Vergaberecht: Kommentar [4. neu bearbeitete Auflage] 9783504385576

GWB-Vergaberecht für alle Fälle: Im Beratungsmandat, z.B. bei Erstellung oder Vorabprüfung der Ausschreibungsunterlagen,

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German Pages 1692 [1696] Year 2017

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Vergaberecht: Kommentar [4. neu bearbeitete Auflage]
 9783504385576

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Reidt • Stickler • Glahs Vergaberecht

Vergaberecht Kommentar Herausgegeben von

RA Prof. Dr. Olaf Reidt, RA Dr. Thomas Stickler und RAin Dr. Heike Glahs Bearbeitet von

Johannes Bosselmann Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt), Berlin

Dr. Matthias Ganske Rechtsanwalt, Bonn

Dr. Heike Glahs Rechtsanwältin, Bonn

Dr. Andreas Hövelberndt Rechtsanwalt, Gelsenkirchen

Wiltrud Kadenbach Regierungsoberrätin, Leipzig

Julian Ley Rechtsanwalt, Bonn

Dr. Tobias Masing Rechtsanwalt, Berlin

Hans-Peter Müller Dipl. Verwaltungswirt, Bonn

Dr. Michael Rafii Rechtsanwalt, Bonn

Prof. Dr. Olaf Reidt Rechtsanwalt, Berlin

Dr. Thomas Stickler Rechtsanwalt, Leipzig 4., neu bearbeitete Auflage

2018

Zitierempfehlung: Bearbeiter in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 4. Aufl. 2018, § ... GWB

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Ko¨ln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-9 43 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-40074-3 ª 2018 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Ko¨ln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschu¨tzt. Jede Verwertung, die nicht ausdru¨cklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere fu¨r Vervielfa¨ltigungen, Bearbeitungen, ¨ bersetzungen, Mikroverfilmungen und die EinspeicheU rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und sa¨urefrei, alterungsbesta¨ndig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: Scha¨per, Bonn Druck und Verarbeitung: Ko¨sel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort „Das Vergaberecht befindet sich im Umbruch.“ Seit Inkrafttreten des 4. Teils des GWB durch das Vergaberechtsänderungsgesetz zum 1.1.1999 ist dieser Satz (leider) stets aktuell geblieben. In den Jahren seit 1999 wurden nicht nur die unionsrechtlichen Grundlagen des Vergaberechts zweimal tiefgreifend überarbeitet (Vergaberechtsreformen von 2004 und 2014). Vielmehr waren auch der 4. Teil des GWB selbst sowie die Vergabeordnungen, die die Vergabe öffentlicher Aufträge im Detail regeln, stetiger Gegenstand von größeren und kleineren Novellierungen. Der vorliegende Kommentar führt seit der 1. Auflage aus dem Jahr 2000 durch die sich ständig ändernden vergaberechtlichen Regelungen. Zahlreiche Vergabekammern und Gerichte verwenden ihn regelmäßig und zitieren die von den Autoren vertretenen Auffassungen. Die 3. Auflage datiert bereits aus dem Jahr 2011. Spätestens durch die am 18.4. 2016 in Kraft getretene Reform des gesamten deutschen Vergaberechts durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.2016 (BGBl. I, S. 203), mit der die Überarbeitung der Vergaberichtlinien der Europäischen Union aus dem Jahr 2014 in deutsches Recht umgesetzt wurde, ist eine Neuauflage des Kommentars unablässlich geworden. Die Herausgeber und Autoren halten dabei an dem bisherigen Konzept fest. Der Kommentar soll eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den vergaberechtlichen Vorschriften ermöglichen. Zugleich soll er einen verlässlichen Leitfaden für die vergaberechtliche Praxis darstellen. Rechtsprechung und Literatur zum Vergaberecht werden daher umfassend berücksichtigt. Wo die Autoren abweichende Meinungen vertreten, wird dies begründet, jedoch stets auch auf die „herrschende Auffassung“ hingewiesen, um den Rechtsanwendern ein vollständiges Bild über die Rechtslage zu geben. Der Umfang des 4. Teils des GWB wurde durch die Vergaberechtsreform im Jahr 2016 erheblich erweitert. Entsprechend musste der Kreis der Autoren verstärkt werden. Mit Wiltrud Kadenbach, Johannes Bosselmann, Dr. jur. Andreas Hövelberndt, Julian Ley, Dr. Tobias Masing, Hans-Peter Müller und Dr. Michael Rafii konnten erfahrene Praktiker gewonnen werden, die an den unterschiedlichsten Stellen in Vergabekammern, Unternehmen, Ministerien oder als Rechtsanwälte die Entwicklung des Vergaberechts begleiten. Die Herausgeber würden sich freuen, wenn die 4. Auflage des Werks – wie bereits die Vorauflagen – ihren festen Platz in Rechtsprechung und Praxis finden würde. Für Hinweise, Anregungen und Kritik sind wir jederzeit dankbar. Berlin, Leipzig, Bonn im September 2017 Olaf Reidt

Thomas Stickler

Heike Glahs V

Bearbeiterverzeichnis

Bosselmann Bosselmann/Ganske Ganske Glahs Hövelberndt Kadenbach Ley Masing Müller Rafii Reidt Reidt/Stickler Stickler

VI

§§ 100, 102, 136–142 GWB § 143 GWB §§ 103, 105, 107–109, 119, 132, 133 GWB Einleitung, §§ 113, 134, 135, 180–184 GWB §§ 114–118, 127–129 GWB §§ 110, 120–122 GWB §§ 123–126 GWB §§ 97–99 GWB §§ 104, 144–147, 150 GWB §§ 101, 111, 112, 130, 148, 149, 151–154 GWB Vorb. zu 97–154, Vorb. zu 155–184, §§ 155–170 GWB § 131 § 106, Vorb. zu 171–179, §§ 171–179 GWB

Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V XIII XIX

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) (Auszug)

Teil 4 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen Kapitel 1 Vergabeverfahren Abschnitt 1 Grundsätze, Definitionen und Anwendungsbereich Vorbemerkungen zu §§ 97–154 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 97 Grundsätze der Vergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 98 Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 99 Öffentliche Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 100 Sektorenauftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 101 Konzessionsgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 102 Sektorentätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 103 Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe § 104 Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge . . . § 105 Konzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 106 Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 107 Allgemeine Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 108 Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit . . . . . . § 109 Ausnahmen für Vergaben auf der Grundlage internationaler Verfahrensregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

__ __ __ __ __ __ _ _ 21 34 79 83 118 129 131 142 297 312 365 373 392 462

VII

Inhaltsverzeichnis Seite

§ 110 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, die verschiedene Leistungen zum Gegenstand haben . . . . . . . . . . . § 111 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, deren Teile unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen . . . § 112 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, die verschiedene Tätigkeiten umfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 113 Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 114 Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten . . .

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469 475 484 489 490

Abschnitt 2 Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber Unterabschnitt 1 Anwendungsbereich § 115 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 116 Besondere Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 117 Besondere Ausnahmen für Vergaben, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 118 Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge

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Unterabschnitt 2 Verfahrensarten und Auftragsausführung § 119 § 120 § 121 § 122 § 123 § 124 § 125 § 126 § 127 § 128 § 129

VIII

Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwingende Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fakultative Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstreinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftragsausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

499 500 531 547

559 605 621 645 673 717 790 837 854 927 946

Inhaltsverzeichnis Seite

§ 130 Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 131 Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 132 Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit . . . . . . . § 133 Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen § 134 Informations- und Wartepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 135 Unwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.... . . . . .

. . . . .

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950

. 963 . 984 . 1016 . 1032 . 1048

Abschnitt 3 Vergabe von öffentlichen Aufträgen in besonderen Bereichen und von Konzessionen Unterabschnitt 1 Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber § 136 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 137 Besondere Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 138 Besondere Ausnahmen für die Vergabe an verbundene Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 139 Besondere Ausnahme für die Vergabe durch oder an ein Gemeinschaftsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 140 Besondere Ausnahme für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 141 Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 142 Sonstige Anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 143 Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz . . . . . . .

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1063 1064 1068 1072 1073 1076 1077 1080

Unterabschnitt 2 Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen § 144 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 145 Besondere Ausnahmen für die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen . . . . . . . . . . . . . § 146 Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 147 Sonstige anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 1088 . 1091 . 1101 . 1105 IX

Inhaltsverzeichnis

Unterabschnitt 3 Vergabe von Konzessionen

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Seite

§ 148 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 149 Besondere Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 150 Besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . § 151 Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 152 Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren . . . . . . . . . . § 153 Vergabe von Konzessionen über soziale und andere besondere Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 154 Sonstige anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . 1111 . . 1112 . . 1123 . . 1130 . . 1137 . . 1151 . . 1153

Kapitel 2 Nachprüfungsverfahren Abschnitt 1 Nachprüfungsverfahren Vorbemerkungen zu §§ 155–184 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 155 Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 156 Vergabekammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 157 Besetzung, Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 158 Einrichtung, Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 159 Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern

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Abschnitt 2 Verfahren von der Vergabekammer § 160 § 161 § 162 § 163 § 164 § 165 § 166 § 167 X

Einleitung, Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . Form, Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensbeteiligte, Beiladung . . . . . . . Untersuchungsgrundsatz . . . . . . . . . . . Aufbewahrung vertraulicher Unterlagen Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Verhandlung . . . . . . . . . . . Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . .

1159 1164 1173 1179 1189 1196

1207 1252 1267 1277 1297 1301 1321 1329

Inhaltsverzeichnis

__ _

Seite

§ 168 Entscheidung der Vergabekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1341 § 169 Aussetzung des Vergabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1377 § 170 Ausschluss von abweichendem Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1418 Abschnitt 3 Sofortige Beschwerde Vorbemerkung zu §§ 171–179 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 171 Zulässigkeit, Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 172 Frist, Form, Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 173 Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 174 Beteiligte am Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 175 Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 176 Vorabentscheidung über den Zuschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 177 Ende des Vergabeverfahrens nach Entscheidung des Beschwerdegerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 178 Beschwerdeentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 179 Bindungswirkung und Vorlagepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 180 Schadensersatz bei Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 181 Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens . . . . . . . . . . . . . . . § 182 Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer . . . . . . . . . . . . . § 183 Korrekturmechanismus der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 184 Unterrichtungspflichten der Nachprüfungsinstanzen . . . . . . . . .

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1421 1423 1440 1455 1474 1475 1481 1498 1505 1515 1527 1532 1554 1569 1570

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1571 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1579

XI

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. Abs. Abschn. AEG AEUV a.F. AG AGVwGO AktG Alt. Anm. Art. Aufl. Az.

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Abschnitt Allgemeines Eisenbahngesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung Aktiengesetz Alternative Anmerkung Artikel Auflage Aktenzeichen

BAG BAnz. BauR Bay, bay BayObLG BayVBl. BB BBG Bd. BFH BGB BGBl. BGH BGHZ BHO BImSchG BKartA BKR BRAO BR-Drucks. BSG BSGE BT-Drucks. BVerfG

Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Baurecht (Zeitschrift) Bayern, bayerisch Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz Band Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundeskartellamt Baukoordinierungsrichtlinie Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht XIII

Abkürzungsverzeichnis

BVerfGE BVerwG BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

DB d.h. DLR DÖV DRiG DStR DVBl.

Der Betrieb (Zeitschrift) das heißt Dienstleistungsrichtlinie Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Richtergesetz Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

ECLI

European Case Law Identifier (Europäischer Urteilsidentifikator) Europäische Gemeinschaften Euröpäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Einleitung Energiewirschaftsgesetz Einkommensteuergesetz Europäische Union Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof Kommission der Europäischen Union Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum

EG EGKS Einl. EnWG EStG EU EuG EuGH EU/KOM EuRAG EuZW EWG EWIV EWR f., ff. FamFG FS

folgende, fortfolgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Festschrift

GemHVO GewArch GG ggf. GKG GmbH GmS-OGB GOBKartA

Gemeindehaushaltsverordnung Gewerbearchiv (Zeitschrift) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Geschäftsordnung des Bundeskartellamts

XIV

Abkürzungsverzeichnis

GPA GVG GWB

Government Procurement Agreement Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Halbs. HGB HGrG Hrsg.

Halbsatz Handelsgesetzbuch Haushaltsgrundsätzegesetz Herausgeber

IBR insb. i.V.m.

Immobilien und Baurecht (Zeitschrift) insbesondere in Verbindung mit

JZ

Juristenzeitung (Zeitschrift)

KG KonzVgV KV

Kammergericht, Kommanditgesellschaft Konzessionsvergabeverordnung Kostenverzeichnis

LHO lit. LKR LKV LSA

Landeshaushaltsordnung litera (Buchstabe) Lieferkoordinierungsrichtlinie Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Land Sachsen-Anhalt

MDR m.w.N.

Monatsschrift für deutsches Recht (Zeitschrift) mit weiteren Nachweisen

NJW NJW-RR NordÖR Nr. NVwZ NVwZ-RR NW NZA NZBau

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-Rechtsprechungs-Report-Zivilrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungs-Report-Verwaltungsrecht (Zeitschrift) Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht

o.a. OHG OLG OVG

oben angeführt Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht

XV

Abkürzungsverzeichnis

PartGG RiNATO RL Rn. Rs. RVG

Partnerschaftsgesellschaftsgesetz NATO-Vergaberichtlinien Richtlinie Randnummer Rechtssache Rechtsanwaltsvergütungsgesetz

s. SächsGemO SektVO SKR Slg. sog. SZR

siehe Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen Sektorenverordnung Sektorenkoordinierungsrichtlinie Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sogenannt Sonderziehungsrecht

Tz.

Textziffer

u.a. UA UIG usw. UVgO

und andere Unterabsatz Umweltinformationsgesetz und so weiter Unterschwellenvergabeordnung

v. VergabeR VergRL VermG

von, vom Vergaberecht (Zeitschrift) Vergaberichtlinien Vermögensgesetz/ Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergaberechtsänderungsgesetz Vergabeverordnung Vergabekammer Vergabekoordinierungsrichtlinie Verordnung Verordnung der Europäischen Gemeinschaften Verordnung der Europäischen Union Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen

VerwArch. VGH vgl. VgRÄG VgV VK VKR VO VO [EG] VO [EU] VOB VOB/A VOB/B VOF XVI

Abkürzungsverzeichnis

VOL VOL/A VOL/B Vorb. VSVgV VÜA VwGO VwKostG VwVfG

Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen Vorbemerkung Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit Vergabeüberwachungsausschuss Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungskostengesetz Verwaltungsverfahrensgesetz

WRV WuW WuW/E

Weimarer Reichsverfassung Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) WuW Entscheidungssammlung zum Kartellrecht

z.B. ZfBR

zum Beispiel Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zivilprozessordnung Zeitschrift für deutsches und internationales Vergaberecht

ZHR ZIP ZPO ZVgR

XVII

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Einleitung I. Die historische Entwicklung des Vergaberechts 1. Von den Anfängen bis zum Erlass der ersten EG-Richtlinie . 2. Von der ersten EG-Richtlinie bis zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 . . . . . . . . 3. Von dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 zur Vergaberechtsnovelle 2016 . . . . II. Überblick über das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Überblick über das Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . 2. Verweis auf VOB/A, VOL/A und UVgO . . . . . . . . . . . . . . . 3. Adressaten des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte . . IV. Rechtsschutz bei Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektives Recht? . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten im Verfahren vor den Zivilgerichten . . . . . . . .

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I. Die historische Entwicklung des Vergaberechts 1. Von den Anfängen bis zum Erlass der ersten EG-Richtlinie Eine Ausschreibung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, die die öf- 1 fentliche Hand erteilt, war in Deutschland bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts bekannt und allgemeine Übung. Nachdem zunächst das Ausschreibungsverfahren sowie die Angebotsabgabe öffentlich – ähnlich einer Versteigerung – erfolgte, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts die Auftragsvergabe durch Submission, d.h. im schriftlichen Verfahren eingeführt1. Die Submission, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts galt, entsprach in Grundzügen dem heute noch geltenden Verfahren2. Anfang des 20. Jahrhunderts bestanden Bestrebungen, das bis dahin in Länderverordnungen festgelegte Verdingungswesen reichseinheitlich zu regeln. 1921 wurde im Reichstag ein Antrag auf Einbringung eines Reichsverdingungsgesetzes gestellt3. Bei den Beratungen kamen die Abgeordneten jedoch zu der Überzeugung, dass die Vergabe von Bauaufträgen durch die öffentliche Hand nicht Teil der staatlich-hoheitlichen Tätigkeit sei, sondern dass der Staat in diesem Bereich ebenso wie eine Privatperson zu behandeln sei. Damit war der Weg, das Vergabe-

1 Lampe-Helbig/Jagenburg/Baldringer/Jagenburg-Wirth, Handbuch der Bauvergabe, 3. Auflage 2014, Seite 5; vgl. allgemein: Schubert in FS Korbion, 1986, S. 389; von Jagenburg, 100 Jahre „Kölner VOB“, BauR 1989, 17. 2 Lampe-Helbig/Jagenburg/Baldringer/Jagenburg-Wirth, Handbuch der Bauvergabe, 3. Auflage 2014, Seite 5. 3 Leupertz/von Wietersheim in Ingenstau/Korbion, VOB, Einl. Rz. 7.

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Einl. | Einleitung recht als reines Innenrecht auszugestalten, geebnet.1 Die Reichsregierung wurde ersucht, einen Ausschuss zu bilden, der für die Vergabe von Leistungen und Lieferungen einheitliche Grundsätze für das Reich und die Länder schaffen sollte. Diesem Ausschuss sollten sachverständige Vertreter der beteiligten Ressorts und Vertreter der zuständigen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen angehören. Daraufhin wurde der Reichsverdingungsausschuss gegründet. 2 Dessen Arbeit wurde im Jahre 1947 vom deutschen Verdingungsausschuss für Bauleistungen übernommen2. Dieser Ausschuss heißt heute Deutscher Vergabeund Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) bzw. Deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss für Lieferungen und Leistungen. Ihre Zusammensetzung ist paritätisch unter Beteiligung von öffentlichen Auftraggebern einerseits und Spitzenorganisationen der Wirtschaft und der Technik andererseits. Den Ausschüssen gehören Ressorts des Bundes und der Länder, sonstige Spitzenbehörden, die kommunalen Spitzenverbände und die Spitzenorganisation der Wirtschaft und der Technik an. Die Ausschüsse haben die Aufgabe, Grundsätze für die sachgerechte Vergabe und Abwicklung von Bauaufträgen bzw. Liefer- und Dienstleistungsaufträgen zu erarbeiten und weiterzuentwickeln. Der Deutsche Vergabeund Vertragsausschuss für Bauleistungen verfasst die VOB/A und VOB/B. Der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Lieferungen und Leistungen verfasste die VOL/A und VOL/B.3 Heute werden die Vergabeverordnung oberhalb der EU-Schwellenwerte (VgV), aber auch die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) nicht mehr durch diesen Ausschuss, sondern die Bundesregierung erarbeitet, wobei dies bei der UVgO in Abstimmung mit den Ländern geschieht.4 3 Folge der Einschätzung, es handele sich um Privatrecht, war, dass der Staat einerseits keine Möglichkeit mehr hatte, hoheitlich zu handeln, und dass auf der anderen Seite den Bürgern das ihnen gegen hoheitliches Handeln zustehende Einspruchs- und Klagerecht nicht zur Verfügung stand5. Die von dem Verdingungsausschuss erlassenen Verdingungsordnungen hatten keinen Rechtsnormcharakter. Sie waren reines Innenrecht und dienten dem Grundsatz sparsamer Haushaltsführung durch den öffentlichen Auftraggeber, der in § 55 BHO, § 55 LHO NW und § 25 GemHVO NW sowie den entsprechenden Landesgesetzen ausdrücklich angesprochen wird, nicht aber dem Schutz einzelner Bieter6. Um den Verdingungsordnungen widersprechende Handlungen zu unterbinden, 1 Lampe-Helbig/Jagenburg/Baldringer/Jagenburg-Wirth, Handbuch der Bauvergabe, 3. Auflage 2014, Seite 5. 2 Leupertz/von Wietersheim in Ingenstau/Korbion, VOB, Einl. Rz. 7. 3 Vgl. Arbeits- und Organisationsschema des DVAL, verabschiedet von der Hauptversammlung des DVAL am 16.9.2009. 4 Vgl. zur VgV § 113 GWB, vgl. zur UVgO BAnz AT 7.2.2017 B 1, ber. Nr. 170208, Seite 1. 5 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (794); BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (392); Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (101). 6 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (794); BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (392); Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (101).

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Einleitung | Einl.

blieb zunächst nur der Weg über die Fach- und Rechtsaufsicht oder die Dienstaufsichtsbeschwerde. 2. Von der ersten EG-Richtlinie bis zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 In der Praxis zeigte sich mehr und mehr, dass diese Lösung unbefriedigend war. 4 Es wurde einerseits von den nationalen Gerichten nach Lösungen gesucht, um Betroffenen Rechtsschutz zu gewähren, sei es über den Weg des Kartellrechts, sei es über Art. 3 GG. Hinzu kam, dass EG-rechtliche Vorgaben die Bundesrepublik zwangen, Rechtsschutzmöglichkeiten und Ähnliches einzuführen. Ausgangspunkt für das heutige Vergaberecht ist das Europarecht, und zwar einerseits die Bestimmungen des EG-Vertrages bzw. heute des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und des Vertrages über die Europäische Union und andererseits die Vorschriften der Richtlinien über die Koordinierung der Vergabe öffentlicher Aufträge. Für das öffentliche Auftragswesen sind die primär-rechtlichen Vorschriften über 5 die Markt- oder Grundfreiheiten, insbesondere den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, sowie das Diskriminierungsverbot besonders bedeutsam. Diese Grundsätze sind heute in Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vom 1.12.2009 (Diskriminierungsverbot, ex. Art. 12 EGV) und in Art. 28 (freier Warenverkehr, ex. Art. 28 EGV) und Art. 45 ff. AEUV (freier Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, ex. Art. 39 und 43 EGV) niedergelegt. Die Grundfreiheiten gelten oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte. Sie ha- 6 ben aber heute für Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte die größere Bedeutung. Denn nach Ansicht des EuGH liegt ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten vor, wenn ein Auftrag unterhalb der Schwellenwerte, jedoch mit grenzüberschreitender Bedeutung ohne Bekanntmachung der geplanten Auftragsvergabe und ohne Wettbewerbsverfahren im weiteren Sinne vergeben wird1. Der EuGH hat keine Einzelheiten dazu festgelegt, wie ein transparentes Bewerbungsverfahren durchgeführt werden kann oder muss. Hierzu liegt inzwischen die Mitteilung der EU-Kommission zur Auslegung von Fragen im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge, die nicht unter die Vergaberichtlinien fallen, vom 1.8.2006 vor2. Die Mitteilung ist nicht verbindlich. Mit der Mitteilung will die Europäische Kommission die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der Grundfreiheiten auf Verträge außerhalb des Anwendungsbereichs der Vergaberichtlinien in konkrete Leitlinien für die Aus1 EuGH v. 21.7.2005 – Rs. 231/03, NZBau 2005, 592; EuGH v. 13.10.2005 – Rs. 458/03, NZBau 2005, 644. 2 ABl. EU 2006/C179/2 v. 1.8.2006.

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Einl. | Einleitung gestaltung von Bekanntmachungen, Verfahren, Rechtsschutz etc. umsetzen. Die Mitteilung der Kommission befasst sich mit der Verpflichtung zur Veröffentlichung der geplanten Vergabe, mit der Beachtung der Prinzipien der Nichtdiskriminierung sowie der Transparenz beim Ablauf eines Vergabeverfahrens und mit den Vorgaben zum Rechtsschutz unterhalb der EU-Schwellenwerte. Die Bundesrepublik hat gegen die Mitteilung der EU-Kommission eine Nichtigkeitsklage vor dem EuG mit der Begründung erhoben, die Kommission greife durch die Mitteilung in unzulässiger Weise in die Rechte der Mitgliedsstaaten ein. Das EuG hat die Klage der Bundesrepublik durch Urteil vom 20.5.2010 mit sehr ausführlicher Begründung als unzulässig abgewiesen1. Im Ausgangspunkt stellt das Gericht fest, es sei zu prüfen, ob die Mitteilung der Kommission nur die Bestimmungen über den freien Warenverkehr, die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr, das Diskriminierungsverbot, die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit sowie die Regeln der Transparenz und der gegenseitigen Anerkennung erläuterte oder ob sie gegenüber diesen Bestimmungen, Grundsätzen und Regeln spezifische oder neue Verpflichtungen festlegte. Diesem Ausgangspunkt folgend wird in dem Urteil der Inhalt der Mitteilung der Kommission im Einzelnen daraufhin überprüft, ob sie eine zutreffende Erläuterung der Grundfreiheiten beinhalte. Dies bejaht das Gericht. Die Mitteilung enthalte keine Regeln für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die über die Verpflichtungen hinausgehen, die sich aus dem bestehenden Gemeinschaftsrecht ergeben. Damit steht nunmehr fest, dass auch bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen oder Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte, soweit sie Binnenmarktrelevanz haben, eine vorherige europaweite Bekanntmachung erfolgen muss. Auch im Übrigen muss das Verfahren und die Entscheidung, wem der Zuschlag erteilt wird, eine nicht diskriminierende und transparente Entscheidung sein. Keine Aussage enthält das Urteil zu der Frage, ob es unterhalb der Schwellenwerte einen angemessenen Primärrechtsschutz geben muss. 7 Allerdings gingen die Verantwortlichen auf EU-Ebene schon früh davon aus,

dass die Markt- oder Grundfreiheiten für sich genommen nicht ausreichen, um das Vergaberecht hinreichend zu regeln. Die EU-Kommission hat deshalb erstmals 1971 eine Richtlinie zur Koordinierung der Vergabe öffentlicher Bauaufträge verabschiedet. Ab 1990 hat die Rechtssetzungstätigkeit der Europäischen Kommission mit dem Erlass einer Vielzahl von Richtlinien erheblich zugenommen. Zu nennen sind u.a.: die Dienstleistungsrichtlinie (92/50/EWG), die Baukoordinierungsrichtlinie (93/37/EWG), die Lieferkoordinierungsrichtlinie (93/ 36/EWG); die Sektorenrichtlinie (93/38/EWG), die Rechtsmittelrichtlinie (89/ 665/EWG) und die Rechtsmittelrichtlinie betreffend die Sektoren (92/13/EWG). Diese Richtlinien wurden später ersetzt durch die Vergabekoordinierungsrichtlinie vom 31.3.2004 (2004/18/EG) und die Sektorenvergabekoordinierungsrichtlinie vom 31.3.2004 (2004/17/EG). Diese Richtlinien führen erstmals die Bestim-

1 EuGH v. 20.5.2010 – Rs. T-258/06, zitiert nach veris.

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Einleitung | Einl.

mungen über Bauaufträge einerseits und Liefer- und Dienstleistungsaufträge andererseits in einer Richtlinie zusammen. Daneben gilt die Rechtsmittelrichtlinie vom 14.11.2007 (2007/66/EG). Die EU-Richtlinien sind grundsätzlich kein unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedsstaaten, sondern müssen von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. In Deutschland erfolgt die Umsetzung über die §§ 97 ff. GWB, die Vergabeverordnung, die Sektorenverordnung sowie die VOB/A, die VOL/A und die VOF1. So werden durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 20092, und zwar durch die Änderung der §§ 97 ff. GWB sowie der Vergabeverordnung, die Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Durch die EU-Richtlinien ist eine Zweiteilung des Deutschen Vergaberechts 8 entstanden, weil die vorgenannten Richtlinien allesamt nur bei Auftragsvergaben oberhalb bestimmter geschätzter Auftragswerte (Schwellenwerte) anwendbar sind. Das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte ist geprägt durch die Richtlinien der EU, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen und umgesetzt worden sind. Das Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte ist dagegen durch das nationale Recht, das weiterhin überwiegend haushaltsrechtlich bestimmt ist, geprägt und – sofern eine Binnenmarktrelevanz zu bejahen ist – durch die Grundfreiheiten des EG-Vertrages. 3. Von dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 zur Vergaberechtsnovelle 2016 Das Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte ist auch heute noch durch das 9 nationale Recht geprägt und – sofern eine Binnenmarktrelevanz zu bejahen ist – durch die Grundfreiheiten des AEUV. Oberhalb der EU-Schwellenwerte ist beginnend mit den Richtlinien 2014/24/ 10 EU, 2014/23/EU und 2014/25/EU eine umfassende Novelle des Vergaberechts eingeleitet worden. Die Richtlinie 2014/24/EU vom 26.2.2014 ist die klassische Vergaberichtlinie und gilt für öffentliche Aufträge und Rahmenvereinbarungen für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge, einschließlich freiberuflicher Leistungen. Die Richtlinie 2014/25/EU gilt für öffentliche Aufträge und Rahmenvereinbarungen im im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, den sog. Sektoren. Die Richtlinie 2014/23/EU regelt nun erstmals das einzuhaltende Vergabeverfahren bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen und gilt sowohl für Bau- als auch für Dienstleistungskonzessionen. Die drei Richtlinien wurden am 28.3.2014 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und traten zum 17.4.2014 in Kraft3. Die Frist zur Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht endet 24 Monate später, d.h. am 17.4.2016. 1 Siehe nachfolgend bei Rz. 9 ff. 2 BGBl. I 2009, 790 ff. 3 L 094 des Amtsblatts der EU.

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Einl. | Einleitung 11 Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie in einer umfassenden Vergabe-

rechtsnovelle in deutsches Recht umgesetzt. Die Vergaberechtsnovelle ist am 18.4.2016 in Kraft getreten. Die Richtlinien sind durch Änderung der §§ 97 ff. GWB1 und durch Änderung bzw. Erlass der folgenden Verordnungen umgesetzt worden: Vergabeverordnung (VgV), Sektorenverordnung (SektVO), Verordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG (VSVgV) und der Verordnung über die Vergabe von Konzessionen (KonzVgV) in deutsches Recht umgesetzt worden.2 Zu den wesentlichen Änderungen im Aufbau der vergaberechtlichen Bestimmungen gehört, dass das Kaskadensystem – jedenfalls im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen – verändert worden ist. Die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen, einschließlich freiberuflicher Leistungen und sog. nicht-prioritärer Leistungen, ist nunmehr insgesamt in den §§ 97 ff. GWB und der VgV geregelt. Die VOF und die VOL/A Abschnitt 2 wurden abgeschafft. Im Baubereich ist die dreistufige Kaskade dagegen noch erhalten. Bauvergaben richten sich nach den §§ 97 ff. GWB, VGV und VOB/A Abschnitt 2 und Abschnitt 3. Zu den wesentlichen Änderungen im materiellen Bereich gehört, dass nun erstmals auch Regeln zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen eingeführt worden sind.

II. Überblick über das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte 12 Das GWB regelt in §§ 155 bis 184 (Kapitel 2) unverändert den Rechtsschutz der

Bieter durch Nachprüfungsverfahren, einschließlich des Beschwerdeverfahrens und der Vorschriften zum Schadensersatz. Das Rechtsschutzsystem ist weitgehend unverändert geblieben.3

13 Anders als bis zum 17.4.2016 regelt das GWB nunmehr in weiterem Umfang

auch Fragen des materiellen Vergaberechts. Der erste Abschnitt in Kapitel 1 (§§ 97 bis 114 GWB) regelt den Anwendungsbereich des Gesetzes, die allgemeinen Grundsätze und Ziele des Vergaberechts. Von Bedeutung ist insbesondere § 97 Abs. 6 GWB. Dieser stellt klar, dass Unternehmen einen Anspruch auf Einhaltung der vergaberechtlichen Bestimmungen haben, und begründet damit ein subjektives Recht auf Einhaltung der Bestimmungen. Der zweite Abschnitt in Kapitel 1 (§§ 115 bis 135 GWB) gilt bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, für die keine Sonderregeln (Vergabe im Sektorenbereich, Vergaben im verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Bereich) bestehen, und enthält Regeln zu den Verfahrensarten, den Eignungsanforderungen, der Leistungsbeschreibung, den Zuschlagkriterien etc. Der dritte Abschnitt in Kapitel 1 (§§ 136 bis 154) enthält

1 Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.2016, BGBl. I 2016, 203. 2 Vergaberechtsmodernisierungsverordnung vom 12.4.2016, BGBl. I 2016, 624. 3 Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.2016, BGBl. I 2016, 203.

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materielle Vorgaben zur Durchführung des Vergabeverfahrens bei den Vergaben im Bereich der Sektorentätigkeit, im verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Bereich und bei der Vergabe von Konzessionen. Das materielle Vergaberecht ist dennoch weiterhin nur mit seinen allgemeinen Grundsätzen im GWB geregelt. Die Details finden sich nicht im GWB, sondern in der VgV, der SektVO, der VSVgV und der KonzVgV sowie der VOB/A EU.1 Die SektVO gilt für alle Auftraggeber gem. §§ 100, 102 GWB, soweit sie im Sek- 14 torenbereich (Trinkwasserversorgung, Elektrizitäts- und Gasversorgung, Wärmeversorgung sowie Verkehrsbereich, d.h. Flughäfen, Häfen und Schienenverkehr) tätig sind. Sie gilt für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge, einschließlich der Vergabe freiberuflicher Leistungen gleichermaßen, allerdings nur oberhalb der Schwellenwerte. Die VSVgV gilt für Auftraggeber i.S.v. § 98 GWB, wenn sie Aufträge im verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Bereich gemäß § 104 GWB vergeben. Die VSVgV regelt das materielle Vergaberecht für Liefer- und Dienstleistungen, einschließlich freiberuflicher Leistungen, abschließend. Für Bauaufträge wird sie durch Abschnitt 3 der VOB/A VS ergänzt. Außerhalb der SektVO und der VSVgV gilt für die Vergabe öffentlicher Aufträge und Rahmenvereinbarungen die VgV. Die VSVgV regelt das materielle Vergaberecht für Liefer- und Dienstleistungen, einschließlich freiberuflicher Leistungen, abschließend. Für Bauaufträge wird sie durch Abschnitt 2 der VOB/ A EU ergänzt.

III. Überblick über das Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte 1. Rechtsgrundlagen Unterhalb der Schwellenwerte gelten die EU-Vergaberichtlinien, die §§ 97 ff. 15 GWB, die VgV, die SektVO, die VSVgV sowie die KonzVgV nicht. Regeln über Vergabeverfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte enthalten aber die VOB/A Abschnitt 1, die VOL/A Abschnitt 1 und die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO)2. Die VOL/A Abschnitt 1 soll insgesamt durch die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) ersetzt werden, so dass sie nur noch für eine Übergangszeit Bedeutung haben wird. Die UVgO ist eng an die VgV angelehnt, so dass die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen oberhalb der EU-Schwellenwerte und unterhalb der EU-Schwellenwerte weitgehend identisch geregelt ist. 1 Vergaberechtsmodernisierungsverordnung vom 12.4.2016, BGBl. I 2016, 624. 2 UVgO v. 2.2.2017, BAnz AT 7.2.2017 B 1, ber Nr. 1702/08, S. 1.

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Einl. | Einleitung Da die VOB/A Abschnitt 1, die VOL/A Abschnitt 1 und die UVgO keine Rechtsnormen sind, stellt sich die Frage, welche Regelungen unterhalb der Schwellenwerte überhaupt eingehalten werden müssen und ob und warum unterhalb der Schwellenwerte die VOB/A, die VOL/A und UVgO anwendbar sind. Ob und in welchem Umfang die VOB/A und VOL/A bzw. UVgO unterhalb der Schwellenwerte einzuhalten sind, ergibt sich aus dem jeweils geltenden Haushaltsrecht und den zugehörigen Erlassen.1. So bestimmt z.B. § 55 BHO, dass der Vergabe eines Auftrags grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung vorauszugehen hat. Einzelheiten des Vergabeverfahrens regelt § 55 BHO nicht, vielmehr erlaubt § 55 Abs. 2 BHO den Erlass von einheitlichen Richtlinien. In diesen Richtlinien wird bestimmt, ob und in welchem Umfang die VOB/A oder die VOL/A anzuwenden sind. Auf Bundesebene erlassen die zuständigen Ministerien die entsprechenden Richtlinien. Auf Ebene der Länder und Kommunen gelten die Landeshaushaltsordnungen für die Landesverwaltung und die Gemeindehaushaltsverordnungen für die Gemeinden und Gemeindeverbände. Diese sehen in allen Bundesländern inhaltlich § 55 BHO entsprechende Regelungen sowohl in den Landeshaushaltsordnungen als auch in den Gemeindehaushaltsverordnungen vor. Gestützt auf den jeweiligen Abs. 2 der Vorschriften haben auch die Länder einheitliche Richtlinien für die Durchführung der Vergabeverfahren vorgesehen. Diese Erlasse bestimmen, wie das Vergabeverfahren durchzuführen ist, ob die VOB/A und VOL/A bzw. UVgO anzuwenden sind und ggf. welche Abweichungen erlaubt sind.2 Neben dem deutschen Haushaltsrecht gilt das europäische Primärrecht, soweit der Auftrag Binnenmarktrelevanz hat3. 2. Verweis auf VOB/A, VOL/A und UVgO 16 Die Haushaltsordnungen selbst (z.B. § 55 BHO) bestimmen, dass dem Abschluss

eines Auftrags eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen muss, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. Zur Anwendung der VOB/A, VOL/A oder UVgO verpflichten die Haushaltsordnungen also nicht. Hierzu verpflichten allenfalls die Erlasse, die gestützt auf

1 Für die UVgO ausdrücklich bestimmt: BAnz AT 7.2.2017 B 1, ber Nr. 1702/08, S. 1. 2 Z.B. NRW – § 55 LHO, § 25 GemHVO, Runderlass des Innenministeriums zu den Vergabegrundsätze für Gemeinden v. 22.3.2006 (MinBl 2006, 222), ergänzt durch den Gemeinsamen Runderlass v. 3.2.2009 (AZ: 121 – 80-20/02); Hessen – § 55 LHO, § 30 GemHVO, Gemeinsamer Runderlass v. 1.11.2007 (AZ O 1082 A-1-IV 8B/IV 82) und 18.3.2009; Rheinland-Pfalz – § 55 LHO; § 31 GemHVO, Verwaltungsvorschrift v. 29.7. 2004 (MinBl 2004, 303) sowie v. 13.2.2009 (AZ 8205-381068.1); alle anderen Bundesländer haben vergleichbare Regelungen. 3 Siehe Einleitung Rz. 6.

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das Haushaltsrecht (z.B. § 55 Abs. 2 BHO) ergehen. Alle einschlägigen Erlasse auf Bundes- und Landesebene verpflichten dabei zur Anwendung der VOB/A.1 Viele Erlasse sehen allerdings Erleichterungen bei der Verfahrensart vor, wenn bestimmte Auftragswerte nicht überschritten werden.2 Anders als bei der VOB/A ist die Rechtslage bei der Pflicht zur Anwendung der VOL/A unterschiedlich. So ist z.B. in NRW die Anwendung der VOL/A nur empfohlen; d.h., in NRW muss unterhalb der Schwellenwerte kein Vergabeverfahren gemäß VOL/A durchgeführt werden.3 Dagegen muss in der Mehrzahl der anderen Bundesländer auch die VOL/A grundsätzlich zwingend angewendet werden. Ebenso ist dies für die UVgO, die die VOL/A ersetzen wird. Es muss jeweils anhand der Erlasse zum anwendbaren Haushaltsrecht geprüft werden, ob bei einer Auftragsvergabe unterhalb der EU-Schwellenwerte die UVgO angewendet werden muss oder nicht. 3. Adressaten des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte Wer durch die Haushaltsvorschriften zur Anwendung der VOB/A, VOL/A oder 17 UVgO verpflichtet wird, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern muss jeweils anhand des Haushaltsrechts sowie der Erlasse geprüft werden. Der Adressatenkreis entspricht nicht dem Adressatenkreis oberhalb der Schwellenwerte (§ 98 GWB). Da die Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens aus dem Haushalts- 18 recht abgeleitet wird, ist nur derjenige gebunden, der an die entsprechende Haushaltsordnung gebunden ist. Dies ist insbesondere bei juristischen Personen des Privatrechts grundsätzlich nicht der Fall, weil das Haushaltsrecht nur Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts erfasst. Dies gilt sowohl für das Bundeshaushaltsrecht als auch für das Landeshaushalts- und das Gemeindehaushaltsrecht. So ist z.B. Ermächtigungsgrundlage zu § 25 GemHVO NW § 133 GO NW. Die GO NW verpflichtet aber kommunale Eigengesellschaft in der Rechtsform der GmbH oder AG nicht unmittelbar. Sie gilt nur für die Gemeinden, die unselbständigen Gliederungen der Gemeinden sowie die Anstalten des öffentlichen Rechts gem. § 114a GO NW. Eine juristische Person des Privatrechts ist deshalb selbst dann, wenn ihr alleiniger Gesellschafter eine Gemeinde ist, weder an die Gemeindeordnung noch an die Gemeindehaushaltsverordnung gebunden. Sie ist deshalb auch nicht verpflichtet, die Vergabebestimmungen der 1 Vgl. NRW – Ziff. 4 des Gemeinsamen Runderlasses v. 22.3.2006 und 3.2.2009 (vgl. Fn. 11); Hessen – Ziff. 1 des Gemeinsamen Runderlasses in der Fassung v. 1.11.2007 und v. 18.3. 2009; Rheinland-Pfalz – Ziff. 2.2 Verwaltungsvorschrift v. 29.7.2004 (vgl. Fn. 11). 2 Vgl. die ähnlichen Regelungen: Hessen – Gemeinsamer Runderlass Ziff. 2.1; RheinlandPfalz – Ziff. 4.1 der Verwaltungsvorschriften v. 29.7.2004 (MinBl. 2004, 303). 3 Vgl. z.B. Gemeinsamer Runderlass für NRW v. 22.3.2006, MinBl 2006, 222 und v. 3.2. 2009 – 121-80-20/02.

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Einl. | Einleitung Haushaltsordnungen i.V.m. den Erlassen i.V.m. VOB/A oder VOL/A einzuhalten.1 Selbstverständlich kann aber die Gemeinde als Gesellschafter die GmbH zur Anwendung der VOB/A verpflichten, oder die GmbH kann freiwillig Verfahren gemäß VOB/A durchführen. 19 In Niedersachsen, Baden-Württemberg und Sachsen bestehen allerdings Be-

sonderheiten. In Niedersachsen verpflichtet das Landesvergabegesetz vom 15.12.2008 (GVBl. Nr. 27/2008, ausgegeben 22.12.2008) auch unterhalb der Schwellenwerte zur Anwendung der §§ 97 ff. GWB, VgV und VOB/A. Dies gilt allerdings nur für Bauaufträge und Aufträge im Personennahverkehr (nicht im sonstigen Bereich der VOL/A). Gemäß § 2 Abs. 2 des Gesetzes sind auch juristische Personen, die unter § 98 Nr. 2 GWB fallen, gebunden. In Niedersachsen können also auch juristische Personen des Privatrechts unterhalb der Schwellenwerte gebunden sein. In Baden-Württemberg und Sachsen bestehen Regelungen, die die Gemeinde als Gesellschafter einer juristischen Person des Privatrechts verpflichten, die VOB/A einzuhalten. § 22 Abs. 7 des Mittelstandsförderungsgesetzes Baden-Württemberg2 i.V.m. § 106b GO BW verpflichten die baden-württembergischen Gemeinden, bei ihren Eigen- oder Mehrheitsgesellschaften ihre Gesellschafterrechte so auszuüben, dass diese die VOB/A anzuwenden haben. Dies gilt allerdings nur für nicht wirtschaftliche Unternehmen i.S.v. § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GO BW. Dies sind z.B. Unternehmen, die in den Bereichen Abfall, Bäder und Personennahverkehr tätig sind. Ähnliche Regelungen bestehen in Sachsen. § 5 Abs. 1 Sächsisches Vergabegesetz3 verpflichtet die Gemeinden bei Mehrheitsbeteiligungen an juristischen Personen des Privatrechts sicherzustellen, dass die vergaberechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Danach ist von kommunalen oder kommunal beherrschten Unternehmen des privaten Rechts bei der Vergabe von Bauleistungen ab einem Auftragswert von 50 000 € die VOB/A zu beachten.

20 Durch die Gemeindeordnungen und Gemeindehaushaltsverordnungen der Län-

der können aber die Gemeinde selbst, Gemeindeverbände, Eigenbetriebe und eigenbetriebsähnliche Einrichtungen der Gemeinden sowie Kommunalunternehmen in der Rechtsform der kommunalen Anstalten des öffentlichen Rechts gebunden werden. Sie alle sind zwar an das kommunale Haushaltsrecht gebunden, so dass jedenfalls der Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung gem. § 55 BHO bzw. den entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen gilt. Ob diese Einrichtungen allerdings auch verpflichtet sind, die VOB/A oder VOL/ A anzuwenden, ist eine andere Frage. Diese kann nur anhand des konkreten Inhalts der jeweiligen Vorschriften und Erlasse geklärt werden und ist von Bundesland zu Bundesland verschieden.

1 Vgl. z.B. Ziff. 1.2 des Runderlasses des Innenministeriums NRW v. 22.3.2006 (MinBl 2006, 222); übersehen von Kern, VergabeR 2008, 416 ff. 2 Gesetz vom 19.12.2000, GBl. S. 754. 3 Gesetz vom 8.7.2002, GVBl. Nr. 10/2002 und Nr. 14/2002.

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In NRW sind die Gemeinde selbst, eigenbetriebsähnliche Einrichtungen der Ge- 21 meinde gem. § 107 Abs. 2 GO NW sowie Zweckverbände, deren Hauptzweck nicht der Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens ist, an die haushaltsrechtlichen Erlasse gebunden und verpflichtet, die Bestimmungen der VOB/A, nicht aber die der VOL/A einzuhalten. Dagegen sind Eigenbetriebe der Gemeinde ebenso wie Zweckverbände, deren Hauptzweck der Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens ist, nicht an den Erlass und damit die Vergabevorschriften gebunden. Sie müssen deshalb bei Auftragsvergaben weder die VOL/A noch die VOB/A1 einhalten. In Thüringen gilt nach § 31 Abs. 2 Thüringer GemHVO, dass die gemeindlichen Regiebetriebe die VOB/A anwenden müssen. Gleiches gilt für Eigenbetriebe gem. § 9 der Thüringer Eigenbetriebsverordnung. Auch in Rheinland-Pfalz müssen die Gemeinden, eigenbetriebsähnlichen Einrichtungen sowie die Eigenbetriebe gem. § 29 Eigenbetriebsverordnung die VOB/A anwenden2. In Bayern müssen die Gemeinden und ihre Regiebetriebe sowie die Eigenbetriebe die VOB/A anwenden (vgl. § 31 Abs. 2 KommHV und § 39 Eigenbetriebsverordnung). Auch die Rechtslage bei Kommunalunternehmen in der Rechtsform der An- 22 stalt des öffentlichen Rechts ist in den Bundesländern, in denen diese Rechtsform eingeführt wurde, unterschiedlich geregelt. In Bayern, Sachsen-Anhalt und Bayern besteht für kommunale Unternehmen in der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts derzeit keine Pflicht, die VOB/A anzuwenden3. In Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz müssen dagegen Kommunalunternehmen in der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts die VOB/A einhalten (vgl. Art. 3 Abs. 1, 14 Abs. 3 Mittelstandsförderungs- und Vergabegesetz Schleswig-Holstein sowie § 39 Eigenbetriebs- und Anstaltsverordnung Rheinland-Pfalz i.V.m. § 31 Gemeindehaushaltsverordnung sowie Erlasse). In Nordrhein-Westfalen gilt die Verwaltungsvorschrift des § 8 Satz 1 der Verordnung über kommunale Unternehmen und Einrichtungen als Anstalten des öffentlichen Rechts. Dort wird auf die Vergabegrundsätze nach § 25 GemHVO verwiesen, soweit die Auftragsvergabe der Erfüllung von durch Satzung übertragenen hoheitlichen Aufgaben in den Bereichen dient, die in § 107 Abs. 2 der GO NW aufgeführt sind. In Niedersachsen unterliegen die kommunalen Anstalten mangels einer ausdrücklichen Regelung generell keinen vergaberechtlichen Vorschriften. Allerdings gelten §§ 1 und 2 Abs. 1 Landesvergabegesetz bei Bauaufträgen ab 10 000 € die vergaberechtlichen Vorschriften oberhalb der Schwellenwerte (§§ 97 ff. GWB, VgV und VOB/A) kraft Anordnung des Landes auch unterhalb der Schwellenwerte und damit auch für die kommunale Anstalt. 1 Gesetz vom 19.12.2000, GBl. S. 754. 2 Neusinger/Schröder in Wurzl/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 2005, H Rz. 51 ff. 3 Vgl. im Einzelnen Neusinger/Schröder in Wurzl/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 2005, H Rz. 56 ff.

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Einl. | Einleitung 23 Daneben kann jeder Private und natürlich auch jede kommunale GmbH ver-

pflichtet sein, die VOB/A oder VOL/A einzuhalten. Dies ist der Fall, wenn sie durch ihre Gesellschafter zur Anwendung der VOB/A verpflichtet wird. Dies ist insbesondere und regelmäßig auch dann der Fall, wenn der Auftraggeber für das Projekt Zuwendungen erhalten hat. In (praktisch) jedem Zuwendungsbescheid ist die Verpflichtung enthalten, bei Auftragsvergaben die VOB/A und die VOL/ A einzuhalten.1 Werden die Vergabevorschriften nicht eingehalten, besteht das Risiko, dass die Zuwendung ganz oder teilweise zurückgefordert wird. Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf eines rechtmäßig ergangenen Zuwendungsbescheides ist § 49 VwVfG, dessen Abs. 3 auch den Widerruf für die Vergangenheit ermöglicht. Ein Zuwendungsbescheid kann widerrufen werden, wenn eine nicht vergaberechtskonforme Auftragserteilung festgestellt wird. Die meisten Länder haben in Erlassen geregelt, wann bei Nichtbeachtung der VOB/A ein Widerruf regelmäßig erfolgen soll. Hat die Bewilligungsbehörde von Vergaberechtsverstößen Kenntnis erlangt, so muss sie umfassende Ermessenserwägungen über das Ob und das Wie eines Widerrufs anstellen. Kommt es zu einem Widerruf, muss stets die Möglichkeit einer betragsmäßigen Begrenzung erwogen werden. Allerdings ist es nicht so, dass der Widerruf des Zuwendungsbescheides auf den nachgewiesenen Schaden beschränkt ist, vielmehr können weitergehende Rückforderungen geltend gemacht werden. Bei schwerwiegenden Verstößen können auch dann, wenn der Schaden deutlich geringer ist, 20 bis 25 % der Zuwendungen zurückgefordert werden.

IV. Rechtsschutz bei Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte? 24 Unterhalb der Schwellenwerte gelten die §§ 97 ff. GWB nicht, so dass kein Nach-

prüfungsverfahren gem. §§ 102 ff. GWB eingeleitet werden kann. Da die Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens aus dem Haushaltsrecht abgeleitet wird, war es bis vor kurzem nahezu allgemeine Meinung, dass Bieter unterhalb der Schwellenwerte keinen Primärrechtsschutz beanspruchen können, vielmehr allenfalls Schadensersatzansprüche als Sekundäransprüche geltend machen können. Die Frage, ob unterhalb der Schwellenwerte eine Anspruch auf Primärrechtsschutz besteht, ist unterhalb der Schwellenwerte eine der in den letzten Jahren meistdiskutierten Fragen. 1. Rechtsweg

25 Ob ein Anspruch erfolgreich geltend gemacht werden kann, ist von der Frage,

wo der Anspruch geltend gemacht werden kann, zu unterscheiden. Es war strei-

1 Vgl. OVG NW v. 2.9.2008 – 15 A 2328/06, DVBl. 2008, 1450 (1451).

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tig, ob die Zivil- oder Verwaltungsgerichte zuständig sind. Einige Oberverwaltungsgerichte bejahten ihre Zuständigkeiten1, andere verneinten sie und verwiesen den Rechtsstreit an die Zivilgerichte2. Im Ausgangspunkt bestand zwischen den Oberverwaltungsgerichten Einigkeit. Da es sich bei dem Vergaberecht nicht um ein Über-Unterordnungsverhältnis handele, sondern ein Gleichordnungsverhältnis, liege eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nur vor, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet.3 Das OVG Münster und Koblenz haben gestützt auf die Zwei-Stufen-Theorie ein solches Sonderrecht bejaht, auch wenn der zu schließende Vertrag selbst dem Zivilrecht unterliegt. Dieser Ansicht ist das BVerwG nicht gefolgt und hat damit den Streit mit Beschl. vom 2.5.20074 entschieden. Das BVerwG hat festgestellt, dass grundsätzlich der Rechtsweg zu den Zivilgerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei, weil die zu schließenden Verträge regelmäßig dem Zivilrecht unterlägen und weil traditionell das Handeln der öffentlichen Hand im Beschaffungsbereich zivilrechtlich geprägt sei. Tragend für die Entscheidung ist der Umstand, dass auch öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Aufträgen unbeschadet ihrer öffentlich-rechtlichen Bindungen wie jeder andere Auftraggeber als Nachfrager am Markt auftreten. Die öffentliche Hand bewegt sich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in aller Regel auf dem Boden des Privatrechts, so dass für Streitigkeiten über die hierbei vorzunehmende Auswahl unter den Bietern nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist. Dies gilt selbstverständlich nur, wenn der Vertrag, der am Ende des Vergabeverfahrens geschlossen werden soll, ein privatrechtlicher Vertrag ist. Dies ist bei der großen Mehrzahl der Verträge der Fall. Es gibt aber Ausnahmen von diesem Grundsatz, so dass jeweils überprüft werden muss, welcher Rechtsnatur der zu schließende Vertrag ist. Handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, sind selbstverständlich die Verwaltungsgerichte zuständig. Würde z.B. ein Bieter eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung zwischen zwei Gemeinden nach dem Gesetz über kommunale Zusammenarbeit wegen Verstoß gegen Vergaberecht angreifen wollen, müsste er die Verwaltungsgerichte anrufen. Gleiches gilt, wenn Dienstleistungskonzessionen u.Ä. in Rede stehen, bei denen die öffentliche Stelle anhand von öffentlich-rechtlichen Vorschriften ihre Entscheidungen trifft. Darüber hinaus sind die Verwaltungsgerichte auch weiterhin zuständig, wenn es um die Rückforderung von Zuwen1 OVG Koblenz v. 25.5.2005 – 7 B 10356/05, zitiert nach juris; OVG NW v. 11.8.2006 – 15 E 880/06, VergabeR 2006, 771-773. 2 OVG Lüneburg v. 14.7.2006 – 7 OB 105/06, NZBau 2006, 670; OVG Schleswig v. 25.8. 1999 – 2 L 153/98, NZBau 2000, 216 L. 3 GmS-OGB v. 10.7.1989 – GmS-OGB 1/88, MDR 1990, 508 = NJW 1990, 1527; BVerwG v. 30.5.2006, NJW 2006, 2568. 4 BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, NZBau 2007, 389.

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Einl. | Einleitung dungen wegen Verstoßes gegen Vergabegrundsätze, wenn es um kommunalaufsichtsrechtliche Streitigkeiten und sonstige Fälle geht, in denen eine Inzidentprüfung der Vergabeentscheidung erforderlich ist1. 2. Subjektives Recht? 26 Mit der Klärung der Frage, welcher Rechtsweg zulässig ist, ist nicht geklärt, ob

der Bieter sein Rechtsschutzbegehren auch erfolgreich durchsetzen kann. Voraussetzung dafür ist, dass die Bieter auch unterhalb der Schwellenwerte einen Anspruch darauf haben, dass der öffentliche Auftraggeber die Vergabevorschriften und insbesondere die ersten Abschnitte der Vergabeordnungen einhält. Ob ein solcher Anspruch besteht und in welchem Umfang, ist im Einzelnen umstritten. Oberhalb der Schwellenwerte haben die Bieter ein subjektives Recht darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden. Dies ist in § 97 Abs. 7 GWB ausdrücklich geregelt. Dagegen ging der Bundesgesetzgeber für den Bereich unterhalb der Schwellenwerte stets davon aus, dass der Bieter keine subjektiven Rechte im Hinblick auf die Einhaltung von Vergabevorschriften hat2. Diese Ansicht ist aber erst in der Literatur und dann in der Rechtsprechung mehr und mehr auf Kritik gestoßen. Die Stimmen derer, die auch unterhalb der Schwellenwerte subjektive Rechte für gegeben halten, nehmen zu.

27 Das von der Vergabestelle einzuhaltende Haushaltsrecht ist isoliert betrachtet

nicht geeignet, subjektive Rechte der Bieter zu begründen. Es ist dem reinen Innenrecht zuzuordnen und bindet den öffentlichen Auftraggeber allein im Innenverhältnis, nicht aber im Außenverhältnis gegenüber den Bietern3.

28 Teils wird die Ansicht vertreten, ein Anspruch auf Einhaltung der Vergabevor-

schriften bzw. auf Unterlassen eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ergebe sich aus § 311 Abs. 2 und § 241 BGB. Denn könne ein Bieter gestützt auf § 311 Abs. 2 BGB Sekundäransprüche geltend machen, was seit langem anerkannt ist4, müsse er darauf gestützt auch Primäransprüche auf Unterlassen geltend machen können. Wird dieser Ansicht gefolgt, erübrigt sich die Frage, ob sich subjektive Rechte aus Art. 3 GG und sonstigen Grundsätzen ergeben können. Denn Anspruchsgrundlage ist dann ein auf §§ 311, 280 BGB gestützter Unterlassungsanspruch. Damit ist dann auch entschieden, dass die Überprüfung nicht auf eine bloße Überprüfung von Willkür beschränkt ist, wie es teilweise im Hinblick auf Art. 3 GG angenommen wird, sondern die Einhaltung der Vergabevorschriften umfassend überprüft werden muss. Es ist aber streitig, ob sich 1 Vgl. Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (99 f.). 2 Vgl. Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (101). 3 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (794); BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (392); Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (101). 4 Vgl. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., 2016, § 311 Rz. 37 mit einer Vielzahl von Nachweisen zur Rechtsprechung auch aus der Zeit vor 1999.

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aus dem Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen auch ein Unterlassungsanspruch gem. §§ 311, 280 BGB ergibt. Dies wir teils verneint, weil der auf § 311 Abs. 2 BGB gestützte Anspruch nicht auf Naturalersatz im Sinne des Abschlusses des erstrebten Vertrages, sondern ausschließlich auf Ersatz des Vertrauensschadens in Geld ginge1. Richtig und inzwischen wohl auch herrschend ist die Ansicht, dass sich ein subjektives Recht bzw. ein Unterlassungsanspruch aus §§ 311 Abs. 2, 280 BGB herleiten lässt.2 Noch weitergehend wird sogar die Ansicht vertreten, eines „Umweges“ über § 280 BGB bedürfe es nicht, vielmehr ergebe sich der Unterlassungsanspruch unmittelbar aus § 311 Abs. 2 und § 241 Abs. 2 BGB3. Folge dieser Ansicht ist, dass der Unterlassungsanspruch nicht nur bei Willkür oder einem bewusst diskriminierenden Verhalten des Auftraggebers besteht, wie es bei einer Anspruchsgrundlage aus Art. 3 Abs. 1 GG teils vertreten wird, sondern dass ein weitergehender Unterlassungsanspruch unmittelbar aus dem Zivilrecht folgt. Die nachfolgenden Ausführungen zur Auslegung von Art. 3 GG4 sind dann für die Rechtspraxis ohne große Bedeutung, weil es dann auch des „Umweges“ über Art. 3 GG nicht bedarf. Häufig wird angenommen, dass der Bieter ein subjektives Recht über Art. 3 29 GG und die Grundsätze der Selbstbindung der Verwaltung erlangen kann. Unscharf bleiben aber die dogmatischen Grundlagen und der Umfang der subjektiven Rechte. So wird einerseits darauf abgestellt, es gelte Art. 3 GG und der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung, andererseits wird in verschiedenen Urteilen festgehalten, es gelte „nur“ ein Willkürverbot. Die Unschärfe dürfte zum Teil darauf beruhen, dass eine alte Rechtsfrage geklärt werden müsste, von den Gerichten aber nicht eindeutig geklärt wird. In der älteren (nicht vergaberechtlichen) Rechtsprechung wurde angenommen, 30 dass Art. 3 GG im Bereich der Fiskalverwaltung nicht gilt. Daraus wurde gefolgert, dass auch der Grundsatz des Art. 3 GG i.V.m. den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung nicht gilt, sondern nur ein Willkürverbot, das aber der staatlichen Stelle einen deutlich größeren Handlungsspielraum belässt und nur greift, wenn vorsätzlich oder in grobem Maße der Gleichheitsgrundsatz verletzt wird5. Manche inzwischen ergangenen zivilgerichtlichen Entscheidungen er1 LG Kreuznach v. 6.6.2007 – 2 O 198/07, NZBau 2007, 471; LG Arnsberg v. 19.10.2007 – 8 O 134/07, NZBau 2008, 206; BGH v. 27.9.1968 – V ZR 53/65, WM 1968, 1402 (1403). 2 OLG Brandenburg v. 29.5.2008 – 12 U 235/07, NZBau 2008, 735; OLG Brandenburg, IBR 2008, 529; OLG Düsseldorf v. 15.10.2008 – 27 W 2108, IBR 2009, 100; OLG Jena v. 8.12. 2008 – 9 U 431/08, IBR 2009, 101; vgl. auch BGH v. 12.1.1995 – III ZR 136/93, MDR 1995, 706 = NJW 1995, 1284; BGH; OLG Hamburg; OLG Brandenburg v. 29.5.2008 – 12 U 235/07, NZBau 2008, 735; Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 280 Rz. 63; Palandt/ Grüneberg, 76. Aufl. 2017, § 280 Rz. 33. 3 OLG Düsseldorf v. 13.1.2010 – 27 U 1/09, IBR 2010, 160. 4 Rz. 27 ff. 5 BGHZ 36, 91, 96; GmS-OGB v. 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85, BGHZ 97, 312, 316 = MDR 1986, 822.

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Einl. | Einleitung wecken den Eindruck, dass sie an dieser Rechtsprechung festhalten wollen und nur bei sehr groben Verstößen Rechtsschutz gewährt werden soll, ohne dass umfassend eine Selbstbindung der Verwaltung angenommen wird. So führt das LG Landshut aus, ein Verfügungsanspruch setze voraus, dass bei der Vergabe vorsätzlich rechtswidrig oder sonst in unredlicher Absicht gehandelt worden sei, und das OLG Hamm meint, der Verfügungsanspruch sei nur zu bejahen, wenn der Auftraggeber vorsätzlich rechtswidrig oder sonst in unredlicher Absicht oder willkürlich gehandelt hat1. Andere Entscheidungen sehen dagegen im Grundsatz eine umfassende Bindung an die VOB/A oder VOL/A gegeben, und zwar über Art. 3 GG und die Grundsätze der Selbstbindung der Verwaltung2. 31 Art. 3 GG greift grundsätzlich nur, wenn die Rechtsverletzung durch die „öffent-

liche Gewalt“ erfolgt. Fraglich ist, ob es sich auch um die Ausübung öffentlicher Gewalt handelt, wenn der Auftraggeber im Fiskalbereich tätig wird3. Diese Frage ist noch immer umstritten4. Im Bereich des Vergaberechts ist die Grundrechtsbindung – auch bei fiskalischem Handeln – inzwischen aber weitgehend anerkannt. Auch das BVerfG hat in der Entscheidung zur Rechtswegzuständigkeit den Anwendungsbereich des Art. 3 GG erweitert5. Denn das BVerfG folgert aus Art. 3 GG nicht mehr nur ein allgemeines Willkürverbot, sondern führt aus, dass sich aus der tatsächlichen Vergabepraxis eine Selbstbindung der Verwaltung ergeben könne und dass damit auch den Vergabeordnungen (VOB/A und VOL/A) mittelbare Außenwirkung zukommen könne. Damit ist entschieden, dass jedenfalls im Beschaffungsbereich Art. 3 GG unmittelbare Wirkung entfaltet und subjektive Rechte begründen kann.6

32 Unabhängig von der dogmatischen Einordnung wird allgemein angenommen,

dass ein Willkürverbot bei Beschaffungsgeschäften gilt. Das Willkürverbot ist aber nicht mit dem Anwendungsbereich von Art. 3 GG identisch, sondern verbietet nur besonders grobe Ungleichbehandlungen ohne sachlichen Grund. Unseres Erachtens kann allein aus dem Willkürverbot auch keine umfassende Pflicht zur Anwendung der VOB/A abgeleitet werden, selbst wenn ein Vergabeverfahren durchgeführt wird. 1 LG Landshut v. 11.12.2007 – 73 O 2576/07, IBR 2008, 404; ebenso OLG Hamm v. 12.2. 2008 – 4 U 190/07, NZBau 2009, 344. 2 LG Frankfurt/O. v. 14.11.2007 – 13 O 360/07, VergabeR 2008, 132; LG Cottbus v. 24.10. 2007 – 5 O 99/07, VergabeR 2008, 123. 3 OLG Stuttgart v. 11.4.2002 – 2 U 240/01, IBR 2002, 266 ff.; OLG Düsseldorf v. 12.2.1980 – U (Kart) 8/79, NJW 1981, 587 – Fernmeldetürme; OLG Brandenburg, NVWZ 1999, 1142 – Flughafen Berlin; noch a.A.: BGH v. 26.10.1961 – U (kart) 8/79, BGHZ 36, 95 ff.; offen gelassen in: BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, MDR 2001, 524 = MDR 2001, 767 = NJW 2001, 1492 (1494). 4 Dürig/Scholz in Maunz/Dürig, GG, 55. Erglfg. 2009, Art. 3 Rz. 490 (Fn. 477). 5 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BVR 1160/03, NZBau 2006, 791. 6 Dörr in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage, 2017, Einl. Rn 13.

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Einleitung | Einl.

Nur dann, wenn man der Ansicht folgt, dass auch im Fiskalbereich die Grund- 33 rechte gelten, kann sich dogmatisch ohne weiteres ein subjektives Recht aus Art. 3 GG i.V.m. den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung ergeben. Aufgrund dieser Selbstbindung kann den Vergabeordnungen (VOB/A und VOL/A) eine mittelbare Außenwirkung zukommen. Die Selbstbindung führt aber nicht immer und umfassend zu einer Anwendung aller Bestimmungen der VOB/A oder der VOL/A, maßgeblich für die Bejahung eines Gleichheitsverstoßes bleibt vielmehr allein die zur Selbstbindung führende Verwaltungspraxis1. Es fragt sich weiter, was gilt, wenn eine öffentliche Stelle durch einen Erlass zur 34 Anwendung der VOB/A verpflichtet wird, wenn sie also z.B. über § 25 GemHVO NRW und den Runderlass des Innenministeriums zur Anwendung der Vergabeordnungen verpflichtet wird. Der Einzelne kann sich – über Art. 3 Abs. 1 GG – auf eine Verwaltungsvorschrift berufen und die Einhaltung auch in seinem Fall verlangen. Dies entspricht der herrschenden Lehre und ständigen Rechtsprechung zur sog. „Selbstbindung der Verwaltung“, die Verwaltungsvorschriften über den Gleichheitssatz zu einer Art mittelbaren, „quasi-normativen“ Außenwirkung verhilft2. Daraus folgt, dass z.B. § 25 Abs. 2 Gemeindehaushaltsverordnung in Verbindung mit dem Runderlass des Innenministeriums NRW zu den Vergabegrundsätzen in Verbindung mit der VOB/A über Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz Außenwirkung entfaltet, so dass ein Bieter grundsätzlich Anspruch darauf hat, dass die Vorschriften der VOB/A eingehalten werden. Dies gilt selbstverständlich nur für die Vorschriften der VOB/A, die drittschützenden Charakter haben. Für diese Vorschriften gilt aber Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit der Selbstbindung der Verwaltung durch die entsprechenden Erlasse umfassend, so dass es auch nicht darauf ankommt, ob in besonders grobem Maße gegen die VOB/A verstoßen wurde oder nicht. Zu beachten ist allerdings, dass die Selbstbindung der Verwaltung keine starre 35 und unabänderliche Bindung ist. Auf der einen Seite sind Abweichungen von einer ständigen Praxis stets möglich, soweit sachliche, dem Ausmaß und der Bedeutung der Abweichung entsprechende Sachgründe vorgebracht werden können. Und zum anderen ist es der Verwaltung grundsätzlich unbenommen, von einer in der Vergangenheit geübten ständigen Praxis zugunsten einer neuen gleichmäßigen Vorgehensweise abzugehen3. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages gelten oberhalb und unterhalb der 36 Schwellenwerte, haben aber für Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte die größere Bedeutung. Es gelten also insbesondere das Diskriminierungsverbot, der Wettbewerbsgrundsatz und der Grundsatz des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs. Die Grundfreiheiten sind unmittelbar geltendes Recht und 1 BVerfG, NZBau 2007, 389 (392); BVerfG, NZBau 2006, 791 (794); Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (101). 2 OVG Münster v. 20.7.2016 – 4 B 691/16, DÖV 2016, 1009. 3 Kischel in BeckOK, Grundgesetz, 33. Edition, Stand 1.6.2017, Art. 3 Rn. 113.

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Einl. | Einleitung von den nationalen Gerichten zu beachten. Sie gewähren den Bietern insbesondere subjektive Rechte.1 37 Voraussetzung ist nur, dass das Vergabeverfahren den für die Anwendung des

Gemeinschaftsrecht erforderlichen grenzüberschreitenden Bezug aufweist. Dies muss selbstverständlich im jeweiligen Einzelfall geprüft werden, zu beachten ist aber, dass auch bei Auftragswerten, die ganz erheblich unter den Schwellenwerten für die Anwendung der Richtlinien liegen, der grenzüberschreitende Bezug bejaht werden kann. Ursprünglich hatte die EU-Kommission in ihrer Mitteilung aus dem Jahre 2006 sogar als Faustregel mitgeteilt, von dem grenzüberschreitenden Bezug sei regelmäßig bei Auftragswerten auszugehen, die ca. 10 % der Schwellenwerte für die Anwendbarkeit der Richtlinie ausmachen. Dies würde z.B. bei Bauvergaben bedeuten, dass der grenzüberschreitende Bezug bei einem Auftragswert von ca. 500 000 € erreicht ist und bei Dienstleistungsaufträgen schon bei Auftragswerten um ca. 50 000 €. Allerdings ist der EuGH in neuerer Zeit bei der Bejahung des grenzüberschreitenden Bezuges zurückhaltender und stellt stets ganz auf den Einzelfall ab.2

38 Auch das LG Neuruppin hat einen Anspruch auf Unterlassung analog §§ 823

Abs. 2, 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. dem europäischen Gemeinschaftsrecht als Schutzgesetz im Grundsatz bejaht3. Aus den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts ergeben sich aber keine so detaillierten Anforderungen an das Verfahren wie sie sich aus der VOB/A oder VOL/A ergeben.

39 Fraglich ist, ob sich aus den Grundfreiheiten dennoch subjektive Rechte auf Ein-

haltung der VOB/A oder VOL/A ergeben können, wenn der Auftraggeber bei Beginn des Vergabeverfahrens bekanntmacht, er werde die VOB/A oder VOL/A anwenden. Macht der Auftraggeber dies bekannt, so ergibt sich u.E. ein europarechtliches subjektives Recht auf Einhaltung der bieterschützenden Vorschriften der VOB/A oder VOL/A aus dem Transparenzgrundsatz. Denn dieser verlangt von dem Auftraggeber, dass er genau das Verfahren anwendet und einhält, dass er vorher auch bekannt gemacht hat. Damit muss der Auftraggeber sich dann auch an die VOB/A und VOL/A halten4.

3. Besonderheiten im Verfahren vor den Zivilgerichten 40 Will ein Bieter Primärrechtsschutz in Anspruch nehmen, muss er eine einst-

weilige Verfügung beim Zivilgericht beantragen. Die einstweilige Verfügung hat dann keine Aussicht auf Erfolg, wenn das Vergabeverfahren entweder bereits durch Zuschlagserteilung beendet worden ist oder der öffentliche Auftraggeber

1 2 3 4

Dörr in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage, 2017, Einl. Rn. 28. EuGH, NZBau 2010, 261; Dehr, VergabeR 2009, 719 ff. LG Neuruppin v. 4.4.2007 – 3 O 47/07 (nicht veröffentlicht). So auch LG Neuruppin v. 4.4.2007 – 3 O 47/07.

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Einleitung | Einl.

die Ausschreibung aufgehoben hat1. Kein Primärrechtsschutz kann also erlangt werden, wenn sich das Vergabeverfahren erledigt hat, sei es durch Abschluss des Vertrages, sei es durch Aufhebung des Vergabeverfahrens. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt einen Verfügungsanspruch voraus. 41 Gegenstand und Grundlage für die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung kann nur die Frage sein, ob der Verfügungskläger durch die Durchführung des Vergabeverfahrens oder die geplante Zuschlagentscheidung in seinen subjektiven Rechten verletzt ist. In den Verfahren vor den Zivilgerichten gilt kein Amtsermittlungsgrundsatz, d.h. das Gericht ermittelt den Sachverhalt nicht von Amts wegen. Die Darlegungs- und Beweis- bzw. Glaubhaftmachungslast dafür liegt bei dem Bieter bzw. Antragsteller, wobei im einstweiligen Verfügungsverfahren neben den anderen Beweismittel als Mittel der Glaubhaftmachung auch die eidesstattliche Versicherung zulässig ist. Diese Verfahrensordnung erschwert den Rechtsschutz der Bieter erheblich, weil ihnen oft die erforderlichen Mittel fehlen, an die erforderlichen Sachverhaltsinformationen zu gelangen. Macht der Bieter Ansprüche aus Art. 3 GG und der Selbstbindung der Verwal- 42 tung geltend, muss er die Selbstbindung und den Verstoß darlegen. Macht der Bieter Ansprüche aus den Grundfreiheiten des EU-Primärrechts geltend, muss er die grenzüberschreitende Bedeutung des Auftrags und den Verstoß gegen den Gleichheitssatz oder den Transparenzgrundsatz darlegen. Macht der Bieter Ansprüche aus §§ 311, 241, 280 BGB geltend, muss er das Vertrauensverhältnis, die schuldhafte Pflichtverletzung und den Nachweis, dass ihm der Zuschlag hätte erteilt werden müssen, darlegen.2 Im Zivilrecht wird zwischen Unterlassungs- und Regelungsverfügungen unter- 43 schieden. Das OLG Brandenburg3 hat in einem Fall, in dem der Auftraggeber eine Änderung an den Vergabeunterlagen geltend gemacht hatte, einen sehr strengen Standpunkt vertreten und angenommen, es handele sich um eine Regelungsverfügung. Deshalb müsse der Antragsteller glaubhaft machen, dass der Erlass der einstweiligen Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt nötig gewesen sei. Der Antragsteller begehre eine sog. Regelungsverfügung nach § 940 ZPO, so dass er nachvollziehbar hätte darlegen müssen, dass er bei ordnungsgemäßer Ausschreibung den Zuschlag erhalten hätte. Sollten sich andere Oberlandesgerichte und Landgerichte dieser Rechtsprechung anschließen, bliebe der einstweilige Rechtsschutz vor Zivilgerichten sehr häufig erfolglos, weil die so formulierten Anforderungen an den Verfügungsgrund so hoch sind, dass ein Bieter in der Regel nicht wird darlegen können, dass er obsiegt hätte. 1 OLG Oldenburg v. 2.9.2008 – 8 W 117/08, ZfBR 2008, 819; OLG Brandenburg v. 17.12. 2007 – 13 W 79/07, NZBau 2008, 207. 2 OLG Düsseldorf v. 13.1.2010 – 27 U 1/09, IBR 2010, 160. 3 OLG Brandenburg v. 29.5.2008 – 12 U 235/07, NZBau 2008, 735.

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Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) (Auszug)

Teil 4 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen Kapitel 1 Vergabeverfahren Abschnitt 1 Grundsätze, Definitionen und Anwendungsbereich Vorbemerkungen zu §§ 97–154 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsnatur des Vergaberechts 1. Nachfrageakzessorität . . . . . . . . 2. Zivilrechtliche Verträge . . . . . .

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3. Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, verfassungsrechtliche Bindungen . . . . . . . . 4. Öffentlich-rechtliche Verträge . .

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I. Überblick Das Kapitel 1 des 4. Teils des GWB (§§ 97 bis 154) regelt die Vergabe von öf- 1 fentlichen Aufträgen und Konzessionen. Im ersten Abschnitt des Kapitels (§§ 97 bis 114) werden für sämtliche Beschaffungsvorgänge allgemeine Anforderungen und Grundsätze für das Vergabeverfahren festgelegt. Diese werden bundesrechtlich insbesondere durch die Vergabeverordnung (VgV), die Sektorenverordnung (SektVO), die Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV), die Verordnung über die Vergabe von Konzessionen (KozVgV) und die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A (VOB/A) weiter konkretisiert. Diese materiellen Anforderungen an die Auftragsvergabe beruhen weitestgehend auf den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben aus den Richtlinien 2014/24/EU, 2014/25/EU und 2014/23/EU und erstrecken sich nunmehr auch auf die Konzessionsvergabe. Teilweise gehen sie allerdings auch darüber hinaus oder nutzen Regelungsspielräume aus, die durch das Unionsrecht nicht beschränkt werden (s. etwa im Hinblick auf § 97 Abs. 4 die Kommentierung zu § 97 Rz. 81). Ob und wie die Einhaltung dieser materiell-rechtlichen Anforderungen durch die verpflichteten öffentlichen Auftraggeber kontrolliert wird, ist Gegenstand des 2. Kapitels des 4. Teils (§§ 155 ff. – Nachprüfungsverfahren). Reidt

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen 2 Der erste Abschnitt des Kapitels 1 umfasst unterschiedliche Regelungsgegen-

stände, kann jedoch systematisch und inhaltlich als allgemeiner Teil angesehen werden. § 97 enthält neben der äußerst bedeutsamen Regelung in Abs. 6, dass Unternehmen einen Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren haben, in Abs. 1 bis 5 allgemeine Grundsätze für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Abs. 1 normiert als zentrale Anforderung die Geltung des Wettbewerbs- und Transparenzprinzips, sowie seit dem VergaberechtsmodernisierungsG 2016 die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit, Abs. 2 regelt das Benachteiligungsverbot. In den Absätzen 3, 4 und 5 werden weitere wesentliche Anforderungen des Vergaberechts genannt (Berücksichtigung von Qualität und Innovation sowie sozialer und umweltbezogener Aspekte, Wahrung mittelständischer Interessen, Grundsatz der elektronischen Kommunikation). Auch wenn § 97 Abs. 1 bis 5 unmittelbar geltendes Recht darstellen, ist ein Rückgriff auf diese Regelungen oftmals nicht erforderlich, da sie durch die untergesetzlichen Regelwerke (Rz. 1) weiter konkretisiert werden.

3 Die §§ 98 bis 114 enthalten Legaldefinitionen und weitere Anforderungen, die

bei allen Vergabeverfahren gelten, für die der 4. Teil des GWB maßgeblich ist. Dabei legt § 98 übergeordnet die Auftraggebereigenschaft im Sinne des 4. Teil des GWB fest. Er umfasst dabei die öffentlichen Auftraggeber (§ 99), die Sektorenauftraggeber (§ 100) und die Konzessionsgeber (§ 101) (persönlicher Anwendungsbereich). § 102 definiert dabei ergänzend den Begriff der Sektorentätigkeit, der sowohl für die Einordnung als Sektorenauftraggeber und die Einordnung als Sektorentätigkeit als auch für die Anwendung der Sektorenverordnung maßgeblich ist.

4 Der sachliche Anwendungsbereich wird in den §§ 103–105 näher festgelegt.

§ 103 definiert die unter den 4. Teil des GWB fallenden öffentlichen Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe. Der Begriff der öffentlichen Aufträge in Absatz 1 wurde mit dem VergaberechtsmodernisierungsG 2016 präzisiert, jedoch nicht über den früheren Anwendungsbereich hinaus erweitert1. Wegen der Differenzierung des Auftraggeberbegriffs war jedoch eine entsprechende Anpassung vorzunehmen. Die Regelung umfasst daher nunmehr ausdrücklich auch Sektorenauftraggeber. Da Auftraggeber i.S.d. § 101 (Konzessionsgeber) Konzessionen und keine öffentlichen Aufträge vergeben, bestimmt § 105 mit dem Begriff der Konzessionen den sachlichen Anwendungsbereich separat. § 104 definiert verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge i.S.d. Art. 2 der Richtlinie 2009/81/EG. Diese Bezeichnung dient der Klarstellung, da durch die Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU eine neue Kategorie von Aufträgen eingeführt wurde, die Verteidigungs- und Sicherheitsaspekte umfasst, ohne jedoch unter die Richtlinie 2009/81/EG zu fallen.

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 73.

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Vorbemerkungen | Vor §§ 97–154

Der Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB erfährt in den §§ 106 und 107 5 verschiedene Einschränkungen, durch die für die Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts maßgeblichen Auftragswerte (Schwellenwerte, § 106), zum anderen im Hinblick auf bestimmte Arten von Verträgen, die aus unterschiedlichen Gründen vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts ausgeklammert sind (§ 107). Die §§ 108 und 109 schließen Fallkonstellationen der öffentlichrechtlichen Zusammenarbeit, vor allem Inhouse-Vergaben sowie Vergaben auf der Grundlage internationaler Verfahrensregeln aus. § 110 regelt die verfahrensrechtliche Einordnung bei gemischten öffentlichen 6 Aufträgen oder gemischten Konzessionen, deren verschiedene Leistungen unterschiedlichen Vergaberechtsmodalitäten im Anwendungsbereich derselben Richtlinie unterfallen. Im Unterschied dazu behandelt § 111 den Fall, wenn gemischte öffentliche Aufträge oder Konzessionen aus mehreren Teilen bestehen und ein Teil dem Kartellvergaberecht gar nicht oder erleichterten Modalitäten einer anderen Richtlinie unterfällt. § 112 betrifft Konstellationen, in denen die Anwendbarkeit unterschiedlicher Vergabemodalitäten daraus resultiert, dass dieselbe Beschaffung im Rahmen eines Auftrages oder einer Konzession für verschiedene Tätigkeiten des Auftraggebers bestimmt ist1. Die früher in § 97 Abs. 6 a.F. und § 127 a.F. enthaltenen Verordnungsermächti- 7 gungen wurden durch das VergabemodernisierungsG 2016 in § 113 zusammengefügt. § 114 regelt das Monitoring. Der zweite Abschnitt des Kapitels 1 behandelt die Vergabe öffentlicher Aufträge 8 durch öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 99. Dabei werden zunächst im Unterabschnitt 1 der Anwendungsbereich sowie Ausnahmen für bestimmte Bereiche, wie z.B. Rechtsdienstleistungen, Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen (§ 117) oder Vergaben, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen (§ 118), bestimmt. Im Unterabschnitt 2 werden das Vergabeverfahren und die Auftragsausführung weiter konkretisiert. In § 119, ergänzt um § 130 und § 131 für besondere Leistungen, sind die Vergabeverfahren geregelt, die bei der Auftragsvergabe im Sinne des zweiten Abschnitts Anwendung finden. Welches Verfahren bei der jeweiligen konkreten Ausschreibung zulässig ist, wird durch § 119 im Einzelnen nicht festgelegt. Hierfür sind vor allem die Vergabeverordnung und die VOB/A maßgeblich (s. § 119 Rz. 5 ff.). § 120 definiert verschiedene Methoden der elektronischen Auftragsvergabe und Sammelbeschaffungen. Im Rahmen der Umsetzung von Artikel 42 Absatz 1 der Richtlinie 2014/24/EU durch das VergaberechtsmodernisierungsG wurde in § 121 der Begriff der Leistungsbeschreibung auf Gesetzesebene eingeführt. Die Eignung der Unternehmen wird in § 122 mit den Begriffen der Fachkunde 9 und der Leistungsfähigkeit näher ausformuliert. Ausgefüllt werden diese Begrifft durch die in Absatz 2 genannten Kriterien. Die §§ 123 und 124 legen zwingend 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 86.

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen bzw. fakultativ fest, wann ein Ausschluss von Unternehmen vom Vergabeverfahren zu erfolgen hat. Durch § 125 und § 126 sind auf nationaler Ebene gesetzliche Regelung geschaffen worden, die bei Selbstreinigungsmaßnahmen, z.B. Rehabilitationsmaßnahmen oder Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Straftaten, eine weitere Teilnahme an Vergabeverfahren ermöglichen. 10 Als zentrale Vorschrift regelt § 127 den Zuschlag, der auf das wirtschaftlichste

Angebot erteilt wird. Die Anforderungen, nach denen die Auftragsausführung zu erfolgen hat, werden in den §§ 128 und 129 näher ausgestaltet. Dabei gibt es allgemeine (§ 128 Abs. 1) und vom öffentlichen Auftraggeber vorgegebene (§ 128 Abs. 2) Ausführungsregelungen. § 130 Abs. 2 und § 131 Ab. 3 regeln für die dort genannten Leistungen Besonderheiten für den Ausschreibungsinhalt sowie für Leistungsänderungen während der Vertragslaufzeit, § 132 enthält hierzu eine allgemeine Regelung. § 133 regelt ein besonderes Kündigungsrecht, während der Vertragslaufzeit, das neben die sonstigen vertragsrechtlichen Beendigungsmöglichkeiten tritt. Die §§ 134 und 135 regeln die Informationspflicht vor Zuschlagserteilung und die Rechtsfolgen bei deren Missachtung. Ebenfalls behandelt die Regelung Auftragsvergaben ohne eine an sich notwendige Ausschreibung (unzulässige Direktvergabe, de-facto-Vergabe).

11 Der dritte Abschnitt behandelt die Vergabe öffentlicher Aufträge in besonderen

Bereichen und von Konzessionen. Der Unterabschnitt 1 umfasst dabei das Sektorenvergaberecht, dessen Anwendungsbereich durch § 136 festgelegt wird. Ausgenommen sind – weitgehend parallel zu § 116 – bestimmte Bereiche, wie z.B. Rechtsdienstleistungen (§ 137), Vergaben an verbundene Unternehmen (§ 138) oder durch oder an Gemeinschaftsunternehmen (§ 139) sowie unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten (§ 140). In § 141 werden die für Sektorenauftraggeber möglichen Verfahrensarten festgelegt. § 142 regelt die weitere Ausgestaltung des Verfahrens durch Verweise auf den vorhergehenden Abschnitt.

12 Der Unterabschnitt 2, dessen Anwendungsbereich in § 144 festgelegt wird, be-

fasst sich mit der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen. § 145 regelt besondere Ausnahmen, bei denen die Vorschriften der §§ 97 ff. ergänzend zu der allgemeinen Ausnahmevorschrift in § 107 keine Anwendung finden1. Die Vergabe richtet sich im Übrigen nach den §§ 146 und 147 sowie der VSVgV.

13 Der Unterabschnitt 3 befasst sich mit der Vergabe von Konzessionen, die in

Umsetzung der Richtlinie 2014/23/EU mit dem VergaberechtsmodernisierungsG 2016 in das GWB integriert wurde. Hierbei sind neben den allgemeinen Ausnahmeregelungen der §§ 107 bis 109 die besonderen (Bereichs-)Ausnahmen (§ 149) sowie die Ausnahmen in Bereichen der Verteidigung und Sicherheit (§ 150) zu beachten. Das Konzessionsvergabeverfahren und einzelne Anforderungen an die Auftragsdurchführung werden durch die §§ 151 bis 154 näher ausgestaltet. 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 126.

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Vorbemerkungen | Vor §§ 97–154

II. Rechtsnatur des Vergaberechts 1. Nachfrageakzessorität Das Vergaberecht ist grundsätzlich nachfrageakzessorisch. Die Entscheidung, ob 14 eine bestimmte Maßnahme durchgeführt werden soll, obliegt allein dem öffentlichen Auftraggeber1. Das gleiche gilt hinsichtlich der Entscheidung, ob eine Leistung, die ein öffentlicher Auftraggeber erbringen will oder aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung erbringen muss, fremdvergeben oder in Eigenregie, insbesondere mit eigenen Arbeitskräften, durchgeführt wird. Dies schließt die Möglichkeiten zur Wahl einer vergaberechtsfreien Form der öffentlichen Zusammenarbeit (§ 108) mit ein. Dementsprechend steht es dem Auftraggeber auch frei, von seiner Beschaffungsabsicht wieder Abstand zu nehmen oder sie nachträglich zu modifizieren. Dies kann sowohl nach einem für ihn negativ ausgegangenen Nachprüfungsverfahren der Fall sein (z.B. wenn die Verpflichtung ausgesprochen wurde, die Angebotswertung oder gar die Ausschreibung insgesamt oder ab einem bestimmten Punkt zu wiederholen; zu den Entscheidungsmöglichkeiten im Nachprüfungsverfahren s. § 168 Rz. 12 ff.), aber auch ohne eine derartige Entscheidung. Insbesondere § 63 VgV und §§ 17 EU VOB/ A regeln ausdrücklich die Möglichkeit zur Aufhebung einer Ausschreibung2. Liegen deren Voraussetzungen, resultieren aus der Aufhebung gegenüber den Bietern eines Ausschreibungsverfahrens regelmäßig keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche. Denn sie mussten in diesem Fall von vornherein damit rechnen, dass der öffentliche Auftraggeber diese Handlungsoption wahrnimmt und haben daher auch in Kenntnis sowie im Bewusststein dieser Möglichkeit ihre Angebote erstellt. Liegen die dort genannten Voraussetzungen nicht vor, darf der Auftraggeber zwar gleichwohl seinen Beschaffungsbedarf vollständig aufgeben oder durch einen anderen Beschaffungsgegenstand ersetzen und dementsprechend eine begonnene Ausschreibung beenden (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV), jedoch kann dies in einem solchen Fall Schadensersatzansprüche der Bieter nach sich ziehen, die sich im Vertrauen auf eine Durchführung des Ausschreibungsverfahrens bis zur Zuschlagserteilung an dem Vergabeverfahren beteiligt haben (zu der Möglichkeit, sich gegen eine Aufhebung oder sonstige Beendigung einer Ausschreibung zu wehren s. noch § 168 Rz. 25 ff.; zu den Schadensersatzmöglichkeiten s. § 168 Rz. 60). Stärker eingeschränkt ist die Nachfrageakzessorietät des Vergaberechts in den 15 Fällen, in denen es um die konkrete Festlegung des Beschaffungsgegenstandes und die Art seiner Beschaffung (zu den zulässigen Vergabeverfahren s. insbes. 1 OLG Düsseldorf v. 13.4.2016 – VII-Verg 47/15, NZBau 2016, 656; OLG Düsseldorf v. 15.6.2010 – Verg 10/10, VergabeR 2011, 84; OLG Karlsruhe v. 15.11.2013 – 15 Verg 5/13, NZBau 2014, 378; OLG Celle v. 4.5.2001 – 13 Verg 5/00, VergabeR 2001, 325. 2 Zu den diesbezüglichen Anforderungen im Einzelnen s. etwa Glahs in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, § 17 VOB/A Rz. 5 ff.

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen § 119) geht. So sind öffentliche Auftraggeber ungeachtet der ihnen zustehenden Bestimmungs- und Definitionsmacht hinsichtlich des Beschaffungsgegenstandes grundsätzlich verpflichtet, ihre Ausschreibung produktneutral durchzuführen, also bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren sowie bestimmte Ursprungsorte oder Bezugsquellen nur dann vorzuschreiben, wenn dies durch die Art der geforderten Leistung gerechtfertigt ist1. Dies ergibt sich bereits ganz allgemein aus dem Wettbewerbsgrundsatz des § 97 Abs. 1 (s. § 97 Rz. 19 ff.), konkreter allerdings etwa auch aus § 31 Abs. 6 VgV und § 7 Abs. 2 EU VOB/A. Ebenso sind öffentliche Auftraggeber verpflichtet, mittelständische Interessen bei ihrer Beschaffung durch die Bildung von Teillosen oder Fachlosen zu berücksichtigen (§ 97 Abs. 4, s. § 97 Rz. 84 ff.; s. etwa auch § 30 VgV und § 5 EU VOB/A). 2. Zivilrechtliche Verträge 16 Öffentliche Aufträge unterfallen in aller Regel dem Zivilrecht (zu öffentlich-

rechtlichen Verträgen Rz. 23 ff.)2. Es handelt sich zumeist um fiskalische Hilfsgeschäfte3, auf die die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts Anwendung finden (§§ 145 ff. BGB)4. Auch wenn öffentliche Auftraggeber zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Vorschriften oder im Allgemeininteresse tätig werden, erfolgt die Auftragsvergabe beim Einkauf von Leistungen nicht im Verhältnis der Über- und Unterordnung. Vielmehr treten die öffentlichen Auftraggeber dem Auftragnehmer als gleichberechtigte Vertragsparteien gegenüber5. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung des Vertragsabschlusses durch den 4. Teil des GWB den besonderen Bindungen des Vergaberechts unterliegen. Dies lässt den in der Regel zivilrechtlichen Charakter der abzuschließenden Verträge unberührt. Hieraus ergibt sich, dass in diesen Fällen auch das vorhergehende Verfahren keine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit darstellt, da öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten gerade nicht begründet werden sollen6. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die

1 S. etwa OLG Düsseldorf v. 15.6.2010 – Verg 10/10, VergabeR 2011, 84. 2 BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, BVerwGE 129, 9, Rz. 6; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 112; Marx in Jestaedt/Kemper/Marx/Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, 144; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 31 ff.; Pietzcker, ZHR 162 (1998), 427, 456 f.; Ennuschat/Ulrich, NJW 2007, 224; differenzierend unter Hinweis auf bestehende öffentlich-rechtliche Bindungen der öffentlichen Auftraggeber U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rz. 123 ff. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 113. 4 BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, BVerwGE 129, 9, Rz. 9; Bauer in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, A § 18 Rz. 2 f.; Marx in Jestaedt/Kemper/Marx/Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, 144. 5 Vgl. BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 135 (149 f.). 6 Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 10.4.1986 – GmS-OGB 1/ 85, BGHZ 97, 312 (316); Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB vor §§ 97 ff. Rz. 159;

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Ausschreibung nicht auf den Abschluss eines für die Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand an sich typischen privatrechtlichen Vertrages bezieht, sondern auf den Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung i.S.d. §§ 54 ff. VwVfG (dazu noch Rz. 23 ff.). In der Literatur wird allerdings teilweise die Auffassung vertreten, dass das Ver- 17 gabeverfahren trotz der regelmäßig privatrechtlichen Natur öffentlicher Aufträge i.S.d. § 103 ein öffentlich-rechtliches Verfahren darstelle. Insoweit wird eine zweistufige Ausgestaltung angenommen, um den öffentlich-rechtlichen Bindungen des Auftraggebers Rechnung zu tragen. Die erste – öffentlich-rechtlich ausgestaltete – Stufe wird dabei in der Vorbereitung der Auftragsvergabe und in der Auswahl eines bestimmten Bieters gesehen. Erst die zweite Stufe, die im Wesentlichen den Vertragsabschluss selbst umfasst (Zuschlag, § 127), sei privatrechtlicher Natur. Begründet wird dies vor allem damit, dass die Auswahl des Auftragnehmers von ihrer gesamten Ausgestaltung her eher dem öffentlichen Recht als dem Privatrecht zuzuordnen sei1. Für diese Auffassung könnte mit Blick auf die Effektivität des Bieterschutzes auch Art. 2 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7, 10) sprechen, der ausdrücklich zwischen Vertragsschluss und Zuschlagserteilung differenziert. Dennoch ist eine solche Stufung mit einem dem privatrechtlichen Vertragsabschluss vorausgehenden öffentlichrechtlichen Zuschlagsakt weder verfassungs- noch unionsrechtlich geboten und auch nicht für die Effektivität des Bieterrechtsschutzes erforderlich (s. § 134 und § 169 Abs. 1). Ähnliche Fragen stellen sich im Übrigen auch beim Rechtsschutz im Hinblick auf Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte s. Einleitung Rz. 15 ff.). Dort wurde und wird teilweise nach wie vor problematisiert, ob der Rechtsschutz den Verwaltungs- oder den Zivilgerichten zugewiesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu – zu Recht – entschieden, dass für die Überprüfung von Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte bei dem (geplanten) Abschluss zivilrechtlicher Verträge die Zivilgerichte anzurufen sind. Denn bei einem zivilrechtlichen Vertrag sind ungeachtet möglicherweise bestehender besonderer Verpflichtungen von öffentlichen Auftraggebern sowohl das Vertragsanbahnungsverhältnis als auch ein etwaiges Rückabwicklungsverhältnis zivilrechtlicher Natur (zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte im Einzelnen s. Einleitung Rz. 24 ff.)2. Boesen, Vergaberecht, Einl. Rz. 4; Pietzcker, Die Zweiteilung des Vergaberechts, 17; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 35; Hösch, BayVBl. 1997, 193 (194). 1 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 23; Hermes, JZ 1997, 905 (915); Pernice/ Kadelbach, DVBl. 1996, 1101 (1106); Triantanfyllou, NVwZ 1994, 943 (946); ebenfalls bereits Kopp, BayVBl. 1980, 609. 2 BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, BVerwGE 129, 9, Rz. 6; zustimmend etwa Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 78, 114; Ennuschat/Ulrich, NJW 2007, 2224; kritisch etwa Burgi, NVwZ 2007, 737.

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen 3. Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, verfassungsrechtliche Bindungen 18 Bei der in der Regel gebotenen Einordnung des Vergabeverfahrens in den Be-

reich des Privatrechts stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts dennoch auf die Tätigkeit der öffentlichen Auftraggeber zumindest entsprechende Anwendung finden. Bereits auf die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit sind die Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern allerdings nur dann anwendbar, wenn nicht andere Rechtsvorschriften gleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten (§ 1 Abs. 1 VwVfG Bund). Die Verwaltungsverfahrensgesetze sind also stets nur subsidiär heranzuziehen. Soweit der 4. Teil des GWB und das dazugehörige untergesetzliche Regelwerk abschließende Regelungen enthalten, scheidet eine Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern folglich von vornherein aus. Deren Bestimmungen kommen daher allenfalls dann zur Anwendung, wenn das für öffentliche Auftraggeber geltende Vergaberecht Lücken aufweist. Selbst dann ist zu berücksichtigen, dass die Vergabe von öffentlichen Aufträgen bei den staatlichen oder staatlich beherrschten Auftraggebern i.S.v. § 99 und § 100 (zu der diesbezüglichen Eingrenzung Rz. 22) in der Regel als bloßes Hilfsgeschäft, das nur mittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient, eine fiskalische Tätigkeit darstellt1. Zu unterscheiden ist die fiskalische Tätigkeit der öffentlichen Hand vom so genannten Verwaltungsprivatrecht. Unter Verwaltungsprivatrecht wird die Tätigkeit des Staates verstanden, bei der Verwaltungsaufgaben in der Form des Privatrechts wahrgenommen werden. Im Unterschied zur fiskalischen Tätigkeit handelt es sich um eine unmittelbare Erfüllung öffentlicher Aufgaben2. Für das Verwaltungsprivatrecht ist allgemein anerkannt, dass dort besondere verwaltungsverfahrensrechtliche Bindungen bestehen3. Dies ändert indes nichts daran, dass gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG das Verwaltungsverfahrensrecht grundsätzlich nur auf öffentlich-rechtliche Tätigkeiten anzuwenden ist. Andererseits soll dem Staat dadurch, dass er die von ihm wahrgenommenen Aufgaben nicht mit den Möglichkeiten des öffentlichen Rechts sondern denen des Privatrechts erfüllt, keine

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 113, 149; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1787); s. zu fiskalischen Hilfsgeschäften Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rz. 112 ff.; kritisch zur „klassischen“ Unterscheidung zwischen fiskalischen Hilfsgeschäften und Verwaltungsprivatrecht U. Stelkens in Stelkens/ Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rz. 107; wohl auch ablehnend Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 21 ff. 2 Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rz. 116; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 25 ff.; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 61 f.; Jarass in Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 2 Rz. 13. 3 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 26; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 67 f.; Jarass in Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 2 Rz. 13.

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„Flucht ins Privatrecht“ ermöglicht werden. Die öffentliche Hand darf sich zwar – sofern dem keine besonderen gesetzlichen Vorgaben entgegenstehen – zur Aufgabenerfüllung der Möglichkeiten des Privatrechts bedienen, es stehen ihr jedoch gleichwohl nicht die Freiheiten und die Möglichkeiten der Privatautonomie zu1. Diese besonderen Bindungen, die bei der unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu beachten sind, gelten grundsätzlich auch bei der mittelbaren Aufgabenerfüllung, so wie sie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der Regel vorliegt. Denn Art. 1 Abs. 3 GG und die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen der Art. 20 und 28 Abs. 1 GG binden den Staat einschließlich der vollziehenden Gewalt in allen seinen Handlungsformen. Ihm steht niemals eine – und sei es auch eine bloß abgeschwächte – Privatautonomie zu, so dass er immer aufgrund von öffentlichem Sonderrecht tätig wird und dabei seinen verfassungsrechtlichen Bindungen als Staatsgewalt unterworfen ist2. Dies gilt auch für die Auftragsvergabe und auch unabhängig davon, ob deren Rechtmäßigkeit durch die Zivilgerichte oder die Verwaltungsgerichte zu überprüfen ist3. Damit einher gehen auch die prinzipiell uneingeschränkte Grundrechtsbindung der staatlichen Auftraggeber (Art. 1 Abs. 3 GG) sowie die gerichtliche Kontrolle, ob der betreffende Auftraggeber dieser Bindung im konkreten Fall auch tatsächlich gerecht wird. Von dieser Grundrechtsbindung zu unterscheiden ist allerdings die Frage, ob bei einer Auftragsvergabe der Schutzbereich eines bestimmten Grundrechts tatsächlich berührt ist. Dies ist im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG in aller Regel zu verneinen, hingegen beim Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu bejahen, d.h. jede staatliche Stelle hat unabhängig von der Handlungsform ihrer Betätigung und deren Zuordnung zum Zivilrecht oder zum öffentlichen Recht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten (s. Einleitung Rz. 26 ff.)4. Gleichwohl ist bei privatrechtlichen Handlungsformen der öffentlichen Hand 19 keine undifferenzierte Anwendung des gesamten Verwaltungsverfahrensrechts 1 S. etwa BVerwG v. 29.5.1990 – 7 B 30/90, NVwZ 1991, 59; Schmitz in Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rz. 116; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 62. 2 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff., Rz. 150 ff.; Dietlein/Fandrey in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, Einführung Rz. 100 f.; Ehlers, DVBl. 1983, 422, 424 f.; Ehlers in Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 82 ff.; Dreier in Dreier, Grundgesetz, Bd. 1, Art. 1 Rz. 49; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rz. 347 ff.; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 1 Rz. 38; Höfling in Sachs, Grundgesetz, Art. 1 Rz. 103 ff.; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1787). 3 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 135 (153); BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, BVerwGE 129, 9 Rz. 10; OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39; VK Bund v. 29.4.1999 – VK 1–7/99, NZBau 2000, 53; dazu etwa auch Pache, DVBl. 2001, 1781 (1788). 4 BVerfG v. 23.4.2009 – 1 BvR 3424/08, VergabeR 2009, 777 (778); BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 134 (153); BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10/07, BVerwGE 129, 9 Rz. 10; Bungenberg, WuW 2009, 503 (513).

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen geboten. Die dogmatische Herleitung der einfachgesetzlichen Bindungen bei privatrechtlichem Handeln des Staates erfolgt vielmehr über Art. 1 Abs. 3 GG einschließlich der möglicherweise in ihrem Schutzbereich berührten Grundrechte, hier also vornehmlich Art. 3 Abs. 1 GG (Rz. 18), sowie über die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen der Art. 20 und 28 Abs. 1 GG. Diese Anforderungen gebieten nicht die Übertragung aller in den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder enthaltenen Bestimmungen auf die Vergabe öffentlicher Aufträge oder auf sonstiges privatrechtliches Staatshandeln. Vielmehr gilt dies nur für die Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts, die sich entweder auf höherrangiges, die öffentliche Hand durchgängig bindendes Verfassungsrecht zurückführen lassen oder aber als Ausfluss allgemeiner bzw. analogiefähiger Rechtsgedanken anzusehen sind. Dies schließt die Anforderungen ein, die sich aus dem Unionsrecht einschließlich des europäischen Primärrechts ergeben (zu dessen Bedeutung insbesondere für Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte s. Einleitung Rz. 36 f.). Es geht mithin nur um die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechts, die konkretisiertes Verfassungsrecht oder konkretisiertes Unionsrecht darstellen und nicht speziell geregelt sind. Dazu zählen etwa die §§ 20 (s. dazu allerdings § 6 VgV)1, 21, 23, 24, 25, 30 und 31 VwVfG2. 20 Nach anderer, zwischenzeitlich aber wohl zumindest teilweise als überholt an-

zusehender, Auffassung werden unmittelbare verfassungsrechtliche Bindungen und folglich auch daraus resultierende besondere verwaltungsverfahrensrechtliche Anforderungen der öffentlichen Hand im fiskalischen Bereich verneint. Dies gilt insbesondere für die – allerdings ältere – Rechtsprechung des BGH3. Gleichwohl wird der öffentlichen Hand auch durch diese Stimmen in der Rechtsprechung und Literatur keine vollständige Freiheit eingeräumt. Vielmehr werden gleichfalls Schranken angenommen, die für Privatpersonen in der Regel nicht in entsprechender Weise gelten. So vertritt auch der BGH die Auffassung, dass die öffentliche Hand zumindest nicht willkürlich handeln dürfe, also immerhin das Diskriminierungsverbot eingreife4. 1 OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39. 2 S. etwa Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rz. 119; Ehlers, DVBl. 1983, 422 (425); Ehlers in Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 86; s. auch KG v. 7.11.2001 – KartVerg 8/01, VergabeR 2002, 96. 3 BGH v. 14.12.1976 – VI ZR 251/73, NJW 1977, 628 (629 f.); BGH v. 21.11.1991 – VII ZR 203/90, BGHZ 116, 149 (152); BGH v. 21.11.1991 – VII ZR 203/90, NJW 1992, 827; ebenso Broß, VerwArch 1996, 738; Schmalz, Allgemeines Verwaltungsrecht und Grundlagen des Verwaltungsrechtsschutzes, Rz. 657; differenzierend Wolff/Bachof/Stober/ Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 42, die im fiskalischen Bereich nur eine Bindung an Art. 3 und 19 Abs. 4 GG annehmen. 4 BGH v. 14.12.1976 – VI ZR 251/73, NJW 1977, 628, 629 f.; BGH v. 21.11.1991 – VII ZR 203/90, BGHZ 116, 149 (152); BGH v. 21.11.1991 – VII ZR 203/90, NJW 1992, 827; s. auch etwa OLG Düsseldorf v. 9.11.1993 – U (Kart) 2/93, NWVBl. 1994, 193.

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Auch wenn der erstgenannten Auffassung (Rz. 18) zu folgen ist, bestehen zwi- 21 schen beiden Meinungen in den Rechtsfolgen jedenfalls oberhalb der Schwellenwerte (zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte s. Einleitung Rz. 24 ff.) eher geringe Unterschiede1. In beiden Fällen werden Bindungen der öffentlichen Hand, die über die für Privatpersonen geltenden Rechtsnormen hinausgehen, bejaht. Im Ergebnis wird man sagen müssen, dass Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze für die Tätigkeit der öffentlichen Auftraggeber analog in dem dargestellten Umfang (Rz. 19) herangezogen werden können und müssen, sofern die Bestimmungen des Vergaberechts Lücken enthalten. Aufgrund des (zwischenzeitlichen) Ausgestaltungsgrads des deutschen Vergaberechts bestehen derartige Lücken jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen. Insbesondere die analoge Anwendung von § 20 VwVfG, die das OLG Brandenburg2 im Jahr 1999 noch zutreffenderweise noch für erforderlich gehalten hat, um Interessenkollisionen zu vermeiden („Doppelmandate“), ist u.a. durch die Regelung in § 6 VgV entbehrlich geworden. Eine analoge Anwendung des Verwaltungsverfahrensrechts in den (wenigen) 22 denkbarerweise noch verbleibenden Fällen ist zudem an sich nur für öffentliche Auftraggeber möglich, die generell öffentlich-rechtliche Bindungen zu beachten haben. Private, nicht staatlich beherrschte Auftraggeber, die durch § 99 bis § 101 in den Kreis der öffentlichen Auftraggeber einbezogen werden, unterliegen derartigen Bindungen in der Regel nicht, so dass sich eine analoge Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze verbietet. Zu diesen Auftraggebern gehört insbesondere der in § 99 Nr. 4 und § 100 Abs. 2 Nr. 2, lit. a) genannte Personenkreis. Einzelne Regelungen des Verwaltungsverfahrenrechts können gleichwohl auch gegenüber diesen Auftraggebern zumindest sinngemäß Geltung beanspruchen. Hierzu zählten in der Zeit vor Inkrafttreten von § 6 VgV (§ 16 a.F. VgV) vor allem die in § 20 VwVfG enthaltenen Regelungen. Nach wie vor gilt dies für die Verpflichtungen, die sich für alle Auftraggeber bereits unmittelbar aus § 97 GWB ergeben, wenn auch mit einem eher hohen Abstraktionsgrad. Dazu gehören namentlich das Wettbewerbs- und Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 (s. dazu § 97 Rz. 19 ff.), die durch die Einzelvorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts (s. Rz. 19) teilweise eine ergänzende Konkretisierung erhalten3. 4. Öffentlich-rechtliche Verträge Bei Inkrafttreten des Vergaberechtsänderungsgesetzes 1998 (Einleitung Rz. 4 ff.) 23 wurde nicht selten die Auffassung vertreten, dass öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne von § 54 VwVfG (des Bundes und der Länder) ebenso wie spezialge1 So zutreffend etwa auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 156. 2 OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39 (42 f.). 3 Noch weitergehend Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 159, der jedweden Rückgriff für entbehrlich hält.

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen setzlich geregelte öffentlich-rechtliche Verträge (z.B. städtebauliche Verträge nach § 11 BauGB, s. hierzu auch § 103 Rz. 190 ff.) generell nicht unter die vergaberechtlichen Bestimmungen des 4. Teils des GWB fallen, da es sich nicht um öffentliche Aufträge im Sinne von § 103 Abs. 1 handele1. Gestützt wurde diese Auffassung nicht zuletzt auf die Begründung des Regierungsentwurfs zum Vergaberechtsänderungsgesetz, nach der öffentlich-rechtliche Verträge nicht unter den Begriff des entgeltlichen Vertrages und damit auch nicht unter die Anforderungen fallen sollten, die der 4. Teil des GWB an die Vergabe öffentlicher Aufträge stellt2. Dazu ist zunächst festzustellen, dass die Abgrenzung zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Verträge im Einzelfall sehr schwierig sein kann. Dies gilt insbesondere bei gemischten Verträgen, die sowohl privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Elemente enthalten3. Den damit verbundenen Problemen und rechtlichen Unsicherheiten muss hier allerdings nicht weiter nachgegangen werden, da auch öffentlich-rechtliche Verträge unter die vergaberechtlichen Anforderungen fallen (zu den vergaberechtsfreien Geschäften/ Inhouse-Geschäften innerhalb des staatlichen Bereichs s. § 108). Dies schließt grundsätzlich auch Fälle der interkommunalen Kooperationen ein (s. § 103 Rz. 53 ff.), sofern sie nicht von § 108 erfasst sind4. Die Einordnung eines Vertrages als zivil- oder öffentlich-rechtlich ist in den Mitgliedstaaten der europäischen Union unterschiedlich ausgestaltet. Für den Anwendungsbereich des Vergaberechts spielen diese nationalen Zuordnungen allerdings keine Rolle. Entscheidend ist, ob der jeweilige öffentliche Auftraggeber durch den betreffenden Vertrag Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen gegen Entgelt oder in Form einer Konzession beschaffen möchte. Wenn dies der Fall ist, kommt es nicht zusätzlich darauf an, ob der betreffende Vertrag nach mitgliedstaatlicher Bewertung dem öffentlichen Recht oder dem Zivilrecht zuzuordnen ist5. Der Europäische Gerichtshof hat dementsprechend durch Urt. vom 12.7.20016 entschieden, dass auch Erschließungsverträge, die dem öffentlichen Recht unterliegen und die 1 So etwa OLG Celle v. 24.11.1999 – 13 Verg 7/99, NZBau 2000, 299; OLG Naumburg v. 19.10.2000 – 1 Verg 9/00, VergabeR 2001, 134; Dreher, DB 1998, 2579 (2587). 2 BT-Drucks. 13/9340, S. 15. 3 Rautenberg, ZfBR 2002, 238 (240); zu den Einzelheiten der Abgrenzung allgemein etwa Bonk/Neumann in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 54 Rz. 73 ff.; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 54 Rz. 27 ff.; Schmitt, Bau, Erhaltung, Betrieb und Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private nach dem FStrPrivFinG, 135 f. und andererseits Reidt/Stickler, BauR 1997, 241 (366). 4 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 103 Rz. 334 ff. 5 S. beispielsweise BGH v. 1.12.2008 – X ZB 32/08, VergabeR 2009, 156 Rz. 17; BGH v. 1.2. 2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116 (126); OLG Düsseldorf v. 11.3.2002 – Verg 43/01, VergabeR 2002, 404; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 23 ff.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 103 Rz. 273 ff.; Reidt, BauR 2008, 1541 (1546); Dreher, NZBau 2002, 245, 255; Burgi, NZBau 2002, 57 (60); Schulte, NZBau 2000, 272 (275 f.); Endler, NZBau 2002, 125 (128). 6 EuGH v. 12.7.2001 – C-399/98, Slg. 2001, S. I-5409.

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Vorbemerkungen | Vor §§ 97–154

Ausübung hoheitlicher Gewalt einschließen, dem europäischen Vergaberecht unterfallen, wenn es sich um entgeltliche Bauverträge handelt. In diesem Zusammenhang geht der EuGH unter Bezugnahme auf die unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung in den jeweiligen Mitgliedstaaten völlig selbstverständlich davon aus, dass auch auf einen verwaltungsrechtlichen Vertrag, der als solcher dem öffentlichen Recht unterliegt, das Vergaberecht anwendbar ist. Diese Begründung ist ohne weiteres auf sämtliche öffentlich-rechtlichen Verträge und Konzessionen übertragbar, sofern sie die Erbringung von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben1. Ohne besondere Bedeutung ist es in diesem Zusammenhang in der Regel, ob der 24 Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers als Leistungserbringer insbesondere aufgrund einer entsprechenden Beleihung unmittelbar hoheitlich gegenüber Dritten tätig wird,2. Auch dies steht der Anwendbarkeit des Vergaberechts nicht entgegen3. Insofern muss das Außenverhältnis des Auftragnehmers zum Dritten von dem Innenverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer unterschieden werden. Im Innenverhältnis ist vertraglich zu regeln, welcher Auftragnehmer berechtigt wird, gegenüber Dritten in bestimmter Weise tätig zu werden, ggf. also auch auf der Grundlage einer Beleihung durch die Ausübung bestimmter öffentlich-rechtlicher Befugnisse4. In diesem Auftragsverhältnis sind zugleich auch die Konditionen einschließlich der Vergütung zu regeln, die der Auftragnehmer für seine Tätigkeit erhält. Der das Innenverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ausgestaltende Auftrag kann und muss grundsätzlich wie jeder andere Auftrag ausgeschrieben werden, wenn die Schwellenwerte nach § 106 Abs. 2 i.V.m. den jeweiligen Richtlinien erreicht oder überschritten sind und keine Ausnahmetatbestände insbesondere nach den §§ 107 bis § 109 eingreifen. Besondere Anforderungen an die Zuverlässigkeit des (ggf. auch zu beleihenden) Leistungserbringers u.Ä. können ohne weiteres in den Verdingungsunterlagen Berücksichtigung finden. Es sind daher auch in tatsächlicher Hinsicht keine Gründe dafür ersichtlich, Fälle, in denen der Auftragnehmer auf der Grundlage eines mit der öffentlichen Hand abzuschließenden Vertrages gegenüber Dritten unmittelbar hoheitlich tätig wird, generell vom Anwendungsbereich des Vergaberechts auszuschließen. Es verbleibt vielmehr auch in derartigen Konstellationen dabei, dass Einschränkungen nur über die im Ver1 S. hierzu auch EuGH v. 25.3.2010 – C-451/08, NZBau 2010, 321. 2 So allerdings etwa OLG Brandenburg v. 18.9.2008 – Verg W 13/08; VG Potsdam v. 14.8. 2008 – 10 L 342/08; OLG Düsseldorf v. 5.4.2006 – VII Verg 7/06; OLG Celle v. 24.11.1999 – 13 Verg 7/99, NZBau 2000, 299; OLG Naumburg v. 19.10.2000 – 1 Verg 9/00, VergabeR 2001, 134; Burgi, NZBau 2002, 57 (61); Dreher, NZBau 2002, 245 (256), jeweils unter Hinweis auf Art. 45 Abs. 1 i.V.m. Art. 55 EG (= Art. 51 Abs. 1 i.V.m. Art. 62 AEUV). 3 EuGH v. 12.7.2001 – C-399/98, Slg. 2001, S. I-5409; s. auch die Klage der EU-Kommission gegen Deutschland v. 16.4.2007 – Rs. C-160/08; dazu VG Köln v. 29.8.2008 – 7 L 1205/08; Bungenberg, WuW 2009, 503 (509); Berger/Tönnemann, VergabeR 2009, 129. 4 Dreher, NZBau 2002, 245 (256); Reidt in Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 6 Rz. 26.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe fahrensrecht selbst geregelten Ausnahmetatbestände in Betracht kommen (zu Einzelfällen wie Rettungsdienstleistungen, städtebaulichen Verträgen oder sozialrechtlichen Verträgen § 103 Rz. 169 ff.)1.

§ 97 Grundsätze der Vergabe (1) Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt. (2) Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet. (3) Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt. (4) Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Wird ein Unternehmen, das nicht öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber ist, mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut, verpflichtet der öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber das Unternehmen, sofern es Unteraufträge vergibt, nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren. (5) Für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren verwenden Auftraggeber und Unternehmen grundsätzlich elektronische Mittel nach Maßgabe der aufgrund des § 113 erlassenen Verordnungen. (6) Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB (§ 97 Abs. 1) .

__ _ 1 2 9

III. Wettbewerb und Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1) sowie Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit (Satz 2) . . . . . . . . 1. Funktion der Grundsätze . . . . . 2. Wettbewerbsgrundsatz . . . . . . .

__ _ 11 12 19

1 S. insbes. BGH v. 1.12.2008 – X ZB 32/08, VergabeR 2009, 156 Rz. 20 ff.; zum Verfahren bei der Ausschreibung insbesondere von Rettungsdienstleistungen im Einzelnen Wenzel, LKV 2009, 298; Berger/Tönnemann, VergabeR 2009, 129.

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3. Transparenzgrundsatz . . . . . . . a) Ermöglichung der Verfahrensbeteiligung . . . . . b) Ermöglichung der Verfahrensüberprüfung . . . 4. Wirtschaftlichkeitsgrundsatz . . 5. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verhältnis der Grundsätze des Absatzes 1 untereinander . . . . IV. Diskriminierungsverbot (§ 97 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . 3. Anforderungen . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zwischen Diskriminierungsverbot, Wettbewerbsund Transparenzgrundsatz . . . V. Aspekte der Qualität und Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte (§ 97 Abs. 3) 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . .

_ _ __ _ _ __ __ _ 25 26 29 35 40 44 47 48 50 56 66

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Grundsätze der Vergabe | § 97

__ __ _ _ __

2. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . 3. Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mittelständische Interessen (§ 97 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigung mittelständischer Interessen (§ 97 Abs. 4 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflicht zu Losvergabe (§ 97 Abs. 4 Sätze 2 und 3) . . 4. Losvergabe durch Private (§ 97 Abs. 4 Satz 4) . . . . . . . . 5. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . .

72 76 78 79

. .

84

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87

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92 95

. .

___ _ __

VII. Elektronische Mittel (§ 97 Abs. 5) 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . 3. Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Subjektive Rechte (§ 97 Abs. 6) 1. Träger und Gegner der subjektiven Rechte . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruchsumfang . . . . . . . . .

96 101 103 106 107 108

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 97 fasst wesentliche Grundsätze und Eckpunkte des Kartellvergaberechts zu- 1 sammen. Absatz 1 Satz 1 stellt die Geltung des Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatzes voran, während Satz 2 die Wahrung der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit vorschreibt. In Absatz 2 ist das Diskriminierungsverbot verankert. Absatz 3 schreibt die Berücksichtigung von Aspekten der Qualität, der Innovation sowie sozialer und umweltbezogener Belange bei der Vergabe vor. Absatz 4 bestimmt, dass Leistungen im Hinblick auf mittelständische Interessen grundsätzlich in Teil- und Fachlosen zu vergeben und mittelständische Interessen auch darüber hinaus bei der Auftragsvergabe zu berücksichtigen sind. Absatz 5 beinhaltet neuerdings eine Pflicht für Auftraggeber und Unternehmen zur Verwendung elektronischer Mittel für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten im Vergabeverfahren. Absatz 6 schließlich bestimmt, dass Unternehmen ein subjektives Recht auf Einhaltung der Vergabebestimmungen haben.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe 2. Entstehungsgeschichte 2 § 97 entspricht in seiner Grundkonzeption als vor die Klammer gezogene Vor-

schrift mit den wesentlichen Grundsätzen des Kartellvergaberechts der ursprünglichen Fassung nach dem Vergabeänderungsgesetz 19991. Das Vergabemodernisierungsgesetz von 2016 hat einige Änderungen mit sich gebracht.

3 So wurden in Absatz 1 sowohl der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz neu positioniert

(vormals in Absatz 5 auf den Zuschlag bezogen) als auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich aufgenommen.

4 Absatz 2 und 6 gehen ebenso wie Absatz 1 auf § 106 (Absatz 2 bzw. 6) des Regie-

rungsentwurfes zum Vergabeänderungsgesetz von 1999 zurück2. Beide Normen sind auch nach der Vergaberechtsmodernisierung 2016 fast unverändert geblieben.

5 Absatz 3 ist mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2016 neu formuliert

worden3. Er geht auf den vorherigen Absatz 4 Sätze 2 und 3 zurück, die im Jahre 20094 die Möglichkeit umweltbezogener und innovativer Auftragskriterien eingeführt hatten und die Einführung zusätzlicher Anforderungen an den Auftragnehmer von einer gesetzlichen Regelung abhängig gemacht hatten.

6 Die sog. Mittelstandsklausel des Absatzes 4 wurde als Absatz 3 19995 in das Ge-

setz aufgenommen und durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz von 2009 neu gefasst. Mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2016 wurde er nahezu wortgleich zu Absatz 4. Außer der Neunummerierung brachte sie lediglich Anpassungen im Zuge der neuen Gesetzessystematik hinsichtlich der Auftraggeber (§§ 98 ff.) mit sich6.

7 Seit dem Inkrafttreten der Vergaberechtsmodernisierung am 18. April 2016

müssen öffentliche Auftraggeber und Unternehmen im Oberschwellenbereich grundsätzlich elektronische Mittel zur Kommunikation nutzen. Dies regelt nun die Vorschrift des § 97 Abs. 57.

8 Die bislang in den Absätzen 4 und 4a und 5 enthaltenen Bestimmungen zu Eig-

nung, Präqualifikationssystemen und Zuschlag öffentlicher Aufträge befinden sich nun in § 122 und § 127 Abs. 1 Satz 18, die bislang in Absatz 6 geregelte Verordnungsermächtigung findet sich nun in § 113. 1 2 3 4 5 6 7 8

BT-Drucks. 13/9340, S. 4 ff. BT-Drucks. 13/9340, S. 4. BT-Drucks. 18/6281, S. 15. BT-Drucks. 16/10117, S. 5. BT-Drucks. 13/9340, S. 36. BT-Drucks. 18/6281, S. 15. BT-Drucks. 18/6281, S. 15. BT-Drucks. 18/6281, S. 67, 88 ff., 100 ff.

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Grundsätze der Vergabe | § 97

II. Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB (§ 97 Abs. 1) Absatz 1 bestimmt, dass öffentliche Aufträge und Konzessionen im Wettbewerb 9 und im Wege transparenter Verfahren vergeben werden. Den in der amtlichen Überschrift angekündigten „Grundsätzen der Vergabe“ ist damit eine grundsätzliche Regelung zum Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts und damit auch der (übrigen) allgemeinen Grundsätze vorangestellt. Ungeachtet der Frage, inwiefern die Grundsätze des § 97 Entsprechungen im primären Unionsrecht oder im Verfassungsrecht finden1, geht deren Anwendungsbereich daher nicht über den auf öffentliche Aufträge (§§ 103 f.) und Konzessionen (§ 105) beschränkten Anwendungsbereich der §§ 97 ff. im Übrigen hinaus2. Hinsichtlich der Regelung des Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB wird 10 Absatz 1 durch die Bestimmungen zu den Auftraggebern in den §§ 98–101 einerseits und die Bestimmungen zu öffentlichen Aufträgen sowie Konzessionen in den §§ 103-105 andererseits konkretisiert. Begrenzt wird der Anwendungsbereich der Vorschrift außerdem durch § 106, wonach der 4. Teil des GWB, und damit die §§ 97 ff. nur Anwendung finden, wenn der Auftrag die Schwellenwerte erreicht. Die §§ 107-109 enthalten spezielle Ausnahmetatbestände, welche die Anwendbarkeit der §§ 97 ff. ausschließen.

III. Wettbewerb und Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1) sowie Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit (Satz 2) Absatz 1 regelte auch vor der Vergaberechtsmodernisierung 2016 die Grund- 11 sätze von Wettbewerb und Transparenz im Vergabeverfahren. Die Vorschrift ist nun allerdings in 2 Sätze aufgeteilt. Satz 1 stellt wie bisher das Wettbewerbsprinzip und das eng hiermit verbundene Transparenzgebot als Leitlinien der Vergabe voran. Der bisherige Wortlaut der Norm („Öffentliche Auftraggeber beschaffen Waren, Bau- und Dienstleistungen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren.“) wurde in mehrfacher Hinsicht abgeändert, wobei er keine materiellen Gesetzesänderungen erfahren hat3. Die Begriffe „Auftraggeber“ und „beschaffen“ verschwinden, statt „Vergabeverfahren“ heißt es nun nur noch „Verfahren“. Die Neuformulierung des Satzes 1 ist unter anderem auf die Neustrukturierung des Konzessionsvergaberechts zurückzuführen, sodass nun von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen die Rede ist. Wettbewerb und Transparenz bleiben als tragende Prinzipien des gesamten Vergaberechts ihrer Bedeutung entsprechend 1 Allgemein hierzu Gaier, NZBau 2008, 289 ff. 2 Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, § 97 Rz. 9 m.w.N. 3 S. dazu auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 18/6281, S. 68.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe vorangestellt. In Satz 2 sind seit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 zusätzlich („Dabei“) das Wirtschaftlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprinzip verankert. Die Grundsätze des Absatzes 1 sind während des gesamten Verfahrens zu beachten, d.h. spätestens ab der Absendung der Vergabebekanntmachung an das Amtsblatt der Europäischen Union bis zum Zuschlag1. 1. Funktion der Grundsätze 12 Wie zum einen die amtliche Überschrift und zum anderen die Stellung zu Be-

ginn des 4. Teils des GWB deutlich machen, stellen sowohl Wettbewerb und Transparenz als auch Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit grundlegende Prinzipien des Kartellvergaberechts dar. Diese Grundsätze sind gewichtige Auslegungsdirektiven für das Kartellvergaberecht2. Insbesondere soweit die Vergaberegeln unbestimmte Rechtsbegriffe beinhalten oder dem Auftraggeber Ermessen einräumen, sind diese Spielräume daher unter Berücksichtigung der Grundsätze des Absatzes 1 auszufüllen.

13 Bisher war vor allem umstritten, ob die Grundsätze des Wettbewerbs und der

Transparenz darüber hinaus einen unmittelbaren Regelungsgehalt besitzen3. Diese Frage erlangt insbesondere in den Fällen praktische Relevanz, in denen Regelungen im übrigen Vergaberecht fehlen, wie etwa hinsichtlich der Laufzeit von Dienstleistungsaufträgen4. Insofern entschied die VK Arnsberg schon im Februar 2006 bezüglich des Wettbewerbsgrundsatzes, dass eine 25- bzw. (mit Option) 30-jährige Laufzeit bei einem Abwasserbeseitigungsvertrag „wettbewerbswidrig“, die unterlegene Bieterin daher in ihren „Rechten auf die Vergabe des Auftrages im wettbewerbsgerechten Verfahren gemäß § 97 Abs. 1“ verletzt und 1 S. OLG München v. 19.7.2012 – Verg 8/12, NZBau 2012, 658 (660) zum Beginn des Verfahrens in formeller Hinsicht; ein materielles Verständnis legt beispielsweise zugrunde Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 97 Rz. 16 m.w.N. 2 S. etwa hinsichtlich des Wettbewerbsgrundsatzes BGH v. 5.6.2012 – X ZR 161/11, MDR 2012, 1224 = VergabeR 2012, 842 (844) mit Verweis auf BGH v. 23.3.2011 – X ZR 161/11, MDR 2012, 1224 = VergabeR 2011, 709 (710); v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116 ff. = MDR 2005, 973 (Rz. 28); hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Absatzes 2 BGH v. 26.9.2006 – X ZB 14/06, BGHZ 169, 131 ff. (Rz. 27); dies als Hauptfunktion bezeichnend Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 97 Rz. 45. 3 Für eine normative Wirkung Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, 2008, Kap. 9 Rz. 17; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 4; Fehling in Pünder/ Schellenberg, § 97 Rz. 45; a.A. Burgi, NZBau 2008, 29 (32 f.); Scharen, NZBau 2009, 679 (681 f.); Ziekow, VergabeR 2006, 702 (708); außerdem Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 97 Rz. 5 ff., wobei zwischen Wettbewerbsgrundsatz und Transparenzgrundsatz unterschieden wird, da letzterer methodisch eine Ausformung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei und daher ein unmittelbarer Regelungsgehalt beim Transparenzgrundsatz bejaht wird. 4 Ausführlich Scharen, NZBau 2009, 679 (680 f.).

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die Ausschreibung somit „wegen Verstoßes gegen § 97 Abs. 1“ aufzuheben sei1. Ebenso wies die VK Bund in mehreren Beschlüssen vom April 2015 darauf hin, dass unbefristete Verträge schon aufgrund des allgemeinen Wettbewerbsgrundsatzes unzulässig seien2. Die Vergabekammern haben den Wettbewerbsgrundsatz damit unmittelbar als Ge- bzw. Verbotsnorm angewandt. Dies ist abzulehnen. Bei den Grundsätzen des Absatzes 1 Satz 1 handelt es sich 14 um Grundsätze im Sinne der Methodenlehre, also nicht um Regeln, die anknüpfend an einen Tatbestand eine Rechtsfolge bestimmen, sondern um Normen, die lediglich eine Zielrichtung vorgeben, die ihrerseits erst durch Regeln anzustreben ist3. Den Grundsätzen des Wettbewerbs und der Transparenz fehlt es in Absatz 1 Satz 1 bereits an einem hinreichend bestimmten Tatbestand. Dementsprechend gibt Absatz 1 Satz 1 vor, die Grundsätze hinsichtlich der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen zu wahren. Zwar hob der Wortlaut des Absatzes 1 in früherer Fassung die Anwendung „nach Maßgabe der folgenden Vorschriften“ hervor, mit der Streichung dieser Wörter im Rahmen der Vergaberechtsmodernisierung 2016 ist allerdings keine inhaltliche Veränderung diesbezüglich verbunden4. Eine über die Vergaberegeln hinausgehende Verpflichtung der Auftraggeber zur Herstellung von Wettbewerb und Transparenz wird durch Absatz 1 Satz 1 nicht begründet. Anders verhält es sich allerdings mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Absatzes 2 (Rz. 47 f.)5. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht. Vielmehr stellte der EuGH 15 in seiner pressetext-Entscheidung6 fest, dass „die Praxis der Vergabe eines unbefristeten öffentlichen Dienstleistungsauftrags an und für sich der Systematik und den Zielen der Gemeinschaftsvorschriften über öffentliche Dienstleistungsaufträge fremd ist“. Denn eine solche Praxis könne „auf lange Sicht den Wettbewerb zwischen potenziellen Dienstleistungserbringern beeinträchtigen und die Anwendung der Vorschriften der Gemeinschaftsrichtlinien über die Öffentlichkeit der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge verhindern“7. „Trotzdem“, so der Gerichtshof weiter, „verbietet das Gemeinschaftsrecht bei seinem derzeitigen Stand nicht den Abschluss von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen 1 VK Arnsberg v. 21.2.2006 – VK 29/05, NZBau 2006, 332 (332); im Ergebnis ebenso Frenz in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 97 Rz. 27; wohl auch Roth in Müller-Wrede, VOL/A-Kommentar, 3. Aufl. 2010, § 2 EG VOL/A Rz. 23. 2 VK Bund v. 16.4.2015 – VK 2-27/15, IBRRS 2015, 1042; v. 9.4.2015 – VK 2-19/15, IBRRS 2015, 1090; v. 8.4.2015 – VK 2-21/15, IBRRS 2015, 0987. 3 Burgi, NZBau 2008, 29 (32 f.) m.w.N. 4 S. wiederum BT-Drucks. 18/6281, S. 67. 5 A.A. Burgi, 2008, 29 (34). 6 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06 (pressetext Nachrichtenagentur), Slg. 2008, I-4401 = NZBau 2008, 518 ff. 7 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06 (pressetext Nachrichtenagentur), Slg. 2008, I-4401, Rz. 73 = NZBau 2008, 518 (522).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe auf unbestimmte Dauer“1. Damit hat der Gerichtshof klargestellt, dass auch der in den Vergaberichtlinien verankerte Wettbewerbsgrundsatz keinen regelnden Charakter hat, sich dem Grundsatz als solchem also insbesondere keine Geoder Verbote entnehmen lassen2. 16 Zwar dient der Transparenzgrundsatz auch dem Diskriminierungsverbot. Das führt allerdings nicht dazu, dass auch dem Transparenzgrundsatz ein unmittelbarer Regelungsgehalt zu entnehmen ist3. Wenn dieser lediglich als Ausformung des Gleichbehandlungsgebotes gesehen wird, engt ein solches Verständnis den Wirkungskreis des Grundsatzes zu sehr ein. Transparenz führt zwar auch zur Kontrollierbarkeit von Gleichbehandlung, darüber hinaus aber z.B. auch zu Kontrollierbarkeit staatlichen Handelns und der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Es bleibt bei einer methodischen Zielvorgabe. Daran ändert auch die Nähe zum Gleichbehandlungsgebot nichts.4 17 Mit der Einführung der Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit in Absatz 1 Satz 2, stellt sich die Frage nach einem regelnden Charakter auch für diese Grundsätze. Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz hat ebenso wie das Wettbewerbs- und Transparenzprinzip keinen unmittelbaren Regelungsgehalt. Für den Charakter einer reinen Auslegungsdirektive spricht neben dem allgemeingehaltenen Wortlaut der Norm („Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit gewahrt“) auch die Gesetzesbegründung, die die Eingliederung des Wirtschaftlichkeitsprinzips in Absatz 1 Satz 2 als Hervorhebung eines allgemeinen Grundsatzes betrachtet5. Außerdem sind schon vorhandene Ausprägungen des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht etwa verschwunden, sondern weiterhin im 4. Teil des GWB geregelt. Letztlich hat die Verankerung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes in Absatz 1 Satz 2 also nur klarstellende Funktion6. 18 Die Verankerung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat ebenfalls klarstellenden Charakter7. Ein regelnder Charakter widerspricht schon der Natur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Auch hier handelt es sich um einen Grundsatz im Sinne der Methodenlehre und eine Zielvorgabe, an derer sich das Verhalten der Auftraggeber im Vergabeverfahren auszurichten hat, nicht mehr und nicht weniger. 1 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06 (pressetext Nachrichtenagentur), Slg. 2008, I-4401, Rz. 74 = NZBau 2008, 518 (522). 2 S. auch Scharen, NZBau 2009, 679 (681). 3 S. zum Verhältnis zueinander EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8585, Rz. 49 = VergabeR 2005, 737 (742); vgl. auch Ziekow in Ziekow/Völlink, § 97 Rz. 5. 4 Vgl. dazu auch die Wortwahl in EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15 (Dimarso), IBRRS 2016, 2031 (Rz. 1) = VergabeR 2016, 721 (721): „im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter und der daraus hervorgehenden Transparenzpflicht“. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 67 f. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 67 f. 7 BT-Drucks. 18/6281, S. 67 f.

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Grundsätze der Vergabe | § 97

2. Wettbewerbsgrundsatz Der in der Diskussion deutlich im Vordergrund stehende Gehalt des Wett- 19 bewerbsgrundsatzes besteht in der Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Union und der Öffnung der Märkte für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten. Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt hierin das „Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen“1. Die Beachtung wettbewerblicher Prinzipien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge soll somit die Interessen der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer schützen und die Gefahr einer Bevorzugung einheimischer Bieter bei einer Auftragsvergabe ausschließen2. Die Betonung des Wettbewerbsprinzips beruht dementsprechend auf unionsrechtlichen Vorgaben3, namentlich den Vergaberichtlinien, in deren Begründungen die Bedeutung dieses Grundsatzes hervorgehoben wird4. Wettbewerb ist allerdings nicht nur Ziel, sondern gewissermaßen auch Instru- 20 ment des Vergaberechts. So liegt dem Wettbewerbsgrundsatz auch die Erkenntnis zugrunde, dass die Nutzbarmachung der Kräfte des Marktes dem Ziel des wirtschaftlichen Einkaufs der öffentlichen Hand und der sparsamen Verwendung von Steuergeldern5 dient. Bereits vor Inkrafttreten des Vergaberechtsänderungsgesetzes im Jahr 1999 war der Wettbewerbsgrundsatz aus diesem Grund in den Verdingungsordnungen verankert6. Da der Wettbewerb somit wesentliche Grundlage und Ziel des Vergaberechts ist, 21 finden sich Ausprägungen dieses Grundsatzes in einer Vielzahl von Regelungen, die sämtliche Verfahrensstufen betreffen. So etwa: – in dem Gebot zur Durchführung eines Vergabeverfahrens und dem damit verbundenen Verbot von de-facto-Vergaben (§ 119 Abs. 1)7, 1 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06 (pressetext Nachrichtenagentur), Slg. 2008, I-4401, Rz. 31 = NZBau 2008, 518 (520) m.w.N. 2 EuGH v. 27.11.2001 – verb. Rs. C-285 und 286/99 (Lombardini), Slg. 2001, I-9233, Rz. 36 = NZBau 2002, 101 (103); zur gesetzgeberischen Intention auch BT-Drucks. 18/6281, S. 67. 3 Zur Bedeutung des Wettbewerbsprinzips im Gemeinschaftsrecht allgemein Dreher, WuW 1998, 656 ff. 4 S. etwa noch Erwägungsgründe 2 und 4 der Richtlinie 2004/18/EG; Erwägungsgrund 1 der Vergaberichtlinie; Erwägungsgrund 3 der Konzessionsvergaberichtlinie; Erwägungsgrund 2 in der Sektorenrichtlinie. 5 BT-Drucks. 16/10117, S. 16; allgemein zu den Funktionen des Wettbewerbs Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs. 6 S. heute § 2 EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A, damals § 2 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A a.F. und § 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A a.F. 7 EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-26, Rz. 31 = NZBau 2005, 111 (115).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe – in dem grundsätzlichen Vorrang des offenen Verfahrens und nun auch nichtoffenen Verfahrens gegenüber den anderen Verfahrensarten (§ 119 Abs. 2)1, – in dem grundsätzlichen Verbot der Verengung einer Leistungsbeschreibung auf bestimmte Hersteller- oder markenbezogene Produkte (§ 31 Abs. 6 VgV, § 28 Abs. 6 SektVO, § 15 Abs. 3 KonzVgV, § 15 Abs. 8 VSVgV, § 7 EU Abs. 2 VOB/A)2, – in dem Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VgV, § 28 Abs. 2 Nr. 1 SektVO, § 15 Abs. 1 Satz 2 KonzVgV i.V.m. § 152 Abs. 1 i.V.m. § 121 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 2 Satz 1 VSVgV, § 7 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A)3, – in der Pflicht zur Bekanntmachung der Wertungs- bzw. Zuschlagskriterien (§ 58 Abs. 3 VgV, § 52 Abs. 3 SektVO, § 13 Abs. 1, 2 Nr. 2 KonzVgV, § 16 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 VOB/A)4, – in dem so genannten Nachverhandlungsverbot (§ 15 Abs. 5 Satz 2 VgV, § 11 Abs. 2 VSVgV, § 15 EU Abs. 3 VOB/A)5, – in der Pflicht zur vertraulichen Behandlung der abgegebenen Angebote (§ 54 VgV, § 5 SektVO, § 4 KonzVgV, § 19 Abs. 3 und § 30 Abs. 1 VSVgV, § 14 EU Abs. 1 Satz 2, Satz 3, Abs. 8 VOB/A)6 und – in der Pflicht zur Anwendung (nur) der bekanntgemachten Wertungs- bzw. Zuschlagskriterien (§ 18 Abs. 9 Satz 1 VgV, § 13 Abs. 1 KonzVgV, § 34 Abs. 2 Satz 1 VSVgV, § 3b EU Abs. 4 Nr. 8 Satz 1 VOB/A)7. 22 Der Wettbewerbsgrundsatz richtet sich an die öffentlichen Auftraggeber und

nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, an die Bewerber bzw. Bieter8. Allerdings er-

1 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 97 Rz. 8. 2 EuGH v. 3.12.2001 – Rs. C-59/00 (Vestergaard), Slg. 2001, I-9505, Rz. 22 = ZfBR 2002, 610 (611); auch VK Südbayern v. 21.7.2008 – Z3-3-3194-1-23-06/08, IBRRS 2009, 1277. 3 VK Nordbayern v. 12.5.2009 – 21.VK-3194-11/09, IBR 2009, 536; Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 11; Opitz, VergabeR 2009, 689 (696); s. auch Quack, ZfBR 2009, 411 ff. 4 OLG München v. 19.3.2009 – Verg 2/09, NZBau 2009, 341 (342). 5 OLG Düsseldorf v. 18.10.2006 – VII Verg 30/06, NZBau 2007, 254 (255); VK Sachsen v. 16.12.2009 – 1/SVK/57-09, IBRRS 2010, 0634; s. auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 38; Gnittke/Hatting in Müller-Wrede, VOL/A-Kommentar, § 18 EG VOL/A Rz. 28; Planker in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 5. Aufl. 2015, § 15 VOB/A Rz. 18 ff. 6 OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, VergabeR 2013, 123 (127); OLG Jena v. 19.4. 2004 – 6 Verg 3/04, VergabeR 2004, 520 (521); dazu Burgi, NZBau 2008, 29 (33). 7 OLG Frankfurt v. 28.2.2006 – 11 Verg 15/05, VergabeR 2006, 382 (387). 8 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 7; a.A. Fehling in Pünder/ Schellenberg, § 97 Rz. 54 ff.; Hailbronner in Byok/Jaeger, § 97 Rz. 14.

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Grundsätze der Vergabe | § 97

fordert der Wettbewerbsgrundsatz von den Auftraggebern nicht lediglich sich selbst wettbewerbsgerecht zu verhalten, sondern auch gegen wettbewerbswidriges Verhalten von Bewerbern bzw. Bietern einzuschreiten1. In § 2 EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 VOB/A ist eine entsprechende Pflicht ausdrücklich normiert. Die Art und Weise der Erfüllung dieser Pflicht steht grundsätzlich im Ermessen des Auftraggebers2. Anderes gilt z.B. für den Angebotsausschluss nach § 123, wobei auch hier Ausnahmen möglich sind (Absatz 5). „Wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen“ sind solche Ver- 23 haltensweisen von Bietern und Auftraggebern, die den Wettbewerb generell in irgendeiner Form beeinträchtigen3. Gegen den Wettbewerbsgrundsatz verstoßen auch verengte Leistungsbeschreibungen. So entschied etwa das OLG Koblenz im April 2016 über eine Leistungsbeschreibung, in der ein Umschlagplatz für Grünabfälle in der Stadt oder in der unmittelbaren Nähe der Stadt des Auftraggebers ohne sachliche Begründung verlangt wurde. Solche Vorgaben benachteiligen stadtferne Unternehmen unsachgemäß und verstoßen damit auch gegen das Wettbewerbsgebot des Absatzes 1 Satz 14. Eine im Sinne dieser Vorschriften unzulässige wettbewerbsbeschränkende Abrede wird in der Spruchpraxis der Vergabekammern und -senate auch angenommen, wenn sich ein Unternehmen parallel als Einzelbieter und als Mitglied einer Bietergemeinschaft an einem Vergabeverfahren beteiligt5 und dabei nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Angebote nicht unabhängig voneinander eingereicht wurden6. Teilweise wird darüber hinaus bereits der Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft als Abrede angesehen, die in der Regel wettbewerbsbeschränkend sei und daher zum Ausschluss führe7. Allerdings gelte dies nur im Grundsatz und nicht, wenn 1 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 9 Rz. 21; auch MüllerWrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2014, § 97 Rz. 7. 2 OLG Koblenz v. 26.10.2005 – 1 Verg 4/05, VergabeR 2006, 392 (399); Glahs in Kapellmann/Messerschmidt, § 2 VOB/A Rz. 23. 3 S. beispielhaft OLG München v. 14.3.2013 – Verg 32/12, VergabeR 2013, 917 (921); OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12, VergabeR 2014, 188 (193); VK Sachsen v. 23.5. 2014 – 1/SVK/011-14, NZBau 2014, 790 (790). 4 OLG Koblenz v. 20.4.2016 – Verg 1/16, VergabeR 2016, 497 (500). 5 OLG Celle v. 13.12.2007 – 13 Verg 10/07, OLGR Celle 2008, 253; OLG Düsseldorf v. 27.7. 2006 – Verg 23/06, VergabeR 2007, 229 (232); OLG Jena v. 19.4.2004 – 6 Verg 3/04, VergabeR 2004, 520 (521); zu Verstößen gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz s. auch OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12, VergabeR 2014, 188 (193); VG Frankfurt v. 4.11. 2011 – 5 L 2864/11.F, IBRRS 2013, 0697; VK Westfalen v. 22.4.2015 – VK 1-12/15, IBR 2015, 563; VK Südbayern v. 16.4.2014 – Z3-3-3194-1-05-02/14, VPRRS 2014, 0645. 6 EuGH v. 23.12.2009 – Rs. C-376/08 (Serrantoni und Consorzio stabile edili), Slg. 2009, I12169, Rz. 34 ff. = VergabeR 2010, 469 (474); s. in diesem Zusammenhang auch OLG Düsseldorf v. 16.11.2010 – Verg 50/10, IBRRS 2011, 0390; s. hierzu auch Gabriel, NZBau 2010, 225 (226); Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 8. 7 OLG Schleswig v. 15.4.2014 – 1 Verg 4/13, IBR 2014, 425; KG v. 21.12.2009 – 2 Verg 11/ 09, IBR 2010, 223.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe die auf demselben Markt tätigen Mitglieder erst durch das Eingehen der Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, ein Angebot abzugeben, um somit am Wettbewerb teilzunehmen (1. Fallgruppe) oder wenn die Unternehmen zwar für sich leistungsfähig sind, aber Kapazitäten aktuell fehlen (2. Fallgruppe) oder wenn sie zwar für sich leistungsfähig sind, aber im Rahmen einer wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Entscheidung erst der Zusammenschluss Erfolg verspricht (3. Fallgruppe)1. 24 Zu einem Angebotsausschluss kommt es weiterhin, wenn Unternehmen etwa

gegen § 3 UWG, §§ 1, 14 GWB, Art. 101 f. AEUV oder gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit verstoßen2. Ob Gleiches auch für Verstöße gegen Tarifverträge3 und die Bestimmungen in den Gemeindeordnungen über die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen bzw. kommunalen Unternehmen4 gilt, ist umstritten. 3. Transparenzgrundsatz

25 Wie der Wettbewerbsgrundsatz zählt auch das ebenfalls in Absatz 1 Satz 1 ver-

ankerte Transparenzprinzip zu den tragenden Grundsätzen des Vergaberechts. Auch der Transparenzgrundsatz beruht auf unionsrechtlichen Vorgaben5 und wird durch Detailregelungen in den Verordnungen (VgV, SektVO, KonzVgV, VSVgV) sowie in der im Oberschwellenbereich anwendbaren VOB/A konkretisiert. Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU (Vergaberichtlinie), Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU (Konzessionsvergaberichtlinie), Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie) sowie Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2009/81/EG (Vergaberichtlinie Verteidigung und Sicherheit) nennen den Trans-

1 OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, IBRRS 2016, 2218; v. 12.4.2016 – 13 Verg 1/16, VergabeR 2016, 502 (505); OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – Verg 3/16, IBRRS 2016, 2216; außerdem zu einer möglichen Pflicht zum Abschluss eines Kooperationsvertrags vor Zuschlagserteilung EuGH v. 14.1.2016 – C-234/14 (Ostas celtnieks), IBR 2016, 301 (Rz. 33 f.) = NZBau 2016, 227 (229); allgemein zu Bietergemeinschaften Lausen, Die Rechtsstellung von Bietergemeinschaften im Vergabeverfahren, 2010, S. 190 ff. und Ohrtmann, VergabeR 2008, 426 ff. 2 S. etwa Bauer in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, 13. Aufl. 2013, A § 2 Rz. 38 ff.; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 40; Franke/Kollewe in Franke/ Kemper/Zaner/Grünhagen, VOB-Kommentar, 5. Aufl. 2013, § 2 EG VOB/A Rz. 23; Glahs in Kapellmann/Messerschmidt, § 2 VOB/A Rz. 32. 3 S. hierzu Gersterkamp/Laumann, VergabeR 2007, 477 (481 ff.); Glahs in Kapellmann/ Messerschmidt, § 2 VOB/A Rz. 33. 4 Eine gegen Vergaberecht verstoßende Wettbewerbsverfälschung bejahend: OLG Düsseldorf v. 13.8.2008 – VII-Verg 42/07, IBRRS 2009, 2531; v. 17.6.2002 – Verg 18/02, NZBau 2002, 626 (626); a.A. OVG Münster v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 (1032); s. auch Glahs/Külpmann, VergabeR 2002, 555 (561 ff.); Mann, NVwZ 2010, 857 (861). 5 S. etwa EuGH v. 25.4.1996 – Rs. C-87/94 (Wallonische Busse), Slg. 1996, I-2043, Rz. 53 ff. = NVwZ 1997, 374 (376); Höfler, NZBau 2010, 73 (75 ff.).

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Grundsätze der Vergabe | § 97

parenzgrundsatz als wesentlichen Teil des Vergabeverfahrens. Zwar handelt es sich beim Transparenzgrundsatz um einen eigenständigen Grundsatz, eine Verletzung stellt einen Vergabeverstoß dar1. Allerdings steht der Transparenzgrundsatz nicht selbständig neben dem Wettbewerbsgrundsatz. Vielmehr kommt dem Transparenzgrundsatz im Hinblick auf den Wettbewerbsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot eine dienende Funktion zu2. Transparenz soll Korruption und weitere unlautere Verhaltensweisen im Vergabeverfahren verhindern3. Sie dient als Verfahrensgarantie der Information und Vorhersehbarkeit, der Nachvollziehbarkeit sowie Nachprüfung. a) Ermöglichung der Verfahrensbeteiligung Der Transparenzgrundsatz zielt zum einen darauf ab, dass potenzielle Bieter 26 ausreichende Kenntnis von dem Beschaffungsvorhaben erhalten. Denn nur wenn interessierte Unternehmen ausreichende Informationen über beabsichtigte Beschaffungsvorhaben, die genauen Anforderungen des Auftraggebers und die Vergabebedingungen erlangen können, besteht die Möglichkeit eines echten Bieterwettbewerbs4. Insofern umfasst das Transparenzgebot das Gebot, alle für potenzielle Bieter relevanten auftragsbezogenen Informationen publik zu machen. Transparenz dient also zunächst der Vorhersehbarkeit, es geht um die Transparenz der Maßstäbe der Entscheidungsfindung5. Ausfluss dieses Publizitätsgebotes ist allen voran die Verpflichtung öffentlicher 27 Auftraggeber, ihre Absicht, einen Auftrag zu vergeben, in geeigneter Art und Weise bekanntzugeben (§ 37 Abs. 1 Satz 1 VgV, § 35 Abs. 1 Satz 1 SektVO, § 19 Abs. 1 KonzVgV, § 35 Abs. 1 Satz 1 VSVgV, § 12 EU Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VOB/ A). Diese Bekanntmachung muss alle Informationen enthalten, die potenzielle Bieter benötigen, um entscheiden zu können, ob sie sich am Verfahren beteiligen wollen. Um die Transparenz dieser Bekanntmachungen zu erhöhen, wurde zum einen mit der Verordnung (EG) 2195/20026 das sog. Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge (Common Procurement Vocabulary – CPV) geschaffen, welches bei Bekanntmachungen zur Beschreibung des Auftragsgegenstandes anzuwenden ist. Zum anderen schreibt die Verordnung (EU) 2015/ 1 OLG Düsseldorf v. 17.3.2004 – VII-Verg. 1/04, VergabeR 2004, 513 (514). 2 Hailbronner in Byok/Jaeger, § 97 Rz. 24; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 97 Rz. 16; s. auch EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8585, Rz. 49 = VergabeR 2005, 737 (742). 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 67. 4 Vgl. EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rz. 18 = NZBau 2005, 592 (593). 5 S. Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 18. 6 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5.11.2002 über das Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV), ABl. Nr. L 340 v. 16.12.2002, S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) 596/2009 v. 18.6.2009, ABl. Nr. L 188 v. 18.7.2009, S. 14.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe 19861 Standardformulare vor, die von Auftraggebern sowohl für die Vergabebekanntmachung als auch für die übrigen in den Vergaberichtlinien vorgesehenen Veröffentlichungen zu verwenden sind2. 28 Weiter erfordert das Publizitätsgebot etwa, dass der Auftraggeber bei der Prü-

fung und Wertung der Angebote nur diejenigen Zuschlagskriterien – einschließlich der jeweiligen Gewichtungsregeln und Unterkriterien3 – berücksichtigen darf, die er in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen angegeben hat (§ 127 Abs. 5)4. Denn ohne Kenntnis des Bestehens und der Tragweite der vom Auftraggeber angewandten Zuschlagskriterien ist es potenziellen Bietern nicht möglich, ein den Anforderungen des Auftraggebers entsprechendes Angebot zu erstellen5.

b) Ermöglichung der Verfahrensüberprüfung 29 Zum anderen zielt der Transparenzgrundsatz darauf ab, die Nachprüfung zu er-

möglichen, ob die Grundsätze des Absatzes 1 und das Diskriminierungsverbot des Absatzes 2 gewahrt werden6. Insofern besteht eine deutliche Parallele zur Rechtsprechung des EuGH, wonach Richtlinien, welche Ansprüche des Einzelnen begründen sollen, von den Mitgliedstaaten derart umzusetzen sind, dass die Begünstigten in die Lage versetzt werden, „von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen“7.

1 Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 der Kommission vom 11.11.2015 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen für öffentliche Aufträge und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 842/2011, ABl. Nr. L 296 v. 12.11.2015, S. 1. 2 S. beispielhaft § 23 Abs. 2 Nr. 1 VgV, § 21 Abs. 2 Nr. 1 SektVO, § 19 Abs. 2 KonzVgV, § 17 Abs. 2 Satz 2 VSVgV, § 12 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A. 3 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 99 = NZBau 2003, 162 (168). 4 Grundlegend hierzu EuGH v. 24.1.2008 – Rs. C-532/06 (Lianakis u.a./Dimos Alexandroupolis u.a.), Slg. 2008, I-251, Rz. 33 ff. = IBR 2008, 170 (Rz. 33); BGH v. 8.9.1998 – X ZR 109/96, MDR 1998, 1407 m. Anm. Hertwig = NJW 1998, 3644 (3646). 5 S. EuGH v. 18.11.2010 – Rs. C-226/09 (Kommission/Irland), Slg. 2010, I-11824, Rz. 41 ff. = NZBau 2011, 50 (52); 24.11.2005 – Rs. C-331/04 (ATI EAC e Viaggi di Maio u.a.), Slg. 2005, I-10109, Rz. 23 = ZfBR 2006, 184 (186);v. 17.9.2002 – Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002, I-7213, Rz. 62 = NZBau 2002, 618 (622). 6 EuGH v. 18.6.2002 – Rs. C-92/00 (Hospital Ingenieure), Slg. 2002, I-5553, Rz. 45 = NZBau 2002, 458 (461); v. 18.10.2001 – Rs. C-19/00 (SIAC), Slg. 2001, I-7725, Rz. 41 = NZBau 2001, 693 (694); v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98 (Teleaustria), Slg. 2000, I-10745, Rz. 61 = NZBau 2001, 184 (151); v. 18.11.1999 – Rs. C-275/98 (Unitron Scandinavia), Slg. 1999, I-8291, Rz. 31 = NZBau 2000, 91 (92). 7 EuGH v. 30.5.1991 – Rs. C-361/88 (Kommission/Deutschland), Slg. 1991, I-2567, Rz. 15 = NVwZ 1991, 866 (866); v. 28.2.1991 – Rs. C-131/88 (Kommission/Deutschland) Slg. 1991, I-825, Rz. 6 = NVwZ 1991, 973 (973).

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Grundsätze der Vergabe | § 97

Zunächst aber bedarf es nicht nur für die Ermöglichung der Verfahrensbetei- 30 ligung, sondern auch für die Ermöglichung der Verfahrensüberprüfung einer Bekanntgabe der Bewertungskriterien und eine Dokumentation der Bewertungsgründe. D.h. insbesondere, dass Zuschlagskriterien in dem Maße veröffentlicht werden müssen, dass willkürliche Zuschlagserteilungen des Auftraggebers verhindert werden. Vereinfachte Drei-Punkte-Systeme oder Schulnotensysteme ohne hinreichend klare maßstabsgebende funktionelle Anforderungen sind daher nicht genügend. Vielmehr ist ein solch allgemein gehaltener Bewertungsmaßstab intransparent, solange das Wertungssystem objektiv Raum für Manipulationen und Willkür bei der Angebotsbewertung bietet1. Es bedarf zumindest einer Abstufung und einer jeweiligen Begründung für Punktabzüge, sodass konkrete Anforderungen an die jeweilige Punktezahl bzw. Benotung nachvollziehbar sind. Für Bieter muss erkennbar sein, unter welchen Voraussetzungen welche Punkte oder Schulnoten vergeben werden2. Grundsätzlich ist die Bewertungsmethode, anhand derer der öffentliche Auftraggeber die Angebote konkret bewertet und einstuft, vor Angebotseingang zu beschließen3. Ausnahmsweise aber, wenn eine Festlegung aus nachweislichen Gründen gar nicht vor Öffnung möglich war, kann der öffentliche Auftraggeber die Bewertungsmethode auch nach Kenntnisnahme vom Inhalt der Angebote festlegen. Dies setzt jedoch voraus, dass bekanntgemachte Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung unverändert bleiben4. Die Ermöglichung der Verfahrensüberprüfung verlangt zum einen wiederum 31 die Herstellung von Publizität, nämlich Publizität hinsichtlich des Verfahrensablaufes. Ausprägung dessen ist insbesondere neben der Informationspflicht des Auftraggebers gemäß § 134 Abs. 1 das Verbot der Zuschlagserteilung vor Ablauf der sog. Stillhaltefrist des § 134 Abs. 2 Satz 1. Der Herstellung von Publizität zum Zwecke der Überprüfbarkeit von Vergabeverfahren dienen zudem etwa die Pflicht zur Benachrichtigung der Bieter über die Aufhebung einer Ausschreibung (§ 63 Abs. 2 Satz 1 VgV, § 57 Satz 2 SektVO, § 32 Abs. 2 Satz 1 KonzVgV, § 37 Abs. 2 VSVgV, § 17 EU Abs. 2 VOB/A)5 und die Pflicht zur Be1 Vgl. dazu OLG Düsseldorf v. 1.6.2016 – VII-Verg 6/16, VergabeR 2016, 751 (760); v. 16.12.2015 – VII-Verg 25/15, VergabeR 2016, 487 (490); v. 21.10.2015 – VII-Verg 28/ 14, NZBau 2016, 235 (238); BGH v. 4.4.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366. 2 OLG Düsseldorf v. 15.6.2016 – VII Verg 49/15, VergabeR 2016, 762 (767); großzügiger bei der Benotung aufgrund funktional beschriebener Leistungsanforderungen BGH v. 4.4.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 (371). 3 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15 (Dimarso), IBRRS 2016, 2031 (Rz. 24) = VergabeR 2016, 721 (725); v. 24.1.2008 – Rs. C-532/06 (Lianakis u.a./Dimos Alexandroupolis u.a.), Slg. 2008, I-251, Rz. 38, 42 = IBR 2008, 170 (Rz. 38, 42). 4 So EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15 (Dimarso), IBRRS 2016, 2031 (Rz. 32) = VergabeR 2016, 721 (725). 5 S. Herig in Herig, VOB Praxiskommentar, 5. Aufl. 2013, § 17 VOB/A Rz. 33 f.; dazu auch noch Lischka in Müller-Wrede, VOL/A-Kommentar, § 20 EG VOL/A Rz. 87 ff.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe kanntmachung der Auftragserteilung (z.B. § 39 Abs. 1 VgV, § 38 Abs. 1 SektVO, § 21 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV, § 35 VSVgV, § 18 EU Abs. 4 VOB/A)1. 32 Eine effektive Verfahrensüberprüfung erfordert zum anderen eine Dokumenta-

tion des Vergabeverfahrens, die gewährleistet, dass der Gang des Verfahrens und dabei insbesondere die wesentlichen Entscheidungen der Vergabestelle durch die Bieter und die Nachprüfungsinstanzen nachvollzogen werden können2.

33 Eine entsprechende Dokumentationspflicht wird in § 163 Abs. 2 Satz 3 voraus-

gesetzt und ist als Pflicht zur Fertigung von Vergabevermerken in den Regelungswerken (s. etwa § 8 VgV, § 8 SektVO, § 6 KonzVgV, § 43 VSVgV, § 20 EU VOB/A) verankert. Danach müssen die einzelnen Stufen des Verfahrens, die maßgeblichen Feststellungen und die Begründung der einzelnen Entscheidungen dokumentiert werden. Der erforderliche Detaillierungsgrad richtet sich nach dem konkreten Sachverhalt, wobei die Dokumentation umso ausführlicher sein muss, je mehr Gesichtspunkte bei einer Entscheidung zu berücksichtigen sind3. Die Dokumentation muss des Weiteren zeitnah erfolgen und laufend fortgeschrieben werden4.

34 Weil die Dokumentation der Überprüfbarkeit der Ordnungsgemäßheit des Ver-

fahrensablaufes und damit der Wahrung der Rechte der Bewerber dient, führen Mängel in der Dokumentation grundsätzlich dazu, dass das Vergabeverfahren ab der Verfahrensstufe, bei der der Dokumentationsmangel vorliegt, zu wiederholen ist5. Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens kann dies freilich nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn der Antrag zulässig ist, der Antragsteller also insbesondere geltend machen kann, dass sich der Dokumentationsmangel auf seine Rechtsstellung nachteilig ausgewirkt hat6. 4. Wirtschaftlichkeitsgrundsatz

35 Die Vergaberechtsmodernisierung 2016 ergänzte § 97 Absatz 1 um einen Satz 2

mit zwei weiteren Grundsätzen. Einer davon ist der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, der auch schon vor seiner ausdrücklichen Normierung im GWB als „Leit-

1 Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, § 18 EG VOB/A Rz. 4. 2 S. OLG Celle v. 11.2.2010 – VII-Verg 10/07, VergabeR 2010, 669 (673); OLG München v. 17.1.2008 – Verg 15/07, VergabeR 2008, 574 (578); OLG Düsseldorf v. 11.7.2007 – Verg 10/07, IBR 2008, 233; vgl. auch jüngere Entscheidungen zur strengen Dokumentationspflicht: OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 (245 f.); OLG München v. 25.9.2014 – Verg 9/14, IBRRS 2014, 2616; VK Sachsen-Anhalt v. 19.3.2014 – 3 VK LSA 08/14, IBRRS 2015, 0207. 3 OLG Frankfurt v. 28.11.2006 – 11 Verg 4/06, NZBau 2007, 804 (805). 4 OLG München v. 19.12.2007 – Verg 12/07, ZfBR 2008, 210 (215). 5 S. etwa OLG Celle v. 11.2.2010 – 13 Verg 16/09, VergabeR 2010, 669 (673); OLG Frankfurt v. 28.11.2006 – 11 Verg 4/06, NZBau 2007, 804 (805). 6 OLG Frankfurt v. 28.11.2006 – 11 Verg 4/06, NZBau 2007, 804 (805).

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prinzip“1 im Vergaberecht wahrgenommen wurde2 und vormals in Absatz 5 („Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt“, jetzt § 127 Abs. 1 Satz 1) seinen Platz in der Grundsatznorm des § 97 fand. Art. 67 der Vergaberichtlinie, Art. 41 der Konzessionsvergaberichtlinie und Art. 82 der Sektorenrichtlinie nennen als Ziele des Vergabeverfahrens im Rahmen der Zuschlagserteilung einen wirtschaftlichen Gesamtvorteil bzw. das wirtschaftlich günstigste Angebot. Insofern stellt die Neuformulierung auch eine Anpassung an die Richtlinienvorgaben dar. Die verfassungsrechtliche Verankerung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes fin- 36 det sich in Art. 114 Abs. 2 GG, nach der der Bundesrechnungshof die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung prüft, wobei der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz „nicht nur als Kontrollmaßstab des Bundesrechnungshofs, sondern darüber hinausgehend auch als umfassend geltendes Prinzip für alle staatlichen Einrichtungen“ gilt3. Seine Wurzeln hat er im Haushaltsrecht, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit 37 sind geregelt in § 6 Abs. 1 HGrG und § 7 BHO. Sowohl das Haushaltsgrundsätzegesetz als auch die Bundeshaushaltsordnung schreiben Mittel zur Umsetzung der Zielvorgabe von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vor: Neben der Pflicht für alle finanzwirksamen Maßnahmen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen (§ 6 Abs. 2 HGrG, § 7 Abs. 2 Satz 1 BHO), werden in geeigneten Bereichen Kosten- und Leistungsrechnungen (§ 6 Abs. 3 HGrG, § 7 Abs. 3 BHO), die Berücksichtigung von Risikoverteilung (§ 7 Abs. 2 Satz 2 BHO), die Prüfung von möglicher Ausgliederung und Entstaatlichung oder Privatisierung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BHO) und wiederum in geeigneten Fällen Interessenbekundungsverfahren (§ 7 Abs. 2 Satz 3 BHO) vorgeschrieben. Ausprägungen des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes sind reichlich vorhanden. So 38 etwa: – in § 127 Abs. 1 Satz 1 (vorher § 97 Abs. 5), der als Ziel des Vergabeverfahrens den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot nennt und weiterhin in diesem Zusammenhang voranzustellen ist, – in § 119 Abs. 2 und dem grundsätzlichen Vorrang von offenem bzw. nichtoffenem Verfahren gegenüber Verfahren ohne Bekanntmachung, – in § 120 Abs. 2 („wirtschaftlichste Angebot“, vorher § 101 Abs. 6) sowie – in den §§ 169 Abs. 2 Satz 2, 173 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 und 176 Abs. 1 Satz 2 („das Interesse der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben des Auftraggebers zu berücksichtigen“, vorher §§ 115 Abs. 2 Satz 2, 118 Abs. 2 Satz 2, 121 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1), 1 Bungenberg, Vergaberecht im Wettbewerb der Systeme, 2007, S. 135 ff., 162 ff. 2 S. auch Fehling in Pünder/Schellenberg, VergabeR, § 97 Rz. 48. 3 Kube in Maunz/Dürig, GG, 77. Ergänzungslieferung: Juli 2016, Art. 114 GG Rz. 104.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe – schließlich auch in den § 28 VgV, § 26 SektVO und der grundsätzlich zulässigen Markterkundung, 39 Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz verlangt letztlich als allgemeine Zielvorgabe

maximale Zweckerreichung durch minimalen Kostenaufwand1.

5. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 40 Ebenso wie der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz wurde mit der Vergaberechts-

modernisierung 2016 auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Absatz 1 Satz 2 geregelt. Allerdings hieß es schon im Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 2004/18/EG „Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere […] des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“, sodass – wenngleich nur als Auslegungshilfe – das Übermaßverbot nicht erst durch die ausdrückliche Normierung im GWB Bedeutung im Vergabeverfahren erfährt. Die Art. 18 Abs. 1 der Vergaberichtlinie, Art. 3 Abs. 1 der Konzessionsvergaberichtlinie sowie Art. 36 Abs. 1 der Sektorenrichtlinie schreiben nun die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor, Satz 2 verankert ihn auch ausdrücklich im 4. Teil des GWB.

41 Nicht nur im deutschen Verfassungsrecht spielt der Verhältnismäßigkeitsgrund-

satz eine herausragende Rolle, auch im Unionsrecht ist er als allgemeiner und ungeschriebener Rechtsgrundsatz anerkannt2. Ausdrücklich ist er in Art. 5 Abs. 4 EUV geregelt. Danach ist eine Maßnahme dann verhältnismäßig, wenn sie erstens geeignet, zweitens erforderlich und drittens angemessen ist. Geeignet ist eine Maßnahme, wenn sie die Erreichung des angestrebten Zieles zumindest fördert. Erforderlich ist die Maßnahme dann, wenn sich das Ziel nicht durch ein anderes geeignetes und milderes sowie gleich effektives Mittel realisieren lässt. Schließlich ist die Maßnahme angemessen, sofern sie nach Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile ein angemessenes Verhältnis zu dem angestrebten Ziel wahrt (Art. 5 Satz 5 Subsidiaritätsprotokoll, Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 EUV).

42 Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die Auftraggeber

ist bei jeglicher Beschaffungsaktivität als Verfahrensmaßstab heranzuziehen, speziell im Rahmen von Leistungsbeschreibung, Eignung, Zuschlag und Ausführungsbedingungen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss insbesondere bei 1 S. zum Maximal- und Minimalprinzip beispielhaft Butzer in Epping/Hillgruber, GG, 30. Edition: Juni 2016, Art. 114 GG Rz. 6. 2 EuGH v. 18.2.1982 – Rs. C-77/81 (Zuckerfabrik Franken), Slg. 1982, I-681 Rz. 25 = ZfZ 1982, 174 Rz. 25; hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit im Rahmen von Ermessensentscheidungen EuGH v. 19.6.1980 – verb. Rs. 41, 121, 796/79 (Testa/Bundesanstalt für Arbeit), Slg. 1980, II-1979 Rz. 21 = EuGRZ 1980, 493 (Rz. 21); Calliess in Calliess/Ruffert, EUV/AUEV, 5. Aufl. 2016, Art. 5 EUV Rz. 44.

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Ermessensentscheidungen der Auftraggeber beachtet werden, sodass beispielhaft keine überhöhten Anforderungen an die Qualifikationen der Bieter im Verhältnis zum Vergabegegenstand gestellt werden dürfen1. Ausformungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes können z.B. auch innerhalb von Fristenregelungen eine Rolle spielen, dies macht schon die Wortwahl in § 20 Abs. 1 VgV deutlich: „Bei der Festlegung von Fristen […] sind die Komplexität der Leistung und die Zeit für die Ausarbeitung der Angebote angemessen zu berücksichtigen“2. Eine weitere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgebotes ist die Anwendung 43 des ultima ratio-Prinzips hinsichtlich des Ausschlusses von Bietern aufgrund möglicher Wettbewerbsvorteile als Folge einer Vorauftragnehmer- oder sogar Projektantenstellung (§ 124 Rz. 118 ff.). Bevor es zum Ausschluss des betroffenen Bieters kommt, bedarf es der Prüfung, ob überhaupt Wissensvorsprünge durch die konkrete Stellung bestehen3 oder Informationsvorsprünge möglicherweise ausgeglichen werden können. Ausdruck findet dies in Bezug auf die Projektantenstellung sogar ausdrücklich in § 124 Abs. 1 (Nr. 6). Auch § 123 Abs. 5 Satz 2 ist hier anzuführen. Der EuGH hat außerdem festgestellt, dass ein Ausschluss eines Bieters wegen Nichterfüllung von Pflichten, die nicht ausdrücklich in den Verfahrensunterlagen oder den Rechtsvorschriften geregelt, sondern lediglich mittels Auslegung erkennbar sind, sowohl dem Gleichbehandlungsgrundsatz als auch dem Transparenzprinzip entgegensteht. In diesem Zusammenhang verlange auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine „zweite Chance“ und eine angemessene Fristsetzung zur Nachholung der Verpflichtung4. 6. Verhältnis der Grundsätze des Absatzes 1 untereinander Die Grundsätze des Wettbewerbs und der Transparenz stehen in einer engen 44 Wechselbeziehung zueinander5. So setzt ein echter Bieterwettbewerb einerseits die Schaffung eines bestimmten Maßes an Transparenz in Form von Publizität hinsichtlich des Beschaffungsvorhabens voraus6. Andererseits findet das Transparenzgebot im Wettbewerbsgrundsatz seine Grenze. Denn zu den unverzichtbaren Kennzeichen einer wettbewerblichen Auftragsvergabe zählt auch die Gewährleistung eines Geheimwettbewerbs zwischen den an der Ausschreibung teil1 OLG Koblenz v. 20.4.2016 – Verg 1/16, VergabeR 2016, 497 (500); s. Burgi, DVBl. 2003, 949 (957); das Beispiel ebenso nutzend Frenz in Willenbruch/Wieddekind, § 97 Rz. 26. 2 S. auch § 27 Abs. 1 KonzVgV, § 10 EU Abs. 1 VOB/A. 3 Vgl. dazu EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C21/03, 34/03 (Fabricom), Slg. 2005, I-1559, Rz. 28 ff. = NZBau 2005, 351 (353). 4 EuGH v. 2.6.2016 – C-27/15 (Pizzo), IBR 2016, 408 (Rz. 35, 51) = VergabeR 2016, 604 (608 f.). 5 S. etwa Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 97 Rz. 16, der insofern von einer „äußerst komplexen Kausalitäts- und Ergänzungsbeziehung“ spricht. 6 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 15.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe nehmenden Bietern1. Praktisch kommt diese Grenzziehung insbesondere bei der Frage zum Tragen, ob und inwiefern Einsicht in die Vergabeakte nach § 165 Abs. 2 aufgrund des Geheimschutzes und von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen zu versagen ist (§ 165 Rz. 23, 37). 45 Ähnlich wie der Transparenzgrundsatz hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Verfahrensmaßstab im Vergabeverfahren dienende Funktion, sowohl bezüglich des Wettbewerbs als auch der Wirtschaftlichkeit. Die Wirtschaftlichkeit eines Zuschlags (das beste Preis-Leistungs-Verhältnis) am Ende eines Vergabeverfahrens, ist letztendlich das Ergebnis der Einhaltung der anderen in Absatz 1 geregelten Grundsätze. Transparenz und Verhältnismäßigkeit dienen dem Wettbewerb – Wettbewerb führt zu Wirtschaftlichkeit. 46 Transparenz und Verhältnismäßigkeit sind also Mittel zum Zwecke des Wettbewerbs, der im Zuschlag des wirtschaftlichsten Angebotes mündet.

IV. Diskriminierungsverbot (§ 97 Abs. 2) 47 Nach § 97 Abs. 2 sind die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu be-

handeln, soweit eine Ungleichbehandlung nicht aufgrund des GWB ausdrücklich geboten oder gestattet ist. Statt „Benachteiligung“ heißt es seit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 „Ungleichbehandlung“. Zwar legt die Nuancierung den Fokus vermehrt auf die Auftraggeber, eine materielle Gesetzesänderung geht jedoch nicht mit der Neuformulierung einher2. Die Vorschrift normiert damit das Gleichbehandlungs- und Diskriminierungsverbot, das zu den tragenden Pfeilern sowohl des europäischen Vergaberechts3 als auch des allgemeinen Unionsrechts (Art. 18 AEUV) und des deutschen Rechts (Art. 3 GG) zählt. Seine Beachtung ist in den Verordnungen und der VOB/A vorgeschrieben4 und näher konkretisiert. Art. 18 Abs. 1 Satz 2 der Vergaberichtlinie, Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der

1 S. EuGH v. 14.2.2008 – Rs. C-450/06 (Varec), Slg. 2008, I-581, Rz. 35 = ZfBR 2008, 304 (307): „Um dieses Ziel [Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten] zu erreichen, dürfen die öffentlichen Auftraggeber keine das Vergabeverfahren betreffenden Informationen preisgeben, deren Inhalt dazu verwendet werden könnte, den Wettbewerb entweder in einem laufenden Vergabeverfahren oder in späteren Vergabeverfahren zu verfälschen“; s. auch OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12, NZBau 2013, 321 (324); v. 16.9.2003 – Verg 52/03, VergabeR 2003, 690 (691); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 12; allgemein zum Widerstreit zwischen Transparenzgebot und Geheimhaltungsschutz Lorsch, VergabeR 2008, 739 ff. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 68. 3 Grundlegend EuGH v. 22.6.1993 – Rs. C-243/89 (Kommission/Dänemark), Slg. 1993, I3393, Rz. 33 = IBR 1993, 409 (Rz. 33). 4 S. grundsätzlich § 12 Abs. 3 KonzVgV, § 2 EU Abs. 2 VOB/A und speziell z.B. § 17 Abs. 13 Satz 1 VgV hinsichtlich der Gleichbehandlung von Bietern im Verhandlungsverfahren, § 46 Abs. 2 SektVO für die Anforderungskriterien, § 9 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV hinsichtlich elektronischer Mittel, § 13 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 VSVgV für die Gleichbehand-

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Konzessionsvergaberichtlinie sowie Art. 36 Abs. 1 Satz 3 der Sektorenrichtlinie definieren eine unzulässige künstliche Wettbewerbseinschränkung als absichtliche Bevorzugung oder Benachteiligung von Wirtschaftsteilnehmern. 1. Funktion Wie die Grundsätze des Wettbewerbs und der Transparenz zählt auch das Dis- 48 kriminierungsverbot zu den grundlegenden Prinzipien des Kartellvergaberechts. Ebenso wie die Grundsätze des Absatzes 1 ist daher auch das Diskriminierungsverbot Auslegungsdirektive für die Vergaberegeln1. Anders als die Grundsätze des Wettbewerbs- und der Transparenz (Rz. 19 ff., 49 25 ff.) stellt das Diskriminierungsverbot des Absatzes 2 allerdings keinen bloßen Grundsatz im Sinne der Methodenlehre, also nicht lediglich einen normativ auszufüllenden Programmsatz dar. Denn in Absatz 2 ist bereits eine Konkretisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und Diskriminierungsverbots des Unionsrechts bzw. des Verfassungsrechts zu erkennen2. Dementsprechend bedarf das Diskriminierungsverbot in den weiteren Vergaberegeln keiner Umsetzung. Vielmehr sind – wie bereits der Wortlaut von Absatz 2 klarstellt – in den weiteren Vergaberegeln die Fälle erfasst, in denen „eine Ungleichbehandlung … auf Grund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet [ist]“. Insofern findet damit innerhalb des Anwendungsbereiches der §§ 97 ff. eine Limitierung von Rechtfertigungsgründen für Ungleichbehandlungen statt: Während Einschränkungen sowohl des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbotes als auch des allgemeinen Gleichheitssatzes – im Rahmen der Verhältnismäßigkeit – grundsätzlich durch jeden sachlichen Grund gerechtfertigt werden können, sind Ungleichbehandlungen im Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts nur dann rechtmäßig, wenn und soweit diese durch Vergaberegelungen geboten oder gestattet sind3. Ein Rückgriff auf nicht geregelte Rechtfertigungsgründe scheidet somit aus. 2. Geltungsbereich In sachlicher Hinsicht umfasst das Diskriminierungsverbot jede Stufe des Ver- 50 gabeverfahrens4. Eine Diskriminierung kann daher bereits in der Entscheidung

1 2 3 4

lung von Bietern im Wettbewerblichen Dialog, § 3 EU Nr. 2 VOB/A für die Kriterien im Teilnahmewettbewerb beim nichtoffenen Verfahren. S. etwa BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84 ff. = MDR 2009, 370 (Rz. 22). Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 24. S. hierzu etwa BGH v. 26.9.2006 – X ZB 14/06, BGHZ 169, 131 ff. (Rz. 27): „Außerhalb der in § 97 Abs. 2 GWB genannten Ausnahmen muss deshalb der öffentliche Auftraggeber das Gleichbehandlungsgebot einschränkungslos beachten.“ S. etwa EuGH v. 18.10.2001 – Rs. C-19/00 (SIAC Construction), Slg. 2001, I-7725, Rz. 34 = NZBau 2001, 693 (694): „Im Einzelnen müssen die Bieter sowohl zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre Angebote vorbereiten, als auch zu dem Zeitpunkt, zu dem diese vom öffentlichen Auftraggeber beurteilt werden, gleichbehandelt werden.“

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe des Auftraggebers liegen, kein offenes Verfahren oder nichtoffenes Verfahren durchzuführen1 oder eine Leistung bzw. Ware ausschließlich hersteller- oder markenbezogen auszuschreiben2. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot bleibt denkbar, bis das Vergabeverfahren abgeschlossen, also der Zuschlag wirksam erteilt oder das Verfahren anderweitig (wirksam)3 beendet ist. 51 In personeller Hinsicht erfasst Absatz 2 als Konkretisierung auch und insbeson-

dere des (allgemeinen) unionsrechtlichen Diskriminierungsverbotes zunächst Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit i.S.v. Art. 18 AEUV. Insofern fallen daher alle Interessenten aus Mitgliedstaaten der EU in den Anwendungsbereich der Vorschrift4.

52 Absatz 2 schützt darüber hinaus auch Inländer. Nach der Rechtsprechung des

EuGH folgt dies bereits aus dem vergaberechtlichen Diskriminierungsverbot der Vergaberichtlinien. Denn die sich daraus ergebenden Verpflichtungen gelten unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder vom Ort der Niederlassung der Bieter und schließen daher auch inländische Unternehmen ein5.

53 Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt schließlich auch für Staatsangehörige aus

Drittstaaten6. § 55 Abs. 1 Satz 1 SektVO stellt diesbezüglich eine Ausnahmeregelung im Sinne des § 97 Abs. 2 Halbs. 2 dar.

54 Entscheidend für die Eröffnung des Geltungsbereichs des vergaberechtlichen

Diskriminierungsverbotes des Absatzes 2 ist somit nicht die Herkunft bzw. der Sitz des Unternehmens, sondern die Klassifizierung als „Teilnehmer an einem Vergabeverfahren“. Nach Auffassung des OLG Jena fallen hierunter nur die „am konkreten Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen“7. Auf Absatz 2 könnten sich danach weder potenzielle Bieter berufen, die – etwa im Falle einer De-facto-Vergabe – von vornherein nicht an dem Vergabeverfahren beteiligt waren, noch Bieter, die rechtmäßig von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen worden sind.

55 Dieser Auffassung ist zu widersprechen. Denn nach gefestigter Rechtsprechung

des EuGH stellt gerade die De-facto-Vergabe, also das rechtswidrige Unterlassen

1 BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116 ff. = MDR 2005, 973 (Rz. 28); dazu auch Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 Rz. 61. 2 Näher hierzu Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 32 und vor allem Rz. 99 ff. 3 S. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 61 m.w.N. 4 Vgl. VK Bund v. 12.11.2009 – VK 3-208/09, IBR 2010, 1007. 5 EuGH v. 25.4.1996 – Rs. C-87/94 (Wallonische Busse), Slg. 1996, I-2043, Rz. 31 ff. = NVwZ 1997, 374 (375). 6 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 76; Fehling in Pünder/Schellenberg, § 97 Rz. 76; Hailbronner in Byok/Jäger, § 97 Rz. 54; hervorgehoben in der Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/6281, 68. 7 OLG Jena v. 20.6.2005 – 9 Verg 3/05, NZBau 2005, 476 (480).

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eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens, „eine unterschiedliche Behandlung zum Nachteil des in dem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen [potentiell an dem Auftrag interessierten] Unternehmens“1, also einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dar. Dieser Verstoß wäre nach der Rechtsprechung des OLG Jena für die potenziellen Interessenten nicht angreifbar, so dass insofern eine Rechtsschutzlücke bliebe. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, den Begriff der „Teilnehmer an einem Vergabeverfahren“ weit auszulegen, also hierunter auch lediglich potenzielle Bieter bzw. Bewerber zu fassen2. 3. Anforderungen Grundsätzlich untersagt das Diskriminierungsverbot nach ständiger Rechtspre- 56 chung des EuGH die Ungleichbehandlung von Gleichem bzw. die Gleichbehandlung von Ungleichem3. Der Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, dass alle (potenziellen) Bewerber bzw. Bieter die gleichen Chancen auf Erlangung des Auftrages (Chancengleichheit) erhalten4. Dieses Ziel kommt bereits bei der Erstellung der Vergabeunterlagen zum Tra- 57 gen. So etwa in den Verordnungen und in der VOB/A normierten Pflicht der Auftraggeber, die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen5. Unklare Leistungsbeschreibungen stellen daher einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot dar6. Für die Angebotsphase folgt aus dem Gleichbehandlungsgebot insbesondere, 58 dass allen Bietern bzw. Bewerbern die gleichen Chancen auf Abgabe eines Angebotes einzuräumen sind. In offenen Verfahren müssen daher alle interessierten Unternehmen nicht nur die Möglichkeit haben, überhaupt ein Angebot abgeben zu können; der Auftraggeber muss auch – und zwar in allen Vergabever1 EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rz. 17 f. = NZBau 2005, 592 (593). 2 So auch Fehling in Pünder/Schellenberg, § 97 Rz. 75; Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 62. 3 EuGH v. 10.10.2013 – Rs. C-336/12 (Manova A/S), NZBau 2013, 783 (784); v. 3.3.2005 – verb. Rs. C-21/03, 34/03 (Fabricom), Slg. 2005, I-1559, Rz. 27 = NZBau 2005, 351 (353). 4 S. etwa KG v. 13.3.2008 – 2 Verg 18/07, NZBau 2008, 466 (469); OLG Jena v. 16.7.2007 – 9 Verg 4/07, VergabeR 2008, 269 (272); VK Brandenburg v. 19.12.2013 – VK 23/13, VPR 2014, 289; Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 24; bezüglich des Verbots von Willkür gegen einzelne Bieter EuGH v. 12.3.2015 – Rs. C-538/13 (eVigilio), NZBau 2015, 306 (309) und Hessischer VGH v. 15.10.2014 – 9 C 1276/13.T, VPR 2015, 197. 5 § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VgV, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SektVO, § 15 Abs. 1 Satz 2 KonzVgV i.V.m. §§ 152 Abs. 1 i.V.m. 121 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 2 Satz 1 VSVgV, § 7 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A. 6 OLG Naumburg v. 16.9.2002 – 1 Verg 02/02, NZBau 2003, 628 (432).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe fahren im Anwendungsbereich der §§ 97 ff.1 – gewährleisten, dass die Bedingungen für die Angebotsabgabe für alle Bieter und Bewerber gleich sind. Dies gilt etwa im Hinblick auf die Angebotsfristen2 und die inhaltlichen Anforderungen an die Angebote3. Die Gewährung von Nachbesserungen von Angeboten nach Angebotsablehnung ist ebenso gleichheitswidrig4. Weiterhin verbietet sich aus diesem Grund eine Bevorzugung einzelner Bieter etwa bei der Gewährung von Informationen, die nicht in den Vergabeunterlagen enthalten sind. Werden Fragen eines Bewerbers oder Bieters beantwortet, ist es daher erforderlich, diese Antwort allen beteiligten Unternehmen zukommen zu lassen5. 59 Für die Wertungsphase folgt aus dem Gleichbehandlungsgebot insbesondere,

dass die den Bewerbern bekanntgemachten Eignungs- und Wertungskriterien anzuwenden sind, also bekanntgemachte Eignungs- und Wertungskriterien weder unangewandt bleiben noch andere, vor Angebotsabgabe nicht bekanntgemachte Eignungs- und Wertungskriterien, angewandt werden (§ 122 Rz. 68, § 127).

60 Absatz 2 erfordert grundsätzlich eine formale Gleichbehandlung6. Ein Aus-

gleich wettbewerbsrelevanter Unterschiede zwischen den Bewerbern, namentlich von Wissensvorsprüngen einzelner Bewerber, ist den Auftraggebern hingegen in der Mehrzahl der Fälle nicht möglich und wäre in der Regel auch nicht sachgerecht7. Es würde dem Wettbewerbsgrundsatz widersprechen, weil Wettbewerb auf Differenzierung und der Erarbeitung von natürlichen Vorsprüngen aufbaut. Denn gerade aus unterschiedlichen Erfahrungs- und Wissensständen ergibt sich für Auftraggeber die Chance, diese im Interesse einer wirtschaftlichen Beschaffung nutzbar zu machen. Das Gleichbehandlungsgebot beinhaltet daher keine Verpflichtung des Auftraggebers, bestehende Wettbewerbsvorteile bzw. -nach1 Vgl. etwa OLG Celle v. 16.1.2002 – 13 Verg 1/02, VergabeR 2002, 299 (301); OLG Frankfurt v. 10.4.2001 – 11 Verg 1/01, VergabeR 2001, 299 (302). 2 S. etwa OLG Dresden v. 14.4.2000 – WVerg 0001/00, BauR 2000, 1591 (Rz. 34), wonach eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorliegt, wenn nicht alle Bewerber über eine Verlängerung der Angebotsfrist informiert werden. 3 OLG München v. 8.6.2010 – Verg 08/10, IBR 2010, 467. 4 VK Bund 12.6.2015 – VK 2-31/15, ZfBR 2015, 822 (825) hinsichtlich eines Teilnehmerwettbewerbs. 5 BGH v. 26.10.1999 – X ZR 30/98, MDR 2000, 1008 = BauR 2000, 254 (255); KG v. 3.11. 1999 – Kart Verg 3/99, NZBau 2000, 209 (210); VK Bund v. 30.8.2013 – VK 2-70/13, IBR 2014, 45. 6 A.A. – allerdings ohne nähere Begründung – VK Brandenburg v. 2.10.2006 – 2 VK 38/06, ZfBR 2007, 185 (189): „Der Gleichbehandlungsgrundsatz erschöpft sich nicht in der formalen Gleichbehandlung, sondern verlangt eine materielle Gleichbehandlung der am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen.“ 7 OLG Koblenz v. 22.7.2014 – 1 Verg 3/14, VPR 2015, 1020; OLG Bremen v. 9.10.2012 – Verg 1/12, IBR 2013, 102; OLG Naumburg v. 5.12.2008 – 1 Verg 9/08, VergabeR 2009, 486 (494 f.); BayObLG v. 5.11.2002 – Verg 22/02, VergabeR 2003, 186 (190).

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teile zwischen den Bewerbern auszugleichen1. Vielmehr steht das Diskriminierungsverbot Ungleichbehandlungen grundsätzlich auch dann entgegen, wenn damit – etwa durch Begünstigung von Newcomern oder kleinen oder mittleren Unternehmen – der Wettbewerb gefördert werden soll. Auch bei Vorauftragnehmern ist ein Ausschluss im Rahmen von neuen Aus- 61 schreibungen nur in Ausnahmefällen notwendig. Vielmehr sind auch hier Schutzmaßnahmen vom Auftraggeber vorzunehmen, die Informationsvorsprünge ausgleichen, die auf ihn selbst zurückgehen. Ansonsten ist eine Beteiligung des Vorauftragnehmers als Bieter in einer „neuen“ Runde für gewöhnlich nicht zu beanstanden2. Anderes gilt allerdings in dem Fall, dass ein Wettbewerbsvorteil aus einem In- 62 formationsvorsprung resultiert, der aus einer vorherigen Sonderbeziehung zwischen der Vergabestelle und einem Unternehmen herrührt. Derartige Wettbewerbsvorteile sind von der Vergabestelle grundsätzlich auszuräumen3. Insbesondere muss die Vergabestelle daher, wenn sie sich bei der Erstellung der Vergabeunterlagen von einem Unternehmen beraten oder unterstützen lassen hat (sog. Projektant), sicherstellen, dass dies nicht zu einer Verfälschung des Wettbewerbs führt4. Problematisch ist der Fall eines Bieters, der im Nachprüfungsverfahren Infor- 63 mationen erhält und diese aufgrund einer Zurückversetzung des Verfahrens nutzen kann. Die VK Bund entschied hier, dass ein Informationsausgleich durch den Auftraggeber für ein gleichberechtigtes Verfahren notwendig ist5. Dies ist für die Wahrung der Chancengleichheit im Vergabeverfahren unerlässlich. Keine Diskriminierung stellt es dar, wenn der Auftraggeber Bieter zu einem Ver- 64 gabeverfahren zulässt, die rechtmäßig staatliche Beihilfen erhalten haben6. Anderenfalls könnte der Zweck, der mit der Gewährung der öffentlichen Beihilfe verbunden ist, in vielen Fällen nicht erreicht werden. Der Auftraggeber ist daher auch nicht verpflichtet, der Frage nachzugehen, ob ein Bieter eine rechtswidrige Beihilfe, also insbesondere staatliche Zuwendungen, die nicht bei der EU-Kom1 S. etwa OLG Koblenz v. 5.9.2002 – 1 Verg 2/02, VergabeR 2002, 617 (628). 2 OLG Düsseldorf v. 5.12.2012 – VII-Verg 29/12, VergabeR 2013, 614 (617) vergleichend mit der Projektantenstellung mit Verweis auf EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C21/03, 34/03 (Fabricom), Slg. 2005, I-1559, Rz. 28 ff. = NZBau 2005, 351 (353); VK Bund v. 8.4.2011 – VK 1-14/11. 3 Zur Reichweite dieser Pflicht s. etwa OLG Brandenburg v. 22.5.2007 – Verg W 13/06, IBR 2007, 390. 4 § 6 EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A; vgl. EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C21/03, 34/03 (Fabricom), Slg. 2005, I-1559, Rz. 28 ff. = NZBau 2005, 351 (353); OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, IBR 2016, 353; VK Bund v. 24.5.2012 – VK3-45/12, IBR 2012, 536. 5 VK Bund v. 11.8.2014 – VK 1-54/14, IBR 2014, 748. 6 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-94/99 (ARGE Gewässerschutz), Slg. 2000, I-11037, Rz. 22 ff. = NZBau 2001, 99 (100).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe mission notifiziert wurden, erhalten hat. Dies wird nur dann relevant, wenn ein unangemessen niedriger Preis angeboten wird (§ 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A). Ist dieser auf eine Beihilfe zurückzuführen und gelingt es dem Bieter auf Nachfrage nicht, darzulegen, dass eine Notifizierung bei der EU-Kommission erfolgte, ist das Angebot auszuschließen1. 65 Keine Diskriminierung liegt des Weiteren vor, wenn der Auftraggeber im Ver-

handlungsverfahren die Verhandlungen nicht mit allen Bietern, die ein Angebot abgegeben haben, bis zur Unterschriftsreife führt. Vielmehr ist es im Hinblick auf die Effizienz des Verfahrens zulässig, in dessen Verlauf weniger wirtschaftliche Angebote sukzessive auszuschließen2. Des Weiteren stellte der EuGH fest, dass es grundsätzlich nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße, wenn der Auftraggeber es einem Bieter einer Bietergemeinschaft nach der Auflösung der Bietergemeinschaft gestattet, an deren Stelle zu treten und in eigenem Namen am Verhandlungsverfahren teilzunehmen. Voraussetzung sei aber nicht nur, dass der Wirtschaftsteilnehmer die Anforderungen des Auftraggebers allein erfülle, vor allem dürfen die anderen Bieter nicht in der Wettbewerbssituation beeinträchtigt werden3. 4. Verhältnis zwischen Diskriminierungsverbot, Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatz

66 Das Diskriminierungsverbot steht in enger Beziehung zu den Grundsätzen des

Wettbewerbs und der Transparenz4. So kann ein wirksamer (Bieter-)Wettbewerb nur entstehen, wenn den Bietern gleiche Chancen auf Erhalt des Auftrages eingeräumt werden. Hierzu zählt es insbesondere, dass alle potenziellen Bieter Zugang zu den für eine Angebotserstellung bzw. die Entscheidung über eine Verfahrensbeteiligung erforderlichen Informationen erlangen können. Insofern schließt daher auch der Gleichbehandlungsgrundsatz die Verpflichtung zur Transparenz ein5.

67 Teilweise stellen konkrete Vorschriften im GWB oder in den Verordnungen so-

wie in der VOB/A Ausprägungen verschiedener Grundsätze dar. Die oben schon aufgeführte, notwendige Einhaltung der publizierten Zuschlagskriterien für die Vergabeentscheidung zeigt beispielhaft, wie die Grundsätze miteinander verzahnt sein können. Die Beachtung der kommunizierten Kriterien dient letztlich der Transparenz, dem Wettbewerb und auch der Gleichbehandlung. Die Über1 OLG Düsseldorf v. 26.7.2002 – Verg 22/02, NZBau 2002, 634 (637 f.). 2 OLG Frankfurt v. 10.4.2001 – 11 Verg 1/01, VergabeR 2001, 299 (302). 3 EuGH v. 24.5.2016 – C-396/14 (Højgaard/Züblin), VergabeR 2016, 590 (594 f.) = IBR 2016, 470 (Rz. 44). 4 S. hierzu etwa Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 11. 5 Vgl. Schlussanträge GA Sharpston v. 9.7.2009 in der Rs. C-199/07 (Kommission/Griechenland), Rz. 83 m.w.N.

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schneidung von Regelungszielen zeigt die Verflochtenheit der Grundsätze untereinander, die aber nicht ihre Eigenständigkeit verlieren. Das macht schon deren separate Nennung deutlich.

V. Aspekte der Qualität und Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte (§ 97 Abs. 3) 1. Hintergrund Durch die Vergaberichtlinie, die Konzessionsvergaberichtlinie und die Sektoren- 68 richtlinie sind die Einbeziehung strategischer Ziele bei der Beschaffung umfassend gestärkt worden. Nach Absatz 3 werden für die Vergabe Anforderungen an Auftragnehmer gestellt, die Aspekte der Qualität und Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen. Die Vorschrift ähnelt in ihrem Wortlaut der vormals in Absatz 4 Satz 2 geregel- 69 ten Vorschrift zur möglichen Schaffung von zusätzlichen Anforderungen an die Auftragsausführung („Für die Auftragsausführung können zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben“). Sie geht auf die Vergaberechtsmodernisierung aus dem Jahr 2009 zurück1 und ist nun in § 128 Abs. 2 Satz 3 verändert geregelt. Doch unterscheidet Absatz 3 sich wesentlich von ihr: Es handelt sich bei Absatz 3 nicht lediglich um Aspekte der Auftragsausführung, sondern um Aspekte der Vergabe, d.h. um eine Erweiterung des allgemeinen Grundsätzekanons in § 97. Dies bringt eine Aufwertung der genannten Aspekte mit sich, die nun als Zielvorgaben vor allem neben der Wirtschaftlichkeit des Absatzes 1 Satz 2 stehen2. Spätestens mit der Aufnahme in die „Grundsätze der Vergabe“ sind die auf- 70 geführten Aspekte nicht mehr als „vergabefremd“ zu bezeichnen, dies wäre widersprüchlich3. Vielmehr sprechen die Gesetzesbegründung4 wie auch die Richtlinien5 von strategischen Zielen, die neben der Regelung des früheren Absatzes 4 Satz 2 vorher vor allem in den untergesetzlichen Vergabe- und Vertragsordnungen und auch in den Vergabeverordnungen auftauchten6. 1 2 3 4 5

BT-Drucks. 16/10117, S. 5. Burgi, NZBau 2015, 597 (599). Burgi, NZBau 2015, 597 (599); auch Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 79. BT-Drucks. 18/6281, S. 68. Vgl. beispielhaft Art. 67 Abs. 2 Satz 1 der Vergaberichtlinie; Art. 41 Abs. 2 Satz 2 der Konzessionsvergaberichtlinie, und Art. 82 Abs. 2 lit. a der Sektorenrichtlinie. 6 Ausprägungen der strategischen Ziele befinden sich z.B. noch in § 58 Abs. 2 Nr. 1 VgV oder in § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 Satz 4 VOB/A.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe 71 Außerdem nutzte der Bundesgesetzgeber die Vergaberechtsmodernisierung 2016

dazu, seine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Rechts der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 weitgehender als bisher zu gebrauchen. Durch die Formulierung „nach Maßgabe dieses Teils“ macht er deutlich, dass die Regelung abschließend ist. Eine Gesetzgebungskompetenz der Länder ist hinsichtlich von Vorschriften zu strategischen Zielen im Vergabeverfahren versperrt1. 2. Regelungsgehalt

72 Der Regelungsgehalt von Absatz 3 erschließt sich nicht auf den ersten Blick.

Qualitative, innovative, soziale und ökologische Aspekte können im gesamten Vergabeverfahren eine Rolle einnehmen. Die Formulierung verhält sich nicht klar dazu, ob es sich hierbei um obligatorische, potentielle oder im Regelfall vorgegebene Aspekte der Vergabe handelt. Statt einer Soll-, Kann- oder Muss-Formulierung verwendet Absatz 3 einen schlichten Indikativ – trifft also quasi eine Feststellung oder programmatische Beschreibung: „Bei der Vergabe werden die Aspekte (…) berücksichtigt.“ Diese Aspekte können hiernach in allen Phasen des Vergabeverfahrens Beachtung verlangen. Andererseits wird durch die Wertungs- und Ausfüllungsbedürftigkeit der Begriffe „qualitativ“, „innovativ“, „sozial“ und „umweltbezogen“ und den Rückgriff auf den vagen Begriff der „Berücksichtigung“ deutlich, dass es sich um eine Vorgabe mit programmatischem Charakter handelt. Sie bedarf für die jeweilige Vergabe nach den Beschaffungszielen und Wertungen des Auftraggebers einer Konkretisierung und kann damit nicht mit einer bindenden gesetzlichen und gerichtlich vollständig durchsetzbaren Verpflichtung gleichgesetzt werden.2 Die feststellende Verankerung dieser bezeichneten Aspekte in Absatz 3 macht deutlich, dass sie in einer konkreten Vergabe gleichrangig neben eine rein monetäre Betrachtung von Kosten und Leistung treten. Eine feste Verpflichtung der Auftraggeber, derartigen Aspekten einen bestimmten Raum zu geben, ist damit grundsätzlich nicht verbunden. Dies hätte einer eindeutigeren Formulierung bedurft (z.B. „müssen berücksichtigen“). Somit hat Absatz 3 vor allem eine legitimatorische Funktion und rechtfertigt die Einbeziehung von sozial- und umweltpolitischen Maßstäben in Vergabeverfahren ebenso wie besondere qualitative und auf Innovationsförderung zielende Maßstäbe.

73 In der Gesetzesbegründung heißt es dementsprechend „In jeder Phase eines

Verfahrens (…) können qualitative, soziale, umweltbezogene oder innovative (nachhaltige) Aspekte einbezogen werden“3 und im folgenden Satz wird festgestellt, dass bei der Leistungsdefinition im Rahmen der Beschaffung energiever-

1 Burgi, NZBau 2015, 597 (599). 2 Vgl. Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 100 ff. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 68.

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brauchsrelevanter Waren1 oder auch im Hinblick auf die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderung2 zwingende Vorgaben vom Auftraggeber zu machen sind. Hier wird also von einem weiten Handlungsspielraum der Anwendung der Aspekte ausgegangen, im Ausnahmefall können Rechtsvorschriften aber ausdrücklich Vorgaben machen. Auch die abgelehnten Entschließungsanträge der Oppositionsfraktionen3 im Bundestag, die „ausdrücklich zwingende Regelungen zu den sozialen und ökologischen Kriterien bei den Grundsätzen der Vergabe“4 bzw. „Verbindlichkeit von ökologischen und sozialen Kriterien“5 verlangt haben, verdeutlichen den programmatischen Charakter des Absatzes 3 und seine Ausfüllungsbedürftigkeit. Letztlich spricht neben den Gesetzesmaterialien auch der zweite Satzteil des Ab- 74 satzes 3 „nach Maßgabe dieses Teils“ als Begrenzung des Umfangs der Aspekte dafür, dass es sich bei Absatz 3 lediglich um die Schaffung zusätzlicher Handlungsmöglichkeiten handelt6. Damit wird eine Aufteilung in einen allgemeinen und besonderen Teil geschaffen7. Die Adressaten des Absatzes 3, die öffentlichen Auftraggeber, dürfen die genannten Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte in Zukunft nach Maßgabe der anderen vergaberechtlichen Vorschriften in den Blick nehmen, von Beginn bis Ende des Verfahrens. Es handelt sich aber nicht um einen unmittelbaren Anwendungsbefehl. Die Frage nach dem Regelungsgehalt führt auch zur Frage, ob Absatz 3 bieter- 75 schützenden Charakter hat. Dies muss verneint werden8. Bieter können keine Änderung oder Erweiterung oder inhaltliche Bestimmung des Beschaffungsbedarfs beanspruchen, die Bedarfsermittlung ist Sache des Auftraggebers9. Zwar können Fallkonstellationen nicht ausgeschlossen werden, in denen öffentliche Auftragsvergaben im evidenten Widerspruch zu Absatz 3 stehen. In diesem Zusammenhang sind jedoch auch die Grundsätze des Absatzes 1 vom Auftraggeber zu berücksichtigen, insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Ge1 Vgl. z.B. § 67 VgV, § 58 SektVO, § 8c EU VOB/A. 2 Vgl. z.B. § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VgV, § 28 Abs. 5 SektVO, § 9 Abs. 1 Satz 3 KonzVgV, § 7a EU Abs. 1 Nr. 4 VOB/A. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/7090, S. 3 sowie 18/7092, S. 6, die zeigen, dass sich auch die Oppositionsfraktionen nicht einig waren über den Regelungsgehalt des Absatzes 3. Während die Linksfraktion von einer Sollbestimmung ausgeht in BT-Drucks. 18/7090, S. 4 verlangte die Fraktion von BÜNDNIS 90/Die Grünen gerade eine solche Soll-Vorschrift, da sie von einer lediglich fakultativen Regelung ausgeht in BT-Drucks. 18/7092, S. 2, 6; s. auch für die Bundesregierung Beckmeyer in BR-Plenarprotokoll 936 vom 25.9.2015, S. 332 (D). 4 BT-Drucks. 18/7090, S. 3. 5 BT-Drucks. 18/7092, S. 6. 6 Vgl. Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 104. 7 Burgi, NZBau 2015, 597 (599). 8 Vgl. wiederum Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 108. 9 OLG Düsseldorf v. 14.4.2010 – Verg 60/09, VergabeR 2011, 78 (81).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe setzgeber hat gerade keine Vorschrift mit zwingendem Charakter gewählt, auf die sich Bieter gemäß Absatz 6 berufen können. Die Grundsatzfrage nach Reichweite des Absatzes 3 bot im Rahmen des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens den meisten politischen Zündstoff1. 3. Umfang 76 Mit Absatz 3 wird deutlich, dass das öffentliche Beschaffungswesen dem Gesetz-

geber mehr und mehr dazu dient, auch politische Ziele zu normieren. Er schafft mit der Regelung Freiräume für die Verwaltung, diese Ziele zu fokussieren. Aufgrund der nun in Absatz 3 geregelten Zielvorgaben entsteht ein Spannungsfeld2: In allen Phasen des Vergabeverfahrens sind die Aspekte des Absatzes 3 zu beachten, wenngleich die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen immer auch den Grundsätzen des Absatzes 1 entsprechen muss. Folglich kann der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz eine Begrenzung des Absatzes 3 darstellen. Die Beschaffungskosten können sich erhöhen durch die zusätzlichen Anforderungen an die Leistung, auch der Arbeitsaufwand für den Auftraggeber. Es ist nach einem Ausgleich zwischen den Zielen zu suchen. Nach Halbs. 2 sind die Aspekte nach Maßgabe des 4. Teils zu berücksichtigen (s. z.B. § 118 Rz. 20 oder § 127 Rz. 41). Insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Absatz 1 Satz 2) nimmt im Rahmen einer Abwägung von Zielen im Konfliktfall eine bedeutende Rolle ein. Die konkrete Ausgestaltung der strategischen Ziele erfolgt in den Einzelvorschriften des GWB sowie in den Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage des 4. Teils erlassen werden.

77 Die Aufzählung der Aspekte in Absatz 3 ist abschließend. Bereits die enumera-

tive Aufzählungsweise spricht dafür. Dies wird bestätigt durch Ablehnungen hinsichtlich anderer Aspekte: Die Forderung nach einem Gebot für barrierefreie Ausgestaltung im gesamten Vergabeverfahren in Absatz 3 Satz 2, das der Bundesrat forderte, fand im Bundestag keine Mehrheit3. Ebenso wenig fanden sich Mehrheiten für die Aufnahme weiterer Aspekte wie z.B. der Einhaltung von ILO-Kernarbeitsnormen oder allgemein verbindlicher Tarifverträge4. Die Richtlinien geben in ihren Erwägungsgründen auch das strategische Ziel arbeitsrechtlicher Aspekte im Rahmen des gesamten Vergabeverfahrens vor5. Diese Aspekte finden sich nicht ausdrücklich in Absatz 3 wieder.

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Vgl. nur BT-Drucks. 18/7090, S. 3 sowie 18/7092, S. 6. Vgl. Ziekow in Ziekow/Völlink, § 97 Rz. 108. BR-Drucks. 367/1/15, S. 1. S. die Forderungen in BT-Drucks. 18/7092, S. 6; vgl. dennoch beispielhaft § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, der von arbeitsrechtlichen Anforderungen spricht. 5 Erwägungsgrund 37 der Vergaberichtlinie; Erwägungsgrund 55 der Konzessionsvergaberichtlinie; Erwägungsgrund 52 Sektorenrichtlinie.

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Grundsätze der Vergabe | § 97

VI. Mittelständische Interessen (§ 97 Abs. 4) § 97 Abs. 4 regelt die Berücksichtigung mittelständischer Interessen bei der Ver- 78 gabe öffentlicher Aufträge. 1. Hintergrund Der Schutz mittelständischer Interessen war bereits vor Inkrafttreten des Ver- 79 gaberechtsänderungsgesetzes von 1999 in den Verdingungs- bzw. Vergabe- und Vertragsordnungen verankert1. Die Aufteilung größerer Aufträge in Lose ist nach Abschaffung der VOF und Entfallen der VOL/A im Oberschwellenbereich neben der gesetzlichen Regelung des Absatzes 4 noch in § 5 EU Abs. 2 VOB/A vorgesehen. Anliegen dieser grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Regelungen2 ist es, einen Ausgleich zwischen leistungsschwächeren und leistungsstärkeren Unternehmen herzustellen, um im gesamtwirtschaftlichen Interesse eine ausgewogene Unternehmensstruktur von Klein-, Mittelund Großunternehmen zu erhalten3. In das Vergaberechtsänderungsgesetz von 1999 aufgenommen wurde die Vor- 80 gängerregelung des heutigen Absatzes 4 („Mittelständische Interessen sind vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Fach und Teillose angemessen zu berücksichtigen“), allerdings erst aufgrund einer Stellungnahme des Bundesrats4. Hintergrund dessen war, dass der Bundesrat in der Berücksichtigung mittelständischer Interessen – zu Recht5 – einen vergabefremden Aspekt erkannte und daher befürchtete, dass dieses Ziel ohne die ausdrückliche Verankerung im GWB scheitern würde. Wörtlich heißt es insofern: „Da künftig vergabefremde Aspekte aus dem Vergabeverfahren verbannt sind, bedarf es zwingend der Klarstellung, dass mittelständische Interessen gerade nicht den vergabefremden Aspekten zuzurechnen sind und ihren bisherigen hohen Stellenwert beibehalten“6. Die Mittelstandsklausel ging damit zunächst über den Wortlaut der EG-Ver- 81 gaberichtlinien, welche einen Schutz mittelständischer Interessen nicht aus1 Vgl. § 4 Nr. 2 und 3 VOB/A a.F., § 5 Nr. 1 VOL/A a.F. 2 Als legitimes Ziel bezeichnend schon BVerfG v. 17.7.1961 – 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97 (111 f.); vgl. auch BVerfG v. 19.3.1974 – 1 BvR 416/68, 1 BvR 767/68, 1 BvR 779/68, BVerfGE 37, 38 (51 f.); allgemein dazu auch Burgi, NZBau 2006, 606 (609). 3 BVerfG v. 19.3.1974 – 1 BvR 416/68, 1 BvR 767/68, 1 BvR 779/68, BVerfGE 37, 38 (52). 4 BT-Drucks. 13/9340, S. 36. 5 BGH v. 17.2.1999 – X ZR 101/97, MDR 1999, 1379 = NJW 2000, 137 (140); Antweiler in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 2. Aufl. 2013, § 97 Abs. 3 Rz. 3; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 126; Hailbronner in Byok/Jäger, § 97 Rz. 62; a.A. wohl Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 154; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 97 Rz. 27. 6 BT-Drucks. 13/9340, S. 36.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe drücklich vorsahen, hinaus1. Allerdings hatte die EU-Kommission bereits in einer Mitteilung über das öffentliche Auftragswesen vom 11.3.1998 deutlich gemacht, dass die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe ein wichtiges Ziel darstellt2. Auch das OLG Düsseldorf verneinte im Jahr 2004 einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG und bescheinigte der Mittelstandsklausel damit die Europarechtskonformität3. Seit der Novellierung der Vergaberichtlinien im Jahr 2004 ist der Mittelstandsschutz in den Erwägungsgründen der Richtlinien ausdrücklich genannt4. Auch in den aktuellen Richtlinien werden der Schutz und die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen hervorgehoben5. Die Regelung des Absatzes 4 geht weiter als von Art. 46 der Vergaberichtlinie gefordert, allerdings lässt Art. 46 Abs. 4 der Vergaberichtlinie dies ausdrücklich zu6. 82 Ziel der Vergaberechtsmodernisierung von 2009 in Bezug auf die Mittelstands-

klausel war es zum einen, die Regelung „in ihrer Wirkung [zu] verstärken“7. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass – wie es in der Begründung des Gesetzesentwurfes weiter heißt – „eine Losvergabe stattzufinden hat“ und nur in begründeten und zu dokumentierenden8 Ausnahmefällen davon abgewichen werden kann. Zum anderen sollte mit der Neuregelung des Satzes 4 der Befürchtung entgegengewirkt werden, der Mittelstand würde bei der Auftragsvergabe von sog. PPP- oder ÖPP-Projekten leer ausgehen9.

83 Die Vergaberechtsmodernisierung 2016 brachte lediglich hinsichtlich des neuen

Begriffs des Auftraggebers Neuerungen mit sich: Neben dem öffentlichen Auftraggeber wurde der Sektorenauftraggeber in die Vorschrift aufgenommen. Materiell-rechtliche Änderungen der Fassung von 2009 gibt es keine.

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Vgl. zu ausländischen Regelungen Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 147 f. KOM (1998) 143. OLG Düsseldorf v. 8.9.2004 – Verg 38/04, VergabeR 2005, 107 (109). Erwägungsgrund 32 der Richtlinie 2004/18/EG und Erwägungsgrund 43 der Richtlinie 2004/17/EG. Beispielhaft und nicht abschließend in den Erwägungsgründen 2, 66, 78 der Vergaberichtlinie, in den Erwägungsgründen 1, 4, 63 in der Konzessionsvergaberichtlinie, den Erwägungsgründen 4, 75, 87 der Sektorenrichtlinie sowie den Erwägungsgründen 3, 40, 79 der Vergaberichtlinie Verteidigung und Sicherheit von 2009. S. dazu auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/6281, S. 68. BT-Drucks. 16/10117, S. 15. Zur Pflicht zur Dokumentation der Erwägungen zur Losaufteilung s. OLG Düsseldorf v. 17.3.2004 – Verg 1/04, NZBau 2004, 461 (463). Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 162.

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2. Berücksichtigung mittelständischer Interessen (§ 97 Abs. 4 Satz 1) Absatz 4 beinhaltet eine Art Querschnittsklausel des Vergaberechts. Dies galt be- 84 reits nach der Regelung in der Fassung des Vergaberechtsänderungsgesetzes1 von 1999. Denn bereits danach erschöpfte sich die geforderte Berücksichtigung mittelständischer Interessen nicht in der Losvergabe. Mit der Neuregelung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes von 2009 wurde dies insbesondere durch die sprachliche Trennung zwischen dem Gebot der Berücksichtigung mittelständischer Interessen in Satz 1 und der Pflicht zur Losvergabe in Satz 2 nochmals unterstrichen2. Mittelständischen Interessen ist daher auch über die Losvergabe hinaus – etwa bei der Festlegung von Angebots- oder Bewerbungsfristen (§ 20 VgV, § 16 SektVO, § 27 KonzVgV, § 20 VSVgV, § 10 EU VOB/A) und bei der Bestimmung der Eignungskriterien und der von den Bewerbern vorzulegenden Eignungsnachweise (§ 122 Rz. 26 ff.) – Rechnung zu tragen. Ansonsten hätte Absatz 4 Satz 1 keine Daseinsberechtigung3. Absatz 4 Satz 1 fordert insofern also, dass Auftraggeber die nach den Vergaberegelungen verbleibenden Spielräume gewissermaßen „mittelstandsfreundlich“ ausfüllen4. Eine darüber hinausgehende Mittelstandsförderung durch öffentliche Auftrag- 85 geber wird durch Absatz 4 hingegen nicht gefordert. Insbesondere zählt der Mittelstandsschutz nicht zu den Aspekten, die im Sinne von Absatz 2 eine Benachteiligung gebieten oder gestatten können5. Denn Absatz 4 fordert eine Berücksichtigung mittelständischer Interessen lediglich insofern, als nach Möglichkeit Chancengleichheit zwischen mittelständischen Unternehmen und Großunternehmen herzustellen ist, also die aus der Größe resultierenden Vorteile der Großunternehmen auszugleichen sind6. Eine Benachteiligung von Großunternehmen fordert und erlaubt das Anliegen des Mittelstandsschutzes hingegen

1 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 34; Otting in Bechtold, GWB, 6. Aufl. 2010, § 97 Rz. 19. 2 Gabriel, NJW 2009, 2011 (2012). 3 Satz 1 nicht als reinen Programmsatz betrachtend OLG Düsseldorf v. 24.11.2011 – VIIVerg 62/11, VergabeR 2012, 482 (489); Michallik, VergabeR 2011, 683 (689 f.); Ortner, VergabeR 2011, 677 (679); a.A. Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 161; Kus, NZBau 2009, 21 (22). 4 S. auch die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Vorfahrt für KMU in Europa – Der „Small Business Act“ für Europa v. 25.6.2008, KOM (2008) 394, S. 11 f. 5 A.A. Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 5. Aufl. 2011, Rz. 15. 6 Vgl. hierzu BT-Drucks. 16/11428, S. 22: „Damit [mit der grundsätzlichen Pflicht zur Losvergabe] werden Nachteile des Mittelstandes bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Ressourcen der Mittelstandsunternehmen überfordern könnte, ausgeglichen und die Mittelstandsklausel gestärkt.“

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe nicht1. Absatz 4 rechtfertigt es daher nicht, Großunternehmen generell von bestimmten Vergabeverfahren auszuschließen oder zugunsten mittelständischer Unternehmen von dem Grundsatz des § 127 abzuweichen, wonach der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen ist2. Die schon länger in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, nach der es der Mittelstandsschutz rechtfertige, die Zahl der Lose zu limitieren, für die ein Bieter ein Angebot abgeben bzw. den Zuschlag erhalten darf3, wurde mit der ausdrücklichen Verankerung in Art. 46 der Vergaberichtlinie und Art. 65 der Sektorenrichtlinie sowie auch mit der Neuregelung des § 30 Abs. 1 Satz 1 VgV und § 27 Abs. 1 Satz 1 SektVO vom Gesetzgeber normiert4. 86 Der weder in Absatz 4 noch im sonstigen Vergaberecht definierte Begriff der

„mittelständischen Interessen“ ist angesichts des Ziels der Erhaltung bzw. Verwirklichung einer ausgewogenen Unternehmensstruktur von Klein-, Mittel- und Großunternehmen (Rz. 84) relativ, nämlich im Hinblick auf den jeweils relevanten Markt zu bestimmen5. Nicht entscheidend für die Auslegung des Begriffs des Mittelstandes ist daher die Definition des im Rahmen der Unionspolitiken und im Europäischen Wirtschaftsraum verwendeten Begriffs der kleinen und mittleren Unternehmen6. Gleiches gilt für die in Mittelstandsfördergesetzen der Bundesländer7 enthaltenen Begriffsbestimmungen8.

1 OLG Düsseldorf v. 8.9.2004 – VII Verg 38/04, VergabeR 2005, 107 (109); Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 25; Schramm in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 62; Ziekow in Ziekow/Völling, § 97 Rz. 49; auch dazu Werner, VergabeR 2009, 262 (267). 2 BGH v. 17.2.1999 – X ZR 101/97, MDR 1999, 1379 (Krankenhauswäsche), NJW 2000, 137 (140); VK Münster v. 7.10.2009 – VK 18/09, IBRRS 2009, 3455. 3 OLG Düsseldorf v. 17.1.2013 – VII-Verg 35/12, NZBau 2013, 329 (331); v. 15.6.2000 – Verg 6/00, NZBau 2000, 440 (441); LSG Baden-Württemberg v. 23.1.2009 – L 11 WB 5971/08, VergabeR 2009, 452 (462); a.A. bisher Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, vorherige Aufl., § 97 Rz. 52; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 97 Rz. 70, Ziekow in Ziekow/Völlink, § 97 Rz. 61; s. auch nach ausführlicher Prüfung Otting/Tresselt, VergabeR 2009, 585 (594). 4 Vgl. dazu Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, 6. Aufl. 2016, Rz. 302. 5 OLG Düsseldorf v. 21.3.2012 – VII-Verg 92/11, NZBau 2012, 515 (516 f.); OLG Schleswig v. 25.1.2013 – 1 Verg 6/12, NZBau 2013, 395 (397); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 133; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 164; a.A OLG Karlsruhe v. 6.4. 2011 – 15 Verg 3/11, NZBau 2011, 567 (570 f.); Antweiler, VergabeR 2006, 637 (641). 6 S. hierzu die Empfehlung der EU-Kommission v. 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. Nr. L 124 v. 20.5.2003, S. 36. 7 S. die Übersicht bei Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 149. 8 S. etwa § 1 Abs. 2 des niedersächsischen Gesetzes zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen (Unternehmen-Förderungsgesetz) v. 30.4.1978, GVBl. S. 377, zuletzt geändert durch Art. 31 Nds. Euro-AnpassungsG v. 20.11.2001, GVBl. S. 701.

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3. Pflicht zu Losvergabe (§ 97 Abs. 4 Sätze 2 und 3) In der Fassung des Vergaberechtsänderungsgesetzes von 1999 verlangte Ab- 87 satz 4, mittelständische Interessen „vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen“. Nach Absatz 4 Satz 2 in der heutigen Fassung sind Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben, wenn nicht wirtschaftliche oder technische Gründe eine Zusammenvergabe mehrerer Lose erfordern. Mit Absatz 4 Satz 2 werden somit zum einen die Begriffe „Fach-“ und „Teillos“ 88 bestimmt. Diese Begriffsbestimmungen entsprechen den bereits bislang gängigen Definitionen. Danach liegt ein Fachlos vor, wenn die Gesamtleistung in einzelne Fachgebiete aufgeteilt wird, die sich nach gewerberechtlichen Vorschriften oder sonstigen, allgemein üblichen Abgrenzungen ergeben, wie beispielsweise Maurer-, Zimmerer- oder Elektroarbeiten1; bei Teillosen erfolgt eine mengenmäßige Unterteilung der Gesamtleistung. Eine weitergehende, also marktunübliche Aufteilung von Aufträgen erfordert Absatz 4 nicht. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie heißt es hierzu: „Die Aufteilung in Fachlose braucht selbstverständlich von vorneherein nur so zu erfolgen, wie dies marktüblich ist. Marktunüblich wäre es beispielsweise, Fenster in Rahmen, Scheiben, Griffe und Beschläge zu trennen. Marktüblich ist die Aufteilung von Autobahnen in Streckenabschnitte. Computer können marktüblich getrennt nach Rechner, Eingabegeräten und Monitor beschafft werden“2. Die Regelung hat zum anderen zum Entfallen des Begriffs „angemessen“ geführt. 89 Hieraus folgte nach herrschender Auffassung ein „Zweckmäßigkeitsvorbehalt“3 für die Losaufteilung. Danach war die Entscheidung für oder gegen eine Losvergabe in erster Linie anhand einer Abwägung zwischen den für eine Losvergabe sprechenden Belangen des Mittelstandschutzes und den gegen die Losvergabe sprechenden Aspekten vorzunehmen4. Zu Letzteren wurden etwa wirtschaftliche oder technische Belange5, die Gefahr der Undurchsetzbarkeit von Gewährleistungsansprüchen6 und der aus einer Losvergabe resultierende Koordinationsaufwand sowie die sich aus den Schnittstellen ergebenden Risiken7 gezählt. 1 S. OLG Schleswig v. 30.10.2012 – 1 Verg 5/12, ZfBR 2013, 69 (70); OLG Düsseldorf v. 21.3.2012 – VII-Verg 92/11, NZBau 2012, 515 (516 ); vgl. auch Boesen, Vergaberecht, 2001, § 97 Rz. 47 f.; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 178 ff.; Schranner in Ingenstau/Korbion, VOB-Kommentar, 19. Aufl. 2015, § 5 VOB/A Rz. 27 f. 2 BT-Drucks. 16/11428, S. 33. 3 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 37. 4 OLG Jena v. 6.6.2007 – 9 Verg 3/07, VergabeR 2007, 677 (679). 5 OLG Düsseldorf v. 8.9.2004 – Verg 38/04, VergabeR 2005, 107 (109 f.). 6 OLG Schleswig v. 13.10.2000 – 6 Verg 4/00, IBR 2001, 38. 7 VK Bund v. 1.2.2001 – VK 1-1/01, VergabeR 2001, 143 (145).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe 90 Dem Wortlaut nach lässt Absatz 4 Satz 2 für eine solche Abwägung keinen

Raum mehr. Vielmehr hat eine Losvergabe (zwingend) zu erfolgen, sofern nicht eine Zusammenvergabe aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen erforderlich ist. In der Sache allerdings ist damit lediglich das Angemessenheitskriterium durch das zwar strengere, gleichwohl aber ebenfalls wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit ersetzt worden1. So liegt eine wirtschaftliche Erforderlichkeit für eine Zusammenvergabe im Sinne von Satz 3 etwa vor, wenn und soweit die Losvergabe mit unverhältnismäßigen Kostennachteilen verbunden ist2. Nach einer umfassenden Interessenabwägung3 durch den Auftraggeber müssen die für eine Gesamtvergabe streitenden Gründe überwiegen, diese dürfen aber nicht lediglich in der Vermeidung des mit der Fachlosvergabe typischerweise verbundenen Mehraufwands liegen4. Technische Gründe im Sinne des Satzes 3 liegen vor, wenn das vom Auftraggeber angestrebte Qualitätsniveau nur mithilfe einer Bündelung von Teilleistungen zu erreichen ist5. Wirtschaftliche und technische Gründe ergänzen sich dabei regelmäßig, denn in der Regel wird die Teilung einer Leistung in Lose nicht durch die technischen Möglichkeiten, sondern vielmehr durch die hierdurch entstehenden Nachteile für den Auftraggeber begrenzt. Ob wirtschaftliche oder technische Gründe für eine Zusammenvergabe vorliegen, kann aufgrund eines Beurteilungsspielraums der Auftraggeber nur eingeschränkt nachgeprüft werden6.

91 Aufgrund der Beschaffungsfreiheit des Auftraggebers scheidet eine Losvergabe

aus, wenn die Losaufteilung zu einer Änderung des Beschaffungsgegenstandes und der mit dem Beschaffungsprojekt verfolgten Ziele und Zwecke führte7. Eine solche der Losaufteilung entgegenstehende Änderung des Beschaffungsgegenstandes liegt allerdings nur dann vor, wenn das Beschaffungsziel – ausgehend von einer funktionalen Betrachtung – bei einer Losaufteilung von vornherein

1 S. auch Kus, NZBau 2009, 21 (22). 2 OLG Düsseldorf v. 23.3.2011 – VII-Verg 63/10, NZBau 2011, 369 (370 f.); v. 8.9.2004 – VII Verg 38/04, VergabeR 2005, 107 (109 f.); Ziekow in Ziekow/Völlink, § 97 Rz. 67. 3 Vgl. dazu Boesen, VergabeR 2011, 364 (367). 4 OLG Koblenz v. 4.4.2012 – 1 Verg 2/11, NZBau 2012, 598 (599); OLG Düsseldorf v. 25.11.2009 – Verg 27/09, IBR 2010, 162; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 188 und hinsichtlich technischer Nachteile § 97 Rz. 191. 5 OLG Koblenz v. 4.4.2012 – 1 Verg 2/11, NZBau 2012, 598 (599): „Solche liegen vor, wenn bei getrennten Ausschreibungen das – nicht durch die inhaltliche Gestaltung der Vergabeunterlagen vermeidbare – Risiko besteht, dass der Auftraggeber Teilleistungen erhält, die zwar jeweils ausschreibungskonform sind, aber nicht zusammenpassen und deshalb in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, den Beschaffungsbedarf in der angestrebten Qualität zu befriedigen.“ 6 OLG Düsseldorf v. 11.1.2012 – VII-Verg 52/11, NZBau 2012, 324 (324); v. 8.9.2004 – Verg 38/04, VergabeR 2005, 107 (109); VK Münster v. 7.10.2009 – VK 18/09, IBRRS 2009, 3455; a.A. Frenz, VergabeR 2011, 13 (15). 7 OLG Celle v. 26.4.2010 – 13 Verg 4/10, NZBau 2010, 715 (715 f.); s. auch OLG Düsseldorf v. 30.11.2009 – VII-Verg 43/09, IBRRS 2013, 0789.

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nicht erreicht werden könnte. Dies ist in der Regel etwa dann der Fall, wenn ein Beschaffungsvorhaben auf die Gründung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens abzielt, welches mit bestimmten Liefer-, Dienst- und/oder Bauleistungen beauftragt werden soll (zur vergaberechtlichen Beurteilung von ÖffentlichPrivaten Partnerschaften s. § 103 Rz. 169 ff.). Hingegen steht es der Losvergabe nicht grundsätzlich entgegen, wenn das Beschaffungsziel bei einer Gesamtvergabe lediglich besser zu erreichen wäre. In diesem Fall bleibt es bei der Abwägung zwischen den Belangen des Mittelstandsschutzes einerseits und den Interessen des Auftraggebers andererseits. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass etwa ein erhöhter Koordinationsaufwand beim Auftraggeber regelmäßig Folge einer Losaufteilung ist und daher nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 97 Abs. 4 Satz 2 ein Absehen von der Losaufteilung ohne Weiteres nicht rechtfertigen kann1. 4. Losvergabe durch Private (§ 97 Abs. 4 Satz 4) Nach Absatz 4 Satz 4 sind Unternehmen, die mit der Wahrnehmung oder 92 Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut sind, ohne öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber zu sein, vom Auftraggeber zu verpflichten, bei etwaigen Unterauftragsvergaben an Dritte nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie vom 17.12.2008, mit welcher diese Regelung in den Entwurf für das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz von 2009 aufgenommen worden ist, heißt es hierzu: „Um mittelstandfreundliche Auftragsvergaben auch im Rahmen einer Öffentlich-Privaten-Zusammenarbeit sicherzustellen, muss, sofern das Unternehmen Unteraufträge vergibt, diese Unterauftragsvergabe mit erfasst werden. Zu diesem Zweck wird der ursprüngliche Auftraggeber verpflichtet, entsprechende vertragliche Regelungen zu treffen“2. Die Vorschrift begründet somit keine unmittelbare Verpflichtung der Unternehmen, sondern verpflichtet die Auftraggeber, im Rahmen bestimmter Auftragserteilungen entsprechende vertragliche Regelungen zu treffen. Die Verpflichtung der Auftraggeber nach Absatz 4 Satz 4 besteht lediglich bei 93 Auftragserteilungen, mit denen ein Unternehmen „mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut“ wird. Wie auch die vorstehend zitierte Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie deutlich macht, ist die Vorschrift damit nur für solche Aufträge einschlägig, mit denen Auftragnehmer über die bloße Beschaffung von Waren oder Leistungen hinaus im Rahmen einer Öffentlich-Privaten-Zusammenarbeit in die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe eingebunden werden. Damit trägt Satz 4 insbesondere dem Umstand Rechnung, dass bei der Beauftra1 So auch OLG Düsseldorf v. 25.11.2009 – Verg 27/09, IBR 2010, 162. 2 BT-Drucks. 16/11428, S. 33.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe gung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen eine Losvergabe in der Regel ausscheidet (Rz. 91). Für sonstige Auftragsvergaben dürfte Satz 4 im Übrigen auch leerlaufen1. Denn wenn eine Aufteilung der Leistung in Lose in Betracht kommt, so hat diese nach Satz 2 bereits bei der Auftragsvergabe durch den öffentlichen Auftraggeber und nicht erst bei der Vergabe von Unteraufträgen durch das beauftragte Unternehmen zu erfolgen2. 94 Für den Auftragnehmer kann die mit Abschluss des Vertrages zu begründende

Pflicht zur entsprechenden Anwendung der Sätze 1 bis 3 nur für zukünftige Unterauftragsvergaben gelten. Auf zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung bereits bestehende Unteraufträge findet eine solche vertragliche Verpflichtung hingegen keine Anwendung3.

5. Rechtsschutz 95 Da Absatz 4 den Mittelstand schützt, können sich Großunternehmer nach herr-

schender Auffassung auf eine Verletzung der Pflicht zur Losaufteilung nicht berufen4. Mittelständische Unternehmen hingegen haben nach Absatz 6 einen Anspruch auf Einhaltung der Regelungen des Absatzes 45. Dieser Anspruch umfasst im Grundsatz auch die Pflicht nach Absatz 4 Satz 4. Die Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs ist allerdings in der Regel zweifelhaft. Denn zum einen liefe ein Nachprüfungsantrag, mit dem der Dritte im Hinblick auf künftige Unterauftragsvergaben die Verpflichtung des Unternehmens durch den Auftraggeber zur Losaufteilung geltend macht, auf einen nach den §§ 155 ff. generell nicht gewährten vorbeugenden Rechtsschutz hinaus (§ 160 Rz. 20). Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass Satz 4 den Auftraggeber lediglich zur vertraglichen Festschreibung der Losaufteilung verpflichtet (Rz. 92). Dritte müssten zur Geltendmachung einer Verletzung der Pflicht nach Satz 4 daher bereits die Beauftragung des Unternehmens angreifen. Sofern damit lediglich das Ziel der Erlangung (möglicher) Unteraufträge verfolgt wird, fehlte es hierfür jedoch an der Antragsbefugnis (§ 160 Rz. 24).

1 2 3 4

Vgl. Werner, VergabeR 2010, 328 (334 f.), der Satz 4 insgesamt als „unsinnig“ bezeichnet. Vgl. Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 34 f. Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 198. VK Bund v. 6.10.2009 – VK 2-165/09; v. 29.9.2009 – VK 2-162/09; Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 39; Hailbronner in Byok/Jaeger, § 97 Rz. 222; dagegen nicht mehr Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 202, 152. 5 OLG Düsseldorf v. 25.11.2009 – Verg 27/09, IBR 2010, 162 m.w.N.

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VII. Elektronische Mittel (§ 97 Abs. 5) 1. Hintergrund Die Nutzung elektronischer Mittel im Vergabeverfahren geht nicht erst auf die 96 Vergaberechtsmodernisierung 2016 zurück: So regelte schon Art. 42 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG „Jede Mitteilung sowie jede in diesem Titel genannte Übermittlung von Informationen kann nach Wahl des öffentlichen Auftraggebers per Post, per Fax, auf elektronischem Wege […], auf telefonischem Wege […] oder durch eine Kombination dieser Kommunikationsmittel erfolgen“1. Art. 22 der Vergaberichtlinie2, Art. 29 der Konzessionsvergaberichtlinie und 97 Art. 40 der Sektorenrichtlinie3 betonen die Bedeutung der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren. Die Vergaberichtlinie und die Sektorenrichtlinie schreiben elektronische Kommunikation nun jedoch verbindlich vor4. Mit Absatz 5 setzt der Gesetzgeber die Vorgaben nun in nationales Recht um. Elektronische Mittel sind gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 19 der Vergaberichtlinie 98 elektronische Geräte für die Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten, die über Kabel, per Funk, mit optischen Verfahren oder mit anderen elektromagnetischen Verfahren übertragen, weitergeleitet und empfangen werden. Die elektronische Vergabe (e-Vergabe)5 lässt sich im weiteren Sinne dahin- 99 gehend verstehen, dass neben der Beschaffungsphase auch die Ausführungsphase einbezogen ist6. Absatz 5 erfasst die e-Vergabe im engeren Sinne, also die elektronische Durchführung des Vergabeverfahrens bis zur Bekanntmachung des Zuschlags7. Ziel der e-Vergabe ist zunächst die Einsparung von Finanzmitteln. Bürokratie- 100 abbau und die Reduzierung von Transport- und Archivbedarf und Energieverbrauch sollen dies ermöglichen. Ökologische Vorteile kommen ergänzend dazu. Zusätzlich soll die e-Vergabe Barrierefreiheit und auch mehr Rechtssicherheit schaffen. Ziel ist zudem eine Vereinfachung des Vergabeverfahrens8.

1 S. auch Art. 36 und 48 der Vergaberichtlinie Verteidigung und Sicherheit). 2 S. auch Art. 35 (Elektronische Auktionen) und 36 (Elektronische Kataloge) der Vergaberichtlinie sowie Anhang IV. 3 S. auch Art. 53 (Elektronische Auktionen) und 54 (Elektronische Kataloge) der Sektorenrichtlinie. 4 S. Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Vergaberichtlinie, Art. 40 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Sektorenrichtlinie. 5 Allgemein dazu Schäfer, NZBau 2015, 131 ff. und Schippel, VergabeR 2016, 434 ff. 6 Schäfer, NZBau 2015, 131 (131). 7 Schäfer, NZBau 2015, 131 (131). 8 KOM (2012) 179; zu den Zielen auch Braun, VergabeR 2016, 179 (183).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe 2. Regelungsgehalt 101 Der Wortlaut des Absatzes 5 schreibt im Grundsatz eine verpflichtende Nutzung

elektronischer Mittel vor. In der Gesetzesbegründung heißt es außerdem „Die Umstellung auf die elektronische Kommunikation ist zwingend, und zwar unabhängig vom Liefer- oder Leistungsgegenstand, der der Vergabe zugrunde liegt. Es ist im Zusammenhang mit der Einführung der elektronischen Kommunikation unerheblich, ob im Einzelfall eine Bau- oder Dienstleistung oder eine Lieferung vergeben wird“1. Absatz 5 regelt lediglich den Grundsatz elektronischer Kommunikation, während eine Ausgestaltung durch die Verordnungen auf Grundlage des § 113 Satz 2 Nr. 4 erfolgt. Obwohl die Konzessionsvergaberichtlinie eine zwingende e-Vergabe nicht vorsieht, wurde sie einheitlich auch für die Vergabe von Konzessionen umgesetzt. Zwar besteht mit Absatz 5 neuerdings die Pflicht zur Umstellung auf den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik. Allerdings ist damit keine Verpflichtung zur Nutzung von bestimmten Programmen verbunden. Hier haben die Auftraggeber eine Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Einsatzes spezifischer Programme oder Hilfsmittel der Informations- und Kommunikationstechnik2. Die öffentlichen Auftraggeber müssen aber mit Ausnahme von Sonderfällen3 Kommunikationsmittel nutzen, die nichtdiskriminierend, allgemein verfügbar und mit den allgemein verbreiteten Erzeugnissen der Informations- und Kommunikationstechnologien kompatibel sind sowie den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer zum Vergabeverfahren nicht einschränken4.

102 Auch im Rahmen von Absatz 5 stellt sich die Frage nach dem Bieterschutz.

Zwar bleibt dem Auftraggeber die Wahlfreiheit über die konkrete Verwendung von elektronischen Informations- und Kommunikationsmitteln, aber seit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 bedarf es elektronischer Kommunikation. Des Weiteren haben die Bieter einen Anspruch auf nicht diskriminierende elektronische Kommunikation, dies ergibt sich schon aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Absatzes 2. 3. Umfang

103 Die e-Vergabe umfasst das gesamte Vergabeverfahren. Die Richtlinien wenden

sich jedoch lediglich an die Auftraggeber. In allen Phasen eines Vergabeverfahrens haben aber nach Absatz 5 „Auftraggeber und Unternehmen“ grundsätzlich 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 68 f. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 69. 3 Vgl. Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. a-lit. d und Unterabs. 4, Abs. 2 Vergaberichtlinie; Art. 40 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. a-lit. d und Unterabs. 4, Abs. 2 Sektorenrichtlinie sowie die Regelungen der § 41 Abs. 2 VgV, § 41 Abs. 3 SektVO, § 17 Abs. 2 KonzVgV, § 11b EU VOB/A. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 69; s. auch schon Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG sowie die Regelungen der § 11 Abs. 1 VgV, § 11 Abs. 1 SektVO, § 9 Abs. 1 KonzVgV, § 19 Abs. 4 VSVgV, § 11a EU Abs. 1 VOB/A.

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elektronische Mittel zu nutzen. Dem Wortlaut nach sind Adressaten der Vorschrift sowohl Auftraggeber als auch Bieter, wobei dies nur bedeuten kann, dass die Unternehmen die vom Auftraggeber vorgegebenen Kommunikationsmittel zu nutzen haben1. Die e-Vergabe bedeutet letztlich die Digitalisierung des Vergabeverfahrens2. 104 Folgende Phasen des Vergabeverfahrens sind besonders von der elektronischen Kommunikation betroffen: – die elektronische Übermittlung und elektronische Bekanntmachung beim Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union im Amtsblatt der Europäischen Union (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VgV, § 40 Abs. 1 SektVO, § 23 Abs. 1 KonzVgV, § 19 VSVgV, §§ 11 EU Abs. 2 Satz 1, 12 EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 VOB/A), – die elektronische, unentgeltliche, uneingeschränkte und vollständige Bereitstellung der Vergabeunterlagen durch die Möglichkeit des Abrufens der Unterlagen auf einer Internetseite (§ 41 Abs.1 VgV, § 41 Abs. 1 SektVO, § 17 Abs. 1 KonzVgV, §§ 11 EU Abs. 3, 11 EU Abs. 3 VOB/A), – die elektronische Angebotsabgabe (§ 53 VgV, § 43 Abs. 1 SektVO, § 28 Abs. 1 KonzVgV, § 11 EU Abs. 4 VOB/A) sowie – die elektronische Zuschlagserteilung. Ausprägungen des Grundsatzes der Nutzung elektronischer Kommunikation 105 finden sich des Weiteren in Vorschriften des 4. Teils und in den Verordnungen. So etwa – in § 120 Abs. 1 und dem Gebot eines ausschließlich elektronischen Verfahrens zur Beschaffung marktüblicher Leistungen im Rahmen von dynamischen Beschaffungssystemen (s. auch § 22 Abs. 3 VgV, § 20 Abs. 3 SektVO, § 4b EU Abs. 1), – in den konkretisierten Vorschriften zu Grundsätzen, Beschaffenheit und Einsatz von elektronischen Mitteln (§§ 10-12 VgV, §§ 9-11 SektVO, §§ 7–9 KonzVgV, §§ 11 EU, 11a EU VOB/A), – in der Dokumentationspflicht von Gründen für die Nutzung nicht elektronischer Mittel (§ 8 Abs. 2 Nr. 9 VgV, § 8 Abs. 2 Nr. 4 SektVO, § 6 Abs. 2 Nr. 6 KonzVgV, § 11 EU Abs. 7 VOB/A), – in den Regelungen zur Durchführung elektronischer Auktionen (§§ 25, 26 VgV, §§ 23, 24 SektVO, § 4b EU Abs. 2 VOB/A) sowie – in der Möglichkeit der Angebotsanforderung in Form von elektronischen Katalogen (§ 27 VgV, § 25 SektVO, § 4b EU Abs. 3 VOB/A).

1 Ebenfalls bezüglich der Unternehmen einen deklaratorischen Charakter annehmend Müller in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 221. 2 Schippel, VergabeR 2016, 434 (439).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe VIII. Subjektive Rechte (§ 97 Abs. 6) 106 Nach Absatz 6 haben Unternehmen Anspruch darauf, dass Auftraggeber die Be-

stimmungen über das Vergabeverfahren einhalten. Die Vorschrift gewährt Bewerbern und Bietern somit ein subjektives Recht auf Einhaltung der Vergabebestimmungen. Absatz 6 ist das zentrale materiell-rechtliche Pendant zu den Vorschriften des Nachprüfungsverfahrens in Kapitel 2 des 4. Teils1. Sie ist das Kernstück des vom Gesetzgeber mit dem Vergaberechtsänderungsgesetz von 1999 vollzogenen Übergangs von der sog. haushaltsrechtlichen Lösung zur sog. kartellrechtlichen Lösung, mit welchem der Rechtsprechung des EuGH zur unzureichenden Umsetzung der Vergaberichtlinien in Deutschland2 Rechnung getragen wurde3. Bei Schaffung der „haushaltsrechtlichen Lösung“ des Haushaltsgrundsätzegesetzes war der Gesetzgeber noch ausdrücklich davon ausgegangen, dass durch dieses Gesetz kein einklagbarer Rechtsanspruch der Bieter geschaffen wurde4. 1. Träger und Gegner der subjektiven Rechte

107 Träger der subjektiven Rechte aus Absatz 6 sind „Unternehmen“. Der Unter-

nehmensbegriff ist in § 160 Rz. 15 erläutert und umfasst auch Unternehmen aus außer-europäischen Staaten5. Anspruchsgegner sind öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 98 i.V.m. §§ 99–101. 2. Anspruchsumfang

108 Absatz 6 beschränkt die subjektiven Rechte auf die Einhaltung der Bestimmun-

gen über das Vergabeverfahren. Dem Wortlaut nach sind damit alle Regelungen erfasst, die das Vergabeverfahren als solches betreffen. Regelungen, die vom Auftraggeber im Allgemeinen – also lediglich auch bei der Durchführung von Vergabeverfahren – zu berücksichtigen sind, fallen hingegen nicht unter Absatz 6. Ob solche Bestimmungen im Vergabenachprüfungsverfahren überprüft werden können, richtet sich nach § 156 Abs. 2.

109 Nach Absatz 6 ist nicht zwischen unionsrechtlich vorgegebenen und national

intendierten Bestimmungen zu differenzieren. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Vergaberechtsänderungsgesetz hatte die Bundesregierung ein Gutachten zu dieser Frage eingeholt6. Dieses Gutachten kommt zu dem Ergeb-

1 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 237. 2 EuGH v. 11.8.1995 – Rs. C-433/93 (Kommission/Deutschland), Slg. 1995 I-2303, Rz. 19 = NVwZ 1996, 367 (368). 3 Vgl. BT-Drucks. 13/9340, S. 14, hier wurde das Recht der Bieter und Bewerber postuliert, die Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften effektiv einfordern zu können. 4 BT-Drucks. 12/4636, S. 12. 5 OLG Düsseldorf v. 31.5.2017 – VII-Verg 36/16. 6 Hailbronner, BT-Drucks. 13/9340, S. 25 ff.

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Grundsätze der Vergabe | § 97

nis, dass eine derartige Begrenzung zwar rechtlich möglich, jedoch nicht zweckmäßig sei. Das deutsche Vergaberecht beschränkt sich nicht darauf, die unionsrechtlichen Vorgaben umzusetzen. Vielmehr werden diese um zahlreiche Vorschriften ergänzt. Eine Trennung zwischen unionsrechtlich bedingten und sonstigen Vorschriften ist in den Vergabeverordnungen und der VOB/A nicht konsequent durchgeführt. Der Gesetzgeber hat daher bewusst darauf verzichtet, Absatz 6 auf Verstöße gegen solche Vorschriften des Vergaberechts zu begrenzen, die auf die Vergaberichtlinien zurückzuführen sind1. Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist, ob der Anwendungsbereich des Ab- 110 satzes 6 darüber hinaus auf bieterschützende Normen beschränkt ist2. Nach der Gesetzesbegründung ist dies der Fall. Danach kann der subjektive Rechtsschutz nur soweit gehen, wie eine bestimmte vergaberechtliche Vorschrift gerade auch den Schutz des potenziellen Auftragnehmers bezweckt. Auf die Einhaltung von reinen Ordnungsvorschriften könne sich der Auftragnehmer hingegen nicht berufen3. Ausgehend hiervon sind die Vorschriften des 4. Teils des GWB, der Verordnungen sowie der VOB/A daraufhin zu untersuchen, ob sie den Auftragnehmer schützen oder reine Ordnungsvorschriften darstellen. Diese Frage ist anhand der sog. Schutznormlehre zu beantworten. Danach hat eine objektivrechtliche Bestimmung, die für das öffentliche Auftragswesen relevant ist, dann Schutzcharakter, wenn sie zumindest auch den Zweck hat, den Betroffenen zu begünstigen und es ihm ermöglichen soll, sich auf diese Begünstigung zu berufen, um so einen ihm sonst drohenden Schaden oder sonstigen Nachteil zu verhindern4. Gegen diese Auffassung wird eingewandt, dass sich eine Begrenzung des Anwen- 111 dungsbereichs von Absatz 6 auf bieterschützende Bestimmungen zum einen im Gesetzgebungsverfahren – anders als bei § 181 – gerade nicht durchsetzen konnte5

1 BT-Drucks. 13/9340, S. 14 f. 2 Vgl. allgemein dazu BGH v. 18.2.2003 – X ZB 43/02, BGHZ 154, 32 = MDR 2003, 1069 (37): „Insoweit besteht Einigkeit, daß jedenfalls solche Bestimmungen § 97 Abs. 7 GWB unterfallen, die (auch) zum Schutze wohlberechtigter Interessen von am Vergabeverfahren teilnehmenden oder daran interessierten Unternehmen aufgestellt worden sind.“; bejahend etwa OLG Düsseldorf v. 8.9.2004 – Verg 35/04, NZBau 2005, 650 (652); ähnlich BayObLG v. 12.12.2001 – Verg 19/01, IBRRS 2003, 0066 (Rz. 25); a.A. etwa OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39 (42); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 402 ff. 3 BT-Drucks. 13/9340, S. 14. 4 Dazu im Einzelnen Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 40 Rz. 132 ff.; für die Anwendbarkeit der Schutznormlehre im Rahmen des § 97 Abs. 7: Boesen, § 97 Rz. 188; allgemein dazu Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 241; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 97 Rz. 15. 5 Vgl. dazu Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 378, 403.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe und eine solche Begrenzung zum anderen nicht mit den Anforderungen des Unionsrechts vereinbar wäre1. 112 Die praktische Relevanz dieser Streitfrage ist häufig geringer als angenommen.

Dies zum einen deshalb, weil die Vorschriften, die den Wettbewerbs- und den Transparenzgrundsatz oder das Gleichbehandlungsgebot ausgestalten nach einhelliger Ansicht bieterschützend sind2; zum anderen weil die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages nach § 160 Abs. 2 Satz 2 die Darlegung eines entstandenen oder drohenden Schadens als Folge der geltend gemachten Verletzung von Vergabevorschriften voraussetzt, sodass ein auf eine bloße Ordnungsvorschrift gestützter Nachprüfungsantrag unabhängig von dem Meinungsstreit unzulässig ist.

113 Es gibt aber immer wieder Fälle, in denen im Nachprüfungsverfahren Streit über

die Einhaltung von häufig öffentlich-rechtlichen Vorschriften durch den Auftraggeber oder Bieter entbrennt, die entweder ersichtlich nicht dem Schutz des Bieters oder des Wettbewerbs zu dienen bestimmt sind oder überhaupt nicht dem Vergaberecht entstammen. Da das Vergaberecht als Sonderrecht für öffentliche Auftraggeber materiell dem öffentlichen Recht zugerechnet werden kann, liegt es nahe, die das öffentliche Recht prägende Schutznormtheorie auch im Vergaberecht zur Anwendung zu bringen und nur solche Normen für rüge- und durchsetzungsfähig anzusehen, die dem Schutz des Bieters zu dienen bestimmt sind (bieterschützende Vorschriften). Dies lässt sich als eine Konsequenz der Subjektivierung des Vergaberechts verstehen, wie sie Absatz 6 bewirken soll, aber auch aus der Anknüpfung des Rechtsschutzes an den Begriff der Rechtsverletzung etwa in § 168 Abs. 1. Zwar ist die deutsche Schutznormtheorie kein europarechtlicher Grundsatz und keineswegs allen Rechtsordnungen bekannt. Das europäische Recht lässt aber auch dort Raum für das jeweilige nationale Verfahrens- und Prozessrecht, wo das europäische Recht materiell weiten Rechtsschutz sicherstellen will.3

114 Als bieterschützende Vorschriften des Vergaberechts wurden u.a. angesehen,

das Gebot, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durchzuführen (Verbot von de-facto-Vergaben)4, die Vorgabe der Verfahrensart5, das Gebot einer eindeuti-

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 405 m.w.N.; den subjektiven Rechtsschutz generell anerkennend aber EuGH v. 15.10.2015 – Rs. C-137/14 (Europäische Kommission/ Bundesrepublik Deutschland), IBRRS 2016, 1501 (Rz. 34) = NVwZ 2015, 1665 (1667); vgl. zu einem weiten Verständnis des Begriffs der nachprüfbaren Entscheidung EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle) Slg. 2005, I-26, Rz. 31, NZBau 2005, 111 (113). 2 Otting in Bechtold, § 97 Rz. 59. 3 Vgl. EuGH v. 15.10.2015 – Rs. C-137/14 (Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland), IBRRS 2016, 1501 (Rz. 34) = NVwZ 2015, 1665 (1667) zum Rechtsschutz im europäischen Umweltrecht. 4 BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116 = MDR 2005, 973; v. 18.6.2012 – X ZB 9/ 11, ZfBR 2012, 721 (723). 5 OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 2/06, NZBau 2007, 126 (127).

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Grundsätze der Vergabe | § 97

gen Leistungsbeschreibung (§ 121)1, das Gebot der Produktneutralität2, das Gebot der Teil- und Fachlosvergabe nach Abs. 43, das Gebot transparenter und eindeutiger Auswahl- und Wertungskriterien4, das Gebot, Auswahlkriterien, Unterkriterien und Gewichtung vorab mitzuteilen5, der Grundsatz des Geheimwettbewerbs und der Vertraulichkeit (§ 5 VgV, § 5 SektVO)6, das Gebot, Bieter ohne zureichenden Eignungsnachweis7 oder das Verbot, ein Vergabeverfahren ohne zureichenden Grund aufzuheben,8 die Dokumentationspflicht in bezug auf bieter- und wertungsrelevante Aspekte9. Als nicht bieterschützende Vorschriften des Vergaberechts wurden u.a. ange- 115 sehen: das Gebot, Angebote, die unangemessen niedrig sind, aufzuklären und ggf. auszuschließen (str.)10; die Berücksichtigung allgemein umweltpolitischer Ziele11, weshalb auch die bieterschützende Wirkung von Absatz 3 in Frage gestellt werden kann; die Vorgabe in § 5 EU VOB/A, Bauaufträge zusammen mit den zugehörigen Lieferungen zu vergeben12; die gesetzliche Forderung einer Tariftreueerklärung13. Noch bedeutsamer wird die Unterscheidung zwischen bieterschützenden Vor- 116 schriften, soweit es um Vorschriften geht, die überhaupt nicht dem Vergaberecht, sondern anderen Rechtsvorschriften entstammen, aber als Vorfragen für eine Vergabeentscheidung wesentliche Bedeutung haben können. Dies können etwa kommunalwirtschaftsrechtliche Vorschriften oder beihilfenrechtliche Vorgaben sein. Kann sich ein Bieter darauf berufen, dass das Kommunalwirtschaftsrecht der Betätigung eines kommunalen Unternehmens entgegensteht, dass ein Bieter möglicherweise unzulässige Beihilfen erhalten hat oder urheberrechtliche 1 OLG Brandenburg v. 16.1.2007 – Verg W 7/06, ZfBR 2007, 294 (301). 2 BayObLG v. 15.9.2004 – Verg 026/03, VergabeR 2005, 130; VK Sachsen v. 23.11.2016 – 1/SVK/025-16, juris. 3 OLG Düsseldorf v. 1.6.2016 – VII-Verg 6/16, VergabeR 2016, 751. 4 OLG Naumburg v. 16.12.2016 – 7 Verg 6/16, zit nach juris. 5 OLG München v. 17.1.2008 – Verg 15/07 VergabeR 2008, 574. 6 OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – VII Verg 4/11, VergabeR 2011, 731. 7 OLG Frankfurt/M v. 19.12.2006 – 11 Verg 7/06, VergabeR 2007, 376 (379). 8 BGH v. 18.2.2003 – X ZB 43/02, MDR 2003, 1069 = NZBau 2003, 293 f.; VK Nordbayern v. 29.10.2015 – 21.VK-3194-34/15. 9 OLG Celle v. 11.2.2010 – 13 Verg 16/09, VergabeR 2010, 669 (673); OLG Saarbrücken v. 15.10.2014 – 1 Verg 1/14 NZBau 2015, 45. 10 Str. gegen eine (dritt-)schützende Wirkung für andere Bieter in der Regel vgl. OLG Düsseldorf v. 17.6.2002 – VII-Verg 18/02 NZBau 2002, 626 (627 f.); OLG Karlsruhe v. 22.7.2011 – 15 Verg 8/11, juris; OLG Koblenz v. 26.10.2005 – 1 Verg 4/05, VergabeR 2006, 392; VK Thüringen v. 8.11.2016 – 250-4002-7852/2016-N-012-KYF; a.A. für bieterschützende Wirkung OLG Saarbrücken v. 29.10.2003 – 1 Verg 2/03 NZBau 2004, 117 (118), offenlassend OLG München v. 11.5.2007 – Verg 4/07 ZfBR 2007, 599. 11 VK Rheinland-Pfalz v. 13.11.2015 – VK 1-16/15 juris. 12 KG v. 7.8.2015 – Verg 1/15, VergabeR 2016, 112. 13 VK Lüneburg v. 1.2.2016 – VgK 51/2015, juris.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe Bedenken gegen ein konkurrierendes Angebot bestehen? Auf den ersten Blick scheiden derartige Angriffe bereits deswegen aus, weil es keine Vorschriften „über das Vergabeverfahren“ sind. Auch aus verfahrenspraktischen Gründen erscheint das auf eine zügige Entscheidung gerichtete Nachprüfungsverfahren ungeeignet für eine umfassende Rechtskontrolle in jeglicher Hinsicht. Das Nachprüfungsverfahren ist ein fokussiertes Rechtsschutzinstrument zur Durchsetzung des Vergaberechts. Auch die Rechtsmittelrichtlinie verlangt keine Sanktionierung von Vorschriften außerhalb der Normen des Vergaberechts (Art. 1 Abs. 1 UAbs. 3 RMR). Dies allein würde den deutschen Gesetzgeber zwar nicht hindern, weitergehenden Rechtsschutz zu normieren. Angesichts der klaren gesetzlichen Beschränkung des Rechtsschutzes durch die Vergabekammern auf die Beseitigung von Rechtsverletzungen (§ 168), der begrenzten Zuweisung der Nachprüfungsverfahren auf Rechte nach Absatz 6 (§ 156 Abs. 2) und der deutlichen Beschränkung des vergaberechtlichen Anspruchs nach dem Wortlaut des Absatzes 6 auf Vorschriften über das Vergabeverfahren sprechen die besseren Argumente dafür, dass Absatz 6 mit der Subjektivierung des Vergaberechts keinen umfassenden Rechtsanspruch auf umfassende Rechtstreue verleiht. Die Subjektivierung des Bieterrechtsschutzes beschränkt sich auf die auf das Verfahren bezogenen Rechtsvorschriften, die den Schutz des Bieters bezwecken. Dies umfasst keine allgemeinen Ordnungsvorschriften, kann aber auch bieterschützende Vorschriften außerhalb des eigentlichen Vergaberechts einschließen, soweit sie dem Schutz des Bieters bei Vergaben dienen und deshalb als Bestimmungen über das Vergabeverfahren angesehen werden können. Über die Vergabegrundsätze in den Absätzen 1 und 2 können auch Rechtsvorschriften aus anderen Rechtsbereichen als Vorschriften über das Vergabeverfahren angesehen werden, etwa wenn sie den Schutz des Wettbewerbs bezogen auf den Bieter und Vergaben konkretisieren. 117 Die herrschende Rechtsprechung lehnt vor diesem Hintergrund die Prüfung

und Anwendung des Verbots unzulässiger Beihilfen aus Art. 107, 108 AEUV im Rahmen von Nachprüfungsverfahren ab1, was in der Literatur immer wieder auf Kritik und weitergehende Vorschläge stößt2, aus den dargestellten Gründen aber überzeugend ist.

118 Das allgemeine Kartellrecht kann hingegen zum Prüfungsmaßstab zählen und

eine bieterschützende Vorschrift über das Vergabeverfahren darstellen, und im Wege einer Inzidentprüfung innerhalb einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm. So führt ein Verstoß gegen allgemeines Kartellrecht etwa im Falle einer

1 OLG Düsseldorf v. 26.7.2002 – VII Verg 22/02, ZfBR 2003, 70 (71 f.); v. 7.11.2012 – VII Verg 11/12, NZBau 2013, 187 (189); OLG Koblenz v. 10.8.2009 – 1 Verg 8/09, NZBau 2009, 671 (672); OLG Naumburg v. 6.12.2012 – 2 Verg 5/12, VergabeR 2013, 438; OLG Düsseldorf v. 28.3.2012 – VII Verg 37/11, juris Rn. 60. 2 Vgl. etwa Koenig/Hentschel, ZfBR 2006, 758; Dippel/Zeiss, NZBau 2002, 376 (377 f.); Dreher, NZBau 2013, 665.

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Auftraggeber | § 98

wettbewerbsrechtswidrigen Absprache getroffen von Bietern zum zwingenden Ausschluss von Angeboten1. Umstritten ist die Behandlung kommunalwirtschaftlicher Vorschriften, insbe- 119 sondere kommunalwirtschaftlicher Betätigungsverbote für kommunale Wirtschaftsunternehmen. Kommunalwirtschaftliche Vorschriften dienen regelmäßig nicht dem Schutz von Konkurrenten vor der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen, sodass sie nach einer Ansicht außer in besonderen, offensichtlichen Fällen keine vergaberechtliche Relevanz haben2, nach der Gegenauffassung hingegen wegen ihrer Wettbewerbsbedeutung zu berücksichtigen sein sollen3. Ebenso können Vorfragen aus dem Wasser- und Kommunalabgabenrecht zwar mittelbar für die Auftragsgestaltung erhebliche Relevanz haben.4 Es scheint aber zu weitgehend, Fragen des Sozialrechts5, des Datenschutzrechts6 oder des Personenbeförderungsrechts7 in Nachprüfungsverfahren klären zu wollen.

§ 98 Auftraggeber Auftraggeber im Sinne dieses Teils sind öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99, Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 und Konzessionsgeber im Sinne des § 101. I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . II. Unionsrechtliche Grundlagen . .

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III. Auftraggeber und Vergabestelle . IV. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . .

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I. Inhaltsübersicht §§ 98–101 bestimmen den subjektiven Anwendungsbereich des Kartellvergabe- 1 rechts. § 98 definiert den Begriff des Auftraggebers im Vergaberecht, der in den nachfolgenden drei Vorschriften differenziert wird. Der Begriff Auftraggeber ist 1 OLG Düsseldorf v. 29.7.2015 – VII Verg 6/15, juris; OLG Koblenz v. 26.10.2005 – 1 Verg 4/05, VergR 2006, 392. 2 OVG Münster v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 (1032 f.); Schneider NZBau 2009, 352. 3 OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, NZBau 2012, 252 (254 f.); v. 7.8.2013 – VII Verg 14/13 NZBau 2014, 57 (60f). 4 Vgl. einerseits OLG Jena v. 11.12.2009 – 9 Verg 2/08, VergabeR 2010, 705; OLG Brandenburg v. 16.1.2012 – W 9/11, NZBau 2012, 326. 5 OLG München v. 8.5.2009 – Verg 6/09, ZfBR 2009, 494 (495). 6 VK Mecklenburg-Vorpommern v. 19.3.2014 – 2 VK 05/14, IBRRS 2015, 2103. 7 OLG Jena v. 23.12.2011 – 9 Verg 3/11, VergabeR 2012, 461; OLG Koblenz v. 25.3.2015 – Verg 11/14, VergabeR 2015, 568; VK Sachsen-Anhalt v. 19.12.2013 – 2 VK LSA 16/13, juris.

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§ 98 | Auftraggeber eine übergeordnete Kategorie und umfasst die öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99, die Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 und die Konzessionsgeber im Sinne des § 101. In diesen Vorschriften werden die verschiedenen Auftraggeberarten konkretisiert, die in der Vorgängernorm noch in einer einzigen Vorschrift zusammengefasst waren. Dies bringt auch einen begrifflichen Wandel mit sich. Während zuvor alle dem Vergaberecht unterfallenden Auftraggeber häufig als „öffentliche Auftraggeber“ bezeichnet wurden, ist dieser Begriff nun den „klassischen“ Auftraggebern nach § 99 vorbehalten, die durch das Vergaberecht verpflichteten Rechtssubjekte, sind nun Auftraggeber nach § 98.

II. Unionsrechtliche Grundlagen 2 Der Begriff des Auftraggebers findet seine Grundlage in den drei EU-Vergabe-

richtlinien. Öffentliche Auftraggeber sind geregelt in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 und 4 der Vergaberichtlinie. Die Konzessionsvergaberichtlinie unterscheidet in Art. 6 und 7 öffentliche Auftraggeber und Auftraggeber, die Sektorenrichtlinie tut dies in Art. 3 und 4.

3 Den Vergaberichtlinien liegt ein funktionaler Auftraggeberbegriff zugrunde.

Insofern stellte der EuGH bereits zur Richtlinie 71/305/EWG (Baukoordinierungsrichtlinie1) fest, dass das Ziel der Richtlinie, nämlich die tatsächliche Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge, gefährdet wäre, „wenn sie allein deswegen unanwendbar wäre, weil ein öffentlicher Bauauftrag von einer Einrichtung vergeben wird, die geschaffen wurde, um ihr durch Gesetz zugewiesene Aufgaben zu erfüllen, die jedoch nicht förmlich in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist“2. Im Nachvollzug dieser Rechtsprechung wurde der Auftraggeberbegriff um „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ erweitert. Wie Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Vergaberichtlinie zu entnehmen ist, umfasst dieser Begriff juristische Personen sowohl des öffentlichen als auch des privaten Rechts.

III. Auftraggeber und Vergabestelle 4 Während der Begriff des Auftraggebers das durch das Vergaberecht verpflichtete

Rechtssubjekt bezeichnet, wird mit dem Begriff der Vergabestelle die im Be-

1 Richtlinie des Rates v. 26.7.1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. Nr. L 185 v. 16.8.1971, S. 5 ff. 2 EuGH v. 20.9.1988 – Rs. 31, 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rz. 11 = IBR 1993, 1 (Rz. 31, 87); darauffolgend EuGH v. 12.9.2013 – Rs. C-526/11 (Ärztekammer Westfalen-Lippe), NZBau 2013, 717 (718 f.); v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 36 f.; v. 15.5.2003 – Rs. C-214/00 (Kommission/Spanien), Slg. 2003, I-4667, Rz. 52 ff. = NZBau 2003, 450 (453 f.).

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Auftraggeber | § 98

schaffungsvorgang auftretende Einheit oder Person bezeichnet, bei Gebietskörperschaften wie Bund und Länder die konkret auftretende Behörde, die für den Auftraggeber erklärungsbefugt und empfangszuständig ist. In der vergaberechtlichen Praxis ist der Sprachgebrauch hier häufig nicht präzise. Die Vergabestelle ist zumeist eine Einheit oder ein Organ des Auftraggebers, sie muss aber nicht mit diesem identisch sein. Die rechtlichen Verpflichtungen und vertraglichen Bindungen treffen den Auftraggeber als Rechtsperson.1 Auftraggeber sind verpflichtet, die wesentlichen vergaberechtlichen Verfahrens- 5 entscheidungen selbst zu treffen2. Insbesondere die Entscheidung über die Erteilung des Zuschlages kann der Auftraggeber daher nicht delegieren, die Beschränkung der eigenen Mitwirkung auf ein „Abnicken“3 ist nicht zulässig (§ 127 Rz. 105). Im Übrigen ist es vergaberechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich Auftraggeber bei der Durchführung von Vergaben der Mithilfe Dritter bedienen. Dies stellt § 4 VgV klar. Insofern kommt die Einschaltung eines rechtsgeschäftlich bestellten Vertreters grundsätzlich ebenso in Betracht wie die Beauftragung eines Dritten mit der Beschaffung im eigenen Namen für den Auftraggeber4. Bei der Beschaffung durch einen rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter des Auftraggebers handelt der Bevollmächtigte in fremden Namen und für Rechnung des Auftraggebers. Dagegen handelt bei der mittelbaren Stellvertretung der Bevollmächtigte in eigenem Namen, aber weiterhin für Rechnung des öffentlichen Auftraggebers5. Auch öffentlich-rechtliche Vergabestellen können für einen Auftraggeber tätig werden. Hier kann im Einzelfall fraglich sein, wer Auftraggeber im Sinne von § 98 ist6. Hiervon ist die Bildung von Einkaufskooperationen zu unterscheiden, bei denen sich mehrere Auftraggeber zur Beschaffung zusammenschließen.7 Solche Zusammenschlüsse können zwar im Einzelfall kartellrechtlich problematisch sein, sind aber vergaberechtlich nicht per se unzulässig (vgl. Art. 38 VRL, Art. 56 SRL). Soweit durch den Zusammenschluss kein eigenständiges Rechtssubjekt ge1 OLG Düsseldorf v. 2.11.2016 – Verg 23/6, ZfBR 2017, 190. 2 OLG München v. 21.8.2008 – Verg 13/08, VergabeR 2009, 65 (71); OLG Celle v. 7.6.2007 – 13 Verg 5/07, VergabeR 2007, 650 (655); OLG Dresden v. 29.5.2001 – WVerg 3/01, VergabeR 2001, 311 (312); VK Sachsen v. 1.4.2010 – 1/SVK/007/10, IBR 2010, 523. 3 VK Brandenburg v. 7.4.2006 – 2 VK 10/06, IBRRS 2006, 1581. 4 Vgl. VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2-114/05, VergabeR 2007, 100 (105). 5 Siehe Beispiele der mittelbaren Stellvertretung in VK Baden-Württemberg v. 14.11.2013 – 1 VK 37/13, IBR 2014, 373; VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2-114/05, VergabeR 2007, 100 (105). 6 Siehe hinsichtlich der Bundesauftragsverwaltung das Land als Auftraggeber ansehend BGH v. 20.3.2014 – X ZB 18/13, NZBau 2014, 310 (312); VK Baden-Württemberg v. 23.6.2003 – 1 VK 28/03, IBRRS 2003, 2427; a.A: VK Lüneburg v. 22.6.2007 – VgK-21/ 2007, IBRRS 2009, 2720. 7 OLG München v. 20.03.2014 – Verg 17/13, NZBau 2014, 456 (458).

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§ 98 | Auftraggeber bildet wird, bleiben die beteiligten Auftraggeber selbst als öffentliche Auftraggeber verpflichtet. Das europäische Vergaberecht kennt die Bildung eigenständiger zentraler Beschaffungsstellen (§ 120 Abs. 4 [§ 120 Rz. 38]; vgl. Art. 37 Abs. 1 VRL, Art. 55 SRL), die rechtlich verselbständigt für andere Auftraggeber Aufträge vergeben. Sie sind selbst Auftraggeber. In den Fällen, in denen Auftraggeber und Vergabestelle auseinanderfallen, bleibt für die Eröffnung des personellen Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB entscheidend, wer der Auftraggeber ist, welcher anhand der Umstände des Einzelfalls materiell-wirtschaftlich zu bestimmen ist. Auftraggeber ist danach, wer die Chancen und Risiken aus dem im Rahmen des konkreten Beschaffungsvorhabens abzuschließenden Vertrages endgültig tragen soll1.

IV. Regelungsgehalt 6 Es handelt sich um eine abschließende Aufzählung2. Gehören Personen nicht

den öffentlichen Auftraggebern, den Sektorenauftraggebern oder Konzessionsgebern an, sind sie nicht zur Anwendung des Vergaberechts des GWB verpflichtet. Der Kreis der Auftraggeber (§§ 99–101) und damit der Anwendungsbereich sowohl der materiell-rechtlichen Anforderungen der §§ 97 ff. als auch des Rechtsschutzsystems der §§ 155 ff. lassen sich nicht im Wege der Analogie3 erweitern. Eine Ausweitung über den Wortlaut der Norm ist auch dann nicht dankbar, wenn eine nicht von den §§ 99 ff. erfasste Einrichtung die Regelungen der §§ 97 ff. – bewusst oder in der irrtümlichen Annahme, öffentlicher Auftraggeber zu sein – anwendet4. In letzterem Fall ist zwar denkbar, dass die Einrichtung mit der Anwendung des Kartellvergaberechts einen Vertrauenstatbestand schafft, aufgrund dessen Bieter berechtigt davon ausgehen dürfen, dass die Einrichtung die vergaberechtlichen Bestimmungen insgesamt einhält5. Eine Verletzung dieses Vertrauens kann jedoch lediglich Schadensersatzansprüche nach den allgemeinen Regeln auslösen. Der Vergaberechtsweg steht den Bietern hingegen nicht offen. Denn die vom Gesetzgeber vorgesehenen Grenzen des vergaberechtlichen Rechtsschutzsystems sind nicht disponibel6.

1 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 98 Rz. 101, 105 m.w.N.; dem anschließend OLG Düsseldorf v. 17.12.2012 – VII-Verg 47/12, VergabeR 2013, 550 (551). 2 VK Brandenburg v. 11.3.2009 – VK 7/09, ZfBR 2009, 710 (712). 3 VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2-114/05, VergabeR 2007, 100 (198). 4 OLG Stuttgart v. 12.8.2002 – 2 Verg 9/02, NZBau 2003, 340 (340). 5 Vgl. BGH v. 21.2.2006 – X ZR 39/03, MDR 2006, 984 = NZBau 2006, 456 (457). 6 Vgl. dazu OLG Hamburg v. 31.3.2014 – 1 Verg 4/13, NZBau 2014, 659 (660); OLG Celle v. 8.8.2013 – 13 Verg 7/13, NZBau 2013, 659 (659); v. 25.8.2011 – 13 Verg 5/11, VergabeR 2012, 182 (184); OLG Stuttgart v. 12.8.2002 – 2 Verg 9/02, NZBau 2003, 340 (340); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 98 Rz. 54 m.w.N.

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Öffentliche Auftraggeber | § 99

§ 99 Öffentliche Auftraggeber Öffentliche Auftraggeber sind: 1. Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen, 2. andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, sofern a) sie überwiegend von Stellen nach Nummer 1 oder 3 einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanziert werden, b) ihre Leitung der Aufsicht durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 unterliegt oder c) mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 bestimmt worden sind; dasselbe gilt, wenn diese juristische Person einer anderen juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt, über deren Leitung die Aufsicht ausübt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, 3. Verbände, deren Mitglieder unter Nummer 1 oder 2 fallen, 4. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht unter Nummer 2 fallen, in den Fällen, in denen sie für Tiefbaumaßnahmen, für die Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäuden oder für damit in Verbindung stehende Dienstleistungen und Wettbewerbe von Stellen, die unter die Nummern 1, 2 oder 3 fallen, Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 Prozent subventioniert werden. I. 1. 2. II. III. 1. 2. 3.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Gebietskörperschaften und deren Sondervermögen (§ 99 Nr. 1) . . Sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts (§ 99 Nr. 2) Allgemeine Fragen . . . . . . . . . . Juristische Person des öffentlichen und des privaten Rechts . Gründung zu dem Zweck, im Allgemeininteresse liegende

__ _ __ _ 1 5

11 13 14 18

__ _ _ __ _

Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . b) Gründung . . . . . . . . . . . . . . c) Allgemeininteresse . . . . . . . . d) Aufgaben nichtgewerblicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatliche Einflussnahmemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . a) Finanzierung (lit. a) . . . . . . . b) Aufsicht über die Leitung (lit. b) . . . . . . . . . . . . . . . . .

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22 23 32 38 44 49 55

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber c) Bestimmung mehr als der Hälfte der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs (lit. c) d) In Nummer 2 genannte Auftraggeber als beherrschende Stelle i.S.v. lit. a–c (Nr. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einzelfälle a) Sparkassen und Landesbanken b) Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten . . . . . . . . . . . . c) Gesetzliche Krankenkassen . . d) Religionsgemeinschaften . . . . e) Deutsche Bahn AG . . . . . . . .

_ _ _ __ __ 60

67 69 74 77 80 85

f) g) h) i) j)

Deutsche Post AG . . . . . . . Lotteriegesellschaften . . . . . Wohnungsbaugesellschaften Messegesellschaften . . . . . . Kommunale Versorgungsunternehmen . . . . . . . . . . .

. . . . .

IV. Verbände (§ 99 Nr. 3) . . . . . . .

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V. Staatlich subventionierte Auftraggeber (§ 99 Nr. 4) . . . . 98 1. Natürliche und juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Erfasste Vorhaben . . . . . . . . . . 100 3. Mehr als 50 %-ige Subventionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 § 99 bestimmt die öffentlichen Auftraggeber. Neben § 100 (Sektorenauftrag-

geber) und § 101 (Konzessionsgeber) regelt der neue § 99 den Kreis derjenigen Personen, die verpflichtet sind, den 4. Teil des GWB und die übrigen Bestimmungen des Vergaberechts, auf welche das GWB verweist, anzuwenden.

2 Entsprechend der haushaltsrechtlichen Wurzeln des Kartellvergaberechts um-

fasst dieser Kreis zunächst die Adressaten des Haushaltsrechts1, also den Bund, die Länder, die Gemeinden, die Sondervermögen von Bund und Ländern sowie bundes- und landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts. Diese werden daher auch unter dem Begriff der klassischen (öffentlichen) Auftraggeber zusammengefasst.

3 § 99 erfasst darüber hinaus bestimmte private Unternehmen. Diese Erweite-

rung gegenüber den klassischen Auftraggebern ist in erster Linie dem Ziel geschuldet, eine Umgehung der unionsrechtlichen Vergabevorgaben durch eine Flucht ins Privatrecht entgegen zu wirken. Dementsprechend zeichnen sich die erfassten Unternehmen im Wesentlichen dadurch aus, dass sie in besonderer Weise staatlicher Einflussnahme unterliegen2.

4 § 99 ist in Bezug auf die öffentlichen Auftraggeber abschließend. Personen, die

nicht unter die Vorschrift fallen, sind keine öffentlichen Auftraggeber. Fallen sie auch nicht unter die Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 oder die Konzessi-

1 S. etwa Kratzenberg, NZBau 2009, 103 (104). 2 Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, § 98 Rz. 5.

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onsgeber im Sinne des § 101, sind Auftraggeber nicht zur Anwendung des Vergaberechts des GWB verpflichtet (vgl. § 98 Rz. 6). 2. Entstehungsgeschichte § 99 geht auf § 57a HGrG zurück. Die Vorschrift wurde mit § 107 des Regie- 5 rungsentwurfs zum Vergaberechtsänderungsgesetz1 von 1999 inhaltlich unverändert übernommen und in sechs Ziffern zusammengefasst. Im Rahmen der Vergaberechtsmodernisierung 2016 wurde die Vorschrift der neuen Gesetzessystematik angepasst, die zwischen öffentlichen Auftraggebern, Sektorenauftraggebern und Konzessionsgebern differenziert, und entschlackt. § 99 führt sachlich den bisherigen § 98 Nr. 1 bis 3 und Nr. 5 a.F. fort. Nummer 1 entspricht im Wesentlichen dem § 57a Abs. 1 Nr. 1 HGrG a.F. („Ge- 6 bietskörperschaften sowie deren Sondervermögen und die aus ihnen bestehenden Verbände“). Auch Nummer 2 geht auf § 57a HGrG a.F. zurück. Die Vorschrift wurde im 7 Zuge der Vergaberechtsmodernisierung 2016 neu strukturiert, um sie übersichtlicher zu gestalten2. Die drei Tatbestände der Norm sind jeweils einem Buchstaben von lit. a–c zugeordnet. Der Halbsatz 2 erfasst die sog. Auftraggeberkette. Das Tatbestandsmerkmal „oder über deren Leitung die Aufsicht ausübt“ wurde hinzugefügt. In der vorherigen Fassung des § 98 Nr. 2 Satz 2 waren lediglich die Beherrschungstatbestände „überwiegende Finanzierung“ und „Bestimmung der Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs“ geregelt. Neu aufgenommen ist die durch Aufsicht vermittelte Staatsverbundenheit3. Nummer 3 entspricht der alten Fassung des § 57a Abs. 1 Nr. 3 HGrG.

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Nummer 4 erfasst die zuvor in § 98 Nr. 5 geregelten staatlich subventionierten 9 Auftraggeber. Sie hat ihren Ursprung in § 57a Abs. 1 Nr. 6 HGrG. Mit der zweiten Vergaberechtsmodernisierung 2016 hat die Vorschrift neben kleineren Veränderungen zwei Anpassungen erfahren: Statt von „Auslobungsverfahren“ ist von „Wettbewerben“ die Rede und statt „finanziert“ heißt es nun „subventioniert“. Letzteres stellt eine Anpassung an den Wortlaut von Art. 13 der Vergaberichtlinie dar, der ein weites Verständnis von Subventionen kennt4. Die ehemals in Nummer 4 geregelten Sektorenauftraggeber sind nun verortet in 10 § 100 i.V.m. § 102. § 98 Nr. 6 a.F. regelte die Auftraggeber von Baukonzessionen, die nun vom Begriff der Konzessionsgeber gemäß § 101 erfasst werden. 1 2 3 4

BT-Drucks. 13/9340, S. 15. BT-Drucks. 18/6281, S. 70. BT-Drucks. 18/6281, S. 70. BT-Drucks. 18/6281, S. 70.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber II. Gebietskörperschaften und deren Sondervermögen (§ 99 Nr. 1) 11 Nummer 1 umfasst Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen. Ge-

bietskörperschaften sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, die auf einem räumlich abgegrenzten Teil des Staatsgebietes über Gebietshoheit verfügen. Dies sind der Bund, die Länder, die Landkreise1 und die Gemeinden2. Erfasst werden hierdurch nicht nur Behörden, sondern sämtliche Organisationseinheiten und Gewalten von Bund, Ländern und Kommunen, also neben Behörden, Ministerien auch die Gesetzgebungsorgane3. Politische Parteien gehören dagegen nicht zu den öffentlichen Auftraggebern4. Die auftretenden Behörden und Organe handeln jeweils als Vergabestellen, sind als nicht selbst Auftraggeber, sondern handeln für die Gebietskörperschaft. Sie ist der öffentliche Auftraggeber, rechtlicher Adressat der vergaberechtlichen Pflichten und Vertragspartner. Sofern die Durchführung von Vergaben in mittelbarer Stellvertretung durch ein privates Unternehmen erfolgt, aber die Beschaffungsentscheidung durch die öffentliche Hand getroffen wird, bleibt die Gebietskörperschaft Auftraggeber5. Unter Sondervermögen sind rechtlich unselbständige aber als gesonderte Einheit im Rechtsverkehr auftretende Verwaltungsstellen zu verstehen6. Hierzu zählen beispielsweise Eigenbetriebe und nicht rechtsfähige Stiftungen. Soweit Sondervermögen nicht ausnahmsweise selbst rechtsfähig sind, sind sie nicht Träger von Rechten und Pflichten und können deshalb, anders als der Wortlaut von Nr. 1 nahelegt, nicht selbst Auftraggeber sein. Sie fungieren, wenn ihnen Rechtsfähigkeit fehlt, als Vergabestelle, die den hinter dem Sondervermögen stehenden Träger des Sondervermögens Auftraggeber verpflichtet.

12 Die Einordnung als öffentlicher Auftraggeber nach Nummer 1 unterliegt keinen

auftragsbezogenen Einschränkungen. Insbesondere ist daher unerheblich, ob der im Einzelfall zu vergebende Auftrag im Zusammenhang mit den hoheitlichen Aufgaben der betreffenden Gebietskörperschaft steht oder der Auftrag aus

1 OLG Düsseldorf v. 6.7.2011 – VII-Verg 39/11, NZBau 2011, 769 (770); VK Schleswig v. 13.7.2006 – VK-SH 15/06, IBRRS 2006, 2347; ebenso Otting in Bechtold, § 98 Rz. 7; a.A. Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 17, der hinsichtlich Landkreise § 99 Nr. 3 anwendet. 2 Vgl. bezüglich Kommunen EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98 (Teatro alla Bicocca), Slg. I 2001, 5409, Rz. 57 = NZBau 2001, 512 (515). 3 Vgl. EuGH v. 17.9.1998 – C-323/96, Slg. 1998, I-5063, 5083, Rz. 27 = IBRRS 2003, 0767 (Rz. 27): „Der hier verwendete Begriff des Staates umfasst alle Organe, die die gesetzgebende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt ausüben. Das gleiche gilt in einem Bundesstaat für die Organe, die diese Gewalten auf der Ebene der Einzelstaaten ausüben.“; auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 14 m.w.N. 4 Vgl. Erwägungsgrund 29 der Vergaberichtlinie. 5 VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2–114/05, ZfBR 2007, 194 (198 f.); dazu auch Kratzenberg, NZBau 2009, 103 (104). 6 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 98 Rz. 7; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, § 98 Rz. 18; Otting in Bechtold, § 98 Rz. 7.

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öffentlichen Mitteln finanziert werden soll1. Für öffentliche Auftragnehmer nach Nummer 1 ist der personelle Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts daher auch bei erwerbswirtschaftlichen Beschaffungsgeschäften eröffnet.

III. Sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts (§ 99 Nr. 2) Nummer 2 erfasst juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, 13 die gegründet worden sind, um im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, und die eine besondere Staatsnähe aufweisen. Die Staatsnähe ist bei einer überwiegenden Finanzierung seitens der öffentlichen Hand, bei einer staatlichen Aufsicht über die Leitung oder bei der Bestimmung von mehr als der Hälfte der Mitglieder der zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe des Auftraggebers durch den Staat bzw. seiner nachgeordneten Stellen gegeben. 1. Allgemeine Fragen Nummer 2 liegen die Regelungen der Vergaberichtlinien zu den Einrichtungen 14 des öffentlichen Rechts zugrunde. Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Vergaberichtlinie fallen hierunter alle Einrichtungen, die – zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, – Rechtspersönlichkeit besitzen und – überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert werden, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegen oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern bestehen, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind. Hintergrund der Erfassung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts als öffent- 15 liche Auftraggeber ist die vom EuGH bereits in der Beentjes-Entscheidung getroffene Feststellung, dass die Ziele der Vergaberichtlinien gefährdet wären, wenn deren Anwendbarkeit von der formalen Eingliederung des Auftraggebers in die staatliche Verwaltung abhinge2. Diese Rechtsprechung hat der Richtliniengeber mit den Regelungen zu den Einrichtungen des öffentlichen Rechts aufgegriffen und konkretisiert. Die Erfassung der Einrichtungen des öffentlichen 1 EuGH v. 18.11.2004 – Rs. C-126/03 (Kommission/Deutschland), Slg. 2004, I-11197, Rz. 18, 20 = VergabeR 2005, 57 (58). 2 EuGH v. 20.9.1988 – Rs. 31/87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rz. 11 = IBRRS 1988, 0001 (Rz. 11).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber Rechts als öffentliche Auftraggeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass sich die öffentliche Hand zur Erledigung ihrer Aufgaben zusehends Unternehmen bedient, die privatrechtlich organisiert sind. Diese werden teilweise unmittelbar von Gebietskörperschaften oder deren Sondervermögen gehalten, teilweise bestehen indirekte und weitverzweigte Verbindungen. Die Vergaberichtlinien stehen dieser privatrechtlichen Organisation öffentlicher Aufgaben nicht entgegen, wollen jedoch sicherstellen, dass sich die öffentliche Hand nicht durch eine „Flucht in das Privatrecht“ dem Anwendungsbereich des Vergaberechts entzieht. Insbesondere in diesen Regelungen spiegelt sich daher das funktionale Verständnis des unionsrechtlichen Auftraggeberbegriffs. Dementsprechend sind auch die einzelnen Tatbestandsmerkmale der Nummer 2 zum einen funktional1 und zum anderen tendenziell weit auszulegen2. 16 Ein nicht erschöpfendes Verzeichnis der Einrichtungen und Kategorien von

Einrichtungen des öffentlichen Rechts war früher in Anhang III der Richtlinie 2004/18/EG enthalten. Die Aufnahme in dieses Verzeichnis begründete eine widerlegliche Vermutung3, dass die dort genannten Vergabestellen öffentliche Auftraggeber i.S.v. Art. 1 Abs. 9 der Richtlinie 2004/18/EG sind. Die Nachfolgerichtlinien allerdings verweisen nicht mehr auf eine solche Liste4, sodass der Frage nach ihrem umstrittenen Rechtscharakter keine Bedeutung mehr zukommt. Da sich das Richtlinienkonzept insoweit nicht geändert hat, kann dem Anhang III der Richtlinie 2004/18/EG immer noch indizielle Wirkung beigemessen werden.

17 Die Merkmale der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und somit des Auf-

traggebers nach Nummer 2 müssen kumulativ5 vorliegen. Entscheidend ist da-

1 EuGH v. 12.9.2013 – Rs. C-526/11 (Ärztekammer Westfahlen-Lippe), NZBau 2013, 717 (718 f.); dazu auch Heyne, NVwZ 2014, 621 ff.; außerdem v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 37 = NZBau 2008, 393 (395); v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 36 ff. = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 36 ff.); v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 53 = NZBau 2003, 162 (165); v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rz. 42 f. = NZBau 2001, 215 (217). 2 Vgl. EuGH v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 (SIEPSA), Slg. 2003, I-11697, Rz. 73 = NZBau 2004, 223 (227); v. 15.5.2003 – Rs. C-214/00 (Kommission/Spanien), Slg. 2003, I-4667, Rz. 53 = NZBau 2003, 450 (454). 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 27 f.; a.A. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, § 99 Rz. 130 m.w.N., hier ist von einer rein deklaratorischen Indizwirkung die Rede. 4 S. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Vergaberichtlinie. 5 EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Slg. 2009, I-4779 Rz. 48 = NJW 2009, 2427 (2429); v. 13.1.2005 – Rs. C-84/03 (Kommission/Spanien), Slg. 2005, I-139, Rz. 27 = NZBau 2005, 232 (232); v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 (SIEPSA), Slg. 2003, I-11697, Rz. 69 = NZBau 2004, 223 (227); v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 26 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 26); EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 21 = NJW 1998, 3261 (3262).

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bei grundsätzlich der Zeitpunkt der Vergabehandlung1, wenngleich sich die Qualifikation als Auftraggeber während eines Vergabeverfahrens verändern kann. 2. Juristische Person des öffentlichen und des privaten Rechts Nummer 2 erfasst juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts. 18 Zu Ersteren zählen neben den von Nummer 1 umfassten Gebietskörperschaften die bundes-, landes- und gemeindeunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Eigenbetriebe von Gebietskörperschaften, die keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, fallen nicht unter Nummer 2, sondern sind bereits von Nummer 1 umfasst (Rz. 11). Juristische Personen des Privatrechts sind z.B. der eingetragene Verein, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die eingetragene Genossenschaft, die Aktiengesellschaft und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Der Begriff der juristischen Person ist nicht allein nach deutschem Gesellschafts- 19 recht zu bestimmen, sondern erfasst alle organisatorisch so verselbständigten Einheiten, die am Rechtsverkehr teilnehmen und eigene Rechte und Pflichte begründen können. Ausgehend vom deutschen Verständnis des Begriffs der juristischen Person könnten sonst nicht alle Einrichtungen von Nummer 2 erfasst werden, für die dies unionsrechtlich geboten ist2. Der Begriff der juristischen Person rekurriert auf das Merkmal der Rechtspersönlichkeit in Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 lit. b der Vergaberichtlinie. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob das nationale Recht einer wirtschaftlichen Einheit auch formale Rechtspersönlichkeit zugesteht. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff der Einrichtung des öffentlichen Rechts anhand der in den Vergaberichtlinien normierten Tatbestandsmerkmale in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen3. Entscheidend ist daher, ob eine Einrichtung durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründen kann. Denn bereits in diesem Fall bestünde ohne die Erfassung als Einrichtung des öffentlichen Rechts die Gefahr der Umgehung des Vergaberechts durch „Flucht ins Privatrecht“4. 1 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 27; Ziekow, VergabeR 2010, 861, 863 ff.; vgl. zum Entfallen der Auftraggeberqualifikation EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C29/04 (Mödling), Slg. 2005, I-9705, Rz. 38 = NVwZ 2006, 70 (72); außerdem EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 30 = VergabeR 2001, 111 (115.); vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Naumburg v. 17.3.2005 – 1 Verg 3/ 05, VergabeR 2005, 635 (338). 2 So in der Tat noch VÜA Brandenburg v. 9.5.1996 – VÜA 3/96, WuW 1996, 853 (859) zur haushaltsrechtlichen Vorgängernorm § 57a Abs. 1 Nr. 2 HGrG. 3 EuGH v. 13.1.2005 – Rs. C-84/03 (Kommission/Spanien), Slg. 2005, I-139, Rz. 27 = NZBau 2005, 232 (232) m.w.N. 4 Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 38.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber Die unionsrechtlich gebotene funktionale Auslegung der Nummer 2 führt somit dazu, dass das Merkmal der juristischen Person des privaten Rechts – abweichend vom allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Verständnis – erfüllt ist, wenn die Einrichtung in der Lage ist, im Rechtsverkehr wie eine juristische Person aufzutreten und Verpflichtungen einzugehen1. 20 Für die offene Handelsgesellschaft ergibt sich dies aus § 124 Abs. 1 HGB, wo-

nach die OHG unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden kann. Die Vorschrift findet nach § 161 Abs. 2 HGB auf die Kommanditgesellschaft2, nach § 1 EWIV-Ausführungsgesetz3 auf die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) und nach § 7 Abs. 2 PartGG4 auf die Partnerschaftsgesellschaft5 (entsprechende) Anwendung. Auch die Außen-Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann nach gefestigter Rechtsprechung und herrschender Meinung durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründen und besitzt insofern Rechtsfähigkeit6. Obgleich sie keine juristischen Personen sind, können die OHG, die KG, die EWIV, die Partnerschaftsgesellschaft und die Außen-GbR daher öffentliche Auftraggeber nach Nummer 2 sein.

21 Entsprechendes gilt für Vorgründungs- und Vorgesellschaften von Kapitalge-

sellschaften7. So sind Vorgründungsgesellschaften, sofern sie im Vorgriff auf ihre künftige Tätigkeit Aufträge erteilen, als Außen-GbR bzw. als OHG zu klassifizieren8 und können somit nach dem Vorstehenden unter Nummer 2 fallen.

1 Boesen, § 98 Rz. 39; Dreher, DB 1998, 2579 (2580); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 45; Otting in Bechtold, § 98 Rz. 11; s. auch OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 3/06, ZfBR 2006, 818 (819). 2 Kindler in Koller/Kindler/Roth/Morck, Handelsgesetzbuch, 8. Aufl. 2015, § 161 HGB Rz. 23. 3 Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung v. 14.4.1988 – BGBl. I, S. 514. 4 Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe v. 25.7.1994 – BGBl. I, S. 1744. 5 Dazu Carsten/Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 7 PartGG Rz. 12; Meilicke in Meilicke/Graf v. Westphalen/Hoffmann/Lenz/Wolff, Partnerschaftsgesellschaftsgesetz, 3. Aufl. 2015, § 7 Rz. 13 ff. 6 Grundlegend hierzu BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 ff.; ausführlich Ulmer/Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, § 705 BGB Rz. 303 ff.; nach einer Entscheidung der VK Bremen v. 20.6.2012 – 16-VK 1/12 handelt es sich bei der GbR um einen Verband nach § 98 Nr. 3. 7 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 2 Rz. 29; Boesen, § 98 Rz. 37; Dreher, DB 1998, 2579 (2580); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 43; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 5; Otting in Bechtold, § 98 Rz. 11. 8 S. etwa Pentz in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2016, § 41 Rz. 18; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 11 Rz. 71 ff.

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Vorgesellschaften sind nach herrschender Auffassung als Gesamthandsgesellschaften eigener Art (teil-)rechtsfähig1. 3. Gründung zu dem Zweck, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen a) Einleitung Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 lit. a der Vergaberichtlinie schreibt vor, dass zu den Merkma- 22 len von Einrichtungen des öffentlichen Rechts der Gründungszweck, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, gehört. Dieses Kriterium stellt das zentrale Merkmal der Nummer 2 dar, mit dem die dem Vergaberecht unterliegenden Tätigkeiten der öffentlichen Hand von deren übrigem Handeln abgegrenzt werden sollen. Hierunter fällt insbesondere die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit2. Denn in diesem Bereich unterliegt auch die öffentliche Hand den Regeln des Wettbewerbs, so dass es nicht erforderlich ist, die Marktteilnehmer über die Anwendung des Vergaberechts vor Benachteiligungen durch die öffentliche Hand zu schützen3. b) Gründung Voraussetzung für die Anwendung von Nummer 2 ist, dass der Auftraggeber zu 23 dem besonderen Zweck gegründet worden ist, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen. Damit wird klargestellt, dass die lediglich gelegentliche Ausübung entsprechender Aufgaben die Auftraggebereigenschaft nicht begründet. Das Abstellen auf den Gründungszweck bedeutet hingegen nicht, dass spätere 24 Zweckänderungen unberücksichtigt bleiben müssten. Vielmehr ist die aktuelle, tatsächlich durchgeführte Tätigkeit maßgebend4. Hierfür spricht bereits die gebotene funktionale und weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals (Rz. 15). Denn „wenn es darauf ankäme, welche Aufgaben zuerst wahrgenommen werden, ließe sich die Anwendung der Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen leicht dadurch umgehen, dass man eine Einrichtung zunächst mit gewerblichen Aufgaben betraut und erst später mit nicht gewerblich wahrgenommen Aufgaben“5. Durch eine Änderung oder Neufestsetzung des Zwecks kann 1 Pentz in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 41 Rz. 52; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 11 Rz. 39. 2 Otting in Bechtold, § 98 Rz. 13. 3 S. auch EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 42 f. = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 42 f.). 4 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 61 ff. = NZBau 2003, 162 (165). 5 Schlussanträge GA Alber v. 8.11.2001 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 48.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber daher eine bestehende Einrichtung dem Anwendungsbereich der Nummer 2 entzogen werden oder erstmalig in deren Anwendungsbereich fallen1. 25 Zur Ermittlung des Unternehmenszwecks bzw. -gegenstandes2 kann auf die

Gründungsakte3 aber auch auf andere, objektiv feststellbare Grundlagen4 zurückgegriffen werden. Die Form, in der die Zweckbestimmung erfolgt, spielt dabei keine Rolle5. Im Hinblick auf den funktionalen Auftraggeberbegriff ist es daher insbesondere nicht erforderlich, dass die Zweckbestimmung in einem Gesetz, einer verwaltungsrechtlichen Vorschrift oder einem Verwaltungsakt enthalten ist6.

26 Zu berücksichtigen sind selbst nicht rechtsförmliche, sondern faktische Zweck-

bestimmungen7. Hierzu führte der EuGH in der Entscheidung „UniversaleBau“ aus: „Das gleiche Bestreben, die praktische Wirksamkeit des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 93/37 zu gewährleisten, steht auch einer Unterscheidung danach entgegen, ob die Satzung einer solchen Einrichtung an die tatsächlichen Änderungen ihres Tätigkeitsbereichs angepasst wurden oder nicht“8.

27 Ob sich hieraus der Umkehrschluss ziehen lässt, dass die faktische Beendigung

der Wahrnehmung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben nichtgewerblicher Art auch dann zum Entfallen der Auftraggebereigenschaft nach Nummer 2 führt, wenn diese Zweckänderung auf keiner rechtsförmlichen Grundlage beruht, ist umstritten. Zum Teil wird dies mit der Begründung abgelehnt, dass es die Einrichtung anderenfalls in der Hand hätte, entsprechende Tätigkeiten nur vorübergehend aufzugeben, was für Dritte zur Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Auftraggebereigenschaft dieser Einrichtung führte9. Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass hiermit eine Differenzierung zwischen der erstmaligen faktischen Übernahme einer entsprechenden Tätigkeit und der Wiederauf-

1 Vgl. dazu bereits VÜA Bund v. 17.11.1998 – 1 VÜ 15/98, NVwZ 1999, 1150 (1151); Dreher, DB 1998, 2579 (2580); auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 58 m.w.N. 2 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 47. 3 BT-Drucks. 13/9340, S. 15. 4 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 60 ff. = NZBau 2003, 162 (165). 5 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 60 = NZBau 2003, 162 (165); EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I6821, Rz. 63 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 63). 6 EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 59 ff. = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 59 ff.). 7 OLG Düsseldorf v. 9.4.2003 – Verg 66/02, IBRRS 2003, 1682. 8 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 58 = NZBau 2003, 162 (165). 9 Boesen, § 98 Rz. 61; Dietlein, NZBau 2002, 136 (138); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 50; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 13.

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nahme einer entsprechenden Tätigkeit erfolgt, für die kein sachlicher Grund ersichtlich ist. Denn die angeführte Gefahr der Rechtsunsicherheit besteht auch und sogar insbesondere, wenn die fragliche Einheit entsprechende Tätigkeiten in der Vergangenheit nicht wahrgenommen hat. Die Anwendung von Nummer 2 setzt nicht voraus, dass die Wahrnehmung der 28 im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe alleiniger Zweck der Einrichtung ist1. Auch kommt es nicht darauf an, ob die im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeiten überwiegen2. Ob damit allerdings auch Stellen erfasst sind, die entsprechende Tätigkeiten le- 29 diglich in sehr geringem Umfang erfüllen, ist wiederum umstritten. So wird teilweise vertreten, dass die Sonderstellung des Unternehmens im Einzelfall geeignet sein muss, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Veränderung von Marktverhältnissen herbeizuführen3. Teilweise wird darauf abgestellt, ob die im Allgemeininteresse liegende Tätigkeit einen mehr als nur geringfügigen Anteil an der Gesamtgeschäftstätigkeit der fraglichen Einrichtung hat4. Gegen diese Auffassungen wird zum einen eingewandt, dass es gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit verstieße, wenn die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Nummer 2 davon abhinge, „ob dem der Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art dienenden Teil der ausgeübten Tätigkeit mehr oder weniger große Bedeutung zukommt“5. Zum anderen wäre damit die Organisationsstruktur öffentlicher Einrichtungen – entgegen dem Ziel, das hinter den unionsrechtlichen Regelungen der Einrichtungen des öffentlichen Rechts steht (Rz. 15) – mitentscheidend für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts. Denn nach dieser Auffassung wären im Allgemeininteresse liegende Aufgaben dem Vergaberecht entzogen, wenn sie von einem öffentlichen Unternehmen ausgeübt würden, das ganz überwiegend andere Aufgaben wahrnimmt. Anderes könnte hingegen gelten, wenn die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben auf eine andere juristische Person übertragen würden, die keine anderen Aufgaben wahrnimmt. So sind Auftraggeber bereits dann als öffentliche Auftraggeber nach Nummer 2 anzusehen, wenn sie 1 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 54 = NZBau 2003, 162 (165); EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 25 f. = NJW 1998, 3261 (3262). 2 EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 58 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 58). 3 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 69 m.w.N., hier ist auch vom Kriterium der Spürbarkeit die Rede. 4 Werner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl. 2005, § 98 Rz. 332; in neuer Auflage nicht mehr; außerdem Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 69; Jochum, NZBau 2002, 69 (73). 5 EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 34 = NJW 1998, 3261 (3263); s. auch EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 47 = NZBau 2008, 393 (396).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber nur in Teilen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen1. 30 Für Nummer 2 ist unerheblich, ob ein öffentlicher Auftrag der Erfüllung der im

Allgemeininteresse liegenden Aufgaben dient oder aber in Zusammenhang mit anderen Aufgaben steht2. Für Auftraggeber nach Nummer 2, die auch gewerblich tätig sind, finden die Bestimmungen des Vergaberechts daher auch auf die Erfüllung der gewerblichen Aufgaben Anwendung3. Insofern unterscheiden sich Auftraggeber nach Nummer 2 von den Sektorenauftraggebern nach § 1004. Denn Letztere unterliegen den Bindungen des Vergaberechts nach § 1 Abs. 1 SektVO nur bei solchen Aufträgen, die im Zusammenhang mit Sektorentätigkeiten vergeben werden (§ 102).

31 Eine Erstreckung der vergaberechtlichen Bestimmungen auf den gewerblichen

Bereich kann allerdings dadurch verhindert werden, dass für diese Tätigkeiten eine eigene Rechtspersönlichkeit gegründet wird. Denn allein der Umstand, dass ein Unternehmen einer Gruppe angehört, zu der auch Einrichtungen des öffentlichen Rechts zählen, genügt nicht, um dieses Unternehmen dem Anwendungsbereich der Nummer 2 zu unterwerfen5. c) Allgemeininteresse

32 Die zu erfüllenden Aufgaben müssen im Allgemeininteresse liegen. Ausgehend

von einer grammatischen Auslegung sind hierunter Aufgaben zu verstehen, die objektiv mehreren Personen zugutekommen und im Dienste der allgemeinen Öffentlichkeit wahrgenommen werden6.

33 Eine Definition des Begriffs existiert nicht. Allerdings lässt sich der Rechtspre-

chung ein Begriffskern7 entnehmen. Danach liegen im Allgemeininteresse sol-

1 EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 34 = NJW 1998, 3261 (3263); OLG Düsseldorf v. 8.6.2011 – VII-Verg 49/11, NZBau 2011, 501 (504); vgl. zum maßgeblichen Referenzmarkt OLG Hamburg v. 31.3.2014 – 1 Verg 4/13, NZBau 2014, 659 (661) auch mit Bezug auf OVG Münster v. 20.4.2012 – 4 A 1055/09, NZBau 2012, 589 (592 f.). 2 EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 32 = NJW 1998, 3261 (3263). 3 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 47 = NZBau 2008, 393 (396); v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I73, Rz. 34 = NJW 1998, 3261 (3263); Byok, NJW 1998, 2774 (2777). 4 Vgl. auch EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 30 = NZBau 2008, 393 (395). 5 EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 57 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 57); s. auch zur Auftraggebereigenschaft konzernverbundener Unternehmen Ziekow, NZBau 2004, 181 ff. 6 OLG Düsseldorf v. 6.7.2005 – VII-Verg 22/05, IBRRS 2005, 3268. 7 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 71.

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che Aufgaben, welche hoheitliche Befugnisse, die Wahrnehmung der Belange des Staates und damit letztlich Aufgaben betreffen, welche der Staat selbst erfüllen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte1. Letzteres ist insbesondere bei solchen Aufgaben anzunehmen, die eng mit dem institutionellen Funktionieren des Staates verknüpft sind2. Ob derartige Aufgaben auch von Privatunternehmen erfüllt werden oder zumindest erfüllt werden könnten, ist hingegen unerheblich3. Außerhalb dieses Begriffskerns behilft sich die Praxis vielfach mit Vermutungs- 34 regeln. Diese knüpfen zum Teil an den Inhalt der Aufgabe an. Danach liegt im Zweifel die Erfüllung solcher Aufgaben im Allgemeininteresse, zu denen die Gebietskörperschaften gesetzlich verpflichtet sind. Ausgehend hiervon entschied der EuGH etwa, dass die Bestattung eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe sein kann4. Eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe ist zudem grundsätzlich dann indiziert, wenn durch die betreffende Tätigkeit wirtschafts-, sozialoder kulturpolitische Anliegen gefördert werden sollen5. Erforderlich ist dabei grundsätzlich eine unmittelbare Aufgabenwahrnehmung 35 durch die fragliche Stelle. Die bloße Beherrschung und Finanzierung eines anderen Unternehmens, das entsprechende Aufgaben wahrnimmt, stellt keine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar6. Denn nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH müssen die Begriffsmerkmale der Einrichtungen des öffentlichen Rechts kumulativ vorliegen (Rz. 17). Andere Vermutungsregeln knüpfen an die Organisationsform der betreffenden 36 Einrichtung an. So kann vermutet werden, dass ein öffentlich-rechtlicher Rechtsträger im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrnimmt7. Gleiches gilt für private Rechtsträger, die vom Staat eine marktbezogene Sonderstellung erhalten haben8. Teilweise wird darüber hinaus vertreten, dass bei privaten Rechtsträ1 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 40 = NZBau 2008, 393 (395 f.); EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 37 ff. = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 37 ff.); EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 52 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 52). 2 EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 24 = NJW 1998, 3261 (3262). 3 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 40 = NZBau 2008, 393 (395 f.). 4 EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 50 ff. = NZBau 2003, 287 (291). 5 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 79; Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 52; s. auch EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Slg. 2009, I-4779 Rz. 50 = NJW 2009, 2427 (2429). 6 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 51; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 92 ff. 7 Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 49. 8 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 73 m.w.N.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber gern, die nicht mit einer entsprechenden Sonderstellung ausgerüstet sind, eine Vermutung gegen die Wahrnehmung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben spricht1. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Gebietskörperschaften in vielen Fällen aufgrund gesetzlicher Vorschriften nur dann berechtigt sind, wirtschaftliche Unternehmen zu gründen, wenn dies durch einen öffentlichen Zweck gerechtfertigt ist und dieser nicht besser und wirtschaftlicher durch einen Dritten erfüllt werden kann2. Prinzipiell ist zu unterstellen, dass die Gebietskörperschaften bei der Gründung wirtschaftlicher Unternehmen diese Grundsätze beachten und daher – soweit dies gesetzlich vorgesehen ist – zur Erfüllung eines öffentlichen Zwecks tätig werden. Eine Vermutung, dass eine privatrechtliche Organisation auf gewerbliches Handeln schließen lässt, ist demnach abzulehnen. 37 Insgesamt gilt, dass der Begriff des Allgemeininteresses als autonomer Begriff

des Unionsrechts losgelöst von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten weit auszulegen ist3. Eine Korrektur erfolgt durch das zusätzliche Merkmal des nicht gewerblichen Handelns4.

d) Aufgaben nichtgewerblicher Art 38 Dem Wortlaut nach lässt sich Nummer 2 dahin verstehen, dass im Allgemein-

interesse liegende Aufgaben von Aufgaben gewerblicher Art abzugrenzen sind. Denn er spricht von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art, worunter verstanden werden könnte, dass im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nie in gewerblicher Form erfüllt werden können. Diese Lesart schien zudem in der früheren Rechtsprechung des EuGH, in der die Begriffsmerkmale „Allgemeininteresse“ und „nichtgewerblicher Art“ vielfach undifferenziert betrachtet worden sind, eine Stütze zu finden5. Dieser Interpretation hat der EuGH jedoch zu Recht eine Absage erteilt. Er führt aus, dass es sich bei den erstgenannten Aufgaben um einen Oberbegriff handele. Aufgaben, die im Allgemeininteresse liegen, könnten sowohl nichtgewerblicher als auch gewerblicher Art sein. Die Nennung der Aufgaben nichtgewerblicher Art grenze somit nicht die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben gegenüber den gewerblichen Aufgaben ab, sondern schränke die im Allgemeininteresse liegenden Auf1 Hailbronner, Forum Vergabe 95, Öffentliches Auftragswesen, S. 127 (135); Heiermann/ Ax, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, S. 55; Heise, LKV 1999, 210 (211); Otting in Bechtold, § 98 Rz. 17; Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 50. 2 So z.B. § 94a Abs. 1 SächsGemO. 3 EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 40 = NZBau 2003, 287 (290). 4 Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 30. 5 EuGH v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 (SIEPSA), Slg. 2003, I-11697, Rz. 80 = NZBau 2004, 223 (228).

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gaben ein1. Darüber hinaus wäre der Zusatz „nichtgewerblicher Art“ auch überflüssig. Hinter dieser Differenzierung zwischen Aufgaben gewerblicher und nicht- 39 gewerblicher Art steht die Annahme, dass bei einer Aufgabenwahrnehmung in gewerblicher Art, also nach den Bedingungen des Marktes, bereits aufgrund dieser Bedingungen davon ausgegangen werden kann, dass die Einrichtung ihre Beschaffungstätigkeit nach wettbewerblichen und wirtschaftlichen Erwägungen ausrichtet. Anderes gilt hingegen für Einrichtungen, die bei ihrer Beschaffungstätigkeit nicht den Bedingungen des Marktes unterliegen2. Das Merkmal der Nichtgewerblichkeit betrifft dementsprechend die Art und 40 Weise der Aufgabenerfüllung3. Es bezieht sich nicht auf die fragliche Einrichtung als solche, sondern auf die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben der Einrichtung4. Zu fragen ist, ob sich die Einrichtung bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben von wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt. Diese Frage ist anhand einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände, unter anderem der Umstände, die zur Gründung der betreffenden Einrichtung geführt haben, und der Voraussetzungen, unter denen sie ihre Tätigkeit ausübt, zu beantworten5. Indizien für eine Nichtgewerblichkeit sind insbesondere6: – das Fehlen von Wettbewerb auf dem relevanten Markt bzw. dessen Beschränkung, – das Fehlen einer vordergründigen Gewinnerzielungsabsicht und – das Fehlen bzw. die Einschränkung der Übernahme der mit der Tätigkeit verbundenen Risiken. Die Vermutung für ein nichtgewerbliches Handeln besteht somit u.a., soweit ein 41 im Allgemeininteresse handelndes Unternehmen nicht in Wettbewerb zu ande1 EuGH v. 22.5.2003 – Rs. C-18/01 (Korhonen), Slg. 2003, I-5321, Rz. 40 = ZfBR 2003, 705 (707); v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 32 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 32); v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 32 ff. = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 32 ff.). 2 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 98 Rz. 23. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 75. 4 OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (402). 5 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 41 = NZBau 2008, 393 (396); EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 65 = NZBau 2003, 287 (292). 6 Vgl. EuGH v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 (SIEPSA), Slg. 2003, I-11697, Rz. 82 = NZBau 2004, 223 (228): „… wenn die Einrichtung unter normalen Marktbedingungen tätig ist, Gewinnerzielungsabsicht hat und die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Verluste trägt, [ist es] wenig wahrscheinlich, dass die Aufgaben, die sie erfüllen soll, nicht gewerblicher Art sind“; s. auch OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 3/06, ZfBR 2006, 818 (819 f.); OLG Düsseldorf v. 21.7.2006 – VII-Verg 13/06, VergabeR 2006, 893 (897); OLG Naumburg v. 17.2. 2004 – 1 Verg 15/03, VergabeR 2004, 634 (637).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber ren steht, bzw. kein voll ausgebildeter Wettbewerb existiert1. Umgekehrt schließt das Bestehen eines funktionierenden Wettbewerbs ein nicht gewerbliches Handeln keineswegs aus2. Denn auch in diesem Fall besteht die Möglichkeit, dass sich ein staatlich beeinflusstes Unternehmen nicht allein von wirtschaftlichen Grundsätzen leiten lässt. Allerdings rechtfertigt die Existenz eines entwickelten Wettbewerbs die Vermutung, dass auch das staatlich beeinflusste Unternehmen eine gewerbliche Tätigkeit entfaltet3. 42 Entsprechendes gilt hinsichtlich der Gewinnerzielungsabsicht: Ein nicht-

gewerbliches Handeln ist in der Regel gegeben, wenn die fragliche Einrichtung nicht mit Gewinnerzielungsabsicht handelt4. Anderes gilt, wenn die fragliche Einrichtung zwar keine Gewinnerzielung beabsichtigt, deren Geschäftsführung aber an Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien auszurichten ist und sie in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig wird5. Das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht hingegen steht der Annahme der Nichtgewerblichkeit nicht entgegen, sondern hat lediglich indizielle Bedeutung6. Denn eine Gewinnerzielungsabsicht entspricht der Definition der gewerblichen Tätigkeit im deutschen Handels- und Gewerberecht7. Privatrechtlich organisierte Einrichtungen handeln fast immer mit Gewinnabzielungsabsicht in diesem Sinn, so dass dieses Kriterium allein nicht ausschlaggebend sein kann8.

43 Ein nichtgewerbliches Handeln ist in der Regel auch dann gegeben, wenn die

Einrichtung die bei Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben ggf. entstehenden Verluste nicht selbst zu tragen hat und die Einrichtung insofern auch ansonsten keinem Insolvenzrisiko ausgesetzt ist9.

1 Dietlein, NZBau 2002, 136 (139 f.). 2 EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 61 = NZBau 2003, 287 (292); 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 43 und 47 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 43 und 47); Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 15; Noch, NVwZ 1999, 1083 (1084). 3 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 38 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 38); v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 49 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 49); Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 15. 4 OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 3/06, ZfBR 2006, 818 (819 f.). 5 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 30 f. = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 30 f.). 6 OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (402). 7 BGH v. 22.4.1982 – VII ZR 191/81, BGHZ 83, 382 = MDR 1982, 842 (386); v. 10.5.1979 – VII ZR 97/78, BGHZ 74, 273 (276); v. 18.1.1968 – VII ZR 101/65, BGHZ 49, 258 (260). 8 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 40 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 40); Boesen, § 98 Rz. 54; Dietlein, NZBau 2002, 136 (139 f.). 9 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 40 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 40); OLG Hamburg v. 25.1.2007 – 1 Verg 5/06, VergabeR 2007, 358 (359 f.).

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4. Staatliche Einflussnahmemöglichkeit Nummer 2 setzt weiterhin voraus, dass Stellen, die unter Nummer 1, 2 oder 3 44 fallen – der Einschluss der in Nummer 2 genannten Stellen ergibt sich aus Nummer 2 Satz 2 (Rz. 67), – die fragliche Einrichtung einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren (lit. a) oder – über ihre Leitung die Aufsicht ausüben (lit. b) oder – mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben (lit. c). Die Auftraggebereigenschaft nach Nummer 2 knüpft somit daran an, dass die 45 öffentliche Hand die Entscheidungen der fraglichen Einrichtung in Bezug auf öffentliche Aufträge beeinflussen kann1. Die drei genannten Formen staatlicher Einflussnahme sind alternative Tat- 46 bestände2. Für die Verwirklichung des Tatbestandes ist das Vorliegen einer Alternative notwendig, aber auch hinreichend. Die Aufzählung ist abschließend; andere Arten der Einflussnahme begründen die Auftraggebereigenschaft nach Nummer 2 nicht. Die mit den aufgezählten Alternativen erfassten Einflussnahmemöglichkeiten sind abstrakt ausreichend; ob im Einzelfall eine konkrete Einflussnahme stattgefunden hat, ist unerheblich3. Bezugspunkt der Einflussnahmemöglichkeiten ist nicht die im Allgemeininte- 47 resse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art, sondern die Einrichtung als solche4. Einflussnahmemöglichkeiten hinsichtlich einzelner Aufgabenbereiche eines Unternehmens genügt daher nicht5. Nummer 2 setzt nicht voraus, dass eine der genannten Alternativen durch einen 48 einzelnen Auftraggeber nach Nummern 1 bis 3 verwirklicht wird. Dem insofern eindeutigen Wortlaut nach ist der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn mehrere Auftraggeber eine Alternative „gemeinsam“ verwirklichen.

1 EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rz. 48 = NZBau 2001, 215 (217). 2 EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rz. 44 = NZBau 2001, 215 (217). 3 Vgl. Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 10. 4 Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 65. 5 OLG Naumburg v. 17.3.2005 – 1 Verg 3/05, VergabeR 2005, 635 (638 f.); BayOLG v. 10.9. 2002 – Verg 23/02, ZfBR 2003, 77 (77).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber a) Finanzierung (lit. a) 49 Eine überwiegende Finanzierung liegt vor, wenn mehr als die Hälfte der der

Einrichtung zur Verfügung stehenden Finanzmittel von öffentlichen Auftraggebern stammt1.

50 Um bestimmen zu können, ob eine überwiegende Finanzierung durch öffent-

liche Auftraggeber vorliegt, müssen in einem ersten Schritt, wie der EuGH in der Entscheidung „Cambridge“ festgestellt hat, sämtliche Finanzmittel der betroffenen Einrichtung ermittelt werden. Hierbei handelt es sich um das Eigenkapital, stille Beteiligungen, von den Gesellschaftern zur Verfügung gestellte Sachmittel sowie die Einnahmen der Einrichtung, einschließlich solcher, die aus ihrer gewerblichen Tätigkeit stammen2. Allein anhand des Grund- oder Stammkapitals einer Gesellschaft lässt sich das Merkmal der überwiegenden Finanzierung daher nicht beurteilen3. Nichts anderes ergibt sich auch daraus, dass es in Nummer 2 – über den Wortlaut der Vergaberichtlinien hinausgehend – heißt, dass die überwiegende Finanzierung „durch Beteiligung oder auf sonstige Weise“ erfolgen kann. Denn nach der ursprünglichen Gesetzesbegründung geht die Regelung nicht über den Auftraggeberbegriff der Vergaberichtlinien hinaus4.

51 Im zweiten Schritt müssen diejenigen Finanzmittel bestimmt werden, die der

Einrichtung durch öffentliche Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden. Ausgehend von dem weitgefassten Wortlaut könnte Nummer 2 lit. a dahingehend verstanden werden, dass zur Bestimmung der „überwiegenden Finanzierung“ sämtliche Zuflüsse durch öffentliche Auftraggeber gezählt werden müssten, unabhängig davon, ob sie auf Grundlage des Gesellschaftsverhältnisses, öffentlicher Förderrichtlinien oder eines Leistungsaustauschs gewährt werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH5 setzt der Begriff der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ hingegen eine enge Verbindung mit anderen öffentlichen Auftraggebern voraus. Dies bedeutet, dass zu den Mitteln, die durch öffentliche Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden, nicht solche zählen, denen eine Gegenleistung gegenübersteht6. Hinsichtlich solcher Leistungen treten die öffent-

1 EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 30 = VergabeR 2001, 111 (114). 2 EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 36 = VergabeR 2001, 111 (115). 3 Ebenso Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 143; a.A.: VK Baden-Württemberg v. 9.10.2001 – 1 VK 27/01; Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 2 Rz. 34; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 97. 4 BT-Drucks. 13/9340, S. 15. 5 EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rz. 44 = NZBau 2001, 215 (217); v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 20 = VergabeR 2001, 111 (113). 6 EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 23 ff. = VergabeR 2001, 111 (113 f.); hierauf bezugnehmend etwa EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 (Oy-

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lichen Auftraggeber der Einrichtung des öffentlichen Rechts wie jedem dritten, privaten Unternehmen entgegen. Derartige wirtschaftliche Beziehungen drücken daher keine besondere Nähe der Einrichtung des öffentlichen Rechts zu anderen öffentlichen Auftraggebern aus. Zu den Zuwendungen, denen keine spezifische Gegenleistung gegenübersteht, 52 zählen das Eigenkapital und Eigenkapital ersetzende Darlehen, die von einem Nichtgesellschafter nicht zu gleichen Konditionen gewährt worden wären, sowie Beihilfen und Fördermittel1. Auch Sachleistungen oder die Bereitstellung von Grundstücken2, Material und Personal kann eine Finanzierung darstellen, soweit ihnen keine Gegenleistung gegenübersteht3. Im Ergebnis bedeutet dies, dass ein Unternehmen, das sich überwiegend durch seine eigenen Einnahmen finanziert, nicht unter lit. a der Nummer 2 fällt, selbst wenn die Einnahmen weitgehend durch eine Tätigkeit für andere öffentliche Auftraggeber erzielt werden4. Für die Erfüllung der Nummer 2 ist allerdings nicht erforderlich, dass die Finan- 53 zierung direkt durch einen Auftraggeber nach Nummern 1 bis 3 erfolgt. So stellte der EuGH in dem Urteil „Bayerischer Rundfunk“ fest, dass entscheidend für die Auslegung des Begriffs der Finanzierung sei, dass sich die fragliche Einrichtung von anderen als wirtschaftlichen Interessen leiten lasse. Auch die Finanzierung durch unmittelbar von der fraglichen Einrichtung erhobene Abgaben stelle daher eine staatliche Finanzierung dar, wenn diese Abgaben nicht das Ergebnis vertraglicher Prozesse und unabhängig von einer spezifischen Gegenleistung sind5. Maßgebliche Finanzierungsperiode ist dasjenige Geschäfts- bzw. Haushaltsjahr 54 der fraglichen Einrichtung, in dem der betreffende Auftrag vergeben wird6. Die Einstufung als öffentlicher Auftraggeber erfolgt aufgrund der Berechnung der Finanzierung der Einrichtung des öffentlichen Rechts auf Grundlage der zu Beginn des Geschäfts- oder Haushaltsjahres verfügbaren, gegebenenfalls auch nur veranschlagten Zahlen. Die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber besteht für

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manns), Slg. 2009, I-4779 Rz. 53 = NJW 2009, 2427 (2429); v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 41 = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 41); vgl. auch OLG Düsseldorf v. 15.7.2015 – VII-Verg 11/15, NZBau 2016, 55 (56 f.). Dietlein, NZBau 2002, 136 (140). VK Düsseldorf v. 18.6.2007 – VK-14/2007-L, IBRRS 2008, 0102. OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (404). In diesem Sinne auch Boesen, § 98 Rz. 66. Dazu EuGH v. 12.9.2013 – Rs. C-526/11 (Ärztekammer Westfahlen-Lippe), NZBau 2013, 717 (719); v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Slg. 2009, I-4779 Rz. 51 ff. = NJW 2009, 2427 (2429) zu den gesetzlichen Krankenkassen; v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 32 ff. = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 32 ff.); ebenso OLG Düsseldorf v. 21.7.2006 – VII-Verg 13/06, VergabeR 2006, 893 (897). EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 40 = VergabeR 2001, 111 (115).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber das komplette Geschäfts- oder Haushaltsjahr, selbst wenn sich die Finanzierungsgrundlagen erheblich ändern1. b) Aufsicht über die Leitung (lit. b) 55 Das Tatbestandsmerkmal der Ausübung der Aufsicht über die Leitung ist er-

füllt, wenn eine tatsächliche Einflussmöglichkeit auf die Geschäftstätigkeit, konkret die Entscheidungen der betreffenden Einrichtung im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge, besteht2.

56 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist diese Voraussetzung bei einer „bloßen

nachprüfenden Kontrolle“ nicht erfüllt3. Eine reine Rechtsaufsicht i.S.d. deutschen Rechts4 oder die Finanzkontrolle durch die Rechnungshöfe5 genügt daher zur Begründung der Aufsicht über die Leitung nicht. Vielmehr muss eine der Fachaufsicht des deutschen Rechts vergleichbare Einflussmöglichkeit vorliegen6.

57 Die praktische Bedeutung des Merkmals ist eher gering. So ist diese Variante

bei juristischen Personen des Privatrechts in der Regel nicht einschlägig, weil deren Leitung den gesetzlich vorgesehenen Organen obliegt. Jedenfalls dann, wenn öffentliche Auftraggeber Mehrheitseigner der fraglichen juristischen Person sind, ist die von Nummer 2 vorausgesetzte Einflussnahmemöglichkeit daher zumeist bereits durch eine überwiegende Finanzierung i.S.v. lit. a oder aufgrund der Bestimmung der Mehrheit der Mitglieder des gesetzlichen Aufsichtsorgans i.S.v. lit. c gegeben7.

58 Dem Merkmal der Aufsicht über die Leitung kommt allerdings eine wichtige

Funktion, gewissermaßen als Auffangtatbestand zu. Denn aufgrund des deutlich geringeren Bestimmtheitsgrades als bei den eher formalen Varianten lit. a und lit. b ist dieses Merkmal primärer Anknüpfungspunkt für die gebotene funktionale Auslegung8. Dementsprechend urteilte der EuGH mehrfach, dass zur Erfüllung des Merkmals eine Verbindung mit der öffentlichen Hand beste-

1 EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 39 f. = VergabeR 2001, 111 (115). 2 S. etwa OLG Düsseldorf v. 13.8.2007 – VII-Verg 16/07, NZBau 2007, 733 (734). 3 Dazu EuGH v. 12.9.2013 – Rs. C-526/11 (Ärztekammer Westfahlen-Lippe), NZBau 2013, 717 (719); v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 70 = NZBau 2003, 287 (292). 4 Vgl. dazu OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525 (527); v. 6.7. 2005 – VII-Verg 22/05, IBRRS 2005, 3268; BayObLG v. 21.10.2004 – Verg 017/04, VergabeR 2005, 67 (69 f.); VK Nordbayern v. 19.10.2015 – 21.VK-3194-38/15, IBRRS 2015, 2978; VK Bund v. 3.5.2007 – VK 3-31/07. 5 VK Hamburg v. 25.7.2007 – VK BSU-8/07, IBRRS 2007, 4267. 6 Bischoff in Willenbruch/Bischoff, § 98 Rz. 43 ff.; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 102; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 173 ff. 7 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 101. 8 Vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf v. 19.6.2013 – VII-Verg 55/12, NZBau 2013, 653 (656).

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hen muss, „die der Verbindung gleichwertig ist, die besteht, wenn eines der beiden anderen alternativen Merkmale erfüllt ist, nämlich die Finanzierung überwiegend durch die öffentliche Hand erfolgt oder mehr als die Hälfte der Mitglieder, aus denen die Leitungsorgane … bestehen, durch die öffentliche Hand ernannt werden“1. Über das Merkmal der Aufsicht über die Leitung lassen sich somit u.a. die Fälle 59 mittelbarer staatlicher Finanzierung oder Beherrschung, insbesondere in Holdingstrukturen erfassen2. So liegt bei Unternehmen, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen, deren Gesellschaftsanteile aber nicht unmittelbar von einem öffentlichen Auftraggeber nach Nummer 1, sondern einer Holdinggesellschaft eines öffentlichen Auftraggebers gehalten werden, ohne Weiteres eine Finanzierung i.S.v. lit a allenfalls durch die Holdinggesellschaft vor. Auch ist es ohne Weiteres nur die Holdinggesellschaft, die über die Besetzung der Geschäftsführungs- bzw. Aufsichtsorgane bestimmt. Reine Holdinggesellschaften aber sind in der Regel keine öffentlichen Auftraggeber. Denn die bloße Beherrschung und Finanzierung eines anderen Unternehmens, auch wenn dieses entsprechende Aufgaben wahrnimmt, stellt keine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar (Rz. 35). In diesen Fallgestaltungen liegt eine nach Nummer 2 ausreichende Einflussnahmemöglichkeit eines öffentlichen Auftraggebers allerdings in der Regel darin, dass der öffentliche Auftraggeber, der alleiniger oder überwiegender Anteilseigner der Holdinggesellschaft ist, über die Holdinggesellschaft die Aufsicht über die Leitung der im Anteilseigentum der Holdinggesellschaft stehenden Unternehmen ausüben kann. c) Bestimmung mehr als der Hälfte der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs (lit. c) Eine die Auftraggebereigenschaft nach Nummer 2 begründende staatliche Ein- 60 flussnahmemöglichkeit ist schließlich auch dann gegeben, wenn ein Auftraggeber nach Nummern 1, 2 oder 3 mehr als die Hälfte der Mitglieder eines zur 1 EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 69 = NZBau 2003, 287 (292); vorher schon v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rz. 49 = NZBau 2001, 215 (217). 2 Dass es für die Auftraggebereigenschaft einer juristischen Person des Privatrechts keinen Unterschied machen kann, ob diese im alleinigen oder überwiegenden (unmittelbaren) Anteilseigentum eines öffentlichen Auftraggebers nach Nummer 1 oder aber einer Holdinggesellschaft steht, die sich ihrerseits im alleinigen oder überwiegenden Anteilseigentum eines öffentlichen Auftraggebers nach Nummer 1 befindet, ist unstreitig. Die Begründungen dafür, dass auch in diesen Fällen von einer ausreichenden Einflussnahme auszugehen ist, differieren allerdings. Wieddekind etwa stellt insofern auf eine extensive Auslegung von Nummer 2 Satz 2 ab, s. Willenbruch/Wieddekind, § 98 Rz. 48; Ziekow hingegen geht von einer erweiterten Auslegung von Nummer 2 insgesamt aus, NZBau 2004, 181 (185 f.).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber Geschäftsführung oder zur Aufsicht über die fragliche Einrichtung berufenen Organs bestimmt hat. 61 Unter zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organen – die Ver-

gaberichtlinien sprechen insofern von dem „Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan“ – sind zum einen die gesetzlich vorgeschriebenen Vertretungs- und Aufsichtsorgane (z.B. Geschäftsführung, Vorstand, Aufsichtsrat usw.) zu verstehen. Erfasst werden zudem Organe, die ohne gesetzlichen Zwang eingerichtet wurden (z.B. Beirat einer GmbH). Erforderlich ist allerdings, dass es sich um ein Organ handelt, das die Möglichkeit hat, die Geschäftsführungstätigkeit zu bestimmen oder zumindest zu beeinflussen. Die Beherrschung rein beratender Gremien genügt daher nicht1.

62 Nach dem Wortlaut der Nummer 2 genügt die mehrheitliche Besetzung „eines

… ihrer Organe“. Besteht neben dem Aufsichtsorgan auch eine Geschäftsführung – was regelmäßig der Fall ist – ist es daher ausreichend, wenn die in Nummer 1 bis 3 genannten Stellen mehr als die Hälfte der Mitglieder eines der beiden Organe bestimmt haben.

63 Ein „Bestimmen“ i.S.d. Vorschrift setzt eine Bestellung, also den körperschaftli-

chen Rechtsakt voraus, durch den die gesetzlichen bzw. satzungsmäßigen Kompetenzen übertragen werden. Denn mit der Bestellung ist das Organmitglied rechtlich in der Lage, entsprechend auf die Geschäftstätigkeit der fraglichen Einrichtung Einfluss zu nehmen. Auf einen etwaig neben die Bestellung tretenden Anstellungsakt kommt es daher nicht an2.

64 Allein die Möglichkeit, über die Entsendung von Organmitgliedern Einfluss auf

die Geschäftstätigkeit der fraglichen Einrichtung zu nehmen, genügt für die Erfüllung des Tatbestandes nicht. Vielmehr muss die Bestimmung zum Zeitpunkt der Vergabeentscheidung bereits erfolgt sein3. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 „bestimmt worden“ sein müssen. Entsprechend heißt es in den Vergaberichtlinien, dass das „Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht“, die von staatlichen Stellen „ernannt worden sind“4.

65 Entscheidend ist, wer das Bestimmungsrecht tatsächlich ausgeübt hat. Es kommt

nicht darauf an, ob hierbei die im Gesetz oder Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Regelungen eingehalten wurden5. Ebenfalls ohne Bedeutung ist, ob die bestimm-

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 103; Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, § 98 Rz. 46. 2 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 106. 3 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 2 Rz. 41. 4 Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 lit. c der Vergaberichtlinie. 5 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 98 Rz. 33; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 12.

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ten Mitglieder des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans bei Ausübung ihrer Tätigkeit rechtlich oder faktisch gehalten sind, dem Willen der sie benennenden Stelle zu folgen. Nummer 2 stellt allein auf die abstrakte Gefahr ab, dass die Mitglieder eines Organs der Stelle, die sie berufen hat, besonders nahe stehen können1. Soweit ein Aufsichtsrat der Mitbestimmung unterliegt, zählen allein diejenigen 66 Aufsichtsratsmitglieder, die nicht durch die Arbeitnehmer bestellt werden2. d) In Nummer 2 genannte Auftraggeber als beherrschende Stelle i.S.v. lit. a–c (Nr. 2 Satz 2) Nach § 99 Nr. 2 Satz 2 sind die Voraussetzungen des Satzes 1 auch dann erfüllt, 67 wenn die Stelle, die einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt, über deren Leitung die Aufsicht ausübt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung der Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, unter Satz 1 fällt. Damit erfasst Nummer 2 auch mehrstufige Organisationsformen. Bisher waren als Beherrschungstatbestände nur die „überwiegende Finanzie- 68 rung“ (lit. a) sowie die „Bestimmung der Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs“ (lit. c) geregelt. Mit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 behob der Gesetzgeber dieses Redaktionsversehen und passte die Vorschrift an Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Vergaberichtlinie an, der keine Unterscheidung der drei Varianten erkennen lässt3. 5. Einzelfälle a) Sparkassen und Landesbanken Der Gesetzgeber hatte in der Begründung zur Einführung der §§ 57a bis 57c 69 HGrG die Auffassung vertreten, dass die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute (Sparkassen und Landesbanken) sowie Wettbewerbsversicherer nicht unter Nummer 2 fallen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass deren Einbeziehung in den Kreis der zur Beachtung des Vergaberechts zählenden Personen zu einschneidenden Wettbewerbsverzerrungen führen würde4. Dieses Argument ist für die Abgrenzung der öffentlichen Auftraggeber freilich 70 nicht tauglich. Denn es ändert nichts daran, dass Sparkassen und Landesbanken im Allgemeininteresse liegende Aufgaben erfüllen. So haben Sparkassen die Aufgabe der Versorgung breiter Bevölkerungsschichten, insbesondere des Mit1 2 3 4

Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 12. Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 106. BT-Drucks. 18/6281, S. 70. BT-Drucks. 12/4636, S. 16.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber telstandes, mit Vermögensbildungs- und Kreditangeboten1. Ähnliches gilt2 bzw. galt3 für die Landesbanken. Auch unterliegen Sparkassen und Landesbanken in der Regel einer für Nummer 2 ausreichenden staatlichen Einflussnahmemöglichkeit. 71 Die im Grundsatz entscheidende Frage für die öffentliche Auftraggebereigen-

schaft nach Nummer 2 ist aber, ob Sparkassen und Landesbank Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen. Bis zum Jahr 2005 war dies nach herrschender Meinung aufgrund der Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung und der daraus folgenden nicht gegebenen Insolvenzfähigkeit der Fall4. Gerade diese Sonderstellung der – auch im Wettbewerb mit Privaten tätigen – öffentlichen Kreditinstitute geriet gegen Mitte der 1990er Jahre allerdings unter beihilferechtlichen Gesichtspunkten in den Fokus der EU-Kommission. Die daraufhin zwischen der Kommission und dem Bund geführte Kontroverse wurde durch eine Verständigung im Jahr 2002 beigelegt. Diese Verständigung sah im Wesentlichen vor, die Gewährträgerhaftung abzuschaffen und die Anstaltslast durch eine wirtschaftliche Eigentümerbeziehung nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen zu ersetzen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen sollte innerhalb einer 4jährigen, am 18.7.2005 ablaufenden Übergangsfrist erfolgen5.

72 Nach der Umsetzung dieser Verständigungslösung sind die Sparkassen in der

Regel nicht mehr als öffentliche Auftraggeber nach Nummer 2 einzustufen. Denn mit dem Wegfall von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung erbringen die Sparkassen ihre Tätigkeiten grundsätzlich in wettbewerblicher Art und Weise6.

73 Die Landesbanken hingegen fallen nach wie vor unter Nummer 2, sofern sie das

öffentliche Auftragsgeschäft wahrnehmen und somit – insbesondere als Förderbanken7 – Aufgaben nichtgewerblicher Art wahrnehmen. Dies gilt auch

1 S. etwa § 2 Abs. 1 Satz 1 Berliner Sparkassengesetz: „Der Berliner Sparkasse obliegt die Förderung des Sparens und die Befriedigung des örtlichen Kreditbedarfs, insbesondere des Mittelstandes und der wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungskreise.“; vgl. OLG Rostock v. 15.6.2005 – 17 Verg 3/05, NZBau 2006, 593 (594). 2 S. etwa Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Landesbank-Gesetzes: „Die Bank hat insbesondere die Aufgabe, in Bayern durch ihre Geschäftstätigkeit unter Beachtung der Markt- und Wettbewerbserfordernisse den Wettbewerb zu stärken und die angemessene und ausreichende Versorgung der Wirtschaft, insbesondere des Mittelstands, und der öffentlichen Hand mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen sicherzustellen.“ 3 S. etwa § 3 Abs. 1 des zum 1.1.2006 außer Kraft getretenen Landesbankgesetzes Berlin: „Die Bank hat durch ihre Geschäftstätigkeit den Träger in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben unter Berücksichtigung sozialer, ökologischer und strukturpolitischer Grundsätze zu unterstützen.“ 4 Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, 98 Rz. 52 m.w.N. 5 Ausführlich hierzu Bunte in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 142 Rz. 21 ff. 6 OLG Rostock v. 15.6.2005 – 17 Verg 3/05, NZBau 2006, 593 (594). 7 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 154.

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dann, wenn die Landesbanken daneben Bankgeschäfte im Wettbewerb mit privaten Banken anbieten (Rz. 28). Anderes gilt allerdings in dem Fall, dass das wettbewerbliche Bankgeschäft – wie in Nordrhein-Westfalen auf die WestLB AG – auf eine gesonderte juristische Person übertragen worden ist. Mangels Wahrnehmung von Aufgaben nichtgewerblicher Art unterfällt eine solche Einrichtung nicht Nummer 2. b) Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten verfügen als Anstalten des öffentlichen 74 Rechts über eigene Rechtspersönlichkeit, erfüllen mit der Grundversorgung der Bevölkerung mit umfassenden und wahrheitsgemäßen Informationen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben und sind aufgrund der überwiegenden Finanzierung aus Beiträgen nicht in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig1. Umstritten war hingegen, ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einer 75 für Nummer 2 ausreichenden staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen2. Nach der vom Bundesrat zu § 57a Abs. 1 HGrG – der Vorgängervorschrift zu § 99 – vertretenen Auffassung war dies nicht der Fall. Wörtlich heißt es hierzu in der Stellungnahme zum Gesetzesentwurf: „Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten werden weder überwiegend von den Gebietskörperschaften, von deren Sondervermögen oder von den aus ihnen bestehenden Verbänden finanziert, noch stellen diese die Mehrheit in den Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorganen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“3. Der EuGH ist dieser Auffassung nunmehr entgegengetreten. Der Gerichtshof 76 stellte in der Entscheidung „Bayerischer Rundfunk“ fest, dass die Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland das Merkmal der staatlichen Finanzierung i.S.d. Vergaberichtlinien erfüllt4. So setze eine staatliche Finanzierung in diesem Sinn keine Belastung öffentlicher Haushalte voraus. Entscheidend sei vielmehr, dass die Gebühr ihre Grundlage im Rundfunkstaatsvertrag, also einem staatlichen Akt, habe, deren Höhe durch eine förmliche Entscheidung der Landesparlamente und der Landesregierungen festgesetzt werde und die Zahlungen nicht das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den Verbrauchern sei, also nicht von einer vertraglichen Gegenleistung abhinge.

1 2 3 4

OLG Düsseldorf v. 21.7.2006 – Verg 13/06, VergabeR 2006, 893 (897). Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 141; Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 115. BT-Drucks. 12/4636, S. 16. EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 32 ff. = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 32 ff.).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber c) Gesetzliche Krankenkassen 77 Die gesetzlichen Krankenkassen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts.

Sie sind nach § 1 Satz 1 SGB V als Solidargemeinschaft zu dem besonderen Zweck gegründet, „die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern“. Dieser Zweck liegt im Allgemeininteresse1.

78 Die gesetzlichen Krankenkassen sind auch nichtgewerblich tätig. So beruht die

Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen im Wesentlichen auf einer solidarischen, nicht risikobezogenen Finanzierung durch an die Entlohnung der Versicherten anknüpfende Versicherungsbeiträge. Dies gilt umso mehr, als nach der seit Januar 2009 geltenden Neuorganisation der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen sämtliche Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 271 SGB V zentral durch den so genannten Gesundheitsfonds beim Bundesversicherungsamt verwaltet werden2. Nichts anderes ergibt sich auch daraus, dass ein gewisser Wettbewerb zwischen den einzelnen Krankenkassen besteht und seit 2010 mittels § 171b Abs. 1 SGB V die Insolvenzfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen eingeführt wurde3. Denn dieser ist „dadurch stark eingeschränkt, dass der weit überwiegende Teil der Leistungen gesetzlich vorgeschrieben ist und das aus der unterschiedlichen Struktur der Versicherten resultierende Kostenrisiko durch einen Risikostrukturausgleich sehr stark begrenzt ist“4.

79 Umstritten war indes, ob die gesetzlichen Krankenkassen einer ausreichenden

staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen. Das BayObLG hatte diese Frage verneint5. Das OLG Düsseldorf hingegen hat die Auffassung vertreten, dass die Finanzierung über Pflichtbeiträge der Versicherten eine staatliche Finanzierung i.S.d. Vergaberichtlinien darstelle und die Frage dem EuGH vorgelegt6. Mit Urteil vom 11.6.2009 hat der EuGH die Auffassung des OLG Düsseldorf bestätigt7. Anknüpfend an die Entscheidung „Bayerischer Rundfunk“8 stellte der Gerichtshof darin zunächst klar, dass eine staatliche Finanzierung i.S.d. Vergaberichtlinien auch in einer indirekten Finanzierung bestehen kann. Eine solche liege bei den gesetzlichen Krankenkassen vor, da

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OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525 (526). S. etwa VK Bund v. 29.10.2009 – VK 1-185/09. Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 153. OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525 (526); BayObLG v. 24.5.2004 – Verg 6/04, NZBau 2004, 623 (624); VK Schleswig v. 17.9.2008 – VK-SH 10/08, IBR 2008, 756; vgl. insgesamt dazu Heßhaus, VergabeR 2007, 333 ff. BayObLG v. 24.5.2004 – Verg 6/04, NZBau 2004, 623 (624 f.). OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525 (526 f.). EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Slg. 2009, I-4779, Rz. 48 ff. = NJW 2009, 2427 (2429). EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 34 = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 34).

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– deren Finanzierung nach den maßgeblichen nationalen Regelungen überwiegend durch die Pflichtbeiträge der Mitglieder erfolge, wobei aufgrund der Art und Weise der Erhebung der Beiträge keine „Interventionsmöglichkeit des Versicherten“ bestehe; – die Beiträge ohne spezifische Gegenleistung i.S.d. Rechtsprechung des Gerichtshofs gezahlt würden, da weder die Beitragspflicht noch die Beitragshöhe das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und ihren Mitgliedern sei und sich die Höhe der Beiträge im Übrigen allein nach der Leistungsfähigkeit jedes Versicherten, nicht aber nach anderen Gesichtspunkten, wie etwa dem Alter des Versicherten, seinem Gesundheitszustand oder der Zahl der Mitversicherten richte; – der Beitragssatz – anders als im Urteil „Bayerischer Rundfunk“ – zwar nicht durch die Träger der öffentlichen Gewalt, sondern durch die gesetzlichen Krankenkassen selbst festgelegt würde; allerdings der Spielraum dieser Kassen hierbei äußerst begrenzt sei, da ihr Auftrag darin bestehe, die Leistungen sicherzustellen, die die Regelung auf dem Gebiet der Sozialversicherung vorsehen; – die Festsetzung des Beitragssatzes durch die gesetzlichen Krankenversicherungen der Genehmigung durch die staatliche Aufsichtsbehörde bedürfe. d) Religionsgemeinschaften Die öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften und deren Einrich- 80 tungen sind nach bislang herrschender Auffassung keine öffentlichen Auftraggeber nach Nummer 2. Nach teilweise vertretener Auffassung fehlt es bereits an der Wahrnehmung im 81 Allgemeininteresse liegender Aufgaben. So erfüllten die Religionsgemeinschaften zwar namentlich im karitativen Bereich vielfach Aufgaben, die anderenfalls vom Staat wahrgenommen werden müssten; sie verfolgten hiermit jedoch in erster Linie Interessen der Glaubensgemeinschaft und nicht Interessen der Allgemeinheit1. Diese Auffassung begegnet jedoch insofern Bedenken, als die Interessen der Allgemeinheit und die Interessen der Glaubensgemeinschaften ins1 Vgl. etwa OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – Verg W 10/04, VergabeR 2005, 230 (232): „Er [der Auftraggeber] widmet sich insbesondere der Betreuung behinderter Menschen, der Erziehung und Ausbildung von Schwestern und Mitarbeitern sowie der Erhaltung und Weiterentwicklung der Heil-, Pflege-, Erziehungs- und Ausbildungseinrichtungen für Kinder, kranke, behinderte und hilfsbedürftige Menschen. Damit setzt er ausweislich seiner Leitlinien in seinen Hilfsangeboten das christliche Gebot der Nächstenliebe um. Diese karitative Tätigkeit des Auftraggebers liegt jenseits des Wirkungskreises staatlicher Aufgabenerfüllung für weltliche Ziele i.S.d. § 98 Nr. 2 GWB.“; im Ergebnis ebenso VK Hessen v. 26.4.2006 – 69d VK – 15/2006, IBR 2006, 1546; VK Nordbayern v. 29.10.2001 – 320.VK-3194-35/01, IBRRS 2002, 1852; für eine Auftragsvergabe unterhalb der Schwellenwerte s. VG Neustadt a. d. Weinstraße v. 22.2.2006 – 4 L 245/06, IBRRS 2006, 0585.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber besondere im karitativen Bereich keine Gegenbegriffe bilden, sondern in der Regel gleichgerichtet sind. Auch eine originär kirchliche Tätigkeit kann daher im Allgemeininteresse liegen. 82 Entscheidend dürfte daher vielmehr sein, dass die Religionsgemeinschaften keiner i.S.v. Nummer 2 ausreichenden staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen1. Da weder die Mitglieder der Leitungs- und Aufsichtsorgane der öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften durch den Staat (mit)bestimmt werden noch der Staat in sonstiger Weise die Aufsicht über deren Leitung ausübt, könnte sich eine ausreichende staatliche Einflussnahmemöglichkeit allein aus einer überwiegenden staatlichen Finanzierung ergeben. 83 Religionsgemeinschaften finanzieren sich grundsätzlich durch die in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV geregelte Kirchensteuer. Insofern scheint eine Parallele zur Beitragsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu bestehen (Rz. 74 ff.). Mit der hierzu in der Entscheidung „Bayerischer Rundfunk“ vom EuGH getroffenen Feststellung, dass „eine Finanzierung…, die durch einen staatlichen Akt eingeführt worden ist, durch den Staat garantiert und mittels hoheitlicher Befugnisse erhoben und eingezogen wird, die Voraussetzung der ‚Finanzierung durch den Staat‘ für den Zweck der Anwendung der Unionsvorschriften auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge erfüllt“2, ließe sich auf den ersten Blick auch die Kirchensteuerfinanzierung der Religionsgemeinschaften als staatliche Finanzierung ansehen3. Gegen dieses Ergebnis spricht jedoch das gebotene funktionale Verständnis sowohl des Merkmals der staatlichen Finanzierung4 als auch des Begriffs der Einrichtung des öffentlichen Rechts insgesamt. So sollen mit der Erfassung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts diejenigen Einrichtungen als öffentliche Auftraggeber erfasst werden, die zwar formal vom Staat getrennt sind, die ihm aber funktional zuzurechnen sind (Rz. 15). Auch das Merkmal der staatlichen Finanzierung stellt daher gewissermaßen ein Indiz für die Staatlichkeit der Einrichtung dar. Diese Bedeutung kommt der Kirchensteuerfinanzierung der Religionsgemeinschaften jedoch nicht zu. Denn die Religionsgemeinschaften haben das Privileg, sich wie, nicht aber durch den Bund und die Länder zu finanzieren. Auch im Übrigen sind die Religionsgemeinschaften nicht in das staatliche Gefüge eingegliedert. Vielmehr handelt es sich bei ihren Organisationen um gesellschaftliche Einrichtungen5. 1 Boesen, § 98 Rz. 87; Schröder, NZBau 2002, 259 (260 f.). 2 EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 48 = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 48). 3 So Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 98 Rz. 106, nach dem, sofern eine überwiegende Finanzierung durch die Kirchensteuer vorliegt, der Tatbestand der Nummer 2 erfüllt ist. 4 EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 40 = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 40). 5 Schröder, NZBau, 2002, 259 (260); Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 140; allgemein zum Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften s. Quaas, NVwZ 2009, 1400 ff.

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Soweit Religionsgemeinschaften in den Bereichen Schulwesen, Sozial- und Betreu- 84 ungswesen sowie im Krankenhausbereich tätig werden und hierfür staatliche Subventionen erhalten, können sie öffentliche Auftraggeber nach Nummer 4 sein. e) Deutsche Bahn AG Die Bahnreform und die Neuregelung der Vergabe durch Sektorenauftraggeber 85 mit der Sektorenrichtlinie beendeten eine lange Diskussion1 um die Auftraggeberqualität der Deutschen Bahn AG und seiner Tochtergesellschaften. Die DB Netz AG und die DB Station & Service sind Sektorenauftraggeber2 i.S.v. § 100. Der Beschaffungscharakter muss allerdings sektorenspezifisch sein3. Andere Unternehmen, z.B. im Schienengüterverkehr die DB Schenker Rail Deutschland AG, können allerdings auch den Tatbestand der Sektorenauftraggeber nach § 100 nicht erfüllen4. f) Deutsche Post AG Die der Deutschen Post AG nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost 86 übertragenen Aufgaben im Bereich des Postwesens – mit Ausnahme der Telekommunikation – sind im Wesentlichen dem klassischen Bereich der Daseinsvorsorge zuzurechnen und damit als im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu qualifizieren5. Aufgrund der bis zum 31.12.2007 geltenden gesetzlichen Exklusivlizenz (§ 51 PostG) und der darauf basierenden Verpflichtung zur Erbringung entsprechender Universaldienstleistungen (§ 52 PostG) wurden diese Aufgaben in einem nur teilweise wettbewerblich geprägten Umfeld erbracht. In der Begründung zu § 51 des Regierungsentwurfs für ein Postgesetz6 heißt es hierzu: „Die für die Deutsche Post AG vorgesehene Exklusivlizenz verhindert für fünf Jahre den Zutritt privater Wettbewerber zum Markt für die Beförderung von Briefsendungen.“ Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erfolgte somit in nichtgewerblicher Art7. 1 Vgl. dazu die an die neue Rechtslage angepasste Rechtsprechung: VK Bund v. 6.5.2010 – VK 2 – 26/10 mit Bezug auf VK Bund v. 21.1.2004 – VK 2-126/03, VergabeR 2004, 365 (367); auch Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, vorherige Aufl., § 98 Rz. 206, der noch verweist auf VÜA Bund v. 8.9.1994 – 1 VÜ 7/94, WuW/E VergAB 17 und VÜA Bund v. 13.12.1995 – 1 VÜ 6/95, WuW/E VergAB 64. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 227. 3 Dazu EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 58 f. = NZBau 2008, 393 (397). 4 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 122; Opitz in Eschenbruch/Opitz, SektVO 2012, § 1 Rz. 157; vgl. auch zur Sektorenauftraggebereigenschaft privater Eisenbahnverkehrsunternehmen Sitsen, VergabeR 2016, 553 ff. 5 VÜA Bund v. 24.4.1998 – 1 VÜ 15/98; s. auch Kratzenberg, NZBau 2009, 103 (105). 6 BT-Drucks. 13/7774, S. 33. 7 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 123; Ruber/Wollenschläger, VergabeR 2006, 431 (433 ff.); Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, § 98 Rz. 58 f.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber 87 Mit dem Ablauf der Exklusivlizenz und dem damit einhergehenden Ende der

Universaldienstleistungsverpflichtung ist der Postmarkt in Deutschland vollständig dem Wettbewerb geöffnet1. Die Deutsche Post AG ist damit gewerblich tätig und fällt schon daher nicht mehr unter Nummer 2. Da das Unternehmen seit dem Jahr 2005 nicht mehr mehrheitlich in staatlichem Anteilseigentum steht, dürfte es im Übrigen an einer für Nummer 2 ausreichenden Einflussnahmemöglichkeit des Staates fehlen. g) Lotteriegesellschaften

88 Trotz marktbezogener Sonderstellung2 wurde Veranstaltern von Lotterie-, Spiel-

und Wettgeschäften die Auftraggebereigenschaft nach Nummer 2 mehrfach abgesprochen3. Die Lottogesellschaften sorgen zwar dafür, dass ein „ausreichendes Glücksspielangebot für die Bevölkerung zur Kanalisierung des natürlichen Spieltriebs“4 sichergestellt sei. Eine solche Aufgabe diene durchaus gemeinwohlorientieren Zwecken, wenn dies auch nicht einziger Zweck einer Lotteriegesellschaft sei, stellte die VK Baden-Württemberg 2005 fest5. Es fehle den Lottogesellschaften aber an der nichtgewerblichen Art: Für eine Auftraggebereigenschaft spreche zwar eine marktbezogene Sonderstellung, schließlich existierten besondere gesetzliche Bestimmungen (damals der Staatsvertrag zum Lotteriewesen). Doch bleibe es bei einer Wettbewerbssituation gegenüber anderen legalen und auch illegalen Glücksspielbetreibern; dies werde auch am Werbeaufwand deutlich. Zusätzlich sei bei Lottogesellschaften auch eine Gewinnerzielungsabsicht vorhanden. Die staatlichen Lotteriegesellschaften seien daher keine öffentlichen Auftraggeber i.S.v. Nummer 2.6

89 Dagegen entschied das OLG Hamburg mit Beschluss vom 31.3.2014, dass zu-

mindest die Gemeinsame Klassenlotterie der Länder öffentlicher Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 2 ist7. Nachvollziehbar stellt es auf das begrenzte Insolvenzrisiko der Klassenlotterie ab, § 10 Abs. 1 GKL-StV. Doch entspricht es gerade dem gesetzlichen Rahmen, auch Lotteriegesellschaften i.S.v. § 10 Abs. 2 Satz 1 GlüStV als öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 2 anzusehen: Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 GlüStV haben die Länder die „ordnungsrechtliche Aufgabe“, für ein ausreichen-

1 S. etwa Goodarzi/Kapischke, NVwZ 2009, 80 ff. 2 VK Baden Württemberg v. 19.4.2005 – 1 VK 11/05, IBRRS 2005, 2188. 3 OLG Düsseldorf v. 2.10.2002 – Verg 35/02; vorher dagegen VK Münster v. 24.6.2001 – VK 03/02, ZfBR 2002, 724 (727 ff.); VK Baden Württemberg v. 19.4.2005 – 1 VK 11/05, IBRRS 2005, 2188; vgl. auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 142; Ziekow in Ziekow/Völlink, § 98 Rz. 208. 4 VK Baden Württemberg v. 19.4.2005 – 1 VK 11/05, IBRRS 2005, 2188. 5 Anders OLG Düsseldorf v. 2.10.2002 – Verg 35/02, IBR 2002, 714 m. Anm. Schneevogl. 6 So noch die VK Baden Württemberg v. 19.4.2005 – 1 VK 11/05, IBRRS 2005, 2188. 7 OLG Hamburg v. 31.3.2014 – 1 Verg 4/13, NZBau 2014, 659 (661 f.).

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des Glücksspielangebot zu sorgen1. Gerade mit dieser Allgemeinwohlaufgabe wird ein staatliches Monopol für Lotterien begründet, die nicht nach Gewinnerzielungsinteressen geleitet seien, sondern unter direkter staatlicher Steuerung an den Zielen des GlüStV ausgerichtet agieren sollen. Auch wenn sie tatsächlich gewinnorientiert handeln und deswegen das Monopol in Frage gestellt wird, kann angesichts des gesetzlichen Rahmens nicht von einer Wettbewerbssituation gesprochen werden. h) Wohnungsbaugesellschaften Die Versorgung sozial schwacher Bevölkerungsgruppen mit Wohnraum stellt 90 zweifellos eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar2. Allerdings liegt das Ziel, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, auch dann im Allgemeininteresse, wenn sich das Angebot nicht auf sozial schwache Bevölkerungskreise bezieht. Entscheidend für die Frage, ob staatliche bzw. kommunale Wohnungsbaugesellschaften unter Nummer 2 fallen, ist daher vielmehr, ob die Unternehmen in gewerblicher Art tätig werden und einer ausreichenden staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen. Dies zu beurteilen ist eine Frage des Einzelfalls3. i) Messegesellschaften Messegesellschaften erfüllen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben, da sie 91 nicht nur ein Forum für gewerblich tätige Händler und Anbieter bieten, sondern auch Verbrauchern die Möglichkeit zur Information geben4. Weil die Erfüllung dieser Aufgabe bei Gründung der Gesellschaften durch die öffentliche Hand regelmäßig im Vordergrund steht und die Durchführung von Messen zudem auch traditionell eine öffentliche Aufgabe ist, wurden Messegesellschaften, die im Anteilseigentum der öffentlichen Hand stehen, nach früher wohl herrschender Auffassung zu den Auftraggebern nach Nummer 2 gezählt5. Der EuGH stellt hingegen in der Entscheidung „Mailänder Messe“ fest, dass eine 92 Einrichtung „deren Zweck in der Durchführung von Tätigkeiten besteht, die darauf gerichtet sind, Messeveranstaltungen, Ausstellungen und sonstige vergleichbare Vorhaben auszurichten, die keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, deren Geschäftsführung aber an Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien auszurichten ist, und die in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig wird, 1 A.A. wohl bei Ziekow in Ziekow/Völlink, § 98 Rz. 208. 2 S. etwa EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939 = NZBau 2001, 215 (216 f.); KG v. 6.2.2003 – 2 Verg 1/03, NZBau 2003, 346 (347); VG Meiningen v. 16.1.2007 – 2 E 613/06, ZfBR 2007, 389 (391). 3 VK Brandenburg v. 3.4.2009 – VK 8/09, IBRRS 2009, 1936. 4 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 34 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 34). 5 S. die Nachweise bei Otting in Bechtold, § 98 Rz. 34.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber keine Einrichtung des öffentlichen Rechts i.S.d. Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie ist“1. Ob eine – einer i.S.v. Nummer 2 ausreichenden Einflussnahmemöglichkeit unterliegende – Messegesellschaft öffentlicher Auftraggeber nach Nummer 2 ist, hängt somit insbesondere von der im Einzelfall zu beurteilenden Gewerblichkeit der Tätigkeit ab. Hieran kann es etwa fehlen, wenn die Gesellschaft auf einem nicht entwickelten Markt tätig ist2 und bei der Gesellschaft etwaig eingetretene Verluste aufgrund eines Gewinnabführungsund Beherrschungsvertrages von dem staatlichen Gesellschafter getragen werden3 oder das Gewicht der wettbewerblichen Aspekte aus sonstigen Gründen „insgesamt hinter wettbewerbsuntypischen Aspekten … zurückbleibt“4. j) Kommunale Versorgungsunternehmen 93 Die Belieferung von Endkunden mit Energie, Gas, Fernwärme und Wasser so-

wie die Entsorgung von Abwasser und Abfall sind dem Bereich der Daseinsvorsorge zuzurechnen5. Dies ergibt sich teilweise bereits aus den Gemeindeordnungen der Länder6. Kommunale Versorgungsunternehmen, die entsprechende Aufgaben wahrnehmen, erfüllen daher im Allgemeininteresse liegende Aufgaben7.

94 Die für die Einordnung kommunaler Versorgungsunternehmen als öffentliche

Auftraggeber nach Nummer 2 in der Regel entscheidende Frage ist, ob ein gewerbliches Handeln vorliegt. Dies wird teilweise mit der Begründung abgelehnt, dass es aufgrund der Mitverantwortung für die Daseinsvorsorge an einer Nachfragebezogenheit und damit einer Wettbewerbsorientierung fehle8. Diese generelle Betrachtungsweise begegnet jedoch Bedenken. Sie lässt unberücksichtigt, dass insbesondere kommunale Energieversorgungsunternehmen zum einen vielfach mit Gewinnerzielungsabsicht tätig werden. So lassen sich mit der Übernahme der kommunalen Versorgung durch Stadtwerke regelmäßig Gewinne erzielen, mit denen nicht selten andere Bereiche der Daseinsvorsorge wie etwa der öffentliche Personennahverkehr mit Bussen und Straßenbahnen finanziert wer-

1 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 43 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 43). 2 VK Bremen v. 23.8.2001 – VK 3/01, NZBau 2002, 406 (407). 3 OLG Hamburg v. 19.12.2003 – 1 Verg 6/03, NZBau 2004, 519 (520). 4 KG v. 27.7.2006 – 2 Verg 5/06, NVwZ-RR 2007, 603 (605). 5 Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 148. 6 S. etwa § 116 Abs. 2 Satz 1 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt: „Betätigungen in den Bereichen der Strom-, Gas- und Wärmeversorgung, der Wasserversorgung, Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung, Wohnungswirtschaft und des öffentlichen Verkehrs dienen einem öffentlichen Zweck …“. 7 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 39 = NZBau 2008, 393 (395): „Die Beheizung eines städtischen Ballungsgebiets mittels eines umweltfreundlichen Verfahrens zu sichern, ist ein Ziel, das unzweifelhaft im Allgemeininteresse liegt.“ 8 Riese/van den Eikel, NVwZ 2005, 758 (759).

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den. Zum anderen tritt das Anliegen der Daseinsvorsorge umso stärker in den Hintergrund, je stärker der Wettbewerb ausgeprägt ist. Ob bei einem kommunalen Energieversorgungsunternehmen von einem gewerblichen Handeln ausgegangen werden kann, ist daher anhand der allgemeinen Kriterien (Rz. 38 ff.) im Einzelfall zu beurteilen1.

IV. Verbände (§ 99 Nr. 3) Die Vorschrift umfasst Verbände der Gebietskörperschaften nach Nummer 1 95 und der sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts nach Nummer 2. Sie entspricht dem früheren § 57a Abs. 1 Nr. 3 HGrG. Verbände i.S.d. Vorschrift sind Zusammenschlüsse aller Art, ungeachtet der 96 jeweiligen Rechtsform2. Die Vorschrift betrifft damit in der Praxis im Wesentlichen kommunale Zweckverbände wie z.B. Abwasserzweckverbände, Wasserverbände, Abfallwirtschaftszweckverbände oder Verkehrszweckverbände3. Erfasst werden aber etwa auch Kooperationen zwischen den Bundesländern und von Bund und Ländern4. Nummer 3 stellt einen Auffangtatbestand dar. Die Vorschrift kommt daher nur 97 zum Tragen, wenn die Verbände nicht bereits Auftraggeberqualität nach Nummer 1 oder 2 haben5.

V. Staatlich subventionierte Auftraggeber (§ 99 Nr. 4) Nach der Regelung der Nummer 4, welche auf Art. 13 der Vergaberichtlinie be- 98 ruht, findet das Vergaberecht für bestimmte Aufträge auch dann Anwendung, wenn es sich bei dem Auftraggeber um eine Einrichtung handelt, die von staatlichen Stellen unabhängig ist, die Maßnahme von diesen jedoch überwiegend fi1 S. hierzu Marx in Danner/Theobald, Energierecht, Einführung für Versorgungsunternehmen, Rz. 23: „Wichtige Kontrollfrage dürfte in diesem Zusammenhang sein, ob die zu qualifizierende juristische Person auf dem Feld, auf dem sie Anbieter ist, im Wettbewerb steht und ob die Möglichkeit besteht, dass sie bei miserablem Wirtschaften Konkurs gehen könnte.“ 2 OLG München v. 20.3.2014 – Verg 17/13, NZBau 2014, 456 (458); OLG Düsseldorf v. 6.7.2005 – Verg 22/05, IBRRS 2005, 3268. 3 VK Schleswig v. 30.8.2006 – VK-SH 20/06, IBRRS 2006, 3580; VK Düsseldorf v. 18.4. 2002 – VK-5/2002-L, ZfBR 2002, 621 (622); vgl. die Auflistung bei Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 286. 4 OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39 (41). 5 OLG München v. 20.3.2014 – Verg 17/13, NZBau 2014, 456 (458); VK Düsseldorf v. 18.4. 2002 – VK-5/2002-L, ZfBR 2002, 621 (623); Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 98 Rz. 35; Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, § 98 Rz. 74.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber nanziert wird („Drittvergabe“). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es rechtlich keinen Unterschied machen darf, ob ein öffentlicher Auftraggeber nach den Nummern 1 bis 3 Aufträge selbst vergibt und finanziert oder aber diese Mittel an Dritte weitergibt, damit diese – gewissermaßen als „verlängerter Arm“ der öffentlichen Hand – entsprechende Aufträge vergeben1. 1. Natürliche und juristische Personen 99 In der Fassung des Vergaberechtsänderungsgesetzes von 1999 erfasste die Vor-

gängervorschrift in Nummer 5 lediglich natürliche und juristische Personen des privaten Rechts. Schon mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 wurde Nummer 5 a. F. um juristische Personen des öffentlichen Rechts erweitert. Der bislang bestehende Streit über die Einbeziehung juristischer Personen des öffentlichen Rechts in der heutigen Vorschrift der Nummer 42 ist damit erledigt.

2. Erfasste Vorhaben 100 In sachlicher Hinsicht setzt Nummer 4 Tiefbaumaßnahmen, die Errichtung von

Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen sowie Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäude voraus. Der Katalog ist abschließend3. Allerdings sind die genannten Vorhaben nach den allgemeinen vergaberechtlichen Auslegungsgrundsätzen weit auszulegen.

101 Der Begriff der Tiefbaumaßnahmen ist in Anhang II zur Vergaberichtlinie nä-

her definiert. „Erholungs- und Freizeiteinrichtungen“ meint Orte, die von der überwiegenden Mehrzahl der Besucher während der Freizeit aufgesucht werden4, auch Museen, Ausstellungszentren, Bibliotheken und Theater zählen dazu5. Unter „Schulen“ sind Einrichtungen für die Bildung der Jugend zu verstehen, zu denen auch die Berufsschulen in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen zählen6. Unter den Begriff der „Errichtung“ fällt die (erstmalige) Herstellung ei1 VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2-114/05, IBRRS 2006, 4418. 2 S. hierzu Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 2 Rz. 76. 3 OLG München v. 10.11.2010 –Verg 19/10, NZBau 2011, 253 (254); BayObLG v. 29.10. 2004 – Verg 022/04, VergabeR 2005, 74 (75); VK Brandenburg v. 11.3.2009 – VK 7/09, ZfBR 2009, 710 (712). 4 VK Nordbayern v. 19.10.2015 – 21.VK-3194-38/15, IBRRS 2015, 2978; dort wird auch darauf hingewiesen, dass der Bestimmtheitsgrundsatz einer zu weiten Auslegung der Vorschrift Grenzen setzt. 5 EuGH v. 26.9.2013 – C-115/12 P (Französische Rebublik, Europäische Union), Rz. 72 ff., NZBau 2014, 116 (120 f.); dazu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, § 99 Rz. 333; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 25. 6 OLG München v. 10.11.2010 –Verg 19/10, NZBau 2011, 253 (254); BayObLG v. 29.10. 2004 – Verg 022/04, VergabeR 2005, 74 (75); VK Nordbayern v. 30.9.2015 – 21.VK-319433/15, IBRRS 2015, 2967.

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Öffentliche Auftraggeber | § 99

ner entsprechenden baulichen Anlage ebenso wie die Modernisierung, Sanierung und Rekonstruktion einer bestehenden Anlage1. Umfasst werden neben den Bauleistungen (Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 und 7 der Ver- 102 gaberichtlinie)2 auch hiermit in Verbindung stehende Dienstleistungen (Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Vergaberichtlinie)3 und Wettbewerbe (Art. 2 Abs. 1 Nr. 21 der Vergaberichtlinie)4. Hierzu zählen beispielsweise die Vergabe von Architektenoder Ingenieurleistungen. Erforderlich ist stets, dass die Dienstleistungen in Verbindung mit einem Bauauftrag vergeben werden. Erfolgt die Vergabe des Dienstleistungsauftrags völlig isoliert von Bauarbeiten, also etwa im deutlich zeitlichen Abstand von der Errichtung der Maßnahme, findet Nummer 4 auf den Dienstleistungsauftrag keine Anwendung. Um eine Umgehung der Vorschrift zu verhindern, sind geringfügige zeitliche Abstände zwischen der Vergabe der Bauleistungen und des Dienstleistungsauftrags jedoch unbeachtlich. Die neue Nutzung des Begriffs „Wettbewerbe“ statt „Auslobungsverfahren“ liegt in einer sprachlichen Anpassung an die Vergaberichtlinie begründet. 3. Mehr als 50 %-ige Subventionierung Voraussetzung ist, dass Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, Mittel bereit- 103 stellen, mit denen die genannten Vorhaben zu mehr als 50 % subventioniert werden5. Hierbei ist nicht auf die nach den jeweiligen Vorschriften förderfähigen Kosten, sondern auf die gesamten6 Projektkosten, die sich im Zweifel nach § 3 VgV bestimmen, abzustellen7. Nummer 4 spricht seit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 nicht mehr von 104 der „Finanzierung“ durch die in § 99 Nr. 1 bis 3 genannten Stellen, sondern von „subventionieren“. Damit passte der Gesetzgeber die Vorschrift an die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 13 der Vergaberichtlinie an8. Der Anwendungs1 VK Brandenburg v. 10.9.2004 – VK 39/04, IBRRS 2005, 2844; VK Düsseldorf v. 9.4.2003 – VK-8/2003-B, IBRRS 2003, 3381; s. auch OLG Jena v. 30.5.2002 – 6 Verg 3/02, ZfBR 2002, 827 (828); zweifelnd Wirner, ZfBR 2002, 761 (762); Wieddekind in Willenbruch/ Wieddekind, § 98 Rz. 102. 2 S. dazu § 103 Abs. 3. 3 S. § 103 Abs. 4. 4 S. § 103 Abs. 6. 5 OLG München v. 10.11.2010 – Verg 19/10, NZBau 2011, 253 (255); zur Besonderheit der vorhabenspezifischen Feststellung einer überwiegenden Subventionierung auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, § 99 Rz. 303. 6 OLG Celle v. 25.8.2011 – 13 Verg 5/11, VergabeR 2012, 182 (184); OLG München v. 10.11.2010 –Verg 19/10, NZBau 2011, 253 (255). 7 OLG Celle v. 29.11.2016 – 13 Verg 8/16, IBRRS 2017, 0176; VK Nordbayern v. 30.9.2015 – 21.VK-3194-33/15, IBRRS 2015, 2967; auch Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 2 Rz. 75; Boesen, § 98 Rz. 117; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 123. 8 BT-Drucks. 18/6281, S. 70.

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§ 100 | Sektorenauftraggeber bereich der Nummer 4 ist daher nur dann eröffnet, wenn der Einrichtung zum Zeitpunkt der Ausschreibung1 mehr als 50 % der Projektkosten als Subventionen zur Verfügung gestellt werden, wobei Subventionen nicht nur direkte oder positive Leistungen umfassen2. Zur Ausfüllung des Begriffs der Subvention kann auf den Begriff der „Beihilfe“ i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV (ex-Artikel 87 Abs. 1 EGV) zurückgegriffen werden. Eine Finanzierung kann somit beispielsweise in einem verlorenen Zuschuss oder einem zinsvergünstigten Darlehen bestehen. Die Gewährung von Darlehen zu marktüblichen Bedingungen führt hingegen nicht zum Anwendungsbereich der Nummer 4, selbst wenn Darlehensgeber die öffentliche Hand, beispielsweise in Form einer Sparkasse oder Landesbank, ist.

§ 100 Sektorenauftraggeber (1) Sektorenauftraggeber sind 1. öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 ausüben, 2. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 ausüben, wenn a) diese Tätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgeübt wird, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden, oder b) öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3 auf diese Personen einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können. (2) Besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne von Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a sind Rechte, die dazu führen, dass die Ausübung dieser Tätigkeit einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Keine besonderen oder ausschließlichen Rechte in diesem Sinne sind Rechte, die aufgrund eines Verfahrens nach den Vorschriften dieses Teils oder aufgrund eines sonstigen Verfahrens gewährt wurden, das angemessen bekannt gemacht wurde und auf objektiven Kriterien beruht. (3) Die Ausübung eines beherrschenden Einflusses im Sinne von Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b wird vermutet, wenn ein öffentlicher Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3 1. unmittelbar oder mittelbar die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt, 1 OLG München v. 10.11.2010 – Verg 19/10, NZBau 2011, 253 (255). 2 EuGH v. 26.9.2013 – C-115/12 P (Französische Rebublik, Europäische Union), Rz. 46 ff., NZBau 2014, 116 (118 f.); s. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/6281, S. 70.

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Sektorenauftraggeber | § 100

2. über die Mehrheit der mit den Anteilen am Unternehmen verbundenen Stimmrechte verfügt oder 3. mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen kann. I. 1. 2. 3. II.

Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . Europarechtlicher Hintergrund Entstehungsgeschichte . . . . . . Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 Nr. 1 . . . . . . . . . III. Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 Nr. 2 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

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2. Besondere oder ausschließliche Rechte a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Begriff des ausschließlichen und besonderen Rechts . . . . 3. Beherrschender Einfluss durch einen öffentlichen Auftraggeber IV. Begriff der Ausübung . . . . . .

. . . .

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_ _ __ 15 18 24 30

I. Allgemeines 1. Überblick § 100 definiert erstmalig im GWB den Begriff des Sektorenauftraggebers und be- 1 stimmt damit zugleich den persönlichen Anwendungsbereich des Sektorenvergaberechts. Sektorenauftraggeber zählen neben den „klassischen“ öffentlichen Auftraggebern i.S.d. § 99 GWB und den Konzessionsgebern i.S.d. § 101 GWB zu den Auftraggebern i.S.d. § 99 GWB. Die Neustrukturierung der Definitionen des Auftraggebers verbessert die Übersichtlichkeit und Lesbarkeit für den Rechtsanwender1. Insgesamt können drei Arten von Sektorenauftraggebern unterschieden wer- 2 den. Zum einen „klassische“ öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1–3, die eine Sektorentätigkeit i.S.d. § 102 ausüben (§ 101 Abs. 1 Nr. 1). § 100 Abs. 1 Nr. 1 stellt damit erstmalig im GWB klar, dass auch „klassische“ öffentliche Auftraggeber dem Sektorenvergaberecht unterfallen können. Eine vergleichbare Regelung war bislang lediglich in § 1 Abs. 1 SektVO enthalten. Zum anderen natürliche und juristische Personen des Privatrechts, die von einem öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1-3 beherrscht werden und eine Sektorentätigkeit ausüben (§ 101 Abs. 1 Nr. 2 lit. b), sog. öffentliche Unternehmen). Schließlich natürliche und juristische Personen des Privatrechts, die allein wegen ihrer besonderen Stellung, nämlich der Ausübung der Sektorentätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten, als Sektorenauftraggeber eingestuft werden (§ 101 Abs. 1 Nr. 2 lit. a)). 1 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 69.

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§ 100 | Sektorenauftraggeber 2. Europarechtlicher Hintergrund 3 Die Regelung setzt Art. 4 Richtlinie 2014/25/EU um. Die Sektorenrichtlinie

kennt dabei nicht den Begriff des Sektorenauftraggebers. Vielmehr umfasst der persönliche Anwendungsbereich der Sektorenrichtlinie die sog. öffentliche Auftraggeber (Art. 4 Abs. 1 lit. a), ohne nähere Definition), öffentliche Unternehmen (näher definiert in Art. 4 Abs. 2) und sonstige Auftraggeber, die eine Sektorentätigkeit oder mehrere dieser Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gewährt wurden (Art. 4 Abs. 1 lit. b)). Diese Dreiteilung wird nun erstmalig vom deutschen Gesetzgeber übernommen.

4 Die Definition des Sektorenauftraggebers im deutschen Recht ist nach dem Wil-

len des Gesetzgebers auch der Umsetzung der Konzessionsrichtlinie 2014/23/ EU geschuldet. Die Richtlinie 2014/23/EU unterscheidet in ihren Artikeln 6 und 7 zwischen „öffentlichen Auftraggebern“ einerseits und „Auftraggebern“, die einer Sektorentätigkeit nachgehen und zum Zwecke dieser Tätigkeit Konzessionen vergeben, andererseits. Die Richtlinie 2014/23/EU behält diese Unterscheidung auch in den materiellen Regelungen bei. Diese Systematik erfordere auch im nationalen Recht eine klare Trennung zwischen diesen beiden Kategorien von Konzessionsgebern1. 3. Entstehungsgeschichte

5 Der persönliche Anwendungsbereich des Sektorenvergaberechts war einem ste-

ten Wandel unterworfen. Die erste Sektorenrichtlinie 90/531/EWG war nach Auffassung der h.M. nachrangig zur damaligen Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie. Einrichtungen, die sowohl § 98 Nummer 4 a.F. als auch § 98 Nummer 1, 2 oder 3 a.F. unterfielen, unterlagen danach allein den für Auftraggeber nach Nummern 1 bis 3 geltenden Regelungen2.

6 Mit der Novellierung der Vergaberichtlinien im Jahre 2004 wurde klargestellt,

dass für das Gemeinschaftsrecht von einem umgekehrten Rangverhältnis auszugehen sei. So galt die Richtlinie 2004/17/EG nach deren Art. 2 auch für öffentliche Auftraggeber i.S.d. Richtlinie 2004/18/EG, soweit diese eine Sektorentätigkeit ausüben3. Dementsprechend hieß es auch in Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2004/18/EG: „Öffentliche Aufträge, die von öffentlichen Auftraggebern aus den Bereichen Wasser, Energie, Verkehr und Postdienste vergeben werden und die Tätigkeiten in diesen Bereichen betreffen, fallen unter die Richtlinie 2004/ 17/EG“. In der deutschen Umsetzung erfolgte die Abgrenzung der Vergaberegelungen, welche für Auftraggeber nach § 98 Nummer 4 a.F. einerseits und für

1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 70. 2 BayObLG v. 5.11.2002 – Verg 22/02, NZBau 2003, 342. 3 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 23 ff.

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Sektorenauftraggeber | § 100

Auftraggeber nach Nummern 1 bis 3 a.F. andererseits gelten, indes weit weniger scharf. So hatten die in § 98 Nummern 1 bis 3 a.F. genannten Auftraggeber nach § 7 Abs. 1 VgV a.F. in den Sektoren Trinkwasserversorgung sowie See- und Landverkehr den Abschnitt 3 der VOL/A 2006 beziehungsweise der VOB/A 2006 anzuwenden. Diese Abschnitte enthielten nicht nur die eingeschränkten Anforderungen der Richtlinie 2004/17/EG, sondern unterwarfen die Auftraggeber auch den allgemeinen Vergabebestimmungen der jeweiligen Abschnitte 1. Das deutsche Recht stellte folglich höhere Anforderungen als das Gemeinschaftsrecht, was überwiegend als rechtlich unbedenklich angesehen wurde1. Die (nur) in § 98 Nummer 4 a.F. genannten Auftraggeber hatten nach § 7 Abs. 2 VgV a.F. hingegen lediglich Abschnitt 4 der VOL/A 2006 und der VOB/A 2006 anzuwenden. Das Gleiche galt für die Tätigkeit der in Nummern 1 bis 3 genannten Auftraggeber in den Sektoren Elektrizitäts-, Gas- und Wärmeversorgung sowie Luftverkehr. Die Abschnitte 4 der VOL/A 2006 und der VOB/A 2006 beschränkten sich – anders als deren Abschnitte 3 – darauf, die Anforderungen der Richtlinie 2004/17/EG umzusetzen. Erst mit der Einführung der SektVO wurde das deutsche Recht an die Struktur 7 der Richtlinie 2004/17/EG angepasst2. So wurden die auf der Richtlinie 2004/17/ EG beruhenden Vergaberegelungen, welche bislang in der VgV a.F. und den jeweiligen Abschnitten 3 und 4 der VOL/A 2006 und der VOB/A 2006 enthaltenen waren, in der SektVO zusammengefasst. Diese Verordnung galt nach deren § 1 Abs. 1 für Auftraggeber nach § 98 Nummer 1 bis 4 GWB a.F., soweit diese Aufträge vergeben, die im Zusammenhang mit Sektorentätigkeiten stehen. Auftraggeber, die sowohl unter Nummer 4 als auch unter Nummern 1, 2 oder 3 fielen, hatten somit bei der Vergabe von im Zusammenhang mit einer Sektorentätigkeit stehenden Aufträgen die SektVO und bei der Vergabe anderer Aufträge die VgV a.F. anzuwenden. Diese Rechtslage blieb durch die Vergaberechtsnovellierung 2016 im Ergebnis 8 unverändert. Erstmalig wurde jedoch im GWB direkt der persönliche Anwendungsbereich des Sektorenvergaberechts geregelt. Dies ist aus Gründen der Systematik und Übersichtlichkeit zu begrüßen.

II. Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 Nr. 1 § 100 Absatz 1 Nummer 1 betrifft ausschließlich öffentliche Auftraggeber gemäß 9 § 99 Nummer 1 bis 3. Vergeben diese Aufträge im Zusammenhang mit Tätigkeiten auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs, finden die Vorschriften über die Sektorenauftragsvergabe Anwendung3. 1 VG Koblenz v. 8.7.1997 – 2 K 2971/96. KO, NVwZ 1999, 1133. 2 S. BR-Drucks. 522/09, S. 1; so auch Opitz, VergabeR 2009, 689. 3 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 70.

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§ 100 | Sektorenauftraggeber 10 Das Sektorenvergaberecht findet dabei nur Anwendung, soweit der öffentliche

Auftraggeber eine Sektorentätigkeit1 ausübt2. Für den Fall, dass die Auftragsvergabe nicht im Zusammenhang einer Sektorentätigkeit erfolgt, findet das allgemeine Vergaberecht Anwendung3. Eine „Infizierung“ für alle anderen Aufträge des öffentlichen Auftraggebers durch das Sektorenvergaberecht erfolgt nicht4.

11 Für den Fall, dass ein (Gesamt-) Auftrag sowohl der Sektoren- als auch der sons-

tigen Tätigkeit dient trifft § 112 Abs. 1–5 eine Abgrenzungsregelung. Für den Fall, dass eine Konzession mehrere Tätigkeiten umfasst, von denen eine Tätigkeit eine Sektorentätigkeit im Sinne des § 102 darstellt, trifft § 112 Abs. 6 eine Abgrenzungsregelung.

III. Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 Nr. 2 1. Allgemeines 12 § 100 Absatz 1 Nummer 2 richtet sich an Auftraggeber, die bislang unter § 98

Nummer 4 GWB fielen. Der besseren Übersicht halber wird künftig unterschieden zwischen Sektorenauftraggebern kraft Einräumung besonderer oder ausschließlicher Rechte (Buchstabe a) und Sektorenauftraggebern kraft beherrschenden Einflusses (Buchstabe b)5. Das GWB regelt zudem in eigenen Absätzen Legaldefinitionen und – erstmalig für den Fall des § 100 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) – Vermutungsregelungen.

13 Voraussetzung ist jeweils, dass eine natürliche oder juristische Person des pri-

vaten Rechts vorliegt, die eine Sektorentätigkeit i.S.d. § 102 ausübt. Anders als § 99 Nummern 1 bis 3 bezieht die Vorschrift damit auch natürliche Personen ein. Hieraus wird zu Recht geschlossen, dass sich der Anwendungsbereich des § 100 Abs. 1 Nr. 2 auch auf Personenzusammenschlüsse erstreckt, unabhängig davon, ob diese (teil-) rechtsfähig sind6.

14 Das Verhältnis von § 100 zu § 99 Nr. 4 ist nicht ausdrücklich geregelt. Für den

Fall, dass ein Sektorenauftraggeber nach § 101 Abs. 1 Nr. 2 zugleich öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 4 ist, ist das Sektorenvergaberecht vorrangig anwendbar7. Dies ergibt sich aus Art. 7 der Richtlinie 2014/24/EU und der Erwägung,

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Der Begriff der Sektorentätigkeit wird nun ausführlich in § 102 geregelt. Zum Begriff der Ausübung vgl. unten Rz. 30 f. Vgl. auch § 137 Abs. 2 Nr. 1 und die dortige Kommentierung. Vgl. EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008 I-2339, Rz. 29 ff. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 70. Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 100 Rz. 21; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 98 Rz. 183. 7 So auch Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 100 Rz. 17; Ziekow in Ziekow/Völlink, 2. Aufl., § 98 Rz. 147; a.A. Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 98 Rz. 239.

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Sektorenauftraggeber | § 100

dass eine wie bei § 99 Nr. 4 lediglich abgeleitete Verpflichtung, das Vergabereicht einzuhalten, nicht weiter gehen kann, als eine originäre Verpflichtung. 2. Besondere oder ausschließliche Rechte a) Allgemeines § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. a) entspricht der bisherigen Formulierung in § 98 15 Nummer 4 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 1 GWB a.F. Der Begriff der besonderen oder ausschließlichen Rechte ist insofern von besonderer Bedeutung für die Definition des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2014/25/EU, als Auftraggeber, bei denen es sich weder um öffentliche Auftraggeber noch um von öffentlichen Auftraggebern beherrschte Unternehmen handelt, den Bestimmungen der Richtlinie 2014/25/EU nur unterliegen, insoweit sie eine aufgrund besonderer oder ausschließlicher Rechte vorbehaltene Tätigkeit ausüben1. Die Regelung des § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. a) betrifft die sog. „staatsfer- 16 nen“ Auftraggeber, nämlich Einrichtungen, die allein deshalb vom Vergaberecht erfasst werden, weil sie eine Sektorentätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben. Hintergrund für diese Erweiterung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts ist, dass die Gewährung besonderer und ausschließlicher Rechte nach Auffassung des Richtliniengebers zu einer „Abschottung der Märkte“2 führen kann und damit die Gefahr besteht, dass entsprechende Einrichtungen – auch wenn sie über die Gewährung dieser Rechte hinaus keiner staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen – bei der Vergabe entsprechender Aufträge nicht nach den Grundsätzen des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung vorgehen3. Eine über diese Rechtsgewährung hinausgehende Abhängigkeit des Unterneh- 17 mens von öffentlichen Auftraggebern nach § 99 Nummern 1 bis 3 ist nicht erforderlich. Die Begründung für diese Ausdehnung des Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB liegt auch darin, dass auf dem traditionell daseinsvorsorgeorientierten Gebiet der Sektoren in den Mitgliedstaaten teils der Staat selbst, teils die Privatwirtschaft tätig wird. Ein Anknüpfen allein an die Rechtsform oder die staatliche Beherrschung hätte sich daher in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgewirkt4. Daneben fehlt im Sektorenbereich aufgrund des Monopols der Auftraggeber bzw. deren monopolartiger Stellung regelmäßig ein funktionierender Wettbewerb, was durch die Regelungen über die Vergabe von Aufträgen ausgeglichen werden soll5. 1 2 3 4 5

Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 71. Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 2014/25/EU. Vgl. Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 98 Rz. 160. Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, § 98 GWB Rz. 17. Hailbronner, Forum Vergabe 95, Öffentliches Auftragswesen, S. 127 (131).

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§ 100 | Sektorenauftraggeber b) Begriff des ausschließlichen und besonderen Rechts 18 Eine Definition der besonderen oder ausschließlichen Rechte findet sich nun-

mehr in § 100 Absatz 2. Die Vorschrift setzt Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2014/25/EU um. Danach sind besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne von § 100 Absatz 1 1 Nummer 2 lit. a) Rechte, die dazu führen, dass die Ausübung dieser Tätigkeit einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Entscheidend ist somit, dass dem betreffenden Unternehmen im Hinblick auf die von ihm ausgeübte Sektorentätigkeit eine marktbezogene Sonderstellung eingeräumt wird1.

19 Der Anwendungsbereich des § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. a) unterliegt einem

Wandel. Durch die Abschaffung eines bestehenden Monopols oder dessen Neuerrichtung wird der Geltungsbereich der Vorschrift ausgeschlossen bzw. begründet. Aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 8 der Richtlinie 90/5312 kann allerdings gefolgert werden, dass es nicht genügt, wenn ursprünglich bestehende ausschließliche Rechte aufgehoben werden. Vielmehr muss hinzukommen, dass sich in Folge dieser Aufhebung tatsächlich ein Wettbewerb entwickelt. Erst wenn dies der Fall ist, liegen die Voraussetzungen des § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. b) nicht mehr vor3.

20 Das GWB enthält keine näheren Vorgaben zur Form der Gewährung. Gemäß

Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2014/25/EU muss die Gewährung „im Wege einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift“ erfolgen. Wie sich aus Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2014/25/EU ergibt, ist die Form der Gewährung des besonderen oder ausschließlichen Rechts durch die zuständige Behörde unerheblich4. So ist der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages5 oder eine Staatsvertrages6 möglich. Nach der Auffassung der VK Lüneburg kann bereits eine dauerhaft lenkende und fördernde Duldung eines bestehenden Oligopols der staatlichen Gewährung durch Rechts- oder Verwaltungsvorschrift im Einzelfall inhaltlich gleich stehen7.

21 In der Spruchpraxis der vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen als aus-

schließliches oder besonderes Rechte anerkannt ist die Linienverkehrsgenehmi-

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 98 Rz. 179. 2 EuGH v. 26.3.1996 – Rs. C-392/93 (British Telecom), Slg. 1996, I-1631, Rz. 30 ff. 3 BT-Drucks. 16/10117, S. 17: „Öffentliche Unternehmen in den Sektorenbereichen bleiben solange unabhängig davon erfasst, bis in diesen Bereichen Wettbewerb herrscht. Dann kann auch für sie eine Befreiung von der Anwendungsverpflichtung erfolgen.“; im Ergebnis ebenso bereits Byok, NJW 1998, 2774 (2777). 4 So bereits Schröder, NZBau 2012, 541 (542). 5 VK Lüneburg v. 8.11.2012 – 203-VgK-24/2002, juris. 6 OLG München v. 12.5.2011 – Verg 26/10, VergabeR 2011, 762 ff. mit Anm. Dörn. 7 VK Lüneburg v. 13.5.2016 – VgK-10/2016, juris; VK Lüneburg v. 30.9.2015 – VgK-30/ 2015, juris.

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Sektorenauftraggeber | § 100

gung gemäß PBefG1, die luftverkehrsrechtliche Genehmigung gemäß § 38 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO2 und die Stellung als Übertragungsnetzbetreiber3. Das Planfeststellungsverfahren als solches gewährt einem Einzelnen keine Rechte ausschließlicher oder besonderer Art. Denn bei diesem handelt es sich um ein streng formalisiertes, der Standortfindung bzw. Raumnutzungsentscheidung dienendes Verwaltungsverfahren, welchem die Funktion zukommt, im Wege der Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange einen möglichst schonenden Ausgleich oftmals gegenläufiger Interessen herbeizuführen und eine verbindliche Raumnutzungsentscheidung zu fällen4. Gesetzliche Enteignungs- oder Wegenutzungsrechte führen für sich genom- 22 men noch nicht zu einer entsprechenden Rechtsstellung5. Bereits in Erwägungsgrund 25 der Richtlinie 2004/17/EG hieß es, dass es – entgegen Art. 2 Abs. 3 UAbs. 2 der Richtlinie 93/38/EWG – für sich genommen noch kein besonderes und ausschließliches Recht im Sinne dieser Richtlinie darstellt, wenn ein Auftraggeber zum Bau eines Netzes oder der Einrichtung von Flughafen- bzw. Hafenanlagen Vorteil aus Enteignungsverfahren oder Nutzungsrechten ziehen kann oder Netzeinrichtungen auf, unter oder über dem öffentlichen Wegenetz anbringen darf. Keine besonderen oder ausschließlichen Rechte in diesem Sinne sind gemäß 23 § 100 Absatz 2 S. 2 Rechte, die aufgrund eines Verfahrens nach den Vorschriften dieses Teils oder aufgrund eines sonstigen Verfahrens gewährt wurden, das angemessen bekannt gemacht wurde und auf objektiven Kriterien beruht. Durch die Ausnahme wird klargestellt, dass Rechte, die im Wege eines Verfahrens gewährt wurden, das auf objektiven Kriterien beruht und bei dem eine angemessene Publizität gewährleistet wurde, keine besonderen oder ausschließlichen Rechte im Sinne des Kartellvergaberechts darstellen. Die Anwendung des Vergaberechts ist in diesen Fällen insofern entbehrlich, da schon bei der Gewährung der ausschließlichen und besonderen Rechte den Anforderungen an ein wettbewerbliches Verfahren genügt wurde6. Dies betrifft insbesondere den Fall, wenn bereits die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte in einem wettbewerblichen Verfahren nach dem Viertem Teil des GWB erfolgt ist. In Anhang II der Richtlinie 2014/25/EU werden beispielhaft weitere Genehmigungsverfahren aufgrund bestimmter EU-Rechtsakte aufgeführt, die nicht zu besonderen oder ausschließlichen Rechten im obigen Sinne führen. Darunter fallen: – Erteilung einer Genehmigung für den Betrieb von Erdgasanlagen nach Artikel 4 Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 1 2 3 4 5 6

OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – Verg 48/10, VergabeR 2011, 471. OLG Düsseldorf v. 24.3.2010 – VII-Verg 58/09, NZBau 2010, 649. VK Lüneburg v. 30.9.2015 – VgK-30/2015, juris. Vgl. OLG Celle v. 8.8.2013 – Verg 7/13, VergabeR 2014, 24 m.w.N. aus der Literatur. Vgl. OLG Celle v. 8.8.2013 – Verg 7/13, VergabeR 2014, 24. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 71.

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§ 100 | Sektorenauftraggeber 13.7.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. Nr. L 211 S. 94). – Genehmigung oder Aufforderung zur Angebotsabgabe für den Bau neuer Stromerzeugungsanlagen gemäß der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. Nr. L 211 S. 55). Beide Richtlinien waren Bestandteil des 3. Energiepaketes der EU und hatten zum Ziel die Trennung des Netzbetriebes von Versorgung und Erzeugung. Sie sind umgesetzt im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). – Genehmigungen in Bezug auf Postdienste, die nicht reserviert sind oder nicht reserviert werden dürfen nach Artikel 9 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstqualität (ABl. 1998 Nr. L 15 S. 14, berichtigt ABl. 1998 Nr. L 23, S. 39). Die Richtlinie ist umgesetzt im Postgesetz (PostG) sowie der Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV). – Richtlinie 94/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5. 1994 über die Erteilung und Nutzung von Genehmigungen zur Prospektion, Exploration und Gewinnung von Kohlenwasserstoffen (ABl. Nr. L 164 S. 3). Die Richtlinie ist im Bundesberggesetz (BBergG) umgesetzt. – Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge auf der Grundlage eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens gemäß Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nummer 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße (ABl. Nr. L 315 S. 1). Die Verordnung ist in Teilen im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) umgesetzt. Ansonsten gilt sie als EU-Verordnung unmittelbar. 3. Beherrschender Einfluss durch einen öffentlichen Auftraggeber 24 Gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. b) sind Sektorenauftraggeber natürliche

oder juristische Personen des privaten Rechts, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 ausüben, wenn öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3 auf diese Personen einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können. § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. b) entspricht damit weitgehend der bisherigen Formulierung in § 98 Nummer 4 Satz 1 Halbsatz 1 Alt. 2 GWB. Das Innehaben von ausschließlichen oder besonderen Rechten ist nicht erforderlich.

25 Der Richtliniengeber begründet die Regelung mit der Erwägung, dass es sinnvoll

sei, an spezifischen Vorschriften für die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste festzuhalten, da nationale Behörden nach wie vor Einfluss auf das Ver-

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Sektorenauftraggeber | § 100

halten dieser Auftraggeber nehmen könne, unter anderem auch durch Kapitalbeteiligungen und die Vertretung in ihren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremien1. Erstmalig enthält das GWB mit § 100 Absatz 3 eine Vermutungsregel, wann 26 der beherrschende Einfluss vorliegt. § 100 Absatz 3 dient der Umsetzung von Artikel 4 Abs. 2 UAbs. 2 der Richtlinie 2014/25/EU. Die bereits in Artikel 2 Absatz 1 lit. b) der Richtlinie 2004/17/EG enthaltene Vermutungsregel wird nunmehr im GWB umgesetzt2. Gemäß § 100 Absatz 3 wird die Ausübung eines beherrschenden Einflusses im Sinne von Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b vermutet, wenn ein öffentlicher Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3 1. unmittelbar oder mittelbar die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt, 2. über die Mehrheit der mit den Anteilen am Unternehmen verbundenen Stimmrechte verfügt oder 3. mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen kann. Diese Vermutungstatbestände weisen deutliche Ähnlichkeiten zu den Alternati- 27 ven der Einflussnahmemöglichkeit nach § 99 Nr. 2 auf, wobei die Vermutungstatbestände allerdings eher weiter gefasst sind. So ist etwa eine Beherrschung nach § 100 Absatz 3 Nr. 1 bereits dann zu vermuten, wenn ein öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nummer 1, 2 oder 3 die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens hält. Eine i.S.d. § 99 Nummer 2 ausreichende Einflussnahmemöglichkeit liegt damit hingegen nicht notwendig vor.3 Wie bei § 99 Nr. 2 knüpft Auftraggebereigenschaft nach Nummer § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. b) daran an, dass die öffentliche Hand die Entscheidungen der fraglichen Einrichtung in Bezug auf öffentliche Aufträge beeinflussen kann4. Eine Beherrschung im Sinne des Gesellschaftsrechts ist nicht zwingend erfor- 28 derlich. Auch schuldrechtliche oder sonst für das Unternehmen „geltende Bestimmungen“5 können ausreichen. Maßgeblich ist allein, dass das Beschaffungsverhalten des Unternehmens rechtlich beeinflusst werden kann. Eine rein faktische oder wirtschaftliche Abhängigkeit oder nachträgliche Kontrollrechte reichen nicht6. Die mit der Erfüllung eines der Tatbestände des § 100 Absatz 3 begründete Ver- 29 mutung kann widerlegt werden. Andererseits ist die Erfüllung eines Vermu1 2 3 4 5 6

Vgl. Erwägungsgrund 1, Richtlinie 2014/25/EU. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 72. Vgl. § 99 Rz. 44 ff. Vgl. EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (OPAC), Slg. 2001, I-939, Rz. 48. Vgl. Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2014/25/EU. Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 100 Rz. 27 m.w.N.

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§ 100 | Sektorenauftraggeber tungstatbestandes nicht Voraussetzung für die Annahme einer Beherrschung. Eine Beherrschung kann daher auch unabhängig von den Vermutungstatbeständen bestehen. Indizielle Bedeutung kommt insofern dem Beherrschungsbegriff des § 17 AktG zu. Entscheidend ist allerdings, ob der alleinige oder gemeinsame Einfluss auf das andere Unternehmen die Möglichkeit gewährt, diesem gegenüber die eigenen Vorstellungen über das Unternehmensverhalten, insbesondere das Beschaffungsverhalten durchzusetzen1. Ob der potenziell mögliche Einfluss tatsächlich ausgeübt wird, ist dabei unerheblich2. Wegen der Frage, wann bei Holdingstrukturen eine Sektorenauftraggebereigenschaft vorliegt, gelten die Ausführungen zu § 99 Nr. 2 in Bezug auf die Beherrschung entsprechend3. Sektorenauftraggeber ist dabei im Grundsatz stets das beherrschte, nach außen handelnde und die Sektorentätigkeit ausübende Unternehmen. Etwas anderes gilt, wenn der Einsatz eines Tochterunternehmens durch einen Sektorenauftraggeber dazu führen würde, dass eine Anwendbarkeit des Vergaberechts ansonsten entfiele4.

IV. Begriff der Ausübung 30 Die Sektorenträgereigenschaft liegt nur vor, wenn die entsprechenden Personen

die Sektorentätigkeit auch ausüben. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei grundsätzlich die Auftragserteilung5. Etwas anderes soll geltend, wenn die in Rede stehende Auftragsvergabe im Vorgriff auf eine künftige Ausübung der Sektorentätigkeit erfolgt6.

31 Eine Ausübung setzt die unmittelbare, operative Wahrnehmung der Sektoren-

tätigkeit voraus, insbesondere den Betrieb der Infrastruktur i.S.d. § 1027. Nach neuerer Auffassung des OLG Düsseldorf stellt aber bereits die Festlegung der Strecken, der Transportkapazitäten und der Fahrpläne durch den hoheitlichen Aufgabenträger ein Ausüben einer Sektorentätigkeit dar8.

1 2 3 4 5 6 7

VÜA Bund v. 12.4.1995 – WuW/E VergAB 34. VK Lüneburg v. 13.5.2016 – VgK-10/2016, juris. Vgl. § 99 Rz. 59. OLG Düsseldorf v. 24.3.2010 – VII-Verg 58/09, NZBau 2010, 649. Vgl. OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47. Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Pries, GWB-Vergaberecht, § 100 Rz. 32. OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NVwZ 1999, 1142; OLG Frankfurt v. 30.8. 2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47. 8 OLG Düsseldorf v. 23.12.2015 – VII-Verg 34/15, KommJur 2016, 144.

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Konzessionsgeber | § 101

§ 101 Konzessionsgeber (1) Konzessionsgeber sind 1. öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3, die eine Konzession vergeben, 2. Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 1, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 Absatz 2 bis 6 ausüben und eine Konzession zum Zweck der Ausübung dieser Tätigkeit vergeben, 3. Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 2, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 Absatz 2 bis 6 ausüben und eine Konzession zum Zweck der Ausübung dieser Tätigkeit vergeben. (2) § 100 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend.

I. Inhaltsübersicht § 101 regelt die Voraussetzungen für die dritte Kategorie der in § 98 genannten 1 Auftraggeber und bestimmt zugleich den persönlichen Anwendungsbereich bei der Vergabe von Konzessionen gem. § 105 sowie §§ 148 ff. Der Begriff des Konzessionsgebers wurde im Zuge der Vergaberechtsmodernisierung 2016 neu in das GWB aufgenommen. Er beruht auf den Vorgaben der Art. 6 und 7 der Konzessionsvergaberichtlinie 2014/23/EU,1 die allerdings zwischen den Begriffen „Öffentliche Auftraggeber“ in Art. 6 und „Auftraggeber“ im Sektorenbereich in Art. 7 differenziert. Der deutsche Gesetzgeber hat sich entschieden, den einheitlichen Oberbegriff „Konzessionsgeber“ zu verwenden, greift aber die in der Richtlinie vorgesehene Differenzierung an verschiedenen Stellen des GWB auf (vgl. Rz. 4 f.). Inhaltlich knüpfen die Definitionen der einzelnen Arten von Konzessionsgebern 2 an die Bestimmungen über öffentliche Auftraggeber in § 99 sowie über Sektorenauftraggeber in § 100 an. Auf die entsprechenden Kommentierungen wird daher verwiesen. Die Abgrenzung zu den beiden anderen Kategorien von Auftraggebern erfolgt funktional anhand des Elements der Vergabe einer Konzession.2

II. § 101 Abs. 1 Gemäß § 101 Abs. 1 sind drei Arten von Konzessionsgebern zu unterscheiden: 3 Die (klassischen) öffentlichen Auftraggeber ohne Sektorenbezug i.S.d. § 99 Nr. 1 bis 3, die eine Konzession vergeben (Nr. 1), die öffentlichen Sektorenauftraggeber gem. § 100 Abs. 1 Nr. 1, die einer Sektorentätigkeit nachgehen und 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 72. 2 Vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 101 Rz. 13 ff.; kritisch gegenüber dieser Regelungstechnik Wollenschläger in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 101 Rz. 10.

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§ 101 | Konzessionsgeber zum Zweck dieser Tätigkeit Konzessionen vergeben (Nr. 2) sowie die privaten Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 Nr. 2, die einer Sektorentätigkeit nachgehen und zum Zweck dieser Tätigkeit Konzessionen vergeben (Nr. 3). Der Begriff der Sektorentätigkeit ist in § 102 definiert, auf dessen Abs. 2 bis 6 in § 101 verwiesen wird (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 102 Rz. 21 ff.). Von dem Verweis sind Sektorentätigkeiten im Bereich Wasser nach § 102 Abs. 1 nicht erfasst, da sich der Anwendungsbereich der Konzessionsvergaberichtlinie gem. Art. 12 nicht auf die Tätigkeiten im Bereich der Wasserwirtschaft erstreckt. Dementsprechend werden diese Tätigkeiten auch durch die Bereichsausnahme in § 149 Nr. 9 vom Anwendungsbereich der Regelungen zur Konzessionsvergabe im GWB ausgenommen (vgl. § 149 Rz. 18 ff.).1 4 Während die Mehrzahl der bei der Vergabe von Konzessionen zu beachtenden

Vorschriften im GWB einheitlich für alle Konzessionsgeber Geltung beanspruchen, ist für die Anwendbarkeit bestimmter Regelungen die Abgrenzung zwischen den einzelnen Konzessionsgebern erforderlich. Die Bereichsausnahme in § 149 Nr. 6 für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen aufgrund eines ausschließlichen Rechts gilt nur für die öffentlichen Konzessionsgeber gem. § 101 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 (vgl. § 149 Rz. 12). Auf die Bereichsausnahme in § 149 Nr. 8 für öffentliche Kommunikationsnetze und Kommunikationsdienste können sich nur die öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 bis 3 berufen (vgl. § 149 Rz. 16 f.). Dagegen stehen die Ausnahmebestimmung in § 149 Nr. 11 bei Konzessionen für Tätigkeiten in einem Drittland (vgl. § 149 Rz. 24) sowie die besonderen Ausnahmen im Sektorenbereich für verbundene Unternehmen (§ 138), Gemeinschaftsunternehmen (§ 139) sowie unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzten Tätigkeiten (§ 140) nach den Verweisen in § 154 Nr. 5–7 nur den Sektorenauftraggebern zur Verfügung (vgl. § 154 Rz. 13 ff.).

5 Für die privaten Sektorenauftraggeber nach § 101 Abs. 1 Nr. 3 besteht weiterhin

gem. § 154 Nr. 2 lit. a) die Möglichkeit, Unternehmen trotz Vorliegens eines zwingenden Ausschlussgrundes i.S.d. § 123 zum Konzessionsvergabeverfahren zulassen zu können (vgl. § 154 Rz. 4). Außerhalb der speziellen Vorschriften in den §§ 148 ff. über die Konzessionsvergabe gelten die Ausnahmetatbestände bei In-House-Geschäften und öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit in § 108 Abs. 1–7 gem. § 108 Abs. 8 nur für die (öffentlichen) Konzessionsgeber gem. § 101 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 (vgl. § 108 Rz. 113).

III. § 101 Abs. 2 6 § 101 Abs. 2 stellt klar, dass die Legaldefinitionen der Begriffe der „besonderen

oder ausschließlichen Rechte“ sowie der „Ausübung eines beherrschenden Einflusses“ in § 100 Abs. 2 und 3 bei der Bestimmung des privaten Sektorenauftrag1 BT-Drucks. 18/6281, S. 72.

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Sektorentätigkeiten | § 102

gebers in § 100 Abs. 1 Nr. 2 auch bei der Auslegung des Konzessionsgeberbegriffes in § 101 Abs. 1 Nr. 3 entsprechend Anwendung finden und somit ein Gleichklang zwischen den Regelungen gewährleistet ist (vgl. § 100 Rz. 15 ff.).

§ 102 Sektorentätigkeiten (1) Sektorentätigkeiten im Bereich Wasser sind 1. die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Fortleitung und der Abgabe von Trinkwasser, 2. die Einspeisung von Trinkwasser in diese Netze. Als Sektorentätigkeiten gelten auch Tätigkeiten nach Satz 1, die im Zusammenhang mit Wasserbau-, Bewässerungs- oder Entwässerungsvorhaben stehen, sofern die zur Trinkwasserversorgung bestimmte Wassermenge mehr als 20 Prozent der Gesamtwassermenge ausmacht, die mit den entsprechenden Vorhaben oder Bewässerungs- oder Entwässerungsanlagen zur Verfügung gestellt wird oder die im Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung oder -behandlung steht. Die Einspeisung von Trinkwasser in feste Netze zur Versorgung der Allgemeinheit durch einen Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 gilt nicht als Sektorentätigkeit, sofern die Erzeugung von Trinkwasser durch den betreffenden Auftraggeber erfolgt, weil dessen Verbrauch für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlich ist, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, und die Einspeisung in das öffentliche Netz nur von dem Eigenverbrauch des betreffenden Auftraggebers abhängt und bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 30 Prozent der gesamten Trinkwassererzeugung des betreffenden Auftraggebers ausmacht. (2) Sektorentätigkeiten im Bereich Elektrizität sind 1. die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Elektrizität, 2. die Einspeisung von Elektrizität in diese Netze, es sei denn, a) die Elektrizität wird durch den Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 erzeugt, weil ihr Verbrauch für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlich ist, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, und b) die Einspeisung hängt nur von dem Eigenverbrauch des Sektorenauftraggebers ab und macht bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 30 Prozent der gesamten Energieerzeugung des Sektorenauftraggebers aus. Rafii/Bosselmann

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§ 102 | Sektorentätigkeiten (3) Sektorentätigkeiten im Bereich von Gas und Wärme sind 1. die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Gas und Wärme, 2. die Einspeisung von Gas und Wärme in diese Netze, es sei denn, a) die Erzeugung von Gas oder Wärme durch den Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 ergibt sich zwangsläufig aus der Ausübung einer Tätigkeit, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, und b) die Einspeisung zielt nur darauf ab, diese Erzeugung wirtschaftlich zu nutzen und macht bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 20 Prozent des Umsatzes des Sektorenauftraggebers aus. (4) Sektorentätigkeiten im Bereich Verkehrsleistungen sind die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn, automatischen Systemen, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Seilbahn; ein Netz gilt als vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne. (5) Sektorentätigkeiten im Bereich Häfen und Flughäfen sind Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung eines geografisch abgegrenzten Gebiets mit dem Zweck, für Luft-, See- oder Binnenschifffahrtsverkehrsunternehmen Flughäfen, See- oder Binnenhäfen oder andere Terminaleinrichtungen bereitzustellen. (6) Sektorentätigkeiten im Bereich fossiler Brennstoffe sind Tätigkeiten zur Nutzung eines geografisch abgegrenzten Gebiets zum Zweck 1. der Förderung von Öl oder Gas oder 2. der Exploration oder Förderung von Kohle oder anderen festen Brennstoffen. (7) Für die Zwecke der Absätze 1 bis 3 umfasst der Begriff „Einspeisung“ die Erzeugung und Produktion sowie den Groß- und Einzelhandel. Die Erzeugung von Gas fällt unter Absatz 6. I. 1. 2. 3. II. 1.

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Einführung Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . Europarechtlicher Hintergrund Vorgängerregelungen . . . . . . . Wasser (Abs. 1) Bereitstellen oder Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit . . . . . . . . . .

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2. Einspeisung von Trinkwasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tätigkeit im Zusammenhang mit Wasserbau-, Bewässerungsoder Entwässerungsvorhaben bzw. Abwasserbeseitigung oder -behandlung . . . . . . . . . . . . . . 4. Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . .

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Sektorentätigkeiten | § 102 III. Elektrizität (Abs. 2) 1. Bereitstellen, Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . 2. Einspeisen von Elektrizität . . . . IV. Gas und Wärme (Abs. 3) 1. Bereitstellen, Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . .

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2. Einspeisen von Gas und Wärme . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verkehr (Abs. 4) . . . . . . . . . . 1. Verkehrsmittel . . . . . . . . . . . 2. Bereitstellen und Betreiben von Netzen der Allgemeinheit . . . . VI. Häfen und Flughäfen (Abs. 5) VII. Fossile Brennstoffe (Abs. 6) .

. . . . . .

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I. Einführung 1. Allgemeines § 102 GWB enthält abschließende1 Definitionen der Sektorentätigkeiten und 1 ist zusammen mit § 100 wesentlich für den Anwendungsbereich des Sektorenvergaberechts. Sektorentätigkeiten bestehen im Bereich Wasser (Absatz 1), Elektrizität (Absatz 2), Gas und Wärme (Absatz 3), Verkehrsleistungen (Absatz 4), Häfen und Flughäfen (Absatz 5) sowie fossiler Brennstoffe (Absatz 6). Das Vorliegen einer Sektorentätigkeit ist notwendige, nicht jedoch hinreichende Voraussetzung für die Annahme einer Eigenschaft eines Sektorenauftraggebers i.S.d. § 100 GWB. Das GWB geht zwar davon aus, dass Sektorentätigkeiten Gegenstand sowohl 2 von klassischen Aufträgen als auch Konzessionen sein können. Das Sektorenvergaberecht, wie es insbesondere in den §§ 136 ff. GWB und der SektVO niedergelegt ist, gilt jedoch nur im Auftragsbereich, nicht jedoch bei Konzessionen über Sektorentätigkeiten. Hier finden die spezifischen Regelungen über Konzessionen Anwendung. Auf den Begriff der Sektorentätigkeit wird daneben an weiteren Stellen Bezug 3 genommen: § 106 Absatz 2 Nummer 2 (Schwellenwerte), § 112 (Regelungen zur Abgrenzung unterschiedlicher Vergaberechtsregime) und §§ 1, 3 SektVO. 2. Europarechtlicher Hintergrund § 102 Absatz 1 bis 6 dient der Umsetzung der Artikel 8 bis 14 der Richtlinie 4 2014/25/EU sowie des Anhang II der Richtlinie 2014/23/EU2. Die Definitionen wurden vom deutschen Gesetzgeber ohne wesentliche inhaltliche Änderungen 1 EuGH v. 18.11.2004 – Rs. C-126/03, Slg. 2004 I – 11197, Rz. 21 zur alten Sektorenrichtlinie 93/38/EWG; Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz 1 m.w.N. in Fn. 3. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 72.

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§ 102 | Sektorentätigkeiten aus der Richtlinie umgesetzt, zur besseren Übersichtlichkeit jedoch in eine Regelung konzentriert. Die Definitionen in der Richtlinie 2014/25/EU entsprechen zudem inhaltlich denjenigen der Vorgängerrichtlinie 2004/17/EG. 5 Der Bereich der Postdienste (Art. 13 Richtlinie 2014/25/EU) wurde vom deut-

schen Gesetzgeber bewusst nicht umgesetzt, da der Markt der Postdienstleistungen in Deutschland liberalisiert sei und sich in Deutschland keine Auftraggeber fänden, die im Bereich der Postdienste die Voraussetzungen der Definition der verschiedenen Auftraggeber gemäß §§ 98 ff. erfüllen1.

3. Vorgängerregelungen 6 Die Definitionen der Sektorentätigkeiten sind erstmalig in einem eigenen Para-

grafen im GWB enthalten. Trotz ihrer wichtigen Bedeutung waren diese zuvor lediglich in einer Anlage zu § 98 Nummer 4 GWB in der Fassung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 geregelt. Bis zu dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 waren die Definitionen der Sektorentätigkeiten noch in §§ 8, 9 Abs. 1 VgV a.F. enthalten. Der Begriff der Sektorentätigkeit ist ebenfalls neu in das GWB aufgenommen und war bislang lediglich in der SektVO enthalten. Die nun vorliegende klarere Struktur dürfte die Gesetzesanwendung erleichtern.

II. Wasser (Abs. 1) 1. Bereitstellen oder Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit 7 Nach § 102 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 GWB umfasst die Sektorentätigkeit im

Bereich Wasser das Bereitstellen oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Fortleitung und der Abgabe von Trinkwasser.

8 Die Regelung übernimmt damit den Wortlaut der Richtlinie 25/2014/EU und der

Vorgängerrichtlinie 2004/17/EG und weicht leicht von der Vorgängerregelung in der Anlage zu § 98 Nummer 4 GWB ab. Obwohl statt der Begriffe „Transport“ und „Verteilung“ nun die Begriffe der „Fortleitung“ und „Abgabe“ verwendet werden, ergeben sich jedoch inhaltlich keine Änderungen. Die ebenfalls noch in der Vorgängerregelung enthaltene „Versorgung dieser Netze“ wurde nun als „Einspeisung von Trinkwasser“ in einer eigene Nummer 2 aufgenommen2.

9 Zur Definition von Trinkwasser kann auf die Legaldefinition von § 3 Num-

mer 1 lit. a) der TrinkwV 2001 zurückgegriffen werden, d.h. alles Wasser, im ursprünglichen Zustand oder nach Aufbereitung, zum Trinken, zum Kochen, zur

1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 73. 2 S. unten Rz. 14 ff.

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Sektorentätigkeiten | § 102

Zubereitung von Speisen und Getränken sowie anderen häuslichen Zwecken, z.B. Körperpflege und -reinigung sowie Reinigung von Gegenständen, die bestimmungsgemäß mit Lebensmitteln oder nicht nur vorübergehend mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen, bestimmt ist. Unter festen Netzen sind Medien zu verstehen, die mit dem Erdboden fest ver- 10 bunden sind. Hierzu zählen Leitungen unterhalb und oberhalb der Erdoberfläche1. Aufgrund des klaren Wortlautes sind Leitungen, die lediglich vorübergehend für einen bestimmten Zweck errichtet und nach Zweckerfüllung wieder beseitigt werden sollen, nicht „fest“ i.S.d. § 102 Absatz 1 Nummer 1 GWB.2 Die Gegenauffassung, die in diesen Fällen lediglich das Vorliegen der Allgemeinheit ablehnt und damit regelmäßig zu gleichen Ergebnissen kommt und in dem Begriff „fest“ lediglich eine Abgrenzung zu nicht-physischen Netzen treffen möchte,3 überzeugt nicht. Die Netze müssen weiterhin der Versorgung der Allgemeinheit dienen. Be- 11 absichtigt ein Auftraggeber lediglich die Versorgung eines bestimmten Gebäudes oder eines Unternehmens, das der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, greift Absatz 1 nicht ein. Die Begriffe des Bereitstellens oder Betreibens sind weit zu verstehen4. Der ge- 12 genüber der Vorgängerregelung veränderte Wortlaut „oder“ statt „und“ stellt klar, dass die Tätigkeiten alternativ vorliegen können. Bereitstellen meint die Errichtung, die Unterhaltung und die Instandsetzung der Netze. Die bloße Innehabung des Eigentums an einem Netz, etwa als Leasinggeber, stellt kein Bereitstellen dar5. Unter den Begriff des Betreibens fällt die eigentliche Versorgungsleistung6. Die Netze müssen schließlich im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Fort- 13 leitung oder der Abgabe des Trinkwassers genutzt werden. Die Begriffe sind weit zu verstehen. 2. Einspeisung von Trinkwasser Gemäß § 102 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 ist weitere Sektorentätigkeit im Bereich 14 Wasser die Einspeisung von Trinkwasser in diese Netze. Die Regelung nimmt auf die Nummer. 1 Bezug und ergänzt die Sektorentätigkeit um den Begriff der 1 Wiedekind in Willenbruch/Wiedekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl., § 98 Rz. 74. 2 So auch Wiedekind in Willenbruch/Wiedekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl., § 98 Rz. 79. 3 Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 14. 4 EuGH v. 16.6.2005 – verb. Rs. C-462 u. 463/03 (Strabag und Kostmann), Slg. 2005, I5397, Rz. 34 ff.; Weiß/Sudbrock in Eschenbruch/Optiz, SektVO, § 1 Rz. 70. 5 Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 100 Rz. 32. 6 Vgl. auch die Ausführungen zum Begriff der Ausübung bei § 100 und die dortige Kommentierung bei Rz. 33 f.

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§ 102 | Sektorentätigkeiten Einspeisung. Die Beschaffung von Wasser selbst im Rahmen der Trinkwasserversorgung unterfällt gemäß § 137 Nummer 7 GWB nicht dem Vergaberecht. 15 Der Begriff der Einspeisung ersetzt den Begriff der „Versorgung“ aus der Vor-

gängerregelung und regelt diesen als eigene Nummer. Eine inhaltliche Veränderung ist damit nicht verbunden, weil der Begriff der „Versorgung“ bereits in Richtlinien 2004/17/EG und 2014/25/EU verwendet wird. Eine nähere Definition der Einspeisung ist geregelt in § 102 Absatz 7. Dieser Absatz dient der Umsetzung des Artikels 7 der Richtlinie 2014/25/EU. Wie sich aus Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 2014/25/EU ergibt, hat dieser lediglich klarstellenden Charakter. Danach umfasst der Begriff „Einspeisung“ die Erzeugung bzw. Produktion von Wasser sowie den Groß- und Einzelhandel. Derzeit besteht in Deutschland vor allen Dingen wegen des Anschluss- und Benutzungszwangs der Kommunen allerdings kein Markt für den Groß- und Einzelhandel von Trinkwasser.

16 Der Begriff der Erzeugung ist so zu verstehen, dass er auch die „Entwicklung“

umfasst, d.h. die Errichtung einer angemessenen Infrastruktur für die künftige Erzeugung1.

17 § 102 Absatz 1 Satz 3 GWB enthält für den Eigenverbrauch eine Ausnahmerege-

lung. Danach gilt die Einspeisung von Trinkwasser in feste Netze zur Versorgung der Allgemeinheit durch einen Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 nicht als Sektorentätigkeit, sofern die Erzeugung von Trinkwasser durch den betreffenden Auftraggeber erfolgt, weil dessen Verbrauch für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlich ist, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, und die Einspeisung in das öffentliche Netz nur von dem Eigenverbrauch des betreffenden Auftraggebers abhängt und bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 30 Prozent der gesamten Trinkwassererzeugung des betreffenden Auftraggebers ausmacht. Die Ausnahmevorschrift erfasst damit die Fälle, in denen die Trinkwassergewinnung anderen Zwecken als einer Sektorentätigkeit dient und lediglich die für diese anderen Zwecke nicht erforderliche Wassermenge gewissermaßen als Nebenprodukt in das öffentliche Netz eingespeist wird2. 3. Tätigkeit im Zusammenhang mit Wasserbau-, Bewässerungs- oder Entwässerungsvorhaben bzw. Abwasserbeseitigung oder -behandlung

18 § 102 Abs. 1 Satz 2 GWB erweitert die Sektorentätigkeit im Bereich Wasser um

zwei weiteren Alternativen. Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 gelten auch Tätigkeiten nach Satz 1 als Sektorentätigkeiten im Bereich Wasser, die im Zusammenhang mit Wasserbau-, Bewässerungs- oder Entwässerungsvorhaben ste-

1 Erwägungsgrund 25, Richtlinie 25/2014/EU. 2 Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, § 98 GWB Rz. 18; Kühnen in Kapellmann/ Messerschmidt, VOB, § 7 VgV Rz. 25.

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Sektorentätigkeiten | § 102

hen, sofern die zur Trinkwasserversorgung bestimmte Wassermenge mehr als 20 Prozent der Gesamtwassermenge ausmacht, die mit den entsprechenden Vorhaben oder Bewässerungs- oder Entwässerungsanlagen zur Verfügung gestellt wird. Gemäß § 102 Absatz 1 Satz 2 Alt. 2 gelten auch Tätigkeiten nach Satz 1 als Sekto- 19 rentätigkeiten im Bereich Wasser, die im Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung oder -behandlung steht. Abweichend von der Vorgängerregelung in der Anlage zu § 98 Nummer. 4 GWB a.F. ist nicht zusätzliche Voraussetzung, dass die die zur Trinkwasserversorgung bestimmte Wassermenge mehr als 20 Prozent der Gesamtwassermenge ausmacht. Durch diese Präzisierung wird im Vergleich zur Vorgängerregelung erstmalig eine richtlinienkonforme Umsetzung erreicht. 4. Beispielsfälle Die Sektorenrichtlinie 2014/25/EU verfügt über keine Anlage mehr, in der der 20 verschiedenen Sektoren für die einzelnen Mitgliedsstaaten aufgezählt waren. Die in der Vorgängerrichtlinie 2004/17EG enthaltenen Listen können jedoch weiter verwendet werden, weil mit der neuen Sektorenrichtlinie grds. keine Einschränkung erfolgen sollte. Art. 8 i.V.m. Anhang III nennt für Deutschland folgende Sektorenauftraggeber im Bereich Wasser: – Stellen, die gemäß den Eigenbetriebsverordnungen oder -gesetzen der Länder Wasser gewinnen oder verteilen (Kommunale Eigenbetriebe) – Stellen, die gemäß den Gesetzen über die Kommunale Gemeinschaftsarbeit oder Zusammenarbeit der Länder Wasser gewinnen oder verteilen – Stellen, die gemäß dem Gesetz über Wasser- und Bodenverbände vom 12.2. 1991, zuletzt geändert am 15.5.2002, Wasser gewinnen – Regiebetriebe, die aufgrund der Kommunalgesetze, insbesondere der Gemeindeverordnungen der Länder Wasser gewinnen oder verteilen – Unternehmen nach dem Aktiengesetz vom 6.9.1965, zuletzt geändert am 19.7.2002, oder dem GmbH-Gesetz vom 20.4.1892, zuletzt geändert am 19.7. 2002, oder mit der Rechtsstellung einer Kommanditgesellschaft, die aufgrund eines besonderen Vertrages mit regionalen oder lokalen Behörden Wasser gewinnen oder verteilen.

III. Elektrizität (Abs. 2) 1. Bereitstellen, Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit Nach § 102 Absatz 2 Nummer 1 ist Sektorentätigkeit im Bereich Elektrizität die 21 Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Bosselmann

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§ 102 | Sektorentätigkeiten Elektrizität. Durch die Regelung wird Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 25/2014/ EU umgesetzt. Wie die Richtlinie, verwendet der deutsche Gesetzgeber nun erstmalig auch den Begriff der „Elektrizität“ anstelle von „Strom“. Eine inhaltliche Änderung ergibt sich dadurch nicht. Die Sektorentätigkeit im Bereich Gas, in der Vorgängerregelung noch zusammen mit dem Strom geregelt, wurde in einen eigenen Absatz aufgenommen. 22 Hinsichtlich der Begriffe „Bereitstellen“, „Betreiben“ und „feste Netze“ ent-

spricht die Regelung derjenigen des Absatz 1. Zur Definition des Begriffs der Elektrizität kann auf das Begriffsverständnis des Energiewirtschaftsrechts zurückgegriffen werden1. Danach ist unter „Elektrizität“ durch Umwandlung anderer Energieträger entstehende veredelte Sekundärenergie zu verstehen2. Eine Zulassung als Energieversorgungsunternehmen nach EnWG ist nicht erforderlich für die Einstufung als Sektorenauftraggeber im Bereich Elektrizität3. An dem erforderlichen Merkmal der Allgemeinheit fehlt es im Falle von geschlossenen Verteilernetzen oder von Contracting4. 2. Einspeisen von Elektrizität

23 Nach § 102 Absatz 2 Nummer 2 ist Sektorentätigkeit im Bereich Elektrizität wei-

ter die Einspeisung von Elektrizität in diese Netze. Abweichend von der Vorgängerregelung ersetzt der präzisiere Begriff der „Einspeisung“ den Begriff der „Versorgung“ und regelt diese Tätigkeit in einer eigenen Nummer. Durch die Regelung wird Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie 2014/25/EU umgesetzt.

24 Eine nähere Definition der Einspeisung ist geregelt in § 102 Absatz 7. Danach

umfasst der Begriff „Einspeisung“ die Erzeugungund Produktion von Wasser sowie den Groß- und Einzelhandel. Indes ist die praktische Bedeutung des Groß- und Einzelhandels begrenzt. Mit Beschluss vom 15.9.2016 hat die Europäische Kommission gestützt auf das Verfahren gemäß Art. 35 Richtlinie 2014/ 25/EU, beschlossen, dass Stromeinzelhandel mit Kunden, deren Verbrauch durch Leistungsmessung erfasst wird (registrierende Leistungsmessung – RLM), sowie mit Kunden, deren Verbrauch auf der Grundlage eines Standardlastprofils (SLP) abgerechnet wird, mit Ausnahme von SLP-Kunden, die gemäß gesetzlichen Standardlieferbedingungen beliefert werden, und dem Heizstrommarkt, im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht dem Vergaberecht unterliegen. Die Beschaffung von Energie oder von Brennstoffen zur Energieerzeugung im Rahmen der Energieversorgung fällt gemäß § 137 Absatz. 1 Nr. 8 GWB ohnehin nicht dem Vergaberecht.

1 Kühnen in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, § 7 VgV Rz. 19. 2 Theobald in Danner/Theobald, Energierecht, § 3 EnWG Rz. 99. 3 Vgl. etwa Willenbruch in Willenbruch/Widdekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 1 SektVO Rz. 6. 4 Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 24.

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Wie beim Wasser sieht das Gesetz Ausnahmen für den Selbstversorger vor. 25 Gemäß § 102 Absatz 2 Nummer 2, 2. HS liegt keine Sektorentätigkeit vor, wenn die Elektrizität durch den Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 erzeugt wird, weil ihr Verbrauch für die Ausübung einer Tätigkeit, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, erforderlich ist und die Einspeisung nur von dem Eigenverbrauch des Sektorenauftraggebers abhängt und bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 30 Prozent der gesamten Energieerzeugung des Sektorenauftraggebers ausmacht.

IV. Gas und Wärme (Abs. 3) 1. Bereitstellen, Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit Gemäß § 102 Absatz 3 Nummer 1 stellt die Bereitstellung oder das Betreiben 26 fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Gas und Wärme eine Sektorentätigkeit dar. Die Zusammenfassung der Energieträger Gas und Wärme und der Wortlaut aus Artikel 8 Richtlinie 2014/25/EG wurde übernommen. Wegen der Definitionen wird auf die Ausführungen zum Bereich Wasser verwiesen1. An der Eigenschaft der Allgemeinheit fehlt es im Falle des Wärme-Contracting. 2. Einspeisen von Gas und Wärme Gemäß § 102 Absatz 3 Nummer 2 stellt auch die Einspeisung von Gas und 27 Wärme in diese Netze eine Sektorentätigkeit dar. Für die Definition der Einspeisung ist auch hier § 102 Absatz 7 Satz 1 maßgeblich. Danach umfasst Begriff „Einspeisung“ die Erzeugung und Produktion sowie den Groß- und Einzelhandel. § 102 Absatz 7 Satz 2 stellt jedoch klar, dass die Erzeugung von Gas ausschließlich durch § 107 Absatz 6 geregelt wird. Die Beschaffung von Energie oder von Brennstoffen zur Energieerzeugung im Rahmen der Energieversorgung fällt gemäß § 137 Absatz1 1 Nummer 8 nicht dem Vergaberecht. Auch im Bereich von Gas und Wärme sieht das Gesetz Ausnahmen im Falle 28 der Nebenproduktion vor. Gemäß § 102 Absatz 3 Satz 2 GWB ist dafür erforderlich, dass die Erzeugung von Gas oder Wärme durch den Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 sich zwangsläufig aus der Ausübung einer Tätigkeit ergibt, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, und die Einspeisung nur darauf abzielt, diese Erzeugung wirtschaftlich zu nutzen und bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 20 Prozent des Umsatzes des Sektorenauftraggebers ausmacht. 1 Vgl. Rz. 7 ff.

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§ 102 | Sektorentätigkeiten V. Verkehr (Abs. 4) 29 Sektorentätigkeiten im Bereich Verkehrs sind gemäß § 102 Abs. 4, Halbs. 1 die

Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn, automatischen Systemen, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Seilbahn. Die Regelung dient der Umsetzung von Art. 11 Richtlinie 2014/25/EU. 1. Verkehrsmittel

30 Für die Definition der Eisenbahn kann auf § 2 Absatz 1 AEG Bezug genommen

werden. Danach sind Eisenbahnen öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsdienste erbringen (Eisenbahnverkehrsunternehmen) oder eine Eisenbahninfrastruktur betreiben (Eisenbahninfrastrukturunternehmen). Wegen dem Begriff der Straßenbahn kann auf die Definition in § 4 Absatz 1, 2 PBefG zurückgegriffen werden. Danach sind Straßenbahnen sind Schienenbahnen, die den Verkehrsraum öffentlicher Straßen benutzen und sich mit ihren baulichen und betrieblichen Einrichtungen sowie in ihrer Betriebsweise der Eigenart des Straßenverkehrs anpassen; als Straßenbahnen gelten auch Bahnen, die als Hoch- und Untergrundbahnen, Schwebebahnen oder ähnliche Bahnen besonderer Bauart angelegt sind oder angelegt werden, ausschließlich oder überwiegend der Beförderung von Personen im Orts- oder Nachbarschaftsbereich dienen und nicht Bergbahnen oder Seilbahnen sind. Seilbahnen sind entsprechend Artikel 1 der Richtlinie 2000/9/EG Anlagen aus mehreren Bauteilen, die geplant, gebaut, montiert und in Betrieb genommen werden, um Personen zu befördern. Auch wenn bei dem Bus gegenüber der Vorgängerregelung die Bezugnahme zum Personenbeförderungsgesetz entfallen ist, dürften die dort genannten Definitionen und der Einschluss von Oberleitungsbussen weiterhin gelten. 2. Bereitstellen und Betreiben von Netzen der Allgemeinheit

31 Wegen den Begriffen der Bereitstellung, des Betreibens und der Allgemeinheit

kann zunächst auf die Ausführungen zum Bereich Wasser verwiesen werden.1 Neben dem Betrieb einer physischen Infrastruktur (Schienennetz) kann auch das Erbringen der Verkehrsleistung selbst eine Sektorentätigkeit darstellen. Dies gilt jedoch gemäß § 102 Absatz 4, 2. HS nur, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Nach Auffassung des

1 S. Rz. 8 f.

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Sektorentätigkeiten | § 102

OLG Düsseldorf soll zudem bereits die Festlegung der Strecken, der Transportkapazitäten und der Fahrpläne durch den hoheitlichen Aufgabenträger ein Ausüben einer Sektorentätigkeit darstellen1. Ausgehend von diesen Voraussetzungen ist im Bereich der Eisenbahnen die bloße Innehabung der Genehmigung als Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht ausreichend. Hinzukommen muss vielmehr eine Festlegung der Betriebsbedingungen durch die Behörde. Dies ist regelmäßig bei Schienenpersonennahverkehr auf Grundlage von Verkehrsverträgen der Fall, nicht jedoch beim Schienenpersonenfern- oder Güterverkehr. Der Betrieb von Bussen im Nahverkehr ist aufgrund der Vorgaben zu Tarifen, Fahrplänen sowie Beförderungs- und Betriebspflichten ebenfalls eine Sektorentätigkeit; dies gilt nicht im zwischenzeitlichen liberalisierten Bereich des Fernbusverkehrs.

VI. Häfen und Flughäfen (Abs. 5) Gemäß § 102 Absatz 5 GWB sind Sektorentätigkeiten im Bereich Häfen und 32 Flughäfen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung eines geografisch abgegrenzten Gebiets mit dem Zweck, für Luft-, See- oder Binnenschifffahrtsverkehrsunternehmen Flughäfen, See- oder Binnenhäfen oder andere Terminaleinrichtungen bereitzustellen. Im Vergleich zur Vorgängerregelung kommt es nicht mehr darauf an, ob Flughäfen über eine Genehmigung nach § 38 Absatz 2 Nummer 1 LuftVZO verfügen oder eine solche benötigen. Maßgeblich ist allein, ob der Flughafen dazu dient, Luftverkehrsunternehmen zu bedienen. Bloße Sportflugplätze fallen nicht darunter. Für die Vergabe von Konzessionen über Bodenabfertigungsdienste an private Betreiber hat die Verordnung über Bodenabfertigungsdienste (BADV)2 Vorrang. Dienstleistungen an Flughäfen, die zum reibungslosen Funktionieren des Flughafenbetriebs beitragen, stellen ebenfalls eine Sektorentätigkeit dar. Dazu zählen regelmäßig Einzelhandel sowie der Gaststätten- und Parkplatzbetrieb3. Unter Hafen ist eine Infrastruktur zur Ein- und Ausschiffung von Personen und 33 zum Be- und Entladen auf dem Seeweg beförderter Güter zu verstehen4. Binnenwasserstraßen, Schleusen und Schiffshebewerke stellen keinen Hafen in diesem Sinne dar5.

1 OLG Düsseldorf v. 23.12.2015 – VII-Verg 34/15, KommJur 2016, 144. 2 Bodenabfertigungsdienst-Verordnung vom 10.12.1997 (BGBl. I, 2885), zuletzt geändert durch Verordnung vom 31.8.2015 (BGBl. I, 1474). 3 Vgl. Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 49. 4 Vgl. EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-323/03, NZBau 2006, 386. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.4.2010 – VII Verg 55/09, VergabeR 2011, 122 unter Bezugnahme auf Anhang IX zur Richtlinie 2004/17/EG.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe VII. Fossile Brennstoffe (Abs. 6) 34 Gemäß § 102 Absatz 6 sind Sektorentätigkeiten im Bereich fossiler Brennstoffe

Tätigkeiten zur Nutzung eines geografisch abgegrenzten Gebiets zum Zweck der Förderung von Öl oder Gas (Nummer 1) oder der Exploration oder Förderung von Kohle oder anderen festen Brennstoffen (Nummer 2). Die Regelung dient der Umsetzung von Artikel 14 der Richtlinie 2014/25/EU.

35 Exploration umfasst die Tätigkeiten, die durchgeführt werden, um festzustellen,

ob Erdöl und Erdgas in einem bestimmten Gebiet vorhanden ist, und wenn dies der Fall ist, ob es gewerblich nutzbar ist1. Lediglich die Exploration von Kohle und anderen festen Brennstoffen ist Sektorentätigkeit, nicht jedoch die Exploration von Öl und Gas.

36 Demgegenüber bedeutet der Begriff der Förderung die Erzeugung, einschließ-

lich der Entwicklung, d.h. die Errichtung einer angemessenen Infrastruktur für die künftige Erzeugung (Ölplattformen, Rohrleitungen, Terminalanlagen usw.)2.

37 Zu beachten ist jedoch, dass gemäß Art. 33 Richtlinie 2014/25/EU i.V.m. Ent-

scheidung der Europäischen Kommission vom 15.1.2004 für Deutsche und Österreichische Auftraggeber das Vergaberecht lediglich eingeschränkt zur Anwendung kommt. Danach sind die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der wettbewerblichen Beschaffung hinsichtlich der Vergabe von Liefer-, Bauund Dienstleistungsaufträgen zu beachten, insbesondere hinsichtlich der Informationen, die die Stellen den Wirtschaftsteilnehmern bezüglich ihrer Beschaffungsabsichten zur Verfügung stellen. Zudem ist der Europäischen Kommission unter den in der Entscheidung 93/327/EWG der Kommission festgelegten Bedingungen Auskunft über die von ihnen vergebenen Aufträge erteilen.

§ 103 Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe (1) Öffentliche Aufträge sind entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. (2) Lieferaufträge sind Verträge zur Beschaffung von Waren, die insbesondere Kauf oder Ratenkauf oder Leasing, Mietverhältnisse oder Pachtverhältnisse mit oder ohne Kaufoption betreffen. Die Verträge können auch Nebenleistungen umfassen. 1 Erwägungsgrund 25 Richtlinie 2014/25/EU. 2 Erwägungsgrund 25 Richtlinie 2014/25/EU.

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

(3) Bauaufträge sind Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung 1. von Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten, die in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65) und Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 243) genannt sind, oder 2. eines Bauwerkes für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Ein Bauauftrag liegt auch vor, wenn ein Dritter eine Bauleistung gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber genannten Erfordernissen erbringt, die Bauleistung dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt und dieser einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung hat. (4) Als Dienstleistungsaufträge gelten die Verträge über die Erbringung von Leistungen, die nicht unter die Absatz 2 und 3 fallen. (5) Rahmenvereinbarungen sind Vereinbarungen zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und einem oder mehreren Unternehmen, die dazu dienen, die Bedingungen für die öffentlichen Aufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis. Für die Vergabe von Rahmenvereinbarungen gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, dieselben Vorschriften wie für die Vergabe entsprechender öffentlicher Aufträge. (6) Wettbewerbe sind Auslobungsverfahren, die dem Auftraggeber aufgrund vergleichender Beurteilung durch ein Preisgericht mit oder ohne Verteilung von Preisen zu einem Plan oder einer Planung verhelfen sollen. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . Öffentlicher Auftrag (§ 103 Abs. 1) . . . . . . . . . . 1. Verträge a) Vertragscharakter . . . . . b) Rechtsnatur des Vertrages c) Gegenseitige vertragliche Bindung . . . . . . . . . . . .

... ... ... ... ... ...

__ _ __ _ 1 2 8

9 14 15

d) Beschaffungscharakter . . . . . e) Eigener Beschaffungsbedarf . f) Interimsbeauftragungen . . . . g) Vertragsänderungen . . . . . . . 2. Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragspartner (öffentliche Auftraggeber/Sektorenauftraggeber/ Unternehmen) . . . . . . . . . . . . . a) Funktionaler Unternehmensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . .

__ __ _ _ _

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Ganske

18 25 27 31 33 45 46

§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe

4.

5. 6. III. IV. 1. 2.

3.

4.

5.

144

b) Organisationseinheiten der öffentlichen Hand auf Auftragnehmerseite . . . . . . . . . In-house-Geschäfte/sonstige Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern (interkommunale Kooperation)/Rekommunalisierung a) In-house-Geschäft . . . . . . . . b) Sonstige Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern (interkommunale Kooperation) . . c) Reverstaatlichung/Rekommunalisierung/Rückverlagerung von öffentlichen Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriftform . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl unter Bietern . . . . . . . Lieferaufträge (§ 103 Abs. 2) . . Bauaufträge (§ 103 Abs. 3) Die drei Varianten des § 103 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinsame Voraussetzungen der drei Varianten des § 103 Abs. 3 a) Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung . . . b) Einklagbare Bau- oder Realisierungsverpflichtung . . Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten gemäß Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) . . . . . . . . . Bauwerk, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauleistungen durch Dritte (§ 103 Abs. 3 Satz 2) . . . . . . . . a) Erbringung einer Bauleistung durch Dritte . . . . . . . . . . . .

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Ganske

_ 48

_ _ __ __ _ 53

55

56 61 63 64

70

_ _ 76 81

_

V. VI. 1. 2.

3. VII. VIII. 1. 2. IX. 1. 2. 3.

85

4.

_ _ _ 88

100 104

5. X. 1.

b) Vom Auftraggeber genannte Erfordernisse . . . . . . . . . . . c) Bauleistung, die dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einflussnahme des öffentlichen Auftraggebers auf Art und Planung der Bauleistung e) Einklagbare Bauverpflichtung Dienstleistungsaufträge (§ 103 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . Rahmenvereinbarungen (§ 103 Abs. 5) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . Definition und Grundlagen der Rahmenvereinbarung a) Definition (§ 103 Abs. 5 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . c) Festzulegende Vertragsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren für die Vergabe von Rahmenvereinbarungen (§ 103 Abs. 5 Satz 2) . . . . . . . . Wettbewerbe (§ 103 Abs. 6) . . Bau- und Dienstleistungskonzessionen Baukonzessionen . . . . . . . . . . . Dienstleistungskonzession . . . . Abgrenzungsfragen Abgrenzung zwischen den Auftragsarten . . . . . . . . . . . . . Typengemischte Aufträge . . . . . Öffentliche Aufträge, deren Teile unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen . . . . . . Öffentliche Aufträge, die verschiedene Tätigkeiten umfassen Kombination von ausschreibungspflichtigen und nicht vergaberechtsrelevanten Aufträgen Einzelprobleme Privatisierung a) (Grund-)Formen der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . .

_ _ __ _ _ __ _ __ __ __ _ _ _ _

109

120 126 128 129 134

136 139 144 149 150 159 160 162 163 166 167 168

169

Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103 b) Vergaberechtliche Einordnung einzelner Formen der Privatisierung . . . . . . . . . . . c) Reverstaatlichung/Rekommunalisierung . . . . . . . . . . . d) Beihilferechtliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundstücksgeschäfte/städtebauliche Verträge . . . . . . . . . . a) Reine Grundstücksverträge . b) Grundstücksbezogene Verträge unter Begründung städtebaulicher Pflichten . . . aa) Historische Entwicklung der nationalen Rechtsprechung . . . . . . . . . . bb) EuGH-Urteil vom 25.3. 2010 in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ c) Erschließungsverträge . . . . . d) Verträge im Zusammenhang mit Business Improvement Districts (BIDs) . . . . . . . . . . e) Ausschließlichkeitsrechte . . .

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174 183 184 190 191 192 193 197 204 209 213

3. Sozialrechtliche Verträge . . . . . a) Leistungsvereinbarungen gemäß §§ 75 ff. SGB XII . . . . b) Verträge im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gemäß §§ 78a ff. SGB VIII . . c) Verträge gemäß SGB II und SGB III . . . . . . . . . . . . . . . d) Verträge gemäß SGB V . . . . aa) Arzneimittelrabattverträge . . . . . . . . . . . . bb) Hilfsmittelversorgungsverträge . . . . . . . . . . . . cc) Verträge zur integrierten Versorgung . . . . . . . . . dd) Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung . . . . . . . . . . . . . . ee) Verträge mit Vereinbarungsanspruch geeigneter Leistungserbringer . . e) Verfahrensregeln für die Vergabe von sozialen Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . .

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214 215 220 223 225 226 235 238 240 243 248

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 103 definiert die Begriffe „öffentliche Aufträge“, „Rahmenvereinbarungen“ 1 und „Wettbewerbe“ und damit – neben § 104 (Verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge) und § 105 (Konzessionen) – einen wesentlichen Teil des sachlichen Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB. Die Vorschrift enthält insbesondere eine Übersicht der einzelnen Arten von öffentlichen Aufträgen, namentlich Lieferaufträge, Bauaufträge und Dienstleistungsaufträge. Der Auftragsbegriff ist dabei autonom nach dem Zweck des europäischen Vergaberechts, potentiellen Bietern den Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu garantieren, die für sie von Interesse sind, auszulegen und daher funktional zu verstehen1. Die in § 103 Abs. 2–4 enthaltene Aufgliederung des in § 103 Abs. 1 niedergelegten Oberbegriffs „öffentlicher Auftrag“ hat, insbesondere im Hinblick auf die Differenzierung zwischen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen einerseits sowie Bauaufträgen andererseits, zum einen erhebliche praktische Bedeutung, weil 1 EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 (188) – Rz. 40 – Stadt Roanne; OLG Karlsruhe v. 12.11.2008 – 15 Verg 4/08, VergabeR 2009, 200 (202).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe infolge dieser Differenzierung nach Maßgabe der Vergabeverordnung eine Zuordnung zu unterschiedlichen Verfahrensordnungen (VgV bzw. VOB/A 2. Abschnitt) erfolgt. Zum anderen ist diese Unterscheidung und Abgrenzung der einzelnen öffentlichen Auftragsarten auch mit Blick auf die erheblich voneinander abweichenden Schwellenwerte sowie bestehende Ausnahmevorschriften von Bedeutung. 2. Entstehungsgeschichte 2 § 103 geht zurück auf den bisherigen § 99 GWB a.F., welcher seinerseits seinen

Ursprung in der Neuregelung des deutschen Vergaberechts durch das Vergaberechtsänderungsgesetz vom 26.8.19981 hatte. Bis dahin gab es – abgesehen vom europäischen Gemeinschaftsrecht – keine gesetzliche Definition des Begriffs des öffentlichen Auftrags. Die seinerzeit in § 99 Abs. 2–5 GWB a.F. getroffene thematische Unterteilung sowie die verwendeten Begriffsbestimmungen entsprachen weitgehend und zum großen Teil sogar wörtlich den Vorgaben der seinerzeitigen EU-Vergaberichtlinien2. Durch das sog. ÖPP-Beschleunigungsgesetz vom 1.9.20053 wurde § 99 GWB a.F. – zwecks Umsetzung der Bestimmung von Art. 1 Abs. 2 lit. d) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG – um einen 6. Absatz ergänzt. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20094 wurden der Gesetzestext in § 99 Abs. 1, 3 und 4 GWB a.F. neu gefasst und durch zusätzliche Abs. 6 und 8 ergänzt; der schon bestehende § 99 Abs. 6 GWB a.F. wurde dadurch zu § 99 Abs. 7 GWB a.F. Dabei wurden in § 99 Abs. 1 und 4 GWB a.F. die Definitionen des öffentlichen Auftrags bzw. Dienstleistungsauftrags hinsichtlich des Beschaffungsmerkmals konzentriert. § 99 Abs. 3 GWB a.F. wurde – aufgrund des in Anbetracht der sog. „Ahlhorn“-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf5 gefassten gesetzgeberischen Willens, die kommunalen, auf eine städtebauliche Entwicklung abzielenden Grundstücksgeschäfte weitgehend vom Vergaberecht auszunehmen – dahingehend ergänzt, dass es sich bei den ersten beiden Alternativen des öffentlichen Bauauftrags um Bauleistungen „für den öffentlichen Auftraggeber“ handeln,

1 BGBl. I 1998, 2512 ff. 2 Vgl. BT-Drucks. 13/9340, 15 und BR-Drucks. 646/97, S. 24; Art. 1 lit. a) Richtlinie 92/50/ EWG, Richtlinie 93/39/EWG und Richtlinie 93/37/EWG sowie Art. 1 Nr. 4 Richtlinie 93/ 38/EWG, nunmehr aufgegangen in Art. 1 Abs. 2 und 3 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG und Art. 1 Abs. 2 und 3 der (neuen) Sektorenrichtlinie 2004/17/EG. 3 Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften vom 1.9.2005, BGBl. I 2005, 2676 ff. 4 BGBl. I 2009, 790 ff. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2008 – VII-Verg 23/08, NZBau 2008, 461 ff.; sowie im Weiteren auch OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – VII-Verg 27/08, VergabeR 2008, 661 ff.; OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 ff.

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und die Bauleistung des Dritten in der dritten Alternative dem Auftraggeber „unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen“ musste1. In der seinerzeit umstrittenen Frage nach der Gemeinschaftsrechtskonformität dieser Einschränkung wurde der deutsche Gesetzgeber durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.2010 bestätigt2. Des Weiteren wurde durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20093 in § 99 Abs. 6 GWB a.F. erstmals – klarstellend – auch die Baukonzession als dem Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB unterfallende Vertragsart genannt4. Schließlich wurde in Form von § 99 Abs. 8 GWB a.F. die Vorschrift des Art. 9 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG umgesetzt, die dazu dienen sollte, bei Aufträgen, die die Durchführung mehrerer Tätigkeiten zum Inhalt haben, eine Abgrenzung hinsichtlich der anzuwendenden Vergabebestimmungen vorzunehmen5. Sowohl die Entwürfe zur nicht in Kraft gesetzten GWB-Vergaberechtsnovelle (2005) als auch die ersten Entwürfe des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (2009) enthielten darüber hinaus noch Vorschläge zur Konkretisierung der In-house-Rechtsprechung in § 99 GWB a.F. Die Vorschriften sind seinerzeit jedoch nicht Gesetz geworden6. Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20167 wird die Vor- 3 gängerbestimmung des § 99 GWB a.F. in weiten Teilen übernommen, erfährt aber auch erhebliche Modifizierungen. § 103 Abs. 1 definiert den Begriff des öffentlichen Auftrags und entspricht insofern inhaltlich weitgehend dem bisherigen § 99 Abs. 1 GWB a.F. Die Gesetzesbegründung8 führt diesbezüglich aus: „Kern der Definition des öffentlichen Auftrags ist, dass es sich um die Beschaffung von Leistungen durch öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber handeln 1 Vgl. hierzu insb. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 16/10117, S. 14, wo es heißt: „Die Ergänzung sagt, dass die Bauleistung dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen muss. Denn ein Bauauftrag setzt einen eigenen Beschaffungsbedarf des Auftraggebers voraus, wobei allein die Verwirklichung einer von dem Planungsträger angestrebten städtebaulichen Entwicklung nicht als einzukaufende Leistung ausreicht.“ 2 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 45–58 – Helmut Müller GmbH. 3 BGBl. I 2009, 790 ff. 4 In der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 16/10117, 17, heißt es dazu: „Die Definition des öffentlichen Auftrags […] wird um die Baukonzession ergänzt, denn auch Baukonzessionen sind öffentliche Aufträge. Damit wird zugleich klar, dass Dienstleistungskonzessionen – wie auch in den EG-Richtlinien 2004/17EG und 2004/ 18/EG nicht vom Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB erfasst sind.“ 5 Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 15. 6 Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte anlässlich der Vergaberechtsnovelle 2009 auch die Darstellung bei Prieß/Hölzl, NZBau 2009, 159 ff. 7 BGBl. I 2016, 203 ff. 8 BT-Drucks. 18/6281, S. 73.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe muss. Der Unionsgesetzgeber hat in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU darauf hingewiesen, dass die zunehmende Vielfalt öffentlicher Tätigkeiten es erforderlich mache, den Begriff der Auftragsvergabe selbst klarer zu definieren. Diese Präzisierung als solche sollte jedoch den Anwendungsbereich der neuen EU-Vergaberichtlinie im Verhältnis zu dem der Richtlinie 2004/18/EG nicht erweitern. Nicht alle Formen öffentlicher Ausgaben sollten abgedeckt werden, sondern nur diejenigen, die für den Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen im Wege eines öffentlichen Auftrags getätigt werden. Fälle, in denen alle Wirtschaftsteilnehmer, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe – ohne Selektivität – berechtigt sind, sollten nicht als Auftragsvergabe verstanden werden, sondern als einfache Zulassungssysteme (z.B. Zulassungen für Arzneimittel oder ärztliche Dienstleistungen). Daraus lässt sich schließen, dass die Zulassung von Dienstleistungserbringern im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis nicht der Richtlinie 2014/24/EU unterfällt. Gleiches gilt für die Zulassung von Pflegeeinrichtungen sowie die Feststellung der fachlichen Eignung im Rahmen der Zulassung besonderer Dienste oder besonderer Einrichtungen. Weiterhin hat der Unionsgesetzgeber in Erwägungsgrund 6 hervorgehoben, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, die Erbringung von sozialen oder anderen Dienstleistungen entweder als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder als nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder als eine Mischung davon zu organisieren. Der Unionsgesetzgeber stellt in diesem Zusammenhang klar, dass nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU fallen.“ Da das aktuelle Vergaberecht zwischen öffentlichen Auftraggebern i.S.v. § 99, Sektorenauftraggebern i.S.v. § 100 und Konzessionsgebern i.S.v. § 101 unterscheidet, wurde die bisherige Definition des öffentlichen Auftragsbegriffs zudem entsprechend angepasst. Öffentliche Aufträge sind demgemäß Verträge sowohl von öffentlichen Auftraggebern gem. § 99 als auch von Sektorenauftraggebern gem. § 100. § 103 Abs. 1 verweist hingegen nicht auf § 101, da Auftraggeber gem. § 101 keine öffentlichen Aufträge i.S.d. § 103 Abs. 1, sondern Konzessionen i.S.d. § 105 vergeben. Im Unterschied zur bisherigen Definition fallen Baukonzessionen künftig nicht mehr unter den Begriff des öffentlichen Auftrags. Vielmehr wird künftig zwischen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und der Vergabe von Konzessionen unterschieden. Konzessionen, einschließlich der Baukonzessionen, werden nunmehr abschließend in § 105 definiert. Im Gegensatz zur Formulierung des bisherigen § 99 Abs. 1 GWB unterfallen zudem auch Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen, nicht mehr dem öffentlichen Auftragsbegriff. Damit wird im Einklang mit den Vergaberichtlinien klargestellt, dass es sich bei „Wettbewerben“, die im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) Auslobungsverfahren darstellen, um eigene Verfahren handelt, welche dazu dienen, dem öffentlichen Auftraggeber einen Plan oder eine Planung zu verschaffen (vgl. Art. 2 Abs. 1 148

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

Nr. 21 der Richtlinie 2014/24/EU). Solche Wettbewerbe sind nunmehr in § 103 Abs. 6 definiert1. § 103 Abs. 2 definiert den Begriff des Lieferauftrags und entspricht dem bisheri- 4 gen § 99 Abs. 2 GWB; § 103 Abs. 4, der den Begriff des Dienstleistungsauftrags definiert, dem bisherigen § 99 Abs. 4 GWB2. § 103 Abs. 3 definiert den Begriff des Bauauftrags und passt den bisherigen § 99 5 Abs. 3 GWB an den neuen Richtlinientext in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/EU an. § 103 Abs. 3 sieht für die Definition des Bauauftrags entsprechend dem Richtlinientext wie bislang drei Alternativen vor. Alternative 1 betrifft Bauleistungen, die in Anlage II der Richtlinie 2014/24/EU abschließend aufgenommen werden. Anlage II der Richtlinie 2014/24/EU, die direkt in Bezug genommen wird, entspricht dem bisherigen Anhang I der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG, der von der Rechtsprechung bereits in der Vergangenheit vielfach zur Abgrenzung zwischen Bau- und Lieferaufträgen herangezogen wurde3. Gemäß der Alternative 2 liegt ein Bauauftrag vor, wenn die Verträge auf die Ausführung oder gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauwerks für einen öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Dies steht im Einklang mit dem bisherigen Verständnis. In der Alternative 3 (Erbringung der Bauleistung durch Dritte) wird nunmehr entsprechend Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU klargestellt, dass die Erbringung der Bauleistung gemäß den von einem öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber genannten Erfordernissen voraussetzt, dass der betreffende Auftraggeber Maßnahmen getroffen hat, um die Art des Vorhabens festzulegen, oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf dessen Planung haben musste. Ob der Auftragnehmer das Bauvorhaben ganz oder zum Teil mit eigenen Mitteln durchführt oder dessen Durchführung mit anderen Mitteln sicherstellt, ist – wie in Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2014/24/ EU klargestellt wird – unerheblich für die Einstufung der entsprechenden Bauleistung als Bauauftrag, solange der Auftragnehmer eine direkte oder indirekte rechtswirksame Verpflichtung zur Gewährleistung der Erbringung der Bauleistungen übernimmt4. § 103 Abs. 5 dient der Umsetzung der Definition der Rahmenvereinbarung 6 gem. Art. 33 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 51 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2014/25/EU. Die Rahmenvereinbarung stellt selbst zwar keinen Beschaffungsprozess dar. Die Vergabe einer Rahmenvereinbarung im Wege eines Vergabeverfahrens hat jedoch zur Folge, dass die auf ihrer Grundlage erteil1 2 3 4

Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – VII-Verg 35/13, NZBau 2014, 589 ff. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe ten Einzelaufträge einem vereinfachten Vergabeverfahren unterliegen können. Wie ein öffentlicher Auftrag unterliegt die Rahmenvereinbarung also wettbewerblichen Verfahrensregeln1, so dass es sich nach Ansicht des Gesetzgebers aus systematischen Gründen empfahl, die Rahmenvereinbarung im Zusammenhang mit dem Begriff des öffentlichen Auftrags zu regeln2. 7 § 103 Abs. 6 entspricht dem bisherigen § 99 Abs. 5 GWB. Im Einklang mit den

neuen Vergaberichtlinien findet nun aber der Begriff „Wettbewerbe“ Verwendung. Die Einzelheiten für das Verfahren zur Ausrichtung von Wettbewerben gem. Art. 78–82 der Richtlinie 2014/24/EU sowie Art. 95–99 der Richtlinie 2014/25/EU werden durch die aufgrund von § 113 erlassenen Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates umgesetzt3.

II. Öffentlicher Auftrag (§ 103 Abs. 1) 8 Nach der Legaldefinition des § 103 Abs. 1 sind öffentliche Aufträge entgeltliche

Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Dem liegen – im Kern – die europarechtlichen Begriffsdefinitionen in Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24/EU4 und in Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2014/25/EU5 zugrunde. Letztere sind, soweit das nationale Recht hiervon abweicht, vorrangig, so dass sich im Zweifelsfall das Unionsrecht durchsetzt6.

1 Vgl. Art. 33 Abs. 1 UA 1 der Richtlinie 2014/24/EU, wo es heißt „Die öffentlichen Auftraggeber können Rahmenvereinbarungen abschließen, sofern sie die in dieser Richtlinie genannten Verfahren anwenden.“, sowie die Regelung der Einzelheiten eines Verzichts auf den Teilnahmewettbewerb in Art. 33 Abs. 4 lit. a) – c) der Richtlinie 2014/24/EU. 2 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. 4 Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24/EU lautet: „Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck […] ‚öffentliche Aufträge‘ zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen […]“. 5 Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2014/25/EU lautet: „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck […] ‚Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge‘ zwischen einem oder mehreren in Art. 4 Abs. 1 genannten Auftraggebern und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge über das Erbringen von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen […]“. 6 Vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 (188) – Rz. 40 – Stadt Roanne; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 2.

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

1. Verträge a) Vertragscharakter Nach dem Gesetzeswortlaut muss ein Vertrag vorliegen. Ein Vertrag ist die von 9 zwei oder mehreren Personen erklärte Willensübereinstimmung über die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges und setzt übereinstimmende Willenserklärungen der betroffenen Rechtssubjekte voraus1. Aber selbst wenn der Vertragsbegriff auf Grund seiner Verankerung im Unionsrecht nicht in diesem – den §§ 145 ff. BGB entsprechenden – Sinne auszulegen sein sollte, so setzt er doch zumindest das Einvernehmen zweier Personen über die Erbringung von Leistungen voraus2. Charakteristisch für einen Vertrag ist die grundsätzliche rechtliche Gleichordnung der Vertragsparteien und der Grundsatz der Vertragsfreiheit3. Anhaltspunkte hierfür finden sich insbesondere auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. So hatte der EuGH bereits im Jahr 2001 festgestellt, dass kein vergaberelevanter Vorgang vorliegt, wenn die Auftragsbedingungen nicht ausgehandelt werden können4. Mit einer ähnlichen Argumentation hat der EuGH – im Sinne einer Negativabgrenzung – in der Entscheidung „AP“ aus dem Jahre 2007 darauf abgestellt, dass eine Vereinbarung dann keinen Vertrag im Sinne der Vergaberichtlinien darstellt, wenn in Wirklichkeit ein einseitiger Verwaltungsakt gegeben ist, der Verpflichtungen allein für den Auftragnehmer vorsieht und der deutlich von den normalen Bedingungen eines kommerziellen Angebots abweicht. Ein weiteres wesentliches Kriterium für das Vorliegen eines Vertrages ist – so der EuGH – die Existenz eines gewissen Maßes an Spielraum für den Auftragnehmer bei der Ausgestaltung der Auftragsbedingungen5. Ferner hat auch das BVerwG festgestellt, dass bei der Konkretisierung einer gesetzlich bestehenden Leistungspflicht durch Verwaltungsakt der Anwendungsbereich des Vergaberechts nicht eröffnet ist6. 1 Heinrichs in Palandt, BGB, Einf. v. § 145 Rz. 1; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 48. 2 OLG Düsseldorf v. 4.3.2009 – VII-Verg 67/08, VergabeR 2009, 799, 801. 3 Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 31. 4 Vgl. jedoch EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. 2001, I-5409, NZBau 2001, 512 (515 f.) – Rz. 71 – Teatro alla Bicocca. Ähnlich Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, S. 637, Rz. 2078, nach dem Verwaltungsakte dem Vergaberecht dann nicht unterliegen, wenn (1.) eine hoheitliche Befugnisübertragung im Vordergrund steht oder wenn (2.) es sich um eine einseitige Behandlung der Adressaten in Form eines Über-/Unterordnungsverhältnisses handelt, so dass die Bedingungen nicht ausgehandelt werden und kaum Einfluss auf den Inhalt des Verwaltungsaktes besteht. 5 Vgl. EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-220/06, Slg. I-12175, NZBau 2008, 189 ff., Rz. 51 und 54 – AP; OVG Magdeburg v. 22.2.2012 – 3 L 259/10, BeckRS 2012, 51428. 6 Vgl. BVerwG v. 18.10.2007 – 7 B 33.07, NVwZ 2008, 694 ff.; sowie ferner OVG Magdeburg v. 22.2.2012 – 3 L 259/10, BeckRS 2012, 51428.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 10 Dies schließt die Anwendung des Vergaberechts auf Leistungen aus, die ihren

Rechtsgrund unmittelbar in Gesetzen, Verordnungen oder einseitigen Verwaltungsakten haben, denn dann handelt es sich um einen einseitigen Hoheitsakt und es fehlt sowohl an einer Gleichordnung der Vertragsparteien als auch an der Vertragsfreiheit1. Daher ist insbesondere auch der Erlass eines Bebauungsplans, welcher als Satzung ergeht (§ 10 Abs. 1 BauGB) und dessen Inhalt nicht Gegenstand eines Vertrages oder sonstiger Abreden sein kann (§ 1 Abs. 3 BauGB), kein Vertrag, und zwar auch dann nicht, wenn er den Rahmen für einen möglicherweise abzuschließenden Erschließungsvertrag (§ 124 BauGB) setzt2.

11 Problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang u.a. auch der Fall der Be-

leihung allein durch Verwaltungsakt ohne begleitende vertragliche Regelungen. Nach überwiegendem nationalem Verständnis liegt insoweit schon mangels Vertragsschluss kein öffentlicher Auftrag vor3. Allerdings vertreten die EUKommission und Stimmen in der Literatur die Ansicht, dass ausnahmsweise auch einseitige (Verwaltungs-)Akte vergaberechtlich relevant sein können, wenn unter funktionaler Sichtweise das Vorgehen als Vertrag einzustufen ist. Denn handeln die Beteiligten den Verwaltungsaktinhalt vertragsähnlich aus, soll kein Grund bestehen, das Vergaberecht nicht anzuwenden. Daher sei für jeden Beschaffungsverwaltungsakt zu prüfen, ob nicht ein verdeckter Vertrag vorliege4. Der EuGH hat zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen5.

1 Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 31; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 5. 2 OLG Düsseldorf v. 4.3.2009 – VII-Verg 67/08, VergabeR 2009, 799 (801 f.). 3 BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, DÖV 2001, 1006 f.; BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, WuW/E Verg. 481 (2001); ebenso Zeiss, DVBl. 2003, 435 (436); Endler, NZBau 2002, 125 (129); Burgi, NZBau 2002, 57 (62); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 62; vgl. auch Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, S. 636, Rz. 2077 ff. A.A. Gabriel, LKV 2005, 285 (287); Koenig/Haratsch, NJW 2003, 2637 (2639); Wilke, ZfBR 2004, 141 (142). 4 Vgl. Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen v. 30.4.2004, KOM (2004) 327 endg., Rz. 57; Koenig/Harratsch, NJW 2003, 2637 (2639); Wilke, ZfBR 2004, 141 (142); Ruhland/Burgi, VergabeR 2005, 1 ff. Entsprechendes kam in der bisherigen Rechtspraxis insbesondere im Rahmen von § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG in Betracht, wo der (Beleihungs-)Verwaltungsakt nur auf Antrag des Privaten und mit Zustimmung der Entsorgungsträger erlassen wurde. In der Neuregelung des am 1.6.2012 in Kraft getretenen Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) wurde § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG indes ersatzlos gestrichen. Übernommen wurde in § 22 KrWG lediglich die Bestimmung des § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG. Vgl. hierzu Schink in Schink/Versteyl, Kommentar zum Kreislaufwirtschaftsgesetz, 2016, § 22 Rz. 1 und 3. 5 Vgl. jedoch EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. 2001, I-5409, NZBau 2001, 512 (515 f.) – Rz. 71 – Teatro alla Bicocca, wonach jedenfalls dann kein vergaberelevanter Vorgang vorliegt, wenn die Auftragsbedingungen nicht ausgehandelt werden können. Ähnlich Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, S. 637,

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

Wird die Beleihung indes im Innenverhältnis zwischen dem Auftraggeber und 12 dem Auftragnehmer von vertraglichen Regelungen begleitet, muss der entsprechende Vertrag grundsätzlich auch wie jeder andere Auftrag ausgeschrieben werden, wenn die Schwellenwerte gem. § 106 erreicht oder überschritten sind und keine Ausnahmetatbestände1 eingreifen (s. hierzu auch Vorb. zu §§ 97–154 Rz. 24). Besondere Anforderungen an die Zuverlässigkeit des zu beleihenden Leistungserbringers u.Ä. können ohne weiteres in den Verdingungsunterlagen Berücksichtigung finden, so dass auch in tatsächlicher Hinsicht keine Gründe ersichtlich sind, die dafür sprechen, Fälle, in denen der Auftragnehmer auf der Grundlage eines mit der öffentlichen Hand abzuschließenden Vertrages gegenüber Dritten unmittelbar hoheitlich tätig wird, generell vom Anwendungsbereich des Vergaberechts auszuschließen. Hiervon geht offensichtlich auch der BGH aus, der ausdrücklich zwischen der Beleihung durch Verwaltungsakt und dem Abschluss des Dienstleistungsvertrags unterscheidet2. In diesem Zusammenhang wurde in früherer Zeit teilweise darauf hingewiesen, 13 dass zumindest in den Fällen der Beleihung, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt i.S.d. Art. 51, 62 AEUV verbunden sind, eine Ausschreibungspflicht nicht bestehe3. Dem wurde entgegengehalten, dass das primäre Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit einräumt, diesen Bereich von den Anforderungen der Vergaberichtlinien auszunehmen, jedoch dies zumindest im deutschen Vergaberecht, so wie es im 4. Teil des GWB geregelt ist, keinen Niederschlag gefunden hat. Es sei daher nicht ersichtlich, warum die Mitgliedstaaten nicht auch diesen Bereich dem Vergaberecht unterstellen, also die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen überobligatorisch erfüllen dürfen4. Im

1 2

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Rz. 2078, nach dem Verwaltungsakte dem Vergaberecht dann nicht unterliegen, wenn (1.) eine hoheitliche Befugnisübertragung im Vordergrund steht oder wenn (2.) es sich um eine einseitige Behandlung der Adressaten in Form eines Über-/Unterordnungsverhältnisses handelt, so dass die Bedingungen nicht ausgehandelt werden und kaum Einfluss auf den Inhalt des Verwaltungsaktes besteht. Vgl. die Übersicht über die allgemeinen und besonderen Ausnahmetatbestände bei § 107 Rz. 5. BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84, 87 ff. = MDR 2009, 370; BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, DÖV 2001, 1006 f. Soweit der BGH in letzterem Fall dennoch zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Ausschreibung nicht erforderlich war, beruht dies offenkundig nicht darauf, dass der Beschaffungsvorgang mit einer Beleihung verknüpft war, sondern allein darauf, dass der konkrete Vertrag ein sog. In-house-Geschäft war. So insb. Dreher, NZBau 2002, 245 (256); Burgi, NZBau 2002, 57 (61). Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Reidt, ZVgR 2000, 289 (290); ähnlich Behr, VergabeR 2009, 136 (139), der im Ergebnis schon mit Blick auf die gem. Art. 33 Abs. 4 GG für die Erfüllungsprivatisierung bestehenden Grenzen kein Bedürfnis für eine vergaberechtliche Bereichsausnahme sieht. Vgl. ferner Burgi, NZBau 2002, 57 (62), der allerdings davon ausgeht, dass der deutsche Gesetzgeber keine überobligatorischen Regelungen treffen wollte und daher aufgrund gemeinschaftskonformer Auslegung des § 99 Abs. 1 GWB a.F. Beleihungsverträge vom Anwendungsbereich des Vergaberechts aus-

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe letztgenannten Sinne hat auch der BGH entschieden, welcher die seinerzeit zwischen dem OLG Düsseldorf und dem OLG Dresden streitige Frage, ob die Übertragung von Rettungsdienstleistungen mit Blick auf die dabei zu übertragenen Hoheitsrechte aufgrund von Art. 51 AEUV nicht dem Vergaberecht unterfalle1, mit der Begründung als nicht streitentscheidend hat dahinstehen lassen, dass Art. 51 AEUV für den nationalen Gesetzgeber keinen Zwang entfalte, sondern dieser entsprechenden Dienstleistungsverkehr durch das nationale Recht gleichwohl dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterstellen könne, was durch die §§ 97 ff. bewirkt werde. Die Reichweite des § 99 Abs. 1 GWB a.F. werde durch Art. 51, 62 AEUV nicht eingeschränkt; insoweit sei allein deutsches Recht maßgeblich2. b) Rechtsnatur des Vertrages 14 § 103 Abs. 1 unterscheidet nicht nach der Rechtsnatur des Vertrages3 (s. hierzu

auch Vorb. zu §§ 97–154 Rz. 23). So steht insbesondere der Charakter eines Vertrages als öffentlich-rechtlicher Vertrag i.S.v. § 54 VwVfG (des Bundes und der Länder) oder eines spezialgesetzlich geregelten öffentlich-rechtlichen Vertrags (z.B. städtebaulicher Vertrag gem. § 11 BauGB oder öffentlich-rechtliche Zweckvereinbarung) der Qualifizierung als öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 nicht entgegen. Der Gesetzgeber hatte zwar ursprünglich beabsichtigt, öffentlich-rechtliche Verträge vom Anwendungsbereich des Vergaberechts auszunehmen4, und dem sind auch Literatur und Rechtsprechung teilweise gefolgt5. Nach heute allgemeiner Ansicht ist die Rechtsnatur des Vertrags allerdings ohne Bedeutung, zumal die Unterscheidung in „privatrechtliche“ und „öffentlich-rechtliche“ Verträge in anderen EU-Mitgliedstaaten ohnehin unbekannt ist6. Vielmehr ist allein auf eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung abzustellen: Fließt für eine Tätigkeit ein Entgelt, ist grundsätzlich von einem „entgeltlichen Vertrag“ i.S.d. § 103

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nimmt, ohne jedoch zu erläutern, warum trotz des eindeutigen und dem Gemeinschaftsrecht nicht widersprechenden Gesetzeswortlauts überhaupt die Notwendigkeit zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung bestehen soll. I.d.S. OLG Düsseldorf v. 5.4.2006 – VII-Verg 7/06, VergabeR 2006, 787 (789 f.); a.A. OLG Dresden v. 4.7.2008 – WVerg 3/08, VergabeR 2008, 809 (816). BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, MDR 2009, 370 = VergabeR 2009, 156 ff., mit Anm. Berger/Tönnemann, VergabeR 2009, 129 ff. BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, MDR 2009, 370 = VergabeR 2009, 156 ff. Vgl. BT-Drucks. 13/9340, S. 15. So beispielsweise OLG Celle v. 24.11.1999 – 13 Verg 7/99, NZBau 2000, 299 (300); Dreher, DB 1998, 2579 (2587); ausdrücklich offen gelassen in BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/ 01, BGHZ 148, 55, 65. Vgl. zum Ganzen m.w.N. Burgi, NZBau 2002, 57 ff.; Althaus, NZBau 2000, 277 ff.; Würfel/Butt, NVwZ 2003, 153 (155 f.). M.w.N. OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (532); Althaus, NZBau 2000, 277 (279).

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Abs. 1 auszugehen1. Der EuGH hat insoweit bereits im Jahr 2001 entschieden, dass Erschließungsverträge, die dem öffentlichen Recht unterliegen und die Ausübung hoheitlicher Gewalt einschließen, der Baukoordinierungsrichtlinie2 unterfallen, wenn es sich um entgeltliche Bauverträge handelt3. In diesem Zusammenhang geht der EuGH unter Bezugnahme auf die rechtliche Ausgestaltung in den jeweiligen Mitgliedstaaten völlig selbstverständlich davon aus, dass auch auf einen verwaltungsrechtlichen Vertrag, der als solcher dem öffentlichen Recht unterliegt, das Vergaberecht anwendbar ist. Diese Begründung ist ohne weiteres auf sämtliche öffentlich-rechtliche Verträge übertragbar, sofern der betreffende Vertrag die Erbringung von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen gegen Entgelt zum Gegenstand hat. In Konsequenz dieser EuGH-Rechtsprechung ist der Begriff des Vertrages in § 103 Abs. 1 dahingehend auszulegen, dass er grundsätzlich sowohl privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Verträge umfasst4. c) Gegenseitige vertragliche Bindung Der Begriff des öffentlichen Auftrages setzt mindestens eine gegenseitige, nicht 15 notwendigerweise wechselseitig abhängige (synallagmatische) vertragliche Bindung voraus5. Erfasst sind demnach auch solche Formen der Verknüpfung durch die Vereinbarung einer Bedingung oder durch die Abrede, dass die eine Leistung den Rechtsgrund für die andere darstellt6. Im Falle einer synallagmatischen Verknüpfung erstreckt sich das Gegenseitigkeitsverhältnis auf alle Hauptleistungspflichten und grundsätzlich nicht auf Nebenleistungs- oder Schutzpflichten7. 1 BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, WuW/E Verg 481; BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, MDR 2009, 370 = VergabeR 2009, 156 (158); Zeiss, DVBl. 2003, 435 (436). 2 Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14.6.1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge. 3 EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. I-05409, NZBau 2001, 512 (516) – Rz. 76 ff. – Teatro alla Bicocca. 4 BayObLG v. 28.5.2003 – Verg 7/03, NZBau 2005, 238; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04 und 12/04, NZBau 2004, 692 (694 f.); OLG Dresden v. 4.7.2008 – WVerg 3/ 08, VergabeR 2008, 809 (812); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140); OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (532); OLG Düsseldorf v. 22.9.2005 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652; OLG Naumburg v. 15.7.2008 – 1 Verg 5/08, VergabeR 2008, 821 (822); OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60); VG Frankfurt/O. v. 20.2.2009 – 4 L 186/08; VK Brandenburg v. 24.9.2004 – VK 47/04; VK Mecklenburg-Vorpommern v. 7.1.2008 – 2 VK 5/ 07; VK Münster v. 28.5.2004 – VK 10/04; VK Sachsen v. 29.8.2008 – 1/SVK/042-08; VK Sachsen v. 29.8.2008 – 1/SVK/041-08; VK Sachsen v. 26.3.2008 – 1/SVK/005-08. 5 BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (331). 6 OLG Düsseldorf v. 22.9.2005 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 (653); OLG Düsseldorf v. 8.9.2005 – VII-Verg 35/04, NZBau 2005, 650 f.; a.A. VK Hessen v. 5.3.2008 – 69d-VK6/2008. 7 OLG Düsseldorf v. 22.9.2005 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 (653); OLG Düsseldorf v. 8.9.2005 – VII-Verg 35/04, NZBau 2005, 650 f.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 16 Demnach erfüllen Andienungsverfahren, auch wenn sie aus Bietersicht die ein-

zige Möglichkeit darstellen, um überhaupt in Vertragsverhandlungen mit einem öffentlichen Auftraggeber treten zu können, nicht die Voraussetzungen eines wettbewerblich ausgerichteten Vergabeverfahrens und eines Vertrages. Entsprechende, auf Wunsch von Bietern geführte Gespräche, zu denen der Nachfrager ohne eine entsprechende Bedarfsmeldungen auch keinen Anlass gegeben hat, lassen keine vertragliche Bindung und mithin kein konkretes Vergabeverfahren i.S.v. § 156 Abs. 2 entstehen1.

17 Gleiches gilt für eine Markterkundung oder Marktbeobachtung durch den öf-

fentlichen Auftraggeber. Zwar sind nach Rechtsprechung des EuGH auch bereits die dem Vertragsabschluss vorausgehenden Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers darüber, welchem Marktteilnehmer er einen Auftrag erteilen will, für das Vergaberecht relevant und nachprüfbar. Allerdings zählen hierzu noch nicht solche Handlungen, die eine bloße Vorstudie des Marktes darstellen oder die rein vorbereitend sind und sich – ohne konkrete Beschaffungsinitiative – im Rahmen der internen Überlegungen des öffentlichen Auftraggebers im Hinblick auf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags abspielen2. Die Abgrenzung zu diesen Markterkundungen und -beobachtungen ist danach vorzunehmen, ob und inwieweit der öffentliche Auftraggeber einen Beschaffungsvorgang organisatorisch und planerisch bereits eingeleitet und Kontakte zu potentiellen Anbietern mit dem Ziel aufgenommen hat, das Beschaffungsvorhaben mit einer verbindlich rechtsgeschäftlichen Einigung abzuschließen3. d) Beschaffungscharakter

18 Der Wortlaut des § 103 Abs. 1 spricht zwar von der „Beschaffung“, unterscheidet

aber auch in der novellierten Fassung – ebenso wie § 99 Abs. 1 GWB a.F. – nicht mit hinreichender Klarheit danach, ob der öffentliche Auftraggeber als Lieferant/ Leistender oder als Lieferungs-/Leistungsempfänger auftritt. Um einen öffentlichen Auftrag handelt es sich nach einhelliger und gefestigter Ansicht aber nur dann, wenn ein Beschaffungsvorgang der öffentlichen Hand vorliegt, bei dem der öffentliche Auftraggeber auf Seiten der Güternachfrage am Markt auftritt4. 1 So (noch zu § 104 Abs. 2 Satz 1 GWB a.F.) VK Bund v. 1.2.2001 – VK 2-44/00, VergabeR 2001, 147 ff., mit Anm. Stolz. 2 So EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03, Slg. I-00001, NZBau 2005, 111 (113 f.) – Stadt Halle. Siehe ferner auch OLG Düsseldorf v. 20.6.2001 – VII-Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (699); OLG Jena v. 22.11.2000 – 6 Verg 8/00, VergabeR 2001, 52 (54). 3 OLG Düsseldorf v. 22.5.2002 – VII-Verg 6/02, NZBau 2002, 583 (584); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 54. 4 OLG Düsseldorf v. 28.4.2004 – VII-Verg 2/04, NZBau 2004, 400 (401 f.); BayObLG v. 4.2. 2002 – Verg 1/02, VergabeR 2002, 305 (306); BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (331); Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 11; Eschenbruch in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 11.

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Auf die formale Bezeichnung der Vertragspartner als Auftraggeber und Auftragnehmer kommt es dabei nicht an1. Dass der öffentliche Auftraggeber als Vertragspartner des Lieferanten/Leistenden, und damit also auf der Nachfragerseite am Markt handeln muss, ist nunmehr auch aus Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/25/EU ersichtlich. Danach gilt als Auftragsvergabe im Sinne dieser Richtlinien (nur) der „Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen […] durch einen oder mehrere öffentliche Auftraggeber von Wirtschaftsteilnehmern, die von diesen öffentlichen Auftraggebern ausgewählt werden […]“. Ein solcher Beschaffungsbezug liegt grundsätzlich nicht vor bei der Veräuße- 19 rung von Verwaltungsvermögen, z.B. dem Verkauf von Grundstücken, Dienstfahrzeugen o.Ä.2. Keinen Beschaffungsvorgang stellen danach grundsätzlich auch der Abschluss von Gesellschaftsverträgen sowie die bloße Veräußerung von Gesellschaftsanteilen dar3. Denn der bloße Eintritt in ein zum Teil von einem öffentlichen Auftraggeber gehaltenes Unternehmen stellt für sich noch keine Leistungserbringung für Letzteren dar. Überdies vermittelt der Anteilserwerb auch noch keinen konkreten entgeltlichen Gegenwert, sondern lediglich eine künftige Gewinnchance4. Etwas anders kann jedoch gelten, wenn die Veräußerung oder Überlassung Ele- 20 ment eines einheitlichen Vorgangs ist, der einen beschaffungsrechtlichen Bezug hat – mithin also eine sog. eingekapselte Beschaffung vorliegt5. In Betracht kommt dies beispielsweise, wenn ein Grundstücksverkauf mit der Erbringung von Bauleistungen, die dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen, einhergeht (vgl. hierzu inbs. auch Rz. 120 ff.) oder wenn die Beteiligung eines Privatunternehmens6 an einem gemischt-wirtschaftlichen Unter1 VK Berlin v. 9.2.2009 – VK-B 1-28/08. 2 VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08; VK Bund v. 24.7.2007 – VK 2-69/07; VK Baden-Württemberg v. 2.2.2015 – 1 VK 65/14, VPR 2015, 111. 3 OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 ff., mit Anm. Stickler; VK Sachsen v. 29.12.2004 – 1/SVK/123-04; VK Lüneburg v. 5.11.2004 – 203-VgK-48/2004; VK Lüneburg v. 26.4.2002 – 203-VgK-06/2002; VK Brandenburg v. 30.8.2004 – VK 34/ 04; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 40; Otting, VergabeR 2002, 11 (12); Krutisch, NZBau 2003, 650 ff. m.w.N.; Endler, NZBau 2002, 125 (132). 4 VK Brandenburg v. 30.8.2004 – VK 34/04; VK Brandenburg v. 17.9.2002 – VK 50/02. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (531); BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (331); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 136; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 54 f. 6 Die bloße Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft im Rahmen einer ÖPP stellt für sich betrachtet grundsätzlich (noch) keinen vergaberechtlichen Sachverhalt dar; vgl. EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, NZBau 2011, 312 (313) – Oulon Kau punki; EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki;

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe nehmen einen Bezug zur Beschaffung von Leistungen durch einen an diesem Unternehmen beteiligten öffentlichen Auftraggeber aufweist. Letzteres ist immer dann der Fall, wenn sich die Beteiligung nicht nur in einer Kapitaleinlage des künftigen privaten Gesellschafters erschöpft, sondern zugleich mit einer Vergabe von Liefer-, Dienst- und/oder Bauleistungen an diesen einhergeht1 (vgl. zu den unterschiedlichen Formen einer ausschreibungspflichtigen Privatisierung auch unter Rz. 169 ff.). Denn nach Auffassung von EuGH und BGH führt die „Einkapselung“ grundsätzlich nicht dazu, dass der Beschaffungsvorgang von der Anwendung des Kartellvergaberechts und damit auch des § 103 ausgeschlossen wird2. Zwar kann ein Veräußerungsgeschäft lediglich als solches die Anwendbarkeit dieser Vorschriften nicht begründen. Ist es hingegen Mittel zur Beschaffung einer Leistung, ist der kaufrechtliche Aspekt des öffentlichen Auftrags ohne Bedeutung. Dies entspricht auch dem Zweck der §§ 97 ff. Denn auf diese Weise wird eine vollständige Erfassung aller Beschaffungsvorgänge erreicht, die für den öffentlichen Auftraggeber mit geldwertem Aufwand verbunden sind3. Dabei ist es insbesondere auch nicht erforderlich, dass das Beschaffungselement den Schwerpunkt des Vorgangs bildet. Vielmehr genügt es, wenn der beschaffungsrechtliche Aspekt nicht von völlig untergeordneter Bedeutung ist4. So hat der EuGH in der Entscheidung „Loutraki“ herausgestellt, dass Beschaffungen, die bloße Nebensächlichkeiten betreffen, die Unterstellung des gesamten Rechtsgeschäfts unter das Regime des Vergaberechts nicht rechtfertigen5. Dem wird jedoch eine Grenze dadurch gezogen, dass die verschiedenen Teile des Vertrages ein untrennbares Ganzes bilden6. Hierzu hat der EuGH in der Rechtssache „Ou-

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VK Thüringen v. 23.2.2007 – 360-4003.20-62/2007-001-G; Eschenbruch in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 129. Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 54 f. Vgl. EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, NZBau 2011, 312 (313) – Oulon Kau punki; EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki; BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116, 130 = MDR 2005, 973; sowie Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 47; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 55. So (noch zu § 99 GWB a.F.) BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116, 130 = MDR 2005, 973; s.a. VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, BeckRS 2008, 05519. Vgl. EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki; BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116, 130 = MDR 2005, 973; VK Bund v. 24.7. 2007 – VK 2-69/07; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 56. Vgl. EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki; sowie dazu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 48; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 56. Vgl. EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, NZBau 2011, 312, 313, Rz. 45 f. – Oulon Kau punki; EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff., Rz. 62 – Loutraki; Scharf/Dierkes, VergabeR 2011, 543 (546 ff.); von Engelhardt/Kaelble in MüllerWrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 56.

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lon Kau punki“ darauf hingewiesen, dass eine solche Untrennbarkeit nicht ohne weiteres angenommen werden könne. Insbesondere genüge hierfür nicht die subjektive Absicht der Vertragsparteien, die verschiedenen Teile eines gemischten Vertrages als untrennbar zu betrachten. Vielmehr müsse sich die Absicht auf objektive Gesichtspunkte stützen lassen, die sie rechtfertigen und die Notwendigkeit begründen können, einen einheitlichen Vertrag abzuschließen. Lassen sich danach einzelne Teile abtrennen, müsse insoweit eine Ausschreibung erfolgen1. Vor diesem Hintergrund kann insbesondere bei öffentlich-rechtlichen Partnerschaften die vertragliche Ausgestaltung eine wesentliche Rolle spielen2. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass der EuGH in der Entscheidung „Acoset“ festgestellt hat, dass gerade bei der Umsetzung von öffentlichrechtlichen Partnerschaften nicht notwendigerweise eine formale Trennung gesellschaftsrechtlicher Vereinbarungen von Beschaffungsvorgängen herbeigeführt werden müsse, sofern die Auswahl unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebotes und des Diskriminierungsverbotes erfolge3. Als problematisch erweisen sich in diesem Zusammenhang auch die sozial- 21 rechtlichen Verträge, beispielsweise im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gem. §§ 78a ff. SGB VIII, der sozialhilferechtlichen Leistungsvereinbarungen gem. §§ 75 ff. SGB XII, der Arzneimittelrabattverträge gem. § 130a Abs. 8 SGB V, der Hilfsmittelversorgungsverträge gem. § 33 Abs. 6 SGB V oder der Verträge zur integrierten Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V. Denn hier erfolgt grundsätzlich keine unmittelbare Beschaffung der in Rede stehenden Dienst- oder Lieferleistungen durch den jeweiligen öffentlichen Auftraggeber. Vielmehr wird die Leistung regelmäßig im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis erbracht, und zwar direkt an den Berechtigten/Versicherten. Bei der Beurteilung, ob dennoch von einer Beschaffung des jeweils beteiligten öffentlichen Auftraggebers auszugehen ist, war – zumindest bislang – stets eine funktionale Betrachtungsweise zugrunde zu legen4. Dabei war immer das gesamte in Rede stehende Konstrukt mit all seinen Rechtsbeziehungen zu betrachten. Ergab eine solche Gesamtbetrachtung – was die Regel war –, dass die beim Auftragnehmer 1 Vgl. EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, NZBau 2011, 312 (313) – Rz. 45 f. – Oulon Kau punki; von Donat, NZBau 2011, 472 f.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 49; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 56. 2 So auch von Donat, NZBau 2011, 472 f.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 49. 3 EuGH v. 15.10.2009 – Rs. C-196/08, NZBau 2009, 804 (808) – Rz. 61 ff. – Acoset; sowie Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 50 f. 4 So für den Bereich der Arzneimittelrabattverträge, der Hilfsmittelversorgungsverträge und der Verträge zur integrierten Versorgung Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (276) m.w.N.; Gabriel, NZS 2007, 344 (348); Stolz/Kraus, VergabeR 2008, 1 (7); Burgi, NZBau 2008, 480 (484).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe nachgefragte Leistung sich als Leistung des öffentlichen Auftraggebers gegenüber dem Berechtigten/Versicherten darstellt, so war letztlich auch der öffentliche Auftraggeber als Abnehmer der Leistung anzusehen und ein Beschaffungsbezug zu bejahen1. 22 Fraglich ist, ob bzw. inwieweit durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz

vom 17.2.20162 insoweit eine modifizierte Betrachtungsweise geboten ist. Denn die Gesetzesbegründung zu § 103 Abs. 1 führt aus3: „Kern der Definition des öffentlichen Auftrags ist, dass es sich um die Beschaffung von Leistungen durch öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber handeln muss. Der Unionsgesetzgeber hat in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU darauf hingewiesen, dass die zunehmende Vielfalt öffentlicher Tätigkeiten es erforderlich mache, den Begriff der Auftragsvergabe selbst klarer zu definieren. Diese Präzisierung als solche sollte jedoch den Anwendungsbereich der neuen EU-Vergaberichtlinie im Verhältnis zu dem der Richtlinie 2004/18/EG nicht erweitern. Nicht alle Formen öffentlicher Ausgaben sollten abgedeckt werden, sondern nur diejenigen, die für den Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen im Wege eines öffentlichen Auftrags getätigt werden. Fälle, in denen alle Wirtschaftsteilnehmer, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe – ohne Selektivität – berechtigt sind, sollten nicht als Auftragsvergabe verstanden werden, sondern als einfache Zulassungssysteme (z. B. Zulassungen für Arzneimittel oder ärztliche Dienstleistungen). Daraus lässt sich schließen, dass die Zulassung von Dienstleistungserbringern im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis nicht der Richtlinie 2014/24/EU unterfällt. Gleiches gilt für die Zulassung von Pflegeeinrichtungen sowie die Feststellung der fachlichen Eignung im Rahmen der Zulassung besonderer Dienste oder besonderer Einrichtungen. Weiterhin hat der Unionsgesetzgeber in Erwägungsgrund 6 hervorgehoben, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, die Erbringung von sozialen oder anderen Dienstleistungen entweder als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder als nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder als eine Mischung davon zu organisieren. Der Unionsgesetzgeber stellt in diesem Zusammenhang klar, dass nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU fallen.“

1 Vgl. für die Arzneimittelrabattverträge, die Hilfsmittelversorgungsverträge und die Verträge zur integrierten Versorgung Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (276, 278 und 280 m.w.N.). Im Ergebnis ebenso für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe OLG Düsseldorf v. 22.9.2004 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 (653 f.), das die Anwendbarkeit des Vergaberechts letztlich aber aufgrund des Vorliegens einer Dienstleistungskonzession verneint. 2 BGBl. I 2016, 203 ff. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 73.

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Dies birgt Potential für Missverständnisse dahingehend, dass die Anwendung des Vergaberechts auf Leistungen im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis per se ausgeschlossen sei. Dem ist jedoch nicht so. Vielmehr ist – nach wie vor – eine sorgfältige Einzelfallprüfung geboten, weil trotz des Vorliegens eines sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses entweder ein ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag1 oder eine ausschreibungspflichtige Dienstleistungskonzession oder ein vergaberechtsfreier Vorgang (z.B. infolge einseitiger Zuwendungen durch Verwaltungsakt)2, der u.U. sogar die Anwendung des Vergaberechts verbietet3, vorliegen können. Dementsprechend hat auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine dahingehende Kleine Anfrage klargestellt4: „Die Anwendung des Vergaberechts auf die Leistungserbringung im sogenannten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis kann unter Beachtung der genannten Voraussetzungen nicht einheitlich beantwortet werden, sondern hängt von der Ausgestaltung der konkreten Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsempfänger im jeweils anzuwendenden Leistungserbringungsrecht ab. Eine pauschale Ausnahme für Leistungen im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis vom Vergaberecht ist europarechtlich weder möglich noch in der Sache gerechtfertigt.“ Ausführlich zu den sozialrechtlichen Verträgen und den damit verbundenen 23 Querschnittsproblemen Rz. 214 ff. Verneint wurde ein Beschaffungscharakter auch für die Entsorgung von Abfäl- 24 len zur Verwertung aus gewerblicher Herkunft, die von einem Zweckverband als Dienstleistung in Konkurrenz zu anderen Wettbewerbern angeboten wird und damit vor allem den privaten Dienstleistungsauftraggebern des Zweckverbandes zugutekommen soll, nicht hingegen dem öffentlichen Auftraggeber/Entsorgungsträger, der insoweit allenfalls mittelbar über die wirtschaftlichen Erträge des Zweckverbandes von diesen Dienstleistungen profitieren könnte5. e) Eigener Beschaffungsbedarf Die Deckung eines eigenen Beschaffungsbedarfs des öffentlichen Auftrag- 25 gebers ist keine Tatbestandsvoraussetzung des öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103. Zwar ist die Rechtsprechung in früheren Entscheidungen davon aus1 Vgl. OLG Hamburg v. 7.12.2007 – 1 Verg 4/07, NDV-RD 2008, 30 ff. (für den Fall der Schuldnerberatung mit einem exklusiven Kreis von Leistungserbringern). 2 Vgl. OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, NZBau 2011, 380 ff.; VK Nordbayern v. 19.1.2011 – 21. VK-3194–48/10. 3 So für Leistungsvereinbarungen gem. §§ 75 ff. SGB XII OVG NW v. 27.9.2004 – 12 B 1390/04 und 12 B 1397/04; sowie auch VG Münster v. 22.6.2004 – 5 L 728/04, ZFSH/ SGB 2004, 601 ff. 4 Vgl. BT-Drucks. 18/6492, S. 2 f. 5 VK Lüneburg v. 4.5.2012 – VgK-14/2012, BeckRS 2012, 24292.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe gegangen, dass es im Wesen des öffentlichen Auftrags liege, dass der öffentliche Auftraggeber mit der Vergabe einem in seinem Verantwortungsbereich auftretenden eigenen Beschaffungsbedarf Rechnung trägt1. Allerdings wurde dieses Erfordernis im Anschluss an die Klarstellung des EuGH, dass die EU-Vergaberichtlinien nicht zwischen Aufträgen, die ein öffentlicher Auftraggeber vergibt, um seine im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben zu erfüllen, und Aufträgen, die in keinem Zusammenhang mit derartigen Aufgaben stehen, unterscheidet2, aufgegeben. Es reicht mithin aus, dass der öffentliche Auftraggeber überhaupt Aufträge vergibt, zu welchen Zwecken auch immer3. Denn schon dann besteht das Risiko einer Wettbewerbsverzerrung infolge der Bevorzugung einzelner Marktteilnehmer4. 26 Klarstellend wird in der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang zuweilen

darauf hingewiesen, dass die Nichterforderlichkeit eines eigenen Beschaffungsbedarfs keinen Verzicht auf das Element der Beschaffung durch den öffentlichen Auftraggeber als solches bedeute5. Allerdings sei der Begriff des öffentlichen Beschaffungswesens so zu verstehen, dass hierunter nicht nur solche Maßnahmen eines öffentlichen Auftraggebers fallen, die unmittelbar der Deckung seines eigenen Bedarfs dienen, sondern auch solche, mit denen er konkrete eigene Zielsetzungen bzw. mittelbare Eigeninteressen verfolgt. Das OLG Düsseldorf hat im Rahmen seiner sog. „Ahlhorn“-Rechtsprechung in Interpretation der bis dato vorliegenden Rechtsprechung des EuGH sogar die Auffassung vertreten, dass in diesem Zusammenhang bereits allgemeine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zwecksetzungen, wie beispielsweise die gesicherte städtebauliche Entwicklung oder die strukturelle Aufwertung und Belebung bestimmter, der kom-

1 OLG Düsseldorf v. 28.4.2004 – VII-Verg 2/04, NZBau 2004, 400 (401); VK Südbayern v. 15.12.2003 – 120.3-3194.1-56-11/03. 2 EuGH v. 18.11.2004 – Rs. C-126/03, Slg. I-11197, VergabeR 2005, 57 (58) – Rz. 18 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland. 3 OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (538 f.); OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730); OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VIIVerg 37/07, NZBau 2008, 271 (274); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140); OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII- Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (531); OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525 (529); OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, VergabeR 2008, 558 (561); VK Bund v. 15.11. 2007 – VK 2-123/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-120/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-117/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-114/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2108/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-105/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-102/07; VK Düsseldorf v. 31.10.2007 – VK-31/2007-L; VK Düsseldorf v. 2.8.2007 – VK-23/2007B; VK Mecklenburg-Vorpommern v. 7.1.2008 – 2 VK 5/07. 4 OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (538); Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 15.6.2006 in der Rs. C-220/05, Slg. I-00385, Rz. 43 – Stadt Roanne. 5 So insb. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730).

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munalen Planungshoheit unterliegender Zonen, ausreichen sollen1. Infolgedessen sei die Anwendung des Vergaberechts von der Deckung eines gegenständlichen, körperlich greifbaren Beschaffungsbedarfs für den öffentlichen Auftraggeber unabhängig. Es reiche vielmehr aus, dass der öffentliche Auftraggeber die rechtliche Befugnis erlangt, sicherzustellen, dass der mit der Beschaffung verfolgte öffentliche Zweck erreicht wird2 (vgl. hierzu auch Rz. 74). Dieser weiten Interpretation ist der EuGH in der Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.20103 jedoch nicht gefolgt. Ausgehend von der Entgeltlichkeit des öffentlichen Auftrags und dem daraus folgenden Erfordernis, dass der öffentliche Auftraggeber stets eine Gegenleistung erhalten müsse, hat der EuGH festgestellt, dass eine Gegenleistung zwar nicht immer in einer physischen Nutzung des Bauwerks durch den öffentlichen Auftraggeber bestehen müsse. Voraussetzung sei aber ein „wirtschaftliches Interesse“ des Auftraggebers an der Bauleistung. Dieses könne in der rechtlichen Sicherstellung der Verfügbarkeit des Bauwerks für öffentliche Zwecke zum Ausdruck kommen, sich aber auch in einer finanziellen Beteiligung oder einer Risikoübernahme durch den Auftraggeber manifestieren. Die bloße Ausübung städtebaulicher Regelungszuständigkeiten im Hinblick auf die Verwirklichung eines allgemeinen Interesses genügt hierfür nach Auffassung des EuGH jedoch nicht4. Eine Beschaffung liegt daher nur dann vor, wenn die Leistung unmittelbar dem Auftraggeber zugutekommt, was aber bereits der Fall ist, wenn der Auftraggeber ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse an der Auftragserledigung hat5. f) Interimsbeauftragungen Häufig können Vergabeverfahren nicht zeitgerecht begonnen oder abgeschlos- 27 sen werden. Dies kommt beispielsweise dann vor, wenn Nachprüfungsverfahren lange andauern bzw. das Vergabeverfahren durch die Nachprüfungsinstanzen in einen früheren Stand zurückversetzt wird. In solchen Fällen kann ein Auftrag1 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730 f.); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140 f.); OLG Düssledorf v. 13.6. 2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (533). Ebenso OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (538 f.); OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, VergabeR 2008, 558 (561). 2 So m.w.N. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730), das mit dieser Entscheidung dem EuGH u.a. die Frage vorgelegt hat, ob ein öffentlicher Bauauftrag nach Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG konstitutiv voraussetzt, dass die Bauleistung in einem gegenständlich oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird und ihm unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt. 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Helmut Müller GmbH. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 45–58 – Helmut Müller GmbH. 5 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 45–58 – Helmut Müller GmbH; OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe geber dazu gezwungen sein, seinen Bedarf interimsweise zu decken. Auch solche sog. Interimsaufträge sind grundsätzlich als öffentliche Aufträge i.S.v. § 103 Abs. 1 zu qualifizieren1. Insbesondere stellt ein Interimsauftrag keinen – wie auch immer gearteten – Teil des ursprünglich ausgeschriebenen Auftrags dar, sondern einen zusätzlichen Auftrag, der auch hinsichtlich des Auftragswertes selbständig und losgelöst vom Hauptauftrag zu betrachten ist2. 28 Dementsprechend unterfallen entsprechende Interimsvergaben auch nur der

vergaberechtlichen Nachprüfung gem. §§ 155, wenn der Auftragswert den maßgeblichen Schwellenwert überschreitet3. Letzterer hängt u.a. maßgeblich von der Laufzeit des Interimsauftrages ab. Insoweit gibt es indes keine absoluten und festen Grenzen4. Maßgeblich sind die konkreten Einzelfallumstände. So hat es beispielsweise das OLG Koblenz in der Entscheidung „Regiopost“ – mit Rücksicht auf die durchschnittliche Dauer eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH von ca. 16 Monaten – als nicht zu beanstanden angesehen, dass der öffentliche Auftraggeber einen vorzeitig kündbaren Interimsvertrag mit einer Laufzeit von 12 Monaten vorgesehen hat5.

29 Von großer praktischer Relevanz ist zudem die Frage, ob die Interimsvergabe

aufgrund einer Dringlichkeit i.S.v. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV bzw. § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A im Wege der „Direktvergabe“ erfolgen kann. Dies scheidet grundsätzlich aus, wenn die Dringlichkeit „hausgemacht“, d.h. vom Auftraggeber selbst verursacht ist, z.B. weil dieser Vergabefehler gemacht oder das Vergabeverfahren nicht rechtzeitig eingeleitet hat. Etwas anderes gilt insoweit lediglich für den Bereich der Daseinsvorsorge6.

30 Wird als Folge einer Aufhebung eines Vergabeverfahrens durch die Vergabe-

kammer bzw. den Vergabesenat eine auf eine mehrjährige Leistungserbringung angelegte Vergabe neu ausgeschrieben, so sind – nach der Auffassung von OLG

1 Vgl. OLG Hamburg v. 8.7.2008 – 1 Verg 1/08, VergabeR 2009, 97 (98); OLG Dresden v. 25.1.2008 – WVerg 10/07, VergabeR 2008, 567 (570); OLG Brandenburg v. 6.10.2006 – Verg W 6/06, NZBau 2007, 329 (332); VK Arnsberg v. 25.8.2008 – VK 14/08; Eschenbruch in Kulartzt/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 179 ff. 2 Vgl. OLG Koblenz v. 24.3.2015 – Verg 1/15, MDR 2015, 1026 = VergabeR 2015, 620; Eschenbruch in Kulartzt/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 179 f. 3 Vgl. zur Frage der Notwendigkeit, Interimsaufträge ggf. ohne Primärrechtsschutz erteilen zu können, Marx/Hölz, NZBau 2010, 535 ff. 4 Vgl. Marx/Hölz, NZBau 2010, 535 (538); Eschenbruch in Kulartzt/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 183. 5 Vgl. OLG Koblenz v. 24.3.2015 – Verg 1/15, MDR 2015, 1026 = VergabeR 2015, 620 ff. 6 Vgl. OLG Jena v. 25.6.2014 – 2 Verg 1/14, ZfBR 2015, 404 ff.; OLG Frankfurt v. 30.1.2014 – 11 Verg 15/13, VergabeR 2014, 547 ff.; VG Halle v. 31.5.2011 – B 74/11 HAL, BeckRS 2011, 51060; Eschenbruch in Kulartzt/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 184.

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Hamburg und OLG Dresden – die Verhandlungen über eine Zwischenlösung bis zum Abschluss dieses Vertrages und seiner Umsetzung mit allen Unternehmen zu führen, die sich an der aufgehobenen Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt haben, das keine oder jedenfalls keine unter Gleichheitsgesichtspunkten beachtlichen Mängel aufgewiesen hat. Ein im Ergebnis von Verhandlungen mit nur einem der Bieter geschlossener Vertrag über eine Zwischenlösung ist danach gem. § 135 Abs. 1 (analog) unwirksam1. Differenzierter hat dagegen die VK Rheinland-Pfalz entschieden2. Danach orientiere sich die Frage der Dringlichkeit einer Interimsvergabe an dem Zeitraum, den der Auftraggeber für die Vorbereitung der Ausschreibung, die Prüfung und Wertung der Angebote sowie die Vorabinformation der beteiligten Bieter benötigt und an der Frist, die den Bietern für die Bearbeitung ihrer Angebote einzuräumen ist. Dem Auftraggeber sei regelmäßig ein Zeitraum von drei Monaten zuzubilligen. Der Auftraggeber habe dem Wettbewerbsprinzip bei Interimsvergaben stufenweise Geltung zu verschaffen. Bei Vergaben bis zu drei Monaten könne der Bieterkreis auf ein Unternehmen beschränkt werden, bei Zeiträumen bis zu einem Jahr seien grundsätzlich mindestens drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern und bei Zwischenvergaben von mehr als einem Jahr sei die Durchführung eines förmliches Vergabeverfahrens erforderlich. Durch die stufenweise Erhöhung des Wettbewerbsprinzips soll den Belangen des Auftraggebers einerseits und den Belangen des Wettbewerbs andererseits adäquat Rechnung getragen werden. Der Auftraggeber habe sich bei der Wahl seiner Interimsbeauftragung am notwendigerweise zu überbrückenden Zeitraum zum Zeitpunkt des Eintritts der Dringlichkeit zu orientieren. Es handele sich um eine Prognoseentscheidung, die hinreichend zu dokumentieren sei3. g) Vertragsänderungen Die (wesentliche) Änderung von ausschreibungspflichtigen Verträgen kann 31 ebenfalls einen öffentlichen Auftrag i.S.v. § 103 darstellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen dem Neuabschluss eines entsprechenden Vertrages gleichsteht4 und aufgrund zweier Willenserklärungen zustande kommt, also nicht bereits Folge der Ausübung eines kraft Vertrages (z.B. [qualitativ oder quantitativ hinreichend definiertes oder begrenztes] Leistungsbestimmungsrecht im Ursprungsvertrag5) oder Gesetzes (z.B. gem. § 313 1 Vgl. OLG Hamburg v. 8.7.2008 – 1 Verg 1/08, VergabeR 2009, 97 (98); OLG Dresden v. 25.1.2008 – WVerg 10/07, VergabeR 2008, 567 (570). 2 Vgl. VK Rheinland-Pfalz v. 22.5.2014 – VK 1-7/14, BeckRS 2015, 15353. 3 Vgl. VK Rheinland-Pfalz v. 22.5.2014 – VK 1-7/14, BeckRS 2015, 15353. 4 OLG Düsseldorf v. 14.2.2001 – VII-Verg 13/01, NZBau 2002, 53 (54); Marx, NZBau 2002, 311 (312). 5 OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50 ff.; OLG Schleswig v. 28.8.2015 – 1 Verg 1/15.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage) bestehenden einseitigen Gestaltungsrechts ist. 32 Der EuGH hatte in seinem grundlegenden „Pressetext“-Urteil entschieden, dass

wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags zu einer Neuausschreibungspflicht führen und seine Rechtsprechung in der Folgezeit stetig weiterentwickelt. Mit der am 18.4.2016 in Kraft getretenen Vergaberechtsreform wurde diese Rechtsprechung – in Umsetzung von Art. 43 der Richtlinie 2014/23/EU, Art. 72 der Richtlinie 2014/24/EU sowie Art. 89 der Richtlinie 2014/25/EU – erstmals im 4. Teil des GWB im neu geschaffenen § 132 kodifiziert. Zu diesbezüglichen Einzelheiten sei daher an dieser Stelle auf die Kommentierung zu § 132 verwiesen. 2. Entgelt

33 Ein öffentlicher Auftrag setzt nach dem Wortlaut von § 103 einen entgeltlichen

Vertrag voraus. Hiermit soll klargestellt werden, dass der öffentliche Auftraggeber eine Gegenleistung im Sinne einer Zuwendung erbringen muss. Ein entgeltlicher Vertrag besteht grundsätzlich aus einer vereinbarten Leistung des vertraglich gebundenen Auftragnehmers für den Auftraggeber und einer geldwerten Gegenleistung des vertraglich gebundenen öffentlichen Auftraggebers1. Der Begriff des Entgelts ist weit auszulegen. Das Entgelt muss nicht in einer Übergabe von Geldmitteln bestehen; hiervon umfasst ist vielmehr jede Art von Vergütung, die einen geldwerten Vorteil bedeutet2. Ein Entgelt kann mithin auch in der Gewährung von Zuwendungen (z.B. bei nicht kostendeckenden Verkehrsdienstleistungen)3 oder in der Verpflichtung des Verlegers, ein ihm überlassenes Werk zu vervielfältigen und zu verbreiten4, liegen. 1 BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84, 89 = MDR 2009, 370; VK Lüneburg v. 14.6.2005 – VgK-22/2005; VK Lüneburg v. 18.3.2004 – 203-VgK-06/2004; Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 6. 2 BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84, 89 = MDR 2009, 370; OLG Celle v. 8.9. 2014 – 13 Verg 7/14, VergabeR 2015, 50 ff.; OLG Celle v. 5.2.2004 – 13 Verg 26/03, NZBau 2005, 51 f.; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58, 62; OLG Düsseldorf v. 8.9.2005 – VII-Verg 35/04, NZBau 2005, 650; OLG Düsseldorf v. 27.10.2004 – VII-Verg 41/04, VergabeR 2005, 90 (95); OLG Düsseldorf v. 12.1.2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344); OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 (694); BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (330); VK Südbayern v. 16.12.2014 – Z3-3-3194-1-43-09/14. 3 VK Düsseldorf v. 18.4.2002 – VK-5/2002-L. 4 VK Bund v. 26.5.2000 – VK 2-8/00, WuW/E Verg 354; die Entscheidung ist allerdings insoweit missverständlich, als es dort heißt, das Entgelt könne auch in der Einräumung einer Umsatzbeteiligung liegen. Würde lediglich eine Umsatzbeteiligung gewährt werden, würde entgegen der Auffassung der VK Bund jedoch eine Dienstleistungskonzession vorliegen. Die Entscheidung ist im Ergebnis gleichwohl zutreffend, da das Entgelt

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Eine Gewinnerzielung ist nicht erforderlich1. Ein Vertrag ist daher insbeson- 34 dere auch dann entgeltlich, wenn sich die vorgesehene Vergütung auf den Ersatz der Kosten beschränkt, die durch die Erbringung der vereinbarten Dienstleistung entstehen2. Aus (allein schon) diesem Grund kann auch die Bezeichnung in einem Vertrag als „Selbstkostenerstattung“ der Einordnung der in Rede stehenden Mittel als „Entgelt“ nicht entgegenstehen3. Das weite Verständnis von der Entgeltlichkeit soll die vergaberechtspflichtigen Aufträge nur von vergabefreien Gefälligkeitsverhältnissen oder außerrechtlichen Beziehungen abgrenzen4. Auch setzt die Entgeltlichkeit weder eine synallagmatische Verknüpfung der Gegenleistung mit der Leistung des Auftragnehmers, noch eine Leistungsgewährung unmittelbar aus eigenen (Haushalts-)Mitteln des öffentlichen Auftraggebers voraus. Dementsprechend unterfällt dem Vergaberecht grundsätzlich jede Art von zweiseitig verpflichtendem Vertrag5. Das Entgelt kann daher insbesondere auch in dem Verzicht auf Zahlungs- 35 ansprüche, insbesondere dem Verzicht des öffentlichen Auftraggebers auf einen auf gesetzlicher Grundlage bestehenden Gebührenanspruch liegen6. So kann das Entgelt bei einem Erschließungsvertrag7 beispielsweise darin zu sehen sein, dass die Kommune im Hinblick darauf, dass die Eigentümer als Erschließungsträger auftreten, auf eine eigene Erschließung verzichtet und damit das Nichtentstehen der Beitragsschuld bewirkt8. Gleich bedeutend ist die Überlassung von geldwerten Mobilien oder Immobi- 36 lien zu einem reduzierten Preis9. In diesem Zusammenhang ist es daher z.B. auch bei der Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten wesentlich, dass die Leistung, die der Unternehmer erbringt, um eine ordnungsgemäße Abfall-

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im zugrunde liegenden Fall in den Verpflichtungen des Verlegers zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werks zu sehen war. EuGH v. 11.12.2014 – Rs. C-113/13; EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, NZBau 2013, 522 ff. – Piepenbrock; EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11; OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, VergabeR 2015, 192 ff.; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (62); BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (330); ähnlich OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 (694). EuGH v. 11.12.2014 – Rs. C-113/13; EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, NZBau 2013, 522 ff. – Piepenbrock; OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 ff. Vgl. OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 (694). OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (62); BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (330). BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 ff.; VK Südbayern v. 28.12.2001 – 47-11/01. EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. I-05409, NZBau 2001, 512 (514) – Rz. 48 f. – Teatro alla Bicocca. Ausführlich zu diesen unter Rz. 204 ff. VK Baden-Württemberg v. 20.6.2002 – 1 VK 27/02. VK Schleswig-Holstein v. 17.8.2012 – VK-SH 17/12, BeckRS 2014, 22318.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe entsorgung zu gewährleisten, untrennbar mit der Überlassung der werthaltigen Alt-Elektrogeräte verbunden ist. Aus vergaberechtlicher Sicht ist die Überlassung werthaltiger Alt-Elektrogeräte das rechtliche Gewand, in dem sich die Vergabestelle die Leistungen beschafft, die die ihr obliegende geordnete Verwertung dieser Geräte sicherstellen oder zumindest fördern sollen1. Des Weiteren wurde etwa in dem Fall, dass eine Kommune, die sich einen möglichst großen Anteil an Abfallmengen zur höheren Auslastung einer Deponieanlage sichern will und dem Unternehmen zu diesem Zweck ein Grundstück zu einem reduzierten Pachtzins überlässt, ausnahmsweise auch die als solche grundsätzlich vergaberechtsfreie Grundstücksüberlassung als den entgeltlichen Vertragscharakter begründend angesehen2. Zwischen dem OLG Celle und dem OLG Düsseldorf umstritten war in diesem Zusammenhang der Fall der Verwertung von Altpapier, in welchem der Preis, den der Auftragnehmer an den Auftraggeber zahlt, deutlich unter dem Marktwert des geldwerten Nutzens liegt, den der Auftragnehmer zieht. Das OLG Celle hat hier die Entgeltlichkeit mit dem Argument verneint, dass die Wertschöpfung zwischen den Verwertungsstufen nicht dem Ausgangsmaterial, sondern der Tätigkeit des Bearbeiters zuzurechnen sei. Ein Entgelt für die stoffliche Verwertung könne allenfalls dann angenommen werden, wenn der öffentliche Auftraggeber dem Entsorgungsunternehmen über den Verkauf des Altpapiers gegen einen angemessenen Preis hinaus etwas zuwende3. Das OLG Düsseldorf ist dem mit der Begründung entgegengetreten, dass zur Feststellung der Entgeltlichkeit maßgeblich auf die Verkehrssitte abzustellen sei mit der Folge, dass, wenn und soweit Leistungen zum Beruf des Auftragnehmers gehören, im Allgemeinen nicht von einer unentgeltlichen Dienst- oder Werkleistung ausgegangen werden könne4. Der BGH hat diese Streitfrage auf die Divergenzvorlage durch das OLG Düsseldorf hin im Sinne Letzteren entschieden. Danach erfordert § 103 GWB nicht, in Fällen, in denen die von dem Unternehmen übernommene (Dienst-)Leistung in der weiteren Behandlung eines Gutes von Wert liegt und der öffentliche Auftraggeber – wegen dieser Eigenschaft – eine Bezahlung durch das Unternehmen erreichen kann, Entgeltlichkeit erst dann anzunehmen, wenn feststeht, dass und gegebenenfalls inwieweit bei der Höhe des von dem Unternehmen zu zahlenden Preises die Pflicht zur Erbringung der übernommenen (Dienst-)Leistung preismindernd berücksichtigt worden ist5.

1 VK Südbayern v. 16.12.2014 – Z3-3-3194-1-43-09/14, ZfBR 2015, 413. 2 BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (331); Eschenbruch in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 78. 3 OLG Celle v. 1.7.2004 – 13 Verg 8/04, OLGReport Celle 2004, 593 (594). 4 OLG Düsseldorf v. 12.1.2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344); OLG Düsseldorf v. 27.10.2004 – VII-Verg 41/04, VergabeR 2005, 90 (92 f.), mit Anm. Zirbes. 5 BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116, 129 = MDR 2005, 973 (noch für § 99 GWB a.F.).

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Nicht entscheidend ist grundsätzlich auch, von wem der Leistende die Ver- 37 gütung erhält. Auch wenn er diese von Dritten einzieht, kann daher – sofern nicht eine Konzessionsgestaltung vorliegt – ein entgeltlicher öffentlicher Auftrag vorliegen. Entsprechend hat der EuGH im Fall „Stadt Roanne“ die Entgeltlichkeit damit begründet, dass dem Auftragnehmer der Erlös aus der Veräußerung der zu errichtenden Bauwerke an Dritte zustehen sollte (und vorgesehen war, dass die Stadt sich an den Ausgaben für alle zu errichtenden baulichen Anlagen beteiligt)1. Weiter hat die Rechtsprechung den Entgeltcharakter auch für die Eröffnung der Möglichkeit, Gebühren bei Dritten einzuziehen, bejaht2. Gleiches gilt für Betriebskosten im Rahmen der Bewirtschaftung von Wohnungen3. Diskutiert wurde die Frage der Entgeltlichkeit in jüngerer Zeit insbesondere 38 auch bei den Arzneimittelrabattverträgen. An diesen erscheint zunächst problematisch, dass sie weder eine Zahlungs- noch eine Sachleistungspflicht der Krankenkasse begründen. Vielmehr wird – umgekehrt – der pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, den Rabatt an die Krankenkasse auszuzahlen und die Arzneimittel zu liefern. Allerdings bestehen eine ganze Reihe gesetzlicher Regelungen, die den Absatz rabattierter Arzneimittel fördern und somit deren Hersteller privilegieren. Diese mit den Rabattvereinbarungen einhergehenden Privilegien wirken faktisch wie eine Absatzgarantie und stellen daher eine erhebliche geldwerte Leistung dar, so dass die Entgeltlichkeit zu bejahen ist4. Ausführlich zu den Arzneimittelrabattverträgen unter Rz. 226 ff. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 39 2014/24/EU zu beachten. Danach werden Vereinbarungen, Beschlüsse oder andere Rechtsinstrumente, die die Übertragung von Befugnissen und Zuständigkeiten für die Ausführung öffentlicher Aufgaben zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Gruppen von öffentlichen Auftraggebern regeln und die keine Vergütung für vertragliche Leistungen vorsehen, als Angelegenheit der internen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats betrachtet und als solche nicht von dieser Richtlinie berührt. Angesprochen sind damit insbesondere die Gründung von Zweckverbänden und die sog. delegierenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen (z.B. i.S.v. § 23 Abs. 2 Alt. 1 GkG NRW). Diese sind nach Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU indes nicht per se, sondern nur dann von der Anwendung der Richtlinie 2014/24/EU ausgenommen, wenn – nicht nur die Aufgabenerfüllung, sondern Befugnisse und Zuständigkeiten übertragen werden; 1 EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 (188) – Rz. 45 – Stadt Roanne, mit Anm. Boesen, EuZW 2007, 121 ff.; zustimmend OLG Düsseldorf v. 13.6. 2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (532). 2 OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2005, 58 (62). 3 VK Berlin v. 26.8.2004 – VK-B 1-26/04. 4 Ausführlich dazu und m.w.N. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (276); sowie Byok, GesR 2007, 553 (556).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe – dies durch eine Vereinbarung, einen Beschluss oder ein anderes Rechtsinstrument erfolgt – und keine Vergütung für vertragliche Leistungen vorgesehen ist1. 40 Fraglich und umstritten ist/war in diesem Zusammenhang zum einen, ob es

schädlich ist, wenn sich der ursprüngliche Aufgabenträger gewisse Überwachungs- und/oder Kontrollrechte oder ggf. auch ein Kündigungs- oder sonstiges Rückholrecht zurückbehält2. Zum anderen war/ist umstritten, wie streng/restriktiv das Kriterium, dass keine Vergütung für die vertraglichen Leistungen vorgesehen sein darf, auszulegen ist. Teilweise wird/wurde insoweit angenommen, dass, wenn auch nur eine Entschädigung oder ein sonstiger Ausgleich für die Kompetenzübertragung gewährt wird, die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU nicht einschlägig sei3. Teilweise wird/ wurde dies als zu weitgehend abgelehnt, da Kompetenzverschiebungen auch mit der Übertragung von Finanzmitteln einhergehen können müssen, wenn und soweit es sich um eine echte Kompetenzübertragung handelt4.

41 Eine Klärung dieser Fragen ist zwischenzeitlich durch die auf den Vorlage-

beschluss des OLG Celle vom 17.12.20145 hin ergangene EuGH-Entscheidung vom 21.12.2016 in der Rechtssache „Remondis“6 erfolgt. Hierdurch dürfte in diesem praxisrelevanten Bereich ein erhebliches Mehr an Rechtssicherheit eingetreten sein und zukünftig wieder mehr Anreize für reine interkommunale Kooperationenen bestehen.

42 Der EuGH erinnert in seiner Entscheidung zunächst daran, dass die Aufteilung

der Zuständigkeiten innerhalb eines Mitgliedstaats unter dem Schutz von Art. 4 Abs. 2 EUV steht, nach dem die Union verpflichtet ist, die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt7. Außerdem bezieht sich dieser Schutz nach Art. 4 Abs. 2 EUV auch auf die innerstaatliche Neuordnung der Kompetenzen, da diese Kompetenzaufteilung nicht starr ist. Solche Neuordnungen,

1 Vgl. hierzu auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10. 2 In diesem Sinne beispielsweise von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10 m.w.N. 3 I.d.S. insb. OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 ff.; OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, VergabeR 2015, 192 ff.; Brockhoff, VergabeR 2014, 625 (633); Gruneberg/Wilden-Beck, VergabeR 2014, 99 (105). 4 So insb. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10. 5 OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 ff. 6 EuGH v. 21.12.2016 – Rs. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985 – Remondis. Siehe hierzu auch die Besprechungen von Frenz, GewArch 2017, 97 ff. und Siederer/Viezens, AbfallR 2017, 138 (141 ff.). 7 EuGH v. 21.12.2016 – Rs. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 40 – Remondis.

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etwa in Form von durch eine ranghöhere Behörde angeordnete Kompetenzverlagerungen von einer öffentlichen Stelle auf eine andere oder von freiwilligen Kompetenzübertragungen zwischen öffentlichen Stellen, haben zur Folge, dass eine zuvor zuständige Stelle von ihrer Pflicht zur Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe entlastet wird bzw. ihr Recht darauf verliert oder sich selbst davon entlastet bzw. darauf verzichtet, während fortan einer anderen Stelle diese Pflicht obliegt und dieses Recht zusteht1. Darüber hinaus betont der EuGH, dass eine solche Kompetenzverlagerung oder -übertragung nicht alle Voraussetzungen erfüllt, die gemäß der Definition des Begriffs „öffentlicher Auftrag“ erforderlich sind. Denn nur ein entgeltlicher Vertrag kann einen öffentlichen Auftrag darstellen, wobei dieser entgeltliche Charakter impliziert, dass der öffentliche Auftraggeber, der einen öffentlichen Auftrag vergibt, gemäß diesem Auftrag gegen eine Gegenleistung eine Leistung erhält, die für den öffentlichen Auftraggeber von unmittelbarem wirtschaftlichen Interesse ist. Insoweit ist das Synallagma des Vertrages ein wesentliches Merkmal eines öffentlichen Auftrags2. Vor diesem Hintergrund stellt der EuGH sodann fest, dass unabhängig davon, dass eine Entscheidung über die Zuweisung öffentlicher Befugnisse nicht in den Bereich wirtschaftlicher Vorgänge fällt, durch die bloße Tatsache, dass einer öffentlichen Stelle die ihr zuvor eingeräumte Befugnis entzogen wird, jegliches wirtschaftliche Interesse an der Erfüllung der dieser Befugnis entsprechenden Aufgaben entfällt3. Die Umverteilung der für die Ausübung der Befugnis verwendeten Mittel, die von der bisher zuständigen auf die nunmehr zuständige Stelle übertragen werden, kann nicht als Entrichtung eines Entgelts beurteilt werden, sondern stellt vielmehr eine logische – ja sogar notwendige – Folge der freiwilligen Übertragung oder der angeordneten Kompetenzverlagerung von der einen auf die andere Stelle dar4. Ebenso wenig stellt die Verpflichtung der Stelle, von der die Kompetenzübertragung ausgeht oder die die Kompetenzverlagerung beschließt, bei der Ausübung dieser Befugnis etwa entstehende und die Einnahmen übersteigende Mehrkosten zu übernehmen, ein Entgelt dar. Es handelt sich dabei um eine an Dritte gerichtete Garantie, die im vorliegenden Fall wegen des Grundsatzes, dass über das Vermögen einer öffentlichen Stelle kein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann, erforderlich ist. Das Bestehen eines solchen Grundsatzes fällt als solches unter die interne Organisation eines Mitgliedstaats5. Darüber hinaus weist der EuGH aber auch darauf hin, dass eine Kompetenz- 43 übertragung zwischen öffentlichen Stellen bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, um als eine Maßnahme der internen Organisation angesehen werden zu 1 2 3 4 5

EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016

– Rs. – Rs. – Rs. – Rs. – Rs.

C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 41 – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 42 f. – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 44 – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 45 – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 46 – Remondis.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe können und damit unter die den Mitgliedstaaten durch Art. 4 Abs. 2 EUV garantierte Freiheit zu fallen1. Eine Kompetenzübertragung muss danach, damit sie als solche angesehen werden kann, nicht nur die mit der übertragenen Kompetenz verbundenen Zuständigkeiten, u.a. die Verpflichtung, den mit dieser Kompetenz verbundenen Aufgaben nachzukommen, sondern auch die damit einhergehenden Befugnisse umfassen. Hierfür ist es erforderlich, dass die öffentliche Stelle, der eine Kompetenz übertragen wird, befugt ist, die Erfüllung der sich aus dieser Kompetenz ergebenden Aufgaben zu organisieren und den diese Aufgaben betreffenden rechtlichen Rahmen zu schaffen. Weiter muss sie über eine finanzielle Unabhängigkeit verfügen, die es erlaubt, die Finanzierung dieser Aufgaben sicherzustellen. Dies ist dagegen nicht der Fall, wenn die ursprünglich zuständige Stelle die Hauptverantwortung für diese Aufgaben behält, sich die finanzielle Kontrolle über diese vorbehält oder den Entscheidungen, die die von ihr hinzugezogene Einrichtung treffen möchte, vorab zustimmen muss2. Demzufolge kann keine Kompetenzübertragung vorliegen, wenn die neuerdings zuständige öffentliche Stelle von der betreffenden Befugnis nicht selbständig und eigenverantwortlich Gebrauch macht3. Allerdings bedeutet eine solche Handlungsfreiheit – so der EuGH – nicht, dass die neuerdings zuständige Einrichtung jeglicher Einflussnahme durch eine andere öffentliche Einrichtung entzogen sein müsste. Eine Einrichtung, die eine Kompetenz überträgt, kann ein gewisses Überwachungsrecht für die mit dieser öffentlich-rechtlichen Dienstleistung verbundenen Aufgaben behalten. Ein solcher Einfluss schließt jedoch grundsätzlich jede Einmischung in konkrete Modalitäten der Durchführung der Aufgaben, die unter die übertragene Kompetenz fallen, aus4. Handlungsfreiheit bedeutet – so der EuGH weiter – auch nicht, dass eine angeordnete Kompetenzverlagerung oder eine freiwillige Kompetenzübertragung unumkehrbar sein muss. Die Kompetenzaufteilung innerhalb eines Mitgliedstaats ist nicht als starr anzusehen, so dass aufeinanderfolgende Neuordnungen denkbar sind. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass eine Kompetenzübertragung oder -verlagerung im Rahmen einer Neuordnung öffentlich-rechtlicher Dienstleistungen später bei einer nachfolgenden Neuordnung Gegenstand einer erneuten Übertragung oder Verlagerung wird5. 44 Liegen diese – vom EuGH in der Rechtssache „Remondis“ konkretisierten – Vo-

raussetzungen des Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU vor, namentlich – eine vollständige (aber nicht zwingend unumkehrbare) Kompetenzübertragung, bei der keine Restverantwortung beim übertragenden Hoheitsträger verbleibt sowie

1 2 3 4 5

EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016

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C-51/15, C-51/15, C-51/15, C-51/15, C-51/15,

ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 47 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 49 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 51 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 52 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 53

– Remondis. – Remondis. – Remondis. – Remondis. – Remondis.

Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

– eine rechtliche und tatsächliche Handlungs- und Finanzautonomie des neuen Kompetenzträgers (auch wenn sie nur vorübergehend ist oder sich auf eine Tätigkeit am Markt bezieht)1, so ist schon kein als entgeltlicher öffentlicher Auftrag zu charakterisierender Vorgang gegeben, sondern ein – dem Vergaberecht vorgelagerter – rein staatsinterner Akt der Verwaltungsorganisation. Die in Rede stehende Leistungserbringung unterfällt dann als Eigenleistung bzw. „Erledigung mit eigenen Mitteln“ von vornherein nicht dem Anwendungsbereich des (Kartell-)Vergaberechts2. Auch gilt dann insoweit kein Vergaberecht „light“ oder eine wie auch immer geartete Bekanntmachungspflicht3. Insbesondere kommt es auch nicht auf die Voraussetzungen für ein In-house-Geschäft gem. § 108 Abs. 1–5 oder eine horizontale öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit gem. § 108 Abs. 6 an. Vielmehr handelt es sich um eine eigenständige Ausnahmekategorie. Aus diesem Grund spielen auch der Drittumsatz des neuen Kompetenzträgers oder Veränderungen seiner Tätigkeiten in diesem Zusammenhang (grundsätzlich) keine Rolle4. Maßgeblich ist allein eine materiell-inhaltliche Betrachtung des fraglichen Organisationsaktes anhand der oben dargestellten Voraussetzungen. Eine – in der nationalen Rechtsprechung5 bislang beispielsweise im Hinblick auf delegierende und mandatierende öffentlich-rechtliche Zweckvereinbarungen vorgenommene6 – rein formale Unterscheidung würde hingegen zu kurz grei1 Vgl. hierzu auch Frenz, GewArch 2017, 97 (98), nach dem das Bestehen einer Fachaufsicht der notwendigen Handlungsautonomie entgegensteht. Eine Rechtsaufsicht sei hingegen unbedenklich. 2 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 11; Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823. Siehe hierzu ferner auch Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 162. 3 Ebenso Greb, Vergaberecht 2015, 289 (292); von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 11. A.A. Dabringhausen, VergabeR 2014, 512 (515 ff.). 4 So auch Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – VII-Verg 17/06, NZBau 2006, 662 ff.; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 ff.; sowie auch den Überblick über die einschlägige nationale Rechtsprechung bei Bauer, ZfBR 2006, 446 (447 ff.) und Bergmann/ Vetter, NVwZ 2006, 497 (498 f.). Es war allerdings bereits in Anbetracht der jüngeren EuGH-Rechtsprechung fraglich, ob diese Praxis so weiterhin Bestand haben könnte; vgl. u.a. Kunde, NZBau 2013, 555 ff.; Kunde, NZBau 2011, 734 ff. 6 Für den Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Zweckvereinbarung wurde vergaberechtlich bislang – mehr oder weniger rein formal – zwischen der sog. delegierenden Zweckvereinbarung, bei der die Aufgabe als solche übertragen wird, und der sog. mandatierenden Zweckvereinbarung, bei der nicht die Aufgabe als solche übertragen wird, sondern nur die Pflicht zur Aufgabenerfüllung, unterschieden (vgl. z.B. § 23 Abs. 2 GkG NRW). Der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf folgend, wonach das Vergaberecht dann nicht eingreift, wenn sich die interkommunale Zusammenarbeit als ein rein innerstaatlicher Organisationsakt darstellt, bei dem es zu einer Aufgabenübertragung kommt (vgl. OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – VII-Verg 17/06, NZBau 2006, 662, 664), unterfiel konsequen-

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe fen1. Es ist daher für jeden Einzelfall gesondert zu prüfen, ob der Umfang der übertragenden Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse sowie die finanzielle Unabhängigkeit hinreichend gegeben sind. Sollten hieran Zweifel bestehen, müssten, will man die vom EuGH aufgestellten Kriterien erfüllen, ggf. weitere Befugnisse vorgesehen oder übertragen sowie für eine weitergehende finanzielle Ausstattung des neuen Kompetenzträgers Sorge getragen werden2. Vor diesem Hintergrund erscheint in den Fällen der Gründung eines Zweckverbandes, dem Abschluss einer delegierenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarung oder auch dem Zusammenschluss zu einer Arbeitsgemeinschaft eine Vergaberechtsfreiheit grundsätzlich möglich und potentiell darstellbar3. Etwas anderes gilt dagegen für terweise auch die delegierende Zweckvereinbarung nicht dem Vergaberecht. Dem stand indes die Ansicht des OLG Naumburg entgegen, das die delegierende Zweckvereinbarung – in Anlehnung an Ziekow/Siegel, VerwArch 2005, 119 ff.; Ziekow/Siegel, VergabeR 2005, 145 ff. – dem Vergaberecht mit der Begründung unterstellt, dass der Anwendungsbereich des Vergaberechts schon immer dann eröffnet sei, wenn sich die Kooperationspartner auf einem Markt bewegen, auf dem auch andere gewerbliche Unternehmen ihre Leistung erbringen, es sei denn, es handele sich ausnahmsweise um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Sinne eines Verwaltungsmonopols (vgl. OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60); bestätigt durch OLG Naumburg v. 2.3.2006 – 1 Verg 1/06, VergabeR 2006, 406, 410). Der Auffassung des OLG Naumburg wurde entgegen gehalten, dass sie de facto zu einer Privatisierungspflicht führe und damit in einem Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen „Stadt Halle“ (EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03, Slg. I-00001, NZBau 2005, 111 ff.) und „Coditel Brabant“ (EuGH v. 13.11. 2008 – Rs. C-324/07, Slg. I-00000) stehe (vgl. Bergmann/Vetter, NVwZ 2006, 497, 499). Darüber hinaus stand die Auffassung auch in einem Widerspruch zur Auffassung der EUKommission. Diese hatte in ihrem Beschluss vom 15.7.2005 das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland betreffend den Anschluss der Gemeinde Hinte an den Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband (OOWV) mit der Begründung eingestellt, dass es sich insoweit um eine rein „interne Neuordnung öffentlicher Befugnisse“ und nicht um einen öffentlichen Auftrag handele (vgl. Pressemitteilung der EUKommission v. 15.7.2005 [IP/05/949]; sowie Bergmann/Vetter, NVwZ 2006, 497 [500]). Für die mandatierende Zweckvereinbarung, bei der nicht die Aufgabe als solche übertragen wird, sondern nur die Pflicht zur Aufgabenerfüllung, mithin also auch kein innerstaatlicher Organisationsakt gegeben ist und sich die Beteiligten wie Marktteilnehmer im Wettbewerb gegenüberstehen, war in der nationalen Rechtsprechung und Literatur hingegen die Anwendbarkeit des Vergaberechts einhellig anerkannt (vgl. OLG Düsseldorf v. 15.10.2003 – VII-Verg 50/03, NZBau 2004, 58 ff.; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/ 05, NZBau 2006, 58 (60); wohl auch OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 ff.) Siehe zum Ganzen auch Greb, VergabeR 2008, 409 ff. m.w.N. 1 Ähnlich und im Ergebnis ebenso von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10; Frenz, GewArch 2017, 97 (99 f.); Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 220. 2 Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823. 3 So auch Frenz, GewArch 2017, 97 (99). Im Ergebnis ebenso Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 163.

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

den Abschluss einer mandatierenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarung, bei der regelmäßig keine Übertragung wesentlicher Kompetenzen auf die aufgabenerfüllende Kommune erfolgt1. Ausführlich zu den (horizontalen) öffentlich-öffentlichen Kooperationen unter § 108 Rz. 72 ff. 3. Vertragspartner (öffentliche Auftraggeber/Sektorenauftraggeber/ Unternehmen) Ein öffentlicher Auftrag liegt nur dann vor, wenn auf der Nachfrageseite ein öf- 45 fentlicher Auftraggeber oder ein Sektorenauftraggeber und auf der Anbieterseite ein Unternehmen beteiligt ist. Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers wird durch § 99, der des Sektorenauftraggers durch § 100 definiert2. Als problematischer bzw. mehr Fragen aufwerfend erweist sich dagegen der Unternehmensbegriff. a) Funktionaler Unternehmensbegriff Der vergaberechtliche Begriff des Unternehmens ist nicht deckungsgleich mit 46 dem i.S.v. § 14 BGB. Vielmehr gilt – nach langjährig gefestigter nationaler Rechtsprechung – ein grundsätzlich weit auszulegender, sog. funktionaler Unternehmensbegriff. Hierunter fallen alle Rechtsträger, gleichgültig welcher Rechtsform, die sich wirtschaftlich betätigen3. Für die Unternehmenseigenschaft kommt es nicht auf eine Gewinnerzielungsabsicht an4. Maßgeblich ist vielmehr allein die Marktbezogenheit der Tätigkeit. D.h., dass die Betätigung auf einem Markt erfolgt, auf dem andere gewerbliche Unternehmen typischerweise ihre Leistung anzubieten pflegen und damit zu diesen ein Wettbewerbsverhältnis entsteht5. An der Marktbezogenheit fehlt es in der Regel nur dann, wenn ein Wettbewerb am 1 So auch Frenz, GewArch 2017, 97 (99 f.), nach dem insoweit der mit der Auftragsdurchführung verbundene Beschaffungscharakter durchschlägt. Im Ergebnis ebenso Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 164. 2 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/6281, S. 73. Diese stellt klar, dass § 103 Abs. 1 nicht auf Konzessionsgeber i.S.v. § 101 verweist, da diese keine öffentlichen Aufträge i.S.d. § 103 Abs. 1, sondern Konzessionen i.S.d. § 105 vergeben. 3 OLG Celle v. 14.1.2014 – 13 Verg 11/13, VergabeR 2014, 592 ff.; OLG Frankfurt v. 7.9. 2004 – 11 Verg 11/04, VergabeR 2005, 80 (85); OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII-Verg 78/03, NZBau 2004, 398 (399); OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 127 ff. 4 BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, BGHZ 177, 150, 159 = MDR 2008, 1289. 5 BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, BGHZ 177, 150, 159 = MDR 2008, 1289; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, VergabeR 2005, 80 (85); OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VIIVerg 78/03, NZBau 2004, 398 (399); OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Markt aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen schlichtweg ausgeschlossen ist, also nur bei sog. genuinen öffentlichen Aufgaben im Sinne eines Verwaltungsmonopols bzw. im Falle eines sog. In-house-Geschäfts (vgl. dazu Rz. 53 f.)1. 47 Auch der EuGH hat in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich festgestellt,

dass der Begriff des Unternehmens im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung umfasst. Kennzeichnend für den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit ist das Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt2. Dagegen haben Tätigkeiten, die in Ausübung hoheitlicher Befugnisse erfolgen, keinen wirtschaftlichen Charakter, der die Anwendung der im Vertrag vorgesehenen Wettbewerbsregeln rechtfertigen würde3. Zur Begründung weist der EuGH darauf hin, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Begriff des Wirtschaftsteilnehmers, der Leistungen auf dem Markt anbietet, nicht auf unternehmerisch strukturierte Wirtschaftsteilnehmer beschränken oder besondere Bedingungen einführen wollte, die geeignet sind, den Zugang zu Ausschreibungen von vornherein auf der Grundlage der Rechtsform und der internen Organisation der Wirtschaftsteilnehmer zu beschränken. Sowohl aus den Vorschriften des Unionsrechts als auch aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass jede Person oder Einrichtung als Bieter oder Bewerber auftreten darf, die in Anbetracht der in der Auftragsausschreibung festgelegten Bedingungen meint, dass sie den betreffenden Auftrag ausführen kann, selbst oder unter Rückgriff auf Subunternehmer, unabhängig von ihrem – privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen – Status und der Frage, ob sie auf dem Markt systematisch tätig ist oder nur gelegentlich auftritt oder ob sie aus öffentlichen Mitteln subventioniert wird oder nicht. Auch hätte eine restriktive Auslegung des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ zur Folge, dass Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Einrichtungen, die nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstreben, nicht als öffentliche Aufträge gälten, freihändig vergeben werden könnten und damit – anders als bezweckt – nicht unter die Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet der Gleichbehandlung und der Transparenz fallen würden. Darüber hinaus würde eine solche Auslegung der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie zwischen Forschern und Unternehmern schaden und eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen4.

1 OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, VergabeR 2005, 80 (85); OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60); Ganske, VergabeR 2008, 15 (21). 2 EuGH v. 18.12.2014 – Rs. C-568/13, NZBau 2015, 173 ff.; EuGH v. 12.12.2013 – Rs. C327/12, EuZW 2014, 356 ff.; ähnlich bereits EuGH v. 11.7.2006 – Rs. C-205/03, ECLI:EU: C:2006:453; EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff. – Stadtreinigung Hamburg; dem folgend VK Westfalen v. 1.6.2015 – VK 2-7/15. 3 EuGH v. 12.12.2013 – Rs. C-327/12, EuZW 2014, 356 ff. 4 EuGH v. 18.12.2014 – Rs. C-568/13, NZBau 2015, 173 ff.; EuGH v. 11.12.2014 – Rs. C113/13, NZBau 2015, 377 ff.; EuGH v. 23.1.2009 – Rs. C-305/08, NZBau 2010, 188 ff.; im Ergebnis ebenso EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11, NZBau 2013, 114 ff.; sowie ferner

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b) Organisationseinheiten der öffentlichen Hand auf Auftragnehmerseite In Ansehung des funktionalen Unternehmensbegriffes ist es zwischenzeitlich 48 unstreitig, dass grundsätzlich auch solche Rechtsträger den Unternehmensbegriff erfüllen, die ihrerseits zwar als öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 99 anzusehen sind, sich jedoch im konkreten Fall (gewerbsmäßig) mit der Erstellung einer marktbezogenen Leistung befassen1. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH hat der Unionsgesetzgeber – wie gesagt (s.o. Rz. 47) – die Teilnahme an Vergabeverfahren nicht auf unternehmerisch strukturierte Wirtschaftsteilnehmer eingrenzen oder besondere Bedingungen einführen wollen, die geeignet sind, den Zugang zu Ausschreibungen von vornherein auf der Grundlage der Rechtsform und der internen Organisation der Wirtschaftsteilnehmer zu beschränken2. Im Einzelfall können sich jedoch weitere Problemstellungen ergeben, die aus der Sonderstellung der Organisationseinheiten der öffentlichen Hand resultieren. Regelmäßig in Frage gestellt wird insoweit die Wettbewerbsteilnahme von mit 49 öffentlichen Mitteln oder Beihilfen finanzierten Unternehmen unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung der Bieter. Der EuGH hat jedoch bereits im Jahr 2000 in der Entscheidung „ARGE Gewässerschutz“ klargestellt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht bereits dadurch verletzt werde, dass ein öffentlicher Auftraggeber in einem Vergabeverfahren Einrichtungen zulässt, die entweder von ihm selbst oder von anderen öffentlichen Auftraggebern Zuwendungen gleich welcher Art erhalten, die es ihnen ermöglichen, zu Preisen anzubieten, die erheblich unter denen ihrer Mitbewerber liegen, die keine solche Zuwendungen erhalten3. Der EuGH trennt mithin klar zwischen dem Vergaberecht einerseits und dem Beihilferecht andererseits und verweist die privaten Wettbewerber darauf, sich unmittelbar gegen eine ggf. unzulässige Subventioauch OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 14/13, NZBau 2014, 57 ff.; VK Westfalen v. 1.6.2015 – VK 2-7/15. 1 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-94/99, Slg. I-11037, VergabeR 2001, 28, 31 – ARGE Gewässerschutz; EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. I-05409, NZBau 2001, 512 (516) – Rz. 73 – Teatro alla Bicocca; OLG Celle v. 14.1.2014 – 13 Verg 11/13, VergabeR 2014, 592 ff.; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, VergabeR 2005, 80 (85); OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60); OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII-Verg 78/03, NZBau 2004, 398 (399); sowie OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, VergabeR 2005, 80, 85, das zutreffend darauf hinweist, dass auch wenn die Aufgabenwahrnehmung zwischen zwei Gebietskörperschaften im kommunalen Bereich und damit innerhalb der „Verwaltung“ erfolgen soll, es sich grundsätzlich und zunächst um eine Betätigung auf einem sonst auch privaten Unternehmen zugänglichen Markt handelt. 2 EuGH v. 18.12.2014 – Rs. C-568/13, NZBau 2015, 173 ff.; EuGH v. 11.12.2014 – Rs. C113/13, NZBau 2015, 377 ff.; EuGH v. 23.1.2009 – Rs. C-305/08, NZBau 2010, 188 ff.; im Ergebnis ebenso EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11, NZBau 2013, 114 ff.; sowie ferner auch OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 14/13, NZBau 2014, 57 ff. 3 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-94/99, Slg. I-11037, VergabeR 2001, 28 ff. – ARGE Gewässerschutz.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe nierung zu wenden1. Dem ist frühzeitig auch das OLG Düsseldorf gefolgt, das ebenfalls darauf hingewiesen hat, dass die Zulässigkeit der Beihilfegewährung allein nach den Vorschriften des EG-Vertrags zu beurteilen sei. Eine Verpflichtung der Vergabestelle, nicht notifizierte Beihilfen durch eine Erhöhung des Angebotspreises zu neutralisieren, bestehe nicht2. Insbesondere sind auch die nationalen Regelungen in § 6 Abs. 3 VOB/A3 und § 6 Abs. 7 VOL/A4, die bestimmte Betriebe der öffentlichen Hand vom Wettbewerb ausschließen, restriktiv zu interpretieren; sie erfassen grundsätzlich weder Eigenbetriebe noch sonstige kommunale Unternehmen5. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang – worauf Eschenbruch zu Recht hinweist6 – schließlich, dass nach der Rechtsprechung des EuGH im Fall „Altmark Trans“7 eine nicht notifizierungspflichtige öffentliche Infrastrukturförderung in der Regel nur noch in Betracht kommt, wenn die Umsetzung mit förmlicher Ausschreibung erfolgt. 50 Auch in seiner jüngeren Rechtsprechung hat der EuGH bestätigt, dass staatliche

Einrichtungen – gemessen am Unionsrecht – grundsätzlich an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilnehmen können. Die Mitgliedstaaten sind zwar befugt, bestimmten Kategorien von Wirtschaftsteilnehmern die Erbringung bestimmter Leistungen zu gestatten oder zu verwehren. Sie können auch die Tätigkeiten von Einrichtungen wie Universitäten und Forschungsinstituten regeln, die keine Gewinnerzielung anstreben und deren Zweck hauptsächlich auf Forschung und Lehre gerichtet ist. Insbesondere können sie solchen Einrichtungen gestatten oder verwehren, auf dem Markt tätig zu sein, je nachdem, ob diese Tätigkeit mit ihren institutionellen und satzungsmäßigen Zielen vereinbar ist oder nicht. Wenn und soweit diese Einrichtungen jedoch berechtigt sind, bestimmte Leistungen auf dem Markt gegen Entgelt dauernd oder zeitweise anzubieten, können ihnen die Mitgliedstaaten nicht untersagen, an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilzunehmen, die die Erbringung eben dieser Leistungen betreffen8.

1 Schabel, VergabeR 2001, 31 f.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 316. 2 OLG Düsseldorf v. 26.6.2002 – VII-Verg 22/02, ZfBR 2003, 70 f. 3 Vormals § 6 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 bzw. § 8 Nr. 6 VOB/A 2006. 4 Vormals § 7 Nr. 6 VOL/A 2006. 5 VK Lüneburg v. 14.5.2001 – 203 VgK-04a/01; VK Lüneburg v. 1.10.2003 – 203 VgK-19/ 03; VK Brandenburg v. 8.12.2003 – VK 75/03; VK Münster v. 4.10.2004 – VK 21/04. Vgl. ferner auch zum Ausschluss eines Jugendaufbauwerkes vom Vergabeverfahren OLG Düsseldorf v. 23.12.2003 – VII-Verg 58/03, VergabeR 2004, 379 f. 6 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 323. 7 EuGH v. 24.7.2003 – Rs. C-280/00, Slg. I-07747, NZBau 2003, 503 ff. – Altmark Trans; sowie dazu Dörr, NZBau 2005, 617 ff. 8 Vgl. EuGH v. 18.12.2014 – Rs. C-568/13, VergabeR 2015, 158 ff.; sowie auch bereits EuGH v. 23.12.2009 – Rs. C-305/08, NZBau 2010, 188 – CoNISMa, wonach Art. 1 Abs. 8 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG und insbesondere der Begriff „Wirtschafts-

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Subventionierte Unternehmen sind daher nicht von vornherein von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen. Allerdings hat – und hierauf weist der EuGH ebenfalls explizit hin – der öffentliche Auftraggeber zu prüfen, ob das Angebot ungewöhnlich niedrig ist und dies auf einer unzulässigen Beihilfe beruht1. Im Einklang mit dem vorstehend Gesagten hat auch das OLG Düsseldorf fest- 51 gestellt, dass die nationale Vorschrift des § 6 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, die eine Teilnahme der öffentlichen Hand und ihrer Einrichtungen oder Betriebe an Vergabeverfahren generell untersagt, aus unionsrechtlichen Gründen in Vergabenachprüfungsverfahren nicht anzuwenden ist und eine Kommune als Bieter an einer öffentlichen Ausschreibung teilnehmen kann, sofern sie nach nationalem Recht dazu berechtigt ist, die ausgeschriebenen Leistungen zu erbringen2. Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Bestimmungen des kom- 52 munalen Wirtschaftsrechts für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen (z.B. § 107 GO NRW) im Rahmen eines Vergabeverfahrens zu prüfen sind. Es entspricht inzwischen der überwiegenden Auffassung in der Judikatur, dass kommunalwirtschaftliche Betätigungsverbote im Rahmen des Vergaberechts überprüft werden müssen. Meinungsverschiedenheiten bestehen lediglich hinsichtlich des Umfangs der Nachprüfungsmöglichkeiten. Das OLG Düsseldorf hatte am 17.6.2002 insoweit entschieden, dass es eine gegen § 97 Abs. 1 verstoßende Wettbewerbsverfälschung darstelle, wenn ein Unternehmen der öffentlichen Hand eine wirtschaftliche Tätigkeit aufnimmt, obwohl ihm dies gesetzlich verwehrt ist und hierbei durch eine öffentliche Auftragsvergabe unterstützt wird. § 107 GO NRW komme eine den Wettbewerb zwischen kommunal-wirtschaftlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen regelnde Funktion zu und beziehe die Interessen der privatwirtschaftlichen Unternehmen in den Schutzbereich der Norm mit ein. Ein privatwirtschaftlicher Bieter könne daher im Vergabenachprüfungsverfahren die gegen § 107 GO NRW verstoßende Berücksichtigung eines kommunalen Unternehmens rügen und dessen Ausschluss von dem Verfahren verlangen3. Diese Auffassung bestätigte das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 29.3.2006, in dem es aber auch klarstellte, dass das Gericht keine Einzelheiten zu den kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften analysieren müsse. In der Entscheidung wies der Vergabesenat zuteilnehmer“ dahingehend auszulegen sind, dass sie der Auslegung einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es Einrichtungen wie Universitäten und Forschungsinstituten, die nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstreben, untersagt, sich an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zu beteiligen, obwohl sie nach nationalem Recht berechtigt sind, die auftragsgegenständlichen Leistungen zu erbringen. Siehe hierzu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Mazák v. 3.9.2009 – Rs. C-305/08. 1 Vgl. EuGH v. 18.12.2014 – Rs. C-568/13, VergabeR 2015, 158 (164) – Rz. 51; sowie dazu Hübner, VergabeR 2015, 154 (156); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 319 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 14/13, NZBau 2014, 57 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 17.6.2002 – VII-Verg 18/02, NZBau 2002, 626 f.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe dem darauf hin, dass sich eine Kommunalversicherung als freiwilliger Zusammenschluss von Kommunen in einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit im Rahmen von Vergabeverfahren als Bieter beteiligen darf1. In einem weiteren Beschluss vom 4.5.2009 bestätigte und präzisierte der Senat seine Rechtsprechung insofern, dass die vergaberechtlichen Ansatzpunkte, aus denen heraus die Nachprüfungsinstanzen gehalten seien, die Einhaltung der §§ 107 und 108 GO NRW zu prüfen, das vergaberechtliche Wettbewerbsprinzip und die rechtliche Leistungsfähigkeit eines Bieters seien. Diese Aspekte müssten von den Nachprüfungsinstanzen vollumfänglich überprüft werden2. In dem Beschluss vom 9.11. 2011 wies das OLG Düsseldorf hingegen darauf hin, dass einzelne Merkmale des kommunalwirtschaftlichen Betätigungsverbots nicht im Detail zu prüfen seien. Der Begriff des öffentlichen Zwecks (§ 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO NRW) sei weit gefasst und den Kommunen insofern ein Beurteilungsspielraum zuzuerkennen, der von den Nachprüfungsinstanzen nur auf grobe Fehleinschätzungen und Vertretbarkeit überprüft werden könne3. Auch das OVG Münster hat dem Grunde nach einen sich aus den kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften zur wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen ergebenden, öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch bejaht. Mit Blick auf die Zuständigkeit der Nachprüfungsinstanzen soll nach Ansicht des OVG Münster – entgegen der Praxis des OLG Düsseldorf – die Einschätzungsprärogative der Behörde ihre Grenze erst in „groben und einigermaßen offensichtlichen Missgriffen“ finden4. Dagegen hat der BGH in einer wettbewerbsrechtlichen Entscheidung festgestellt, dass den kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften zur wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen jedenfalls kein drittschützender Charakter im Sinne des Wettbewerbsrechts zukomme und diese auch keine Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB seien5. Die Vergabekammern sind teilweise gleichwohl dem OLG Düsseldorf gefolgt; so beispielsweise die VK Lüneburg6, die VK Thüringen7 und die VK Münster8. Letztere argumentiert dabei wie folgt: In der Entscheidung des BGH gehe es lediglich darum, ob der Verstoß gegen § 107 GO 1 OLG Düsseldorf v. 29.3.2006 – VII-Verg 77/05, VergabeR 2006, 509, Rz. 54 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII-Verg 68/08, VergabeR 2009, 905, Rz. 109 f. 3 OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, NZBau 2012, 252 ff., Rz. 28. Ferner beschäftigte sich das OLG Celle mit der Einhaltung kommunalverfassungsrechtlicher Betätigungsverbote im Vergabeverfahren, konnte die Frage allerdings offen lassen, da ein Verstoß gegen § 108 der Niedersächsischen Gemeindeordnung nicht vorlag, vgl. OLG Celle v. 9.4.2009 – 13 Verg 7/08, NZBau 2009, 397, Rz. 74 ff. 4 OVG Münster v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 ff., Rz. 76; zuvor bereits OVG Münster v. 12.10.2004 – 15 B 1889/04 und 15 B 1873/04, NZBau 2005, 167 ff. 5 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00, VergabeR 2002, 467 ff.; bestätigt durch BGH v. 26.9. 2002 – I ZR 293/99, WM 2003, 1182 (1184 f.). A.A. wohl LG München v. 1.9.1995 – 1 HKO 3922/99 (zu Art. 87 BayGO). 6 VK Lüneburg v. 7.10.2003 – 203 VgK 19/2003. 7 VK Thüringen v. 7.5.2009 – 250-4003.20-2304, VPRRS 2009, 0384. 8 Vgl. VK Münster v. 4.10.2004 – VK 21/04.

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NRW zu einer Sittenwidrigkeit i.S.v. § 1 UWG führe und von den Kommunen verlangt werden könne, dass sie dies unterlassen. Diese Schutzfunktion verneint der BGH. Wenn eine Gemeinde gegen § 107 GO NRW verstößt, dann sei das wettbewerblich nicht automatisch ein unlauteres Verhalten i.S.v. § 1 UWG. Denn es solle keine allgemeine Kontrolle der Lauterkeit des Marktverhaltens der Gemeinden erreicht werden. Demzufolge haben andere Unternehmer keinen Anspruch aus § 1 UWG auf Unterlassung. Wenn die Gemeinde aber in den Markt eintritt und sich konkret in einen Wettbewerb mit anderen Unternehmen begibt, dann habe § 107 GO NRW eine den Wettbewerb regelnde Funktion1. Demgegenüber wird im Schrifttum betont, dass einerseits die kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften nur den Zugang zum Wettbewerb regeln und nicht die Frage, wie dieser auszuüben ist. Andererseits sei auch der Schutznormcharakter im Hinblick auf jeden einzelnen Wettbewerber zweifelhaft2. Zudem diene der Vergaberechtsschutz nicht der Durchsetzung kommunalverfassungsrechtlicher Vorgaben3. Schließlich spreche auch die Entscheidung des EuGH im Fall „ARGE Gewässerschutz“4 (vgl. Rz. 49) dafür, dass nicht jede Ungleichbehandlung von Wettbewerbern, die aus anderen Rechtsbereichen herrührt, zu einem vergaberechtlichen Ausschluss führen müsse5. 4. In-house-Geschäfte/sonstige Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern (interkommunale Kooperation)/ Rekommunalisierung a) In-house-Geschäft Keinen – jedenfalls keinen ausschreibungspflichtigen – öffentlichen Auftrag 53 i.S.v. § 103 stellen die sog. In-house-Geschäfte dar6. Hintergrund ist, dass ein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 103 stets die Teilnahme eines öffentlichen Auftraggebers am Markt voraussetzt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn der öffentliche 1 VK Münster v. 4.10.2004 – VK 21/04. 2 So Potthast, NZBau 2000, 181 (182). 3 So Schmidt-Wottrich/Harms, VergabeR 2004, 691 (701); Antweiler, VergabeR 2001, 259 (269 f.). 4 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-94/99, Slg. I-11037, VergabeR 2001, 28 ff. – ARGE Gewässerschutz. 5 So Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 140. In eine ähnliche Richtung weist die Entscheidung der VK Lüneburg v. 11.1.2001 – 203 VgK-19/00, die unter Anwendung von § 108 NdsGO davon ausgeht, dass eine exterritoriale Tätigkeit kommunaler Unternehmen die gesetzlichen Betätigungsgrenzen nicht in jedem Einzelfall überschreiten müsse. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Abfallentsorgung in einem Nachbarkreis nur untergeordnete Bedeutung habe. Entsprechendes soll bei der Betätigung einer Kommune auf dem Gebiet des ÖPNV gelten, vgl. VK Lüneburg v. 31.8.2005 – VgK-35/2005. 6 Vgl. zum Ganzen auch den Rechtsprechungsüberblick bei Just, EuZW 2009, 879 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Auftraggeber seine interne Aufgabenorganisation verlässt, um Verträge mit außenstehenden Dritten abzuschließen1. Überträgt er die Erfüllung eines öffentlichen Auftrags jedoch auf eine andere Landes- oder Bundesbehörde innerhalb derselben Körperschaft, eine eigene Verwaltungsabteilung oder einen Eigenbetrieb, so bleibt der öffentliche Auftraggeber in seiner eigenen Sphäre mit der Folge, dass in materieller Hinsicht kein anderer mit der Leistungserbringung beauftragt wird, sondern die Leistung von einer Stelle erbracht wird, die der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers zuzurechnen ist (sog. In-house-Geschäft)2. 54 Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20163 wurde das

Rechtsinstitut des In-house-Geschäftes, bei dem es sich bislang um reines Richterrecht handelte, erstmals im Kartellvergaberecht der §§ 97 ff. kodifiziert, und zwar in § 108 Abs. 1–5 sowie 7 und 8. Zu diesbezüglichen Einzelheiten wird daher an dieser Stelle auf die Kommentierung zu § 108, dort insbesondere Rz. 5 ff. und 112 f., sowie auf das oben unter Rz. 39–44 Gesagte verwiesen.

b) Sonstige Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern (interkommunale Kooperation) 55 Für (sonstige) Kooperationen zwischen öffentlichen Auftraggebern, insbesondere

im kommunalen Bereich (sog. interkommunale Zusammenarbeit), gilt, dass diese weder generell dem Vergaberecht unterfallen noch alle in Betracht kommenden Formen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen sind, sondern vielmehr eine differenzierende Betrachtungsweise unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände erforderlich ist4. Was diesbezügliche Einzelheiten betrifft, wird auf die Kommentierung zu § 108 Rz. 72 ff. verwiesen. c) Reverstaatlichung/Rekommunalisierung/Rückverlagerung von öffentlichen Aufgaben

56 In engem Zusammenhang mit dem Rechtsinstitut der interkommunalen Koope-

ration stehen auch die Themen Rekommunalisierung bzw. Rückverlagerung von öffentlich-rechtlichen Aufgaben und Kompetenzen. So kann sich beispielsweise

1 OLG Naumburg v. 8.1.2003 – 1 Verg 7/02, NZBau 2003, 224 (228); OLG Brandenburg v. 9.12.2002 – Verg W 9/02, NZBau 2003, 229 (231); OLG Koblenz v. 20.12.2001 – 1 Verg 4/ 01, NZBau 2002, 346 f.; VK Hessen v. 24.3.2004 – 69d-VK-03/2004; Hailbronner in Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 9; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 9 und 19 f. 2 BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, BGHZ 148, 55, 61 f.; OLG Naumburg v. 8.1.2003 – 1 Verg 7/02, NZBau 2003, 224 (228); OLG Koblenz v. 20.12.2001 – 1 Verg 4/01, NZBau 2002, 346 f.; Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 9. 3 BGBl. I 2016, 203 ff. 4 Ebenso Bergmann/Vetter, NVwZ 2006, 497 ff.

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nach Ablauf eines Vertrages zur Aufgabenprivatisierung seitens des öffentlichen Auftraggebers ein Interesse ergeben, die Aufgabe künftig wieder durch eine eigene Dienststelle oder durch eine eigene Tochtergesellschaft zu erledigen. Eine solche Rückverlagerung bei der Aufgabenwahrnehmung wird als Reverstaatlichung bzw. Rekommunalisierung bezeichnet1. Sie stellt das spiegelbildliche Gegenstück zur funktionalen Privatisierung dar und unterliegt deshalb – als Akt der Verwaltungsorganisation – nicht dem Vergaberecht2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei einer erstmaligen Aufgabenübertragung an die eigene Dienststelle oder die Tochtergesellschaft die Voraussetzungen eines In-house-Geschäftes vorlägen3. Denn auch die Rückverlagerung entsprechender Aufgaben mittels Verträgen kann einen Beschaffungsvorgang darstellen, der an den Grundsätzen der In-house-Vergabe zu messen ist4. Wenn hingegen die Aufgabenerledigung zwar in den kommunalen Bereich zu- 57 rückverlagert wird, aber nicht auf eine eigene Dienststelle oder Tochtergesellschaft der Kommune, sondern auf eine andere (Gebiets-)Körperschaft, so kann es an den Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien Rekommunalisierung fehlen5. Die Verlagerung oder Rückverlagerung von öffentlich-rechtlichen Kompeten- 58 zen von einer kommunalen oder staatlichen Stelle zu einer anderen, z.B. im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung, unterfällt mangels Beschaffungscharakter und damit in Ermangelung einer funktionalen und gewerbsmäßigen Teilnahme am Markt ebenfalls nicht dem Begriff des öffentlichen Auftrags i.S.v. § 1036; jedenfalls dann nicht, wenn die (Rück-)Verlagerung auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruht7. Dies hat die VK Saarland unter Berufung auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zur Gründung eines Zweckverban1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 15.10.2003 – VII-Verg 50/03; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 59. 2 Ganske in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Februar 2012, § 56 WHG Rz. 69; Queitsch in Wellmann/Queitsch/Fröhlich, Wasserhaushaltsgesetz, 1. Aufl. 2016, § 56 Rz. 29. 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII-Verg 78/03, NZBau 2004, 398, 399 f.; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 ff.; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58, 60; OLG Naumburg v. 2.3.2006 – 1 Verg 1/06, VergabeR 2006, 406 (410); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 131; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 60. 4 Vgl. OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – XI Verg 3/11, VergabeR 2012, 47 ff.; OLG Hamburg v. 14.12.2010 – I Verg 5/10, NZBau 2011, 185 f.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 363 ff. 5 OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (61); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 362. 6 Ähnlich Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 62. 7 So VK Saarland v. 24.10.2008 – 3 VK 1/2008, IBRRS 2008, 3091; VK Saarland v. 24.10. 2008 – 3 VK 2/2008, IBRRS 2008, 3092.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe des1 entschieden und insoweit argumentiert: Die Rückgängigmachung, d.h. die Rückverlagerung von übertragenen Aufgaben auf die kraft Selbstverwaltungshoheit originär zuständige Kommune, müsse rechtlich entsprechend der zugrunde liegenden (Hin-)Verlagerung (actus contrarius) eingeordnet und behandelt werden, so dass es sich hierbei ebenfalls um einen dem Vergaberecht entzogenen Akt der Verwaltungsorganisation handele. Die vom Gesetzgeber zugelassene Bildung von Zweckverbänden stelle eine Ausformung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und der Organisationshoheit der Gemeinden dar. Von dem gleichen Selbstverwaltungsrecht und der gleichen Organisationshoheit sei es auch gedeckt, wenn die Gemeinden wieder aus diesem Zweckverband ausscheiden oder einzelne Aufgaben (zurück-)übertragen erhalten, dieser Rückübertragungsakt auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruht und private Dritte an dieser Übertragung nicht beteiligt sind2. 59 Etwas anderes gilt dann, wenn in eine Reverstaatlichung eine Beschaffung ein-

gekapselt ist. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag nicht an sich selbst, sondern auf einen Dritten (etwa eine andere Gebietskörperschaft) überträgt. Eine Vergaberechtsfreiheit ist dann nur gegeben, sofern auch die (engen) Voraussetzungen eines In-house-Geschäfts oder einer horizontalen öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit i.S.v. § 108 vorliegen und der Vorgang unter Beachtung der vergaberechtlichen Bestimmungen vollzogen werden kann3.

60 Erwirbt der öffentliche Auftraggeber im Zuge der Rekommunalisierung bzw.

Reverstaatlichung Unternehmen oder Unternehmensanteile, so sind ferner auch die Grundsätze der Vergabepflichtigkeit öffentlicher Akquisition (Kauf von Unternehmensanteilen) zu beachten4. Maßgeblich ist letztlich, ob der Vorgang einen Beschaffungsbezug aufweist, weil mit dem Erwerb bei wirtschaftlicher Betrachtung Leistungen beschafft werden – mithin also eine Beschaffung „eingekapselt“ ist5 (s. in diesem Zusammenhang auch Rz. 179 ff.).

5. Schriftform 61 In den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen gem. Art. 2 Abs. 1

Nr. 5 der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2014/25/EU lediglich „schriftlich geschlossene […] Verträge“. Der Begriff „schriftlich“ umfasst gem. Art. 1 Abs. 1 Nr. 18 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Art. 2 Nr. 14 der

1 OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – VII-Verg 17/06, NZBau 2006, 662 ff. 2 So VK Saarland v. 24.10.2008 – 3 VK 1/2008, IBRRS 2008, 3091; VK Saarland v. 24.10. 2008 – 3 VK 2/2008, IBRRS 2008, 3092. 3 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 61; OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47 ff.; OLG Naumburg v. 3.11. 2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 ff. 4 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 61 und 63 ff. 5 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 63 ff.

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Richtlinie 2014/25/EU jede aus Wörtern oder Ziffern bestehende Darstellung, die gelesen, reproduziert und mitgeteilt werden kann, einschließlich anhand elektronischer Mittel übertragener und gespeicherter Informationen. § 103 Abs. 1 nennt dieses Kriterium nicht. In dem Regierungsentwurf findet sich lediglich der Hinweis, dass Formerfordernisse auf Verordnungsebene geregelt würden1. Der nationale Gesetzgeber bezieht somit in zulässiger Weise über die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen hinaus auch mündlich abgeschlossene Verträge ein2. Der Unterschied zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem nationalen Recht beruht darauf, dass nach deutschem Recht ein wirksamer Vertrag auch im Vergaberecht grundsätzlich durch schriftliche und mündliche Vereinbarung zustande kommen kann3. Die Einhaltung des Schriftformerfordernisses ist daher unter dem Gesichtspunkt des effektiven Bieterschutzes nicht erforderlich4. Unberührt bleiben jedoch die gesetzlichen Formvorschriften, soweit diese auf den Vertragsgegenstand Anwendung finden5. Da die Schriftform im Sinne der EU-Vergaberichtlinien aber lediglich die Text- 62 form i.S.v. § 126b BGB bedingt (vgl. Art. 1 Abs. 1 Nr. 18 der Richtlinie 2014/24/ EU und Art. 2 Nr. 14 der Richtlinie 2014/25/EU sowie Rz. 61), dürfte es – ein vergaberechtskonformes Vergabeverfahren unterstellt – faktisch indes zu keinen Unterschieden kommen. Denn der öffentliche Auftraggeber hat das Vergabeverfahren gem. § 8 VgV vollständig in der Textform des § 126b BGB zu dokumentieren, was auch die Angebote der Bieter und die Zuschlagserteilung mit umfasst6. 6. Auswahl unter Bietern Eine Auswahl unter Bietern als Voraussetzung für das Vorliegen eines öffent- 63 lichen Auftrags enthält § 103 Abs. 1 nicht7.

III. Lieferaufträge (§ 103 Abs. 2) § 103 Abs. 2 Satz 1 definiert Lieferaufträge als Verträge zur Beschaffung von 64 Waren, die insbesondere Kauf, Ratenkauf, Leasing, Miet- oder Pachtverhältnisse (mit oder ohne Kaufoption) betreffen. Dies entspricht der aktuellen Definition 1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. 2 Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 33. 3 BayObLG v. 10.10.2000 – Verg 5/00, VergabeR 2001, 55 (58); Eschenbruch in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 67; Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 60 f. 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, VergabeR 2012, 35 (39); OLG Naumburg v. 22.12.2011 – 2 Verg 10/11, NZBau 2012, 258 (259). 5 Ebenso Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 60 f. 6 Hierauf weist (für den Bereich der Konzessionsvergabe) insbesondere auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 28 f. hin. 7 VK Bund v. 17.12.2010 – VK 1-121/10.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe in Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 der Richtlinie 2014/24/EU sowie auch bereits den Definitionen in § 99 Abs. 2 Satz 1 GWB a.F. und Art. 1 Abs. 2 lit. c) UA 1 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG. 65 § 103 Abs. 2 Satz 1 nennt beispielhaft Kauf, Ratenkauf, Leasing, Miete oder

Pacht mit und ohne Kaufoption. Diese Aufzählung ist nicht abschließend1. Auch andere Vertragsformen können daher einen Lieferauftrag darstellen. Maßgeblich ist allein, dass sich der Auftraggeber für einen – wenn auch nur vorübergehenden – Zeitraum die tatsächliche Verfügungsgewalt über eine Ware gegen Zahlung eines Entgelts verschafft, sei es durch Erwerb oder durch Gebrauchsüberlassung2. Es ist also auch nicht notwendig, dass der Auftraggeber Eigentümer des gelieferten Gegenstandes wird.

66 Unter „Waren“, die in Art. 28 AEUV erwähnt werden, sind alle beweglichen Sa-

chen zu verstehen, die einen Geldwert haben und Gegenstand eines Handelsgeschäfts sein können3. Auch unkörperliche Gegenstände wie Strom und Gas oder Softwareprogramme4 sind als Waren anzusehen5. Der Warenbegriff unterscheidet auch nicht danach, ob die fraglichen Waren standardmäßig oder für den Einzelfall, d.h., nach den konkreten Wünschen und Bedürfnissen des Kunden, hergestellt wurden. Der Warenbegriff schließt folglich auch ein Anfertigungsverfahren ein, unabhängig davon, ob die betreffende Ware den Verbrauchern bereits in fertigem Zustand zur Verfügung gestellt oder nach deren Anforderungen hergestellt worden ist. Diese Betrachtungsweise wird durch Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 1999/44/EG6 bestätigt, der als „Kaufverträge“ allgemein und ohne Unterscheidung „Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Verbrauchsgüter“ einstuft7. Auch der sog. Werklieferungsvertrag i.S.d. § 651 BGB stellt daher einen Lieferauftrag dar8, soweit es sich nicht um einen Bauvertrag (Rz. 70 ff.) handelt.

67 Unbewegliche Gegenstände unterfallen nicht dem Anwendungsbereich des

§ 103 Abs. 2. Dies wird in § 107 Abs. 1 Nr. 2 klargestellt. Aus dem gemeinschaftsrechtlichen Kontext wird deutlich, dass der Warenbegriff insbesondere

1 2 3 4 5 6 7 8

So bereits Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 73. VK Südbayern v. 8.10.2001 – 28-08/01. EuGH v. 10.12.1968 – Rs. C-7/68, Slg. 1968, 634 (642) – Kunstschätze. Nicht jedoch die Aufrüstung eines bestehenden EDV-Abrechnungsprogramms mit wesentlichen Implementierungsleistungen, vgl. VK Baden-Württemberg v. 3.6.2002 – 1 VK 20/02. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 162. Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. Nr. L 171 v. 7.7.1999, S. 12 ff. EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07, NJW 2009, 2427 (2430) – Rz. 64 f. – Oymanns. VÜA Bund v. 2.8.1994 – 1 VÜ 1/94; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 75.

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abzugrenzen ist von dem Begriff des „Bauwerks“, der gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU definiert ist als das Ergebnis einer Gesamtheit von Hoch- oder Tiefbaumaßnahmen, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Alles was funktional auf die Erstellung eines Bauwerks ausgerichtet ist, unterfällt daher nicht den Lieferverträgen1. Hingegen weisen Aufträge, die nicht über den reinen Austausch einer Ware gegen Vergütung hinausgehen, die insbesondere die bloße Lieferung von Baustoffen oder Bauteilen ohne individuelle, auf das Bauvorhaben bezogene Be- oder Verarbeitung zum Gegenstand haben, keinen hinreichend engen funktionalen Zusammenhang mit der Erstellung des Bauwerks auf. Sie zählen nicht zu den Bau-, sondern zu den Lieferaufträgen2. Umstritten ist, ob Immobilien ausnahmsweise Warencharakter haben können3. 68 Die Frage stellt sich insbesondere für Immobilien-Leasing- oder Mietkaufverträge. Soweit die Voraussetzungen des § 103 Abs. 3 Satz 2, der Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU entspricht, vorliegen, stellt der Immobilien-Leasing- oder Mietkaufvertrag einen Bauauftrag dar (vgl. Rz. 100 ff.). Im Übrigen ist er nach § 107 Abs. 1 Nr. 2 dem Anwendungsbereich des Vergaberechts entzogen. Eine Ausnahme gilt lediglich für die im Zusammenhang mit einem solchen Vertrag erbrachten Finanzierungsdienstleistungen, die § 103 Abs. 4 unterfallen (vgl. § 107 Abs. 1 Nr. 2 a.E.). Nach § 103 Abs. 2 Satz 2 können Lieferaufträge auch Nebenleistungen umfas- 69 sen. Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 der Richtlinie 2014/24/EU nennt beispielhaft Verlegeund Installationsarbeiten. Isoliert gesehen handelt es sich hierbei um Dienstleistungen. § 103 Abs. 2 Satz 2 spricht folglich gemischte Verträge an. Zu deren Einordnung als Liefer- bzw. Dienstleistungsauftrag vgl. Rz. 131 ff. Eine Nebenleistung i.S.d. § 103 Abs. 2 Satz 2 liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn sie funktional auf die Erbringung der Lieferleistung bezogen ist, also deren Erbringung ermöglichen oder erleichtern soll, und ihr lediglich eine untergeordnete Rolle zukommt, d.h. der Schwerpunkt eindeutig in der Lieferung liegt. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist die fragliche Leistung regelmäßig als eigenständiger Dienstleistungsauftrag auszuschreiben4.

1 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 161. 2 OLG München v. 28.9.2005 – Verg 19/05, VergabeR 2006, 238 ff., mit Anm. Diercks. 3 Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 67 und 120 f. 4 Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 155; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 164; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 79.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe IV. Bauaufträge (§ 103 Abs. 3) 1. Die drei Varianten des § 103 Abs. 3 70 § 103 Abs. 3 definiert den Begriff des Bauauftrags und passt den bisherigen § 99

Abs. 3 GWB a.F. an den neuen Richtlinientext an. Die Bestimmung sieht für die Definition des Bauauftrags – entsprechend dem Richtlinientext (vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/EU) – nach wie vor drei Varianten vor1. Hierbei handelt es sich um – Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung von Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten, die in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang I der Richtlinie 2014/25/ EU genannt sind (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1), – Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauwerkes für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2), und – Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung einer Bauleistung durch Dritte, die dieser gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber genannten Erfordernissen erbringt, die dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt und bei der der Auftraggeber einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung hat (§ 103 Abs. 3 Satz 2).

71 Der § 103 Abs. 3 zugrunde liegende Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/

EU definiert „öffentliche Bauaufträge“ als „öffentliche Aufträge mit einem der folgenden Ziele: a) Ausführung oder sowohl die Planung als auch die Ausführung von Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der in Anhang II genannten Tätigkeiten; b) Ausführung oder sowohl die Planung als auch die Ausführung eines Bauvorhabens; c) Erbringung einer Bauleistung durch Dritte – gleichgültig mit welchen Mitteln – gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber, der einen entscheidenden Einfluss auf die Art und die Planung des Vorhabens hat, genannten Erfordernissen“.

72 Ein „Bauwerk“ wird gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU de-

finiert als „das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- und Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll“.

73 Da Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU für die Bestimmung

ihrer Bedeutung und ihrer Reichweite keinerlei ausdrücklichen Verweis auf das

1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74.

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Recht der Mitgliedstaaten enthalten, kommt es für das Vorliegen eines Bauauftrags maßgebend auf die Definition des § 103 Abs. 3 im Lichte einer unionsrechtskonformen Auslegung an1. Nicht maßgeblich sind daher grundsätzlich auch die Definitionen der in § 1 VOB/A genannten Bauleistung und dem in § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB verwendeten Begriff des „Bauwerks“. Allerdings kann auf die zu § 1 VOB/A in Rechtsprechung und Literatur entwickelte Kasuistik insoweit zurückgegriffen werden, wie sich kein Widerspruch zum unionsrechtlich geprägten Begriff in § 103 Abs. 3 ergibt2. Mit Blick auf das Gebot der am Unionsrecht orientierten Auslegung des Begriffs 74 des Bauauftrags gem. § 103 Abs. 3 erscheinen insbesondere die – in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/EU nicht enthaltenen – Tatbestandsmerkmale „für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber“ (vgl. § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2) und „unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt“ (vgl. § 103 Abs. 3 Satz 2) erläuterungsbedürftig. Diese wurden so bzw. so ähnlich bereits in § 99 Abs. 3 GWB a.F. durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20093 zum Zwecke der Klarstellung des erforderlichen Beschaffungscharakters4 eingefügt. Die Erläuterungsbedürftigkeit ergibt sich zum einen daraus, dass das Erfordernis des Beschaffungscharakters in gleicher Weise für alle öffentlichen Aufträge und daher lediglich einer allgemeinen, „vor die Klammer gezogenen“ Regelung in § 103 Abs. 1 (bzw. § 99 Abs. 1 GWB a.F.) bedarf (bzw. bedurfte)5. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der (älteren) Rechtsprechung des EuGH6, insbesondere vom OLG Düsseldorf im Rahmen der sog. „Ahlhorn“Rechtsprechung, entnommen wurde, dass die Anwendung des Vergaberechts vom künftigen Verwendungszweck des Bauwerks und von der Deckung eines gegenständlichen, körperlich greifbaren Beschaffungsbedarfs unabhängig sei7 (s. 1 Vgl. insoweit bereits EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, Rz. 40 – Stadt Roanne; EuGH v. 20.10.2005 – Rs. C-264/03, Slg. I-08831, VergabeR 2006, 54 (58) – Rz. 36. 2 BayObLG v. 23.7.2002 – Verg 17/02, NZBau 2003, 340 (341); OLG München v. 28.9.2005 – Verg 19/05, VergabeR 2006, 238 (240); VK Südbayern v. 17.2.2006 – 01-01/06; VK Bund v. 31.7.2006 – VK 2-65/06; VK Bund v. 2.5.2003 – VK 1-25/03; VK Brandenburg v. 26.11.2003 – VK 72/03. 3 BGBl. I 2009, 790 ff. 4 Vgl. hierzu auch den seinerzeitigen Hinweis des Bundesrats in BT-Drucks. 16/10117, S. 40. 5 Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 40. 6 Vgl. insb. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385 – Stadt Roanne, NZBau 2007, 185 (188) – Rz. 47; sowie ferner auch EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96, Slg. I-00073, EuZW 1998, 120 (123) – Rz. 33; EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98 – Teatro alla Bicocca, NZBau 2001, 512 f.; EuGH v. 18.11.2004 – Rs. C-126/03, Slg. I-11197, NZBau 2005, 49 (50) – Rz. 18 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 15.6.2006 in der Rs. C-220/05, Slg. I-00385, Rz. 42; OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730); Burgi, NVwZ 2008, 929 (932). 7 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730); ebenso Burgi, NVwZ 2008, 929 (932).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe hierzu insb. auch Rz. 194 ff.). Der Begriff des öffentlichen Beschaffungswesens sollte danach vielmehr so zu verstehen sein, dass hierunter nicht nur solche Maßnahmen eines öffentlichen Auftraggebers fallen, die unmittelbar der Deckung seines eigenen Bedarfs dienen, sondern auch solche, mit denen er konkrete eigene Zielsetzungen bzw. mittelbare Eigeninteressen verfolgt. Ausreichen sollen bereits allgemeine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zwecksetzungen, wie beispielsweise die gesicherte städtebauliche Entwicklung oder die strukturelle Aufwertung und Belebung bestimmter, der kommunalen Planungshoheit unterliegender Zonen1. Es sollte daher genügen, dass der öffentliche Auftraggeber die rechtliche Befugnis erlangt, sicherzustellen, dass der mit der Beschaffung verfolgte öffentliche Zweck erreicht wird2. Zur abschließenden Klärung dieser Problematik hatte das OLG Düsseldorf dem EuGH u.a. die Fragen vorgelegt3: – Setzt ein öffentlicher Bauauftrag nach Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG konstitutiv voraus, dass die Bauleistung in einem gegenständlich oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird und ihm unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt? – Sofern nach der Begriffsbestimmung des öffentlichen Bauauftrags in Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG auf das Element der Beschaffung nicht verzichtet werden kann: Ist nach der zweiten Variante der Vorschrift eine Beschaffung anzunehmen, wenn das Bauvorhaben für den öffentlichen Auftraggeber eine bestimmte öffentliche Zweckbestimmung erfüllen (z.B. der städtebaulichen Entwicklung eines kommunalen Ortsteils dienen) soll und der öffentliche Auftraggeber kraft des Auftrags mit der rechtlichen Befugnis ausgestattet ist sicherzustellen, dass der öffentliche Zweck erreicht wird und das Bauwerk dafür künftig zur Verfügung steht? – Unterfallen Aufträge, durch die mittels der vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse gewährleistet werden soll, dass das herzustellende Bauwerk für einen bestimmten öffentlichen Zweck zur Verfügung steht, und durch die dem Auftraggeber (kraft vertraglicher Abrede) zugleich die rechtliche Befugnis gegeben wird, (im mittelbaren Eigeninteresse) die Verfügbarkeit des Bauwerks für die Öffentliche Zweckbestimmung sicherzustellen, dem Begriff des öffentlichen Bauauftrags nach der dritten Variante des Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG? 1 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730 f.); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140); OLG Düsseldorf v. 13.6. 2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (533); OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (538 f.); OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, NZBau 2008, 336 (337 f.). 2 So m.w.N. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730). 3 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (734).

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Vor diesem Hintergrund war die Gemeinschaftsrechtskonformität der seinerzeit neu in § 99 Abs. 3 GWB a.F. eingefügten Voraussetzungen fraglich. In der Entscheidung über den Vorlagebeschluss in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.2010 hat der EuGH die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Formulierung jedoch ausdrücklich als gemeinschaftsrechtskonform bestätigt1 (s. hierzu auch Rz. 82 und 197 ff.). Demzufolge begegnen diese, nunmehr auch in § 103 Abs. 3 übernommenen Tatbestandsmerkmale keinen europarechtlichen Bedenken, auch wenn diese keinen Eingang in den Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/EU gefunden haben. Die Bestimmungen, die öffentliche Auftraggeber bei Vergabe eines Bauauftrags 75 zu beachten haben, ergeben sich aus § 2 VgV. Danach sind Abschnitt 1 und Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 der Vergabeverordnung (VgV) und im Übrigen Teil A Abschnitt 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/ A) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.1.2016 anzuwenden. 2. Gemeinsame Voraussetzungen der drei Varianten des § 103 Abs. 3 a) Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung Den drei in § 103 Abs. 3 genannten Varianten ist gemeinsam, dass sie sich je- 76 weils sowohl auf die Ausführung von Bauleistungen oder auch – wie § 103 Abs. 3 Satz 1 klarstellt – die gleichzeitige Planung und Ausführung von Bauleistungen beziehen. Damit wird die Gesamtheit aller möglichen Bauleistungen erfasst, die in einem funktionalen Zusammenhang stehen2. Planungsleistungen, die mit den Bauleistungen eine Einheit bilden können, können dabei alle Architekten- und Ingenieurleistungen im Zusammenhang mit der Errichtung einer Immobilie sein. In Betracht kommen insoweit zum einen sämtliche Objekt- und Fachplanungsleistungen (insbesondere nach der HOAI), zum anderen aber auch 1 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Rz. 58 – Helmut Müller GmbH, wo es heißt: „Folglich ist auf die erste und zweite Frage zu antworten, dass der Begriff ‚öffentliche Bauaufträge‘ i.S.v. Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nicht voraussetzt, dass die Bauleistung, die Gegenstand des Auftrags ist, in einem gegenständlichen oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird, wenn sie diesem unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt.“ Ähnlich auch bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11.2009 in der Rs. C-451/08, Rz. 52 ff. – Helmut Müller GmbH. 2 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 432. Ein solcher funktionaler oder technisch-funktionaler Gesamtzusammenhang ist nicht mehr gegeben, wenn einzelne Maßnahmen eigenständige Zwecke in baulicher Hinsicht erfüllen und zeitlich getrennt voneinader realisiert werden. Vgl. VK Brandenburg v. 21.8.2009 – VK 31/09.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe darüber hinausgehende Leistungen wie z.B. eine Fassadenplanung, ein projektspezifisches Facilitymanagement oder Projektmanagementaufgaben1. Ob derartige Leistungen als zusammengefasste Leistungen den Regelungen über die Bauvergabe unterfallen, ist letztlich aber stets einzelfall- bzw. auftragsbezogen zu bestimmen2. Wie Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 2014/24/EU klarstellt, bezweckt diese insbesondere nicht, eine gemeinsame oder eine getrennte Vergabe vorzuschreiben. Angesichts der für die öffentlichen Bauaufträge kennzeichnenden Vielfalt der Aufgaben sollten die öffentlichen Auftraggeber jedoch sowohl die getrennte als auch die gemeinsame Vergabe von Aufträgen für die Planung und die Ausführung von Bauleistungen vorsehen können. Der öffentliche Auftraggeber kann daher insoweit grundsätzlich allein nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entscheiden, muss in Deutschland aber gem. § 97 Abs. 4 auch mittelständische Interessen hinreichend mit berücksichtigen3. 77 Beabsichtigt der öffentliche Auftraggeber die Planung und Errichtung eines Bau-

vorhabens an einen einzigen Auftragnehmer, etwa einen Generalübernehmer4, zu vergeben, ist folglich unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten eine Trennung in die Ausschreibung der Bauarbeiten nach VgV und VOB/A und der Planungsleistungen nach der VgV (früher der VOF) nicht erforderlich. Vielmehr hat eine gemeinsame Vergabe zu erfolgen, auf die einheitlich die Vorschriften für die Vergabe von Bauleistungen (vgl. Rz. 75) Anwendung finden5. Wird die Planung getrennt vergeben, liegt jedoch ein Dienstleistungsauftrag i.S.v. § 103 Abs. 4 bzw. – konkreter – ein Auftrag über (andere) besondere Dienstleistungen i.S.v. § 130 GWB vor, der regelmäßig zur Anwendung der Bestimmungen der VgV unter Berücksichtigung der Besonderheiten gem. §§ 64 ff. VgV führt. Abzuheben ist darauf, ob die Vergabe von Ausführungs- und Planungsleistungen nach der Intention des Auftraggebers gemeinsam erfolgt, wobei auf den Text der Bekanntmachung bzw. der Ausschreibungsunterlagen abzustellen ist. Werden Ausführungs- und Planungsleistungen für ein einheitliches Bauvorhaben getrennt voneinander ausgeschrieben, verbleibt es bei dieser Trennung, selbst wenn an beiden Ausschreibungen die gleichen Bieter teilnehmen bzw. der Zuschlag an den gleichen Auftragnehmer erteilt wird.

78 § 103 Abs. 3 Satz 1 setzt voraus, dass Ausführungs- und Planungsleistungen

gleichzeitig vergeben werden. Im Regelfall wird sich die auszuschreibende Pla-

1 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 433 und 435. 2 Ebenso Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 433. 3 Ähnlich Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 433 f. 4 Allgemein zur Beteiligungsfähigkeit eines Generalübernehmers Noch, Vergaberecht kompakt, 7. Aufl. 2016, Rz. 298 ff. 5 Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 99.

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nung auf das gesamte Bauvorhaben beziehen. Möglich ist jedoch, dass die Ausführungsleistungen umfangreicher als die Planungsleistungen sind. Dies ist etwa dann der Fall, wenn für das beabsichtigte Bauvorhaben bereits eine Vor- oder Entwurfsplanung vorliegt, d.h. sich die zu vergebenden Planungsleistungen auf die Genehmigungs- und/oder Ausführungsplanung beschränken. Daneben sind Fälle denkbar, in denen für einen Teil der beabsichtigten Ausführungsleistungen bereits eine Ausführungsplanung vorliegt, während die Planung für weitere Teilbereiche noch zu erstellen ist und gemeinsam mit den Ausführungsleistungen vergeben werden soll. In beiden Fällen greift § 103 Abs. 3 ein. Es liegt folglich ein einheitlicher Bauauftrag vor, der den Regeln des in § 2 VgV festgelegten Rechtsregimes (vgl. Rz. 75) folgt. Schwierigkeiten können im umgekehrten Fall entstehen, wenn eine komplette 79 Planungsleistung (Vor- bis einschließlich Ausführungsplanung) lediglich mit einem Teil der Ausführungsleistungen (etwa den Rohbauarbeiten) vergeben wird oder wenn die Beplanung eines Gesamtbauvorhabens gemeinsam mit der Ausführung lediglich eines Teilgebäudes vergeben werden soll. In beiden Fällen geht der Umfang der Planungsleistungen über die zu vergebenden Ausführungsleistungen hinaus. Nach dem Wortlaut des § 103 Abs. 3 ist grundsätzlich auch in diesen Fällen von dem Vorliegen eines Bauauftrags auszugehen. Dies kann – mit Blick auf § 110 Abs. 1 Satz 1 – nur dann nicht gelten, wenn die zu vergebenden Ausführungsleistungen nicht mehr den Hauptgegenstand des Vertrages ausmachen (vgl. Rz. 164) oder gar gegenüber den Planungsleistungen in ihrer Bedeutung soweit zurücktreten, dass die Planungsleistungen eindeutig überwiegen und sich die Ausführungsleistungen lediglich als Nebenarbeiten darstellen. In diesen Fällen ist es gerechtfertigt, den Gesamtauftrag als Dienstleistungsvertrag i.S.d. § 103 Abs. 4 einzustufen1. Die Zusammenfassung sämtlicher Planungsleistungen mit den Bauleistungen in 80 § 103 Abs. 3 belegt schließlich auch die Irrelevanz der Rechtsnatur des Vertrages (s.u. Rz. 99). Danach spielt es aus vergaberechtlicher Sicht keine Rolle, ob der jeweilige Bauauftrag zivilrechtlich einen Werkvertrag (§ 631 BGB) darstellt. Vielmehr können auch sog. Werklieferungsverträge (§ 651 BGB) und selbst Dienstleistungs- (§ 611 BGB) und Kaufverträge (§ 433 BGB) infolge eines funktionsbedingten Zusammenhangs der zu beschaffenden Gegenstände mit dem Gebäude als Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 anzusehen sein2.

1 Ähnlich für die Kombination eines Bauauftrags mit einem Dienstleistungsauftrag, der nicht Planungsleistungen zum Gegenstand hatte, EuGH v. 19.4.1994 – Rs. C-331/92, Slg. 1994 I, 1329, 1351 – Gestión Hotelera Internacional SA, unter Berufung auf die 16. Begründungserwägung zur Richtlinie 92/50/EWG. 2 OLG Dresden v. 2.11.2004 – WVerg 11/04, VergabeR 2005, 258; OLG Düsseldorf v. 5.7. 2000 – VII-Verg 5/99, NZBau 2001, 106 (107 f.); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 409.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe b) Einklagbare Bau- oder Realisierungsverpflichtung 81 Das Vorliegen eines Bauauftrages i.S.v. § 103 Abs. 3 erfordert hinsichtlich aller

drei Varianten die Eingehung einer einklagbaren Bau- oder Realisierungsverpflichtung1. Bloße Absichtsbekundungen und nicht durchsetzbare Zusagen sind dagegen nicht relevant2.

82 Die Frage war indes – jedenfalls für die dritte Variante von § 103 Abs. 3 bzw. des-

sen Vorgängerbestimmung § 99 Abs. 3 GWB a.F. – bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.2010 umstritten. Das OLG Düsseldorf hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG zwar weder in der deutsch-, englisch- noch französischsprachigen Fassung Etwaiges zu entnehmen sei, und dem englischen Privatrecht beispielsweise eine Einklagbarkeit vertraglich verabredeter Bauleistungen in der Regel fremd sei. Gleichwohl wollte das OLG Düsseldorf zumindest für die zweite (und wohl auch die erste) Variante des § 99 Abs. 3 GWB a.F. an dem Erfordernis einer Realisierungsverpflichtung des Auftragnehmers, die über die Einhaltung ohnehin zu beachtender öffentlich-rechtlicher Bauvorschriften und bestehender Bebauungspläne hinausgeht, festhalten. Hinsichtlich der dritten Variante des § 99 Abs. 3 GWB a.F. hatte es hingegen mit Blick auf deren Auffangcharakter festgestellt, dass es dem Sinn und Zweck von § 99 Abs. 3 Alt. 3 GWB a.F., die Wirksamkeit der Vergaberichtlinien auch in Umgehungsfällen sicherzustellen, zuwiderlaufen würde, wenn man eine unmittelbare Verpflichtung des Auftragnehmers zur Herstellung des Bauwerks fordern würde3. Zur abschließenden Klärung dieser Problematik hatte das OLG Düsseldorf die Frage dem EuGH vorgelegt4. Der EuGH hat in seiner diesbezüglichen Entscheidung in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.2010 daraufhin ausdrücklich klargestellt, dass der Begriff des öffentlichen Bauauftrags es erfordert, dass der Auftragnehmer direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der Bauleistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, übernimmt und dass es sich um eine nach den im nationalen Recht geregelten Modalitäten einklagbare Verpflichtung handelt5. 1 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 59–63 – Helmut Müller GmbH. Ähnlich auch bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11. 2009 in der Rs. C-451/08, Rz. 80. Ebenso VK Darmstadt v. 4.9.2008 – 69d-VK-30/08, NZBau 2008, 795; VK Darmstadt v. 19.12.2007 – 69d-VK-06/2008, NZBau 2008, 339 f.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 466. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 466. 3 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). 4 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (734). 5 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 59-63 – Helmut Müller GmbH. Ähnlich auch bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11. 2009 in der Rs. C-451/08, Rz. 80.

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Demzufolge ist also eine vollstreckbare Bauverpflichtung erforderlich. Im Hin- 83 blick hierauf sind schlichte Rücktritts- oder Wiederverkaufsrechte nicht ausreichend, um eine einklagbare Bauverpflichtung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung zu begründen1. Solche Rücktrittsrechte werden in der Praxis häufig für den Fall vereinbart, dass der Grundstückskäufer das Grundstück nicht innerhalb einer bestimmten Zeit bestimmungsgemäß nutzt. In der Vereinbarung eines solchen Rücktrittsrechts könnte allenfalls eine „mittelbare“ Bauverpflichtung gesehen werden, da der Käufer das Grundstück zurückgeben muss, wenn er den Bau nicht durchführt. Eine solche Abrede stellt aber schon deshalb keinen öffentlichen Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 dar, weil der Käufer keine über den Kauf und seine mögliche Rückabwicklung hinausgehende Verpflichtung eingeht. Die Folge einer etwaigen Untätigkeit wäre nur, dass der ursprünglich von ihm angestrebte Verkauf des Grundstücks rückabgewickelt wird. Hierin kann indes keine eigenständige Verpflichtung zur Durchführung eines Bauauftrags gesehen werden2. Problematisch erweisen sich in diesem Kontext jedoch solche Rückabwicklungsregelungen, die den Käufer (zusätzlich) belasten, sei es in Form einer ausdrücklich vereinbarten Vertragsstrafenregelung, oder sei es in Form einer für den Käufer unvollständigen Rückabwicklung, weil er nur Teile des von ihm bezahlten Kaufpreises zurückbekommt3. In derartigen Fällen liegt es nahe, von einer faktischen Bauverpflichtung zu sprechen4, so dass insoweit – zumindest aus Gründen der Vorsorge – empfohlen wird, von der Anwendbarkeit des Vergaberechts auszugehen5. Ebenfalls problematisch ist in diesem Zusammenhang die Behandlung von 84 Durchführungsverträgen mit Durchführungspflicht gem. § 12 Abs. 1 und 6 BauGB. Das OLG Schleswig hat insoweit eine einklagbare Bauverpflichtung mit der Begründung verneint, dass es zwar möglich sei, im Falle von Leistungsstörungen eine Ersatzvornahme vertraglich zu vereinbaren. Bei „lebensnaher Betrachtung“ sei allerdings davon auszugehen, dass es zur Ersatzvornahme nicht komme, da die Kommune entsprechend der „Soll-Vorschrift“ des § 12 Abs. 6 BauGB eher den Bebauungsplan aufheben werde. Eine Einklagbarkeit sei somit 1 Vgl. VK Mecklenburg-Vorpommern v. 27.10.2011 – 3 VK 4/11, IBR 2012 2582; VK Baden-Württemberg v. 12.1.2011 – 1 VK 67/10, IBR 2011, 1404; VK Darmstadt v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, NZBau 2008, 339 ff.; Gartz, NZBau 2010, 293 (296); Hertwig, NZBau 2011, 9 (14); Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 19 und 25. 2 So Hertwig, NZBau 2011, 9, 14; zustimmend Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 19. 3 Hertwig, NZBau 2011, 9 (14). 4 Vgl. Terwiesche, Der Bauverwaltungsprozess, 2012, Rz. 449; Hertwig, NZBau 2011, 9 (14); Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 19. 5 So Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 19.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe nicht gegeben. Dies solle auch dann gelten, wenn für den Fall von Leistungsstörungen die Ersatzvornahme vertraglich vereinbart und zur Absicherung der Durchführung eine (hohe) Sicherheit zu leisten ist1. Die Entscheidung des OLG Schleswig ist jedoch, insbesondere hinsichtlich ihrer Verallgemeinerungsfähigkeit mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Grundsätzlich ist es nämlich durchaus kritisch zu bewerten, wenn im Rahmen eines Grundstücksgeschäfts eine nicht in § 12 BauGB vorgesehene Berechtigung zur Ersatzvornahme vereinbart wird. Wenn der Auftraggeber das Bauprojekt tatsächlich realisiert sehen möchte, wird er bei Leistungsstörungen nämlich regelmäßig nichts anderes als die Berechtigung zur Ersatzvornahme einklagen (vgl. § 887 ZPO). Vertraglich vorgesehene Ersatzvornahmerechte können daher eine starke Indizwirkung dahingehend haben, dass die Parteien im Ergebnis eine einklagbare Bauverpflichtung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung vereinbaren wollen2. Wenn zur Realisierung des Vorhabens ferner auf eine sehr hohe Sicherheit zurückgegriffen werden kann, erscheint es zudem keineswegs „lebensfremd“, dass eine Kommune im Zweifelsfall – sei es ganz oder teilweise – den Weg der Ersatzvornahme wählt3. 3. Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten gemäß Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) 85 Die erste in § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 geregelte Variante betrifft Bauleistungen,

die in Anlage II der Richtlinie 2014/24/EU (und Anhang I der Richtlinie 2014/ 25/EU) abschließend aufgenommen worden sind. Die in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU (der insoweit Anhang I der alten Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG entspricht) aufgeführten Bauleistungen wurden – wie die Gesetzesbegründung anmerkt4 – bereits in der bisherigen Praxis für die Abgrenzung von Bau- und Lieferaufträgen herangezogen5. Vor diesem Hintergrund nimmt die Neuregelung nunmehr – im Einklang mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. a) der Richtlinie 2014/24/EU (vgl. oben unter Rz. 71) – eine direkte Verknüpfung zum Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU bzw. zum Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU vor. Werden mithin Leistungen beauftragt, die im Zusammenhang mit den dort aufgeführten Tätigkeiten erbracht werden, liegt ein Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 vor6.

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OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff. Vgl. hierzu auch OLG Köln v. 4.10.2011 – 16 W 29/11, BeckRS 2012, 09191. So Hahn, IBR 2013, 1143. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. Vgl. beispielsweise OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – VII-Verg 35/13. Vgl. hierzu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 394.

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Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU 86 stellen das Verzeichnis der Berufstätigkeiten im Baugewerbe entsprechend dem allgemeinen Verzeichnis der wirtschaftlichen Tätigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft (NACE) dar. Dieses umfasst alle Tätigkeiten, die für ein Bauwerk oder an einem Bauwerk erbracht werden. Die Auflistung des NACE-Verzeichnisses ist nicht abschließend. Die in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU nicht aufgeführten Leistungen, die zur Erstellung eines Bauwerks erforderlich sind, sind jeweils der Untergruppe „Allgemeines“ der im Anhang genannten Tätigkeitsgruppen zuzuordnen. Aus Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang I der Richtlinie 2014/25/ 87 EU wird zudem deutlich, dass sich die Bauleistung nicht notwendigerweise auf einen Neubau beziehen muss. Vielmehr kommen alle Varianten von Bauleistungen in Betracht. Dazu gehören insbesondere die Erneuerung und Ergänzung bestehender Anlagen. Dementsprechend sind auch Leistungen der Modernisierung, Rekonstruktion und Sanierung den Bauaufträgen zuzurechnen1. Erfasst werden weiterhin auch Abbrucharbeiten. Es ist auch nicht erforderlich, dass sich die Bauleistungen auf ein Bauwerk als Ganzes beziehen. Vielmehr fällt auch die Herstellung einzelner Bauteile und Bauglieder unter § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, ohne dass es darauf ankommt, ob sie einen äußerlich hervortretenden, körperlich abgesetzten Teil des ganzen Baus darstellen2. Unerheblich ist grundsätzlich auch, ob und in welchem Umfang ggf. auftraggeberseitig Materialbeistellungen erfolgen3. 4. Bauwerk, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2) Gemäß § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 liegt ein Bauauftrag vor im Falle eines Vertra- 88 ges über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauwerkes für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Diese zweite Variante des § 103 Abs. 3 geht auf die Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU in Verbindung mit der Definition des „Bauwerks“ in Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU zurück (vgl. oben unter Rz. 72 f.). Zu der in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU nicht enthaltenen Formulierungen „für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber“ s. bereits oben unter Rz. 74. 1 BayObLG v. 23.7.2002 – Verg 17/02, NZBau 2003, 340 (341); VK Thüringen v. 17.4.2002 – 216-4002.20-008/02-SHL-S. 2 Korbion in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 1 VOB/A Rz. 23 m.w.N. 3 OLG Düsseldorf v. 31.1.2001 – U (Kart.) 9/00, VergabeR 2001, 345 ff., mit Anm. Schwenker; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 408.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 89 Aus der – in § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 wiedergegebenen bzw. wiederholten – De-

finition des „Bauwerks“ gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU als „das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- und Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll“, geht hervor, dass insoweit von einer Zusammenfassung von Einzelleistungen ausgegangen wird1. Die Begriffe Tief- und Hochbauarbeiten sollen dabei keinerlei Abgrenzungsfunktion zu anderen Bauleistungen schaffen; ihnen kommt lediglich eine eher deklaratorische Bedeutung zu2. Insbesondere kann das Bauwerk auch aus einer Kombination von Tief- und Hochbauarbeiten bestehen. Dementsprechend fällt alles, was zur Ausführung eines Bauwerks an Bauleistungen notwendig ist, unter den Begriff des Bauauftrags3. Umfasst werden also Verträge über die Erstellung eines Gesamtbauwerks. Insoweit kommt jede unbewegliche, durch Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit dem Erdboden hergestellte Sache in Betracht4, soweit diese eine funktionsfähige Anlage darstellt. Wesensmerkmal des Bauwerks ist die feste und innige Verbindung mit dem Boden5. Diese Voraussetzung liegt stets vor, wenn das Ergebnis der Arbeiten nach § 94 BGB wesentlicher Bestandteil des Grund und Bodens wird6.

90 In der Rechtsprechung und der Literatur besteht Einigkeit, dass eine weite Aus-

legung dessen, was als Bauwerk bzw. als zum Bauwerk gehörig gelten soll, geboten ist7. Es sollen alle Arten von Bauleistungen umfassend einbezogen werden8. Insbesondere bei Neubauvorhaben wird – in Abgrenzung zu Lieferaufträgen – der Kreis der Leistungen, die unter Bauleistungen subsumiert werden können, regelmäßig weit gezogen und alles, was der Herstellung und späteren bestimmungsgemäßen Nutzung (Funktion) einer baulichen Anlage dient, als Bauleistung angesehen. Entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob ein öf-

1 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 413. 2 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 413. 3 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 397. 4 BGH v. 22.6.1964 – VII ZR 44/63, BB 1964, 820; VK Brandenburg v. 5.4.2002 – VK 7/02; VK Brandenburg v. 12.2.2002 – 2 VK 123/01. Siehe auch bereits RG v. 20.11.2903 – VII 285/03, RGZ 56, 41, 43. 5 Bauer in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, § 1 VOB/A Rz. 9. 6 Bauer in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, § 1 VOB/A Rz. 9. 7 OLG Dresden v. 2.11.2004 – WVerg 11/04, VergabeR 2005, 258 (259); OLG Jena v. 22.8. 2002 – 6 Verg 5/01, VergabeR 2003, 97 (99); VK Brandenburg v. 18.11.2009 – VK 41/09; VK Düsseldorf v. 10.4.2008 – VK-05/2008-B; VK Sachsen v. 12.7.2007 – 1/SVK/049-07; VK Baden-Württemberg v. 15.3.2007 – 1 VK 3/07; VK Südbayern v. 29.11.2005 – Z3-33194-1-46-09/05; VK Bund v. 2.5.2003 – VK 1-25/03. 8 VK Brandenburg v. 18.11.2009 – VK 41/09; OLG Dresden v. 2.11.2004 – WVerg 11/04; Noch, BauR 1998, 941 (947); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 397.

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fentlicher Bauauftrag vorliegt, ist daher die Erreichung des im Vertrag geregelten Vertragsziels. Zu den Bauleistungen zählen insbesondere auch die Lieferung und Montage der für eine bauliche Anlage erforderlichen maschinellen und elektrotechnischen Anlagen und Anlagenteile sowie von Kommunikations- und fernmeldetechnischen Vermittlungs- und Übertragungseinrichtungen. Entscheidend ist, dass das Bauwerk ohne diese Anlagen noch nicht als vollständig fertig gestellt anzusehen ist. Unerheblich ist dagegen, ob sie wesentliche Bestandteile des Bauwerkes werden1. Selbst die Beschaffung bloßer Zubehörteile i.S.d. §§ 90 ff. BGB kann vergaberechtlich zur Ausführung eines Bauwerks gehören, sofern sie nur zur Herbeiführung von dessen Funktionsfähigkeit erforderlich ist. Einbaumaßnahmen, mit denen eine feste Verbindung zwischen Ausstattungsgegenständen und Gebäude geschaffen wird, sind zur Bejahung einer Bauleistung mithin nicht zwingend erforderlich. Der Gesichtspunkt des – notwendigen – Funktionszusammenhangs kann daher auch solche Beschaffungen, die sich bei isolierter Betrachtung als Lieferauftrag darstellen, zum Bestandteil einer Bauleistung machen2. Die Abgrenzung nach dem Kriterium des Funktionszusammenhangs kann sich im Einzelfall indes als schwierig erweisen3. Grundsätzlich sind zu den Bauleistungen alle zu montierenden Bauteile zu rechnen, insbesondere die Lieferung und die Montage maschineller und elektrotechnischer Einrichtungen. Hingegen sind solche Einrichtungen, die überwiegend unabhängig von der Baumaßnahme beschafft werden und mit dieser nicht in einem engen funktionellen Zusammenhang stehen, nicht den Bauleistungen zuzuordnen4. Letzteres soll insbesondere für die Fälle gelten, dass Einrichtungsgegenstände als Massenware bestellt werden können, ohne dass spezielle bauliche Anpassungen notwendig sind5, aber auch für die Beschaffung von Zweitausstattungen mit 1 VK Brandenburg v. 18.11.2009 – VK 41/09; VK Sachsen v. 12.7.2007 – 1/SVK/049-07; VK Baden-Württemberg v. 15.3.2007 – 1 VK 3/07; VK Düsseldorf v. 11.9.2001 – VK-19/ 2001-B; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 397. 2 So OLG Dresden v. 2.11.2004 – WVerg 11/04, VergabeR 2005, 258 ff. (für die Erstausstattung eines Werkstatt- und Laborgebäudes eines Schulzentrums); vgl. ferner OLG Jena v. 31.7.2002 – 6 Verg 5/01, VergabeR 2003, 97 ff. (für die Geräteausstattung einer Klinik); VK Brandenburg v. 28.6.2005 – VK 20/05 (für die Lieferung und Montage von Küchengeräten einer Mensa); VÜA Bund v. 1.7.1997 – 1 VÜ 9/97 (für ein Regalsystem für die Deutsche Bibliothek in Frankfurt/M.). A.A. VK Schleswig-Holstein v. 15.7. 2002 – VK-SH-08/02 (für die Lieferung und den Einbau von Labormöbeln in ein Universitätsgebäude unter Hinweis darauf, dass diese der Lieferung und Installation von EDV-Endgeräten in ein Verwaltungsgebäude vergleichbar sei). 3 Vgl. hierzu insb. die Darstellung der Kasuistik bei Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 427. 4 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 426 f. 5 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 428. Die VK Brandenburg v. 30.5.2007 – 1 VK 15/07, IBRRS 2007, 3682, hat die Be-

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe standardisierten Gegenständen, die einer individuellen baulichen Einpassung nicht bedürfen1. Darüber hinaus fällt auch die Lieferung und Montage maschineller Einrichtungen unter § 103 Abs. 3, soweit diese Einrichtungen nicht von der baulichen Anlage ohne Beeinträchtigung der Vollständigkeit oder Benutzbarkeit abgetrennt werden und einem selbständigen Nutzzweck dienen können2. 91 In Abgrenzung dazu stellt die (reine) Lieferung und Montage von (elektrotech-

nischen und elektronischen) Anlagen nur dann keine Bauleistung dar, wenn die technische Anlage lediglich in dem Bauwerk untergebracht ist, das Bauwerk aber auch ohne sie nach seiner Zweckbestimmung funktionsfähig ist3. Insoweit mangelt es an der notwendigen wirtschaftlichen oder technischen Funktionserfüllung (s. dazu unter Rz. 97). Derartige Verträge fallen unter § 103 Abs. 2. Gleiches gilt auch für das bloße Bereitstellen von Baugeräten in Form eines Mietvertrags4.

92 Gemeinsam umfassen die beiden Varianten des § 103 Abs. 3 Satz 1 somit sämtli-

che Arbeiten, die die Errichtung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung eines Bauwerks oder eines Teils hiervon zum Gegenstand haben. Eine exakte Abgrenzung zwischen beiden Varianten ist in der Praxis nicht erforderlich, da das Gesetz an sie keine unterschiedlichen Rechtsfolgen knüpft.

93 Der Begriff „Bauwerk“ ist zudem mit dem Begriff der „baulichen Anlage“, wie er

beispielsweise in § 1 VOB/A verwendet wird, identisch. Im Hochbau wird dieser Begriff im Wesentlichen gleichgesetzt mit „Gebäude“5.

94 Im Tiefbau ist die Begriffsbestimmung oft schwieriger und meist mit Blick auf

die Definition „Erfüllung einer wirtschaftlichen oder technischen Funktion“ vorzunehmen6. Der Begriff der Tiefbauarbeiten wird im Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU näher definiert. Zu den dort aufgeführten Arbeiten zählen z.B. auch die Abfallumlagerung, die Oberflächenabdichtung, das Verlegen von Rohrleitungen, das Anlegen von Schlammauffangbecken und Versickerungsmulden sowie die Herstellung von Betriebswegen7. Weiter kommen als Tiefbaumaßnahmen beispielsweise auch Bauwerke in Gestalt einzelner in sich abgeschlossener

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schaffung von Möbeln und Textilien für einen Neubau, mit der gleichzeitig aber auch Montagearbeiten nachgefragt wurden, als Bauleistung qualifiziert. Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 82. BGH v. 3.12.1998 – VII ZR 109/97, MDR 1999, 737 = NJW 1999, 2434 ff.; Korbion in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 1 VOB/A Rz. 64. So insb. VK Brandenburg v. 18.11.2009 – VK 41/09 unter Hinweis auf BayObLG v. 23.7. 2002 – Verg 17/02, NZBau 2003, 340 ff. und VK Bund v. 2.5.2003 – VK 1-25/03. Korbion in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 1 VOB/A Rz. 88. VK Thüringen v. 10.6.2008 – 250-4002.20-1323/2008-020-EF; VK Rheinland-Pfalz v. 10.6.2003 – VK 10/03; VK Münster v. 6.6.2001 – VK 12/01. VK Rheinland-Pfalz v. 10.6.2003 – VK 10/03. Vgl. VK Brandenburg v. 21.12.2004 – VK 64/04 (noch zu Anhang I der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG).

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verkehrswirksamer Straßenbauabschnitte in Betracht1. Maßgeblich ist insoweit, ob das zu erstellende Projekt eine eigene Funktion erfüllt. Dies ist bereits bei der Fertigstellung eines Streckenabschnittes einer geplanten Autobahn der Fall, oder auch bei der Errichtung einer Brücke oder einer Unterführung. Entscheidend ist die vorgesehene Ausführung der einzelnen, in sich geschlossenen Bauabschnitte2. Erfüllt daher nur einer von mehreren Bauabschnitten (zwei Straßen, eine Brücke) eine eigene wirtschaftliche und technische Funktion, stellen die Bauabschnitte ein einheitliches Bauwerk dar3. Dementsprechend bilden ein Brückenkopf und eine Brücke eine verkehrlich-funktionale Einheit und stellen damit ein einheitliches Bauwerk dar4. Auch Teile von Verkehrsanlagen, die für sich genommen keine funktionale und wirtschaftliche Einheit darstellen, können nicht als eigenständige und von anderen Maßnahmen unabhängige Einzelbaumaßnahmen bezeichnet werden. So ist beispielsweise eine Straßenbeleuchtung mit entsprechender Elektroinstallation ohne eine dazugehörige Straße für sich allein wirtschaftlich unvernünftig und daher als notwendiger Bestandteil des Bauwerks „Straße“ anzusehen5. Dagegen soll die Verbundfähigkeit von Kanalsystemen für sich allein grundsätzlich noch nicht die Bewertung rechtfertigen, dass Erneuerungsarbeiten an unterschiedlichen Kanalabschnitten des Systems immer bereits als Teil einer Gesamtbaumaßnahme anzusehen sind. Vielmehr müssten weitere gewichtige Besonderheiten des jeweiligen Vergabeverfahrens hinzukommen, die eine solche Einschätzung zulassen. So spricht es z.B. für die Bewertung von Bauarbeiten als Gesamtbaumaßnahme, die eine wirtschaftliche und technische Funktion erfüllt, dass die einzelnen, in einem räumlich engen Zusammenhang stehenden Bauabschnitte gezielt durch den Auftraggeber gebündelt ausgeschrieben werden, die Durchführung nach zeitlich sukzessiv vorgegebenen Zeitabschnitten erfolgen soll und gemeinsam für alle Bauabschnitte übergreifende Leistungen koordiniert durch die Bieter erbracht werden sollen6. Dem steht auch eine lange Bauzeit nicht zwingend entgegen. Zwar kann die vorgesehene Bauzeit ein Entscheidungskriterium sein, jedoch ist auch eine lange Zeitspanne unschädlich, wenn sie sich im Hinblick auf den Umfang und die Art der Arbeiten in einem überschaubaren Rahmen hält7 – mithin also angemessen ist. Wird bei der Errichtung einer Straßenbahntrasse die Gesamtbaumaßnahme in einzelnen Bauabschnitten ausgeschrieben, so kann die gesamte Trasse einer Straßenbahn mit Benennung der Trasse und mit definiertem Anfangs1 VK Brandenburg v. 25.4.2003 – VK 21/03; VK Baden-Württemberg v. 22.10.2002 – 1 VK 51/02. 2 VK Münster v. 6.6.2001 – VK 12/01. 3 VK Düsseldorf v. 14.8.2006 – VK-32/2006-B. 4 VK Schleswig-Holstein v. 19.1.2005 – VK-SH 37/04. 5 VK Südbayern v. 14.1.2004 – 62-12/03. 6 VK Düsseldorf v. 28.9.2007 – VK-27/2007-B. 7 VK Düsseldorf v. 28.9.2007 – VK-27/2007-B; ähnlich VK Baden-Württemberg v. 22.10. 2002 – 1 VK 51/02.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe und Endpunkt als ein einheitliches Bauwerk betrachtet werden, wenn der erste Bauabschnitt der Trasse in einem bestimmten Bereich mit Provisorien endet, deren Beseitigung und endgültige Fertigstellung Gegenstand des zweiten und dritten Bauabschnitts ist, wodurch die unmittelbare Verknüpfung der Leistungen des ersten Bauabschnitts und des zweiten und dritten Bauabschnitts deutlich wird und der Auftraggeber alle Bauabschnitte europaweit ausschreibt1. 95 Auch ein Gewässer (zweiter Ordnung) stellt ein Bauwerk dar, weil es sich hierbei um eine unbewegliche, durch die Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit dem Erdboden, hergestellte Sache handelt2. Das das Gewässer durchfließende Wasser bildet eine funktionale Einheit mit dem Gesamtbauwerk. Folglich stellen Arbeiten, die die Funktionsfähigkeit solcher Gewässer (ausgebaute Gräben und Flüsse) sicherstellen sollen und direkt auf das Bauwerk einwirken, wie beispielsweise die Krautung der Sohle, Mahd und Krautung der Böschungen, Holzungen etc. unterhalb der Wasseroberfläche, Bauleistungen dar, da sie gleichsam wie Instandsetzungsarbeiten für die Funktionsfähigkeit des Bauwerks von wesentlicher Bedeutung sind. Dies gilt auch für solche Tätigkeiten, die keine unmittelbare Berührung zu dem Gewässer aufweisen, soweit ihnen aber jedenfalls für die Funktionsfähigkeit des Bauwerks eine wesentliche Bedeutung zukommt. Entsprechende Arbeiten sollen dabei insbesondere auch nicht mit Reinigungsarbeiten bzw. Gartenpflegearbeiten in und um Gebäude (vgl. dazu sogleich Rz. 96) verglichen werden können3. 96 Grundstücksbezogene Arbeiten können ebenfalls als Bauwerk anzusehen sein. Es ist jedoch eine differenzierende Betrachtungsweise geboten. Baugeländevorarbeiten sind grundsätzlich als Bauauftrag anzusehen4. Strittig ist, ob dies auch für Arbeiten zur Kampfmittelräumung gilt, die – obwohl erdbaubezogen – der Herstellung der öffentlichen Sicherheit dienen und hinsichtlich ggf. nachfolgender Bauaufträge lediglich vorbereitenden Charakter haben5. Dies soll zumindest dann der Fall sein, wenn konkrete Bauvorhaben vorliegen, bezüglich deren Ausführung oder Planung die ausgeschriebenen Kampfmittelräumungsmaßnahmen gleichzeitig erfolgen sollen6. Gartenpflegearbeiten, die lediglich der Erhaltung des status quo, d.h. der Pflege bereits vorhandener Gartenanlagen dienen, mithin also nicht oder allenfalls unwesentlich in die Substanz der Gartenanlage eingreifen und umfangreiche Erdbewegungsarbeiten nicht erforderlich machen, stellen keine Bauleistung dar7. Auch Leistungen des Winterdienstes und der 1 VK Thüringen v. 10.6.2008 – 250-4002.20-1323/2008-020-EF. 2 VK Sachsen-Anhalt v. 21.2.2008 – VK 2 LVwA LSA 1/08, IBRRS 2008, 1078. 3 VK Sachsen-Anhalt v. 21.2.2008 – VK 2 LVwA LSA 1/08, IBRRS 2008, 1078. Vgl. hierzu auch Blatt, IBR 2008, 289. 4 VK Düsseldorf v. 11.9.2001 – VK-19/2001-B. 5 Dies bejahend VK Bund v. 8.8.2001 – VK 2-22/01. A.A. VK Arnsberg v. 29.11.2005 – VK 23/05. 6 OLG Düsseldorf v. 2.1.2006 – VII-Verg 93/05. 7 VK Bund v. 29.3.2006 – VK 3-15/05.

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Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen stellen, da sie lediglich der Aufrechterhaltung und der störungsfreien Nutzbarkeit des existenten Straßennetzes dienen, keine Bauleistung dar1. Nach § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 – und ebenso nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. b) der 97 Richtlinie 2014/24/EU – ist Voraussetzung, dass das Bauwerk eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Maßgeblich ist insoweit die endgültige Nutzung des hergestellten Bauwerks. Nicht von dem Begriff des Bauauftrags umfasst ist daher die Beschaffung von Kunstwerken, selbst wenn zu ihrer Herstellung Bauleistungen notwendig sind. Allerdings kann ein noch so künstlerisch geprägter Bauentwurf eines Architekten – unabhängig davon, ob urheberrechtlich geschützt oder nicht – als solcher die Freistellung vom Kartellvergaberecht nicht begründen2. Nach dem EuGH ist es für den Begriff des Bauwerks indes nicht entscheidend, 98 im Rahmen welcher Einsatzform die Bauleistung erbracht wird, insbesondere ob der öffentliche Auftraggeber Bauaufgaben an ein oder mehrere Unternehmen überträgt. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Bauauftrag lediglich von einem Auftraggeber stammt3. Irrelevant ist zudem die Rechtsnatur des Vertrages, also insbesondere die Fra- 99 ge, ob der jeweilige Bauleistungsauftrag zivilrechtlich als Werkleistung (§ 631 BGB) einzustufen ist. Dementsprechend können auch sog. Werklieferungsverträge (§ 651 BGB) und selbst Dienstleistungs- (§ 611 BGB) und Kaufverträge (§ 433 BGB) infolge eines funktionsbedingten Zusammenhangs der zu beschaffenden Gegenstände mit dem Gebäude als Ausführung eines Bauvorhabens anzusehen sein4 (s.o. Rz. 80). 5. Bauleistungen durch Dritte (§ 103 Abs. 3 Satz 2) § 103 Abs. 3 Satz 2 behandelt die insgesamt dritte Variante des § 103 Abs. 3. 100 Danach liegt ein Bauauftrag auch vor, wenn ein Dritter eine Bauleistung gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber genannten Erfordernissen erbringt, die Bauleistung dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt und dieser einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung 1 VK Thüringen v. 30.8.2006 – 360-4003.20-009/06-HBN, 360-4003.20-015-MGN, 3604003.20-004/06-SON und 360-4003.20-009/06-ESA-S. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 414. 3 EuGH v. 5.10.2000 – Rs. C-16/98, Slg. I-08315, NZBau 2001, 275 (277 f.), Rz. 42 – Sydev; s.a. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 173. 4 OLG Dresden v. 2.11.2004 – WVerg 11/04, VergabeR 2005, 258; OLG Düsseldorf v. 5.7. 2000 – VII-Verg 5/99, NZBau 2001, 106 (107 f.); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 409.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe der Bauleistung hat. Die Regelung lehnt sich an Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU an (vgl. oben unter Rz. 70 f.). Zu der in Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nicht enthaltenen Formulierungen „unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen“ s. bereits oben unter Rz. 74 sowie unten Rz. 103. 101 Ausweislich der Gesetzesbegründung soll – entsprechend Art. 2 Abs. 1 Nr. 6

lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU – hiermit klargestellt werden, dass die Erbringung der Bauleistung gemäß den von einem öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber genannten Erfordernissen voraussetzt, dass der betreffende Auftraggeber Maßnahmen getroffen hat, um die Art des Vorhabens festzulegen, oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf dessen Planung haben musste. Ob der Auftragnehmer das Bauvorhaben ganz oder zum Teil mit eigenen Mitteln durchführt oder dessen Durchführung mit anderen Mitteln sicherstellt, ist – wie in Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2014/24/EU klargestellt wird – unerheblich für die Einstufung der entsprechenden Bauleistung als Bauauftrag, solange der Auftragnehmer eine direkte oder indirekte rechtswirksame Verpflichtung zur Gewährleistung der Erbringung der Bauleistungen übernimmt1.

102 Die Norm fungiert – wie auch schon § 99 Abs. 3 Alt. 3 GWB a.F. – als Auffang-

tatbestand2. Sinn und Zweck ist es, zu verhindern, dass der öffentliche Auftraggeber durch das Ausweichen auf Vertragsgestaltungen, bei denen ein Dritter – letztlich im eigenen Namen – für ihn ein Bauvorhaben errichtet, das für Bauvergaben strenge Vergaberechtsregime umgeht3. Die Vorschrift umfasst insbesondere die klassischen Fälle der Bauträger-, Mietkauf- und Leasingverträge, aber auch ähnliche Gestaltungen wie etwa Kommunalfonds, die für öffentliche Auftraggeber Vorhaben realisieren, PPP-Vertragsgestaltungen, in deren Rahmen Bauvorhaben realisiert werden, oder sog. Generalübernehmerverträge als Unterfälle von Bauträgergestaltungen, in deren Rahmen eine Projektgesellschaft für einen öffentlichen Auftraggeber ein Bauvorhaben errichtet4. Hierbei wird die öffentliche Hand nicht als Auftraggeber einer Werkleistung tätig. Klassischerweise kauft (Bauträgervertrag) oder mietet (Leasing- oder Mietkaufvertrag) der öffentliche Auftraggeber vielmehr ein bereits durch einen Dritten fertiggestelltes Bauvorhaben an. § 103 Abs. 3 Satz 2 ist in engem Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand des § 107 Abs. 1 Nr. 2 zu sehen (vgl. dazu § 107 Rz. 8 ff.). Anders als im Rahmen des § 107 Abs. 1 Nr. 2 liegt gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 jedoch ein dem Vergaberechtsregime unterfallender Bauauftrag vor, weil und wenn die Bauausführung gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfor1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. 2 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). 3 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 439. 4 Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 142; sowie insb. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 442 m.w.N.

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dernissen erfolgt, d.h. der Auftraggeber auf die Bauausführung einen erheblichen Einfluss ausübt. Wirtschaftlich führt dies nämlich zu dem gleichen Ergebnis wie die Vergabe eines Werkvertrags über Bauleistungen. Der Auftraggeber erhält ein Bauwerk, das nach seinen Wünschen errichtet und auf seine Nutzungsabsichten zugeschnitten ist. Lediglich aus finanziellen oder steuerrechtlichen Gründen wird nicht der Abschluss eines Werkvertrags, sondern eine hiervon abweichenden Gestaltung gewählt. Zu Recht werden diese Verträge den Werkverträgen über Bauleistungen daher vergaberechtlich gleichgesetzt. 103 § 103 Abs. 3 Satz 2 hat dem Wortlaut nach folgenden vier Voraussetzungen: – Erbringung einer Bauleistung durch Dritte – gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen – die Bauleistung muss dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen – der Auftraggeber muss entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung genommen haben

a) Erbringung einer Bauleistung durch Dritte Den Begriff „Bauleistung“ umfasst sämtliche Arbeiten, die unter die erste oder 104 zweite Variante des § 103 Abs. 3, d.h. unter § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 fallen1. Dritter kann jede von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige private oder 105 öffentliche Einrichtung sein2. Irrelevant ist es im Rahmen des § 103 Abs. 3 Satz 2, ob der Dritte die Bauleistun- 106 gen auf Grund und Boden des öffentlichen Auftraggebers oder bereits vorhandenen eigenen Grundstücken ausführt. Der Norm unterfallen insbesondere sowohl die Fallgestaltungen, bei denen der Dritte zunächst vom öffentlichen Auftraggeber das Baugrundstück erwirbt, als auch die Fälle, bei denen der Dritte seit jeher (oder seit längerer Zeit) Eigentümer des betroffenen Grundstücks ist. In dem zuletzt genannten Fall ist in verfahrenstechnischer Hinsicht jedoch zu berücksichtigen, dass mit dem entsprechenden Eigentümer – in Ansehung seines aus dem Grundeigentum erwachsenden Ausschließlichkeitsrechts – ggf. gem. § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 lit. c) VOB/A ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb (und ohne Vergabebekanntmachung) durchgeführt werden kann3 (s. hierzu auch Rz. 213). 1 von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 109. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 440. 3 Otting, NZBau 2004, 469 (470); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 445; Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 3a EU VOB/A Rz. 49 f.; Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 3a EU Rz. 49.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 107 Wird der Dritte als Bauträger oder auch Projektentwickler indes zwar im eigenen

Namen tätig, aber für Rechnung des Auftraggebers – so wie dies beispielsweise in EuGH-Rechtssache „Stadt Roanne“ der Fall war1 – liegt kein Fall von § 103 Abs. 3 Satz 2, sondern bereits von § 103 Abs. 3 Satz 1 vor. Dies gilt auch dann, wenn einzelne Bauabschnitte später an Dritte weiterveräußert werden sollen2.

108 Der Wortlaut des § 103 Abs. 3 Satz 2 könnte dahingehend verstanden werden,

dass die Vorschrift auch Verträge zwischen dem „Dritten“ (beispielsweise einem Bauträger) und seinen Auftragnehmern umfasst. Dies trifft jedoch nicht zu. Bauträger-, Leasing- und Mietkaufverträge werden in § 103 Abs. 3 erwähnt, soweit sie im Ergebnis dem Abschluss eines Werkvertrags über Bauleistungen gleichkommen. Genauso wie bei Abschluss eines Werkvertrags der Auftragnehmer des öffentlichen Auftraggebers grundsätzlich nicht dem Vergaberecht unterliegt, findet dieses auch auf einen privaten Dritten, der im Auftrag eines öffentlichen Auftraggebers als Bauträger oder zukünftiger Leasinggeber Bauverträge an Subunternehmer vergibt, keine Anwendung. § 57a Abs. 1 Nr. 8 HGrG hatte zwar vorgesehen, dass auch natürliche und juristische Personen des Privatrechts, die mit der öffentlichen Hand einen der in § 103 Abs. 3 Satz 2 genannten Verträge abgeschlossen hatten, bezüglich der Erteilung von Bauaufträgen an Dritte dem Vergaberecht unterlagen. Diese Vorschrift war jedoch gegenstandslos, da die in ihr genannten Auftraggeber durch § 3 Abs. 1 Satz 2 VgV 1994 von dem Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgeschlossen wurden. § 57a Abs. 1 Nr. 8 HGrG wurde daher folgerichtig durch eine entsprechende Klarstellung in § 99 Abs. 3 Halbs. 2 GWB a.F. ersetzt3. Damit erwies sich insbesondere auch der frühere Meinungsstreit darüber, ob das Vergaberecht bereits auf der ersten Stufe zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bauträger oder auf der zweiten Stufe zwischen Bauträger und etwaigen Nachunternehmern zum Tragen kommt4, als überholt5. b) Vom Auftraggeber genannte Erfordernisse

109 Die zentrale und praktisch bedeutsamste Voraussetzung für die Anwendung des

§ 103 Abs. 3 Satz 2 ist, dass die Bauleistungen gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen durchgeführt werden6. Entscheidend ist insoweit, ob

1 Vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 ff. – Stadt Roanne. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 441. 3 Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 149; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 438. 4 Vgl. dazu Otting, NZBau 2004, 469 (471, 472 f.); Eschenbruch/Niebuhr, BB 1996, 2417 (2425). 5 Ebenso bereits Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 99 Rz. 198. 6 Ähnlich Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 447.

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und inwieweit die Realisierung auf einer Beschaffungsinitiative des öffentlichen Auftraggebers oder einer eigenständigen privaten Projektentwicklung beruht, wobei die Übergänge in der Praxis fließend sind. Fraglich ist daher, welche Anforderungen sich aus dem Merkmal der „vom Auftraggeber genannten Erfordernisse“ sowohl hinsichtlich des Grades der Beschaffungsinitiative des öffentlichen Auftraggebers als auch hinsichtlich des Grades der Einflussnahme (Konkretisierungsdichte) konkret ergeben. Nach dem Wortlaut von § 103 Abs. 3 Satz 2 müssen die Erfordernisse des öf- 110 fentlichen Auftraggebers von diesem „genannt“ werden. Erforderlich ist daher in jedem Fall eine – wie auch immer geartete – unmittelbare oder mittelbare Einwirkungsmöglichkeit des Auftraggebers1. § 107 Abs. 1 Nr. 2 bestimmt zudem, dass der Erwerb oder die Miete von vorhandenen Gebäuden vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen ist. Hiernach scheiden zunächst alle Verträge aus, bei denen der öffentliche Auftraggeber ein ohne seine Mitwirkung errichtetes Gebäude kauft, mietet oder least. Dies ist stets dann der Fall, wenn Kauf-, Miet- oder Leasinggegenstand ein Gebäude ist, das bereits von Dritten benutzt wurde, soweit nicht umfangreiche Umbauarbeiten für den öffentlichen Auftraggeber stattfanden. Auch der Erstbezug eines neu errichteten Gebäudes fällt nicht unter § 103 Abs. 3 Satz 2, wenn der Auftraggeber in der Errichtungsphase keinerlei Einfluss auf die Bauausführung genommen hatte. In diesen Fällen handelt es sich um einen Lieferauftrag nach § 103 Abs. 2, der über § 107 Abs. 1 Nr. 2 jedoch von dem Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen ist. Gleiches gilt auch für den Fall, dass der Bauherr die voraussichtlichen Bedürfnisse eines öffentlichen Auftraggebers antizipiert und hierauf basierend ein Gebäude errichtet, das auf den Auftraggeber zugeschnitten ist, in der Hoffnung, dass der Auftraggeber das Gebäude im Anschluss an seine Fertigstellung kaufen oder leasen würde, ohne dass ihm eine konkrete Möglichkeit der Einflussnahme eingeräumt wurde. Für die Bejahung des Merkmals der „vom Auftraggeber genannten Erfordernis- 111 se“ ist es also zunächst einmal erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber überhaupt mit einem bestimmten immobilienspezifischen Beschaffungsbedarf am Markt aufgetreten ist. Der Einhaltung einer besonderen Handlungsform bedarf es hierbei nicht. Allein ausreichend ist, dass der Auftraggeber mit einem von ihm entwickelten Anforderungsprofil für eine zu erbringende Bauleistung – in einer wie auch immer gearteten Art und Weise – an den Beschaffungsmarkt herangetreten ist. Fraglich ist insoweit jedoch, welchen Intensitätsgrad die Einflussnahme haben 112 muss. Denn will ein öffentlicher Auftraggeber Räumlichkeiten in einer noch zu errichtenden Immobilie anmieten, wird er hinsichtlich der Ausbauverpflichtung regelmäßig und zwangsläufig bereits eine eigene Vorstellung entwickelt haben. 1 VK Düsseldorf v. 2.8.2007 – VK-23/2007-B; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 141.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe In diesem Zusammenhang wird ein öffentlicher Auftraggeber auch bauliche Anforderungen definieren1. 113 Das OLG Düsseldorf hat(te) insoweit die Ansicht vertreten, dass die Erforder-

nisse auf die Ausführung des individuellen Bauwerks bezogen sein und darauf einen inhaltlichen Einfluss nehmen müssen (z.B. durch Vorgaben betreffend die Art und Weise der Bebauung und ihrer Anbindung an die Umgebung oder an die Gestaltung der Fassaden)2. Dabei soll es – so das OLG Düsseldorf – jedoch nicht darauf ankommen, ob elementare oder weniger wichtige Erfordernisse gestellt werden3. Auch soll eine Herstellung nach vom Auftraggeber gebilligten Plänen genügen, wenn der Auftraggeber diese zuvor geprüft und sich zu eigen gemacht hat4. An den Konkretisierungsgrad der Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers seien dabei keine hohen Anforderungen zu richten5.

114 Der EuGH hat in der Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.2010 al-

lerdings eine wesentlich restriktivere Auffassung vertreten. Ein öffentlicher Auftraggeber hat danach seine Erfordernisse nur dann genannt, wenn er Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung zu definieren oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf ihre Konzeption auszuüben. Der bloße Umstand, dass eine Behörde in Ausübung ihrer städtebaulichen Regelungszuständigkeiten bestimmte, ihr vorgelegte Baupläne prüft oder eine Entscheidung in Anwendung von Zuständigkeiten in diesem Bereich trifft, genügt insoweit nicht6.

115 Ähnlich hat der EuGH auch in der Entscheidung „Pizzarotti“ vom 10.7.2014 –

unter Bezugnahme auf den Fall „Helmut Müller GmbH“ – formuliert und ausgeführt, dass das Merkmal der „vom Auftraggeber genannten Erfordernisse“ erfüllt sei, „wenn der öffentliche Auftraggeber Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung festzulegen oder zumindest entscheidenden Einfluss 1 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 460. 2 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731); OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 (275 f.); sowie dazu Hertwig/Öynhausen, KommJur 2008, 121 (122). 3 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 271 (275 f.). 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140 f.); OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 (276); sowie insb. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731), das die Frage, ob der Begriff der „vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse“ nach Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG erfüllt ist, wenn die Bauleistungen nach vom öffentlichen Auftraggeber geprüften und gebilligten Plänen erbracht werden sollen, dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt hat. 5 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731); OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (532 f.). 6 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 67 ff. – Helmut Müller GmbH.

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auf die Planung der Bauleistung zu nehmen“1. Im konkreten Fall standen Anforderungen im Sinne einer funktionalen Leistungsbeschreibung für einen Mietvertrag über ein Gerichtsgebäude in Rede. Auch wenn dementsprechend keine gegenständlichen Details definiert waren, sah der EuGH es als ausreichend an, dass mittels einer derartigen Beschreibung auf die Planung des zu errichtenden Gebäudes Einfluss genommen wurde2. Eine hinreichend intensive Einflussnahme hat der EuGH auch im Fall „Köln 116 Messe“ bejaht und zur Begründung darauf hingewiesen, dass „die betreffenden Bauwerke gemäß den sehr detaillierten und von der Stadt Köln im Hauptvertrag deutlich formulierten Spezifikationen errichtet [wurden]. Aus diesem Vertrag und seinen Anlagen geht hervor, dass die betreffenden Spezifikationen in Form einer genauen Beschreibung der zu errichtenden Gebäude, ihrer Beschaffenheit und ihrer Ausstattung weit über die üblichen Vorgaben eines Mieters für eine neue Immobilie einer gewissen Größe hinausgehen“3. Demzufolge muss ein öffentlicher Auftraggeber – zum einen – also Maßnahmen 117 ergriffen haben, d.h. aktiv eigene Anforderungen an die Bauleistung definiert haben. Folglich dürfte es nicht ausreichen, wenn – aufgrund von Markt- und Nutzeranforderungen – ein Investor von ihm entwickelte Pläne zur Genehmigung vorstellt und der öffentliche Auftraggeber diese lediglich billigt bzw. sich zu eigen macht4. Zum anderen müssen die Vorgaben, wie sich aus der Entscheidung „Köln Messe“ ergibt, (weit) über den Vergleichsmaßstab der üblichen Vorgaben eines Mieters für eine neue Immobilie einer gewissen Größe hinausgehen5. Das OLG Düsseldorf hat Entsprechendes im Beschluss vom 7.8.2013 hinsichtlich der geplanten Errichtung einer Polizeiwache präzisiert und festgestellt, dass eine gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen zu erbringende Bauleistung vorliegt, wenn z.B. in der Leistungsbeschreibung sowie im Raumbuch, also in den Vergabeunterlagen, detaillierte sowie qualifizierte Forderungen an das Objekt gestellt werden, etwa in Bezug auf die zu errichtenden Räume, deren Ausgestaltung, Lage, Beschaffenheit und die technsiche Gebäudeausrüstung sowie geforderte Zufahrten und Zugänge6. Im Einklang hiermit liegt ein öffentlicher Bauauftrag nach Ansicht der VK 118 Darmstadt daher nicht vor, wenn der öffentliche Auftraggeber ein Gebäude anmieten will, das von einem Dritten projektiert worden ist (und noch nicht fertig1 EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13, Rz. 44, VergabeR 2014, 766 ff. – Pizzarotti. 2 Vgl. hierzu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 454 sowie VK Sachsen v. 19.6.2015 – 1/SVK/009-15, IBR 2015, 620. 3 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, NZBau 2009, 792 (796) – Rz. 58 – Köln Messe. 4 Ebenso Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 457 und 462. 5 Ebenso Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 460. 6 OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 14/13, NZBau 2014, 57 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe gestellt wurde), das aber allgemein dem Markt zur Verfügung gestellt werden soll und nicht ausschließlich auf die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers zugeschnitten wurde1. Ebenso scheidet – so die VK Baden-Württemberg – ein Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 Satz 2 aus, wenn die Anforderungen des Auftraggebers nicht spezifisch genug sind, weil z.B. allein die Geschossflächenzahl festgelegt wurde. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Festlegung auf Betreiben des Investors aufgenommen wurde und sich damit als Ausdruck eines Zugeständnisses des öffentlichen Auftraggebers im Hinblick auf die erweiterte Bebaubarkeit des Grundstücks darstellt2. 119 Unzweifelhaft nicht erfasst werden zum einen auch nicht bauwerks-, sondern

rein nutzungsbezogene (oder sozialpolitisch motivierte) Erfordernisse3. Beschränkt sich der öffentliche Auftraggeber daher darauf, lediglich nutzerspezifische Belange zu benennen, wie sie für einen Mieter üblich sind, reicht dies nicht aus, um von einem Bauauftrag auszugehen. Etwas anderes kann jedoch – wie gesagt – gelten, wenn die genannten Erfordernisse im Sinne einer Mieterbaubeschreibung über die rein funktionalen Anforderungen für den Mietergebrauch auch auf die bauliche Ausgestaltung, insbesondere die Architektur einen nicht unerheblichen Einfluss nehmen (vgl. Rz. 117). Zum anderen nicht erfasst werden solche Erfordernisse, die lediglich auf einer Anwendung öffentlich-rechtlicher Bauvorschriften4 beruhen oder dem Auftraggeber die Einhaltung und Festsetzung eines bestehenden Bebauungsplans aufgeben5. Dementsprechend ist es insbesondere auch unschädlich, wenn eine Behörde in Ausübung ihrer städtebaulichen Regelungszuständigkeiten bestimmte, ihr vorgelegte Baupläne prüft oder eine Entscheidung in Anwendung von Zuständigkeiten in diesem Bereich trifft. Dies gilt sowohl für bauordnungs- als auch bauplanungsrechtliche Zuständigkeiten6.

1 Vgl. VK Darmstadt v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, NZBau 2008, 340 (342); sowie Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 463. 2 Vgl. VK Baden-Württemberg v. 5.6.2008 – 1 VK 16/08; sowie Eschenbruch in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 465. 3 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). 4 Vgl. in diesem Zusammenhang auch VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, wonach die Befugnisse einer Gemeinde im Rahmen der Baugenehmigung nach § 34 BauGB bei der Veräußerung eines Entwicklungsgrundstücks keine hinreichende Einflussmöglichkeit zur Absicherung der gemeindlichen Vorgaben begründen, weil die Bauerlaubnis nach § 34 BauGB eine gebundene Entscheidung ist und nicht im Ermessen der Gemeinde steht. Im Ergebnis ebenso VK Baden-Württemberg v. 15.8.2008 – 1 VK 27/08. 5 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 67 ff. – Helmut Müller GmbH; ebenso bereits OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). 6 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 57 – Helmut Müller GmbH; Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 24.

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c) Bauleistung, die dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt Das Tatbestandsmerkmal des § 103 Abs. 3 Satz 2, wonach die Bauleistung dem 120 öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen muss, dient – wie oben unter Rz. 74 dargelegt – der Klarstellung des erforderlichen Beschaffungscharakters und begegnet vor diesem Hintergrund – auch wenn es sich in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU nicht wiederfindet – mit Rücksicht auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.20101 keinen europarechtlichen Bedenken (s.o. Rz. 74). In der Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ hat der EuGH festgestellt, dass der 121 Begriff des öffentlichen Bauauftrags zwar nicht voraussetze, dass die Bauleistung, die Gegenstand des Auftrags ist, in einem gegenständlichen oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird, es indes erforderlich ist, dass sie diesem unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt. Die Ausübung von städtebaulichen Regelungszuständigkeiten durch den öffentlichen Auftraggeber genügt indes nicht, um diese letztgenannte Voraussetzung zu erfüllen2. Maßgeblich ist insoweit die Überlegung, dass der entgeltliche Charakter des öffentlichen Bauauftrags impliziere, dass der öffentliche Auftraggeber, der einen öffentlichen Bauauftrag vergeben hat, gemäß diesem Auftrag eine Leistung gegen eine Gegenleistung erhält. Die Leistung besteht in der Erbringung der Bauleistungen, die der öffentliche Auftraggeber erhalten möchte. Eine solche Leistung muss nach ihrer Natur sowie nach dem System und den Zielen der EU-Vergaberichtlinien ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse für den öffentlichen Auftraggeber bedeuten. Dieses unmittelbare wirtschaftliche Interesse ist eindeutig gegeben, wenn vorgesehen ist, dass der öffentliche Auftraggeber Eigentümer der Bauleistung oder des Bauwerks wird, die bzw. das Gegenstand des Auftrags ist. Ein solches wirtschaftliches Interesse lässt sich ebenfalls feststellen, wenn vorgesehen ist, dass der öffentliche Auftraggeber über einen Rechtstitel verfügen soll, der ihm die Verfügbarkeit der Bauwerke, die Gegenstand des Auftrags sind, im Hinblick auf ihre öffentliche Zweckbestimmung sicherstellt. Das wirtschaftliche Interesse kann ferner in wirtschaftlichen Vorteilen, die der öffentliche Auftraggeber aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks ziehen kann, in seiner finanziellen Beteiligung an der Erstellung des Bauwerks oder in den Risiken, die er im Fall eines wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerks trägt, bestehen. Die bloße Ausübung von städtebaulichen Regelungszuständigkeiten im Hinblick auf die Verwirklichung des allgemeinen Interesses ist jedoch weder auf den Erhalt einer vertraglichen Leistung noch auf die Befriedigung des unmittelbaren wirtschaftlichen Interesses des öffentlichen Auftraggebers gerichtet und genügt daher als solches nicht3. 1 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Helmut Müller GmbH. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 58 – Helmut Müller GmbH. 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 40–58 – Helmut Müller GmbH.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 122 Hieraus lässt sich – bezogen auf § 103 Abs. 3 Satz 2 – folgern, dass die Bauleis-

tung dem öffentlichen Auftraggeber insbesondere dann unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt, wenn dieser über einen vertraglichen Anspruch verfügt, der ihm die Nutzung sichert, oder er in sonstiger Weise wirtschaftliche Vorteile aus der Nutzung des Bauvorhabens ziehen kann1. In Betracht kommt dies insbesondere dann, wenn der öffentliche Auftraggeber – selber Eigentümer des zu errichtenden Bauvorhabens werden soll, – über einen vertraglichen Anspruch verfügt, der ihm die Nutzung sichert, – sich an dem Bauvorhaben finanziell bei der Erstellung beteiligt, – Risiken eines Fehlschlags übernimmt oder – wirtschaftliche Vorteile aus der Nutzung oder Veräußerung des Vorhabens ziehen kann2.

123 Einen solchen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil verneint hat die VK

Schleswig-Holstein für den Fall eines Investorenprojektes auf teilweise eigenen Grundstücken, bei dem die betroffene Kommune keinerlei Investitionsrisiko trug und der gezogene Nutzen sich allein auf die Bereitstellung öffentlicher Parkflächen erschöpfte, wobei – nach Ansicht der Vergabekammer – zusätzlich ins Gewicht fiel, dass die Parkplätze nicht gebührenpflichtig waren und die Kommune dadurch auch keine Einnahmen generieren konnte3. Im Einklang hiermit haben auch das OLG Düsseldorf4 und das OLG Schleswig5 festgestellt, dass Parkplätze nur dann ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse auslösen, sofern sie der Allgemeinheit oder dem öffentlichen Auftraggeber selbst dienen. Erforderlich ist also, dass ein Bauwerk (Parkplatz) entweder vom öffentlichen Auftraggeber selbst oder aufgrund eines Rechtstitels von der Öffentlichkeit, z.B. als öffentlich gewidmetes Parkhaus, genutzt wird. Sind Parkplätze dagegen zu einem rein privaten Gebrauch durch die Nutzer des zu errichtenden Bauwerks bestimmt, liegt keine öffentliche Zweckbestimmung vor. Eine rein faktische Nutzung durch private Dritte oder die Vermietung an Private begründet hingegen keine öffentliche Zweckbestimmung der Parkplätze6. Darüber hinaus hat das OLG Düsseldorf darauf hingewiesen, dass auch die Begründung von Gehrech-

1 Vgl. hierzu auch Bank, BauR 2012, 174 (176 f.); von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 117; Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 13 ff. 2 Vgl. hierzu auch Bank, BauR 2012, 174 (176 f.); von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 117; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 13 ff.; sowie mit einer ausführlichen Prüfung VK Baden-Württemberg v. 2.2.2015 – 1 VK 65/14, VPR 2015, 111. 3 VK Schleswig-Holstein v. 17.8.2012 – SH-17/12, BeckRS 2014, 22318. 4 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580 ff. 5 OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff. 6 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580 ff.; sowie Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 18.

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ten zugunsten der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich von § 103 Abs. 3 fällt, weil es diesbezüglich regelmäßig bereits an der Errichtung eines Bauwerks fehlt1. Von großer Praxisrelevanz ist zudem die Frage, wann von einer finanziellen Be- 124 teiligung des öffentlichen Auftraggebers an der Erstellung eines Bauwerks auszugehen ist. Unzweifelhaft ist dies dann der Fall, wenn sich der öffentliche Auftraggeber vollständig oder jedenfalls zum Teil finanziell an der Erstellung des Bauwerks beteiligt2. Darüber hinaus wird man dies insbesondere aber auch in den Fällen annehmen müssen, in denen der öffentliche Auftraggeber bei der Veräußerung des Grundstücks einen Kaufpreisnachlass gewährt oder das betroffene Grundstück unter Marktwert veräußert. Denn eine Reduzierung des – dem Marktwert entsprechenden – Kaufpreises stellt faktisch einen Zuschuss zur baulichen Realisierung einer Maßnahme dar und muss damit im Ergebnis als finanzielle Beteiligung an der Realisierung des Bauwerks betrachtet werden3. Hierauf haben insbesondere auch das OLG Düsseldorf4 und das OLG Schleswig5 hingewiesen, wobei das OLG Schleswig einen Grundstücksverkauf zu einem Preis von ca. 3 % unter dem von einem Gutachterausschuss festgestellten Verkehrswert noch als Verkauf zum Marktwert angesehen hat6. Grundsätzlich kein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse der jeweils be- 125 troffenen Kommune begründet nach Ansicht des OLG München und des OLG Brandenburg auch die Veräußerung von Grundstücken im Rahmen der Wohnraumförderung ohne weitergehende Verpflichtung des Erwerbers. In der verbilligten Veräußerung von Grundstücken im Rahmen der kommunalen Wohnraumförderung kann keine finanzielle Beteiligung der Kommunen bei der Erstellung der Bauwerke gesehen werden. In Fällen, in denen mit der Veräußerung eines Grundstücks zu einem günstigen Preis für den Erwerber keine weitere Verpflichtung verbunden ist, die dem öffentlichen Auftraggeber ein Zugriff auf das Bauwerk oder dessen Entstehung ermöglicht, oder in denen der öffentliche Auftraggeber von einer ihn selbst treffenden Aufgabe entlastet wird, liegt keine wirtschaftliche Beteiligung7. 1 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580 ff.; sowie Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 18. 2 Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 20. 3 Vgl. Greim, ZfBR 2011, 126 (128); Haak, VergabeR 2011, 315 (355); Hertwig, NZBau 2011, 9 (10); Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 20. 4 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580 ff. 5 OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff. 6 Vgl. OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff.; sowie Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 21. 7 Vgl. OLG Brandenburg v. 24.4.2012 – 6 W 149/11, VergabeR 2012, 922 ff.; OLG München v. 27.9.2011 – Verg 15/11, NZBau 2012, 134 ff.; sowie Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 22.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe d) Einflussnahme des öffentlichen Auftraggebers auf Art und Planung der Bauleistung 126 Nach dem Wortlaut von § 103 Abs. 3 Satz 2 muss der öffentliche Auftraggeber

einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung haben. Insoweit besteht ein enger Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der „vom Auftraggeber genannten Erfordernisse“ (s. dazu oben unter Rz. 109 ff.).

127 Eschenbruch hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass es an dieser Voraus-

setzung fehlen kann, wenn der Auftraggeber seine Befugnisse auf einen Dritten, etwa eine Sachverständigenorganisation, überträgt1. In derartigen Fällen dürfte es – worauf Eschenbruch ebenfalls zutreffend hinweist – wohl stets vom jeweiligen Einzelfall abhängen, ob mit der Bestellung entsprechender Dritter gleichwohl noch ein entsprechender Einfluss ausgeübt werden kann, beispielsweise weil das Verhalten des Dritten dem öffentlichen Auftraggeber infolge einer Weisungsabhängigkeit o.Ä. zugerechnet werden kann. e) Einklagbare Bauverpflichtung

128 Schließlich sind auch im Rahmen von § 103 Abs. 3 Satz 2 nur rechtlich einklag-

bare Bauverpflichtungen relevant2 (s. dazu oben unter Rz. 81 ff.).

V. Dienstleistungsaufträge (§ 103 Abs. 4) 129 § 103 Abs. 4 definiert Dienstleistungsaufträge als Verträge über die Erbringung

von Leistungen, die nicht unter Abs. 2 oder 3 fallen, d.h. keine Liefer- oder Bauaufträge sind. Das Gesetz verzichtet auf eine ausdrückliche Definition und beschränkt sich darauf, Dienstleistungsaufträge in Abgrenzung zu sonstigen Aufträgen zu beschreiben. § 103 Abs. 4 erhält damit die Funktion eines Auffangtatbestandes. Erfasst werden alle Formen von Aufträgen, die nicht bereits unter eine der in § 103 Abs. 2 und Abs. 3 genannten Auftragsarten fallen und nicht vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen sind3. Sinn und Zweck ist es also, dass im Grundsatz alle Einkäufe der öffentlichen Hand dem Binnenmarkt zur Verfügung stehen4. 1 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 469. 2 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 59–63 – Helmut Müller GmbH. Ähnlich auch bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11. 2009 in der Rs. C-451/08, Rz. 80. 3 OLG Brandenburg v. 15.5.2007 – Verg W 2/07, VergabeR 2008, 242 (244); OLG Stuttgart v. 4.11.2002 – 2 Verg 4/02, NZBau 2003, 296; OLG Düsseldorf v. 12.1.2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344); VK Lüneburg v. 14.6.2005 – VgK-22/2005; VK Sachsen v. 11.2.2005 – 1/SVK/128-04. 4 BayObLG v. 11.12.2001 – Verg 15/01, NZBau 2002, 233 (234).

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Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt die Definition eines öffentlichen 130 Dienstleistungsauftrags zwar in den Bereich des Gemeinschaftsrechts und nicht des nationalen Rechts1, so dass das Gemeinschaftsrecht im Zweifel Vorrang genießt bzw. für die Auslegung des nationalen Rechts maßgeblich ist. Allerdings kennt auch die Richtlinie 2014/24/EU keine positive Definition des Dienstleistungsauftrags, vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Richtlinie 2014/24/EU. Die Erweiterung des in Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Richtlinie 2014/24/EU verwendeten Begriffs „Dienstleistung“ in § 103 Abs. 4 auf „Leistungen“ stellt jedoch keine inhaltliche Ausdehnung dar. Im Sprachgebrauch werden sämtliche Leistungen in Abgrenzung zu Lieferungen als Dienstleistungen bezeichnet. Bei Prüfung der Frage, ob ein Dienstleistungsauftrag vorliegt, ist zunächst – 131 auch unter Berücksichtigung der Abgrenzungsregelungen in § 110 für sog. typen- bzw. leistungsgemischte Verträge (s. hierzu auch sogleich Rz. 132 sowie unten Rz. 163 ff.) – zu untersuchen, ob § 103 Abs. 2 oder 3 eingreift. Soweit dies der Fall ist, liegt kein Dienstleistungsauftrag vor. Anderenfalls ist der Anwendungsbereich des § 103 Abs. 4 grundsätzlich eröffnet. Das Gesetz bestimmt hierzu jedoch zahlreiche Ausnahmen, die sich insbesondere aus den §§ 107, 116 und 117 ergeben. Der Dienstleistungsauftrag ist daher in doppelter Hinsicht negativ abzugrenzen: Zum einen von den Liefer- und Bauaufträgen, zum anderen von den in §§ 107, 116 und 117 genannten Tätigkeiten2. Bei sog. typen- bzw. leistungsgemischten Verträgen kommt es auf den Schwer- 132 punkt der Leistung an. Die Bestimmung des Leistungsschwerpunktes kann im Einzelfall schwierig sein, insbesondere wenn, wie z.B. beim sog. Wärmecontracting regelmäßig der Fall, Bauleistungen, Finanzierungsdienstleistungen, Betriebsführungsdienstleistungen (einschließlich Wartung) sowie Lieferleistungen miteinander verbunden sind3. Siehe hierzu noch Rz. 163 ff. sowie die Kommentierung zu § 110 Rz. 4 ff. Die Bestimmungen, die öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Dienstleis- 133 tungsaufträgen anzuwenden haben, ergeben sich nach neuer Rechtslage grundsätzlich einheitlich aus der Vergabeverordnung (VgV). Infolge der Integration von VOL/A Abschnitt 2 und VOF in die neue VgV ist insoweit nicht mehr zwischen gewerblichen Dienstleistungen, die dem Anwendungsbereich der VOL/A unterfallen, und freiberuflichen Tätigkeiten, auf welche die VOF Anwendung findet, zu unterscheiden. Ebenso obsolet ist die noch in der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG vorgenommene Unterscheidung zwischen den sog. „vorrangigen“ (Anhang II Teil A) und „nachrangigen“ Dienstleistungen (An1 EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-220/06, Slg. I-12175, NZBau 2008, 189 (191) – Rz. 50 – AP. 2 Otting in Bechtold, GWB Kommentar, 6. Aufl. 2010, § 99 Rz. 42; Noch, BauR 1998, 941 (945). 3 Vgl. hierzu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 474 f.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe hang II Teil B)1. Nach neuer Rechtslage ist im Einzelnen nunmehr jedoch zu unterscheiden zwischen „normalen“ Dienstleistungen und „besonderen“ Dienstleistungen i.S.v. § 130. Für Letztere gelten die Bestimmungen der VgV (nur) unter Berücksichtigung der Besonderheiten gem. §§ 64 ff. VgV.

VI. Rahmenvereinbarungen (§ 103 Abs. 5) 1. Einleitung 134 Mit § 103 Abs. 5 wird kraft der Vergaberechtsreform 2016 erstmals eine Rege-

lung für Rahmenvereinbarungen auf der formalgesetzlichen Ebene geschaffen. § 103 Abs. 5 dient der Umsetzung der Definition der Rahmenvereinbarung gem. Art. 33 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 51 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2014/25/EU und Art. 29 der Richtlinie 2009/81/EG. Die Rahmenvereinbarung stellt selbst zwar keinen Beschaffungsprozess dar. Die Vergabe einer Rahmenvereinbarung im Wege eines Vergabeverfahrens hat jedoch zur Folge, dass die auf ihrer Grundlage erteilten Einzelaufträge einem vereinfachten Vergabeverfahren unterliegen können. Wie ein öffentlicher Auftrag unterliegt die Rahmenvereinbarung also wettbewerblichen Verfahrensregeln2, so dass es sich nach Ansicht des Gesetzgebers aus systematischen Gründen empfahl, die Rahmenvereinbarung im Zusammenhang mit dem Begriff des öffentlichen Auftrags zu regeln3.

135 Auf nationaler Ebene waren Rahmenvereinbarungen bisher nur für den Bereich

der Liefer- und Dienstleistungen (vgl. §§ 4 und 4 EG VOL/A), im Sektorenbereich (vgl. § 9 SektVO a.F.) sowie im Sicherheits- und Verteidigungsbereich (vgl. § 14 VSVgV a.F.) geregelt. Hingegen enthielten sowohl die VOB/A als auch die VOF keine Bestimmungen hierzu. Vor diesem Hintergrund war es in der Vergangenheit umstritten, ob Rahmenvereinbarungen (oberhalb der Schwellenwerte) auch im Bereich der VOB/A oder VOF zulässig sind. Teile der Rechtsprechung und Literatur lehnten dies mit der Argumentation ab, dass Art. 32 i.V.m. Art. 1 Abs. 5 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG für die Bereiche außerhalb der Sektoren regelt, dass Rahmenvereinbarungen zugelassen werden 1 Hinsichtlich der nachrangigen Dienstleistungen beschränkten sich die Verpflichtungen des öffentlichen Auftraggebers in der Vergangenheit entsprechend der Vorgaben in den Art. 20 und 21 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG im Wesentlichen auf die technische Auftragsbeschreibung und die Bekanntmachung über die Auftragserteilung (vgl. § 1 EG Abs. 3 VOL/A i.V.m. § 4 Abs. 4 VgV a.F. bzw. § 1 Abs. 3 VOF; die Vorschriften der VOL/A EG und der VOF sind inzwischen außer Kraft). 2 Vgl. Art. 33 Abs. 1 UA 1 der Richtlinie 2014/24/EU, wo es heißt „Die öffentlichen Auftraggeber können Rahmenvereinbarungen abschließen, sofern sie die in dieser Richtlinie genannten Verfahren anwenden.“, sowie die Regelung der Einzelheiten eines Verzichts auf den Teilnahmewettbewerb in Art. 33 Abs. 4 lit. a) – c) der Richtlinie 2014/24/EU. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74.

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können, und zwar sowohl für den Bau- als auch den Dienstleistungs- und Lieferbereich. Das deutsche Recht hat die Regelungen über Rahmenvereinbarungen aber nur im Bereich der VOL/A, nicht hingegen im Bereich von VOB/A und VOF übernommen, woraus geschlossen werden könne, dass Rahmenvereinbarungen im Bereich der VOB/A und VOF unzulässig seien1. Dieser Umkehrschluss ist so jedoch keineswegs zwingend. Denn hierbei wird verkannt, dass die VOL/A und die VOB/A nicht von ein und demselben Verordnungsgeber erlassen werden, so dass nicht ohne weiteres eine bewusste Regelungslücke unterstellt werden kann. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur ging dementsprechend auch von einer versehentlichen, planwidrigen Regelungslücke und mithin davon aus, dass Rahmenvereinbarungen auch in den Bereichen der VOB/A und VOF bzw. sogar der VOL/A (Abschnitt 1), die keine ausdrückliche Regelung der Rahmenvereinbarung vorsehen, zulässig seien2. Bereits im Vorfeld der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG wurden Rahmenvereinbarungen überwiegend für grundsätzlich zulässig erachtet, und zwar sowohl für den Baubereich (VOB/A), den Dienstleistungsbereich (VOL/A) als auch den Bereich der freiberuflichen Leistungen (VOF)3. Hieran wurde auch unter dem Rechtsregime der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG festgehalten. Aufgrund der nunmehrigen Regelung der Rahmenvereinbarungen in § 103 Abs. 5, welcher als „vor die Klammer gezogene“ Regelung nicht auf bestimmte Auftragsarten beschränkt ist, kann der vorstehend dargestellte Meinungsstreit als obsolet betrachtet werden. Mit Rücksicht auf § 103 Abs. 5 trifft daher nunmehr auch § 4a EU VOB/A Verfahrensregelungen für Rahmenvereinbarungen. Im Anwendungsbereich der VgV erfolgt dies in § 21 VgV, für die Sektorenbereiche in § 19 SektVO und für den Bereich Sicherheit und Verteidigung in § 14 VSVgV. 2. Definition und Grundlagen der Rahmenvereinbarung a) Definition (§ 103 Abs. 5 Satz 1) § 103 Abs. 5 Satz 1 definiert insoweit den Begriff der Rahmenvereinbarungen 136 als Vereinbarungen zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und einem oder mehreren Unternehmen, die dazu dienen, die Bedingungen für die öffentlichen Aufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis. 1 VK Sachsen v. 25.1.2008 – 1/SVK/088-07; Korthals in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 3. Aufl. 2014, § 4 Rz. 2. 2 Vgl. etwa VK Bund v. 29.7.2009 – VK 2-87/09 m.w.N.; VK Bund v. 15.5.2009 – VK 3127/09; VK Bund v. 29.4.2009 – VK 3-76/09. 3 Vgl. KG Berlin v. 15.4.2004 – 2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762 ff., mit Anm. Jakoby; OLG Celle v. 10.7.2003 – 14 U 263/02, BauR 2004, 885; VK Bund v. 20.4.2006 – VK 1-19/06, IBRRS 2013, 4592.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 137 Rahmenvereinbarungen geben dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit,

mehrere Einzelaufträge, die während eines bestimmten Zeitraums (potentiell) vergeben werden sollen, in einem einzigen Vergabeverfahren dergestalt zu bündeln, dass bereits bestimmte Bedingungen für die späteren Einzelaufträge festgelegt werden1. Ein Vergabeverfahren betreffend eine Rahmenvereinbarung endet also nicht mit dem Zuschlag für eine konkrete Einzelleistung, sondern (nur) mit dem Zuschlag für die Rahmenvereinbarung, während der Zuschlag/Vertrag für die Einzelaufträge erst später erteilt wird. Rahmenvereinbarungen sind somit zum einen effizienter als die Durchführung einer Vielzahl separater Vergabeverfahren für alle einzelnen Aufträge. Zum anderen sind sie auch flexibler, weil das konkrete Auftragsvolumen nicht festgelegt werden muss2. Auf Basis der Rahmenvereinbarung ruft der öffentliche Auftraggeber – im Bedarfsfall – zu einem späteren Zeitpunkt Einzelaufträge ab. Zulässigkeitsvoraussetzung für den Abruf der Einzelaufträge ist dabei jedoch, dass die Rahmenvereinbarung zuvor in einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren, d.h. nach den maßgeblichen Bestimmungen (s. hierzu Rz. 149) vergeben wurde. Fehlt es hieran, entbehren die Einzelabrufe einer tauglichen rechtlichen Grundlage und müssen entweder einzeln oder als neue Rahmenvereinbarung ausgeschrieben werden. Das Gleiche gilt, wenn der geplante Einzelauftrag vom ursprünglich vereinbarten Leistungsgegenstand abweicht oder die Rahmenvereinbarung bereits abgelaufen ist3.

138 Aufgrund dieser Zweistufigkeit sind Rahmenvereinbarungen, wenn bestimmte,

wesentliche Vertragsbestandteile nicht endgültig festgelegt sind und sie daher nicht unmittelbar aus sich selbst heraus Grundlage für eine Auftragsvergabe sein können, rechtsdogmatisch betrachtet auch keine öffentlichen Aufträge i.S.v. § 103. Dies wird insbesondere auch aus der Überschrift von § 103 deutlich, in der zwischen öffentlichen Aufträgen und Rahmenvereinbarungen (und Wettbewerben) unterschieden wird4. Als besonderes Beschaffungsinstrument werden

1 Ähnlich Knauff, VergabeR 2006, 24 (26); Franke, ZfBR 2006, 546; Zeise in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 477. 2 VK Bund v. 20.4.2006 – VK 1-19/06, IBRRS 2013, 4592; VK Hessen v. 5.11.2009 – 69d VK-39/2009, IBRRS 2010, 0408; Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 477. 3 Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 478. 4 So auch Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 480. A.A. OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, NZBau 2014, 654, das in seinem Vorlagebeschluss zur Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit einer Rahmenrabattvereinbarung für die Beschaffung von Arzneimitteln die Rahmenvereinbarung selbst unter den Begriff des öffentlichen Auftrags subsumierte. Der Senat argumentierte, dass die Einzelbeschaffungen dogmatisch betrachtet öffentliche Aufträge seien, die durch die Rahmenvereinbarung lediglich verklammert würden. Nicht ganz eindeutig, die Entscheidung des OLG Düsseldorf in diesem Punkt aber (wohl) nicht stützend EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rz. 32 ff. – Dr. Falk Pharma GmbH, mit Anm. Schabel, EuZW 2016, 708 f.

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die Rahmenvereinbarungen jedoch gem. § 103 Abs. 5 Satz 2 den öffentlichen Aufträgen gleichgestellt und denselben verfahrensrechtlichen Vorschriften unterworfen (vgl. Rz. 149)1. b) Beteiligte Nach dem Wortlaut des § 103 Abs. 5 Satz 1 können Rahmenvereinbarungen 139 zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und einem oder mehreren Unternehmen geschlossen werden. Sowohl auf der Auftraggeberseite als auch auf der Auftragnehmerseite können daher mehrere Vertragsparteien beteiligt sein. Die Zulässigkeit mehrerer öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber 140 ermöglicht es, Rahmenvereinbarungen zur Angebotsbündelung auf Auftraggeberseite zu nutzen, z.B. über zentrale Beschaffungsstellen, in denen einerseits Auftragsvolumina – im Interesse der Reduzierung von Verwaltungskosten und der Erzielung von Preisvorteilen – gebündelt werden und andererseits zugleich auch vergaberechtlicher Sachverstand zentralisiert wird2. Dabei ist jedoch zum einen zu beachten, dass die beteiligten Auftraggeber 141 grundsätzlich von vornherein feststehen müssen und bei der späteren Durchführung der Rahmenvereinbarung nicht beliebig erweitert oder ausgetauscht werden können3. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass einer Bündelung des Beschaffungs- 142 bedarfs im Einzelfall auch kartellrechtliche Schranken entgegenstehen können4. In der Nachfragebündelung von Gemeinden kann eine nach § 1 GWB unzulässige horizontale Wettbewerbsbeschränkung liegen, weil die Gemeinden als Nachfrager untereinander im Wettbewerb um die günstigsten Konditionen stehen. Die Beschränkung des Nachfragewettbewerbs besteht in der Koordination der Beschaffung durch die zentrale Beschaffungsstelle. Als Folge des gemeinsamen Einkaufs wird die Anzahl der potentiellen Nachfrager verringert, also der Nachfragewettbewerb durch Verzicht auf wettbewerbliche Handlungsfreiheit eingeschränkt. So hat der BGH bereits im Jahr 2002 betreffend die Beschaffung 1 Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 480 unter Hinweis auf BT-Drucks. 18/6281, 90, wo der Gesetzgeber von einer Regelung der Rahmenvereinbarung im Zusammenhang mit den öffentlichen Aufträgen spricht. 2 Vgl. OLG Schleswig-Holstein v. 20.11.2012 – 1 Verg 7/12, juris Rz. 16; vgl. insoweit auch Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 484; sowie speziell zu den zentralen Beschaffungsstellen Opitz, NZBau 2003, 183 (192). 3 Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 484; Hetmann/Hattig in Hattig/Maibaum, Praxiskommentar Kartellvergaberecht, 2. Aufl. 2014, Einleitung Rz. 65. 4 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 484; Gröning, VergabeR 2005, 156 (157 f.).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe von Feuerlöschzügen durch eine von einem kommunalen Spitzenverband gegründete Gesellschaft entschieden, dass solche Nachfragebündelungen der öffentlichen Hand dem Kartellverbot nach § 1 GWB unterfallen1. Allerdings führte dies nicht zur Unzulässigkeit des Verhaltens, da die öffentlichen Auftraggeber eine nach § 4 Abs. 2 GWB a.F. erlaubte Einkaufskooperation gebildet hatten2. Diese Vorschrift erlaubte kleinen und mittleren Unternehmen die Zusammenarbeit in solchen Einkaufskooperationen, damit sie vergleichbare Einkaufskonditionen wie Großunternehmen erzielen konnten. Die Privilegierung fand auch zugunsten kleiner und mittlerer Gemeinden Anwendung3. Allerdings durfte die Einkaufskooperation ihrerseits keine so hohe Nachfragemacht erreichen, dass sie den Wettbewerb wesentlich beeinträchtigt. Dies verneinte der BGH jedoch mit der Begründung, dass der Markt für die Lieferung von Ausrüstungsgegenständen von Löschfahrzeugen nicht regional begrenzt, sondern deutschlandweit bestehe. Zudem lägen die Umsatzanteile der Einkaufskooperation bezogen auf den gesamten Nachfragebedarf in Deutschland unter 10 % und damit im Bereich der unwesentlichen Beeinträchtigung4. Inzwischen ist die Vorschrift des § 4 GWB a.F. entfallen5. Eine Nachfragebündelung, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt, kann jedoch auch nach neuem Recht erlaubt sein, wenn die Voraussetzungen der §§ 2 und 3 vorliegen. Der unveränderte Maßstab für Einkaufskooperationen findet sich jetzt in § 3 Abs. 1 Nr. 2. 1 BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, BGHZ 152, 347 ff., mit der Begründung, dass das Risiko einer unzulässigen Nachfragebündelung durch Gemeinden insbesondere dann bestehe, wenn es sich um Beschaffungsgegenstände handelt, die letztlich nur von der öffentlichen Hand nachgefragt würden, wie z.B. Feuerwehrfahrzeugen, bei Rettungsdienstleistungen und ähnlichen Geschäften. 2 Einkaufskooperationen sind im Übrigen auch kommunalrechtlich zulässig. Kommunen können im Rahmen der ihnen garantierten Selbstverwaltung gem. Art. 28 Abs. 2 GG sowie der parallelen Garantien der Landesverfassungen die Erfüllung ihrer Aufgaben selbst organisieren (vgl. BVerfG v. 28.10.1958 – 2 BvR 5/56, BVerfGE 8, 256, 258; BVerfG v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619/83, 2 BvR 1628/83, BVerfGE 79, 127, 143 ff.; Kämper/Heßhaus, NZBau 2003, 303 [304]). Zu der Organisationshoheit der Gemeinden gehört auch das Recht zur gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung mit anderen Kommunen als sog. Kooperationshoheit, die das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt hat (BVerfG v. 27.11.1986 – 2 BvR 1241/82, NVwZ 1987, 123 [124]; Kämper/Heßhaus, NZBau 2003, 303 [304]). 3 BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, BGHZ 152, 347 ff., Ls. 2. Nach dem kartellrechtlichen Unternehmensbegriff gelten auch Gemeinden als Träger hoheitlicher Gewalt als Unternehmen, wenn sie sich wirtschaftlich beteiligen. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden liegt in der Beschaffung der Bedarfsgegenstände auf dem jeweiligen Beschaffungsmarkt, ungeachtet der damit letztendlich verfolgten hoheitlichen Aufgabe. Vgl. hierzu auch Schindler, KommJur 2004, 121 (122). 4 BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, BGHZ 152, 347 ff. 5 Gemäß der Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 15.7.2005 (BGBl. I Nr. 44 v. 20.7.2005, S. 2114).

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Umstritten und bislang – soweit ersichtlich – noch nicht abschließend geklärt ist 143 die Frage, ob ein solcher Kartellrechtsverstoß im Rahmen eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens überprüft werden kann1. c) Festzulegende Vertragsparameter Aus der Definition der Rahmenvereinbarungen in § 103 Abs. 5 Satz 1 („während 144 eines bestimmten Zeitraums“) lässt sich entnehmen, dass jedenfalls der Vertragszeitraum „bestimmt“, d.h. festgelegt werden muss2. Die Festlegung des Vertragszeitraums ist dabei vergaberechtlich in dreierlei Hinsicht von Bedeutung: Zum Ersten erweist sich ein Einzelabruf als vergaberechtswidriger Vertragsschluss, wenn die Rahmenvereinbarung bereits abgelaufen ist3. Zum Zweiten stellt der Vertragszeitraum aus Bietersicht eine zentrale Kalkulationsgrundlage dar, und zwar insbesondere dann, wenn in nicht unerheblichem Maße Vorhaltekosten anfallen4. Zum Dritten gibt der Vertragszeitraum bzw. geben insbesondere die Vorschriften betreffend die maximale Dauer einer Rahmenvereinbarung5 Auskunft darüber, wann der öffentliche Auftraggeber spätestens wieder einen Wettbewerb eröffnen muss6. 1 Bejahend (und wohl h.M.) OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VII-Verg 51/07, NZBau 2008, 194; OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, VergabeR 2012, 628; OLG Düsseldorf v. 11.11.2011 – VII-Verg 92/11, VergabeR 2012, 632; OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12, EnWZ 2013, 187; OLG Düsseldorf v. 21.2.2005 – VII-Verg 91/04, WuW/E Verg 1055. Danach kann und muss die Prüfungskompetenz der Vergabenachprüfungsinstanzen auch schwierige Rechtsfragen aus sehr speziellen Rechtsmaterien umfassen, sofern ein vergaberechtlicher Bezug besteht. Verneinend hingegen VK Bund v. 1.2.2011 – VK 3-135/10; VK Bund v. 27.7.2016 – VK 2-63/16; OLG Schleswig-Holstein v. 20.11.2012 – 1 Verg 7/12, Rz. 16; OLG Düsseldorf v. 22.5.2002 – VII-Verg 6/02, NZBau 2002, 583, Ls. 1. Danach handele es sich bei den §§ 1 ff. GWB um keine „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“ i.S.v. § 97 Abs. 6. 2 Ebenso Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 490. 3 S. o. unter Rz. 137; sowie ferner auch Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 478. 4 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 490. 5 Im Anwendungsbereich der VgV und der VOB/A darf die Laufzeit einer Rahmenvereinbarung höchstens vier Jahre betragen, es sei denn, es liegt ein im Gegenstand der Rahmenvereinbarung begründeter Sonderfall vor (vgl. § 21 Abs. 6 VgV und § 4a EU VOB/ A). Gemäß § 14 Abs. 6 Satz 1 VSVgV beträgt die maximale Regellaufzeit sieben Jahre und gem. § 19 Abs. 3 Satz 1 SektVO acht Jahre. Hierdurch soll einer missbräuchlichen Verwendung in Form eines mittel- bis langfristigen Ausschlusses von Wettbewerb entgegen gewirkt und die Marktmacht der öffentlichen Hand begrenzt werden. Vgl. m.w.N. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 490. 6 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 490.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 145 Über den Vertragszeitraum hinaus benennt § 103 Abs. 5 keine weiteren Ver-

tragselemente, die in der Rahmenvereinbarung bereits zwingend abschließend geregelt sein müssen. Demzufolge können grundsätzlich sämtliche übrigen vertraglichen Parameter Gegenstand von weiteren ergänzenden Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern bzw. im Falle mehrerer Beteiligter auf Auftragnehmerseite Gegenstand eines weiteren wettbewerblichen Verfahrens sein1. Grenzen ergeben sich dabei jedoch insoweit, als das hierdurch die Bedingungen der Rahmenvereinbarung nicht grundlegend verändert werden dürfen. Die Parteien sind somit also nicht völlig frei und es steht der Vergabestelle nicht offen, bestimmte wesentliche Vertragsinhalte in das Belieben einer Partei zu stellen. Insbesondere muss auch der Leistungsgegenstand in der Rahmenvereinbarung eindeutig identifizierbar und jedenfalls in einem solchen Maße präzisiert sein, dass vergleichbare Angebote für den Abschluss der Rahmenvereinbarung möglich sind. Hingegen muss die Konkretisierung nicht so weit gehen, dass die Bieter in die Lage versetzt werden, zuschlagsfähige Angebote schon in Bezug auf die späteren Einzelangebote zu legen. Letzteres wäre auch der mit den Rahmenvereinbarungen beabsichtigten Flexibilität gerade bei langjährigen Vereinbarungen abträglich2.

146 Dies gilt – trotz der Formulierung in § 103 Abs. 5 Satz 1 a.E. („[…] insbesondere

in Bezug auf den Preis.“) – vor allem auch für den Vertragsparameter Preis. Denn häufig ist es gerade der Preis, der in einer Rahmenvereinbarung noch keine abschließende Regelung findet, sondern abhängig von Bedarfs- und Marktentwicklungen erst bei Abruf der konkreten Leistung durch die jeweiligen Einzelverträge konkretisiert wird3. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Rahmenvereinbarung mit mehreren Auftragnehmern geschlossen wird.

147 Umgekehrt verlangt § 103 Abs. 5 aber auch nicht, dass die Rahmenvereinbarung

zwingend bestimmte Vertragsparameter offen lässt. Mithin ist es auch möglich, bereits alle Bedingungen für die späteren Einzelaufträge in der Rahmenvereinbarung festzulegen, so dass die Einzelaufträge nur noch im Bedarfsfall abgerufen werden müssen. Die EU-Kommission verwendet für eine solche Vereinbarung bereits seit jeher den Begriff „Rahmenvertrag“ und schlägt diesen auch weiterhin vor – im Gegensatz zu den „Rahmenvereinbarungen“, die die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien noch nicht abschließend festlegen4. 1 Ebenso Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 485. Siehe hierzu auch Kommission, Explanatory Note on Framework Agreements, Ziff. 2.2. 2 Vgl. zum Ganzen und m.w.N. auch Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 487. 3 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 480. 4 Vgl. Kommission, Explanatory Note on Framework Agreements, S. 3; sowie Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 486.

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Ein weiteres typisches – und sie wesentlich von anderen Vertragsarten unter- 148 scheidendes – Merkmal von Rahmenvereinbarungen ist schließlich auch, dass sie in der Regel keine Abnahmeverpflichtung enthalten müssen1, sondern dem bzw. den öffentlichen Auftraggeber(n) eine Option einräumen, die im Bedarfsfall gezogen werden kann, aber – soweit ein solcher ausbleibt – nicht gezogen werden muss2. Dies gilt auch dann, wenn die Rahmenvereinbarung bzw. der Rahmenvertrag mit nur einem Wirtschaftsteilnehmer abgeschlossen wurde3. Hiermit gehen naturgemäß nicht unerhebliche Kalkulationsrisiken auf Bieterseite einher. Dem kann von Auftraggeberseite entgegen gewirkt werden, indem dieser beispielsweise eine Mindestabnahmemenge garantiert oder eine Vergütung von Vorhaltekosten gewährt. Auf diese Weise lassen sich – worauf Zeise zutreffend hinweist – nicht nur wirtschaftlichere Angebote erzielen, weil die Bieter weniger Risikozuschläge einpreisen4. Vielmehr kann dies im Einzelfall sogar auch im Interesse der Vermeidung von ungewöhnlichen Wagnissen bzw. unzumutbaren Kalkulationsrisiken geboten sein. Vor dem Hintergrund Letzteren kann es sich – u.U. und gerade wenn Mehr-Partner-Rahmenvereinbarungsmodelle in Rede stehen – auch anbieten, den Bietern die Kalkulation in Form von Staffelpreisen (je nach zu erwartender Absatzmenge) zu ermöglichen. Die konkrete Einteilung der Staffelbandbreiten unterliegt dabei dem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers5. 3. Verfahren für die Vergabe von Rahmenvereinbarungen (§ 103 Abs. 5 Satz 2) Gemäß § 103 Abs. 5 Satz 2 gelten für die Vergabe von Rahmenvereinbarungen, 149 soweit nichts anderes bestimmt ist, dieselben Vorschriften wie für die Vergabe entsprechender öffentlicher Aufträge. Zu beachten sind mithin die Vorgaben des GWB in Verbindung mit den Bestimmungen der jeweils einschlägigen Vergabeverordnung bzw. der VOB/A (vgl. insoweit § 21 VgV, § 19 SektVO, § 14 VSVgV bzw. § 4a EU VOB/A).

1 Zweifelnd dagegen KG Berlin v. 15.4.2004 – 2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762 ff. m.w.N. 2 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 481. 3 Vgl. OLG Celle v. 10.7.2003 – 14 U 263/02; VK Düsseldorf v. 23.5.2008 – VK-7/2008-L; VK Bund v. 20.4.2006 – VK 1 – 19/06; VK Bund v. 28.1.2005 – VK 3 – 221/04. 4 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 481. 5 Vgl. VK Bund v. 24.4.2011 – VK 2 – 58/11; VK Bund v. 1.2.2011 – VK 3 – 135/10 und VK 3 – 126/10; sowie Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 489.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe VII. Wettbewerbe (§ 103 Abs. 6) 150 Ebenso wie § 103 Abs. 5 die Rahmenvereinbarungen aus dem Begriff des öffent-

lichen Auftrags herausnimmt, klammert auch § 103 Abs. 6 die Wettbewerbe aus dem öffentlichen Auftragsbegriff aus und führt diese einer gesonderten Regelung zu.

151 § 103 Abs. 6 entspricht im Wesentlichen dem bisherigen § 99 Abs. 5 GWB a.F.

Im Einklang mit den neuen Vergaberichtlinien findet nun aber der Begriff „Wettbewerbe“ (anstatt Auslobungsverfahren) Verwendung. Die Einzelheiten für das Verfahren zur Ausrichtung von Wettbewerben gem. Art. 78–82 der Richtlinie 2014/24/EU sowie Art. 95–99 der Richtlinie 2014/25/EU werden durch die aufgrund von § 113 erlassene Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates umgesetzt1.

152 § 103 Abs. 6 definiert den Begriff „Wettbewerbe“ als Auslobungsverfahren,

die dem Auftraggeber aufgrund vergleichender Beurteilung durch ein Preisgericht mit oder ohne Verteilung von Preisen zu einem Plan oder einer Planung verhelfen sollen.

153 Wettbewerbe dienen der Vorbereitung der Vergabe von Dienstleistungsaufträ-

gen2. Ziel des Auftraggebers ist es, die bestgeeignete Projektlösung und denjenigen Bewerber zu ermitteln, der in der Lage ist, diese im Falle einer sich anschließenden Beauftragung zu verwirklichen3. Die Auswahl erfolgt hierbei nicht direkt durch den Auftraggeber, sondern durch ein von ihm eingesetztes Preisgericht, wobei es nach § 103 Abs. 6 keine Rolle spielt, ob beabsichtigt ist, einen Preis für die bestplatzierte Bewerbung zu erteilen. Der Entscheidung eines Preisgerichts im Rahmen eines Wettbewerbs kommt keine dem Zuschlag gleichkommende, verfahrensbeendigende Wirkung zu. Die Entscheidung eines Preisgerichts ist zwar nach Maßgabe von § 661 Abs. 2 Satz 2 BGB verbindlich; diese Vorschrift statuiert jedoch lediglich, dass eine Entscheidung darüber erfolgt, ob eine fristgerecht erfolgte Bewerbung der Auslobung entspricht oder welche von mehreren Bewerbungen den Vorzug erhalten soll. Lediglich insoweit kann der Entscheidung verbindlicher Charakter zukommen. Eine Vergabestelle bzw. ein Auslober ist jedoch nicht grundsätzlich verpflichtet, den Planungsauftrag an den ersten Preisträger eines Architektenwettbewerbs zu erteilen, selbst dann nicht, wenn die Empfehlung des Preisgerichts dahin geht, eine bestimmte Wettbewerbsarbeit zur Grundlage der weiteren Bearbeitung zu machen4.

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Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 213. Kaufhold/Mayerhofer/Reichl, Die VOF im Vergaberecht, § 20 Rz. 1. Vgl. OLG Saarbrücken v. 15.10.2014 – 1 Verg 1/14, Vergabe 2015, 250 ff.; OLG Koblenz v. 26.5.2010 – 1 Verg 2/10, IBR 2010, 521; OLG Düsseldorf v. 2.12.2009 – VII-Verg 39/09, NZBau 2010, 393 (396); VK Rheinland-Pfalz v. 27.4.2010 – VK 1-4/10; VK Saarland v. 20.2.2008 – 1 VK 07/2007, IBR 2008, 29. A.A. noch OLG Düssledorf v. 31.3.2005 – VII-

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Irrelevant ist dabei die vom öffentlichen Auftraggeber verwendete Terminologie. 154 So liegt ein Wettbewerb beispielsweise auch dann vor, wenn der Auftraggeber in einem „Kooperativen Workshopverfahren“ nicht die Bezeichnung eines „Preisgerichtes“, sondern einer „Empfehlungskommission“ wählt und keine „Preise“, sondern eine pauschale Summe für die Teilnehmer festsetzt. Eine im Kooperativen Workshopverfahren installierte „Empfehlungskommission“ ist daher als ein Preisgericht i.S.v. § 103 Abs. 6 anzusehen. Maßgeblich ist nämlich allein die Funktion der „Empfehlungskommission“, für den Auftraggeber eine vergleichende Beurteilung vorzunehmen und die Absicht des Auftraggebers, falls es zur Realisierung des Vorhabens kommt, der Empfehlung der Kommission hinsichtlich der weiteren Beauftragung mit Planungsleistungen folgen zu wollen1. Die praktisch wichtigsten Beispiele sind Planungswettbewerbe auf dem Gebiet 155 der Raumplanung, des Städtebaus und des Bauwesens (vgl. insoweit auch § 69 Abs. 1 VgV) sowie Auslobungen im IT-Bereich. Daneben kommen Auslobungsverfahren u.a. auch im Bereich der Werbung einschließlich Industrie- und Kommunikationsdesign in Betracht2. Die Planungswettbewerbe auf dem Gebiet der Raumplanung, des Städtebaus und des Bauwesens werden in der Praxis häufig bzw. regelmäßig auf der Basis der Richtlinie für Planungswettbewerbe (RPW 2013) durchgeführt3. Derartige Wettbewerbe sind sowohl als Ideen- als auch als Realisierungswettbewerbe statthaft4. Die RPW 2013 sind ihrer Rechtsnatur nach Verwaltungsvorschriften, die für öf- 156 fentliche Auslober von Bundesbaumaßnahmen verbindlich sind. Eine Außenwirkung entfalten sie erst dann, wenn die Behörden in der Auslobung ausdrücklich auf sie Bezug nehmen5. Die RPW 2013 umfassen nach § 3 RPW 2013 vier Wettbewerbsarten, namentlich den offenen Wettbewerb, den nicht offenen Wettbewerb, das zweiphasige Verfahren sowie das kooperative Verfahren. Letzteres ist gem. § 3 Abs. 4 Satz 4 RPW 2013 allerdings nicht mehr für Auslobungsverfahren oberhalb der Schwellenwerte anzuwenden. Hintergrund der Bestimmung ist, dass die mit diesem Verfahren zwangsläufig einhergehende Durchbre-

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Verg 4/04. Vgl. zum Ganzen auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 499. So (noch zu § 20 VOF 2006) VK Düsseldorf v. 13.10.2005 – VK-23/2005-F. Kaufhold/Mayerhofer/Reichl, Die VOF im Vergaberecht, § 20 Rz. 1. Allerdings kann auch ein im Rahmen eines VOF-Verfahrens – bzw. nunmehr der §§ 69 ff. VgV – durchgeführtes Wettbewerbsverfahren, das nicht auf die RPW 2013 Bezug nimmt, ein Auslobungsverfahren bzw. einen Wettbewerb i.S.v. § 103 Abs. 6 darstellen. Vgl. in diesem Zusammenhang BGH v. 27.6.2007 – X ZR 34/04, MDR 2007, 1409 = VergabeR 2007, 752 ff.; VK Saarland v. 20.2.2008 – 1 VK 07/2007, IBR 2008, 29; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 497. Vgl. VK Saarland v. 20.2.2008 – 1 VK 07/2007, IBR 2008, 29; Eschenbruch in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 493. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 493 f.; Wachendorf, VergabeR 2009, 869 (870).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe chung des Anonymitätsgrundsatzes nicht mit dem vergaberechtlichen Grundsatz des Geheimwettbewerbs im Einklang steht1. 157 Eine Überprüfung der Einhaltung der Wettbewerbsregeln durch die vergabe-

rechtlichen Nachprüfungsinstanzen gem. §§ 155 ff. kann stattfinden, wenn auf die Wettbewerbsregeln in den Wettbewerbsbedingungen verwiesen wird2. Da der Entscheidung eines Preisgerichts im Rahmen eines Teilnahmewettbewerbs jedoch keine dem Zuschlag gleichkommende Wirkung zukommt und eine Vergabestelle bzw. ein Auslober insbesondere auch nicht dazu verpflichtet ist, den Planungsauftrag an den ersten Preisträger eines vorangegangenen Wettbewerbs zu erteilen3 (s.o. Rz. 153), ist jedoch die Entscheidung eines Preisgerichts inhaltlich nur begrenzt nachprüfbar. Geltend gemacht werden kann aber beispielsweise, dass ein unzulässiger Wettbewerbsbeitrag zugelassen wurde oder gegen bindende Vorgaben des Auslobers verstoßen wurde4. Jedenfalls dieser letztgenannte Grundsatz ist – wie die VK Sachsen5 ausdrücklich festgestellt hat – durch die Vergabenachprüfungsinstanzen überprüfbar. Zwar handelt es sich bei der Entscheidung des Preisgerichts dem Grunde nach um eine wertende Entscheidung, die von den Nachprüfungsinstanzen nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft werden kann. Allerdings ist auch das Preisgericht in seiner Entscheidung nicht vollkommen frei, sondern muss sich vielmehr an die aufgestellten Verfahrensregeln halten. Insoweit ist auch der Beurteilungsspielraum des Preisgerichtes eingeschränkt. Überprüfbar sind somit die formalen Bedingungen und bindenden Vorgaben des Auslobers, die vom Preisgericht zwingend einzuhalten sind. Die Vorgaben der Auslobung sind Ausdruck der Beschaffungshoheit des Auftraggebers. Dieser bestimmt, ob und unter welchen Randbedingungen er eine Leistung beschaffen will. Dieser Grundsatz gilt auch im Rahmen eines Realisierungswettbewerbes. Je mehr er dabei die Planungsaufgabe durch eigene Vorgaben reglementiert, desto weniger Raum lässt er den Teilnehmern naturgemäß für eigene, schöpferische Leistungen bzw. Konzepte. Diese Abwägung obliegt aber dem Auftraggeber und nicht den Teilnehmern oder dem Preisgericht. Vor diesem Hintergrund ist es insbesondere auch unzulässig, wenn ein Preisgericht in Ansehung von Übertretungen der Aus-

1 Vgl. hierzu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 494 f. 2 OLG Koblenz v. 26.5.2010 – 1 Verg 2/10, IBR 2010, 521. 3 Vgl. OLG Saarbrücken v. 15.10.2014 – 1 Verg 1/14, Vergabe 2015, 250 ff.; OLG Koblenz v. 26.5.2010 – 1 Verg 2/10, IBR 2010, 521; OLG Düsseldorf v. 2.12.2009 – VII-Verg 39/09, NZBau 2010, 393, 396; VK Rheinland-Pfalz v. 27.4.2010 – VK 1-4/10; VK Saarland v. 20.2.2008 – 1 VK 07/2007, IBR 2008, 29. A.A. noch OLG Düssledorf v. 31.3.2005 – VII-Verg 4/04. 4 Vgl. VK Rheinland-Pfalz v. 27.4.2010 – VK 1-4/10; VK Sachsen v. 22.2.2013 – 1/SVK/ 047/12, IBR 2013, 565; sowie Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 500. 5 Vgl. VK Sachsen v. 22.2.2013 – 1/SVK/047/12, IBR 2013, 565.

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lobungsvorgaben ausdrücklich beschließt, die betroffenen Arbeiten gleichwohl weiter im Wettbewerb zu belassen1. Die Bestimmungen, die öffentliche Auftraggeber bei der Durchführung von 158 (Planungs-)Wettbewerben i.S.v. § 103 Abs. 6 anzuwenden haben, ergeben sich aus den §§ 69 ff. VgV bzw. §§ 60 ff. SektVO.

VIII. Bau- und Dienstleistungskonzessionen 1. Baukonzessionen Die Baukonzessionen, welche von den Bauaufträgen i.S.v. § 103 Abs. 3 ab- 159 zugrenzen sind und bislang in § 99 Abs. 6 GWB a.F. geregelt waren, fallen aktuell nicht mehr unter den Begriff des öffentlichen Auftrags. Vielmehr wird nunmehr zwischen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und der Vergabe von Konzessionen unterschieden. Konzessionen, einschließlich der Baukonzessionen, werden nunmehr abschließend in § 105 definiert (s.o. Rz. 3 sowie § 105 Abs. 1 Nr. 1), so dass an dieser Stelle auf die diesbezügliche Kommentierung verwiesen wird (vgl. § 105 Rz. 6 ff.). 2. Dienstleistungskonzession Ebenso wie die Bauaufträge i.S.v. § 103 Abs. 3 von den Baukonzessionen ab- 160 zugrenzen sind, sind auch die Dienstleistungsaufträge i.S.v. § 103 Abs. 4 von den sog. Dienstleistungskonzessionen zu unterscheiden. Die Dienstleistungskonzessionen unterfielen – anders als die Baukonzessionen – nach früherem Recht indes nicht dem Anwendungsbereich des Vergaberechts (i.e.S.). Dies folgte aus Art. 17 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG, wonach die Vergabekoordinierungsrichtlinie nicht für Dienstleistungskonzessionen gem. Art. 1 Abs. 4 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG galt2. Gleichwohl verlangte der EuGH – ebenso wie für Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte – auch für den Abschluss von Dienstleistungskonzessionen, dass die Grundfreiheiten des EGVertrags sowie das Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) beachtet werden. Welche grundlegenden Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hat der EuGH insbesondere in den Entscheidungen „Telaustria“3, „Coname“4 und 1 Vgl. VK Sachsen v. 22.2.2013 – 1/SVK/047/12, IBR 2013, 565. 2 Art. 1 Abs. 4 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG enthielt eine Legaldefinition des Begriffs der Dienstleistungskonzession. Danach waren Dienstleistungskonzessionen Verträge, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zzgl. der Zahlung eines Preises besteht. 3 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98, Slg. I-10745, NZBau 2001, 148 ff. – Telaustria. 4 EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03, Slg. I-07287, NZBau 2005, 592 ff. – Coname.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe „Parking Brixen“1 herausgearbeitet. Nach dem „Telaustria“-Urteil schließt das Diskriminierungsverbot insbesondere eine Verpflichtung zur Transparenz ein, damit festgestellt werden kann, ob es beachtet worden ist. Kraft dieser Verpflichtung zur Transparenz muss ein öffentlicher Auftraggeber zugunsten der potentiellen Auftragnehmer einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherstellen, der den Dienstleistungsmarkt dem Wettbewerb öffnet und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt wurden. In den Urteilen „Coname“ und „Parking Brixen“ hat der EuGH weiter festgestellt, dass ein Mangel an Transparenz darüber hinaus einen Verstoß gegen die Dienstleistungs- (Art. 56 AEUV) bzw. Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) begründen kann. Zur Frage der öffentlichen Ausschreibung stellte der EuGH zudem klar, dass jedenfalls das völlige Fehlen einer Ausschreibung weder mit den Anforderungen der Art. 49 und 56 AEUV noch mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz in Einklang steht2. Der EuGH hatte allerdings offen gelassen, wie das von ihm geforderte transparente Vergabe- bzw. Bewerbungsverfahren konkret auszugestalten ist. Anhaltspunkte hierfür lassen sich jedoch der „Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen“ vom 24.7.20063 entnehmen. Mit dieser Mitteilung fasste die EU-Kommission die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung des EG-Vertrags auf Verträge außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Vergaberichtlinien in konkrete Leitlinien, insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung von Bekanntmachungen, Verfahren und Rechtsschutz. Vor diesem Hintergrund kommt der Mitteilung der EU-Kommission – trotz der starken Kritik aus Politik, Wirtschaft und Literatur4 – für die Vergaberechtspraxis eine erhebliche Bedeutung zu. Dies gilt umso mehr in Ansehung der durch das EuG erfolgten Bestätigung5. Da davon ausgegangen werden kann, dass die EU-Kommission die Beachtung der von ihr vorgegebenen Standards mit Hilfe des Instruments des Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258 AEUV) gegen die Mitgliedsstaaten durchsetzen wird, dürfte die Mitteilung daher im faktischen Ergebnis sogar die Qualität einer EU-Richtlinie für die Ausgestaltung des nationalen Vergaberechts für alle Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Vergaberichtlinien entfalten. 161 Durch die neue Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe vom 26.2.

2014 sind nunmehr jedoch auch die Dienstleistungskonzessionen – ebenso wie

1 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 ff. – Parking Brixen. 2 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 (648), Rz. 50 – Parking Brixen. 3 ABl. C 179/2 v. 1.8.2006, S. 2. 4 Ausführlich hierzu und m.w.N. Braun, EuZW 2006, 683 ff. 5 Vgl. EuGH v. 20.5.2010 – Rs. T-258/06, NZBau 2010, 510 ff.

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die Baukonzessionen – dem Anwendungsbereich des Vergaberechts (i.e.S.) unterstellt. Infolge dessen unterscheidet auch das GWB nunmehr ausdrücklich zwischen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und der Vergabe von Konzessionen und definiert Letztere abschließend in § 105 (s.o. Rz. 3). Die Begriffsdefinition der Dienstleistungskonzession findet sich in § 105 Abs. 1 Nr. 2. Mit Blick hierauf wird an dieser Stelle auf die diesbezügliche Kommentierung verwiesen (vgl. § 105 Rz. 9 ff.).

IX. Abgrenzungsfragen 1. Abgrenzung zwischen den Auftragsarten Die Abgrenzung der in § 103 Abs. 2–4 genannten Auftragsarten wurde vor- 162 stehend bereits behandelt. Bezüglich der Abgrenzung zwischen Bau- und Lieferaufträgen wird auf Rz. 67 ff. und 90 f. verwiesen. Dienstleistungsaufträge werden gegenüber Bau- und Lieferaufträgen gem. § 103 Abs. 4 negativ abgegrenzt (vgl. Rz. 131). Die Einordnung unter § 103 Abs. 2–4 (bzw. 6) erfolgt nach objektiven Gesichtspunkten und unterliegt nicht der Disposition des Auftraggebers1. 2. Typengemischte Aufträge Für sog. typengemischte Aufträge, d.h. Aufträge, die verschiedene Leistungen 163 wie Liefer-, Bau- und/oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, bestimmte § 99 Abs. 10 GWB a.F. bislang, dass ein öffentlicher Auftrag, der sowohl den Einkauf von Waren als auch die Beschaffung von Dienstleistungen zum Gegenstand hatte, als Dienstleistungsauftrag galt, wenn der Wert der Dienstleistungen den Wert der Waren überstieg (§ 99 Abs. 10 Satz 1 GWB a.F.). Ein öffentlicher Auftrag, der neben Dienstleistungen Bauleistungen umfasste, die im Verhältnis zum Hauptgegenstand Nebenarbeiten waren, galt als Dienstleistungsauftrag (§ 99 Abs. 10 Satz 2 GWB). Diese – erst durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20092 zunächst als § 99 Abs. 7 GWB a.F. eingeführte – Bestimmung des § 99 Abs. 10 GWB a.F. wurde nicht in § 103 übernommen. Das neue GWB regelt die Einordnung von öffentlichen Aufträgen (und Konzes- 164 sionen), die verschiedene Leistungen zum Gegenstand haben, nunmehr in § 110. Gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 werden öffentliche Aufträge, die verschiedene Leistungen wie Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, nach den Vorschriften vergeben, denen der Hauptgegenstand des Auftrags zuzuordnen ist. Dies entspricht der sog. Schwerpunkttheorie und steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, beispielsweise in der Rechtssache „Köln Messe“, 1 VÜA Bayern v. 28.8.1998 – VÜA 16/97, WuW/E Verg 178, 180. 2 BGBl. I 2009, 790 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe in welcher der EuGH festgestellt hat, dass es auf den „Hauptgegenstand“ des Vertrags ankommt, wenn dieser zugleich Elemente eines öffentlichen Bauauftrags und Elemente eines Auftrags anderer Art aufweist1. 165 Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu § 110 ver-

wiesen.

3. Öffentliche Aufträge, deren Teile unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen 166 Der Umgang mit öffentlichen Aufträgen, deren Teile unterschiedlichen recht-

lichen Regelungen unterliegen, regelt § 111, so dass an dieser Stelle auf die entsprechende Kommentierung verwiesen wird. 4. Öffentliche Aufträge, die verschiedene Tätigkeiten umfassen

167 Für öffentliche Aufträge, die der Durchführung mehrerer Tätigkeiten dienen,

enthielt das GWB bisher eine Abgrenzungsbestimmung in § 99 Abs. 12 GWB a.F. Diese – erst durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20092 zunächst als § 99 Abs. 8 GWB a.F. eingeführte3 – Regelung wurde nicht im Rahmen von § 103 übernommen. Vielmehr ist eine eigenständige Regelung in § 112 erfolgt; auf die entsprechende Kommentierung wird an dieser Stelle verwiesen. 5. Kombination von ausschreibungspflichtigen und nicht vergaberechtsrelevanten Aufträgen

168 Besteht ein Vertrag aus einer Kombination von ausschreibungspflichtigen und

nicht vergaberechtsrelevanten Teilen, unterliegt er insgesamt dem Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB4. Dies gilt auch dann, wenn der vergaberechtsrelevante Teil nicht den Schwerpunkt des Vorgangs bildet. Vielmehr genügt es, wenn der vergaberechtsrelevante Aspekt nicht von völlig untergeordneter Bedeutung ist5 (s. hierzu auch bereits oben unter Rz. 18 ff., insb. Rz. 20).

1 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, NZBau 2009, 792 (796) – Rz. 57 – Köln Messe. Ebenso EuGH v. 26.5.2011 – Rs. C-306/08, NZBau 2011, 431 f. – PAI und LARAU Valencia. 2 BGBl. I 2009, 790 ff. 3 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 16/10117, S. 15 f. 4 OLG Düsseldorf v. 20.6.2001 – VII-Verg 3/01, VergabeR 2001, 329 (332). 5 BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116, 130 = MDR 2005, 973; VK Bund v. 24.7. 2007 – VK 2-69/07.

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X. Einzelprobleme 1. Privatisierung a) (Grund-)Formen der Privatisierung Eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs der „Privatisierung“ fehlt. Es 169 handelt sich hierbei um einen Oberbegriff für die unterschiedlichsten Maßnahmen, denen gemein ist, dass Aufgaben, die staatlichen Stellen obliegen, durch oder unter Beteiligung Privater bzw. in privater Rechtsform erbracht werden. Die Privatisierung erfolgt regelmäßig auch nicht nach einem bestimmten Schema, sondern entsprechend den jeweiligen verwaltungspolitischen Zielsetzungen und Bedürfnissen der Praxis. Dementsprechend haben sich mehrere Formen der Ab- bzw. Rückgabe staatlich verwalteter Bereiche an die freie, in den Bahnen des Privatrechts organisierte Gesellschaft herausgebildet. Grundlegend wird dabei zwischen der formellen, der materiellen, der funktionalen Privatisierung sowie der Vermögensprivatisierung unterschieden, wobei auch Mischformen ohne weiteres möglich sind1. Bei der formellen Privatisierung (oder auch Organisationsprivatisierung) wird 170 eine Aufgabe, die bis dahin von der öffentlichen Hand in einer Organisationsform des öffentlichen Rechts ausgeübt wurde, auf eine privatrechtliche Organisation übertragen, ohne dass sich der öffentlich-rechtliche Rechtsrahmen, der auf die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe Anwendung findet, ändert2. Der Staat bleibt hier verantwortlicher Träger der öffentlichen Aufgabe, bedient sich zu ihrer Wahrnehmung jedoch der Organisations- und Rechtsformen des Privatrechts. Dies kann in Form einer 100%igen Eigengesellschaft oder eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens mit öffentlicher Mehrheitsbeteiligung erfolgen3. Die materielle Privatisierung (auch Aufgabenprivatisierung genannt) be- 171 schreibt den hoheitlichen Verzicht auf eine öffentliche Aufgabe als Verwaltungsmaterie und die grundsätzliche Überlassung des betroffenen Sachgegenstandes an die privatrechtlich organisierte Gesellschaft. Die öffentliche Hand verzichtet also auf die eigene Erfüllung einer (bisher) öffentlichen Aufgabe und überträgt diese auf einen Privaten4. Bei der funktionalen Privatisierung (oder auch Erfüllungsprivatisierung) 172 überträgt die öffentliche Hand – in der Regel auf vertraglicher Basis („contracting out“) – die Aufgabenerfüllung nicht komplett auf einen Privaten, sondern 1 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rz. 61 ff.; Kämmerer, Privatisierung, S. 16 ff. 2 Ein Beispiel hierfür ist die Umwandlung einer öffentlich-rechtlichen Anstalt in eine GmbH (wie z.B. der Bundesanstalt für Flugsicherung in die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH). Vgl. Behr, VergabeR 2009, 136; Scharf/Dierkes, VergabeR 2011, 543 (544); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 127. 3 di Fabio, JZ 1999, 585 (588). 4 di Fabio, JZ 1999, 585 (586).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe bedient sich seiner lediglich als „Erfüllungsgehilfen“1. Typische Beispiele hierfür sind die Beleihung und die Verwaltungshilfe. Werden öffentliche Aufgaben von staatlichen Stellen in Zusammenarbeit mit Privaten erfüllt, spricht man von Public Private Partnership (PPP). Hierbei handelt es sich um einen unscharfen Begriff, der sowohl Fälle der teilweisen materiellen Privatisierung (beispielsweise die teilweise Übertragung der Geschäftsanteile einer kommunalen Gesellschaft) als auch der funktionalen Privatisierung umfasst. Zur Einordnung der funktionalen Privatisierung werden regelmäßig verschiedene Unterkategorien gebildet, ohne dass hiervon jedoch alle möglichen Fallgestaltungen umfasst wären. In der Praxis werden insbesondere folgende Grundbegriffe/Grundmodelle verwendet2: – Betreibermodell. Bei diesem Modell verbleibt die Aufgabe in der Kontrolle der öffentlichen Hand, wird jedoch von einem Privaten ausgeführt, der sich in der Regel durch die Erhebung von Gebühren oder von privatrechtlichen Benutzungsentgelten finanziert. Betreibermodelle werden beispielsweise im Bereich der Abwasserbeseitigung und der Privatfinanzierung von Fernstraßen eingesetzt3. Einen Unterfall bildet das BOT-Modell („build-operatetransfer“). Hierbei übernimmt der Betreiber auch die Errichtung und gegebenenfalls Planung des von ihm betriebenen Objekts. Materiell-rechtlich liegt in diesen Fällen oftmals, aber nicht zwingend, eine Baukonzession vor. Für den Bereich Fernstraßen wurde durch das Gesetz über den Bau und die Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private (Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz bzw. FstrPrivFinG)4 für private Investoren die Möglichkeit geschaffen, zur Finanzierung der Investitionskosten Mautgebühren zu erheben. Durch dieses Gesetz sollten Brücken-, Tunnel-, und Gebirgspassprojekte privat finanziert werden. Dabei geht die Tendenz der öffentlichen Hand dahin, anstelle der Einbringung öffentlicher Mittel (sog. F-Modell) andere Modelle zu entwickeln, in denen keine öffentlichen Gelder zur Verfügung gestellt werden müssen. Durch die Einführung der Lkw-Maut eröffnet sich z.B. die Möglichkeit, die Sanierung und Erweiterung des Bundesfernstraßennetzes dergestalt zu realisieren, dass der Vertragspartner den notwendigen Ausbau zweispuriger Autobahnen auf dreispurige komplett auf eigene Kosten vornimmt und im Gegenzug auf dem betroffenen Teilstück insgesamt die Mautgebühren erhält (sog. A-Modell)5. Basierend auf der 1 Vertiefend Behr, VergabeR 2009, 136 (138 ff.). 2 Vgl. zu den vielgestaltigen Varianten und Unterfällen die Darstellung bei Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 514 ff. 3 Vgl. etwa Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 12; Roth, NVwZ 2003, 1056; Reidt/Stickler in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 2. Aufl. 2013, § 22 Rz. 69. 4 BGBl. I 1994, 2243, neugefasst durch Bekanntmachung vom 6.1.2006, BGBl. I 2006, 49. 5 Siehe hierzu auch Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 22 VOB/A Rz. 5; Byok/Jansen, NZBau 2005, 241 ff.

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Struktur des A-Modells werden aktuell zudem diverse Projekte als sog. Verfügbarkeitsmodelle konzipiert (V-Modell). Hierbei nimmt der private Betreiber für einen bestimmten Streckenabschnitt Planungs-, Bau-, Betriebs- und Erhaltungsaufgaben wahr. Er trägt dabei die Investitions- und Betreiberrisiken und erhält als Gegenleistung ein feststehendes regelmäßiges Entgelt (etwa 85 %). Der restliche Teil der Vergütung wird in Abhängigkeit der Verfügbarkeit und der Vermeidung von Beeinträchtigungen durch Qualitätsmängel geleistet. Beim V-Modell trägt der Auftragnehmer also nicht mehr unmittelbar das Verkehrsmengenrisiko. Vielmehr erhält er eine verkehrsmengenunabhängige Vergütung. Während der Bauphase kann zusätzlich eine Anschubfinanzierung geleistet werden. Bei dem sog. V-Modell handelt es sich um einen Bauvertrag mit einem verfügbarkeitsabhängigen Entgelt. Die Laufzeit beträgt in der Regel 20 bis 30 Jahre1. – Konzessionsmodell. Hierunter wird in der Regel die private Vorfinanzierung einer öffentlichen Aufgabe, beispielsweise eines Bauvorhabens, verstanden. Der Private erhält für die Durchführung der Aufgabe von dem öffentlichen Auftraggeber ein Entgelt, das – wenn auch zeitlich gestreckt – seine Investitionen refinanziert2. – Betriebsführungsmodell. Hierbei überträgt der öffentliche Auftraggeber – anders als bei den Betreiber- und Konzessionsmodell – lediglich die Betriebsführung einem Privaten, der hierfür ein Entgelt erhält. Im Kern stellt dieses Modell daher einen Dienstleistungsauftrag dar, kann im Einzelfall aber auch weitere Leistungen, wie beispielsweise eine Personalübernahme beinhalten3. Die Vermögensprivatisierung liegt dann vor, wenn der Staat Vermögensgegen- 173 stände, insbesondere Grundstücke und Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmen (Aktien, GmbH-Anteile) an Private veräußert4. Darüber hinaus existieren – wie gesagt – zahlreiche Mischformen. b) Vergaberechtliche Einordnung einzelner Formen der Privatisierung Hinsichtlich der vergaberechtlichen Einordnung von Privatisierungsvorgän- 174 gen verbietet sich eine schematische Beurteilung. Es ist vielmehr auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen. Folgende Grundsätze lassen sich jedoch festhalten: 1 Näher zum Ganzen Hermann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, Vor § 22 VOB/A Rz. 12a, der als Beispiele die Ausschreibungen der DEGES betreffend die BAB 9 und die BAB 7 Nord nennt. 2 Reidt/Stickler in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 2. Aufl. 2013, § 22 VOB/A Rz. 67. 3 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 529. 4 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rz. 64.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 175 Wird bei der formellen bzw. Organisationsprivatisierung lediglich ein Teil des

Aufgabenträgers organisationsrechtlich privatisiert, so ist dies – isoliert betrachtet – mangels eines Leistungsaustausches zwischen dem Aufgabenträger und seinem privatisierten Teil vergaberechtsneutral1. In diesem (Grund-)Fall handelt es sich vielmehr nur um einen Gesellschaftsformwechsel, der keine Beschaffung beinhaltet2. Eine vergaberechtliche Bedeutung ergibt sich erst dann, wenn – wie oftmals der Fall – dem privatisierten Teil zugleich eine bis dahin von dem Aufgabenträger wahrgenommene Aufgabe zugewiesen oder der privatisierte Teil in die Erfüllung einer beim Aufgabenträger verbleibenden Aufgabe eingebunden wird – mithin also eine Mischform bzw. sog. eingekapselte Beschaffung (vgl. hierzu auch Rz. 19 ff.) vorliegt3. Im Weiteren ist zu unterscheiden: Bleibt der privatisierte Teil vollständig in der Hand des oder der privatisierenden Aufgabenträger (sog. öffentlich-rechtliches Unternehmen), ist der damit einhergehende Leistungsaustausch dann vergaberechtsfrei, wenn es sich um ein sog. In-houseGeschäft i.S.v. § 108 Abs. 1–4 (vgl. Rz. 53 f.) handelt, d.h. der bzw. die privatisierende(n) Aufgabenträger über den privatisierten Teil eine ähnliche Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausübt und der privatisierte Teil zugleich seine Tätigkeit im Wesentlichen für den bzw. die privatisierenden Aufgabenträger verrichtet. Wird an dem privatisierten Teil indes ein Privater beteiligt (sog. gemischt-wirtschaftliches Unternehmen) und erschöpft sich die Beteiligung nicht nur in einer Kapitaleinlage, sondern geht zugleich mit einer Vergabe von Liefer-, Dienst- und/oder Bauleistungen einher, so ist der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet (vgl. Rz. 20 und 169 f.). Bei Gründung einer neuen Gesellschaft und der Übertragung von Geschäftsanteilen ist überdies stets zu überprüfen, ob die Gesellschaft auch nach der Privatisierung die Voraussetzungen des § 99 erfüllt. In diesem Fall hat sie selbst bei der Vergabe von Aufträgen selbstverständlich auch die Vorschriften des 4. Teils des GWB zu beachten.

176 Entledigt sich der öffentliche Aufgabenträger bei der materiellen bzw. Auf-

gabenprivatisierung der Aufgabe als solcher vollständig, fehlt es ebenfalls an dem für einen öffentlichen Auftrag erforderlichen Leistungsaustausch4. Denn die Wahrnehmung einer ehemals öffentlichen Aufgabe ist keine Leistung des Privaten an den privatisierenden Aufgabenträger. Vielmehr erbringt der Private die Leistung infolge der Aufgabenentledigung auf Seiten des privatisierenden Aufgabenträgers nicht an diesen, sondern an die Aufgabenbetroffenen. Dies gilt selbst dann noch, wenn sich der bisherige Aufgabenträger die Aufsicht über die

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 99 Rz. 157; Behr, VergabeR 20009, 136 f. m.w.N.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 127. 2 Behr, VergabeR 2009, 136; Scharf/Dierkes, VergabeR 2011, 543 (544); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 127. 3 Behr, VergabeR 20009, 136 (137). 4 Behr, VergabeR 2009, 136 (137); Scharf/Dierkes, VergabeR 2011, 543 (544); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 128.

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Wahrnehmung der ehemals öffentlichen Aufgabe in dem Sinne vorbehält, dass er zugunsten der Aufgabenbetroffenen die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung kontrolliert1. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn dem Privaten die öffentliche Aufgabe nicht vollständig eröffnet wird, sondern ihm nur die Wahrnehmung der Aufgabe übertragen wird, für deren Erfüllung beim öffentlichen Aufgabenträger zumindest noch eine Restverantwortung, die über eine bloße Kontrolle der ordnungsgemäßen Erfüllung hinausgeht, verblieben ist. In diesen Fällen liegt tatsächlich auch keine Aufgabenprivatisierung, sondern lediglich eine funktionale bzw. Erfüllungsprivatisierung vor. Letzteres kann insbesondere im kommunalen Bereich in Betracht kommen, weil sich die Kommunen – nach der Rechtsprechung des – mit Blick auf die verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverantwortung (Art. 28 Abs. 2 GG) im Interesse einer wirksamen Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ihrer Aufgabenverantwortung nicht vollständig entziehen dürfen2. Die funktionale bzw. Erfüllungsprivatisierung, d.h. die Verfolgung öffentlicher 177 Aufgaben unter Einschaltung privater „Erfüllungsgehilfen“, stellt, wenn und soweit Gegenstand die entgeltliche Erbringung von Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen auf vertraglicher Grundlage ist – was regelmäßig der Fall ist –, einen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 dar und unterliegt den vergaberechtlichen Vorschriften3. Zu dem problematischen Fall der Beleihung allein durch Verwaltungsakt ohne begleitende vertragliche Regelungen s. bereits oben Rz. 11. Zu der insbesondere im Zusammenhang mit der Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen streitig gewordenen Frage, ob in den Fällen der Beleihung, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt i.S.d. Art. 51, 62 AEUV verbunden sind, eine Ausschreibungspflicht besteht4, s. Rz. 13. Die (reine) Vermögensprivatisierung, bei der der Staat lediglich Vermögens- 178 gegenstände veräußert, stellt keinen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 dar, weil der öffentliche Auftraggeber insoweit nur als „Lieferant“ und nicht als Beschaffender auftritt (vgl. hierzu auch Rz. 19 ff.). Allerdings folgt daraus nicht, 1 Behr, VergabeR 20009, 136 (137). 2 Vgl. BVerwG v. 27.5.2009 – 8 C 10.08, DVBl. 2009, 1382 (1383); sowie ferner auch Ganske in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Februar 2012, § 56 WHG Rz. 43. 3 Behr, VergabeR 20009, 136 (138); Burgi, NVwZ 2001, 601 (604); Eschenbruch in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 130. 4 Dies verneinend BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84, 89 = MDR 2009, 370, der argumentiert, dass der Anwendungsbereich des § 99 Abs. 1 GWB a.F. nicht durch Art. 51, 62 AEUV (ex-Art. 45, 55 EGV) eingeschränkt werde, weil insoweit allein das deutsche Recht, insbesondere in Form der abschließenden Bestimmung des § 100 Abs. 2, maßgeblich sei. Im Ergebnis ebenso OLG Dresden v. 4.7.2008 – WVerg 3/08, VergabeR 2008, 809 (813 f.); a.A. OLG Düsseldorf v. 5.4.2006 – VII-Verg 7/06, VergabeR 2006, 787 ff., mit Anm. Weber. Vgl. auch Behr, VergabeR 2009, 136 (139), der mit Blick auf die gem. Art. 33 Abs. 4 GG für die Erfüllungsprivatisierung bestehenden Grenzen schon kein Bedürfnis für eine vergaberechtliche Bereichsausnahme sieht.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe dass ein öffentlicher Auftraggeber stets auf jede Form von Wettbewerb verzichten darf, wenn kein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 1 vorliegt. Vielmehr kann die öffentliche Hand auch bei reinen Veräußerungen von Vermögenswerten verpflichtet sein, ein strukturiertes Bieterverfahren durchzuführen1 (s. hierzu auch noch Rz. 184 ff.). 179 In der Praxis treten die einzelnen Formen der Privatisierung jedoch – wie gesagt

– selten in ihrer Reinform, sondern in Mischformen auf. Diese Mischformen sind regelmäßig durch die Gründung einer neuen juristischen Person oder durch die Übertragung von Vermögensgegenständen, insbesondere von Geschäftsanteilen, charakterisiert. Die Gründung einer neuen Gesellschaft stellt – auch bei Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens – grundsätzlich keinen Beschaffungsvorgang dar2 (vgl. Rz. 20). Das Gleiche gilt für die Auswahl eines künftigen Mitgesellschafters und die Veräußerung von Vermögensgegenständen, da der öffentliche Auftraggeber in diesem Fall als „Lieferant“ und nicht als Beschaffender auftritt. All diese Fälle unterliegen isoliert betrachtet nicht dem Vergaberecht3. Dass die Abgabe eines Teils einer Gesellschafterstellung gleichzeitig zu einer dauerhaften Verbundenheit der Gesellschafter und damit zu einer gewissen „Nähe“ der Beteiligten führt, ändert hieran (noch) nichts4, und zwar auch dann nicht, wenn die veräußerten Gesellschaftsanteile der Gemeinwohlbindung unterliegen5.

180 Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Verkauf von Geschäftsanteilen durch

einen öffentlichen Auftraggeber an einen Privaten einen Bezug zur Beschaffung von Leistungen aufweist; sich – ungeachtet der bestehenden gesellschaftsrechtlichen Beziehung – die Verbundenheit zu einem beschaffungsrelevanten Rechtsgeschäft verdichtet6. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich die Beteiligung nicht nur in einer Kapitaleinlage des künftigen privaten Gesellschafters erschöpft, sondern zugleich mit dem Neuabschluss, der Verlängerung oder der

1 BGH v. 8.4.2003 – KZR 39/99, NJW 2003, 2684 (2685); Byok, NJW 2004, 198 (203) m.w.N. 2 EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, NZBau 2011, 312 (313) – Oulon Kau punki; EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki; OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45, 47; VK Sachsen v. 29.12.2004 – 1/ SVK/123-04; VK Lüneburg v. 5.11.2004 – 203-VgK-48/2004; VK Lüneburg v. 26.4.2002 – 203-VgK-06/2002; VK Brandenburg v. 30.8.2004 – VK 34/04; Otting, VergabeR 2002, 11 (12); Krutisch, NZBau 2003, 650 ff. m.w.N.; Endler, NZBau 2002, 125 (132); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 129. 3 Burgi, NVwZ 2001, 601 (605); Otting, VergabeR 2002, 11 (15). 4 Vgl. Braun, VergabeR 2006, 657 (659); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 108. A.A. wohl Kessenbrock, WuW 2001, 122 (123 f.); Opitz, ZVgR 2000, 97 (116). 5 Frenz, WRP 2006, 1216 (1218); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 108. 6 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 109.

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wesentlichen Änderung eines Vertrags über Liefer-, Bau-, oder Dienstleistungen einhergeht1. Denn dann tritt der staatliche Anteilsverkäufer – im Wege einer funktionellen Gesamtbetrachtung beider Vorgänge – als Nachfrager am Markt auf2. Dem kann auch nicht der Einwand entgegen gehalten werden, dass die Suche nach privaten Mitgesellschaftern grundsätzlich mit Rücksicht auf den privaten bzw. persönlichen und zwischenmenschlichen Einschlag einer Gesellschafterstellung erfolgt. Denn es kommt dem öffentlichen Auftraggeber bei der Auswahl des privaten Bieters in aller Regel nicht – zumindest nicht vordergründig – auf die persönliche Zuverlässigkeit und das individuelle Engagement der auf Bieterseite handelnden natürlichen Personen an, die im Laufe der Zeit ausgewechselt werden können, sondern auf die nach objektiven Kriterien zu beurteilende Eignung des Bieters, also insbesondere auf seine finanzielle Potenz sowie sein Know-how im Hinblick auf den vereinbarten Gesellschaftszweck. Über die Auswahl eines privaten Investors als Mitgesellschafter wird also in der Regel nach den gleichen Kriterien wie über die Auswahl eines Vertragspartners für Beschaffungsverträge entschieden werden3. Unter dem Gesichtspunkt, dass die EU-Vergaberichtlinien derart auszulegen sind, dass sie die größtmögliche Wirkung entfalten sollen, sowie dem Umgehungsverbot erscheint es daher geboten, diese Vertragsgestaltungen in den Anwendungsbereich des Vergaberechts einzubeziehen4. Über dieses Ergebnis besteht – soweit ersichtlich – weitgehend Einigkeit. Auch besteht Übereinstimmung, dass das Vergaberecht nicht nur eingreift, 181 wenn die Übertragung von Leistungen zeitgleich mit der Anteilsveräußerung erfolgt. Vielmehr erfüllt auch ein gestuftes bzw. sukzessives Vorgehen die Anforderungen an einen öffentlichen Auftrag gem. § 103 Abs. 1. Unproblematisch ist dies immer dann, wenn die Vergabe des öffentlichen Auftrags und die Veräußerung von Geschäftsanteilen in einem engen sachlich-zeitlichen Zusammenhang stehen, insbesondere, wenn die Auftragsvergabe im Hinblick auf die anstehende Veräußerung der Geschäftsanteile erfolgte5. So hat der EuGH in der 1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.11.2007 – VII-Verg 32/07; OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 (47); VK Düsseldorf v. 24.8.2007 – VK-24/2007-L; VK Düsseldorf v. 14.5.2004 – VK-7/2004-L und VK-8/2004/L; VK Sachsen v. 29.12.2004 – 1/SVK/123-04; VK Sachsen v. 29.2.2004 – 1/SVK/157-03; VK Lüneburg v. 5.11.2004 – 203-VgK-48/2004; VK Lüneburg v. 26.4.2002 – 203-VgK-06/2002; VK Brandenburg v. 30.8.2004 – VK 34/04; sowie jeweils m.w.N. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 108 ff. und 129. 2 von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 55. 3 OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 (46). 4 Jaeger, NZBau 2001, 6 (10). 5 Vgl. EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, NZBau 2005, 704 ff. – Stadt Mödling; sowie ferner auch VK Stuttgart v. 24.1.2002 – 1 VK 34/00 und 1 VK 1/01, NZBau 2001, 340 ff.; VK Düsseldorf v. 7.7.2000 – VK-12/2000-L, NZBau 2001, 46 (47); sowie Burgi, NVwZ 2001, 601 (605); Krutisch, NZBau 2003, 650 f.; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 58.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Rechtssache „Stadt Mödling“ den Beschaffungs-/Auftragscharakter in einem Fall bejaht, in dem eine Kommune zunächst eine 100%ige Tochtergesellschaft mit einem langfristigen Dienstleistungsvertrag beauftragt und ca. vier Wochen später 49 % der Geschäftsanteile an einen privaten Investor veräußert hat1. Ob im Einzelfall ein hinreichender inhaltlicher oder zeitlicher Zusammenhang besteht, ist unter Berücksichtigung aller Fallumstände zu beurteilen. Dabei müssen – so der EuGH – insbesondere auch nachträglich bekannt werdende Ereignisse, die ein umfassendes Gesamtvorhaben indizieren, berücksichtigt werden2. Anhaltspunkte hierfür können insbesondere die Beschlüsse der kommunalen Gremien sowie die Verlautbarungen der einzelnen Entscheidungsträger bieten3. Der wohl denkbar engste sachlich-zeitliche Zusammenhang liegt vor, wenn bereits bei der Gründung einer Gesellschaft die Auftragserteilung durch den öffentlichen Auftraggeber vorhersehbar und inhaltlich konkretisiert ist4. Allerdings kommt es nach der Entscheidung des EuGH im Fall „ANAV“ nicht darauf an, ob mit der Aufgabenübertragung bereits eine feststehende Veräußerung von Gesellschaftsanteilen verbunden ist. Vielmehr soll es ausreichen, dass die theoretische Möglichkeit besteht, dass ein privater Dritter entsprechend einem Vorhaben des öffentlichen Auftraggebers am Kapital des öffentlichen Unternehmens beteiligt wird5. Im Fall „Augusta“ hat der EuGH überdies entschieden, dass allein der Umstand, dass die betroffene Gesellschaft zum Teil für privates Kapital offen steht, einer In-house-Fähigkeit entgegensteht6. Grundsätzlich kommt es daher auf das Vorliegen eines engen sachlich-zeitlichen Zusammenhangs anhand der vorstehend aufgezeigten Maßstäbe an, wobei alle (ggf. auch erst nachträglich bekannt werdenden) Einzelfallumstände zu berücksichtigen sind. Zumindest in Ausnahmefällen kann ein vergaberechtspflichtiger Vorgang aber auch dann vorliegen, wenn kein enger sachlich-zeitlicher Zusammenhang besteht, die Anteilsveräußerung sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise aber gleichwohl als Auftragsneuerteilung darstellt7. Dies kann zum einen unter Um1 Vgl. EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, NZBau 2005, 704 ff. – Stadt Mödling. 2 Vgl. EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, NZBau 2005, 704 ff., Rz. 38 – Stadt Mödling; sowie auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWBVergaberecht, § 103 Rz. 129 und 135. 3 Frenz, NZBau 2008, 673 (679); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 114. 4 Säcker/Wolf, WRP 2007, 282 (291); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 115. 5 Vgl. EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-410/04, Slg. I-03303, NZBau 2006, 326 (328) – Rz. 29 f. – ANAV; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 113. 6 EuGH v. 8.4.2008 – Rs. C-337/05, NZBau 2008, 401 ff., Rz. 38-40 – Augusta; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 113. 7 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 58; ähnlich auch Braun, VergabeR 2006, 657 (661); Endler, NZBau 2002, 125 (133); Jaeger, NZBau 2001, 6 (11).

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gehungsgesichtspunkten der Fall sein1, zum anderen aber beispielsweise auch dann, wenn das bisher beauftragte, staatlich beherrschte Unternehmen ohne Aufnahme eines privaten Gesellschafters nicht mehr in der Lage wäre, den Auftrag zu erfüllen und ihn anderenfalls neu ausschreiben müsste2 (s. hierzu Rz. 182). Noch nicht ganz abschließend geklärt ist, inwieweit bzw. unter welchen konkre- 182 ten Voraussetzungen ein vergabepflichtiges Rechtsgeschäft vorliegt, wenn ein Unternehmen veräußert wird, das in der Vergangenheit öffentliche Aufträge erhalten hatte, der Auftrag also „eingekapselt“ ist3. Teilweise wird angenommen, dass auch diese Fälle dem Vergaberecht unterworfen werden müssten, da der neue Gesellschafter mittelbar an dem bereits bestehenden öffentlichen Auftrag beteiligt werde und die Klärung, wann ein „enger zeitlicher Zusammenhang“ besteht, zur Rechtsunsicherheit führen würde4. Andererseits ist zu bedenken, dass auch die Veräußerung von Geschäftsanteilen an einem Unternehmen, das ausschließlich private Gesellschafter hat, jedoch in der Vergangenheit einen öffentlichen Auftrag erhielt, wirtschaftlich gesehen dazu führt, dass die neuen Gesellschafter in den öffentlichen Auftrag „einsteigen“. Daneben ist zu beachten, dass eine Vertragsübernahme grundsätzlich zwar einen öffentlichen Auftrag darstellt5. Die Ausdehnung des Vergaberechts auf jede Anteilsveräußerung durch die öffentliche Hand, soweit mit der Übertragung auch öffentliche Aufträge mittelbar übergehen, würde indes zu weit führen6. Ausnahmen sind nur dort nötig, wo – so das OLG Brandenburg bereits im Jahre 2001 – der Eintritt des neuen Gesellschafters unter Zugrundelegung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise einer Auftragsneuerteilung gleichkommt7. Dies soll insbesondere 1 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 58 unter Hinweis auf Drügmöller/Conrad, ZfBR 2008, 651 (657); Braun, VergabeR 2006, 657 (661). 2 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 58 unter Hinweis auf OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 ff. 3 Vgl. vertiefend etwa Drügemöller/Conrad, ZfBR 2008, 651 ff.; Braun, VergabeR 2006, 657 ff.; Klein, VergabeR 2005, 22 ff. 4 Endler, NZBau 2002, 125 (133); Otting, VergabeR 2002, 11 (15 f.); sowie ebenfalls in diese Richtung tendierend Jaeger, NZBau 2001, 6 (11.) In der Rechtssache OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 hielt der erkennende Senat beispielsweise einen Zeitraum von sechs Jahren zwischen Auftragsvergabe und Anteilsveräußerung für unerheblich. 5 Vgl. § 132 sowie EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, Slg. I-04401, VergabeR 2008, 758 (763) – Rz. 40; bestätigt durch EuGH v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08, NZBau 2010, 382 ff. – Wall, wonach selbst der Wechsel eines Subunternehmers als wesentliche Änderung des ursprünglichen Vertrages ausschreibungspflichtig sein soll, wenn die Einbindung des Subunternehmers ein ausschlaggebendes Element für den Vertragsabschluss war. 6 Ebenso Dietlein, NZBau 2004, 472 (477). 7 OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 (47;) vgl. vertiefend Dietlein, NZBau 2004, 472 (477 ff.).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe dann der Fall sein, wenn das bisher beauftragte, staatlich beherrschte Unternehmen ohne Aufnahme eines privaten Gesellschafters nicht mehr in der Lage wäre, den Auftrag zu erfüllen und die Anteilsveräußerung eine Kündigung des bestehenden öffentlichen Auftrags mit der Folge einer neuen Auftragsvergabe verhindern soll1. Im Anschluss an die Rechtsprechung des OLG Brandenburg wurde in der Literatur insbesondere auch für folgende Fallgestaltung das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 Abs. 1 bejaht: Eine Gemeinde hatte mit einer Stadtwerke GmbH, deren Anteile sie zu 100 % hält, einen längerfristigen Energieliefervertrag geschlossen. Bevor der Vertrag ausläuft, beabsichtigt die Gemeinde Geschäftsanteile dieser GmbH an einen Dritten zu veräußern2. Insgesamt ist in diesem Zusammenhang zum einen zu beachten, dass eine Anteilsveräußerung unter Zugrundelegung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise nur dann einer Auftragsneuerteilung gleichkommen kann, wenn das noch in Rede stehende „Rest-Auftragsvolumen“ den jeweils maßgeblichen Schwellenwert erreicht oder überschreitet. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der EuGH in der Entscheidung „Loutraki“ festgetellt hat, dass Beschaffungen, die bloße Nebensächlichkeiten berteffen, die Unterstellung des gesamten Rechtsgeschäfts unter das Regime des Vergaberechts nicht rechtfertigen3. Ferner hat der EuGH in der Entscheidung „Acoset“ darauf hingewiesen, dass gerade bei der Umsetzung von öffentlich-rechtlichen Partnerschaften nicht notwendigerweise eine formale Trennung gesellschaftsrechtlicher Vereinbarungen von Beschaffungsvorgängen herbeigeführt werden müsse, sofern die Auswahl unter Be1 OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 (47;) zustimmend von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 58. Ähnlich äußerte sich auch die VK Düsseldorf, die die vergaberechtliche Relevanz des Veräußerungsgeschäfts mit der in der Ausschreibung ausdrücklich formulierten Zielsetzung des Veräußerers begründete, die Durchführung des Dienstleistungsauftrags auf eine neue geschäftliche und finanzielle Grundlage stellen zu wollen; VK Düsseldorf v. 14.5.2004 – VK-7/2004-L und VK-8/2004-L. 2 So Jaeger, Verträge kommunaler Körperschaften sowie ihrer eigenen und gemischtwirtschaftlichen Gesellschaften über Energiebezug und Kartellvergaberecht, in Büdenbender/ Kühne, Das neue Energierecht in Bewährung, 2002, S. 455, 471, der zur Begründung ausführt: „Denn mit der Veräußerung eines Anteils an der zuvor z.B. zu 100 % im Anteilsbesitz der Kommune befindlichen Stadtwerke GmbH an einen privaten Partner verlagert sich wirtschaftliche Leistungskapazität dieser GmbH, die zuvor noch voll von der Kommune stammte, ihrer Herkunft nach im Umfang der veräußerten Anteilsquote auf den privaten Partner. […] Der Energiebezug der Kommune, der vor der Anteilsveräußerung, als die Stadtwerke GmbH noch eine 100%ige Eigengesellschaft der Kommune war, ist nach der Anteilsveräußerung im Umfang der veräußerten Anteilsquote (also teilweise) ein Fremdgeschäft geworden.“ Ähnlich Dreher, NZBau 2002, 245 (258); Faber, DVBl. 2001, 248 (256). 3 Vgl. EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki; sowie dazu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 48; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 56.

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rücksichtigung des Gleichbehandlungsgebotes und des Diskriminierungsverbotes erfolge1 (s. hierzu auch Rz. 20). c) Reverstaatlichung/Rekommunalisierung Nach Ablauf eines Vertrages zur Privatisierung kann sich seitens des öffentlich- 183 rechtlichen Aufgabenträgers ein Interesse ergeben, die Aufgabe künftig wieder durch eine eigene Dienststelle zu erledigen. Eine solche Rückverlagerung bei der Aufgabenwahrnehmung wird als Reverstaatlichung bzw. Rekommunalisierung bezeichnet. Bei der reinen Rückverlagerung der Aufgabenerfüllung auf den originär zuständigen Aufgabenträger handelt es sich grundsätzlich um einen dem vergaberechtsfreien Akt der Verwaltungsorganisation2. Siehe ausführlich zum Ganzen oben unter Rz. 56 ff. d) Beihilferechtliche Implikationen Unabhängig vom Vergaberecht können sich bei der Veräußerung von Unter- 184 nehmensanteilen – wie auch allgemein bei der Veräußerung sonstigen staatlichen Vermögens (wie z.B. Grundstücke)3 – gewisse Ausschreibungspflichten aufgrund beihilferechtlicher Implikationen ergeben bzw. zumindest empfehlen4. Hintergrund der Anwendbarkeit des EU-Beihilferechts ist in sachlicher Hinsicht, dass der Verkauf unter dem Marktwert eine unzulässige Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV zugunsten des Erwerbers/Unternehmers darstellt. Deshalb muss verfahrensrechtlich belegt werden, dass die Veräußerung zum Markt1 EuGH v. 15.10.2009 – Rs. C-196/08, NZBau 2009, 804 (808) – Rz. 61 ff. – Acoset; sowie Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 50 f. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 131; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 60; Ganske in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Februar 2012, § 56 WHG Rz. 69; Queitsch in Wellmann/Queitsch/Fröhlich, Wasserhaushaltsgesetz, 2016, § 56 Rz. 29. 3 Vgl. zur parallel gelagerten Problematik bei Grundstücksgeschäften die Mitteilung der EU-Kommission vom 10.7.1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. EU C 209, S. 3 ff.; sowie Rz. 191. Formal betrachtet wurde die sog. Grundstücksmitteilung aus 1997 im Jahr 2016 durch die insoweit komprimierte Bekanntmachung der EU-Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe ersetzt (vgl. ABl. EU 2016 C 262/1). Es ist gleichwohl davon auszugehen, dass die Kommission ihre Entscheidungspraxis weiterhin an den ausführlicheren Darstellungen der Grundstücksmitteilung ausrichten wird, soweit diese nicht in Widerspruch zu der neuen Bekanntmachung stehen. 4 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 120 ff.; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 54; Kristoferitsch, EuZW 2006, 428 ff.; EG-Kommission v. 11.4.2000 – 2000/628/EG – Centrale del Latte di Roma, ABl. Nr. L 265/15 v. 19.10.2000.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe wert erfolgt. Anderenfalls droht die Gefahr einer nachträglichen Überprüfung durch die Europäische Kommission. Rechtsfolge einer unzulässigen Beihilfe ist die Unwirksamkeit bzw. zumindest die Teilunwirksamkeit des Vertrages mit der Folge, dass die Differenz zwischen Marktpreis und Kaufpreis vom Erwerber zusätzlich gezahlt werden muss1. 185 Das EU-Beihilfenrecht verlangt daher die Führung des Nachweises, dass der

Verkauf zum Marktwert erfolgt. Entsprechendes fordert – wenn auch aus anderen Motiven heraus – auch das nationale Haushaltsrecht, nach dem staatliches Vermögen im Regelfall ebenfalls nur zum vollen Wert veräußert werden darf (vgl. z.B. § 63 Abs. 3 BHO, § 63 Abs. 3 LHO und § 90 Abs. 3 GO NRW).

186 Der Nachweis der Marktkonformität kann – primär – durch die Durchführung

eines wettbewerblichen, transparenten, diskriminierungs- und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahrens erbracht werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann grundsätzlich vermutet werden, dass das höchste Gebot des Bieterverfahrens den Marktpreis widerspiegelt, wenn dieses Verfahren mit den vergaberechtlichen EU-Vorschriften in Einklang steht2. Etwas anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn nur ein einziges Angebot abgegeben wurde3 oder wenn das im Rahmen einer Ausschreibung abgegebene Höchstgebot aus spekulativen Motiven des Bieters weit oberhalb des tatsächlichen Wertes des zu veräußernden Vermögenswertes liegt4. Die Durchführung eines marktgerechten Ausschreibungsverfahrens ist daher im Regelfall ein geeignetes und regelmäßig auch das am besten geeignete Mittel zum Nachweis der Marktkonformität5. Allerdings gibt es keine Vorschrift, die die Durchführung eines strukturierten Bieterverfahrens zur Ermittlung eines marktüblichen Preises zwingend vorschreibt. Die Marktkonformität des Verkaufs von Vermögenswerten kann daher – sekun-

1 Vgl. BGH v. 5.12.2012 – I ZR 92/11, MDR 2013, 897 = EuZW 2013, 753 ff. mit Anm. Bartosch; Cremer in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV-Kommentar, 4. Aufl. 2011, Art. 108 Rz. 26 ff.; Otting, VPR 2013, 8. 2 Vgl. Kommission, Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe, ABl. EU 2016 C 262/1, Rz. 89 ff. Mit der von der Kommission im Sommer 2016 angenommenen Bekanntmachung zum Beihilfebegriff ist zudem eine Angleichung des Beihilfenrechts an das Vergaberecht derart erfolgt, dass die Kommission nunmehr grundsätzlich alle in den EU-Vergaberichtlinien vorgesehenen Verfahren als zum Ausschluss einer Begünstigung geeignet ansieht (z.B. auch das sog. Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb), sofern alle Voraussetzungen für die Anwendung der jeweiligen Verfahrensart erfüllt sind. 3 Kommission, Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe, ABl. EU 2016 C 262/1, Rz. 93. 4 EuGH v. 16.7.2015 – Rs. C-39/14, ECLI:EU:C:2015:470 – BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH. 5 Ähnlich Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 122; Braun, VergabeR 2006, 657 (659); hiervon ausgehend wohl auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 54.

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där – auch außerhalb eines Ausschreibungsverfahrens auf der Grundlage eines Benchmarkings oder anderer Bewertungsmethoden erfolgen. Für den Verkauf von Grundstücken sieht die EU-Kommission als alternative Möglichkeit zur Ermittlung des Marktwerts beispielsweise ausdrücklich ein vor den Verkaufsverhandlungen eingeholtes Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen auf der Grundlage anerkannter Marktindikatoren und Bewertungsstandards vor1. Es ist indes allgemein anerkannt, dass diese Möglichkeit nicht auf Grundstücksgeschäfte beschränkt ist, sondern in gleicher Weise bei sonstigen Transaktionen der öffentlichen Hand besteht2. Im Einklang hiermit hat auch der BGH festgestellt: „Wird bei der Veräußerung eines nur einmal vorhandenen Gegenstandes (Unikats) durch die öffentliche Hand auf ein bedingungsfreies Bieterverfahren verzichtet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein für das Kaufobjekt tatsächlich gebotener Preis beihilfefrei ist. Vielmehr muss dann eine objektive Wertermittlung erfolgen.“3 Welche Bewertungsmethode für die gutachterliche Ermittlung des Marktpreises im Einzelfall am besten geeignet ist, hängt von der Marktsituation, der Verfügbarkeit von Daten oder der Art der Transaktion ab4. Vor diesem Hintergrund – und um komplizierte Rückabwicklungen zu vermei- 187 den – hat die Europäische Kommission bereits im Jahre 1991 in ihrem XXIII. Wettbewerbsbericht Leitlinien zur Privatisierung herausgegeben5. Die Leitlinien sind für die Mitgliedstaaten rechtlich indes nicht bindend, sondern entfalten lediglich eine Selbstbindungswirkung für die Kommission als solche6. Sie nennen jene Verfahren, die aus Sicht der Kommission zur Ermittlung eines objektiven Marktpreises führen7: „(1) Verkauf über die Börse: Für die Kommission führt eine Privatisierung über die Börse zur Ermittlung eines objektiven Preises. (2) Verkauf im Rahmen eines Bietverfahrens: Ein Verkauf im Rahmen eines offenen, transparenten und bedingungsfreien Bietverfahrens führt ebenso zur Er1 Mitteilung der EU-Kommission vom 10.7.1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. EU C 209, S. 3 ff. 2 Vgl. hierzu jeweils m.w.N. Núñez Müller in MünchKomm zum Beihilfen- und Vergaberecht, Kapitel D, Rz. 302 m.w.N.; Wollenschläger in Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Kommentar zum Beihilfenrecht, Kapitel I, Rz. 479. 3 BGH v. 5.12.2012 – I ZR 92/11, MDR 2013, 897 = EuZW 2013, 753 ff., Rz. 25. 4 Kommission, Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe, ABl. EU 2016 C 262/1, Rz. 103. 5 Vgl. Kommission, XXI. Wettbewerbsbericht (1991), Rz. 248. 6 Kristoferitsch, EuZW 2006, 428 (429). 7 Vgl. zum Ganzen auch Kristoferitsch, EuZW 2006, 428 (429); sowie auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 121.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe mittlung eines objektiven Marktpreises. Es besteht keine Notifikationspflicht, wenn an den Höchstbieter verkauft wird. (3) Unabhängiges Wertgutachten: Dieses Verfahren wurde noch nicht im XXIII. Wettbewerbsbericht genannt und zunächst nur bei Grundstücksverkäufen angewandt.“ 188 Hierauf wird auch in der (neueren) Arbeitsunterlage der Kommissionsdienst-

stellen vom 10.2.2012, dem sog. „Leitfaden zur beihilfenkonformen Finanzierung, Umstrukturierung und Privatisierung staatseigener Unternehmen“1 Bezug genommen und ergänzend ausgeführt:

„Im XXIII. Wettbewerbsbericht der Kommission wird erläutert, wie die Kommission die Voraussetzungen auslegt, die erfüllt sein müssen, damit im Falle einer Privatisierung das Vorgehen eines Staates als Verhalten eines marktwirtschaftlich handelnden Verkäufers betrachtet werden kann. Erfolgt die Privatisierung über einen Börsengang oder einen Verkauf von Aktien an der Börse wird in der Regel davon ausgegangen, dass dies zu marktüblichen Bedingungen erfolgt (da der Preis der Marktpreis ist) und keine staatliche Beihilfe vorliegt. Das Vorhaben muss deshalb nicht vorab bei der Kommission angemeldet werden. Dies trifft jedoch nicht in allen Fällen zu. Insbesondere in Zeiten finanzieller oder wirtschaftlicher Instabilität wie der derzeitigen Krise könnte dies zu einer niedrigen Bewertung des zu privatisierenden Unternehmens führen. Erfolgt die Privatisierung hingegen im Zuge einer Veräußerung, d.h. wird das betreffende Unternehmen als Ganzes oder in Teilen außerbörslich an andere Unternehmen verkauft, müssen alle folgenden Kriterien erfüllt sein, damit ohne weitere Prüfung das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe und somit eine Anmeldepflicht ausgeschlossen werden können. – Es muss eine Ausschreibung durchgeführt werden, die allen Interessenten offensteht, die transparent ist und an keine weiteren Bedingungen geknüpft ist wie den Erwerb von Vermögenswerten, für die im Rahmen der Ausschreibung nicht geboten wird, oder die Weiterführung bestimmter Geschäftstätigkeiten. – Das Unternehmen/die Vermögenswerte muss/müssen an den Meistbietenden veräußert werden und – die Bieter müssen genug Zeit und ausreichende Informationen erhalten, um eine genaue Bewertung der Vermögenswerte vornehmen zu können, die sie ihrem Angebot zugrunde legen. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, müssen per Veräußerung erfolgende Privatisierungen bei der Kommission angemeldet werden. Dies trifft ins1 Kommission, Leitfaden zur beihilfenkonformen Finanzierung, Umstrukturierung und Privatisierung staatseigener Unternehmen v. 10.2.2012, swd (2012) 14, abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/state_aid/studies_reports/swd_guidance_paper_de.pdf.

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besondere zu für 1.) Veräußerungen im Anschluss an eine Verhandlung mit einem einzigen Interessenten oder einer Reihe ausgewählter Bieter; 2.) jede Veräußerung, der eine Schuldentilgung durch den Staat, sonstige öffentliche Unternehmen oder eine öffentliche Körperschaft vorausging, sowie jede Veräußerung, der eine Umwandlung der Verbindlichkeiten in eine Kapitalbeteiligung bzw. eine Kapitalaufstockung vorausging (siehe Abschnitt über vorbereitende Maßnahmen) und 3.) Veräußerungen zu Bedingungen, die bei vergleichbaren Transaktionen zwischen Privatparteien nicht üblich sind.“ Darüber hinaus hat auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im 189 sog. „Sensibilisierungspapier: Unternehmensprivatisierungen“1 in diesem Zusammenhang auf Folgendes hingewiesen: – „Zweck des Vergaberechts ist nämlich nicht nur die Sicherstellung eines wirtschaftlichen Umgangs mit Haushaltsmitteln, sondern auch der Schutz des Wettbewerbs. – Eine (ungewollte) Beihilfe kann vermieden werden, indem ein öffentliches Ausschreibungsverfahren mit der vergaberechtlich gebotenen Offenheit, Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und relative Unbedingtheit durchgeführt wird. – Bei der Verwendung von Bedingungen besteht allgemein das Risiko, dass diese potentielle Interessenten von der Angebotsabgabe abschrecken und dadurch eine unangemessene Reduktion des Preises entsteht, der mit dem Wert des Objektes nicht mehr in Verhältnis steht. Handelt es sich bei dem Objekt um ein zu privatisierendes staatliches Unternehmen und ist die Bedingung für dieses Unternehmen von begünstigender Natur, kann darin eine im Grundsatz unzulässige Beihilfe liegen. – Zur Offenheit des Verfahrens gehört, dass potentielle Anbieter im Vorfeld oder während des Vergabeverfahrens nicht diskriminiert werden, sodass diese nicht von einer Angebotsabgabe abgeschreckt werden. Eine solche Diskriminierung könnte das letztlich den Zuschlag erhaltende Unternehmen vom grundsätzlich erwünschten Wettbewerbsdruck befreien, wodurch dieses entsprechend schlechtere Angebote machen kann – worin bei Erteilung des Zuschlags zu diesen schlechten Bedingungen wieder eine unzulässige Beihilfe läge. – Grundsätzlich gilt: Die Gefahr einer Beihilfengewährung nimmt ab, je strenger sich an den Vorgaben des Vergaberechts orientiert wird.“

1 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Sensibilisierungspapier: Unternehmensprivatisierungen, Februar 2016, Az.: BMWi-EA6, abrufbar unter http://www.bmwi.de/ BMWi/Redaktion/PDF/B/beihilfenkontrollpolitik-sensibilisierungspapier-3-unternehmens privatisierungen,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 2. Grundstücksgeschäfte/städtebauliche Verträge 190 Das Städtebaurecht gilt heute als ein Paradebeispiel des kooperativen Verwal-

tungshandelns. Die verstärkte Einbeziehung Privater in die Verwirklichung öffentlicher Zwecke wirft jedoch zugleich die Frage nach der Eröffnung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts auf1. Die Frage, ob und wenn ja, unter welchen konkreten Voraussetzungen Verträge mit städtebaulichen Bezügen als öffentliche Aufträge anzusehen sind, ist eine der in den letzten Jahren meist diskutierten Fragen des Vergaberechts. Bei den insoweit in Rede stehenden Vertragswerken handelt es sich insbesondere um „richtige“ städtebauliche Verträge gem. §§ 11, 12 BauGB, um Erschließungsverträge gem. §§ 124 ff. BauGB sowie Verträge im Zusammenhang mit sog. Business Improvement Districts (BIDs). Ob derartige Verträge – insbesondere in Abgrenzung zu den reinen, nicht dem Vergaberecht unterfallenden Grundstücksveräußerungsverträgen – einen ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 1, insbesondere einen öffentlichen Bauauftrag gem. § 103 Abs. 3, bzw. ggf. auch eine öffentliche Baukonzession gem. § 105 Abs. 1 Nr. 1 darstellen, muss letztlich für jeden Einzelfall gesondert beurteilt werden2. Dabei ist insbesondere auf die oben unter Rz. 70 ff. dargestellten Grundsätze zurückzugreifen. Verallgemeinernd und typisierend lässt sich – ergänzend zu dem oben unter Rz. 70 ff. Ausgeführten – jedoch Folgendes festhalten: a) Reine Grundstücksverträge

191 Verträge über die bloße Überlassung von Grundstücken an Private, z.B. im Wege

der Veräußerung oder Verpachtung, bzw. die Einräumung eines Erbbaurechts3 zugunsten eines Privaten, aus denen sich keine städtebaulichen Verpflichtungen ergeben, die über die ohnehin zu beachtenden öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften und Bebauungspläne hinausgehen, stellen mangels eines Beschaffungsbezugs keinen öffentlichen Auftrag dar4. Fraglich ist jedoch, ob für solche Grund-

1 Burgi, NVwZ 2008, 929 (930). 2 Ebenso Burgi, NVwZ 2008, 929. 3 Die Einräumung eines zeitlich befristeten Erbbaurechts – als Alternative zur Grundstücksveräußerung – ist in der städtebaulichen Praxis von nicht unerheblicher Relevanz. Die vergaberechtliche Einordnung kann dabei im Einzelfall schwierig sein. In Betracht kommen grundsätzlich eine Baukonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1, ein öffentlicher Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 oder ggf. auch eine vergaberechtsfreie Gestaltung. Siehe vertiefend zum Ganzen die Kommentierung zu § 105 Rz. 51; Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 22 VOB/A Rz. 30; sowie Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 15 und 39. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 58 – Helmut Müller GmbH; OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138, 140; OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, NZBau 2008, 336 (337 f.); VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, NZBau 2008,

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stücksgeschäfte allein das EU-Beihilferecht1 sowie das nationale Haushaltsrecht den rechtlichen Rahmen bilden2, oder ob die Grundfreiheiten des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV sowie das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV es erfordern, dass auch die Veräußerung von Grundstücken in einem transparenten und strukturierten Wettbewerbsverfahren erfolgen muss3. Hintergrund für die letztgenannte Ansicht ist, dass der EuGH in ständiger Rechtsprechung für Auftragsvergaben, die, wie die Vergabe unterhalb der Schwellenwerte und früher, d.h. bis zur Vergaberechtsreform 2016, auch die Vergabe von Dienstleitungskonzessionen, nicht dem Vergaberecht (i.e.S.) unterliegen, gleichwohl die Durchführung eines strukturierten Bieterverfahrens bzw. Wettbewerbsverfahrens (i.w.S.) verlangt (s. hierzu Rz. 160). Dies ist nicht fernliegend, da Sinn und Zweck dieser Verpflichtung auf Grundstücksverkäufe zu gewerblichen Zwecken im Grundsatz ebenso zutrifft wie auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen, die nunmehr sogar dem Regime des Vergaberechts (i.e.S.) unterstellt sind und daher für die Übertragbarkeit der EuGH-Rechtsprechung ins Feld geführt werden könnten. Dagegen spricht allerdings, dass die EU-Kommission in der sog. Grundstücksmitteilung4 eine derartige Verpflichtung gerade nicht angenommen

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344; VK Hessen v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, NZBau 2008, 339 (343 f.); Kulartz/Schilder/Duikers in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, DStGB Dokumentation Nr. 79, Ausgabe 4/2008, S. 14; Burgi, NVwZ 2008, 929, 934; Reidt, BauR 2007, 1664 (1672). A.A. VK Münster v. 26.9.2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736, die die Anwendbarkeit des Vergaberechts mit der Begründung bejaht hat, dass die Gemeinde im unbeplanten Innenbereich gem. § 34 BauGB Einflussmöglichkeiten besitze, mit denen sie die Erteilung der Baugenehmigung so lange hinauszögern könne, bis der Bauherr ihren Vorgaben gemäß umgeplant habe. Die Ansicht der VK Münster ist jedoch abzulehnen. Es wird verkannt, dass der Gemeinde bei der Erteilung der Baugenehmigung nach § 34 BauGB kein Ermessen zukommt, vgl. VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, NZBau 2008, 344. Zu Recht kritisch daher Schröer/Rosenkötter, NZBau 2007, 770 (771). Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Mitteilung der EU-Kommission vom 10.7.1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. C 209, S. 3 ff. So Kallmayer/Diekamp in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, DStGB Dokumentation Nr. 79, Ausgabe 4/2008, S. 27 f.; Burgi, NVwZ 2008, 929 (934). In diesem Sinne – zumindest für Grundstücksverkäufe zu gewerblichen Zwecken – Jasper/Seidel, NZBau 2008, 427 (428 f.); sowie auch Hertwig, NZBau 2011, 9 (10), der insoweit von einer „materiellen Ausschreibungspflicht“ spricht. Weniger eindeutig bzw. eine Ausschreibungspflicht mittelbar (wohl) sogar verneinend dagegen Jasper/Biemann, Bundesbaublatt 09/2011, S. 34, 35. Mitteilung der EU-Kommission vom 10.7.1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. C 209, S. 3 ff. Formal betrachtet wurde die sog. Grundstücksmitteilung aus 1997 im Jahr 2016 durch die insoweit komprimierte Bekanntmachung der EU-Kommission zum Begriff der

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe hat. Der darin enthaltene Hinweis, dass ein Beihilfeverstoß u.a. durch die Durchführung eines Wettbewerbsverfahrens vermieden werden kann, aber eben auch durch ein Wertgutachten eines unabhängigen Sachverständigen, wäre überflüssig bzw. sogar falsch, wenn unabhängig vom und außerhalb des Beihilferechts jeder Grundstücksverkauf in einem Wettbewerbsverfahren erfolgen müsste. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es auch nach Ansicht des BGH einem Hoheitsträger frei steht, zu bestimmen, auf welchem Weg er einen Grundstückskäufer sucht1. Schließlich ist – einschränkend – auch zu beachten, dass die Anwendung der Vorschriften des AEUV bzw. der unionsrechtlichen Prinzipien stets auch eine sog. Binnenmarktrelevanz des in Rede stehenden Einzelfalls voraussetzt2. Mit anderen Worten: Die in Rede stehende „Vergabe“ muss einen hinreichenden Zusammenhang mit dem Funktionieren des Binnenmarkts aufweisen, d.h. umgekehrt, dass die zu erwartende wirtschaftliche Bedeutung nicht derart geringfügig sein darf, dass Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten kein Interesse daran haben dürften, so dass die Auswirkungen auf die betreffenden Grundfreiheiten daher letztlich zu zufällig und zu mittelbar wären, als dass auf eine Verletzung dieser Freiheiten geschlossen werden könnte3. Diesbezüglich besteht eine Prüfungskompetenz des öffentlichen Auftraggebers4. Dieser hat zu prognostizieren, ob in Anbetracht der konkreten Marktverhältnisse, der wirtschaftlichen Bedeutung des Vertrages, der Art des Auftragsgegenstands, den Gepflogenheiten der angesprochenen Branchenkreise und etwaiger Besonderheiten des betroffenen Sektors sowie der geographischen Lage des Orts der Leistungserbringung ein Interesse von Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bestehen könnte5.

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staatlichen Beihilfe ersetzt (vgl. ABl. EU 2016 C 262/1). Es ist gleichwohl davon auszugehen, dass die Kommission ihre Entscheidungspraxis weiterhin an den ausführlicheren Darstellungen der Grundstücksmitteilung ausrichten wird, soweit diese nicht in Widerspruch zu der neuen Bekanntmachung stehen. BGH v. 22.2.2008 – V ZR 56/07, MDR 2008, 736 = VergabeR 2008, 649 ff. Einschränkend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die (apodiktische) Entscheidung des BGH wohl nur von begrenzter Bedeutung ist, weil ihr nicht zu entnehmen ist, ob bzw. dass der BGH die unionsrechtliche Problematik überhaupt gesehen hat. Vgl. zum Begriff der Binnenmarktrelevanz EuGH v. 6.10.2016 – Rs. C-318/15, NZBau 2016, 781 ff. – Tecnoedi Construzioni; EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 ff. – SC Enterprise Focused Solutions; EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff. – SECAP; Deling, NZBau 2011, 725 ff.; Deling, NZBau 2012, 17 ff.; Diehr, VergabeR 2009, 719 ff.; Vavra, VergabeR 2013, 384 ff. Vgl. hierzu beispielsweise EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03, Rz. 20 – Coname; Deling, NZBau 2011, 725 ff. EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff., Rz. 30 f. – SECAP. Vgl. EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 ff., Rz. 20 – SC Enterprise Focused Solutions; EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff., Rz. 30 f. – SECAP; EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03, Rz. 20 – Coname; Deling, NZBau 2011, 725 ff.; Deling, NZBau 2012, 17 ff.; Diehr, VergabeR 2009, 719 ff.; Vavra, VergabeR 2013, 384 ff.

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b) Grundstücksbezogene Verträge unter Begründung städtebaulicher Pflichten Im Mittelpunkt der bisherigen Diskussion stehen die Fälle der Begründung städ- 192 tebaulicher Pflichten in einem grundstücksbezogenen Vertrag oder der Kombination von grundstücksbezogenem Vertrag und städtebaulichem Vertrag gem. § 11 BauGB bzw. § 12 BauGB1. aa) Historische Entwicklung der nationalen Rechtsprechung Der diesbezügliche Stand der nationalen Rechtsprechung wurde bis zum Jahr 193 2007 durch die Entscheidungen des BayObLG vom 19.10.2000 („Parkgarage“)2 sowie des VGH Kassel vom 20.12.2005 („Investorenauswahlverfahren“)3 wiedergegeben. Das BayObLG hat das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags bzw. einer öffentlichen Baukonzession für einen Grundstücksvertrag (Erbbaurecht) sowie einen Durchführungsvertrag gem. § 12 BauGB mit der Begründung verneint, dass der Durchführungsvertrag auf die Realisierung des Vorhabens an sich und nicht auf die Erbringung einer Bauleistung an die betroffenen Kommune gerichtet sei4. Der VGH Kassel entschied, dass ein Investorenauswahlverfahren, in dem ein Erwerber für ein Treuhandgrundstück ausgewählt werden sollte, der das Grundstück nach den Vorstellungen des öffentlichen Auftraggebers bebauen sollte, nicht dem Vergaberecht unterfällt, da mit diesem keine Leistung an den öffentlichen Auftraggeber, sondern nur die Umsetzung städtebaulicher Gestaltungsvorstellungen verbunden sei5. Dies entsprach der bis dato allgemeinen Einschätzung und Praxis6. Im Gegensatz dazu hat das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 13.6.2007 194 („Fliegerhorst Alhorn“) auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH im Fall „Stadt Roanne“7 entschieden, dass ein Grundstücksveräußerungsvertrag 1 2 3 4 5 6 7

Burgi, NVwZ 2008, 929 (934). BayObLG v. 19.10.2000 – Verg 9/00, NZBau 2002, 108 f. VGH Kassel v. 20.12.2005 – 3 TG 3055/05, ZfBR 2006, 806 ff. BayObLG v. 19.10.2000 – Verg 9/00, NZBau 2002, 108 f. VGH Kassel v. 20.12.2005 – 3 TG 3055/05, ZfBR 2006, 806 (807). Burgi, NVwZ 2008, 929 (930). Vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 ff. – Stadt Roanne. Der EuGH hat in dieser Entscheidung den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Raumordnungsvertrags als öffentlichen Bauauftrag, und zwar (zumindest) sowohl i.S.v. Art. 1 lit. a) Alt. 2 der Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG (entspricht Art. 1 Abs. 2 lit. b) Alt. 2 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU) als auch i.S.v. Art. 1 lit. a) 3. Alt der Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG (entspricht Art. 1 Abs. 2 lit. b) Alt. 2 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU) qualifiziert. Die zweite Variante war gegeben, da das Bauwerk wirtschaftlichen Tätigkeiten offenstehen und dadurch die städtische Infrastruktur verbessern sollte. Die dritte Variante lag vor,

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe nebst separatem Durchführungsvertrag gem. § 12 BauGB als öffentliche Baukonzession zu qualifizieren sei. Begründet hat das OLG Düsseldorf dies damit, dass ein öffentlicher Bauauftrag nicht voraussetze, dass die Bauleistung in einem gegenständlich oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird und ihm unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt1. Überdies sei der Grundstücksvertrag als eine Einheit mit dem Durchführungsvertrag, dessen Gegenstand eine Bauverpflichtung mit dem Ziel einer den Wirtschaftsstandort voranbringenden gewerblich-fliegerischen Nutzung des vormaligen Militärareals war, anzusehen2. Seine Rechtsprechung hat das OLG Düsseldorf in einer Reihe weiterer Entscheidungen bestätigt und konkretisiert. So hat es insbesondere im sog. Fall „Wuppertal-Vohwinkel“ einen Grundstücksveräußerungsvertrag mit einer darin im Interesse der Aufwertung eines Stadtteils enthaltenen Bebauungsverpflichtung, die über die Festsetzungen des vorhandenen Bebauungsplans hinausging, als öffentliche Baukonzession angesehen3. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Aussage des OLG Düsseldorf, dass die dritte Variante des § 99 Abs. 3 GWB a.F. – so sie denn zur Erfassung möglicher Umgehungen einen Sinn haben soll – nicht von der Ausweil die Stadt Roanne in der Vereinbarung detaillierte Erfordernisse für die Errichtung der baulichen Anlage aufgestellt hatte (Multiplex-Kino, Räumlichkeiten, Dienstleistungen bei Freizeitaktivitäten, Parkplatz), mit denen in ihrer Gesamtheit versucht werden sollte, das Bahnhofsviertel aufzuwerten und zu beleben (vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 [188] – Rz. 41 f.; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 15.6.2006 in der Rs. C-220/05, Slg. 2007, I-00385, Rz. 33). Dabei hat der EuGH zum einen die nationale Rechtsnatur des Vertrages für die vergaberechtliche Beurteilung für unmaßgeblich erklärt (vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I00385, NZBau 2007, 185 [188] – Rz. 40 unter Hinweis auf EuGH v. 20.10.2005 – Rs. C-264/03, Slg. 2005, I-8831, Rz. 36; so bereits auch EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. I-05409, NZBau 2001, 512 [515] – Rz. 66 – Teatro alla Bicocca). Zum anderen hat der EuGH festgestellt, dass ein öffentlicher Bauauftrag unabhängig davon gegeben sei, ob der öffentliche Auftraggeber Eigentümer des gesamten Bauwerks oder eines Teils davon ist oder wird (vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 [188] – Rz. 47). Der öffentliche Auftraggeber kann das zu errichtende Bauwerk mithin selbst nutzen oder es der Allgemeinheit oder einzelnen (auch privaten) Dritten zur Verfügung stellen. Vgl. hierzu auch Dicks in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, DStGB Dokumentation Nr. 79, Ausgabe 4/2008, S. 7. 1 Vgl. hierzu auch Dicks in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, DStGB Dokumentation Nr. 79, Ausgabe 4/2008, S. 8, der ausdrücklich klarstellt, dass das OLG Düsseldorf – entgegen zuweilen vorgenommener Deutungen – nicht grundsätzlich und vollständig auf das Beschaffungselement verzichtet. Siehe insoweit auch OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 ff., mit Anm. Schabel, VergabeR 2008, 103 ff.

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

gestaltung als Bauauftrag und erst recht nicht von einer Verpflichtung des Auftragnehmers zur Herstellung des Bauwerks abhängig zu machen sei1. Im sog. Fall „Oer-Erkenschwick“ wurde ein Grundstücksveräußerungsvertrag mit darin enthaltenen städtebaulichen Pflichten bei Fehlen eines Bebauungsplans als öffentliche Baukonzession qualifiziert2. Dabei hat sich das OLG Düsseldorf insbesondere mit der Definition der öffentlichen Baukonzession auseinandergesetzt und hierzu festgestellt: Die Definition der Baukonzession enthält kein Tatbestandsmerkmal, wonach der Konzessionär kein Eigentum am Bauwerk erwerben darf oder das Eigentum nach Ablauf eines Konzessionszeitraums auf den öffentlichen Auftraggeber übergehen muss. Soll der Konzessionär Eigentümer werden, kann auch nicht so getan werden, als beruhe seine Befugnis, das Bauwerk zu nutzen und zu verwerten, auf einem von der Erteilung des Bauauftrags völlig unabhängigen Übertragungsakt des öffentlichen Auftraggebers. Die Gegenauffassung verkennt, dass die Eigentümerstellung vom Auftraggeber abgeleitet ist und der Konzessionär mit der Eigentumsübertragung auch erst das Recht zur Nutzung des späteren Bauwerks erhält. Der Grundstückskaufvertrag und der Bauauftrag hängen zusammen. Die Verträge sind deshalb auch rechtlich in einer Zusammenschau zu betrachten. Bei jeder anderen Sichtweise sind unerwünschte Umgehungen des Vergaberechts zu erwarten, die seiner Zielsetzung widersprechen. Dass der Konzessionär im Gegenzug einen Kaufpreis an den öffentlichen Auftraggeber zahlt, rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung. Denn es stellt kein gesetzliches Merkmal der Baukonzession dar, dass sie unentgeltlich zu gewähren ist3. Die insoweit gefestigte sog. „Ahlhorn-Linie“ hat das OLG Düsseldorf bislang konsequent fortgeführt4. Die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf hat seinerzeit sowohl im Ergebnis als 195 auch in der Begründung keineswegs ungeteilte Zustimmung gefunden; insbesondere in der Literatur hat sie sogar heftige Kritik erfahren5. In der Recht1 2 3 4

OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 ff. OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 ff. OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 ff. Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2008 – VII-Verg 23/08, NZBau 2008, 461 ff.; OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – VII-Verg 27/08, VergabeR 2008, 661 ff.; OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 ff. In allen Fällen ging es stets um die „Revitalisierung“ der betroffenen Standorte. Vgl. hierzu auch Burgi, NVwZ 2008, 929 (930 f.). 5 Amelung, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – VII-Verg 27/08, VergabeR 2008, 664 f.; Amelung/Dörn, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, VergabeR 2007, 644 ff.; Bambring/Vogt, NJW 2008, 1855 ff.; Boesen, Anm. zu EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C220/05, EuZW 2007, 121, 122 f. (Stadt Roanne); Burgi, NVwZ 2008, 929 ff.; Eisenreich/ Barth, NVwZ 2008, 635 ff.; Greb/Rolshoven, NZBau 2008, 163 ff.; Grotelüschen/Lübben, VergabeR 2008, 169 ff.; Hertwig/Öynhausen, KommJur 2008, 121 ff.; Horn, VergabeR 2008, 158 ff.; Losch, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, VergabeR 2008, 239 ff.; Jasper/Seidel, NZBau 2008, 427 ff.; Pietzcker, NZBau 2008, 293 ff.; Reidt, VergabeR 2008, 11 ff.; Reidt, BauR 2007, 1664 ff.; Rosenkötter/Fritz, NZBau 2007, 559 ff.;

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe sprechung haben sich das OLG Bremen1, das OLG Karlsruhe2 sowie die VK Brandenburg3 dem OLG Düsseldorf im Wesentlichen angeschlossen. Das OLG München hat mit Blick auf Art. 28 Abs. 2 GG erhebliche Zweifel geäußert4. Die VK Baden-Württemberg5 sowie die VK Hessen6 haben dem OLG Düsseldorf dezidiert widersprochen. Die Ablehnung betrifft vor allem die Fragen, ob auf das Element einer körperlichen Beschaffung der Bauleistung für den öffentlichen Auftraggeber verzichtet werden darf und nicht stattdessen zu fordern ist, dass die Bauleistung dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen muss (vgl. insoweit auch Rz. 26, 74 und 120 ff.), und ob einer öffentlichen Baukonzession nicht das (bis dahin ungeschriebene) Merkmal einer Befristung des Nutzungsrechts innewohnt. Darüber hinaus hat der BGH darauf hingewiesen, dass die auf der Grundlage des Vergaberechts zu den Pflichten eines Ausschreibenden entwickelten Grundsätze auf ein für den Verkauf des Grundstücks von einem Träger der öffentlichen Verwaltung gewähltes „Bieterverfahren“ nicht ohne weiteres übertragen werden können7. Schließlich kritisierte auch die Bundesregierung in Form des Entwurfs für ein Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf8. 196 Den seinerzeitigen Streitstand hatte das OLG Düsseldorf in seinem – instrukti-

ven – Vorlagebeschluss vom 2.10.20089 zusammengefasst und zum Anlass genommen, dem EuGH folgende neun Fragen, die den gesamten damaligen Diskussionsstand im Wesentlichen abbildeten, zur Vorabentscheidung vorzulegen: – Setzt ein öffentlicher Bauauftrag nach Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge konstitutiv voraus, dass die Bauleistung in einem gegenständlich oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird und ihm unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt?10

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Schabel, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, VergabeR 2008, 103 ff.; Sieben, BauR 2008, 1233 ff.; Vetter/Bergmann, NVwZ 2008, 133 ff.; Wagner, NJW-Spezial 2008, 12 ff.; Wagner/Görs, NVwZ 2007, 900 ff.; Ziekow, VergabeR 2008, 151 ff.; Ziekow, DVBl. 2008, 137 ff. OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, NZBau 2008, 336 ff. OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2007, 537 ff. VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, NZBau 2008, 344. OLG München v. 4.4.2008 – Verg 4/08, NZBau 2008, 542 (544). VK Baden-Württemberg v. 7.3.2008 – 1 VK 1/08, NZBau 2008, 344. VK Hessen v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, NZBau 2008, 339 ff. BGH v. 22.8.2008 – V ZR 56/07, MDR 2008, 736 = VergabeR 2008, 649 ff. Siehe hierzu auch Rz. 191. Vgl. BT-Drucks. 16/10117. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 ff. Verneinend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730).

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– Sofern nach der Begriffsbestimmung des öffentlichen Bauauftrags in Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG auf das Element der Beschaffung nicht verzichtet werden kann: Ist nach der zweiten Variante der Vorschrift eine Beschaffung anzunehmen, wenn das Bauvorhaben für den öffentlichen Auftraggeber eine bestimmte öffentliche Zweckbestimmung erfüllen (z.B. der städtebaulichen Entwicklung eines kommunalen Ortsteils dienen) soll und der öffentliche Auftraggeber kraft des Auftrags mit der rechtlichen Befugnis ausgestattet ist sicherzustellen, dass der öffentliche Zweck erreicht wird und das Bauwerk dafür künftig zur Verfügung steht?1 – Erfordert der Begriff des öffentlichen Bauauftrags nach der ersten und zweiten Variante des Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG, dass der Unternehmer direkt oder indirekt zur Erbringung der Bauleistungen verpflichtet wird? Muss es sich gegebenenfalls um eine einklagbare Verpflichtung handeln?2 – Erfordert der Begriff des öffentlichen Bauauftrags nach der dritten Variante des Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG, dass der Unternehmer zu Bauleistungen verpflichtet wird oder solche den Gegenstand des Auftrags bilden?3 – Unterfallen Aufträge, durch die mittels der vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse gewährleistet werden soll, dass das herzustellende Bauwerk für einen bestimmten öffentlichen Zweck zur Verfügung steht, und durch die dem Auftraggeber (kraft vertraglicher Abrede) zugleich die rechtliche Befugnis gegeben wird, (im mittelbaren Eigeninteresse) die Verfügbarkeit des Bauwerks für die Öffentliche Zweckbestimmung sicherzustellen, dem Begriff des öffentlichen Bauauftrags nach der dritten Variante des Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG?4 – Ist der Begriff der „vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse“ nach Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG erfüllt, wenn die Bauleistungen nach vom öffentlichen Auftraggeber geprüften und gebilligten Plänen erbracht werden sollen?5 – Ist nach Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG eine öffentliche Baukonzession abzulehnen, wenn der Konzessionär Eigentümer des Grundstücks, auf dem das Bauwerk errichtet werden soll, ist oder wird oder die Baukonzession unbefristet erteilt wird?6 – Ist die Richtlinie 2004/18/EG – mit der Rechtsfolge einer Ausschreibungspflicht für den öffentlichen Auftraggeber – auch dann anzuwenden, wenn ein Grundstücksverkauf durch einen Dritten und die Vergabe eines öffentlichen 1 2 3 4 5 6

Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730). Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730 f.). Verneinend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). Verneinend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (732).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Bauauftrags zeitversetzt erfolgen, und bei Abschluss des Grundstücksgeschäfts der öffentliche Bauauftrag noch nicht erteilt worden ist, aber im letztgenannten Zeitpunkt auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers die Zielsetzung bestanden hat, einen solchen Auftrag zu erteilen?1 – Sind die voneinander verschiedenen, aber zusammenhängenden Geschäfte über eine Grundstücksveräußerung und einen öffentlichen Bauauftrag vergaberechtlich als eine Einheit zu bewerten, wenn die Erteilung eines öffentlichen Bauauftrags im Zeitpunkt der Eingehung des Grundstücksvertrages beabsichtigt war, und die Beteiligten bewusst eine in sachlicher – und gegebenenfalls auch in zeitlicher – Hinsicht enge Verknüpfung zwischen den Verträgen hergestellt haben?2 bb) EuGH-Urteil vom 25.3.2010 in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ 197 Auf den Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf vom 2.10.2008 (vgl. Rz. 196) hin

ist das Urteil des EuGH vom 25.3.2010 in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ ergangen. In dieser (Leit-)Entscheidung hat der EuGH die restriktive, d.h. den Anwendungsbereich des Vergaberechts sehr weit ausdehnende Auffassung des OLG Düsseldorf nicht geteilt3. Im Einzelnen hat der EuGH auf die Vorlagefragen Folgendes geantwortet: – Betreffend die erste und zweite Frage hat der EuGH festgestellt, dass der Begriff „öffentliche Bauaufträge“ i.S.v. Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nicht voraussetzt, dass die Bauleistung, die Gegenstand des Auftrags ist, in einem gegenständlichen oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird, wenn sie diesem unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt. Die Ausübung von städtebaulichen Regelungszuständigkeiten durch den öffentlichen Auftraggeber genügt indes nicht, um diese letztgenannte Voraussetzung zu erfüllen4. Maßgeblich ist insoweit die Überlegung, dass der entgeltliche Charakter des öffentlichen Bauauftrags impliziere, dass der öffentliche Auftraggeber, der einen öffentlichen Bauauftrag vergeben hat, gemäß diesem Auftrag eine Leistung gegen eine Gegenleistung erhält. Die Leistung besteht in der 1 Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731 f.). 2 Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731 f.). 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Helmut Müller GmbH. Ähnlich auch bereits Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11.2009 in der Rs. C-451/ 08. Siehe zur Entscheidung des EuGH und deren Auslegung u.a. Greim, ZfBR 2011, 126 ff.; Grothmann/Tschäpe, ZfBR 2011, 442 ff.; Haak, VergabeR 2011, 351 ff.; Hanke, ZfBR 2010, 562 ff.; Hertwig, NZBau 2011, 9 ff.; Jarass, VergabeR 2010, 562 ff.; Kühling, NVwZ 2010, 1257 ff.; Losch, VergabeR 2013, 839 ff.; Otting, NJW 2010, 2167 ff.; Otting, VergabeR 2013, 343 ff.; Seidler, NZBau 2010, 552 ff.; Tomeruis, ZfBR 2012, 332 ff.; Wittig, KommJur 2011, 246 ff. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 58 – Helmut Müller GmbH.

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Erbringung der Bauleistungen, die der öffentliche Auftraggeber erhalten möchte. Eine solche Leistung muss nach ihrer Natur sowie nach dem System und den Zielen der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse für den öffentlichen Auftraggeber bedeuten. Dieses unmittelbare wirtschaftliche Interesse ist eindeutig gegeben, wenn vorgesehen ist, dass der öffentliche Auftraggeber Eigentümer der Bauleistung oder des Bauwerks wird, die bzw. das Gegenstand des Auftrags ist. Ein solches wirtschaftliches Interesse lässt sich ebenfalls feststellen, wenn vorgesehen ist, dass der öffentliche Auftraggeber über einen Rechtstitel verfügen soll, der ihm die Verfügbarkeit der Bauwerke, die Gegenstand des Auftrags sind, im Hinblick auf ihre öffentliche Zweckbestimmung sicherstellt. Das wirtschaftliche Interesse kann ferner in wirtschaftlichen Vorteilen, die der öffentliche Auftraggeber aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks ziehen kann, in seiner finanziellen Beteiligung an der Erstellung des Bauwerks oder in den Risiken, die er im Fall eines wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerks trägt, bestehen. Die bloße Ausübung von städtebaulichen Regelungszuständigkeiten im Hinblick auf die Verwirklichung des allgemeinen Interesses ist jedoch weder auf den Erhalt einer vertraglichen Leistung noch auf die Befriedigung des unmittelbaren wirtschaftlichen Interesses des öffentlichen Auftraggebers gerichtet, wie es Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG vorgibt, und genügt daher als solche nicht1. – Betreffend die dritte und vierte Frage hat der EuGH festgestellt, dass der Begriff „öffentliche Bauaufträge“ i.S.v. Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG erfordert, dass der Auftragnehmer direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der Bauleistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, übernimmt und dass es sich um eine nach den im nationalen Recht geregelten Modalitäten einklagbare Verpflichtung handelt2. Auch insoweit ist Ausgangspunkt der Überlegungen, dass der öffentliche Bauauftrag in Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG als ein entgeltlicher Vertrag definiert ist. Diesem Begriff liegt der Gedanke zugrunde, dass sich der Auftragnehmer verpflichtet, die Leistung, die Gegenstand des Vertrags ist, gegen eine Gegenleistung zu erbringen. Mit dem Vertragsschluss im Rahmen eines öffentlichen Bauauftrags verpflichtet sich der Auftragnehmer somit, die Bauleistungen, die dessen Gegenstand bilden, durchzuführen oder durchführen zu lassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Auftragnehmer die Leistungen mit eigenen Mitteln oder unter Inanspruchnahme von Subunternehmern erbringt. Da die Verpflichtungen, die sich aus dem Auftrag ergeben, rechtsverbindlich sind, muss ihre Erfüllung einklagbar sein. Mangels einer Regelung im europäischen Unionsrecht sind 1 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 40–58 – Helmut Müller GmbH. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 63 – Helmut Müller GmbH.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe die Modalitäten für die Erfüllung solcher Verpflichtungen im Einklang mit dem Grundsatz der Autonomie dem nationalen Recht überlassen1. – Betreffend die fünfte und sechste Frage hat der EuGH festgestellt, dass die „vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse“ im Sinne der dritten in Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG genannten Fallgestaltung nicht in dem bloßen Umstand bestehen können, dass eine Behörde bestimmte, ihr vorgelegte Baupläne prüft oder in Ausübung ihrer städtebaulichen Regelungszuständigkeiten eine Entscheidung trifft2. Denn ein öffentlicher Auftraggeber hat seine Erfordernisse i.S.v. Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nur dann genannt, wenn er Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung zu definieren oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf ihre Konzeption auszuüben. Der bloße Umstand, dass eine Behörde in Ausübung ihrer städtebaulichen Regelungszuständigkeiten bestimmte, ihr vorgelegte Baupläne prüft oder eine Entscheidung in Anwendung von Zuständigkeiten in diesem Bereich trifft, genügt insoweit nicht3. – Betreffend die siebente Frage hat der EuGH festgestellt, dass „öffentliche Baukonzessionen“ i.S.v. Art. 1 Abs. 3 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nicht vorliegen, wenn der Konzessionär Eigentümer des Grundstücks, auf dem das Bauwerk errichtet werden soll, ist oder wird oder die Baukonzession unbefristet erteilt wird. Denn nach Art. 1 Abs. 3 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG sind öffentliche Baukonzessionen „Verträge, die von öffentlichen Bauaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Bauleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zzgl. der Zahlung eines Preises besteht“. Damit ein öffentlicher Auftraggeber seinem Vertragspartner das Recht auf Nutzung eines Bauwerks im Sinne dieser Vorschrift übertragen kann, muss er über die Nutzung des entsprechenden Bauwerks verfügen können. Daran fehlt es in der Regel, wenn das Nutzungsrecht allein im Eigentumsrecht des entsprechenden Wirtschaftsteilnehmers verwurzelt ist. Der Eigentümer eines Grundstücks ist nämlich berechtigt, dieses unter Beachtung der anwendbaren Rechtsvorschriften zu nutzen. Solange ein Wirtschaftsteilnehmer über das Recht auf Nutzung eines Grundstücks verfügt, das in seinem Eigentum steht, kann eine Behörde grundsätzlich keine Konzession über diese Nutzung erteilen4. Allein die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück genügt also regelmäßig nicht, um 1 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 59-63 – Helmut Müller GmbH. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 69 – Helmut Müller GmbH. 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 64–69 – Helmut Müller GmbH. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 71–74 – Helmut Müller GmbH.

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darin eine öffentliche Baukonzession zu sehen. Der EuGH weist in diesem Zusammenhang zudem darauf hin, dass das Wesen der Konzession darin besteht, dass das Betriebsrisiko in erster Linie oder jedenfalls in erheblichem Umfang vom Konzessionsnehmer selbst getragen wird. Dieses Risiko könne – entgegen der Ansicht der EU-Kommission – nicht in der Unsicherheit des Unternehmers in Bezug auf die Frage liegen, ob die für Städtebau zuständige Dienststelle der betreffenden Gebietskörperkörperschaft seine Pläne billigen werde oder nicht. Denn in einer solchen Situation stünde das Risiko in Verbindung mit den städtebaulichen Regelungszuständigkeiten des öffentlichen Auftraggebers und nicht mit der sich aus der Konzession ergebenden Vertragsbeziehung. Folglich wäre das Risiko nicht mit der Nutzung verbunden1. Schließlich geben, was die Dauer der Konzessionen anbelangt, auch gewichtige Gründe, zu denen insbesondere die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs gehört, Grund zur Annahme, dass die unbefristete Erteilung von Konzessionen gegen die Rechtsordnung der Europäischen Union verstoßen würde2. – Betreffend die achte und neunte Frage hat der EuGH zunächst festgestellt, dass es vernünftig ist, die Anwendung der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG auf ein zweistufiges Vergabeverfahren, das durch den Verkauf eines Grundstücks gekennzeichnet ist, das später Gegenstand eines Bauauftrags wird, durch die Bewertung dieser Vorgänge als Einheit nicht von vornherein auszuschließen3. Gleichwohl hat der EuGH die Anwendung der Bestimmungen der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG unter Umständen wie denen des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens, in der eine öffentliche Stelle ein Grundstück an ein Unternehmen veräußert, während eine andere öffentliche Stelle beabsichtigt, einen öffentlichen Bauauftrag in Bezug auf dieses Grundstück zu vergeben, auch wenn sie noch nicht formell beschlossen hat, den entsprechenden Auftrag zu erteilen, abgelehnt4. Zusammengefasst liegt danach ein dem Vergaberecht unterfallender öffentlicher 198 (Bau-)Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 (nur) dann vor, wenn folgende Voraussetzungen – kumulativ – erfüllt sind5: – Entgeltlichkeit des Vertrages – Vorliegen einer nach nationalem Recht einklagbaren (direkten oder indirekten) Bauverpflichtung 1 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 75–78 – Helmut Müller GmbH. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 79 – Helmut Müller GmbH. 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 82 – Helmut Müller GmbH. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 81–89 – Helmut Müller GmbH. 5 Vgl. hierzu auch Bank, BauR 2012, 174 (176 f.); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 13 ff.; mit einer ausführlichen Prüfung VK Baden-Württemberg v. 2.2.2015 – 1 VK 65/14, VPR 2015, 111.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe – Unmittelbares wirtschaftliches Interesse des öffentlichen Auftraggebers, welches insbesondere dann gegeben ist, wenn dieser – alternativ – – selber Eigentümer des zu errichtenden Bauvorhabens werden soll, – über einen vertraglichen Anspruch verfügt, der ihm die Nutzung sichert, – sich an dem Bauvorhaben finanziell bei der Erstellung beteiligt, – die Risiken eines Fehlschlags übernimmt oder – wirtschaftliche Vorteile aus der Nutzung oder Veräußerung des Vorhabens ziehen kann. 199 Der EuGH hatte mit seinem Urteil vom 25.3.2010 im Übrigen auch die seiner-

zeit vom deutschen Gesetzgeber mit Blick auf die sog. „Ahlhorn“-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf bereits in § 99 Abs. 3 und 6 GWB a.F. vorgesehenen Einschränkungen (s. hierzu Rz. 2) bestätigt.

200 Die öffentliche Hand kann nach der Entscheidung des EuGH vom 25.3.2010 Im-

mobilientransaktionen nunmehr – zumindest in einem bestimmten und klareren Rahmen – wieder rechtssicher außerhalb des Kartellvergaberechts durchführen1. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der EuGH auch Grenzen für die Vergaberechtsfreiheit aufgezeigt hat, so dass vor einer undifferenzierten Betrachtung zu warnen ist. So indiziert insbesondere der Umstand, dass sich die öffentliche Hand finanziell oder durch sonstige Risikoübernahme an dem Projekt beteiligt, ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse. Daher können insbesondere vertragliche Vorgaben für das Bauwerk, die im Rahmen der Ausübung städtebaulicher Regelungskompetenzen nicht durchsetzbar wären, wenn sie mit finanziellen Beiträgen der Stadt kombiniert werden, mithin also insbesondere auch eine Konzessionsgestaltung ausscheidet, nach wie vor dazu führen, dass der sachliche Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts eröffnet ist2. Es empfiehlt sich daher auch weiterhin, jeden Einzelfall und die ihn charakterisierenden Umstände gesondert und sorgfältig zu beurteilen.

201 Bei typisierender Betrachtung kommen dabei als grundsätzlich vergaberechts-

freie Fallkonstellationen in Betracht:

– Bloße Veräußerung, Vermietung oder Verpachtung von Immobilien Der bloße Verkauf von Vermögenswerten wie unbebauter oder bebauter Grundstücke ist kein vergaberechtlich relevanter Vorgang. Dies hat der EuGH in der Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ explizit bestätigt3. Das Gleiche gilt für die Vermietung und Verpachtung. Auch diese fällt wie der bloße Verkauf nicht in den Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts. 1 So auch Otting, IBR 2010, 284. 2 Ähnlich Otting, IBR 2010, 284. 3 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 41 – Helmut Müller GmbH.

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Anknüpfungspunkt für eine etwaige Ausschreibungspflicht des öffentlichen Auftraggebers können nur die weiteren Konditionen eines entsprechenden Vertrages sein1. – Grundstücksverkauf an einen privaten Investor und Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nebst Durchführungsvertrag Es liegt insoweit zwar grundsätzlich die Errichtung eines Bauwerks „gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen“ i.S.v. § 103 Abs. 3 Satz 2 vor, da der Durchführungsvertrag die rechtliche Befugnis sichert, die Verfügbarkeit des Bauwerks im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zu gewährleisten. Allerdings zahlt der öffentliche Auftraggeber dem Investor kein Entgelt für die Bauleistung, sondern erhält seinerseits den Grundstückskaufpreis. Es kommt daher allenfalls eine öffentliche Baukonzession in Betracht. Allerdings setzt diese die Übertragung eines befristeten Nutzungsrechts voraus (vgl. § 105 Rz. 56 ff.). Dies ist hier nicht gegeben, weil durch die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück das Nutzungsrecht unbefristet übertragen wird und mithin nicht im Eigentum der öffentlichen Hand verwurzelt ist2. Auch das OLG Schleswig hat für die Fallgestaltung eines Durchführungsvertrages im Ergebnis das Vorliegen eines vergabepflichtigen öffentlichen Bauaftrags i.S.v. § 103 verneint, und zwar u.a. mit Blick darauf, dass die Durchführungspflicht gem. § 12 Abs. 1 und 6 BauGB aus vergaberechtlicher Sicht keine einklagbare Bauverpflichtung darstelle (vgl. insofern bereits die Darstellung der Entscheidung unter Rz. 84). – Grundstücksüberlassung an einen privaten Investor und Aufstellung eines Angebotsbebauungsplans vor dem Hintergrund eines bestimmten Vorhabens Diese Fallgestaltung unterscheidet sich von der vorstehenden im Wesentlichen nur dadurch, dass die Gestaltung des Vorhabens auf der Planung des privaten Investors beruht. Allerdings führt dies nicht zu einer abweichenden Bewertung. Dies gilt umso mehr, als die Erstellung des Bauwerks nach Ansicht des EuGH nicht schon dann „gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen“ i.S.v. § 103 Abs. 2 Satz 2 erfolgt, wenn die Bauleistungen nach vom öffentlichen Auftraggeber geprüften und gebilligten Plänen erbracht wird3. 1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.3.2012 – VII-Verg 37/11, NZBau 2012, 518 ff., Rz. 52 – Freizeitzentrum West II. 2 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 71–74 – Helmut Müller GmbH. 3 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 64–69 – Helmut Müller GmbH. Im Ergebnis ebenso Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 24 und 28 f. A.A. OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (141); OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe – Grundstücksveräußerung ohne Einflussnahme auf das „Ob“ und „Wie“ der Bebauung Dies galt – mit der einschränkenden Maßgabe, dass der jeweilige Fall keine Anhaltspunkte für eine Umgehung des Vergaberechts erkennen ließ – schon nach der bisherigen nationalen Rechtsprechung1. Der EuGH hat dies durch die Feststellung, dass der Begriff „öffentliche Bauaufträge“ es erfordert, dass der Auftragnehmer direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der Bauleistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, übernimmt und dass es sich um eine nach den im nationalen Recht geregelten Modalitäten einklagbare Verpflichtung handelt, bestätigt2. – Grundstücksveräußerung mit Bebauungsverpflichtung zur Einhaltung bestimmter städtebaulicher Vorgaben Verfolgt der öffentliche Auftraggeber lediglich allgemeine städtebauliche Vorgaben zur Verwirklichung des Allgemeininteresses, dienen diese nicht der unmittelbaren Befriedigung eines eigenen wirtschaftlichen Interesses3. Eine öffentliche Beschaffung ist dann nicht notwendig. Wird beispielsweise im Rahmen eines städtebaulichen Vertrags die Verpflichtung des Investors geregelt, Parkplätze zu errichten, erfüllt dies gleichwohl nicht ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse des öffentlichen Auftraggebers, wenn die Parkplätze des öffentlichen Auftraggebers nicht zu Eigentum übertragen oder zu seinen Gunsten ein anderes dingliches Recht begründet werden sollte, sondern die Parkplätze nach den baurechtlichen Bestimmungen den Nutzern und Besuchern eines geplanten Einkaufszentrums zur Verfügung stehen sollten4 (s. hierzu auch Rz. 123). Auch die Verpflichtung eines Investors, im Zuge der Errichtung eines Einkaufszentrums Anpassungsmaßnahmen an vorhandenen Straßen vorzunehmen, führt nicht zu einem unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil des öffentlichen Auftraggebers, soweit die Maßnahmen lediglich vorhabenspezifisch erwarteten Verkehrsstörungen in Bezug auf die vorhandenen öffentlichen Straßen vorbeugen sollen5. – Grundstücksveräußerung mit bloßer Nutzungsbeschränkung Die Veräußerung eines kommunalen Grundstücks, das im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplanes liegt, stellt kein vergaberechtlichen Vor1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271, 275 f. VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, NZBau 2008, 344. 2 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 63 – Helmut Müller GmbH. 3 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 68 – Helmut Müller GmbH; ebenso VK Baden-Württemberg v. 2.2.2015 – 1 VK 65/14, BeckRS 2015, 55881. 4 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580, Rz. 53. Siehe ferner auch OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff. 5 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580, Rz. 55.

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gang dar, wenn und soweit der Käufer (Investor) lediglich verpflichtet wird, auf die Ausübung bestimmter, aus Sicht der Kommune städtebaulich negativer Nutzungen (wie z.B. Vergnügungsstätten) zu verzichten. Soweit der Grundstückskaufvertrag in einem derartigen Fall keine weitergehenden Verpflichtungen enthält, handelt es sich hinsichtlich des zu vereinbarenden Nutzungausschlusses um eine rein nutzungsbezogene Vorgabe, die nicht zur Annahme eines öffentlichen Bauauftrags i.S.v. § 103 Abs. 3 führt. Insbesondere gibt die Kommune in einem solchen Fall keine „Erfordernisse“ i.S.d. § 103 Abs. 3 vor, da derartige Erfordernisse regelmäßig bauwerksbezogen sein müssen; bloße Nutzungsbeschränkung fallen nicht darunter1. – Einzelbauvorhaben Ist der Veräußerung eines Grundstücks und seiner Bebauung keine wirtschaftliche, insbesondere keine raumordnende oder städtebauliche Funktion zuzuerkennen, was insbesondere bei auf einen einzelnen Unternehmenszweck begrenzten Einzelbauvorhaben der Fall ist, war der Anwendungsbereich des Vergaberechts bereits nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf nicht eröffnet2. Hieran hat sich durch die Entscheidung des EuGH vom 25.3.2010 nichts geändert. – Unentgeltliche Begründung städtebaulicher Pflichten ohne grundstücksbezogenen Vertrag Werden unentgeltlich städtebauliche Pflichten begründet und befinden sich die betroffenen Grundstücke von vornherein in der Hand des in die Pflicht genommenen Privaten, so ist grundsätzlich kein öffentlicher Auftrag gegeben3. Hier kommt infolge der Unentgeltlichkeit von vornherein nur eine öffentliche Baukonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1 in Betracht; insbesondere kann auch die Schaffung von Baurecht nicht als Entgelt angesehen werden4. Das Vorliegen einer Baukonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1 setzt jedoch voraus, dass dem Konzessionär ein (befristetes) Nutzungsrecht verschafft wird (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV, sowie § 105 Rz. 56 ff.). An dieser Verschaffung eines Nutzungsrechtes – und damit an dem entgeltersetzenden Charak-

1 Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 30. 2 OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 (275 f.). 3 Vgl. Krohn, ZfBR 2008, 27, 30; sowie Burgi, NVwZ 2008, 929 (934). Letzterer stellt insoweit jedoch auf das Fehlen eines Beschaffungszwecks ab und weist – zumindest folgerichtig – darauf hin, dass ein solcher aber ausnahmsweise dann gegeben ist, wenn der private Investor – wie in dem vom EuGH entschiedenen Fall „Teatro alla bicocca“ (EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. I-05409, NZBau 2001, 512 ff.) – dazu verpflichtet werden soll, sein Grundstück nach erfolgter äußerlicher Bebauung dem öffentlichen Auftraggeber zwecks Übernahme der „inneren Erschließung“ gegen Entgelt zu übereignen. 4 Eisenreich/Barth, NVwZ 2008, 635 (637).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe ter des Vertrages – fehlt es aber, wenn der Investor sein Eigentum nicht von der öffentlichen Hand ableitet1. – Unentgeltliche Bebauung eines (seit längerer Zeit) im Eigentum des Investors befindlichen Grundstücks zu seiner eigenen Nutzung gemäß einem nach den Plänen des Investors erlassenen vorhabenbezogenen Bebauungsplans Maßgeblich ist auch insoweit die Überlegung, dass das Recht zur Nutzung hier ausschließlich aus dem seit jeher bestehenden Grundstückseigentum des Investors folgt und somit nicht von der öffentlichen Hand abgeleitet ist. 202 Als grundsätzlich vergaberechtspflichtige Fallkonstellationen kommen da-

gegen insbesondere all diejenigen Fallgestaltungen in Betracht, in denen eine Veräußerung von Grundstücken mit Bebauungsverpflichtung entweder zu eigenen Erwerbs- oder Nutzungszwecken oder aber verbunden mit einem sonstigen unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse des öffentlichen Auftraggebers erfolgt (s. hierzu insb. auch Rz. 120 ff.). Denn wenn der öffentliche Auftraggeber einen Rechtstitel über die zu erstellenden Bauwerke erwirbt, etwa um die öffentliche Zweckbestimmung sicherzustellen oder das Bauwerk der eigenen Nutzung zuzuführen, liegt ein öffentlicher Bauauftrag vor2. Die relevanten Erwerbs- und Nutzungszwecke können in der Verpflichtung des Kaufinteressenten liegen, ein bestimmtes Bauwerk für Nutzungen der öffentlichen Hand zu errichten (z.B. Schulen, Kindergärten, Schwimmbäder oder Theater). Wenn die Verpflichtung hingegen lediglich darin besteht, bestimmte Nutzungen für Dritte zu entwickeln (z.B. Einzelhandelsflächen, Büroräume oder zu verkaufende Wohnungen), fehlt es an dem unmittelbaren eigenen wirtschaftlichen Interesse3. Das unmittelbare wirtschaftliche Risiko kann nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch auch darin bestehen, dass sich der öffentliche Auftraggeber finanziell an der Erstellung des Bauwerks beteiligt oder Risiken für den Fall des wirtschaftlichen Fehlschlags eingeht4 (s. hierzu insb. auch Rz. 122 ff.). Eine finanzielle Beteiligung oder eine Risikobeteiligung liegt hiernach insbesondere vor, wenn der öffentliche Auftraggeber einen Teil der Kosten des Bauvorhabens über1 Vgl. Kulartz/Schilder/Duikers in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, Stand: April 2008, S. 14; Städtetag NRW (Hrsg.), Kommunale Grundstücksgeschäfte und Vergaberecht, Stand: Februar 2008, S. 27. Indirekt bestätigt wird dies auch durch die Entscheidung VK Hessen v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, die zwischen dem (ggf. dem Investor von dem öffentlichen Auftraggeber übertragenen) Recht zur Nutzung des Grundstücks und dem Recht zur Nutzung des errichteten Bauwerks unterscheidet. Die VK Hessen weist insoweit darauf hin, dass das Recht zur Nutzung des von dem Investor errichteten Bauwerks allein aus dessen Eigentum am Bauwerk folgt. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 53 – Helmut Müller GmbH. 3 Vgl. Jenn, ZflR 2010, 405 (407). 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 52 – Helmut Müller GmbH.

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nimmt oder für die Errichtung des Bauvorhabens Sicherheiten, z.B. in der Form von Bürgschaften, leistet1. Ein finanzielles Risiko des öffentlichen Auftraggebers kann sich auch dadurch ergeben, dass dieser unmittelbar einen Teil der Baukosten trägt oder eigene Leistungen, etwa Erschließungsmaßnahmen, verbilligt zur Verfügung stellt oder Kaufpreisnachlässe gewährt2. Grundsätzlich kann auch der Verkauf eines Grundstücks unter Marktwert eine finanzielle Beteiligung des öffentlichen Auftraggebers begründen3 (s. hierzu auch Rz. 124). Die Veräußerung im Rahmen eines Wohnbauförderungsprogramms unterhalb des Verkehrswertes an bauwillige Eigentümer hingegen begründet allein keine finanzielle Beteiligung4 (s. hierzu auch Rz. 125). Wenn und soweit nach dem vorstehend Gesagten von einer grundsätzlichen 203 Ausschreibungspflicht des Projekts auszugehen ist, stellt sich regelmäßig die Frage, ob insoweit auch der maßgebliche EU-Schwellenwert erreicht wird bzw. wie dieser ordnungsgemäß zu ermitteln ist5. Hierzu existieren unterschiedliche Ansichten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass man in derartigen Fällen die Gesamtinvestitionen zu betrachten habe, so dass es nicht nur auf das unmittelbar vom öffentlichen Auftraggeber gezahlte Entgelt für die jeweilige, den Gesamtvertrag als ausschreibungspflichten Auftrag „infizierende“ Teilleistung ankommen könne, sondern alle Entgelte zu betrachten seien, unabhängig davon, ob sie vom Auftraggeber oder von Dritten entrichtet werden. Der Schwellenwert sei danach also unter Einschluss auch derjenigen Entgelte zu ermitteln, welche ein Investor aus der Vermarktung der Bauleistung von Dritten erhalte6. Demgegenüber wird vorgebracht, dass es nach Sinn und Zweck des Vergaberechts nur auf die isolierte Betrachtung des ausschreibungspflichtigen Teils ankommen könne. Die Kombination eines nicht ausschreibungspflichtigen Vertrages mit einem ausschreibungspflichtigen Bauauftrag dürfe sich nicht nachteilig auswirken7. In diesem Sinne hat auch das OLG Schleswig zur Schwellenwertberechnung bei gemischten Aufträgen entschieden, dass bei der Berechnung des Schwellenwertes grundsätzlich allein der „öffentliche Anteil“ relevant sei. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der öffentliche Auftraggeber keine finanzielle Beteiligung für das Gesamtvorhaben übernommen hat8. Insofern ist also stets 1 Vgl. Jenn, ZflR 2010, 405 (407). 2 Vgl. Greim, ZfBR 2011, 126 (128). 3 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580, Rz. 57; OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff. 4 OLG München v. 27.9.2011 – Verg 15/11, VergabeR 2012, 59, Rz. 49 ff.; OLG Brandenburg v. 24.4.2012 – 6 W 149/11, VergabeR 2012, 922 ff. 5 Vgl. zum Ganzen Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 14. 6 So (wohl) Hertwig, NZBau 2011, 9 (15). 7 So auch Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 14 m.w.N. 8 OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe eine Einzelfallprüfung geboten. Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung ist insbesondere auch danach zu fragen, ob der für die Einordnung als öffentlicher Bauauftrag maßgebliche Leistungsbestandteil ggf. getrennt vom Gesamtprojekt verwirklicht werden kann1. c) Erschließungsverträge 204 Die auf die technische Infrastruktur (Straßen, Kanalanschlüsse etc.) zielende

Aufgabe der „Erschließung“ gem. § 123 Abs. 1 BauGB ist eine kommunale Pflichtaufgabe. Will sich eine Kommune zur Erfüllung dieser eigenen Sachaufgabe privater Unterstützung bedienen, liegt daher stets eine Beschaffung vor, und zwar völlig unabhängig von der Existenz einer Herrschaftsbeziehung zu dem in Rede stehenden (Träger-)Grundstück2. Für die Beantwortung der Frage, ob es sich hierbei auch um eine entgeltliche und mithin vergaberechtspflichtige Beschaffung handelt, ist zwischen dem echten Erschließungsvertrag (§ 124 Abs. 1 BauGB) und dem unechten Erschließungsvertrag (§§ 127 ff. BauGB) zu differenzieren.

205 Bei einem echten Erschließungsvertrag i.S.v. § 124 Abs. 1 BauGB überträgt die

Kommune die Durchführung der ihr obliegenden Erschließung ganz oder zum Teil auf einen Dritten, namentlich den Erschließungsunternehmer. Dieser führt die Erschließung auf eigene Kosten und eigene Rechnung durch; insoweit wird ein vertraglicher Anspruch der Gemeinde begründet. Der Erschließungsunternehmer übernimmt hier also die Erschließungskosten vollständig und endgültig. Typischerweise wird ferner vereinbart, dass der Erschließungsunternehmer die hergestellten Erschließungsanlagen später auf die Kommune unentgeltlich (ohne Gegenleistung) überträgt und die Gemeinde die Anlagen danach weiterbetreibt und unterhält3. Beim echten Erschließungsvertrag kommt es wegen der endgültigen Kosten(-last-)regelung zu keiner Abrechnung über Art und Umfang des dem Erschließungsunternehmer entstandenen Aufwands gegenüber der Gemeinde4. Dem Erschließungsunternehmer obliegt es bei diesem Modell vielmehr, in eigener Verantwortung seine Refinanzierung zu sichern. Regelmäßig geschieht dies durch zivilrechtliche Kostenerstattungsvereinbarungen mit den Grundstückseigentümern, denen die Vornahme der Erschließung einen Vorteil vermittelt. Ist der Erschließungsträger selbst Grundstückseigentümer, so erfolgt eine Refinanzierung in der Regel über die Kaufpreiskalkulation bei der nachfolgenden Veräußerung seiner Grundstücke an Dritte5. Vor diesem Hintergrund

1 Ebenso Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 14; Otting, VergabeR 2013, 343 (345); Losch, VergabeR 2013, 839 (847). 2 Burgi, NVwZ 2008, 929 (934). 3 Vgl. zum Ganzen Wilke, ZfBR 2002, 231 ff. 4 Wilke, ZfBR 2002, 231. 5 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 99 Rz. 81.

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findet bei einem echten Erschließungsvertrag auch keine Erhebung von Erschließungsbeiträgen mittels Bescheiden durch die Kommune statt. Insoweit fehlt es schon an der Grundvoraussetzung einer Beitragserhebung, namentlich dem eigenen Erschließungsaufwand der Kommune1. Hiervon zu unterscheiden ist der unechte Erschließungsvertrag. Dieser beinhaltet im Wesentlichen eine Vorfinanzierungsfunktion und wird aus diesem Grund teilweise auch als Vorfinanzierungsvertrag bezeichnet2. Bei einem unechten Erschließungsvertrag wird in der Regel vereinbart, dass der Erschließungsunternehmer seine Gesamtaufwendungen für die Erschließung von der Kommune erstattet verlangen kann. In der Folge ist hier auch – anders als beim echten Erschließungsvertrag – ein eigener Erschließungsaufwand der Kommune gegeben. Die Kommune kann sich dementsprechend über die Beiträge der von ihr im Bescheidwege veranlagten Eigentümer von Flächen des Erschließungsgebietes refinanzieren – und tut dies regelmäßig auch. Soweit der Eigentümer aber selbst Erschließungsunternehmer ist, wird eine Ablösevereinbarung gem. § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB geschlossen3. Gegenüber dem Erschließungsunternehmer wird also auf die Erhebung des anderenfalls anfallenden Beitrages verzichtet, worin schließlich die Gewährung eines geldwerten Vorteils zu sehen ist und wodurch eine Entgeltlichkeit begründet wird. Der zuletzt genannte unechte Erschließungsvertrag ist ein klassischer (entgeltli- 206 cher) Werkvertrag und wird demzufolge – sofern der maßgebliche EU-Schwellenwert erreicht wird – von der ganz herrschenden Ansicht als öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 3 angesehen4. Eine andere Frage ist indes, ob es ausnahmsweise nur einen Unternehmer gibt, der diese Beschaffung durchführen kann, weil er der Grundstückseigentümer ist (vgl. dazu Rz. 213). Problematischer ist dagegen die Behandlung des echten Erschließungsvertra- 207 ges. Die überwiegende Ansicht in der Literatur lehnt die öffentliche Auftragseigenschaft i.S.v. § 103 – zutreffend – ab, und zwar teilweise unter Hinweis auf das Fehlen einer entgeltlichen Vereinbarung5, teilweise aufgrund des Umstan1 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 99 Rz. 81; Würfel/Butt, NVwZ 2003, 153 (157). 2 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 99 Rz. 81 f. 3 Vgl. zum Ganzen Wilke, ZfBR 2002, 231 (233); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 99 Rz. 81. 4 Vgl. Burgi, NVwZ 2008, 929 (934); Köster/Häfner, NVwZ 2007, 410 ff.; Seufert/Tilmann, NVwZ 2007, 1273 ff.; Würfel/Butt, NVwZ 2003, 153 (157); Wilke, ZfBR 2004, 141 (145); Wilke, ZfBR 2002, 231 (233 ff.); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 282; Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 38. 5 Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 32; Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, Rz. 88; Wilke, ZfBR 2004, 141 (145); Wilke, ZfBR 2002, 231 (237).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe des, dass die Bauleistung dem öffentlichen Auftraggeber regelmäßig nicht unmittelbar wirtschaftlich zugute kommt1. Die VK Baden-Württemberg hatte indes in einer älteren Entscheidung darauf hingewiesen, dass auch echte Erschließungsverträge als öffentliche Aufträge anzusehen seien2. Argumentiert wurde insoweit, dass auch dann eine entgeltliche Leistung vorliege, wenn die Kommune auf eine eigene Erschließung verzichtet und dadurch das Nichtentstehen eines eigenen Erschließungsaufwands und damit auch das Nichtentstehen einer Beitragsschuld bewirke. In eine ähnliche Richtung gingen Stimmen in der Literatur, die im Rahmen einer normzweckorientierten gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung auch die Entgeltlichkeit des echten Erschließungsvertrages bejahten3. 208 Zu prüfen ist jedoch stets auch, ob nicht eine Bau- oder ggf. auch Dienstleis-

tungskonzession vorliegt4. Denn der echte Erschließungsvertrag weist, insbesondere wegen des Fehlens einer Entgeltlichkeitsvereinbarung, eine gewisse Nähe zur Baukonzession auf. Es liegt mithin eine Gestaltung vor, bei der ein Privater öffentliche Aufgaben erledigt und dafür keine Geldzuwendung erhält, sondern sich über eine Projektentwicklung selbst zu refinanzieren hat und dabei das wirtschaftliche Risiko trägt5. Insoweit ist jedoch zu beachten, dass die Baukonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1 die Einräumung eines befristeten Nutzungsrechts verlangt (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV, sowie § 105 Rz. 56 ff.). Eine solche Nutzungsrechtseinräumung ist beim echten Erschließungsvertrag mit dem Erschließungsunternehmer als Eigentümer indes nicht ersichtlich6. Die Einräumung eines befristeten Nutzungsrechts kann daher allenfalls dann angenommen werden, wenn der Erschließungsunternehmer die Grundstücke erst von der Kommune erwirbt, um dort Erschließungsanlagen zu errichten und diese dann zusammen mit den jeweiligen Grundstücksflächen an die Kommune zurück zu übertragen7.

1 So Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 280, der zugleich aber auch darauf hinweist, dass etwas anderes dann gelten kann, wenn die handelnde Kommune sich Erschließungsanlagen versprechen lässt, die über gesetzlich zwingende städtebauliche Anforderungen hinausgehen und somit eigene unmittelbar wirtschaftliche Zwecke verfolgt. 2 VK Baden-Württemberg v. 20.6.2002 – 1 VK 27/02. 3 Köster/Hefner, NVwZ 2007, 410 (413 f.). 4 Ebenso Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 281 unter Hinweis auf EuGH v. 26.5.2011 – Rs. C-306/08 – PAI und LARAU Valencia, NZBau 431 f. mit Anm. Gertz. 5 So bereits Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 99 Rz. 87 und 89, unter Hinweis auf Busch, VergabeR 2003, 622 (626 f.). 6 Ebenso Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 24; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 99 Rz. 89. A.A. Köster/Hefner, NVwZ 2007, 410 (414). 7 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 99 Rz. 89.

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Im Regelfall stellt der echte Erschließungsvertrag jedoch weder einen öffentlichen Bauauftrag noch eine Baukonzession dar1. d) Verträge im Zusammenhang mit Business Improvement Districts (BIDs) Zum 1.1.2007 wurde durch die Städtebaunovelle 20072 der (neue) § 171f BauGB 209 eingeführt, der private Initiativen zur Stadtentwicklung – und damit ausweislich der Gesetzesbegründung in erster Linie auch die sog. Business Improvement Districts (BIDs) – regelt3. Gemäß § 171f BauGB können nach Maßgabe des Landesrechts und unbeschadet sonstiger Maßnahmen nach dem Baugesetzbuch Gebiete festgelegt werden, in denen in privater Verantwortung standortbezogene Maßnahmen durchgeführt werden, die auf der Grundlage eines mit den städtebaulichen Zielen der Gemeinde abgestimmten Konzepts der Stärkung oder Entwicklung von Bereichen der Innenstädte, Stadtteilzentren, Wohnquartiere und Gewerbezentren sowie von sonstigen für die städtebauliche Entwicklung bedeutsamen Bereichen dienen. Zur Finanzierung der Maßnahmen und der gerechten Verteilung des damit verbundenen Aufwands können durch Landesrecht Regelungen getroffen werden. Entsprechende landesrechtliche Regelungen (sog. BID-Gesetze) wurden bereits in Hamburg4, Bremen5, Hessen6, Schleswig-Holstein7, Nordrhein-Westfalen8 und im Saarland9 erlassen. Für das Land Berlin 1 Ebenso Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 32. 2 Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte, BGBl. I 2006, 3316. Ausführlich hierzu Krautzberger, UPR 2006, 405 (406 ff.); Krautzberger/Stüer, DVBl. 2007, 160 ff. 3 Vgl. BT-Drucks. 16/3308, S. 10, 23 f.; sowie Kersten, UPR 2007, 121 f. 4 Vgl. Gesetz zur Stärkung von Einzelhandels- und Dienstleistungszentren vom 28.12.2004 (HbgGSED); Hamburgisches GVBl. 2004, 525. Zur Begründung s. Hamburger Bürgerschafts-Drucks. 18/960. 5 Vgl. Bremisches Gesetz zur Stärkung von Einzelhandels- und Dienstleistungszentren vom 18.7.2006 (BremGSED); Bremisches GVBl. 2006, 350. Zur Begründung s. Bremische Bürgerschafts-Drucks. 16/820, 16/1065 und 16/1074 sowie Bremisches BürgerschaftsPlenarprotokoll 16/4163. 6 Vgl. Gesetz zur Stärkung von innerstädtischen Geschäftsquartieren vom 21.5.2005 (HessINGEG); Hessisches GVBl. II 50–40. Zur Begründung s. Hessischer Landtag, LT-Drucks. 16/820. 7 Vgl. Schleswig-Holsteinisches Gesetz über die Einrichtung von Partnerschaften zur Attraktivierung von City-, Dienstleistungs- und Tourismusbereichen (Sch-HPATCTG); Schleswig-Holsteinisches GVBl. 2006, 158. Zur Begründung s. Schleswig-Holsteinischer Landtag, LT-Drucks. 16/711. 8 Vgl. Gesetz über Immobilien- und Standortgemeinschaften (ISGG-NRW), GV. NRW. 2008, S. 474 ff. Zur Begründung s. LT-Drucks. 14/4582 und 14/6455. 9 Vgl. Gesetz Nr. 1630 zur Schaffung von Bündnissen für Investition und Dienstleistung (BIDG) vom 26.9.2007, Amtsblatt des Saarlandes vom 6.12.2007, S. 2242 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe existiert ein Gesetzentwurf1. Der den BID-Gesetzen zugrunde liegende konzeptionelle Grundgedanke lässt sich im Kern wie folgt beschreiben: Das BID ist ein räumlich klar definierter, zumeist innerstädtischer Bereich. Da das BID als solches grundsätzlich über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, werden seine Aufgaben von dem sog. Aufgabenträger wahrgenommen2. Der Aufgabenträger ist der zentrale Akteur im BID. Er wird aufgrund der privaten Initiative der Grundstückseigentümer bzw. Gewerbetreibenden tätig und entwirft insbesondere das Entwicklungs-, Maßnahmen- und Finanzierungskonzept, das der Verbesserung des unmittelbaren geschäftlichen Umfelds dienen soll und neben Standortmarketing, Grundstücksmanagement, Infrastrukturabstimmung, Finanzierungsdiensten, sozialen Angeboten auch die (bauliche) Gestaltung, Reinigung, Ordnung und Sicherheit des öffentlichen Raums umfassen kann. Soweit ein bestimmtes Quorum der Grundstückseigentümer bzw. Gewerbetreibenden dem Konzept zustimmt bzw. ihm nicht widerspricht, setzt die Gemeinde aufgrund dieser privaten Initiative den BID-Bereich durch Beschluss für einen befristeten Zeitraum fest. Darüber hinaus verpflichtet sich der Aufgabenträger in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der Gemeinde das Maßnahmen- und Finanzierungskonzept umzusetzen. Die Gemeinde erhebt von allen Grundstückseigentümern bzw. Gewerbetreibenden, die Vorteile aus den Maßnahmen ziehen, eine Zwangsabgabe. Das Abgabenaufkommen steht nach Abzug einer Verwaltungspauschale für die Gemeinde dem Aufgabenträger zu, der es treuhänderisch verwaltet und hieraus mitunter sogar einen angemessenen Gewinn ziehen darf. Ein BID-Projekt ist demnach ein Public Private Partnership (PPP), bei dem öffentliche Rechtssetzungsbefugnisse und private Interessen zusammenwirken3. 210 Weitgehend ungeklärt und kontrovers diskutiert ist die Frage, ob und inwieweit

BID-Projekte dem Vergaberecht unterfallen4. Bei der Beantwortung dieser Frage sind – wie bei PPP-Modellen allgemein – grundsätzlich zwei Ebenen zu unterscheiden: Die erste Ebene betrifft die Auswahl des privaten Partners, d.h. des Aufgabenträgers, die zweite Ebene die im Rahmen der Tätigkeit des Aufgaben-

1 Vgl. Entwurf des Gesetzes zur Gründung und zu den Aufgaben einer Standortgemeinschaft, Standortgemeinschaftsgesetz (BlnStandOGemG-Entwurf) vom 3.11.2004; Abgeordnetenhaus Berlin, Drucks. 15/3345. Zur Begründung s. Abgeordnetenhaus Berlin, Drucks. 15/3345, S. 5 ff. 2 Eine Ausnahme stellt insoweit die nordrhein-westfälische Interessen- und Standortgemeinschaft dar, die gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 ISGG NRW über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt und dementsprechend gem. § 2 Abs. 3 ISGG NRW auch selbst als Aufgabenträger fungieren kann. 3 Ausführlich zum Ganzen Kersten, UPR 2007, 121 ff.; Bartholomäi, BauR 2006, 1838 ff.; Portz, KommJur 2007, 201 ff.; Huber, DVBl. 2007, 466 ff.; Ganske, VergabeR 2008, 15 ff., Ganske, BauR 2008, 1987 ff. 4 Ausführlich dazu Ganske, VergabeR 2008, 15 ff.; Ganske, BauR 2008, 1987 ff.; RubachLarsen/Rechten, KommJur 2007, 321 ff.

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trägers erfolgende Auftragsvergabe an Dritte1. Sowohl für die erste als auch für die zweite Ebene gehen die Ansichten auseinander. Was die zweite Ebene betrifft, d.h. die Beauftragung Dritter durch den Auf- 211 gabenträger, dürfte die Ausschreibungspflicht maßgeblich von der Frage abhängen, ob der Aufgabenträger als öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 2 anzusehen ist. Soweit der Aufgabenträger eine juristische Person ist, kommt dies insbesondere unter dem Gesichtspunkt der überwiegenden staatlichen Finanzierung in Betracht2. Denn zum einen nimmt der Aufgabenträger regelmäßig Aufgaben der Stadtentwicklung und der Wirtschaftsförderung wahr3 und damit im öffentlichen Allgemeininteresse liegende Aufgaben4. Zum anderen erhebt die betroffene Gebietskörperschaft nach der Konzeption der BID-Gesetze eine Abgabe5. Das Abgabenaufkommen steht dem Aufgabenträger zumindest insoweit zu, wie dies zur Deckung seines Aufwands6 (und teilweise sogar zur Ziehung eines angemessenen Gewinns7) notwendig ist8. Insoweit handelt es sich um eine staatliche Finanzierung9. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das Kriterium der überwiegenden staatlichen Finanzierung sich auf den Aufgabenträger als sol1 Vgl. Ganske, VergabeR 2008, 15 (16 f.); Rubach-Larsen/Rechten, KommJur 2007, 321 (323 f.); Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 91; sowie allgemein Dreher, NZBau 2002, 245 (247); Jaeger, NZBau 2001, 6 (7). 2 Vgl. Ganske, VergabeR 2008, 15 (28 ff.); Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 102. A.A. Rubach-Larsen/Rechten, KommJur 2007, 321 (329), die eine überwiegende Finanzierung mit Blick auf die Zweckgebundenheit der Mittel ablehnen. 3 Vgl. § 171 f BauGB, §§ 1, 2 Abs. 1 BremGSED, §§ 1, 2 Abs. 1 HbgGSED, § 1, 2 Abs. 1 HessINGEG, § 1 Abs. 1 ISGG NRW, § 1 Sch-HPACTG, § 1, 2 Abs. 1 BIDG Saarland, §§ 1, 2 Abs. 1 BlnStandOGemG-Entwurf; Huber, DVBl. 2007, 466; Kersten, UPR 2007, 121 (122); Portz, KommJur 2007, 201 f.; Bartholomäi, BauR 2006, 1838. 4 Vgl. EuGH v. 10.5.2001 – Rs. C-223/99, Slg. I-03605, NZBau 2001, 403 ff. – Mailänder Messe; OVG Rheinland-Pfalz v. 14.9.2006 – 2 B 11024/06, DÖV 2007, 39, 40. 5 Vgl. §§ 7, 8 BremGSED, §§ 7, 8 HbgGSED, §§ 7, 8 HessINGEG, § 4 ISGG NRW, § 3 Sch-HPACTG, § 7 BIDG Saarland, § 8 BlnStandOGemG-Entwurf. 6 Vgl. § 8 BremGSED, § 8 HbgGSED, § 8 HessINGEG, § 4 Abs. 8 ISGG NRW, § 3 Abs. 6 Sch-HPACTG, § 7 BIDG Saarland, § 8 Abs. 1 und 8 BlnStandOGemG-Entwurf. 7 Vgl. § 7 Abs. 1 HbgGSED, § 7 Abs. 1 HessINGEG. 8 Im Ergebnis ebenso Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 96, die insoweit jedoch nicht zwischen dem dem Aufgabenträger zustehenden Anteil am Abgabenaufkommen und dem Treuhandvermögen unterscheiden. 9 So auch Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 102.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe chen bezieht, nicht lediglich auf die einzelne staatliche Aufgabe1. Demzufolge wird man wohl nur dann von einer öffentlichen Auftraggebereigenschaft des Aufgabenträgers ausgehen können, wenn der Anteil der sonstigen, nicht-staatlichen Finanzierung des Aufgabenträgers weniger als 50 % ausmacht. Dies liegt insbesondere für die nordrhein-westfälische Interessen- und Standortgemeinschaft i.S.v. § 2 Abs. 1 ISGG NRW nahe. Hingegen erscheint die Annahme einer öffentlichen Auftraggebereigenschaft i.S.v. § 99 Nr. 2 für große private Entwicklungs- und Projektgesellschaften eher zweifelhaft2. 212 Die rechtlich schwierigere Frage betrifft allerdings die erste Ebene, d.h. die Aus-

wahl des privaten Aufgabenträgers, mit dem die Gebietskörperschaft einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließt. Diesbezüglich wird von vielen Teilen in der Literatur mit den unterschiedlichsten Argumentationen vertreten, dass das Vergaberecht nicht anwendbar sei3. Dabei wird zum Teil auf den fehlenden Beschaffungscharakter4 oder die fehlende Entgeltlichkeit des Vertrages5 abgestellt, teilweise wird auch vom Vorliegen eines In-house-Geschäfts ausgegangen6. Nach anderen Teilen des Schrifttums können all diese Versuche, eine Vergaberechtsfreiheit zu begründen, im Ergebnis nicht recht überzeugen7. Demzufolge hatte sich in letzter Zeit auch zunehmend die Ansicht durchgesetzt, dass bei der bisherigen Konstruktion von BID-Initiativen für die Auswahl des privaten Aufgabenträgers das Vergaberecht grundsätzlich zu beachten ist8. Insoweit ist allerdings zu berücksichtigen, dass die eine Ausschreibungspflicht bejahenden Stimmen auf der Grundlage der sog. „Ahlhorn“-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf argumentierten, wonach für die Annahme des Beschaffungscharakters

1 Werner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 98 GWB Rz. 65; Dreher, DB 1998, 2579 (2583). 2 Vgl. zum Ganzen Ganske, BauR 2008, 1987 (1988 f.). 3 Vgl. Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 100 ff.; Kersten, UPR 2007, 121 (126); Paschke, vgl. Sarvan/Schomburg, Bericht über den IX. Hamburger Wirtschaftsrechtstag, DVBl. 2007, 617 (618); Huber, DVBl. 2007, 466 (469). 4 So Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 100 ff.; zustimmend Kersten, UPR 2007, 121 (126); ebenso (wohl) auch Burgi, NVwZ 2008, 929 (935). 5 So Huber, DVBl. 2007, 466 (469). 6 So Paschke, vgl. Sarvan/Schomburg, Bericht über den IX. Hamburger Wirtschaftsrechtstag, DVBl. 2007, 617 (618). 7 Ausführlich dazu Ganske, VergabeR 2008, 15 (17 ff.); Rubach-Larsen/Rechten, KommJur 2007, 321 (324 ff.). 8 Ebenso Rubach-Larsen/Rechten, KommJur 2007, 321, 324 ff.; Dicks in Deutscher Städteund Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, DStGB Dokumentation Nr. 79, Ausgabe 4/2008, S. 9; Wellens, DVBl. 2009, 423 ff.; Ganske, VergabeR 2008, 15 ff.; Ganske, BauR 2008, 1987 ff.

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schon eine allgemeine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zwecksetzungen des Projekts ausreichen sollte1. Dem ist der EuGH in seiner Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.20102 zwischenzeitlich jedoch entgegengetreten (s. hierzu Rz. 197 ff.), so dass fraglich ist, ob diese Argumentation(en) gegenwärtig noch Bestand haben. Es spricht einiges dafür, dass infolge dieser EuGH-Entscheidung die Auswahl des privaten Aufgabenträgers außerhalb des Vergaberechts durchgeführt werden kann. Allerdings ist vor einer undifferenzierten Betrachtung zu warnen. Denn in Fällen, in denen sich die Gebietskörperschaft finanzielle oder durch sonstige Risikoübernahme an dem BID-Projekt beteiligt, indiziert dies nach der EuGH-Rechtsprechung ein „wirtschaftliches Interesse“ und damit einen Beschaffungscharakter3. Es ist daher stets eine Einzelfallbetrachtung geboten. Sollte diese zu dem Ergebnis führen, dass der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist, so lohnt es sich im Weiteren, die konkreten Einzelfallumstände auch mit Blick auf die Wahl der „richtigen“ Verfahrensart und damit ggf. verbundener „Verfahrenserleichterungen“ genau zu analysieren. Es spricht vieles dafür, dass oberhalb der Schwellenwerte oftmals bereits ein Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Bekanntmachung gem. § 3 EU Abs. 3 Nr. 3 lit. c) VOB/A (vgl. dazu auch sogleich Rz. 213) bzw. § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV zulässig ist. Mitunter kann hier auch die Durchführung eines wettbewerblichen Dialogs in Betracht kommen4. e) Ausschließlichkeitsrechte Soweit ein öffentlicher Auftrag vorliegt und der Anwendungsbereich des Ver- 213 gaberechts eröffnet ist, stellt sich im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden grundstücksbezogenen Geschäften stets die Frage, ob der in Rede stehende Auftrag aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Unternehmer ausgeführt werden kann, so dass gem. § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 lit. c) VOB/A zumindest ein Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung zulässig ist. Es ist zwar höchstrichterlich nicht geklärt, aber in der Literatur anerkannt, dass unter den Begriff der „Ausschließlichkeitsrechte“ i.S.v. § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 lit. c) VOB/A neben Warenzeichen, Vertriebslizenzen, Patenten, Urheberrechten und sonstigen gewerblichen Schutzrechten auch das Eigentum an einem Grundstück oder schuldrechtliche 1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730 f.); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140); OLG Düsseldorf v. 13.6. 2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530, 533; OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (538 f.); OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, NZBau 2008, 336 (337 f.). 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Helmut Müller GmbH. 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 52 – Helmut Müller GmbH. 4 Ausführlich zum Ganzen Ganske, BauR 2008, 1987 (1992 ff.); ähnlich Wellens, DVBl. 2009, 423 (430 f.).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Ansprüche, wie z.B. das Vorkaufsrecht an einem Grundstück, fallen1. Denn soll das Bauvorhaben auf einem bestimmten Grundstück errichtet werden, das im Eigentum eines Dritten steht, so kann aus rechtlichen Gründen regelmäßig nur der Grundstückseigentümer dort ein Bauwerk errichten bzw. errichten lassen. Umgekehrt kann der Grundstückseigentümer jedem Dritten untersagen, auf seinem Grundstück Bauarbeiten durchzuführen. Im Interesse des Umgehungsschutzes besteht jedoch dann kein Ausschließlichkeitsrecht, wenn die „Monopolstellung“ zuvor künstlich geschaffen wurde, insbesondere wenn der Investor Grundstücke vom Auftraggeber selbst erworben hat2. Denn zur Vermeidung einer treuwidrigen Umgehung des Vergaberechts sind alle im Zuammenhang stehenden Vertragsbeziehungen als vertragliche Einheit zu betrachten3. 3. Sozialrechtliche Verträge 214 Das Verhältnis von Sozialrecht und Vergaberecht ist in den letzten Jahren zu-

nehmend in den Fokus gerückt. Die Frage, ob sozialrechtliche Verträge ausgeschrieben werden müssen, stellt sich jedoch nur, wenn der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist, insbesondere ein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 1 vorliegt. Ist dies nicht der Fall, besteht grundsätzlich auch kein Konflikt4. Ob sozialrechtliche Verträge dem (sachlichen) Anwendungsbereich des Vergaberechts unterfallen, muss jeweils im Einzelfall und ohne Verallgemeinerung geprüft werden. Dies gilt auch dann, wenn die Leistung im Rahmen des sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses erbracht wird5 (s. hierzu bereits oben unter Rz. 3 und 21 f.). In Rechtsprechung und Literatur hat sich in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang ein weites Meinungsspektrum zu der Frage, unter welchen Bedingungen das Vergaberecht auf sozialrechtlich geprägte Sachverhalte anwendbar ist und ob das Sozialrecht die Leistungsträger an

1 Vgl. Otting, NZBau 2004, 469 (470); Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 3a EU VOB/A Rz. 49 f.; Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, 6. Aufl. 2017, VOB Teile A und B, § 3a EU VOB/A Rz. 49; Jasper/von der Recke, ZfBR 2008, 561 (567). 2 Jasper/von der Recke, ZfBR 2008, 561 (567); Stoye in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 6. 3 Stoye in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 6. 4 Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224. 5 Vgl. insoweit auch die auf eine Kleine Anfrage hin erfolgte Klarstellung der Bundesregierung in BT-Drucks. 18/6492, 2 f., wo es heißt: „Die Anwendung des Vergaberechts auf die Leistungserbringung im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis kann […] nicht einheitlich beantwortet werden, sondern hängt von der Ausgestaltung der konkreten Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsempfänger im jeweils anzuwendenden Leistungserbringungsrecht ab. Eine pauschale Ausnahme für Leistungen im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis vom Vergaberecht ist europarechtlich weder möglich noch in der Sache gerechtfertigt.“. Die Gesetzesbegründung zu § 103 Abs. 1 in BT-Drucks. 18/6281, S. 73, erweist sich dagegen als missverständlich.

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einer Ausschreibung sogar hindern kann, herausgebildet. Die Rechtslage wird zusätzlich durch die Diversität der Rechtsregime nach den einzelnen Sozialgesetzbüchern verkompliziert. Aussagen, die für den Bereich eines Sozialgesetzbuches zutreffend sind, können daher nicht unbesehen auf die Beurteilung der Rechtslage nach einem anderen Sozialgesetzbuch übernommen werden1. Dementsprechend wird auch in der Praxis der Leistungsträger höchst unterschiedlich vorgegangen. Dabei dürfte die Durchführung eines Vergabeverfahrens oftmals auch nur von dem Hintergedanken getragen worden sein, durch die exklusive Auftragserteilung an einen ausgewählten Leistungserbringer im Anschluss an ein Wettbewerbsverfahren die Kosten für die Dienstleistungen insgesamt zu senken2. a) Leistungsvereinbarungen gemäß §§ 75 ff. SGB XII Im Bereich des SGB XII wird die Leistung regelmäßig im sozialrechtlichen 215 Dreiecksverhältnis erbracht. Der Sozialhilfeberechtigte schließt einen Betreuungsvertrag mit dem Träger der Einrichtung, diesem steht ein Entgeltanspruch gegen den Sozialhilfeberechtigten, nicht gegen den Sozialhilfeträger, zu3. Dies gilt selbst dann, wenn der Sozialhilfeträger die Zahlungen unmittelbar an den Einrichtungsträger erbringt, denn insoweit handelt es sich um die Erfüllung einer Verpflichtung des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Hilfesuchenden, und zwar durch Leistung an einen Dritten gem. § 362 Abs. 2 BGB4. Wenn eine Abwicklung im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis vorliegt, d.h. wenn der Leistungsträger keinen Entgeltanspruch gegen den Sozialhilfeträger, sondern nur gegen den Sozialhilfebedürftigen hat, stellt die Leistungsvereinbarung grundsätzlich keinen öffentlichen Auftrag dar, sondern – zumindest der Sache nach – eine Dienstleistungskonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 25, welche nach neuer Rechtslage grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt (s. jedoch noch Rz. 217)6. Denn zum einen erhält der Leistungserbringer 1 Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169. 2 VG Darmstadt v. 29.2.2016 – 5 L 652/15, VG Darmstadt v. 29.2.2016 – 5 L 652/12.DA, NJW 2016, 2677 ff.; Engler, Die Leistungserbringung in den Sozialgesetzbüchern II, III, VII und XII im Spannungsverhältnis zum europäischen und nationalen Vergaberecht, S. 17 m.w.N. 3 Vgl. BVerwG v. 30.9.1993 – 5 C 41/91, BVerwGE 94, 202, 204; OVG Münster v. 8.12. 1994 – 24 A 3212/92, NWVBl. 1995, 262 ff. 4 VG Münster v. 2.5.1990 – 5 K 820/89, RsDE Bd. 13 (1991), 70, 76. 5 Vgl. hierzu Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224 f.; Neumann/Nielandt/Philipp, Erbringung von Sozialleistungen nach Vergaberecht?, S. 65 f.; Dörr, RdJB 2002, 349 (365); OLG Düsseldorf v. 22.9.2004 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 f. 6 Ebenso Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (173). A.A. OLG Düsseldorf v. 13.5.2015 – VII-Verg 38/14, welches – trotz des Umstandes, dass aus § 75 Abs. 3 SGB XII für den Leistungserbringer grundsätzlich kein eigener Anspruch gegen den Leistungsträger auf Vergütung der Leistungen folgt – die Ansicht vertreten hat, es handele sich um einen entgeltlichen öffentlichen Auftrag. Das OLG Düsseldorf argumentiert insoweit, dass durch

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe sein Entgelt von dem Berechtigten; und zum anderen – was entscheidender ist – trägt der Leistungserbringer auch das wirtschaftliche Risiko, weil er ein Entgelt nur dann erhält, wenn die Sozialhilfeberechtigten ihn auswählen. Vor dem Hintergrund des zuletzt Gesagten gilt etwas anderes jedoch in solchen Fallkonstellationen, in denen ein wirtschaftliches Risiko faktisch nicht besteht1. In diesen Fällen liegt ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 vor. 216 Für die Leistungsvereinbarungen gem. §§ 75 ff. SGB XII stellt sich zudem die

Frage, ob es dem Leistungsträger verboten ist, die Leistungsvereinbarungen so auszugestalten, dass sie öffentliche Aufträge i.S.v. § 103 darstellen. Das VG Münster und OVG Münster haben ein solches Verbot für eine Leistungsvereinbarung mit Gebietsschutz bejaht2. Maßgeblich war insoweit die Überlegung,

den Abschluss der Leistungsvereinbarung als (öffentlich-rechtlichen) (Rahmen-)Vertrag eine synallagmatische Verbindung zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer entstehe. Diese Einschätzung erscheint indes weder mit der neueren Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1 ff. und Urt. v. 18.11.2014 – B 8 SO 23/13 R, NVwZ-RR 2015, 501 ff.) und des BGH (Urt. v. 7.5.2015 – III ZR 304/14, BGHZ 205, 260 ff. = MDR 2015, 754 und Urt. v. 31.3.2016 – III ZR 267/15, MDR 2016, 872 = NJW 2016, 2734 ff.) noch mit der Rechtsprechung des EuGH zur Abgrenzung von Dienstleistungskonzessionen und Aufträgen vereinbar. Denn nach der Rechtsprechung von BSG und BGH verschafft der Leistungsträger durch den Abschluss der Leistungsvereinbarung mit dem Leistungserbringer dem Leistungsberechtigten zwar die Sachleistung. Diese Rechtsbeziehung wird daher auch als öffentlich-rechtliches Sachleistungsverschaffungsverhältnis bezeichnet. Die Entgeltzahlung des Leistungsträgers an den Leistungsberechtigten erfolgt aber nicht auf Grundlage der Leistungsvereinbarung. Der Leistungserbringer hat einen Entgeltanspruch gegen den Leistungsberechtigten, und nur aufgrund des Schuldbeitritts wird der Leistungsträger Mitschuldner des zivilrechtlichen Entgelts. Durch den Schuldbeitritt wandelt sich die Forderung nicht in eine öffentlich-rechtliche Schuld. Erfolgt die Entgeltzahlung des Leistungsträgers an den Leistungserbringer allein aufgrund des Schuldbeitritts, ist ein direkter synallagmatischer Leistungsaustausch zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer durch den Abschluss der Leistungsvereinbarung nicht erkennbar. Darüber hinaus lässt das OLG Düsseldorf in der Entscheidung gänzlich unberücksichtigt, wer das wirtschaftliche Risiko aus der Vereinbarung trägt. Ist dies der Leistungserbringer, weil es im Wesentlichen sein Risiko ist, ob die Leistungen von den Berechtigten ausgewählt werden, liegt nach Ansicht des EuGH (Urt. v. 13.10. 2005 – Rs. C-458/03, Rz. 40 f. und Urt. v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10, Rz. 48) – selbst bei einem unmittelbaren Entgeltanspruch – eine Konzession vor. Siehe zum Ganzen auch Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (173 f.). 1 So z.B. in dem Fall OLG Hamburg v. 7.12.2007 – 1 Verg 4/07, NDV-RD 2008, 30 ff. und VK Hamburg v. 24.7.2007 – Vgk FB 4/07 (Vorinstanz), wo zum einen durch die Zurverfügungstellung eines bestimmten Teilnehmerkontingentes faktisch kein Auslastungsrisiko für den Auftragnehmer bestand und zum anderen der Auftragnehmer seine Vergütung unmittelbar vom Auftraggeber erhalten hat, so dass der Auftragnehmer auch kein Ausfallrisiko der Leistungsberechtigten tragen musste. 2 VG Münster v. 22.6.2004 – 5 L 728/04, RsDE Nr. 57 (2005), 88; OVG Münster v. 27.9. 2004 – 12 B 1390/04 und 12 B 1397/04, NVwZ 2005, 835 (835). Siehe ferner auch OVG

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dass die Vergabe den Anspruch der geeigneten Leistungserbringer auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss einer Vereinbarung auch mit ihnen verletze. Hintergrund ist, dass Einrichtungsträger einen subjektiven, vor den Verwaltungsgerichten einklagbaren Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss einer Pflegesatzvereinbarung gem. §§ 75 ff. SGB XII haben1. Es ist daher, insbesondere auch nach Ansicht des BVerwG, ermessensfehlerhaft, den Abschluss einer Pflegesatzvereinbarung deshalb abzulehnen, weil bereits mit einem Träger eine entsprechende Vereinbarung geschlossen wurde oder kein Bedarf zum Abschluss von Vereinbarungen mit weiteren Trägern besteht. Denn eine solche Bedarfsplanung des Sozialhilfeträgers steht weder im Einklang mit dem Wunsch- und Wahlrecht des Sozialhilfeberechtigten (vgl. § 9 Abs. 2 und 3 SGB XII) noch mit dem Grundsatz, dass der Sozialhilfeträger die Vielfalt der Angebote (Angebots- und Trägervielfalt) wahren und nicht beeinträchtigen soll2. Das OVG Münster hat offengelassen, ob es auch unzulässig ist, Leistungsverträge im Rahmen eines Vergabeverfahrens abzuschließen, wenn diese ohne Gebietsschutz abgeschlossen werden, es dem Auftraggeber also möglich bleibt, weitere Träger in dem Gebiet zuzulassen3. Nach Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg ist aufgrund der Art. 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG im Wege der Ermessensreduzierung „auf Null“ ein Rechtsanspruch auf Abschluss der Vereinbarung gegeben, wenn die normativen Voraussetzungen für den Abschluss erfüllt sind4. Mit Rücksicht auf das vorstehend in Rz. 215 f. Gesagte ist im Weiteren jedoch zu 217 beachten, dass sich aus Art. 1 Abs. 2 und Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU sowie auch aus Erwägungsgrund 13 der Richtlinie 2014/23/EU als weitere Voraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts das Erfordernis der Vornahme einer Auswahlentscheidung durch den Auftraggeber ergibt. Danach sind Fälle, in denen alle Wirtschaftsteilnehmer, die

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Berlin v. 4.4.2005 – 6 S 415/04, RsDE Nr. 63 (2006), 67; VG Hamburg v. 5.8.2004 – 13 E 2873/04, ZfJ 2005, 111 (112). BVerwG v. 30.9.1993 – 5 C 41/91, BVerwGE 94, 202, 204; Fichtner, BSHG, § 93 Rz. 21. BVerwG v. 30.9.1993 – 5 C 41/91, BVerwGE 94, 202, 204 und 207; sowie ferner auch LSG Baden-Württemberg v. 13.7.2006 – L 7 SO 1902/06 ER-B, Sozialrecht aktuell 2006, 168 ff.; SG Heilbronn v. 13.3.2014 – S 9 SO 4284/13, RdLH 2014, 139 f., mit Anm. Baur, RdLH 2014, 140. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224 (225), die zutreffend darauf hinweist, dass ein Vorgehen ohne Gebietsschutz für den öffentlichen Auftraggeber zu dem Problem führt, dass den Bietern, um ihnen kein unzumutbares Wagnis zu überbürden, eine bestimmte Teilnehmerzahl oder ein bestimmtes Entgelt zu garantieren ist. Müssen in der Folge dann jedoch weitere Träger zugelassen werden, besteht die Gefahr, dass der Auftraggeber Zahlungen leisten muss, obwohl die Leistung des im Vergabeverfahren ausgewählten Trägers nicht in Anspruch genommen wird. LSG Berlin-Brandenburg v. 2.9.2011 – L 23 SO 147/11 B ER; ebenso Bieritz-Harder/Conradis/Thie-Münder, Sozialgesetzbuch XII, 10. Aufl. 2015, § 75 Rz. 18.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, ohne irgendeine Selektivität zur Wahrnehmung der Aufgaben berechtigt sind, nicht als Auftragsvergabe zu verstehen, sondern als einfache Zulassungssysteme, die nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinien unterliegen. Dies gilt nach Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU u.a. dann, wenn die Auswahl durch den Kunden erfolgt. Zwar findet sich diese Einschränkung des Anwendungsbereichs im nationalen Recht weder in der gesetzlichen Definition des öffentlichen Auftragsbegriffs gem. § 103 noch in der Regelung betreffend die Dienstleistungskonzessionen in § 105 wieder. Allerdings lässt sich aus den Gesetzesmaterialien entnehmen, dass der Gesetzgeber nicht von der Richtlinienvorgabe abweichen und eine Verschärfung der Ausschreibungspflicht anordnen wollte (s. hierzu auch Rz. 3)1. Dies steht zudem im Einklang mit der jüngst durch den EuGH bestätigten Auffassung des OLG Düsseldorf betreffend die sog. Open-House-Modelle (s. auch Rz. 234). Das OLG Düsseldorf hat insoweit die Ansicht vertreten, dass bloße „Zulassungen“ nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen. Unter welchen konkreten Bedingungen eine solche „Zulassung“ angenommen werden könne, hat das OLG Düsseldorf in einem Vorlagebeschluss an den EuGH näher präzisiert. Dabei hat das OLG Düsseldorf darauf abgestellt, dass, wenn ein Vertragsschluss mit dem öffentlichen Auftraggeber für jedes geeignete Unternehmen jederzeit rechtlich und tatsächlich möglich sei, kein Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil erlangen könne und damit auch keine Gefahr der Diskriminierung einzelner Unternehmen bestehe. Erforderlich sei aber, dass klare Regeln über den Vertragsschluss und den Vertragsbeitritt im Vorhinein festgelegt und eine Einflussnahme einzelner Wirtschaftsteilnehmer auf den Vertragsinhalt ausgeschlossen sei. Das Beitrittsrecht müsse jederzeit ausgeübt werden können. Zudem müssten sowohl die Durchführung des Zulassungsverfahrens als auch Vertragsschlüsse europaweit publiziert werden2. Die Vereinbarkeit dieser Ansicht mit dem Unionsrecht hat der EuGH bestätigt3. Die Auswahl eines Angebots und somit eines Auftragnehmers stelle ein Element dar, das mit dem durch die EU-Vergaberichtlinien geschaffenen Rahmen für öffentliche Aufträge und folglich mit dem Begriff „öffentlicher Auftrag“ im Sinne der Richtlinie untrennbar verbunden sei. Das Ziel der Richtlinien bestehe darin, der Gefahr der Bevorzugung inländischer Wirtschaftsteilnehmer entgegenzuwirken. Ein Zulassungsver1 Vgl. BR-Drucks. 367/15, S. 82 und BT-Drucks. 18/6281, S. 73. 2 OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, NZBau 2014, 654 ff.; sowie auch bereits OLG Düsseldorf v. 11.1.2012 – VII-Verg 58/11, BeckRS 2012, 01849. 3 EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rz. 32 ff. – Dr. Falk Pharma GmbH. Siehe ferner hierzu sowie insbesondere auch zu der Frage, ob Open-House-Modelle auch außerhalb des Sozialversicherungsrechts Bedeutung erlangen können, Neun, NZBau 2016, 681 (684 ff.), der dies für möglich erachtet, sowie Gabriel, IBR 2016, 469, der dies unter Hinweis auf das Haushaltsrecht kritisch sieht, weil durch derartige wettbewerbsfreie Vertragsabschlussverfahren nicht erreicht wird, dass der Auftraggeber die wirtschaftlich günstigsten im Markt verfügbaren Angebote identifiziert.

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fahren ohne Auswahlentscheidung unterliege daher nicht den Richtlinien, sondern müsse lediglich mit den Grundregeln des AEUV in Einklang stehen, insbesondere den Grundsätzen der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer sowie dem sich daraus ergebenden Transparenzgebot, soweit an dem Auftrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse bestehe1. Nach dem Regelungsregime des SGB XII (und ebenso des SGB VIII und SGB II) hat der Abschluss von Leistungsvereinbarungen mit jedem geeigneten Unternehmen zu angemessenen Bedingungen zu erfolgen. Kommt eine Einigung über die Vergütung nicht zustande, entscheidet im Anwendungsbereich des SGB XII (und des SGB VIII) zudem eine paritätisch besetzte Schiedsstelle, nicht allein der Leistungsträger. Eine Auswahlentscheidung im Sinne einer Selektion einzelner Wirtschaftsteilnehmer wird mithin durch den Leistungsträger nicht vorgenommen. Demzufolge besteht eine Pflicht zur Ausschreibung der Leistungsvereinbarungen – unabhängig davon, ob diese dem Grunde nach einen öffentlichen Auftrag i.S.v. § 103 oder eine Dienstleistungskonzessionen i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 2 darstellen – nach dem neuen Vergaberechtsregime dann nicht, wenn der öffentliche Auftraggeber keine Auswahlentscheidung vornimmt2. Anders kann die Rechtslage allerdings zu beurteilen sein, wenn der Leistungsträ- 218 ger zwar generell bereit ist, jeden Leistungserbringer zuzulassen, allerdings einzelnen Leistungserbringern feste Kontingente oder Quoten zuordnet. In diesem Fall ist eine exklusive Auswahlentscheidung insoweit gegeben. In der Regel dürfte es sich dann auch um die Vergabe eines öffentlichen Auftrages i.S.v. § 103 handeln3. Der Leistungsträger wird dabei regelmäßig das Ziel verfolgen, seinen Bedarf für die jeweilige Leistung durch die Ausschreibung umfassend zu decken, um seiner Gewährleistungspflicht gegenüber den Leistungsberechtigten nachzukommen und den kostensenkenden Effekt der Ausschreibungen ausnutzen zu können. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind vielfältig. Sie umfassen etwa den Abschluss von Exklusivverträgen über alle Aufträge, die im vorgesehenen Zeitraum im Vertragsgebiet anfallen, Vereinbarungen über die Erbringung von Fallpauschalen, feste Kontingentzuweisungen, Quotenregelungen oder die Vorhaltung eines Personalpools, aus dem der Leistungsträger bei Bedarf die Leistungserbringung verlangen darf. Der Abschluss entsprechender Verträge liegt regelmäßig auch im Interesse der beteiligten Leistungserbringer, die Planungssicherheit für den Vertragszeitraum erhalten. In der Rechtsprechung besteht allerdings Uneinigkeit, ob diese Vereinbarungen mit den sozialrechtlichen Vorgaben vereinbar sind. Während in der Verwaltungsgerichtsbarkeit überwiegend die Auffassung vertreten wird, dass die Regelungen zum sozialrechtlichen Drei1 EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rz. 44 f. – Dr. Falk Pharma GmbH. 2 So auch LSG NRW v. 14.4.2010 – L 21 KR 69/09 SFB; Höfer/Nolte, NZS 2015, 441 (443); Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (174). 3 Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (174).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe ecksverhältnis einer Ausschreibung entgegenstehen1, wird diese Einschätzung in jüngerer Zeit von einigen Sozialgerichten2 und Vergabenachprüfungsinstanzen3 in Zweifel gezogen4. 219 Das Vergaberecht erfasst den Abschluss von Leistungsvereinbarungen im Sinne

des SGB XII somit nicht5. Will der Leistungsträger allerdings darüber hinaus eigene Schwerpunkte bei der Leistungserbringung setzen und von den sozialrechtlichen Vorgaben abweichende Vereinbarungen mit einzelnen Leistungserbringern schließen, hängt es von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall ab, ob ein solches Vorgehen zulässig ist. b) Verträge im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gemäß §§ 78a ff. SGB VIII

220 Gleiches wie bei den Leistungsvereinbarungen nach dem SGB XII gilt auch für

die Verträge gem. §§ 78a ff. SGB VIII im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Das oben in Rz. 215–217 Gesagte gilt insoweit entsprechend6. Allerdings ist auch hier stets eine sorgfältige Einzelfallprüfung erforderlich.

221 Ebenso wie im Anwendungsbereich des SGB XII (vgl. Rz. 215) steht den Leis-

tungsberechtigten auch im Anwendungsbereich des SGB VIII grundsätzlich ein Wunsch- und Wahlrecht zu (vgl. § 5 SGB VIII)7. § 3 SGB VIII betont zudem ex-

1 Vgl. beispielsweise BVerwG v. 13.5.2004 – 3 C 2/04, PflR 2004, 349 ff.; OVG Münster v. 27.9.2004 – 12 B 1390/04, NVwZ 2005, 834 f. 2 Vgl. beispielsweise LSG Sachsen v. 12.2.2015 – L 3 AS 1333/13, BeckRS 2016, 70223; SG Düsseldorf v. 29.4.2016 – S 42 SO 73/16 ER. A.A. SG Osnabrück v. 28.1.2015 – S 33 AS 320/13, BeckRS 2015, 66683. 3 Vgl. beispielsweise OLG Düsseldorf v. 13.5.2015 – VII-Verg 38/14, BeckRS 2016, 18626. 4 Ausführlich zum Ganzen und m.w.N. Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (174 ff.). 5 Entsprechendes gilt für Leistungsvereinbarungen im Sinne des SGB VIII und des SGB II. Siehe dazu noch im Folgenden unter Rz. 220 ff. und 223 f. 6 Vgl. Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (173 ff.); sowie ferner auch OLG Düsseldorf v. 22.9.2004 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 ff.; Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224 (225). 7 § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bestimmt ausdrücklich, dass das Wahlrecht die Auswahl zwischen (bestehenden) Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger umfasst, vgl. Winkler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 11. Bei stationären und teilstationären Leistungen dürfen aber grundsätzlich nur Einrichtungen gewählt werden, mit denen Vereinbarungen nach § 78b SGB VIII bestehen, vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII. Auf das Wahlrecht muss der Leistungsberechtigte von dem Leistungsträger ausdrücklich hingewiesen werden, § 5 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Wie beim Wunsch- und Wahlrecht gem. § 9 Abs. 2 SGB XII soll den Wünschen des Leistungsberechtigten im Anwendungsbereich des SGB VIII grundsätzlich entsprochen werden. Eine Einschränkung des Wahlrechts sieht das Gesetz wiederum für den Fall vor, dass die Erfüllung des Wunsches mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist, vgl. § 5 Abs. 2 SGB VIII.

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plizit die Angebots- und Trägervielfalt. Gemäß § 3 Abs. 1 SGB VIII ist die Jugendhilfe gekennzeichnet durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen. Durch die Regelung soll sichergestellt werden, dass die Vielfältigkeit der Jugendhilfeangebote in die Praxis Eingang findet1. Nach § 3 Abs. 2 SGB VIII werden die Leistungen der Jugendhilfe von Trägern der freien Jugendhilfe und von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe erbracht. Allerdings richten sich die Leistungsverpflichtungen nach dem SGB VIII allein an die öffentlichen Träger. Die Regelungen tragen der historisch gewachsenen Bedeutung der privaten Träger Rechnung, die den überwiegenden Anteil der Leistungen im Anwendungsbereich des SGB VIII erbringen2. Entsprechend der Rechtslage nach dem SGB XII ergibt sich zudem auch nach dem SGB VIII eine prinzipielle Verpflichtung für den Leistungsträger zur Zusammenarbeit mit den freien Leistungserbringern und zur Zurückhaltung beim Aufbau eigener Einrichtungen (vgl. § 4 SGB VIII)3. Darüber hinaus haben die Träger der freien Jugendhilfe über § 74 Abs. 1 und 3 SGB VIII einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung einer Förderung4. Der Abschluss von Leistungsvereinbarungen zwischen dem Träger der Jugend- 222 hilfe und der freien Jugendhilfe ist in den §§ 77 und 78b SGB VIII geregelt. Im Bereich der stationären und teilstationären Leistungen und ggf. auch ambulanten Leistungen gelten die §§ 78a ff. SGB VIII5. Den Leistungserbringern steht gem. § 78b Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ein Anspruch auf Abschluss der Vereinbarung zu, wenn sie die Eignungsvoraussetzungen erfüllen6. In Ansehung des Wortlauts von § 78b Abs. 2 Satz 1 SGB VIII einerseits und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum SGB XII andererseits, darf die Entscheidung über den Vertragsschluss nach dem SGB VIII nicht von Bedarfsgesichtspunkten abhängig gemacht werden7. In der Sache besteht daher – trotz der abweichenden 1 Winkler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 7. 2 Kunkel in Kunkel/Kepert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 6. Aufl. 2016, § 11 Rz. 9, unter Verweis auf BT-Drucks. 11/6576, 110; Tillmanns in MünchKomm/BGB, Band 8, SGB VIII, 6. Aufl. 2012, § 3 Rz. 3. 3 Winkler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 10; Winkler in Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, SGB VIII, 43. Edition, Stand: 1.12.2016, § 4 Rz. 5. 4 BVerwG v. 17.7.2009 – 5 C 25/08, NVwZ-RR 2010, 19 ff., Rz. 13. 5 Schindler/Elmauer in Kunkel/Kepert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 6. Aufl. 2012, § 77 Rz. 1; Winkler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann-Winkler, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 156. 6 Winkler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 156; Meysen/Reiß/Beckmann/Schindler, Sozialrecht aktuell 2015, 56 (57). 7 Engler, Die Leistungserbringung in den Sozialgesetzbüchern II, III, VIII und XII im Spannungsverhältnis zum europäischen und nationalen Vergaberecht, S. 32, m.w.N.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Formulierungen im Gesetz – kein wesentlicher Unterschied zu der Rechtslage nach dem SGB XII (s. Rz. 215 ff.)1. § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, der nur außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 78a ff. SGB VIII gilt, verpflichtet den Leistungsträger zudem lediglich dazu, Vereinbarungen über die Höhe der Kosten mit dem Leistungserbringer anzustreben. Ob ein Anspruch auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung für den Leistungserbringer besteht, ist in der Literatur streitig2. Das VG München geht von einem Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss aus3. c) Verträge gemäß SGB II und SGB III 223 Im Bereich von SGB II und SGB III ist eine verallgemeinernde Aussage schwieri-

ger. Teilweise wird hier die Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens ausdrücklich vorgeschrieben, teilweise schweigt das Gesetz zu der Frage, ob ein Vergabeverfahren durchgeführt werden muss oder zumindest durchgeführt werden kann. Es muss daher jeweils im Einzelfall überprüft werden, ob der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist oder nicht. In der Praxis ist festzustellen, dass die Bundesagentur für Arbeit eine Vielzahl von Aufträgen im Wege formeller Vergabeverfahren vergibt, so z.B. die Verträge über ausbildungsbegleitende Hilfen, über berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, über die Ausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen sowie Trainingsmaßnahmen4.

224 Was speziell das SGB II angeht, so entspricht die Bestimmung des § 17 Abs. 2

SGB II (Einrichtungen und Dienste für Leistungen zur Eingliederung) dem Wortlaut nach der Regelung in den §§ 75 ff. SGB XII. Dies legt es – zumindest auf den ersten Blick – nahe, es handele sich auch insoweit grundsätzlich um Dienstleistungskonzessionen5. Mit Blick darauf, dass bei § 17 Abs. 2 SGB II zum einen kein sozialrechtliches Dreiecksverhältnis vorliegt, weil der Entgeltanspruch der Einrichtung nicht gegen den Arbeitssuchenden, sondern die Bundesagentur für Arbeit bzw. die zuständige Stelle gerichtet ist, und zum anderen kein Wunsch- und Wahlrecht der Arbeitssuchenden besteht6, dürften die überzeugenderen Argumente hier aber wohl für das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 Abs. 1 sprechen7. Unabhängig davon ist zu berücksichtigen,

1 Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (171). 2 Vgl. hierzu m.w.N. Winker in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 155. 3 VG München v. 30.4.2014 – M-18 K 12.6299, Sozialrecht aktuell 2015, 83 ff., Rz. 32. 4 Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224 (227). 5 Vgl. Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224 (227). 6 Ein Wunsch- und Wahlrecht ist im SGB II nicht ausdrücklich normiert. Ob ein solches Recht besteht, ist umstritten, wird von der (wohl) h.M. indes abgelehnt. Vgl. etwa Schröder, VergabeR 2007, 418 (422); sowie ferner auch Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (172). 7 In diesem Sinne Schröder, VergabeR 2007, 418 (425 f.).

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dass das SGB II auch hinsichtlich des Gebots der Angebots- und Trägervielfalt vom SGB XII und vom SGB VIII abweicht und das Gebot weniger eindeutig betont. Allerdings liegt es wegen der Ähnlichkeit der Zielgruppen und der Regelungen nahe, dass auch im SGB II das Gebot der Angebots- und Trägervielfalt gilt, da sich insbesondere auch die Rechtsprechung zum SGB XII auf die Rechtslage im SGB II übertragen lässt1. Das oben in Rz. 215–217 Gesagte gilt daher grundsätzlich entsprechend2. d) Verträge gemäß SGB V Das SGB V regelt insbesondere die vertragsrelevanten Tätigkeiten der gesetzli- 225 chen Krankenkassen. Diese sind in letzter Zeit zum vergaberechtlichen Dauerstreitthema geworden. Obwohl der deutsche Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15.12.20083 durch die Neufassung des § 69 Abs. 2 SGB V den Weg für die Anwendung des Vergaberechts geebnet und der EuGH die öffentliche Auftraggebereigenschaft der gesetzlichen Krankenversicherungen festgestellt hat4, ist in diesem Bereich immer noch vieles umstritten und nicht abschließend geklärt. aa) Arzneimittelrabattverträge Bei den Arzneimittelrabattverträgen ist zunächst grundlegend danach zu unter- 226 scheiden, ob diese Generika oder patentgeschützte Arzneimittel betreffen. Während die Ausschreibungspflicht im Generikabereich mittlerweile anerkannt ist und nur noch das „Wie“ der Ausschreibung zahlreiche Rechtsfragen aufwirft (vgl. dazu sogleich Rz. 227 ff.), ist hinsichtlich der patentgeschützten Originalpräparate nicht einmal die Frage des „Ob“ einer Ausschreibungspflicht abschließend geklärt (vgl. Rz. 231)5. Die Arzneimittelrabattverträge für Generika sind charakterisiert durch eine 227 hohe Komplexität, hervorgerufen einerseits durch die insgesamt vier Beteiligten (pharmazeutisches Unternehmen, Apotheker, Krankenkasse und Patient/Versicherter) sowie die zwischen ihnen bestehende Fülle von Leistungsbeziehungen: So bezieht der Apotheker die Arzneimittel von dem Pharmaunternehmen gegen Zahlung des Kaufpreises und gibt diese an den Versicherten ab. Seine Vergütung erhält er gem. § 31 Abs. 2 SGB V von der Krankenkasse, die jedoch die Zuzahlung, die der Versicherte gem. § 31 Abs. 3 SGB V zu leisten hat, sowie die Abschläge nach den §§ 130, 130a SGB V von der Vergütung abzieht. Ein Teil der 1 2 3 4 5

Vgl. Iwers, LKV 2008, 1 (4); Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (172). So auch Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (173 ff.). BGBl. I 2008, 2426. EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07, NJW 2009, 2427 ff. – Oymanns. Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Vergütung des Apothekers besteht daher in der Zuzahlung des Versicherten sowie den Abschlägen des Pharmaunternehmens, welches dieses gem. § 130a Abs. 1 Satz 2 SGB V an den Apotheker zu erstatten hat. Der Versicherte selbst hat grundsätzlich gegen seine Krankenkasse einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln gem. § 31 SGB V und ist seinerseits gegenüber der Krankenkasse zur Entrichtung der gesetzlichen Beiträge verpflichtet. Die Arzneimittelrabattverträge knüpfen konkret an den Abschlägen an, die das Pharmaunternehmen gem. § 130a SGB V einzuräumen hat. Nach § 130a Abs. 8 SGB V können die Krankenkassen oder ihre Verbände zusätzlich zu den Zwangsabschlägen nach § 130a Abs. 1 und 2 SGB V Rabatte mit dem Pharmaunternehmen für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel vereinbaren. Im Unterschied zu § 130a Abs. 1 Satz 2 SGB V machen die Krankenkassen diesen Rabatt aber nicht beim Apotheker geltend, dem er dann vom Pharmaunternehmen erstattet wird. Vielmehr erfolgt die Auszahlung des Rabatts direkt vom Pharmaunternehmen an die Krankenkassen (§ 130a Abs. 8 Satz 2 SGB V). Regelmäßig umfassen die Rabattverträge auch eine vertragsstrafenbewehrte Lieferverpflichtung des Pharmaunternehmens, damit dieses sich nicht durch Nichtlieferung einer Rabattgewährung entziehen kann. Darüber hinaus ist die sog. Autidem-Regelung des § 129 SGB V zu berücksichtigen, wonach die Apotheker (nach Maßgabe eines Rahmenvertrags) verpflichtet sind, ein verordnetes Arzneimittel durch ein preisgünstigeres wirkstoffgleiches Medikament zu ersetzen, soweit der Arzt das Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffgleichheit verordnet oder die Ersetzung nicht ausgeschlossen hat. Die Ersetzung hat gem. § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V vorrangig durch ein Medikament zu erfolgen, für das ein Rabattvertrag gem. § 130a Abs. 8 SGB V besteht. Nach dem Wortlaut von § 129 Abs. 1 SGB V stellt die Ersetzung den Regel- und der Ausschluss der Ersetzung den Ausnahmefall dar. Damit der Arzt aber nicht zu oft von dieser Ausschlussmöglichkeit Gebrauch macht, sondern vorrangig rabattierte Medikamente verordnet, sind im Gesetz Anreize vorgesehen, und zwar insbesondere in Form einer Freistellung von der sog. Bonus-Malus-Regelung, nach der ein Arzt bei Überschreitung der für bestimmte Krankheiten festgelegten Tagestherapiekosten Umsatzeinbußen erleidet (§ 84 Abs. 4a und 7a SGB V). Zudem können die Krankenkassen gem. § 31 Abs. 3 Satz 5 SGB V die vom Versicherten zu leistende Zuzahlung für rabattierte Arzneimittel um die Hälfte ermäßigen oder aufheben, wenn hieraus Einsparungen zu erwarten sind. In der Gesamtschau ergibt sich somit ein umfassendes gesetzliches Anreizsystem zur Absatzlenkung auf von Rabattverträgen umfasste Arzneimittel mit der Folge, dass für Hersteller, die mit den Krankenkassen keinen Rabattvertrag geschlossen haben, nur noch äußerst geringe Produktabsatzmöglichkeiten bestehen, soweit wirkstoffgleiche Präparate vorhanden sind1. 1 Ausführlich dazu und m.w.N. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (274 f.); Stolz/Kraus, VergabeR 2008, 1 ff.

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Bei der Qualifizierung der Arzneimittelrabattverträge als öffentliche Aufträge 228 i.S.v. § 103 Abs. 1 erscheint zunächst problematisch, ob eine Beschaffung der öffentlichen Auftraggeber, d.h. der Krankenkassen, vorliegt, da diese mit den Pharmaunternehmen lediglich die Gewährung von Rabatten auf die zu Lasten der Krankenkassen abgegebenen Medikamente vereinbaren. Es besteht jedoch weitgehend Einigkeit, dass insoweit eine funktionale Betrachtungsweise geboten ist, welche den gesamten Vorgang der Medikamentenverordnung und -beschaffung in den Blick nimmt. Danach ist festzustellen, dass einerseits der Versicherte gegenüber seiner Krankenkasse gem. § 31 SGB V einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln hat, andererseits hierfür das sog. Sachleistungsprinzip gilt (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Funktional betrachtet erhält daher der Versicherte die Medikamente von seiner Krankenkasse, während diese die Medikamente vorher vom Pharmaunternehmen bezogen hat. Dass der Versicherte die Medikamente vom Apotheker ausgehändigt bekommt, ist dabei dem Apothekenmonopol geschuldet und ändert daran nichts. Demzufolge ist die Krankenkasse Abnehmer bzw. Beschaffer der Medikamente gegenüber dem Pharmaunternehmen1. Die Rechtsprechung hat teilweise auch bereits aus dem Umstand, dass die Rabattverträge regelmäßig eine Lieferverpflichtung des Pharmaunternehmens beinhalten, auf das Vorliegen eines Lieferauftrags geschlossen2. Da die Rabattverträge weder eine Zahlungs- noch eine Sachleistungspflicht der 229 Krankenkasse begründen, sondern umgekehrt das Pharmaunternehmen sogar verpflichten, den Rabatt an die Krankenkasse auszuzahlen und die Arzneimittel auszuliefern, erscheint – zumindest auf den ersten Blick – auch die Entgeltlichkeit dieser Verträge fraglich. Denn der Abschluss eines Rabattvertrages allein bedeutet nicht zwingend einen wirtschaftlichen Vorteil für die Vertragspartei3. Allerdings ist zu beachten, dass auch wenn den Pharmaunternehmen durch die Rabattverträge keine vertragliche Garantie für die Abnahme ihrer Arzneimittel eingeräumt wird, die oben dargestellten Anreizsysteme (vgl. Rz. 227) regelmäßig dazu führen, dass zumindest faktisch eine Absatzgarantie, jedenfalls aber eine Privilegierung im Wettbewerb besteht. Diese Privilegien stellen einen erheblichen wirtschaftlichen (geldwerten) Vorteil dar, so dass die Entgeltlichkeit zu bejahen ist4. Dies gilt umso mehr, wenn zusätzlich zu den gesetzlichen Anreizsystemen im Einzelfall als Gegenleistung die Gewährleistung einer gewissen Exklusivität für das pharmazeutische Unternehmen durch die Krankenkasse vereinbart wird, weil sich die Krankenkasse z.B. dazu verpflichtet, in der Laufzeit des Vertrags keine weiteren Rabattvereinbarungen zu den vertragsgegenständlichen Wirkstoffen zu schließen5 oder Informationsschreiben an ihre Mitglieder sowie Pres1 Vgl. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (276); Stolz/Kraus, VergabeR 2008, 1 (7); Gabriel, NZS 2007, 344 (348); Burgi, NZBau 2008, 480 (484). 2 OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VII-Verg 51/07, NZBau 2008, 194 (196). 3 Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 70 Rz. 10. 4 Ausführlich dazu und m.w.N. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (276). 5 Vgl. Stolz/Kraus, VergabeR 2008, 1 (3 f.); sowie Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (275).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe semitteilungen abzusetzen, in denen der Bezug von Arzneimitteln bestimmter Hersteller, mit denen ein Rabattvertrag geschlossen wurde, empfohlen wird1. 230 Demzufolge werden Arzneimittelrabattverträge für Generika mittlerweile auch

von der ganz herrschenden Meinung als öffentliche Lieferaufträge i.S.v. § 103 Abs. 2 bzw. (zumindest) als Rahmenvereinbarungen2 und damit als grundsätzlich ausschreibungspflichtig angesehen3. Die Streitfragen, die im Bereich der Generika-Rabattverträge aktuell Gegenstand der Diskussion sind, betreffen daher weniger das „Ob“, sondern das „Wie“ der Ausschreibung; namentlich spielen Fragen der Auferlegung ungewöhnlicher Wagnisse4 und die Gestaltung der Wertungskriterien5 eine Rolle6. Da mehr und mehr Vergabe- und Vergabenachprüfungsverfahren gemeinsame Ausschreibungen mehrerer Krankenkassen betreffen, steht zudem zu erwarten, dass die in der vergaberechtlichen Judikatur bislang nicht abschließend beantwortete Frage an Bedeutung gewinnen wird, ob im Rahmen eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens auch kartellrechtliche Fragen, insbesondere des Missbrauchs- und Behinderungsverbots gemäß den §§ 19, 20 GWB zu prüfen sind7.

1 Vgl. Kaeding, PharmR 2007, 239 (245); sowie Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (275). 2 Ausführlich zu diesem Aspekt Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (277). 3 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 3.9.2009 – L 21 KR 51/09 SFB, VergabeR 2010, 126 ff.; OLG Düsseldorf v. 20.2.2008 – VII-Verg 7/08, BeckRS 2009, 05382; OLG Düsseldorf v. 17.1.2008 – VII-Verg 57/07, VergabeR 2008, 686 ff.; OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VIIVerg 51/07, VergabeR 2008, 73 ff.; VK Baden-Württemberg v. 30.12.2008 – 1 VK 51/08; VK Bund v. 19.11.2008 – VK 1-135/08; VK Bund v. 26.5.2009 – VK 2-30/09; VK Bund v. 10.4.2008 – VK 2-37/08; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-123/07; VK Bund v. 18.2.2009 – VK 3-158/08; VK Bund v. 30.1.2009 – VK 3-221/08; VK Düsseldorf v. 31.10.2007 – VK31/2007-L; Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (277); Gabriel, NZS 2009, 422 (424). 4 Insoweit ist die Rechtsprechung den anfänglichen Versuchen der Krankenkassen, den Bietern möglichst wenige Verordnungsdaten aus der Vergangenheit zur Verfügung zu stellen, entgegengetreten und hat deutlich gemacht, dass wegen der mit Rahmenverträgen bzw. rahmenvertragsähnlichen Vereinbarungen naturgemäß verbundenen Prognoserisiken jedenfalls die zur Verfügung stehenden Verordnungsdaten, bestenfalls untergliedert in Packungsgrößen, Wirkstoffstärke und Darreichungsform, mitgeteilt werden müssen, um den Bietern eine hinreichende Preisermittlung zu ermöglichen. So Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422 (424 f.) unter Hinweis auf LSG Stuttgart v. 27.2.2008 – L 5 KR 507/08 ER-B und L 5 KR 508/08 W-A, MedR 2008, 309 ff.; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-102/07 u.a.; VK Bund v. 10.4.2008 – VK 2-37/08; VK Düsseldorf v. 31.10.2007 – VK-31/2007-L. 5 Insoweit geht der Trend zunehmend zu rein wirkstoffbezogenen Ausschreibungen, bei denen im Einzelnen benannte Wirkstoffe jeweils ein eigenes Fachlos bilden, vgl. Gabriel/ Weiner, NZS 2009, 422, 425. 6 Vgl. Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422 (424) 7 Vgl. Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422 (425), die diese Frage unter Hinweis auf OLG Düsseldorf v. 21.2.2005 – VII-Verg 91/04, NZBau 2006, 266 (267), sowie den Wortlaut von § 69 Abs. 2 SGB V sowie dessen Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/10609, 66 f.) bejahen. Offensichtlich hiervon ausgehend auch VK Bund v. 24.2.2009 – VK 3-224/08; VK Bund v. 30.1.2009 – VK 3-221/08. Siehe ferner in diesem Zusammenhang auch Rz. 143.

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Hinsichtlich der Rabattverträge für patentgeschütze Originalpräparate ist die 231 Frage nach der Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs des Kartellvergaberechts – nach wie vor – nicht abschließend geklärt1; die Anzahl von Entscheidungen hierzu ist – soweit ersichtlich – auch überschaubar2. Zu unterscheiden ist die Frage der öffentlichen Auftragseigenschaft des Arzneimittelrabattvertrages über patentgeschütze Originialpräparate (s. dazu Rz. 232) von der Frage des Bestehens einer Ausschreibungspflicht (s. dazu Rz. 233). Dem Grunde nach setzt die Qualifizierung des Rabattvertrags als öffentlichen 232 Auftrag auch bei patentgeschützten Originalpräparaten die entgeltliche Lieferung von Arzneimitteln voraus3. Unterschiede zum generischen Bereich ergeben sich insbesondere daraus, dass die Begründung der Entgeltlichkeit hier nicht auf die Substitutionspflicht des Apothekers nach § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V gestützt werden kann, da diese bei patentgeschützten Originalpräparaten nicht anwendbar ist4. Zudem sollte die Wirkung der Auswahlentscheidung des Arztes im Hinblick auf die Originalpräparate besondere Berücksichtigung finden5. Ob aus dem Rabattvertrag für den pharmazeutischen Unternehmer ein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne eines Entgelts gem. § 103 Abs. 1 erwächst, hängt deshalb von einer Einzelfallanalyse der getroffenen Vereinbarung ab6. Bei der Beurteilung dieser 1 Bejahend OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VII-Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 ff., Rz. 52 ff.; OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12, NZBau 2013, 321 ff., Rz. 40. Verneinend VK Bund v. 1.2.2011 – VK 3-135/10, Rz. 265 f.; VK Bund v. 27.7.2016, VK 2-63/ 16, Rz. 50 ff. Vgl. ferner auch Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422 (425), die diese Frage unter Hinweis auf OLG Düsseldorf v. 21.2.2005 – VII-Verg 91/04, NZBau 2006, 266 (267), sowie den Wortlaut von § 69 Abs. 2 SGB V sowie dessen Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/10609, 66 f.) bejahen. Offensichtlich hiervon ausgehend auch VK Bund v. 24.2.2009 – VK 3-224/08; VK Bund v. 30.1.2009 – VK 3-221/08. 2 Vgl. Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 70 Rz. 18 ff. m.w.N. Die bekanntesten Fälle in diesem Bereich sind danach die Nachprüfungsverfahren zur De-facto-Vergabe eines Antianämika-Rabattvertrags der AOK Baden-Württemberg und zur Ausschreibung von „Rabattkooperationen“ nach § 130a Abs. 8 SGB V über TNF-Alpha-Blocker der Techniker Krankenkasse sowie eines Rabattvertrags nach § 130a Abs. 8 SGB V mehrerer AOK. 3 Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 70 Rz. 20. 4 Vgl. LSG Stuttgart v. 28.10.2008 – L 11 KR 481/08 ER-B, VergabeR 2009, 182 ff., mit Anm. Weiner. Im Fall chemisch-synthetisch hergestellter Originalpräparate mit Wirkstoffpatentschutz kann es bereits aus patentrechtlichen Gründen keine (zugelassenen) wirkstoffgleichen Arzneimittel i.S.v. § 129 Abs. 1 Satz 1 SGB V geben. Das Gleiche gilt für biologisch/biotechnologisch hergestellte Nachahmerpräparate (sog. Biosimilars). So Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 70 Rz. 22; Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422 (423); Kamann/Gey, PharmR 2009, 114 (118). 5 LSG Stuttgart v. 28.10.2008 – L 11 KR 481/08 ER-B, VergabeR 2009, 182 ff., mit Anm. Weiner. 6 OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VII-Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 ff., mit Anm. Amelung/Dörn, VergabeR 2008, 84; VK Bund v. 22.8.2008 – VK 2 – 73/08, IBRRS 2009, 3602;

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Frage ist zu berücksichtigen, inwieweit den vertraglichen Vereinbarungen eine der Lenkungs- bzw. Steuerungswirkung des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V vergleichbare Wirkung zukommt1 und ob der Rabattvertrag eine absatzfördernde Wirkung des durch ihn privilegierten Unternehmer begründet. Wobei über den bloßen Wortlaut der Vereinbarung hinaus geprüft werden muss, ob der Rabattvertrag in seiner Wirkung tatsächlich einen Wettbewerbsvorteil mit sich bringt2. Bedenken bestehen dann, wenn diese Beurteilung von einem Parteiverhalten nach Vertragsschluss abhängig gemacht werden soll. Denn grundsätzlich vermag die bloße Möglichkeit des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 103 Abs. 1 einen Vertrag nicht als einen öffentlichen Auftrag zu qualifizieren3. Gefordert werden muss jedenfalls ein bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehender Grad an Wahrscheinlichkeit4. Im Ergebnis ist die Einordnung des Rabattvertrags als öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 bei Verträgen über patentgeschützte Originalpräparate aus den genannten Gründen schwieriger als bei solchen aus dem generischen Bereich und setzt stets eine ausführliche Behandlung mit dem in Frage stehenden Vertrag voraus. Die Vielzahl der möglichen Ausgestaltungen der (parteiabhängigen) Vertragsmodalitäten tut dabei ihr Übriges. Eine pauschale und verallgemeinernde Lösung für die Qualifizierung der Rabattverträge als öffentliche Aufträge i.S.v. § 103 Abs. 1 für patentgeschütze Originalpräparate wird es nicht geben können. 233 Unklar war lange, ob für Arzneimittelrabattverträge über patentgeschütze Origi-

nalpräparate eine Ausschreibungspflicht besteht. Neuere Entscheidungen sprechen für die Annahme einer solchen Pflicht. Das OLG Düsseldorf betonte bereits im Jahre 20085 und bestätigte diese Rechtsprechung nochmals im Jahre 20136, dass auch Rabattverträge über patentgeschützte Arzneimittel nicht ipso iure ohne vorherige Bekanntmachung im Verhandlungsverfahren direkt an ein Unternehmen vergeben werden dürften. Dies wäre gem. § 3 EG Abs. 4 lit. c) VOL/A7 nur zulässig, wenn aufgrund des bestehenden Patents nur ein Anbieter

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Kamann/Gey, PharmR 2009, 114 (118); Kern, Arzneimittelbeschaffung durch die gesetzlichen Krankenkassen, 2012, 266 f. OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VII-Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 ff., mit Anm. Amelung/Dörn, VergabeR 2008, 84; VK Bund v. 22.8.2008 – VK 2 – 73/08, IBRRS 2009, 3602; Kamann/Gey, PharmR 2009, 114 (118); Kern, Arzneimittelbeschaffung durch die gesetzlichen Krankenkassen, 2012, 266 f. LSG Nordrhein-Westfalen v. 10.9.2009 – L 21 KR 53/09 STB, NZBau 2010, 458 ff. Vgl. in diesem Sinne EuGH v. 11.7.2013 – Rs. C-576/10, ZfBR 2013, 708 ff.; dazu Gabriel/ Schulz, EWS 2013, 401 (407). So z.B. der Fall gewesen in der Rechtssache EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, NZBau 2005, 704 ff. Rz. 83 – Stadt Mödling. OLG Düsseldorf v. 20.10.2008 – VII-Verg 46/08, VergabeR 2009, 173, 174 (insoweit noch zur Vorgängerbestimmung des § 3a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006). OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 25/13, VPR 2014, 92. Vormals § 3a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006 und nunmehr § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. c) VgV.

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in der Lage wäre, den Auftrag zu erfüllen. Letzteres hat das OLG Düsseldorf im streitgegenständlichen Fall verneint, da auch Re- und Parallelimporteure in der Lage waren, das nachgefragte Originalpräparat zu liefern1. Zudem hat das OLG Düsseldorf darauf hingewiesen, dass selbst dann, wenn die Voraussetzungen des § 3 EG Abs. 4 lit. c) VOL/A2 vorliegen, kein Anspruch auf eine Direktvergabe besteht, da die Krankenkassen im Rahmen ihres Ermessens frei darin sind, statt des Verhandlungsverfahrens ein wettbewerblicheres (offenes) Verfahren durchzuführen3. Dem hat sich die neuere Rechtsprechung angeschlossen4. Über die genannten Punkte hinaus sind im Bereich der Arzneimittelrabattver- 234 träge noch einige vergaberechtlich relevante Fragen offen und bedürfen der gerichtlichen Entscheidung5. Geklärt ist nunmehr allerdings die lange Zeit umstrittene Frage, wie sich die öffentliche Auftragseigenschaft zu einer Vereinbarung, die ein jederzeitiges Beitrittsrecht für andere pharmazeutische Unternehmer (sog. Open-House-Modelle) vorsieht, verhält6. Der EuGH verneint die öffentliche Auftragseigenschaft solcher Verträge7. Begründet wird dies vor allem damit, dass keine Auswahl zwischen den Bietern erfolge, so dass es dementsprechend auch zu keiner vertraglichen Exklusivität komme8. Um einen öffentlichen 1 OLG Düsseldorf v. 20.10.2008 – VII-Verg 46/08, VergabeR 2009, 173, 174 (insoweit noch zur Vorgängerbestimmung des § 3a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006). 2 Vormals § 3a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006 und nunmehr § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. c) VgV. 3 OLG Düsseldorf v. 20.10.2008 – VII-Verg 46/08, VergabeR 2009, 173 (174); so auch bereits die Vorinstanz VK Bund v. 22.8.2008 – VK 2-73/08. 4 Vgl. VK Baden-Württemberg v. 8.1.2013 – 1 VK 20/13, 1 VK 21/13, 1 VK 22/13, VPRRS 2014, 0312; OLG Karlsruhe v. 20.12.2013 – 15 Verg 6/13, BeckRS 2014, 08734; VK Bund v. 24.7.2013 – VK 3-62/13, VPR 2014, 1016. A.A. dagegen noch das LSG Baden-Württemberg (v. 28.10.2008 – L 11 KR 481/08 ER-B, VergabeR 2009, 182 ff., mit Anm. Weiner), welches das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 99 Abs. 1 GWB a.F. verneint und sich dabei maßgeblich auf das Fehlen einer dem öffentlichen Auftraggeber zurechenbaren Auswahlentscheidung gestützt hatte. Letzteres wurde damit begründet, dass zum einen ausschließlich der Arzt die Auswahl der zu verordnenden Arzneimittel treffe und zum anderen der Rabattvertrag bei patentgeschützten (nicht austauschbaren) Arzneimitteln mangels einer durch § 129 Abs. 1 Satz 1 SGB V vermittelten Absatzförderungsmöglichkeit keine Steuerungswirkung zugunsten des rabattierten Arzneimittels zukomme. Insofern bestehe ein wesentlicher Unterschied zu den Generika-Rabattverträgen. Überdies sah der dort streitgegenständliche Vertrag auch keine Exklusivrechte vor. 5 Vgl. hierzu die ausführliche Übersicht bei Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 70 Rz. 62 ff. 6 VK Bund v. 21.1.2015 – VK 2-113/14, PharmR 2015, 196 f.; vgl. zum Streitstand auch OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, PharmaR 2014, 472; Otting, NZBau 2010, 734; Zimmermann, NZW 2010, 739; Gabriel/Weiner, VergabR 2010, 142; Szon, NZS 2011, 245; Csaki/Freundt, NZS 2011, 766. 7 EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff. – Dr. Falk Pharma GmbH, mit Anm. Schabel, EuZW 2016, 708 f. 8 EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff. – Dr. Falk Pharma GmbH; OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, NZBau 2014, 654.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Auftrag handelt es sich indes nur dann, wenn der Auftraggeber eine Auswahlentscheidung vornimmt1. bb) Hilfsmittelversorgungsverträge 235 Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Versor-

gung mit sog. Hilfsmitteln. Die Versicherten können für die Versorgung mit Hilfsmitteln Leistungserbringer in Anspruch nehmen, jedoch grundsätzlich nur solche, mit denen ihre Krankenkasse einen Vertrag nach § 127 Abs. 1 SGB V abgeschlossen hat (§ 33 Abs. 6 SGB V)2. Für derartige Hilfsmittelversorgungsverträge sind zwei Formen denkbar: Die erste Form ist die Direktbeschaffung durch die Krankenkasse, bei der der Vertrag über die Lieferung einer bestimmten Anzahl von Hilfsmitteln zu einem bestimmten Preis geschlossen wird. Die zweite – häufigere – Form ist der Abschluss eines Rahmenvertrags3. Hilfsmittelversorgungsverträge sind regelmäßig öffentliche (Liefer-)Aufträge. Diskussionswürdig ist allenfalls das Merkmal der Entgeltlichkeit. Im Falle der Direktbeschaffung ist dies offenkundig, da die Krankenkasse die Auswahl hinsichtlich der zu beschaffenden Hilfsmittel trifft und gem. § 33 Abs. 7 Satz 1 SGB V den vertraglich vereinbarten Preis zu zahlen hat. Aber auch im Falle des Rahmenvertrags ist die Entgeltlichkeit gegeben. Denn zum einen erlangen die Leistungserbringer dadurch einen geldwerten Vorteil, dass die Versicherten gem. § 33 Abs. 6 Satz 1 SGB V nur Leistungserbringer in Anspruch nehmen können, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse sind. Zum anderen erwerben die Leistungserbringer gem. § 33 Abs. 7 Satz 1 SGB V stets einen direkten Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse4. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Krankenkassen aufgrund des Sachleistungsprinzips (§ 33 SGB V) selbst verpflichtet sind, die Leistung gegenüber ihren Versicherten zu erbringen. Vor diesem Hintergrund greift der zuweilen geltend gemachte Einwand, es handele sich hierbei um eine Leistungserbringung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis und damit um eine Dienstleistungskonzession, nicht durch5.

236 Der Umstand, dass das Kartellvergaberecht grundsätzlich auf Hilfsmittelversor-

gungsverträge Anwendung findet (vgl. Rz. 235), lässt zugleich durchgreifende Bedenken gegen den in § 127 Abs. 1 und 2 SGB V normierten Ermessens- und Zweckmäßigkeitsvorbehalt aufkommen, wonach die Krankenkassen von einer Ausschreibung absehen können sollen, wenn diese unzweckmäßig erscheint. Diese Befreiungsregelung kann in Ansehung des Anwendungsvorrangs des eu-

1 EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff. – Dr. Falk Pharma GmbH; OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, NZBau 2014, 654. 2 Siehe zur Wirtschaftlichkeit solcher Verträge SG Marburg v. 18.5.2016 – S 14 KR 120/15, BeckRS 2016, 72702. 3 Vgl. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (277 ff.). 4 Vgl. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (278 f.); ferner BT-Drucks. 16/3100, 103. 5 In diesem Sinne auch Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (278 f.).

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ropäischen Vergaberechts keinen Bestand haben. Denn über das Bestehen einer Ausschreibungspflicht kann der nationale Gesetzgeber nicht disponieren. Ausnahmen von der bestehenden Ausschreibungspflicht kann es nur geben, sofern diese entweder vom europäischen Vergaberecht selbst vorgesehen sind oder aber mangels öffentlichen Auftrags dieses schon keine Anwendung findet1. Insofern bedarf es einer europarechtskonformen Auslegung des § 127 Abs. 1 SGB V2. Denn Bereichsausnahmen sind lediglich in den in § 100 Abs. 2 abschließend aufgeführten Fällen zulässig3. Mithin unterfallen sämtliche Hilfsmittelversorgungsverträge dem Kartellvergaberecht4. Die gleichen Bedenken ergeben sich hinsichtlich der in § 127 Abs. 1a SGB V eingeführten Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen5. Noch nicht abschließend geklärte Probleme wirft ferner auch die Bestimmung 237 des § 127 Abs. 2a SGB V auf. Nach dieser sollen Leistungserbringer den Einzelverträgen gem. § 127 Abs. 2 Satz 1 SGB V – also nicht den durch Ausschreibung nach § 127 Abs. 1 SGB V geschlossenen Verträgen – zu den gleichen Bedingungen als Vertragspartner beitreten können, soweit sie nicht bereits zur Versorgung berechtigt sind. Geht man davon aus, dass sämtliche Hilfsmittelversorgungsverträge dem Kartellvergaberecht unterfallen (vgl. Rz. 235), spricht vieles dafür, dass auch § 127 Abs. 2a SGB V vom Anwendungsvorrang des europäischen Vergaberechts überlagert wird. Denn das dort normierte Beitrittsrecht zugunsten Dritter stellt sich letztlich als De-facto-Vergabe dar, welche zudem das Ziel einer Ausschreibung, das wirtschaftlichste Angebot herauszufiltern, konterkariert. Ließe man ein derartiges Beitrittsrecht zu, wäre zu beachten, dass hierdurch auch das Tatbestandsmerkmal der Entgeltlichkeit (vgl. insoweit auch Rz. 232) entscheidend beeinflusst würde, da der Vorteil, den die (Vor-)Auswahlentscheidung der Krankenkasse für die ausgewählten Leistungserbringer mit sich bringt, aufgrund der jederzeitigen Beitrittsmöglichkeit sämtlicher Unternehmen, die zur Leistungserbringung willig sind, nahezu vollständig entwertet würde6. Dies hat auch das LSG Nordrhein-Westfalen unter Aufhebung einer anderslautenden, erstinstanzlichen Entscheidung der VK Bund festgestellt7. An einem öffentlichen Auftrag fehle es, da der Vertragsschluss mangels Auswahlentscheidung in dem zu entscheidenden Fall keine Exklusivität begründe8. Im Kern 1 EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07, NJW 2009, 2427 ff., Rz. 59 – Oymanns, mit Anm. Kingreen, NJW 2009, 2417. 2 Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 68 Rz. 27 ff. 3 In diesem Sinne auch Gabriel, NZS 2007, 344 (345 m.w.N.). 4 So auch Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (278). 5 So auch Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 68 Rz. 27. 6 Vgl. zum Ganzen auch Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (279). 7 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 14.4.2010 – L 21 KR 69/09 u. 67/09 SFB (vorhergehend VK Bund v. 12.11.2009 – VK 3-193/09). 8 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 14.4.2010 – L 21 KR 69/09 u. 67/09 SFB, mit Anm. Gabriel, VergabeR 2010, 1026 ff.; Esch, MPR 2010, 156 (160).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe geht es bei dieser Diskussion um dieselbe Problematik wie bei den sog. OpenHouse-Modellen, deren öffentliche Auftragseigenschaft der EuGH ablehnt (s. hierzu Rz. 234). Auch bei Verträgen nach § 127 Abs. 2a SGB V dürfte es sich deshalb nicht um öffentliche Aufträge i.S.d. § 103 Abs. 1 handeln. cc) Verträge zur integrierten Versorgung 238 Die integrierte Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V räumt den Krankenkassen

die Möglichkeit ein, in Abweichung von dem sog. Kollektivvertragssystem Selektivverträge mit den in § 140b Abs. 1 SGB V genannten möglichen Vertragspartnern zu schließen. Im Unterschied zur hausarztzentrierten Versorgung (vgl. Rz. 240 ff.) haben die Krankenkassen jedoch ein Ermessen, ob sie solche Verträge schließen; sind hierzu aber nicht verpflichtet. Ziel ist die Verbesserung der Effizienz und der Qualität der Versorgung durch Überwindung der sektoralen und disziplinären Aufspaltung der Versorgungsstrukturen1. Insbesondere sollen typische Schnittstellenprobleme (Wartezeiten, Doppeluntersuchungen, Behandlungsdiskontinuitäten etc.) gelöst werden2. Der Inhalt solcher Verträge kann vielgestaltig sein3. Auch bei dieser Versorgungsform können die Krankenkassen Prämien oder Zuzahlungsermäßigungen gewähren (§ 53 Abs. 3 SGB V). Nach allgemeiner Auffassung stellen die Verträge zur integrierten Versorgung regelmäßig öffentliche Aufträge i.S.v. § 103 Abs. 1 dar4. Denn zum einen treten die Krankenkassen – ähnlich wie bei den Rabattverträgen (vgl. Rz. 226 ff.) – bei funktionaler Betrachtung als Nachfrager am Markt auf5. Zum anderen ist in der Regel auch eine Entgeltlichkeit gegeben. Ein für die Bejahung des § 103 Abs. 1 erforderlicher (aber auch hinreichender) wirtschaftlicher bzw. geldwerter Vorteil liegt dann vor, wenn die vertraglichen Abreden tatsächlich zur Förderung der Inanspruchnahme des Vertragspartners führen. Zwar erfolgt die konkrete Auswahl der Leistungserbringer erst durch die Versicherten und ist die Teilnahme an der integrierten Versorgung für die Versicherten freiwillig (Recht auf freie Arztwahl). Allerdings besteht auch bei diesen Verträgen – ähnlich wie bei den Rabattverträgen (vgl. Rz. 227 und 229) – ein Anreizsystem, das die Auswahl der Versicherten steuert. So können die Krankenkassen etwa den Leistungserbringern Exklusivitätsrechte 1 Siehe zu Voraussetzungen BSG v. 2.7.2014 – B 6 KA 16/14 B, NZS 2014, 716; LSG Sachsen-Anhalt v. 17.3.2016 – L 6 KR 70/12, MedR 2016, 1019 ff. 2 Vgl. v. Schwanenflügel, NZS 2006, 285 (287); Kingreen, MedR 2004, 188 (191); Beule, GesR 2004, 209; Quaas, VSSR 2004, 175 (177); Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (279); Gabriel, NZS 2007, 344 (345). 3 Vgl. mit einigen Regelbeispielen Quaas, VSSR 2004, 175 (191); sowie Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (279). 4 Vgl. VK Bund v. 10.6.2015 – VK 2-41/15, VPR 2015, 221; EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/ 07, NJW 2009, 2427 ff., insb. Rz. 67 ff. – Oymanns; Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (279 f.); Gabriel, NZS 2007, 344 (348 ff.). 5 Vgl. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (280); Gabriel, NZS 2007, 344 (348); Nesselmann/Motz, MedR 2005, 498 (500).

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einräumen, die Konkurrenten von den Lieferungen und Leistungen ausschließen. Zudem können die Krankenkassen den Versicherten einen Anspruch auf einen Bonus für gesundheitsbewusstes Verhalten einräumen (§ 65a SGB V), wenn sie Maßnahmen der integrierten Versorgung wählen. Schließlich müssen die Krankenkassen Versicherten, die an besonderen Versorgungsformen teilnehmen, zu denen auch die integrierte Versorgung gehört, Wahltarife anbieten (§ 53 Abs. 3 Satz 1), und können sie für diese Versicherten Prämienzahlungen oder Zuzahlungsermäßigungen vorsehen (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB V)1. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang ferner, dass die grundsätzliche ver- 239 gaberechtliche Pflicht zur Ausschreibung nicht umgangen werden darf. Hierauf hat das OLG Düsseldorf hingewiesen2. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall schloss eine gesetzliche Krankenkasse ohne ein geregeltes Vergabeverfahren über eine integrierte Versorgung einen Managementvertrag (§ 140b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V) und beauftragte das Managementunternehmen seinerseits einen nichtärztlichen Leistungserbringer (Medizinproduktehersteller, § 140b Abs. 1 S. 1 Nr. 9 SGB V) mit Lieferungen. Da eine solche Praktik – so das OLG Düsseldorf – geeignet sei, die Marktverhältnisse zu monopolisieren und überdies dem Wettbewerbsprinzip des § 97 Abs. 1 und des europäischen Rechts widerspreche, unterfalle der Lieferauftrag dem Anwendungsbereich des Vergaberechts. dd) Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung werden gem. § 73b Abs. 4 240 Satz 1 SGB V von den Krankenkassen mit den in § 73b Abs. 4 Satz 2 SGB V genannten möglichen Vertragspartnern (Vertragsärzten, Gemeinschaften von Vertragsärzten etc.) geschlossen. Einzelheiten zur Auslegung der Norm sind Gegenstand anhaltender Diskussion3. Ebenso wie bei den Verträgen zur integrierten Versorgung handelt es sich hier um Selektivverträge mit dem Ziel der Durchbrechung des bisherigen Kollektivvertragssystems. Im Unterschied zur integrierten Versorgung sind die Krankenkassen jedoch gesetzlich verpflichtet, ihren Versicherten eine hausarztzentrierte Versorgung anzubieten. Für die Versicherten ist die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung gem. § 73b Abs. 3 Satz 1 SGB V indes freiwillig. Nehmen sie jedoch teil, dürfen sie mindestens ein Jahr nur einen Hausarzt in Anspruch zu nehmen, mit dem die Krankenkasse einen Vertrag geschlossen hat, und (mit Ausnahme von Augen- und Frauenärz1 Ausführlich und jeweils m.w.N. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (280 f.); Gabriel, NZS 2007, 344 (348 f.). 2 OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – VII-Verg 15/12, VergabeR 2013, 42 ff. 3 So z.B. die Art und Anzahl möglicher Vertragspartner, die Frage der Fortgeltung der Stichtagsregelung gem. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V oder die Frage eines etwaigen Kontrahierungszwangs. Vgl. zum Ganzen die instruktive Übersicht bei Gabriel in Gabriel/ Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 67 Rz. 6 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe ten) nur Fachärzte aufsuchen, an die der Hausarzt sie überwiesen hat. Im Gegenzug können die Krankenkassen diesen Versicherten kraft Satzung Prämien oder Zuzahlungsermäßigungen gewähren (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB V). Entsprechend dem in Rz. 238 Gesagten erfüllen auch die Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung grundsätzlich die Voraussetzungen eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 Abs. 11. Dies ist zwischenzeitlich auch von der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt2. Zwar ist auch insoweit – einschränkend – zu berücksichtigen, dass die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung freiwillig ist. Allerdings besteht ein breit gefächertes Anreizsystem, das dem Versicherten diese Möglichkeit nahelegt. Hat sich der Versicherte jedoch für eine Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung entschieden, dann erhalten die Vertragspartner der Krankenkasse eine Exklusivchance, in Anspruch genommen zu werden. Der Vertragsschluss der Krankenkassen führt also auch insoweit zu einer Vorauswahl der Dienstleister und verschafft Letzteren damit einen wirtschaftlichen (geldwerten) Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten3. 241 Gleichwohl besteht für die Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung im

Ergebnis keine Ausschreibungspflicht nach den Bestimmungen des Kartellvergaberechts der §§ 97 ff. Dies folgt aus der – vergaberechtlichen bzw. bereichsspezifischen Sondervorschrift4 – des § 73b Abs. 4 Satz 5 SGB V, wonach für die nach § 73b Abs. 5 Satz 3 und 4 abzuschließenden Verträge das Erfordernis einer Ausschreibung unter „Aufforderung zur Abgabe eines Angebots […] unter Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien“ vorgeschrieben wird. Hieraus lässt sich im Umkehrschluss folgern, dass der Gesetzgeber für den Abschluss von Verträgen nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V keine Ausschreibungspflicht vorgesehen hat. So kann zum einen aus § 73b Abs. 4 Satz 5 SGB V gefolgert werden, dass der Gesetzgeber für die nach § 73b Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V zu schließenden Verträge offensichtlich keine Ausschreibungspflicht nach den Bestimmungen des Kartellvergaberechts der §§ 97 ff. gewollt hat, denn anderenfalls wäre die 1 Ebenso Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (281). Dies legt auch bereits § 73b Abs. 4 Satz 4 SGB V nahe, wonach die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots unter Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien (öffentlich) auszuschreiben ist. 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 3.8.2011 – VII-Verg 6/11, VergabeR 2012, 72 ff. (a.A. zuvor indes VK Bund v. 2.7.2010 – VK 1-52/10); LSG Nordrhein-Westfalen v. 3.11.2010 – L 21 SF 208/10 Verg, BeckRS 2011, 68286. 3 Vgl. Goodarzi/Schmid, NZS 2008, 518 (523); Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (281); Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 67 Rz. 27. 4 Vgl. insoweit – für die entsprechende Vorschrift des § 73c Abs. 3 Satz 3 SGB V a.F. – das OLG Düsseldorf v. 3.8.2011 – VII-Verg 6/11, VergabeR 2012, 72, das aufgrund des Charakters dieser Vorschrift als bereichsspezifisches (Sonder-)Vergaberecht insbesondere auch davon ausgeht, dass die sozialrechtlichen Vorschriften, die eine Ausschreibungspflicht für bestimmte Verträge vorsehen, in einem Vergabenachprüfungsverfahren i.S.d. §§ 155 ff. überprüft werden können. Vgl. zum Ganzen auch Gabriel in Gabriel/Krohn/ Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 67 Rz. 32 ff.

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Bestimmung in § 73b Abs. 4 Satz 5 SGB V überflüssig. Zum anderen kann aus der Beschränkung der sozialrechtlichen Ausschreibungspflicht gem. § 73b Abs. 4 Satz 5 SGB V auf die Verträge nach § 73b Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V darauf geschlossen werden, dass für die Verträge gem. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers keine Ausschreibungspflicht – sei es vergaberechtlich oder sozialrechtlich – gelten soll1. Im Hinblick auf die bereichsspezifische Sondervergaberechtsvorschrift des § 73b 242 Abs. 4 Satz 5 SGB V bzw. die sich daraus ergebenden Ausnahmen drängt sich die Frage nach deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht auf. Insoweit ist zu beachten, dass Art. 74 ff. der Richtlinie 2021/24/EU die im Einzelnen im Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU aufgeführten sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen erleichterten Beschaffungsregelungen unterstellen, wenn der Schwellenwert gem. Art. 4 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU i.H.v. 750.000 € (netto) erreicht wird (s. hierzu insb. auch Rz. 248 ff.). Gemäß Art. 76 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU besteht – europarechtlich – lediglich die Pflicht, im Vergabeverfahren die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Unternehmen einzuhalten. Zudem sind gem. Art. 75 der Richtlinie 2014/24/EU die beabsichtigte Vergabe sowie die Ergebnisse des Vergabeverfahrens unionsweit bekannt zu machen. Weitere Verfahrensanforderungen gibt es auf der Ebene des Europarechts praktisch nicht (können aber durch das nationale Recht im Sinne einer sog. überschießenden Umsetzung aufgestellt werden). Gemessen hieran erscheinen zumindest die nationalen Vorgaben für Verträge i.S.v. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V zweifelhaft. Hinsichtlich der Verträge i.S.v. § 73b Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V dürfte das Ergebnis dagegen von den konkreten Einzelfallumständen der jeweiligen Vergabe (Auftragswert, nachträgliche Vergabebekanntmachung etc.) abhängen. ee) Verträge mit Vereinbarungsanspruch geeigneter Leistungserbringer Eine besondere Gruppe von Verträgen bilden die Versorgungsverträge, auf deren 243 Abschluss alle geeigneten Leistungserbringer einen Anspruch gegen die Krankenkassen haben. Dies gilt für Verträge über die Versorgung mit Haushaltshilfe, häuslicher Krankenpflege, Krankentransportleistungen und Schutzimpfungen2 1 So Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 67 Rz. 29. 2 Hinsichtlich der Verträge über die Versorgung mit Schutzimpfungen gem. § 132e SGB V geht der Gesetzgeber zwar nicht von einem solchen Anspruch aus (vgl. BT-Drucks. 16/ 4247, 47). Diese Begründung wird jedoch unter Berufung auf § 132e Abs. 1 Satz 2 SGB V für nicht tragfähig gehalten. Danach haben die Krankenkassen sicherzustellen, dass insbesondere die in der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte sowie Fachärzte für Arbeitsmedizin und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, berechtigt sind, Schutzimpfungen zu Lasten der Krankenkasse vorzunehmen. Vgl. Schneider in juris PraxisKommentar SGB V, § 132e Rz. 7.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe (§§ 132, 132a, 132e und 133 SGB V). Es ist zu berücksichtigen, dass § 69 Abs. 4 SGB V, der die Verwendung „hauseigener Verfahren“, die von §§ 119 Abs. 1, 130 Abs. 1 Satz 1 abweichen, erlaubt1, für diese Verträge jedenfalls nicht anwendbar sein dürfte. Nach § 69 Abs. 4 SGB V gelten die dort enthaltenen Abweichungsmöglichkeiten nur bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge gem. § 63 SGB V und § 140a SGB V über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden. 244 Die VK Bund hatte sich in einer jüngeren Entscheidung mit der vergaberecht-

lichen Behandlung von Leistungen nach §§ 132 Abs. 1 (Versorgung mit Haushaltshilfe) und § 132a Abs. 2 (Versorgung mit häuslicher Krankenpflege) SGB V zu befassen, die eine Krankenkasse zur Versorgung ihrer Versicherten in einem Rahmenvertrag ausgeschrieben hatte. In ihrem Beschluss vom 1.6.20122 bejahte die VK Bund insbesondere das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags. Dieser Annahme stünde nicht die Auffassung entgegen, dass durch den Beteiligungsanspruch der Leistungserbringer die verfahrensgegenständliche Leistung nicht exklusiv an einzelne Vertragspartner vergebern werden dürfe. Denn die Krankenkassen seien sehr wohl berechtigt, eine exklusive Auswahl einzelner Vertragspartner im Wege einer öffentlichen Ausschreibung vorzunehmen und die übrigen Leistungserbringer dementsprechend auszuschließen. Denn um der Sachleistungspflicht aus § 2 Abs. 2 SGB V nachzukommen, sei es den Krankenkassen gem. § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB V3 und § 132a Abs. 1 Satz 1 SGB V ausdrücklich gestattet, mit entsprechenden Leistungserbringern Verträge abzuschließen (Vertragsmodell). Die Krankenkassen träfe damit eine Auswahlbefugnis. Der Auswahlbefugnis stehe dabei auch nicht das Recht der Patienten, ihre Leistungserbringer selbst auszuwählen, entgegen. Denn aufgrund der durch die Zuschlagserteilung getroffenen Vorauswahl könnten die jeweiligen Patienten keine anderen als die Zuschlagsgewinner für die jeweilige Versorgungsleistung auswählen und seien damit in ihrer eigenen Auswahl eingeschränkt4. So könne die Einstufung der Verträge nach §§ 132, 132a SGB V als öffentliche Aufträge i.S.d. § 103 Abs. 1 als Grund für die Pflicht zur Ausschreibung angeführt werden5.

245 Dem Vergaberecht ist ferner die Beschaffung von Schutzimpfungsleistungen

nach § 132e SGB V unterworfen. Nach § 132e Abs. 1 SGB V können Krankenkassen oder ihre Verbände mit Kassenärztlichen Vereinigungen, geeigneten Ärzten einschließlich Betriebsärzten, deren Gemeinschaften, Einrichtungen mit geeignetem ärztlichen Personal oder dem öffentlichen Gesundheitsdienst Ver-

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Vertiefend Becker/Kingreen in Becker/Kingreen, SGB V, 5. Aufl. 2017, § 69 Rz. 59. VK Bund v. 1.6.2012 – VK 1-46/12. Vormals § 132 Abs. 1 Satz 2 SGB V a.F. VK Bund v. 1.6.2012 – VK 1-46/12, juris Rz. 55 ff.; vgl. auch Csaki, Vergaberecht im Gesundheitswesen, S. 48, Rz. 61. 5 Csaki, Vergaberecht im Gesundheitswesen, S. 48, Rz. 59 f.

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träge über die Durchführung von Schutzimpfungen nach § 20i Abs. 1 und 2 SGB V abschließen. Insoweit besteht die Möglichkeit zur Ausschreibung selektiver Impfstoffversorgungsverträge1. Nach § 132e Abs. 2 SGB V können Krankenkassen zur Beschaffung der Impfstoffe Verträge mit pharmazeutischen Unternehmen schließen. Dabei können Rabatte auf den einheitlichen Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens vereinbart werden, sofern die Impfstoffe keiner Preisbindung durch die Arnzeimittelpreisverordnung unterfallen. Impfstoffe unterliegen dabei nicht der Preisbindung, wenn sie von Apotheken direkt an Arztpraxen für Impfungen in der Praxis geliefert werden2. Die Anwendung des Vergaberechts folgt aus dem Verweis in § 132e Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB V auf § 130a Abs. 8 SGB V3. Denn nach dem Wortlaut des § 130a Abs. 8 Satz 7 SGB V ist „der Vielfalt der Anbieter Rechnung zu tragen“. Nach §§ 132 Abs. 1 Satz 3, § 132a Abs. 2 Satz 6, 132e Abs. 1 Satz 6 SGB V ist im 246 Falle einer Nichteinigung eine unabhängige Schiedsperson hinzuzuziehen, welche den Vertragsinhalt bestimmt. Der Vergabe stehen die jeweiligen Schiedsverfahrensregelungen jedoch nicht entgegen. Denn die Durchführung eines Schiedsverfahrens setzt einen bestehenden Vertrag oder jedenfalls die freiwillige Anbahnung eines Vertragsverhältnisses voraus. Im Wege des Schiedsverfahrens werden dann lediglich noch streitige Einzelaspekte geklärt4. Nach § 133 SGB V ist eine Versorgung mit Krankentransportleistungen sicher- 247 zustellen. § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V normiert die Verpflichtung, durch Vergütungsvereinbarungen i.S.d. § 133 Abs. 1 Satz 2 SGB V eine flächendeckende rettungsdienstliche Versorgung sicherzustellen. Deshalb ist eine hinreichende Anzahl von Vertragsvereinbarungen, welche Krankentransportleistungen betreffen, abzuschließen. Laut Beschluss des BVerfG vom 8.6.20105 darf dabei die Zulassung einer Krankentransportleistung von einer Bedarfsprüfung abhängig gemacht werden. Die Bedarfsabhängigkeit der Zulassung von Berufsträgern zu Notfallrettung und Krankentransport vermeidet demnach die Entstehung von Überkapazitäten und somit einen Konkurrenzkampf unter den Leistungserbringern, der die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes gefährdet6. Bei Erreichen des einschlägigen Schwellenwertes durch den abzuschließenden Vertrag ist sodann die Auswahlentscheidung als Vergabeverfahren durchzuführen7. 1 Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 71 Rz. 9 f. 2 Welti in Becker/Kingreen, SGB V, § 132e Rz. 6, Murawski in Hänlein/Schuler, SGB V, § 132e Rz. 3. 3 Murawski in Hänlein/Schuler, SGB V, § 132e Rz. 3 sowie § 130a Rz. 21. 4 VK Bund v. 1.6.2012 – VK 1-46/12. 5 BVerfG v. 8.6.2010 – 1 BvR 2011/07, NVwZ 2010, 1212 ff. 6 BVerfG v. 8.6.2010 – 1 BvR 2011/07, NVwZ 2010, 1212 ff., Rz. 89 ff. 7 BVerfG v. 8.6.2010 – 1 BvR 2011/07, NVwZ 2010, 1212 ff., Rz. 81; BGH v. 1.12.2088 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84, 87 ff.; Knitten in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 133 SGB V Rz. 6. A.A. Kingreen in Becker/Kingreen, SGB V, § 133

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe e) Verfahrensregeln für die Vergabe von sozialen Dienstleistungen 248 Die Verfahrensregeln für die Vergabe von sozialen (und anderen besonderen)

Dienstleistungen ergeben sich aus § 130 GWB und §§ 64 ff. VgV, welche ihrerseits vor dem Hintergrund der Bestimmungen in Art. 4 lit. d) und 74 ff. der Richtlinie 2014/24/EU zu sehen sind.

249 Mit der neuen Richtlinie 2014/24/EU wurde insbesondere die vormals beste-

hende Differenzierung für Dienstleistungen aus dem Gesundheits-, Veterinär und Sozialwesen zwischen sog. vorrangigen bzw. prioritären A-Dienstleistungen und nachrangigen bzw. nicht-prioritären B-Dienstleitungen gemäß Anhang II Teil B Kategorie 25 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG aufgegeben. Für Letztere galten gem. Art. 21 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/ 18/EG lediglich die Art. 23 und 35 Abs. 4 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG. Grundsätzlich wurde daher mit der Novellierung der Vergaberichtlinien der bestehende Anwendungsvorrang des europäischen Vergaberechts bekräftigt; die Besonderheiten des Sozialrechts rechtfertigen keine pauschale Ausnahme dieses Bereichs vom europäischen Vergaberecht. Gleichzeitig stellt der Erwägungsgrund 114 der Richtlinie 2014/24/EU aber auch fest/klar: „Bestimmte Dienstleistungskategorien haben aufgrund ihrer Natur nach wie vor lediglich eine begrenzte grenzüberschreitende Dimension, insbesondere die sogenannten personenbezogenen Dienstleistungen, wie etwa bestimmte Dienstleistungen im Sozial-, im Gesundheits- und im Bildungsbereich. Diese Dienstleistungen werden in einem besonderen Kontext erbracht, der sich aufgrund unterschiedlicher kultureller Traditionen in den einzelnen Mitgliedstaaten stark unterschiedlich darstellt. Für öffentliche Aufträge zur Erbringung dieser Dienstleistungen sollte daher eine spezifische Regelung festgelegt werden und ein höherer Schwellenwert gelten als der, der für andere Dienstleistungen gilt.“ Mit Blick hierauf wird zum einen gem. Art. 4 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU für soziale (und andere besondere) Dienstleistungen im Sinne von Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU ein deutlich erhöhter Schwellenwert i.H.v. 750.000 € (netto) festgesetzt. Zum anderen gelten gem. Art. 74 ff. der Richtlinie 2014/24/EU deutlich erleichterte Beschaffungsregelungen. So besteht gem. Art. 76 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2021/24/EU die Pflicht, im Vergabeverfahren die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Unternehmen einzuhalten. Zudem sind gem. Art. 75 der Richtlinie 2014/24/EU die beabsichtigte Vergabe sowie die Ergebnisse des Vergabeverfahrens unionsweit bekannt zu machen1. Rz. 17 m.w.N., welcher die Anwendbarkeit des Vergaberechts aufgrund eines Anspruchs auf Abschluss einer Vergütungsvereinbarung ausschließt. Mangels einer für den öffentlichen Auftrag gem. § 103 konstitutiven Auswahlentscheidung liege kein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 vor. Daher seien nur die sich aus den europäischen Grundfreiheiten ergebenden Transparenz- und Gleichbehandlungsgebote zu beachten. 1 Vgl. hierzu auch Höfer/Nolte, NZS 2015, 441 (446).

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Weitere Verfahrensanforderungen gibt es auf der Ebene des Unionsrechts praktisch nicht, können aber durch das nationale Recht im Sinne einer sog. überschießenden Umsetzung aufgestellt werden. Der deutsche Gesetzgeber hat diese (vgl. Rz. 249) vom Unionsrecht eröffneten 250 Freiheitsgrade nicht voll ausgeschöpft. Insbesondere hat er davon abgesehen, ein eigenständiges „Sozialvergaberecht“ im Sinne des vom europäischen Richtliniengeber als zulässig erachteten „Vergaberechts light“ zu schaffen. Vielmehr wurden – im Interesse der Flexibilität der öffentlichen Auftraggeber – lediglich punktuelle Erleichterungen geschaffen1. Diese betreffen insbesondere die Wahl der Verfahrensart (vgl. § 130 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 VgV), die erweiterte Möglichkeit von vergaberechtsfreien Vertragsänderungen (vgl. § 130 Abs. 2), die verlängerte maximale Regellaufzeit von Rahmenvereinbarungen (vgl. § 65 Abs. 2 VgV), die Verwendung bieterbezogener Zuschlagskriterien (vgl. § 65 Abs. 3 VgV) sowie Erleichterungen im Hinblick auf Frist- (vgl. § 65 Abs. 4 VgV) und Bekanntmachungserfordernisse (vgl. § 66 Abs. 3 VgV)2.

§ 104 Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge (1) Verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge sind öffentliche Aufträge, deren Auftragsgegenstand mindestens eine der folgenden Leistungen umfasst: 1. die Lieferung von Militärausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze, 2. die Lieferung von Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben wird, einschließlich der dazugehörigen Teile, Bauteile oder Bausätze, 3. Liefer-, Bau- und Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der in den Nummern 1 und 2 genannten Ausrüstung in allen Phasen des Lebenszyklus der Ausrüstung oder 4. Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bau- und Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben werden. (2) Militärausrüstung ist jede Ausrüstung, die eigens zu militärischen Zwecken konzipiert oder für militärische Zwecke angepasst wird und zum Einsatz als Waffe, Munition oder Kriegsmaterial bestimmt ist. 1 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/6281, S. 114 ff. 2 Vgl. Leinemann/Zoller, VergabeNews 2016, 98 ff.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge (3) Ein Verschlusssachenauftrag im Sinne dieser Vorschrift ist ein Auftrag im speziellen Bereich der nicht-militärischen Sicherheit, der ähnliche Merkmale aufweist und ebenso schutzbedürftig ist wie ein Auftrag über die Lieferung von Militärausrüstung im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 oder wie Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke im Sinne des Absatzes 1 Nummer 4, und 1. bei dessen Erfüllung oder Erbringung Verschlusssachen nach § 4 des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes oder nach den entsprechenden Bestimmungen der Länder verwendet werden oder 2. der Verschlusssachen im Sinne der Nummer 1 erfordert oder beinhaltet. I. II. III. 1.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . Europarechtliche Grundlagen Kommentierung Bedeutung und Entstehung der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich a) Ausnahme gem. Artikel 346 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erreichen des maßgeblichen Schwellenwertes . . . . . . . . . c) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . d) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt der Vorschrift . . . . . . . a) Grundkategorien . . . . . . . . aa) Militärische Zwecke . . . bb) Militärausrüstung . . . . cc) Verschlusssachenauftrag dd) Abgrenzung zur allgemeinen Ausnahme des § 107 Abs. 2 GWB . . . . b) Leistungskategorien aa) Lieferung von Militärausrüstung . . . . . . . . .

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bb) Lieferung von Ausrüstung im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze . . . . . . . . . . . . . . . cc) Liefer-/Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit in aa) und bb) genannter Ausrüstung . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bauund Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben werden . . . . . . 4. Vergaben im Unterschwellenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bauleistung . . . . . . . . . . . . . b) Liefer-/Dienstleistung . . . . . . 5. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung 1 Mit dem Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung

und Sicherheit1 wurde die Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments

1 Gesetz v. 13.12.2011, BGBl. I 2011, 2570.

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Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge | § 104

und des Rates v. 13.7.2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit1 in deutsches Recht umgesetzt. Die Umsetzung erfolgte für die gesetzesrelevanten Vorschriften im Teil 4 des GWB2 und für die Verfahrensregeln in der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit – VSVgV3 (Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen) sowie in der VOB/A-VS4 (VOB/A-3. Abschnitt – Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Bauleistungen). Aufgrund ihrer Bedeutsamkeit wurde damit die Auftragsvergabe im Bereich der 2 Verteidigung und Sicherheit in ein spezielles Regime innerhalb der deutschen Vergaberechtsstruktur eingeordnet. Indem dem Vergaberecht bei der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Leistungen eine vom klassischen Vergaberecht abgegrenzte Rolle zugedacht wird, wird dem Ansinnen der Richtlinie 2009/81/EG Rechnung getragen, eine europäische rüstungstechnologische undindustrielle Basis zu fördern, zu entwickeln und zu unterhalten, die fähigkeitsgetrieben, kompetent und wettbewerbsfähig ist und auf einen echten europäischen Markt für Verteidigungsgüter unter gleichen Wettbewerbsbedingungen abzielt.5

II. Europarechtliche Grundlagen Grundlage der Regelungen zu den verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öf- 3 fentlichen Aufträgen ist die Richtlinie 2009/81/EG. Sie ist speziell zugeschnitten auf die Vergabe von Leistungen, die eine besondere Rücksichtnahme auf die Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten erfordern. Damit wird ein Rechtsrahmen geschaffen, der einerseits bei der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen Transparenz und Wettbewerb gewährleistet und andererseits die besonderen Belange der Auftraggeber berücksichtigt.6 Es handelt sich bei den geschlossenen Verträgen um „öffentliche Aufträge“.7 Be- 4 grifflich besteht kein Unterschied zum klassischen und zum Sektorenvergabe1 ABl L 216 v. 20.8.2009, S. 76. 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1750, zuletzt geändert durch VergaberechtsmodernisierungsG v. 17.2.2016, BGBl. I 2016, 203. 3 Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) v. 12.7.2012, BGBl. I 2012, 1509, zuletzt geändert durch Art. 5 Vergaberechtsmodernisierungsverordnung v. 12.4.2016, BGBl. I 2016, 624. 4 Vergabe- und Vertragsverordnung für Bauleistungen Ausgabe 2012 v. 31.7.2009, BAnz. Nr. 155, ber. 2010 Nr. 36 (die Abschnitte 2 und 3 der VOB/A – Ausgabe 2012 – wurden durch Bekanntmachung v. 24.11.2011 im BAnz. Nr. 182a v. 2.12.2011 bekannt gegeben). 5 Vgl. Erwägungsgrund 3 Richtlinie 2009/81/EG. 6 Hermann/Polster, Die Vergabe von sicherheitsrelevanten Aufträgen, NVwZ 2010, 341. 7 S. Artikel 1 Nr. 2 RL 2009/81/EG.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge recht. Konkret umgesetzt werden mit § 104 GWB die Vorschriften der Artikel 1 Nummern 2, 6, 7 und 8 sowie Artikel 2 der Richtlinie 2009/81/EG. 5 Artikel 1 Nr. 2 der Richtlinie 2009/81/EG stellt klar, dass es sich bei dem Begriff

des „Auftrages“ um denjenigen im Sinne der übrigen Vergaberichtlinien (jetzt Richtlinien 2014/24/EU1 und 2014/25/EU2) handelt. Während die Nummern 6, 7 und 8 die Begriffe „Militärausrüstung“, „sensible“ Leistungen sowie „Verschlusssachen“ definieren, legt Artikel 2 den Anwendungsbereich fest.

6 Bei Aufträgen, die nach den Vorgaben der Richtlinie 2009/81/EG zu vergeben

sind, muss es sich um solche aus den Bereichen Verteidigung und Sicherheit handeln, die folgendes zum Gegenstand haben:3

7 – Die Lieferung von Militärausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile,

Bauteile und/oder Bausätze; – die Lieferung von sensibler Ausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile und/oder Bausätze; – Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit den o.g. Ausrüstungen in allen Phasen ihres Lebenszyklus; – Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder sensible Bauleistungen und sensible Dienstleistungen.

III. Kommentierung 1. Bedeutung und Entstehung der Regelung 8 Wegen ihrer Spezialität und Sensibilität wurde im europäischen Vergaberecht

die Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer Leistungen von der sog. klassischen Auftragsvergabe abgegrenzt. Die Normen des GWB Teil 4 spiegeln diese Struktur wider indem sie diesem Bereich mit § 104 sowie den §§ 144 ff. ebenfalls ein gesondertes und abgegrenztes Vergaberegime zuordnen.

9 § 104 ist Ausgangsvorschrift und Weichenstellung für die Vergabe von Aufträ-

gen im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich.4 Die Norm steht in einem engen inhaltlichen Zusammenhang mit den §§ 117 und 144 bis 147 GWB. Die für das Vergabeverfahren einzuhaltenden Vorschriften zur Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer Leistungen ergeben sich aus der VSVgV sowie der VOB/ A-VS (s.o. Rz. 1).

1 Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.2.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe, ABl. L 94 v. 28.3.2014, S. 65. 2 Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.2.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. L 94 v. 28.3.2014, S. 243. 3 S. Artikel 2 RL 2009/81/EG. 4 Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 104 Rz. 2.

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Begrifflich war bislang die Rede von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten 10 Aufträgen. Deren Definition fand sich in § 99 Abs. 7 bis 9 GWB a.F. wieder. Mit der jüngsten Reform des Vergaberechts wurde im Zuge der umfassenden Umstrukturierung des Teils 4 des GWB mit § 104 eine eigenständige Definition geschaffen. Im Zuge der Neufassung der europäischen Vergaberichtlinien wurde in den Arti- 11 keln 15 bis 17 der Richtlinie 2014/24/EU und 24 bis 26 Richtlinie 2014/25/EU die Kategorie von „Aufträgen, die Verteidigungs- und Sicherheitsaspekte“ umfassen, eingeführt. Zur besseren Abgrenzung derjenigen Aufträge, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG fallen, wurde der Begriff geschärft und in „verteidigungs- und sicherheitsspezifisch“ abgeändert.1 Woraus konkret sich die „Schärfung“ ergibt, lässt der Gesetzgeber allerdings offen. Die Gesetzesbegründung äußert sich hierzu nicht.2 Eine zwingende Notwendigkeit einer Begriffsänderung aufgrund der neuen Richtlinien ergibt sich jedenfalls nicht. Soweit öffentliche Aufträge lediglich Verteidigungs- und Sicherheitsaspekte ent- 12 halten und nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG unterfallen, also keine verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträge gemäß § 104 GWB sind, finden die Vorschriften der Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU und damit des klassischen oder des Sektorenvergaberechts Anwendung. Aufträge mit Verteidigungs- und Sicherheitsaspekten, die letztlich nach den 13 Vorschriften des klassischen Vergaberechts zu vergeben sind, können Beschaffungen durch militärische Auftraggeber z.B. von Fahrzeugen betreffen, die nicht Militärausrüstung sind oder im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags verwendet werden sollen. Aber auch das Bereitstellen von Verpflegung oder das Reinigen von Wäsche3 sind denkbar. § 117 GWB legt besondere Ausnahmen für die Vergaben von Aufträgen mit 14 Verteidigungs- und Sicherheitsaspekten fest. Auf dessen Kommentierung wird verwiesen. 2. Anwendungsbereich a) Ausnahme gem. Artikel 346 AEUV Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union4 (AEUV) sieht Aus- 15 nahmen von der Anwendung seiner Grundsätze und damit auch Ausnahmen 1 S. Begründung zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz (VergRModG) zu § 104 GWB, BT-Drucks. 18/6281. 2 S. Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts – VergRModG, Begründung zu § 104 GWB, BT-Drucks. 18/6281. 3 Vgl. Dippel in Müller/Wrede, GWB Kommentar, § 104, Rz. 3. 4 ABl. EG Nr. C 115 v. 9.5.2008, S. 47.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge des von ihm abgeleiteten Rechts – damit auch der Richtlinie 2009/81/EG – vor. Nach Artikel 346 Absatz 1b AEUV dürfen verteidigungs- und sicherheitsspezifische Auftragsvergaben vom europäischen Vergaberecht ausgenommen werden. Dies bedeutet, dass verteidigungs- oder sicherheitsspezifische Auftragsvergaben nicht der Anwendung des Vergaberechts unterfallen, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt ist oder der Schutz der wesentlichen Sicherheitsinteressen eines Mitgliedstaats dies gebietet.1 Daher sieht § 107 Absatz 2 GWB einen dementsprechenden Ausnahmetatbestand vor. Ist dieser erfüllt, kommen weder § 104 GWB noch in der Folge der gesamte Teil 4 des GWB zur Anwendung.2 16 Der Rückgriff auf diese Ausnahme soll restriktiv gehandhabt werden. Nur wenn

dies aus den genannten Gründen der öffentlichen Sicherheit oder wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen erforderlich ist, darf sie in Anspruch genommen werden. Dabei muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Beachtung finden. Die Nichtanwendung muss sowohl den verfolgten Zielen angemessen sein als auch die Option darstellen, die den freien Warenverkehr und die Dienstleistungsfreiheit am wenigsten behindert.3 b) Erreichen des maßgeblichen Schwellenwertes

17 Maßgeblich im Weiteren für die Eröffnung des Anwendungsbereiches des spezi-

ellen Regimes der verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträge ist das Erreichen oder Überschreiten bestimmter Schwellenwerte, die sich aus § 106 Abs. 2 Nr. 3 GWB.4 ergeben. c) Persönlicher Anwendungsbereich

18 Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Spezialnorm. Sie definiert legal, was

unter den speziellen verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen zu verstehen ist. Ein persönliches Element fehlt. Da sich die Vorschriften des GWB Teil 4 an Auftraggeber nach § 98 richten, ist die Vorschrift für diese maßgeblich und von ihnen im Falle der öffentlichen Auftragsvergabe zu beachten.

19 Der Wortlaut erfasst ausschließlich die Vergabe öffentlicher Aufträge, nicht aber

von Konzessionen. Daher umfasst der persönliche Anwendungsbereich lediglich

1 2 3 4

S. Artikel 2 sowie Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2009/81/EG. Im Einzelnen wird auf die Kommentierung zu § 107 Absatz 2 GWB verwiesen. S. Erwägungsgrund 17 der Richtlinie 2009/81/EG. Ab dem 1.1.2016 beträgt der Schwellenwert für verteidigungs-/sicherheitsspezifischer Liefer- und Dienstleistungen 418 000 Euro sowie für entsprechende Bauleistungen 5 225 000 Euro; s. Verordnung (EU) 2015/2340 der Kommission v. 15.12.2015 zur Änderung der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für Auftragsvergabeverfahren, ABl. L 330 v. 16.12.2015, S. 14.

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öffentliche Auftraggeber (§ 99 GWB) und Sektorenauftraggeber (§ 100 GWB). Konzessionsgeber nach § 101 GWB sind vom persönlichen Anwendungsbereich nicht erfasst. Folglich hat der Gesetzgeber im Rahmen der Änderung des § 1 Abs. 1 VSVgV1 diese dort auch nicht aufgeführt. d) Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich ist durch die Legaldefinition vorgegeben. Be- 20 troffen sind verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge. Je nach Leistungsart (Liefer-/Dienstleistung oder Bauleistung) des Auftrages sind entweder die VSVgV oder die VOB/A-VS als Verfahrensvorschriften bei der Auftragsvergabe maßgeblich. Nicht umfasst ist die Vergabe von Konzessionen nach § 105 GWB (s.o. Rz. 19). Sämtliche in § 103 Abs. 1 GWB genannten öffentlichen Aufträge können vertei- 21 digungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge sein. § 104 GWB bestimmt keinen eigenständigen, neuen Typ eines öffentlichen Auftrags sondern lediglich eine bestimmte Kategorie innerhalb der bestehenden Definition des öffentlichen Auftrags.2 Es handelt sich um einen Unterfall des § 103 Absatz 1 GWB. Ihre Verteidigungs- oder Sicherheitsrelevanz erhalten die Aufträge durch ihren 22 besonderen Auftragsgegenstand.3 Umfasst der Auftragsgegenstand der geforderten Leistung mindestens eine der in den Nummern 1 bis 4 aufgeführten Kategorien (s.u.), ist der sachliche Anwendungsbereich eröffnet. Es reicht aus, wenn im Rahmen eines entsprechenden Leistungsmixes eine der aufgeführten Leistungen umfasst ist. Über die §§ 1 und 2 Abs. 1 VSVgV sind für die Vergabe von verteidigungs- oder 23 sicherheitsspezifischen Liefer- und Dienstleistungen des § 104 GWB die Vorgaben der VSVgV anzuwenden. Im Falle der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Bauleistungen findet gemäß § 2 Abs. 2 VSVgV die VOB/ A-VS Anwendung. 3. Inhalt der Vorschrift Die Definition verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge 24 erfolgt in Absatz 1. Im Wesentlichen hat sich gegenüber der bisherigen Vorschrift des § 99 Abs. 7 GWB a.F. nichts geändert. Der Auftragsgegenstand muss 1 Vergaberechtsmodernisierungsverordnung-VergRModVO v. 12.4.2016, Artikel 5, Änderung der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (BGBl. I 2016, 624 [712] v. 14.4.2016). 2 So auch Wegener inPünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 99 GWB a.F. Rz. 102. 3 Scherer-Leydecker, Verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge – Eine neue Auftragskategorie im Vergaberecht, NZBau 2012, 533.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge mindestens eine von bestimmten, in Absatz 1 beschriebenen Leistungen umfassen. Die Norm legt vier Kategorien (Leistungskategorien) fest, denen bestimmte Grundkategorien (s. Absatz 2) zugrunde liegen.1 a) Grundkategorien 25 Es kann sich überhaupt erst um einen verteidigungs- oder sicherheitsspezifi-

schen Auftrag handeln, wenn eine der folgenden Grundkategorien betroffen ist: aa) Militärische Zwecke

26 Die Grundkategorie „Bestimmung zu militärischen Zwecken“ sollte ursprüng-

lich einen objektiven und einen subjektiven Aspekt haben: Einerseits musste die Ausrüstung objektiv zu militärischen Zwecken konzipiert oder angepasst sein. Andererseits musste sie subjektiv zu militärischen Zwecken „bestimmt“ sein. Beide Aspekte sollten kumulativ zusammentreten müssen.2 Dies bedeutete letztlich eine Ausweitung des Anwendungsbereichs, die sich gerade in Bezug auf sogenannte Dual-Use-Güter (s.u.) auswirkt.3

27 Allerdings hat der EuGH seine Rechtsprechung entscheidend geändert.4 Danach

müssen die Leistungen lediglich einen objektiv spezifisch militärischen Charakter aufweisen.5 Nicht der beabsichtigte Verwendungszweck durch den Auftraggeber ist für die Einordnung der Leistung maßgeblich, sondern die ihr zu Grunde gelegte Konzeption.6

bb) Militärausrüstung 28 Militärausrüstung ist eigens zu militärischen Zwecken konzipierte Ausrüstung

oder für militärische Zwecke angepasste Ausrüstung und ist bestimmt zum Einsatz als Waffen, Munition oder Kriegsmaterial.7 Diese der Richtlinie 2009/81/EG entsprechende Definition wurde unverändert in § 104 Absatz 2 GWB übernommen.

1 Vgl. Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 104 Rz. 1 u. 17. 2 Vgl. EuGH v. 8.4.2008 – Rs. C-337/05, NZBau 2008, 401; Wegener in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 99 GWB a.F. Rz. 108 m.w.N. 3 Hölzl, Keine Ausschreibungspflicht für militärisch und zivil nutzbares Produkt – „Ins Tiimi Oy“, NZBau 2012, S. 509. 4 EuGH v. 7.6.2012 – Rs. C-615/10, NZBau 2013, 509. 5 Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 104 Rz. 31 f. m.w.N.; ebenso: Dippel in Müller/Wrede, GWB Kommentar, § 104, Rz. 25 f. m.w.N. 6 Im Einzelnen hierzu: Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 104 Rz. 33 ff. m.w.N. 7 S. Artikel 1 Nummer 6 RL 2009/81/EG.

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Unter Ausrüstung ist jeder Gegensand zu verstehen, der dazu dient, jemandem 29 eine bestimmte Zweckerreichung zu ermöglichen.1 Dies können körperliche (z.B. Sachen i.S.d. § 90 BGB) aber auch nichtkörperliche Gegenstände (z.B. Software, Daten, Informationen, Energie oder Rechte) sein.2 Zu militärischen Zwecken konzipiert ist eine Ausrüstung dann, wenn sie allein 30 für die Nutzung durch die Streitkräfte vorgesehen und geschaffen ist. Für militärische Zwecke angepasst ist eine Ausrüstung, die ursprünglich anderen als militärischen Zwecken dienen sollte, deren Zweck aber durch Änderungs- oder Ergänzungsmaßnahmen auf die Verwendung durch die Streitkräfte umgewidmet wurde.3 Erfasst sind hierdurch insbesondere die in der zu Artikel 346 AEUV erlasse- 31 nen Liste aufgeführten Waffen, Munition und Kriegsmaterial (Kriegswaffenliste vom 15.4.1958).4 Allerdings hat die Liste keinen konstitutiven Charakter. Sie ist generisch zu verstehen und aufgrund ihres Alters und technologischem Stand weit auszulegen um auch neue Entwicklungen darunter fassen zu können.5 Sogenannte Dual-Use-Güter (Güter, die sowohl für militärische als auch zivile 32 Zwecke verwendbar sind) sind militärische Ausrüstung, wenn sie zu militärischen Zwecken konzipiert wurden und auch für zivile Zwecke verwendet werden können oder zu zivilen Zwecken entwickelt und zu militärischen Zwecken angepasst wurden.6 Dual-Use-Güter sind dann nicht Militärausrüstung, wenn sie für einen zivilen Zweck konzipiert wurden und lediglich auch militärisch genutzt werden können. In diesem Fall fehlt es ihnen an dem objektiv spezifischen militärischen Charakter (s.o. Rz. 27). cc) Verschlusssachenauftrag Der Verschlusssachenauftrag ist ein Auftrag im speziellen Bereich der nichtmili- 33 tärischen Sicherheit, der ähnliche Merkmale aufweist und ebenso schutzbedürftig ist wie ein Auftrag über die Lieferung von Militärausrüstung oder wie Bauund Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke.

1 Vgl. Scherer-Leydecker, Verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge – Eine neue Auftragskategorie im Vergaberecht, NZBau 2012, 533. 2 Scherer-Leydecker, Verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge – Eine neue Auftragskategorie im Vergaberecht, NZBau 2012, 533. 3 Vgl. Dippel in Müller/Wrede, GWB Kommentar, § 104 Rz. 12 f. 4 S. Ratsentscheidung Nr. 255/58, ABl. EG Nr. C 354 E v. 20.12.2001, S. 85. 5 S. Erwägungsgrund 10 RL 2009/81/EG; Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 104 Rz. 30. 6 Horstkotte/Hünemörder, Vergabe von Aufträgen im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich, LKV 2015, S. 541 m.w.N.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge 34 Hinzukommen muss, dass

– bei der Erfüllung oder der Erbringung des Auftrages Verschlusssachen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz1 (SÜG) oder nach entsprechenden Länderbestimmungen verwendet werden oder – der Auftrag Verschlusssachen i.S.d. SÜG erfordert oder beinhaltet. 35 Nach § 99 Abs. 9 GWB a.F. war der Verschlusssachenauftrag als ein Auftrag für

Sicherheitszwecke definiert. Die Neufassung bezieht den Begriff des Verschlusssachenauftrages auf den speziellen nichtmilitärischen Bereich. Hierdurch sollte klargestellt werden, dass im speziellen Bereich der nichtmilitärischen Sicherheit nach Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2009/81/EG diese auch für Beschaffungen gelten sollte, die ähnliche Merkmale aufweisen, wie Beschaffungen im Verteidigungsbereich und ebenso sensibel sind.2

36 Eine Änderung oder gar Einschränkung des Anwendungsbereiches dürfte da-

mit nicht verbunden sein. Wird im Bereich der Verteidigung nichtmilitärische Ausrüstung eingekauft, findet die VSVgV nur Anwendung, wenn dies – wie im Nicht-Verteidigungsbereich auch – im Rahmen eines Verschlusssachenauftrages geschieht. Für die Beschaffung von militärischer Ausrüstung ist es dagegen unerheblich, ob dies im Rahmen eines Verschlusssachenauftrages geschieht oder nicht, da allein die Tatsache, dass die Beschaffung Militärausrüstung betrifft, die VSVgV zur Anwendung bringt.

37 Wann ein Auftrag ähnliche Merkmale aufweist und ähnlich schutzbedürftig ist

wie ein Auftrag über die Lieferung von Militärausrüstung oder wie Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke, geht aus dem Gesetzeswortlaut nicht hervor. Die Gesetzesbegründung äußert sich hierzu nicht.

38 Hierzu kann auf Erläuterungen der Richtlinie 2009/81/EG zurückgegriffen werden.

Erwägungsgrund 11 spricht von Bereichen, in denen militärische und nicht-militärische Einsatzkräfte bei der Erfüllung derselben Missionen zusammenarbeiten und /oder die Beschaffung dazu dient, die Sicherheit der Union und/oder der Mitgliedstaaten auf ihrem Hoheitsgebiet oder darüber hinaus von ersten Bedrohungen durch nicht-militärische und/oder nichtstaatliche Akteure zu schützen. Dies kann den Grenzschutz, polizeiliche Tätigkeiten und Kriseneinsätze einschließen.

39 Ein Verschlusssachenauftrag ist ein Auftrag bei dessen Erfüllung oder Ausfüh-

rung Verschlusssachen i.S.d. § 4 SÜG3 oder entsprechender Bestimmungen der

1 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes-SÜG v. 20.4.1994 (BGBl. I, 867), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes v. 3.12.2015 (BGBl. I 2015, 2161). 2 S. Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts – VergRModG, Begründung zu § 104 Abs. 3 GWB, BT-Drucks. 18/6281. 3 Sicherheitsüberprüfungsgesetz v. 20.4.1994 (BGBl. I, 867) zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes v. 3.12.2015 (BGBl. I 2015, 2161).

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Länder verwendet werden, Verschlusssachen erfordern oder beinhalten. Ist dies der Fall, so ist der Auftrag insgesamt als Verschlusssachenauftrag zu klassifizieren. Ausreichend ist, dass der zukünftige Leistungserbringer potenziell, sei es körperlich oder elektronisch, bei der Auftragsausführung Kontakt zu Verschlusssachen erhält.1 Nach § 4 SÜG sind Verschlusssachen im öffentlichen Interesse geheimhaltungs- 40 bedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform. Sie werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung eingestuft. Das SÜG definiert 4 Einstufungskategorien: (1) VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, wenn die Kenntnisnahme durch 41 Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann, (2) VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die In- 42 teressen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann, (3) GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der 43 Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann, (4) STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand 44 oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann. Das OLG Düsseldorf hat es als ausreichend angesehen, dass die Vergabeunterla- 45 gen zum großen Teil als VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH bezeichnet wurden, im Vergabeverfahren Vertraulichkeit gelten sollte und auch für die Auftragsausführung Vertraulichkeit vereinbart war.2 dd) Abgrenzung zur allgemeinen Ausnahme des § 107 Abs. 2 GWB Betrachtet man die unterschiedlichen Kategorien bzw. Stufen des § 4 SÜG, ist zu 46 erkennen, dass die Einstufungen GEHEIM und STRENG GEHEIM Anlass dazu geben, in solchen Fällen von einer Ausnahme des Vergaberechts auszugehen. Einerseits qualifiziert eine solche Einstufung den Auftrag als verteidigungs- und sicherheitsrelevant i.S.d. § 104, andererseits kann die Voraussetzung für eine Ausnahme gemäß § 107 Abs. 2 gegeben sein. Bei § 107 GWB handelt es sich um eine allgemeine Ausnahmevorschrift. Folg- 47 lich gilt diese auch und insbesondere für öffentliche Aufträge, die nicht verteidi1 S. VK Bund v. 3.6.2013 – VK 2-31/13; Dippel in Müller/Wrede, GWB Kommentar, § 104 Rz. 48. 2 OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge gungs- und sicherheitsspezifisch sind. Es stellt sich in Anbetracht der genannten Einstufungsgrade des § 4 SÜG die Frage, ob es überhaupt einen Anwendungsbereich für die Klassifizierung eines Auftrages als verteidigungs- und sicherheitsspezifisch aufgrund einer Einstufung als GEHEIM oder STRENG GEHEIM gibt. Denn nach § 107 Abs. 2 GWB, der – wie beschrieben – als allgemeine Ausnahme auch für verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge Anwendung findet, wäre er von der Anwendung des Teils 4 des GWB auszunehmen.1 Letztlich wird der öffentliche Auftraggeber im konkreten Einzelfall zu entscheiden haben, ob das spezielle Regime der verteidigungs- und sicherheitsrelevanten öffentlichen Aufträge oder die allgemeine Ausnahme des § 107 Abs. 2 GWB zur Anwendung kommt. 48 Zu den Voraussetzungen der besagten Ausnahme und deren Anwendungs-

bereich wird auf die Kommentierung zu § 107 Abs. 2 GWB verwiesen.

b) Leistungskategorien aa) Lieferung von Militärausrüstung 49 Erfasst von dieser Leistungskategorie sind Lieferaufträge i.S.v. § 103 Abs. 2 GWB

bei denen es um die Beschaffung von Militärausrüstung (s.o. Rz. 28 ff.), insbesondere deren Kauf, Ratenkauf oder Leasing, Miete oder Pacht mit oder ohne Kaufoption geht. bb) Lieferung von Ausrüstung im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze

50 Auch hier ist wie bei der Lieferung von Militärausrüstung mit Lieferung zu-

nächst ein Lieferauftrag i.S.v. § 103 Abs. 2 GWB gemeint. Der Wortlaut umfasst die Lieferung von Ausrüstung. Da der Verschlusssachenauftrag einen Auftrag im nicht-militärischen Bereich darstellt, ist unter Ausrüstung jeder nicht-militärische Gegenstand zu verstehen, der dazu dient, eine bestimmte Zweckerreichung zu ermöglichen (s.o. Rz. 29). Hierunter fallen alle Sachmittel, auf die Behörden im Bereich der Sicherheit (u.a. Polizeien von Bund und Ländern, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Katastrophenschutz) zurückgreifen.2 Die Lieferung der Ausrüstung muss im Zusammenhang mit einem Verschlusssachenauftrag stehen.

1 Zur Problematik dieser „Doppelfunktion“ s. Voll, Der novellierte Regelungsrahmen zur Vergabe verteidigungs- und sicherheitsrelevanter öffentlicher Aufträge – Wertungswidersprüche und Zirkelschlüsse, NVwZ 2013, 120, 123. 2 Vgl. Dippel in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 104 Rz. 33.

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cc) Liefer-/Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit in aa) und bb) genannter Ausrüstung Die Vorschrift regelt, dass alle Liefer-, Bau- und Dienstleistungen, die im unmit- 51 telbaren Zusammenhang mit der Lieferung von Militärausrüstung stehen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrages vergeben werden, in allen Phasen ihres Lebenszyklus als verteidigungs- und sicherheitsspezifisch zu kategorisieren sind. Erfasst werden demnach auch die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Lieferung von Militärausrüstung stehenden Liefer-, Bau- und Dienstleistungen. Im unmittelbaren Zusammenhang steht die Liefer-, Bau- oder Dienstleistung 52 dann, wenn sie der Lieferung von Militärausrüstung dient oder deren zweckentsprechende Verwendung erst ermöglicht. Lebenszyklus meint alle aufeinanderfolgenden Phasen, die ein Produkt durch- 53 läuft, d.h. Forschung und Entwicklung, industrielle Entwicklung, Herstellung, Reparatur, Modernisierung, Änderung, Instandhaltung, Logistik, Schulung, Erprobung, Rücknahme und Beseitigung.1 dd) Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bauund Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben werden Auch Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke, die im Rah- 54 men eines Verschlusssachenauftrages vergeben werden, rechnen zu den verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen. Der militärische Zweck ergibt sich daraus, dass die Bau- oder Dienstleistung al- 55 lein für die Nutzung durch die Streitkräfte vorgesehen und geschaffen ist (s.o. Rz. 26 f.). 4. Vergaben im Unterschwellenbereich Die Anwendung des speziellen Vergaberegimes für verteidigungs- und sicher- 56 heitsspezifische öffentliche Aufträge hängt vom Erreichen der maßgeblichen Schwellenwerte (s.o. Rz. 17) ab. Werden diese nicht erreicht, sind die sich aus dem Haushaltsrecht ergebenden Vergabevorschriften2 maßgeblich. Hier sehen weder VOL/A-1. Abschnitt noch VOB/A-1. Abschnitt für die Vergabe von ver1 Artikel 1 Nummer 26 Richtlinie 2009/81/EG. 2 Die dem Haushaltsrecht zugehörigen Vergabevorschriften sind § 30 HGrG, § 55 BHO, VV zu § 55 BHO sowie die VOL/A-1.Abschnitt und die VOB/A-1.Abschnitt. Im Bereich der Länder gelten die jeweiligen Landeshaushaltsordnungen (LHOen) einschließlich der hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften oder Erlasse. Ebenfalls auf Länderebene zu berücksichtigen sind ggf. die unterschiedlichen Landesvergabegesetze.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge teidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen besondere Regelungen vor. Folglich sind sie für die Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge in gleicher Weise anwendbar wie zur Vergabe „üblicher“ öffentlicher Aufträge. 57 Allerdings können im Falle von Geheimhaltungserfordernissen die Vorausset-

zungen für eine Beschränkte Ausschreibung nach § 3 Abs. 3 Buchst. b VOL/A bzw. § 3a Abs. 2 Nummer 3 VOB/A oder eine Freihändige Vergabe nach § 3 Abs. 5 lit. f) VOL/A bzw. § 3a Abs. 4 Nr. 5 VOB/A gegeben sein. Wann dies der Fall ist, wird z.T. unterschiedlich betrachtet:1 a) Bauleistung

58 Die Vergabe geheimhaltungsbedürftiger öffentlicher Bauaufträge kann abgestuft

entweder im Rahmen einer Beschränkten Ausschreibung oder einer Freihändigen Vergabe erfolgen. Die Freihändige Vergabe ist nur dann zulässig, wenn die Beschränkte Ausschreibung unzweckmäßig erscheint.2

59 Das Verfahren der Beschränkten Ausschreibung nach der VOB/A sieht die Auf-

forderung zur Angebotsabgabe grundsätzlich ohne öffentlichen Teilnahmewettbewerb vor.3 Die Verfahrensart darf gewählt werden, wenn die Öffentliche Ausschreibung unzweckmäßig ist. Als Beispiel der Unzweckmäßigkeit führt § 3a Absatz 2 Nummer 3 VOB/A Gründe der Geheimhaltung an.

60 Die Geheimhaltungsbedürftigkeit muss sich im Gegensatz zur Vergabe von ge-

heimhaltungsbedürftigen Liefer-/Dienstleistungen nicht aus einschlägigen Ge-

1 Mit dem Inkrafttreten der zukünftigen Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UvgO, BAnz. AT 07.02.2017 B1) entfällt die Problematik der Rangfolge bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen. § 8 Absatz 4 Nummer 15 UVgO sieht die Regelung nur noch für die Verhandlungsvergabe (entspricht der bisherigen Freihändigen Vergabe) vor. Im Übrigen sieht § 51 UVgO vor, dass im Falle der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Liefer-/Dienstleistungen i.S.d. § 104 GWB dem Auftraggeber die Beschränkte Ausschreibung oder die Verhandlungsvergabe jeweils mit oder ohne Teilnahmewettbewerb zur Auswahl stehen. Damit steht künftig auch im Bereich unterhalb der europäischen Schwellenwerte ein für verteidigungsund sicherheitsspezifische Liefer-/Dienstleistungen entsprechendes Vergaberegime zur Verfügung. Die VOB/A bleibt diesbezüglich im Wesentlichen unverändert. 2 Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, § 3 VOB/A Rz. 54; so auch: Pünder in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 3 VOB/A Rz. 24, Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 3 VOB/A Rz. 45. 3 Nach § 3 Abs. 2 VOB/A werden im Rahmen der Beschränkten Ausschreibung Bauleistungen im vorgeschriebenen Verfahren nach Aufforderung einer beschränkten Zahl von Unternehmen zur Einreichung von Angeboten vergeben, gegebenenfalls nach öffentlicher Aufforderung, Teilnahmeanträge zu stellen (Beschränkte Ausschreibung nach Öffentlichem Teilnahmewettbewerb).

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Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge | § 104

heimhaltungsvorschriften ergeben. Sehr wohl allerdings muss die Geheimhaltungsbedürftigkeit objektiv vorliegen. Allein ein subjektives Interesse des öffentlichen Auftraggebers reicht für die Zulässigkeit einer Beschränkten Ausschreibung nicht aus.1 Beim Bau von militärischen Einrichtungen oder Bauleistungen in anderen Si- 61 cherheitsbereichen kann von einer Geheimhaltungsbedürftigkeit ausgegangen werden. Auch ein objektiv vorliegendes betriebliches Geheimhaltungsinteresse kann genügen.2 Die Freihändige Vergabe nach § 3a Absatz 4 Nummer 5 VOB/A ist dann zuläs- 62 sig, wenn eine Beschränkte Ausschreibung unzweckmäßig erscheint. Die Darlegungslast trifft den öffentlichen Auftraggeber. Er muss das Vorliegen der Voraussetzungen nachweisen. Hierzu hat er zunächst zu prüfen, ob dem Geheimhaltungsbedürfnis nicht bereits durch eine Beschränkte Ausschreibung Rechnung getragen werden kann. Nur wenn dies nicht der Fall ist, darf er auf die Freihändige Vergabe zurückgreifen. Wie bei der Beschränkten Ausschreibung muss sich auch hier die Geheimhal- 63 tungsbedürftigkeit nicht aus einschlägigen Rechtsvorschriften ergeben, aber objektiv vorliegen. b) Liefer-/Dienstleistung Nach § 3 Absatz 3 Buchstabe b VOL/A ist eine Beschränkte Ausschreibung mit 64 Teilnahmewettbewerb zur Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungen zulässig, wenn eine öffentliche Ausschreibung bspw. aus Gründen der Geheimhaltung unzweckmäßig ist. Im Sinne einer Rangfolge ist im Falle einer Geheimhaltungsbedürftigkeit die Be- 65 schränkte Ausschreibung vorrangig anzuwenden.3 Die Freihändige Vergabe ist nachrangig anwendbar, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb unzweckmäßig erscheint. 1 Vgl. VK Brandenburg v. 22.5.2008 – VK 11/08. 2 S. Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, § 3 VOB/A Rz. 54; a.A.: Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 3 VOB/A Rz. 30 und 45; Kaelble in Müller-Wrede, VOL/A Kommentar, § 3 Rz. 51. Da die Geheimhaltungsbedürftigkeit seit der Vergaberechtsreform 2010 nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht jedoch mehr auf einschlägigen Rechtsvorschriften beruhen muss, erscheint diese Auffassung nicht (mehr) vorzugswürdig. 3 Vgl. Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 3 VOL/A Rz. 9; Pünder in Pünder/ Schellenberg, Vergaberecht, § 3 VOL/A Rz. 9; nicht von einem Vorrangverhältnis ausgehend wohl Kulartz in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, § 3 Rz. 44. Da es auch im Haushaltsvergaberecht auf möglichst wettbewerbliche Verfahren ankommen soll, erscheint die Annahme eines Vorrangverhältnisses vorzugswürdig.

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§ 105 | Konzessionen 66 Teilweise wird vertreten, dass sich die Geheimhaltungsbedürftigkeit auf Grund

von einschlägigen Rechtsvorschriften ergeben muss.1 Seit der Vergaberechtsreform 2010 finden sich im Wortlaut der VOB/A sowie der VOL/A allerdings keine entsprechenden Vorgaben mehr. Daher ist der Auffassung, dass auch objektiv vorliegende betriebliche Geheimhaltungserfordernisse des öffentlichen Auftraggebers den entsprechenden Ausnahmetatbestand rechtfertigen (s.o. Rz. 60), vorzuziehen. 5. Rechtsschutz

67 Die Vorschrift gehört zu den Vorschriften des Vergabeverfahrens. Nach ihr

wird bestimmt, ob die Verfahrensvorschriften für Verteidigungs- und Sicherheitsvergaben, nämlich die VSVgV Anwendung finden oder nicht. Aus § 96 Abs. 5 GWB ergibt sich für den Bewerber/Bieter der Anspruch, dass der öffentliche Auftraggeber auch die richtige Verfahrensverordnung anwendet. Entsprechend steht dem Bewerber/Bieter das Recht zu, dies im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens überprüfen zu lassen.

§ 105 Konzessionen (1) Konzessionen sind entgeltliche Verträge, mit denen ein oder mehrere Konzessionsgeber ein oder mehrere Unternehmen 1. mit der Erbringung von Bauleistungen betrauen (Baukonzessionen); dabei besteht die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung; oder 2. mit der Erbringung und der Verwaltung von Dienstleistungen betrauen, die nicht in der Erbringung von Bauleistungen nach Nummer 1 bestehen (Dienstleistungskonzessionen); dabei besteht die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der Dienstleistungen oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung. (2) In Abgrenzung zur Vergabe öffentlicher Aufträge geht bei der Vergabe einer Bau- oder Dienstleistungskonzession das Betriebsrisiko für die Nutzung des Bauwerks oder für die Verwertung der Dienstleistungen auf den Konzessionsnehmer über. Dies ist der Fall, wenn 1. unter normalen Betriebsbedingungen nicht gewährleistet ist, dass die Investitionsaufwendungen oder die Kosten für den Betrieb des Bauwerks oder die Erbringung der Dienstleistungen wieder erwirtschaftet werden können, und 1 S. Kulartz in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A § 3, Rz. 68; so auch Kaelble in Müller-Wrede, VOL/A Kommentar, § 3 Rz. 51.

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2. der Konzessionsnehmer den Unwägbarkeiten des Marktes tatsächlich ausgesetzt ist, sodass potenzielle geschätzte Verluste des Konzessionsnehmers nicht vernachlässigbar sind. Das Betriebsrisiko kann ein Nachfrage- oder Angebotsrisiko sein. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Definition der Bau- und Dienstleistungskonzession (§ 105 Abs. 1) 1. Arten von Konzessionen a) Baukonzessionen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . . b) Dienstleistungskonzession (§ 105 Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . c) Abgrenzung und Mischformen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Voraussetzungen a) Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entgeltlichkeit des Vertrages . c) Betrauung . . . . . . . . . . . . . . d) Beschaffungsbezug . . . . . . . . aa) Baukonzession . . . . . . . . bb) Dienstleistungskonzession . . . . . . . . . . . . . . . cc) Negativabgrenzungen . . . e) Rechtsübertragung (und ggf. Zuzahlung) als Gegenleistung f) Übergang des Betriebsrisikos . g) Befristung des Nutzungs-/ Verwertungsrechts . . . . . . . . h) Berechnung des Schwellenwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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13 17 20 21 26 28 30 36 46 53 56 61

III. Übergang des Betriebsrisikos (§ 105 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlende Gewährleistung der Wiedererwirtschaftung von Investitionsaufwendungen (§ 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) . . . . . a) Normale Betriebsbedingungen b) Investitionsaufwendungen und Betriebskosten . . . . . . . . c) Umfang des wirtschaftlichen Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Marktausgesetztheit (§ 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) . . . . . 3. Nachfrage- und Angebotsrisiko (§ 105 Abs. 2 Satz 3) . . . . . . . . . IV. Vergabe von Konzessionen . . . V. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . VI. Exkurs: Konzessionsvergabe unterhalb der Schwellenwerte . 1. Baukonzessionen unterhalb der Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . 2. Dienstleistungskonzessionen unterhalb der Schwellenwerte ohne Binnenmarktrelevanz . . . . 3. Dienstleistungskonzessionen unterhalb der Schwellenwerte mit Binnenmarktrelevanz . . . . . . . . 4. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .

_ __ _ _ _ __ _ _ _ _ __ 62

64 65 67 69 77 84 85 89 90 91 94 96 97

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 105 trifft Regelungen zur Bau- und Dienstleistungskonzession oberhalb des 1 Schwellenwertes gem. § 106 Abs. 2 Nr. 4. Die Vorschrift enthält in § 105 Abs. 1 entsprechende Definitionen vorbenannter Konzessionen. Beim Vorliegen der Legaldefinitionsvoraussetzungen einer Bau- oder Dienstleistungskonzession sind nicht die Verfahrensvorschriften für die Bau- oder Dienstleistungsaufträge anzuwenden, sondern die weniger streng formalisierten Voraussetzungen für die Ganske

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§ 105 | Konzessionen Vergabe von Konzessionen, namentlich die §§ 148 ff. und die Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV)1 (s. hierzu auch Rz. 85 ff.). § 105 Abs. 2 nennt Fallgruppen für den Übergang des Betriebsrisikos auf den Konzessionär als eines der zentralen Abgrenzungskriterien zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Die fehlende Gewährleistung der Wiedererwirtschaftung von Investitionsaufwendungen (§ 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) und die Marktausgesetztheit (§ 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) stellen Kernpunkte des Betriebsrisikoübergangs dar. 2. Entstehungsgeschichte 2 § 105 geht zurück auf die grundlegende Neuregelung des deutschen Vergabe-

rechts durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20162. Die Norm des § 105 dient der nationalen Umsetzung von Art. 5 Nr. 1 der Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe vom 26.2.20143.

3 Vormals war in § 99 Abs. 6 GWB a.F. lediglich die Baukonzession gesetzlich de-

finiert. Die Dienstleistungskonzession war auf nationaler Ebene keiner gesetzlichen Regelung unterworfen. Vielmehr war die Dienstleistungskonzession aufgrund von Art. 17 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG von der Anwendung der Vergabevorschriften ausgenommen4. Gleichwohl verlangte der EuGH für den Abschluss von Dienstleistungskonzessionen bei vorliegender Binnenmarktrelevanz, dass die Grundfreiheiten des AEUV sowie das Diskriminierungsverbot gem. Art. 18 AEUV beachtet werden. Die grundlegenden Anforderungen, die sich hieraus im Einzelnen ergeben, hat der EuGH insbesondere in den Entscheidungen „Telaustria“5, „Coname“6, „Parking Brixen“7, „Belgacom“8

1 2 3 4

5 6 7 8

Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 75. BGBl. I 2016, 203 ff. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 75. Dies galt nach Auffassung des EuGH auch bereits vor der Klarstellung durch Art. 17 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG unter dem Rechtsregime der Vorgängerrichtlinie 92/50/EWG, weil sich aus dem Richtliniengebungsverfahren zur Richtlinie 92/50/EWG der klare Wille des Richtliniengebers ergab, die Dienstleistungskonzession nicht dem Vergaberecht zu unterwerfen, vgl. EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98, Slg. I10745, NZBau 2001, 148 (151, Rz. 58) – Telaustria; EuGH v. 30.5.2002 – Rs. C-358/00, Slg. I-10745, NZBau 2003, 50 f. Auch in der nationalen Rechtsprechung und Literatur bestand diesbezüglich Einigkeit, vgl. VÜA Bayern v. 28.8.1998 – VÜA16/97, WuW/E Verg 178, 180; OLG Koblenz v. 6.11.2000 – Verg 4/00, NZBau 2001, 283 (284); OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 (47); OLG Naumburg v. 4.12.2001 – 1 Verg 10/01, NZBau 2002, 235 (236); BayObLG v. 11.12.2001 – Verg 15/ 01, VergabeR 2002, 55 (58); Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 34; Reidt/Stickler in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, § 32 Rz. 11. EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98, Slg. I-10745, NZBau 2001, 148 ff. – Telaustria. EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03, Slg. I-07287, NZBau 2005, 592 ff. – Coname. EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 ff. – Parking Brixen. EuGH v. 14.11.2013 – Rs. C-221/13, NZBau 2014, 53 ff. – Belgacom.

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und „SC Enterprise Focused Solutions“1 herausgearbeitet. Hervorzuheben sind insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sowie der daraus folgenden Pflicht zur Transparenz2. Der EuGH hatte allerdings offen gelassen, wie das von ihm geforderte transparente Vergabe- bzw. Bewerbungsverfahren konkret auszugestalten ist. Anhaltspunkte hierfür lassen sich jedoch sowohl der Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht3 als auch insbesondere der Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen vom 24.7.20064 entnehmen. Mit Letzterer fasste die EUKommission die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung des EG-Vertrags auf Verträge außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Vergaberichtlinien in konkrete Leitlinien, insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung von Bekanntmachungen, Verfahren und Rechtsschutz. Vor diesem Hintergrund kommt dieser Mitteilung der EU-Kommission – trotz der starken Kritik aus Politik, Wirtschaft und Literatur5 – für die Vergaberechtspraxis eine erhebliche Bedeutung zu6 (s. hierzu auch noch Rz. 96). Die neue Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe erfasst neben der 4 Bau- nunmehr auch die Dienstleistungskonzession7. Hiermit wird letztlich dem Umstand Rechnung getragen, dass kaum ein Rechtsinstitut im Vergaberecht in den vergangenen Jahren eine solche Aufwertung erfahren hat wie die Dienstleistungskonzession. Ihre möglichen Anwendungsfälle sind ungleich vielfältiger als die der Baukonzession. Dem kreativen Gestaltungswillen von öffentlichen Auftraggebern und Unternehmern sind insoweit kaum Grenzen gesetzt. Dementsprechend betreffen die Dienstleistungskonzessionen eine große Vielzahl von Lebensbereichen, insbesondere solche der Daseinsvorsorge (s. hierzu auch Rz. 12). Eine Kodifizierung durch den EU-Gesetzgeber erschien mithin unumgänglich8. Ausweislich der Erwägungsgründe 1 und 2 der Richtlinie 2014/23/ 1 EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 ff. – SC Enterprise Focused Solutions. 2 EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 (384) – SC Enterprise Focused Solutions; Antweiler in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 100 GWB Rz. 56; Siegel, VergabeR 2015, 265 (265 f.). 3 ABl. C 121 v. 29.4.2000, S. 2, 6 ff. (Ziffer 3). 4 ABl. C 179/2 v. 1.8.2006, S. 2 ff. 5 Ausführlich hierzu und m.w.N. Braun, EuZW 2006, 683 ff. 6 Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere auch EuG v. 20.5.2010 – Rs. T-258/06, NZBau 2010, 510 ff. 7 Vgl. zur neuen EU-Konzessionsvergaberichtlinie 2014/23/EU auch Knauff/Badenhausen, NZBau 2014, 395 ff.; Prieß/Stein, VergabeR 2014, 499 ff.; Schenek, BWGZ 2014, 327 ff. 8 Vgl. zum Ganzen Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 1; Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 2.

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§ 105 | Konzessionen EU war es dabei insbesondere Ziel, einer bestehenden Rechtsunsicherheit, einer Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie einer Verzerrung des Binnenmarkts entgegen zu wirken, und zwar insbesondere im Interesse kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU). Hierzu sollte ein angemessener, ausgewogener und flexibler Rechtsrahmen für die Konzessionsvergabe geschaffen werden, der die Besonderheit von Konzessionen im Vergleich zu öffentlichen Aufträgen gebührend widerspiegelt und keinen übermäßigen bürokratischen Aufwand verursacht. Darüber hinaus war es – wie aus den Erwägungsgründen 18, 19, 20 und 52 der Richtlinie 2014/23/EU deutlich wird – ein zentrales Anliegen, eine Definition dessen zu schaffen, was unter der Übertragung des Betriebsrisikos zu verstehen ist1. Das deutsche Recht erfasst daher nunmehr – ebenso wie das Unionsrecht – grundsätzlich alle Konzessionsarten oberhalb der Schwellenwerte mit Ausnahme der gesetzlich definierten Bereichsausnahmen (z.B. in § 149). § 105 Abs. 1 definiert den vergaberechtlichen Konzessionsbegriff dementsprechend umfassend2. Die wesentlichen Bestimmungen der Richtlinie 2014/23/EU betreffend das Konzessionsauswahlverfahren wurden im GWB (vgl. §§ 97 bis 114 und §§ 148 bis 154) umgesetzt. Ergänzt und konkretisiert werden sie durch die KonzVgV3. Im Ergebnis werden alle (vergaberechtsrelevanten) Konzessionen oberhalb der Schwellenwerte gleich behandelt. Soweit Bau- und Dienstleistungskonzessionen in Teilbereichen Besonderheiten aufweisen, wird diesen im Rahmen der KonzVgV Rechnung getragen4. 5 Da die Richtlinie jedoch nur die Auftragsvergabe oberhalb des maßgeblichen

Schwellenwertes gem. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/ EU und § 106 Abs. 2 Nr. 4 i.H.v. derzeit5 5.225.000 € (netto) betrifft, sind bei einer Auftragsvergabe unterhalb der Schwellenwertgrenzen bei bestehender Binnenmarktrelevanz weiterhin die vorbenannten Gebote des EU-Primärrechts (vgl. Rz. 3) zu beachten6 (s. dazu auch noch Rz. 93 und 96).

1 Vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 49. 2 Ähnlich Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 8, der gleichzeitig aber auch darauf hinweist, dass Umfang und Reichweite der Ausnahmetatbestände bereits jetzt im Streit stünden. Vgl. überdies auch Hofmann/Zimmermann, NZBau 2016, 71 ff.; Müller, NVwZ 2016, 266 ff. 3 Vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 5. 4 Vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 25. 5 Der Schwellenwert wird von der Kommission gem. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/ EU alle zwei Jahre überprüft und erforderlichenfalls angepasst. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gibt den geltenden Schwellenwert gem. § 106 Abs. 3 unverzüglich, nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU, im Bundesanzeiger bekannt. 6 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 2; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 113 ff.; Siegel, VergabeR 2015, 265 (269).

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II. Definition der Bau- und Dienstleistungskonzession (§ 105 Abs. 1) 1. Arten von Konzessionen a) Baukonzessionen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1) § 105 Abs. 1 Nr. 1 definiert den Begriff der Baukonzession als einen entgeltli- 6 chen Vertrag, mit dem ein oder mehrere Konzessionsgeber ein oder mehrere Unternehmen mit der Erbringung von Bauleistungen betrauen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zzgl. einer Zahlung besteht. § 105 Abs. 1 Nr. 1 setzt damit nahezu wortlautidentisch die Definition des Art. 5 Nr. 1 lit. a) der Richtlinie 2014/ 23/EU in nationales Recht um. Danach bezeichnet der Ausdruck Baukonzession einen entgeltlichen, schriftlich geschlossenen Vertrag, mit dem ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber (i.S.v. Art. 6 der Richtlinie 2014/23/EU) oder Auftraggeber (i.S.v. Art. 7 der Richtlinie 2014/23/EU) einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Nutzung des vertragsgegenständlichen Bauwerks oder in diesem Recht zzgl. einer Zahlung besteht. Laut Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/23/EU können solche Verträge einen Übergang des Eigentums am Bauwerk auf den öffentlichen Auftraggeber vorsehen, müssen dies aber nicht. Diese Aussage des EU-Richtliniengebers ist allerdings insofern erstaunlich (und fragwürdig), als eine dauerhafte und vollständige Eigentumsübertragung im Regelfall dazu führen dürfte, dass es – konzessionsausschließend – an einer Befristung i.S.v. § 3 KonzVgV fehlt1. § 105 Abs. 1 weicht allerdings insoweit von Art. 5 Nr. 1 lit. a) der Richtlinie 7 2014/23/EU ab, als dass das Schriftformerfordernis in § 105 Abs. 1 Nr. 1 nicht erwähnt ist. Somit fallen nach nationalem Recht auch entsprechende mündlich geschlossene Vereinbarungen unter die Konzessionsvergabe. Das deutsche Recht geht demnach weiter als das Unionsrecht, wonach lediglich schriftliche Vereinbarungen erfasst sind. Durch den weitergehenden Umfang des nationalen Vergaberechts ist den Interessen des Wettbewerbs gedient. Ein Verstoß gegen Unionsrecht besteht nicht2. Vielmehr handelt es sich um eine zulässige Umsetzung von Unionsrecht mit sog. überschießender Tendenz. Da die Schriftform i.S.v. Art. 5 Nr. 6 der Richtlinie 2014/23/EU jedoch lediglich die Textform i.S.v. § 126b BGB bedingt3, dürfte es – ein vergaberechtskonformes Vergabeverfahren 1 Vertiefend zur Befristung des Nutzungs- oder Verwertungsrechts noch unter Rz. 56 ff. sowie auch Rz. 50. 2 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 4. 3 Gemäß Art. 5 Nr. 6 der Richtlinie 2014/23/EU „bezeichnet der Ausdruck […] „schriftlich“ eine aus Wörtern oder Ziffern bestehende Darstellung, die gelesen, reproduziert und mitgeteilt werden kann, einschließlich anhand elektronischer Mittel übertragener und gespeicherter Informationen“.

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§ 105 | Konzessionen unterstellt – faktisch indes zu keinen Unterschieden kommen. Denn der Konzessionsgeber hat u.a. gem. § 6 KonzVgV das Vergabeverfahren vollständig in der Textform des § 126b BGB zu dokumentieren, was auch die Angebote der Bieter und die Zuschlagserteilung mit umfasst1. 8 Typische Beispiele für Baukonzessionen sind umfangreiche Infrastrukturprojek-

te, etwa im Straßen- oder Tunnelbau, kommunale Erschließungs- und Investitionsvorhaben2 oder die Errichtung von Schulen oder Schwimmbädern3. Dabei haben die Baukonzessionen in der Praxis vor allem auch Relevanz für Privatisierungsvorhaben in Form von sog. „Public Private Partnership“ (PPP) – Modellen4. b) Dienstleistungskonzession (§ 105 Abs. 1 Nr. 2)

9 Nach der Legaldefinition des § 105 Abs. 1 Nr. 2 ist eine Dienstleistungskonzes-

sion ein entgeltlicher Vertrag, mit dem ein oder mehrere Konzessionsgeber ein oder mehrere Unternehmen mit der Erbringung und der Verwaltung von Dienstleistungen betrauen, die nicht in der Erbringung von Bauleistungen bestehen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der Dienstleistungen oder in diesem Recht zzgl. einer Zahlung besteht. § 105 Abs. 1 Nr. 2 orientiert sich hierbei an Art. 5 Nr. 1 lit. b) der Richtlinie 2014/23/EU. Hiernach ist eine Dienstleistungskonzession ein entgeltlicher, schriftlich geschlossener Vertrag, mit dem ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer mit der Erbringung und der Verwaltung von Dienstleistungen betrauen, die nicht in der Erbringung von Bauleistungen bestehen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der vertragsgegenständlichen Dienstleistungen oder in diesem Recht zzgl. einer Zahlung besteht.

10 Für die Dienstleistungskonzession ist danach – ebenso wie für die Baukonzes-

sion – eine Dreieckskonstellation typisch5. An Stelle einer Vergütung durch den Konzessionsgeber tritt das Verwertungsrecht der Dienstleistung. Statt einer

1 Hierauf weist insbesondere Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 28 f. hin. 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 ff.; EuGH v. 18.1. 2007 – Rs. C-220/05, NZBau 2007, 185 ff. – Stadt Roanne; EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Helmut Müller GmbH. 3 Vgl. zum Ganzen auch die Aufzählung von Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 6; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 1; Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 7 ff. 4 Vgl. Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 8. 5 So beispielsweise auch im Rahmen des sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses, vgl. Rz. 39 f. und 72.

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unmittelbaren Entgeltzahlung des öffentlichen Auftraggebers erhält der Auftragnehmer das Recht, Entgelte von Dritten, welche die Dienstleistung nutzen, zu erheben. Der Konzessionär kann die Dienstleistung mithin kommerziell nutzen1. Ferner gelten für die Dienstleistungskonzession ebenfalls die im Rahmen der 11 Baukonzession zum Schriftformerfordernis des Art. 5 Nr. 1 lit. a) der Richtlinie 2014/23/EU getätigten Ausführungen (vgl. hierzu Rz. 7). Als typische Beispiele für Dienstleistungskonzessionen können das Betreiben ei- 12 nes öffentlichen Verkehrsdienstes2, eines Parkplatzes3, eines Hafens, einer Alarmempfangsstelle eines Landkreises, einer Abfallentsorgungsanlage, einer Sportstätte, eines Krematoriums, eines Kantinen- und Verpflegungsdienstes, die Bereitstellung und der Betrieb eines Breitbandnetzes oder von Rettungsdienstund Krankentransporten, beispielsweise auch Intensivtransporthubschraubern, oder die Stadtmöblierung gelten4. c) Abgrenzung und Mischformen Die Dienstleistungskonzession wird von der Baukonzession negativ abge- 13 grenzt. Nach der Definition liegt eine Dienstleistungskonzession bei der Verwaltung von Dienstleistungen vor, die nicht in der Erbringung von Bauleistungen besteht. Dabei ist jedoch zu beachten, dass für die Baukonzession bzw. die Bestimmung 14 des Begriffs der Bauleistung ohne weiteres auf die Regelungssystematik des Auftragsvergaberechts in § 103 Abs. 3 zurückgegriffen werden kann. Im Hinblick auf die Dienstleistungskonzession kann dagegen nicht bzw. jedenfalls nicht vollständig auf § 103 Abs. 4 zurückgegriffen werden. Denn nach § 103 Abs. 4 gelten als Dienstleistungsaufträge alle Verträge über die Erbringung von Leistungen, die weder Bau- noch Lieferleistungen sind. Konzessionsvergaberechtlich unterfällt dem Dienstleistungsbegriff jedoch alles, was keine Bauleistung i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 103 Abs. 3 ist (vgl. § 105 Abs. 1 Nr. 2, Art. 5 Nr. 1 lit. b) der Richtlinie 2014/23/EU). Demzufolge unterfallen also auch Lieferleistungen 1 EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239, 242, Rz. 25 – Rettungsdienst Stadler; EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-206/08, NZBau 2009, 729, 732, Rz. 57 – WAZV Gotha/ Eurawasser; OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, NZBau 2011, 380 (383); OLG München v. 2.7.2009 – Verg 5/09, NZBau 2009, 666 (668); OLG Brandenburg v. 30.5.2008 – Verg W 5/08, NZBau 2009, 139 (140); OLG Düsseldorf v. 22.9.2005 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 (653). 2 EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-410/04, Slg. 2006, I-3303-3324, NZBau 2006, 326 ff. – ANAV. 3 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 ff. – Parking Brixen. 4 Vgl. hierzu mit weiteren Beispielen Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 1 und 42; sowie Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 7.

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§ 105 | Konzessionen dem konzessionsvergaberechtlichen Begriff der Dienstleistung1. Es besteht mithin kein Gleichlauf zwischen dem auftragsvergaberechtlichen und dem konzessionsvergaberechtlichen Begriff der Dienstleistung. 15 Bei den zulässigen und nicht untypischen Mischformen zwischen Bau- und

Dienstleistungskonzessionen (z.B. wenn neben der Bauleistung Projektsteuerungs- oder andere Dienstleistungen vergeben werden sollen) wird nach § 110 auf den Hauptgegenstand des Vertrags abgestellt. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, der ebenfalls auf den Schwerpunkt des Vertrages abstellt2. Zu ermitteln ist folglich, welcher Leistungstyp bzw. welche konkreten vertraglichen Verpflichtungen den Schwerpunkt der Leistungsanteile ausmachen oder den Konzessionsvertrag zumindest wesentlich prägen3. Dabei kommt es jedoch nicht allein entscheidend auf den Wert der in Rede stehenden Einzelleistungen an. Dieser stellt vielmehr nur ein Kriterium neben anderen dar4. Letztlich kommt es also auf eine rechtliche und/oder wirtschaftliche Gesamtbetrachtung an5.

16 Die Abgrenzung von Baukonzessionen und Bauaufträgen bzw. Dienstleis-

tungskonzessionen und Dienstleistungs- bzw. Lieferaufträgen erfolgt anhand der zu erbringenden Gegenleistung der Vergabestelle, d.h. danach, ob der Auftrag- bzw. Konzessionsnehmer für seine Leistung ein Entgelt oder lediglich das Recht zur Verwertung seiner Leistung (ggf. zzgl. einer Zahlung)