Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden: Ein Beitrag zu Grenzen des Individualrechtsschutzes und zur Perspektive der Musterfeststellungsklage [1 ed.] 9783428585687, 9783428185689

Spätestens der im Jahr 2015 aufgedeckte Abgasskandal hat erhebliche Defizite in der Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Ma

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Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden: Ein Beitrag zu Grenzen des Individualrechtsschutzes und zur Perspektive der Musterfeststellungsklage [1 ed.]
 9783428585687, 9783428185689

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Schriften zum Prozessrecht Band 281

Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden Ein Beitrag zu Grenzen des Individualrechtsschutzes und zur Perspektive der Musterfeststellungsklage

Von Maximilian Dettmer

Duncker & Humblot · Berlin

MAXIMILIAN DETTMER

Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden

Schriften zum Prozessrecht Band 281

Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden Ein Beitrag zu Grenzen des Individualrechtsschutzes und zur Perspektive der Musterfeststellungsklage

Von Maximilian Dettmer

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Augsburg hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 384 Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-18568-9 (Print) ISBN 978-3-428-58568-7 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur wurden für die Druckfassung bis Jahresende 2021 berücksichtigt. Zuvörderst gilt mein Dank meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Raphael Koch, LL.M. (Cambridge), EMBA für die Betreuung dieser Arbeit sowie für die Möglichkeit, mich durch meine zweieinhalbjährige Tätigkeit an seinem Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht, Unternehmensrecht, Europäisches Privat- und Internationales Verfahrensrecht fachlich wie persönlich weiterentwickeln zu können. Er führte stets mit Vertrauen in das eigenständige Vorgehen, stand aber ebenso mit wertvollem Rat in jederzeit angenehmen Gesprächen zur Seite. Herrn Professor Dr. Thomas M. J. Möllers bin ich für die bemerkenswert schleunige Erstellung des Zweitgutachtens zu Dank verpflichtet. Weiterhin möchte ich denjenigen danken, die mir gerade zu Beginn meiner Zeit in Augsburg die Eingewöhnung äußerst leicht machten. Dazu zählen besonders Dr. Lisa-Marie Friebel, Dr. Christine Biggen und Dr. Timo Fietz, die mich darüber hinaus mit den erfolgreichen Abschlüssen ihrer Dissertationen ermutigten und mit denen ich v. a. schöne Erinnerungen teile. Dies gilt gleichermaßen für Nicolas Sander. Zudem danke ich Marc Chrzan für das sorgfältige wie kritische Korrekturlesen dieser Arbeit. Ferner will ich meinen Freunden der „alten Heimat“, auf deren Unterstützung und Teilhabe ich mich trotz der Entfernung in guten wie in schlechten Zeiten verlassen kann, meinen Dank aussprechen. Jenes gilt ebenso für meine Partnerin Catarina Da Costa Meira. Ihre positive Energie, ihr Zuspruch und ihr Verständnis haben mir wesentlich geholfen, mein Promotionsvorhaben erfolgreich zu vollenden. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern Angelika und Andreas Dettmer, ohne deren unerschütterliches Vertrauen und liebevolle Zuneigung ich meinen bisherigen Lebensweg so nicht hätte gehen können. Es macht mich überaus stolz, zu wissen, dass meine Dissertation ihrem heimischen Bücherregal das erste juristische Werk hinzufügen und dort ganz gewiss einen besonderen Platz finden wird. Augsburg, im Januar 2022

Maximilian Dettmer

Inhaltsübersicht § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Untersuchungsanlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wissenschaftliche Zielsetzung und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . .

15 16 20 26

1. Teil Zivilprozessuale Problematik von Massenschäden

28

§ 2 Prozessrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Leitbild des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zweck des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 28 39 44

§ 3 Defizite des Individualrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Prozessunökonomische Verfahrensbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Prozessuales Ungleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rationales Desinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Typisierung von Massenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 46 52 63 79

§ 4 Lösungsansätze für Massenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ausklammerung echter Bagatellschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Potenziale und Grenzen des Individualrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bedürfnis für Kollektivrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84 84 86 92

2. Teil Einordnung der Musterfeststellungsklage

99

§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 A. Grundstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 B. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 C. Einleitung und Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 D. Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 § 6 Systematische Vereinbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 A. Prozessrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 B. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

8

Inhaltsübersicht C. Verhältnis zu weiteren ZPO-Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 3. Teil Perspektive der Musterfeststellungsklage

172

§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zweistufigkeit des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Umsetzungsperspektive der Verbandsklagenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Stärkung der Anschlusslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

172 173 186 208 227

§ 8 Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 229 248 264

4. Teil Schlussbetrachtung § 9 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zivilprozessuale Problematik von Massenschäden (1. Teil) . . . . . . . . . . . . . . . B. Einordnung der Musterfeststellungsklage (2. Teil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Perspektive der Musterfeststellungsklage (3. Teil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

273 273 273 275 278

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zunehmende Massenschadensfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bisherige Bündelungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Untersuchungsanlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtspolitische Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wissenschaftliche Zielsetzung und Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . .

15 16 16 18 20 20 23 26

1. Teil Zivilprozessuale Problematik von Massenschäden

28

§ 2 Prozessrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Leitbild des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung der Parteistellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prozessmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dispositionsmaxime und rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhandlungsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Konsequenzen bei Massenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grenzen des Individualrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorgaben für den Kollektivrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzentration der Verfahrensleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Disposition über Verfahrensbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zweck des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kollektivrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbandsklagen mit gesetzlichem Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bündelungsformen (auch) mit Individualmandat . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 28 29 30 31 32 33 34 35 36 36 38 39 39 40 41 42 44

§ 3 Defizite des Individualrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Prozessunökonomische Verfahrensbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Justiz als begrenzte Ressource . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verzögerungsgefahren durch Klagewellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45 46 46 49

10

Inhaltsverzeichnis III. Auswirkungen paralleler Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Prozessuales Ungleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unternehmerisches Abwehrinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Präzedenzherbeiführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Präzedenzverhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unternehmerische Abwehrstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen auf Rechtsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beeinträchtigung prozessualer Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hervorrufen eines Abschreckungseffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rationales Desinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verbraucherinnen als Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schwächen im rechtlichen Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Flucht aus dem Individualverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Relevante Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammensetzung und Prozesskostenrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kostenreduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zeitliche Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Psychologische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abwägungsentscheidung über Rechtsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Typisierung von Massenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgrenzung nach Abwägungsabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Richtwert für Bagatellbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 51 52 53 54 55 56 59 59 62 63 63 64 65 68 69 69 71 73 74 74 77 78 79 80 82

§ 4 Lösungsansätze für Massenschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ausklammerung echter Bagatellschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Potenziale und Grenzen des Individualrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beschleunigtes Online-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Digitale Einkleidung und Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vorabentscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Bedürfnis für Kollektivrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Modellierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zielrichtung (Muster)Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zielrichtung Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Qualitätsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systemkonformität und Balance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Effizienz und Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84 84 86 86 88 90 92 93 94 95 95 96 97

Inhaltsverzeichnis

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2. Teil Einordnung der Musterfeststellungsklage § 5 Ausgestaltung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grundstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Klägerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prozessstandschaft der Musterklägerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anmeldebefugnis der Verbraucherinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beklagtenseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Klagegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zuständigkeit und Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Klagebefugnis qualifizierter Einrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mitgliedszahl und Eintragungszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anforderungen an Interessenwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Finanzielle Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorgreiflichkeit und Quorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Einleitung und Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Öffentliche Bekanntmachung im Klageregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anspruchsanmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfahrensrechtliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sperrwirkung und Verfahrenskoordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abweichungen zu allgemeinen Verfahrensregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Musterfeststellungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reichweite der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsnatur der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Musterfeststellungsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Besondere Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Genehmigung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Austrittsrecht der Verbraucherinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Praktische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99 99 99 100 100 101 102 104 104 107 109 109 110 111 114 115 115 116 117 118 118 120 121 123 124 126 127 128 128 129 131 131 132 133 134

§ 6 Systematische Vereinbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 A. Prozessrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Maximentreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

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Inhaltsverzeichnis II. Hauptprozesszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anspruch auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einschränkungen im Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freiwilliger Verzicht auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit des Gehörsverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Risiko eines Rechtsnachteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entscheidungsbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausbau der Schutzvorkehrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Justizgewährleistungsanspruch/Gebot effektiven Rechtsschutzes . . . . . . III. Prozessuale Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einschränkung im Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitpunkt eines Gegenantragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestehen eines Gegenantragsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verhältnis zu weiteren ZPO-Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zulassung einer Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klageänderung nach erstem Termin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulassung eines Versäumnisurteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

140 142 142 143 144 146 147 149 150 151 154 155 157 157 159 160 163 164 165 165 169 171

3. Teil Perspektive der Musterfeststellungsklage § 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zweistufigkeit des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Analyse der Verfahrensszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anmeldephase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensende durch Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hindernisse im Musterfeststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rahmenbedingungen eines Verbesserungsansatzes . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensende durch Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Spielraum für Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . B. Umsetzungsperspektive der Verbandsklagenrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Richtlinienvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arten von Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

172 172 173 173 174 176 177 179 181 184 184 186 188 189 190 191

Inhaltsverzeichnis

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4. Einbeziehung der Verbraucherinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Informations- und Unterrichtungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verfahrensausgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abhilfe im Rahmen der Musterfeststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Musterfeststellungsklage als taugliches Grundgerüst . . . . . . . . . . . . . a) Richtlinienkonforme Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mögliche Anpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Modellierung eines integrierten Leistungsmechanismus . . . . . . . . . . . a) Entscheidung über Mindestabhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Individuelle Verteilungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abhilfefrist und Austrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Stärkung der Anschlusslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Individualklageweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Digitalisierungspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gebührensenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anderweitige Szenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gebündelte Forderungseinziehung durch Verband . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forderungsabtretung an Inkassodienstleisterinnen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtslage ab 1.10.2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Umfang der zulässigen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kombination mit Prozessfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aufklärung der Verbraucherinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Erweitertes Registrierungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anspruch auf Schlichtungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193 195 196 198 199 199 201 202 203 206 207 208 209 209 211 212 212 214 216 218 219 220 222 223 225 226 227

§ 8 Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Finanzierungsbedarf der Musterklägerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umgestaltung der Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Streichung der Zusatzanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erweiterung der Klageberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausbau externer Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewerbliche Prozessfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hürden de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aussichten de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229 229 231 231 233 236 237 237 240 242 242 242 244

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Inhaltsverzeichnis b) Staatliche Förderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verjährungsfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessrechtliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materiell-rechtliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsfortbildung de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Teleologische Reduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelanalogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Modifikation de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderfall Scheinverbraucherin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anspruchsabtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forderungszession nach Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einbeziehung der Zessionarin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Forderungszession vor Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ersatzanspruch gegen Musterklägerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertragliches Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzliches Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ersatzanspruch gegen Prozessbevollmächtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

245 247 248 248 250 253 253 253 254 256 257 259 259 260 261 262 264 264 265 267 268 271

4. Teil Schlussbetrachtung § 9 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zivilprozessuale Problematik von Massenschäden (1. Teil) . . . . . . . . . . . . . . . B. Einordnung der Musterfeststellungsklage (2. Teil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Perspektive der Musterfeststellungsklage (3. Teil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

§ 1 Einleitung Mit dem am 1.11.2018 in Kraft getretenen Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage1 hat die deutsche Gesetzgeberin2 im kollektiven Rechtsschutz3 wie auch in der Verbraucherrechtsdurchsetzung einen Meilenstein gesetzt. Erstmals befindet sich ein Verfahrensinstrument im sechsten Buch der Zivilprozessordnung (§§ 606 ff. ZPO), das es eingetragenen Verbraucherschutzverbänden (bzw. qualifizierten Einrichtungen) ermöglicht, in verbraucherrechtlichen Angelegenheiten das Vorliegen oder Nichtvorliegen zentraler anspruchsbegründender und -ausschließender Voraussetzungen (sog. Feststellungsziele) mit Bindungswirkung für Verbraucherinnen, die ihre Ansprüche in einem eigens dafür eingerichteten Klageregister wirksam angemeldet haben, gebündelt gegen die beklagte Unternehmerin feststellen zu lassen.4 Maßgeblicher Auslöser dieser Entwicklung war ein Massenschadensereignis epischen Ausmaßes. Der 2015 bekanntgewordene Skandal um die Manipulation von Abgaswerten in Dieselfahrzeugen mit dem Motor EA 189 der Herstellerin Volkswagen (VW) betraf allein in Deutschland über 2,5 Millionen – mehrheitlich in Verbraucherinhand befindliche – Fahrzeuge5 und sorgte für großes mediales Aufsehen,6 unzählige Gerichtsprozesse sowie Druck auf die (Rechts)Politik, insbesondere da sich der Konzern bei der rechtlichen Aufarbeitung janusköpfig zeigte: Während das Unternehmen in den Vereinigten Staaten für von den Justizbehörden verhängte Bußgelder sowie für im Rahmen eines Class Settlement-Programms zugunsten der Kundinnen vereinbarte Entschädigungen binnen zwei Jahren insgesamt über 25 Milliarden Euro zahlte, leugnete es hierzulande jegliche Rechtsverstöße, ließ es auf die Einzelverfahren ankommen und konnte sich brei1 Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12.7. 2018, BGBl. 2018 Teil I Nr. 26 v. 17.7.2018, S. 1151. 2 Es wird darauf hingewiesen, dass zur sprachlichen Sensibilisierung hauptsächlich das generische Femininum verwendet wird. Gemeint sind damit jedoch stets alle Geschlechtsidentitäten. 3 Zum Begriff Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 44 f. m.w. N. 4 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage v. 4.6.2018 (RegE MFK), BT-Drs. 19/2439, S. 15 f. 5 Inklusive der VW-Konzerntöchter, siehe Syrbe, NZV 2021, 225. 6 Rückblickend statt aller Hägler, Die Verzögerungstaktik wird VW noch lange schaden, Artikel der Süddeutschen Zeitung v. 25.5.2020, abrufbar unter: https://www.sued deutsche.de/wirtschaft/vw-bgh-urteil-kommentar-1.4917111 (Abrufdatum: 4.1.2022).

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§ 1 Einleitung

ten Ausgleichszahlungen zunächst mit Erfolg entziehen.7 Auf diese Weise machte sich die Fahrzeugherstellerin eindrucksvoll den Umstand zu eigen, dass das deutsche Zivilverfahrensrecht – jedenfalls bis zum raschen Durchlauf des Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung der Musterfeststellungsklage8 – strukturell nicht auf die Bewältigung eines solchen verbrauchertypischen Massenschadenereignisses vorbereitet gewesen ist.

A. Hintergrund Das herkömmliche Leitbild des Zivilprozesses geht, dem Prinzip des Individualrechtsschutzes folgend, von einem individuell geführten Verfahren zwischen zwei Parteien aus.9 Nach diesem bestimmen die Beteiligten selbst, ob, wie und in welchem Umfang sie ihre Rechte gegen einen anderen vor Gericht geltend machen. Eine gemeinschaftliche, kollektive Rechtsverfolgung ist danach atypisch. Aufgrund dessen sieht die ZPO eine prozessuale Bündelung, sprich eine gleichzeitige Geltendmachung gleichartiger Ansprüche in einem Zivilverfahren, traditionell nicht vor.

I. Zunehmende Massenschadensfälle In Fällen von Massenschäden wie dem „Abgasskandal“ wird die Funktionalität dieses Verständnisses jedoch herausgefordert. Solche charakterisiert, dass eine Vielzahl von Personen durch dieselbe oder die gleiche Ursache geschädigt ist und gestützt darauf Schadensersatzansprüche gegen einen oder wenige Haftpflichtige hat.10 Derartige Ereignisse sind, beeinflusst durch Globalisierung, Digitalisierung und Standardisierung, zunehmend zu beobachten: Der Massenkonsum von Gütern und Dienstleistungen kann wegen unerkannten Produktmängeln, bewussten Manipulationen oder unzulässigen Praktiken in immer mehr Lebensund Rechtsbereichen zu einer Vielzahl von Schäden führen.11 Auf Nachfrageseite typischerweise davon betroffen sind Verbraucherinnen. Diese drohen besonders unter dem Phänomen anbieterseitig verursachter Mas7 Zur Chronologie der Ereignisse eingehend Thönissen, ZZP 133 (2020), 69 (70 ff.). Weitergehend (mit internationalerer Perspektive) auch Gsell/Möllers, in: Gsell/Möllers, S. 465 (466 ff.). 8 Insoweit zum Gesetzgebungsprozess R. Koch, MDR 2018, 1409; Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 69 ff.; Schneider, BB 2018, 1986 f. 9 Althammer, in: Zöller, ZPO, Vorb § 50 Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 40 Rn. 26. 10 Haß, Die Gruppenklage, S. 2 f., 20 f.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 12. 11 Näher Augenhofer, Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 4; Basedow, EuZW 2018, 609 f.; Reuschle, BKR 2020, 605; Röthemeyer, VuR 2020, 130 (131); Stadler, Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 1 ff.

A. Hintergrund

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senschäden zu leiden, da sie sich in den rechtlichen Beziehungen zu Unternehmen einem in der Sozialstruktur angelegten Ungleichgewicht ausgesetzt sehen.12 Auf legislativer Ebene wird in Europa deshalb seit Jahren versucht, der Verteilung der Marktmacht durch eine Stärkung des Verbraucherschutzes entgegenzusteuern, wodurch materiell-rechtlich inzwischen hohe Standards gesetzt sind.13 Allerdings sind Verbraucherinnen genauso darauf angewiesen, dass ihnen wirksame Möglichkeiten zur Geltendmachung ihrer Rechte zur Verfügung stehen. Entsprechende Sonderregelungen bzw. ein ähnliches Schutzniveau haben sich auf prozessualer Ebene aber nicht herausentwickelt.14 Gerade dies erscheint v. a. in Massenschadenskomplexen kritisch: Denn ihnen haften im Rahmen der Rechtsdurchsetzung mehrere Probleme an, die schon seit längerem Gegenstand einiger Untersuchungen sind. Zur Umschreibung der tendenziell fallabhängigen Defizite haben sich in der Rechtswissenschaft dabei die Kategorien der „Massen- bzw. Großschäden“ (nachfolgend nur Großschäden) sowie der „Bagatell- bzw. Streuschäden“ (nachfolgend nur Bagatellschäden) etabliert, wobei die Bezeichnungen teils unterschiedlich interpretiert werden.15 Die Differenzierung folgt der Prämisse, dass die individuelle Rechtsdurchsetzung je nach der Intensität des Schadens verschiedenen Hindernissen begegnet.16 Bei Großschäden soll wegen des Umfangs des Haftungsfalls die effektive, ressourcengerechte und einheitliche Anspruchsdurchsetzung in Individualverfahren Schwierigkeiten bereiten.17 Demgegenüber sollen Bagatellschäden Konstellationen beschreiben, in denen es aufgrund der Geringwertigkeit der Einzelschäden gar nicht zu deren Geltendmachung kommt, da die Geschädigten in einem Zustand des rationalen Desinteresses verharren, und die fehlende Kompensation in Summe zu beträchtlichen Unrechtsgewinnen auf Seiten der Schädigerin führt.18 Der Unterschied macht sich primär darin bemerkbar,

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Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 48 ff. Exemplarisch zu nennen sind die Vorschriften, welche durch die Richtlinie 1999/ 44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkauf und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. Nr. L 171/12 v. 7.7.1999 („Verbrauchsgüterkauf-RL“) in das BGB eingeführt wurden. 14 Zu dieser Divergenz Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherinteresse, S. 18 ff.; siehe auch Fries, NJW 2016, 2860 (2861). 15 Vgl. Alexander, JuS 2009, 590 (594); Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 24; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 19 f.; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 3 f., 13; Wagner, Gutachten 66. DJT, A 106 f., 119. 16 Buchner, Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 33. 17 Vgl. v. Bar, Gutachten 62. DJT, A 80; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 24 f.; Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 26 f.; Wagner, in: Casper et al., S. 41 (55). 18 Fiedler, Class Actions, S. 35 ff.; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 25; Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 24 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 40 f.; siehe auch Hörmann, VuR 2016, 81. 13

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§ 1 Einleitung

dass im Bagatellbereich typischerweise kein individueller Klageanreiz vorliegt.19 Nach allen genannten Schadenstypen führt der Ansatz des Individualrechtsschutzes also zu unerwünschten Ergebnissen.

II. Bisherige Bündelungsmöglichkeiten Daraus ist demnach eine Rechtsschutzlücke entstanden, die die Frage nach neuen prozessualen Durchsetzungsmechanismen für typischerweise Verbraucherinnen betreffende Massenschäden aufgeworfen hat.20 Insbesondere Möglichkeiten, eine Vielzahl gleichgerichteter Ansprüche zu einem Kollektiv zu bündeln, erscheinen logisch. Denn der Zusammenschluss mehrerer Geschädigter in einem gemeinsamen Verfahren könnte dieses vereinfachen, vereinheitlichen und vergünstigen, auf diese Weise wirtschaftliche Ungleichgewichte sowie Prozesskostenrisiken verringern und zugleich Effizienzgewinne generieren sowie generalpräventiv wirken – den postulierten Defiziten der individuellen Rechtsdurchsetzung würde so in der Theorie gegengesteuert.21 Hierzu fehlten aber lange Zeit geeignete verfahrensrechtliche Instrumente: Klassische „Bündelungsformen“ wie etwa die Streitgenossenschaft (§§ 59 ff. ZPO), die Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO) oder die Verfahrensverbindung (§ 147 Abs. 1 ZPO) sind weit davon entfernt, ein koordiniertes Kollektivverfahren herbeizuführen, welches die Rechtsverfolgung im erforderlichen Maße erleichtert und dabei die prozessuale Effizienz steigert.22 Eigens der kollektiven Rechtsdurchsetzung dienende Ansätze, denen das deutsche Recht „mit besonders ausgeprägter Reserve“ 23 begegnet(e), wurden hingegen nur schrittweise und außerhalb der ZPO ausgebaut, entwickelten sich für Geschädigte aber nicht zu einer echten Alternative im Rahmen ihrer Rechtsdurchsetzung.24 Zu erwähnen sind einerseits die in der Regel verbraucherschützenden Verbandsklagen des UWG, UKlaG und GWB, welche häufig auf Initiative der Euro-

19 Vgl. Stadler, in: Brönneke, S. 1 (3 f.); siehe auch Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 23; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 15 f. 20 Magnus, NJW 2019, 3177 (3182). 21 Näher R. Koch, DZWIR 2016, 351 (356 f.). 22 So schon lange der Konsens, weshalb auf eine weitere Darstellung verzichtet und exemplarisch verwiesen wird auf die Ausführungen bei Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 32 ff.; Haß, Die Gruppenklage, S. 63 ff., 141 f.; H. Koch, BRAK-Mitt 2005, 159 (160); Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 28 ff.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 42 f.; Reuschle, WM 2004, 966 (967 ff.); Stadler, in: Brönneke, S. 1 (3 ff.). 23 A. Bruns, ZZP 125 (2012), 399 (412). 24 Vgl. Gsell, in: Schulze, S. 179 (182); Gurkmann, in: Gsell/Möllers, S. 439 (445); Hess, JZ 2011, 66 f.

A. Hintergrund

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päischen Union – etwa der „Unterlassungsklagenrichtlinie“ von 200925 – kodifiziert bzw. weiterentwickelt wurden. De lege lata zielen diese allerdings auf Beseitigung, Unterlassung oder Gewinnabschöpfung im allgemeinen Verbraucherinteresse anstatt auf eine Anspruchsbündelung mit individuellem Mandat und Kompensation der betroffenen Verbraucherinnen ab.26 Zudem leiden sie in ihrer praktischen Anwendung unter strukturellen Schwächen.27 Andererseits betrat die Gesetzgeberin im Jahr 2005 neues Terrain und schuf mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG)28 ein „echtes“ Instrument zur Verfahrensbündelung in Kapitalanlegerstreitigkeiten. Die hohen Erwartungen konnte das KapMuG-Verfahren jedoch, nicht zuletzt wegen der für dessen Einführung ursächlichen und der Ende 2021 noch immer nicht vollständig abgeschlossenen Telekom-Prozesse (unabhängig der von der Beklagten für 2022 in Aussicht gestellten Verfahrensbeendigung im Vergleichswege), nicht erfüllen.29 Zudem ist es durch den begrenzten Anwendungsbereich (§ 1 Abs. 1 KapMuG) und der Befristung nach § 28 KapMuG (derzeit bis 31.12.2023) ohnehin keine verbraucherrechtsspezifische Permanentlösung. Infolge der Reform des Rechtsberatungsrechts30 ist in § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO des Weiteren eine Bündelungsoption hinzugekommen, welche es Verbraucherverbänden im Rahmen ihres Aufgabenbereichs erlaubt, die Forderungen von Verbraucherinnen zur Einziehung als Prozessvertreterin geltend zu machen.31 Die 25 Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.4.2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. Nr. L 110/30 v. 1.5.2009 (Unterlassungsklagen-RL). 26 Vgl. Einhaus, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht, S. 426 ff., 456; Halfmeier, 50 Jahre Verbraucherverbandsklage, S. 34. 27 Allg. Gsell/Rübbeck, ZfPW 2018, 409 (412 f.); Halfmeier, 50 Jahre Verbraucherverbandsklage, S. 53 ff., 68 ff.; Meller-Hannich/Höland, Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 37 ff.; Scholl, ZfPW 2019, 317 (321 f.); zur Gewinnabschöpfung nach § 10 UWG Harnos, GRUR 2020, 1034; Henning-Bodewig, GRUR 2015, 731 (735). 28 Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren v. 16.8.2005, BGBl. 2005 Teil I Nr. 50 v. 19.8.2005, S. 2437. Später wurde es im Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes und zur Änderung anderer Vorschriften v. 19.10.2012, BGBl. 2012 Teil I Nr. 50 v. 25.10.2012, S. 2182 neu gefasst. 29 Jung, Telekom, plötzlich generös, Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 23.11.2021, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/t-aktie-akte-imtelekom-prozess-ist-fast-geschlossen-17648867.html (Abrufdatum: 4.1.2022); näher zu den Problemen des KapMuG-Verfahrens Liebscher, AG 2020, 35; Möllers/Wolf, BKR 2021, 249; Prütting, ZIP 2020, 197 (199); Steinberger, Die Gruppenklage im Kapitalmarktrecht, S. 132; differenzierend dagegen Reuschle, BKR 2020, 605 (608 ff.); Rotter, VuR 2019, 283. 30 Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts v. 12.12.2007, BGBl. 2007 Teil I Nr. 63 v. 17.12.2007, S. 2840. 31 Blagojevic, Effektive Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Ansprüche, S. 35; Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 11 f. Daneben steht den Verbänden (weiterhin) die Möglichkeit offen, sich die Verbraucherforderungen im Wege der Inkassozession

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§ 1 Einleitung

Einziehungsklage eignet sich indes nur bedingt für verbrauchertypische Massenschäden, da sie den klagebefugten Verbänden eine immense Organisationsleistung abverlangen würde, zumal jene ohne eigene Gewinnaussichten das Prozessrisiko zu tragen haben und finanziell nur begrenzten Spielraum besitzen.32 Insoweit konnten die bisherigen Bündelungsmöglichkeiten das Rechtsschutzdefizit nicht beheben. Hier knüpfte schließlich die Gesetzgeberin bei der Einführung der Musterfeststellungsklage an: Sie sollte die gerichtliche Rechtsverfolgung der Ansprüche einer Vielzahl gleichartig geschädigter Verbraucherinnen nunmehr wirksam ausgestalten.33

B. Untersuchungsanlass Schon die beinahe bahnbrechende Schöpfung der Musterfeststellungsklage als kollektives Rechtsschutzinstrument für Verbraucherinnen innerhalb einer individualistisch geprägten Zivilprozessordnung an sich gäbe ein hinreichendes Motiv, deren entsprechende Folgen für die Rechtsdurchsetzung und das Verfahrensrecht zu begutachten.34 Ungeachtet dessen hat sich seit deren Einführung viel getan, wobei die verschiedentlichen Entwicklungen den Untersuchungsanlass nur bestätigen bzw. sogar bestärken.

I. Zwischenbilanz Zu erwähnen ist zunächst, dass sich das Musterfeststellungsverfahren von Beginn an heftigem Gegenwind ausgesetzt sah. Noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes wurde der Grundkonzeption bescheinigt, dass diese mit Blick auf die Zweistufigkeit des Modells, welche sich aus der bloßen Feststellungswirkung sowie der Notwendigkeit nachfolgender Individualklagen ergibt, nicht weitgehend genug35 und ihre Wirkung in Zweifel zu ziehen sei.36 Ihre Feuerprobe sollte im Zuge der Aufarbeitung des Abgasskandals, bei der sich über 400.000 Verbraucherinnen der vom Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (vzbv) eingereichten Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG anabtreten zu lassen, siehe R. Koch, DZWIR 2016, 351 (360); Piekenbrock, in: BeckOKZPO, § 79 Rn. 13. 32 Näher Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 55; Gsell/Rübbeck, ZfPW 2018, 409 (412); Gsell, in: Schulze, S. 179 (186). 33 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 15. 34 Diesbezügliche Untersuchungen liegen bereits vereinzelt vor, bspw. durch Amrhein, Die Musterfeststellungsklage sowie Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers. 35 Exemplarisch Stadler, VuR 2018, 83: „Spatz in der Hand.“ 36 Vgl. Fölsch, DRiZ 2018, 214 (215 ff.); Kranz, NZG 2017, 1099 (1101 f.); MellerHannich, Gutachten 72. DJT, A 46 ff.; Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (627).

B. Untersuchungsanlass

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schlossen, sogleich folgen.37 Sie brachte (mit gewissen Turbulenzen) ein passables Ergebnis hervor: Das Verfahren mündete im Februar 2020 nach einem zwischenzeitlichen – auf fragwürdige Weise von der Musterbeklagten veranlassten – Scheitern der Vergleichsgespräche38 in einer außergerichtlichen Rahmenvereinbarung, die mehr als 240.000 der angemeldeten Verbraucherinnen einzeln mit einer Summe zwischen 1.350 und 6.257 Euro und insgesamt mit mehr als 750 Millionen Euro entschädigte.39 Daraufhin wurde die Klage am 30.4.2020 zurückgenommen.40 Abgeschlossen war die Aufarbeitung des Abgasskandals damit jedoch mitnichten. Vielmehr ist sie bis heute in vollem Gange, auch weil zwischenzeitlich eine zweite Klagewelle anrollte, die andere Motorenmodelle und Herstellerinnen bzw. Vertragspartnerinnen ins Visier genommen hat.41 So etwa verdreifachte sich fast die Zahl der Berufungen in Abgasstreitigkeiten vor dem OLG Stuttgart (am Firmensitz der Daimler AG) im ersten Jahresdrittel 2021 gegenüber dem Vorjahr, und auch das OLG Braunschweig zählte deutlich mehr zweitinstanzliche Verfahren v. a. gegen die Volkswagen Bank GmbH, welche den Fahrzeugkäuferinnen hierfür Verbraucherdarlehen finanzierte.42 Gegen die Daimler AG ist wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen Anfang Juli 2021 eine neue Musterfeststellungsklage der vzbv vor dem OLG Stuttgart erhoben worden.43 Außerdem hat der BGH mit Wirkung zum 1.8.2021 einen VIa. Zivilsenat als vorübergehenden Hilfsspruchkörper einrichten müssen, der sich speziell um die 37 Siehe Heese, JZ 2019, 429 („Das Musterfeststellungsverfahren gegen die Volkswagen AG mit mehr als 400.000 Beteiligten wird sogleich zum Lackmustest.“); Witte/ Wetzig, WM 2019, 52 (59) („Ihre Taufe wird zugleich das große Paradestück, das über Erfolg oder Scheitern der Musterfeststellungsklage [. . .] entscheiden wird.“). 38 Slavik, Im Kampf um die öffentliche Meinung ist VW nichts zu billig, Artikel der Süddeutschen Zeitung v. 14.2.2020, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/wirt schaft/vw-vergleich-diesel-1.4798079 (Abrufdatum: 4.1.2022); Vetter, VW kann die Taschenspielertricks nicht lassen, Artikel der Welt v. 14.2.2020, abrufbar unter: https:// www.welt.de/wirtschaft/article205864815/Diesel-Vergleich-gescheitert-VW-kann-Tricksnicht-lassen.html (Abrufdatum: 4.1.2022). 39 Näher Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243; Hirsch, VuR 2020, 454 (zur Rahmenvereinbarung); Syrbe, NZV 2021, 225 (226). Siehe auch Lorenz, Was VW sich die Abwicklungshoheit kosten lässt, Artikel des Legal Tribune Online v. 28.2.2020, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/abgasskandal-musterfeststellungsklage-olgbraunschweig-vw-vzbv-vergleich-vereinbarungen-anwaltskosten/ (Abrufdatum: 4.1. 2022). 40 https://www.musterfeststellungsklagen.de/vw (Abrufdatum: 4.1.2022). 41 Heese, NJW 2021, 887 (888 Rn. 8); Sievers, DAR 2021, 532; Syrbe, NZV 2021, 225 (230). 42 Jung, Kläger nehmen Daimler ins Visier, Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 15.6.2021, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/streit-umdiesel-klaeger-nehmen-daimler-ins-visier-17389000.html (Abrufdatum: 4.1.2022); siehe auch Jacob, NJW 2021, 2708 m.w. N. 43 Pressemitteilung des vzbv v. 7.7.2021, abrufbar unter: https://www.vzbv.de/presse mitteilungen/vzbv-verklagt-daimler-ag (Abrufdatum: 4.1.2022).

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§ 1 Einleitung

zahlreichen „Diesel-Sachen“ kümmern soll,44 von denen zu diesem Zeitpunkt über 1.000 Verfahren allein zu VW und Daimler zu erledigen waren.45 Dass der Hilfssenat angesichts der tausenden in der Warteschlange befindlichen Berufungsverfahren in absehbarer Zeit nicht mehr benötigt wird, erscheint unwahrscheinlich.46 Auch deshalb beschloss die 92. Konferenz der Justizministerinnen der Länder kurz zuvor im Juni 2021, beim BGH die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens zur beschleunigten höchstrichterlichen Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen prüfen zu wollen.47 In Anbetracht der Ereignisse ist daher zu fragen: Hat die Musterfeststellungsklage ihren Zweck verfehlt und sich die vielfach geäußerte Kritik an einem fehlenden Leistungsmechanismus bewahrheitet? Oder kann sie ohnehin nur als Baustein einer Gesamtlösung dienen und dabei innerhalb ihres Wirkungsgrades einen Beitrag zur Bewältigung verbrauchertypischer Massenschadensereignisse leisten? Um sich ein Bild über das Verfahrensinstrument zu machen, sind aber nicht nur die Lehren aus dem Abgasskandal, sondern auch die Erfahrungen aus den weiteren erhobenen Musterfeststellungsklagen hinzuziehen. Besonders bemerkenswert ist hier, dass in den ersten zweieinhalb Jahren seit dem Inkrafttreten des Gesetzes gerade einmal 17 Verfahren eingeleitet und die Mehrzahl dieser von den Gerichten sogar wegen einer fehlenden Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen wurden.48 Die gesetzgeberische Erwartung, dass pro Jahr mit etwa 450 Musterfeststellungsklagen zu rechnen sei,49 wurde damit weit untertroffen. Auch diesbezüglich erscheint eine Ursachenforschung geboten.

44 Pressemitteilung des BGH Nr. 141/2021 v. 22.7.2021, abrufbar unter: https://www. bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021141.html;jsession id=91CF997FF8634065F328DE2612325077.1_cid294 (Abrufdatum: 4.1.2022). 45 Sievers, DAR 2021, 532. 46 Dazu krit. Jacob, NJW 2021, 2708 (2712 f.); siehe auch Heese/Schumann, NJW 2021, 3023 (3024). 47 Siehe Beschlüsse 92. JuMiKo in NRW, TOP I. 10, Höchstrichterliche Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen beschleunigen – Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens bei dem Bundesgerichtshof, abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/ jumiko/beschluesse/2021/Fruehjahrskonferenz_2021/index.php (Abrufdatum: 4.1.2022). Dafür plädierend auch Heese, NJW 2021, 887 (892) („Individualmusterklage“); weitergehend Heese/Schumann, NJW 2021, 3023. 48 Röthemeyer, BKR 2021, 191 (192). Zur Liste der öffentlich bekannt gemachten Musterfeststellungsklagen https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/ Klageregister/Bekanntmachungen/Klagen_node.html;jsessionid=5D4A28737FF0F80C8 EA7CD010DA35605.2_cid500 (Abrufdatum: 4.1.2022). 49 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 19 f., 32 f. Berücksichtigt man, dass der vzbv und andere Verbraucherverbände jährlich insgesamt nur etwa 1.000 Verfahren im Rahmen ihrer zuvor gegebenen Klagebefugnisse (UWG, UKlaG etc.) anstrengen (dazu Gurkmann, in: Gsell/Möllers, S. 439 (441)), erscheint die Zahl jedoch ohnehin etwas hochgegriffen.

B. Untersuchungsanlass

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II. Rechtspolitische Entwicklungen Einer Evaluation der Musterfeststellungsklage bedarf es zugleich aus rechtspolitischen Gründen, allem voran aufgrund eines europäischen Impulses. Denn nach einem langen Dialog der EU-Mitgliedstaaten wurde Ende 2020 eine neue Verbandsklagenrichtlinie 50 verabschiedet, welche die Unterlassungsklagen-RL ablöst und erstmalig zur Einführung eines Verfahrensinstrumentes verpflichtet, mittels dem auch Abhilfeentscheidungen (bspw. in Form von Schadensersatz) zugunsten der Verbraucherinnen erwirkt werden können.51 Die deutsche Gesetzgeberin hat bis zum 25.12.2022 Zeit, die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen (Art. 24 Verbandsklagen-RL) und verfügt dabei über einen weiten Gestaltungsspielraum.52 Aus dem Regelungsauftrag ergeben sich indes existenzielle Fragen für das Musterfeststellungsverfahren: Ist das Modell bereits insgesamt als überholt anzusehen und durch eine neue Kollektivklage innerhalb der ZPO oder in einem externen Spezialgesetz (faktisch) abzulösen? Oder ist eine Beibehaltung sinnvoller und kann sie möglicherweise selbst richtlinienkonform weiterentwickelt und in Teilen reformiert werden?53 Überdies sind weitere Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen hat die Gesetzgeberin konzeptionell bereits nachjustiert, indem sie im Verbraucherstreitbeilegungsgesetz eine die Verbraucherschlichtung ergänzende Universalschlichtungsstelle des Bundes errichtet hat, welche Verbraucherinnen seit dem 1.1.2020 v. a. bei Streitigkeiten im Anschluss an ein Musterfeststellungsverfahren anrufen können, um diesen eine leicht zugängliche Möglichkeit zur Konfliktlösung anzubieten54 (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 VSBG).55 Zum anderen wurden durch das Gesetz zur 50 Richtlinie (EU) 2020/1828 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11. 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher[innen] und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. Nr. L 409/1 v. 4.12.2020 (Verbandsklagen-RL). 51 Siehe Art. 7 Abs. 4 lit. b) i.V. m. Art. 9 Verbandsklagen-RL. 52 So ist es nach Erwägungsgrund 11, ABl. 2020 Nr. L 409/2 dem Ermessen der Mitgliedsstaaten überlassen, „die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Verbandsklageverfahren als Teil eines bestehenden oder eines neuen Verbandsklageverfahrens für kollektive Unterlassungsentscheidungen oder Abhilfeentscheidungen, oder als eigenständiges Verfahren zu konzipieren, sofern mindestens ein nationales Verbandsklageverfahren dieser Richtlinie entspricht“. 53 In diese Richtung Röthemeyer, VuR 2021, 43 (52); andeutungsweise auch der Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S. 106 („Die EU-Verbandsklagerichtlinie setzen wir anwenderfreundlich und in Fortentwicklung der Musterfeststellungsklage um [. . .]“), abrufbar unter: https://www.spd.de/koali tionsvertrag2021/ (Abrufdatum: 4.1.2022). 54 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze v. 20.5.2019 (RegE VSBG), BT-Drs. 19/10348, S. 1, 17, 20, 22. 55 Eingeführt durch das Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze v. 30.11.

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§ 1 Einleitung

Stärkung des fairen Wettbewerbs56 Vorschriften geändert bzw. eingefügt, welche die Durchsetzung von Verbraucherrechten betreffen und hinsichtlich der Neufassung der §§ 4 ff. UKlaG zur Eindämmung missbräuchlicher Abmahnungen57 auch die Musterfeststellungsklage berühren.58 Das alles geschieht außerdem in einer Zeit, in der sich die Erwartungen der Verbraucherinnen an die rechtliche Konfliktlösung sowie ihre Zugangsmöglichkeiten selbst im Wandel befinden und die Ziviljustiz über ihre hergebrachten Strukturen nachdenken muss.59 Jahrelang sinkende Fallzahlen legen nahe, dass sie den Gang vor Gericht zunehmend scheuen.60 Dazu verläuft die beabsichtigte Digitalisierung der Justiz äußerst schleppend,61 wohingegen der Personalbedarf und die durchschnittliche Verfahrensdauer steigen.62 Gleichzeitig gewinnen innovative Alternativen der Privatwirtschaft an Bedeutung: Begünstigt durch den technologischen Fortschritt stehen für bestimmte Rechts- und Schadensfälle immer mehr Online-Plattformen zur Verfügung, welche unterstützt durch Legal Tech Inkassodienstleistungen anbieten und leicht ermittelbare Ausgleichsansprüche von Verbraucherinnen nach deren fiduziarischer Abtretung gegen ein Erfolgshonorar geltend machen.63 Mit ihrem leichteren, schnelleren und günstigeren Zugang zum Recht stoßen sie in die Lücken, welche in der Verbraucherrechtsdurchsetzung und im kollektiven Rechtsschutz scheinbar offen stehen.64 So hat sich auch im Abgasskandal mit dem Unternehmen „myRight“ eine Inkassodienstleisterin hervorgetan, die allein in einer Klage vor dem LG Braunschweig im Jahr 2017 mehr als 15.000 Schadensersatzansprüche gegen VW geltend gemacht hat.65 Nach einer wegweisenden Grundsatzentscheidung66 und einer ge-

2019, BGBl. 2019 Teil I Nr. 11 v. 5.12.2019, S. 1942. Dazu Röthemeyer, in: Borowski/ Röthemeyer/Steike, VSBG, § 30 Rn. 4 ff. 56 Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs v. 25.11.2020, BGBl. 2020 Teil I Nr. 56 v. 1.12.2020, S. 2568. 57 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs v. 31.7.2019 (RegE SdfW), BT-Drs. 19/12084, S. 19 f. 58 Da § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO für die Klagebefugnis hierauf verweist. 59 Vgl. Greger, NZV 2016, 1 (6); Hess, in: FS Roth, S. 359 ff. 60 Graf-Schlicker, AnwBl 2014, 573; Greger, ZZP 131 (2018), 317 (320); Hirtz, NJW 2014, 2529; Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522. 61 Greger, NJW 2019, 3429; Pickel, AnwBl Online 2018, 388. 62 Anger, So groß wird die Pensionierungswelle bei Richtern und Staatsanwälten, Artikel des Handelsblatts v. 1.3.2021, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/poli tik/deutschland/recht-und-steuern-so-gross-wird-die-pensionierungswelle-bei-richternund-staatsanwaelten/26961820.html?ticket=ST-11510701-NkNbHgd9ESg5oyfTcXmqap2 (Abrufdatum: 4.1.2022). 63 Hähnchen/Schrader/Weiler/Wischmeyer, JuS 2020, 625 (631); Prütting, ZIP 2020, 49; Römermann/Günther, NJW 2019, 551 (am Beispiel „myRight“). 64 Fries, NJW 2021, 2537 (2540); Prütting, ZIP 2020, 197; Stadler, WuW 2018, 189. 65 Näher Blagojevic, Effektive Durchsetzung kartellrechtlicher Ansprüche, S. 36 ff.; Hartung, AnwBl Online 2019, 353. Insgesamt hat sie sich bis Mitte 2019 ca. 45.000

B. Untersuchungsanlass

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setzgeberischen Reform67 zeichnet sich ab, dass die lange umstrittenen (Kern) Tätigkeiten der Geschäftsmodelle rechtlich zulässig sind, sodass sie sich bei gleichbleibendem Zulauf dauerhaft auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt etablieren dürften. Insofern erscheint der vor einigen Jahren erstellte Befund, dass für die Ziviljustiz „ein andauernder Modernisierungsbedarf [besteht], der im Kern einen Wandel des Selbstverständnisses der Zivilrechtspflege – von der Ausübung der Justizhoheit aufgrund eines Rechtsprechungsmonopols hin zur flexiblen und nachfragegerechten Erbringung von Justizdienstleistungen – voraussetzt“,68 aktueller denn je. Dieses große Spannungsfeld scheint in der (zunehmenden) Problematik verbrauchertypischer Massenschäden zu kulminieren: Verbraucherrechtsdurchsetzung und kollektiver Rechtsschutz laufen in der Musterfeststellungsklage zusammen. Worin genau liegen aber gegenwärtig die Defizite des Individualrechtsschutzes? Welche Rolle könnten Lösungsansätze, zuvörderst Verfahrensinstrumente zur Bündelung von Ansprüchen, dabei übernehmen, diese zu beheben und inwieweit ließen sie sich mit anderen – auch individualistischen – Möglichkeiten kombinieren, um Synergieeffekte zu erzeugen? Wie ist das gesetzgeberische Musterfeststellungskonzept einzuordnen und was ist seine Perspektive unter Berücksichtigung des europäischen Einflusses? Nach alldem liegt eine komplexe Problemstellung vor, die es nachfolgend zu untersuchen gilt. Denn potenziell sind bereits – neben den weiter die Gerichtspraxis beschäftigenden Abgasfällen – neue zu bewältigende Massenschadensereignisse absehbar.69 So könnten etwa infolge eines weitreichenden BGH-Urteils zu einem unzulässigem Gebührenmodell in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einer Bank70 alsbald Klagen auf Gebührenrückzahlungen wegen entsprechender Klauseln gegen Banken oder auch gegen ähnliche AGB verwendende Internetplattformen zunehmen.71 Ebenso wäre denkbar, dass künftig im-

Ansprüche gegen VW zur Einziehung abtreten lassen und die übrigen Forderungen vor anderen Landgerichten eingeklagt, siehe Morell, NJW 2019, 2574. 66 BGH NJW 2020, 208 zur Plattform „wenigermiete.de“. 67 Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt v. 10.8.2021, BGBl. 2021 Teil I Nr. 53 v. 17.8.2021, S. 3415. 68 Calliess, Gutachten 70. DJT, A 39. 69 So auch Heese, NJW 2021, 887. 70 BGH WM 2021, 1128. 71 Siehe Baumann, GWR 2021, 209. Der vzbv prüft insoweit, ob, wie und gegen welche Banken weitere gerichtliche Maßnahmen ergriffen werden, siehe https://www. vzbv.de/pressemitteilungen/nach-bgh-urteil-bankkunden-muessen-rueckzahlungen-erhal ten (Abrufdatum: 4.1.2022). Infolge der Zurückweisung von Erstattungsforderungen der Verbraucherinnen durch die Berliner Sparkasse sowie die Sparkasse KölnBonn hat der vzbv bereits zwei Musterfeststellungsklagen beim KG Berlin und beim OLG Hamm angestrengt, siehe https://www.vzbv.de/pressemitteilungen/gebuehrenrueckzahlung-vz bv-verklagt-sparkassen (Abrufdatum: 4.1.2022).

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§ 1 Einleitung

materielle Schadensersatzansprüche nach Art. 82 DSGVO bei massenhaften Datenschutzverstößen durch Google, Facebook, Samsung & Co. (man bedenke: Davon können nahezu alle Bürgerinnen betroffen sein!) mittels kollektiver Rechtsschutzinstrumente geltend gemacht werden.72 Spätestens dann käme es gelegen, wenn hierfür ein wirksames Gesamtkonzept zur Verfügung stünde.

C. Wissenschaftliche Zielsetzung und Gang der Darstellung Die vorliegende Arbeit greift die skizzierten Fragen auf und intendiert, einen Beitrag zur Diskussion über die Effektivierung der kollektiven Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden sowie die mögliche Ausgestaltung eines zeitgemäß(er)en Zivilrechtsschutzes zu leisten. Dazu soll, nicht zuletzt als ein Vorgriff auf die anstehende gesetzgeberische Aufgabe der Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie, anhand der vorhandenen Strukturen analysiert und eruiert werden, wie ein attraktives, flexibles und bedarfsgerechtes Lösungskonzept im kollektiven Rechtsschutz aussehen könnte. Um hierfür die Grundlagen zu schaffen, werden im ersten Teil die bei der Bewältigung von Massenschadensphänomenen auf dem herkömmlichen Wege des Individualrechtsschutzes bestehenden zivilprozessualen Defizite eingehend betrachtet. Speziell herauszustellen sind besonders diejenigen Hindernisse, aufgrund derer Verbraucherinnen von einer Geltendmachung ihrer Rechte absehen können, wobei hier nicht nur massenschadenstypische, sondern auch allgemeine der Ziviljustiz anhängende Ursachen zu berücksichtigen sind. Deren Identifikation ist für die Diskussion über Verbesserungen beim Zugang zum Recht für Verbraucherinnen unerlässlich. Im Rahmen dessen wird auch die Rolle der das (potenzielle) Haftungsereignis auslösenden Unternehmen bei der Aufarbeitung der Schadensfälle in den Fokus gerückt, da insoweit v. a. das Verhalten des VWKonzerns im Abgasskandal bedenkliche Missstände hervorgebracht hat. Anhand der daraus gezogenen Erkenntnisse soll die bisher etablierte Typisierung von Schadensarten in Groß- und Bagatellschäden hinterfragt und – wenn nötig – terminologisch präzisiert werden. Grundlegende Ausführungen zu Lösungsansätzen in Individual- und Kollektivverfahren schließen den ersten Teil ab. Im zweiten Teil soll das Konzept der Musterfeststellungsklage beleuchtet und insbesondere im Lichte des Verfahrensrechts eingeordnet werden. Von der konkreten Ausgestaltung der einzelnen Regelungen über (dogmatische) Fragen bei der Vereinbarkeit mit Grundsätzen der individualistisch geprägten ZPO sowie verfassungsrechtlichen Vorgaben einschließlich deren Grenzen bis hin zur Funktionalität des Verfahrensinstrumentes anhand praktischer Erfahrungen sind vielfältige Aspekte zu erörtern. Soweit erforderlich soll die (kritische) Bewertung 72 Dazu Paal/Aliprandi, ZD 2021, 241 (246). Insoweit eher skeptisch Stadler, in: FS Roth, S. 539 (555 f.).

C. Wissenschaftliche Zielsetzung und Gang der Darstellung

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auch mit Denkanstößen unterfüttert werden, inwieweit etwaige Konflikte aufgelöst werden könnten. Zur Wahrung eines angemessenen Umfangs sowie eines „roten Fadens“ kann dabei jedoch nicht zu jeder Frage im Detail Stellung genommen werden. Der Gegenstand der Untersuchung soll insofern den beschriebenen Problemen und Umständen, die zu dieser veranlasst haben, den Vorzug geben und beschränkt sich daher auf die aus Verfassersicht – weil besonders relevant, aktuell oder ungeklärt – als wesentlich erachteten Gesichtspunkte.73 Anschließend diskutiert der dritte Teil der Arbeit die Perspektive der Musterfeststellungsklage unter Bezugnahme auf die von der deutschen Gesetzgeberin bis Ende 2022 zu transformierenden Vorgaben der Verbandsklagenrichtlinie. Nach einer vertieften Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen des zweistufigen Kernkonzeptes soll projektiert werden, ob und wenn ja, wie das Modell im Rahmen der Umsetzung richtlinienkonform weiterentwickelt werden könnte. Gleichermaßen wird aber versucht, hinreichend auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum Rücksicht zu nehmen, indem keine konkreten Vorschriften vorgeschlagen, sondern grundsätzliche Überlegungen angestellt werden, welche die Konzeption leiten könnten. Des Weiteren ist beabsichtigt, andere Möglichkeiten zu ergründen, mit denen sich die de lege lata ggf. notwendige Anschlussphase nach einer Musterfeststellungsklage effizienter gestalten oder besser ausbauen ließe. Hierbei soll ein Schwerpunkt auf den Legal Tech-Inkassodienstleisterinnen, der für sie ab 1.10.2021 durch die erwähnte Gesetzesreform veränderten Rechtslage sowie der Frage liegen, wie diese im Zusammenspiel mit der Musterfeststellungsklage nutzbar gemacht werden könnten. Zugleich werden Ansätze aufgegriffen, mittels derer sich die herkömmlichen Defizite auf dem Individualklageweg reduzieren ließen, um damit der beabsichtigten gesamtheitlichen Betrachtung Rechnung zu tragen. Darauf folgt schließlich eine Behandlung einzelner Problemkreise, die auf bestimmte Weise negativen Einfluss auf den Wirkungsgrad des Musterfeststellungskonzeptes haben bzw. haben könnten und deshalb aus Verfassersicht gesonderter Beachtung bedürfen. Der vierte Teil fasst die Ergebnisse abschließend zusammen. Auf diese Weise soll am Ende der Arbeit eine Betrachtung stehen, die sowohl das Für und Wider der Musterfeststellungsklage darstellt und sie vor den gegenwärtigen Hintergründen einordnet, als auch „über den Tellerrand hinausschaut“ und Verknüpfungen herstellt zwischen den Problemen und Handlungsmöglichkeiten bei verbrauchertypischen Massenschäden einerseits sowie den aktuellen Herausforderungen und Grundfragen der zivilrechtlichen Streitbeilegung andererseits. 73 Bspw. wird sich nur knapp der Frage gewidmet, ob bzw. inwieweit die Musterfeststellungsklage auch für Unternehmerinnen offenstehen sollte (siehe § 5 A. I. 1. b)). Ebenso bleiben sich aus grenzüberschreitenden Sachverhalten ergebende Fragestellungen sowie denkbare Weiterentwicklungen der klassischen Verbandsklagen auf Beseitigung, Unterlassung und Gewinnabschöpfung wegen der zusätzlichen Komplexität in der Regel außen vor.

1. Teil

Zivilprozessuale Problematik von Massenschäden § 2 Prozessrechtlicher Rahmen Die Rahmenbedingungen des deutschen Zivilprozessrechts sind für die vorliegende Darstellung aus mehreren Gründen relevant. Zum einen wurzeln in ihnen die Defizite, welche Individualverfahren bei der Bewältigung verbrauchertypischer Massenschäden anhaften. Zum anderen beeinflussen sie allgemein die Strukturierung kollektiver Rechtsschutzinstrumente, indem sie einige Optionen bei der Verfahrensgestaltung determinieren. Konkret für die Musterfeststellungsklage fungieren sie überdies als Maßstab, an dem sich die verfahrensrechtliche Einordnung orientieren kann. Im Laufe der Arbeit werden diese Themen konkretisiert. Um deren Verständnis zu erleichtern, wird der prozessrechtliche Rahmen in diesem Kapitel einführend vorgestellt. An den jeweiligen späteren Stellen können die hier angestellten Vorüberlegungen somit vergegenwärtigt werden.

A. Leitbild des Zivilprozesses Das deutsche Zivilrechtssystem basiert auf einer liberal-individualistischen Ausrichtung.1 Prägendes Prinzip der Rechtsordnung ist die Privatautonomie. Sie beschreibt die Freiheit, Privatrechtsverhältnisse nach eigenem Willen und ohne Erklärung der Präferenzen konstituieren und ausgestalten zu können.2 Was für die Begründung von Rechten und Pflichten gilt, setzt sich bei der Entscheidung über deren Geltendmachung fort. Danach ist vorrangig jede Einzelne für die (gerichtliche) Durchsetzung ihrer Rechte selbst verantwortlich und kann sich hierzu auf einen subjektiv-rechtlich verfassten Rechtsschutzanspruch stützen.3 Demzufolge baut auch das Zivilprozessrecht auf dem Grundsatz des Indivi1 Roth, ZfPW 2017, 129 (133). Zur Abgrenzung liberaler und sozialer Rechte Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 3 Rn. 5 ff. 2 Definition nach Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 2 Rn. 14, ferner § 10 Rn. 28 ff.; eingehend zur Privatautonomie auch Riesenhuber, ZfPW 2018, 352 ff. 3 Daraus ergibt sich zugleich eine Subsidiarität des kollektiven Rechtsschutzes, dazu Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 106 ff.; siehe auch Saam, Kollektive Rechtsbehelfe, S. 35 f.

A. Leitbild des Zivilprozesses

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dualrechtsschutzes auf. Ein Prozessrechtsverhältnis besteht stets aus zwei Personen, die sich in einem kontradiktorischen Verfahren gegenüberstehen. Es gilt das Zweiparteienprinzip.4

I. Begriff der Parteien Ausgehend davon sind Parteien im Zivilprozess diejenigen Personen, von welchen (die Klägerin) und gegen welche (die Beklagte) im eigenen Namen staatlicher Rechtsschutz begehrt wird.5 Die Parteistellung bestimmt sich rein formell, also unabhängig von der materiellen Berechtigung der Beteiligten.6 Maßgeblich ist nach § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Bezeichnung in der Klageschrift. Nur die darin bestimmten Personen sind Trägerinnen des Prozessrechtsverhältnisses,7 innerhalb dessen sie weder als Streithelferin oder Zeugin agieren noch mit sich selbst prozessieren können.8 Infolge des Zweiparteienprinzips sind ebenso Mehrparteienprozesse ausgeschlossen, sodass die Beteiligung mehrerer Personen auf einer Parteiseite zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, jedoch grundsätzlich nur in engen Grenzen – etwa in einer Streitgenossenschaft (vgl. §§ 59 ff. ZPO) oder aufgrund einer Nebenintervention bzw. einer Streitverkündung (§§ 66 ff., §§ 72 ff. ZPO) – möglich ist.9 Dies verdeutlicht wiederum, weshalb die Musterfeststellungsklage als kollektives Rechtsschutzinstrument eine solche Ausnahmeerscheinung in der Verfahrensordnung darstellt. Weiterhin hat die formelle Bestimmung der Parteien zur Folge, dass eine Klägerin grundsätzlich fremde Rechte im eigenen Namen geltend machen kann, auf diese Weise aber auch Popularklagen erheben könnte.10 Um das auszuschließen, werden die allgemeinen Prozessvoraussetzungen durch die Prozessführungsbefugnis ergänzt: Sie betrifft das Recht, ein Verfahren als die „richtige“ Partei im eigenen Namen über ein eigenes oder ein fremdes Recht zu führen und liegt prinzipiell bei der Trägerin des streitigen Rechtsverhältnisses.11 Ist die Klägerin dagegen selbst nicht materiell Berechtigte, ist die Klage bei Vorliegen der Vor-

4 Althammer, in: Zöller, ZPO, Vorb § 50 Rn. 5; Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Rn. 4 ff.; Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 50 Rn. 4 f. 5 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 40 Rn. 1. 6 Sog. „formeller Parteibegriff“, vgl. BGH NJW-RR 2005, 1237; Althammer, in: Zöller, ZPO, Vorb § 50 Rn. 2. 7 Den Inhalt des Prozessrechtsverhältnisses bilden sowohl die prozessrechtlich geregelten Beziehungen zwischen dem Staat und den Parteien als auch zwischen den Parteien untereinander, Rosenberg/Gottwald/Schwab, ZPR, § 2 Rn. 4. 8 Bendtsen, in: Hk-ZPO, § 50 Rn. 1. 9 Althammer, in: Zöller, ZPO, Vorb § 50 Rn. 5; Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Rn. 9; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 40 Rn. 31 f. 10 Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 51 Rn. 14. 11 Gehrlein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 50 Rn. 33; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 51 Rn. 20 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 46 Rn. 1, 5.

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§ 2 Prozessrechtlicher Rahmen

aussetzungen einer Prozessstandschaft zulässig.12 Unterschieden wird dabei zwischen der unmittelbar durch Gesetz erlaubten „gesetzlichen“ Prozessstandschaft13 und der aus einer rechtsgeschäftlichen Ermächtigung des Berechtigten abgeleiteten „gewillkürten“ Prozessstandschaft.14 Auch diese Grundsätze bedürfen hinsichtlich des Musterfeststellungsverfahrens einer Überprüfung.15

II. Bedeutung der Parteistellung Die Parteieigenschaft ist desgleichen Bezugspunkt für zahlreiche verfahrensrelevante Vorschriften. Mit ihr verknüpft sind außerdem die Sachentscheidungsvoraussetzungen der Parteifähigkeit, der Prozessfähigkeit und der Postulationsfähigkeit.16 Soweit eine anwaltliche Vertretung nicht vorgesehen ist (vgl. § 78 Abs. 1 ZPO), können die Parteien den Rechtsstreit gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 ZPO selbst führen und die Prozesshandlungen in eigener Person rechtswirksam vornehmen („Parteiprozess“).17 Generell bestimmen sie den Verfahrensgegenstand (v. a. die Klägerin in der Klageschrift, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), gestalten den Prozess und beeinflussen, ob dieser vergleichsweise, durch streitige oder unstreitige gerichtliche Entscheidung beendet wird. Ferner ist die Parteistellung für Gerichtsstand, Rechtshängigkeit, Streitverkündung, Prozesskosten oder die materielle Rechtskraft eines Urteils bedeutsam.18 Letztere tritt nach dem Rechtsgedanken der §§ 322, 325 ZPO grundsätzlich nur inter partes, also zwischen den Parteien eines rechtskräftig entschiedenen Prozesses ein und kann nicht beliebig auf Personen ausgeweitet werden, die auf den Prozessverlauf keinen Einfluss hatten.19 Eine Rechtskrafterstreckung auf Dritte ist die Ausnahme und bedarf regelmäßig einer gesetzlichen Anordnung wie den §§ 325–327 ZPO20 bzw. eines Grundes, sich die Fremdpro12 BGH NJW 2018, 3389 (3392 Rn. 30); Gehrlein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 50 Rn. 33; Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 50 Rn. 28. 13 Bspw. nach § 265 Abs. 2 ZPO oder für Verbandsklagen nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, siehe Althammer, in: Zöller, ZPO, Vorb § 50 Rn. 18 ff.; Hüßtege, in: Thomas/ Putzo, ZPO, § 51 Rn. 24. 14 Neben der Ermächtigung zur gerichtlichen Geltendmachung durch die Berechtigte muss die Prozessstandschafterin ein eigenes rechtliches Interesse an der Durchsetzung des Rechts haben, siehe BGH NJW 2000, 738 m.w. N.; Gehrlein, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 50 Rn. 38; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 46 Rn. 33 f. 15 Dazu § 5 A. I. 1. a). 16 Althammer, in: Zöller, ZPO, Vorb § 50 Rn. 14 f. (Prozesshandlungsvoraussetzungen). 17 Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 79 Rn. 1; Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO, Rn. 1; Toussaint, in: MüKoZPO, § 78 Rn. 1. 18 Lindacher/Hau, in: MüKoZPO, Vorb § 50 Rn. 1; Schilken, ZPR, Rn. 77 f. 19 BGH NJW 1993, 2942 (2943); Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 325 Rn. 1 f.; Gehle, in: Anders/Gehle, ZPO, Rn. 5; Marotzke, ZZP 100 (1987), 164 f.; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 325 Rn. 1; Saenger, in: Hk-ZPO, Rn. 2; Schack, NJW 1988, 865. 20 Vgl. BGH NJW 2019, 310 m.w. N. (zu § 325 ZPO).

A. Leitbild des Zivilprozesses

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zessführung zurechnen lassen zu müssen, etwa wie die im Zuge einer gewillkürten Prozessstandschaft erteilte Ermächtigung.21 Wenn also die Ansprüche einer Vielzahl von Personen aus einem Massenschadensereignis in einem Verfahren ohne deren aktive Mitwirkung gebündelt und verbindlich durchgesetzt werden sollen, muss ein entsprechender Bezug hergestellt sein. Bei der Musterfeststellungsklage dient die Anmeldung der Verbraucherinnen als jenes Bindeglied.22 Überdies sind die Parteien innerhalb eines Zivilverfahrens formell gleichgestellt. Dies folgt aus dem Prinzip der prozessualen Waffengleichheit.23 Der Grundsatz ist Teil des verfahrensrechtlichen ordre public und beinhaltet das Gebot, dass Klägerin und Beklagter in gleicher Weise und unter denselben Voraussetzungen dieselben prozessualen Rechte zustehen.24 Mithin sind sie vor Gericht primär formell gleich zu behandeln, wenngleich dies trotz der grundsätzlich nicht gleichartigen materiellen Rechtsstellung der Beteiligten, die sich kontradiktorisch gegenüberstehen und den Ausgang des Verfahrens in ihrer jeweiligen Rolle als Angreiferin und Verteidigerin mit ihrem Vorbringen selbst verantworten,25 auch in tatsächlicher Hinsicht gelten sollte, sodass ihnen gleichwertige Möglichkeiten zur Ausübung ihrer prozessualen Rechte zur Verfügung stehen müssten.26 Letzteres kann bei Rechtsstreitigkeiten zwischen einer Verbraucherin und einem Unternehmen jedoch große praktische Bedeutung haben. In der Regel besteht hier ein markttypisches Ungleichgewicht, wodurch die den Parteien zur Verfügung stehenden Mittel mitunter erheblich divergieren.27 Im Fall von Massenschäden, die typischerweise Verbraucherinnen betreffen, kann jedoch noch eine deutlich heterogene Interessenlage zwischen den Beteiligten hinzutreten. Worin dieses Missverhältnis liegt und inwiefern es die prozessuale Waffengleichheit beeinträchtigen könnte, wird später erörtert.28

III. Prozessmaximen Prägend für das Leitbild sind ferner die den Zivilprozess einrahmenden Verfahrensgrundsätze. Im weiteren Sinne umfassen sie alle Rechtssätze, anhand de21 Eingehend Schack, NJW 1988, 865 (866 ff.); siehe auch Gehle, in: Anders/Gehle, ZPO, § 325 Rn. 12. 22 Zur Anspruchsanmeldung § 5 C. II. 23 BVerfG NJW 2018, 3631; Prütting, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Einl. Rn. 42; dazu grundlegend M. Vollkommer, in: FS Schwab, S. 503 ff. 24 Vgl. BVerfG NJW 2018, 3631 (3632); BGH WM 2020, 2040 (2042). 25 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 40 Rn. 33 f.; Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 50 Rn. 2. 26 So M. Vollkommer, in: FS Schwab, S. 503 (518 ff.) zur Ergänzung der formalen „Gleichheit vor dem Richter“ um die materielle „Gleichheit durch den Richter“. 27 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 48 ff.; Tamm, in: Tamm/Tonner/Brönneke, § 1 Rn. 5. 28 Dazu § 3 B. III. 1.

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§ 2 Prozessrechtlicher Rahmen

rer der äußere Verfahrensablauf sowie das Verhältnis von Gericht und Parteien vom Gesetzgeber geregelt wurde, womit auch allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze wie der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) oder das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG dazu zählen.29 Verfahrensgrundsätze im engeren Sinne sind spezifisch für den Zivilprozess geltende Prozessmaximen, welche grundlegende Unterschiede zwischen den verschiedenen Verfahrensarten bestimmen und sich in zahlreichen verfahrensrechtlichen Vorschriften realisieren sowie allgemein als gesetzgeberische Wertentscheidung im Rahmen der Auslegung normativer Zweifelsfragen einfließen.30 Weiterhin setzen die Prozessmaximen strukturelle Maßstäbe im Fall der Einführung neuer Verfahrensarten, v. a. für die Frage, unter welchen Voraussetzungen kollektive Rechtsschutzinstrumente in die ZPO integriert werden könnten. 1. Dispositionsmaxime und rechtliches Gehör Das Hauptmerkmal des Zivilprozesses ist die Dispositionsmaxime. Darin kommt die freie Befugnis der Parteien zum Ausdruck, über Einleitung, Inhalt, Gang und Beendigung des Verfahrens im Ganzen zu verfügen, womit sie die Privatautonomie im prozessualen Sinne fortsetzt.31 Sie findet in jedem Verfahrensstadium ihre Ausprägungen und verwirklicht auf diese Weise auch die grundrechtlichen Freiheitsrechte.32 Wer gerichtlichen Rechtsschutz begehrt, muss insofern gemäß § 253 Abs. 1 ZPO selbst Klage erheben oder in anderweitigen Konstellationen entsprechendes beantragen. Neben dem „Ob“ der Durchsetzung materiell-rechtlicher Interessen ist den Rechtsinhaberinnen auch die Entscheidung über das „Worüber“ verantwortet33: So ist etwa das Gericht nach § 308 Abs. 1 ZPO an die Anträge der Parteien gebunden, wodurch diese den Umfang der richterlichen Prüfung festlegen.34 Klägerin und Beklagte beherrschen demgemäß die Entwicklung des Prozesses. Sie haben in jeder Lage des Verfahrens (ggf. unter bestimmten Voraussetzungen) die Möglichkeit, einseitig oder konsensual über den Anspruch zu disponieren so29 Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 128 Rn. 6 ff.; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 26; Rauscher, in: MüKoZPO, Rn. 316. 30 Prütting, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Einl. Rn. 23; Rauscher, in: MüKoZPO, Rn. 335 f.; Schilken, ZPR, Rn. 338. 31 Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, S. 71 f.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 128 Rn. 161; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 35; Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 318; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 18 ff. 32 Dazu allgemein Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 2 Rn. 14; Riesenhuber, ZfPW 2018, 352 (357); Roth, ZfPW 2017, 129 (132). 33 Vgl. Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 18. 34 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 76 Rn. 3.

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wie das Verfahren einseitig oder konsensual gemäß ihren Interessen zu beenden.35 Hierfür stehen u. a. die Klagerücknahme (§§ 269 ZPO) sowie der Verzicht der Klägerin auf den Anspruch (§ 306 ZPO) oder auf Rechtsmittel (§§ 515, 565 ZPO), das Anerkenntnis der Beklagten (§ 307 ZPO) oder der Prozessvergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) zur Verfügung. Selbst wenn sich ein langwieriger Prozess mit aufwendiger Beweisaufnahme kurz vor der Entscheidung befindet, können die Parteien sich dazu entscheiden, diesen vorzeitig und ohne eine gerichtliche Entscheidung abzuschließen: Vor Gericht finden sie nach dem in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör damit jederzeit Beachtung. Hiernach wird gewährleistet, dass den Parteien in sämtlichen Arten sowie Stadien eines Verfahrens Gelegenheit gegeben wird, sich zu entscheidungserheblichen Fragen zu äußern.36 Jeder Antrag und jedes Vorbringen einer Partei muss vom Gericht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden.37 Demgegenüber können ein Ausschluss respektive eine Verkürzung prozessualer Mitwirkungsrechte an einem Verfahren im Hinblick auf das verfassungsmäßig garantierte rechtliche Gehör problematisch sein. Dies gilt nicht nur für die formell Beteiligten eines Prozesses, sondern auch für diejenigen, die materiell von einem späteren Urteil betroffen wären und insoweit nicht einfach übergangen werden dürfen.38 Bei der Einordnung der Konzeption der Musterfeststellungsklage ist hierauf besonders zu achten.39 2. Verhandlungsmaxime Komplettiert wird der Dispositionsgrundsatz von der Verhandlungsmaxime, die gemeinsam in einem „dialogischen Zivilprozess“ das Prinzip parteilicher Eigenverantwortung sowie die liberale Prozesskultur der ZPO repräsentieren.40 Nach dem Verhandlungsgrundsatz ist es Aufgabe der Parteien, den für den Prozess relevanten Tatsachenstoff und die Beweismittel zu beschaffen; nur das vorgetragene Tatsachenmaterial wird Streitstoff und darf der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden.41 35 Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, S. 73 („Herrschaft über den Streitgegenstand“); Prütting, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Einl. Rn. 24 f. („Verfahrensherrschaft“); Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 76 Rn. 3 („Verfügungsfreiheit“). 36 BVerfG NJW 2009, 1585 (1586); BGH NJW 2018, 3315 f. m.w. N.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 128 Rn. 17; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 28; siehe auch Baur, AcP 153 (1954), 393 (410). 37 Vgl. BGH NJW 2014, 1529; Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, S. 111 f. 38 BVerfG NJW 1982, 1635 (1636); 2009, 138; Baur, AcP 153 (1954), 393 (407); Marotzke, ZZP 100 (1987), 164 (165, 167 f.); Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 261. 39 Dazu § 6 B. I. 40 Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 354; Stürner, ZZP 123 (2010), 147 (152 ff.). 41 BGH NJW 2005, 291 (293); Greger, in: Zöller, ZPO, Vorb § 128 Rn. 10; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Rn. 182; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77 Rn. 8.

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Besonders die Klägerin ist demnach dazu angehalten, die ihren Anspruch begründenden Tatsachen beizubringen und unter Umständen zu beweisen. § 138 Abs. 1 ZPO normiert hierzu, dass die Parteien zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Erklärung verpflichtet sind.42 Mit Blick auf die Gegensätzlichkeit der Parteiinteressen führt diese der Selbstverantwortung der Parteien entsprechende Aufgabenverteilung in der Regel zu einer effektiven Sachverhaltsaufklärung und bewirkt zugleich eine Entlastung der Justiz, die in den jährlich hunderttausenden Zivilverfahren43 eine Stoffsammlung von Amts wegen aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen und Befugnisse gar nicht in angemessenem Umfang leisten kann.44 Gleichwohl wird eine aktive materielle Prozessleitung des Gerichts hierdurch nicht ausgeschlossen. Vielmehr ist es mit der Aufklärungs- und Hinweispflicht nach § 139 ZPO sogar angehalten, erforderlichenfalls auf eine Konkretisierung und Ergänzung des Parteivortrags hinzuwirken.45 Grenzen setzt insoweit die richterliche Pflicht zur Neutralität.46 Darüber hinaus kann es neben der Tatsachenbeschaffung nach §§ 142–144, 273 ZPO auch die Beibringung von Beweismitteln wesentlich beeinflussen.47 Auf diese Weise trägt das Gericht eine Mitverantwortung dafür, dass ein Prozess aufgrund eines möglichst gut aufgearbeiteten Streitstoffs zügig voranschreiten kann.48 Die Parteien und das Gericht sollen demnach als „Partner[innen] eines Dialogs“ zusammenarbeiten,49 um ausufernde, ungerechte oder irrationale Prozesse und Entscheidungen zu vermeiden.50 In den häufig komplexen Verfahren zur Aufarbeitung eines verbrauchertypischen Massenschadensfalls kann sich dies aufgrund divergierender Interessenlagen jedoch kompliziert gestalten.51

IV. Konsequenzen bei Massenschäden Das gesamte Prozessrecht wird danach durch das Zweiparteienprinzip, den formellen Parteibegriff und die Verfahrensmaximen geprägt. Jedes Verfahren ist 42 Zur Wahrheitspflicht eingehend Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, S. 98 ff.; zu deren Umfang Kern, in: Stein/Jonas, § 138 Rn. 9 ff. 43 Zu aktuellen Eingangszahlen vor den Zivilgerichten noch unter § 3 C. II. 2. a). 44 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77 Rn. 3. 45 Greger, in: Zöller, ZPO, Vorb § 128 Rn. 10a; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139 Rn. 1 („aktiver Richter“). 46 BGH NJW 2004, 164; Fritsche, in: MüKoZPO, § 139 Rn. 8; Seiler, in: Thomas/ Putzo, Rn. 1. 47 Zu allem Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77 Rn. 17 ff. 48 Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 128 Rn. 176. Zum gleichzeitig bestehenden Spannungsverhältnis zwischen Parteiherrschaft und Richtermacht eingehend R. Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S. 97 ff.; siehe auch Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 38 ff. 49 Stürner, ZZP 123 (2010), 147 (154). 50 Greger, in: Zöller, ZPO, § 139 Rn. 1; Prütting, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Rn. 1. 51 Dazu § 3 B.

A. Leitbild des Zivilprozesses

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nicht allgemein, sondern nur für die Beteiligten verbindlich, welche entsprechend der Dispositionsmaxime ihre Rechtspositionen selbst aktiv geltend gemacht haben. Sofern Rechtsstreitigkeiten vorliegen, in denen sich die Parteien ebenbürtig gegenüberstehen und sich das Rechtsschutzbegehren auf einen individuell erlittenen Schaden beschränkt, ist die Funktionalität dieses Leitbilds prinzipiell gewährleistet. In der modernen Massenkonsumgesellschaft, in welcher zunehmend Schädigungen einer Vielzahl von Verbraucherinnen durch ein Unternehmen auftreten, werden die Grundfesten des Zivilverfahrensrechts jedoch erschüttert.52 Im Kontext des prozessrechtlichen Rahmens wird daher im Folgenden auf die später zu vertiefenden Grenzen des Individualrechtsschutzes sowie auf elementare Vorbedingungen für den Kollektivrechtsschutz vorausgeschaut. 1. Grenzen des Individualrechtsschutzes Treten Massenschadenslagen auf und werden infolgedessen gleichgerichtete Ansprüche in hoher Zahl und binnen kurzer Zeit eingeklagt, können diese nach dem Prinzip des Individualrechtsschutzes die Gerichte faktisch überwältigen.53 Die zahlreichen Maßnahmen und Reformgesetze, welche seit den 1970er Jahren zur Entlastung der Justiz ergriffen wurden und zu einem raschen Sinken der Eingangszahlen geführt haben,54 verschaffen in diesen Situationen keine Abhilfe. Vielmehr tragen eingesparte justizielle Ressourcen eher dazu bei, dass eine einheitliche und zügige Entscheidung aller Individualprozesse unter gleichzeitiger Wahrung der gewohnten Verfahrensqualität utopisch erscheint,55 wie jüngst die noch immer problematische Aufarbeitung des Abgasskandals veranschaulicht. Außerdem entspricht die Quintessenz des Individualrechtsschutzes häufig nicht den wirklichen Verhältnissen bei verbrauchertypischen Massenschäden. Idealiter ergreift eine einzelne Geschädigte selbst die Initiative gegenüber der Schädigerin, sofern sie davon überzeugt ist, dass ihr ein Anspruch zusteht und dieser lohnend genug ist, erforderlichenfalls ein gerichtliches Verfahren einzuleiten.56 Muss allerdings eine Verbraucherin ihre Rechte bei einem Unternehmen geltend machen, können gewisse Faktoren diese Entscheidung in negativer Weise beeinflussen.57

52 Augenhofer, Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 5; Bernhard, Kartellrechtlicher Individualschutz durch Sammelklagen, S. 122. 53 Dazu § 3 A. 54 Inzwischen ist sogar eine Diskussion darüber entstanden, inwieweit diese ihr Ziel „übererfüllt“ haben, siehe Höland/Meller-Hannich, in: Höland/Meller-Hannich, S. 11 ff. 55 Saam, Kollektive Rechtsbehelfe, S. 37 f. 56 Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 25; Saam, Kollektive Rechtsbehelfe, S. 37. 57 Dazu § 3 C.

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§ 2 Prozessrechtlicher Rahmen

Schließlich erscheint die vom Zusammenspiel aus formellem Parteibegriff und Prozessführungsbefugnis suggerierte Erwartung, dass sich jede Anspruchsinhaberin persönlich um die Geltendmachung ihrer Rechte kümmert, nicht mehr zwingend. Denn in vielen Bereichen des privaten Lebens sind es Verbraucherinnen mittlerweile gewohnt, Tätigkeiten und Verantwortungsbereiche anderen zu übertragen. So geschieht es auch bei rechtlichen Streitigkeiten: Vielfach kümmern sich Verbraucherverbände oder Inkassodienstleisterinnen anstelle der materiellrechtlich Betroffenen um die Geltendmachung von deren Rechtsverletzungen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund erfordern verbrauchertypische Massenschäden eine Anpassung des traditionellen Verständnisses, wie und durch wen Rechte zivilprozessual durchgesetzt werden. 2. Vorgaben für den Kollektivrechtsschutz Statt der individuellen rückt deshalb eine kollektive Rechtsdurchsetzung in den Fokus. In den Anfängen der Diskussion wurde verfahrensrechtlichen Instrumenten zur Bündelung einer Vielzahl Geschädigter in einem einheitlichen Verfahren noch argwöhnisch begegnet, was insbesondere an Vorbehalten gegenüber dem US-amerikanischen Modell der class action lag.58 Jene von Kanzleien getriebenen – und von durchgreifenden Sanktionen staatlicher Behörden eingerahmten – Sammelklagen sind mit dem hiesigen System der primär von den Geschädigten zu initiierenden zivilprozessualen bei einer zugleich eher zurückhaltenden behördlichen Aufarbeitung von Massenschäden freilich schwer vergleichbar.59 Darüber hinaus ist auch dem zivilprozessualen Leitbild zu entnehmen, dass kollektive Rechtsschutzinstrumente in der ZPO anders aussehen müssen. Zwei Aspekte, welche bei deren Ausgestaltung eine wesentliche Rolle spielen, sollen nachfolgend hervorgehoben werden. a) Konzentration der Verfahrensleitung Zunächst bedingt das Zweiparteienprinzip, dass die gesammelte Geltendmachung von Ansprüchen in einem Prozess auch persönlich gebündelt werden muss.60 Denn eine Parteistellung aller Geschädigten würde einem Mehrparteienprozess gleichkommen und dem individualistisch geprägten Verfahrensrecht widersprechen, sodass die Gruppe der Anspruchsinhaberinnen hinter einer Klägerin vereinigt werden müsste, welche diese im Rahmen der Prozessführung repräsen-

58 Vgl. v. Bar, Gutachten 62. DJT, A 100 f.; H. Koch, BRAK-Mitt 2005, 159 (160 f.); Stadler, in: Brönneke, S. 16 ff. 59 Näher am Beispiel des Abgasskandals Thönissen, ZZP 133 (2020), 69 (73 ff.). 60 Krit. zum Festhalten am Zweiparteienprinzip wegen der Reduzierung der Dispositionsmaxime im Kontext des (noch nicht reformierten) KapMuG dagegen Hess, JZ 2011, 66 (69).

A. Leitbild des Zivilprozesses

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tiert.61 Dem folgt auch die Musterfeststellungsklage, bei welcher gemäß § 606 Abs. 1 ZPO nur qualifizierte Einrichtungen die Klägerrolle einnehmen können.62 Statt einer Parteistellung ist es aber möglich, den materiell-rechtlich Betroffenen gewisse Beteiligungsmöglichkeiten einzuräumen, etwa wie im KapMuGVerfahren durch eine Beiladung (§ 9 Abs. 3 i.V. m. § 14 KapMuG).63 Dagegen gestattet die Konzeption des Musterfeststellungsverfahrens den angemeldeten Verbraucherinnen keine Einflussnahme (vgl. § 610 Abs. 6 ZPO).64 Wie weitgehend die Verfahrensleitung konzentriert wird, hängt u. a. von Zweckmäßigkeitserwägungen ab, da diese mitentscheidend dafür ist, wie effizient das Verfahren in der Praxis ablaufen kann.65 Je weniger Anträgen bzw. Beteiligten sich das Gericht gegenüber sieht, desto geordneter und schneller kann es den Prozess im Dialog mit den Parteien66 durchführen. Dementgegen lässt das überlange KapMuG-Verfahren im Fall Telekom vermuten, dass die formale Einbindung der materiell Betroffenen67 zur Gewährung von Einflussmöglichkeiten eine rasche Verfahrensabwicklung mitunter behindern kann.68 Der Vorteil eines schlanken und effizienten Verfahrensablaufs droht so zu entfallen.69 Eine Verkürzung prozessualer Mitbestimmungsrechte zulasten des Anspruchs auf rechtliches Gehör der materiell-rechtlich Betroffenen (Art. 103 Abs. 1 GG) kann insoweit sinnvoll sein und ist der kollektiven Rechtsdurchsetzung in gewissem Maße auch eigentümlich.70 Nichtsdestominder ist bei der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung genau darauf zu achten, dass das rechtliche Gehör nicht übermäßig eingeschränkt wird: Grundlegend müssen hierbei die anvisierte Funktionsfähigkeit des Verfahrens sowie die hinnehmbare Beschränkung der Beteiligung an diesem gegeneinander abgewogen werden.71 Für die Musterfeststellungsklage bedarf dieser Aspekt aufgrund der rein passiven Beteiligtenstellung der angemeldeten Verbraucherinnen noch einer eingehenden Betrachtung.72

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Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 17, 212 ff. Vgl. Menges, in: MüKoZPO, § 606 Rn. 2. 63 Rotter, VuR 2019, 283 (285 f.) sieht darin den Vorteil einer „Sozialisierung des Know-Hows“, etwa indem alle Beigeladenen vom Sach- und Rechtsvortrag einer findigen Anwältin profitieren könnten. 64 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17. 65 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 212; insoweit auch Heese, JZ 2019, 429 (435) für das VW-Verfahren im Abgasskandal. 66 Zu diesem Verständnis Stürner, ZZP 123 (2010), 147 (152 ff.). 67 Siehe Menges, in: MüKoZPO, § 610 Rn. 26; ähnlich Liebscher, AG 2020, 35 (38). 68 Zu weiteren Ursachen der Überlange Möllers/Wolf, BKR 2021, 249 (251 f.). 69 Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 20. 70 Stadler, in: Brönneke, S. 1 (26). 71 Bernhard, Kartellrechtlicher Individualschutz durch Sammelklagen, S. 232; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 114; Schilken, in: Meller-Hannich, S. 21 (49). 72 Dazu § 6 B. I. 62

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§ 2 Prozessrechtlicher Rahmen

b) Disposition über Verfahrensbeteiligung Soweit die Mitbestimmung während eines Kollektivverfahrens eingeschränkt wird, resultiert daraus auch eine Prämisse für die Verfahrenseinleitung. Denn Privatautonomie und Dispositionsmaxime erfordern, dass eine Anspruchsinhaberin eigenständig entscheidet, ob und wie sie ihre Interessen geltend machen will. Im Umkehrschluss heißt das, dass sie nicht ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung in eine Klage einbezogen bzw. von deren Wirkungen erfasst werden darf, auf deren Verlauf sie keinen relevanten Einfluss hat.73 Ein „opt out“-Mechanismus wie bei der class action, der die Geschädigten ohne eine aktive Entscheidung an das Verfahren bindet und erst nachträglich den „Ausstieg“ erlaubt, wäre daher mit der Dispositionsmaxime (und ebenso mit dem rechtlichen Gehör) kaum vereinbar.74 Somit kommt für kollektive Rechtsschutzinstrumente, die auch der Durchsetzung von Individualinteressen dienen, hierzulande allein ein „opt in“-Modell infrage, bei dem sich die Betroffenen jeweils eigenständig zu einer Verfahrensbeteiligung entschließen müssen.75 Dabei sorgt die Initiative überdies für eine gewisse Legitimation bzw. eine Billigung der Konzentration der Verfahrensleitung und damit auch der in ihrem Interesse klagenden Repräsentantin.76 Bei der Musterfeststellungsklage setzt das in § 608 ZPO geregelte Erfordernis der Anmeldung die Notwendigkeit eines opt in-Mechanismus um. Erst wenn eine Verbraucherin ihren von den Feststellungszielen abhängenden Anspruch zum Klageregister angemeldet hat, trifft sie die Bindungswirkung des Verfahrens (§ 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO).77 Danach steht es ihr frei, ob sie ihre Rechte im Wege einer individuellen Klageerhebung geltend macht oder ob sie die passive Beteiligung an einer Musterfeststellungsklage präferiert.78 Insofern ist diese dem zivilprozessualen Leitbild entspringende Vorgabe eingehalten.

73 Urteile mit inter omnes-Wirkung bilden im Zivilverfahrensrecht eine Ausnahme, siehe etwa Marotzke, ZZP 100 (1987), 164 (165 ff.). 74 Vgl. A. Bruns, ZZP 125 (2012), 399 (412); v. Bar, Gutachten 62. DJT, A 100; Haß, Die Gruppenklage, S. 320; Stadler, in: Brönneke, S. 1 (26); jüngst Rentsch, EuZW 2021, 524 (531). 75 Vgl. Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 248; Haß, Die Gruppenklage, S. 320; Saam, Kollektive Rechtsbehelfe, S. 65; Stadler, Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 24 f.; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 243 f.; offen für ein opt out-Verfahren dagegen etwa Tilp/Schiefer, NZV 2017, 14 (16 f.). 76 Siehe Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 152; Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 263; ähnlich A. Bruns, ZZP 134 (2021), 393 (403). 77 Rathmann, in: Hk-ZPO, § 608 Rn. 1; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 1. 78 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17.

B. Zweck des Zivilprozesses

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B. Zweck des Zivilprozesses Für den prozessrechtlichen Rahmen ist ferner der Zweck des Zivilprozesses beachtlich. Dieser ergibt sich hauptsächlich aus dessen Stellung innerhalb der staatlichen Rechtspflege. Aufgrund des vom Staat beanspruchten Gewaltmonopols und des grundsätzlichen Verbots der Selbsthilfe (vgl. §§ 229–231, 859, 904 BGB) ist der Zivilprozess das einzig verfügbare Rechtsschutzmittel, um die Privatrechtsordnung in Streitfällen zwangsweise durchzusetzen.79 Mit ihm als das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sollen demnach die materiell-rechtlichen Geltungsanordnungen verwirklicht werden.80

I. Individualrechtsschutz Da jede Einzelne sich nach dem Prinzip des Individualrechtsschutzes eigenverantwortlich um die Durchsetzung ihrer Rechte kümmern soll, diese aber nicht selbst zwangsweise realisieren darf, ist sie dazu auf Hilfe des Staates angewiesen. Diese wird ihr durch den Justizgewährleistungsanspruch, der sowohl in Art. 19 Abs. 4 GG als auch allgemein im Rechtsstaatprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG ausgeprägt ist,81 von Verfassungs wegen garantiert.82 Gestützt darauf kann sie insoweit die für die Rechtsdurchsetzung bestimmten staatlichen Institutionen anrufen.83 Seinen Schutzauftrag erfüllt der Staat mittels der Zivilrechtspflege: Primäre Aufgabe und zentraler Zweck des Zivilprozesses ist damit der Schutz subjektiver Rechte.84 Dies gilt für beide Parteien: Der Klägerin ist zur Feststellung und Verwirklichung ihrer Ansprüche zu verhelfen, die Beklagte ist vor unberechtigten Inanspruchnahmen zu schützen, wobei Einschränkungen der Dispositionsmaxime und des Grundsatzes der Parteiherrschaft – etwa durch die materielle Prozessleitung des Gerichts – (auch) dem Schutz der schwächeren Prozesspartei dienen.85 79 Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, S. 16 ff.; Prütting, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Einl. Rn. 3; Rauscher, in: MüKoZPO, Rn. 8; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 Rn. 10 ff.; Saenger, in: Hk-ZPO, Einf. Rn. 9. 80 Brehm, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 1 Rn. 5; A. Bruns, ZZP 134 (2021), 393 (401 f.); Schilken, ZPR, Rn. 10. 81 BVerfG NJW 2003, 1924 m.w. N. 82 Eingehend Braun, Lehrbuch des Zivilprozessrechts, S. 21 f.; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 8 f. 83 Korrespondierend dazu ist der Staat aufgerufen, die Gerichte einzurichten und fortlaufend (ausreichend) zu besetzen, ihre Zuständigkeiten und Verfahren zu regeln etc., siehe Baur, AcP 153 (1954), 393 (396). 84 Brehm, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 1 Rn. 9; Gaul, AcP 168 (1968), 27, (46 f.); Prütting, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Einl. Rn. 3; Rauscher, in: MüKoZPO, Rn. 8; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 Rn. 9 ff.; Roth, ZfPW 2017, 129 (132 f.); Schilken, in: Meller-Hannich, S. 21 (23). 85 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 Rn. 12, 14.

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§ 2 Prozessrechtlicher Rahmen

Endet ein von der Klägerin eingeleitetes Zivilverfahren mit einer auf Basis des geltenden Rechts gefällten Gerichtsentscheidung, die sodann in Rechtskraft erwächst (vgl. § 705 ZPO), bewirkt diese zugleich eine Bewährung des objektiven Rechts, gewährleistet den Bestand der Rechtsordnung und sichert bzw. wahrt durch die Schaffung von Rechtssicherheit den Rechtsfrieden.86 Nichtsdestotrotz wird hierdurch nicht die primäre Zielsetzung – der Schutz individueller Interessen – verschoben: Vielmehr handelt es sich um bloße Folgen bzw. Reflexe dessen,87 die keinen selbstständigen Prozesszweck darstellen, sondern lediglich die Kehrseite desselben Tatbestandes sind.88 Die genannten Allgemeininteressen werden also nur mitverwirklicht und sind nicht gleichrangig.89 Für den Individualrechtsschutz ergibt sich insoweit eine klare Verteilung der Interessenlagen. Fraglich ist, inwieweit diese auf den Bereich des kollektiven Rechtsschutzes übertragen werden kann.

II. Kollektivrechtsschutz Ausnahmsweise können Verfahren vor den Zivilgerichten dazu bestimmt sein, vorwiegend überindividuelle bzw. Allgemeininteressen zu schützen.90 Jenen ist eigentümlich, dass sie sich nicht aus einer Addition homogener Individualinteressen ergeben, sondern ein gemeinsames, unteilbares Recht oder Interesse der Gesellschaft bezeichnen.91 In den entsprechenden Rechtsgebieten beruht der Fokus (auch) auf der eigenständigen Sicherung allgemeiner Belange wie dem Verbraucherschutz oder der Produktsicherheit, die in ihrer Gesamtheit potenziell jede Bürgerin betreffen und im Ganzen einzelnen Individuen nicht zugeordnet werden können.92 Ihre Geltendmachung im Wege des Individualrechtsschutzes ist durch die fehlende materiell-rechtliche Zuteilung nicht oder nur begrenzt möglich.93 Solche Kollektivgüter zu schützen und ihnen Geltung zu verschaffen obliegt daher originär dem Staat, der seine Aufgabe insbesondere in Form von Gesetzen sowie hoheitlichem behördlichem Handeln im Straf- und Ordnungswidrigkeitsrecht er86 Brehm, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 1 Rn. 12; Gaul, AcP 168 (1968), 27, (46 f.); Prütting, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Einl. Rn. 3; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 Rn. 16 f.; Schilken, ZPR, Rn. 12 ff. 87 Roth, ZfPW 2017, 129 (134 f.); ähnlich Schilken, in: Meller-Hannich, S. 21 (25). 88 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 Rn. 16. 89 Allenfalls erscheint eine Einordnung als „sekundäre Prozesszwecke“ gerechtfertigt, insoweit Schilken, in: Meller-Hannich, S. 21 (29). 90 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 12; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 Rn. 15; Saenger, in: Hk-ZPO, Einf. Rn. 4. 91 Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 39. 92 Alexander, JuS 2009, 590 (591); Haß, Die Gruppenklage, S. 15; Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 39; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 47 Rn. 1; E. Schmidt, NJW 2002, 25 (27). 93 Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 55 f. m.w. N.

B. Zweck des Zivilprozesses

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füllt, in Bereichen wie dem Verbraucherschutz heutzutage aber häufig Verbänden und sonstigen Verbraucherschutzorganisationen die (zivil)prozessuale Durchsetzung der Interessen überträgt.94 1. Verbandsklagen mit gesetzlichem Mandat Dazu erlaubt der Staat bestimmten Verbänden in Rechtsgebieten, in denen gesetzwidrige Verhaltensweisen die Rechte einer Einzelnen nicht oder nur minimal berühren und deshalb allein ein überindividuelles Interesse an der Einhaltung der Vorschriften besteht, Verbandsklagen zu erheben und so Prozesse im öffentlichen Interesse zu führen.95 Die dem Zivilprozess prinzipiell „fremdartigen“ 96 spezialgesetzlichen Mandate sind v. a. im Wettbewerbsrecht (Lauterkeits- und Kartellrecht) vorzufinden: So ermächtigen § 8 Abs. 3 Nr. 2–4 UWG, § 33 Abs. 4 GWB und §§ 2 ff. UKlaG bestimmte Verbände (insb. qualifizierte Einrichtungen), bei entsprechenden Verstößen die Beseitigung und Unterlassung wettbewerbs- oder verbraucherschutzwidriger Praktiken zu verlangen.97 Ferner können diese gemäß § 10 Abs. 1 UWG und § 34a Abs. 1 GWB zu Präventionszwecken auf die Abschöpfung von Gewinnen, welche infolge unzulässiger geschäftlicher Handlungen oder vorsätzlicher Kartellverstöße zulasten einer Vielzahl von Abnehmerinnen erzielt worden sind, an den Bundeshaushalt klagen.98 Jedes der Verbandsklageverfahren zeichnet sich dadurch aus, dass die Verbandsklägerin zwar eigene Ansprüche,99 aber keine eigenen Rechtspositionen verfolgt und auch nicht bei ihr gebündelte individuelle Interessen geltend macht, sondern sie hauptsächlich aufgrund einer ihr von Gesetzes wegen verliehenen Zuständigkeit zugunsten öffentlicher Belange handelt.100 Sie benötigen zur Klageerhebung kein individuelles Mandat und können nach ihrer geltenden Konzeption keine erlittenen Einzelschäden kompensieren, sondern maximal Unrechtsgewinne an den Fiskus abschöpfen. Erst recht können daher die Beseitigungsansprüche nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 UWG, § 33 Abs. 1 GWB und § 2 Abs. 1 UKlaG nicht auf Folgenbeseitigung in Form einer Rückzahlung unrechtmäßig erzielter

94 Einhaus, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht, S. 52; Kowollik, Europäische Kollektivklage, S. 46. 95 Alexander, JuS 2009, 590 (591); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 13; Haß, Die Gruppenklage, S. 16; Roth, ZfPW 2017, 129 (147 f.). 96 Greger, ZZP 113 (2000), 399 f. 97 Im Einzelnen Gsell/Rübbeck, ZfPW 2018, 409 (410, 414 ff.); Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, § 47 Rn. 2 ff. 98 Gsell, in: Schulze, S. 179 (181); Henning-Bodewig, GRUR 2015, 731. 99 Dazu schon Greger, ZZP 113 (2000), 399 (403 f.). 100 Greger, ZZP 113 (2000), 399 (404); Gsell, in: Schulze, S. 179 (180); Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 47; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 47 Rn. 12; Schilken, in: Meller-Hannich, S. 21 (46); E. Schmidt, NJW 2002, 25 (28).

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§ 2 Prozessrechtlicher Rahmen

Gewinne ausgedehnt werden,101 da sonst die engeren Voraussetzungen der §§ 10 UWG, 34 GWB ausgehöhlt würden.102 Ihre Tragweite für die kollektive Bewältigung verbrauchertypischer Massenschäden reduziert sich dadurch auf Konstellationen, in denen sich die Rechtsverstöße einzelnen Individuen nicht zuordnen lassen und vielmehr der Schutz der Verbraucherinteressen als Ganzes verfolgt wird, sprich ein „öffentliches Anliegen, das keine private Individualisierung verträgt“.103 Die Erhebung einer Verbandsklage erfordert gegenwärtig wie auch zukünftig nach der neuen Verbandsklagenrichtlinie eine bestehende oder drohende Beeinträchtigung kollektiver Verbraucherinteressen, welche die europäische Gesetzgeberin neuerdings definiert als „das allgemeine Interesse der Verbraucher[innen] und, insbesondere im Hinblick auf Abhilfeentscheidungen, die Interessen einer Gruppe von Verbraucher[inne]n“ (Art. 3 Nr. 3 Verbandsklagen-RL).104 Aus der Begriffsbestimmung ergibt sich insoweit, dass von den Individual- und Allgemeininteressen ein dazwischen liegendes Gruppeninteresse zu unterscheiden ist, in welchem Einzelinteressen einer Vielzahl von Personen gebündelt sind.105 Auch diese werden mittels kollektiver Rechtsschutzinstrumente verfolgt, sind aber nicht mit den hier skizzierten herkömmlichen Verbandsklagen identisch. 2. Bündelungsformen (auch) mit Individualmandat Angesprochen sind dabei Bündelungsformen, die sich besonders für die Aufarbeitung von Massenschäden eignen, weil sie eine Vielzahl geschädigter Verbraucherinnen auf Initiative oder zumindest unter partieller Mitwirkung der einzelnen Betroffenen in einer Gruppe bzw. einem Kollektiv verbindet und diese selbst profitieren können. Aus den gebündelten Individualansprüchen bildet sich in der Kumulation ein gemeinsames Gruppeninteresse, das im Rahmen des Prozesses durchgesetzt werden soll.106 Häufig übernimmt hier ein Verband die klägerseitige Repräsentation (bspw. die qualifizierten Einrichtungen bei der Musterfeststellungsklage, § 606 Abs. 1 ZPO). Insoweit bestehen Parallelen zu den soeben genannten Verbandsklagen, was die Gefahr einer Vermischung birgt. Gleichwohl sind die Modelle aufgrund ihrer verschiedenen Hauptzwecke keinesfalls gleichzusetzen: Während die das allgemeine Verbraucherinteresse schützenden Verbandsklagen ausschließlich ein 101

So aber OLG Dresden WM 2018, 1304 (1306) für § 8 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 UWG. Eingehend Gsell/Rübbeck, ZfPW 2018, 409 (427 ff.). 103 Siehe E. Schmidt, NJW 2002, 25 (28). 104 Augenhofer, NJW 2021, 113 (114). 105 Näher zur Abgrenzung Alexander, JuS 2009, 590 (591); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 12 f. 106 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 13 f.; Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 47 f. 102

B. Zweck des Zivilprozesses

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öffentliches, individuell nicht verfolgbares Anliegen schützen sollen, werden von den anderen Bündelungsformen wie der Musterfeststellungsklage – bei der die Klagebefugnis zwar gesetzlich festgelegt ist, aber nur die zum Verfahren angemeldeten Verbraucherinnen an den Wirkungen teilhaben können und ohne deren Anmeldungen das Verfahren nicht in zulässiger Weise durchlaufen werden kann107 – vielmehr eine Vielzahl individueller Interessen gesammelt geltend gemacht, um primär diesen zur Geltung zu verhelfen.108 Innerhalb der kollektiven Durchsetzung von Verbraucherinteressen lässt sich danach folgendermaßen differenzieren: Werden die Individualansprüche einer bestimmten (Viel)Zahl von Verbraucherinnen – aber eben nicht allen – zu deren Geltendmachung prozessual gebündelt, dient das Verfahren vorrangig dem Schutz subjektiver Rechte und harmoniert mit dem Hauptzweck des Zivilprozesses.109 Lediglich die Form der Durchsetzung erfolgt im Gewand des kollektiven Rechtsschutzes. Zwar sorgt die Durchführung des Verfahrens – exemplarisch der Musterfeststellungsklage – mittelbar auch dafür, dass dem überindividuellen Anliegen des allgemeinen Verbraucherinteresses gedient und dieses mitverfolgt wird, jedoch handelt es sich wiederum um eine notwendige Folgeerscheinung,110 die nicht auf gleicher Ebene mit dem Primärzweck steht.111 Dasselbe gilt bei weiteren, für die Allgemeinheit positiven Effekten wie einer Entlastung der Justiz.112 Dagegen dienen die herkömmlichen Verbandsklagen auf Beseitigung, Unterlassung und Gewinnabschöpfung hauptsächlich einem öffentlichen Anliegen. Relevant wird die Unterscheidung alsbald bei der Frage, wie die europäischen Richtlinienvorgaben nach der Verbandsklagenrichtlinie, welche künftig auch „Abhilfemaßnahmen“ ermöglichen sollen,113 umzusetzen sind. Die neue Zielrichtung bezweckt in der Sache nicht mehr ausschließlich die Durchsetzung überindividueller Interessen, sondern gerade die Verfolgung der Rechte Einzelner, 107 So müssen die Ansprüche von mindestens zehn Verbraucherinnen von den Feststellungszielen abhängen (§ 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO) bzw. sich mindestens 50 Verbraucherinnen binnen zwei Monaten nach der öffentlichen Bekanntmachung zum Verfahren angemeldet haben (§ 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO). 108 Insoweit auch Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 28 f. 109 So auch Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 245 f.; Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, S. 30. 110 Dahin auch die Gesetzesbegründung, RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 14: „Erforderlich ist [. . .] die Stärkung zivilprozessualer Möglichkeiten des Rechtsschutzes, um die Durchsetzung bestehender Ansprüche [. . .] für Bürgerinnen [. . .] zu vereinfachen. Durch einen vereinfachten Zugang zu gerichtlichen Verfahren wird zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem funktionsfähigen und sicheren Rechtsverkehr gewahrt.“ 111 Andeutungsweise bereits Feldhusen, ZIP 2020, 2377 (2383); Kowollik, Europäische Kollektivklage, S. 47. 112 Vgl. RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 16; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 246. 113 Art. 7 Abs. 4 lit. b) i.V. m. Art. 9 Verbandsklagen-RL.

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§ 2 Prozessrechtlicher Rahmen

was auch die angepasste Definition der kollektiven Verbraucherinteressen in Art. 3 Nr. 3 Verbandsklagen-RL widerspiegelt. Somit erscheint zweifelhaft, ob die Zweckrichtung bei den vorgegebenen Verbandsklagen auf Abhilfe noch zu denen der klassischen Verbandsklagen im Anwendungsbereich des UKlaG, GWB und UWG passt. Eher liegen Parallelen zur Musterfeststellungsklage in der ZPO nahe. Da die konkrete Umsetzungsform – eigenständiges Rechtsschutzinstrument oder Integration in bestehende Regelungen – den Mitgliedsstaaten überlassen bleibt,114 sollten die möglichen Zweckrichtungen bei der Standortwahl unbedingt berücksichtigt werden.115

C. Fazit Festzuhalten ist, dass der Zivilprozess zuvörderst durch eine individualistische Ausrichtung gekennzeichnet ist, die sowohl die Ausgestaltung als auch die primäre Aufgabe des Verfahrensrechts beeinflusst. Das Zweiparteienprinzip, die Dispositionsmaxime sowie der Anspruch auf rechtliches Gehör sind die Grundpfeiler, auf denen jede Individualklage aufbaut. Für die Aufarbeitung eines Massenschadensereignisses mit einer Vielzahl gleichartig geschädigter Verbraucherinnen können sie dementgegen auch Hindernisse darstellen, die im Folgenden noch zu erörtern sind. Zugleich müssen sich Ansätze des kollektiven Rechtsschutzes am Leitbild des Zivilprozesses orientieren, was sich insbesondere auf die Regelung des Beitritts zum und der Mitbestimmung am Verfahren auswirkt. Bei der späteren Betrachtung der Musterfeststellungsklage wird hierauf zurückzukommen sein.

114

Erwägungsgrund 11, ABl. 2020 Nr. L 409/2; vgl. Röthemeyer, VuR 2021, 43

(50). 115

Dazu noch unter § 7 B. I. 1.

§ 3 Defizite des Individualrechtsschutzes

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§ 3 Defizite des Individualrechtsschutzes Im nächsten Schritt sind die bei verbrauchertypischen Massenschäden im Individualrechtsschutz bestehenden Defizite, die durch den Kollektivrechtsschutz idealiter überwunden werden sollen, zu analysieren. Die Durchsetzungsschwächen setzen sich dabei aus verschiedenen Faktoren zusammen. Aus diesem Grund existiert die bereits in der Einleitung angesprochene Differenzierung zwischen Großschäden und Bagatellschäden, welche eine Kategorisierung der prozessualen Fragestellungen erlauben und so den Umgang mit ihnen erleichtern soll.116 Teilweise werden die Fallgruppen streng getrennt: Während im Fall von Bagatellschäden die Problematik darin liege, dass die Geschädigten ihre Interessen gegenüber dem verantwortlichen Unternehmen aus rationaler Apathie nicht geltend machen, seien die Defizite bei Großschäden auf die prozessunökonomische Bewältigung und Administration zurückzuführen.117 Womöglich erfordern die verschiedenen Fälle aufgrund ihrer spezifischen Herausforderungen also andere Lösungen.118 Allerdings ist fraglich, ob diese grobe Zuordnung die tatsächlichen Probleme hinreichend abbildet, da ein klares Abgrenzungskriterium, aufgrund dessen sich allgemein bestimmen lässt, ab welcher Schwelle der Bagatellbereich eines Schadens verlassen ist und von einem Großschaden gesprochen werden kann, nicht einhellig anerkannt ist.119 Dasselbe gilt für das Phänomen des rationalen Desinteresses, bei dem sich eine konkrete betragsmäßige Bestimmung ebenso schwierig gestaltet und sich zudem Interferenzen mit verbrauchertypischen Zugangshürden bei der Rechtsdurchsetzung ergeben können. Außerdem geben die aktuellen Erfahrungen aus dem Abgasskandal und die Veränderungen in der Landschaft der Verbraucherrechtsdurchsetzung möglicherweise Anlass, die geltende Einteilung anzupassen. Eine profunde Klärung der einzelnen Begrifflichkeiten und ihrer Verknüpfungen ist daher erforderlich, nicht zuletzt, um infrage kommende Lösungsansätze wie die Musterfeststellungsklage einschätzen und bewerten zu können. Das Ende dieses Kapitels betrachtet daher die Abgrenzung der Schadensbegriffe, um Erkenntnisse über ihren Nutzen und die korrekte Zuordnung der Problemstellungen zu gewinnen (D.). Aufgrund dessen wird in der vorherigen Darstellung der Defizite nicht nach den herkömmlichen Fallgruppen, sondern nach den dahinterstehenden Problemen unterschieden, welche aus Verfassersicht für die Hindernisse bei der Rechtsdurchsetzung in tatsächlicher Hinsicht ursächlich sein können. 116 117 118 119

Vgl. § 1 A. I. Exemplarisch Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 32 ff. m.w. N. Insoweit etwa Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1322 f.). Siehe Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 12 f.

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Diese sind mit Blick auf den eigenen Lösungsansatz in Gründe der prozessunökonomischen Verfahrensbewältigung (A.), des prozessualen Ungleichgewichts (B.) sowie des rationalen Desinteresses (C.) aufgeteilt.

A. Prozessunökonomische Verfahrensbewältigung Der Begriff der Prozessökonomie ist ein dogmatisch ungeklärtes, allgemein schwer fassbares und doch in Wissenschaft und Praxis sehr beliebtes Argument.120 Auf den Versuch einer Präzisierung wird zur Vermeidung einer sonst ausufernden Darstellung verzichtet, zumal dies zu der hier untersuchten Problemstellung wenig beitragen würde.121 Im Kern geht es jedenfalls um eine Rationalisierung und Beschleunigung der gerichtlichen Rechtsstreitigkeiten sowie um eine Entlastung der Justiz.122 Danach verlangt die Prozessökonomie, dass die Verfahrenszwecke mit möglichst geringem Zeit- und Kostenaufwand erreicht werden.123 Durch das aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG124 bzw. aus Art. 20 Abs. 3 i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG125 hergeleitete Gebot der Gewährleistung effektiven und wirkungsvollen Rechtsschutzes, welches u. a. eine Verfahrenserledigung in angemessener Zeit umfasst und auf das sich einzelne Rechtssuchende im Rahmen ihres allgemeinen Justizgewährleistungsanspruchs berufen können,126 ist die Sicherstellung einer prozessökonomischen Gestaltung der Zivilverfahren essenziell. Gerade dies erscheint bei der Aufarbeitung eines Massenschadensereignisses – Stichwort Abgasskandal – aber zweifelhaft. Nachfolgend sollen deshalb mögliche Ursachen hierfür ergründet werden.

I. Justiz als begrenzte Ressource Historisch betrachtet beschäftigt das Thema Prozessökonomie die Gesetzgeberin seit langem.127 Kernthemen in Reformgesetzen und -debatten behandeln im120

Siehe etwa Pflughaupt, Prozessökonomie, S. 1 ff. Für einen Überblick darüber und zu der Frage, ob die Prozessökonomie als Rechtsprinzip zu verstehen sowie als Verfahrensgrundsatz mit verbindlichem Geltungsanspruch (Konzentrationsmaxime) anzuerkennen ist, sei daher lediglich auf die Ausführungen und Nachweise bei Hofmann, ZZP 126 (2013), 83 (89 ff.) sowie Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 382 ff. verwiesen. 122 Siehe Hofmann, ZZP 126 (2013), 83 (85). 123 Brehm, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 1 Rn. 110; Hofmann, ZZP 126 (2013), 83 (86); Pflughaupt, Prozessökonomie, S. 130 f. 124 BVerfG NJW 2004, 2583. 125 BVerfG NJW 1993, 1635; 2001, 214; WM 2014, 251. 126 Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 298. 127 So stand schon im 19. Jahrhundert angesichts zunehmender Klagezahlen und des für deren Bewältigung erforderlichen Personalaufwandes die Entlastung der Gerichte sowie eine Konzentration und Beschleunigung der Verfahren im Fokus, dazu Pflughaupt, Prozessökonomie, S. 10 f. m.w. N. 121

A. Prozessunökonomische Verfahrensbewältigung

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mer wieder die Problematik der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Justiz sowie die Frage, wie die begrenzten staatlichen Ressourcen am besten ins Verhältnis zu Umfang und Schwere der gerichtlichen Aufgaben zu setzen sind.128 Zwar nahmen die Eingangszahlen vor den Zivilgerichten seit der Jahrtausendwende kontinuierlich ab,129 jedoch standen dem Haushaltseinsparungen, tendenziell längere Verfahrensdauern sowie Digitalisierungsrückstände gegenüber.130 Zudem scheinen die Fallzahlen im Zuge der Ausweitung des Abgasskandals sowie zunehmenden Legal Tech-Angeboten jüngst wieder anzusteigen.131 Maßnahmen wie der 2021 ausgelaufene „Pakt für den Rechtsstaat“ haben sich deshalb zum Ziel gesetzt, wieder mehr Stellen in der Justiz aufzubauen.132 Gleichwohl wird dessen Wiederauflage und Intensivierung zur weiteren Personalverstärkung sowie zur Förderung der Digitalisierung bereits stark befürwortet, um die anstehenden Herausforderungen zu stemmen.133 Diese bestehen v. a. in personeller Hinsicht, da dort aufgrund demografischer Entwicklungen erhebliche Engpässe akut werden. So scheiden nach einer Studie des Deutschen Richterbundes (DRB) aus dem Jahr 2017 etwa 41 Prozent der Richterinnen und Staatsanwältinnen in Bund und Ländern bis 2031 aus dem Dienst aus, wobei sich 28 Prozent aller Altersabgänge allein auf den Zeitraum von 2027 bis 2029 konzentrieren.134 Besonders in den neuen Bundesländern ist der Ersatzbedarf mit bis zu über 60 Prozent nachzubesetzender Stellen immens,

128 Siehe etwa Gaier, NJW 2013, 2871; Greger, ZZP 131 (2018), 317 (318 f.); Hess, JZ 2011, 66; Höland/Meller-Hannich, in: Höland/Meller-Hannich, S. 11. 129 Graf-Schlicker, AnwBl 2014, 573; Hirtz, NJW 2014, 2529; Höland/Meller-Hannich, in: Höland/Meller-Hannich, S. 11 (12 ff.); Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522. 130 Gaier, NJW 2013, 2871 (2872 f.); Greger, NJW 2019, 3429. 131 Siehe Rebehn, DRiZ 2021, 334 f. 132 Der Bund stellte den Ländern hierfür Mittel in Höhe von 220 Millionen Euro zur Verfügung, um ca. 2.000 neue Stellen zu schaffen. Diese Marke wurde nach Angaben des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) mit rund 2.700 neu geschaffenen und 2.500 neu besetzten Stellen übertroffen. Siehe dazu den Artikel des BMJV v. 10.6.2021, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/ 2021/0610_Rechtsstaat.html (Abrufdatum: 4.1.2022). 133 So etwa im Rahmen der 92. Justizministerkonferenz der Länder im Juni 2021, siehe Beschlüsse 92. JuMiKo in NRW, TOP I. 1, 20, Personalverstärkungen nachhaltig fortsetzen und Digitalisierung der Justiz vorantreiben – Pakt für den Rechtsstaat 2.0, abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2021/Fruehjahrskon ferenz_2021/index.php (Abrufdatum: 4.1.2022); zust. DRB, Bundestagswahl 2021 – Neuauflage des Rechtsstaatspaktes erforderlich, Pressemitteilung v. 23.8.2021, abrufbar unter: https://www.drb.de/newsroom/presse-mediencenter/nachrichten-auf-einen-blick/ nachricht/news/rechtsstaatspakt-ziel-noch-nicht-in-reichweite-verlaengerung-noetig (Abrufdatum: 4.1.2022). 134 DRB, Positionspapier „Die personelle Zukunftsfähigkeit der Justiz in der Bundesrepublik Deutschland (Stand April 2017), S. 7 f., abrufbar unter: https://www.drb.de/ newsroom/downloads (Abrufdatum: 4.1.2022).

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wobei dieser auch in den übrigen Ländern über dem Durchschnitt liegt.135 Zugleich ist angesichts der Gesetzgebung des Bundes im Rahmen der 19. Legislaturperiode (insb. im Bereich des Strafrechts), der Aufarbeitung der Covid-19Pandemie sowie zunehmender Massenverfahren zu erwarten, dass die Arbeitsbelastung in der Justiz in den kommenden Jahren erheblich steigt.136 So drohen empfindliche Effizienzeinbußen in Bezug auf die Verfahrensdauer, aber auch qualitativ schlechtere Entscheidungen.137 Zur Nach- und Neubesetzung des benötigten „Nachwuchses“ erscheinen demnach entsprechende Maßnahmen wie eine Neuauflage des „Pakts für den Rechtsstaat“ erforderlich. Andererseits bedarf es ebenso genügend geeigneter Kandidatinnen mit der Befähigung zum Richteramt. Die Zahlen der Absolventinnen des ersten juristischen Staatsexamens sowie der Einstellungen zum Referendariat sind allerdings in den letzten zwanzig Jahren deutlich rückläufig,138 zumal sich zugleich die juristische Studienlandschaft verändert und fast jede fünfte Jurastudierende keinen Examensabschluss mehr anstrebt,139 welcher Voraussetzung für ein späteres Amt als Richterin wäre. Für den Beschäftigungsmarkt bedeutet das einen verschärften Wettbewerb um qualifizierte Absolventinnen, dem sich die Justiz – aufgrund der durch den Personalbedarf beachtlichen Arbeitslast bei gleichzeitig geringeren Verdienstaussichten als in der freien Wirtschaft unter erschwerten Bedingungen – durch die Senkung der notenmäßigen Einstellungsvoraussetzungen, die Verbesserung der Besoldung und weiterer Angebote stellen muss.140 Inwieweit eine ausreichend qualitative wie quantitative Stärkung der Stellen oder 135 DRB, Positionspapier „Die personelle Zukunftsfähigkeit der Justiz in der Bundesrepublik Deutschland (Stand April 2017), S. 8 f., abrufbar unter: https://www.drb.de/ newsroom/downloads (Abrufdatum: 4.1.2022); aktueller Anger, So groß wird die Pensionierungswelle bei Richtern und Staatsanwälten, Artikel des Handelsblatts v. 1.3.2021, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/recht-undsteuern-so-gross-wird-die-pensionierungswelle-bei-richtern-und-staatsanwaelten/269618 20.html?ticket=ST-11510701-NkNbHgd9ESg5oyfTcXmq-ap2 (Abrufdatum: 4.1.2022). 136 So explizit Beschlüsse 92. JuMiKo in NRW, TOP I. 1, 20, Personalverstärkungen nachhaltig fortsetzen und Digitalisierung der Justiz vorantreiben – Pakt für den Rechtsstaat 2.0, S. 1 f., abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/ 2021/Fruehjahrskonferenz_2021/index.php (Abrufdatum: 4.1.2022). 137 Insoweit bereits Gaier, NJW 2013, 2871 (2873). 138 Siehe DRB, Positionspapier „Die personelle Zukunftsfähigkeit der Justiz in der Bundesrepublik Deutschland (Stand April 2017), S. 10 ff., abrufbar unter: https://www. drb.de/newsroom/downloads (Abrufdatum: 4.1.2022); dazu auch Kilian, Juristenausbildung, S. 177 ff. 139 Kilian, Juristenausbildung, S. 83 ff. 140 Dazu näher Fiebig, Zu wenige Richter und lange Justiz-Verfahren, Artikel des Deutschlandfunks v. 15.2.2021, abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/juristenmangel-in-deutschland-zu-wenige-richter-und-lange.724.de.html?dram:article_id=492591 (Abrufdatum: 4.1.2022); Jung, Nachwuchsrichter verzweifelt gesucht, Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 16.10.2020, abrufbar unter: https://www.faz.net/ak tuell/wirtschaft/wie-der-staat-nachwuchsrichter-fuer-sich-gewinnen-will-16994005.html (Abrufdatum: 4.1.2022).

A. Prozessunökonomische Verfahrensbewältigung

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auch eine Entlastung durch digitale Unterstützung gelingt, bleibt freilich abzuwarten. Bis dahin erscheint die Sorge vor einer Überlastung der verknappten Ressource Justiz aktueller denn je.

II. Verzögerungsgefahren durch Klagewellen Ebenda setzen die prozessökonomischen Defizite bei der Aufarbeitung von Massenschadensereignissen an. Sobald eine Vielzahl der Schäden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von den einzelnen Geschädigten gerichtlich verfolgt werden, bereitet die effektive individuelle Bewältigung der Rechtsstreitigkeiten häufig Schwierigkeiten.141 Denn kommt es einmal zu einer Klagewelle, realisiert sich die dem Ereignis innewohnende Gefahr einer Überlastung der Justiz.142 Wird ein einzelnes Gericht bzw. ein einzelner Spruchkörper binnen kurzer Zeit mit einer hohen Anzahl an Verfahren überflutet, nehmen die Befassung mit oft opulenten Schriftsätzen oder selbst die Verteilung und Lagerung der Aktenunmengen dessen Ressourcen in jederlei Hinsicht enorm in Anspruch. Aufgrund der aufwendigen Administration der Parallelprozesse sowie den Terminbestimmungen sind diese nach geraumer Zeit regelmäßig ausgeschöpft, sodass spürbare Verzögerungen der Verfahren teils unvermeidlich sind.143 Der Abgasskandal illustriert(e) dies mehr als deutlich: So leiden neben diversen besonders betroffenen Instanzgerichten (in der Regel am Unternehmenssitz der Beklagten) auch die Zivilsenate des BGH unter den ausgelösten Individualklagewellen,144 was u. a. schon zur erwähnten kurzfristigen Einrichtung eines Hilfsspruchkörpers bei Letzterem führte.145 Zudem wirken sich diese Eindrücke nachhaltig auf die Wahrnehmung der Zivilgerichtsbarkeit in der Bevölkerung aus.146

III. Auswirkungen paralleler Prozesse Gleichermaßen erscheint es zunächst unökonomisch, wenn eine Vielzahl von Gerichten in unzähligen Parallelverfahren mit der Entscheidung über dieselben 141 Heese, NZV 2019, 273 (275); Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 26; Wagner, in: Casper et al., S. 41 (80). 142 Buchner, Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 37; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 24; Kowollik, Europäische Kollektivklage, S. 55. 143 Vgl. Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1323 f.); Freitag/Lang, ZZP 2019, 329 (331); Heese, NZV 2019, 273 (275); Möllers/Pregler, ZHR 176 (2012), 144 (151). 144 Siehe etwa Heese, NJW 2021, 887; Jacob, NJW 2021, 2708; Sievers, DAR 2021, 532. 145 Pressemitteilung des BGH Nr. 141/2021 v. 22.7.2021, abrufbar unter: https://www. bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021141.html;jsession id=91CF997FF8634065F328DE2612325077.1_cid294 (Abrufdatum: 4.1.2022); dazu bereits § 1 B. I. 146 Mehr dazu sogleich unter § 3 C. II. 2. a).

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§ 3 Defizite des Individualrechtsschutzes

Tatsachen- und Rechtsfragen befasst sind.147 Obschon die Arbeitslast bei einer variierenden örtlichen Zuständigkeit148 besser zu bewältigen sein mag, geht es regelmäßig darum, gleichgelagerte Fälle (sprich: das gleiche schadensbegründende Ereignis)149 in Einzelprozessen wiederholt aufzuklären. Dies erscheint erst recht widersinnig, da in den Prozessen zumeist im Ergebnis identische Beweiserhebungen durchgeführt werden, welche die Kosten der Justiz150 sowie die Rechtsverfolgungs- und Verteidigungskosten der Parteien in die Höhe treiben.151 Gerade für die Beklagtenseite ergibt sich daraus ein entsprechendes Kostenrisiko.152 Dagegen profitiert das beklagte Unternehmen aber auch in gewisser Weise von einer Vielzahl paralleler Prozessführungen, indem es fortlaufend verschiedene Taktiken erproben und Erfahrungen sammeln kann. Hieraus kann ein strategischer Vorteil für die Schädigerin entstehen, der das im Verhältnis zu einer einzelnen Verbraucherin ohnehin bestehende Ungleichgewicht unter Umständen nochmals zu ihren Gunsten verschieben könnte.153 Dann wäre die Aufarbeitung eines verbrauchertypischen Massenschadensfalls in unzähligen Parallelprozessen nicht nur aus (prozess)ökonomischer, sondern auch aus moralischer Sicht fragwürdig. Außerdem ergibt sich die Gefahr, dass sich die Entscheidungen der Instanzgerichte widersprechen, insbesondere sofern die Sach- und Rechtslage (noch) nicht höchstrichterlich geklärt ist.154 Wiederum veranschaulicht hier die Aufarbeitung des ursprünglichen Abgasskandals, in deren Rahmen allein zwischen 2015 und 2017 mehrere hundert Entscheidungen zu Fahrzeugen mit dem Motormodell EA 189 sowohl zugunsten als auch zulasten klagender Käuferinnen ergingen, wie unterschiedlich die Streitfälle beurteilt werden können.155 Bis zum ersten höchst-

147 Vgl. v. Bar, Gutachten 62. DJT, A 80; Fiedler, Class Actions, S. 46; Kowollik, Europäische Kollektivklage, S. 55; Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 26. 148 Auch im Fall verbrauchertypischer Massenschäden können verschiedene Zuständigkeiten begründet sein, siehe dazu Saam, Kollektive Rechtsbehelfe, S. 44 f. 149 Kowollik, Europäische Kollektivklage, S. 55. 150 Etwa veranschaulichen die Telekom-Verfahren, bei denen schätzungsweise 70 Millionen Euro an Gutachterkosten entstanden sind, die bei allen Massenschäden problematische Unwirtschaftlichkeit, siehe Bamberger, in: FS Eichele, S. 19 (36). 151 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 24; Saam, Kollektive Rechtsbehelfe, S. 49. 152 Vgl. RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17. 153 Das Unternehmen ist bei mehreren Klagen dann Profiteurin von Synergieeffekten, siehe Mengden, NZKart 2018, 398. Dazu näher unter § 3 B. 154 Vgl. Fiedler, Class Actions, S. 46; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 24 f.; Kowollik, Europäische Kollektivklage, S. 55; Wagner, in: Casper et al., S. 41 (54). 155 Dazu die Rechtsprechungsübersichten bei Sievers, DAR 2016, 543 und DAR 2017, 538; siehe auch Stadler, VuR 2018, 83.

A. Prozessunökonomische Verfahrensbewältigung

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richterlichen Grundsatzurteil vom 25.5.2020 vergingen fast fünf Jahre,156 woran gerade auch die unternehmensseitige Abwehrstrategie ihren Anteil hatte.157 In der Zwischenzeit droht bei einer solchen Verfahrenszersplitterung wie im Abgasskandal demzufolge die Entstehung bzw. Konsolidierung158 eines Zustands der Rechtsunsicherheit.159 Dabei könnten sich längerfristig bestehende unterschiedliche Rechtsauffassungen zu zentralen Tatsachen- oder Rechtsfragen negativ auf (noch nicht klagende) geschädigte Verbraucherinnen auswirken. Jedenfalls soweit ein Haftungsfall relativ eindeutig vorliegt, dann aber erst mehrere Jahre vergehen, bis endgültig gerichtlich geklärt ist, ob und wie die Verursacherin für entstandene Schäden zur Verantwortung gezogen wird, dürfte es aus Laiensicht in der Regel schwerfallen, dies nachzuvollziehen. Denn gerade Verbraucherinnen erwarten sich von einem Gerichtsprozess häufig, dass die Anspruchsgegnerin vor einer staatlichen Institution endlich für ihr Fehlverhalten einstehen muss und dieses konzediert sowie kompensiert.160 Geschieht das über einen längeren Zeitraum nicht oder nur in Teilen, kann das von der Öffentlichkeit als ungerecht und die Rechtsordnung bzw. die Ziviljustiz als nicht zuverlässig empfunden werden. Eigentlich anspruchsberechtigte Geschädigte könnten deshalb zum Entschluss kommen, angesichts der für sie schwer verständlichen Umstände zu resignieren und von einer Geltendmachung ihrer Rechte abzusehen.161 In Anbetracht dessen erscheint die Aufarbeitung eines verbrauchertypischen Massenschadensfalls in einer Vielzahl paralleler Individualverfahren damit nicht nur ineffizient, sondern ist womöglich auch dazu geeignet, einzelnen Verbraucherinnen die Durchsetzung ihrer Ansprüche zu erschweren.162

IV. Fazit Folglich liegt eines der Defizite von Massenschäden in der ineffizienten Nutzung justizieller Ressourcen. Einerseits drohen Individualklagewellen, die angesichts der zumindest vereinzelt zu erwartenden Überlastung der befassten Gerichte zu einer Verlangsamung der Aufarbeitung des Haftungsfalls führen. Andererseits besteht in der Regel eine längere Übergangsphase, in der die Rechtslage auch aufgrund einer Vielzahl von (divergierenden) Gerichtsentscheidungen äußerst unübersichtlich sein kann. Daneben ist zu beachten, dass die beklagte Schä156

BGH NJW 2020, 1962. Mehr dazu sogleich unter § 3 B. II. 2. 158 Immerhin tragen auch unterschiedliche Literaturauffassungen dazu bei, welche angesichts der Fülle an Aufsätzen und Abhandlungen zum Abgasskandal nicht verwundern. 159 Siehe v. Bar, Gutachten 62. DJT, A 80; Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 26. 160 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 89. 161 Dahingehend Freitag/Lang, ZZP 2019, 329 (331); Kranz, NZG 2017, 1099 (1100). 162 Dahingehend auch Tilp/Schiefer, NZV 2017, 14. 157

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§ 3 Defizite des Individualrechtsschutzes

digerin im Falle zahlreicher Parallelverfahren zwar ein hohes Kostenrisiko zu tragen hat,163 sich aber ihre kontinuierlich wachsende Prozessroutine taktisch zunutze machen kann. Für eine einzeln klagende Verbraucherin ist dies – neben der allgemeinen Unterlegenheit sowie der unklaren Rechtslage – ein zusätzlicher Nachteil. Die materielle Chancengleichheit kann somit offensichtlich zum Problem werden. An dieser Stelle sei vorab erwähnt, dass diese Aspekte im Rahmen der Entscheidung einer Verbraucherin über die Geltendmachung ihrer Ansprüche wahrscheinlich eine Rolle spielen. Sie wären somit für die Problematik des rationalen Desinteresses relevant, obwohl sie eigentlich der Problematik der prozessunökonomischen Verfahrensbewältigung entstammen. Zur Erinnerung: Beide Defizite werden herkömmlich getrennt betrachtet und verschiedenen Schadensbegriffen – Groß- bzw. Bagatellschäden – zugeordnet. Die vorstehenden Ausführungen deuten jedoch an, dass sehr wohl gemeinsame Schnittpunkte bestehen und die jeweiligen Problemstellungen ineinandergreifen können. Im Kontext der zu Beginn des Kapitels gestellten Frage der Abgrenzbarkeit der Fallgruppen spricht dies bereits für eine gewisse Neujustierung.

B. Prozessuales Ungleichgewicht Wie schon mehrfach angedeutet wurde, sollte zuvörderst aufgrund der Erfahrungen aus der Aufarbeitung des Abgasskandals auch das prozessuale Gleichgewicht zwischen einer geschädigten Verbraucherin und dem verantwortlichen Unternehmen problematisiert werden. Denn zumeist stehen sich im Fall verbrauchertypischer Massenschäden die Interessen der Beteiligten an einer einzelnen Kompensationserlangung einerseits und an einer gesamten Kompensationsvermeidung andererseits heterogen gegenüber. Diese treten zu dem ohnehin vorhandenen sozialen Marktungleichgewicht in Verbraucherin-Unternehmerin-Beziehungen hinzu,164 welches sich im Rahmen der Rechtsdurchsetzung v. a. hinsichtlich der wirtschaftlichen Möglichkeiten niederschlägt.165 Bislang ist dieser Umstand und dessen Auswirkungen auf die Waffengleichheit der Parteien im Zivilprozess sowie auf das allgemeine Konfliktverhalten der Verbraucherinnen im Rahmen der Aufarbeitung von Massenschadensfällen wenig 163 Was im Fall einer Schadensverursachung aber absolut richtig ist und bei einer gewissen Unternehmensgröße auch keinen allzu großen Unterschied macht. 164 Dazu Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 48 ff.; Tamm, in: Tamm/Tonner/Brönneke, § 1 Rn. 5 ff. 165 R. Koch, DZWIR 2016, 351 (356); siehe auch Bamberger, in: FS Eichele, S. 19 (34) („den Regeln der Fairness widersprechendes, schwer erträgliches Ungleichgewicht des einzelnen geschädigten Klägers [. . .] zu Macht und Möglichkeiten des beklagten großen Unternehmens“); H. Koch, JZ 1998, 801 (807) („offensichtlichen Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Kontrahenten“); Mengden, NZKart 2018, 398 („David kämpft oft gegen Goliath.“).

B. Prozessuales Ungleichgewicht

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diskutiert worden.166 Nachfolgend wird die Thematik daher – vordergründig unter Heranziehung der umstrittenen Versuche des Volkswagen-Konzerns, sich einer Haftung möglichst zu entziehen – eingehender beleuchtet.

I. Unternehmerisches Abwehrinteresse Als Ausgangspunkt für die Untersuchung eines möglichen vertieften Ungleichgewichtes dient zunächst die offenkundige wirtschaftliche Überlegenheit eines Unternehmens gegenüber einer geschädigten Verbraucherin. Würden sie in einem „normalen“ Rechtsstreit aufeinandertreffen, kann ersteres regelmäßig auf mehr finanzielle und organisatorische Ressourcen zurückgreifen.167 In einem Massenschadensfall sollte jedoch ferner ein subjektiver Faktor zu beachten sein, namentlich die Bereitschaft des (vermeintlich) verantwortlichen Unternehmens, das Mehr der Mittel tatsächlich und vollumfänglich zur eigenen Verteidigung einzusetzen.168 So soll allein VW im Abgasskandal mittlerweile insgesamt etwa zwei Milliarden Euro an Kanzleien gezahlt haben;169 dagegen erscheinen die ca. 750 Millionen Euro, welche im Zuge des außergerichtlichen Vergleichs im Rahmen der Musterfeststellungsklage des vzbv auf über 240.000 Verbraucherinnen verteilt wurden,170 besorgniserregend gering. Ursache dieser unternehmerischen Ausgabenbereitschaft ist die Vermeidung einer Geschäftsschädigung, ggf. sogar einer potenziellen Existenzgefährdung: Denn für die Schädigerin steht in den Bereichen der Massenproduktion und -dienstleistungen durch die zu erwartende breite Schadensstreuung regelmäßig ein hohes materielles Interesse auf dem Spiel.171 Je weitreichender und gravierender das Schadensereignis ist, desto größer muss ein Unternehmen die Gefahr einschätzen, bei einer umfassenden Kompensation der betroffenen Verbraucherinnen in eine Schieflage zu geraten. Insoweit hat die Schädigerin das ureigene und rationale Anliegen, aus Selbstschutz in erster Linie tatsächlich geltend ge166 Umso wertvoller erscheint diesbezüglich der von Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 8 ff. gelieferte Anstoß zur Fokussierung der Thematik, auf den im Folgenden noch mehrfach eingegangen wird. 167 Hierzu nochmals gesondert unter § 3 C. I. 2. 168 Vgl. auch Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 27; Schneider, BB 2018, 1986 (1997); Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 134. 169 Bender/Iwersen/Votsmeier, VW zahlt wohl zwei Milliarden Euro nur für Anwälte: Welche Kanzleien am Dieselskandal verdienen, Artikel des Handelsblatts v. 30.7. 2021, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/juristischeaufarbeitung-vw-zahlt-wohl-zwei-milliarden-euro-nur-fuer-anwaelte-welche-kanzleienam-dieselskandal-verdienen/27465386.html?ticket=ST-2381762-bRcC2ZJMizmpJdgiW J5R-ap4 (Abrufdatum: 4.1.2022). 170 So die Angabe des vzbv, abrufbar unter: https://www.musterfeststellungsklagen. de/vw (Abrufdatum: 4.1.2022). 171 Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 127; siehe auch Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 134.

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machte Ansprüche abzuwehren, auf diese Weise aber zugleich potenzielle Inanspruchnahmen noch unbekannter oder zögernder Geschädigter auszuschließen.172 Die Strategie des Volkswagen-Konzerns konnte „vorbildhaft“ veranschaulichen, wie sich dieses Ziel unter Ausnutzung der Schwächen des Individualrechtsschutzes erreichen lässt.173 Im Wesentlichen basierte sie darauf, den nach der Aufdeckung des Regelverstoßes an sie herangetretenen Anspruchstellerinnen erstmal keine Schäden zu ersetzen und sodann darauf zu hoffen, dass nur wenige von ihnen in Anbetracht einer fehlenden oder allenfalls schleppend voranschreitenden Aufarbeitung des Schadensereignisses sowie ihrer wirtschaftlichen Unterlegenheit eine Klage riskieren.174 Hieraus ließe sich insoweit verallgemeinern, dass Unternehmen auch in Zukunft versuchen könnten, ab dem Erstkontakt mit um Kompensation ersuchenden Verbraucherinnen „ihre Muskeln spielen“ lassen könnten, um die Zahl gerichtlicher Verfahren bzw. Entscheidungen prinzipiell möglichst klein zu halten. VW ist dies bis zur Einführung der Musterfeststellungsklage überaus erfolgreich gelungen: Trotz über 2 Millionen betroffener Fahrzeuge in Deutschland waren Ende 2018 gerade einmal rund 26.000 Einzelverfahren anhängig.175 Diese Statistik zeigt freilich, dass Gerichtsverfahren dennoch in gewisser Zahl stets zu erwarten sind. In diesen hängt der Fortschritt bei der Aufarbeitung des Massenschadensfalls meist entscheidend davon ab, wie zügig eine höchstrichterliche Entscheidung erreicht wird. Je nachdem, wie sich die Sach- und Rechtslage im Laufe der Prozesse bzw. spätestens in den höheren Instanzen darstellt,176 kann sich das unternehmerische Abwehrinteresse in zwei Richtungen bewegen. 1. Präzedenzherbeiführung Zeichnet sich im Verlauf der Rechtsstreitigkeiten ab, dass die seitens der Beklagten gestellten Anträge auf ganze oder teilweise Abweisung der Klage(n) in einem oder mehreren Verfahren gute Erfolgsaussichten haben, hat diese ein Interesse an entsprechenden Urteilen, auf welche sie sich in allen anderen Prozessen stützen könnte.177 Sie wird ihre Ressourcen dann dafür einsetzen, an solche für 172 Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 8 spricht insoweit von einem Schadensbegrenzungsmanagement. 173 Vgl. Heese, JZ 2019, 429; Thönissen, ZZP 133 (2020), 69 (72 f.). 174 Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 11; Röthemeyer, VuR 2019, 87 (92). 175 Thönissen, ZZP 133 (2020), 69 (72) m.w. N. 176 Im Rahmen dessen ist zu berücksichtigen, dass VW auch durch die Beauftragung diverser Expertinnen scheinbar versuchte, rechtliche Fragen zu den eigenen Gunsten beantworten zu lassen und durch ein ihr durchaus zugeneigtes Meinungsbild die anstehenden gerichtlichen Entscheidungen in laufenden Verfahren zu beeinflussen, siehe in dieser Richtung Gsell/Möllers, in: Gsell/Möllers, S. 465 (483). 177 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 60 f. spricht deshalb vom „Präzedenzinteresse“. Siehe auch Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 11.

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sie günstigen Gerichtsentscheidungen zu gelangen. So verhielt es sich zuletzt im Fall der Individualklagewelle gegen den Daimler-Konzern wegen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Motorenmodells OM 651: Nachdem die erst- und zweitinstanzlichen Entscheidungen überwiegend zugunsten der Herstellerin ausfielen,178 war man nach eigenen Angaben an einer grundsätzlichen Klärung durch den BGH – die schließlich auch in deren Sinne erfolgte179 – interessiert.180 Sobald eine solche Tendenz (spätestens in der zweiten Instanz) erkennbar ist, dürfte eine mit wirtschaftlichem Kalkül denkende Beklagte demnach ihre Strategie daran ausrichten. Hierbei kann sie regelmäßig aus verschiedenen Prozessen, die parallel gegen Einzelklägerinnen geführt werden, dasjenige Verfahren wählen, welches am aussichtsreichsten erscheint,181 bzw. welches schlichtweg am schnellsten vor dem BGH verhandelt werden dürfte. Je mehr klageabweisende Urteile mit Präzedenzcharakter das Unternehmen auf diese Weise erringen kann, desto weniger muss es mit weiteren Klagen und Inanspruchnahmen durch betroffene Verbraucherinnen rechnen. 2. Präzedenzverhinderung Deutet sich demgegenüber an, dass die klagenden Verbraucherinnen „das Recht auf ihrer Seite haben“, weil die erstinstanzlichen Entscheidungen überwiegend ihren Anträgen entsprechen, ist die Schädigerin eher daran interessiert, Grundsatzklärungen sowie die damit verbundene Öffentlichkeitswirksamkeit möglichst lange zu verhindern.182 Andernfalls könnte auch der verbliebene Teil der Geschädigten, sprich v. a. diejenigen, die ihre Schäden noch nicht geltend gemacht haben, geneigt sein, ihre Ansprüche zu forcieren, wodurch sich das wirtschaftliche (Haftungs-)Risiko für das Unternehmen weiter erhöhen würde.

178 Nach Heese, NJW 2021, 887 (889 Rn. 14) waren die Klagen allerdings davon geprägt, dass die Hintergründe der Beanstandung der Abschalteinrichtungen durch die Kraftfahrzeugbehörde aufgrund nur vereinzelt bekannt gewordener Informationen und zurückgehaltener Rückrufbescheide „zumeist im Dunkeln“ lagen. 179 BGH NJW 2021, 921. 180 Preuss, Ein Thermofenster reicht nicht für Schadensersatz, Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 26.1.2021, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/wirt schaft/auto-verkehr/ein-thermofenster-reicht-nicht-fuer-schadensersatz-17166190.html (Abrufdatum: 4.1.2022). Zweifelnd daran hingegen Syrbe, NZV 2021, 225 (230). 181 Unterschiedliche Erfolgsaussichten können insbesondere bestehen, wenn die streitigen Sachverhalte variieren oder wenn die Beklagte simultan verschiedene Prozessstrategien bzw. Argumentationsmuster „testet“, um diese ggf. bei den Gerichten zu etablieren. Dazu Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 127 f. 182 Für den Abgasskandal Röthemeyer, VuR 2019, 87 (88 f.); siehe ansonsten auch Gsell, Verhinderung ober- und revisionsgerichtlicher Entscheidungen, S. 3; Podszun/ Busch/Henning-Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 3; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 166.

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Das Präzedenzinteresse der Beklagten ist hier folglich negativ, wobei dies nicht unbedingt erst für höchstrichterliche Urteile gilt: So hat der Volkswagen-Konzern im Rahmen der gerichtlichen Aufarbeitung des Abgasskandals versucht, schon ihm nachteilige Berufungsurteile systematisch zu vermeiden.183 Auch eine Leitentscheidung des BGH, die ohne die Rücknahme der Revision im betreffenden Verfahren bereits Anfang 2019 hätte ergehen können, wurde hinausgezögert.184 Insoweit dürfte eine rational handelnde Schädigerin ihre Strategie danach ausrichten, derartige Gerichtsentscheidungen für einen möglichst langen Zeitraum mit allen Mitteln zu unterbinden. Dadurch sollen v. a. noch nicht klagende Verbraucherinnen idealiter so lange von der Verfolgung ihrer Ansprüche abgehalten werden, bis diese verjähren.185 Zugleich kann dieses Vorgehen aber auch für laufende Verfahren positive Effekte haben, bspw. wenn Klägerinnen sich Nutzungsvorteile für das streitgegenständliche Fahrzeug anrechnen lassen müssen und deshalb ihre an sich bestehenden Ansprüche unter Umständen sogar vollständig186 aufgezehrt werden.187 Es kann sich also lohnen, Klagen trotz höherer Prozesskosten hinauszuzögern, wenn währenddessen fortlaufend Nutzungen gezogen werden und die Beklagte am Ende deshalb summa summarum doch weniger zahlen muss.

II. Unternehmerische Abwehrstrategie Die Erfahrungen im Abgasskandal haben gezeigt, dass die Beklagte als taktisches Mittel gezielt Vergleiche einsetzt, um bereits erhobene Klagen vor einer Entscheidung mit Leitcharakter abzuwehren und die Klägerinnen gewissermaßen ruhigzustellen.188 Dabei begünstigen diese Strategie bei verbrauchertypischen Massenschäden in der Regel zwei Faktoren. Zum einen ist die Schädigerin den Verbraucherinnen im Umgang mit den parallelen Rechtsstreitigkeiten erfahrener und auch in der allgemeinen Konfliktroutine merklich überlegen,189 worauf an späterer Stelle noch eingegangen wird.190 183 Siehe J. Bruns, NJW 2019, 2211 (2213); Gsell, Verhinderung ober- und revisionsgerichtlicher Entscheidungen, S. 3; Laukemann, ZZP 134 (2021), 67 (69); Sievers, DAR 2017, 538 (539). 184 Heese/Schumann, NJW 2021, 3023 (3025); Rapp, JZ 2020, 294 f. m.w. N. 185 Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 12. 186 BGH WM 2020, 1607. 187 Heese, NZV 2019, 273 (278); siehe auch Stadler, in: FS Roth, S. 539 (543). 188 Siehe etwa Heese, JZ 2019, 429; Laukemann, ZZP 134 (2021), 67 (69); Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 11. 189 In der Rechtssoziologie haben sich – zurückgehend auf die Charakterisierung von Galanter, Law & Society Review 1976, 225 (231 ff.) – die Bezeichnungen „one shotter“ für Verbraucherinnen und „repeat player“ für Unternehmen etabliert. Siehe auch H. Koch, Verbraucherprozessrecht, S. 57. 190 Dazu § 3 C. I. 1.

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Zum anderen profitiert die Schädigerin davon, dass die Verbraucherseite selbst bei ihr zugeneigter Rechtslage häufig nicht darauf bestehen dürfte, unbedingt einen verbraucherfreundlichen Präzedenzfall zu schaffen.191 Vielmehr wird einer zügigen, reibungslosen und lukrativen Streitbeilegung unter Durchsetzung der eigenen Rechtsposition im Zweifel höhere Bedeutung beigemessen.192 Insoweit ist die Interessenlage zwischen der einzelnen Geschädigten und der Schädigerin different,193 erstere also einer unkomplizierten Erledigung des Rechtsstreits durch einen Vergleich eher zugeneigt. Das Unternehmen kann diese Umstände für sich nutzen und während des Prozesses jederzeit nach Bedarf und Entwicklung eine entsprechende Ausräumung des Konflikts anbieten. Zwar könnte sich an dieser Stelle das bisherige Streitverhalten als „Bumerang“ erweisen und zumindest einige (gut beratene) Verbraucherinnen dazu verleiten, ein besonders großzügiges Angebot zu verlangen, jedoch scheint die Schädigerin eine vereinzelte Überkompensation nicht zu stören,194 zumal die Vergleichsvereinbarungen in der Regel eine sie schützende Verschwiegenheitspflicht vorsehen.195 Fehlt eine Vergleichsbereitschaft der Prozessgegnerin, kann das Unternehmen auf eine Hinhalte- und Verzögerungstaktik196 umschwenken und darauf spekulieren, dass die betreffende Verbraucherin einer Einigung mit fortschreitender Zeit, sich erhöhenden Kosten und anderweitiger Strapazen offener gegenübersteht.197 Gelingt es dennoch nicht, eine Klägerin zu einer Klagerücknahme oder einer Erledigungserklärung zu bewegen, kann eine höchstrichterliche Klärung jedenfalls bis zur Berufungsinstanz durch ein Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs gemäß §§ 525 Satz 1, 307 ZPO verhindert werden.198 Ein Anerkenntnisurteil wäre zwar eher eine „Notlösung“, hilft der Schädigerin aber ebenso weiter, da es eben keine streitige Entscheidung darstellt und grundsätzlich ohne Angabe des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe erlassen werden kann

191

Näher Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 61; Stadler, VuR 2018, 83 (87). Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, S. 16 f. 193 Siehe auch v. Moltke, Kollektiver Rechtsschutz der Verbraucherinteressen, S. 31. 194 Für den Abgasskandal J. Bruns, NJW 2019, 2211 (2213); Gsell, Verhinderung ober- und revisionsgerichtlicher Entscheidungen, S. 3; Heese, in: FS Roth, S. 283 (320); Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 11. 195 Gsell, Verhinderung ober- und revisionsgerichtlicher Entscheidungen, S. 3; Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 12. 196 Heese, JZ 2019, 429 (438) nennt insoweit etwa die Flucht in die Säumnis. 197 Diese „Vereinzelungsstrategie“ beschreibt Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 11 f.; siehe auch Halfmeier, ZRP 2017, 201 (203) („Zermürbungsstrategie“). 198 Unabhängig vom Abgasskandal versuchten auf diese Weise insbesondere Banken, Versicherungen und Energiekonzerne eine ungünstige höchstrichterliche Leitentscheidung zu verhindern, siehe Laukemann, ZZP 134 (2021), 67; Gsell, Verhinderung oberund revisionsgerichtlicher Entscheidungen, S. 3; Stadler, VuR 2018, 83 (87). 192

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(§§ 540 Abs. 2, 311b Abs. 1 Satz 1 ZPO).199 Einzig in der Revisionsinstanz ist diese Möglichkeit nach einer gesetzgeberischen Reform im Jahr 2014200 nur eingeschränkt möglich, da ein Anerkenntnisurteil ausweislich des § 555 Abs. 3 ZPO seitdem eines gesonderten Antrags der Klägerin bedarf.201 In diesem Verfahrensstadium bleibt es insofern dabei, dass das Unternehmen einen Konsens mit der jeweiligen Verbraucherin erreichen muss. Gewiss können die unternehmerischen Abwehrstrategien eine Präzedenzentscheidung nicht ewig verhindern. Das gilt erst recht für die hilfsweise – und von der Beklagtenseite wenig beeinflussbaren – Veröffentlichung eines richterlichen Hinweisbeschlusses, der auch eine gewisse Steuerungswirkung entfaltet und anlässlich der mehrfachen kurzfristigen Streiterledigungen und Rechtsmittelrücknahmen im Abgasskandal vom BGH und einigen Oberlandesgerichten genutzt wurde,202 um den Behinderungen einer höchstrichterlichen Klärung zu begegnen.203 In diesen Fällen verbleibt jedoch weiterhin die Möglichkeit, in den übrigen Einzelverfahren einzuwenden, dass das Leiturteil nicht passe, weil ein ganz anderer Fall vorliege.204 Im Ergebnis können Unternehmen es sich zumeist leisten, besonders hartnäckige Klägerinnen mit notfalls großzügigen Summen abzufinden.205 Die allermeisten Verfahren werden sich auf diesem Wege getreu dem Motto „alles eine Frage des Geldes“ früher oder später still und heimlich beenden lassen. So kann die Rechtsunsicherheit für die betroffenen Geschädigten wesentlich länger aufrechterhalten oder vorübergehend sogar ein verzerrtes Gesamtbild der Rechtsprechung, etwa durch die Unterrepräsentation klägergünstiger Berufungsurteile, erzeugt werden.206 Für viele anspruchsberechtigte Verbraucherinnen kann es mit Blick auf die Verjährungsfristen dann bereits zu spät sein.207 199 Freilich steht es im gerichtlichen Ermessen, ob es von der Option des § 311b Abs. 1 ZPO Gebrauch macht und das Anerkenntnisurteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe erlässt, vgl. Musielak, in: MüKoZPO, § 313b Rn. 4. 200 Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten v. 10.10.2013, BGBl. 2013 Teil I Nr. 62 v. 16.10.2013, S. 3786 (3788). 201 Gsell, Verhinderung ober- und revisionsgerichtlicher Entscheidungen, S. 4; Stadler, VuR 2018, 83 (87); Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 166 f. 202 BGH NJW 2019, 1133; siehe ferner etwa OLG Karlsruhe WM 2019, 881. 203 Dazu Heese, JZ 2019, 429 (438); Laukemann, ZZP 135 (2021), 67 (69 ff.). 204 Halfmeier, ZRP 2017, 201 (203). 205 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 35. 206 Siehe Gsell, Verhinderung ober- und revisionsgerichtlicher Entscheidungen, S. 6 f. Letzteres untermalt nicht zuletzt die bis Mitte 2020 durch die Volkswagen AG angekurbelte gezielte Vermarktung der Entscheidungspraxis im Abgasskandal, welcher die Beklagte mit einer extra geschaffenen Abteilung ihre eigene Lesart verpasste und dabei die defizitäre Veröffentlichungspraxis der Instanzgerichte ausnutzte, dazu Heese, in: FS Roth, S. 283 (319). 207 Bildlich gesprochen lässt sich die Abwehrstrategie als die Manipulation einer aufgestellten Sanduhr begreifen: Dreht man diese um, gelangen mit fortschreitender Zeit

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III. Auswirkungen auf Rechtsdurchsetzung Die skizzierte Abwehrstrategie bleibt sicherlich nicht ohne Folgen für die Rechtsdurchsetzung verbrauchertypischer Massenschäden – andernfalls würden Unternehmen die Taktiken gar nicht erst anwenden. Auswirkungen können sowohl in der eigentlichen Prozesssituation mit einer Verbraucherin als auch außerhalb dessen hinsichtlich allen Geschädigten spürbar sein. Im ersten Fall kann sich, insbesondere bei einem Hinhalten und Drängen der Klägerin in einen Vergleich, die Frage stellen, ob zwischen den Parteien im Prozess noch eine Waffengleichheit besteht. Im zweiten Fall bleibt zu klären, in welcher Weise das Verhalten der Schädigerin mit Blick auf die Defizite des Individualrechtsschutzes berücksichtigt werden kann. 1. Beeinträchtigung prozessualer Waffengleichheit Im verfassungsrechtlichen Sinne ist unter der prozessualen Waffengleichheit die nach dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) garantierte Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter sowie die gleichmäßige Verteilung des Risikos am Verfahrensausgang zu verstehen.208 Eine Verletzung kommt danach in Betracht, wenn die Parteien bei der Rechtsanwendung durch das Gericht ungleich behandelt werden oder ihnen unter ungleichen Voraussetzungen Zugang zu ihrem rechtlichen Gehör vor Gericht gewährt wird.209 Mithin sind davon grundsätzlich nur Beeinträchtigungen von staatlicher Seite und nicht – wie sie hier infrage kommen – solche durch die Beklagte erfasst.210 Solange die Parteien nach dem Gesetz sowie im Prozess vor dem Gericht formell gleichberechtigt sind, begründet eine materielle Ungleichheit im Verhältnis zur Beklagten grundsätzlich keine Verletzung im oben genannten Sinne. Trotz dessen ist kaum zu bestreiten, dass das Rechtsschutzbegehren der einzelnen Verbraucherin bei konsequenter Umsetzung der gegnerischen Prozesstaktik realiter beeinflusst wird. Soweit die Schädigerin ihre Ressourcenvorteile und die normalerweise immer mehr Sandkörner durch die Lochblende in die untere Hälfte der Sanduhr (im übertragenen Sinne: Durch die allmähliche Aufklärung der Rechtslage gelangen immer mehr geschädigte Verbraucherinnen innerhalb der Verjährungsfrist zur Kompensation). Beeinträchtigt man hingegen den gewöhnlichen Ablauf, indem die Lochblende blockiert wird, passieren diese in derselben Zeit nur wenige Sandkörner. 208 BVerfG NJW 2018, 3631 (3632) m.w. N.; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 31; Prütting, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Rn. 42; M. Vollkommer, in: FS Schwab, S. 503 (508); krit. hinsichtlich eines weiten Verständnisses wegen der möglichen Ausuferung der grundrechtlichen Kontrolle und einer Überlastung des BVerfG Schack, ZZP 129 (2016), 393 (395 f.). 209 BVerfG NJW 2018, 3631 (3632); Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 279. 210 Zur Frage, ob die bisher nur formal geschützte Waffengleichheit auch material anerkannt werden sollte, eingehend Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 341 ff.

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heterogene Interessenlage gezielt für ihre Zwecke einsetzt und die Verbraucherin von einer gerichtlichen Verfolgung ihres Anspruchs abbringen will, kann ein Ungleichgewicht zwischen den Parteien entstehen. Dabei ist etwa im Hinblick auf die rechtliche und organisatorische Beratung nicht mehr von einer prozessualen Waffengleichheit zu sprechen.211 Hierin liegt aber ein Widerspruch zu dem im Gebot der Waffengleichheit niedergelegten Prinzip des Schutzes der Schwächeren.212 Fraglich ist, ob die Gerichte diesem in den jeweiligen Zivilverfahren selbstständig begegnen könnten. Der BGH sieht im Grundsatz der Waffengleichheit u. a. Parallelen zu den Geboten der Verfahrensfairness213 oder der prozessualen Billigkeit214, wodurch die Zivilgerichte ihn insgesamt flexibel handhaben und vielfältig anwenden können.215 Auf diese Weise können dem Prinzip gewisse Vorgaben für die Normauslegung und das richterliche Verhalten entnommen werden.216 Im einzelnen Prozess und im Rahmen der Anwendung der Verfahrensvorschriften hat das Gericht v. a. zu kontrollieren, ob die Chancengleichheit bei der Rechtsdurchsetzung gewährleistet ist.217 Sie bietet zugleich eine Richtlinie für die Ausübung richterlichen Ermessens bei prozessualen Kann-Vorschriften wie § 296 Abs. 2 ZPO und einen Maßstab für die Konkretisierung von Beurteilungsspielräumen etwa für die „Sachdienlichkeit“ i. S. d. §§ 139 Abs. 1, 263 ZPO.218 Sollte die Beklagte also im groben Maße derart auf die klagende Verbraucherin einwirken, dass diese keine weiteren Angriffsmittel vorbringt oder sich den Prozess irgendwann nicht mehr leisten kann, scheint ein faires und chancengleiches Verfahren nicht mehr vorhanden. Gegenmaßnahmen könnte das Gericht dann ggf. verstärkt im Rahmen der materiellen Prozessleitung zu ergreifen haben. Versucht die Beklagtenseite etwa, die Klägerin mit einer Vielzahl selbstständiger (Gegen)Anträge zu „überschwemmen“, könnte das Gericht nach § 146 ZPO die Verhandlung zunächst auf eines oder einige dieser Verteidigungsmittel beschränken.219 Auch eine strenge Anwendung der Präklusionsvorschriften (§ 296 211

So Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 27. Siehe Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 86 f., der in diesem Zusammenhang auch auf das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 GRCh verweist. 213 BGH NJW 1987, 500. 214 BGH NJW 1984, 437. 215 Eingehend Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 280 ff.; siehe auch M. Vollkommer, in: FS Schwab, S. 503 (508 ff.). 216 Schack, ZZP 129 (2016), 393 (397). 217 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 32. 218 M. Vollkommer, in: FS Schwab, S. 503 (518); siehe auch Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 128 Rn. 126. 219 Dazu gehören insbesondere Einwendungen und Einreden oder Beweisanträge, etwa auf Anhörung eines Sachverständigen, siehe Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 146 Rn. 2. 212

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ZPO) wäre in Erwägung zu ziehen, die gerade für die Zivilgerichte geschaffen wurden, um sich Verzögerungs- und Verschleppungsursachen zu erwehren.220 Ferner könnten der Klägerseite nach § 139 Abs. 1 Satz 1 ZPO konkrete Fragen gestellt werden, wenn anzunehmen ist, dass ihr Vorbringen lückenhaft ist oder auf einer falschen Einschätzung beruht und ihr hierdurch unverschuldete Rechtsnachteile drohen.221 Ebenfalls ist gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO mittels Hinweisen darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn unternehmensseitig versucht wird, die klagende Verbraucherin in einen Vergleich zu „locken“. Mehr gerichtliche Aufklärung über die verbraucherschützenden Normen und die Rechtslage nach dem jeweiligen Verfahrensstand könnte gewährleisten, dass hierbei eine informierte(re) Entscheidung getroffen wird, v. a. ob der Vergleichsschluss tatsächlich gegenüber einem Urteil vorzugswürdig ist.222 Beeinflussungen und Einschüchterungen seitens der Beklagten ließen sich insoweit durch eine entsprechende Moderation des Gerichts ausgleichen. Auf diese Weise könnte die strukturelle Unterlegenheit der Klägerin zumindest in gewissem Maße korrigiert werden; erforderlich ist lediglich, dass die Beklagte von der Aufklärung oder über Fragen in Kenntnis gesetzt wird.223 Gleichwohl ist einschränkend festzustellen, dass die materielle Prozessleitung der Richterin nicht der gerichtlichen Machtübung dienen darf,224 sodass ein Einschreiten zugunsten der Klägerin im Hinblick auf die vorrangige Parteiverantwortung wohl überlegt sein muss und regelmäßig erst bei einer evidenten Gebotenheit erfolgen wird. Denn das deutsche Zivilverfahrensrecht steht dem Ausgang privater Rechtsstreitigkeiten traditionell unvoreingenommen und ergebnisoffen gegenüber.225 Eine Herstellung der materiellen Waffengleichheit zwischen den Parteien im Rahmen der Verfahrensgestaltung und Prozessleitung sollte nur erfolgen, wenn andernfalls eine Grundvoraussetzung für eine gerechte Entscheidung fehlt.226 Das Spannungsfeld zwischen dem legalen Abwehrverhalten der Beklagten, der Richtermacht und der materiellen Chancengleichheit im Zivilprozess227 verbietet dabei eine generalisierende Verurteilung der Beklagten. Gerichte sind daher auch in Verfahren zur Aufarbeitung eines Massenschadensereignisses zwi-

220

Baur, in: FS Schwab, S. 53; Thole, in: Stein/Jonas, ZPO, § 296 Rn. 1 ff. Fritsche, in: MüKoZPO, § 139 Rn. 9 ff.; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Rn. 24, 28 ff.; Wöstmann, in: Hk-ZPO, Rn. 3. 222 Hidding, DRiZ 2020, 58 (61). 223 Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, § 139 Rn. 100; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 15. 224 Stürner, ZZP 123 (2010), 147 (153). 225 Althammer, ZZP 126 (2013), 3 (26 f.); Hess, JZ 2011, 66 (67). 226 M. Vollkommer, in: FS Schwab, S. 503 (520). 227 Dazu R. Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, S. 97 ff.; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 38 ff. 221

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schen einer Verbraucherin und einem Unternehmen zu allgemeiner Zurückhaltung und Neutralität angehalten und sollten nur im äußersten Ausnahmefall zugunsten der Klägerin eingreifen, wenn nach den konkreten Gegebenheiten eine Waffengleichheit im Prozess offensichtlich nicht mehr als gegeben und zugleich als untragbar erscheint.228 2. Hervorrufen eines Abschreckungseffekts Unabhängig von einzelnen Prozessen hat die Abwehrstrategie unter Umständen dennoch eine allgemeine, nicht zu unterschätzende Wirkung auf die betroffenen Verbraucherinnen. Denn durch die aktive Behinderung bzw. Beeinflussung der Aufarbeitung des Schadensfalls und das Bestreiten einer Haftung wird die allgemeine (Rechts-)Unsicherheit bestärkt. Das kann sich auf Verbraucherseite aber als zusätzliche psychische Barriere bemerkbar machen, die oft ohnehin bereits aus Respekt oder gar Einschüchterung vor dem großen, bekannten Unternehmensnamen vorhanden ist.229 Wird dies noch bewusst ausgespielt, um potenzielle Klägerinnen von ihrer vermeintlichen Aussichtslosigkeit einer Rechtsverfolgung zu überzeugen, resultiert hieraus ein Abschreckungseffekt. Demnach handelt es sich um einen Faktor, der dazu beitragen kann, dass geschädigte Verbraucherinnen von einer Verfolgung ihrer Ansprüche absehen, sprich in einem rationalen Desinteresse verharren. Beachtlich ist vorliegend aber, dass das unternehmerische Abwehrinteresse und die Intensität der Abwehrstrategie maßgeblich von der Größe des Schadensereignisses abhängen. Denn das Existenzrisiko ist umso höher, je umfangreicher die Haftung zu werden droht.230 Somit sind besonders Fälle, in denen nicht nur eine Vielzahl von Verbraucherinnen betroffen sind, sondern bereits die individuellen Schäden an sich eine relevante Höhe erreichen, für ein entsprechendes Vorgehen prädestiniert. Das hieße jedoch, dass auch bei Schäden größeren Umfangs ein (rationales) Desinteresse der Geschädigten zum Problem werden kann, welches spezifisch bei verbrauchertypischen Massenschäden vorherrscht. In Bezug auf die am Ende dieses Kapitels zu beantwortende Frage, ob die festgestellten Rechtsdurchsetzungsdefizite in den herkömmlichen Kategorien der Bagatell- und Großschäden hinreichend abgebildet sind, spricht diese Erwägung wiederum gegen eine klare Abgrenzbarkeit der bei Massenschäden vorliegenden Defizite des Individualrechtsschutzes innerhalb der bisherigen Terminologie.

228 Zu Recht krit. mit Blick auf „offensichtliche“ Kontroversen mit dem Beibringungsgrundsatz und der richterlichen Neutralitätspflicht beim Ergreifen aktiver Maßnahmen zur Herstellung der Waffengleichheit zwischen den Parteien Schack, ZZP 129 (2016), 393 (394). 229 Kowollik, Europäische Kollektivklage, S. 50. 230 Vgl. bereits § 3 B. I.

C. Rationales Desinteresse

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C. Rationales Desinteresse Das rationale Desinteresse ist kein feststehender Rechtsbegriff, sondern ein tatsächliches Phänomen, welches ein Gefühl der Rechtsteilnehmerinnen widerspiegelt und sich in der tatsächlichen Nutzung der Verfahren ausdrückt.231 In diesem subjektiven Zustand verharrt, wer trotz eines materiell-rechtlich dem Grunde nach ersatzfähigen Schadens keinen hinreichenden Anreiz zur Geltendmachung seines Anspruchs sieht, weil sich eine Rechtsdurchsetzung selbst bei einem möglichen Gelingen wegen der erforderlichen Kosten und Mühen nicht lohnt.232 Es ist also das Ergebnis einer individuellen Abwägungsentscheidung über das „Ob“ des Zugangs zum Recht. Das Fehlen eines Anreizes kann schon daraus resultieren, dass der zugrundeliegende Anspruch der Höhe nach schlichtweg zu geringwertig ist. Typischerweise werden dem Phänomen daher Bagatellschäden zugeordnet, deren Problem darin liegt, dass es aufgrund einer Vielzahl fehlender Klagen kumulativ zu Unrechtsgewinnen und Wettbewerbsvorteilen auf Seiten der Schädigerin kommt.233 Gleichwohl hat sich vorstehend bereits gezeigt, dass neben der geringen Wertigkeit eines Anspruchs ebenso andere Faktoren (nichtökonomischer Art) für sich genommen oder im Zusammenspiel mit einer überschaubaren Schadenshöhe dazu führen können, dass eine Verbraucherin davon absieht, einen Anspruch geltend zu machen.234 Aus welchen Belangen sich das rationale Desinteresse bei Massenschäden konkret zusammensetzt, soll nachfolgend erörtert werden. So kann schließlich die Frage beantwortet werden, inwieweit die Problematik ausschließlich Bagatellbereiche betrifft oder ob die verbreitete begriffliche Zuordnung zu überdenken ist.

I. Verbraucherinnen als Betroffene Da sich in der vorliegend untersuchten Individualkonstellation eine Verbraucherin und ein Unternehmen gegenüberstehen, muss auch das strukturelle Ungleichgewicht zwischen den Personenkreisen berücksichtigt werden.235 Denn

231

Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 85. Vgl. Augenhofer, Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 10 f.; Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 57 ff.; Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 83 ff.; Mengden, NZKart 2018, 398; Schäfer, in: Basedow et al., S. 67 (68 f.); RegE MFK, BTDrs. 19/2439, S. 14. 233 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 128 f.; Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 25; Schäfer, in: Basedow et al., S. 67 (69). 234 Siehe auch Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 129 ff.; ähnlich Berger, ZZP 133 (2020), 3 (7 f.); Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, S. 19 f. 235 Vgl. Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 1; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 48 ff.; Tamm, in: Tamm/Tonner/Brönneke, § 1 Rn. 5 ff. 232

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trotz gestärkter materieller Rechte ist die Durchsetzung von Verbraucherrechten allgemein noch immer von Passivität geprägt.236 Als Ursache dafür werden Zugangsbarrieren ausgemacht, die besonders in der persönlichen Sphäre der Verbraucherin angelegt sind.237 Mithin handelt es sich um einen sensiblen Bereich, dessen Problemstellung auch und gerade im Kontext verbrauchertypischer Massenschäden zu berücksichtigen ist, insbesondere da diese die zuvor beschriebene unternehmerische Abwehrstrategie mit ermöglicht.238 1. Schwächen im rechtlichen Konflikt „Verbrauchertypisch“ ist in erster Linie eine Unerfahrenheit im Umgang mit rechtlichen Konflikten. Ursache ist meist eine fehlende juristische Vorbildung, wodurch selbst „simple“ Situationen oft nicht richtig eingeschätzt werden.239 Teils drückt sich die Unbeholfenheit auch darin aus, dass Rechtsverstöße gar nicht von Verbraucherinnen bemerkt werden.240 Ebenso sind sie wenig über den Ablauf und die Kostenzusammensetzung eines Gerichtsverfahrens aufgeklärt und können insofern auch dessen Vorteile nicht immer richtig abschätzen.241 Zusätzlich schreckt viele Verbraucherinnen eine nähere Befassung mit dem Recht wohl eher ab: So ist nach dem aktuellen Roland Rechtsreport der überwiegende Teil der Bevölkerung der Ansicht, dass die deutschen Gesetze viel zu kompliziert seien und eine durchschnittliche Bürgerin überfordern würden.242 Die Abstraktheit der Rechtsmaterie könnte bei Auftreten eines Konfliktfalles einige davon abhalten, sich auf die Situation einzulassen oder zumindest eine diesbezügliche Aversion begründen. Und soweit sich eine Verbraucherin doch selbst-

236 H. Koch, Verbraucherprozessrecht, S. 13; Kotzur, Außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, S. 28. 237 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 30 ff. unterscheidet zwischen allgemeinen und fallabhängigen Ausprägungen von Verbraucherschwäche. Kotzur, Außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, S. 28 ff. teilt in Hindernisse aus der Person des Verbrauchers und der Ausgestaltung der Rechtspflege ein. Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, S. 9 ff. trennt zwischen sozialen, ökonomischen und durch die Rechtspflege bedingte Hürden. 238 Vgl. schon § 3 B. II. 239 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 30 f.; Kotzur, Außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, S. 28 f.; Meller-Hannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 143; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, S. 10. 240 Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 18; Henning-Bodewig/Meller-Hannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 144 (für die Rechtswidrigkeit von Vertragsgestaltungen). 241 Hidding, DRiZ 2020, 58 (59). 242 Roland Rechtsreport 2021, S. 16: Bei der Befragung von 1.286 Personen ab 16 Jahren hielten 53 Prozent der Befragten die Gesetze in Deutschland für viel zu kompliziert und bezweifelten, dass man sie als normaler Bürger überhaupt verstehen kann.

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ständig über die Rechtslage informieren will, fehlen einerseits breite Zugriffsmöglichkeiten auf die örtliche instanzgerichtliche Rechtsprechung, da Entscheidungsveröffentlichungen nahezu gar nicht243 bzw. sehr selektiv244 stattfinden. Ein realistisches Bild, wie ein Verfahren in ihren Angelegenheiten üblicherweise ausgeht, wird so nicht verschafft.245 Andererseits dürften im Fall von Laien aufgrund der mangelnden Kenntnisse des Rechts bzw. der juristischen Fachsprache regelmäßig Probleme bei der korrekten Definierung ihres eigentlichen Anliegens hinzukommen.246 Diese münden ohne eine anwaltliche Unterstützung in Verständigungsschwierigkeiten,247 die sich im Verhältnis zu einer verständigen Gegnerin ebenso als Machtgefälle auswirken können.248 Des Weiteren sind Verbraucherinnen mitunter schlecht organisiert: Die Dokumentation vertraglicher Unterlagen, aufgetretener Mängel, getroffener Absprachen und anderweitiger Korrespondenzen gelingt selten lückenlos, sodass sie in eine Beweisnot geraten können.249 Außerdem sind die Zeit- und Frustrationstoleranz sowie die Risikobereitschaft einer Verbraucherin tendenziell begrenzt,250 während Unternehmen weitaus geduldiger und versierter agieren sowie auf mehr Ressourcen für Rechtsstreitigkeiten zurückgreifen können. Spätestens diese Umstände sind im Verlauf eines Rechtsstreits zumeist entscheidend von Vorteil. 2. Flucht aus dem Individualverfahren Infolge dieser verbrauchertypischen Schwächen hat sich in der Rechtssoziologie die Rollenbezeichnung der „Einmalprozessiererin“ („one shotter“) eta243 Eingehend zu diesem „blinden Fleck der deutschen Rechtswissenschaft“ Hamann, JZ 2021, 656 (656, 658), nach dessen Untersuchung hierzulande mindestens 99 Prozent (!) der streitigen Entscheidungen der ordentlichen Gerichte nicht publiziert werden, während selbst Gerichte in China inzwischen sechshundert Mal (!) so transparent judizieren würden wie in Deutschland. 244 Dazu Heese, in: FS Roth, S. 283 (287 f., 292 f., 306 ff.), der insbesondere die bis Ende 2018 fast völlig fehlende Veröffentlichung einschlägiger Entscheidungen in den Rechtsprechungsdatenbanken der Länder bei der Aufarbeitung des Abgasskandals bemängelt. 245 Hidding, DRiZ 2020, 58 (60). 246 Vgl. Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 7 Rn. 33, wonach den Verfasserinnen des BGB eine sprachgerechte Ausgestaltung nicht immer hinreichend geglückt sei. 247 Kotzur, Außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, S. 29 f.; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, S. 12. 248 H. Koch, Verbraucherprozessrecht, S. 116 f.; ähnlich Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 131. 249 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 40; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/ Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 18. 250 Ausführlich Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 36 ff.; siehe auch Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, S. 25 f.; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, S. 14.

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bliert,251 welche die fehlende Routine der Verbraucherin im Umgang mit dem Rechtssystem beschreiben soll. Diese wird statistisch durch die o. g. Studie bestätigt: Nach dieser verfügen drei Viertel der Bürgerinnen über keine persönlichen Erfahrungen mit Gerichtsverfahren, wobei hier schon etwaige Beteiligungen als Zeugin eingerechnet sind.252 Verbreitet wird insoweit eine Müdigkeit von bzw. Scheue oder Phobie vor Gerichten postuliert.253 Die seit Jahren sinkenden Eingangszahlen in Zivilsachen254 bei zugleich hoher Bekanntheit außergerichtlicher Streitbeilegungsformen255 legen ebenso nahe, dass viele Konflikte nicht mehr auf klassischem Wege ausgetragen werden.256 Als Ursachen für die „Flucht aus dem Individualverfahren“ wird neben kostenmäßigen Faktoren angeführt, dass es Verbraucherinnen heutzutage einige Überwindung kosten dürfte, den zur Rechtsdurchsetzung notwendigen Kontakt zu Hoheitsträgern wie der staatlichen Justiz herzustellen, die noch dazu beschwerlich zu erreichen sind.257 Mit den erwartbaren Unannehmlichkeiten infolge des zeitlichen Aufwandes258 können gleichsam der teils befremdlich bis bedrohlich wirkende Justizapparat und die Atmosphäre bei Gericht als emotional belastend empfunden werden.259 Infolge der seit Jahrzehnten weitgehend unterbleibenden Veröffentlichung instanzgerichtlicher Entscheidungen trägt dazu mutmaßlich auch eine fehlende Transparenz bei.260 Gegenüber dem Prinzip „Open Justice“ verhält sich das deutsche Verfahrensrecht ebenfalls restriktiv.261 Die Angst vor dem Unbekannten hemmt somit die gerichtliche Anspruchsverfolgung.

251 Unternehmen seien dagegen in der Prozessroutine überlegene „Mehrfachprozessiererinnen“ („repeat player“), siehe Galanter, Law & Society Review 1976, 225 (231 ff.); ferner v. Moltke, Kollektiver Rechtsschutz von Verbraucherinteressen, S. 30; Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 131. 252 Roland Rechtsreport 2021, S. 19: Dabei gaben 18 Prozent der Befragten an, in den letzten zehn Jahren einmal an einem Gerichtsprozess beteiligt gewesen zu sein, 7 Prozent mehrmals, 75 Prozent niemals bzw. keine Angabe. 253 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 38 f.; Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 83; Hirsch, ZKM 2019, 67 (68); Kotzur, Außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, S. 30; Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, S. 12 f. 254 Graf-Schlicker, AnwBl 2014, 573; Greger, ZZP 131 (2018), 317 (320); Hirtz, NJW 2014, 2529. 255 Dazu Roland Rechtsreport 2021, S. 20 f. 256 Specht, MMR 2019, 153 (155). 257 Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522 (2525); Pickel, AnwBl Online 2018, 388 (390); Voß, RabelsZ 84 (2020), 62 (68); siehe auch Hess, in: FS Roth, S. 359 (364). 258 Scherpe, Außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen, S. 19. 259 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 38 f.; Kocher, Funktionen der Rechtsprechung, S. 123 f. 260 Näher Hamann, JZ 2021, 656 ff.; Heese, in: FS Roth, S. 283 (296 ff., 306 ff.). 261 Dazu Bernhardt, in: Buschmann et al., S. 21 (32 ff.).

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Verstärkt wird die Gerichtsscheue durch eine veränderte Erwartungshaltung der Verbraucherinnen an die Konfliktlösung. Denn die Verfügbarkeit von Streitbeilegungsalternativen wie internen Konfliktmanagementsystemen, Schlichtungsangeboten oder online erreichbaren Rechtsdienstleistungsplattformen sind u. a. durch simple Eingabemasken weitaus einfacher und mobiler zugänglich als gerichtliche Verfahren, in denen die elektronische Kommunikation mit Bürgerinnen262 – allein mit Blick auf mögliche Kontaktaufnahmen per E-Mail – noch in den Kinderschuhen steckt.263 Hier haben sich die Verhältnisse und Einstellungen des täglichen Lebens sowie die damit einhergehenden Geschäftspraktiken schlichtweg gewandelt, ohne dass eine parallele Akklimatisierung der Zivilgerichtsbarkeit stattgefunden hat.264 Deren strenge Formalisierung unter zugleich fehlender Digitalisierung entspricht insofern kaum mehr dem auf Bürgerfreundlichkeit, Transparenz, Flexibilität und Schnelligkeit ausgerichteten Zeitgeist unserer modernen Gesellschaft.265 Diesbezügliche Hemmnisse wenigstens zum Teil abbauen266 könnte eine anwaltliche Vertretung,267 innerhalb derer die Verbraucherin „an die Hand genommen“ und insbesondere ihr Rechtsschutzbegehren in sprachlicher und verfahrenstechnischer Hinsicht in die richtigen Bahnen gelenkt wird.268 Gleichwohl kann die Suche eines eigenen Rechtsbeistandes genauso zu einem zögerlichen Handeln der Verbraucherin269 führen. Denn die gegenüber der Ziviljustiz beschriebenen Berührungsängste bestehen durchaus auch zu Kanzleien und Rechtsanwältinnen.270 262 Selbst mit Rechtsanwältinnen hat die Umstellung auf eine digitale Kommunikation einen schwerfälligen Weg hinter sich, siehe Bernhardt, in: Buschmann et al., S. 21 ff. 263 Dazu Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522 (2525); Meller-Hannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 141 ff.; Nöhre, in: Höland/Meller-Hannich, S. 34 (42); Pickel, AnwBl Online 2018, 388 (390); Specht, MMR 2019, 152 (155 f.); Voß, RabelsZ 84 (2020), 62 (63). 264 Insoweit schon Greger, ZZP 131 (2018), 317 (320). 265 Calliess, Gutachten 70. DJT, A 41; Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522 (2525); zu diesem Schluss kommt auch die im Auftrag der Präsidentinnen der oberen deutschen Gerichte tätige ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 7 ff.; ähnlich Hess, in: FS Roth, S. 359 (364) („den technischen Wettlauf gegen die private Konkurrenz hat die staatliche Justiz bereits seit langem verloren“). 266 Zu vielversprechenderen Digitalisierungsansätzen noch unter § 4 B. I. 267 Nach den (Verbraucherstreitigkeiten freilich nicht auszeichnenden) Justizstatistiken ist die Klägerseite in aller Regel anwaltlich vertreten: So traten Klägerinnen in den 2020 insgesamt 856.035 vor den Amtsgerichten erledigten Streitigkeiten trotz ihrer auch so gegebenen Postulationsfähigkeit in 759.811 Fällen mit einer entsprechenden Prozessvertretung auf, siehe Destatis, Rechtspflege Zivilgerichte 2020, S. 38. 268 H. Koch, Verbraucherprozessrecht, S. 120 spricht insoweit von einer anwaltlichen „Dolmetscherfunktion“. 269 Allgemein für „ein gewisses Phlegma“ Henning-Bodewig, GRUR 2015, 731 (732). 270 Siehe Augenhofer, Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 87; Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329 (330); Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 38.

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Eine Vertrauensbasis wird zumeist erst nach dem Erstkontakt im Mandantengespräch hergestellt, zu diesem es aber überhaupt kommen muss; drohende Kosten sind in der Lage, dies zu verhindern. So ist in derartigen Situationen denkbar, dass sich Verbraucherinnen darauf beschränken, ihre Rechte einmalig gegenüber der Anspruchsgegnerin einzufordern, nach einer Zurückweisung aber keine weiteren Schritte einleiten, um den Konflikt zu lösen.271 Damit befinden sich gegnerische Unternehmen gerade in Massenschadensfällen mit Verbraucherbetroffenheit strategisch im Vorteil. Lässt es im Rahmen seiner Abwehrstrategie „die Muskeln spielen“, kann die psychische Hemmschwelle durch die abschreckende Wirkung weiter verstärkt werden. So ist nicht auszuschließen, dass sich Verbraucherinnen sogar dann ihrer Konfliktscheue beugen, wenn sie sich mit ihrem Anliegen eigentlich im Recht wähnen.272 Insgesamt lässt sich auf diese Weise eine Drohkulisse kreieren, im Rahmen derer sich geschädigte Verbraucherinnen ein alleiniges Aufbäumen gegen die Schädigerin selten zutrauen.

II. Relevante Faktoren Nunmehr ist der eigentliche, bei Massenschäden zu einem Absehen von der Rechtsverfolgung vieler geschädigten Verbraucherinnen führende Abwägungsvorgang zu betrachten. Die für die Entscheidung über die Geltendmachung eines Anspruchs relevanten Faktoren sind häufig eher formelhaft umrissen: Vornehmlich wird das rationale Desinteresse auf die mit der Rechtsverfolgung anfallenden Kosten sowie den damit verbundenen Aufwand bei (verhältnismäßig) geringem Nutzen zurückgeführt.273 Das vorliegende Kapitel hat jedoch aufgezeigt, dass auch Aspekte eine Rolle spielen können, die prima facie nicht in diesen Kriterien ausgedrückt sind. Allgemein ist dazu das durch Konfliktschwäche und -scheue geprägte verbrauchertypische Streitverhalten zu zählen. Speziell in Massenschadensfällen können noch eine unklare Rechtslage sowie ein abschreckendes Abwehrverhalten des gegnerischen Unternehmens hinzutreten.274 Damit wären also faktische Hemmschwellen und subjektive Ängste ebenfalls ein Bestandteil des rationalen Desinteresses.275 Ob solche psychologischen Gründe aufgrund des Wortsinnes als

271

Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 33. Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 84; Kotzur, Außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, S. 30. 273 Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 84 f. m.w. N.; Schäfer, in: Basedow et al., S. 67 (68 f.); Waclawik, NJW 2018, 2921. 274 Vgl. § 3 A. III. und B. III. 2. 275 Dahingehend auch Bamberger, in: FS Eichele, S. 19 (33); Freitag/Lang, ZZP, 132 (2019), 329 (330); Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 71. 272

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„rational“ zu berücksichtigen sind, wird zuweilen bezweifelt.276 Teilweise wird ein rationales Desinteresse auch als unbegründet erachtet.277 Der nachfolgende Abschnitt widmet sich dementsprechend einer Einordnung, wie danach die Problematik bei verbrauchertypischen Massenschäden genauer zu bestimmen ist. 1. Kosten Allen voran sind die Kostenfaktoren der individuellen Rechtsdurchsetzung als Ursache für die Nichtgeltendmachung eines Anspruchs aus einem verbrauchertypischen Massenschaden in Betracht zu ziehen. Dabei müssen Verbraucherinnen in der Regel schon mit vorgerichtlichen Ausgaben rechnen, da sie aufgrund ihrer Schwächen im Konfliktverhalten kaum um eine kostenpflichtige anwaltliche Hinzuziehung herumkommen. Bei Anwendung der Gebührensätze nach dem RVG erreichen die für das außergerichtliche Tätigwerden zur Forderungsdurchsetzung ab dem 1.1.2021 anfallenden Gebühren je nach Höhe des Anspruchs schon beinahe den Forderungswert.278 Dieser ersten Hürde schließen sich dann zumeist Prozesskosten an, welche sich aus den Gebühren und Auslagen für die Inanspruchnahme der gerichtlichen Organe sowie den sonstigen Kosten des Rechtsstreits zusammensetzen.279 Ferner werden individuelle Kriterien wie die Erfolgsaussicht des Rechtsschutzbegehrens, der persönliche finanzielle Hintergrund der Betroffenen und ein etwaiger Rückgriff auf Kostenerleichterung für den vorliegenden Aspekt relevant.280 a) Zusammensetzung und Prozesskostenrisiko Zunächst bedarf es einer Aufstellung über die möglichen Gerichtskosten, mit denen eine Verbraucherin rechnen müsste, um sodann das Prozesskostenrisiko abschätzen zu können. Die anfallende Verfahrensgebühr orientiert sich, sofern kein konkreter Betrag festgesetzt ist, am Streitwert (§§ 39 ff. GKG) und wird gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GKG bereits mit der Einreichung der Klage fällig.281 Bei einem Streitwert bis 500 Euro beträgt diese seit 1.1.2021 38 Euro und erhöht 276

Bernhard, Kartellrechtlicher Individualschutz durch Sammelklagen, S. 36. Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 88 ff. 278 Siehe das Rechenbeispiel im Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt v. 17.3.2021 (RegE FvAiR), BT-Drs. 19/27673, S. 14: Bei einer Forderung von 100 Euro betragen die Rechtsanwaltsgebühren einschl. Auslagenpauschale und MwSt mind. 90,96 Euro (bei Forderungen von über 500 bis 1.000 Euro sind es mind. 159,94 Euro, bei einer Forderung von 2.000 Euro sind es mind. 280,60 Euro). 279 Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, Vorb § 91 Rn. 3 ff.; Hüßtege, in: Thomas/ Putzo, ZPO, Rn. 2 ff.; Schulz, in: MüKoZPO, Rn. 6 ff. 280 Siehe Fiedler, Class Actions, S. 40. 281 Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, § 6 Rn. 7. 277

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sich bis zu einem Streitwert von 2.000 Euro für jeden angefangenen Betrag von weiteren 500 Euro um 20 Euro (§ 34 Abs. 1 GKG). Zu den Auslagen zählen die vom Gericht tatsächlich erbrachten Aufwendungen, insbesondere für die Entschädigung von Zeuginnen und Sachverständigen.282 Beachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass von der Klägerin wegen der von ihr beantragten Handlungen, die mit Auslagen verbunden sind (bspw. Zeugenvernehmung, Begutachtung durch Sachverständige), gemäß § 17 Abs. 1 GKG283 ein Vorschuss verlangt werden kann.284 Gerade bei den komplexen Beweisaufnahmen, welche die Aufarbeitung eines Massenschadensereignisses für gewöhnlich nach sich zieht,285 droht so die Entstehung erheblicher Mehrkosten bzw. eine Steigerung des Prozesskostenrisikos.286 Im Abgasskandal haben die Instanzgerichte allein aufgrund des Sachverständigenbeweises von der klagenden Partei einen Auslagenvorschuss zwischen 30.000 bis 40.000 Euro verlangt.287 Schon deshalb dürften Verbraucherinnen in Massenschadensfällen von einer individuellen Rechtsdurchsetzung abgeschreckt sein, zumal häufig ein mit weiteren Kosten verbundener Instanzenzug wahrscheinlich ist. Darüber hinaus sind die sich nach dem RVG berechneten Gebühren und Auslagen der Rechtsanwältinnen sowie etwaige eigene Positionen der Klägerin wie Reise- und Übernachtungskosten oder Verdienstausfälle zu berücksichtigen.288 Dabei gleicht die Aussicht auf eine Wiedererlangung eines geleisteten Vorschusses nach Beendigung des Rechtsstreits bei einem vollständigen Obsiegen (§ 91 Abs. 1 ZPO)289 das Prozesskostenrisiko oft nicht aus.290 Denn bereits sofern die Beklagte nicht gänzlich unterliegt, hat jede Partei einen entsprechenden Anteil der Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 92 Abs. 1 ZPO).291 Zudem gestaltet sich die Einschätzung der Erfolgsaussichten schwierig, solange die Rechts282

Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, Vorb § 91 Rn. 4. Bzw. nach § 379 ZPO für die Vernehmung einer Zeugin als lex specialis zu § 17 Abs. 1 Satz 2 GKG, siehe Berger, in: Stein/Jonas, ZPO, § 379 Rn. 1. 284 Näher Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, § 17 Rn. 1 ff. 285 Siehe Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 130; Bernhard, Kartellrechtlicher Individualschutz durch Sammelklagen, S. 35. Freilich weist Kranz, NZG 2017, 1099 f. darauf hin, dass es auch Massenverfahren geben kann, deren zentrale Problematik eine Beweiserhebung nicht erforderlich macht. 286 Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, § 379 Rn. 5. 287 Heese, NJW 2021, 887 (891) unter Verweis auf LG Traunstein, Beweisbeschl. v. 3.12.2019 – 8 O 3226/18, BeckRS 2019, 31386; LG Münster, Hinweisbeschl. v. 18.12. 2020 – 011 O 45/20, BeckRS 2020, 38732; LG Mainz, Beschweisbeschl. v. 17.1.2021 – 5 O 128/20, BeckRS 2021, 782. 288 Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, Vorb § 91 Rn. 5; Schneider, in: Prütting/ Gehrlein, ZPO, § 91 Rn. 3; Schulz, in: MüKoZPO, Vorb § 91 Rn. 8. 289 Sog. Unterliegenshaftung, vgl. Gehle, in: Anders/Gehle, ZPO, § 91 Rn. 35 ff. 290 Siehe Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 36; Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 92. 291 Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, § 92 Rn. 1. 283

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lage noch unübersichtlich ist bzw. bisherige Entscheidungen widersprüchlich sind.292 Problematisch erscheint gerade das Prozesskostenrisiko geringwertiger Streitigkeiten.293 So betragen bei einer Klage auf die Zahlung von 100 Euro die im ungünstigsten Fall des vollständigen Unterliegens insgesamt zu tragenden Kosten knapp über 500 Euro, womit das Gesamtkostenrisiko den eigentlichen Streitwert weit übersteigt.294 Wird ein Prozess mit einem Streitwert von bis zu 500 Euro durch ein erstinstanzliches Urteil beendet, hat die verlierende Partei durchschnittlich etwa 400 Euro an Gerichts- und beiderseitigen Rechtsanwaltskosten zu tragen.295 Bei einem Streitwert von über 500 bis 1.000 Euro liegt das Gesamtkostenrisiko bei 837,07 Euro, bei einem Streitwert von 2.000 Euro bei 1.481,50 Euro.296 Auch in diesen Forderungsbereichen erscheinen die drohenden Verluste bei einem (teilweise) Unterliegen noch hoch, wobei eine Einlegung von Rechtsmitteln noch ganz unberücksichtigt ist. Das Zusammenspiel aus vorgerichtlichen Ausgaben, dem Prozesskostenrisiko, eventuellen erheblichen Vorleistungen für die Beweisaufnahme, teils schwer absehbaren Erfolgsaussichten sowie der allgemeinen verbrauchertypischen Risikoscheu kann insofern zu einem Absehen von der Anspruchsverfolgung führen. Das Interesse des Einzelnen, einen Prozess gegen das ihn (vermeintlich) schädigende Unternehmen anzustrengen, wird dementsprechend durch die Möglichkeit, im Ergebnis eher Geld zu verlieren, wesentlich beeinträchtigt.297 b) Kostenreduzierung Fraglich ist, ob Möglichkeiten der Kostenreduzierung ein rationales Desinteresse nicht ausgleichen und damit dessen Begründetheit widerlegen könnten.298 Vorrangig versucht das deutsche Verfahrensrecht mit der Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) wirtschaftlich schwächere Parteien zu entlasten.299 Ihre Bewilligung hat nach § 122 ZPO zur Folge, dass die Antragstellerin grundsätzlich von 292

Vgl. bereits § 3 A. III. Insoweit schon BGH NJW 2007, 593 (595); Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522 (2525); Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 177 f. 294 RegE FvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 14. 295 Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 90. 296 RegE FvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 14. 297 Dahingehend schon Bamberger, in: FS Eichele, S. 19 (34); Roth, in: Schulze, S. 79. 298 So bejaht es im Ergebnis Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 88 ff. 299 Bei ihr handelt es sich um eine staatliche Fürsorgeleistung, die als zinsloser und gegebenenfalls nicht rückzahlbarer Justizkredit erbracht wird und als Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen gesehen werden kann, BGH NJW 2009, 3658 (3659); Fischer, in: Musielak/Voit, ZPO, Vorb § 114 Rn. 1. 293

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der Zahlung der Gerichtskosten befreit ist und auch deren Anwältin ihre Vergütungsansprüche nur gegen den Staat geltend machen kann.300 Damit bringt sie deutliche finanzielle Erleichterungen für die Berechtigte mit sich. Allerdings ist der Adressatenkreis klein: Prozesskostenhilfe wird nur bedürftigen Parteien gewährt, also denjenigen, die nach ihren wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten eines Verfahrens mit ihrem Einkommen oder Vermögen aufzubringen.301 Es erscheint unwahrscheinlich, dass dies auf eine signifikante Zahl der Betroffenen eines Massenschadensereignisses zutrifft. Vielmehr wird sich der Großteil einen Prozess v. a. nicht leisten wollen, es nach prozesskostenrechtlichen Maßstäben aber können und insofern keine Aussicht auf die Entlastung haben. Die überwiegende Mehrheit des „Mittelstandes“ fällt in der Regel wegen zu hoher Einkommen aus dem staatlichen Schutz heraus.302 Selbst wenn man hypothetisch das Gegenteil unterstellt, ist § 123 ZPO zu beachten. Danach muss die Partei im Falle ihres Unterliegens – unabhängig von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe – die der Gegnerin entstandenen Kosten nach den allgemeinen Regeln der §§ 91 ff. ZPO erstatten.303 Die Posten der Gegenseite, welche angesichts des bereitwilligen Ressourceneinsatz des Unternehmens zur Abwehr eines Massenschadensereignisses außerordentliche Dimensionen annehmen können, müssten unverändert im Kostenrisiko einkalkuliert werden. Daher reicht die Aussicht auf Prozesskostenhilfe generell nicht aus, um einem abschreckenden Effekt infolge der drohenden Verfahrenskosten entgegenzuwirken. Sofern vorgetragen wird, dass mögliche Kosten bei geringwertigen Streitigkeiten gesenkt werden könnten, indem die Klägerin auf eine anwaltliche Vertretung vor dem Amtsgericht verzichtet oder der Prozess allein im schriftlichen Verfahren nach billigem Ermessen geführt wird,304 erscheinen diese Maßnahmen jedenfalls in Bezug auf verbrauchertypische Massenschäden kaum durchführbar. Weder werden die meisten Verbraucherinnen als „one shotter“ in einem Rechtsstreit gegen ein Unternehmen von einer anwaltlichen Betreuung absehen können, noch lassen sich die Prozesse – solange der Grund oder die Höhe des Anspruchs noch streitig sind – aufgrund ihrer Komplexität ohne mündliche Verhandlung durchführen. Zudem hat die Schädigerin, wie zuvor dargelegt, oft ein großes Interesse daran, dass sich die Verfahren möglichst lange hinziehen. Schließlich kommen Rechtsschutzversicherungen zur Reduzierung bzw. Deckung der Rechtsverfolgungskosten infrage. Diese sind nach dem Roland Rechts-

300 301 302 303 304

Kießling, in: Hk-ZPO, Vorb § 114 Rn. 2; Wache, in: MüKoZPO, § 122 Rn. 1 ff. Statt aller Kießling, in: Hk-ZPO, Vorb § 114 Rn. 5. Roth, in: Schulze, S. 79 (80). Fischer, in: Musielak/Voit, ZPO, § 123 Rn. 1; Roth, in: Schulze, S. 79 (82). Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 90 f.

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report 2020 zumindest in Haushalten mit hohem Nettoeinkommen recht weit verbreitet.305 Im Rahmen der Aufarbeitung des Abgasskandals nahmen auch viele geschädigte Käuferinnen ihren Versicherungsschutz in Anspruch.306 Nichtsdestotrotz führt dessen Besitz nicht immer zu einer höheren Klagefreudigkeit: Vielmehr gaben nach der o. g. Studie 28 Prozent der befragten rechtsschutzversicherten Personen an, in den vergangenen fünf Jahren einmalig oder mehrfach in einer Situation gewesen zu sein, in denen sie trotz eines entsprechenden Bedürfnisses keinen rechtlichen Beistand in Anspruch genommen haben.307 Eine Ursache dafür dürfte wohl in den Selbstbeteiligungen liegen, die in vielen Versicherungsmodellen vorgesehen ist.308 Auch hierin ist ein eher zurückhaltendes Vorgehen bei der Entscheidung über die Rechtsverfolgung erkennbar. Mithin dürften also auch die insgesamt nicht weit genug verbreiteten und nicht alle Kosten bzw. Prozessrisiken übernehmenden Rechtsschutzversicherungen309 nicht die Unterstützung darstellen, die besonders durchschnittlich vermögende Haushalte, die über der für die Prozesskostenhilfe maßgeblichen Bedürftigkeitsgrenze verdienen, bräuchten. c) Fazit Somit lässt sich festhalten, dass die (teils vorzuleistende) Kostenlast und das Prozesskostenrisiko in Massenschadensfällen für Verbraucherinnen verhältnismäßig hoch anzusiedeln sind, wozu v. a. die geradezu unentbehrliche anwaltliche Vertretung beiträgt. Je geringer der Streitwert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Absehens von der Geltendmachung der Individualschäden, wobei bis zu einem Streitwert von 2.000 Euro ein relevantes Gesamtkostenrisiko zu erwarten ist. Das Desinteresse an der Rechtsdurchsetzung ist dann meist rational.310 Die Aussicht auf eine Befreiung von der Kostenlast scheint dagegen tendenziell eine überschaubare Rolle innerhalb des Abwägungsvorgangs zu spielen. Darin bestätigt sich die verbrauchertypische Risikoaversion. 305 Nach einer Studie aus dem Jahr 2019 verfügen 58 Prozente der deutschen vermögenden Haushalte (Nettoeinkommen über 3.000 Euro) über eine Rechtsschutzversicherung, andererseits aber nur 29 Prozent der Haushalte bei einem Nettoeinkommen unter 1.750 Euro (45 Prozent dazwischen); siehe Roland Rechtsreport 2020, S. 21 f.; dazu auch Roth, in: Schulze, S. 79 (82). 306 Bis Ende 2018 waren es nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) 144.00 Käuferinnen, siehe Heese, JZ 2019, 429 (431) unter Verweis auf GDV, Rechtsschutzkosten um ein Fünftel gestiegen, Pressemitteilung v. 19.2.2019, abrufbar unter: https://www.gdv.de/de/medien/aktuell/rechtsschutzkostenum-ein-fuenftel-gestiegen-43492 (Abrufdatum: 4.1.2022). 307 Roland Rechtsreport 2020, S. 23. 308 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 37; siehe auch Heese, JZ 2019, 429 (431). 309 Heese, JZ 2019, 429 (431, 438); Roth, in: Schulze, S. 79 (83); siehe auch Roland Rechtsreport 2020, S. 22. 310 Dazu nochmals unter § 3 C. III.

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2. Aufwand Neben den finanziellen Anstrengungen verursacht die Verfolgung von Ansprüchen einen gewissen Aufwand: Will eine Verbraucherin ihre Rechte gerichtlich durchsetzen, sind stets ihre Mühen, Nerven und Zeit gefordert.311 Begrifflich kann dabei von „fixen Kosten“ gesprochen werden, die als Zeitverluste, Unannehmlichkeiten oder – besonders im Vorfeld der Schadensbetreibung notwendige – Informationsaufwendungen auftreten und nicht auf die Beklagte übergewälzt werden können.312 Der Unterschied zum finanziellen Aufwand besteht also darin, dass für diese zeitlichen und persönlichen Anstrengungen, etwa im Rahmen der anwaltlichen Konsultation oder der Beibringung von Unterlagen, eine Entschädigung bzw. Rückgewähr faktisch ausgeschlossen ist.313 Vielmehr sind sie aus Verbraucherinnensicht im Grunde „verloren“ und dürften die individuelle Kosten-Nutzen-Rechnung belasten.314 Indes kann wie schon beim Kostenaufwand die Frage gestellt werden, ob v. a. die Bedenken hinsichtlich des Faktors Zeit tatsächlich begründet oder überwiegend von der reservierten Grundhaltung der Betroffenen getragen sind. Damit rückt die Dauer gerichtlicher Verfahren in Deutschland ins Blickfeld. a) Zeitliche Faktoren Die Verfahrensdauer an den deutschen Zivilgerichten steht seit längerem im Zentrum des Interesses. Eine Definition, welche Dauer als „richtig“ oder „normal lang“ angesehen werden kann, existiert nicht, besonders da Verfahren einen ganz unterschiedlichen Verlauf haben können.315 Die Daten des Statistischen Bundesamtes zu den Zivilgerichten bilden dies entsprechend ab: So dauerten amtsgerichtliche Verfahren316 – die vorliegend aufgrund ihrer grundsätzlichen Zuständigkeit bis zu einem Streitwert von 5.000 Euro (§ 23 Nr. 1 GVG) haupt-

311 Meller-Hannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 143; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 40. 312 Insoweit Schäfer, in: Basedow et al., S. 67 (69). 313 Ein kompensationsfähiger zeitlicher Aufwand wäre allenfalls ein denkbarer Verdienstausfall, der für ein etwaiges Erscheinen vor Gericht erstattet werden kann. 314 Insoweit auch Guggenberger/Guggenberger, MMR 2019, 8; Kotzur, Außergerichtliche Realisierung grenzüberschreitender Verbraucherforderungen, S. 31. 315 Siehe dazu Hirtz, NJW 2014, 2529 (2530), der danach differenziert, ob im Verfahren zunächst eine umfangreiche Beweisaufnahme zu den Entscheidungstatsachen vorgenommen werden muss oder ob es nur um die Beantwortung von Rechtsfragen geht. Dazu auch Calliess, Gutachten 70. DJT, A 48 ff. 316 Die Verfahrensdauer an den deutschen Amtsgerichten wird vorliegend aufgrund deren grundsätzlicher Zuständigkeit für Streitwerte bis 5.000 Euro (§ 23 Nr. 1 GVG) fokussiert.

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sächlich fokussiert werden – im Jahr 2020 durchschnittlich insgesamt 5,6 Monate, sofern sie mit einem streitigem Urteil enden dagegen bereits 8,4 Monate317 (im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es noch immer 5,0 bzw. 8,0 Monate318). Dabei ist bemerkenswert, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer trotz sinkender Fallzahlen in den letzten zwanzig Jahren stetig angestiegen ist.319 Dass sich in der Justiz insgesamt, in erster Linie begünstigt durch den Abgasskandal und Legal Tech-Angebote, inzwischen eine Trendwende bei den Fallzahlen abzeichnet,320 muss insoweit bedenklich stimmen. Interessanterweise gibt es dennoch Stimmen, welche die Verfahrensdauer unkritisch sehen, gerade da etwa die Hälfte aller Verfahren vor den Amtsgerichten in drei Monaten oder weniger abgeschlossen werden würden.321 Gleichwohl ist zu Recht einzuwenden, dass diese Zahl durch sich unmittelbar nach Klageerhebung erledigende Verfahren verzerrt ist und die deutlich längeren, in eine Urteilsentscheidung mündenden Streitfälle eher Besorgnis erregen.322 Dass die Verfahren allein in erster Instanz durchschnittlich acht Monate dauern, erscheint schlichtweg zu hoch, erst recht wenn man berücksichtigt, dass ausweislich der Justizstatistiken meist nur in einem Bruchteil dieser Prozesse ein Beweistermin stattfinden dürfte323 – langwierige Beweisaufnahmen also kaum der Grund sein können324 – und die Rechtssache womöglich schon eine außergerichtliche Vorgeschichte hatte.325

317 Destatis, Rechtspflege Zivilgerichte 2020, S. 38. An den Landgerichten liegen die Zahlen nochmals höher: Verfahren vor dem Landgericht dauerten im Schnitt insgesamt 10,5 Monate, die mit streitigem Endurteil abgeschlossenen Prozesse dagegen 13,4 Monate, siehe ebd., S. 56. 318 Destatis, Rechtspflege Zivilgerichte 2019, S. 26. 319 Greger, NZV 2016, 1 f.; Greger, ZZP 131 (2018), 317 (323 f.); Hirtz, NJW 2014, 2529. 320 Siehe Rebehn, DRiZ 2021, 334 f. 321 Insoweit Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 86; siehe auch Hirtz, NJW 2014, 2529 (2530); Tombrink, BRAK-Mitt 2017, 152 (154). 322 Greger, NZV 2016, 1 (2); Greger., ZZP 131 (2018), 317 (349 f.); Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, S. 526. 323 So hat im Jahr 2019 (Anm.: Die Termine werden in der aktuelleren Statistik für das Jahr 2020 nicht mehr ausgezeichnet, weshalb hier ein Rückgriff auf das Vorjahr erfolgt.) in den insgesamt 926.514 erledigten Verfahren in 66,8 Prozent kein Termin stattgefunden, wohingegen in nur 5 Prozent der Verfahren ein Termin mit Beweistermin stattgefunden hat (also in nicht einmal 50.000 Fällen). Durch streitiges Urteil erledigt wurden jedoch 224.755 Prozesse – von denen demnach fast 80 Prozent (!) ohne Beweisaufnahme erledigt worden sein müssten, Destatis, Rechtspflege Zivilgerichte 2019, S. 26, 30. 324 Die durchschnittliche Zahl der Termine je Verfahren mit Beweistermin liegt bei 1,8 und damit nicht eklatant höher als die Zahl der Termine je Verfahren mit Termin (1,3), siehe Destatis, Rechtspflege Zivilgerichte 2019, S. 30. 325 Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, S. 526.

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Verfahren zu Massenschadensfällen sind für derart ausufernde Prozesse wegen regelmäßig umfangreicher Beweisaufnahmen326 und der unternehmerischen Tendenz zu einer Verzögerung der Rechtsstreitigkeiten geradezu prädestiniert.327 Zu den Methoden, einen Prozess künstlich zu verlängern, zählen die Erhebung einer Vielzahl von Rechtsbehelfen, die Stellung von Ablehnungsgesuchen oder die Einbringung neuer Gutachten und Beweismittel.328 Zwar soll das Gericht ein solches Vorgehen aufgrund der nach dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch gebotenen Beschleunigung und Konzentration des Verfahrens bestenfalls verhindern,329 kann darüber jedoch nicht immer hinweghelfen: Etwa wird eine schnelle Erledigung des Rechtsstreits durch die Bestimmung eines frühen Termins (§ 275 ZPO) erst erfolgsversprechend sein, wenn zu erwarten ist, dass sich die Unternehmerin nur im geringen Maße zur Klage der Verbraucherin äußern wird,330 wovon bei den in Rede stehenden Rechtsstreitigkeiten aber gerade nicht auszugehen ist. Hinzu kommt, dass die vorgegebene Verfahrensbeschleunigung in der Praxis mitunter lahmt oder faktisch an Grenzen stößt, sei es wegen des Wartens auf Sachverständigengutachten, Zeitverluste durch Richterwechsel, inflexible Geschäftsverteilungspläne sowie eine hohe Arbeitsbelastung oder eine auch dadurch bedingte mangelnde Prozessförderung des Gerichts.331 Mithin ist nicht von der Hand zu weisen, dass Klägerinnen jedenfalls bei Prozessen, die klärungsbedürftige Sach- und Rechtsfragen aufwerfen, mit einem signifikanten zeitlichen Aufwand konfrontiert sind, zumal in Massenschadensfällen im Zweifel ein Instanzenzug in Kauf genommen werden muss. Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung vergehen meist mehrere Jahre,332 wie die Aufarbeitung des Abgasskandals mit einer Wartezeit von 2015 (Aufdeckung) bis 2020 (erstes Leiturteil333) veranschaulicht hat. Gewiss nehmen nicht alle Verfahren den beschwerlichen Weg durch drei Instanzen, sodass sich eine Pauschalisierung oder die Annahme einer Allgemeingültigkeit verbietet. Allerdings geht es hier um die Möglichkeit einer entsprechenden zeitlichen Belastung, die eine Verbrau326 Gerade der Sachverständigenbeweis verlängert Prozesse in der Regel merklich, dazu eingehend Keders/Walter, NJW 2013, 1697 (1700 ff.). 327 Heese, NJW 2021, 887 weist den Klagewellen im Abgasskandal sogar nachhaltige Auswirkungen auf die Verfahrensdauer in Zivilsachen insgesamt zu. 328 Siehe Tombrink, BRAK-Mitt 2017, 152 (155). 329 Keders/Walter, NJW 2013, 1697; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 52; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 81 Rn. 1 ff.; Schilken, ZPR, Rn. 382 ff. 330 Hidding, Zugang zum Recht für Verbraucher, S. 86. 331 Eingehend Calliess, Gutachten 70. DJT, A 55 ff.; Greger, NZV 2016, 1 (3 f.); Keders/Walter, NJW 2013, 1697 (1699 ff.); Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, S. 528; Stackmann, DRiZ 2021, 414 ff.; zur mitunter schleppenden Befolgung der richterlichen Prozessleitungspflicht schon krit. Baur, in: FS Schwab, S. 53 (55 ff.). 332 Kranz, NZG 2017, 1099 f.; zur im Abgasskandal insgesamt überlangen Verfahrensdauer auch Heese/Schumann, NJW 2021, 3023 (3025 f.). 333 BGH NJW 2020, 1962. Andere juristische Zweifelsfragen warten hingegen noch auf eine höchstrichterliche Klärung, siehe Syrbe, NZV 2021, 225.

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cherin ex ante im Rahmen ihrer Abwägung über das Für und Wider einer individuellen Rechtsverfolgung einkalkulieren muss. Diesbezüglich herrscht in der Bevölkerung (nach wie vor) der Eindruck, dass viele Verfahren zu lange dauern und die Gerichte eine zu hohe Arbeitsbelastung haben.334 Viele Verbraucherinnen schreckt das von eigenen Klagen ab.335 Somit sind auch die zeitlichen Bedenken, welche sich im rationalen Desinteresse bei verbrauchertypischen Massenschäden manifestieren, nicht als unbegründet anzusehen. b) Psychologische Faktoren Schließlich gilt zu beantworten, inwieweit die psychologischen Faktoren, welche die Abwägungsentscheidung der Verbraucherin – wie sich in den vorstehenden Abschnitten gezeigt hat – beeinflussen können, im Rahmen des rationalen Desinteresses zu berücksichtigen sind. Dazu zählen insbesondere die einschüchternde Wirkung des gegnerischen Unternehmens, das Gefühl der eigenen Unterlegenheit und Unwissenheit in rechtlichen Angelegenheiten, der als beschwerlich empfundene Zugang zu gerichtlichen Verfahren und eine allgemeine verbrauchertypische Zurückhaltung bezüglich der Austragung von Konflikten zur Vermeidung emotionaler Belastungen. Gegen die Berücksichtigung dieser Aspekte wird eingewandt, dass Überlegungen wie die Angst einzelner Geschädigter vor einer wirtschaftlichen Übermacht der Beklagtenseite keinen objektiv vernünftigen Grund enthalten würden, den Anspruch nicht klageweise geltend zu machen und sie deshalb keinen Bestandteil einer rationalen Abwägungsentscheidung darstellen könnten.336 Im reinsten Wortsinne erscheint das prima facie verständlich: Ganz nüchtern betrachtet müssten derart subjektive Eindrücke ausgeblendet werden. Dies gilt jedoch erst, wenn nicht nur aus materiell-rechtlicher Sicht eine Anspruchsberechtigung, sondern auch ein Obsiegen im Prozess überwiegend wahrscheinlich ist. Recht haben heißt noch nicht Recht bekommen. Jene Wahrscheinlichkeitsprognose ist im Fall verbrauchertypischer Massenschäden nun einmal häufig knifflig. Denn einerseits können Tatsachen- und Rechtsfragen über einen bedeutenden Zeitraum hin streitig sein, andererseits werfen eine differente Interessenlage sowie eine ungleiche Verteilung von Ressourcen zwischen den Beteiligten große Schatten auf die prozessuale Rechtsdurchsetzung. Innerhalb dieser diffusen Lage lassen sich objektive und subjektive Erwägungen faktisch nicht voneinander trennen; vielmehr stehen Letztere perma334 Siehe Roland Rechtsreport 2021, S. 16 f.: Danach empfanden 83 Prozent der Befragten, dass viele Verfahren zu lange dauern würden und 74 Prozent, dass die Gerichte überlastet seien. Wenngleich diese Prozentzahlen zuletzt leicht abnahmen, sind sie im Langzeittrend noch hoch. 335 R. Koch, MDR 2018, 1409 (1410). 336 So Bernhard, Kartellrechtlicher Schutz durch Individualklagen, S. 36.

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nent unter dem Einfluss der äußeren Umstände, sodass die einen nicht hinweggedacht werden können, ohne dass sich zugleich die anderen verändern würden. Auch ggf. rationale Gründe für eine Klageerhebung können so nicht darüber hinwegtäuschen, dass jede Unsicherheit bei der Entscheidung über eine Individualklage eine negative Wirkung besitzt.337 Damit kann es vorliegend aber nicht nach dem Wortsinn auf das Kriterium der Rationalität ankommen. In das individuelle Rechtsdurchsetzungsdefizit des rationalen Desinteresses im Rahmen der Geltendmachung verbrauchertypischer Massenschäden müssen demnach neben den finanziellen und zeitlichen auch die persönlichen bzw. psychischen Zugangshürden der Verbraucherinnen einbezogen werden. Ob diese im konkreten Fall tatsächlich als rational zu verstehen sind, spielt eine untergeordnete Rolle.

III. Abwägungsentscheidung über Rechtsverfolgung Die Betrachtung des rationalen Desinteresses soll eine Einschätzung zu dessen Reichweite abrunden. Zwar ist zunächst zu konstatieren, dass sich die Problematik im Hinblick auf die genannten vielfältigen – und nicht immer gleichzeitig vorliegenden – Faktoren, die dabei eine Rolle spielen können, gewiss nicht eindeutig auf einen bestimmten Forderungsbetrag festlegen lässt.338 Jedoch könnte mit Hilfe der bisherigen Erkenntnisse zumindest ein ungefährer Grenzwert ermittelt werden. Wie zuvor dargestellt, reicht allein das Prozesskostenrisiko bei einem Streitwert bis zu 500 Euro zu über 80 Prozent an den Forderungswert heran, bei einem Anspruch von 2.000 Euro liegt das Gesamtkostenrisiko immer noch bei knapp 75 Prozent der Summe.339 Der mögliche Gewinn übersteigt den drohenden Verlust hiernach nur geringfügig. Addiert man auch nur manche der zeitlichen oder psychologischen Faktoren hinzu, die sich auf die Abwägungsentscheidung der Verbraucherin auswirken können, erscheint ein Absehen von der Geltendmachung eines Anspruchs auch in diesen Forderungshöhen als vernünftig. Nach alldem erscheint ein Betrag von 2.000 Euro als geeigneter Richtwert, bis zu dem ein rationales Desinteresse heranreichen kann bzw. der signifikant überschritten werden muss, um bei einer Vielzahl der Geschädigten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein individuelles Rechtsdurchsetzungsinteresse (vernünftigerweise) zu begründen.340 Dies stützen Erkenntnisse des Roland Rechtsreports,

337 338 339 340

(69).

Vgl. Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 128. Insoweit auch A. Bruns, NJW 2018, 2753 (2756); Fiedler, Class Actions, S. 39 f. Vgl. bereits § 3 C. II. 1. a). Ähnlich Gurkmann, in: Gsell/Möllers, S. 439 (445); Voß, RabelZ 84 (2020), 62

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nach dessen Erhebung deutsche Bürgerinnen wegen eines erlittenen finanziellen Schadens durchschnittlich erst ab einem Streitwert von 1.840 Euro vor Gericht ziehen würden.341 Jene Erhebung zog jüngst auch die Gesetzgeberin heran, um die Problematik des rationalen Desinteresses im Kontext der Neuregelungen für den Rechtsdienstleistungsmarkt zu erläutern.342 Ein Desinteresse kann damit aber nicht nur bei Ansprüchen im Bagatellbereich auftreten, sondern vielfach auch in Bereichen, in denen nicht mehr von geringwertigen Einzelschäden gesprochen werden kann.343 Dieser Befund hat Konsequenzen für die herkömmliche Typisierung der Schadenskategorien, innerhalb derer das Problem des rationalen Desinteresses hauptsächlich Bagatellschäden zugeordnet, im Rahmen von Großschäden aber nicht berücksichtigt wird. Im Folgenden soll versucht werden, dies zu korrigieren und eine Möglichkeit zu finden, die in diesem Kapitel festgestellten Rechtsdurchsetzungsdefizite präziser in der Terminologie zu erfassen.

D. Typisierung von Massenschäden Zur Systematisierung der Massenschadensfälle haben sich in der wissenschaftlichen Diskussion344 hauptsächlich die Interessen an der Rechtsdurchsetzung der jeweiligen Schäden etabliert: Bagatellschäden werden insoweit danach charakterisiert, dass hier typischerweise kein individueller Klageanreiz vorliegt.345 Denn bei diesen sind die erlittenen Einzelschäden so gering, dass erst die Addition der Vielzahl der Ansprüche zu einer Schadenshöhe führt, die eine klageweise Durchsetzung der Ansprüche rechtfertigen würde.346 Stattdessen überwiegt deshalb ein öffentliches Interesse an der Rechtsdurchsetzung, wohingegen die Ausgleichsfunktion des Haftungsrechts durch die Geringwertigkeit in den Hintergrund rückt.347

341 Roland Rechtsreport 2020, S. 24. Zweifel am Befund äußert hingegen Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, S. 22 f. 342 RegE FvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 13 f. 343 So schon Schäfer, in: Basedow et al., S. 67 (70); ähnlich auch Fiedler, Class Actions, S. 38. 344 Daneben wurde noch zwischen den Ursachen des Schadensereignisses unterschieden; eingehend H. Koch, JZ 1998, 801 (802 f.), der die drei Fallgruppen „Großunfälle“, „Massenschäden durch Herstellungs- oder Verhaltensfehler“ und „Massenschäden mit Mehrfach-Ursachen“ unterscheidet. 345 Vgl. Stadler, in: Brönneke, S. 1 (3 f.); siehe auch Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 23; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 15 f. 346 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 22; Möllers/Pregler, ZHR 176 (2012), 144 (150); Wagner, Gutachten 66. DJT, A 107. 347 Buchner, Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 35 f.; Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 29; Stadler, JZ 2018, 793 (794).

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Um diese unbestimmten Kriterien greifbarer zu machen, wird ergänzend die Schadenshöhe als Richtwert herangezogen,348 ab dem noch bzw. nicht mehr von einem Bagatellbereich zu sprechen ist. Dabei divergieren die Vorschläge merklich zwischen einem unteren Grenzbetrag in Höhe von 25 Euro349 über geschätzte Werte von 50 bis 100 Euro350 bis hin zu einzelfallabhängigen Richtwerten zwischen 200351 bzw. 500 und 1.000 Euro.352 Mit dem rationalen Desinteresse harmonieren diese Beträge freilich nicht, da dieses jedenfalls bei einer Betroffenheit von Verbraucherinnen nach der hier vertretenen Auffassung bis zu Forderungswerten von 2.000 Euro heranreichen kann. Gleichermaßen zählt die Typizität eines Bagatellschadens – dem Fehlen eines individuellen Interesses an einer Rechtsdurchsetzung – dennoch dazu. Fraglich ist daher, wie der Problematik der „echten“ Bagatellschäden innerhalb des rationalen Desinteresses in Abgrenzung zu sonstigen Massenschäden Ausdruck verliehen werden kann.

I. Abgrenzung nach Abwägungsabhängigkeit Zunächst sei nochmals zu verinnerlichen, welche Situationen echte Bagatellschäden beschreiben sollen: Während die einzelne Geschädigte nur marginale Einbußen erfährt, erreicht der gesamtwirtschaftliche Schaden aufgrund der hohen Zahl der Betroffenen ein erhebliches Volumen.353 Klassische Fälle sind demnach die rechtsgrundlose Abbuchung geringer Geldbeträge, Vertragsschlüsse aufgrund irreführender Werbung oder der Kauf von Produkten mit einer geringeren als angegebenen Füllmenge („Mogelpackungen“), bei denen die Verluste der Verbraucherin – die ihr häufig nicht einmal auffallen354 – typischerweise nur wenige Euro oder Cent betragen, sodass sie eine Geltendmachung nicht ernsthaft in Betracht zieht.355

348 Eine allein in einer Wertgrenze angelegte Typisierung erscheint aufgrund der diffizilen allgemeingültigen Grenzziehung dagegen schwer haltbar, siehe A. Bruns, NJW 2018, 2753 (2756). Insoweit auch Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 23. 349 Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 1325; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 41. 350 Wagner, Gutachten 66. DJT, A 107. 351 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 23. 352 Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 24 f. 353 Fiedler, Class Actions, S. 36; Stadler, Bündelung von Interessen im Zivilprozess, S. 2. 354 Dazu näher hinsichtlich kartellbedingter Schäden Kredel/Brückner, BB 2015, 2947 (2948); Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 131 f. 355 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 128 f.; Buchner, Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 34; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 40; Wagner, Gutachten 66. DJT, A 75. Insoweit auch der Gesetzentwurf der Bundes-

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Das umschriebene Problem besteht also darin, dass ein Klageanreiz auf Verbraucherseite schlechthin fehlt, und zwar unter jedweden wirtschaftlichen Bedingungen. Der Bagatellbereich muss sich danach in einer Schadenshöhe bewegen, im Rahmen derer eine geschädigte Verbraucherin nicht seriös darüber nachdenken würde, gegen das sie schädigende Unternehmen rechtlich vorzugehen, selbst wenn ihr einziger Aufwand darin bestünde, sich in einem Klageregister anzumelden oder ihren Anspruch an eine Dritte abzutreten.356 Ihr rationales Desinteresse an der Rechtsdurchsetzung liegt mithin abwägungsunabhängig vor.357 Hierin liegt der entscheidende Unterschied zum rationalen Desinteresse bei Massenschäden oberhalb der Bagatellschwelle: In diesen Fällen ist ein Aktivwerden der Verbraucherinnen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern abwägungsabhängig. Regelmäßig fehlt zwar der Anreiz für eine Individualklage, aber ein generelles Durchsetzungsinteresse ist nicht abzusprechen.358 Da in der Abwägungsentscheidung diverse Belange relevant werden können, die von verbrauchertypischen Konfliktschwächen über einen abschreckenden finanziellen und zeitlichen Verfahrensaufwand bis hin zu verunsichernden Faktoren wie einer unübersichtlichen Rechtslage und einem dies ausnutzenden unternehmerischen Abwehrverhalten reichen, gestaltet sich das Problemfeld weitaus vielschichtiger. Dabei sind die einzelnen Defizite, die auf die eine oder andere Weise aus dem Individualrechtsschutz hervorgehen, miteinander verflochten. Sie sollten dementsprechend auch im Zusammenhang gesehen werden, um den insoweit fließenden Grenzen Rechnung zu tragen. Anders als bei echten Bagatellschäden besteht für sonstige Massenschäden also die Möglichkeit, dass sich betroffene Verbraucherinnen ggf. zu einer Anspruchsverfolgung entschließen, insbesondere sofern hierzu effektive Anreize unter Minimierung des zu erbringenden Aufwandes gesetzt werden.359 Ihre Apathie bleibt – jedenfalls theoretisch – noch umkehrbar.360 Demzufolge werden das individuelle Interesse an der Schadenskompensation sowie die Ausgleichsfunktion des Haftungsrechts gerade nicht schlechterdings vom überindividuellen Interesse an Sanktion und Prävention zurückgedrängt. regierung, Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb v. 22.8.2003 (RegE UWG), BT-Drs. 15/1487, S. 23. 356 Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 28 f.; Stadler, VuR 2018, 83 (85). 357 So auch das auf Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 16 zurückgehende „absolute Desinteresse“, welches nach dieser vorliegt, wenn die Schäden so gering sind, dass eine Rechtsdurchsetzung von vornherein, unabhängig von der individuellen wirtschaftlichen Ausgangslage des jeweiligen Geschädigten, wirtschaftlich sinnlos wäre. 358 Siehe schon Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 14. 359 Insoweit auch Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 29 f., der dafür eine spezielle Kategorie der „Streuschäden im mittleren bzw. oberen Bereich“ befürwortet. 360 Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 17 f. verwendet dafür den Terminus des relativen Desinteresses.

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II. Richtwert für Bagatellbereich Fraglich ist schließlich, wie sich das abstrakte Abgrenzungskriterium der Abwägungsabhängigkeit in einem Richtwert widerspiegeln lässt, ab dem der Bagatellbereich verlassen ist. Gesucht ist demnach ein Betrag, bis zu dem für gewöhnlich von einem abwägungsunabhängigen Desinteresse einer Verbraucherin auszugehen ist. Bislang werden 25 bis 50 Euro wohl als niedrigste Summe angesehen, ab der eine Geschädigte bereit wäre, in irgendeiner Form Maßnahmen zur Durchsetzung eines Anspruchs einzuleiten.361 Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass neben dem Individualrechtsschutz neuerdings auch Ansätze des Kollektivrechtsschutzes für die Verbraucherrechtsdurchsetzung verfügbar sind. In Anbetracht der neuen und einfach zugänglichen Wege zur Anspruchsverfolgung, namentlich der Musterfeststellungsklage sowie dem Angebot zahlreicher Rechtsdienstleistungsplattformen, welche mittels Legal Tech-Anwendungen die Geltendmachung geringwertiger Forderungen wirtschaftlich machen und gerade in diesem Bereich nachgefragt werden,362 könnte dieser Richtwert deshalb nach unten zu setzen sein. Dafür spricht, dass besonders die Geschäftsmodelle der Inkassodienstleisterinnen durch Online-Formulare sowie die Befreiung von jeglichem Kostenrisiko einen besonders bequemen sowie schnellen Zugang zum Recht versprechen.363 Der verbraucherseitig zu erbringende Aufwand fällt hierbei kaum ins Gewicht: In erster Linie müssen ähnlich wie beim Online-Shopping oder einer Flugbuchung auf der Website der jeweiligen Anbieterin mit wenigen Klicks automatisierte bzw. voreingestellte Felder einer Eingabemaske ausgefüllt werden, was jederzeit und überall zügig erledigt werden kann.364 Steht daraufhin ein konkreter Ersatzanspruch in Aussicht, dürfte regelmäßig auch eine gewisse gesteigerte Motivation für eine ggf. später erforderliche Mitwirkung, etwa bezüglich der Beibringung gewisser Nachweise, gegeben sein. Daneben ist auch die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage niedrigschwellig möglich (vgl. § 608 ZPO) und hält die Option offen, die angemeldeten Ansprüche – soweit nicht bereits eine Kompensation aufgrund eines Vergleichsschlusses erfolgt – später durch die Klärung wesentlicher Sach- und Rechtsfragen auf leichtere Weise geltend machen zu können. Dass durch diese Ansätze auch die Geltendmachung einer Forderung in Höhe von oder unter 25 Euro im Bereich des Vorstellbaren liegt, illustriert einerseits

361 Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 1325; zust. Eichler, Kollektive Rechtsschutzinstrumente, S. 29. 362 Vgl. RegE FvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 1; Morell, WM 2019, 1822 (1823); Prütting, ZIP 2020, 49; Rehder/Apitzsch/Schillen/Vogel, ZUM 2021, 376. 363 Statt aller Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522 (2523). 364 In diese Richtung auch Rehder/Apitzsch/Schillen/Vogel, ZUM 2021, 376.

D. Typisierung von Massenschäden

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die Grundsatzentscheidung des BGH zur Plattform „wenigermiete.de“.365 In der Hauptsache ging es hier letztlich um den Anspruch einer Mieterin gegen ihre Vermieterin in Höhe von 23,49 Euro.366 Andererseits hat die Gesetzgeberin bei der Einführung der Universalschlichtungsstelle des Bundes, welche speziell für Streitigkeiten nach einem Musterfeststellungsverfahren zuständig ist (vgl. § 30 Abs. 1 Nr. 2 VSBG), womöglich einen Fingerzeig in diese Richtung gegeben. Denn gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 4 VSBG wird die Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens erst abgelehnt, wenn der Wert des Streitgegenstands weniger als 10 Euro oder mehr als 50.000 Euro beträgt.367 Im Umkehrschluss hält sie für die Universalschlichtung infrage kommende Konflikte zwischen einer Verbraucherin und einer Unternehmerin in diesen Forderungsbereichen, also auch schon oberhalb eines Streitwerts von 10 Euro, prinzipiell für denkbar.368 Mit Blick auf die neuen Zugangsmöglichkeiten kann daher ab der Aussicht auf einen zweistelligen Eurobetrag nicht ausgeschlossen werden, dass sich einige Verbraucherinnen zur risikolosen, zeitlich und organisatorisch bequemen und persönlich kaum belastenden Einleitung einer Anspruchsverfolgung wegen eines Massenschadens über ein kollektives Rechtsschutzinstrument entschließen. Selbst wenn sich ein Teil der betroffenen Verbraucherinnen dagegen entscheidet, ist ihr Desinteresse bereits abwägungsabhängig. Als Richtwert für die Grenze des Bagatellbereichs bietet sich somit eine Forderungshöhe von etwa 10 bis 15 Euro an.369

365

BGH NJW 2020, 208. BGH NJW 2020, 208 (210); Römermann, ZRP 2021, 10. 367 Die Vorgängervorschrift befand sich in § 30 Abs. 1 Nr. 4 VSBG und setzte Beträge von 10 Euro und 5.000 Euro fest; während letztere Summe also deutlich angehoben wurde, blieb erstere gleich. Nur unterhalb eines Streitwerts von 10 Euro erachtet die Gesetzgeberin damit eine Bearbeitung der Streitigkeiten (forthin) als nicht angezeigt, „da der Aufwand für die Durchsetzung solcher Bagatellansprüche unverhältnismäßig erscheint.“ Siehe Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten v. 9.6.2015, BT-Drs. 18/5089, S. 69. 368 RegE VSBG, BT-Drs. 19/10348, S. 22; siehe auch Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, § 30 Rn. 28. 369 Aufgrund der bei Inkassodienstleisterinnen üblichen Erfolgsbeteiligung von 20 bis 35 Prozent (vgl. Stadler, WuW 2018, 189) wird der Richtwert hier nicht fest bei 10 Euro verankert. 366

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§ 4 Lösungsansätze für Massenschäden

§ 4 Lösungsansätze für Massenschäden Nach der Analyse der Defizite des Individualrechtsschutzes im Rahmen der Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden können nunmehr die infrage kommenden Lösungsansätze in den Blick genommen werden. Dabei ist zu Beginn eine Besonderheit für die Bewältigung echter Bagatellschäden herauszustellen. Anschließend soll ein Blick auf denkbaren Optionen zur Stärkung des Individualrechtsschutzes, aber auch auf deren Grenzen geworfen werden: Mit welchen Maßnahmen könnte man den im vorangegangenen Kapitel dargestellten Problemen begegnen, und wie weitreichend könnten sie zu Verbesserungen beitragen? Daran anknüpfend sollen die für die Bewältigung verbrauchertypischer Massenschäden geeigneten Erscheinungsformen des Kollektivrechtsschutzes konturiert werden. Im Rahmen dessen sollen schließlich die Bewertungsmaßstäbe und Leitlinien aufgestellt werden, an denen sich die späteren Erwägungen zur Einordnung und zur Perspektive der Musterfeststellungsklage immer wieder orientieren.

A. Ausklammerung echter Bagatellschäden Die soeben hergeleitete Problematik, die sich hinter einem echten Bagatellschaden verbirgt, ist das abwägungsunabhängige Desinteresse geschädigter Verbraucherinnen, die erlittenen Rechtsverluste gegenüber der Schädigerin geltend zu machen. Regelmäßig dürfte es sich dabei um marginale Einzelschäden in Cent- oder einstelligen Eurobereichen handeln, deren Geltendmachung niemand ernsthaft in Erwägung ziehen würde, weil jedweder Aufwand hierzu außer Verhältnis stünde. In solchen Fällen ist ein individuelles Interesse an der Anspruchsdurchsetzung somit nicht erzwingbar.370 Dieser Umstand hat erhebliche Konsequenzen für die infrage kommenden Lösungsansätze: In allen Verfahren des individuellen und des kollektiven Rechtsschutzes, die primär dem Schutz subjektiver Rechte dienen, darunter also auch die Musterfeststellungsklage,371 muss eine Durchsetzung echter Bagatellschäden danach ausscheiden. Denn diese sind darauf angewiesen, dass die einzelnen Geschädigten selbst initiativ werden (vgl. §§ 253 Abs. 1, 608 Abs. 1 ZPO); anderen Mechanismen, welche Betroffene ohne ihr Zutun in ein Verfahren einbeziehen (insb. opt out-Modelle), werden im deutschen Verfahrensrecht durch die Grundsätze der Privatautonomie und der Dispositionsmaxime Grenzen gesetzt.372 Vielmehr kommen nur Formen der Rechtsdurchsetzung infrage, welche hauptsächlich das öffentliche Interesse zu schützen bestimmt sind.373 370

Kredel/Brückner, BB 2015, 2947 (2950). Vgl. § 2 B. I. und II. 2. 372 Vgl. § 2 A. IV. 2. b). 373 Mangels einer Relevanz für den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit werden diese im Folgenden nur kurz erwähnt, ohne sich jedoch näher mit ihnen auseinanderzu371

A. Ausklammerung echter Bagatellschäden

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Primär stehen dafür die klassischen verbraucher- und wettbewerbsrechtlichen Verbandsklagen offen, die ein Individualinteresse der Geschädigten an der Rechtsverfolgung gerade nicht voraussetzen.374 Durch die gesetzliche Zuweisung der Klagebefugnis an Verbände, die sich satzungsmäßig dem Schutz allgemeiner Verbraucher- bzw. Wettbewerbsinteressen verschrieben haben, sollen sie die Rechtsdurchsetzungslücken im Bereich echter Bagatellschäden schließen.375 Prima facie scheint dies jedoch nicht zu gelingen: Nach verbreiteter Auffassung sind insbesondere die Gewinnabschöpfungsklagen nach § 10 Abs. 1 UWG und § 34a Abs. 1 GWB de lege lata nicht effektiv genug und reformbedürftig.376 Ergänzend377 kann sich zudem eine behördliche Verbraucherrechtsdurchsetzung als zweckmäßig erweisen, welche punktuell schon durch die die Einhaltung des objektiven Rechts beaufsichtigende Bundesnetzagentur (§ 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 UWG), die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (§ 4 Abs. 1a FinDAG), das Luftfahrtbundesamt (§§ 63d, 108 LuftVZO) oder die Kartellbehörden erfolgt.378 Gleichwohl ist das an staatliche Ressourcen und ein praktikables Regelungsinstrumentarium geknüpft, an denen wiederum vielfach Zweifel geäußert werden.379 Hier empfiehlt sich, eine sachgerechtere Ausgestaltung der aufsichtsbehördlichen oder gar parlamentarischen Regulierungsoptionen in Erwägung zu ziehen.380 Das europäische Unionsrecht könnte sich insoweit zum Treiber entwickeln.381 So scheint die Gesetzgeberin aufgefordert, sich mit der nachfolgend ausgeklammerten Frage der Bewältigung echter Bagatellschäden setzen. Diesbezüglich sei auf die zahlreichen wertvollen Beiträge aus der Literatur verwiesen. 374 Vgl. Alexander, JuS 2009, 590 (591); Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 13; Kredel/Brückner, BB 2015, 2947; Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 60; Roth, ZfPW 2017, 129 (147 f.); Stadler, in: Brönneke, S. 1 (21). 375 RegE UWG, BT-Drs. 15/1487, S. 23 f.; Goldmann, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 14 ff.; Meller-Hannich, Wandel der Verbraucherrollen, S. 145. 376 Gsell/Rübbeck, ZfPW 2018, 409 (412 f., 429); siehe auch Goldmann, in: HarteBavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 10 Rn. 12 f.; Meller-Hannich/Höland, Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 37 ff. 377 Zur Subsidiarität der behördlichen Verbraucherrechtsdurchsetzung und der Koordinierung paralleler Rechtsverfolgung Poelzig, BKR 2021, 589 (595 f.). 378 Ettel, in: Brönneke/Willburger/Bietz, S. 43 (53 ff.); Köhler, WRP 2018, 519; Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 183; Poelzig, BKR 2021, 589 ff.; dies entspricht überdies auch dem deutschen Wirtschafts- und Sozialmodell, siehe A. Bruns, ZZP 125 (2012), 399 (403 f.). 379 Näher Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung, S. 460 ff. (zu § 34 Abs. 1 GWB); Basedow, EuZW 2018, 609 (614); Buck-Heeb, BKR 2021, 141 (zu § 4 Abs. 1a FinDAG); Podszun/Busch/Henning-Bodewig, Behördliche Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 183, 186 ff., 194 ff. 380 So schon A. Bruns, ZZP 125 (2012), 399 (416). 381 Näher Poelzig, BKR 2021, 589 (593 f.) unter Verweis auf den „New Deal for Consumers“.

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§ 4 Lösungsansätze für Massenschäden

nochmals eingehender zu befassen. Eine gesetzliche Möglichkeit, durch schärfere Unternehmenssanktionen präventiv deren Vermeidung zu fördern,382 wurde zum Ende der 19. Legislaturperiode allerdings (vorerst) ad acta gelegt.383

B. Potenziale und Grenzen des Individualrechtsschutzes Der Ausbau kollektiver Rechtsschutzinstrumente ist bei weitem nicht die einzige Möglichkeit, die Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden zu fördern. Immerhin ist eine der potenziellen Ursachen des rationalen Desinteresses darauf zurückzuführen, dass die Zugangsvoraussetzungen zu gerichtlichen Verfahren inzwischen nicht mehr der Erwartungshaltung der Verbraucherinnen an Konfliktlösungsinstrumente entsprechen.384 Zugleich trägt die rückständige Digitalisierung nicht dazu bei, dass die Sorgen vor einer Überlastung der justiziellen Ressourcen geringer werden.385 Ansätze zur Modernisierung des Zivilprozesses, die vielfach unterbreitet sind,386 kämen insoweit auch der hier zugrunde liegenden Thematik zugute. Nachfolgend wird über ausgewählte Maßnahmen, die aus Verfassersicht am geeignetsten erscheinen, ein Überblick verschafft, wobei diese jeweils auch kritisch gewürdigt werden sollen.

I. Beschleunigtes Online-Verfahren Vielversprechend erscheint zuvörderst die Einführung eines Beschleunigten Online-Verfahrens, welches nach dem von der Länder-Arbeitsgruppe „Legal Tech“ vorgeschlagenen „Hamburger Modell“ für Forderungen mit einem Maximalstreitwert von 2.000 Euro als formularbasiertes Verfahren387 konzipiert wäre, das auf elektronischem Wege mittels an die Anforderungen des § 253 ZPO ange382 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft v. 21.10.2020, BT-Drs. 19/23568. 383 Budras, Skandale ohne Folgen, Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung v. 9.6.2021, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/koalition-beerdigtgesetz-zu-unternehmenssanktionen-17381080.html (Abrufdatum: 4.1.2022). Für die 20. Legislaturperiode dürfte das Thema erneut auf der Agenda stehen. Der Koalitionsvertrag der „Ampel-Regierung“ (Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S. 111, abrufbar unter: https://www.spd.de/koalitions vertrag2021/ [Abrufdatum: 4.1.2022]) spricht insoweit aber nur knapp und unkonkret davon, dass eine Überarbeitung der Vorschriften der Unternehmenssanktionen einschließlich der Sanktionshöhe beabsichtigt werde. 384 Vgl. § 3 C. I. 2. 385 Heil, ZIP 2021, 502 (503); Specht, MMR 2019, 153. 386 Derzeit am umfassendsten ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier. 387 Zur Entwicklung elektronischer Formulare allg. Bernhardt, in: Buschmann et al., S. 21 (31).

B. Potenziale und Grenzen des Individualrechtsschutzes

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passten, in wenigen verständlichen Schritten ausfüllbaren Eingabemasken eingeleitet werden könnte.388 Neben dem leichten digitalen Zugang soll das Verfahren auch für alle finanzierbar sein, wobei Pauschalgebühren in Höhe von 50 Euro bei Streitwerten bis zu 1.000 Euro bzw. 100 Euro bei Streitwerten bis zu 2.000 Euro erwogen werden.389 Auf diese Weise ließe sich die Gefahr eines rationalen Desinteresses der Verbraucherinnen, zu dem der als beschwerlich empfundene Zugang zum Gericht sowie Kostenhürden beitragen können,390 verringern.391 Dies gilt erst recht, wenn nicht nur die Verfahrenseinleitung, sondern das gesamte Verfahren durchgehend digital ausgestaltet würde.392 In technischer Hinsicht wäre dies inzwischen ohne weiteres möglich.393 Auch eine mittels künstlicher Intelligenz betriebene Hilfssoftware zur Unterstützung und Strukturierung der Stoffsammlung könnte in das Verfahren integriert werden, welche für massenhaft auftretende und stark schematisierte Streitigkeiten wie Ansprüche auf Fluggastentschädigungen prädestiniert wäre.394 Hierin zeigt sich, dass besonders für bestimmte Sachverhalte verbrauchertypischer Massenschäden ein Anwendungsbereich bestehen könnte.395 Nichtsdestominder verdeutlicht das zugleich eine wesentliche Schwäche des Beschleunigten Online-Verfahrens. Sofern eine Schematisierung scheitert, weil die Sach- und Rechtsfragen zu komplex bzw. noch nicht höchstrichterlich geklärt sind, bleibt die Durchführung eines gewöhnlichen Individualverfahrens notwendig. In Massenschadensfällen, die wie im Abgasskandal eine intensive Aufarbeitung erfordern, käme das Verfahrensinstrument also nicht bzw. erst dann zur Anwendung, wenn alle wesentlichen Streitfragen geklärt sind.396 Zudem ist schwer abzusehen, ob Verbraucherinnen tatsächlich überwiegend ein Beschleunigtes Online-Verfahren nutzen oder sich nicht doch für die bis dahin wohl längst gewohnten Angebote privater Inkassodienstleisterinnen entscheiden würden, welche ihnen den Aufwand der Rechtsverfolgung gänzlich abnehmen.397 Mitentscheidend wäre insoweit, wie die Gerichte technisch in der Lage sind, das Online-Verfahren 388

Eingehend LänderArbGr Legal Tech, Abschlussbericht, S. 80 f., 83 ff. LänderArbGr Legal Tech, Abschlussbericht, S. 90 f. 390 Dazu § 3 C. II. 1. c) und 2. b). 391 So auch Balke, AnwBl Online 2020, 209 (210). 392 Dies befürwortet der das „Hamburger Modell“ aufgreifende und – auch im Hinblick auf die Streitwertgrenze (5.000 Euro) – weiterentwickelnde Vorschlag der ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 80, 84 f. 393 Voß, RabelsZ 84 (2020), 62 (86). 394 ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 80 ff. 395 Die Vorschläge sehen freilich von vornherein eine Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs auf häufig vorkommende Fallgruppen vor, siehe ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 85; LänderArbGr Legal Tech, Abschlussbericht, S. 80 f. 396 Dazu noch unter § 7 C. I. 1. 397 Ebenso Balke, AnwBl Online 2020, 209 (211). 389

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§ 4 Lösungsansätze für Massenschäden

umzusetzen; schon im Rahmen der elektronischen Akte hat das bisweilen Schwierigkeiten offenbart.398 Daneben müssten sie die Prozesse bei hoher Akzeptanz (sprich: mehr Klägerinnen!) aber auch zahlenmäßig bewältigen können. Offen ist überdies, inwieweit die Beklagte zur Teilnahme an dem Verfahren verpflichtet und in dieses so einbezogen werden könnte, dass sie es einerseits nicht durch das Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln „sprengen“ kann, andererseits aber nicht übermäßig benachteiligt wird.399 Zumindest die Möglichkeit zu einem (nachträglichen) „Wechsel“ in ein gewöhnliches Individualverfahren, wie sie bei besonderen Prozessarten wie dem Mahnverfahren (vgl. § 696 Abs. 1 S. 1 ZPO) oder dem Urkundenprozess (§§ 599 Abs. 1, 600 Abs. 1 ZPO besteht, müsste insofern wohl eingeräumt werden. Mithin bietet das Beschleunigte Online-Verfahren teils sehr gute Ansatzpunkte und wäre in bestimmten Massenschadensbereichen auch durchaus schon jetzt ein Gewinn. Ansonsten müsste das Modell noch reifen. Fest steht allerdings, dass es grundsätzlich nicht geeignet ist, komplexe Streitfälle effizient aufzuklären und zugleich einheitlich zu bewältigen.

II. Digitale Einkleidung und Unterstützung Auch ohne die Einführung einer speziellen Verfahrensart könnte die Digitalisierung auf verschiedenen Wegen für den Zivilprozess nutzbar gemacht werden. Die möglichen Einsatzfelder sind im Modell des Beschleunigten Online-Verfahrens zum Teil bereits angedeutet. Ein großer Bereich betrifft die elektronische Kommunikation, in dem das noch zu häufig papierne Verfahrensrecht besonders viel Potenzial besitzt.400 Zunächst könnten eine digitale Erreichbarkeit der Gerichte im Allgemeinen sowie eine digitale Zugangsmöglichkeit zu gerichtlichen Verfahren (bspw. über Online-Rechtsantragsstellen oder ein bundesweites Justizportal) im Besonderen dafür sorgen, dass die Wiederherstellung der Bürgernähe der Ziviljustiz ein gutes Stück vorankommt.401 Die Einrichtung eines entsprechenden Zugangs hätte diverse Vorteile: So wäre ein persönliches Erscheinen vor bzw. eine dauerhafte Präsenz bei Gericht nicht mehr zwingend erforderlich, was sowohl die Rechtssuchenden402 als auch das justizielle Personal403 entlasten würde. Genauso wäre 398

Greger, NJW 2019, 3429 (3430). Auch die ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 89 ff. sieht darin ein „Kernproblem“. 400 Vgl. Fries, NJW 2016, 2860 (2862); Pickel, AnwBl Online 2018, 388 (390). Dasselbe gilt für die künftig zu führenden elektronischen Akten, soweit sie nicht „mehr bieten [sollten] als ein schlichtes Abbild der Papierakten“, siehe Bernhardt, in: Buschmann et al., S. 21 (27 f.). 401 Eingehend ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 6 ff., 10 ff.; dazu auch Hidding, DRiZ 2020, 58 (60). 402 Balke, AnwBl Online 2020, 209 (212). 399

B. Potenziale und Grenzen des Individualrechtsschutzes

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ein einmal geschaffenes Portal oder ein vergleichbares Kommunikationsmedium in der Lage, auch im Laufe eines Prozesses die Parteien automatisch über die Bestimmung, Verzögerung bzw. Verschiebung von Terminen, Veränderungen des Streitstoffs oder Entscheidungen zu informieren und zugleich zügige Absprachen sowie Reaktionen der Beteiligten darauf zu ermöglichen.404 Der Abbau dieser Zugangshürden für Verbraucherinnen hätte somit zugleich Synergieeffekte für die Effizienz der Verfahren. Ferner dürfte eine elektronische Verfahrenseinleitung die Tür für Datenverarbeitungstechnologien öffnen, welche Informationen der Beteiligten bereits im Rahmen der Verfahrensvorbereitung übermitteln, zusammenführen und aufbereiten könnten.405 Die Sachverhaltsfeststellung könnte so bspw. mittels Formularfeldern automatisierter verlaufen.406 Im Hinblick auf die Strukturierung des Parteivortrags bestehen so neue Möglichkeiten: Schon nach der Umstellung auf die elektronische Aktenführung (vgl. § 298a ZPO)407 könnte der Parteivortrag unter Berücksichtigung bestimmter Vorgaben in ein gemeinsames elektronisches Basisdokument eingebracht werden, welches den anspruchsrelevanten Prozessstoff in einer übersichtlichen Struktur gezielt sammelt.408 Die Gerichte müssten hierdurch anfänglich weniger Zeit für das Herausfiltern der wesentlichen Informationen aus den jeweiligen Schriftsätzen aufwenden und könnten auch im weiteren Verlauf effizienter arbeiten, etwa indem sich wiederholte Tatsachenvorträge durch das Fortschreiben des Basisdokuments unter gleichzeitiger Herstellung elektronischer Verknüpfungen und Bezugnahmen auf das frühere eigene oder gegnerische Vorbringen vermeiden ließen.409 Im Rahmen der inhaltlichen Erschließung der Schriftsätze könnten Richterinnen manuell 403

ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 8. Am Beispiel eines „elektronischen Nachrichtenraums“ ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 27 ff.; siehe auch Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522 (2525); Specht, MMR 2019, 153 (155). 405 In diese Richtung schon Calliess, Gutachten 70. DJT, A 99 f.; Fries, NJW 2016, 2860 (2862); Gaier, NJW 2013, 2871 (2874); Greger, NJW 2019, 3429 (3430); Pickel, AnwBl Online 2018, 388 (391). 406 Vgl. Hähnchen/Schrader/Weiler/Wischmeyer, JuS 2020, 625 (628). 407 Diese ist nicht selbstverständlich: Die Gesetzgeberin hat die Führung elektronischer Akten zunächst als Kann-Vorschrift ausgestaltet (§ 298a Abs. 1 Satz 1 ZPO) und erst ab 1.1.2026 eine Verpflichtung implementiert (§ 298 Abs. 1a Satz 1 ZPO), die uneingeschränkt auch nur für neue Rechtssachen gilt. Ohne eine möglichst zügige und umfassende Transformation können die Vorteile der Digitalisierung aber nicht vollends ausgeschöpft werden. Insoweit krit. Bernhardt, in: Buschmann et al., S. 21 (26). 408 Eingehend ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 33 ff.; zu den denkbaren zwei Arten von Strukturierungen (vertikal und horizontal) sowie möglichen Anknüpfungspunkten einer Schriftsatzstrukturierung mit Rücksicht auf das Spannungsfeld zwischen Parteiherrschaft und Richtermacht allg. Zwickel, in: Buschmann et al., S. 179 (185 ff., 200 ff.). 409 Heil, ZIP 2021, 502 (504). 404

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§ 4 Lösungsansätze für Massenschäden

durch softwarebasierte Unterstützungsprogramme und langfristig ggf. sogar durch den Einsatz künstlicher Intelligenz entlastet werden.410 Dies hätte erheblichen Mehrwert für die Prozessökonomie und die effiziente Nutzung richterlicher Arbeitszeit.411 Es ist jedoch wiederum fraglich, ob allein diese Ansätze im Rahmen der Aufarbeitung eines Massenschadensfalls tauglich genug wären, um sich den festgestellten Defiziten des Individualrechtsschutzes wirksam entgegenzustemmen. Denn so wichtig ein vereinfachter Zugang für Verbraucherinnen erscheint, würde eine Zunahme von Klagen zugleich eine Mehrbelastung für die Gerichte bedeuten, welche eine technologische Unterstützung wohl kaum kompensieren könnte. Zudem ist zu befürchten, dass sich eine digitalbasierte Strukturierung des Verfahrens für komplexe Sachverhalte weniger eignet, da sich das Parteienvorbringen selbst bei einer aktiven Gestaltung des zu beachtenden Aufbaus durch das Gericht wohl schwerlich formularartig erfassen lässt und das Basisdokument letztlich doch aufgebläht würde.412 Vielmehr erscheint eine entsprechende technologische Einrahmung der Verfahren derzeit am ehesten für leicht standardisierbare Rechtsstreitigkeiten praktikabel.413

III. Vorabentscheidungsverfahren Vorstehend hat sich gezeigt, dass die Digitalisierung der Zivilgerichtsbarkeit zwar einen sinnvollen Baustein darstellt, um die Verbraucherrechtsdurchsetzung insgesamt zugänglicher und effizienter zu gestalten, die beobachteten Grenzen des Individualrechtsschutzes besonders bei komplexen Massenschäden jedoch nicht überwinden könnte. Dazu wäre erforderlich, dass die zugrunde liegenden Rechtsfragen bereits höchstrichterlich geklärt wären. Dies könnte die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens beschleunigen. Denkbar wäre, den Instanzgerichten die Möglichkeit einzuräumen, unaufgeklärte elementare Streitfragen in Massenschadensfällen dem BGH vorab zur Entscheidung vorzulegen, die sodann für eine Vielzahl gleichgelagerter Parallelverfahren – welche zwischenzeitlich ausgesetzt werden könnten414 – richtungs-

410

Näher Zwickel, in: Buschmann et al., S. 179 (196 ff.). Vgl. Fries, NJW 2016, 2860 (2864). 412 Krit. auch Heil, ZIP 2021, 502 (505 f.), der statt einem fortlaufenden Textdokument die graphische Aufbereitung der Subsumtionsvorgänge vorschlägt. 413 In diese Richtung auch Beschlüsse 92. JuMiKo in NRW, TOP I. 21, Effizientere Bearbeitung von Fluggastrechteklagen bei Gericht durch den Einsatz von digitalen Systemen zur Unterstützung der Richterinnen und Richter, abrufbar unter: https://www. justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2021/Fruehjahrskonferenz_2021/index.php (Abrufdatum: 4.1.2022). 414 Heese, NJW 2021, 887 (892). 411

B. Potenziale und Grenzen des Individualrechtsschutzes

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weisend wäre.415 Von einer zeitnah vorgezogenen Grundsatzklärung könnte die (ansonsten einen ganzen Instanzenzug erfordernde) gerichtliche Aufarbeitung insgesamt erheblich profitieren, zumal damit auch außerhalb bereits laufender Prozesse ein Abbau der Rechtsunsicherheit, eine Entlastung justizieller Ressourcen sowie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einvernehmlicher Streitbeilegungen einhergehen dürfte.416 Beklagtenseitigen Verzögerungstaktiken, denen sich der BGH bislang eher notgedrungen mittels der Veröffentlichung richterlicher Hinweisbeschlüsse zu erwehren versucht,417 wäre so ebenfalls die Grundlage entzogen. Insofern würde diese Maßnahme an allen aufgeführten Defiziten des Individualrechtsschutzes (vgl. § 3 A.–C.) den Hebel ansetzen und erscheint deshalb – wie prinzipiell auch die zuvor genannten – zur Verbesserung der individuellen Verbraucherrechtsdurchsetzung (bei Massenschäden) erwägenswert.418 Trotz der zahlreichen evidenten Vorteile befreit eine solche beschleunigte Schaffung von Klarheit über grundsätzliche Streitfragen nicht davon, über die (nunmehr zumindest weniger komplexen) einzelnen Klagen der geschädigten Verbraucherinnen zu entscheiden.419 Die Verfahrenslast bliebe prima facie hoch.420 Ferner ist unklar, ob eine bloße Aufhellung der Rechtslage dazu führen würde, dass sich (noch) nicht klagende, in einem rationalen Desinteresse verharrende Geschädigte zu einer Geltendmachung ihrer Forderungen in eigener Verantwortung ermutigt fühlen. Allein die noch immer notwendige Auseinandersetzung mit der Anspruchsgegnerin könnte diesbezüglich weiterhin hemmend wirken.421 Zwar ist denkbar, dass auch diesen Bedenken durch eine kumulative Einführung von Vorabentscheidungs- und Beschleunigtes Online-Verfahren zum Teil entgegengesteuert werden könnte, jedoch hätte dies im Ergebnis wiederum

415 So die Beschlüsse 92. JuMiKo in NRW, TOP I. 10, Höchstrichterliche Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen beschleunigen – Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens bei dem Bundesgerichtshof, abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/ jumiko/beschluesse/2021/Fruehjahrskonferenz_2021/index.php (Abrufdatum: 4.1.2022); ähnlich Heese, NJW 2021, 887 (892) („Individualmusterklage“); Rapp, JZ 2020, 294 (300 ff.) („saisine pour avis“ nach französischem Vorbild); Stackmann, DRiZ 2021, 414 (417) („Schaffung eines Bundesgerichtes mit Zuständigkeit für Verbraucherschutzverfahren“). 416 Näher Heese/Schumann, NJW 2021, 3023 (3027); Rapp, JZ 2020, 294 (300 f.). 417 Zur jeweils nicht einhellig geklärten Zulässigkeit des Vorgehens sowie zur Relevanz der Veröffentlichung eingehend Laukemann, ZZP 134 (2021), 67 (77 ff.). 418 Eine andere Frage ist, wie ein solches Verfahren ausgestaltet sein müsste, um es sinnvoll in die ZPO zu integrieren. Zu diesbezüglichen Hürden näher Gsell, ZRP 2021, 166 ff.; Ansätze liefern Heese/Schumann, NJW 2021, 3023 (3028 f.). 419 Dahingehend auch Stackmann, DRiZ 2021, 414 (417). 420 So auch Gsell, ZRP 2021, 166 (168); Heese/Schumann, NJW 2021, 3023 (3027 f.). 421 Es sei denn, die Haftung dem Grunde nach ist aufgrund der Vorabentscheidung nahezu gar nicht mehr von der Hand zu weisen. Dann dürfte das Unternehmen wohl von sich aus die außergerichtliche Einigung anbieten.

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§ 4 Lösungsansätze für Massenschäden

nur eine gesteigerte Zahl gleichgerichteter Individualprozesse zur Folge, deren Masse die Gerichte bewältigen müssten. Diesem Umstand kann sich der Individualrechtsschutz – gleich welche Lösungsansätze man in Erwägung zieht – schlichtweg nicht gänzlich entledigen. Hier befindet sich mithin das Einfallstor für kollektive Rechtsschutzinstrumente.

C. Bedürfnis für Kollektivrechtsschutz Die ausgeloteten Potenziale des Individualrechtsschutzes erscheinen nicht in der Lage, alle ihm bei der Verbraucherrechtsdurchsetzung von Massenschäden anhaftenden Defizite immer vollends zu beseitigen. Insoweit wird das Bedürfnis für einen Kollektivrechtsschutz nochmals bestätigt. In diesem vereinigen sich die theoretischen Vorteile, welche die zuvor beleuchteten Ansätze zumeist nur einzeln in Aussicht stellen. Zunächst entlastet die rechtliche Aufarbeitung eines solchen Schadensfalls in einem Kollektivverfahren die Gerichte in einer Vielzahl von Einzelprozessen, bewirkt also eine wesentlich prozessökonomischere Konzentration der klärungsbedürftigen Probleme.422 Zugleich werden divergierende Entscheidungen infolge einer Prozesszersplitterung vermieden, sodass die Bewältigung durch ein Massenverfahren der Rechtssicherheit dient, zumal mit dessen Hilfe womöglich eine frühzeitigere Beantwortung wesentlicher Streitfragen zu erwarten ist.423 Dies hat der Kollektivrechtsschutz mit dem erwähnten Vorabentscheidungsverfahren gemein, welches Instrumente wie die Musterfeststellungsklage im Übrigen aber auch sinnvoll ergänzen könnte, sollte sich herausstellen, dass die Durchführung des Verfahrens aufgrund eines zu umfassenden Streitstoffs zu lange dauert.424 Darüber hinaus kann es aber auch betroffene Verbraucherinnen direkt einbinden. Für diese ist es wiederum attraktiv, sich einem solchen Verfahren anzuschließen, da die Repräsentation425 für sie kaum eigenen Aufwand verursacht und ihnen Verantwortung abnimmt, sodass der Anreiz der Einzelnen, erlittene Schäden geltend zu machen, aufgrund des optimierten Kosten-Nutzen-Verhältnisses erhöht wird.426 Dabei gelingt es durch den Zusammenschluss der Ansprüche, der einzeln überlegenen Schädigerin eine Klage „mit Gewicht“ entgegenzu422 Gsell/Möllers, in: Gsell/Möllers, S. 465 (481); v. Moltke, Kollektiver Rechtsschutz von Verbraucherinteressen, S. 137 f.; Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 384; Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 138. 423 Buchner, Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 50; Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 139. 424 Siehe Rapp, JZ 2020, 294 (301 f.), der als Negativbeispiel das KapMuG-Verfahren in der Sache Telekom anführt. 425 Vgl. § 2 A. IV. 2. a). 426 Augenhofer, Initiativen zur Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 11; Freitag/ Lang, ZZP 132 (2019), 329 (335 f.); R. Koch, DZWIR 2016, 351 (356 f.).

C. Bedürfnis für Kollektivrechtsschutz

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setzen und sowohl deren Abwehrstrategie zu erschweren427 als auch einen Vergleich für diese attraktiver zu machen.428 Die materiell-rechtlich Beteiligten bewegen sich danach mehr auf Augenhöhe als in einem Individualverfahren. Wie viel wirksamer der Kollektivrechtsschutz die Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden letztlich fördern kann, hängt maßgeblich von der konkreten Ausgestaltung des Verfahrensinstruments ab. Die deutsche Gesetzgeberin hat sich im Rahmen dessen für eine Musterfeststellungsklage entschieden, deren natürliche Zielrichtung den angemeldeten Verbraucherinnen keine direkte Kompensation verschafft. Freilich existieren auch Modellierungen, welche unmittelbar auf eine Leistung ausgerichtet sind, weshalb das Musterfeststellungskonzept von Anfang an vielfache Kritik erfuhr.429 Die Modellierungsoptionen sollen im Folgenden kurz gegenübergestellt werden, um dadurch v. a. die später angestellten Erwägungen zur Einordnung der Kritik sowie der Perspektive der Musterfeststellungsklage vorzubereiten.

I. Modellierungen Bei der Modellierung eines kollektiven Rechtsschutzinstrumentes430 sind diverse Varianten denkbar. Zu Beginn dieses Teils wurden hierzu bereits zwei Vorbedingungen herausgearbeitet, die aufgrund der Eigenheiten des deutschen Verfahrensrechts zu berücksichtigen sind: Erstens, dass die Konzentration der Verfahrensleitung in die Hände einer Repräsentantin unter einer Verkürzung der prozessualen Mitwirkungsrechte der materiell-rechtlich Betroffenen am Maßstab der verfassungsrechtlichen Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) zu messen ist und zweitens, dass eine Bindung an das Verfahren auf einen Entschluss der einzelnen Verbraucherin zurückzuführen sein muss (opt in).431 Am wesentlichsten ist aber die Zielrichtung eines Kollektivverfahrens. Während klassische Verbandsklagen vorrangig der Verwirklichung öffentlicher Interessen dienen und den individuell betroffenen Verbraucherinnen insoweit nicht 427 Bamberger, in: FS Eichele, S. 19 (35); Berger, ZZP 133 (2020), 3 (7); Einhaus, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht, S. 42 f.; Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 137. 428 v. Moltke, Kollektiver Rechtsschutz von Verbraucherinteressen, S. 138 f. 429 Statt aller Stadler, VuR 2018, 83 ff. 430 Häufig werden auch Abtretungsmodelle als eine Form des kollektiven Rechtsschutzes gezählt, welche allerdings keine genuinen Kollektivverfahren darstellen. Vielmehr basieren sie in der Regel auf Inkassozessionen, bei denen die Zessionarin aufgrund der Übertragung der Gläubigerstellung selbst ohne weiteres prozessführungsbefugt und nur im Innenverhältnis treuhänderisch an das Rechtsdurchsetzungsinteresse der Zedentin gebunden ist. Die gebündelte prozessuale Geltendmachung der Vielzahl abgetretener Ansprüche ermöglicht sodann eine objektive Klagehäufung nach § 260 ZPO. Dazu Einhaus, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht, S. 332 ff.; Fiedler, Class Actions, S. 110; siehe auch Fest, ZfPW 2016, 173 ff. 431 Vgl. § 2 A. IV. 2.

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zugutekommen, bezwecken andere Bündelungsformen primär einer Vielzahl subjektiver Rechte Geltung zu verschaffen.432 Letztere unterscheiden sich in erster Linie danach, ob sie auf (Muster-)Feststellung oder auf Leistung zugunsten der Beteiligten gerichtet sind. 1. Zielrichtung (Muster-)Feststellung Mit der Musterfeststellungsklage verfolgt die deutsche Gesetzgeberin den gegenüber einem Leistungsmotiv restriktiveren Ansatz. Zu ihr können sich Verbraucherinnen, deren Ansprüche von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängen, anmelden, um von den Wirkungen eines Musterfeststellungsurteils (oder ggf. einem Vergleichsschluss) profitieren zu können.433 Das Grundkonzept kombiniert Typizitäten der Verbandsklage (hinsichtlich der Klagebefugnis qualifizierter Einrichtungen) und der dem KapMuG-Verfahren entlehnten Musterfeststellungsentscheidung.434 Bezüglich Letzterer basiert das Modell auf dem Charakter eines Musterverfahrens, innerhalb dessen gemeinsame Tatsachen- und Rechtsfragen für gewöhnlich exemplarisch geklärt werden und sich das Ergebnis auf die anderen Fälle übertragen lässt.435 Es resultiert aber nicht wie für Klagen dieser Art gewöhnlich nur in einer faktischen Präjudizwirkung,436 sondern löst eine echte Bindungswirkung für nachfolgende Individualklagen einer angemeldeten Verbraucherin gegen die beklagte Unternehmerin aus (§ 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO).437 Insoweit entbindet die Musterfeststellungsklage grundsätzlich nicht von der Einleitung einzelner Prozesse. Vielmehr stellt sie nur die erste Stufe der Anspruchsdurchsetzung dar; der zweite Schritt erfordert prinzipiell ein den allgemeinen Vorschriften folgendes Einzelverfahren.438 Ausgenommen davon sind Szenarien, in denen im Zuge des Musterfeststellungsverfahrens ein (kollektiver) Vergleichsschluss zustande kommt (vgl. § 611 ZPO). Darin liegt ein bedeutender Unterschied gegenüber Lösungsansätzen des Individualrechtsschutzes: Die geschädigten Verbraucherinnen haben hier die Möglichkeit zusammenzukommen und mit Hilfe der Musterklägerin „eine auf die zentralen Streitfragen zugeschnittene einvernehmliche Gesamtlösung“ zu erreichen.439

432

Vgl. bereits § 2 B. II. RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 25. 434 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606 Rn. 2; Schneider, BB 2018, 1986. 435 Alexander, JuS 2009, 590 (592); Blagojevic, Effektive Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Ansprüche, S. 45 f.; H. Koch, BRAK-Mitt 2005, 159 (161). 436 Vgl. Blagojevic, Effektive Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Ansprüche, S. 46. 437 Nach Röthemeyer, MFK, § 613 ZPO Rn. 2 bleibt hierdurch dennoch der Charakter als Musterverfahren erhalten. 438 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Vorb §§ 606 ff. Rn. 3. 439 So die Hoffnung der Gesetzgeberin, RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17. 433

C. Bedürfnis für Kollektivrechtsschutz

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2. Zielrichtung Leistung Weiter als das derzeitige deutsche Konzept gehen auf Leistung gerichtete „Gruppenklagen“: Ihr Wesensmerkmal ist, dass eine – in der Regel selbst geschädigte440 – Klägerin die gleichgerichteten individuellen Ansprüche einer Vielzahl von Geschädigten (die „Gruppe“) in einem Prozess gebündelt gegen das verantwortliche Unternehmen geltend macht, um eine verbindliche Entscheidung für bzw. gegen alle herbeizuführen.441 Der bei der Musterfeststellungsklage erforderlichen zweiten Stufe der Anspruchsdurchsetzung bedarf es demnach nicht. Die Vor- und Nachteile der beiden Modellierungen mit Blick auf das deutsche Verfahrensrecht sind im dritten Teil noch zu thematisieren. Jene Betrachtung wird nicht nur wegen der an der Musterfeststellungsklage geäußerten Kritik, sondern gerade auch aufgrund der Vorgaben der neuen Verbandsklagenrichtlinie erfolgen. Diese tragen den Mitgliedstaaten auf, dass qualifizierten Einrichtungen künftig auch eine Klage zur Verfügung stehen soll, die Abhilfemaßnahmen wie die Leistung von Schadensersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises an geschädigte Verbraucherinnen ermöglicht (Art. 7 Abs. 4 lit. b) i.V. m. Art. 9 Verbandsklagen-RL). Das Verfahrensergebnis ähnelt damit dem einer Gruppenklage, wenngleich die Klagebefugnis nach der Vorstellung der europäischen Gesetzgeberin nicht bei einer individuell betroffenen Verbraucherin, sondern – wie im Fall der Musterfeststellungsklage – bei qualifizierten Einrichtungen liegen soll.442 Ferner ist zwar vorgesehen, dass die Abhilfeberechtigten zur Leistung gelangen sollten, ohne eine gesonderte Einzelklage anstrengen zu müssen, allerdings kann von ihnen dennoch verlangt werden, gewisse Maßnahmen zu ergreifen.443 Eine zweite Stufe der Rechtsdurchsetzung wird also nicht ausgeschlossen, sodass für die Richtlinienvorgaben womöglich eine Umsetzungsperspektive innerhalb des geltenden Musterfeststellungskonzeptes besteht. Auch diese Frage wird dementsprechend erörtert.444

II. Qualitätsmerkmale Um die Musterfeststellungsklage sogleich zu analysieren, hierbei Verbesserungspotenziale zu identifizieren sowie später eine etwaige alternative Modellierung zu diskutieren, bedarf es vorab entsprechender Bewertungsmaßstäbe und 440 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 30; Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 61. 441 Vgl. Blagojevic, Effektive Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Ansprüche; Buchner, Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 42; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 30 f.; H. Koch, BRAK-Mitt 2005, 159 (163). 442 Erwägungsgrund 36, ABl. 2020 Nr. L 409/6. 443 Erwägungsgrund 50, ABl. 2020 Nr. L 409/8. 444 Dazu unter § 7 B. II.

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Leitlinien. Dafür sind Qualitätsmerkmale hervorzuheben. Zielvorgaben für den Kollektivrechtsschutz sollen hier aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden: Was sollte ein System der gebündelten Rechtsdurchsetzung erreichen (können) und wie rigoros sollten die Instrumente dazu ausgestaltet sein (dürfen)?445 1. Systemkonformität und Balance Es wurde bereits veranschaulicht, dass die Ausgestaltung eines Verfahrens stets an den Rahmenbedingungen auszurichten ist, die das Prozessrecht statuiert. Idealiter sollte es zu diesen in einem homogenen Verhältnis stehen. Kollektive Rechtsschutzinstrumente haben es in der deutschen Privatrechtsordnung insoweit aber nicht leicht, da sie nicht dem konventionellen Typus eines individualistischen Zweiparteienprozesses entsprechen. Vielmehr können sie im Verhältnis zum Individualrechtsschutz nur eine bedarfsorientierte Komplementärfunktion einnehmen.446 Insbesondere die Justizgrundrechte sind zu achten, damit aus dem ursprünglich zu lösendem Problem nicht ein viel Größeres entsteht.447 Mit der Einfügung der Musterfeststellungsklage in die ZPO ist demnach grundsätzlich zu fragen, inwieweit deren Integration ohne systematische sowie dogmatische Brüche gelungen ist und ob bzw. welche Modifikationen erforderlich sind.448 Dass Letztere kaum zu vermeiden sind, deutete sich beim Blick auf die Dispositionsfreiheit und das rechtliche Gehör der Einzelnen bereits an: Wegen des hohen Stellenwerts sind daraus prinzipielle Vorgaben für die Ausgestaltung des Kollektivrechtsschutz abzuleiten gewesen.449 Allerdings zeichnete sich dabei ebenso ab, dass gewisse Einschränkungen und Abweichungen im Interesse der Funktionsfähigkeit des Verfahrens notwendig werden können und ggf. gegeneinander abzuwägen sind.450 Neben den Verfahrensgrundrechten der Anspruchsinhaberinnen sind außerdem diejenigen des beklagten Unternehmens zu berücksichtigen.451

445 Eine vertiefte Darstellung zu Bewertungsmaßstäben für Mechanismen der Verbraucherrechtsdurchsetzung im Allgemeinen bietet Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 68 ff. 446 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 183. 447 Dazu metaphorisch bezüglich „legal transplants“ Halfmeier, 50 Jahre Verbraucherverbandsklage, S. 137, wonach „das transplantierte Organ sich auch in den Wirtskörper einfügen und einleben muss, um fatale oder zumindest schmerzhafte Abstoßungsreaktionen zu vermeiden“. 448 Insoweit schon die Fragestellung mit Bezug auf eine Gruppenklage von Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 245. 449 Vgl. § 2 &Block; IV. 2. 450 Bspw. bei der Konzentration der Verfahrensleitung, vgl. Bernhard, Kartellrechtlicher Individualschutz durch Sammelklagen, S. 232; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 114. 451 Halfmeier, 50 Jahre Verbraucherverbandsklage, S. 138.

C. Bedürfnis für Kollektivrechtsschutz

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Bei der Untersuchung der Systemkonformität der Musterfeststellungsklage einschließlich deren möglicher Weiterentwicklung geht es damit sowohl um eine möglichst „konsistente Verzahnung“ mit dem Zivilprozessrecht,452 als auch um die Identifikation und den Ausgleich von Spannungsfeldern. Wie in jedem Konflikt sind dabei beiderseitig ggf. Kompromisse abzuverlangen: Weder können die Ausprägungen des Individualrechtsschutzes bedingungslos gewahrt, noch kann der Kollektivrechtsschutz mit dem Ziel der maximalen Wirksamkeit konzipiert werden. So stellt etwa das von der Gesetzgeberin gewählte zweistufige Konzept aus Musterfeststellungsklage und anschließender Individualphase ein solches Zugeständnis dar.453 Zu suchen ist damit v. a. die richtige Balance zwischen der Basis und dem Ziel des Verfahrensinstruments, wobei letzteres das bei Massenschäden typischerweise festgestellte „under-enforcement“ zum Nachteil der Geschädigten überwinden und zugleich ein „over-enforcement“ zulasten der schädigenden Unternehmen vermeiden sollte.454 2. Effizienz und Effektivität Das angesprochene Ziel des Kollektivrechtsschutzes muss in Anbetracht der Defizite in Individualverfahren eine effizientere und effektivere Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden sein. Effizienz bedeutet sonach im abstrakten Sinn die Herstellung des bestmöglichen Verhältnisses von Aufwand und Ertrag entweder durch Aufwandsreduzierung oder Ertragssteigerung.455 Sie ist hergestellt, soweit die verfolgten Zwecke nicht mit demselben oder einem geringeren Aufwand besser erreicht werden können.456 Anvisiert wird ein möglichst schonender Einsatz von Ressourcen,457 sprich in Bezug auf die Aufarbeitung eines Massenschadensereignisses die Reduzierung einer Vielzahl paralleler Streitigkeiten zur Entlastung der Justiz. Um das zu erreichen, muss das Instrument möglichst viele Geschädigte zur Nutzung animieren. Dies leitet unmittelbar auf die Effektivität458 über: Denn hinreichende Anreize werden erst gesetzt, wenn die Teilnahme das rationale Desinteresse überwindet, insbesondere indem sie geringe Kosten und Aufwand erzeugt, die Verbraucherinnen leicht verständlich anspricht und alsbald zu einem

452

Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 186. Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (365). 454 Insoweit Gsell/Möllers, in: Gsell/Möllers, S. 465 (475). 455 Dazu Pflughaupt, Prozessökonomie, S. 32, 130 f. 456 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 99; siehe auch Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 195 („Maß an Wirtschaftlichkeit“, Fn. 28). 457 Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, S. 52 (im Kontext der außergerichtlichen Streitbeilegung). 458 Zum Effektivitätsgrundsatz aus europäischer Sicht Vogel, Kollektiver Rechtsschutz im Kartellrecht, S. 34 ff. 453

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§ 4 Lösungsansätze für Massenschäden

Ergebnis führt.459 Mit anderen Worten bedarf eines Mechanismus, der eine saubere Erfassung und Abarbeitung von Massenphänomenen ohne eine Überforderung der Justiz bei gleichzeitig leichtem Zugang zu dieser ermöglicht, damit die Geschädigten sowohl Genugtuung als auch Wiedergutmachung erfahren.460 In der Gesetzesbegründung zur Musterfeststellungsklage spiegelt sich dies wider: Zum einen soll sie den Verbraucherinnen einen einfachen Weg der kollektiven Rechtsverfolgung bieten, um das rationale Desinteresse zu überwinden und der effektiven Rechtsdurchsetzung zu dienen. Zum anderen soll sie zu einer Entlastung der Justiz beitragen und die außergerichtliche Streitschlichtung stärken.461 Inwieweit die Musterfeststellungsklage diesen Anforderungen und Zielen gerecht wird, ist im weiteren Verlauf, insbesondere im Rahmen der Betrachtung einer auf Leistung gerichteten Modellierung, zu ergründen. Könnte Letztere eine schnellere, prozessökonomischere und wirksamere Rechtsdurchsetzung gewährleisten? Oder würde sie ggf. Gefahr laufen, zu viel auf einmal zu wollen und ihre Zielsetzung womöglich sogar ganz zu verfehlen? Der Schlüssel wird dementsprechend im Zusammenspiel von effizienter und effektiver, aber auch systemkonformer Rechtsdurchsetzung zu suchen sein.

459 Vgl. § 3 C. II.; siehe auch Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 195 („Maß für die Zielerreichung“, Fn. 28). 460 So lauten die von Woopen, NJW 2018, 133 (134) aufgestellten Kriterien zu den Bedürfnissen glaubwürdiger Rechtdurchsetzung, der zudem Aspekte der Verhaltenssteuerung inkludiert, namentlich dass ein Fehlverhalten früh erkannt und an der Wurzel schnell, wirksam und nachhaltig abgestellt werden sollte. 461 Siehe RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 16; Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 38 ff.; Nordholtz, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 1 Rn. 7 ff.

2. Teil

Einordnung der Musterfeststellungsklage § 5 Ausgestaltung des Verfahrens Zunächst soll eine Einordnung der Musterfeststellungsklage vorgenommen werden. Vor dem Hintergrund, dass durch sie erstmals ein kollektives Rechtsschutzinstrument in die ZPO integriert ist, erfolgt dies zunächst aus verfahrensrechtlicher Sicht. Hierbei wird ein Überblick über die Struktur, den Ablauf und die Besonderheiten des Verfahrens einschließlich dogmatischer Fragestellungen erarbeitet. Ferner können die Erfahrungen aus den bislang erhobenen Musterfeststellungsklagen für die Würdigung der Modellierung nutzbar gemacht werden. Speziell die Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens gegen VW und die gerichtliche Praxis zur Klagebefugnis fordern im Rahmen dessen dazu auf, bestimmte Regelungen kritisch zu hinterfragen.

A. Grundstruktur Nach der Vorstellung der Gesetzgeberin soll die Musterfeststellungsklage die verfügbaren zivilprozessualen Klagewege sowie die etablierten Verfahren außergerichtlicher Streitbeilegung erweitern und ergänzen, um die effektive Rechtsdurchsetzung für Verbraucherinnen zu stärken.1 In einigen Punkten ist ihr Aufbau an das spezielle KapMuG-Verfahren und die herkömmlichen Verbandsklagen angelehnt. Im Gegensatz zu diesen stellt sie aber eine eigenständige zivilprozessuale Klage in jedweden verbraucherrechtlichen Angelegenheiten dar und setzt insbesondere nicht wie das Vorlageverfahren nach dem KapMuG voraus, dass Individualklagen bereits erhoben worden sind.2 Stattdessen sieht das Konzept eine zweigeteilte Rechtsverfolgung vor. Zunächst können qualifizierte Einrichtungen gemäß § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Feststellung des Vorliegens und Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbraucherinnen und einer Unternehmerin3 begehren. 1

RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 14, 16. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (10); Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 37; siehe auch RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 16. 3 Da bislang stets von Unternehmen die Rede gewesen ist, wird nachfolgend dieser Terminus (nicht ganz übereinstimmend mit dem Wortlaut des § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO) weiterverwendet. 2

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

Betroffene Verbraucherinnen müssen in diesem Stadium lediglich ihre Ansprüche (oder Rechtsverhältnisse) gegen die beklagte Partei gemäß § 608 Abs. 1 ZPO zur Eintragung in das dafür vorgesehene Klageregister anmelden, damit die Verjährung gehemmt wird (vgl. § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB) und ein Musterfeststellungsurteil nach § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO Bindungswirkung für eine nachfolgende Individualklage gegen das Unternehmen entfaltet. Erst nach der Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens müssen sie ggf. selbst weitere Schritte ergreifen.

I. Beteiligte Aus § 606 Abs. 1 ZPO geht hervor, dass als förmliche Parteien des Musterfeststellungsverfahrens nur eine qualifizierte Einrichtung als Musterklägerin sowie ein Unternehmen als Musterbeklagte in Betracht kommen, womit die Klage das Zweiparteienprinzip wahrt und insoweit wie ein gewöhnlicher Zivilprozess gestaltet ist.4 Demgegenüber erhalten die angemeldeten Verbraucherinnen keinerlei Mitwirkungsrechte (vgl. § 610 Abs. 6 ZPO), sind also lediglich Beteiligte im weiteren Sinne. 1. Klägerseite Zur Regelung der Klagebefugnis nimmt die Gesetzgeberin auf die in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG bezeichneten Stellen (rechtsfähige Vereine nach § 21 BGB), welche in der Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 Abs. 2 UKlaG oder dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Art. 4 Abs. 3 der Unterlassungsklagen-RL5 eingetragen sind, Bezug. Darüber hinaus normiert sie aber besondere Voraussetzungen, welche den Kreis der qualifizierten Einrichtungen gegenüber dem UKlaG einengen (dazu im Einzelnen sogleich).6 Danach sind hauptsächlich Verbraucherzentralen und andere Verbraucherverbände berechtigt, Musterfeststellungsklagen zu erheben (vgl. § 606 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Deutsche Industrie- und Handelskammern sowie andere gewerbliche und berufliche Interessenverbände sind dagegen von vornherein nicht in den Kreis der Klagebefugten einbezogen, nachdem potenzielle Interessenkonflikte wegen deren Nähe zu Unternehmen befürchtet wurden.7

4 Siehe Berger, ZZP 133 (2020), 3 (11 f.), der dafür im Weiteren anführt, dass die Klage in das sechste Buch der ZPO eingeordnet ist und § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO auf die Geltung der allgemeinen Bestimmungen für Verfahren vor den Landgerichten verweist. 5 Mit Aufhebung der Unterlassungsklagen-RL durch die Verbandsklagen-RL muss sich die Vorschrift künftig an der dortigen Bestimmung der qualifizierten Einrichtung (Art. 4 Verbandsklagen-RL) orientieren. 6 Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 5; Röthemeyer, MFK, Rn. 26; U. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, Rn. 2 ff. 7 Röthemeyer, MFK, § 606 ZPO Rn. 5; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 5 f.

A. Grundstruktur

101

Davon ausgeschlossen sind ferner die betroffenen Verbraucherinnen, denen lediglich eine Anmeldebefugnis zugewiesen ist. Aufgrund dieser Besonderheit hat sich eine Diskussion herausgebildet, wie die Klagebefugnis dogmatisch klassifiziert werden kann. Die Eckpunkte sollen nachstehend skizziert und mit einer kurzen Einschätzung versehen werden. a) Prozessstandschaft der Musterklägerin Prinzipiell ist das Agieren des Verbandes, der im eigenen Namen klagt, aber mit den in den Rechtsbeziehungen zum Unternehmen wurzelnden Feststellungszielen von den jeweiligen Anmelderinnen abgeleitete und diese i. S. d. § 613 ZPO bindende Befugnisse geltend macht,8 am ehesten als Prozessstandschaft zu klassifizieren.9 In welcher konkreten Form diese vorliegt, ist indes nicht einhellig geklärt: Von einer besonderen Form der gesetzlichen Prozessstandschaft,10 einer „Quasi-Prozessstandschaft“ 11 oder einer eigenen Mischform der gewillkürten und gesetzlichen Prozessstandschaft12 werden diverse dogmatische Konstruktionen vorgeschlagen. Lediglich eine rein gewillkürte sowie eine rein gesetzliche Prozessstandschaft scheiden aus: Im ersten Fall schon deshalb, weil die Anmeldung zum Klageregister der Klageerhebung zeitlich nachfolgt und insoweit keine echte Ermächtigung an den Verband darstellen kann;13 im zweiten Fall, weil die qualifizierte Einrichtung „eigene“ Feststellungsziele anstatt fremder Rechte einklagt.14 Mitentscheidend für die genaue Einordnung der Prozessstandschaft ist, ob man den klagenden Verband allein durch eine gesetzliche Zuordnung der Prozessführungsbefugnis oder erst durch das Zusammenspiel mit der innerhalb von zwei Monaten nach der öffentlichen Bekanntmachung der Klage (§ 607 ZPO) notwendigen Mindestzahl der Anmeldungen der Verbraucherinnen legitimiert sieht. Gegen letzteres spricht, dass es sich beim Anmeldeerfordernis prima facie „bloß“ um eine Zulässigkeitsvoraussetzung (§ 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO) handelt, die dem Bundesamt der Justiz und nicht dem Verband oder dem Gericht gegenüber zu 8 Berger, ZZP 133 (2020), 9 (11); a. A. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 4 („Prozessstandschaft im Kollektivinteresse“). 9 Aus § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO in Anlehnung an die Verbandsklagen nach dem UWG und UKlaG eine unmittelbare Aktivlegitimation zu begründen, scheidet dagegen aus, siehe Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 138 f. 10 So Berger, ZZP 133 (2020), 3 (11); Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 235 f. 11 So Röthemeyer, MFK, § 606 ZPO Rn. 89; in diese Richtung auch Waclawik, NJW 2018, 2921 („Ähnlichkeit mit Prozessstandschaft“). 12 So Rohls, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 3 Rn. 19 f.; zust. Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 139 f. 13 Siehe Berger, ZZP 133 (2020), 3 (11); Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 231 f. 14 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 233.

102

§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

erbringen ist.15 Durch dieses wird auch keine Auswahlentscheidung getroffen, da der klagende Verband nach der gesetzlichen Verfahrensstruktur im Zeitpunkt der Anmeldung bereits unveränderlich feststeht.16 Insofern läge diesbezüglich eine besondere Form der gesetzlichen Prozessstandschaft näher. Gleichwohl bringt die Erklärung beträchtliche rechtliche Folgen für die jeweilige Verbraucherin mit sich: Denn eine Anmeldung ist die Grundlage für den Eintritt der Wirkungen der Beteiligung an einer Musterfeststellungsklage (vgl. §§ 610 Abs. 3, 613 Abs. 1 ZPO) und soll durch die ins freie Ermessen der Verbraucherin gestellte Entscheidungsmöglichkeit über die Teilnahme (statt der Erhebung einer eigenen Klage) die fast vollständige Verkürzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG im Musterfeststellungsprozess rechtfertigen.17 Dabei manifestiert sich in ihr sowohl der Partizipationswille als auch das Bewusstsein, dass die Musterklägerin die Parteirolle einnehmen wird, wobei die Anmeldung einer Bevollmächtigung bzw. einer Mandatierung der qualifizierten Einrichtung ähnelt.18 Immerhin sind es aus Verbraucherinnensicht gerade sie, die ihre Anliegen im Musterfeststellungsverfahren vortragen und im Rahmen der Geltendmachung der Feststellungsziele (mittelbar) ihre Interessen wahrnehmen. Bei der Anmeldeentscheidung dürfte es insoweit auch eine gewisse Rolle spielen, ob die Verbraucherin den Verband nach dessen Informationspolitik und generellem Auftreten für geeignet hält, den Prozess effektiv und seriös zu führen. Vor dem Hintergrund dieses Gewichts der Anmeldungsentscheidung ließe sich die Legitimation des Verbandes zur Prozessführung daher genauso kumulativ unter Hinzuziehung des Anmeldeaktes herleiten. Somit ergibt sich für die Prozessstandschaft kein eindeutiges Bild: Die bekannten Formen passen jeweils nicht ohne weiteres, zugleich ist eines der Institute aber nicht wesentlich abwegiger oder unähnlicher als das andere. So erscheint es letzten Endes am sachgerechtesten, die Klagebefugnis dogmatisch als eine gemischte Prozessstandschaft eigener Art einzustufen.19 b) Anmeldebefugnis der Verbraucherinnen Im Rahmen der ausschließlich Verbraucherinnen verliehenen Anmeldebefugnis ist ferner der eigens mit der Musterfeststellungsklage eingeführte prozessrechtliche Verbraucherbegriff in § 29c Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen.20 Danach ist Verbraucher[in] jede natürliche Person, die beim Erwerb des Anspruchs oder der 15

Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (94); Rathmann, in: Hk-ZPO, § 608 Rn. 2. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 235. 17 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17 und 28. Zur Frage, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör durch diese Gestaltung verletzt ist, siehe § 6 B. I. 18 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 219. 19 Vgl. auch Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 82 f. 20 Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 2. 16

A. Grundstruktur

103

Begründung des Rechtsverhältnisses nicht überwiegend im Rahmen ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Gegenüber der materiell-rechtlichen Definition in § 13 BGB fehlt beim prozessualen Begriff die Akzessorietät vom Rechtsgeschäft: Anknüpfungspunkt der Tätigkeit ist vielmehr allein der Zeitpunkt der Begründung eines Schuldverhältnisses jeglicher Art.21 Die Gesetzgeberin hat die Definition hierdurch zugunsten einer umfassenden Verbraucherrechtsdurchsetzung erweitert, um auch eine Einbeziehung gesetzlicher Ansprüche, insbesondere solche deliktischer Natur, zu ermöglichen.22 Nicht-Verbraucherinnen hingegen haben weder eine Anmeldeberechtigung noch anderweitige Partizipationsmöglichkeiten am Verfahren. Dies hat teils deutliche Kritik hervorgerufen, da Massenschäden ebenso Unternehmerinnen betreffen würden und zumindest Kleinunternehmerinnen bzw. -gewerbetreibende ähnlich schutzbedürftig seien wie Verbraucherinnen.23 Wenngleich letzteres durchaus diskutabel erschiene24 (aber mit Folgeproblemen verbunden wäre25), leuchtet es prima facie nicht wirklich ein, weshalb das Privileg einer Teilnahme am Musterfeststellungsverfahren allen Unternehmerinnen zugutekommen sollte, da den meisten eine Individualklage absolut zuzutrauen sein dürfte.26 Aufgrund der spezifischen Betrachtung der Verbraucherrechtsdurchsetzung soll hierauf auch nicht weiter eingegangen werden.27 Anzumerken ist lediglich, dass die zum Ausgleich28 eingeführte Vorschrift des § 148 Abs. 2 ZPO einen plausiblen Kompro21

R. Koch/Friebel, GPR 2019, 280 (282 ff.). RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 21; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, § 29c Rn. 6a. 23 Vgl. Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1327); Halfmeier, ZRP 2017, 201 (202); Heese, JZ 2019, 429 (435); R. Koch, MDR 2018, 1409 (1415); Mengden, NZKart 2018, 398 (400); Tamm, in: Tamm/Tonner/Brönneke, § 24b Rn. 35, 87; Würtenberger/Freischem, GRUR 2017, 1101 (1103). 24 So deutet der Koalitionsvertrag der „Ampel-Regierung“ an, dass in der 20. Legislaturperiode auch kleinen Unternehmen die kollektive Klagemöglichkeit eröffnet werden könnte, siehe Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S. 106, abrufbar unter: https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/ (Abrufdatum: 4.1.2022). 25 Klärungsbedürftig wäre, wie eine entsprechend schutzwürdig erachtete Personengruppe innerhalb des Unternehmerbegriffs (§ 14 BGB) herausgefiltert werden könnte. Weder die Kleinunternehmerin noch die Kleingewerbetreibende ist dafür eigens definiert; ob die Vorschriften des § 19 UStG oder § 1 Abs. 2 HGB sinnvoll aushelfen könnten, ist zweifelhaft. Auch die KMU-Definitionen nach Art. 2 der Empfehlung 2003/ 361/EG der Kommission vom 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. Nr. L 124/39 v. 20.5.2003 erschiene deutlich zu weit. 26 Skeptisch auch Schöning, Musterfeststellungsverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche, S. 73 f. 27 Der wesentliche Vorteil einer Anmeldebefugnis für Unternehmerinnen ist ohnehin eher in einer Entlastung der Gerichte zu sehen, indem Individualklagen reduziert werden könnten. 28 Fritsche, in: MüKoZPO, § 148 Rn. 13; Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 14. 22

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

miss schafft: So können Unternehmerinnen, wenn sie bereits individuell gegen dieselbe Beklagte prozessieren und die Entscheidung ihres Rechtsstreits gleichermaßen von den Feststellungszielen abhängt, die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung der Musterfeststellungsklage beantragen, um von einer etwaigen Entscheidung durch eine „faktische Präjudizwirkung“ wenigstens mittelbar zu profitieren.29 Dies dürfte meist auch genügen. 2. Beklagtenseite Als Beklagte kommt ausweislich des § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO alleinig eine Unternehmerin infrage.30 Im Gegensatz zum prozessualen Verbraucherbegriff wurde hier keine Definitionsäquivalente in die ZPO eingeführt. Demnach gilt prinzipiell weiter nach § 14 Abs. 1 BGB, dass die Person bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt haben muss. Allerdings folgt hieraus der Widerspruch, dass die materiell-rechtliche Unternehmereigenschaft hinter dem weitgehenderen prozessualen Verbraucherbegriff zurückbliebe und ggf. den Zweck des § 29c Abs. 2 ZPO, auch außervertragliche Ansprüche erfassen zu können, unterlaufen würde.31 Um diese wohl übersehene Divergenz zu vermeiden und einen Gleichlauf mit dem prozessrechtlichen Verbraucherbegriff herzustellen, sollte daher ebenso in § 14 Abs. 1 BGB auf das Erfordernis eines rechtsgeschäftlichen Kontakts verzichtet werden.32

II. Klagegegenstand Als Feststellungsziele kommen nach § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs oder Rechtsverhältnisses in Betracht. Der Wortlaut ist weit auszulegen und geht sachlich über § 256 Abs. 1 ZPO hinaus: So können einzelne oder mehrere Tatbestandsmerkmale eines Rechtsverhältnisses bzw. einer Anspruchsgrundlage ebenso wie Vorfragen oder reine Rechtsfragen tauglicher Gegenstand eines Musterfeststellungsverfahrens

29 Dazu Berger, ZZP 133 (2020), 3 (23); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 1; krit. Mengden, NZKart 2018, 398 (400). 30 Regelmäßig wird das ein einzelnes Unternehmen sein. Bei gleichgerichteten Feststellungszielen (wie dem Widerruf von Verbraucherdarlehen) könnte aber durch die Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften zur Verfahrenskoordination (§ 610 Abs. 5 Satz 1 i.V. m. §§ 145, 147 ZPO) erwogen werden, dass mehrere Musterfeststellungsklagen in einem Prozess behandelt werden, siehe Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (48); U. Schmidt, WM 2018, 1966 (1968); a. A. (für eine Statthaftigkeit der Musterfeststellungsklage auch ohne Unternehmereigenschaft der Musterbeklagten) OLG München NZI 2020, 912 (913); Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 13. 31 Eingehend Röthemeyer, MFK, § 606 ZPO Rn. 3. 32 Siehe Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (48); Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606 Rn. 14; Lutz, in: BeckOK-ZPO, Rn. 13; Röthemeyer, MFK, Rn. 3.

A. Grundstruktur

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sein.33 Daneben sind bloße tatsächliche Umstände, die einer Anspruchsvoraussetzung zugrunde liegen und insoweit die Basis des Subsumtionsschlusses bilden, einheitlich feststellbar.34 Dagegen bilden in der Zukunft liegende Fragen,35 ganze Ansprüche36 sowie schlicht verfahrensrechtliche Fragen über die Auslegung und Anwendung zivilprozessualer Normen37 hingegen keinen tauglichen Klagegegenstand. Werden mehrere Feststellungsziele in einer Musterfeststellungsklage geltend gemacht, handelt es sich um mehrere Streitgegenstände, für welche die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen jeweils gesondert gegeben sein müssen.38 Der nicht speziell geregelte Streitgegenstand der Musterfeststellungsklage kann dabei prinzipiell auf Basis des herkömmlichen zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs der ZPO39 aus den Feststellungszielen und dem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt bestimmt werden, wobei nur Letzterer aufgrund des Kollektivcharakters des Musterfeststellungsverfahrens modifiziert zu bestimmen ist.40 Dieser zeigt sich im Erfordernis der Vorgreiflichkeit. Nur wenn glaubhaft gemacht wird, dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbraucherinnen abhängen (vgl. § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 ZPO), ist die Klage zulässig.41 Dementsprechend sind nur solche Ziele musterfeststellungsfähig, die eine in gewisser Zahl wiederkehrende Relevanz ausstrahlen.42 Hingegen muss die Klärung konkreter Fragen oder Anspruchsvoraussetzungen, die von persönlichen Umständen abhängen und mangels einer kollektiven Bedeutung erst einzeln entschieden werden können, einem sich ggf. anschließenden Individualverfahren vorbehalten bleiben.43 Dazu gehören bei Schadensersatzansprüchen regelmäßig die haftungsbegründende Kausalität und die Höhe des jeweiligen Schadens sowie 33 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 22; Menges, in: MüKoZPO, § 606 Rn. 30; Röthemeyer, MFK, Rn. 11; U. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, Rn. 15; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 12. 34 Exemplarisch Beck, ZIP 2018, 1915 (1916) für die im Abgasskandal entscheidende Tatsachenfrage, wie der in den betroffenen Fahrzeugen verbaute Motor des Typs EA 189 funktioniert. Siehe auch Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 101. 35 BGH NJW 2020, 341 (342 Rn. 14). 36 Hettenbach, WM 2019, 577 (578); Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 82. 37 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (15). 38 Im Anschluss an die für das KapMuG-Verfahren (§ 2 Abs. 1 KapMuG) geltenden Grundsätze BGH NJW 2020, 341 (342 Rn. 10); Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 9. 39 Dazu Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, Vorb zu § 253 Rn. 32 ff. 40 Eingehend Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 98 ff., 118 ff., 123; wohl a. A. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 83 f. (Streitgegenstand sui generis). 41 Dazu nochmals sogleich unter § 5 B. II. 42 Siehe Feldhusen, ZIP 2020, 2377 (2381 f.). 43 Riesner, ZIP 2019, 1507 (1508); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 12.

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allgemeiner bspw. Fragen der Verjährung44 oder Zinsberechnungen.45 Fragen der Schadensentstehung und -berechnung müssen also hinreichend verallgemeinerungsfähig sein.46 Soweit ein Feststellungsziel demgegenüber anspruchsbegründende einzelfallbezogene Fragen behandelt, kann dies zu einer Zurückweisung des Antrags als unzulässig führen.47 Die öffentliche Bekanntmachung im Klageregister (§ 607 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ZPO) wird dann abgelehnt.48 Bei der Formulierung der klägerischen Anträge ist mithin Vorsicht geboten: Notwendig ist stets eine hinreichende Generalisierbarkeit des jeweiligen Feststellungsziels.49 Im Übrigen gilt für den Klageantrag aufgrund des Verweises in § 606 Abs. 2 Satz 3 ZPO das Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO,50 womit der Bezeichnung der Feststellungsziele nicht nur im Hinblick auf die Breitenwirkung, sondern gleichermaßen für die Reichweite der späteren Bindungsund Sperrwirkung (§§ 613 Abs. 1, 610 Abs. 1 ZPO) eine hohe Bedeutung zukommt.51 Das Gericht ist deshalb auch nach § 610 Abs. 4 ZPO verpflichtet, spätestens im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung auf sachdienliche Klageanträge hinzuwirken.52 Bezüglich der „Ansprüche oder Rechtsverhältnisse“ zwischen Verbraucherinnen und einem Unternehmen stellt der prozessuale Verbraucherbegriff in § 29c Abs. 2 ZPO klar, dass der Anwendungsbereich der Musterfeststellungsklage nicht auf vertragliche Ansprüche begrenzt ist. Unabhängig vom Rechtsgebiet können die Feststellungsziele sonach genauso auf vertragsähnlichen, deliktischen oder bereicherungsrechtlichen Ansprüchen basieren, ohne dass eine unmittelbare vertragliche Beziehung zum Beklagten bestehen muss.53 Hierin manifestiert sich 44 Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 (2189 f.); Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 16; eingehend mit Beispielen Rohls, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 3 Rn. 51 ff.; siehe auch in Bezug auf Streitigkeiten infolge des Widerrufs von Verbraucherdarlehen U. Schmidt, WM 2018, 1966 (1971). 45 OLG Dresden, Urteil v. 22.4.2020 – 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640 Rn. 41. Die Rechtsfrage über den Zeitpunkt des Entstehens der Zinsansprüche der angemeldeten Verbraucherinnen ist dagegen zulässig, siehe OLG Dresden, Urteil v. 31.3.2021 – 5 MK 3/20, BeckRS 2021, 9159 Rn. 21. 46 Mengden, NZKart 2018, 398 (401). 47 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 12. 48 So etwa im Fall BGH NJW 2020, 341. 49 Näher zum Konkretisierungsgrad Feldhusen, ZIP 2020, 2377 (2383 f.), wobei generalisierbar nicht automatisch bedeute, dass die Feststellung „generell“ für alle Ansprüche oder Rechtsverhältnisse der angemeldeten Verbraucherin gelten muss. 50 Dazu eingehend Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 253 Rn. 22 ff. 51 Vgl. Heigl/Normann, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 2 Rn. 38 ff.; U. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606 Rn. 18; siehe auch Heese, JZ 2019, 429 (435), der in diesem Kontext auf die Haftungsrisiken aus anwaltlicher Sicht hinweist. 52 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 12 sieht darin wohl eher eine klarstellende Vorschrift, da dies bereits aus § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO folge. 53 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (17); Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 2.

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wiederum die Funktion des Verfahrens, die effektive Durchsetzung von Verbraucherrechten gleich welcher Art zu stärken. Aus diesem Blickwinkel erklärt sich schließlich auch, weshalb die Musterbeklagte nach der Konzeption der §§ 606 ff. ZPO grundsätzlich keine Gelegenheit haben soll, von Anfang an selbst Feststellungsziele in den Prozess einzubringen.54

III. Zuständigkeit und Rechtsmittel Die sachliche Zuständigkeit für Musterfeststellungsklagen ist gemäß § 119 Abs. 3 Satz 1 GVG in erster Instanz den Oberlandesgerichten zugewiesen.55 Sind in einem Bundesland mehrere OLG errichtet, kann die Zuständigkeit nach § 119 Abs. 3 Satz 2 und 3 ZPO durch Rechtsverordnung der Landesregierung bei einem OLG konzentriert werden. Dies dient ebenso wie die Verkürzung des Instanzenzuges einer schnelleren und effektiveren Erledigung der Rechtsstreitigkeiten.56 Da die klärungsbedürftigen Feststellungsziele regelmäßig von einigem Gewicht sein dürften, erscheint es außerdem sinnvoll, diese nicht auch noch den allseits ausgelasteten Amts- oder Landgerichten aufzubürden.57 Für die örtliche Zuständigkeit normiert § 32c ZPO, dass ausschließlich das Gericht des allgemeinen Gerichtsstands des beklagten Unternehmens – nach § 17 Abs. 1 ZPO an dessen Sitz befindlich – entscheidungsbefugt ist, sofern sich dieser im Inland befindet.58 In grenzüberschreitenden Sachverhalten ist § 32c ZPO dagegen nicht anwendbar, sofern andere Regelwerke (bspw. EuGVVO) vorrangig eingreifen.59 Wird ein Feststellungsziel für unzulässig erachtet und dessen öffentliche Bekanntmachung abgelehnt, ist hiergegen die Rechtsbeschwerde statthaft.60 Ansonsten findet nach § 614 Satz 1 ZPO gegen Musterfeststellungsurteile direkt die Revision zum Bundesgerichtshof statt. Wie gewohnt dient diese allein der Rechtskontrolle und stellt trotz der Eingangszuständigkeit der OLG keine zweite

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Zur verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit dieser Modellierung unter § 6 B. III. Ursprünglich sollten die Landgerichte erstinstanzlich zuständig sein, was jedoch während des Gesetzgebungsverfahrens auf Anraten des Rechtsausschusses (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) v. 13.6.2018 [Beschlussempf.], BT-Drs. 19/2741, S. 24) hin geändert wurde, siehe R. Koch, MDR 2018, 1409 (1411). 56 Heese, JZ 2019, 429 (434); R. Koch, MDR 2018, 1409 (1411); Meller-Hannich, WuM 2021, 1 (2). 57 Insoweit auch Meller-Hannich, WuM 2021, 1 (2). 58 Hierdurch soll v. a. ein mögliches „forum shopping“ vermieden werden, siehe Röthemeyer, MFK, § 32c ZPO Rn. 1. 59 Rohls, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 3 Rn. 10 ff.; Schneider, BB 2018, 1986 (1990 f.). 60 § 119 Abs. 3 Satz 1 GVG, §§ 607 Abs. 1 und 2, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO, siehe BGH NJW 2020, 341 (342 Rn. 7); Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 607 Rn. 15. 55

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Tatsacheninstanz dar,61 sodass es im Hinblick auf Feststellungsziele, die rein tatsächliche Fragen behandeln, praktisch keinen Instanzenzug gibt.62 Fraglich ist, ob sich die Gesetzgeberin mit der Vorschrift des § 614 ZPO, die erst durch den Rechtsausschuss dem Normgefüge angehängt wurde,63 über die allgemeinen Revisionsvorschriften hinweggesetzt hat. Denn § 614 Satz 1 ZPO könnte so gelesen werden, dass die Revision von Gesetzes wegen zugelassen, das Prinzip der Zulassungsrevision (§ 543 Abs. 1 ZPO) also vorliegend nicht anzuwenden ist.64 Für die Zulassungsfreiheit spricht zudem der Wortlautvergleich mit § 80 Abs. 2 DRiG („findet die Revision statt“ vs. „Die Revision ist stets zuzulassen“).65 Eine Zulassungsfiktion erschiene auch prozessökonomischer, da das OLG aufgrund des § 614 Satz 2 ZPO, wonach die Sache stets grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hat, ohnehin zu keiner anderen Entscheidung kommen könnte und der Rechtsstreit stets vor dem BGH landen würde.66 Allerdings wäre die Norm des § 614 Satz 2 ZPO dann überflüssig.67 Dabei sollte mit dieser eigentlich festgelegt werden, dass eine Nichtzulassungsbeschwerde ungeachtet des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (vormals § 26 Nr. 8 EGZPO) stets zulässig und begründet ist, was im Ergebnis doch für eine Zulassungsentscheidung (aber mit de facto gebundener Entscheidung) spricht.68 Zwischenzeitlich hat die Bundesregierung dies im Rahmen des (abgelehnten) Vorschlags des Bundesrats, die Vorschrift zur Klarstellung abzuändern, auch bestätigt: Die geltende Regelung sei „Ausdruck des Prinzips der Zulassungsrevision“.69

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Röthemeyer, MFK, § 614 ZPO Rn. 1; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2924). Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (50); krit. dazu Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 129 f. 63 Beschlussempf., BT-Drs. 19/2741, S. 16. 64 Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 614 Rn. 4; R. Koch, MDR 2018, 1409 (1411); Menges, in: MüKoZPO, § 614 Rn. 2; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Rn. 1; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2923 f.). 65 Menges, in: MüKoZPO, § 614 Rn. 2. 66 Vgl. Röthemeyer, MFK, § 614 ZPO Rn. 1. 67 So R. Koch, MDR 2018, 1409 (1411); Waclawik, NJW 2018, 2921 (2923 f.). 68 Siehe Beschlussempf., BT-Drs. 19/2741, S. 26; Mekat, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 9 Rn. 22 f.; Röthemeyer, MFK, § 614 ZPO Rn. 1 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 1; Weinland, MFK, Rn. 200 f. 69 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen, zum Ausbau der Spezialisierung bei den Gerichten sowie zur Änderung weiterer zivilprozessrechtlicher Vorschriften v. 9.10.2019, BT-Drs. 19/13828, S. 32; krit. dazu Röthemeyer, MFK, § 614 ZPO Rn. 2. 62

B. Zulässigkeit

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B. Zulässigkeit Für die Zulässigkeit einer Musterfeststellungsklage normiert § 606 Abs. 3 ZPO gesetzliche Hürden, die besonders die Klagebefugnis qualifizierter Einrichtungen (Nr. 1) betreffen. Während des Gesetzgebungsvorhabens war deren Ausgestaltung lange Zeit umkämpft, wobei § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO im Ergebnis mit hohen, die Klageberechtigung einengenden Anforderungen versehen wurde.70 Die Einschränkungen sollen einerseits den Befürchtungen vor einem Missbrauch Rechnung tragen und andererseits eine seriöse und sachgerechte Aufgabenerfüllung im Verbraucherinteresse gewährleisten.71

I. Klagebefugnis qualifizierter Einrichtungen Grundlegend verweist § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf die qualifizierten Einrichtungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG, schließt aber einen begrifflichen Gleichlauf aus, indem er über die Eintragungsvoraussetzungen nach § 4 Abs. 2 UKlaG hinaus weitere Voraussetzungen festlegt.72 Diese sind durch nicht näher definierte Angaben und Nachweise in der Klageschrift zu belegen (§ 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Aufgrund dessen erfolgt die Prüfung der Zusatzanforderungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht universell durch das Bundesamt für Justiz, sondern erst im Musterfeststellungsverfahren durch das jeweils zuständige Gericht.73 Der BGH fordert hierbei schlüssigen Vortrag zu den die Klagebefugnis begründenden Umständen, sodass die Musterklägerin eine gesteigerte Darlegungslast trifft.74 Eine Ausnahme gilt gemäß § 606 Abs. 1 Satz 4 ZPO nur für überwiegend mit öffentlichen Mitteln geförderten Verbraucherzentralen und anderen Verbraucherverbänden, zugunsten derer die Klagebefugnis unwiderleglich vermutet wird. Sie müssen lediglich nachweisen, dass ihr Finanzaufkommen zu über 50 Prozent entsprechend gedeckt ist.75 Mit den einzelnen Kriterien des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO soll sich im Folgenden näher auseinandergesetzt werden. Anlass dazu gibt nicht nur die gesetzgebe70 Dazu Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 f.; Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 140 ff. 71 Siehe RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 16; Fuhrmann/Kurka, NJW 2020, 3414; R. Koch, MDR 2018, 1409 (1412); Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (633); Waclawik, NJW 2018, 2921 f. 72 Zwischenzeitlich haben sich die Kriterien des § 4 Abs. 2 UKlaG sowie das weitere Registerverfahren nach dem UKlaG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs v. 25.11.2020, BGBl. 2020 Teil I Nr. 56 v. 1.12.2020, S. 2568 geändert. Siehe dazu den Überblick von Max, VuR 2021, 129 (130 ff.). 73 Allein die Eintragungsvoraussetzungen nach § 4 Abs. 2 UKlaG prüft das entscheidende Gericht nicht, siehe Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 5. 74 Röthemeyer, BKR 2021, 191 (192) unter Verweis auf BGH NJW 2021, 1014 (1015 Rn. 15). 75 Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (366); Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 8.

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rische Modellierung, sondern auch eine hieran anknüpfende strenge Auslegung der Anforderungen in der Rechtsprechungspraxis, welche einige Kritik ausgelöst hat und womöglich mitverantwortet, dass die Zahl der erhobenen Musterfeststellungsklagen bisher hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.76 Dieser These ist nachzugehen, um daraus Lehren für die Perspektive der Musterfeststellungsklage zu ziehen. 1. Mitgliedszahl und Eintragungszeit Erstes Zusatzkriterium ist eine Mindestmitgliederzahl von zehn im gleichen Aufgabenkreis tätigen Verbänden oder 350 natürlichen Personen (§ 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO). Im Vergleich zu § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UKlaG, welcher nur drei Verbände bzw. 75 natürliche Personen verlangt, wurden die numerischen Hürden erhöht. Dies soll wohl eine gewisse Bedeutung und Professionalität der Einrichtungen versichern.77 Der entsprechende Nachweis ist durch die Vorlage einer Mitgliederliste zu erbringen, welche zur Ermöglichung der gerichtlichen Überprüfung des tatsächlichen Mitgliedsbestands nicht anonymisiert sein darf.78 Welche Anforderungen an die einzelnen Mitgliedschaften zu stellen sind, hat die Gesetzgeberin demgegenüber nicht normiert. Naheliegend wäre, den Mitgliederbegriff des Vereinsrechts heranzuziehen, zumal dieser auch im Rahmen des § 4 Abs. 2 Satz 1 UKlaG zugrunde gelegt wird.79 Gemäß der dort geltenden Satzungsautonomie können das Beitrittsverfahren sowie die Art(en) der Mitgliedschaft prinzipiell vom Verein selbst ausgestaltet, insbesondere auch Mitgliedsgruppen mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten gebildet werden.80 Gleichwohl legt die Rechtsprechung ein abweichendes, engeres Verständnis zugrunde: Sie verlangt im Rahmen des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO, dass die Mitglieder durch Stimmrechte in relevanter Weise auf das Verhalten und die Geschicke des Vereins Einfluss nehmen können, um eine sachgerechte Aufgabenerfüllung und eine zeitliche Stabilität des Verbands zu gewährleisten.81 Die von der klagenden Schutzgemeinschaft für Bankkunden e. V. zum Vorliegen der Klagebefugnis angeführten Internetmitglieder (ohne Stimmrechte) wurden deshalb nicht berücksichtigt. 76

Röthemeyer, BKR 2021, 191 (192). Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (324); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 7. 78 BGH NJW 2021, 1014 (1016 Rn. 21 f.); 2021, 1018 (1020). 79 Röthemeyer, BKR 2019, 301 (302); siehe auch Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (324); Rotter, VuR 2019, 283 (294); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 7. 80 Siehe Leuschner, in: MüKoBGB, § 38 Rn. 8 (mit Beispielen). 81 BGH NJW 2021, 1014 (1015 f.) im Anschluss an OLG Stuttgart WM 2019, 1055 (1056) und unter Verweis auf RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 23. So auch BGH NJW 2021, 1018 (1019 f.); Menges, in: MüKoZPO, § 606 Rn. 6; Riesner, ZIP 2019, 1507 (1514). 77

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Ob eine derart strenge Auslegung tatsächlich eine Stütze in den Gesetzesmaterialien findet, lässt sich freilich anzweifeln.82 Denn die Gesetzgeberin hat – im Gegensatz zu anderen Beschränkungen – gerade nichts statuiert, was die Satzungsfreiheit der Verbände explizit schmälern oder ein kurzfristiges Werben neuer Mitglieder zur Erlangung der Klagebefugnis untersagen würde.83 So erscheint der von den Gerichten angelegte Maßstab keinesfalls zwingend. Vielmehr trägt die weitere Einengung der Klagebefugnis dazu bei, dass die Erhebung von Musterfeststellungsklagen nur erschwert wird, was aber nicht wirklich im Sinne der Gesetzgeberin liegen dürfte. Ferner müssen qualifizierte Einrichtungen im Zeitpunkt der Klageerhebung gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO mindestens vier Jahre in der Liste nach § 4 UKlaG oder dem Verzeichnis nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2009/22/EG eingetragen sein. Hierdurch soll mit Blick auf die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) ausgeschlossen werden, dass sich Organisationen wegen eines bestimmten (Schadens)Ereignisses aus verbraucherschutzfremden Motiven „spontan“ bilden.84 Kritikwürdig erscheint daran, dass bezüglich der Motivationslage nicht differenziert wird, sondern ad hoc-Gründungen schlechthin (also auch dem Verbraucherschutz dienende!) ausgeschlossen sind,85 zumal hierin ein pauschales Misstrauen zum Ausdruck kommt, welches den Verbraucherschutzverbänden kaum gerecht wird.86 Schon eher erscheint es folgerichtig, mit dem Erfordernis die bedenklich erscheinende Reanimierung einer bloß „auf Vorrat“ eingetragenen und dauerhaft oder seit längerem inaktiven qualifizierten Einrichtung auszuschließen: § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO sollte diesbezüglich so ausgelegt werden, dass es über die formelle Erfüllung des Vierjahreszeitraums hinaus einer tatsächlichen Wahrnehmung der satzungsmäßigen Aufgaben innerhalb des Zeitraums bedarf, damit die Frist ununterbrochen läuft.87 2. Anforderungen an Interessenwahrnehmung Die Voraussetzungen in § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 ZPO sollen weiterhin sicherstellen, dass die Verbände nicht überwiegend Musterfeststellungsklagen zum Zweck der Gewinnerzielung erheben, sondern im Einklang mit ihren Satzungen nicht gewerbsmäßig in „weitgehend beratender oder aufklärender Funk82 Eingehend Röthemeyer, BKR 2019, 301 (302); Röthemeyer, BKR 2021, 191; Rotter, VuR 2019, 283 (294); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 7. 83 Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (324); Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 147. 84 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 23; Menges, in: MüKoZPO, § 606 Rn. 9. 85 In diese Richtung auch Röthemeyer, VuR 2020, 130 (138). 86 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 7. 87 Dazu eingehend Fuhrmann/Kurka, NJW 2020, 3414 (3415 f.).

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

tion“ im Verbraucherinteresse tätig werden.88 Im Prozess hat die Musterklägerin zum Nachweis des ersteren Erfordernisses hinreichende Angaben zu ihren gesamten tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten zu machen, um dem Gericht eine Gewichtung zu ermöglichen.89 Gewahrt sind die Anforderungen erst, wenn der Verbraucherschutz „bei einer wertenden Gesamtbetrachtung ganz maßgebend auf eine nicht gewerbsmäßige Aufklärung oder Beratung zurückzuführen ist und der (außergerichtlichen) Geltendmachung von Verbraucherinteressen nur eine untergeordnete Rolle daneben zukommt“, wobei der nötige Personal- und Zeitaufwand90 für die jeweilige Tätigkeit sowie das Verhältnis der Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen gegenüber jenen aus Abmahnpauschalen und Vertragsstrafen als Indizien dienen können.91 Wiederum mutet die Voraussetzung des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO unglücklich an: Denn damit werden qualifizierte Einrichtungen – wohl geleitet vom Schreckensszenario einer wirtschaftsschädlichen Klageindustrie – praktisch davon abgehalten, sich durch eine rege (außer)gerichtliche Konfrontation mit Unternehmen zu professionalisieren bzw. durch die häufige Erhebung von Musterfeststellungsklagen eine entsprechende Expertise aufzubauen, die letztlich nur dem Verbraucherschutz zugutekäme.92 Stattdessen wird diesem wohl eher geschadet, da einerseits Verbraucherverbänden äußerst viel abverlangt wird, um die geforderten Nachweise zweifelsfrei zu erbringen, zumal ihren Tätigkeiten etwa auch der Zeitaufwand zugerechnet werden kann, der bei den von ihnen mit Klageverfahren beauftragten Rechtsanwältinnen anfällt.93 Andererseits verzögern die hohen Hürden der Klagebefugnis die Verhandlung des eigentlichen Rechtsstreits und bescheren obendrein dem beklagte Unternehmen einen prozesstaktischen Vorteil, da diesem ggf. zusätzliche Angriffsfläche im Rahmen der Verteidigungsstrategie geboten wird.94 Außer den überwiegend mit öffentlichen Mitteln geförderten Verbraucherzentralen und anderen Verbraucherverbänden, welche sich nicht mit den Anforderungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO auseinandersetzen müssen, dürften somit wohl nur wenige weitere klagebefugte Verbände übrigbleiben. 88 Nach RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 23 soll die gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen „in der gelebten Praxis [. . .] nur eine untergeordnete Rolle spielen“ dürfen. 89 BGH NJW 2021, 1014 (1016 Rn. 26); 2021, 1018 (1020 f.). 90 Den zeitlichen Aufwand noch nicht berücksichtigen wollend dagegen OLG Stuttgart WM 2019, 1055 (1057). 91 BGH NJW 2021, 1014 (1017 Rn. 27); 2021, 1018 (1021); siehe auch Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 36; a. A. Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (326) (restriktive Auslegung der Formulierung „weitgehend“ und weite Auslegung der Formulierung „aufklärend“). 92 Siehe Röthemeyer, VuR 2020, 130 (138 f.); Scholl, ZfPW 2019, 317 (333); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 8. 93 BGH NJW 2021, 1014 (1017 Rn. 32). 94 Siehe Röthemeyer, VuR 2020, 130 (141).

B. Zulässigkeit

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Fragwürdig erscheint insoweit auch der Sinngehalt des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZPO, der eine Gewinnerzielungsabsicht unterbinden soll. Denn zunächst bedingt das Ziel der Musterfeststellung selbst, dass die Musterklägerin im Erfolgsfall der Klage unmittelbar keine eigenen wirtschaftlichen Gewinne erzielen kann.95 Profitieren könnten allenfalls potenziell eng mit einem Verband verbundene Kanzleien oder Prozessfinanziererinnen, wenn sie dessen Geschicke mitbestimmen oder sogar missbräuchlich in der Absicht beherrschen, durch eine Mandatierung im Rahmen der Musterfeststellungsklage respektive deren Einbettung in ihr Geschäftsmodell Einnahmen zu generieren.96 Zählen etwa Rechtsanwältinnen zu den Mitgliedern bzw. Organen des Verbands und wird die Anwaltssozietät, denen sie angehören, mit der Vertretung im Rahmen der Musterfeststellungsklage bevollmächtigt, liegt tatsächlich der Verdacht nahe, dass ein potenzielles Interesse an einer Gewinnerzielung bestehen könnte.97 Gleichwohl ist zu vergegenwärtigen, dass derartige Verflechtungen schon bei der Frage über die Eintragungsfähigkeit in die Liste der qualifizierten Einrichtungen (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 UKlaG) Berücksichtigung finden können: So werden Vereine, „denen zwar satzungsmäßig die Wahrnehmung von Verbraucherinteressen durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung und Beratung der Verbraucher[innen] obliegt, die diese Aufgabe aber tatsächlich nicht im ausschließlichen Verbraucherinteresse erfüllen, sondern mindestens auch im wirtschaftlichen Interesse des Vereins oder Dritter wahrnehmen“, nicht eingetragen.98 Hinzu kommt, dass aufgrund des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs ein Erfordernis in § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 UKlaG eingefügt worden ist, welches gerade den Fall der Begünstigung von Personen, die für den Verein tätig sind, abdeckt und die Mitverfolgung von Gewinnerzielungsinteressen für Mitgliederinnen oder Dritte ausschließen soll.99 Künftig würde der Aspekt der Gewinnerzielungsabsicht demnach ggf. doppelt (sowohl im Rahmen der Eintragung als auch im Musterfeststellungsverfahren) geprüft. Dem Erfordernis des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZPO könnte so – trotz unterschiedlichen Wortlauts zu § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 UKlaG – ein eigenständiger Regelungsgehalt fehlen. Auch in Fällen, in denen Verflechtungen erst nach95 Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 6 (auch mit dem Hinweis, dass ein Anspruch gegen die Musterbeklagte auf Erstattung eigener Anwaltskosten nach § 91 ZPO keinen Gewinn darstellt). 96 Siehe Fuhrmann/Kurka, NJW 2020, 3414 (3416); Röthemeyer, MFK, § 606 ZPO Rn. 38, 41; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 8 („Paketlösungen“); Weinland, MFK, Rn. 55. 97 OLG Stuttgart WM 2019, 1055 (1058 Rn. 73 ff.); Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 37. 98 BVerwG WM 2019, 1208 (1209 Rn. 17, 1210): Dabei ging es um die Versagung einer Eintragung, weil die Antragstellerin exklusiv mit einer Kanzlei kooperierte und nach Ansicht des Gerichts auch in deren wirtschaftlichen Interesse handelte. 99 RegE SdfW, BT-Drs. 19/12084, S. 37; dazu Max, VuR 2021, 129 (131).

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träglich bekannt werden und vom Bundesamt für Justiz noch keiner Prüfung von Amts wegen unterzogen wurden (vgl. § 4a Abs. 1 UKlaG), bedürfte es keiner eigenen Prüfung des Gerichts. Denn dieses kann gemäß § 4a Abs. 2 UKlaG zur Überprüfung der Eintragung auffordern und die Verhandlung bis zu deren Abschluss aussetzen. 3. Finanzielle Unabhängigkeit Verdeckte Einflussnahmen von Unternehmensseite sowie eine Instrumentalisierung von Musterfeststellungsklagen gegen Wettbewerberinnen und damit zuungunsten der Verbraucherinteressen verhindern soll schließlich auch § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 ZPO, der vorschreibt, dass Verbände nicht mehr als 5 Prozent ihrer finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen dürfen.100 Erfasst sind neben dauerhaften Zahlungen zugleich einzelfallbezogene Zuwendungen jedes Unternehmens, also unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen eines Interessenkonfliktes.101 Private Spenden natürlicher Personen oder nicht unternehmerisch tätigen Einrichtungen sind hingegen erlaubt.102 Um die Neutralität der Musterklägerin zu gewährleisten, erscheint diese Voraussetzung grundsätzlich sinnvoll, wenngleich ihre ohnehin beschränkten Einnahmemöglichkeiten (vgl. § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO), auf welche sie zur Finanzierung ihrer Arbeit sowie der Musterfeststellungsklagen angewiesen sind, so nicht unbedingt zunehmen. Immerhin sollte der Nachweis für dieses Erfordernis (§ 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) in der Regel relativ leicht zu erbringen sein. Indes kann sich die gebotene finanzielle Unabhängigkeit in der Praxis aus einem anderen Grund als problematisch erweisen. Denn bei ernsthaften Zweifeln an dieser hat das Gericht nach § 606 Abs. 1 Satz 3 ZPO von der Musterklägerin die Offenlegung ihrer finanziellen Mittel zu verlangen. Welcher Zeitraum dafür anzusetzen ist, steht in Ermangelung einer näheren Bestimmung im gerichtlichen Ermessen.103 Hierbei müssen nicht nur zur Herkunft, sondern auch zum Umfang der Mittel Auskünfte gegeben werden, wodurch der Musterbeklagten ein prozesstaktischer Vorteil verschafft wird.104 Wenngleich ihre Überlegenheit nicht mehr so eklatant ausfallen wird wie gegenüber einer einzelnen Verbraucherin, ist in der Regel doch zu erwarten, dass sie über mehr (finanzielle) Ressourcen als der klagende Verband verfügt. Sobald sie konkret einsehen kann, wie ihre Gegnerin aufgestellt ist, droht Letztere wiederum ins Hintertreffen zu geraten. Das Krite100

BT-Drs. 19/2439, S. 23; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 9. Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (327). 102 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 606 Rn. 9. 103 Dazu Röthemeyer, MFK, § 606 ZPO Rn. 45, der prinzipiell auf das Kalenderjahr vor der Klageerhebung abstellen will. 104 Für eine restriktive Handhabung der Offenlegungspflicht daher Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 159 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 10. 101

B. Zulässigkeit

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rium der „Ernsthaftigkeit“ der Zweifel sollte dementsprechend einen hinreichend konkreten Vortrag erfordern, dass und warum die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 (bzw. Nr. 4) ZPO nicht vorliegen.105 4. Fazit Zusammengefasst ist festzustellen, dass der Schein nicht trügt: Die Klagebefugnis für die Musterfeststellungsklage ist nur für wenige Verbraucherschutzverbände erreichbar, weshalb auch die geringe Verfahrenszahl nicht überrascht. Wenngleich die (nicht immer nachvollziehbare) strenge Rechtsprechungslinie ihren Anteil daran hat, steht zuvörderst die Gesetzgeberin in der Verantwortung. Mit den von ihr übervorsichtig106 geschaffenen Zusatzanforderungen nimmt sie dem Verfahrensinstrument einige Schlagkraft und behindert eine effektive(re) Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden eher, als dass sie eine sachgerechte Aufgabenerfüllung sicherstellt. Das Argument der Verhinderung einer Klageindustrie greift ebenso zu kurz, da die Kommerzialisierung – bestens zu beobachten im Abgasskandal – ohnehin durch spezialisierte Anwaltskanzleien und Prozessfinanziererinnen betrieben wird107 und deren Geschäftsmodelle aufgrund der Hürden bei der Erhebung von Musterfeststellungsklagen sogar forciert werden. Eine Korrektur der Voraussetzungen für die Klageberechtigung erscheint insofern diskutabel und wird daher an späterer Stelle aufgegriffen.108

II. Vorgreiflichkeit und Quorum Außer der Klagebefugnis enthält § 606 Abs. 3 ZPO zwei weitere besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen. Zunächst ist glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO), dass die Feststellungsziele – bei unterstellter Richtigkeit des Sachvortrags – für die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbraucherinnen vorgreiflich sind (Nr. 2), wozu schon der Klageschrift gemäß § 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO wiederum geeignete Angaben und Nachweise beizufügen sind. Zur Glaubhaftmachung genügt grundsätzlich, wenn nach dem klägerischen Vorbringen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Behauptung zutrifft.109 Gleichwohl reichen bloße Spekulationen ohne konkrete Belege nicht aus.110 Im Musterfeststellungsverfahren wird die Vorgreiflichkeit der Feststel-

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Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 7. Insoweit Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 8. 107 Siehe Jacob, NJW 2021, 2709. 108 Hierzu noch unter § 8 A. II. 1. 109 BGH NJW-RR 2007, 776 (777); 2016, 952 (954); Bacher, in: BeckOK-ZPO, § 294 Rn. 3. 110 So im Fall BGH NJW 2020, 341 (342 Rn. 12), in dem zur Glaubhaftmachung vorgetragen wurde, dass eine große Zahl von Fahrzeugen existiere, bei denen bereits 106

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

lungsziele als Ausprägung eines Sachentscheidungsinteresses sodann in einer modifizierten Schlüssigkeitsprüfung festgestellt.111 Zudem müssen nach § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO zwei Monate nach der öffentlichen Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage i. S. d. § 607 Abs. 1 ZPO mindestens 50 Verbraucherinnen ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse wirksam (vgl. § 608 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zum Klageregister angemeldet haben. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der zugrunde liegende Sachverhalt eine gewisse Breitenwirkung besitzt, mithin ein übergeordnetes Interesse an der Durchführung des Musterfeststellungsverfahrens besteht.112 Dabei muss das Quorum nach dem gesetzgeberischen Willen nur in dem genannten Zeitpunkt erfüllt sein; bei einem nachträglichen Absinken der Anmeldezahl unter 50, etwa durch zulässige Rücknahmen (§ 608 Abs. 3 ZPO), entfällt die Zulässigkeit nicht mehr.113 Zur Überprüfung der Zahl der Anmeldungen kann das Gericht nach § 609 Abs. 5 ZPO einen Auszug beim Bundesamt für Justiz anfordern. Bis die Durchsicht, bei welcher das Gericht auf Basis der formalen Angaben nach § 608 Abs. 2 ZPO auch die Verbrauchereigenschaft sowie die Abhängigkeit der angemeldeten Ansprüche von den Feststellungszielen prüft, abgeschlossen ist, wird die Klage zunächst als zulässig behandelt.114

C. Einleitung und Ablauf des Verfahrens Grundsätzlich gelten auch für die Musterfeststellungsklage gemäß § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO die allgemeinen Vorschriften des ersten Rechtszuges für Verfahren vor den Landgerichten (§§ 253–494a ZPO) entsprechend. Das Verfahren ist demnach durch die Zustellung der Klageschrift an die Musterbeklagte einzuleiten, womit die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet wird (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO) und die Klage i. S. d. § 607 Abs. 2 ZPO erhoben ist.115 Anschließend soll das Gericht, wenn die Klageschrift die formellen Angaben i. S. d. § 606 Abs. 2 Satz 1 ZPO enthält, gemäß § 607 Abs. 2 ZPO binnen 14 Tagen nach der Erhebung die öffentliche Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage im Klageregister veranlassen.116 Diese ist unverzüglich117 (§ 609 Abs. 2 Satz 1 ZPO) Software-Updates durchgeführt wurden und deshalb wahrscheinlich sei, dass mindestens zehn Verbraucherinnen ein Fahrzeug mit Software-Update erworben hätten. 111 Näher Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 51 ff. m.w. N. 112 R. Koch, MDR 2018, 1409 (1412); U. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606 Rn. 23; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 17. 113 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 24; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 606 Rn. 4. 114 Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 54 f. 115 OLG Braunschweig VuR 2019, 106 (107); Menges, in: MüKoZPO, § 607 Rn. 6. 116 Nach Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 607 Rn. 10 sei die Zweiwochenfrist im normalen Arbeitsablauf kaum einzuhalten, zumal auf den Rücklauf des Zustellungsnachweises gewartet werden müsse. Dazu auch Klose, NJ 2021, 202 (203 f.); Schneider, BB 2018, 1986 (1991).

C. Einleitung und Ablauf des Verfahrens

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nach Maßgabe des § 2 MFKRegV durch das Bundesamt für Justiz vorzunehmen und setzt die zweimonatige Anmeldephase für Verbraucherinnen in Gang, an deren Ende das Quorum des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO erreicht sein muss. Sodann kann ein erster Termin zur mündlichen Verhandlung stattfinden.118

I. Öffentliche Bekanntmachung im Klageregister Die Entscheidung über die öffentliche Bekanntmachung der Klage trifft das jeweilige Oberlandesgericht. Zu prüfen ist dabei, ob die Klageschrift formal vollständig ist oder noch erforderliche Unterlagen auf gerichtlichen Hinweis nachzureichen sind,119 ohne dass die Beklagte angehört werden muss.120 Im Blickfeld steht also v. a. das Vorliegen der Nachweise über die Klagebefugnis sowie die Vorgreiflichkeit der Feststellungsziele für mindestens zehn Verbraucherinnen (§ 606 Abs. 2 Satz 1 ZPO).121 Liegen die Voraussetzungen ganz oder teilweise nicht vor, erfolgt die Ablehnung der öffentlichen Bekanntmachung per Beschluss, wobei auch eine Teilbekanntmachung jedenfalls dann möglich ist, wenn die bekanntzumachenden Feststellungsziele ohne die abgelehnten verständlich und einer Entscheidung zugänglich sind.122 Die zu veröffentlichenden Angaben ergeben sich aus § 607 Abs. 1 ZPO. Sie dienen sowohl der frühzeitigen und umfassenden Information der Betroffenen über die mögliche Anmeldung zum Verfahren als auch der Belehrung über deren Voraussetzungen und Wirkungen.123 Letztere ist freilich meist allgemein gehalten, was im Hinblick auf die Folgen für das rechtliche Gehör der Anmelderinnen später noch zu problematisieren ist.124 Auf Basis der Angaben in der öffentlichen 117 Das Erfordernis einer unverzüglichen (ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Satz 1 BGB) Veranlassung ist vor dem Hintergrund der für die Praxis knappen 14-Tage-Frist wichtig, damit keine unnötigen Verzögerungen entstehen. Bei Missachtung des Gebots drohen Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB, siehe Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 51; Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 609 Rn. 9. 118 Dabei handelt es sich um den frühen ersten Termin (§ 275 ZPO) oder, bei Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens (§ 276 ZPO), um den Haupttermin (Röthemeyer, in: MFK, § 608 Rn. 3). Vor Ablauf der Zweimonatsfrist zum Erreichen des Quorums darf hingegen kein erster Termin bestimmt werden, da mit Ablauf des vorgehenden Tages die Frist zur Anmeldung endet (§ 608 Abs. 1 ZPO) und auf diese Weise die Frist des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO verkürzt würde. 119 Eine Schlüssigkeitsprüfung erfolgt auch wegen der Kürze der Zeit nicht, siehe Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 607 Rn. 2. 120 Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (330); Röthemeyer, MFK, § 607 ZPO Rn. 9. 121 BGH NJW 2021, 1018 (1019); Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (50). 122 OLG Braunschweig VuR 2019, 106 (109). 123 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 24; zum vom zuständigen Gericht zu verantwortendem Inhalt im Einzelnen Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 607 Rn. 1 ff. (verfahrensbezogener Inhalt in § 607 Abs. 1 Nr. 1–5, allgemeine Belehrungspflichten für das Gericht in Nr. 6–8). 124 Siehe dazu § 6 B. I. 2.

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Bekanntmachung soll sich jede Bürgerin im auf der Website des Bundesamts für Justiz frei einsehbaren Klageregister (vgl. § 609 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 ZPO) über erhobene Musterfeststellungsklagen Kenntnis verschaffen und entscheiden können, ob eine Anmeldung für sie in Betracht kommt.125 Auch im weiteren Verlauf muss im Klageregister über den Fortgang des Verfahrens informiert werden, indem darin gemäß § 607 Abs. 3 ZPO die Bekanntgabe von Terminbestimmungen, Hinweisen und Zwischenentscheidungen – sofern sie zur Verbraucherinneninformation erforderlich sind – zu veranlassen (Satz 1) sowie eine Verfahrensbeendigung publik zu machen ist (Satz 3). Zudem wird der Beschluss über den Inhalt und die Wirksamkeit eines genehmigten gerichtlichen Vergleichs (§ 611 Abs. 5 Satz 3 ZPO) sowie das verkündete Musterfeststellungsurteil (§ 612 Abs. 1 ZPO) öffentlich bekanntgemacht. Das Klageregister besitzt dementsprechend eine doppelte Funktion: Es ist zentrales Informationsmedium für (potenziell) Betroffene, Interessierte der Öffentlichkeit sowie die angemeldeten Verbraucherinnen und kann als solches bezüglich der erfassten Anmeldungen auch vom Gericht und den Prozessparteien genutzt werden (vgl. § 609 Abs. 5 und 6); außerdem ist es damit einhergehend die Plattform zur Sammlung und Verwaltung der Registrierungen aller Anmeldenden und insofern essenziell für die Koordination und Durchführung der Klage.126

II. Anspruchsanmeldung Sobald eine Musterfeststellungsklage öffentlich bekanntgemacht ist, sind Verbraucherinnen gemäß § 608 Abs. 1 ZPO bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins zur mündlichen Verhandlung befugt, ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung ins Klageregister anzumelden (opt in-Modell). Um möglichst viele infrage kommende Anmelderinnen auf die erhobene Klage aufmerksam zu machen bzw. das Quorum von mindestens 50 Anmeldungen zu erfüllen, muss die Musterklägerin eigenverantwortlich eine wirksame Informationspolitik betreiben.127 1. Anforderungen Die Anmeldevoraussetzungen sind weitgehend niedrigschwellig gefasst: Erforderlich ist eine form- und fristgerechte Erklärung128 gegenüber dem Bundesamt 125 Auf der Website sind auch weitere Erläuterungen für Verbraucherinnen hinterlegt, bei Fragen steht ein Kontaktformular zur Verfügung, siehe https://www.bundesjustiz amt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Klageregister/Allgemeines_node.html (Abrufdatum: 4.1.2022). 126 Boese/Bleckwenn, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 4 Rn. 3 f.; siehe auch Menges, in: MüKoZPO, § 607 Rn. 1 f.; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2922). 127 Eine staatliche Unterstützung bei Medienkampagnen wurde in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage aus BT-Drs. 19/2294 v. 11.6.2018, BT-Drs. 19/ 2710, S. 5 (Nr. 12) abgelehnt; dazu Röthemeyer, MFK, § 607 ZPO Rn. 2. 128 Zur Rechtsnatur der Anmeldungserklärung Berger, ZZP 133 (2020), 3 (27).

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für Justiz mit den in § 608 Abs. 2 Satz 1 ZPO genannten Angaben, jedoch ohne dass hierfür Kosten anfallen oder ein Anwaltszwang besteht.129 Für eine Verbraucherin am anspruchsvollsten dürfte dabei die Darstellung zu Gegenstand und Grund ihres Anspruchs oder ihres Rechtsverhältnisses (§ 608 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO) sein, zumal die Angaben gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 MFKRegV hierzu höchstens 2.500 Zeichen betragen sollen (nicht müssen).130 Jedoch braucht es keiner vollständigen Beschreibung des Sachverhalts und substantiierten Darlegung des Anspruchs; vielmehr soll ausreichen, wenn das Klagebegehren individualisiert und damit der Streitgegenstand bestimmt ist.131 Ferner ist der Betrag der Forderung laut der Soll-Vorschrift des § 608 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht zwingend zu nennen. Gemäß § 608 Abs. 4 ZPO i.V. m. § 126b BGB gilt Textform, welcher aber auch durch das von der Registerstelle für jede Musterfeststellungsklage bereitgestellte und mit einer Ausfüllanleitung versehene elektronische oder papierne Anmeldeformular mit geringem Aufwand genügt werden kann (§ 3 Abs. 1 MFKRegV). Aus Verbraucherinnensicht mitunter problematisch erscheint, dass eine inhaltliche Überprüfung der Angaben nach § 608 Abs. 2 Satz 3 ZPO durch das Bundesamt für Justiz im Rahmen der Eintragung nicht erfolgt. Auch das zuständige Gericht kontrolliert die Anmeldungen bei der Feststellung der Zulässigkeit – rein auf Basis der Eintragung – nur äußerst eingeschränkt bis zum Erreichen des Quorums (§ 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO), nicht aber darüber hinaus.132 Dementsprechend muss eine Verbraucherin vor einer Anmeldung selbst evaluieren, ob ihr Anspruch zum Streitgegenstand der Musterfeststellungsklage „passt“. Tatsächlich erfährt sie aber erst in einem anschließenden Individualprozess, ob sie sich wirksam zur Musterfeststellungsklage angemeldet hat und sich auf deren Wirkungen berufen kann, wodurch insbesondere das Risiko besteht, dass ihr angemeldeter Anspruch in Wirklichkeit gar nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt und deshalb zwischenzeitlich verjähren könnte.133 Schon die bisherige Verfahrenspraxis hat gezeigt, dass hier häufig Fehler unterlaufen und die Angaben nach § 608 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht korrekt angegeben werden.134 Aufgrund der verbrauchertypischen laienhaften Rechtskenntnisse und den häufi-

129 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 25; Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 6; Rathmann, in: Hk-ZPO, Rn. 1. 130 Krit. Mekat/Nordholtz, NJW 2019, 411 (413); Menges, in: MüKoZPO, § 608 Rn. 2. 131 OLG München NZI 2020, 912 (916 Rn. 71) durch Übertragung der für § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geltenden Grundsätze. 132 Näher Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608 Rn. 3 f. 133 R. Koch, MDR 2018, 1409 (1415); Mekat/Nordholtz, NJW 2019, 411 (413); Schneider, BB 2018, 1986 (1997). Dazu noch unter § 8 B. I. 134 Eingehend mit Beispielen Rotter, VuR 2019, 284 (292 f.); siehe auch Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 3.

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gen Schwierigkeiten bei der juristischen Verständigung135 empfiehlt sich so gerade bei komplexen Streitigkeiten bzw. der bereits beabsichtigten Erhebung einer nachfolgenden Individualklage eine anwaltliche Vertretung.136 Damit verbunden ist allgemein das „Trittbrettfahrerproblem“, infolgedessen eine Verfälschung des Klageregisters droht.137 Außerdem legen die Erfahrungen aus der Musterfeststellungsklage gegen VW nahe, dass das Bundesamt für Justiz bei massenhaften Anmeldungen mit der Verwaltung und Bereinigung des Registers nicht hinterherkommt.138 So waren bspw. mehr als 30.000 Ansprüche mehrfach zum Verfahren angemeldet,139 wohingegen auch einige Anmeldungen trotz der Vornahme aller von den Verbraucherinnen geforderten Schritten wohl gar nicht eingetragen wurden.140 Vermutlich deshalb wurde zuletzt auch das verbindliche Eintragungsprozedere durch eine Veränderung der MFKRegV141 präzisiert: Neben der Prüfung des fristgemäßen Eingangs der Eintragung zur bzw. der Rücknahme der Anmeldung sind nunmehr die Vergabe und Mitteilung eines Geschäftszeichens an die Anmelderinnen sowie ein spezifisches Formular für die Mitteilung eines Erbfalls vorgesehen (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 und 4, § 3 Abs. 5, § 4 Abs. 2 Satz 2 und 3 MFKRegV n. F.). 2. Rücknahme Des Weiteren treten die an die Anmeldung geknüpften Wirkungen unter dem Vorbehalt ein, dass die jeweilige Verbraucherin ihre Eintragung ins Klageregister nicht fristgerecht zurückgenommen hat. Nach § 608 Abs. 3 ZPO steht diese Möglichkeit bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz offen. Für die Erklärung gegenüber dem Bundesamt für Justiz gilt wiederum Textform (§ 608 Abs. 4 ZPO i.V. m. § 126b ZPO), wofür nach § 4 Abs. 1 MFKRegV ein weiteres Formular elektronisch oder in Papierform bereitgehalten wird. Der finale Rücknahmezeitpunkt veränderte sich im Laufe des Gesetzgebungsvorhabens mehrfach: Nach dem Diskussionsentwurf sollte eine Abmeldung noch

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Vgl. bereits § 3 C. I. 1.; insoweit auch Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (372). Dazu Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 6 mit dem Verweis auf § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a RVG, wonach die Rechtsanwaltsgebühren für die Anmeldung im Fall eines Folgerechtsstreits mit der Verfahrensgebühr abgegolten sind. 137 Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1326); Stadler, NJW 2020, 265. 138 Insoweit Schneider, BB 2018, 1986 (1998): „Dass das Klageregister vom Bundesamt für Justiz in der Anfangszeit händisch geführt werden muss, erscheint symptomatisch.“ 139 Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243; siehe auch Gängel, NJ 2019, 378 (379). 140 Hirsch, VuR 2020, 454 (457). 141 Verordnung zur Änderung der Musterfeststellungsklagenregister-Verordnung v. 14.7.2021, BGBl. 2021 Teil I Nr. 45 v. 21.7.2021, S. 2923. 136

C. Einleitung und Ablauf des Verfahrens

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bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung erlaubt sein,142 der ursprüngliche Regierungsentwurf ließ diese gleichlaufend mit dem Ende der Anmeldefrist nur bis vor dem Beginn des ersten Termins zu.143 Letztlich wurde vermeintlich ein „Mittelweg“ eingeschlagen, indem die Anmelderinnen den ersten Verhandlungstag abwarten und auf dessen Basis theoretisch evaluieren können, ob sie weiter der Musterfeststellungsklage angehören wollen oder ob sie womöglich doch keinen Erfolg verspricht. Aus praktischer Sicht sorgt dies jedoch für einige Fragezeichen, insbesondere ob die Veröffentlichung der vom Gericht auszuformulierenden Ergebnisse der Verhandlung überhaupt binnen eines Tages realisierbar ist,144 ob eine Verbraucherin innerhalb der danach hypothetisch noch verbliebenen Zeit einen Nutzen aus den Informationen ziehen könnte oder ob der Verlängerung der Rücknahmefrist für die Anmeldung in Anbetracht dessen eher Symbolcharakter zuzumessen ist.145 3. Wirkungen Prämisse für den Eintritt der an die Anmeldung geknüpften individuellen Rechtsfolgen ist die wirksame Eintragung des Anspruchs einer Verbraucherin (vgl. § 29c Abs. 2 ZPO)146 im Klageregister mit den nach § 608 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen Angaben. Darüber hinaus bestimmen die Tatbestände der jeweiligen Wirkungsnormen übereinstimmend, dass diese nur insoweit ausgelöst werden, als dass der Individualanspruch bzw. die Individualklage denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betrifft, die der Musterfeststellungsklage zugrunde liegen.147 Diese insoweit einzelfallabhängigen Frage der Kongruenz der Lebenssachverhalte kann nicht Gegenstand des Musterfeststellungsverfahrens sein, sondern wird erst nachfolgend im Prozess zwischen einer angemeldeten Verbraucherin und der Musterbeklagten verbindlich geklärt.148 Bis dahin trägt die Anmelderin das Risiko einer fehlerhaften Beurteilung bezüglich der Vorgreiflichkeit. 142 Siehe § 609 Abs. 3 Satz 1 ZPO-E, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/Shared Docs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/DiskE_Musterfeststellungsklage.html (Abrufdatum: 4.1.2022); vgl. auch Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (661). 143 § 608 Abs. 3 ZPO des RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 10; vgl. auch U. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 608 Rn. 8. 144 Insoweit Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 179. 145 Dennoch müssen sich nach Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 14a.1 das Bundesamt für Justiz auf ein erhöhtes Kommunikationsaufkommen und die Gerichte sich auf einen Andrang zum Sitzungssaal einstellen. Krit. zudem Schneider, BB 2018, 1986 (1994); U. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 608 Rn. 8; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 9. 146 Zu Abtretungskonstellationen unter Beteiligung einer Unternehmerin noch unter § 8 B. II. 147 Siehe § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB, § 610 Abs. 3 ZPO und § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO. 148 Für die Verjährung Meller-Hannich, in: BeckOGK-BGB, § 204 Rn. 119; für die Bindungswirkung Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 84 f.

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

Eine entsprechend wirksame Anmeldung von Verbraucheransprüchen zu einer „passenden“ Musterfeststellungsklage bewirkt gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB, dass durch deren Erhebung die Verjährung ab diesem Zeitpunkt (sprich: trotz der erst später erfolgenden Anmeldung) gehemmt wird.149 Das gilt auch, wenn die Anspruchsanmeldung nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt.150 Die verjährungshemmende Wirkung endet laut § 204 Abs. 2 BGB sechs Monate nach einer rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Verfahrensbeendigung (Satz 1) bzw. sechs Monate nach einer Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister (Satz 2), wobei letztere Karenzzeit die Tür für eine strategische Nutzung der Anmeldung zur vorübergehenden Verjährungshemmung mit Rücknahmeabsicht öffnet.151 Gleichwohl begründet dies keinen Rechtsmissbrauch.152 Zugleich tritt während der Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage gemäß § 610 Abs. 3 ZPO eine Sperrwirkung für Individualklagen einer Anmelderin gegen die Beklagte mit demselben Streitgegenstand ein.153 Im Interesse der Verfahrenseffizienz und zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen soll eine Teilnahme am Anmeldeverfahren parallel zu einer Einzelklage sinnvollerweise nicht stattfinden, sodass der Verbraucherin hier ein Wahlrecht zusteht.154 Aus demselben Grund sind auch bereits laufende Individualprozesse einer Verbraucherin gegen die Musterbeklagte gemäß § 613 Abs. 2 ZPO vom zur Entscheidung berufenen Gericht bis zur endgültigen Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens von Amts wegen155 auszusetzen, sollte sich die Klägerin zu einer Eintragung ins Klageregister entschließen.156 Wird der Prozess durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossen, entfaltet dieses nach § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO Bindungswirkung für die nachfolgende Entscheidung individueller Rechtsstreitigkeiten zwischen einer wirksam angemeldeten Verbraucherin und der Musterbeklagten. Sie bildet das für eine übergreifende 149 Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (94 f.); näher Meller-Hannich, in: BeckOGKBGB, § 204 Rn. 109 f. 150 BGH WM 2021, 1665. 151 Mansel, WM 2019, 1621 (1622 f.); Mekat/Nordholtz, NJW 2019, 411 (412). 152 BGH WM 2021, 1665; Röthemeyer, MFK, § 204 BGB Rn. 13; Rüsing, NJW 2020, 2588 ff.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608 Rn. 1; a. A. Mansel, WM 2019, 1621 (1624); Mekat/Nordholtz, NJW 2019, 411 (412). 153 Dasselbe gilt gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 3 VSBG für Streitbeilegungsverfahren vor Verbraucherschlichtungsstellen, vgl. Borowski, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, § 14 Rn. 64 ff. 154 Vgl. RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17; Boese/Bleckwenn, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 5 Rn. 75; zu den Einzelheiten Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 38 ff. 155 Dazu BGH NJW 2020, 1973. 156 Nichtsdestotrotz besteht keine Anmeldepflicht. Entscheidet sich die klagende Verbraucherin also gegen eine Anmeldung und für das Weiterführen des Individualverfahrens, kann das zuständige Gericht eine Aussetzung nicht ohne weiteres analog § 148 Abs. 2 ZPO anordnen, siehe den Fall OLG Schleswig NJW-RR 2019, 1151 (1152).

C. Einleitung und Ablauf des Verfahrens

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Aufarbeitung eines Massenschadensereignisses entscheidende Element der Musterfeststellungsklage und erstreckt sich sowohl auf die rechtlichen als auch die tatsächlichen Feststellungen im Musterfeststellungsurteil.157 Die Reichweite der Bindungswirkung hängt wiederum davon ab, inwieweit dem Verfahren derselbe Streitgegenstand zugrunde liegt und die Feststellungsziele für die Folgeentscheidung vorgreiflich sind. Beachtlich ist dabei, dass die Anmelderinnen nicht nur an für sie günstigen Urteilen nutznießen können, sondern sich auch in negativer Hinsicht eine als unbegründet abgewiesene Musterfeststellungsklage entgegenhalten lassen müssen.158 Dass die Gesetzgeberin für diesen aus Verbraucherinnensicht ungünstigen Verfahrensausgang durch § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen nachträglichen Ausstieg (opt out) zum Zwecke einer abschließenden Beilegung aller Streitigkeiten ausgeschlossen hat, erscheint konsequent und mit Blick auf die Chancengleichheit der Parteien159 obendrein geboten.160 Ein Austrittsrecht besteht damit nur im Hinblick auf einen gerichtlichen Vergleich (§ 611 Abs. 4 Satz 2 ZPO), den die qualifizierte Einrichtung für die angemeldeten Verbraucherinnen ausgehandelt und das Gericht genehmigt hat.161 Damit der gerichtliche Vergleich nach § 611 Abs. 5 Satz 4 ZPO für und gegen die nicht ausgetretenen Verbraucherinnen wirkt, gilt wiederum, dass sie wirksam angemeldet gewesen sein müssen.162

III. Verfahrensrechtliche Besonderheiten Durch die abstrakte Verweisung in § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO auf die allgemeinen Verfahrensvorschriften hat sich die Gesetzgeberin systematisch dagegen entschieden, ein ausgefeiltes Sonderprozessrecht für den kollektiven Rechtsschutz zu erschaffen.163 Die Vorbereitung und Ausgestaltung eines Musterfeststellungsprozesses richten sich demnach nach den bekannten Regelungen.164 Zwar kann die daraus folgende Übersichtlichkeit des 6. Buches der ZPO insgesamt positiv wiegen, aber auch mancherorts Rechtsunsicherheit schaffen, wenn die Anwend157

Siehe Beck, ZIP 2018, 1915; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (92). RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 28; Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 613 Rn. 4; Menges, in: MüKoZPO, Rn. 2; Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 115 f.; Rathmann, in: Hk-ZPO, Rn. 1. 159 Dazu noch unter § 6 B. III. 160 Ursprünglich wurde ein solches Wahlrecht noch diskutiert, siehe Halfmeier, ZRP 2017, 201 (203); R. Koch, MDR 2018, 1409 (1413). 161 Dazu sogleich § 5 D. II. 162 Röß, NJW 2020, 2068 (2069). 163 Dies schon als Ordnungsaufgabe formulierend Hess, JZ 2011, 66 (71). Die Änderungen im ersten Buch der ZPO im Hinblick auf §§ 29c Abs. 2, 32c oder § 148 Abs. 2 ZPO erschaffen kein solches Sonderprozessrecht. 164 Krit. Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328), insbesondere da die Vorschriften des 6. Buchs der ZPO zu einseitig verfasst seien und die Prozessrechte der Beklagten allenfalls streiten. Dahingehend auch Fölsch, DRiZ 2018, 214 (217). 158

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barkeit bestimmter Vorschriften infrage steht.165 Explizit ausgeschlossen sind nur die in § 610 Abs. 5 Satz 2 ZPO genannten Normen. Auch im Übrigen ergeben sich die verfahrensrechtlichen Besonderheiten der Musterfeststellungsklage weitgehend aus § 610 ZPO. 1. Sperrwirkung und Verfahrenskoordination Zunächst legt § 610 Abs. 1 ZPO fest, dass ab dem Tag der Rechtshängigkeit keine andere Musterfeststellungsklage gegen dieselbe Beklagte über dieselben Feststellungsziele und denselben Lebenssachverhalt zulässig ist. Dabei geht es nicht um eine Wortgleichheit der Streitgegenstände, sondern um eine Identität in der Sache.166 Zweck der Norm ist es, die gewöhnliche Sperrwirkung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO zwischen den Parteien auf andere klagebefugte Verbände zu erweitern, um redundante Verfahren zu vermeiden, welche die Justiz sowie das beklagte Unternehmen unnötig belasten würden.167 Daher bleibt die Sperrwirkung auch erhalten, wenn das Musterfeststellungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen wurde.168 Anders liegt es gemäß § 610 Abs. 1 Satz 2 ZPO jedoch, wenn die Klage ohne eine Entscheidung in der Sache beendet wird. Dies kann sowohl aufgrund einer Parteidisposition als auch einer Klageabweisung als unzulässig geschehen.169 Unklarheiten bestehen insoweit jedoch in Bezug auf einen vergleichsweisen Abschluss des Musterfeststellungsverfahrens. Eigentlich erschiene es mit Blick auf den mit einem Musterfeststellungsurteil vergleichbaren verfahrensabschließenden Zweck eines Vergleichs konsequenter, wenn die Sperrwirkung auch in diesem Fall aufrechterhalten würde, zumal dies die Beklagte sowie die Allgemeinheit vor einer zweiten identischen Klage schützen würde.170 Auch die von der Gesetzgeberin selbst erwähnte Funktion eines Vergleichs als einfache befriedende „Gesamtlösung“ 171 steht eher im Widerspruch zur obigen Folge. Zum einen fehlt in oder nach § 610 Abs. 1 Satz 2 ZPO aber eine Ausnahmebestimmung, welche anordnen würde, dass ein gerichtlicher Vergleich i. S. d. § 611 ZPO davon nicht erfasst ist.172 Zum anderen stellt sich die Frage, wie beim Ab165

Dazu noch unter § 6 C. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610 Rn. 3; Röthemeyer, MFK, Rn. 7. 167 Siehe BT-Drs. 19/2439, S. 26; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (33); U. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 610 Rn. 1 f. 168 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610 Rn. 10; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Rn. 2; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 4. 169 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 27; Menges, in: MüKoZPO, § 610 Rn. 15 f.; Röthemeyer, MFK, Rn. 18. 170 Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 133. 171 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17. 172 Die Auslegung, dass ein gerichtlicher Vergleich aufgrund der gerichtlichen Genehmigung und der Feststellung der Wirksamkeit durch Beschluss mit einer Entschei166

C. Einleitung und Ablauf des Verfahrens

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schluss eines nur materiell-rechtlich wirkenden außergerichtlichen Vergleichs,173 welcher einer prozessualen Ergänzung durch eine Klagerücknahme o. ä. bedarf,174 eine entsprechende Ausnahme überhaupt begründet werden sollte. Diese de lege ferenda explizit zu statuieren wäre daher wohl die bessere Lösung. Bis dahin bleibt es aber dabei, dass nach einem Abschluss des Verfahrens durch einen Vergleich eine gleichgelagerte Musterfeststellungsklage durch eine andere qualifizierte Einrichtung nach § 610 Abs. 1 Satz 2 ZPO wieder zulässig wäre.175 Weitere Konsequenz der Sperrwirkung ist nach § 610 Abs. 1 Satz 1 ZPO, dass diejenige qualifizierte Einrichtung den Prozess führt, die zuerst Klage erhebt. Es wird also nicht eine qualitative Auswahlentscheidung unter mehreren potenziellen Musterklägerinnen gemäß ihrer Eignung getroffen,176 sondern grundsätzlich die Schnellste von ihnen priorisiert („Windhund-Prinzip“).177 Sofern die rein zeitliche Auswahl dazu führen würde, dass Musterfeststellungsklagen voreilig von Verbänden erhoben werden, die eine sachgerechte Wahrnehmung der Verbraucherinteressen nicht gewährleisten können, begegnet die Regelung potenziell Bedenken. Gleichwohl dürften allein die (zu) hohen Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen (und kumulativ auch die Kostentragungsregel des § 91 ZPO) diesbezüglich eine hinreichende Prävention darstellen, sodass die Gefahr abstrakter Art bleiben dürfte. Mithin erscheint die Entscheidung der Gesetzgeberin, hier der Beschleunigung einer Prozesseröffnung den Vorrang einzuräumen, begrüßenswert.178 Eine Ausnahme vom Prioritätsgrundsatz greift schließlich für den Fall, dass mehrere streitgegenstandsidentische Musterfeststellungsklagen gegen denselben Beklagten am selben Tag eingereicht werden. Der nachträglich dem Regierungsdung in der Sache gleichzustellen ist (Röthemeyer, MFK, § 610 ZPO Rn. 19 ff.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 4; wohl auch Menges, in: MüKoZPO, § 610 Rn. 17), erscheint dagegen zu weitgehend. Insoweit ist Magnus, NJW 2019, 3177 (3179) zuzustimmen, wonach „solch fundamentale Neuerungen“ im Gesetzgebungsprozess hätten besprochen werden müssen. 173 BGH NJW 2002, 1503 (1504); Hoffmann, in: BeckOK-ZPO, § 794 Rn. 33; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 27. 174 So etwa im Fall des außergerichtlichen Vergleichs im Musterfeststellungsverfahren gegen die Volkswagen AG, siehe Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243. 175 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610 Rn. 9; Lutz, in: BeckOK-ZPO, Rn. 34; Meller-Hannich, WuM 2021, 1 (5); Scholl, ZfPW 2019, 317 (350); Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 610 Rn. 2; differenzierend G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611 Rn. 9. Eine andere Frage ist, wie realistisch dieses Szenario in der Praxis ist, vgl. Scholl, ZfPW 2019, 317 (350) („eher unwahrscheinlich“). 176 So liegt es im KapMuG-Verfahren: Zu berücksichtigen ist nach § 9 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 KapMuG u. a. die Eignung der Klägerin, das Musterverfahren unter Berücksichtigung der Interessen der Beigeladenen angemessen zu führen. 177 Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 136; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2923); siehe auch Heese, JZ 2019, 429 (435) („Prioritätsprinzip“). 178 Ähnlich Waclawik, NJW 2018, 2921 (2923).

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

entwurf hinzugefügte § 610 Abs. 2 ZPO stellt zur Vermeidung zufälliger Ergebnisse klar, dass beide Klagen parallel zulässig sind und verweist auf § 147 ZPO, wonach das Gericht eine Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung anordnen kann (und auch sollte).179 Erreichen mehrere Klagen an unterschiedlichen Tagen das Gericht, noch bevor eine von ihnen der Beklagten zugestellt ist, bleibt es dagegen dabei, dass die zeitliche Abfolge des Eintritts der Rechtshängigkeit darüber entscheidet, welche der Klagen zulässig und welche gesperrt ist.180 2. Abweichungen zu allgemeinen Verfahrensregeln Durch § 610 Abs. 5 Satz 2 ZPO ausgeschlossen wird eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 ZPO), eine obligatorische Güteverhandlung (§ 278 Abs. 2 bis 5 ZPO), ein Verzichtsurteil (§ 306 ZPO) sowie ein Verfahren vor dem Einzelrichter (§§ 348–350 ZPO), um der besonderen Struktur und Zielsetzung der Musterfeststellungsklage Rechnung zu tragen.181 Dazu dient ferner § 610 Abs. 6 ZPO, der eine Nebenintervention für und eine Streitverkündung gegenüber den angemeldeten (Nr. 1) oder sonst betroffenen (Nr. 2) Verbraucherinnen untersagt. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass diese „in den Rechtsstreit hineingezogen werden“ und die Effektivität des Verfahrens unter einem Anstieg der aktiven Beteiligten leidet.182 Hinsichtlich des Streitbeitritts Dritter, die keine Verbraucherinnen sind, muss mangels einer Sonderregelung nach den allgemeinen Vorschriften differenziert werden: So kann die Musterbeklagte bspw. einer Dritten, gegen welche sie Regressansprüche haben könnte, den Streit verkünden oder diese umgekehrt die Beklagtenseite nach § 66 Abs. 1 ZPO unterstützen.183 Die Nebenintervention einer geschädigten, aber nicht anmeldeberechtigten Unternehmerin dürfte dagegen regelmäßig an einem Interventionsgrund scheitern.184 179 Beschlussempf., BT-Drs. 19/2741, S. 25; Menges, in: MüKoZPO, § 610 Rn. 12; Röthemeyer, MFK, Rn. 32; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 3. 180 Dazu Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610 Rn. 7 f., wobei auch eine Zustellung beider Klagen am selben Tag durch das Prioritätsprinzip (Uhrzeit) gelöst werden kann. Dagegen sieht Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 36 hier eine planwidrige Regelungslücke, welche eine analoge Anwendung des § 610 Abs. 2 ZPO rechtfertige. 181 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 27; Menges, in: MüKoZPO, § 610 Rn. 21. 182 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 27; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610 Rn. 9. 183 Röthemeyer, MFK, § 610 ZPO Rn. 68; Schöning, Musterfeststellungsverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche, S. 138 ff.; G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 610 Rn. 13; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (663). 184 Das erforderliche rechtliche Interesse ergibt sich nicht aus § 148 Abs. 2 ZPO, da die Vorschrift nur eine faktische Präjudizwirkung herbeiführt, siehe Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (51); Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 21 interpretiert § 148 Abs. 2 ZPO dagegen so, dass die Nebenintervention hier nach der Gesetzessystematik schon generell ausgeschlossen sein soll.

D. Beendigung

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Bemerkenswert ist zudem die Verpflichtung des Gerichts, spätestens im ersten Termin auf sachdienliche Klageanträge hinzuwirken (§ 610 Abs. 4 ZPO). Hierdurch sollen über § 139 Abs. 1 ZPO hinaus Einflussmöglichkeiten zugesichert werden, um das Verfahren möglichst effektiv durchzuführen.185 Daneben wird das Gericht aber auch angehalten, die beantragten Feststellungsziele frühzeitig auf ihren Gehalt und ggf. eine Ergänzungsbedürftigkeit hin zu überprüfen, um deren Wichtigkeit für die Möglichkeit der Anmeldung sowie dem später eingeschränkten rechtlichen Gehör der angemeldeten Verbraucherinnen Rechnung zu tragen.186 Schließlich ist gemäß § 48 Abs. 1 GKG der Streitwert für Musterfeststellungsklagen, der nach freiem Ermessen vom Gericht festgesetzt wird (§ 3 ZPO), auf 250.000 Euro gedeckelt. Das Prozesskostenrisiko für die Musterklägerin soll so geringgehalten werden,187 was mit Blick auf die altruistische Motivation und die eingeschränkten Einnahmemöglichkeiten des Verbands (vgl. § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 5 ZPO) prima facie sinnvoll erscheint. Gleichwohl machen die korrespondierend niedrigen Gebühren das klägerische Mandat aus Sicht qualifizierter und spezialisierter (Groß)Kanzleien erst einmal unattraktiv.188 Um gegenüber der Interessenvertretung der Beklagten nicht ins Hintertreffen zu geraten,189 muss die Musterklägerin also wohl dennoch einiges investieren.190

D. Beendigung Für die Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens gilt mit den vorstehenden Ausführungen, dass prinzipiell die allgemeinen Vorschriften anwendbar sind. So kann die Klage – wie schon § 610 Abs. 1 Satz 2 ZPO impliziert – etwa gemäß §§ 610 Abs. 5 Satz 1, 269 Abs. 1 ZPO zurückgenommen oder der Rechtsstreit von den Parteien für erledigt erklärt werden (vgl. § 91a ZPO).191 Spezielle 185 So die Beschlussempf., BT-Drs. 19/2741, S. 25, im Rahmen derer die Vorschrift erst eingefügt wurde. Schneider, BB 2018, 1986 (1993) bemängelt insoweit die nicht hinreichend sanktionierte Praxis in KapMuG-Verfahren, missbräuchliche Musterverfahrensanträge zu stellen, gegen welche das Musterfeststellungsgericht besser vorgehen müsste. 186 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610 Rn. 13; Röthemeyer, MFK, Rn. 48 ff. 187 Nach Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45 (51) entstehen so erstinstanzliche Prozesskosten von nicht ganz 25.000 Euro, für die anwaltliche Vertretung der Musterklägerin nach Stadler, NJW 2020, 265 gar nur 8.000 Euro. 188 Halfmeier, ZRP 2017, 201 (204); Heese, JZ 2019, 429 (437); Kähler, ZIP 2020, 293 (297 f.); Schneider, BB 2018, 1986 (1997). 189 Dies nach gegenwärtiger Rechtslage und Ausstattung der infrage kommenden Musterklägerinnen fürchtend Gsell/Möllers, in: Gsell/Möllers, S. 465 (483 ff.). 190 Mehr dazu unter 8. A. I. 191 Vgl. RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 27; Menges, in: MüKoZPO, § 610 Rn. 15; G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, Rn. 12.

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

Regelungen wurden nur für das Musterfeststellungsurteil und den gerichtlichen Vergleich eingeführt.

I. Musterfeststellungsurteil Formal schreibt zunächst § 612 Abs. 1 ZPO vor, dass ein Musterfeststellungsurteil nach seiner Verkündung wegen der besonderen Bedeutung für die betroffenen Verbraucherinnen im Klageregister öffentlich bekannt zu machen ist.192 Dasselbe gilt für ein hiergegen eingelegtes Rechtsmittel sowie für den Eintritt der Rechtskraft des Musterfeststellungsurteils (§ 612 Abs. 2 ZPO). Die Vorschrift verdeutlicht zugleich, dass zwischen den Parteien des abgeschlossenen Musterfeststellungsverfahrens wie gewöhnlich eine Rechtskraftwirkung entfaltet wird. Der Feststellungstenor bindet die Musterklägerin und die Musterbeklagte insofern materiell nach Maßgabe der §§ 322 Abs. 1, 325 ZPO.193 Demgegenüber gilt die Bindungswirkung in § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO für einen Folgerechtsstreit zwischen einer angemeldeten Verbraucherin und der Musterbeklagten. Diese verpflichtet das Gericht der Individualklage, die getroffenen Feststellungen zugrunde zu legen, soweit dessen Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft.194 Eine vergleichbare Regelung findet sich in der ZPO bisher nicht,195 weshalb die Regelung näherer Betrachtung bedarf. 1. Reichweite der Bindungswirkung Die Reichweite der Bindungswirkung wird v. a. durch ihre Zweiseitigkeit charakterisiert: Anmelderinnen können nicht nur von einem positiven Musterfeststellungsurteil profitieren, sondern sind auch an anspruchsausschließende Feststellungen gebunden, aufgrund derer die Klage abgewiesen wird.196 Zu beachten ist weiterhin, dass ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil das Gericht des Nachfolgeprozesses erst bindet, wenn es in der Sache ergangen ist.197 Unerheblich ist, ob sich die Verbraucherin im Folgerechtsstreit auf die Bindungswirkung beruft198: Wird im Individualverfahren festgestellt, dass sie den dort behaupteten 192

RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 28. Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (92); Berger, ZZP 133 (2020), 3 (40); G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 613 Rn. 1. 194 Zur Reichweite der Bindung Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 613 Rn. 5 ff. m.w. N. 195 Mit einer Abgrenzung zur Interventionswirkung des § 68 Satz 1 ZPO Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 100 ff. 196 Vgl. schon § 5 C. II. 3. 197 Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 613 Rn. 2; U. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, Rn. 4; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 2. 198 Ursprünglich wurde noch eine „Einredelösung“ erwogen, bei der sich die Verbraucherin auf die Bindungswirkung berufen muss, siehe Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (93). 193

D. Beendigung

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Anspruch wirksam zum Klageregister angemeldet sowie nicht wieder fristgerecht abgemeldet (§ 608 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ZPO) und diesbezüglich die Verbrauchereigenschaft (§ 29c Abs. 2 ZPO) vorgelegen hat, greift die Bindungswirkung in dem anhand von § 613 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 ZPO bestimmbaren Umfang.199 Freilich muss die klagende Verbraucherin denselben, sich mit den im Musterfeststellungsurteil getroffenen Feststellungen deckenden Lebenssachverhalt im Anschlussverfahren vortragen; in diesem Punkt gilt der Beibringungsgrundsatz somit unverändert.200 Maßgeblich für die Reichweite der Bindungswirkung sind dabei die im Urteilstenor zum Ausdruck kommenden Entscheidungen über die beantragten Feststellungsziele mit dem dazugehörigen Lebenssachverhalt.201 Die zugrunde liegenden Begründungselemente werden dagegen nicht umfasst, insbesondere da diese den Verbraucherinnen zum Zeitpunkt ihrer Anmeldung gar nicht bekannt gewesen sind und sie im Prozessverlauf auch keinen Einfluss mehr hierauf nehmen konnten.202 Stellt das zur Entscheidung berufene Gericht über die Begründung der tenorierten Feststellungen hinaus Erwägungen zur rechtlichen Beurteilung des Rechtsstreits an, werden sie von der Bindungswirkung mithin nicht erfasst.203 2. Rechtsnatur der Bindungswirkung Fraglich ist, wie sich die Bindungswirkung aufgrund dieser Merkmale in dogmatischer Hinsicht zur materiellen Rechtskraft verhält. Im Unterschied zu Letzterer greift sie nicht für die Parteien des Musterfeststellungsverfahrens, sondern dient gerade dazu, deren in persönlicher Hinsicht begrenzten Wirkungsgrad zu erweitern.204 Sachlich weist die Bindungswirkung aber, v. a. durch die Anknüpfung an den Entscheidungstenor, eine hohe Ähnlichkeit zur materiellen Rechtskraftwirkung auf.205

199

Vgl. Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 613 Rn. 3; Röthemeyer, MFK, Rn. 4 ff. Zu möglichen Streitpunkten Mekat, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 8 Rn. 74 ff. 201 Eingehend Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 186 ff., 190; Feldhusen, ZIP 2020, 2377 (2381). 202 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (41 f.) stellt so auch einen Gleichlauf mit § 322 Abs. 1 ZPO her. 203 So Feldhusen, ZIP 2020, 2377 (2381) in Bezug auf die so vorgehende Entscheidung des OLG Dresden, Urteil v. 22.4.2020 – 5 MK 1/19, BeckRS 2020, 6640. Zu den Anforderungen an den Konkretisierungsgrad der richterlichen Feststellungen Feldhusen, ZIP 2020, 2377 (2383 ff.). 204 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 90; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613 Rn. 2. 205 Siehe Menges, in: MüKoZPO, § 613 Rn. 3; Müller, GWR 2019, 399; Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 91 ff.; G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 613 Rn. 2. 200

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

Zum Teil wird daher vertreten, die Regelung des § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO als eine – auf der Prozessstandschaft der Musterklägerin beruhende – subjektive Erweiterung der Rechtskraft des Musterfeststellungsurteils (Rechtskrafterstreckung) zu verstehen, wodurch die Bindungswirkung entsprechend § 325 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch die Rechtsnachfolgerin einer angemeldeten Verbraucherin erfassen könne.206 Dafür ließe sich auf den ersten Blick anführen, dass die Rechtskrafterstreckung in anderen Fällen einer gesetzlichen Prozessstandschaft den notwendigen Ausgleich dafür bietet, dass der Rechtsträgerin durch das Gesetz die Prozessführungsbefugnis genommen ist (bspw. im Fall des von Parteien kraft Amtes verwalteten Vermögens).207 Immerhin sind auch die materiell betroffenen Verbraucherinnen im Rahmen der Musterfeststellungsklage nicht klagebefugt, sondern durch eine qualifizierte Einrichtung repräsentiert (§ 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Anders als in der ersten Konstellation resultiert der Verlust der Prozessführungsbefugnis hier allerdings nicht unmittelbar auf einer zwangsweisen gesetzlichen Anordnung, sondern auf der freiwilligen Entscheidung, sich zur Eintragung ins Klageregister anzumelden (§ 608 Abs. 1 ZPO). Diese Parallele belegt die obige These mithin nicht, sondern spricht eher gegen eine Einordnung des § 613 Abs. 1 ZPO als Form der Rechtskrafterstreckung. Ferner ist zu bemerken, dass hierdurch ohnehin dogmatische Brüche zu befürchten wären. Denn charakteristisch für eine Rechtskrafterstreckung auf Dritte ist, dass sie eine Ausnahme des inter partes-Grundsatzes (§ 325 Abs. 1 ZPO) bildet;208 in der Bindungswirkung liegt dagegen der Hauptzweck der Musterfeststellungsklage, sodass vorliegend eine strukturelle Divergenz besteht.209 Diese konsolidiert sich darin, dass die materielle Rechtskraft den „Schlusspunkt“ eines Rechtsstreits setzt, während die Bindungswirkung davon lebt, „dass sie noch im Folgeverfahren Leitlinien vorgibt“.210 Vor diesem Hintergrund erschiene eine Gleichstellung nicht sachgerecht. Vielmehr handelt es sich bei der Erstreckung der Urteilsfeststellungen auf die angemeldeten Verbraucherinnen in § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO um ein Institut sui generis.211 Nichtsdestominder kann aufgrund der sachlichen Nähe zur materiellen Rechtskraft eine Anwendbarkeit der §§ 325 ff. ZPO auch auf die Bindungswirkung in Erwägung gezogen werden.212

206 So Berger, ZZP 133 (2020), 3 (40 ff.); wohl auch Röthemeyer, MFK, § 613 ZPO Rn. 2 ff. 207 Dazu Schack, NJW 1988, 865 (867). 208 Näher Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 325 Rn. 1 ff.; Musielak, in: Musielak/ Voit, ZPO, Rn. 3. 209 Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 201. 210 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 94. 211 Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 202; Oehmig, Rechtsstellung der angemeldeten Verbraucher, S. 112; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613 Rn. 2. 212 Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 29; Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 111. Dazu noch unter § 8 B. II. 1. b).

D. Beendigung

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II. Musterfeststellungsvergleich Nach dem geltenden Dispositionsgrundsatz können die Parteien das Musterfeststellungsverfahren auch vergleichsweise beenden, anstatt eine streitige Entscheidung abzuwarten. In der Regel wird dies bei der Aufarbeitung eines Massenschadensfalles zu einer effizienteren Lösung führen, da der Prozess nicht in allen Einzelheiten ausgetragen werden muss.213 Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass ein Vergleich unmittelbare Ansprüche der berechtigten Verbraucherinnen begründet, welche eine anschließende Individualphase entbehrlich machen.214 Dass die qualifizierte Einrichtung und die Musterbeklagte einen gerichtlichen Vergleich auch „mit Wirkung für und gegen die angemeldeten Verbraucher[innen]“ schließen können, stellt § 611 Abs. 1 ZPO ausdrücklich fest. Die Norm ist vor dem Hintergrund der fehlenden Einflussmöglichkeiten der materiell-rechtlich Betroffenen zu verstehen.215 Inhaltlich obliegt es also der Disposition der Parteien, was vereinbart wird, zumal es sich bei dem „Soll“-Katalog des § 611 Abs. 2 ZPO um keine bindenden Vorgaben handelt.216 Frühestmöglicher Zeitpunkt für den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs ist gemäß § 611 Abs. 6 ZPO der erste Termin. Dadurch soll der Ablauf der Anmeldefrist (§ 608 Abs. 1 ZPO) abgewartet werden, um potenziell allen anmeldeberechtigten Verbraucherinnen Gelegenheit zur Eintragung zu geben und möglichst viele von ihnen in einer Vergleichslösung erfassen zu können.217 Ansonsten setzt der rechtskräftige Abschluss des Musterfeststellungsverfahrens die zeitliche Grenze.218 1. Besondere Voraussetzungen Um die angemeldeten Verbraucherinnen trotz ihrer fehlenden Beteiligung beim Zustandekommen in den gerichtlichen Vergleich einbeziehen zu können, hat die Gesetzgeberin zuvörderst ein Genehmigungserfordernis durch das Gericht statuiert (§ 611 Abs. 3 Satz 1 ZPO).219 Dieses ist an die Regelung in § 18 KapMuG angelehnt und nimmt mit dieser eine Sonderstellung im deutschen Recht ein.220 Daneben gesteht § 611 Abs. 4 Satz 2 ZPO den Verbraucherinnen ein Aus-

213

Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (628). Magnus, NJW 2019, 3177; Rathmann, in: Hk-ZPO, § 611 Rn. 1. 215 Kähler, ZIP 2020, 293. 216 Mekat, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 7 Rn. 9; Röthemeyer, MFK, § 611 ZPO Rn. 13. 217 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 28; Menges, in: MüKoZPO, § 611 Rn. 3. 218 G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 611 Rn. 2. 219 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 27. 220 Näher Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 33 ff.; siehe auch Kähler, ZIP 2020, 293. 214

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

trittsrecht zu, an dessen quotale Wahrnehmung die Wirksamkeit des Vergleichs insgesamt geknüpft ist (§ 611 Abs. 5 Satz 1 ZPO). a) Genehmigung durch das Gericht Unter welchen Voraussetzungen die Genehmigung zu erteilen ist, legt § 611 Abs. 3 Satz 2 ZPO nur abstrakt fest: Das Gericht muss den Vergleich „unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes als angemessene gütliche Beilegung des Streits oder der Ungewissheit über die angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse“ erachten. Die konkrete Bestimmung der Angemessenheit ist den jeweils damit befassten Spruchkörpern überlassen, wobei sich feste Kriterien bislang nicht eindeutig herausgebildet haben.221 In jedem Fall hat sich die Beurteilung der Angemessenheit an den Erfolgsaussichten der Musterfeststellungsklage zu orientieren und darf lediglich auf Basis des bis dahin gesammelten Prozessstoffs erfolgen.222 Im Umkehrschluss dürfte das Betreiben einer weiteren Aufklärung des Sach- und Streitstands daher prinzipiell unzulässig sein, es sei denn, es geht um Nachforschungen zur Ermittlung der Angemessenheit der Vergleichsvereinbarung mittels der Informationsrechte aus §§ 139 Abs. 1, 141 ff. ZPO.223 Hierdurch ließen sich etwa den Vergleichsschluss begleitende Umstände aufhellen, welche das Gericht seiner Beurteilung ebenso zugrunde legen kann wie den eigentlichen Vergleichsinhalt.224 Welche Umstände die richterliche Entscheidung über die Angemessenheit letztlich leiten und welche Maßnahmen ggf. zusätzlich ergriffen werden, hängt gleichwohl zumeist vom Einzelfall ab. Dabei ist im Zweifel wohl davon auszugehen, dass ein frei zwischen den Parteien ausgehandelter Vergleich dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen wird,225 und dass die altruistisch motivierte Musterklägerin bestmöglich im Interesse der angemeldeten Verbraucherinnen agiert hat. Das Gegenteil anzunehmen und jede Vereinbarung unter den Generalverdacht der Unangemessenheit zu stellen, würde die Parteien zu deutlich in ihrer Autonomie beschneiden und im Übrigen kaum im Sinne der Gesetzgeberin liegen, welche diese Form der Verfahrensbeendigung an sich fördern wollte.226 Letzten Endes dürfte sich die Entscheidung häufig daran ausrichten, ob die Ver221

Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 216 f.; Kähler, ZIP 2020, 293

(295). 222

Röthemeyer, MFK, § 611 ZPO Rn. 26. Siehe Magnus, NJW 2019, 3177 (3179); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611 Rn. 11 (die als Beispiel die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der wirtschaftlichen Aspekte des Vergleichs nennt, Fn. 32). 224 Eingehend Kähler, ZIP 2020, 293 (297 ff.), der dabei zwischen einer formellen und materiellen Angemessenheit unterscheidet. 225 Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 611 Rn. 8a; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (664); Weinland, MFK, Rn. 175 f. 226 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17 a. E. 223

D. Beendigung

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einbarung objektiv ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, eine Gleichbehandlung der Leistungsberechtigten bzw. eine sachliche Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen sowie ein „gegenseitiges Nachgeben“ zu erkennen gibt.227 Elementar sind schließlich auch die Erfolgsaussichten der Klage, welche sich im Interesse der Verbraucherinnen in dem Vergleich widerspiegeln sollten.228 b) Austrittsrecht der Verbraucherinnen Das opt out-Recht nach § 611 Abs. 4 ZPO, mit dem § 611 Abs. 5 Satz 1 ZPO ein Wirksamkeitsquorum (Austrittsquote weniger als 30 Prozent) verbindet, ist die zweite Legitimationsbasis für die Vereinbarung als solche229 sowie für den Eintritt der Vergleichswirkungen gegenüber den einzelnen Verbraucherinnen.230 Diesen wird der genehmigte Vergleich mit einer entsprechenden Belehrung zugestellt, woraufhin sie nach Maßgabe des § 611 Abs. 4 Satz 2 und 3 ZPO ihr Austrittsrecht innerhalb eines Monats ohne anwaltliche Vertretung ausüben können. Die Zustellung der Vergleichsvereinbarung erfolgt von Amts wegen (§ 166 Abs. 2 ZPO) nach den allgemeinen Vorschriften. Bleibt eine Verbraucherin bis zum Ablauf der Frist untätig, ist sie an den Inhalt des Vergleichs gebunden.231 Wird die 30-Prozent-Schwelle unterschritten, stellt das Gericht die Wirksamkeit des Vergleichs durch unanfechtbaren Beschluss fest; mit dessen öffentlicher Bekanntmachung wirkt der Vergleich für diejenigen angemeldeten Verbraucherinnen, die nicht ausgetreten sind (§ 611 Abs. 5 Satz 2 bis 4 ZPO). Zugleich markiert dieser Zeitpunkt – sofern es sich nicht bloß um einen Teilvergleich handelt – das Ende des Musterfeststellungsverfahrens,232 und zwar auch für die Verbraucherinnen, welche den Austritt erklärt haben.233 Zwar erhöht das deren Druck, sich der Vereinbarung anzuschließen, andernfalls wäre aber die von der Gesetzgeberin intendierte „befriedende Funktion“ des Musterfeststel227 Kähler, ZIP 2020, 293 (298 ff.); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611 Rn. 9; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (664). 228 Röthemeyer, MFK, § 611 ZPO Rn. 34. 229 Siehe RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 28: „Denn eine befriedende Funktion ist dem vorgeschlagenen Vergleich nicht beizumessen, wenn ein Großteil der angemeldeten Verbraucher[innen] sich ihm nicht unterwerfen möchte“. 230 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611 Rn. 13. Zur i. E. verneinten materiellrechtlichen Bindung der Verbraucherinnen an den Kollektivvergleich und der dementsprechend fehlenden Möglichkeit einer Anfechtung Röß, NJW 2020, 2068 (2071 ff.). 231 Krit. dazu Magnus, NJW 2019, 3177 (3178), der auf die Gefahr hinweist, dass sich die Verbraucherinnen allein auf die Angemessenheitsprüfung durch das Gericht verlassen und aus reiner Bequemlichkeit von einem opt out absehen. 232 Das folgt aus der Doppelnatur des Vergleichs, die auf die Regelung des § 611 ZPO übertragbar ist, siehe Magnus, NJW 2019, 3177 (3179). 233 Mekat, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 7 Rn. 61, 77; Röthemeyer, MFK, § 611 ZPO Rn. 60; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 17.

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

lungsvergleichs234 ad absurdum geführt. Da die Verjährung der Ansprüche der ausgetretenen Verbraucherinnen gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB sechs weitere Monate gehemmt ist (vgl. § 611 Abs. 4 Satz 4 ZPO) und sie noch genügend Zeit haben, eine individuelle Klage – zumal mit besserer Kenntnis über Rechtslage und Erfolgsaussichten als vor dem Musterfeststellungsverfahren – vorzubereiten, stehen sie ohnehin nicht „mit leeren Händen“ da. Erstaunlich ist schließlich, dass nicht geregelt wurde, inwieweit die Verbraucherinnen aus einem wirksamen Vergleich vollstrecken können. Denn mangels einer Beteiligung an dessen Abschluss erlangen sie grundsätzlich keinen unmittelbaren Vollstreckungstitel i. S. d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.235 Sie müssen somit darauf hoffen, dass sich die Anspruchsgegnerin – auch zur Vermeidung von (weiteren) Reputationsschäden für das Unternehmen – an ihr Leistungsversprechen hält. Im Streitfall steht ihnen außer einer Klage immerhin gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 VSBG die Anrufung der Universalschlichtungsstelle des Bundes zur Verfügung, welche kostenlos und relativ unbürokratisch erreichbar ist. Nichtsdestotrotz würde es sich in Anbetracht des aufwendigen Genehmigungsverfahrens aber anbieten, de lege ferenda ein Titelversprechen in § 794 Abs. 1 ZPO für den Musterfeststellungsvergleich zu schaffen. 2. Praktische Umsetzung So durchdacht die Vorschrift des § 611 ZPO insgesamt scheinen mag, ist ihre Praktikabilität in Zweifel zu ziehen. Denn die Lehren aus dem VW-Musterfeststellungsverfahren deuten an, dass einige Hürden bestehen, welche den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs unattraktiv und einen außergerichtlichen Vergleichsschluss jedenfalls in einem „echten“ Massenverfahren vorzugswürdig erscheinen lassen.236 Die Entscheidung zugunsten einer Lösung ohne Mitwirkung des Gerichts fiel im „Vorzeige-Massenschadensfall“ des Abgasskandals primär aus der Kumulation von Zeitgründen und der immensen Verfahrensbeteiligung. So stand während der Vergleichsverhandlungen nicht einmal exakt fest, wie viele Verbraucherinnen überhaupt wirksam im Klageregister eingetragen waren, da dessen Bereinigung (bis zur Prozessbeendigung!) nicht abgeschlossen werden konnte.237 Aufgrund der Zustellungspflicht von Amts wegen hätten den-

234

Siehe RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17 und 28. Dazu Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89 (92); Menges, in: MüKoZPO, § 611 Rn. 8; Schöning, Musterfeststellungsverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche, S. 152 f. 236 Dieser ist nach der Dispositionsmaxime uneingeschränkt zulässig, eingehend dazu Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 52 ff. 237 Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243 (246); Hirsch, VuR 2020, 454 (457, 459); Stadler, NJW 2020, 265. Zu der Problematik der Verfälschung des Klageregisters bereits § 5 C. II. 1. 235

D. Beendigung

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noch alle Anstrengungen unternommen werden müssen, etwaige Unklarheiten (einschließlich zwischenzeitliche Adressänderungen o. ä.) aufzuklären und die wirksam angemeldeten Verbraucherinnen zu erreichen.238 Selbst bei der hypothetischen Richtigkeit des Klageregisters und einem auch sonst reibungslosen Ablauf hätte die Zustellung im VW-Fall nach Schätzungen an ca. 330.000 Personen erfolgen müssen, woraufhin noch die Austrittsfristen und die Prüfung des Erreichens des Quorums abzuwarten gewesen wären.239 Es bedarf einiger Kühnheit, hier eine Prognose zu wagen, wie viel Zeit all dies wohl in Anspruch genommen hätte. Dieses logistische Problem scheint die Gesetzgeberin sowohl in Bezug auf die Anmeldungen zum Klageregister als auch auf die Zustellung der Vergleiche schlichtweg übersehen zu haben.240 Das Beispiel veranschaulicht, wie impraktikabel das derzeitige Anmeldeprozedere und das Zustandekommen eines gerichtlichen Vergleichs bei „echten“ Massenprozessen sein kann. Mit Blick auf die Musterfeststellungsklage als solche erscheint das fatal. Denn gerade jene in jeder Hinsicht aufgeladenen Prozesse liegen stets und am meisten unter dem Brennglas der Öffentlichkeit, die erwartet, dass der Mechanismus funktioniert. In der aktuellen Fassung stellt das das Klageregister und ein gütliche, vom Gericht kontrollierte Streitbeilegung aber nicht sicher. Deshalb fiel die Wahl im Beispielsfall stattdessen auf einen außergerichtlichen Vergleich, bei dem die Verfahrensweise des Zustandekommens frei festgelegt werden konnte. Dabei wurde sogar ein opt in-Mechanismus installiert.241 Auch die spätere Abwicklung des Vergleichs gelang: In den nur sehr seltenen Streitfällen hatte eine Ombudsstelle entschieden.242 Um den Abschluss gerichtlicher Vergleiche attraktiver zu machen, empfiehlt sich daher eine Vereinfachung und Digitalisierung des Zustellungsverfahrens sowie eine bessere personelle und v. a. technische Ausstattung des Bundesamtes für Justiz im Rahmen der Verwaltung des Klageregisters.243 Zum einen ließen sich fehlerhafte Eintragungen besser identifizieren und eliminieren. Zum anderen wäre eine stärkere Einbindung der elektronischen Kommunikation und des Kla238 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611 Rn. 13. Demgegenüber plädiert Röß, NJW 2020, 2068 (2069) dafür, auf eine weitergehende Prüfung der Wirksamkeit der Anmeldung zu verzichten und den Vergleich unabhängig davon an alle angemeldeten Verbraucherinnen zuzustellen. 239 Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243 (246); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51). 240 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 19 ging jährlich von 450 Musterfeststellungsklagen mit im Schnitt 75 Anmelderinnen aus. In diese Richtung auch Gurkmann, in: Gsell/ Möllers, S. 439 (445 f.). 241 Siehe https://www.musterfeststellungsklagen.de/vw (Abrufdatum: 4.1.2022). 242 Dazu Hirsch, VuR 2020, 454 (456), wonach über 90 Prozent der Vergleichsberechtigten (ca. 245.000 Verbraucherinnen) der Rahmenvereinbarung zugestimmt hatten und die Ombudsstelle lediglich in etwa 1.300 Beschwerdefällen herangezogen wurde. 243 Insoweit auch Gängel, NJ 2019, 378 (379); Schneider, BB 2018, 1986 (1998).

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§ 5 Ausgestaltung des Verfahrens

geregisters zur Einsichtnahme in den Vergleich, ggf. sogar verbunden mit einer dann verkürzbaren Austrittsfrist, voraussichtlich effizienter, für die Beteiligten attraktiver und mit den entsprechenden technischen Anpassungen obendrein rechtssicherer. Alternativ könnte de lege ferenda eine Abschwächung des Zustellungserfordernisses – jedenfalls für Massenverfahren – in Erwägung zu ziehen sein.244

244

Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51).

A. Prozessrechtliche Rahmenbedingungen

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§ 6 Systematische Vereinbarkeit Mit der Standortwahl und Integration der Musterfeststellungsklage in der ZPO hat die Gesetzgeberin für ein Novum gesorgt: Sie ist als das erste kollektive Rechtsschutzinstrument in der allgemeinen, individualistisch geprägten Verfahrensordnung verankert. Diese Entscheidung macht eine systematische Einordnung notwendig. Elementare Bedeutung hat zunächst die Frage, ob die konzeptionellen Besonderheiten der §§ 606 ff. ZPO die prozess- und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich das Verfahren eingliedern muss,245 hinreichend berücksichtigen. Dabei sollen hauptsächlich problematische bzw. diskussionswürdige Aspekte fokussiert werden. Darüber hinaus ist zu untersuchen, inwieweit die Regelungstechnik, die mit nur wenigen Ausnahmen gemäß § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO auf die Geltung der allgemeinen Verfahrensvorschriften verweist, gelungen ist. Ausgewählte Beispiele sollen hier mögliche Dissonanzen aufzeigen. Ziel des Kapitels ist, die Systemkonformität der Musterfeststellungsklage zu bewerten und einen etwaigen Anpassungsbedarf zu ermitteln.

A. Prozessrechtliche Rahmenbedingungen Betrachtet man die Ausgestaltung des Musterfeststellungsverfahrens, fällt zuallererst das gesetzgeberische Bemühen auf, dieses grundsätzlich wie einen gewöhnlichen Zivilprozess zu konstruieren.246 Kontroversen zwischen der neuen Klageform als kollektivem Rechtsschutzinstrument und dem individualistischen Leitbild der ZPO sollen auf diese Weise weitestgehend vermieden werden. Die formelle Parteistellung haben im Einklang mit dem Zweiparteienprinzip nur die qualifizierte Einrichtung als Musterklägerin und das Unternehmen als Musterbeklagte inne (§ 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO).247 Dabei entscheidet der klagebefugte Verband der Dispositionsmaxime entsprechend über den Verfahrensbeginn, bestimmt mit den beantragten Feststellungszielen sowie dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt den Streitgegenstand und bringt den seinerseits relevanten Prozessstoff bei. Umgekehrt hat das beklagte Unternehmen seine Einwände gegen die Feststellungsziele vorzutragen und zu beweisen, in seiner ihm zugewiesenen passiven Rolle aber überwiegend wenig Einfluss – am ehesten noch durch das Intervenieren gegen Prozesshandlungen der Musterklägerin, die von seiner Zustimmung abhängen – auf die Feststellungsziele und den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt.248 Obschon das Gebot des § 610 Abs. 4 ZPO, spätestens zu Beginn der mündlichen Verhandlung 245 246 247 248

Vgl. § 4 C. II. 1. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (11 f.). Vgl. bereits § 5 A. I.; Heigl/Normann, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 2 Rn. 12. Siehe Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 213 f.

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§ 6 Systematische Vereinbarkeit

zu einer möglichst effektiven Verfahrensdurchführung auf sachdienliche Klageanträge hinzuwirken, die materielle Prozessleitungspflicht des Gerichts (§ 139 ZPO) zusätzlich betont, ist dieses wie üblich an die Parteiherrschaft gebunden.249

I. Maximentreue Prima facie ist es der Gesetzgeberin bei der Einbettung der Musterfeststellungsklage in die ZPO demnach gelungen, deren prägenden Verfahrensgrundsätzen treu zu bleiben. Anders als noch im KapMuG-Verfahren, in welchem die Musterklägerin aus den Klägerinnen, deren Verfahren nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt sind, durch das zuständige Oberlandesgericht festgelegt wird (§ 9 Abs. 2 KapMuG),250 wird die richterliche Steuerung im Rahmen der Klageerhebung reduziert. Am ehesten kommen durch § 610 Abs. 4 ZPO Eingriffe in sachlicher Hinsicht infrage. Die endgültige Entscheidungshoheit über das Ob und Worüber der Musterfeststellungsklage sowie den Fortgang des Prozesses besitzt aber stets die qualifizierte Einrichtung. Insofern wird die Dispositionsmaxime recht stringent gewahrt. Gesetzliche Modifikationen sind regelmäßig auf die besondere Beteiligungsstruktur des Verfahrens, namentlich der ausgeschlossenen Partizipation der Verbraucherinnen (vgl. § 610 Abs. 6 ZPO), zurückzuführen. Abgesehen von den Berechtigungen, ihre von den Feststellungszielen abhängenden Ansprüche oder Rechtsverhältnisse i. S. d. § 608 Abs. 1 ZPO zum Klageregister anzumelden bzw. diese zurückzunehmen (§ 608 Abs. 3 ZPO), nach § 609 Abs. 4 ZPO Auskunft über ihre dort erfassten Angaben zu verlangen und gemäß § 611 Abs. 4 ZPO aus einem gerichtlichen Vergleich auszutreten, haben sie keine Handlungsbefugnisse, geschweige denn aktiven Einfluss auf das Verfahren.251 Die Repräsentation und Wahrnehmung der Verbraucherinteressen verantwortet im Musterfeststellungsprozess ausschließlich die qualifizierte Einrichtung mit entsprechend hohen gesetzlichen Anforderungen (vgl. § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO), was mit Blick auf eine größtmögliche Konzentration der Verfahrensleitung konsequent erscheint.252 Ferner ist das mit dem Anmeldeerfordernis gewählte opt in-Modell folgerichtig: Privatautonomie bzw. Dispositionsmaxime sowie die Verkürzung des rechtlichen Gehörs bedingen, dass die Verbraucherinnen ohne eine eigenständige Entscheidung über die Eintragung ins Klageregister nicht von den Verfahrenswirkungen –

249

Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 216. Krit. dazu Hess, JZ 2011, 66 (69); Reuschle, BKR 2020, 605 (611). 251 Die Gesetzgeberin deklariert diese als „besondere Rechte“, siehe RegE MFK, BTDrs. 19/2439, S. 25. 252 Hier besteht ein weiterer wesentlicher Unterschied zum KapMuG-Verfahren, welches eine Beiladung der übrigen Klägerinnen mit eigenständigen Prozesshandlungsbefugnissen vorsieht (§ 9 Abs. 3 i.V. m. § 14 Satz 2 KapMuG). 250

A. Prozessrechtliche Rahmenbedingungen

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konkret von einem Musterfeststellungsurteil, an das sie nach § 613 Abs. 1 ZPO sowohl positiv als auch negativ gebunden sind253 – betroffen sein dürfen.254 Der Schutzaspekt manifestiert sich auch in denjenigen Regelungen, welche die Dispositionsfreiheit der Musterklägerin einschränken. So soll die in § 610 Abs. 5 Satz 2 ZPO angeordnete Nichtanwendbarkeit des § 306 ZPO verhindern, dass der prozessführungsbefugte Verband durch Verzicht auf die geltend gemachten Feststellungsziele entgegen seiner Interessenbindung in nachteiliger Weise über die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse der materiell Betroffenen verfügt.255 Ähnlich hierzu dient gerichtliche Kontrolle eines Vergleichs nach § 611 Abs. 3 ZPO, im Rahmen derer auch überprüft wird, ob die klagebefugte Einrichtung die Interessen der Verbraucherinnen beim Aushandeln der Vergleichsvereinbarung angemessen wahrgenommen hat.256 Das Genehmigungserfordernis dient insoweit als „Schranke der Gestaltungbefugnis der Repräsentantin“.257 Daneben kann sie jedoch auch ein Regulativ für die Verfügungsfreiheit der Beklagten darstellen, bspw. im Fall eines ausgenutzten Ungleichgewichts zugunsten des Unternehmens während des Aushandelns des Vergleichs.258 Für den klagenden Verband sind diese Einschränkungen hinnehmbar. Denn dieser macht zwar eigene Feststellungsziele geltend, jedoch hängen hiervon die ihm nicht zugehörigen Ansprüche der angemeldeten Verbraucherinnen ab. Er handelt wissentlich altruistisch in deren Interesse und muss sich im Ergebnis ohnehin nur daran messen lassen, ob er seinem sich selbst gegebenen satzungsmäßigen Zweck i. S. d. § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO gerecht geworden ist.259 Sofern weitere Verfahrensmaximen von Besonderheiten des Musterfeststellungsverfahrens tangiert sind, werden sie aufgrund der Breitenwirkung für eine Vielzahl von Verbraucherinnen (vgl. § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO) tendenziell stärker akzentuiert. Mit der Abbedingung des schriftlichen Vorverfahrens (§ 128 Abs. 2 ZPO) und des Verfahrens vor der Einzelrichterin (§§ 348–350 ZPO) in § 610 Abs. 5 Satz 2 ZPO sind der Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatz streng hervorgehoben.260 Daneben kommen – ausgeprägt etwa in § 607 Abs. 1 i.V. m. § 609 Abs. 3, § 608 Abs. 2 Satz 3, § 610 Abs. 4 und 6 ZPO – dem Beschleunigungs- und Öffentlichkeitsgrundsatz (§§ 169 ff. GVG) eine größere Be-

253 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 28; Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 115. 254 Vgl. jeweils schon § 2 A.IV. 2. 255 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (12); Menges, in: MüKoZPO, § 610 Rn. 24. 256 So Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 214 im Sinne eines „Vetorechts“; siehe auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611 Rn. 2. 257 Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 53. 258 Dazu Kähler, ZIP 2020, 293 (297). 259 Zur Haftungsfrage noch unter § 8 C. I. 260 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (13).

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§ 6 Systematische Vereinbarkeit

deutung zu, jedoch ohne dass hier bemerkenswert neue Maßstäbe anzusetzen wären.261 Alles in allem findet sich jede der Prozessmaximen in der Musterfeststellungsklage wieder und bleibt dabei in ihrem Kern erhalten. Die erforderlichen Adaptionen, vorrangig in Bezug auf die Dispositionsfreiheit der Parteien, halten sich in einem überschaubaren Rahmen. Mithin ist aus dieser Perspektive keine signifikante Heterogenität des Verfahrens erkennbar, die der Bewertung ihres systematischen Einfügens abträglich wäre.

II. Hauptprozesszweck Zu erläutern ist weiterhin die schon einmal angedeutete Kompatibilität der Musterfeststellungsklage mit dem Zweck des Zivilprozesses.262 Jener dient in Anbetracht des Verbots der Selbsthilfe und des staatlichen Gewaltmonopols primär dem Schutz und der Verwirklichung individueller Interessen;263 allein sofern ein Recht oder Interesse der Einzelnen nicht materiell-rechtlich zugeordnet ist, da es ein unteilbares Kollektivgut darstellt, können – etwa im Fall von Verbandsklagen mit gesetzlichem Mandat – überindividuelle Belange im Vordergrund stehen.264 Durch die Typisierung des Musterfeststellungsverfahrens als kollektives Rechtsschutzinstrument ist diesbezüglich eine Abgrenzung erforderlich. Zieht man die Gesetzesbegründung und die damit einhergehenden öffentlichen Absichtserklärungen heran, soll es zunächst sicherstellen, dass der (kollektive) Rechtsschutz für Verbraucherinnen gestärkt und die effektive Rechtsdurchsetzung für Bürgerinnen mittels eines erleichterten Zugangs zu gerichtlichen Verfahren und der Überwindung eines im Wege des Individualrechtsschutzes vorkommenden (rationalen) Desinteresses vereinfacht wird.265 Daneben sind das Interesse der Allgemeinheit an einem funktionsfähigen und sicheren Rechtsverkehr, die Entlastung der Gerichte, die Stärkung des Rechtsfriedens und der Rechtsakzeptanz sowie des Verbraucher- und Wettbewerbsschutzes an sich als erhoffte Wirkungen aufgeführt.266

261

Näher Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 218 f., 221 f. Vgl. § 2 B. II. 2. 263 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 6; Rauscher, in: MüKoZPO, Rn. 8; Roth, ZfPW 2017, 129 (132 f.). 264 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 12; Michailidou, Prozessuale Fragen des Kollektivrechtsschutzes, S. 39; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1 Rn. 15. 265 Vgl. RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 14; Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 f.; Nordholtz, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 1 Rn. 8; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657. 266 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 14, 19, 21; Nordholtz, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 1 Rn. 16, 18, 25. 262

A. Prozessrechtliche Rahmenbedingungen

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Wenngleich es sich bei den zuletzt genannten Aspekten um überindividuelle Interessen handelt, steht offenkundig die Ermöglichung einer kollektiven Durchsetzung von Verbraucherrechten zur Ergänzung der bestehenden individuellen Rechtsschutzmöglichkeiten im Zentrum der Initiative. Das Klageziel ist auf das Erstreiten eines für die angemeldeten Verbraucherinnen günstigen Musterfeststellungsurteils oder den Abschluss eines Vergleichs gerichtet, womit die unmittelbaren Verfahrenswirkungen auf die Gruppe der Anmelderinnen begrenzt werden. Die Zulässigkeit eines Musterfeststellungsverfahrens hängt zwingend von der Initiative von mindestens 50 Verbraucherinnen ab, die ihre materiell-rechtlichen Ansprüche oder Rechtsverhältnisse innerhalb der gesetzlichen Frist zum Klageregister angemeldet haben müssen (§§ 608 Abs. 1, 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO). Im Rahmen der Feststellungsziele i. S. d. § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO machen die klagebefugten Einrichtungen insoweit von den Anmelderinnen abgeleitete Befugnisse in deren Drittinteresse geltend.267 Jede Einzelne hat auf diese Weise ein individuelles Interesse an der verbindlichen Klärung der Feststellungsziele, von denen ihre Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse abhängen. In Anbetracht dessen unterscheidet sich die Musterfeststellungsklage in doppelter Hinsicht von rein im öffentlichen Interesse geführten Verbandsklagen. Zunächst ergibt sich das Mandat der Musterklägerin nicht autonom aus dem Gesetz, sondern im Zusammenspiel mit dem Erreichen des Quorums durch eine hinreichende Anmelderinnenzahl. Ohne die Initiative der Verbraucherinnen als materielle Rechtsträgerinnen wird kein zulässiger Prozess in Gang gesetzt. Andererseits zielt die Musterfeststellungsklage darauf ab, die individuelle Rechtsstellung der Betroffenen mindestens mittelbar und im Fall eines Vergleichsschlusses sogar unmittelbar zu verbessern. Denn sie betrifft bindend (vgl. § 613 Abs. 1 ZPO) deren Interessenkreis. Hiermit kann nichts anderes intendiert sein, als vordergründig der Verwirklichung subjektiver Rechte zu dienen.268 Das bedeutet freilich nicht, dass das Verfahren nicht zugleich zum Schutz der (überindividuellen) Verbraucherinteressen beitragen würde: Vielmehr ermöglicht der Abschluss einer Musterfeststellungsklage auch die Bewährung des objektiven Rechts und fördert insoweit das Konzept des private law enforcements innerhalb des Zivilprozessrechts zugunsten des Verbraucherschutzes.269 Allerdings werden diese Allgemeinbelange durch die Stoßrichtung des Verfahrens, ähnlich zu den Reflexwirkungen oder Folgeeffekten in Individualverfahren,270 lediglich mitverwirklicht. Dass die Klagebefugnis qualifizierten Einrichtungen zugewiesen ist, 267

Siehe Berger, ZZP 133 (2020), 3 (10 f.); Waclawik, NJW 2018, 2921. Insoweit auch die Gesetzesbegründung (RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 16), laut der die Musterfeststellungsklage explizit „zugunsten von jeweils mindestens 50 betroffenen [. . .] Verbraucher[inne]n“ geführt wird. 269 Näher Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 81 f. 270 Vgl. Roth, ZfPW 2017, 129 (134 f.) m.w. N. 268

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§ 6 Systematische Vereinbarkeit

welche der Wahrnehmung von Verbraucherinteressen verschrieben sind (vgl. § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO), ändert daran nichts. Denn es kommt entscheidend auf die Zielrichtung des Verfahrens an. Einen eigenständigen Durchsetzungsmechanismus für die überindividuellen Belange räumt das Rechtsschutzinstrument eben aber (im Gegensatz zu den herkömmlichen Verbandsklagen) nicht ein, weil es einer solchen Funktion gar nicht bedarf. Damit erscheint es nicht gerechtfertigt, den Hauptprozesszweck des Schutzes von Individualbelangen im Musterfeststellungsverfahren nicht verwirklicht zu sehen. Öffentliche Anliegen wie der Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucherinnen sind stärker betont, aber eher auf sekundärer Ebene zu verorten. Sie könnten insofern als Nebenzwecke kategorisiert werden, ohne dass hierdurch ihre Bedeutung oder die Wirksamkeit ihrer Rechtsverfolgung geschmälert werden soll.

III. Fazit In toto gelingt es der Musterfeststellungsklage erstaunlich gut, sich in den durch das individualistische Leitbild determinierten Rahmen der ZPO einzupassen. Die Besonderheiten der §§ 606 ff. ZPO durchbrechen weder die elementaren Prozessgrundsätze noch den primären Prozesszweck, allenfalls adaptieren sie einzelne Punkte im notwendigen Maße. Mit dieser Vorgehensweise eckt das Rechtsschutzinstrument nur geringfügig an, sodass keine Verschiebung der relevanten Maßstäbe angezeigt ist. Ein Spannungsfeld kann das Verfahren in dieser Hinsicht somit verhindern.

B. Verfassungsrechtliche Vorgaben Fraglich ist, ob dasselbe aus verfassungsrechtlicher Perspektive gilt. Die Verfassung hat erhebliche Bedeutung für den Zivilprozess: So determiniert sie gemäß Art. 20 Abs. 3 GG den Gestaltungsspielraum der legislativen Gewalt bei der Ausarbeitung und Fortentwicklung der Verfahrensordnung und bindet die rechtsprechende Gewalt im Rahmen ihrer Entscheidungen bei der Auslegung und Anwendung der jeweiligen Vorschriften (vgl. auch Art. 97 Abs. 1 GG).271 Der Einzelnen sichert sie durch den Justizgewährungsanspruch sowie die Ansprüche auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren,272 auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und einen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) die Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards in Form von grundrechtsglei271 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 9; siehe auch Baur, AcP 153 (1954), 393 (394 f.); Calliess, Gutachten 70. DJT, A 43. 272 Abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG bzw. den Grundrechten, siehe BVerfG NJW 2003, 1924 (1926); 2012, 2869; 2014, 205; 2018, 1022 (jeweils m.w. N.). Siehe auch Art. 6 Abs 1 EMRK.

B. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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chen Rechten zu.273 Der Gewährleistungsgehalt dieser Verfahrensgrundrechte bezieht sich sowohl auf den Zugang zu gerichtlichen Verfahren als auch auf deren Ablauf, wodurch sie der Gesetzgeberin gerade im Rahmen der Modellierung eines kollektiven Rechtsschutzinstruments mit Individualbezug eine hohe Verantwortung aufbürden.274 Im Musterfeststellungsverfahren ist v. a. die Stellung der angemeldeten Verbraucherinnen diskussionswürdig, denen eine Mitwirkung im Vorfeld sowie innerhalb eines Prozesses nahezu vollständig untersagt wird. Hiergegen richtete sich schon im Gesetzgebungsverfahren die Kritik, dass den Anforderungen an das rechtliche Gehör nicht genügt werde.275 Daneben könnten infolge der tendenziell passiven Rolle des beklagten Unternehmens auch dessen Prozessgrundrechte beeinträchtigt sein.276 Nachfolgend soll dies im Einzelnen ergründet werden: Untersucht wird, ob die Ausgestaltung des Verfahrens mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist und inwieweit im Fall eines Verstoßes nachgebessert werden müsste bzw. könnte.

I. Anspruch auf rechtliches Gehör Art. 103 Abs. 1 GG garantiert, dass „vor Gericht jedermann [jedefrau] Anspruch auf rechtliches Gehör“ hat. Danach soll die Einzelne in einem Verfahren, welches ihre Rechte berührt, als Subjekt zu Wort kommen sowie dessen Verlauf beeinflussen können und nicht bloßes Objekt einer richterlichen Entscheidung sein.277 Folgerichtig ist damit nicht nur anspruchsberechtigt, wer als Partei, Nebenintervenientin o. ä. formell am Prozess beteiligt ist, sondern auch wer als Außenstehende durch das Verfahren unmittelbar in einer materiellen Rechtsposition betroffen wird.278 Das gilt auch und gerade im kollektiven Rechtsschutz.279 Inhaltlich sichert der Gehörsanspruch mehrere Phasen bzw. Ebenen: Das Recht auf Information durch das Gericht über verfahrensbedeutsame Vorgänge, das Recht auf Äußerung zum Verfahrensstoff sowie das Recht auf angemessene Be273 Näher BVerfG NJW 2003, 1924 (1926); Althammer, ZZP 126 (2013), 3 (10); Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 6 ff. 274 So schon Steinberger, Die Gruppenklage im Kapitalmarktrecht, S. 162 für das KapMuG. 275 Exemplarisch Fölsch, DRiZ 2018, 214 (216). 276 Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 223. 277 BVerfG NJW 2003, 1924 (1926); 2018, 1077; BGH NJW 2018, 3315; siehe auch Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 128 Rn. 18. 278 Siehe BVerfG NJW 1984, 719; 2000, 1709; Baur, AcP 153 (1954), 393 (407); Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 128 Rn. 43 ff.; Marotzke, ZZP 100 (1987), 164 (165, 167 f.); Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 82 Rn. 4 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 21. 279 Vgl. Blagojevic, Effektive Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Ansprüche, S. 112; Steinberger, Die Gruppenklage im Kapitalmarktrecht, S. 165.

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§ 6 Systematische Vereinbarkeit

rücksichtigung des eigenen Vorbringens durch das Gericht.280 Korrespondierend dazu besteht die konkrete gerichtliche Pflicht, den Betroffenen die Schriftsätze der Gegenseite ihrem vollen Inhalt nach bekannt zu machen, ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.281 Zweck der Unterrichtungen sowie der Einwirkungsmöglichkeiten ist es, die Betroffenen in die Lage zu versetzen, ihr Verhalten im Prozess eigenständig und situationsspezifisch zu gestalten.282 Dadurch sollen sie maßgeblich selbstbestimmt dazu beitragen können, ein gerechtes und der wahren Sachlage entsprechendes Verfahrensergebnis zu finden.283 1. Einschränkungen im Musterfeststellungsverfahren Im Rahmen der Musterfeststellungsklage sind die angemeldeten Verbraucherinnen, welche ihre Eintragung ins Klageregister nicht rechtzeitig zurückgenommen haben, an ein rechtskräftiges Urteil gebunden (§ 613 Abs. 1 ZPO). Das gilt in positiver wie in negativer Hinsicht, sodass ein eigentlich bestehender Anspruch verloren gehen kann, wenn die Klage aufgrund einer mangelhaften Prozessführung der qualifizierten Einrichtung oder aus vergleichbaren Gründen abgewiesen wird.284 Solche Fehler müssen sie nach dem in § 608 Abs. 3 ZPO normierten Zeitpunkt hinnehmen.285 Auch eine individuelle Geltendmachung ihrer Interessen scheidet dann wegen der Sperrwirkung des § 610 Abs. 3 ZPO forthin aus. Potenziell sind sie insoweit Einschnitten in ihren materiellen Rechtspositionen ausgesetzt, womit der persönliche Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG in jedem Fall eröffnet ist. Gleichwohl hat die Gesetzgeberin den Gehörsanspruch der angemeldeten Verbraucherinnen im Musterfeststellungsverfahren infolge des faktischen Ausschlusses ihrer Beteiligungen am Rechtsstreit (§ 610 Abs. 6 ZPO) erheblich eingeschränkt. Bereits auf informativer Ebene sollen sie nach dem gesetzgeberischen Willen – wie jedefrau – hauptsächlich auf die im Klageregister öffentlich bekanntgemachten Angaben zurückgreifen können (vgl. § 609 Abs. 3 ZPO). Wenn280 BVerfG NJW 2003, 1924 (1926); NVwZ 2019, 1276; BGH NJW 2019, 1950; Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 128 Rn. 48 ff.; Radtke, in: BeckOK-GG, Art. 103 Rn. 7 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 103 Abs. 1 Rn. 20. 281 BVerfG NJW 2018, 1077; 2018, 3315 f.; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 28; Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 82 Rn. 10. 282 BVerfG NJW 2007, 2242 (2243); Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, Einl. Rn. 28. 283 So misst schon Baur, AcP 153 (1954), 393 (402 f.) der Einwirkungsmöglichkeit auf eine künftige gerichtliche Entscheidung eine „Unrechtsabwehrtendenz“ bei. In diese Richtung auch Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 257. 284 Dazu Berger, ZZP 133 (2020), 3 (31); Röthemeyer, MDR 2019, 6 (7) nennt exemplarisch als Ursachen einen unzureichenden klägerischen Vortrag, prozessuale Fehler wie eine unterlassene Revision oder einen zu unspezifischen gehaltenen Prozessstoff. 285 R. Koch, MDR 2018, 1409 (1415).

B. Verfassungsrechtliche Vorgaben

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gleich die Nutzung dieses Mediums an sich in Massenverfahren generell auf keine Bedenken stößt,286 ist gesetzlich nicht vorgesehen, dass sie über Terminbestimmungen, Hinweise und Zwischenentscheidungen (§ 607 Abs. 3 ZPO) sowie Auskünfte zur eigenen Eintragung (§ 609 Abs. 4 ZPO) hinaus weiteren Einblick in den Prozessverlauf erhalten. Insbesondere können sie nicht die relevanten Schriftsatzwechsel in den Akten oder das Gutachten einer Sachverständigen einsehen, welches normalerweise zu gewährleisten wäre.287 Eine Berufung auf das Akteneinsichtsrecht Dritter nach § 299 Abs. 2 ZPO scheidet aufgrund der umständlichen Umsetzbarkeit in Massenverfahren gemäß § 610 Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 ZPO ebenso aus.288 Sie haben also nicht einmal exklusiven Zugang zu Informationen, die über ihre persönlichen Angaben hinausgehen, sondern nahezu dieselben Rechte wie eine völlig Unbeteiligte.289 Demnach sind die Verbraucherinnen zum Erhalt relevanter Verfahrensinformationen im Zweifel darauf angewiesen, den mündlichen Verhandlungen persönlich beizuwohnen,290 was in der Praxis aber nur für die Wenigsten (dauerhaft) realisierbar sein dürfte291 und zudem schlichtweg an Saalkapazitäten scheitern kann,292 sodass ihnen selbst dieser Weg versperrt bliebe.293 Tonaufnahmen der Verhandlungen, welche zwar ggf. zugelassen, aber nicht herausgegeben werden dürften (§ 169 Abs. 2 Satz 3 GVG), könnten dies ebenso wenig kompensieren wie eine Tonübertragung, welche de lege lata allenfalls für Medienvertreterinnen in einen spezifischen Arbeitsraum erfolgen kann (§ 169 Abs. 1 Satz 3 ZPO). So bleibt nur eine Information durch den klagenden Verband oder über die mediale Berichterstattung, welche die Informationspflichten des Gerichts aber weder faktisch erfüllen noch dieses rechtlich von diesen entbinden. Erst sofern ein gerichtlicher Vergleich geschlossen und genehmigt wird oder ein Musterfeststellungsurteil ergeht, werden die Verbraucherinnen nochmals unterrichtet. Während ihnen der Vergleich mit einer Belehrung zugestellt wird (§ 611 Abs. 4 Satz 1 ZPO), ist hinsichtlich des Urteils nach seiner Verkündung im Klageregister wiederum eine öffentliche Bekanntmachung vorgesehen (§ 612 ZPO). Beides erscheint aber als Selbstverständlichkeit, sodass hier nicht von „zugestandenen“ Informationen zu sprechen ist. Insofern ist der Gehörsanspruch der materiell-rechtlich vom Muster-

286

Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 163, 169 ff. Boese/Bleckwenn, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 5 Rn. 80 f.; Magnus, NJW 2019, 3177 (3178). 288 Siehe auch de Lind van Wijngaarden, in: Nordholtz/Mekat, § 6 Rn. 33 ff. 289 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 176 f. 290 Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 231. 291 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 173 f. 292 Man bedenke: Hätte etwa in der Musterfeststellungsklage gegen VW auch nur ein Fünftel der Anmelderinnen einer Verhandlung beiwohnen wollen, hätte es bereits eines Stadions bedurft. 293 Magnus, NJW 2019, 3177 (3178); Röthemeyer, MDR 2019, 6 (11). 287

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feststellungsverfahren Betroffenen in Bezug auf die ihnen persönlich zustehenden Informationsrechte deutlich reduziert worden. Demgegenüber sind die Rechte auf Äußerung zum Verfahrensstoff sowie auf die gerichtliche Beachtung des eigenen Vortrags durch die Ausgestaltung der Klagebefugnis und den Ausschluss eines Streitbeitritts (§ 610 Abs. 6 ZPO) vollkommen ausgeschlossen. Hier hat sich die Gesetzgeberin deutlich von dem für das KapMuG-Verfahren geltenden Mechanismus distanziert, der eine aktive Partizipation der übrigen Klägerinnen, die nicht als Musterklägerin ausgewählt werden, noch ermöglicht (§ 14 Satz 2 i.V. m. § 9 Abs. 3 KapMuG). Bei diesem nehmen die Beigeladenen in der Praxis nicht zwangsläufig eine Statistenrolle ein: Mitunter können sie (bzw. ihre Anwältinnen) sich umfangreich in den Musterverfahren einbringen und auf diese Weise zu deren Langwierigkeit beitragen.294 Stattdessen soll im Musterfeststellungsverfahren deshalb die zügige und konzentrierte Klärung der wesentlichen Streitfragen im Vordergrund stehen.295 Die Entscheidung, dass Prozesshandlungen im Interesse der Verfahrenseffizienz ausschließlich von den formellen Parteien vorgenommen werden können, erscheint zwar konsequent.296 Nichtsdestominder beschränkt sie den Gewährleistungsgehalt des rechtlichen Gehörs der Verbraucherinnen, die sich zur Klage angemeldet haben, drastisch.297 Wegen der ihnen frühzeitig entzogenen Disposition über den Fortbestand der Anmeldung298 bietet auch die Rücknahmemöglichkeit nach § 608 Abs. 3 ZPO keinen den Anforderungen genügenden Ausgleich.299 Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist daher zu untersuchen, ob die festgestellten Eingriffe in Art. 103 Abs. 1 GG legitimiert oder durch andere geeignete Vorkehrungen zum Schutz der Betroffenen hinreichend austariert sind. 2. Freiwilliger Verzicht auf rechtliches Gehör Ausweislich der Gesetzesbegründung sei das rechtliche Gehör der angemeldeten Verbraucherinnen grundsätzlich nicht verletzt: Die Argumentation lautet, dass die prozessualen Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen nicht beschränkt, sondern ausschließlich erweitert seien, da sie zwischen der individuellen Rechtsverfolgung und der Teilhabe am Musterfeststellungsverfahren wählen könnten und die Entscheidung für Letzteres auf ihrem freien sowie bewussten Entschluss 294 Dazu Liebscher, AG 2020, 35 (38), der als Ursache einer regen Beteiligung u. a. vermutet, dass die Beigeladenen dem OLG signalisieren möchten, „dass es den falschen Musterkläger ausgewählt habe“. 295 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17. 296 Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 613 Rn. 8. 297 Krit. bspw. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613 Rn. 1: „Das rechtliche Gehör auf dem Altar der Prozessökonomie zu opfern, war aber noch nie eine gute Idee!“ 298 Vgl. § 5 C. II. 2. 299 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 181.

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beruhe.300 Versucht wird demnach, jegliche Zweifel an der Vereinbarkeit der Verfahrensausgestaltung mit Art. 103 Abs. 1 GG durch den Verweis auf die Autonomie der Verbraucherinnen zu beseitigen. In einem Punkt ist dem allerdings direkt zu widersprechen. So erscheint die Behauptung einer reinen Extension der Handlungsmöglichkeiten der Verbraucherinnen verfehlt.301 Zunächst ist es richtig, dass die Verfügbarkeit der Musterfeststellungsklage zu einem Mehr an gerichtlichem Zugang führt. Eine geschädigte Verbraucherin hat dann die Auswahl, auf welchem Wege sie ihr Interesse geltend machen will. Ab dem Zeitpunkt der Anmeldung zur Eintragung ins Klageregister (sprich: der tatsächlichen Geltendmachung) vermindern sich ihre Rechtsschutzmöglichkeiten aufgrund der passiven Beteiligtenstellung aber bereits wieder, da sie sich bei einer Beibehaltung ihres Anmeldestatus der Prozessführung des klagenden Verbandes praktisch vollständig ausliefert und ihr rechtliches Gehör für die Zukunft einbüßt.302 Korrekter müsste es daher heißen, dass sie die eigenständige, mit Risiko und Aufwand behaftete Individualprozessführung gegen die Kosten- und Kostenrisikofreiheit des fremdgesteuerten Musterfeststellungsverfahrens gewissermaßen eintauscht.303 a) Zulässigkeit des Gehörsverzichts Fraglich ist, ob ein derart frühzeitiger wie nahezu genereller Verzicht auf rechtliches Gehör im Musterfeststellungsverfahren die beidseitige Bindung der Anmelderinnen an das Musterfeststellungsurteil überhaupt legitimieren kann. Angenommen werden könnte, dass ein absoluter Vorabausschluss des rechtlichen Gehörs unter keinerlei Umständen zulässig sein kann, womit die geltende Konzeption verfassungswidrig wäre.304 Dafür spricht zunächst, dass andernfalls die Gefahr bestünde, dass sich Betroffene dem Verfahren unbesehen anschließen, sich dabei also den Folgen ihres Handelns nicht vollends bewusst sein könnten.305 Gerade bei Verbraucherinnen dürfte dieses Risiko aufgrund der beschriebenen Unbeholfenheit in rechtlichen Konfliktfällen prima facie recht hoch anzusiedeln sein, zumal sie die Anmeldungsentscheidung zu einem Zeitpunkt treffen müssen, zu dem noch kein einziges Mal mündlich verhandelt wurde (§ 608 300 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 28; wohl zust. Schneider, BB 2018, 1986 (1987). 301 Vgl. Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 232 f.; Röthemeyer, MDR 2019, 6 (8). 302 Guggenberger/Guggenberger, MMR 2019, 8 (12); Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 (2190). 303 Insoweit Röthemeyer, MDR 2019, 6 (8). 304 So etwa Fölsch, DRiZ 2018, 214 (216 f.); Guggenberger/Guggenberger, MMR 2019, 8 (12); Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 51; Stadler, JZ 2018, 793 (798). 305 Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 166 f.; ebenso Röthemeyer, MDR 2019, 6 (9) für den Typus des „unreflektierten Anmelders“.

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§ 6 Systematische Vereinbarkeit

Abs. 1 ZPO). Es liegt also eine andere Konstellation vor als bei dem situativen Entschluss, in einem Individualprozess trotz der Möglichkeit keinen Gebrauch vom rechtlichen Gehör zu machen (bspw. durch Schweigen).306 Im letzteren Fall ist die Tragweite des (Nicht-)Handelns für eine Verbraucherin weitaus einfacher zu erfassen. Außerdem ließe sich anführen, dass die den Prozess führende qualifizierte Einrichtung den Gehörsanspruch nicht stellvertretend bzw. im Rahmen einer gewillkürten Prozessstandschaft für die angemeldeten Verbraucherinnen geltend macht, da sie nicht von diesen ermächtigt worden ist.307 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nach der hier vertretenen Auffassung eine gemischte Prozessstandschaft eigener Art vorliegt, welche sich auch aus einer gewissen Legitimation der qualifizierten Einrichtung durch die Anmeldungen der Verbraucherinnen ergibt.308 Obschon keine echte Mandatierung der Musterklägerin gegeben ist, trägt diese immerhin (auch) ihre Anliegen vor, und zwar sowohl aus Verbraucherinnensicht als auch objektiv.309 Sie transportiert und realisiert insofern die unter Verbraucherinnen typische Erwartung, dass sich die Anspruchsgegnerin mit der Anrufung einer Rechtsdurchsetzungseinrichtung endlich vor einer Institution verantworten müsse.310 In gewisser Weise dürften die Anmelderinnen im Rahmen dieser Entscheidung auch damit rechnen, dass sie zumindest teilweise ihr persönliches rechtliches Gehör einschränken. Denn die Musterfeststellungsklage bietet gerade deshalb einen so niedrigschwelligen Zugang, weil sie Verbraucherinnen ansprechen möchte, welche die Eigenverantwortung für die Wahrnehmung ihrer Rechte nicht selbst tragen wollen. Ein beträchtlicher Teil der Personengruppe dürfte damit erheblichen Wert darauf legen, selbst nichts zur Anspruchsdurchsetzung unternehmen zu müssen und nimmt hierfür bisweilen sogar – bspw. im Fall der Abtretung des Anspruchs an eine Inkassodienstleisterin – mit der Bewilligung eines Erfolgshonorars eine Minderung des Forderungswertes in Kauf.311 Dann kann ihnen aber auch ein Bewusstsein darüber, dass ihr Handeln rechtliche Konsequenzen haben muss, nicht völlig abgesprochen werden. Ihnen in Bezug auf die Musterfeststellungsklage die Fähigkeit gänzlich abzuerkennen, auf ihr rechtliches Gehör zu verzichten, wäre nicht zuletzt mit Blick auf die Dispositionsmaxime eine rigide Lösung. Zu fokussieren ist deshalb stattdessen, inwieweit ihnen die Folgen ihrer Entscheidung für eine Anmeldung tatsächlich vor Augen geführt werden. 306

Röthemeyer, MDR 2019, 6 (8); Scholl, ZfPW 2019, 317 (347). In diese Richtung Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 233; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613 Rn. 4. 308 Vgl. § 5 A. I. 1. a). 309 Insoweit auch Berger, ZZP 133 (2020), 3 (32). 310 Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 89. 311 Siehe Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 222; MellerHannich/Nöhre, NJW 2019, 2522 (2525). 307

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Entscheidend für die Zulässigkeit eines Gehörsverzichts erscheinen vor diesem Hintergrund zwei Faktoren. Zum einen gilt es zu bedenken, welchen Risiken die Verbraucherinnen durch den Gehörsverzicht ausgesetzt sind und inwieweit diese ausgeglichen werden (können). Zum anderen ist einzubeziehen, ob im Rahmen des Anmeldevorgangs entsprechende Vorkehrungen getroffen sind, welche sicherstellen, dass das Bewusstsein der Verbraucherinnen vor und bei ihrer Anmeldungsentscheidung hinreichend geschärft wird.312 aa) Risiko eines Rechtsnachteils Bezüglich des ersten Gesichtspunktes kommt zunächst den normativen Anforderungen an die Klagebefugnis hohes Gewicht zu. § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO setzt diesbezüglich Maßstäbe: Einem etwaigem Missbrauchspotenzial wird allzu deutlich vorgebeugt, zumal sich die qualifizierten Einrichtungen in ihrer Satzung dem Verbraucherschutz verschrieben haben und nicht im eigenen (Gewinn-)Interesse klagen dürfen. Hinzu kommt noch die in der Rechtsprechungspraxis bislang strenge Prüfung, ob die Musterklägerin die Voraussetzungen tatsächlich erfüllt und nachweist.313 Gefahren für die angemeldeten Verbraucherinnen drängen sich insoweit erst einmal nicht auf, sondern werden durch die Ausgestaltung weitestgehend vermieden. Risiken können vielmehr erst erwachsen, wenn der Prozess einen für sie ungünstigen Verlauf nimmt. Dabei ist gleichwohl festzuhalten, dass sich nicht jeder die Musterfeststellungsklage abweisender Prozessausgang in der Sache zugleich negativ darstellt: Eher das Gegenteil ist der Fall, wenn die Klärung der Feststellungsziele etwa keinen unternehmensseitigen tatsächlichen Verhaltensverstoß oder keine entsprechende rechtliche Haftungsgrundlage hervorgebracht hat. Die angemeldeten Verbraucherinnen erhalten so noch immer ohne eigene Risiken Gewissheit über die Erfolgsaussichten ihrer (vermeintlichen) Ansprüche. Auch in diesen Fällen erfüllt die Musterfeststellungsklage somit ihren Zweck. Erst im Fall einer mangelhaften, für den negativen Verfahrensausgang ursächlichen Prozessführung kann sich die beidseitige Bindungswirkung für die Anmelderinnen nachteilig gestalten. Dies gilt v. a. dann, wenn auf Seiten der Musterklägerin gravierende Fehler unterlaufen sind, welche eine Verbraucherin (bzw. ihre anwaltliche Vertretung) bei bestehenden Partizipationsmöglichkeiten selbst hätte vermeiden können. Schutz vor endgültigen Rechtsnachteilen würde ihr dann nur noch ein Regressanspruch gegen die Musterklägerin oder deren Prozessbevoll312 Ähnlich Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 236 unter Heranziehung der Maßstäbe der Entscheidung BVerfG NJW 1991, 1283 (1285), welche indes eine mit Blick auf Zivilverfahrenssachen als Sonderkonstellation erscheinende Beschwerde gegen eine richterliche Anordnung polizeilichen Gewahrsams zum Gegenstand hat. 313 Zu allem schon § 5 B. I.

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mächtigte bieten. Die Haftungsfrage hat die Gesetzgeberin unbeantwortet gelassen.314 Würden die Betroffenen in so einem Fall allerdings kompensiert werden, ließen sich die Verkürzungen des rechtlichen Gehörs zu weiten Teilen ausgleichen.315 Unter der Prämisse, dass den angemeldeten Verbraucherinnen ein materiell-rechtlicher Ersatzanspruch zugesprochen werden kann,316 begegnet die Risikolast somit keinen Bedenken. bb) Entscheidungsbewusstsein Soll der Gehörsverzicht unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden, bildet die Entscheidung über die Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren den Ausgangspunkt. Durch den opt in-Mechanismus in § 608 Abs. 1 ZPO steht diese im Ermessen der jeweiligen Verbraucherin. Entscheidet sie sich dafür, manifestiert sich der Verfahrensbeitritt dem Grunde nach nicht als zwingender Eingriff in deren Rechtskreis, sondern als autonome Beschränkung eigener Rechte.317 Elementar sind gleichwohl die Begleitumstände, namentlich ob sich die Verbraucherin der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst war. Ein wirksamer Gehörsverzicht erfordert diesbezüglich eine vollinformierte Entscheidung sowie die Kenntnis ihrer rechtlichen Folgen.318 Hinsichtlich der Musterfeststellungsklage müsste sich die Anmelderin also insbesondere im Klaren sein, dass sie ihr rechtliches Gehör auf die qualifizierte Einrichtung delegiert und sich dieses sodann nicht mehr selbst verschaffen kann.319 Dies wird nachfolgend eruiert. Zunächst schreibt § 607 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor, dass im Rahmen der öffentlichen Bekanntmachung im Klageregister die Anmeldebefugnis der Verbraucherinnen mitsamt der Form, Frist und Wirkung der Anmeldung sowie ihrer Rücknahme anzugeben ist. Dasselbe gilt nach § 607 Abs. 1 Nr. 7 ZPO für die Wirkung eines Vergleichs und das hiermit korrelierende Austrittsrecht der Verbraucherinnen, worüber sie gemäß § 611 Abs. 4 Satz 1 ZPO nach Genehmigung einer Vereinbarung nochmals persönlich belehrt werden. Zumindest im zweiteren Fall besteht also eine reale Vermutung, dass die rechtlichen Hinweise spätestens nach der Vergleichszustellung zur Kenntnis genommen werden. Zu diesem Zeitpunkt ist die Entscheidung über die Anmeldung freilich längst getroffen worden. Wichtig ist aber, dass die Verbraucherinnen schon vorher informiert werden.

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Krit. etwa R. Koch, MDR 2018, 1409 (1415). Dafür auch Berger, ZZP 133 (2020), 3 (32). 316 Dazu erst unter § 8 C. 317 R. Koch, MDR 2018, 1409 (1415); zust. Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 613 Rn. 8; Berger, ZZP 133 (2020), 3 (32); Schroeder, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 11 Rn. 12. 318 Eingehend Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 220; siehe auch Magnus, NJW 2019, 3177 (3178); Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (367). 319 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 239. 315

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Ob das durch die Angaben in der öffentlichen Bekanntmachung erreicht wird, muss indes angezweifelt werden. Denn schon ungeachtet der Frage, ob die Informationen auch tatsächlich aktiv eingesehen werden, erscheinen sie jedenfalls unzureichend: So wird zwar auf die Bindungswirkung nach § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO hingewiesen, jedoch ohne dass diese einschließlich ihrer möglichen (negativen) Konsequenzen in der öffentlichen Bekanntmachung oder in der im Rahmen der Anmeldung zur Verfügung gestellten Ausfüllanleitung (§ 3 MFKRegV) weiter erläutert wird.320 Da die Anmeldung keinem Anwaltszwang unterliegt (was für die Einfachheit des Zugangs zum Verfahren auch absolut sinnvoll ist), kann von einer Verbraucherin nicht erwartet werden, dass sie die rechtliche Bedeutung der Bindungswirkung durch den bloßen Hinweis auf ihre Existenz eigenständig erfasst. Ähnliches dürfte für den Ablauf und die besondere Beteiligungsstruktur des Musterfeststellungsverfahrens als solches gelten, den sich findige Interessentinnen allenfalls anhand des FAQ-Bereichs auf der Website des Bundesamtes für Justiz erschließen können.321 Mit Blick darauf ist das Erfordernis einer vollinformierten Entscheidung sowie die Kenntnis ihrer rechtlichen Folgen nicht als gegeben anzusehen. Insofern wird den Verbraucherinnen mit den geltenden Informationsmechanismen im Rahmen der Anmeldung keine hinreichende Entscheidungsgrundlage für einen wirksamen Gehörsverzicht zur Verfügung gestellt.322 Die getroffenen Vorkehrungen zur Aufklärung und zum Schutz der Verbraucherinnen im Gesetz bzw. die in der Gesetzesbegründung angestellten Erwägungen erweisen sich diesbezüglich zu eindimensional. b) Ausbau der Schutzvorkehrungen Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Verbraucherinnen ist deshalb zuvörderst eine weitergehende Aufklärung im Rahmen der Anmeldung zu erwägen. Es muss sichergestellt werden, dass die relevanten Informationen die Einzelne tatsächlich erreichen und diese in der Lage ist, sie bis zum spätesten Rücknahmezeitpunkt ihrer Anmeldung (§ 608 Abs. 3 ZPO) zu verarbeiten. Teilweise leistet dazu bereits der klagende Verband einen Beitrag; gleichwohl liegt dessen primärer Fokus auf dem Prozess selbst, sodass er weder übermäßige Ressourcen für seine Informationspolitik aufwenden wird noch vollends transparent und neutral 320 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 200 f.; siehe auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 607 Rn. 3. 321 So lässt sich (mit entsprechendem Hintergrundwissen) aus den Fragen 13 und 14 zumindest teilweise herauslesen, dass Partizipationsrechte am Verfahren nicht vorgesehen sind, abrufbar unter: https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/ Klageregister/Fragen/FAQ_node.html (Abrufdatum: 4.1.2022). 322 Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 220 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613 Rn. 5; siehe auch Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 208 (jedoch schon Ablehnung einer Deutung der Anmeldung als Verzichtserklärung).

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vorgehen kann.323 Außerdem besteht keine explizite (gesetzliche) Pflicht der qualifizierten Einrichtung, eine entsprechende Aufklärungsarbeit zu leisten. Demnach muss diese von staatlicher Seite wahrgenommen werden. Denkbar wäre, den Inhalt der öffentlichen Bekanntmachung im Klageregister über den bisherigen Mindestinhalt (§ 607 Abs. 1 ZPO) hinaus de lege ferenda dahingehend zu erweitern, dass ausdrücklich auf die fehlenden Partizipationsmöglichkeiten im Prozess sowie die mögliche negative Bindung an ein Verfahrensergebnis hinzuweisen ist.324 Das Bundesamt für Justiz hätte im Rahmen dessen ferner die Möglichkeit, auf seiner Website beispielhafte Übersichten mit ggf. grafisch visualisierten Szenarien zu möglichen Verfahrensverläufen und -ausgängen bereitzustellen. Jede Verbraucherin könnte sich so vergewissern, was die Teilnahme an einer Musterfeststellungsklage sowohl im besten als auch im schlechtesten Falle bedeuten würde. Daneben könnte im Anmeldeformular ergänzend verlangt werden, dass die Verbraucherinnen die einverständliche Kenntnisnahme der Belehrung über die rechtlichen Folgen der Anmeldung – ähnlich wie bei einem Einwilligungsfeld für AGB oder die Erhebung persönlicher Daten – in einem gesonderten Dialogfeld bestätigen.325 Womöglich sollte hierbei im Zweifel auch die Rücksprache mit einer Rechtsanwältin oder einer anderweitigen Beratungsstelle empfohlen werden. Auf diese Weise ließe sich ceteris paribus eine hinreichende Sensibilisierung der Betroffenen hinsichtlich der beidseitigen Bindungswirkung gewährleisten. Ferner bietet sich über die Anmeldung hinaus an, den Anmelderinnen einen Zugang zu Verfahrensinformationen zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Bislang sind sie hier mit der unbeteiligten Öffentlichkeit nahezu gleichgestellt, was wegen der Relevanz für ihre materiellen Rechtspositionen unbedingt korrigiert werden sollte. Perspektivisch könnte hier besonders die Digitalisierung große Fortschritte ermöglichen. In erster Linie wäre zu erwägen, ihnen auf Anfrage (und ggf. unter Darlegung eines Interesses oder der Versicherung, diese nicht weiterzugeben) einen elektronischen Einblick in Auszüge der Prozessakten zu ermöglichen. Mit der voranschreitenden Einführung der bzw. Umstellung auf die digitale Akte wären die praktischen Voraussetzungen hierfür geschaffen.326 Aufwendige Anfertigungen von Kopien und Abzügen, welche aktuell wohl das größte faktische Hindernis darstellen, wären dann nicht mehr benötigt. Dabei könnte auch das Klageregister – einen entsprechenden Ausbau zu einer Plattform der Kom-

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Dahingehend auch Röthemeyer, MDR 2019, 6 (10). Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 607 Rn. 3. 325 Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 221. 326 Heese, JZ 2019, 429 (435) verweist auf die „digitale Akte“, welche die hierfür notwendigen praktischen Voraussetzungen schaffen würde. 324

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munikation vorausgesetzt327 – ein geeignetes Medium zur Informationsbeschaffung und -übermittlung darstellen. Mutatis mutandis könnten sich die angemeldeten Verbraucherinnen mit einem persönlichen Zugang fortwährend über den Verfahrensverlauf erkundigen und zugleich die Prozessführung der Musterklägerin in gewissem Maße kontrollieren. Sie wären somit nicht mehr allein darauf angewiesen, vom Verband über die Entwicklungen in Kenntnis gesetzt zu werden. Gerade für den Fall des Zustandekommens eines (außer)gerichtlichen Vergleichs hätten sie so eine profundere Informationsgrundlage, auf deren Basis sie besser entscheiden könnten, ob sie an diesem teilhaben wollen. Zudem ließen sich unerkannt fehlerhafte Anmeldungen womöglich noch rechtzeitig erkennen und die Gefahr einer Verjährungsfalle bannen.328 Im Übrigen böte die skizzierte Weiterentwicklung des Klageregisters eine Gelegenheit, im Musterfeststellungsverfahren neue Ansätze zu erproben, welche den Zivilprozess insgesamt digitaler, zugänglicher und effizienter machen könnten. Sofern man die Maßnahmen dagegen als nicht genügend erachtet, müsste die derzeitige Verfahrensgestaltung wohl an sich modifiziert werden. Indes erschiene es problematisch, etwa die Verbindlichkeit des Musterfeststellungsurteils zugunsten der Verbraucherinnen einseitig abzumildern329 oder durch Austrittsrechte respektive eine verlängerte Frist zur Rücknahme der Anmeldung die Möglichkeit einzuräumen, sich dem Verfahren faktisch zu entziehen, wenn sich dieses nicht wie gewünscht entwickelt. In beiden Fällen wäre die Musterbeklagte aufgrund stetiger Unklarheiten, inwieweit sie mit einer verbindlichen Entscheidung der Streitsache rechnen können, erheblich benachteiligt, wodurch sich ein Verstoß gegen das Gebot der prozessualen Waffengleichheit aufdrängen würde.330 Unter Umständen könnte die Musterfeststellungsklage dann gar von Verbraucherinnenseite (bzw. deren Vertreterinnen) als taktisches Mittel missbraucht werden. Zudem würde eine Abschwächung der beidseitigen Urteilsbindung das Ziel eines effizienten und schonenden Einsatzes justizieller Ressourcen wesentlich gefährden.331 Das Verfahrensergebnis der Musterfeststellungsklage soll gerade zur Rechtssicherheit beitragen und diese nicht selbst sabotieren. Eine andere Option wäre, den angemeldeten Verbraucherinnen de lege ferenda doch eine Partizipation zu ermöglichen, indem sie nach dem Vorbild des Kap-

327 In diese Richtung bereits unter § 5 D. II. 2. (zur Entschärfung der Zustellungsproblematiken bei einem genehmigten gerichtlichen Vergleich). 328 Dazu noch § 8 B. I. 329 Siehe etwa der Vorschlag von Schmidt-Kessel, Stellungnahme Entwurf MFK, S. 30. 330 Eingehend Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 235 f.; siehe auch Merkt/ Zimmermann, VuR 2018, 363 (367). 331 Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 613 Rn. 8; Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 227 f.; Halfmeier, ZRP 2017, 201 (203).

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MuG-Verfahrens beizuladen wären,332 oder der Ausschluss der Nebeninterventionsbefugnis in § 610 Abs. 6 Nr. 1 ZPO rückgängig gemacht würde.333 Der Vorteil dieses Ansatzes läge darin, dass die Gewährung eigener Äußerungsrechte den Gehörsebenen des Art. 103 Abs. 1 GG umfassende Geltung verschaffen würde. Nachteil ist jedoch, dass eine solche Ausgestaltung die prozessökonomischen Vorteile eines Kollektivverfahrens wieder zunichtemachen könnte.334 Denn einerseits droht bei einer vermehrten Einlassung Einzelner eine erhebliche Verzögerung des Prozesses,335 andererseits geriete hierdurch die Administration der Klage und der Verhandlungstermine für das Gericht wie für die Musterklägerin – besonders im Fall einer hohen Verbraucherinnenbeteiligung – zu einem herausfordernden Unterfangen.336 Dazu bedarf es nicht einmal der tatsächlichen Äußerung einer Vielzahl der Anmelderinnen; allein den Organisationsrahmen einer potenziellen Einbindung zu schaffen und kontinuierlich zu koordinieren, dürfte beträchtlichen Mehraufwand bedeuten. Insoweit erscheint es auch müßig, darauf zu spekulieren, dass die meisten Anmelderinnen von ihrer Mitwirkungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen würden.337 Und selbst wenn dem so sein sollte, müsste man in letzter Konsequenz hinterfragen, ob die Gehörsgewährung denn dann wirklich sinnhaft bzw. überhaupt benötigt wäre. Mithin spricht mehr dafür, dem Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine Stärkung der Informationsrechte der Verbraucherinnen Genüge zu tun, ohne die Effizienzvorteile des Verfahrens zu gefährden. 3. Fazit Festzuhalten ist, dass der Anspruch der angemeldeten Verbraucherinnen auf rechtliches Gehör im Musterfeststellungsverfahren nach der geltenden Konzeption verletzt ist. In den Gewährleistungsgehalt des Art. 103 Abs. 1 GG wird durch den fehlenden (exklusiven) Einblick in den Prozessstoff sowie die rein passive Beteiligtenstellung auf allen drei Ebenen eingegriffen. Die freiwillige Entscheidung zur Anmeldung im Rahmen des Wahlrechts zwischen individueller und kollektiver Rechtsdurchsetzung kann dies erst legitimieren, sofern die Verbraucherinnen (zuvor) voll informiert werden und sich den Folgen für ihren Gehörsanspruch bewusst sind. Um dies zu bewerkstelligen, bedarf es weiterer Aufklärung im Rahmen der öffentlichen Bekanntmachung (§ 607 Abs. 1 ZPO) sowie unmittelbar bei der Anmeldung. Neben einer deutlicheren Akzentuierung der für die

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Dafür Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 236. Dafür Schmidt-Kessel, Stellungnahme Entwurf MFK, S. 12. 334 Auch Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 236 f. gibt zu, dass dies zu einer „Aufblähung“ der eigentlich intendierten schlanken Form des Verfahrens führen würde. 335 Siehe Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 227; Merkt/ Zimmermann, VuR 2018, 363 (367). 336 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (31 f.). 337 So etwa Scholl, ZfPW 2019, 317 (347). 333

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Anmelderinnen entstehenden Risiken empfiehlt sich zudem eine Ausweitung der Informationsrechte der angemeldeten Verbraucherinnen. Diese müssen mehr Einblick gewähren, als ihn die gesamte unbeteiligte Öffentlichkeit ohnehin nach § 609 Abs. 3 ZPO aus dem Klageregister erhalten kann.

II. Justizgewährleistungsanspruch/Gebot effektiven Rechtsschutzes Verfassungsrechtlich geboten ist ferner ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz. Nach Art. 19 Abs. 4 GG und dem Rechtsstaatsprinzip i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG338 wird jeder Bürgerin der Zugang zu sowie ein wirkungsvoller Rechtsschutz vor den Gerichten garantiert.339 Davon umfasst ist ebenso ein Anspruch auf eine Verfahrenserledigung in angemessener Zeit.340 Die Vorgaben sind bei der gesamten Gestaltung eines Verfahrens bis hin zu einer verbindlichen richterlichen Entscheidung zu berücksichtigen.341 Somit ist auch die Musterfeststellungsklage hieran zu messen. Prinzipiell lässt sich dem Justizgewährleistungsanspruch die Legitimationsgrundlage für den kollektiven Rechtsschutz als solchen entnehmen.342 Denn es bedarf diesem überhaupt erst, weil der Individualrechtsschutz bei der Verbraucherrechtsdurchsetzung von Massenschäden an seine Grenzen gelangt.343 Der Zweck des Musterfeststellungsverfahrens korreliert damit: Es dient gerade dazu, die effektive Durchsetzung von Verbraucherrechten zu fördern und eine vereinfachte wie wirkungsvollere Zugangsmöglichkeit zu schaffen, um über die strukturellen Defizite des Individualrechtsschutzes sowie die zuvor nicht ausreichenden Möglichkeiten der Bündelung von Ansprüchen hinwegzuhelfen.344 Tatsächlich verbessert das Instrument die Ausgangslage für geschädigte Verbraucherinnen. Einerseits stellt die kostenfreie und niedrigschwellige Möglichkeit, sich zum Verfahren anzumelden, eine sinnvolle Maßnahme dar, um gegen die Ursachen des abwägungsabhängigen (rationalen) Desinteresses vorzugehen. 338 Im Übrigen ergänzt auch durch Art. 6 Abs. 1 EMRK, siehe Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 15. 339 BVerfG NJW 1993, 1635; 2003, 1924; NJW-RR 2010, 207 (208); NJW 2014, 205; BGH NJW 2018, 1022 f.; Enders, in: BeckOK-GG, Art. 19 Rn. 51, 85; Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 18; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 264. 340 BVerfG NJW 1995, 2477; WM 2012, 76 (77); Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 111. 341 Enders, in: BeckOK-GG, Art. 19 Rn. 71 f., 74; Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 18. 342 Blagojevic, Effektive Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Ansprüche, S. 112; Heese, JZ 2019, 429 (430 f.). 343 Vgl. bereits § 4 B. und C. 344 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 14 ff.

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Andererseits erscheint auch das ein Individualverfahren kennzeichnende prozessuale Ungleichgewicht zwischen einer Verbraucherin und dem schädigenden Unternehmen sowie der damit einhergehende Abschreckungseffekt durch die gebündelte Geltendmachung der Verbraucherinteressen durch eine qualifizierte Einrichtung weniger gravierend. Wenngleich das Musterfeststellungskonzept aufgrund der Zweistufigkeit eine Individualklage nicht schlechthin entbehrlich macht, fördert es doch die einzelne Rechtsverfolgung, indem hinsichtlich der verbindlich geklärten Feststellungsziele keine weitere Erörterung stattfinden muss (§ 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine effiziente und zügige Abwicklung des Musterfeststellungsverfahrens sollen vordergründig die schlanke Beteiligungsstruktur (§ 610 Abs. 6 ZPO), die betonte Prozessförderungspflicht des Gerichts (§ 610 Abs. 4 ZPO) sowie die Straffung des Instanzenzuges (§ 119 Abs. 3 GVG) gewährleisten.345 Zwar verkürzt die Einsparung der Berufungsinstanz den gerichtlichen Prüfungsumfang und könnte insoweit einen weniger umfangreichen bzw. wirksamen Rechtsschutz für die Betroffenen bedeuten,346 jedoch sorgt sie zugleich für eine Beschleunigung des Verfahrens, die wiederum im Einklang mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes steht, da sie zu einer wirkungsvollen gerichtlichen Kontrolle beiträgt.347 Nach dem BVerfG ist ein Instanzenzug gerade nicht verfassungsrechtlich garantiert; vielmehr gehört es zu den Aufgaben der Gesetzgeberin, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden.348 So kann gemäß § 566 Abs. 4 Satz 1 ZPO auch in Individualverfahren die Berufungsinstanz im Wege der Sprungrevision übergangen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.349 Im Rahmen der Aufarbeitung eines Massenschadensfalls dürfte regelmäßig eine solche Situation vorliegen. Dann erscheint es nur sachgerecht, auch im Fall der Musterfeststellungsklage auf eine zügigere Entscheidung hinzuwirken, zumal von dieser eine Vielzahl angemeldeter Ansprüche abhängt. Mithin löst das Instrument in Bezug auf den verfassungsrechtlich gebotenen effektiven Rechtsschutz keine Bedenken aus.

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Näher Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 230. Krit. Gluding, Kollektiver und überindividueller Rechtsschutz, S. 128 ff.; SchmidtKessel, Stellungnahme Entwurf MFK, S. 22. 347 Dazu Enders, in: BeckOK-GG, Art. 19 Rn. 74 m.w. N.; siehe auch Rohls, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 3 Rn. 6. 348 BVerfG NJW 1981, 39 (41); 2003, 1924. 349 Hierbei gelten die gleichen Kriterien wie bei der Revisionszulassung nach § 543 Abs. 2 ZPO, siehe Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, § 566 Rn. 7. 346

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III. Prozessuale Waffengleichheit Aus verfassungsrechtlicher Perspektive muss schließlich betrachtet werden, ob die Musterfeststellungsklage auch die Anforderungen des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit wahrt. Dabei handelt es sich um eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und des allgemeinen Gleichheitssatzes, welche den Parteien eine gleichwertige Stellung vor der Richterin und eine gleichmäßige Verteilung des Prozessrisikos gewährleisten soll.350 Notwendig ist hiernach, dass die Beteiligten unter gleichen Voraussetzungen ihre prozessualen Rechte ausüben können, ihnen also gleichermaßen die Möglichkeit eingeräumt wird, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen Verteidigungsmittel selbstständig geltend zu machen.351 Das gilt sowohl für die verfahrensrechtliche Ausgestaltung an sich als auch für die konkrete Prozessbehandlung durch das Gericht. 1. Einschränkung im Musterfeststellungsverfahren Bemerkenswert ist, dass die Regelungen im sechsten Buch der ZPO die Antragsrechte der Musterklägerin und der Musterbeklagten einseitig definieren. § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO weist wortlautgemäß allein der qualifizierten Einrichtung die Befugnis zu, ein Verfahren einzuleiten und Feststellungsziele geltend zu machen; eine vergleichbare Regelung zu § 2 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, in dem der Beklagten explizit ein Musterverfahrensantragsrecht zugestanden wird, fehlt.352 Die Musterfeststellungsklage richtet sich immer gegen die Unternehmerin, der im Stadium der Klageerhebung insoweit eine betont passive Rolle zukommt.353 Mit Blick auf ihre Konzeption als Rechtsschutzinstrument zugunsten einer Vielzahl von Verbraucherinnen, die vor einer Individualklage zurückschrecken würden, erscheint das zunächst stringent. Andererseits sprechen für ein Recht der Musterbeklagten, eigene Feststellungsziele einzubringen, gute Gründe. Zuvörderst zu nennen ist die dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit immanente Vorgabe, dass die Beklagtenseite hinsichtlich der verfügbaren Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht gänzlich un350 BVerfG NJW 2018, 3631 (3632); 2021, 615 (616); 2021, 2020 (2022); Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 128 Rn. 126; Prütting, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Einl. Rn. 42; Tolani, Parteiherrschaft und Richtermacht, S. 269; M. Vollkommer, in: FS Schwab, S. 503 (508). 351 BVerfG NJW 2018, 3631 (3632); 2021, 615 (616 Rn. 19); 2021, 2020 (2022 Rn. 21); Rauscher, in: MüKoZPO, Einl. Rn. 279. 352 Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328); Röthemeyer, MFK, § 606 ZPO Rn. 9 f.; Scholl, ZfPW 2019, 317 (345); Schöning, Musterfeststellungsverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche, S. 119; Weinland, MFK, Rn. 60. 353 Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 226 f.; U. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 606 Rn. 17; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2926).

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gleich behandelt werden darf. Wenngleich die Musterfeststellungsklage als Instrument der privatrechtlichen Normdurchsetzung bezweckt, die herkömmlichen Kräfteverhältnisse zwischen den Prozessparteien zugunsten der Anspruchsinhaberinnen zu verschieben,354 darf dies nicht völlig ungehemmt geschehen. Würden die Handlungsmöglichkeiten der Parteien im Musterfeststellungsverfahren derart differieren, dass einzig die Musterklägerin den Prozess respektive den Streitgegenstand gestalten könnte, ließe sich eine Verfassungswidrigkeit der Modellierung kaum mehr bestreiten.355 Denn so entstünde ein strukturelles Gefälle, innerhalb dessen der Beklagten die Verteidigung unweigerlich erschwert wäre. Ohne eigenen Einfluss auf die zu klärenden Feststellungsziele wäre sie praktisch gezwungen, zum Vorbringen ihrer Angriffsmittel und sonstiger Einwände gegen eine Inanspruchnahme auf die nachfolgenden Individualverfahren zu warten, was das Prozesskostenrisiko zu ihren Lasten verschieben und zugleich ihre Vergleichsbereitschaft senken würde.356 Darüber hinaus entspräche dies nicht dem Zweck des Musterfeststellungsverfahrens, die Prozessökonomie zu fördern. Nach der Gesetzesbegründung soll es ermöglichen, zentrale Streitfragen einheitlich und mit Breitenwirkung zu entscheiden, dabei die Justiz zu entlasten sowie die Grundlagen für eine einvernehmliche Lösung der Parteien zu schaffen.357 Dafür müsste aber auch über den aus Beklagtensicht relevanten Prozessstoff verhandelt werden.358 Eine Benachteiligung der Musterbeklagten wird auch nicht automatisch durch den Umstand ausgeschlossen, dass gemäß § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO ebenso die Feststellung des „Nichtvorliegens“ tatsächlicher und rechtlicher Voraussetzungen sowie des „Nichtbestehens“ von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen möglich ist und es wohl im Interesse der Musterklägerin liegen dürfte, absehbare Gegenanträge – etwa zur Feststellung anspruchsausschließender Tatbestandsmerkmale – zum Prozessstoff zu machen, die ansonsten in jedem Individualverfahren geprüft werden müssten.359 Wenngleich das Gericht gemäß § 610 Abs. 4 ZPO auf die Stellung entsprechend sachdienlicher Anträge hinwirken kann, bietet dies keine Gewähr, dass die Musterklägerin diese final auch genauso umsetzt. Vorrangig dürfte sie daran interessiert sein, Feststellungsziele zu beantragen, welche sich für die Verbraucherinnen nicht negativ auswirken können.360 Demzufolge 354

Dazu Poelzig, Normdurchsetzung durch Privatrecht, S. 540. Insoweit deutlich de Lind van Wijngaarden, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 6 Rn. 57; Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (663); ähnlich Schneider, BB 2018, 1986 (1990). 356 Eingehend Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 227 f. 357 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 16. 358 Ähnlich Berger, ZZP 133 (2020), 3 (35). 359 So Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 19; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 8. 360 Dazu Hettenbach, WM 2019, 577 (578 f.); ähnlich Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328); Berger, ZZP 133 (2020), 3 (34 f.). 355

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sind die Beklagteninteressen mit Blick auf die prozessuale Waffengleichheit aber nicht hinreichend gewahrt. 2. Zeitpunkt eines Gegenantragsrechts Aufgrund dessen scheint von Verfassungs wegen erforderlich, der Musterbeklagten doch ein eigenes Antragsrecht im Musterfeststellungsverfahren zuzugestehen. Nachdem sich die Gesetzesmaterialien hierzu nicht geäußert haben, ist lediglich fraglich, ob bzw. woraus dieses de lege lata hergeleitet werden könnte. Bevor sich dem näher gewidmet wird, ist indes auf eine diese Fragestellung eng begleitende Problematik hinzuweisen, welche auf der besonderen Beteiligungsstruktur der Musterfeststellungsklage beruht. Angesprochen ist die passive Rolle der angemeldeten Verbraucherinnen, welche im Zusammenspiel mit der Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO und dem Rücknahmezeitpunkt des § 608 Abs. 3 ZPO ihr rechtliches Gehör frühzeitig erheblich einschränkt. Dieser Gesichtspunkt wird vorliegend relevant, da das Bestehen eines Antragsrechts der Musterbeklagten zur Einbringung eigener Feststellungsziele stets auch Auswirkungen auf die Anmelderinnen haben kann. Notwendig ist demnach eine an das rechtliche Gehör angepasste Lösung.361 Dafür wären mehrere Zugeständnisse denkbar. So könnten Gegenanträge der Musterbeklagten nur zeitlich beschränkt bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zugelassen werden, um den Verbraucherinnen noch die Chance zu lassen, eine ggf. schon erfolgte Anmeldung im Rahmen ihres Austrittsrechts noch fristgemäß zurücknehmen zu können.362 Der Anmeldemechanismus könnte auf diese Weise im Wesentlichen beibehalten werden. Zudem würde für die Beteiligten Klarheit herrschen und ein eventuelles Ausnutzen der Einbringung von Feststellungszielen zur Verzögerung des Musterfeststellungsprozesses unterbunden.363 Jedoch hätte dies zugleich den Nachteil, dass die Möglichkeit zur Einbringung „negativer“ Feststellungsziele weiterhin relativ früh verstreichen würde. Will man diese länger offenhalten, müsste der Konflikt mit dem rechtlichen Gehör der Verbraucherinnen anderweitig gelöst werden. Erwägenswert wäre etwa, die nach dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung von der Beklagten eingebrachten Feststellungsziele von der Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO auszunehmen.364 Das brächte indes Effizienzeinbußen für das Verfahren mit sich und könnte obendrein zu einer Aushöhlung des Gegenantrags361 Siehe Schöning, Musterfeststellungsverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche, S. 126. 362 Hettenbach, WM 2019, 577 (581); Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 19; Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 406 ff.; G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606 Rn. 6. 363 Zu dieser Gefahr auch Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 407 f.; Röthemeyer, MFK, § 610 ZPO Rn. 71. 364 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610 Rn. 8 (teleologische Reduktion).

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rechts der Musterbeklagten führen. Denn sollte sie sich in nachfolgenden Streitigkeiten gegenüber den einzelnen Verbraucherinnen nicht auf die verbindliche Klärung der von ihr eingebrachten Feststellungsziele berufen können, stellt sich die Frage, weshalb sie überhaupt solche in das Musterfeststellungsverfahren einbringen sollte. Alternativ könnte die Frist zur Rücknahme der Anmeldung nach § 608 Abs. 3 ZPO verlängert werden, indem man sie an den Ablauf des Tages desjenigen Termins knüpft, in dem über die Gegenanträge der Beklagten mündlich verhandelt wird.365 Selbst dann erscheint die Bedenkzeit für die Verbraucherinnen aber äußerst kurz.366 Zudem wäre eine Verlängerung der Rücknahmefrist nur de lege ferenda möglich. Insgesamt wird hier allzu deutlich, dass die komplexe Trias aus dem Gehörsanspruch der Anmelderinnen, dem Grundsatz prozessualer Waffengleichheit sowie der Verfahrenseffizienz nach einer durchdachten Feinabstimmung verlangt. Am unproblematischsten dürfte noch eine zeitliche Beschränkung der Einbringung von Gegenanträgen bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zu erachten sein. Über diesen Zeitpunkt hinaus bedürfte es dagegen einer Änderung der einschlägigen Vorschriften. Womöglich ist die Gesetzgeberin aber ohnehin zum Handeln aufgefordert, wenn sich ein Antragsrecht der Beklagten nach geltendem Recht nicht begründen lässt. Dies gilt es nunmehr zu erörtern. 3. Bestehen eines Gegenantragsrechts Zur Begründung eines Gegenantragsrechts werden bereits mehrere Ansätze vertreten, zu denen jeweils Stellung genommen wird. Ein Vorschlag lautet, der Beklagten die Möglichkeit zur Einbringung eigener Feststellungsziele vor dem Verstreichen des Rücknahmezeitpunkts nach § 608 Abs. 3 ZPO durch eine analoge Anwendung des § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu geben, um die gebotene Gleichbehandlung mit der Musterklägerin herzustellen.367 Gemäß des Wortlauts der Vorschrift ist nur Letztere befugt, im Rahmen der Klageerhebung die Feststellungsziele zu bestimmen. Um die Analogie zu begründen, bedarf es eines Falls, welcher zwar den Zweck der Norm trifft, jedoch planwidrig nicht unter deren Wortlaut subsumiert werden kann und deshalb wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlagen eine Korrektur erfordert.368 In der vorliegenden Konstellation müsste die Gesetzgeberin also das Bedürfnis übersehen haben, der Musterbeklagten im Rahmen der Verfahrenseinleitung ein (Mit)Bestimmungsrecht einzuräumen. Darauf deutet die Gesetzesbegründung jedoch gerade nicht hin: Denn ausweislich dieser soll es ausdrücklich 365

Berger, ZZP 133 (2020), 3 (35). Vgl. schon § 5 C. II. 2. 367 Oehmig, Rechtsstellung der angemeldeten Verbraucher, S. 407 f.; wohl auch G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606 Rn. 6. 368 Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 102. 366

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die Klägerin sein, welche den Streitgegenstand der Musterfeststellungsklage durch die Benennung der Feststellungsziele und des Lebenssachverhaltes bestimmt.369 Auf deren Basis erfolgt schließlich auch die öffentliche Bekanntmachung im Klageregister (vgl. § 606 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Zu diesem Zeitpunkt der Beklagten keinen Einfluss auf den Streitgegenstand einzuräumen, muss insofern als eine ganz bewusste Entscheidung eingeordnet werden. Allein der Umstand, dass Widerklagemöglichkeiten im Rahmen der Neuregelungen generell unerwähnt blieben, vermag eine planwidrige Regelungslücke für den Analogieschluss zu § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu begründen.370 Stattdessen wäre denkbar, das allgemeine Institut der Widerklage heranzuziehen, welches aufgrund des Verweises in § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO auf die allgemeinen Vorschriften dem Grunde nach auch im Musterfeststellungsverfahren zugelassen werden könnte.371 Als selbstständige, mit der (Haupt-)Klage zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundene Klage ist die Widerklage in der ZPO nicht eigenständig geregelt, sondern wird in einer Vielzahl von Vorschriften vorausgesetzt.372 Für ihre Zulässigkeit müssen neben den allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen (insbesondere einem Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO)373 weitere Bedingungen erfüllt sein, namentlich die Rechtshängigkeit des Hauptverfahrens, ein eigener Streitgegenstand der Widerklage bei grundsätzlicher Identität der Parteien, die Statthaftigkeit der gleichen Prozessart für beide Klagen sowie eine Konnexität (str.).374 Die Statthaftigkeit der Widerklage im Musterfeststellungsprozess ist gleichwohl aus mehreren Gründen anzuzweifeln. Einerseits kann sie sich aufgrund des Kriteriums der Parteiidentität nur gegen die klagende qualifizierte Einrichtung richten,375 wodurch sich der Gegenantrag innerhalb des von der Musterklägerin

369 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 22. Daneben bemerkt Röthemeyer, MFK, § 606 ZPO Rn. 9 (m.w. N.), dass das Thema in den Ausschussberatungen vor Verabschiedung des Gesetzes mehrfach angesprochen wurde, also nicht unberücksichtigt blieb. 370 So aber Oehmig, Rechtsstellung der angemeldeten Verbraucher, S. 408. Aus denselben Gründen scheidet auch eine analoge Anwendung des § 15 KapMuG aus, die Hettenbach, WM 2019, 577 (580 f.) befürwortet. 371 Siehe Berger, ZZP 133 (2020), 3 (34 f.); Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610 Rn. 20; Menges, in: MüKoZPO, § 606 Rn. 3; Rathmann, in: Hk-ZPO, Rn. 11; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610 Rn. 8. 372 BGH NJW 2018, 3016 (3017 f.); Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 33 Rn. 1; Toussaint, in: BeckOK-ZPO, § 33 Rn. 1 (mit Beispielen in Rn. 1.1, etwa §§ 33, 81, 145 Abs. 2, 256 Abs. 2, 322 Abs. 1, 347, 506 Abs. 1 oder 533 ZPO). 373 Berger, ZZP 133 (2020), 35; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610 Rn. 20; Röthemeyer, MFK, Rn. 70; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 8. 374 Im Einzelnen Bendtsen, in: Hk-ZPO, § 33 Rn. 3 ff.; Heinrich, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 5 ff.; Patzina, in: MüKoZPO, Rn. 12 ff.; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Rn. 16 ff. 375 Eine Drittwiderklage gegenüber den angemeldeten Verbraucherinnen scheidet gemäß § 610 Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 ZPO ebenso aus, da die Gesetzgeberin verhindern

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vorgegebenen Lebenssachverhalts bewegen, aber auch über die Feststellung des kontradiktorischen Gegenteils hinausgehen muss.376 Daran anknüpfend ist zu berücksichtigen, dass das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse am ehesten aus der Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils gegenüber den angemeldeten Verbraucherinnen erwächst,377 im Verhältnis zur qualifizierten Einrichtung jedoch nicht unmittelbar ersichtlich ist.378 Und selbst wenn dies überbrückt werden könnte,379 wäre die Widerklage als herkömmliches Zivilverfahren nicht in der gleichen Prozessart wie die Musterfeststellungsklage zulässig, da der Unternehmerin für Letztere nach § 606 Abs. 1 ZPO die Klagebefugnis fehlt und auch im Übrigen aufgrund der zahlreichen Sondervorschriften zur Musterfeststellungsklage (bspw. § 119 Abs. 3 Satz 1 GVG, § 614 ZPO, § 48 GKG) erhebliche Unterschiede bestehen; in diesem Fall scheidet eine Verbindung und gemeinsame Verhandlung der Klagen aus.380 Folglich dürfte auch eine Widerklage in aller Regel unstatthaft sein. Nach alldem besteht ein Verfassungsverstoß gegen das Gebot der prozessualen Waffengleichheit. Die Gesetzgeberin ist dementsprechend zum Handeln aufgefordert: Möglich wäre, dass sie eine an den Gedanken des § 15 Abs. 1 KapMuG angelehnte Regelung beschließt, wodurch die Musterbeklagte unter gewissen Voraussetzungen eine Erweiterung der Feststellungsziele beantragen könnte.381 Klärungsbedürftig wäre im Zuge dessen jedoch, inwieweit wegen des rechtlichen Gehörs der angemeldeten Verbraucherinnen weitere Schutzvorkehrungen nötig sind. Je nach zeitlicher Beschränkung der Erweiterung der Feststellungsziele (bspw. bis einschließlich im ersten Termin) könnte die Frist für die Rücknahme zur Anmeldung gemäß § 608 Abs. 3 ZPO auf einen späteren Zeitpunkt nach hinten verschoben werden (bspw. zwei Wochen nach dem ersten Termin). Den Anmelderinnen würde so Zeit verschafft, sich mit dem modifizierten Streitgegenstand auseinanderzusetzen, womöglich Rücksprache mit einem Rechtsbeistand zu halten und über die Aufrechterhaltung ihrer Anmeldung zu entscheiden, ohne wollte, dass diese „in den Rechtsstreit hineingezogen werden“ (RegE MFK, BT-Drs. 19/ 2439, S. 27). Insoweit auch Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328). 376 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (34 f.); siehe auch Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328); Rathmann, in: Hk-ZPO, § 610 Rn. 11. 377 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (35). 378 Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 19; ähnlich Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Rn. 20; Prütting, ZIP 2020, 197 (201); Schöning, Musterfeststellungsverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche, S. 121. 379 Einen Begründungsansatz liefert etwa Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 433 ff. 380 Eingehend Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 155 f., Hettenbach, WM 2019, 577 (580) und Schöning, Musterfeststellungsverfahren zur Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche, S. 122 f., jeweils unter Verweis auf BGH ZIP 2002, 870; a. A. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 440 ff. (v. a. wegen des praktischen Bedarfs). 381 Amrhein, Die Musterfeststellungsklage, S. 228.

C. Verhältnis zu weiteren ZPO-Vorschriften

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dass sie übervorteilt würden oder der Verfahrensfortgang als solcher behindert wäre.

C. Verhältnis zu weiteren ZPO-Vorschriften Der finale Gesichtspunkt der systematischen Einordnung der Musterfeststellungsklage betrifft ihr Verhältnis zum sonstigen Verfahrensrecht. § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO eröffnet – mit Ausnahme der in Satz 2 genannten Vorschriften – prinzipiell die Anwendbarkeit aller Regelungen, die im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den Landgerichten gelten,382 „soweit sich aus den Vorschriften dieses [des sechsten] Buches nicht Abweichungen ergeben“. Wann diese in einer die Anwendbarkeit der allgemeinen Regelung ausschließenden Weise anzunehmen sind, hat die Gesetzgeberin jedoch nur äußerst rudimentär erläutert. Allein die soeben diskutierte Übertragbarkeit des Instituts der Widerklage hat angedeutet, dass die lapidare Verweisungstechnik einige Fragen aufwerfen kann, weil konkrete, auf die Eigenheiten der Musterfeststellungsklage zugeschnittene Sonderregelungen ebenso fehlen wie Bezugnahmen auf anwendbare bestehende Vorschriften. So muss stets im Einzelfall geprüft werden, ob ein Rückgriff auf eine allgemeine Verfahrensregel im Musterfeststellungsprozess möglich oder aufgrund der besonderen Charakteristik des Kollektivverfahrens ausgeschlossen ist. Letztere wird entscheidend geprägt durch die passive Beteiligung der Anmelderinnen bei gleichzeitiger Bindung an die Verfahrenswirkungen. Aus diesem Zusammenspiel folgt, dass (deren Einfluss entzogene) Dispositionen über den Streitgegenstand durch die Musterklägerin oder durch beide Parteien in gegenseitigem Einvernehmen wegen der Abhängigkeit der Ansprüche von den Feststellungszielen stets kritisch zu beäugen sind. Die Gesetzgeberin hat das Potenzial für Interessenkonflikte an dieser Schnittstelle erkannt und verschiedene Sicherungsmechanismen vorgesehen, bspw. mit den Anforderungen an das Zustandekommen eines gerichtlichen Vergleichs (vgl. § 611 Abs. 3–5 ZPO) oder der Abbedingung eines Verzichts der Musterklägerin (§ 610 Abs. 5 Satz 2 ZPO).383 Im Ausschluss der Anwendbarkeit des § 306 ZPO kommt insoweit ein verallgemeinerbarer Gedanke zum Ausdruck: Die im wirtschaftlichen Interesse der Anmelderinnen tätige Musterklägerin soll nicht schlechthin nachteilig über deren Ansprüche und Rechtsverhältnisse verfügen können.384

382 Prinzipiell anwendbar sind damit sowohl die Vorschriften der §§ 253–510b ZPO als auch die allgemeinen Vorschriften nach §§ 1–252 ZPO, siehe Lutz, in: BeckOKZPO, § 610 Rn. 1. 383 Siehe RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 27: „Aufgrund der Struktur des Verfahrens soll schließlich [. . .] ein Verzicht der klagebefugten Stelle nach § 306 ZPO ausgeschlossen werden.“ 384 Menges, in: MüKoZPO, § 610 Rn. 24.

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§ 6 Systematische Vereinbarkeit

Im Umgang mit einer nach § 610 Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 ZPO infrage stehenden Zulässigkeit anderweitiger Verfahrensdispositionen kann diese Erkenntnis als maßgebende Orientierung dienen. Von vornherein unproblematisch erscheint dabei, wenn die Klage ohne eine Entscheidung in der Sache zurückgenommen oder übereinstimmend für erledigt erklärt wird, da in diesen Fällen die Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht eintritt und auch die Interessen der Beklagten aufgrund der jeweiligen Mitbestimmung bei der Prozesshandlung (vgl. § 269 Abs. 1 ZPO) gewahrt sind.385 Demgegenüber ist fraglich, ob dies ebenso für die Klageänderung zutrifft.

I. Zulassung einer Klageänderung Eine Klageänderung (§§ 263 f. ZPO) im Musterfeststellungsverfahren hätte Veränderungen der Feststellungsziele zur Folge, weshalb hier eine genauere Prüfung der Zulässigkeit geboten ist. Anpassungen könnten etwa vor dem Hintergrund notwendig werden, dass sich im Rahmen des Beweisverfahrens neue, zum Zeitpunkt der Klageerhebung für die Musterklägerin noch nicht absehbare Erkenntnisse ergeben, die sich für zentrale Streitpunkte des Rechtsstreits als essenziell erweisen.386 Durch das Fehlen einer zu § 15 Abs. 1 KapMuG äquivalenten Regelung beurteilt sich die Zulassung einer Klageänderung oder Klageerweiterung nach § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO i.V. m. §§ 263, 264 ZPO.387 Maßgeblich ist hier, ob sich mit dem neuen Begehren der Klagegrund, sprich der von der Klägerin zur Begründung ihrer Klage vorgebrachte Lebenssachverhalt, ändert: Nach den allgemeinen Grundsätzen wird die Identität des Klagegrundes aufgehoben, wenn der Kern des in der Klage angeführten Lebenssachverhaltes durch neue Tatsachen verändert wird; diese müssen über Ergänzungen oder Berichtigungen i. S. d. § 264 Nr. 1 ZPO hinaus zu wesentlichen Abweichungen führen.388 Ist dies der Fall, ist eine Änderung der Klage nach § 263 ZPO nur zulässig, wenn die Beklagte einwilligt oder das Gericht sie für sachdienlich erachtet. Bleibt der Klagegrund gleich, bedarf es dem in den Fällen des § 264 Nr. 1 bis 3 ZPO hingegen nicht. 385 Vgl. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (12); Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243 (244); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 610 Rn. 8; G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, Rn. 12; a. A. Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 18 mit dem allerdings unpassenden Verweis auf das zum KapMuG-Verfahren ergangene Urteil BGH NJW 2017, 3777 (3783). 386 Nach Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 10 zeigen gerade die Erfahrungen mit Rechtsstreitigkeiten nach dem KapMuG, dass derartige Situationen tatsächlich auftreten können. 387 BGH NJW 2020, 341 (342 f.); Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 16; Menges, in: MüKoZPO, § 610 Rn. 20; Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 10; Stadler, in: Musielak/ Voit, ZPO, § 606 Rn. 12a; Weinland, MFK, Rn. 108; zu Ergänzungsanträgen nach dem KapMuG siehe Liebscher, AG 2020, 35 (41 f.). 388 BGH NJW 1997, 588; 2007, 83 (84); Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 263 Rn. 14; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Rn. 4, 8 ff.

C. Verhältnis zu weiteren ZPO-Vorschriften

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1. Ausgangslage Beide Konstellationen lassen sich prinzipiell auf die geltend gemachten Feststellungsziele übertragen. Dabei sind jedoch ferner – wie schon bei der Frage, ob die Musterbeklagte Gegenanträge einbringen kann – die Rechte der angemeldeten Verbraucherinnen zu berücksichtigen. An die zuvor gewonnen Erkenntnisse kann also angeknüpft werden. Zu differenzieren ist wiederum nach dem Zeitpunkt, ab dem sie ihre Anmeldung nicht mehr zurücknehmen können und somit an ein späteres rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil gebunden werden. Soll der Streitgegenstand im Vorfeld des ersten Termins geändert werden, erscheinen die Bedenken gering, zumal das Gericht gemäß § 610 Abs. 4 ZPO ohnehin so früh wie möglich, spätestens aber im Rahmen der ersten mündlichen Verhandlung auf sachdienliche Anträge hinzuwirken hat, gerade weil den Verbraucherinnen noch die Gelegenheit zur Rücknahme ihrer Anmeldung verschafft werden soll.389 Anschließend könnten Veränderungen des Streitgegenstands jedoch ihre Anmeldungsentscheidung unterlaufen und eine Situation kreieren, welche schwerlich mit ihrem rechtlichen Gehör zu vereinbaren wäre. Unproblematisch erscheint vor diesem Hintergrund zunächst, wenn der Klageantrag entsprechend § 264 Nr. 1 und 2 ZPO390 um Elemente ergänzt, erweitert oder berichtigt werden soll, die auf demselben Lebenssachverhalt und denselben für die Feststellungsziele maßgeblichen Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen beruhen.391 Denn regelmäßig handelt es sich um Modifikationen, welche sich nicht einmal in den Angaben der öffentlichen Bekanntmachung nach § 607 Abs. 1 Nr. 3 und 4 ZPO niederschlagen würden. Für die Interessen der angemeldeten Verbraucherinnen besteht hier kein nennenswerter Schutzbedarf, da sich aus ihrer Sicht faktisch nichts verändert. Weichen die späteren klägerischen Anträge demgegenüber wesentlich von den ursprünglich öffentlich bekanntgemachten Feststellungszielen sowie dem Lebenssachverhalt ab, besteht der zuvor gezeichnete Konflikt mit dem rechtlichen Gehör der Anmelderinnen. Dementsprechend stellt sich die Frage, wie sich dies auf die Zulassung einer Klageänderung gemäß § 263 ZPO auswirkt. 2. Klageänderung nach erstem Termin Durch die Parallelen zu der Problematik bei der Einräumung von Gegenantragsrechten zugunsten der Musterbeklagten können für die vorliegende Konstellation 389 Siehe Klose, NJ 2021, 202 (206 f.); Röthemeyer, MFK, § 610 ZPO Rn. 73; U. Schmidt, WM 2018, 1966 (1969 f.). 390 Dagegen ist § 264 Nr. 3 ZPO auf Feststellungsziele i. S. d. § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO per se nicht anwendbar, siehe Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 390 f. 391 Eingehend Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 373 ff.; Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 16; Rathmann, in: Hk-ZPO, § 606 Rn. 10.

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einer Klageänderung nach dem ersten Termin die bisherigen Erwägungen aufgegriffen und nochmals akzentuiert werden. Danach ist v. a. hervorzuheben, dass die Gestaltungsmöglichkeiten durch die erforderliche Rücksicht auf die Interessen der Anmelderinnen determiniert sind. Infolgedessen soll im Folgenden zunächst fokussiert werden, wie sich eine Zulassung der Klageänderung nach § 263 ZPO auf das Musterfeststellungsverfahren auswirken könnte. Um die angemeldeten Verbraucherinnen im Fall einer wesentlichen Änderung des Streitgegenstandes während des Musterfeststellungsverfahrens nicht in gehörsverletzender Weise zu benachteiligen, müsste ihnen im Gegenzug ein höherer Schutz eingeräumt werden. Eine Möglichkeit läge darin, die Einführung neuer Feststellungsziele an ein gesondertes Anmeldeverfahren zu koppeln, sodass eine weitere öffentliche Bekanntmachung erfolgen, die Zweimonatsfrist abgewartet und das Quorum des § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO (nochmals) erreicht werden müsste.392 Auf diese Weise wäre der Klageänderung aus Verbraucherinnensicht wohl die größtmögliche Legitimation entgegengebracht, wenngleich eine „Wiederholung“ des Anmeldeverfahrens auch auf Unverständnis stoßen könnte. Ferner ist zu bedenken, dass ein solches Vorgehen zu einer längeren Unterbrechung des Verfahrens führen würde, die erheblich zulasten der Effektivität der Rechtsverfolgung ginge, insbesondere sollte das Prozedere mehrfach durchlaufen werden müssen. Außerdem müssten Folgefragen geklärt werden: Sollte eine Prozesstrennung nach § 145 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfolgen können, wenn sich ein Teil der Anmelderinnen dazu entschließt, nicht an die geänderten oder neuen Feststellungsziele gebunden sein zu wollen? Sollten vorher nicht angemeldete oder (vom bisherigen Streitgegenstand nicht erfasste) nicht anmeldeberechtigte Verbraucherinnen, die sich der Musterfeststellungsklage infolge der Änderung oder Erweiterung aber nunmehr anschließen möchten, plötzlich beitreten können? Angesichts dessen erscheint dieser Lösungsansatz ohne (tiefgreifende) gesetzliche Neuerungen untauglich und überdies unpraktikabel. Ähnliches dürfte für die Möglichkeit gelten, den Anmelderinnen über den Stichtag des § 608 Abs. 3 ZPO hinaus eine Rücknahme der Anmeldung zu erlauben.393 Ohne eine konkrete Normierung, unter welchen Voraussetzungen und für welchen Zeitraum sich die Frist verlängert, drohen willkürliche Ergebnisse. Nicht zuletzt hat das Musterfeststellungsverfahren gegen VW gezeigt, dass das Bundesamt für Justiz im Rahmen der Führung des Klageregisters klare Anweisungen und Richtlinien benötigt, um die Ein- und Austragungen geordnet vornehmen zu können.394

392 So Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 16 f.; zust. hinsichtlich der Einführung eines neuen Lebenssachverhaltes Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610 Rn. 14. Lediglich für eine Eintragung der Klageänderung im Klageregister Klose, NJ 2021, 202 (207). 393 Dafür Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (373). 394 Die Verordnung zur Änderung der Musterfeststellungsklagenregister-Verordnung v. 14.7.2021 stellt hierfür immerhin schon eine Verbesserung dar.

C. Verhältnis zu weiteren ZPO-Vorschriften

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Es erscheint somit schlüssiger, Anpassungen auf Basis der derzeitigen Verfahrensstruktur zu erwägen. Möglich wäre etwa, die Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 ZPO durch eine teleologische Reduktion auf die im Zeitpunkt der Anmeldung zugrundeliegenden Feststellungsziele zu begrenzen, sodass das Musterfeststellungsurteil mit Blick auf später eingebrachte Anträge nur eine faktische Präjudizwirkung entfalten würde.395 Deren Wirkungsgrad – egal wie er ausfällt – bereitet jedoch Bedenken: Finden die nicht unter § 613 Abs. 1 ZPO fallenden Urteilsfeststellungen in folgenden Individualverfahren wenig Beachtung, verlieren nachträgliche Klageänderungen an Bedeutung; tritt das Gegenteil ein und gestaltet sich das Urteil über den geänderten Streitgegenstand für die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse der Anmelderinnen negativ, werden Letztere faktisch dennoch unangemessen benachteiligt.396 So bleibt innerhalb des geltenden Rechtsrahmens aber nichts anderes übrig, als die Anwendbarkeit des § 263 ZPO wegen der Interessen der Anmelderinnen restriktiv zu handhaben.397 Einerseits bedingt dies, einer Klageänderung durch die Einwilligung der Musterbeklagten nach § 263 Alt. 1 ZPO den Weg zu versperren, da sich die Parteien insoweit nicht über die Anmelderinnen hinwegsetzen dürfen.398 Dies gilt unabhängig davon, ob in der Praxis überhaupt mit diesen zu rechnen wäre.399 Andererseits folgt daraus, dass das Gericht im Rahmen der Prüfung der Sachdienlichkeit nicht nur die gewöhnlichen Maßstäbe anzulegen hat. Grundsätzlich sind dabei die Interessen beider Parteien sowie der Rechtspflege zu bewerten und abzuwägen, wobei jenen gedient ist, wenn die Änderung den Streit zwischen den Parteien in der Sache endgültig ausräumt und einen neuen Prozess vermeidet.400 Bei der Musterfeststellungsklage müssten an dieser Stelle zusätzlich die Belange der betroffenen Verbraucherinnen genauestens in den Blick genommen werden.401 Änderungsanträge können erst dann sachdienlich sein, soweit sie auch für die Verbraucherinnen interessengemäß sind, wobei dem Gericht zumeist nur ein geringer Spielraum verbleiben dürfte.402 Beispielhaft für

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Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 12a, § 610 Rn. 8. Vgl. bereits § 6 B. III. 2. 397 Siehe Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 610 Rn. 14; de Lind van Wijngaarden, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 6 Rn. 59; Röthemeyer, MFK, § 610 ZPO Rn. 73; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 12a. 398 Näher Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 362 f. 399 Verneinend Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1328). 400 Dazu BGH NJW 2000, 143 (144); 2007, 2414 (2415); 2011, 2796 (2798); Becker-Eberhard, in: MüKoZPO, § 263 Rn. 32. 401 Dazu Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 371 ff. 402 De Lind van Wijngaarden, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 6 Rn. 59 f.; Röthemeyer, MFK, § 610 ZPO Rn. 73; Weinland, MFK, Rn. 111; eine Klageänderung aufgrund Sachdienlichkeit i. E. ablehnend Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 373. 396

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§ 6 Systematische Vereinbarkeit

eine denkbare Zulassung einer Klageänderung ist die Situation zu nennen, dass die Musterfeststellungsklage, nachdem im Rahmen eines Beweisverfahrens weitere bislang unerkannte Verstöße seitens der Beklagten oder weitergehende Haftungsgründe zutage getreten sind, um ein für die geschädigten Anmelderinnen günstiges Feststellungsziel erweitert wird. Sind die Änderungen dagegen geeignet, deren Rechtsposition zu gefährden oder stellen sie sich aus anderen Gründen als prozessunökonomisch heraus, ist eine Sachdienlichkeit zu verneinen. Da eine Klageänderung gemäß § 263 Alt. 2 ZPO nach dem ersten Termin aus Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen der Anmelderinnen nur selten in Betracht kommt, müssen Effektivitätsminderungen im Zweifel hingenommen werden. Diese sind der Modellierung des Musterfeststellungsverfahrens sowie dem Umstand geschuldet, dass sich in der Eile des Gesetzgebungsverfahrens nicht nuanciert genug mit den Anforderungen, die der Anspruch der Verbraucherinnen auf rechtliches Gehör aufstellt, auseinandergesetzt wurde. Für die Parteien des Musterfeststellungsverfahrens bedeutet das eine gesteigerte Verantwortlichkeit bei der Definierung der Feststellungsziele, über die verhandelt werden soll.403 Agieren sie hierbei zu flüchtig, riskieren sie später eine Abweisung ihres neuen Vorbringens als unzulässig. Umso gewichtiger wird daher auch die Rolle der Oberlandesgerichte in der Frühphase des Verfahrens: Sofern es ihnen gelingt, den gesamten Streitstoff zügig zu überblicken, die Kernproblematik(en) zu durchdringen und den Prozess mit der erweiterten Prozessleitungsbefugnis des § 610 Abs. 4 ZPO von Beginn an zu moderieren, kann das Risiko späterer „Überraschungen“ hinsichtlich eines doch unzureichenden Streitgegenstandes verringert werden. Unglücklich erscheint vor diesem Hintergrund allerdings, dass dies mutmaßlich unter Zeitdruck geschehen muss, da die öffentliche Bekanntmachung der Klage gemäß § 607 Abs. 2 ZPO bereits zwei Wochen nach deren Einreichung veranlasst werden soll. Wenngleich eine Verzögerung keine prozessualen Folgen auslöst, dürften die Gerichte darum bemüht sein, den Zeitrahmen zu wahren, worunter die Akribie ihrer Prüfung leiden könnte.404 Eine Verlängerung der ohnehin kurzen Frist de lege ferenda wäre somit im Interesse eines möglichst wirkungsvollen Verfahrens ratsam.405

403 Zuvörderst gilt das für die Musterklägerin, bei der gebotenen Einführung eines Gegenantragsrecht für die Musterbeklagte (bspw. angelehnt an § 15 Abs. 1 KapMuG, vgl. § 6 B. III. 3.) aber auch für Letztere. 404 So auch Klose, NJ 2021, 202 (206). 405 Die Zielvorgabe formuliert Klose, NJ 2021, 202 (206): „Eine gesetzliche Prüfungsfrist muss es dem Gericht auch ermöglichen, den Sachverhalt und die eröffneten Rechtsfragen vor der Veröffentlichung der Feststellungsziele tatsächlich umfassend im Einzelfall zu überprüfen und Feststellungsziele, die nicht zulässig geltend gemacht wurden, nicht zu veröffentlichen.“

C. Verhältnis zu weiteren ZPO-Vorschriften

169

II. Zulassung eines Versäumnisurteils Über die Zulassung einer Widerklage und einer Klageänderung hinaus lässt sich die Anwendbarkeit weiterer allgemeiner Vorschriften, die nicht durch § 610 Abs. 5 Satz 2 ZPO ausgeschlossen sind, hinterfragen.406 Hier soll aber nicht zu allem Stellung genommen werden. Stattdessen wird die Frage fokussiert, inwieweit ein Versäumnisurteil das Musterfeststellungsverfahren beenden kann. Dies dient primär der nochmaligen und abschließenden Illustration der wiederkehrenden Problematik, welche die Gesetzgeberin mit der unzureichenden Beachtung des rechtlichen Gehörs der Anmelderinnen geschaffen hat. Mangels einer Enumeration in § 610 Abs. 5 Satz 2 ZPO erscheint eine Anwendung der Vorschriften über das Versäumnisurteil (§§ 330 ff. ZPO) prinzipiell denkbar. Zu differenzieren ist zwischen der Säumnis der Musterklägerin (§ 330 ZPO) und der Säumnis der Musterbeklagten (§ 331 ZPO). Beantragt im letzteren Fall die Musterklägerin nach einem Nichterscheinen respektive Nichtverhandeln (§ 333 ZPO) der Musterbeklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung den Erlass eines Versäumnisurteils, folgt gemäß § 331 Abs. 2 ZPO noch eine Schlüssigkeitsprüfung, in der das als zugestanden anzusehende klägerische Vorbringen zur Begründung der Feststellungsziele ausreichen muss.407 Ist dies zu bejahen, ergeht ein Versäumnisurteil gegen die Beklagte, andernfalls ist die Klage abzuweisen (§ 331 Abs. 2 Hs. 2 ZPO). Prinzipiell spricht in beiden Fällen nichts dagegen, dies auch für das Musterfeststellungsverfahren zuzulassen. Denn rechtfertigt nicht einmal der Vortrag der Musterklägerin die antragsgemäße Verurteilung nach den Feststellungszielen, braucht die Klage nicht weiter aufrechterhalten werden. Zudem begründet ein Versäumnisurteil nach § 331 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Hs. 1 ZPO keine Nachteile für die Anmelderinnen. Lediglich der Tatbestand und die Entscheidungsgründe müssen abweichend von § 313b Abs. 1 Satz 1 ZPO in das Urteil aufgenommen werden, da ansonsten der Umfang der Bindungswirkung nach § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO in einer etwaigen Vielzahl von Folgerechtsstreitigkeiten nicht einheitlich festgestellt werden könnte.408 Etwas anderes dürfte hingegen für ein Versäumnisurteil gegen die Beklagte im schriftlichen Vorverfahren nach § 331 Abs. 3 Satz 1 ZPO gelten, bei dem eine Entscheidung nach dem Antrag der Klägerin ohne mündliche Verhandlung ergeht. Ursache dafür ist die strenge Geltung des Grundsatzes der Mündlichkeit im

406 Bspw. die Möglichkeit des Erlasses eines Anerkenntnisurteils nach § 307 ZPO (dazu Klose, NJ 2021, 202 (207); Röthemeyer, MFK, § 610 ZPO Rn. 69) oder einer Wiedereinsetzung in die Austrittsfrist für einen genehmigten gerichtlichen Vergleich gemäß §§ 233 ff. ZPO (dazu Röß, NJW 2020, 2068 (2069 f.)). 407 Bartels, in: Stein/Jonas, ZPO, § 331 Rn. 18 ff.; Kießling, in: Hk-ZPO, Rn. 5 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 106 Rn. 34. 408 Siehe Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 24a.

170

§ 6 Systematische Vereinbarkeit

Musterfeststellungsverfahren.409 Im Ausschluss des § 128 Abs. 2 ZPO kommt zum Ausdruck, dass stets mündlich verhandelt werden soll, bevor eine verfahrensbeendende Entscheidung ergeht.410 Angesichts der übergreifenden Bedeutung des Musterfeststellungsverfahrens ist dies auch sachgerecht. Komplizierter wird es dagegen, wenn die Musterklägerin säumig ist. Grundsätzlich hätte dann die Gegenpartei ein Antragsrecht auf den Erlass eines Versäumnisurteils nach § 330 ZPO, von welchem sie regelmäßig Gebrauch machen dürfte. Dabei handelt es sich um ein klageabweisendes Sachurteil,411 welches im Fall der Nichteinlegung oder der Unwirksamkeit eines Einspruchs (§§ 338 ff. ZPO) in formelle und materielle Rechtskraft erwächst.412 Eine Übertragung dieser Grundsätze auf das Musterfeststellungsverfahren erscheint allerdings problematisch: Denn hiermit wäre die qualifizierte Einrichtung in der Lage, negativ über die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse der angemeldeten Verbraucherinnen zu verfügen,413 was angesichts des Ausschlusses des § 306 ZPO zu einem widersprüchlichen Ergebnis führen würde.414 Die besondere Beteiligungsstruktur im Musterfeststellungsverfahren und das zu wahrende rechtliche Gehör der Anmelderinnen sprächen insoweit für eine Nichtanwendbarkeit des § 330 ZPO. Nichtsdestominder wäre eine Säumnis der Musterklägerin damit folgenlos. Prozesstaktischen Verzögerungen, zu welchen bei entsprechenden Anreizen selbstverständlich auch die Klägerseite greifen kann, stünden so alle Türen offen. Insbesondere Schachzüge wie die „Flucht in die Säumnis“ bei drohender Präklusion könnten auf diese Weise ohne weiteres ergriffen und der Fortgang des Prozesses blockiert werden.415 Eine derartige formell-rechtliche Bevorzugung gegenüber der Musterbeklagten erschiene wiederum kaum mit dem Grundsatz prozessualer Waffengleichheit vereinbar. Dem Beklagteninteresse am Erlass eines Versäumnisurteils gegen die Musterklägerin müsste insoweit auch der Vorzug gegenüber dem Schutzinteresse der angemeldeten Verbraucherinnen gegeben werden, jedenfalls unter der Prämisse, dass diese Regress nehmen könnten.416 Eine

409

Berger, ZZP 133 (2020), 3 (13). Siehe Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 9; Röthemeyer, MFK, Rn. 69. 411 Bartels, in: Stein/Jonas, ZPO, § 330 Rn. 2; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 4. 412 BGH NJW 2003, 1044; Prütting, in: MüKoZPO, § 330 Rn. 38; Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, § 106 Rn. 6. 413 Ob dieses Szenario in der Praxis angesichts der hohen Anforderungen an die Klagebefugnis gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO realistisch wäre, ist eine andere Frage. 414 Siehe de Lind van Wijngaarden, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 6 Rn. 104 ff.; krit. ebenso Berger, ZZP 133 (2020), 3 (12). 415 Dazu Bartels, in: Stein/Jonas, ZPO, Vorb § 330 Rn. 1; Prütting, in: MüKoZPO, § 330 Rn. 2 sowie § 296 Rn. 114. 416 Siehe Berger, ZZP 133 (2020), 3 (12); zur Haftungsfrage noch § 8 C. 410

D. Fazit

171

Vertagung des Rechtsstreits von Amts wegen gemäß § 337 ZPO417 würde dagegen nicht genügen, die klägerische Säumnis zu sanktionieren.

D. Fazit Mithin veranlasst die mit Blick auf das rechtliche Gehör der Anmelderinnen insgesamt wenig zufriedenstellende Ausgestaltung der Regelungen zur Musterfeststellungsklage einmal mehr dazu, die Praktikabilität der trivialen Öffnung der Anwendbarkeit der allgemeinen Vorschriften (§ 610 Abs. 5 Satz 2 ZPO) infrage zu stellen. Es handelt sich nicht um Kunstfehler in Einzelfragen, sondern um konzeptionelle Mängel. Diesbezüglich ist die Gesetzgeberin dringend zum Handeln aufgerufen. Zum einen ist wegen des fehlenden Anwaltszwangs im Rahmen der Anmeldung eine konsequentere Aufklärung der Verbraucherinnen zu den Folgen einer Teilnahme am Musterfeststellungsverfahren erforderlich; über die bloße Nennung der Vorschriften hinaus bedarf es v. a. deren Erläuterung in einer verständlichen Form. Erst dann kann der freiwillige Anmeldungsentschluss die Verkürzungen des Art. 103 Abs. 1 GG rechtfertigen. Zum anderen muss – unter gleichzeitigem Schutz der Anmelderinnen, etwa durch eine zeitliche Beschränkung bis zum ersten Termin – der Musterbeklagten hinsichtlich der verfassungsrechtlich gebotenen Waffengleichheit ermöglicht werden, betreffend der Feststellungsziele eigene Gegenanträge zu stellen. Als Vorbild kann hier § 15 Abs. 1 KapMuG dienen, zumal eine solche Norm auch zu einer Klärung der Frage einer Klageänderung führen würde. Zudem ist den Gerichten die Möglichkeit einzuräumen, die eingereichte Klage sorgsam zu prüfen und nicht von Beginn an auf eine Verfahrensbeschleunigung zu drängen. Eine sodann differenzierte Ausgestaltung der Vorschriften könnte die erörterten Probleme entschärfen. Im Übrigen ist zu konstatieren, dass sich die Musterfeststellungsklage weitgehend in den prozessrechtlichen Rahmen einfügt.

417 So von Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 610 Rn. 24a in Erwägung gezogen, wenn „sich eine Versäumnisentscheidung in der konkreten Prozesssituation als unvereinbar mit den Grundsätzen des Musterfeststellungsverfahrens [erweist]“.

3. Teil

Perspektive der Musterfeststellungsklage § 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes Die Eignung der Musterfeststellungsklage zu einer effizienteren und effektiveren Verbraucherrechtsdurchsetzung im Rahmen der Aufarbeitung von Massenschäden wird vielfach kritisch beäugt bis verneint. Vorrangig richten sich Zweifel gegen die Wirksamkeit des zweistufigen Verfahrenskonzeptes, welches nach einem rechtskräftigen Musterfeststellungsurteil noch eine anschließende Individualphase mit der etwaigen Notwendigkeit von Einzelklagen vorsieht, anstatt diese ganz entbehrlich zu machen. Nicht zuletzt angesichts der fortan großen Belastung der Gerichte im Abgasskandal1 könnte deshalb eine Neuausrichtung der Musterfeststellungsklage zu erwägen sein. Dieses Kapitel dient dazu, das Kernkonzept der Musterfeststellungsklage, aber auch die alternative Modellierung einer Kollektivklage mit einem (reinen) Leistungsziel zu ergründen. Unter Einbeziehung der geäußerten Kritik sollen mögliche Effektivitäts- und Effizienzhindernisse identifiziert und später Lösungen zu deren Vermeidung herausgearbeitet werden. Das bestehende Musterfeststellungskonzept bildet dabei stets den Ausgangspunkt. Zweck der Untersuchung ist nicht, einen Gegenentwurf zu zeichnen, sondern auf Basis des geltenden Modells etwaige Potenziale zur Weiterentwicklung zu diskutieren. Dabei sind insbesondere die Vorgaben der alsbald umzusetzenden EU-Verbandsklagenrichtlinie einzubeziehen, welche u. a. die Verfügbarkeit eines wirksamen nationalen Verfahrens auf Abhilfeentscheidungen sicherstellen sollen.2 Fraglich ist, ob und wenn ja, auf welche Weise die Musterfeststellungsklage diesbezüglich eine Umsetzungsperspektive besitzt. Daneben wird sich der ggf. notwendigen Anschlussphase gewidmet, die im eigentlichen Gesetzgebungsprozess wenig Aufmerksamkeit erhielt. Hier sollen insbesondere die zuvor beleuchteten Ansätze zur Optimierung des Individualrechtsschutzes3 nochmals verwertet werden. Ziel dieses Kapitels ist es, Anstöße zu liefern, wie der kollektive Rechtsschutz innerhalb des individualistisch geprägten Verfahrensrechts systemgerecht ausgebaut werden könnte. 1 2 3

Vgl. Heese, NJW 2021, 887. Erwägungsgrund 7, ABl. 2020 Nr. L 409/2. Vgl. § 4 B.

A. Zweistufigkeit des Modells

173

A. Zweistufigkeit des Modells Bevor konkrete Möglichkeiten einer Weiterentwicklung der Musterfeststellungsklage in Betracht gezogen werden können, ist das geltende zweistufige Kernkonzept zu analysieren. Der oft hiergegen erhobene Einwand ist fundamental. Mangels der Geltendmachung unmittelbar auf Leistung gerichteter Ansprüche sei ein doppeltes Tätigwerden der Verbraucherinnen und der Gerichte notwendig: Infolgedessen fehle es einerseits an einem Interesse der Betroffenen, sich zu einer Musterfeststellungsklage anzumelden, wenn sie danach dennoch selbst aktiv klagen müssten, und andererseits gingen damit verfahrensrechtliche Effizienzgewinne verloren bzw. es werde sogar eine Mehrfachbelastung der Gerichte verursacht, indem es im Zweifel zu einer längeren Gesamtverfahrensdauer komme.4 Zudem werde aufgrund der Zweistufigkeit der Rechtsverfolgung kein genügend hoher Vergleichsdruck für das beklagte Unternehmen erzeugt.5 Nach alldem sei das Modell gegenüber einer auf direkte Leistung gerichteten (Kollektiv-)Klage6 in vielen Belangen unterlegen und deshalb konzeptionell verfehlt.7 Dieser Grundvorwurf bedarf gerade im Hinblick auf anvisierte Erörterung einer Umsetzungsperspektive für die Verbandsklagenrichtlinie einer Reflexion. Denn nach deren Transformation in nationales Recht soll ein Mechanismus stehen, der es qualifizierten Einrichtungen erlaubt, auch Abhilfemaßnahmen in Form von Entschädigungszahlungen zugunsten von Verbraucherinnen zu erwirken. Eine gänzlich neue Verbandsleistungsklage könnte das Regelungsziel jedenfalls verwirklichen. Nur sollte sie es auch? Oder erscheint die prinzipielle Zweistufigkeit des Musterfeststellungskonzepts für die kollektive Rechtsverfolgung hierzulande adäquater, zumal verbleibende individuelle Durchsetzungshürden anderweitig abgebaut werden könnten und der Musterfeststellungsklage als „Grundmodell“ so doch eine Daseinsberechtigung zuzuerkennen wäre? Und sofern letzteres zuträfe, wie könnten die europäischen Vorgaben dann richtlinienkonform kodifiziert werden?

I. Analyse der Verfahrensszenarien Fokussiert wird im Folgenden, inwieweit die postulierten Defizite des Musterfeststellungskonzepts de lege lata tatsächlich tragfähig sind. Dazu sollen zu-

4 Vgl. Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1325); Fölsch, DRiZ 2018, 214 (216); Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 (2189); Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 47, 54; U. Schmidt, WM 2018, 1966 (1973); Stadler, JZ 2018, 793 (799). 5 Vgl. Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1325); Heese, JZ 2019, 429 (436); R. Koch, MDR 2018, 1409 (1414); Kranz, NZG 2017, 1099 (1101). 6 Vgl. § 4 C. I. 2. 7 Vgl. auch Basedow, EuZW 2018, 609 (610 f.); Guggenberger/Guggenberger, MMR 2019, 8; Heese, NZV 2019, 273 (275); Tamm, in: Tamm/Tonner/Brönneke, § 24b Rn. 85.

174

§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

nächst die Stadien und theoretischen Verläufe eines Musterfeststellungsverfahrens aus Verbraucherinnensicht durchgespielt werden, da es maßgeblich von deren Beteiligung und Kompensation abhängt, inwieweit ein kollektives Rechtsschutzinstrument im Rahmen der Aufarbeitung eines Massenschadensfalls die justiziellen Ressourcen entlastet und im Ergebnis als gelungen anzusehen ist. Der Fokus liegt besonders darauf, etwaige Unterschiede zu einer abweichenden Modellierung mit dem Klageziel Leistung festzustellen. Anschließend können die gewonnenen Erkenntnisse fruchtbar gemacht werden, um zu prüfen, wie das Kernkonzept am besten weiterentwickelt werden könnte. 1. Anmeldephase Aufgrund der Dispositionsmaxime kommt für Kollektivverfahren in Deutschland allein ein opt in-Modell infrage, sodass eine passive Beteiligung ohne jegliches Tätigwerden der materiell Betroffenen ausscheidet.8 Dem trägt die Musterfeststellungsklage mit dem Anmeldeerfordernis (§ 608 ZPO) Rechnung. Positiv hervorzuheben ist, dass die Gesetzgeberin den dabei zu leistenden Aufwand so gering wie möglich gehalten hat und in einigen Punkten auf die verbrauchertypischen Zugangsbarrieren sowie die weiteren Ursachen des rationalen Desinteresses eingegangen ist. Das elektronisch geführte Klageregister ist frei zugänglich, die Anmeldung eines Anspruchs oder Rechtsverhältnisses technisch simpel sowie kostenlos. Bei der Vervollständigung des nach § 3 Abs. 1 MFKRegV zur Verfügung gestellten, elektronischen Anmeldeformulars werden die Verbraucherinnen durch eine Ausfüllanleitung unterstützt. Dieses Vorgehen erscheint besonders mit Blick auf die oft abschreckend wirkende Formalisierung der gerichtlichen Verfahren als wohltuender Fortschritt. Daneben zeigt sich in der Praxis, dass einige Rechtsanwältinnen Muster-Lückentexte online als Vorlagen einstellen und die Musterklägerin für Interessenten ausführliche Hilfestellungen im Rahmen der Anmeldungsentscheidung anbieten.9 Hierin ist indes eine Reaktion auf den fehlenden Anwaltszwang und die nichtinhaltliche Prüfung der Anmeldung im Musterfeststellungsverfahren auszumachen.10 Die von der Gesetzgeberin in Kauf genommene Gefahr, dass die Wirkungen einer Musterfeststellungsklage mangels Sachverhaltsidentität nicht für die Anmelderinnen eintreten, soll so abgemildert werden.11 Wenngleich die An-

8

Vgl. § 2 A. IV. 2. b). Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 6; Röthemeyer, VuR 2019, 87 (88). 10 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17, 25. 11 Exemplarisch Röthemeyer, MFK, § 608 ZPO Rn. 12, der auf ein von der vzbv zur Verfügung gestelltes Diagnosetool hinweist, mit dessen Hilfe die Verbraucherinnen prüfen konnten, ob ihr Fahrzeug in den Anwendungsbereich der gegen die Volkswagen AG geführten Musterfeststellungsklage fiel. 9

A. Zweistufigkeit des Modells

175

forderungen an den Betritt zum Verfahren demnach niedrigschwellig gefasst sind, bleibt eine Anmeldung folglich nicht ohne Risiko.12 Erschwerend kommt hinzu, dass die Betroffenen von Gesetzes wegen keinen Sicherheitsmechanismus haben, um im Fall einer schlechten Prozessführung der Musterklägerin korrigierend eingreifen zu können.13 Bei der Anmeldungsentscheidung werden diese Risikofaktoren entsprechende Berücksichtigung finden, jedenfalls sofern die Verbraucherinnen darauf aufmerksam gemacht werden. Ihr Anspruch auf rechtliches Gehör erfordert diesbezüglich aber de lege ferenda eine verstärkte Aufklärung vor der Anmeldung.14 Es ist deshalb aktuell wie künftig auch (freilich derzeit nicht gesetzlich festgeschriebene) Aufgabe der Verbände, mittels einer klugen Informations- und Kommunikationspolitik einerseits den Schutz der Verbraucherinnen zu wahren als auch ihr Vertrauen zu gewinnen. Hier besteht für die qualifizierten Einrichtungen ein Vorteil: Hemmschwellen zur Nutzung ihrer auf Verbraucherinnen zugeschnittenen Beratungsangebote existieren seltener, da die Akzeptanz in den Adressatenkreisen hierfür von vornherein hoch sein dürfte. Ihre Einbindung zur Aufklärung der Informationssuchenden ist damit sinnvoll. Festzuhalten ist dennoch, dass den Ursachen des rationalen Desinteresses, welche den Zugang zum Verfahren betreffen, jedenfalls in der Anmeldephase durch den für die Verbraucherinnen marginalen Aufwand wirksam entgegengetreten wird. Konzeptionelle Nachteile gegenüber einem Leistungsmodell bestehen faktisch nicht; vielmehr wären die Voraussetzungen einer Anmeldung zu einer solchen mit hoher Wahrscheinlichkeit identisch gefasst. Soweit Kritikerinnen des zweistufigen Klagesystems befürchten, dass Verbraucherinnen die Aussicht, im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil möglicherweise individuell klagen zu müssen, generell davon abschreckt, sich dem Verfahren anzuschließen, gilt dies sicher nur für echte Bagatellschäden. Denn bei jenen ist die gebündelte Geltendmachung von Ansprüchen in einem opt in-Modell aufgrund des abwägungsunabhängigen Desinteresses der Geschädigten ohnehin ausgeschlossen.15 Für alle anderen Massenschadensfälle ist die Teilnahme an einer Musterfeststellungsklage in der ersten Stufe hingegen wohl trotzdem attraktiv, da die Verbraucherinnen in jedem Fall eines positiven Verfahrensausgangs profitieren: Sie können entweder eine direkte Entschädigung geltend machen, wenn der Prozess in einen Vergleich mündet, oder mittelbare Vorteile für ihre eigene Rechtsverfolgung ziehen, da sie ihre Erfolgsaussichten und ihr Prozesskostenrisiko durch die Entscheidung über die Feststellungsziele um ein Vielfaches besser einschätzen 12

Zur möglichen Risikominimierung im Hinblick auf die Verjährungsfalle unter § 8

B. I. 13 14 15

Tamm, in: Tamm/Tonner/Brönneke, § 24b Rn. 86 m.w. N. Vgl. bereits § 6 B. I. 2. b). Vgl. § 3 D. I.

176

§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

können, ohne hierfür selbst tätig werden zu müssen. Ihre Rechtsposition gegenüber der Schädigerin wird so gestärkt. Außerdem liegt in der verjährungshemmenden Wirkung einer Anmeldung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB) ein großer Anreiz.16 Dass eine unmittelbare Leistungsklage in der öffentlichen Wahrnehmung eine höhere Akzeptanz genießen und zu mehr Anmeldungen führen würde, ist demgegenüber ein hypothetisches Gedankenspiel. Allein die immens hohe Beteiligung am Musterfeststellungsverfahren im Abgasskandal spricht grundsätzlich für eine Akzeptanz und die Fähigkeit der Klage, eine Vielzahl von Verbraucherinnen (jedenfalls bei einer planvollen Aufklärung durch den klagenden Verband) zu einer Anmeldung zu mobilisieren.17 Auch wenn anzumeldende Ansprüche im Wert niedriger liegen, dürfte das nicht automatisch ein Interesse an der Teilnahme an einer Musterfeststellungsklage schmälern, zumal sie die aus Verbraucherinnensicht zumeist erhoffte Möglichkeit gibt, dass sich die Anspruchsgegnerin mit der Anrufung einer Rechtsdurchsetzungseinrichtung endlich vor einer Institution verantworten müsse.18 Schließlich wird die Entscheidung über ein eigenverantwortliches Tätigwerden durch die Zweistufigkeit in erster Linie zeitlich nach hinten verlagert. Erst wenn die „erste Stufe“ einen erfolgreichen Abschluss findet, wird eine Anmelderin anhand der dann absehbaren Umstände und der verfügbaren Möglichkeiten zur Rechtsdurchsetzung beurteilen, ob und wie sie gegen das Unternehmen (weiter) vorgeht.19 Merkliche Unterschiede zwischen den Modellen machen sich somit noch nicht in der Anmeldephase, sondern frühestens im Rahmen der Verfahrensbeendigung bemerkbar. 2. Verfahrensende durch Vergleich In der Debatte um die „richtige“ bzw. „bessere“ Urteilswirkung für kollektive Rechtsschutzinstrumente rückt ein wenig in den Hintergrund, dass ein Urteil bestenfalls gar nicht nötig sein soll. Vielmehr beruht die Hoffnung eigentlich auf einem vergleichsweisen Abschluss des Massenverfahrens.20 Ein kollektiver Vergleichsschluss bringt in der Theorie für alle Seiten – einen fairen Vergleich unterstellt – Vorteile mit sich: Verbraucherinnen erhalten idealiter zügig eine angemessene Kompensation für ihre erlittenen Schäden, umgekehrt kann die Musterbeklagte eine Vielzahl an Rechtsstreitigkeiten ohne eine grundsätzliche Klärung 16 Nach Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 42 handelt es sich sogar um den aus Verbraucherinnensicht wichtigsten Grund. 17 Gleichwohl ist zuzugestehen, dass es schon zuvor viele Einzelklägerinnen gab, da die Ansprüche oft auf Schäden größeren Umfangs basierten, siehe Tamm, in: Tamm/ Tonner/Brönneke, § 24b Rn. 19. 18 Zu diesem Motiv Fries, Verbraucherrechtsdurchsetzung, S. 89. 19 Ähnlich Röthemeyer, VuR 2019, 87 (88). 20 Für die MFK U. Schmidt, in: Anders/Gehle, ZPO, § 611 Rn. 1; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 611 Rn. 1; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2924).

A. Zweistufigkeit des Modells

177

der Streitfragen effizient und frühzeitig abschließen, womit gleichzeitig die Gerichte entlastet sind. Die Schädigerin kann dabei aus vielfältigen Gründen zu einer gütlichen Einigung motiviert sein. Zunächst würde ihr die vorzeitige Prozessbeendigung ermöglichen, Rechtsstreitigkeiten mit einer Vielzahl der Geschädigten friedlich beizulegen und damit sowohl verfahrensbedingte Mehraufwendungen zu sparen21 als auch das Massenschadensereignis in psychologischer Hinsicht größtenteils hinter sich zu lassen und den „Blick nach vorn“ zu richten.22 Des Weiteren könnte die Musterbeklagte ihre Reputation gefährdet sehen, wenn die Klage fortgeführt und öffentlichkeitswirksam über ihren Verlauf und die (unter Umständen moralisch fragwürdige) unternehmensseitige Abwehrstrategie berichtet werden sollte.23 Hinzu kommt, dass der Vergleich besonders bei hohen Erfolgsaussichten der Klage ein bewährtes Mittel darstellt, um die Präzedenzwirkung höchstrichterlicher Urteile zu verhindern. Die Aussicht auf eine Grundsatzklärung mit schwer kalkulierbaren Anschlussrisiken könnte die Musterbeklagte dazu veranlassen, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken, um einem offenen Verfahrensausgang zu entgehen und stattdessen die angemeldeten Verbraucherinnen – weniger diskret als in einem Einzelverfahren, aber trotzdem mit der Chance auf eine medienwirksame Rehabilitation – auszuzahlen.24 a) Hindernisse im Musterfeststellungsverfahren Als entscheidende Frage stellt sich an dieser Stelle, ob die Musterfeststellungsklage grundsätzlich einen hinreichenden Vergleichsdruck erzeugt. Herzuleiten ist ein solcher gemeinhin aus der öffentlichkeitswirksamen Verbindung einer Vielzahl von Geschädigten zu einem für das Unternehmen ebenbürtigen Gegenüber, der damit einhergehenden erhöhten Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Klage sowie einer begleitenden Gefahr von Reputationsschäden.25 Um das Bestehen entsprechender „Anreize“ verlässlich beurteilen zu können, bedürfte es in erster Linie praktischer Erfahrungen. Allerdings sind solche mit Massenvergleichen in Deutschland rar gesät.26 Durch die nicht auf Leistung zielende Urteilswirkung 21

Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (370). Stadler, VuR 2018, 83 (88) vermutet zudem, dass in umkämpften Wirtschaftssektoren die Hoffnung bestehen könnte, mittels konsensualer Lösungen die Kundenbeziehung zu den Verbraucherinnen zu erhalten. 23 Siehe Ettel, in: Brönneke/Willburger/Bietz, S. 43 (51). Zur Frage eines davon begünstigten Erpressungspotenzials Röthemeyer, VuR 2020, 130 (134); Stadler, ZHR 183 (2018), 623 (636 f.). 24 Dazu Röthemeyer, MFK, § 611 ZPO Rn. 2 f.; vgl. auch § 3 B. II. 2. 25 Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (370); Röthemeyer, MFK, § 611 ZPO Rn. 2 f.; Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (635 f.). 26 Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 13; Halfmeier, ZRP 2017, 201 (203 f.); Schneider, BB 2018, 1986 (1995). 22

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

wird die Vergleichsbereitschaft der Beklagtenseite im Rahmen der Musterfeststellungsklage jedenfalls mit Skepsis gesehen. Anhand des Vergleichsschluss im VW-Fall zeigt sich zwar, dass diese offenbar erhöht werden kann,27 jedoch reicht ein „gelungenes“ Praxisbeispiel nicht aus, um jene Zweifel ganz zu widerlegen.28 Die Bedenken stützt das Argument, dass sich Verbraucherinnen trotz eines für sie günstigen Musterfeststellungsurteils aufgrund des Aufwandes und des verbleibenden Prozesskostenrisikos im Verhältnis zur Schadenshöhe weiterhin gegen einen individuellen Folgeprozess entscheiden könnten.29 Das gegnerische Unternehmen könnte sich diesen Umstand wiederum zunutze machen und im Einzelfall kalkulieren, wie viele Individualklagen mit welchem Prozesskostenrisiko nachfolgen könnten. Kommt es zum Schluss, dass es lohnenswert wäre, diese zunächst einfach abzuwarten, um sich dann – wie bis dahin gern praktiziert – notfalls immer noch zu vergleichen.30 Die Wahrscheinlichkeit, dass nicht alle angemeldeten Verbraucherinnen, welche am kollektiven Vergleich teilnehmen würden, anschließend noch eine eigene Klage erheben würden, dürfte groß sein. Für die Musterbeklagte wäre das bereits ein Anreiz, es unter bestimmten Umständen „darauf ankommen zu lassen“. Mit einer (auch) auf Leistung gerichteten Klage sowie der damit verbundenen Aussicht auf eine direkte Kompensation wären derartige Überlegungen dagegen obsolet, da der Beklagten in jedem Fall eines negativen Prozessausgangs auch Zahlungspflichten drohen würden. Der Vergleichsdruck wäre dann höher. Insofern könnte sich die beschränkte Ausrichtung der Musterfeststellungsklage in dieser Hinsicht tatsächlich nachteilig auswirken. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die Zweistufigkeit des Modells nicht den einzigen Faktor darstellt, der die Musterbeklagte vom Abschluss eines Vergleichs abhalten könnte. Vielmehr hat der VW-Fall ganz andere Defizite aufgezeigt. Der Grund für die lange Zeit fehlende Vergleichsbereitschaft lag in erster Linie im unübersichtlichen Kreis der Vergleichsberechtigten, welcher aus der zeitaufwendigen Verwaltung und Aktualisierung des Klageregisters31 und der in 27 In diese Richtung auch Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 18 f. 28 Denn es bestand in dem Verfahren v. a. auch ein Einigungsinteresse aufgrund einer bevorstehenden Klarstellung durch den BGH, siehe Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243 (245). 29 Insoweit Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329 (351 f.); Heese, JZ 2019, 429 (436); Stadler, VuR 2018, 83 (86 f.). 30 Siehe Stadler, VuR 2018, 83 (87); ähnlich auch Heese, JZ 2019, 429 (436); Kranz, NZG 2017, 1099 (1101 f.); Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 55. 31 Die insgesamt 446.000 Anmeldungen zum Klageregister waren wegen Mehrfacheintragungen nur etwa 410.000 Personen zuzuordnen, von denen etwa 78.000 Verbraucherinnen ihre Anmeldung zurückgenommen hatten (siehe Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243). Dem Bundesamt für Justiz fehlten hier schlichtweg die Ressourcen, um den Parteien eine aktuelle Liste der angemeldeten Verbraucherinnen i. S. d. § 609 Abs. 6 ZPO überlassen zu können.

A. Zweistufigkeit des Modells

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§ 608 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht vorgesehenen Prüfung der Anspruchslegitimation resultierte.32 Hier mangelte es schlichtweg an der zuverlässigen Basis, seriöse Vergleichsgespräche führen zu können. Für künftige Großverfahren muss das Bundesamt für Justiz an dieser Stelle in technischer und personeller Hinsicht (und damit v. a. finanziell) besser ausgestattet werden.33 b) Rahmenbedingungen eines Verbesserungsansatzes Dies spricht zugleich für einen Ausbau des Musterfeststellungskonzeptes hin zu einer Modellierung, die auch eine Leistung ermöglichen würde. Elementar für einen Vergleichsanreiz ist dabei, dass das Kollektivverfahren selbst noch durchführbar sein muss. Im Hinblick auf die Ausgestaltung einer Leistungsklage sind im deutschen Recht aber Besonderheiten zu beachten. Denn klassischerweise wäre deren Ziel, in einem einzigen Verfahrensschritt nicht nur die Haftung des Unternehmens dem Grunde nach festzustellen, sondern auch für jede einzelne zur Klage angemeldete Verbraucherin einen individuellen Schadensersatzanspruch zu ermitteln und bestenfalls sogar zu titulieren.34 Hier bestünde also ein Unterschied zur Musterfeststellungsklage, welche individuelle Streitfragen ausschließlich etwaigen individuellen Verfahren zuordnet (vgl. § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).35 In einem Massenverfahren nicht nur die kollektiven Feststellungsziele, sondern ebenso die individuellen Anspruchsvoraussetzungen jedes Betroffenen ganz klassisch einzeln zu prüfen, dürfte jedoch – sofern die Ansprüche nicht ausnahmsweise gesetzlich pauschaliert sind36 – viel zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen und für eine deutliche Belastung des Gerichts und der Parteien sorgen.37 Denn regelmäßig hängen Grund und Höhe einer Haftung sowohl auf Tatbestandsebene als auch in Bezug auf Einwendungen und Einreden von subjektiven Voraussetzungen ab, die sich ihrer Natur nach einer Klärung in einem Kollektivverfahren 32

Eingehend Prütting, ZIP 2020, 197 (200 f.); Stadler, NJW 2020, 265. Vgl. schon § 5 D. II. 2. 34 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 193; Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 185 f.; Weinland, MFK, Rn. 26. 35 Feldhusen, ZIP 2020, 2377 (2381 f.); Riesner, ZIP 2019, 1507 (1508); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 12. 36 Paradebeispiel ist dafür Art. 7 FluggastrechteVO: Fluggäste erhalten gemäß der Vorschrift feste Ausgleichsansprüche in Höhe von 250, 400 oder 600 Euro in konkret normierten Haftungsfällen. Durch die Abgrenzung der Schadens(personen)gruppen und die Pauschalierung der Schadenssummen können idealiter also auch im Rahmen einer kollektiven Leistungsklage relativ zügig die individuelle Anspruchsberechtigung nachgewiesen sowie die jeweilige Zahlungsverpflichtung der Beklagten ausgesprochen werden. Im deutschen Recht sind derartige nivellierte Ansprüche bzw. Tatbestände allerdings selten zu finden, vgl. Stadler, in: FS Roth, S. 539 (549). 37 Siehe Prütting, ZIP 2020, 197 (201) mit dem Beispiel des schon über 15 Jahre andauernden Telekom-Prozesses nach dem KapMuG. Dazu auch A. Bruns, NJW 2018, 2753 (2756). 33

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entziehen.38 Schlimmstenfalls sind die individuell zu klärenden Fragen so zahlreich, dass nicht einmal absehbar wäre, wann es überhaupt zu einem Verfahrensende kommt.39 Darin liegt gerade der Vorteil des Musterfeststellungsverfahrens: Die zweistufige Ausgestaltung verschiebt die Prüfung dieser Voraussetzungen nach hinten und ermöglicht den Gerichten so „eine im Einzelfall mit dem geltenden Recht vereinbare Entscheidung“.40 Würde die Musterfeststellungsklage also derart weiterentwickelt, dass auch individuelle Anspruchsvoraussetzungen der angemeldeten Verbraucherinnen (und sei es „nur“ die jeweilige Anspruchshöhe) geprüft werden müssten, steigt dadurch tendenziell die Verfahrenslänge. Für die Musterklägerin könnte dies mit Blick auf ihren beschränkten Zugang zu finanziellen Mitteln (§ 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, 5 ZPO) jedoch einen Nachteil bedeuten, da ein längerer Prozess auch mehr Ressourcen aufbraucht. Der Musterbeklagten bereitet ein längeres Verfahren demgegenüber weniger Finanzierungsprobleme, weshalb dieses regelmäßig sogar in ihrem Interesse liegen dürfte, weil sie sich mit Fortschreiten des Prozesses einen strategischen Vorteil gegenüber dem klagenden Verband verschaffen könnte. Dies gilt umso mehr, wenn sie aufgrund einer nach § 606 Abs. 1 Satz 3 ZPO erfolgten Offenlegung der finanziellen Mittel der Musterklägerin genau abschätzen kann, wie „potent“ ihr Gegenüber ist. Insofern wäre vorstellbar, dass die Beklagtenseite für sich höhere Erfolgschancen in einem exzessiven Ausprozessieren und Zermürben der Musterklägerin sehen könnte als in einem frühzeitigen kollektiven Vergleichsschluss.41 Zumindest könnte sie das Verfahren aber verzögern, bis sie sich in einer Position befindet, eine für sich günstigere Vergleichsvereinbarung schließen zu können.42 Die klassische Leistungsklage würde danach sogar Gefahr laufen, die Vergleichsbereitschaft der Musterbeklagten zu verringern! Gerade deshalb sehen Vorschläge für eine Gruppenklage im deutschen Verfahrensrecht oft ebenso einen zweistufigen Klagemechanismus vor, bei dem auf erster Stufe kollektiv über den Haftungsgrund und erst auf zweiter Stufe individuell über die Haftungshöhe entschieden wird.43 Damit nähern sich die Modellierungen deutlich an. 38 Näher Ettel, in: Brönneke/Willburger/Bietz, S. 43 (51); Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (372); Stadler, in: Brönneke, S. 1 (28); Thönissen, ZZP 133 (2020), 69 (96). 39 Siehe schon Prütting, ZIP 2020, 197 (201); ähnlich Lühmann, ZIP 2021, 824 (829). 40 Feldhusen, ZIP 2020, 2377 (2383); so auch A. Bruns, NJW 2018, 2753 (2757). 41 So auch Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51). 42 Möglicherweise garniert mit Vorteilen für die Repräsentanten der Geschädigten in Form eines sweetheart settlements, siehe dazu Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 93 f. 43 Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 195; ähnlich Lange, Das begrenzte Gruppenverfahren, S. 188; Stadler, JZ 2018, 793 (800 f.). Daran orientierte sich auch der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Gruppenverfahren v. 12.12.2017, BT-Drs. 19/243, S. 20.

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Für eine mögliche Weiterentwicklung der Musterfeststellungsklage folgt daraus, dass die Beschränkung des Klagegegenstandes auf generalisierbare Feststellungen auch im Fall der Implementierung eines kollektiven Leistungsmechanismus beibehalten werden sollte. Würde die Prüfung der angemeldeten Individualansprüche auf herkömmliche Weise erfolgen, hätte das voraussichtlich negative Auswirkungen auf die Verfahrensdauer und womöglich auch auf die Vergleichsbereitschaft der Musterbeklagten. Für eine wirksame Modellierung müsste der Schritt einer Anspruchsprüfung (insb. hinsichtlich der Höhe) also in anderer, deutlich reduzierter Form überbrückt werden, sprich: Der Zugang zur Leistung müsste mit der Effektivität des Verfahrens verbunden werden.44 3. Verfahrensende durch Urteil Signifikantere Unterschiede zwischen den Modellen zeigen sich, wenn ein Urteil ergeht: Der Ausgang eines Musterfeststellungsprozesses befreit im Gegensatz zu einer auf Leistung gerichteten Klage nicht von nachfolgenden Individualverfahren, sondern entfaltet für diese lediglich Bindungswirkung nach § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Ergeht ein Musterfeststellungsurteil, heißt das jedoch nicht, dass die Anmelderinnen daraufhin stets zwingend klagen müssten. Denn je nachdem, wie weitgehend die verbindliche Klärung der Feststellungsziele die Rechtslage zu ihren Gunsten aufhellt, könnte sich die Musterbeklagte zur Schadensbegrenzung ebenso auf außergerichtliche Einigungen einlassen.45 Immerhin ist in einem solch verbraucherfreundlichen Szenario für die Schädigerin bereits „das Kind in den Brunnen gefallen“.46 Ein freiwilliges Vergleichsangebot könnte dann auch aus Unternehmenssicht das geringere Übel darstellen.47 Exemplarisch belegt dies das Einlenken des Volkswagen-Konzerns im Rahmen der Aufarbeitung des Abgasskandals, nachdem bereits das Musterfeststellungsverfahren vergleichsweise beendet wurde und darüber hinaus in der Sache mehrere überwiegend käufergünstige Grundsatzurteile des BGH ergangen sind. So kündigte man an, die übrigen Individualprozesse (ca. 55.000) gütlich abschließen zu wollen, was beim überwiegenden Teil der Fälle nach eigenen Angaben auch in die Tat umgesetzt wurde.48

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Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51). Bei einer hohen Wahrscheinlichkeit des Unterliegens in Nachfolgeprozessen könnte der Schaden sowohl durch unnötige Rechtsverfolgungskosten als auch durch weitere Imageschäden entstehen. Die Vergleichsbereitschaft, so gering sie zuvor gewesen sein mag, erweist sich dann durch ein verändertes Abwehrinteresse des Unternehmens als wandelbar (vgl. § 3 B. I.) und kann allein aus wirtschaftlichem Kalkül exponentiell zunehmen. 46 Röthemeyer, VuR 2019, 87 (88 f.). 47 Entsprechendes erwartet auch die Gesetzgeberin, siehe RegE MFK, BT-Drs. 19/ 2439, S. 17. 48 LTO-Redaktion, VW-Dieselgate: Fast alle außergerichtlichen Vergleiche sind abgeschlossen“, Artikel des Legal Tribune Online v. 9.2.2021, abrufbar unter https://www. 45

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

Anstelle einer Einzelklage dürfte sich ferner die Initiierung eines Verfahrens der alternativen Streitbeilegung bei einer Verbraucherschlichtungsstelle (vgl. § 2 Abs. 1 VSBG) anbieten. Insbesondere ist gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 VSBG die seit dem 1.1.2020 errichtete Universalschlichtungsstelle des Bundes für die Schlichtung von Streitigkeiten zuständig, denen ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil zugrunde liegt, bei dem die Klägerseite obsiegt hat.49 Hier hat die Gesetzgeberin bereits selbst nachgebessert und die „zweite Stufe“ ihres Modells um ein sinnvolles Instrument ergänzt, welches eine Einzelklage entbehrlich machen könnte.50 Mit ihrem einfachen und kostenfreien Zugang soll die Schlichtungsstelle einer (bei geringen Streitwerten) drohenden Apathie der Geschädigten begegnen und insoweit den Regelungszweck der Musterfeststellungsklage komplettieren.51 Zudem erzeugt § 30 Abs. 6 Satz 2 VSBG, der bei einem reinen Passivverhalten der Unternehmerin eine Teilnahmebereitschaft am Streitbeilegungsverfahren fingiert, einen gewissen Handlungsdruck zur Teilnahme am Verfahren bzw. zur Reaktion auf den jeweiligen Antrag der Verbraucherin.52 Eine Teilnahmepflicht sieht das Gesetz gleichwohl nicht vor, worauf noch einzugehen sein wird.53 Sofern wesentliche Streitfragen bereits entschieden sind oder sich eine klägerinnenfreundliche Tendenz einstellt, erscheint der Weg über ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren – auch ohne ein freiwilliges Einlenken der Schädigerin – prima facie dennoch vielversprechend. Das Hauptinteresse des Unternehmens dürfte dann nicht mehr darauf liegen, Inanspruchnahmen „mit aller Macht“ abzuwehren, sondern auf eine möglichst ressourcenschonende Weise die verbliebenen Streitigkeiten beizulegen. Im Erfolgsfall wären damit das Unternehmen, die Geschädigten und die Gerichte gleichermaßen entlastet. Lediglich wenn das Musterfeststellungsurteil die in den Feststellungszielen zum Ausdruck kommenden Streitfragen nur teilweise klärt54 oder das Unternehmen sich Chancen ausrechnet, vor Gericht noch Ausgleichszahlungen abwehren respektive der Höhe nach wesentlich beeinflussen zu können, kommt es mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf nachfolgende Individualklagen der Verbraucherinnen an. Erst hierauf beziehen sich die eigentlichen Einwände gegen das Konzept. Verneint werden zum einen Effizienzgewinne, wenn eine Vielzahl indilto.de/recht/nachrichten/n/vw-dieselgate-dieselskandal-fast -alle-vergleiche-beendet-abge schlossen-einzelklagen/ (Abrufdatum: 4.1.2022). 49 Vorausgesetzt ist ferner die wirksame Anmeldung (§ 608 Abs. 1 ZPO) des betreffenden Anspruchs oder Rechtsverhältnisses der Verbraucherin zum Klageregister, siehe Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, § 30 Rn. 6. 50 Röthemeyer, VuR 2021, 43 (49). 51 RegE VSBG, BT-Drs. 19/10348, S. 20, 22. 52 Röthemeyer, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, § 30 Rn. 54. 53 Dazu unter § 7 C. II. 3. 54 Das kann nach Feldhusen, ZIP 2020, 2377 etwa auch der Fall sein, wenn das Gericht die behandelten Rechtsfragen nur formelhaft klärt, indem es im Urteilstenor allzu abstrakte und generelle Feststellungen trifft.

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vidueller Leistungsklagen nachfolgt, insbesondere sofern sich der Haftungsfall fortwährend als komplex herausstellen sollte.55 Zum anderen wird die Klagebereitschaft der Verbraucherinnen bezweifelt, wenn der zu erwartende Nutzen das verbleibende Prozesskostenrisiko nicht übersteigt oder das Interesse an der Anspruchsverfolgung in erster Linie zeitbedingt erloschen ist.56 Tatsächlich erscheinen die Einwände in diesen Fällen durchaus fundiert, da die Gesetzgeberin trotz der vorhergehenden Klärung wesentlicher Streitpunkte weder den Zugang zu den nachfolgenden Individualklagen erleichtert noch deren Ablauf den besonderen Vorzeichen entsprechend angepasst hat. Vielmehr müssen die Betroffenen den „gewöhnlichen“ Klageweg beschreiten, für den sie sich schon anstelle der Teilnahme am Musterfeststellungsverfahren hätten entscheiden können. Dabei sehen sie sich wiederum mit Aufwand in finanzieller, zeitlicher und persönlicher Hinsicht konfrontiert. Das vorangegangene Musterfeststellungsurteil mindert diesen voraussichtlich nur in Teilen, insbesondere durch eine Vereinfachung der Prozesskostenrisikokalkulation und eine Verschlankung des Streitstoffs. Ansonsten bleibt die Ausgangslage aus Verbraucherinnensicht aber gleich, sodass eine Flucht aus dem Individualverfahren weiterhin beobachtet werden könnte. In Bezug auf die klageweise Anschlussphase nach einer streitigen Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens ist somit ein gewisser Nachholbedarf zu vermuten. Insgesamt ist jedoch festzuhalten, dass es Individualklagen nur in einem von mehreren Szenarien bedarf, weil Vergleichslösungen, außergerichtliche Verbraucherschlichtungen oder ein weiteres Kollektivverfahren ebenso denkbar sind.57 Das macht die Musterfeststellungsklage grundsätzlich zu einem flexiblen Konzept. Dieses Charakteristikum sollte auch im Fall einer Weiterentwicklung beibehalten werden. Immerhin bestehen hier gerade gegenüber einem „klassischen“ Leistungsmodell gewisse Vorteile: Besonders streitige haftungsbegründende Voraussetzungen für eine Vielzahl von Verbraucheransprüchen können anhand abstrakt-genereller Merkmale festgestellt werden, ohne dass konkrete Anträge für jeden individuellen Anspruch gestellt, substantiiert begründet und vom Gericht geprüft werden müssten.58 Eine Klärung auch einzelfallabhängiger Gesichtspunkte in einem Massenverfahren wäre dagegen ineffizient. Zwar können auf ein Musterfeststellungsurteil nachfolgende Einzelklagen sicherlich zu einer Mehrbelastung der Justiz führen, gleichwohl dürfte der individuell zu behandelnde Streitstoff durch die Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO deutlich schlan55 Zu einer im Zweifel längeren Gesamtverfahrensdauer Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1326); zu Mehrfachbelastungen Fölsch, DRiZ 2018, 214 (216); Habbe/Gieseler, BB 2017, 2188 (2189). 56 Eingehend mit einer ökonomischen Analyse Augenhofer, Durchsetzung des Verbraucherrechts, S. 79 ff.; siehe auch Guggenberger/Guggenberger, MMR 2019, 8 (11). 57 Dies ignoriert etwa Thönissen, ZZP 133 (2020), 69 (100). 58 Siehe Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 47; Weinland, MFK, Rn. 19.

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ker, sprich die Verfahrenslänge kürzer und ein Instanzenzug möglicherweise entbehrlich sein.59 4. Fazit Der Analyse ist zu entnehmen, dass zur Einordnung der Kritik am zweistufigen Kernkonzept stets der jeweilige Verfahrensverlauf im Auge zu behalten ist. So sind in der ersten Stufe im Rahmen der Anmeldephase keine strukturellen Nachteile gegenüber einer Leistungsmodellierung auszumachen. Der Zugang zum Verfahren gestaltet sich für die Verbraucherinnen bereits so leicht und niederschwellig, dass eine noch umfassendere Reduktion der ein rationales Desinteresse verursachenden Zugangshürden in dieser Phase nicht in Betracht kommt. Bezüglich einer anzustrebenden gütlichen Prozessbeendigung erscheint der ausübbare Vergleichsdruck der Musterfeststellungsklage dagegen ausbaufähig. Überlegenswert ist, das Kernkonzept durch ein Leistungselement potenter auszustatten, um die Vergleichsbereitschaft zu erhöhen. Gleichwohl sollte dieses selbst eine hinreichende Effektivität gewährleisten können und die Musterbeklagte nicht dazu einladen, das Verfahren hinauszuzögern. Schließt das Verfahren dagegen mit einem Musterfeststellungsurteil ab, ist zunächst abzuwarten, ob die Prozessgegnerin von sich aus Entschädigungen anbietet. Gerade wenn die Feststellungen verbrauchergünstig ausfallen, erscheint ein entsprechendes Vorgehen, welches dann meist schon aus wirtschaftlichem Kalkül angezeigt sein dürfte, besonders nach den jüngsten Erfahrungen im Abgasskandal sogar wahrscheinlich. Mithin kommt es wohl nur in einem Teil der Fälle tatsächlich auf eine individuelle Anspruchsverfolgung an. Der zentrale Vorwurf, „wie man glauben kann, die rationale Passivität gerade dadurch überwinden zu können, dass jeder gleich zweimal tätig werden muss“ 60, ist in dieser Tragweite insofern unbegründet. Gleichwohl muss das verbleibende Szenario einer doch erforderlichen Einzelklage als verbesserungswürdig angesehen werden. Mangels einer Anpassung des Verfahrenszugangs und -ablaufs an die in der Regel übersichtlichere (wenn auch nicht eindeutig geklärte) Ausgangssituation nach einem Musterfeststellungsurteil besteht die Gefahr, dass beim Scheitern einer außergerichtlichen Streitbeilegung durch Vergleich oder Schlichtung fortwährend ein Desinteresse einzelner Verbraucherinnen vorherrscht. Hier empfiehlt es sich, Zugangshürden weiter zu reduzieren bzw. idealiter zu eliminieren.

II. Spielraum für Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie Letztlich legen die Erkenntnisse nahe, dass die Musterfeststellungsklage zwar einerseits einer Weiterentwicklung bedarf, andererseits aber das zweistufige Mo59 Insoweit Röthemeyer, VuR 2019, 87 f., wonach „das Bild einer Verdopplung der Verfahren und der Verfahrenslänge zu kurz“ greife. 60 Stadler, VuR 2018, 83 (84).

A. Zweistufigkeit des Modells

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dell durchaus erhaltenswert erscheint. Jedenfalls mit genügend starken und attraktiven Anschlusslösungen sollte es auch so in der Lage sein, eine Vielzahl von Individualklagen zu verhindern. Gleichzeitig spricht viel dafür, das bestehende Konzept zur Steigerung der Effektivität um einen Leistungszugang zu ergänzen. Dieser sollte eine herkömmliche Einzelprüfung von Ansprüchen so, wie sie in Individualprozessen praktiziert wird, freilich nicht vorsehen, sondern diesbezüglich minimalisiert werden. Wie ein solcher Mechanismus aussehen könnte, soll sogleich im Rahmen der Frage, ob die Musterfeststellungsklage eine Umsetzungsperspektive für die Vorgaben der Verbandsklagenrichtlinie hinsichtlich der Gewährung von Entschädigungen oder anderer Abhilfe bietet, erörtert werden. Denn die europäische Gesetzgeberin hat für dessen mögliche Ausgestaltung in Art. 9 Abs. 5 RL selbst einen Denkanstoß gegeben: Sofern „in der Abhilfeentscheidung nicht einzelne Verbraucher[innen] aufgeführt [werden], die Anspruch auf [. . .] Abhilfe haben, so muss darin zumindest die Gruppe von Verbraucher[inne]n festgelegt werden, die Anspruch auf die genannte Abhilfe hat“. Ergänzend fügt sie in Art. 9 Abs. 6 RL hinzu, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen sollen, „dass Verbraucher[innen] aufgrund einer Abhilfeentscheidung Anspruch darauf haben, dass ihnen die [. . .] vorgesehene Abhilfe zugutekommt, ohne eine gesonderte Klage erheben zu müssen“. Konkret könnte das so interpretiert werden, dass die jeweilige Leistung zunächst einer nach abstrakten Kriterien bestimmbaren Gruppe zugesagt und die individuelle Kompensation auf einen zweiten Verfahrensschritt – der eben nur nicht zwangsläufig eine Individualklage sein soll – nach hinten verschoben werden kann.61 Eine individuelle Anspruchsermittlung würde gerade nicht stattfinden, sondern durch die grundsätzliche Feststellung der beklagtenseitigen Haftung sowie eine pauschale Klassifizierung, welche Gruppe der Betroffenen welche Abhilfe in womöglich nur grob bestimmtem Umfang verlangen könnte, ersetzt werden. Auf diese Weise würde der erwogene Mechanismus zur Leistungsgewährung dazu tendieren, sich dem intakten zweistufigen Konzept der Musterfeststellungsklage stark anzunähern.62 Der wichtigste Unterschied wäre, dass die angemeldeten Verbraucherinnen nach einem Urteil nicht mehr unbedingt klagen müssten. Angesichts einer vermutlich nicht einzelfallbezogenen Zuteilung ihrer Anspruchshöhe muss dabei aber auch die Frage gestellt werden, ob sie zum Erhalt einer entsprechenden Entscheidung nicht dennoch klagen können sollten. Mit dem Musterfeststellungsurteil sowie einer an § 611 Abs. 4 ZPO angelehnten opt

61

Lühmann, ZIP 2021, 824 (829 f.); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51). „Zweistufiges Abhilfeverfahren“, siehe Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677); Lühmann, ZIP 2021, 824 (829); G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (134). 62

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

out-Option aus der gewährten Abhilfe wären die Bausteine dafür immerhin vorhanden. Sollten die Musterfeststellungsklage und die Richtlinienvorgaben also in keinem dualistischen Verhältnis stehen, ließe das die Erwägung zu, dass die gegebenen Strukturen als Grundlage für die Umsetzung der europäischen Vorgaben dienen und kultiviert werden könnten, ohne dass ein neues, mit der Musterfeststellungsklage konkurrierendes oder diese abschaffendes Verbandsklageinstrument eingeführt werden müsste. Eine einheitliche Lösung würde nicht nur der Gesetzgeberin die Umsetzung erleichtern, sondern hätte außerdem den Vorteil, dass das Sammelsurium kollektiver Rechtsschutzinstrumente einigermaßen stringent und übersichtlich bliebe. In diese Richtung tendiert wohl auch die „Ampel-Regierung“, welche im Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode die Absicht einer Transformation der Richtlinienvorgaben „in Fortentwicklung der Musterfeststellungsklage“ festgehalten haben.63 Nicht zuletzt aus Verbraucherinnensicht wäre dies vorteilhaft, da ein Nebeneinander von Musterfeststellungs- und Verbandsleistungsklage vermutlich irritierend wirken würde. Dementsprechend ergeben sich für den weiteren Verlauf dieses Abschnitts zwei übergeordnete Fragestellungen: Könnte das momentane Modell der Musterfeststellungsklage als richtlinienkonformes Grundgerüst nutzbar gemacht und um einen Abhilfemaßnahmen ermöglichenden Mechanismus erweitert werden? Und wie wäre es darüber hinaus oder ggf. stattdessen anderweitig optimierbar?

B. Umsetzungsperspektive der Verbandsklagenrichtlinie Voranzustellen ist, dass die folgenden Ausführungen die denkbare Integration eines den europäischen Vorgaben entsprechenden Leistungsmechanismus in das vorhandene Regelungskonstrukt der Musterfeststellungsklage beleuchten. Bezweckt wird primär, eine Perspektive aufzuzeigen, welche die Flexibilitätsvorteile der Zweistufigkeit konservieren könnte und in deren Rahmen möglichst wenig in die geltende Verfahrensstruktur eingegriffen werden muss. Dabei soll nicht die Rolle der Gesetzgeberin eingenommen und konkrete Vorschriften für eine Ergänzung oder Neufassung der §§ 606 ff. ZPO formuliert werden. Auch auf andere Umsetzungsvorschläge, die ein alternatives bzw. neues Klagemodell anvisieren,64 wird deshalb nicht vertieft eingegangen. 63 Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, S. 106, abrufbar unter: https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/ (Abrufdatum: 4.1. 2022). 64 Den ersten Vorschlag haben Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 21 ff. unterbreitet, die ein „Modell einer weitgehend mandatsunabhängigen Verbandsklage mit spätem opt in“ befürworten. Einen Gegenentwurf für eine Verbandsklage auf Abhilfeleistung zeichnet A. Bruns, ZZP 134 (2021), 393 (405 ff.).

B. Umsetzungsperspektive der Verbandsklagenrichtlinie

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Um sonach den möglichen Einfluss der Verbandsklagenrichtlinie auf die Musterfeststellungsklage diskutieren zu können, sind zuvor deren dafür relevante Ziele und inhaltliche Mindestvorgaben vorzustellen. Zu wichtigen Bestandteilen zählen etwa die Klagebefugnis, die Frage der Einbeziehung der Verbraucherinnen und nicht zuletzt der Verfahrensausgang. Die Ausführungen bilden die Grundlage für den späteren Abgleich mit dem Musterfeststellungskonzept: Eine Umsetzungsperspektive für die europäischen Vorgaben kann nur aufgezeigt werden, wenn die §§ 606 ff. ZPO ein taugliches Grundgerüst darstellen. Sollte dies zu bejahen sein, kann ein Ansatz entwickelt werden, der das Musterfeststellungsverfahren richtlinienkonform optimieren könnte. Zum Verständnis der inhaltlichen Vorgaben der Verbandsklagenrichtlinie ist es hilfreich, eingangs kurz die widrigen Begleitumstände ihres Zustandekommens zu erwähnen. Bis sich die EU-Mitgliedstaaten im November 2020 auf einen gemeinsamen Konsens einigen konnten, benötigten sie einen langjährigen Anlauf, der sich ganz im jhering’schen Stil gar als „20 Jahre Kampf“ bezeichnen ließe.65 Denn seit der 1998 existenten Richtlinie über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen66 gab es immer wieder Bestrebungen, die kollektive Verbraucherrechtsdurchsetzung weiter auszubauen, welche allerdings aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen über die Ausgestaltung eines einheitlichen Regelungsansatzes immer wieder versandeten bzw. allenfalls eine unverbindliche Empfehlung67 emporbrachten.68 Erst der im April 2018 im Rahmen des New Deal for Consumers veröffentlichte Richtlinienvorschlag über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher[innen]69 lieferte „neuen Rückenwind für die Verbandsklage“.70 Nicht zuletzt befördert durch die negativen Erfahrungen aus dem Abgasskandal und einem davon entfachten rechtspolitischen Handlungsdruck standen die Mitgliedstaaten dem Vorhaben nunmehr offener gegenüber,71 sodass 65 So betitelt Rentsch, EuZW 2021, 524 (525) den Weg zur Verbandsklagen-RL. Ähnlich Hakenberg, NJOZ 2021, 673 („Was lange währt, wird endlich gut!“). 66 Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. Nr. L 166/51 v. 11.6. 1998; abgelöst durch die Unterlassungsklagen-RL v. 1.5.2009 (ABl. 2009 Nr. L 110/30). 67 Empfehlung 2013/396/EU der Kommission vom 11.6.2013 über Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. Nr. L 201/60 v. 26.7.2013. 68 Näher Rentsch, EuZW 2021, 524 (525 f.); Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 60; Tilp/ Schiefer, NZV 2017, 14 (15 f.). 69 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG v. 11.4.2018, COM (2018) 184 final. 70 So Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243. 71 Augenhofer, NJW 2021, 113 f.; Hakenberg, NJOZ 2021, 673; Röthemeyer, VuR 2021, 43.

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

nach zweieinhalb weiteren Jahren schließlich eine Einigung erzielt und der im Folgenden näher vorzustellende Legislativakt verabschiedet wurde.72

I. Richtlinienvorgaben Das oberste Bestreben der Richtlinie ist die Sicherstellung des Bestehens von mindestens einem wirksamen und effizienten Verbandsklageverfahren auf Unterlassungsentscheidungen sowie einem auf Abhilfeentscheidungen, um national wie unionsweit sowohl ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen als auch einen Beitrag zum Funktionieren des Binnenmarktes zu leisten.73 Entsprechende Verfahren sollen außerdem zur Überwindung der bei Individualklagen verbrauchertypischen Zugangshindernisse verhelfen, bspw. „solche der Unsicherheit über ihre Rechte und die zur Verfügung stehenden Verfahrensmechanismen, das psychologische Zögern, tätig zu werden, und das ungünstige Verhältnis zwischen den erwarteten Kosten und dem Nutzen der Einzelklage“.74 Insoweit adressiert die Richtliniengeberin in Bezug auf die unzureichende Verbraucherrechtsdurchsetzung v. a. diejenigen Faktoren, die im Rahmen dieser Arbeit als Ursachen des abwägungsabhängigen (rationalen) Desinteresses identifiziert wurden. Art. 1 Abs. 2 RL stellt dazu von vornherein klar, dass lediglich ein Mindestschutz anvisiert wird und die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene in der Auswahl und Ausgestaltung ihrer Rechtsschutzinstrumente ansonsten autonom sind.75 Schon bestehende Verbandsklageverfahren sollten expressis verbis nicht ersetzt werden, zumal es „im Einklang mit dem Grundsatz der Verfahrensautonomie“ dem Ermessen der nationalen Gesetzgeberinnen überlassen sein soll, ob die Vorgaben als Teil eines vorhandenen Verbandsklageverfahrens oder im Rahmen eines neuen, eigenständigen Konzeptes umgesetzt werden, solange dies richtlinienkonform geschieht.76 In dieser – zumal in den Erwägungsgründen stets wiederkehrenden – Betonung der Verfahrensautonomie manifestieren sich die einleitend erwähnten Differenzen auf dem Weg zum Zustandekommen der Richtlinie. Augenscheinlich stimmten die Mitgliedstaaten dem Regelwerk nur unter der Zusicherung eines insgesamt weiten Gestaltungsspielraums zu, um national verschiedentlich bereits bestehende Ansätze erhalten zu können.77 Diese Grundentscheidung eröffnet erst die hier zu untersuchende Umsetzungsperspektive der Vorgaben im Rahmen der Musterfeststellungsklage. 72 Näher zur Entwicklung vom Richtlinienvorschlag zur verabschiedeten Fassung Rentsch, EuZW 2021, 524 (527 f.). 73 Art. 1 Abs. 1 RL sowie Erwägungsgründe 7 und 8, ABl. 2020 Nr. L 409/2; siehe auch Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 7. 74 Erwägungsgrund 9, ABl. 2020 Nr. L 409/2. 75 Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (674). 76 Erwägungsgrund 11 und 12, ABl. 2020 Nr. L 409/2 f. 77 Siehe Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 8; ähnlich Rentsch, EuZW 2021, 524 (529, 531).

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Eine Form der Umsetzung schließt die Richtlinie gleichwohl explizit aus. So bestimmt Art. 9 Abs. 8 RL, dass die qualifizierten Einrichtungen in der Lage sein müssen, Verbandsklagen auf Abhilfeentscheidungen zu erheben, „ohne dass ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde vorher in einem gesonderten Verfahren das Vorliegen eines Verstoßes gemäß Art. 2 Abs. 1 RL festgestellt haben muss“. Es soll demnach ausgeschlossen sein, die Feststellung der Verletzung von Verbraucherschutzvorschriften aus dem Verfahren auszuklammern bzw. diesem voranzustellen. Beides in demselben Verfahren zu kombinieren, so wie es nachfolgend in Erwägung gezogen wird, bleibt wiederum möglich. Prima facie wäre es dementsprechend vorstellbar, die Anforderungen der Richtlinie auf Basis bzw. im Rahmen der deutschen Musterfeststellungsklage ins nationale Recht zu transformieren. Um die Eignung der §§ 606 ff. ZPO als Grundgerüst sowie den etwaigen konkreten Gestaltungsspielraum für die spätere Überlegung einer Weiterentwicklung des Musterfeststellungskonzeptes unter Implementierung eines richtlinienkonformen Leistungsmechanismus zu eruieren, sollen die beachtlichen Mindestvorgaben nun überblicksartig aufbereitet und in einen Kontext zur deutschen (Prozess)Rechtslage gebracht werden. 1. Arten von Verbandsklagen Die Verbandsklagenrichtlinie zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass sie zwei verschiedene Klagearten bzw. -ziele – auf Unterlassung sowie auf Abhilfe (vgl. Art. 7 Abs. 4 RL) – vorsieht.78 Definitionsgemäß vereinen sich hinter dem Begriff der „Verbandsklage“ nach Art. 3 Nr. 5 RL Klagen „zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher[innen], die von einer qualifizierten Einrichtung als antragstellender Verfahrenspartei im Interesse von Verbraucher[inne]n erhoben [werden], um eine Unterlassungsentscheidung oder eine Abhilfeentscheidung oder beides zu erwirken“. Dabei obliegt es den Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob die Maßnahmen im Rahmen eines einzigen oder durch getrennte Verfahren anvisiert werden können.79 Grundsätzlich indiziert die Richtlinie aber, dass sie eher von einer Teilung der Verfahren ausgeht. Denn einerseits spiegeln sich bereits in der Begriffsbestimmung der „Kollektivinteressen der Verbraucher[innen]“ (Art. 3 Nr. 3 RL), unter welchen „das allgemeine Interesse der Verbraucher[innen] und, insbesondere im Hinblick auf Abhilfeentscheidungen, die Interessen einer Gruppe von Verbraucher[inne]n“ zusammengefasst sind, Divergenzen zwischen den Stoßrichtungen wider. Mit dem „allgemeinen“ Verbraucherinteresse ist ein überindividuelles Anliegen angesprochen, welches seit jeher mittels Verbandsklagen verfolgt wird.80 Hier findet die 78 Augenhofer, NJW 2021, 113 (116); Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (674); Röthemeyer, VuR 2021, 43. 79 Erwägungsgrund 35, ABl. 2020 Nr. L 409/6. 80 Vgl. bereits § 2 B. II. 1.

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aus der aufzuhebenden Richtlinie 2009/22/EG bekannte Tradition der Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen schlechthin ihre Fortsetzung. Dagegen sollen Abhilfeentscheidungen einzelne Ansprüche „einer Gruppe von Verbraucher[inne]n“ in gebündelter Form durchsetzen, sprich (auch) dem individuellen Interesse der Betroffenen an Kompensation dienen.81 Darin besteht das größte „Novum“ der Richtlinie: Verbraucherinnen sollen nunmehr direkt von einem Kollektivverfahren profitieren können.82 Die hinter den beiden Maßnahmen stehenden Verfahrenszwecke sind damit nicht homogen. Andererseits knüpfen daran auch Art. 8 und Art. 9 ff. RL an, die jeweils spezifische Bestimmungen zu Klagen auf Unterlassungs- bzw. Abhilfeentscheidungen aufstellen, wobei sich Letztere durch die bezweckte Kompensation der einzelnen Geschädigten(gruppen) teils deutlich abheben. Jene Unterscheidung war im vorgehenden Entwurf der Kommission, welcher einen integrativen Ansatz verfolgte, noch nicht vorgesehen, wurde aber richtigerweise – weil sich die beiden Mechanismen auch rechtstechnisch eher schwerlich kombinieren lassen – in die Endfassung aufgenommen.83 Diese abweichenden Charakteristika werden bei der Standortfrage im Rahmen der Umsetzung durch die deutsche Gesetzgeberin eine entscheidende Rolle einnehmen. Während für die Vorgaben zu Unterlassungsklagen im UKlaG de lege lata ein logischer Andockpunkt existiert, erschiene es aufgrund der angesprochenen Kontraste problematisch und zugleich unlogisch, die auf Abhilfe gerichtete Verbandsklage ebenso dort zu verorten. Denn zur Gewährung individueller Abhilfe müsste die dort vorhandene Konzeption von Grund auf anders modelliert werden. Im Rahmen der Regelungen zur Musterfeststellungsklage, die bereits eng an die einzelnen Verbraucherinnen gekoppelt sind, bestehen solche Hürden nicht. Auch dahingehend könnte eine Eingliederung des Abhilfeziels in das Musterfeststellungskonzept ergo schlüssiger sein.84 Nachstehend soll der Fokus daher auf diejenigen Richtlinieninhalte gelegt werden, welche Verbandsklagen auf Abhilfe betreffen und für die hier behandelte Fragestellung ausschlaggebend sind. 2. Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich der Verbandsklagenrichtlinie umfasst nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 RL „Verstöße durch Unternehmer[innen] gegen die in Anhang I 81

Röthemeyer, VuR 2021, 43. Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677); Lühmann, ZIP 2021, 824 (827). 83 So bereits Röthemeyer, VuR 2021, 43 f. 84 Eher bestünde die umgekehrte Möglichkeit, das UKlaG aufzuheben und die Richtlinienvorgaben einheitlich im 6. Buch der ZPO umzusetzen (so Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 44; Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (679)). Dieser Frage wird vorliegend jedoch weiter nachgegangen. 82

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enthaltenen Vorschriften des Unionsrechts“ – insgesamt 66 Richtlinien und Verordnungen85 – „einschließlich ihrer Umsetzung in nationales Recht, welche die Kollektivinteressen der Verbraucher[innen] beeinträchtigen oder zu beeinträchtigten drohen“. Gegenüber der vorhergehenden Richtlinie 22/EG/2009 wurde er um Bereiche wie Datenschutz, Finanzdienstleistungen, Energie, Telekommunikation oder Tourismus erweitert und so den jüngsten Entwicklungen des Marktes sowie des Verbraucherrechts angepasst.86 Verglichen mit der Musterfeststellungsklage, die gemäß § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO in allen verbraucherrechtlichen Streitigkeiten offensteht, deckt die Richtlinie damit weniger ab. Auf die deutsche Umsetzungsperspektive hätte dies allerdings keinen Einfluss, da die Vorgaben auch zulässigerweise überschießend umgesetzt werden könnten.87 In persönlicher Hinsicht sind unabhängig von ihrer konkreten Bezeichnung in den jeweiligen Regelungen ausschließlich „Verbraucher[innen]“ i. S. d. Richtlinie geschützt.88 Gemäß der Begriffsbestimmung Art. 3 Nr. 1 RL ist dies „jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen“. Die Definition entspricht damit den Kriterien des § 13 BGB. Dass der prozessrechtliche Verbraucherbegriff in § 29c Abs. 2 ZPO allein auf den Zeitpunkt der Begründung des Schuldverhältnisses abstellt,89 ist wiederum unschädlich, da er den Anwendungsbereich letztlich erweitert und den von der Richtlinie geforderten Mindeststandard nicht unterschreitet. 3. Klagebefugnis Grundlegend weist die Richtlinie qualifizierten Einrichtungen die Verbandsklagebefugnis zu (Art. 4 Abs. 1 RL). Dies ist nach Art. 3 Nr. 4 RL „jede Organisation oder öffentliche Stelle, welche die Verbraucherinteressen vertritt und die von einem Mitgliedstaat als für die Erhebung von Verbandsklagen gemäß dieser Richtlinie qualifiziert benannt wurde“. In Art. 4 Abs. 3 RL stellt die europäische Gesetzgeberin konkrete Kriterien auf, wann eine Benennung zu erfolgen hat, allerdings mit einer Einschränkung: Sie gelten nur für die Erhebung grenzüberschreitender Verbandsklagen, also gemäß Art. 3 Nr. 7 RL solcher, „die von einer qualifizierten Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat als dem erhoben wird, 85

Augenhofer, NJW 2021, 113 (115); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44). Erwägungsgrund 13, ABl. 2020 Nr. L 409/3; krit. hinsichtlich der vom Anwendungsbereich ausgenommenen Kartellschadensersatzrichtlinie Rentsch, EuZW 2021, 524 (528). 87 Siehe Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 23; Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (679); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44); G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (136 f.). 88 Erwägungsgrund 14, ABl. 2020 Nr. L 409/3; krit. Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). 89 R. Koch/Friebel, GPR 2019, 280 (284). 86

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in dem die qualifizierte Einrichtung benannt wurde“.90 Bei der Regelung der Klagebefugnis für innerstaatliche Sachverhalte (vgl. Art. 3 Nr. 6 RL) sind die Mitgliedstaaten aus Kompetenzgründen dagegen frei, wenngleich ein Gleichlauf explizit möglich sein soll (Art. 4 Abs. 5 RL).91 Jedenfalls sollte sichergestellt werden, dass die im nationalen Recht aufgestellten Anforderungen mit den Richtlinienzielen „im Einklang stehen, um ein wirksames und effizientes Funktionieren dieser Verbandsklagen zu gewährleisten“ (Art. 4 Abs. 4 RL). Hierauf wird bei der Umsetzung besonders zu achten sein. Die in Art. 4 Abs. 3 RL aufgegebenen Kriterien dienen zuvörderst der Sicherung der Unabhängigkeit der qualifizierten Einrichtungen sowie dem Missbrauchsschutz und erinnern insoweit an die Erfordernisse des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO.92 Gleichwohl sind sie in der Spitze weniger streng als ihr deutsches Korrelat. Denn einerseits sollte eine Verbandsklägerin (lit. a) bis c)) eine „nach dem nationalen Recht des benennenden Mitgliedstaats ordnungsgemäß gegründete juristische Personen sein, eine gewisse Dauerhaftigkeit und einen gewissen Umfang an öffentlicher Tätigkeit aufweisen, [. . .] keinen Erwerbszweck verfolgen und aufgrund ihres Satzungszwecks ein legitimes Interesse daran haben, die Verbraucherinteressen gemäß dem Unionsrecht zu schützen“.93 Einer Mindestgröße i. S. d. § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO bedarf es hingegen nicht, zur Dauerhaftigkeit genügt ausweislich des Art. 4 Abs. 3 lit. c) eine öffentliche Betätigung von nachweislich zwölf Monaten vor dem Benennungsantrag. Andererseits (lit. d) bis f)) sollte ihre Solvenz bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Unabhängigkeit, insbesondere unter Ausschluss externer Einflussnahmen von Unternehmer[inne]n, Hedgefonds oder sonstigen (Prozess)Finanzierer[inne]n94 durch zu diesem Zweck eingerichtete – aber nicht näher präzisierte – Verfahren sowie durch eine transparente Außendarstellung gewährleistet werden. Speziell in Verbandsklageverfahren auf Abhilfe sind nach dem Willen der Richtliniengeberin ihre Finanzierungsquellen, insbesondere der externen Art, gegenüber Gerichten oder Verwaltungsbehörden vollständig offenzulegen.95 Dies entspricht sachlich der Regelung des § 606 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Für grenzüberschreitend klagende Verbraucherorganisationen wird ferner eine Privilegierung vorgeschlagen.96 Offen gelassen ist, ob diese im Stil des § 606 90

Siehe Rentsch, EuZW 2021, 524 (528); G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (131). Erwägungsgrund 26, ABl. 2020 Nr. L 409/5; siehe auch Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (676); Lühmann, ZIP 2021, 824 (826); Rentsch, EuZW 2021, 524 (528). 92 Augenhofer, NJW 2021, 113 (115); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44). 93 Erwägungsgrund 25, ABl. 2020 Nr. L 409/4. 94 Beachtlich ist, dass eine Drittfinanzierung des Prozesses nach Art. 10 RL nicht prinzipiell verboten ist. Zu dieser Option noch unter § 8 A. II. 2. a). 95 Erwägungsgrund 52, ABl. 2020 Nr. L 409/8. 96 Insoweit die Formulierung in Erwägungsgrund 24, ABl. 2020 Nr. L 409/4 (Satz 2): „Sie sollten alle als dazu geeignet gelten, im Einklang mit dem nationalen Recht den Status einer qualifizierten Einrichtung zu beantragen.“ 91

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Abs. 1 Satz 4 ZPO als unwiderlegliche Vermutung oder lediglich in einer schwächeren Form97 eingeräumt werden kann. Zudem soll die Ad-hoc-Benennung einer qualifizierten Einrichtung allenfalls im Rahmen innerstaatlicher Verbandsklagen zulässig sein (vgl. Art. 4 Abs. 6 RL).98 Das deutsche Recht sieht dies bisher allerdings nicht vor.99 Über die hiernach klagebefugten Einrichtungen wird von der Kommission, wie schon im Rahmen der abgelösten Richtlinie 2009/22/EG nach deren Art. 4, ein Verzeichnis erstellt (Art. 5 Abs. 1 RL). Es obliegt den Mitgliedstaaten, die fortwährende Einhaltung der Kriterien zu kontrollieren und etwaige Änderungen mitzuteilen (Art. 5 Abs. 3 RL). Auch anlassbezogene Überprüfungen durch den Mitgliedstaat, oder spätestens im Rahmen einer Verbandsklage auf beklagtenseits geäußerte Bedenken an der Einhaltung der Kriterien des Art. 4 Abs. 3 RL, sollten ausweislich des Art. 5 Abs. 4 RL möglich sein.100 Freilich kommt diese Vorgehensweise wiederum schon in den durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs101 neu gefassten §§ 4–4c UKlaG zum Ausdruck. Schließlich äußert sich die Richtlinie zu der Rolle der betroffenen Verbraucherinnen. Nach ihrer Konzeption erfolgt die Wahrnehmung ihrer Interessen durch die qualifizierten Einrichtungen, wobei ausschließlich diese die zur Stellung von Anträgen berechtigte Verfahrenspartei sein sollen; einzelne Verbraucherinnen sollten dagegen „auf keinen Fall“ die Möglichkeit haben, „die von den qualifizierten Einrichtungen gefassten Verfahrensentscheidungen zu beeinträchtigen, im Rahmen der Verhandlungen selbständig Beweismittel anzufordern oder selbständig Rechtsbehelfe gegen die [. . .] Verfahrensentscheidungen einzulegen“.102 Art. 7 Abs. 6 Satz 2 RL sagt ihnen stattdessen „Teilhabe an den Ergebnissen zu“.103 Mithin ist ihnen – ähnlich zur Musterfeststellungsklage – eine überwiegend passive Stellung zugedacht.104 4. Einbeziehung der Verbraucherinnen Dies leitet unmittelbar auf die Optionen der Einbeziehung der Verbraucherinnen über. Aufgrund der vorrangigen Verfahrensautonomie schreibt die Richtlinie

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Dafür Röthemeyer, VuR 2021, 43 (46). Erwägungsgrund 28, ABl. 2020 Nr. L 409/5; Lühmann, ZIP 2021, 824 (825); G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (131). 99 § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO bzw. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UKlaG. 100 Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44). 101 BGBl. I 2020, S. 2568. 102 Erwägungsgrund 36, ABl. 2020 Nr. L 409/6; Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (675); G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (131). 103 Röthemeyer, VuR 2021, 43 (50). 104 Lühmann, ZIP 2021, 824 (826 f.). 98

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den Mitgliedstaaten weder ein opt in- noch ein opt out-Modell vor.105 Vielmehr fordert Art. 9 Abs. 2 RL diese auf, zu regeln, „auf welche Weise und in welchem Stadium einer Verbandsklage auf Abhilfeentscheidungen die einzelnen [. . .] betroffenen Verbraucher[innen] nach Erhebung der Verbandsklage innerhalb einer angemessenen Frist ausdrücklich oder stillschweigend ihren Willen äußern können, ob sie durch die qualifizierte Einrichtung [. . .] repräsentiert werden [. . .] und an das Ergebnis der Verbandsklage gebunden sein wollen“. Ein zwingender opt in-Mechanismus gilt gemäß Art. 9 Abs. 3 RL nur für ausländische Verbraucherinnen.106 Auffällig ist, dass die Richtliniengeberin in diesem Kontext ein etwaiges Spannungsfeld mit dem rechtlichen Gehör der Betroffenen, welches nach Art. 47 GRCh auch auf europäischer Ebene zu gewährleisten ist, nicht einmal erwähnt. Dies erklärt sich wohl daraus, dass es den Mitgliedstaaten unbenommen bleibt, den Betroffenen im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie dennoch „bestimmte Rechte im Rahmen der Verbandsklage“ 107 zuzugestehen. Konflikte sind demnach im Zuge der nationalen Umsetzung zu vermeiden bzw. auszutarieren. Mit Blick auf die schon skizzierten Probleme bei der Kollision von der Bindung an ein Musterfeststellungsverfahren und dem rechtlichen Gehör der Anmelderinnen und dem im Zuge dessen festgestellten Korrekturbedarf 108 hat hierauf auch die deutsche Gesetzgeberin besonders zu achten. Grundsätzlich scheint das opt in-Modell getreu dem Vorbild der Musterfeststellungsklage (§ 608 Abs. 1 ZPO) geeignet, den Vorgaben des Art. 9 Abs. 2 RL im Wesentlichen zu genügen. Ein Zugeständnis von Beteiligungsrechten sollte wegen der Gefährdung der Effizienzvorteile einer konzentrierten Verfahrensleitung keine Alternative sein,109 stattdessen wäre aber denkbar, den Zeitpunkt des opt in der Verbraucherinnen abweichend von § 608 Abs. 1 ZPO nach hinten zu verschieben.110 In diese Richtung weist wohl auch die Richtliniengeberin, nach der es „aus Gründen der Zweckmäßigkeit und der Effizienz“ im Ermessen der Mitgliedstaaten steht, den Betroffenen einen nachträglichen opt in zu erlauben, wodurch sie noch im Anschluss an eine Abhilfeentscheidung unmittelbar von dieser profitieren respektive an dieser partizipieren könnten.111

105 Erwägungsgrund 43, ABl. 2020 Nr. L 409/7. Dies ist nach Rentsch, EuZW 2021, 521 (529) darauf zurückzuführen, dass einzelne Mitgliedstaaten ein kollektives Rechtsschutzinstrument mit einem opt out-Prinzip vorsehen. 106 Augenhofer, NJW 2021, 113 (115). 107 Erwägungsgrund 36, ABl. 2020 Nr. L 409/6. 108 Vgl. zu allem bereits § 6 B. I. 109 Vgl. § 2 A. IV. 2. a). 110 Dafür Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 20 (erst im Anschluss an den Erlass eines Abhilfeurteils). 111 Erwägungsgrund 47, ABl. 2020 Nr. L 409/7.

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Werden Verbraucherinnen nach einem entsprechenden Beitritt in einer Verbandsklage repräsentiert, soll es ihnen nach der Intention des Art. 9 Abs. 4 Satz 1 RL nicht mehr möglich sein, „bei anderen Verbandsklagen aus demselben Klagegrund gegen denselben [dieselbe] Unternehmer[in] repräsentiert zu werden oder eine Einzelklage wegen desselben Klagegrunds gegen denselben [dieselbe] Unternehmer[in] zu erheben“, es sei denn, dass sich eine Betroffene „im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften zu einem späteren Zeitpunkt aus dieser Verbandsklage zurückzieht“.112 Das beklagte Unternehmen soll im Rahmen einer Abhilfeklage demnach auch durch Vorkehrungen im Prozessrecht vor einer doppelten Inanspruchnahme geschützt werden.113 In der Sache geht es hier v. a. um eine Sperrwirkung, wie sie im Hinblick auf Individualverfahren § 610 Abs. 3 ZPO statuiert. Ein Modell mit einem späten Eintrittsrecht erst nach einer Sachentscheidung erschiene vor diesem Hintergrund ggf. problematisch, da Verbraucherinnen parallel zum Kollektivverfahren einzeln klagen, sich einen „Wechsel“ zu Letzterem bei einer besseren Erfolgsaussicht aber jederzeit offenhalten könnten. Damit wäre die Beklagte mangels der feststehenden Chance auf ein klageabweisendes Urteil in den Einzelprozessen erheblich benachteiligt, zumal die wichtigen Entlastungseffekte für die Gerichte ebenso verloren gehen könnten.114 5. Informations- und Unterrichtungspflichten Außerdem verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten, für eine Unterrichtung der Verbraucherinnen über Verbandsklagen zu sorgen. So sollten sie nach Art. 13 Abs. 1 RL Vorschriften erlassen, die sicherstellen, „dass qualifizierte Einrichtungen insbesondere auf ihrer Website“ umfassende wie adressatengerechte Angaben über geplante, laufende sowie abgeschlossene Verbandsklagen auf Unterlassung oder Abhilfe machen. Dies solle gerade „in der Frühphase“ 115 dazu dienen, dass „die Verbraucher[innen] eine fundierte Entscheidung darüber treffen können, ob sie sich an einer Verbandsklage beteiligen möchten, und rechtzeitig die notwendigen Schritte einleiten können“, was für den Erfolg der Verfahren von entscheidender Bedeutung sei.116 Mit Nachdruck präzisiert Art. 13 Abs. 2 RL die Unterrichtungspflicht für „von einer laufenden Verbandsklage auf Abhilfeentscheidungen betroffenen Verbrau112

Erwägungsgrund 46, ABl. 2020 Nr. L 409/7. Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677); G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (133). 114 Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 38 f. schlagen kompromissweise eine Ergänzung der Regeln zur Aussetzung (§ 148 Abs. 2 ZPO) bzw. zum Ruhen von Einzelverfahren (§ 251 ZPO) auf Parteiinitiative vor. Im Fall der Erfolglosigkeit des Kollektivverfahrens hätte das aus Sicht der Gerichte sowie der Beklagten allerdings den Nachteil, dass die Individualklagen (erst einmal) weiterverhandelt werden müssten. 115 Röthemeyer, VuR 2021, 43 (48). 116 Erwägungsgrund 58, ABl. 2020 Nr. L 409/9. 113

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cher[innen]“, welche „rechtzeitig und durch geeignete Mittel“ informiert werden sollten, um „die Möglichkeit [zu] haben, ausdrücklich oder stillschweigend ihren Willen zu äußern, in dieser Verbandsklage gemäß Art. 9 Abs. 2 [RL] repräsentiert werden zu wollen.“ Hierbei wird den Mitgliedstaaten überlassen, ob die Unterrichtung dem befassten Gericht, der qualifizierten Einrichtung oder dem beklagten Unternehmen anvertraut wird.117 Insoweit wäre es richtlinienkonform, die Verantwortung wie im Rahmen der Musterfeststellungsklage gemäß § 612 ZPO dem Gericht zu übertragen, welches diese mittels öffentlicher Bekanntmachungen im Klageregister verwirklicht. Abgesehen von solchen nationalen elektronischen Datenbanken (vgl. Art. 14 RL) nennt die Richtliniengeberin als mögliche Informationsmedien aber ebenso die Websites der Parteien, die sozialen Medien, Online-Marktplätze oder auflagenstarke Zeitungen.118 Des Weiteren sollten die Verbraucherinnen nach Art. 13 Abs. 3 RL über rechtskräftige Entscheidungen oder gerichtlich bestätigte Vergleiche sowie ihre daraus erwachsenden Rechte und Handlungsmöglichkeiten unterrichtet werden. Bemerkenswert ist, dass diese Pflicht ausweislich des Satzes 1 prinzipiell der beklagten Unternehmerin (auf deren Kosten!) auferlegt wird.119 Damit soll sich diese nach Erlass einer Abhilfeentscheidung möglichst selbst auf die Verbraucherinnen zubewegen. Erst in Satz 2 und 3 werden davon Ausnahmen im Fall anderweitiger Unterrichtungen bzw. Einschränkungen (Unterrichtung nur nach Aufforderung einer qualifizierten Einrichtung) normiert. Im Rahmen der Musterfeststellungsklage würde bei Beibehaltung der vom Gericht zu veranlassenden öffentlichen Bekanntmachungen der Verfahrensergebnisse (vgl. §§ 607 Abs. 3 Satz 2, 611 Abs. 5 Satz 3, 612 ZPO) der Ausnahmefall nach Art. 13 Abs. 3 Satz 2 RL greifen; die Beklagte sollte die Informationen dann nicht ein zweites Mal übermitteln müssen.120 6. Verfahrensausgang Am Ende einer Verbandsklage auf Abhilfe sollten allen voran die betroffenen Verbraucherinnen einen Nutzen aus dieser beanspruchen können.121 Technisch unterscheidet die Richtlinie dabei zwischen Abhilfeentscheidungen (Art. 9 RL) und Abhilfevergleichen (Art. 11 RL). Gemäß Art. 9 Abs. 1 RL soll eine Abhilfeentscheidung die Beklagte verpflichten, den Verbraucherinnen „je nach Fall und soweit dies im Unionsrecht oder im 117 Siehe Röthemeyer, VuR 2021, 43 (48) unter Verweis auf Erwägungsgrund 59, ABl. 2020 Nr. L 409/9. 118 Erwägungsgrund 61, ABl. 2020 Nr. L 409/9. 119 Insoweit Röthemeyer, VuR 2021, 43 (48), wonach sich die Richtlinie „punktuell über den Grundsatz der Privatautonomie hinweg“ setze, indem sie sich zu Abschreckungszwecken der Selbstbezichtigung bedient. 120 Vgl. Erwägungsgrund 62, ABl. 2020 Nr. L 409/9. 121 Erwägungsgrund 37, ABl. 2020 Nr. L 409/6.

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nationalen Recht vorgesehen ist, [. . .] Schadensersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises zu leisten“. Ausweislich des Art. 9 Abs. 6 RL ist das Ziel eine möglichst direkte Kompensation, die aber wie zuvor schon angesprochen einen zweiten Verfahrensschritt voraussetzen kann.122 In erster Linie sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die Anspruchsberechtigten keine gesonderte Klage erheben müssen, um an die jeweilige Abhilfe zu gelangen. Wie dies stattdessen geschehen könnte, überlässt die Richtlinie wiederum der Autonomie der nationalen Gesetzgeberinnen. Lediglich gewisse Eckpunkte werden festgelegt. So müsste in der Abhilfeentscheidung nach Art. 9 Abs. 5 RL, wenn nicht schon die Abhilfeberechtigten einzeln aufgeführt werden, „zumindest die Gruppe von Verbraucher[inne]n festgelegt werden, die Anspruch auf die genannte Abhilfe hat“. Ferner wird angeraten, in ihr die Berechnungsmethode bzw. anderweitige Parameter für die Schäden sowie die notwendigen Schritte zu beschreiben, die von Verbraucher- und Unternehmerinnenseite zur Leistung ergreifen sind, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass den Berechtigten unterhalb von Individualklagen ein gewisser Aufwand zumutbar ist, etwa „sich bei der für die Durchsetzung der Abhilfeentscheidung zuständigen Einrichtung zu melden“.123 Dazu sieht Art. 9 Abs. 7 Satz 1 RL vor, dass die Mitgliedstaaten Vorschriften erlassen oder beibehalten, „in denen die Fristen geregelt werden, innerhalb derer der [die] einzelne Verbraucher[in] Abhilfeentscheidungen in Anspruch nehmen kann“. Art. 15 RL legt fest, dass ein rechtskräftiges Urteil über das Vorliegen eines Verstoßes in anderen aus demselben Grund geführten Verfahren „von allen Parteien als Beweismittel gemäß dem nationalen Recht über die Beweismittelwürdigung [. . .] vorgelegt werden kann“. Die Entscheidungswirkung soll dadurch nicht etwa eine Bindung anderer Gerichte oder Behörden hervorrufen, sondern nur eine beweisrechtliche Bedeutung erhalten.124 Denkbar wäre etwa, dass die getroffenen tatsächlichen Feststellungen einen Rechtsverstoß gemäß § 286 ZPO im Rahmen der freien Beweiswürdigung indizieren könnten.125 In Inlandsfällen sollte die weitergehende Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO hingegen zulässig sein. Als weiteres Verfahrensergebnis sieht die Richtlinie die unstreitige Erledigung im Wege eines Abhilfevergleichs vor. Der Abschluss einer solchen Vereinbarung 122 Vgl. § 7 A. II.; siehe auch Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677); Lühmann, ZIP 2021, 824 (829); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51); G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (134). 123 Erwägungsgrund 50, ABl. 2020 Nr. L 409/8; siehe auch Lühmann, ZIP 2021, 824 (829). 124 Erwägungsgrund 64, ABl. 2020 Nr. L 409/9; G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (136); krit. dazu Augenhofer, NJW 2021, 113 (117). 125 Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 35.

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kann gemäß Art. 11 Abs. 1 RL entweder von den Parteien dem national zuständigen Gericht gemeinschaftlich vorgeschlagen (lit. a)) oder den Parteien von staatlicher Seite nahegelegt werden (lit. b)). Nach Art. 11 Abs. 2 RL bedürfen die Vergleiche einer Bestätigung, wobei die Mitgliedstaaten insbesondere eine Prüfung der Fairness vorsehen dürfen (Satz 3). Ein bestätigter Vergleich sollte für die Beteiligten grundsätzlich bindend sein, wobei dies wiederum unter einen Vorbehalt gestellt werden kann, dass die betroffenen Verbraucherinnen die Vereinbarung annehmen oder jedenfalls nicht ablehnen (Art. 11 Abs. 4 Satz 2 RL). Hinsichtlich des Abhilfevergleichs sind erneut deutliche Parallelen zu den Vorschriften zur Musterfeststellungsklage erkennbar: So verlangt § 611 Abs. 3 ZPO eine gerichtliche Genehmigung des Vergleichs mit einer Prüfung von dessen Angemessenheit, wohingegen § 611 Abs. 4 ZPO den angemeldeten Verbraucherinnen ein Austrittsrecht gewährt. Beide Gestaltungen sind von der Richtlinie ausdrücklich legitimiert.126 Auch das Wirksamkeitsquorum des § 611 Abs. 5 ZPO wäre, wie sich aus Art. 11 Abs. 4 Satz 2 RL ableiten lässt, im Lichte der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten zulässig.127

II. Abhilfe im Rahmen der Musterfeststellungsklage Nach dem soeben gebotenen Überblick über die Richtlinienvorgaben mit besonderem Fokus auf die Abhilfe soll nun die Frage beantwortet werden, wie ein Leistungsmechanismus richtlinienkonform in das Konzept der Musterfeststellungsklage integriert werden könnte. Zur Überleitung sind nochmals zwei Kernpunkte der Richtlinie hervorzuheben, welche der Umsetzungsperspektive überhaupt den Weg frei machen. Erstens pointiert die Richtliniengeberin überaus häufig die Autonomie der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung des Verbandsklageverfahrens de lege ferenda. Dabei erwähnt sie ausdrücklich die Möglichkeit, die von der Richtlinie vorgeschriebenen Mindeststandards auch als Teil eines bestehenden Verbandsklageinstrumentes zu konzipieren.128 Im deutschen Recht ist diese vorhandene „Basis“ die Musterfeststellungsklage. Damit wird der hier diskutierten Perspektive der direkte Aufhänger gegeben. Zweitens sind konzeptionelle Parallelen zwischen der Verbandsklagenrichtlinie und der Musterfeststellungsklage klar erkennbar. Einige der aufgestellten Vorgaben, etwa in Bezug auf die Klagebefugnis oder die Einbeziehung der Verbraucherinnen, haben im „deutschen Modell“ bereits Niederschlag gefunden. Auch die Zweistufigkeit des Modells kann prima facie richtlinienkonform sein, da die 126 Insoweit auch Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677 f.); Lühmann, ZIP 2021, 824 (835 f.). 127 Augenhofer, NJW 2021, 113 (117). 128 Erwägungsgrund 11, ABl. 2020 Nr. L 409/2.

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europäische Gesetzgeberin die Abhilfeentscheidung keineswegs als den einzigen Verfahrensschritt ansieht, der zwingend den finalen Abschluss des Rechtsstreits herbeiführen muss, sondern auch eine Abschichtung des Streitstoffs durch ein zweistufiges Abhilfeverfahren offenhält.129 Die Klage könnte demnach ebenso dazu dienen, begangene Rechtsverstöße festzustellen und sodann die Parameter für die individuell beanspruchbaren Leistungen zu regeln. Auf dieser Basis sollen dann die einzelnen Verbraucherinnen verbindlich eine Kompensation verlangen können, mindestens unter der Erleichterung, dass eine eigene Klage nicht notwendig sein sollte. Die Zweistufigkeit würde hierdurch abgeschwächt, zugleich wäre aber Raum für flexible Anschlusslösungen belassen. 1. Musterfeststellungsklage als taugliches Grundgerüst Um ein richtlinienkonformes Grundgerüst bilden zu können, genügen Ähnlichkeiten zwischen den Modellen selbstredend nicht. Vielmehr müsste im Fall einer Umsetzung im hier erwogenen Sinne der geltende Rechtsrahmen auf seine Vereinbarkeit mit den Richtlinienvorgaben geprüft und ein etwaiger Anpassungsbedarf ermittelt werden. Hierauf soll ein knapper Ausblick erfolgen, der die aus Verfassersicht relevantesten Regelungen fokussiert. a) Richtlinienkonforme Regelungen Zunächst lohnt sich die Aufführung einiger Bestandteile des geltenden Konzeptes, bei denen keine wesentlichen Änderungen oder Neuerungen erforderlich wären. Dies betrifft zuvörderst den Anwendungsbereich der Musterfeststellungsklage. Mit der Einbeziehung aller Streitigkeiten zwischen einer Verbraucherin und einer Unternehmerin geht § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO über den bereichsspezifischen Schutzbereich der Verbandsklagenrichtlinie hinaus (vgl. Art. 2 RL), was die Richtlinienvorgaben übererfüllen würde. Es ist kein plausibler Grund ersichtlich, weshalb die deutsche Gesetzgeberin dieses Schutzniveau wieder senken und so etwa der Einbeziehung von deliktischen Ansprüchen, deren Erfassung § 29c Abs. 2 ZPO ermöglicht, den Weg versperren sollte.130 Dem Grunde nach sind auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 606 Abs. 3 ZPO als richtlinienkonform anzusehen. Beide Konzepte sehen vor, dass nur qualifizierte Einrichtungen klagebefugt sein sollen; lediglich eine Harmonisierung des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit Art. 4 Abs. 3 RL ist in Erwägung zu ziehen (dazu sogleich unter b)). Die Vorgreiflichkeit und das Quorum konkretisie129 Vgl. Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (677); Lühmann, ZIP 2021, 824 (829 f.); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51); G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (134). 130 Insoweit auch Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 22 f.; Röthemeyer, VuR 2021, 43 (44). Für eine Ausdehnung auch auf kapitalmarkt- und lauterkeitsrechtliche Verstöße Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (679).

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ren wiederum die gemäß Art. 3 Abs. 3 RL für Abhilfeklagen abstrakt geforderte Betroffenheit der Interessen einer Gruppe von Verbraucherinnen.131 Den Mitgliedstaaten ist es explizit freigestellt, solche Anforderungen zu formulieren, damit eine Verbandsklage zulässig ist.132 Dementsprechend könnte ebenso das Erfordernis und Prozedere der Anmeldung zu einem elektronisch geführten Klageregister – abgesehen von der mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG erforderlichen verstärkten Aufklärung der Verbraucherinnen133 – beibehalten werden. Das mit § 608 ZPO verfolgte opt in-Modell genügt dabei den allgemeinen Vorgaben des Art. 9 Abs. 2 RL sowie den spezifischen Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 RL für ausländische Verbraucherinnen gleichermaßen. Dasselbe gilt für die passive Verfahrensrolle der materiell-rechtlich betroffenen Verbraucherinnen: Zwar könnten die Mitgliedstaaten den Betroffenen bestimmte Rechte im Rahmen der Verbandsklage einräumen, sie müssen es aber nicht.134 Da sie demnach keine Parteien des Musterfeststellungsprozesses werden, treffen sie – wie von der Richtlinie grundsätzlich gefordert135 – ferner keine Verfahrenskosten. Für die Vorgaben zu Abhilfevergleichen könnte die Regelung des § 611 ZPO Pate stehen. In dieser ist sowohl die von Art. 11 Abs. 2 RL vorgeschriebene gerichtliche Prüfung und Bestätigung der Vergleichsvereinbarung als auch das nach Art. 11 Abs. 4 Satz 2 RL ins Ermessen gestellte Austrittsrecht aus dem Vergleich bereits enthalten. Einzig der Prüfungsumfang müsste ggf. erweitert werden.136 § 611 Abs. 3 Satz 2 ZPO sieht dazu nur eine Angemessenheitsprüfung vor, während Art. 11 Abs. 2 Satz 2 RL überdies eine Kontrolle anordnet, ob der Vergleich im Widerspruch zu zwingenden nationalen Bestimmungen steht oder nicht vollstreckbare Bedingungen beinhaltet. Allerdings wäre aufgrund der Unbestimmtheit der Genehmigungsformel auch denkbar, dass die Gerichte dies im Rahmen ihres weiten Beurteilungsspielraums137 sogar mit der geltenden Vorschrift richtlinienkonform berücksichtigten könnten. Kein Regelungsbedarf bestünde weiterhin in Bezug auf den Hemmungstatbestand in § 204 Nr. 1a BGB, in dem bereits die Richtlinienvorgabe des Art. 16 Abs. 2 RL zur Unterbrechung der geltenden Verjährungsfristen „für die von der Verbandsklage betroffenen Verbraucher[innen]“ aufgeht.138 Ebenfalls könnte das 131

Lühmann, ZIP 2021, 824 (825). Erwägungsgrund 12, ABl. 2020 Nr. L 409/2 f.; Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (678); G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (134 f.). 133 Vgl. bereits § 6 B. I. 2. b). 134 Erwägungsgrund 36, ABl. 2020 Nr. L 409/6. 135 Erwägungsgrund 38, ABl. 2020 Nr. L 409/6. 136 Röthemeyer, VuR 2021, 43 (51). 137 Vgl. Eggers, Gerichtliche Kontrolle von Vergleichen, S. 216 f. 138 Röthemeyer, VuR 2021, 43 (49). 132

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Prozedere der öffentlichen Bekanntmachung nach § 607 ZPO für die Unterrichtungspflichten gemäß Art. 13 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 RL nutzbar gemacht werden. Die in Art. 13 Abs. 3 Satz 1 RL designierte Pflicht der Beklagtenseite zu einer Unterrichtung der Betroffenen über rechtskräftige Entscheidungen und bestätigte Vergleiche würde in diesem Fall nicht eingreifen. Schließlich dürfte auch die Bindungswirkung des § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO fortbestehen können, damit ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil in inländischen Anschlussverfahren weiterhin verbindlich zu berücksichtigen ist und die damit einhergehenden Effizienzvorteile erhalten bleiben. Für die umgekehrte Würdigung ausländischer Urteile könnte § 286 ZPO herangezogen werden, der insoweit schon die Mindestvorgaben der Richtlinie erfüllen würde.139 b) Mögliche Anpassungen Die größten Neujustierungen für eine richtlinienkonforme Ausgestaltung wären hinsichtlich der Vorgaben zu grenzüberschreitenden Verbandsklagen erforderlich, welche das Musterfeststellungskonzept in seiner aktuellen Form nicht kennt. Zuvörderst würden die momentanen Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen zur Erlangung der Klagebefugnis gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO über die von Art. 4 Abs. 3 RL aufgestellten Kriterien hinausgehen. So setzt die Richtlinie lediglich eine mindestens einjährige öffentliche Tätigkeit anstatt einer mindestens vierjährigen Eintragung in der Liste nach § 4 UKlaG oder dem Verzeichnis nach Art. 4 der Richtlinie 2009/22/EG voraus.140 Außerdem gibt sie keine Mindestmitgliederzahl vor. Die Klagebefugnis für qualifizierte Einrichtungen, die in einem anderen Mitgliedstaat benannt wurden (vgl. Art. 3 Nr. 7 RL), müsste entsprechend angepasst werden. Im Zuge dessen wäre jedoch die Folgefrage aufgeworfen, ob ausländische Verbraucherverbände gegenüber den im Inland ansässigen Einrichtungen privilegiert sein sollten. Eine Schlechterstellung Letzterer wäre im Ergebnis wohl nur schwer nachvollziehbar, zumal dadurch eine Abwanderung von Inlandsklagen in Mitgliedstaaten mit geringeren Anforderungen an die Klagebefugnis zu befürchten wäre.141 Insoweit böte sich dringend an, die Klagebefugnis mit der Kann-Bestimmung in Art. 4 Abs. 5 RL zu harmonisieren.142 Des Weiteren bedürfte es zur Umsetzung des Art. 13 Abs. 1 RL einer Vorschrift, welche die qualifizierten Einrichtungen verpflichtet, auf ihrer Website 139

Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 35. Das bei Fuhrmann/Kurka, NJW 2020, 3414 (3415 f.) zu § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO diskutierte Problem der „Vorratseintragung“ einer qualifizierten Einrichtung ohne zwischenzeitliche Aktivität wird in der Verbandsklagenrichtlinie so umgangen. 141 Hakenberg, NJOZ 2021, 673 (679); Röthemeyer, VuR 2021, 43 (47) („race to the bottom“). 142 So auch Augenhofer, NJW 2021, 113 (115); in Bezug auf § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO ebenso Rentsch, EuZW 2021, 524 (530). 140

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transparente Angaben über geplante, laufende und abgeschlossene Verbandsklageverfahren zu machen. Noch ist es den Verbänden selbst überlassen, inwieweit sie hierüber Auskunft geben, wenngleich eine aktive Informationspolitik zu Musterfeststellungsklagen aufgrund der Mindestanmeldezahl in § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO ohnehin in ihrem Interesse liegt und zumeist schon praktiziert wird.143 Nichtsdestominder sollte die gesetzliche Sicherstellung von einem Mehr an Aufklärung der Verbraucherinnen auch mit Blick auf den zuvor festgestellten Nachholbedarf für die Wahrung ihres rechtlichen Gehörs144 nicht schaden. Die zu normierende Verpflichtung der qualifizierten Einrichtung zur Information könnte dafür von weiteren Hinweisen und Belehrungen über die Rechtsfolgen einer Anmeldung zum Verfahren flankiert werden. 2. Modellierung eines integrierten Leistungsmechanismus Nach den soeben angestellten Vorüberlegungen wäre es dementsprechend möglich, die Musterfeststellungsklage als Grundgerüst für die Umsetzung der Richtlinienvorgaben für eine Verbandsklage auf Abhilfe nutzbar zu machen. Wie könnte nun aber der eigentliche Leistungsmechanismus als das Musterfeststellungskonzept de lege ferenda weiterentwickelnder Baustein aussehen? Bevor einzelne Aspekte und Gestaltungsmöglichkeiten genauer eruiert werden, sind dazu einige Grundgedanken zu formulieren, welche den erwogenen integrierten Leistungsmechanismus erläutern sollen. Nachfolgend wird vorgeschlagen, dass qualifizierte Einrichtungen im Einklang mit Art. 9 Abs. 8 RL die Möglichkeit haben sollten, eine Musterfeststellungsklage zu erheben, die nicht nur auf den Erlass eines Musterfeststellungsurteils abzielt, sondern den angemeldeten Verbraucherinnen auf Basis der getroffenen Feststellungen im Erfolgsfall auch einen Anspruch auf eine Mindestabhilfe zusichert.145 Letzterer Terminus ist wörtlich zu verstehen: Weil sich eine einzelne Ermittlung der gesammelten individuellen Ansprüche regelmäßig nicht mit dem Ziel eines effektiven und effizienten Kollektivverfahrens vereinbaren lässt, müssen die jeweils beanspruchbaren Leistungen auf andere Weise bestimmt werden.146 Dadurch findet jedoch zwangsläufig eine Abkoppelung von den materiell-rechtlichen Grundsätzen zur Schadensberechnung (§§ 249 ff. BGB) statt.147

143 Vorbildhaft dafür hat der vzbv eigens eine Website (https://www.musterfeststel lungsklagen.de/, Abrufdatum: 4.1.2022) eingerichtet, auf der sie über die von ihr geführten Musterfeststellungsklagen informiert und zudem ausführliches Hintergrundwissen bereithält. 144 Vgl. § 6 B. I. 2. b). 145 Zu einem Mindestschaden bzw. einem Mindestschmerzensgeld in einem zweistufigen Abhilfeverfahren auch G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (134 Rn. 58). 146 Vgl. § 7 A. I. 2. b). 147 Siehe Lühmann, ZIP 2021, 824 (830).

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Wenngleich es sich bei diesen nicht um zwingendes Recht handelt,148 dürfen deren zugrundeliegenden Wertungen nicht umgangen werden: Hierzu gehören neben dem Vorrang der Naturalrestitution – der aufgrund der verschiedenen denkbaren Abhilfemaßnahmen149 wohl gewahrt werden könnte – auch das Bereicherungsverbot sowie das Ziel der Totalreparation.150 Nach den §§ 249 ff. BGB soll die gesamte durch das schädigende Ereignis erlittene Einbuße der Geschädigten ersetzt werden, aber auch nur diese, sodass zugleich keine Besserstellung erfolgen darf.151 Wenn aber die Festlegung der beanspruchbaren Leistungen von den einzelnen Verbraucherinnen losgelöst erfolgt, muss insbesondere eine kollektive Überkompensation zum Nachteil der Beklagten vermieden werden.152 Der Anspruch auf eine Mindestabhilfe könnte dies dem Grunde nach gewährleisten: Die Verbraucherinnen bekämen pauschal eine bestimmte Summe zugesprochen und somit lediglich einen „Grundschaden“ ersetzt, der regelmäßig unter der individuell erzielbaren Kompensation liegt.153 Hiermit wäre also verbunden, dass die angemeldeten Verbraucherinnen meist etwas weniger erhalten würden, als ihnen eigentlich zustünde. Prinzipiell dürfte dies der Attraktivität der weiterentwickelten Musterfeststellungsklage dennoch nicht schaden. Vielmehr legt schon die rege Inanspruchnahme der mit Erfolgshonoraren agierenden Inkassodienstleisterinnen nahe, dass Verbraucherinnen sich auch mit einem Teil ihres Anspruchs zufriedengeben, wenn ihnen dafür die Rechtsdurchsetzung abgenommen wird.154 Außerdem könnte und sollte ihnen auf Basis der getroffenen Feststellungen die Möglichkeit einer individuellen Geltendmachung ihres Anspruchs offengehalten werden (siehe unter c)). a) Entscheidung über Mindestabhilfe Eine Entscheidung über die Mindestabhilfe sollte zu treffen sein, wenn das Gericht in der Entscheidung des Musterfeststellungsverfahrens zu der Erkenntnis gelangt, dass ein dem Grunde nach haftungsbegründender Verstoß des beklagten Unternehmens gegenüber den Verbraucherinnen vorliegt. Denkbar wäre dann eine Pflicht, im Musterfeststellungsurteil zugleich eine oder mehrere Mindestab148

Vgl. Oetker, in: MüKoBGB, § 249 Rn. 6. Art. 9 Abs. 1 RL nennt Abhilfe in Form von Schadenersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises. 150 Zu allem Brand, in: BeckOGK-BGB, § 249 Rn. 62 ff. 151 BGH NJW 2003, 2085; 2012, 50 (51); 2020, 144 (145 Rn. 11); Brand, in: BeckOGK-BGB, § 249 Rn. 69; Oetker, in: MüKoBGB, Rn. 20. 152 Dies sollte idealiter auch für eine individuelle Überkompensation gelten, die sich in Ausnahmefällen aber womöglich nicht gänzlich vermeiden lässt. Entgegensteuern sollte hier im Zweifel eine Einteilung in Untergruppen von Geschädigten, die eine Abstufung ermöglichen. 153 So bereits Kranz, NZG 2017, 1099 (1103). 154 Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522 (2525). 149

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hilfe(n) festzulegen, welche die Anmelderinnen nach Eintritt der Rechtskraft beanspruchen können.155 Sind die geltend gemachten Feststellungsziele hingegen von vornherein nicht dazu geeignet bzw. nicht darauf ausgerichtet, die Haftungsfrage im Wesentlichen zu klären, bspw. weil sie lediglich eine tatsächliche oder rechtliche Vorfrage auflösen sollen,156 kommt eine Mindestabhilfe also nicht in Betracht. Das Urteil sollte idealiter die Entscheidungen über Feststellungsziele und über die Mindestabhilfe gemeinsam beinhalten. Weiterhin müsste eine Richtschnur geschaffen werden, nach welchen Kriterien die beanspruchbaren Leistungen aufzustellen sind. Grundsätzlich sieht Art. 9 Abs. 1 RL vor, dass „Abhilfe in Form von Schadenersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises“ gewährt werden kann. Dieser Spielraum sollte den Gerichten so auch zugestanden werden. Beachtlich ist hierbei, dass es für die Unionsrechtskonformität genügt, in der Entscheidung die abhilfeberechtigte Gruppe von Verbraucherinnen (vgl. Art. 9 Abs. 5 RL) abstrakt157 zu benennen, die Berechnungsmethode für die Schäden darzulegen und die zur Erfüllung der Abhilfe verbraucher- und unternehmerseitig einzuleitenden Verfahrensschritte zu beschreiben.158 Für den (praktisch wohl häufigsten) Fall, dass die Mindestabhilfe eine entgeltliche Entschädigung vorsieht, ist es die Aufgabe des Gerichts, diese zu bemessen. Hierfür könnte das Gericht de lege ferenda dazu ermächtigt werden, eine pauschalierte Schätzung unter Anwendung des § 287 ZPO159 vorzunehmen, im Rahmen derer der Mindestschadensersatz festgelegt wird.160 Dies wird von der Rechtsprechung bereits regelmäßig praktiziert, wenn Anhaltspunkte fehlen, einen einheitlichen Schaden in seinem vollen Umfang zu schätzen, aber zumindest ein gewisser Betrag festgestellt werden kann.161 Übertragen auf den Leistungsme155 Ähnlich schon der Vorschlag von Röthemeyer, VuR 2019, 87 (91), der die Entscheidung über die Einbeziehung der Leistungsphase aber dem klagenden Verband überlässt. Dagegen befürwortet A. Bruns, ZZP 134 (2021), 393 (407, 420 ff.), dass das Unternehmen bei Begründetheit der Klage zur Abhilfeleistung in Gestalt der Errichtung eines Abhilfefonds verurteilt werden sollte. 156 So wiederum Röthemeyer, MDR 2019, 1421 f. mit dem Beispiel des ersten in einem Musterfeststellungsverfahren ergangenen Sachurteils des OLG München, NZM 2019, 933 zur Frage der Rechtmäßigkeit einer beabsichtigten Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen gemäß § 559 BGB und dem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Modernisierungsankündigung und dem geplanten Baubeginn. 157 G. Vollkommer, MDR 2021, 129 (134). 158 Erwägungsgrund 50, ABl. 2020 Nr. L 409/8. 159 Die Befugnis zur Schadensschätzung bewirkt im Allgemeinen eine Absenkung des Beweismaßes nach § 286 ZPO und stellt das Ob sowie den Umfang des Beweismaßes in das gerichtliche Ermessen; siehe Arz, NJW 2021, 355; Prütting, in: MüKoZPO, § 287 Rn. 3. 160 So bereits Kranz, NZG 2017, 1099 (1103). 161 BGH NJW 2000, 1413 (1415); 2013, 525 (527 f. Rn. 24); 2015, 867 (873 Rn. 73); Bacher, in: BeckOK-ZPO, § 287 Rn. 15; Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 7.

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chanismus der weiterentwickelten Musterfeststellungsklage könnte der den angemeldeten Verbraucherinnen insgesamt entstandene Mindestschaden geschätzt und sodann nach einem bestimmten vom Gericht festgelegten Verteilungsschlüssel an die einzelnen Verbraucherinnen zugewiesen werden, die der Gruppe der Anmelderinnen oder – soweit sie objektiv abgrenzbar gebildet werden können – einer Untergruppe angehören.162 Die Parteien sollten hierzu auch selbst vortragen dürfen, da insbesondere der klagende Verband ggf. mehr Aufschluss darüber geben kann, inwieweit eine Unterscheidung innerhalb des Kreises der Anmelderinnen für die Verteilung der Mindestabhilfe in Erwägung gezogen werden sollte. Insoweit könnte dem Gericht die Schätzung des insgesamt entstandenen Mindestschadens erleichtert werden.163 Als Schätzungsgrundlagen kann dieses – je nach Einschlägigkeit und Eignung164 – etwa Rechnungen, Gerichtsgutachten, anerkannte Tabellenwerke und/oder Pauschalen heranziehen oder Vergleichsmarktbetrachtungen anstellen.165 Ähnlich wie im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit eines gerichtlichen Vergleichs nach § 611 Abs. 3 Satz 2 ZPO sollte es dem Gericht erlaubt sein, zur Aufhellung auch auf seine Informationsrechte (§§ 139 ff. ZPO) zurückzugreifen.166 Ein solcher Mechanismus erscheint im Rahmen des Möglichen als effiziente und geradlinige Lösung, um die Entscheidung nicht länger als nötig zu verzögern. Dass die Anmelderinnen nur eine Mindestabhilfe erhalten, die unter Umständen der Höhe ihrer eigentlichen Ansprüche nicht gerecht wird, muss mit 162 Ähnlich Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 32, 56, die aber auf einen entstandenen Höchstschaden abzielen, zudem auf die Gesamtgruppe der betroffenen Verbraucherinnen abstellen und erst nach dem Erlass eines Abhilfeurteils den opt in der einzelnen Geschädigten fordern (krit. gerade zu letzterem A. Bruns, ZZP 134 (2021), 393 (399 f.)). Jedenfalls im Rahmen der hier vorgeschlagenen Lösung nicht zu empfehlen wäre dagegen, dem Gericht – wie ebd. vorgeschlagen – die Option zu geben, die Schätzung auch anhand des einer einzelnen Verbraucherin typischerweise entstandenen (Mindest-)Schadens vorzunehmen, da hier die Gefahr für willkürliche Ergebnisse höher einzuschätzen ist. Im Übrigen eine geschätzte Gesamtschadenssumme schon erwägend Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (649). Krit. indes Lühmann, ZIP 2021, 824 (830 f.); Röthemeyer, VuR 2019, 87 (93). 163 Hierin liegt ein Vorteil gegenüber einem späten opt in erst nach der Abhilfe, bei dem die Gesamtschadensschätzung anhand aller (potenziell) Geschädigten erfolgen und ein Höchstschaden ermittelt werden muss (vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 32 f.). Dies setzt aber voraus, dass sich die Höchstzahl der Geschädigten eindeutig bestimmen lässt, was mitunter zu Schwierigkeiten führen und die Schätzungsgrundlage unsolide machen könnte. So eigentlich auch schon Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 86 in Bezug auf die Ermöglichung einer sinnvollen Prozessleitung, die nur möglich sei, „wenn die Anzahl der Gruppenmitglieder zumindest annähernd bekannt ist“. 164 Im Zweifel hat das Gericht eine Plausibilitätskontrolle durchzuführen, ob die jeweilige Schätzungsgrundlage im konkreten Fall geeignet ist, vgl. BGH NJW 2018, 693 (696). 165 Dazu BGH NJW 2011, 1947 (1948 Rn. 17); Arz, NJW 2021, 355 (357 f.). 166 Vgl. § 5 D. II. 1. a).

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Rücksicht auf die Beklagteninteressen hingenommen werden. Gewisse Einbußen in puncto Einzelfallgerechtigkeit sind Verfahren des kollektiven Rechtsschutzes ohnehin eigentümlich. Positiv wirken könnte die Mindestabhilfe darüber hinaus für betroffene, aber nicht angemeldete Verbraucherinnen: Sowohl für eine etwaige Individualklage als auch für außergerichtliche Verhandlungen bzw. Vergleichsgespräche mit dem Unternehmen würde sie eine Orientierung bieten, welche Summe sie in der Regel wenigstens erwarten können. b) Individuelle Verteilungsphase Der größte Umsetzungsspielraum bestünde hinsichtlich der Phase, die der Abhilfeentscheidung nachfolgt. Als nahezu einzige Vorgabe stellt Art. 9 Abs. 6 RL klar, dass die vorgesehene Abhilfe den Verbraucherinnen zugänglich gemacht werden soll, ohne dass diese eine gesonderte Klage anstrengen müssen. In der Regel ist zu erwarten, dass die Beklagte nach einem entsprechenden Urteil die Ansprüche auf eine Mindestabhilfe freiwillig erfüllen wird, um keine weiteren Reputationsschäden zu riskieren.167 Soweit man die Vorgabe des Art. 13 Abs. 3 Satz 1 RL, welche die Beklagte auf eigene Kosten zu einer Unterrichtung der Verbraucherinnen über das Verfahrensergebnis verpflichtet, umsetzt,168 müsste das Unternehmen selbst aktiv werden und auf die Geschädigten zukommen. Das Auskunftsrecht nach § 609 Abs. 6 ZPO könnte – eine vollständige Bereinigung des Klageregisters vorausgesetzt169 – dabei unterstützen. Andernfalls sollten die abhilfeberechtigten Verbraucherinnen angehalten werden, sich selbst bei der Anspruchsgegnerin oder einer dafür eingerichteten Stelle zu melden,170 damit ihre Mindestabhilfe je nach Abstraktion der Festlegung im vorausgegangenen Urteil ggf. individualisiert wird.171 Auch dies könnte jedoch der Beklagten verantwortet werden, nachdem mit der unternehmensseits organisierten Abwicklung des außergerichtlichen Vergleichs im VW-Verfahren über eine Ombudsstelle überwiegend positive Erfahrungen gemacht wurden.172 Dieser wurde eine eigene Verfahrens- und Geschäftsordnung gegeben sowie die Kompetenz verliehen, gegenüber dem Unternehmen verbindliche Entscheidungen über 167

Siehe auch Erwägungsgrund 60, ABl. 2020 Nr. L 409/9. Aufgrund der öffentlichen Bekanntmachung des Urteils nach § 612 Abs. 1 ZPO ist die Vorgabe gemäß Art. 13 Abs. 3 Satz 2 RL nicht verpflichtend, vgl. § 7 B. I. 5. 169 Zur befürworteten verbesserten Handhabung der Registerverwaltung siehe § 5 D. II. 2. 170 Vgl. Erwägungsgrund 50, ABl. 2020 Nr. L 409/8. 171 Eingehend dazu Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 26 ff. mit der Möglichkeit der Einsetzung einer gerichtlich bestellten neutralen Treuhänderin, die auch einen Vollstreckungstitel erteilen könnte (ebd., S. 31). 172 Dazu Hirsch, VuR 2020, 454; für ein gerichtliches Abhilfeverteilungsverfahren in Anlehnung an das Modell des seerechtlichen Verteilungsverfahrens hingegen A. Bruns, ZZP 134 (2021), 393 (407 f., 427 ff.). 168

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die Pflicht bzw. die Höhe einer zu leistenden Zahlung zu treffen.173 Ansonsten wäre in Streitfragen auch an eine (ggf. mutatis mutandis erweiterte) Zuständigkeit der Universalschlichtungsstelle des Bundes zu denken, welche schon de lege lata nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 VSBG im Anschluss an die Beendigung eines Musterfeststellungsverfahrens angerufen werden kann.174 In jedem Fall sollte die Entscheidungshoheit über den konkreten Ablauf der individuellen Verteilungsphase beim Gericht liegen, sodass dieses den von den Verbraucherinnen zu beschreitenden Weg einzelfallgerecht und in Absprache mit den Parteien festlegen kann. c) Abhilfefrist und Austrittsrecht Für die Ausgestaltung der individuellen Verteilungsphase sind außerdem zwei weitere Absätze des Art. 9 RL in den Blick zu nehmen. Einerseits hält Art. 9 Abs. 7 Satz 1 RL die Mitgliedstaaten dazu an, Fristen festzulegen, innerhalb derer die einzelnen Verbraucherinnen die Abhilfe in Anspruch nehmen können.175 Schon aus Rücksicht auf das Interesse der Beklagten, aber auch der Allgemeinheit, das Verfahren zügig abzuschließen, sollte ein solcher Zeitraum für den Abruf der Mindestabhilfe statuiert werden. Zur Wahrung der Frist könnte die Meldung bei der Beklagten oder bei der für die Verteilung zuständigen Stelle genügen. Als Fristbeginn könnte wiederum die öffentliche Bekanntmachung des mit der Abhilfeentscheidung versehenen Musterfeststellungsurteils maßgeblich sein (§ 612 Abs. 1 ZPO). Andererseits ermöglicht Art. 9 Abs. 2 Hs. 2 Alt. 2 RL den Erlass einer Vorschrift, die es den einzelnen Verbraucherinnen erlaubt, innerhalb angemessener Frist ihren Willen zu äußern, ob sie an das Ergebnis der Verbandsklage gebunden sein wollen. Ihnen könnte also – vergleichbar mit der opt out-Option aus einem Vergleich nach § 611 Abs. 4 ZPO – ein Austrittsrecht aus der Abhilfeentscheidung eingeräumt werden. Dieses wäre in der vorliegenden Umsetzungsperspektive unbedingt aufzunehmen: Erst ein Austrittsrecht könnte die Lösung aus Musterfeststellungsurteil mit integriertem Abhilfemechanismus sinnvoll und interessengerecht miteinander verbinden. Denn die einzelne Verbraucherin könnte auf diese Weise wählen, ob sie sich mit der ihr zustehenden Mindestabhilfe zufriedengibt oder ob sie auf Basis des ohnehin vorliegenden Musterfeststellungsurteils (vgl. § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO) „auf eigene Faust“ weiterprozessieren möchte, um idealiter ein besseres Ergebnis zu erzielen.176 Das Verfahrensergebnis bliebe 173

Hirsch, VuR 2020, 454 (456). Änderungsbedürftig wäre dabei v. a. die unternehmerseitige Möglichkeit, sich der Teilnahme am Streitbeilegungsverfahren zu entziehen (§ 30 Abs. 6 VSBG), dazu noch § 7 C. II. 3. 175 Erwägungsgrund 51, ABl. 2020 Nr. L 409/8; Lühmann, ZIP 2021, 824 (831 f.). 176 Siehe auch Kranz, NZG 2017, 1099 (1103). 174

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so mit Blick auf die Feststellungsziele verwertbar und könnte seine positiven prozessökonomischen Folgen entfalten, selbst wenn sich ein Teil der Anmelderinnen gegen den Anspruch auf Mindestabhilfe entscheiden würde. Ferner wäre hierdurch nicht nur der Einzelfallgerechtigkeit, sondern auch dem Anspruch der Einzelnen auf rechtliches Gehör Rechnung getragen, welcher bei einer generell bindenden Wirkung des (Mindest-)Abhilfemechanismus wohl zu weitgehend eingeschränkt werden würde.177 Die danach einzuräumenden Fristen zur Inanspruchnahme der Abhilfe sowie zum opt out müssten schließlich austariert werden. In Bezug auf das Austrittsrecht ist zu erwähnen, dass die Betroffenen eine gewisse Bedenkzeit haben sollten. In Entsprechung zu § 611 Abs. 4 Satz 2 ZPO könnte ein Monat insoweit angemessen sein. Äußerste Grenze wäre jedenfalls de lege lata das Ende der Verjährungshemmung sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung des Musterfeststellungsverfahrens (§ 204 Abs. 2 Satz 1 BGB), da dies den Zeitpunkt markiert, zu dem die Betroffenen spätestens einzeln klagen sollten.

C. Stärkung der Anschlusslösungen Neben der beschriebenen Weiterentwicklung der Musterfeststellungsklage durch einen integrierten Leistungsmechanismus (Mindestabhilfe) kommt – kumulativ wie alternativ – auch eine Stärkung der Anschlussphase in Betracht. Auf den Erlass spezieller Regelungen hierzu hat die Gesetzgeberin weitgehend verzichtet. Einzig für den Fall eines nachfolgenden Schlichtungsversuchs hat sie Anfang 2020 mit der Universalschlichtungsstelle des Bundes (§§ 29 ff. VSBG) eine besondere Anlaufstelle für angemeldete Verbraucherinnen geschaffen.178 Dies ist für diejenigen Szenarien nicht optimal, in denen die (streitige) Beendigung der Musterfeststellungsklage ganz oder teilweise nicht zu einer Beilegung einzelner Rechtsstreitigkeiten führt, entweder weil sich die Beklagte (de lege lata) nach einem Musterfeststellungsurteil einer Inanspruchnahme weiterhin erwehrt und nicht kompromissbereit zeigt oder weil eine Anmelderin (de lege ferenda) den Anspruch auf Mindestabhilfe ablehnt, da sie sich von einer nachfolgenden eigenständigen Geltendmachung ihres Schadens mehr verspricht. Hier wird ersichtlich, dass ein kollektives Rechtsschutzverfahren in einem individualistisch geprägten System, welches den Einzelnen die Wahl über den Weg der Wahrnehmung ihrer Rechte überlässt und in dem es nur eine ergänzende Rolle einnehmen kann, de facto nicht alle Defizite hinsichtlich des Zugangs zum Recht sowie der Verfahrensökonomie beseitigen kann. Vielmehr muss es von weiteren Lösungen umrahmt werden, welche mehrere effektive und effiziente Spuren für 177 In diese Richtung auch hinsichtlich des Justizgewährleistungsanspruchs A. Bruns, ZZP 134 (2021), 393 (403). 178 Vgl. § 7 A. I. 3.

C. Stärkung der Anschlusslösungen

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die Rechtsverfolgung eröffnen.179 Erst damit wäre das unter der europäischen Umsetzungsperspektive weiterentwickelte Musterfeststellungskonzept unter Maximierung seiner Flexibilitätsvorteile komplettiert. Entsprechende Anstöße, wie die Phase im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil insbesondere von gesetzgeberischer Seite noch gestärkt werden könnte, sollen im nachfolgenden Abschnitt dargestellt werden.

I. Individualklageweg Zu betrachten ist zunächst das „klassische“ Szenario, in welchem dem Musterfeststellungsurteil eine Einzelklage nachfolgt. Hierfür könnte sich anbieten, die Voraussetzungen der anschließenden Individualverfahren an die besondere Ausgangslage anzupassen.180 Denn infolge des vorangegangenen, rechtskräftig abgeschlossenen Musterfeststellungsverfahrens stehen diese regelmäßig unter ganz anderen Vorzeichen als gewöhnliche Einzelklagen. Gleichwohl werden sie vom Gesetz als solche behandelt. Insofern könnte der bereits durchgeführte Musterfeststellungsprozess für eine Erleichterung und Beschleunigung der Anschlussklagen fruchtbar gemacht werden. 1. Digitalisierungspotenzial In erster Linie besteht im Rahmen der individuellen Klageerhebung reichlich ungenutztes Potenzial. Hierzu müssen die Verbraucherinnen wie gewohnt eine den Anforderungen des § 253 ZPO genügende Klageschrift verfassen und bei Gericht einreichen. Deren Muss-Inhalte – namentlich die von § 253 Abs. 2 ZPO vorgegebene Bezeichnung der Parteien (Nr. 1) sowie die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs (Nr. 2) – entsprechen gleichwohl im Wesentlichen den im Rahmen der Anmeldung erforderlichen Angaben nach § 608 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 ZPO, die seitdem schon im Klageregister niedergelegt sind. Weshalb verwertet man also nicht diese Eintragung als „Vorlage“ für die Individualklage? Es bedürfte weder viel Fantasie noch technischen Aufwand, um aus den im Klageregister erfassten Angaben sowie den im Urteil getroffenen Feststellungen auf Antrag einen vorausgefüllten Musterschriftsatz für die nachfolgende Individualklage zu entwerfen, der den Verbraucherinnen elektronisch oder in Papierform zur Verfügung gestellt werden könnte. Ähnlich wie für die Anmeldung zur Eintragung in das Klageregister wäre es möglich, dem eine Ausfüllanleitung mit erläuternden Hinweisen beizufügen (vgl. § 3 MFKRegV). Noch fehlende Anga-

179

Insoweit auch Heese, NJW 2021, 887 (892). Individualverfahren, die nach § 613 Abs. 2 ZPO ausgesetzt worden sind und lediglich „weiterlaufen“ würden, bleiben hier folglich außer Acht. 180

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

ben wie das für die Individualklage zuständige Gericht (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder ein bestimmter Antrag (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) – der im Rahmen der Anmeldung nicht verbindlich ist (§ 608 Abs. 2 Satz 2 ZPO) – könnten dann in die dafür vorgesehenen Felder eigenständig eingetragen werden. Auch zum Gegenstand und Grund des Anspruchs (§ 608 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO), für dessen Darstellung die Angabe im Rahmen der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 MFKRegV maximal 2.500 Zeichen betragen soll, ließen sich Ergänzungen vornehmen. Schon mit dieser recht simplen Maßnahme ließen sich Formalisierungshürden beim Zugang zum Gericht abbauen. Zugleich wären die formal vereinheitlichten Klageschriften leichter für die Gerichte handhabbar und auf diese Weise effizienzfördernd. Von hier an wären der Innovation theoretisch kaum Grenzen gesetzt. Statt durch eine Ausfüllanleitung wäre etwa die Unterstützung mittels eines intelligenten Eingabe- und Abfragesystems möglich, das durch Eingabemasken und Chatbots gerade für schematische Massenverfahren prädestiniert wäre.181 Über die elektronische Erstellung des Musterschriftsatzes hinaus könnte ebenso die Klageerhebung nach einem Musterfeststellungsurteil ganz digital erfolgen. Dies wäre einerseits denkbar, indem auf den Websites der Gerichte ein entsprechendes Formular zur Verfügung gestellt würde, das orientiert an § 130a ZPO eingereicht werden könnte.182 Andererseits käme auch in Betracht, das Klageregister selbst zu einer Plattform für anschließende Individualklagen auszubauen, welches die Anträge an das jeweilige Eingangsgericht weiterleiten würde.183 Zudem wäre damit der Weg zu einem digitalen Gerichtsverfahren, wie etwa mit dem Beschleunigten Online-Verfahren vorgeschlagen, nicht mehr weit.184 Denn soweit die wesentlichen Tatsachen- und Rechtsfragen aufgrund des Musterfeststellungsverfahrens für die Anschlussprozesse der angemeldeten (und noch nicht befriedigten) Verbraucherinnen ganz oder jedenfalls zum Teil verbindlich geklärt sind (§ 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO), dürfte die Komplexität des verbliebenen Streitstoffs regelmäßig abnehmen. Dann könnte ein derartiges Verfahren zur Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden sinnvoll zur Anwendung kommen, und zwar durch die vorangegangene kollektive Aufarbeitung auch übergrei-

181 Näher ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 80 f.; LänderArbGr Legal Tech, Abschlussbericht, S. 83 f. (im Rahmen der jeweiligen Vorschläge für ein Beschleunigtes Online-Verfahren). 182 Dazu etwa Hidding, DRiZ 2020, 58 (60). 183 Zum im Kontext des Gehörsanspruchs vorgeschlagenen Ausbau des Klageregisters zu einer Kommunikationsplattform, welches den Anmelderinnen künftig bspw. einfachen Einblick in die elektronischen Prozessakten verschaffen könnte, bereits unter § 6 B. I. 2. b). 184 Näher ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 79 ff.; LänderArbGr Legal Tech, Abschlussbericht, S. 80 ff.; Balke, AnwBl Online 2020, 209; siehe auch Voß, RabelZ 84 (2020), 62 (86).

C. Stärkung der Anschlusslösungen

211

fend, also nicht nur für von vornherein „schlanke“ Prozesse wie geltend gemachte Ansprüche auf Fluggastentschädigungen.185 Falls doch ein eingehender Klärungsbedarf verbleibt, bspw. weil die Feststellungsziele eine wesentliche Vorfrage behandelten und die eigentliche Anspruchsprüfung noch vollzogen werden muss, könnte basierend auf der formularmäßigen elektronischen Klageschrift eine softwareunterstützte Sammlung und Strukturierung des Parteivortrags zum Einsatz kommen, welche den Gerichten die Arbeit erleichtern und das Verfahren beschleunigen könnte.186 Mithin bietet sich an, allen nach einem Musterfeststellungsurteil erhobenen Individualklagen einen gewissen Sonderstatus einzuräumen, den standardisierbare Fluggastrechteklage rechtspolitisch scheinbar bereits innehaben.187 So könnte die nach der Kollektivphase ggf. noch erforderliche Individualphase womöglich auch als Pilotprojekt für die mittelfristig unvermeidliche Transformation zu einem digitale(re)n Zivilprozess insgesamt genutzt werden. 2. Gebührensenkung Außerdem wären Erleichterungen durch eine Reduzierung der Verfahrensgebühren denkbar. Diese könnten vor dem Hintergrund des durch das Musterfeststellungsurteil oftmals verminderten Aufwands für das Gericht bei der Behandlung des Rechtsstreits gerechtfertigt sein.188 Allerdings ist zu bedenken, dass sich das Gebührenrecht grundsätzlich am Wert des Streitgegenstands orientiert (§ 3 Abs. 1 GKG) und es im Zuge dessen unerheblich ist, wie viel Aufwand zur Klärung des Rechtsstreits betrieben werden muss,189 sodass eine Privilegierung für nach einem Musterfeststellungsurteil erhobene Einzelklagen de lege lata kaum systemkonform wäre.190 Eine Ausnahme käme aber infrage, wenn ein spezielles Online-Verfahren mit besonderen (pauschalen) Gebührensätzen eingeführt werden würde.191 185

Vgl. bereits § 4 B. I. Vgl. § 4 B. II.; näher zum Vorschlag des „Basisdokuments“ ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 33 ff., 81; Greger, NJW 2019, 3429 (3430 ff.); Heil, ZIP 2021, 502 (504 ff.) (mit vertiefenden Vorschlägen). 187 So jedenfalls zu interpretieren nach Beschlüsse 92. JuMiKo in NRW, TOP I. 21, Effizientere Bearbeitung von Fluggastrechteklagen bei Gericht durch den Einsatz von digitalen Systemen zur Unterstützung der Richterinnen und Richter, abrufbar unter: https://www.justiz.nrw.de/JM/jumiko/beschluesse/2021/Fruehjahrskonferenz_2021/index. php (Abrufdatum: 4.1.2022). 188 Röthemeyer, VuR 2019, 87 (91) unter Verweis auf RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 17 und Heigl/Normann, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 2 Rn. 45 ff. 189 In allen vom GKG erfassten Verfahren handelt es sich grundsätzlich um Wertgebühren, siehe Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, § 3 Rn. 2. 190 Dahingehend auch Röthemeyer, VuR 2019, 87 (91), der die Privilegierung wohl aber als gerechtfertigt sieht, sofern auch andere Verfahren, in denen der Anspruch dem Grunde nach feststeht, einbezogen würden. 191 Dazu LänderArbGr Legal Tech, Abschlussbericht, S. 90 f. 186

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

Ferner müsste geprüft werden, ob es dieses zusätzlichen Klageanreizes für die Verbraucherinnen zur Überwindung eines rationalen Desinteresses überhaupt bedürfte. Zumindest soweit sich eine angemeldete Verbraucherin (bei einer Umsetzung der europäischen Verbandsklagenrichtlinie in der hier vorgeschlagenen Weise) im Rahmen ihres de lege ferenda bestehenden Austrittsrechts gegen den Anspruch auf eine Mindestabhilfe entscheiden würde, wäre dies zweifelhaft, da sie sich im Umkehrschluss wahrscheinlich schon auf ein Beschreiten des Individualklagewegs festgelegt hätte. Hier müssten auch Fehlanreize verhindert werden, um nicht durch ein verringertes Prozessrisiko zu einem leichtfertigen Ausschlagen des Grundschadensersatzes zu animieren. Weiterhin spricht gegen eine Gebührenreduktion, dass Effizienzgewinne durch diese Maßnahme prima facie nicht erzielt werden könnten. Allenfalls wäre daran mittelbar zu denken, wenn eine Absenkung nach einem Musterfeststellungsurteil dazu führen würde, dass sich von vornherein mehr Verbraucherinnen der Musterfeststellungsklage anschließen, anstatt eigene Klagen anzustrengen. Das ist jedoch schwerlich feststellbar. Eine Erleichterung der anschließenden Individualverfahren mittels der Entfaltung bzw. Erprobung der digitalen Möglichkeiten im Zivilprozess ist somit einer lapidaren Herabsetzung des Prozesskostenrisikos in jeden Fall vorzuziehen.

II. Anderweitige Szenarien Fraglich ist schließlich, welche anderweitigen Szenarien, die eine Inanspruchnahme des Individualklagewegs ganz entbehrlich machen würden, sich im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil für Verbraucherinnen empfehlen könnten und wie diese ggf. noch gefördert werden sollten. Die Verfügbarkeit veritabler Alternativen hätte primär den Vorteil, dass diese die Gerichte (weiter) entlasten könnten. Einen Anknüpfungspunkt stellt dazu wiederum der kollektive Rechtsschutz dar, jedoch in zwei anderen als den bisher behandelten Erscheinungsformen. Daneben wird auf die im Rahmen der Verbraucherrechtsdurchsetzung bereits etablierten Schlichtungsangebote zurückzukommen sein. 1. Gebündelte Forderungseinziehung durch Verband Zum einen könnten auch nach einem Musterfeststellungsverfahren Ansprüche der Betroffenen ein weiteres Mal kollektiviert werden, um deren zwangsweise Durchsetzung effizienter zu gestalten.192 Dies kommt aufgrund der fehlenden Integration eines Leistungsmechanismus in das Musterfeststellungskonzept vornehmlich de lege lata in Betracht. Doch ebenso bei dessen Weiterentwicklung i. S. d. zuvor erarbeiteten Perspektive für die Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie könnte ein Ausweichen auf eine weitere Bündelungsform nützlich sein, 192

Insoweit schon Halfmeier, ZRP 2017, 201 (203).

C. Stärkung der Anschlusslösungen

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wenn eine beachtliche Anzahl der Berechtigten ihren jeweiligen Anspruch auf eine Mindestabhilfe ablehnen sollte. Dazu ist zunächst ein Blick auf das bislang eher verwaiste Instrument der Einziehungsklage nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO zu werfen, welches unter den nach einem Musterfeststellungsurteil geänderten Vorzeichen zur Option werden könnte. So wäre vorstellbar, dass die Musterklägerin den angemeldeten Verbraucherinnen im Anschluss an das Musterfeststellungsurteil anbieten könnte, bei Bedarf deren Ansprüche für sie zur Einziehung geltend zu machen. Immerhin handelt es sich bei ihr aufgrund der geltenden Ausgestaltung der Klagebefugnis (§ 606 Abs. 1 ZPO) meist um eine Verbraucherzentrale oder einen anderen mit öffentlichen Mitteln geförderten Verbraucherverband, zu deren Aufgabenbereich die Einziehung von Verbraucherforderungen gehört (§ 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO).193 Das Manko, welches dieser Bündelungsform bis dato aufgrund des hohen Aufwands bei der Organisation und Koordination des Verfahrens anhaftete,194 könnte das vorhergehende Musterfeststellungsverfahren zumindest teilweise kompensieren. Denn im Zuge der Anmeldung zur Eintragung ins Klageregister (§ 608 ZPO) sind dort diverse Angaben der Verbraucherinnen niedergelegt, die die Musterklägerin anschließend verwerten könnte. Das Auskunftsrecht nach § 609 Abs. 6 ZPO gegenüber dem Bundesamt für Justiz gewährt den notwendigen umfangreichen wie simplen Zugriff auf die Daten, deren Verfügbarkeit die gesammelte Klageerhebung wesentlich erleichtern würde. Nichtsdestominder fiele auch in der Folge noch viel Aufwand an, den der allein aus ideellem Anreiz klagende Verband bewältigen müsste. Als problematisch könnten sich hierbei die begrenzten finanziellen bzw. personellen Ressourcen erweisen, zumal diese durch die vorausgegangene – zumeist komplexe – Musterfeststellungsklage zusätzlich verknappt wären. Schon für die Bewältigung dieses Verfahrens ist die Finanzierungsfrage aufgeworfen.195 Damit für die Verbraucherzentralen und -organisationen das Anbieten einer gebündelten Forderungseinziehung nach einem Musterfeststellungsurteil zu einer attraktiven sowie realistischen Option wird, müssten ihnen also v. a. ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Da die finanzielle Ausstattung der Musterklägerin sogleich (dazu § 8 A.) gesondert behandelt wird, sollen die dortigen Ausführungen den eben angesprochenen Bedarf mitberücksichtigen. 193 Konflikte könnten sich de lege lata am ehesten wegen § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO ergeben, sofern eine Einrichtung zur Wahrung dieses Erfordernisses und zur Sicherung der Klagebefugnis ausschließlich aufklärend oder beratend tätig ist. 194 Vgl. Blagojevic, Effektive Durchsetzung kapitalmarktrechtlicher Ansprüche, S. 35; Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 55; Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 11 f. 195 Siehe etwa Halfmeier, ZRP 2017, 201 (202); R. Koch, MDR 2018, 1409 (1414).

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

2. Forderungsabtretung an Inkassodienstleisterinnen Kein Finanzierungsproblem haben dagegen kommerzielle, oftmals mit Hilfe von Legal Tech betriebene nichtanwaltliche Inkassodienstleisterinnen wie „myRight“, „Flightright“ oder „wenigermiete.de“,196 die in mehr und mehr Bereichen mit Verbraucherrechtsbezug, in denen die Ermittlung von Ansprüchen leicht skalierbar ist, aktiv werden, weil hier eine gebündelte Rechtsverfolgung im Wege des Masseninkassos lukrativ ist.197 Die Geschäftsmodelle versprechen den Verbraucherinnen im Kern die unentgeltliche außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung ihrer Rechte gegen ein Erfolgshonorar, wozu sich die regelmäßig nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG registrierten Unternehmen die Ansprüche treuhänderisch abtreten lassen und zum Teil mit Prozessfinanziererinnen kollaborieren.198 Im Prozess werden die Forderungen zumeist durch eine objektive Klagehäufung (§ 260 ZPO) miteinander verbunden.199 Das RDG steht der gemeinsamen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen mehrerer Betroffener dabei nicht entgegen.200 Auch für Forderungsinhaberinnen erweist sich die Anreizstruktur als attraktiv, da die Legal Tech-Plattformen einfach zugänglich sind, ihnen Kosten und Aufwand einer klassischen Rechtsdurchsetzung abgenommen werden und sie dafür „lediglich“ auf einen Teil ihres Anspruchs verzichten, wozu viele aber offenbar bereit sind.201 Aufgrund dieser Eigenschaften könnten die Modelle jedoch nicht nur eigenständig, sondern auch in Anknüpfung an ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil sinnvoll als Klagevehikel eingesetzt werden. Denn mit der nach § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO verbindlichen Vorabklärung der Feststellungsziele sind die Erfolgsaussichten einer Anspruchsverfolgung meist kalkulierbar und der potenzielle Kundenkreis jedenfalls zahlenmäßig aus dem Klageregister ersichtlich.202 Insoweit wäre denkbar, dass gewerbliche Anbieterinnen das Ergebnis eines Musterfeststellungsverfahrens antizipieren und bei positivem Verlauf spätestens nach dessen Abschluss gezielte Angebote an die angemeldeten Verbraucherinnen zur Betreibung ihrer Forderungen unterbreiten könnten. Auch zuvor könnten strategisch bereits Kooperationen mit der Musterklägerin eingegangen werden, um frühzeitig Planungssicherheit und womöglich Einblick in den

196 https://www.myright.de/, und https://www.wenigermiete.de/ (jeweiliges Abrufdatum: 4.1.2022). 197 Siehe Stadler, VuR 2021, 123 f. mit Verweis auf Hähnchen/Schrader/Weiler/ Wischmeyer, JuS 2020, 625 (631). 198 Henssler, NJW 2019, 545; Römermann/Günther, NJW 2019, 551. 199 Vgl. LG Braunschweig WM 2020, 1743. 200 BGH WM 2021, 1545. 201 Dazu Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329 (335 f.); Meller-Hannich/Nöhre, NJW 2019, 2522 (2525); Prütting, ZIP 2020, 197. 202 Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 119.

C. Stärkung der Anschlusslösungen

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Prozessverlauf und Zugriff auf die im Klageregister hinterlegten Anmeldedaten zu erhalten.203 Auf diese Weise bestünde im Anschluss an die Musterfeststellungsklage eine weitere Möglichkeit zur prozessökonomischen Durchsetzung einzelner Ansprüche, obgleich mit dem Nachteil, dass Verbraucherinnen im Erfolgsfall nicht die volle Forderungshöhe erhalten. Andererseits würde das Angebot zu einer nochmaligen Anspruchsbündelung den Raum ausfüllen, den die klagenden qualifizierten Einrichtungen wegen ihrer limitierten Mittel gegenwärtig nicht flächendeckend einnehmen können. Um eine taugliche Anschlusslösung darzustellen, müssten die Geschäftsmodelle jedoch auch rechtlich zulässig sein. Genau das ist seit geraumer Zeit allerdings heftig umstritten: Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit die unter dem Mantel des RDG angebotenen Tätigkeiten zur Forderungsdurchsetzung mit dem Bild des „Inkasso“, welches dem Gesetz zugrunde liegt, sowie mit dem Gedanken des Verbraucherschutzes zu vereinbaren sind.204 Einen Meilenstein bildete im Verlauf der Diskussion die Leitentscheidung des BGH zur von der Lexfox GmbH (heute Conny GmbH) betriebenen Plattform „wenigermiete.de“, welche das Modell im Wesentlichen (noch) billigte.205 Damit waren freilich nicht alle Unklarheiten bereinigt, weshalb sich die Gesetzgeberin zum Handeln aufgefordert sah, die mit Blick auf die neuartigen Inkassodienstleisterinnen im Regelungsgefüge des RDG bestehenden Lücken durch eine Reform der Vorschriften206 zu schließen.207 Um der aktuellen Relevanz dieser Neuerungen, welche sich auch auf einen künftigen (potenziellen) Einsatz der Geschäftsmodelle als Anschlusslösung zu einer Musterfeststellungsklage auswirken könnten, Rechnung zu tragen, sollen die ab dem 1.10.2021 neu geltenden Regelungen des RDG nachfolgend erläutert werden. Um sich dem zu nähern, werden zuvor die wichtigsten Streitpunkte nach der bisherigen Rechtslage skizziert.208 Vorderste Beachtung verdienen dabei je203 Ähnlich Röß, NJW 2020, 953 (955); Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 119. Datenschutzrechtliche Probleme ließen sich umgehen, indem angemeldete Verbraucherinnen bereits vor dem Prozessende ihre Ansprüche an die Inkassodienstleisterin abtreten. Zur Zulässigkeit dieses Vorgehens (insbesondere in Abhängigkeit des Zeitpunkts) siehe noch § 8 B. II. 204 Schon vor den Legal Tech-Inkassodienstleisterinnen war die gebündelte treuhänderische Forderungsdurchsetzung von Interessengemeinschaften und Rechtsverfolgungsgesellschaften (dazu Fest, ZfPW 2016, 173 (177)) nicht unumstritten, siehe Gsell, in: Schulze, S. 179 (189 ff.). 205 BGH NJW 2020, 208; bestätigt durch BGH NJW-RR 2020, 779; vgl. auch Kilian, AnwBl Online 2021, 102 (103): „Paradigmenwechsel“. 206 BGBl. I 2021, S. 3415. 207 So ausdrücklich die Begründung RegE FvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 16. 208 Zur gesamten Diskussion ist vorab anzumerken, dass diese besonders durch Widerstände seitens der Anwaltschaft aufgeladen wurde, welche in den Inkassodienstleiste-

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

weils die Aspekte der Verbesserung der Rechtsdurchsetzung sowie des Schutzes der Verbraucherinnen. a) Ausgangslage Unstreitig war und ist zunächst, dass es sich bei den von den gängigsten Inkassomodellen erbrachten Tätigkeiten um erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistungen gemäß § 3 RDG handelt: Denn in der Regel prüfen die Anbieterinnen (unterstützt durch Legal Tech-Anwendungen), inwieweit behauptete Ansprüche überhaupt bestehen und ob ihre Geltendmachung hinreichend wahrscheinlich Erfolg verspricht, sodass die Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1 RDG als Rechtsdienstleistungen qualifiziert werden können.209 Daneben ist wegen der treuhänderischen Abtretung der Forderungen zu deren Einziehung auf fremde Rechnung jedenfalls der Tatbestand des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG verwirklicht.210 Um ihr Geschäftsprinzip zu legalisieren und insbesondere losgelöst von den Restriktionen der §§ 49b Abs. 2 BRAO i.V. m. § 4a RVG211 Erfolgshonorare vereinbaren zu können, lassen sich die Inkassodienstleisterinnen daher nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG registrieren. An diesem Punkt setzten nach der bisherigen Rechtslage die Gegnerinnen der Geschäftsmodelle an. Der allgemeine Tenor des Vorbringens lautet, dass diese trotz der Registrierung nach § 3 RDG verboten seien, weil sie die Grenzen der Erlaubnis überschreiten würden, indem sie nicht hauptsächlich Inkassodienstleistungen, sondern die Beratung zu und Prüfung von Ansprüchen erbringen und damit dem herkömmlichen Bild des Inkasso bzw. dem Zweck der Freistellung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG widersprechen würden.212 Die Gegenauffassung lehnt eine solch weite Einschränkung ab und sieht das den Zugang zum Recht für Verbraucherinnen erweiternde Angebot der Rechtsdienstleistungsplattformen grundsätzlich als vom Umfang der Inkassoerlaubnis gedeckt an.213 rinnen eine ihr Standesrecht gefährdende Konkurrenz sieht und sich gegen jegliche Liberalisierung wehrte. Da standesrechtliche Belange den vorliegenden Untersuchungsgegenstand kaum tangieren, rücken diese Aspekte hier aber nicht ins Zentrum. Stattdessen sei exemplarisch verwiesen auf den Standpunkt der Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme Nr. 81 v. Dezember 2020, abrufbar unter: https://brak.de/zur-rechtspolitik/ stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland /2020/dezember/stellungnahme-derbrak-2020-81.pdf (Abrufdatum: 4.1.2022) sowie die Problemaufrisse von Kilian, AnwBl Online 2021, 102 (103 f.) bzw. Prütting, ZIP 2020, 1434 (1441 f.). 209 Greger, MDR 2018, 897 (898 f.); Henssler, NJW 2019, 545 f. 210 BGH NJW 2020, 208 (213 Rn. 40 f.); Morell, WM 2019, 1822 (1823); Stadler, WuW 2018, 189 (192). 211 Mit dem Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt werden die Möglichkeiten der Vereinbarung anwaltlicher Erfolgshonorare in § 4a Abs. 1, 2 RVG n. F. zwar erweitert, jedoch nicht ganz freigegeben. 212 Zuerst Valdini, BB 2017, 1609 ff.; ebenso Greger, MDR 2018, 897 (899); Henssler, NJW 2019, 545 (546 f.); v. Lewinski/Kerstges, MDR 2019, 705 (706 ff.). 213 Hartung, AnwBl Online 2019, 353 (356); Morell, WM 2019, 1822 (1824 ff.); Römermann/Günther, NJW 2019, 551 (552 f.); Tolksdorf, ZIP 2019, 1401 (1402 ff.).

C. Stärkung der Anschlusslösungen

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Ein eher gespaltenes Bild brachte ebenso die Gerichtspraxis hervor: Während die angesprochene BGH-Entscheidung im Geschäftsmodell der Anbieterin von „wenigermiete.de“ keine Überschreitung der Befugnis als Inkassodienstleisterin ausmachte,214 wurde diese etwa bei einer „Abgasklage“ der financialright GmbH wegen Ersatzansprüchen von Geschädigten aus der Schweiz vom LG Braunschweig215 oder bei einer Klage der financialright claims GmbH im Fall eines Lkw-Kartells vom LG München I216 bejaht.217 Allgemeingültige Maßstäbe lassen sich für die Beurteilung jedenfalls nicht aufstellen; nach dem Leiturteil des BGH ist „vielmehr stets eine am Schutzzweck des RDG orientierte Würdigung der Umstände des Einzelfalls einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen“ erforderlich.218 Dies sorgte dementsprechend dafür, dass weitere Instanzgerichte eine Unzulässigkeit der Geschäftsmodelle annahmen.219 Insoweit herrschte über die Reichweite zulässiger Inkassodienstleistungen nach bisheriger Rechtslage oftmals Unklarheit. Parallel dazu bestand Streit darüber, ob das häufige Angebot einer Prozessfinanzierung bzw. die häufige Zusammenarbeit der Geschäftsmodelle mit einer Prozessfinanziererin einen Verstoß gegen § 4 RDG begründet. Danach dürfen Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, nicht erbracht werden, wenn hierdurch ihre ordnungsgemäße Erbringung gefährdet wird. Wiederum hatten sich im Groben zwei Fronten herausgebildet: Die eine Seite nahm einen Interessenkonflikt an, da die optimale Erbringung der Pflicht zur Rechtsdienstleistung aufgrund des Einflusses der Prozessfinanziererin gefährdet sei.220 Die andere Seite verneinte einen Widerstreit der Interessen, gerade da die Erfolgsbeteiligung dazu führe, dass alle Beteiligten an einer maximalen Anspruchsdurchsetzung interessiert seien.221 214 BGH NJW 2020, 208 (226 Rn. 147 ff.); dazu Römermann, NJW 2020, 2678 (2679). 215 LG Braunschweig WM 2020, 1743. Aufgrund des Auslandsbezugs handelt es sich allerdings um eine spezielle Konstellation. 216 LG München I NZKart 2020, 145. Auch hier handelt es sich wegen des kartellrechtlichen Bezugs eher um einen Sonderfall, da nicht klassischerweise Verbraucherrechte betroffen gewesen sind. 217 Ausführlich dazu Prütting, ZIP 2020, 1434 (1435 ff.). 218 BGH NJW 2020, 208. Nochmals deutlicher in Richtung einer grundsätzlichen Vereinbarkeit der Bündelungsmodelle mit dem RDG: BGH WM 2021, 1545 (1547 f.); dazu auch Makatsch/Kacholdt, NZKart 2021, 486 (487 f.). 219 Bspw. LG Augsburg, Endurteil v. 27.10.2020 – 11 O 3715/18, BeckRS 2020, 30625; LG Ingolstadt, Endurteil v. 7.8.2020 – 41 O 1745/18, BeckRS 2020, 18773. Dies schon prognostizierend Prütting, ZIP 2020, 49 (52). 220 Greger, MDR 2018, 897 (899 f.); Henssler, NJW 2019, 545 (548 ff.); Kluth, VuR 2018, 403 ff.; Valdini, BB 2017, 1609 (1610 f.); insoweit etwa auch LG Ingolstadt, Urteil v. 7.8.2020 – 41 O 1745/18, BeckRS 2020, 18773. 221 Hartung, AnwBl Online 2019, 353 (356 ff.); Römermann/Günther, NJW 2019, 551 (555); Stadler, VuR 2021, 123 (124); Tolksdorf, ZIP 2019, 1401 (1408 ff.); so im

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

Mithin sorgte die Neuartigkeit der Geschäftsmodelle, welche beim ursprünglichen Inkrafttreten des RDG am 1.7.2008222 so noch nicht absehbar waren, auch diesbezüglich für Rechtsunsicherheit. Schließlich hatte sich aus den Grunddebatten die Folgefrage entwickelt, ob die Inkassozessionen im Fall von Verstößen gegen das RDG im Anschluss an die bisherige Rechtsprechungslinie nach § 134 BGB nichtig sind223 oder ausnahmsweise wirksam bleiben. Dies hat v. a. praktische Relevanz für die Verbraucherinnen, weil die Unwirksamkeit der Abtretungen dazu führen würde, dass die Klageerhebung durch die (vermeintliche) Zessionarin keine Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB auslöst.224 Ihnen droht insoweit der Rechtsverlust, wenn ein Gericht nach langem Verhandeln zum Ergebnis kommt, dass die jeweilige Inkassodienstleisterin im Einzelfall die Grenzen des Erlaubten bricht und die Klage abweist. Aufgrund dieser fatalen Konsequenz wurde bisweilen dafür plädiert, dass die fiduziarischen Abtretungen auch bei einer Überschreitung der Inkassoerlaubnis wirksam bleiben sollten, soweit die Registrierung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG erfolgt ist, da der Telos des Gesetzes durch die Nichtigkeitsfolge ansonsten gefährdet sei.225 Diese Ansicht hat sich in der gerichtlichen Praxis jedoch nicht durchsetzen können, die ihrer bisherigen Linie treu blieb.226 Gerade vor diesem Hintergrund erschien es umso gebotener, dass das RDG mehr auf die Geschäftsmodelle des Legal Tech-Inkasso zugeschnitten wird. b) Rechtslage ab 1.10.2021 Im Zuge der Entwicklungen hat die Gesetzgeberin selbst einen Änderungsbedarf ausgemacht und inzwischen darauf reagiert: Mit dem Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt beabsichtigt sie u. a. in „das bisher nur auf die Fälle des ,klassischen Inkassos‘ ausgerichtete RDG [. . .] spezifische Regelungen“ für die neuen Legal Tech-Unternehmen aufErgebnis auch BGH NJW 2020, 208 (229 f.) für die selbst angebotene Prozessfinanzierung; fortgeführt durch BGH WM 2021, 1545 (1551 f.); dazu auch Makatsch/Kacholdt, NZKart 2021, 486 (488 f.). 222 BGBl. I 2007, S. 2840. Zu den Entwicklungen im Bereich der Rechtsdienstleistungen Kluth, VuR 2018, 403 f. 223 BGH NJW 2013, 59 (62 Rn. 34 ff.); 2014, 847 (849 f.); 2015, 397. 224 Grothe, in: MüKoBGB, § 204 Rn. 18. Dasselbe gilt auch schon vorher, wenn im Rahmen der außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche über diese verhandelt wird (§ 203 Nr. 1 BGB), vgl. Stadler, VuR 2021, 123 (127). 225 Eingehend Morell, NJW 2019, 2574 (2576 ff.); Tolksdorf, ZIP 2019, 1401 (1407 f.); krit. auch Stadler, VuR 2021, 123 (126 f.) m.w. N. 226 In BGH NJW 2020, 208 (215 Rn. 57 ff.) entschied sich der VIII. Senat in Bezugnahme auf die damalige gesetzgeberische Intention bei der Schaffung des RDG für die Nichtigkeitsfolge. Dafür aus der Lit. auch Henssler, NJW 2019, 545 (550); v. Lewinski/ Kerstges, MDR 2019, 705 (706 ff.).

C. Stärkung der Anschlusslösungen

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zunehmen, v. a. um die sie beauftragenden Verbraucherinnen zu schützen und zugleich „die Rechtssicherheit durch eine Stärkung der aufsichtsbehördlichen Prüfungstätigkeit vor der Registrierung“ zu erhöhen.227 Die ab dem 1.10.2021 geltenden Neuregelungen dürften sich insoweit signifikant auf die Tätigkeit der Inkassodienstleisterinnen auswirken. Nachfolgend soll die neue Rechtslage in den Blick genommen und untersucht werden, inwieweit sich die Zweifel an der Zulässigkeit der Geschäftsmodelle, welche für deren Taxierung als eine aus Verbraucherinnensicht gefahrlose Anschlusslösung an ein Musterfeststellungsurteil elementar ist, ausräumen lassen. aa) Umfang der zulässigen Tätigkeit Zunächst nimmt sich die Gesetzgeberin der Legaldefinition der Inkassodienstleistung an und erweitert § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG n. F. um die Klarstellung, dass eine solche auch dann noch vorliegt, wenn in Bezug auf die konkrete Forderungseinziehung eine rechtliche Prüfung und Beratung erfolgt. Dadurch soll nach der Begründung des Regierungsentwurfs der Auslegung des BGH in der Grundsatzentscheidung zum Portal „wenigermiete.de“ normative Geltung verschafft, andererseits aber – die BGH-Position relativierend – sichtbar gemacht werden, dass über das Beraten, Prüfen und Einziehen der vertragsgegenständlichen Forderung hinausgehende Rechtsdienstleistungen den registrierten Inkassodienstleisterinnen nicht mehr nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG erlaubt sind.228 Die begrifflichen Konturen werden auf diese Weise geschärft: So können die Anbieterinnen nun auch in rechtlich komplexen Fällen umfassend hinsichtlich der in Rede stehenden Forderung beraten.229 Ein Kernbestandteil der Modelle wird damit legitimiert, was bereits kurzfristig eine erhebliche Erleichterung und mehr Sicherheit für diese bedeutet.230 Gleichzeitig besteht etwas mehr Klarheit darüber, inwieweit Tätigkeiten zulässig sein können, die nicht mehr zu den nach § 2 RDG erlaubten Inkassodienstleistungen zu zählen sind. Dazu war schon nach der bisherigen Rechtslage abzuwägen, ob eine im konkreten Einzelfall zum Berufs- der Tätigkeitsbild gehörende Nebenleistung i. S. d. § 5 Abs. 1 RDG vorliegt. Die Gesetzgeberin fügt der Vorschrift einen neuen Satz 3 hinzu, nach dem eine Nebenleistung auch die Erbringung einer anderen Rechtsdienstleistung sein kann. Hierdurch soll den Ge227 Siehe RegE FvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 13, wonach außerdem eine Kohärenz auf dem Wettbewerb im Rechtsdienstleistungsmarkt durch Lockerungen des anwaltlichen Standesrechts erreicht werden soll. 228 RegE FvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 20, 39: Anders als der BGH will die Gesetzgeberin etwa sog. „Hilfsmaßnahmen“ sowie Tätigkeiten in Bezug auf eine vorbehaltlich in die Zukunft gerichtete Rechtsberatung nicht am Maßstab des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG, sondern an dem des § 5 Abs. 1 RDG messen (dazu im nächsten Absatz). 229 Stadler, VuR 2021, 123 (125); dagegen Kilian, AnwBl Online 2021, 102 (105). 230 Dahingehend auch Makatsch/Kacholdt, NZKart 2021, 486 (490).

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

schäftsmodellen innerhalb des RDG ein gewisser Raum zur Weiterentwicklung gewährt werden, ohne den Begriff der Inkassodienstleistung selbst zu überdehnen.231 Im Wesentlichen lassen sich aus den Neufassungen zwei Erkenntnisse ableiten. Erstens werden im streitigen Einzelfall weiterhin die Gerichte dafür zuständig sein, über die Zulässigkeit des konkreten Angebots eines Geschäftsmodells zu befinden232 und dabei die Grenzen zwischen einer erlaubten Inkassodienstleistung, einer zulässigen Nebendienstleistung und unzulässigen anderen Tätigkeiten zu ziehen.233 Das ist auch gut so: Denn der sich ständig wandelnde Rechtsdienstleistungsmarkt kann gerade nicht kasuistisch reglementiert werden.234 Vielmehr bedarf es Leitplanken für die Beurteilung durch die Rechtsprechung, welche die Gesetzgeberin in einer für den Markt positiven, diesen aber nicht entgrenzenden Weise gesetzt hat. Wenngleich genauere Vorgaben sicherlich wünschenswert gewesen wären, liefert die Gesetzesbegründung zumindest gewisse Anhaltspunkte für die künftige Auslegung der Vorschriften.235 Zweitens erscheinen anfängliche Versuche, die Unzulässigkeit einzelner Geschäftsmodelle gerichtlich feststellen zu lassen, als Reflex darauf allzu wahrscheinlich. Diese geben aber Gelegenheit, die Kriterien (weiter) zu schärfen und so nach und nach für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Damit könnten die Verbraucherinnen jedenfalls mittel- bis langfristig profitieren. Die kurzfristig erwartbare Schwebephase bei besonders breit aufgestellten Geschäftsmodellen ist dafür hinzunehmen. bb) Kombination mit Prozessfinanzierung Ähnlich klarstellend verhält sich die Anfügung eines Satzes 2 an § 4 RDG n. F., der in Bezug auf Satz 1 bestimmt, dass die Gefährdung einer ordnungsgemäßen Erbringung der Rechtsdienstleistung bei Zusammentreffen mit einer anderen Leistungspflicht nicht schon deshalb anzunehmen ist, weil die Inkassodienstleisterin vertragliche Berichtspflichten gegenüber einer Prozessfinanziererin hat. Mit der Ergänzung des § 4 RDG will die Gesetzgeberin die Anwendung der Norm vereinfachen, um zum einen die Rechtssicherheit für die Anbieterinnen bei der Einbindung von finanzierenden Dritten, die sich auf eine passive Bereitstel231

RegE FvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 21. Vgl. Fries, NJW 2021, 2537 (2538); Kilian, AnwBl Online 2021, 102 (107). Zur verstärkten behördlichen Prüfung im Registrierungsverfahren noch sogleich unter dd). 233 Insoweit skeptisch wegen der fehlenden Trennschärfe Leeb/Hotz, ZUM 2021, 379 (383); ähnlich Skupin, GRUR-Prax 2020, 581 (582). 234 Krit. zu diesem Stil schon Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 7 Rn. 21. 235 Siehe RegE FvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 21, 39. Der von Kilian, AnwBl Online 2021, 102 (107) kritisierte „vollständige Verzicht auf Vorgaben“ erschließt sich deshalb nicht vollends. 232

C. Stärkung der Anschlusslösungen

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lung finanzieller Mittel beschränken, in das Verfahren zu erhöhen und zum anderen die Rechtssuchenden weiterhin vor den Gefahren einer sachwidrigen Einflussnahme der Dritten zu schützen.236 Im Umkehrschluss heißt das, dass die Unterstützung einer Prozessfinanziererin, welche nicht aktiv in das Handeln der Inkassodienstleisterin eingreifen kann, nunmehr nicht mehr als unzulässig deklariert werden kann.237 Soweit dieser demgegenüber Einflussmöglichkeiten zustehen, ist wie bisher gemäß § 4 Satz 1 RDG n. F. individuell abzuwägen, ob beim Aufeinandertreffen der Interessen von Rechtssuchenden, Inkassodienstleisterinnen und Prozessfinanziererinnen ein Konflikt vorliegt, der eine konkrete Gefährdung begründet. Nach der Gesetzesbegründung soll in der Abwägung künftig auch der Umstand berücksichtigt werden, dass die Verbraucherinnen nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 RDG n. F. vorvertraglich auf die Kooperation mit einer Prozessfinanziererin sowie die mit dieser im Hinblick auf die Prozessführung getroffenen Vereinbarungen hinzuweisen sind.238 Bei der Anwendung des § 4 Satz 1 RDG n. F. ist danach somit auch festzustellen, inwieweit die Rechtssuchenden auf Basis der gegenüber ihnen erfolgten Aufklärung eine (einigermaßen) informierte Entscheidung getroffen haben. Hierin kommt zum Ausdruck, dass die Gesetzgeberin das bisher auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt vorherrschende „Verbotsmodell“ entkräftet und es mit Elementen eines „Informationsmodells“ versieht, ohne es aber ganz aufzugeben.239 Mit der Neuregelung des § 4 Satz 2 RDG n. F. sind Geschäftsmodelle, die sich einer nur in passiver Weise teilhabenden Prozessfinanziererin bedienen oder bedienen wollen, nunmehr also abgesichert. Andere Beteiligungskonstrukte müssen fortwährend eine Abwägung im Einzelfall bestehen, können aber immerhin versuchen, gegenüber den Verbraucherinnen von vornherein möglichst transparent zu sein. Im Zweifel dürften die Gerichte einer entsprechend guten und offenen Informationspolitik der Inkassodienstleisterinnen im Rahmen des § 13b Abs. 1 Nr. 2 RDG mit Wohlwollen begegnen; die Behauptung eines konkreten Interessenkonflikts bedarf dann handfester Belege.240 Ansonsten liefert die Gesetzesbegründung zumindest einen Fingerzeig für bedenkliche Modelle der Prozessfinanzierung: Konkrete Gefährdungen i. S. d. § 4 Satz 1 RDG n. F. sollen insbesondere 236

RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 19 f., 40. Stadler, VuR 2021, 123 (125); Wolf/Flegler, Stellungnahme RegE, S. 53 ff. sehen diesen Fall dagegen bereits nach der Gefahrenprognose des § 4 Satz 1 RDG als unproblematisch an und verneinen einen eigenständigen Regelungsgehalt des Satzes 2. 238 RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 40. Dazu näher unter cc). 239 Dazu Römermann, ZRP 2021, 10 (12). Eine Einwilligung in mögliche Interessenkonflikte bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Informationspflichten, wie sie noch Skupin, GRUR-Prax 2020, 581 (583) in Bezug auf den Referentenentwurf in den Raum gestellt hat, scheidet ausweislich der klaren Begründung zum RegE aus (BT-Drs. 19/ 27673, S. 40). 240 Ähnlich Stadler, VuR 2021, 123 (126). 237

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dann infrage kommen, wenn – etwa durch eine gesellschaftsrechtliche oder personelle Verflechtung – eine persönliche, rechtliche oder wirtschaftliche Verbindung zwischen Schuldnerin der Forderung und Prozessfinanziererin besteht oder wenn Letztere außergerichtlich mit der Schuldnerin verhandeln darf bzw. Vetorechte im Hinblick auf Verfahrenshandlungen hat.241 Für die Praxis dienen diese Erwägungen damit jedenfalls als Auslegungshilfe. cc) Aufklärung der Verbraucherinnen Wie soeben bemerkt, ist eine verstärkte Aufklärung der Verbraucherinnen ein weiteres Anliegen des Gesetzes. Sie sollen die angebotenen Leistungen besser bewerten und die bislang eher undurchsichtigen Geschäftsmodelle besser nachvollziehen können.242 Bevor Inkassodienstleisterinnen von diesen vertraglich beauftragt werden, müssen sie ihnen deshalb in Zukunft nach dem – zum Teil den anwaltlichen Informationspflichten nach § 4a Abs. 2, 3 RVG nachempfundenen243 – Katalog der neu eingeführten Vorschrift des § 13b RDG in Abhängigkeit von der Ausgestaltung ihres Geschäftsmodells spezifische Informationen „in klarer und verständlicher Weise zur Verfügung stellen“. Ausweislich der gesetzgeberischen Begründung müssen „sie von durchschnittlich verständigen Verbraucherinnen [. . .] ohne zumutbaren Aufwand aufgefunden und ohne rechtliche Beratung verstanden werden können“, wobei die Hinweise bei entsprechender Deutlichkeit und Zugänglichkeit der Darstellung sowohl in den AGB als auch auf der Website über einen Link oder in einem Bereich zu häufig gestellten Fragen (FAQ) platziert werden können.244 Der Pflichtenkatalog setzt sich aus mehreren Bestandteilen zusammen, von denen einige erst zu berücksichtigen sind, falls ein Erfolgshonorar vereinbart werden soll (§ 13b Abs. 1 Nr. 1 RDG), falls Kostenrisiken durch eine Prozessfinanzierung abgesichert werden (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 RDG) und falls die Inkassodienstleisterin berechtigt sein soll, einen Vergleich mit der Schuldnerin abzuschließen (§ 13b Abs. 1 Nr. 3 RDG). Unabhängig von der Ausgestaltung des Geschäftsmodells sind Angaben zur zuständigen Aufsichtsbehörde kenntlich zu machen (§ 13b Abs. 1 Nr. 4 RDG). Außerdem muss einer Verbraucherin, für die eine Inkassodienstleisterin im Einzelfall nicht tätig werden will, mitgeteilt werden, weshalb sie die Verfolgung ihres Anspruchs ablehnt (§ 13b Abs. 2 RDG). Insgesamt erscheint das mit § 13b RDG verfolgte Ziel, die Verbraucherinnen mehr über die Folgen und Risiken der Forderungsabtretung an eine Inkassodienstleisterin aufzuklären, sinnvoll. Einzelne Kritikpunkte sind sicherlich zu 241 242 243 244

RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 40. RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 22 f.; Kilian, AnwBl Online 2021, 102 (105). Kilian, AnwBl Online 2021, 102 (105). RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 44.

C. Stärkung der Anschlusslösungen

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Recht erhoben, etwa in Bezug auf die fehlende Verpflichtung der Legal TechUnternehmen, im Rahmen des § 13b Abs. 2 RDG die von ihrem Algorithmus errechnete – jedoch unter der von ihnen zur Anspruchsverfolgung festgesetzten Schwelle liegende – Erfolgswahrscheinlichkeit offenzulegen.245 Zudem wird es auch auf Seiten der Verbraucherin von individuellen Faktoren abhängen, wie effektiv die jeweils zur Verfügung gestellten Informationen tatsächlich eine fundiertere Entscheidung für oder gegen eine Inkassozession ermöglichen.246 Nichtsdestotrotz handelt es sich bei Informationspflichten allgemein um einen geläufigen wie geeigneten Baustein im Verbraucherschutz. Sie flankieren die im RDG niedergelegten Verbotsnormen mit Erlaubnisvorbehalt, welche die Interessen der Rechtssuchenden schon umfassend berücksichtigen. Mehr sollen sie nach dem gesetzgeberischen Willen im Übrigen gar nicht sein.247 dd) Erweitertes Registrierungsverfahren Bemerkenswert ist schließlich, dass die Gesetzgeberin den Prüfungsumfang im Registrierungsverfahren erhöht, indem zunächst § 13 Abs. 2 RDG n. F. der Antragstellerin auf Registrierung einer Inkassodienstleistung weitere Auflagen erteilt. So ist der Antrag künftig mit einer inhaltlichen Darstellung der beabsichtigten Tätigkeiten zu versehen, aus der hervorgeht, auf welchen Rechtsgebieten diese angeboten und inwieweit weitere Tätigkeiten als Nebendienstleistungen erbracht werden sollen. Nachträgliche Änderungen der Haupttätigkeiten oder der Nebenleistungen sind gemäß § 13 Abs. 5 RDG n. F. ebenso der Registrierungsbehörde mitzuteilen.248 Auf diese Weise wird der Gesamtumfang der von der Antragstellerin beabsichtigten und am Maßstab der § 2 Abs. 2 Satz 1, § 5 RDG n. F. zu messenden Tätigkeiten Teil des ständigen Prüfprogramms der für die Registrierung zuständigen Behörden, womit die Gesetzgeberin das Vertrauen in die rechtliche Zulässigkeit der Inkassodienstleistungen stärken und so der Tendenz entgegenwirken will, dass die Vereinbarkeit eines Geschäftsmodells mit der Inkassoerlaubnis zum Gegenstand von Zivilverfahren wird, im Rahmen derer den Inkassozessionen die Nichtigkeit nach § 134 BGB droht.249 245

Siehe Wolf/Flegler, Stellungnahme RegE, S. 52. Leeb/Hotz, ZUM 2021, 379 (383) nennen v. a. eine mögliche Aufblähung der AGB als einen Faktor, aufgrund dessen der informative Effekt verpuffen könnte. Ähnlich Fries, NJW 2021, 2537 (2540). Zum Problem des „information overload“ allgemein Lohr, Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, S. 151 f. 247 RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 40 in Bezug auf §§ 13b Abs. 1 Nr. 2, 4 Satz 1 RDG n. F. (in der Entwurfsfassung noch als § 13 f RDG geführt). 248 Soweit angegebene Nebenleistungen von der zuständigen Behörde als unzulässig erachtet werden, wird dies der Antragstellerin nach § 13 Abs. 3 Satz 5 RDG n. F. bzw. § 13 Abs. 5 Satz 3 RDG n. F. entsprechend mitgeteilt. 249 RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 21 f., 41. 246

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Garantiert ist das freilich nicht: Denn bislang entfaltet der Verwaltungsakt der Registrierung keine „Tatbestandswirkung“ für die Zivilgerichte, welche den Tätigkeitsumfang insoweit anlassbezogen nachprüfen und zu einer anderen Einschätzung kommen können als die zuständige Behörde.250 Zwar hält die Gesetzesbegründung – wohl auf die Berücksichtigung durch die Rechtsprechung hoffend – quasi ein Plädoyer für einen entsprechenden Erklärungswert der Registrierung, welcher aufgrund des erweiterten Prüfungsverfahrens zumindest im Einzelfall angenommen werden könne,251 jedoch haben gesetzlich fortan noch immer die Gerichte das letzte Wort über die Zulässigkeit der Inkassodienstleistung und die Wirksamkeit der Abtretung.252 So bleibt erst einmal nur die von der Gesetzgeberin geäußerte Hoffnung, dass aufgrund des erweiterten Registrierungsprozesses eine höhere Übereinstimmung zwischen der behördlichen und der gerichtlichen Beurteilung entsteht.253 Wie realistisch das sein mag, hängt dabei auch von der Qualität der Aufgabenerfüllung durch die zuständigen Behörden ab. Dass die dort tätigen Richterinnen die Prüfung übernehmen,254 wiegt positiv, da sie gerade für komplexe Grenzfälle und eine mitunter erforderliche Abwägung der Interessen der Beteiligten über die nötige Fachkenntnis verfügen. Andererseits könnten sich zeitliche Limits bei der Bearbeitung der einzelnen Anträge unter Umständen negativ auswirken.255 Somit ist unklar, ob die für Verbraucherinnen wie für Inkassodienstleisterinnen latente Gefahr einer Unwirksamkeit der Inkassozessionen gemäß § 134 BGB durch die Neuregelungen tatsächlich weitestgehend gehemmt wird. Möglicherweise lässt sich die drohende Nichtigkeitssanktion bei Verstößen gegen das RDG in gewissen Fällen aber trotzdem entschärfen. Denn insgesamt ist den neuartigen Inkassounternehmen nach der neuen Rechtslage mehr erlaubt als zuvor: Ihre Kerntätigkeiten zum Betreiben der Forderung sind durch § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG n. F. gesichert, das Angebot einer Prozessfinanzierung ist nach § 4 RDG n. F. nicht schlechthin unzulässig. Verstöße beruhen künftig zumeist auf einer einzelnen Abwägungsentscheidung, entweder nach § 4 Satz 1 RDG wegen einer übermäßigen Einflussnahme einer Prozessfinanziererin (über die die Verbraucherinnen aber ggf. nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 RDG im Vorfeld aufgeklärt wur-

250 BGH NJW 2020, 208 (217 Rn. 82) entgegen der Auffassung von Hartung, AnwBl Online 2019, 353 (360) und Römermann/Günther, NJW 2019, 551 (553). 251 RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 22. 252 So auch Kilian, AnwBl Online 2021, 102 (105); Leeb/Hotz, ZUM 2021, 379 (383); Römermann, ZRP 2021, 10 (12). 253 RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 22. 254 RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 29. 255 In diese Richtung Skupin, GRUR-Prax 2020, 581 (583). Der Gesetzesentwurf nimmt einen deutlichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand an, der zeitlich mit einem Mehr von 180 Minuten veranschlagt wird (RegE SvAiR, BT-Drs. 19/27673, S. 28 f.).

C. Stärkung der Anschlusslösungen

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den) oder nach § 5 RDG wegen einer nicht von der Inkassoerlaubnis gedeckten Nebendienstleistung. Bei der im Einzelfall anzustellenden Bewertung, ob eine Überschreitung der Inkassoerlaubnis die Unwirksamkeit der Forderungsabtretung gemäß § 134 BGB zur Folge hat, haben die Gerichte den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.256 Wenn mit den obigen Ausführungen aber nicht das hauptsächlich erbrachte Angebot, sondern nur ein „Nebenprodukt“ als unzulässig erachtet wird, erschiene es unbillig, stets die gesamten zugrunde liegenden Abreden schlechthin für nichtig zu erklären. Vielmehr könnte zur Wahrung des Zwecks des Verbotsgesetzes257 – namentlich zum Schutz aller Verbraucherinnen zu verhindern, dass eine Rechtsdienstleisterin ihr verbotswidriges Verhalten fortsetzt und Nutzen daraus zieht258 – allein die Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts zwischen Inkassodienstleisterin und Verbraucherin genügen.259 Auch eine Betriebsuntersagung nach § 13h Abs. 4 RDG n. F. oder ein Widerruf der Registrierung, etwa gemäß § 14 Satz 1 Nr. 1 RDG n. F. bei beharrlicher Unterlassung von Änderungsmitteilungen i. S. d. § 13 Abs. 3 Satz 1 RDG n. F., könnten gleich geeignete, aber mildere Mittel darstellen. Die Neuregelungen ermöglichen insoweit eine differenzierte Auslegung bei der Folge eines Verstoßes, um in Zukunft zu einer anderen Sanktion als der der Gesamtnichtigkeit nach § 134 BGB zu gelangen. c) Fazit Nach alldem dürfte ein beträchtlicher Teil der Bedenken, die Forderungsabtretungen an kommerzielle Inkassodienstleisterinnen nach der bisherigen Rechtslage mit sich brachten, grundsätzlich ausgeräumt sein. Durch eine Präzisierung der Erlaubnis- und Verbotstatbestände des RDG sind die Geschäftsmodelle nunmehr reguliert, während Verbraucherinnen mittels Information spezifisch geschützt werden. Dies macht die Abtretung eines zur Musterfeststellungsklage angemeldeten Individualanspruchs an eine Inkassodienstleisterin, den diese im Anschluss an ein Musterfeststellungsurteil geltend macht, unproblematischer als bisher. Das Maß der Rechtssicherheit hängt nicht zuletzt davon ab, wie sich die Anbieterinnen auf die Neuregelungen einstellen und wie die gerichtliche Praxis auf sie reagiert. Ungeachtet der dahingehend abzuwartenden Entwicklung lässt sich dennoch konstatieren, dass die Inkassomodelle die mögliche Individualphase nach einem Musterfeststellungsverfahren nunmehr sinnvoll komplementieren können. Auf diese Weise könnten sowohl die Anmelderinnen als auch die Ge256 Siehe BGH NJW 2020, 208 (218 Rn. 84) unter Verweis auf BVerfG NJW 2002, 1190 (1192). 257 Näher Armbrüster, in: MüKoBGB, § 134 Rn. 119 m.w. N. 258 BGH NJW 2020, 208 (218 Rn. 85). 259 Insoweit auch Stadler, VuR 2021, 123 (127).

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

richte vor einer Vielzahl individuell geltend zumachender Forderungen bewahrt werden. Zugleich erhöht eine etwaige Bündelung mehrerer angemeldeter Ansprüche bei einer Inkassodienstleisterin die Chance, dass die Beklagte einer vergleichsweisen Einigung zustimmt. Die Einbindung einer Inkassodienstleisterin kann sich insofern auch strategisch sinnvoll gestalten. 3. Anspruch auf Schlichtungsverfahren Schließlich kommt als Anschlusslösung eine Novellierung der Verbraucherschlichtung in Betracht. Dieser wurde im Musterfeststellungskonzept von Anfang an eine wichtige Rolle zugedacht. So sollte nach Ansicht der Gesetzgeberin die verbindliche Klärung wesentlicher Tatsachen- und Rechtsfragen dazu führen, dass die Parteien in den meisten Fällen eine einvernehmliche Lösung finden und verbleibende Streitpunkte bereits durch ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren beigelegt werden können.260 Insoweit wurde angenommen, die Ausgangslage für die Schlichtung würde durch ein Musterfeststellungsurteil derart verbessert, dass die streitige individuelle Anspruchsverfolgung nicht (mehr) zwingend in einen Zivilprozess münden müsste. Gleichwohl hat diese Erwartungshaltung zunächst keine gesetzliche Unterfütterung im VSBG erhalten. Dort setzte die Normgeberin mit der Errichtung der Universalschlichtungsstelle des Bundes, die für nach einem Musterfeststellungsurteil oder einem gerichtlichen Vergleich gemäß § 611 ZPO beizulegende Streitigkeiten zuständig ist (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 VSBG), erst nachträglich an und schaffte eine zusätzliche und spezifische Anlaufstelle für die Verbraucherinnen.261 Ein Problem blieb dabei indes ungelöst: Grundsätzlich ist die Musterbeklagte nicht verpflichtet, nach einer Musterfeststellungsklage an einem außergerichtlichen Schlichtungsverfahren teilzunehmen. Die einzelne Verbraucherin ist vielmehr von der Teilnahmebereitschaft des jeweiligen Unternehmens abhängig, welche diese im vertraglichen Bereich oftmals schon in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen verneinen.262 Das belässt der Schädigerin zumindest nach dem momentanen Stand (ohne irgendeine Weiterentwicklung des Kernkonzeptes) die taktische Möglichkeit, die Verbraucherinnen nach Abschluss des Musterfeststellungsverfahrens wiederum abzuschrecken und darauf zu spekulieren, dass diese aufgrund eines fortbestehenden Desinteresses von der Erhebung einer Individualklage absehen.263 Zwar 260

RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 16 f. Ausweislich des § 30 Abs. 2 Nr. 1 VSBG gehen die Zuständigkeiten anderer Verbraucherschlichtungsstellen mit einer einschränkenden Zuständigkeitsregelung gemäß § 4 Abs. 1a Nr. 1 bis 3 VSBG oder einer vorrangigen Zuständigkeit nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VSBG der Zuständigkeit der Universalschlichtungsstelle jedoch vor. 262 Dazu Hirsch, ZKM 2019, 67 (68). 263 Vgl. Röthemeyer, VuR 2019, 87 (92). 261

D. Fazit

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kann die Ablehnung eines Schlichtungsverfahrens legitim sein, etwa weil im konkreten Streitfall die Haftung dem Grunde nach trotz des Musterfeststellungsurteils nicht geklärt ist,264 jedoch lässt die verbreitete prinzipielle Weigerung eine solche Differenzierung nicht erkennen. Mithin kann die Unternehmerin de lege lata ohne Begründung einseitig verhindern, dass die Verbraucherschlichtung als Baustein im Rahmen des Musterfeststellungskonzeptes verfügbar ist. Zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung empfiehlt es sich daher, die zu einer Musterfeststellungsklage angemeldeten Verbraucherinnen in die Lage zu versetzen, im Anschluss eine Schlichtungsstelle anrufen zu können, ohne dass die Musterbeklagte sich der Teilnahme daran entziehen kann. Dies sollte durch eine gesetzliche Teilnahmepflicht geschehen, welche an bereits etablierte Regelungen für Energieversorgungsunternehmen (§ 111a Satz 3 EnWG) oder Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze (§ 47a Abs. 1 TKG) angelehnt werden könnte.265 Die Betroffenen hätten dann grundsätzlich einen Anspruch auf ein Schlichtungsverfahren, in welchem sie dem Unternehmen aus einer gestärkten Position heraus gegenübertreten würden.266 Lediglich in Fällen, in denen auch nach dem Musterfeststellungsurteil noch grundsätzliche Tatsachen- oder Rechtsfragen einer umfassenden Klärung bedürfen, sollte die Durchführung des Schlichtungsverfahrens von der zuständigen Stelle abgelehnt werden können. Ein entsprechender Passus kann (und sollte) nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VSBG in die Verfahrensordnungen der Schlichtungsstellen (für die Universalschlichtungsstelle des Bundes nach § 30 Abs. 3 VSBG) aufgenommen werden.267

D. Fazit Nach alldem ist festzuhalten, dass vielfältige Möglichkeiten bestehen, das Kernkonzept der Musterfeststellungsklage weiterzuentwickeln. Einige davon sollten wahrgenommen werden, insbesondere um den Flexibilitätsvorteil, der dem zweistufigen Modell – mit Blick auf das materielle Haftungsregime des deutschen Rechts erfreulicherweise – immanent ist, zu maximieren. Bisher fehlen hierzu flankierende Mechanismen, die befürchten lassen, dass Verbraucherinnen auch nach einem Musterfeststellungsurteil „in der Luft hängen“ könnten. So ist ihnen zunächst die sichere Aussicht auf eine Leistung zu verschaffen, indem in das Konzept ein Anspruch auf Mindestabhilfe integriert wird. Auf diese Weise könnten die europäischen Vorgaben der Verbandsklagenrichtlinie verwirk264

Röthemeyer, MDR 2019, 1421 (1424). Hirsch, ZKM 2019, 67 (69); siehe auch Röthemeyer, VuR 2019, 87 (92). 266 Dieser ergibt sich aus der Kostenfolge für das Unternehmen, die nach § 31 Abs. 1 VSBG für die Durchführung des Streitbeilegungsverfahrens bei diesem erhoben wird. Insoweit auch Röthemeyer, VuR 2019, 87 (92), wonach bereits die Aussicht auf die Schlichtung Druck verübe. 267 Vgl. Borowski, in: Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, § 14 Rn. 100. 265

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§ 7 Weiterentwicklung des Kernkonzeptes

licht und der sodann weiterentwickelten Musterfeststellungsklage eine dauerhafte Perspektive aufgezeigt werden, innerhalb derer die herangewachsenen Rahmenbedingungen konserviert und ausgebaut würden. Durch das Aufgreifen des Modells sowie die Möglichkeit einer angemeldeten Verbraucherin, den Anspruch auf Mindestabhilfe abzulehnen und gestützt auf das Musterfeststellungsurteil ein einzelfallgerechteres Ergebnis zu erzielen, ließe sich ein bewegliches System schaffen, welches die Vorzüge kollektiver und individueller Rechtsdurchsetzung verbindet, aber auch die hierzulande hohe Bedeutung Letzterer achtet.268 Damit dieser Spagat gelingt, bedarf es einer Stärkung etwaiger Anschlusslösungen, welche auf die günstigere Ausgangslage abgestimmt sind und die Früchte der Vorabklärung wesentlicher Streitfragen auch tatsächlich ernten können. Digitalisierungsansätze bieten hierbei aufgrund ihrer Eignung für schematische Sachverhalte die einmalige Chance, das zivilgerichtliche Verfahren und den Individualklageweg insgesamt zu modernisieren und verbraucherfreundlicher auszugestalten. Der notwendige Wandel der Ziviljustiz könnte so deutlich vorangebracht werden. Daneben besteht Raum für eine weitere Kollektivierung der Ansprüche sowie für eine Betonung des Vertrauens in die außergerichtlichen Streitschlichtungsstellen. Fragwürdige unternehmerische Abwehrstrategien gegenüber Verbraucherinnen ließen sich damit insgesamt schwerer realisieren. Das so weiterentwickelte prozessuale Rechtsschutzsystem wäre gegen künftige Massenschäden voraussichtlich besser gewappnet.

268 Insbesondere würde sie die von A. Bruns, NJW 2018, 2753 (2756) befürchtete „Entwicklung des Zivilprozesses weg vom differenzierten und präzisen Individualrechtsschutz und hin zu einer nivellierenden und pauschalierenden Gruppenklage“ so weit wie möglich vermeiden.

A. Finanzierung

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§ 8 Einzelfragen Um der Musterfeststellungsklage eine Perspektive aufzuzeigen, genügt es nicht, allein das Kernkonzept fortzuentwickeln. Vielmehr hat sich im Verlauf der Darstellung gezeigt, dass auch andere Aspekte kritisch zu würdigen sind und Probleme aufwerfen, die eine genauere Betrachtung verdienen. Das vorliegende Kapitel soll sich jenen einzelnen Fragestellungen zum Abschluss dieser Arbeit annehmen. Dabei ist zu drei Themenkomplexen Stellung zu beziehen. Zunächst soll die Finanzierung der Musterklägerin behandelt werden, welche in den §§ 606 ff. ZPO keine positive Regelung erfahren hat, sondern durch die eng gefasste Klagebefugnis lediglich Restriktionen unterworfen wurde. Hierin könnte eine Ursache dafür liegen, dass die Zahl erhobener Musterfeststellungsklagen bisher äußerst überschaubar anmutet.269 Im Anschluss wird die Anmeldebefugnis der Verbraucherinnen mit besonderem Fokus auf zwei Schnittpunkte mit dem materiellen Recht in den Blick genommen. Einerseits besteht an dieser Stelle das nicht zu unterschätzende Risiko, das Anmelderinnen in eine Verjährungsfalle geraten könnten.270 Andererseits ist zu klären, wie sich eine Abtretung des schon bzw. noch nicht angemeldeten Anspruchs auf die Teilnahmemöglichkeit an einem Musterfeststellungsverfahren auswirkt. Schließlich wird die Frage beleuchtet, ob und wer den Anmelderinnen im Fall einer mangelhaften Prozessführung haftet, was insbesondere als Ausgleich für die Einschränkungen des rechtlichen Gehörs angezeigt wäre.271

A. Finanzierung Mit der exklusiven Zuweisung der Klagebefugnis für die Musterfeststellungsklage an die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO erfüllende Verbraucherverbände wurde zugleich die praktische Aufgabe geschaffen, die Finanzierbarkeit dieser zusätzlichen Klagetätigkeit(en) sicherzustellen. Denn die finanziellen Mittel der qualifizierten Einrichtungen sind seit jeher regelmäßig beschränkt, sodass zu hohe Prozesskosten nicht gestemmt werden können.272 Erschwerend kommt vorliegend jedoch hinzu, dass die hohen Anforderungen für die Klageberechtigung nicht nur das altruistische Handeln im Interesse der angemeldeten Verbraucherinnen vorschreiben, sondern auch generelle Einnahmequellen verengen: Um eine Musterfeststellungsklage erheben zu können, muss ein Verband seine satzungsmäßigen Aufgaben weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnehmen (Nr. 3), darf keine Klagen zum 269 270 271 272

Vgl. § 5 B. I. 4.; Röthemeyer, BKR 2021, 191 (192). Siehe etwa Schneider, BB 2018, 1986 (1997). Vgl. bereits § 6 B. I. 2. a) aa). Halfmeier, 50 Jahre Verbraucherverbandsklage, S. 146.

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§ 8 Einzelfragen

Zwecke der Gewinnerzielung erheben (Nr. 4) und nicht mehr als 5 Prozent seiner finanziellen Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen beziehen (Nr. 5). In der Klageschrift ist dies durch Angaben und Nachweise zu belegen (§ 606 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Hierdurch sollte den Bedenken vor Missbrauch, einer kommerziellen Klageindustrie, verdeckten Einflussnahmen und sonstigen Interessenskollisionen, welche insbesondere seitens der Wirtschaft unter Verweis auf die US-amerikanische class action vehement vorgetragen wurden,273 vorgebeugt werden.274 Praktisch führt dies aber dazu, dass die Klagebefugnis verengt und aufgrund der Privilegierung des § 606 Abs. 1 Satz 4 ZPO zumeist bei (den nicht allzu zahlreichen) Verbraucherzentralen und anderen Verbraucherverbände, die überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, liegen wird, welche dann mit ihren knappen Kapazitäten nahezu alle Massenschadensfälle abdecken müssten.275 Damit sind die Verbände auf diese Weise zugleich aber maßgeblich von Unterstützung seitens der öffentlichen Hand abhängig gemacht worden,276 die selbst knappen Haushalten unterliegt und keine üppigen Ressourcen in Aussicht stellen kann.277 Ansonsten dürfen sie außer Spenden kaum eigene Einnahmen in nennenswertem Umfang generieren, sofern sie dauerhaft in der Lage sein wollen, Musterfeststellungsklagen – mit hauptsächlich ideellem Anreiz278 – zu erheben. Ihre finanzielle bzw. personelle Ausstattung ist mithin begrenzt, während die beklagten Unternehmen regelmäßig ganze Rechtsabteilungen bereithalten und teure Mandate vergeben.279 Verhalten sich die jeweiligen Ressourcen der Parteien des Musterfeststellungsverfahrens disproportional, droht ggf. sogar eine Fortsetzung des prozessualen Ungleichgewichts, welches schon Individualverfahren zwischen einer Verbraucherin und dem Unternehmen charakterisiert.280 So führt diese meist unklare finanzielle Lage unweigerlich dazu, dass sich eine qualifizierte Einrichtung vor der Erhebung einer Musterfeststellungsklage, insbesondere bei

273 Vgl. Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (635, 639); siehe auch Witte/Wetzig, WM 2019, 52; Woopen, NJW 2018, 133 f. 274 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 23; Riesner, ZIP 2019, 1507 (1508). 275 Stadler, JZ 2018, 793 (801); ähnlich Schneider, BB 2018, 1986 (1997). 276 Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 109; Freitag/Lang, ZZP 132 (2019), 329 (348 f.). 277 Nach Halfmeier, 50 Jahre Verbraucherverbandsklage, S. 149 wäre das auch nicht unbedingt wünschenswert, um den zivilgesellschaftlichen Charakter der Einrichtungen zu bewahren. 278 Sieht man einmal von dem „Profit“ ab, den sie bei einer erfolgreichen Musterfeststellungsklage durch einen Ansehenszugewinn und ggf. einen darauffolgenden Mitgliederzuwachs bzw. eine erhöhte Reichweite erreichen könnten. Insoweit auch Röß, NJW 2021, 1495 (1498 Rn. 22). 279 Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (247); zu diesem Kontrast auch allgemein Basedow, EuZW 2018, 609 (610). 280 Dahingehend auch Gsell/Möllers, in: Gsell/Möllers, S. 465 (483).

A. Finanzierung

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hoch umstrittener Sach- bzw. Rechtslage, auch ganz konkret fragen muss: Können bzw. wollen wir uns das Verfahren überhaupt leisten?281

I. Finanzierungsbedarf der Musterklägerin Um sich der Finanzierungsthematik zu nähern, erscheint zunächst sinnvoll, theoretisch aufzuschlüsseln, wofür die qualifizierten Einrichtungen ihre Ressourcen zu einer möglichst erfolgreichen Rechtsverfolgung im Einzelnen einsetzen müssten. Denn ihre Tätigkeiten im Rahmen einer Musterfeststellungsklage sind vielschichtig, mitunter vom jeweiligen Verfahrensstadium abhängig und könnten zukünftig sogar noch anwachsen, insbesondere wenn die Vorgaben der Verbandsklagenrichtlinie in der zuvor dargestellten Weise zur Weiterentwicklung des derzeitigen Konzeptes umgesetzt werden sollten. Dann wäre direkt auch die Maßgabe des Art. 20 Abs. 1 RL zu beachten, wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass die durch Verbandsklagen entstehenden Kosten die qualifizierten Einrichtungen nicht von einer Verfahrenseinleitung abhalten. Ob die bisher ergriffenen Maßnahmen (v. a. die Streitwertbegrenzung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 GKG) hierzu ausreichen, wird im Folgenden ergründet. Die Ermittlung des Mittelbedarfs soll dabei helfen. Ohne eine Berücksichtigung dieser tätigkeits- und zeitbedingten Komponenten wäre die Diskussion, wie die Verbände interessengemäß unterstützt und die Klagebedingungen ggf. verbessert werden könnten, unvollständig. Freilich kann dies nur abstrakt-potenziell geschehen: Immerhin ist der tatsächlich erforderliche Aufwand ein individueller Wert, welcher vom Verlauf und der Komplexität des Verfahrens (inkl. der Zahl der Anmelderinnen) mitbestimmt wird und somit vor Klageerhebung nur bedingt abzusehen ist. Verbände, die zu einer Musterfeststellungsklage entschlossen sind oder eine solche jedenfalls ernstlich erwägen, tragen demnach von Anfang an ein nicht zu unterschätzendes Kalkulationsrisiko. 1. Verfahrensvorbereitung Ein gewichtiger Teil des Aufwands kommt bereits im Vorfeld eines Musterfeststellungsverfahrens auf die qualifizierte Einrichtung zu. Hier muss die Klage umfassend vorbereitet werden. Dazu gehört zuvörderst die Betrachtung des jeweiligen Schadensereignisses mit einer ersten Einschätzung der Sach- und Rechtslage sowie des erkennbaren Betroffenenkreises. Auf dieser Basis können die Gemeinsamkeiten der Lebenssachverhalte sowie geeignete Feststellungsziele ermittelt werden, welche in einer Vielzahl von Fällen wiederkehren.282 281 Vgl. Heese, NJW 2021, 887 (892 Rn. 33); R. Koch, MDR 2018, 1409 (1414); Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 88. 282 Vgl. RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 22; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 12.

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§ 8 Einzelfragen

Gerade die Formulierung Letzterer ist im Hinblick auf alle infrage kommenden Konstellationen umfassend zu durchdenken283 und von größter Bedeutung für das Gelingen der Klage an sich sowie für deren schlussendliche Effektivität in der Breite. Schon für die Zulässigkeit muss gemäß § 606 Abs. 3 Nr. 2 ZPO „glaubhaft gemacht [werden], dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbraucher[inne]n abhängen“, zumal die Bindungswirkung eines Musterfeststellungsurteils zugunsten der Anmelderinnen nur besteht, wenn die Feststellungsziele und der Lebenssachverhalt für den jeweiligen Individualrechtsstreit vorgreiflich sind.284 Da zudem im Rahmen der Anmeldungen zur Eintragung in das Klageregister die jeweilige Abhängigkeit der Ansprüche oder Rechtsverhältnisse der Verbraucherinnen von den Feststellungszielen inhaltlich nicht geprüft wird (§ 608 Abs. 2 Satz 3 ZPO), muss der die Verbraucherinteressen wahrnehmende Verband umso sorgfältiger vorgehen. So sind die bisher erhobenen Musterfeststellungsklagen oft dadurch geprägt, dass mehrere Feststellungsziele geltend gemacht werden, die allerdings zum Teil nur hilfsweise bzw. „äußerst hilfsweise“ beantragt sind und so zu einer Verklausulierung der Klageschrift führen.285 Regelmäßig wird dabei die teure Hinzuziehung anwaltlicher Beratung und insbesondere Unterstützung bei dem Verfassen der Klageschrift, die nach § 606 Abs. 2 ZPO umfangreichen Anforderungen unterliegt, unumgänglich sein.286 Währenddessen hat die qualifizierte Einrichtung auch organisatorisch einiges zu bewältigen. Durch breite Informationskampagnen, etwa über die eigene Website und anderweitige mediale Kanäle, muss sie betroffene Verbraucherinnen aufspüren sowie über die geplante oder im Klageregister bereits bekanntgemachte Klage und deren Hintergründe aufklären; nicht nur, um genügend Betroffene im Hinblick auf die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Vorgreiflichkeit und des Anmeldequorums (§ 606 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ZPO) zu finden, sondern um generell möglichst viele Verbraucherinnen für die Eintragung ins Klageregister zu mobilisieren.287 In der Vergangenheit ging hierbei oft ein Großteil der Ansprüche jed-

283 Insbesondere weil eine nachträgliche Klageänderung (nach dem ersten Termin) meist ausscheidet, vgl. § 6 C. I. 2. 284 Feldhusen, ZIP 2020, 2377 (2381); ähnlich Meller-Hannich, WuM 2021, 1 (3); Schneider, BB 2018 (1986 (1992). 285 Exemplarisch BGH NJW 2020, 341 zu der ursprünglich beim OLG Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) anhängig gemachten Musterfeststellungsklage, der die Ablehnung der öffentlichen Bekanntmachung der Feststellungsziele 9 (äußerst hilfsweise) und 11 b) (hilfsweise) bestätigte. 286 Siehe auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 12, welche in der Formulierung der Feststellungsziele eine der größten Herausforderungen für qualifizierte Einrichtungen sieht. Ähnlich Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 451. 287 Vgl. Basedow, EuZW 2018, 609 (614); Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 56; Röthemeyer, MFK, § 607 ZPO Rn. 2.

A. Finanzierung

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weden Bemühungen der Verbraucherzentralen zum Trotz verloren.288 Angesichts dessen ist es höchst unverständlich, dass diese einerseits alleinig für die Aufklärung der Verbraucherinnen verantwortlich gemacht werden, ihre Tätigkeit andererseits aber mit erheblich begrenzten und faktisch sogar gesetzlich erschwertem Zugang zu finanziellen Mitteln bestreiten sollen. Schon deshalb sollten sie über eine entsprechende Ausstattung verfügen, mit der sie den nötigen anstatt nur den möglichen Aktionsradius absichern können. Auf das Informieren folgt schließlich noch die weitere Beratung von bzw. Abstimmung mit Interessenten, für die sie mehr oder weniger die einzige Ansprechpartnerin sind.289 Zu berücksichtigen ist, dass von diesen mitnichten alle die Voraussetzungen für die Musterfeststellungsklage erfüllen respektive ein zu dieser passendes Anliegen haben, sodass diese idealiter herauszufiltern bzw. darauf aufmerksam zu machen wären.290 Die dadurch erforderliche externe wie interne „Nebenbei“-Koordination bündelt Ressourcen des Verbands großflächig. Hier ist besonders fähiges Personal gefragt,291 welches auch mit finanziellen Anreizen geworben bzw. gehalten werden muss. Alles in allem zeigt sich, dass sich die Vorbereitungsphase praktisch äußerst herausfordernd darstellen kann, insbesondere wenn es sich um Massenschadensereignisse mit den Ausmaßen des Abgasskandals handelt. Sowohl personell als auch technisch sollten die Verbände sehr solide aufgestellt sein; wohlgemerkt noch bevor ein Musterfeststellungsprozess überhaupt richtig begonnen hat. 2. Verfahrensdurchführung Der Umfang des Mittelbedarfs während des Musterfeststellungsverfahrens ist wiederum von mehreren Faktoren beeinflusst. Vorrangig determiniert die Komplexität des Rechtsstreits, wie umfangreich die Anträge über die Feststellungsziele verhandelt, Gutachten eingeholt, Zeuginnen gehört und sonstige Beweise erhoben werden. Gerade in neuartigen Fallkonstellationen, in denen bislang keine (gefestigte) Rechtsprechung existiert, dürfte zwischen den Parteien lang und intensiv gestritten werden. Dies wirkt sich entsprechend auf das Prozesskostenrisiko aus (§ 91 ZPO).

288 Siehe etwa die Beispiele bei Hörmann, VuR 2016, 81 (82) zu zwei groß angelegten Kampagnen der Verbraucherzentralen wegen Erstattungsansprüchen im Zuge unwirksamer Gaspreisänderungsklauseln bzw. gekündigter Lebensversicherungen, bei denen sich wohl nur ein Bruchteil der Kunden den Klagen angeschlossen hatte und Ansprüche jeweils millionenfach verloren gegangen sein sollen. 289 Daneben stellt allenfalls noch das Bundesamt für Justiz weiterführende Informationen zur Verfügung, die zu einer angemessenen Aufklärung der Verbraucherinnen aber zumindest derzeit nicht ausreichend sind, vgl. § 6 B. I. 2. a) bb). 290 So auch Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 56. 291 Vgl. Gurkmann, in: Gsell/Möllers, S. 439 (440).

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§ 8 Einzelfragen

Prima facie kommt der Musterklägerin diesbezüglich jedoch die Anordnung der Streitwertobergrenze von 250.000 Euro in § 48 Abs. 1 Satz 2 GKG entgegen. Der gemäß § 3 ZPO nach freiem Ermessen zu bestimmende Wert des Streitgegenstandes soll nach dem Willen der Gesetzgeberin insoweit nicht anhand der wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsstreits für die angemeldeten Verbraucherinnen beurteilt werden.292 Hierdurch beschränken sich die ersatzfähigen Gebühren der anwaltlichen Klägervertretung in der ersten Instanz auf eine im Verhältnis zum Arbeitsaufwand meist äußerst überschaubare Summe.293 Die gesetzlichen Prozesskosten halten sich so in Grenzen: Im Fall der Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG waren sie unter 25.000 Euro anzusiedeln.294 Faktisch kann die qualifizierte Einrichtung davon allerdings kaum profitieren. Denn sie müsste – jedenfalls sofern sie nicht riskieren will, gegenüber der Gegenseite im Nachteil zu sein – weit über die gesetzlichen Anwaltsgebühren hinaus massiv in ihre Expertise und ihre Prozessvertretung investieren, also im Ergebnis dennoch die kanzleiseitig auf Stundenbasis verlangte Vergütung295 für die kostspielige Vorbereitung und Durchführung der Musterfeststellungsklage übernehmen.296 Dafür bedarf es entsprechender Finanzierungsquellen, welche durch die Reduzierung des Prozesskostenrisikos nicht eröffnet sind. Dieses erschwert nur fortwährend, dass sich die Parteien auf Augenhöhe begegnen können.297 Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass mit einer zunehmenden Zahl angemeldeter Verbraucherinnen auch der Aufwand der Musterklägerin steigt: Je größer das Verfahren, desto mehr Ressourcen benötigt der klagende Verband. Dies gilt nicht nur bezüglich des eigentlichen Prozesses und der präventiven Abfederung einer möglichen Haftung durch den Abschluss einer Versicherung für ggf. verursachte Vermögensschäden,298 sondern auch für die prozessbegleitenden 292

RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 29; Heese, JZ 2019, 429 (437). Stadler, NJW 2020, 265 geht von circa 8.500 Euro aus. 294 Beckmann/Waßmuth beziffern die erstinstanzlichen Prozesskosten der Musterfeststellungsklage im Dieselskandal mit 23.477,60 Euro. 295 So auch Guggenberger/Guggenberger, MMR 2019, 8 (11). 296 Im Fall des Obsiegens hat diese die Beklagtenseite zu tragen. Bei den Vergleichsverhandlungen stellte im VW-Abgasskandalverfahren stellten die klägerseitig veranschlagten Anwaltskosten (ca. 50 Millionen Euro) jedoch einen Streitpunkt dar, welche die Vereinbarung beinahe scheitern ließen. Dazu krit. Römermann im Interview mit Lorenz, „Eine Zumutung für Anwälte“, Artikel des Legal Tribune Online v. 5.3.2020, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/juristen/b/kosten-anwalt-vergleich-musterfeststellungsklage-vw-goa-gebuehren/ (Abrufdatum: 4.1.2022). 297 Halfmeier, ZRP 2017, 201 (204) und Heese, JZ 2019, 429 (437) befürchten daher eine „Zweiteilung des Anwaltsmarkts“, bei der die spezialisierten Großkanzleien aufgrund der Unattraktivität des Mandats überwiegend auf Beklagtenseite agieren; zum Ungleichgewicht auch Guggenberger/Guggenberger, MMR 2019, 8 (11). 298 Vgl. Beschlussempf., BT-Drs. 19/2741, S. 24; so auch Halfmeier, ZRP 2017, 201 (204). Stattdessen auf Eigenmittel zu vertrauen, könnte sich als ruinös erweisen, vgl. Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 452. 293

A. Finanzierung

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kommunikativen und administrativen Aufgaben. So meldete mit dem vzbv sogar die hierzulande prominenteste Verbraucherzentrale noch vor dem Inkrafttreten der Musterfeststellungsklage einen zusätzlichen Mittelbedarf für „kompetentes Personal und die entsprechenden Sachmittel“ an, um „die neuen Herausforderungen zu stemmen“.299 Dieser Aufruf hatte zwar gewissen Erfolg,300 führte jedoch nicht flächendeckend für alle Verbraucherverbände zu einer Verbesserung. So trägt die rückständige finanzielle Ausstattung im Zusammenspiel mit den Beschränkungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO ganz wesentlich dazu bei, dass die Zahl der bislang erhobenen Musterfeststellungsklagen enttäuschen muss.301 Angesichts dieses offensichtlich unbefriedigenden Zustandes dürfte die deutsche Gesetzgeberin nicht darum herumkommen, sich dem Problem bald anzunehmen, zumal auch die europäische Gesetzgeberin in der nach der aufgezeigten Umsetzungsperspektive beachtlichen EU-Verbandsklagenrichtlinie verlangt, dass qualifizierte Einrichtungen keinen Finanzierungsengpässen unterliegen.302 Dies könnte auch zu anderen konzeptionellen Verbesserungen beitragen: Zu denken sei insbesondere an Massenverfahren à la VW mit unzähligen falschen oder mehrfachen Anmeldungen im Klageregister, in denen die Ungewissheit über die tatsächliche Teilnehmerzahl die Vergleichsbereitschaft der Musterbeklagten beeinträchtigen kann.303 Ein potenterer Verband könnte hier – idealiter im Verbund mit einem gleichsam besser ausgestatteten Bundesamt für Justiz304 – die Bereinigung des Klageregisters beschleunigen und die Aussichten auf eine zügige wie umfassende vergleichsweise Einigung zugunsten der Geschädigten erhöhen.

299 So der vzbv-Vorstand Klaus Müller in einem Interview mit Neuerer, Warum die neue Musterklage Verbraucherschützer vor Probleme stellen könnte, Artikel des Handelsblatts v. 11.6.2018, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/politik/deutsch land/interview-mit-vzbv-chef-mueller-warum-die-neue-musterklage-verbraucherschuet zer-vor-probleme-stellen-koennte/22671060.html?ticket=ST-933475-Zgmf427BXvRkeF YFMPdg-ap5 (Abrufdatum: 4.1.2022). 300 So hat sich die Bundesregierung (Beschlussempf., BT-Drs. 19/2741, S. 24) darauf verständigt, „dem Verbraucherzentrale Bundesverband zusätzliche Mittel [insbesondere für eine Vermögenschadenshaftpflichtversicherung] zur Verfügung zu stellen, die für die durch dieses Gesetz [zur Einführung der Musterfeststellungsklage] möglich werdenden Tätigkeiten als klagebefugte Einrichtung notwendig sind“; dazu Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 109. 301 Vgl. Röthemeyer, BKR 2021, 191 (192). Diese schon von Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (650 f.) gemachte Prognose hat sich insoweit bewahrheitet. 302 Ausdrücklich Erwägungsgrund 70, ABl. 2020 Nr. L 409/10: „Angesichts der Tatsache, dass bei Verbandsklagen durch den Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher[innen] ein öffentliches Interesse verfolgt wird, sollten die Mitgliedstaaten Maßnahmen beibehalten oder erlassen mit dem Ziel, sicherzustellen, dass qualifizierte Einrichtungen nicht durch die damit einhergehenden Verfahrenskosten daran gehindert werden, Verbandsklagen nach dieser Richtlinie zu erheben.“ 303 Siehe Stadler, NJW 2020, 265. 304 Vgl. § 5 D. II. 2.

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§ 8 Einzelfragen

Darüber hinaus könnten so ggf. qualifizierte Einrichtungen ernsthaft in Erwägung ziehen, den Verbraucherinnen im Anschluss an ein positives Musterfeststellungsurteil die gebündelte Geltendmachung ihrer Forderungen zur Einziehung nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO anzubieten.305 Im Übrigen wird ihr Aufgabenbereich mit Blick auf die Vorgaben der Verbandsklagenrichtlinie ohnehin weiter zunehmen, ganz gleich, ob diese im Rahmen einer Weiterentwicklung des Musterfeststellungskonzeptes oder als eigenständige Klage umgesetzt werden. An Unterstützungsbedarf mangelt es somit wahrlich nicht. Zu diskutieren ist lediglich, wie diesem am besten nachzukommen ist.

II. Handlungsmöglichkeiten Das Finanzierungsproblem, für welches in diesem Abschnitt verschiedene Handlungsmöglichkeiten untersucht werden sollen, hängt offensichtlich eng mit dem Thema Missbrauchsprävention zusammen. Die strengen Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen in § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO, welche für deren Ressourcenknappheit mindestens mitursächlich sind, sollen v. a. verhindern, dass die Verbraucherverbände in fremde Abhängigkeiten geraten oder Interessenskollisionen unterliegen. Hierzu wurden jedoch bereits Vorwürfe laut, die Gesetzgeberin habe sich bei der Ausgestaltung der Klagebefugnis zu sehr vom „Narrativ“ der Klageindustrie leiten lassen.306 Folgt man dem, könnten Anpassungen der Rahmenbedingungen zur erleichterten Finanzierung zu befürworten sein. Immerhin könnte eine kostendeckende Ausstattung qualifizierte Einrichtungen auch vor manchen Interessenkonflikten bewahren, etwa weil sie so aufgrund höherer Erfolgschancen nicht nach geraumer Zeit auf einen Vergleichsschluss zusteuern müssten.307 Andererseits muss dabei wiederum das Motiv der Missbrauchsverhinderung im Auge behalten werden. Insoweit wird zwangsläufig zu fragen sein: Wie viel Spielraum sollte den Musterklägerinnen gewährt werden dürfen, und wo sind mit Blick auf die Belange der Verbraucherinnen, der Beklagten und der Justiz die Grenzen zu ziehen? In diesem Widerstreit der Interessen manifestiert sich ein diffuses Spannungsfeld. Bisweilen wird jenes gar als das „Grunddilemma“ des kollektiven Rechtsschutzes308 ausgemacht. Die Erörterung möglicher Lösungen für die Finanzierung der Verbände erfordert dementsprechend auch eine Abwägung zwischen Mittel- und Schutzbedarf. Diese Gesichtspunkte sollen vorliegend nicht außer 305

Vgl. § 7 C. II. 1. Exemplarisch Röthemeyer, VuR 2020, 130 (135). Auch Buchner, Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 51 ff. kommt zum Ergebnis, dass die aus den US-amerikanischen Verhältnissen abgeleiteten Missbrauchsgefahren auf europäischer Ebene nicht akut sind. 307 In diese Richtung Rentsch, EuZW 2021, 524 (530). 308 Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (635). 306

A. Finanzierung

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Acht gelassen werden. Unberücksichtigt bleiben demgegenüber Maßnahmen, welche die Gerichtsgebühren zusätzlich zur Streitwertobergrenze nach § 48 Abs. 1 Satz 2 GKG weiter begrenzen und das Prozesskostenrisiko quasi abschaffen würden. Der Bedeutung der Kostentragungsregel des § 91 ZPO für die Verhinderung missbräuchlicher Klageerhebungen soll so Rechnung getragen werden.309 Fokussiert werden demnach Ansätze, die auf das Vorhandensein besser ausgestatteter Musterklägerinnen abzielen. 1. Umgestaltung der Klagebefugnis Aufgrund des kausalen Zusammenhangs zwischen der strengen Konzipierung der Klagebefugnis (als eine der Ursachen) und der unzureichenden Finanzierung der Musterklägerin (Wirkung) bietet sich zunächst an, die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 ZPO in den Blick zu nehmen. Möglicherweise könnte die Problematik de lege ferenda durch eine Modifikation der Regelung entzerrt werden. Anpassungen wären sowohl in sachlicher als auch in persönlicher Hinsicht denkbar. a) Streichung der Zusatzanforderungen Eine erste Maßnahme zugunsten der qualifizierten Einrichtungen könnte der Verzicht auf die Zusatzanforderungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO darstellen, wodurch sich der zugelassene Klägerkreis unmittelbar aus der beim Bundesamt für Justiz geführten Liste nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG (i.V. m. § 4 UKlaG) ergeben würde.310 So hatte es ursprünglich schon der Diskussionsentwurf des BMJV vorgesehen.311 Die Rückkehr zu dieser Fassung hätte aus mehreren Perspektiven finanzielle Vorteile. Zunächst würden die Verbände in ihrer Tätigkeit und Organisation gewissermaßen von dem Korsett befreit, welches ihnen durch die Beschränkungen engstens angelegt wurde. Insbesondere müssten sie mit dem Wegfall des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO nicht mehr penibel darauf achten, die Verbraucherinteressen in Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrzunehmen, sondern könnten diese vermehrt gerichtlich geltend machen und sich auf diese Weise professionalisieren.312 Daneben ließen sich – wie sich e contrario aus dem Ende 2020 aufgrund des Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs313 eingeführ309 Siehe schon Geiger, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozess, S. 229; allgemein auch Schulz, in: MüKoZPO, Vorb § 91 Rn. 2. 310 Vgl. Feldhusen, ZIP 2020, 2377 (2380). 311 Siehe § 607 ZPO-E, abrufbar unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetz gebungsverfahren/Dokumente/DiskE_Musterfeststellungsklage.html (Abrufdatum: 4.1. 2022). 312 Scholl, ZfPW 2019, 317 (333). 313 BGBl. I 2020, S. 2568.

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§ 8 Einzelfragen

ten § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. b) UKlaG ergibt – gewisse Einnahmen aus Abmahnungen oder Vertragsstrafen erzielen, soweit dies nicht das vorwiegend verfolgte Interesse bildet.314 Seit dieser Vorschriftsreform, welche sich bereits bei Einführung der Musterfeststellungsklage angeboten und die Restriktion in § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO wohl obsolet gemacht hätte,315 können missbräuchlich agierende Verbände nunmehr direkt durch das Bundesamt für Justiz von der Liste der qualifizierten Einrichtungen ferngehalten werden. Darüber hinaus würde die Streichung des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 und 5 ZPO den Verbänden die interne Aufstellung sowie die Entgegennahme von Unternehmenszuwendungen erleichtern. Zumal hier wiederum die Neufassung des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a) und Nr. 4 UKlaG das nötige Korrektiv zur Vermeidung fremder, die Unabhängigkeit gefährdender Einflussnahmen setzt.316 Angeglichen wurde ebenso die unwiderlegliche Vermutung des Vorliegens der Eintragungsvoraussetzungen für Verbraucherzentralen und andere Verbraucherverbände in § 4 Abs. 2 Satz 2 UKlaG n. F., die nun auf die in § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO vorgesehene überwiegende Förderung mit öffentlichen Mitteln rekurriert.317 Gerade angesichts der modifizierten Eintragungsvoraussetzungen für qualifizierte Einrichtungen in § 4 UKlaG erscheinen die Zusatzanforderungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO also entbehrlich. Dass die Gesetzgeberin bei der Ausgestaltung der Klagebefugnis „über das Ziel der Vermeidung einer kommerziellen und verbraucherschutzfremden Klageindustrie hinausgeschossen“ sein könnte,318 legt auch die bisher ergangene Rechtsprechung nahe, welche etwa in zwei von der Schutzgemeinschaft für Bankkunden e. V. eingereichten (und als unzulässig abgewiesenen) Klagen mehrere Anforderungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO unter dem Argument der Missbrauchsgefahren abermals schärfte.319 Auf diese Weise wird die Verbraucherrechtsdurchsetzung aber weder geschützt noch gestärkt, sondern eher vereitelt.320 Am ehesten profitieren noch spezialisierte Anwaltskanzleien und Prozessfinanziererinnen, welche die Kommerzialisierung im privaten Bereich vorantreiben. Hinzu kommt, dass das Verfahren aufgrund der Prüfung der einzelnen Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO im Rahmen der Zulässigkeit (§ 606 314

Dazu Max, VuR 2021, 129 (131). Dahingehend auch Röthemeyer, BKR 2021, 191 (192). 316 Dies ermöglicht v. a. die Neuerung, dass nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UKlaG auch zu berücksichtigen ist, ob der Verband nach „seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung gesichert erscheint, dass er seine satzungsgemäßen Aufgaben auch künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird“. 317 Max, VuR 2021, 129 (131). 318 So Riesner, ZIP 2019, 1507 (1515); ähnlich Heese, JZ 2019, 429 (434). 319 BGH NJW 2021, 1014; 2021, 1018; siehe schon § 5 B. I. 320 Vgl. Röthemeyer, BKR 2021, 191 (192); § 5 B. I. 4. 315

A. Finanzierung

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Abs. 3 Nr. 1 ZPO) durch das Musterfeststellungsgericht schon anfangs zu stagnieren droht. Anstatt sich auf die Listung beim Bundesamt für Justiz verlassen zu können, muss die Klagebefugnis ausführlich durch Angaben und Nachweise dargelegt werden, was nicht nur der Klägerin enorme Arbeit abverlangt, sondern ebenso eine im Ergebnis unverständliche Abweisung der Klage321 sowie taktische Manöver zur Prozessverzögerung seitens der Beklagten provoziert.322 Strategisch befindet sich die qualifizierte Einrichtung damit im Nachteil.323 Die Zusatzanforderungen zu streichen und auf die Verlässlichkeit der Liste der qualifizierten Einrichtungen zu vertrauen würde insofern auch die Effektivität bzw. Effizienz der Klage steigern. Missbräuchliche Klageerhebungen dürften bereits aufgrund der zuletzt implementierten Hürden in § 4 Abs. 2 Satz 1 UKlaG nicht zu erwarten sein.324 Und selbst wenn sich in einem Musterfeststellungsverfahren ausnahmsweise doch begründete Zweifel ergeben sollten, ob ein gelisteter Verband die Eintragungsvoraussetzungen erfüllt, könnte das Gericht gemäß § 4a Abs. 2 UKlaG das Bundesamt für Justiz zur Überprüfung der Eintragung auffordern und die Verhandlung bis zum Abschluss der Überprüfung aussetzen. Zuletzt würde die Umgestaltung der Klagebefugnis positiven Einfluss auf die zuvor aufgezeigte Umsetzungsperspektive der Verbandsklagenrichtlinie haben. Denn einerseits ähneln die dortigen Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen für grenzüberschreitende Verbandsklagen (Art. 4 Abs. 3 RL) viel mehr denjenigen des § 4 UKlaG als denen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO; diese für innerstaatliche Sachverhalte gleichzustellen, würde zu einer kohärenteren Rechtslage führen.325 Andererseits könnte dann, falls die Musterfeststellungsklage um den hier vorgeschlagenen Abhilfemechanismus erweitert würde, ausweislich des Art. 20 Abs. 3 RL theoretisch zur Debatte gestellt werden, ob man dem klagenden Verbraucherverband womöglich eine Erfolgsbeteiligung an dem vom Gericht insgesamt geschätzten Mindestschadensersatz in Aussicht stellt, der dann auch einen gewissen finanziellen Anreiz zur Klageerhebung hätte.326 De lege lata ist diese Option noch durch § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZPO gänzlich versperrt.

321 Siehe dazu die schon kritisierte Einengung des Mitgliederbegriffs (vgl. § 5 B. I. 1.), der u. a. auf dem Beklagten vor dem OLG Stuttgart WM 2019, 1055 (1056 Rn. 50) beruhte, „dass sich deren [der Internetmitglieder] Rechte und Pflichten nicht ernsthaft von Beziehern kostenpflichtiger Newsletter auf Abonnements-Basis unterscheiden“ würden. 322 Vgl. Röthemeyer, VuR 2020, 130 (141). 323 Siehe auch Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 606 Rn. 10. 324 Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323 (324). 325 Vgl. bereits § 7 B. II. 1. b). 326 Vgl. R. Koch, MDR 2018, 1409 (1414); in Bezug auf Gewinnabschöpfungsklagen auch Buchner, Kollektiver Rechtsschutz für Verbraucher, S. 202.

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§ 8 Einzelfragen

b) Erweiterung der Klageberechtigung Außer der Herabsetzung der an die qualifizierten Einrichtungen gestellten Anforderungen könnte die Klagebefugnis noch dergestalt modifiziert werden, dass auch andere der in § 3 Abs. 1 Satz 1 UKlaG bezeichneten Stellen – namentlich bestimmte Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen (Nr. 2) bzw. die Industrie- und Handelskammern oder die Handwerkskammern (Nr. 3) zur Klage ermächtigt würden.327 Zwar wäre damit dem Finanzierungsbedarf der Verbraucherverbände nicht unmittelbar abgeholfen, aber zumindest die Wahrscheinlichkeit für Klageerhebungen durch einen vergrößerten Kreis der Klageberechtigten erhöht, mithin die „Klagelast“ auf mehrere Schultern verteilt. Freilich müsste bei einer erweiternden Neufassung des § 606 Abs. 1 ZPO zweierlei beachtet werden: Erstens sollte diese nicht dazu führen, dass die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Musterfeststellungsklage auf Verbraucherinnen passé wäre. Wie auch im materiellen Recht erscheinen Privilegien für bestimmte Personengruppen im Rahmen der Rechtsdurchsetzung nur angebracht, wenn ein hinreichend klarer und eingrenzbarer Schutzbedarf besteht. Ob ein solcher für alle Unternehmerinnen im Angesicht der v. a. Verbraucherinnen betreffenden Problematik von Massenschäden sowie der nach § 148 Abs. 2 ZPO schon möglichen Aussetzung eines Individualverfahrens bis zum Abschluss der Musterfeststellungsklage fundiert dargelegt werden kann, ist rechtspolitisch anzuzweifeln. Am ehesten ließe sich noch die Schutzwürdigkeit kleiner Gewerbetreibender plausibel begründen,328 wobei sich für deren Einbeziehung in den Anwendungsbereich des § 606 Abs. 1 ZPO jedoch Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben könnten.329 Somit erscheint es vorzugswürdig, die Zielsetzung der Stärkung des Verbraucherschutzes beizubehalten, zumal ein auch für Unternehmen offenstehendes kollektives Rechtsschutzinstrument mit Blick auf die Verbandsklagenrichtlinie dem rechtspolitischen (europäischen) Trend widersprechen würde. Zweitens müsste sichergestellt sein, dass eine sachgerechte Wahrnehmung der Verbraucherinteressen gewährleistet bleibt. Qualifizierte Einrichtungen sind dazu satzungsmäßig berufen und unterliegen zudem den Anforderungen des § 4 UKlaG. Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbstständiger beruflicher Interessen sowie Industrie- und Handels- bzw. Handwerkskammern sind dagegen nicht zuvörderst die Interessensvertreterinnen von Verbraucherinnen, sondern repräsentieren grundsätzlich die Unternehmerseite. Konkret stellt sich insoweit

327 Dafür etwa Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 49; Röthemeyer, VuR 2020, 130 (136); ähnlich Balke/Liebscher/Steinbrück, ZIP 2018, 1321 (1327); R. Koch, MDR 2018, 1409 (1414). 328 Vgl. Würtenberger/Freischem, GRUR 2017, 1101 (1103). 329 Vgl. bereits § 5 A. I. 1. b).

A. Finanzierung

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die Frage, ob eine Übertragung der Klagebefugnis auf die genannten Verbände hinreichend vor Missbrauchsbedenken und Interessenskonflikten gefeit wäre. Gerade bei Industrie- und Handelskammern drängen sich solche Probleme auf, da sie zur Durchsetzung der Verbraucherinteressen praktisch meist gegen einen Teil ihres eigenen Mitgliederbestands gerichtlich aktiv werden müssten, womit sie sich in der Praxis bislang (verständlicherweise) zurückhaltend zeigen.330 So verwiesen offenbar auch die Kammervertretungen selbst auf die potenziellen Interessensgegensätze und sorgten dafür, dass sie im Gesetzgebungsvorhaben rasch aus der Diskussion um die Klagebefugnis verschwanden.331 Das ist auch richtig so: Letztlich wird vermieden, dass eine klagende Kammer während des Verfahrens zwischen die Fronten oder anderweitig in Bedrängnis gerät, sei es durch einen direkten Konflikt oder auch nur weil Verbraucherinnen, Unternehmen oder Medien ihre Prozessführung argwöhnisch verfolgen und schon beim geringsten Anlass infrage stellen. Die hohen Standards, die für die Wahrnehmung der Verbraucherinteressen besonders mit Blick auf die erheblichen Einschränkungen des rechtlichen Gehörs und den fehlenden Einflussmöglichkeiten der Anmelderinnen aus gutem Grund bestehen, sollten hierdurch nicht allzu leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Anders könnte sich die Situation jedoch bei Wirtschaftsverbänden darstellen, jedenfalls wenn man auf die „qualifizierten“ i. S. d. § 8b Abs. 2 UWG abstellt, welche ebenfalls Ende 2020 durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs ins Leben gerufen wurden. Deren Kriterien sind zu denjenigen von qualifizierten Einrichtungen in § 4 Abs. 2 UKlaG fast identisch.332 Auch über sie wird vom Bundesamt für Justiz nach Durchlaufen eines Registerverfahrens nunmehr eine Liste geführt. Außerdem zeigen sich Gewerbeverbände im Unterschied zu den Industrie- und Handelskammern nach den bisherigen Praxiserfahrungen gerade in wettbewerbsrechtlichen Belangen – die gleichsam Verbraucherinnen zugutekommen – klagefreudig und konkurrieren hier teils sogar mit Verbraucherverbänden.333 Sie sorgen auf diese Weise ebenso für eine Sanktionierung wettbewerbswidrigen Verhaltens, nehmen also mindestens indirekt Interessen des Verbraucherschutzes wahr. Aufgrund dieser zahlreichen Parallelen würde insofern wenig dagegensprechen, die qualifizierten Wirtschaftsverbände gemäß § 8b Abs. 2 UWG in den Kreis der Klagebefugten einzubeziehen.334

330

Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 79 f. Vgl. Röthemeyer, MFK, § 606 ZPO Rn. 5; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 5. 332 Max, VuR 2021, 129 (131). 333 Näher Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 79 f. unter Verweis auf Meller-Hannich/Höland, Effektivität kollektiver Rechtsschutzinstrumente, S. 62 ff., 143 ff. 334 Dahingehend (vor Einführung der Vorschrift des § 8b UWG) bereits Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 80; Röthemeyer, VuR 2020, 130 (136). 331

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§ 8 Einzelfragen

2. Ausbau externer Unterstützung Ferner könnte den Verbraucherverbänden ihre Finanzierung auf andere Weise als durch eine Umgestaltung der Klagebefugnis – oder idealiter gar zusätzlich zu ersterer Maßnahme – erleichtert werden. Dafür werden nachfolgend mit der Prozessfinanzierung sowie der staatlichen Förderung zwei bereits bestehende Ansätze betrachtet, die nicht völlig neu instituiert, sondern lediglich durch ein entsprechendes Gebilde umrahmt bzw. abgerundet werden müssten. a) Gewerbliche Prozessfinanzierung Die Einschaltung einer gewerblichen Prozessfinanziererin wäre für Verbraucherverbände nicht neu: Vielmehr haben sie das Modell bereits im Rahmen von Gewinnabschöpfungsklagen nach § 10 Abs. 1 UWG erprobt, bei welchen sie der Dritten im Gegenzug für die Übernahme der hohen Prozesskostenrisiken eine (etwa zwanzigprozentige) Erlösbeteiligung im Erfolgsfall versprochen und ihre vermeintliche Forderung sicherungsweise an diese abgetreten hatten.335 Gleichwohl hat der BGH dem eine Absage erteilt und das Finanzierungsmodell als rechtsmissbräuchlichen Verstoß gegen § 242 BGB gewertet, gestützt auf das Hauptargument, dass die Klagebefugnis des Verbands in diesem Fall entgegen des gesetzgeberischen Ziels von der Prozessfinanziererin instrumentalisiert würde.336 In der Praxis der Verbandsklagen stehen solche Drittfinanzierungsvereinbarungen gegenwärtig also unter keinem guten Stern. aa) Hürden de lege lata Dabei erweist sich nicht erst diese Rechtsprechungslinie als hinderlich für die denkbare Übertragung des Finanzierungsmodells auf Musterfeststellungsklagen. Immerhin müsste zunächst geklärt werden, wie eine Einbindung mit Blick auf die Erfolgsbeteiligung de lege lata überhaupt sinnvoll erfolgen könnte. Denn das anvisierte Verfahrensergebnis ist ein Musterfeststellungsurteil; die Festsetzung eines von der Beklagten zu leistenden Betrags findet anders als bei der Gewinnabschöpfung nach § 10 Abs. 1 UWG gerade nicht statt, sondern bleibt der anschließenden Individualphase überlassen. Gleichermaßen fehlt es im sechsten Buch der ZPO an einem Äquivalent zum Aufwendungsersatzanspruch des klagenden Verbands aus § 10 Abs. 4 Satz 2 UWG, auf den die Prozessfinanziererin ihre Erfolgsbeteiligung stützen könnte.337

335 336 337

Dazu Harnos, GRUR 2020, 1034 (1035); Köhler, WRP 2018, 519 (523). BGH NJW 2018, 3581; bestätigt durch BGH NJW 2019, 2691. Dazu eingehend Harnos, GRUR 2020, 1034 (1039 ff.).

A. Finanzierung

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Der momentan einzige Anknüpfungspunkt für die Partizipation an einem Gewinn338 wäre insoweit eine erstrittene oder vergleichsweise erzielte Entschädigung der angemeldeten Verbraucherinnen. Um auf diese zugreifen zu können, müssten die Betroffenen aber von vornherein in die Kooperative zwischen dem klagenden Verband und der Finanziererin einbezogen werden und insbesondere der für sie nicht nur vorteilhaften Beteiligungsvereinbarung zustimmen.339 Hinter dieser rechtlichen Konstruktion würden freilich einige Fragen stehen: Was geschieht, wenn – was recht wahrscheinlich sein dürfte – ein Teil der Verbraucherinnen das Finanzierungsmodell ablehnt? Müssten die übrigen Anmelderinnen die Finanzierungszusage mit ihren Anteilen allein tragen oder sollte dann die Vereinbarung als Ganzes fallen? Und wie wird vermieden, dass die Geldgeberin je nach Prozessverlauf die Klägerseite nicht lediglich zu einem raschen Vergleich bewegen möchte oder Mittel zurückhält, sprich im Zweifel das eigene Profitstreben den Interessen der Verbraucherinnen voranstellt?340 Darüber hinaus ist mit Blick auf die oben erwähnte Rechtsprechungslinie des BGH ernsthaft zu bezweifeln, ob die qualifizierte Einrichtung bei Einschaltung einer gewerblichen Prozessfinanziererin in Anbetracht des § 606 Abs. 1 Satz 4 ZPO noch klagebefugt wäre. Danach darf sie „Musterfeststellungsklagen nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung erheben“. Zwar verfolgt der klagende Verband, auf den nach dem formellen Parteibegriff vorliegend abzustellen ist, selbst kein gewerbliches Interesse mit der Musterfeststellungsklage, jedoch könnte ihm das der Prozessfinanziererin zugerechnet bzw. angelastet werden.341 Wenngleich es einleuchten würde, eine Zurechnung etwa nur aufgrund einer personellen oder wirtschaftlichen Verflechtung anzunehmen und dem Verbraucherverband wegen der externen Finanzierungshilfe nicht en bloc die (Mit-)Verfolgung sachfremder Motive zu unterstellen,342 droht der Ansatz an dieser Stelle 338 De lege ferenda könnte, sofern nach den Vorgaben der Verbandsklagenrichtlinie eine Mindestabhilfe in das Musterfeststellungskonzept integriert wird, auch diese den Anknüpfungspunkt bieten, wodurch die aufgeworfenen Fragen allerdings nicht beseitigt würden. Dies würde erst gelingen, wenn die qualifizierten Einrichtungen selbst eine Erfolgsbeteiligung oder Ersatzansprüche erhielten, an welcher die Prozessfinanziererin dann partizipieren könnte. 339 Insoweit schon Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (247); ähnlich auch im Hinblick auf ein datenschutzrechtliches Einverständnis bei der Kooperation mit Legal-TechRechtsdienstleistern Röthemeyer, MFK, Einf. Rn. 120. 340 Halfmeier/Rott, VuR 2018, 243 (248) bemerken insoweit zutreffend, dass sich die Prozessfinanziererinnen zur Absicherung ihres Investments Mitspracherechte, insbesondere Möglichkeiten der Einflussnahme auf Vergleiche, von denen ihre Vergütung im Regelfall entscheidend abhängt, vorbehalten wollen würden und ein völliger Verzicht darauf unrealistisch sei. Ebenso Köhler, WRP 2018, 519 (523); Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (652). 341 Statt aller Harnos, GRUR 2020, 1034 (1037 f.) m.w. N. 342 So die ausführliche Argumentation des OLG Schwesig, Urteil v. 14.2.2019 – 2 U 4/18, BeckRS 2019, 8031 Rn. 49 ff. entgegen BGH NJW 2018, 3581; ähnlich Stadler, JZ 2019, 203 ff. m.w. N.

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§ 8 Einzelfragen

zu scheitern. Denn der BGH stellt sich im Fall des § 10 Abs. 1 UWG unter Berufung auf die gesetzgeberische Intention, kommerzielle Anreize für Gewinnabschöpfungsklagen vermeiden zu wollen, mit Nachdruck gegen jede Klageerhebung, welche wegen der Zusage einer Erfolgsbeteiligung an einen Dritten auch aus dem sachfremden Motiv eines Gewinnstrebens erfolgt, da die Klagebefugnis in solchen Konstellationen instrumentalisiert werde.343 Eben jene Ziele hatte die Gesetzgeberin aber auch in Bezug auf das Erfordernis des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZPO, durch welches „eine kommerzielle Klageindustrie oder missbräuchliche Klageerhebung zur Gewinnerzielung verhindert werden“ sollte.344 Insofern ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung zur gewerblichen Prozessfinanzierung von Gewinnabschöpfungsklagen nach entsprechenden Anträgen der Beklagtenseite spätestens höchstrichterlich auch auf Musterfeststellungsklagen Anwendung finden würde, sodass diese als unzulässig abzuweisen wären. Angesichts der allzu deutlichen Distanzierung von heftigen Umstimmungsversuchen der Oberlandesgerichte im Nachgang zum erstergangenen Leiturteil deutet im Übrigen wenig darauf hin, dass der BGH seine Ansicht (bzw. ein etwaiger anderer zuständiger Senat die Ansicht des I. Senats) hierbei korrigieren würde: Vielmehr nahm der Senat indirekt die Gesetzgeberin in die Pflicht, auf das von ihr verkannte Finanzierungsproblem der Verbände zu reagieren.345 bb) Aussichten de lege ferenda Nicht nur aufgrund der ergangenen Leitentscheidungen, sondern ferner im Zuge der Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie dürfte sich die deutsche Gesetzgeberin alsbald mit der Frage beschäftigen, ob die gewerbliche Prozessfinanzierung in einem bestimmten Rechtsrahmen erlaubt werden könnte. Art. 10 RL macht den Mitgliedstaaten insoweit regulative Vorgaben für die Drittfinanzierung von Verbandsklagen auf Abhilfeentscheidungen, „soweit diese nach nationalem Recht zulässig ist“.346 Sollte sie sich dafür entscheiden, wäre die vorgehend aus anderen Gründen befürwortete Streichung der Zusatzanforderungen des § 606 343 BGH NJW 2019, 2691 (2693 f.) in Bezug auf RegE UWG, BT-Drs. 15/1487, S. 25, 43. 344 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 23. 345 Siehe BGH NJW 2019, 2691 (2694 Rn. 31): „Auch wenn sich dessen [die der Gesetzgeberin] Erwartung, die Verbände würden trotz des vom Bundesrats erwähnten Prozessrisikos von ihrer Klagebefugnis ausreichend Gebrauch machen [. . .], nicht erfüllt hat, darf die gesetzgeberische Entscheidung nicht dadurch umgangen werden, dass Dritte eingeschaltet werden, die von der Klagemöglichkeit zu profitieren suchen [. . .].“ Dass es dem Senat in seinen Entscheidungen darum gegangen sein könnte, „[. . .] den deutschen Gesetzgeber endlich dazu zu bewegen, die Prozesskostenfinanzierung zu regeln [. . .]“, zieht auch die nach eigener Aussage ansonsten von der „Lektüre der Entscheidung [. . .] ratlos“ zurückgelassene Stadler, JZ 2019, 203 in Betracht; ähnlich das OLG Schwesig, Urteil v. 14.2.2019 – 2 U 4/18, BeckRS 2019, 8031 Rn. 63. 346 Dazu Erwägungsgrund 52, ABl. 2020, L 409/8 v. 4.12.2020.

A. Finanzierung

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Abs. 1 Satz 2 ZPO der erste Schritt für die Ermöglichung des Finanzierungsmodells; die Implementierung eines Anspruchs auf Mindestabhilfe wäre der Zweite. Für die Zulassung bzw. umgekehrt eine Abmilderung der Missbrauchsbedenken gegenüber den Interessen der Prozessfinanziererinnen wurden bereits im Gesetzgebungsprozess zur Einführung der Musterfeststellungsklage durchaus treffende Argumente geliefert.347 Jedoch müsste dazu generell die praktische Frage beantwortet werden, wie man die Kooperation gesetzlich steuern könnte, ohne sie zu stark zu reglementieren und die wirtschaftliche Grundlage der Vereinbarung zu beschneiden. Einerseits wäre die deutsche Gesetzgeberin gemäß Art. 10 Abs. 2 lit. a) RL dazu verpflichtet, Sicherungsmechanismen zu installieren, damit die qualifizierten Einrichtungen die Verbraucherinteressen im Prozess ohne negativen externen Einfluss wahrnehmen können. Andererseits ist das Geschäftsgebaren der Prozessfinanziererin darauf ausgelegt, dass sie den von ihr zur Zusage der Finanzierung verlangten Einfluss auf verfahrensrelevante Entscheidungen erhält. Die jeweiligen Interessen stehen sich hier diametral gegenüber. Aufgrund dessen könnte der Ansatz im Fall einer Überregulierung der gewerblichen Prozessfinanzierung dazu führen, dass die Anbieterinnen überwiegend auf das liberalere Einsatzgebiet des privaten Masseninkassos ausweichen bzw. – da sie dort oft ohnehin schon tätig sind – verbleiben, wodurch der Versuch de facto gescheitert wäre. Somit scheint diese Möglichkeit derzeit noch einigen Hindernissen und Unsicherheiten ausgesetzt zu sein, deren Beseitigung erhebliche Umgestaltungen und in gewissem Maße einen Kurswechsel im kollektiven Rechtsschutz erfordern würde. Das Finanzierungsproblem der qualifizierten Einrichtungen lässt sich mit der folgenden Alternative ggf. aber auch einfacher angehen. b) Staatliche Förderung Bewährter und zugleich harmloser als eine gewerbliche Prozessfinanzierung ist die staatliche Förderung klagebefugter Verbände. Davon geht schon das Gesetz selbst aus, indem es in § 606 Abs. 1 Satz 4 ZPO (vgl. auch § 4 Abs. 2 Satz 2 UKlaG) überwiegend mit öffentlichen Mitteln geförderte Verbraucherzentralen und andere Verbraucherverbände privilegiert und zu ihren Gunsten unwiderleglich vermutet, dass sie stets als klagebefugte qualifizierte Einrichtungen anzusehen sind.348 Mit anderen Worten indiziert die Gewährung einer entsprechenden Unterstützung eine weitgehend autarke, von Missbrauch emanzipierte Wahrnehmung der Verbraucherinteressen. Der Ausbau der öffentlichen Förderung könnte dazu beitragen, die Kluft der Mittel zwischen Musterklägerin und Beklagter zu verringern. Dazu regt nicht zuletzt die europäische Gesetzgeberin an, welche in 347 348

S. 24.

Vgl. Halfmeier, ZRP 2017, 201 ff. Vgl. RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 23 und Beschlussempf., BT-Drs. 19/2741,

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der Verbandsklagenrichtlinie als mögliche Maßnahmen eine „strukturelle Unterstützung oder sonstige Unterstützungsmaßnahmen“ nennt.349 Insoweit kann prinzipiell zwischen dauerhaften und einzelfallbezogenen Begünstigungen unterschieden werden. Vorrangig käme eine generelle Aufstockung der bereits an Verbraucherschutzeinrichtungen geleisteten Finanzhilfen infrage. Der Bund hat hierfür ein Exempel statuiert, als er dem vzbv im Zuge der Erweiterung seiner Aufgabenbereiche wegen der Einführung der Musterfeststellungsklage zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt hat.350 Allein dadurch, dass am Schluss der gegen die Volkswagen AG erhobenen Klage weit über 250.000 Verbraucherinnen vergleichsweise entschädigt worden sind, hatte sich die Zusage gelohnt. Empfehlenswert wäre, diese Maßnahme flächendeckend vorzunehmen, insbesondere an alle Verbraucherzentralen der Länder. Denn immerhin ist es der Bundeshaushalt, der am meisten von einer möglichst erfolgreichen Tätigkeit der Verbraucherverbände profitiert, sei es unmittelbar durch Vorteilsabschöpfungen nach § 10 Abs. 1 UWG bzw. § 34a Abs. 1 GWB oder mittelbar durch das Ersparen einer behördlichen Rechtsdurchsetzung bzw. durch eine Entlastung der Gerichte aufgrund einer erfolgreichen kollektiven Rechtsdurchsetzung. Vor demselben Hintergrund könnte darüber hinaus erwogen werden, auch einige derjenigen Verbände zu fördern, die bislang nicht (überwiegend) mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden. Gerade einzelfallbezogen sollten diese auf Antrag einen wirkungsvollen Zugang zu einer staatlichen Förderung erhalten, etwa für Massenverfahren oder sonstige Schadensfälle von gesteigertem öffentlichem Interesse.351 Jedenfalls bis zu einem gewissen Rahmen erschiene das denkbar, ohne dass der zivilgesellschaftliche Charakter der Verbraucherverbände verloren ginge.352 Als Quelle der zusätzlichen Mittel könnte – wie schon mehrfach vorgeschlagen wurde, weshalb lediglich auf die angegebenen Ausarbeitungen verwiesen sei – ein eigens eingerichteter Vermögensfonds dienen, in welchem abgeschöpfte Unrechtserlöse, Kartellbußgelder oder andere aus Verstößen gegen Verbraucherschutzvorschriften stammende Zuflüsse an den Bundeshaushalt zweckgebunden gesammelt werden würden,353 anstatt sie beliebig zu verteilen.354 Alternativ

349

Erwägungsgrund 70, ABl. 2020 Nr. L 409/10. Vgl. bereits § 8 A. I. 2. 351 Anbieten könnte sich dies bspw. auf Klagen wegen womöglich unrechtmäßig in AGB verankerten Gebührenmodellen, die nach dem weitreichenden Urteil des BGH WM 2021, 1128 zu unwirksamen Banken-AGB auch in anderen Bereichen erhoben werden könnten, siehe Baumann, GWR 2021, 209. 352 Davor warnt Halfmeier, 50 Jahre Verbraucherverbandsklage, S. 149. 353 So der detaillierte Vorschlag von Fezer, Zweckgebundene Verwendung von Unrechtserlösen, S. 50 ff. Verwiesen sei auch auf Micklitz/Stadler, Verbandsklagerecht in der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, S. 1142; Meller-Hannich, Gutachten 72. DJT, A 88; Stadler, ZHR 182 (2018), 623 (652 f.). 350

A. Finanzierung

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wäre denkbar, die Gelder einer Stiftung zur Förderung des Verbraucherschutzes zu unterstellen, deren Errichtung die Gesetzgeberin in der Vergangenheit wegen des Verwaltungsaufwands noch ablehnte, auch weil sie fälschlicherweise von einer ausreichenden finanziellen Ausstattung der qualifizierten Einrichtungen ausging.355 Dass aus einer derartigen Förderung die Abhängigkeit der qualifizierten Einrichtungen von staatlichen Zuwendungen ggf. konsolidiert oder gar gesteigert würde, ist sicherlich nicht optimal: Es bedürfte nur eines Verbands, der eine überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanzierte Musterfeststellungsklage gegen ein Unternehmen erheben will, an dem der Staat beteiligt ist, um zuweilen eine prekäre Interessenslage heraufzubeschwören.356 Verglichen mit einer faktischen Abhängigkeit von Gewerbsinteressen verfolgenden Drittfinanziererinnen erscheint dies gleichwohl als der geringere und weit weniger präsente Malus. Zudem ließe sich diese Gefahr zum Teil abfedern, indem man den Ausbau einer öffentlichen Förderung mit der Herabsetzung der Anforderungen an die Klagebefugnis, was eigene Einnahmemöglichkeiten vergrößern würde,357 kombiniert. 3. Fazit Letztendlich sind mehrere Handlungsmöglichkeiten gegen das Finanzierungsproblem der Verbraucherverbände zu befürworten. Eine Umgestaltung der Klagebefugnis könnte die qualifizierten Einrichtungen von den ihren Handlungsspielraum und gewisse Einnahmequellen einschränkenden sowie prozessverzögernden Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO befreien. Die Einbeziehung qualifizierter Wirtschaftsverbände i. S. d. § 8b UWG in den Kreis der Klagebefugten könnte sie darüber hinaus entlasten. Gekoppelt mit einer verstärkten staatlichen Unterstützung, insbesondere auch in außerordentlicher Form für Massenverfahren mit einem bestimmten Umfang, dürften klagebefugte Verbände weitaus solider aufgestellt sein, sodass perspektivisch mit mehr Musterfeststellungsklagen zu rechnen wäre. Einzig bei gewerblichen Prozessfinanzierungsmodellen, für die de

354 So wurde die von der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegenüber der Volkswagen AG verhängte Geldbuße von 1 Milliarde Euro vom Land Niedersachsen für schnelleres Internet, Krankenhäuser und Universitäten verplant, anstatt die Summe dem Verbraucherschutz zugutekommen zu lassen, siehe Gsell/Möllers, in: Gsell/Möllers, S. 465 (489) unter Verweis auf „Klimaschutz und Kliniken – dafür gibt Niedersachsen VWs Diesel-Milliarde aus“, Artikel des Manager Magazins v. 20.7.2019, abrufbar unter: https://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/volkswagen-niedersachsenhat-vws-abgas-bussgeld-vollstaendig-verplant-a-1278259.html (Abrufdatum: 4.1.2022). 355 Siehe den RegE eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb v. 22.8.2003, BT-Drs. 15/2487, S. 25; die Organisationsstruktur einer Stiftung hält freilich auch Fezer, Zweckgebundene Verwendung von Unrechtserlösen, S. 52 nicht für erforderlich. 356 Röthemeyer, VuR 2020, 130 (142). 357 Vgl. § 8 A. II. 1. a).

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§ 8 Einzelfragen

lege lata ungünstige Bedingungen vorherrschen, sollte aufgrund unvermeidlicher Interessenkollisionen Vorsicht walten.

B. Anmeldung Dass auch die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage einer nochmaligen Betrachtung bedarf, haben die erwähnten praktischen Schwierigkeiten beim Zugang zum Verfahren bereits signalisiert. Nicht nur hatte das Bundesamt für Justiz im hier wiederum als Exempel dienenden VW-Verfahren diverse Probleme, mit der Vielzahl der Vorgänge Schritt zu halten und einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.358 Auch die Verbraucherinnen selbst können hierbei Probleme haben, obwohl sie es sind, die das Risiko einer erfolglosen bzw. fehlerhaften Anmeldung tragen.359 Dem widmen sich die nachfolgenden Ausführungen.

I. Verjährungsfalle Prinzipiell war die Gesetzgeberin versucht, die Vorschriften zur Anmeldung möglichst einfach und verbraucherinnenfreundlich auszugestalten.360 Mit der Kostenfreiheit, dem fehlenden Anwaltszwang, den wenigen für die Wirksamkeit der Anmeldung beizubringenden Angaben (§ 608 Abs. 2 Satz 1 ZPO) sowie der Möglichkeit, ein elektronisches Formular mit Ausfüllanleitung zu nutzen (§ 3 Abs. 1 MFKRegV) ist dies prima facie auch gelungen. Gleichwohl kann sich das Ineinandergreifen einiger Regelungsteile unter Umständen zu einer Gefahr für die Ansprüche der angemeldeten Verbraucherinnen entwickeln. Ausgangspunkt der hiermit gemeinten Verjährungsfalle ist § 608 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Danach werden die Angaben der Anmeldung, insbesondere zu Gegenstand und Grund des Anspruchs oder des Rechtsverhältnisses (Nr. 4) ohne inhaltliche Kontrolle in das Klageregister eingetragen. Bis zur gerichtlichen Überprüfung der Anmeldung im Rahmen einer anschließenden Individualklage können die Verbraucherinnen somit schon generell nicht sicher sein, ob ihre Anmeldung rechtswirksam erfolgt ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die für Verbraucherinnen äußerst wichtige Rechtsfolge der Verjährungshemmung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB neben der Wirksamkeit der Anmeldung voraussetzt, dass dem angemeldeten Anspruch der zu den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage „passende“ Lebenssachverhalt zugrunde liegt,361 was auch erst in einem Folgeprozess überprüft wird. Gerade dies zu erkennen und darauffolgend die nach 358

Vgl. Hirsch, VuR 2020, 454 (457 f.). Vgl. bereits § 5 C. II. 1. 360 Im Einzelnen RegE BT-Drs. 19/2439, S. 25; vgl. auch Rathmann, in: Hk-ZPO, § 608 Rn. 1; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, Rn. 1; G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, Rn. 1. 361 Grothe, in: MüKoBGB, § 204 Rn. 30a; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2925). 359

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§ 608 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen Angaben vollständig und richtig beizubringen, bereitet einer gewöhnlich mit laienhaften Rechtskenntnissen ausgestatteten Verbraucherin aber Schwierigkeiten.362 Auf diese Weise droht einer Anmelderin, welche irrtümlich davon ausgegangen ist, ihren Anspruch wirksam zu einer für diesen vorgreiflichen Musterfeststellungsklage angemeldet zu haben, die Verjährung, es sei denn, der Fehler wird rechtzeitig erkannt und die Hemmung durch Erhebung einer Individualklage herbeigeführt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).363 Mangels eines de lege lata gebotenen Einblicks in den Prozessstoff 364 dürfte Letzteres selten vorkommen. Allenfalls durch das Auskunftsrecht nach § 609 Abs. 4 Satz 1 ZPO über die zu ihrer Anmeldung im Klageregister erfassten Angaben sowie durch die öffentliche Bekanntmachung gerichtlicher Hinweise und Zwischenentscheidungen nach § 607 Abs. 3 Satz 1 ZPO wäre derzeit denkbar, dass Fehler rechtzeitig bemerkt werden könnten. Jedoch müssten dazu mehrere vom Zufall abhängige Bedingungen zusammentreffen. Verbraucherinnenfreundlich wirkt das hiesige Gesamtgefüge insoweit nicht wirklich.365 Festzuhalten ist, dass die Gesetzgeberin den Verbraucherinnen hier – aller Voraussicht nach unbewusst – ein nicht hinreichend ausgeglichenes Risiko zugewiesen hat. Den Betroffenen bleibt insoweit nichts anderes übrig, als sich im Zweifel selbst zu behelfen. Der klagende Verband wäre dazu zwar theoretisch eine Anlaufstelle, indes dürfte er praktisch nur in begrenztem Maße zur Beratung imstande sein. Um sicherzugehen, müssten anmeldewillige Verbraucherinnen eine Anwältin gebührenpflichtig damit beauftragen, die Anmeldung für sie vorzunehmen bzw. eigens vorgenommene Anmeldungen auf Basis der Auskunft nach § 609 Abs. 4 Satz 1 ZPO und dem Verfahrensstand später zu kontrollieren.366 Letztlich ist es aber irreführend, wenn sich Verbraucherinnen nach der gesetzgeberischen Intention eigentlich nicht anwaltlich vertreten lassen müssten, ihnen faktisch dennoch genau das zu ihrem eigenen Schutz anzuraten wäre und entsprechende klare Warnhinweise oder Empfehlungen vor der Anmeldung zur Eintragung im Klageregister sowie im weiteren Verfahrensverlauf jedoch gänzlich fehlen, was im Rahmen eines verbraucherschützenden Gesetzgebungsvorhabens 362 Siehe Gängel, NJ 2019, 378 (379); Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 3; Rotter, VuR 2019, 283 (292 f.). 363 Eingehend Grothe, in: MüKoBGB, § 204 Rn. 30a; siehe auch R. Koch, MDR 2018, 1409 (1415); Meller-Hannich, in: BeckOGK-BGB, § 204 Rn. 113, 116; Menges, in: MüKoZPO, § 608 Rn. 2; Waclawik, NJW 2018, 2921 (2925). 364 Dieser sollte aber gewährt werden, vgl. § 6 B. I. 2. b). 365 Waclawik, NJW 2018, 2921 (2925) weist zudem auf die positiven Effekte für die Verteidigung der Beklagten hin, welche die angemeldeten Verbraucherinnen gezielt einzeln ins Visier nehmen könnte, ob sie die Voraussetzungen des Hemmungstatbestandes erfüllt haben. 366 Mekat/Nordholtz, NJW 2019, 411 (413).

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wohl das Mindeste wäre.367 Nach dem derzeitigen Mechanismus fallen Fehler in der Regel erst in der späteren Individualphase auf, wenn es für die meisten Betroffenen eigentlich schon zu spät sein dürfte. Diese Tatsache kann sich auch die Beklagte wiederum taktisch zunutze machen. Eine gewisse Korrektur erscheint daher ratsam.368 Die nachfolgend erörterten Lösungen unterteilen sich dabei in prozessrechtliche und materiell-rechtliche Maßnahmen. 1. Prozessrechtliche Lösung Den naheliegendsten Anknüpfungspunkt für eine prozessuale Lösung bietet § 608 Abs. 2 Satz 3 ZPO, da die nicht-inhaltliche Prüfung der Angaben zur Anmeldung eine Hauptursache der Verjährungsfalle darstellt. Würde das Bundesamt für Justiz de lege ferenda die nach § 608 Abs. 2 Satz 1 ZPO für die Wirksamkeit der Anmeldung vorgeschriebenen Angaben vor der Eintragung ins Klageregister nicht nur auf deren Vollständigkeit, sondern auch auf ihren Inhalt prüfen, könnte das Fehlerrisiko wohl deutlich gesenkt werden.369 Gerade wenn die Angabe zum „Gegenstand und Grund des Anspruchs“ (Nr. 4) davon erfasst wäre, ließen sich irrtümliche Eintragungen zu einer „unpassenden“ Musterfeststellungsklage häufig aufdecken.370 Hiergegen spricht allerdings der Faktor Zeit. Würde das Bundesamt für Justiz jede Anspruchsanmeldung einzeln auf ihren Inhalt kontrollieren müssen, bevor die Eintragung ins Klageregister vorgenommen werden kann, könnten gerade bei einem – im Fall verbrauchertypischer Massenschadensfälle zu erwartenden – größeren „Ansturm“ erhebliche Verzögerungen entstehen. Womöglich könnte dies sogar Raum für einen Streit über die Zulässigkeit der Musterfeststellungsklage mit einem kurzzeitigen Schwebezustand des Verfahrens zur Folge haben, wenn die Beklagte anzweifelt, ob das Quorum nach § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO innerhalb der Zwei-Monats-Frist erfüllt worden ist. Ferner liegt es im Interesse beider Parteien, nach dem Beginn der mündlichen Verhandlung zu wissen, wie viele Verbraucherinnen sich dem Verfahren angeschlossen haben, bspw. im Hinblick auf die eigene Prozesstaktik und eine etwaige Vergleichsperspektive. Diese Auskünfte (vgl. § 609 Abs. 6 ZPO) könnte das Bundesamt für Justiz aber vermutlich 367 V. a. sind auf der vom Bundesamt für Justiz geführten Website zum Klageregister in keiner der Rubriken – nicht einmal unter „Häufige Fragen“ oder „Verfahren für Verbraucher“ – ausdrückliche Bemerkungen zu finden, die den Mehrwert einer anwaltlichen Vertretung unterstreichen würden, siehe https://www.bundesjustizamt.de/DE/ Themen/Buergerdienste/Klageregister/Allgemeines_node.html (Abrufdatum: 4.1.2022). 368 Insoweit auch die Forderungen von Hirsch, VuR 2020, 454 (459). 369 Dahingehend schon R. Koch, MDR 2018, 1409 (1415). 370 Angeführt sei das Beispiel von Gängel, NJ 2019, 378 (379), wonach sich bei der Musterfeststellungsklage gegen die Mercedes Benz Bank AG ca. 50 Käuferinnen eines VW-Fahrzeugs registrieren ließen, die sich wohl eher dem Verfahren gegen die Volkswagen AG anschließen wollten.

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nicht zuverlässig erteilen, da auch dessen limitierte Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen ist.371 Diesbezüglich hat das VW-Verfahren gezeigt, dass es selbst ohne eine inhaltliche Überprüfung der Anmeldung in Massenverfahren kaum gelingt, die Eintragungen zahlenmäßig zu bewältigen sowie im weiteren Verlauf die Mehrfach- oder Fake-Anmeldungen aus dem Klageregister herauszufiltern.372 Bevor hier keine Verstärkung der personellen und technischen Kapazitäten der Registerstelle vorgenommen ist, braucht eine Erweiterung des Aufgabenbereichs erst recht nicht angeregt werden. Insofern ist dieser Weg zum aktuellen Zeitpunkt (aber wohl auch zukünftig) kein realistischer Lösungsansatz. Eine andere Option wäre die Implementierung eines an § 78 ZPO angelehnten Anwaltszwangs für die Anmeldung zum Klageregister. Das Risiko, in die Verjährungsfalle zu geraten, wäre hierdurch wohl gleich Null; bei anwaltlichen Fehlern hätte die Verbraucherin immerhin meist einen Regressanspruch. Zu bedenken gilt jedoch, dass der Zugang zum Musterfeststellungsverfahren nicht mehr so niedrigschwellig wäre. Dies könnte wiederum die Effektivität des Verfahrens gefährden: Ein Anwaltszwang wäre gegenüber dem Status quo ein Rückschritt, der einige Betroffene davon abhalten könnte, sich zu einer Musterfeststellungsklage anzumelden. Zudem erschiene es widersprüchlich, wenn geschädigte Verbraucherinnen mit Forderungen von bis zu 5.000 Euro im Fall einer Individualklage vor dem Amtsgericht keiner anwaltlichen Vertretung bedürften, für die Anmeldung des Anspruchs zur Musterfeststellungsklage hingegen schon. Als „kleinere“, dafür ohne Weiteres machbare Lösung kommt eine öffentlich auf der Website des Bundesamtes für Justiz einsehbare Aufklärung über die mit der Anmeldung verbundenen Risiken sowie die Erteilung einer Empfehlung, im Zweifel einen anwaltlichen Rat einzuholen, in Betracht. Da die Gesetzgeberin diesbezüglich auch zum Ausgleich der Einschränkungen des rechtlichen Gehörs der Verbraucherinnen nach hier vertretener Ansicht einigen Nachholbedarf hat,373 könnten die Schutzvorkehrungen einheitlich ausgebaut werden. Die dabei schon vorgeschlagene weitergehende Aufklärungsarbeit vor der Anmeldung sowie eine verstärkte Information der Verbraucherinnen im Fortgang des Verfahrens würden deren Risiko, in eine Verjährungsfalle zu geraten, reduzieren. Wenngleich diese Maßnahme keine Vermeidung eines „bösen Erwachens“ garantieren könnte, müsste sich die Gesetzgeberin damit zumindest nicht mehr vorwerfen lassen, sie hätte die Betroffenen nicht gewarnt. Am vielversprechendsten erscheint hingegen der zuletzt von der Arbeitsgruppe „Modernisierung des Zivilprozesses“ erarbeitete Vorschlag, die Musterfeststellungsklage de lege ferenda durch eine Art Vorverfahren zu ergänzen, in welchem 371 372 373

Insoweit schon Waßmuth/Asmus, ZIP 2018, 657 (662). Vgl. Gurkmann/Jahn, VuR 2020, 243 (246); Stadler, NJW 2020, 265. Vgl. § 6 B. I. 2. b).

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mit den Parteien die Feststellungsziele vorstrukturiert und ein elektronischer „Fragebogen“ für das Anmeldeformular entwickelt werden könnte, der den tatsächlichen Betroffenen sodann einen vereinfachten Sachverhalt präsentieren und ihr Vorbringen mit technischer Unterstützung plausibilisieren soll.374 Dies hätte zur Folge, dass die öffentliche Bekanntmachung nicht unmittelbar nach der Erhebung der Musterfeststellungsklage innerhalb von 14 Tagen vom Gericht veranlasst werden müsste (§ 607 Abs. 2 ZPO). Jene Frist ist ohnehin kurz bemessen und mit dem Risiko behaftet, dass eine Musterfeststellungsklage unsachgerecht öffentlich bekannt gemacht wird.375 Mit einem vorgeschalteten dialogischen Verfahren zur Prüfung, Konkretisierung und verbraucherinnenfreundlichen Reduktion der Feststellungsziele könnte dem wirksam entgegengetreten werden. Auf diese Weise ließe sich gewissenhaft ein zeitlich verzögertes Anmeldeverfahren vorbereiten, welches das Prozedere nach § 608 ZPO aufgreifen und durch den Einsatz digitaler Technik optimieren könnte,376 um so den rechtshängigen Streitgegenstand adressatengerechter aufzubereiten. Derart leicht verständliche Eingabe- und Abfragesysteme zur Erfassung des Prozessstoffs werden vom BMJV bereits erprobt, um perspektivisch einen Prototypen für ein Online-Tool zur Klageerhebung zu entwickeln.377 Im Rahmen eines Vorverfahrens zur Musterfeststellungsklage könnte sich ein erstmaliger Einsatz anbieten. Die Gefahr einer fehlerhaften Anmeldung wäre dadurch reduziert, insbesondere wenn die Verbraucherinnen bei Unregelmäßigkeiten während des Anmeldevorgangs eine direkte Rückmeldung erhalten (ähnlich zu den auf Websites inzwischen verbreiteten Chatbots, die bei Online-Vertragsabschlüssen assistieren oder Serviceanfragen beantworten). Besonders in Massenverfahren würde sich dies insgesamt effektivitätssteigernd auswirken. Im Übrigen könnte das Vorverfahren auch der geeignete Ort sein, um Ergänzungen und Korrekturen der Feststellungsziele vorzunehmen. Damit wäre sowohl der zuvor festgestellten Notwendigkeit, auch der Musterbeklagten die Einbringung eigener (Gegen-)Feststellungsziele zu ermöglichen, Genüge getan, als auch die Wahrscheinlichkeit verringert, dass es nachträglich noch Klageänderungen bedarf, welche einen Konflikt mit der Bindung der angemeldeten Verbraucherinnen (§ 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO) bedeuten würden.378 Wiederum zeigt sich hierin also das große Potenzial der Digitalisierung. 374

ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 101 f. Dazu Klose, NJ 2021, 201 (206). 376 Von der ArbGr Modernisierung des Zivilprozesses, Diskussionspapier, S. 101 wird etwa ein automatisierter Chat angeregt, der auf Basis des entwickelten „Fragebogens“ die Betroffenheit der Anmelderinnen systematisch (ohne rechtliche Wertung) abfragt. 377 So Sudhoff, DRiZ 2021, 362 (363) mit Verweis auf das unter der Schirmherrschaft des Chefs des Bundeskanzleramtes stehende Fellowship-Programm für Digitaltalente „Tech4Germany“, siehe auch https://tech.4germany.org/ (Abrufdatum: 4.1.2022). 378 Vgl. § 6 B. III. 3. bzw. C. I. 2. 375

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2. Materiell-rechtliche Lösung De lege lata könnte ein Ausweg aus der Verjährungsfalle im Übrigen auch direkt über § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB gesucht werden. Denn die in der Norm niedergelegten Voraussetzungen sind für die allem Anschein nach von der Gesetzgeberin übersehene Problematik ursächlich. Zunächst soll untersucht werden, inwieweit sich diese womöglich mit der geltenden Vorschrift im Wege der Rechtsfortbildung lösen ließe. Im Anschluss wird die daneben in Betracht kommende Möglichkeit einer Gesetzesänderung diskutiert. a) Rechtsfortbildung de lege lata Die Rechtsfortbildung erfolgt durch die Gerichte.379 Um im vorliegenden Fall infrage zu kommen, bedarf es also erst folgender Situation: Nachdem ein Musterfeststellungsurteil rechtskräftig geworden ist, muss eine vermeintlich wirksam zu einem passenden Musterfeststellungsverfahren angemeldete Verbraucherin eine Individualklage gegen die Musterbeklagte erheben, woraufhin sich jedoch herausstellt, dass die Verjährung des geltend gemachten Anspruchs nicht wirksam nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB gehemmt war und diese inzwischen noch vor der individuellen Klageerhebung eingetreten ist. Der letzte „Strohhalm“ für die Verbraucherin wäre nunmehr eine korrigierte Anwendung der Norm auf den Sachverhalt durch das Gericht. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BGH zu beachten, dass die Auslegung der Vorschriften über die Verjährung aufgrund ihres formalen, dem Interesse der Rechtssicherheit dienenden Charakters grundsätzlich eng am Wortlaut auszurichten ist.380 Abweichungen bedürfen insoweit eines besonderen Begründungsaufwands. aa) Teleologische Reduktion Methodisch steht für die Rechtsfortbildung zum einen die teleologische Reduktion zur Verfügung. Sie kommt infrage, um eine „verdeckte Lücke“ auszufüllen, die sich darin manifestiert, dass eine gesetzliche Regel entgegen ihrem Wortsinn, aber wegen der ihr immanenten Teleologie einer Einschränkung bedarf und ihr deshalb etwas sinngemäß hinzuzufügen ist.381 Es bedarf vorliegend also einer Norm, die gemäß ihrem Wortlaut für den Sachverhalt zutrifft, aber dem Regelungszweck der Norm widerspricht, also zwar der Fall mit ihr gelöst werden kann, ihr Zweck jedoch nicht für den Fall passt.382 379 Dazu eingehend Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 187 ff.; siehe auch Neuner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 2 Rn. 12. 380 Vgl. BGH NJW-RR 1993, 1495 (1496); OLG Karlsruhe, Urteil v. 13.1.2021 – 13 U 232/20, BeckRS 2021, 943 Rn. 79. 381 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 210. 382 Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 82 f.

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Dies ist hier im Fall des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB indes nicht gegeben: Die Konstellation, dass eine Verbraucherin ihre Ansprüche zu einer Musterfeststellungsklage anmeldet und irrtümlich annimmt, dies sei wirksam in einer die Verjährungshemmung auslösenden Weise geschehen, wird gerade nicht vom Wortlaut der Norm erfasst. Denn der Hemmungstatbestand spricht ausdrücklich davon, dass ein Anspruch „wirksam angemeldet“ worden sein muss und diesem „derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage“. Im Gegenteil geht es darum, den Sachverhalt der irrtümlich wirksamen Anmeldung in den Anwendungsbereich der Norm möglichst einzubeziehen. Eine teleologische Reduktion würde damit nicht weiterhelfen. bb) Einzelanalogie Fraglich ist, ob stattdessen eine analoge Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB für den Fall einer unerkannt unwirksamen bzw. unpassenden Anspruchsanmeldung einer Verbraucherin möglich wäre. Dazu bedarf es einer „offenen Gesetzeslücke“, deren Ausfüllung mittels der Übertragung einer für einen Tatbestand gegebenen Regel auf einen ungeregelten, ihm aber ähnlichen und deshalb gleich zu behandelnden Tatbestand erfolgt.383 Eine solche „Einzelanalogie“ ist begründbar, wenn ein Fall vorliegt, welcher, obwohl er den Zweck der Norm trifft, planwidrig nicht unter den Wortlaut der Norm subsumiert werden kann und dieser somit zu korrigieren ist, um der ratio der Norm gerecht zu werden.384 Dass die Gesetzgeberin die Problematik der Verjährungsfalle für nicht anwaltlich vertretene Verbraucherinnen bei der Schaffung der Regelung mutmaßlich nicht erkannt hat, wurde zuvor bereits geschlussfolgert. Eine Lücke, die Prämisse für eine Einzelanalogie ist,385 kann daher angenommen werden. Für die darüber hinaus erforderliche Ähnlichkeit ist auf die ratio legis zurückzugehen, mithin der Zweck der anzuwendenden Norm zu erforschen und zu belegen, dass dieser auch für den nicht geregelten Sachverhalt passt.386 Die Gesetzgeberin führte zur die Voraussetzungen der verjährungshemmenden Wirkung regelnden Norm des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB aus, diese solle sicherstellen, „dass angemeldete Verbraucher[innen], die den Ausgang der Musterfeststellungsklage im Hinblick auf die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils abwarten, nicht durch den Ablauf von Verjährungsfristen während der Dauer der Musterfeststellungsklage daran gehindert werden, ihren Anspruch gerichtlich

383

Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 202. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 102. 385 Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 106. 386 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 202 f.; Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 107. 384

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durchzusetzen“.387 Der Zeitpunkt, an dem die einzelne Verbraucherin entscheiden muss, ob bzw. wie sie ihre Rechte individuell verfolgt, soll so aufgeschoben werden, bis die Feststellungsziele verbindlich geklärt sind. Mit dem Hemmungstatbestand soll demnach diese Schwebephase überbrückt und die Anmelderin davor bewahrt werden, dass sie die spätere Entscheidung aufgrund einer zwischenzeitlich eingetretenen Verjährung nicht mehr treffen kann. Gerade in diese Lage droht aber eine angemeldete Verbraucherin zu geraten, die sich der Musterfeststellungsklage in unwirksamer Weise angeschlossen hat. Vor dem Hintergrund, dass weder eine inhaltliche Prüfung der Anmeldung oder eine anwaltliche Vertretung vorgeschrieben ist noch die Anmelderinnen einen Einblick in den Prozessstoff erhalten, leuchtet es prinzipiell nicht ein, weshalb der hier behandelte Sachverhalt nicht auch unter die Norm gefasst werden sollte. Dies gilt jedenfalls für solche Fälle, in denen die Verbraucherin den Fehler nach ihren für gewöhnlich zu erwartenden Fähigkeiten im Zeitpunkt der Anmeldung sowie auch im Anschluss nicht hätte erkennen können und insbesondere bei der laienhaften Einschätzung, ob der Streitgegenstand ihres Anspruchs mit dem der Musterfeststellungsklage zusammenpasst, die an sie zu stellende Sorgfalt beachtet hat. Was sollte man ihr unter diesen Umständen vorwerfen?388 Letztlich würde man sie nur dafür bestrafen, den gesetzlich ganz bewusst ermöglichten einfachen Zugang zum Verfahren ohne eine anwaltliche Vertretung genutzt zu haben, zumal sich die auf die Hemmungswirkung vertrauende Anmelderin nicht frühzeitig rechtsverbindlich absichern kann, ob ihre Anmeldung erfolgreich war.389 Denn nochmals: So wie das Anmeldeverfahren, das Klageregister und der sonstige staatlich gelenkte Informationsfluss derzeit ausgestaltet sind, wird eine an der Registereintragung interessierte Verbraucherin nicht nachdrücklich darauf hingewiesen, welche rechtlichen Folgen die Teilnahme am Musterfeststellungsverfahren unter Umständen mit sich bringen kann. Ihr wird auch nicht empfohlen, im Zweifel eine anwaltliche Beratung in Anspruch zu nehmen, um sich selbst abzusichern.390 In Anbetracht dessen erschiene es aber unbillig wie widersprüchlich, wenn eine Anmelderin wegen dieses gesetzgeberischen Versäumnisses einen Rechtsverlust hinnehmen müsste. Insofern sollte das ver-

387

RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 29. Unter anderen Umständen, etwa wenn der Fehler leicht erkenn- und vermeidbar war, weil im Klageregister grob fahrlässig die falsche Musterfeststellungsklage bzw. das falsche Online-Anmeldeformular ausgewählt wurde, liegen die Interessen dagegen anders. Hierzu ist tendenziell auch das von Gängel, NJ 2019, 378 (379) genannte Beispiel zu zählen, dass sich 50 Käuferinnen eines VW-Fahrzeugs für die Musterfeststellungsklage gegen die Mercedes Benz Bank AG angemeldet haben. Die analoge Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB erschiene hier weitaus weniger gerechtfertigt. 389 Insoweit auch für den Fall der Anmeldung einer vermeintlichen Verbraucherin (dazu nachstehend noch unter 3.) Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 22. 390 Vgl. bereits § 6 B. I. 2. a) bb) und b). 388

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braucherschützende Telos des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB hier mittels der Einzelanalogie erst recht greifen, anstatt es ins Gegenteil zu verkehren.391 b) Modifikation de lege ferenda Alternativ käme schließlich in Betracht, die Norm wiederum de lege ferenda zu modifizieren. Dies wäre dergestalt machbar, als dass die hemmende Wirkung ähnlich wie im Fall des § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB an die reine Anmeldung der Ansprüche zum Klageregister anknüpfen könnte.392 Unerkannte Fehler und Irrtümer beim Anmeldevorgang gingen dann schon wortlautgemäß nicht zulasten der angemeldeten Verbraucherinnen. Nichtsdestominder ist zu berücksichtigen, dass dies Fälle der groben Fahrlässigkeit privilegieren könnte, bei denen Zweifel an der Schutzwürdigkeit der Betroffenen angebracht sind. Im systematischen Vergleich zum Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB erhalten solche Konstellationen bei besonders schwerwiegenden Mängeln keine Sonderbehandlung: Etwa wird die verjährungshemmende Wirkung einer Klageerhebung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht ausgelöst, wenn im Rahmen dieser wesentliche Formvorschriften missachtet werden oder sie sich gegen die falsche Schuldnerin richtet.393 Hier hat allen voran die Anspruchsgegnerin ein Interesse daran, dass individuelles Unvermögen nicht belohnt bzw. bevorzugt und eine Verjährungsfrist nicht ohne sachlich erkennbaren Grund verlängert wird.394 Entsprechendes wäre also auf den Hemmungstatbestand für die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage zu übertragen. Daneben muss bedacht werden, dass eine Modifikation der Regelung Anreize zu vorschnellen oder sogar bewusst falschen Anmeldungen zum Klageregister setzen bzw. steigern könnte. Ohne die einengenden Hemmungsvoraussetzungen wären einige Verbraucherinnen womöglich geneigter, sich pro forma ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Verfahrensgegenstand oder ohne ernsthaftes Interesse am Verfahrensergebnis – sondern allein aus prozesstaktischen 391 Eine analoge Anwendung auch der §§ 610 Abs. 3, 613 Abs. 1 ZPO ist hingegen nicht erforderlich, da die gesetzlichen Wertungen ihren Zweck hier erfüllen. Auch dass die Sperrwirkung für die nur vermeintlich wirksam angemeldete Verbraucherin nicht greift und diese daher klagen könnte, führt zu keinem widersprüchlichen Resultat: Denn sobald die Betroffene diese Möglichkeit erkennt und nicht wahrnimmt, bedarf es der Analogie des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB in einem Folgeprozess aufgrund des dann gegebenen vorwerfbaren Verhaltens nicht mehr. 392 So schon Waclawik, NJW 2018, 2921 (2925). 393 Siehe BGH NJW 2017, 886 (888); Grothe, in: MüKoBGB, § 204 Rn. 3, 21; Meller-Hannich, in: BeckOGK-BGB, Rn. 29, 39. 394 So erfüllen die verjährungshemmenden Tatbestände des § 204 BGB auch eine Warnfunktion für die Schuldnerin, wonach diese sich auf eine Inanspruchnahme noch nach dem regulären Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist einstellen muss, vgl. BGH NJW 2017, 886 (888 f.); Grothe, in: MüKoBGB, § 204 Rn. 3.

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Gründen, um von einer verlängerten Verjährungsfrist zu profitieren395 – eintragen zu lassen. Hierdurch droht, sofern keine vorherige Rücknahme der Anmeldung erfolgt, dass das nach § 606 Abs. 3 Nr. 3 ZPO binnen zwei Monaten nach der öffentlichen Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage zu erreichende Quorum von 50 angemeldeten Verbraucherinnen auf legale Weise396 unterminiert wird. Zugleich wäre die Gesetzessystematik, welche grundsätzlich eine wirksame Anmeldung erfordert, um die vorteilhaften Wirkungen des Musterfeststellungsverfahrens zu erlangen, nicht mehr kohärent und anfälliger für unbillige Ergebnisse.397 Mithin erschiene eine Modifikation des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB nicht ideal. Der Problematik der Verjährungsfalle sollte hiernach eher auf prozessrechtlichem Wege oder de lege lata mittels einer Analogie entgegengetreten werden. 3. Sonderfall Scheinverbraucherin Einen Sonderfall stellt schließlich die Konstellation einer Anmelderin dar, die sich zwar entsprechend § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB formell wirksam und zu einer passenden Musterfeststellungsklage eintragen lässt, jedoch irrtümlich davon ausgeht, dass sie die Verbrauchereigenschaft nach § 29c Abs. 2 ZPO erfüllt und deshalb tatsächlich nicht für das Musterfeststellungsverfahren anmeldeberechtigt ist. Hier droht insoweit ein ähnliches Schicksal für die Verjährung wie in der zuvor angesprochenen Situation, sofern man das Risiko einer Fehleinschätzung bei der Anmelderin belässt. Dieses könnte in einzelnen Grenzfällen jedoch vor dem Hintergrund zu verlagern sein, dass sich die korrekte rechtliche Bestimmung der Verbrauchereigenschaft insbesondere aufgrund des fehlenden korrespondierenden prozessualen Unternehmerbegriffs kompliziert gestalten kann.398 Dabei wäre jedoch anders als soeben denkbar, den Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB direkt 395 Dazu kam es dem Vernehmen nach schon unter der geltenden Regelung, indem Verbraucherinnen ihre Anmeldung gemäß § 608 Abs. 3 ZPO fristgerecht zurücknahmen und von der sechsmonatigen Hinauszögerung der Hemmung in § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB zu profitieren suchten. Insoweit kritisch und – zu Unrecht (siehe die nachfolgende Fn.) – einen Rechtsmissbrauch nach § 242 BGB annehmend etwa Mansel, WM 2019, 1621 ff.; Nordholtz/Mekat, NJW 2019, 411 (412). 396 So sind die Anmeldungen zur Musterfeststellungsklage zum alleinigen Zwecke der Verjährungshemmung nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen, da die kollektive Rechtsverfolgung gerade darauf ausgerichtet ist, vgl. BGH WM 2021, 1665; OLG Stuttgart, Urteil v. 13.1.2021 – 13 U 232/20, BeckRS 2021, 943 Rn. 84; Meller-Hannich, in: BeckOGK-BGB, § 204 Rn. 114.1; Röthemeyer, MFK, § 204 BGB Rn. 13; Rüsing, NJW 2020, 2588 ff.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608 Rn. 1. 397 Röß, NJW 2020, 953 f. 398 So ist selbst im Schrifttum nicht einhellig geklärt, wie die Unternehmereigenschaft zu bestimmen ist, vgl. Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 12 ff.; Meller-Hannich, in: BeckOGK-BGB, § 204 Rn. 112.2; G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 606 Rn. 17.

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anzuwenden. Grund dafür ist, dass der Wortlaut der Norm nicht wie die ZPOVorschriften zur Musterfeststellungsklage explizit die Verbrauchereigenschaft voraussetzt, sondern nur von dem [der] „Gläubiger[in]“ spricht.399 Aus dem im Wortsinn widergespiegelten gesetzgeberischen Willen400 lässt sich so nicht ableiten, dass der Sachverhalt nicht unter die Norm subsumiert werden sollte. Denn auch wenn § 29c Abs. 2 ZPO nicht einschlägig ist, handelt es sich im beschriebenen Fall um eine Gläubigerin der Beklagten. Allerdings ist mit Blick auf die Systematik und die Gesetzesbegründung das Gegenteil anzunehmen: Sowohl die Regelungen zum Verfahrensgegenstand (§ 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO) als auch zu den Verfahrenswirkungen (§ 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO) beziehen sich stets auf Verbraucherinnen; Unternehmerinnen sind ausgeklammert, sie können ihre Ansprüche de lege lata gerade nicht zu einer Musterfeststellungsklage anmelden.401 Sie hier dennoch einzubeziehen, würde somit einen allzu vermeidlichen Wertungswiderspruch zur Folge haben.402 Dies unterstreicht nicht zuletzt die gesetzgeberische Erläuterung zur Schutzrichtung des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB, welche allein „angemeldete Verbraucher[innen]“ adressiert.403 Hierüber kann sich eine auch Scheinverbraucherinnen einbeziehende Auslegung der Norm nicht hinwegsetzen; deren Anmeldung ist dem Gesetz nach schlichtweg unwirksam.404 Eine Ausnahme könnte allenfalls für Kleinunternehmerinnen erwogen werden, sofern ihnen eine vergleichbare Schutzwürdigkeit zu bescheinigen ist.405 Mithin ist Betroffenen, die (auch) unternehmerisch tätig sind und Zweifel am Vorliegen der Verbrauchereigenschaft für die Anmeldung haben, anzuraten, eine Anwältin zu konsultieren oder ggf. sicherheitshalber selbst zu klagen, um nicht versehentlich in die Verjährungsfalle zu gelangen. Zwar tragen sie im letzteren Fall so ein gewisses Kostenrisiko, soweit sie im Individualverfahren wegen der Sperrwirkung des § 610 Abs. 3 ZPO (innerhalb derer dann die wirksame Anmeldung geprüft würde) wegen Unzulässigkeit abgewiesen würden, hätten dann aber Gewissheit. Stellt sich heraus, dass die Anmeldung nicht wirksam erfolgt ist, könnten sie für ihren Prozess dann immerhin noch gemäß § 148 Abs. 2 ZPO die Aussetzung bis zum Ergebnis der Musterfeststellungsklage beantragen.

399 Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 22; wohl zust. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 4 (Fn. 21). 400 Zur grammatischen Auslegung Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 39 ff. 401 Meller-Hannich, in: BeckOGK-BGB, § 204 Rn. 112; vgl. § 5 A. I. 1. b). 402 Diese sind systematisch aber gerade zu vermeiden, siehe Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rn. 92. 403 RegE MFK, BT-Drs. 19/2439, S. 29. 404 So auch Berger, ZZP 133 (2020), 3 (29); dazu generell Röß, NJW 2020, 953 (954). 405 Dazu bereits § 5 A. I. 1. b).

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II. Anspruchsabtretung Der zweite Themenkomplex, der rund um die Anmeldung noch betrachtet werden soll, betrifft Konstellationen der Abtretung des zum Klageregister angemeldeten bzw. noch anzumeldenden Anspruchs. Diesbezüglich hat die Verfahrenspraxis zu Abgasskandalfällen aufgezeigt, dass Zessionen der angemeldeten Schadensersatzforderungen offenbar keine Seltenheit darstellten: So ließen sich einige Verfahrensbevollmächtigte der Verbraucherinnen deren im Klageregister eingetragene Ansprüche für im Vorfeld erbrachte Tätigkeiten ganz oder teilweise abtreten und klagten diese daraufhin noch vor dem Abschluss des Musterfeststellungsverfahrens selbst individuell ein.406 Derartige Konstrukte sind überdies auch als (antizipierte) Anschlusslösung nach einem Musterfeststellungsurteil zur fiduziarischen Forderungseinziehung durch Verbraucherverbände (§ 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO) bzw. Rechtsdienstleistungsplattformen407 oder sogar als gewerblich motivierter Forderungskauf denkbar.408 Soweit die Abtretungen zulässig wären, hätten sie insoweit erhebliche praktische Konsequenzen für die Rechtsdurchsetzung. Wie das Aufeinandertreffen von der Anspruchsanmeldung zur Musterfeststellungsklage mit dem Rechtsübergang auf eine nicht anmeldeberechtigte Person v. a. hinsichtlich der Sperrwirkung nach § 610 Abs. 3 ZPO oder der Bindungswirkung nach § 613 ZPO zu behandeln ist, ist nicht einhellig geklärt.409 Die Gesetzgeberin hat diesen Bereich nicht gesondert geregelt, sodass zu prüfen ist, ob sich die herkömmlichen Grundsätze zur prozessualen Wirkung der materiellen Rechtsnachfolge in Individualverfahren vorliegend übertragen lassen. Wesentlich zu unterscheiden ist dabei zwischen Abtretungen, die vor der Anmeldung stattfinden und solchen, die bereits angemeldete Ansprüche betreffen. 1. Forderungszession nach Anmeldung Im Ausgangspunkt beeinträchtigt die Teilnahme am Musterfeststellungsverfahren die materiell-rechtliche Verfügungsbefugnis der Prätendentin nicht.410 Rechtsgeschäftliche Übertragungen der Forderung sind insoweit uneingeschränkt zulässig. Verfahrensrechtlich verdeutlicht aber § 608 Abs. 1 ZPO, dass nur „Verbraucher[innen]“ anmeldeberechtigt sind; Zessionen, bei denen eine Nicht406

Siehe Müller, GWR 2019, 399; Röß, NJW 2020, 953. Vgl. § 7 C. II. 1. und 2. 408 Ähnlich Röthemeyer, MFK, § 29c Abs. 2 ZPO Rn. 6. 409 Dies gilt insoweit, als dass die Abtretung vor Beendigung des Musterfeststellungsverfahrens erfolgt; liegt dagegen bereits ein rechtskräftiges Urteil vor, findet schon nach den geltenden Grundsätzen eine Rechtskrafterstreckung statt (vgl. §§ 398, 404 BGB), siehe Röthemeyer, MFK, § 613 ZPO Rn. 8. 410 Vgl. Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 17; Röß, NJW 2020, 953 (957); Röthemeyer, MFK, § 14 VSBG Rn. 4; G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 608 Rn. 5. 407

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verbraucherin den Anspruch erwirbt, könnten dementsprechend prozessuale Folgen haben. a) Zulässigkeit Zunächst setzt die für die Anmeldebefugnis maßgebliche Verbraucherdefinition des § 29c Abs. 2 ZPO voraus, dass die ursprüngliche Forderungsinhaberin bei der Entstehung des Anspruchs (bzw. allgemein im Zeitpunkt der Begründung des Schuldverhältnisses) nicht überwiegend im Rahmen ihrer gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt.411 Wurde demnach in Person einer Nichtverbraucherin eine Forderung gegen die Musterbeklagte begründet, ist diese nicht zur Anmeldung geeignet, selbst wenn sie zuvor noch an eine Verbraucherin abgetreten werden sollte. Daneben ist die Verbrauchereigenschaft zugleich eine Voraussetzung, um Verfahrensfolgen wie die Bindungswirkung gemäß § 613 ZPO oder die Sperrwirkung nach § 610 Abs. 3 ZPO auszulösen, von der nach der Systematik und der Zielrichtung der Musterfeststellungsklage unmittelbar nur Verbraucherinnen profitieren können sollen.412 Mithin muss sich der betroffene Anspruch einer Verbraucherin grundsätzlich413 auch zum Zeitpunkt der Anmeldung in den Händen einer Verbraucherin befinden.414 Anders gewendet heißt das jedoch, dass die Verfahrensvorschriften einer Abtretung nach der wirksamen Anmeldung des Anspruchs durch eine Verbraucherin zur Musterfeststellungsklage – auch wenn es sich bei der Zessionarin um eine Unternehmerin handelt – erstmal nicht entgegenstehen. In den Normen des sechsten Buchs der ZPO ist nicht angelegt, dass die Eintragungsvoraussetzungen zur Anmeldung im Klageregister dauerhaft vorliegen müssten bzw. rückwirkend entfallen könnten, erst recht nicht im Zuge einer fortlaufenden Überprüfung durch das Bundesamt für Justiz. Diese Wertung bestätigt ebenso ein Vergleich mit den für Individualklagen geltenden Grundsatz: Dort kann ein geltend gemachter Anspruch nach Rechtshängigkeit gemäß § 265 Abs. 1 Alt. 2 ZPO weiterveräußert werden, ohne dass hierdurch der Prozess beeinflusst wird (§ 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Bestimmung hält die Zedentin trotz der Verlagerung der Sachlegitimation auf die Rechtsnachfolgerin als gesetzliche Prozessstandschafterin am Prozess fest und dient so einerseits der Prozessökonomie und schützt andererseits v. a. die Beklagte, indem das Verfahren weitergeführt und zu einem Ergebnis gebracht wer411

R. Koch/Friebel, GPR 2019, 280 (284). Vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613 Rn. 1a; dazu schon unter § 5 C. II. 3. 413 Zu einer eventuellen Ausnahme sogleich unter 2. 414 Eingehend Röthemeyer, MFK, § 29c Abs. 2 ZPO Rn. 7 ff. und § 606 ZPO Rn. 66 mit dem Hinweis, dass zwischenzeitliche Abtretungen zwischen Verbraucherinnen damit möglich sind, ebenso wie der Zwischenerwerb der Forderung durch eine Nichtverbraucherin. Siehe auch Röß, NJW 2020, 953 (954); a. A. Berger, ZZP 133 (2020), 3 (26); Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608 Rn. 5. 412

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den kann.415 § 325 Abs. 1 ZPO sorgt in der Folge notwendigerweise dafür, dass das rechtskräftige Verfahrensergebnis auch gegenüber der Rechtsnachfolgerin verbindlich ist.416 Mit Blick darauf muss die wesentliche Frage, welche sich für Forderungszessionen nach der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage stellt, jedoch nicht lauten, ob diese als solche zulässig sind, sondern welche Folgen aus ihnen für die mit der Anmeldung verknüpften Verfahrenswirkungen resultieren. b) Einbeziehung der Zessionarin Konkret ist demnach zu prüfen, inwieweit die Einzelrechtsnachfolgerin einer angemeldeten Verbraucherin in deren Rechtsposition einrückt und an die Wirkungen der Anmeldung gebunden ist. Jenes könnte vorliegend aufgrund einer entsprechenden Anwendung der §§ 265 Abs. 2, 325 Abs. 1 ZPO über die Verweisnorm in § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO auf die allgemeinen Vorschriften des ersten Rechtszuges der Fall sein.417 Dazu dürfen sich aus den Vorschriften der §§ 606 ff. ZPO aber keine Abweichungen ergeben (§ 606 Abs. 5 Satz 1 Hs. 2 ZPO). Als eine solche ließe sich anführen, dass § 608 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die namentliche Registereintragung der Anmelderinnen verlange und deren Anzahl durch § 608 Abs. 3 ZPO abschließend festgelegt sei, weshalb eine Einzelrechtsnachfolge in die Rechtsposition der Zedentin ausscheide.418 Hierbei handelt es sich freilich um ein allzu formales Argument, zumal die Anzahl der Anmelderinnen nicht wirklich nachträglich vergrößert wird. Aufgrund der bereits durch § 608 415 BGH NJW 2019, 310 (312); Foerste, in: Musielak/Voit, ZPO, § 265 Rn. 1; Geisler, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Rn. 1. 416 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 325 Rn. 1. 417 Insoweit auch Müller, GWR 2019, 399 (400). Dogmatisch bedenklich ist es dagegen, die §§ 265 Abs. 2, 325 Abs. 1 ZPO analog anzuwenden (so für § 325 Abs. 1 ZPO: Röthemeyer, MFK, § 613 ZPO Rn. 9 f.; zust. Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 613 Rn. 8a; Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Rn. 10; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 1a; dogmatisch unklar Röß, NJW 2020, 953 (957)). Denn hierzu fehlt es aufgrund der Verweisnorm des § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO an einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes als Prämisse der Analogie (vgl. Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rn. 98 ff.). Die Regelungslücke für den zugrunde liegenden Sachverhalt, welche wegen der nicht möglichen direkten Anwendung des § 325 Abs. 1 ZPO auf die angemeldete Verbraucherin (diese ist keine Partei) besteht, kann aufgrund der gegebenen Vergleichbarkeit der Sachverhalte bereits die im Gesetz angeordnete entsprechende Anwendung überbrücken. 418 So G. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 613 Rn. 4, der daneben materiell-rechtlich argumentiert, dass die Anmeldung keinen Fall des § 401 Abs. 1 BGB darstelle und deshalb keine Übertragung der mit der Anmeldung verbundenen prozessualen „Vorwirkungen“ auf die Erwerberin stattfinde, was im hier zugrunde liegenden prozessualen Kontext der §§ 610 Abs. 5 Satz 1, 265 Abs. 2, 325 Abs. 1 ZPO jedoch geringe Relevanz entfaltet.

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Abs. 2 Satz 3 ZPO systematisch eingepreisten Teilunrichtigkeit des Klageregisters spielt es auch nur eine untergeordnete Rolle, dass die Abtretungen dort nicht inhaltlich abgebildet werden. Dass die Beklagte aus dem Klageregister nichts von diesen erfährt oder jedenfalls die Identität einer Zessionarin nicht kennt, ist ebenso unschädlich, da sie hier die §§ 404 ff. BGB hinlänglich schützen. Im Übrigen ergeben sich aus der Struktur der Musterfeststellungsklage keine Abweichungen, die einer entsprechenden Übertragung der allgemeinen Grundsätze der §§ 265 Abs. 2, 325 Abs. 1 ZPO entgegenstehen; vielmehr rechtfertigt dies gerade die funktionale Ähnlichkeit von Rechtskraft und Bindungswirkung.419 Zuletzt sorgt die prinzipielle Geltung der Verfahrenswirkungen für und gegen die Zessionarin dafür, dass die Interessenlagen ausgeglichen bleiben. Denn deren Fortbestehen tragen einerseits den Interessen der Beklagten und des Staates Rechnung, dass über den Rücknahmezeitpunkt des § 608 Abs. 3 ZPO hinaus die verbraucherseits angemeldeten Ansprüche bindend am Verfahrensergebnis teilnehmen und es zu keinen parallelen Individualklagen kommt,420 andererseits bleibt die Verjährung für die Erwerberin des Anspruchs gehemmt sowie die Möglichkeit erhalten, an einem positiven Verfahrensergebnis zu partizipieren.421 Nicht über § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO entsprechend anwendbar sein kann lediglich § 325 Abs. 2 ZPO, da die Forderungsabtretung keinen Erwerbsvorgang darstellt, bei dem ein gutgläubiger Erwerb materiell-rechtlich möglich ist.422 2. Forderungszession vor Anmeldung Wie soeben erläutert, ist die Anmeldung eines zuvor abgetretenen Anspruchs einer Verbraucherin nach § 29c Abs. 2 ZPO, der sich nunmehr in den Händen einer Nichtverbraucherin befindet, im Grundsatz nicht möglich. Dies folgt aus der vorwiegend verbraucherschützenden Zielrichtung der Musterfeststellungsklage: Zählt die Rechtsinhaberin im Zeitpunkt der Anmeldung nicht zum geschützten Personenkreis, bedarf diese nicht der Einbeziehung.423

419 Müller, GWR 2019, 399 (400); siehe auch schon § 5 D. I. 1.; Menges, in: MüKoZPO, § 613 Rn. 3. 420 Die anfangs erwähnte Praxis in Dieselschadensfällen, trotz einer Anspruchsanmeldung noch einzeln zu klagen, verstößt gegen die Sperrwirkung nach § 610 Abs. 3 ZPO, womit die Klagen als derzeit unzulässig abzuweisen sind, Röß, NJW 2020, 953 (957). 421 Müller, GWR 2019, 399 (400); Röß, NJW 2020, 953 (957); Röthemeyer, MFK, § 611 ZPO Rn. 9 ff. und § 613 Rn. 9 ff.; ähnlich Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 608 Rn. 17. 422 Vgl. Althammer, in: Stein/Jonas, ZPO, § 325 Rn. 34; Saenger, in: Hk-ZPO, Rn. 31; Völzmann-Stickelbrock, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, Rn. 55. 423 Röthemeyer, MFK, § 29c Abs. 2 ZPO Rn. 9 f.; die von Berger, ZZP 133 (2020), 3 (26) vertretene Gegenauffassung lässt die Einbeziehung dagegen schon grundsätzlich zu.

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Fraglich ist jedoch, ob das auch gelten sollte, wenn die Abtretung von vornherein fiduziarisch zur Sicherung oder Inkassozession an Verbraucherschutzverbände, Rechtsanwältinnen oder gewerbliche Rechtsdienstleisterinnen erfolgt. Denn in diesen Fällen ist die Verbraucherin zwar rechtlich nach außen nicht mehr die Gläubigerin, jedoch steht ihr die Forderung im Innenverhältnis wirtschaftlich weiter zu; die Zessionarin agiert dabei treuhänderisch für die Zedentin.424 Solche Modelle empfehlen sich praktisch besonders als Anschlusslösung zu einer erfolgreichen Musterfeststellungsklage, um die Individualphase effizienter zu gestalten,425 wobei es aus strategischer Sicht für die Beteiligten umso günstiger sein kann, je frühzeitiger sie verabredet werden.426 Bietet etwa der klagende Verband oder die das Verfahren begleitende Sozietät den Verbraucherinnen zur eigenen Absicherung schon parallel zur Erhebung der Musterfeststellungsklage an, ihre dafür abzutretenden Ansprüche später im Erfolgsfall geltend zu machen, erlischt keineswegs das Interesse der Verbraucherin am Musterfeststellungsverfahren.427 Dazu müsste sie ihre Forderung vielmehr verkaufen; so wartet sie aber noch auf ihre Befriedigung. Dies gilt erst recht, wenn das Angebot dazu führt, dass eine Verbraucherin ihren Anspruch überhaupt zum Klageregister anmeldet, eben weil schon Klarheit hinsichtlich einer eventuell nachfolgenden Individualphase herrscht und etwaige Prozesskostenrisiken ausgeräumt sind: Dann leistet die antizipierte Abtretung zusätzlich einen Beitrag zur Überwindung des rationalen Desinteresses.428 Derartige fiduziarisch abgetretene Forderungen ausnahmsweise zur Anmeldung zuzulassen würde somit eher die gebündelte Rechtsdurchsetzung von Verbraucheransprüchen fördern als dem Verfahrenszweck entgegenstehen. Zudem wären dadurch Ungereimtheiten beseitigt, welche aus einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang von Abtretung und Anmeldung des Anspruchs resultieren könnten. Wären nur die vor der Eintragung zum Klageregister, aber nicht die direkt danach vorgenommenen Zessionen auszuklammern, drohen zufällige Ergebnisse, welche der Zessionarin ihre Tätigkeit erschweren würden. Insofern wäre begrüßenswert, die Anmeldefähigkeit dieser an Nichtverbraucherinnen abgetretenen Ansprüche im Rahmen des § 29c Abs. 2 ZPO zu privilegieren.429

424 Lieder, in: BeckOGK-BGB, § 398 Rn. 204, 269; Roth/Kieninger, in: MüKoBGB, Rn. 41, 106; Stürner, in: Jauernig, BGB, Rn. 14, 24. 425 Vgl. § 7 C. II. 1. 426 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608 Rn. 5; Röß, NJW 2020, 953 (955). 427 So auch Röß, NJW 2020, 953 (955). 428 Das spricht gegen die Argumentation von Röthemeyer, MFK, § 29c Abs. 2 ZPO Rn. 10. 429 In der Folge sind die §§ 610 Abs. 3, 613 ZPO entsprechend den Ausführungen von Röß, NJW 2020, 953 (956 f.) dann analog für und gegen die Zessionarinnen anzuwenden.

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C. Haftung Als noch ausstehender Punkt verbleibt schließlich die von der Gesetzgeberin offen gelassene Frage, ob bzw. wer den angemeldeten Verbraucherinnen im Fall einer durch eine mangelhafte Prozessführung verursachten Verschlechterung ihrer materiellen Rechtsposition haftet. Aufgrund der beidseitigen Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils sind sie den Entscheidungen des klagenden Verbands auf „Gedeih und Verderb“ ausgeliefert.430 Fehler seitens der qualifizierten Einrichtung oder deren Prozessbevollmächtigten431 fallen ihnen prinzipiell uneingeschränkt zur Last. Denn anders als im KapMuG-Verfahren wird dieser Nachteil nicht dadurch austariert, dass die Betroffenen umfangreiche Mitwirkungsrechte haben, mit denen sie selbst in das Verfahren eingreifen könnten.432 Insoweit ist die Untersuchung von Regressmöglichkeiten der Betroffenen nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen, sondern besonders auch aufgrund der weitgehenden Einschränkungen des rechtlichen Gehörs der Anmelderinnen angezeigt. Im Fokus steht nachfolgend, auf welche Haftungsgrundlagen ein etwaiger Regress gestützt werden könnte. Als Anspruchsgegnerin kommt primär die Musterklägerin infrage, zu der die angemeldeten Verbraucherinnen möglicherweise unmittelbar in einem Rechtsverhältnis stehen. Daneben ist zu prüfen, ob sie ggf. mittelbar von der Prozessvertreterin der qualifizierten Einrichtung Ersatz verlangen könnten.

I. Ersatzanspruch gegen Musterklägerin Hat der klagende Verband im Rahmen der Prozessführung einen die Anmelderinnen schädigenden Fehler begangen, könnte vordergründig eine Pflichtverletzung vorliegen, wegen derer nach § 280 Abs. 1 BGB Ersatz verlangt werden könnte. Prämisse dafür ist das Vorliegen irgendeines Schuldverhältnisses433 zwischen der qualifizierten Einrichtung und den geschädigten Verbraucherinnen. Eine deliktische Haftung sollte hingegen nur in engen Grenzen in Betracht kommen, namentlich nach § 826 BGB, sofern die Parteien des Musterfeststellungsverfahrens kollusiv zusammenwirken.434 Solche Fälle dürften angesichts der hohen Anforderungen an die Klagebefugnis allerdings nicht den realen Verhältnissen entsprechen, weshalb sie nachfolgend nicht weiter präzisiert werden. Stattdessen ist zu beleuchten, inwieweit die angemeldeten Verbraucherinnen und die Musterklägerin zueinander in einer rechtlichen Beziehung stehen, welche die

430 431 432 433 434

So Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 613 Rn. 2. Zu Fehlerquellen Röthemeyer, MDR 2019, 6 (7). Halfmeier, ZRP 2017, 201 (204). Ernst, in: MüKoBGB, § 280 Rn. 6; Stadler, in: Jauernig, BGB, Rn. 2, 7. Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608 Rn. 19; Röthemeyer, MFK, Rn. 36 f.

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Grundlage für die Haftung aus einem Schuldverhältnis (§ 280 Abs. 1 BGB) schaffen würde. 1. Vertragliches Schuldverhältnis Ein vertragliches Verhältnis käme erst zustande, wenn der klagende Verband und die Verbraucherinnen rechtsgeschäftlich in Kontakt treten würden. Allein die Anmeldung eines Anspruchs zur Eintragung ins Klageregister reicht dafür nicht aus: Denn weder erfüllt diese den Tatbestand einer materiell-rechtlichen Willenserklärung,435 noch wäre die qualifizierte Einrichtung ihre gesetzlich vorgesehene Empfängerin.436 Darüber hinaus wird die qualifizierte Einrichtung, wenngleich sie nach hier vertretener Ansicht in einer gemischten Prozessstandschaft eigener Art handelt,437 hauptsächlich durch die gesetzlich eingeräumte Klagebefugnis zur Prozessführung ermächtigt und nicht bloß aufgrund eines entsprechenden Auftrags seitens der einzelnen Verbraucherinnen.438 Dies manifestiert sich nicht zuletzt in der nach der gesetzgeberischen Konzeption schlechthin fehlenden Weisungsbefugnis der Anmelderinnen gegenüber der Musterklägerin, welche einem Auftragsverhältnis eigentümlich wäre.439 Der klagende Verband macht im Rahmen des § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO eigene Feststellungsziele geltend und nicht die Ansprüche der angemeldeten Verbraucherinnen; diese hängen lediglich von ersteren ab. Eine rechtsgeschäftliche Beziehung im Zuge der Anmeldung zum Klageregister lässt sich auch nicht dadurch konstruieren, dass man in die prozessualen Erklärungen der Parteien das Zustandekommen eines „besonderen unkündbaren Prozessrechtsverhältnisses“ mit Rechten und Pflichten – insbesondere zum sachund fachgerechten Betreiben der Musterfeststellungsklage – hineindeutet.440 Zum einen ist das Entstehen einer solchen Bindung im Gesetz, welches gerade keine „positiven“ Vorkehrungen bezüglich einer optimalen oder guten Wahrnehmung der Verbraucherinteressen statuiert hat, nicht angelegt.441 Zum anderen ist ohne das Hinzutreten weiterer Umstände kein entsprechender Bindungswille der quali435

Dazu Berger, ZZP 133 (2020), 3 (27, 46); Weinland, MFK, Rn. 217. Das ist das Bundesamt für Justiz, vgl. Menges, in: MüKoZPO, § 608 Rn. 4. 437 Vgl. § 5 A. I. 1. a). 438 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608 Rn. 16; Röthemeyer, MFK, Rn. 28 f.; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Rn. 2; Weinland, MFK, Rn. 217. 439 R. Koch, MDR 2018, 1409 (1415); Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 475 f.; Röthemeyer, MFK, § 608 ZPO Rn. 30; a. A. Röß, NJW 2021, 1495 (1496 ff.), der nicht auf die Weisungsbefugnis abstellt und das Zustandekommen eines Auftragsverhältnisses bejaht. 440 So Merkt/Zimmermann, VuR 2018, 363 (371); Schmidt-Kessel, Stellungnahme Entwurf MFK, S. 15; wohl auch Augenhofer, in: BeckOK-ZPO, § 611 Rn. 15; Prütting, ZIP 2020, 197 (202). 441 Waclawik, NJW 2018, 2921 (2922); ähnlich Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 27; Röß, NJW 2021, 1495 (1499 Rn. 32). 436

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fizierten Einrichtung ersichtlich, sodass die Annahme eines Prozessrechtsverhältnisses eher fingiert würde.442 Schon passender erschiene demgegenüber die Einordnung als „prozessuales Treuhandverhältnis“, welches sich aus dem Handeln der qualifizierten Einrichtung in eigener Rechtszuständigkeit und eigenem Namen, aber in fremdem Interesse herleiten ließe.443 Trotz einiger Parallelen zu den rechtsgeschäftlichen Treuhandarten fehlt es hier jedoch aufgrund der in den §§ 606 ff. ZPO ausgedrückten strengen Rechtsfolgenanordnungen an der diese prägenden privatautonomen Gestaltungsfreiheit, sodass in jedem Fall eine neue Kategorie der Treuhandarten erschaffen werden müsste.444 Den Gesetzgebungsmaterialien ist keinerlei Anzeichen zu entnehmen, dass für das Zivilverfahren die Etablierung einer derart tiefgreifenden Neuerung beabsichtigt war. Um die Figur der prozessualen Treuhand für eine Haftung der qualifizierten Einrichtung heranziehen zu können, sollte sie zumindest in irgendeiner Form im Musterfeststellungskonzept angelegt sein. Dies ist aber nicht der Fall. Vorliegend auf ein Haftungskonzept zurückzugreifen, welches allein auf einer hergeleiteten, sich charakteristisch deutlich von den bekannten Treuhandarten unterscheidenden Treuhandform basiert und im Übrigen einer gesetzlichen oder gesetzgeberischen Legitimationsgrundlage entbehrt, erscheint als zu weitgehend. Aufgrund dessen scheidet dieser Ansatz also gleichfalls aus. Annehmbar ist ein vertragliches Verhältnis zu den angemeldeten Verbraucherinnen mit korrespondierenden Sorgfaltspflichten des klagenden Verbands indes, wenn von diesem rund um die Klageerhebung bzw. die Anmeldephase bereits die einem erfolgreichen Musterfeststellungsurteil nachfolgende Geltendmachung der Individualansprüche angeboten wird. Dies kann durch eine Bevollmächtigung zur Einziehung nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO445 oder gar durch eine antizipierte Abtretung der fraglichen Ansprüche (vgl. § 8 B. II. 2.) geschehen. Soweit die entsprechenden Willenserklärungen bereits abgegeben sind, besteht das Schuldverhältnis ab diesem Zeitpunkt. Andernfalls wäre an eine vorvertragliche Bindung nach § 311 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 BGB zu denken, die jedenfalls dann eintreten dürfte, sofern sich eine Verbraucherin aufgrund der in Aussicht gestellten späteren Geltendmachung ihrer Forderung zur Anmeldung entschlossen und der Musterklägerin so die Möglichkeit zur Einwirkung auf ihre Rechte gewährt und dieser ihre Interessen anvertraut hat.446 Nichtsdestominder werden solch besondere Umstände, welche eine ver442 Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 27; im Ergebnis auch Berger, ZZP 133 (2020), 3 (46); Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 473 f.; Weinland, MFK, Rn. 218. 443 Dazu Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 479 ff. 444 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 488. 445 Insoweit auch Röthemeyer, MFK, § 608 ZPO Rn. 28. 446 Zu den Voraussetzungen der culpa in contrahendo-Tatbestände des § 311 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB im Einzelnen Emmerich, in: MüKoBGB, § 311 Rn. 45 ff.

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tragliche Beziehung herbeiführen können, insbesondere wegen der unter den klagebefugten Verbänden verbreitet (noch) schwelenden Finanzierungsfrage447 bis auf Weiteres selten hinzutreten. 2. Gesetzliches Schuldverhältnis Diskutabel ist ferner, ob im Zuge der Anmeldung zumindest ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen der Musterklägerin und den Anmelderinnen entsteht. Im Mittelpunkt steht dabei die fragliche Annahme einer Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB),448 welche aufgrund der mit der Prozessführung verknüpften Wahrnehmung fremder Verbraucherinteressen (vgl. § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO) grundsätzlich denkbar wäre.449 Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 677 BGB ist jedoch umstritten, ob die erforderliche Fremdheit des Geschäfts sowie die Nichtberechtigung der Geschäftsführerin450 in der vorliegenden Konstellation kumulativ gegeben sein können. Dagegen wird einerseits vorgebracht, dass die qualifizierte Einrichtung in Ausübung der ihr von Gesetzes wegen singulär vorbehaltenen Klagebefugnis, die gemäß § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO gerade nicht einer einzelnen Verbraucherin oder einem Zusammenschluss von materiell-rechtlich Betroffenen zugewiesen ist, ein eigenes Geschäft führe.451 Dieses liegt nach den allgemeinen Grundsätzen vor, wenn die Geschäftsführerin durch ihre Geschäftsbesorgung allein ihre eigene Rechtsposition berührt.452 Handelt sie demgegenüber bewusst und willentlich zumindest auch im Interesse eines anderen, ist ein Geschäft i. S. d. § 677 BGB zu bejahen.453 Gerade dieses Bewusstsein und der Wille, während des Musterfeststellungsverfahrens auch oder vielmehr v. a. im Interesse der angemeldeten (nicht aber schlechthin aller) Verbraucherinnen zu agieren, lässt sich ab dem Zeitpunkt der von diesen veranlassten Eintragung in das Klageregister bzw. spätestens nach dem Verstreichen der Frist zur Rücknahme der Anmeldung nach § 608 Abs. 3 ZPO indessen kaum abstreiten.454 An der Fremdheit des Geschäfts würde es demnach sicher nur vor der Anmeldung scheitern. 447

Vgl. bereits § 8 A. I. 2. Diese bejahend Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608 Rn. 2. In diese Richtung auch Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie, S. 19 (ohne aber zu präzisieren, woraus ein gesetzliches Schuldverhältnis zustande kommt). 449 Röthemeyer, MFK, § 608 ZPO Rn. 32. 450 Zu den einzelnen Merkmalen Mansel, in: Jauernig, BGB, § 677 Rn. 3, 6; Schäfer, in: MüKoBGB, Rn. 36 ff., 75 ff. 451 Halfmeier, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 608 Rn. 18; Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 27. 452 Schäfer, in: MüKoBGB, § 677 Rn. 40. 453 Vgl. BGH NJW-RR 2001, 1282 (1284); NJW 2009, 2590 (2591); 2018, 2714 (2716); Mansel, in: Jauernig, BGB, § 677 Rn. 3. 454 Röthemeyer, MFK, § 608 ZPO Rn. 34. 448

268

§ 8 Einzelfragen

Andererseits sorgt die Anmeldung der einzelnen Verbraucherinnen zugleich mit dafür, dass das Handeln des klagenden Verbandes als Prozessstandschafterin und damit die potenzielle Beeinträchtigung ihrer Interessen legitimiert wird. Denn mit dem opt in zum Verfahren führen die Anmelderinnen ihre Abhängigkeit von der Prozessführung selbst hierbei; die Annahme einer fehlenden Berechtigung der Musterklägerin i. S. d. § 677 BGB erschiene insoweit verfehlt.455 Überdies spricht gegen eine Geschäftsführung ohne Auftrag auch, dass die ihr eigentümliche Weisungsgebundenheit der Geschäftsführerin an den Willen und das Interesse der Geschäftsherrin mitsamt der damit verbundenen Rechte und Pflichten (vgl. §§ 681 Satz 1, 683 f. BGB) nicht mit dem gesetzlich vorgesehenen Verhältnis zwischen dem Verband und den gemäß § 610 Abs. 6 ZPO von der Verfahrensbeteiligung ausgeschlossenen Verbraucherinnen harmonieren würde.456 Insgesamt fällt so auf, dass der reine Anmeldevorgang zur Musterfeststellungsklage zu wenig hergibt, um ein Auftragsverhältnis anzunehmen, jedoch zu viel, um von einer gänzlichen unberechtigten Prozessführung zu sprechen. Die „bekannten“ Schuldverhältnisse scheinen daher nicht für diese besondere Konstellation zu passen. Auf die Ermangelung einer generellen Haftungsgrundlage mit der Finte zu reagieren, ein „gesetzliches geschäftsbesorgungsähnliches Schuldverhältnis“ zwischen den einzelnen Anmelderinnen und der qualifizierten Einrichtung zu postulieren, das den Gegebenheiten im Musterfeststellungsverfahren Rechnung trägt,457 ist trotz allem ebenso fernliegend: Im Ergebnis würde das wie beim zuvor abgelehnten „besonderen unkündbaren Prozessverhältnis“ oder dem „prozessualen Treuhandverhältnis“ auf ein fingiertes Schuldverhältnis hinauslaufen, dem eine entsprechende Basis im Gesetz fehlt. Soweit also keine besonderen Umstände vorliegen, die eine vertragliche oder vorvertragliche Bindung begründen, wird den angemeldeten Verbraucherinnen im Fall einer fehlerhaften Prozessführung kein Ersatzanspruch gegen die Musterklägerin zustehen.

II. Ersatzanspruch gegen Prozessbevollmächtigte Fraglich ist, ob die angemeldeten Verbraucherinnen ihre etwaigen Schäden dann zumindest von der oder den Prozessbevollmächtigten des klagenden Verbands ersetzt verlangen könnten. Immerhin ist es in der Praxis meist deren Verhalten, welches einen Haftungsfall verursachen kann.458 Gegenüber ihrer Man-

455 Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 489 f.; Rohls, in: Nordholtz/Mekat, MFK, § 3 Rn. 100; Röß, NJW 2021, 1495 (1499); Röthemeyer, MFK, § 608 ZPO Rn. 34 f. 456 Berger, ZZP 133 (2020), 3 (46); Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 490; Röthemeyer, MFK, § 608 ZPO Rn. 33. 457 So eingehend Berger, ZZP 133 (2020), 3 (46 f.). 458 Schmidt-Kessel, Stellungnahme MFK Entwurf, S. 17.

C. Haftung

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dantin sind sie nach den Grundsätzen zur Anwaltshaftung dementsprechend zur umfassenden, fachgerechten und sorgfältigen Vertretung der Interessen der Auftraggeberin unter möglichst weitgehender Vermeidung von Nachteilen verpflichtet; unterläuft ein Fehler, kommt prinzipiell eine Einstandspflicht gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Betracht.459 Übertragen auf das Musterfeststellungsverfahren heißt das zunächst, dass die Musterklägerin (potenziell) Ersatzansprüche gegenüber ihrer anwaltlichen Vertreterin geltend machen könnte. Das Problem ist hierbei jedoch, dass dieser außer etwaigen überflüssigen Verfahrenskosten kein echter Schaden entsteht, sondern materiell-rechtlich v. a. die angemeldeten Verbraucherinnen als Anspruchsinhaberinnen betroffen sind.460 Oftmals werden die „wahren“ Geschädigten nicht ebenfalls die Mandantinnen der von der qualifizierten Einrichtung betrauten Sozietät sein, sodass wiederum die unmittelbare Haftungsgrundlage fehlt. Erwägenswert ist deshalb, die angemeldeten Verbraucherinnen nach den Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter461 in den Schutzbereich des Anwaltsvertrags einzubeziehen, der mit dem in Prozessstandschaft klagenden Verband besteht.462 Um Dritte auch ohne explizite Regelung in diesen aufnehmen zu können, verlangt die ständige Rechtsprechung, dass (1) diese bestimmungsgemäß mit der anwaltlichen Hauptleistung in Berührung kommen, (2) die Gläubigerin ein schutzwürdiges Interesse an der Einbeziehung in den Schutzbereich des Beratungsvertrags hat, (3) dies der schutzpflichtigen Beraterin bekannt oder zumindest für sie erkennbar ist und (4) keine eigenen inhaltsgleichen vertraglichen Ansprüche bestehen.463 Das erforderliche Näheverhältnis soll dabei nur vorliegen, wenn die anwaltliche Leistung bestimmte Rechtsgüter der Dritten nach der objektiven Interessenlage im Einzelfall mit Rücksicht auf den Vertragszweck bestimmungsgemäß, typischerweise beeinträchtigen kann und nach dem objektiven Empfängerhorizont auch dazu bestimmt ist, 459 BGH NJW 2007, 2485 (2486); 2019, 1151 (1152); 2020, 843 f.; Halfmeier, ZIP 2016, 1705 (1710 f.) zum KapMuG; allgemein Heermann, in: MüKoBGB, § 675 Rn. 33 ff. 460 Eingehend Röthemeyer, MFK, § 608 ZPO Rn. 38. 461 Dogmatisch handelt es sich nach überwiegender Auffassung um ein selbstständiges vertragsähnliches Schuldverhältnis, welches aus einer ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB), einer Rechtsfortbildung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder gar Gewohnheitsrecht hergeleitet, jedenfalls aber einhellig anerkannt wird, siehe Gottwald, in: MüKoBGB, § 328 Rn. 169 ff.; Mäsch, in: BeckOGK-BGB, Rn. 157 ff. 462 Insoweit Heese, JZ 2019, 429 (437 Fn. 139); R. Koch, MDR 2018, 1409 (1415); Scholl, ZfPW 2019, 317 (351); Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 608 Rn. 2; die von Röthemeyer, MFK, § 608 ZPO Rn. 38 präferierte Konstruktion der Drittschadensliquidation erscheint mit Blick auf die gängigen Abgrenzungskriterien (siehe Gottwald, in: MüKoBGB, § 328 Rn. 194) dagegen unpassend, da es bei der Musterfeststellungsklage gerade nicht zu einer dafür typischen Schadensverlagerung kommt, sondern von vornherein feststeht, dass hauptsächlich die Verbraucherinnen zu Schaden kommen können. 463 BGH NJW 2016, 3432 (3433); 2020, 3169.

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§ 8 Einzelfragen

den Dritten Schutz vor möglichen Vermögensschäden zu vermitteln, wobei zudem die Auftraggeberin ein entscheidendes Eigeninteresse an der Wahrung der Drittinteressen haben muss.464 Diese Voraussetzungen müssten somit im Dreiecksverhältnis von Musterklägerin, Prozessbevollmächtigter und Anmelderinnen gegeben sein. Berücksichtigt man zunächst die Bindung der angemeldeten Verbraucherinnen an ein Musterfeststellungsurteil (§ 613 ZPO) unter dem gleichzeitigen gesetzlichen Ausschluss ihrer Partizipation und Übertragung der Klagebefugnis an einen Verband (§§ 606 Abs. 1, 610 Abs. 6 ZPO), ist schon bei Vertragsschluss ersichtlich, dass die Prozessbevollmächtigten der Musterklägerin mit ihrem Handeln typischerweise in der Lage sind, auf die Interessen der Anmelderinnen einzuwirken (Leistungsnähe).465 Ebenso ist die Prozessführung bestimmungsgemäß darauf ausgerichtet, den Ansprüchen der Verbraucherinnen durch die verbindliche Klärung der Feststellungsziele die Durchsetzung zu erleichtern, damit also auch deren subjektive Rechte zu schützen. An deren Wahrung auch durch die von ihr mandatierten Anwältinnen hat die qualifizierte Einrichtung durchaus ein Eigeninteresse, welches sich kumulativ aus ihrer Satzung (vgl. § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO) und aus der ihr von der Gesetzgeberin im Rahmen der Klagebefugnis zugedachten Rolle als Interessenrepräsentantin ergeben kann. Dementsprechend ließe sich das gestaltbare Kriterium der Gläubigernähe bejahen.466 Diese Umstände sind grundsätzlich auch der mandatierten Sozietät bekannt. Dasselbe gilt für den in den Anwaltsvertrag einzubeziehenden Personenkreis, welcher für die Rechtsberaterin spätestens durch die mögliche Anforderung eines schriftlichen Auszugs aller im Klageregister zur Musterfeststellungsklage angemeldeten Personen i. S. d. § 609 Abs. 6 ZPO erkennbar ist. Schließlich sind die angemeldeten Verbraucherinnen vorbehaltlich ausnahmsweise gegebener vertraglicher Ersatzansprüche gegen die Musterklägerin schutzbedürftig, da Eingriffsmöglichkeiten in das Verfahren schlichtweg nicht existieren und sie demnach auch nicht auf ihre persönliche anwaltliche Vertretung verwiesen werden können467 – welche konzeptionell ohnehin nicht vorgesehen ist. Mithin lassen sich die Grundsätze zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter angesichts der sonst unbilligen Auslieferung der Verbraucherinnen auf die in Rede stehende Konstellation im Musterfeststellungsverfahren übertragen; eine 464

BGH NJW 2016, 3432 (3434); 2020, 3169 (3170). So auch Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 518. 466 Lutz, in: BeckOK-ZPO, § 606 Rn. 27.1 hegt diesbezüglich Zweifel, stützt sich aber auf eine Entscheidung ohne anwaltsvertraglichen Bezug. Dagegen auch Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 519 ff. 467 Ebenso R. Koch, MDR 2018, 1409 (1415) mit der zutreffenden Heraushebung, dass hierin der wesentliche Unterschied zum KapMuG-Verfahren liegt, bei dem den Beigeladenen eigene Ersatzansprüche gegen die eigene Prozessvertreterin zustehen können. Siehe dazu auch Halfmeier, ZIP 2016, 1705 (1711). 465

C. Haftung

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Haftung der Prozessbevollmächtigten könnte insofern ggf. eintretende Nachteile der Anmelderinnen kompensieren.

III. Fazit Dennoch empfiehlt sich eindringlich, dass dieses Ergebnis nur ein vorübergehendes ist. Einerseits würde die dauerhafte Gefahr einer mitunter erheblichen Haftung die Übernahme des Mandats für eine Musterfeststellungsklage noch unattraktiver machen als ohnehin468 bzw. dafür sorgen, dass der finanzielle Aufwand für den klagenden Verband noch weiter steigt, weil dieser die entstehenden Mehrkosten für die erforderliche Versicherung des Anwaltsrisikos übernehmen muss.469 Andererseits würde es perspektivisch dem Zweck des Instituts des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter widersprechen. Dieses soll prinzipiell nur ausnahmsweise bemüht werden, wenn keine andere Lösung ersichtlich ist, aber gerade keine Regelhaftung begründen.470 Die baldige Definierung eines klaren Haftungstatbestandes durch die Gesetzgeberin ist deshalb – und auch als Ausgleich für die Einschränkungen des rechtlichen Gehörs der Anmelderinnen471 – angezeigt.472 Mit Blick auf den hervorgehobenen übrigen Korrekturbedarf, der sich vielfach aus den unzureichenden Ausgleichsmechanismen für die weitreichenden Einschränkungen des rechtlichen Gehörs der Anmelderinnen ergibt, könnte dies gezielt in einer einheitlichen Reform adressiert werden. Durch die anstehende Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie steht der kollektive Rechtsschutz ohnehin auf der Agenda. Zu resümieren ist, dass das ursprüngliche Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage klar durch eine intendierte Missbrauchsprävention gekennzeichnet war, die sich als zu weitgehend herausgestellt hat. Eine Klageindustrie ist nicht durch Musterfeststellungsklagen, sondern im Zuge einer Kommerzialisierung des Rechtsdienstleistungsmarkts durch bestimmte Akteure mit Profitinteresse entstanden, deren reger Zulauf auch mit der geringen Zahl an Musterfeststellungsverfahren erklärbar ist. Zudem hat die überhöhte Vorsicht dazu geführt, dass andere Aspekte wie die sachgerechte Gestaltung der Anmeldephase 468 Meller-Hannich, WuB 2021, 1 (4); vgl. auch Halfmeier, ZRP 2017, 201 (204); Heese, JZ 2019, 429 (437); Kähler, ZIP 2020, 293 (297 f.); Schneider, BB 2018, 1986 (1997). 469 Dazu Röthemeyer, MFK, § 608 ZPO Rn. 39. 470 Siehe Oehmig, Rechtsstellung des angemeldeten Verbrauchers, S. 519 m.w. N. 471 Vgl. § 6 B. I. 2. a) aa). 472 Zu empfehlen wäre ein gesetzlicher Haftungstatbestand, durch den angemeldete Verbraucherinnen im Fall einer mangelhaften Prozessführung vom klagenden Verband Ersatz verlangen können, der ggf. wiederum seine Prozessbevollmächtigte vertraglich in Regress nehmen kann. Im Zuge dessen ist aber nochmals (vgl. bereits § 8 A.) eindringlich darauf hinzuweisen, dass die qualifizierten Einrichtungen finanziell mit einem größeren Polster ausgestattet werden müssen, um die Haftungsrisiken abzufedern.

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§ 8 Einzelfragen

einschließlich einer echten Aufklärung über die Folgen des Verfahrensbeitritts, die volle Ausschöpfung der Flexibilitätsvorteile des zweistufigen Kernkonzeptes oder die gesicherte Finanzierung der infrage kommenden Musterklägerinnen tendenziell zu wenig Aufmerksamkeit erhielten. Ihre grundsätzlich empfehlenswerte Weiterentwicklung sollte deshalb eine Handschrift tragen, die dem Verbraucherschutz sowie der potenziellen Wirksamkeit des Instruments mehr Geltung verleiht.

4. Teil

Schlussbetrachtung § 9 Ergebnisse Zum Abschluss dieser Arbeit werden die maßgeblichen Ergebnisse der einzelnen Teile nachfolgend rekapituliert und zusammengeführt.

A. Zivilprozessuale Problematik von Massenschäden (1. Teil) 1. Der im Jahr 2015 aufgedeckte und nach sechs Jahren längst nicht vollständig aufgearbeitete Abgasskandal hat erhebliche Defizite in der Verbraucherrechtsdurchsetzung offengelegt. Das auf den Individualrechtsschutz zugeschnittene deutsche Zivilverfahrensrecht war auf die Bewältigung eines solchen umfassenden Schadensereignisses mit einer Vielzahl gleichartig geschädigter Verbraucherinnen unzureichend vorbereitet. Für zukünftig zu erwartende ähnliche Massenschadenslagen bedarf es besserer Rechtsschutzmöglichkeiten, die de lege lata noch nicht geschaffen sind. 2. Dabei wird das herkömmliche Leitbild des Zivilprozesses den heutigen Verhältnissen der modernen Massengesellschaft nur noch bedingt gerecht. Einerseits lässt sich die Prämisse der Dispositionsmaxime, dass eine Geschädigte ihre Ansprüche eigenverantwortlich und persönlich gegenüber der Schädigerin geltend machen wird, nicht ohne weiteres auf „B2C“-Beziehungen übertragen. Vielmehr kann sich eine Verbraucherin aufgrund diverser Faktoren mit der Durchsetzung ihrer individuellen Rechte gegen ein Unternehmen überfordert fühlen und vom traditionellen Klageweg absehen. Andererseits erweist sich die Vorstellung des Zweiparteienprozesses als ineffizient, wenn im Zuge eines Massenschadensfalls eine Vielzahl gleichgelagerter Einzelklagen erhoben werden, die parallel verhandelt werden müssen. Das Verfahrensrecht sowie die Ziviljustiz als solche sollten in dieser Hinsicht zeitgemäßer aufgestellt werden. 3. Die infolge eines Massenschadensereignisses drohenden Individualklagewellen erscheinen besonders mit Blick auf die begrenzten justiziellen Ressourcen bedenklich. Letztere müssen in den kommenden Jahren angesichts der zunehmenden Personalknappheit, des Nachholbedarfs bei der Digitalisierung und einer insgesamt steigenden Arbeitslast ohnehin viel schultern. Werden die Gerichte dann noch wie im Rahmen der zivilen Aufarbeitung des Abgasskandals vermehrt beansprucht, besteht die latente Gefahr einer Überlastung.

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§ 9 Ergebnisse

4. Nachteilige prozessökonomische Auswirkungen können sich auch hinsichtlich der Verfahrenslänge bemerkbar machen. So kann es bei den einzelnen befassten Spruchkörpern zu einem Prozessstau kommen, wodurch sich die höchstrichterliche Klärung der wesentlichen Streitfragen insgesamt verzögert. Darüber hinaus trägt die Verfahrenszersplitterung häufig dazu bei, dass Instanzgerichte widersprüchlich entscheiden. Hierdurch entsteht bzw. verschärft sich ein Zustand der Rechtsunsicherheit, der zugleich die geschädigten Verbraucherinnen im Rahmen ihrer Entscheidung über die Geltendmachung ihrer Rechte beeinträchtigen kann. 5. Zusätzlich ist die individuelle Aufarbeitung eines Massenschadensfalls regelmäßig von einem verstärkten Ungleichgewicht zwischen den Beteiligten geprägt. Denn für das schädigende Unternehmen steht bei einer drohenden massenhaften Inanspruchnahme ein hohes materielles Interesse auf dem Spiel, weshalb es geneigt ist, seine wirtschaftliche Überlegenheit gegenüber den geschädigten Verbraucherinnen vollends auszuschöpfen. Das auf eine möglichst lange Präzedenzverhinderung ausgerichtete Abwehrverhalten des VW-Konzerns hat veranschaulicht, wie sich eine Schädigerin die Defizite des Individualrechtsschutzes zunutze machen kann. Auch deshalb dauerte es fast fünf Jahre bis zu einem ersten Leiturteil des BGH. Geschädigte Verbraucherinnen können infolgedessen wiederum abgeschreckt und von einer Verfolgung ihrer Ansprüche abgehalten werden. 6. Die unternehmensseitige Abwehrstrategie wird zudem durch die verbrauchertypischen Konfliktschwächen begünstigt. Aufgrund ihrer Unerfahrenheit im Umgang mit Rechtsstreitigkeiten sowie mangelnder Rechtskenntnisse sind sie gegenüber diesbezüglich versierten Unternehmen erheblich im Nachteil. Hinzu kommen eine geringer ausgeprägte Zeit- und Frustrationstoleranz der Verbraucherinnen sowie eine Scheu vor den staatlichen Gerichten. Besonders hinsichtlich des Zugangs zu Letzteren hat sich die allgemeine Erwartungshaltung der Bürgerinnen an eine zügige wie flexible Erreichbarkeit und Kommunikation verändert, welcher die Zivilgerichtsbarkeit heutzutage nicht mehr gerecht wird. 7. Anknüpfend daran können geschädigte Verbraucherinnen nach einer individuellen Abwägung zum Entschluss gelangen, ihre Ansprüche gegen das Unternehmen nicht individuell gerichtlich geltend zu machen. Die Ursachen dieses rationalen Desinteresses können vielfältig sein: Beachtlich sind die potenziellen Kosten eines Rechtsstreits, der damit verbundene zeitliche Aufwand sowie emotionale Belastungen. Im Rahmen von Massenschäden können jene Faktoren nachhaltig durch einen langanhaltenden Zustand der Rechtsunsicherheit, teure Beweisaufnahmen, ausufernde Verfahrensdauern oder eine übermächtig erscheinende Gegnerin beeinflusst werden. So ist in derartigen Fallkonstellationen damit zu rechnen, dass eine Vielzahl von Verbraucherinnen bis zu einem Streitwert von 2.000 Euro in der Regel nicht dazu bereit ist, den individuellen Klageweg zu beschreiten.

B. Einordnung der Musterfeststellungsklage (2. Teil)

275

8. Im Zuge dessen erfordert die Zuordnung der Defizite des Individualrechtsschutzes bei verbrauchertypischen Massenschäden eine Neujustierung. Echte Bagatellschäden erfassen ausschließlich diejenigen Fälle, in denen ein individuelles Rechtsdurchsetzungsinteresse schlechthin fehlt, das rationale Desinteresse der Verbraucherinnen also abwägungsunabhängig vorliegt. Aufgrund der neuen Angebote im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes, die für Verbraucherinnen äußerst niedrigschwellig zugänglich sind, ist die Grenze für den Bagatellbereich bei Forderungswerten von 10 bis 15 Euro anzusetzen. Bei darüber liegenden Beträgen dürfte ein rationales Desinteresse bereits abwägungsabhängig sein. Eine weitere typologische Abgrenzung innerhalb der Massenschadensproblematik erscheint gleichwohl nicht notwendig. Vielmehr greifen die festgestellten Defizite zumeist ineinander und lassen sich schwerlich isoliert betrachten. 9. Die Bewältigung echter Bagatellschäden bedarf spezieller Lösungen, da aufgrund der fehlenden Anreizmöglichkeit jegliche Ansätze, die eine private Initiative der Betroffenen voraussetzen, ausscheiden. Stattdessen sollten hier eine behördliche Rechtsdurchsetzung ausgebaut bzw. die im überindividuellen Interesse geführten Verbandsklagen auf Beseitigung, Unterlassung und Gewinnabschöpfung reformiert werden. 10. Im Übrigen empfehlen sich zur Stärkung der Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Massenschäden mehrere Maßnahmen. So besteht v. a. in digitaler Hinsicht einiges Potenzial, Individualverfahren für Massenschadensfälle zu schematisieren. Zugleich ist zu erwägen, diese leichter zugänglich zu machen und die höchstrichterliche (Vorab)Klärung wesentlicher Streitfragen zu beschleunigen. Gleichwohl stoßen die Lösungsansätze im Individualrechtsschutz bei der Bewältigung von Massenschäden auch an ihre Grenzen, weshalb sie durch effektive und effiziente Mechanismen zur Bündelung einer Vielzahl von Ansprüchen ergänzt werden sollten. Die Musterfeststellungsklage bildet diesbezüglich den Grundstein, auf dem aufzubauen ist. 11. Kollektive Rechtsschutzinstrumente sind im deutschen Zivilverfahrensrecht atypisch. Dementsprechend muss bei deren Ausgestaltung darauf geachtet werden, dass sich das Kollektivverfahren systematisch einfügt, wobei zuvörderst die Dispositionsmaxime und der Anspruch der materiell-rechtlich Betroffenen auf rechtliches Gehör zu beachten sind. Aufgrund der Einbettung der Musterfeststellungsklage in die ZPO ist diese besonders daran zu messen.

B. Einordnung der Musterfeststellungsklage (2. Teil) 12. Grundsätzlich bewegt sich die Musterfeststellungsklage – mit Ausnahme unzureichend gewahrter verfassungsrechtlicher Vorgaben – innerhalb der prozessrechtlichen Rahmenbedingungen. Das Verfahren ist mit einer qualifizierten Einrichtung als Klägerin und einer Unternehmerin auf Beklagtenseite zunächst

276

§ 9 Ergebnisse

wie ein gewöhnlicher Zweiparteienprozess konzipiert. Auch die den Zivilprozess prägenden Verfahrensmaximen sowie der Hauptprozesszweck spiegeln sich in den Regelungen der §§ 606 ff. ZPO wider. Gewisse Modifikationen, bspw. in Bezug auf die neuartige Form der Prozessführungsbefugnis des klagenden Verbands, die als gemischte Prozessstandschaft eigener Art einzuordnen ist, sind gleichwohl erforderlich. 13. Das Musterfeststellungskonzept bezweckt die Klärung tatsächlicher und rechtlicher Voraussetzungen, die für die Ansprüche der angemeldeten Verbraucherinnen im Verhältnis zur Musterbeklagten vorgreiflich sind. Der Begriff der Feststellungsziele i. S. d. § 606 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist dabei weit auszulegen. Wichtig ist, dass die von der Musterklägerin zu definierenden Feststellungsziele generalisierbar sind. Individuelle Fragen sind kein tauglicher Verfahrensgegenstand. 14. Die Ausgestaltung der Klagebefugnis sowie deren strenge Auslegung durch die Rechtsprechung engt den Kreis der Klageberechtigten deutlich ein und trägt in der Praxis zu einer bisher geringen Zahl erhobener Musterfeststellungsklagen bei. Bei der Normierung der Zusatzanforderungen an qualifizierte Einrichtungen nach § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat sich die Gesetzgeberin zu sehr von Missbrauchsbedenken leiten lassen. Nicht gemäß § 606 Abs. 1 Satz 4 ZPO privilegierten Verbraucherverbänden wird die Erlangung der Klagebefugnis übermäßig erschwert. Auf diese Weise büßt das Verfahrensinstrument an Wirksamkeit ein. 15. Mit dem Erfordernis der Anspruchsanmeldung in § 608 ZPO folgt das Verfahren richtigerweise dem opt in-Modell. Die Anforderungen sind niedrigschwellig gefasst und adressieren die verbrauchertypischen Zugangsbarrieren. Jedoch führt der fehlende Anwaltszwang im Zusammenspiel mit der nicht vorgesehenen inhaltlichen Prüfung durch das Bundesamt für Justiz dazu, dass eine Verfälschung des Klageregisters droht. Gerade die massenhaften Anmeldungen zur Musterfeststellungsklage gegen VW haben offenbart, dass die registerführende Stelle zur Bewältigung der verwaltenden Tätigkeiten mehr technischer und personeller Unterstützung bedarf. Letzteres trägt überdies dazu bei, dass der Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs gemäß § 611 ZPO unpraktikabel sein kann und die in der Vorschrift niedergelegten Sicherungsmechanismen ins Leere laufen. 16. Bei der Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613 Abs. 1 Satz 1 ZPO handelt es sich dogmatisch um ein Institut sui generis, welches der Rechtskraft allerdings nahesteht. In der Sache bindet sie die angemeldeten Verbraucherinnen nach dem Verstreichen des Rücknahmezeitpunktes (§ 608 Abs. 3 ZPO) beidseitig, sprich auch im Fall einer Klageabweisung. Vor dem Hintergrund, dass die Anmelderinnen eine rein passive Beteiligtenstellung – ohne Einfluss auf den Prozess(verlauf) – innehaben, führt dies zu einem erheblichen Ein-

B. Einordnung der Musterfeststellungsklage (2. Teil)

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griff in den Anspruch der materiell-rechtlich betroffenen Verbraucherinnen auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG. 17. Die freiwillige Entscheidung zur Teilnahme am Musterfeststellungsverfahren kann die Einschränkungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör in der momentanen Form des Anmeldeprozederes nicht rechtfertigen. Denn die Verbraucherinnen müssen sich von vornherein über die rechtlichen Folgen der Anmeldung, insbesondere im Fall eines für sie negativen Verlaufs des Musterfeststellungsverfahrens, bewusst sein und über die entsprechenden Risiken aufgeklärt werden. Aus den bisher zur Verfügung gestellten Informationen gehen diese nicht hervor. Zudem sind den angemeldeten Verbraucherinnen während des Verfahrens mehr Informationsrechte einzuräumen, welche ihnen Einblick in den Prozessstoff gewähren. Schließlich bedarf es eines Haftungstatbestandes für den Fall einer mangelhaften Prozessführung der Musterklägerin. 18. Daneben fehlt der Musterbeklagten die gesetzliche Möglichkeit, eigene Feststellungsziele in den Prozess einzubringen. Eine entsprechende Anwendung der Grundsätze der Widerklage scheidet regelmäßig aus. Angesichts dessen besteht ein Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit. Dieser sollte de lege ferenda – bspw. durch die Einführung einer an § 15 Abs. 1 KapMuG angelehnten Vorschrift – beseitigt werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine Änderung des Streitgegenstandes aufgrund der Bindung der angemeldeten Verbraucherinnen an das Verfahrensergebnis nach dem Tag des Beginns der mündlichen Verhandlung für deren Gehörsanspruch problematisch ist. Hier fehlt es den §§ 606 ff. ZPO wiederum an einer die verfassungsrechtlichen Vorgaben hinreichend berücksichtigenden Feinabstimmung. Eine etwaige Neuregelung müsste daher mit Schutzvorkehrungen zugunsten der Anmelderinnen einhergehen, etwa einer längeren Frist für die Rücknahme der Anmeldung. Ebenfalls ein empfehlenswerter Kompromiss wäre die im Rahmen des dritten Teils (vgl. § 8 B. I. 1.) behandelte Ergänzung der Musterfeststellungsklage durch ein dem Anmeldeprozedere vorgeschaltetes Vorverfahren, innerhalb dessen die Musterbeklagte die Feststellungsziele mitgestalten könnte, noch bevor diese öffentlich bekannt gemacht werden. 19. Im Übrigen sorgt die rudimentäre Verweisungstechnik in § 610 Abs. 5 Satz 1 ZPO auf die allgemeinen Vorschriften teilweise für Unklarheiten, etwa in Bezug auf ein etwaiges Versäumnisurteil gegen die Musterklägerin. Ebenso bei der fraglichen Anwendbarkeit der Klageänderung (§§ 263 f. ZPO), die bei einer Zulassung nach dem ersten Termin wiederum mit dem rechtlichen Gehör der angemeldeten Verbraucherinnen in Konflikt geraten würde und deshalb auszuschließen ist, offenbaren sich insoweit Defizite. Hierunter leiden ggf. die Effektivität und Effizienz des Musterfeststellungsverfahrens. 20. So weisen die §§ 606 ff. ZPO insgesamt einen konzeptionellen Mangel auf, der sich in zweifacher Hinsicht bemerkbar macht. Zum einen werden die verfas-

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§ 9 Ergebnisse

sungsrechtlichen Anforderungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör hinsichtlich der Anmelderinnen sowie des Gebots der prozessualen Waffengleichheit bezüglich der Musterbeklagten missachtet. Zum anderen tarieren die Vorschriften die jeweiligen teils widerstreitenden Interessen der Beteiligten ungenügend aus. Zukünftig muss diesem Gesichtspunkt erhöhte Aufmerksamkeit entgegengebracht werden.

C. Perspektive der Musterfeststellungsklage (3. Teil) 21. Das zweistufige Kernkonzept der Musterfeststellungsklage sollte grundsätzlich beibehalten und weiterentwickelt werden. Dafür spricht insbesondere die hierdurch gewonnene Flexibilität, welche sowohl eine gebündelte Verbraucherrechtsdurchsetzung ermöglicht als auch Raum für einzelfallgerechte Entscheidungen belässt. Auf diese Weise würde der hierzulande vorrangige Individualrechtsschutz nicht vom Kollektivrechtsschutz verdrängt, sondern systemkonform durch diesen ergänzt. 22. Dennoch sollte das Musterfeststellungskonzept um einen Leistungsmechanismus erweitert werden, der den angemeldeten Verbraucherinnen auch eine direkte Kompensation in Aussicht stellt. Dies schreibt nicht zuletzt die neue Verbandsklagenrichtlinie vor, welche ein Verbandsklageverfahren fordert, das auch Abhilfeentscheidungen ermöglicht. Deren Vorgaben könnten angesichts der weitreichenden Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten auch im Rahmen des bestehenden Klageinstrumentes in den §§ 606 ff. ZPO umgesetzt werden. 23. Die Musterfeststellungsklage stellt ein taugliches Grundgerüst für die Transformation der europäischen Richtlinienvorgaben dar, die auf die Einführung eines Verfahrens auf Abhilfe abzielen. Einige der geltenden Regelungen, bspw. hinsichtlich des Anwendungsbereichs, des opt in-Modells oder der Verjährungshemmung, könnten ohne weiteres übernommen werden. Anpassungen wären zuvörderst in Bezug auf die Klagebefugnis zu empfehlen, welche mit der einschlägigen Richtlinienbestimmung harmonisiert werden sollte. 24. Das Musterfeststellungskonzept sollte in Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie um einen Mechanismus erweitert werden, mit dem die angemeldeten Verbraucherinnen im Erfolgsfall auf Basis der getroffenen Feststellungen auch eine Mindestabhilfe beanspruchen können. Dieser zielt darauf ab, den Anmelderinnen pauschal eine bestimmte Summe zuzusprechen und so deren „Grundschaden“ zu ersetzen. Auf diese Weise wird eine individuelle Bestimmung jedes einzelnen angemeldeten Anspruchs erspart, wodurch Effizienz und Funktionalität des Abhilfemechanismus gewährleistet sind. Zugleich vermeidet die Beschränkung der beanspruchbaren Leistung auf eine bloße Mindestabhilfe eine kollektive Überkompensation zum Nachteil der Musterbeklagten. Kommt eine Abhilfeentscheidung (noch) nicht in Betracht, etwa weil die Feststellungsziele nur auf

C. Perspektive der Musterfeststellungsklage (3. Teil)

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die Klärung einer bestimmten Vorfrage ausgelegt waren und eine Verantwortlichkeit der Musterbeklagten weiter streitig ist, endet das Verfahren wie bisher mit dem Musterfeststellungsurteil. 25. Die Entscheidung über die Gewährung der Mindestabhilfe liegt in der Verantwortung des für die Musterfeststellungsklage zuständigen Gerichts. Insbesondere sollte es festlegen können, ob eine Mindestabhilfe von allen angemeldeten Verbraucherinnen einheitlich beansprucht werden kann oder ob innerhalb der Anmelderinnen Untergruppen zu bilden sind, welche eine Abstufung ermöglichen. Sieht die Mindestabhilfe entgeltliche Entschädigungen vor, sollte das Gericht nach Maßgabe des § 287 ZPO eine pauschalierte Schätzung des den angemeldeten Verbraucherinnen insgesamt entstandenen Mindestschadens vornehmen und hierfür auch auf seine Informationsrechte im Rahmen der materiellen Prozessleitung zurückgreifen können. Für die individuelle Verteilungsphase kann die Ombudsstelle, welche für die Abwicklung des außergerichtlichen Vergleichs im VW-Verfahren eingerichtet wurde, als Vorbild dienen. 26. Sofern eine angemeldete Verbraucherin über ihren Grundschadensersatzanspruch hinaus von der Musterbeklagten Kompensation verlangen will, sollte sie auf Basis der im Musterfeststellungsverfahren getroffenen Feststellungen individuell vorgehen können. Hierzu ist ihr ein Austrittsrecht einzuräumen, mit welchem sie den Anspruch auf Mindestabhilfe innerhalb einer bestimmten Frist ablehnen kann. Jede abhilfeberechtigte Anmelderin hätte dann eine Wahlmöglichkeit. Auf diese Weise bliebe das Musterfeststellungsurteil verwertbar, wodurch die Flexibilitätsvorteile des zweistufigen Kernkonzeptes erhalten werden können. Zudem würde so der Einzelfallgerechtigkeit und dem Anspruch der Verbraucherinnen auf rechtliches Gehör, welcher bei einer Bindung an die Mindestabhilfe zu weitgehend eingeschränkt wäre, Rechnung getragen. 27. Daneben bedarf die zweite Stufe des geltenden Musterfeststellungskonzeptes einer Optimierung. Kritikwürdig ist hier, dass die Gesetzgeberin kaum spezifische Lösungen für die Anschlussphase nach einem Musterfeststellungsurteil geschaffen hat. Zuvörderst offenbart der Individualklageweg aufgrund der regelmäßigen Verschlankung des Streitstoffes enormes Digitalisierungspotenzial. So könnten aus den schon im Klageregister erfassten Angaben der Verbraucherinnen (§ 608 Abs. 2 ZPO) vereinfachte Zugangsmöglichkeiten in Form von Eingabemasken geschaffen werden; auch für den Anwendungsbereich eines Onlineverfahrens sowie Datenverarbeitungstechnologien zur Strukturierung des Streitstoffs wäre die individuelle Anschlussphase nach einer Musterfeststellungsklage prädestiniert. Darüber hinaus kommt eine nochmalige Anspruchsbündelung im Wege einer Einziehungsklage (§ 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ZPO) oder einer Forderungsabtretung an eine Inkassodienstleisterin, deren Geschäftsmodelle durch die Reform des RDG jedenfalls in Bezug auf die Kerntätigkeiten nunmehr abgesichert wurden, infrage. Zu befürworten ist außerdem eine Teilnahmepflicht für Unternehmen an einem verbraucherseitig initiierten Schlichtungsverfahren.

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§ 9 Ergebnisse

28. Perspektivisch sollte die Gesetzgeberin auch auf den Finanzierungsbedarf der klagenden Verbände reagieren. Eine Streichung der Zusatzanforderungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO wäre ein erster Schritt, zumal die §§ 4 ff. UKlaG nach ihrer Änderung etwaigen missbräuchlichen Klagen hinreichend vorbeugen. Auch die Erweiterung der Klagebefugnis auf qualifizierte Wirtschaftsverbände nach § 8b Abs. 2 UWG erscheint diskutabel. Ebenso empfiehlt sich ein Ausbau der staatlichen Förderung, bspw. im Rahmen einer Fondslösung, die künftig auch für einzelfallbezogene Anliegen zur Verfügung stehen sollte. Weniger tauglich ist dagegen das Modell der gewerblichen Prozessfinanzierung. 29. Im Kontext der Anmeldung besteht für die Verbraucherinnen zudem die Gefahr, in eine Verjährungsfalle zu geraten, wenn sie sich unbewusst zu einer für sie unpassenden Musterfeststellungsklage eintragen lassen. Mit Blick auf den fehlenden Anwaltszwang und die Zweckrichtung des Verfahrens erscheint dies widersprüchlich. Das Risiko sollte daher auf prozessrechtlichem Wege durch die Erteilung entsprechender Warnhinweise bzw. eine adressatengerechtere Aufbereitung der Feststellungsziele im Vorfeld einer Anmeldung verringert werden. Bis dahin sollten infolge der Verjährungsfalle entstandene unbillige Ergebnisse durch eine analoge Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB vermieden werden. 30. Ein zum Klageregister wirksam angemeldeter Anspruch kann auch an eine Nichtverbraucherin abgetreten werden. Die Rechtsnachfolgerin ist entsprechend § 610 Abs. 5 Satz 1 i.V. m. §§ 265 Abs. 2, 325 Abs. 1 ZPO an das Verfahrensergebnis gebunden. Überträgt eine Verbraucherin ihren noch nicht angemeldeten Anspruch auf eine Nichtverbraucherin, gilt grundsätzlich, dass die Zessionarin nicht am Musterfeststellungsverfahren partizipieren kann. Eine Ausnahme ist aber zuzulassen, wenn die Abtretung von vornherein fiduziarisch zur Rechtsdurchsetzung (bspw. an eine Inkassodienstleisterin) erfolgt. 31. Schließlich ist die Haftungsfrage im Fall einer mangelhaften Prozessführung zulasten der Anmelderinnen de lege ferenda zu beantworten. Denn soweit die qualifizierte Einrichtung mit den Verbraucherinnen im Rahmen der Klageerhebung nicht bereits individuell die spätere Forderungseinziehung vereinbart oder eine solche Vereinbarung angebahnt hat, entsteht nach der geltenden Rechtslage kein vertragliches oder gesetzliches Schuldverhältnis mit der Musterklägerin. In Betracht kommt lediglich ein Ersatzanspruch gegen die Prozessbevollmächtigte der qualifizierten Einrichtung nach den Grundsätzen über den (Anwalts-)Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, der aber keine dauerhafte Lösung sein darf. Die Gesetzgeberin sollte deshalb einen Haftungstatbestand normieren, nicht zuletzt als Ausgleich bzw. Sicherungsmechanismus für die erheblichen Einschränkungen des rechtlichen Gehörs der angemeldeten Verbraucherinnen.

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Stichwortverzeichnis Abgasskandal 16, 22, 24, 26, 37, 45 f., 49, 51, 53, 55 ff., 70, 75 f., 87, 105, 115, 172, 176, 184, 187, 273 Abwehrinteresse 53 f., 62, 181 Abwehrstrategie 51, 56, 58 f., 62, 64, 68, 93, 177, 274 – Verzögerungstaktik 15, 57 Bagatellbereich 18, 45, 79 ff., 275 Bagatellschäden 17, 26, 45, 52, 63, 79 ff., 84 f., 175, 275 behördliche Verbraucherrechtsdurchsetzung 85 Digitalisierung der Justiz 24, 47 f. – Beschleunigtes Online-Verfahren 86 f., 91, 210 – elektronische Kommunikation 67, 88 – elektronisches Basisdokument 89 Dispositionsmaxime 32, 35 f., 38 f., 44, 84, 134, 137 f., 148, 174, 273, 275 Einziehungsklage 20, 213, 279 Gebot effektiven Rechtsschutzes 32, 155 Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs 24, 109, 193, 241 Großschäden 17, 45, 62, 79 Grundsatz des Individualrechtsschutzes 29 Inkassodienstleisterinnen 27, 36, 82 f., 87, 203, 214 ff., 219, 221 f., 224 f. Justizgewährleistungsanspruch 39, 76, 155 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz 19

Klageindustrie 112, 115, 230, 236, 238, 244, 271 materielle Prozessleitung 34, 39, 61 Musterfeststellungsklage – Anmeldebefugnis 101 ff., 150, 229, 260 – Anmeldephase 117, 174 ff., 184, 266, 271 – Anschlussphase 27, 172, 183, 208, 279 – Beteiligungsstruktur 138, 151, 156, 159, 170 – Bindungswirkung 15, 38, 94, 100, 121 ff., 128 ff., 149, 151 f., 159, 162, 164, 167, 169, 181, 183, 197, 201, 232, 254, 259, 260, 262, 264, 276 – Feststellungsziele 15, 101 f., 104 ff., 115 ff., 121, 123 f., 127 ff., 137, 139, 141, 149, 156 ff., 164 ff., 171, 175, 179, 181, 204, 208, 211, 214, 231 ff., 252, 255, 265, 270, 276 ff., 280 – Finanzierungsproblem 214, 236, 244 f., 247 – Forderungszession 259, 262 – Gegenantragsrecht 168 – Haftung 53, 62, 91, 179, 185, 227, 234, 264 ff., 271 – Klageänderung 164 ff., 171, 232, 277 – Klagebefugnis 22, 24, 43, 85, 94 f., 99 ff., 109 ff., 115, 117, 141, 146, 149, 162, 170, 187, 191 f., 198, 201, 213, 229 f., 236 ff., 244, 247, 264 f., 267, 270, 276, 278, 280 – Klageregister 15, 22, 38, 81, 100 f., 106, 116 ff., 120 ff., 128 ff., 134 f., 138, 141, 144 f., 147, 150 ff., 155, 161, 166, 174, 178, 182, 196, 200, 209 f., 213 ff., 232, 235, 248 ff., 255 f., 259 f., 262 f., 265, 267, 270, 279 f.

Stichwortverzeichnis – Musterfeststellungsurteil 100, 118, 123 f., 128 f., 139, 145, 147, 165, 167, 172, 175, 181 ff., 201, 203, 207 ff., 219, 225 ff., 236, 242, 253, 259, 266, 270, 279 – Musterfeststellungsvergleich 131, 134 – öffentliche Bekanntmachung 43, 101, 116 ff., 150 ff., 154, 165, 201, 206, 232, 257 – Prozessstandschaft 30 f., 101 f., 130, 148, 265, 269, 276 – qualifizierte Einrichtungen 37, 41, 99, 111 f., 125, 195, 199, 201 f., 232, 235 f., 238 f., 245, 276 – Quorum 115 ff., 166, 199, 250, 257 – Sperrwirkung 106, 122, 124 f., 144, 195, 256, 258 ff., 262 – Systemkonformität 96 f., 137 – Vergleichsdruck 173, 177 f., 184 – Verjährungsfalle 153, 175, 229, 248, 250 f., 253 f., 257 f., 280 – Verjährungshemmung 122, 208, 248, 254, 257, 278 – Weiterentwicklung des Musterfeststellungskonzeptes 189, 236 – Zuständigkeit 107 – Zweistufigkeit 20, 156, 173, 176, 178, 186, 198 f. Prozessfinanziererin 217, 220 f., 224, 242 f., 245 Prozesskostenrisiko 69 ff., 73, 78, 127, 158, 175, 178, 183, 233, 237 Prozessökonomie 46, 90, 97, 146, 158, 260 prozessualer Verbraucherbegriff 104 rechtliches Gehör 32 f., 37, 44, 102, 142 f., 146 ff., 150, 154, 159, 168, 175, 208, 275, 277 ff. – Gehörsverzicht 149 ff.

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Rechtsdienstleistung 217, 219 f. Universalschlichtungsstelle des Bundes 23, 83, 134, 182, 207 f., 226 f. Verbandsklagen 18, 23, 27, 30, 41 ff., 85, 93, 95, 99 ff., 140 ff., 187, 189 ff., 193, 195, 201, 231, 235, 239, 242, 244, 275 Verbandsklagenrichtlinie 23, 26 f., 37, 42 f., 95, 172 f., 176, 178, 184 ff., 194 f., 197 ff., 201, 205 f., 212, 227, 231, 235 f., 239 f., 243 f., 246, 267, 271, 278 – Abhilfeentscheidung 185, 189, 194, 196 f., 199, 206 f., 278 – Richtlinienvorgaben 43, 95, 186, 188, 190, 198 f., 202, 278 – Umsetzungsperspektive 95, 172 f., 185 ff., 191, 198, 207, 209, 235, 239 Verbraucherin – Abschreckungseffekt 62, 156 – Aufklärung 59, 61, 112 f., 132, 151, 154, 171, 175 f., 200, 202, 221 f., 233, 251, 272 – Desinteresse 62 f., 68 f., 71, 73, 77 ff., 91, 97 f., 184, 275 – Erwartungshaltung 67, 86, 226, 274 – Zugangsbarrieren 64, 174, 276 Verfahrensdauer 24, 48, 74 ff., 181 Verfahrenszersplitterung 51, 274 Verhandlungsmaxime 33 Vorabentscheidungsverfahren 90, 92 Waffengleichheit 31, 52, 59 ff., 153, 157, 159 f., 162, 170 f., 277 f. Zweck des Zivilprozesses 39, 140 Zweiparteienprinzip 29, 34, 36, 44, 100, 137