August –, desgleichen die Versuche der Institutionalisierung des Holocaust als gesamteuropäischen Identifikationsnucleus und Erinnerungsort, gar Gründungsmythos. Und zu vermuten ist, dass das vom Europäischen Parlament initiierte Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel, dessen Eröffnung für 2015 vorgesehen ist, aufgrund fehlender öffentlicher Debatte über seine Konzeption mehr Kritik als Begeisterung auslösen wird.“ Stefan Troebst: Geschichtspolitik. In: „Docupedia-Zeitgeschichte“. 4.8.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. Band IV: Die Zeit der Gegenwart. C.H. Beck, München 2015, S. 575. Zit.n. Florian Illies: 1913. Der Sommer des Jahrhunderts. 13. Auflage. S. Fischer, Frankfurt a.M. 2013, S. 155 f.

Anmerkungen 19.

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Vgl. dazu auch insgesamt: Johannes Berger: Die Einheit der Moderne. In: Thomas Schwinn (Hrsg.): Die Vielfalt und Einheit der Moderne. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, S. 201-225, hier: S. 201 ff. Das räumt er auch selbst ein: „Die erhaltenen Quellen [über den Ersten Weltkrieg] präsentieren uns [...] ein Wirrwarr aus Versprechungen, Drohungen, Plänen und Prognosen – genau dies ist nicht zuletzt der Grund dafür, dass der Kriegsausbruch auf so irritierend vielfältige Weise interpretiert wurde und wird. So gut wie jede Sichtweise der Ursprünge lässt sich anhand einer Auswahl der verfügbaren Quellen belegen.“ Christopher Clark: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. DVA, München 2013, S. 14 f. „Seit dem Ende des Kalten Krieges ist an die Stelle des Systems globaler, bipolarer Stabilität ein weit komplexeres und unberechenbareres Gefüge von Kräften getreten, einschließlich einiger Reiche im Niedergang und aufsteigender Mächte – ein Zustand, der zum Vergleich mit der Situation in Europa anno 1914 geradezu einlädt.“ Ebda., S. 15. „Vergangenheit wird zur Geschichte, sobald sie keiner direkten Einwirkung mehr zugänglich und nicht mehr veränderbar ist. Geht man von dieser Bruchlinie zwischen Gegenwart und Geschichte aus, so stellt sich der Gegenstandsbereich der Zeitgeschichte als ein komplizierter Zwitter dar, weil die Vergangenheit, um die es hier geht, eben noch nicht ganz vergangen, sondern in gewissen Aspekten noch durchaus präsent ist.“ Aleida Assmann: Die Last der Vergangenheit. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History“, Online-Ausgabe, Heft 3/2007, S. 1. URL: Siehe Lit.-Verz. Bernhard Schlink: Die Bewältigung von Vergangenheit durch Recht. In: Helmut König et al. (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Opladen 1998, S. 433-451, hier: S. 433. Zit.n. Manuel Becker: Geschichtspolitik in der „Berliner“ Republik. Konzeptionen und Kontroversen. Dissertation, Bonn 2013. Springer VS, Wiesbaden 2013, S. 137. Vgl. JHL: Schatten auf der Königin. In: „SZ“ vom 3.3.2018, S. 23. Zit.n. Ulrich Rüdenauer: Töpferträume. In: „SZ spezial – Literatur“ vom 18.10.2016, S. 4. Entität (von spätlateinisch ens: ‚seiend‘): Etwas Seiendes. Edmund Runggaldier: Persistenzbedingungen der Dinge und Kontinuität der Vermögen (powers, potentialities). In: Pedro Schmechtig, Gerhard Schönrich: Persistenz - Indexikalität -Zeiterfahrung. Ontos Verlag, Frankfurt, Paris, Lancaster, New Brunswick 2011. Reihe Philosophische Analyse. Hrsgg. von Herbert Hochberg, Rafael Hüntelmann, Christian Kanzian, Richard Schantz, Erwin Tegtmeier. Bd. 39, S. 61-76, hier: S. 61.

266 28. 29.

30.

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33. 34.

Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Pedro Schmechtig: Zeit und Persistenz. In: „Metaphysica. International Journal for Ontology & Metaphysics“, Heft 7 (1) 2006 (online), S. 87-122, hier: S. 88. URL: Siehe Lit.-Verz. „Der Ausdruck ‚Persistenz‘ bezeichnet das Phänomen, dass Dinge als selbige Zeit überdauern können, obgleich Eigenschaften an ihnen wechseln. Ein Mensch wird geboren, und derselbe Mensch wächst auf, lernt, altert und stirbt schließlich. Gleiches gilt für alle Lebewesen; Ähnliches, nämlich eine zeitlich begrenzte Existenz, während derer Veränderungen [...] vorkommen können, [gilt] für viele ihrer Teile (Früchte zum Beispiel) sowie auch für [von Menschen angefertigte] Artefakte. [...] Ebenso verhält es sich anscheinend auch mit vielen anderen Entitäten – mit Kieselsteinen, Bergen, Seen, Wolken. Und auch abstrakte Gebilde wie soziale Institutionen können als selbige Zeit überdauern.“ Thomas Müller: Persistenz und Indeterminismus. In: Schmechtig, Schönrich, a.a.O., S. 21-36, hier: S. 21. Jansen schreibt: „Wenn soziale Entitäten nun aber einen Einfluss auf unser Leben haben, dann sind sie kausal relevant. Was aber kausal relevant ist, das existiert, denn kausale Relevanz kann nur Existierendes haben.“ Ludger Jansen: Konstitution und Dauer sozialer Kontinuanten. In: Schmechtig, Schönrich, a.a.o., S. 103128, hier: S. 108. Ich verallgemeinere die Aussage auf alle möglichen Kategorien von Entitäten. „Es muss sinnvoll sein, auch von Nicht-Personen, von Lebewesen im Allgemeinen, ja selbst von Artefakten auszusagen, dass sie Verschiedenes tun bzw. tun können. Wovon das Vermögen zu wirken prädiziert wird, sind weder Ereignisse noch Eigenschaften, sondern die Dinge selbst. Causa agens ist das jeweilige Ding selbst. Um tatsächlich zu wirken, braucht es allerdings auslösende Ursachen (triggering causes).“ Runggaldier, a.a.O., S. 63. Ich setze hier trotz der Unterschiedlichkeit der Begriffsdefinitionen Ding und Entität gleich. Siehe zu anderen Kategorisierungen etwa: Christian Kanzian: Zur Persistenz von Institutionen. In: Pedro Schmechtig, Gerhard Schönrich: Persistenz – Indexikalität – Zeiterfahrung. Ontos Verlag, Frankfurt, Paris, Lancaster, New Brunswick 2011, S. 79-102, hier: S. 80. Jansen, a.a.O., S. 107 f. „Tatsachen, so sagt [Searle], ‚dauern in der Zeit, unabhängig von der Dauer ihrer Bedürfnisse und Neigungen der Teilnehmer an der Institution‘. [...] Searle erläutert dies mit einer Geschichte: Eine Gruppe baut eine Mauer, um die Grenze ihres Gebietesbzu markieren und nach aussen zu verteidigen. Die Mauer weist physische Merkmale auf, die das Überschreiten der Grenzeerschweren oder sogar unmöglich machen. Der Wall wird von der Gruppe aber nicht hinreichend ausgebessert und verfällt zusehends: ‚Man stelle sich vor, daß die Mauer allmählich zerfällt, daß das einzige, was übrigbleibt, eine Reihe von Steinen ist. Aber man

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37.

38. 39.

40. 41.

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stelle sich vor, daß die Einwohner und ihre Nachbarn die Steinreihe weiterhin als Grenze des Territoriums anerkennen und zwar so, daß sie ihr Verhalten beeinflusst. Zum Beispiel überqueren die Einwohner die Grenze nur unter bestimmten Bedingungen, und Außenseiter können nur ins Territorium hineinwechseln, wenn es den Einwohnern akzeptabel erscheint. Die Reihe von Steinen hat jetzt eine Funktion, die nicht auf der Basis bloßer Physik erfüllt wird, sondern dank kollektiver Intentionalität. Die Grenze kann mithin unabhängig davon persistieren, ob es dort, wo sie verläuft, physische Hindernisse für ein Überschreiten gibt oder nicht.‘“ Ebda., S. 110. ‚Bewegungsstruktur‘ ist ein in der Geologie durchaus gängiger Begriff. Siehe etwa Kristina Stocker: Fluidalteration von Karbonaten im Grazer Paläozoikum. In: Abgeschlossene Arbeiten des Lehrstuhls für Geologie und Lagerstättenlehre der Montanuniversität Leoben (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Koselleck schreibt: „In jeder einmaligen Handlung und in jeder einzigartigen Konstellation, die von ebenso einmaligen oder einzigartigen Menschen jeweils vollzogen oder ausgehalten werden, sind immer sich wiederholende Zeitschichten enthalten.“ Und an anderer Stelle: „Diese Einmaligkeit aber ist nur die halbe Wahrheit, denn die Geschichte beruht auf Wiederholungsstrukturen, die sich nicht in Einmaligkeit erschöpfen.“ Reinhard Koselleck: Zeitschichten. 1. Auflage. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2003, S. 13 und 21. „Wenn alles, was existiert, gegenwärtig existiert, sind alle Modelle zum Scheitern verurteilt, welche die Gegenwart irgendwie als Grenzpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft verstehen wollen. Ein Zeitpunkt kann dann weder etwas teilen: die Vergangenheit von der Zukunft, noch etwas verbinden: die Vergangenheit mit der Zukunft.“ Gerhard Schönrich: Vom Bewohnen der Gegenwart. In: Schmechtig, Schönrich, a.a.O., S.241-282, hier: S. 270. Marc Bloch: Apologie der Geschichte oder der Beruf des Historikers. 2. Aufl. Klett Cotta, Stuttgart 1974, S. 60. „,Zeitschichten‘ verweisen, wie ihr geologisches Vorbild, auf mehrere Zeitebenen verschiedener Dauer und unterschiedlicher Herkunft, die dennoch gleichzeitig vorhanden und wirksam sind.“ Thomas Meyer: Die Geologie der Geschichte. Über Reinhart Kosellecks Theorie der historischen Zeiten. In: „Die Zeit“ 45/2000 vom 2.11.2000 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Andreas Speer: Das Sein der Dauer. In: Ders. (Hrsg.): Das Sein der Dauer. Miscellanea medievalia 34. De Gruyter, Berlin 2008, S. XI-XIX, hier: S. XI. „Unter Struktur verstehen die Beobachter des Sozialen ein Ordnungsgefüge, einen Zusammenhang, hinreichend feste Beziehungen zwischen Realität und sozialen Kollektivkräften. Für uns His-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung toriker ist eine Struktur zweifellos ein Zusammenspiel, ein Gefüge, aber mehr noch eine Realität, die von der Zeit wenig abgenutzt und fortbewegt wird. Einige langlebige Strukturen werden zu stabilen Elementen einer unendlichen Kette von Generationen [...].“ Fernand Braudel: Geschichte und Sozialwissenschaften – Die „longue durée“. In: Hans Ulrich Wehler (Hrsg.): Geschichte und Soziologie. Athenäum Verlag, Königstein/Ts. 1984, S. 189215, hier: S. 194. Vgl. Jörg Baberowski: Der Sinn der Geschichte. Verlag C.H. Beck, München 2005, S. 149. Vgl. Rüdiger Graf: Zeit und Zeitkonzeptionen in der Zeitgeschichte. In: „Docupedia-Zeitgeschichte“ (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Johann Gustav Droysen: Grundriss der Historik. Leipzig, 1868. In: Deutsches Textarchiv (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Wertgen, a.a.O., S. 17. „Erst im Laufe der Evolution hätten höher entwickelte Organismen diese vielfältig aufeinander abgestimmten Mechanismen entwickelt. Nur so könnten Organismen in relativer Unabhängigkeit von permanenten Schwankungen der Versorgung existieren und obendrein ein gesteigertes Potential ihres Leistungsspektrums realisieren. Der Buchtitel sollte diese neue, aus präziser experimenteller Forschung gewonnene Einsicht in die perfekte Organisation des Körpers für ein breites Publikum auf den Punkt bringen – und er wies darüber hinaus. Cannons Quintessenz seiner physiologischen Forschungen war zugleich sein politisches Credo: Die Weisheit des Körpers liege wesentlich in seiner Fähigkeit zu dynamischer Stabilität, und das sei die biologische Voraussetzung seiner Freiheit (2. Aufl., S. 324): ‚Just as social stabilization would foster the stability, both physical and mental, of the members of the social organism, so likewise it would foster their higher freedom, giving them serenity and leisure, which are the primary conditions for wholesome recreation.“ Cornelius Borck: Die Weisheit der Homöostase und die Freiheit des Körpers. Walter B. Cannons integrierte Theorie des Organismus. In: „Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History“, Online-Ausgabe, 11 (2014), H. 3, o.S. Druckausgabe: S. 472-477. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 23. erw. Auflage. De Gruyter, Berlin, New York 1999. Auf der Webseite leo.org findet sich im Englischen unter „bewältigen“: „Coming to terms with the past“– sich abfinden, arrangieren, einigen, bewältigen; im Französischen: „Maitriser – bändigen, beherrschen, zurechtkommen mit“; auch „surmonter – bewältigen, bezwingen, meistern, überstehen, verkraften, verwinden, über etwas hinwegkommen“.

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52.

53.

54.

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Zit.n. Ulrich Baumgärtner: Reden nach Hitler. Theodor Heuss – die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. DVA, Stuttgart 2001, S. 10. „[…] Erinnern und Erinnerungen sind weder a priori friedfertig noch moralisch. Sie sind sich darüber hinaus zunächst selbst genug und deshalb als solche nur schwer – oder mit Macht – zu verallgemeinern. Sie zielen nicht automatisch auf historische Aufklärung, und auch die Addition von Erinnerungen bedeutet nicht zwangsläufig historisches Begreifen.“ Volkhard Knigge: Zur Zukunft der Erinnerung. In: „bpb-Dossier: Geschichte und Erinnerung“ vom 21.6.2010 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Alfred Grosser: Rede an der Friedrich-Schiller-Universität, gehalten am 18.5.1994 (Herv. i. Orig.). Zit.n. Baumgärtner, a.a.O., Anm. 15. „Zwei Millionen Jahre Evolution formten uns im Allgemeinen, die letzten 200000 Jahre aber im Speziellen. Die genetischen Befunde stimmen mit den physikalischen Zeitmessungen bestens überein. Wir Menschen sind also alt und jung zugleich.“ Fritz Göttler: Alt und jung zugleich. Besprechung von Josef Reichholfs „Evolution. Eine kurze Geschichte von Mensch und Natur.“ In: „SZ“ vom 10.6.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Um einen Eindruck von den determinierenden (d.h. auch: einschränkenden: Kant) Einflüssen zu gewinnen, die auf den Menschen wirken, ist es hilfreich, sich an den Strukturmomcnten zu orientieren, innerhalb derer sich die menschliche Existenz abspielt. Idealtypisch lassen sie sich in den biologischen, psychischen und sozialen Aspekt der menschlichen Existenz einteilen, entsprechend der anthropologischen Erkenntnis, dass ‚der Mensch als Lebewesen‘ im Organischen fußt, über eine psychische Dimension verfügt und sozial bedürftig ist. Dass es genetisch grundgelegte ‚Vorprogrammierungen‘ gibt, dürfte unstrittig sein.“ Wertgen, a.a.O., S. 44. „Der Neurobiologe Antonio R. Damasio erklärt die Existenz der Moral aus ihrer Funktion: ‚Das Konstrukt, das wir beim Menschen Ethik nennen, könnte als Teil eines allgemeinen Programms der Bioregulation begonnen haben.‘ Ethik sei gewissermaßen ein Abfallprodukt der überlebensnotwendigen Kooperation. Menschen, die sich gegenseitig halfen, ‚hatten bessere Aussichten lange zu leben und viele Nachkommen zu hinterlassen‘. Auch Moralphilosophen halten Ethik für ein gemeinsames Erbe der Menschheit. Sie begründeten sie aber nicht – wie die Biologie – mit einer genetisch programmierten Notwendigkeit, sondern mit der zur biologischen Ausstattung des Menschen zählenden Freiheit, die eigene Lebensweise selbst bestimmen zu können.“ N.N.: Wozu überhaupt Moral? In: „geowissen“, Heft 35, 2001, S. 21. „Der Mensch ist seit je total abhängig vom Klima, von der Vegetation, vom Tierbestand, von der Kultur, von einem langsam her-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung gestellten Gleichgewicht, dem er sich nicht entziehen kann, ohne alles in Frage zu stellen. […] Man sehe sich nur das dauerhafte Gewachsensein der Städte, die Beständigkeit der Straßen- und Verkehrslage, die überraschende Unbeweglichkeit des geographischen Rahmens der Zivilisation an. Dieselbe Dauerhaftigkeit, dasselbe Fortleben gibt es im weiten kulturellen Bereich.“ Braudel 1984, a.a.O., S. 195. „All diese naturalen Vorgaben [von Kosmos, Erdgeschichte, Flora, Fauna] haben ihre je eigene Geschichte mit Entwicklungslinien, die nach Milliarden und Millionen Jahren berechnet werden. Immer handelt es sich dabei um Geschichten, deren Vollzug ohne menschliches Bewusstsein vorausgesetzt, aber nur von unserem historischen Bewusstsein nachvollzogen werden kann. Alle Daten, die uns diese Naturgeschichten bieten, sind in Bezug auf die menschliche Geschichte als metahistorisch zu definieren. Metahistorisch sind also die Bedingungen möglicher Geschichte, die sich unserm Zugriff entziehen, die gleichwohl als Bedingungen unseres Handelns zur Herausforderung menschlicher Aktion werden.“ Koselleck 2003, a.a.O., S. 83 f. „Das Klima rückt in unserem Jahrhundert nolens volens bereits in den Bereich möglicher Verfügbarkeit ein, so wie seit Jahrtausenden die Pflanzen- und Tierwelt zunehmend menschlicher Verfügung unterworfen wurde.“ Ebda., S. 84. „So bin ich bei der Betrachtung eines Individuums immer wieder versucht, es eingebunden in ein Geschick zu sehen, das es kaum selber gestalten kann, in eine Landschaft gestellt, die sich hinter ihm und vor ihm in den unendlichen Perspektiven einer ‚langen Dauer‘ erstreckt.“ Fernand Braudel: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. 3 Bände. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1990, Bd. 3, S. 460. Als Beispiel: „[D]ie griechischen und römischen Städte [boten] zusammen mit den alten Verkehrswegen auch nach dem Untergang des Imperium Romanum das prägende Raster für Siedlungsaktivitäten, Handel und Reisen [...]. In den mittelalterlchen Städten selbst gaben die überkommenen Straßenzüge, Verteidigungsmauern und Monumentalbauten eine räumliche Struktur vor, die aufgenommen und den neuen Bedürfnissen angepaßt wurde, indem bestimmte Bereiche verlassen, Bauten umfunktioniert oder überbaut wurden.“ Dietrich Boschung, Susanne Wittekind: Persistenz und Rezeption. Reichert Verlag, Wiesbaden 2008, S. 7. Christopher Schrader: 1610 oder 1964. In: „SZ“ vom 13.3.2015, S. 16. „Menschen waren bisher selten direkte Auslöser extremer Naturereignisse. Durch ihre Eingriffe in die Natur haben sie aber das Gefährdungspotenzial massiv erhöht. Die Zerstörung von Mangrovenwäldern und Korallenriffen, etwa vor den Küsten Südost asiens, hat den Schutz gegenüber Flutwellen und Überschwem-

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mungen reduziert. Die Rodung von Bergwäldern verstärkt die Bodenerosion und somit, wie etwa in Pakistan, das Ausmaß von Überschwemmungen. Der Klimawandel und das gehäufte Auftreten von ‚Klimaextremen‘ verschärfen dauerhaft die Gefährdungslage und erhöhen die Verwundbarkeit von Gesellschaften […] Grundsätzlich gilt für das Risiko aller Länder: Eine Nation, die über ausreichend fnanzielle Mittel sowie über funktionierende staatliche und zivilgesellschaftliche Strukturen verfügt, die wiederkehrenden Naturereignissen mit einer lernfähigen Strategie begegnet und die bereit ist, in die Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen wie Wetter- und Klimaextreme zu investieren, wird von extremen Naturereignissen weniger hart getroffen.“ Peter Mucke: Risikoanalyse und Katastrophenprävention. In: Bündnis Entwicklung Hilft (Hrsg.): WeltRisikoBericht. Analyse und Ausblick 2017 (online), S. 8-19, hier: S. 8. URL: Siehe Lit.-Verz. Kurt Oesterle verwies in seinem preisgekrönten Artikel auf Norbert Elias‘ Überlegungen, nach denen die Deutschen das wehmütige Soldatenlied vom „Guten Kameraden“ stets so inbrünstig gesungen hätten, „weil er ihr ‚verdüstertes Selbstgefühl“ ausdrückte. Dass ihre Lieblingslieder fast alle eine „starke Vorahnung des Todes“ erfülle, sei historisch zu erklären: Vom 16. Jahrhundert an war Deutschland durch seine staatliche Schwäche viele Male Europas „Hauptkriegsschauplatz“ gewesen. Vor allem der Dreißigjährige Krieg hinterließ traumatische Spuren im „Habitus der Deutschen“. Geblieben sei ihnen eine „unauslöschliche Erinnerung an Zerstörung, Tod, Vergeblichkeit“. Vgl. Kurt Oesterle: Die heimliche deutsche Hymne. Im Original erschienen im „Schwäbisches Tagblatt“ vom 15. November 1997 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Strukturen längerer Dauer, vor allem, wenn sie sich dem Bewusstsein oder Wissen der ehedem Beteiligten entziehen, können sogar umso ‚wirksamer‘ sein – oder gewesen sein –, je weniger sie zur Gänze in einem empirisch einlösbaren Einzelereignis aufgehen.“ Reinhard Koselleck: Vergangene Zukunft. Suhrkamp Verlag, München 1989, S. 153. Siehe zu Geschichtswissenschaften und Psychoanalyse etwa: Jürgen Straub, Jörn Rüsen (Hrsg.): Die dunkle Spur der Vergangenheit. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1998. Vgl. hierzu Brigitte Lueger-Schuster, Tobias Glück, Elisabeth Zeilinger: Kriegskinder in Österreich. Forschungsbericht zur aktuellen psychischen Symptombelastung und posttraumatischen Belastungsstörungen bei alten Menschen. Publikation des Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung (online). Universität Wien, o.J. URL: Siehe Lit.-Verz.. Zit.n. Lothar Müller: Saure Trauben. Besprechung von Ralf Rothmanns Roman „Im Frühling sterben“. In: „SZ“ vom 20.6.2015, S. 18.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung „Traumatische Ereignisse können Schalter im Erbgut umlegen und so die Aktivität der Gene verändern. Darunter leiden nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihre Nachfahren. “ Shari Langemak: Psychische Belastung wirkt sich auf die Enkel aus. In: „Die Welt“ vom 2.12.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Zit.n. Lothar Müller, a.a.O. „Unter ‚immateriellem Kulturerbe‘ sind Bräuche, Darstellungen, Ausdrucksformen, Wissen und Fertigkeiten – sowie die dazu gehörigen Instrumente, Objekte, Artefakte und kulturellen Räume – zu verstehen, die Gemeinschaften, Gruppen und gegebenenfalls Einzelpersonen als Bestandteil ihres Kulturerbes ansehen. Dieses immaterielle Kulturerbe, das von einer Generation an die nächste weitergegeben wird, wird von den Gemeinschaften und Gruppen in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt, in ihrer Interaktion mit der Natur und mit ihrer Geschichte fortwährend neu gestaltet und vermittelt. [...] Das ‚immaterielle Kulturerbe‘ im Sinne der Nummer 1 wird unter anderem in folgenden Bereichen zum Ausdruck gebracht: a) mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Träger des immateriellen Kulturerbes; b) darstellende Künste; c) gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste; d) Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum; e) traditionelle Handwerkstechniken.“ Deutsche UNESCO-Kommission e.V. (Hrsg.): Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Beschluss der 32. UNESCO-Generalkonferenz vom 17.10.2003 (online), S. 9 f. URL: Siehe Lit.-Verz.. Vgl. ebda., S. 75 f. Vgl. dpa: Europa dominiert das Welterbe. In: „SZ“ vom 4.4.2016, S. 17. Vgl. das Konzept von Jan und Aleida Assmann. „Verhaltensweisen, Vorstellungen, Moden, Sitten streben danach, sich als Entitäten ‚Meme‘ von Mensch zu Mensch fortzupflanzen….Meme? das sind Geschichten, Lieder, Gewohnheiten, Fertigkeiten, Erfindungen, Moden, die wir durch Imitation von anderen Menschen übernehmen. Die menschliche Natur lässt sich durchaus über Evolution erklären, aber nur dann, wenn wir die Evolution von Memen genauso einbeziehen wie die von Genen. Es ist verlockend, Meme einfach als ‚Ideen‘ zu betrachten. Richtiger ist aber, dass sie eine Form von Information darstellen. (Gene sind ebenfalls Information: in DNA geschriebene Instruktionen zum Aufbau von Proteinen.) Die Meme für eine Erkennungsmelodie können im Gehirn eines Menschen gespeichert sein, aber auch auf einer Tonkassette oder auf einem Notenblatt.“ Susan Blackmore: Die Macht der Meme. In: „Spektrum“ vom 1.12.2000 (online), o.O., o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. „Die [für die Überlieferung] nötige Lernfähigkeit des Menschen beruht möglicherweise auf einer dem Homo sapiens im Zuge sei-

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ner Entwicklung zugewachsenen […] Fähigkeit zur Übernahme auch der Perspektive von Mitmenschen […]. Nur auf dieser Grundlage kann ‚Tradition‘ sich bilden, die verhindert, dass jede kreative Innovation mit ihrem Erfinder wieder ausstirbt.“ Volker Steenblock: Tradition. In: Ralf Konersmann (Hrsg.): Handbuch Kulturphilosophie. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart-Weimar 2013, S. 384-387, hier: S. 384. Boschung und Wittekind charakterisieren etwa den Transfer von Wissen und gesellschaftlicher Organisationsformen von der Antike ins Mittelalter so: „Dieser Prozeß [...] der Anknüpfung an bzw. der Abkehr von bestimmten antiken Traditionen] sollte nicht als gleichsam unbewusstes Fortleben verstanden werden, sondern als Leistung der institutionellen und personalen Träger dieser Rezeptions- und Vermittlungsvorgänge, als bewusstes Wollen, das zugleich mit einer Einordnung in neue kulturelle Zusammenhänge einhergehen kann.“ Boschung, Wittekind, a.a.O., S. 9. s. etwa die Kritik an Goldhagen: „Goldhagen verwandelt Geschichte in das Ensemble elementarer anthropologischer Möglichkeiten. Er spricht über den Menschen, über Leid und Qual, Verantwortung und Schuld und zeigt, wozu der Mensch imstande ist. [...] Goldhagens Weg ist die Ontologisierung der NS-Verbrechen (Dipper 1998).“ Michael Kohlstruck: Zwischen Geschichte und Mythologisierung. Zum Strukturwandel der Vergangenheitsbewältigung. In: Andreas Wöll, Michael Kohlstruck, Helmut König (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. VS Verlag, Opladen 1998, S. 86-110, hier: S. 103. Vgl. Christian Schmieder: Die Spermien und das Meer: Metaphernanalyse als qualitative Methode. (Online), o.O. 2007, S. 3 f. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Jürgen Reifenberger: Zwei Häuser – zwei Welten. Verborgene Botschaften in bewegten Zeiten. Altstadtgilde Hildesheim (Hrsg.), Hildesheim 2014, S. 31. Vgl. Michael Niehaus: Durch ein Meer von Unwägbarkeiten – Metaphorik in der Wissensgesellschaft. 2001. Vortrag bei der 7. Tagung der Deutschen Sektion der Internationale Gesellschaft für Wissensorganisation (ISKO) vom 21.-23.3.2001 an der Humboldt-Universität Berlin (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Schmieder, a.a.O., S. 4. „Der vertrauensvoll Handelnde engagiert sich so, als ob es in der Zukunft nur bestimmte Möglichkeiten gebe. Er legt seine gegenwärtige Zukunft auf eine zukünftige Gegenwart fest.“ Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 2. erw. Auflage. Enke-Verlag, Stuttgart 1973, S. 20. Vgl. Herfried Münkler: Die Logik des Mythos. In: „Ästhetik & Kommunikation“, 36. Jahrgang, Heft 129/130, Herbst 2005, S. 61-71, hier: S. 66.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Siehe dazu: Christoph Jammer: Mythos. In: Konersmann, a.a.O, S. 356 ff. „Man kann nicht beides zugleich haben: die Analyse und den Mythos.“ Hans Blumenberg: Rigorismus der Wahrheit. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. Zit.n. Lothar Müller: Einen Hanswurst muss man nicht töten. In: „SZ“ vom 23.3.2015, S. 14. „Im Hinblick auf eine begriffliche Annäherung [...] gilt es [...] festzuhalten, dass [...] in dem [...] multidisziplinären, immer größer werdenden und zunehmend unübersichtlichen Forschungsfeld mit ganz unterschiedlichen Zugangsweisen eine Vielzahl von Begrifflichkeiten bzw. Definitionen kursiert und ‚bis heute kein ausgearbeitetes theoretisches Konzept sozialer Formen von Gedächtnis oder Erinnerung existiert, das allgemein akzeptiert wäre‘.“ Judith Verena Lohner: Journalistische Erinnerung als Dimension europäisierter Öffentlichkeit. Dissertation Universität Hamburg. 2014 (online), S. 19. URL: Siehe Lit.-Verz. „Was bleibt dann aber – selbst unter so günstigen Voraussetzungen – von jener vielgepriesenen direkten Beobachtung, diesem angeblichen Privileg der Gegenwartsforschung, noch übrig? Sie erweist sich nämlich in Wahrheit fast immer als eine Illusion; dann jedenfalls, wenn der Beobachter seinen Gesichtskreis auch nur ein wenig erweitert. Jede Sammlung gesehener Dinge besteht gut zur Hälfte aus Dingen, die andere sahen.“ Bloch, a.a.O., S. 66. Vgl. Hannes Vollmuth: Scherbengericht. Buchbesprechung von Rachel Cusks Roman „Outline“. In: „SZ“ vom 6.9. 2016, S. 14. „,Wie bei physischen Beweismitteln können Gedächtnisspuren verschmutzt werden, kaputt- oder verlorengehen‘, schreiben die US-Rechtspsychologen Gary Wells und Elisabeth Loftus im Lehrbuch ‚Handbook for Psychology, Forensic Psychology‘.“ Jana Hauschild: Augenzeugen vor Gericht. Wenn die Erinnerung trügt. In: „Spiegel online Wisssenschaft“ vom 13.10.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Psychologen aus Kanada und Neuseeland gelang es, Menschen glauben zu lassen, sie hätten als Schüler ihrem Lehrer einen Streich gespielt und grünen Schleim im Lehrerpult versteckt. Besonders leicht ließen sich jene überzeugen, die zuvor ein Foto ihrer alten Klasse gesehen hatten.“ Claudia Wüstenhagen: Wie werden wir uns in zehn Jahren an heute erinnern? In: „Die Zeit“, Ausgabe 6/2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. vgl Gerhard Benatka: „Die Erinnerung ist wie ein Hund“. In: „derstandard“ vom 14.7.2013 (online.) URL: Siehe Lit.-Verz. „‚Wir schaffen unsere Erinnerungen selbst‘, sagt der Bielefelder Gedächtnisforscher Hans Markowitsch. Erinnerungen sind dynamische Rekonstruktionen selektiv wahrgenommener Informationen, emotional gefärbt und manipulierbar. Woran wir uns erinnern, hängt zunächst einmal ab von der eigenen Verfassung im Moment des Erinners. Ein depressiver Mensch wird eher an trost-

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lose Erlebnisse denken, ein glücklicher an die guten.“ Wüstenhagen, a.a.O., o.S. „Unsere Lebenspraxis ist nämlich von der Kenntnis der Dispositionen von Materialien, chemischen Substanzen, Tieren, menschlichen und juristischen Personen und auch von Maschinen abhängig. Köche müssen wissen, wie ihre Ingredienzien schmecken, Ärzte müssen wissen, welche Nebenwirkungen Medikamente haben.“ Runggaldier, a.a.O., S. 66. „Denn wenn wir keine Erinnerung hätten, wüssten wir nicht, wer und wo wir sind, wir würden keinen Satz sprechen und verstehen, und wir könnten uns nichts mitteilen.“ Baberowski 2005, a.a.O, S. 159. Jan Assmann, a.a.O., S. 67 f. Vgl. Holger Gertz: Zum Abschied. In: „SZ“ vom 17.9.2016, S. 3. Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. 3 Bde, 1. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2000, S. 2986. „Vom Spielplatz bis zum Vorstandsbüro passen Menschen ihr Verhalten oft anderen Menschen an, um zu einer bestimmten Gruppe dazu zu gehören. Diese Anpassung erfolgt beim Menschen bereits im Kindesalter, konnte bei Schimpansen und Orang-Utans aber nicht nachgewiesen werden. ‚Konformität spielt im menschlichen Sozialverhalten eine zentrale Rolle. Sie grenzt verschiedene Gruppen voneinander ab und hilft ihnen dabei, ihre Aktivitäten zu koordinieren. Sie stabilisiert und fördert die kulturelle Diversität, ein für den Menschen charakteristisches Merkmal.‘“ SJ/HR: Bloß kein Außenseiter sein! Veröffentlichung des Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie vom 31.10.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Bei dieser Kommunikationsstrategie ist schon die Grundannahme falsch: dass die Menschen zu wenig wissen, mit genügend Informationen aber den Ernst der Lage begreifen. Tatsächlich sei es so, sagt die Psychologie, dass die Zuhörer alle neuen Informationen filtern. ‚Wenn es einen Konflikt zwischen den Fakten und den Wertvorstellungen eines Menschen gibt, werden die Fakten verlieren‘, sagt Stoknes. Was nicht passt, erhält keinen Platz im Denkgebäude. Oft hängt es von der Quelle ab, ob ein Mensch überhaupt richtig zuhört. ‚Schon bevor jemand den Mund aufmacht, ist entschieden, was ich von seiner Botschaft halte‘, so Stoknes. ‚Vertrauen ist wichtiger als Information‘, ergänzt George Marshall. Freunden, Verwandten, dem Pastor oder einem geschätzten Politiker glaubt man. Journalisten der vermeintlich linksorientierten Zeitung glaubt man nicht, und erst recht nicht Umweltschützern, die einem das Auto wegnehmen wollen.“ Christopher Schrader: Mehr Gefühl bitte. In: „SZ“ vom 4.6.2016, S. 37. Sandro Gaycken: Die neue Macht der Manipulation. In: „SZ“ vom 21.9. 2016, S. 2.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Vgl. Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1981, S. 194. Jakob Augstein schrieb zum Prozess um den gewaltsamen Tod der jungen Türkin Tugce Albayrak im Juni 2015 und zu den Reaktionen aus Politik und Öffentlichkeit: „Mitleid und Respekt für das Opfer. Hass und Verachtung für den Täter – das waren die Gefühle, die das ganze Land [nach dem Tod des Opfers] erfassten. […] Die unabhängige Justiz bedeutet Zivilisation. Aber auch in Deutschland ist beides beständig in Gefahr, unabhängige Justiz und Zivilisation. Wenn sich Medien und Meute mit verantwortungslosem Leichtsinn auf jedes spektakuläre Verbrechen stürzen, dann verlassen sie sich blind darauf, dass Staatsanwälte und Richter unbeeindruckt ihre Arbeit tun. Das ist kindisch und gefährlich. Aber wie soll man von Bürgern und Journalisten Disziplin erwarten, wenn selbst die höchsten Repräsentanten des Staates nicht an sich halten können?“ Jakob Augstein: Verbrechen und Strafe. In: „Spiegel online“ vom 18.6.2015. URL: Siehe Lit.Verz. „[…] Erinnerungsprozesse der Art, die man gemeinhin mit dem Individuum assoziiert, [finden] auch fortwährend auf der Ebene der Kultur [statt]. […] Nicht nur Individuen, sondern auch Kulturen oder Gruppen generieren […] zum Zwecke der Selbstvergewisserung und -deutung eine gedächtnisbasierte ‚soziale Autobiographie‘ bzw. ein kollektives Gedächtnis.“ Birgit Neumann, Jürgen Reulecke: Der Gießener Sonderforschungsbereich „Erinnerungskulturen“ geht in die vierte Runde. Veröffentlichung der Justus-von-Liebig-Universität. Giessen 2006 (online), S. 77. URL: Siehe Lit.-Verz. Auf die vielfältigen Definitionen, Verzweigungen und Unterkategorien wie etwa Kollektivgedächtnis, kulturelles Gedächtnis, Gruppengedächtnis usw. soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Siehe dazu einen aktuellen Überblick in der Dissertation von Lohner, a.a.O., S. 10-28. Dem entspricht am ehesten das, was Jan Assmann als kulturelles Gedächtnis bezeichnet: „[...] die Tradition in uns, die über Generationen, in jahrhunderte-, ja teilweise jahrtausendelanger Wiederholung gehärteten Texte, Bilder und Riten, die unser Zeit- und Geschichtsbewußtsein, unser Selbst- und Weltbild prägen.“ Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josephsromanen. Beck, München 2006, S. 70. Geschichtsmanagement zur Herstellung von Identität als Geschäftsmodell: „Das Unternehmen als fließende Gestalt mit unklaren Grenzen – das ist weder für Mitarbeiter noch für Kunden ein Bild, das Sicherheit vermittelt. Der Story-Integrator ist der ‚Geschichtenschreiber‘ des Unternehmens. Im ständigen Dialog mit dem Chief Branding Officer und den neuen und sich verän-

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dernden Teilen in der Organisationverdichtet er die manifestierte Realität zu einer stimmigen ‚Story‘. Indem er temporäre Eindeutigkeit herstellt, schafft er Orientierung.“ Signium international: Unternehmensführung 2030. Innovatives Management für morgen. (Online), o.O., o.J., S. 29. URL: Siehe Lit.-Verz. „Geschichtswissenschaft ist heute in einer ‚Szene‘ ‚alternativer Geschichtsschreibung‘ situiert. Im Extremfall nimmt ‚alternative Geschichtsschreibung‘ die Fachhistorie nicht einmal mehr als Adressaten von Kritik ernst. Sie wird ignoriert.“ Dietrich Seybold: Historisch-politische Kontroversen in Gesellschaften der Gegenwart. Peter Lang, Bern 2005 (online), S. 19. URL: Siehe Lit.-Verz. Bissig etwa kommentierte Gerhard Matzig im Sommer 2015 die aktuelle Massierung „telegener Geschichtsstunden“ und deren unterschiedliche Qualität: „Mal könnte man tatsächlich den Begriff des seriösen Bildungsfernsehens bemühen, mal ist es eher so, als seien Tine Wittlers ‚Dokutainment‘-Reihe und Guido Knopps Erfindung des ‚Doku-Dramas‘ vor dem RTL-Altar einen unheimlichen Bund der Ära und der Geschichtsbespaßung eingegangen, gegen den sich Disneys Märchenimperium wie ein altehrwürdiger Historiker-Kongress ausnimmt.“ Gerhard Matzig: Telekolleg total. In: „SZ“ vom 13./14.6.2015, S. 46. Das gilt auch und vor allem für die Zunft der Geschichtswissenschaftler: „Die im Laufe des 19. Jahrhunderts hart erkämpfte Deutungshoheit der Historiker über die Vergangenheit ist längst selbst Geschichte geworden. Neben Fernsehdokumentationen und Schulbüchern erreichen Ausstellungen wesentlich breitere Bevölkerungskreise, als es sogar die wenigen viel gelesenen Werke unserer Zunft vermögen.“ Johannes Zechner: Rezension von Angelika Schoders „Die Vermittlung des Unbegreiflichen“. Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2014. In: „H-Soz-Kult“. 04.09.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Katja Fausser: Wenn es knirscht in den Erzählungen: Vom Wert selbstbestimmter Aneignung von Geschichte durch junge Europäer_innen. Beitrag zur Tagung „Erinnern-kontrovers“ am 9. und 10. Juli 2015 der „Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e.V.“ in Berlin (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Jörg van Norden: Bewusstsein, Erinnerung, Gedächtnis, Kultur - Historisches Denken zwischen individueller Autonomie und kollektiver Normativität. Beitrag zur Tagung „Erinnern kontrovers“ der Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e.V am 9. und 10. Juli 2015 in Berlin (online). URL: Siehe Lit.Verz. Vgl. André Postert, Francesca Weil, Dirk Schuster: Tagungsbericht über: „Der Ort der ‚Volksgemeinschaft‘ in der deutschen Gesellschaftsgeschichte“. Tagung des Niedersächsischen Forschungskollegs „Nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘?

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Konstruktion, gesellschaftliche Wirkungsmacht und Erinnerung vor Ort“. 25.06.2015-27.06.2015 in Hannover (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Steenblock, a.a.O., S. 385. s. zur aktuellen Debatte s. etwa Florian Freistetter: Kreationismus, eine Alternative zur Evolutionstheorie. In: „derstandard“ vom 28. April 2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Wenn Bischof Berkeley 1726 ausrief: ‚Westward the Course of Empire takes its Way‘, griffen diejenigen Amerikaner, die sich diesen Gedanken zu eigen machten, wie er bewusst auf die griechisch-römische Lehre von einem providenziellen Machtzentrum zurück, dessen Sitz von Osten nach Westen kontinuierlich weiterwandere. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts fand ein aufmerksamer englischer Reisender diese Denkfigur in den Kolonien ‚allgemein verbreitet‘. Die [...] ‚Gründungsväter‘ haben dieser Bewegung immer wieder ihr Amerika als Endstation zugewiesen.“ Hans-Ulrich Wehler: Amerikanischer Nationalismus, Europa, der Islam und der 11. September 2001. Vortrag zum Jahresempfang der Universität Bielefeld am 14. Juni 2002 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Felicitas Schmieder: Prophetien als Sprachcode der moralischen, gesellschaftlichen und politischen Kommunikation im 13. und 14. Jahrhundert. (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Wilhelm Dilthey: Weltanschauungslehre. Abhandlungen zur Philosophie der Philosophie. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 8. 4. Auflage. Stuttgart 1968. Zit.n. Steenblock, a.a.O., S. 385. „Erstens, hätten nicht die neuen Generationen unaufhörlich gegen die ererbte Tradition revoltiert, würden wir noch heute in Höhlen leben; zweitens, würde die Revolte gegen die ererbte Tradition einmal universell, befänden wir uns wieder in den Höhlen.“ Leszek Kolakowski: Vom Sinn der Tradition. In: Merkur 23 (1969), S. 1085-1092. Zit.n. Steenblock, a.a.O., S. 386. „Die Fakten allein bedeuten nicht viel. Entscheidend ist, welche Geschichte mit ihnen erzählt wird. Oder in den Worten Barack Obamas vergangeneWoche in einem Interview mit der New York Times, das die SZ nachdruckte: ,Ich denke, eine der wesentlichen Aufgaben politischer Führer ist es, die bessereGeschichte davon zu erzählen, was uns Menschen zusammenhält. Was Amerika so einzigartig macht, istdie Fähigkeit, so viele disparate Elemente vereinen zu können.‘ Auf die bessere Geschichte kommt es an. Das ist schön und gut und auch natürlich überhaupt nicht falsch. Angesichts der Tatsache jedoch, dass sich die Gegensätze in den USA unter dem hoch talentierten Erzähler Obama eher verschärft haben, klingt es auch etwas schal. Vor allem aber zeigt es auch den problematischen Kern liberaler Politik. Überzeugende liberale, also im weitesten Sinne antipopulistische Politik kann nicht dem Gegner einen zweifelhaften Umgang mit Fakten vorwerfen,

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sich gleichzeitig selbst aber offen das Recht zugestehen, sie so zu erzählen, wie sie sie eben braucht.“ Jens-Christian Rabe: Wahrheit und Erzählung. In: „SZ“ vom 26.1.2017, S. 9. Vgl. insgesamt: Robert von Friedeburg: Political Thought in Early-Modern Europe. Studienmaterial zum Kurs 34215 des Studiengangs „Europäische Moderne: Geschichte und Literatur“ an der Fernuniversität Hagen. FernUniversität Hagen 2005. Vgl. Rudolf Hiestand: Gibt es ein Europäisches Mittelalter? In: Hans Hecker (Hrsg.): Europa – Begriff und Idee. Historische Streiflichter. (Kultur und Erkenntnis. Schriften der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Bd. 8). Bonn 1991, S. 33-48., hier S. 48. Dieter Metzler: Achsenzeit als Ereignis und Geschichte. In: M. Fitzenreiter (Hrsg.): Das Ereignis. Zum Nexus von Struktur- und Ereignisgeschichte, Workshop vom 3.–5. 10. 2008. Internet-Beiträge zur Ägyptologie und Sudanarchäologie [IBAES] 10 (London 2009) (online), S. 169-174, hier: S. 170. URL: Siehe Lit.-Verz. „Als Motiv [der Ausgrabungen] nehme ich den Wunsch Nabonids und seiner Unterstützer an, ihn als Nachfolger der großen Könige der Vergangenheit zu legitimieren, was von der Führungsschicht der Städte und Tempel dazu benutzt worden sein kann, durch spektakuläre ‚Funde‘ die Aufmerksamkeit und Fürsorge des Königs auf sich zu ziehen.“ Hanspeter Schaudig: Nabonid, der „Archäologe auf dem Königsthron“. In: Gebhard J. Selz (Hrsg.): Festschrift für Burkhart Kienast. Reihe Alter Orient und Altes Testament, Bd. 274. Ugarit Verlag, Münster 2003, S. 447497, hier: S. 496. „Eine antike griechische Stätte auf der von Russland annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim ist [...] unter die Aufsicht Moskaus gestellt worden. Der historische Ort Chersones vor den Toren der Hafenstadt Sewastopol werde künftig vom russischen Kultusministerium verwaltet, das auch einen neuen Direktor ernennen werde, [...]. Die Stätte gehört zum Weltkulturerbe der Unesco. Putin hatte die archäologische Stätte in seiner Rede an die Nation 2014 als ‚heiligstes, spirituelles Symbol‘ Russlands bezeichnet.“ N.N.: Antike Stätte auf der Krim unter Moskauer Kontrolle. In: „Morgenpost“ vom 3.8.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Die israelische Akademie der Wissenschaften hat eine politische Vereinnahmung der archäologischen Forschung in Israel beklagt. [...] Im Zentrum der Kritik steht die Übertragung der sogenannten Davidstadt, dem Ausgrabungsareal unterhalb des Tempelbergs, an [die rechtsgerichteten Organisation ] ‚Elad‘. Es sei unangemessen, einer Organisation mit politischem Charakter die öffentliche Präsentation von archäologischen Stätten zu überlassen. Multikulturelle Stätten dürften nicht auf ihre jüdischen Aspekte reduziert werden.“ N.N.: Forscher in Israel warnen vor Verein-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung nahmung von Archäologie. In: WDR1 Kulturnachrichten vom 10.7.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Zeugnisse der alten Indus-Kultur wurden [...] im heutigen Indien [gefunden], entlang des Flusses Ghaggar-Hakra. Wenn man nun beweisen könnte, dass dieser saisonale Fluss einst der Saraswati war, wie ihn die Veden beschreiben, dann ließe sich die älteste Kultur der Region auch leichter als eine Kultur von Hindus beschreiben. Die Verfasser der vedischen Verse wären demnach dieselben Leute, die vor Tausenden Jahren die Städte der HarappaKultur errichteten. […] Die Vorstellung [...], dass Hindus alle Kultur auf dem Subkontinent begründeten, gefällt der hindu-nationalistischen Bewegung Indiens offenbar so gut, dass sie den Mythos pflegen, egal ob es dafür Belege gibt oder nicht. Seit vielen Jahren träumen diese Kräfte davon, den Saraswati wiederzubeleben, als fließendes Denkmal, um vor allem eine Idee hochzuhalten: Wir Hindus waren zuerst da. Seitdem Premier Narendra Modi Indien regiert, haben die alten Pläne für den Fluss neuen Schub gewonnen. [...] Jetzt, da er mit seiner Partei BJP das Land führt, fühlen sich jene Ideologen ermuntert, die sich auf „Hindutva“ stützen. Hindutva ist ein Programm, das darauf zielt, Indien in eine Hindu-Nation zu verwandeln, in der sich andere religiöse Gruppen unterzuordnen haben.“ Arne Perras: Unter Strom. In: „SZ“ vom 27.4.2017, S. 3. Vgl. Münkler, a.a.O., S. 71. „Als im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert europäische Forscherteams im Irak gruben, inUruk und in Babylon, begann mit der Wiederentdeckung der Antike auch deren Vernichtung. Die Funde der Archäologen lösten eine Antikenmode aus: Adelige in England und Großbürger in Deutschland brüsteten sich nicht nur mit Kenntnis des Altertums, sondern auch mit dem Besitz seiner Hinterlassenschaften, mit Statuen und Tafeln, Schmuckstücken und Mosaiken. Erst dies sicherte Raubgräbern, Hehlern und Antiken-Schmugglern ihr Auskommen.“ Alexander Menden, Mike Szymanski, Kia Vahland, Sonja Zekri: Verscherbelt. In „SZ“ vom 4.6.2016, S. 15 ff. „Außer anderen Besonderheiten hat die sechshundertmillionenköpfige Bevölkerung Chinas eine augenfällige Besonderheit: sie ist einmal arm, zum anderen weiß wie ein unbeschriebenes Blatt. […] Armut drängt zur Änderung, zur Tat, zur Revolution. Ein weißes Blatt Papier ist durch nichts beschwert, auf ihm lassen sich die neuesten und schönsten Schriftzeichen schreiben, die neuesten und schönsten Bilder malen.“ Mao Tse Tung: Eine Genossenschaft wird vorgestellt. (15.4.1958). Zit.n.: Worte des Vorsitzenden Mao. Verlag Neuer Weg, Essen 1993, S. 44 f. Vgl. Johannes Kuhn: Wie kritisch darf ein US-Schüler sein? In: „SZ“ vom 16.3.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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129. Veit Straßner: Rezension zu:  Stefan Peters;  Hans-Jürgen  Burchardt; Rainer Öhlschläger (Hrsg.): Geschichte wird gemacht. Vergangenheitspolitik und Erinnerungskulturen in Lateinamerika. Baden-Baden 2015. In: „H-Soz-Kult“. 07.09.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 130. Vgl. Jens van Scherpenberg: Rezension zu: Manfred Berg: Geschichte der USA, München: Oldenbourg 2013. In: „sehepunkte“ 14 (2014), Nr. 6 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.. 131. Tobias Kniebe: Der Verzauberer. In: „SZ“ vom 31.3.2015, S. 3. 132. Vgl. Karl Löwith: Die Hegelsche Linke. Frommann Verlag, Stuttgart 1962, S. 38. 133. „Wir können unterscheiden zwischen physischer und psychischer, zwischen legitimer und illegitimer, zwischen legaler und illegaler Gewalt. Diese Unterscheidungen teilen die Gewaltphänomene anhand verschiedener Kriterien in verschiedene Klassen, was den Gegenstand heute wesentlich komplexer erscheinen lässt.“ Raphael van Riel: Gedanken zum Gewaltbegriff. Arbeitspapier der Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung der Universität Hamburg – IPW, Nr. 5/2005 (online), S. 2. URL: Siehe Lit.Verz. 134. „Einander gegenüber stehen zwei Fraktionen, die Mainstreamer und die Innovateure. Die Mainstreamer sind diejenigen Gewaltforscher, die sich in einer sozialwissenschaftlichen Tradition befinden, deren Vorgehen an kausaltheoretischen Deutungsmustern und quantitativer Forschung orientiert ist. Das wird ihnen von den Innovateuren ebenso vorgeworfen, wie die vermeintlich unzulässige Ausweitung des Gewaltbegriffs über den physischen Bereich hinaus. Die Annahme der Existenz struktureller, psychischer und institutioneller Gewalt ist kennzeichnend für einen großen Teil der Mainstreamer. Die Innovateure suchen dagegen die Verwicklung der immer als physisch verstandenen Gewalt in den Prozess der Vergesellschaftung nachzuzeichnen. Gewalt wird dabei als anthropologische Konstante betrachtet. Diese Vorstellung [...] wird von den Innovateuren, unter ihnen Trutz von Trotha und Wolfgang Sofsky, gegen die implizite These einiger Mainstreamer ins Feld geführt, dass es sich bei Gewalthandlungen um prinzipiell vermeidbare, gesellschaftliche oder zivilisatorische Ausnahmefälle handle.“ Ebda., S. 3. 135. „Wahrnehmungsdispositionen, Wissensbestände und Deutungsmuster vergangener Kriegserfahrungen bestimmen in einer in den Tiefenschichten des Bewußtseins der Menschen sedimentierten Form der Wahrnehmung und Deutung gegenwärtigen Erlebens und die Orientierung für aktuelles und zukünftiges Handeln. Sie bilden einen Teil des kulturellen Gedächtnisses. Auf diese Weise kann sich Kriegserfahrung mit anderen gesellschaftlichen Konstruktionen von Wirklichkeit verbinden und gleichsam in sie eingehen. Derart verarbeitete Kriegserfahrung en bleiben in den his-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung torischen ‚Großen Erzählungen‘, die Orientierungswissen vermitteln, in gesellschaftlichen ‚Mythen‘, in symbolischen Repräsentationen, in ihren Ästhetisierungen, an Erinnerungsorten und als geschichtspolitische Erinnerungspraxis auch für nachfolgende Generationen bildend und bindend präsent.“ Anton Schindling: Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Erfahrungsgeschichte und Konfessionalisierung. In: Matthias Asche, Anton Schindling (Hrsg.): Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Aschendorff Verlag, Münster 2002, S.11-58, hier: S. 14. „Donald Bloxham und Roben Gerwarth [...] unterscheiden zwischen vier Formen staatlicher und nichtstaatlicher Gewalt: 1 ) Gewalt in militärischen Konflikten; 2) Projekte genozidaler Politik sowie ‚ethnische Säuberungen‘; 3) Terrorismus und staatliche Repression sowie 4) Revolutionäre und gegenrevolutionäre Gewalt;“ Annette Weinke: Gewalt, Geschichte, Gerechtigkeit. Transnationale Debatten über deutsche Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert. Wallstein Verlag, Göttingen 2016, S. 12. Vgl. Helmut König: Die Zukunft der Vergangenheit. Der Nationalsozialismus im politischen Bewusstsein der Bundesrepublik. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003, S. 168. Vgl. ebda., S. 149-172. Als allgemeinste Definition kann die von Annette Weinke gelten: „Im engeren Sinne umfasst der Begriff jene juristisch-administrativen Prozesse, die auf die Bestrafung justiziabler Handlungen, die Opferentschädigung und die Rückübertragung von geraubtem Eigentum nach einem abgeschlossenen Systemwechsel zielen. Eine weiter gefasste Definition schließt hingegen auch Maßnahmen der politischen Bildung, des öffentlichen Gedenkens und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit historischem Unrecht ein, die in ihrer Gesamtheit den kulturellen Wandel und die innere Demokratisierung von Postkonfliktgesellschaften vorantreiben sollen.“ Weinke 2016, S. 22. Vgl. Johannes Freudenreich: Entschädigung zu welchem Preis? Reparationsprogramme und Transitional Justice. Diplomarbeit, Universitätsverlag Potsdam 2010. Schriftenreihe Potsdamer Studien zu Staat, Recht und Politik, Nr. 6 (online), S. 44. URL: Siehe Lit.-Verz. „Nicht Renaissance oder Aufklärung haben die Europäer so klug gemacht, dass sie irgendwann naturgemäß überlegen waren. Nein, die ständigen innereuropäischen Kriege, angefangen von denen der italienischen Stadtstaaten bis zu den Erbstreitigkeiten der Kaiser und Könige zwangen zu einer schnellen Entwicklung der militärischen Technik, Taktik und Organisation. Zugleich führte der permanente innereuropäische Kriegszustand zu intensi-

Anmerkungen

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ven theoretischen Anstrengungen, etwa bei Hobbes und Kant, um mithilfe des Geistes und der Moral vielleicht doch einenWeg zu finden, den Krieg aller gegen alle zu beenden. Die aus gegenwärtiger Perspektive höchst provokante Pointe folgt. Es stellt sich nämlich heraus, dass der Entwicklungsrückstand der islamischen Welt, der sich gegenüber Europa im Lauf der Zeit ergeben hat, das Resultat ihres vergleichsweise reibungsloseren, friedlicheren, besseren Funktionierens gewesen ist. Und so redet sich Europa und der Westen seit jeher die eigene Geschichte schön: ‚Typisch hierfür war die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union im Jahr 2012: Wie wunderbar, dass Europa, das jahrhundertelang nicht nur auf seinem eigenen Kontinent, sondern in der ganzen Welt beinahe ständig Krieg geführt hat, es nun geschafft hatte, seit mehreren Jahrzehnten jede bewaffnete Auseinandersetzung zu vermeiden. [...] In Wirklichkeit war das Schweigen der Kanonen wohl eher der Tatsache geschuldet, dass es nichts mehr gab, wofür es sich zu kämpfen lohnte – und weniger der Voraussicht einer Reihe angeblich brillanter Friedensstifter im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert oder den Wundertaten einer schwerfälligen Organisation europäischerStaaten.‘“ Stefan Weidner: Die Seidenstraßen in die Gegenwart. Buchbesprechung von Peter Frankopans „Licht aus dem Osten. Eine neue Geschichte der Welt.“ In: „SZ“ vom 6.10.2016, S. 14. 142. „In den Präambeln, und auch in Friedensartikeln wird häufig ab dem 16. Jahrhundert als Ziel der Vertragspartner nicht nur die Wiederherstellung des Friedens zwischen ihnen, sondern die Herstellung einer pax universalis oder doch der Ruhe, repos, der respublica christiana oder der chrétienté genannt, obwohl es bis in das 18. Jahrhundert immer nur bilaterale Verträge waren.“ Heinhard Steiger: Vorsprüche zu und in Friedensverträgen der Vormoderne. In: Heinz Duchhardt, Martin Peters (Hrsg.): Kalkül – Transfer – Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne. Mainz 2.11.2006. Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Beiheft 1 (online). Abschnitt 3.4.4. URL: Siehe Lit.-Verz. 143. Etwa: „Die Vertragsschließenden richteten sich in erster Linie an die Menschen ihrer Zeit. Aber sie wandten sich nicht selten auch an die zukünftig lebenden Menschen. Friede soll für lange geschlossen werden – wenn er auch in der Wirklichkeit meist nicht sehr lange hielt. So benutzte noch die Präambel des Vertrages von Teschen die mehr oder weniger allgemein übliche Formel ‚soit notoire à tous présents et à venir [...]‘ Der Zukunftsbezug wurde in einigen Vorsprüchen ausdrücklich ausgesprochen.“ Ebda., Abschnitt 2.2.2. 144. „Karl V. gelang es, seine Option, die Religionseinheit auch durch Krieg gegen die ‚häretischen‘ Reichsfürsten wieder herzustellen, zusammen mit dem Kampf gegen die Türken in den Friedensver-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung trägen zwischen Karl V. und Franz I. als ein vorrangiges Ziel des jeweils zu schließenden Friedens zu verankern. [...] Sie wollen daher die Wurzeln ihrer Streitigkeiten ausreißen, das Blutvergießen stoppen und ‚une bonne Paix universelle‘ abschließen, ‚pour pouvoir convertir les armes communes de tous Roys, Princes, et Potentats Chrestiens à la repulsion et ruine desdits mescreans infideles et extirpation des erreurs de la Secte Lutherienne et des autres Sectes […]‘.“ Ebda., Abschnitt 3.5.3. „Traditionell wurden auch Schandmale und Sühnekreuze errichtet, die dem für schuldig Befundenen seine Missetaten öffentlich vor Augen hielten und ihn auf ewig an sie erinnern sollten; niedergeworfene Rebellen wurden gezwungen, in Erinnerung an ihren Frevel Gedenksäulen zu errichten.“ Volkhard Knigge: Gesellschaftsverbrechen erinnern. Zur Entstehung und Entwicklung des Konzepts seit 1945. In: Volkhard Knigge, Ulrich Mählert (Hrsg.): Der Kommunismus im Museum. Formen der Auseinandersetzung in Deutschland und Ostmitteleuropa, Köln 2005, (online), S..2..URL:.Siehe Lit.-Verz. König nennt vier Varianten: a) Blutige kurze Abrechnung und öffentliche Ächtung, b) Amnestie und Stillschweigen, c) korrekte Strafverfahren und Durchsetzung einer Erinnerungskultur mit dem Ziel der Ächtung des Regimes, Ehrung der Opfer, Entschädigung und Würdigung Verfolgter, d) Straffreiheit der Täter unter der Bedingung des öffentlichen Eingeständnisses der Schuld und öffentlicher Aufklärung. Vgl. König 2003, a.a.O., S. 8. „In allen Konfessionen wurde der Krieg in einem biblischen Sinne als Strafe Gottes verstanden. Eine Deutung des Dreißigjährigen Krieges als Krieg um das richtige Bekenntnis war vor allem bei den Lutheranern gegeben und blieb über den Westfälischen Frieden hinaus in der Nachkriegszeit prägend […].“ Schindling, a.a.O., S. 24. Den Begriff des Souveräns gab es zwar auch schon vor 1648, aber dessen Eigentums- und Verfügungsrechte waren durch die alten Lehensbeziehungen eingeschränkt. Vgl. dazu: Matthias Schnettger: Päpstliches und kaiserliches Lehnswesen in der Frühen Neuzeit – einige Vorüberlegungen. In: „zeitenblicke“ 6 (2007), Nr. 1, 10.05.2007 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Das von den europäischen Mächten geprägte Völkerrecht, das ‚Ius Publicum Europaeum‘, war bis zum Ersten Weltkrieg und zum Teil noch darüber hinaus eine nahezu geschlossene Rechtsordnung, an deren Bau außereuropäische Gemeinwesen grundsätzlich keinen Anteil haben sollten. Darüber hinaus verstand es sich zunehmend auch als exklusive Ordnung, die keine andere neben sich duldete. In Thomas Lawrønces Worten umfasste die Völkerrechtsordnung ‚the rules which determine the conduct of the general body of civilized states in their dealings with one another‘. Nur scheinbar entspricht diese Definition dem heutigen

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Verständnis, das ‚civilized states‘ als Pleonasmus behandelt. Denn andere Gemeinwesen als die an der Ordnung beteiligten wurden per definitionem als un- oder halbzivilisierte ausgegrenzt; folglich konnten sie im Grundsatz auch keine Völkerrechtssubjekte, sondern allenfalls Objekte des Völkerrechts sein.“ Jörn Axel Kämmerer: Das Völkerrecht des Kolonialismus: Genese, Bedeutung und Nachwirkungen. In: Verfassung und Recht in Übersee (VRÜ), Heft 39, 2006 (online), S. 400. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Ulrich Scheuner: Die großen Friedensschlüsse als Grundlage der europäischen Staatenordnung zwischen 1648 und 1815. In: Konrad Repgen, Stephan Skatweit (Hrsg.): Spiegel der Geschichte. Festgabe für Max Braubach zum 10. April 1964. Verlag Aschendorff, Münster (Westf.) 1964, S. 220–250, hier: S. 236. So etwa auch in den deutschen Kolonialgebieten: „Das Schutzgebietsgesetz (SchGG. vom 17.4.1886. J.R. ) geht davon aus, dass die eingeborene Bevölkerung in den Schutzgebieten in Anbetracht ihres geringen Kulturzustandes im allgemeinen noch nicht reif ist, rechtlich mit den Europäern. auf eine Stufe gestellt zu werden, und dass es ferner kolonialpolitisch richtig ist, nach Möglichkeit die angestammten Sitten und hergebrachten Rechtsanschauungen der Eingeborenen zu schonen. Wie § 4 SchGG. vorsieht, unterliegen deshalb die Eingeborenen (in Betracht kommen in Deutsch Ostafrika Suaheli, Neger der Bantustämme; in Kamerun und Togo Bantuneger, Sudanneger und hamitische Elemente, wie Haussa und Fulbe; in Deutsch - Südwestafrika Herero, Ovambo, Hottentotten, Bergdamara, Buschmänner und Bastardstämme; in der Südsee Papuas, Melanesier, Mikronesier, Polynesier; in Kiautschou Chinesen der für die weiße Bevölkerung eingeführten Gerichtsbarkeit sowie dem für diese auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts, Strafrechts und gerichtlichen Verfahrens maßgebenden Recht nur insoweit, als dies durch Ksl. Verordnung bestimmt wird.“ Heinrich Schnee (Hrsg.): Deutsches Kolonial-Lexikon. 3 Bde. Quelle & Meyer, Leipzig 1920. Band I. In: Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft. Universität Frankfurt a.M. (online), S. 507 ff. URL: Siehe Lit.-Verz. „Faktum war, dass zahlreiche Gesetze nicht von vornherein in den Kolonien galten […]. Die indigene Bevölkerung blieb weitgehend ausgeklammert. Ihr demokratische Mitwirkungsrechte zu verleihen, kam weder Politik noch Rechtslehre in den Sinn, und selbst von Frankreich sind solche Partizipationsmöglichkeiten erst im 20. Jahrhundert begründet worden.“ Kämmerer, a.a.O., S. 410. Während der britischen Herrschaft in Indien wurde diese Parallelrechtsprechung mit Hilfe abenteuerlicher rassistischer Konstruktionern praktiziert: „Prügelte ein Plantagenbesitzer seinen indischen Arbeiter zu Tode, lag dies nicht an der Stärke des Angriffs, sondern in der eigenartigen Schwäche der indischen Physis be-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung gründet. Sprichwörtlich wurden der ‚push with the foot‘ des Plantagenbesitzers und der allzu ‚vulnerable Indian spleen‘. [...] Die Rechtsmedizin bildete die Grundlage für Freisprüche trotz exzessiver Gewaltanwendung: Briten gingen bei Morden an indischen Arbeitern selbst bei eindeutiger Beweislage erschreckend häufig straffrei aus, was die rechtlichen Privilegien einer europäisch dominierten Jury und die Art der Beweisführung durch Criminal Procedure Code und Indian Evidence Act ermöglichten, die nach Meinung Kolskys durch die Kooperation von Richtern, Anwälten, Justizpersonals die rule of colonial difference klassenübergreifend entlang der ‚Rassen‘grenzen befestigten.“ Verena Steller: Buchbesprechung zu Elizabeth Kolsky: Colonial Justice in British India. In: „sehepunkte“ 11 (2011), Nr. 5 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. „Denn in den meisten Fällen umfasst die ‚politische Nation‘, die den ursprünglichen Begriff für das spätere Volk als Nation liefert, nach allgemeinem Verständnis höchstens einen Bruchteil der Bewohner eines Staates, nämlich die privilegierte Elite, das heißt den hohen und den niederen Adel.“ Eric J. Hobsbawm: Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1991, S. 89. Vgl. Horst Dreier: Säkularisierung des Staates am Beispiel der Religionsfreiheit. In: Rechtsgeschichte – Legal History. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, Heft 19/ 2011 (online), S. 72-86, hier: S. 76 f. URL: Siehe Lit.-Verz. „‚Ordo‘ galt ‚als abgestufte, von Gott ausgehende Weltordnung‘ des Mittelalters. In dieser stehe das Verhältnis von ‚Herr und Knecht‘ für verschiedene Varianten der vertikalen Zweierbeziehung: für die von Herren zu Sklaven, von Leibherren zu Leibeigenen, von Grundherren zu Hörigen oder Grunduntertanen, etc. Dies waren Hierarchien innerhalb der umfassenderen abgestuften Gliederung der ‚oratores, bellatores und laboratores‘ Die irdische hatte in der himmlischen Hierarchie ihre Entsprechung.“ Karl Acham: Rezension zu Gerald Stourzh: Die moderne Isonomie. Menschenrechtsschutz und demokratische Teilhabe als Gleichberechtigungsordnung. Wien 2015. In: „H-Soz-Kult“. 22.06.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Bis zum Eintritt der Satzung des Völkerbunds im Jahre 1919 gab es im Völkerrecht keinerlei Beschränkung des Rechts der Annexion. Krieg und Aggression waren damals legale und legitime Mittel der Staaten, um ihre Macht auszuweiten. Die Staaten waren Inhaber eines „ius ad bellum“. Vgl. dazu auch Benedikt Behlert: Die Unabhängigkeit der Krim: Annexion oder Sezession? Veröffentlichung des Instituts für Friedenssicherungsrecht und humanitäres Völkerrecht (IFHV). Ruhr-Universität Bochum. IFHV Working Paper, Vol. 5, Nr. 2 vom 2.9.21015 (online), S. 3. URL: Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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158. „Die Kulturleistung, die dahinter steht, ist nach Ansicht des Berliner Politologieprofessors Herfried Münkler nicht zu unterschätzen: ‚Der Krieg wurde eingehegt, reguliert und auf ordentlich organisierte Schlachten beschränkt.‘ Er wurde geführt und gelitten von trainierten Profis mit ‚Lizenz zum Töten und getötet zu werden‘ (Münkler).“ Thomas Darnstädt: Frieden durch Recht. In: „Der Spiegel“ vom 2.7.2001 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 159. „Es solle alles dessen beiderseits, was von Anfang dieser Kriegsempörungen, es sei an Orten und auf welche Weise, wie es wolle, eines und andern Teils feindlich vorgegangen, gänzlich und zu ewigen Zeiten nimmer gedacht werden. [...] dergestalt dass alles, was ein Teil gegen den andern suchen möchte, hierunter mit ewiger Vergessenheit begraben sein solle.“ In: Friedens-Schluß/ Wie solcher Von der Römischen Käyserlichen/ Auch Königl. Schwedischen Mayst. Mayst. So dann Deß Heyl. Römischen Reichs Extraordinari-Deputirten vnd [und] anderer Chur: Fürsten vnd [und] Ständ Gevollmächtigten vnd [und] Hochansehenlichen Herren Abgesandten zu Oßnabrück den 27ten. Julij vnd [Julii und] 6ten Augusti/ Im Jahr 1648. auffgericht vnd [und] verglichen/ vnd [und] daselbsten 24/14. Octobris in offentlicher Versamblung vnderschrieben vnd [underschrieben und] bekräfftiget/ auch den 25/15. eiusdem solenniter publicirt worden/ &c.: Auß dem wahren Original, wie es bey dem Cur-Mäyntzis. Reichs-Directorio deponirt worden/ ins Teutsche versetzt. Franckfurt: Fischer; Mäyntz, Heil, 1649, S. 14 f. (Artikel II des Vertrags von Osnabrück.) In: Digitale Sammlungen der Univ.- und Landesbibliothek Münster 2012. URL: Siehe Lit.-Verz. 160. „Seit dem Westfälischen Frieden gehörte es zur communis opinio, also zur allgemeinen Rechtsüberzeugung in Europa, dass die Amnestie zu jedem Friedensvertrag gehöre und auch in den Fällen, wo sie nicht ausdrücklich erwähnt wird, als selbstverständlichen Bestandteil des Vertrages anzusehen sei. ‚In amnestia substancia pacis‘ – in der Amnestie liegt der Frieden begründet, hiess es.“ Gerd Hankel: Kriegsverbrechen und die Möglichkeiten ihrer Ahndung in Vergangenheit und Gegenwart. In: Forum „Barbarossa“. 2002 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. auch: Christian Meier: Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns. Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit. Siedler Verlag, München 2010, S. 9-36 und S. 41. 161. „Eine völlige, allgemeine und besondere Amnestie soll zu Gunsten aller Individuen jedes Ranges, Geschlehts oder Standes Statt finden.“ Artikel 11 der Wiener Congreß-Acte, unterzeichnet am 8. Junius 1815. In: Staatsverträge zwischen deutschen und ausländischen Staaten (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 162. „Kein Bewohner der abgetretenen Gebiete darf in seiner Person oder seinem Vermögen wegen seiner politischen oder militairischen Handlungen während des Krieges verfolgt, gestört oder zur

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Untersuchung gezogen werden.“ Artikel 2 (2). des Friedens-Vertrages zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich [„Frank furter Friedensvertrag“] (10.05.1871) (online). URL: Siehe Lit.Verz. Zit.n. Hankel 2002, a.a.O., o.S. Martin Kirsch: Verfassungswandel um 1848 – Aspekte der Rezeption und des Vergleichs zwischen den europäischen Staaten. In: Martin Kirsch, Pierangelo Schiera (Hrsg.): Verfassungswandel um 1848 im europäischen Vergleich. Duncker & Humblot, Berlin 2001, S. 31-62, hier: S. 35. „Als die sechs Komponenten dieser politisch-rechtlichen Ordnung benennt [Stourzh] die folgenden und erörtert sie jeweils in einem eigenen Abschnitt: die allgemeine Rechtsfähigkeit, die Gleichheit vor dem Gesetz und besonders die persönliche Rechtsgleichheit, die Entwicklung von ,Grundrechten‘, die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit und besonders der Individualbeschwerde zur Garantie dieser Grundrechte, die Internationalisierung von Grundrechten als Menschenrechten, schließlich die Demokratie als Verwirklichung des Grundrechts auf Teilhabe an der politischen Gestaltung. Es sind diese sechs der politischen Lebensform zumindest in jenen Ländern, die sich heutzutage auf Demokratie und Menschenrechte berufen, die der Autor in ihrerGesamtheit mit dem Namen ‚moderne Isonomie‘ bezeichnet.“ Acham, a.a.O. „Erst nach dem Durchbruch der Aufklärung, war es nach Stourzh vorstellbar, in der politischen Praxis jene Form ‚menschlicher Selbstbestimmung‘ ins Werk zu setzen, wie sie ‚im Postulat der konstituierenden Gewalt des Volkes‘, in den Erklärungen allgemeiner Menschenrechte und im Prozess der Verfassungsgebung in den amerikanischen Staaten und dann in Frankreich zum Ausdruck kam.“ Ebda. Noch um 1850 war etwa der Parlamentarismus Großbritanniens aufgrund hoher besitzrechtlicher Hürden ein exklusives Herrschaftssystem, in dem nur etwa 5% der Bevölkerung die Berechtigung zur Wahl hatten. Der Zugang zum britischen „body politics“ zur „politischen Nation“, d.h. zum House of Commons, richtete sich nach Einkommenshöhe, Vermögen und Grundeigentum. Vgl. dazu Arthur Schlegelmilch: Europäische Verfassungsgeschichte 1780-1830: Konstitutionalisierung „von oben“. Kurs 04107, Studienbriefe der Fernuniversität Hagen, Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften 1999, S. 4. Ähnlich exkludierend verfuhren bis 1918 das Deutsche Reich, Österreich und Russland, wobei hier eher die Zugehörigkeit zum Adel eine Rolle spielte. Selbst in der ersten parlamentarischen Demokratie der Welt, in den USA, waren bis in die 1960er Jahren Millionen von Bürgern formal und faktisch vom Wahlrecht ausgeschlossen – woraus, nebenbei gesagt, zu ersehen ist, dass das Vorhandensein parlamentarischer Entscheidungsverfahren und

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die volle Wahrnehmung allgemeiner Partizipationsrechte in einer demokratischen Ordnung zwei durchaus verschiedene Dinge sind. „In den abendländischen Gesellschaften der Neuzeit ist die Frage nach der Erfahrung des Krieges von der Frage nach der Erfahrung von Transzendenz nicht zu trennen. Kriegserfahrung wurde bei zahlreichen Akteuren und Akteursgruppen wegen der existentiellen Dimension des Kämpfens um Leben und Tod und der Notwendigkeit einer Sinngebung des Leidens zu einer religiösen Erfahrung. Dies galt bekanntermaßen für den Dreißigjährigen Krieg, und die neuere Forschung hat es auch für den Ersten Weltkrieg gezeigt. Semantik und Symbolsprache des Krieges blieben bis in die jüngste Zeit hinein, trotz aller Säkularisierung intensiv mit religiösen Metaphern durchsetzt.“ Schindling, a.a.O., S. 20. „Die Basis aller Rechtsnormen ist die Achtung und der Schutz der individuellen Würde.“ Hans Jörg Sandkühler: Zehn Thesen zur Universalität der Menschenrechte. Podiumsdiskussion am 14.4. 2010 in Leipzig. Amnesty International/Universität Leipzig: Institut für Politikwissenschaft, Institut für Völkerrecht. o.O., o.J., S. 3. (Skript nicht mehr abrufbar). Vgl. Johannes Unger: Friedrich. Ein deutscher König. Propyläen, Berlin 2011, S. 246. Angesichts der allgemeinen Aufrüstung galt der britische sog. Two-Power-Standard als Maß der maritimen Dominanz: 1889 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, nach dem die britische Flotte größer zu sein hatte als die der beiden nachfolgenden Seemächte zusammen. Diese Sicherheitsarchitektur war bereits 1807 zur Anwendung gekommen, als man kurzerhand und ohne Vorwarnung die im Kopenhagener Hafen liegende schutzlose Flotte des neutralen Dänemarks zusammenschoss, da man fürchtete, dass sie in die Hände Napoleons fallen und gegen das Empire verwendet werden könnte. „To copenhagen the fleet“ ging als fester Begriff in die Geschichte ein und war den Konkurrenzmächten noch kurz vor dem Ersten Weltkriegs als Warnung gegenwärtig, zumal eine Wiederholung in der britischen Admiralität durchaus erwogen wurde – dieses Mal gegen die deutsche Flotte. Vgl. dazu Gottfried Niedhart: Britische Politik im Übergang zur Moderne: Reformen nach innen und Friedenswahrung nach außen. In: Wirtschaft und Gesellschaft in der englischen Industrialisierung. Material zum Studiengang „Formierung der Europäischen Moderne: Geschichte und Literatur“. Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften der FernUniversität Hagen (Hrsg.), Hagen 1998. Kurs 34216, Heft 2 , S. 67 f. „Das europäische Konzert der Großmächtediplomatie hatte zwar die revolutionären Erhebungen des Jahres 1848 überlebt, doch das Gleichgewicht der Kräfte erfuhr auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer wieder Störungen. Es gab den Krim-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung krieg, die italienischen Unabhängigkeitskriege, die polnische Krise, den preußisch-österreichischen Krieg und viele mehr; kaum ein Jahr verging ohne Krieg und Krise in Europa. Das diplomatische System war also nicht fähig, dauernden Frieden zwischen den europäischen Völkern zu schaffen.“ Tamara Ehs: Welt ohne Gericht. Die stets vertagte Völkerrechtsrevolution. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Heft 4/2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Etwa: „Im [amerikanischen] Bürgerkrieg trat fast alles aufs Schlachtfeld, was fünfzig Jahre später die Großmächte so überraschen und das Wesen des Krieges im 20. Jahrhundert bestimmen sollte: Eisenbahn und Telegraf, gezogene Kanonenläufe und magazinbestückte Gewehre, gepanzerte Kampfschiffe, Torpedos und Minen, Machinengewehre, Drahtverhaue und selbst ‚Flugzeuge‘ (wiewohl damals in Form von Ballons). Dieser Krieg geriet zur Todesmühle sondergleichen. In der Schlacht von Gettysburg (1863) betrugen die Verluste beider Seiten 60000 Mann in drei Tagen, bis Kriegsende wurden 600 000 Gefallene gezählt. Josef Joffe: Die tödlichen Früchte der industriellen Revolution.“ In: „Die Zeit“ vom 29. Juli 2004 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Insgesamt forderte der Krimkrieg fast 800.000 Menschenleben. Nichtsdestoweniger wäre er heute von geringem Interesse, wenn es sich nicht um den ersten ‚modernen‘ Krieg der Geschichte handelte, in dem Präzisionsgewehre, Dampfschiffe und Chloroform eingesetzt wurden. Generäle schickten ihre Befehle bereits telegraphisch in die Gräben, und Munition gelangte per Eisenbahn an die Front.“ Ulrich Keller: Das Bild des Krieges: Der Krimkrieg (1853–1856). In: Veröffentlichung des EGO (Europäische Geschichte Online), hrsgg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz, 26.4.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Denn nach Ansicht mancher Zeitgenossen erwies sich die Weltgeschichte insoweit als Gerechtigkeitsorakel, da sie über Kriege die Weichen in die Zukunft stellte und über Siege und Niederlagen die Kultur fortentwickelte. Das war Ausdruck einer bellizistischen Grunddisposition. Bei einem österreichischen Völkerrechtler heißt es 1877 in verblüffender Härte: ‚Völker, Staatswesen, die von der Karte verschwinden, tragen oft den Keim des Verderbens in sich, sind innerlich zerfallen, bevor mächtige Nachbarn von aussen den entscheidenden Stoss führen. Und andererseits gehen kleine, moralisch tüchtige Völker siegreich aus dem Kampfe mit der Uebermacht hervor.‘“ Miloš Vec: Krieg und Frieden: Das Verbot der Gewaltanwendung ist neu. In: „Frankfurter Rundschau“ vom 12. Dez. 2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Hobsbawm, a.a.O., S. 51. „Die massiven Ausschreitungen gegen Zivilisten, die die militärischen Auseinandersetzungen in den 1870er-Jahren beispielsweise auf dem Balkan begleiteten, wurden zeitgenössisch meist als

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‚Gräuel‘ bezeichnet. Bereits hier war eine ethnische Dimension erkennbar, die in ihrer Brutalität an moderne Formen von ‚ethnischen Säuberungen‘ erinnert. Für die Zeitgenossen bestanden keine Zweifel daran, dass es sich bei diesen Vorgängen um Begleiterscheinungen von Kriegen handelte, die beklagenswert waren und dem zivilisierenden Anspruch Europas zuwiderliefen.“ Boris Barth: Genozid und Genozidforschung. Version: 1.0. In: „Docupedia-Zeitgeschichte“. 03.05.2011 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „‚Greuel‘ diskutiert [das Grosse vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste Johann Heinrich Zedlers, erschienen 1732 - 1754] vor allem im biblischen Kontext und definiert sie als Sünden: ‚Durch die, so Greuel thun, werden Zweifelsfrey die offenbaren Sünder [...] verstanden‘, oder auch die ‚Greuel der Verwüstung‘ am Tempel zu Jerusalem nach der Eroberung durch die Römer im Jahre 70 n.C.“ Sascha Möbius: Kriegsgreuel in den Schlachten des Siebenjährigen Krieges in Europa. In: Sönke Neitzel und Daniel Hohrath in Verbindung mit dem Arbeitskreis Militärgeschichte e. V. (Hrsg.): Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Schöningh-Verlag, Paderborn, München, Wien, Zürich 2008, S. 185-204, hier: S. 186. „Juristen sprachen zwar auch im frühen 19. Jahrhundert schon gelegentlich vom Tatbetroffenen als ‚Opfer‘, doch dies stets in untechnischem Sprachgebrauch. Die rechtslexikalische Literatur kennt daher den Begriff ‚Opfer‘ oder entsprechende Komposita (z.B. ‚Mordopfer‘) in der Bedeutungsvariante ‚Verletzter einer Straftat‘ nicht und auch die kriminalwissenschaftliche Lexikonliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts weist keine entsprechenden Einträge auf, während der Begriff des ‚Mordtäters‘ durchaus geläufig ist.“ David von Mayenburg: „Geborene Opfer“. In: „Rechtsgeschichte“. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, Rg 142009, (online), S. 122-147, hier: S. 126. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Stefan Braun, Luisa Seeling: Die Wucht eines Wortes. Streitgespräch zwischen Cem Özdemir und Hakkı Keskin über die Resolution des Deutschen Bundestages zum „Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“. In: „SZ“ vom 2.6.2016, S. 3. „Gerechtigkeit und Rechtsempfinden – man kann auch von Rechtsgefühl, Rechtsgesinnung oder Rechtsbewusstsein sprechen – stellen danach für den Menschen kein Geschenk der Natur oder der Götter dar, sondern diese Verhaltenseinsichten erweisen sich als schwierige und langwierige menschliche Lernprozesse, die über ‚trial and error‘ nur mühsam vorankamen.“ Heinz Barta: Zur Entstehung von Rechtsbewusstsein und Rechtsgefühl. In: Martin Lang, Heinz Barta, Robert Rollinger: Staatsverträge, Völkerrecht und Diplomatie im Alten Orient und in der griechisch-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung römischen Antike. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2010, S. 1– 26, hier: S. 9. So galten etwa Vergewaltigung und Gewalt in der Ehe, um ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit zu nennen, noch in den 1970er Jahren in der BRD wohl als moralisch verwerflich, aber doch eher als Kavaliersdelikt, verdrängt und dem öffentlichen Beschweigen anheimgegeben. Es bedurfte langer und schmerzhafter Auseinandersetzungen zwischen den zivilgesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien, bis Vergewaltigung in der Ehe nicht mehr als Privatsache der Eheleute angesehen, sondern von Amts wegen als Offizialdelikt verfolgt wurde. Vgl. dazu Christa Stolle: Keine Privatsache: Vergewaltigung in der Ehe. Kommentar zum: Grundrechte-Report 1998. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland. Hrsgg. von Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh, Wolf-Dieter Narr, Marei Pelzer. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. S. 60 ff. (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Die Menschenrechte haben einen moralischen Inhalt, aber ohne ihre positiv-rechtliche Form wären sie nur ein schöner Traum. „Moralische Ansprüche können zwar eingefordert werden, und es ist auch möglich, ihre Verletzung moralisch zu verurteilen. Doch ohne die Transformation moralischer Ansprüche in positives Recht wäre niemand vor Gewalt sicher. Robert Alexy schreibt: ‚Wenn es ein moralisches, also gegenüber jedem begründbares Recht zum Beispiel auf leben gibt, dann muss es auch ein gegenüber jedem begründbares Recht darauf geben, dass eine gemeinsame Instanz geschaffen wird, die jenes Recht durchsetzt. […] Die zur Durchsetzung der Menschenrechte einzurichtende gemeinsame Instanz ist der Staat. Es gibt also ein Menschenrecht auf den Staat. Durch die Einrichtung eines Staates als Durchsetzungsinstanz werden die moralischen Rechte, die die einzelnen gegeneinander haben, in inhaltsgleiche Rechte des positiven Rechts transformiert. Zusätzlich entstehen als neue Rechte die Rechte der einzelnen gegen den Staat auf Abwehr, Schutz und Verfahren.‘“ Sandkühler, a.a.O., S. 2. „Noch Aristoteles bezeichnet den (auch bloß privaten) Krieg seinem Ursprung und seiner Natur nach als ‚Erwerbsart‘ - wie die Landwirtschaft, die Fischerei uam., der sich ganze Völkerschaften verschrieben hatten.“ Barta, a.a.O., S. 6. „Blickt man in die Zeit vor Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg zurück, dann sind es insbesondere zwei historische Erfahrungskomplexe, die durch die mit ihnenver bundenen kriegsund völkerrechtlichen Debatten die Praktik, Verbrechen um Gegenhandelns willen öffentlich zu erinnern, mit hervorgebracht haben: Kolonialismus und moderner Massenkrieg. Dieser Befund spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass der 1907 erstmals in der Präambel der entsprechenden Haager Konvention verwen-

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dete Begriff ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ in seiner heutigen rechtlichen Kodifizierung Überschneidungen mit dem Straftatbeständen ‚Völkermord‘ und ‚Kriegsverbrechen“ aufweist. Hinsichtlich des Kolonialismus sei hier beispielhaft an die sich in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts breit formierende internationale Menschenrechtsbewegung um Edmund Dene Morel gegen die mörderische königlich-belgische Ausplünderung des Kongos erinnert. Diesem Kolonialverbrechen fielen Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu zehn Millionen Menschen zum Opfer. In den gleichen Zusammenhang gehören auch die Erschütterungen, die der britische Krieg gegen die Buren in Südafrika zu Anfang des 20. Jahrhunderts auslöste.“ Knigge 2005, S. 2. „Der Sturz der britischen Regierung im Januar 1855 ging auf das Konto einer von der London Times initiierten Pressekampagne, zu der die Illustrated London News mehrere drastische Skizzen frierender Truppen in den Gräben und eines beinamputierten Invaliden in einem Militärhospital beisteuerte.“ Keller, a.a.O., o.S. „The ‚Lieber Instructions‘ represent the first attempt to codify the laws of war. They were prepared during the American Civil War by Francis Lieber, then a professor of Columbia College in New York, revised by a board of officers and promulgated by President Lincoln. Although they were binding only on the forces of the United States, they correspond to a great extend to the laws and customs of war existing at that time. The ‚Lieber Instructions‘ strongly influenced the further codification of the laws of war and the adoption of similar regulations by other states. They formed the origin of the project of an international convention on the laws of war presented to the Brussels Conference in 1874 and stimulated the adoption of the Hague Conventions on land warfare of 1899 and 1907.“ International Committee of the Red Cross: Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field (Lieber Code). 24 April 1863 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs [Haager Landkriegsordnung], 18. Oktober 1907, RGBl. 1910, (online). S. 107-151. URL: Siehe Lit.-Verz. „Damals korrespondierte der juristische Internationalismus mit der Ära der Kolonialisierung; die gerichtliche Streitbeilegung war dazu gedacht, die Beziehungen zwischen europäischen Mächten reibungsloser zu gestalten, galt aber nicht für sogenannte wilde Völker, weil diesen angeblich ein anerkannter Souverän fehlte. Der Zivilisationsstandard etwa der Haager Konventionen galt daher nicht für Afrika und Asien; diese, erst zu zivilisierenden Länder (white man’s burden), waren völkerrechtslos, befanden sich außerhalb des Völkerrechts: hinc sunt leones.“ Ehs, a.a.O., o.S. „Ein Staat, der einmal im Besitz ist, unter keinen äußeren Gesetzen zu stehen, wird sich in Ansehung der Art, wie er gegen andere

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Staaten sein Recht suchen soll, nicht von ihrem Richterstuhl abhängig machen, und selbst ein Weltteil, wenn er sich einem andern, der ihm übrigens nicht im Wege ist, überlegen fühlt, wird das Mittel der Verstärkung seiner Macht, durch Beraubung oder gar Beherrschung desselben, nicht unbenutzt lassen; und so zerrinnen nun alle Plane der Theorie, für das Staats-, Völker- und Weltbürgerrecht, in sachleere unausführbare Ideale, dagegen eine Praxis, die auf empirische Prinzipien der menschlichen Natur gegründet ist, welche es nicht für zu niedrig hält, aus der Art, wie es in der Welt zugeht, Belehrung für ihre Maximen zu ziehen, einen sicheren Grund für ihr Gebäude der Staatsklugheit zu finden allein hoffen könne.“ Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Berliner Ausgabe 2013. Textgrundlage: Immanuel Kant: Werke in zwölf Bänden. Hrsgg. von Wilhelm Weischedel. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1977 (online), S. 30. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Friedensvertrag von Versailles („Versailler Vertrag“) vom 28. Juni 1919, Abschnitt 13. In: documentArchiv.de (Hrsg.). URL: Siehe Lit.-Verz. „Der Krieg hinterließ tatsächlich nicht nur auf den Schlachtfeldern eine ‚zerbrochene Welt‘, sondern er rief auch eine tiefgehende Erschütterung zivilisatorischer Sinnvorstellungen, Wertordnungen und Deutungsmuster hervor.“ Wolfgang Kruse: Zivilisationskrise und moderne Kunst. In: „bpb-Dossier: Der Erste Weltkrieg“ vom 6.5.2013 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. „Das Bestrafungsverlangen der Alliierten und die Strafverfahren in Deutschland selbst zeigen, dass eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Verstössen gegen das Kriegsrecht anerkannt war. Das ist – trotz aller vorherigen widersprüchlichen Entwicklung – nicht verwunderlich. Denn 1899 und 1907 fanden die Haager Konferenzen statt, auf denen zum Beispiel das in unserem Zusammenhang wichtige ‚Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs‘ mit einer Landkriegsordnung angenommen worden war. Das Abkommen, das den Begriff des rechtmässig Kämpfenden, des Kombattanten, definiert, das Grundregeln für die Behandlung von Kriegsgefangenen und für das Verhalten einer Besatzungsmacht aufstellt, wurde auch von Deutschland ratifiziert. Es galt ganz unbestritten während des Krieges und war somit die entscheidende Rechtsquelle für eine juristischen Bewertung von Kriegshandlungen nach dessen Beendigung.“ Hankel 2002, a.a.O, S. 307. Vgl. Christian Manfred Rust: Deutschland und die Nachkriegsordnung. Großbritannien, die Vereinigten Staaten und die Grundlagen einer Friedensregelung mit Deutschland in Paris 1919 und Jalta/Potsdam 1945. Dissertation, Freie Universität Berlin 2001 (online), S. 86-91. URL: Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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195. „Im März 1919 forderte eine Sonderkommission der Siegermächte in ihrem Schlußbericht an die Pariser Friedenskonferenz die Einrichtung eines internationalen Tribunals mit völkerrechtlicher Strafkompetenz zur Aburteilung besonders schwerer, grenzüberschreitender oder staatlich angeordneter Kriegsverbrechen. Auch dieses Postulat scheiterte. Ihm beigefügt war (neben einem japanischen) ein abweichendes amerikanisches Votum, dessen Argumentation für den Kommissionsvorschlag vernichtend war: Eine überstaatliche Strafgewalt gebe es nicht; sie nun für vergangene Taten ad hoc einzuführen, verletze das fundamentale Rechtsprinzip des Rückwirkungsverbots; Regierungshandlungen, acts of state, könnten niemals von ausländischen Gerichten bestraft werden, weil dies das Grundprinzip des Völkerrechts zerstören müsse: die Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten; einen Begriff des ‚Verbrechens gegen die Menschlichkeit‘ kenne das Völkerrecht nicht und könne ihn auch nicht brauchen; denn die ‚Prinzipien der Menschlichkeit‘ seien historisch und geographisch bis zur Gestaltlosigkeit wandelbar; sie gehörten deshalb in den Bereich der Moral, nicht in den eines säkularen Rechts.“ Reinhard Merkel: Die Barbarei vor dem Welt-Gericht. In: „Die Zeit“ vom 17.11.1995 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 196. „Die Reichsregierung weigerte sich, die Beschuldigten auszuliefern, die Alliierten akzeptierten das nach langem diplomatischen Hin und Her und gegen die deutsche Zusage, die Beschuldigten – es waren etwa 900 – selbst vor Gericht zu stellen.“ Gerd Hankel: Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrecher und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg. Hamburger Edition, Hamburg 2003, S. 307. 197. Vgl. Franz-Xaver Kaufmann: Sozialpolitisches Denken. Die deutsche Tradition. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2003, S. 180. 198. „Da der Völkerbund die Begründung des Weltfriedens zum Ziele hat, und ein solcher Friede nur auf dem Boden der sozialen Gerechtigkeit aufgebaut werden kann, da ferner Arbeitsbedingungen bestehen, die für eine große Anzahl von Menschen mit so viel Ungerechtigkeit, Elend und Entbehrungen verbunden sind, dass eine den Weltfrieden und die Welteintracht gefährdende Unzufriedenheit entsteht, [...], da endlich die Nichtannahme einer wirklich menschlichen Arbeitsordnung durch irgendeine Regierung die Bemühungen der anderen, auf die Verbesserung des Loses der Arbeiter in ihrem eigenen Lande bedachten Nationen hemmt,  haben die H o h e n  v e r t r a g s c h l i e ß e n d en   T e i l e [...] folgendes vereinbart: […]: Es wird ein ständiger Verband gebildet, der an der Verwirklichung des in der Einleitung dargelegten Planes zu arbeiten berufen ist.“ Friedensvertrag von Versailles („Versailler Vertrag“) vom 28.Juni 1919. Teil XIII. Arbeit. Ab-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung schnitt I. Organisation der Arbeit. In: documentArchiv.de (Hrsg.). URL: Siehe Lit.-Verz. Golo Mann: Deutsche Geschichte des 19 und 20. Jahrhunderts. Fischer-Verlag, Frankfurt a.M. 1958, S. 675. Christian Staas im Interview mit Margaret MacMillan: Den Versailler Vertrag trifft keine Schuld. In: „Die Zeit“ vom 26.11.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Hagen Schulze: Kleine deutsche Geschichte. Beck, München 1996, S. 166. Georgi Dimitroff: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale. Bericht auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale (2. August 1935). In: Georgi Dimitroff: Ausgewählte Schriften, Bd. 2, Berlin 1958 (online), S. 523 ff. URL: Siehe Lit.-Verz. Jens Bisky: Höllenorgien. In: „SZ“ vom 3.2.2017, S. 12. Kurt Kister: Europas Selbstzerstörung. Über Ian Kershaws „Höllensturz“. In: „SZ“ vom 26.9.2016, S. 13. Vgl. König, 2003, S. 172. Ebda., S.173. „Diese Freiheiten waren erstmals von Präsident Roosevelt in seiner Jahresrede vor dem Kongress im Januar 1941 verkündet worden. In ihr versprach er den Amerikanern und der Welt ‚Vier Freiheiten‘: die Rede- und Glaubensfreiheit sowie die Freiheit von Furcht und Not. Nicht nur in der Präambel, auch in den Artikeln der Menschenrechtserklärung finden sich diese Ideen deutlich wieder. Während die Religions- und Redefreiheit zu den Forderungen der französischen und amerikanischen Revolution gehören, war die Proklamation einer Freiheit von Furcht und von Not eine geradezu revolutionäre Neuerung im Verständnis der Menschenrechte. Sie war Ausdruck der Sozialpolitik des ‚New Deal‘, mit der Präsident Roosevelt ab den frühen Dreißiger Jahren auf die Weltwirtschaftskrise reagierte. Mit umfassenden staatlichen Interventionen wurde die soziale Lage der verarmten Massen von Amerikanern verbessert. Diese sozialen Rechte waren für ihn nicht weniger als eine ‚Second Bill of Rights‘, ein zweiter Satz von Rechten mit gleichem Rang wie die in den amerikanischen Verfassungszusätzen garantierten Bürgerrechte.“ Rainer Huhle: Kurze Geschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. In: „bpb“ vom 12.10.2008. URL: Siehe Lit.-Verz. „Es wäre aber lächerlich, die Hitlerclique mit dem deutschen Volke, mit dem deutschen Staate gleichzusetzen. Die Erfahrungen der Geschichte besagen, dass die Hitler kommen und gehen, aber das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.“ Josef Stalin: Befehl des Volkskommissars für Verteidigung Nr. 55 vom 23.2.1942. In: J.W. Stalin: Über den großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion. Verlag für fremdsprachige Literatur. 3. Ausgabe. Moskau 1946 (online), S. 23..URL:.Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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209. Vgl. dazu Christoph Kleßmann: Deutschland nach 1945. In: „Gewerkschaftliche Monatshefte“ 4/85, S. 199-211 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 210. Vgl. Peter Ruggenthaler über: Gerhard Wettig: Der Tjul‘panovBericht. Sowjetische Besatzungspolitik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. V&R unipress, Göttingen 2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 211. Michael Bock: Metamorphosen der Vergangenheitsbewältigung. In: Clemens Albrecht, Günter C. Behrmann, Michael Bock, Harald Homann, Friedrich H. Tenbruck: Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. ,Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule. Korr. Studienausgabe. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2000, S. 530-566, hier: S. 536 ff. 212. Vgl. Bock, a.a.O., S. 536 ff. 213. „Alle Angeklagten haben mit verschiedenen anderen Personen während eines Zeitraumes von Jahren vor dem 8. Mai 1945 als Führer, Organisatoren, Anstifter und Mittäter an der Ausarbeitung [30] oder Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung teilgenommen, die darauf abzielte oder mit sich brachte, die Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, gegen das Kriegsrecht und gegen die Humanität, wie sie in dem Statut dieses Gerichthofes definiert sind, und sind entsprechend den Vorschriften des Statuts einzeln verantwortlich für ihre eigenen Handlungen, wie auch für alle Handlungen, die von irgend jemanden in Ausführung eines solchen Planes oder einer solchen Verschwörung begangen worden sind. Der gemeinsame Plan oder Verschwörung stellte insofern die Begehung von Verbrechen gegen den Frieden dar, als die Angeklagten Angriffskriege planten, vorbereiteten, entfesselten und führten, die gleichzeitig Kriege unter Verletzung internationaler Verträge, Vereinbarungen und Zusicherungen waren.“ Anklagepunkt Eins. Gemeinsamer Plan oder Verschwörung III. Feststellung des Verbrechens. In: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1 (online), S. 30-31. URL: Siehe Lit.-Verz. 214. „[Es bedurfte] für das Vorgehen gegen ausgewählte Repräsentanten der NS-Führung nicht nur einer Neukonzeptualisierung des konventionellen Kriegsvölkerrechts, sondern es musste auch ein kohärentes historisches Narrativ zu den Bewegungsgesetzen des Dritten Reiches entwickelt werden, um die geplante Revolutionierung des Völkerrechts gegenüber Politik und Öffentlichkeit zu legitimieren. An der Entwicklung dieses Narrativs waren besonders jüdische think tanks und exilierte deutsche Sozialwissenschaftler beteiligt, die vom Washingtoner Office of Strategic Service (OSS) in die besatzungspolitischen Planungen eingebunden wurden.“ Weinke 2016., a.a.O., S. 18. 215. Vgl. ebda., S. 171 f.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung

216. Beispielhaft für diese Art von Recherche die Schlussfolgerung eines US-Psychologen 1943 nach einer (Fern-)Analyse der Persönlichkeit Hitlers: „Es ist ein tiefgreifender Gesinnungswandel in Deutschlands Haltung notwendig: Der Abschied von der Idee, (1) dass [die Deutschen] ihrer Herkunft nach etwas Besseres sind; (2) dass sie dazu ausersehen sind, die Erde zu regieren; (3) dass es kein menschliches Gesetz und keine Autorität gibt, die über dem Wohl des deutschen Staates stehen; (4) dass Stärke über allen anderen Dingen zu bewundern ist; (5) dass Macht gleichbedeutend mit Recht ist.“ Henry A. Murray: Analysis of The Personality of Adolph Hitler. With Predictions of His Future Behavior and Suggestions for Dealing With Him Now and After Germany’s Surrender. October 1943, S. 47. Zit.n. Jan Buschbom: Schuldknechtschaft. In: In: Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung. 2008 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 217. Vgl. Weinke, a.a.O., S. 173. 218. Vgl. ebda., S. 174. 219. Siehe insgesamt zu diesem Abschnitt ff. Beiträge: a) Thomas Darnstädt: Der Zweite Weltkrieg. Ein Glücksfall der Geschichte. In: „Der Spiegel“ vom 04.04.2005 (online). URL: Siehe Lit.Verz.; b) John Morton Blum: „Diese Deutschen sind ja solche Teufel“. In: „Der Spiegel“ 51/1967 vom 1.12.1967 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.; c) N.N.: Churchills Geheimnisse Ein elektrischer Stuhl für Hitler. In: „Der Spiegel“ vom 1.1.2006 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.; d) Lord Moran: Deutschland muss für den Krieg büssen. In: „Der Spiegel“ 52/1967 vom 18.12.1967 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.; e) Ullrich Schiller: „Hier ist Eleanor“. In: „Die Zeit“ vom 29. Oktober 1982 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.; f) Sven Felix Kalkhoff: So veränderten die Nürnberger Prozesse das Recht. In: „Die Welt“ vom 20.11.2015 (online). URL:.Siehe Lit.-Verz.; g) Peter Gosztony: Aber Churchill, dem traue ich alles zu. In: „Der Spiegel“ vom 17.11.1969 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 220. Und tatsächlich ließ Churchill, wenn die entsprechenden Unterlagen echt sind, direkt nach Kriegsende Pläne zu einem anglo-amerikanisch-deutschen Präventivangriff auf die Sowjetunion ausarbeiten, die den Namen „Operation Unthinkable“ trugen. Siehe dazu: „Internet Archive“. URL: Siehe Lit.-Verz. 221. Vgl. Peter Ridder: Die Menschenrechtspakte. In: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte, grsgg. vom Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Mai 2015 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 222. Vgl. Richard Tüngel: Die Atlantic Charter. In: „Die Zeit“ vom 2.1.1947 (online), S. 1. URL: Siehe Lit.-Verz. 223. Vgl. den Text der Atlantik-Charta: URL: Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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224. Siehe dazu: Declaration by the United Nations (Subscribing to the Principles of the Atlantic Charter, January 1,1942) (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 225. Siehe dazu: Wortlaut der Moscow Conference, October, 1943, Joint Four-Nation Declaration (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 226. Vgl.  dazu:  Charta  der  Vereinten  Nationen  (online).   URL:   Siehe Lit. -Verz. Vgl. auch: Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 227. Vgl. Wilfried Fiedler: Die Alliierte (Londoner) Erklärung vom 5.1.1943: Inhalt, Auslegung und Rechtsnatur in der Diskussion der Nachkriegsjahre (online). Erstveröffentlichung in: Jürgen Basedow, Isaak Meier et al.: Privatrecht in der internationalen Arena. Liber Amicorum Kurt Siehr. The Hague: T.M.V. Asser Press 2000, S. 197-218. URL: Siehe Lit.-Verz. 228. Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes. Resolution 260 A (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 1948 (online). URL: Siehe Lit.Verz. 229. Vgl. Dan Plesch: America, Hitler and the UN. How the Allies Won World War II and Forged a Peace. I.B. Tauris, London 2011, S. 103. 230. „Das war – alles in allem – ein bedeutender Schritt. Ein Staat, der sich durch seine verbrecherische Politik selbst aus der Völkergemeinschaft ausgeschlossen hatte, wird, personalisiert in seinen militärischen und politischen Entscheidungsträgern, vor Gericht gestellt und abgeurteilt. Noch eine entscheidende Entwicklung hatte sich vollzogen: Die drei Tatbestände waren originäre Strafrechtsnormen, sie dienten nicht als Indikator der Rechtswidrigkeit auf der Basis eines nationalen Rechts, sondern waren unmittelbar Grundlage der individuellen Bestrafung. Und im Kontext dieser individuellen Bestrafung ist noch auf einen letzten wichtigen Punkt hinzuweisen: Das Statut des internationalen Militärtribunals sah vor (Art. 7), dass auch das Bekleiden hoher und höchster Ämter nicht vor einer Bestrafung schützt. Ob Staatsoberhaupt oder Militärbefehlshaber, jeder sollte sich verantworten müssen und keine Immunität zugebilligt bekommen.“ Hankel 2003, a.a.O., S. 313 f. 231. Sven B. Gareis, Johannes Varwick: Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen. Leske+ Budrich, Opladen 2002, S. 96 ff. 232. Vgl. Versailler Vertrag, a.a.O., Teil XIII, Abschnitt I: Organisation der Arbeit. 233. Vgl. Gerhard A. Ritter: Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im sozialen Vergleich. 3. erweiterte Auflage. Oldenbourg Verlag, München 2010, S. 147 ff.

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234. Vgl. Jörg Roesler: Der schwierige Weg in eine solidarische Wirtschaft. Historische Erfahrungen aus Weltwirtschaftskrise und New Deal. In: „Supplement der Zeitschrift Sozialismus“ 9/2010, S. 1-43, hier: S. 23 und S. 35. 235. Vgl. Richard Senti: Die WTO im gesellschaftspolitischen Dilemma. In: „ApuZ“ vom 19.3.2007 (online), o.S. URL: Siehe Lit.Verz. 236. „Dieses System, mit dem der gegenwärtige amerikanische Präsident spielt, ist nicht gottgegeben, sondern das Ergebnis kluger politischer Entscheidungen in der Vergangenheit. Es ist nach dem Zweiten Weltkrieg als Friedensprojekt entstanden und sicherte der Welt – auch dem größeren Teil der früher so genannten Dritten Welt – ein beispielloses Wachstum des Wohlstands. Man muss seine Geschichte kennen, um zu ahnen, was gegenwärtig alles auf dem Spiel steht.“ Nikolaus Piper: Erst kommen Zölle, dann folgt der Krieg. In: „SZ“ vom 16.7.2018 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 237. Vgl. Klaus-Peter Kruber: Internationaler Währungsfonds und Weltbankgruppe. In: „bpb“ vom 16.1.2012 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 238. Korrekte Bezeichnung: Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin („Potsdamer Abkommen“) vom 2. August 1945) (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 239. Der Vergleich liegt auf der Hand, wenn man sich die Basisziele moderner didaktischen Strukturprogramme wie etwa Mindmeister ansieht: a) vertikale Lerntransfers mit direkter und gesteuerter Instruktion, b) reflexive Lerntransfers von Verhaltensregeln mit Vorbildfunktion der Leitperson, bei dem es um Moral, Werte, Freiheiten, Sozialverhalten und Persönlichkeitsbildung geht, c) Organisations-und Sozialformen und nicht zuletzt d) Leitziele wie Befähigung zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und zur Gestaltung der Demokratie. Siehe etwa Julia Lingertat: Didaktik. Demonstrationskarte (online), o.D., o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 240. „Es gibt wohl kein internationales Abkommen, das eingehenderen Untersuchungen, das mehr einander widersprechenden Interpretationen unterzogen worden wäre, als die in Potsdam unterzeichnete Übereinkunft [...]. Die zu diesem Thema geschriebenen Bücher und Aufsätze gehen in die Hunderte, und die Literatur über diesen Gegenstand wird immer umfangreicher.“ Manfred Lachs: Die Westgrenze Polens. Recht, Tatsachen, Logik der Geschichte. (Aus dem Englischen übersetzt von Edda Werfel.) Warschau 1967, S. 21. Zit.n. Dirk Pommerenke: Quelleninterpretation zum Potsdamer Abkommen. Hausarbeit an der Universität Rostock 2005 (online), Abschnitt 2.3.4. URL: Siehe Lit.-Verz. 241. „Die Einigkeit der im Zweiten Weltkrieg verbündeten Großmächte zerbrach bereits bei der Aufteilung der Kriegsbeute – und damit auch die Hoffnung auf die ‚eine Welt‘, die die UNO instituti-

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onell verkörpern und schützen sollte. Hatten die Vereinten Nationen bis 1947 noch eine Reihe von Erfolgen verbuchen können, unter anderem den Rückzug der Sowjetunion aus dem Iran, die Regelung der Triest-Frage und den Abzug der britisch-französischen Truppen aus dem Libanon und Syrien, so schlug die ehemalige Waffenbrüderschaft zwischen den Westmächten und der Sowjetunion spätestens 1947 in einen Konflikt um, der bekanntermaßen 40 Jahre lang die internationalen Beziehungen und die Arbeit der Vereinten Nationen prägen sollte.“ Günther Unser, Michaela Wimmer: Die Vereinten Nationen. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1995, S. 37. Zit.n. Ragnar Müller: Die Entwicklung der Vereinten Nationen (II). Die Vereinten Nationen im Kalten Krieg (1946-1988) (online), o.J., o.S. In: „Dädalos. Internationaler UNESCO-Bildungsserver“. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Plesch, a.a.O., S. 165 f. Zum Entwurf von Dumbarton Oaks siehe: Washington Conversations on International Peace and Security Organization. October 7, 1944 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „In den Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Weltregion, in der die Idee nicht, ob zustimmend oder ablehnend, aufgegriffen oder diskutiert worden wäre. Auf diese Weise spielten Menschenrechtsforderungen schließlich in zahlreiche internationale Konflikte hinein oder lösten sie allererst aus: in Konflikte zwischen Ost und West. zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Kolonialmächten und kolonial beherrschten Ländern, zwischen industrialisierten Staaten der Nordhalbkugel und sogenannten Entwicklungsländern des globalen Südens.“ Jan Eckel: Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2014, S. 11. Vgl. Glenn Mitoma: Human Rights and the Negotiation of American Power. (Pennsylvania Studies in Human Rights). University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2013, S. 17-44. Vgl. auch: Eckel, a.a.O., S. 107. Vgl. insgesamt: Julia Eichenberg: Sammelrezension: Geschichte der Menschenrechte. In: „H-Soz-Kult“. 23.12.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. ebda. „Churchill nun wies gleich darauf hin, dass diese Rechte keineswegs für die europäischen Kolonien gälten, und Roosevelt stimmte nur zu, um seinen wichtigsten Verbündeten nicht zu verärgern, obwohl er im Grunde kein Verständnis für Churchills Imperialismus hatte.“ Ian Buruma: Ein kurzer Sommer der Anarchie. In: „Die Zeit“ 18/2015 vom 29. April 2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Eichenberg, a.a.O., o.S.

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250. Vgl. Huhle, a.a.O., o.S. 251. Vgl. Antoine Prost, Jay Winter: René Cassin et les droits de l‘homme. Le projet d‘une génération. (Übersetzung ins Englische: René Cassin and Human Rights. From the Great War to the Universal Declaration. Cambridge University Press, Cambridge 2013) Libraire Arthème Fayard, Paris 2011, S. 290. 252. Das wurde erkennbar an der unterschiedlichen Terminologie der Textentwürfe. So hieß es etwa in einem Textvorschlag, dass „jeder Mensch das natürliche Recht auf Leben“ (Artikel 6) und das Recht auf Freiheit und Unverletzlichkeit der Person“ (Art 9) hat. Für den Fall von Verstößen schlug man konkrete rechtliche Maßnahmen vor. Hingegen hieß es im Art. 8 der wirtschaftlichen und sozialen Rechte lediglich, dass die Vertragsparteien sich verpflichten, diese Rechte zu gewährleisten – ohne im Einzelnen Verstöße und Rechtsmittel dagegen zu nennen. Vgl. Roger Normand, Sarah Zaidi: Human Rights at the UN: The Political History of Universal Justice. United Nations Intellectual History Project Series. Bloomington: Indiana University Press 2008, S. 207. 253. Ebda., S. 208 f. 254. Vgl. Eichenberg, a.a.O., o.S. 255. Vgl. Eckel, a.a.O., S. 103 und 106. 256. Ebda., S. 107. 257. Ebda., S. 103. 258. Der sowjetische Delegierte schrieb: „Diese Beschwerden können gegen den verletztenden Staat oder sogar dazu verwendet werden, internationale Skandale zu provozieren, die dann den einen Vorwand liefern, um ein bestimmtes Land zu verfolgen (vor allem die UdSSR oder die Volksrepubliken).“ zit. nach Eckel, a.a.O., S. 104. 259. Ebda., S.105. 260. Ebda., S. 106. 261. Vgl. Ridder, a.a.O., S. 4. 262. „Sobald durch die Berufung auf Menschenrechtsnormen eine Verletzung der Souveränitätsrechte der gerade erst unabhängig gewordenen Nationalstaaten möglich schien, wurden diese (nicht anders als von den Großmächten USA und Sowjetunion) zurückgewiesen. Von daher konnten in der Sichtweise postkolonialer Politiker und Intellektueller die Menschenrechte beides bedeuten: ein moralpolitisches Druckmittel in der internationalen Arena gegen die ehemaligen Kolonialmächte und zugleich eine gefährliche, modernisierte Form des kolonialen Zivilisierungsbegriffes des 19. Jahrhunderts, die dazu diente, das soziale und ökonomische Gefälle zwischen imperialer Metropole und Peripherie (Nord und Süd, wie es nun hieß) zu perpetuieren.“ Stefan-Ludwig Hoffmann: Die Universalisierung der Menschenrechte nach 1945. In: „Zeitgeschichte online“. 2011, o.S. URL: Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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263. „Bei der Bekämpfung des gewaltsamen Widerstandes der antikolonialen Nationalbcwegungen in lndochina, Indonesien, Malaya, Kenia, Algerien und Zypern zögerten die europäischen Metropolen nicht, Maßnahmen entgrenzter Gewalt anzuwenden, um ihre koloniale Herrschaftsposirion zu verteidigen. Die Folge war eine koloniale Kriegsführung, die mit der umfangreichen Internierung und Zwangsumsiedlung der autochthonen Bevölkerung, dem systematischen Einsatz der Folter und schweren Kriegsverbreclıen gegen alle Nonnen des eben erst gegründeten Menschenrechtsregimes verstieß. Zwei besonders prägnante Beispiele hierfür bilden der Mau-Mau-Krieg Großbritanniens in Kenia (1952-1956) und der Französische Algerienkrieg (1954-1962).“ Fabian Klose: Menschenrechte, der koloniale Ausnahmezustand und die Radikalisierung der Gewalt. In: Stefan-Ludwig Hoffmann (Hrsg.): Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert (= Geschichte der Gegenwart 1). Wallstein, Göttingen 2010, S. 256-284, hier: S. 257. 264. Vgl. Ridder, a.a.O., S. 3 f. 265. Zum Begriff Torwächterstaaten im Dekolonisierungsprozess: „In Frederick Coopers Terminologie agierten die neuen Staaten als gate keeper states, als ‚Torwächterstaaten‘, welche wesentlich die Funktion hatten, die Güterströme und Migrationsbewegungen (von Menschen und Ideen) sowohl von als auch nach Afrika zu kontrollieren. Gleichzeitig fehlten ihnen weitgehend ‚die Ressourcen, das von ihnen bewirtschaftete Territorium politisch, institutionell und symbolisch zu durchdringen‘.“ Arno Sonderegger, Ingeborg Grau, Birgit Englert: Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Afrika im 20. Jahrhundert: Geschichte und Gesellschaft. Promedia, Wien 2011 [Edition Weltregionen, Bd. 21]. S. 9-26, hier: S. 12. 266. Andreas Eckert: Afrikanische Nationalisten und die Frage der Menschenrechte von den 1940er bis zu den 1970er Jahren. In: Hoffmann: Moralpolitik, a.a.O., S. 312-336, hier: S. 336. 267. Vgl. Plesch, a.a.O., S. 9. 268. George Kennan: Review of current Trends. US.Foreign Policy. Report by the Planning Staff vom 24.2.1948, Abschnitt VII. Far East. Anhang zum Memorandum by the Director of the Policy Planning Staff (Kennan) to the Secretary of State and the Under Secretary of State (Lovett) (online). (Übersetzung: J.R.). URL: Siehe Lit.-Verz. 269. „Auch wenn darauf geachtet wurde, eine möglichst große inhaltliche Übereinstimmung beider Verträge zu erzielen, unterscheiden sie sich stark in ihrer Verbindlichkeit. Deutlich wird dies unter anderem im zweiten Teil und im zweiten Artikel beider Verträge, in dem festgelegt wird, dass die Rechte für alle Menschen unabhängig von ihrer Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung gelten. Der Zivilpakt verpflichtet alle Teilnehmer, dafür Sorge zu tragen, dass die im

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Vertrag kodifizierten Rechte mit der jeweiligen Verfassung sowie der innerstaatlichen Rechtsprechung übereinstimmen. Zudem verpflichten sich die Mitglieder, geschädigten Personen rechtsstaatliche Mittel zur Verfügung zu stellen und eine angemessene Entschädigung zu gewährleisten. Vergleichbares findet sich nicht im Sozialpakt. In diesem wird lediglich eine Umsetzung des Vertrags gefordert, die sich an den wirtschaftlichen Möglichkeiten des jeweiligen Staates orientiert. Maßnahmen zur juristischen Durchsetzung der Rechte finden sich im Sozialpakt nicht. Stattdessen findet sich eine Ausnahmeregelung, die es Entwicklungsländern gestattet, selbst zu entscheiden, inwiefern die vorgeschriebenen Rechte für Nicht-Staatsbürger gelten. Dies ermöglicht es den Vertragsstaaten, die Universalität der Menschenrechte außer Kraft zu setzten.“ Ridder, a.a.O., S. 5. Unser, Wimmer, a.a.O., o.S. Vgl. Stefan-Ludwig Hoffmann 2011, a.a.O. Siehe auch: Vereinte Nationen: „Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker“ vom 14.12.1960. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. dazu Ragnar Müller, a.a.O., o.S. „Eine pure Erinnerung, frei von Motiven gegenwärtig Handelnder kann es weder auf der individuellen noch kollektiven Ebene geben. Es wird nolens volens immer instrumentalisiert. Timothy Garton Ash weist darauf hin, dass im Englischen forging memories die Dimensionen Schmieden und Verfälschen in sich tragen würde. Ob die Referenzen auf Vergangenes beziehungsweise Erinnertes moralisch statthaft ist, unterliegt gesellschaftlichen Wertungen, nicht aber der Instrumentalisierung selbst.“ Elisabeth Kübler: Holocausterinnerung im kosmopolitischen Europa. Das Beispiel des Europarates. Dissertation, Universität Wien 2009. S. 7. „Es gehörte zu den paradoxen Resultaten der beiden Weltkriege, dass nicht nur das rassische Imperium, das Nazideutschland in Europa errichtet hatte, 1945 zu einem Ende kam. Auch die kolonialen Imperien, insbesondere der Siegermächte Großbritannien und Frankreich begannen sich aufzulösen. Erst mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und der schrittweisen Dekolonisierung der Welt wurden auch die Menschenrechte in dem Sinne universell, dass sie nicht nur für Europäer gelten sollten. Der Begriff der Zivilisation (und der Zivilisierung) verschwand schrittweise aus der internationalen Politik, an seine Stelle traten die Menschenrechte (und später der Begriff der ‚Entwicklung‘).“ Stefan-Ludwig Hoffmann, a.a.O., o.S. Vgl. Eichenberg, a.a.O., o.S. Weinke, a.a.O., S. 34-35. „Er sei, sagte Roosevelt [im Verlauf der Jalta-Konferent. Der Verf.] zu Stalin, nachdem er die Kriegsverwüstungen auf der

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Krim gesehen hatte, ‚noch blutrünstiger‘ gestimmt als vor einem Jahr und hoffe, Stalin werde wieder einen Toast auf die Hinrichtung von 50 000 deutschen Offizieren ausbringen.“ Karl-Heinz Janßen: Jalta – das Märchen vom Ausverkauf. In: „Die Zeit“ vom 15. Januar 1982 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Buruma 2015, a.a.O., o.S. „Ja, die westlichen Alliierten hatten die Lektionen von 1918 gut gelernt. Wird ein besiegter Feind zu streng bestraft, ist die Folge Revanchismus, und die Gefahr künftiger Kriege wächst. Es gab aber auch einige praktische Gründe, weshalb die Alliierten sich entschlossen, den Deutschen und später den Japanern beim Wiederaufbau ihrer verwüsteten Länder zu helfen. Hätten sie den Deutschen Nahrung und Unterstützung bei der Wiederherstellung ihrer Volkswirtschaft verweigert, wäre das soziale Chaos wohl unkontrollierbar geworden, und profitiert hätten am Ende die Kommunisten (bis zum Kalten Krieg war es nicht mehr weit). dasselbe Problem brachte, viel später und im Zusammenhang mit dem Irak, der damalige US-Außenminister Colin Powell auf die Formel: ‚Was du zerschlägst, ist dein – und du bist dafür verantwortlich.‘“ Ebda. „Die Formulierungen in diesem Protokoll [Potsdamer Abkommen. J.R.] sind in vielen Fällen unbestimmt und vage. Sie waren damit Ausdruck der 1945 einsetzenden Spannungen zwischen Ost und West, die bald zu einem Kalten Krieg eskalierten. Für Deutschland war dies vermutlich ein Glücksfall, weil ein einheitliches Vorgehen der Alliierten, wie es sich in Teheran und teilweise sogar noch in Jalta gezeigt hatte, mit großer Wahrscheinlichkeit zu eindeutigen und für Deutschland nachteiligen Regelungen geführt hätte. Der Rachegedanke, der angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen mehr als verständlich war, hätte den Deutschen nicht nur hohe Reparationen auferlegt, sondern vielleicht auch die dauerhafte Zerstückelung Deutschlands heraufbeschworen.“ Manfred Görtemaker: Zwischen Krieg und Frieden – Die Potsdamer Konferenz 1945. In: „ApuZ“, Heft 28/95 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. „Als in den fünfziger Jahren auf Geheiß der republikanischen Administration in Washington die ersten Jalta-Protokolle veröffentlicht wurden, erschrak die Öffentlichkeit über den zynischen Umgangston der Großen, mehr noch über die eiskalte Höhenluft, in der mit einem Wort, mit einem Federstrich über das Schicksal ganzer Völker entschieden wurde.“ Karl-Heinz Janßen: Endstation Potsdam. In: „zeit online“ vom 17.6.1970. URL: Siehe Lit.Verz. Rudolf Augstein: Auf die schiefe Ebene zur Republik. In: „Der Spiegel“ 2/85 (online), S. 30. URL: Siehe Lit.-Verz.

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283. Vgl. Sven Felix Kellerhoff: So veränderten die Nürnberger Prozesse das Recht. In: „welt/N24“ vom 20.11.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 284. „Herr der Fliegen heißt dieser Roman, und darin verschlägt es eine Gruppe Jugendlicher zwischen sechs und zwölf Jahren während des Zweiten Weltkriegs auf eine Südseeinsel. Ihr Flugzeug, das sie vor einem Atomkrieg in Sicherheit bringen sollte, musste notlanden, die Erwachsenen sind tot. Eigentlich müssten die Schüler dem Himmel dankbar sein, sie müssten sich zu einer trotzigen Überlebensgemeinschaft zusammenschließen und auf Rettung warten. Aber die wohlerzogenen Jungen tun etwas anderes: Sie bringen sich um. Mit ausgesuchter Grausamkeit fallen die kleinen Teufel übereinander her und versuchen, einander vom Leben in den Tod zu befördern, mal mit Speeren, mal mit Felsbrocken, was gerade so zur Hand ist. Es dauert nicht lange, und die liebe Jugend, auf der bekanntlich die Hoffnung der Zukunft ruht, hat das Pazifikparadies in die Hölle auf Erden verwandelt. Gewalt, Rache und wieder Gewalt – das ist der satanische Kreislauf, den eben nur der Mensch, die Krone der Schöpfung, so perfekt beherrscht.“ Thomas Assheuer: William Golding entkommt der Erinnerung an den Krieg. In: „Die Zeit“ 30/2012 vom 19.7.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 285. Stefan-Ludwig Hoffmann: Einführung. Zur Genealogie der Menschenrechte. In: Ders.: Moralpolitik, a.a.O., S. 7-37, hier: S. 36. 286. „Die Amerikaner interessierte vor allem eins: Wie konnten sie die Sowjetunion in den Krieg gegen Japan ziehen? [...] Für derlei Beistand war Präsident Roosevelt bereit, einen hohen Preis zu zahlen. Einerseits konnte es sich Stalin leisten, den Preis in die Höhe zu treiben. Denn: Seine Armeen hatten Polen und den Balkan erobert, und sie standen vor den Toren Berlins. Anderseits durfte er den Bogen nicht überspannen. Denn er brauchte die gewaltige Wirtschaftskraft der Amerikaner für die schwere Phase des Wiederaufbaus ebenso sehr wie in den ersten bitteren Kriegsjahren. Und dazu die Reparationen aus dem besiegten Deutschland – Stalin selber pochte auf zehn Milliarden Dollar –, die er sich vor allem aus den hochindustrialisierten Westzonen zu holen gedachte. Darum durfte er es sich nicht mit dem Westen verderben. Alle drei Großmächte waren also aufeinander angewiesen. Bis zum Siege über Deutschland und Japan mußten sie, widerwillig zwar, den Kompromiss pflegen.“ Janßen: Jalta, a.a.O., o.S. 287. „Für den weiteren Verlauf der Diskussionen wurde dann auch schon eine – historisch noch kaum erforschte – Neuerung konstitutiv, die der Historiker Raphael Gross unter den etwas sperrigen Begriff der ‚Geschichtsbarkeit‘ gefasst hat. So wurden teils auf Initiative der Staaten, teils aufgrund zivilgesellschaftlichen Engagements verschiedene zeitgeschichtliclıe Einrichtungen installiert, die nicht nur die Handlungen, Schauplätze, Verantwortliclıen

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und Opfer kriegerischer Gewalt dokumentierten, sondern dies oftmals auch mit recht konkreten strafpolitischen Zielen verknüpften. In gewisser Weise kann man daher sagen, dass mit der Herausbildung einer punitiven Geschichtskultur und einer ‚preemptive historiography‘ (Erich C. Hahn) bereits zu Kriegszeiten wichtige Weichenstellungen für die späteren Versailler Friedensverhandlungen erfolgt waren. [...] Während nach Ende des Ersten Weltkriegs punitive völkerrechtliche Ansätze aufgrund deutschen Widerstands weitgehend ausgebremst wurden, fand nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals auf breiter Front eine Anwendung dieser Normen statt.“ Weinke, a.a.O., S. 16 f. Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof vom 14. November 1945 - 1. Oktober 1946. Nürnberg 1947 (online), Bd. 1, S. 193. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Darnstädt, a.a.O., o.S. Siehe etwa Rust, a.a.O., S. 397-682. Zum Aufflackern neuer antidemokratischer Tendenzen 1949 schreibt Norbert Frei: „Die öffentliche Meinung im Ausland reagierte auf diese Entwicklung äußerst sensibel. [Es war] zu erkennen, dass von den staatstragenden Kräften allenthalben eine entschlossene Abwehr (neo)-nazistischer und nationalistischer Bestrebungen erwartet, im Zweifelsfall aber auch mit dem Eingreifen der Besatzungsorgane gerechnet wurde.“ Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Beck‘sche Verlagsbuchhandlung, München 1996, S. 308. König 2003, a.a.O., S.43. Ebda., S.17. Ebda., S.17. Ebda., S.43. Eike Wolgast: Vergangenheitsbewältigung in der unmittelbaren Nachkriegszeit. In: „ruperto carola“. Forschungsmagazien der Universität Heidelberg, Ausgabe 3/1997 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Kleßmann 1985, a.a.O. Vgl. Peter Reichel: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit. Hanser, München, Wien 1995, S. 35. Zit.n. Erich Potthoff: Zusammenbruch und Wiederaufbau Ein Beitrag zur Geschickte der betrieblichen Mitbestimmung an der Ruhr 1945 bis 1947. In: „GMH“, 6. Jg., März 1955 (online), S. 129-137, hier: S. 137. URL: Siehe Lit.-Verz. Dieter Döring: Krisen und Wohlfahrtsstaat – einige deutsche Erfahrungen im 20. Jahrhundert. In: „Gegenblende“ vom 7.11.2012 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Jörg Roesler: Die Wiederaufbaulüge der Bundesrepublik. Oder: Wie sich die Neoliberalen ihre „Argumente“ produzieren.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Dietz Verlag, Berlin 2008 (online), S. 24 ff. und S. 71 ff. URL: Siehe Lit.-Verz. Ebda, S. 159 ff. Werner Abelshauser: Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zur Gegenwart. 2. Auflage. Beck, München 2011, S 196. „Die Siegermacht USA hatte zu Hause keine Kriegsschäden zu beklagen; die Sowjetunion hingegen lag nach 1945 in Trümmern. Und während die Amerikaner rasch bestrebt waren, der Bundesrepublik zu wirtschaftlicher Stärke zu verhelfen, und bei allerlei Entschädigungsforderungen aus dem Ausland ihre schützende Hand über die BRD hielten, demontierten die Rotarmisten rund 3.000 der ostdeutschen Betriebe. Bis 1953 büßte die DDR so rund 30 Prozent ihrer industriellen Kapazitäten ein und zahlte so nach Schätzungen zwischen 50 und 100 Milliarden Mark an den sozialistischen Bruderstaat.“ Robert Pausch: Deutsches Tabuwort Reparation. In: „Die Zeit“ vom 14.4.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Und: „Rußland preßte hinfort alles, was es benötigte, der eigenen Zone ab. Die Westmächte verfügten über den Löwenanteil der deutschen Produktionskapazität, 69 Prozent. Ihr Reparationssieg in Potsdam legte den Grund für das spätere ‚Wirtschaftswunder‘. Den Deutschen in der Ostzone wurde von Anfang an ein niedrigerer Lebensstandard zugemutet. Sie mußten, im Gegensatz zu den unverdient besser behandelten Westdeutschen, die Zeche des verlorenen Krieges zweifach und dreifach bezahlen.“ Janßen, a.a.O., o.S. Vgl. Abelshauser, a.a.O., S. 192. Vgl. Ritter, a.a.O., S. 183. Claudia Bogedan: Totgesagte leben länger. Zum Verhältnis von Sozialer Demokratie und Sozialstaat. Veröffentlichung der Online-Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung vom Dezember 2007 (online), S. 6. URL: Siehe Lit.-Verz. Roesler 2010, a.a.O., S. 38 f. Gert-Jan Hospers, Filip Kubani: Die Bedeutung der Montanunion für die europäische wirtschaftliche Integration. Wirtschaftsdienst, Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (online), 2003, Vol. 83, Iss. 3, S. 192-197, hier: S. 192 f. URL: Siehe Lit.-Verz. Theo Waigel: Die Vision der Vereinigten Staaten von Europa. In: „Die Welt“ vom 28.2.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Daniel Friedrich Sturm: Parlament der Eierkrauler, Hodentöter, Übelkrähen. In: „Die Welt“ vom 16.06.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Hildegard Hamm-Brücher: 1945 bis 2005. Haben wir aus den Irrtümern unserer Geschichte gelernt? Streifzüge und Reflexionen über Demokratiegeschichte und Demokratiebewusstsein. Danksagung anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Fried-

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rich-Schiller Universität an Hildegard Hamm-Brücher, Jena am 14. Juni 2005 (online), Abschnitt II.2. URL: Siehe Lit.-Verz. Siehe dazu als Beispiel das „Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ der US-Militärregierung für Bayern, Groß-Hessen und Württemberg-Baden vom 5.3.1946 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Peter Brandt: Von der verstohlenen Scham zur „unaufhörlichen Präsentation unserer Schande“ – Zur Auseinandersetzung Deutschlands mit dem Nationalsozialismus seit 1945. In: „IABLIS. Jahrbuch für europäische Prozesse“, 11. Jg. 2012 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. König 2003, a.a.O., S. 26. Ebda., S.17. Ebda., S.108. „Die Versorgung und Wiedereinstellung praktisch aller jener 1945 – wie es beschönigt hieß – ‚verdrängten Beamten‘ und ehemaligen Berufssoldaten in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik, 1951 mit dem sogenannten ‚131er‘-Gesetz auf den Weg gebracht, war ein weiteres wichtiges Element dieser Vergangenheitspolitik, in deren Mittelpunkt jetzt allerdings der Kampf um die Begnadigung und Freilassung der von den Alliierten seit 1945 als Kriegs- und NS-Verbrecher verurteilten Deutschen rückte. In diesem Kontext wurde Anfang der fünfziger Jahre eine beispiellose Strategie der Verharmlosung, Leugnung und Irreführung aufgeboten, die am Ende selbst ruchlosesten NS-Verbrechern zur Freiheit verhalf, sogar Einsatzgruppenführern, die Tausende von Menschen auf dem Gewissen hatten, kamen damals aufgrund massiven politischen und gesellschaftlichen Druck frei.“ Norbert Frei: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen. Beck, München 2005, S. 31. Ebda., S. 33. Ralph Giordano: Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein. Rasch und Röhring Verlag, Hamburg 1987, S. 122. Ebda., S. 94. Ebda., S. 95. Ergebnisse von Umfragen des Instituts für Demoskopie in Allensbach vom Dezember 1952 und vom Mai 1959. Angaben nach: Landschaftsverband Rheinland (Hrsg.): Bundesrepublik und Beginn des Wirtschaftswunders (1949 – Anfang 1950er-Jahre) (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Brandt 2012, a.a.O., o.S. Siehe dazu Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945. Neuausgabe. Dietz Verlag, Bonn 1997, S. 10. „Die USA nahmen jene Japaner in ihre Dienste, die Tausende von Menschenversuchen durchgeführt hatten. Sie und der Vatikan retteten die Barbies. Sie holten sich Wernher von Braun, den ein

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Major Taggert weichzuklopfen suchte, indem er ihn den ‚Erfinder der teuflischsten Vernichtungswaffe‘ nannte, die die Menschheit je besessen habe. Von Braun müsse hängen, ‚weil er diese grauenhafte Waffe der verbrecherischsten Regierung aller Zeiten in die Hände gegeben‘ habe.“ Rudolf Augstein, 1985, a.a.O. Giordano, a.a.O., S. 95. König 2003, a.a.O., S. 17. Zur öffentlichen Intervention durch den damaligen Bundespräsidenten Heuss 1952 entgegen der mehrheitlichen Meinung der Bevölkerung siehe: Juliane Wetzel: Zur Widerstandsrezeption in der BRD bis 1989. In: „UTOPIE kreativ“, Heft 118, 8/2000 (online), S. 797-804, hier: S. 798. URL: Siehe Lit.-Verz. König 2003, a.a.O., S. 46. Nach Abelshauser waren politische, nicht ökonomische Gründe ausschlaggebend. Vgl. Abelshauser, a.a.O., S. 14. Vgl. zu den Etappen der deutschen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus: Brandt 2012, a.a.O., o.S. Vgl. Michael Wildt: Die Epochenzäsur 1989/90 und die NS-Historiographie. In: „Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History“, Online-Ausgabe, 5 (2007/08) Heft 3, Abschnitt 3. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Wolfram Wette: Vergangenheitsbewältigung war gestern. Erinnerungskultur vor neuen Herausforderungen. In: Forum Pazifismus. Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit, Nr. 29 - I/2011 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Richard Saage: Faschismustheorien. Ihre Bedeutung für die Forschung und die politische Bildung. In: „sehepunkte“, Heft 215 (September 2007/08), S. 773-784, hier: S. 773. „Der Stachel, jahrelang von der ‚geistigen Führung‘ (Kohl) ausgesperrt gewesen zu sein, sitzt tief. So tief, dass sich Bruno Hecks ‚Die politische Meinung‘ Mitte 1983 unter der Überschrift ‚Hitler, Bonn und die Wende‘ zu Sätzen verstieg wie: ‚Die Rebellion von 1968 hat mehr Werte zerstört als das Dritte Reich. Sie zu bewältigen ist daher wichtiger, als ein weiteres Mal Hitler zu überwinden.‘ […] Im Heftinnern begründete der – inzwischen verstorbene – Chefredakteur Ludolf Herrmann die These, 1968 sei ‚eine tiefere Zäsur als 1945‘ gewesen: ‚Hitler haben wir, wenn auch vielleicht nicht endgültig, bewältigt. Nicht bewältigt aber haben wir die Bewältigung Hitlers, wie sie zur Studentenrebellion von 1968 und zu den fundamentalen Umwertungen der Folgezeit geführt hat […] Die Wende, die wir benötigen, besteht nicht darin, dass wir ein weiteres Mal 1933 oder 1945 verdauen, sondern dass wir den nachträglichen Ungehorsam gegen Hitler überwinden.‘“ N.N.: Wäre ich Deutscher, würde ich schreien. In: „Der Spiegel“ vom 5.1.1987 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Edgar Wolfrum: Die beiden Deutschland. In: Volkhard Knigge, Norbert Frei (Hrsg.): Verbrechen erinnern. Die Auseinanderset-

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zung mit Holocaust und Völkermord. München 2003, S. 133149, hier: S. 139. Zit.n. Wette 2011, a.a.O., o.S. Zit.n. Dieter Buhl: Mörder, Schleimer, Dreckschleuders. In: „Die Zeit“ vom 2.10.1970. URL: Siehe Lit.-Verz. Immanuel Geiss, Volker Ullrich (Hrsg.): Fünfzehn Millionen beleidigte Deutsche oder Woher kommt die CDU? Beiträge zur Kontinuität der bürgerlichen Parteien. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1972. Zit.n. N.N.: Letzte Stufe. In: Spiegel 46/1970 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. N.N.: Die Kontinuität der Tradition. In: „Die Zeit“ vom 13.11.1970 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. König 2003, a.a.O., S. 30 ff. Als Stichwort nennt er die Frankfurter Auschwitz-Prozesse, den Eichmann-Prozess, die Debatten über die Verjährung von NS-Verbrechen im Bundestag, die Uraufführung von „Die Ermittlung“ (Peter Weiss) etc. Ebda., S. 44. Vgl. Jakob S. Eder: Holocaust-Erinnerung als deutsch-amerikanische Konfliktgeschichte. In: Jan Eckel, Claudia Moisel: Universalisierung des Holocaust? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in internationaler Perspektive. Wallstein Verlag, Göttingen 2008, S. 109-134, hier: S. 114 ff. Vgl. Klaus Große Kracht: Der Historikerstreit. In: „DocupediaZeitgeschichte“. 11. 1.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Wette 2011, a.a.O., o.S. Beispielhaft dafür etwa Joachim Fests Hitler-Biographie, aber auch die ZDF-Serie „Hitlers Helfer“. Vgl. Karl Schlögel: 20 Jahre wiedervereintes Europa – ein Rückund Ausblick. Gekürzte Fassung einer Rede, gehalten am 22. Februar 2007/08 in Berlin im Rahmen der Auftaktveranstaltung der Reihe „Doppelgedächtnis: Debatten für Europa: 20 Jahre wiedervereintes Europa“ der Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa e.V. (online). URL: Siehe Lit.-Verz. König 2003, a.a.O., S. 152. Vgl. zum Fall Jenninger: Michael Hoffmann: Ambivalenzen der Vergangenheitsdeutung. Deutsche Reden über Faschismus und ‚Drittes Reich“ am Ende des 20. Jahrhunderts. Dissertation, Universität Gießen, publ. 2006 (online), S. 107. URL: Siehe Lit.Verz. Die Kranzniederlegung auf dem Soldatenfriedhof am 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation sollte der Versöhnung der ehemaligen Kriegsgegner dienen, doch kam es zu einer heftigen öffentlichen Diskussion, da zwar keine US-Soldaten, jedoch Angehörige der Waffen-SS auf dem Friedhof lagen. Hermann Lübbe: Politischer Moralismus: Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft. (1987). Zit.n.: Hilmar Klute: Der Fingerzeig. In: Wochenendbeilage der „SZ“ vom 3./4.März 2012.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung

353. Vgl. Benjamin Reuter: Berliner Historiker warnt: Meinungsdiktatur richtet Deutschland zu Grunde. In: „Huffington Post“ vom 28.9.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 354. Vgl. Helmut König: Von der Diktatur zur Demokratie oder Was ist Vergangenheitsbewältigung. In: König, Kohlstruck, Wöll, S. 371-392, hier: S. 375 f. 355. „Der Begriff Vergangenheitsbewaltigung hat sich in den letzten Jahren von dem historischen Kontext, auf den er ursprünglich gemünzt war, abgelöst. Aus dem Namen fur einen ethisch-moralischen Umgang mit der Vergangenheit des Nationalsozialismus in Deutschland ist ein Gattungsbegriff geworden, der heute in politik- und sozialwissenschaftlichen Analysen der Ablösung von Diktaturen durch Demokratien einen festen Platz hat.“ König, Kohlstruck, Wöll: Einleitung, a.a.O., S. 7. 356. „Fukuyama […] hatte eine geschichtsphilosophisch unterfütterte Ideologie vorgelegt, die die US-amerikanische Staatswirklichkeit als Höhe- und Endpunkt der Geschichte legitimierte und den Weltstaaten eine Anpassung an dieses Ideal vorhersagte. […] Kurz gesagt vertrat der Autor die These, dass die Geschichte ein Siegeslauf des ökonomischen und politischen Liberalismus sei, der sich künftig weltweit ausbreiten werde. Habe sich die westliche Demokratie als Regierungsform überall durchgesetzt, sei die ‚final form of human government‘ erreicht – und damit das Ende der Geschichte.“ Stefan Jordan: Francis Fukuyama und das „Ende der Geschichte“. In: „Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History“, Online-Ausgabe, 6 (2009), H. 1. URL: Siehe Lit.-Verz. Druckausgabe: S. 159-163, hier: S. 160. 357. Zur Einführung in den Begriff ‚Neoliberalismus‘ siehe Viktor. J. Vanberg, Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Wernhard Möschel, Peter Hampe, Hans-Werner Sinn: Ordnungstheorie – Ordnungspolitik: Was ist Neoliberalismus? In: „Ifo-Schnelldienst“, 63. Jg., Heft 9/2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 358. Vgl. zur De-Industrialisierung: Gérard Duménil, Dominique Lévy: Jobs statt Arbeit. Folgen der Deindustrialisierung . In: „Le Monde diplomatique“, Nr. 9748 vom 9.3.2012 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 359. „Mit diesen neuen Rahmenbedingungen der Wirtschaftsentwicklung in den siebziger Jahren wurde zugleich die bis dahin vorherrschende wirtschaftspolitischeStrategie von Keynes, die auf staatliche Intervention zur Stabilisierung der Konjunktur und auf einen Ausgleich marktbedingter Verzerrungen der Einkommensentwicklung setzte, durch die marktdogmatische Position der ‚Chicago School‘ abgelöst. Herausragende Vertreter dieser Richtung waren von Hayek und Milton Friedman. Sie gingen davon aus, dass Systeme, die auf freie Märkte setzen, allen anderen Systemen überlegen seien, weil sie die individuellen Kräfte der Unternehmer fördern. Der Wohlfahrtsstaat ist in diesem Konzept das größte

Anmerkungen

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Übel. (Milton Friedman: Kapitalismus und Freiheit, Stuttgart 1971, S. 227). Ungleichheit ist dagegen höchst erfreulich, weil die Armen mit Blick auf den Lebensstandard der Reichen auch reich werden wollten. Dies sei das entscheidende Motiv für die Entwicklung des allgemeinen Wohlstands und des zivilisatorischen Fortschritts. Nur auf diese Weise, so von Hayek, sei die bisherige Vermehrung des Wohlstandes erreicht worden (Friedrich August von Hayek: Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 3: Die Verfassung einer Gesellschaft freier Menschen, München 1980, S. 232). Umverteilung zugunsten der Armen und generell Wohlfahrtssysteme werden nicht nur als freiheitsgefährdend, sondern auch als Betrug an all den Menschen betrachtet, die noch zur Arbeit gehen und Steuern zahlen.“ Dieter Eißel: Über die Ursachen der Finanzkrise. In: „Spiegel der Forschung“ 26 (2009), Nr. 1 (online), S. 46-55, hier: S. 52. URL: Siehe Lit.-Verz. 360. „Der Paradigmenwechsel ist, dogmentheoretisch betrachtet, ein Rückfall in die Lehre des ökonomischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts, auch als ‚Manchesterkapitalismus‘ bekannt, der mit dem Börsenkrach von 1929 und dem 2. Weltkrieg endgültig sein Ende gefunden zu haben schien. Die Liberalen hatten damals noch zur Krisenbekämpfung in fataler Weise auf die ‚Selbstheilungskräfte der Märkte‘ und eine aggressive Außenwirtschaftspolitik gesetzt. Bei Arbeitslosigkeit müssten die Löhne der Beschäftigten nur sinken und staatliche Unterstützungsleistungen für Arbeitslose abgebaut werden. Der Staat müsse durch eine ausgeglichene Budgetpolitik seine Ausgaben den sinkenden Steuereinnahmen anpassen (‚Austeritätspolitik‘); die heimische Wirtschaft solle möglichst viel exportieren und gleichzeitig durch protektionistische Maßnahmen mit Einfuhrzöllen und Abwertungen der eigenen Währung eine Sparpolitik auf Kosten des Auslands betreiben (‚beggar-my-neighbour-policy‘).“ Heinz-J. Bontrup: Zur größten Finanz-und Wirtschaftskrise seit achtzig Jahren. Ein kritischer Rück- und Ausblick mit Alternativen. Hrsgg. vom DGB-Bezirk Niedersachsen-Bremen-Sachsen-Anhalt. Hannover 2011 (online), S. 5. URL: Siehe Lit.-Verz. 361. Vgl. Martin Höpner, Alexander Petring, Daniel Seikel, Benjamin Werner: Liberalisierungspolitik. Eine Bestandsaufnahme von zweieinhalb Dekaden marktschaffender Politik in entwickelten Industrieländern. Discussion Paper 09/7 des Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (online), S. 5 f. URL: Siehe Lit.-Verz. 362. „Den Mitgliedern einer in dieser Weise freien Gesellschaft ist erlaubt, ‚ihre Mittel und Kenntnisse für ihre persönlichen Zwecke einzusetzen‘. Der gesellschaftliche Zweck der spontanen Ordnung ist eine ‚abstrakte Ordnung, die als Ganzes nicht an irgendwelchen - konkreten - Zielen orientiert ist, sondern lediglich jedem zufällig herausgegriffenen Individuum die beste Chance bietet, seine Kenntnisse erfolgreich für seine persönlichen Zwecke zu

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung nutzen. [...] Gemeinwohl oder öffentliches Interesse in einer freien Gesellschaft sind [in dieser Weise, H. S.] definiert.‘“ F. A. von Hayek: Freiburger Studien. Gesammelte Aufsätze. Tübingen 1969, S. 123. Zit.n. Herbert Schui: Der Versuch, die Konzentration von Einkommen und Vermögen zu legitimieren. In: Herbert Schui/Eckart Spoo (Hrsg.): Geld ist genug da. Reichtum in Deutschland Heilbronn, 1996 (online), S. 103-123 , hier: S. 111. URL: Siehe Lit.-Verz. „Es ist sinnlos, die Art und Weise, in der der Markt die Güter dieser Welt auf bestimmte Personen verteilt, gerecht oder ungerecht zu nennen. Begriffe wie gerechte Verteilung oder gerechter Lohn [...] haben keinerlei Sinn in einer Katallaxie oder spontanen Ordnung, die solch ein gemeinsames Zielsystem ihrem Wesen nach nicht haben kann [...] Alle Bestrebungen, eine ‚gerechte‘ Verteilung sicherzustellen, müssen darum darauf gerichtet sein, die spontane Ordnung des Marktes in ‚eine totalitäre Ordnung‘ umzuwandeln.“ Zit.n. ebda., S. 121. „Monopolistische Praktiken, die heute das Funktionieren des Marktes bedrohen, sind seitens der Arbeiter viel gravierender als seitens der Unternehmer, und ob es uns gelingt, diese wieder zu beschränken, wird für die Erhaltung der Marktordnung entscheidender sein als irgend etwas sonst.“ Ebda., S. 125. „Ein gesellschaftliches Vorhaben, das wieder darauf abzielt, die Not ‚bekannter bedürftiger Nachbarn‘ konkret zielgerichtet zu beheben, ist nach Hayek ‚das Wiederauftauchen unterdrückter ursprünglicher Instinkte‘.“ F. Hayek: Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 3, Landsberg am Lech 1981, S. 218. Zit.n. ebda., S. 115. „Die europäische Aufklärung zielt darauf ab, ‚die Kräfte der Gesellschaft in derselben Weise zu beherrschen, wie dies bei der Beherrschung der Kräfte der Natur gelungen ist […]‘. Dieser Weg führt nicht nur zum Totalitarismus, sondern auch zur Vernichtung unserer Kultur und mit Sicherheit zur Verhinderung des Fortschritts in der Zukunft“. Hayek: Der Weg zur Knechtschaft. München 1991, S. 254. Zit. n. ebda., S. 122. „Die Zwangsmaßnahmen der Regierung [sollen] auf die Durchsetzung dieser allgemeingültigen Verhaltensregeln beschränkt werden.“ Hayek: Grundsätze…, S. 110. Zit. n. ebda., S. 112. „Die Gesetze dieser Versammlung haben Verfassungscharakter. Das Recht (d.h. die allgemeinen Verhaltensregeln im Sinne der Gewährleistung des Privateigentums und der privaten Vertragsfreiheit) ist in dieser Weise dem Zugriff einer wandelbaren Masse entzogen. Das Ergebnis ist eine doppelte Disziplinierung der Massen durch Markt und Meinungsführerschaft mit dem Ziel, sie zur Akzeptanz ihrer benachteiligten Position in Wirtschaft und Gesellschaft zu bewegen oder zu zwingen.“ Schui, a.a.O., S. 117. Schui bezieht sich auf Susanne Blankenburg: Neoliberalismus

Anmerkungen

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oder „Neue politische Ökonomie“. Theoretische Grundlagen des Rechtsextremismus, Arbeitspapier, Hamburg 1994. Schui ergänzt das Thema um eine Überlegung von Wilhelm Röpke, einem der Mitbegründer der Mont Pelerin Society: „W. Röpke charakterisiert das anzustrebende Ziel in ähnlicher Weise, nachdem er zunächst die Vermassung und Verklumpung, die Zentralisierung und Bürokratisierung beklagt hat: ‚Dies aber weist in manchen Ländern auf den gefahrenreichen, aber auf die Dauer kaum zu umgehenden Weg von Verfassungsreformen, die den ehrlicherweise nicht zu leugnenden Gefahren des allgemeinen Wahlrechtes entgegenwirken und eine wirkliche Regierung der Verantwortlichen ermöglichen.‘ (W. Röpke: Civitas Humana, Erlenbach/Zürich 1946, S. 188.) An anderer Stelle spricht Röpke von einer ‚Nobilitas Naturalis‘, die die Staatsgeschäfte im wesentlichen lenken soll.“ Ebda., Anm. 23. „Das Unterfutter der neuen Marktideologie bildet ein Darwinismus einfältigster Sorte. Die Entwicklung der menschlichen Kultur vollzieht sich in dieser Perspektive unsteuerbar wie die Evolution. Eine solche Behauptung ewiger Gesetze, nach denen sich die Zukunft vorhersagen lässt, ist nun freilich nach der klassischen Definition Hannah Arendts das wesentliche Kennzeichen aller totalitären Bewegungen. Sie entbinden von jeder Form moralischer Abwägung; denn wer nach diesen Gesetzen Opfer und wer Sieger sein wird, steht von Anbeginn fest.“ Jens Jessen: Fegefeuer des Marktes. In: „Die Zeit“ vom 21.7.2016 (online). URL: Siehe Lit.Verz. Vgl. Otmar Gächter, Reto Nyffeler: Der Neoliberalismus. Material zum Seminar „Politische Parteien im Wandel“. Universität Bern, SS 2001 (online), S. 5 ff. URL: Siehe Lit.-Verz. „Tatsächlich aber handelt es sich um ein Konzept, das den autoritären Staat legitimiert. Neoliberalismus bedeutet das Ende von Volkssouveränität, von gleichem und allgemeinem Wahlrecht, von wirklicher Demokratie. Neoliberalismus, das stellt Hayek in vielen seiner Arbeiten klar, ist der erklärte Gegner der europäischen Aufklärung, wie sie etwa von Spinoza, Descartes, Voltaire oder Rousseau begründet wurde.“ Schui, a.a.O, S. 122. Vgl. für einen ersten Überblick: Lobbypedia: Stichwort „Mont Pelerin Society“ (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „[Der Linksruck war] ein weltweites Phänomen. Yank, die Zeitschrift der U. S. Army, die von G.I.s für G.I.s geschrieben wurde, stand weit links von den heutigen Demokraten. Dieses Phänomen war nicht erst 1945 zu beobachten. In Großbritannien wurden seit Kriegsbeginn mehr öffentlicher Wohnungsbau, ein staatliches Gesundheitssystem und bessere Schulen gefordert. Und in den besetzten Ländern tobte in der Untergrundpresse des Widerstands eine vehemente Debatte über soziale Gerechtigkeit und die künftige Unabhängigkeit der Kolonien.“ Buruma 2015, a.a.O., o.S.

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374. „Welche nach wie vor dominierende Macht die marktradikalen Netzwerke darstellen, lässt sich anhand der Entwicklung eines noch 50 Jahre nach seiner Gründung weithin unbekannten ‚Expertennetzwerkes‘, der Mont Pèlerin Society ermessen, in welcher die marktradikalen und ordoliberalen Kräfte weltweit für die gemeinsame Sache wirken. Dieser in den USA eingetragene Verein wurde 1947 auf dem Mont Pèlerin in der Schweiz gegründet und operiert heute mit über 500 Mitgliedern und einem Netzwerk von mehr als 70 Denkfabriken auf der ganzen Welt.“ Dieter Plehwe, Bernhard Walpen: Wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Produktionsweisen im Neoliberalismus. Beiträge der Mont Pèlerin Society und marktradikaler Think Tanks zur Hegemoniegewinnung und -erhaltung. In: „PROKLA“. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, Heft 115, 29. Jg., 1999, Nr. 2, S. 1-33, hier: S. 3 f. 375. Ebda., S. 4. 376. „[E]s gibt Streit in der [Hayek-]Gesellschaft darüber, wie konservativ Liberalismus sein darf. Eher auf FDP- oder auf CDU-Linie? Oder aber auch nahe am Wirtschaftsprogramm der AfD, die sich von einer Partei der Euroskeptiker zu einer rechten PopulistenPartei mit liberal-konservativen Einsprengseln entwickelt hat? Im Herbst werden vermutlich drei Hayek-Mitglieder für die AfD in den Bundestag einziehen, an herausragender Stelle: Spitzenkandidatin Alice Weidel, die Noch-Europaabgeordnete Beatrix von Storch und die Nummer zwei auf der bayerischen Landesliste, der Ökonom Peter Boehringer.“ Katja Riedel, Sebastian Pittelkow: Die Hayek-Gesellschaft – „Mistbeet der AfD“? In: „SZ“ vom 14.7.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Siehe auch: Sebastian Pittelkow, Katja Riedel, Jens Schneider: Geplante AfD-Stiftung könnte rechte Gönner anziehen. In: „SZ“ vom 12.1.2018 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 377. Vgl. Jürgen Reifenberger: Neoliberalismus, Krise und die Zukunft des demokratischen Sozialstaats. Tectum-Verlag, Marburg 2015, S. 54 ff. 378. Höpner u.a. bezeichneten Liberalisierungspolitik als „theoriegeschichtlich überraschendes Ereignis“, das von den Wirtschaftstheoretikern des 20. Jahrhunderts nicht erwartet worden war: „Nicht sich dezentral vollziehende oder politisch administrierte Marktschaffung, sondern ein evolutionärer Trend zur Marktbeseitigung kennzeichnete für eine Mehrheit der politökonomischen Klassiker die Entwicklung des Kapitalismus, und zwar nicht nur im Sinne raum- und zeitgebundener empirischer Beobachtungen, sondern im Sinne tiefer liegender, dem Kapitalismus innewohnender Gesetze.“ Höpner u.a. 2009, a.a.O., S. 10. 379. „Die Vereinigten Staaten haben mit gezielten Geheimdienstaktionen die politische Destabilisierung Chiles vor und während des Putsches von Augusto Pinochet im Jahr 1973 vorangetrieben.

Anmerkungen

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Dies geht aus Geheimdokumenten über die Rolle der USA beim Militärputsch in Chile hervor, die in Washington veröffentlicht wurden. Demnach unterhöhlten die von der damaligen US-Regierung unterstützten Aktionen die Demokratie in Chile, wie das Weiße Haus erklärte. So sollte unter anderem die Wahl des Sozialisten Allende zum Präsidenten verhindert und seine Regierung destabilisiert werden. Mit den Aktionen sollte zudem General Pinochet nach seinem Putsch am 11. September 1973 gestärkt werden. Washington hatte stets bestritten, Pinochets Staatsstreich gegen den gewählten Präsidenten Allende unterstützt zu haben. [...] Zu den jetzt freigegebenen Dokumenten gehören auch Anweisungen des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger an die Botschaft seines Landes in Chile, wegen Menschenrechtsverletzungen keinen Druck auf die Pinochet-Regierung auszuüben.“ N.N. (Quelle: AFP): Vereinigte Staaten förderten PinochetPutsch. In: „faz.net“ vom 14.11.2010 (online). URL: Siehe Lit.Verz. Vgl. Thomas Biebricher: Demokratie als Problem. In: „Die Zeit“ 38/2014 vom 25.9.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Silke Bigolke: Der Wirtschafts-Nobelpreis ist zu marktgläubig. In: „SZ“ vom 9.11.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Armin Müller: Geldpolitik: Papiertiger. In: „Handelszeitung“ vom 26.8.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Stefan Aust: Wie aus Gold Papiergold wird. In: „Der Hauptstadtbrief“ Nr. 109 vom 25.6.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Der US-amerikanische Präsident Richard Nixon (1913-1994) betonte noch 1971: ‚Jetzt sind wir alle Keynesianer geworden.‘ Der Staat spielte zumindest eine ‚bastard-keynesianische‘ Rolle.“ Bontrup, a.a.O., S. 6. Vgl. zur Mont Pélerin Society: Martin Rempe: Rezension zu Matthias Schmelzer: Freiheit für Wechselkurse und Kapital. Die Ursprünge neoliberaler Währungspolitik und die Mont Pélerin Society. Marburg 2010. In: H-Soz-u-Kult, 20.01.2011 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Alles das war und ist kein Automatismus, der – nach dem Ende des ‚Goldenen Zeitalters‘ des Kapitalismus – allein der Systemlogik entsprungen wäre, sondern die Entwicklung der letzten 30 Jahre ist auch das Ergebnis konkreter politischer Entscheidungen und Ereignisse sowie einer Art neoliberaler Bewusstseinsrevolution in der ökonomischen Fachwissenschaft wie in der öffentlichen Diskussion – ihr Credo ist die Alternativlosigkeit –, welche in den letzten Jahren aber ihren Zenit überschritten hat.“ Peter Brandt: Die ,Globalisierung‘ in historischer Perspektive. Eine essayistische Deutung der Weltgeschichte der Neuzeit. In: „Globkult-Magazin“ vom 31.7.2008 (online), S. 16. URL: Siehe Lit.-Verz. Eine gute Einführung in die Auswirkungen der Übernahme der Ordnungspolitik Thatchers für die Europäische Union findet sich

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung bei Barbara Supp: Unbarmherzige Samariter. Wie Margaret Thatcher und ihre deutschen Schüler die marktkonforme Demokratie erschaffen haben. „Spiegel“-Essay. In: „Spiegel“ 6/2012 (online), S. 56-57. URL: Siehe Lit.-Verz. „Von Thatcher, die als junge Frau den Weg zur Knechtschaft gelesen hatte, wird die Anekdote berichtet, wie sie zu Beginn einer Kabinettssitzung Hayeks 1960 erschienene Verfassung der Freiheit mit den Worten auf den Tisch warf: ‚Das ist es, woran wir glauben!‘ Vor einer radikalen Rosskur nach chilenischem Vorbild, wie Hayek sie ihr brieflich auch für Großbritannien empfahl, schreckte allerdings selbst die ‚Eiserne Lady‘ zurück – bezeichnenderweise mit dem Hinweis, Großbritannien sei schließlich eine rechtsstaatliche Demokratie.“ Biebricher, a.a.O., o.S. vgl dazu Josef Stieglitz: Der Preis der Ungleichheit. In: „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Heft 8/2012 (online), S. 31-32, hier: S. 31 f. URL: Siehe Lit.-Verz. „Im Klartext geht es damit um die Durchsetzung eines massiven Umverteilungsprozesses der öffentlichen Haushalte zugunsten privatwirtschaftlicher Gewinnstabilisierung. Steuerentlastungen, die vor allem die hohen Einkommensschichten und Unternehmensgewinne begünstigen, stehen radikale Kürzungen im Wohlfahrtshaushalt gegenüber. [...] Diesem Abschied von der wohlfahrtsstaatlichen Ausrichtung amerikanischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die im Anschluß an den ‚New Deal‘ im Gefolge der Weltwirtschaftskrise 1929/1932 vor allem die Kennedyund Johnson-Adminstration (etwa ,‘großes Armutsprogramm‘) mit Blick auf einen breiteren gesellschaftlichen Konsens propagiert hatten, steht eine radikale Steuersenkungspolitik gegenüber.“ Rudolf Hickel: Reagans ‚amerikanischer Traum‘ – ein Alptraum für Europa. In: „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Heft 03/1981 (online), S. 286-300, hier: S. 289. URL: Siehe Lit.-Verz. Otto Graf Lambsdorff: Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Denkschrift vom 9. Sept. 1982. In: Gérard Bökenkamp, Detmar Doering, Jürgen Frölich, Ewald Grothe (Hrsg.): 30 Jahre „Lambsdorff-Papier“. Texte und Dokumente zum „Konzept für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ vom 9. September 1982, 1. Auflage 2012 (online). Hrsgg. v. d. Friedrich-Naumann-Stiftung. URL: Siehe Lit.-Verz. Zit.n. Christoph Butterwegge: Ein neoliberales Drehbuch für den Sozialabbau. 7.9.2007 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Abelshauser, a.a.O., S. 453. Vgl. ebda., S. 452. Vgl. ebda., S. 455 f.

Anmerkungen

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396. Eine Sammlung vieler Rechtsakte zur Liberalisierung in Deutschland findet sich bei Susanne Steinborn: Regulierung der Finanzmärkte in Deutschland unter Berücksichtigung der Rahmensetzung durch die EU. Kurzstudie im Auftrag der Rosa-LuxemburgStiftung, Stand November 2009 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Siehe auch die material- und quellenreichen Webseite von Robert Muner: Materialien Eurokrise/ Finanzkrise/ Staatsschuldenkrise. Büchse der Pandora: Die Entfesselung der Finanzmärkte (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 397. „Es ist ein schwerer Vorwurf, den der UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, Philip Alston, erhebt. Die Weltbank nehme die Menschenrechte nicht ernst und komme den Pflichten nicht nach, die ihr die Charta der Vereinten Nationen auferlegt, meint der Jura-Professor der New York University. ‚Die Weltbank ist eine menschenrechtsfreie Zone‘, schrieb Alston daher in seinem jüngsten Bericht, den er an diesem Freitag der UN-Generalversammlung in New York vorstellen wird.“ Harald Schumann: UN-Berichterstatter nennt Weltbank „menschenrechtsfreie Zone“. In: „tagesspiegel“ vom 23.10.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 398. „Die Zauberformel, die als ‚Washingtoner Konsens‘ in die Geschichte eingehen sollte, lautete so: Wenn alle Nationen dem Staat Zügel anlegen und sich der unsichtbaren Hand des Marktes anvertrauen; wenn sie Steuern senken, Haushalte sanieren, Inflation bekämpfen, öffentliche Güter privatisieren und Kapitalinvestoren mit offenen Armen empfangen – dann werden alle Menschen auf der Erde ihr trauriges Los verbessern. […] Kaum ein Wirtschaftsprogramm hat die Ökonomien der Weltgesellschaft so durchfurcht wie jenes, das Experten der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und des US-Finanzministeriums Anfang der neunziger Jahre in harmonischer Runde zu Papier gebracht hatten. Nicht nur eine Handvoll Länder, ganze Kontinente beugten sich dem Washingtoner Ratschluss in der Hoffnung auf Wachstum und Wohlstand.“ Thomas Assheuer: Wer erlöst uns vom Kapital? In: „Die Zeit“ vom 11.9.2007 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 399. „Das europäische Wettbewerbsrecht hat den Binnenmarkt und die europäische Vereinigung in nicht unerheblicher Weise geprägt und auf eine bestimmte Art zu realisieren geholfen. Die Wettbewerbspolitik stimmt mit diesen ordoliberalen Gedanken völlig überein. Mittelbar hat sie auf diese Weise zur Verbreitung ordoliberalen Gedankenguts in Europa ganz entscheidend beigetragen. Durch die fehlende wirtschaftspolitische Neutralität auf europäischer Ebene, wie sie das Grundgesetz kennt, werden andere Optionen der Integration von vornherein beschnitten.“ Susanne Schmidt: Liberalisierung in Europa. Die Rolle der Europäischen Kommission. Schriften des Max-Planck-Instituts für Gesell-

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schaftsforschung Köln, Band 33. Campus Verlag, Frankfurt/ Main, New York 1998 (online), S. 18. URL: Siehe Lit.-Verz. 400. „Eines der Hauptziele der WTO, die Beseitigung ‚nichttarifärer Handelshemmnisse‘, ist in zwei Übereinkommen festgelegt, die sich nur scheinbar mit technischen Fragen beschäftigen. Mit den Abkommen über technische Handelshemmnisse (TBT) und die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS) verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten zur (wie es im Jargon heißt) ‚Harmonisierung‘ der umwelt-, gesundheits- und verbraucherschutzrechtlichen Normen und Bestimmungen. Praktisch läuft diese ‚Harmonisierung‘ auf die Etablierung von Minimalstandards hinaus, so dass die Mitgliedstaaten ihre nationale Gesetzgebung in absehbarer Zeit auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückschrauben müssen, unter völliger Missachtung des Vorsorgeprinzips. Wer die Einfuhr bestimmter Produkte verweigert, weil sie die Gesundheit der Bevölkerung gefährden oder die Umwelt zerstören, muss seine Befürchtungen wissenschaftlich begründen. Der Hersteller hingegen braucht nicht zu beweisen, dass seine Produkte für Mensch und Umwelt unbedenklich sind. [...] Das WTO-Prinzip der Inländerbehandlung untersagt jede Diskriminierung ausländischer Erzeugnisse, auch wenn das Empfängerland mit den menschlichen oder ökologischen Bedingungen ihrer Herstellung nicht einverstanden ist. Anders gesagt, die ‚Produktionsprozesse und -methoden‘ dürfen kein Kriterium der Importverweigerung sein. Einzige Ausnahme bilden Erzeugnisse, die von Gefangenen hergestellt werden. Kriterien wie nachhaltige Entwicklung oder Einhaltung der Menschenrechte sind hingegen rechtswidrig.“ Susan George: Liberalismus versus Freiheit – WTO-Konferenz von Seattle. In: „Hamburger Bildungsserver“: Die Organisationen der Globalisierung (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 401. Butterwegge sieht den entscheidenden Schritt im gemeinsamen Papier der sozialdemokratischen Regierungschefs Schröder und Blair 1999: „Der ‚aktivierende Sozialstaat‘, wie ihn das Schröder/ Blair-Papier beschwor, bedeutet das definitive Ende für den aktiven Sozialstaat. Klaus Dörre meint, das Schröder/Blair-Papier habe die ‚glasklare Botschaft‘ vermittelt, dass sich im Gefolge der Globalisierung die Gewichte zwischen Ökonomie und Politik für immer zu Lasten der Letzteren verschöben und auch den europäischen Sozialdemokraten keine andere Wahl bleibe, als den Wohlfahrtsstaat an die Zwänge der offenen Weltmärkte anzupassen. Überlebensfähig ist nur, was sich im internationalen Restrukturierungswettlauf behauptet. ‚Renaissance der sozialen Marktwirtschaft‘ heißt in diesem Zusammenhang, alle Institutionen des ‚rheinischen Kapitalismus‘ – vom Flächentarifvertrag bis zu den sozialen Sicherungssystemen – dem Markttest zu unterwerfen.“

Anmerkungen

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403.

404.

405.

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Christoph Butterwegge: Krise und Zukunft des Sozialstaates. 5. Auflage. Springer VS, Wiesbaden 2014, S. 238. „Die Fähigkeit der nationalen Politik zur Feinsteuerung der Wirtschaft hinsichtlich der Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen wurde über-, die Bedeutung des einzelnen und der Wirtschaft bei der Schaffung von Wohlstand unterschätzt. Die Schwächen der Märkte wurden über-, ihre Stärken unterschätzt.“ Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten. Ein Vorschlag von Gerhard Schröder und Tony Blair (London, 8. Juni 1999). Zit.n. der Version des Glasnost-Archivs (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Hatten die Sozialdemokraten im europäischen Durchschnitt zwischen 1976 und 2000 einen stabilen Stimmenanteil von etwa 32%, so sank er ab der Jahrtausendwende kontinuierlich bis zu einem Anteil von 23% im Jahr 2010. Vgl. Frank Deckert, Volker Best: Sozialdemokratische Koalitionsstrategien in Europa. Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung, Juni 2011 (online), S. 4. URL: Siehe Lit.-Verz. „Als der US-Präsident 1994 das neue Bankengesetz unterzeichnete, hatte er Top-Banker, Lobbyisten und Politiker zu einer Feierstunde in den prunkvollen Festsaal des Finanzministeriums geladen. Mit seiner Unterschrift beerdigte Clinton Gesetze aus den 20er-Jahren, die amerikanischen Banken bei ihren Geschäften Grenzen setzten. ‚Wir räumen überflüssige, von der Regierung aufgestellte Hürden aus dem Weg‘, schwärmte der Präsident. ‚Die neuen Regeln machen uns wirtschaftlich stärker und effizienter, sie sind gut für die Verbraucher‘, versprach er.“ Olaf Storbeck: Die selbst gemachte Krise. In: „Handelsblatt“ vom 17.1.2011 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „[Dem] Finanz-Blogger Greg Palast [wurde] [...] ein Memorandum zugespielt, das alle Verschwörungstheorien bestätigt, die Summers schon länger als stärksten politischen Arm einer geheimen Konspiration sehen, die die führenden US-Banken in den 1990er Jahre angezettelt hatten, um alle lästigen Regulierungen abzuschütteln. Ziel war die Entfesselung der Finanzmärkte und tatsächlich wurde Ende der 1990er Jahre nicht nur die nach dem Finanzcrash von 1929 verfügte strenge Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken aufgehoben, es wurde auch die Regulierung der Derivativmärkte verhindert. Heute gilt das als wesentliche Voraussetzung für die Finanzmarkt-Exzesse, die 2008 zum Beinahe-Zusammenbruch des westlichen Finanzsystems und zur ‚Großen Rezession‘ geführt hatten – was Bill Clinton mittlerweile zur Ansicht brachte, er sei von Summers und Rubin falsch beraten worden.“ Rainer Sommer: Das „Endspiel“ der globalen Finanzmarkt-Deregulierung. In: „telepolis“ vom 24.8.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Siehe dazu auch Olaf Storbeck: Folgen der Deregulierung. Die selbst gemachte Krise. In: „Handelsblatt“ vom 17.1.2011 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. dazu Rainer Sommer: Die Subprime-Krise in den Vereinigten Staaten. „bpb-Dossier“ vom 20.1.2012 (online). URL: Siehe Lit.Verz. Vgl. US-Justizministerium: Annex 1. DEUTSCHE BANK STATEMENT OF FACTS. Veröffentlichung vom 13.1.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Die Bereitschaft der Anleger, die hypothekengesicherten Papiere und dabei selbst Equity zu kaufen, ist dadurch zu erklären, dass sehr viele Personen und Institutionen nur auf Renditen achteten und die Risiken der Papiere vernachlässigten. Anleger aller Art, Privatpersonen, Universitäten, Stiftungen, deutsche öffentliche Banken ebenso wie US-amerikanische und Schweizerische Investment Banken, waren derart auf Renditen fixiert, dass sie nicht auf die Risiken dieser Papiere achteten. […] Auf Seiten der Investment Banker hat die Fokussierung auf Umsatzwachstum und Marktanteile im Verbriefungsgeschäft das mit diesem Geschäft verbundene Risiko vergessen lassen.“ Martin Hellwig: Finanzkrise und Reformbedarf. Gutachten für den 68. Deutschen Juristentag. In: Preprints of the Max Planck Institute for Research on Collective Goods (online), Bonn 2010/19, S. 26 f. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. dpa: Globaler Schuldenberg wächst auf 100 Billionen Dollar. In: „Handelsblatt“ vom 9.3.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Reifenberger 2015, a.a.O, S. 93. Als „Erwartungsprodukt“ – Futures, Optionen, Forward-Kontrakte – bezeichnet Joseph Vogl jene Finanzprodukte, „mit denen die Werte zukünftiger Erträge in Gegenwartswerte überführt werden“. Vgl. Astrid Mania: Erwartungsprodukte. In: „SZ“ vom 4.2.2017, S. 21. Vgl. Aust, a.a.O., o.S. „Die wundersame Goldvermehrung ist erst den Finanz-Alchemisten des 21. Jahrhunderts gelungen. Das Kunststück findet jedoch nicht im Chemielabor statt, sondern in der Bank, die das Gold eigentlich nur sicher aufbewahren sollte. Und die Zaubermittel der modernen Alchemie heißen nicht mehr Holzkohle, Schwefel und Quecksilber, sondern Gold-Future (Optionshandel), Gold-ETF (Exchange Trade Funds) oder Gold-Leasing. Und auch die Staatsbanken mischen wie weiland die fürstlichen Kämmerer der Schuldenstaaten kräftig mit. Inzwischen handeln Bankhäuser mit Goldschätzen, die noch gar nicht gefördert wurden, sie handeln mit ‚Papiergold‘. Das macht den Goldpreis immer volatiler. Schon mehr als 90 Prozent des preisbestimmenden Handels entfallen nach Schätzung von Experten nicht mehr auf „physisches“ Gold, sondern auf goldbasierte, handelbare Wertpapiere und De-

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rivate – Schuldscheine auf all jene berüchtigten Produkte, wie man sie aus der jüngsten Immobilien- und Bankenkrise kennt, allerdings ohne den magischen Zusatz ‚Gold‘. Vgl. ebda. „But the bottom line is that, as of last Friday, the Comex vaults collectively now show 202k ounces of gold in the ‚registered‘ / deliverable accounts of the Comex vault custodians. As of today’s trading, the ‚preliminary‘ gold futures open interest rose to 419k contracts representing 41.9 million ounces of paper gold. This would, preliminarily, put the ratio of paper gold to deliverable physical gold at an astonishing 207:1 ratio.“ N.N.: The Comex Is Facing A Gold Crisis. Meldung von Investment Research Dynamics vom 18.6.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Zum Derivatemarkt vgl.: Deutsche Bank Research: CDS. Auf dem Weg zu einem robusteren System. 8.3.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt vgl. N.N: Welt-Bruttoinlandsprodukt. In: „bpb Globalisierung“ (online). URL: Siehe Lit.Verz. Vgl. Willis Towers Watson (Hrsg.): The World’s 500 Largest Asset Managers – Year end 2013. Bericht vom 10.11.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Meike Schreiber, Jan Willroth: Das große Missverständnis. In: „SZ“ vom 27.03.2017, S. 18. „Das Anlagekapital der weltweit 500 größten Asset Manager ist 2014 um 2,1 Prozent auf ein Rekordvolumen von 78,1 Billionen USD gestiegen. Seit 2004 haben ihre Fonds fast 30 Billionen USD zugelegt. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie Pension & Investments / Towers Watson World 500.“ N.N.: Anlagekapital steigt weltweit auf Rekordvolumen. In: WillisTowersWatson. Meldung vom 9.11.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit wird zunehmend missachtet. Auch in Deutschland haben wir uns von der Idee einer gleichmäßigen Besteuerung aller Einkommen faktisch verabschiedet. Gewinne werden anders besteuert als Löhne, Zinsen werden anders besteuert als Dividenden. Da kein Effizienzgewinn durch den Steuerwettbewerb in Sicht ist, wird die Steuergerechtigkeit auch noch völlig umsonst aufs Spiel gesetzt.“ Wolfgang Scherf: Defekte des internationalen Steuerwettbewerbs. Finanzwissenschaftliche Arbeitspapiere der Universität Giessen, Arbeitspapier Nr. 82-2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Andreas Zielcke: Wer viel hat. In: „SZ“ vom 28.3.2017, S. 9. „Der nicht hinnehmbaren Organisation der Schiedsgerichte entspricht darüber hinaus (jedenfalls bisher) auch ein den für Gerichte anerkannten rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechendes Verfahren. Elementar ist rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren deren Öffentlichkeit. Es handelt sich hierbei nicht um eine bloße

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Förmelei. Die Öffentlichkeit gerichtlicher Verfahren ist eine Ausprägung des Demokratieprinzips.“ Siegfried Broß: Freihandelsabkommen, einige Anmerkungen zur Problematik der privaten Schiedsgerichtsbarkeit. In: Report Nr. 4 der Hans-Böckler-Stiftung vom Januar 2015 (online), S. 14. URL: Siehe Lit.-Verz. „Das Wort [Valorisierung] aus der Finanzwirtschaft bedeutet, dass Dinge, die zuvor keinen Warencharakter und mithin keinen Wert besaßen, zu Waren werden, die sich auf einen Markt tragen lassen. ‚Valorisiert‘ werden können auch Dinge, die noch gar nicht existieren - ja, von denen man unter Umständen noch nicht weiß, worin sie bestehen werden. [...] Und so, wie noch die letzte Kokosnuss, die in zweihundert Jahren auf einer pazifischen Insel vom Baum fallen wird, in den Spekulationen des Finanzkapitals heute schon als geldwerter Gegenstand erscheint, so nimmt der Wert, der gegenwärtig den Unternehmen des digitalen Kapitalismus zugeschrieben wird, die Unterwerfung aller menschlichen Beziehungen unter die digitale Warenform voraus. In der Erwartung solcher Verhältnisse liegt der spekulative Wert der Internet-Unternehmen gegenwärtig begründet.“ Thomas Steinfeld: Das exakte Leben. In: „SZ“ vom 8.9.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. insgesamt Heribert Prantl: Ein heimlicher Staatsstreich. In: „SZ“ vom 10./11. 2014, S. 23. Vgl. auch: Lori Wallach: TAFTA / TTIP – die große Unterwerfung. In: „Le Monde Diplomatique“ vom 8.11.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. die „Erklärung über die Errichtung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung. Resolution 3201 (S-VI) der Generalversammlung der Vereinten Nationen“ vom 1. Mai 1974 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Helmut Volger: Zur Geschichte der Vereinten Nationen. In: „ApuZ“ 42/1995, S. 7-8. Zit.n. Ragnar Müller, a.a.O., o.S. „[…] dass die WSK-Rechte auch nach 34 Jahren immer noch ‚durchsetzungsschwächer‘ (Ekart) sind als die zum selben Zeitpunkt verabschiedeten bürgerlichen und politischen Menschenrechte, haben im Wesentlichen die reichen Industriestaaten des Nordens (USA, Australien, Neuseeland, Japan und Westeuropa) zu verantworten. Ihr Wille, die WSK-Rechte jenseits ihrer Grenzen durchzusetzen, ist leider nicht stärker als der von ‚Halbdemokratien und Diktaturen‘ (Ekart). Die Industriestaaten gründeten Anfang der 90er Jahre unter Führung der damals stärksten Wirtschaftsmächte – USA, EU, Japan und Kanada – die WTO. Ihr einziges Ziel: Sie wollten mithilfe einer ‚Liberalisierung‘ des Welthandels einen Zugang zu den Märkten anderer Länder bekommen, um so ihre Industriewaren und Dienstleistungen absetzen zu können. Diese Öffnung der Märkte hat in fast allen beteiligten Ländern für breite Bevölkerungsschichten zu einer Verschlechterung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen geführt ebenso wie zu vermehrten ökologischen Schäden. Das gilt

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insbesonders, wenn die ‚Liberalisierung‘ einherging mit der Privatisierung der Wasserversorgung, des Gesundheitssystems oder anderer Bereiche ehemals öffentlicher Daseinsfürsorge.“ Andreas Zumach: Die WTO ist keine Lösung. In: „taz“ vom 16.8.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 427. „Gut zehn Jahre nach der globalen Zäsur von 1989 stellte sich die Lage dagegen völlig anders dar. Im November 2001 auf dem Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) in Doha klang die Abschlusserklärung streckenweise so, als ob der Vertreter einer Dritte-Welt-Gruppe sie geschrieben hätte: ‚Die Mehrzahl der WTO-Mitglieder sind Entwicklungsländer. Wir wollen ihre Bedürfnisse und Interessen ins Zentrum des Arbeitsprogramms stellen. Wir erkennen an, dass alle Menschen von den Möglichkeiten und den Wohlfahrtsgewinnen des internationalen Handels profitieren müssen.‘“ Petra Pinzler: Wie transatlantische Handelseliten die Welt dominieren. In: „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Heft 10/2015 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 428. „Der Generaldirektor der WTO stellte im Jahr 1996, also nach fast 50 Jahren GATT, zwar fest, dass alle WTO-Mitglieder die UNO-Menschenrechtskonvention unterzeichnet und damit die Sozialklauseln (freie Berufswahl, Arbeitslosenschutz, gleicher Lohn für gleiche Arbeit usw.) anerkannt hätten. Die WTO-Mitglieder (damit waren an dieser Stelle vor allem die Industriestaaten gemeint) würden die Wettbewerbsvorteile der Entwicklungsländer nicht in Frage stellen. Die Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzfragen dürften aber in den Ministerkonferenzen und den künftigen Handelsverhandlungen nicht zu einem Störfaktor werden. Die Kompetenz, über weitere Sozialstandards zu verhandeln, liege bei der ILO. Die Befürworter der WTO als einer reinen Handelsorganisation stützen sich vor allem auf drei Argumente: Erstens, zusätzliche Gesundheits-, Arbeits- und Umweltschutzvorschriften hätten eine Schwächung der Wettbewerbssituation der Entwicklungsländer zur Folge. Die sozialpolitischen Forderungen würden lediglich auf Druck der Gewerkschaften der Industrieländer vorgebracht und lägen in deren Eigeninteresse. Zweitens verstoße eine sozialpolitische Neuausrichtung der Welthandelsordnung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Die wirtschaftlich schwachen Staaten seien dem GATT und der WTO im Glauben beigetreten, es handle sich um eine reine Handelsordnung. Ohne diese Sicherheit hätten sie weder das GATT noch die WTO akzeptiert. Drittens verfüge die WTO – wie bereits erwähnt – über keine originäre Rechtszuständigkeit, ordnend in die Gesellschaftspolitik der Vertragsparteien einzugreifen.“ Senti, a.a.O., o.S. 429. Sascha Zastiral: Der Brexit wurde herbeigeschrieben. In: „Die Zeit“ vom 5.7.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung

430. Christoph Engel: Die soziale Funktion des Eigentums. In: Otto Depenheuer, Christoph Engel, Thomas von Danwitz (Hrsg.): Bericht zur Lage des Eigentums. Reihe Bibliothek des Eigentums, Bd. 1. Springer-Verlag, Berlin 2002 , S. 9-107, hier: S. 100. 431. „An die Stelle der nach innen einheitlich und hierarchisch gedachten staatlichen Rechtsordnung, die nach außen nur den Bindungen des Völkerrechts unterliegt, tritt offenbar ein unübersichtliches Nebeneinander zahlreicher Ordnungsmuster verschiedenen Zuschnitts.“ Andreas Fischer-Lescano: Globaler Rechtspluralismus. In: „APuZ“, Heft 34-35 vom 23.8.2012 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 432. Vgl. zur Einführung Henryk Hielscher, Michael Kroker, Max Haerder, Anke Henrich: Justitia verzieht sich ins Hinterzimmer. In: „Wirtschaftswoche“ vom 3.5.2013 (online). URL: Siehe Lit.Verz. 433. „Privates Schiedsgericht und Ausübung von Gerichtsbarkeit gegenüber Staaten bei Streitigkeiten, die aus Freihandelsabkommen erwachsen, schließen sich jedoch aus. Der tiefere Grund hierfür liegt darin, dass Staaten als Vertragschließende eines Freihandelsabkommens sich auf der Ebene des Völkerrechts begegnen. Demgemäß richten sich der Abschluss und die Abwicklung eines solchen Abkommens nach den Regeln des Völkerrechts. Subjekte und Teilnehmer am Völkerrechtsverkehr sind Staaten und nicht Privatpersonen.“ Broß, a.a.O., S. 13. 434. Vgl. Hartmut Aden: Transnationales Recht als Thema fragmentierter Rechtswissenschaft(en). In: „Rechtswissenschaft“, Heft 2, 2010 (online), S. 212-217, hier: S. 214. URL: Siehe Lit.-Verz. 435. Vgl. Gunther Teubner: Die anonyme Matrix: Zu Menschenrechtsverletzungen durch „private“ transnationale Akteure. In: „Der Staat: Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht“. Heft 44, 2006 (online), S. 161-187, hier: S. 163. URL: Siehe Lit.-Verz. 436. Vgl. Andreas Zielcke: Transatlantisches Freihandelsabkommen. TTIP: Sieg über das Gesetz. In: „SZ“ vom 3.5.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 437. „Words are politics. When vocabularies change, things that previously could not be said, are now spoken by everyone; what yesterday seemed obvious, no longer finds a plausible articulation. With a change of vocabularies, new speakers become authoritative [...] Periods of social transformation often involve clashes of vocabularies. Old languages begin to seem inadequate. They begin to ring like the voice of corruption of old elites. This is true of law as well: a new legal idiom challenges an old one; new lawyers become authoritative.“ Martti Koskiennimi: Miserable Comforters: International. Relations as New Natural Law. In: European Journal of International Relations. SAGE Publications

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and ECPR-European Consortium for Political Research, Vol. 15(3) (online), S. 395–422 , hier: S. 395 f. URL: Siehe Lit.-Verz. Fischer-Lescano, a.a.O., o.S. „,Wenn unsere Waren die Grenzen nicht überschreiten können, müssen es unsere Armeen tun‘, befand der britische Eroberer Cecil Rhodes.“ Elmar Altvater: 70 Jahre Bretton-Woods – die Geburtsstunde von IWF und Weltbank. In: „Gegenblende“ vom 24.7.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Für die entscheidende Hoch-Zeit des globalen Neoliberalismus vor der Jahrtausendwende dürfte gelten, was R. Rode etwas verklausuliert feststellte: „Tatsächlich herrschte im GATT und auch jetzt in der WTO wie im IWF immer noch Gruppenhegemonie der führenden Handelsstaaten. Daran ändert die zahlenmäßige Mehrheit der Entwicklungs- und Schwellenländer nichts, solange diese in erster Linie Empfänger von Präferenzen sind und eher dem protektionistischen Lager angehören. Die Hauptträger waren die Triade USA, Japan und Deutschland, jetzt besser die EU, die Länder der G-7 und die 29 Mitgliedsländer der OECD (Stand 1998). Ohne die sogenannte OECD-Welt als Stütze hätte des GATT kaum überlebt und wäre erst recht nicht in die WTO gemündet. Eine modifizierte Theorie gruppenhegemonialer Stabilität wäre für GATT und WTO also durchaus plausibel.“ Reinhard Rode: Globalisierung und Regionalisierung: Die EU in der WTO. Beitrag für den Tagungsband des Arbeitskreises Europäische Integration: „Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation: Europa und die Globalisierung, 28.-30. Januar 1999, Heidelberg (online), S. 4. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Isabell Pfaff: Fairness statt Hilfe. In: „SZ“ vom 15.10.2016, S. 4. „Das sogenannte ‚Doing Business‘-Ranking gilt als eine der wichtigsten Veröffentlichung der Weltbank. Es beschreibt, wie attraktiv ein Land für Investitionen von Unternehmern ist. Dabei geht es zum Beispiel darum, wie teuer und zeitintensiv es ist, ein Gewerbe anzumelden. Zuletzt lagen Neuseeland und Singapur dabei in Führung, Chile belegte Platz 55. Im Jahr 2014, also kurz vor dem Amtsantritt der Sozialistin Bachelet, stand das Land noch 21 Plätze weiter vorne. [Der Chefökonom der Weltbank] Romer gab laut Wall Street Journal zu, dass sich die wirtschaftliche Lage Chiles tatsächlich nicht verschlechtert hat. Nur habe sich die Methodik zur Berechnung des Rankings verändert – kurz nachdem der Konservative Sebastián Piñear als Präsident abgewählt war. Romer bedauerte, dass die Entscheidung politisch motiviert wirkt.“ SZ.de/Bloomberg/been/sry/cat: Weltbank strafte Chile für linke Regierung ab. In: „SZ“ vom 18.1.2018 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.

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443. Vgl. Christoph Giesen: Warum China unbedingt eine Marktwirtschaft werden will. In: „SZ“ vom 14.6.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 444. Vgl. Verein Humanrights.ch/MERS (Hrsg.): Welthandel und Menschenrechte: Gegensatz oder sinnvolles Ganzes? In: „Informationsplattform humanrights.ch“ vom 17.1.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 445. „Handelsabkommen sind bi- oder multilaterale Verträge zwischen Staaten und damit prinzipiell frei von diesen Staaten gestaltbar. Darüber hinaus existiert aber das Welthandelsrecht, das sich im Laufe der Zeit, d.h. parallel zum Völkerrecht zum Schutz der Menschenrechte, entwickelt hat und das heute ebenfalls aus einer Vielzahl von internationalen Verträgen besteht. Es gibt allerdings noch keinen supranationalen, allgemein anerkannten Mechanismus, der etwaige Konflikte zwischen Menschen- und Welthandelsrecht auflösen könnte. Im Zweifelsfall ist das Handelsrecht hier im Vorteil: Handelsabkommen sind deutlich präziser formuliert und beinhalten vor allem viel direktere und vorhersehbarere Sanktionen im Falle ihrer Verletzung als das Menschenrecht. Es existiert auch kein Grundsatz ‚Menschenrecht bricht Handelsrecht‘. Die Durchsetzung von Menschenrechten ist primär Angelegenheit der einzelnen Staaten und gilt prinzipiell nur für ihr eigenes Territorium. Entsteht in einem Staat durch ein Handelsabkommen eine menschenrechtlich problematische Situation bzw. behindert das Abkommen die Lösung einer solchen Situation, so gilt keineswegs automatisch ein Vorrang der Menschenrechte – der Staat wäre rechtlich immer noch zur Erfüllung seiner handelsrechtlichen Pflichten gezwungen.“ Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestages: Das geplante Freihandelsabkommen TTIP und die Menschenrechte. AZ: WD 2 – 3000 – 130/15 vom 15.9.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 446. Altvater, a.a.O., o.S. 447. „Der Internationale Währungsfonds (IWF) sollte für die Stabilität der fixierten Wechselkurse und für die Finanzierung des Ausgleichs der Leistungsbilanzen sorgen. Dabei zeigte sich ein weiterer Fehler der Bretton-Woods-Architektur: Die Anpassungsleistungen beim Ausgleich der Leistungsbilanzen sollten die Defizitländer, also die Schuldner erbringen, nicht die Überschussländer, also die Gläubiger. Der US-amerikanische Verhandlungsführer in Bretton Woods, H. D. White, hatte dies gegen die britische Delegation mit John Maynard Keynes durchgesetzt. Er folgte dabei den Interessen der USA. Es kam hier bereits die bis heute wirksame Doppelrolle des US-Dollar zum Ausdruck: Er war das nationale Geld der USA und gleichzeitig Weltgeld im Rahmen des Bretton-Woods-Systems. Die USA als das einzige große Überschussland hatte kein Interesse daran, ihre Überschussposition und den Gläubigerstatus aufzugeben. Schuldner sollten sich an-

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strengen und durch Exportüberschüsse die Devisen einnehmen, mit denen sie ihre Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern, das waren aber bis in die 1960er Jahre in erster Linie die USA, begleichen konnten.“ Ebda. Hermann Sautter: Das Bretton-Woods-System. In: „bpd-dossier“ vom 12.1.2012 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. „Die [handelspolitische] Wende trat mit dem Zweiten Weltkrieg ein. Kluge Menschen in Amerika und England erkannten, dass fehlender Handel nicht nur den Wohlstand, sondern auch den Frieden gefährdet. Bereits 1941 begannen in London und Washington erste Überlegungen für eine Nachkriegsordnung. Der damals schon berühmte Ökonom John Maynard Keynes spielte dabei eine entscheidende Rolle. Seine Idee war: Alle Nationen schließen sich nach dem Krieg zu einer ‚Internationalen Clearing Union‘ zusammen, in der sie ihren Handel über eine Kunstwährung ‚Bancor‘ abrechnen. Die Union hätte den Vorteil, dass Länder auch dann handeln können, wenn ihre Währungen im Ausland nicht verwendet werden können. Zu Keynes’ Clearing-Union ist es nie gekommen. Der amerikanische Finanzstaatssekretär Harry D. White wollte den umgekehrten Weg gehen und sicherstellen, dass alle Währungen auch in der Krise untereinander tauschbar (‚konvertibel‘) bleiben, so dass die Länder aus eigener Kraft handeln können. Auf der Wirtschafts- und Währungskonferenz der Vereinten Nationen in Bretton Woods (New Hampshire) setzte er 1944 sein Modell einer Versicherung gegen Zahlungsbilanzkrisen vor. Es bekam den Namen Internationaler Währungsfonds (IWF).“ Piper 2018, a.a.O., o.S. „Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nutzten die USA die einmalige Möglichkeit, maßgeblich an einer neuen Weltfinanzordnung mitzuwirken. Zusammen mit den Briten entwarf man ein Konzept zur Stabilisierung des internationalen Währungssystems, festgelegt im Abkommen von Bretton Woods. Jetzt gaben die USA nicht nur in der Weltpolitik, sondern auch in der globalen Finanzpolitik den Ton an. Die Mitgliedsländer des Internationalen Währungsfonds (IWF) koppelten ihre Währung an den Dollar, der zur internationalen Reservewährung avancierte und so den USA größeren finanziellen Spielraum gewährte. Zudem wurden die Vereinigten Staaten größtes Geberland innerhalb des Fonds – eine Position, die es den USA auch heute noch ermöglicht, ihre außenpolitischen Ziele durchzusetzen.“ Christiane Karweil: So kauft man sich die Welt. In: „Die Zeit“ vom 7.3.2002 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Trotz ihrer ‚internationalen‘ Namen dienten die Weltbank und der IWF überproportional den Interessen der westeuropäischen Staaten, die den Vereinigten Staaten von Beginn an am wichtigsten waren. […] Dank eines kleineren technischen Details, das von Trumans Finanzminister John Snyder eingeführt wurde, wurden

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung ‚Hilfsgelder‘, die an ‚freundliche‘ Länder gingen, als ‚Zuschüsse‘ betrachtet, die sich nicht als Staatsverschuldung zeigten, wodurch die Illusion der besseren wirtschaftliche Gesundheit erzeugt würde. Gelder, die für militärische Operationen oder den freundlichen Ländern gewährt würden, zeigten sich ebenfalls nicht als Schulden. Dies stellte eine ausländische Geschäftsmöglichkeit dar, bei der die Banken Kredite zu besseren Konditionen an größere Ländern vergeben und mehr Geld mit Krediten zu höheren Zinsen an Entwicklungsländer machen konnten […].“ Aus: Nomi Prins: All The Presidents‘ Bankers. Nation Books 2014 (online), o.S. (Übersetzung: Lars Schall). URL: Siehe Lit.-Verz. „Autoren wie z. B. Ralf Dahrendorf hatten erwartet, dass das sozialdemokratische Zeitalter mit dem Übergang ins neue Millennium unwiderruflich zu Ende gehen würde. Diese Prognose wurde doppelt begründet: Zum einen hätten sich die intellektuellen Ressourcen der Linken erschöpft, nachdem ihre Reformideen im 20. Jahrhundert Zug um Zug verwirklicht worden seien – die Sozialdemokraten würden also gewissermaßen zu Opfern der eigenen Erfolge. Zum anderen sei ein irreversibler Wandel jener gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umweltbedingungen eingetreten, die den Erfolg der sozialdemokratischen Politik in der Vergangenheit begünstigt hatten. Das keynesianische Konzept der Nachfragesteuerung in einem Lande, das dem sozialreformerischen Projekt des Wohlfahrtsstaates ökonomisch zugrunde lag, wurde durch die fortschreitende Globalisierung der Finanz- und Gütermärkte seiner Grundlage beraubt und von einem neuen angebotsorientiertenParadigma abgelöst.“ Deckert, Best, a.a.O., S. 3. Zum Vergleich der politischen Verhältnisse zur Zeit der WWK 1929 ff. und der Krise heute siehe: Christoph Scherrer: In der Krise wächst die Macht des Finanzkapitals. In: „polis“, Heft 1/2010 (online), S. 12-15, hier: S. 15. URL: Siehe Lit.-Verz. „In der Krise der EU, deren Ursache in den enormen Handelsungleichgewichten zu finden ist, wurden die Gewerkschaften de facto durch ihre Politik der Lohnzurückhaltung und Korporation und der Konzentration auf das ‚Kerngeschäft‘ zum ‚Juniorpartner‘ der deutschen Hegemonialpolitik in der EU.“ Frank Deppe: Gewerkschaften in der Großen Transformation. Von den 1970er Jahren bis heute. Eine Einführung. Neue Kleine Bibliothek 184. PapyRossa-Verlag, Köln 2012, S. 94. Vgl. Christian Tenbrock: Träume von der Einheit. In: „Die Zeit“ vom 29.11.2001 (online)..URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Michael Schlieben: Think Tanks: Neoliberale Lobbydenker und verschwiegene Gesetzesbastler. In: „Die Zeit“ vom 19.10.2011 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „1600 Mitglieder hat der Council, von denen laut Statut mindestens 50 Prozent ihren ständigen Geschäfts- und Wohnsitz in New

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York City und Umgebung haben müssen. Sie bilden den permanenten Kern der Organisation, der zunächst einmal die Erben und Verwalter der größten Vermögen Amerikas angehören – allein vier Morgans vom Bank-Konzern Morgan Guaranty und vier Rockefellers. David Rockefeller von der Chase Manhattan Bank hat seit 1970 das höchste Amt des Council inne, den Aufsichtsratsvorsitz. Es gehören dazu die Topmanager der US-Weltkonzerne und führende Wirtschaftsjuristen aus den Anwaltsfirmen von New York, die als Interessenvertreter der Großfirmen fungieren und die Schlüsselrolle spielen im Zusammenwirken von Wirtschaft und Staatsmacht in den USA. Ihr Doyen ist der heute 80jährige John McCloy, ehemals Hochkommissar in Deutschland, jetzt Anwalt des US-Ölkartells – und Ehrenvorsitzender des Council. Auch Henry Kissinger hat seine politische Karriere als Studienleiter im Council begonnen. ‚Immer wenn wir einen Mann brauchten, blätterten wir die Mitgliedsliste des Council durch und telephonierten nach New York‘, erinnerte sich John McCloy an die Besetzung der Spitzenjobs, als er 1940 als Mitarbeiter des Kriegsministers (und Council-Mitglieds) Henry Stimson nach Washington ging, um Amerikas gigantische Rüstungsmaschine anzukurbeln. Das ist bis heute so geblieben. ‚Zwischen 1940 und 1970 sind sämtliche Spitzenfunktionen in dem riesigen Regierungsapparat für Außenpolitik, Wirtschaft und Rüstung von weniger als 400 Personen ausgeübt worden, die sich in den verschiedenen Schlüsselpositionen reihum abwechseln‘, notierte Politologe Richard Barnet. ‚Die Aufnahme in den Rat für Auswärtige Beziehungen ist quasi ein Einweihungsritus für künftige Staatsmänner.‘ Und Agentenchefs: Ein Präsident des Council, der umwitterte Allen Dulles, ist 1953 zum Direktor der CIA berufen worden, auch die meisten seiner Nachfolger waren Ratsmitglieder.“ Wilhelm Bittorf: Ein Politbüro für den Kapitalismus? In: „Der Spiegel“ vom 8.12.1975 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 458. Vgl. Paul Schreyer: Die Demokratie des George Soros. In: „NachDenkSeiten“ vom 30.8.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 459. „Sehr offensichtlich ist die Gefahr eines Übergewichts ökonomischer Partikularinteressen gegenüber den weniger finanzstarken gemeinnützigen Organisationen der Zivilgesellschaft. Die Rezepte privatwirtschaftlicher Akteure zur Lösung globaler Probleme zielen jedoch regelmäßig auf die Schaffung eines unternehmerfreundlichen Investitionsklimas, den Abbau von Handelshemmnissen, die Öffnung der Märkte und die Beseitigung derjenigen Formen staatlicher und zwischenstaatlicher Regulierung, die die Handlungsfreiheit der Wirtschaft beeinträchtigen. Die bitteren Erfahrungen, die viele Länder des globalen Südens mit den Folgen von Deregulierung, Liberalisierung und erzwungener Marktöffnung gemacht haben, zeigen jedoch, dass die einfache Gleichung ,was gut ist für die Wirtschaft, ist auch gut für die Gesell-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung schaft‘ nicht aufgeht.“ Jens Martens: Wachsender Unternehmenseinfluss in den Vereinten Nationen. In: Misereor, Brot für die Welt, Global Policy Forum (Hrsg.): Wirtschaft Macht Politik. Einfluss privatwirtschaftlicher Akteure in internationalen Politikprozessen. Aachen, Berlin, Bonn 2016, S. 7-12, hier: S. 11. „Die Vorstellung, Großkonzerne und ihre Lobbygruppen würden die Vereinten Nationen kapern, ist allerdings irreführend. Denn allzu oft sind es die Sekretariate der UN-Organisationen selbst, die angesichts leerer Kassen die Partnerschaft mit der Wirtschaft suchen. Viele sehen den größten Aktivposten der Vereinten Nationen in ihrer moralischen Autorität und der bereits erwähnten Rolle als ,neutraler Broker‘ zur Mediation von Interessenkonflikten. Aus diesem Grund ist der Schulterschluss mit solchen Unternehmen, deren Aktivitäten dem Geist der UN-Charta widersprechen und die für die Verletzung von Normen und Standards der UN verantwortlich sind, besonders problematisch.“ Ebda., S. 10 und 12 f. „‚Ohne öffentliche Diskussion und ohne den Zwang zu transparenten Entscheidungsstrukturen, kann die Gates-Stiftung ihre eigenen Vorstellungen zu globaler Gesundheit ohne Widerspruch durchsetzen. Die Öffentlichkeit und vor allem Betroffene in armen Ländern sind von dieser Entscheidungsfindung weitestgehend ausgenommen. Sie werden zu EmpfängerInnen von Wohltätigkeit degradiert‘, so Hedwig Diekwisch von der BUKO PharmaKampagne.“ N.N.: Gates-Stiftung baut Einfluss auf WHO aus. Presseinformation der Food FirstInformations-&Aktions-Netzwerk Deutschland e.V. vom 31.1.2017 (online). URL: Siehe Lit.Verz. Siehe auch: Heike Buchter: Der Weltgesundheitsapostel. In: „Die Zeit“ vom 6.11.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Volger, a.a.O., o.S. Vgl. Gareis, Varwick 2003, a.a.o., S. 125. Ebda., S. 132. Vgl. Eckel 2014, a.a.O., S. 11. Ebda., S. 14. Ebda., S. 15 Vgl. ebda., S. 435-582. Vgl. ebda., S. 711-767. Vgl. ebda., S. 102. Ebda., S.10. Vgl. ebda., S. 21 f. „[Die Geschichte der internationalen Menschenrechtspolitik im 20. lahrhundert] zeitigte unintendierte Folgen, solche, in denen die Menschenrechtsidee am Ende überraschend ihre subkutane Wirkkraft bewies, aber ebenso oft kontraproduktive Folgen. Sie speiste sich aus dem Neben- und lneinander von Moral und Kalkül, von Vision und Strategie, von Schutzbedürfnis und

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Machtambition, von idealistischem Veränderungswillen und zynischer Verschleierung. Gerade in der Gemengelage der Intentionen, den moralischen Dilemmata, den gegensätzlichen Auslegungen und den unscharfen Wirkungen liegt viel von dem, was die Menschenrechtsgeschichte interessant und untersuchenswert erscheinen läßt.“ Ebda., S. 24 f. 474. Vgl. ebda., S. 23 ff. 475. „In dieser Ära erlangten mehr Staaten als je zuvor den Status einer vollentfalteten demokratischen Republik oder zumindest einer Staatsform, die bei großzügiger Klassifizierung der Demokratie näher steht als der Autokratie. 1950 zählte man gerade 26 Demokratien. Kurz vor Beginn der dritten Demokratisierungswelle – 1970 – belief sich ihre Zahl auf 34. Allerdings war nun auch die Zahl der Staaten größer als zuvor, vor allem wegen der Entstehung post-kolonialer Gemeinwesen, so dass der Anteil der Demokratien an allen Regimen nur ein knappes Viertel betrug. Die Demokratisierungswelle von 1973 bis 1989 erhöhte die Zahl der Demokratien auf 42. Die vierte Demokratisierungswelle schlug alle Rekorde. Durch sie stieg die Zahl der selbständigen Staaten mit demokratischer Verfassung von 1990 bis 1994 auf 65.“ Manfred G. Schmidt: Der Januskopf der Transformationsperiode. Kontinuität und Wandel der Demokratietheorien. In: Klaus von Beyme (Hrsg.): Politische Theorien in der Ära der Transformation. Politische Vierteljahresschrift (PVS), Sonderheft 26, 1. Januar 1996. Westdeutscher Verlag, Opladen 1996, S. 182-210, hier: S. 182. 476. „Ein anderer Vorschlag der Periodisierung stammt von Ruti Teitel und orientiert sich an der Entwicklung des Internationalen Rechts und dessen Anwendung. Als erste Phase wird auch hier die ‚post-war transitional justice‘ der Nachkriegszeit angesehen, in der mit den Tribunalen in Nürnberg und Tokio erstmals die Wahrung staatlicher Souveränität hinter der Verfolgung von schwersten Menschenrechtsverletzungen zurücktrat und die politische und militärische Elite eines Landes zur Verantwortung gezogen wurden. Dadurch seien Standards gesetzt worden, die für spätere Prozesse gegen alte Eliten sowie für die weitere Entwicklung der Geschichte der Menschenrechte vorbildhaft gewesen seien. Die zweite Phase der ‚post-cold war transitional justice‘ sei dann sowohl von einer Integration des Internationalen Rechts in die nationalen Rechtsprechungen als auch von neuen Formen des Umgangs mit der Vergangenheit wie z.B. Wahrheitskommissionen geprägt gewesen. In der dritten Phase der ‚steady-state transitional justice‘ habe schließlich der 1998 beschlossene und 2002 Internationale Strafgerichtshofs in Den Haag eine institutionell gestützte Norm begründet, an der sich Prozesse der Aufarbeitung von Unrecht in der Folgezeit orientierten.“ Anne K. Krüger,

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Transitional Justice. In: „Docupedia-Zeitgeschichte“. 25.01.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. zur Verbreitung der Wahrheitskommissionen: Rainer Huhle: Anhang A: Wahrheitskommissionen und ähnliche Untersuchungskommissionen. In: Felix Kirchmeier, Michael Krennerich (Hrsg.): Handbuch der Menschenrechtsarbeit. Friedrich-EbertStiftung, Edition 2014 / 2015 (online), S. 295-325, hier: S. 322 ff. URL: Siehe Lit.-Verz. „[Unter ‚transitional justice‘] fallen Strafprozesse sowie Wahrheitskommissionen als außergerichtliche Form der Adressierung von Unrecht, Amnestien und zivilrechtliche Maßnahmen wie Lustration, d.h. die Entfernung belasteter Personen aus öffentlichen Ämtern, wie auch Entschädigungen und die Restitution von Eigentum. Über den konkreten Umgang mit Tätern und Opfern hinaus gehört zum Feld der Transitional Justice auch die Geschichts- und Erinnerungspolitik.“ Krüger, a.a.O., o.S. Vgl. Michael Bruno: Deep Crises and Reform. Hrsgg. von der Weltbank 1996 (online), S. 6 und S. 25. URL: Siehe Lit.-Verz. Ebda., S. 13. „The national wealth of our country, the heritage of South Africans, shall be restored to the people; The mineral wealth beneath the soil, the Banks and monopoly industry shall be transferred to the ownership of the people as a whole; All other industry and trade shall be controlled to assist the wellbeing of the people; All people shall have equal rights to trade where they choose, to manufacture and to enter all trades, crafts and professions. […] Restrictions of land ownership on a racial basis shall be ended, and all the land re-divided amongst those who work it to banish famine and land hunger; The state shall help the peasants with implements, seed, tractors and dams to save the soil and assist the tillers; Freedom of movement shall be guaranteed to all who work on the land; All shall have the right to occupy land wherever they choose; People shall not be robbed of their cattle, and forced labour and farm prisons shall be abolished.“ In: The Freedom Charter. Adopted at the Congress of the People, Kliptown, on 26 June 1955 (online). URL Siehe Lit.-Verz. „Donald Rickard, a former US vice-consul in Durban and CIA operative, told British film director John Irvin that he had been involved in Mandela’s arrest in 1962, which was seen as necessary because the Americans believed he was ‚completely under the control of the Soviet Union‘, according to a report in the Sunday Times newspaper. ‚He could have incited a war in South Africa, the United States would have to get involved, grudgingly, and things could have gone to hell,‘ Rickard said. ‚We were teetering on the brink here and it had to be stopped, which meant Mandela had to be stopped. And I put a stop to it.‘“ Agence FrancePresse: Ex-CIA spy admits tip led to Nelson Mandela‘s long im-

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prisonment. In: „The Guardian“ vom 15.5.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Hein Möllers: Ein Mensch in der Revolte. In: „Afrika-süd“, Heft 3/2013 (online), Editorial. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Naomi Klein: Die Schockstrategie. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2007, S. 270-295. „Fragt man heute in Osteuropa einen jungen Ökonomen nach seinen Leitbildern, so wird er mit Sicherheit einen Namen nennen: Friedrich August von Hayek. Der konservative Gelehrte erlebt derzeit seinen letzten großen Triumph. In Moskau und Prag, in Warschau und Budapest haben die Wirtschaftswissenschaftler Marx weggeworfen und eifern Adam Smith, Milton Friedman und eben Hayek nach.“ Nikolaus Piper: Triumph am Ende eines Lebens. In: „zeit online“ vom 27.3.1992. URL: Siehe Lit.-Verz. „Der Jawlinskij/Allison-Plan ist – trotz all seiner ökonomischen Wunschvorstellungen und ungeachtet der Tatsache, dass Gorbatschow in London sein eigenes Konzept präsentieren will – das politische Signal, um die sozialistische Kommandowirtschaft in eine liberale Wirtschaftsverfassung überzuleiten und das Land in die Weltökonomie zu integrieren. […] Die ‚Bewegung für demokratische Reformen‘, die Gorbatschows früherer Brain-Trust unter Führung des seit vergangener Woche parteilosen Ex-Außenministers Schewardnadse ins Leben gerufen hat, soll die KPdSU transformieren. Ihr Ziel ist es, reformorientierte Genossen, Gelder und andere Guthaben von der sinkenden Staatspartei auf ein Schiff unter sozialdemokratischer Flagge zu retten und für eine neue, liberale Unionslinie einzusetzen.“ Christian Schmidt-Häuer: Gorbatschow setzt ganz auf den Westen. In: „Die Zeit vom 12.7.1991 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Was bislang noch keinem Entwicklungsland gelungen ist, hat Polen erreicht: den Erlaß eines großen Teils seiner Auslandsschulden. Die im Pariser Klub versammelten staatlichen Gläubiger verzichten auf die Hälfte ihrer Forderungen von insgesamt fast fünfzig Milliarden Mark. Das geht sogar über die Zugeständnisse hinaus, die den ärmsten Ländern der Welt gemacht wurden – ihnen soll nur ein Drittel der staatlichen Verbindlichkeiten erlassen werden. [...] Hier zeichnet sich daher ab, dass der Schuldverzicht von den Vereinigten Staaten zum Mittel der Außenpolitik gemacht werden soll. Politisches Wohlverhalten und die geostrategische Lage eines Landes zählen mehr als die Bedürftigkeit.“ Erika Martens: Vorbild für die Ärmsten. In: „Die Zeit“ vom 22.3.1991 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Klein, a.a.o., S. 306. Zit.n. ebda., S. 310. Vgl. ebda., S. 311. Zit.n. ebda., S. 311. Zit.n. ebda., S. 318.

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493. „Die Schocktherapie bescherte Russland 1992 nicht, wie […] erwartet […], einen Aufstieg zu ungestümer Prosperität, sondern vielmehr einen Absturz, der die Schrumpfungsraten der Perestroika-Jahre noch übertraf. Im Schnitt ging zwischen 1989 und 1995 Russlands Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Jahr um jeweils gut zehn Prozent zurück. Im folgenden Jahrfünft verzeichnete die nationale Ökonomie nur im Jahr 1997 einen messbaren Zuwachs. Noch gravierender fielen die Sozialdaten der 90er Jahre aus, da die Zahl der registrierten Arbeitslosen bis 1998 auf fast zehn Millionen stieg, ganz zu schweigen von einer galoppierende Inflation, die gewährte Lohnerhöhungen umgehend verzehrte. 1995, im ungünstigsten Jahr, sanken die Reallöhne um 26,5 Prozent, im günstigsten Jahr, 1997, stiegen sie um 4,7 Prozent. Die Variante, durch staatliche Intervention gegenzusteuern entfiel, weil die Staatsmacht scheinbar unaufhaltsam zerfiel.“ Jörg Roesler: 1992: Aufputschmittel. In: „der Freitag“, Ausgabe 08/2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 494. Tahir Chaudhry, Moritz Matzner im Interview mit Dov. H. Levin: „Das sollte nicht verharmlost werden“. In: „SZ“ vom 23.2.2017, S. 2. 495. Vgl. Natalja Evgeneva Tichonova: Analyse: Armut in Russland. In: „bpb-Dossier Russland“ vom 22.6.2011 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 496. Zit.n. Klein, a.a.O., S. 325. 497. „36 Jahre nachdem Bagdad die irakische Ölindustrie verstaatlicht hatte, werden die großen Ölfirmen Shell, Exxon Mobil, BP und Total wieder eine Schlüsselrolle spielen bei der Ausbeutung der drittgrößten Erdölreserven der Erde. Auch die weitgehend unerschlossenen Gasvorkommen reizen die Konzerne. Offiziell sollen die westlichen Firmen dem Irak vorerst nur mit Hilfe von zweijährigen ‚Dienstleistungs-Verträgen‘ bei der Entwicklung der Technik und der Ausbeutung der Rohstoffe helfen.“ Tomas Avenarius: Fördern – und fordern. In: „SZ“ vom 11.5.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 498. „Die Machtverhältnisse zwischen den wirtschaftlichen und politischen Eliten in Russland haben sich erheblich zugunsten des Kremls verschoben. Die Großunternehmen haben die unter Präsident Jelzin gewonnenen Möglichkeiten autonomer Politikgestaltung weitgehend verloren.“ Julia Kusznir: Der Einfluss der Wirtschaftselite auf die Politik in Russland. In: „bpb-Dossier“ vom 7.2.2011 (online). Artikel nicht mehr aufrufbar. Zu ähnlichen Expertisen der Autorin: Siehe Lit.-Verz. Und: „Russlands wirtschaftliche Stärke beruht vor allem auf seinen Bodenschätzen. Insbesondere Erdöl und Erdgas sind Trümpfe, die auch weltpolitisch eingesetzt werden können. Der russische Präsident Wladimir Putin hat das früh erkannt. Sein erklärtes Ziel ist es, Russlands Weltgeltung unter Einsatz seiner Boden-

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schätze wiederherzustellen. Deshalb müsse die Kontrolle des Staates über die wichtigen natürlichen Ressourcen verstärkt werden. Am Ende der zweiten Amtszeit ist erkennbar, dass Putin beachtliche Ergebnisse erzielt hat: Russische Unternehmer und ausländische Konzerne müssen als Verlierer gelten. Nun soll der Gesetzgeber sanktionieren, was in der Praxis vom Kreml – zum Teil mit Tricks und Druck – erreicht wurde.“ M.L./F.A.Z.: Putin stärkt die Kontrolle des Staates. In: „faz.net“ vom 28.6.2007 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. zu den US-Konzepten der nationalen Sicherheit und der Revolutionsvermeidungsstrategie etwa: Martina Kaller-Dietrich, David Mayer: Geschichte Lateinamerikas im 19. und 20. Jahrhundert. Ein historischer Überblick (online), Abschnitt 6.1.1. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Weinke, a.a.O., S. 241. „Die wichtigste Ursache dafür, dass das Buch im Laufe der neunziger Jahre zu einer Art von Referenzwerk für die im Aufbau befindlichen Netzwerke der Transitional Justice werden konnte, lag vielmehr in seiner Bedeutung für die Praxis. Mit seinem normativ-programmatischen Anspruch, empiriegeprüfte Handlungsrichtlinien für einen sozialwissenschaftlich begleiteten Übergang von der Diktatur in die Demokratie bereitzustellen, knüpfte es in gewisser Weise an spezifisch amerikanische Traditionen der frühen Nachkriegsjahre an. Ausgerüstet mit einem ganzen Arsenal an Civil Affair Guides und Civil Affair Handbooks, die aus der Auftragsforschung der Washingtoner Regierungsbürokratie hervorgegangen waren, hatten sich die US-Militärverwaltung und deren Berater in dem von ihr besetzten Teil Westdeutschlands damals auf die Aufgabe vorbereitet, binnen weniger Jahre eine stabile Demokratie aufbauen zu müssen.“ Weinke 2016, a.a.O., S. 243. Vgl. Ritter, a.a.O., S. 4. Zur Erinnerung: Im Sozialstaat als besonderer Form der Massendemokratie haben das Soziale und die Demokratie „in der Legitimation der Herrschaft als ‚Herrschaft durch das Volk‘ und ‚Herrschaft für das Volk‘ eine gemeinsame Wurzel“. Ebda., S. 11. Claudia Bogedan, a.a.O., S. 2. Vgl. die sehr lesenswerte Arbeit von Holger Blaul: Vergangenheitspolitik im Rahmen demokratischer Konsolidierung – Das ‚unfinished business‘ des südafrikanischen Systemwechsels. Examensarbeit für das Lehramt an Gymnasien, vorgelegt an der Phil. Fak. der Universität Freiburg, WS 2005/2006 (online), S. 11. URL: Siehe Lit.-Verz. „So war der Begriff ‚Transition‘ nun nicht mehr in erster Linie auf sozialökonomische Strukturen bezogen, sondern erfasste stattdessen den Vorgang des institutionellen Wandels, der vom Staat und dessen Eliten ausgehen sollte.“ Weinke, a.a.O., S. 245.

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507. Thomas Meyer: Die Theorie der Sozialen Demokratie. OnlineAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung (online), o.O., o.J., S. 2 f. URL: Siehe Lit.-Verz. 508. Vgl. dazu die Angaben des „Center for Media and Democracy“, das sich mit Recherchen zu Korruption und zum Einfluss von Firmen auf Medien und Demokratie befasst. URL: Siehe Lit.-Verz. 509. Darunter befanden sich Organisationen, die der Psychologe Rainer Mausfeld in einem entschiedenen, aber viel beachteten Beitrag als global agierende „Aufstandsorganisationen“ bezeichnete. Vgl. Albrecht Müller: Warum schweigen die Lämmer? – Demokratie, Psychologie und Empörungsmanagement. In: „Nachdenkseiten“ vom 18.3.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 510. Vgl. Weinke, a.a.O., S. 254-258. 511. „Crocker zufolge kann der Erfolg einer Wahrheitskommission am besten daran gemessen werden, wie gut sie die Wahrheit aufdeckt, eine Plattform zur Anerkennung von Opfern bietet, Straftäter_innen sanktioniert, die Rechtsstaatlichkeit aufrechterhält und stärkt, eine klare Linie zwischen der Unterdrückung durch frühere Regime und einer demokratischen Zukunft zieht, Opfer durch kollektive oder individuelle Entschädigungsleistungen.“ Nahla Valji, Rainer Huhle: Gerichtsverfahren und Wahrheitskommissionen. In: Kirchmeier, Krennerich, a.a.O., S. 295-325, hier: S. 301 f. 512. „Entschädigungszahlungen wurden erst Jahre später gezahlt und betrugen nur einen Bruchteil von dem, was die Kommission empfohlen hatte; es gab fast keine Strafverfolgungen nach Auflösung der TRC, obwohl dies eines der Versprechen der konditionalen Amnestie gewesen war (eine neue Strafverfolgungspolitik der Regierung zur Regelung von Strafverfolgungen nach Auflösung der TRC wurde als zweiter Amnestieprozess angesehen und wird derzeit in den Gerichten von Opfern und der Zivilbevölkerung angefochten); ein neuer Prozess von Präsidentschafts-Begnadigungen hat begonnen, der darauf abzielt, Verurteilte der Apartheid-Ära freizulassen oder ihre Strafakten zu löschen, wobei Opfer kein Mitspracherecht haben und wenig Transparenz herrscht.“ Ebda., S. 304. 513. Vgl. Leonie Reiser: Der südfrikanische Weg: Verbrechen der Apartheid zwischen Strafrecht und Wahrheitskommission. In: „Freiburg Law Students Journal“, Heft 4/2014 (online), S. 36-41, hier: S. 39. URL: Siehe Lit.-Verz. 514. „[D]er Schwerpunkt [lag] auf den illegalen Exzessen von Individuen und zwar vorwiegend derer des von der Staatsführung geförderten oder zumindest geduldeten Sicherheitsapparats. Das beschränkte TRC-Mandat führte dazu, dass die Öffentlichkeit Individuen zum Sinnbild der Apartheid und ihrer Verbrechen degradierte.“ Ebda.

Anmerkungen

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515. „Aus Opfersicht verursachte die Miteinbeziehung der Öffentlichkeit einen Zwiespalt. Sie führte dazu, dass die Opfer bzw. Angehörigen Gelegenheit bekommen, das aufgrund der Menschenrechtsverletzungen erlittene Unrecht und Leid vor einer breiten Personengruppe zu artikulieren und deren Anteilnahme zu spüren. Die Bekanntgabe des Namens des Täters und dessen Taten vermögen eine gewisse Genugtuung verschaffen und zugleich offizielle Anerkennung und Verantwortlichkeit suggerieren. Allerdings kann die öffentliche Fokussierung auch bedingen, dass sich die Opfer dazu gezwungen fühlen, den Erwartungen der TRC zu entsprechen und den Tätern zu vergeben. Hinzu kommt, dass die Anhörungen auch zu einer Sekundärviktimisierung führen können. Die Betroffenen werden ein weiteres Mal in die Opferrolle gedrängt und müssen die schmerzlichen Erfahrungen in gewisser Weise noch einmal durchleben.“ Ebda., S. 40. 516. Vgl. insgesamt zu diesem Abschnitt: Weinke, a.a.O., S. 254-264. 517. Vgl. Freedom House (Hrsg.): Freedom in the World 2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 518. Vgl. David Smith: Zuviel Selbstachtung verloren. In: „freitag“ vom 28.5.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 519. Zit.n. Klein, a.a.O., S. 271. 520. Vgl. Andreas Böhm: Lumumbas Martyrium. In: „Die Zeit“ vom 13.1.2011 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 521. Vgl. König 2003, a.a.O., S. 53. 522. Ebda. 523. Vgl. Michael Schneider: „Volkspädagogik“ von rechts: Ernst Nolte, die Bemühungen um die “Historisierung“ des Nationalsozialismus und die „selbstbewußte Nation“. (Gesprächskreis Geschichte; 11). Bonn, 1995. Electronic ed.: Bonn: Bibliothek der FES, 1998 (online), Abschnitt IV: „Historisierung“ und „Neue Rechte“: eine Bilanz. . URL: Siehe Lit.-Verz. 524. Vgl. König 2003, a.a.O., 51f. 525. Ebda., S. 54. 526. Joschka Fischer im Gespräch mit Bernhard Henri Lévy. Zit.n. Lothar Probst: Gründungsmythos expost: Der Holocaust im politischen Selbstverständnis der Bundesrepublik. In: „Vorgänge“ 177 (2007), Heft 1, 46. Jhg., S. 85-94, hier S. 93. 527. „Die [auf der Ebene von Geschichtspolitik] untersuchten politischen Handlungen reichen von der historisch begründeten Legitimation eines politischen Kollektivs über Abgrenzungen von Vorgängersystemen bei politischem Systemwechsel bis zu innenpolitisch motiviertem Gebrauch von Geschichte in Debatten mit dem Ziel, politische Entscheidungen zu beeinflussen.“ Horst-Alfred Heinrich, Michael Kohlstruck: Zur theoriegeleiteten Analyse von Geschichtspolitik. In: Horst-Alfred Heinrich und Michael Kohlstruck (Hrsg.): Geschichtspolitik und sozialwissenschaftliche Theorie. Steiner-Verlag, Stuttgart, 2008, S. 9-15, hier: S. 9.

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528. Vgl. Matthias Geis: Der linke Krieg. Kosovo, zehn Jahre danach. In: „Zeit online“ vom 24.3.2009. URL: Siehe Lit.-Verz. 529. Wolfram Wette: Lügen im Dienst des Krieges. In: „Blätter für deutsche und internationale Politik“ 9/2009, S. 83-94, hier S. 93. 530. „Im Kosovo-Krieg drehten die verantwortlichen deutschen Politiker die historische Lehre ‚Nie wieder Krieg!‘ komplett um und legitimierten nunmehr den deutschen Kriegseinsatz unter Berufung auf die NS-Vergangenheit: Man habe auch ‚Nie wieder Auschwitz! gelernt und dürfe den serbischen Menschenrechtsverletzungen nicht tatenlos zusehen. Wenig später redete der vormalige Bundeskanzler Gerhard Schröder einer ‚Enttabuierung des Militärischen‘ das Wort und meinte damit natürlich die Enttabuierung des Einsatzes der Bundeswehr als Teil einer angestrebten ‚Neuen Normalität‘. Die deutsche Bevölkerung hat diesem Wandel ihre Zustimmung bislang großenteils versagt. Offenbar sind die Negativerfahrungen mit den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts in den Köpfen der Menschen noch hinreichend präsent. Die friedfertige Einstellung der meisten Deutschen hat bislang schon einer Ausweitung des Handlungsspielraums für eine militarisierte Außenpolitik Grenzen gesetzt. Aber die Öffentlichkeit hat sich diesen Wandel auch gefallen lassen, ohne hörbar aufzubegehren.“ Wolfram Wette: Vergangenheitsbewältigung war gestern. Erinnerungskultur vor neuen Herausforderunge. In: „Forum Pazifismus“, Heft 29/2011 , S. 24-34, hier: S. 32. URL: Siehe Lit.-Verz. 531. Vgl. insgesamt Hans J. Gießmann, Armin Wagner: Auslandseinsätze der Bundeswehr. In: „ApuZ“, Heft 48, 2009 (online), S. 39. URL: Siehe Lit.-Verz. 532. Vgl. Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung: Bundeswehreinsätze 1986-1995 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 533. „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt, wenn sich dort Bedrohungen für unser Land wie im Fall international organisierter Terroristen formieren.“ Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) in einer Regierungserklärung vor dem deutschen Bundestag. Plenarprotokoll 15/97 der 97. Sitzung des Deutschen Bundestags am 11. März 2004, S. 8601 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 534. König 2003, a.a.o., S. 37 f. 535. „In den Augen der ostdeutschen betrieblichen AkteurInnen offenbarte sich zudem in der Formel ‚Privatisierung vor Sanierung‘, dass sich die [Treuhandanstalt] keiner moralischen Gemeinwohlverpflichtung unterworfen sah und keine ‚Verantwortung für das Ganze‘ übernehmen wollte.“ Matthias Seifert, Ulrich Brinkmann: Verlust einer riskanten Ressource – Vertrauensverfall im Zuge des ostdeutschen Transformationsprozesses. In: „Industrielle Beziehungen“, 6. Jg., Heft 2, 1999 (online), S. 159-188, hier: S. 170. URL: Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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536. Vgl. dazu insgesamt: Manfred Görtemaker: Probleme der inneren Einigung. In: „bpb“ vom 26.3.2009 (online). Siehe Lit.-Verz. Und: Michel Buckley: 3. Oktober 1990. 25 Jahre Wiedervereinigung: Die ökonomische Atombombe. In: „Le bohemien“ vom 2.10.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 537. Manfred Görtemaker: Probleme der inneren Einigung. In: „bpb“, 26.3.2009. URL: Siehe Lit.-Verz. 538. Das Hallenser Institut für Wirtschaftsforschung schrieb etwa damals: „Im Jahre 1997 wird das Westdeutsche Bruttoinlandsprodukt um rund 7% über dem Wert liegen, der sich bei Fortschreibung der Trends 1979/89 ergeben hätte. Dies ist in wirtschaftlicher Hinsicht der Vereinigungsgewinn für Westdeutschland. Der Vereinigungsgewinn übersteigt die Transferzahlungen, die Westdeutschland zugunsten Ostdeutschlands leistet […].“ IWHI: Aktuelle Trends – Westdeutschland: Bruttoinlandsprodukt nach der deutschen  Vereinigung auf höherem Niveau. ln: Wirtschaft im Wandel. Institut für Wirtschaftsforschung Halle (l996) l3, S. 2. Zit.n. Walter Friedrich: Einkommens- und Vermögenssituation in Deutschland. Ein West-Ost-Vergleich Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e.V. 2004, S. 20. 539. Vgl. Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung vom 2. Oktober 2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 540. Vgl. Bundesagentur für Arbeit (BA): Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf 01/2017. Veröffentlichung vom 9.3.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 541. Vgl. Holger Zschäpitsch: Deutsche Unternehmen in ausländischer Hand. In: „welt“ vom 10.05.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 542. Vgl. insgesamt dazu: a) Angelika Finkenwirth, Stefanie Diemand: Wie arm sind die Deutschen? In: „Die Zeit“ vom 2.3.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. ; b) Philipp Fink, Heinrich Thiemann: Deutschland driftet weiter auseinander. In: Joachim Albrech, Philipp Fink, Heinrich Tiemann: Ungleiches Deutschland: Sozioökonomischer Disparitätenbericht 2015. Hrsg.: Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn 2017 (online), S. 3-5, hier: S. 3 . URL: Siehe Lit.-Verz. 543. Vgl. Sven Felix Kellerhoff: Der erste Mauerschützenprozess fand 1963 statt. In: „Welt/N24“ vom 11.10.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 544. Jens Reich: A la lanterne? Über den Strafanspruch des Volkes. In: Kursbuch „In Sachen Honecker“, Febr. 1993, S. 3, 10. Zit.n. Hansgeorg Bräutigam: Die Toten an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze und die bundesdeutsche Justiz. Versuch einer Bilanz. In: „Deutschland Archiv: Zeitschrift für das vereinigte Deutschland“ 37 (2004), 6, (online), S. 969-976, hier: S. 970. URL: Siehe Lit.-Verz. 545. Weinke, a.a.O., S. 312.

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546. Die Tendenz schlug sich in den Diskussionen der ersten EnqueteKommission des Bundestages nieder: „Wälırend beispielsweise der Kommissions-Vorsitzende Eppelınann in den NS-Masscnverbrechen einen ‚beschränkenden‘ Faktor für den Vergleich gesehen habe, vertrat IfZ-Direktor Möller die Aııffassung, die politischen Systeme des Dritten Reiches und der DDR ließen sich ohne Weiteres vergleichen, da die Großverbrechen kein intrinsischer Faktor des NS-Staats gewesen seien. Sowohl Möller als auch der Ostrechtsexperte Friedrich-Christian Schroeder hätten sich zudem der Strategie bedient, den sowjetischen Stalinismus in den Vergleich miteinzubeziehen.“ Ebda., S. 288. Weinke referiert hier die Studie des australischen Historikers Andrew H. Beattie: „Playing politics with history“. 547. „Die Brüclıigkeit der antitotalitären Rahmenerzählung habe sich nicht zuletzt anlässlich der Kontroverse über das Gedenkkonzept der Stiftung Sächsische Gedenkstätten gezeigt, die im Januar 2004 mit dem vorläufigen Rückzug des Zenrraltats der Juden aus dem Wissenschaftlichen Beirat endete.“ Ebda., S. 284. 548. Vgl. Günter Schumann: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In: „Berliner Zeitung“ vom 17.11.1997 (online). URL: Siehe LitVerz. Das änderte sich mit Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuchs 2002. 549. „Die Tötung eines Menschen war in der DDR strafbar. Der von den Angeklagten in Anspruch genommene Rechtfertigungsgrund, Dienstvorschriften, Befehle und Gesetze hätten ihnen den Gebrauch der Schusswaffe zur Verhinderung des Grenzübertritts und damit zur bewussten Tötung eines Flüchtlings erlaubt, ist von keiner Instanz anerkannt worden.“ Bräutigam, a.a.O., S. 973. 550. Vgl. „Mauerschützenurteil“ des Bundesgerichtshofes: BGH 5 StR 167/94 - Urteil vom 26. Juli 1994 (LG Berlin), Abschnitt III, Abs. 2. (b) (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 551. Bräutigam, a.a.O., S. 970. 552. Vgl. ebda., S. 976. 553. „Die Berliner Staatsanwaltschaft hat aus einer Gesamtzahl von 6432 Verfahren 112 Anklagen gegen 246 Beschuldigte erhoben. 126 Angeklagte wurden rechtskräftig verurteilt, davon acht Mitglieder der politischen und 38 Mitglieder der militärischen Führung sowie achtzig Angehörige der Grenztruppen. 61 Angeklagte wurden freigesprochen. 158 anklagereife Verfahren gegen 252 Beschuldigte hat die Berliner Staatsanwaltschaft an die zuständigen Staatsanwaltschaften in den neuen Bundesländern abgegeben. [...] So kommt es für die Grenzposten und deren Vergatterer in der Regel zu Bewährungsstrafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Es steigt dann an für Regimentskommandeure (ein Jahr und acht Monate bis zu zweieinhalb Jahren), Chefs einer Grenzbrigade bzw. eines Grenzkommandos (drei Jahre und drei

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Monate), für deren Stellvertreter (sechs Monate bis zweieinhalb Jahre), für den Chef der Grenztruppen und dessen Stellvertreter (drei Jahre und drei Monate bis sechseinhalb Jahre), für Mitglieder der Kollegiums beim Minister für Nationale Verteidigung (ein Jahr bis ein Jahr und acht Monate) für Mitglieder des NVR (dreieinhalb bis siebeneinhalb Jahre) und Politbüro (vom Absehen strafrechtlicher Maßnahmen bis zu sechseinhalb Jahren).“ Ebda., S. 975. Vgl. ebda., S. 972. Vgl. Sven Felix Kellerhoff: 25 Jahre Wiedervereinigung. Warum der Rechtsstaat bei denxDDR-Verbrechenxversagt. In: „Welt“ vom 1.10.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Für den folgenden Abschnitt siehe, wenn nicht anders angegeben: Weinke, a.a.O., S. 267-315. „2. Die Erörterung des Unrechtscharakters des SED Regimes sollte den Opfern, deren juristische und materielle Rehabilitation nur in engen Grenzen möglich sein wird, zumindest historische Gerechtigkeit widerfahren lassen. 3. Die Enquete-Kommission sollte einen Beitrag zur inneren Vereinigung der Deutschen leisten. Sie wollte das Bewußtsein dafür schärfen, in welchem Umfang die SED-Diktatur nicht nur das Leben jedes einzelnen Menschen und das der ganzen Gesellschaft in der DDR deformierte, sondern darüber hinaus auch tief in die westdeutsche Gesellschaft und Politik hineinwirkte.“ Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages: Bericht zur „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ gemäß Beschluß des Deutschen Bundestages vom 12. März 1992 und vom 20. Mai 1992. Drucksache 12/7820 31. 05. 1994 (online), S. 5. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Anne K. Krüger:Der Umgang mit der sozialistischen Vergangenheit in Deutschland. Abschnitt: Die historische Aufarbeitung. Hrsgg. vom Goethe-Institut 2010 (online), o.S. URL: Siehe Lit.Verz. „1. […] Das Erkenntnisinteresse der Kommission richtet sich insbesondere auf die äußeren und inneren Folgen und Nachwirkungen der SED-Diktatur und die daraus erwachsenden Probleme für den Prozeß der inneren Einigung. […] 3. Die Enquete-Kommission soll helfen, dass sich die Menschen mit ihren unterschiedlichen Biographien im Einigungsprozeß besser wiederfinden. Damit soll sie zur Versöhnung in der Gesellschaft beitragen, begründet auf dem Willen zu Offenheit, zu historischer Wahrheit und zu gegenseitigem Verständnis. Die personelle Würde der von Unrecht und Leid Betroffenen muß wiederhergestellt werden. Dazu gehört sowohl die öffentliche Würdigung der Opfer wie die Notwendigkeit, ihnen, wo irgend möglich, nachträglich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. So wird Gegenstand der Enquete-Kommission sein zu prüfen, inwiefern heute in diesen Fragen aus der Sicht der Opfer Defizite bestehen, und wie dem durch die Gesetzgebung

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung abgeholfen werden kann. […] 4. [Die Enquete-Kommssion] soll sich exemplarisch solchen gesellschaftlichen Problemfeldern zuwenden, in denen vor dem Hintergrund von 40 Jahren SED-Diktatur und deutscher Teilung heute konkretes politisches Handeln besonders nötig erscheint. Dazu gehören die Würdigung von Leistungen der Menschen unter den repressiven Bedingungen in der DDR ebenso wie der Ausgleich von Nachteilen und die Herstellung von Chancengleichheit im vereinten Deutschland.“ Schlußbericht der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“. Deutscher Bundestag 13. Wahlperiode Drucksache 13/11000 vom 10.06.1998 (online), S. 11. URL: Siehe Lit.-Verz. „Mit der Versöhnungsdebatte wollen führende Ost-Sozialdemokraten sich den Ostdeutschen als Fürsprecher empfehlen. Zwischen Zittau und Rügen empfinden viele die juristische Aufarbeitung des DDR-Unrechts, die bisher kaum zu Verurteilungen führte, als Schikane des Westens. Uneffektiv. Ungerecht. Überflüssig. Auch die Bundes-SPD spürt die Trendwende im Osten. Rudolf Scharping sah sich genötigt, Stellung zu beziehen, obgleich er das Thema bis nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zurückhalten wollte.“ N.N.: Lieb wie Stolpe. In: „Der Spiegel“ vom 02.01.1995 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Zit.n. Weinke, a.a.O., S. 311. „Von Seiten der Politikwissenschaft wird deswegen des Öfteren betont, dass beide Kommissionen ihren selbstgesteckten Ansprüchen nicht gerecht geworden seien: Nicht nur sei das Bekenntnis, den SED-Opfern zu mehr ‚Gerechtigkeit‘ zu verhelfen, kaum mehr als vage Rhetorik geblieben; auch die beabsichtigte Etablierung eines konsensualen Narrativs über die DDR-Geschichte sei überwiegend an den geschichtspolitischen Differcrızen der großen Volksparteien gescheitert.“ Weinke, a.a.O., S. 285. Vgl. Timothy Garton Ash: Vier Wege zur Wahrheit. In: „Die Zeit“ 41/1997 vom 2.10.1997. URL: Siehe Lit.-Verz. Wolf Biermann: „a la lanterne! a la lanterne!“ In: „Der Spiegel“ vom 21.9.1992 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Andreas Förster: Geist der Wehrmacht. In: „derFreitag“ vom 24.05.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. auch Peter Schneider: Die neuen Kameraden. In: „Der Spiegel“ vom 13.6.1994 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Michael Kleine-Cosack: Geschichtsblind und inhuman - eine deutsche Reinigung. In: „faz.net“ vom 21.11.2011 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Ash 1997, a.a.O., o.S. „So viel Hitler war nie. Die mediale Gegenwart des ‚Führers‘, die wir momentan erleben, ist seit sechzig Jahren ohne Beispiel. Sie übertrifft die öffentliche Präsenz des Diktators in den Monaten vor seinem Ende im Bunker, und sie lässt alle Hitler-Wellen der

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Vergangenheit flach erscheinen.“ Norbert Frei: Gefühlte Geschichte. In: „Die Zeit“ vom 21.10.2004 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Martin Broszat: Forschungskontroversen zum Nationalsozialismus. In: „ApuZ“ 14-15/2007 (online), o.S. URL: Siehe Lit.Verz. König 2003, aa.O., S. 153. Vgl. Christoph Kleßmann: 8. Mai 1945. In: Bundeszentrale für politische Bildung: Hintergrund aktuell vom 4.5.2006 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Zur Diskursgeschichte des 8. Mai siehe: Andreas Wirsching: Rezension zu Peter Hurrelbrink: Der 8. Mai 1945 - Befreiung durch Erinnerung. Ein Gedenktag und seine Bedeutung für das politisch-kulturelle Selbstverständnis in Deutschland. Bonn 2005. In: „H-Soz-Kult“. 24.01.2006 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. „Nicht Kapitulation und Niederlage, sondern Befreiung von Krieg und NS-Dikatur ist spätestens seit Weizsäckers Rede der Grundtenor der Erinnerungskultur. Erstmalig wurde auch das lange gemiedene Thema Holocaust angesprochen: als einmalig und in der Erinnerung verbindlich, als grundlegend für das deutsche Selbstverständnis.“ Kleßmann 2006, a.a.O. Vgl. hib/STO/MPI: Die Linke will 8. Mai als gesetzlichen Gedenktag. Veröffentlichung der Pressestelle des Bundetages vom 2.2.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Und: SHL: 8. Mai soll kein nationaler Gedenktag werden. Veröffentlichung des Landtags Schleswig-Holstein vom 19.5.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Siehe auch die Ablehnungsempfehlung des Bundesratsausschusses für Innere Angelegenheiten zu einem Antrag des Landes Berlin am 24. September 2010, den 8.Mai zum gesetzlichen Feiertag zu erklären. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Angelika Schoder: Die Globalisierung des Holocaust-Gedenkens. Die UN-Resolution 60/7 (2005). In: „Themenportal Europäische Geschichte“. 2012 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. „Die politische korrekte Bezeichnung lautet nämlich: ‚Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus‘. An ihm soll also nicht nur der ermordeten JudeEuropas gedacht werden, sondern auch der verfolgten Christen, Sinti und Roma, der Menschen mit Behinderung, der Homosexuellen, der politisch Andersdenkenden sowie allen Männern und Frauen des Widerstandes, der Kriegsgefangenen und Deserteure sowie der Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden.“ Wette 2011, a.a.O., o.S. Zur Kritik an der Wahl des Gedenktages siehe: Kübler, a.a.O., S. 41. Vgl. Kübler, a.a.O., S. 110.

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579. Vgl.: Resolution adopted by the General Assembly on the Holocaust Remembrance (1 November 2005) (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 580. Vgl. Schoder, a.a.O., o.S. 581. Siehe Wortlaut der Theresienstädter Erklärung vom 30.6.2009 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 582. „Mit diesen Maßnahmen – Einführung des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus, Bundesgedenkstättengesetz, Holocaust-Mahnmal in Berlin, Europäisierung der Erinnerung an den Holocaust – hat die Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden eindeutig eine privilegierte Stellung in der deutschen und internationalen Erinnerungskultur erhalten. Diese Hervorhebung blieb nicht folgenlos. So ist etwa die Erinnerung an die Millionen slawischer Zivilisten und Kriegsgefangenen, die ebenfalls Opfer deutscher Gewalt wurden, weithin abgedrängt worden.“ Wette 2011, a.a.O., o.S. 583. Harald Schmid: Europäisierung des Auschwitzgedenkens? Zum Aufstieg des 27. Januar 1945 als „Holocaustgedenktag“ in Europa. In: Jan Eckel, Claudia Moisel: Universalisierung des Holocaust? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in internationaler Perspektive. Wallstein Verlag, Göttingen 2007/08, S. 174-202, hier: S. 189. 584. Vgl. Jan Surmann: Die US-Restitutionspolitik am Ende des 20. Jahrhunderts. In: Eckel, Moisel, a.a.O., S. 135-155, hier S. 153. 585. „Die in den Debatten über das ‚unfinished business‘ (Stuart Eizenstat) immer deutlicher werdende Beteiligung auch der besetzten und neutralen Staaten an der nationalsozialistischen Raubund Vernichtungspolitik ließ den Holocaust als ‚ein Ereignis mit tatsächlich weltumspannenden Konsequenzen‚ erscheinen.“ Surmann, a.a.O., S. 155. 586. Wortlaut der „Erklärung des Stockholmer Internationalen Forums über den Holocaust“ (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 587. „1. Der Holocaust (die Schoah) hat die Zivilisation in ihren Grundfesten erschüttert. In seiner Beispiellosigkeit wird der Holocaust für alle Zeit von universeller Bedeutung sein. Nach einem halben Jahrhundert ist er zeitlich noch hinreichend nah, dass Überlebende Zeugnis ablegen können über die Schrecken, die die jüdischen Mitmenschen durchleiden mussten. Das schreckliche Leid der Millionen weiterer Opfer der Nazis hat auch das gesamte Europa mit einer unauslöschlichen Narbe gezeichnet. 2. Das Ausmaß des von den Nazis geplanten und ausgeführten Holocaust muss für immer in unserem kollektiven Gedächtnis verankert bleiben.“ Auszug aus der Stockholmer Erklärung, verabschiedet während des Stockholmer Internationalen Forums über den Holocaust vom 26.-28.1.2000 (online), o.S. URL: Siehe Lit.Verz.

Anmerkungen

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588. „Alle Vergangenheitsdebatten werden mittlerweile von Normierungen begleitet. Dies gilt für die nationale Ebene – hier sichtbar im jüngst verabschiedeten bundesdeutschen Gedenkstättenkonzept. Es trifft jedoch auch für die europäische Ebene zu, was die Stockholmer Holocaust-Konferenz im Jahr 2000 verdeutlichte, die als Geburtsstunde eines offiziellen europäischen Gedächtnisses gilt und den Beginn transnationaler Kooperation im Bereich der Holocaust-Erinnerung markiert.“ Edgar Wolfrum: Geschichte der Erinnerungskultur in der DDR und BRD. In: „bpb-Dossier: Geschichte und Erinnerung“, 26.8. 2008 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 589. Vgl. Kübler, a.a.O., S. 123. 590. Vgl. die fulminante Kritik von Knigge an der herrschenden Geschichtspolitik: Volkhard Knigge: Europäische Erinnerungskultur ohne Identitätspolitik. Beitrag zum Vierten Kulturpolitischen Bundeskongress der Kulturpolitischen Gesellschaft am 7.und 8. Juni 2007 in Berlin (online). URL: Seite nicht mehr aufrufbar. 591. Vgl. Werner A. Perger: EU-Sanktionen gegen Österreich: Erfolgreich gescheitert. In: „Die Zeit“ vom 28.1.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 592. Vgl. Dieter Neuerer: Zweifel an EU-Mitgliedschaft. Empörung über Holocaust-Leugner in rumänischer Regierung. In: „Handelsblatt“ vom 12. 8.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 593. Siehe etwa Hans Riebsamen: Heftiger Streit um Adorno-Preisträgerin. In: „F.A.Z.“ vom 28.8.2012 (online). URL: Siehe Lit.Verz. 594. Zur Aufhebung des Veröffentlichungsverbot der Bundeszentrale für Politische Bildung für den Politologen Konrad Löw durch das BverfG siehe: Bundesverfassungsgericht (Pressestelle): Pressemitteilung Nr. 87/2010 vom 28. September 2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Und: AFP/dapd/mcs/dgr: Streit über Antisemitismus. Deutsch-jüdische Symbiose unter dem Hakenkreuz. In: „SZ“ vom 28.9.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 595. Zur Finkelstein-Debatte siehe etwa: Axel Schmitt: Die Zukunft der Gegenwart der Vergangenheit ist Geschichte. Die Polyphonie des Sprechens über das Undarstellbare in der Finkelstein-Debatte und in neueren Veröffentlichungen zum Holocaust. In: „literaturkritik“ Nr. 8 vom August 2001 (3.Jg.) (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 596. Dietz Bering: Wenn der Blick auf das Ganze fehlt. Antisemitismus: Moshe Zuckermann und Kurt Pätzold scheitern schon an einer trennscharfen Definition. In: „F.A.Z.“ vom 27.12.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 597. „Die einzige Möglichkeit, sich [der historischen Einordnung] zu entziehen, besteht darin, den Holocaust in den Bereich der unerklärbaren mysthischen Ereignisse zu verweisen. Theorien, die die

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Einzigartigkeit des Holocaust als jüdisches Trauma betonen, tendieren in diese Richtung. Bekanntester Repräsentant dieses Denkens ist Elie Wiesel. ‚Einmalig und unvergleichlich in Größe und Ausmaß ist das Ereignis von Auschwitz und Belsen überwölbt von einer Feuerwand, die kein Außenstehender durchdringen kann. Alles was jemand tun kann, ist, sich dem Tor zu nähern.‘“ Matthias Haß: Gestaltetes Gedenken. Yad Vashem, das U.S. Holocaust Memorial Museum und die Stiftung Topographie des Terrors. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2002, S. 313. (Übersetzung des Wiesel-Zitats: J.R.) Vgl. auch: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma Heidelberg: Wider die Relativierung des Völkermords an den Sinti und Roma. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Constantin Goschler: Rezension von Norman G. Finkelstein: The Holocaust Industry. Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering, London, New York: Verso Books 2000. In: „hsozkult.geschichte.hu-berlin“ (online), o.S. URL: Siehe Lit.Verz. Etwa Dan Diner: „Auschwitz ist ein Niemandsland des Verstehens, ein schwarzer Kasten des Erklärens, ein historiographische Deutungsversuche aufsaugendes, ja außerhistorische Bedeutung annehmendes Vakuum. [...] Als äußerster Extremfall und damit als absolutes Maß von Geschichte ist dieses Ereignis wohl kaum historisierbar. (Diner, 1987, S. 73).“ Zit.n. Michael Kohlstruck: Zwischen Geschichte und Mythologisierung. Zum Strukturwandel der Vergangenheitsbewältigung. In: König, Kohlstruck, Wöll, S. 86-110, hier: S. 96. Und: „Auch 50 Jahre nach seinem Ende ist die Beschäftigung mit dem NS und seinen Verbrechen eine öffentliche Angelegenheit. Dabei fallen Tendenzen auf, die NS-Verbrechen durch superlativistische Stilisierungen aus ihrem historischen Entstehungskontext herauszulösen, sie als archetypisches Geschehen zu behandeln oder ihre Darstellung den Rezeptionsmustern einer Medienund Betroffenheitskultur anzupassen.“ Ebda., S. 102. Dazu etwa Timothy Snyder: Der Holocaust: die ausgeblendete Realität. In: „Eurozine. Netzwerk europäischer Kulturjournale“, (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. Etwa Michael Schneider: Die „Goldhagen-Debatte“: ein Historikerstreit in der Mediengesellschaft. (Gesprächskreis Geschichte; 17) Electronic ed.: Bonn: FES-Library, 1998 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Doja Hacker, Johannes Saltzwedel im Interview mit Reinhart Koselleck: Denkmäler sind Stolpersteine. In: „Der Spiegel“ 6/1997 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Jakob S. Eder: What West Germany Got Wrong About the U.S. Holocaust Memorial Museum. In: „Time“ vom 5.8.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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604. Zit.n. Tanja Schult: Rezension zu: Jens Kroh: Transnationale Erinnerung. In: „H-Soz-Kult“. 23.07.2007/08 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 605. Als Beispiele führt sie etwa an: die Infragestellung der Position Österreichs, sich selbst zum Opfer des Nationalsozialismus zu erklären, die Zweifel an den selbstglorifizierenden Résistance-Erzählungen in Frankreich, die Debatten um Schweizer Bankkonten mit geraubtem Vermögen jüdischer NS-Verfolgter und nicht zuletzt das Entsetzen, das die Massaker und Völkermorde von Srebrenica und Ruanda in den 1990er Jahren in der Öffentlichkeit auslösten. Vgl. Kübler, a.a.O., S. 8. 606. Vgl. den sehr lesenswerten Text von Amos Elon: Der Holocaust hat keine Werte: Die Politik der Erinnerung. Auszüge aus: Nachrichten aus Jerusalem. Reportagen aus vier Jahrzehnten. Fischer Taschenbuch, Frankfurt/M. 1998. In: „hagalil“ vom 22.4.2003 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 607. Vgl. zum gewandelten Verhältnis Israels zum Holocaust: aue: Der Holocaust und die „Globalisierung“. Rezension zu: Daniel Levy, Natan Sznaider: Erinnerung im globalen Zeitalter – Der Holocaust. Suhrkamp.Verlag, Frankfur a.M. 2001. In: „hagalil“ vom 3.11.2002(online). URL: Siehe Lit.-Verz. 608. Siehe Peter Novick: Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord. DVA, Stuttgart, München 2001, S. 348. 609. Ebda. 610. Vgl. Alexander J. Motyl: Warum ist die KGB-Bar möglich? In: „Transit“, Heft 35 (Sommer 2008), Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main, S. 104-122, hier: S. 111 f. 611. Thomas Assheuer im Gespräch mit Tony Judt: Amerika bietet der Welt keine Alternative mehr. In: „Die Zeit“ vom 4.11.2006 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 612. Zur Beziehung zwischen Neokonservativen, jüdischen Konservativen und christlichen Zionisten siehe: Christian Hacke: Antisemitismus oder Tabubruch? In: „Die Zeit“ vom 5.9.2007 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 613. „Nachgewiesenermaßen sind in den amerikanischen Medien seit 1990 mehr Berichte zu diesem Thema erschienen als in den 45 Jahren zuvor; in der gleichen Periode wurden zahlreiche Holocaust-Museen eröffnet, Holocaust-Lehrstühle eingerichtet, der Unterricht über den Holocaust in vielen Gliedstaaten für obligatorisch erklärt, und auch in Hollywood fand das Thema gebührende Aufmerksamkeit, kulminierend in Steven Spielbergs Film ‚Schindlers Liste‘.“ fem: Die Amerikanisierung des Holocaust. Ein provokatives Buch des US-Historikers Peter Novick. In: „NZZ“ vom 3.4.2000 (online), S. 7. URL: Siehe Lit.-Verz. 614. Schmid 2007, a.a.O., S. 189. 615. Vgl. Jens Kroh: Erinnerungskultureller Akteur und geschichtspolitisches Netzwerk Die „Task Force for International Cooperati-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung on on Holocaust Education, Remembrance and Research“. In: Eckel, Moisel, a.a.O., S. 156-173, hier S. 157 f. Surmann, a.a.O., S. 137. „Den bedeutendsten Interessenverband stellt die Claims Conference dar. Ihre Gründung Anfang der fünfziger Jahre, die durch einen Zusammenschluss von 22 jüdischen Organisationen aus aller Welt erfolgte, ist auch eine Folge des Wunsches der bundesdeutschen Regierung, mit einem einheitlichen Gesprächspartner verhandeln zu können. [...] Es ist auffällig, dass sie die einzige nichtstaatliche Interessenvertretung der NS-Verfolgten blieb, der es gelang, Abkommen erfolgreich auszuhandeln. Das dürfte neben ihrer großen juristischen und sachlichen Kompetenz sicherlich zu einem Teil darin begründet sein, dass auf deutscher Seite der Mythos von der Macht internationaler jüdischer Organisationen weiterhin eine, in ihrem genauen Ausmaß freilich schwer abzuschätzende Rolle spielte. Ohne Zweifekl half die bei wiederholten Gelegenheiten erfolgte Unterstützung der Claim Conference durch amerikanische Politiker, diesem Stereotyp einen gewissen Anschein von Realität zu verleihen. Demgegenüber konnten andere Organisationen keinen entsprechende Wirksamkeit entfalten. Zumal vor dem Ende des Ost-West-Konflikts galten diese oftmals als kommunistisch stigmatisiert oder als Repräsentanten des Ostblocks.“ Constantin Goschler: Offene Fragen der Wiedergutmachung. Entschädigungsforderungen von Verfolgten des Nationalsozialismus als politischer Diskurs. In: König, Kohlstruck, Wöll, a.a.O, S. 38-52, hier: S. 50. Vgl. Klaus Harpprecht: Ein Streit um Amerikas Seele. In: „zeit online“ vom 7.12.1979. URL: Siehe Lit.-Verz. Zu Identitätsproblemen des Westens durch Wegfall des alten Feindes siehe Jochen Hippler: Wissen, Kultur und Identitäten: Trends und Interdependenzen. Erschienen in: Ingomar Hauchler, Dirk Messner, Franz Nuscheler (Hrsg.): Stiftung Entwicklung und Frieden, Globale Trends 2002 – Fakten, Analysen, Prognosen. Frankfurt 2001, S. 135-155. Online unter der URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Motyl, a.a.O., S. 111 f. Zum dauernden Kriegszustand als Hintergrund für die Innenpolitik siehe: Assheuer 2006, a.a.O., o.S. „Am schlimmsten beschädigt von allen großen Erzählungen ist die vom Fortschritt – und dabei war sie die wohl ausdauerndste. Wie stark war dieser Glaube an eine Menschheit auf dem Weg zu den Gefilden der allumfassenden Befreiung von den Zwängen der Natur! Doch nach den Schlachthäusern des Ersten und Zweiten Weltkriegs, nach dem Holocaust schien dieser Mythos erledigt.“ Piero Bevilacqua: Abschied vom Fortschritt. In: „taz“ vom 2.8.2011 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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623. Zur neoliberalen „Heiligenlegende“ über die Wiedergeburt des Fortschritts und die folgende Enttäuschung siehe ebda. 624. Jeismann 2005, zit. nach Kübler, a.a.O., S. 10. 625. Vgl. Jan Eckel, Claudia Moisel: Einleitung. In: Eckel, Moisel, a.a.O., S. 9-25, hier: S. 20. 626. „Dabei stellten die jüdischen Restitutionsforderungen nur einen Teil der Gesamtforderungen aus den USA dar. Somit war die Unterstützung der jüdischen Forderungen nach Restitution ein zentraler Bestandteil der Durchsetzung einer liberalen, auf Marktwirtschaft basierenden Gesellschaft, mitsamt der dazugehörigen Rechtssicherheit.“ Surmann 2007/08, a.a.O., S. 137. 627. „Das Programm [‚Europa für Bürgerinnen und Bürger‘] trägt überdies durch die Förderung von Erinnerungsprojekten zur Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Geschichtsverständnisses bei (insbesondere im Hinblick auf den Holocaust und Stalinismus). [...] Zwischen 2007 und 2010 gab es rund 800 Zivilgesellschafts- und Erinnerungsprojekte sowie über 4000 Städtepartnerschaftsprojekte.“ Europäische Kommission: Ein Haushalt für „Europe 2020“ - Teil II: Politikbereiche im Überblick. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschaftsausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 29.6.2011 (online), S. 8. URL: Siehe Lit.-Verz. 628. „Tatsächlich kann ab der Jahrtausendwende von einer Konjunktur gesamteuropäischer Holocausterinnerung bei zunehmender Institutionalisierung derselben gesprochen werden. Führende europäische und internationale Organisationen beschäftigen sich substantiell mit dem Holocaust.“ Kübler, a.a.O., S. 10. 629. Christian Staas im Gespräch mit Wolfgang Benz: NS-Forschung „Das hat einige sehr aufgeregt“. In: „Die Zeit“ vom 20.11.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 630. Vgl. Kübler, a.a.O., S. 37. 631. Siehe dazu insgesamt bei Götz Aly: Warum die Deutschen, warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800-1933. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2011. 632. Vgl. Gerrit Bartels: Der Terror der Gleichheit. In: „Der Tagesspiegel“ vom 16.8.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 633. Vgl. Jens Jessen: In Hitlers Gesellschaft. In: „Die Zeit“ vom 11.6.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 634. Vgl. König 2003, a.a.O., S. 46. 635. Vgl. zur Debatte über die Einmaligkeit des Holocaust: Sebastian Markt: Rezension von Norman G. Finkelstein: The Holocaust Industry. Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering. Verso: New York - London 2000. In: eFormum Zeitgeschichte (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 636. Eckel, Moisel: Einleitung, a.a.O., S. 20 f. 637. Neben vielen anderen etwa der Ansatz Zygmunt Baumans: „Es ist gefährlich zu sagen, der Holocaust sei ein einzigartiges Ereig-

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nis in der Geschichte und also ein abgeschlossenes Kapitel. Ich wiederhole die These von Hannah Arendt, dass der Antisemitismus allein die Auswahl der Opfer erklärt, aber nicht den Charakter des Verbrechens. Dieser ist vielmehr bestimmt durch die Ambition der Moderne, eine vollkommene Welt zu schaffen. Was dem Nationalsozialismus, dem Stalinismus oder auch der ethnischen Säuberung im ehemaligen Jugoslawien gemeinsam ist, ist das abstrakte System, das Vorrang hat vor den Interessen und Wünschen von Individuen.“ Helga Hirsch: Der Holocaust ist nicht einmalig. Gespräch mit dem polnischen Soziologen Zygmunt Bauman. In: „Die Zeit“ vom 23.4.1993 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Siehe auch zur Kontextualisierung des Holocaust mit der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts oder mit der europäischen Kolonialgeschichte: Patrick Bernhard: Buchbesprechung zu Shelley Baranowski: Nazi Empire. In: „sehepunkte“ 12 (2012), Nr. 9 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 638. „Das Europäische Parlament, [...] in der Erwägung, dass der Holocaust im Bewusstsein Europas eingebrannt ist, insbesondere wegen seines mörderischen Hasses auf Juden und Roma aufgrund ihrer rassischen oder religiösen Identität, und dass Antisemitismus sowie rassistische und religiöse Vorurteile dennoch nach wie vor eine sehr ernste Gefahr für ihre Opfer und die europäischen und internationalen Werte der Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit und damit für die gesamte Sicherheit in Europa und der Welt darstellen, [...] fordert die Institutionen der Europäischen Union, die Mitgliedstaaten und alle demokratischen politischen Parteien Europas auf, [...] jegliche Form von Intoleranz und Aufwiegelung zum Rassenhass sowie alle Belästigungen und rassistischen Gewalttaten zu verurteilen.“ Beschluss des Europaparlaments zum Gedenken an den Holocaust sowie zu Antisemitismus und Rassismus vom 27.5.2005. P-Nummer: P6_TA(2005)001 (online) (Auszug). URL: Siehe Lit.-Verz. 639. Zur Diskussion um das Mahnmal für Sinti und Roma siehe: Hanno Pöppel im Gespräch mit Dani Karavan: Das Denkmal bedeutet ein großes Stück Verantwortung. In: „Jungle World“ Nr. 22, 31.5.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 640. „Nachdem die jüdischen NS-Opfer jahrzehntelang kaum beachtet wurden, rückten diese berechtigterweise seit den 1980er-Jahren in den Mittelpunkt der Forschung. Seit etwa zehn Jahren zeigt sich aber, dass der Holocaust-Begriff wieder erweitert wird und nichtjüdische Opfergruppen, etwa sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma oder Zwangsarbeiter, stärkere Beachtung neben der auch weiterhin wichtigsten Gruppe, den Juden, finden.“ Michael Meyer: Vor der Auflösung. Buchbesprechung zu: Stefan Hördler: Ordnung und Inferno. Wallstein-Verlag 2015. In: „SZ“ vom 5.1.2016, S. 15.

Anmerkungen

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641. Siehe Anmerkung 360. 642. Zit.n. Ulrich Schäfer: Startschuß für Casino Royale. In: „SZ“ vom 28.7.2012, S. 2. 643. „Im Inneren der kapitalistischen Gesellschaften richtete sich die Gegenreform gegen wirtschaftspolitische Zielvorstellungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg fast universell akzeptiert waren: Vollbeschäftigung, sozialer Ausgleich, Verstaatlichung oder Vergesellschaftung wesentlicher finanzieller oder infrastruktureller Schlüsselsektoren, mehr Demokratie und Mitbestimmung auch in der Wirtschaft.“ Jörg Huffschmid: Globalisierung – hinter den Kulissen. In: Christine Buchholz/Anne Karrass/Oliver Nachtwey/ Ingo Schmidt (Hrsg.): Unsere Welt ist keine Ware. Handbuch für Globalisierungskritiker, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002, S. 61-74, hier: S. 63 f. 644. 1991 schätzte etwa Ramsey Clark, früherer Justizminister in der Regierung Lyndon B. Johnson die US-Politik wie folgt ein: „Je tiens aussi à dire [...], que l’Amérique n’aura aucun scrupule à intervenir en Europe occidentale même si cette idée apparaît aujourd’hui farfelue. L’Amérique ne tolèrera pas longtemps une réelle puissance nucléaire et économique européenne. J’ai aussi un autre sujet d’inquiétude. Ce sont les ressources énergétiques de l’URSS qui commencent à être exploitées par l’Europe. Cette exploitation échappe complètement aux Etats-Unis, qui voient des marchés de prospection et de vente leur passer sous le nez. Un jour viendra où l’or noir du Proche-Orient ne sera plus le seul moyen à mettre dans la balance des chantages économiques.“ Akram Belkaid im Interview mit Ramsey Clark: Non à l’Empire (Mars 1991). In: „L’Autre Journal“ vom März 1991 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 645. „In February 1997, Mr. Kennan wrote on The New York Times‘s Op-Ed page that the Clinton administration‘s decision to back an enlargement of NATO, the North Atlantic Treaty Organization, to bring it to the borders of Russia was a terrible mistake. He wrote that ‚expanding NATO would be the most fateful error of American policy in the entire post-cold war era‘.“ Tim Weiner, Barbara Crossette im Nachruf über George Kennan: George F. Kennan Dies at 101; Leading Strategist of Cold War. In: „New York Times“ vom 18.3.2005 (online). URL: Siehe Lit.Verz. 646. „Als die Sowjetunion zerbrach, hätte sich niemand vorstellen können, dass 25 Jahre später die Konfrontationen der Vergangenheit noch einmal nach Europa zurückkehren würden. Damals glaubte man nicht nur im Westen Europas, sondern auch in Russland, dass die Zeit des Kalten Krieges für immer zu Ende gegangen sei. Warum sollte nicht auch Russland ein Teil des freien Europas werden, so fragte sich Gorbatschow, der nicht verstehen konnte, warum der Warschauer Pakt aufgelöst wurde, die Nato

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung aber weiterbestehen sollte. Manche empfanden den Zerfall der Sowjetunion und die Geringschätzung, die ihr im Westen entgegengebracht wurde, als tiefe Demütigung.“ Jörg Baberowski: Der Westen kapiert es nicht. In: „Die Zeit“ vom 25.3.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „[I]nhaltlich gesehen war die erste G-7-Konferenz mit Trumps Beteiligung ein kapitaler Fehlschlag. Weder in der Flüchtlingsnoch in der Klima-, Handels- oder Entwicklungspolitik gab es Fortschritte. Die Kluft zwischen den USA und den übrigen Partnern war in Taormina so groß, dass sich die Frage nach dem Sinn solcher Gipfel stellt.“ Claus Hulverscheidt: G7. Die Welt ist mit Trump noch unberechenbarer geworden. In: „SZ“ vom 29.5.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Alexander Armbruster: Das Problem mit der Globalisierung. In: „faz.net“ vom 10.6.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „[Donald Trumps] wichtigstes Wählerreservoir besteht aus männlichen, weißen Amerikanern mit mittlerer oder niedriger Schulbildung. Diese Bevölkerungsgruppe hat seit den 1980ern am meisten unter der Öffnung der Märkte, der Verlagerung der Industrie und Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt gelitten. In der mittleren Altersschicht ist sogar – bislang einmalig für ein Industrieland – die Lebenserwartung zurückgegangen. Es ist eigentlich keine Überraschung, dass diese Bevölkerungsschicht gegen ‚das System‘ rebelliert, ähnlich wie zuvor die mittel- und nordenglischen Industriearbeiter und deren Nachfahren im Brexit gegen die EU und vor allem gegen die Finanzmetropole London.“ Philipp Ther: Vom Neoliberalismus zum Illiberalismus. In: „RotaryMagazin für Deutschland und Österreich“ vom 1.12.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Vertretung der EU-Kommission in Deutschland: Gerechtere Löhne und fairer Wettbewerb: EU-Kommission schlägt Reform der Entsenderichtlinie vor. Pressemitteilung vom 8.3.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. International Monetary Fund, World Bank, and World Trade Organization: Making Trade an Engine of Growth. For Discussion at the meeting of G20 Sherpas, March 23-24, 2017, Frankfurt, Germany. (Vorbereitung des G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg) (online), S. 4 f. URL: Siehe Lit.-Verz. Zit.n. Cerstin Gammelin, Alexander Hagelüken: Neoliberal war einmal. In: „SZ“ vom 11.4.2017, S. 15. Vgl. Thomas Kirchner: Im sozialen Gewand. In: „SZ“ vom 27.4.2017, S. 4. Vgl. Annika Joeres: Frankreich: Macrons Elite. In: „Die Zeit“ vom 19.5.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. auch: N.N.: Kabinett Trump: Ex-Goldman-Sachs-Manager Mnuchin wird US-Finanzminister. In: „SZ“ vom 30.11.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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655. Ähnlich tragen sich auch Ungarn, Deutschland und Österreich mit dem Gedanken, bestimmte Familienbeihilfen für ausländische Arbeitskräfte zu kürzen. Vgl. APA, red.: Familienbeihilfe: Orbán kündigt Widerstand an. In: „Der Standard“ vom 24.2.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Und: dpa (Quelle: Handelsblatt Online): Gabriel will Kindergeld für EU-Ausländer kürzen. In: „Wirtschaftswoche“ vom 18.12.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. insges.: Carsten Volkery: Sozialleistungen in Europa. Was Zuwanderer in EU-Ländern wirklich bekommen. In: „Der Spiegel“ vom 14.1.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 656. N.N.: Bundesregierung sieht Exportplus als Problem. In: „Handelsblatt“ vom 16.6.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 657. „Momentan ist die Unzufriedenheit mit dem Welthandel und der wirtschaftlichen Globalisierung besonders groß. An erster Stelle schimpft der amerikanische Präsident Donald Trump, der sein Land für benachteiligt hält, ausgebeutet von ,unfairem‘ Handel. Millionen Amerikaner in eher darniederliegenden Regionen (‚Rust Belt‘) haben ihn auch deshalb ins Weiße Haus gewählt. In Frankreich erreichte Marine Le Pen vom Front National die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen und darin sogar ein Drittel der Wählerstimmen. Die Finanzminister und Notenbankchefs der wichtigsten Industrieländer lehnen in ihren Abschlusserklärungen – auf Drängen der Amerikaner – Protektionismus nicht mehr rundweg ab. Im neuen Wahlprogramm der britischen Premierministerin Theresa May und ihrer traditionell eigentlich marktfreundlichen Konservativen steht der Satz: ‚Wir glauben nicht an ungehinderte freie Märkte.‘ Schlussendlich gehört mittlerweile auch zur offiziellen Haltung des Internationalen Währungsfonds das Zugeständnis, dass Handel nicht mehr automatisch für jeden einzelnen Bürger eines Landes vorteilhaft ist.“ Alexander Armbruster: Wie ein offenes Land offen bleibt. In: „faz.net“ vom 26.5.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 658. Vgl. Gammelin, Hagelüken 2017, a.a.O., o.S. 659. Das Nafta-Abkommen wurde gegen Trumps Wahlversprechen bisher nicht gekündigt. Ebenso besteht offensichtlich doch eine gewisse Bereitschaft der USA, mit der EU ein Freihandelsabkommen zu schliessen. Vgl. nck: Umgefallen. In: „Der Spiegel“ vom 28.4.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. auch APA (AFP): „America first“, aber Europa ist auch nicht so schlecht. In: „msn finanzen“ vom 22.4.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 660. „Die Zahl der sogenannten bilateralen oder regionalen Handelsabkommen explodiert: Am 7. April 2015 zählt die Welthandelsorganisation sage und schreibe 612 regionale Handelsabkommen, davon sind 406 bereits in Kraft getreten. Inzwischen gibt es kaum

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung noch ein Land der Erde ohne die Mitgliedschaft in einem solchen Club.“ Pinzler, a.a.O., o.S. „Ungeachtet der anhaltenden Skepsis europäischer und anderer westlicher Länder haben sich die Chinesen in Peking zum Hüter der globalen wirtschaftlichen Integration ausgerufen. Staatschef Xi hatte diese Rolle schon im Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos beansprucht: ‚Wir müssen dem Ziel verpflichtet bleiben, den globalen Freihandel zu entwickeln, die Liberalisierung von Handel und Investitionen durch Öffnung vorantreiben und Nein sagen zum Protektionismus.‘ In dem gigantischen Infrastruktur- und Entwicklungsprojekt Neue Seidenstraße nimmt diese Ambition nunmehr konkrete Formen an.“ Sebastian Heilmann, Jan Gaspers: Die Neue Seidenstraße. In: „Le Monde diplomatique“ vom 08.06.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. N.N.: Macrons Mission in St. Petersburg: Russland soll in europäischer Familie bleiben. In: „Russia today“ vom 26.05.2018 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „‚China leiht seinem Nachbarn Kirgistan 300 Millionen Dollar für den Bau einer Nord-Süd Straßenverbindung.‘ ‚China und Weißrussland vereinbaren Projekte im Wert von umgerechnet 13 Milliarden Euro.‘ ‚China hilft bei der Finanzierung einer Eisenbahnverbindung zwischen Ungarn und Serbien.‘ Diese Agenturmeldungen der letzten Wochen stehen für Steinchen eines gewaltigen Mosaiks und sie beweisen, dass die Initiative Neue Seidenstraße längst mehr ist als eine Idee. ‚One belt, one road‘ – ein Gürtel, eine Straße – dieses Bild steht für unterschiedliche Korridore zu Land und zu Wasser. Das Konzept neuer Handelswege von China nach Westeuropa lässt nicht nur Ökonomen aufhorchen, sondern auch außenpolitische Experten wie Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz: ‚Es ist vorbei mit der früheren chinesischen Zurückhaltung, sich nur um das eigene Umfeld zu kümmern. Es wäre schön, wenn wir in zehn Jahren sagen könnten, es hat sich ein System etabliert, in dem es einige Ordnungsmächte gibt, die dafür sorgen, dass nicht überall Chaos ausbricht. Wenn China bereit ist, daran mitzuwirken, dann kann man das eigentlich nur begrüßen.‘“ Klaus Remme: China. Chancen und Risiken der neuen Seidenstraße. Beitrag des Deutschlandfunks vom 4.7.2015 (online). URL: Siehe Lit.Verz. „Die Gründungsphase der Asiatischen Infrastrukturbank zeigt, wie leicht es offenbar noch immer ist, Peking zu unterschätzen. Als möglicher Konkurrenten zur Weltbank lehnte Washington die AIIB ab. Inzwischen ist klar: Die Bank hat 57 Gründungsmitglieder, darunter Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien. Übrigens: Peking hält über 25 Prozent der Stimmen an der Bank und ja, das gibt China in bestimmten Angelegenheiten ein Vetorecht.“ Ebda.

Anmerkungen

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665. „Unter dem Teilnehmern des St. Petersburger Internationalen Wirtschaftsforums (SPIEF) waren Vertreter von Staaten, die insgesamt für rund 30 Prozent des globalen BIP verantwortlich sind. Und es war eine illustre Besetzung: Macron und Wladimir Putin neben dem japanischen Premierminister Shinzo Abe, dem chinesischen Vizepräsidenten Wang Qishan und der IWF-Chefin Christine Lagarde.“ N.N.: Macrons Mission…, a.a.O., o.S. 666. „Polens neuer Präsident Andrzej Duda bekräftigt vorab bereits die zentrale Rolle, die sein Land auf der Seidenstraße spielen möchte. Ihm schwebe Polen als eine Art ‚Logistikzentrum‘ in dem Konzept vor, sagte Duda vor seiner Reise Chinas amtlicher Nachrichtenagentur Xinhua.“ Stephan Scheurer: China will „neue Seidenstraße“ nach Osteuropa. In: „Handelsblatt“ vom 24.11.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Und: „[Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán] entwarf das Szenario einer gespaltenen Zukunft. Dabei ging es nicht nur wie bislang um ein ‚Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten‘, sondern eines verschiedener Welten. Hier die Achse Deutschland-Frankreich und eine Vertiefung der europäischen Integration, dort Ostmitteleuropa und eine Hinwendung zu nationalen Wirtschaftsmodellen mit strategischen Partnern außerhalb der EU. Orbán war [...] nach Peking gereist, um [...] an einem Forum über den Ausbau der Neuen Seidenstraße teilzunehmen. Mit dem Projekt will Peking die an der alten Handelsroute gelegenen Länder von China nach Europa besser verbinden. Ebenfalls angereist waren Russlands Präsident Wladimir Putin, der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan und der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko sowie Vertreter von insgesamt mehr als 50 Ländern.“ Boris Kálnoky: Für Orbán ist die Zeit der westlichen Dominanz zu Ende. In: „Welt/N24“ vom 16.5.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 667. Vgl. Martin Pelzl: Die modernste Anlage Europas. In: „LVZ“ vom 30.6.2018, S. 6. 668. „Wir sind Zeugen einer Zeitenwende. Der Westen in seiner bisherigen Form hört auf zu existieren. Der Eklat beim G7-Gipfel in Kanada vor vier Wochen hat die Verwerfungen deutlich zutage treten lassen. Jetzt geht es an die Substanz. Und Europa, zerstritten und verletzlich, ist darauf nicht vorbereitet – weder politisch noch militärisch noch wirtschaftlich. Der von Trump angezettelte Handelskrieg nimmt Fahrt auf. Seit Freitag gelten US-Strafzölle gegen China, von Peking umgehend beantwortet mit Gegenzöllen. […] Und das ist erst der Anfang: Die Trump-Administration hat bereits die nächste Eskalationsrunde gegen China angekündigt: Zölle auf ein Handelsvolumen von 450 Milliarden Dollar. Auch mit der EU schwelt der Konflikt weiter. […] Die globale Handelsordnung ist in Auflösung begriffen – jenes System, auf das sich gerade die EU und insbesondere Deutschland jahrzehnte-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung lang verlassen haben.“ Henrik Müller: Von China lernen. In: „Der Spiegel“ vom 8.7.2018 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Pinzler, a.a.O., o.S. „Back in 2012, U.S. Secretary of State Hillary Clinton hailed a proposed transatlantic free trade pact as a job-creating, growthboosting ‚economic NATO‘ that would forge new ties between old allies.“ Paul Ames: Will TTIP be an ,economic NATO’?. In: „politico“ vom 17.9.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „[D]ass China mehr und mehr von seiner traditionellen Nichteinmischungsdoktrin abrückt, hat also auch mit der Neuen Seidenstraße zu tun. Mit einigen BRI-Partnerländern [Belt and Road Initiave. Offizielle Bezeichnung des Seidenstraßen-Projekts. J.R.] hat China eine militärische Kooperation begonnen; dazu zählen so unterschiedliche Staaten wie Weißrussland, Iran, Tansania, Äthiopien, Malawi, Mosambik, Thailand und die Seychellen. Und selbst wenn sich Peking als Vermittler anbietet – wie im Kaschmirkonflikt zwischen Indien und Pakistan oder im Grenzstreit zwischen Myanmar und Bangladesch –, geht es auch darum, die BRI-Investitionen in diesen Ländern zu schützen.“ Heilmann, Gaspers, a.a.O., o.S. „Bei der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit liegt der Schwerpunkt mehr auf sicherheitspolitischem Gebiet. Sie entwickelte sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre aus ersten chinesisch-russischen Kontakten, bei denen es zunächst um die Klärung von Grenzstreitigkeiten ging, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in Zentralasien aufgekommen waren. Die ursprünglichen Mitglieder des 2001 formell gegründeten Staatenverbundes waren Russland, China, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan. Bei dem SCO-Gipfel in Ufa wurden nun auch Indien und Pakistan aufgenommen. Beobachterstatus haben die Mongolei, Iran, Afghanistan und Weißrussland. Die Organisation soll die Zusammenarbeit der beteiligten Länder auf allen Gebieten fördern. Der Nachdruck liegt jedoch auf der Bekämpfung des Terrorismus, der Gewährleistung von Frieden und Sicherheit in der Region und der Beilegung von Konflikten.“ Theo Sommer: Russland und China entwerfen eine neue Weltordnung. In: „Die Zeit“ vom 14. Juli 2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Die entscheidenden Kämpfe werden heute nicht mehr auf konventionellen Schlachtfeldern, sondern im Rahmen der hypervernetzten Infrastruktur der Weltwirtschaft geführt. Mithilfe ökonomischer Kriegführung, der Instrumentalisierung internationaler Organisationen sowie der Infrastruktur entwickelt sich eine neue G7, die Europa herausfordert.“ Mark Leonard: Interdependenz als Waffe. In: „Internationale Politik. Die Zeitschrift“ vom 1.3. 2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „1875 erteilten die Japaner Korea die erste Lektion, die sie gut 20 Jahre zuvor vom US-Kommodore Matthew Perry gelernt hatten.

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Der war mit Geschützsalven von seinen ‚schwarzen Schiffen‘ in der für Ausländer verbotenen Tokyoter Bucht gelandet und hatte das Land durch einen einseitigen Vertrag geöffnet. Nach seinem Vorbild schickten die Musterschüler nun ein Kriegsschiff zu Koreas Insel Kanghwa, feuerten eine Salve auf deren Bewacher und ließen eine ganze Flotte folgen. Nach Japans Eindringen sicherten sich auch die USA, Großbritannien, Deutschland und Russland vertragliche Sonderrechte für ihre Bürger, Konsulate, Hafenkonzessionen.“ Christian Schmidt-Häuer: Die koreanische Tragödie. In: „Die Zeit“ vom 19.8.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Als jüngstes Beispiel kann die Entscheidung des US-Senats gelten, die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verschärfen. Das wurde mit einer Bestrafung des Landes für. die Okkupation der Krim begründet, in Deutschland aber als Versuch interpretiert, den europäisch-russischen Erdgashandel zu unterbinden, um mit eigenen Produkten in den westeuropäischen Energiemarkt zu kommen. Vgl. Stefan Kaufmann: Wirtschaftssanktionen. Amerikas Finanzkrieg. In: „Berliner Zeitung“ vom 9.5.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Nick Megoran: Revisiting the ,pivot’: the influence of Halford Mackinder on analysis of Uzbekistan’s international relations. In: The Geographical Journal, Heft 170, Nr. 4, 12/2004, S. 347–358 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. David X. Noack: Kleiner Überblick über die Geopolitik. In: „Heartland. Blog für Globale Politische Ökonomie und Geopolitik“ vom 19.10.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. N.N.: „Baden wir in unserem Ruhm.“ In: „Der Spiegel“ vom 1.9.1997 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Brzezinski hat – wie außer ihm und vor ihm nur Henry Kissinger – erheblichen Einfluß auf das außenpolitische Bewußtsein vieler Amerikaner, seien sie Abgeordnete und Senatoren, seien sie Diplomaten oder aber Intellektuelle und Banker, die sich vorübergehend in die Dienste des State Department nehmen lassen, seien sie Vorstände von Firmen des Big Business oder Gouverneure von amerikanischen Bundesstaaten. Wer in Washington von ‚Henry‘ oder von ‚Zbig‘ spricht, der setzt als selbstverständlich voraus, dass der Gesprächspartner versteht: Hier ist von Kissinger oder von Brzezinski die Rede.“ Helmut Schmidt: Eine Hegemonie neuen Typs. In: „Die Zeit“ vom 31.10.1997 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Unter politikwissenschaftlichem Aspekt ist ein Welthegemon ein übermächtiger Staat, der als funktionales Äquivalent zu einer supranationalen Weltautorität verstanden wird. Die hegemoniale Steuerung beruht auf der Annahme, dass globale Befolgung von Normen bzw. Regeln nur durch eine hierarchische Organisationsstruktur mit zentraler Sanktionsinstanz gewährleistet werden kann, die aber keine formelle, mit rechtlicher Autorität ausgestat-

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tete Instanz ist, sondern eine informelle, primär machtbasierte Quasi-Hierarchie, die die zwischenstaatliche Anarchie unangetastet lässt. Die hegemoniale Weltordnung ist eine faktische, keine normativ verankerte Ordnung (V. Rittberger/A. Kruck/A. Romund, Grundzüge der Weltpolitik, 2010: 306 ff.). Durch folgende Eigenschaften erlangt der Welthegemon Supermacht-Status, d.h. Überlegenheit im Bereich der militärischen, ökonomischen und kulturell-ideellen Ressourcen, ebenso wie Überlegenheit beim Kapitel Einfluss tatsächlicher Politikergebnisse: Erstens ist er in der Lage, internationale Regeln zu generieren und deren Beachtung durch Androhung von Sanktionen, Gewährung oder Entzug von Wohltaten zu erreichen; zweitens hat er die Fähigkeit zu politischer Steuerung und Problembearbeitung in Übereinstimmung mit den eigenen Präferenzen (unter anderen die eigennützige Schaffung bzw. Förderung von Normen, Regeln und Institutionen, die seine Weltsicht reflektieren); drittens stellt ein sogenannter wohlwollender Hegemon öffentliche Güter nicht nur zum eigenen Nutzen, sondern auch zum Nutzen anderer Staaten bereit, wie z.B. die Gewährleistung eines hohen Maßes an internationaler Finanzstabilität und Finanzliquidität, die Gewährleistung von Sicherheit, humanitäre Hilfe usw. (V. Rittberger/A. Kruck/A. Romund, 2010: 307 f.).“ Roland Christian Hoffmann-Plesch: Syrien, Eurasien und die neue multipolare Weltordnung. In: „Eurasisches Magazin“ (online), o.S., hier bes.: Abschnitt „Geostrategischer Krieg“. URL: Siehe Lit.-Verz. 681. Vgl. Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Fischer Verlag, Berlin 1997, S. 54, 57 und 283. 682. „That is why America is the one essential, one exceptional nation, the one indispensable nation. It is why the American Dream is admired by our friends and foes alike. And that is why I am proud to be an American.“ Aus einer Rede Barack Obamas vor Absolventen der Akademie der US-Luftstreitkräfte am 23.5.2012 in Colorado Springs. Zit.n. K.T. McFarland: The United States of America: The one essential, exceptional, indispensable nation. In: „foxnews“ vom 30.6.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 683. „America First bedeutet nicht, Amerika allein. Es ist eine Verpflichtung zur Absicherung und Vertiefung unserer vitalen Interessen, während (gleichzeitig) die Kooperation und Verstärkung der Beziehungen zu unseren Alliierten und Partnern gepflegt wird. Die Entschlossenheit für unser Volk und unseren Way of Life einzustehen, vertieft den Respekt unserer Freunde für Amerika. [...] Wir haben ein vitales Interesse, um die internationale Führung zu übernehmen, um Amerikas militärische, politische und wirtschaftliche Stärke voranzubringen. Wir engagieren uns in der Welt nicht, um unseren Way of Life aufzuzwingen, sondern um ‚den Segen von Freiheit für uns selbst und unsere Prosperität

Anmerkungen

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abzusichern‘. Das bedeutet, die Interessen und Prinzipien zu identifizieren, die Amerika ungewöhnlich machen und diese im Mittleren Osten und noch weiter mit unseren NATO-Alliierten, mit den G7-Nationen, zu verbreiten.“ Rebecca Shabad: H.R. McMaster, Gary Cohn pen op-ed on meaning of „America First“ (Übersetzung: J.R.). In: „The New York Times“ vom 31.7.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 684. „Revisionistische oder revolutionäre Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea demonstrieren eine Vorliebe für einen auf Lähmung und gegen die USA gerichteten Konkurrenzkampf, der in Grauzonen geführt wird. [...] Und, während der bewährte und vorteilhafte US-dominierte Status quo sich erheblichem internen und externen Druck ausgesetzt sieht, kann eine angepasste amerikanische Machtpolitik helfen, dem völligen Scheitern in den problematischsten Regionen der Welt zuvor zu kommen oder es sogar rückgängig zu machen. [...] Wenn die USA die Kontrolle über die wichtigsten internationalen Sicherheitsbedingungen wiederherstellen wollen, müssen sie eine durchdachte Kampagnenpolitik verfolgen, welche die verlorene Initiative wiedergewinnt und die US-Macht für eine neu gestaltete, nichts desto weniger immer noch vorteilhafte post-hegemoniale [wörtl.: post-primacy. Der Verf.] internationale Ordnung einsetzen. […] Da, als eine Richtschnur, die US-Führer beider politischen Parteien sich durchweg dazu verpflichtet haben, die militärische Überlegenheit über alle potentiell rivalisierenden Nationen zu sichern, erfordert die posthegemoniale Wirklichkeit eine breiter aufgestellte und flexiblere Militärmacht, welche sich Vorteile und Optionen im Rahmen eines weitestgefassten Rahmens militärischer Erfordernisse erarbeiten kann. Für die US-Führer setzt die Aufrechterhaltung militärischer Vorteile die maximale Freiheit der Aktion voraus.“ Nathan P. Freier: At our own peril. DoD Risk assessment in a PostPrimacy World. Strategic Studies Institute des U.S. Army War College. United States Army War College Press, Carlisle Barracks 2017 (online), S. 46 ff. ( Übersetzung: J.R.). URL: Siehe Lit.-Verz. 685. Vgl. insgesamt dazu: Assen Ignatow, Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (Hrsg.): Geopolitische Theorien in Rußland heute. Köln 1998 (Berichte/BIOst 17-1998) (online), S. 3. URL: Siehe Lit.-Verz. 686. „Die russische Führung hat jetzt ernsthaft begonnen, Moskaus wirtschaftliche, politische und kulturelle Vorrangstellung in der GUS zu etablieren. Die Rückkehr von Usbekistan in Moskaus Umlaufbahn sollte als Anfang dieses neuen Trends angesehen werden. Die nächsten Schritte werden eine Konsolidierung von Moskaus Verbindungen mit den loyalen Ländern in der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Vertragsorganisation für Kollektive Sicherheit; die wirtschaftliche und finanzielle Integration von Belarus; und eine Steigerung von Russlands Einfluss in

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung den energiereichen kaspischen Staaten Aserbaidschan und Turkmenistan beinhalten.“ Dmitri Trenin: Der Westen und Russland: Das verlorene Paradigma. In: Heiko Pleines, Hans-Henning Schröder: Die russische Außenpolitik unter Putin. Arbeitspapiere und Materialien / Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen.Bremen 2005 (online), S. 16-20, hier: S. 19 f. URL: Siehe Lit.-Verz. „Bemerkenswerterweise strebt das heutige Russland im Gegensatz zu früher nicht mehr nach Anerkennung. Sogar die Sowjetunion machte sich mehr Sorgen um ihr Image. Der Kreml sorgt sich anscheinend nicht genug um die internationalen politischen Reaktionen auf seine Aktionen. Public relations und Lobbytätigkeit haben für den Kreml keine hohe Priorität. GR, also Government relations, Beziehungen zwischen den Regierungen, sind wichtiger als PR. Gerhard Schroeder für die Gaspipeline zu gewinnen und Donald Evans für einen Job in der Ölindustrie zu umwerben sind nur zwei erstaunliche Beispiele für diese Herangehensweise. Russland, so glaubt der Kreml, bekommt eine schlechte Presse, egal, was es tut. Warum sollte es sich also bemühen? Auf der anderen Seite nehmen die Kremlherren die Börsengänge der Firmen, an denen sie Anteile halten, wichtig.“ Ebda., S. 19. „Das russische Militärwesen heute ist im Aufstieg begriffen – nicht wie die Sowjetarmee im Kalten Krieg auf großen Einheiten mit schwerer Ausrüstung basierend, sondern als kleinere, mobilere, austarierte Streitmacht, die zunehmend fähig ist, den vollen Umfang moderner Kriegführung zu beherrschen. Es ist ein Militär, das in Ländern an der russischen Peripherie intervenieren kann, ebenso in größerer Entfernung wie im Mittleren Osten Die neue russische Armee ist ein Mittel, das genutzt werden kann, um die selbst erklärten Ansprüche Moskaus auf den Status einer führenden Nation in einer multipolaren Welt zu untermauern. […] Moskau strebt, basierend auf den Prinzipien des Respekts vor staatlicher Souveränität und der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, den Aufbau einer multipolaren Welt an, [ferner] das Primat der Vereinten Nationen und eine vorsichtige Machtbalance, die die Dominierung der internationale Ordnung durch einen Staat oder eine Gruppe von Staaten verhindert.“ Defense Intelligence Agency: Russia. Military power. 2017 (online), S. 13 f. (Übersetzung: J.R.) URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Wladislaw Sankin: Europa nur noch eine westliche Halbinsel Asiens? Perspektivenwechsel in Russland. In: „Russia today“ vom 23.10.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Die aktuellen Studien scheinen das zu bestätigen: „Die neuere Forschung geht davon aus, dass in der frühen Neuzeit, also etwa bis ins 18. Jahrhundert, keine signifikanten Unterschiede zwischen den eurasischen Zivilisationen bestanden. Dies gilt vor allem für den Vergleich Europas mit China, aber auch mit dem in-

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dischen Subkontinent oder dem islamischen Raum.“ Rolf Peter Sieferle: Lehren aus der Vergangenheit. Expertise für das WBGUHauptgutachten „Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung: Globale Umweltveränderungen. Berlin 2010 (online), S. 10. URL: Siehe Lit.-Verz. „Im Sinne des Erhalts der Stabilität und des Dogmas galt die Devise: ‚Wenn Du zu weit draußen Kriege führst, bricht das Reich zusammen‘. In diesem Kontext wird auch die Äußerung Osterhammels verständlich, der das Chinesische Reich als ‚ein Imperium ohne Imperialismus‘ bezeichnet.“ Katja Schubert: Geopolitisches Schachspiel: China und Indien im Kampf um Einflusssphären im asiatisch-pazifischen Raum. Dissertation, Universität Rostock 2014 (online), S. 105. URL: Siehe Lit.-Verz. „It does not matter whether China wants to develop into a world power. The crucial point is that it needs to develop; its status as a world power will follow naturally.“ Ye Zicheng: Inside China‘s Strategy: The Perspective from the People’s Republic. Lexington 2011, S. 1. Zit.n. ebda., S. 126. „Der starke maritime Impetus der Volksbefreiungsarmee, der im Geiste Mahans mit einem massiven Aufbau marinetechnischer Infrastruktur und der avisierten Kontrolle von Räumen, speziell im Indischen Ozean, einhergeht [...], bestätigt eine realistisch ausgerichtete Macht- und Geopolitik der Volksrepublik. Das Durchsetzen eigener Ordnungsvorstellungen, möglicherweise sogar die Etablierung eines eigenen Ordnungssystems, wird ausgehend von der lokalen über die regionale hin zur globalen Ebene zukünftig aller Voraussicht nachvollzogen werden.“ Ebda., S. 132. „Jenseits friedliebender Redekunst werden die außenpolitischen Interessen Chinas jedoch augenfällig immer militanter vertreten, wie die Auseinandersetzungen mit Japan in der Ostchinesischen See im Herbst 2013 oder jene mit Vietnam in der Südchinesischen See im Frühjahr 2014 zeigen. Beide Beispiele weisen darüber hinaus klassische geopolitische Muster im Sinne einer Kontrolle und Beherrschung von Räumen auf.“ Schubert, a.a.O., S. 128 und 130 f. Für eine große Zahl ähnlicher Ansätze hier stellvertretend Slavoj Žižek: „Jedes dieser Zentren steht für einen Kapitalismus mit einer besonderen Prägung. Die USA stehen für den neoliberalen Kapitalismus, Europa steht für das, was noch vom Wohlfahrtsstaat bleibt, China für den (autoritären) Kapitalismus der ‚asiatischen Werte‘ und Lateinamerika für einen populistischen Kapitalismus. In dieser neuen postamerikanischen Welt reizen sich die alten und die neuen Supermächte gegenseitig aus und versuchen, ihre jeweils eigene Version der globalen Regeln durchzusetzen. Sie tun dies, indem sie mit Stellvertretern experimentieren – und diese Stellvertreter sind die vielen anderen kleinen Nationen und

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung

Staaten. Slavoj Žižek: Globales Schlamassel. In: „Die Zeit“ vom 23. 12. 2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 696. Vgl. statista: Ranking der 15 Länder mit den weltweit höchsten Militärausgaben im Jahr 2016 (in Milliarden US-Dollar) (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 697. „[Eine] Währung [lässt sich] in echte Waffen ummünzen: Hat sie den Status einer Reservewährung erreicht, so bedingt der damit einhergehende natürliche Bedarf an ihr eine enorme Finanzierungsquelle. So etwa in den USA, die aufgrund des BrettonWoods-Abkommens den Vorteil genießen, dass die wichtigsten Rohstoffe in US-Dollar gehandelt werden. Dadurch müssen alle Länder US-Dollar vorhalten und nachfragen. Über 80 Prozent des Welthandels werden in US-Dollar abgewickelt. Dementsprechend werden mehr als 60 Prozent der globalen Währungsreserven in US-Dollar gehalten. Nach einer Transaktion wird das Geld in der Regel in US-Staatsanleihen geparkt, dem mit 11,6 Billionen Dollar Volumen weltweit größten Anleihemarkt. Diese Quelle ermöglicht es den USA, den mit Abstand weltweit größten Militäretat von jährlich 640 Milliarden Dollar zu unterhalten. […] Zum anderen können […] auch der systematische Ausschluss und die Isolierung von der eigenen Währung und des damit verbundenen Finanzsystems als Waffe eingesetzt werden. Die USA praktizieren dies aktuell gegenüber Argentinien, dem Iran und Russland, indem sie diese Länder entweder vom Handel in US-Dollar und/ oder von Finanzierungsmöglichkeiten an den westlichen Finanzmärkten ausschließen. [...] In allen drei Ländern führt dies zu Devisenknappheit, einer drastischen Abwertung der lokalen Währung, Kapitalflucht, hoher Inflation und einem Investitionsstopp. Die ohnehin fragilen Volkswirtschaften geraten noch weiter in die Krise. Dies dient dem Zweck, die US-Vormachtstellung in der Welt zu sichern und die Machtverschiebung von West nach Ost zu verhindern […].“ Jörg Rohmann: Wie die USA mit der DollarWaffe die Welt unterjochen. In: „focus“ vom 21.11.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 698. „Trotz des tiefgreifenden Wandels, den die Weltwirtschaft in den vergangenen 70 Jahren erfahren hat, sind die Fundamente der Geopolitik bemerkenswert stabil geblieben. Staaten bleiben die dominanten Akteure im internationalen System und dieselben drei Länder – USA, Russland und China – befinden sich auch heute noch an der Spitze der globalen geopolitischen Ordnung. Frankreich und Großbritannien sind aufgrund ihres Sitzes im UN-Sicherheitsrat und ihrer Fähigkeiten immer noch die wichtigsten militärischen ‚Reservemächte‘. Brasilien, Deutschland, Italien und Japan entwickelten sich zwar zu Schlüsselakteuren in ihren Regionen; auf internationaler Ebene bleibt ihr Einfluss jedoch vergleichsweise gering.“ Robin Niblett: Geister der Vergan-

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genheit. In: „Internationale Politik“, Heft 5, Sept./Okt. 2016 (online), S. 8-13, hier: S. 11. URL: Siehe Lit.-Verz. „Und nur Spezialisten nehmen überhaupt wahr, wie sich die tektonischen Platten der Geopolitik zwischen dem Ural und dem Pazifik gegenwärtig verschieben. Russland und China sind dabei, eine neue Weltordnung zu entwerfen, die nicht länger von Amerika und Europa dominiert wird. Dies jedenfalls ist die Botschaft, die vorige Woche von der im südlichen Ural gelegenen Stadt Ufa ausging. Dort versammelten sich in den diesen Tagen nacheinander die Staats- und Regierungschefs der Brics und der Shanghai Cooperation Organization (SCO) – zweier Zusammenschlüsse von Staaten, die entschlossen sind, sich der westlichen Vorherrschaft zu entziehen, die sie als unerträgliche Bevormundung empfinden.“ Sommer, a.a.O., o.S. „Ausgerechnet der russische Präsident hat soeben einen weiteren Weg aufgezeigt, wie man sich des US-Imperialismus erwehren kann. Wladimir Putin verkaufte, wie erst jetzt bekannt wurde, binnen weniger Monate die meisten der amerikanischen Staatsanleihen im russischen Besitz und machte sich damit ein bisschen unabhängiger von der Welt des Dollar. Denn das ist bisher die Geschäftsgrundlage der Welt: Die Vereinigten Staaten finanzieren ihren Wohlstand durch Verschuldung, sie leihen sich irrsinnige Summen auf dem Weltkapitalmarkt. […] Wenn China, dem die USA fast 1300 Milliarden Dollar schulden, dem russischen Vorbild folgen und sich von auch nur einem Teil der US-Staatsanleihen trennen würde, dann könnte das eine globale Kräfteverschiebung bedeuten.“ Marc Beise: Eine Sprache, die sogar Trump versteht. In: „SZ“ vom 20. Juli 2018 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Inzwischen zeichnet sich auch der Trend ab, internationale Geschäfte statt in Dollar in chinesischen Yuan abzurechnen. Vgl. dazu: Marco Maier: Weg vom Dollar: Afrika will stärker auf den Yuan setzen. In: „Contra Magaziin“ vom 3.7.2018 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Robert Kahn: Have Sanctions Become the Swiss Army Knife of U.S. Foreign Policy? In: Blog Post des Council on Foreign Relations vom 24.7.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „The U.S. Air Force is preparing to put nuclear-armed bombers back on 24-hour ready alert, a status not seen since the Cold War ended in 1991.“ Marcus Weisgerber: 24-Hour Alert. In: „Defense One“ vom 22.10.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Stellvertretend etwa für viele Artikel mit ähnlichem Tenor etwa: „When Barack Obama meets this week with Xi Jinping during the Chinese president’s first state visit to America, one item probably won’t be on their agenda: the possibility that the United States and China could find themselves at war in the next decade. In policy circles, this appears as unlikely as it would be unwise. The Greek historian’s metaphor reminds us of the attendant dan-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung gers when a rising power rivals a ruling power – as Athens challenged Sparta in ancient Greece, or as Germany did Britain a century ago. Most such contests have ended badly, often for both nations, a team of mine at the Harvard Belfer Center for Science and International Affairs has concluded after analyzing the historical record. In 12 of 16 cases over the past 500 years, the result was war. When the parties avoided war, it required huge, painful adjustments in attitudes and actions on the part not just of the challenger but also the challenged. The defining question about global order for this generation is whether China and the United States can escape Thucydides’s Trap.“ Graham Allison: The Thucydides Trap: Are the U.S. and China Headed for War? In: „The Atlantic“ vom 24.9.2015 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Auf dem eurasischen Balkan konkurrieren weit mehr Mächte miteinander als einst auf dem europäischen Balkan. Die wichtigsten Akteure sind Rußland, die USA, die Türkei und der Iran. In den letzten Jahren ist zudem der Einfluß Chinas, Indiens, Pakistan und der EU immer spürbarer geworden. Insgesamt erstreckt sich der eurasische Balkan über ein Gebiet, das mehrere hundert Millionen Menschen umfaßt. Der amerikanische Historiker Niall Ferguson hat sogar die These vertreten, dass ein solch grenzübergreifender Bürgerkrieg auf dem eurasischen Balkan wahrscheinlich ist und letztlich einen neuen Weltkrieg darstellen würde. […] Würde eine mächtige Koalition aus verschiedenen Staaten, ähnlich wie die NATO 1999 in Jugoslawien, schließlich als friedensstiftende Macht in einen solchen Konflikt eingreifen, so wäre sie nicht nur in der Position, die Grenzziehungen des Nahen Ostens und Zentralasiens neu zu bestimmen. Eine solche Koalition wäre dann auch in der Lage, die direkte militärische Kontrolle über einen beträchtlichen Teil der weltweiten Öl- und Gasvorräte auszuüben. Eine solche ‚friedensstiftende Koalition‘ wäre der eigentliche Gewinner in einem solchen Krieg. Denn die Kontrolle dieser Energiereserven stellt einen so bedeutenden geopolitischen Machthebel dar, dass, wer immer ihn besitzt, wohl auch der maßgebliche Hegemon des 21. Jahrhunderts sein würde.“ Hauke Ritz: Die Welt als Schachbrett. Gekürzte Fassung eines Beitrags aus „Quo vadis, Amerika? Die Welt nach Bush“ (2008) (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Siehe etwa zum Syrien-Krieg als ‚Weltordnungskrieg‘ und zur besonderen geopolitischen Bedeutung des syrischen Raumes: Hoffmann-Plesch. a.a.O., o.S. Vgl. Andreas Rinke: Metamorphose der Geopolitik. Wie die Finanzkrise das internationale Kräfteverhältnis verändert. In: „Internationale Politik“ vom 6.6.2009 (online). URL: Siehe Lit.Verz. „Mehr noch als der ökonomische Vorteil und das Streben nach Gewinnmaximierung war die gesellschaftliche Ruhelage sein Ziel,

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aber er blieb sich des Abhängigkeitsverhältnisses von wirtschaftlicher Prosperität und Erhaltung des Sozialgefüges vollauf bewußt. […] Vor allem aber der manipulatorische, auf Ersatzbefriedigung zielende Sozialimperialismus strebte danach, die Dynamik der Wirtschaft und der sozialen und politischen Emanzipationskräfte in die äußere Expansion zu leiten, von den inneren Mängeln des sozialökonomischen und politischen Systems abzulenken und durch reale Erfolge seiner Expansion oder zumindest die Steigerung des nationalideologischen Prestiges zu kompensieren.“ Hans-Ulrich Wehler: Bismarck und der Imperialismus. 3. Auflage. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1972, S. 115. Vgl. OECD: Pressemitteilung vom 21.5.2015 anlässlich der Veröffentlichung der Studie ‚In It Together: Why Less Inequality Benefits All‘ (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Nach einem Rückgang der Ungleichheit in vielen Gesellschaften Lateinamerikas durch Sozialprogramme linksgerichteter Regierungen ab den 2000ern, etwa in Brasilien, Venezuela, Argentinien, Bolivien und Ecuador, und die Verteilung von Rohstoffrenten durch eine Abkehr von der neoliberalen Wirtschafts- und Steuerpolitik, bedeutet die Rückkehr der alten Eliten an die Macht und ein Ende des Rohstoffbooms auch eine Rückkehr von Armut und damit Gewalt. Die Folge sei ein gnadenloser Kampf um Nahrung, Trinkwasser, Strom oder den Anschluss an die Kanalisation sowie natürlich um Geld und Prestige, so die Forscher.“ Benjamin Beutler: Studien aus Lateinamerika zeigen Einfluss der zunehmenden sozialen Spaltung unter anderem auf die Mordrate. In: „Neues Deutschland“ vom 14.6.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Die Radikalisierung junger Muslime in Afrika wird einer UNStudie zufolge weniger durch religiöse Motive gefördert als durch Armut und Chancenlosigkeit. Zu diesem Schluss kommt eine am Donnerstag veröffentlichte Studie, für die das UN-Entwicklungsprogramm über zwei Jahre hinweg fast 500 ehemalige Mitglieder radikaler Gruppen wie der Boko Haram in Nigeria, der Schabab in Somalia und dem Islamischen Staat im Sudan befragte.“ AFP/ nd: Armut spielt bei Radikalisierung größere Rolle als Religion. In: „Neues Deutschland“ vom 8.9.2017 (online). URL: Siehe Lit.Verz. Anja Mihr: Es bleibt ein Kampf. Wie Politik und Bürger um Menschenrechte ringen: Jan Eckels monumentale Studie „Die Ambivalenz des Guten“. In: „Die Zeit“ vom 30.10.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Wut, Hass und Hetze gegen ‚die Anderen‘: Weltweit hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im vergangenen Jahr beobachtet, wie Politiker ‚die finstersten Instinkte der menschlichen Natur‘ ansprachen, um Stimmung gegen Andersdenkende zu machen. Allen voran der im November gewählte US-Präsident Donald Trump: Im Jahresbericht der Organisation

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung wird der Wahlsieg des Republikaners als ‚das möglicherweise größte der vielen politischen Erdbeben im Jahr 2016‘ beschrieben. Trump habe im Wahlkampf eine Politik versprochen, die der Wahrung der Menschenrechte in höchstem Maße zuwiderlaufe, heißt es in dem Bericht. Generalsekretär Salil Shetty schreibt, die Welt sei insgesamt noch einmal ‚finsterer und unsicherer‘ geworden. […] Seit Jahren ist die Menschenrechtslage in vielen Ländern dramatisch – diesmal richtet sich die Kritik explizit auch an die USA und einige europäische Staaten. […] Die Politik der Spaltung nehme auch in Europa zu, etwa in Frankreich oder den Niederlanden, wo in wenigen Wochen neue Parlamente gewählt werden. […] Der möglicherweise bösartigste Angriff auf die Menschenrechte bestehe darin, dass Politiker ‚die Anderen‘ für soziale Probleme verantwortlich machten, schreibt Shetty in dem Bericht. So bereiteten sie den Weg für Diskriminierung und Hassverbrechen. Auch in der EU beklagt Amnesty eine zunehmende Aushöhlung von Menschenrechtsstandards. ‚Anti-Terror-Gesetze in zahlreichen Ländern der Europäischen Union schränken Freiheitsrechte ohne die notwendige rechtsstaatliche Kontrolle der Maßnahmen ein‘, sagt Beeko.“ Sybille Klormann: Amnesty International: Die Welt ist finsterer geworden, auch wegen Trump. In: „Die Zeit“ vom 22.2.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „‚Nicht nur unsere Menschenrechte geraten mehr und mehr unter Druck, sondern auch die Systeme, die sie schützen‘, so Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich. ‚Denn viele Regierungen haben im vergangenen Jahr internationales Recht gebrochen und gleichzeitig die Macht der Institutionen beschnitten, die eigentlich die Rechte der Menschen schützen sollen. [...] Millionen von Menschen leiden unter dem Vorgehen der Staaten und bewaffneten Gruppen, gleichzeitig bezeichnen Regierungen die Errungenschaften des Menschenrechtsschutzes unverfroren als Bedrohung für Sicherheit, Recht und Ordnung oder die nationalen ‚Werte‘.“ N.N.: Amnesty International hat heute in London ihren umfassenden Bericht zur Lage der Menschenrechte 2015-2016 veröffentlicht. Mitteilung von Amnesty International Österreich vom 23.6.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Stefanie Bolzen: Mays spontane Harte-Hand-Politik folgt der Methode Erdogan. In: „welt/N24“ vom 7.6.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Jörg Lau: Die neuen Autoritären. In: „Die Zeit“ vom 13.5.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. APA: Netanjahu warnt vor wachsendem Einfluss Teherans im Nahen Osten. In: „derstandard“ vom 23.8.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.

Anmerkungen

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717. Christoph B. Schiltz: „Wir sehen auf dem Balkan eine schleichende Islamisierung“. In: „welt“ vom 27.6.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 718. „Im Jahr 1989, als die Berliner Mauer fiel, gab es weltweit 16 vergleichbare Grenzanlagen. Heute, knapp 28 Jahre später, sind die Zäune und Mauern keineswegs weniger geworden. Im Gegenteil: Im Jahr 2017 trennen fast 70 Sperranlagen Staaten und Städte. Hinzu kommen zahlreiche Mauern und Zäune, die zum Beispiel Gated Communitys schützen und den Ausbau von Favelas verhindern sollen.“ Paul Donnerbauer: Das sind die Mauern dieser Welt. In: „vice“ vom 7.2.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 719. „Die Unesco hat in einem aktuellen Bericht vor einer wachsenden Zahl von Internetsperren durch Regierungen gewarnt. Weltweit sei es in diesem Jahr bislang zu 61 solcher Netzblockaden gekommen, mehr als dreimal so viel wie vor zwei Jahren, heißt es in einem Papier der Uno-Kulturorganisation, das am Montag in Paris vorgestellt werden soll.“ gru/dpa: Regierungen greifen immer öfter zu Internetsperren. In: „spiegel online“ vom 6.11.2017. URL: Siehe Lit.-Verz. 720. „Noch hat sich im Welthandel nur die Stimmung verschlechtert, nicht die Realität. Aber das ist nur ein geringer Trost. Die Katastrophen des 20. Jahrhunderts haben gezeigt, dass die Globalisierung durchaus umkehrbar ist und dass die Abkehr vom Prinzip der offenen Grenzen immer erst einmal vorgedacht wurde. Deshalb ist es so wichtig, dass die Gedankenspiele vom Handelskrieg sehr schnell doch wieder obsolet werden können.“ Nikolaus Piper: Kriegsgedanken. In: „SZ“ vom 11.4.2017, S. 4. 721. „Völkerrecht lässt sich nur im Konsens der Staaten schaffen. Derzeit gibt es auf der Welt aber weitaus mehr Regierungen, die Angst vor Interventionen haben, als Staaten, die zu intervenieren bereit wären, um Gutes zu tun – oder Schreckliches zu verhindern. Die Mehrheit der Regierungen sieht vor allem die Gefahr des Missbrauchs, und man kann das nachvollziehen, weil der Westen nicht frei ist von Doppelmoral.“ Heinrich Wefing im Interview mit Stefan Talmon: Biegen und Brechen. In: „Die Zeit“ vom 20.11.2014 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 722. „George W. Bush überfiel den Irak. Wladimir Putin raubte die Krim. Und nicht nur in Afrika tobten sich Kriegsherrn an der Zivilbevölkerung aus. Die Welt nahm dies allerdings nicht einfach hin. Völkerrechtsbrüche führten zu Protesten, Sanktionen, vor Tribunale und auch zu militärischen Interventionen. Die Nato tat sich schwer, ihr Eingreifen im Kosovo-Konflikt völkerrechtlich zu rechtfertigen, doch sie bemühte sich zumindest. Kein zivilisierter Staat wollte als Völkerrechtsbrecher dastehen. Das, immerhin, war ein Fortschritt. Bis jetzt, bis Syrien. Nun scheint die Welt zivilisatorisch zurückzutaumeln. Sei es, dass die Erfahrungen der Weltkriege lange zurückliegen; sei es, dass neu entfachte ideologi-

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sche und religiöse Konflikte den Sinn für Recht und Unrecht vernebeln: Das Völkerrecht siecht dahin. […] Schändlich ist es, dass sich Russland zum Komplizen dieses Horrorregimes gemacht hat. Die Proteste dagegen im sonst demonstrationsfreudigen Westen sind vergleichsweise gering. Und auch etliche westliche Regierungen scheren sich in Syrien wenig um das Völkerrecht, wie die Bombardements der internationalen Allianz ohne Einwilligung des Regimes belegen.“ Stefan Ulrich: Rückfall in die Welt der Willkür. In: „Die Zeit“ vom 12.4.2017 (online). URL: Siehe Lit.Verz. 723. „Insbesondere die amerikanische Politik einer sehr weiten Auslegung des Rechts auf Selbstverteidigung im ‚Kampf gegen den Terrorismus‘ weicht das Gewaltverbot auf. Die damit verbundene Erleichterung der Anwendung militärischer Gewalt gegen andere Staaten aber lässt es als möglich erscheinen, dass schwächeren Staaten gegenüber Druck ausgeübt wird, der im Widerspruch zu ihrem Status souveräner Gleichheit steht – Druck, der sie zu Entscheidungen zwingt, die nicht ihrer freien Wahl entsprechen.“ Bardo Fassbender: Die souveräne Gleichheit der Staaten – ein angefochtenes Grundprinzip des Völkerrechts. In: „bpb“ vom 15.10.2004 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Und: „Im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg haben nun in jüngerer Zeit vor allem amerikanische Völkerrechtler die Fortgeltung des allgemeinen Gewaltverbots bestritten und sein Erlöschen vor allem mit der Untauglichkeit des UN-Systems begründet, den neuen Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus wirksam entgegenzutreten. Die eindeutige Mehrheit der Völkerrechtler tritt diesem kurzsichtigen Versuch, die außenpolitischen Handlungsoptionen der USA zu erweitern, jedoch mit Recht entgegen.“ Oliver Dörr: Gewalt und Gewaltverbot im modernen Völkerrecht. In: „bpb“ vom 15.10.2004 (online), o.S. URL: Siehe Lit.-Verz. 724. Michael Stürmer: Vernunft des nuklearen Friedens scheint vergessen. In: „Die Welt“ vom 16.9.2014 (online). URL: Siehe Lit.Verz. 725. „[...] seit dem Zweiten Weltkrieg hat noch niemand mit ähnlicher Brutalität […] die Axt an die schon länger schwankende westliche Gemeinschaft gelegt wie der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. In diesem Sinne ist, nach der bereits im Oktober letzten Jahres aufgekündigten Mitgliedschaft der USA in der Unesco, der jetzt verkündete Austritt aus dem UN-Menschenrechtsrat nur ein nächster Hieb. Es ist freilich auch ein Hieb ins eigene Bein. Denn bei aller Unvollkommenheit eines internationalen Gremiums, dessen Entscheidungen auch von Zufallskoalitionen ihrer auf Zeit gewählten Mitglieder abhängig sind: Die politische und moralische Reputation, mit der die Vereinigten Staaten aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgingen, verdankte sich ihrem

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Engagement für eine ‚bessere Zukunft der Welt‘ – so hieß es in der Atlantik-Charta vom Sommer 1941 – und ihrer Unterstützung der dazu erforderlichen globalen Institutionen.“ Norbert Frei: Kalkulierter Einsatz von Zerstörungskraft. In: „SZ“ vom 25.6.2018 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Die Demokratie wird zum Feind des Marktes erklärt. Aus der Perspektive des Neoliberalismus stört Demokratie den Markt, weil sie umverteilt und somit eine Gruppe begünstigt und andere benachteiligt. Aus dieser Haltung resultiert eine Abwertung beziehungsweise Geringschätzung von Demokratie – und jetzt wurde eben ein Geschäftsmann zum Präsidenten gewählt, der bislang über keinerlei politische Erfahrung verfügt.“ Enrico Ippolito: „Die Demokratie wird zum Feind des Marktes erklärt“. Interview mit der US-amerikanischen Politologin Wendy Brown. In: „Spiegel online“ vom 20.11.2016. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Jörg Lau, a.a.O., o.S. Vgl. Vereinte Nationen: Sektion Friedens- und Sicherheitsfragen, Hauptabteilung Presse und Information in Zusammenarbeit mit der Hauptabteilung Politische Angelegenheiten und der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze (Hrsg.): Besondere Politische Missionen der Vereinten Naionen. DPI/2166/Rev.172. – Dezember 2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. insgesamt Niblett, a.a.O. „Hält man am Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten fest, also ihrer Gleichberechtigung und Selbstständigkeit, welche ihre Autonomie im Rahmen der völkerrechtlichen Verfassung ausmachen, gibt es für die notwendige weitere Entwicklung des Völkerrechts keinen anderen Weg als den einer konsequenten Konstitutionalisierung. Auch für die Staaten gilt: ‚Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.‘ Dazu bedarf es eines neuen großen Impulses, ähnlich dem des Jahres 1945. Dieser kann nur von den Völkern ausgehen, die sich selbst eine rechtsstaatliche Verfassung gegeben haben und die Herrschaft des Rechts auch in den internationalen Beziehungen erstreben.“ Bardo Fassbender, a.a.O., o.S. „Statt den geopolitischen Machtkampf bis zum Äußersten zu treiben, kommt es heute darauf an, der geopolitischen Logik eine Denkweise entgegenzusetzen, die sich auf die Zivilisation als ganzes bezieht. Viel wichtiger als die Frage, ob das 21. Jahrhundert ein amerikanisches, europäisches oder chinesisches sein wird, ist die Frage, auf welchen Prämissen wir das Leben der menschlichen Gattung begründen wollen.“ Ritz, a.a.O., S. 229. „‚Das Zeitalter des Westens ist an einem Scheideweg angelangt, wenn nicht gar an seinem Ende.‘ Dem Westen habe der Blick für das Ganze der Geschichte gefehlt, ‚für das große Bild, die breiten Themen und die groben Muster‘.“ Weidner, a.a.O., o.S.

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733. „Die neuen Theorien begreifen das Digitale als eine Facette der allgemeinen Ökologie. Der Mensch erscheint in einem Lebensnetz eingesponnen, in dem alle möglichen Arten von Energie-, Warenund Informationsströmen humane, aber auch nichthumane Akteure, also Tiere, Pflanzen und Mineralien verkoppeln. In dieser ökotechnologischen Netzwerktheorie bleibt keine Handlung ohne Folge. Stets muss mit der Natur, mit ihren nichtmenschlichen Akteuren gerechnet werden, im schlechtesten Fall mit deren Sabotage-Macht, im besten Fall mit deren Kooperation. Von menschlicher Autonomie ist keine Rede mehr.“ Maximilian Probst: Umdenken oder untergehen! In: „zeit online“ vom 25.10.2017. URL: Siehe Lit.-Verz. 734. Peter Reichel: Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute. Beck, München 2001, S. 10. 735. Vgl. König 2003, S. 153. 736. Vgl. Christoph Cornelißen: Erinnerungskulturen. Version 2.0. In: „Docupedia-Zeitgeschichte“. 22.10.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 737. Vgl. Heinrich, Kohlstruck, a.a.O., S. 9. 738. Vgl. Reichel 1995, a.a.O., S. 20. 739. Zur Begriffsdiskussion siehe: Jan-Holger Kirsch: Rezension zu: Helmut König: Die Zukunft der Vergangenheit. Der Nationalsozialismus im politischen Bewusstsein der Bundesrepublik. Frankfurt am Main 2003. In: H-Soz-u-Kult, 09.04.2003 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 740. Vgl. Michael Bock: Metamorphosen der Vergangenheitsbewältigung. In: Clemens Albrecht, Günter C. Behrmann, Michael Bock, Harald Homann, Friedrich H. Tenbruck: Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule. Korr. Studienausgabe. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2000. S. 530-566, hier: S. 531. 741. Vgl. Nina Leonhard. Besprechung von: Horst-Alfred Heinrich, Michael Kohlstruck: Geschichtspolitik und sozialwissenschaftliche Theorie. Und: Helmut König: Politik und Gedächtnis. In: HSoz-u-Kult, H-NetReviews, Juni 2009 (online). URL: Siehe Lit.Verz. 742. Hier: Gegenstände der Vergangenheitsbewältigung i.e.S. nach den Definitionen des Londoner Statuts von 1945: „a) Verbrechen gegen den Frieden: Nämlich: Planen, Vorbereitung und Einleitung oder Durchführung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unterVerletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen oder Beteiligungen an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen; b) Kriegsverbrechen: Nämlich:Verletzung der Kriegsgesetze oder -gebräuche. Solche Verletzungen umfassen, ohne jedoch darauf beschränkt zu sein, Mord, Misshandlungen

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oder Deportation zur Sklavenarbeit oder für irgendeinen anderen Zweck, von Angehörigen der Zivilbevölkerung von oder in besetzte Gebieten, Mord oder Misshandlungen von Kriegsgefangenen oder Personen auf hoher See, Töten von Geiseln, Plünderung öffentlichen oder privaten Eigentums, die mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten oder Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung; c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Nämlich:Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder währund des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde, oder nicht. Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die am Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendeiner Person in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind.“ Statut für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945. In: „Dokumentensammlung der Universität Marburg“ (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. auch: Pavel Kolar: Historisierung. In: „Docupedia-Zeitgeschichte“. 11. 2.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Wertgen, a.a.O., S. 15, Anm. 16. Vgl. Reichel 2001, a.a.O., S. 202 f. Vgl. Bock, a.a.O., S. 531 ff. Ulrich Battis, Günther Jakobs, Eckhard Jesse, Josef Isensee: Vergangenheitsbewältigung durch Recht. Drei Abhandlungen zu einem deutschen Problem. Duncker und Humblot. Berlin 1992, S. 716. Vgl. König 2003, a.a.O., S. 168. Vgl. ebda. Vgl. ebda., S.173. Ulrich Streeck: Die generalisierte Heiterkeitsstörung. Diagnose – Differentialdiagnose – Therapie. In: „Forum der Psychoanalyse“, Heft 2/2000, S. 116-122. Zit.n. Gerd Rudolf: Vorteil und Risiken der Klassifikation. Vortrag im Rahmen der 52. Lindauer Psychotherapiewochen 2002 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Deutschlands Aufarbeitung seiner eigenen Vergangenheit gilt währenddessen (trotz aller anfänglicher Ambivalenzen, Widersprüche und Unzulänglichkeiten) international als mustergültig und vorbildlich – eine durchaus überraschende Pointe, wenn gleichzeitig der Gegenstand der Aufarbeitung als größtes Menschheitsverbrechen der Geschichte gilt. Der britische Historiker Timothy Garton Ash hatte schon vor einigen Jahren zugespitzt-iro-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung nisch, aber durchaus treffend von einer DIN-Norm für ‚Vergangenheitsbewältigung‘ (ein signifikanterweise in andere Sprachen unübersetzbarer Ausdruck) gesprochen.“ Dirk Rupnow: Rezension von: Katrin Hammerstein / Ulrich Mählert / Julie Trappe et al. (Hrsg.): Aufarbeitung der Diktatur – Diktat der Aufarbeitung? Normierungsprozesse beim Umgang mit diktatorischer Vergangenheit. Wallstein, Göttingen 2009. In: „sehepunkte“ 10 (2010), Nr. 4 vom 15.04.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „In der Kritik am historischen Vergleich taucht immer wieder der ‚Nebenvorwurf‘ auf, er laufe Gefahr, auf die unterschwelligen ‚Meistererzählungen‘ der jeweiligen nationalen Geschichtsschreibungen hereinzufallen bzw. nicht aus ihnen ausbrechen zu können.“ Thomas Welskopp: Vergleichende Geschichte. In: „Europäische Geschichte Online“ (EGO). Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2010 (online). URL: Siehe Lit.Verz. Jürgen Habermas: Warum ein „Demokratiepreis“ für Daniel J. Goldhagen? Eine Laudatio. In: „Die Zeit“ vom 14.3.1997 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Der Historiker Jürgen Kocka drückt den Sachverhalt sehr dezent aus: „Die weitere Diskussion […] leitet schnell in die häufig besprochene Problematik des Verhältnisses von Erkenntnis und Interesse, von Norm und Analyse, von Theorie und Praxis über. Sie führt dann zwingend zu der Einsicht, daß gerade theoretisch verfahrende Geschichtswissenschaft in ihren Ausgangspunkten, Begriffen und Ergebnissen tief von den lebensweltlichen Zusammenhängen beeinflußt ist, in denen sie steht. Insbesondere bei der Diskussion des Referats über Modernisierung und Nationalsozialismus [...] wurde die Beeinflussung der Bildung umgreifender, komplexer, gesamtgesellschaftlicher Theorien durch praktische Bedürfnisse, Interessen und Wertungen deutlich, als unvermeidlich erkannt und unter gewissen Bedingungen als erkenntnisfördemd begrüßt.“ Jürgen Kocka: Gegenstandsbezogene Theorien in der Geschichtswissenschaft: Schwierigkeiten und Ergebnisse der Diskussion. In: Jürgen Kocka (Hrsg.): Theorien in der Praxis des Historikers: Forschungsbeispiele und ihre Diskussion. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1977 (online), S. 178-188, hier: S. 181. URL: Siehe Lit.-Verz. „Bei der NS-Forschung [...] ist eine deutliche Schwerpunktverschiebung zu konstatieren. Sie hängt einerseits damit zusammen, dass seit einer Reihe von Jahren die Judenverfolgung und der Holocaust zum zentralen Paradigma der Behandlung des Dritten Reiches geworden sind. Zwar hat sich die so genannte ‚Täterforschung‘ auch auf andere verfolgte Gruppen, etwa die Sinti und Roma, ausgeweitet, aber im Mittelpunkt steht die Frage nach der direkten und indirekten Beteiligung von Funktionsträgern des Regimes an der Judenvernichtung.“ Hans Mommsen: Forschungs-

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kontroversen zum Nationalsozialismus. In: „bpb“ vom 23.3. 2007 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Zit.n. Dirk Rainer Blasius: Umgang kontra Wahrnehmung. In: „FAZ“ vom 17.2.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. König, Kohlstruck, Wöll: Einleitung, a.a.O., S. 7. Demokratie verstanden als Form eines politischen Systems, „in dem alle Menschen soziale Sicherung und einen rechtsstaatlichen Schutz der politischen und bürgerlichen Freiheits- und Menschenrechte erfahren und, mit sozialen und bürgerlichen Rechten ausgestattet, am politischen Entscheidungsprozess teilnehmen können, der über Wahlen und andere Partizipationsmöglichkeiten im demokratischen Wettbewerb die Besetzung einer souveränen Regierung hervorbringt, die wiederum die Präferenzbekundungen der Wählenden achtet“. Blaul, a.a.O., S. 10 f. Vgl. Bogedan, a.a.O., S. 32. Vgl. Blaul, a.a.O., S. 11. „Demokratie hat auf die Dauer keinen unangefochtenen Bestand, wenn sie sich in einem formalen politischen Institutionensystem erschöpft, im extremen Schwundfall reduziert auf mehr oder weniger freie Wahlen, während gesellschaftliche und wirtschaftliche Macht sich der Mitverantwortung der von ihr Betroffenen entziehen und die sozialen Voraussetzungen ihrer Bürger zur erfolgversprechenden Mitwirkung an den politischen Entscheidungen hochgradig ungleich verteilt sind. Eine bloß delegative Demokratie mit ohnmächtiger Passivbürgerschaft für die Vielen ist eine Form defekter Demokratie, die gleichermaßen die Effektivität und Legitimität demokratischer Gemeinwesen in Frage stellt.“ Thomas Meyer: Die Theorie der Sozialen Demokratie. OnlineAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung (online), S. 2 f. URL: Siehe Lit.-Verz. Der Text erschien bereits in: Thomas Meyer: Praxis der Sozialen Demokratie. VS Verlag, Wiesbaden 2006. „Defekte Demokratien [sind] Herrschaftssysteme, die sich durch das Vorhandensein eines weitgehend funktionierenden demokratischen Wahlregimes zur Regelung des Herrschaftszugangs auszeichnen, aber durch Störungen in der Funktionslogik eines oder mehrer der übrigen Teilregime die komplementären Stützen verlieren, die in einer funktionierenden Demokratie zur Sicherung von Freiheit, Gleichheit und Kontrolle unabdingbar sind.“ Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Puhle, Aurel Croissant, Claudia Eicher, Peter Thiery: Defekte Demokratie. Bd. 1: Theorie. Leske + Budrich, Opladen 2003, S. 66. Typologie etwa: Exklusive Demokratie: Eingeschränktes Wahlrecht, keine freien und fairen Wahlen; Illiberale Demokratie: Unvollständiger Verfassungsstaat und beschädigter Rechtsstaat, Beschädigung der Grund-, Menschen, und liberalen Freiheits- und Bürgerrechte durch gewählte Regierungen; Delegative Demokra-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung tie: Regierungen können das Parlament umgehen oder auf die Justiz einwirken; Enklavendemokratie: Vetomacht bei Militär, Unternehmern oder anderen Akteuren ohne Legitimation durch Wahlen. Vgl. ebda., S. 68-76. „Die US-Regierung muss nach nur wenigen Tagen im Amt eine schwere Niederlage verkraften: Im kürzlich erschienenen ‚Democracy Index 2016‘ des ‚Economist‘ wurde das Land – zum ersten Mal – von einer ‚vollen Demokratie‘ auf eine ‚fehlerhafte Demokratie‘ herabgestuft. […] Die Degradierung dürfte den US-Amerikanern besonders schmerzen, weil sie sich häufig als Flaggschiff der Demokratie sehen.“ John Stanley Hunter: USA zur ‚fehlerhaften Demokratie‘ herabgestuft. In „Handelszeitung“ vom 30.1.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Folter, die Bombardierung Unschuldiger, militärische Geheimeinsätze in befreundeten Ländern, die Ermordung von Alten, Frauen und Kindern mittels Drohnen, ungerechtfertigte Massenfestnahmen, illegale Abhörmaßnahmen gegen die eigene Bevölkerung, der Abbau ihrer Bürgerrechte und die Exekution eigener Bürger ohne ordentlichen Prozess: Die Regierungspolitik der Vereinigten Staaten hat eine Entwicklung genommen, von der auch Amerikaner entsetzt sind. [...] [Scahills] Buch wirft die Frage auf, inwieweit man die USA noch einen funktionierenden Rechtsstaat nennen kann.“ Franziska Augstein: Die ganze Welt ein Schlachtfeld. Besprechung von Jeremy Scahills 2013 erschienenem Buch „Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen.“ In: „SZ“ vom 8.10.2013, S. 15. „Wie die Autoren des [‚Democracy Index 2016‘] schreiben, erlaubt eine ‚fehlerhafte Demokratie‘ zwar freie Wahlen, weist aber zudem eine ‚schwache Regierung, eine unterentwickelte politische Kultur und niedrige politische Partizipation‘ auf. [...] Neben den beiden Kategorien [‚volle Demokratie‘ und ‚fehlerhafte Demokratie‘ ] werden die Länder sonst noch nach ‚Hybridregime‘ (zum Beispiel Thailand, Türkei, Ukraine, Equador) und ‚Autoritär‘ (z.B. Russland, Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate, Afghanistan) unterteilt. Syrien und Nordkorea bilden – wenig überraschend – das Schlusslicht. Laut dem Bericht leben nur fünf Prozent der Weltbevölkerung in ‚vollen Demokratien‘, während 2,6 Milliarden Menschen in autoritären Staaten leben.“ Hunter, a.a.O., o.S. Baumgärtner, a.a.O., S. 16. Aus einem Brief Franklin Delano Roosevelts an seinen Kriegsminister Stimson 1944: „Ich gewinne [...] den Eindruck, daß Deutschland wie die Niederlande oder Belgien wiederaufgebaut werden und das deutsche Volk so schnell wie möglich auf den Vorkriegsstand gebracht werden soll. Es ist aber von größter Wichtigkeit, daß jedermann in Deutschland begreift, daß Deutschland diesmal eine besiegte Nation ist. Ich will nicht, daß

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sie zu Tode hungern, wenn sie aber zum Beispiel mehr Nahrung brauchen, als sie zur Verfügung hoben, dann sollte man sie dreimal täglich mit Suppen aus den Feldküchen versorgen. Das erhält sie gesund; sie werden sich an diese Erfahrung zeitlebens erinnern.“ Zit.n. Blum, a.a.O., o.S. „Kein Skandalurteil. Aber auch kein Grund, über die angeblich schon geglückte kambodschanische Vergangenheitsbewältigung zu jubeln. Der entscheidende Schritt dazu wird das Verfahren ECCC 02 sein – der Prozess gegen vier der politisch Hauptverantwortlichen für den kambodschanischen Genozid.“ Erich Follath: Folterchef-Urteil in Kambodscha: Der tränenreiche Schlächter. In: „Der Spiegel“ vom 26.7.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Aber auch der russische Präsident Dmitrij Medwedjew hat Stalin mit deutlichen Worten als Verbrecher bezeichnet. ‚Millionen von Menschen sind zu Opfern von Terror und erlogenen Anschuldigungen geworden‘, hatte Medwedjew in einem Videoblok zum Gedenktag für die Opfer der politischen Repressionen im Oktober vergangenen Jahres gesagt.“ Ann-Dorit Boy: Vergangenheitsbewältigung. Russland streitet über Stalin. In: „Zeit online“ vom 9.3.2010. URL: Siehe Lit.-Verz. „With the German discussions in mind, one might be tempted to say that though our Historikerstreit concerning slavery and its aftermath effectively ended, at least in regard to fundamentals, in the 1960s and 1970s, the process of public Vergangenheitsbewältigung has only just begun.“ Thomas McCarthy: Vergangenheitsbewältigung in the USA. On the Politics of the Memory of Slavery. In: „Political Theory“, Heft 30, 2002 (online), S. 623-648, hier: S. 12. URL: Siehe Lit.-Verz. Etwa die Praxis der USA, Verdächtige in verbündete Diktaturen zu verschleppen, um sie dort foltern zu lassen. Vgl. Ekkehard Jänicke: Etwas Foltern lassen bei Freunden. In: „Telepolis“ vom 12.03.2002. URL: Siehe Lit.-Verz. Siehe: Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Römer-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Vier grundlegende Möglichkeiten des Umgangs junger Demokratien mit unangenehmer Vergangenheit: (1) Amnesie oder Vergessen, wie in Spanien beim Übergang von der Franco-Diktatur, im Japan der Nachkriegszeit oder in Rußland. Auch Churchil sprach 1946 von einem ‚gesegneten Akt des Vergessens‘. Demokratie hat nicht unbedingt eine Geschichtsbewältigung oder eine Aufarbeitung der Vergangenheit zur Voraussetzung, wie Deutschland sie beim erfolgreichen Ringen mit seiner Nazi-Vergangenheit unternahm. (2) Säuberung der Institutionen. Die Entfernung von Belasteten aus dem öffentlichen Dienst wurde am gründlichsten in der Tschechischen Republik (‚Lustration‘) und in der ehemaligen DDR durchgeführt. Die Entlassung von öffentlichen Bediens-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung teten setzt jedoch das Vorhandensein qualifizierter Nachfolger voraus, die aufgrund des Bildungssystems während der Apartheid in Südafrika nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. (3) Tribunale vom Typ der Nürnberger Prozesse. Sie sind aber eine Option von Siegern gegenüber Besiegten. Im Gegensatz basiert der südafrikanische Übergang auf einer anhaltenden Pattsituation. Keine Seite wurde besiegt. (4) Wahrheitskommissionen, wie sie zuerst in Lateinamerika eingesetzt wurden. Sie sind ein beispielloser Kompromiß zwischen Kriegsgerichten und dem Vergessen der von beiden Seiten begangenen Grausamkeiten.“ Heribert Adam: Widersprüche der Befreiung: Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung in Südafrika. In: Wöll, Kohlstruck, König, a.a.O, S. 350-370, hier: S. 353. Ende der 1990er Jahre kritisierte Anande auf einem Kongress des Freiburger Max-Planck-Institut (MPI) für ausländisches und internationales Strafrecht die im Aufbau befindliche internatinale Strafgerichtsbarkeit als Form eines „neuen Kolonialismus des Westens“: „Statt der Welt europäische Strafmodelle aufzuzwingen, solle sich der Westen erst einmal um die heute noch ungesühnten Taten der Kolonialzeit kümmern.“ Zit.n. Christian Rath: Von Strafen und Schlußstrichen. Die Aufarbeitung von Diktaturen läßt sich nur theoretisch in Modelle fassen – Ein Kongreß auf der Suche nach Empfehlungen. In: „taz“ vom 7.6.1999 (online), S. 5. URL: Siehe Lit-Verz. Aus einer Agenturmeldung über eine Rede des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an der Universität von Ouagadougou sagte im November 2017: „‚Es hat Fehler und Verbrechen gegeben, große Dinge und glückliche Geschichten‘. Doch die ‚Verbrechen der europäischen Kolonisation‘ seien ‚unbestreitbar‘. Es handele sich um eine ‚Vergangenheit‘, die ‚vergehen‘ müsse.“ AFP: Macron nennt Verbrechen der Kolonialherren in Afrika ‚unbestreitbar‘. In: „Die Zeit“ vom 28.11.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Der bundesdeutsche Entwicklungsminister Gerd Müller. Zit.n. Detlef Esslinger: Unsere Art zu leben. In: „SZ“ vom 16.01.2016, S. 4. Volkhard Knigge machte auf die Dimensionen aufmerksam: „So ließe sich beispielsweise fragen, warum die Gewaltgeschichten weiterer Diktaturen in Europa – man denke an Italien, Portugal, Spanien oder Griechenland – nicht transnational erinnert werden sollen. Gleiches gilt auch in Bezug auf die autoritären Regime der Zwischenkriegszeit in Ostmitteleuropa. Und warum sollte die Unterdrückung sozialer und politischer Emanzipationskämpfe nicht thematisiert werden oder die menschenverschlingenden Religionskriege europäisch-christlicher Provenienz oder die blutige Geschichte des europäischen Kolonialismus […].“ Knigge 2007, a.a.O., o.S.

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780. So konstatierten Hilger und Landwehr die Abwendung der Geschichtswissenschaft von der Ökonomie‚ aber auch die „‚Enthistorisierung der Ökonomie“: „Die aus dem angelsächsischen Raum stammende ‚new cultural history‘, die in den 1990er Jahren zu einem Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft avancierte, hat sich dementsprechend zahlreiche neuartige Themenfelder erschlossen, deren Bandbreite von der Diskurs-, Mentalitäts-, Erinnerungs-und Erfahrungsgeschichte bis zur Geschichte des Körpers, der Geschlechtergeschichte und der historischen Anthropologie reicht. Die zuvor vielfach vernachlässigten symbolischen und alltäglichen Dimensionen werden betont, während die wirtschaftlich-materiellen Grundlagen zunehmend ausgeblendet werden.“ Susanne Hilger, Achim Landwehr: Zur Einführung. Wirtschaft – Kultur – Geschichte: Stationen einer Annäherung. In: Susanne Hilger, Achim Landwehr (Hrsg.): Wirtschaft – Kultur – Geschichte. Positionen und Perspektiven. Steiner-Verlag, Stuttgart 2011, S. 7-26, hier: S. 8. 781. Michael Bock nennt als ‚Leistung zur Bewältigung der Vergangenheit‘ – neben der juristisch-personellen, der biographisch-existentiellen und theoretisch-geistigen Dimension – die politisch-institutionelle Dimension: „Verfassung: Setzung naturrechtlich begründeter Grenzen zur Verhinderung der Wiederkehr totalitärer Politik. Wirtschaftordnung: Wiederaufbau und soziale Marktwirtschaft. Abkehr von der organisierten Wirtschaft, der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft, der Wirtschaftpolitik der alliierten und der Planwirtschaft. Außenpolitik: Aussöhnung mit den europäischen Nachbarstaaten und den jüdischen Organisationen.“ Vgl. Bock, a.a.O., S. 531. 782. „After decades of ‚history from below‘‚ focusing on women, minorities and other marginalized people seizing their destiny, a new generation of scholars is increasingly turning to what, strangely, risked becoming the most marginalized group of all: the bosses, bankers and brokers who run the economy. [...] The dominant question in American politics today, scholars say, is the relationship between democracy and the capitalist economy. ‚And to understand capitalism‘, said Jonathan Levy, an assistant professor of history at Princeton University and the author of ‚Freaks of Fortune: The Emerging World of Capitalism and Risk in America‘‚ ‚you’ve got to understand capitalists.‘“ Jennifer Schuessler: In History Departments, It’s Up With Capitalism. In: „The New York Times“ vom 6.4.2013 (online). URL: Siehe Lit.Verz. 783. König 2003, a.a.O., S. 94. 784. Ebda., S. 160 f. 785. Ebda. 786. Snyder, a.a.O., o.S.

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787. „Die Wirtschaft schuf nicht nur die materielle Grundlage für die Entfaltung stabiler Formen der Demokratie im Inneren und für die internationale Resozialisierung der Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches. Sie wurde auch zum Vehikel der ‚nationalen‘ Identifikation der Westdeutschen oder wenigstens ihres staatlichen Selbstverständnisses.“ Abelshauser, a.a.O., S. 12. 788. „Dabei stand die Transitologie insofern in der Tradition der amerikanischen Demokratieforschung, als sie den normativ-programmatischen Anspruch vertrat, Umbruchprozesse nicht nur analysieren, sondern aktiv mitgestalten zu wollen. Aufgrund eines Demokratiekonzepts, das die strategische Rolle von Experten und staatlichen Eliten betonte, setzte die Transitologie besonders in ihrer Geburtsphase stark auf rechtliche Aufarbeitungsformen: Neben der Bestrafung justiziabler Handlungen umfasste dies auch all jene juristisch-administrativen Prozesse, die auf die Opferentschädigung und die Rückübertragung von ge raubtem Eigentum nach einem Systemwechsel zielten.“ Weinke, a.a.O., S. 313. 789. In der Geschichtswissenschaft gilt mittlerweile als unumstritten, „dass Medien in der Zeitgeschichte eine zentrale Rolle spielen“ und als „integraler Teil sozialer Wirklichkeiten“ betrachtet werden müssen. Vgl. Frank Bösch, Annette Vowinckel: Mediengeschichte. In: „Docupedia-Zeitgeschichte“. 29.10.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 790. So haben sich harte neoliberale Wirtschaftsregimes Hayekscher Ausprägung als mit allen politischen Systemen kompatibel gezeigt: mit Diktaturen oder autokratischen Systemen ebenso wie mit rechtsstaatlichen Verfassungsdemokratien; umgekehrt können sozialstaatliche Strukturen sowohl in autokratischen Systemen als auch in Verfassungsdemokratien ihren Platz finden. 791. König 2003, a.a.O., S. 119. 792. „Die Vorstellung eines ungebrochenen Siegeszugs der liberalen Demokratie, wie sie etwa der US-amerikanische Politologe Francis Fukuyama vertritt, stellt sich mit jedem weiteren Tag als Fehleinschätzung heraus. Autoritäre politische Systeme erfreuen sich im Moment größter Beliebtheit und auch die einst stabilen Vorkämpfer freiheitlicher Ordnungen wanken unter dem Druck autokratischer politischer Akteure. [...].So äußerten mehrere Diskutanten die Beobachtung, dass das normative Begriffspaar ‚Demokratie – Teilhabe‘ nicht absolut zu setzen sei. So gäbe es durchaus Diktaturen die großen Wert auf eine Integration der Bevölkerung legten und auf der anderen Seite Demokratien mit repressiven Elementen, beispielsweise dem Ausschluss von Minderheiten.“ Julian Sandhagen: Bericht über die Tagung „Diktaturen als Alternative Ordnungen“, veranstaltet von Jörg Baberowski und Michael Wildt. Institut für Geschichtswissenschaften, HumboldtUniversität, Berlin, 12.10.2017-13.10.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.

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793. „Diese Auflösung der klar definierten Grenze zwischen Demokratien und Diktaturen sowie die Ablehnung der normativen Betrachtungsebene sind Alleinstellungsmerkmale des neuen Forschungsverbunds.“ Ebda. 794. Etwa in der Frage der Rolle externer Staaten bei der Errichtung von Diktaturen: „Prinzipiell ist [...] Autokratieförderung durch autokratische wie demokratische Staaten möglich. In der Politikwissenschaft ist diese Erkenntnis [...] lange vernachlässigt worden […]. Selbst mit dem Aufkommen der liberalen Außenpolitikanalyse [...] blieb die Frage des externen Einflusses auf die politischen Regime von Entwicklungs- und Schwellenländern aufgrund eines Selektionseffekts zugunsten reicher OECD-Demokratien unterbeleuchtet.“ Antje Kästner: Autokratieförderung. In: Raj Kollmorgen, Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Wagener (Hrsg.): Handbuch Transformationsforschung. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2015, S. 493-498, hier: S. 493 f. 795. Vgl. Wolfgang Merkel: Systemtransformation: eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. Leske + Budrich, Opladen 1999, S. 76. Auch Merkel folgt übrigens bis heute einem normativen Konzept, indem er nach Ablösung des alten Regimes die Institutionalisierung und Konsolidierung der neuen Demokratie zur Bedingung eines Systemwechsel macht. Vgl. dazu Wolfgang Merkel, Lea Heyne: Transformationsphasen. In: Kollmorgen, Merkel, Wagener, a.a.O., S.733-740, hier: S. 733. 796. Zur Verdeutlichung dieser Ambivalenz kann als Analogie gelten, was Volkhard Knigge über das Erinnern als Teil der Vergangenheitsbewältigung schreibt: „[…] Erinnern und Erinnerungen sind weder a priori friedfertig noch moralisch. Sie sind sich darüber hinaus zunächst selbst genug und deshalb als solche nur schwer oder mit Macht – zu verallgemeinern. Sie zielen nicht automatisch auf historische Aufklärung, und auch die Addition von Erinnerungen bedeutet nicht zwangsläufig historisches Begreifen.“ Knigge 2010, a.a.O., o.S. 797. Alfred Grosser: Rede an der Friedrich-Schiller-Universität, gehalten am 18.5.1994 (Herv. i. Orig.). Zit.n. Baumgärtner, a.a.O., Anm. 15. 798. So wurden noch im 17. Jahrhundert Straftäter als Dämonen angesehen und teilweise als Werwölfe hingerichtet. Vgl. Wolfgang Schild: Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung. Callwey Verlag, München 1980, S. 65. 799. Analog etwa zur Verwendung des Begriffs Beschleunigung: Dieser bezeichnet lediglich die Änderung des Bewegungszustandes eines Körpers, bei der Trägheitskräfte auftreten. Ob ein Körper schneller wird (positive B.) oder langsamer (negative B.): Beschleuni-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung gung bleibt Beschleunigung, der Begriff umfasst alle auftretenden Fälle. Abelshauser, a.a.O., S. 34. „Folgt man den vielfältigen Begriffsdebatten in den unterschiedlichen Disziplinen, spannt sich der Forschungsgegenstand zwischen fünf Bestimmungsachsen auf. Die erste Achse polarisiert substanzielle bzw. systemsprengende Umwälzungen und akzidentielle,das jeweilige System eher reformierende Wandlungen. Die zweite unterscheidet Transformationen, die ein klares Subjekt und Objekt aufzeigen, von solchen, bei denen – hegelianisch gesprochen – das System das Subjekt ist: Eine Ganzheit transformiert sich selbst. Mit dieser Achse verwandt, aber nicht deckungsgleich, ist drittens die Dimension gesteuerte vs. ungesteuerte Transformation. Viertens werden revolutionäre, kurzfristige und radikale von evolutionären, über lange Zeiträume sich schrittweise vollziehenden Transformationen unterschieden. Schließlich spricht eine fünfte Achse den Gegensatz von innovativen gegenüber imitativen Transformationen an.“ Raj Kollmorgen, Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Wagener: Transformation und Transformationsforschung: Zur Einführung. In: Kollmorgen, Merkel, Wagener, a.a.O., S. 11-30, hier: S. 11. Ähnlich, wenn auch in anderer kategorialer Ordnung, bei Heinrich, Kohlstruck 2008. Vgl. König 2003, S. 13. Vgl. Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 24. April 2013. 1 BvR 1215/07 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Die Erfahrungen mit der politisch gelenkten Gestapo begründeten die Zurückhaltung, mit der Ende der 1940er Jahre die Aufstellung von Nachrichtendiensten in der entstehenden Bundesrepublik Deutschland diskutiert wurde. Es war den westlichen Alliierten klar, dass die künftige Bundesregierung eine „Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten“ einrichten würde. Allerdings hielten die Militärgouverneure in dem sogenannten ‚Polizeibrief‘ vom 14. April 1949 fest, dass ‚diese Stelle [...] keine Polizeibefugnisse‘ (z.B. vorläufige Festnahmen, Hausdurchsuchungen usw.) haben solle. Hier finden wir die historische Wurzel dessen, was bis heute als Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten bezeichnet wird.“ Jonas Grutzpalk, Tanja Zischke: Nachrichtendienste in Deutschland. In: „bpb“ vom 14.6.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. auch: Kai Biermann: Antiterrordatei verstößt gegen die Verfassung. In: „Die Zeit“ vom 24.4.2017 (online). URL: Siehe Lit.Verz. Heiko Biehl, Bastian Giegerich, Alexandra Jonas: Aussetzung der Wehrpflicht. Erfahrungen und Lehren westlicher Partnerstaaten. In: „bpb“ vom 24.11.2011 (online). URL: Siehe Lit.-Verz.

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807. Zeit online, dpa, AFP: Gauck distanziert sich von Merkels Haltung zu Israel. In: „Die Zeit“ vom 30.5.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 808. Vgl. Markus Kaim: Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson: Was bedeutet das konkret? In: „ApuZ“ 6/2015 (online), o.S.. URL: Siehe Lit.-Verz. 809. „Die Iraner sehen sich, das ist vor Jahrhunderten in ihre kollektive Psyche eingesickert, als ewiges Opfer fremder Mächte, die dem Land den Weg zu verdienter historischer Größe verstellen. Für die Perser ist ihre Nation Träger einer einzigartigen Kultur, Heimat großer Dichter, Hort des wahren Glaubens. Iraner – ob Mullahs, Politiker, Intellektuelle oder der Mann auf der Straße – erinnern stets an ihre vieltausendjährige Geschichte und Kultur.“ Tomas Avenarius: Irans Sehnsucht nach Größe. In: „SZ“ vom 11.3.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 810. „Die Verfolgung ist die Grunderfahrung des jüdischen Volkes – bis hin zum Holocaust, der als Kollektivtrauma vererbt wird an die nachfolgenden Generationen. Andere Nationen haben sich ihren Staat erkämpft, die Juden haben ihn sich erlitten. Israel ist 1948 aufgestiegen aus der Asche von Auschwitz, doch die Bedrohung hat es bis heute nicht überwunden angesichts des feindlichen Umfeldes, in dem der Staat bis heute lebt. Vom Buch Ester bis zum Holocaust reicht also das psychologische Arsenal, mit dem Benjamin Netanjahu heute Politik betreibt. In Washington versäumte der Premier wieder einmal keine Gelegenheit, Iran mit Nazi-Deutschland gleichzusetzen und die Atomanlagen mit den Vernichtungslagern.“ Peter Münch: Israels offene Wunde. In: „SZ“ vom 11.3.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 811. „Erstens beginnt die Geschichte der israelischen Staatsgründung – sowie der Konflikt mit den palästinensischen Arabern – im späten 19. Jahrhundert.Die große, konfliktverschärfende Masseneinwanderung der 1920er und frühen 1930er Jahre kam aus dem damals antisemitischen Polen, nicht aus Deutschland oder Österreich. Und ohne die Zustimmung der Sowjetunion wäre es nie zum völkerrechtlich bindenden UN-Teilungsbeschluss Palästinas gekommen. Das Motiv des Antisemiten Stalin, dem Teilungsplan zuzustimmen, war nicht die Sorge um das jüdische Volk, sondern das strategische Ziel, den britisch dominierten Nahen Osten durch einen sozialistischen Staat zu unterminieren.“ Micha Brumlick: Eine komplizierte Geschichte. In: „taz“ vom 2. 7. 2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 812. „Kann der Holocaust aber eine politische Handlungsanleitung für das heutige Europa sein? Im Januar 2000 sollte das im Stockholm International Forum on the Holocaust verankert werden, mit einer allzuständigen Gegenwartsbewältigung, die (einmal und bisher nie wieder) an Österreich erprobt wurde, als Wolfgang Schüssel eine Koalition mit der FPÖ, der Partei des notorischen NS-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung Verharmlosers Jörg Haider bildete. Daraus wurde 2007 operative Politik, indem die Leugnung des Holocaust in der gesamten Europäischen Union unter Strafe gestellt werden soll.“ Klaus Leggewie: Schlachtfeld Europa. Transnationale Erinnerung und europäische Identität. In: „eurozine“, publiziert am 4.2.3009 (online). (Erstveröffentlichung in: „Blätter für deutsche und internationale Politik“, Febr. 2009). URL: Siehe Lit.-Verz. „In einer Demokratie darf der Staat in der Geschichtsschreibung keine objektiven und absoluten Wahrheiten dekretieren und diese mithilfe des Strafrechts durchsetzen: Mit dieser Begründung stufte der Menschenrechtsgerichtshof am Dienstag die in der Schweiz erfolgte Verurteilung eines türkischen Politikers, der die These vom Völkermord an Armeniern im Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg bestritten hatte, als Verstoss gegen die in der Menschenrechtscharta des Europarats verankerte Meinungsfreiheit ein.“ Karl-Otto Sattler: Meinungsfreiheit geht vor. In: „NZZ“ vom 17.12.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Katrin Hammerstein, Julie Trappe: Einleitung. In: Katrin Hammerstein, Ulrich Mählert, Julie Trappe, Edgar Wolfrum (Hrsg.): Aufarbeitung der Diktatur – Diktat der Aufarbeitung? Normierungsprozesse beim Umgang mit diktatorischer Vergangenheit. Wallstein, Göttingen 2009, S. 9-18, hier: S. 12 ff. Vgl. Heinrich/Kohlstruck, a.a.O., S. 9. „Die Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst in Deutschland hat eine historische Grundlage im sogenannten Polizeibrief der Militärgouverneure der Westalliierten vom 8./14. April 1949: ‚Der Bundesregierung wird es gestattet, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichteten Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnis haben‘. Entscheidend war dieser letzte Satz: Es sollte kein neues Reichssicherheitshauptamt entstehen können […].“ Heribert Prantl: Es darf keine Bundesbehörde für innere Sicherheit geben. In: „SZ“ vom 24.4.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Jean Taulier, Niki Vogt: Schäuble: Einsatz der Bundeswehr im Inneren – ist Deutschland im Krieg? In: „SZ“ vom 17.1.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Siehe Anm. 533. Zit.n. Ulrich Baumgärtner. Reden nach Hitler. Theodor Heuss – die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. DVA, Stuttgart 2001, S. 10. „Aufarbeitung tendiert in ihrer Gegenwartsorientierung regelmäßig dazu, die für Historiker so entscheidende Grenze zwischen Deskription und Präskription, zwischen Geschichtswissenschaft und Geschichtspolitik ebenso einzureißen wie [...] die zwischen Recht und Politik.“ Martin Sabrow: „Vergangenheitsaufarbeitung“ als Epochenbegriff. In: „Merkur“ 67, 2013, S. 494-505,

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hier S. 499 f. Zit.n. Moritz Reininghaus: Rezension zu: Katrin Hammerstein: Gemeinsame Vergangenheit – getrennte Erinnerung?. Der Nationalsozialismus in Gedächtnisdiskursen und Identitätskonstruktionen von Bundesrepublik Deutschland, DDR und Österreich. Göttingen 2017. In: „H-Soz-Kult“. 02.03.2018 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. i. die Vorstellung desselben als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andre wechselt. (Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich das Dasein des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und bleibend ist, correspondirt in der Erscheinung das Unwandelbare im Dasein, d. i. die Substanz, und bloß an ihr kann die Folge und das Zugleichsein der Erscheinungen der Zeit nach bestimmt werden.)“ Immanuel Kant: 2. Aufl. 1737. Ausgabe AA III, S. 137. In: „Elektronische Edition der Gesammelten Werke“. Universität Duisburg 2007/08 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Im Zentrum des Interesses vergangenlıeitspolitischer Forschungen stehen justitielle, legislative und exekutive Entscheidungen, die in einem relativ engen zeitlichen Rahmen getroffen werden. Während Vergangenheitspolitik somit vornehmlich praktisch-politische Maßnahmen bezeichnet, dagegen öffentlich-symbolisches Handeln nachrangig behandelt wird, charakterisiert Geschichtspolitík gerade das umgekehrte Verhältnis. Das Erkenntnisinteresse von Forschungen zur Gesclıichtspolitik richtet sich auf die öffentlichen Konstruktionen von Gesclıichts- und ldentitätsbildern, die sich über Rituale oder Diskurse vollziehen – zudem völlig unabhängig von ihrer zeitlichen Nähe zum Gegenstand sind [...].“ Wolfrum 1999, a.a.O., S. 32. „Aufs Ganze gesehen sind es weniger professionelle Historiker als vielmehr Politiker und deren Parteiorganisationen – die die Welt deuten und Zukunftsvorslelltıngeıı formulieren –, von denen nachhaltige und breitenwirksame Impulse auf die Geschiclıtsbilcler in der Bevölkerung ausgehen. Privilegierter Zugang zu den Medien, Medienpräsenz und -wirkung, Redundanz und die zur Verfügung stehenden Informationsapparate sind dafür verantwortlich.“ Ebda., S. 28. „[…] Historiker [sind] so gut wie immer mit im Spiel, und zwar auf beiden Seiten: als Fordernde und Beratende wie als Protestierende […].“ Christof Dipper: Geschichtspolitik im europäischen Vergleich. Eine Bilanz. In: „Neue Politische Literatur“ 57 (2012), H. 1, S. 33-49, hier S. 36 f. Zit.n. Troebst, a.a.O., o.S. Vgl. Becker, a.a.O., S. 137. Stellvertretend für die umfangreiche Literatur zu dem gemeinten Problem ein pointierter Artikel von Winfried Schulz in der „Zeit“: „Die Verfügbarkeit geschichtswissenschaftlicher Tätigkeit

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829. 830. 831. 832.

Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung für die Legitimierung von Nationalsozialismus, Krieg und Eroberungen ‚bleibt ein Desaster in der deutschen Historiographiegeschichte‘. Mit diesem Satz endet die neue Untersuchung der Marburger Historikerin Karen Schönwälder über die deutsche Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus. Zu diesem Ergebnis aber kam in der Sache Karl Ferdinand Werner schon 1967 in einem bahnbrechenden kleinen Buch über das ‚NS-Geschichtsbild und die deutsche Geschichtswissenschaft‘, auch wenn sein hier von der Verfasserin benutztes Zitat erst viel später niedergeschrieben wurde.“ Winfried Schulz: Deprimierende Willfährigkeit. In: „Die Zeit“ vom 5.3.1993 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Vor dem Hintergrund der Erfahrung des Nationalsozialismus, aber auch der SED-Diktatur, tendiert die deutsche geschichtskulturelle Forschung, soweit sie sich überhaupt denı politischen Gebrauch von Geschichte zuwendet, dazu, lediglich auf den Komplex Geschichte als Propagandamittel abzuheben. Diese Studien, die unhestreitbar wichtige Forschungslücken schließen, sind bemüht, Geschichtswissenschaft als Magd der Diktatur zu überführen, ihre Anfälligkeit für Ideologeme herauszustellen und ihr Apologetik zu bescheinigen.“ Wolfrum 1999, a.a.O., S. 24. „Die professionelle Geschichtswissenschaft ist immer beides zugleich: Ganove und Gendarm. Sie ist, blickt man in der Geschichte zurück, oft daran beteiligt, die Vergangenheit im Dienste der jeweiligen Gegenwart (oder des jeweiligen politischen Systems) umzudeuten. Und ebenso oft ist sie eifrig damit beschäftigt, die Indienstnahme der Vergangenheit durch die Gegenwart herauszuarbeiten und zu kritisieren. Beides gleichzeitig ist möglich, weil auch die Wahrung professioneller Standards nicht verhindern kann, der Geschichte einen gewünschten Sinn zu unterlegen: Politisierte Geschichtsschreibung (mit einer starken Interpretation) ist eben nicht notwendigerweise schlechte (oder unwissenschaftliche) Geschichtsschreibung.“ Ute Daniel: Ganove und Gendarm zugleich. Veröffentlichung der Max-Weber-Stiftung vom 23.11.2012 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Becker, a.a.O., S. 114-125. „Ungeachtet der politischen Richtung war die Geschichte als Legitimationsquelle von Politik Mitte der 1980er Jahre unübersehbar ‚in‘, [...].“ Ebda., S. 121. Vgl. ebda., S. 122. „Die Geschichte […] verbietet uns, als Wissenschaftler ‚Geschichtspolitik’ zu treiben. Dieses unsägliche Schlagwort, das zunehmend Zustimmung findet, bezeugt nur, daß Geschichte als Ideologie betrieben wird, statt, was ihre Aufgabe als Geschichtswissenschaft wäre, immer ideologiekritisch zu verfahren. ‚Die Geschichte’ läßt sich nicht politisieren: Wer dies tun zu können glaubt, erliegt schon seiner eigenen Ideologie.“ Reinhart Koselleck: Der 8. Mai zwischen Erinnerung und Geschichte. In: Ders.:

Anmerkungen

833.

834.

835.

836. 837.

387

Vom Sinn und Unsinn der Geschichte. Aufsätze und Vorträge aus vier Jahrzehnten, hrsg. v. Carsten Dutt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2010, S. 254-265, hier S. 262. „Aber machen wir uns nichts vor: Geschiclıtspolitik ist keine postkommunistische Spezialität. Die Zeiten, in denen man sich damit wenigstens hierzulande zurückgehalten hat, sind schon seit Helmut Kohl vorbei, und seit den neunziger Jahren überbietet auch im Westen jede  neue Inszenierung eines europäischen Großdatums die vorangegangene; noch ist nicht ausgemacht, dass der 60. Jahrestag des Kriegsendes von 1945 in dieser Hinsicht bereits den Höhepunkt markierte. Als Historiker werden wir solche ‚Geschichtsereígnisse‘, die ja nicht selten als Ersatz dienen für eine in die Zukunft gerichtete Politik, nicht verhindern können. Aber über die Implikationen solcher lnstrumentalisierungen aufzuklären, das ist und bleibt die Aufgabe einer kritischen Geschichtswissensehaft.“ Norbert Frei, Rückruf der Erinnerung. Geschichtspolitik nach dem „Ende der Geschichte“. In: Ders. (Hrsg.): Was heißt und zu welchem Ende studiert man Geschichte des 20. Jahrhunderts? Wallstein Verlag, Göttingen 2007, S. 170175, hier S. 174 f. „Geschichtspolitik [...] sollte nicht unbesehen pejorativ aufgeladen werden. Sie ist per se nichts Negatives, im Gegenteil: Geschichtspolitik wird ja nicht nur vor dem Hintergrund legitimatorischer oder regressiver Absichten möglich. Sie dient genauso auch aufklärerischen und emanzipatorischen oder eben auch den jeweils angestrebten Mischungsverhältnissen.“ Cord Arendes, Edgar Wolfrum: Öffentliches Erinnern – Auftrag oder Instrument der Politik? In: Landesstiftung Baden-Württemberg (Hrsg.): Gedenkstättenkongress Karlsruhe 2005 – Dokumentation. Stuttgart 2006, S. 76-89, hier: S. 83. „Allerdings sind weder die […] postulierte Entideologisierung des ‚Geschichts-politik‘-Begriffs noch seine Zuordnung zu einer demokratischen politischen Kultur mittlerweile Gemeingut der gesamten deutschen Historikerzunft.“ Troebst, a.a.O., o.S. Vgl. Becker, a.a.O., S. 127. „Von einem Neologismus zu sprechen ist nur hinsichtlich des Substantivs zutreffend. Denn das Adjektiv ‚geschichtspolitisch‘ ist bedeutend älter. Es ist in der Publizistik des rechten politischen Randes im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts mehrfach zu belegen. In diesen Schriften hat der Ausdruck keine weiterreichende oder konzeptionelle Bedeutung, er steht schlicht für die politisch parteiliche Deutung von Geschichte.“ Harald Schmid: Vom publizistischen Kampfbegriff zum Forschungskonzept. Zur Historisierung der Kategorie „Geschichtspolitik“. In: Ders. (Hrsg.): Geschichtspolitik und kollektives Gedächtnis. Erinnerungskulturen in Theorie und Praxis. V&R unipress, Göttingen 2009, S. 53-75, hier: S. 65.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung

838. Uwe Backes: Geschichtspolitik als Kernelement der Herrschaftslegitimation autokratischer Systeme. In: „Totalitarismus und Demokratie – Zeitschrift für internationale Diktatur und Freiheitsforschung“, (2009), 2, S. 271-292, hier: S. 271. 839. Ähnlich etwa bei Wolfrum: „Geschichtspolitik ist ein Handlungsund Politikfeld, auf dem verschiedene Akteure Geschichte mit ihren spezifischen Interessen befrachten und politisch zu nutzen suchen. Sie zielt auf die Öffentlichkeit und trachtet nach legitimierenden, mobilisierenden, politisierenden, skandalisierenden, diffamierenden u. a. Wirkungen in der politischen Auseinandersetzung.“ Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1999, S. 25 f. Bei Harald Schmid heißt es: „Geschichtspolitik sollen jene Diskurse und Handlungen heißen, mit denen die Deutung von Geschichte als gegenwärtige öffentliche Repräsentation einer kollektiv relevanten Vergangenheit zu politischen Zwecken betrieben wird.“ Harald Schmid: Konstruktion, Bedeutung, Macht. Zum kulturwissenschaftlichen Profil einer Analyse von Geschichtspolitik. In: Heinrich, Kohlstruck 2008, a.a.O, S. 75-98, hier S. 78. 840. „Als nützliches Raster, um die auf horizontaler und vertikaler Ebene vielfach gebrochenen Dimensionen von Politik und damit auch Geschichtspolitik heuristisch zu trennen, erscheint mir das angelsächsische Modell der drei Ps, nämlich: Polity: die institutionelle Dimension, die Form, die Akteure; Politics: die prozessuale Dimension, der Prozess, das Gestalten; Policy: die inhaltliche Dimension, die Füllung, der Inhalt. Ausgehend von diesen drei Ps kann Politik bestimmt werden als die Gesamtheit der die öffentlichen Belange betreffenden institutionellen, prozessualen und inhaltlichen Dimensionen des, so Max Weber, ‚Strebens nach Macht oder nach Beeinflussung der Machtverhältnisse‘. Damit kommen alle Bestrebungen in den Blick, die sich auf eine Rege lung gesellschaftlicher Konflikte um begrenzte Güter richten. Man kann damit Geschichtspolitik bis auf die kleinsten Einheiten herunterdeklinieren und sollte eigentlich von Geschichtspolitiken sprechen oder von verschiedenen geschichtspoltischen Ausprägungen.“ Wolfrum 2010, a.a.O., S. 19 f. 841. „Wie wird in Diktaturen mit einer nicht freien, sondern gelenkten Gesichtswissenschaft, in der das Diktat des Konsenses vorherrscht, die Vergangenheit gebraucht, und welche Folgen hat dies mit Blick auf die dadurch ‚verformten Gedächtnisse‘? Die DDR war eine Doktringesellschaft, das heißt, Geschichtspolitik und Geschichtswissenschaft lassen sich schwer auseinander halten. Geschichtspolitik als ein öffentlicher Prozess, in dem konkurrierende Interessengruppen um Deutungshegemonie ringen, kannte die DDR nicht. Hier war normative Konformität vorgegeben.

Anmerkungen

842. 843. 844. 845. 846.

847.

848.

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Es fehlte ein politisch-weltanschaulicher Pluralismus, es gab keine eigenständigen intermediären Institutionen. Dafür gab es moderne Massenbeeinflussung, Propaganda und Repression. Ganz im Gegensatz zur alles kennzeichnenden Entwicklung der Moderne, die Wertsphären – und dazu zählt auch die Wissenschaft – ausdifferenzierte und institutionell verselbstständigte, kennzeichnete die DDR im Unterschied zur Bundesrepublik eine funktionale Entdifferenzierung.“ Edgar Wolfrum: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik als Forschungsfelder. In: Jan Scheunemann (Hrsg.): Erinnerungskultur und Geschichtspolitik im geteilten Deutschland. EVA, Leipzig 2010, S. 13-47, hier: S. 25 f. Vgl. Becker, a.a.O., S. 95. Vgl. Wolfrum 2010, a.a.O., S. 25. Klaus Schönhoven: Geschichtspolitik: Über den öffentlichen Umgang mit Geschichte und Erinnerung. Bonn 2003 (online), S. 20. URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. Wolfrum 2010, a.a.O., S. 20. „Zudem wird die ‚Eliminierung schadhafter, fehlerhafter Erinnerungscodes‘ angestrebt, die Bekämpfung von Vorurteilen über Polen und die polnische Geschichte im Zweiten Weltkrieg. In den Leitlinien werden neun historische Persönlichkeiten aufgeführt, an deren Verdienste besonders erinnert werden soll. Davon sind fünf Geistliche, etwa der in Auschwitz ermordete Priester Maksymilian Kolbe.“ Lukas Latz: Warschaus Welt. In: „SZ“ vom 8.12. 2016, S. 11. „Laut Monica Rüthers (Hamburg) sei in der wissenschaftlichen Debatte eine Dichotomie der Erinnerungsdiskurse zu beobachten: Das Erinnern an ‚böse Zeiten‘ gelte als ‚Erinnerung‘, das Erinnern an ‚gute Zeiten‘ würde zu ‚Nostalgie‘. Nostalgie fungiere im gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs als Marker von richtigem und falschem Erinnern. Denn ein totalitarismustheoretisches Paradigma verbiete positive Erinnerungen an den Nationalsozialismus und die Sowjetunion: Es dürfe keine guten Erinnerungen an das ‚Reich des Bösen‘ geben. Diese Binarität forderte Monica Rüthers mit ihrem geschickt kuratierten Tagungsprogramm heraus, indem sie den Fokus der dreitägigen Konferenz bewusst auf ‚gute Erinnerungen‘ an ‚böse Zeiten‘ legte.“ Stella Maria Frei: Gute Erinnerungen an böse Zeiten – Nostalgie in „posttotalitären“ Erinnerungsdiskursen nach 1945 und 1989, 18.04.2018 – 20.04.2018 München. In: „H-Soz-Kult“. 02.07.2018 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Entscheidend ist nicht die Frage nach dem wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt des vermittelten Geschichtsbildes, sondern die Frage, wie, durch wen, warum, mit welchen Mitteln, welcher Absicht und welcher Wirkung Erfahrungen mit der Vergangenheit thematisiert und politisch relevant werden.“ Wolfrum 1999, a.a.O., S. 26.

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung

849. „Reinhart Koselleck hat in seinem letzten Aufsatz ,Der 8. Mai zwischen Erinnerung und Geschichte‘ nachdrücklich unterstrichen, das Erinnerungen in unaustauschbaren Erfahrungen gründen, die sich weder übertragen noch kollektivieren lassen. Auch wenn Erinnerungen vermittelt, zum Lerngegenstand gemacht werden können, bleiben die ihnen zu Grunde liegenden individuellen Erfahrungen als solche uneinholbar. Vermittelte Erinnerungen werden nicht zu Erinnerungen, sondern sie sind und bleiben besondere historische Quellen, spezifischer historischer Stoff, mit dem sich auseinander zu setzen zur Ausbildung reflektierten Geschichtsbewusstsein beitragen kann. So gesehen können sich Erinnerungen durchaus fortzeugen, sie verändern dabei aber ihren Aggregatzustand und Charakter. Diese Veränderung ist ein Merkmal vernünftig verfasster, nicht herrschaftlich dominierter historischer Lernprozesse. Denn dass die Übernahme von Erinnerungen im Gegensatz dazu aufgezwungen werden oder als zwingend geboten einsuggeriert werden kann, lässt sich in der Geschichte vielfältig zeigen. Mittels Druck oder Suggestion tradierte Erinnerungen sind aber nichts anderes als erzwungene oder eingeflüsterte Identifikationen. Mit der Ausbildung reflektierten Geschichtsbewusstseins haben solche Transferierungen von Erinnerung deshalb nichts zu tun.“ Knigge 2007, a.a.O., o.S. 850. „Zudem gibt es, hier folge ich noch einmal Koselleck, ‚kein Subjekt, dass sich kollektiv zu erinnern fähig wäre. In Wirklichkeit handelt es sich um ein sprachlich generiertes Referenz-Subjekt – das Volk, die Klasse, der Staat, die Franzosen, die Polen und so weiter und so fort – und um kein gemeinschaftliches Handlungssubjekt, das sich seiner Taten und Leiden erinnern könnte. Die von Durkheim und Halbwachs und anderen Soziologen beschworenen Kollektiva mit gemeinsamer Erinnerung oder gemeinschaftlichem Gedächtnis sind sprachliche Konstrukte, quasi religiöse Ideologeme, die die unio mystica einer Glaubensgemeinschaft in nationale Referenz-Systeme überführen sollen.‘“ Ebda. 851. „Denn dass die Übernahme von Erinnerungen […] aufgezwungen werden oder als zwingend geboten einsuggeriert werden kann, lässt sich in der Geschichte vielfältig zeigen. Mittels Druck oder Suggestion tradierte Erinnerungen sind aber nichts anderes als erzwungene oder eingeflüsterte Identifikationen. Mit der Ausbildung reflektierten Geschichtsbewusstseins haben solche Transferierungen von Erinnerung deshalb nichts zu tun.“ Ebda. 852. „Bevor in den 90er Jahren die westdeutsche Mehrheitsgesellschaft nicht nur kollektivierend, sondern im Regelfall auch abwertend über Ostdeutsche gesprochen hat, haben sich viele Ostdeutsche gar nicht so sehr als Gemeinschaft gesehen. Sie sind gleichsam von außen, durch Dritte vereinheitlicht worden und dazu mussten sie sich verhalten. Teils haben sie diese Zuschreibung angenommen, teils haben sie sich aktiv gegen die Stigmatisierung als

Anmerkungen

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Looser und Zurückgebliebene gewehrt.“ Daniel Schulz im Interview mit dem Soziologen Raj Kollmorgen: Das begann erst nach der Wende. In: „taz“ vom 29.6.2018 (online). URL: Siehe Lit.Verz. 853. Etwa Becker: „Unterschiedliche politische Systeme betreiben unterschiedliche Geschichtspolitiken. Idealtypisch kann von einem grundlegenden Unterschied der Steuerung des Geschichtsbewusstseins, der geschichtskulturellen Praxis und dem strategischen Einsatz von Geschichtsbildern bzw. Erinnerungsorten in Demokratien und Diktaturen ausgegangen werden. Während Diktaturen dazu neigen, ein geschlossenes Geschichtsbewusstsein anzuerziehen, versuchen in Demokratien konkurrierende Akteure oder Akteurgruppen in begrenztem Umfang Einfluss auf das gesellschaftliche Geschichtsbewusstsein zu nehmen. Diktaturen reglementieren die öffentliche Geschichtskultur einheitlich und im Sinne einer von ihnen vorgegebenen verordneten Auffassung, in Demokratien werden auch Widersprüche und Brüche der gemeinsamen Vergangenheit staatlich gefördert. In Diktaturen werden bestimmte Geschichtsbilder und Erinnerungsorte stark verkürzend proklamiert und unliebsame Topoi bekämpft, Demokratien sind demgegenüber durch eine große Vielfalt von Geschichtsbildern und Erinnerungsorten geprägt.“ Becker, a.a.O., S. 94. 854. Hier lässt sich die Kritik von Salzborn am Extremismusbegriff Backes‘ und Jesses anwenden: „Entscheidend an dem von Backes, aber auch von Eckhard Jesse maßgeblich dominierten deutschsprachigen Extremismusdiskurs ist, dass Demokratie und Extremismus letztlich – und zwar sowohl im negativen wie im positiven Sinn – als ‚antithetisches Begriffspaar‘ (Backes/Jesse 1983: 4) verstanden werden und insofern in beiden Definitionsvarianten der Extremismusbegriff letztlich statisch auf ein bestimmtes Ideal von Demokratie und dabei konkretisiert auf den Rahmen des bundesdeutschen Verfassungsstaates fixiert wird, was letztlich für die Analyse von Extremismen einen relativ schmalen empirischen Interpretationsraum eröffnet.“ Samuel Salzborn: Extremismus und Geschichtspolitik. In: „Jahrbuch für Politik und Geschichte“ 2 (2011) (online), S. 13–25, hier: S. 15. URL: Siehe Lit.-Verz. 855. Etwa: „Von einem Aushandeln in diesem Sinne kann nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen.“ Urteil des Bundesgerichtshofes vom 22.11.2012, AZ VII ZR 222/12 (online), S. 8, Punkt II.,1,aa . URL: Siehe Lit.-Verz.

392

Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung

856. Vgl. dazu N.N.: Rangliste der Pressefreiheit. Webseite von „Reporter ohne Grenzen“. URL: Siehe Lit.-Verz. 857. „Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat ihre jährliche Rangliste der Pressefreiheit veröffentlicht: Im aktuellen Ranking landet Deutschland auf Platz 17 und rangiert damit hinter Tschechien, Irland, der Schweiz, Jamaika und Österreich . ‚Problematisch ist hier vor allem die abnehmende Vielfalt der Presse‘, teilte die Organisation mit. Aus Geldmangel arbeiteten immer weniger Zeitungen mit eigener Vollredaktion, mehrere Redaktionen seienkomplett geschlossen worden. Die Organisation berichtet auch, dass Unternehmen und PR-Agenturen stärker versuchten, auf die Berichterstattung Einfluss zu nehmen. Sie würden steigende Summen dafür ausgeben, um ihre Inhalte in den Medien unterzubringen. Positiv bewerten die Reporter ohne Grenzen ein neues Bundesgesetz aus dem Jahr 2012, das Journalisten stärker vor Durchsuchungen schützt.“ dpa: Deutschland bei Pressefreiheit hinter Tschechien und Jamaika. In: „Die Zeit“ vom 30.1.2013 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. 858. „Als hoch problematisch erscheinen erstens die direkten Verbindungen zur Wirtschaft, genauer die Beratertätigkeit von Chefredakteuren und Herausgebern für gewinnorientierte Konzerne: Josef Joffe (Zeit) als Beirat der HypoVereinsbank sowie Stefan Aust (Spiegel) und Helmit Markwort (Focus) als Beiräte der Deutschen Telekom AG. Zweitens muss die Einbindung von Journalisten in eine Organisation der Bundesregierung kritisch gesehen werden, namentlich Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ), Stefan Kornelius (SZ) und Peter Frey (ZDF) als Beiräte der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, eines Think Tanks im Geschäftsbereich des Bundesvereidigungsministeriums. Der Beirat berät laut AkademieSatzung das Kuratorium, das wiederum aus der Bundeskanzlerin sowie den Bundesministern der Verteidigung, des Inneren, des Auswärtigen, der Finanzen, der Justiz, für Wirtschaft und für Entwicklungshilfe besteht. Die drei Journalisten verpflichteten sich somit, jene Bundesregierung zu beraten, die sie doch eigentlich als Anwälte der Öffentlichkeit kritisieren und kontrollieren sollen.” Uwe Krüger: Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalismus – eine kritische Netzwerkanalayse. Halem-Verlag, Köln 2013, S. 148. 859. „Daher ist zu vermuten, dass die vier Journalisten Kornelius, Frankenberger, Stürmer und Joffe in dem in Kap. 6.1.1 beschriebenen Sandwich Nato /USA – Bundesregierung/Bundestag – deutsche Bevölkerung eine Position zwischen Nato/USA und Bundesregierung/Bundestag einnehmen. Die Argumente in ihrem journalistischen Output dürften eine größere Nähe zu denen der Nato und der US-Regierung haben als zu Positionen, die aus Bevölkerungsumfragen und kritischen Beiträgen zum erweiterten Sicherheitsbegriff und zu Bundeswehrauslandseinsätzen bekannt sind.

Anmerkungen

860.

861.

862.

863.

393

Wenn Kritik an der Bundesregierung oder der deutschen Politik geübt wird, dann aus der Perspektive von USA und Nato, nicht aus einer militärskeptischen Perspektive.“ Ebda, S. 165. „Aber schlimmer [...] sind die geistigen Zwangsjacken, die sich der Journalismus selber anzieht: Zu beklagen ist eine Tendenz zur Vermischung von Information und Unterhaltung. Zu beklagen ist die Vermischung von Journalismus und PR. Zu beklagen ist die Verquickung von Journalismus und Wirtschaft – die Tatsache also, dass sich immer mehr Journalisten zu Büchsenspannern und Handlangern von Wirtschaftslobbys machen lassen. Mittlerweile gibt es Medienpreise für ‚Kritischen Journalismus‘. Kritischer Journalismus – das sollte eigentlich eine Tautologie sein, ist es aber nicht.“ Heribert Prantl: Über den Hochverrat. In: „SZ“ vom 19.5.2010 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Vgl. hier insbes. die Webseite des Forschungsprojekts „Swiss Propaganda Research“, die wertvolle Anregungen für die Forschung bietet, darunter etwa den Artikel von N.N.: Trump, die Medien und die Geopolitik. URL: Siehe Lit.-Verz. „Regulierung von Inhalten im Internet ist längst Wirklichkeit, warnte der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, zum Auftakt des 12. Internet Governance Forum (IGF) in Genf. ‚Am besten kann man das derzeit in Europa beobachten‘, sagte Kaye. Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz gehört auch auf Kayes einschlägige Liste. Emma Llanso, Direktorin des Free Expression Project des Center for Democracy and Technology, nannte es angesichts der Entwicklungen besonders erschreckend, ‚mit welcher Selbstverständlichkeit wir inzwischen von ‚illegalen‘ Inhalten reden‘. CDT hat kürzlich in einer Studie die Effekte des Trends zur Automatisierung von Filterung und dem drohenden Overblocking untersucht. Die Organisation befürchtet, dass der Raum für provozierende, abweichende oder auch nur eine herrschende Mehrheit verwirrende Meinungen schrumpfen wird.“ Monika Ermert: Eine Zensur findet statt – Kritik an Europa. In: „heise online“ vom 19.12.2017. URL: Siehe Lit.-Verz. „[Die britische Tageszeitung ‚The Guardian‘] hat der Aufforderung zur Zerstörung von Festplatten Folge geleistet, um zu verhindern, dass das Material von Edward Snowden an den Geheimdienst geht oder ein Rechtsstreit künftige Berichte verhindert. Das hat die britische Zeitung in einer ausführlichen Erläuterung der ‚bizarren Aktion‘ dargelegt. Demnach habe der Druck von höchster Ebene immer mehr zugenommen, auch nachdem man von den Kopien des Materials in Brasilien und den USA erzählt habe. Eine Weitergabe der Daten hätte Snowden sicher nicht gutgeheißen und hätten eventuell sogar ihm oder den Reportern schaden können.“ Martin Holland: NSA-Affäre: Beim Guardian wurden nicht

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864.

865.

866. 867.

868. 869. 870. 871. 872.

Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung nur Festplatten zerstört. In: „heise-online“ vom 22.8.2013. URL: Siehe Lit.-Verz. 2016 wurden etwa in Großbritannien 3395 Personen wegen Internetbeiträgen festgenommen, die nach Sektion 127 des Kommunikationsgesetzes von 2003 einen „grob anstößigen oder unanständigen, obszönen oder bedrohlichen“ Charakter haben. Vgl. dazu: Charlie Parker: Police arresting nine people a day in fight against web trolls. In: „The Times“ vom 12.10.2017 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. „Die Kriminalisierung bestimmter Worte oder Reden kommt der Gedankenkontrolle so nahe, wie das in der Realität eben möglich ist: Ohne passende Worte fehlen uns die Mittel, unsere Umwelt auch nur gedanklich zu beschreiben, geschweige denn, uns über sie auszutauschen und zu neuen Gedanken anregen zu lassen. ‚Die Bedeutung der Redefreiheit‘, so der britische Wissenschaftsautor und Philosoph Kenan Malik, ‚liegt darin, dass sie die Voraussetzung bildet, jedwedes politische, soziale, moralische oder auch persönliche Problem zu durchdenken, den eigenen Horizont zu erweitern, die Standpunkte anderer zu verstehen und den eigenen Standpunkt zur Debatte zu stellen.‘ Die Durchsetzung der Redefreiheit als Grundrecht und Fundament einer demokratischen Öffentlichkeit war Ergebnis eines langwierigen sozialen Prozesses, an dessen Ende unsere heutigen Gesellschaften stehen, die das Wort eher in der Nähe des Gedankens sehen, als in der Nähe der Tat. Dieser Konsens fußt ausdrücklich nicht darauf, dass eine Rede als solche nie schädlich sein könne, sondern darauf, dass Redefreiheit Voraussetzung unseres Mensch-Seins ist. Der in der Debatte um Hassrede und Rassismus im Netz zum Ausdruck kommende Trend, Worte wieder stärker in die Nähe der Tat zu rücken, gräbt daher am Fundament der modernen Gesellschaft.“ Nils-Arne Münch: „Meine Feinde verteidigen“. In: „telepolis“ vom 24.6.2016 (online). URL: Siehe Lit.-Verz. Impertinent: nicht zur Sache gehörig. Wolfrums Akteursbegriff etwa ist ein explizit elitenzentrierter: „Politische Eliten versuchen Traditionen zu schöpfen, Erinnerungen zu gestalten und Identitäten zu konstruieren. Sie bedienen sich dabei […] verschiedener Erinnerungsstrategien, umstrittener Inszenierungen, integrierender und desintegrierender Rituale und polarisierender Diskurse, kurz sie betreiben Geschichtspolitik mit der Demokratie und prägen damit gleichermaßen nachhaltig die politische wie auch die Geschichtskultur.” Troebst, a.a.O., o.S. Za)-Zc): Siehe Backes. Zd): Siehe Wolfrum. Zd): Siehe Knigge. Zf)-Zl): Siehe Knigge. Zm): In Anlehnung an Knigges Formulierung vom Gegensteuern gegen ‚man made desasters‘.

Anmerkungen 873. 874. 875. 876.

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Ma): Siehe Backes. Mb): Siehe Wolfrum. Md): Siehe Salzborn. Die These ist eine Weiterführung des Gedankens von Salzborn: „[D]ie grundsätzlichen Funktionen von Geschichtspolitik sind unabhängig von der Verortung auf dem politischen Spektrum, ja auch unabhängig von der Frage, ob die geschichtspolitische Intention eine demokratische oder eine antidemokratische, respektive extremistische ist. Den ‚Heiligenschein der Legitimität‘ (Hobsbawm 1994), den die Vergangenheit verleiht, nutzen alle, die Historizität in irgendeiner Form politisch nutzbar zu machen versuchen.“ Salzborn, a.a.O., S. 1.

Quellen und Literatur Rechts-, Regierungs- und Organisationsdokumente, Beschlüsse, Resolutionen, Verträge Atlantik-Charta von 1941: URL: http://potsdamer-konferenz.de/dokumente/atlantik_charta.php Beschluss des Europaparlaments zum Gedenken an den Holocaust sowie zu Antisemitismus und Rassismus vom 27.5.2005. P-Nummer: P6_TA(2005)001. URL: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fTEXT%2bTA%2bP6-TA-20050018%2b0%2bDOC%2bXML%2bV0%2f%2fDE〈uage=DE Bundesgerichtshof: Urteil vom 22.11.2012, AZ VII ZR 222/12. URL: https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BGH&Datum=22.11.2012&Aktenzeichen=VII%20ZR%20222%2F12 Bundesverfassungsgericht (Pressestelle): Pressemitteilung Nr. 87/2010 vom 28. September 2010. URL: http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-087.html Bundesverfassungsgericht: Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 24. April 2013. 1 BvR 1215/07 (online). URL: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2013/04/ rs20130424_1bvr121507.html Charta der Vereinten Nationen. URL: http://www.staatsvertraege.de/ uno/satzung45-i.htm) und: Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945. URL: http://www.un.org/depts/german/un_charta/charta.pdf Declaration by the United Nations (Subscribing to the Principles of the Atlantic Charter, January 1,1942). URL: http://www.ibiblio.org/pha/policy/1942/420101a.html Defense Intelligence Agency: Russia. Military power. URL: http://www.dia.mil/Portals/27/Documents/News/Military%20Power%20Publications/Russia%20Military%20Power%20Report%202017.pdf Deutsche UNESCO-Kommission e.V. (Hrsg.): Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes. Beschluss der 32. UNESCO-Generalkonferenz vom 17.10.2003. URL: http://www.unesco.de/infothek/ publikationen/publikationsverzeichnis/uebereinkommen-immaterielleskulturerbe.html Dumbarton Oaks: Washington Conversations on International Peace and Security Organization. October 7, 1944. URL: http://www.ibiblio.org/pha/policy/1944/441007a.html Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages: Bericht zur „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ ge-

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Vergangenheit. Bewältigung. Vergangenheitsbewältigung.

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Quellen und Literatur

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Andreas Zielcke: Transatlantisches Freihandelsabkommen. TTIP: Sieg über das Gesetz. In: „SZ“ vom 3.5.2014. URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/transatlantisches-freihandelsabkommen-ttip-sieg-ueberdas-gesetz-1.1948221 Slavoj Žižek: Globales Schlamassel. In: „Die Zeit“ vom 23. 12. 2014. URL: http://www.zeit.de/2014/53/kapitalismus-krieg-fundamentalismusslavoj-zizek/komplettansicht Holger Zschäpitsch: Deutsche Unternehmen in ausländischer Hand. In: „welt“ vom 10.05.2013. URL: https://www.welt.de/finanzen/article116059598/Deutsche-Unternehmen-in-auslaendischer-Hand.html Andreas Zumach: Die WTO ist keine Lösung. In: „taz“ vom 16.8.2010. URL: http://www.taz.de/!5137279/

Geschichtswissenschaft Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hg.)

Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945 2015, 494 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-2366-6 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2366-0

Reinhard Bernbeck

Materielle Spuren des nationalsozialistischen Terrors Zu einer Archäologie der Zeitgeschichte 2017, 520 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3967-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3967-8

Debora Gerstenberger, Joël Glasman (Hg.)

Techniken der Globalisierung Globalgeschichte meets Akteur-Netzwerk-Theorie 2016, 296 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3021-3 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3021-7

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Geschichtswissenschaft Alban Frei, Hannes Mangold (Hg.)

Das Personal der Postmoderne Inventur einer Epoche 2015, 272 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3303-0 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3303-4

Manfred E.A. Schmutzer

Die Wiedergeburt der Wissenschaften im Islam Konsens und Widerspruch (idschma wa khilaf) 2015, 544 S., Hardcover 49,99 € (DE), 978-3-8376-3196-8 E-Book: 49,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3196-2

Pascal Eitler, Jens Elberfeld (Hg.)

Zeitgeschichte des Selbst Therapeutisierung – Politisierung – Emotionalisierung 2015, 394 S., kart. 34,99 € (DE), 978-3-8376-3084-8 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3084-2

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