Verbrechen - Justiz - Medien: Konstellationen in Deutschland von 1900 bis zur Gegenwart [Reprint 2012 ed.] 9783110944761, 9783484350700

Following the volumes »Literature and Crime« (1983, STSL 8) and »Crime Narrated« (1991, STSL 27) the articles assembled

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Verbrechen - Justiz - Medien: Konstellationen in Deutschland von 1900 bis zur Gegenwart [Reprint 2012 ed.]
 9783110944761, 9783484350700

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STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR

Herausgegeben von Wolfgang Frühwald, Georg Jäger, Dieter Langewiesche, Alberto Martino, Rainer Wohlfeil

Band 70

Verbrechen - Justiz - Medien Konstellationen in Deutschland von 1900 bis zur Gegenwart Herausgegeben von Joachim Linder und Claus-Michael Ort in Zusammenarbeit mit Jörg Schönert und Marianne Wünsch

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1999

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Redaktion des Bandes: Georg

Jäger

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Verbrechen - Justiz - Medien : Konstellationen in Deutschland von 1900 bis zur Gegenwart / hrsg. von Joachim Linder und Claus-Michael Ort in Zusammenarbeit mit Jörg Schönert und Marianne Wünsch. - Tübingen : Niemeyer, 1999 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur ; Bd. 70) ISBN 3-484-35070-9

ISSN 0174-4410

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz und Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Buchbinderei Siegfried Geiger, Ammerbuch

Inhalt

JÖRG SCHÖNERT

(Hamburg):

Vorwort

XI

TEIL I:

>Verbrechen - Justiz - Medienc Institutionen, Diskurse, Theoriemodelle

1

(München), C L A U S - M I C H A E L O R T (Kiel): Zur sozialen Konstruktion der Übertretung und zu ihren Repräsentationen im 20. Jahrhundert

3

JOACHIM LINDER

1. Die Allgegenwart des Bösen

3

2. Verbrechen als Zeichen

13

3. Zeichen als Verbrechen

44

G A B I LÖSCHPER (Hamburg): Kriminologien und der Komplex >Verbrechen - Justiz - Medien
typisch weibliche Giftmischerin
schönen Literatur< nach 1900

MICHAEL TITZMANN

215

(Passau):

Das Drama des >Expressionismus< im Kontext der >Frühen Moderne< und0. die Funktion dargestellter Delinquenz Vorbemerkung: Fragestellungen 1. Das Drama des >Expressionismus< als Variante im Literatursystem >Frühe Moderne< 2. Normverletzungen im Drama des >Expressionismus< am Beispiel höchstrangiger Delikte

(München): Der Mythos >LustmordSerienmord
LustmordLustmord
Abtreibung< und >Vernichtung l e b e n s u n w e r t e n Lebens< im Film der Weimarer R e p u b l i k u n d der N S - Z e i t

PETER DREXLER

357

(Potsdam):

D e r d e u t s c h e Gerichtsfilm 1 9 3 0 - 1 9 6 0 . A n n ä h e r u n g e n an e i n e p r o b l e m a t i s c h e Situation 1. Die Frage des Genres

387 387

2. Der Gerichtsfilm der ausgehenden Weimarer Republik

389

3. Der Gerichtsfilm in der Zeit des Nationalsozialismus

391

4. Der Gerichtsfilm der Nachkriegszeit

398

5. Einige Folgerungen

400

H A N S KRAH

(Kiel):

V e r b r e c h e n als M e d i u m . Psychologischer Diskurs und Kriminalität im film noir der vierziger u n d fünfziger Jahre

403

1. Psychologischer/psychoanalytischer Diskurs und film noir

403

2. Kriminalistische Diegese und implizite Psychologie

408

3. Unbewußtes und Kontingentes als virtuelle Zeichen

411

4. Therapie als Verbrechensaufklärung

415

5. Das therapeutische Potential von Verbrechen

418

6. Verbrechen und Individuation: Abspaltung, Figurenverdoppelung und Verschiebung

420

7. Simulation und Wiederholung

426

8. Räume und Raumbewegungen

430

9. Medien und Informationskanäle

441

MATTHIAS K U Z I N A

(Braunschweig):

True c n m e - G e r i c h t s f i l m e in d e n U S A

451

1. Zur Justizthematik im Fernsehfilm

451

2. Dokumentarische Fernseh-Gerichtsfilme

454

3. Sensationalistische Fernseh-Gerichtsfilme

461

4. Zur Realitätskonstruktion bei true crime-Filmen

468

Inhalt

IX

(Lüneburg): Die Entwicklung der deutschen Fernsehkrimiserie

475

(Halle an der Saale): Verbrechensdarstellung im deutschen >FernsehkrimiSozialgeschichte der deutschen Literatur 1770-1900Literatur und Kriminalität erfolgreich entwickelt. Sie wurden in zwei Kolloquien zusammengeführt und thematisch konzentriert: im Januar 1981 in München und im April 1985 in Hamburg. Die Ergebnisse dieser Debatten von Philologen, Strafrechtswissenschaftlern, Kriminologen, Rechtshistorikern, Soziologen und Historikern sind in zwei Publikationen belegt: in Band 8 und Band 27 der Reihe »Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur« des Niemeyer-Verlages Tübingen. Joachim Linder und Claus-Michael Ort, ehemalige Mitarbeiter der Münchener Forscher-Gruppe, haben die erörterten Probleme in Veröffentlichungen sowie in Lehrveranstaltungen an den Universitäten Hamburg und Kiel vertieft und das Spektrum der Fragestellung erweitert. Nachdem die Forschungsvorhaben innerhalb des Münchener Projektes nur die Konstellationen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts erschlossen hatten, sollten in Planungen zu einem dritten Kolloquium die Entwicklungen bis in die Gegenwart auf der Grundlage des bis dahin Erarbeiteten verfolgt werden. Unterstützt von Marianne Wünsch und Jörg Schönert haben Joachim Linder und Claus-Michael Ort für Oktober 1994 eine Tagung in Kiel konzipiert und Vorlagen zum Einwerben der Referate erarbeitet. Mit Entschiedenheit wurde dabei an die Interdisziplinarität der vorausgegangenen Kooperation und Diskussion angeknüpft. In erfreulicher Weise konnten auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der jüngeren akademischen Generation gewonnen werden, darunter insbesondere Vertreter der Film- und Fernsehwissenschaft. Unter den Aspekten des 20. Jahrhunderts verdeutlichte sich in der Vorbereitung des Kieler Kolloquiums, daß die Fragen zum Zusammenhang von Rechtsgeschichte und Literaturgeschichte, die für die Entwicklungen vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum frühen 20. Jahrhundert gestellt worden waren, für Konstellationen und Prozesse des 20. Jahrhunderts in das umfassende Problem der medienbestimmten Kommunikation über Kriminalität (als einer wichtigen gesellschaftlichen Konstellation) einbezogen werden müssen. Die vielfältigen Erfahrungen mit den unterschiedlichen medialen Vermittlungen des Geschehens von Verbrechen und Verbrechensbekämpfung im 20. Jahrhundert - im Miteinander und in der Konkurrenz von publizistischen, literarischen, bildlichen und audio-visuellen Darstellungen - haben das Bewußtsein dafür geschärft, daß die sozialen Konstruktionen von Kriminalität

XII

Vorwort

mediengestützt und medienabhängig sind, daß sie den signifikanten Konventionen der jeweils gewählten medialen Vermittlung folgen. Diese öffentlich relevanten Kommunikationen zu Normverletzungen und entsprechenden Sanktionen sind ein wichtiger Faktor in den Funktionsabläufen moderner Gesellschaften. In der Einleitung zu diesem Band wird ausgeführt, wie das Hauptverfahren des strafrechtlichen Prozesses zum symbolischen Ort solcher Erwartungen an ein >geordnetes Sozialwesen< wird. Im Hauptverfahren werden die unterschiedlichen Kommunikationen, die >Narrationen< zum Ereignis des Verbrechens, gebündelt und geordnet - und in der Regel wird das Hauptverfahren wiederum zum Ausgangspunkt neuer Kommunikationen. Verletzung und Bestätigung der Normen werden im Hauptverfahren in einen sinnbesetzten Zusammenhang von Schuld und Strafe gebracht, der dann - mit Bestätigung oder Kritik dieser Zuordnung - in Erzählungen, Bilderfolgen oder Text-Bild-Relationen öffentlich vermittelt wird. Für die >Beobachtung< solcher Kommunikationsprozesse aus der Position der Wissenschaften sind also nicht nur Juristen und Kriminologen zuständig, sondern auch Soziologen, Psychologen, Zeitungswissenschaftler und Philologen. Für die Repräsentationen von Kriminalität in der >schönen Literatur^ im Spielfilm oder TV-Krimi ergibt sich in diesem interdisziplinären Verbund wissenschaftlicher Interessen in erster Linie nicht die Frage, ob Verbrechen und Verbrechensbekämpfung im Sinne der strafrechtlichen und polizeipraktischen Realien dargestellt werden. Wichtiger ist es zu fragen, wie diese unterschiedlichen Darstellungen mit Hilfe der jeweils bestimmenden Konventionen der medialen Vermittlung organisiert und aufgenommen werden. Die Erfahrungen mit den vielfältigen medialen Repräsentationen von Kriminalität im 20. Jahrhundert führen zu der zugespitzten These vom >erheblichen Verbrechensbedarf< in den Kommunikationsprozessen der modernen Gesellschaften. Komplexe Konstellationen der öffentlichkeitswirksamen Darstellungen von >Übertretungen< und >Sanktionen< ergeben sich dann, wenn die Art und Weise der Vermittlung selbst zur >Übertretung< wird, wenn negative Sanktionen gegen solche Formen der Repräsentation in Gang gesetzt werden. Die wissenschaftlichen Diskussionen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, daß Fragen und Probleme dieser Art angemessen nur im Zusammenwirken verschiedener Wissenschaftsdisziplinen erörtert werden können. Darüber hinaus haben die wachsenden Anteile der audiovisuellen Kommunikationsangebote zu Verbrechen und Verbrechensbekämpfung Erwartungen verstärkt, die bereits für die Diskussion der Darstellung von Kriminalität in den Printmedien (die >schöne Literatur< eingeschlossen) der Berücksichtigung interkultureller Konstellationen und Entwicklungen galten. Auch wenn der Titel dieses Bandes den Schwerpunkt der Untersuchungen für >Deutschland< bezeichnet, sind für viele der Beiträge neben der interdisziplinären Ausrichtung Intermedialität und Interkulturalität wichtige Orientierungen. Joachim Linder und Claus-Micheal Ort haben ihre »Einleitung« nach diesen Vorgaben angelegt und erschließen bis in die Fußnoten hinein - den entsprechenden Forschungsstand der aktuel-

Vorwort

XIII

len Diskussionen. So sind mit dieser dritten Publikation zum Thema >Literatur und Kriminalität in der Reihe »Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur« die Untersuchungen vom ausgehenden 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart geführt worden; insbesondere die Veröffentlichung von 1991 und der jetzt vorgelegte Band verbinden sich zu einer umfassenden Geschichte diese Problemfeldes, die in der Publikation von 1983 mit der Ausarbeitung exemplarischer Fragen und methodischer Konzepte fundiert wurde. Zugleich wird mit dem Kieler Kolloquium der Bezugspunkt >Literatur< durch >Film< und >Fernsehen< entschieden erweitert, so daß die historischen Erschließungen mit der gegenwärtigen und zukünftigen Konstellation vermittelt werden können. Die Fachtagung in Kiel vom 19. bis 21. Oktober 1994 wurde von der Rektorin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Frau Prof. Dr. Karin Peschel, eröffnet. Teilgenommen haben: Dr. Stefan Andriopoulos, SFB 1688: Medien und Kulturelle Kommunikation, Köln PD Dr. Achim Barsch, LUMIS-Institut, Universität-GH Siegen Ingrid Brück, Μ. Α., Medien & Kommunikation, Universität Halle-Wittenberg Dr. Holger Dainat, Institut für Germanistik, Universität Magdeburg Prof. Dr. Peter Drexler, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Potsdam Carmen Gransee, Aufbau- und Kontaktstudium Kriminologie, Universität Hamburg Prof. Dr. Bernhard Greiner, Deutsches Seminar, Universität Tübingen Prof. Dr. Georg Jäger, Institut für deutsche Philologie, Universität München Ursula von Keitz, Μ. Α., Deutsches Institut für Filmkunde, Frankfurt/M. PD Dr. Ulrich Kinzel, Literaturwissenschaftliches Seminar, Universität Hamburg Dr. Hans Kräh, Institut für neuere deutsche Literatur und Medien, Universität Kiel PD Dr. Franziska Lamott, Abteilung Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Universität Ulm Joachim Linder, Μ. Α., München PD Dr. Martin Lindner, Universität Passau PD Dr. Gabi Löschper, Aufbau- und Kontaktstudium Kriminologie, Universität Hamburg Dr. Wolfgang Lukas, Institut für neuere deutsche Literatur und Medien, Universität Kiel Prof. Dr. Albert Meier, Institut für neuere deutsche Literatur und Medien, Universität Kiel Andrea Menn, Μ. Α., Medien & Kommunikation, Universität Halle-Wittenberg Dr. Friederike Meyer, München

XIV

Vorwort

Dr. Claus-Michael Ort, Institut für neuere deutsche Literatur und Medien, Universität Kiel Dr. Dieter Pfau, München Prof. Dr. Jörg Schönert, Literaturwissenschaftliches Seminar, Universität Hamburg Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert, Vorsitzender Richter, 26. Strafkammer am Landgericht Frankfurt/M. PD Dr. Gerlinda Smaus, Institut für Rechts- und Sozialphilosophie, Universität des Saarlandes Ulla Stammermann, Aufbau- und Kontaktstudium Kriminologie, Universität Hamburg Dr. Martin Stingelin, Deutsches Seminar, Universität Basel Dr. Ricarda Strobel, Institut für angewandte Medienforschung, Universität Lüneburg Prof. Dr. Michael Titzmann, Neuere deutsche Literatur, Universität Passau Prof. Dr. Reinhold Viehoff, Medien & Kommunikation, Universität Halle-Wittenberg Dr. Inge Weiler, Münster Prof. Dr. Marianne Wünsch, Institut für neuere deutsche Literatur und Medien, Universität Kiel Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen - mit Ausnahme der nachträglich verfaßten Texte von Matthias Kuzina sowie von Joachim Linder und ClausMichael Ort - auf die Referate zurück, die beim Kieler Kolloquium gehalten wurden. Allen Beiträgern ist für ihre Geduld sowie dafür zu danken, daß sie die Mühe wesentlicher Überabeitungen und Ergänzungen auf sich genommen haben; zum Teil erschließen die Beiträge umfangreich zusätzliches Quellenmaterial. Auch im Namen von Joachim Linder und Claus-Michael Ort sowie von Marianne Wünsch bedanke ich mich bei den Herausgebern von »Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur« für die Aufnahme dieses Bandes in die Reihe des Max-Niemeyer-Verlages; den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlages gilt Dank für die sorgfältige Betreuung der Herstellung dieses Buches, Petra Kallweit für Hilfe bei der Schlußkorrektur. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, das Land Schleswig-Holstein sowie der Fernsehsender Pro 7 haben das Kolloquium finanziell unterstützt; die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat darüber hinaus eine Beihilfe zu den Druckkosten für den vorliegenden Band gewährt. Jörg Schönert

T E I L I:

>Verbrechen - Justiz - Medienc Institutionen, Diskurse, Theoriemodelle

Joachim Linder (München), Claus-Michael Ort (Kiel)

Zur sozialen Konstruktion der Übertretung und zu ihren Repräsentationen im 20. Jahrhundert

1. Die Allgegenwart des Bösen Die Beschwörung des Bösen boomt. >Organisierte Kriminalität« und Gewaltverbrechen drohen unsere Gesellschaft zu zerstören. Hundertfach wurden die Zustände beschrieben, illustriert und kommentiert. Der Meinungsbildungsprozeß - besser die Konstruktion von Wirklichkeiten - ist abgeschlossen. Und die Gesellschaft wird zur Geisel ihrer eigenen Untergangsphantasien. Mißtrauen und Angst vor dem Nächsten greifen um sich. Anwohner eines Atomkraftwerks fürchten heute mehr das kolumbianische Drogenkartell< als die Strahlenbombe vor ihrer Haustür. Und der Chefredakteur baut seine Villa zu einer Festung aus, obgleich die Wahrscheinlichkeit, daß ihn die Folgen des chronisch überhöhten Cholesterinspiegels dahinraffen, ein Vielfaches höher ist als die eines Raubüberfalls (Farin und Seidel-Pielen 1994, S. 7).1 Dies scheint zunächst nicht mehr zu sein als die Reformulierung und Zuspitzung von Beobachtungen, die Michel Foucauit (1976, S. 3 6 4 - 3 7 8 ) für die Kriminalitätsdarstellung der (Print-)Medien schon des 18. und 19. Jahrhunderts gemacht hat: 2 D i e unablässig selbstbezüglich re-inszenierte Ausgrenzung von Kriminalität und Kriminellen in den jeweiligen Massenmedien hat einen paradoxen Effekt. Sie bewirkt - unabhängig und ungestört von Erfahrungen mit ihrem begrenzten Set von >BildernGewalt< umstandslos mit einer immer gewalttätiger werdenden >Realität< verbindet. Vgl. z.B. Lukesch (Hg.) 1990, Glogauer 1990 und 1994, Brunotte 1994, Heuermann und Kuzina 1995, s. auch den kritischen Literaturbericht bei Kunczik 1994. 2 Vgl. zu den unterschiedlichsten Textsorten z.B. die Studien von Palmer 1978, Bauer 1982, Lüsebrink 1983, Dainat 1988 und 1996, Drexler 1991. 3 Schon Hans von Hentig kritisiert die >FehlbilderVerbrechensbekämpfung< nach materieller und gesetzlicher Besserstellung plausibel erscheinen und in der Politik Gehör finden. 6 Selbst die wohlbegründeten und b e s o n n e n e n Zweifel am Basisaxiom der öffentlichen Debatte, daß nämlich Gewalt und Kriminalität allgemein und ständig im Steigen begriffen wären, werden weggewischt. 7 »Kriminalitäts-Diskurse (und das Skandalisieren von >GewaltBilder< von der Jugendgewalt, von der Kriminalität der Fremden oder der Frauen, läßt D e u heit des kriminellen Alltags, der Tag und Nacht an uns vorüberflutet und unsere eigentliche Sorge ist. Die Illustrierten leben von dem Widerspruch eindrucksvoller Raritäten mit Übeltätern der gemeinen Wald-und-Wiesen-Art. Wir blättern sie mit Schaudern durch, um dem Klischee uns um so gläubiger an den Hals zu werfen, das unseren stillen Wünschen mehr entspricht« (ebd., S. 23). 4 Clint Eastwood nutzt in Absolute Power (1997) ebenfalls dieses Schema, zeigt aber auf beiden Seiten unterschiedliche Formen des Kriminellen und erreicht so den Rollentausch zwischen dem konventionell guten Repräsentanten des Staates und dem n o r malem Verbrecher. 5 Hier wären >Konjunkturen< der Aufmerksamkeit zu rekonstruieren: Umweltkriminalität, Einbruchs- oder Gewaltwellen u. dgl. lösen sich ab; eine besondere Rolle über längere Fristen spielen die Gewalt durch Kinder und Jugendliche und die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, vgl. dazu u.a. Hafeneger 1994, Dieckmann 1994, Gillen und Möller 1994, Sereny 1995, Stephan 1995. Die Verknüpfung von Kindlichkeit bzw. Jugendlichkeit mit Gewalt (unabhängig davon, ob mit Täter- oder Opferstatus) scheint den Schluß auf den Zustand der Gesellschaft besonders nahezulegen. 6 Detlev Frehsee spricht von der >SicherheitspanikAufrüstung im Kampf gegen Kriminalität« würden in die Ecke der »Weltfremdheit und Verantwortungslosigkeit« gestellt: »Wer der Polizei wichtige Waffen im Kampf um Sicherheit verweigert, wird zum Verräter, der Kritiker staatlicher Aufrüstung unterliegt gefährlichen Irrtümern und wird so selbst zum Störer« (Frehsee 1997, S. 29f.). 7 Differenzierte Darstellungen und Analysen werden im Getöse der Schreckensmeldungen kaum mehr wahrgenommen, das trifft für Farin und Seidel-Pielen ebenso zu wie für Roth 1991 oder Schüler-Springorum 1991; der Einspruch gegen die überhandnehmende Panik vor Kindesmißbrauch von Rutschky 1992 rief zahlreiche und wütende Widerreden hervor und brachte kaum Versachlichung; vgl. dazu auch Lamott im selben Band.

Zur sozialen Konstruktion

der

Übertretung

5

tungsmuster entstehen, in denen die Institutionen der Strafverfolgung (oder der >Verbrechensbekämpfungschmutzige Arbeit< des Ausgrenzens für die Gesellschaft zu leisten (ebd., S. 75-77). Das >Bild< vom bösen Delinquenten hat als notwendige Kehrseite das von der >guten< Ordnungsmacht, die bei der erfolgreichen und sinnvollen Bewältigung ihrer Aufgabe gezeigt wird. Ein Kreislauf wird inszeniert, in dem die (kriminelle) Störung immer zugleich die Ordnung (bzw. den Vorgang ihrer Herstellung) mit sich führen muß. Der sensationell aufgemachte Einzelfall lenkt die Aufmerksamkeit stets auf die angeblich >typische< Kriminalität ganzer Gruppen, z.B. auf Frauen, Fahrende, Zigeuner, Juden, Proletarier, aber auch auf Skins, Rechte oder Linke, >Hooligans< usw.8 Insofern wären die Beobachtungen, die Richard Osborne für die Kriminalitätsdarstellung in den US-amerikanischen Massenmedien macht, sicher weiter zu konkretisieren, zu ergänzen und historisch einzuordnen (vgl. Osborne 1995, S. 24-26). Osborne konstatiert eine Fokus-Veränderung der Kriminalitätswahrnehmung: 9 Seit den siebziger Jahren schlössen sich die Inszenierungen der sensationellen Einzelfälle in der Wechselwirkung aller Präsentationsformen - also zwischen Nachrichten, Berichten, Erzählungen, Spielfilmen über Kriminalität 10 - immer mehr zusammen zur symbolischen Ausgrenzung ganzer Gruppen oder Segmente der Gesellschaft. Der >Mythos von der rationalen Gesellschaft, deren Institutionen in der Lage seien, Störungen zu erkennen und zu beseitigen und Ordnung auf Dauer zu erhalten, sei nur noch auf diese Weise aufrechtzuerhalten. Die Massenmedien generierten den Diskurs, in dem die Kriminalität zur >großen Vereinheitlichen^ aufrücke. Die Furcht vor der Kriminalität schaffe die Gemeinsamkeit der potentiellen Opferrolle, der Widerstreit zwischen >Gut< und >Böse< werde (wieder) zum konstitutiven Antagonismus der Gesellschaft. So avanciere, resümiert Osborne, Kriminalität zur perfekten Metapher für die Postmoderne: im >Zeitalter der Fragmentierung< stifte das medial vermittelte >ErlebnisDurchdringung der Gesellschaft^ 1 mit und durch Kriminalität Deutungsansätze aufleben läßt, die geeignet scheinen, das >Gute< reinlich vom >Bösen< zu trennen. Ein besonders anschauliches Beispiel 8

Vgl. zur Funktionalisierung eines Einzelfalles den Beitrag von Smaus im selben Band; vgl. auch Foucault 1976, Kopecny 1980, Lüsebrink 1983, Reif (Hg.) 1984. 9 Zum Fernsehen der U S A und der Vermittlung >authentischer< Fälle s. Kuzina im selben Band. 10 Wir werden darauf zurückkommen, daß auch im Bereich der Strafjustiz >Störung< und >Ordnung< nicht als ontologische Kategorien zu verstehen sind; vgl. zum Gesamtzusammenhang vor allem Ericson, Baranek und Chan 1991. 11 Die tendenziell einer vergangenen >Gemeinschaft< gegenübergestellt wird.

6

Joachim Linder, Claus-Michael

Ort

dafür liefert Stephan Wehowskys Schattengesellschaft. Kriminelle Mentalitäten in Europa (1994): Auf der Basis höchst heterogenen, kaum je nachprüfbaren Quellenmaterials will das Buch nationale Charakteristika des Kriminellen rekonstruieren. Als selbstverständlich unterstellt auch dieser Autor den generellen Anstieg der Kriminalität. 12 Dies führt er auf die allgemeine »Erosion der Werte« in einer bürgerlichen Gesellschaft zurück, in der die individualistische und unbedingte Verfolgung von materiellen Interessen als letzte Gemeinsamkeit übrig geblieben sei. Als symptomatisch für die Auslieferung der Gesamtgesellschaft an die Kriminalität bewertet der Autor die Korruption im Öffentlichen Dienst, der traditionellen Stütze aller deutschen Staatsformen. 13 Dazu gilt Frankfurt/M. als Inbegriff neuerer Kriminalitätsentwicklungen in Deutschland: »In den Parks und den Straßen um den Bahnhof herum aber schleichen, lauern, kauern Gestalten, die dieser zweiten Schöpfung [d. i. der modernen, durchökonomisierten Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft] nicht gewachsen sind und für chemische Paradiese ihr Leben ruiniert haben« (ebd., S. 175f.). Mit den Verlierern der materiell orientierten Gesellschaft wird sichtbar, daß der Preis für den Erfolg in der Allgegenwart krimineller Energie besteht; die Opfer an den prominenten öffentlichen Orten verweisen auf die verdeckt operierenden Täter. Der Autor bedauert offenkundig, daß die gleichsam gute alte Zeit der national begrenzten und in den nationalen Charakteren verankerten Kriminalität vorbei ist; Internationalisierung und Migration bilden zusammen den Nährboden für >Organisierte Kriminalität und Gewalt (ebd., S. 178-180). Die Verbrecher, die international operieren, betreiben mehr als eine bloße Ausweitung ihrer Geschäfte. Sie erzeugen eine ganz neue Qualität von Straftaten: »Teilweise erscheint es so, als träten gerade die negativsten Eigenschaften der Völker in einen kriminellen Austausch« (ebd., S. 175). Der Rückgriff auf die alte Vorstellung von der >sozialen Krankheit Verbrechern folgt der Logik der Argumentation: die »Metastasen der Amoralität« sind so »tief in die Gesellschaft eingedrungen, daß sie kaum noch Abwehrkräfte hat« (ebd., S. 180). In Frankfurt ist die Internationalisierung am weitesten fortgeschritten; Geldumlauf und -erwerb bestimmen das allgemeine Leben. Vor allem an der Verletzung tradierter Werte wird verdient: »Prostitution, Pornofilme, Peepshows, Glücksspiele, Drogen: Alles ist in diesem Quadratkilometer normal« (ebd., S. 182). Die postmoderne Stadt wird zum Medium: zum Schauplatz, an dem die neue Kriminalität ihren idealen Tatort hat. 14 12

Was ζ. B. für einen Autor wie den Polizeipraktiker Roth (1991), der für dasselbe Marktsegment publiziert, durchaus frag- und diskussionswürdig ist. 13 Die Argumentation ist nicht ungefährlich: Wenn Korruptionsresistenz und die unbedingte Loyalität der Beamten zum Zeichen für >gutenur< mit >Normal-Kriminalität< gesegnete Zeiten wird, dann kann man dies auch als (Teil-)Rehabilitation des sog. Dritten Reiches lesen. Ohnehin wird in der Rede von der zunehmenden Kriminalität und Gewalt selten die Frage gestellt, ob wir in unserer Gegenwart zunächst nicht über eine höhere Gewaltsensibilität verfügen als beispielsweise unsere Vorfahren vor sechzig oder auch hundert Jahren. 14 Zur Stadt als »Medium« vgl. Kittler 1995; in dem von Fuchs, Moltmann und Prigge

Zur sozialen Konstruktion

der

Übertretung

7

Wehowskys Buch ist Teil der großen narrativen Inszenierung von Kriminalität, der wir als Mediennutzer jeden Tag ausgesetzt sind; der Autor sieht und beschreibt, was wir alle auch schon gesehen haben - in Krimis, Berichten, Nachrichten, Features, in Zeitungsartikeln und in Reportagen. An der >sozialen Konstruktion der Kriminalität sind wir schon insofern alle beteiligt, als wir im medialen Bestätigungszirkel ständig angeregt sind, die schon vorhandenen Bilder, Deutungsmuster immer erneut einzusetzen (vgl. dazu z.B. LaFree 1989). Der Erfolg dieses Bestätigungszirkels setzt voraus, daß die einzelnen Präsentationen und Präsentationsformen stets mit dem Anspruch auf >Wirklichkeitsangemessenheit< auftreten, und daß über den Sinn dieses Anspruchs zwischen Produktion und Rezeption Konsens herrscht. Die Kriminalitätsdarstellung setzt sich als angemessene Repräsentation der >realenMedienkriminalität< laut, und zwar dahingehend, daß die >Wirklichkeit der Kriminalität noch besser, noch vollständiger abgebildet werden könne - wenn etwa die Erkenntnisse einer empirischen Kriminologie berücksichtigt würden; in der Bundesrepublik Deutschland wird dies z.B. von Hans-Joachim Schneider (1980 u.ö.) sowie von Marlene SteinHilbers (1977) und zuletzt prägnant von Christiane Uthemann (1990) vertreten: Aus dieser Sicht >verzerren< die Medien die (statistisch feststgestellte) k r i m i nalität der Wirklichkeit und vermitteln so ein falsches Bild, dem das >richtige< Bild entgegengesetzt wird, das die Kriminologie hat. »Kriminalität im Kriminalfilm des Fernsehens ist ein Phänomen, das nichts mit dem zu tun hat, was Kriminalität in der alltäglichen Wirklichkeit ist« (Uthemann 1990, S. 280, vgl. zum Problem auch LaFree 1989). Daraus folgert die Kriminologin: Was wir brauchen, sind keine andersartigen Beiträge< über Kriminalität in den Massenmedien [...], sondern vielmehr andere Inhalte, respektive eine realitätsnähere Darstellung von Kriminalität im Kriminalfilm des Fernsehens

- und dies wäre in der engeren Kooperation von Filmemachern und Journalisten mit den Kriminologen zu erreichen (Uthemann 1990, S. 287). Speziell an das deutsche »Krimigenre« wird nicht nur von Kriminologen, sondern auch von Konsumenten und Kritikern die »Erwartung herangetragen, mit dem übereinzustimmen, was es mit medialen/ästhetischen Mitteln thematisiert: der Kriminalität der Alltagswirklichkeit« - so Brück über die »Fiktionalitäts/Realitätsdebatte« (1996, S. 36-39). Tatsächlich verbinden deutsche Fern-

1995 hg. Sammelband Mythos Metropole werden unterschiedliche Wahrnehmungen der modernen und >postmodernen< Großstadt vorgestellt: vgl. ζ. B. Keil zu Frankfurts >Selbst-< und >Fremdbild< (ebd., S. 178-194) und Rötzer (ebd., S. 198f.) über Carpenters Film Escape from New York (1981, dt. »Die Klapperschlange«) - als Beispiel für die Repräsentationen von Städten, in denen die Grenzen zwischen Arm und Reich (die Wehowskys apokalyptischem Bild auch zugrunde liegen) unüberwindlich geworden sind und als Grenzen zwischen Gut und Böse verstanden werden; als eindruckvolle literarische Repräsentation dieser Vorstellung vgl. O-Zone von Paul Theroux (1986).

8

Joachim Linder, Claus-Michael Ort

sehkrimis (paradigmatisch die >TatortAlltagswirklichkeit< (die ihrerseits nur als mediale Konstrukte zugänglich sein können) und der nicht-kriminalitätsorientierten >Medienwirklichkeit< mit anmutungsreichen Verbrechen - den üblichen Kapitaldelikten, ohne die die Krimi-Handlung bekanntlich nicht in Gang gesetzt werden kann (vgl. dazu Heißenbüttel 1970).16 Mit Brück und Thomas Weber (1992, S. 38f. und passim) ist zu konstatieren, daß der Fernsehkrimi und mehr noch die Diskussion über ihn in der >Leitperspektive Realismus< geführt wird, und zwar scheint die Konzentration auf diese Perspektive eine spezifisch deutsche Angelegenheit und normative Vorstellung zu sein.17 Die Produktion der audiovisuellen Präsentationsformen ist insofern auf das engste mit dem >Neuen deutschen Krimi< verknüpft, der auch die wesentlichen Vorlagen für die TV-Produktionen liefert. Hier hat der Anspruch seinen Ursprung, nach dem im (ernst zu nehmenden) Krimi Kriminalität, soziale Konflikte und Milieus >realitätsgerecht< darzustellen seien (vgl. dazu insbesondere Nusser 1980). In aller Regel reflektiert diese Diskussion den Status der je medienspezifischen >Wirklichkeit von Kriminalität so wenig, wie sie zur Kenntnis nimmt, daß in den elektronischen Medien die traditionelle Grenze zwischen fiktionaler und nicht-fiktionaler Darstellung (zwischen Krimi und Kriminalitätsberichterstattung) zwar immer noch beansprucht wird - daß sie tatsächlich aber immer durchlässiger wird.18 Erst dadurch wird es möglich, 15

Exemplarisch ist ein >TatortTatort< paßt sich perfekt in den >Subdiskurs< der Auseinandersetzung mit Sekten ein, bedient sich dazu jedoch ganz herkömmlicher Verschwörungsbilder. - Ähnlich funktioniert die >TatortBella Blockkriminalitätsfördernd< gelten und in entsprechend schlechtem Ruf stehen. 16 Es ist eben schwer vorstellbar, daß Polizeiarbeit im Fernsehen anhand eines Ladendiebstahls spannend und für das Publikum akzeptabel in Szene gesetzt werden könnte. 17 Was nicht heißen soll, daß außerhalb der deutschsprachigen Medienlandschaft realistische« Krimis unbekannt wären, aber z.B. in England und den USA entwickeln sich >Subgenres< wie z.B. Rätsel-Krimis (etwa die >Perry-MasonColumboMike-HammerFür alle Fälle Fitz< oder mit >NYPD Blue< vertreten). 18 Betroffen sind vor allem die audiovisuellen Medien und mehr noch das >neue Medium< Internet. Die Probleme, die mit dieser Grenzverschleifung verbunden sind, haben gleichsam im Gegenzug schon die Justiz erreicht; exemplarisch und besonders unappetitlich im sog. Traunsteiner Verfahren wegen Kinderprostitution, Verabredung zu ei-

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daß Nachrichten und Fernsehspiel, Feature und Fahndungssendung, Vorabendserie und Boulevardmagazin zusammen den Diskurs bilden, in dem mit der Störung immer die Behebung der Störung, mit ihrer Verletzung immer die Ordnung, mit dem Störer immer die Ordnungsmacht erscheint. Richard V. Ericson, Patricia M. Baranek und Janet Β. L. Chan fassen ihre Studien zur Kriminalitätspräsentation im Fernsehen unter der Überschrift Representing Order (1991) zusammen; sie analysieren die »conversations« (also den Diskurs und bzw. oder die »Verständigung«, vgl. Linder und Schönert 1983b) über Verbrechen und Justiz vor allem in den Nachrichten (news) über Abweichung, Verbrechen, Verfolgung und Kontrolle. Nach ihrer Konzeption wird in den Nachrichten nicht die Unordnung, sondern die Ordnung repräsentiert (Ericson, Baranek und Chan, S. 3f. und passim: >crime news represent orderFernsehgerichtBeund Verarbeitung< stellt die >Ordnung< dar, über die sich die jeweilige Gesellschaft definiert. 19 Vorausgesetzt wird stets, daß die >Welt der Kriminalität sinnvoll beschrieben bzw. abgebildet werden kann, und daß über eine Ordnung Konsens besteht, in der die >moralische Gesundheit< der Bevölkerung gewährleistet ist (Ericson, Baranek und Chan, S. 7). Die News (und andere Präsentationsformen) vermitteln symbolische Repräsentationen dieser Ordnung sowie der Prozeduren und Hierarchien, die sie verbürgen. Dies geschieht im Rahmen von >sozialen Dramenkorrekt< konstruiert werden und notwendig Elemente enthalten, die >gemachtDramen< präsentieren Bewertungsdifferenzen als Tatsachendifferenzen, sie wollen als Repräsentationen von Realität erscheinen (ebd., S. 9). Obwohl sie also auf den Regeln für soziale und moralische Konstruktionen beruhen, soll der Rezipient den Eindruck haben, das Präsentierte beruhe auf >Naturgesetzentertiären Verständnisses< gestützt, das weniger den Verstand als das Gefühl anspricht. Der Glaube an (die Möglichkeit von) Sicherheit wird mit jeder neuen Erzählung in Frage gestellt und dann doch wieder bestätigt (ebd., S. 110). Aus dieser Perspektive wird die Unterscheidung zwischen fiktional und nicht-fiktional irrelevant, an ihre Stelle muß die Untersuchung der (je medienspezifischen, je mediengattungsspezifischen, vgl. Schmidt 1994) Regeln der Repräsentation treten - nicht von Konflikten, sondern von Konfliktlösungen und der Transformation gestörter in (erneut) ungestörte Ordnung. 20 Die Dramatisierungen, die in Nachrichtensendungen zu beobachten sind, und der Realismus fiktionaler Kriminalitätsdarstellungen konstituieren zusammen (vgl. Sparks 1992, S. 24 und 112f.) die Medienwirklichkeit von Kriminalität und Justiz, angesichts derer es deshalb wenig Sinn [hat] zu fragen, ob und wie die Massenmedien eine vorhandene Realität verzerrt wiedergeben; sie erzeugen eine Beschreibung der Realität, eine Weltkonstruktion, und das ist die Realität, an der die Gesellschaft sich orientiert (Luhmann 1997, S. 1102, Hervorhebungen i.O.).

Aus der Sicht der Untersuchung von Kriminalitäts- und Ordnungskonstruktionen in den Medien heißt dies: Taking Crimewatch UK21 as >real-life< construction leads viewers to a paradigmatic confusion in which [die Darsteller der Show und] the Yorkshire Ripper, football fans and terrorists all occupy the same pathological universe as they themselves inhabit (Kidd-Hewitt 1995, S. 21).

Die in der Öffentlichkeit und der Kriminologie gängigen Fragen, ob etwa Mediendarstellungen von Gewalt und Kriminalität kriminogen wirken oder ob sie ungerechtfertigte Ängste auslösen, ob verzerrende, falsche Berichterstattung Stereotypen bildet (und so die Definitionsmacht der Medien stärkt) oder ob die unterschiedlichen Präsentationsformen unterschiedliche Wirkungen zeitigen, sind alle unter der Voraussetzung zu reformulieren, daß Medienkriminalität eine eigene >Wirklichkeit< der Kriminalität konstituiert. Wer ihr das >Ver20

21

Vgl. dazu auch McNeely 1995 sowie Barak 1994 und 1995 über die soziale Konstruktion der Verbrechensberichterstattung (crime news); Täter, Opfer und Agenten der Verfolgungsinstanzen entstehen im Massendiskurs über Verbrechen und Justiz, der mit der Erhaltung öffentlicher Ordnung verbunden ist (Barak 1995, S. 148f.). Medien und Publikum sind in einer Falle gefangen, aus der sie die Welt allein als Kampf des Guten gegen das Böse wahrnehmen können (ebd., S. 155). Oder aus deutscher Sicht: Aktenzeichen XY ungelöst.

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fehlen der wirklichen Kriminalität vorwirft, läßt dies außer Betracht und bleibt auf der Ebene der >naiven< Medienkonsumenten (ebd., S. lf.). 2 2 D i e Entführung Jan Philipp Reemtsmas im Frühjahr 1996 hat eine ganze Reihe medialer Verarbeitungen erfahren, in denen die herkömmlichen Grenzen zwischen >authentischer< Berichterstattung und >fiktiver< Repräsentation getilgt und damit hervorgehoben wurden; der >Fall Reemtsma< ist für die Öffentlichkeit ein Produkt zahlreicher medialer Präsentationsformen und Verarbeitungen 2 3 Zwei Beispiele sollen hier illustrierend skizziert werden: D i e A R D strahlte am 27.4.1996 eine Brennpunkt-Sendung zur Freilassung Reemtsmas aus. Zu diesem Zeitpunkt lag der Redaktion offenkundig noch wenig authentisches Material vor (also vor allem Interviews mit Beteiligten, Filmmaterial vom Ort der Gefangenhaltung usw.; all dies wurde in den folgenden Tagen nachgeliefert), so daß ein wesentlicher Teil der fünfzehnminütigen Sendung mit nachgestellten Spielszenen bestritten wurde, die den Entführungsvorgang darstellten. Diese fiktionalen Teile der Sendung waren durch Inserts gekennzeichnet, doch ihre Funktion wurde keineswegs unmittelbar deutlich - sieht man einmal vom Unterhaltungswert ab, der solchen Szenen zugeschrieben wird: 24 Sie verdoppelten lediglich das, was in der unmittelbar vorausgegangenen Tagesschau schon berichtet worden war, nämlich daß soeben ein Entführungsfall glimpflich zu Ende gegangen war, dessen Beginn (Thema der fiktiven 22

In den Beiträgen der Sammelbände von Ray Surette (Hg., 1984, 1990, 1994) werden zahlreiche Aspekte des Zusammenwirkens von kriminologischer und massenmedialer Konstitution der Kriminalität untersucht: Es kennzeichnet den Ansatz aller drei Bände, daß Kriminologie auf der Basis reflektierten Konstruktionswissens Einfluß auf die medialen Präsentationen nehmen will und nicht auf der Basis naiver Wirklichkeitsvorstellungen (vgl. dazu auch Löschper im selben Band). 23 Das Opfer Reemtsma hat an zahlreichen Stellen - ζ. B. mit Interviews u. dgl. - in den Konstitutionsprozeß eingegriffen: dies zeugt für sein Bewußtsein von der Leistung der Massenmedien im Prozeß sozialer Konstruktion von Kriminalität und ihrer Verarbeitung^ 24 Dies macht schließlich einen wesentlichen Teil der anhaltenden Popularität der präventiv-lehrreichen Sendereihen Eduard Zimmermanns aus, wie Aktenzeichen XY oder >Verbrechen, die Geschichte machtenÜbertretung< zugeschrieben: Schon die Spielhandlung des ersten deutschen (fünfzehnminütigen) Fernseh-Kriminalfilms Wer fuhr II A 2992?, der 1939 von der UFA für die Weltpostausstellung in Buenos Aires produziert worden ist, thematisiert >Fernsehen< als effiziente, weil unterhaltsame Fahndungshilfe der Polizei im Rahmen von Musiksendungen; als Massenmedium der visuellen öffentlichen (Selbst-) Beobachtung kompensiert es schließlich die Gefahrenpotentiale, die sowohl vom modernen Individualverkehr als auch von Massenveranstaltungen als Katalysatoren anonymer Kriminalität ausgehen; am Ende beobachtet sich das Fernsehen selbst dabei, wie es statt der Sportveranstaltung deren Beobachter beobachtet. Schildt 1995 beschreibt die erste fr've-Verbrecherjagd im Fernsehen des Süddeutschen Rundfunks, Ende 1957 - die Konkurrenz der Kriminalitätsdarstellung zur Familienserie ist schon entschieden (S. 267, Anm. 36, S. 528; dort werden als Quellen zitiert: fff-Press, Jg. 6, 1957, Nr. 78 vom 24.10.1957, Bildreportage in Bild und Funk, Nr. 48 vom 24.30.11.1957).

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Sequenzen) schon einige Wochen zurücklag, ohne daß dies einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden wäre. Man kann diese Szenen (in denen wohl mehr verschwiegen und mißdeutet als erhellt wurde, s. die entsprechende Darstellung in Reemtsma 1997) im Rahmen der Konventionen medialer Inszenierungen von Kriminalität interpretieren: Durch die relativ unbeschadete Rückkehr des Opfers war die offenkundige >Störung< der Ordnung (der >Riß< im regulären Gefüge der Welt, die zeitweise, aber weithin unbemerkt gebliebene Abwesenheit 25 ) bereits wieder behoben. Das Opfer war außer unmittelbarer Gefahr, von den Tätern gab es zunächst keine Spur, die >Verbrecherjagd< verschwand bald aus dem öffentlichen Bewußtsein. Die Re-Inszenierung des Entführungsvorganges muß als Erinnerung daran verstanden werden, daß der symbolische Prozeß der Wiederherstellung von Ordnung (auf den Ebenen der Justiz und der moralischen Bewertung in der Öffentlichkeit) noch nicht einsetzen konnte; zugespitzt: da die Leiche als Erinnerungsmal glücklicherweise nicht verfügbar war, griff man zum Mittel der Fiktionalisierung der Tat. Gleichsam ohne Not wurde die Spezifik massenmedialer Kriminalitätsdarstellung sichtbar - die Konstruktion des Falles auf der selbstgezogenen Grenze zwischen >Authentizität< und >FiktionAuthentizität< für die >Krimi-Sequenzen< der Rekonstruktion des Tatvorganges. Dies ist die unreflektierte, notwendige Bedingung der Kriminalitätsdarstellung; sie enthält immer - vor Gericht wie im Bericht - (Re-)Konstruktion von vergangenem Geschehen. 26 Daß diese Fiktionalisierung das probate Mittel zum Zweck war, erweist sich im nachhinein dort, wo in Jan Philipp Reemtsmas Buch Im Keller (1997) ebenfalls der Entführungsvorgang geschildert, aus der Sicht des Opfers (also mit höchstem Glaubwürdigkeitsanspruch) rekonstruiert wird: Ich weiß nicht, wie ich seinen Schrecken in Worte fassen soll. Was geschah, war so konventionell, entsprach so sehr einem als TV-Inszenierung hundertmal gesehenen Schema, wie es gleichermaßen unwirklich und unerhört war (ebd., S. 55).

Der Autor 27 betont immer wieder, daß die Verletzung, die ihm durch die Entführung angetan wurde, weder mit seiner Heimkehr noch mit ihrer Verarbei25 26

27

Vgl. Greiner im selben Band. Im Fall O. J. Simpson wurde die Verhaftung des Verdächtigten in actu gefilmt: Selbst diese Live-Präsentation kann keinen Eigenwert gewinnen, sie wird Teil der MedienRepräsentation von Geschichten, Vorgeschichten etc., sie wird Teil der Inszenierung und kann nie als pure mediale Wiedergabe der Augenblicksrealität betrachtet werden. Sie gehört integral zur Fall-Konstitution. Fernsehen verwendet eine bestimmte Grammatik zur Herstellung von >Augenzeugen-Authentizität< - scheinbar werden beide Seiten gehört, kommentiert, um Vollständigkeit zu suggerieren, aber auch Authentizität entsteht durch bestimmte standardisierte Kamerapositionen, Schnittrhythmen usw. (Snow 1984, S. 218). Reemtsmas Buch ist bewußt artifizelle, kompliziert gefügte Literatur (darauf verweist schon der Wechsel zwischen erster und dritter Person Singular im Zitat); es entzieht sich traditioneller Charakterisierung, Kategorisierungen wie >nüchterner Tatsachenbericht des Betroffenen< werden explizit abgewiesen, es paßt sich gerade deshalb der gegenwärtigen Entwicklung der medialen Inszenierung von Kriminalität an. Wo es sich

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tung (durch das Buch) behoben sei: D i e >Verletzung< der Ordnung durch die >Übertretung< 28 dauert an und verlangt z.B. auch nach juristischer Verarbeitung - das Opfer will seine Entführer, Peiniger bestraft sehen, obwohl es weiß, daß die ihm angetanen Verletzungen dadurch weder be- noch aufgehoben werden können. Es erscheint folgerichtig, daß das Opfer (ohne erkennbare Reflexion) den Beginn der Entführung mit den gewohnten Inszenierungen von >Übertretung< in den Massenmedien in Beziehung setzt. R e e m t s m a will die Erinnerung an die ursprüngliche >Störung< wachhalten, auch nach der Verurteilung der ersten Mittäter - insofern knüpft er implizit an die erste A R D - S e n dung über >seinen< Fall an; er will über die juristische Verarbeitung< hinaus einen Prozeß öffentlich-moralischer >Verarbeitung< in Gang halten, der normalerweise in die Grenzen privaten Erinnerns und Durcharbeitens verwiesen ist. 2 9

2. Verbrechen als Zeichen 2.1 Zur Konstitution von Kriminalität und Ordnung im Strafverfahren Das Strafrecht hat [...] mehr eine Funktion der Darstellung (von Herrschaft und Moral) und weniger eine der Herstellung (von Unterwerfungsbereitschaft der Bevölkerung). Die Institutionen des staatlichen Strafens konstituieren einen ideologischen Staatsapparat - aber das Mittel dieser Ideologieproduktion ist die Mißhandlung von Menschen durch staatliche Belästigung [...], durch finanzielle [...] und Freiheitsberaubung [...], bis hin zur auch programmatischen staatlichen Körperverletzung und schließlich zur staatlichen Tötung [...]. Wenn wir das Strafrecht als >symbolisch< und als ideologischen Staatsapparat verstehen, dann ist es ein Teil der Kultur- und Unterhaltungsindustrie (Steinert 1997a, S. 103f., Hervorhebungen i. O.). » D a s Strafrecht«: damit meint der Textausschnitt das ganze System des Strafverfolgens und Strafens, das beständig in den Massenmedien thematisiert wird; dazu gehört nicht zuletzt die (>realitätsnah< geschilderte) Arbeit der Polizei, die >Ordnung auf den Straßen< schafft und den Gerichten gleichsam das Material von Traditionen distanziert, bestätigt es den Trend zur Auflösung traditioneller Grenzen, der die Kriminalitätsdarstellung insgesamt kennzeichnet. - Mit >Autor< und >Reemtsma< sind stets textinterne Produzentenrollen - nicht der >wirkliche< Reemtsma - gemeint. 28 Es sollte hier schon deutlich sein, daß wir den Begriff >Übertretung< nicht im Sinne der >Dreiteilung der Straftaten< im Strafgesetzbuch aus der Zeit vor der >Großen Strafrechtsreform* am Ende der sechziger Jahre verwenden (Übertretung, Vergehen, Verbrechen). Für uns fallen tendenziell alle Normverstöße unter diesen Begriff, so daß die Verwirklichung strafrechtlicher Tatbestände als Straftaten lediglich eine Teilmenge der Gesamtmenge der Übertretungen ausmachen. Wir fokussieren im folgenden allerdings die Konstruktionen der strafrechtlich definierten >Übertretungenguten Abrichtung< durch eine »bescheidene und mißtrauische Gewalt, die als eine sparsam kalkulierte, aber beständige Ökonomie« (Foucault 1976, S. 220) agiert, kann er zumindest im Strafverfahren nicht erkennen. Steinert sieht eine Herrschaftsinszenierung, die sich der kulturindustriellen Ideologieproduktion perfekt einpaßt. Krimi und Thriller in Kino und Fernsehen (vgl. dazu auch Steinert 1997b 3 1 ) erscheinen Steinerts Blick keineswegs als Ableitungen, Widerspiegelungen, Re-Inszenierungen u. dgl. der >Realität< der Strafverfolgens, sondern als (medial spezifische) Inszenierungen der Herrschaft und der Ordnung, die sich nicht prinzipiell von denen der Strafjustiz unterscheiden. D i e Justiz des 19. Jahrhunderts hat sich wesentlich des individuellen Straftäters angenommen, der weggeschlossen werden mußte, auf den eingewirkt werden sollte, der hingerichtet wurde: zumeist spielte sich dies hinter den imposanten und bedrohlichen Mauern von Justizpalästen und Gefängnissen ab. Aus der Sicht der Foucaultschen Konzeption muß das neue (nur zum Teil neuartige) Zusammenspiel zwischen Massenmedien und Justiz als Anachronismus und als Rückschritt erscheinen, der dem Strafverfahren alte Funktionen des öffentlichen Spektakels neu zuweist 3 2 (und es ist zu befürchten, daß die Li've-Übertragung einer Hinrichtung nicht mehr lange auf sich warten läßt). Strafverfahren sind, wie die Delikte, die in ihnen verhandelt werden, Gegenstand alltäglicher Medienberichterstattung, Vorbilder bzw. Stofflieferanten für 30

Die Polizei ist insofern auch Teil der Kulturindustrie geworden, mit Rückkoppelungseffekten, die sie zu nutzen weiß: exemplarisch ist die gegenwärtig in Deutschland geführte Diskussion über den Vorbildcharakter der New Yorker Polizei und ihres Durchgreifens; am Anfang dieser Diskussion standen Reportagen in Kulturzeitschriften, wie ζ. B. im New Yorker, sie mündeten in eine Imagekampagne des ehemaligen Polizeichefs von New York, der mittlerweile Chef einer international agierenden Sicherheitsagentur ist. 31 Für die Filme der >Dirty-Harry-ReiheWirklichkeitsebenentatsächliche< Einschreibung der Symbole der Ausgrenzung in Kafkas Erzählung In der Strafkolonie, entst. 1914, ersch. 1919; diese Einschreibung wird als veraltet bezeichnet (der >alte Kommandant< hatte sie eingeführt) - doch heißt dies nicht, daß Strafe und Ausgrenzung nicht auf eigene (inszenatorische) Art bewußt gemacht werden müßten, vgl. zu Kafkas Erzählung auch Müller-Seidel 1986.

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fiktionale und nicht-fiktionale Inszenierungen in den jeweiligen (historisch sich wandelnden) Massenmedien. Dabei wird alltäglich die Vorstellung reproduziert, daß auf Vergehen und Verbrechen die Aufklärung durch die Polizei, dann die Verhandlung und Verurteilung vor Gericht folge, an die sich wiederum Berichterstattung, Literarisierung, Verfilmung etc. anschlössen. Der >Fall< bleibt in diesem Vorstellungsrahmen durch alle Bearbeitungsvorgänge hindurch unwandelbar - als ontologische Entität, über die das Strafverfahren die (historische) Wahrheit zu ermitteln hat, auf die alle weiteren Verarbeitungen sich stützen. Die »zentrale Stellung des Wahrheitswertes« hat für das Strafverfahren eine lange Tradition, die in der Vorstellung fundiert ist, daß »wahre Erkenntnis und wahre Gerechtigkeit das Ziel und damit das Wesen rechtlich geregelter Verfahren seien« (Luhmann 1983, S. 20). Demgegenüber wird eine konstruktivistische Sichtweise vorgeschlagen, nach der die Strafjustiz ihren Fall im Strafverfahren erst produziert. Das Strafverfahren ist als Prozeß der Signifikation zu verstehen, der sich im Rahmen eines festgelegten Ablaufs und mithilfe von Geschichten, Erzählungen realisiert (s. ausführlicher unten). 33 So wird aus der Leiche (oder dem Werkzeug) das Corpus delicti, aus der Erzählung die Aussage, aus allem gemeinsam der Sachverhalt (vgl. dazu Meyer-Krentler 1991) als die sprachliche Repräsentation des vergangenen Geschehens in der justitiablen Form. Das moderne Verfahren mündet in die Hauptverhandlung; die Prozeßordnung bestimmt, daß nach deren Feststellungen allein das Urteil gefällt werden kann - die Zurechnung der rechtswidrigen und schuldhaften Tat sowie die Zuweisung der Verantwortlichkeit für die Handlung an einen Täter, die mit dem Ausdruck der >sozialen Mißbilligung< verbunden ist. Alle vorhergehenden Verfahrensschritte sind nur aus dieser Perspektive zu verstehen; die Hauptverhandlung gibt den Relevanzrahmen, den Interpretationsrahmen: der Experte, der am Tatort den Fingerabdruck nimmt oder im Labor den genetischen Code bestimmt, tut dies im Bewußtsein, daß seine Ergebnisse nur im Rahmen der Hauptverhandlung (und zwar der Sachverhaltsfeststellung) Bedeutung gewinnen können. Dies heißt aber auch, daß die Hauptverhandlung in Strafsachen unterschiedliche Leitdifferenzen integrieren muß (>gesund/krankwahr/falschgut/böseStilisierung< ist im wesentlichen als Verknappung und Orientierung am rigiden Relevanzrahmen der Verhandlung zu verstehen, >Stil< dagegen als literarisches Mittel. Vgl. aber Seibert 1991 mit den charakteristischen Zwischentiteln »Die Erzählung als bestgeglaubte Form der Sachverhaltsfeststellung« (S. 74) und »Die Abweichung als schönster Inhalt der Erzählform« (S. 80).

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greift wie die massenmedialen Repräsentationen: Der Übertretung als dem Bruch der Ordnung folgt ihre Zurechnung als Handlung und ihre Bestrafung, das Strafverfahren produziert Störung und Ordnung. 34 Die Justiz operiert - ebenfalls wie die Kriminalitätsdarstellungen der Massenmedien - im >Modus des Realismusc Auch sie versteht den >Fall< als Entität der äußeren Wirklichkeit, der unabhängig von ihren Verhandlungen zu denken ist (vgl. dazu nochmals Ericson, Baranek und Chan 1991, S. 9 und passim). Diesem Verständnis von Kriminalität kommt entgegen, daß die Justiz weitgehend Alltagssprache zu verwenden scheint (schließlich müssen Juristen und Nicht-Juristen in zahlreichen Verfahrensabschnitten zusammenwirken). Die Transformation der Alltagssprache im juristischen Handlungskontext bleibt unbemerkt, alltägliche und juristische Wirklichkeitskonstruktionen scheinen austauschbar (vgl. dazu Jackson 1985, S. 49). Damit der >FallAlterung< und ohne >Deformation< >reTemporalität der Lebenswelt usurpieren^ das Gericht unterstellt, daß die sprachliche Reproduktion (die, dank des Speichermediums Schriftsprache, unendlich oft möglich ist) das Geschehen der Vergangenheit nicht nur repräsentiert, sondern auch als unveränderlich stillstellt: die Feststellungen des Gerichts sind Vergangenheit, die sich nicht mehr ändert - sie sind insofern Fiktion (vgl. Hachamovitch 1994). Luhmann findet dafür Formulierungen, die für das verbreitete Verständnis von Justiz nicht leicht zu akzeptieren sind: Danach ist es »Illusion« des Strafverfahrens, wenn es glaubt, »eine Entscheidung sollte und könnte wenigstens im Rechtssystem durch die im Verfahren erfaßte Vergangenheit determiniert sein«: »Die Entscheidung setzt Vergangenheit als unänderbar und Zukunft als änderbar voraus, und eben deshalb kehrt sie das Determinationsverhältnis um. Sie läßt sich durch die Vergangenheit nicht festlegen, versucht aber, für die Zukunft einen Unterschied zu machen [...]« (Luhmann 1993, S. 309, Hervorhebungen i.O.). Das Strafverfahren ist ein Prozeß der Zeichen und der Bezeichnungen, Thomas-Michael Seibert charakterisiert es weiter als »einen kommunikativen, öffentlichen und nach zeitlichen Regeln gegliederten (verfahrensmäßigen) Ablauf« (Seibert 1996, S. 11). Seibert nimmt versuchshalber die Position des Zuschauers in einem Strafverfahren ein und kommt zu folgender Beschreibung: Schon aus der Perspektive des Gerichtsreporters verwandelt sich die Wahrheitssuche gelegentlich in ein absurdes Theater. Das ist strukturell und unvermeidlich. Der Zuhörer hört einen Dialog, dessen Voraussetzung, Anordnung und Ziel ihm nicht mitgeteilt werden und teilweise den Akteuren erst im Moment der Verhandlung deutlich werden.

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Vgl. dazu auch Papke 1987: Kriminalität ist nicht als Phänomen der Realität, sondern als kulturelles Erzeugnis zu verstehen: »crime is not a dark, static reality but rather [...] born of a dialectic between occurrence and perspective«, S. XV. - Nach Fertigstellung unseres Beitrages ist die »Skizze einer konstruktivistischen Kriminalitätstheorie« von Hess und Scheerer (1997) erschienen, die mit unserer Sichtweise in wesentlichen Punkten konvergiert; darauf wird an späterer Stelle noch einmal zu verweisen sein.

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Der Zuhörer darf auch nicht eingreifen und Rückfragen stellen. [...] Der Zuhörer, der nicht in die Befragung eingreifen darf, kann auch niemals Kontrolleur des Geschehens sein. Es bietet sich lediglich dar. Diese Aufgabe kann auch ohne real anwesende Zuschauer erfüllt werden. Wichtig ist nur, daß die Akteure selbst sich auf einer Bühne zu bewegen glauben (ebd., S. 170f.)

Der kurze Textausschnitt entwickelt eine Hierarchie des Wissens und der Initiation, die auf traditionellen Unterscheidungen zwischen Innen und Außen, zwischen Fachleuten und Laien aufbaut: wie im >absurden Theater< ist die adäquate Rezeption des Strafprozeß-Verlaufs nur demjenigen möglich, der durch Ausbildung und langjährige Übung zum Kenner, zum Wissenden geworden ist. Das schließt nicht aus, daß auch der ungeübte Zuschauer seinen Spaß am Spiel haben kann, dessen Sinn er freilich nicht zu erfassen vermag, dessen Wahrheit er nicht erkennt. Die wirklichen Experten an der Spitze der Hierarchie sind die Akteure auf der Bühne des Verfahrens, von denen ein gehöriges Maß an >Als-ob-Handlungen< abverlangt wird und auch werden kann: Schon wenn der Vorsitzende die Personalien des Angeklagten abfragt, muß er so tun, als ob sie sich nicht schon in den Akten befänden. Am »symbolischen Ort« Hauptverhandlung (ebd., S. 171) wird für das imaginäre Publikum der Gemeinschaft der Rechtsunterworfenen ge- und verhandelt. Deshalb bleibt die spezifische Asymmetrie des Strafverfahrens (an dieser Stelle!) ausgespart, die darauf beruht, daß das Verfahren in der Regel durch eine Leidzufügung ausgelöst wird und mit einer ebensolchen enden muß. Anders ausgedrückt: Die professionellen Verfahrensbeteiligten (in aller Regel eben die Juristen) können oder müssen glauben, sich auf einer Bühne zu bewegen, weil sie nach Abschluß des Verfahrens diese(s) verlassen können, ohne Folgewirkungen spüren zu müssen.35 Nur so ist das moderne Strafverfahren überhaupt denkbar (doch es gibt die lange Tradition der Geschichten und Mythen von den Richtern, die durch ihre Urteile unausweichlich schuldig werden, nicht ohne Grund). Gewiß wird im Strafverfahren nicht über Moral oder Amoral, sondern über Recht und Unrecht entschieden, doch ebenso gewiß wird das Strafverfahren von allen Beteiligten und Beobachtern auch als ein >moralisches Schauspiel· empfunden, in dem eben nicht bloß Rechtsfragen verhandelt werden:36 Die Hauptverhand35

Natürlich immer vorausgesetzt, daß das Verfahren nach Recht und Gesetz zu Ende geführt wurde; ebenso soll keineswegs ausgeschlossen werden, daß der einzelne Richter sich aus seinem (rechtmäßig ergangenen) Urteil >ein Gewissen machtSachAufführung< konzipiert, in der nach festgelegten Rollenvorgaben und gleichsam nach einem Drehbuch Vergangenheit vergegenwärtigt und im Sprachspiel Schuld zugerechnet wird (vgl. auch Haft 1978). Dieser inszenatorische Aspekt ist eng mit dem der erzählerischen Vergegenwärtigung 3 8 des vergangenen Geschehens verknüpft. Zusammen machen sie das Strafverfahren zum Medium der Ordnungsrepräsentation. Seibert hebt dies hervor: »Das strafrechtliche Dispositiv beruht auf einem narrativen Modell [...] D i e Tat muß immer >erzähltschönen Literature Auf den Leser, der an modernen (Prosa-)Texten geschult sei, wirken Urteile nicht selten befremdlich, weil sie einen Erzähler kon-

tiv, von ihm wird erwartet, daß er rivalisierende Wahrheitsbehauptungen in einem vernünftigen Kompromiß ausgleicht, Vernunft erscheint förmlich als Gegenbegriff zur Wahrheit« (S. 330). Es ist klar, daß in diesem Zusammenhang die moralischen Aspekte einer Handlung für die Geschworenen deutlicher, offener herausgearbeitet werden können: die Geschworenen müssen die Handlung >verstehenTypenstrafrechtGesinnungsstrafrechterzählengöttlichen Blick in das Innere der Beteiligtem erworben hat. Introspektion und Zuschreibung fallen zusammen: Bezeichnet wird etwas, das sich nicht einfach beobachten läßt, sondern unterstellt werden muß. Das Gericht beschreibt das äußere Verhalten und schließt von diesem [genauer: von seiner Beschreibung, also von der erzählerischen Konstruktion] aus auf die angebliche Motivation (ebd., S. 97). [...] Im Gerichtsverfahren vereinfacht man Inszenierung und Imagination zur wahrheitsgemäßen Aussage (ebd., S. 114).

Das zentrale Problem aller Rechtsprechung ist demnach die Interpretation von Geschichten, über die keine Einigkeit herrscht - wobei die Geschichten bestimmte soziale Vorgänge repräsentieren (»adjucation is dominated by the problem of interpreting disputed representations of particular social actions«, Bennett und Feldman 1981, S. 9). Im Gerichtssaal wird nicht über Wirklichkeit zu Gericht gesessen, sondern über Repräsentationen, die wiederum Interpretamente in Form von Geschichten sind, in denen allein soziale Realität justitiabel eingeführt wird (ebd., S. 114). Wirklichkeit ist keine Kategorie hinter oder neben der Rechtssprache. Sie wird durch sie und in ihr erzeugt. Dabei finden die Konstruktionsprozesse nicht erst und nicht nur in den Akten von Polizei und Staatsanwaltschaft statt, in denen ein äußeres, >wirkliches< Geschehen in Aussagen, Berichten und Vermerken festgehalten wird. Die Konstruktion beruht auch nicht nur auf den besonderen Kompetenzen der Ankläger oder Verteidiger eines Zustandes oder Verhaltens, sie läßt sich nicht negativ von der nicht konstruierten, einfach nur erkannten Wahrheit unterscheiden. Vielmehr ist sie der Stoff der Handlung selbst. Eine Handlung hat ihre Bedeutung nicht vor der Beschreibung und unabhängig von ihr, sie wird aus und in den Zeichenprozessen konstruiert, deren Teil sie ist. Die Konstruktion der Bedeutung beschränkt sich insofern nicht auf >Spielräume< in mehr oder weniger festen Grenzen, sie wirkt in die Gegenstandswahrnehmung, in das Sehen und Begreifen hinein (Seibert 1997, S. 249).

Die Herstellung des Rechtsfalles und seine Lösung (in der >Subsumtionrein Faktischen< reden zu wollen, wird sinnlos; Geschichten können nicht >verifiziertakzeptiert< werden (ebd., S. 721). Die Hauptverhandlung in Strafsachen ist der Ort, an dem die Konkurrenz der Geschichten inszeniert wird und beobachtet werden kann.39 39

»Im Gerichtsverfahren enstehen die >forensischen Konstrukte< wie Gerichtsentscheidungen, Verurteilungen, Freisprüche etc. als Resultante der Konstruktionsbeiträge der einzelnen Verfahrensbeteiligten und der Interaktions- und Definitionsmacht, mit der sie diese durchzusetzen in der Lage sind. Die Analyse von Strafverteidigung als G e schichtenerzählern auf narrativem Verstehenshintergrund geschieht mit dem Augenmerk auf die Einflußnahme von Strafverteidiger/innen auf die Dramaturgie der Geschichte« (Deichsel 1997, S. 285).

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2.2 Strafverfahren und Gerichtsspektakel in der >schönen Literatur< und im Film Aus literarhistorischer Sicht ist die Verknüpfung der Strafjustiz mit der >Kulturindustrie< (mit Theater, mit Spektakel und Zuschauervergnügen) so überraschend nicht (auch wenn die Konstellation, die Steinert untersucht, ihre historische Spezifik hat): sowohl in der dramatischen als auch in der erzählenden Literatur wurde der spektakuläre Aspekt des Strafverfahrens immer schon erkannt und genutzt. Dies wird gelegentlich verdeckt von literarhistorischen und auch juristisch-kriminologischen Interessen an den Vergegenwärtigungen von Kriminalfällen, an der Darstellung von Verbrechern und kriminogenen Konstellationen sowie an der Auflösung von Fällen im Action- oder Rätselspiel. Die Thematisierung der Justiz (ihrer Regeln der Fallkonstitution und -Verarbeitung, ihrer Inszenierungen und Rollenprofilierungen) kommt demgegenüber zu kurz (vgl. aber z.B. Merkel 1991, teilweise auch Müller-Dietz 1990, dort auch Forschungsüberblick).40 Die folgende knappe Themenskizze soll auch Forschungsdesiderata in dieser Hinsicht verdeutlichen (vgl. aber die Beiträge von Drexler, v. Keitz und Titzmann im selben Band). Heinrich von Kleists Lustspiel Der zerbrochne Krug (1811) ist an erster Stelle zu nennen. 41 Der Dorfrichter Adam, der mit einiger Zuversicht glauben darf, alle Fäden des Verfahrens in der Hand zu halten, kann nicht verhindern, daß die eigenen Verfehlungen aufgedeckt werden. Er kann die Regeln des Strafverfahrens nicht so weit manipulieren, daß sie seinen Zielen nicht mehr im Wege stünden: Die Beteiligten - Klägerin, Zeugen und Angeklagter - sind noch nicht derart zu Objekten des Verfahrens (und zu Anweisungsempfängern des Richters) geworden, daß ihnen das >eigene Wort< ganz und gar abgeschnitten werden könnte. Auf dem Umweg über die Konkurrenz der Erzählungen, die der Richter nicht vollständig ausblenden kann, entsteht gegen seinen Willen die >Wahrheitmoderner< Vereinheitlichung unterliegt:42 Die Erzähler sind mit dem Hinweis auf den engen Relevanzrahmen der Verhandlung nicht einfach zum Schweigen zu bringen, und so produzieren sie die Geschichten, die Schuld zutage fördern und das >schwarze Schaf< des Berufsstandes zur Selbstausgrenzung zwingen (vgl. Linder 1997, S. 304-306).

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Walter Grasnick (1997b) stellt dafür einen Erklärungsansatz bereit, der von deutschen Juristen< ausgeht, die an der Vorstellung festhielten, Realität zu >rekonstruierenmodeme Strafjustiz< zu beziehen sind, untersucht Wirtz 1994 ausführlich. 42 Das angewendete Verfahrensrecht gilt schon im Stück als anachronistisch, die Visitationsreise des Gerichtsrats soll auch Vereinheitlichung des Gerichtsgebrauchs herbeiführen; natürlich stellt sich dann die Frage, wer Gewinner derartiger Vereinheitlichung und des möglichen >Rationalitätszuwachses< sein wird.

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Die (komödiantisch-kritische, am Ende versöhnliche) Inszenierung des Gerichtsspektakels, die Entwicklungen im Rechtssystem im Blick behält, hat sich in der deutschen Literatur im 19. Jahrhundert nicht durchsetzen können. 43 Dies hängt ohne Zweifel mit der deutschen Rechtskultur44 zusammen, in der es normalerweise keine Erfahrungen mit dem öffentlichen, mündlichen Prozeß gab 45 wenngleich dieser schon vor und nach 1800 lebhaft diskutiert wurde; es fehlten die Voraussetzungen, das Wissen aus der Zugänglichkeit der Verfahren, um >Material< im weitesten Sinne (Fälle bzw. Fallkonstellationen, Verfahrensund Rollenkenntnis usw.) bereitzustellen.46 Statt dessen setzt sich das >Paradigma< der >Pitavalgeschichte< durch und bestimmt letztlich auch die fiktionale Kriminalitätsdarstellung; das Strafurteil perspektiviert die Darstellung, bleibt in aller Regel jedoch außerhalb ihrer Grenzen. In der deutsche Literatur erscheint die Justiz so >natürlich< wie das Verbrechen. Die Schriftlichkeit des Strafverfahrens wird in einer ganzen Reihe von literarischen Texten der Kriminalitätsdarstellung des 19. Jahrhunderts thematisiert, doch führt dies nicht zur Konstruktion von >Gegenbildern< etwa aus außerdeutschen Erfahrungen.47 Auch Gerichtsberichterstattung ist noch bis gegen 1900 fast ausschließlich Kriminalberichterstattung; der Gerichtsberichterstatter (der in der Tagespresse zunehmend seinen Stammplatz findet) berichtet nicht darüber, was er im Gerichtssaal tatsächlich sieht, sondern darüber, was im Verfahren als Fall konstituiert und beurteilt wird.48 43

Insofern ist die Forschungslücke, die schon in Schönert (Hg.) 1983 und 1991 auffallen mußte, vermutlich auch eine Lücke im Material: doch dies bleibt weiter zu prüfen, auch mit Blick auf andere Nationalliteraturen und andere nationale Rechtskulturen. Vereinzelt finden sich Gerichtsdarstellungen: etwa der Patrimonialgerichtsbarkeit in Droste-Hülshoffs Judenbuche (1842), aber auch einer politisch-revolutionären Justiz in Büchners Danton's Tod (1835). Untersuchungs(richter)geschichten, wie z.B. Müllners Kaliber (1829) oder Temmes zahlreiche Erzählungen in der Gartenlaube (nach 1855, vgl. dazu vor allem Meyer 1987) gehören kaum in den Zusammenhang der Gerichtsdarstellungen. 44 Der Begriff ist mit aller Vorsicht und ohne Definition verwendet, vgl. u. a. Schönert 1991 und Böker 1996 - also konzentriert auf die literaturwissenschaftliche Interessenlage. 45 Vgl. dazu auch Müller 1980 und Eder 1991. 46 Ein Markt - Autoren, Verleger, Leser - für Darstellungen und >Verarbeitungen< von öffentlichen Strafverfahren wäre vorhanden gewesen. Das zeigt sich an den zahlreichen Veröffentlichungen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts zu Strafprozessen erschienen sind, die im preußischen Rheinland - in Köln und Trier etwa - nach französischem Verfahrensrecht geführt wurden, also in öffentlicher Verhandlung vor einer Jury. Allein zum Mordverfahren gegen Peter Anton Fonk in den zwanziger Jahren in Trier sind mindestens 35 selbständige Veröffentlichungen erschienen, von denen viele das Strafverfahren schildern, meist auf der Basis stenographischer Mitschriften. 47 Über Ε. T. A. Hoffmanns literarische Kritik am Verfahren ist hier nicht zu reden; die Problematik schriftlicher Zeugnisse scheint in Temmes Rosa Heisterberg (1858) auf, wo noch das letzte Geständnis der Verdächtigten als Brief, und deswegen nicht weniger fragwürdiges Zeugnis eingebaut ist. 48 Vgl. z.B. Lindau 1888 und 1909, Friedländer 1910-1920. Zu den Anfängen der Gerichtsberichterstattung in Tageszeitungen vgl. Hennig 1991.

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Nach 1900 ändert sich die Situation, die >schöne Literatur< nimmt die Justiz wieder wahr, 49 und auch Gerichtsberichterstattung wird zu einer Aufgabe, der sich prominente >moderne< Autoren widmen. 50 Die Deformationen, denen der Jurist in der Ausbildung und der Berufsausübung ausgesetzt ist, die >Aktenweltwirklichen Leben< bleibt, der >Richterstand< als Sammelbecken der Konservativen und Weltfremden: Auch in der kritischen Reflexion können sich Allgemeinplätze und Klischees durchsetzen. 51 Rechtswissenschaft und Rechtspraxis verschließen sich dem Reflexionsschub zu großen Teilen, aber doch nicht vollständig; Wissenschafts- und Sprachkritik bestimmen nicht nur die >schöne Literature Zahlreiche Artikel aus der von Gustav Radbruch u.a. nach 1925 herausgegebenen Zeitschrift für die »Erneuerung des deutschen Rechtswesens« Die Justiz wären hier anzuführen (vgl. dazu Rasehorn 1985);52 auf die Arbeiten von Ludwig Bendix zu den »irrationalen« (sprich: uneingestandenen, nicht unmittelbar dem Rechtssystem entstammenden) Voraussetzungen obergerichtlicher Urteile (vgl. L. Bendix 1927, 1928, 1968a, 1968b) kann ebenfalls nicht ausführlich eingegangen werden. Exemplarisch ist die Parallelisierung der historiographischen Konstruktionsleistungen mit denen im Gerichtsprozeß bei Max Weber: Sie geht von der Vorstellung aus, daß die kausale Zurechnung bei den Juristen immer Faktenauswahl mit adäquanztheoretischen Überlegungen verbinden muß; dabei müssen stets mögliche Alternativen imaginativ konstruiert werden. Dies verbindet die Historiographie mit der praktischen Justiz: Auch sie muß alternative Verläufe konstruieren, wenn sie tatsächliche Verläufe zurechnen, einordnen will. Demnach ist kausale Zurechnung insgesamt ein >Gedankenprozeß< (so auch Ludwig Bendix an zahlreichen Stellen), »welcher eine Serie von Abstraktionen enthält« (Weber 1988, S. 273) - und der (im Strafverfahren) eben auch die Vorstellungen von der Person beinhalten muß. Das Geschehen kennt die >Möglichkeiten< nicht, sie gehören zur wissenschaftlichen Historiographie und eben auch zur Rekonstruktion der Vergangenheit(en) im Gerichtsprozeß. Möglichkeiten zu erwägen, bedeutet zunächst die »Schaffung von [...] Phantasiebildern« (ebd., S. 275). Die historische >Tatsache< ist stets ein >Gedankengebilde< (ebd., S. 277):

49

Vgl. dazu Petersen 1988, Linder 1991, 1994, Müller-Seidel 1996. Vgl. vor allem die Gerichtsberichterstattung von Sling (d.i. Paul Schlesinger) sowie Berichte in der Justiz, vgl. Rasehorn 1985. Vgl. auch Merkel 1991 und Müller-Dietz 1991 zu Karl Kraus, Wesel 1981 zu Tucholsky. 51 Vgl. z.B. Hans Lands Roman Staatsanwalt Jordan (1915, dessen Motive noch 1961 unter dem Titel Das Mädchen und der Staatsanwalt verfilmt wurden), die Zusammenfassung aller Themen in Ernst Ottwalts Denn sie wissen was sie tun (1932), vgl. auch die einschlägigen Texte von Wassermann, Musil, Döblin u. a. (dazu Lindner im selben Band). 52 Bemerkenswert ist, daß die Justiz zahlreiche nicht-juristische Publizisten, Wissenschaftler und Literaten - von Theodor Lessing bis Thomas Mann - zur Mitarbeit gewinnen konnte. 50

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»Um die wirklichen Kausalzusammenhänge zu durchschauen, konstruieren wir unwirkliche« (ebd., S. 287). 53 Wie sich Justiz, Gerichtsberichterstattung und >schöne Literatur< den Kriminalfall, die Kriminalität und die Welt, in der sie stattfinden, >zusammenreimenPitavalgeschichte< aufbaute, erweist sich als nicht tragfähig: Die aus dem Strafverfahren überlieferten Texte enthalten nicht >die< Wahrheit, die durch alle Ver- und Überarbeitungen hindurch stabil bleibt. Die Kriminalität gehört zur Justiz, so wie die Außenseiter zur Gesellschaft gehören: Sie sind jeweils Produkte spezifischer Definitions- und Ausschließungsvorgänge, in denen die Wissensbestände der Medizin, der Soziologie, der Psychologie, der Ökonomie usw. als Ideologeme beliebig einsetzbar und verschiebbar sind. Kriminalität wird auf diese Weise als ein gesellschaftlich produzierter und notwendiger Mythos erkannt (so jetzt auch Hess und Scheerer 1997, S. 138-143). So erklärt sich auch, daß die Autoren der Reihe sich mit unmittelbarer Justizkritik kaum aufhalten und an ihrer Stelle auf je eigene Weise die Wirklichkeitskonstruktionen in Justiz und Medien sichtbar machen. Auch auf den Bühnen der Weimarer Republik (und in zahlreichen nach Bühnenstücken gedrehten Filmen) wird das Gerichtsspektakel inszeniert (dies wäre ergänzend zu Titzmanns Beitrag im selben Band zu untersuchen). Bei aller Verschiedenheit der Autoren und Texte 54 kann man die Gemeinsamkeit herausstellen, die sie mit wesentlichen Vorstellungen der Reihe Außenseiter der Gesellschaft verbindet: Die Justiz findet keine privilegierte Wahrheit, die jenseits ihrer Grenzen Geltung beanspruchen könnte - und sie sucht sie gar nicht erst. Darauf bezogen enthalten zahlreiche Texte eine Schlüsselszene der Verfahrensdarstellung: Ein Jurist - Richter, Staatsanwalt, Verteidiger - , der ganz in seiner Rollendarstellung aufgeht, unterbricht den Redefluß eines Nicht-Juri-

53

Vgl. zur Reflexion der Realitätskonstruktion der Justiz bei Radbruch und M. Weber Gephart 1993, S. 4 5 0 - 4 6 1 und passim. 54 Stücke u.a. von Alsberg, Bettauer, Blume, Bruckner, Crede, Espe, Eulenberg, Finkelnburg, Bruno Frank, Leonhard Frank, Hasenclever, Herzog, Horväth, Jung, Kaiser, Lampel, Mühsam, Paquet, Philippi, Plivier, Rehfisch, Rennefahrt, Reupke, Schäferdiek, Schäfer, Toller, Wolf, Wolfenstein - diese Liste ist keineswegs vollständig; zahlreiche Stücke aus dem Korpus von Michael Titzmann (in unserem Band) stellen Gerichtsverfahren dar; Ansätze zur Auswertung dieses Aspekts bei Linder 1994b; Piscators Bühnenbearbeitung (um 1930) von Theodore Dreisers American Tragedy (1925, dt. 1927) lag uns leider nicht vor. - 1932 organisierte die Paramount A G eine spezielle Vorführung ihrer Verfilmung von Dreisers Roman für den örtlichen Richterbund (nachdem Besprechungen des Filmes u. a. von Max Alsberg erschienen waren). Dabei wurden vor allem Verfahrensprobleme wahrgenommen, die mit dem amerikanischen Prozeßrecht und der Fragestellung an die Jury zusammenhingen; der Film, so die Besprechung der Aufführung, zeige, daß das amerikanische Verfahren den Einblick in das >Seelenleben< des Angeklagten nicht gestatte, vgl. Anonymus 1932.

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sten (Angeklagten, Zeugen, Gutachters) mit der stets ähnlich formulierten Bemerkung, daß allein das Gericht bestimme, wer wann zu welchem Thema in welcher Länge auszusagen habe. Genau in diesem Moment wird regelmäßig die Gelegenheit vertan, Wahrheit in das Verfahren einzuführen. 55 Der Kleistsche Optimismus, daß die Wahrheit vor dem Forum des Gerichts zu Tage kommen könnte, ist angesichts der festgefügten Rollen und Interessen passe. An seine Stelle tritt meist Ironie gegenüber den Rollenchargen und vernichtende Kritik angesichts der unüberbrückbaren Kluft, die sich zwischen dem Richtertisch und dem Saal und der >Welt draußen< aufgetan hat. 56 Bertolt Brecht schließlich hat seine Erfahrungen mit dem Zivilverfahren im Dreigroschenprozeß57 (1930) reflektiert: Auch danach findet das Verfahren Wirklichkeit nicht vor, sondern erfindet sie, und zwar ganz und gar interessengeleitet. Erst wenn dies erkannt wird, kann der Gerichtsprozeß als ein sozialer Vorgang im weiteren Sinne erkannt werden, in dem in der Interessenkonkurrenz Wirklichkeit konstituiert wird, auch hinsichtlich der (folgenreichen) geistigen Eigentumsverhältnisse. Konsequenterweise werden im Kaukasischen Kreidekreis (1948/54) die gleichsam handwerklichen Seiten der Rechtspraxis gezeigt. Wenn sie verdeckt im Hintergrund blieben, behielte das Recht und die Rechtspraxis ihre Aura allgemeinen Geltungsanspruchs und die Interessen, die im Spiel sind, blieben verdeckt (vgl. Beebee 1992). Fritz Langs Film Μ - Eine Stadt sucht einen Mörder (1931) treibt die Ironisierung des Gerichtsspektakels noch weiter zur Travestie des von den Gangstern inszenierten PseudoVerfahrens, in dem nur der >Angeklagte< seine >richtige< Rolle zu spielen hat. Das Scheinverfahren bringt die grundlegende Asymmetrie des realen Verfahrens zum Vorschein: Die meisten der Rollenspieler möchten am Ende der Verhandlungen den Saal verlassen und fern von der Justiz ihren eigenen - im Zweifel >normal-kriminellen< - Interessen nachgehen, 58 während für den Angeklagten, jetzt Verurteilten, das Verfahren noch lange nicht zu Ende ist: ihm ist von den Gangstern der Tod vorbestimmt, und in dem Strafverfahren, dem er von der Polizei zugeführt wird, hat er nichts anderes zu erwarten: Steinert (s. o.) hat auf diesen Aspekt allgemein hingewie55

Exemplarisch in Herbert Eulenbergs Stück Mächtiger als der Tod: Hier gesteht der Angeklagte im laufenden Prozeß laut redend dem Sohn den wahren Tathergang, so daß aus Anklage auf Tötung auf Verlangen eine Anklage auf Tötung gegen den Willen des Opfers werden müßte. Doch der Richter - weit entfernt, diese Sachverhaltsschilderung auch nur wahrnehmen zu wollen - weist ihn zurecht: er habe nur auf ausdrückliche Fragen hin zu reden, er verweist ihn in die Schranken seiner Rolle, begibt sich so (absichtlich oder unabsichtlich) der Chance, >Wahrheit< zu ermitteln (1921, S. 114— 116). 56 Zusammenfassend in jeder Hinsicht in der simultanen Darstellung verschiedener Verhandlungen in Ferdinand Bruckners Die Verbrecher (1929). 57 Bezeichnenderweise ein Urheberrechtsverfahren, also ein Verfahren, in dem die rechtliche Regelung der medialen Repräsentation zur Debatte stand. 58 Just, daß man in Μ das Gegenteil vermuten muß, nämlich daß die >Verbrecherrichter< nun ihrerseits festgenommen werden, läßt diesen Aspekt besonders deutlich werden.

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sen. Doch solange die Verhandlung währt, füllt der elegante Berufsverbrecher die Rolle des Vorsitzenden Richters mit souveräner Ironie aus, geben die übrigen Teilnehmer das vollständige Schauspiel eines Sensationsverfahrens, das sie emotional gefangenhält. Der Unernst dieses Verfahrens folgt geradezu aus der perfekten Einhaltung von Prozeßregeln: der Verteidiger, der für den Angeklagten eintritt, fordert den Widerspruch des >gesunden Volksempfindens< heraus, und der Angeklagte redet sich im >Schlußwort< mit der Beschreibung der eigenen >Krankheit< vollends um Kopf und Kragen (vor einem ordentlichen Gericht der Zeit ginge es ihm wahrscheinlich nicht anders, vgl. etwa den Fall Kürten). Wo die Grenzen zwischen Straftätern und Strafverfolgern zur Unkenntlichkeit verwischt werden, 59 verbietet sich jeder Gedanke an differenzierte >Gerechtigkeitspflege< oder an Wahrheitssuche, an ihre Stelle tritt schnelle Justiz im Namen des >Schutzes der Gesellschaft^ 60 Intensität, Interesse und Kenntnisse, mit der Literaten, Publizisten, Regisseure die Justiz der Weimarer Republik beobachteten, haben sich in der Nachkriegszeit der BRD und bis heute nicht erneuert; über die Gründe wäre zu spekulieren, Ausnahmen wie Heinrich Bolls 1966 erschienene Erzählung Ende einer Dienstfahrt61 bestätigen die Regel. Bolls Text stellt ausführlich eine Verhandlung vor dem Einzelrichter eines Amtsgerichts dar; das Strafverfahren verhandelt die Verbrennung eines Bundeswehrjeeps durch einen Soldaten und seinen Vater als >groben Unfugbürgerlicher< Kunst und >bürgerlicher< Justiz Autonomie sowie den privilegierten Zugang zur >Wahrheit< zuschreiben. Das Gerichtsverfahren (das aus mehreren Perspektiven und mit offenkundiger Sympathie des Erzählers konstruiert wird) ist ein Bühnengeschehen, das die wichtigeren Vorgänge und die Regie hinter der Bühne verdecken soll. In diesem Kontext wird auch die Berufung auf die Kunstfreiheit für den Künstler zur Option, mit der er sich von der Verantwortung für seine politische Aktion befreien kann, doch muß er dafür in Kauf nehmen, sich selbst als Hofnarr des Systems zu charakterisieren (einen Posten, den er sich - immer Bolls Text zufolge - mit dem Juristen teilen muß). Wo der Jurist seinen Beruf ernsthaft und ohne Zynismus ausüben will, muß er sich der Erkenntnis verschließen, daß er am Zügel von Institutio59

Das ist ein generelles Kennzeichen des Filmes: die physiognomischen Auszeichnungen von Polizisten und Verbrechern vertauschen geradezu die gängigen Konventionen häßlich und abweichend wirken vor allem die wild gestikulierenden und aggressiv rauchenden Polizisten. 60 Auf zwei Lücken in diesem Band ist hier wenigstens hinzuweisen: Einerseits ist es uns nicht gelungen, Beiträge zur Rundfunk- bzw. Hörspielgeschichte einzuwerben; dabei werden Kriminalität und Justiz im Radio der Weimarer Republik breit thematisiert, zahlreiche Theater- und Prosastücke wurden für den Funk eingerichtet (Döblin, Horväth u. a.), und schon früh in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg richten die Rundfunksender feste Sendeplätze für das Kriminalhörspiel ein (unbeschadet der Aufnahme des Sujets außerhalb der Sparte). Mit Ausnahme der Hinweise bei Drexler und v. Keitz bleibt auch die Zeit des sog. Dritten Reichs ausgespart. 61 Für das Fernsehen 1971 verfilmt von Hans-Dieter Schwarze.

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nen geführt ist, deren Intentionen mit >Recht/Gerechtigkeit< im traditionellen Sinn (des bürgerlichen Rechtsstaates) wenig zu tun haben. Das Strafverfahren wird - im Sinne Steinerts - eingebaut in den (klein-)bürgerlichen Unterhaltungsrahmen, zusammengespannt mit den Massenmedien, die über es berichten und für die letztlich das Theater in Gang gehalten wird. Gerechtigkeit ist also nicht zu erwarten, doch - wie im Theater - bei einiger Anstrengung erfährt der Zuschauer einiges (im nicht-justitiablen Sinne) über seine Welt, wenn denn seine Aufmerksamkeit überhaupt noch so weit reicht (vgl. ausführlicher Linder 1997). Das Ende der >Autonomie bürgerlicher Kunst< wie bürgerlicher Justiz wird in Bolls Text zum Symptom des Endes der bürgerlichen Gesellschaft und der Autonomie des Individuums, das sich seiner eigenen Geschichte zu vergewissern vermag; in der fortgeschrittenen Mediengesellschaft wird alles dem Unterhaltungsbedürfnis unterworfen. 62 2.3 Zu einer Semiotik der Übertretung Aus den bisher beschriebenen >Medienrealitäten< lassen sich einige vorläufige theoretische Konsequenzen ziehen, in denen die exemplarischen Befunde aufgenommen und systematisch fortgeschrieben werden. Zwei je inverse Sichtweisen des Zusammenhanges von >VerbrechenJustiz< und >Medien< sind möglich: Aus alltagsweltlich >realistischer< und ontologisierender Sicht bildet die temporal vorausliegende Normverletzung eines >verantwortlichen< Täters sowohl die Voraussetzung - den >realen< Input - für die anschließende Diskursivierung zum >Kriminal-Fall< durch die Institutionen der Strafverfolgung als auch für je medienspezifische Weiterverarbeitungen. Wir kehren demgegenüber die Blickrichtung konstruktivistisch um: Printmedien (Presse, schöne Literatur usf.), Theater oder audiovisuelle Medien (Filme in Kino und Fernsehen) konstruieren ihre Gegenstände - Gerichtsverfahren, Polizeiarbeit, Verbrechen (aus Täter- oder Opferperspektive) - nach je mediengattungsspezifischen Darstellungs- und Erzählkonventionen, 63 und zwar unabhängig davon, ob sie als Fiktionen präsentiert werden oder nicht. Auch die Justiz verhält sich zu ihrem >GegenstandKriminal-FallÜbertretung< als Fall, der außerhalb des Rechtssystems, außerhalb gesellschaftlicher Wahrnehmung und unabhängig von moralischen, juristischen usf. Diskursen nicht existiert: zumindest nicht als kommunizierbares - also auch verbalisierbares - fait social. Handlungen und Geschehnisse werden erst innerhalb sozialer Kontexte als Ordnungsverletzun62

63

Die langsame Angleichung an amerikanische Verhaltensweisen im Gerichtssaal, die in deutschen Court-Room-Serien zwischen ζ. B. >Das Verkehrsgericht tagt< und >Liebling Kreuzberg< auffällt, wäre eine Illustration der These in Bolls Text, die durch Beobachtungen in tatsächlichen Gerichtssälen noch zu erweitern wäre. Schmidt 1994a, S. 164-201; vgl. zum westdeutschen Fernsehkrimi auch exemplarisch Weber 1994, Hickethier 1994b, Brück 1996, Brück im selben Band, zum DDR-Fernsehkrimi Guder 1996 sowie mediengattungstheoretisch Viehoff u. a. 1994.

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gen und als moralisch und potentiell auch juristisch zurechenbare Schuld interpretierbar und mittels spezifischer Leitsemantiken, die die hierfür notwendigen Code-Werte bereithalten (z.B. recht - unrecht, gut - böse, gesund - krank, normal - anormal, schön - häßlich), mit Bedeutung angereichert.64 Vor diesem medientheoretischen und konstruktivistischen Hintergrund will unser Versuch einer zeichen- und erzähltheoretischen Modellierung von >Verbrechen< als >Übertretung< das terminologische Auflösungsvermögen diskursoder systemtheoretischer Konzeptionen erhöhen; letztere bilden zwar den theoretischen Fluchtpunkt unserer Überlegungen, bedürfen aber - wollen sie sich nicht in Leerformeln erschöpfen - eines interdisziplinär anschließbaren, einzelwissenschaftlich operationalisierbaren Analyse-Instrumentariums, das wir in Zeichen- und Erzähltheorie erblicken.65 Eine medienwissenschaftliche (Re-)Konstruktion von >VerbrechenJustiz< und ihren »Verbreitungs- und Erfolgsmedien« 66 wird außerdem ohne Semiologie und Narratologie auch und gerade dann nicht auskommen, wenn sie in einem systemtheoretischen Rahmen erfolgt. Luhmann setzt zwar die Analyse von >Semantiken< und Zeichenstrukturen voraus, bleibt dabei jedoch nach wie vor binaristisch und unterkomplex. 67 Mehr als eine erste hypothetische Skizze können wir gleichwohl in unserem Beitrag nicht leisten; ihr theoretisches und heuristisches Potential scheint uns jedoch diskutierenswert. 64

Für die Rechtswissenschaft vgl. in diesem Zusammenhang schon Hruschka 1965, Seibert 1981, Hassemer 1981. 65 Zur jüngsten Diskussion über Medienwissenschaft, Systemtheorie, Konstruktivismus und Diskurstheorie vgl. neben Luhmann 1996 schon Schmidt 1994b, der »Medienangebote« als »artikulierte Zeichenkomplexe« versteht (S. 116), die »kommunikative und kognitive Prozesse [strukturell koppeln]« (S. 119), oder Reck 1996 zu den Perspektiven einer historischen Anthropologie der Medien< und zur »Medien- als Artefaktwissenschaft« (S. 239ff.); von literaturwissenschaftlicher Seite skizzieren Titzmann 1991 und Schönert 1996 einen integrativen (trans-)disziplinären Rahmen, innerhalb dessen Diskursgeschichte und Mediengeschichte einander ergänzen können. Mit Baßler 1995 verstehen wir Diskurse als das »Verbindende zwischen [...] Medien«, zu denen sämtliche »Arten von Darstellungen innerhalb einer Kultur« (S. 14) zu rechnen sind, schlagen also einen restriktiveren Diskursbegriff und einen erweiterten Medien-Begriff vor. 66 Luhmann unterscheidet >Verbreitungsmedien< und »symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien< und bezeichnet letztere als >Erfolgsmedien< (zuletzt Luhmann 1997, S. 202-205); diese leisten eine »neuartige Verknüpfung von Konditionierung und Motivation« (ebd., S. 203), die die Annahmewahrscheinlichkeit von - insbesondere seit der Erfindung des Buchdrucks - unwahrscheinlicher gewordener Kommunikation erhöht; aus literaturwissenschaftlicher Sicht und im Anschluß an das Konzept der »sozialen Interaktionsmedien< von Talcott Parsons vgl. Meyer und Ort 1984 und 1988, Ort 1991 sowie von diskurstheoretischer Seite kritisch zu Luhmanns Konzept der »Normalisierung von Unwahrscheinlichkeit< Link 1997, S. 172-184. 67 Dies gilt vor allem für seine Unterscheidung von >Medium< und >Form< (im Anschluß an Fritz Heider: siehe Luhmann 1995, S. 165-214 und 1997, S. 190-202), die sich homolog zur Unterscheidung von >Inhalt< und >Ausdruck< oder von >Signifikat< und >Signifikant< verhält; die Beziehung von >Medium< und >Form< zur Semiotik thematisieren Luhmann 1997, S. 208-209 sowie kritisch Ort 1995; zum Verhältnis von Systemtheorie, Semiotik und Hermeneutik siehe auch Ort 1997.

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Der Vorteil einer mikroanalytischen >Tieferlegung< der Terminologie durch Zeichen- und Erzähltheorie liegt unserer Meinung nach zunächst darin, daß damit die ästhetisierenden Diskursivierungen von >Verbrechen< und >JustizbildlicheMikroerzählungen< beschrieben werden können - und zwar in unterschiedlichen Printmedien sowie in den audiovisuellen Medien, also in der literarischen >Kriminalerzählung< ebenso wie im true cWwe-Gerichtsfilm, im wissenschaftlichen Gutachten und in der juristischen >FallVerbrechen< und >Justiz< nahe, auch schon deren >Gegenstand< selbst - >Übertretung< und ihre soziale Anschluß-Verarbeitung - als zeichenhaften Prozeß zu konzipieren. Auch eine nicht-konstruktivistische Perspektive auf das >reale< Verbrechen als vorgeordnetes >Material< für spätere >Deutungen< hätte also zumindest den semiotischen Charakter dieser >Wirklichkeitpansemiotischer< Generalisierung eingeebnet werden. 68 Beabsichtigt ist vielmehr, auf theoretisch kompatible Weise die semantischen Differenzen und Leitsemantiken zu rekonstruieren, mit denen das soziale System >Gesellschaft< (Luhmann 1997) abweichendes Verhalten, Kriminalität und (Straf-)Recht kommuniziert und als s o ziale Tatsachen< produziert. Diese >Tatsachen< werden als konsensfähige Selbstbeschreibungen prozessiert (vgl. dazu umfassend Luhmann 1997, S. 866-1149) und nutzen so Ausgrenzung für soziale Integration. 69 Wir behaupten also nicht, es gebe keine >Realität< (etwa des >VerbrechensJustiz< und >Medien< scheint uns in der Tat sozialwissenschaftlich anschlußfähigere und empirisch überprüfbare Ergebnisse zu erbringen.70 Die ontologische und irreversibel temporalisierte Differenz von >Referent< und >Zeichen< oder von >Realität< und >Medium< geht dabei in einer Mehrebenen-Vielfalt von semiotischen und sozialen Differenzen auf.71 Zeichen als basale >Medien< re68

Die Beziehungen der beiden Systemreferenzen werden in Ort 1992 expliziert. Als theoretische Prämisse erweist sich Luhmanns Annahme von Kommunikation als Basiseinheit sozialer Systeme, vgl. Luhmann 1984, S. 191-241. 70 Auch Film- oder Textanalyse zählen wir unter bestimmten theoretischen Bedingungen zur >EmpirieEmpirischen Literaturwissenschaft siehe Ort 1994. 71 Signifikate sind nur über die >vermittelnden< Signifikanten wahrnehmbar, Signifikate ohne Signifikanten theoretisch wie empirisch nicht existent; dasselbe gilt auch für den erzähltheoretischen Anwendungsfall: Genette 1994, S. 199 - 200 diskutiert die (pseudo-) temporale Sukzession von >Narration< (Erzählakt), >Erzählung< (ricit in der Gestalt des jeweiligen Textes als Signifikanten-Syntagma) und >Geschichte< (vom recit erzähl69

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ferieren nicht auf vorgeordnete >WirklichkeitenAutopoiesis< von Gesellschaft durch Kommunikation unverzichtbar ist. Erweist sich letztere laut Luhmann (1984, 1997) im Verlauf der technischen Entwicklung der Speicherund Verbreitungsmedien (v. a. seit der Erfindung des Buchdrucks) als immer >unwahrscheinlicherÜbertretung< als Irritation des Sozialsystems >GesellschaftBasisunterscheidungen< ihrer Diskurse leistet, inwiefern also soziale Repräsentationen von >Übertretung< zum sich >selbstvalidierenden Erfolgsmedium< von Gesellschaft werden können (sensu Luhmann 1997, S. 393-396), vermag nur ein Blick auf das je mediengattungsspezifische, semiotische und narrative Substrat dieser Repräsentationen zu beantworten. 73 Zu diesem Zweck greifen wir die theoretischen Anregungen von Greiner und Lindner (beide im selben Band) auf: Danach werden Handlungen, Verhalten oder Geschehnisse erst dann zum >EreignisZeichen< geworden sind, das eine Abweichung von der Norm, eine Störung ter, aus ihm rekonstruierbarer >Inhaltrealistischer< Sicht steht dagegen die >Geschichte< am Anfang. - Aus rechtsrhetorischer und rechtssemiotischer Perspektive kommen Seibert 1997, S. 249 und Grasnick 1997a zu prinzipiell ähnlichen Einsichten: » A m Anfang - auch jedes Rechtsprozesses - >war< das Wort, das gesprochene oder geschriebene. Stets steht es auch an dessen Ende. [...]. [...]. Wir gelangen von Texten nur zu Texten. Oder von Zeichen zu Zeichen« (ebd., S. 159). 72 Die gesellschaftliche Irritierbarkeit ist mit dem Übergang zu funktionaler Differenzierung erheblich gestiegen (Luhmann 1997, S. 789-801). Luhmann 1993 interpretiert auch den »Kriminalisierungsschub« im 17. und im 18. Jahrhundert als Folge der Evolution eines Rechtssystems, das »strafbares Handeln [...] nicht [...] als Verletzung eines Opfers [...], sondern als Verstoß gegen das Strafgesetz« versteht (ebd., S.283). Daß gesellschaftliche Irritationen nicht immer als >AbweichungenNeuheit< interpretiert werden können, unterstreicht Luhmann 1995b, S. 63; ähnlich Schüler-Springorum 1991, S. 17f., unter Verweis auf Dürkheim und Merton. 73 Vgl. Schmidt 1994a, S. 2 7 8 - 2 8 7 zu den >Basisdichotomien< gesellschaftlicher >WirklichkeitskonstruktionenÜbertretung< als Ausgrenzung und zu ihren sozialintegrativen Funktionen vgl. auch andeutungsweise Lindner 1994.

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der Ordnung, eine Übertretung der Grenze repräsentiert. >Verbrechen< wird also »als relationale[r] Begriff« verstanden, »als >ÜbertretungOrdnung< her zu fassen ist (und umgekehrt), indem diese jene von sich unterscheidet (diskriminiert) und damit zugleich auf sich bezieht« (Greiner, im selben Band, S. 307; ähnlich auch Lindner, im selben Band, S. 273f.). Die soziale Konstruktion des >Crimen< (nochmals im Sinne von Greiner, ebd.) beruht somit stets auf einer Semiotik der >Übertretungwahrgenommen< wird; darüber hinaus liegt wissenschaftlichen, juristischen, journalistischen oder künstlerischen (literarischen, filmischen usf.) Repräsentationen des >Crimen< notwendig eine >MikroerzählungÜbertretung< erweisen sich insofern als komplementär: Als Semiotik zweiter Ordnung konstruiert die Semiotik der (je medienspezifischen) Repräsentationen von >Übertretung< die >Übertretung< selbst schon als genuin zeichenhaft. Zum > Verbrechen< wird ein Geschehen, eine Handlung erst dann, so ist zu präzisieren, wenn diese als Akt der Signifikation von >Übertretung< interpretiert wird, d. h. als Signifikant einer damit zugleich gestörten sozialen - moralischen, rechtlichen - Ordnung (als des Signifikats). Darüber hinaus eignet dem Signifikat keine, von seinem signifizierenden Medium unabhängige, ontische Qualität, die durch die Präsenz eines außersemiotischen Referenten verbürgt wäre. 76 Norm und Übertretung, Ordnung und Störung, Identität und Differenz setzen einander jeweils voraus und erweisen sich zugleich als logische Basis sowohl einer auf Grenzüberschreitung und Ordnungsverletzung beru-

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Die ältere strukturale Erzähltheorie orientiert sich am Modell des Satzes als kleinster möglicher Erzählung (so Todorov 1972, S. 271-273, Barthes 1988, S. 105, Genette 1994, S. 18f.; vgl. auch ebd., S. 202f. zur »Minimalerzählung«). 75 Unsere Überlegungen sind z.B. auch an Jolles einfache Form >Kasus< (1958, S. 1 7 1 193) und an Schapps >In-Gechichten-verstrickt-sein< (Schapp 1985) anschließbar. 76 Insofern sich die »Semiotisierung des Referenten« (Eco 1977, S. 63; ähnlich schon Eco 1972, S. 81ff.) Positionen von Poststrukturalismus und Dekonstruktion nähert (etwa im Sinne von Derridas Grammatologie, Derrida 1974, S. 274: »Ein Text-Äußeres gibt es nicht.«), markiert sie eine anti-ontologische, konstruktivistische Wende von Semiotik und Strukturalismus mit medientheoretischen Konsequenzen; vgl. in diesem Sinne insbesondere Eco 1985 zum >Zeichen als DifferenzÜbertretung< als Z e i c h e n ordnet demnach einem Element aus der Serie von >Handlungen< oder >Geschehnissen< als Signifikanten mindestens je ein E l e m e n t aus der Serie sozialer (moralischer, rechtlicher) N o r m e n als Signifikate zu. Z u m sozialen Normverstoß wird ein Verhalten oder Handeln also erst, wenn es zum Zeichen geworden ist, dessen Signifikat die durch solches Verhalten gestörte Ordnung oder verletzte Regel re-präsentiert, deren A b s e n z also in Präsenz überführt. Für >Übertretung< als Zeichen gilt also a fortiori, was E c o für Zeichen generell postuliert: Die Natur des Zeichens ist in der >Wunde< oder >Öffnung< oder >Spaltung< zu finden, die es konstituiert und gleichzeitig annulliert (Eco 1985, S. 43). >Übertretung< als Zeichen operiert mit der Paradoxie von A b s e n z und Präsenz der Ordnung, deren Störung sie bezeichnet und genau damit sowohl zu annullieren als auch zu beschwören beginnt. 7 7 D i e soziale Konstruktion von >Übertretung< erweist sich also wesentlich als Prozeß der Bedeutungszuweisung, als Semiose. 7 8 Konstituieren sich Signifikanten und Signifikate differentiell, erhalten Differenzen, A b w e i c h u n g e n aber per se semiotische Qualität und werden zu >Zei-

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Baudrillard 1996 überträgt die Paradoxie von >Präsenz< und >Absenz< auf die in den Mediensimulationen zu verschwinden drohende >Realität< selbst und bedient sich der Metapher des >(nicht) perfekten Verbrechensc Die »Ermordung der Realität« als »Vernichtung einer Illusion - der lebenswichtigen [...] Illusion der Welt« (ebd., S. 9) scheitert an »krimineller Unvollkommenheit« (ebd., S. 11): »Wenn es keine äußeren Anzeichen gäbe, wäre die Welt ein perfektes Verbrechen, also ohne Verbrecher, ohne Opfer und ohne Motiv. Ein Verbrechen [...], dessen Geheimnis aus Mangel an Spuren nie gelüftet werden könnte. - Doch das Verbrechen ist eben niemals perfekt, denn die Welt verrät sich durch äußere Anzeichen - sie sind die Spuren ihrer Inexistenz [...].« (ebd.). Ein konsequenter Konstruktivismus (im Sinne von Berger und Luckmann 1970, Schmidt 1994b oder Luhmann 1996) könnte aus solch vitiösen Zirkeln und Paradoxien herausführen. 78 >Übertretung< als Zeichen zu konzipieren, impliziert natürlich nicht, Zeichen ihrerseits immer als >ÜbertretungenWunden< oder >Spaltungen< zu verstehen, wie es Eco zumindest metaphorisch nahelegt. Daß die Raum- und Körpermetaphorik für Normverstöße und Rechtsbrüche (z.B. >Raum< >Grenze< oder >VerletzungKatachresenmäandern< (Link 1984, S. 67) auszubauen und damit die Differenz von Meta- und Objektebene zu verschleiern.

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chen< dessen, wovon sie abweichen, was Foucault in seiner Preface ά la transgression verdeutlicht: Die Überschreitung ist eine Geste, die es mit der Grenze zu tun hat; an dieser schmalen Linie leuchtet der Blitz ihres Übergangs auf [...]. Vielleicht ist der Punkt ihres Übertritts ihr gesamter Raum. [...]. [...]. Die Grenze und die Überschreitung verdanken einander die Dichte ihres Seins: eine Grenze, die nicht überschritten werden könnte, wäre nicht existent; eine Überschreitung, die keine wirkliche Grenze überträte, wäre nur Einbildung. Hat denn die Grenze eine wahrhafte Existenz außerhalb der Geste, die sie souverän überschreitet und negiert? Was sollte sie nachher, was könnte sie vorher sein? (Foucault 1978a, S. 36-37). D i e Paradoxie von Absenz und Präsenz des Bezeichneten erweist sich auch hier als semiotische. D i e punktuelle Nihilierung des Gesetzes als eines g e b r o chenem ermöglicht laut Foucaults La pensie du dehors geradezu dessen zeichenhafte Präsenz: Die Gegenwart des Gesetzes ist seine Verheimlichung. Das Gesetz durchgeistert souverän die Gesellschaften, Institutionen, die Verhaltensweisen und die Gesten; was immer man tun mag, wie groß auch die Unordnung und die Sorglosigkeit sein mögen, es hat seine Macht schon entfaltet. [...]. [...]. Wie sollte man das Gesetz erkennen [...], wie sollte man es zwingen, sich sichtbar zu machen [...], ohne es zu provozieren [...]? Wo sollte man seine Unsichtbarkeit sehen, wenn nicht auf der Seite der Züchtigung, die ja lediglich das in sein Außen getriebene Gesetz ist? Wenn [...] die Züchtigung nur von der Willkür der Gesetzesbrecher provoziert werden könnte, dann wäre das Gesetz diesen ausgeliefert: sie könnten es nach Belieben anrühren und hervortreten lassen [...] (Foucault 1978b, S. 67-68). Eine semiotische Modellierung von >Übertretung< impliziert zugleich auch deren narratologische: Zwischen dem signifiant der >ÜbertretungÜbertretungBedeutung< dieses Geschehens als Störung einer Ordnung, verläuft die Grenze zwischen dem Zustand der intakten und dem späteren Zustand der gestörten (sozialen: moralischen, rechtlichen) Ordnung. >Verbrechen< als >Übertretung< wird zum >EreignisFall< als auch literarischer oder filmischer Anschluß-Erzählungen fungiert: Ein Ereignis wird als das gedacht, was geschehen ist, obwohl möglich war, daß es nicht geschah. [...]. [...]. Ein Ereignis ist [...] stets die Übertretung eines Verbots, ein Faktum, das stattfand, obwohl es nicht stattfinden durfte. Für einen Menschen, der in den Kategorien des Strafgesetzbuches denkt, wird die Übertretung der Gesetze Ereignis sein [...] (Lotman 1973, S. 354-355). 79 Wird eine Handlung zur >Übertretung< oder zum >VerbrechenGrenzüberschreitung< und des >semantischen Raumes< siehe im einzelnen Lotman 1973 (S. 347-358) sowie Renner 1983 zur »Grenzüberschreitung als Ordnungsverletzung« (S. 36-42) und zum »sujet als eine Kette von Ereignissen«, die »zu einem Einzelereignis zusammengezogen werden kann« (S. 63-79); siehe auch resümierend Titzmann 1992, S. 247-251. Ein mikrosoziologisches Komplement hierzu bieten Hess und Scheerer 1997, die kriminalität als Ereignis< (S. 112-116) handlungstheoretisch definieren (S. 113: Akteur, Situation, Definition der Situation; vgl. auch S. 102-122).

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stand von Kommunikation geworden sein und ist somit nur als immer schon verbalisierte - zumindest als sujethafter Satz, als Mikro-Narration der Art >A hat Β ermordet< - sozial existent. Dem unentdeckten >perfekten Verbrechen< kommt dagegen keinerlei soziale >Realität< zu. Kommunikabel wird es nur insofern, als es schon nicht mehr >perfekt< ist, weil soziales Wissen über Täter, Opfer, Motiv und Spuren zirkuliert. Die Ordnungsverletzung wird schließlich durch eine Reihe von fakultativen Anschlußkommunikationen abgearbeitet, ihr semiotischer Nukleus - die >Übertretung< - sukzessive mit Bedeutung angereichert und schließlich als >Ereignis< getilgt, womit ein störungsfreier (>sujetloserÜbertretung< niemals wird reproduzieren können. 80 Verbrechen - Justiz - Medien bezeichnet also - erzähltheoretisch gesprochen - eine idealtypisch temporalisierte »Geschehensabfolge, bei der ein Ereignis eintritt und wieder beendet wird« (Renner 1983, S. 42): »Bei einfachen Erzählabläufen liegen keine Änderungen der Grundordnung vor [...]« (ebd.); als Bedingung hierfür erweisen sich jedoch semiotische Repräsentationsmodi von >Übertretung< in den sozial institutionalisierten Verbreitungsmedien, die auf sozial konsensfähige Art und Weise moralische, rechtliche, medizinische Unterscheidungen als >Grenzen< markieren, mit deren Hilfe >Welt< beobachtet und als Einheit von Differenz, als »Gesamtheit dessen«, was »für ein jedes System System-und-Umwelt ist« (Luhmann 1997, S. 154), reintegriert wird. Insofern ist die >Welt< lediglich ein »Korrelat der in ihr stattfindenden Operationen«, also »das, was als >unmarked state< durch jede Zäsur, durch die Grenzlinie der Form, verletzt wird und danach nur noch unterscheidungsrelativ, also nur noch in der Bewegung von der einen zur anderen Seite abzutasten ist« (ebd., S. 153f.).81 Legt man die prägnante Schematisierung der Beziehungen von Signifikanten (Sant) und Signifikaten (Sat) durch Roland Barthes in den Elementen der Semiologie zugrunde (Barthes 1979, S. 75-78 zur Unterscheidung von >Inhalts-< und >AusdrucksebeneDiegeseVerbrechen< wird, zerfällt in zwei Phasen: Zuerst fungiert die Tat gewissermaßen als >Anti-Text

Sant,

Sat,

Sant

Sat 2

2

Sant

Sat, Sant

3 Sat4

4

Sant

4 Sat,

5

Die ereigniskonstitutive >GrenzeÜbertretungsÜbertretungsVerbrechens< durch Anschluß-Semiose jedoch nicht in Gang: Erst seine Zuordnung zu den materiellen Signifikanten (Ebene 1) verleiht diesen umgekehrt ihr Signifikat - konstituiert also einen >SachverhaltSpuren< eindeutig auf ihre Ursache, die >Tat< eindeutig auf den >Täter< bezieht und die Ausgangsbasis für ihre weitere Bedeutungsaufladung bildet. Soll die gestörte Ordnung am Ende wiederhergestellt werden, das >Ereignis< der >Übertretung< also >getilgtVerbrechen< als Zeichen (Ebene 0) aus Signifikant und Signifikat sukzessive selbst zum Ausgangspunkt einer rekursiven Semiose. Als variables Signifikat wird es immer komplexeren Signifikanten (Ebenen 1 - 5 ) zugeordnet, die dessen jeweilige >Vorstufen< enthalten: Das >ÜbertretungsÜbertretungsMythen< (Barthes 1976, S. 9 2 - 9 3 ) später als >KonnotationssystemeKonnotationssignifikanten< (hier ζ. B. Sant 2) also »aus Zeichen (den vereinigten Signifikanten und Signifikaten) des Denotationssystems« (Hervorhebungen i. O.) bestehen (in unserem Schaubild: Sant 1 und Sat 1); die >Konnotationssignifikate< (hier z.B. Sat 2) bilden »Ideologiefragment[e]« (Barthes 1979, S. 76). >Mythologisierungen< bzw. >Ideologisierungen< von >Übertretung< sind jedoch nur dann sozial >erfolgreichKonnotationssignifikate< stehen, die ihrerseits >Verbrechen< als Zeichen

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semiotischen >Nukleus< von Ebene 0 codieren und sozial verträglich machen, versteht sich dabei lediglich als idealtypische, die ihre zeitliche Abfolge in keiner Weise festlegt: Synchronien, Inversionen, Lücken sind im konkreten Einzelfall ebenso denkbar, wie ein unilineares, sukzessives Durchlaufen der Institutionen. Auf welcher Ebene jeweils ein neuer Zustand der Ordnung (t3) erreicht wird, hängt überdies von der Art der >Übertretung< und den kulturellen Basisunterscheidungen, Moralstandards und Rechtsnormen einer Gesellschaft ab: Wo etwa Selbstjustiz oder Lynchjustiz vorherrschen, genügt es, jemanden als mutmaßlichen Täter >dingfest< zu machen, um bereits auf Ebene 1 die Normverletzung zu kompensieren. In komplexeren, modernen Gesellschaften mit ausdifferenziertem Rechtssystem wird dagegen nicht einmal die auf der Sachverhaltskonstitution (Ebene 1) aufbauende Fall-Konstitution der Justiz durch Schuldzurechnung im Strafverfahren und die Bestrafung des Schuldigen in jedem Fall ausreichen (Ebene 2), um eine sozial sinnhafte und konsensstiftende Repräsentation der juristisch >beobachteten< >Übertretung< zu erstellen, die die >Grenze< zur Ordnung (t3) überschreiten kann. Unter solchen Bedingungen sind weitere, z.T. konkurrierende Anschluß-Verarbeitungen erforderlich, die das >Verbrechen< als Zeichen an andere gesellschaftliche Subsysteme - Wissenschaft, Kunst, Presse - überweisen. Wissenschaftliche Rationalisierung und Erklärung des sich gegen sinnhafte Repräsentation und Narration sperrenden Verbrechens (etwa durch Pathologisierung: gesund - krank) und bzw. oder seine journalistische oder künstlerische Ausgestaltung (Ästhetisierung: schön häßlich; Moralisierung: gut - böse, Diabolisierung) in audiovisuellen oder Print-Medien, also in Zeitung, Hörfunk, Fernsehen bzw. in schöner Literatur und Film können sich dabei auf einzelne oder auch alle der ihnen idealtypisch vorgeordneten Konstruktionen beziehen. Die Ebenen 3, 4 und 5 können also jeweils sämtliche ihnen vorausliegenden Ebenen mitrepräsentieren oder nur eine auswählen: Literatur oder Film kann Verbrechen allein von Ebene 0 aus oder vor allem von der Detektion oder vom Strafverfahren aus >beobachtenbeobachtet< >Verbrechen< als Zeichen v. a. von Ebene 1 aus und korreliert es mit zusätzlichen individualpsychologischen und psychoanalytischen Signifikaten (Ebene 3), die es zum gesellschaftlichen >Medium< kollektivpsychologischer >Therapie< hochstilisieren (so die Korpusbefunde von Krah, »Verbrechen als Medium«, im selben Band). 83 aus Sant 0 und Sat 0 bezeichnen, also die Semiose von >Übertretung< >metasprachlich< auffangen: »eine Metasprache ist ein System, dessen Inhaltsebene durch ein Bedeutungssystem gebildet wird; oder eine Semiotik, die von einer Semiotik handelt.« (ebd.). Eine Semiotik der >Übertretung< verbindet also in der Tat die von Barthes aufgezeigten »beiden Wege der Ausdehnung der Doppelsysteme« von >Denotation< und >Konnotation< (ebd.). 83 Die vier Möglichkeiten der Ereignistilgung (>Bewältigung< von >ÜbertretungÜbertretung< als

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Unterscheidet man mit Luhmann die >Sach-Zeit-< und >Sozialdimension< von >Sinn< (Luhmann 1984, S. 111-135) 8 4 - Dimensionen, die »unter Kombinationszwang [stehen]«, aber »getrennt analysiert werden [können]« (ebd., S. 127) - , dann lassen sich die oben unterschiedenen Konstruktionsebenen des sozialen >Sinns< von >Übertretung< jeweils intern wie folgt konkretisieren und zusammenfassen. In der Zeitdimension sind dabei variable synchrone und diachrone Kombinationen dieser Verarbeitungsebenen möglich: 0: Sachdimension: Handeln, Verhalten, Geschehen als Signifikanten; Sozialdimension: Ordnung wird als >irritierte< zum Signifikat (>ÜbertretungVerbrechen< als Zeichen). 1: Sachdimension: Sachverhaltskonstitution; Sozialdimension: Institutionen der Detektion (Polizei) als Konstruktions-Medien von >Übertretung< (Ebene 0). Leitdifferenz: wahr - falsch. 2: Sachdimension: >FallErklärungs-abnorm< kodiert durch wahr - falsch etc., z.B. als Pathologisierung oder Psychologisierung 86 (vgl. im selben Band die Beiträge von Lamott und Stingelin). >BruchKontinuumdeterminiert< erklärt - sind vorwiegend auf den Ebenen 1 und 2 bzw. auf der Ebene 3 situiert, die beiden >metaphorisierenden< Varianten der >Ästhetisierung< und der >De-Semantisierung< auf den Ebenen 4 und 5; für letztere gilt, daß »Verbrechen/Übertretung [...] nicht von dem Akt, ü b e r sie zu sprechen bzw. zu schreiben, getrennt, vielmehr in diesen eingegangen [sind].« (ebd., S. 308; Hervorhebung i. O.); vgl. auch unten, Abschnitt 3: »Zeichen als Verbrechen«. 84 »Von Sachdimension soll die Rede sein im Hinblick auf alle [...] Themen sinnhafter Kommunikation« (Luhmann 1984, S. 114); sie attribuiert der externen Umwelt das >Erleben< und den internen Systemzuständen das >Handeln< (ebd., S. 124), in der Zeitdimension wird >Sinn< auf »konstante oder auf variable Faktoren« attribuiert und über die »Weiterbehandlung des Gegenstandes oder des Ereignisses entschieden, und Schwierigkeiten mit der Weiterbehandlung können rückläufig die Vorentscheidung problematisieren« (ebd., S. 125); in »der Sozialdimension schließlich werden Ego und Alter für Zurechnungszwecke personalisiert bzw. mit bestimmten sozialen Systemen identifiziert« (ebd.). 85 Auf der Ebene 1 wird die Ebene 2 regelmäßig antizipiert werden müssen: der Polizist handelt in bestimmten Situationen, als ob der Code-Wert >unrecht< schon zugeschrieben wäre; gegen die voreilige Festschreibung baut das System nicht umsonst Hürden ein. 86 Vgl. die Hinweise bei Link 1997 zur »Substitution von >gesund< durch >normal< seit 1800« (S. 180) und zum »diskurstaktische[n] Problem [...], von der Kontinuität zwischen Normalität und Anormalität (>AbnormitätLiteraturKinofilmFernsehenÜbertretung< liegt darin, daß >Übertretung< sowohl als soziale (und insofern semiotische) Konstruktion im Alltag wie im Rechtssystem als auch als semiotische (und insofern soziale) sw/er-Konstruktion von Literatur, Fernsehen und Kinofilm terminologisch einheitlich beschrieben werden kann. Die je historisch variablen, zeitlichen und semiotischen Konfigurationen zwischen den verschiedenen Konstruktionsebenen werden dadurch vergleichbar, ohne daß der Unterschied zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen >ÜbertretungsMedium< der Konstruktion (der Codierung) der je anderen fungieren. Sämtliche nacheinander oder gleichzeitig an der Semiose beteiligten Ebenen bedienen sich bildlicher oder verschrifteter verbalsprachlicher Zeichen als Speichermedien, die nach je systemspezifischen, institutionalisierten (also beispielsweise polizeilichen, juristischen, wissenschaftlichen) Gattungsregeln zu >Erzählungen< vertextet werden und die je systemrelative >Wirklichkeit< von >Übertretung< semiotisch und narrativ konstruieren.87 Da dies a fortiori für die Erzähl- und Darstellungskonventionen massenhafter Verbreitungsmedien, wie der Berichterstattung in Presse, Rundfunk, Fernsehen, oder auch literarischer, theatralischer und filmischer Thematisierung, Deutung und Ästhetisierung von >Verbrechen< und >Justiz< gilt, mündet deren >Zugriff< auf >Verbrechen< und >Justiz< in einem infiniten semiotischen (>medialengesund/krank< als >normal/anormal< rückgängig gemacht, indem beide Oppositionen nicht bloß entkoppelt, sondern geradezu als inkompatible Gegensätze aufgefaßt werden« (ebd., S. 88). Ereignistilgung als >Re-Normalisierung< von >Übertretung< erfordert zunächst eine >de-normalisierende< suyer-Konstitution von >Übertretung< als Ereignis. 87 Ein Hinweis auf Bennett und Feldman 1981, Jackson 1988, Hoffmann 1991,1997, Schönert 1991 und Seibert 1991 und 1997 muß an dieser Stelle genügen.

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als (erzählerische) Konstruktionen von (erzählerischen) Konstruktionen usf. erscheinen läßt. 88 Festzuhalten ist ferner, daß solche semiotischen Anschlußverarbeitungen ein >Kriminalsujet< konstituieren und in Texten sedimentieren, ganz unabhängig davon, ob es sich etwa um juristische oder literarische >Texte< und >FälleVerbrechen< erscheint als zur Mikro-Narration (zum sujet) expandiertes, temporalisiertes Zeichen, dessen Signifikanten das zeitlich absente, vergangene Signifikat >Übertretung< repräsentieren und damit zugleich ihre eigene Ursache, ihre Voraussetzung bezeichnen. Die Rückkehr zur Ordnung (Zeitpunkt t3) ist somit als komplexer Prozeß der rekursiven Signifikation zu verstehen, der die >Störung< der Ordnung kompensiert und sozialen >Sinn< derart herstellt, daß >Verbrechen< als Zeichen (tl/t2) selbst zum Signifikat von Anschlußsignifikanten (t2/t3) wird, die es dauerhaft und konsensfähig repräsentieren; produziert wird ein >Bild< von >ÜbertretungÜbertretung< mehr impliziert, sondern zum Ausgangspunkt eines semiotischen re-entry wird (Luhmann 1997, S. 45). 89 Es präformiert die Wahrnehmung zukünftiger Ordnungsverletzungen je systemspezifisch, bezieht neue >Übertretungen< also auf solche, die in der Gesellschaft bereits beobachtet, d.h. von der Gesellschaft bereits repräsentiert worden sind. Die soziale >Produktion< von >Übertretung< und deren >Beobachtung< nähern sich an im Prozeß ihrer institutionalisierten Repräsentation und der >sinnhaften Kommu-

88

Dies entspricht der >konstruktivistischen< Sichtweise der kritischen Kriminologie, vgl. Löschper im selben Band, S. 92: »Ebensowenig wie der rechtsprechende Richter im Strafverfahren Realität abbildet, tun dies die Medien oder die >schöne Literatur^ die über die Kriminalität und die Strafjustiz sprechen, vielmehr nehmen sie Konstruktionen von Konstruktionen vor. Neben den im Gerichtssaal hergestellten Produkten, den Urteilen, sind die massenmedialen oder literarischen Texte über den gerichtlichen Konstruktionsvorgang zu analysieren. Das eine sind Geschichten von Richtern, das andere sind Geschichten über Richter.« Unter dieser Perspektive schwindet etwa der Unterschied zwischen Gerichtsfilmen (Drexler im selben Band) und True-crime-Gerichtsfilmen (Kuzina im selben Band) - beide Genres erweisen sich als Konstruktion e n von - >fiktionalen< oder >nicht-fiktionalen< - strafjuristischen >Konstruktionenmythologische< Strukturen, als sie die ihr zugrunde liegenden Prozesse der denotativen und konnotativen Bedeutungskonsitution nicht reflektiert und verweist auf die semiotischen Strukturen des >wilden Denkens< (Levi-Strauss 1981, S. 34: »die Signifikate werden zu Signifikanten und umgekehrt.«). 89 Mit diesem Begriff von George Spencer Brown bezeichnet Luhmann den >Wiedereintritt< »einer Unterscheidung in das durch sie selbst Unterschiedene. Die Differenz System/Umwelt kommt zweimal vor: als d u r c h das System p r o d u z i e r t e r Unterschied und als im System b e o b a c h t e t e r Unterschied.« (ebd., Hervorhebungen i.O.). Dies gilt auch für >Verbrechen< als Zeichen aus Signifikat und Signifikant: als sozial >produzierte< Differenz von Ordnung (tl) und Störung (t2) tritt es in der schematischen Darstellung links auf, als >beobachtetes< Signifikat weiterer Signifikanten dagegen mehrfach rechts, auf der Seite der Ordnung (t3). Beide >Seiten< sind durch Prozesse negativer oder positiver Rückkopplung miteinander verschaltet. Zum semiotischen Substrat solcher re-entries siehe oben Anmerkung 82.

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nikation< über sie.90 Die >sujethaltigebeobachtet< und zugleich intern repräsentiert - erzählt, bebildert, bewertet, kommuniziert - wird. Die Signifikation der Ordnung durch die >Übertretung< (Ebenen 0 und 1) mündet am Ende in eine Signifikation der >Übertretung< durch die Ordnung: Von Signifikat 1 wird also mindestens eine Narration oder ein sozial akzeptiertes >Bild< hergestellt, das die rekursive Signifikationsserie auf einer der Ebenen (1 bis 5) zum Stillstand bringt. Nur unter dieser Bedingung wird die Irritation durch >Übertretung< zur gesellschaftlich relevanten Information über sie: Als kommunikativ erfolgreiche, gesellschaftliche Selbstbeschreibung macht sie die gestörte und unwahrscheinlicher gewordene Kommunikation wahrscheinlicher und garantiert Anschlußkommunikationen - auch über alle weiteren >ÜbertretungsÜbertretung< fungieren somit in der Tat als sich selbstvalidierende, symbolisch generalisierte KommunikationsmedienÜbertretung< durch die Ordnung rechts von der zwischen t2 und t3 verlaufenden Grenze, erweist sich als 90

Auch das »Modell zur Erklärung der Konstruktion von Kriminalität« von Hess und Scheerer 1997 beruht auf der Annahme fortlaufender Rückkoppelungsprozesse zwischen der »Mikro-Ebene: Kriminalität als Handlung« und der »Makro-Ebene: Kriminalität als Institution« (S. 95), der sie auch »Kriminalitätsdiskurse« - »Mediendiskurs[e]«, »Alltagsdiskurs[e]«, »Kontrolldiskurse«, »Wissenschafts-Diskurs[e]« (ebd., S. 134-138) - sowie »Kriminalität als Ideologie« und »Alltagsmythos« (sensu Barthes 1976) zuschlagen: »[...] die durch die Transformation der Mikro-Ereignisse erzeugten neuen Makro-Phänomene spielen nun ihrerseits eine Rolle in der Konstellation auf der Makro-Ebene, die die Ausgangsbedingung für neue Mikro-Ereignisse ist« (ebd., S. 138-139). 91 Hess und Scheerer 1997 bezeichnen unter Hinweis auf den »kulturellen Symbolvorrat« zur Kriminalität diese »nicht nur als ein Thema, sondern geradezu selbst als ein symbolisch generalisiertes Medium der Kommunikation (Parsons) [...], das Situationen definiert, Kommunikationen lenkt und auch die Realität (mit)bestimmt« (S. 90f.); sie vergleichen Kriminalität mit den Kommunikationsmedien Geld, Macht, Liebe und Wahrheit, beziehen sich also nicht auf Parsons' Interaktionsmedientheorie, sondern auf die Weiterentwicklung durch Luhmann, auf den jedoch nicht explizit Bezug genommen wird; das semiotische und soziologische Potential dieser Theorie wird nicht genutzt.

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Bedingung einer sozialen Rückkoppelung, die die kollektiven Wissens-, Bewertungs-, Wahrnehmungs- und Handlungsvoraussetzungen anläßlich von >Übertretung< re-stabilisiert und für die Verarbeitung neuer >Übertretungen< bereithält, d.h. in Speicher- und Verbreitungsmedien selektiv transferiert. 92 >Symbolisch generalisierte Kommunikations-< oder >ErfolgsmedienÜbertretung< trifft im besonderen zu, was Luhmann generell formuliert: Auch in der kulturellen Selbstbeschreibung der Gesellschaft werden diese Erfolgsmedien derart prominent, daß gar keine Information darüber gesammelt wird, wieviel Kommunikation dann doch nicht befolgt oder wieviel Information schlicht vergessen wird. Die Gesellschaft beschreibt sich selbst dann so, als ob mit durchgängigem, durch Prinzipien, Codes, Programme gesichertem Konsens zu rechnen sei. So als ob es eine öffentliche Meinung< gäbe (Luhmann 1997, S. 204). >Öffentlicher< und alltäglicher Konsens über >Verbrechen< einerseits und über seine rechtssystemischen Konstruktionen andererseits konstituiert und reproduziert sich dabei vor allem über >MassenmedienÜbertretung< - speichert und generalisieren sie dabei zu »stereotypisierten Erwartungsmustern, die für das Verstehen von Handlungen bzw. Kommunikationen unabdingbar sind« (ebd., S. 1107). 9 3 In funktional hochdifferenzierten Gesellschaften leisten sie auf diese Weise einen wesentlichen Beitrag 92

Unser binäres Modell aus ordnungsverletzender >Übertretung< und ordnungskonstitutiver Repräsentation setzt damit die theoretische Generalisierung und sachliche Spezifizierung der drei Vierer-Schematisierungen von Schönert 1983, S. 4 0 - 4 1 durch das ternäre Modell in Schönert 1991, S. 33 fort und verändert die Perspektive, ohne die Vorgänger-Modelle vollständig zu überschreiben: Hatte Schönert 1983 im Anschluß an T. Parsons und im Vorgriff auf die Adaption durch Meyer und Ort 1988 das >Genre Kriminalgeschichten< als Funktionsbereich im Systemzusammenhang des gesellschaftlichen Funktionsbereichs >Sozialsystem Literatur< konzipiert und Austauschbeziehungen zwischen den Sub(sub)systemen beschrieben, modelliert Schönert 1991 die Beziehungen zwischen den drei >Handlungs- und Erfahrungsbereichen Alltag/Lebensweltinstitutionalisiertes Recht< und >Literatur< »vortheoretisch« (ebd., S. 32) als >Auswahl, Übertragungen, Überlagerungen^ Vorbehaltlich späterer Präzisierung scheint uns die lockere Orientierung an Luhmann semiotische Komplexität und funktionalistische Argumentation gleichermaßen zu ermöglichen: Negative oder positive, bidirektionale Rückkopplungen zwischen den Irritationen der Gesellschaft durch >Übertretungen< und der Erzeugung systemspezifischer, nicht-irritierender Repräsentationen von >Übertretungen< sichern den Fortbestand der Gesellschaft insofern, als sie die Fortsetzung der Kommunikation über >Übertretung< garantieren. Vgl. darüber hinaus von kriminologischer Seite das kompatible Modell von Hess und Scheerer 1997. 93 »Massenmedien garantieren [...], daß solche Schemata zugriffsbereit verfügbar sind, und dies in einem Umfang und in einer Vielfalt, die den Erfordernissen der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation entsprechen und die bei Bedarf leicht variiert und neu kombiniert werden können« (Luhmann 1997, S. 1107).

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zur Wirklichkeitskonstruktion, die sich je subsystemspezifisch und diskursspezifisch aufsplittert, gerade anläßlich von >Übertretung< aber unter besonderen Konsensanforderungen steht. 94 Funktion einer für die Gesellschaft bestandsrelevanten symbolischen Generalisierung< von >Übertretung< ist es somit, >unwahrscheinliche< semiotische re-entries von >Übertretung< zu erleichtern und sinnhafte Kommunikation hierüber zu institutionalisieren. Nur dadurch scheint das Kommunikationsrisiko der Paradoxie abgemildert werden zu können, daß Gesellschaften in einem historisch variablen Ausmaß >Übertretung< und Verbrechern sowohl perhorreszieren als auch benötigen. 95 Deshalb akzeptieren Gesellschaften auch nicht alle selbstproduzierten medialen Angebote für die >symbolische Generalisierung< von >ÜbertretungÜbertretungen< zu oder sprechen ihnen zumindest die soziale >Generalisierbarkeit< ab (zur Debatte über Gewalt in den Medien s. Abschn. 1). Dies ist etwa dann der Fall, wenn es auf den einzelnen Verarbeitungsebenen nicht gelingt, ein konsensfähiges >Bild< vom >Verbrechen< zu konstruieren, also >Übertretung< so zu repräsentieren, daß die Repräsentation die Störung der Ordnung kompensiert und ein semiotisches re-entry von >Übertretung< rechts der Grenze zwischen Ordnung t2 und Ordnung t3 ermöglicht (vgl. dazu unser Schaubild oben). Erschwert wird dies auf der rechtssystemischen Ebene 2 dann, wenn ein >Verbrechen< trotz aller Nachforschungen unmotiviert bleibt oder der Täter als zurechnungsunfähig eingestuft wird, womit die >Erklärung< der Tat an die einzelwissenschaftliche Ebene 3 überwiesen wird, auf der potentiell auch ein >kriminologischer< Interdiskurs aus Soziologie, Psychologie, Medizin, früher 94

»Dem sozial erzeugten erhöhten Bedarf an sozialer Koordination wird auf der Ebene der Handlungskoordination und der Stabilisierung erreichter Differenzierungen durch Systeme 2. Ordnung zu genügen versucht. Durch die Differenzierung auf der sozialen und damit auch auf der Ebene der Wirklichkeitserzeugung und des Umgangs mit Wirklichkeiten führt dieser Zusammenhang nicht zuletzt auch zur Bildung von Mediensystemen als sozialen Systemen 2. Ordnung. Sie tragen mit Hilfe technischer Mittel zunächst zur Überbrückung von Distanzen und zur Verteilung von Wissen bei, um schließlich zunehmend an der Erzeugung der damit keineswegs nur mehr berichteten Wirklichkeiten teilzuhaben« (Hejl 1994, S. 58f.). 95 Wir nehmen damit Dürkheims altes funktionalistisches Argument medien- und systemtheoretisch auf: »Das Verbrechen ist [...] eine notwendige Erscheinung; es ist mit den Grundbedingungen eines jeden sozialen Lebens verbunden und damit zugleich nützlich. Denn die Bedingungen, an die es geknüpft ist, sind ihrerseits für eine normale Entwicklung des Rechts und der Moral unentbehrlich« (Dürkheim 1961, S. 156-164; hier S. 159); vgl. Wulffen 1926, der mit Blick auf Dürkheim die >Fortschritt< und Solidarität fördernde und das >Gewissen schärfende< Funktion von Kriminalität unterstreicht (S. 185). Inzwischen leiten auch die Verbreitungsmedien daraus explizit eine >Verpflichtung< zur Darstellung von Übertretung ab: Die Figur des Kriminalschriftstellers Kupfer reflektiert dieses Ethos in dem Fernsehfilm Der Sandmann explizit und billigt es den Redakteuren einer Talkshow zum Thema Serienmord zu: »[...] Dinge, die ihr im Fernsehen vorführen müßt, damit das Immunsystem wieder funktioniert.« Daß der mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnete Film solches auch für sich selbst reklamiert, liegt auf der Hand (siehe unten Abschnitt 3.).

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auch Anthropologie angesiedelt ist. Dieser Ebene obliegt es, unvollständige Fallgeschichten zum Sozio- oder Psychogramm - >ontogenetisch< zur Krankenoder >phylogenetisch< und lombrosianisch zur Degenerationsgeschichte - abzurunden und das Unmotivierte zu >re-motivierenÜbertretung< diese nicht auf gesellschaftlich generalisierbare Weise kohärent zu >deuten< in der Lage sind. Wie in Abschnitt 3 anzudeuten sein wird, erweist sich insbesondere die Medienkonstruktion von >Serienmord< als gesellschaftlich erfolgreicher Kommunikationsanlaß, in dem sich Nicht-Erklärbarkeit, Sinnlosigkeit und Abscheu auf das engste mit Ästhetisierung, Mythisierung und öffentlicher Faszination verbinden. Im Falle einer auch wissenschaftlich nicht hinreichenden Plausibilisierung von >Verbrechen< bleiben schließlich massenmediale bzw. künstlerische Deutungen (Ebenen 4 und 5), die mittels ästhetischer (schön - häßlich) oder moralischer Codes (gut - böse: Diabolisierungen, >poetische Gerechtigkeit) einzelwissenschaftlich nicht mehr akzeptierte, etwa vormoderne, mythologische Deutungsstereotype aufrufen und nutzen können. 96 Jede der medialen Verarbeitungsebenen bezeichnet somit Institutionen (gesellschaftliche Subsysteme, wie einzelne Wissenschaften oder Künste, z.B. das Sozialsystem Literatur), die als Semiose-Agenturen und Wissensreservoires fungieren und die semiotischen oder narrativen Defizite der je anderen Ebene kompensieren können; sie alle >arbeiten< an der Ereignistilgung von >Übertretung< und stellen soziales Wissen bereit, das die Kommunikation über >Übertretung< organisieren und deren sozialen >Sinn< sedimentieren kann. Auch dies kann jedoch mißlingen, erweist sich mithin als >unwahrscheinlich< (im Sinne Luhmanns): Wo nämlich die Vermittlung von >Verbrechen< in den Massenmedien oder seine Konstruktion durch Literatur und Film ihrerseits unter Verdacht stehen, nicht nur zur Kommunikation über >ÜbertretungÜbertretungenÜbertretung< beschränkt, sondern neue, medienmotivierte und öffentlichkeitswirksame >Übertretungen< erzeugt. Repräsentationen von >Verbrechen< bieten sich somit selbst als Motiv für anschließendes >ÜbertretungsZeichen< potentiell zu Proto> Verbrechen^ die erneut die semiotischen Verarbeitungsebenen - von der Sachverhaltskonstitution bis zur wiederum literarischen Darstellung etwa von Zensur - durchlaufen können, und zwar solange, bis das >ÜbertretungsÜbertretung< ist also eine Art ihrer Repräsentation, die zur kommunikativen Übernahme von Deutungs- und Wahrnehmungsmustern, nicht aber zur Reproduktion semiotisch >motivierter< krimineller Handlungen verleitet (vgl. im selben Band den Beitrag von Barsch zur Indizierung jugendgefährdenden Schriften). Mindestens eine weitere Variante ist zu nennen, in der das semiotische reentry von >Verbrechen als Zeichen< nicht gelingt, subsystemische, ζ. B. literatursysteminterne Nicht-Irritation also zur gesellschaftlichen Irritation wird. Repräsentieren die Signifikate literarischer Texte (analoges gilt generell für Film: Sat 4 oder 5, s. auch hier das Schaubild oben) >Verbrechen< oder >Übertretung< nämlich jeweils nicht als vollständige Zeichen, sondern lediglich ihre Signifikanten (Sant 0), also die bloßen Handlungs- oder Geschehenssubstrate, dann blenden sie die rechtliche, pathologische oder moralische Einzel- bzw. Zweit-, Dritt- oder Viert-Codierung solcher Signifikanten aus, präsentieren diese wertfrei und als innerhalb der >Geschichte< schwach oder gar nicht >motiviertekritische< Printmedium projiziert dabei die implizierte Medien(selbst)kritik auf den Sündenbock des >bösen< Bildmediums, das im Falle von Stones Film allerdings selbst wiederum den Sensationsjournalismus in Fernsehen und Rundfunk sowie fiktionale Filmgenres als kriminogen desavouiert. Darüber hinaus führt die printmediale Inszenierung von Natural Born Killers die Ambivalenz von Warnung und Verführung vor Augen: Holzhaiders Artikel erweist dem Film außer durch die Überschrift auch durch eine Abbildung des >verführerischen< Killerpärchens Mikkey und Mallory seine Reverenz. Als von kritisch reflektierendem Text eingerahmtes Schwarzweiß-Foto scheinen es und seine Legende (»[...]. Die Hauptfiguren des Films [...] inspirierten die Mörder von Krefeld«) allerdings den Leser zu keinen gefährlichen Handlungen oder Gedanken mehr zu >inspirierenNatural Born Killers< sind zwar nicht ganz und gar verschriftet, sondern ikonisch noch präsent, aber doch printmedial domestiziert. 98 Meist bleibt es bei moralisierenden Lexikoneinträgen oder Rezensionen, wie im Falle von Natural Born Killers, »eines sich kritisch gebenden Films, der seine Geschichte distanzlos erzählt und der Faszination der Gewalt selbst erliegt« (Lexikon des Internationalen Films, Bd. L - N , S. 4085), oder im Fall von Jon Amieis Copykill (1995): »In all diesen Szenen zeigt der Film ein schamloses Trendbewußtsein, und man weiß nicht recht, ob der junge Serienkiller dafür verantwortlich ist - oder doch eher der junge Filmemacher« (Kniebe 1996b; ähnlich generell Kniebe 1996a). Vgl. dagegen Althen 1994, der der Bilderflut von Natural Born Killers durchaus eine medien(selbst)kritische Komponente zugesteht.

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oder zynisch zu verharmlosen." Texte oder Filme, die >Übertretungen< intern kaum oder gar nicht mehr als Zeichen einer verletzten Ordnung thematisieren, werden selbst potentiell zu (moralischen, wenn nicht rechtlichen) Übertretung e n und bezeichnen stattdessen extern, d.h. innerhalb ihres zeitgenössischen oder späteren Rezeptionskontextes, die Norm- und Wertordnung, gegen die sie verstoßen. 100 Verweigern Film oder Literatur also ein internes semiotisches reentry, das >Verbrechen< als vollständiges Zeichen aus Signifikanten und bezeichneten Ordnungs-Signifikaten repräsentiert, drohen sie ihre sozial akzeptierte Funktion als symbolisch generalisierbare< Medien der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung einzubüßen und bezeichnen - nun selbst zu Übertretung e n geworden - die provozierte moralische oder rechtliche Ordnung auf nicht konsensfähige, irritierende Weise.

3. Zeichen als Verbrechen101 Die Schwierigkeiten, die für Justiz und Kriminalwissenschaft bei der >Erklärung< von »normal unmotivierbaren« Verbrechen (ohne das »zureichende normale Motiv«: Wulffen 1926, S. 422) entstehen, haben sich seit dem 19. Jahrhundert nicht verringert, sondern wachsen mit den steigenden biologischen, anthropologischen, medizinischen und psychologischen Erklärungsansprüchen des wissenschaftlichen Diskurses. Die Diskursivierungsmodi dieser Re-Motivierungslücken mögen sich verändert haben, die Defizite selbst nicht. So reflektiert z.B. Birnbaum die postulierten »kriminell-pathologischefn] Triebe«, also 99

Literarische Beispiele solcher Freisetzung finden sich im Expressionismus (vgl. Georg Heyms 1913 erschienenen Text Der Irre oder Carl Einsteins Der Tod des Komis Meyers, entstanden zwischen 1905 und 1912), aber auch noch später: So war die Verleihung des zweiten Preises beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1991 an Babyficker von Urs Allemann durchaus umstritten (Allemann 1991), s. auch unten zu Ellis' Roman American Psycho. Zu den Grenzen der Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes (Art. 5, Abs. 3 des Grundgesetzes) vgl. Oettinger 1981a, 1981b und Haverkamp 1981, über die Austauschbeziehungen zwischen Rechtssystem und Literatursystem vgl. Linder 1990. 100 Exemplarisch sind die Kontroversen um das 1785 entstandene Romanfragment Les Cent-Vingt Journees de Sodome ou l'Ecole du Libertinage des Marquis de Sade (ersch. 1904) und seine >skandalöse< filmische Adaption durch Pasolini (Said ο le 120 Giornate di Sodoma, 1975): Text wie Film werden zum Skandalon, weil sie die Geschehnisse innerhalb der dargestellten Welten mit zu wenigen Übertretungssignifikaten ausstatten. 101 Für die folgenden Ausführungen erscheint es verzichtbar, die Probleme der Definition von Film>SerieReihe< und >Mehrteiler< zu vertiefen: Es genügt, >Serie< - in Analogie zur literaturwissenschaftlichen Definition von >Zyklus< (vgl. Ort 1984) zwischen >Reihe< mit abgeschlossenen Episoden ohne übergreifende narrative Entwicklung und narrativ integriertem >Mehrteiler< mit seiner strikten Abfolge von Abschnitten anzusiedeln. >Serien< mischen semantische Identität und Differenz bzw. Konstanz und Wandel ihrer dargestellten Welten - die Reproduktion ihrer Folgen unterbricht Selbstreferenz durch Abweichung.

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»Mord-, Brandstiftungs- und Stehltrieb« psychopathischer, krankhaft degenerierten Verbrecher zwar durchaus als Notbehelfe, von denen zu sprechen »Verlegenheit« sei (Birnbaum 1914, S. 137), aber er gibt die Konzeption der pathologischen Triebe deshalb nicht auf: »Gewiß ist die scheinbare Sinn- und Zwecklosigkeit, die unzulängliche Motiviertheit eines Diebstahls noch kein Beweis für das Bestehen eines pathologischen Stehltriebes, aber doch zumindest ein Verdachtsmoment« (ebd., S. 145). Manifestiert sich der >MordtriebErklärung< jedoch entweder »unterstützende Motive« (ebd., S. 140) oder seine »sexuelle Färbung« (ebd., S. 139) anzunehmen. 102 Postulierte Triebhaftigkeit, Degeneration und Vererbbarkeit konstituieren auf tautologische Weise ein atavistisches >KrankheitsbildUnheilbarkeit< macht ihn von vornherein zum >geborenen< Wiederholungstäter, den ein starker »Nachahmungstrieb« zur Fremd- und Selbstkopie, d. h. zur Reproduktion medienvermittelter und in der Folge dann auch eigener Verbrechen zwingt: »Geistig Minderwertige, Psychopathen, Schwachsinnige unterliegen wegen ihrer Triebhaftigkeit und geringen Hemmungen dem Nachahmungstriebe am leichtesten« (vgl. Wulffen 1926, S. 49-51, hier S. 50).104 Für Wulffens Kriminalpsychologie (Wulffen 1926) steht denn auch die kriminogene Funktion der »Lektüre von Detektiv- und Verbrechergeschichten und von Erzeugnissen der Schundliteratur«, von »Indianergeschichten« (ebd., S. 50f.), der »Presse« (ebd., S. 401) und insbesondere des »Kinematographen« (ebd., S. 50), außer Zweifel.105 Die Erklärungsnöte im Falle von >Massenmorden< scheinen durch den Verweis auf >gefährliche< Medien, auf Zeichen als Verbrechensvorlagen gemildert werden zu können, auch wenn Wulffen nur ein 102

Zum >Lustmord< als Paradigma der >Mordlust< vgl. v.a. die beiden so titulierten Kapitel 21. und 22. von Wulffen 1928, S. 454 - 492; zur Geschichte von >Mordlust< und >Lustmord< als sprachlichen Konstruktionen siehe kritisch Pfäfflin 1982, der in der »Lust [...] nicht [das] Motiv sondern [das] Objekt der Tat« ausmacht (S. 547); kritisch wiederum zu Pfäfflin Lindner im vorliegenden Band, S. 278. 103 Vgl. die »Stammtafeln« degenerierter Familien mit Neigung zu Totschlag und zu Sittlichkeitsdelikten bei Pollitz 1909, S. 7 0 - 7 1 ; zum >Massenmord< siehe auch Wetzel 1920, zum weiblichen Giftmord als >Triebverbrechen< Wulffen 1917 und 1923, S. 180-218, sowie schon Krauss 1884 (vgl. Linder und Schönert 1983) und Lombroso und Ferrero 1894 (z.B. S. 5 3 0 - 5 3 1 zur >Giftmischerin< als >hysterischer VerbrecherinVerbrechen, die Geschichte machtenUrbildernVorbild< als vermeintliche Ursache. Auch schon das unmotivierte, unerklärbare - und damit provozierend selbstbezügliche 106 - Einzelverbrechen fungiert auf diese Weise als Element einer minimalen Initial-Serie aus Signifikant und Signifikat, in der das >sinnlose< Verbrechen im Medienrekurs >Bedeutung< gewinnt und zum Signifikanten seines zeichenhaften (literarischen, filmischen) Signifikats wird. Eine solche, ersatzweise semiotische Motivierung ermöglicht es außerdem, jedes weitere ähnliche Verbrechen desselben Täters als Kopie des je vorangehenden, als dessen Signifikant zu interpretieren. Der Serie von Massenmorden entspricht die komparatistische (serielle) Darstellung von Massenmordfällen, die einander in ihrer »Duplizität, ja Triplizität« (ebd., S. 401) nur scheinbar gegenseitig erhellen. 107 Die Serialität von unmotivierten Einzelverbrechen, die nicht nur im Sinne von Abschnitt 2.3 (vgl. unser Schaubild) als >Zeichen< zu verstehen sind, sondern darüber hinaus >fiktive< (medial gespeicherte oder bloß imaginierte) oder >reale< (d.h. erinnerte) Vorgänger-Verbrechen repräsentieren, erweist sich mithin als Modus ihrer semiotischen Motivierbarkeit und verdeutlicht, wie stark umgekehrt solche Zeichenhaftigkeit des Verbrechens auch an eine latente oder manifeste Kriminalisierung der Zeichen geknüpft ist. Bezeichnen nämlich >Verbrechen< selbst nur mehr ihre >VorbilderVerbre106

Dementsprechend häufig werden >Massenmörder< auch als indirekte >Selbstmörder< interpretiert (Wulften 1926, S. 402£, 418). 107 Wulften 1926 >erzählt< die Fälle Wanyek (mit Verweis auf den Fall Nordlund), Ernst Wagner, Tomsiez, Petrow-Komarow, Haarmann, Denke (beide mit Verweis auf den Fall Großmann) und Angerstein (S. 4 0 0 - 4 2 3 ) und konstatiert eine periodische Wiederkehr von medien-induzierten Massenmord-Konjunkturen (S. 401); vgl. zur Konjunktur in den Zwanziger Jahren: »Die eigenartige Häufung der Massenmorde, die wir in einem einzigen Jahre erlebt haben, [...], legjt] den Gedanken nahe, daß in unserer gegenwärtigen kriminellen Atmosphäre solche Taten ganz besonders gedeihen«, (S. 400f.) Nach siebzig Jahren scheint die Medien-Konjunktur des sogenannten Serienmordes durchaus vergleichbare Reaktionen nach sich zu ziehen. S. dazu den FBI-Kriminalisten Robert K. Ressler im Interview (1997, S. 20): »Ich glaube [...], daß die Zunahme an Morden, für die kein Motiv erkennbar ist, zum Teil den Medien zuzuschreiben ist.«

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chensdeuter< darzustellen und die Bedeutung des offenkundig Sinnlosen zu entziffern. So gelingt es dem Gefängnisarzt in Ernst Weiß' Erzählung Hodin (1923) immerhin, das »sinnlose Gekritzel« (Weiß 1982, S. 140; vgl. auch S. 133) des familiär vorbelasteten, mutmaßlich >geisteskranken< (vgl. ebd., S. 134, 140) fünffachen Mörders als auf den Kopf gestellte und gespiegelte Stenographie zu entschlüsseln (ebd., S. 141) und nach der Lektüre Hodins »Streben, abseits aller Reue, fern aller Vernunft, dieses Ziel ohne Bedeutung und Sinn« (ebd., S. 128) als Selbstbestrafung eines (angeblichen) Muttermörders zu motivieren. In Der Massenmörder von Hans Hyan aus den Zwanziger Jahren (Hyan o.J.) stimuliert schließlich der Gefängnisgeistliche eine unerwartete, reuelose Geständniserzählung des auf die Hinrichtung wartenden Delinquenten. Die Selbstaussagen des zum lombrosianischen Verbrecher typisierten Mehrfachmörders Barkus (ebd., S. 301: »>wie'n wildes TierSinn< des Unerklärbaren und letztlich auch Unartikulierbaren ergeben; sie münden erneut in stumme Gewalttätigkeit (ebd., S. 309f.). 108 D a ß Barkus vor Gericht »grinsend« die Justiz als Vorbild für die bei seinen Taten bevorzugte Tötungsart benannt und »sich die [...] staatliche Gerechtigkeit zum Vorbild genommen« hat (ebd., S. 304), weist dieser ex post eine partiell motivierende Funktion zu, zumal sie selbst von Barkus nun auch noch eines Justizmordes beschuldigt wird, dessen Augenzeuge er war und den er durch ein rechtzeitiges Geständnis hätte verhindern können (ebd., S. 308-309). Barkus' >Beichte< bleibt somit von zweifelhaftem Aussagewert und wälzt indirekt einen Teil der Schuld auf die Justiz ab, die einen Unschuldigen an Barkus' Stelle hat hinrichten lassen und damit ungewollt zur Komplizin und zum >Vorbild< des Mörders geworden ist. Besonders hartnäckig scheinen die Rekursionszirkel aus Kriminalisierung (von Zeichen) und Semantisierung (von Verbrechen) im Falle der gegenwärtigen Medienkonjunktur von >Serienmord< und >Serienkiller< zu sein, 109 die hi108 Verbrechen und Gewalt nicht nur zu verschriften und in Erzählungen zu transformieren, sondern, wie es noch der Schriftsteller Kupfer in dem Film Der Sandmann (1995) formuliert, selbst als eine »Sprache mit eigener Grammatik und Poesie« zu begreifen, »die man entziffern und deuten kann«, läßt offen, welche Signifikate sich am Ende solcher >Entzifferung< zu erkennen geben: Gerade die auf einander verweisenden Elemente serieller Mord-Syntagmen< offenbaren die leere Selbstbezüglichkeit dieser >SpracheMassenmörders< absetzen läßt, wird im Vergleich mit den Definitionsversuchen von Wetzel 1920 oder Wulffen 1926 deutlich: Wetzel 1920 subsumiert unter den Begriff zwar jede Mehrfachtötung, schließt jedoch multiple Raubmorde, politische Verbrechen und alle Formen der Giftmischerei aus (S. 10), während Wulffen unter »Massenmörder[n] im eigentlichen Sinne nur jene [versteht], die durch ein und dieselbe Handlung oder doch nahezu gleichzeitig einige oder gar viele Menschen töten« (Wulffen 1926, S. 401); seine Beispiele umfassen jedoch auch explizit Fälle, bei denen die >Masse< der Opfer nicht (nahezu) synchron, sondern in einer diachronen Serie von Einzeltaten >produziert
Fortsetzungen< Psycho II-IV, Patrick Bateman aus Bret Easton Ellis' Roman American Psycho (1991), Jame Gumb aus D e m m e s Das Schweigen der Lämmer (1990) sowie Leatherface aus Tobe Hoopers Blutgericht in Texas [The Texas Chainsaw Massacre, 1974] zuzurechnen sind. Hoopers Film selbst hat eine Reihe weiterer Splatter-Filme angestoßen, die mehr oder weniger auf ihn Bezug nehmen. 1 1 2 Leimer und Wulf 1996 (S. 231) ordnen dieser Reihe auch einen Snuff-Videofilm zu, den zwei Serienmörder von Verbrechen hergestellt haben, die wiederum Hoopers Texas Chainsaw Massacre realisieren: eine selbstbezügliche und »endlose Signifikantenkette« (ebd., S. 239) scheint auf destruktive Weise entfesselt, >Verbrechen als Zeichen< und >Zeichen als Verbrechen< sind fast ununterscheidbar geworden, kommen zur Deckung. 1 1 3 wird, die in unterschiedlich großen Zeitabständen begangen werden. Vgl. resümierend neuerdings auch Bourgoin 1995. 110 So z.B. - in beinahe bibliophiler Ausstattung - Neuzner und Brandstätter 1996 über den >LehrerDichter< und >Massenmörder< Wagner sowie Farin und Schmid 1996, die Ed Gein in Bild- und Textbeiträgen stellenweise mehr cineastisch re-inszenieren als dokumentieren; ähnliche Faszination am >Bösen< stellt auch schon Farin 1989 unter Beweis, worin >Wirken und Leben< der comtesse sanglante Erzsebet Bäthory, des >weiblichen Gilles de Rais an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhunderts dokumentiert und in »Phantasiespielen« (Untertitel) nacherzählt werden. 111 Kniebe 1996a: »Was erfolgreiche und wichtige Filme angeht, hat Ed Gein also eine Menge geleistet, [...]«. 112 U.a. The Texas Chainsaw Massacre Part 2, 1986; The Texas Chainsaw Massacre: A Family Portrait, 1986; Leatherface: Texas Chainsaw Massacre III, 1990; The Return of the Texas Chainsaw Massacre, 1994; vgl. die Filmographie in Farin und Schmid 1996, S. 387-389 sowie ebd. zum Fall Gein die Beiträge von Champion 1996 [1958], Robert Bloch 1996 [1959] und Rodenkirchen 1996 (dort auch weitere Literaturhinweise), zu den >LeatherfaceZeichen als Verbrechern zusammenfallen, führt im übrigen schon Franz Kafkas In der Strafkolonie (1919) vor, wo die Bestrafung in krassem Mißverhältnis zur mutmaßlichen Übertretung steht und >Strafe< im rechtlichen Sinn zum willkürlichen, aber maschinell vollzogenen Mord pervertiert, der jederzeit (>seriellBeschriftungVollendung< koppelt die vollständige Entzifferung der >Inschrift< an den Tod des >Rezipienten< - Tötung und Be-Zeichnung sind am Ende ebenso identisch wie Rezipient und Zeichen. Die Selbstzerstörung eines solch leeren und selbstbezüglichen

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D e r Serienkiller ist durch die Massenmedien in der Tat zum >new mythic monster< geworden, dessen Präsenz in der >genre fiction< mittlerweile die des Westerners (als Bösewicht wie als H e l d ) übertrifft. 1 1 4 D i e Figur des B ö s e n gibt d e m jüngeren populären >Genre< den N a m e n , obwohl in aller Regel die Ordnungsmächte in der Siegerrolle dargestellt werden. Ihr Sieg erscheint jedoch häufig von Melancholie überschattet, die sich aus d e m Bewußtsein speist, daß das >Gesetz der Serie< durch eine Verhaftung nicht außer Kraft gesetzt werden kann und sich immer wieder auf die Ordnungsmacht selbst ausdehnt. 1 1 5 D i e Institutionen der Strafverfolgung können sogar ihrerseits Mörder hervorbrin-

semiotischen Strafsystems scheint unausweichlich, der Offizier tötet sich selbst mit und in der Maschine, während diese sich zerstört. - Die semiotische Metaphorik von Leimer und Wulf anläßlich von The Texas Chainsaw Massacre sollte nicht davon abhalten, solche Grenzfälle in der Beziehung von >Verbrechen als Zeichen< und >Zeichen als Verbrechern auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin näher zu analysieren (»Die Kombination von Leatherface und der Kettensäge entspricht dem Modell Signifikat/ Signifikant. Erst zusammen ergeben sie das tödliche Zeichen, das den Opfern auf den Leib geschrieben wird«, 1996, S. 239). Zu Kafkas In der Strafkolonie siehe Bartels, 1997, S. 171-175. 114 So Sue C. Epstein 1995, die angibt, 172 einschlägige Kinofilme untersucht zu haben. »Der >Serientäter< ist nicht nur aus Gründen der gesteigerten Schrecklichkeit< diese attraktive Kinofigur, er ist es aus Gründen seiner Serialität« (Theweleit 1994, S. 59). Für Seidl 1997 prägen >Serienkiller< realiter wie als Filmfiguren nachhaltig die Signatur unserer Medienkultur. Serielle Mordlust und serielle Schaulust scheinen eins zu werden (Kniebe 1996a), was Serienkiller- und Auftragskiller-Filme von Anfang reflektieren, wenn sie den aggressiven, >tötenden< Kamerablick (Powells Augen der Angst [Peeping Tom] 1959, vgl. dazu Lamott 1993) ebenso inszenieren wie den beobachtenden, selbst gefährdeten Blick (wie am Ende von Mann beißt Hund, 1992 von Belvaux et al. oder in Stones Natural Born Killers, 1994); vgl. insgesamt erneut die tour d'horizon von Springer und Springer 1996, die allerdings die Serienmörder-Konjunktur zum psychotischen >Krankheitsbild< der westlichen Kultur hochstilisieren (S. 379-380), die ihre religiös verankerte >rituelle< Basis verloren habe: »Der Serienmörder ist das exemplarische Modell für die Verwirrung der Zeichen, wie sie zur Zeit auch die künstlerischen Texte Roman und Film entwickeln« (ebd. S. 380). - Nach Fertigstellung unseres Beitrages sind zum Thema >Serienkiller in der populären Kultur< die Arbeiten von Seltzer (1998) und Tithecott (1997) erschienen. 115 Exemplarisch ist Brian G. Huttons Die erste Todsünde (1980), in dem der Polizist den Killer ohne Verfahren exekutiert, um danach pensioniert am Totenbett seiner Frau gezeigt zu werden, also am Ende der beruflichen und der familiären Laufbahn, durch die er definiert und als Gegenfigur zum Serienkiller charakterisiert ist, sowie David Finchers Sieben (1995), wo die schwangere Frau des Polizisten Mills nur deshalb Opfer des Serienkillers wird, um Mills zur >Hinrichtung< des bereits verhafteten Täters zu verleiten, wodurch er zugleich dessen noch unvollendetes >Werkim Zorn< zum Abschluß bringt. In Jon Amieis Copykill (1995) schließlich ist es der verurteilte Killer, der aus dem Gefängnis per Internet zu einer Mordserie anstiftet, die ihrerseits >berühmte< Morde kopiert: Die Kritik am unkontrollierbaren Informationsfluß und an der damit korrelierten, nicht mehr zu unterbrechenden Serie signifikanter Morde ist unverkennbar. - Die Strafjustiz ist prinzipiell von der Melancholie des Scheiterns überschattet: Sie arbeitet am Verschwinden der Kriminalität und weiß doch, daß sie nie erfolgreich sein wird und ihre Selbstabschaffung von Mal zu Mal vertagen muß.

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gen, die dem Sog der Serie erliegen und - wie in Der Serienkiller - Klinge des Todes (1997) - ihre Einzeltat als Fortsetzung einer Mordserie tarnen und sich in diese parasitär einreihen. Epstein (1995) unterstreicht den paradoxen Charakter der meisten Film-Killer, die als Alltagsmenschen ihre bizarren Wünsche mit monströsen Fähigkeiten in die Tat umsetzten. Man kann dies als Transformation des Jekyll-and-Hyde-Musters lesen, nach der die Wünsche und Fähigkeiten der >dunklen Seite< des Charakters auf die Dauer denen des >A11tagsmenschen< überlegen sind und sie zusehends überlagern. 116 Auch die Konzeption des Serienkillers läßt das Böse immer nur zusammen mit dem Guten denken, das Individuum (der >Alltagsmenschüber< dem gefangenen oder getöteten Verbrecher stehen. 1 1 7 Nicht selten wird er dann (wie in Robert K. Stevensons Roman und seinen zahlreichen Verfilmungen) zusehen können, wie sich das Monster zurückverwandelt in den Menschen. 1 1 8 D i e Verbindung zu Stevensons prototypischem Killer-Wissenschaftler läßt Robert K. Ressler, dessen N a m e n und Tätigkeit beim amerikanischen Bundeskriminalamt FBI aufs engste mit der Konzeption des Serienkillers in den siebziger Jahren verbunden ist, nur in der Ablehnung zu: Die meisten stellen sich [unter Serienmördern] eine Art Jekyll und Hyde vor [...]. Serienmörder sind beileibe nicht so. Sie sind von Fantasievorstellungen besessen. Und in ihnen steckt etwas, was wir unerfüllte Wünsche nennen müssen. Diese werden Teil ihrer Fantasie und treiben sie zum nächsten Mord (Ressler and Shachtman 1993, S. 46). D o c h auch der >Cheiprofiler< verknüpft sein Konzept mit der populären Kultur, mit den audiovisuellen Medien: Wenn ich heute an die Zeit zurückdenke, als ich auf den Namen kam, scheint es mir so, als hätte ich den Begriff schon eine Weile im Hinterkopf gehabt. Damals liefen jeden Samstag im Kino Abenteuerserien (>Das Phantom< mochte ich am liebsten). Jede Woche köderten sie einen schon für die nächste Folge, denn immer, wenn es am aufregendsten wurde, war plötzlich Schluß. Das war alles andere als befriedigend, denn

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Dabei kommt es aber immer darauf an, die schlimmen Züge zu >triggernschönere< Morde. 1 2 1 D i e Tatorte, Taten und Opfer können sich nicht jeweils gleichen, der Täter findet bei jeder neuen Tat auch neue U m s t ä n d e vor; doch mit d e m Konzept der >Verbesserung< nimmt man den Varianten der Serie die Zufälligkeit - der Täter wird zur planenden Bestie, die sich der Rationalität des Alltags einfügt, auch insofern erweist sich der Serienkiller als paradoxe Figur. Resslers serial killer ist eine >fordistische< Figur: mit der Verbesserung des >Immergleichen< befriedigt er sein Bedürfnis und weckt es gleichzeitig neu. 1 2 2 Niklas Luhmann beschreibt die von der Werbung in Gang gehaltene 119

Zu Resslers Begriffsbildung s. auch Lindner im selben Band, S. 277; man sieht, wie der vergleichsweise >präzise Begriff< (Lindner) seinerseits mit Phantasievorstellungen verbunden ist. - Bartels 1987, S. 163, zitiert dieselbe Stelle aus Ressler und Shachtman 1993; er betont in seiner Kommentierung die ästhetische Beziehung des Täters zu seiner Tat; bei Bartels bleibt freilich unreflektiert, daß >der Serienkiller< immer als kulturelle Konstruktion zu sehen ist, die wesentlich auf die Arbeit und die Formulierungen Resslers zurückgeht - man kann ihn nicht als Wirklichkeitsphänomen betrachten, das erst in den siebziger Jahren und mehr oder minder überraschend aus dem Nichts aufgekommen sei (so aber ebd., S. 162). 120 »The M[odus] 0[perandi], however, changes over time with experience and confidence, meeting the needs of the rape behavior. It will evolve to allow the fantasy behavior, and whatever works will remain and whatever fails to work will not be repeated. In this way, the rape is a classroom to the rapist, teaching him what will work and what will not« (Turvey 1997, Internet-Dokument, deshalb o.p.). 121 Über die Geschichte der Ästhetik des Mordens (vor und nach de Quincey) und der Morddarstellungen in der Literatur vgl. vor allem Black 1991. 122 Werner Faulstich hat die Serie als Gestaltungsprinzip nicht nur der Kunst ausgemacht: »Wenn es Serialität nicht gibt, erfinden wir sie, projizieren sie, denn Sinn entsteht für uns nur durch Verknüpfung von Singulärem zu Serien, zu Zusammenhängen. Die Serie schafft Ordnung, Vertrautheit, bildet das Koordinatensystem unseres Lebens« (Faulstich 1994, S. 51). Vgl. auch den Hinweis von Caputi 1987, S. 158, auf das Zeitalter der Massenproduktion von Gütern, Waffen, Kunst sowie Eco 1988, S. 155-161 (insbesondere seine »Typologie der Wiederholung«, S. 161ff.), Hickethier 1991 und 1994a sowie Springer und Springer 1996, S. 367. Theweleit 1994, S. 56-67 betont anläßlich von Jonathan Demmes Das Schweigen der Lämmer (1990) und von John McNaughtons Henry. Portrait of a Serial Killer (1986) den Zusammenhang von Serien-Kunst und industrieller Fertigung - von Produktmarken und ihren pop-art-Kopien - mit den seriellen Medienprodukten; »ein Massakerfilm wechselt ab mit einer Familienserie ...

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industrielle Produktion und Konsumtion unter dem Aspekt eines Motivationsmangels, den Ressler seinem Serienkiller ganz ähnlich zuschreibt: Unter Bedingungen industrieller Produktion ist es ja eher ein Akt der Verzweiflung als der Vernunft, dasselbe nochmals zu kaufen. Man braucht deshalb zusätzliche Unterstützung der Motive, und am besten geschieht dies durch Erzeugung der Illusion, Dasselbe sei gar nicht dasselbe, sondern etwas Neues. [...] Ein BMW bleibt ein BMW, aber er wird von Modell zu Modell immer besser [...] (Luhmann 1996, S. 94).

Die Produktion des Serienkillers richtet sich, folgt man der FBI-Konzeption, vor allem darauf, ein Inneres - seine Phantasieprodukte - im Außen zu repräsentieren.123 Der Resslersche Serienkiller läßt sich im Zweifel nicht nur von der eigenen (Vor-)Produktion anregen, die es zu verbessern gilt, sondern eben auch von anderen Phantasieprodukten, womit die Kriminogenität der Splasher-, Horror- und Serienkillerfilme zumindest impliziert ist.124 An dieser Stelle verbindet sich im übrigen die Serienkiller-Diskussion mit derjenigen über Pornographie, in der gleichermaßen Handlungen (in der Regel solche sexueller Gewalt) ganz unmittelbar auf die Wirkungen der Rezeption von ikonographischen oder audiovisuellen Erzeugnissen zurückgeführt werden. 125 Im Serienkiller (bzw. seiner diskursiven Konzeption und in der öffentlichen Diskussion über ihn) verbinden sich die verschiedenen Ebenen medialer Inszenierung zum unauflöslichen Zirkel: Die Medien werden einerseits für die >Serienkillerpanik< der achtziger Jahre in den USA verantwortlich gemacht (durch den Verweis auf ihre sensationalistische Berichterstattung über Einzelfälle und die Ausbeutung fragwürdiger Statistiken), andererseits - und zur gleichen Zeit - werden Einzelfälle auf den Medienkonsum der Täter zurückgeführt (vgl. das kritische Re-

Zerstörung/Wiederzusammensetzen« der Familie geht selbst in Serie: dabei ist »nicht >Durcharbeiten< [...] der Weg der Veränderung, sondern die unmerkliche Verschiebung in der Wiederholung« (ebd., S. 57). Bartels 1997 illustriert dies mit Oliver Stones Film Natural Born Killers (1994), der die Sozialisation der weiblichen Heldin als Famiiien-Sitcom erzählt, »als sei Serienmord die unmittelbare Fortsetzung der Familienserie« (S. 164). 123 Vgl. dazu auch Anderson 1994, der beim Serienkiller >Phantasiesucht< konstatiert, die er mit der Sucht des Alkoholikers vergleicht: »The serial killer, much like the chronic gambler and problem drinker, is addicted to the use of fantasy. So strong is this compulsion that the serial killer murders to preserve the addiction, in essence preserving his only remaining coping mechanism« (zit. nach der Internet-Publikation, deshalb ο. p.). Andersons Auswertung der kriminalistisch-psychologischen Literatur hebt als Besonderheit hervor, daß der Serienkiller allein aus >intrinsischen< Motiven handle, äußere Antriebe - Geld, Rache etc. - fehlten völlig. Gegenüber den älteren Konzeptionen des Serienmordes, die wir skizziert haben (s. zu Birnbaum, Wetzel und Wulffen) fällt seit den siebziger Jahren auf, daß völliges Fehlen äußerer Motive (Habsucht u. dgl.) nun durch den >Abbildungsmechanismus< der Serientaten kompensiert wird und hingenommen werden kann. 124 Belege findet nicht nur das FBI in den Selbstaussagen der Täter, vielmehr gehen von dieser Implikation zahlreiche Untersuchungen der Kriminalität, vor allem Jugendlicher, aus. 125 Vgl. zur Diskussion Vinken 1997 und Cornell 1997.

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ferat bei Seltzer 1993 und vor allem Jenkins 1994).126 Der Täter, der das Böse schlechthin verkörpern soll, verliert am Ende seine Identität; als planvoll vorgehende Bestie ist er - seine Phantasien und ihre Entäußerungen - von den Medien gesteuert, die er konsumiert und die seine Taten wiederum ausbeuten. Obwohl fremdbestimmt, gilt er als verantwortlich, und doch werden die Zeichenproduzenten - über ihr >Werkzeug< - potentiell und ungewollt selbst zu >VerbrechernRealität< zur Sucht wird, die die Leiche als Medium benötigt, wird schließlich die Medien- oder Kultur- >Industrie< verantwortlich gemacht, die das wiederkehrende Bedürfnis derart bedient, daß dessen kontinuierliche Befriedigung zur Sucht werden muß. Die Identifikation mit den images der Medien bringt dann das (böse) Subjekt und seine Wünsche hervor, nicht umgekehrt. Unerklärt bleibt bei all dem, wie die Serientaten mit der Rezeption dieser images zusammenhängen - wie die Phantasie von außen derart angeregt werden kann, daß sie sich wiederum >entäußern< muß (vgl. Seltzer 1993 S. 94f.). Dabei lenkt Resslers Rede von der >Motivlosigkeit< der Serienmorde, die eng mit der Vorstellung von der Anregung durch Medienrepräsentationen zusammenhängt, davon ab, daß die Taten sich häufig gegen das >Nicht-Männliche< richten (vgl. ebd., S. 96). Doch sie bestätigt nochmals den inhärenten Widerspruch der Serienkillerkonzeption, die von der normalen Anomalität (oder der anomalen Normalität) ausgeht, die es dem Serienkiller gestattet, lange Zeit unerkannt seinem bösen Tun nachzugehen, und dies wiederum ist die Voraussetzung für die Vorstellung, daß jederzeit zahllose noch unerkannte Serienkiller ihr Unwesen treiben. Folgt man Ressler und seinen Adepten, dann gewinnen die für den Beobachter motiv- und damit 126

Einen ersten Höhepunkt erlebte die Debatte über die Verbindungen zwischen Kriminalität - spektakulären Einzeltaten - und den modernen Massenmedien, vor allem Film und Fernsehen, sowie den öffentlichen Figuren«, die sie kreieren, nach dem Attentat, das John W. Hinckley 1981 auf den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan verübte. Der vorher namenlose Hinckley wurde (mit der Veröffentlichung von Vernehmungsprotokollen, schriftlichen Zeugnissen und Interviews, mit Bildreportagen usw.) in eine Gruppe gestellt, der nicht nur der Darsteller-Präsident angehörte, sondern u. a. auch die Schauspielerin Jodie Foster und Martin Scorsese als Regisseur von Taxi Driver (1975). Der an sich >unverständlichen< (weil >untermotiviertenzielstrebig< in die Reihe der Prominenten geschossen; vgl. als exemplarischen Artikel aus der Diskussion Naumann 1981. 127 Was Kinofilme wie Stones Natural Born Killers oder Finchers Sieben zwar auch reflektieren, zuerst aber auf andere Medien abwälzen. So bilden in Finchers Sieben (1995) Bibliotheksbesuche des Mörders und die Entleihung von Werken Thomas von Aquins fahndungsrelevante Komponenten des Täterprofils: Die Lektüre inspiriert die Inszenierung der Morde an >Sündern< als Strafgerichte und erleichtert deren Einschreibung in den theologischen Diskurs (vgl. Bickenbach 1996 zur filmischen >Mimesis von Literatur< und zur Verschränkung von Bild- und Textmedien in Sieben). In Natural Born Killers und in Copykill tragen v. a. audiovisuelle Medien bzw. das Internet zur Genese von Serienkriminalität bei: Filme machen Bücher und Bilder haftbar, Rezensionen schließlich wiederum diese Filme selbst - der Kreis schließt sich (wie bei Kniebe 1996a und 1996b).

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sinnlosen Einzeltaten des Serienmörders ihren Sinn just in der Serie; der jeweils nächste Mord erscheint als verbessertes Abbild des vorhergehenden, und erst in der Serie drückt sich der Täter aus: das ist der >SinnNeuigkeitenontologischen Sicherheit seiner Rezipienten beiträgt (vgl. dazu Sparks 1992, 1995, speziell bezogen auf Polizeiserien, allgemein Luhmann 1996 sowie schon Hikkethier 1991). 1 2 9 In das dramatische Konzept von Polizeiserien 1 3 0 paßt sich der Serienkiller besonders gut ein: Er tötet ein erstes Mal, taucht dann in der Großstadt unter, tötet ein weiteres Mal am unerwarteten Ort und kann schließlich doch von der Polizei überführt werden, die die unveränderlichen Aspekte seines modus operandi erkennt. 1 3 1 D i e Stadtkulisse wird ins Bild gesetzt, das Polizeiteam 128

Judith Walkowitz (1997) zeigt dies exemplarisch für die Ripper-Panik in London: Der Diskurs grenzt bestimmte Frauen (Prostituierte) als per se gefährdet aus und entfaltet disziplinierende Wirkung sowohl auf bürgerliche als auch auf proletarische Frauen sie bleiben tatsächlich abends zu Hause. Ähnlich wirkt sich im übrigen die von den Medien entfachte Panik in Fritz Langs Μ. Eine Stadt sucht einen Mörder aus, und zwar sowohl auf Frauen und Kinder (als potentiell Gefährdete), als auch auf bestimmte Männer-Typen: ältere, freundliche, flanierende (nicht arbeitende) Herren. Neuerdings werden - in selbstreferentieller Engführung - auch Polizeipsycholog(inn)en und Serienmord-Spezialisten als bevorzugte Opfer thematisiert, so in »Kalte Rache Teil I« aus der Serie Für alle Fälle Fitz (1996; Cracker 1994) oder in Amieis Copykill (1995). 129 Auch für den Kinofilm läßt sich zumindest die Tendenz zur Bildung von Filmreihen beobachten, die die Serialität ihres Gegenstandes reproduzieren und Serien von Serienmorden repräsentieren (vgl. die Halloween-Reihe, die - ausgehend von John Carpenters Halloween, 1978 - in drei weiteren Filmen, Halloween II, 1981, Halloween IV, 1988 und Halloween V, 1989 die fast naturhaft unabwendbare >Rückkehr< des psychopathischen Killers Michael Myers und je neue Mord-Zyklen zelebriert; ähnlich Norman Bates in Psycho II, 1982, Psycho III, 1985 und Psycho IV, 1990 auf der Basis von Hitchcocks Psycho, 1960). Präsentation und Repräsentiertes ähneln einander im »Gesetz der Serie«, das »der Welt eine Struktur [gibt]. Einerseits tritt der Serienkiller mit seiner Tat aus dem Schatten der anonymen Masse. Andererseits verleiht er seinem Tun durch die Wiederholung so etwas wie Gesetzmäßigkeit und Normalität« (Springer und Springer 1996, S. 367). 130 Vgl. vor allem Serien der sechziger und siebziger Jahre wie z.B. >In den Straßen von San Franciso< oder >KojakFür alle Fälle Fitz (Cracker)* oder auch »Halifax F. D.< (1994/95). 131 Die >Lektüre der Tat< wird zur zentralen Aufgabe der Polizisten, vgl. dazu Konzeption und Praxis des Profiling ebenso wie die Perseveranzstudie der Vertreter der objektiven

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kann bei der Arbeit gezeigt werden (wobei action mit mühsamer, kleinteiliger Ermittlungsarbeit wechselt), und schließlich verknüpfen sich in den kriminellen Handlungen des Killers Sexualität und Verbrechen (denn normalerweise wird dem Klischee gefolgt, nach dem der weiße Mann die weiße Frau tötet). Im Hinblick auf die >kulturelle Konstitution des Serienkillers< wäre dies freilich weiter zu untersuchen. Philipp Jenkins (1994) zeigt ausführlich, daß die Vorstellungen von Serienkillern sowie von der Zunahme der von ihnen ausgehenden Gefahren, 132 die seit den siebziger Jahren verbreitet sind, >kulturell konstituiert sind, und daß die >Panik< im Zusammenspiel von politischen und polizeilichen Institutionen, von allen Präsentationsformen in den Massenmedien und der irne-cwne-Literatur initiiert wurde. Jenkins verweist auch auf die >Durchlässigkeit< der Grenzen zwischen verschiedenen Präsentationsformen und >MediengattungenSerienmordKunstwerken< gerät (siehe auch Bartels 1997, S. 163, zu Sieben u. a. S. 161 und Bickenbach 1996). 132 Vgl. Bartels 1997, S. 162: »Bis in die sechziger Jahre hinein betrug die Aufklärungsrate bei Mord in den U S A nahezu hundert Prozent; [...]. In den siebziger Jahren jedoch nahm die Zahl der Morde an Fremden zu, jährlich blieben seither 5.000 Fälle ungelöst« [nach Ressler und Shachtman 1993]; vgl. zum Wandel der polizei-statistischen Erfassung von Straftaten im allgemeinen und Tötungen im besonderen Jenkins ebd., S. 6 0 70; ein derart plötzlicher Wandel im Bereich der Tötungskriminalität einerseits, der Aufklärungsraten andererseits erscheint auch dem Laien höchst unplausibel. 133 Vgl. dazu jetzt auch das Bremer Forschungsprojekt von Rüdiger Lautmann und Michael Schetsche zum »kollektiven Definitionsprozeß«, in dem die Identität des >Lustmörders< erzeugt wird, s. Schetsche 1997. 134 In diesen Zusammenhang von Serienkillerpanik und moralischer Deutung des Verbrechens paßt auch die Zunahme der (vollzogenen) Todesurteile der vergangenen Jahre; vgl. dazu auch Springer und Springer 1996, S. 363f.

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schaltquoten und aufgeregte Diskussionen erzielen. Als Import der Kulturindustrie ist die Serienkiller-Figur in Europa weitgehend losgelöst von aktuellen, (rechts-politischen und polizeilichen Handlungs- und Diskussionsbereichen; um so mehr ist sie in der Lage, das >Böse schlechthin zu repräsentieren. >Serialität< ist ohne Zweifel schon im 19. Jahrhundert zu einer eigenständigen »programmierenden Realitätsform« und der »Eintritt ins Serielle« zusehends auch zum »Eintritt ins Reale« geworden (Theweleit 1994, S. 64). Heinrich von Kleists Versuch, seine Berliner Abendblätter (1810/1811) durch die fortlaufende Veröffentlichung von Polizeimeldungen populär zu machen, ist zwar u. a. noch daran gescheitert, daß die Zahl der berichtenswerten und gleichzeitig nicht zensierten Vorkommnisse zu gering war und Kleist auf eigene Recherchen zugunsten von polizeilicher Selbstdarstellung verzichtete. Aber zur selben Zeit hatten in Deutschland die Sammlungen mit >merkwürdigen Kriminalfällen< Erfolg, und etwa Paul Johann Anselm von Feuerbach war über die gute Aufnahme seiner Merkwürdigen Criminal-Rechts fälle (1808/1811, erw. Neuausgabe 1828/29) erstaunt und erfreut. 135 Der Neue Pitaval brachte es von 1842 bis 1890 auf die Darstellung von mehr als 500 Kriminalfällen. Die >Serialität< der Kriminalitätsdarstellung ist keine Innovation: Wenn die >Ordnung< nur mit bzw. in der Übertretung erscheinen kann, ist ihre permanente Repräsentation nur denkbar, wenn permanent Übertretung dargestellt wird. Dabei gelingt es den Fallsammlungen des 19. Jahrhunderts, einen der entscheidenden Aspekte der Modernisierung der Strafjustiz seit der Wende zum 19. Jahrhundert aufzunehmen und zu repräsentieren, nämlich die Rolle des Staates, der sich im Strafverfahren als Opfer positioniert und das Opfer des vergangenen Übertretungsgeschehens zum Zeugen für das Geschehen gleichsam degradiert. 136 Das Verbrechen wird als Konflikt zwischen dem Rechtsbrecher und dem Staat konzipiert, das Strafverfahren als Inszenierung der (symbolischen) Wiederherstellung der Integrität des Rechts verstanden - und nicht als wie auch immer zu verstehende Wohltat für das Opfer. Diese Form der Störung und der Restitution von Ordnung wird in den Fallsammlungen des 19. Jahrhunderts stets aufs Neue bekräftigt: in den Konzentration auf den Täter, in der Rekonstruktion des Strafverfahrens, im Gewicht, das dem Verhalten des Angeklagten (seinen Reuebekundungen, seinem Verhalten auf dem Schafott) beigemessen wird. Justiz und Staat werden zu den Ordnungsmächten, die vor dem Bösen schützen. Die Störung der rechtlichen Ordnung wird mit der moralischen Ordnung verbunden - auch dort, wo (wie z.B. bei Demme, vgl. dazu 135

Feuerbach ist es auch, der mit »Andreas Bichel der Mädchenschlächter« 1808 einen Frauenmörder und -zerstückler vorstellt, bei dessen Taten sich Habsucht, Wollust und Blutdurst so verbanden, daß sich Feuerbach in seinem dienstlichen Referat die Frage stellen mußte, ob den beiden entdeckten und abgeurteilten Morden nicht noch weitere unentdeckte vorausgegangen waren, vgl. Feuerbach 1981, S. 172f. 136 Über die Strafrechtstheorie seit Kant hier zu referieren, würde endgültig zu weit führen; zum speziellen Aspekt vgl. aber zusammenfassend Koch 1988 - mit vielen weiteren Nachweisen.

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Linder 1994c) der Staat und seine Gesetze selbst als Konfliktauslöser und seine Institutionen (Lehrer, Richter etc.) als >unmoralisch< wahrgenommen werden (vgl. dazu Linder 1991 und 1994). Noch die kritische Rekonstruktion strafjuristisch-symbolischer Wiederherstellung von Ordnung bleiben der Repräsentation staatlich garantierter Ordnung verhaftet, weil und so lange sie sie als quasiontologische Kategorie begreifen. 137 Die aufkommende Serialität des Mediums der Repräsentation entspricht jedoch noch kaum einer Serialität der repräsentierten Übertretungen selbst. Um so auffälliger erscheint es deshalb, daß das 19. Jahrhundert gleichwohl Mehrfach-Tötungen durch Frauen rekurrent thematisiert: Vor allem durch den Neuen Pitaval und seine (>kriminalanthropologischprotokriminologisch< orientierten) Rezipienten werden Giftmord und und insbesondere >Massenvergiftungen< als >typisch weibliche Delikte< konzipiert (mit langfristiger Wirkung, vgl. dazu Weiler im selben Band, Weiler 1990, Linder und Schönert 1983b). Dabei werden Wiederholungstaten - durchaus analog zu heutigen Konzeptionen - regelmäßig mit Machtgefühlen und bzw. oder mit >sexueller Triebhaftigk e i t der Täterinnen in Beziehung gesetzt. Die Wirksamkeit dieser (interdiskursiven) Stereotypenbildung belegen A. Krauss' Überlegungen zur Einzeltäterin: Potentiell erscheint ihm die Giftmörderin regelmäßig als verhinderte Mehrfachtäterin, die z.B. nur durch die Festnahme davon abgehalten wird, die begonnene Serie fortzuführen. Um die Einzeltat als solche erkennen zu können, müssen Biographie der Täterin und Umstände der Tat besonders aufmerksam erforscht werden; in ihnen sind die Indizien aufgehoben, die auf die Anlagen zum Serienmord verweisen. Krauss entwickelt dies am Fall Ruthardt: 138 Christiane Ruthardt hatte ihren ungeliebten Mann getötet, der zudem mit seinen Versuchen, das perpetuum mobile zu erfinden, die materielle Basis von Frau und Kind gefährdet hatte. Krauss sieht dies als Befreiung, die er zwar aus moralischen und rechtlichen Gründen verurteilt, der er aber weder >Sinn< noch N a tionalität absprechen kann - deshalb wären weitere Taten von ihr nicht zu erwarten gewesen. Anders die Urheberinnen multipler Tötungen: 139 ihre Erklärungen und Selbstdeutungen gelten ihm als Nationalisierungen (avant la lettre), als Bemäntelungen ihres Giftmord-Triebes, der allein im multiplen Morden seine Befriedigung findet (Krauss 1884, S. 403 -407). Erst in der Wiederholung konstituiert sich eine reduzierte serieninterne >Bedeutung< der Taten als deren >SinnHeroinen des Giftmordesguten< und >bösen< (literarischen und vor allem filmischen) Repräsentationen. Einige Beispiele dafür, unter welchen semiotischen Bedingungen die literarischen oder filmischen Darstellungen von Serienmorden selbst inkriminiert werden und unter welchen nicht, mögen das bisher Gesagte abschließend belegen. Bret Easton Ellis' Roman American Psycho (1991), der schon in den USA sehr zwiespältig aufgenommen wurde, steht in der Bundesrepublik Deutschland seit 1995 auf dem Index der jugendgefährdenden Schriften (vgl. zur Indizierungspraxis Barsch im selben Band). Die Qualität als sozial konsensfähige Repräsentation von Übertretung wird ihm damit gesellschaftlich abgesprochen, er gerät potentiell unter den Verdacht, unmotivierte Serientötungen selbst auf unmotiviert >unstigmatisierte< Art und Weise darzustellen und nähert sich dem, was wir mit der Kurzformel >Zeichen als Verbrechen< bezeichnen. Als Skandalon wird offenkundig empfunden, daß der Text (nahezu) gänzlich aus der IchPerspektive des >Serienkillers< erzählt ist und der Ich-Erzähler nur an wenigen Stellen und sehr spät 1 4 0 zur moralischen Reflexion des eigenen Verhaltens ansetzt: Patrick Bateman ist ein (Pseudo-)Yuppi, überwiegend mit der Organisation seiner Freizeit beschäftigt, die er mit Fernsehen, Videos, Körperpflege und -ertüchtigung, Essen in fashionablen Restaurants, in Clubs, mit Rauschmittelbeschaffung und -konsum sowie mit sadistisch orientierten Sexualkontakten verbringt. Im Verlauf der erzählten Zeit tötet Bateman eine Reihe von Männern und Frauen: die ersteren in der Regel in plötzlichen Angriffen, zumeist ohne unmittelbar einsichtige Motive, sondern in schnell aufflammender Aggression, die sich sowohl gegen Konkurrenten aus dem eigenen Milieu als auch gegen die >Zumutungen< durch Bettler und Straßenkinder richtet. Frauen werden zumeist anhaltend gefoltert, zerstückelt und teilweise verschlungen. Der Text verarbeitet explizit die Bilder der rekurrent apostrophierten Splatter- und Trash-Filme und steht zugleich auch in der europäischen ikonographischen Tradition von Zerstückelungsphantasien der Grosz, Dix und Schad. 141 Der - bisweilen in der Tat fast unerträgliche - >Realismus< der Tötungs- und Zerstückelungsdarstellungen ist keineswegs neuartig, kann sich auf literarische und visuelle Darstellungen der Moderne berufen, speist sich darüber hinaus auch aus neueren Filmproduktionen und reflektiert die Serienkiller-Dokumentatio140

Es scheint, daß die Kritiker und Kritikerinnen des Romans nur selten bis dahin ausgehalten haben. 141 Vgl. dazu Hoffmann-Curtius 1989 und Tatar 1995 sowie Lindner in unserem Band.

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nen der siebziger und achtziger Jahre. Daß Ellis' Text damit nicht nur Batemans Taten semiotisch (pseudo-)motiviert, sondern latent auch sich selbst - die eigene, moralisch weitgehend freigesetzte Narration - in eine MediengattungsSerie einordnet und sich von ihr Funktionen und >Sinn< zu borgen scheint, bildet offenbar den Kern des Skandalons: Was im Rahmen von Autobiographien (Ressler), Zeitungsberichten und am Ende von moralisch mehr oder weniger eindeutig wertenden Filmen (wie ζ. B. Das Schweigen der Lämmer) möglich ist, erregt bei Ellis' Roman Anstoß: Er verzichtet auf die wertende, beurteilende Erzählinstanz, mit der die moralische Ambiguität der Ich-Erzählung aufgelöst würde. 142 Genau deshalb wird es auch als unerheblich empfunden, daß der Text keineswegs (fiktionale) >Wirklichkeit< darstellt, sondern die kriminellen Akte aus einer Perspektive erzählt, die es (wie bei Heyms Der Irre, 1913 oder Allemanns Babyficker, 1991) unentschieden läßt, ob die Morde >tatsächlich< begangen werden oder aus vorhandenen Bildressourcen imaginiert sind. 143 Wie dagegen ein besonders preiswürdiger medien(selbst)kritischer Film zumindest im deutschen Fernsehen auszusehen hat, wenn er die oben aufgezeigten kritischen Einwände von vornherein vermeiden möchte, ohne auf das Thema >Serienkiller< zu verzichten, zeigt die RTL-2-Produktion Der Sandmann (Regie: Nico Hofmann, Drehbuch: Matthias Seelig) von 1995, der mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet worden ist und in mehrfacher Hinsicht den Trend massenmedialer Reflexion von Kriminalitätsdarstellung illustriert. In der Begründung der Jury heißt es u.a.: Das Fernsehen mit seiner Gier nach Einschaltquoten, mit seiner Skrupellosigkeit, an voyeuristische Instinkte zu appellieren - hier wird es auf seinem eigenen Feld geschlagen, von einem, der noch perfider ist und sich des Apparats bedient, um ihn für seine ganz persönlichen Interessen einzuspannen: zur Werbung für sein neues Buch. 144

Die regelmäßig gesendete Talkshow, in der Mißstände und Skandale aufgedeckt werden, ist darauf angewiesen, daß Mißstände und Skandale kein Ende nehmen - kein Wunder, daß das Produktionsteam die Chance, einen Serienmörder >live< zu enttarnen, begierig aufgreift (bzw. aufzugreifen scheint) und eine junge, unerfahrene Journalistin auf den Ex-Häftling, Kriminalschriftsteller 142

Als literarisches Gegenstück zu Ellis' Roman wäre Steven Wrights going native (1994) zu untersuchen, der zwar auch die mediale Ubiquität des Killer-Themas voraussetzt, aber in auktorialer Perspektive die Opfer des (profillos bleibenden) Serienkillers fokussiert und auf diese Weise moralische Ambiguität auflöst; im übrigen stellt der Roman exemplarisch einen durch die Medien fremdbestimmten, aber doch verantwortlichen Täter dar, vgl. dazu Griem 1997. 143 Verwechslungen von Personen, Mißdeutungen von sprachlichen Äußerungen, offenkundig falsche Wahrnehmungen von Kunstwerken werden im Roman durchgehend thematisiert; nur eine einzige Situation soll dies exemplifizieren: Auf die Frage nach seiner Tätigkeit antwortet Bateman: »I'm into murders and executions mostly« und erhält darauf die Antwort: »Well most guys I know who work in mergers and acquisitions don't really like it« (Ellis 1991, S. 206). 144 Pressemeldung zur Vergabe des 32. Adolf-Grimme-Preises 1996 (Sparte »Allgemeine Programme«).

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und mutmaßlichen Täter ansetzt, der seinerseits keine Chance ausläßt, sein künftiges Buch über historische Serienkiller zu >promotenwirklichen< Täters konterkariert werden, der sich dann als (selbstproduzierte) Fiktion entpuppt, die die Redaktionsmitarbeiterin nicht als solche erkennt: Sie ist unfähig, die Überschreitung traditioneller Grenzen zwischen >Fiktion< und >Realität< zu erkennen. Mit diesen - selbstkonstruierten - Grenzen kann gespielt werden, weil sie ohnehin zum disponiblen Bestand der massenmedialen Repräsentationen gehören. Wichtiger noch als dieser Aspekt ist jedoch die Thematisierung der massenmedialen Konstruktion des Serienmordes. Mit ihr greift Der Sandmann Konstellationen auf, die wenig früher von Pedro Almodovar in Kika (1993) thematisiert wurden. Die Sensationalisierung der Kriminalität im reality tv erweist sich auch in Almodovars Film als kunstvolle Inszenierung, als bizarres Spiel, in dem die >Wirklichkeit< der Kriminalität und der Medien absurd erscheint und eine Reporterin im wörtlichen Sinn als Trägerin der Video-Ausrüstung fungiert. Sie läuft den Ereignissen hinterher, kann sie niemals einholen und muß sie deshalb inszenieren; als Moderatorin ihrer Sendung tritt sie in phantasievoll-theatralischer Verkleidung in einem leeren Theater auf und wen145

Wie diese Möglichkeiten verspielt werden können, zeigt die ARD-Serie >Die Gerichtsreporterin< exemplarisch in der Folge Mutterfreuden vom 30.8.1994: Eine Kindesentführung kann vor Gericht nicht befriedigend geklärt werden, weil die höchst komplizierten Umstände und der emotionale Status der Täterin unzugänglich bleiben. Erst die Journalistin >klärt aufNatur< der Frau durchsetzen mußte. Die Aufklärungsarbeit der Journalistin erweist sich als Zuschreibung herkömmlicher weiblicher Normalität, die sich in den entscheidenden Bildern ausdrückt: in dem der stumm leidenden Frau, die im Gefängnis Trost bei der selbstgebastelten Puppe findet, sowie dem der endlich befreiten Frau, die sich fröhlich und gesund auf den Rückweg in die Küche macht. Die Aufklärungsarbeit der Journalistin erweist sich als öffentliche Einschreibung der >NormalitätNaturdokumentierten< und >realen< Übertretungen selbst, geht also über eine bloß mediale Realitätskonstruktion hinaus. Sowohl Almodovar als auch Hofmann konstruieren mittels des je thematisierten BuchFilm-Medienverbunds Bilder des eigenen Mediums, das in beiden Fällen durch seine inszenierten Realitäten selbst in die Nähe von Übertretung gerät: Bei Almodovar durch die Übertretungen, die real vollzogen werden müssen, damit die semiotische Verarbeitung der Ordnungsstörung überhaupt erst in Gang gesetzt werden kann; der Nexus von Medium und Realität ist in der Tat zirkulär (>autopoietischRealität< des Serienmordes wird so zunächst dem vermeintlichen Schriftsteller-Verbrecher zugeschrieben, was sich am Ende vollends als Medienbetrug herausstellt. Vorweggenommene Medienkritik als (indirekte) Selbstkritik immunisiert die filmische Repräsentation von Serienmord gegen Kritik und macht sie zur gesellschaftlich anerkannten und >ungefährlichen< Reflexion. Beide Filme thematisieren damit zugleich auch die beiden semiotischen Extrempunkte, durch die die Repräsentationen von Verbrechen selbst potentiell zu Übertretungen werden: Zum einen nämlich dann, wenn das Verbreitungsmedium selbst a priori oder a posteriori die Verbrechen (vermeintlich) provoziert, die es repräsentiert, über die es >berichtetschlechtfiktiv< kennzeichnet, also von den Codes >gut-böserecht-unrecht< und >wahr-falsch< loslöst. Unverhüllte rekursive Selbstreferentialität bildet inzwischen auch unabhängig von der expliziten Selbstthematisierung der Medien einen bevorzugten Modus der Thematisierung von Serienmord und seiner Motivierungsprobleme, womit ein strukturelles (kunstwerk-analoges) Merkmal des Phänomens >Serienmord< auf seine Repräsentation übertragen wird. Besonders die im britischen und deutschen Fernsehen höchst erfolgreiche Kriminalserie >Cracker< (1993ff.; >Für alle Fälle FitzFür alle Fälle Fitzpostmodernes< Medienereignis, das die Absenz eines verbürgten, präsenten >Sinnes< selbst auf sinnhafte Weise bezeichnet und dabei die Ästhetik von Selbstreferenz reflektiert. So versucht der neurotische Serienmörder Albert Canceller in »Kalte Rache« die begonnene Mordserie vor falschen Interpretationen und voreiligen Motivzuschreibungen zu bewahren, indem er sich ausdrücklich gegen bedeutungsstiftende Rubrizierungen wehrt, die auf fehlgeleitetem Profiling beruhen, und seine weiteren Opfer unter den Deutungs- und Zuschreibungsinstanzen Polizei (Chief-Inspector Bilborough), Presse (eine Sim-Reporterin) und Wissenschaft sucht. Bevor er den in Polizeidiensten stehenden Psychologie- und Kriminologie-Professor Nolan, der in seiner Vorlesung ein unzutreffendes SkinheadTäterprofil per Abduktion erstellt hat, für diese >Beleidigung< bestraft und im Universitätsinstitut ersticht, verwickelt er ihn in ein Gespräch (>Für alle Fälle Fitzoriginelle< Täter-Individuum handelt nicht aus rassistischen oder politischen Motiven, seine Taten sollen (zunächst noch) selbstbezügliche Rätsel bleiben. 147 Albie entzieht sich der gesellschaftlichen und auf Abduktion beruhenden, entindividualisierenden >SinnFall< eines Typus, zum token eines types, zum Repräsentanten eines Paradigmas machte. Erst die Täterprofilierung durch Nolans Vorgänger und Nachfolger Dr. Fitzgerald führt zu Albies Ergreifung; Fitzgeralds implizit semiotische Serienmord-Theorie erscheint Albie gefährlich adäquat, so daß er ein letztes Mal auf den Vorwurf mediengesteuerter Abduktion zurückgreift und Fitzgerald das (Resslersche) Fernseh-Serienmord-Klischee - nun seinerseits abduzierend unterstellt (Verhör am Ende von Kalte Rache, Teil 2): [Fitzgerald] »>[...] Töten und Zerstören. Es geht Ihnen doch nur um sich selbst, Albie, um niemand sonst. Kein selbstloses Motiv, keine Botschaft.< >[...].< >Setzen Sie sich bitte wieder hin, Canceller.< [Albie] >Er hat offensichtlich zuviel ferngesehene«

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Dies wird von Nolans Entindividualisierung durch mediale Reproduktion begleitet: Der Kopf der Leiche fällt auf eine Xerokopiermaschine, welche eine Endlos-Serie von Bildern erstellt. - Auch am Ende von Finchers Sieben wehrt sich der Mörder gegen die vermeintliche Fehlrezeption seines Serienmord>Kunstwerks< als >krank< und antwortet auf die Frage des Polizisten: »>Wenn ein Mensch geisteskrank ist, wie Sie es ja eindeutig sind, weiß er dann, daß er geisteskrank ist?Es ist bequemer für Sie, wenn Sie mich für geisteskrank ansehen.Ja, es ist überaus bequem.«Sie töten einen pakistanischen Ladeninhaber und müssen es rechtfertigen. Sie erfinden irgendeine verworrene Logik [...]. Sie müssen dieser Logik jetzt treu bleiben und sie müssen weiter töten. Wenn Sie das nicht täten, wäre der erste Mord völlig sinnlos. Es wäre ein weiterer törichter Rassenmord.Patient< versichern sich wechselseitig des Konzepts vom selbstreferentiellen serial killer als Deutungsrahmen: Im Vergleich zur serieninternen reziproken Zeichenhaftigkeit - jeder weitere Mord bezeichnet die vorangehenden - bewertet Fitzgerald nun umgekehrt externe, etwa rassistische Einzeltatmotive als >sinnlos< und >törichtverständliche< Gründe zuzuschreiben, sie also im Rahmen einer psychopathologischen Anamnese als Akte einer ödipalen >kalten Rache< zu >erklärenFür alle Fälle Fitz< zum Paradigma einer sowohl sozial konsensfähigen als auch ästhetisch faszinierenden Repräsentation von Serienmord, dessen Darstellung sich gleichwohl nicht dem Vorwurf einer justitiablen Gewaltverherrlichung aussetzt: Die Balance zwischen dem bedrohlich sinnlos bleibenden Serienmord als >autonomem Kunstwerk< und seiner vollständigen Re-Motivierung bleibt gewahrt - Semantisierung und ästhetisch reizvolle, aber begrenzt konsensfähige De-Semantisierung gehen eine Verbindung ein, die sich des Deutungsmusters >Serienmord< bedient, es zugleich explizit thematisiert, in (begrenzten) Ermittlungs- und Erklärungserfolg ummünzt und damit seine Selbstreferenz unterbricht. Auf diese Weise wird gerade der >Serienmord< zum symbolisch generalisierbaren Kommunikationsmedium gesellschaftlicher Angstphantasien vom unerklärlichen, unmotivierten Gewalt verbrechen. Dessen Repräsentation erscheint nicht mehr als Komplize des Repräsentierten, sondern restabilisiert die Unterscheidung von >Verbrechen als Zeichen< und >Zeichen als Verbrechens Sie vermeidet dabei sowohl eine mythisierende (dämonisierende, pathologisierende, literarisierende usf.) Über-Semantisierung von Verbrechen als auch seine provozierende Bedeutungs-Reduktion auf die bloße Selbstbezüglichkeit der Übertretung, die sich nur mehr selbst >bedeutet< und Serialisierung als >SinnSerienmord< erweist sich vor diesem Hintergrund als Indiz dafür, daß der gesellschaftliche Konsens über die soziale Funktion von Übertretung und über

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Albie ermordet fünf Jahre nach einem brutalen Polizeieinsatz im Fußballstadion von Hillsborough, bei dem 96 Menschen ums Leben gekommen sind, und ausgelöst durch den Tod des geliebten Vaters einen pakistanischen Ladenbesitzer, Prof. Nolan, ChiefInspector Bilborough und (durch eine Briefbombe, die noch nach seiner Verhaftung explodiert) eine ehemalige Sun-Reporterin; er nimmt auf diese Weise Rache für seinen vom Leben nicht verwöhnten Vater und für Hillsborough.

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die soziale Funktion ihrer adäquaten Repräsentation in den Medien gleichermaßen bedroht ist, die symbolische und die soziale Generalisierbarkeit von Übertretung also immer öfter auseinandertreten und die Bewertungscodes als zu überprüfende empfunden werden. Wenn eine Gesellschaft dazu neigt, zur Bestätigung ihrer (moralischen, rechtlichen) Wertordnung Übertretungen zu favorisieren, deren Repräsentationen in besonders hohem Maß dazu tendieren, selbst als Übertretungen bewertet zu werden, scheint dies zwar darauf hinzuweisen, daß sich diese Gesellschaft von ihren eigenen Selbstbildern bedroht fühlt, mag aber zugleich auch den erhöhten Stellenwert belegen, den sie symbolisch und sozial generalisierbaren Repräsentationen von Übertretung zuweist. Der gestiegene Bedarf an solchen Repräsentationen scheint jedenfalls solange anzuhalten, wie bestimmte virulente Delikttypen und Kriminalitätsformen als neu und krisenhaft erlebt, zu Angstphantasmen des >allgegenwärtigen Bösen< überhöht und politisch instrumentalisiert werden. Daß auch solche Phantasmen indessen die gesellschaftliche Kommunikation über sie nicht gefährden, sondern stimulieren, zeigt die Medienkonjunktur sowohl des unmotivierten Serienmordes als auch seiner Komplementärphantasie: der rhizomartig wuchernden und ökonomisch hochmotivierten >Organisierten Kriminalität^

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