Verbstellung und Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen [Reprint 2010 ed.] 9783110911640, 9783484304659

The study engages with the theory that verb position change in most Romance languages is traceable to the (near total) l

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Verbstellung und Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen [Reprint 2010 ed.]
 9783110911640, 9783484304659

Table of contents :
Vorwort
Typographische Konventionen und Abkürzungen
1. Gegenstand und grammatiktheoretische Grundlagen
2. Die Verb-Zweit-Stellung in den germanischen und romanischen Sprachen
3. Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen. Ein Forschungsüberblick
4. Verb-Zweit-Stellungswandel als Parameterwechsel
5. Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen. Eine empirische Untersuchung
6. Schlussbetrachtung
7. Quellen- und Literaturverzeichnis
8. Autorenregister

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Linguistische Arbeiten

465

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Heinz Vater und Richard Wiese

Georg A. Kaiser

Verbstellung und Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002

Für Barbara, Charlotte und Paul

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-30465-0

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nadele, Nehren

Inhalt

Vorwort Typographische Konventionen und Abkürzungen 1. Gegenstand und grammatiktheoretische Grundlagen 1.1 Der Untersuchungsgegenstand: Die Verb-Zweit-Stellung l .2 Die grammatiktheoretischen Grundlagen: Die generative Prinzipien- und Parametertheorie l .2. l Grundlagen und Zielsetzungen der Prinzipien- und Parametertheorie l .2.2 Die Prinzipien- und Parametertheorie und die historische Syntaxforschung 2. Die Verb-Zweit-Stellung in den germanischen und romanischen Sprachen 2.1 Die strenge Verb-Zweit-Stellung in den germanischen Sprachen 2.1.1 Die Verbstellung in Verb-Zweit-Sprachen mit strenger Asymmetrie 2.1.2 Die Verbstellung in Verb-Zweit-Sprachen mit eingeschränkter Asymmetrie 2.1.3 Die Verbstellung in symmetrischen Verb-Zweit-Sprachen 2.2 Verb-Zweit-Stellungseffekte in den modernen romanischen Sprachen 2.2.1 Verb-Zweit-Stellungseffekte in Interrogativsätzen 2.2.2 Verb-Zweit-Stellungseffekte in Deklarativsätzen 3. Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen. Ein Forschungsüberblick 3.1 Einleitung 3.2 Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen: Gesamtromanische Studien 3.3 Verbstellungswandel im Französischen 3.3.1 Deskriptive Ergebnisse 3.3.1.1 Die Verbstellung in Matrixsätzen 3.3.1.2 Die Verbstellung in Nebensätzen 3.3.2 Quantitative und statistische Ergebnisse 3.3.3 Traditionelle Erklärungsansätze 3.3.3.1 Psychologische Faktoren 3.3.3.2 Rhythmische Faktoren 3.3.3.3 Logisch-grammatische Faktoren 3.3.3.4 Morphosyntaktische Faktoren 3.3.4 Generative Erklärungsansätze 3.3.4.1 Prosodische und rhythmische Faktoren 3.3.4.2 Morphophonologische Faktoren 3.3.4.3 Konkurrenz zwischen Verb-Zweit-Stellung und Freier Inversion

VII IX l l 7 9 11 16 16 16 25 30 33 35 48 53 53 55 58 58 63 70 72 79 81 82 85 88 89 93 95 99

VI

3.3.4.4 Symmetrie oder Asymmetrie? Verb-Zweit-Stellung im Nebensatz 3.4 Verbstellungswandel in anderen romanischen Sprachen 4. Verb-Zweit-Stellungswandel als Parametenvechsel 4.1 Verb-Zweit-Stellung als parametrisierte Eigenschaft 4.1.1 Implikationen für den Spracherwerb 4.1.2 Implikationen für den Sprachwandel 4.1.2.1 Quantitative Veränderungen in der Erwachsenensprache 4.l .2.2 Strukturelle Veränderungen in der Erwachsenensprache 4.2 Parameterwechsel durch Dialekt-oder Sprachkontakt?

102 105 108 109 109 114 114 119 124

5. Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen. Eine empirische Untersuchung 5.1 Die Datenbasis 5.2 Das Altfranzösische als Verb-Zweit-Sprache? 5.2.1 Verb-Zweit-Stellungseffekte in altfranzösischen Matrixsätzen 5.2.2 Verb-Zweit-Stellungseffekte in altfranzösischen Nebensätzen 5.2.3 Verlust der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft im Französischen 5.3 Entwicklung der Verb-Zweit-Stellung im Iberoromanischen 5.4 Entwicklung der Verb-Zweit-Stellung im Rätoromanischen

129 129 133 133 143 146 154 161

6. Schlussbetrachtung

165

7. Quellen- und Literaturverzeichnis 7.1 Quellen 7.2 Sekundärliteratur zu den Quellen 7.3 Sprachwissenschaftliche Literatur

169 169 171 172

8. Autorenregister

191

Vorwort

Die Wortstellung der meisten modernen romanischen Sprachen ist dadurch gekennzeichnet, dass das Subjekt des Satzes in der Regel vor dem finiten Verb erscheint. In bestimmten Kontexten - insbesondere in Interrogativsätzen - ist allerdings die umgekehrte Reihenfolge von Subjekt und Verb die Regel. Diese Subjekt-Verb-Inversion war in den frühromanischen Sprachen, insbesondere im Alt- und Mittelfranzösischen, wesentlich häufiger und nicht nur auf wenige Kontexte beschränkt. Diese Beobachtung hat zu der Annahme geführt, dass die romanischen Sprachen ursprünglich über die Eigenschaft der 'germanischen Inversion1 verfugt haben, d.h. über die für alle germanischen Sprachen - mit Ausnahme des Englischen - charakteristische Eigenschaft, wonach das finite Verb in deklarativen Matrixsätzen unabhängig von der Stellung des Subjekts stets in der zweiten Position erscheint. Die Annahme lautet, dass die romanischen Sprachen diese Eigenschaft der Verb-Zweit-Stellung im Laufe ihrer Entwicklung verloren und nur noch einige Relikte davon erhalten haben. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist eine kritische Auseinandersetzung mit dieser vielfach vertretenen Annahme und mit den damit verbundenen Konsequenzen. Es geht darum zu überprüfen, ob und inwiefern es gerechtfertigt ist, die in den frühen und in den modernen romanischen Sprachen zu beobachtenden Verb-Zweit-Stellungseffekte in ähnlicher Weise wie die strenge Verb-Zweit-Stellung der germanischen Sprachen zu erfassen. Ausgehend von der im Rahmen der generativen Grammatiktheorie vertretenen Annahme, wonach die Verb-Zweit-Stellungseigenschaft eine parametrisch festgelegte Eigenschaft darstellt, folgt, dass deren Verlust als ein parametrischer Wandel beschrieben werden muss. Daraus ergibt sich eine Reihe theoretischer Konsequenzen, die im Rahmen dieser Arbeit ausführlich diskutiert werden. In dieser Diskussion wird deutlich, dass die bisherigen generativen Analysen diese Konsequenzen gar nicht oder nur teilweise beachten. Es gelingt ihnen daher nicht, den in den romanischen Sprachen zu beobachtenden Wandel der Stellung des Verbs als einen parametrischen Wandel zu belegen. Auch in empirischer Hinsicht liefern diese Analysen keine Bestätigung für diese Annahme. Dies zeigt zum einen ein Vergleich mit den Ergebnissen der zahlreichen deskriptiven vorgenerativen Untersuchungen zum Wortstellungswandel in den romanischen Sprachen und zum anderen eine umfangreiche eigene empirische Untersuchung, die auf dem diachronischen Vergleich von Übersetzungen eines Bibelabschnittes aus dem Alten Testament basiert. Die Daten dieser Untersuchungen enthalten zahlreiche Sätze, die nicht mit der Annahme der Existenz einer strengen Verb-Zweit-Stellungseigenschaft in den frühromanischen Sprachen vereinbar sind und somit gegen die Annahme eines parametrischen Wandels dieser Eigenschaft sprechen. Entscheidend ist hierbei die Beobachtung, dass in bestimmten Kontexten diese Nicht-VerbZweit-Sätze in den frühromanischen Sprachen regelmäßig auftreten. Basierend auf dieser Beobachtung, wird die These vertreten, dass diese Sätze die ausschlaggebende Information für die parametrische Festlegung dieser Sprachen als McA/-Verb-Zweit-Sprachen bilden. Dies hat zur Folge, dass alle frühen und modernen romanischen Sprachen als Nicht-VeibZweit-Sprachen angesehen werden müssen. Die einzige Ausnahme bilden das Bündnerromanische und einige regionale Varietäten des Dolomitenladinischen.

VIII Die vorliegende Arbeit ist die vollständig überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Mai 1999 vom Fachbereich Sprachwissenschaften der Universität Hamburg angenommen worden ist. Zu ihrer Entstehung und Fertigstellung haben viele Freunde und Kollegen mit Rat und Tat beigetragen. Ihnen allen möchte ich herzlich danken. Mein allererster Dank gilt meinem Lehrer Jürgen M. Meisel. Er hat mich nicht nur in der Zeit der Entstehung dieser Arbeit, sondern auch in den vielen Jahren davor stets kritisch unterstützt und freundschaftlich begleitet. Ich danke auch sehr Wolfgang J. Meyer, dessen Kommentare mir sehr geholfen und mich vor Fehlern bewahrt haben. Andolin Eguzkitza, Maria L. Goldbach, Esther Rinke und Giampaolo Salvi verdanke ich ebenfalls wertvolle Hilfen und vielfältige Anregungen. Bedanken möchte ich mich auch bei Peter Blumenthal, Werner Carigiet, Susanne E. Carroll, Cornelius Hasselblatt, Mary A. Kato, Carmen Kelling, Cecilia Poletto, Wolfgang Settekom und Povl Skarup für hilfreiche Tipps und Hinweise. Florian Freitag, Annemarie Kastelsky, Regina Koppe, Hanna Reich und meiner Frau danke ich für wertvolle Unterstützung bei den Korrekturarbeiten und der Erstellung der Druckvorlage dieses Buches. Für Grammatikalitätsbeurteilungen und Hilfe bei den Übersetzungen der Sprachbeispiele danke ich Ana Maria Brito, Werner Carigiet, Sibrand van Coillie, Otilia Dias, Thorhallur Eythorsson, Rudolf Harneit, Fran9oise Hasenclever, Unnur Klütsch, Nikolaus Schpak-Dolt, Gisela Villanueva, Marianne Vogel, Fred Weerman und Maarten de Wind. Mein ganz besonders herzlicher Dank gilt meiner Frau und meinen beiden Kindern, da sie mir in den vielen Jahren der Arbeit an diesem Buch den notwendigen Freiraum dafür gegeben haben. Gleichzeitig waren sie auch der ständige Ansporn dazu, sie zum Abschluss zu bringen. Konstanz, im März 2002

Georg A. Kaiser

Typographische Konventionen und Abkürzungen

Abkürzungen der verwendeten Sprachen und Dialekte: afr. ait. alt. apg. asp. asur. bai. bk. bpg. da. dt. en. fr. fs. ipg. is. it. jd. lt. mfr. nfr. nl. npg. nsur. pg. pr. psp. sp. sur. sw. tri. wfl.

Altfranzösisch Altitalienisch Altlateinisch Altportugiesisch Altspanisch Älteres Surselvisch Bairisch Baskisch Brasilianisches Portugiesisch Dänisch Deutsch Englisch Französisch Friesisch Iberisches Portugiesisch Isländisch Italienisch Jiddisch Lateinisch Mittelfranzösisch Neufranzösisch Niederländisch Neuportugiesisch Neusurselvisch Portugiesisch Provenzalisch Puertorikanisches Spanisch Spanisch Surselvisch Schwedisch Triestinisch Westflämisch

Typographische Kennzeichnungen in den Beispielsätzen: -

fett kursiv einfach unterstrichen gestrichelt unterstrichen

- doppelt unterstrichen - gewellt unterstrichen:

= = = =

Subjekt finites Verb dem finiten Verb voranstehende Konstituente dem finiten Verb voranstehendes Element, das nicht als Konstituente zählt = nebensatzeinleitende Konjunktion oder andere außerhalb des Satzrahmens stehende Konstituente = sonstiges hervorzuhebendes Element

Numa vis o superficial, o tema podera parecer estranho, rido e destituido de inieresse. Mas depots que o esludamos, cremos que essa opini o nasce do desconhecimento do assunto, poucas vezes abordado entre nos. Quando nos dedicamos a ele, mesmo que seja apenas a um aspecto restrito, reconhecemos, bem rapidamente, a riqueza que possui e que so espera par ser descoberta. Com a continuaf o do trabalho, surgem constantemente novos aspectos a estudar, novas observaς es a fazer, novos pontos a meditar; e no proprio momenta em que limitamos o mbito da nossa actividade, desenha-se, com maior nitidez, a vastid o de tanto que fica por esclarecer e que quase surpreende. So o caminhar, lento mas progressivo, dentro do proprio trabalho, da esta consciencia e esta reνείαςαο - como so a subida, talvez penosa, de qualquer encosta, desvenda a cada novo passo, a perspectiva de Horizontes inesperados. (M. de Padua 1960:1)

l.

Gegenstand und grammatiktheoretische Grundlagen

l. l

Der Untersuchungsgegenstand: Die Verb-Zweit-Stellung

Eine der markantesten syntaktischen Eigenschaften aller germanischen Sprachen mit Ausnahme des Englischen besteht darin, dass das finite Verb in deklarativen Matrixsätzen stets in der zweiten Position, d.h. unmittelbar hinter der ersten Satzkonstituente, auftreten muss. Anders als bei sehr vielen anderen Wortstellungsphänomenen ist diese Stellungseigenschaft des Verbs rein syntaktischer Natur. Sie ist vollkommen unabhängig von prosodischen, semantischen, pragmatischen und/oder stilistischen Faktoren sowie von der syntaktischen Funktion oder Kategorie der satzinitialen Konstituente. Die folgenden Beispiele aus dem Deutschen und dem Niederländischen veranschaulichen deutlich, dass beide Sprachen über diese strenge Verb-Zweit-Stellungseigenschaft verfügen: (1)

dt.

(a) (b) (c) (d) (e)

Die Frau hat das Buch mit Vergnügen gelesen. Das Buch hat die Frau mit Vergnügen gelesen. Mit Vergnügen hat die Frau das Buch gelesen. Gelesen hat die Frau das Buch mit Vergnügen. Wenn sie Zeit gehabt hätte, hätte die Frau das Buch gelesen.

(2)

nl.

(a) (b) (c) (d) (e)

De vrouw heeft het boek met plezier gelezen. Het boek heeft de vrouw met plezier gelezen. Met plezier heeft de vrouw het boek gelezen. Gelezen heeft de vrouw het boek met plezier. Als ze tijd gehad had, had de vrouw het boek gelezen.

In der Literatur wird diese besondere Eigenschaft der germanischen Sprachen häufig als 'germanische Inversion' bezeichnet (Rohlfs 1982, Adams 1987a, de Bakker 1997). Meist ist nur allgemein von 'Inversion' oder 'Subjekt-(Verb-)Inversion' die Rede. Dieser Begriff ist allerdings zur exakten Kennzeichnung der Verb-Zweit-Stellung ungeeignet, da dadurch lediglich die "Umstellung einer als Normalform geltenden Wort- oder Satzgliedfolge [...], häufig bezogen auf die Stellung von Subjekt und Prädikat" beschrieben wird (Glück (Hg.) 2000:316). Dabei kommt jedoch nicht die Obligatheit der Zwe/r-Stellung des füllten Verbs zum Ausdruck. Wie die Beispiele in (3)-(4) zeigen, ist die Verb-Zweit-Stellung im Deutschen und Niederländischen unabhängig von der Umstellung von Subjekt und Verb, d.h. sie ist auch dann obligatorisch, wenn das Subjekt dem finiten Verb vorangeht: (3)

dt.

(a) (b) (c)

*Die Frau das Buch hat mit Vergnügen gelesen. *Mit Vergnügen die Frau hat das Buch gelesen. *Wenn sie Zeit gehabt hätte, die Frau hätte das Buch gelesen.

(4)

nl.

(a) (b) (c)

*Dc vrouw het boek heeft met plezier gelezen. *Met plezier de vrouw heeft het boek gelezen. *Als ze tiid gehad had, de vrouw had het boek gelezen.

Außerdem lässt sich mit dem Begriff 'Inversion1 nicht die Ungrammatikalität der Sätze wie (5)-(6) erfassen, in denen Subjekt und Verb zwar in invertierter Stellung erscheinen, dem Verb aber mehrere Konstituenten voranstehen: (5) (6)

dt. nl.

(a)

*Das Buch mit Vergnügen hat die Frau gelesen.

(b)

*Wenn sie Zeit gehabt hätte, das Buch hätte die Frau gelesen.

(a) (b)

*Het boek met plezier heeft de vrouw gelezen. *Als ze tijd gehad had, net boek had de vrouw gelezen.

Auch die Bezeichnung 'germanisch1 zur Charakterisierung der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft ist nicht ganz zutreffend, da diese Eigenschaft auch in einigen nicht germanischen Sprachen anzutreffen ist. Insbesondere ist hier das Rätoromanische zu nennen. Die folgende Übersetzung der deutschen bzw. niederländischen Sätze in (1) und (2) in das Surselvische, eine der fünf regionalen Varietäten des Bündnerromanischen, belegt das Vorhandensein einer strengen Verb-Zweit-Stellung in dieser Sprache: (7)

sur. (a) (b) (c) (d) (e)

La dunna ha legiu il cudisch cun plascher. II cudisch ha la dunna legiu cun plascher. Cun plascher ha la dunna legiu il cudisch. Legiu ha la dunna il cudisch cun plascher. Sehe ella havess giu temps, havess la dunna legiu il cudisch.

Die strenge Verb-Zweit-Eigenschaft zeigt sich auch darin, dass im Surselvischen ebenso wie im Deutschen und Niederländischen Sätze, die mehr als eine präverbale Konstituente enthalten, grundsätzlich ungrammatisch sind: (8)

sur. (a) (b) (c) (d) (e)

*La dunna il cudisch ha legiu

cun plascher.

die Frau das Buch hat gelesen mit Vergnügen *Cun plascher la dunna ha legiu il cudisch. mit Vergnügen die Frau hat gelesen das Buch *Sche ella havess giu temps, la dunna havess legiu il cudisch. wenn sie hätte gehabt Zeit die Frau hätte gelesen das Buch *I1 cudisch cun plascher ha la dunna legiu. das Buch mit Vergnügen hat die Frau gelesen *Sche ella havess giu temps, il cudisch havess la dunna legiu. wenn sie hätte gehabt Zeit das Buch hätte die Frau gelesen

Das Rätoromanische unterscheidet sich damit in syntaktischer Hinsicht deutlich von allen übrigen romanischen Sprachen. Allerdings gibt es innerhalb der sehr heterogenen Gruppe der dem Rätoromanischen zugerechneten Dialekte große Unterschiede hinsichtlich der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft. Lediglich die bündnerromanischen Mundarten sind ausnahmslos durch eine strenge Verb-Zweit-Stellungsregel gekennzeichnet. Im Dolomitenladinischen gilt sie nur in einigen Dialekten und im Friaulischen überhaupt nicht (Salvi 1997:297f, Poletto 2000:Kap.4, Kaiser / Carigiet / Evans 2001:201f).'

Typologisch gesehen ist die strenge Verb-Zweit-Stellungseigenschaft äußerst selten. Neben den germanischen Verb-Zweit-Sprachen und dem Bündnerromanischen werden bisweilen unter anderem auch Bretonisch und Kashmiri zur Gruppe der Verb-Zweit-Sprachen gerechnet (Schafer 1995, Bhatt 1999). Inwiefern dies gerechtfertigt ist, muss hier offen bleiben. Zumindest für das Bretonische gibt es starke Einwände gegen eine solche Charakterisierung (Borsley / Kathol 2000). Für die

In allen anderen romanischen Sprachen gibt es keinerlei Evidenz für die Existenz einer strengen Verb-Zweit-Stellungsregel. Die entsprechenden Übersetzungen der Sätze (1) und (2) zeigen, dass in französischen, spanischen und italienischen deklarativen Matrixsätzen die Zweit-Stellung des finiten Verbs offenbar nur dann grammatisch ist, wenn die satzinitiale Konstituente die grammatische Funktion des Subjekts innehat: (9)

fr.

(a) (b) (c) (d) (e)

La femme a lu le livre avec plaisir. *Le livre a la femme lu avec plaisir. *Avec plaisir a la femme lu le livre. *Lu a la femme le livre avec plaisir. *Si eile avait eu le temps, aurait la femme lu le livre.

(10) sp.

(a) (b) (c) (d) (e) (a) (b) (c) (d) (e)

La muier ha leido el libro con placer. *E1 libro ha la mujer leido con placer. *Con placer ha la mujer leido el libro. *Leido ha la mujer el libro con placer. *Si ella hubiera tenido tiempo. hubiera la mujer leido el libro. La donna ha letto il libro con piacere. *I1 libro ha la donna letto con piacere. *Con piacere ha la donna letto il libro. * Letto ha la donna il libro con piacere. *Se ella avesse avuto tempo, avrebbe la donna letto il libro.

(11) it.

Eine genauere Betrachtung dieser Sprachen macht jedoch deutlich, dass die Stellung des finiten Verbs in der zweiten Position keineswegs ausschließlich auf Kontexte beschränkt ist, in denen das Subjekt satzinitial steht. Unter bestimmten Bedingungen ist sie auch dann möglich, wenn ein Nicht-Subjekt den Satz einleitet. Dies ist im Spanischen und Italienischen etwa in Sätzen der Fall, die mit einer präpositionalen Ergänzung eingeleitet werden, allerdings - im Gegensatz zu den Sprachen mit einer strengen Verb-Zweit-Stellung - nur dann, wenn das Subjekt nicht zwischen dem Auxiliar und dem Partizip auftritt: (12) sp.

(a) (b)

Con placer ha leido el libro la mujer. Con placer ha leido la mujer el libro.

(13) it.

(a) (b)

Con piacere ha letto il libro la donna. Con piacere ha letto la donna il libro.

Diejenigen Sätze, in denen das Subjekt hinter dem Objekt steht, sind jedoch in beiden Sprachen markiert und i.d.R. nur möglich, wenn auf dem Subjekt eine besondere Betonung liegt. Dies gilt auch für solche Sätze des Spanischen und Italienischen wie in (14) oder (15), in denen das Objekt satzinitial erscheint. Es kann dort nur auftreten, wenn es gesondert betont ist und/oder in Kontrast zu anderen Konstituenten steht: (14) sp. (15) it.

UN ein UN ein

LIBRO ha Buch hat LIBRO ha Buch hat

leido gelesen letto gelesen

la die la die

mujer Frau donna Frau

(y und (e und

np nicht npn nicht

un eine un eine

periodico). Zeitung giornale). Zeitung

von Koopman (1984) als Verb-Zweit-Sprachen analysierten afrikanischen Kru-Sprachen hat Haider (1993:72) nachgewiesen, dass diese Analyse nicht zutreffend ist.

Das Französische verhält sich deutlich anders als das Italienische und Spanische. Hier ist zu beobachten, dass sich die Ungrammatikalität der durch ein Nicht-Subjekt eingeleiteten Sätze hi (9) weder durch eine Umstellung des postverbalen Subjekts noch durch eine gesonderte, kontrastive Betonung der satzinitialen Konstituenten ändert: (16)

fr.

(a) (b) (c)

*Avec plaisir a lu la femme le livre. mit Vergnügen hat gelesen die Frau das Buch *Avec plaisir a lu le livre la femme. mit Vergnügen hat gelesen das Buch die Frau *UN LIVRE lu la femme (et pas un journal). ein Buch hat gelesen die Frau und nicht eine Zeitung

Dennoch ist im Französischen die Zweit-Stellung des finiten Verbs in Sätzen mit einem satzinitialen Nicht-Subjekt keineswegs kategorisch ausgeschlossen. Sie ist beispielsweise in Sätzen mit bestimmten satzeinleitenden Adverbien, wie z.B. peut-etre oder ainsi, möglich. In diesem Fall muss das Subjekt allerdings pronominal sein. Außerdem besteht in Sätzen mit einem unakkusativischen oder sonstigen intransitiven Verb die Möglichkeit zur VerbZweit-Stellung, wobei es sich bei dem postverbalen Subjekt i.d.R. um eine indefinite Nominalphrase handelt. Ein pronominales Subjekt ist hier ausgeschlossen: (17)

fr.

(a) (b)

(18)

fr.

(a) (b)

Peut-etre -t-elle vielleicht hat sie *Peut-etre a la vielleicht hat die

lu le livre. gelesen das Buch femme lu le livre. Frau gelesen das Buch

Un jour est arrive une eines Tages ist angekommen eine *Un iour esl-elle arrivee eines Tages ist sie angekommen

femme avec un livre. Frau mit einem Buch avec un livre. mit einem Buch

Ein kurzer Blick auf das Portugiesische zeigt, dass auch hier Verb-Zweit-Stellungseffekte zu beobachten sind. Ähnlich wie im Spanischen und Italienischen ist die Voranstellung eines Objektes i.d.R. dann möglich, wenn diesem eine besondere kontrastive Betonung zukommt. Der Unterschied zum Italienischen und Spanischen allerdings besteht darin, dass im Portugiesischen dabei das Subjekt adjazent zum Auxiliar stehen kann: (19) pg.

(a) (b) (c)

A muiher tern lido o livro com prazer. die Frau hat gelesen das Buch mit Vergnügen UM LIVRO tern a muiher lido com prazer (e näo um jornal). ein Buch hat die Frau gelesen mit Vergnügen und nicht eine Zeitung Com prazer fern a muiher lido o livro. mit Vergnügen hat die Frau gelesen das Buch

Ausgeschlossen ist im Portugiesischen hingegen - ähnlich wie im Französischen, Spanischen und Italienischen - die Verb-Zweit-Stellung nach einem satzinital stehenden Partizip, wobei die Ungrammatikalität dieser Konstruktion unabhängig von der Betonung des Partizips oder der Stellung des Subjekts ist. Ungrammatisch ist außerdem die Subjekt-Verb-Inversion nach einem satzeinleitenden Nebensatz: (20) pg.

(a) (b)

*Lido lern a gelesen hat die *Se ela tivesse wenn sie hätte

muiher o Frau das tido tempo, gehabt Zeit

livro com prazer. Buch mit Vergnügen teria a muiher lido o livro. hätte die Frau gelesen das Buch

Die Beispiele machen deutlich, dass in den vier hier betrachteten romanischen Sprachen Stellungsmöglichkeiten des finiten Verbs zu beobachten sind, die denen der Sprachen mit einer strengen Verb-Zweit-Stellung sehr ähnlich sind. Gleichzeitig zeigen die Beispiele aber auch, dass das Auftreten dieser Verb-Zweit-Stellung je nach Einzelsprache sehr unterschiedlichen Beschränkungen unterliegt und von unterschiedlichen Faktoren abhängig ist. Damit unterscheiden sich diese romanischen Sprachen deutlich von den germanischen Verb-Zweit-Sprachen und vom Bündnerromanischen, in denen solche Unterschiede nicht zu beobachten sind. Sie verfügen folglich nicht über eine strenge Verb-Zweit-Stellungseigenschaft, die festlegt, dass das finite Verb in deklarativen Matrixsätzen stets und unabhängig von prosodischen, semantischen, pragmatischen oder stilistischen Faktoren die zweite Position im Satz einnehmen muss. Dieser Unterschied zwischen den germanischen Sprachen und dem Bündnerromanischen einerseits und den übrigen romanischen Sprachen andererseits fällt allerdings dann weniger deutlich aus, wenn man die /rwAromanischen Sprachen zum Vergleich heranzieht. Hier zeigt sich, dass insbesondere das Altfranzösische große Ähnlichkeiten zu den Verb-ZweitSprachen aufweist. Im Altfranzösischen unterliegt die Zweit-Stellung des finiten Verbs wesentlich geringeren Beschränkungen, als dies im Neufranzösischen der Fall ist. Wie die Beispiele in (21) veranschaulichen, gibt es im Altfranzösischen Belege für das Auftreten der Verb-Zweit-Stellung in allen typischen Kontexten, in denen in den germanischen VerbZweit-Sprachen und im Bündnerromanischen die Verb-Zweit-Stellung zu beobachten ist: (21) afr.

(a)

(b)

(c) (d) (e)

Et li baron regardent les letres und die Edelmänner betrachten die Buchstaben (=Brief) (que S.5,22)2 les deniers prenderons DOS die Geldstücke nehmen-werden wir (auc 18,37) (Thurneysen 1892:291) Dune prent li pedre de se(s) meilurs serjanz dann nimmt der Vater (einige) von seinen besten Dienern (ale 111) Bu(e)ns fut li s(i)ecles al tens ancienur gut war die Welt zur Zeit (der) Vorfahren (alel) E cume en la terrse Suph vindrent nule nuvele ncn und als in das Land Zuf (sie)-kamen und keine Nachricht nicht-darüber o'frent. fist Saül a sun serjant: 'Returnum! hörten machte (=sagte) Saul zu seinem Diener kehren-wir-um (qlr 17: l Sam 9,5 ) (Haarhoff 1936:43)

Die Abkürzungen der Quellen sind im Quellenverzeichnis aufgeführt. Sofern dies möglich war, sind alle Beispielsätze, die anderen Untersuchungen entnommen sind, von mir überprüft worden. Bei denjenigen Beispielen, deren Quellen mir nicht zugänglich waren oder von mir nicht ermittelt werden konnten, übernehme ich jeweils die Angaben der Untersuchung, der das Beispiel entnommen wurde. Für die Beispiele aus Texten der «ewromanischen Sprachen verzichte ich auf eine Quellenangabe. Da die syntaktische Stellung der Konstituenten Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist, wird in der Regel nur eine Wort-fur-Wort-Übersetzung der Beispiele gegeben. Eine sinngemäße Übersetzung wird nur dann geliefert, wenn sie zum Verständnis der syntaktischen Konstruktion notwendig erscheint.

Im Altspanischen und Altportugiesischen ist ebenso wie im Altfranzösischen die VerbZweit-Stellung wesentlich häufiger als in den modernen Varietäten zu beobachten. Außerdem tritt sie auch in Kontexten auf, in denen sie im modernen Spanischen bzw. modernen Portugiesischen gar nicht oder nur selten vorkommt: (22) asp. (a)

(b)

(c) (d) (e)

(23) apg. (a)

(b) (c) (d)

(e)

Muca avia vn fijo Muca hatte einen Sohn (alf!52,l) mas mis pecados propios devo traer delante de „ aber meine Sünden eigene (ich)-muss tragen vor PRÄP (abc 58-59) (England 1980:8) E entonces le dixo Muget: und dann ihm sagte Muget (alf!37,76) tan prieta et tan luzia es aquella pretura so schwarz und so glänzend ist dieses Amt (luc 5, S.80,13) (England 1984:388) Si el vna vez en su poder me touiesse. non seria wenn er einmal in seiner Macht mich halten-würde nicht wäre seguro de la vida sicher von dem Lebens (luc 9,8.89,17-19)

mi mir

yo bien ich wohl

Esseu padre Panuncio deu todo oqui avia ao moesteiro und-ihr Vater gab alles was (er)-hatte dem Kloster (eufS.365,32-33) Esto dizia oabbade de Eufrosina quesse chamava Asmarado dies sagte der-Abt von Eufrosina die-sich nannte Asmarado (eufS.362,40-41) E emtom chamou oabbade hüu möge und dann rief der-Abt einen Mönch (eufS.361,5-6) Bern aventurados ssom estes baroöes sehr glücklich sind diese Männer (eufS.358,23) Depois queo monee disse estas cousas e outras semelhavees nachdem dass-der Mönch sagte diese Sachen und andere ähnliche a Eufrosina. veo Paununfio sseu padre zu Eufrosina kam Paununsio ihr Vater (eufS.359,24-25)

Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch hinsichtlich des Italienischen machen. So liefert Benincä (1983/84) Belege aus den Testi di Lio Mazor, einem norditalienischen - möglicherweise venezianischen - Text aus dem 14. Jhdt, für die Verb-Zweit-Stellung in allen hier beobachteten Kontexten mit Ausnahme des Falls, bei dem ein Nebensatz den Satz einleitet: (24) ait.

(a) (b)

Picol Pare leva up runchun Picol Pare aufgehoben-hat eine Hippe (Lio Mazor 6r, 19) (zitiert nach Benincä 1983/84:182) questo avroe dieses haben-werde ich (Lio Mazor 14r,7) (zitiert nach Benincä 1983/84:181)

(c) (d)

E cosi vogä eli fma ala puntadel canal und so ruderten sie bis zum Ende des Kanals (Lio Mazor 21 r,24) (zitiert nach Benincä 1983/84:181) Condanä fo ser Nicholö verurteilt wurde Herr Nicholö (Lio Mazor 2t,27) (zitiert nach Benincä 1983/84:181)

Diese Belege deuten darauf hin, dass die altromanischen Sprachen offenbar in ähnlicher Weise wie die germanischen Sprachen durch eine strenge Verb-Zweit-Stellungseigenschaft charakterisiert waren und somit möglicherweise als Verb-Zweit-Sprachen analysiert werden können. Aus diesem Grund werden die in den modernen Varietäten dieser Sprachen zu beobachtenden Verb-Zweit-Stellungsmuster sehr häufig als ein 'Überbleibsel' einer ursprünglich generell gültigen Verb-Zweit-Stellungsregel betrachtet. Stellvertretend für diese Auffassung kann Foulets Bemerkung über den Status adverbial eingeleiteter Inversionskonstruktionen im modernen Französischen gesehen werden (cf. auch Goldsmith 1981:547, Rohlfs 1982:241, Rizzi 1990b, 1990c): De nos jours, l'inversion apres quelques adverbes ou locutions adverbiales est un heritage de la vieille langue et tout ce qui reste d'une construction autrefois si repandue et si familiere. (Foulet 1928:315)

Den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bilden die hier beobachteten Verb-Zweit-Stellungs- oder Inversionskonstruktionen der frühen und der modernen romanischen Sprachen. Dabei geht es primär darum zu klären, ob und auf welche Weise diesen Konstruktionen tatsächlich eine Verb-Zweit-Struktur zugeordnet werden kann. Zunächst soll im Kapitel 2 in einem Vergleich mit den germanischen Verb-Zweit-Sprachen der Frage nachgegangen werden, ob die in den modernen romanischen Sprachen auftretenden Verb-Zweit-Stellungsmuster in gleicher Weise analysiert werden können wie die strenge Verb-Zweit-Stellung der germanischen Sprachen und inwiefern somit deren Charakterisierung als "heritage de la vieille langue" gerechtfertigt ist. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die daran anschließende Untersuchung der diachronischen Entwicklung der Verbstellung in den romanischen Sprachen, wobei die Entwicklung im Französischen den Schwerpunkt bildet, da hier die gravierendsten Veränderungen eingetreten sind. Die zentrale, empirisch zu überprüfende Frage lautet, ob diese Sprachen eine ursprüngliche strenge Verb-Zweit-Stellungseigenschaft verloren haben und wie der zu beobachtende Wandel im Rahmen der hier gewählten generativen Prinzipien- und Parameter-Theorie erklärt werden kann.

l .2

Die grammatiktheoretischen Grundlagen: Die generative Prinzipien- und Parametertheorie

Für die Untersuchung eines Phänomens, das rein syntaktischer Natur ist, liegt es nahe, als theoretischen Rahmen ein Grammatikmodell zu wählen, das von der Annahme ausgeht, dass jede menschliche Sprache über ein autonomes mentales System verfügt, dessen Prinzipien und Regularitäten nicht auf semantische oder pragmatische Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt werden können, sondern ausschließlich auf syntaktischen Kategorien und Be-

8

grifflichkeiten aufgebaut sind. Auf dieser Annahme basiert bekanntlich die generative Grammatiktheorie, deren Ziel es ist, dieses autonome System der menschlichen Sprache zu beschreiben und dessen Regularitäten zu erfassen. Es darf vermutet werden, dass die rein syntaktisch motivierten Regeln der Verb-Zweit-Stellung ein Bestandteil dieses Systems sind (Fanselow / Felix 1987:71f). Daher sollte zu erwarten sein, dass die generative Grammatiktheorie eine angemessene Grundlage für die Untersuchung des Verb-Zweit-Stellungsphänomens und dessen historische Entwicklung liefert. Hinter der Entscheidung für diese Grammatiktheorie steht zunächst natürlich auch die Überzeugung, dass eine solche Untersuchung nur dann zu angemessenen und aussagekräftigen Ergebnissen gelangen kann, wenn sie in eine Theorie eingebettet ist, die über ein fundiertes und detailliert ausgearbeitetes Grammatikmodell zur Beschreibung menschlicher Sprachen und darüber hinausgehend über ein umfangreiches Forschungsprogramm zur Klärung weiter reichender Fragen über die menschliche Sprachfähigkeit verfugt. Beide Voraussetzungen sind meiner Überzeugung nach in der generativen Grammatiktheorie erfüllt. Sie legt als kognitionswissenschaftlich zu verstehender Ansatz für alle Erklärungsversuche und deren Bewertungen einen spezifischen Rahmen fest, nämlich insofern als diese mit den derzeit akzeptierten Hypothesen über die Repräsentation von Sprache, die Modalitäten ihrer Verarbeitung und ihres Erwerbs vereinbar sein müssen. Betont werden muss, dass der Untersuchungsgegenstand der generativen Grammatiktheorie die interne, jedem kompetenten Sprecher internalisierte Sprache (I-Sprache) ist, deren Grammatik ein mental repräsentiertes System von Regeln und Prinzipien darstellt. Ziel der generativen Grammatiktheorie ist es, die Strukturen dieser Grammatik zu erfassen und zu beschreiben. Dabei können auch Beschreibungen verschiedener historischer Zustände einer Sprache geliefert und somit Aussagen über die Grammatiksysteme von Sprechern einer Sprache zu verschiedenen Zeiten gemacht werden. Dementsprechend geht es in einer generativen Theorie des Sprachwandels darum, "Sprachwandel durch die Unterschiede zwischen verschiedenen grammatischen Regelsystemen zu beschreiben und diese Unterschiede formal zu definieren" (Lenerz 1993:1167), d.h. dahingehend zu betrachten, ob und inwiefern die interne Grammatik der Sprache Veränderungen erfahren hat. Die Entscheidung für diese Theorie impliziert nicht, dass sie als die einzige angesehen wird, die es ermöglichen würde, adäquate Aussagen über den hier behandelten Untersuchungsgegenstand zu machen. Vielmehr stellt die generative Grammatiktheorie nur eine der verschiedenen Möglichkeiten der linguistischen Beschreibung dar. Allein auf Grund der Tatsache, dass bereits vor der Entwicklung der generativen Grammatiktheorie umfangreiche Studien zur Wortstellung und Wortstellungsentwicklung in den romanischen Sprachen betrieben worden sind, basiert der weitaus größte Teil dieser Untersuchungen auf nicht generativen Theorien. Eines der Ziele einer generativen Untersuchung könnte daher darin gesehen werden, komplementäre Ergebnisse zu diesen nicht generativen Arbeiten zu liefern. Dies setzt eine gründliche Auseinandersetzung mit den Ergebnissen dieser Untersuchungen voraus. In den bisherigen generativen Arbeiten ist dies allerdings kaum geschehen. In der Regel werden dort nicht generative Arbeiten nur marginal zur Kenntnis genommen. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass die generative Syntaxforschung sehr mit sich selbst und der internen Theorieentwicklung beschäftigt ist. Die intensive interne Diskussion hat zur Folge, dass die Theorie eine sehr rasche Entwicklung genommen hat, die durch mehrere, mitunter sehr radikale Veränderungen geprägt ist und zur Herausbildung verschiedener, teilweise miteinander konkurrierender Modellansätze geführt hat. Diese Ent-

wicklung hat natürlich auch Auswirkungen auf eine generative historische Syntaxforschung: Unfortunately for the historical linguist, however, generative syntax is characterized by a great variety of often radically different theoretical approaches and practical concerns. Moreover, generative syntax exhibits great variability not only 'synchronically', but also 'diachronically', in that - it seems - every five years or so, at least one radically new theory appears on the scene. (Hock 1991:309)

In der Tat stellen diese rasanten Entwicklungen und Veränderungen in der generativen Grammatiktheorie jeden historisch arbeitenden Linguisten, der sich an dieser Grammatiktheorie orientiert, vor das Problern, bis zu welchem Punkt der Entwicklung der Theorie gefolgt werden soll, um schließlich mit der eigenen Untersuchung zu beginnen. Hier kann nur eine pragmatische Lösung gewählt werden. Sie besteht darin, dasjenige Modell auszuwählen, das einerseits geeignet ist, den zentralen Fragen des Sprachwandels gerecht zu werden, und das andererseits eine adäquate Grundlage dafür liefert, die bisherigen generativen Untersuchungen zum Sprachwandel und zum Untersuchungsgegenstand der eigenen Arbeit diskutieren und miteinander vergleichen zu können. Auf Grund dieser Vorgaben fällt die Entscheidung eindeutig zu Gunsten der in den 80er-Jahren entwickelten Prinzipien- und Parametertheorie aus (Chomsky 1981, 1982, 1986a, 1986b). Insbesondere die darin entworfene Theorie der Parameter liefert den Rahmen für ein vielversprechendes Programm zur Erforschung der historischen Syntax, das mittlerweile Eingang in eine generative Theorie des Sprachwandels gefunden hat (Lightfoot 1991, 1993a, Roberts 1992, 1993). Gleichzeitig bildet die Prinzipien- und Parametertheorie auch die theoretische Grundlage für eine zu Beginn der 80er-Jahre einsetzende sehr intensive Diskussion der Verb-Zweit-Stellungseffekte in den germanischen sowie in den (früh-)romanischen Sprachen.

l .2. l

Grundlagen und Zielsetzungen der Prinzipien- und Parametertheorie

Die zentrale Motivation für die Entwicklung der Prinzipien- und Parametertheorie basiert auf der für die generative Sprachtheorie fundamentalen Hypothese, die besagt, dass es nicht möglich ist, komplexe und systematische grammatische Eigenschaften natürlicher Sprachen durch allgemeine Lemstrategien oder induktive Verfahrensweisen zu erwerben, so dass die genetische und damit vorgegebene Determination der Sprachfähigkeit an eine sprachspezifische Komponente geknüpft ist. Diese Hypothese leitet sich aus Beobachtungen des kindlichen Erstspracherwerbs ab, die deutlich machen, dass alle Kinder ihre Muttersprache prinzipiell in gleicher Weise und unter normalen Voraussetzungen stets erfolgreich und innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne erwerben. Das Bemerkenswerte daran ist vor allem, dass dies der Fall ist, obwohl die Regeln und Gesetzmäßigkeiten der zu erwerbenden Sprache sehr komplexer Natur sind und vielfach an den oberflächlichen Struktureigenschaften der sprachlichen Daten nicht erkennbar sind. Mit anderen Worten, die Daten, denen ein Kind während des Spracherwerbs ausgesetzt ist, sind unterdeterminiert, d.h. sie reichen nicht aus, um den Erwerb derart komplexer Regeln und Prinzipien zu ermöglichen. Kinder können den Daten nur entnehmen, welche Sätze in ihrer Muttersprache möglich sind (positive Evidenz). Dabei hören sie allerdings keineswegs alle möglichen Sätze ihrer Muttersprache und erhalten außerdem keine - zumindest keine regelmäßige und eine individuell sehr verschiedene - Information darüber, welche Sätze in ihrer Muttersprache ausgeschlossen

10 sind (negative Evidenz). Dennoch sind sie innerhalb kurzer Zeit in der Lage, korrekte Sätze in ihrer Muttersprache zu bilden und zu verstehen und nicht korrekte Sätze als ungrammatisch zu beurteilen. Erklärtes Ziel der generativen Grammatik ist es, eine Erklärung für dieses 'logische Problem des Spracherwerbs' zu finden.3 Es geht also darum, diejenigen Regeln und Prinzipien zu formulieren, die den kindlichen Erwerb jeder menschlichen Sprache gewährleisten. Auf Grund der beschriebenen Spracherwerbsproblematik muss die Vielfalt dieser Regeln und Prinzipien möglichst restriktiv gehalten werden. Sie muss aber gleichzeitig groß genug sein, um die grammatischen Gemeinsamkeiten aller Sprachen zu erfassen. Neben diesen universalgrammatischen Regeln und Prinzipien gibt es darüber hinaus auch grammatische Eigenschaften von Sprachen, durch die nicht alle, jedoch mehrere Sprachen gekennzeichnet sind. Um dies zu erfassen, wird angenommen, dass die Universalgrammatik neben den besagten Regeln und Prinzipien Strukturoptionen ('Parameter') zur Verfügung stellt, deren Wert für jede Einzelsprache gesondert festgelegt ist. Dieser Wert besagt, ob eine Sprache eine (oder mehrere) bestimmte Eigenschaft(en) besitzt oder nicht. Im Verlauf des Spracherwerbs muss das Kind auf Grund der ihm zugänglichen Sprachdaten ('Input') für die verschiedenen Parameter den jeweiligen Wert, der für seine Muttersprache in Frage kommt, festlegen. Entscheidend ist hierbei vor allem die Annahme, dass diese Parameterfixierung den Erwerb mehrerer Eigenschaften, die gebündelt mit einem Parameterwert verbunden sind, impliziert. Das bedeutet, dass Kinder diese Eigenschaften nicht separat und nacheinander erlernen müssen, sondern dass diese mit der Festlegung des betreffenden Parameters auf einen bestimmten Wert gleichzeitig und 'automatisch' in die Grammatik integriert werden. Im Zusammenhang mit dem von Chomsky (1995) entworfenen 'Minimalistischen Programm' ist die Diskussion der Parameter stark in den Hintergrund getreten. Da jedoch das Minimalistische Programm in die generative Prinzipien- und Parametertheorie eingebettet ist, bedeutet dies keineswegs eine Aufgabe der Parametertheorie, sondern lediglich eine Verschiebung des Schwerpunkts der aktuellen generativen Grammatikdiskussion. Im Zentrum stehen gegenwärtig vorwiegend technische Fragen bzgl. des Aufbaus und der Funktionsweise universal- und einzelsprachlicher Regeln und Prinzipien. Ausgelöst durch die Arbeiten von Pollock (1989) und Chomsky (1991) ist eine intensive Diskussion über Art und Anzahl funktionaler Kategorien entstanden. Obwohl gegen die Einführung zusätzlicher funktionaler Kategorien neben den Kategorien INFL und COMP zahlreiche und gut begründete Einwände vorgebracht wurden (latridou 1990, Abeille / Godard 1994, Meisel 1994), ist die Annahme der INFL-Aufspaltung in mehrere funktionale Kategorien sowie die Einführung einer Neg(ations)-Phrase oder einer D(eterminierer)-Phrase weitgehend akzeptiert worden. Etwas umstrittener ist die Annahme einer in mehrere funktionale Kategorien unterteilten CP (Müller / Sternefeld 1993, Rizzi 1997). In der vorliegenden Untersuchung wird dennoch davon ausgegangen, dass auf die Annahme solcher zusätzlicher funktionaler Kategorien verzichtet werden kann, um die hier untersuchten Verb-Zweit-Stellungseffekte zu erfassen. Es wird angenommen, dass es möglich ist, auf der Grundlage eines Phrasenstrukturbaums, der lediglich die beiden funktiona-

3

Chomsky (1986b:xxvii) sieht darin einen Sonderfall von 'Platons Problem', das darin besteht zu erklären, "how we know so much, given that the evidence available to us is so sparse".

11

len Phrasen CP und IP enthält (Chomsky 1986a), eine adäquate Verb-Zweit-Stellungsanalyse zu erarbeiten:4 (25)

Diese Auffassung steht im Einklang mit der Mehrzahl der bisherigen generativen VerbZweit-Stellungsanalysen, die mehrheitlich im vorminimalistischen Rahmen entworfen worden sind. Insbesondere, was die Struktur der CP betrifft, die für die generative Analyse der Verb-Zweit-Stellung von zentraler Bedeutung ist, konnte auch in minimalistischen Untersuchungen gezeigt werden, dass eine Aufspaltung dieser funktionalen Kategorie nicht notwendig ist (Abraham 1997). Die Annahme des Strukturbaums (25) impliziert allerdings keine grundsätzliche Ablehnung komplexerer Strukturbäume. Sie gibt lediglich die Auffassung wieder, wonach die Annahme weniger komplexer Strukturbäume immer dann wünschenswert ist, wenn diese zur Formulierung der notwendigen Generalisierungen ausreichend sind. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass der Strukturbaum (25) für die adäquate Bestimmung der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft und der damit verbundenen Generalisierungen geeignet ist.

l .2.2

Die Prinzipien- und Parametertheorie und die historische Syntaxforschung

Eine der Grundannahmen vieler moderner Sprachwandeltheorien besagt, dass die Vorgänge beim kindlichen Erstspracherwerb eine zentrale Rolle für den Wandel von Sprachen spie-

Grundsätzlich stellt sich die Frage, inwiefern es überhaupt gerechtfertigt ist, die im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie ursprünglich erarbeiteten und gut begründeten Annahmen über Satz- und Grammatikstrukturen aufzugeben. Bislang ist es nicht gelungen, in überzeugender Weise den Nachweis für die größere Erklärungsadäquatheit des Minimalistischen Modells gegenüber dem ursprünglichen rektions- und bindungstheoretischen Ansatz zu erbringen: "What is altogether mysterious from a purely scientific point of view is the rapidity with which a substantial number of investigators, who had significant research commitments in the Government-Binding framework, have abandoned that framework and much of its conceptual inventory, virtually overnight. In its place they have adopted an approch which, as far as we can tell, is in no way superior with respect to either predictive capabilities nor explanatory power." (Lappin / Levine / Johnson 2000:267)

12 len. Sie geht auf den Junggrammatiker Hermann Paul zurück, der als einer der ersten auf die Bedeutung des Spracherwerbs für den Sprachwandel aufmerksam gemacht hat: Es liegt auf der Hand, dass die Vorgänge bei der Spracherlernung von der allerhöchsten W i c h t i g k e i t für die E r k l ä r u n g der Veränderung des Sprachusus sind, dass sie die wichtigste Ursache für diese Veränderungen abgeben. Wenn wir, zwei durch einen längeren Zwischenraum von einander getrennte Epochen vergleichend, sagen, die Sprache habe sich in den Punkten verändert, so geben wir ja damit nicht den wirklichen Tatbestand an, sondern es verhält sich vielmehr so: die Sprache hat sich ganz neu erzeugt und diese Neuschöpfung ist nicht völlig übereinstimmend mit dem Früheren, jetzt Untergegangenen ausgefallen. (Paul 1920:34) Nach Auffassung von Paul (1920:34) können diese Vorgänge im Sprachenverb "entweder positiv oder negativ sein, d.h. sie bestehen entweder in der Schöpfung von etwas Neuem oder in dem Untergang von etwas Altem, oder endlich drittens sie bestehen in einer Unters c h i e b u n g , d.h. der Untergang des Alten und das Auftreten des Neuen erfolgt durch den selben Akt". Paul macht allerdings keinerlei konkrete Angaben über das Funktionieren dieser Spracherwerbsmechanismen und lässt die Frage offen, warum es dabei zu Veränderungen der Muttersprache kommen kann (cf. Weinreich / Labov / Herzog 1968:109). Einen Versuch, diese Frage zu beantworten, stellt das von Andersen (1973) entwickelte Sprachwandelmodell dar. Dieses Modell, das weitgehend in alle modernen Sprachwandeltheorien Eingang gefunden hat5, basiert auf der Annahme, dass Kinder keinen direkten Zugang zur "internalized grammar" der erwachsenen Sprecher ihrer Muttersprache haben. Stattdessen muss das Kind auf der Grundlage des erwachsenensprachlichen Inputs ("Output l") und unter Mitwirkung der von der Universalgrammatik vorgegebenen Regeln und Prinzipien die Grammatik der Erwachsenensprache rekonstruieren (Andersen 1973:767, Anttilal989:197): (26)

Universalgrammatik

Grammatik der Erwachsenen

l

Erwachsenensprache (Output l')]

Grammatik der Kinder Kindersprachc (Output 2')

Zu einem Wandel des grammatischen Systems einer Sprache kann es diesem Modell zufolge dann kommen, wenn Kinder die Daten des erwachsenensprachlichen Inputs in einer anderen Weise interpretieren als in der im Grammatiksystem der Erwachsenen vorgegebenen Weise. Das heißt, "eine von den bisher üblichen Grammatiken abweichende neue Grammatik wird konstruiert", wobei "die sich aus ihr ergebende Sprechtätigkeit [...] von der bisherigen Sprechtätigkeit verschieden sein [kann], [...] es aber nicht [muß]" (Bechert 1982:207). Gemäß der klassischen Definition von Reanalyse, die auf Langacker (1977:58)

5

Andersens Modell diente ursprünglich nur der Erklärung von phonologischem Wandel (in einem tschechischen Dialekt in Nordostböhmen). Es wurde erst später zur Erklärung von syntaktischem Wandel herangezogen (für eine kritische Darstellung des Andersen'schen Modells cf. Bechert 1982 und Anttila 1989:196ff.).

13

zurückgeht, wird sogar explizit davon ausgegangen, dass diese Neuerung zunächst keine Auswirkungen auf die "Sprechtätigkeit" hat, sondern erst später zu Veränderungen der Oberflächenstruktur führen kann: I will define "reanalysis" as change in the structure of an expression or class of expressions that does not involve any immediate or intrinsic modification of its surface manifestation. Reanalysis may lead to changes at the surface level [...], but these surface changes can be viewed as the natural and expected result of functionally prior modifications in rules and underlying representations. (Langacker 1977:58) Eine solche Auffassung von Sprachwandel, in der die Existenz von mindestens zwei Repräsentationsebenen für Sprache postuliert wird, impliziert, wie Abraham (1992:7) zu Recht betont, eine Theorieorientierung, d.h. sie ist "in einem naturwissenschaftlichen Sinne absolut theorieverpflichtet": Reanalyse oder Restrukturierung setzen, wollen sie nicht zu trivialen Werkzeugen linguistischer Intuitionsbestätigung werden, eine typologisch leistungsfähige, abstrakte und formalisierte Syntaxund Morphosyntaxtheorie voraus, eine gesunde Mischung aus empirisch gut gesicherten Generalisierungen, gespeist aus Erscheinungen aus dem linguistischen Kernbereich, sowie ein theoretisches Konstrukt, das einerseits weitmaschig genug gebaut ist, alle Erscheinungsformen der Sprache zu erfassen, und das andererseits in seinen Konstruktformen eng genug vernetzt ist, sodafß] weitläufige, Voraussagen erlaubende Zusammenhänge innerhalb der Theoriekomponenten sichtbar werden. Solche formalen Theorien legen ihrerseits den methodischen Experimentier- und [Ü]berprüfungsrahmen relativ fest aus (Distributionstests; relativ hohe Gewichtung von Wortstellungsbeobachtungen; Einengung des abzuprüfenden Erscheinungsbereichs auf minimale Unterschiede unter Fixierung aller anderer potentieller Einflu[ß]faktoren; deutliche Konzepte von semantisch-logischem Skopus; Fragestellungen aus dem Erst- und Zweitspracherwerb, deren Phänomene in die Zuspitzung der theoretischen Modellfragen miteingehen; etc.). (Abraham 1992:18f.) Für Abraham (1992:19) steht außer Frage, dass "die syntaktische Schule der Universalgrammatik" und damit die generative Prinzipien- und Parametertheorie diese hier geforderten Voraussetzungen erfüllt und somit ein adäquates Modell zur Erfassung diachronischer Restrukturierungsprozesse darstellt. Diese Theorie stellt nicht nur den notwendigen methodischen Experimentier- und Überprüfungsrahmen zur Verfügung, sondern liefert auch die Möglichkeit, unterschiedliche Sprachwandelphänomene als grundsätzlich verschiedene Prozesse zu beschreiben, die auf unterschiedlichen Ebenen der Grammatik operieren und unterschiedliche Module betreffen. Allmähliche, langwierige Sprachwandelprozesse können als Prozesse betrachtet werden, die ausschließlich oberflächliche Strukturen betreffen. Hierbei handelt es sich um Prozesse wie etwa der Grammatikalisierung oder der lexikalischen Entlehnung (Abraham 1992:8). Ein solcher Vorgang, den Roberts (1992:158) als "step" bezeichnet, führt i.d.R. zu einer Zunahme der Häufigkeit bestimmter Konstruktionen in der Sprache, d.h. der Gebrauch einer bestimmten Konstruktion hat einen Wandel erfahren, während deren zugrunde liegende Struktur unverändert bleibt. Es wird angenommen, dass dieser Wandel in der Erwachsenensprache dazu führen kann, dass die Kinder einer oder mehrerer Generationen damit beginnen, diesen Konstruktionen eine andere zugrunde liegende Struktur als in der Erwachsenengrammatik zuzuordnen, d.h. sie zu reanalysieren. Sehr umstritten ist in der gesamten Reanalyse-Diskussion vor allem, ob diese Veränderungen der zugrunde liegenden Struktur abrupt eintreten müssen (Lightfoot 1979, 1991, Haspelmath 1998) oder ob es sich hierbei vielmehr um langwierige Prozesse handeln kann

14 (Harris / Campbell 1995, Roberts 1993). Grundlegend für die generative Sprachwandelanalyse ist die Annahme, dass es Sprachwandelerscheinungen gibt, die plötzlich und abrupt eintreten ("catastrophic changes", Lightfoot 1991, 1997a). Sie werden entweder als das unmittelbare Resultat einer 'radikalen' Reanalyse erfasst oder als Folge einer Reanalyse, die erst später in eine abrupte Änderung, d.h. in die endgültige Aufgabe einer ursprünglichen Konstruktion, mündet. In beiden Fällen wird angenommen, dass einzelne Parameterwerte eine Umfixierung erfahren, wodurch eine Änderung des gesamten grammatischen Systems ausgelöst wird: [...] we have seen that in generative work on change, the emphasis is on abrupt change. This is primarily a consequence of the theoretical framework. Since parameter settings are typically an all-or-nothing phenomenon, a new parameter setting will represent an abrupt change in the I-language of the speaker with respect to those of the speakers in her language environment. (Kemenade/Vincent 1997:4) Somit kann ein Vorteil einer auf der generativen Prinzipien- und Parametertheorie basierenden Sprachwandeltheorie darin gesehen werden, dass bestimmte Phänomene der diachronen Variation auf eine grundsätzlich andere Weise als in bisherigen Sprachwandeltheorien erfasst werden können. Die Attraktivität der Prinzipien- und Parameter-Theorie für eine Theorie des Sprachwandels, die Sprachwandelphänomene Vorgängen im kindlichen Spracherwerb zuschreibt, liegt außerdem insbesondere darin, dass sie auf Beobachtungen aus dem Erstspracherwerb beruht und diese zu erklären versucht. Damit besteht für eine generative Sprachwandelforschung auch die Möglichkeit, selbst einen Beitrag zur Erforschung des logischen Problems des Spracherwerbs zu leisten, da auf Grund der Ergebnisse aus der Sprachwandelforschung möglicherweise Rückschlüsse auf Prozesse des kindlichen Spracherwerbs gezogen werden können. Dies gilt auch im Hinblick auf die Theorie der Parameter, deren Funktionsweise noch weitgehend ungeklärt ist, da einerseits bislang "[gjrundsätzliche Überlegungen zur Natur solcher Parameter [...] weitgehend [fehlen]" (Lenerz 1993:1173) und andererseits die konkrete Ausformulierung einzelner Parameter auch des hier betrachteten Verb-Zweit-Parameters - bislang nur in Ansätzen gelungen ist. Eine generative Untersuchung des Wandels von Parametern könnte hier einen zentralen Beitrag für die Weiterentwicklung der Parametertheorie liefern: Diachrone Untersuchungen könnten hier entscheidende Evidenz erbringen, so daß durch weitere diachrone Forschung sowohl das Verständnis des Sprachwandels wie der Grammatiktheorie zu fördern wäre. (Lenerz 1993:1173) Lenerz stellt allerdings fest, dass die historische generative Syntax bislang nur wenig zu einem tieferen Verständnis von Sprachwandel und Parametern beigetragen hat und äußert die Befürchtung, dass dieser "Dornröschenschlaf der diachronen generativen Syntax noch längere Zeit anhalten wird. Seine Skepsis führt Lenerz (1993:1173) auf die "fehlende diachrone Ausbildung der meisten generativen" Linguisten zurück. Von den diachron geschulten Linguisten erwartet Lenerz (1993:1173) aber auch "kaum [...] eine baldige durchgreifende Änderung", da diese über eine "mangelnde generative Ausbildung" verfügen.6

Noch pessimistischer ist die Sichtweise von Werner (1993). In einer profunden Kritik bisheriger Sprachwandeltheorien stellt er fest, dass diese Theorien u.a. deshalb als inadäquat anzusehen sind, weil sie auf linguistischen Modellen basieren, die nicht in der Lage sind, in angemessener Weise

15

In der vorliegenden generativen Studie wird versucht, diesem Manko entgegenzutreten, indem hier auch ausfuhrlich nicht generative Literatur berücksichtigt wird. Ich schließe mich dabei der Vorgehensweise von Janßen (1993:4) an, der die "wesentlichen Grundlagen und Methoden" der generativen Grammatiktheorie verwendet, dennoch "nicht die formalen generativen Mechanismen im Forschungsinteresse" sieht, sondern "die Eigenschaften der zu beschreibenden sprachlichen Strukturen". Ziel ist es daher, nicht nur einen Beitrag zu einem besseren Verständnis des Funktionierens von Parametern im Allgemeinen und des Verb-Zweit-Parameters im Besonderen zu leisten, sondern auch zu zeigen, dass eine Sprachwandelanalyse auf der Grundlage der generativen Grammatiktheorie keineswegs nur the orie interne Ergebnisse liefern, sondern auch Ergebnisse erzielen kann, die "auch in anderen Theorieansätzen sinnvolle und notwendige Bausteine sein können [...]" (Janßen 1993:4). Gleichzeitig muss aber klar sein, dass es ohne eine theoretische Grundlage gar nicht möglich wäre, die hier untersuchten Sprachdaten zu interpretieren und neue Erkenntnisse über den Untersuchungsgegenstand zu gewinnen: It can be maintained [...] that there is no relevant raw syntactic data independent of interpretation and analysis, and that any account of syntactic history must be firmly rooted in a theory of syntactic structure. (Posner 1997:347) Im folgenden Kapitel soll daher zunächst diskutiert werden, wie im Rahmen der generativen Grammatiktheorie die strenge Verb-Zweit-Stellung der germanischen Sprachen am adäquatesten erfasst werden kann. Im Anschluss daran wird auf dieser Grundlage überprüft, ob und inwiefern die in den modernen romanischen Sprachen zu beobachtenden VerbZweit-Stellungseffekte in der gleichen Weise analysiert werden können. Das Ergebnis wird sein, dass dies - ausgenommen im Bündnerromanischen - nicht der Fall ist, sondern dass es sich bei diesen Verb-Stellungsmustem lediglich um scheinbare Verb-Zweit-Stellungseffekte handelt, die in einer grundsätzlich anderen Weise analysiert werden müssen als in den Sprachen, die über eine strenge Verb-Zweit-Stellungseigenschaft verfügen.

der Komplexität natürlicher Sprachen gerecht zu werden. Resignierend konstatiert Werner (1993:126), dass man bislang noch weit entfernt ist von einem "successful modelling of the complexitiy of natural languages with formal means". Folglich gibt es für Werner gegenwärtig kein linguistisches Modell, das als theoretische Grundlage für eine Untersuchung von Sprachwandel geeignet wäre.

2.

Die Verb-Zweit-Stellung in den germanischen und romanischen Sprachen

2.1

Die strenge Verb-Zweit-Stellung in den germanischen Sprachen

2.1.1

Die Verbstellung in Verb-Zweit-Sprachen mit strenger Asymmetrie

Ausgehend von den Arbeiten von Thiersch (1978) und den Besten (1983) ist den meisten generativen Verb-Zweit-Analysen des Deutschen und Niederländischen die Annahme gemeinsam, dass die Verb-Zweit-Stellung das Resultat einer Bewegung des finiten Verbs in die Komplementierer-Position ist. Diese Annahme basiert auf der Beobachtung, dass in diesen Sprachen die Zweit-Stellung des finiten Verbs in den Sätzen ausgeschlossen ist, die einen Komplementierer enthalten. Während im Matrixsatz das finite Verb obligatorisch in der zweiten Position auftritt, kann es in einem durch eine Konjunktion eingeleiteten Nebensatz diese Position nicht einnehmen (Thiersch 1978:12f., den Besten 1983:54f.): (1)

dt.

(a) (b) (c) (d)

Die Frau hat ein Buch gelesen. *Die Frau ein Buch gelesen hat. "Ich glaube, dass die Frau hat ein Buch gelesen. Ich glaube, dass die Frau ein Buch gelesen hat.

(2)

nl.

(a) (b)

De vrouw heeft een boek gelezen. *De vrouw een boek gelezen heeft.

(c)

*Ik geloof dat de vrouw heeft een boek gelezen.

(d)

Ik geloof dat de vrouw een boek gelezen heeft.

Die gleiche komplementäre Verteilung zwischen finitem Verb und Konjunktion ist in Nebensätzen zu beobachten, die einen Matrixsatz einleiten. Am Beispiel satzeinleitender Konditionalsätze wird deutlich, dass entweder nur das finite Verb oder nur eine Konjunktion satzinitial stehen können. Das gleichzeitige Auftreten von finitem Verb und Konjunktion in satzinitialer Position ist ausgeschlossen (cf. Vikner 1995:43): (3)

(4)

dt.

nl.

(a) (b)

Wenn die Frau Zeit gehabt hätte, hätte sie ein Buch gelesen. *Wenn hätte die Frau Zeit gehabt, hätte sie ein Buch gelesen.

(c)

Hätte die Frau Zeit gehabt, hätte sie ein Buch gelesen.

(d)

*Hätte wenn die Frau Zeit gehabt, hätte sie ein Buch gelesen.

(a)

Als de vrouw tiid gehad had, had ze een bock gelezen.

(b)

*Als had de vrouw tijd gehad, had ze een boek gelezen.

(c)

Had de vrouw tijd gehad, had ze een boek gelezen.

(d)

*Had als de vrouw tijd gehad, had ze een boek gelezen.

Eine weitere Beobachtung, die darauf hindeutet, dass finites Verb und Konjunktion die gleiche Position im Satz einnehmen, ist die, dass die unbetonten Pronomen im Matrixsatz bevorzugt unmittelbar rechts vom finiten Verb und im Nebensatz bevorzugt unmittelbar hinter der Konjunktion auftreten (Tomaselli 1990:25):

17

(5)

dt.

(6)

dt.

(a) (b) (c) (a) (b) (c)

Gestern hat ihm die Frau ein Buch geschenkt. Gestern hat es die Frau dem Mann geschenkt. Gestern hat es ihm die Frau schon gesagt. ..., dass ihm die Frau ein Buch geschenkt hat. ..., oh es die Frau dem Mann geschenkt hat. ..., dass SS ihm die Frau schon gesagt hat.

Thiersch (1978) und den Besten (1983) sowie die meisten anderen daran anknüpfenden generativen Analysen versuchen diesen Beobachtungen durch die Annahme Rechnung zu tragen, dass das finite Verb in Sprachen mit einer Verb-Zweit-Stellung im Matrixsatz in die COMP-Position angehoben wird, d.h. in die Position, in der im Nebensatz die subordinierende Konjunktion generiert wird. Die entscheidende Frage, die auf Grund einer solchen Analyse der Verb-Zweit-Sprachen gestellt werden muss, ist die nach dem Auslöser (Trigger), der diese Bewegung des Verbs bewirkt. Hierzu sind zahlreiche Vorschläge gemacht worden, die fast alle darin übereinstimmen, dass in den Verb-Zweit-Sprachen die COMP-Position mit besonderen Eigenschaften bzw. Merkmalen ausgestattet ist, wodurch die Verbanhebung ausgelöst wird. In den meisten Analysen wird angenommen, dass es sich dabei um Finitheits- und/oder Tempus- und Kongruenzmerkmale handelt, die in der COMP-Position generiert werden.1 Unabhängige Evidenz für diese Annahme wird in der Tatsache gesehen, dass in (süd)deutschen und niederländischen Dialekten subordinierende Konjunktionen morphologische Merkmale tragen können, die offenbar zur Markierung der Kongruenz mit dem Verb dienen. Diese so genannte 'Komplementiererkongruenz1 ist beispielsweise im Bairischen (den Besten 1983:120, Bayer 1983/84:233, Hoekstra / Maräcz 1989:77f.) oder Westflämischen zu beobachten (Haegeman 1992:49): (7) (8)

bai. (a) (b) wfl. (a) (b)

I woaß, dass/ (du) a Spitzbua bist. I woaß, dass/s (ihr) Spitzbuam sei&. Kpeinzen da Valere morgen goat. ich-denke dass Valere morgen geht Kpeinzen da/? Valere en Pol morgen goan. ich-denke 3äss Valere und Pol morgen gehen

Dieses Auftreten von Kongruenzaffixen in der COMP-Position deutet auf deren besonderen Status als Träger von Kongruenzmerkmalen hin. Wenn auch in diesen Dialekten nicht in allen Personen die Konjunktion Kongruenzaffixe tragen kann, so kann dennoch angenommen werden, dass die Finitheits- und Kongruenzmerkmale in dieser Position basisgeneriert sind und die V- bzw. INFL-nach-COMP-Bewegung bewirken:

Die Anzahl der verschiedenen Ansätze ist derart groß, dass sie hier nicht im einzelnen aufgeführt und diskutiert werden können. Sie unterscheiden sich meist nur durch technische und theoretische Details, die für die vorliegende Studie nicht relevant sind. Mittlerweile liegen auch zahlreiche Arbeiten vor, in denen verschiedenen Ansätze dargestellt und miteinander verglichen werden. Einen detaillierten Überblick liefert v.a. Vikner (1995:51-64), der insgesamt sieben Analysen der Vnach-COMP-Bewegung gegenüberstellt (cf. auch Koopman 1984:Kap.7, Platzack 1985, Haider 1993:Kap.4). Für Analysen im Rahmen des minimalistischen Programms, in denen angenommen wird, dass die Verb-Bewegung in die CP-Ebene dadurch ausgelöst wird, dass 'starke' V-Merkmale dort überprüft werden müssen, cf. Zwart (1997), Laenzlinger (1998:301f.) oder Haider (2001:289).

18 [...] it cannot be the case that INFL-to-COMP takes place if and only if overt complementizer agreement is present, because this would lead to the conclusion that in certain dialects INFL-toCOMP takes place in certain persons of the inflectional paradigm only. [...] the link between complementizer agreement and parametric choice must be indirect. If a language has complementizer agreement in some specific person, then it has independent INFL-to-COMP. (Zwart 1993a:261)

Diese Beobachtung führt zu der Annahme, dass diese Bewegung auch in den Standardvarietäten dieser Dialekte sowie in allen anderen Verb-Zweit-Sprachen, in denen diese Komplementiererkongruenz niemals morphologisch sichtbar ist, stattfindet. Hierfür spricht, dass sich diese Sprachen in syntaktischer Hinsicht identisch verhalten wie die Dialekte, in denen es offene Komplementiererkongruenz gibt. Die offene Komplementiererkongruenz ist demnach "just a morphological reflex of abstract functional head movement, which happens to be suppressed in the standard varieties of Dutch and German [...]" (Zwart 1997:153). Mit anderen Worten, diese Verbbewegungsregel hat allgemeine Gültigkeit für alle diejenigen Sprachen, die syntaktisch durch die in (1) und (2) illustrierte Hauptsatz-Nebensatz-Asymmetrie charakterisiert sind: We can only conclude that if AgrS-to-C movement takes place in the complementizer agreement dialects of Germanic, it also takes place in those languages and dialects of Germanic that show exactly the same behavior but for the overt complementizer agreement morphology. Thus, there is no reason to suppose that AgrS-to-C movement is present in the Dutch South Hollandic dialect, but not in Standard Dutch. This conclusion is important, because the AgrS-to-C hypothesis provides an explanation for the verb movement asymmetry illustrated in [(l)-(2)]. (Zwart 1993a:263f.)

Ein weiterer Beleg dafür, dass die COMP-Position Flexions- und Kongruenzmerkmale enthält, wird im bereits angesprochenen Stellungs- und Bindungsverhalten klitischer Pronomina einiger Verb-Zweit-Sprachen gesehen. Den Besten (1983:56) macht die Beobachtung, dass klitische Subjektspronomina in niederländischen Nebensätzen stets enklitisch zur Konjunktion stehen müssen, während für nicht klitische Subjekte diese Restriktion nicht gilt: (9)

nl.

(a) (b) (c) (d)

...dal ze gisteren ziek

was.

dass sie gestern krank war *....dal gisteren ze ziek was. däss gestern sie krank war ...dal zij / mijn oom gisteren 3äss sie mein Onkel gestern ...dal gisteren zij / mijn oom 3ass gestern sie mein Onkel

ziek was. krank war ziek was. krank war

In Matrixsätzen ist zu beobachten, dass sich die klitischen Pronomina enklitisch an das finite Verb binden. Nichtklitische Subjekte hingegen können vom Verb getrennt erscheinen (den Besten 1983:56f.): (10) nl.

(a) (b) (c) (d)

Was ze gisteren ziek? war sie gestern krank *Was gistere.n. ze ziek? war gestern sie krank Was zij / je oom gisteren war sie dein Onkel gestern Was gisteren zij / je oom war gestern sie dein Onkel

ziek? krank ziek? krank

Diese Daten veranschaulichen nicht nur, wie bereits in (5)-(6) gesehen, das gemeinsame Stellungsverhalten von Konjunktion und finitem Verb, sondern illustrieren darüber hinaus

19 eine weitere Gemeinsamkeit dieser beiden Elemente. Sie zeigen nämlich, dass beide offenbar als Partner ("host") für klitische Pronomina dienen können (den Besten 1983:56). Diese Fähigkeit, Klitika an sich zu binden, wird als weiteres Indiz für die Existenz von Kongruenz- und Flexionsmerkmalen in der COMP-Position angesehen. In Anlehnung an Rizzi (1982) nimmt Tomaselli (1990:216-228) an, dass dies mit der Eigenschaft zusammenhängt, leere Subjekte zu lizensieren. Diese Eigenschaft kommt nach Ansicht von Tomaselli (l990:217f.) etwa im Deutschen in unpersönlichen Passivkonstruktionen zur Geltung, in denen das expletive Subjekt offenbar genau dann nicht lexikalisch realisiert wird, wenn es rechts adjazent zum finiten Verb in einem Matrixsatz oder zu einer nebensatzeinleitenden Konjunktion steht:2 (11) dt.

(a) (b) (c)

Es wurde mir geholfen Mir -wurde pro geholfen. ... dassgw mir geholfen wurde.

(12) dt.

(a) (b) (c)

Es wurde getanzt. Hier wurde pro getanzt. ... dass pro, getanzt wurde.

Tomaselli (1990) sieht hierin eine Parallele zu 'echten' Null-Subjekt-Sprachen wie dem Italienischen, in denen nicht nur expletive, sondern auch thematische Null-Subjekte lizensiert sind. Rizzi (1982:131) zufolge ist ein Lizensierer von Null-Subjekten dadurch charakterisiert, dass er "(pro-)nominal properties, specified with respect to such grammatical features as person and number" besitzt. Für Tomaselli (1990:222) liefern somit die Daten in (9) (10) und (l 1) - (12) Evidenz für die "natura pronominale di COMP0 in tedesco". Der Unterschied der germanischen Verb-Zweit-Sprachen zu den Null-Subjekt-Sprachen besteht für sie darin, dass nicht die Kategorie INFL, sondern die Kategorie COMP mit diesen Merkmalen ausgestattet ist. Einer Zusatzannahme von Tomaselli (1990:224) zufolge kann COMP allerdings nur dann Nullsubjekte in der Subjektsposition lizensieren, wenn dieser Position keine thematische Rolle ( -Rolle) zugewiesen wird. Damit erklärt sich ihrer Ansicht nach, dass im Deutschen das Subjekt in Satz (13) stets realisiert werden muss (Tomaselli 1990:225): (13)

... [COMP dass [IP Johann [VP angerufen t\ [INFL hat;]]]] +NOM

Tomaselli (1990:217) spricht zwar von einer "possibilita di lasciare inespresso il soggetto" (meine Hervorhebung, GAK), zeigt aber mit ihren Daten, dass es sich hier um eine obligatorische Auslassung handelt: (i) dt. (a) *Mir wurde es geholfen. (b) *... dass es mir geholfen wurde, (ii) dt. (a) *Hier wurde es getanzt. (b) *... dass es hier getanzt wurde. Eine Erklärung dafür, warum in diesen Kontexten die lexikalische Realisierung des Expletivums ausgeschlossen ist, liefert sie allerdings nicht.

20 Obwohl durch diese Zusatzannahme Tomasellis Ansatz geschwächt wird und er außerdem offenbar auch empirische Inadäquatheiten aufweist3, können die von Tomaselli herausgestellten besonderen Eigenschaften von COMP als zusätzliche empirische Evidenz für die Annahme angesehen werden, dass in den Verb-Zweit-Sprachen Finitheits- und Kongruenzmerkmale in der COMP-Position basisgeneriert werden:4 [...] there is a well-known correlation between the possibility of a given head to host clitics and its ability to license pro (cf. Rizzi 1986[...]). Both properties can arguably be viewed as the reflex of the presence of Agr. If so, then the data in [(9)-(10)] further indicate that C contains Agr in German, Dutch and other V2 languages [...]. (Roberts 1993:55) Die Annahme lautet also, dass Verb-Zweit-Sprachen dadurch gekennzeichnet sind, dass das finite Verb nach COMP bewegt werden muss, um die notwendigen Flexions- und Kongruenzmerkmale zu erhalten. Die Anhebung erfolgt stets dann, wenn die COMP-Position nicht lexikalisch gefüllt ist.5 Demzufolge kann beispielsweise einem deutschen Matrixsatz mit einem präverbalen Objekt die folgende Struktur zugewiesen werden:

Vikner (1995:60) kritisiert an Tomasellis Ansatz, dass er die Möglichkeit ausschließt, dass eine Verb-Zweit-Sprache leere thematische Subjekte erlaubt. Damit kann dieser Ansatz nicht dem Altnordischen und Altdänischen gerecht werden, da diese Sprachen neben der Verb-Zweit-Eigenschaft auch die Null-Subjekt-Eigenschaft besaßen. Auch im Altfranzösischen, das allgemein als Verb-Zweit-Sprache angesehen wird, waren thematische Null-Subjekte möglich. Eine weitere Schwäche der Analyse von Tomaselli sieht Vikner (1995:61) darin, dass angenommen werden muss, dass für Sätze mit thematischem Subjekt der Nominativ-Kasus von INFL (cf. (13)), in Sätzen mit nicht referentiellem pro hingegen von COMP zugewiesen wird. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die minimalistische Analyse von Solä (1996), in der die pronominale Enklise an den Komplementierer als ein Morphem angesehen wird, das ein starkes Merkmal bildet und durch das finite Verb überprüft werden muss. Eine Ausnahme bilden eingebettete Fragesätze und Relativsätze. Hier bleibt das Verb in seiner basisgenerierten Position, obwohl die COMP-Position nicht lexikalisch besetzt ist und somit - wie im Matrixsatz - als Landeposition zur Verfügung stünde: (i) dt. (a) [CP Wer [c hat [IP das gemacht]]]? (b) Ich weiß nicht [CP wer [c 0 [IP das gemacht hat]]] (ii) dt. (a) [CP Mit wem [c hast [jP du geredet]]]? (b) Ich weiß nicht [CP mit wem [c 0 [IP du geredet hast]]] Ein Vorschlag für dieses - in Anlehnung an Reis (1985) - als 'Reis'sches Dilemma1 bezeichnete Problem lautet, dass in den eingebetteten Fragesätzen bzw. Relativsätzen ein leerer Komplementierer die Verbbewegung blockiert. Evidenz für das Vorhandensein eines solchen Komplementierers liefern süddeutsche Dialekte, wie z.B. das Bairische, in denen die COMP-Position fakultativ durch einen lexikalischen Komplementierer besetzt sein kann (Grewendorf 1988:250): (iii) bai. (a) I woaß net [Cp wer [c dass [i? des gmacht hot]]] (b) I woaß net [Cp mit wem [c dass [n> i gredt hob]]] Einem Vorschlag von Lalande (1997:Kap.3) zufolge ist die V-nach-COMP-Bewegung in Nebensätzen deshalb ausgeschlossen, weil diese zu einer Substitution der CP führt, wodurch sich deren kategorialer Status verändert, da "deren Kopf nicht mehr C°, sondern C° + 1° ist" (Lalande 1997:103). Dies hat zur Folge, dass auf Grund des Projektionsprinzips, wonach die Selektionseigenschaften eines Kopfes auf allen Repräsentationsebenen vorhanden bleiben müssen (Chomsky / Lasnik 1993:54f.), das finite Verb nur dann nach COMP bewegt werden kann, wenn die CP nicht durch ein Matrixverb selegiert ist.

21

SpezIP

VP

INFL

V

SpezVP

NP Ein Buchj

t

hat;

die Frau^

gelesen

t

Diese Analyse führt zu der Frage, wie in eingebetteten Sätzen, in denen die Verb-nachCOMP-Anhebung durch die Präsenz einer Konjunktion blockiert ist, das Verb die notwendigen Kongruenz- und Finitheitsmerkmale erhalten kann. Die wenigen Lösungsansätze hierzu bestehen vielfach darin, dass lexikalische Komplementierer als Expletiva angesehen werden. Da Expletiva als semantisch leere Elemente auf der Ebene der Logischen Form (LF) getilgt werden müssen, kann das finite Verb durch LF-Anhebung nach COMP bewegt werden (cf. Law 1991, Platzack 1992:84,Fn.3, Zwart 1993a:266,Fn.8). Law (1991:259) gelangt daher für einen eingebetteten Satz des Westflämischen zu folgender Ableitung: (15) wfl. S-Struktur:

K weten [Cp da [IP Jan [v? Marie gezien ?J heetj -t-INFL]] ich weiß dass-3.Sg. Jan Marie gesehen hat-3.Sg. Logische Form: K weten [CP [heet + INFL]j [ tp Jan [VP Marie gezien] fj]

Anderen Analysen zufolge sind subordinierende Konjunktionen in der Lage, die Kongruenz- und Finitheitsmerkmale zu realisieren ("spell out") (Müller / Penner 1996:140) oder "to remove the V-features on C°" (Laenzlinger 1998:302). In diesen Analysen bleibt allerdings offen, wie auf diese Weise die morphophonologische Realisierung der Kongruenzund Finitheitsmerkmale am Verb gewährleistet werden kann, da das finite Verb entweder überhaupt nicht oder erst auf einer Ebene, die für die phonologische Realisierung irrelevant ist, mit den Merkmalen zusammengeführt wird.6 Im Rahmen des Minimalistischen Programms wird dies nicht als Problem gesehen. Hier wird angenommen, dass das finite Verb bereits im Lexikon in seiner flektierten Form eingesetzt wird. Es muss daher nicht nach COMP bewegt werden, um die Finitheits- und Kongruenzmerkmale zu erhalten, sondern um die abstrakten Merkmale, mit denen es ausgestattet ist, zu überprüfen: "Thus, inflectional morphemes are not generated in functional heads. Rather, functional heads are bundles of abstract features corresponding to the features of the inflected elements. Movement takes place to check these features off. Therefore, what moves from AgrS to C is not a morpheme, but an abstract feature associated with AgrS." (Zwart 1993a:267,Fn.21) Bewegungen und deren Realiserung auf der Phonetischen Form hängen davon ab, ob die zu überprüfenden Merkmale 'stark' oder 'schwach' sind. Die Bestimmung der 'Stärke1 und 'Schwäche' von Merkmalen ist dabei vollkommen unabhängig von deren morphologischer Ausprägung und erfolgt

22

Ein anderes Problem der generativen Verb-Zweit-Analysen besteht darin, dass die Vnach-COMP-Anhebung in fmiten Matrixsätzen mit einer weiteren Bewegung verbunden ist, nämlich der einer satzinitialen Konstituente nach SpezCP. Häufig wird auf diese XPBewegung nicht gesondert eingegangen (z.B. Vikner 1995). Bisweilen wird lediglich ein "independent constraint" formuliert, wonach in Verb-Zweit-Sprachen die Topikposition, d.h. SpezCP, immer besetzt sein muss (Koopman 1983:197) oder wonach ein Kopf, der das Merkmal [+Agr] oder ein "strong specifier feature" enthält, einen gefüllten Spezifizierer haben muss (Roberts 1993:56, Haegeman 1996:143f.). Diese Beschränkungen sind allerdings völlig ad hoc, da keinerlei unabhängige Evidenz vorgelegt wird. Es handelt sich hierbei, wie Zwart (1993a:250) zu Recht betont, um eine bloße Beschreibung der Fakten, "namely that when the verb moves to C [...] something has to precede the verb (for instance, the subject [...], or the topic [...])". Der Versuch, diese XP-Bewegung in einer adäquateren Weise zu erfassen, hat zu dem viel diskutierten Ansatz geführt, wonach satzinitiale Konstituenten nur in solchen Fällen nach SpezCP angehoben werden, wenn es sich dabei um Operatoren1 handelt, d.h. um Konstituenten, die entweder das Merkmal [+wh] tragen oder in irgendeiner Weise topikalisiert sind. Nichttopikalisierte Subjekte hingegen sind keine Operatoren. In der u.a. von Travis (1984, 1991) und Zwart (1993b, 1997) vorgeschlagenen 'asymmetrischen V2-Analyse' (Schwartz / Vikner 1996) wird daher angenommen, dass satzinitiale nicht topikalisierte Subjekte in Verb-Zweit-Sätzen nicht nach SpezCP angehoben werden, sondern in SpezIP verbleiben. Somit haben Sätze mit satzinitialen Subjekten eine andere Struktur als Sätze, die nicht durch ein Subjekt eingeleitet sind (cf. Travis 1991 :359): (16) dt.

(a) (b) (c)

f t p Die Kinder · haben, [ypdas Brot heute gegessen 6111 [CP HeutCj [c< haberij []P die Kinder [\> t\ [yp das Brot t-} gegessen /i]]]]] [CP WaSj [c· haben, [\f die Kinder [r t\ [yp t-} heute gegessen i;]]]]]

Nach der 'minimal istischen' Analyse von Zwart (1993b) sind für die Anhebung der satzinitialen Konstituenten in (16)(b) und (16)(c) [+Topik]- bzw. [+wh]-Merkmale verantwortlich. Zwart (1993b:276f.) zufolge handelt es sich hierbei um "starke N-Merkmale", die nicht mit einem lexikalischen Kopf verbunden, d.h. "nonL-related", sind. Dies hat zur Folge, dass die Überprüfung dieser Merkmale außerhalb des IP-Systems, also im CP-System, stattfinden muss (Chomsky 1993:196). Da in Sätzen mit einem satzinitialen Subjekt hingegen solche Merkmale nicht vorhanden sind, ist dessen Anhebung nach CP ausgeschlossen.7 Diese Analyse liefert damit einen möglicherweise adäquateren Erklärungsansatz für die XP-nach-CP-Anhebung als die bisherigen Ansätze, da eine gewisse unabhängige Evidenz für diese Bewegung vorgelegt wird. Dennoch halten viele Kritiker diese Analyse für nicht

nur auf Grund theorieinterner Argumente (Gärtner / Steinbach 1994, Chomsky 1995:230ff., Wilder 1995). Nach Zwart (1993b:242) ist die CP "gesplittet", d.h. in eine WhP und eine TopP unterteilt. Demzufolge haben wA-Operatoren und Topik-Phrasen unterschiedliche Landepositionen (cf. auch Müller /Sternefeld 1993).

23 ausreichend motiviert.8 Außerdem beinhaltet sie eine Reihe negativer Konsequenzen. Die gravierendste ist zweifelsohne, dass die Generalisierung, wonach in Verb-Zweit-Sätzen das finite Verb obligatorisch nach COMP bewegt werden muss, um die Finitheits- und Kongruenzmerkmale zu erhalten, aufgegeben werden muss. Das heißt, die Konsequenz der Analyse von Travis und Zwart ist die, dass genau auf die Generalisierung verzichtet werden muss, für die die stärkste empirische Evidenz vorliegt. Mit anderen Worten, trotz der von Travis und Zwart vorgebrachten Einwände gegen eine symmetrische Verb-Zweit-Analyse muss diese immer noch als die angemessenste angesehen werden:9 [...] there is no reason to mistrust a general "Constituent Preposing Rule" (den Besten [...] 1983) for the V2-languages. Indeed, the difference between subject- vs. operator-initial V2-clauses has been found to be insufficiently motivated. Complementizer-agreement and fronted reduced or unstressed pronouns cannot be considered to support the asymmetry-analysis. [...]

Ein zentrales Argument für die unterschiedliche strukturelle Behandlung von Subjekten und NichtSubjekten bzw. topikalisierten Phrasen basiert auf der Annahme, dass im Deutschen unbetonte Pronomina nur dann satzinitial auftreten können, wenn sie als Subjekte fungieren (Travis 1984:121 u. 168,1991:359): (l) dt. (a) Pas Kind hat das Brot gegessen. (b) E£ Hai das Brot gegessen. (c) Pas Brot hat der Hund gefressen. (d) *Es hat der Hund gefressen. Travis schließt aus dieser Beobachtung, dass Subjekte generell m einer 7VzeÄ/-Topik-Position (SpezIP) erscheinen, während satzinitiale Objekte nur einer Topik-Position auftreten können und daher stets betont sein müssen. Diese Generalisierung lässt sich jedoch in dieser Form empirisch nicht aufrechterhalten. Wie die folgenden Beispiele belegen, sind im Deutschen durchaus sowohl unbetonte als auch nicht topikali&ierte Objekte m satzimtialer Position möglich (Lenerz 1994:162, Gärtner / Stembach 1994:37, Fn.61): (H) dl. (a) Ihr Geld ist ja nicht-weg, meine Damen und Herren. Es haben jetzt nur andere. (b) Einem wird hier alles geklaut. Ein anderer empirischer Einwand stammt von Schwartz / Vikner (1996 19ff.) Die beiden Autoren zeigen, dass die Analyse von Travis und Zwart dem Auftreten lexikalischer Expletiva in Unakkusativkonstruktionen des Deutschen nicht in adäquater Weise gerecht wird: (in) dt. ^a) & tst ein Junge gekommen. (b) *jzee tst ein Junge gekommen. (c) *Gestern ist £$ ein Junge gekommen. (d) Gestern istpat ein Junge gekommen. In den zahlreichen Ansätzen, die diesen Fakten gerecht zu werden versuchen, wird deutlich, dass sich das Expletivtrm m (iii)(a) in SpezCP befinden muss. Die Analysen unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der frage, ob es dort basisgeneriert ist (Tomaselfi 1990:141, Eguzkitza / Kaiser 1999) oder dorthin bewegt werden muss (Cardinalettr 1990). Eine weitere Konsequenz einer asymmetrischen Verb-Zweit-Analyse besteht darin, dass angenommen werden muss, dass in Verb-Zweit-Sprachen wie dem Deutschen oder Holländischen anders als generell angenommen (Bach 1962, Thiersch 1978:Kap.l, Koster 1975) - INFL bzw. das Komplement links von der VP bzw. dem Verb steht, um die Wortstellung in einem einfachen SVO-Satz erklären zu können (Zwart 1993b:Kap.4, 1997'Kap.3) Cf. Schwartz / Tomaselli (1990), Gärtner / Steinbach (1994.50ff.) oder Schwartz / Vikner (1996) für eine Kritik dieser Annahme.

24 If this is correct, the central argument for an asymmetry-analysis of V2 which implies the IPstatus of subject-initial V2-clauses can no longer be maintained. (Gärtner / Steinbach 1994:39)

Ein anderes Problem, das sich sowohl ftir eine asymmetrische als auch für eine symmetrische Verb-Zweit-Analyse stellt, betrifft die in den Verb-Zweit-Sprachen auftretenden VerbErst-Sätze. Nach Roberts (1993:56f.) lassen sich im Wesentlichen vier Typen von VerbErst-Sätzen unterscheiden: Entscheidungsfragesätze (cf. (17)(a)), Konditionalsätze (cf. (17)(b)) sowie Sätze des umgangssprachlichen gesprochenen Deutschen oder Holländischen, in denen ein satzinitiales Pronomen ausgelassen ist (cf. (17)(c))(cf. Haider 1986:67) oder deren Verb-Erst-Stellung auf bestimmte Diskursstrategien, etwa zur Eröffnung einer Erzählung ("narrative inversion"), zurückgeführt werden kann (cf. (17)(d))(den Besten 1983:62): (17) dt.

(a)

[CP Q [c Kommt][]P dein Bruder heute]]?

nl.

(b) (c) (d)

[CP [CP Qp(modai] [c Käme][ip dein Bruder heute]][e würde][n> ich mich freuen]] [Cp Qßtdiskurs] [c· Hab'][IP ich schon erledigt]] [CP Qj>[diskurS] tc Gin8 [IP 'k 'aatst naar De Swart]] ...] ging ich kürzlich zu De Swart ...

In verschiedenen Studien wird versucht, diese Satztypen einheitlich durch die Annahme zu erfassen, dass die SpezCP-Position durch einen leeren Operator besetzt ist. Im Falle der Interrogativ- und Konditionalsätze wird vermutet, dass es sich um einen wÄ-Operator ('Q') bzw. Modal-Operator (Op1) handelt. Für die beiden letzten Sätze nimmt Roberts (1993:57) "tentatively" die Existenz eines "discourse or illocutionary operator of some kind" in der SpezCP-Position an (cf. auch Huang 1984, Cardinaletti 1990:78, Zwart 1993b:201-205, 1997:217-221).10 Auf der Grundlage dieser Analyse lassen sich somit alle Matrixsätze des Deutschen und Niederländischen als Konstruktionen mit einer festen Position für das finite Verb erfassen, die von Weerman (1989:26) als "Vf2-position" bezeichnet wird: [...] there is at least one constant verbal position: the Vf2-position. It is very remarkable how the V2-effects that arise by means of this position look alike: the verb is in first or second position, independent of the first constituent, finite, in complementary distribution with a complementizer and in a root clause.

Wie bereits gesehen, wird angenommen, dass es sich bei dieser 'Verb-Zweit-Position' um die COMP-Position handelt. Es gibt unabhängige, morphophonologische Evidenz für die Annahme, dass in Verb-Zweit-Sprachen COMP als Position für die Basisgenerierung der verbalen Finitheits- und Kongruenzmerkmale fungiert, d.h. mit Merkmalen ausgestattet ist, die die Anhebung des fmiten Verbs in diese Position bewirken. Diese Anhebung erfolgt im In ähnlicher Weise kann auch die Verb-Erst-Stellung in Imperativsätzen, die bei Roberts unerwähnt bleiben, erklärt werden (Zwart 1993b:77f.). Verschiedentlich ist allerdings auch der Vorschlag gemacht worden, die Imperative der germanischen Sprachen als V-nach-INFL-Bewegung zu analysieren (Fries 1992, Platzack 1992:106f). Zusätzliche Evidenz für die Korrektheit der Struktur von Satz (I7)(c) liefert die Beobachtung, dass die Objektsauslassung nur mit invertierter Subjekt-Verb-Stellung zulässig ist, also nur dann, wenn das Verb vor das Subjekt bewegt worden ist und das ausgelassene Element eine Topik-Position einnimmt (Huang 1984:546f.): (i) dt. *Ich hob' schon erledigt.

25

Zusammenhang mit der Anhebung einer XP-Konstituente in die SpezCP-Position, deren Kategorie und (syntaktische) Funktion beliebig ist und die unter bestimmten Umständen auch lexikalisch leer sein kann: [...] the preferable analysis of V2 in main clauses is that V2 involves both movement of the finite verb into C° and movement of some maximal projection into CP-spec, although this maximal projection is not necessarily an overt element, in that no overt element precedes the finite verb in, e.g., yes/no-questions. (Vikner 1995:131)

Die Annahme lautet nun, dass die Basisgenerierung der Finitheits- und Kongruenzmerkmale in COMP parametrisch festgelegt ist. Damit wird versucht, die typologische Gemeinsamkeit der Verb-Zweit-Sprachen und deren grundlegenden Unterschied zu Nicht-VerbZweit-Sprachen als eine parametrisch festgelegte Eigenschaft zu erfassen. Die Frage, die im Folgenden diskutiert werden soll, ist die, ob alle Sprachen, die durch die typologische Gemeinsamkeit der Verb-Zweit-Stellung gekennzeichnet sind, sich hinsichtlich der Fixierung dieses Parameters einheitlich verhalten.

2. l .2

Die Verbstellung in Verb-Zweit-Sprachen mit eingeschränkter Asymmetrie

Die Annahme der V-nach-COMP-Bewegung in den bisher betrachteten Verb-Zweit-Sprachen basiert vor allem auf der Asymmetrie, die hinsichtlich der Wortstellung in Hauptsatz und konjunktional eingeleitetem Nebensatz existiert. Ein Blick auf das Deutsche zeigt, dass in eingebetteten Sätzen, die keine Konjunktion enthalten, hingegen die gleiche Wortstellung wie in einem Matrixsatz herrscht:'' (18) dt.

(a) (b)

Ich behaupte, der Mann hat das Buch gelesen, *Ich behaupte, der Mann das Buch gelesen hat.

Die Möglichkeit zur Auslassung der nebensatzeinleitenden Konjunktion - und damit zur Verb-Zweit-Stellung im Nebensatz - ist im Deutschen allerdings nur in bestimmten Konstruktionstypen gegeben (Reis 1997, Frank 2000). Hierzu gehören vor allem Konstruktionen wie in (18), in denen ein so genanntes 'Brückenverb' den Nebensatz einleitet.12 Ist

1

' Eine Ausnahme bilden im Deutschen durch weil und obwohl (obschori) eingeleitete Nebensätze, in denen in der gesprochenen Umgangssprache auch die Verb-Zweit-Stellung möglich ist (Abraham 1992:20f, Günthner 1993, Uhmann 1998). Zahlreiche Argumente sprechen dafür, dass weil in diesen Fällen "in der Umgangssprache genau die Position füllt, die in der Standardsprache denn innehat" (Uhmann 1998:130). 12 Verben wie z.B. behaupten sind im Gegensatz zu Verben wie z.B. bedauern dadurch gekennzeichnet, dass aus ihren finiten Satzkomplementen extrahiert werden kann (cf. Bußmann 1990:142f, Vikner 1995:70ff.): (i) dt. (a) Welchen Film hast du behauptet [haben die Kinder /; gesehen]? (a1) Welchen Film; hast du behauptet [dass die Kinder /; gesehen haben]? (b) *Welchen Filra hast du bedauert [haben die Kinder /; nicht gesehen]? (b1) *Welchen Filnii hast du bedauert [dass die Kinder fj nicht gesehen haben]? Haider (1993:73) weist allerdings daraufhin, dass die Charakterisierung der Verben, die konjunktionslose Nebensätze erlauben, als Brückenverben zwar "eine gute Faustregel" ist, aber nicht in

26 das Brückenverb jedoch negiert (cf. (19)(a)-(b)) oder enthält der Matrixsatz ein NichtBrückenverb, wie z.B. bedauern (cf. (19)(c)-(d)), ist die Auslassung der Konjunktion, im Nebensatz nicht möglich:13 (19) dt.

(a) (b) (c) (d)

*Ich behaupte nieM, der Mann hat das Buch gelesen. Ich behaupte nicht, dass der Mann das Buch gelesen hat. *Ich bgdjaujg. der Mann hat das Buch gelesen. Ich bedaure. dass der Mann das Buch gelesen hat.

Ein Vergleich mit den festlandskandinavischen Sprachen und dem Friesischen zeigt nun, dass diese Verb-Zweit-Sprachen in einem von einem affirmativen Brückenmatrixverb abhängigen Nebensatz auch dann die Verb-Zweit-Stellung aufweisen können, wenn dieser durch eine Konjunktion eingeleitet ist (cf. Pintzuk 1993:8f. für das Dänische, deHaan, / Weerman 1986:84 und latridou / Kroch 1992:4 für das Friesische): (20) da.

(a) (b)

(21) fs.

(a)

Hun sagde at Peter sie sagte dass Peter Hun sagde al kaffe sie sagte dass Kaffee Pyt sei dal Pyt sagte dass er mich

dnkker'uke kaffe. trinkt nicht Kaffeedrikker Peter ikke. trinkt Peter nicht sioen hie. gesehen hat

(b)

Pytsei dal hy. hie my sjoen. Pyt sagte dass er hat mich gesehen

(c)

Pytsei dal my hie er sjoen. Pyt sagte 3äss mich hat er gesehen

Diese Beobachtung, die laut Zwart (1997:234) auch im umgangssprachlichen Niederländisch gemacht werden kann, scheint nun gegen eine Analyse der Verb-Zweit-Stellung als eine generelle V-nach-COMP-Bewegung zu sprechen, da hier offensichtlich keine Asymmetrie zwischen Hauptsatz und eingeleitetem Nebensatz hinsichtlich des Verb-ZweitEffektes existiert. In vielen Studien dieser Sprachen wird dennoch versucht, die Annahme der V-nach-COMP-Bewegung für Verb-Zweit-Effekte aufrechtzuerhalten. Ein Versuch besteht darin anzunehmen, dass in diesen Sprachen die Möglichkeit einer CP>-Rekursion besteht, d.h. dass zusätzlich zu der nebensatzeinleitenden CP eine weitere CP generiert werden kann. Somit kann in einem Satz wie (21)(c) das eingebettete finite Verb nach COMP und die vorangehende XP nach SpezCP bewegt werden (latridou / Kroch 1992:7, Vikner 1995:129): (22) fs.

Pyt sei [CT dal [Cp my.j [c hie, [w er t, sjoen t,]]].

Eine wichtige Beobachtung hinsichtlich der Annahme einer solchen CP-Rekursion ist die, dass die Möglichkeit der eingebetteten Verb-Zweit-Stellung im Friesischen einer Reihe von

13

allen Fällen Gültigkeit hat. So gibt es beispielsweise, wie Haider mit den Sätzen in (ii) belegt, Brückenverben, die keine Verb-Zweit-Komplemente aufweisen: (ii) dt. (a) Wen, mil sie, [dass ich t, anrufe]? (b) *Sie will, ich rufe ihn an. Im Standardniederländischen ist die Verb-Zweit-Stellung in Nebensätzen generell ungrammatisch, unabhängig davon, ob der Nebensatz durch ein Brückenverb eingeleitet ist oder nicht (cf. Vikner 1995:66. Fn.3).

27 Beschränkungen unterliegt So ist die eingebettete Verb-Zweit-Stellung dann ausgeschlossen, wenn das Verb des Matrixsatzes ein McA/-Brückenverb, wie z.B. bedauern oder bezweifeln, ist. Das Gleiche gilt auch für den Fall, dass der Matrixsatz, der den Nebensatz einleitet, ein negiertes Brückenverb enthält (latridou / Kroch 1992:4): (23) fs.

(a) (b)

(24) fs.

(a) (b)

Pyt betrejuret dai er my. sjoen hie. Pyt bedauert class er mich gesehen hat *Pyt bejreurej dal hy. hie my sjoen. Pyt bedauert 3Iss er hat mich gesehen Ik leau n£i dai by him wol rede km. ich glaube nicht class er ihn wohl retten kann *Ik leau QSi dal by. kin htm wol rede, ich glaube nicht class er kann ihn wohl retten

Diese Beschränkungen bezüglich des Auftretens von Verb-Zweit-Effekten in eingebetteten Nebensätzen gelten in ähnlicher Weise auch für das Dänische und alle anderen festlandskandinavischen Sprachen (Pintzuk 1993:9, Vikner 1995:72).14 Vikner (1995:72) betont allerdings, dass es in diesen Sprachen schwieriger ist, eine klare Grenze zwischen den Verben zu ziehen, die eine Verb-Zweit-Stellung in abhängigen Nebensätzen erlauben und solchen, die dies nicht tun (cf. auch Haider 1993:73). Generell lassen sich die Daten jedoch dahingehend interpretieren, dass in diesen Sprachen nur solche Nebensätze eine Verb-Zweit-Stellung aufweisen, in denen die Auslassung des Komplementierers erlaubt ist. latridou / Kroch (1992) versuchen im Rahmen einer generativen Analyse diese Beobachtung durch die Annahme zu erfassen, dass Nebensätze, in denen eine Verb-Zweit-Stellung möglich ist, durch ein lexikalisches Verb, genauer gesagt durch ein "local L-marking verb", regiert sein müssen. Sie berufen sich hierbei auf Stoweil (1981), wonach Komplementierer nur dann getilgt werden können, wenn sie auf diese Weise regiert sind. Ihre Analyse sehen latridou / Kroch (1992:5) dann bestätigt, dass im Friesischen die Verb-Zweit-Stellung in eingebetteten Adjunkt- oder Subjektsätzen, d.h. in solchen Nebensätzen, die nicht durch ein lexikalisches Verb regiert sind, ausgeschlossen ist: (25) fs.

(a) (b)

(26) fs.

(a) (b)

Ik sil fuortgean, at jo dizze film net sien wolle. ich werde fortgehen wenn du diesen Film nicht sehen willst *Ik sil fuortgean, at jo wolle dizze film net sjen. ich werde fortgehen wennoü willst diesen Film nicht sehen Dal jo dizze film net sjen wolle, fernuvert my dass oü diesen Film nicht sehen willst verwundert mich *Dal jo wolle dizze film net sjen, fernuvert my. dass du willst diesen Film nicht sehen verwundert mich

latridou / Kroch (1992:17) postulieren daher, dass eine CP-Rekursion nur in den Fällen erlaubt ist, in denen der Nebensatz durch ein lexikalisches Verb regiert wird (cf. auch Authier 1992). Diese Restriktion erklärt allerdings nicht, warum in Nebensätzen, die von einem Nicht-Brückenverb oder einem negierten Verb abhängig und somit regiert sind, die VerbZweit-Stellung ausgeschlossen ist (cf. (23)-(24)). Nach Ansicht von latridou / Kroch

14

Vikner (1995:84f.) weist daraufhin, dass auch im Englischen, der einzigen germanischen NichtVerb-Zweit-Sprache, ähnliche Effekte zu beobachten sind (cf auch Authier 1992: 331): (i) en (a) She has often said thai under no circumstances, would) she t, tt vote for Quayle. (b) *John doubts that under no circumstances. will} Mary /, /, get up early.

28 (1992:20f.) könnte die Besonderheit dieser Sätze darin liegen, dass in diesen Fällen der Komplementierer einen semantischen Gehalt hat. Ein solcher Komplementierer müsste, so die Annahme, den Selektionsbeschränkungen des Matrixverbs genügen, die auf der Ebene der Logischen Form überprüft werden. Folglich könnte der Komplementierer nicht auf dieser Ebene getilgt werden, wodurch wiederum die Lizensierung einer niedrigeren CP verhindert würde. Weitgehend ungeklärt bleibt bei dieser Analyse allerdings die Frage, warum negierte Verben und Nicht-Brückenverben einerseits eine gemeinsame Klasse bilden und warum anderseits die Komplementierer von affirmativen Matrixverben keinen bzw. einen anderen semantischen Gehalt haben sollten.15 Auch wenn die genauen Restriktionsbeschränkungen für die CP-Rekursion daher sicherlich noch exakt(er) formuliert werden müssen, besteht der entscheidende Vorteil der Analyse von latridou / Kroch (1992) darin, dass eine Beschränkung für eine generelle CP-Rekursion formuliert wird. Sie ist vor allem deshalb notwendig, um der strengen Verb-ZweitEigenschaft aller bisher betrachteten Verb-Zweit-Sprachen gerecht zu werden und damit der Tatsache, dass in den Matrixsätzen dieser Sprachen die Verb-Dritt-Stellung grundsätzlich nicht möglich ist. Die Ungrammatikalität der deutschen Sätze in (27) kann somit durch die Annahme erfasst werden, dass eine CP-Rekursion ausgeschlossen ist (Schwartz / Viknerl996:13): (27) dt.

(a) (b)

*[CP Letzte Woche [CP gitTBugh hat [w Peter [VP tatsächlich gelesen]]]] *[Cp LetZt^Wfiche [cp Peter hat [IP [Vp tatsächlich ein Buch gelesen]]]]

Wie die Sätze in (28) zeigen, unterliegt hingegen die Adjunktion an eine IP nicht dieser Beschränkung (Schwartz / Vikner 1996:12):16 (28) dt.

(a)

Ich weiß, [CP dass [IP letzte WQghe [IP Peter [vp tatsächlich ein Buch gelesen hat]]]]

(b)

[CP Hat [IP letzteWpche [IP Peter [vp tatsächlich ein Buch gelesen]]]]?

(c)

[CP Dieses Buch [c hat [IP letzte Woche [IP Peter [VP tatsächlich gelesen]]]]]

Im Deutschen beispielsweise ist eine CP-Rekursion nur in ganz wenigen, sehr markierten und deutlich abgegrenzten Kontexten erlaubt. Sie muss für Sätze wie (29) angenommen werden, in denen dem eigentlichen Satz eine satzeinleitende Phrase voransteht, die mit einer unmittelbar vor dem finiten Verb stehenden Konstituente koindiziert ist. Bei einer 15

16

Empirische Evidenz für eine Unterscheidung zwischen 'affirmativen1 und 'negativen' Komplementierern liefern nach Ansicht von latridou / Kroch (1992:18) Sprachen, in denen dieser Unterschied lexikalisch zum Ausdruck kommt. Dies ist beispielsweise im Baskischen der Fall (cf. Laka 1994:129ff.): (i) bk. (a) Jonek uste du Mirenek Peru ikusi dueja,. Jon glauben AUX Miren Peru gesehen hat 'Jon glaubt, dass Miren Peru gesehen hat' (b) Jonek du uste Mirenek Peru ikusi dugnikJon nicht AUX glauben Miren Peru gesehen hat 'Jon glaubt nicht, dass Miren Peru gesehen hat' Diese Analyse von latridou / Kroch (1992) impliziert, dass Nicht-Brückenverben als negative Verben interpretiert werden müssen. Dies gilt zumindest für Sätze mit nominalem Subjekt. Vikner (1995:103f.) weist daraufhin, dass eine Adjunktion an IP dann ausgeschlossen ist, wenn das Subjekt pronominal ist: (i) dt. *[CP Dieses Buch, [c· hat, [[P gesism [n> er /j gelesen

29

solchen satzeinleitenden Phrase kann es sich um eine dislozierte NP oder um einen ganzen Satz, wie in wenn-dann-Sätzen, handeln (latridou / Kroch 1992:14, Kroch / Taylor 1997:304, Laenzlinger 1998:304): (29) dt.

(a) (b)

[cp [Diesen Mannl;, [CP den; kenne^ [IP ich t\ nicht /j] [cp [Wenn du kommst^, [CP dann; amüsieren^ [IP wir uns t, /j]]

Des Weiteren steht im Deutschen das finite Verb in solchen Matrixsätzen in der Drittposition, die durch die koordinierende Konjunktion denn oder aber eingeleitet sind:17 (30) dt.

(a) (b)

[cp Denn [CP ichj kenne^ [IP ij diesen Mann nicht zj]] [CP Aber [CP ichj kenne\ [IP t-} diesen Mann nicht fj

Ähnlich wie im Deutschen ist auch in allen anderen Verb-Zweit-Sprachen die Dritt-Stellung des füllten Verbs in Matrixsätzen auf wenige, streng reglementierte Kontexte beschränkt (cf. Schwartz / Vikner 1996). Eine unbeschränkte, generell gültige Möglichkeit der CP-Adjunktion könnte diesen Sachverhalt nicht erfassen (cf. auch Chomsky 1986a:6): There is independent evidence that adjunction to IP is allowed and that adjunction to CP is not. The fact that adjunction to a subject-initial V2 clause is impossible is therefore a natural consequence of the V2-outside-IP approach but left unexplained within the asymmetry approach. (Schwartz /Vikner 1996: 13)

Mit anderen Worten, trotz der Beobachtung, dass es Sprachen gibt, in denen die im Deutschen und Niederländischen hinsichtlich der Verb-Zweit-Stellung zu beobachtende HauptNebensatz-Asymmetrie nicht in vollem Umfang Gültigkeit hat, muss die bisher angenommene Verb-Zweit-Stellungsanalyse nicht aufgegeben werden. Es ist plausibel, auch für diese Sprachen anzunehmen, dass das Verb in finiten Matrixsätzen stets nach COMP bewegt werden muss, um die notwendigen Finitheits- und Kongruenzmerkmale zu erhalten. In Nebensätzen findet eine solche Anhebung nur dann statt, wenn die COMP -Position nicht belegt ist oder wenn auf Grund einzelsprachlich streng festgelegter Bedingungen die Rekursion des CP-Knotens möglich ist, die zur Bildung einer weiteren COMP-Position fuhrt.

17

In ähnlicher Weise verhalten sich auch die Adverbien allein bzw. nur und nun, wenn sie satzeinleitend auftreten: (i) dt. (a) Allein, es fehlt mir der Glaube. (b) Nun, ich kann singen. Auf letzteres Beispiel wird von Fodor (1998:2,Fn.2) hingewiesen. Bemerkenswerterweise wird dabei allerdings nun mit 'now' - anstatt mit 'well' - übersetzt. In dieser Bedeutung ist die VerbDritt-Stellung jedoch vollkommen ausgeschlossen: (ii) dt. *Nun (=jetzt) ich kann singen. Dürscheid (1989) diskutiert eine Vielzahl von Verb-Dritt-Stellungsmustern, wie beispielsweise in (iii), die auf den ersten Blick gegen eine Beschränkung der CP-Rekursion in Verb-Zweit-Sprachen sprechen: (iii) dt. (a) Mit Vergnügen gelesen hat die Frau das Buch. (b) Gestern am Strand hat die Frau das Buch gelesen. Dürscheid (1989:136) kann aber überzeugend nachweisen, dass solche "Konstituenten, die zusammen im V[or]F[eld] stehen, [...] ein- und derselben maximalen Projektion" angehören und somit nicht als Ausnahmen bzgl. der Verb-Zweit-Stellungsregel behandelt werden müssen.

30 Im Anschluss an diese Feststellung muss nun gefragt werden, wie Verb-Zweit-Sprachen erfasst werden können, die durch ein "general embedded V2" (Vikner 1995:72) charakterisiert sind.

2.1.3

Die Verbstellung in symmetrischen Verb-Zweit-Sprachen

Mit dem Isländischen und dem Jiddischen existieren zwei Sprachen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie eine generelle Verb-Zweit-Stellung in Nebensätzen aufweisen. Das heißt, anders als im Friesischen oder in den festlandskandinavischen Sprachen ist in diesen beiden Sprachen die Zweitstellung des finiten Verbs nicht nur in solchen Nebensätzen zu beobachten, deren Matrixsatz ein Brückenverb enthält ((31)(a) und (32)(a)), sondern auch in anderen Nebensätzen, wie z.B. in solchen, die von einem Nicht-Brückenverb ((31)(b) und (32)(b)), einem negierten Brückenverb ((31)(c) und (32)(c)) oder einem Subjektsatz ((31)(d) und (32)(d)) abhängig sind (Vikner 1995:72f, latridou / Kroch 1992:8f.): (31) is.

(a) (b) (c) (d)

(32) jd.

(a) (b) (c) (d)

Eg yeit, aö bessa bok 'skuli hafalesiö. ich weiß 3äss dieses Buch habe ich gelesen Eg harms, aö bessa bok skuli ig hafa lesiö. ich bedaure däss dieses Buch habe ich gelesen Eg sagöi ekki. aS ä morgun mundi Maria fara snemma ä faetur. ich sagte nicht däss am morgen würde Maria gehen früh auf FUSS AS Mariu haß bann aldrei seö, er kanngki liklegt, 3ass Maria hat er nie gesehen ist vielleicht wahrscheinlich Ikh yeySj. az dos bukh hob ikh geleyent ich weiß 3äss dieses Buch! habe ich .gelesen Ikh bedQyer, az dos bukh hob ikh geleyent. ich bedaure däss dieses Buch habe ich gelesen Ikh meyn mi, az morgn zol er kumen tsu der khasene. ich denke nicht däss morgen soll er kommen zu der Hochzeit Dos vos nekhtn iz gekumen aza groyser oylem, hot undz dass wo gestern ist gekommen so eine große Zuhörerschaft hat uns alemen gekhidesht. alle verwirrt

Diese Daten belegen deutlich, dass in diesen beiden Sprachen das Auftreten eingebetteter Verb-Zweit-Effekte nicht auf eine bestimmte Gruppe von Nebensätzen beschränkt, ist, sondern dass es in diesen Sprachen generell keine komplementäre Distribution zwischen VerbZweit-Stellung und Komplementlerer gibt. Die Diskussion dieser Fakten hat zu einer Vielzahl von Vorschlägen geführt, die hier im einzelnen nicht erörtert werden können. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Analysen sind oft sehr subtil und für die hier vorgelegte Untersuchung von Verb-Zweit-Effekten in den romanischen Sprachen nicht relevant. Die Frage, die im Mittelpunkt der Diskussion steht, ist die, ob und inwiefern diese Fakten mit einer einheitlichen Analyse der VerbZweit-Sprachen vereinbar sind, wonach Verb-Zweit-Effekte als V-nach-COMP-Bewegung beschrieben werden. In einer Reihe von Untersuchungen wird diese Frage negativ beantwortet und vorgeschlagen, die Verb-Zweit-Effekte im Isländischen und Jiddischen auf grundsätzlich andere Weise zu erfassen. Ein Analysevorschlag, der v.a. auf Arbeiten von Santorini (1992) und Rögnvaldsson / Thrainsson (1990) sowie von Diesing (1988, 1990) zurückgeht, lautet, dass das finite Verb in diesen Sprachen nicht nach COMP, sondern regelmäßig nur nach INFL bewegt wird. Dies hat die Annahme zur Konsequenz, dass die

31

SpezIP-Position nicht nur als A(rgument)-Position, sondern auch als A'-Position fungieren kann und damit als Landeposition für Nicht-Argumente, wie z.B. für Adverbiale oder sonstige topikalisierte Phrasen, zur Verfugung steht. Mit anderen Worten, das Isländische und Jiddische werden auf grundsätzlich andere Weise als die anderen Verb-Zweit-Sprachen analysiert. Eine solche Analyse wird zwar der Symmetrie zwischen Haupt- und Nebensatz in diesen beiden Sprachen gerecht, gleichzeitig bleibt jedoch nun die Gemeinsamkeit mit anderen germanischen Verb-Zweit-Sprachen unberücksichtigt, nämlich die für diese Sprachen charakteristische Eigenschaft der obligatorischen Verb-Zweit-Stellung in Matrixsätzen: If [...] main clause V2 is topicahsatiort to IP-spec in Icelandic/Yiddish but to CP-spec in the other V2 languages, the question is whether such a difference is motivated, given that there would seem to be no relevant structural differences between the two groups at all with respect to main clauses (as opposed to embedded clauses in the two groups [...]). In other words, although it is true that the topicahsation to IP-spec analysis avoids postulating a difference that is not motivated by the evidence (i.e., between mam and embedded clauses in Icelandic and Yiddish), as claimed for example, by Rögnvaldsson / Thramsson (1990:4), the topicahsation to IP-spec analysis on the other hand necessitates postulating another difference which is not motivated by the evidence, either namely, one between main clauses m Icelandic and Yiddish and main clauses· in the other V2 languages. (Vikner 1995:83)

Als eine Möglichkeit, dieses Dilemma zu vermeiden, könnte der Ansatz von Reinholtz (1989) angesehen werden, wonach es in allen festlandskandinavischen Sprachen in deklarativen Matrixsätzen zu keiner V-nach-COMP-Bewegung kommt, sondern der Landeplatz für das finite Verb die INFL-Position ist. Ein ähnlicher Vorschlag wird auch für das Deutsche und Niederländische gemacht (Kathol 1990, Haider 1993, Kayne 1994, Zwart 1997). Dies bedeutet, dass alle Verb-Zweit-Sprachen in der gleichen Weise wie das Isländische und Jiddische analysiert werden. Eine solche einheitliche Analyse der Verb-Zweit-Sprachen wirft allerdings die Frage auf, wodurch sich die Verb-Zweit-Sprachen dann von NichtVerb-Zweit-Sprachen unterscheiden. Das gravierendste Problem besteht hierbei vor allem darin, dass die Ungrammatikalität von Verb-Dntt-Sätzen nicht mehr auf eine universal gültige CP-Rekursionsbeschränkung zurückgeführt werden kann. Kayne (1994:28) beispielsweise muss daher postulieren, dass sich Verb-Zweit-Sprachen von Nicht-Verb-ZweitSprachen dadurch unterscheiden, dass die Adjunktion einer funktionalen Projektion überhalb von IP/AgrSP in Verb-Zweit-Sprachen ausgeschlossen ist. Ansichts der eben betrachteten Daten in (28), die deutlich gegen eine solche Beschränkung für eine IP-Rekursion sprechen, erscheint diese Annahme jedoch empirisch nicht haltbar (cf. Donati / Tomaselli 1997). Auf Grund dieser Beobachtung schlagen ICroch / Taylor (1997:305) vor, eine IP-Analyse nur für solche Sprachen anzunehmen, die zwar auch Verb-Zweit-Effekte aufweisen, allerdings nicht über eine strenge Verb-Zweit-Stellungsregel verfügen. In vielen diachronischen Untersuchungen des Englischen wird angenommen, dass es sich beim Altenglischen um eine solche Sprache handelt (cf. auch Haeberh 1999, Tappe 2000): If O[ld] E[nghsh] mam clauses were IPs unless CP was required by the presences of wh or some other focus element, then O[ld] E[nghsh] may never have been a strict V2 language in the Dutch / German / Scandinavian sense (Stockweit 1984; Swan 1994; Weerman 1989:234), Pmtzuk [1993]; Kroch / Taylor [1997]). At any rate, it permits both VI and V3 declarative mam clauses, and V2 clauses arise in at least two distinct configurations. (7) a focussed element in Spec, CP, with the

32 verb in C position after it, (2) a subject (or, in sentences without an external argument, some other constituent) in Spec,IP, with the verb in I position after it, a possibility clearly evinced in subordinate clauses (van Kemenade [1997]). Adjoining an adverbial or PP to these two structures in turn yields two distinct types of V3 order. (Kiparsky 1997:469f.)

Daraus folgt, dass für Sprachen mit einer strengen Verb-Zweit-Stellung, die dadurch gekennzeichnet sind, dass Sätze mit einer Verb-Dritt-Stellung generell ausgeschlossen sind, die Annahme einer IP-Rekursion ungeeignet ist.18 Wesentlich adäquater ist daher der Vorschlag von Vikner (1995), die eingebetteten Verb-Zweit-Effekte im Isländischen und Jiddischen durch eine CP-Rekursion zu erfassen. Unabhängige Evidenz sieht Vikner (1995:119f.) hierfür u.a. darin, dass in vielen Sprachen bzw. Dialekten, wie z.B. im Bairischen oder Westflämischen, die Möglichkeit existiert, in eingebetteten Fragesätzen zusätzlich zur nebensatzeinleitenden w/z-Phrase einen Komplementierer zu verwenden: (33) bai.

I woaß net, wann dass da Xaver kummt. (Bayer 1983/84:212) Kweten nie, wannier da Valere goa werekommen. ich-weiß nicht wann 3äss Valere geht wiederkommen (Haegeman 1992:57)

(34) wfl.

In den meisten Analysen dieser Sätze wird davon ausgegangen, dass in diesen Sprachen die Möglichkeit zu einer doppelten CP-Besetzung - und damit zu einer Verletzung des sog. 'Doubly Filled COMP-Filters' - besteht (Grewendorf 1988:250). Es wird angenommen, dass der Komplementierer in diesen Sprachen das Merkmal [+wh] besitzt und daher in der [+wh]-markierten COMP-Position auftreten kann. Vikner (1995:120) wendet dagegen allerdings ein, dass diese Analyse nicht erklären kann, warum in anderen Kontexten, in denen die COMP-Position ebenfalls mit dem Merkmal [+wh] markiert ist, das Auftreten des Komplementierers ausgeschlossen ist: (35) dt.

(a) (b)

*Ich frage mich, dass Peter das Buch gelesen hat. Ich frage mich, ob Peter das Buch gelesen hat.

(36) da.

(a) (b)

*Jeg gad vide, at Peter har laest bogen. Jeg gad vide, om Peter har laest bogen.

Aus diesem Grund schlägt Vikner (1995:120) für einen Satz wie (33) eine Struktur mit einer CP-Rekursion vor: (37)

I woaß net [CP wann; [c· [COMP[+wh]] [CP if [c dass [ da Xaver kumt]]]]]

Vikner (l 995:121 f.) sieht diese Analyse zusätzlich unter anderem dadurch bestätigt, dass in einigen Sprachen oder Dialekten gleichzeitig zwei nebensatzeinleitende Elemente, die sich in COMP befinden, auftreten können: (38) wfl. Kweten nie of da Valere dienen boek a gelezen eet. ich-weiß nicht ob dass Valere dieses Buch schon gelesen hat (Haegeman 1992:50) 18

Verwunderlich ist, dass A. Kroch in seinem Aufsatz mit S. latridou (latridou / Kroch 1992) genau diese IP-Analyse für eine Sprache mit sirenger Verb-Zweit-Stellung, nämlich für das Jiddische, vorschlägt.

33 (39) is.

Eg veit ekki hvort aa ich weiß nicht OB fläss (Viknerl995:122)

betta er i lagi. das ist alles richtig

Nach Ansicht von Vikner liefern diese Daten unabhängige Evidenz für die Annahme einer CP-Rekursion in eingebetteten Sätzen. Er schlägt daher vor, dass auch die eingebetteten Verb-Zweit-Sätze im Isländischen und Jiddischen auf ähnliche Weise erfasst werden können. Demzufolge würde man beispielsweise für den jiddischen Satz in (32)(b) folgende Struktur erhalten: (40)

Ikh bedoyer [CP [c· az [Cp dos bukh [c hob [IP ikh geleyent]]]]]

Dieser Analyse zufolge besteht die Besonderheit des Jiddischen und Isländischen im Unterschied zu den anderen germanischen Verb-Zweit-Sprachen darin, dass das finite Verb nicht nur im Matrixsatz, sondern auch im Nebensatz stets nach COMP angehoben wird. Die Verb-Zweit-Stellung im Nebensatz wird demzufolge in der gleichen Weise erfasst wie die Verb-Zweit-Stellung im Hauptsatz. Damit erfahren alle Verb-Zweit-Sprachen eine einheitliche Behandlung hinsichtlich der für diese Sprachen charakteristischen Verb-Zweit-Stellungseigenschaft. Eine solche Analyse erweist sich als wesentlich attraktiver als eine Analyse, die diese Gemeinsamkeiten unberücksichtigt lässt: Given the goals of generative grammar, [...] it is very attractive to adopt a research strategy in which one defends as long as possible that all these Vf2 phenomena are caused by essentially the same rules of grammar, the differences resulting from subtle and reasonable differences in the grammar. (Weerman 1989:26)

Auf der Grundlage dieser Annahme kann somit als Ergebnis der Diskussion der VerbZweit-Stellungseigenschaft in den germanischen Sprachen und im Rätoromanischen festgehalten werden, dass alle Verb-Zweit-Sprachen dadurch gekennzeichnet sind, dass die Kongruenz- und Finitheitsmerkmale in COMP basisgeneriert sind. Diese Basisgenerierung ist parametrisch festgelegt. Das heißt, in allen Matrixsätzen dieser Sprachen ist stets die CP-Ebene aktiviert, da das finite Verb stets nach COMP bewegt werden muss. Die Bildung von Verb-Dritt-Matrixsätzen ist dadurch ausgeschlossen, dass die Möglichkeit einer CPRekursion generell ausgeschlossen bzw. nur auf wenige, durch einzelsprachliche Bedingungen streng festgelegte Kontexte beschränkt ist. Für das Jiddische und Isländische kann in Anlehnung an Authier (1992) angenommen werden, dass eine dieser Bedingungen für eine CP-Rekursion die ist, dass die CP regiert sein muss. Damit besteht in diesen Sprachen die Möglichkeit der CP-Rekursion in Nebensätzen. Ausgehend von dieser Analyse von Verb-Zweit-Sprachen sollen nun die romanischen Sprachen dahingehend geprüft werden, ob die dort zu beobachtenden Verb-Zweit-Stellungseffekte in ähnlicher Weise beschrieben werden können.

2.2

Verb-Zweit-Stellungseffekte in den modernen romanischen Sprachen

Verb-Zweit-Stellungseffekte sind, wie bereits in Kapitel l gezeigt, keineswegs ausschließlich in Verb-Zweit-Sprachen, sondern auch in solchen Sprachen anzutreffen, die über keine

34

strenge Verb-Zweit-Stellungseigenschaft verfügen. Einer der entscheidenden Unterschiede zu den Verb-Zweit-Sprachen besteht darin, dass die Verb-Zweit-Stellung hier auf bestimmte Kontexte beschränkt ist. Im Englischen beispielsweise sind dies vorwiegend Interrogativsätze oder Konstruktionen, in denen bestimmte topikalisierte oder negierte Elemente satzinitial stehen (Rochemont / Cullicover 1990:Kap.3, Levin / Rappaport Hovav 1995:Kap.6). In einigen dieser Fälle ist, wie die Beispiele von Rizzi (1990b:63) und Vikner (1995:48) illustrieren, die Subjekt-Verb-Inversion sogar obligatorisch: (41) en.

(a) (b)

*What Mary has said? What has Mary said?

(42) en.

(a) (b)

*Never the children have seen such a bad film. Never have the children seen such a bad film,

(43) en.

(a) (b)

*Onlv in Switzerland such a thipg could happen. Only in Switzerland could such a thing happen.

Parallel dazu existieren im Englischen jedoch viele Kontexte, in denen die Verb-ZweitStellung kategorisch ausgeschlossen ist. Ein Vergleich mit den in Kapitel l betrachteten deutschen und niederländischen Sätzen (l)-(2) zeigt, dass die englischen Entsprechungen ebenso wie die der romanischen Sprachen - stets dann ungrammatisch sind, wenn das Subjekt postverbal erscheint: (44) en.

(a) (b) (c) (d) (e)

The woman has read the book with pleasure. The book has the woman read with pleasure. *With pleasure has the woman read the book. *Read has the woman the book with pleasure. * If fee woman had had time, would she read the book.

Somit bestehen auch im Englischen deutliche Unterschiede zu den übrigen germanischen Sprachen hinsichtlich der Verb-Zweit-Stellung. Ähnlich wie in den romanischen Sprachen wird die in Sätzen (41) - (43) zu beobachtende Stellung des fmiten Verbs als Indiz dafür angesehen, dass das Englische ursprünglich durch eine generelle Verb-Zweit-Stellungseigenschaft charakterisiert war, die es im Laufe seiner historischen Entwicklung weitgehend aufgegeben und nur noch in bestimmten Kontexten erhalten hat. Das Englische wird daher ebenso wie die meisten romanischen Sprachen als eine residuale Verb-Zweit-Sprache angesehen (Rizzi 1990b, 1990c). In den folgenden beiden Abschnitten soll nun Überprüft werden, inwiefern eine solche Charakterisierung der romanischen Sprachen gerechtfertigt ist. Dabei werden das Französische und Spanische im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Was das Rätoromanische betrifft, so haben wir bereits gesehen, dass im Bündnerromanischen - ebenso wie in einigen dolomitenladinischen Dialekten - die Verb-Zweit-Stellung nicht kontextuell beschränkt, sondern generell in allen deklarativen Matrixsätzen gültig ist. Da das Rätoromanische eine zugrunde liegende SVO-Stellung hat, weist es - anders als das Deutsche und Niederländische - keine Haupt-Nebensatz-Asymmetrie auf und liefert somit - ähnlich wie die festlandskandinavischen Sprachen - keine deutliche empirische Evidenz für eine Verb-nach-COMP-Bewegung. Auf Grund der Gemeinsamkeiten zum Deutschen und Niederländischen hinsichtlich der Verb-Zweit-Stellungseffekte gibt es jedoch keinen Grund dafür, die Verb-Zweit-Stellung des Bündnerromanischen in anderer Weise zu analysieren als in den germanischen Verb-Zweit-Sprachen. Im Folgenden wird daher nicht eigens auf das Rätoromanische eingegangen.

35

2.2. l

Verb-Zweit-Stellungseffekte in Interrogativsätzen

Nach Ansicht vieler Autoren ist diese vermeintliche 'residuale' Verb-Zweit-Stellungseigenschaft in den romanischen Sprachen am deutlichsten in den Interrogativsätzen erkennbar. So wird in vielen Untersuchungen der Wortstellung in diesen Sprachen darauf hingewiesen, dass in einem dem englischen Interrogativsatz in (41) entsprechenden Fragesatz die VerbZweit-Stellung in verschiedenen romanischen Sprachen nicht nur möglich, sondern sogar obligatorisch ist(cf.Kayne 1972:71, Rizzi 1990b:63 u. 78f., Torrego 1984:103 u. 105): (45) fr.

(a) (b) (c)

*Oue Marie a dit? *Qu'a Marie dit? Qu'a dit Marie?

(46) it

(a) (b) (c)

*(Che) cosa Maria ha detto^ *(Che) cosa ha Maria detto? (Che) cosa ha detto Maria?

(47) sp.

(a) (b) (c)

*;.Qu6 Maria ha dicho? *i,t-ell«dit? *Qu> dit eile?

Das iberische Portugiesisch, in dem im entsprechenden Interrogativsatz ebenfalls die postverbale Stellung des Subjekts obligatorisch ist, erlaubt beido SteHungsmöglichkeiten des postverbalen Subjekts (Ambar 1992:58 u. 62): (49) ipg

(a) (b) (c)

*(Q1 Que a Maria teto dito? (Ot Que lern a Maria dito? (O) Que tem dito a Maria?

Ebenso wie für die Verb-Zweit-Stellung in den Matrixsätzen von Verb-Zweit-Sprachen muss nun hier die Frage gestellt werden, wodurch die Zweit-Stellung des finiten Verbs in diesen Konstruktionen ausgelöst wird. Eine von Rizzi (1990b, 1990c) vorgeschlagene Analyse macht hierfür das so genannte VA-Kriterium' verantwortlich. Diesem Kriterium zufolge, das Rizzi in Anlehnung an May (1985) formuliert, muss der Kopf einer Phrase, in deren Spezifiziererposition sich ein wA-Operator befindet, das Merkmal [+wh] enthalten, und umgekehrt muss in jeder Spezifiziererposition einer Phrase, deren Kopf [+wh]-markiert ist, ein w/z-Operator auftreten:

19

In Anlehnung an Kayne (1972:71) wird diese Art der Inversion i.d.R. als 'Subjektsklitikon-Inversiori bezeichnet, während die Inversion mit einem nominalen Subjekt Stilistische Inversion' genannt wird.

36 (50)

wA-Kriterium(Rizzi 1990b:64): (a) Ein wA-Operator muss in einer Spezifizierer-Kopf-Beziehung zu einem X°[+wt,] stehen. (b) Ein X°[+wh] muss in einer Spezifizierer-Kopf-Beziehung zu einem wA-Operator stehen.

Nach Ansicht von Rizzi handelt es sich bei diesem Kriterium um ein universales Prinzip, das je nach Einzelsprache entweder auf der S-Struktur oder auf der Ebene der Logischen Form (LF) erfüllt werden muss. Für das Englische und Französische nimmt Rizzi an, dass die durch das wA-Kriterium geforderte Spezifizierer-Kopf-Beziehung bereits auf der SStruktur hergestellt sein muss. Damit will er der Tatsache Rechnung tragen, dass in diesen Sprachen die wA-Phrase in eingebetteten Interrogativsätzen nicht in situ bleiben kann, d.h. noch vor der LF-Ebene aus ihrer Basisposition herausbewegt werden muss (Rizzi 1990b:65ff. u.75, 1990c:378): (51) en.

(a) (b)

*I wonder [CP [c [COMP[+wh]] [IP Mary has seen wie]]]. I wonder [CP whft [c [COMP[+wh]] [IP Mary has seen ?.]]].

(52)

(a)

*Je ne sais pas [CP [c [COMP[+wh]] [ eile a rencontre gyi]]]. ich NEG weiß nicht sie hat getroffen wen Je ne sais pas [Cp sjuii [c> [COMP[+wh]] [ eile a rencontre fj]]. ich NEG weiß nicht wen sie hat getroffen

fr.

(b)

Rizzi führt die Grammatikalitätsunterschiede in (51) und (52) darauf zurück, dass die COMP-Position auf Grund der Selektionseigenschaften des Matrixverbs mit dem Merkmal [+wh] spezifiziert ist. Durch die Annahme, dass das wA-Kriterium bereits auf der S-Struktur erfüllt werden muss, wird die overte Anhebung der wA-Phrase in die SpezCP-Position verlangt. Dort fungiert sie als wA-Operator und kongruiert mit dem [+wh]-markierten Kopf.20 Diese Analyse wirft die Frage auf, wie in Matrix-Interrogativsätzen, in denen COMP nicht durch Selektion eines regierenden Matrixverbs [+wh]-markiert ist, das M>A-Kriterium erfüllt wird. Rizzis Analyse zufolge ist in diesen Sätzen INFL der Träger des Merkmals [+wh], d.h. Träger eines "substantive feature whose interpretation is 'the carrier of this feature designates a question"' (Rizzi 1990c:378). Unabhängige Evidenz für diese Annahme sieht er darin, dass in verschiedenen Sprachen Interrogation durch eine besondere Verbmorphologie ausgedrückt werden kann.21 Die [+wh]-Markierung von INFL bewirkt, dass 20

21

Rizzi (1990b:73) geht dabei von der Annahme aus, dass eine wA-Phrase erst dann zum Operator wird, wenn sie in einer Skopusposition, d.h. in einer linksperipheren Nicht-Argument-Position (z.B. SpezCP) erscheint. Damit gilt das wA-Kriterium für wA-Phrasen erst dann, wenn sie sich nicht mehr in ihrer Basisposition innerhalb der VP oder in einer rechtsperipheren Position befinden. In Sprachen wie z.B. Chinesisch oder Japanisch, in denen das wA-Kriterium erst auf der LF-Ebene erfüllt sein muss, können die wA-Phrasen auf der S-Struktur in situ bleiben. Daher sind Sätze, die den ungrammatischen Beispielen in (51) und (52) entsprechen, in diesen Sprachen grammatisch (Friedemann 1997:189). Rizzi (1990b:66) nennt als Beispiele für solche Sprachen Hausa und das westaustronesische Palauan (cf. Ha'ik 1990 und Georgopoulos 1991). Bemerkenswerterweise ist auch für das Französische vorgeschlagen worden, dass es eine derartige Verbmorphologie aufweist. Noonan (1989) beispielsweise interpretiert das in umgangssprachlichen Interrogativsätzen des Quebec-Französischen häufig verwendete enklitische tu als offenes [+wh]-Merkmal, das in INFL basisgeneriert ist.

37

das finite Verb nach COMP angehoben werden muss, um dort in eine Speziflzierer-KopfBeziehung mit der nach SpezCP angehobenen wA-Phrase treten zu können. Ausgehend von der Annahme, dass in einer Sprache wie dem Englischen diese Beziehung bereits auf der SStruktur bestehen muss, gelangt Rizzi (1990b:66f.) somit zu folgender Ableitung für den englischen Interrogativsatz in (41)(b):22 (53)

D-Struktur: S-Struktur:

[CP [! Mary has[+wh] said what]]? [CP Whatj [c has[+wh]j] [1P Mary tj said /;]]?

Der Versuch, diese Analyse der englischen Interrogativsätze auf die romanischen Sprachen zu übertragen, erweist sich jedoch in verschiedener Hinsicht als problematisch. Eines der Probleme besteht darin, dass die in den Sätzen (45)-(49) beobachtete Obligatheit der Subjekt-Verb-Inversion keineswegs kategorisch für alle Interrogativsätze dieser Sprachen gilt. Wie die Beispiele in (54) belegen, ist bei dieser Art von Interrogativsätzen im (umgangssprachlichen) Französischen neben der Nachstellung auch die Voranstellung eines nominalen oder pronominalen Subjekts zu beobachten (cf. Rizzi 1990b:75, Friedemann 1997:165f): (54)

fr.

(a) (b) (c) (d)

Ä um Ä um A um Ä um

quelle wieviel quelle wieviel Quelle wieviel quelle wieviel

heure Uhr heure Uhr heure Uhr heure Uhr

est parti Paul? ist gegangen Paul est-\\ parti? ist er gegangen Paul est parti? Paul ist gegangen il est parti? er ist gegangen

Damit stellt sich nun die Frage, wie diese Variation der Stellung des finiten Verbs im Rahmen des von Rizzi entworfenen Modells des wA-Kriteriums erfasst werden kann. Nach Ansicht von Rizzi ist dies nur durch die Einführung eines zusätzlichen Mechanismus, der so genannten 'Dynamischen Kongruenz' ("Dynamic Agreement"), möglich. Dieser Mechanismus bewirkt, dass ein wA-Operator seinem Kopf das Merkmal [+wh] übertragen kann: (55)

Dynamische Kongruenz (Rizzi I990b:76): [CP w/i-Operator X°] => [CP w/z-Operator X°[+wh]]

Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, dass das wA-Kriterium in Matrixsätzen auch dann erfüllt werden kann, wenn kein ([+wh]-markiertes) Verb nach COMP angehoben wird. Die Verbbewegung schließt Rizzi durch die Zusatzannahme aus, dass in Sätzen wie (54)(c) oder (54)(d) INFL nicht mit dem Merkmal [+wh] spezifiziert ist. Andernfalls müsste das finite Verb zur Erfüllung des wA-Kriteriums nach COMP angehoben werden. Nach Ansicht von Rizzi kann mit Hilfe des Mechanismus der Dynamischen Kongruenz eine weitere Besonderheit französischer Interrogativsätze erklärt werden. Es handelt sich darum, dass im umgangssprachlichen Französisch die Anhebung der wA-Phrase fakultativ

22

Rizzis Analyse beschränkt sich auf eine Erklärung für die Verb-Zweit-Stellung in Interrogativs&tzen. Andere "residuale" Verb-Zweit-Effekte des Englischen, wie sie etwa in (42) - (43) illustriert sind, bleiben unberücksichtigt.

38

ist. Die entscheidende Beobachtung hierbei ist die, dass die wA-Phrase auch dann in situ verbleiben kann, wenn es sich nicht um eine Echo-Frage handelt.23 (56) fr. Paul est parti iL-JUidlSL-JieU Paul ist gegangen um wieviel Uhr Rizzi postuliert auch für diesen Satz, dass INFL keine [+wh]-Merkmale trägt. Dies hat zur Folge, dass es auf der S-Struktur zu keiner Verletzung des v?A-Kriteriums kommt, da das in situ stehende wA-Element nicht als wA-Operator fungiert (cf. Fußnote 20). Zur Erfüllung des wA-Kriteriums muss es daher erst auf der LF-Ebene kommen, wenn die >vA-Phrase nach SpezCP angehohen wird. Dies geschieht dadurch, dass der wA-Operator mittels Dynamischer Kongruenz das [+wh]-Merkmal an den Kopf der CP zuweist. Es dürfte klar sein, dass Rizzis Analyse durch diese zusätzlichen Annahmen sehr stark an Erklärungsadäquatheit verliert (cf. auch Hulk 1993, Kaiser 1996, 1998). Zum einen ist die Annahme, dass in Sätzen, in denen das vvA-Kriterium durch Dynamische Kongruenz erfüllt wird, INFL nicht mit dem Merkmal [+wh] markiert ist, vollkommen ad hoc. Zum anderen bleibt auf Grund der Einführung des zusätzlichen Mechanismus der Dynamischen Kongruenz nun wieder völlig offen, wie in Sätzen mit einer Subjekt- Verb-Inversion, wie in (45)(c) und (48)(a), die Verb-Anhebung erklärt werden kann, Prinzipiell besteht nämlich nun keine Notwendigkeit mehr dazu, da die Möglichkeit gegeben ist, das wA-Kriterium auch ohne Verb-nach-COMP-Bewegung zu erfüllen: In other words, by assuming the existence of Dynamic Agreement a redundancy has been introduced into the theory, for in sentences such as ((48)(a)] the wA-criterion may now be satisfied either by finite verb movement to C (V2) or by Dynamic Agreement. (Hulk 1993:129) Eine Möglichkeit, diese Redundanz aufzulösen, könnte darin bestehen, dass eine klare Unterscheidung zwischen dem Standardfranzösischen (franqais sovtenu) einerseits und dem umgangssprachlichen Französischen gezogen wird (Kaiser 1996, 1998). Obwohl eine solche Einteilung stark vereinfachend ist, bestätigen zahlreiche soziolinguistische Untersuchungen, dass insbesondere hinsichtfich der Inversion in den französischen Interrogativsätzen ein deutlicher Unterschied zwischen dem Standardfranzösischen und den umgangssprachlichen Varietäten besteht. Abgesehen von einigen festen Redewendungen, wie z.B. vois-tu oder penses-tu, liefern diese Studien nur wenige Belege für invertierte Interrogativsätze in der Umgangssprache (cf. z.B. Behnstedt 1973, Ashby 1977, Goveney 1990). Im Standardfranzösischen hingegen ist die Subjekt-Verb-Inversion in allen wA-Interrogativ·» kontexten obligatorisch - ausgenommen in den periphrastischen Fragesätzen, die die Fra*· gepartikel est-ce qae enthalten (Blinkenberg 1928:145, Renchon 1969). Mit anderen Werten, die Beispielsätze in (54)(a)-(b) gehören einer anderen Varietät an als die Beispielsätze m(34XcXd).

23

Im Standardspanischen und Standarditalienischen ist das Verbleiben der w/i-Phrase m situ i.d.R. nur in Echo-Fragen möglich (cf. Hernanz / Brucart 1987:100 für das Spanische, Poletto 1993:247, Fn.3 für das Italienische). In regionalen Varietäten gilt diese Beschränkung allerdings nicht (cf. Poletto 1993:236ff für das Venezianische). Im Portugiesischen, insbesondere im brasilianischen Portugiesischen, sind w/r-i«-s/fw-Fragen regelmäßig als Ntcht-Echo-Fragen möglich (cf Mateus / Brito / Duarte / Faria 1989:244 bzw. Kato 1987 und Rossi 1993).

39 Eine solche Analyse ermöglicht es, den Auslöser für die V-nach-COMP-Anhebung in Sätzen wie (45)(c) oder (48)(a) zu benennen: Im Standardfranzösischen existiert nicht die Möglichkeit, das wA-Kriterium durch Dynamische Kongruenz zu erfüllen. Auf Grund der Bedingung, dass es stets bereits auf der S-Struktur erfüllt sein muss, muss folglich das finite Verb stets dann noch vor der Ebene der Logischen Form nach COMP bewegt werden, wenn in der SpezCP-Position ein wA-Operator vorhanden ist. Der Unterschied zum umgangssprachlichen Französisch besteht darin, dass dort das wA-Kriterium durch Dynamische Kongruenz erfüllt werden kann. Dadurch entfällt in dieser Varietät die Notwendigkeit der V-nach-COMP-Anhebung zur Erfüllung des wA-Kriteriums.24 In anderen neueren Untersuchungen französischer Interrogativsätze werden die Beobachtungen hinsichtlich der möglichen Wortstellungsmuster dahingehend interpretiert, dass in diesen Sätzen generell keine V-nach-COMP-Anhebung stattfindet (cf. Noonan 1989, Drijkoningen 1990, Hulk 1993, Wind 1994, 1995, Friedemann 1997, Dekkers 1997). Ein empirisches Argument für diese Annahme liefert die Beobachtung, dass in Entscheidungsfragen die Stilistische Inversion ausgeschlossen ist, d.h. dass ein Subjektsnomen nicht postverbal stehen kann, wenn das finite Verb satzinitial erscheint: (57)

fr.

*Est Jean a Paris? ist Jean in Paris

Ausgehend von der Annahme, dass derartige Entscheidungsfragesätze die Präsenz eines leeren Operators in der SpezCP-Position und die des finiten Verbs in der COMP-Position erfordern, weist Kayne (1994:44) - in Anlehnung an Sportiche (1993) - daraufhin, dass die Ungrammatikalität von (57) erklärt werden kann, wenn angenommen wird, dass im Französischen eine (overte) V-nach-COMP-Bewegung generell ausgeschlossen ist.25 In einer Analyse hingegen, die davon ausgeht, dass eine solche Art der Bewegung im Französischen existiert, müßte eine zusätzliche Restriktion formuliert werden, die die Bildung von Sätzen wie (57) ausschließt. Zusätzliche Evidenz gegen die Annahme einer V-nach-COMP-Bewegung in französischen Interrogativsätzen liefert die so genannte 'Komplexe Inversion'. Diese Konstruktion 24

Eine solche Analyse kommt allerdings nicht umhin, für das umgangssprachliche Französisch anzunehmen, dass INFL nicht durch ein [+wh]-Merkmal markiert ist. Dies scheint allerdings den empirischen Fakten zu widersprechen. Denn, wie bereits in Fußnote 21 erwähnt, können im umgangssprachlichen Französischen Interrogativsätze durch die Fragepartikel ti (bzw. tu) markiert werden. Dies wird in einigen Analysen als Evidenz für eine [+wh]-Markierung von INFL interpretiert (Noonan 1989): (i) fr. (a)

(b) 25

aj-ü bu? du hast getrunken (Paris 1877:442) II habite-ji Paris ou Lyon? er (be)wohnt Paris oder Lyon (Foulet 1921:278)

Ein Problem dieser Generalisierung besteht allerdings darin, dass erklärt werden muss, warum die Verb-Erst-Stellung dann möglich ist, wenn das Subjekt ein Klitikon ist: (i) fr. Est-il ä Paris? ist er in Paris Hier muss Kayne (1994:139,Fn.l5) die - wenig plausible - Annahme machen, dass das Verb "möglicherweise" links an das Klitikon adjungiert wird.

40

ist dadurch gekennzeichnet, dass zusätzlich zu einem postverbalen Subjektsklitikon ein präverbales Subjektsnomen auftritt:26 (58) fr.

Ä um

quelle heure Paul wieviel Uhr Paul

est-t-'il parti? ist er gegangen

In der Analyse von Rizzi / Roberts (1989) wird diese Konstruktion als ein Sonderfall der einfachen Subjektski itik-Inversion behandelt. Beiden Autoren zufolge wird in diesen Konstruktionen das finite Verb nach COMP angehoben und das - in SpezIP basisgenerierte Subjektsklitikon enklitisch in das Verb inkorporiert. Auf diese Weise wird das Subjektsklitikon mit den Merkmalen des kasuszuweisenden Verbs assoziiert. Dadurch können im Falle der Komplexen Inversion der - in SpezVP basisgenerierten und in eine an C adjungierte Spezifiziererposition angehobenen - Subjekt-NP die notwendigen Kasusmerkmale vom Verb zugewiesen werden (Rizzi / Roberts 1989:12): (59)

[Cp

quelle heure, [c Paulk [c [COMP estj-t-ilj] [IP t\ t} [VP tk parti t,]]]]]?

Eine solche Möglichkeit der C'-Adjunktion ist in theoretischer Hinsicht allerdings sehr problematisch, da die Adjunktion einer maximalen Projektion generell nur an eine andere maximale Projektion möglich ist (Chomsky 1986a:6). Rizzi / Roberts (1989:15) versuchen ihre Analyse zu 'retten', indem sie eine Zusatzbedingung formulieren, die eine derartige Adjunktionsmöglichkeit ausschließlich auf die Subjekt-NP beschränkt und damit eine "overgeneration" dieser Adjunktion verhindert. Ein empirisches Problem der Analyse von Rizzi / Roberts (1989) besteht darin, dass die Autoren davon ausgehen müssen, dass es sich bei dem postverbalen Subjektsklitikon in (59) um ein Expletivum handelt. Die Notwendigkeit dieser Annahme ergibt sich für Rizzi / Roberts (1989:11) dadurch, dass andernfalls zwei Argumenten, der Subjekt-NP und dem Subjektsklitikon, nur eine -Rolle zur Verfügung stünde. Dies hätte eine Verletzung des -Kriteriums zur Folge. Um dies zu vermeiden, postulieren sie, dass das Klitikon einen Nicht-Argument-Status hat (cf. auch Kayne 1983). Eine solche Annahme scheint jedoch unvereinbar mit der Tatsache zu sein, dass das postverbale Klitikon eigene Merkmale für Person, Numerus und Genus trägt (Muller 1984, Kaiser 1992:95, Friedemann 1997:163).27

26 27

Für eine umfangreiche empirische Untersuchung dieses Fragetyps cf. Buchmüller (1975). Kayne (1983:128) sieht ein zusätzliches Argument für die Analyse von /'/ in (59) als "a non-argument agreeing with its predecessor" darin, dass seiner Ansicht nach die Komplexe Inversion mit Pronomina der l. und 2. Person ausgeschlossen ist. Er nimmt an, dass diese Pronomina stets Argumentstatus haben müssen, so dass deren Auftreten in einer Komplexen Inversionskonstruktion zu einer Verletzung des -Kriteriums fuhren würde. Die Möglichkeit des Auftretens eines Pronomens der 3. Person in diesen Konstruktionen ist für Kayne folglich nur dadurch erklärbar, dass es auch einen M'c/zf-Argument-Status haben kann. Friedemann (1997:164) weist daraufhin, dass diese Argumentation Kaynes empirisch nicht haltbar ist, da die Komplexe Inversion mit Pronomina der 1. und 2. Person - wie Kayne (1983:129,Fn.25) im Übrigen selbst einräumt - durchaus grammatisch ist: (i) fr. (a) Pourquoi ta fepflfflft Et ft>i ne viendriezXüJlS pas ä la fSte? warum deine Frau und du NEG kommen-würdet ihr nicht auf das Fest (b) Oü ro.oLjet.---jim8s.--^„snfanfs sommes-onuSi invitis? wo ich und meine Kinder sind wir eingeladen

41 Ein weiteres empirisches Problem für die von Rizzi / Roberts (1989) vorgeschlagene Analyse der Komplexen Inversion stellt die Tatsache dar, dass Inversionsstrukturen wie in (60) grammatisch sind (Cardinaletti 1994:73, Laenzlinger / Musolino 1995:85, Friedemann 1997:175, Laenzlinger 1998:115ff.): (60) fr.

(a) (b)

Oü Jean, finalement. est-'\\ alle"? wohin Jean schließlich ist er gegangen Oü, finalement. Jean est-il allo? wohin schließlich Jean ist er gegangen (Laenzlinger / Musolino 1995:85)

In einer V-nach-COMP-Analyse müßte zur Erklärung der Grammatikalität dieser Sätze eine zusätzliche C-Adjunktion angenommen werden. Wie bereits erwähnt, wird diese Option von Rizzi / Roberts (1989:15) selbst allein aus prinzipiellen Überlegungen heraus explizit ausgeschlossen. Da eine CP-Rekursion, wie bereits diskutiert, ebenfalls nicht in Betracht kommen kann, scheint folglich eine Analyse, wonach das Verb in (60) nur nach INFL bewegt wird, besser geeignet zu sein, die sprachlichen Fakten zu erfassen. Dementsprechend nimmt auch die Subjekt-NP in der Komplexen Inversion eine IP-interne Position ein. Durch die Möglichkeit der IP-Rekursion ist das Auftreten mehrerer präverbaler Konstituenten gewährleistet (cf. Friedemann 1997:175):28 (61)

(a) (b)

[Cp , [IP Jean [,P finalement [r est-il allo fj]]]? [Cp Oüj [IP finalement [!P Jean [,. est-il ailo /;]]]]?

Friedemann (1997:192-200) nimmt an, dass die Anhebung des fmiten Verbs nach COMP erst auf der LF-Ebene erforderlich ist, d.h. dass das wA-Kriterium im Französischen erst auf dieser Ebene erfüllt werden muss. Seiner Analyse zufolge sind die [+wh]-Merkmale, die im Matrixsatz in FNFL generiert sind, 'schwach', so dass es keine Notwendigkeit für eine overte Anhebung des finiten Verbs gibt. Die [+wh]-Merkmale der wA-Phrase hingegen werden von Friedemann als 'stark' angesehen, so dass die w -Phrase noch auf der S-Struktur, d.h. overt, nach SpezCP angehoben werden muss. Friedemann (1997:193) macht allerdings dabei die Einschränkung, dass die [+wh]-Merkmale der wA-Phrase im umgangssprachlichen Französisch optional 'schwach' sein können, um der Möglichkeit Rechnung zu tragen, dass die wA-Phrase auch in ihrer Basisposition verbleiben kann (cf.(56)). Für alle sonstigen Interrogativsätze ergibt sich nach Friedemann jedoch eine identische Ableitung. Der Unterschied zwischen Standard- und umgangssprachlichem Französisch besteht lediglich darin, dass im ersteren die [+wh]-MerkmaIe in Form des Subjektklitikons als ein "morpheme phone"tiquement roaliso" generiert sind, das in der Lage ist, ein leeres Subjektspronomen zu lizensieren (Friedemann 1997:194f.):29 28

29

Auf der Grundlage einer 'Split-COMP'-Hypothese (cf. Shlonsky 1994, Rizzi 1997) bestünde auch die Möglichkeit, einem Satz wie (60)(a) folgende Struktur zuzuweisen, wie von Laenzlinger / Musolino (1995:87) und Laenzlinger (1998:117) vorgeschlagen wird: (>) [FOCP Oü Ugriopp Jean [TopP finalement [Top. est^c? OP[+wh] l-, [y il alte]]]]]? Da ich mich - wie in Kapitel l dargelegt - in der vorliegenden Untersuchung vorwiegend auf das 'traditionelle' Modell der Prinzipien- und Parametertheorie nach Chomsky (1981, 1982, 1986a) stütze, möchte ich diese Möglichkeit hier nicht weiterverfolgen. Friedemann äußert sich nicht explizit zur Struktur von Sätzen mit einer Stilistischen Inversion (cf. (54)(a)). Es ist aber anzunehmen, dass er auch für diese Sätze eine IP-Struktur annimmt. Friede-

42

(62)

(a) (b) (c) (d)

S-Struktur: S-Struktur: S-Struktur: S-Struktur:

[Cp A quelle heurej [IP Paul est-il[H.wh] parti fj]]? [Cp Ä quelle heurej [v pro est-il[+wh] parti f;]]? [CP A quelle heurei [n> Paul estparti fj]? [Cp A quelle heurej [n> il est parti fj]?

(63)

(a) (b) (c) (d)

Logische Logische Logische Logische

[Cp A [CP A [Cp A [Cp A

Form: Form: Form: Form:

quelle heurcj est-ilj [n> Paul t-} parti fj]? quelle heurej est-ilj [ypro fj parti fj]]? quelle heurej est, [n> Paul fj parti f;]]? quelle heurej estj [n> il fj parti /i]]?

Ein Vergleich mit den anderen bisher betrachteten romanischen Sprachen zeigt, dass es auch hier Evidenz dafür gibt, die Interrogativsätze dieser Sprachen in ganz ähnlicher Weise, d.h. ebenfalls ohne overte V-nach-COMP-Bewegung, zu analysieren. Die Evidenz besteht unter anderem darin, dass auch in diesen Sprachen die Subjekt-Verb-Inversion in den Interrogativsätzen fakultativ sein kann. Wie die Untersuchungen von Torrego (1984:106) für das Spanische und Ambar (1992:60) für das iberische Portugiesische zeigen, ist dies dann der Fall, wenn es sich bei der wA-Phrase nicht um ein Argument des Verbs handelt: (64) sp.

(a) (b)

(65) ipg. (a) (b)

;.En qu6 in welcher ;.En quo in welcher Por que aus welchem Por que aus welchem

medida ha la constitution contribuido Weise hat die Verfassung beigetragen medida la constitution ha contribuido Weise die Verfassung hat beigetragen razäo saiu a Rita? Grund weggegangen-ist die Rita razäo a Rita 501«? Grund die Rita weggegangen-ist

a eso? dazu a eso? dazu

Die präverbale Stellung des Subjekts in diesen Sätzen kann als klare Evidenz gegen eine Vnach-COMP-Bewegung angesehen werden. Umstritten ist allerdings, ob daraus gefolgert werden muss, dass diese Bewegung in diesen Sprachen generell, d.h. auch in den Interrogativsätzen, in denen das Subjekt obligatorisch /?osrverbal erscheint, keine Anwendung findet. Als ein Argument gegen diese Annahme führt Zubizarreta (1999:246) für das Spanische an, dass in Interrogativsätzen mit obligatorischer Subjekt-Verb-Inversion - im Gegensatz zu Deklarativsätzen - offenbar nicht die Möglichkeit besteht, Nicht-Subjekte in präverbaler Position zu adjungieren: (66) sp.

(a) (b)

(67) sp.

(a) (b)

*i,Quo ^...Marja le was an Maria ihr ^Oue" le envio was ihr geschickt-hat

envio Juan? geschickt-hat Juan Juan a Maria? Juan an Maria

*i,Qui äXSI compro Juan? was gestern gekauft-hat Juan ^ compro Juan ayer? was gekauft-hat Juan gestern

mann (1997:198, Fn.35) betont lediglich, dass auch in dieser Konstruktion das finite Verb [+wh]Merkmale tragen muss, die dessen (nicht overte) Anhebung nach COMP bewirken. Dies folgt, wie er zu Recht betont, aus den Forderungen des wA-Kriteriums (cf. auch Kaiser 1996, 1998). Eine Erklärung für die Ungrammatikalität der Stilistischen Inversion in Entscheidungs- und Ergänzungsfragen mit bestimmten w/i-Phrasen (z.B. pourquoi) liefert seine Analyse allerdings nicht.

43 Zubizarreta (1999:245) folgert aus diesen Beobachtungen, dass in diesen Sätzen das finite Verb stets adjazent zum w/?-Operator stehen muss, der dessen Anhebung nach COMP bewirkt (cf. auch Torrego 1984:106f, Mallon 1993:463). Sie führt die Notwendigkeit dieser Anhebung in Anlehnung an Rizzis wA-Kriterium darauf zurück, dass das finite Verb [+wh]Merkmale trägt und daher in eine Spezifizierer-Kopf-Beziehung mit dem wA-Operator treten muss). Eine andere Begründung für die V-nach-COMP-Anhebung liefert Ambar (1992) in ihrer Analyse der portugiesischen Interrogativsätze. Sie nimmt an, dass die nach SpezCP angehobene wA-Phrase zusätzlich eine leere Kategorie enthalten kann. Dies ist ihrer Analyse zufolge dann der Fall, wenn die u>A-Phrase nicht thematisches Argument des Verbs ist. Damit versucht sie den Unterschied zwischen Sätzen, in denen die Subjekt-Verb-Inversion obligatorisch (cf.(49)), und solchen, in denen sie fakultativ ist (cf. (65)), zu erklären. Die Obligatheit der Inversion in Sätzen wie (49)(b) oder (49)(c) führt Ambar (1992:188) darauf zurück, dass die in SpezCP vorhandene leere Kategorie auf Grund des Prinzips der Leeren Kategorie (ECP) streng, d.h. lexikalisch, regiert sein muss. Dies wird dadurch gewährleistet, dass das finite Verb nach COMP bewegt wird. Demzufolge hat ein Satz wie (49)(b) folgende S-Struktur (cf. Ambar 1992:188): (68)

[CP [Que [e\l [c tenij [IP a Maria [r 4] [w dito /i]]]]?

Ambar (1992:188) sieht in ihrer Analyse eine Erklärung für die Obligatheit der SubjektVerb-Inversion in diesen Sätzen: Com esta analise encontra-se uma resposta ao porque do caracter obrigatorio deste tipo de inversäo: o verbo sobe, ou em outros termos, ha ISV obrigatoria, porque existe em Espec de COMP uma categoria vazia que precisa de ser regida.

In Sätzen wie (65) hingegen ist Ambars Analyse zufolge keine V-nach-COMP-Anhebung erforderlich, weil in der SpezCP-Position statt der leeren Kategorie ein lexikalisches Nomen auftritt. Eine andere Schlussfolgerung aus der Existenz von Interrogativsätzen ohne SubjektVerb-Inversion, wie in (64)-(65), zieht hingegen Sufier (1994). Ihrer Ansicht nach deutet die Möglichkeit der präverbalen Stellung des Subjekts in Interrogativsätzen daraufhin, dass die V-nach-COMP-Anhebung im Spanischen generell ausgeschlossen ist: It is obvious that V is not in C° in examples [(64)] above because the subject is in SpecIP, between the head of CP and the V in 1°. Since movement of V to C° does not take place in interrogatives with nonargument Wh-phrases, the null hypothesis is for V to occupy 1° but not C° with argument Wh-phrases as well. (Sufier 1994:349)

In einer sehr detaillierten Diskussion führt Sufler (1994:360-367) die Obligatheit der Subjekt-Verb-Inversion in spanischen Interrogativsätzen mit einer Argument-wA-Phrase auf eine strenge Lokalitätsbeschränkung zurück, die zwischen dem Verb und dem nach SpezCP angehobenen Argument bestehen muss. Dies hat zur Folge, dass kein anderes Argument, wie etwa das Subjekt, zwischen beiden erscheinen kann, obwohl die SpezIP-Position als möglicher Landeplatz für das Subjekt zur Verfügung stünde (Sufler 1994:361). Suflers Analyse zufolge dürfte also der spanische Satz in (47)(c) folgende Struktur haben: (69)

[Cp Quej [c [IP [.· ha [VP dicho 4 Maria]]]]]?

44 In vielen neueren Untersuchungen werden die spanischen Interrogativsätze in ähnlicher Weise analysiert. Wichtig für die Diskussion der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft ist, dass diesen Analysen die Annahme gemeinsam ist, dass das Verb nicht nach COMP bewegt wird (Goodall 1993, Mallen 1993, Ordonez 1997, Ordonez / Trevino 1999).30 Die Analysen unterscheiden sich lediglich darin, welche (Lande-)Positionen der wA-Phrase und dem postverbalen Subjekt zugeordnet werden und auf welche Weise dem postverbalen Subjekt Kasus zugewiesen wird. Ein zusätzliches Argument gegen eine Verb-nach-COMP-Bewegung in spanischen Interrogativsätzen wird von Goodall (1993:201) und Suner (1994:344f.) angeführt. Es basiert auf der Beobachtung, dass bestimmte Adverbien im Interrogativsatz ebenso wie im deklarativen Matrixsatz i.d.R. die gleiche präverbale Position einnehmen (cf. auch Ordonez / Trevino 1999:45 und 49): (70) sp.

(a) (b)

(71) sp.

(a) (b)

Las muieres regularmentc sonnen mas que los hombres. d i e F r a u e n regelmäßig lächeln mehr als die Männer ^.Por que regularmente sonnen mäs las mujeres? warum regelmäßig lächeln mehr die Frauen (Goodall 1993:201) Sri todavia estudia historia del arte. Bri immer noch studiert Kunstgeschichte ;.Que idioma todavia estudia Pepita en su tiempp libre? welche Sprache immer noch studiert Pepita in ihrer Freizeit (Suner 1994:344 u. 345)

Beide Autoren betonen zu Recht, dass bei einer V-nach-COMP-Bewegung zu erwarten wäre, dass das Verb im Interrogativsatz vor dem Adverb erscheint. Goodall (1993:202) weist darauf hin, dass dies im Englischen der Fall ist und dass dieser Stellungsunterschied des Adverbials im Vergleich zum Deklarativsatz als Evidenz für eine solche Bewegung interpretiert wird: (72) en.

(a) (b) (c)

Women usually are smiling. *Whv usually are women smiling? Why are women usually smiling?

Auf Grund dieser Beobachtung und ausgehend von der Annahme, dass das Adverbial an IP adjungiert ist, ist somit anzunehmen, dass sich das Verb in den Interrogativsätzen in (70)(b) und (71)(b) in INFL befinden muss. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt auch Guasti (1996) in ihrer Analyse italienischer Interrogativsätze. Eines ihrer Argumente basiert auf der Beobachtung, dass in italienischen Interrogativsätzen parenthetische Ausdrücke zwischen der wA-Phrase und dem Auxiliar, nicht aber dahinter auftreten können:

30

Bemerkenswert ist, dass auch Zubizarreta (1998:150) diese Annahme vertritt. Sie gibt damit ihre ursprüngliche, aber erst später erschienene Analyse spanischer Interrogativsätze auf (Zubizarreta 1999:245f). Baauw (1998) nimmt an, dass für einen Satz wie (47)(c) beide Ableitungen - sowohl diejenige mit als auch diejenige ohne V-nach-COMP-Bewegung - möglich sind.

45 (73) it.

(a) (b)

Quando. secondo te, ha telefonato Gianni? wann gemäß dir hat telefoniert Gianni ??*Quando ha, secondo te. telefonato Gianni? (Guasti 1996:172)

Sie weist darauf hin, dass die englischen Entsprechungen dieser Sätze eine entgegengesetzte Grammatikalitätsbeurteilung erfahren würden. Ihre - in Anlehnung an Cardinaletti (1994) formulierte - Erklärung dieses Unterschieds basiert auf der Annahme, dass sich parenthetische Ausdrücke stets unterhalb der CP befinden. Im Englischen kann demnach das finite Verb über diese Ausdrücke hinweg in den Kopf der CP bewegt werden, während im Italienischen diese Bewegung ausgeschlossen ist. In Übereinstimmung mit Friedemanns Analyse französischer Interrogativsätze kommt Guasti (1996:173) daher zu dem Schluss, "that overt movement of the verb to C does not take place in Italian questions". Was das iberische Portugiesisch betrifft, so scheint diese Art der Adjunktion von Adverbialen oder parenthetischen Ausdrücken, wie sie im Spanischen und Italienischen zu beobachten ist, kaum oder nur sehr beschränkt möglich zu sein. Allerdings existiert im Portugiesischen eine deutliche regionale Variation hinsichtlich der Verbstellung in Interrogativsätzen. Im Gegensatz zum europäischen Portugiesisch ist im Portugiesischen Brasiliens die /jräverbale Stellung des Subjekts in diesen Sätzen grundsätzlich die Regel, während die postverbale Stellung i.d.R. ausgeschlossen ist. Somit erhält man in Brasilien eine vollkommen entgegengesetzte Grammatikalitätsbeurteilung der Sätze in (49) (Silva 1996:121): (74) bpg. (a) (b) (c)

Que a Maria lern dito? was die Maria hat gesagt *Que tern a Maria dito? *Que tem dito a Maria?

Dieser Unterschied zwischen dem brasilianischen und europäischen Portugiesisch wird in allen Untersuchungen zur Interrogation in Brasilien bestätigt (Duarte 1992, Kato 1987, Rossi 1993). Rossi (1993:332) nimmt an, dass es einen parametrischen Unterschied zwischen beiden Varietäten gibt, der darin besteht, dass im brasilianischen Portugiesischen das wA-Kriterium erst auf der Ebene der Logischen Form erfüllt werden muss. Interessanterweise lassen sich auch in anderen romanischen Sprachen regional bedingte Unterschiede hinsichtlich der Verbstellung in Interrogativsätzen beobachten. Suner (1994:352 u. 366f.) weist auf das puertorikanische Spanisch hin, in dem die Möglichkeit zur Subjekt-Verb-Stellung auch dann besteht, wenn die satzeinleitende wA-Phrase ein Argument des Verbs ist.31 Den Angaben von Suner (1994:352) zufolge ist diese Stellung so-

31

Auf eine andere Möglichkeit der Nicht-Inversion nach argumentalen wA-Phrasen wird von Ordonez (1997:160) hingewiesen. Seinen Beobachtungen zufolge erlauben Sprecher des iberischen Spanisch die präverbale Subjektstellung nach argumentalen wA-Phrasen dann, wenn diese komplex sind: (i) sp. (a) *{.A quien tu hermana visitol wen deine Schwester besucht-hat (b) [A cual de las chicas que vinieron tu hermana (Ja) habia visitado? welches von den Mädchen die kamen deine Schwester es hatte besucht Eine ähnliche Beobachtung macht Calabrese (1982:3 u. 53) für das Italienische:

46

gar die Regel, wenn das Subjekt pronominal ist (cf. auch Davis 1971, Quirk 1972, Nunez Cedeno 1983): (75) psp. (a) (b)

iQuien tu eresl wer 3ü bist iOue Ivan dijo de eso? was Ivan sagte dazu

Auch in einigen nord- bzw. mittelitalienischen Dialekten scheint die präverbale Subjektsstellung in Interrogativsätzen die Regel zu sein (Poletto 1993:230, Giorgi / Pianesi 1996:156, Fn.29). Laut Poletto (1993:230) ist dies beispielsweise in der Mundart von Triest der Fall: (76) tri.

Cosa la mamma disel was die Mama sagt

Poletto (1993:231) nimmt an, dass sich diese Varietäten vom Standarditalienischen und denjenigen Varietäten, die eine obligatorische Subjekt-Verb-Inversion in Interrogativsätzen aufweisen, dadurch unterscheiden, dass das finite Verb nicht das Merkmal [+wh] besitzt. Sie vermutet, dass im Triestinischen ein Parameterwechsel eingetreten ist, der sich dadurch auszeichnet, dass nun nicht mehr das finite Verb, sondern der Kopf der CP mit dem [+wh]Merkmal markiert ist. Dies hat zur Folge, dass das finite Verb in diesen Konstruktionen nicht mehr nach COMP angehoben werden muss bzw. kann. Damit hat nach Ansicht von Poletto (1993:231) diese Varietät des Italienischen die letzten Reste einer Verb-ZweitStellungseigenschaft endgültig verloren: If we consider the movement of the verb to C in direct questions as a residual verb second phenomenon, as Rizzi (1990[b]) does, then we have to state that Northern Italian Dialects are eliminating the last verb second context [...]. Mit anderen Worten, diese Beobachtungen zeigen, dass einige regionale Varietäten der romanischen Sprachen existieren, in denen es keinerlei empirische Evidenz (mehr) für eine Verb-Zweit-Stellungseigenschaft in Interrogativsätzen gibt. Gleichzeitig hat die Diskussion der Standardvarietäten dieser Sprachen gezeigt, dass auch hier Zweifel an der Annahme angebracht sind, wonach die Wortstellung in den Interrogativsätzen dieser Sprachen einer Verb-Zweit-Stellungsregel unterliegt. Vielmehr sprechen die Daten der hier betrachteten romanischen Sprachen für die Annahme, dass Interrogativsätze generell, d.h. unabhängig davon, ob das Verb die Zweitstellung einnimmt oder nicht, durch eine V-nach-INFL- statt durch eine V-nach-COMP-Bewegung gebildet werden. Die hier zu beobachtenden VerbZweit-Stellungseffekte sind folglich grundsätzlich anderer Natur als die entsprechenden Stellungsmuster in den germanischen Sprachen und somit lediglich scheinbare Verb-ZweitPhänomene. Diese Beobachtung führt zu der Feststellung, dass die Annahme als inadäquat zurückgewiesen werden muss, derzufolge das Auftreten des fmiten Verbs in der zweiten

(ii) it. (a) (b)

*Chi Mario ha visto? wen Mario hat gesehen Quäle delle ragazze ehe abbiamo incontrato. Mario ha conosciuto welches der Mädchen die (wir)-haben getroffen Mario hat kennengelernt in Sicilia? in Sizilien

47 Position in den Interrogativsätzen der romanischen Sprachen als 'residuales' Verb-ZweitStellungsphänomen anzusehen und damit dahingehend zu interpretieren ist, dass diese Sprachen in einer früheren Epoche durch eine strenge Verb-Zweit-Stellungsregel gekennzeichnet waren. Es muss betont werden, dass diese Schlussfolgerung allerdings auch unabhängig von den gemachten empirischen Beobachtungen hinsichtlich der romanischen Interrogativsätze gezogen werden muss. Sie ergibt sich auch aus theoretischen Gründen, zumindest dann, wenn davon ausgegangen wird, dass die Stellung von wA-Phrase und finitem Verb in Interrogativsätzen durch das wA-Kriterium festgelegt ist. Dieser Analyse zufolge ist die Verbbewegung in Interrogativsätzen grundsätzlich anderer Natur als die entsprechenden Bewegungsoperationen in deklarativen Matrixsätzen einer Sprache mit obligatorischer VerbZweit-Stellung. Der Unterschied liegt darin, dass die Bewegung durch andere Faktoren ausgelöst wird. Somit gibt es keinen Grund dafür anzunehmen, dass eine Sprache, die in Interrogativsätzen eine (obligatorische) Verb-Zweit-Stellung aufweist, ursprünglich auch in Deklarativsätzen über die gleiche Wortstellung verfügt hat. Wie Rizzi (1990b, 1990c) selbst betont, handelt es sich bei dem von ihm formulierten wA-Kriterium um ein universales Prinzip, das - anders als im Fall der V-nach-COMP-Bewegung in den Deklarativsätzen der Verb-Zweit-Sprachen - in allen Sprachen die V-nach-COMP-Bewegung bewirkt. Der Unterschied zwischen den einzelnen Sprachen besteht lediglich darin, auf welcher Ebene diese Anhebung ausgeführt wird bzw. ausgeführt werden muss. Mit anderen Worten, der angenommene Zusammenhang zwischen Verb-Zweit-Stellung in Interrogativsätzen und der Verb-Zweit-Stellung in Deklarativsätzen in Verb-Zweit-Sprachen ist nicht nur unbegründet, sondern auch unvereinbar mit der von Rizzi postulierten universalen Gültigkeit des wAKriteriums. Angesichts dieser Feststellung ist es kaum verwunderlich, dass auch in Sprachen, die typologisch sehr weit von den romanischen Sprachen entfernt sind, ähnliche Verb-Stellungseffekte in Interrogativsätzen zu beobachten sind. So gilt beispielsweise für das Baskische, das eine zugrunde liegende Verb-Endstellung besitzt, dass in Interrogativsätzen das finite Auxiliar - i.d.R. zusammen mit dem Verb32 - obligatorisch in die Zweitpositon bewegt werden muss (Eguzkitza 1986, Ortiz de Urbina 1992, 1995): (77) bk.

(a)

(b) (b1)

Emakumeak gizonari liburua bidali dio. Frau-die Mann-dem Buch-das geschickt hat 'Die Frau hat dem Mann das Buch geschickt1 Nori bidali dio emakumeak liburua? wem geschickt hat Frau-die Buch-das *Nori emakumeak liburua bidali diol wem Frau-die Buch-das geschickt hat 'Wem hat die Frau das Buch geschickt?1

Interessanterweise spricht Ortiz de Urbina (1992, 1995) hier von einem residualen VerbZweit-Phänomen im Baskischen. Er liefert allerdings keine Belege für die Existenz einer 32

Ortiz de Urbina (1995:105f.) weist daraufhin, dass in Dialekten des Nordbaskischen nur das Auxiliar angehoben wird: (i) bk. (a) Nork du Jon ikusi? wer hat Jon gesehen (b) Nor du Jonek ikusi? wen hat Jon gesehen

48 allgemein gültigen Verb-Zweit-Stellungsregel im früheren Baskischen. Ganz offensichtlich gibt es hierfür keinerlei Evidenz. Ahnliches dürfte auch für die meisten der 79 Sprachen gelten, die von Ultan (1978) in einem typologischen Vergleich hinsichtlich ihrer Interrogationsmechanismen untersucht worden sind. Er beobachtet dabei, dass in sehr vielen Sprachen "of all basic order types" die Inversion als Mittel zur Markierung von Ergänzungsfragen verwendet wird (Ultan 1978:231).33 Es ist wohl wenig wahrscheinlich, dass es sich hierbei um 'residuale' Verb-Zweit-Phänomene handelt und dass alle diese Sprachen ursprünglich über eine generelle Verb-Zweit-Stellungseigenschaft verfügt haben. Mit anderen Worten, die in sehr vielen Sprachen zu beobachtende Inversion in Interrogativsätzen steht ganz offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der generellen VerbZweit-Stellungseigenschaft, wie sie in den germanischen Sprachen mit Ausnahme des Englischen und im Bündnerromanischen zu beobachten ist. Selbst wenn es gelingen sollte, überzeugend nachzuweisen, dass die Inversion in den Interrogativsätzen der hier betrachteten romanischen Sprachen als Resultat einer Verb-nach-COMP-Bewegung zu analysieren ist, kann dies nicht als Evidenz für eine 'residuale' Verb-Zweit-Stellungseigenschaft angesehen werden. Die in Interrogativsätzen zu beobachtenden Verb-Zweit-Stellungsmuster sind auf eine universal gültige Regel zurückzuführen, die eine Verb-nach-COMP-Bewegung aus anderen Gründen hervorruft als die parametrisch festgelegte Verb-Zweit-Stellungsregel der Verb-Zweit-Sprachen. Daraus folgt, dass 'residuale1 Verb-Zweit-Effekte, d.h. Verb-Zweit-Stellungsmuster, die aus einer ursprünglich generell gültigen Verb-ZweitStellungseigenschaft resultieren, sich allenfalls in Deklarativsätzen manifestieren.

2.2.2

Verb-Zweit-Stellungseffekte in Deklarativsätzen

Im Kapitel l wurde bereits kurz gezeigt, dass - abgesehen vom Bündnerromanischen - in den modernen romanischen Sprachen die Möglichkeit zur Verb-Zweit-Stellung in Deklarativsätzen zwar existiert, sie allerdings von zahlreichen und einzelsprachlich sehr unterschiedlichen Faktoren abhängig ist. Im Französischen ist einer dieser Faktoren das Auftreten bestimmter Adverbiale, wie z.B. peut-etre, aussi, ä peine, ainsi oder bestimmter - meist präpositionaler - Komplemente in satzinitialer Position. Dabei ist zu beobachten, dass die Inversion im ersten Fall vorwiegend nur mit Subjektspronomen ('Subjektsklitik-Inversion'), im zweiten Fall ausschließlich mit einem- meist indefiniten - nominalen Subjekt ('Stilistische Inversion') möglich ist: (78)

fr.

(a) (b)

33

Peut-etre craignait-eüe vielleicht fürchtete sie (Guimier 1997:44) Aussi ne crut\\ daher NEG glaubte er son secret, ihr Geheimnis (Guimier 1997:45)

pour sä voix. um ihre Stimme pas une seconde que Blanche avail evente nicht eine Sekunde dass Blanche hatte gelüftet

Die Inversion in Entscheidungsfragen hingegen ist der Studie von Ultan (1978:222) zufolge ein "rather uncommon interrogative device".

49 (79)

fr.

(a) (b)

Au bout de la table am Ende des Tisches Dans la salle ä manger in dem Esszimmer (Fournier 1997:118)

etait assis war gesessen briüent deux leuchten zwei

un vieil homme. ein alter Mann lampes ä essence. Benzinlampen

In den meisten generativen Analysen zur Inversion im Französischen wird auf solche Strukturen nur sehr selten Bezug genommen und es finden sich nur wenige Angaben über die mögliche Struktur dieser Sätze.34 Rizzi / Roberts (1989:9) nehmen an, dass die Wortstellung in diesen Sätzen - zumindest in Sätzen wie (78) - aus einer V-nach-COMP-Anhebung resultiert, die dadurch ausgelöst wird, dass die CP-Ebene durch "the presence of some appropriate element" aktiviert ist. Sie machen allerdings keinerlei Angaben über die spezifischen Eigenschaften eines solchen Elementes. In der Tat dürfte es sehr schwierig sein, die genauen Eigenschaften dieses Elementes zu bestimmen. Selbst wenn dies gelingen sollte, gibt es eine Reihe von Beobachtungen, die grundsätzlich dagegen sprechen, die Inversionsstrukturen in französischen Deklarativsätzen auf diese Weise, d.h. als das Resultat einer Vnach-COMP-Bewegung, zu erfassen. Ein Problem für eine solche Analyse besteht vor allem darin, dass die Inversion in diesen Konstruktionen nicht obligatorisch ist:35 (80)

fr.

(a) (b)

(81) fr. (a) (b)

Peut-etre vous serez content de savoir cela. vielleicht Sie sind zufrieden zu wissen das (Guimierl997:57) aussi je ne veux pas me battre au couteau avec toi. daher ich NEG will nicht mich schlagen mit-dem Messer mit dir (Guimierl997:76) Au bout de la table un vieil homme etait assis. am Ende des Tisches ein alter Mann war gesessen Dans la salle ä manger deux lampes ä essence brillent. im Esszimmer zwei Benzinlampen leuchten (Fournier 1997:118)

Alle deskriptiven Untersuchungen von Sätzen wie (78)-(79) und (80)-(81) stimmen darin überein, dass die Subjekt-Verb-Inversion in den seltensten Fällen ausschließlich auf die 34

35

Erst in jüngerer Zeit wird vereinzelt in generativen Arbeiten auch die Inversion in französischen Deklarativsätzen untersucht (Laenzlinger 1998, Dekkers 1997). Demgegenüber gibt es hierzu eine Vielzahl nicht generativer Studien. Bei den meisten dieser Untersuchungen handelt es sich um teilweise sehr umfangreiche - deskriptive Arbeiten (Le Bidois 1952, Atkinson 1973, Buchmüller 1975, Jonare 1976) oder um eher semantisch oder pragmatisch orientierte Analysen (Fournier 1997, Guimier 1997, Hobaek Haff 2000). In den adverbial eingeleiteten Deklarativsätzen ist im Übrigen - ebenso wie bei den Interrogativsätzen - die Möglichkeit zur Komplexen Inversion gegeben, bei der ein präverbales Subjektsnomen zusammen mit einem postverbalen Subjektsklitikon erscheint: (i) fr. (a) Peut-etre la vie existe-t- eile ailleurs? vielleicht das Leben existiert es anderswo (Guimier 1997:55) (b) Aussi. ies camions allemands peuvent-ils charger sans souci leurs daher die Lastwagen deutsche können- sie laden unbesorgt ihre tonnes de brochets. Tonnen von Hechten (Guimier 1997:75)

50

Voranstellung des Adverbs oder Komplements zurückgeführt werden kann. Als stellvertretend für die meisten Analysen dieser Sätze können die Anmerkungen von Guimier (1997:44) zur Rolle des Adverbs für das Auslösen der Inversion von Subjektsklitikon und Verb gesehen werden: L'adverbe est dit conditionner la postposition du sujet clitique lorsque celle-ci est obligatoire si l'adverbe est en position initiale dans la phrase. Ce cas est peu reprisento. La plupart des adverbes autorisent seulement la postposition du sujet clitique lorsqu'ils sont en position initiale, ce qui ne signifie pas que les deux constructions (avec postposition ou avec antoposition du sujet) sont utilisoes dans les memes conditions.

Die Subjekt-Verb-Stellung in Sätzen wie (78)-(79) und (80)-(81) unterliegt demnach einer Vielzahl von sehr unterschiedlichen und komplexen Bedingungen. Hierzu gehören neben morphologischen Faktoren, wie die Art des Subjekts oder dessen Länge, und semantischen Faktoren, wie die Bedeutung des Verbs oder dessen semantische Beziehung zum Subjekt, auch pragmatische Faktoren und Faktoren der Thema-Rhema-Struktur. Es besteht somit kein Zweifel, dass hier "une pluralitö de facteurs" und "leur interaction" eine Rolle spielen und dass die Rolle der syntaktischen Faktoren eher untergeordneter Natur zu sein scheint (Foumier 1997:98). Mit anderen Worten, eine Analyse, die versucht, die Inversion in französischen Deklarativsätzen wie z.B. (78) und (79) auf das Vorhandensein eines "geeigneten Elements" in CP zurückzuführen, muss als inadäquat zurückgewiesen werden. Ein Blick auf andere romanische Sprachen macht deutlich, dass diese Feststellung offenbar auch für diese Sprachen Gültigkeit hat. Wie die Beispiele in (82)-(85) zeigen, ist beispielsweise auch im Spanischen und Portugiesischen die Subjekt-Verb-Inversion in Sätzen möglich, die durch ein Adverb oder ein (präpositionales) Komplement eingeleitet sind. Auch hier ist jedoch zu konstatieren, dass die Inversion nicht obligatorisch ist: (82) sp.

(a) (b)

(83) sp.

(a) (b)

(84) ipg. (a)

(b) (c) (85) ipg. (a) (b) (c)

Temprano salia Julia de casa. früh ging Julia aus-dem Haus Temprano. Julia salia de casa. früh Julia ging aus-dem Haus (Piera 1987:151) Cqn poco dinero salia Julia de casa. Mit wenig Geld ging Julia aus-dem Haus Con poco dinero. Julia salia de casa. Mit wenig Geld Julia ging aus-dem Haus (Piera 1987:151) Talvez tenha ele posto em pratica o piano de ataque ä vielleicht habe er ausgeführt den Plan des Angriffs auf-die fäbrica de chocolates. Schokoladenfabrik Talvez tenha posto ele em pratica o piano de ataque ä fäbrica de chocolates. Talvez ele tenha posto em pratica o piano de ataque ä fäbrica de chocolates. (Ambarl992:102) Nesse restaurante comem os meus amigos. in-diesem Restaurant essen die meine Freunde Nesse restaurante. os meus amigos comerajn.· in-diesem Restaurant die meinen Freunde gegessen-haben Nesse restaurante. os meus amigos comem muitas vezes. in-diesem Restaurant die meinen Freunde essen viele Male (Ambar 1992:78ff.)

51

Bemerkenswerterweise ist vielfach für diese beiden Sprachen vorgeschlagen worden, dass in diesen Konstruktionen die Sätze, in denen das Subjekt in invertierter Position erscheint, den unmarkierten Fall darstellen (z.B. Terker 1984). Piera (1987:151) und Ambar (1992:73-86) betonen, dass die präverbale Stellung des Subjekts in diesen Fällen häufig nur möglich ist, wenn zusätzliche Faktoren gegeben sind (cf. auch Duarte 1987, Costa 1998:Kap.3, Zubizarreta 1999:239). Hierbei kann es sich, wie durch die Kommata angedeutet, entweder um eine Intonationspause, die Änderung des Tempus (cf. (85)(b)) oder um die Anfügung einer zusätzlichen Konstituente (cf. (85)(c)) handeln. Mit anderen Worten, es gibt in spanischen und portugiesischen Deklarativsätzen keine kategorische Anwendung der Subjekt-Verb-Inversion. Die gleiche Beobachtung lässt sich auch für das Italienische machen. Auch hier ist die postverbale Stellung des Subjekts nach einer satzinitial stehenden Präpositionalphrase zwar möglich, doch keineswegs obligatorisch: (86) it.

(a) (b) (c)' x

In in In in In in

questa stanza diesem Zimmer questa stanza diesem Zimmer questa stanza -r. - ' ' ' " .' ' ' '" -^ diesem Zimmer di

dorme schläft Piero Piero Piero ~^~^~ Piero

Piero. Piero dorme. schläft dorme molto male. - ~ . .. schläft sehr schlecht

Es kann somit für alle hier betrachteten romanischen Sprachen konstatiert werden, dass in den Deklarativsätzen Verb-Zweit-Stellungseffekte vor allem dann auftreten, wenn ein Adverbial oder eine Präpositionalphrase satzinital stehen. Allerdings ist in keinem dieser Kontexte die Zweitstellung des finiten Verbs obligatorisch, sondern hängt entscheidend von prosodischen, semantischen oder pragmatischen Faktoren ab. Damit weisen diese VerbZweit-Sätze einen entscheidenden Unterschied zu den Inversionsstrukturen in einer VerbZweit-Sprache auf. Ein weiterer Unterschied, der schon bei den Interrogativsätzen zu beobachten war, besteht darin, dass im Falle einer Subjekt-Verb-Inversion dem finiten Verb auch mehr als eine Konstituente voranstehen kann. Dies belegen die beiden folgenden Beispiele aus dem Französischen und Spanischen: (87)

fr.

(88) sp.

Le 22 decembre dernier. dans un höpital de Nice, mourail am 22. Dezember vergangenen in einem Krankenhaus von Nizza starb plus discretement qu' il n' a vecu Andrf B., dit «Java», qui fut l' un unauffälliger als er NEG hat gelebt Andre B. genannt Java der war der eine des heros du Journal du voleur. von-den Helden des Journal du voleur (Foumierl997:126) Todas las noches. con Juana sale Pedro de juerga. alle die Nächte mit Juana geht-aus Pedro zum Vergnügen (Zubizarreta 1999:245)

Somit kann als Fazit dieser Betrachtungen festgehalten werden, dass massive empirische Evidenz dagegen spricht, die Inversionskonstruktionen in den Deklarativsätzen der romanischen Sprachen auf ähnliche Weise zu analysieren wie die in den germanischen Sprachen zu beobachtenden Verb-Zweit-Stellungseffekte. Trotz einiger oberflächlicher Ähnlichkeiten ist unverkennbar, dass es sich bei diesen Sätzen mit Subjekt-Verb-Inversion nur um scheinbare Verb-Zweit-Stellungseffekte handeln kann. Die Subjekt-Verb-Inversion ist weder obligatorisch noch auf solche Kontexte beschränkt, in denen lediglich eine Konstituente

52

dem Verb voransteht. Sie kann somit nicht als das Ergebnis einer Verb-nach-COMP-Bewegung analysiert werden, wie für Sprachen mit einer strengen Verb-Zweit-Stellungseigenschaft angenommen werden kann. Mit anderen Worten, in den Deklarativsätzen der romanischen Sprachen gibt es keine Evidenz für die Existenz 'residualer' Verb-Zweit-Konstruktionen, die auf eine ursprüngliche strenge Verb-Zweit-Stellungseigenschaft zurückgeführt werden können. Diese Feststellung schließt natürlich nicht die Möglichkeit aus, dass die romanischen Sprachen ursprünglich Verb-Zweit-Sprachen gewesen sind. In den verbleibenden Kapiteln dieses Buches soll diese Möglichkeit ausführlich erörtert werden.

3.

Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen. Ein Forschungsüberblick

3.1

Einleitung

Eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine adäquate Beschäftigung mit einem wissenschaftlichen Gegenstand ist zweifelsohne eine fundierte Kenntnis der bisherigen diesbezüglichen Forschung. Erst auf dieser Grundlage ist es überhaupt möglich, in dem jeweiligen Forschungsgebiet neue Vorschläge und Denkanstöße zur Lösung bislang ungelöster Probleme zu unterbreiten. Vor einer Diskussion der in den vorangegangenen Kapiteln aufgeworfenen Fragen und einer Analyse der hier auszuwertenden empirischen Daten ist es daher unerlässlich, sich zunächst einen Überblick über die bisherige Forschungstätigkeit und den aktuellen Stand der Forschung über Wortstellungsphänomene der romanischen Sprachen, insbesondere über die Stellung des finiten Verbs und deren diachronischer Entwicklung, zu verschaffen. Die große Schwierigkeit besteht darin, dass es sich hierbei um ein sehr umfangreiches und für einen Einzelnen kaum zu bewältigendes Unterfangen handelt. Bereits 1957 konstatiert Ernst Gamillscheg zum Abschluss der Einleitung zu seiner umfangreichen Historischen Französischen Syntax, dass es - trotz einer "fünfzigjährigen liebevollen Beschäftigung mit der französischen Philologie" - "heute kaum mehr möglich [ist], daß ein einzelner alles das kennenlernt und verwertet, was im Laufe des letzten halben Jahrhunderts auf dem Gebiet der französischen Syntax geschrieben wurde" (Gamillscheg 1957:VIII). Diese Feststellung gilt fast fünfzig Jahre später freilich um so mehr. Bekanntlich erscheinen im gleichen Jahr der Veröffentlichung von Gamillschegs Syntax-Monographie Noam Chomskys Syntactic Structures (Chomsky 1957), die den Grundstein für die generative Syntaxtheorie legen und zu einem enormen Aufschwung in der Syntaxforschung führen. Ein weiterer neuer Impuls hierfür geht wenige Jahre später von Joseph H. Greenbergs Aufsatz über grammatische Universalien (Greenberg 1963) aus, der richtungsweisend für die sprachtypologische Forschung wird. Innerhalb beider Syntaxmodelle gilt schon früh den romanischen Sprachen ein besonderes Forschungsinteresse (Kayne 1975, Harris (ed.) 1976, 1978). Außerdem entwickelt sich auch bald ein verstärktes Interesse für historische Fragestellungen, das sich zunächst vor allem in den Arbeiten von Lightfoot (1979) sowie von Lehmann (1973) und Vennemann (1974) niederschlägt. Einen weiteren Anstoß erfährt die Sprachwandelforschung der romanischen Sprachen, wenn auch weniger im Bereich der Syntax, im Rahmen des Sprachwandelmodells von Eugenio Coseriu, dessen grundlegende Überlegungen ebenfalls im Jahr 1957 erstmals veröffentlicht werden (Coseriu 1958). Das Jahr 1957 markiert damit nicht nur einen Wendepunkt in der Forschung auf dem Gebiet der allgemeinen und theoretischen Syntax, sondern es leitet auch einen Neubeginn in der Untersuchung der modernen und historischen Syntax des Französischen und anderer romanischer Sprachen ein. Seither sind in diesem Bereich nicht nur innerhalb der eben genannten linguistischen Modelle, sondern auch im Rahmen anderer Ansätze und Fragestel-

54 langen zahlreiche theoretische und empirische Untersuchungen angefertigt worden.1 Es kann nun nicht Ziel eines Forschungsüberblicks sein, diese Literatur möglichst exhaustiv zu erfassen und darzustellen. Eine solche Zusammenstellung wäre schon deshalb wenig sinnvoll, weil die Untersuchungen in verschiedene Syntax- und/oder Sprachwandel-Modelle mit sehr unterschiedlichen Zielsetzungen eingebettet und daher nur in sehr beschränktem Maße miteinander vergleichbar sind. Ein Forschungsüberblick muss demzufolge eine Auswahl treffen, und zwar dahingehend, dass einerseits alle grundlegenden Untersuchungen berücksichtigt und andererseits möglichst umfassend diejenige Literatur in Betracht gezogen wird, die in dem Grammatikmodell angefertigt ist, in dem die eigene Studie eingeordnet ist. Entsprechend dem theoretischen Rahmen dieser Arbeit liegt folglich ein Schwerpunkt des Forschungsüberblicks auf Arbeiten, die im generativen Grammatikmodell angesiedelt sind, d.h. in denen die Entwicklung der Verb-Stellung in den romanischen Sprachen als ein primär grammatisches Phänomen betrachtet wird. Andere moderne nicht generative Studien werden hier nur am Rande berücksichtigt. Es wird nur auf sie eingegangen, sofern in deren Mittelpunkt die Untersuchung der Position des finiten Verbs steht und dadurch ein essentieller Beitrag zur Frage der Verbstellungsentwicklung in den romanischen Sprachen geleistet wird. Wie wir sehen werden, spielt diese Frage in den meisten - aber keineswegs in allen - nicht generativen Arbeiten eine eher untergeordnete Rolle. Ein zweiter Schwerpunkt dieses Forschungsüberblicks liegt auf den romanistischen Wortstellungsuntersuchungen, die vor dem Beginn der modernen Syntaxforschung, also vor 1957, entstanden sind. In der Auswertung und Aufarbeitung dieser Untersuchungen besteht ein großes Desiderat, da deren Ergebnisse sowohl in der neueren 'traditionellen' Romanistik als auch in der generativen historischen Syntaxforschung bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben sind. Wie das folgende Zitat von Lightfoot (1988:305) aus einem Überblicksartikel über den Stand der historischen Syntaxforschung illustriert, herrscht vor allem unter den Generativisten die Auffassung vor, dass erst ab dem letzten Drittel des 20. Jhdts. begonnen wurde, sich mit historischer Syntax intensiver zu befassen: Certainly there was no tradition of work on syntactic change, and, despite isolated discussions, it was not until the 1970s that syntactic change became an area of communal work among linguistics.

Zweifelsohne ist es in den 70er Jahren zu einer Neuentwicklung in der Erforschung des syntaktischen Wandels gekommen, die vor allem mit der Studie von Lightfoot (1979) verbunden ist. Diese Arbeit kann vor allem deshalb als eine Pionierarbeit auf dem Gebiet der historischen Syntax gelten, weil darin zum ersten Mal versucht wird, eine "fully-fledged theory of syntatic change" (Aitchison 1980:137) zu entwerfen, die in einer eigenständigen und gut entwickelten Syntaxtheorie eingebettet ist. Die Auffassung allerdings, dass die vorangehende Erforschung der historischen Syntax nur auf vereinzelte, isolierte Arbeiten beschränkt ist (cf. auch McMahon 1994:107, de Bakker 1997:11), ist vollkommen unzutreffend und zeugt von einer erstaunlichen Ignoranz hinsichtlich der Geschichte der eigenen 1

Besonders zu erwähnen sind hier die zahlreichen soziolinguistisch bzw. sprachtypologisch orientierten Arbeiten. Cf. unter anderem die - nicht auf die Syntax beschränkten - umfangreichen diachronischen Untersuchungen von Marchello-Nizia (1995) und Posner (1997) für das Französische sowie Wright (1993) fur das Spanische.

55

Disziplin. Vielmehr gibt es hier - nicht nur in der Romanistik - eine lange Tradition, die bis in das frühe Mittelalter zurückverfolgt werden kann (cf. Scaglione 1981:7-96, Martinez Moreno 1993:37-49, Harris / Campbell 1995:15-24). Einen entscheidenden Durchbruch erhält die historische Syntaxforschung im 19. Jhdt. mit der Entstehung der historischen Sprachwissenschaft, die auch nach der Hinwendung zur synchronen Sprachwissenschaft zu Beginn des 20. Jhdts. eine Fortsetzung findet. Trotz der - im Zusammenhang mit der Klitikforschung erfolgten - Wiederentdeckung der Arbeit von Wackernagel (1892) für die moderne Syntax (cf. Anderson 1993) und der damit verbundenen Erkenntnis, dass die Beschäftigung mit historischer Syntax ihren Anfang nicht erst in der zweiten Hälfte des 20. Jhdts. genommen hat, sind die meisten dieser Arbeiten in der modernen Syntaxforschung bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben. Auf Grund dieses Tatbestandes wird im Folgenden zunächst ein Überblick über die romanistischen Wortstellungsuntersuchungen, die in der Zeit vor der modernen Syntaxforschung entstanden sind, gegeben. Dies geschieht nicht deshalb, um ein möglichst vollständiges Bild über diese Literatur zu liefern, sondern aus der Überzeugung heraus, dass eine Beschäftigung mit "at least some ofthat work", die Hock (1991:312) allen "students of diachronic syntax" unbedingt empfiehlt, fruchtbringend für die eigene Forschung ist und vermeiden helfen kann, "to spend much of their time on reinventing the wheel". Im Mittelpunkt des Forschungsüberblicks stehen die Untersuchungen zur Wortstellungsentwicklung im Französischen. Sie übertreffen in zahlenmäßiger Hinsicht bei Weitem die Anzahl der Studien zu anderen romanischen Sprachen. Dies liegt vermutlich daran, dass das Französische im Vergleich zu den anderen romanischen Sprachen die größten Veränderungen in diesem Bereich erfahren hat. Im Folgenden wird vorwiegend auf diejenigen Ergebnisse eingegangen, die die uns hier interessierende Stellung des finiten Verbs betreffen. Im Gegensatz zu generativen Untersuchungen wird in den meisten traditionellen Arbeiten i.d.R. hierauf nicht gesondert eingegangen. Außerdem wird nur die Verbstellung in Deklarativsätzen betrachtet, da - wie bereits dargelegt - das Charakteristische der strengen VerbZweit-Stellungseigenschaft deren Auftreten in dieser Art von Sätzen ist.

3.2

Verbstellungswandel in den romanischen Sprachen: Gesamtromanische Studien

Die ersten (umfangreichen) Beobachtungen zur Wortstellung in den romanischen Sprachen und deren Wandel macht Friedrich Diez in seiner zwischen 1836 und 1843 erstmals erschienenen 'Grammatik der romanischen Sprachen1. Darin beschreibt er verschiedene Wortstellungsmuster in den sechs von ihm als 'romanisch' klassifizierten Sprachen2 und die diesbezüglichen sprachgeschichtlichen Veränderungen (Diez 1882:1092-1114). Dabei stellt er 2

Cf. Diez (1882:1): "Sechs romanische Sprachen ziehen von Seiten grammatischer Eigenthümlichkeit oder litterärischer Bedeutung unsre Aufmerksamkeit auf sich: zwei östliche, die italienische und walachische; zwei südwestliche, die spanische und portugiesische; zwei nordwestliche, die provenzalische und französische."

56

zunächst fest, dass die romanischen Sprachen im Vergleich zum Lateinischen eine geringere Wortstellungsfreiheit aufweisen, was er auf den Verlust der Kasusflexion zurückfuhrt. Diez (1882:1092) betont jedoch gleichzeitig, dass "sie der Inversion immer noch in ziemlich hohem Grade mächtig [sind], in höherm gewiss als die neuern germanischen Sprachen". Er konstatiert eine "mehr oder minder streng vorgeschriebene Umstellung des Subjects, vermöge welcher es, sofern andre Satztheile vorangehen, seinen Platz nach dem Verbum einnimmt" (Diez 1882:1104). Seinen Beobachtungen zufolge tritt diese Umstellung in "Zwischensätzen" auf und in Matrixsätzen, die durch "andre Glieder" als das Subjekt eingeleitet werden. Im letzteren Fall "gebietet" seiner Ansicht nach zwar "keine Regel wie im Deutschen, aber eine Neigung zu der bemerkten Wortstellung lässt sich in einigen Sprachen nicht verkennen, zumal wenn der Satz mit einem Adv. anhebt" (Diez 1882:1104f.). Den Grund für die Umstellung sieht Diez (1882:1105) in der Tendenz zur 'logischen' Anordnung der Satzglieder: Es ist hier die vorherrschende Wortstellung, die eigentlich auf einer Umdrehung des Satzes beruht: denn wird ein vom Verbum abhängiger Satztheil vorangeschickt, so steht das Subj., um den logischen Zusammenhang jenes Satztheiles mit dem Verbum nicht zu stören, schicklicher Weise dem letzteren nach: aus [pr.] ieu sai ara wird ara sai ieu.

Diez weist darauf hin, dass das Französische diesbezüglich einen Wandel erfahren hat, da die Umstellung des Subjekts im Neufranzösischen nur noch dann eintritt, wenn der Satz durch bestimmte Adverbien oder Adverbialkonstruktionen eingeleitet wird. Demgegenüber zeigt er an Hand von zahlreichen Belegen, dass im modernen Provenzalischen, Spanischen und im Italienischen diese Einschränkung nicht im gleichen Maße gilt. Gleichzeitig findet er aber auch derart viele Belege für die Nicht-Umstellung in diesem Kontext, dass er schließlich zu dem Schluss gelangt, "dass ein Gefühl für dieselbe, durch welches die pr. Sprache sich mit der deutschen näher befreundet, nicht angenommen werden dürfte" (Diez 1882:1106). Abgesehen von dieser Pionierarbeit von Diez gibt es nur sehr wenige Untersuchungen der gesamtromanischen Syntax bzw. Wortstellung. Besonders zu erwähnen sind aus der Zeit der vorstrukturalistischen Romanistik die Arbeiten von Meyer-Lübke (1899) und Richter (1903). Als markantesten Unterschied aller romanischer Sprachen zum Lateinischen lässt sich nach Meyer-Lübke (1899:804) die "Neigung beobachten, das Verbum vom Satzende weg und in das Innere des Satzes zu ziehen, ihm die zweite Stelle zu geben". Am meisten ausgeprägt ist diese Neigung im Altfranzösischen und im Provenzalischen sowie im Rätoromanischen, bei dem "sich starker deutscher Einfluss namentlich darin geltend macht, dass das Subjekt unter all den Bedingungen dem Verbum folgen kann, in denen dies im Deutschen der Fall ist" (Meyer-Lübke 1899:805). In den anderen romanischen Sprachen findet Meyer-Lübke (1899:803) allerdings nicht "[s]o wohlthuend regelmässige Verhältnisse". So existiert im Alt- und auch Neuspanischen seiner Ansicht nach eine große Wortstellungsfreiheit, die "es fast unmöglich macht, allgemeinere Regeln aufzustellen" (MeyerLübke 1899:805). Als einzige Wortstellungsregel, die gemeinromanisch Gültigkeit hat, konstatiert Meyer-Lübke (1899:804) "die Inversion bei eingeschobenem Verbum des Sagens". Ebenso wie Diez beobachtet Meyer-Lübke den deutlichsten innerromanischen Wandel im Französischen. Dort geht die Regelhaftigkeit der Verb-Zweit-Stellung verloren, weil

57 sie nach Meyer-Lübke (1899:797) durch eine zweite Regel "gekreuzt [wird], wonach in der Aussage unter allen Umständen das Subjekt dem Verbum voranzugehen hat". In Richters Untersuchung geht es weniger um die Entwicklung innerhalb der romanischen Sprachen als primär - wie der Titel sagt - um die Entwicklung der Wortstellung der romanischen Sprachen aus dem Lateinischen. Richter (1903:1) weist zunächst daraufhin, dass bei einem Vergleich der romanischen Wortstellung mit der des klassischen Lateins "als Hauptunterschied ihre grössere Einfachheit, ihre übersichtlichere Anordnung der logisch zusammengehörigen Teile" auffällt. Ihre zentrale Beobachtung und These, die sie an Hand umfangreichen Beispielmaterials belegt, ist allerdings die, dass bereits innerhalb des frühesten Lateins die 'einfachere' romanische Wortstellung existierte: Gehen wir aber den Belegen für R[omanische] W[ortstellung] in ihrer ganzen Ausdehnung nach, so zeigt es sich, dass sie sich nicht erst in Texten findet, die in romanischer Zeit geschrieben, bereits den Wiederschein des Romanischen geben, auch nicht erst in solchen, die das Lateinische im Stadium der Auflösung zeigen, sondern in Texten, die ein lautlich und formell tadelloses Latein aufweisen, und die daher geeignet sind, den Beweis zu geben, dass die R[omanische] W[ortstellung] sich tief aus der Lateinischen] heraus entwickelt hat. (Richter 1903:3)

Richter (1903:12) unterscheidet vier lateinische Wortstellungstypen, die sich "bis in die Gegenwart oder wenigstens bis an den Beginn der neusprachlichen Periode" erhalten haben: Adverb - Verb, Objekt - Verb, Prädikat - Verb und Verbum infinitum - Verbum finitum. Die in den romanischen Sprachen zu beobachtende Inversion von Subjekt und Verb, auf die Richter (1903:134-157) in einem gesonderten Kapitel eingeht, kann nach Richter (1903:150) nicht auf das Lateinische zurückgeführt werden, da dort "das Verb immer am Ende steht, die anderen Glieder mögen beliebig geordnet sein, je nach der Betonung, die sie haben sollen". Erst die allmähliche Verschiebung der Position des Verbs von der Endstellung zur Satzmitte hin, die nach Ansicht von Richter (1903:45) auf einem "inneren psychologischen - Gesetz" beruht, und die damit verbundene "Auffassung SubjektVerb-Übriges, ermöglicht eine Inversion im romanischen Sinne, und sie erklärt sich wohl am einfachsten aus der Umkehrung des ganzen Satzes [...]" (Richter 1903:150): [...] wenn eines der Satzglieder von seinem gewöhnlichen Platze genommen wird, so ist die Reihenfolge der übrigen auch gestört; die erste Verschiebung zieht noch andere nach sich: Wird das Subjekt aus irgend einem rhetorischen oder psychologischen Grunde von der ersten Satzstelle gerückt, so kann es nicht mehr vor dem Verb stehen, wenn das nun den Satz eröffnende Wort — Adverb, Objekt oder Prädikat - mit dem Verb begrifflich zu eng verbunden ist, als dass es vom Verb getrennt werden könnte. Folglich rückt das Subjekt in so einem Falle an die Stelle nach dem Verb. (Richter 1903:140)

Die meisten anderen traditionellen romanistischen Wortstellungsuntersuchungen widmen sich ausschließlich einer Einzelsprache, und zwar vorwiegend dem Französischen. Allenfalls werden Vergleiche zwischen zwei romanischen Sprachen angestellt (Crabb 1955). Auch in der modernen, generativen Sprachwandelforschung wird die Wortstellung romanischer Sprachen vorwiegend unter einzelsprachlichen Aspekten untersucht, wobei auch hier die Untersuchung des Französischen deutlich im Vordergrund steht. Eine Ausnahme bilden vor allem die Arbeiten aus der Schule um Lorenzo Renzi, in denen das Italienische und auch das Gesamtromanische im Mittelpunkt stehen (cf. Vanelli / Renzi / Beninca 1985, Benincä 1994 oder Salvi 1993, 2001).

58

3.3

Verbstellungswandel im Französischen

3.3.1

Deskriptive Ergebnisse

Wie bereits erwähnt, liegt zur Wortstellung des Französischen eine sehr große Anzahl von SpezialUntersuchungen vor. Bei den meisten Arbeiten, die vor 1957 entstanden sind, handelt es sich um Dissertationen, in denen vorwiegend synchronisch ein oder mehrere Werke eines oder mehrerer Autoren oder einer bestimmten Epoche untersucht werden. Dabei lassen sich, wie die nebenstehende Tabelle (1) veranschaulicht, drei große Zeiträume unterscheiden, in denen diese Wortstellungsuntersuchungen entstanden sind.3 Die Tabelle macht deutlich, dass das letzte Viertel des 19. Jhdts. und der Anfang des 20. Jhdts. in quantitativer Hinsicht die produktivste Zeit für die Erforschung der Wortstellung im Französischen gewesen ist. Allerdings sind die meisten Studien aus dieser Zeit für eine heutige Untersuchung der französischen Wortstellung nur von begrenztem Wert. Bereits Schulze (1888:158) konstatiert völlig zu Recht, dass es "nun freilich irrig [wäre], zu meinen, dass das Gebiet der französischen Wortstellung ebenso erfolgreich als häufig untersucht worden sei": Die Nachfolger Morfs [(1878)] begnügen sich zum allergrössten Teil damit, die vor ihnen gewonnenen Resultate mit grösserer oder geringerer Genauigkeit zusammenzustellen und denselben nach dem Morfschen Schema einige weitere aus einem neuen Denkmal hinzuzufügen. Die Spur einer kritischen Betrachtung des von den Vorgängern Ermittelten findet sich kaum jemals [...].

Viele dieser Arbeiten enthalten lediglich umfangreiche, oftmals nur sehr knapp kommentierte Auflistungen von Beispielen für bestimmte Wortstellungsmuster, die mit Beispielsätzen ergänzt werden, in denen von diesen Mustern abgewichen wird. Die Kriterien zur Klassifizierung der Beispiele sind nicht einheitlich und sehr häufig nicht explizit formuliert. Statistische Angaben sind, sofern sie vorhanden sind, kaum brauchbar, da meist unklar ist, auf welcher Grundlage die gemachten Angaben beruhen. In den meist sehr kurz gehaltenen Einleitungen wird i.d.R. das untersuchte Textmaterial lediglich knapp vorgestellt und die verwendete Literatur aufgeführt. Zusammenfassungen der Ergebnisse oder Schlussbemerkungen fehlen meist völlig oder sind nur sehr knapp. Oft gibt es nicht einmal ein Inhaltsverzeichnis, so dass es schwer ist, sich einen Überblick über die Analysen und Ergebnisse

Diese Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll lediglich als Überblick dienen und die lange romanistische Tradition der Wortstellungsdebatte dokumentieren. Sie enthält alle mir bekannten synchronen Untersuchungen zur Wortstellung einzelner oder mehrerer französischer Werke aus dem angegebenen Zeitraum, d.h. Abhandlungen, in denen die Entwicklung der französischen Wortstellung über mehrere Epochen hinweg untersucht wird, sind nicht enthalten. Auf diese Arbeiten wird im Folgenden gesondert eingegangen. Die zahlreichen 'syntaktischen Studien' oder Abhandlungen zur 'Syntax des Verbums', die insbesondere im 19. Jhdt. angefertigt worden sind, sind nur dann aufgeführt, wenn sie - was eher selten ist - einen gesonderten Abschnitt oder Anhang zur Stellung von Satzgliedern enthalten (z.B. Zimmermann 1915:72-76). In aller Regel behandeln diese Studien nur Phänomene wie Partizipialkongruenz oder Tempora- und Modigebrauch, d.h. sie beziehen sich auf syntaktische Phänomene "mit Ausschluss der Wortstellung" (Ederl889:5).

59 Entstehung«-/ Lebenszeit

um 1120 um 1140 1150-1200 1170

Untersuchungen Untersuchte^) Text(e) (Autor, Titel) 1935-1950 1875-1920 Frühes Altfranzösisch (842-1100) Völcker 1882 Les Serments de Strasbourg Völcker 1882 Cantilene de Sainte Eulalie Fragment de Valenciennes Völcker 1882 Völcker 1882 La Passion du Christ Völcker 1882 Vie de Saint Leger Völcker 1882 La vie de Saint Alexis Morf 1878, Völcker 1882 Chanson de Roland Schadl911 Chanson de Guillelme Le Livre des Psaumes Spätes Altfranzösisch (1100-1300) Schadl911 Chanson de Rainoart S. de Nantuil, Salomon. Sprüche Hilgers 1910 LeCoultrel875 Chretien de Troyes Bartels 1 886 Haarhoff 1936 Li Quatre livre des Reis

1200-1220

Aucassin et Nicolete

842 um 881 um 920 975-1000 975-1000 um 1050 um 1070 um 1080 1100-1130

13. Jhdt.

1304-1309 1337-1400 1375-1400 1375-1400 1460-1462 1385-1430 1363-1429 1490-1553 1509-1564 1510-1589 1524-1585 1533-1592 1621-1695 1850-1893 19. Jhdt. 1900-1950 1928

1950-1957

Herman 1954

Herman 1954

Herman 1954, Crabb 1955

Schlickum 1882, Thurneysen 1892 G. de Villehardouin (u. andere Krüger 1 876, Haase 1884 Siepmann Autoren) 1937 Mittelfranzösisch (1300-1500) J. Joinville, L'histoire de S1 Louis Marx 1 88 l.Haase 1884 Crabb 1955 Ehering 1881 Jean Froissart Nissen 1943 J. d'Outremeuse, Ly Myreur... Lewinsky 1949 Berinus Cent Nouvelles Nouvelles Dill 1935 Crabb 1955 Alain Chartier Höpfnerl883 Höpfher 1883 Jean Charlier de Gereon Frühes Neufranzösisch (16. Jhdt.) Orlopp 1888, Huguet Fran9ois Rablais 1894 Jean Calvin Grosse 1888 Bernard Palissy Zimmermann 1915 Pierre de Ronsard Schönfelder 1906 Michel de Montaigne Blasberg 1937 Klassisches und modernes Neufranzösisch (17.-20. Jhdt.) Jean de Lafontaine Wespy 1884 Pietrkowski 1913 Guy de Maupassant Rabe 1910 verschiedene Werke Marcel Proust u. andere Autoren LeBidoisl952 A. Maurois, Voyage au pays des Kellenberger Articoles 1932

Tabelle (l): Zusammenstellung synchroner Einzeluntersuchungen zur französischen Wortstellung aus der Zeit von 1875-1957

60

dieser Arbeiten zu verschaffen. Es ist daher kaum verwunderlich, dass die wissenschaftliche Wirkung dieser Arbeiten als sehr gering einzustufen ist: Wir glauben, daß die Wirkungslosigkeit der älteren Arbeiten auf die Entwicklung der Wissenschaft daran liegt, daß sie durch die gleichwertende Zusammenstellung wichtiger und unwichtiger Fälle das Typische nicht erkennen konnten; damit vermochten sie auch keine bestimmten Stellungsregeln der alten Sprache [...] und erst recht kein einheitliches Stilgesetz zu ermitteln. (Siepmann 1937:2) Von etwas größerem Wert sind diejenigen Arbeiten, in denen versucht wird, die Wortstellung einer oder mehrerer Epochen oder die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen zusammen- und gegenüberzustellen (Krüger 1876, Völcker 1882, Wespy 1884, Philippsthal 1886, Kooprnann 1910, Rabe 1910, Foulet 1928:Kap.IV, Koch 1934, Le Bidois 1952). Obwohl einige dieser Arbeiten das explizite Ziel verfolgen, einen "Überblick über die Wandlungen zu geben, denen die Wortstellung im Laufe der Entwicklung der französischen Sprache unterworfen war" (Koch 1934:1), erweist es sich allerdings als sehr schwierig, deren Ergebnisse zusammenzufassen. Denn auch diese Arbeiten enthalten größtenteils lediglich umfangreiche Beleglisten und sehr viele Detailangaben. Hinzu kommt, dass die Präsentation der Belege nach unterschiedlichen Kriterien erfolgt. Während Krüger (1876) sich bei der Anordnung der Belege an Diez (1882:1092ff.) orientiert, übernehmen Völcker (1882), Wespy (1884) und Kooprnann (1910) weitgehend die Gliederung von Morf (1878). Philippsthal (1886), Rabe (1910), Koch (1934) und Le Bidois (1952) wiederum klassifizieren ihre Beispiele nach teilweise vollkommen anderen Einteilungskriterien. Nur wenige Arbeiten unterscheiden bei der Gliederung der Beispiele streng danach, ob das Subjekt nominal oder pronominal ist (Rabe 1910, Koch 1934), meist wird nur in Einzelfällen auf diesen Unterschied hingewiesen. Ebenfalls uneinheitlich ist die Handhabung bei der Berücksichtigung der unterschiedlichen Textsorten. Kooprnann (1910) beispielsweise macht keinerlei Unterscheidung zwischen poetischen und prosaischen Texten. Wespy (1884) trennt nur bei seiner Auswertung der Texte von Lafontaine streng zwischen Prosa und Poesie, macht aber bei den Texten, die er zum Vergleich heranzieht, diese Trennung nicht. (Völcker 1882) muss auf diese Trennung ganz verzichten, da es sich bei den von ihm untersuchten Texten des frühen Altfranzösischen fast ausschließlich um poetische Texte handelt. Gleichwohl macht er die - nicht immer unproblematische - Unterscheidung zwischen metrisch freien und metrisch unfreien Beispielen, wobei er die letzteren "häufig unberücksichtigt" lässt (Völcker 1882:2; auch Wespy 1884:154). Er begründet dies damit, dass "eine durch metrischen Zwang veranlasste Wortstellung eben häufig eine dem Geiste und der natürlichen Tendenz der Sprache nicht entsprechende ist" (Völcker 1882:2). In Anlehnung an Tobler (1879:144) vermutet Völcker (1882:3) allerdings, dass eine solche durch die Metrik hervorgerufene Abweichung von der üblichen Wortstellung "durch die nothwendige Rücksicht auf die Verständlichkeit beschränkt war" und daher die Ausnahme bildete. Er folgert daher, dass eine mehrfach an metrisch unfreien Stellen gefundene "auffällige Wortstellung" in der Auswertung zu berücksichtigen ist (Völcker 1882:3). Es dürfte klar sein, dass diese unterschiedlichen Behandlungsweisen der Daten den Versuch, die Ergebnisse dieser Arbeiten zu einem einheitlichen Bild zusammenzufassen, sehr erschweren. Eine weitere Schwierigkeit entsteht dadurch, dass der Vergleich der vielen Detailangaben immer wieder Widersprüche offenbart, die oft erst nach langwieriger Recherche geklärt werden können. So schreibt beispielsweise Kooprnann (1910:33), dass "aussi [...] bei Lafontaine meist die gerade Folge nach sich [hat]". Diese Feststellung gilt

61

aber nur für Fälle mit nominalem Subjekt in poetischen Texten, was von Koopmann nicht explizit erwähnt wird. Dies kann nur indirekt aus den angeführten Beispielsätzen oder aus der Tatsache geschlossen werden, dass Koopmann (1910:35) später Beispiele aus der Prosa Lafontaines aufführt, in der nach aussi das pronominale Subjekt invertiert erscheint. Bei Wespy (1884:170f.) hingegen wird der Unterschied klar, da dort bei den Daten Lafontaines explizit zwischen Prosa und Lyrik sowie hinsichtlich der Inversion mit nominalem und pronominalem Subjekt unterschieden wird. Andererseits sind aber auch Wespys Ausführungen über die Wortstellung bei Lafontaine nicht ohne weiteres zu verstehen. So ist es zunächst sehr verwirrend, dass Wespy (1884:160) bei der Diskussion von Sätzen mit 'echten' oder 'unechten unpersönlichen' Verben, in denen das 'neutrale' U ausgelassen wird, solche Sätze - trotz der Auslassung des Subjekts - als Beleg^wr eine Subjekt-Verb-Inversion anführt: (1)

nfr.

(a) (b)

Faut que tels cas aux gens surviennent (es) ist-nötig dass solche Fälle den Leuten geschehen (Wespy 1884:160) Avint qu' un jour, (es) geschah dass eines Tages en un bourg arrete, in einem Marktflecken festgehalten H vit passer une dame jolie, er sah vorübergehen eine Dame schöne (Wespy 1884:160)

Diese Klassifizierung der Beispiele in (1) wird nur dann verständlich, wenn man weiß, dass Wespy den eingebetteten Nebensatz als das 'logische Subjekt' des Satzes ansieht. Diese Behandlung von unpersönlichen Konstruktionen ist aber keineswegs unüblich. Dies zeigt die Tatsache, dass auch in anderen Arbeiten, wie etwa bei Koopmann (1910:15), solche Sätze als Beleg für eine Subjekt-Verb-Inversion angeführt werden:4 (2)

afr.

Acorde fu que le roy descenderoit ä terre vereinbart wurde dass der König hinabsteigen-würde auf-(die) Erde (joi S.47,21-22) (Koopmann 1910:15)

Bemerkenswert - und verwirrend - ist an diesem Beispiel Koopmanns außerdem, dass es als Beleg für eine Inversion in einem uneingeleiteten Matrixsatz dient. Das heißt, das dem finiten Verb voranstehende Partizip wird nicht als satzeinleitende Konstituente gewertet. Auch diese Verfahrensweise scheint durchaus üblich zu sein (cf. auch Rabe 1910:53). Sie wird allerdings - ebensowenig wie die Klassifizierung der Beispiele in (1) - an keiner Stelle explizit dargestellt. Diese Beispiele illustrieren deutlich, dass die in diesen Arbeiten gemachten Angaben mit großer Sorgfalt und Vorsicht betrachtet werden müssen. Sie verdeutlichen außerdem einmal mehr, dass die unter dem Begriff '(Subjekt-Verb)-Inversion' klassifizierten Daten sehr unterschiedlicher Art sind und'nicht ohne genauere Überpüfung mit der hier untersuchten Auch in modernen syntaktischen Untersuchungen ist diese Klassifikation des Nebensatzes unpersönlicher Konstruktionen als Subjekt anzutreffen. Cf. z.B. Stein (1997:39): "Bei unpersönlichen Konstruktionen wie il arrive que... usw. gilt das unpersönliche Pronomen ebenso als Subjekt wie der qrwe-Satz; entsprechendes gilt für die Sprachen, in denen das Subjektpronomen unausgedrückt bleibt. Der que-Saiz wird als Subjekt(neben)satz interpretiert."

62

Zweit-Stellung des finiten Verbs gleichgesetzt werden können. Wichtig ist auch, dass WzcAf-Inversion' nicht notwendigerweise bedeutet, dass Verb-Zweit-Stellung vorliegt. Dies wird an folgendem Beispiel deutlich, das von Koopmann (1910:9) als Beleg für einen Satz mit 'gerader1 Stellung angeführt wird (cf. auch Völcker 1882:9): (3)

afr.

II cio H dist et adunat er das ihm sagte und mitteilte (leo 16a) (Koopmann 1910:9)

Mit 'gerader1 Wortstellung ist daher nur gemeint, dass das Subjekt vor dem finiten Verb steht, unabhängig davon, ob weitere Konstituenten dazwischen stehen. Angesichts einer derart unpräzisen und "idiosyncratic classification of many of the examples" (Clifford 1973:9) ist es äußerst schwierig, die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen miteinander zu vergleichen und diejenigen Ergebnisse herauszuarbeiten, die für eine generative Studie der Verb-Zweit-Stellung im Französischen relevant sind. Dennoch scheint mir ein solches Unterfangen durchaus lohnend, weil bislang nur wenige umfangreichere empirische Untersuchungen zur französischen Verbstellungsentwicklung im Rahmen des generativen Grammatikmodells vorliegen. In den meisten generativen Studien hierzu wird ohne weitere Diskussion davon ausgegangen, dass das Altfranzösische eine VerbZweit-Sprache gewesen ist. Häufig beruft man sich hierbei, wie beispielsweise Roberts (1993:94), auf einige wenige Arbeiten der traditionellen Romanistik: It is a well-known fact that O[ld]F[rench] was a V2 language (Thurneysen 1892, Foulet [1928], von Wartburg 1934, Price 1971, Vanelli etal. [1985], Benincä [1983/84], [...] Adams 1987a,b).

Eine eingehendere Auseinandersetzung mit den zitierten traditionellen Studien findet in keiner der generativen Arbeiten statt.5 In aller Regel beschränkt sich die Begründung für die Annahme, wonach das Altfranzösische durch eine strenge Verb-Zweit-Stellungseigenschaft gekennzeichnet war, auf die Beobachtung, dass Sätze mit einer Verb-Zweit-Stellung im Altfranzösischen "certainly ubiquitous" waren (Roberts 1993:94). Zur Untermauerung dieser Beobachtung werden meist einige altfranzösische Verb-Zweit-Sätze angeführt, in denen die Erstposition durch eine beliebige Konstituente mit unterschiedlicher grammatischer Funktion besetzt ist. Roberts (1993:95) beispielsweise illustriert dies an Hand eines Textstücks aus Le Charroi de Nimes, einer Chanson de geste aus der ersten Hälfte des 12. Jhdts.: (4)

afr. Muctes de chiens fönt avec eis mener. Hundemeuten (sie)-ließen mit ihnen fuhren Par Petit Pont sont en Paris entre. über Petit Pont (sie)-sind in Paris eingetreten. Li cuens Guillelmes fu molt gentix et her: der Graf Guillelme war sehr tapfer und gut

Symptomatisch hierfür ist beispielsweise die Tatsache, dass es sich bei dem obigen Zitat von Roberts (1993) um die einzige Stelle in dessen Buch handelt, in der der für die Verb-Zweit-Diskussion des Altfranzösischen zentrale Aufsatz von Thurneysen (1892) Erwähnung findet. Die für diese Diskussion ebenfalls bahnbrechende Arbeit von Herman (1954) wird bei Roberts überhaupt nicht zitiert.

63 Sa venoison ßst a sein Wildbret (er)-ließ zu dem en mi sä voie a inmitten seines Weges (er)-hat (cha 27-31) (Roberts 1993:95)

ostel porter Hotel tragen Bertran encontre". Bertran getroffen

Bemerkenswert ist an diesem Textbeispiel, dass alle diejenigen Sätze, in denen ein NichtSubjekt satzinitial steht, kein Subjekt enthalten. Die Beispiele belegen damit zwar den bereits von Foulet (1928:313) beobachteten "point fundamental de la syntaxe du vieux fran9ais", wonach Null-Subjekte "extremely common in matrix V2 clauses" sind (Roberts 1993:95), sie liefern aber keinen empirischen Beleg für die Existenz der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft im Altfranzösischen. Das finite Verb erscheint in diesen Sätzen zwar oberflächlich in der zweiten Position, die Annahme, dass es sich hierbei um die Position vor dem leeren Subjekt, und zwar um die durch die Verb-Zweit-Stellungsregel geforderte COMP-Position, handelt, basiert allein auf der theoretischen Annahme, wonach sich das leere Subjekt in einer pas/verbalen Position, also in der SpezIP- oder SpezAgrP-Position, befindet. Allerdings sind die Argumente, die für eine solche Annahme sprechen könnten, nicht sehr überzeugend, wie bereits Clifford (1973:8) in ihrer Betrachtung früherer Arbeiten beobachtet: Not infrequently non-expression of the subject in Old French is equated with inversion, and the arguments put forward to support the contention that if the subject were present it would be inverted, are generally unconvincing. Dieses Beispiel zeigt, dass die Analysen, die als Erklärung für die Verbstellungsentwicklung im Französischen geliefert werden, häufig nicht ausreichend durch die empirischen Daten gestützt sind. Aus diesem Grund ist eine gründliche Betrachtung dieser Daten und eine Auseinandersetzung mit denjenigen Arbeiten, die vorwiegend empirisch ausgerichtet sind, eine notwendige Voraussetzung für eine adäquate Analyse dieser Entwicklung.

3.3.1.1 Die Verbstellung in Matrixsätzen Eines der übereinstimmenden Ergebnisse, das allen hier ausgewerteten Studien entnommen werden kann, betrifft die Tatsache, dass in deklarativen Matrixsätzen, die ein Verbum dicendi enthalten und entweder zwischen einer direkten Rede eingefügt sind oder ihr nachstehen, gesondert betrachtet werden müssen. Für diesen Fall der so genannten "Zwischensätze" (Diez 1882: U04) (fr. incises) liefern die Studien für alle Epochen fast ausnahmslos Belege für das Auftreten der Subjekt-Verb-Inversion, und zwar unabhängig davon, ob das Subjekt nominal oder pronominal ist:6

Die einzige Ausnahme aus dem Altfranzösischen wird von Völcker (1882:8) angeführt. Er vermutet, dass die präverbale Stellung des Subjekts hier auf das Metrum zurückzuführen ist:

64 (5)

afr.

(a) (b)

(6)

nfr.

(a) (b)

Tu eps as deit. respon ihs du selbst es hast gesagt antwortet Jesus (pas46a)(Völcker!882:8) "C(h)ambre". dist ele,"ja mais n' estras parede, [...]" Zimmer sagte sie niemals NEG sein-wirst geschmückt (ale29a)(Völcker!882:8) «Vous chassez beaucoup. Monsieur? dit Mme Verdünn avec mepris [...]» Sie jagen viel Monsieur sagte Mme Verdurin mit Verachtung (LeBidoisl952:192) «Je te jure. Jui disait-i\ [...]» ich dir schwöre ihm sagte er (LeBidoisl952:192)

Unterschiedliche Wortstellung wird in den Fällen beobachtet, in denen dem Matrixsatz, der ein Verbum dicendi enthält, die direkte Rede unmittelbar folgt. Laut Völcker (1882:8) befindet sich hier im Altfranzösischen "das Subject beim Verbum des Sagens gewöhnlich in Inversion", wobei er ausschließlich Belege mit nominalem Subjekt anfuhrt (cf. auch Koopmann 1910:8f.): (7)

afr. (a) (b)

Respont la niedre: "Lasse! qe(ed) est devenut?" antwortet die Mutter ach was ist geworden (ale 22b) (Koopmann 1910:8) e dist Gormonz, eist d' Oriente und sagte Gormont dieser vom Orient (gor 78) (Völcker 1882:15)

Völcker (1882:9) und Koopmann (1910:8ff.) liefern aber auch zahlreiche altfranzösische Beispiele für die 'gerade1 Stellung in diesen Fällen. Koopmann (1910:9) beobachtet bereits im Rolandslied ein "Schwanken", d.h. "dem Dichter des Rol. ist die ger[ade] Folge schon nicht mehr sprachwidrig erschienen" (cf. auch Tobler 1879:145): (8)

afr. (a)

Charles respunt: "Uncor(e) purrat Charles antwortet noch (er)-können-wird (rol 15 6) (Koopmann 1910:9)

guarir." genesen

(i) afr. « Sainte Marie, genitrix heilige Maria Erzeugerin mere Deu. dame.» Isembarz dist Mutter Gottes Frau Isembart sagte (gor 635) (Völcker 1882:8) Le Bidois (1952:200-203) findet in den von ihm untersuchten neufranzösischen Texten ebenfalls einige Gegenbelege (ausnahmlos mit Subjektsp/Onomen), betont aber gleichzeitig, dass die Inversion in diesen Fällen in der neufranzösischen Schriftsprache "absolument obligatoire" sei (Le Bidois 1952:192): (ii) nfr. (a) Allez. mon petit. eile dit gehen-Sie mein Kleiner sie sagt (Le Bidois 1952:202) (b) Vous etes amoureux? me. demanda en reponse Sie sind verliebt er mich fragte als Antwort (Le Bidois 1952:203)

65 (b)

dist al rei: "Ja mar crerez Marsilie! [...]." er sagte zum König zu Unrecht (ihr)-glauben-würdet Marsilie (rol 196) (Koopmann 1910:9)

Ab dem 15. Jhdt. ist die Inversion in diesen Fällen nur noch selten (Koopmann 1910:llf.) und ab dem 17. Jhdt. überhaupt nicht mehr zu beobachten (Wespy 1884). Anders hingegen verhält es sich mit Sätzen, die ein anderes Verb als ein Verbum dicendi enthalten. Hier liefern alle Studien Belege aus allen Epochen für die Inversion in den Fällen, in denen das Verb satzinitial steht: (9)

afr.

(a) (b)

(10) nfr.

(a)

(b)

Revint li costre a imagine el mustier zurück-kam der Messner zu dem Bild in-dem Kloster (ale36a)(Völcker!882:9) Et assemblerent li baron et li dux de Venise en un und sich-versammelten der Baron und der Herzog von Venedig in einem palais oü li dux ere a ostel Palast wo der Herzog war zu Gast (con 91) (Krüger 1876:36) Vint une servante kam ein Dienstmädchen (LeBidois 1952:22) Et suivait le rtcit und folgte der Bericht (Rabe 1910:23)

qui pronon9a das sagte

quelques mots einige Worte

d' un accident von einem Unfall

In Anlehnung an Morf (1878) wird diese Art der Inversion oft 'unbedingte Inversion' genannt, womit nach Morf (1878:205) gemeint ist, dass sie "durch keinen einleitenden Satztheil veranlasst [...]" ist. Eine andere von Le Bidois (1941) und anderen verwendete Bezeichnung ist die der 'inversion absolue'. Wie bereits das Beispiel (2) gezeigt hat, herrscht allerdings große Uneinigkeit darüber, welche Bestandteile als einleitende bzw. inversionsauslösende Konstituenten anzusehen sind und welche nicht. Spitzer (1941:1150) verwendet inversion absolue für die Art von Inversion „qui n'est pas conditionnee par un adverbe en töte de phrase". Damit fallen aber, wie Le Bidois (1952:19,Fnl) zu Recht kritisiert, "tous les autres types d'inversion", also auch solche, die durch eine - nicht adverbiale - Konstituente eingeleitet sind, unter den Begriff der inversion absolue. Eine sehr unterschiedliche, meist nicht explizit gemachte Behandlung erfahren auch die satzeinleitenden koordinierenden Konjunktionen wie et, si, car oder mais, wodurch sich in den einzelnen Untersuchungen eine sehr stark voneinander abweichende Klassifizierung der Belege ergibt.7

Völcker (1882:15f.) und Rabe (1910:23f.) behandeln Inversionen in Sätzen mit einleitenden koordinierenden Konjunktionen gesondert, da sie den Konjunktionen einen Einfluss auf die Inversion zugestehen. Für Krüger (1876:36) hingegen stehen bei der "Umstellung des Subjects [...] coordinirende Conjunctionen sowie tonlose Partikeln [...] ausser Betracht". Koopmann (1910:15) rechnet zumindest die mit et eingeleiteten Matrixsätze zu den uneingeleiteten Hauptsätzen. Bestätigung findet er bei Tobler (1879:145), der in seiner Rezension von Morf (1878) an einigen Beispielen nachweist, dass die Inversion in durch et eingeleiteten Matrixsätzen nicht auf die Konjunktion, sondern auf die Inversion im vorangehenden Teilsatz zurückzufuhren ist (cf. auch Foulet 1928:310). Anders verhält es sich mit si, das Toblers Beobachtungen zufolge stets Inversion nach sich zieht. Mais (ebenso die Entsprechungen ainz und ainyois) und car treten i.d.R. ohne Inversion auf (Morf 1878:209, Foulet 1928:309).

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Bemerkenswert an den Beispielen in (10) ist, dass sie ausnahmslos ein intransitives Verb der Bewegung wie venir, arriver, suivre oder das Verb rester enthalten (Rabe 1910:15).8 Das Subjekt ist in allen Fällen nominal (Koopmann 1910:13). Es wird betont, dass diese Art der Inversion verhältnismäßig selten und im Altfranzösischen "in nicht höherem Grade" nachweisbar ist als im Neufranzösischen (Wespy 1884:159). Von diesen Fällen der 'unbedingten Inversion' werden in den traditionellen Arbeiten 'eingeleitete isolierte Hauptsätze1 unterschieden, d.h. Sätze, die von "adverbialen, präpositionalen und Objektsbestimmungen" eingeleitet werden (Rabe 1910:14). Hier besteht Übereinstimmung darin, dass die "[..] Inversion des [nominalen und pronominalen] Subjekts in der alten Sprache das Gewöhnliche" ist (Rabel910:14): (11) afr.

(a)

(b)

(c)

(12) mir. (a)

(b)

Dune perdreit Carles le destre also verlieren-würde Charles den rechten (rol 597) (Koopmann 1910:20) Entre les povres se. sisf danz Alexis zwischen die Armen sich setzte Herr Alexis (ale 20b) (Koopmann 1910:18) Plus dolorose novele ne lor peüslschmerzhaftere Nachricht nicht ihnen Könnte (con 371) (Krüger 1876:37)

braz del cors9 Arm des Körpers

on center man erzählen

Apres recommenfa ledict Morvillier danach wieder-begann besagter Morvillier (com 6,5) (Koopmann 1910:27) et pour ce - je appele ses freres und für das habe ich gerufen seine Brüder (joi 7,13) (Koopmann 1910:26)

Blinkenberg (1928:81-94) bezeichnet diese Art von Verben als "verbes introducteurs". Le Bidois (1952:30) beobachtet, dass diesen Verben häufig ein "adverbe de liaison" folgt, das "die Folge oder den Anschluß an Voraufgehendes" bezeichnet (Koopmann 1910:17): (i) nfr. (a) Viennent ensuite les diputes de la Grece kommen nun die Abgeordneten aus Griechenland (Koopmann 1910:17) (b) Car se. posait alors [...] ce dilemme denn sich stellte dann dieses Dilemma (Le Bidois 1952:33) Dieser Satz wird hier von Koopmann unvollständig zitiert. Allerdings führt er ihn unter der Rubrik 'eingeleitete Nachsätze1 nochmals auf, wobei deutlich wird, dass er durch einen Nebensatz eingeleitet ist und folglich nicht zu den 'eingeleiteten isolierten Hauptsätzen1 gezählt werden kann: (i) afr. Chi purreit feire que Rollant i fust mort. wer könnte machen dass Roland dort wäre tot Dune perdreit Carles le destre braz del cors dann verlieren-würde Charles den rechten Arm des Körpers (rol 596-597) (Koopmann 1910:86) Die unvollständige Angabe von Beispielen ist nicht untypisch für viele traditionelle Arbeiten. Kaiser (1980:18f.) konstatiert in traditionellen Untersuchungen französischer Interrogativsätze ebenfalls eine solche "sparsame" Zitierweise und zeigt dabei, zu welchen eklatanten Fehlinterpretationen dies führen kann. Die gleiche Beobachtung kann auch für Untersuchungen im generativen Rahmen gemacht werden (cf. auch Fußnote 4 in Kapitel 4).

67

(c)

Et ces parolles m' compte le roy und diese Worte mir hat erzählt der König (com 22,1) (Koopmann 1910:40)

Die meisten Untersuchungen machen deutlich, dass im Laufe der historischen Entwicklung des Französischen die Inversion in diesen Fällen immer seltener zur Anwendung kommt. Es wird aber vielfach darauf hingewiesen, dass auch im Altfranzösischen die Inversion hier keineswegs obligatorisch war, denn die "Gesetze sind in der alten Sprache keineswegs so genau durchgeführt, dass sie nicht zahlreiche Ausnahmen erlitten hätten" (Krüger 1876:39). Im frühen Altfranzösischen sind Belege für solche Ausnahmen noch relativ selten und werden meist auf das Metrum zurückgeführt (Völcker 1882:10, Koopmann 1910:19): (13) afr.

(a)

(b)

Puis ad escole li bons pedre Je mist dann in-die Schule der gute Vater ihn gab (ale 7c) (Völcker 1882:10) lengues nuoves H parlaran Sprachen neue sie sprechen-werden (pas 115c) (Völcker 1882:11)

Aber bereits im Rolandslied zeigt sich, dass die Inversion ein "so durchgehendes Gesetz [...] nicht mehr" ist (Völcker 1882:11). Koopmann (1910:19) stellt fest, dass die 'gerade Folge' auch ohne metrische Zwänge auftreten kann, insbesondere "bei zusammengesetzten (präpositionälen) adv. Bestimmungen, die sich leichter als ein selbständiges Ganzes absonderten, so daß auch der nachfolgende Satz unabhängiger in seiner Wortfolge wurde [...]". In diesen Fällen wird die Inversion weniger streng durchgeführt als nach anderen einleitenden Adverbien (Morf 1878:211), sie ist zwar "das Gewöhnliche, aber nicht Regel" (Koopmann 1910:21): (14) afr. (a) (b)

A icest colp eil de France s' escrient bei diesem Schlag die von Frankreich sich ausrufen (rol 3365) (Koopmann 1910:22) A icest mot paien venenl avant bei diesem Wort Heiden kommen hervor (rol 3379) (Koopmann 1910:22)

Foulet (1928:31 If.) weist an Hand zahlreicher Beispiele aus der Queste del Saint Graal (1220) darauf hin, dass im Zusammenhang mit den Adverbien bzw. adverbialen Verbindungen neporquant 'trotzdem', neporec 'doch', onques 'nie', certes 'sicherlich' und sanz faille 'ganz sicher' fast ausschließlich die Nicht-Inversion zu beobachten ist (cf. auch Moignet 1976:361f, Vance 1997:62, de Bakker 1997:46f): (15) afr. (a) (b)

Certes vos paroles me plaisent tant sicherlich eure Worte mir gefallen so sehr (que 104,12) (Vance 1997:62) Et neporec H_ le diroit volentiers und doch er es sagen-würde gern (que 66,1) (Foulet 1928:311)

Nach Koopmann (1910:26) bleibt die Inversion in eingeleiteten Matrixsätzen bis ins 15. Jhdt. hinein "noch immer vorherrschend". Erst ab dem 16. Jhdt. konstatiert er nur noch eine "ziemlich beschränkte" Anwendung (Koopmann 1910:36). Die historische Entwicklung der adverbial sowie der durch ein Objekt oder Attribut eingeleiteten Sätze verdeutlicht daher

68

für Koopmann (1910:36) "einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen der alten und neuen Zeit: dort war die Inversion entschieden das Regelmäßige, hier die gerade Wortfolge". Demgegenüber betonen Rabe (1910) und Le Bidois (1952), dass die Inversion in diesen Fällen im Neufranzösischen keineswegs ungewöhnlich geworden ist: (16) nfr.

(a) (b) (c)

Hier, a etc celebre a Saint-Cloud gestern hat gewesen gefeiert in Saint-Cloud (Rabe 1910:28) Ayec le silence s' est perdue la mit dem Schweigen sich ist verloren die (Le Bidois 1952:156) Une chose ai- je ä dire: eine Sache habe ich zu sagen (Wespy 1884:174)

le manage de ... die Hochzeit von ... concentration de esprit Konzentration von dem Geist

Rabe (1910:24ff.) kommt in einer Auszählung von Werken von acht Schriftstellern des 19. Jhdts. sogar zu dem Ergebnis, dass in über 45% der Sätze mit einleitendem Adverb das Subjekt invertiert auftritt. Er folgert daher, dass sich eine "Entwicklung in dem Sinne, daß in neuerer Zeit weniger häufig Inversion einträte, [...] aus dieser Zusammenstellung nicht ersehen" lasse. Allerdings basiert seine Auswertung nur auf Sätzen mit Verben "ohne Objekt oder umfangreichere nähere Bestimmung, durch welche die Inversion unmöglich würde" (Rabe 1910:24), d.h. eine Reihe anderer - im Altfranzösischen möglicher - Inversionskontexte bleibt dabei unberücksichtigt. Hierzu gehört vor allem die Inversion nach vorangestelltem Objekt, die laut Koopmann (1910:42) im 16. Jhdt. "rasch zurückgegangen und später geschwunden" ist. Sie ist im Neufranzösischen i.d.R. nur noch in Sprichwörtern (Rabe 1910:38) oder in poetischen Texten, wie das Beispiel (16)(c) von Lafontaine zeigt, zu finden. In der Prosa Lafontaines findet Wespy (1884:174) keinen einzigen Beleg für die Inversion nach vorangestelltem Objekt. Von den bisher betrachteten Konstruktionen werden in den traditionellen Arbeiten i.d.R. so genannte 'uneingeleitete Nachsätze1 unterschieden. Damit sind solche Sätze gemeint, die durch einen Nebensatz eingeleitet sind. Hier zeigen die Untersuchungen übereinstimmend, dass bereits im frühen Altfranzösischen die Inversion "nicht das Gewöhnliche, sondern ziemlich selten" und im 14. und 15. Jhdt. "nur noch archaistisch" ist (Koopmann 1910:84f). Die wenigen Inversionsbelege sind meist auf das Metrum zurückzuführen (cf. (17)(b)). Rabe (1910:53) liefert zwar einige Belege aus dem 19. Jhdt. für die Inversion in diesem Kontext, betont aber, dass sie "recht selten auf[tritt], da die Verbindung zwischen dem Nebensatz und dem Verb des folgenden Hauptsatzes keine so enge ist wie zwischen Adverb und Verb". Auffallend ist, dass in den wenigen Fällen, in denen das Subjekt postverbal steht, der jeweilige Matrixsatz i.d.R. entweder ein Verbum dicendi, ein "[i]ntransitives Zeitwort" (Rabel910:53) oder ein Verb der Bewegung enthält: (17) afr.

(a)

Quant li qyens Garins de Biaucare vit a l s d e r Graf Garin de Biaucare sah son fil retraire des amors seinen Sohn zurückziehen von-der Liebe visconte de le vile Vicomte von der Stadt (auc 4,1-3) (Koopmann 1910:82)

qu' il ne dass er nicht Nicolete. il Nicoletes er

poroit Aucassin konnte Aucassin traist au begab-sich zum

69 (b)

(18) nfr.

Cum io serai a Eis. em ma chapele. wenn ich werde-sein in Aix in meiner Kapelle Vendrunt li hume, demanderunt noveles: kommen-werden die Menschen fragen-werden Neuigkeiten (rol 2917-18) (Koopmann 1910:81)

Pendant que Didier se plonge de plus während dass Didier sich taucht von mehr entrent par la breche du fond Marion eintreten durch die Lücke des Bodens Marion (Rabe 1910:53)

en plus dans ses pensees. zu mehr in seine Gedanken et le geölier und der Kerkermeister

Von den wenigen modernen Untersuchungen, in denen auf diesen Konstruktionstyp näher eingegangen wird, ist vor allem die generative Arbeit von Vance (1997) zu nennen (cf. auch Kok 1985:100-102, de Bakker 1997:47f). In ihrer Untersuchung der Queste del Saint Graal (um 1220) beobachtet Vance (1997:64), dass in Sätzen mit "certain fronted clauses" die Subjekt-Verb-Inversion mit der SV(O)-Stellung variiert. Ihren Beobachtungen zufolge ist dies dann der Fall, wenn der Nebensatz mit der Konjunktion si tost com 'sobald' beginnt: (19) afr.

(a)

(b)

M_es sitost come tu eus receu le seel aber sobald wie du hast erhalten das Siegel sainte cresme et la sainte uncion. eus tu heilige Öl und die heilige Salbung hast du fus fors de sä baillie wärst außerhalb von seiner Macht (que 104,4-6) (Vance 1997:64) mes sitost com nos cuiderons qu' il aber sobald wie wir glauben-werden dass es mestiers. nos !'....? envoierons notwendig wir ihn dorthin schicken-werden (que 3,18-19) (Vance 1997:64)

Jhesuchrist. (von) Jhesuchrist renoie abgeschwört dem

ce est das ist anemi Teufel

le das et und

en soit lex et dafür ist passend und

In Sätzen, in denen ein durch se 'wenn', quant 'wenn' und puis que 'weil' eingeleiteter Nebensatz satzinitial steht, beobachtet Vance (1997:65) hingegen fast ausschließlich SubjektVerb-Stellung (cf. (20)(a)). Inversion tritt ihren Auswertungen zufolge nur dann auf, wenn ein nachfolgendes "resumptive adverbial" den Nebensatz wieder aufnimmt (cf. (20)(b)): (20) afr.

(a)

(b)

Et quant il fu bien ajorne. li rois se. leva de son lit und als es war gut Tag-angebrochen der König sich erhob von seinem Bett (que 21,15-16) (Vance 1997:65) Et quant il les voldrent departir. si monta ire et mautalenz entr' ax und als sie sie wollten teilen da stieg-auf Wut und Unwillen unter ihnen (que 75,14-15) (Vance 1997:65)

Die Verwendung eines Resumptivadverbs wie in (20)(b) ist, wie bereits Diez (1882:1015f.) konstatiert, in solchen Nachsätzen sehr häufig zu beobachten: Indessen pflegte die ältere Zeit um des Nachdrucks willen bei temporellen, causalen oder conditionalen Vordersätzen dem Nachsatze gewisse Partikeln voranzustellen.

Es ist klar, dass solche Sätze wie (20)(b) nicht zu den 'uneingeleiteten Nachsätzen' gerechnet werden können, da die Inversion hier offensichtlich nicht durch den Nebensatz, sondern das folgende Adverb ausgelöst wird. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für zahlreiche andere Beispielsätze, die häufig als Beleg für die Inversion nach einleitendem Nebensatz angeführt werden. So weist Koopmann (1910:81) zurecht daraufhin, dass der von Völcker

70 (1882:17) als 'uneingeleiteter Nachsatz' aufgeführte Beispielsatz (21) zur Gruppe der eingeleiteten Nachsätze gerechnet werden muss, "weil die Inv. von der an der Spitze stehenden adv. Bestimmung, nicht vom Temporalsatz, abhängig ist": (21) afr.

An tant dementres cum il iloec unt sis. währenddessen als sie dort haben (sich)-gesetzt Deseivret aneme del cors sainz Alexis (sich)-trennt die Seele vom Körper (des) Heiligen Alexius (ale 67a-b) (Koopmann 1910:81)

Auch das von Rabe (1910:53) für eine Inversion nach einem einleitenden Nebensatz aufgeführte Beispiele (22) gehört nicht zu diesem Konstruktionstyp, da hier ein Prädikatsadjektiv der Kopula vorausgeht und somit den Nachsatz einleitet: (22) nfr.

Et quand je me levai. tout und als ich mich erhob ganz (Rabe 1910:53)

rouge etait herbe rot war der Rasen

Somit kann als Ergebnis der empirischen Untersuchungen zur Entwicklung der Verbstellung in französischen Matrixsätzen festgehalten werden, dass es lediglich zwei Arten von Konstruktionen gibt, in denen es zu keinem Wandel der Stellung von Subjekt und Verb gekommen ist. Hierbei handelt es sich zum einen um die so genannten Zwischensätze, die immer Subjekt-Verb-Inversion aufweisen. Zum anderen sind es die durch einen Nebensatz eingeleiteten Sätze, in denen zu allen Epochen das Subjekt fast ausschließlich in präverbaler Stellung erscheint, insbesondere dann, wenn der Matrixsatz kein resumptives Adverb enthält, das auf den Nebensatz Bezug nimmt. Für alle übrigen Konstruktionen ist ein zunehmender Rückgang der Inversion von Subjekt und Verb zu beobachten.

3.3.1.2 Die Verbstellung in Nebensätzen Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der hier betrachteten Untersuchungen bezüglich der Inversion in (eingeleiteten) Nebensätzen erweist sich als besonders schwierig, weil die einzelnen Untersuchungen bei der Einteilung der Belege sowie bei den Angaben über die Häufigkeit der Inversion stark voneinander abweichen. Die in den traditionellen Arbeiten gemachten Angaben für die Ermittlung der Stellung des flniten Verbs im Satzgefüge sind meist nur wenig hilfreich, weil die Nebensätze i.d.R. nicht danach unterschieden werden, ob dem nebensatzeinleitenden Element eine Konstituente folgt oder nicht. Subjekt-Verb-Inversion kann bedeuten, dass das Verb in der Erstposition steht, d.h. adjazent zu Konjunktion oder Relativ- bzw. Interrogativpronomen, oder eine Position hinter einer oder mehreren Konstituenten einnimmt. Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse traditioneller Arbeiten mit denen generativer Analysen wird dadurch erschwert, dass in generativen Arbeiten i.d.R. kein Unterschied zwischen konjunktional eingeleiteten Nebensätzen und solchen Nebensätzen gemacht wird, die durch ein Relativ- oder Interrogativpronomen eingeleitet sind. Für die Relativsätze kann eine "merkwürdige Verschiedenheit zwischen der neuen und alten Sprache" konstatiert werden (Völcker 1882:20). Die Untersuchungen stimmen darin überein, dass hier "eine bedeutende Zunahme der Inversion von der afr. zur nfr. Periode" zu beobachten ist (Koopmann 1910:103). In den neufranzösischen Relativsätzen ist nach

71

Zählungen von Rabe (1910:80) die Inversion häufiger als die "gerade Wortfolge", vor allem bei "umfangreichem Subjekt und einfachem Verb" (Koopmann 1910:105): (23) nfr.

(a) (b)

Suivez les pas de folgen-Sie den Schritten von (Rabe 1910:81) Je suis les conseils que ich folge den Ratschlägen die guid£ dans ma ieunesse gefuhrt in meiner Jugend (Koopmann 1910:107)

celle de qui depend votre destin£e derjenigen von der abhängt ihr Schicksal rrj£ donna mon pere, qui m' a toujours mir gab mein Vater der mich hat immer

Ähnlich wie in den Relativsätzen ist auch in den eingebetteten Interrogativsätzen des Altfranzösischen die Inversion sehr selten zu beobachten. Erst in Texten ab dem 15. Jhdt. kann eine zunehmende Verwendung der Inversion des nominalen Subjekts konstatiert werden. Sie ist dann "obligatorisch, wenn die fragenden Fürwörter quel, qui, que als prädikative Bestimmungen im Satze stehen," und "gestattet, wo ein fragendes Fürwort oder Adverb als adverbiale Bestimmung steht" (Koopmann 1910:109): (24) mfr. (a) (b)

et cherchoitl'on doni pouvoit venir ce feu und suchte man wovon konnte kommen dieses Feuer (com 42,15/16) (Koopmann 1910:108) Jadis ung Roy demanda ä ung Philosophe [...], quelle chose estoitDieu einst ein König fragte PRÄP einen Philosophen welche Sache war Gott (Gerson III, 1593 A) (zitiert nach Höpfher 1883:13)

Was die konjunktional eingeleiteten Nebensätze betrifft, so kann als generelles Ergebnis aller Untersuchungen festgehalten werden, dass die Subjekt-Verb-Inversion in diesen Sätzen zu allen Epochen wesentlich seltener ist als im Matrixsatz (Völcker 1882:17, Wespy 1884:196, Hirschbühler 1989:171f, Lemieux / Dupuis 1995:99). Vance (1995:176) findet in der Queste del Saint Graal nur zehn Belege für eine Subjekt-Verb-Inversion im Nebensatz. Anders als die traditionellen Untersuchungen, die dieses Wortstellungsmuster ebenfalls belegen, bezieht sie sich hierbei offensichtlich ausschließlich auf Sätze, in denen zwischen Konjunktion und Verb eine zusätzliche Konstituente auftritt: (25) afr.

(a)

(b)

Et il me dist tot maintenant und er mir sagt gleich jetzt Plus de 9ant fois an un tenant mehr als hundert Mal in einem Zug que beneoite fust la voie dass gesegnet sei der Weg (löw 205-207) (Koopmann 1910:92) ...si dist que molt ert liez Quanten so (er)-sagtedass sehr sein-wird glücklich wenn in en si haute chevalerie seroit fichiee la bosne in so hoher Ritterlichkeit wäre gefestigt das Ende (que 221,15f.) (Vance 1995:181)

si haute bonte et so hoher Güte und de son lignage von seinem Geschlecht

Auch für das Mittel- und Neufranzösische sind nur wenige Sätze mit dieser Art der Wortstellung in eingebetteten Sätzen belegt: (26) mfr. (a)

Or disons done que grant grace nous fist Dieu le toutpuissant jetzt sagen-wir nun dass große Gnade uns machte Gott der Allmächtige (joi 51,26-27) (Koopmann 1910:93)

72

(27) nfr.

(b)

et il dirent que npn feroientil und sie sagten dass nicht würden-machen sie (joi ll,14)(Koopmann 1910:93)

(a)

Je venais de comprendre enfin ich kam zu verstehen endlich (LeBidois 1 952:237) Elle avait tant ä leur dire sie hatte so viel zu ihnen sagen temps de repondre Zeit zu antworten (LeBidois 1 952:237)

(b)

que la cessait le monologue dass da endete der Monolog qu' ä peine leur laissait-ette le dass kaum ihnen ließ sie die

Abschließend kann als einziges deutliches Ergebnis der sehr uneinheitlich klassifizierenden Untersuchungen konstatiert werden, dass es in eingebetteten Relativ- und Interrogativsätzen im Laufe der Entwicklung des Französischen zu einer Zunahme der Inversion gekommen ist. In konjunktional eingeleiteten Nebensätzen hingegen ist das Auftreten der Inversion weitgehend konstant niedrig geblieben. Allerdings erlauben es die in den Untersuchungen gemachten Angaben nicht, Rückschlüsse über mögliche Verb-Zweit-Stellungseffekte in diesen Sätzen zu ziehen, da genauere Angaben darüber fehlen, ob und inwiefern das Auftreten der Inversion abhängig vom Vorhandensein einer nebensatzinitialen Konstituente ist.

3.3.2

Quantitative und statistische Ergebnisse

Als ein den meisten Arbeiten des 19. und frühen 20. Jhdts. gemeinsames Ergebnis kann festgehalten werden, dass es im Französischen "im Laufe der Jahrhunderte immer mehr üblich wurde, das Subjekt des Hauptsatzes vor das Prädikat zu setzen" (Wespy 1884:153), d.h. dass "fast überall [...] die im Afr. so verbreitete Inversion zurückgedrängt" wurde (Koopmann 1910:7). In Rabes Studie des 19. Jhdts. wird dieses Ergebnis jedoch etwas relativiert. Rabe (1910:96) kommt zu dem Ergebnis, dass in neueren Werken des Französischen, d.h. des 19. Jhdts., "die Inversion manchmal häufiger" auftritt. Diese Beobachtung beruht allerdings auf Auszählungen, die - wie bereits erwähnt - nur mit adverbial eingeleiteten Sätzen und mit Sätzen einer bestimmten Klasse von Verben durchgeführt wurden. Rabe (1910:107) räumt daher resümierend ein, dass im "Satztyp der erklärenden Aussage" die Häufigkeit der Inversion zurückgegangen sei. Gleichzeitig betont er aber gleichzeitig, dass "das Französische des XIX. Jahrhunderts die Stellung Prädikat - Subjekt, wenn auch in gewissen Schranken oder manchmal verhüllt, auch außerhalb der Frage immer noch - ja in mehreren Fällen mehr als die alte Sprache - da anwenden kann, wo Rücksichten auf den Charakter des Darzustellenden, auf Deutlichkeit, auf Rhythmus und harmonischen Bau des Satzes dies rätlich erscheinen lassen" (Rabe 1910:107). Eine Bestätigung finden die Ergebnisse Rabes in mehreren Wortstellungsstudien, die ab den 30er Jahren angefertigt werden (cf. Tabelle (1)). Einer der Anlässe für die meisten dieser Studien ist die Unzufriedenheit mit der Forschungsweise der bisherigen Untersuchungen, "die mit komplizierten, aber unlogischen Einteilungen sowie mit zahlreichen, aber untypischen Beispielen arbeitet und in ihren Schwächen auf dem ersten Blick nicht zu erkennen ist" (Siepmann 1937:2). Diesem deskriptiv unbefriedigenden Verfahren wird eine Vorgehensweise entgegengesetzt, die sämliche Belegstellen des zu untersuchenden Textmaterials erfassen und einer statistischen Auswertung unterziehen will. Die Verfasser die-

73 ser Untersuchungen wollen sich nicht mehr nur damit begnügen, "von einer Erscheinung zu behaupten, daß sie 'selten1 oder Verhältnismäßig häufig' vorkomme, und sie dann mit einigen Beispielen belegen", weil man dadurch "sich erstens kein genaues Bild über den Stand der Dinge machen und zweitens die gezogenen Schlüsse und gemachten Behauptungen nicht auf ihr tatsächliches Zutreffen überprüfen" kann (Dill 1935:5,Fn.l). Eine Reihe dieser Autoren stellt auf Grund dieser präziseren Auswertungsweise fest, dass die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen revidiert werden müssen. So konstatiert beispielsweise Siepmann (1937:86) als Gesamtergebnis ihrer Auswertung der Wortstellung in der 'Conquete de Constantinople' von Villehardouin (= cori), dass "der Unterschied zwischen der alten und der modernen Sprache hinsichtlich der Wortstell u n g [...] bei weitem n i c h t so beträchtlich [ist] wie die früheren Arbeiten ihn darstellen". Zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangt auch Lewinsky (1949:182), derzufolge "les grandes tendances qui charactärisent la langue actuelle se trouvent dejä dans le francais du XIVe siecle". In ähnlicher Weise lassen sich die Ergebnisse von Le Bidois (1952) interpretieren, die sogar auf eine Zunahme beim Gebrauch von Inversionen im modernen Französischen hindeuten. Leider lassen sich für eine linguistische Analyse aus der Studie von Le Bidois nur wenige brauchbare Schlüsse ziehen. Denn obwohl es sich hierbei um eine der umfangreichsten Untersuchungen zur Subjekt-Verb-Inversion im Französischen handelt, stellt sie sowohl in der methodischen Vorgehensweise als auch in der Darstellung der Ergebnisse einen großen Rückschritt im Vergleich zu den Arbeiten der 30er- und 40er-Jahre dar. Sie enthält letztendlich nur eine riesige Sammlung von Belegen für Konstruktionen mit (oder ohne) Subjekt-Verb-Inversion, die der Autor in den Werken Marcel Prousts oder anderer französischer Schriftsteller oder Journalisten der ersten Hälfte des 20. Jhdts. gefunden hat. Eine statistische Auswertung der Ergebnisse wird nicht geliefert. Die Kommentare von Le Bidois zu den Daten können eher als die "eines gebildeten Zeitgenossen" (Rogger 1956:239) als die eines Linguisten angesehen werden. Seine Arbeit ist daher "eher stilistischer als linguistischer Art [...], obschon sie für den Linguisten, und besonders den Linguisten der Zukunft, von unschätzbarem Werte ist" (Rogger 1956:239). Primäres und offensichtlich einziges Ziel dieser Studie scheint darin zu bestehen, die Häufigkeit der Verwendung der Inversion im modernen Französischen und damit dessen "otonnante vitalito" (Le Bidois 1952:415) zu dokumentieren: Nos relevis chez les de 1900 ä 1950 ont foumi une moisson d'exemples si abondante et si varioe que les affirmations des grammairiens paraissent de peu de poids en comparaison. Or ces exemples, que nous aurions pu multiplier sans peine, montrent ä l'eVidence qu'en francais, l'inversion du sujet, loin d'etre en recul, est de plus en plus frdquente dans la langue ocrite et jouit meme, aupres de certains auteurs, d'une faveur quelque peu inquidtante. Ainsi, nous avons constato que Proust fait un usage incessant du tour inverti, tant en phrase principale qu'en subordonnoe [...]. (Le Bidois 1952:410)

Le Bidois (1952:3) sieht sich als Kämpfer gegen "certains prejugds classiques dont quelques grands ocrivains francais n'ont pas su se garder", denen zufolge das moderne Französische einer starren SVO-Stellung unterliegt. Diese Vorurteile findet Le Bidois (1952:3) auch bei zeitgenössischen Grammatikern und Romanisten, wie etwa bei Wartburg (1934:221), demzufolge "[t]out le monde sait que la structure de la phrase francaise, en particulier

74

l'ordre des mots, est d'une rigidite absolue". Diese "vues vraiment excessives [...] sur Tordre des mots en francais" gilt es für Le Bidois (1941:111, Fn.l) zu widerlegen.10 Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis wie Le Bidois kommt eine andere ebenfalls quantitativ sehr umfangreiche Untersuchung der Inversion im (modernen) Französischen, nämlich die Studie von Clifford (1973). Ziel dieser Studie ist es - auf der Grundlage einer sehr detaillierten statistischen Auswertung von Daten des 16.-20. Jhdts. - ebenfalls zu zeigen, "how conservative have been the estimates of grammarians and theorists from the 16th century onwards regarding the use of inverted order in French" (Clifford 1973:436)." Ein für Clifford allerdings selbst überraschendes Ergebnis ihrer Analyse ist die Beobachtung, dass die Inversion nicht nur in der Literatursprache bzw. 'gehobenen' Schriftsprache sehr häufig sei, sondern auch in der gesprochenen Umgangssprache: Yet inversion is not only common in literary works or in novels written in a recitparle style [...]. It is frequently to be heard in everyday speech of both a colloquial and a more elevated nature. (Clifford 1973: 437)

Le Bidois (1952:411) registriert demgegenüber in der modernen gesprochenen Umgangssprache vielmehr das Bestreben "ä se liberer de l'inversion, qui constitue pour 1'usager ordinaire une construction artificielle ou pretentieuse". Sowohl Clifford als auch Le Bidois bleiben den Beweis für ihre Beobachtungen allerdings schuldig, da sich ihre Untersuchungen - ebenso wie alle bisher betrachteten Studien zur Wortstellung im Französischen (fast) ausschließlich auf literarisches oder sonstiges schriftsprachliches Datenmaterial stützen. Somit bleibt auch die Frage unbeantwortet, ob und inwiefern in der gesprochenen französischen Umgangssprache eine Entwicklung dahingehend stattgefunden hat, dass es im Verlauf seiner Geschichte zu einem (allmählichen) Verlust der Inversion gekommen ist. Denkbar ist es durchaus auch, wie etwa Koopmann (1910:1) vermutet, dass "jene Umstellungen [...] wohl nie im Volke recht lebendig gewesen" sind. Dieser Vermutung Koopmanns steht eine weit verbreitete Ansicht gegenüber, die indirekt im obigen Zitat von Wartburg zum Ausdruck kommt. Hinter der Auffassung von einer 'streng festgelegten' Wortstellung des Neufranzösischen steht nämlich die Annahme, dass das frühere Französische diese strenge Wortstellung noch nicht hatte und stattdessen durch eine "tres grande liberte dans la construction des phrases" ausgezeichnet war (Wartburg 1946:103). Nicht selten wird diese Freiheit mit einer (gewissen) Regellosigkeit gleichgesetzt: Vergleicht man das Altfranzösische mit dem Neufranzösischen, so ist man erstaunt, festzustellen, mit welcher Freiheit das Altfranzösische die Wörter anordnete. Da die altfranzösische Wortstellung nicht durch mehr oder weniger willkürliche Regeln "fixiert" war, konnte der Schriftsteller die

10

11

Zur Verteidigung Wartburgs sei hier darauf hingewiesen, dass bereits in der zweiten Auflage seines Buches nur noch von einer "grande rigidite" der französischen Wortstellung die Rede ist (Wartburg 1937:253). Dies scheint Le Bidois jedoch nicht bemerkt zu haben. Denn obwohl Le Bidois (1952) in seiner Bibliographie Wartburgs Buch nach der dritten Auflage zitiert (Wartburg 1946), stammt das Zitat, das er verwendet, aus der ersten Ausgabe (Wartburg 1934). Ebenso wie Le Bidois ist Clifford primär an der stilistischen Verwendung der Inversion interessiert. Der generative (transformationalistische) Ansatz wird explizit zurückgewiesen, was mit "its inevitable complexity as regards syntax, and its unproductiveness in the field of style" begründet wird (Clifford 1973:19).

75 Worte entsprechend seiner Vorstellungsfolge anordnen und den unmittelbaren Eindruck wiedergeben. Keine Regel hinderte ihn, die Satzglieder nach seinem Geschmack anzuordnen. Der Altfranzose hatte ein eigenes Stilideal, das er bald bewußt, bald unbewußt befolgte. (Blasberg 1937:1)

Andere Autoren hingegen kommen zu einer grundsätzlich anderen Einschätzung der altfranzösischen Wortstellung. So kritisiert bereits Thurneysen (1892) die zahlreichen Studien zur Wortstellung im Altfranzösischen, die fast ausnahmslos dessen Wortstellungsfreiheit konstatieren. Demgegenüber kommt er an Hand einer Auswertung des Prosateils der Chantefable Aucassin et Nicolette zu dem Ergebnis, dass die altfranzösischen "Satztypen den neufranzösischen an Einförmigkeit eher voran- als nachstehen" (Thurneysen 1892:289). Diese Diskrepanz seiner Ergebnisse zu denen der anderen Studien führt Thurneysen nicht auf Unterschiede der untersuchten Texte oder der Auszählungsmethoden zurück, sondern vielmehr darauf, dass der Schwerpunkt der meisten Untersuchungen darin besteht, die Stellung des finiten Verbs in Bezug auf andere Satzglieder zu betrachten, ohne dabei aber "auf den Platz, den es im Satze überhaupt einnimmt" zu achten (Thurneysen 1892:289).12 Betrachtet man nämlich die Stellung des finiten Verbs im Satz, so kann nach Ansicht von Thurneysen von einer Stellungsfreiheit oder gar Regellosigkeit keine Rede sein. Vielmehr konstatiert Thurneysen (1892:289) als Ergebnis seiner Studie, dass "im Prosatexte von ,Aucassin und Nicolete' [...] die Stellung des Verbum finitum sozusagen völlig fest ist und einheitlichen Prinzipien folgt". Damit gebührt Thurneysen zweifelsohne "[d]as Verdienst, die feste Stellung des Verbums und infolgedessen seine Wichtigkeit für den Gesamtbau des Satzes erkannt zu haben" (Meyer-Lübke 1899:798). Thurneysens Studie muss als die Pionierarbeit zur Stellung des finiten Verbs in den frühromanischen Sprachen angesehen werden. Für eine Untersuchung, wie die hier vorgelegte, die die Stellung des finiten Verbs innerhalb des Satzgefüges zum Thema hat, ist sie von immenser Wichtigkeit. Auch in anderer Hinsicht hebt sich Thurneysens Studie von den meisten anderen ab. Sie ist nämlich eine der wenigen traditionellen Wortstellungsuntersuchungen, die nicht lediglich umfangreiche Beispiellisten zur Illustration verschiedener Wortstellungsmuster enthält. Vielmehr werden an Hand eines kurzen Textausschnittes die Wortstellungsverhältnisse exemplarisch dargestellt und die Beispiele in - lediglich drei - klar definierte Klassen unterteilt. Die Beispiele dienen nicht zur Illustration der angeblichen Vielseitigkeit des Altfranzösischen, sondern dazu, eine eingangs explizit formulierte These zu belegen. Damit unterscheidet sich Thurneysens Argumentationsweise sehr stark von derjenigen der meisten anderen bisher besprochenen Arbeiten. Dieser radikale Unterschied in der Forschungs- und Argumentationsweise dürfte auch ein Grund dafür sein, dass sich die Hoffnung von Thurneysen (1892:289), dass seine durch Wackemagels Aufsatz von 1892 angeregte - Studie "dem einen oder dem anderen bei weiteren Forschungen dienen möge", offenbar nur in sehr begrenztem Maße erfüllt hat. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie etwa Meyer-Lübke (1899), Richter (1903), bleibt seine Arbeit in den nachfolgenden Wortstellungsuntersuchungen weitgehend unberücksichtigt.13 12

13

Weitere Gründe für die Unterschiede sieht Thurneysen (1892:289) darin, dass viele Studien auf poetischen Texten basieren oder Haupt- und Nebensätze getrennt behandeln und dadurch "so eng zusammengehörendes" auseinanderreißen. Zu den wenigen, die Thurneysens Arbeit würdigend erwähnen, gehört auch Wartburg (1946). Obwohl er, wie bereits gesehen, von einer großen Freiheit der altfranzösischen Wortstellung

76

Eine eingehende Auseinandersetzung erfahrt Thurneysens Untersuchung erst in den 50er Jahren durch Herman (1954). Hermans Studie ist nach der von Thurneysen (1892) zweifellos die wichtigste und beste traditionelle Arbeit zur Stellung des finiten Verbs im Altfranzösischen (cf. Vanelli / Renzi / Benincä 1985:168). In einer detaillierten Analyse der frühesten Prosatexte des Französischen - u.a. auch der im Rahmen der vorliegenden Arbeit untersuchten Quatre livre des Reis (- qlr) - beobachtet Herman (1954:259) in ähnlicher Weise wie Thurneysen seit dem frühesten Altfranzösischen "une tendance ä faire du verbe le deuxieme membre de la proposition". Herman (1954:269) sieht im finiten Verb des Altfranzösischen eine Art Bindeglied zwischen einer beliebigen satzinitialen, betonten Konstituente und dem übrigen Teil des Satzes: Quoiqu'il en soit, le verbe se pla9ait d'habitude, des les debuts de l'ancien fran9ais, en seconde place dans la proposition, dans ce sens qu'il suivait le premier terme syntaxique, la premiere unite «fonctionnelle» (sujet, complement, attribut), meme si cette unite etait composee de plusieurs mots ou de plusieurs groupes rythmiques. Quelles que fussent les origines de cette tendance, il en est resulte qu'au verbe echut le role d'indiquer la relation entre un terme initial et un ou plusieurs autres termes, ce terme initial etant un terme place sous un accent de phrase. Ce qu'on appelle l'inversion du sujet n'etait qu'une consequence secondaire de cet etat de choses: des que le premier terme etait autre chose que le sujet, force etait de placer le sujet apres le verbe, puisque ce dernier devait se joindre au terme initial.

Herman räumt allerdings ein, dass diese Regel der Verb-Zweit-Stellung nicht ausnahmslos eingehalten wird. Bei seiner Auswertung der von ihm untersuchten Abschnitte der Quatre Livre des Reis konstatiert Herman (1954:269) zwei Gruppen von Abweichungen. Die eine Gruppe bilden Sätze, in denen das finite Verb - meist unmittelbar hinter der Konjunktion e - in der Primposition steht. Den Beobachtungen von Herman (1954:277) zufolge kommt es zu dieser Stellung, wenn das Verb entweder hervorgehoben wird - wie etwa in Imperativsätzen - oder einen "terme de rappel" bildet, was nach Herman vor allem für respundre zutrifft, oder - wie im Fall der "proposition complementaire" - unmittelbar an den vorangehenden Satz anknüpft. Die zweite Gruppe der Ausnahmen bilden Verb-Dritt-Sätze, d.h. Sätze, in denen dem finiten Verb "deux termes accentues" (Herman 1954:269) vorausgehen. Herman (1956:271) fuhrt "une bonne partie de ces cas" darauf zurück, dass sie in gereimten Textstellen auftreten. In diesen Fällen steht das finite Verb meist am Ende eines Satzes oder Satzteils und bildet einen Reim mit einer oder mehreren anderen Verbformen. Diejenigen Verb-Dritt-Sätze, die nicht in Reimversen auftreten, versucht Herman (1954:269f.) als Ausnahmen zur oben genannten Regel zu erfassen. Unter Berufung auf Haarhoff (1936) nimmt er an, dass in einem Teil dieser Sätze die satzinitialen Konstituenten "schwere Einleitungen" bilden, die durch eine Pause vom übrigen Satz getrennt sind:

spricht, betont er gleichzeitg unter Berufung auf Thurneysen (1892), dass das Altfranzösische in der Prosa diese "liberte presque illimitee que lui offre sä declinaison" nicht "missbraucht", sondern vielmehr einer strengen Gesetzmäßigkeit folgt (Wartburg 1946:103): "La prose, c'est-a-dire la langue de tous les jours, obeit ä cette loi: on reserve au verbe la deuxieme place dans la phrase. . je ne quit mie (svr), les deniers prendrons nos (TVS), biaus estoit et gens (pred. v. pred), or dient (circonstanciel verbe) [...]. II en resulte une position exceptionnelle du verbe. Les autres elements sont comme ses vassaux. La notion verbale domine la phrase, eile en est le point fixe, le pivot, et les autres elements tournent autour d'elle."

77 (28) afr.

(a)

(b)

En eel tens Ahiel de Bethel edefiad relevad Jerico m dieser Zeit Hie"!aus Bet-El baute und wieder-errichtete Jericho (qlr 155: 1 Kon 16,34) (Herman 1954:269) 1' Pur co li reis Asa prist tut or ?ent für das der König Asa nahm all das Gold und das Silber (qlr 152: 1 Kon 15,18) (Herman 1954:269)

Einen anderen Teil der Gruppe der Verb-Dritt-Sätze, die nicht durch Reimzwänge erklärt werden können, illustriert Herman (1954:270) mit folgendem Beispiel: (29) afr.

li prohetes Helves par la force la volented nostre Seignur curut E und der Prophet Ehja durch die Kraft und den Willen unseres Herrn lief devant lu rei jesque il vint en Jezraol vor dem König bis er kam nach Jesreel (qlr 160: l Kon 18,46) (Herman 1954:270)

Hier vermutet Herman (1954:270f), dass die Wortstellung vom lateinischen Original beeinflusst sein könnte: Nous estimons qu'on peut voir dans ces exemples des vestiges du type SCV tres courant en latin, vestiges soutenus par des facteurs d'emphase, par les intentions stylistiques de l'auteur (et 93 et lä, par une influence directe de l'original); dans I'exemple que nous venons de citer, la position du comploment entre le sujet et le verbe donne ä la proposition une allure solennelle, pathe'tique.

Mit anderen Worten, nach Ansicht von Herman (1954) bilden die von ihm gefundenen Verb-Erst- und Verb-Dritt-Sätze lediglich Ausnahmen zu einer allgemein gültigen Regel des Altfranzösischen, wonach das finite Verb stets in der zweiten Position erscheint. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Roberts (1993), der eine der wenigen generativen Arbeiten vorlegt, in der versucht wird, die These der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft des Altfranzösischen durch eine statistische Analyse zu untermauern. Hierfür wertet er in sechs altfranzösischen Werken die ersten 100 Matrixsätze aus, die ein lexikalisches Subjekt enthalten. Er gelangt dabei zu folgenden Prozentzahlen für die Stellung des finiten Verbs: Text

La Chanson de Roland Le Charroi de Nlmes Tristan Perceval Aucassin et Nicole te Merlin

VI

5% 13% 3% 2% 2% 0%

V2

V>2 (= V3 oder mehr)

SubjV

Kompl V

PEV

AdvV

31% 23% 30% 41% 50% 28%

15% 12% 7% 11% 6% 3%

5% 4% 2% 2% 4% 0%

40% 48% 55% 28% 32% 65%

4% 0% 3% 16% 6% 4%

Tabelle (2): Prozentualer Anteil der Verbstellungsmuster der ersten 100 Matrixsätze mit realisiertem Subjekt (nach Roberts 1993:95)

Für Roberts (1993:95) bestätigen diese Auszählungsergebnisse die strenge Gültigkeit der Verb-Zweit-Stellungsregel im Altfranzösischen, die vor allem an den "generally low proportions of VI and especially V>2 sentences [...]" deutlich wird. Hier muss allerdings gefragt werden, inwiefern es gerechtfertigt ist, bei einem 13%igen Anteil an V l-Konstruktionen im Charroi de Nimes und einem 16%igen Anteil von V>2-Konstruktionen im Perceval-Roman von "low proportions" zu sprechen. An einer späteren Stelle räumt

78 Roberts (1993:144) zwar ein, dass Perceval eine "larger proportion of V > 2 orders" als die anderen von ihm untersuchten Werke aufweist, dennoch ist er davon überzeugt, dass "the optimal assumption" für das Altfranzösische die ist, dass es eine Verb-Zweit-Grammatik besaß, "in the sense that C°bore the feature [Agr]". Abgesehen davon, dass diese Schlussfolgerung, wie weiter unten versucht wird zu zeigen, in theoretischer Hinsicht in Frage gestellt werden muss, erweist sie sich auch als empirisch nicht adäquat. Für Roberts scheinen nämlich die von ihm gefundenen Sätze mit einer V>2-Stellung keine Belege zu sein, die gegen eine Verb-Zweit-Analyse sprechen, sondern vielmehr Evidenz für eine solche Analyse zu liefern. Dies wird deutlich aus der folgenden Interpretation, die Roberts seinen Daten zukommen lässt: These data show that the subject had to be analysed as Case-marked under government in 69% of sentences in Roland, 77% of those in Le Charroi de Nlmes, 70% of those in Tristan, 59% of those in Perceval, 48% of those in Aucassin et Nicolette, and 72% of those in Merlin. (Roberts 1993:95).

Entsprechend dieser Prozentangaben rechnet Roberts also nicht nur Verb-Erst- und XVSSätze, sondern auch alle V>2-Sätze zu denjenigen Sätzen, in denen das Subjekt inpostverbaler Position auftritt und das Verb - entsprechend der von ihm angenommenen Theorie der Kasuszuweisung (cf. Roberts 1993:85f.) - nach COMP angehoben wird. Dass diese Analyse von V>2-Konstruktionen jedoch nicht adäquat sein kann, zeigt ein Blick in die von Roberts ausgewerteten Daten. Bemerkenswerterweise ist bereits der erste Satz des Rolandliedes ein klarer Gegenbeleg. Hierbei handelt es sich um einen Verb-Dritt-Satz, in dem das Subjekt dem fmiten Verb vorausgeht. Auch in den anderen von Roberts untersuchten Textausschnitten, wie z.B. in Aucassin et Nicolete, finden sich zahlreiche ähnliche Belege für das präverbale Auftreten des Subjekts in Verb-Dritt-Sätzen: (30) afr. (a)

(b)

Charles li reis, nostre empere magnes. Charles der König unser Kaiser großer Set anz tuz pleins ad ested en Espaigne sieben Jahre ganz volle hat gewesen in Spanien (rol 1) Et se tu fenme vix avoir, je t? donrai le file a un und wenn du Frau willst haben ich dir geben-werde die Tochter von einem roi König (auc 2,35-36)

Das Beispiel aus Aucassin et Nicolete illustriert gleichzeitig die bereits erwähnte Besonderheit des Altfranzösischen, dass nach satzeinleitenden Nebensätzen i.d.R. keine SubjektVerb-Inversion auftritt. In Roberts Analyse bleibt dieser Tatbestand offenbar vollkommen unberücksichtigt, weil in seiner Auswertung die Daten diesbezüglich nicht ausreichend differenziert werden. Auf Grund dieser Unzulänglichkeiten bei der Auswertung der Daten ist es kaum verwunderlich, dass eine Überprüfung der von Roberts analysierten Daten zu ganz anderen Ergebnissen führt. So kommt eine von mir durchgeführte Analyse der ersten 100 Matrixsätzen mit realisiertem Subjekt im Rolandslied zu folgenden Prozentzahlen:

79 Text

rol

VI

11%

V>2

V2 SV(X)

xvs

54%

20%

15%

Tabelle (3): Prozentualer Anteil der Verbstellungsmuster der ersten 100 Matrixsätze mit realisiertem Subjekt (nach Kaiser 2000:16f.)

Diese von der Roberts'schen Auszählung teilweise sehr stark divergierenden Ergebnisse lassen sich meiner Ansicht nach nur dadurch erklären, dass Roberts entsprechend der von ihm gegebenen Interpretation der Daten offenbar nur solche Fälle als V>2 Sätze rechnet, in denen das Subjekt dem Verb (unmittelbar) folgt. Solche Sätze wie in (30), in denen das Subjekt - zusammen mit einer oder mehreren weiteren Konstituenten - dem Verb voransteht, werden offensichtlich nicht berücksichtigt. Ein weiteres empirisches Manko der Analyse von Roberts besteht darin, dass keine Unterscheidung zwischen Prosa- und Nicht-Prosa-Texten vorgenommen wird. Wie bereits erwähnt, entspricht dies der üblichen Praxis vieler - insbesondere generativer - Untersuchungen des syntaktischen Wandels. Auffallend ist, dass Roberts offensichtlich auch bei der Analyse von Aucassin et Nicolete nicht zwischen den prosaischen und lyrischen Kapiteln unterscheidet. Dies ist vor allem deshalb zu kritisieren, weil - wie bereits Thurneysen (1892:296) in seiner Untersuchung dieses Textes überzeugend nachweist - gerade der Vorteil in der Analyse dieser Chantefable darin besteht, dass sich dabei "die seltene Gelegenheit [bietet] zu konstatieren, wie sich die poetische Sprache eines mittelalterlichen Dichters zu den herrschenden Sprachgewohnheiten verhielt". Thurneysens Beobachtungen zufolge zeigt sich deutlich, dass in den poetischen Abschnitten des Textes "sämtliche Hauptregeln der Verbalstellung ohne Scheu bei Seite geworfen werden" (Thurneysen 1892:296). Folglich ist eine Analyse, die diese Abschnitte nicht gesondert betrachtet, weder in der Lage, diesen Tatbestand überhaupt zu erkennen, noch geeignet, die "herrschenden Sprachgewohnheiten" herauszuarbeiten. Es sollte also klar geworden sein, dass eine empirische Datenanalyse, wie sie von Roberts (1993) vorgelegt und wie sie in vielen anderen generativen Untersuchungen in ähnlicher Weise vorgenommen wird, nicht geeignet sein kann, eine adäquate Antwort auf die Frage nach der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft des Altfranzösischen sowie anderer altromanischer Sprachen zu finden. Bevor eine solche Analyse vorgelegt wird, die diesen Anforderungen gerecht zu werden versucht, sollen im Folgenden zunächst die hier vorgestellten Untersuchungen dahingegehend betrachtet werden, wie der Wandel der Verbstellung im Französischen zu erklären versucht wird.

3.3.3

Traditionelle Erklärungsansätze

Die bisherige Darstellung der traditionellen Wortstellungsanalysen hat gezeigt, dass die Untersuchungen des 19. Jhdts. und des frühen 20. Jhdts. zur Wortstellung im Französischen primär deskriptiv ausgerichtet sind. Erst in den Arbeiten aus den 30er und 40er Jahren werden verstärkt mögliche Gründe der Entstehung und der Entwicklung der französischen Wortstellung und insbesondere der Subjekt-Verb-Inversion erörtert. Viele der dabei vorgeschlagenen Erklärungsansätze sind eingebettet in den theoretischen Rahmen des - an Wilhelm von Humboldt anknüpfenden - Idealismus von Karl Voßler oder der Völkerpsycholo-

80 gie von Wilhelm Wundt. Die früheren Analysen und Erklärungsversuche orientieren sich größtenteils an den Prinzipien und theoretischen Grundannahmen der vor allem die Sprachwissenschaft des 19. Jhdts. dominierenden positivistischen Schule der Jungrammatiker, deren wichtigster romanistischer Vertreter Wilhelm Meyer-Lübke war. Beide Schulen gehen von einer grundsätzlich verschiedenen Konzeption von Sprachwissenschaft aus, die daher resultiert, dass der Untersuchungsgegenstand, die menschliche Sprache, vollkommen unterschiedlich aufgefasst wird. In klarer Abgrenzung zu den Junggrammatikern wird in den idealistischen und psychologischen Theorieansätzen Sprache nicht als ein "durch ausnahmelose Naturgesetze starr gebundenes System" angesehen, sondern als etwas, das "in das Gebiet freier, vom Willen sprachbildender Individuen abhängiger Schöpfung gehört" (Haarhoff 1936:5). Sprachliche Strukturen werden nach dieser Auffassung als Spiegelbild der 'Psyche1 oder psychischen Verfassung des Menschen, d.h. des Sprechers, angesehen. Es wird behauptet, dass sie den 'Geist' und die 'Begabung' des Volkes des jeweiligen Sprechers erkennen lassen und ihre "mannigfachen Veränderungen [...] dem Wandel in Geistesart und Denkweise der Völker unterworfen" sind (Haarhoff 1936:5).M Es ist heute - zu Recht - vollkommen undenkbar, diese Begriffe vorbehaltlos zu gebrauchen, geschweige denn sie in einer wissenschaftlichen Argumentation zu übernehmen. Da die Völkerpsychologie und der Idealismus aber vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jhdts. die Wortstellungsdebatte in der deutschen Romanistik sehr stark prägten, sollen die Erklärungsversuche im Rahmen dieser Theorien hier kurz vorgestellt werden.15 Die bei weitem umfassendste Darstellung dieser und anderer Erklärungsansätze der Wortstellung im Französischen gibt Lerch (1934) im dritten Band seiner umfangreichen 'Historischen französischen Syntax'. Er referiert hierbei neben seinen eigenen Arbeiten (Lerch 1922) vor allem die Untersuchungen von Richter (1903, 1920), Blinkenberg (1928) und Kuttner (1929).16 Die diesen Arbeiten gemeinsame Grundannahme ist die, dass die Wortstellung innerhalb eines Satzes (in einer gegebenen Sprache) durch verschiedene Faktoren bestimmt wird, die nebeneinander und teilweise auch gegeneinander wirken (Lerch 1934:249). Der Sprecher hat demnach bei der Äußerung eines Satzes prinzipiell die Möglichkeit, sich zwischen diesen Faktoren zu entscheiden, was entsprechende Auswirkungen 14

15

16

Diese enge Verknüpfung zwischen 'Sprache' und 'Volk' wird außerdem noch qualitativ bewertet, wie das Zitat aus Voßlers "umwälzender Kampfschrift" (Siepmann 1937:2) gegen die "Afterwissenschaft des radikalen Positivismus" (Voßler 1904:4) belegt: "Die Erfahrung lehrt [...]: je begabter und je zivilisierter ein Volk, desto vollkommener seine Sprache, desto klarer und sicherer seine Grammatik, desto schärfer und feiner nuanciert sein Lexikon. Zweifellos!" (Voßler 1904:90) Es sei an dieser Stelle daraufhingewiesen, dass diese Ansätze keineswegs nur von (späteren) Anhängern oder Mitläufern der nationalsozialistischen Ideologie vertreten wurden, sondern auch von solchen, die von den Nationalsozialisten verfolgt oder sogar umgebracht wurden (z.B. Victor Klemperer, Max Kuttner oder Elise Richter). Erschreckend ist freilich, dass es für manche erst der Katastrophe bedurfte, um zu merken, wie unsinnig (und gefährlich) die "Wisssenschaft" war, die sie vertraten: "Ich glaube nicht mehr an die Völkerpsychologie. Alles, was ich für undeutsch gehalten habe, Brutalität, Ungerechtigkeit, Heuchelei, Massensuggestion bis zur Besoffenheit, alles das floriert hier." (Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-194J. Hrsg. v. W. Nowojski, Berlin: Aufbau-Verlag 1995, S.18, Tagebucheintrag vom 3.4.1933). Einen sehr guten Überblick über diese Wortstellungsdiskussion liefert auch Kellenberger (1932).

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auf die Wortstellung im Satz hat. Insofern ist die Wortstellung "frei" (Lerch 1934:249). Es wird allerdings angenommen, dass bestimmte Faktoren im Laufe der geschichtlichen Entwicklung einer Sprache eine dermaßen dominierende Bedeutung erfahren, dass diese Entscheidungsfreiheit des Sprechers immer stärker eingeschränkt wird. Für das Neufranzösische wird im Allgemeinen postuliert, dass die 'logisch-grammatischen1 Faktoren diese dominierende Funktion übernommen haben, während im Altfranzösischen die 'psychologischen' und 'rhythmischen1 Faktoren im Vordergrund gestanden haben. Abgesehen von diesen Faktoren ist noch eine Vielzahl anderer Faktoren, und damit unterschiedlicher Wortstellungstypen, vorgeschlagen worden. Die Unterscheidung zwischen diesen Faktoren ist jedoch sehr subtil und häufig letztendlich nur terminologischer Natur. Daher sollen hier lediglich die drei als zentral angesehenen Faktoren, d.h. die psychologischen, rhythmischen und logisch-grammatischen Faktoren, eingehender dargestellt werden. Darüber hinaus müssen die morphosyntaktischen Faktoren betrachtet werden.

3.3.3.1 Psychologische Faktoren Hinsichtlich der psychologischen Faktoren wird danach unterschieden, ob die Anordnung der Satzglieder am "Sprechbedürfhis" des Sprechers orientiert ist oder nicht (Richter 1920:11). 1st ersteres der Fall, wird von einer 'impulsiven' Wortstellung gesprochen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass der Sprecher die eigentliche Mitteilung, also das Wichtigste und Neue17, an den Satzanfang stellt. Diese Art der Wortstellung wird als "rücksichtslose" oder "persönliche" angesehen (Richter 1920:17), weil der Sprecher, das, was "ihn am stärksten beherrscht und bedrängt [...], zuerst herausschleudert], gleichsam mit der Tür ins Haus [fällt]" (Lerch 1934:252). Ein weniger impulsiver Sprecher hingegen verhält sich dem Hörer gegenüber "rücksichtsvoll", sogar auch dann, wenn er im Affekt spricht. Er denkt in erster Linie an den Hörer, indem er an das im Gespräch Vorhergehende anknüpft und das dem Hörer bereits Bekannte zuerst nennt, bevor er ihm das Neue, das "sachlich Wichtigste" mitteilt (Richter 1920:18). Ausgehend von dieser Definition weisen nach Lerch (1934:253ff.) das Lateinische und das (frühe) Altfranzösische eine stärkere impulsive Wortstellung auf als das moderne Französisch. Im Altfranzösischen wird dies seiner Ansicht nach deutlich an der noch häufig anzutreffenden Genitiv- und Dativvoranstellung und vor allem an der Objekt-Verb-Stellung. Auch die in den ältesten altfranzösischen Dichtungen noch vorhandene Verb-Endstellung sei als die implusive und volkstümliche anzusehen. Evidenz hierfür sieht Lerch (1934:262) darin, dass in der Kindersprache die Verb-Endstellung "das Übliche (z.B. Papa Hund haut)" ist und daher "der Denk- und Sprechweise des schlichten Mannes" eher entspricht.18 17

18

Dies entspricht weitgehend dem, was in der funktionalen Grammatik 'Rhema' genannt wird. In der traditionellen Sprachwissenschaft werden hierfür sehr verschiedene, mehr oder weniger umstrittene Termini gebraucht. Paul (1920:124f.) beispielsweise spricht - in Anlehnung an von der Gabelentz (1869) - von 'psychologischem Subjekt' und Lerch (1934:253) vom 'Start' bzw. 'Ausgangspunkt der Mitteilung' (cf. auch Kuttner 1929:5). Lerch übersieht hier allerdings völlig, dass die Verbendstellung ein typisches Kennzeichen der deutschen Kindersprache ist, nicht aber der französischen oder der anderer romanischer Sprachen.

82

Auch für einige Änderungen in der Wortstellung im Übergang vom Alt- zum Neufranzösischen macht Lerch psychologische Gründe verantwortlich. Eine diese Änderungen besteht nach Ansicht von Lerch (1934:263) darin, dass sich die "Zwischenstellung des Verbums (die romanische, auf den Hörer eingestellte Wortfolge)" im Altfranzösischen allmählich durchsetzte, d.h. "volkstümlich" wurde. Er führt dies auf die Zunahme christlicher Literatur zurück, in der, wie er behauptet, die impulsive Stellung seltener ist als in nicht christlichen Texten.19 Lerch (1934:264) vermutet, dass "die Änderung der Wortstellung [...] mit der Lehre des Christentums zusammen[hängt], deren Imperativ lautete: 'Liebe deinen Nächsten wie die selbst', und die die Überwindung der egoistischen Triebe, der unbesonnenen Impulsivität verlangte". Die Folge ist zwar keine völlige Aufgabe, jedoch eine starke Einschränkung der impulsiven Voranstellung von Satzgliedern, insbesondere von Objekten, im Neufranzösischen.

3.3.3.2 Rhythmische Faktoren Neben den psychologischen werden vor allem rhythmische Faktoren für die Wortstellungsveränderungen bei der Entwicklung des Französischen aus dem Lateinischen verantwortlich gemacht. Richter (1920:24) geht davon aus, dass im Neufranzösischen der "gewohnheitsmäßige Rhythmus" steigend ist, während er im Altlateinischen hingegen fallend war. Dies hat nach Richter (1920:24) zur Konsequenz, dass im Neufranzösischen "die gewohnheitsmäßige Stellung der Wörter innerhalb der Vorstellungsglieder so [ist], daß das Bestimmende nach dem Bestimmten" geäußert wird, während im Altlateinischen das "Bestimmende vor dem Bestimmten" steht: (31) (a)

fr.:

fille adorable l'amour du pere j'aime beaucoup

(b)

alt.: pulcrapuella patris amor valde amo

Richter (1920:34) zufolge spiegelt der unterschiedliche Rhythmus den "Denkvorgang der Volksseele" wider. Bei Sprachen mit fallendem Rhythmus "erscheint nicht nur die Hauptvorstellung zuerst im Bewußtsein und wird also nicht nur in rücksichtloser Rede an den Anfang gesetzt, sondern es erweist sich als Denkgepflogenheit überhaupt, vom Besonderen zum Allgemeinen fortzuschreiten" (Richter 1920:34f). Dies ist nach Ansicht Richters nicht nur ein Kennzeichen ältester und älterer Sprachzustände. Zu einem Wandel dieser Zustände kommt es dadurch, dass "der Einzelne überhaupt daran geht, rücksichtsvolle Reden zu bilden" (Richter 1920:36). Dabei passt der Sprecher nach Ansicht von Richter (1920:36) seine Rede zunächst der ursprünglichen Rhythmuslinie an, d.h. "er bildet also auch die rücksichtsvolle Rede mit der Hauptvorstellung voran". Dies führt jedoch zu einer einheitli-

19

Lerch (1934:263) beruft sich hier auf die Angaben von Völcker (1882:30), wonach in der "spezifisch-geistlichen Dichtung" des Alexius-Liedes 34% - meiner Nachrechnung zufolge 33% - aller Beispiele mit nominalem Objekt die "impulsive" OV-Stellung aufweisen. Die anderen, nicht "spezifisch-geistlichen" Texte des Altfranzösischen, wie die frühesten altfranzösischen Denkmäler oder das zeitlich spätere Rolandslied, weisen hingegen eine höhere Frequenz der OV-Stellung auf (cf auch Meyer-Lübke 1899:799).

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eben Rhythmuslinie "sowohl für die gefühlsmäßige als für die berichtende Rede" (Richter 1920:36). Die Folge ist die, dass dem ursprünglich fallenden Rhythmus nun die "psychologisch steigende Anordnung" entgegengestellt wird (Richter 1920:37). Damit ist offenbar gemeint, dass aus dem "Bedürfnis nach gefühlserregender Heraushebung" es zur "Anwendung neuer Stellungen" kommt, die wiederum "neue Rhythmuslinien" hervorbringen (Richter 1920:37). Unklar ist, inwiefern diese Schlussfolgerung die tatsächliche Ansicht Richters wiedergibt. Ihre Ausführungen sind derart unpräzise und teilweise auch widersprüchlich, dass es kaum möglich ist, die Grundaussagen klar herauszuarbeiten. Auch Lerch weist auf einige Widersprüche in Richters Aussagen hin. Für ihn stellt sich die Frage, wie es überhaupt zur Bildung eines steigenden Rhythmus kommen konnte, "da doch nach ihrer Meinung der fallende Rhythmus schon fest eingeprägt ist, bevor der Einzelne überhaupt beginnt, rücksichtsvolle Reden zu bilden" (Lerch 1934:282). Nach Ansicht von Lerch (1934:282) kann es hier eine 'rücksichtsvolle1 Rede, die mit der Hauptvorstellung beginnt, gar nicht geben, denn dann wäre sie "eben keine rücksichtsvolle Rede mehr, sondern impulsive". Aber auch Lerchs Analyse ist nicht frei von Widersprüchen. In der Diskussion der Analyse Richters kritisiert er heftig deren Annahme, dass bereits das Altfranzösische einen "fast ganz steigenden Rhythmus" aufwies (Richter 1920:34). Dagegen führt Lerch (1934:283) eine Reihe von Belegen aus dem Altfranzösischen mit fallendem Rhythmus an und betont, dass "im Altfranzösischen [...] die fallenden Stellungen zahlreicher als im Neufranzösischen und im neuesten Französisch" sind. Gleichzeitig betont er jedoch, dass "im Französischen von Anfang an der steigende" Rhythmus vorherrschte (Lerch 1934:286). Evidenz für diese Annahme sieht er darin, dass die 'druckschwachen' Objektspronomina bereits im Altfranzösischen normalerweise unmittelbar vor dem finiten Verb standen (Le pere m'aime), im Lateinischen hingegen meist dahinter am Satzende (Pater amat me). Lerch wendet sich in diesem Zusammenhang gegen die so genannte 'Enklisentheorie', die besagt, dass in den frühromanischen Sprachen die schwachtonigen Elemente regelmäßig die zweite Position im Satz einnehmen und enklitisch an das vorstehende Element gebunden sind (Meyer-Lübke 1897, Melander 1936). Damit wird versucht, der von Tobler (1912:400) und Mussafia (1896) konstatierten Tatsache gerecht zu werden, dass in allen frühromanischen Sprachen unbetonte Elemente nicht an der Spitze des Satzes stehen können (ToblerMussafia-Gesetz'). Der Analyse von Meyer-Lübke (1897) zufolge kommt es im Altfranzösischen erst allmählich ab dem 13. Jhdt. zur Aufgabe dieser Beschränkung. Dies wurde seiner Ansicht nach zum einen "dadurch ermöglicht [...], daß auf verschiedene Weise schon andere Wörter, die Präpositionen, die Subjektspronomina, der Artikel u.a., proklitisch geworden waren" und zum anderen dadurch, dass "der Satzrhythmus bis auf einen gewissen Grad crescendo, nicht mehr decrescendo oder nicht mehr trochäisch-daktylisch, sondern jambisch-anapästisch war" (Meyer-Lübke 1897:334). Lerch hingegen kann im Rahmen seiner Analyse, in der er nicht von einem solchen Rhythmuswandel ausgeht, die KlitikaStellung im Altfranzösischen nur durch eine ad /loc-Annahme erklären. Er nimmt an, dass man es im Altfranzösischen "[o]ffenbar liebte [...], den Satz mit einem druckstarken Wort zu eröffnen", obwohl "der Vers als Ganzes schon im Altfranzösischen steigenden Rhythmus" hat (Lerch 1934:299). Thurneysen (1892) knüpft ebenfalls an die Enklisentheorie an, um die seiner Ansicht nach feste Verbstellung des Altfranzösischen zu begründen. Seine These lautet, dass das von Wackernagel (1892:428) beobachtete enklitische Stellungsverhalten der schwachtoni-

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gen lateinischen Kopula auch für die Kopula des Altfranzösischen Gültigkeit hatte (cf. auch Meyer-Lübke 1899:773) und allmählich auch auf Verben mit stärkerer Betonung übertragen worden ist: Im Altfranzösischen steht das Verbum finitum unmittelbar hinter dem ersten Satzgliede, wenn dieses vollbetont ist (oder in einer älteren Sprachperiode vollen Ton tragen konnte); sonst reiht es sich dem nächsten volltonigen Satzgliede an. (Thurneysen 1892:300)

Evidenz für diese Annahme der ursprünglichen enklitischen Bindung der fmiten Verben sieht Thurneysen (1892:303) in der heutigen engen Bindung zwischen fmitem Verb und klitischen (Objekts-)Pronomina. Dadurch nämlich, dass Objektsklitikon und Verb diesselbe Stelle anstrebten, konnten seiner Ansicht nach "die zufällig neben einander gerathenen Pronomina und Verba so eng mit einander verwachsen [...], daß, so oft das Verbum diesen seinen Platz verläßt, es das Pronomen an andere Satzstellen mit sich fortreißt". MeyerLübke (1899:798) hält diesen Hinweis auf die unbetonten Objektspronomina jedoch nicht für überzeugend, "denn bei ihnen hält das Romanische nur fest, was schon lateinischer Brauch war, macht sich sogar allmählich davon frei, wogegen die Stellung des Verbums eine Neuerung ist". Thurneysen (1892:305) räumt ein, dass die von ihm formulierte Regel, "im Altfranzösischen stelle sich das Verbum hinter den ersten betonten Satzteil, nicht genau ist, auch in keiner Periode für alle Sätze gegolten hat, sondern nur auf den Grundstock von Satztypen passt, welcher dem Bau der ändern als Muster diente". Rhythmische Faktoren waren seiner Ansicht nach lediglich der Auslöser für die Entstehung der festen Verbstellung im Altfranzösischen, wo "der Rhythmus aufgehört [hatte] die bestimmende Rolle zu spielen" (Thurneysen 1892:304).20 Auch Herman (1954) weist diese Analogieerklärung Thumeysens zurück. Sie ist seiner Ansicht nach "nullement confirmoe par les textes" (Herman 1954:250,Fn.l5). Außerdem hält Herman (1954:250,Fn.l5) es für "peu vraisemblable que les regies de position valables pour le seul verbe copule aient pu s'ötendre ä des verbes accentuos et ä somantisme plein". In diesem Zusammenhang weist Herman auf ein gravierendes Problem bei der Übernahme des Wackernagel'schen Gesetzes zur Erklärung der Verbstellung im Altfranzösischen hin. Denn anders als die schwachtonigen Klitika steht das finite Verb nicht unmittelbar hinter dem ersten betonten Wort, sondern hinter dem ersten Satzglied: II faut dire aussi que le premier terme de la proposition (Thurneysen, en effet, parle de «Satzglied» et non pas de mots) peut etre composo lui-meme de plusieurs mots accentuos; dans ces cas, le verbe suit le groupe tout entier et non pas le premier mot accentuo du groupe: il est clair que la phonotique syntaxique n'explique pas en elle-mSme sa position. (Hermann 1954:250,Fn.l5)

Obwohl somit die Rolle der rhythmischen Faktoren in den verschiedenen traditionellen Arbeiten sehr unterschiedlich bewertet wird, besteht weitgehend Übereinstimmung in der Einschätzung, dass diese Faktoren für die altfranzösische Wortstellung von großer Relevanz waren. Einigkeit herrscht vor allem in der Auffassung, dass im Altfranzösischen die Wörter 20

Es sei an dieser Stelle daraufhingewiesen, dass Biener (1922, 1926) eine ähnliche Erklärung für die Entstehung der Verb-Zweit-Stellung im Deutschen liefert. Ebenso wie Thurneysen für das Französische annimmt, geht Biener (1926:256) davon aus, dass die deutsche Verb-Zweit-Stellung auf "verbenklise" beruht, wobei "später [...] analogische ausbreitung eine wichtige rolle" spielt. Die endgültige Durchsetzung dieser Stellungsregel ist allerdings, so vermutet Biener (1922:177), "erst durch die theoretische grammatik und die strenge schulzucht erreicht worden".

85 und Satzglieder sehr häufig "ohne Rücksicht auf ihre logische Zusammengehörigkeit, lediglich nach rhythmischen Prinzipien geordnet" sind (Lerch 1934:349). Das heißt, die Anordnung erfolgt im alternierenden Wechsel zwischen druckstarken und druckschwachen Silben, Wörtern oder Satzteilen. Im Neufranzösischen ist Lerch (1934:352) zufolge eine solche spezifisch-rhythmische Anordnung von Satzgliedern weitgehend auf die Poesie beschränkt und "im allgemeinen nur statthaft, wenn sie nicht in allzu auffälligem Widerspruch mit der logischen Anordnung steh[t]".

3.3.3.3 Logisch-grammatische Faktoren Diese Schlussfolgerung Lerchs steht stellvertretend für die in sehr vielen traditionellen Arbeiten verbreitete Auffassung, wonach so genannten 'logisch-grammatischen' Faktoren die ausschlaggebende Rolle für den Wortstellungswandel im Französischen zugestanden wird. Dahinter steht die Ansicht, dass durch die Übernahme einer angeblich logisch-reflektierten Denkweise das Französische seine "Periode der Primitivität" überwinden konnte, in der sich "[d]er Geist [...] noch auf einer [...] tiefen Entwicklungsstufe" befand und der "Einfluß der impulsiven, aber auch der rhythmischen Wortstellung" im Vordergrund stand (Koch 1934:82). Entscheidender Anteil daran, dass sich diese Denkweise durchsetzen konnte, wird den Grammatikern und Sprachpuristen des 16. und insbesondere 17. Jhdts., wie Malherbe oder Vaugelas, zugestanden. Geprägt war deren Arbeit durch das Bemühen, die französische Sprache zu standardisieren und zu normieren.21 Hierzu gehörte auch der Versuch, die Wortstellung zu fixieren. Diesem Versuch liegt die Annahme zugrunde, dass "eine geregelte Wortstellung [...] eine große Erleichterung für den Hörer oder Leser" bedeutet, weil der Sprecher seinen "individuellen Ausdrucks willen" nicht mehr so stark entfalten kann und damit automatisch mehr Rücksicht auf den Hörer bzw. Leser nimmt (Lerch 1934:250f). Wichtigstes Ziel war das Erreichen einer größtmöglichen "clarte de la langue" (Ling 1866:11), die unter anderem auch durch die 'logische' Anordnung der Satzglieder erreicht werden sollte: II est evident que [...] l'ordre logique est la construction qui favorise le plus la clarte, ou plutöt, que la langue dont la construction s'en rapproche le plus, est aussi la plus claire de toutes. (Ling 1866:111) Die genaue Bestimmung dieser 'logischen' Anordnung erweist sich allerdings als sehr problematisch und widersprüchlich. Generell wird davon ausgegangen, dass sich die Zusammenknüpfung des 'Logisch-Zusammengehörigen1 in der Subjekt-Verb-Objekt-Stellung manifestiert:

Wartburg (1946:170f.) beispielsweise spricht davon, dass es Malherbe darum ging, die französische Sprache zu "degasconner" und zu "debarasser [...] de ses scories". In seiner ihm eigenen pathetischen Sprache bezeichnet er Malherbe gar als den Mann "dont la France avait besoin ä ce moment-lä", um schließlich zu folgendem Schluss zu gelangen: "La nation desirait que quelqu'un lui donnät une norme pour sä langue; eile etait toute preparee ä recevoir une loi en fait de grammaire. Plus que la personne de Malherbe c'etait le genie du peuple franfais qui se donnait a lui-meme les nouvelles regies." (Wartburg 1946:171)

86 [...] comme la clarto releve ä un haut degro de l'ordre des mots, on peut demander: comment doit etre qualifio cet ordre pour ne point troubler la clarto? Pour etre capable d'y faire une roponse satisfaisante, il faut chercher un modele pour toutes les langues ä cet ogard. II est done nocessaire que celui-ci soil une construction et, de plus, une teile qui puisse Stre l'unite" de toutes les constructions des diverses langues. Or, quelle est cette construction sinon Vordre logique? Si veut se rendre compte de ce que veut dire ce terme, on n'a qu'ä se rappeler que chaque proposition renferme un jugement, oü une idoe est jointe ä une autre par la copule intermidiaire. Ainsi, nous pla9ons, selon I'ordre logique, d'abord le sujet, ensuite Vattribut, et le verbe, qui les joint, entre eux. En gonoral, on peut dire que, d'apres cette regie, le mot qui dotermine, qualifie, complete un autre, est place" apres lui. (Ling 1866:IIf.) Dieser Definition zufolge läuft jede von der SVO-Anordnung abweichende Wortstellung der logischen Denkweise zuwider. Das heißt, insbesondere die Inversion von Subjekt und Verb entspräche nicht der logischen Anordnung der Satzglieder.22 Dieser Feststellung steht jedoch die ebenfalls auf'logischen1 Überlegungen beruhende Forderung gegenüber, wonach das Verb nicht von den von ihm abhängigen Satzgliedern, wie z.B. direktes und indirektes Objekt sowie adverbiale Bestimmung und Prädikatsnomen, getrennt werden darf (Lerch 1934:377).23 Rogger (1956:226) erläutert diesen Konflikt zwischen SV(O)-Stellung und Subjekt-Verb-Inversion sehr anschaulich an folgendem Beispiel: Stellen wir die beiden möglichen Formen eines Hauptsatzes - in gerader und invertierter Folge einander gegenüber: Peu ä peu // la campagne d'Egypte se dessinait. Peu ä peu - se dessinait - la campagne d'Egypte. Der erste Satz weist, zwischen Adverbiale und Subjekt, einen Hiatus auf, der übrigens ohne ersichtliche Regel durch die Interpunktion markiert oder übergangen werden kann. Der zweite Satz reiht die Satzteile in fließender Weise so aneinander, daß ein organisches Kontinuum entsteht. Wer aus Gründen der Logik jegliche Inversion ablehnen möchte, bedenkt zu wenig, daß hier dem Verb ein Platz zugewiesen ist, der dem 'Verbindungs-Charakter' entspricht, welcher, nach Bally, naturgemäß seinen - primären - Agens-Charakter kumuliert. Die Verb-Subjekt-Abfolge in diesem Beispiel läuft folglich keineswegs dem 'logischen1 Denken zuwider, sondern entspricht ihm sogar mehr als die Subjekt-Verb-Abfolge, da das ad-verbum (Nissen 1943:5) und das Verb innerhalb eines Satzes ein "natürliches Ganzes" bilden, d.h. "sie sind eine organische Einheit, die erst bei der sprachlichen Gestaltung der Gesamtvorstellung in mehrere Worte zerfallen" (Haarhoff 1936:8). Nach Haarhoff (1936) hat dieses Prinzip des "natürlichen Kontakts", das in gleicher Weise auch für die Einheit von Objekt und Verb gilt, im Altfranzösischen weitgehende Gültigkeit. Die Folge war, dass im Fall der satzinitialen Stellung von Adverb oder Objekt das Altfranzösische "die sinngemäße Zusammengehörigkeit von Adverb [oder Objekt] und Verb nicht durch Dazwischen-

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Ling (l866:111) drückt es umgekehrt aus: "[...] toute toumure qui n'est pas rigoureusement conforme ä l'ordre logique est une inversion [...]." Auf eine Auflistung dessen, was nach Meinung der französischen Grammatiker als logisch zusammengehörig angesehen wird, muss hier verzichtet werden. Cf. Lerch (1934:366-379) für eine detaillierte Zusammenstellung und Diskussion.

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stellen eines anderen Satzgliedes trennen [mochte] und [...] daher gehalten [war], das Subjekt dem Prädikat folgen zu lassen" (Haarhoff 1936:8).24 Trotz dieser Beobachtung macht Haarhoff (1936:8) "logische Prinzipien" für die "Zerstörung der Kontaktstellung" im Französischen verantwortlich. Sie begründet dies mit einem - durch die Grammatiker forcierten - Streben "nach einem Satzbau, der von rationalistischer Ordnung beherrscht war" (Haarhoff 1936:8). Auch nach Ansicht von Lerch (1934:268) ist der Rückgang der Inversion im Französischen das "Werk bewußter Überlegung" durch die Grammatiker. Seinen Beobachtungen zufolge setzt sich die Entwicklung zur Subjekt-Verb-Stellung vor allem in Sätzen mit transitiven Verben durch, da die Inversion in diesen Sätzen (wie z.B. Alors avail Richard vingt ans) die Trennung von Verb und Objekt bewirkt.25 In Sätzen mit intransitiven Verben kommt es im Fall einer Inversion hingegen nicht zu einem Konflikt zwischen verschiedenen logischen Ordnungen. Dennoch setzt sich auch hier die Subjekt-Verb-Stellung vor allem dann durch, wenn das Subjekt pronominal ist: So erscheint nun auch der heutige Wechsel zwischen Inversion und Nicht-Inversion als ein Kompromiß zwischen dem Bestreben, die Inversion zu beseitigen, und der natürlichen, immer wieder durchbrechenden Neigung, zu invertieren. Bei pronominalem Subjekt hat das Bestreben, die Inversion zu beseitigen, im allgemeinen gesiegt; nicht dagegen bei substantivischem Subjekt. Der Grund dürfte darin liegen, daß in diesem Falle (z.B. Alors le generalparut) eine stärkere Trennung des natürlichen Zusammenhangs zwischen Adverb und Verbum u. dgl. eintritt als bei pronominalem Subjekt (Alors il parut), wo nur ein kurzes Pronomen zwischengeschoben wird. Das substantivische Subjekt ist dagegen mitunter sehr lang (z.B. Alors parut le general qui ...). (Lerch 1934:436f.) Einen Grund dafür, dass im Französischen die Inversion bis heute erhalten geblieben ist, sieht Lerch (1934:436) nicht nur in der "natürlichen Neigung zur Inversion", sondern auch darin, dass die Inversion von den Grammatikern bislang nur sehr halbherzig bekämpft wurde. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass selbst bei der pronominalen Inversion nicht konsequent verfahren wurde, da sie nach bestimmten Adverbien weiterhin erlaubt sei (Lerch 1934:448). Lerch (1934:436) weist daraufhin, dass die Grammatiker den Gebrauch der Inversion zwar in bestimmten Fällen beanstandet, jedoch nie ein "allgemeines Verbot" ausgesprochen hätten. Die Inkonsequenz der Grammatiker zeigt sich für Lerch (1934:437f.) außerdem darin, dass selbst in Texten von Malherbe und Vaugelas Inversionskonstruktionen zu finden sind, teilweise sogar solche, die sie bei anderen beanstandet haben.

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Ebenso entspricht es 'logischen' Prinzipien, wenn die Inversion dazu dient, an den umittelbar vorangehenden Satz anzuschließen, wie etwa Rogger (1956:226) betont: "Die Inversion gestartet auch häufig, denjenigen Satzteil, der an den Gegebenheiten des vorhergehenden Satzes anschließt, an die Spitze zu nehmen und Organisch an ihn anzuschließen'. (Dieses 'rattachement1 [...] war im Altfrz. darum ungleich wichtiger, weil hier auch direkte und indirekte Nominal-Objekte den Satz einleiten konnten.)" Lerch (1934:432) weist daraufhin, dass diese Trennung durch eine mögliche satzfinale Stellung des Subjekts, wie in Alors avail vingt ans Richard, vermieden werden könnte. Dies entspräche dann zwar der logischen Wortstellung, hätte jedoch gleichzeitig die Hervorhebung des Subjekts zur Folge.

88 3.3.3.4 Morphosyntaktische Faktoren Wie bereits in Abschnitt 3.2 kurz erwähnt, macht Diez (1882:1092) für den Wandel der Wortstellung bei der Herausbildung der romanischen Sprachen aus dem Lateinischen vor allem den "Verlust der Casusflexion" verantwortlich, "welcher ihnen der in diesem Puncte fast schrankenlosen Freiheit der classischen Schreibart zu folgen verbot". Im Altfranzösischen ist die Nominalflexion allerdings noch in reduzierter Form als Zwei-Kasus-Flexion erhalten geblieben, was in vielen Analysen des Altfranzösischen als Grund für die vermeintliche Freiheit der Stellung der Nominalkonstituenten gesehen wird. Entsprechend wird die Fixierung der Wortstellung auf den Verlust der Nominalflexion zurückgeführt. Einer der ersten, der diesen Zusammenhang formuliert, ist Le Coultre (1875:7): En effet, le francais moderne ne pouvant plus distinguer par la flexion le sujet de l'objet, sera force de les distinguer par la place des termes: de lä, un ordre des mots presque invariable. Le vieux francais avait deux cas, le nominatif et l'accusatif, dont le premier subsista jusqu'au XIVe siecle. Seither ist diese These vielfach wiederholt worden (Meyer-Lübke 1899:797f., Foulet 1928:37f, Brunot / Bruneau 1949:485). Gleichzeitig ist aber in sehr vielen traditionellen Arbeiten aber auch heftig dagegen argumentiert worden (Lerch 1934:267, Wundt 1912:377, Kuttner 1929:19). Lerch (1934:267-270) stellt einige der wichtigsten Argumente gegen die "irrige Meinung" zusammen, dass der Wortstellungswandel im Französischen auf den Verlust des Zweikasussystems zurückzuführen sei. Das überzeugendste Argument ist zweifellos der Hinweis darauf, dass sich die strenger festgelegte Wortstellung erst im 16. Jhdt. allmählich durchzusetzen beginnt, also zwei Jahrhunderte nachdem das Zweikasussystem aufgegeben worden ist bzw. sich die letzten Spuren des Zweikasussystems nachweisen lassen. Lerch weist außerdem darauf hin, dass im Altfranzösischen nur bei maskulinen Nomina eine formale Unterscheidung zwischen Rektus und Obliquus existierte. Dennoch war im Altfranzösischen die Bildung von Sätzen wie La rose la reine prent oder La reine la rose prent möglich, obwohl weder aus der Kasusmarkierung noch der Wortstellung hervorgeht, welches der Nomina die Subjekt- bzw. Objektsfunktion trägt. Ein weiteres Argument von Lerch ist der Hinweis auf andere romanische Sprachen, wie das Spanische oder Italienische, die "von Anfang an keinen Unterschied zwischen Subjekts- und Objektskasus besitzen und dennoch die Wortstellung nicht so streng geregelt haben wie das Französische" (Lerch 1934:269). Schließlich wendet Lerch gegen Le Coultres These ein, dass im Neufranzösischen gerade in den Fällen, in denen noch eine morphologische Kasusunterscheidung existiert, nämlich bei den Pronomina, die Inversion relativ selten, während sie beim Substantiv verhältnismäßig häufig ist. Diese Einwände sprechen klar gegen den behaupteten Zusammenhang zwischen Wortstellung und der morphologischen Kasusmarkierung im Altfranzösischen und dessen Entwicklung zum Neufranzösischen. Anders verhält es sich möglicherweise mit der Annahme, dass die altfranzösische Wortstellung durch syntaktische Faktoren geregelt ist. Dies ist, wie bereits gezeigt, die Auffassung von Thurneysen (1892:304), dessen Analyse zufolge aus einer rein rhythmischen Anordnung der Satzglieder im Altfranzösischen per Analogiebildung bereits "in frühromanischer Zeit ein syntaktisches Prinzip" geworden war. Wie bereits erwähnt, findet Thurneysens Arbeit und damit dessen Annahme einer syntaktisch bedingten Wortstellung im Altfranzösischen in der traditionellen Romanistik nur wenig Beachtung. Für die generative historische Syntax des Französischen stellt sie aller-

89 dings eine der zentralen Annahmen dar und bildet den Ausgangspunkt für die meisten generativen Untersuchungen des Wortstellungswandels im Französischen.

3.3.4

Generative Erklärungsansätze

Im Gegensatz zu den traditionellen Studien der Entwicklung der Wortstellung im Französischen, die häufig eine synchronische Bestandsaufnahme bestimmter Sprachepochen vornehmen, widmen sich die meisten generativen Untersuchungen primär dem diachronischen Wandel, der im Verlauf der Entwicklung vom Alt- zum Neufranzösischen eingetreten ist. Wie bereits erwähnt besteht die zentrale These aller generativen Analysen darin, dass das Altfranzösische eine Verb-Zweit-Sprache gewesen ist und somit durch eine strenge VerbZweit-Stellung gekennzeichnet war. Die ersten Analysen, in denen versucht wird, dies im Rahmen der generativen Prinzipien- und Parametertheorie zu erfassen, stammen von Beninca (1983/84), Vanelli / Renzi / Beninca (1985) und Adams (1987a,b). Darin wird die von Thiersch (1978) für das Deutsche entworfene Analyse auf das Altfranzösische (und andere frühromanische Sprachen) übertragen. Das heißt, es wird angenommen, dass das finite Verb in Matrixsätzen in die Position bewegt wird, in der in Nebensätzen die subordinierende Konjunktion generiert ist (Adams 1987a:8): (32) SpezCP

(Obj.)

Zu einer ähnlichen Analyse gelangt auch Roberts (1993). Ausgehend von der 'Split INFL'Hypothese nimmt er an, dass die Verbstellung in altfranzösischen Matrixsätzen das Ergebnis einer Bewegung des finiten Verbs über T° und Agr° nach COMP ist. Eine zusätzliche Bestätigung für eine Verb-nach-COMP-Bewegung sehen Beninca (1983/84) und Adams (1987a,b) darin, dass dadurch das ihrer Ansicht nach weitgehend auf Matrixsätze beschränkte Auftreten von Verb-Zweit-Effekten sowie von Nullsubjekten im Altfranzösischen (und anderen frühromanischen Sprachen) erfasst werden kann:26 La diferenza fra principal! e dipendenti nelle nostre lingue si riduce alia possibilitä di omettere il soggetto nelle principal!, e non nelle dipendenti, e alia possibilitä, molto piü generalizzata nelle

26

Beide Annahmen müssen später - wie weiter unten gezeigt werden wird - revidiert werden, da sie sich als empirisch nicht haltbar erweisen.

90 principal! ehe nelle dipendenti, di avere un costituente diverse dal sogetto davanti al verbo. I due aspetti possono essere connessi, e riportati al fatto ehe nelle principal!, e non nelle dipendenti, il verbo si sposta sotto un nodo superiore a Ffrase] [= IP, GAK]. (Beninca 1983/84:187f.)

Adams (1987a:12ff.) versucht, diese vermutete Hauptsatz-Nebensatz-Asymmetrie bezüglich des Auftretens leerer Subjekte durch die Annahme zu erfassen, dass im (Alt)Französischen ein leeres Subjekt pro nur dann lizensiert ist, wenn es kanonisch, d.h. von einem links stehenden lexikalischen Kopf, regiert wird. Dies ist im Altfranzösischen dadurch gewährleistet, dass das finite Verb nach COMP angehoben wird und dort ein potentielles leeres Subjekt in der SpezIP-Position regieren kann. Das Auftreten leerer Subjekte ist demzufolge von der Verb-Zweit-Stellung abhängig. Dieser Zusammenhang wird in ähnlicher Weise auch in anderen generativen Analysen hergestellt. Roberts (1993:124) nimmt an, dass referentielle Null-Subjekte im altfranzösischen Matrixsätzen dadurch - und nur dadurch - lizensiert sind, dass sie von Agr° regiert sind. Dies ist seiner Analyse zufolge dadurch gegeben, dass im Altfranzösischen das Merkmal [+Agr°] in COMP generiert ist, wodurch nicht nur die Anhebung des füllten Verbs bewirkt, sondern auch ein mögliches leeres Pronomen in der Subjektsposition regiert wird. Die Aufgabe der Verb-nach-COMPBewegung bzw. der Generierung des Merkmals [+Agr°] in COMP führt demnach zwangsläufig dazu, dass das Französische die Eigenschaft zur Lizensierung von Null-Subjekten verliert. Als ausschlaggebend für diese Aufgabe wird die Tatsache angesehen, dass das Alt- bzw. Mittelfranzösische eine zugrunde liegende SVO-Wortstellung aufwies. Die Folge davon ist, dass die durch ein Subjekt eingeleiteten Matrixsätze die gleiche oberflächliche SV(X)-Stellung aufweisen wie Nebensätze mit einem initialen Subjekt. Die zugrunde liegende Struktur dieser Sätze ist jedoch unterschiedlich: (33)

(a) (b)

Hauptsatz: Nebensatz:

[CP S, [c V, [„ ^ t, O]]] [CP [c· Konj. [IP S V O]]]

Für die Kinder, die solche Sätze in ihrem Input hören, sind Matrixsätze mit einer SV(X)Stellung demzufolge hinsichtlich ihrer Struktur ambig, da sie sowohl mit einer abgeleiteten Struktur, in der das Verb nach COMP bewegt wird, als auch mit der Struktur von Nebensätzen vereinbar sind, in der diese Bewegung nicht existiert. Diese Ambiguität - verbunden mit der Tatsache, dass SV(X)-Sätze sowohl in Matrix- als auch in Nebensätzen den häufigsten Satztyp bilden - wird daher für den Verb-Zweit-Verlust im Französischen verantwortlich gemacht: En effet, toute proposition SV(X) en surface peut representer l'ordre de base ou une structure V2 avec anteposition du sujet. Or, cette sequence est la plus neutre et la plus frequente en principale et encore davantage en subordonnee. Cette preponderance de SV(X) favorise une reanalyse dans laquelle le sujet apparait obligatoirement devant le verbe, d'oü la chute de V2. (Cote 1995:183f.)

Es wird angenommen, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt des Alt- bzw. Mittelfranzösischen Kinder dazu übergingen, den Matrixsätzen mit einer SV(X)-Stellung nicht - im Gegensatz zu ihren Eltern - eine abgeleitete Struktur zuzuordnen, sondern in Analogie zur Struktur der Nebensätze als Sätze mit einer Struktur ohne V-nach-COMP-Anhebung zu reanalysieren (Adams 1987a:25, Roberts 1993:158):

91 (34)

Reanalyse altfranzösischer SV(O)-Matrixsätze: Elterngrammatik Kindergrammatik [CP Sj [c V, [,P /j /i O]]] -> [IP SVO]

Einen zusätzlichen Grund dafiir, dass sich Kinder für eine solche Reanalyse entscheiden, sieht Roberts (1993:156) darin, dass der kindliche Erstsprachenverb durch die so genannte "Least Effort Strategy" geleitet ist. Es handelt sich bei dieser Strategie um eine Art 'loi du moindre effort', die Roberts - in Anlehnung an Chomsky (1991) - auf mentale Verarbeitungsprinzipien zurückfuhrt. Sie besagt, dass Kinder während des Spracherwerbs versuchen, möglichst solche Strukturen zu verwenden und letztendlich zu erwerben, die mental leicht(er) zu verarbeiten sind. Roberts geht dabei davon aus, dass die in der (generativen) Grammatiktheorie angenommenen und postulierten Bewegungsoperationen mit der mentalen Verarbeitung von Sprache korrelieren. Er nimmt also an, dass Kinder möglichst diejenigen Strukturen verwenden und erlernen, die die geringste Zahl von Bewegungen (bzw. Kettenbildungen) erfordern. Allerdings liefert er keinerlei empirische Evidenz für diese Annahme. Sie ist außerdem insofern äußerst problematisch, als dadurch den auf der Grundlage der generativen Grammatiktheorie entwickelten Strukturen eine psychologische Realität zugestanden wird, die bisher weder nachgewiesen werden konnte noch durch die Theorie intendiert ist. Die unmittelbare Konsequenz dieser Reanalyse ist nach Ansicht von Adams der Verlust der Null-Subjekt-Eigenschaft im Französischen. Kinder, die diese Reanalyse durchgeführt haben, können Nullsubjekte nicht mehr lizensieren, da deren kanonische Rektion durch das Verb nicht mehr gegeben ist. Adams (1987a:26) betont, dass die Reanalyse in (34) nicht von allen Kindern einer Generation gleichzeitig durchgeführt wurde, sondern sich erst allmählich durchgesetzt hat. SV(X)-Sätze können daher über einen längeren Zeitraum hinweg entweder eine abgeleitete oder eine reanalysierte Struktur aufweisen, ohne dass dies zu Miss Verständnissen führt, da sie oberflächlich identisch sind. Nach Ansicht von Adams (1987a:26) setzt sich die neue Struktur letztendlich deshalb durch, weil auf Grund der Reanalyse die Zahl der Sätze mit einer eindeutigen Verb-Zweit-Struktur abnimmt und die Anzahl der SV(X)-Sätze zunimmt: So one individual's SVO main clause order may be derived and another's basic with no one the wiser because the only surface structure difference will be one of proportion: a greater variety of V2 orders in the one case, more frequent SVO order in the other. Thus not all children of any one generation need reanalyze, nor would such a thing be likely, but children who do will be apt to get away with it. Change, then, may be quite slow and imperceptible. Nonetheless once reanalysis begins to take place its spread should be inevitable. This is so because reanalysis itself, by altering surface structure proportions, creates more positive evidence in favor of reanalysis.

Auch Roberts (1993:144-160) nimmt an, dass der Wandel, der zur Aufgabe der VerbZweit-Stellungseigenschaft im Französischen führt, sehr langwierig ist und sich über mehrere Jahrhunderte hinweg vollzieht. Anders als Adams ist er allerdings der Ansicht, dass einzelne Sprecher, die bereits die nicht abgeleitete Struktur in (34) erworben haben, weiterhin gleichzeitig in der Lage sind, Sätze in der abgeleiteten Struktur zu verwenden. Demzufolge betrachtet Roberts (1993:197) das Mittelfranzösische als eine "optional V2 language", in der den einzelnen Sprechern generell beide Strukturoptionen zur Verfügung standen. Gleichwohl beobachtet auch er im Mittelfranzösischen einen allmählichen Rückgang von Sätzen mit einer Verb-Zweit-Struktur und gleichzeitig eine Zunahme von Sätzen mit einer

92

SVO- und Verb-Dritt-Stellung. Zur endgültigen Aufgabe der Verb-Zweit-Bewegung und damit zum endgültigen Verschwinden von XVS-Sätzen und auch von SV(X)-Sätzen mit einer abgeleiteten Struktur kommt es nach Roberts (1993:187) erst nach dem Ende der mittelfranzösischen Periode. Er macht dafür einen parametrischen Wandel hinsichtlich der Art und Weise, wie in einer Einzelsprache Nominativkasus zugewiesen wird, verantwortlich. Roberts (1993:18ff.) beruft sich hierbei auf das Modell von Koopman / Sportiche (1991), wonach zwischen zwei Arten der Zuweisung des Nominativkasus unterschieden werden kann: (35)

(a)

Nominativzuweisung durch Spezifizierer-Kopf-Kongruenz: [CP [AGRP ubj.j [AGRP· V - g r ° J [TP t} l{ [VP /j

(b)

Nominativzuweisung durch Rektion: [CP XP [c V-Agr0,] [AGRP Subj.j [AGRP. fj] [TP t-3 i, [ V p/j !

A

Entsprechend diesen beiden Mechanismen kann nach Ansicht von Roberts (1993:27) folgender Parameter der Nominativzuweisung formuliert werden: (36)

(a) (b)

Agr° weist Nominativ unter Rektion zu? Agr° weist Nominativ unter Kongruenz zu?

ja / nein ja / nein

Der entscheidende Unterschied zwischen Alt- und Neufranzösisch besteht nach Ansicht von Roberts (1993:8 1 f.) in der Wahl des Parameterwertes in (36)(a). Im Alt- und auch im Mittelfranzösischen ist der Wert auf 'ja', im Neufranzösischen hingegen auf 'nein' festgelegt. Hinsichtlich der Option in (36)(b) tritt keine Änderung ein. Hier weisen sowohl das Alt- und Mittelfranzösische als auch das Neufranzösische den Wert 'ja' auf. Das Neufranzösische hat demzufolge die Möglichkeit der Nominativzuweisung unter Rektion verloren (Roberts 1993:187). Die Gründe dafür, dass es im frühen Neufranzösischen zu einem Wechsel hinsichtlich der Festlegung des Parameterwertes in (36)(a) gekommen ist, sind der Analyse von Roberts zufolge sehr vielschichtig und komplex. Ebenso wie Adams sieht er in der zugrunde liegenden SV(X)-Wortstellung und einer angeblich damit verbundenen Häufigkeit von Sätzen mit einer SV(X)-Stellung die notwendige Voraussetzung für das Einsetzen der Reanalyse. Damit wird versucht, dem Umstand gerecht zu werden, dass es in Verb-Zweit-Sprachen mit einer zugrunde liegenden Verb-End-Stellung, wie z.B. dem Deutschen, bisher nicht zu einer solchen Reanalyse gekommen ist. Allerdings wäre in den Verb-Zweit-Sprachen des skandinavischen Festlandes eine ähnliche Entwicklung wie im Französischen zu erwarten, da diese ebenfalls eine zugrunde liegende SV(X)-Stellung besitzen und damit sowohl in Matrix- als auch in Nebensätzen eine SV(X)-Stellung aufweisen. Da diese Entwicklung bislang nicht eingetreten ist, räumt Adams (1989:13) ein, dass die "simple frequency of SVO order" (in Haupt- und Nebensätzen) keine hinreichende Voraussetzung für den Verlust der Verb-Zweit-Stellung im Altfranzösischen gewesen sein kann. Es müssen zusätzliche Veränderungen im Laufe des französischen Sprachwandels eingetreten sein, die zu dieser Reanalyse geführt haben. Ihrer Ansicht nach handelt es sich hierbei um Veränderungen im prosodischen und rhythmischen Bereich, die in dieser Form in den skandinavischen Sprachen nicht eingetreten sind. Für Roberts (1993) hingegen sind morphologische Unterschiede im Bereich der Verbalflexion zwischen den skandinavischen Sprachen und dem Altfranzösischen ausschlaggebend für die unterschiedliche Entwicklung

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dieser Sprachen. Einer anderen, von Vance (1989, 1995, 1997) vorgeschlagenen Analyse zufolge, die hier auch betrachtet werden soll, hat der Wandel der französischen Verbstellung seine Ursache in der Möglichkeit des Französischen, Subjekte 'frei' zu invertieren.

3.3.4.1 Prosodische und rhythmische Faktoren Bei der Diskussion prosodischer Faktoren wird auch auf frühere traditionelle Analysen zurückgegriffen, in denen auf verschiedene Veränderungen der prosodischen Verhältnisse im Französischen hingewiesen wird. Diese Veränderungen betreffen - neben dem Verlust der enklitischen Bindungseigenschaften der klitischen Objektspronomina - vor allem die (allmähliche) Aufgabe des satzinitialen Akzents. Kroch (l989:213f.) sieht darin den Grund für den Verlust der Verb-Zweit-Stellung im Französischen. Er nimmt an, dass durch diesen Akzentverlust die satzinitiale Position nicht mehr für Topikalisierungen von Nicht-Subjekten zur Verfügung steht, da diese dort nicht mehr die notwendige Betonung erhalten können. Stattdessen müssen nun topikalisierte Nicht-Subjekte in eine Position außerhalb des eigentlichen Satzes bewegt werden und mit einem Pronomen innerhalb des Satzes koreferent sein. Kroch (1989:213) betont allerdings, dass solche Verb-Dritt-Sätze nicht die angenommene Verb-Zweit-Grammatik des Altfranzösischen verletzen: Suppose then that the change in the phrasal accent forces preposed constituents to move from the topicalization position to the position of left dislocation. The result will be that the preposed constituents no longer function as verb-second triggers and sentences will appear to be verb-third. However, they will not violate the verb-second grammar since left-dislocated elements do not count for the verb-second constraint. The topicalization position will be filled by the subject of each sentence, the only noun phrase that can be topicalized without being stressed in verb-second languages.

Eine Folge dieses prosodischen Wandels besteht nach Ansicht von Kroch darin, dass die Häufigkeit von Sätzen mit einer Subjekt-Verb-Inversion abnimmt. Außerdem beobachtet Kroch (1989:213) in Sätzen mit satzinitialen nominalen Komplementen einen "additional effect", nämlich ein zunehmendes Auslassen des mit diesen Komplementen koreferenten Pronomens, so dass diese Sätze nicht mehr als Linksdislokation erkennbar sind. Kroch (1989:213) vermutet, dass diese durch prosodische Veränderungen ausgelösten Entwicklungen schließlich zur Aufgabe der Verb-Zweit-Stellungseigenschaft im Französischen führen, da hierfür keine ausreichende positive Evidenz mehr im erwachsenensprachlichen Input vorhanden ist: Over time, the number of sentences which provide positive evidence for the verb-second constraint will decline relative to those [...], which are also consistent with a simple SVO grammar. Eventually, the absence of sufficient evidence will trigger a grammatical reanalysis and subject-inversion will no longer be possible.

Eine weitere, mit der Aufgabe des satzinitialen Akzents verbundene prosodische Veränderung betrifft die Subjektspronomina, die ihre ursprüngliche Eigenschaft als selbstständige Wörter allmählich verlieren und sich zunehmend klitisch an das finite Verb binden. Uneinigkeit besteht hier vor allem bei der Bestimmung des Zeitpunkts dieses Wandels. Unumstritten ist demgegenüber die Annahme, dass der Klitisierungsprozess zunächst bei den postverbal auftretenden Subjektspronomina einsetzt, die bereits im frühen Altfranzösischen

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stets an das finite Verb gebunden sein müssen (Foulet 1928:150, Skärup 1975:62). Die Klitisierung der pro verbalen Subjektspronomina hingegen setzt erst im Laufe des Altfranzösischen ein (Skärup 1975:35). Allerdings können bereits im Altfranzösischen des 13. Jhdts., wie etwa Moignet (1976:128) zeigt, i.d.R. nur noch "quelques mots grammaticaux atones" zwischen einem präverbalen Subjektspronomen und dem Verb auftreten. Etwa zur gleichen Zeit bildet sich ein neues Paradigma der ungebundenen Subjektspronomina heraus (Foulet 1935/36, Skärup 1975). Für Adams (1989) und Platzack (1995) ist die Klitisierung der praverbalen Subjektspronomina im Zusammenspiel mit dem Verlust des satzinitialen Akzents der entscheidende Faktor dafür, dass es im Französischen zu einer Reanalyse der SV(X)-Matrixsätze gekommen ist. Nach Ansicht der beiden Autoren hat die zunehmende Klitisierung der Subjektspronomina zur Folge, dass diese in das finite Verb inkorporiert und zusammen mit dem Verb in die COMP-Position bewegt werden können. Damit erklärt sich für beide Autoren das im Mittelfranzösischen verstärkt zu beobachtende Auftreten von Sätzen wie (37), in denen das finite Verb in der oberflächlichen Drittposition erscheint (Platzack 1995:209): (37) mir. En verite. a este et est bon valeton in Wahrheit er ist gewesen und ist guter (kleiner)-Diener O'ds, 68,16) (Vance 1989:200)

Ausschlaggebend für den Wortstellungswandel im Französischen ist gemäß der Analyse von Adams und Platzack die Tatsache, dass die Struktur eines solchen Satzes ambig ist und zwei mögliche Interpretationen zulässt (Platzack 1995:209):27 (38)

(a) (b)

[CP En verite[c [COMp il,-+aj]k[IP 4r «J [VP «· [v