Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo 9783110295955, 9783110274646

Francisco de Quevedo’s satirical poetry is commonly viewed as grotesquely comical, a manifestation of what Bakhtin calle

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Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo
 9783110295955, 9783110274646

Table of contents :
Inhalt
1 Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo: Einführung und Zielsetzung
2 Kontextualisierung und Begrifflichkeit
2.1 Grundlegende Bemerkungen zur Polemik zwischen Góngora und Quevedo
2.2 Zum Begriff des Obszönen
2.2.1 Das Obszöne als ästhetische Kategorie im Siglo de Oro
2.2.2 Die Behandlung verbaler Obszönität in der klassischen Rhetorik und ihre Relevanz bei Quevedo
3 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren auf den Valladolider Hof
3.1 Einleitung
3.1.1 Quellenlage und Datierung
3.1.2 Fragestellung
3.2 Góngoras Vorlage
3.3 Textanalyse
3.3.1 Popularität und Verbreitung
3.3.2 Quevedos Text
3.3.3 Situierung des Themas
3.3.4 Skatologisches Wortfeld
3.3.5 Verstoß gegen die Priesterwürde und akademische Grade
3.3.6 «Poeta público y cantonero»
3.3.7 Missbrauch der Priesterwürde: weitere Stellen
3.3.8 Der Diskurs der Medizin
3.3.9 Góngora und die Valladolider Hofmänner
3.3.10 Die Gesetze Apolls
3.3.11 Edelsteinmetaphern
3.3.12 Geschliffenheit
3.3.13 Delinquenz, Folter und Exekution
3.3.14 Hofmänner und Minnedienst
3.3.15 Plagiatsvorwurf
3.3.16 Wiederaufnahme des Medizindiskurses
3.4 Formen und Funktionen verbaler Obszönität bei Góngora und Quevedo – ein Vergleich
4 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte: «Este cíclope, no sicilïano» und die Fábula de Polifemo y Galatea
4.1 Philologische Anmerkungen
4.1.1 Datierung
4.1.2 Quellenlage
4.1.3 Quevedos Text
4.1.4 Lexikalische Frequenz
4.1.5 Werkinterne Kongruenzen
4.1.6 Stand der Forschung
4.2 Intertextuelle Bezüge auf Góngoras Fábula und das Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero»
4.2.1 Góngoras Fábula
4.2.2 Góngoras Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero»
4.3 Der gongorinische Zyklop und der Zyklop «Góngora»
4.3.1 Das Motiv der Einäugigkeit und die Isotopie des Runden
4.3.2 Die Gleichsetzung von Gesicht und Gesäß
4.3.3 Der Diskurs der Kosmographie
4.3.4 Der Diskurs des Rechnungswesens
4.3.5 Der Diskurs der Medizin und die Skatologie
4.3.6 Die Sodomie
4.3.7 Dichtungskritik
4.4 Verbale Obszönität als Mittel der Dichtungskritik von Góngoras stilistischer Dunkelheit
4.4.1 Zuschreibung und Datierung
4.4.2 Thema und Stoßrichtung der Invektive
4.4.3 Formen und Funktionen verbaler Obszönität
5 Formen und Funktionen verbaler Obszönität – Zusammenschau und Ausblick
6 Literatur
6.1 Primärliteratur
6.1.1 Ausgaben mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Autoren
6.1.2 Abkürzungen antiker Werke und Autoren
6.2 Wörterbücher
6.2.1 Siglen einschlägiger Wörterbücher
6.2.2 Weitere Wörterbücher
6.3 Forschungsliteratur

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Frank Savelsberg Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo

Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie

Herausgegeben von Claudia Polzin-Haumann und Wolfgang Schweickard

Band 371

Frank Savelsberg

Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo

D 188

ISBN 978-3-11-027464-6 e-ISBN 978-3-11-029595-5 ISSN 0184-5396 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Johanna Boy, Brennberg Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt 1

Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo: Einführung und Zielsetzung   1

2 2.1

 8 Kontextualisierung und Begrifflichkeit  Grundlegende Bemerkungen zur Polemik zwischen Góngora und Quevedo   8 Zum Begriff des Obszönen   14 Das Obszöne als ästhetische Kategorie im Siglo de Oro   16 Die Behandlung verbaler Obszönität in der klassischen Rhetorik und ihre Relevanz bei Quevedo   18

2.2 2.2.1 2.2.2

3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 3.3.7 3.3.8 3.3.9 3.3.10 3.3.11 3.3.12 3.3.13 3.3.14 3.3.15 3.3.16 3.4

Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren auf den Valladolider Hof   24 Einleitung   24 Quellenlage und Datierung   25 Fragestellung   26 Góngoras Vorlage   27 Textanalyse   32 Popularität und Verbreitung   32 Quevedos Text   34 Situierung des Themas   37 Skatologisches Wortfeld   38 Verstoß gegen die Priesterwürde und akademische Grade   39 «Poeta público y cantonero»   40 Missbrauch der Priesterwürde: weitere Stellen   41 Der Diskurs der Medizin   43 Góngora und die Valladolider Hofmänner   45 Die Gesetze Apolls   46 Edelsteinmetaphern   48 Geschliffenheit   50 Delinquenz, Folter und Exekution   51 Hofmänner und Minnedienst   54 Plagiatsvorwurf   56 Wiederaufnahme des Medizindiskurses   57 Formen und Funktionen verbaler Obszönität bei Góngora und Quevedo – ein Vergleich   59

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4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6 4.3.7 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3

Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte: «Este cíclope, no sicilïano» und die Fábula de Polifemo y Galatea   63 Philologische Anmerkungen   64 Datierung   64 Quellenlage   65 Quevedos Text   67 Lexikalische Frequenz   68 Werkinterne Kongruenzen   71 Stand der Forschung   75 Intertextuelle Bezüge auf Góngoras Fábula und das Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero»   76 Góngoras Fábula   76 Góngoras Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero»   80 Der gongorinische Zyklop und der Zyklop «Góngora»   84 Das Motiv der Einäugigkeit und die Isotopie des Runden   86 Die Gleichsetzung von Gesicht und Gesäß   87 Der Diskurs der Kosmographie   93 Der Diskurs des Rechnungswesens   94 Der Diskurs der Medizin und die Skatologie   95 Die Sodomie   97 Dichtungskritik   99 Verbale Obszönität als Mittel der Dichtungskritik von Góngoras stilistischer Dunkelheit   107 Zuschreibung und Datierung   107 Thema und Stoßrichtung der Invektive   108 Formen und Funktionen verbaler Obszönität   112

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Formen und Funktionen verbaler Obszönität – Zusammenschau und Ausblick   114

6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.2 6.2.1 6.2.2 6.3

 119 Literatur  Primärliteratur   119 Ausgaben mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Autoren  Abkürzungen antiker Werke und Autoren   120 Wörterbücher    121 Siglen einschlägiger Wörterbücher   121 Weitere Wörterbücher   121 Forschungsliteratur   122

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1 Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo: Einführung und Zielsetzung Bereits während der Anfangsphase der überlieferten Literaturproduktion in den romanischen Volkssprachen entwickelte sich in der okzitanischen höfischen Trobadorlyrik des 12.  Jahrhunderts eine satirisch-burleske Spott- und Scherzdichtung, die von der ernsten Kunstlyrik der Trobadors streng geschieden war.1 Diese Spielform, die in ihrer Ausrichtung eine Gegenbewegung in Bezug auf das trobadoreske Minnelied darstellt (welches seinerseits vor allem in seiner Spätphase zum Hermetisch-Esoterischen tendiert) nimmt neben der politischen, gesellschaftlichen und persönlichen Rüge auch als ludische Debatte über Stilfragen Gestalt an.2 Die Iberoromania kommt mit der okzitanischen Trobadorlyrik zuerst in zweifacher Weise in Berührung: Zum einen übernehmen die an das okzitanische Sprachgebiet angrenzenden Katalanen in dem Maße die von den Trobadors entwickelten Dichtungsformen, dass sie ihrerseits sogar Gedichte in der Koiné der Trobadors verfassen. Zum anderen gelangt die okzitanische Dichtung über den Pilgerweg zum Grab des Apostels Jakobus in den lusitanischen Raum, und ihre Formen und Inhalte finden dort in galego-portugiesischer Sprache Nachahmung. Das große Prestige dieser Dichtung führte zu ihrer Pflege auch im kastilischen Gebiet, in dem höfische Lyrik in Galego-Portugiesisch (beispielsweise am Hof Alfons des Weisen) entstand. Nach dem Tod des portugiesischen Königs, großen Mäzens und selbst Verfassers von Trobadorlyrik Dom Dinis sowie der politischen

1 Aus dieser Anfangsphase ist uns ein beachtliches Corpus an Gedichten burlesker und obszöner Prägung überliefert (vgl. hierzu die von Pierre Bec besorgte zweisprachige Anthologie Burlesque et obscénité chez les troubadours. Pour une approche du contre-texte médiéval, Paris, Stock, 1984). Für den Entwurf einer Ästhetik des Obszönen bei den Trobadors vgl. Gaunt (1993); für die Beschreibung des Obszönen in der Trobadorlyrik vgl. auch den ersten Teil von Malm (2001). 2 Gedacht ist hier an die Gattung des Sirventes. Zur Klassifikation in die Bereiche moralischer, persönlicher, politischer und literarkritischer Sirventes vgl. Martín de Riquers Einleitung zu seiner quasi-kanonischen dreibändigen Edition von Trobadorlyrik (Riquer 1975, vol. I, 56–58). Die uns im Rahmen der vorliegenden Arbeit vorrangig interessierenden Untergattungen sind der persönliche und der literarkritische Sirventes. Diese charakterisiert Riquer folgendermaßen: a) «Sirventés personal. Se basa en el ataque, la sátira y el sarcasmo dirigidos a personas que son odiadas por el trovador» (Riquer 1975, vol. I, 56), b) «Sirventés literario. La polémica literaria aparece desde los primeros tiempos de la poesía trovadoresca, aunque se expresa principalmente en composiciones que podríamos llamar ‹manifiestos› y en debates. Pero no son raros los sirventeses en que los trovadores se critican [...]» (Riquer 1975, vol. I, 58). Im Kontext des Hermetismus hebt Riquer vor allem Lanfranc Cigalas «Escur prim chantar e sotil» hervor als Stück «contra los trovadores oscuros y en pro de la claridad poética» (Riquer 1975, vol. I, 58).

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 Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo: Einführung und Zielsetzung

und kulturell immer stärker werdenden Auseinanderentwicklung von Kastilien und Portugal setzt schließlich auch die Produktion von höfischer Lyrik in kastilischer Sprache ein, die den trobadoresken Idealen, Formen und Inhalten verpflichtet bleibt. Neben der höfischen Liebeslyrik findet parallel das satirisch-burleske Spottund Scherzgedicht Eingang in die volkssprachlichen Literaturen der Iberischen Halbinsel. Sie fungieren dabei stets als eine Kehrseite zum idealisierten Minnekult, so die in einem umfangreichen Textcorpus überlieferten Cantigas d’escarnho e de maldizer.3 Bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts beschränkt sich diese Gegenbewegung jedoch auf ludische Stilparodien, persönliche Rügen und moralisch-politische Anprangerungen, was sich in Spanien beispielsweise für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts anhand der Kontroverse zwischen den Verfechtern des traditionellen kastilischen Stils und den petrarkistischen Neuerern Joan Boscà und Garcilaso de la Vega illustrieren lässt.4 Erst im 17.  Jahrhundert scheinen die Spottgedichte den traditionellen spielerischen Rahmen zu überschreiten.5 Dafür mag Francisco de Quevedo ein hervorstechendes Beispiel sein, unter anderem mit seiner satirisch-burlesken Kritik an den Dichtern, die um die Einführung eines neuen, hermetisch-dunklen Stils bemüht sind, allen voran Luis de Góngora. Und es bleibt zu fragen, welche Funktion dem Spottgedicht bei Quevedo und der darin enthaltenen oft bis ans Maßlose reichenden aggressiven Vulgarität zufallen, die der Sensibilität beispielsweise der metaphysischen Gedichte als diametral entgegengesetzt erscheint.

3 Scholberg (1971) bildet eine klassische Untersuchung dieser Epoche. Das Kapitel 2 beschäftigt sich mit den Cantigas d’escarnho e de maldizer (zu den literarkritischen Aspekten der Satire und den Dichtungskontroversen vgl. Scholberg 1971, 64–81). Vgl. zu dieser Gattung auch den Abschnitt 5 in Tavani (1980, 109–128), und speziell zum Obszönen den Abschnitt 5.7 auf den Seiten 125–128. Als detaillierte Studie zur Obszönität in diesen Texten ist der zweite Teil von Malm (2001) zu nennen. 4 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang als Vertreter der traditionalistischen Linie Cristóbal de Castillejo. In dessen Obras de conversación y pasatiempo findet sich die ludisch-burleske Indienstnahme des italianisierenden Dichtungsstils in Form von drei Sonetten und einer Octava real (Castillejo 1958, vol. II, 190, 192s., 196). Vgl. zur Kontroverse um Garcilaso auch die kurzen Bemerkungen zu Beginn von Kapitel 2.1 der vorliegenden Studie. 5 Entgegen dieser Einschätzung konstatiert Küpper, dass bereits Castellejos Vorwurf des Wiedertäufertums gegen Joan Boscà und Garcilaso de la Vega (vgl. hierzu Castillejo 1958, vol. II, 188, V. 146), «der ja auf die Idolatrie der Geliebten als eines Herzstücks des petrarkistischen Diskurses zielt, [...] durchaus ernst zu nehmen [war], und die Inquisition [...] eine Instanz [war], deren pure Erwähnung [gemeint ist ‹la sancta Inquisición› in Castillejo 1958, vol. II, 188, V. 135; Anmerkung des Verfassers] ungeachtet eines möglicherweise relativierenden Kontexts, furchteinflößend wirken mußte» (Küpper 2005, 339s.).

Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo: Einführung und Zielsetzung 

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Die satirisch-burleske Dichtung Quevedos, um die es in der vorliegenden Studie vorrangig zu tun sein wird, fasst die Forschungsliteratur gemeinhin als rein ludische bzw. grotesk-komische Elaborate6 auf und versucht sie als Erscheinungsformen des Registers des mundo al revés zu beschreiben, des Karnevalesken also in der Bachtinschen Lesart mit seinem grotesken Realismus.7 Doch was geschieht mit dem Rest, der diesem Unterfangen widerstrebt und sich eben durch

6 Die im Folgenden skizzierte Problemstellung wurde zuvor bereits von mir in einem etwas anders gewichteten Zusammenhang in annähernd deckungsgleichem Wortlaut formuliert (Savelsberg 2003, bes. 340s.). 7 Gemeint sind hier vor allem die Betrachtungen Michail M. Bachtins zur Volks- und Lachkultur vornehmlich in dessen Rabelaisbuch (das russische Original erschien 1965, hier zitiert die deutsche Übersetzung: Bachtin 1995). In Deutschland wurden diese vermehrt ab Ende der 1980er Jahre rezipiert. In den Kontext ist Teubers Studie zur Karnevaleske in den romanischen Literaturen (Teuber 1989) zu stellen, in der auch in zwei Abschnitten von Francisco de Quevedo gehandelt wird («1.4 Karnevaleske Sprachlichkeit bei Quevedo»; «2.3 Der zerstückelte Körper bei Quevedo»), vor allem in Bezug auf dessen Buscón. In Spanien findet sich meines Wissens die erste Anwendung von Bachtins Kulturtheorie auf Quevedo, und hier auch gerade auf die skatologischen Aspekte beschränkt, bei Durán (1978, bes. 116–120), dann bezogen auf die satirische Dichtung bei Vaíllo (1982). In diesen vielleicht nicht offiziellen, aber etablierten vormodernen Diskurskontext der Karnevaleske sind auch das grotesk-skatologische Bildmaterial und die (partiell extrem) derben Formulierungen zu stellen, die einen Großteil von Quevedos satirisch-burlesken Dichtung durchziehen. So herrscht auch in den Invektiven Quevedos gegen seinen Dichterkollegen Luis de Góngora, die wie weiter unten ausgeführt das Zentrum der vorliegenden Studie bilden, eine spezielle, groteske Körperkonzeption vor, die diesem traditionellen Rahmen der Karnevaleske verpflichtet ist und bei der nach Bachtin «[d]ie Grenzen zwischen Körper und Welt und zwischen verschiedenen Körpern [...] völlig anders als in klassischen oder naturalistischen Motiven [verlaufen]» und bei der «alles interessant [ist], was hervorspringt, vom Körper absteht, alle Auswüchse und Verzweigungen, alles was über Körpergrenzen hinausstrebt und den Körper mit anderen Körpern oder der Außenwelt verbindet» (Bachtin 1995, für das erste Zitat p. 357, für das zweite p. 358). Der groteske Körper trägt keine Attribute von Individualität, seine Ausstülpungen bilden geeignete Angriffspunkte für Übersteigerungen und Verzerrungen in den animalischen oder gegenständlichen Bereich, was sich stilistisch in Übertreibungen, Hyperboliken, Schilderungen des Übermaßes und der Überfülle zeigt (Bachtin 1995, 358). Daneben treten in der grotesken Darstellung auch die Körperöffnungen: «Die nächstwichtige Rolle [...] nimmt [...] der Mund ein, der die Welt verschluckt, und dann der Hintern, denn all diese Ausstülpungen und Öffnungen zeichnen sich dadurch aus, daß an ihnen die Grenze zwischen zwei Körpern oder Körper und Welt überwunden wird. Hier gehen Tausch und gegenseitige Orientierung vonstatten. Daher geschehen auch die Hauptereignisse im Leben des grotesken Körpers, alle Akte des Körperdramas – Essen, Trinken, die Verdauung (und neben Kot und Urin auch andrer Ausscheidungen: Schweiß, Schleim und Speichel), Beischlaf, Schwangerschaft, Entbindung, Wachstum, Altern, Krankheit, Tod, Verwesung, Zerstückelung und Verschlungenwerden durch einen anderen Körper –, an der Grenze zwischen Körper und Welt und dem alten und dem jungen Körper» (Bachtin 1995, 358s.;

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 Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo: Einführung und Zielsetzung

die oben genannte Aggressivität und Obszönität charakterisiert?8 Eine Vielzahl der Kritiker übergeht diesen Teil der Dichtung. In den Kommentaren werden die betreffenden Stellen häufig mit einfachen Etikettierungen wie «obszöne Anspielung» abgehandelt,9 ohne diese zu erklären und nach deren Funktion zu fragen. Juan Goytisolo hat in seinem Beitrag «Quevedo: la obsesión excremental» auf diesen Punkt aufmerksam gemacht10 und versucht, nun gerade dieses vermehrt Ausgeblendete ins Zentrum zu rücken, nicht zuletzt wegen der Popularität der koprophilen Elemente in den breiteren Bevölkerungsschichten. Dahinter mag

zur Groteske bei Quevedo allgemein vgl. Iffland 1978/1982, speziell zur grotesk-skatologischen Motivik in dessen Invektiven gegen Luis de Góngora vgl. etwa Savelsberg 1997/1998, bes. 44s.). Trotz der offensichtlichen formalen Anleihen an den Karnevalsdiskurs und dessen grotesken Bildwelt (zu den Körperöffnungen und den Beschreibungen der «Akte des Körperdramas» vgl. die entsprechenden Ausführungen in den Analysekapitel 3 und 4) soll hier in der vorliegenden Studie keine Lektüre der Invektiven Quevedos gegen Góngora in der skizzierten Linie erfolgen, da eine solche – wie im Folgenden ausgeführt wird – Gefahr läuft, wesentliche Momente der persönlichen Polemik und der Dichtungskritik auszusparen sowie die Schärfe der inhaltlichen Auseinandersetzung dem traditionellen Rahmen kommensurabel zu machen und damit zu banalisieren. 8 Gerade diese aggressive Obszönität widersetzt sich meines Erachtens einer Charakterisierung als reines Spiel einer verkehrten Welt, da durch die ludische Verkehrung in der Karnevaleske das Etablierte im Grunde genommen nur zementiert wird (vgl. auch das Aufwerfen dieser Frage in Savelsberg 2003, bes. 340). Sie beschränkt sich auch nicht auf die Texte Quevedos, die in den Rahmen der Kritik von Góngoras Person und Dichtungsstil fallen, die den Fokus der hier vorgestellten Analysen bildet. Auch die als misogyn zu wertenden Texte aus der Abteilung der satirisch-burlesken Versdichtung weisen eine ähnlich gelagerte Schärfe und Derbheit auf. Durán (1978, 118s.) erklärt die Koprophilie Quevedos in ähnlich gelagerter, psychoanalytischer Manier wie auch Goytisolo (1977 [1976]) – zu letztgenanntem Autor siehe auch das im Folgenden Ausgeführte – und rückt dabei sein Verhältnis zu Frauen ins Zentrum: Das Skatologische sei «una defensa de su yo, en el peligro ante la presencia de la mujer. Quevedo es el auténtico licenciado Vidriera, temeroso de que una presencia ajena pueda quebrarlo. De aquí que el temor ante la mujer llegue a él acompañado de otros temores, de otras fobias. Odio al extranjero, al moro, al judío, al sodomita, al marido cornudo. Todos estos temores y odios parten de un mismo centro: si Quevedo se pusiera de veras en contacto con una experiencia vital ajena a la suya, le sería preciso dar cuenta de sí mismo, relevarse, desnudarse. Y esto es lo que quiere evitar a toda costa. Mejor retroceder hasta la infancia – el momento en que ‹la vida empieza en lágrimas y caca›». 9 Dieses Vorgehen ist besonders auffällig in Arellanos Kurzkommentierungen der satirisch-burlesken Sonette Quevedos (Arellano 2003). 10 «Mientras los críticos y estudiosos de la obra de Quevedo acostumbran a esquivar con un mohín de disgusto la obsesión escatológica del escritor o la despachan con unas breves frases condescendientes, cuando no francamente condenatorias, […] sus abundantes alusiones coprófilas y la leyenda que las envuelve son conocidas y apreciadas por la gran masa del pueblo, incluso por aquellos que, víctimas de la rígida estratificación social del país, viven enteramente al margen de la cultura» (Goytisolo 1977 [1976], 117s.).

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sich eine marxistisch geprägte Motivation verbergen, die den elitären Höhenkammdichter der marginalisierten Masse zurückgeben will. In diesem Punkt der Degradierung, wenn auch auf unterschiedlichem ideologischen Hintergrund, trifft sich Goytisolos Ansatz merkwürdigerweise mit Extremhaltungen in der Forschungsliteratur, die die genannte Schärfe und Derbheit in Quevedos Œuvre als Ausdruck einer reaktionären, xenophoben, misogynen und antisemitischen Haltung mit zum Anlass nehmen, den Dichter zu disqualifizieren.11 Ein weiteres Vorgehen, das nicht so weit gehen will, den Dichter selbst zu diskreditieren, besteht darin, das Unliebsame im Werk zu eskamotieren, indem die Zuschreibung der betreffenden Texte in Zweifel gezogen wird. So fragt sich beispielsweise Robert Jammes in seiner Auflistung zur Polemik, die das Erscheinen von Góngoras Soledades hervorgerufen hat, zu den Gedichten, welche spätestens seit der Veröffentlichung Miguel Artigas’ von 192512 Quevedo zugeschrieben wurden (und heute in den beinahe kanonischen Editionen Blecuas nicht fehlen),13 warum niemand die Berechtigung der Zuschreibung der betreffenden Texte Quevedos in Zweifel ziehe, da sie doch lediglich in einem Manuskript überliefert sind. Es handele sich dabei um «schlecht geschriebene Texte», denen «jedweder Witz abgehe», und um Produkte eines Autors, der sein «fehlendes Talent» hinter einem «Haufen von Derbheiten und persönlichen Angriffen» verstecken wolle.14 Auch wenn hier neben editionsphilologischen vorrangig qualitativ-stilistische Kriterien für eine Ausmusterung ins Feld geführt werden und sogar

11 So Carreira, der dem satirischen und politischen Autor Quevedo mangelnden Realitätssinn sowie ein Fehlen kritischer Vernunft attestiert und bedauert, dass Quevedo es gerade darum ging, sich mit dieser – Carreiras Meinung nach – defizienten Seite als humanistischen Geist gesellschaftlich zu profilieren (Carreira 2000, 92). Und dies, weil er eine schwierige Ausgangsposition vorgefunden habe, um sich als ein eine Generation jüngerer Dichter nach den Neuerungen Góngoras und Lope de Vegas zu behaupten (Carreira 2000, 93). Lediglich die pikareske Gaunerdichtung nimmt Carreira bei seiner Einschätzung aus, da diese «una pacela que apenas había suscitado atención de los poetas» gewesen sei (Carreira 2000, 93). 12 Artigas (1925, bes. 364–379). 13 Gemeint sind die Nummern 832, 834, 835, 836, 837, 838, 840 und 841 nach der Zählung von José Manuel Blecua in dessen Edition von Francisco de Quevedo, Poesía original completa (Barcelona, Planeta, 1996 [11963]). 14 «Me extraña que nadie ponga en duda la legitimidad de estas atribuciones, fundadas en la autoridad de un solo manuscrito [sc. número 108 de la Biblioteca Menéndez Pelayo en Santander]: salvo una o dos excepciones, son poesías mal escritas, pesadas y totalmente desprovistas de gracia: se diría que el autor trató de disimilar su falta de talento detrás de un cúmulo de groserías y ataques personales: todo esto –aunque pueda parecer quevedesco– no basta hacer una poesía de Quevedo» (Jammes 1994, 676s.). Bezüglich der Kontroverse über die Zuschreibung der persönlichen Invektiven ist auch von besonderem Belang Paz (1990).

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 Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo: Einführung und Zielsetzung

Konzessionen an die landläufige Meinung im Sinne von Juan Goytisolo gemacht werden, was als «quevedesk» zu gelten habe, scheint auch der Versuch gegeben zu sein, das Bild der Person Quevedos vor den Inhalten dieser Gedichte («cúmulo de groserías») zu schützen. Im Zentrum der vorliegenden Studie soll es um gerade diesen, bislang zumeist ausgesparten Aspekt gehen: der vermehrt aggressiven Charakter annehmenden verbalen Obszönität in der satirisch-burlesken Versdichtung Francisco de Quevedos. Anders als bei Goytisolo wird dabei die Präsenz koprophiler Elemente aber nicht für grundlegend im Werk des Autors gehalten.15 Die Betrachtung von Formen und Funktionen verbaler Obszönität verfolgt vielmehr das Ziel aufzuzeigen, ob andere Möglichkeiten existieren, mit dem Phänomen des DerbKomischen bei Quevedo umzugehen, als aufgrund des Vorhandenseins dieses Phänomens den Dichter entweder zu disqualifizieren oder zum Volkshelden zu stilisieren. Der Idealfall wäre dabei eine Integration des Obszönen in Quevedos Poetologie und Dichtungspraxis. Diese Zielsetzung soll auch nicht wie bei Goytisolo verfolgt werden, der in der obsessiven Analität einen Protest des Körpers gegen die Unterdrückung des Korporeal-Sensitiven und einen Reflex auf die daraus entstandenen Phobien und Neurosen sieht und das Skatologische zur «rächerischen Apotheose» der Physis des Dichters,16 zur «Antwort des unterdrückten Körpers»17 lassen wird. Bereits Maria Grazia Profeti hatte darauf hingewiesen, dass die Analyse Goytisolos einseitig auf die Psyche der historischen Person Quevedos abziele und keine poetologische Relevanz besitze.18 Der Teil von Quevedos Versdichtung, der gemeinhin unter der Rubrik des Satirisch-Burlesken geführt wird, ist vom Umfang her beträchtlich. Die ihm zugeschlagenen Texte weisen wiederum eine unermessliche Vielfalt auf. Um die vorliegende Untersuchung in einem überschaubaren Rahmen zu halten, ist deshalb eine nähere Fokussierung unumgänglich:19 Der Schwerpunkt der Analyse soll auf

15 Goytisolo (1977 [1976], 119). 16 «apoteosis vengadora de lo fisiológico y visceral» (Goytisolo 1977 [1976], 124). 17 «respuesta del cuerpo mortificado al proceso alienador que lo sublima» (Goytisolo 1977 [1976], 128). 18 Profeti (1982, bes. 843s.). 19 Vermittels einer (thematischen) Fokussierung sollen auch höchst problematische Klassifizierungsversuche der in ihrer Gesamtheit äußerst heterogenen satirisch-burlesken Versdichtung Quevedos unterbleiben. Das Problem der Klassifizierung artikuliert sich durchgängig bei der Edition von Quevedos Dichtung, bereits bei der Zuordnung der Gedichte zu verschiedenen Musen in den ersten gedruckten Gesamtausgaben El Parnaso Español (zuerst 1648 in Madrid bei Diego Díaz de la Carrera; umfasst die ersten sechs Musen) und in den Tres Musas (zuerst 1670 in Madrid; vgl. hierzu die genauen Angaben in der Ausgabe von José Manuel Blecua: Francisco de

Verbale Obszönität bei Francisco de Quevedo: Einführung und Zielsetzung 

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den persönlichen Invektiven liegen und im Speziellen auf Quevedos Polemiken gegen dessen Dichterkollegen Luis de Góngora. Dieser wird, wenn es sich als hilfreich und geboten erweist, durch weitere Texte satirisch-burlesker Provenienz komplementiert werden. Dabei treten neben die Versdichtung auch Rückgriffe auf die satirische Prosa. Die Fokussierung auf die Invektiven gegen Góngora erfährt unter anderem darin ihre Begründung, dass der Gebrauch verbaler Obszönität in die Poetologie Quevedos eingeordnet werden soll. Das Thema der Debatte um Stilfragen scheint hierfür das prädestinierte Feld. Aus der schwerpunktmäßigen Betrachtung von Quevedos antigongorinischen Gedichten ergibt sich die bereits angeklungene Schwierigkeit einer zumeist prekären Überlieferungslage. So werden die Analysen der betreffenden Texte durch editionsphilologische Überlegungen zur Quellenlage, Zuschreibung und Datierung an gegebener Stelle zu ergänzen sein.

Quevedo, Obra poética, IV vol., Madrid, Castalia, 1969, hier insbesondere in Band I die Seite 46 zum Parnaso und die Seite 49 zu den Tres Musas) bis hin zu modernen Ausgaben, die um eine thematische Einteilung bemüht sind. Zur Einteilung der Gedichte in den verschiedenen Editionen seit El Parnaso Español von Jusepe González de Salas und dem Problem der Abgrenzung der Begriffe Satire und Burleske vgl. das zweite Kapitel («Algunas precisiones de terminología y conceptos teóricos. Lo satírico, lo burlesco, lo grotesco») in Arellano (2003, 20–40). Der Tatbestand, dass die heute in den Ausgaben von Blecua (Quevedo, Poesía original completa, und Quevedo, Obra poética) sowie von Schwartz/Arellano (Francisco de Quevedo, Un Heráclito cristiano, Canta sola a Lisi y otros poemas) unter der Rubrik Poemas satíricos y burlescos in El Parnaso verschiedenen Musen zugeordnet sind, wäre es wert, nach der Erarbeitung eindeutig umrissener und praktikabler Kriterien, in einer gesonderten Studie detaillierter untersucht zu werden.

2 Kontextualisierung und Begrifflichkeit Bevor in den Kapiteln 3 und 4 zwei Texte Francisco de Quevedos, die als persönliche Invektiven gegen Luis de Góngora aufzufassen und in die Kontroverse um den «neuen» Dichtungsstil dieses Dichters einzuordnen sind, eingehend analysiert und in Bezug auf Formen und Funktionen verbaler Obszönität als Mittel der Dichtungskritik interpretiert werden, stellt dieser Abschnitt zuerst den Kontext der Polemik und deren wissenschaftliche sowie populäre Rezeption vor (2.1) und geht dann näher auf den Begriff des Obszönen ein, wie er der Analyse zu Grunde liegt (2.2).

2.1 Grundlegende Bemerkungen zur Polemik zwischen Góngora und Quevedo Die heftigen literarischen Polemiken, die durch das Erscheinen der ersten Soledad und der Fábula de Polifemo y Galatea Luis de Góngoras im Jahre 1613 ausgelöst wurden,20 bilden eine der größten öffentlich ausgetragenen Stil-Kontroversen der Frühen Neuzeit und übertreffen die Auseinandersetzungen im rinascimentalen Spanien über die Einführung italianisierender Dichtungsformen durch Garcilaso de la Vega zu Anfang des vorangegangenen Jahrhunderts bei weitem an Quantität und Schärfe. Während Garcilaso es innerhalb kurzer Zeit beschieden war, zu einer auctoritas zu avancieren, dessen volkssprachlichen Texten es zur Grundlage philologischer Kommentarliteratur der eminentesten humanistischen Gelehrten gereichte,21 vermochten Góngoras Fábula de Polifemo y Galatea und

20 Folgt man Alonso (1978, hier im Besonderen die Fußnote 5 auf den Seiten 14 und 15), so begann die erste Soledad im Frühjahr 1613 am Madrider Hof zu zirkulieren, nachdem Góngora in der Anlage eines Briefes vom 11. Mai 1613 diese und die Fábula de Polifemo y Galatea an Pedro de Valencia geschickt hatte. In einem Antwortschreiben vom Juni 1613 teilt Pedro de Valencia Góngora mit, dass der Polifemo bereits am Hof bekannt war. Daraus schließt Alonso, dass die Fábula bereits zu Anfang des Jahres 1613, vielleicht auch schon Ende 1612 in Umlauf kam. Für die Kontroverse um Góngoras neuen Dichtungsstil vgl. Herrero García (1930, 208–352); Collard (1967, 53–112); Jammes in der Einleitung sowie im Anhang II seiner Soledades-Edition (Góngora y Argote 1994, hier besonders die Seiten 84–101 und 607–716); Roses Lozano (1994). 21 Gemeint sind hier die kommentierten Ausgaben des Salmantiner Rhetorikprofessors Francisco Sánchez de las Brozas (zuerst: Salamanca, Pedro Lasso, 1574; vgl. Gallego Morell 1966, 23) und des Sevillaner Dichters Fernando de Herrera (zuerst: Sevilla, Alonso de la Barrera, 1580; vgl. Gallego Morell 1966, 39). Zur Rezeptionsgeschichte Garcilasos im 16.  Jahrhundert und dessen Bedeutung für die Ausbildung eines spezifisch spanischen Petrarkismus vgl. vor allem König (2002, 208–223).

Grundlegende Bemerkungen zur Polemik zwischen Góngora und Quevedo 

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Soledades22 einen Sturm heraufzubeschwören, der die spanischen Intellektuellen nicht nur seiner Zeit in ideologisch zwei tief gespaltene Lager zerfallen ließ. Dies mag verwundern, da bereits vor dem Erscheinen der betreffenden Werke der kulteranistische Humus ausgebracht war,23 der nicht nur Góngora und den Gongorismus nährte, sondern auch den Dichtungsstil seiner schärfsten Gegner stark beeinflusste, so dass die von zahlreichen Literarhistorikern aufgemachte Dichotomie zwischen Kulteranismus und Konzeptismus24 vielleicht eine ideolo-

22 Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass ebenfalls Góngoras Dichtung eine umfangreichere humanistische Kommentarliteratur hervorbrachte. Zu nennen wäre hier etwa Joseph Pellicer de Salas y Tovars Lecciones solemnes a las obras de don Luis de Góngora y Argote, píndaro andaluz, Príncipe de los poetas líricos de España (Madrid, 1630) und die sehr umfangreiche und systematische Edition «Soledades» de D. Luis de Góngora, comentadas por D. García de Salcedo Coronel (1636), die Jammes in seinem Katalog der Beiträge führt und kurz bespricht (vgl. Jammes 1994, hier insbesondere die Seiten 685–688 und 699s.). 23 Vgl. etwa die Einschätzung Biruté Ciplijauskaités: «En los siglos pasados se solía afirmar que el culteranismo era el movimiento literario creado por Góngora, con énfasis únicamente en la forma y de escaso contenido ideológico. El conceptismo, representado por Quevedo y Gracián, sería al revés: menos énfasis en lo formal, atención a la idea, condensación, ‹intensión› y fines más transcendentes. Ya Menéndez Pelayo señaló que habría que revisar estas opiniones. En este siglo, los críticos dedicados a la literatura del Siglo de Oro han llamado la atención a la existencias de varios componentes del ‹gongorismo› en poetas anteriores a Góngora, como Carrillo de Sotomayor, Herrera o incluso Juan de Mena. Por otra parte, se ha puesto de relieve la íntima interdependencia de las dos maneras, así como divergencias dentro de ellas. Gracián admira y elogia a Góngora más que a Quevedo. Lope, acusado por su estilo ‹llano›, escribe una serie de sonetos más bien complejos. Incluso Quevedo se muestra interesado como Góngora por las imágenes y las metáforas en sus sonetos petrarquizantes. A su vez, las poesías satíricas de Góngora encierran muchos conceptos, muchos juegos de palabras, muchas polivalencias e incluso cierto propósito moral. Los dos son hijos de casi la misma época (más joven Quevedo), nacidos como reacción a ella; los dos apelan al ingenio y son accesibles sólo a una minoría culta. Ambos se desvían de la realidad, usando la estilización; sólo la dirección es distinta: uno se encamina más hacia la belleza, otro hacia la ‹intensión›, llegando a veces a la caricatura. Ambos aspiran a asombrar; ambos van enriqueciendo la lengua, aunque en las aportaciones nuevas predomina lo fónico en el uno y lo etimológico en el otro. Los orígenes de ambos se encuentran en los siglos precedentes: los cancioneros presentan tanto una estilización idealizante como la gracia del concepto. Se puede distinguir tal vez en el ‹spiritus movens› de ellos: el cultista escribe ante todo para deleitar los sentidos, mientra el conceptista tiene miras docentes. Esto no basta, sin embargo, para afirmar que el uno contradice al otro y no tienen correspondencias mutuas» (Ciplijauskaité 1982, 20s.). Zu den Vorläufern des Kulteranismus und der Kritik der obscuritas bei Dichtern vor Góngora vgl. auch die Studien von Buceta (1920; 1921). 24 Vgl. etwa Menéndez Pelayo (1943, 325s.): «Nada más opuesta entre sí que la escuela de Góngora y la escuela de Quevedo, el culteranismo y el conceptismo. Góngora, pobre de ideas y riquísimo de imágenes, busca el triunfo en los elementos más exteriores de la forma poética, y comen-

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gische Widerspiegelung in der Zeit findet, aber keine literarästhetische in Bezug auf die Dichtungspraxis: So mögen Kulteranismus und Konzeptismus nicht als zwei diametral entgegengesetzte Begriffe aufgefasst werden, bestenfalls aber als zwei Seiten einer Medaille, die sich gegenseitig bedingen und durchwirken. Die Künstlichkeit des aufgebauten Antagonismus25 zwischen Kulteranismus und Konzeptismus lässt sich beispielsweise an der Diskrepanz zwischen Quevedos poetologischem Programm, das sich unter anderem in der Zueignung der Fray Luis-Edition an den Conde-Duque de Olivares abliest, und dessen eigener Dichtungspraxis nachvollziehen.26 Worum es denn letztendlich in der Soledades-Kontroverse ging, ist für das hier im Zentrum Stehende nicht weiter von Belag. Zu denken wäre etwa auch an eine Rivalität zwischen kastilischer Höfischkeit und andalusischem Landadel, die sich bereits in der ersten Hälfte des vorangegangenen Jahrhunderts abzeichnet. Ein Beispiel hierfür findet sich bei Juan de Valdés in dessen Diálogo de la lengua von 1535: In diesem zentralen Text für das Sprachbewusstsein im frühneuzeitlichen Spanien verteidigt sein Autor eine Sprachnorm nach dem Vorbild der Hofmänner von Toledo gegenüber dem angeblich stark meridional geprägten Spanisch des andalusischen Humanisten Antonio de Nebrija.27

zando por vestirla de insuperable lozanía, e inundarla de luz, acaba por recargarla de follaje y por abrumarla de tinieblas. Al revés: el caudillo de los conceptistas no presume de dogmatizador literario, forma escuela sin buscarlo ni quererlo. Sigue los rumbos excéntricos de su inspiración, que crea un mundo nuevo de alegorías, de sombras y de representaciones fantásticas, en las cuales el elemento intelectual, la tendencia satírica directa, si no predominan, contrapesan a lo menos el poder de la imaginativa. Quevedo no hace versos por el solo placer de halagar la vista con la suave mezcla de lo blanco y de lo rojo: acostumbrado a jugar con las ideas, las convierte en dócil instrumento suyo, y se pierde por lo profundo como otros por lo brillante». 25 Die aktuellste mir bekannte Stellungnahme zu dieser künstlichen Dichotomie ist von Ehrlicher (2002, bes. 261–266). 26 Auf diese Diskrepanz hat bereits Schwartz (1986, 71) hingewiesen: «La teoría del discurso poético que Quevedo desarrolla en algunos escritos no coincide con su praxis satírica. El lenguaje popular y las formas de la literatura tradicional que tanto desprecio le inspiraron se recuperan hoy paradójicamente en sus obras [...]» (vgl. hierzu auch Elias L. Rivers in seiner Einleitung zu Quevedo y Villegas, Quevedo y su poética dedicada a Olivares, Pamplona, EUNSA, 1998, 21). 27 «VALDÉS. ¿Por qué queréis que me contente? ¿Vos no veis que aunque Lebrixa era muy docto en la lengua latina, que esto nadie se lo puede quitar, al fin no se puede negar que era andaluz, y no castellano, y que scrivió aquel su vocabulario con tan poco cuidado que parece averlo escrito por burla?» (Valdés, Diálogo de la lengua, ed. Juan M. Lope Blanch, Madrid, Castalia, 1969, 46). Einige Zeilen später verweist Valdés auf die fehlerhafte Definition des spanischen loçano in Nebrijas Wörterbuch als lateinisch lascivus (vgl. hierzu die Ausführungen zum gongorinischen Gebrauch von lascivo in dessen Fábula de Polifemo y Galatea in 4.2 und 4.4).

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Als prominentester Kontrahent Luis de Góngoras kommt gemeinhin Francisco Quevedo zuerst in den Sinn, dies mag an der satirischen Schärfe des betreffenden Autors liegen,28 die ihm den Einzug als Protagonist in zahlreiche derb-komische Witze einbrachte,29 und der ihm bis ins Legendäre nachgesagten persönlichen Animosität gegen Luis de Góngora: Don Francisco soll Góngoras Haus gekauft und jenen anschließend desselben verwiesen haben, was den finanziellen und körperlichen Ruin Góngoras beschleunigte, so Arturo Pérez-Reverte in einem Zitat seines eben diesem legendären Aspekt verpflichteten historischen Romans El caballero del jubón amarillo (Alfaguara 2003), des fünften Teils der in Spanien überaus erfolgreichen Abenteuer des Capitán Alatriste, die in den Schulen bereits als Textbücher für den Geschichts- und Literaturunterricht Eingang gefunden haben;30 Raúl del Pozo reiteriert in seinem reißerischen Artikel im Supplement

28 «La polémica más resonante, aquella que se colocó frente a frente a dos de los agudísimos escritores satíricos de la época, fué la que sostuvieron Quevedo y Góngora. Largo torneo de ingenio con artillería de todo calibre, y que se resuelve con frecuentes arañazos en los que cualquier recurso es bueno» (Carilla 1949, 55). Dagegen die Meinung Vosslers zu Quevedos satirischer Wirkung allgemein: «A este hombre tan despierto [i. e. Quevedo; Anm. v. Vf.] en las ocurrencias cotidianas, le gusta sumergirse en un spleen y humorismo ascético de sueños, ficciones, visiones y juegos de la fantasía y de las palabras: tanto que hasta sus desengaños se pierden en un reino apartado de la realidad, en un más allá metafísico sin provechos ni escarmientos terrenales. Por eso su sátira no llega a desembocar en la conciencia moral. Los latigazos de su escarnio, por crueles que parezcan, no logran herirnos el corazón, sino hacen cosquillas a nuestro intelecto y divierten nuestra fantasía» (Vossler 1995, 121). 29 Seit dem späten 19. Jahrhundert ist bei den Editionen von Quevedos Werk eine gewisse Loslösung der satirischen, ja derb-komischen Dichtung zu verzeichnen: So erscheint im Jahr 1871 El libro verde. Collección de poesías satíricas y de discursos festivos [...] de D. Francisco de Quevedo, poeta de cuatro ojos, hijo de sus obras, padrastro de las ajenas, señor que fue de este valle de lágrimas y cofrade de la carcajada y de la risa (Madrid, Librería de Victoriano Suárez; vgl. hierzu Blecua in Quevedo y Villegas, Obra poética, vol. I, 53) und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Agudezas eróticas de don Francisco de Quevedo y Villegas, cofrade de la Carcajada y hermano del Regocijo (Barcelona, Editorial Tabarín, ohne Jahresangabe; vgl. hierzu Blecua in Quevedo y Villegas, Obra poética, vol. I, 57s.). Zur Legenden- und Witzbildung um Quevedo vgl. Goytisolo (1977 [1976], 117): «Al concluir la guerra civil, la sirvienta que se hizo cargo de mí y mis hermanos y nos cuidó con el amor y la solicitud de una madre, solía referirnos la historia de un tal Quevedo que, habiéndose bajado las calzas para defecar en un lugar público, de espaldas a los viandantes, fue sorprendido en dicha posición por un distinguido caballero italiano. ‹¡Oh, qué vedo!›, habría exclamado éste con horror al contemplar el corpus delicti, si se me permite la expresión, con las nalgas en la masa. A lo que habría respondido el español con mal oculto orgullo: ‹Anda, ¡hasta por el culo me conocen!›» Aber schon der erste Biograph Quevedos, Pablo Antonio de Tarsia, weiß 1663 einige Anekdoten zu berichten (vgl. Tarsia, Vida de don Francisco de Quevedo y Villegas, 1988 [11663], 102–109). 30 Vgl. Valenzuela (2003).

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der spanischen Tageszeitung El Mundo diese Legende, indem er eine Passage aus Pérez-Revertes Roman wiedergibt:31 «‹Comprada por Quevedo su casa de la calle del Niño, arruinado por el vicio del juego y el ansia de figurar, tan ayuno de dineros que apenas podía pagarse un coche miserable y unas criadas, el jefe de las filas culteranas había renunciado al fin, retirándose a su Córdoba natal en donde iba a morir enfermo y amargado, al año siguiente›»32

31 Pozo (2006). 32 An Pérez-Reverte lässt sich eindringlich nachvollziehen, wie die Polarisierung der zwei Kontrahenten wenn auch nicht auf wissenschaftlichem Niveau, so doch in der Literatur für ein breites Publikum bis in die heutige Zeit weiterlebt (Valenzuela 2003): «P[regunta]. Volvamos a su repaso de la literatura del XVII. En esta novela don Francisco de Quevedo sigue siendo un personaje positivo. A usted, Quevedo le gusta un montón. R[espuesta]. Me gusta mucho. Quevedo es un poeta extraordinario y un tío de una humanidad extraordinaria, que también pasteleó y traicionó, no era perfecto. Quevedo describió perfectamente lo español. Tú te lees ahora sus versos y te está hablando de la España de ahora: el querer aparentar, el desprecio al trabajo verdadero, la insolidaridad, el rencor, el querer entonces un coche de caballos y hoy un Audi, BMW o Mercedes... Leyendo a Quevedo aprendí muchas cosas sobre mí mismo, como español, y sobre los españoles. Por eso convertí a Quevedo en el amigo de Alatriste. P[regunta]. Aunque Góngora es un personaje negativo en estas novelas, usted le rinde homenaje en esta entrega. Góngora y Quevedo, escribe, ‹renovaron el castellano, dotándole de riqueza culterana y gallardía conceptista›. R[espuesta]. Admiro a Góngora y a Quevedo, pero uno tiene que elegir. Yo sería amigo de Quevedo, no de Góngora. Góngora era un esnob y así le fue. Era un inmenso poeta y un poquito gilipollas como persona. Yo prefiero emborracharme e irme de putas con Quevedo.» Góngora als dämlich-arroganter Snob, der dem ihn angedichteten finanziellen und körperlichen Ruin verdient zu haben scheint, neben dem kumpelhaften Quevedo, mit dem zusammen man gerne dem Alkohol über die Maße zusprechen und den fleischlichen Genüssen gegen Bares frönen möchte, als Synekdoche für das (auch heutige) Spanien an und für sich. Hier scheinen sich die Legenden von den wenigen historischen Fakten, die bezüglich der Biographien der entsprechenden Personen auf uns gekommen sind, so weit entfernt zu haben und der Legitimierung eigener (Wunsch-)Vorstellungen so weit angenähert haben, dass man sich eine Steigerung kaum noch auszumalen vermag, und das alles, wie weiter oben angemerkt, dient laut Pérez-Reverte zuweilen als Grundlage für einen Geschichts-, Literatur- und sogar Ethikunterricht an spanischen weiterführenden Schulen («Bueno, quizá no sepas que Alatriste está en muchos colegios, como libro de texto. A veces lo utilizan en historia, a veces en literatura y a veces, incluso, en ética»). Letztere Identifizierung Quevedos mit Spanien findet sich – ebenfalls mentalitätsgeschichtlich verbrämt – auch bei Borges (1999b, 48s.): «Quevedo es, ante todo, intensidad [...]. Transverberó su obra de tan intensa certitud de vivir que su magnífico ademán se eterniza en una firme encarnación de leyenda. Fue un sentidor del mundo. Fue una realidad más. Yo quiero equipararlo a España, que no ha desparramado por la tierra caminos nuevos, pero cuyo latido de vivir es tan fuerte que sobresale del rumor numeroso de las otras naciones.»

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Die historische Wirklichkeit gestaltet sich nach der heutigen Datenlage aber anders: So ist diese Hauskaufanekdote keinesfalls geschichtlich verbürgt,33 und auch Quevedos Beitrag zur Polemik um die Soledades ist in der einschlägigen Forschung heutzutage differenzierter und kontrovers bewertet, was bei der Diskussion der Zuschreibungsfrage der in den Kapiteln 3 und 4 analysierten Gedichte Quevedos deutlich werden wird.

33 Diese Legende scheint auf Luis Astrana Marín (La vida turbulenta de don Franscico de Quevedo, Madrid, Gran Capitán, 1945 [11944]) zurückzugehen (dazu Jauralde Pou 1998, 415, Fn. 47): Luis de Góngora soll in dem Haus in der Calle del Niño, das Quevedo am 23. August 1620 kaufte, gelebt und u. a. mit dem Conde de Villamediana einen Spielsalon unterhalten haben. Nach dem Kauf habe Quevedo diesen dann aus dem Haus geworfen. Als Quelle zitiert Astrana Teile eines Gedichts, das nach Jauralde Pous Einschätzung aber nicht von Quevedo stammt. Dabei handelt es sich um die Verse 121–127 des Gedichts «Alguacil del Parnaso» (Quevedo, Poesía original completa, 1996, 1106, Nr. 841): «Y págalo Quevedo / porque compró la casa en la que vivías, / molde de hacer arpías; / y me ha certificado el pobre cojo / que de tu habitación quedó de modo / la casa y barrio todo, / hediendo a Polifemos estantíos [...]». Gegen die Autorschaft Quevedos spreche nach Antonio Rodríguez-Moñino (so Crosby 1967, 137), dass das Sprecher-Ich des Textes sich in Vers 104 als Cordobese benenne («los que somos cordobeses») und Quevedo in Vers 121 in der dritten Person genannt, darüber hinaus in Vers 124 als «pobre cojo» bezeichnet werde, was dieser wohl niemals über sich selbst geäußert hätte (gegen dieses letzte Argument könnte allerdings sprechen, dass nicht nur Quevedos Hinken sprichwörtlich war, sondern auch dessen eigenes Kokettieren mit der körperlichen Fehlbildung seiner Beine; vgl. folgende Anekdote in Tarsia (1988, 105s.): «Auiendo entrado Don Francisco con algunos Caualleros en casa de vnas Damas para oîrlas cantar, y tocar el harpa, en que eran tan estimadas, que las visitauan los mayores Señores: y como iba de habito largo, para encubrir la fealdad delos pies, descubriòsele casualmente vn pie. Viendole vna dellas dixo: O que mal pie! Reparò inmediatamente otra, y añadiò: Con mal pie entraron vs. ms. aqui. Reîanse las demas de la conuersacion, haziendo mofa, y burla: muy propio de las mugeres de Madrid, que son prontissimas, y se precian entendidas. Estuuo Don Francisco muy seuero, y con igual prontitud respondiò: Yo les prometo à vs. ms. señoras mias, que otro ay peor en el corro. EMpeçaron entonces à mirarse vnas à otras, y à registrar los pies de los que venian en su compañia, diziendo: Qual serà? Y despues que les huuo detenido algun rato en duda, y curiosidad sacò el otro pie, y dixo: Este, señoras; pues tenia el vn pie mas mal hecho, y mas torcido, que el otro.» Nichtsdestotrotz nimmt Crosby (1967, 137) die Anekdote um den Hauskauf Quevedos als gegeben und nennt als Datum des Hausverweises durch Quevedo den 18. November 1625 oder etwas später. Als Quelle dient ihm dabei ein Brief Góngoras an Cristóbal de Heredia, an einen von dessen Gläubigern, der auf den 4. November datiert. Schaut man sich den Brief genauer an, so beklagt sich Góngora zwar darüber, dass er befürchte, dass «el 18 de éste [mes de noviembre] [...] me echará en la calle de esta pobre vivienda mía el dueño de la casa» und er sich dann «a los umbrales del invierno sin hilo de ropa» befände (Luis de Góngora, Obras completas, recopilación, prólogo y notas de Juan Millé y Giménez, Isabel Millé y Gímenez, Madrid, Aguilar, 1956, 1063), an keiner Stelle dieses Briefes fällt hingegen der Name des Hauseigentümers. So ist die Bewertung Crosbys lediglich eine Konjektur der Informationen aus Góngoras Brief und der oben wiedergegebenen Verse des auch m. E. zu Unrecht Quevedo zugeschriebenen Texts.

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2.2 Zum Begriff des Obszönen Was unter Obszönität verstanden und als solche vom Leser oder Betrachter aufgefasst wird, ist gerade in Bezug auf eine weit zurückliegende Epoche schwer zu ermitteln. Wolf-Dieter Stempel, dem die Pionierrolle bei der Erforschung des Obszönen zukommt,34 stellt sich in Bezug auf die altfranzösische Literatur die Frage, «ob und inwieweit wir imstande sind, aus der zeitlichen Entfernung heraus einen kritischen Grenzbereich abzustecken, der für die (implizite) zeitgenössische Ästhetik Geltung besessen hat, ob die Obszönität überhaupt als Kategorie das ästhetische Bewußtsein der Zeit beschäftigt hat».35 Dieses Problem ergibt sich auch bei der hier vorliegenden Studie, und in diesem Kapitel sollen erste Antwortansätze auf die Fragen Stempels gefunden werden in Bezug auf das Spanien zu Zeiten der Gegenreformation und natürlich mit besonderem Gewicht auf den uns hier interessierenden Dichter Francisco de Quevedo. Stempel beantwortet für die altfranzösische Literatur die Frage nach der Geltung des Obszönen als ästhetische Kategorie positiv und sieht in dem Obszönen ein mehr oder weniger transhistorisches Phänomen.36 Dagegen steht die

34 Für diese Einschätzung vgl. auch Ziolkowski (1998b, 6, Fn. 7). 35 Stempel (1968, 189). 36 An dieser Stelle muss auf die Zivilisationstheorie von Norbert Elias eingegangen werden, die dieser in seiner zweibändigen Studie Über den Prozeß der Zivilisation aufgestellt hat (zuerst Basel: 1939, hier zitiert Elias 1997). Elias geht davon aus, dass im christlichen Abendland vom Mittelalter bis zur Moderne ein Wandel im (zwischen-)menschlichen Verhalten und in der Persönlichkeitsstruktur stattgefunden hat, der durch tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen bedingt wurde. Die höfische Welt der Frühen Neuzeit unterscheide sich laut Elias von der mittelalterlichen Feudalgesellschaft durch eine zunehmende Verfeinerung der Sitten, die sich beispielsweise im Verhalten bei Tisch (vgl. den Abschnitt vier im zweiten Kapitel des ersten Bandes), aber auch beim Defäkieren und dem Umgang mit Fäkalien sowie in Form eines «Vorrückens der Schamschwelle» zum Ausdruck komme, was im Zusammenhang der Betrachtung des Obszönen hier von besonderem Interesse ist. Duerr (1988–2002) versuchte, Elias’ Zivilisationstheorie zu widerlegen, wobei er starke Schamgrenzen bereits im europäischen Mittelalter und in sogenannten «primitiven» Gesellschaften auszumachen glaubt und diese als Gegenargument zu einem «Vorrücken der Schamschwelle» ins Feld führt (der dritte Band von 1993 mit dem Titel Obszönität und Gewalt ist im Zusammenhang der vorliegenden Studie von besonderem Interesse). Mit besonderem Blick auf Spanien hat Maravall in seinem Werk La cultura del Barroco. Análisis de una estructura histórica (zuerst erschienen 1975, hier zitiert: Maravall 1986) eine Kulturtheorie der uns hier betreffenden Epoche ausgestellt, die er vor allem als eine Krisenzeit auffasst, die sich durch eine gelenkte städtische Massenkultur auszeichnet, die starke konservative Züge aufweist. Bei seinen Analysen sind literarische Texte wie etwa der Schelmenroman und das die städtische Öffentlichkeit bewegende Theater die Ausgangsbasis.

Zum Begriff des Obszönen 

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landläufige Meinung, dass das Schamgefühl sich über die Zeiten verändert hat und somit auch der Gebrauch aus heutiger Sicht verbaler Obszönität in anderen Epochen nicht so stark als Grenzüberschreitung empfunden wurde. Joan DeJean referiert in diesem Zusammenhang folgende Auffassung in Bezug auf Teile des Mittelalters, in denen gerade die volkstümliche Schwankliteratur blühte: «It is widely believed that, during certain periods (parts of the Middle Ages, for example), there was little prohibition against publicly pronouncing the words we now refer to as obscene.»37

Die Frage ist nun aber auch, ob sich aus dem Sachverhalt, dass in gewissen Epochen, der Gebrauch von verbaler Obszönität weniger sanktioniert wurde als in anderen und unserer eigenen, Rückschlüsse darauf erlaubt, dass das Obszöne eine anders gelagerte oder überhaupt keine Kategorie der zeitgenössischen Ästhetik war, wir also nur unser heutiges Verständnis auf andere Zeiten übertragen. Sieht man einen Zusammenhang zwischen Sanktionierung und der Herausbildung einer ästhetischen Kategorie des Obszönen, so dürfte es die Bestimmung für das Spanien der Gegenreformation einfach machen: Wenn man die Tätigkeit von Inquisition und Zensur als eine starke Sanktionierung erachtet,38 müsste das Obszöne als eine vehemente Grenzüberschreitung gewertet, ihm also kategorialer Charakter zugeschrieben werden, mehr vielleicht noch als in unserem heutigen Verständnis. Auf diesen Punkt wird später wieder zurückzukommen sein (2.2.1). Die Beschäftigung mit dem Obszönen als literar-ästhetischem Problem verzeichnete in der Literaturwissenschaft vor allem in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts einen gewissen Boom.39 So wurde beispielsweise im Jahr 1983 im französischen Pau eigens ein Kolloquium zu diesem Thema veranstaltet. Der Organisator dieser Fachtagung und Herausgeber der Akten, Sylvain Floc’h, fügt der Beschäftigung mit dem Obszönen, über die Probleme, die sich aus einem Zeitenabstand ergeben, noch folgende Hürden hinzu: «L’obscène défie les classifications. Il parcourt les territoires du sociologique, du psychique, de l’esthétique, sans jamais s’y laisser enfermer comme catégorie. Il intervient tout au plus comme mode épisodique au sein de catégorie elles-mêmes hybrides, comme le grotesque

37 DeJean (2002, 2). 38 Vgl. hierzu etwa die Beiträge in dem Band Sexo barroco y otras transgresiones premodernas (1990) und im Speziellen den Beitrag von Tomás y Valiento zur Rechtslage, Denunziation und Bestrafung des peccatum contra naturam (hier vor allem Masturbation und Sodomie) in den Königreichen Kastilien und Aragón während des Siglo de Oro (Tomás y Valiente 1990). 39 Vgl. hierzu auch den Überblick bis zum Ende der 1990er Jahre in Ziolkowski (1998b), zu neueren Arbeiten vgl. auch Gvozdeva (2013, 56, Fn. 1 und 2).

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ou la parodie [...] L’obscène se laisse aussi peu piéger aux discours de la valeur qu’à ceux de l’anti-valeur ; il résiste autant au culturel qu’au contre-culturel ; il répudie le ‹vouloir-dire› du discursif et de la signifiance. Pour sa part, il ne ‹veut rien dire› et, par cette indétermination même, il contraint ses analystes à se définir eux-mêmes en offrant le réceptacle douteux de son enveloppe molle à leur phantasmatique obscène sur l’obscène.»40

Wenn dem so ist, dann müsste die vorliegende Studie im Extremfall zum Scheitern verurteilt sein. Die hier zitierte Position Floc’hs erscheint allerdings vielmehr als eine rhetorische Attitüde. Denn im Grunde genommen ließe sich die Ansicht, dass das Obszöne ihre Interpreten auf Grund der Unbestimmtheit desselben dazu veranlasse, lediglich ihre eigenen Phantasmata preis zu geben, auf die Literatur an und für sich übertragen, da es für diese ein konstitutives Charakteristikum ist, Leerstellen bereit zu stellen, die im Akt des Lesens vom Rezipienten gefüllt werden müssen. Nichtsdestotrotz soll im Folgenden der Begriff des Obszönen erst einmal anhand der zeitgenössischen Lexikographie umrissen und auf dessen ästhetisch-kategoriale Validität für das Spanien des Siglo de Oro geprüft werden (2.2.1). In einem weiteren Schritt soll es dann angeregt durch die detaillierte Zusammenschau bei Jan M. Ziolkowski41 um die Behandlung von verbaler Obszönität in der klassisch-lateinischen Rhetorik gehen. Nach einer kurzen Vorstellung richtet sich der Blick auf die Relevanz der dort artikulierten Positionen in der quevedianischen Poetologie (2.2.2) als Auftakt zu den Textanalysen in den Kapiteln 3 und 4. 2.2.1 Das Obszöne als ästhetische Kategorie im Siglo de Oro42 Für das Spanische ist das entsprechende Wort (o[b]sceno) erstmalig in Alonso Fernández de Palencias Universal Vocabulario en latín y en romance (Sevilla 1490) belegt: «a las palabras desuergonçadas llamaron oscenas»,43 scheint aber bis ins 18. Jahrhundert hinein wenig gebräuchlich gewesen zu sein, so dass eine Dokumentation in den frühneuzeitlichen Wörterbüchern von Antonio de Nebrija (1495 oder 1493), César Oudin (1607) und Sebastián de Covarrubias (1611) ausbleibt.44 Der Diccionario de Autoridades (1726–1739) erklärt den Begriff an Hand der Syno-

40 Floc’h (1983b, 5). 41 Ziolkowski (1998c). 42 Vgl. hierzu in einem anderen Kontext auch die Ausführungen in Savelsberg (2003). 43 Hill (1957, 134); vgl. auch DCECH (vol. IV, 260b). 44 Vgl. DCECH (vol. IV, 260b).

Zum Begriff des Obszönen 

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nyme «[i]mpúro, súcio, torpe y feo»45 und gibt als Belegstelle ein Cervantes-Zitat an: «Pues de las cosas obscénas y torpes, los pensamientos se han de apartar, quanto mas los ojos.»46 Im klassischen Latein kann das Adjektiv obscēnus folgende Bedeutungen tragen: 1. ‘ungünstig’, 2. ‘ekelerregend’, 3. ‘mit Sexualität und Ausscheidung in Verbindung stehende Körperteile und -funktionen betreffend’ und 4. ‘indezentes a) Verhalten und b) Sprechen.’47 Das dazugehörige Substantiv obscēnitās scheint aber in klassischer Zeit vorrangig auf den Sinn von 4b verengt Verwendung gefunden zu haben, und zwar «saepe de vitio elocutionis q. d. κακέμφατον»,48 also vielfach auf einen Verstoß innerhalb der rhetorischen Bearbeitungsphase der elocutio eingeschränkt, der mit dem griechischen Ausdruck Kakemphaton bezeichnet wird (dazu mehr unter 2.2.2). Diese prägnante Bedeutung im Sinne von 4b des Oxford Latin Dictionary scheint auch bei Alonso Fernández de Palencia gegeben zu sein, zumindest ist nur diese für das Spanische expliziert und anhand des beigesteuerten Etymologie-Versuchs plausibel gemacht: Palencia hält nämlich o[b]sceno bzw. das lateinische Etymon obscenus für eine Ableitung von der Volksbezeichnung Osci und kritisiert die seiner Meinung nach fälschliche Schreibung mit . Dieser Stamm der Osker sei geradezu sprichwörtlich für den verbalen Gebrauch von «luxuriosas suziedades» gewesen.49 Auch wenn Quevedo das Wort obsceno zumindest in seiner Versdichtung nicht verwendet, scheint er trotzdem ein Bewusstsein davon zu besitzen, was unter diese Kategorie zu fassen wäre, und schreibt ihr ästhetische Geltung zu, wenn er beispielsweise den burlesken Versen Félix Lope de Vegas, den Rimas humanas y divinas del licenciado Tomé de Burguillos (Madrid 1634), sein Imprimatur verleiht mit den Worten: «[...] he visto este libro [...] escrito con donaires, sumamente entretenido, sin culpar la gracia en malicia, ni mancharla con asco de palabras viles.»50 Und auch den Widersachern Quevedos scheint diese ästhe-

45 Real Academia Española, Diccionario de Autoridades, VI vol., Madrid, Imprenta de Francisco del Hierro, 1726–1739 (Wiederabdruck als Faksimile, Madrid, Gredos, 2002), im Folgenden auch kurz Diccionario de Autoridades, hier vol. IV, 8b. Das spanische Wort torpe scheint in seiner Bedeutung dem Latinismus obsceno weitestgehend synonym (für die verschiedenen Nuancen vgl. auch Slaby/Grossmann/Illig (1998, vol. I, 1163a). Dies legt auch der Gebrauch in dem CervantesZitat nahe, das der Diccionario de Autoridades als Belegstelle führt. 46 Miguel de Cervantes y Saavedra, Don Quijote, vol. II, Kap. 59, zit. n. Diccionario de Autoridades (vol. IV, 8b). 47 Vgl. OLD (vol. I, 1219b). 48 ThLL (vol. IX–2, 157); vgl. auch OLD (vol. I, 1219a). 49 Hill (1957, 134). 50 Quevedo y Villegas, Obras completas (1966, vol. I, 1735a).

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 Kontextualisierung und Begrifflichkeit

tische Kategorie nicht abzugehen, wenn sie bestimmte Formulierungen aus dem Cuento de cuentos als «obscenas, torpes y asquerosas» qualifizieren und dem Autor sogar vorwerfen, den fleischlichen Appetit bei den Lasterhaften unter den Lesern erst zu erwecken.51

2.2.2 Die Behandlung verbaler Obszönität in der klassischen Rhetorik und ihre Relevanz bei Quevedo Wie im vorangegangenen Abschnitt bereits erwähnt wurde, verzeichnet der Thesaurus Linguae Latinae als eine häufig anzutreffende Bedeutung des Wortes obscenitas: «saepe de vitio elocutionis q. d. κακέμφατον»52 und verweist somit auf den Gebrauch in der klassischen Rhetorik als Synonym für den griechischen terminus technicus Kakemphaton.53 Marcus Fabius Quintilianus widmet im achten Buch seiner Institutio oratoria dem Begriff des Kakemphaton eigens einen Abschnitt bei der Beschreibung des ornatus der elocutio. Dabei unterscheidet er zwei Arten von Kakemphata.54 Die erste betrifft im Grunde genommen die Ambiguität von Aussagen, die neben ihrer kontextuellen Bedeutung isoliert auch einen obszönen Sinn annehmen können:55 «sive mala consuetudine in obscenum intellectum sermo detortus est, ut ‹ductare exercitus› et ‹patrare bellum› apud Sallustium dicta sancte et antique ridentibus, si dis placet»56

Das erste angeführte Beispiel aus Sallust erhält dadurch isoliert vom Kontext Doppeldeutigkeit, dass das Verb ductare die diastratisch markierte Bedeutung annehmen kann ‘eine Prostituierte mit zu sich nach Hause ins Bett nehmen’, im zweiten Beispiel kann patrare bellum neben ‘den Krieg beendigen’ ebenfalls ‘einen schönen Jüngling koitieren’ bedeuten.57

51 Vgl. hierzu die Belege in D’Arleux (1990, 181). 52 ThLL (vol. IX–2, 157). 53 Zum Kakemphaton als obszöne amphibolia (Sonderform der obscuritas, die «nicht nur ins Dunkel führt, sondern die Wahl zwischen zwei Sinnen lässt») und somit als Fehler nicht nur gegen die perspicuitas sondern auch gegen den ornatus siehe Lausberg (2008, insbesondere 514, § 1070 – dort auch das obige Zitat). 54 Vgl. auch Lausberg (2008, 514, § 1070). 55 Gemeint ist der Punkt obszöne Zweideutigkeit durch obszöne Metapher in Lausberg (2008, 514, § 1070). 56 Quint. inst. 8,3,45. 57 Vgl. Russells Kommentar zu dieser Stelle in den Fußnoten 60 und 61 (Marcus Fabius Quintilianus, The Orator’s Education, 2001).

Zum Begriff des Obszönen 

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Quintilian sieht diese Doppeldeutigkeit aber nicht in der Verantwortung des Autors, sondern veranschlagt sie auf der Seite der Rezeptionshaltung als einer Disposition, diese Ambiguitäten vorrangig zu suchen: «(quam culpam non scribentium quidem iudico sed legentium, tamen vitandam, quatenus verba honesta moribus perdidimus et vincentibus etiam vitiis cedendum est)»58

Diese Art des Kakemphaton ist in der als obszön zu klassifizierenden Versdichtung im Spanien der Frühen Neuzeit – dies soll in den Analysen der Kapitel 3 und 4 herausgearbeitet werden – vermehrt anzutreffen, allerdings nicht isoliert wie hier bei Sallust, sondern als eine eigenständige, sorgfältig entwickelte Isotopie-Ebene, die neben einen literalen Sinn gesetzt ist, der sich beispielsweise aus den Wissensdiskursen von Jurisprudenz, Höfischkeit, Wissenschaften und vorrangig petrarkistischer Dichtung speist (vgl. die Besprechung von Góngoras Letrilla «¿Qué lleva el señor Esgueva?» in 3.2). Wegen des hohen Grads an Elaboriertheit der entsprechenden Texte ist allerdings davon auszugehen, dass das Obszöne nicht allein der Disposition des Lesers zugeschlagen werden kann, der nach schlüpfrigen respektive derb-komischen Ambiguitäten Ausschau hält (vgl. hierzu auch die Ausführungen in Bezug auf die Traktierung des Obszönen bei Góngora in 3.4). Die zweite Art des Kakemphaton, die Quintilian anführt, könnte man so beschreiben, dass durch Veränderungen der Wortgrenzen, sei dies die Zusammenziehung von Wörtern oder die Segmentierung einzelner Wörter, explizite verbale Obszönitäten zu Tage treten können.59 Um dieses Zusammenziehen von Wörtern zu vermeiden, schlägt Quintilian die Wortumstellung vor: «sive iunctura deformiter sonat, ut, si cum hominibus notis loqui nos dicimus, nisi hoc ipsum ‹hominibus› medium sit, in praefanda videmur incidere»60

Die Umstellung von notis hominibus zu hominibus notis verhindert die Adjazenz von cum und notis, durch die ein Wort zum Vorschein käme, das als Kakemphaton zu werten wäre: «quia ultima prioris syllabae littera, quae exprimi nisi labris coeuntibus non potest, aut intersistere nos indecentissime cogit aut continuata cum insequente in naturam eius corrumpitur.»61

58 Quint. inst. 8,3,45. 59 Vgl. auch den zweiten Punkt bei Lausberg (2008, 514, § 1070): «Die obszöne Zweideutigkeit durch Wortgrenzenänderung kann in der iunctura [...] und in der divisio [...] auftreten». 60 Quint. inst. 8,3,45. 61 Quint. inst. 8,3,45.

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 Kontextualisierung und Begrifflichkeit

Das Kakemphaton wäre ein Resultat der Assimilation des auslautenden [m] in cum an das anlautende [n] in notis, so dass die zusammengezogene Form [kʋnˈno:.ti:s] entstünde, die bei ungünstiger Aussprache den Dativ oder Ablativ Singular des Substantivs cunnus hervortreten ließe. Dies wäre als eindeutige Obszönität einzustufen, da es eine explizite Nennung des weiblichen Pudendum beinhaltet. Eine entsprechende Empfehlung findet sich auch in Ciceros Orator: «Libenter etiam copulando verba iungebant, ut sodes pro si audes, sis pro si vis. Iam in uno capsis tria verba sunt. Ain pro aisne, nequire pro non quire, malle pro magis velle, nolle pro non velle, dein etiam saepe pro deinde et exin pro exinde dicimus. Quid, illud non olet unde sit, quod dicitur cum illis, cum autem nobis non dicitur, sed nobiscum? Quia si ita diceretur, obscaenius concurrerent litterae, ut etiam modo, nisi autem interposuissem, concurrissent. Ex eo est mecum et tecum, non cum me et cum te, ut esset simile illis nobiscum atque vobiscum.»62

Bei der Äußerung cum nobis [kʋnˈno:.bɪs] kommt ebenfalls der Dativ oder Ablativ Singular der Bezeichnung cunnus [ˈkʋn.nʋs] für das weibliche Geschlechtsorgan zum Vorschein; durch die Umstellung in nobiscum wird das Kakemphaton vermieden. Cicero scheint dies sogar in dem Maße für ein Ausdruckslaster zu halten, dass er bei dem Aufwerfen der Frage selbst das Kakemphaton vermeidet, was das Verständnis der Passage nicht gerade erleichtert. So schreibt er anstatt sed «cum nobis» non dicitur oder «cum nobis» autem non dicitur, Formulierungen, die den Sachverhalt eindeutig illustrieren würden, «cum autem nobis non dicitur, sed nobiscum?». Neben dieser Entstehung von Kakemphata des zweiten Typs durch Zusammenziehung von Wörtern nennt Quintilian noch zwei Beispiele, bei denen durch Segmentierung eines einzelnen Wortes ein Kakemphaton entstehen kann: «Aliae quoque coniunctiones aliquid simile faciunt, quas persequi libenter est in eo vitio quod vitandum dicimus commorantis. Sed divisio quoque adfert eandem iniuriam pudori, ut si ‹intercapedinis› nominativo casu quis utatur.»63

Benutzt man das Substantiv divisio im Nominativ Singular, so scheint dies die Schamhaftigkeit zu verletzten, da durch Segmentierung die erste Person Singular Indikativ Präsens Aktiv des Verbs vis(s)ire zum Vorschein käme, das anscheinend die Bedeutung ‘furzen’ tragen konnte.64 Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten

62 Cic. orat. 154. 63 Quint. inst. 8,3,46, vgl. zu dieser Stelle den Kommentar von Russell in Fußnote 63 und auch die Parallelstelle in Cic. fam. 9,22,4. 64 Vgl. den oben angegebenen Kommentar Russells.

Zum Begriff des Obszönen 

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Beispiel: Bildet man zu intercapedinis den Nominativ Singular intercapedo, so lässt sich das Verbform pedo isolieren, dessen Bedeutung ebenfalls in den skatologischen Bereich fällt. Francisco de Quevedo muss diese rhetorische Tradition als Schüler einer Jesuitenschule, die Cipriano Suárez’ De arte rhetorica libri tres, eine Zusammenstellung aus den Rhetoriken Aristoteles’, Ciceros und Quintilians, im Curriculum hatte, sehr gut bekannt gewesen sein;65 nach Aussagen Lope de Vegas soll er selbst einen rhetorischen Traktat zu schreiben begonnen haben.66 In einem zentralen poetologischen Text, seiner Widmung der von ihm selbst besorgten Edition der Gedichte Fray Luis de Leons an den Conde-Duque de Olivares, führt er ein Quintilian-Zitat an,67 in dem das Wort obscenus vorkommt.68 Diese Stelle ist meines Wissens neben einer autographen Marginalie zu Aristoteles’ Rhetorik (1405b) die einzige, an der Quevedo das Wort verwendet, das spanische obsceno lässt sich in seinem literarischen Werk im engeren Sinne nirgends ausmachen. Auf die Marginalie zu Aristoteles wird in Kürze noch zurückzukommen sein. Die betreffende Quintilian-Stelle lautet: «Nam et obscena vitabimus et sordida et humilia.»69 Sie folgt der Aussage, dass das wichtigste Charakteristikum der perspicuitas von Wörtern das Angemessene und Eigentümliche sei, und angemessen sei es, die Dinge bei ihrem eigentümlichen Namen zu nennen. Allerdings sei nicht immer so zu verfahren; obszöne und niedrige Ausdrücke solle man vermeiden, da sie nicht der Würde des Gegenstandes und des Redners ent-

65 Zum Status des sogenannten «Cyprianus» im Curriculum der Jesuitenkollegien sowie der kanonischen Geltung im 17. Jahrhundert vgl. Schlüter (2006, bes. 337, 339); vgl. auch Barner (1970). 66 «Pero quien siente que no tiene fundamento [las poesía] en la retórica, ¿qué respuesta merece? O no entiende que le tocan las mismas obligaciones que al historiador, fuera de la verdad; o poca erudición muestra quien esto ignora, estando todos los retóricos llenos de ejemplos de poetas, como verá mejor vuestra excelencia, si D. Francisco de Quevedo prosigue un Discurso que dejó comenzado, ingenio verdaderamente insigne y tan adornado de letras griegas y latinas, sagradas y humanas, que para alabarle más, quisiera deberle menos: porque como yo veo en cuantos autores deste género han llegado a mis manos ejemplificada la retórica con poetas, no sé quién pueda con luz de letras cuidadosas permitirse a sí mismo error tan grande» (aus Lope de Vegas Epístola VII., «A un Señor destos Reynos», Diego de Colmenares, erschienen in La Circe, 1624, abgedruckt in Félix Lope de Vega Carpio, Cartas, documentos y escrituras del Dr. Frey Lope Félix de Vega Carpio (1562–1635), ed. Krzysztof Sliwa, II vol., Newark, Juan de la Cuesta, 2007; hier vol. I, 628; vgl. Sánchez Jiménez 2013, 30). 67 Quint. inst. 8,2,1. 68 Quevedo y Villegas, Quevedo y su poética dedicada a Olivares (1998, 54). 69 Quint. inst. 8,2,1. Eine Kommentierung dieser Passage findet sich etwa bei Lausberg (2008, 517, § 1074), unter dem Rubrum der Fehler gegen das aptum. Dabei glossiert Lausberg Quintilians «obscena» mit «‘semantisch obszöne Wörter’», «sordida» mit «‘Wörter abstoßend-vulgärer Gebrauchsphäre’» und «humilia» mit «‘Wörter alltäglich-kleinbürgerlicher Gebrauchsphäre’».

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 Kontextualisierung und Begrifflichkeit

sprächen.70 Im Anschluss zitiert Quevedo eine weitere Quintilian-Passage, in der die entgegengesetzte Vorgehensweise getadelt wird: Ebenso sei es beispielsweise zu vermeiden, unnötige Umschreibungen anstelle der konkreten Bezeichnungen zu wählen.71 Im Anschluss an dieses Quintilian-Zitat wird das Gesagte in Quevedos Zueignung an den Conde-Duque anhand eines zeitgenössischen spanischen Falls exemplifiziert. Ohne den Autor und das Werk explizit beim Namen zu nennen, rekurriert Quevedo auf die metonymische Verwendung des Ausdrucks cuerno (‘Horn’) als Bezeichung für ‘Zicklein’: «Sea ejemplo si en España alguno, por escusar la voz cabrito, que es decente y no sucia ni vil ni deshonesta, dijese cuerno, que es todo esto junto con ignominia y de mala composición de letras.»72 Um genau diesen Sachverhalt geht es auch in der Stelle aus Aristoteles’ Rhetorik, die Quevedo in seiner privaten Ausgabe mit folgender Marginalie versieht, in der auch das Wort obsceno Verwendung findet: «Bryso / Juzga que nadie puede hablar porpeme[n]te [sic!] aunque la cosa se Obszena, i se diga / con su propio nombre clara i abiertam[e]nte. aduierte Aristoteles con agudeza / recondita que muchos que no dizen las / cosas torpes, i desonestas, son mas desonestos / i torpes que los que las dizen. porque en las / translaziones i circunlocuziones / con que se ocultan las palabras desonestas / enseñan lo mas i peor desonesto de la / desonestidad, esto se lee en Petronio, i Marzial i Juvenal; i Terenzio.»73

Man könne das Ding also auch bei seinem Namen nennen, wenn der Gegenstand obszön sei; denn was es zu vermeiden gelte, sei die metaphorische Umschreibung des Unschicklichen, die nur noch größere Unschicklichkeit zu tage fördere.74

70 «Die verba obscena [...] sind überall zu meiden, während die übrigen Kategorien (verba sordida et humilia) in bestimmten res vorkommen können» (Lausberg 2008, 518, §1074, hier mit Bezug auf Quint. inst. 10,1,9: «Omnibus enim fere verbis, praeter pauca quae sunt parum verecunda, in oratione locus est. Nam scriptores quidem iamborum veterisque comoediae etiam in illis saepe laudantur; sed nobis nostrum opus intueri sat est. Omnia verba, exceptis de quibus dixi, sunt alicubi optima: nam humilibus interim et vulgaribus est opus, et quae nitidore in parte videntur sordida, ubi res poscit proprie dicuntur»). 71 Quint. inst. 8,2,2: «Nec video quare clarus orator duratos muria pisces nitidius esse crediderit quam ipsum id quod vitabat.» 72 Quevedo y Villegas, Quevedo y su poética dedicada a Olivares (1998, 54s.). 73 Quevedo y Villegas, Anotaciones de Quevedo a la Retórica de Aristóteles (1998, 162). 74 Die Herausgeberin von Quevedos Marginalien in Aristoteles’ Rhetorik, Luisa López Grigera, kommentiert diesen letzten Punkt folgendermaßen: «Este tópico, ‹yo soy bueno pero escribo torpemente›, de raigambre antigua y medieval aparece con frecuencia en los autores de sátiras, y más aún cuando se pone de moda el uso de vocabularios de grupos socialmente marginados y de contenido sexual y escatológico. De Quevedo podemos recoger una afirmación temprana, de 1612 opuesta a ésta, en la carta a Tamayo de Vargas: ‹El que dijo Lascivos son mis escritos pero

Zum Begriff des Obszönen 

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Zusammenfassend ließe sich hier feststellen, dass die klassische Rhetorik die Formen von Obszönität in folgende Klassifikation bringt: – explizite verbale Obszönitäten, die eine Sache bei ihrem eigentümlichen Namen nennen; – implizite verbale Obszönitäten, die sich aus einer vom Autor nicht intendierten Ambiguität des verwandten Wortmaterials ergeben (Kakemphata des ersten Typs); – explizite verbale Obszönitäten, die sich aus der Verschiebung von Wortgrenzen ergeben (Kakemphata des zweiten Typs); – implizite Obszönitäten, die darin bestehen, expliziter verbaler Obszönität durch Umschreibung aus dem Weg zu gehen. Bei den Kakemphata sowohl des ersten, als auch des zweiten Typs scheint auf Seiten der Produzenten keine Intention vorzuliegen, eine indezente Äußerung hervorzubringen. Bei den Kakemphata des ersten Typs muss man eine etwaige Doppeldeutigkeit in Richtung Obszönität hinnehmen, das Auffinden einer solchen wird auf der Seite des Rezipienten und dessen Erwartungshorizont veranschlagt. Bei den Kakemphata des zweiten Typs sollen die verbalen Obszönitäten durch syntaktische Umstellungen vom Autor vermieden werden. Lediglich bei der Hervorbringung expliziter verbaler Obszönität und deren Umschreibung liegt eine Autorintention vor. Von diesen beiden Fällen ist aber die direkte Nennung der Sachen beim Namen der Umschreibung vorzuziehen, auch wenn beide nicht der Würde des Redners entsprächen. Diese Auffassung, gerade was den Punkt von expliziter und impliziter Obszönität anbelangt, scheint Quevedo zu teilen, wenn man der Marginalie zur betreffenden Stelle aus Aristoteles’ Rhetorik Glauben schenkt. In Bezug auf die Kakemphata wird an gegebener Stelle detaillierter die Rede sein. Im Folgenden soll dieser Begriff auf den zweiten Typ verengt Verwendung finden. Das Kakemphaton des ersten Typs wird im weiteren Verlauf unter obszöner Ambiguität und Doppeldeutigkeit geführt.

mi vida buena más desvergonzado fue en asegurar esto que en escribir lo que escribió, pues sabemos que de la abundancia del corazón habla la boca›» (Quevedo y Villegas, Anotaciones de Quevedo a la Retórica de Aristóteles, 1998, 162, Fn. 134). Quevedo präferiert in diesem Zitat aus einem Brief die Ehrlichkeit gegenüber der Heuchelei. Der Gebrauch von chiffrierter Obszönität sei es in Form von Kakemphata oder in metaphorischer Umschreibung impliziere feige Heuchelei, die unvermittelte Äußerung von Indezenz hingegen (mannhafte) Ehrlichkeit.

3 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren auf den Valladolider Hof 3.1 Einleitung Der erste Text Quevedos, der als persönliche Invektive gegen Góngora zu werten ist, liegt uns in der Dezimendichtung «Ya que coplas componéis» vor. José Manuel Blecua führt ihn in seiner Edition von Quevedos Poesía original completa unter der Nummer 826.75 Er ist aber nicht in den Zusammenhang mit der Kontroverse um die epischen Langgedichte der Fábula de Polifemo y Galatea und der ersten Soledad (beide 1613) anzusiedeln, sondern entstand etwa zehn Jahre zuvor. In Blecuas Ausgabe von Quevedos Obra poética erfährt man auch, dass er in sechs verschiedenen Manuskripten auf uns gekommen ist;76 davon nennen vier in der Überschrift Quevedo als Verfasser, was die Zuschreibung in dessen Œuvre als ziemlich gesichert erscheinen lässt, auch wenn sie nicht den Minimalkriterien einer Überlieferung in mindestens einem Manuskript und einem frühen Druck nach Eugenio Asensio entsprechen, denen Amelia Paz in ihrer Einschätzung der antigongorinischen Texte Quevedos folgt.77 Robert Jammes bezweifelt diese Attribuierung in das quevedianische Werk78 und stuft den derben, skatologischen Gehalt der hier im Zentrum stehenden neun Dezimen als hoch ein («son verdaderamente sucias y groseras»).79

75 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1085–1088). 76 Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. III, 228). 77 Paz (1990, 38). Neben diesen von José Manuel Blecua bei seiner Edition der Obra poética berücksichtigten Manuskripten befindet sich der Text unter anderem noch in den Handschriften mit den Signaturen 3795, 3985 und 4044 der Madrider Biblioteca Nacional Española (vgl. hierzu Jauralde Pou 1998, 904, Fn. 12). 78 Siehe seinen Kommentar in Luis de Góngora, Letrillas (1980, 139), vgl. aber auch seine skeptische Haltung bezüglich Quevedos Autorschaft der gesamten Texte gegen Góngora (Jammes 1994, 676s., Fn. 99). 79 Gemeint ist dies im Gegensatz zu und als Verteidigung von Góngoras Vorlage «¿Qué lleva el señor Esgueva?», auf die sich die hier im Zentrum stehenden Dezimen beziehen; vgl. hierzu das direkt im Anschluss Ausgeführte.

Einleitung 

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3.1.1 Quellenlage und Datierung Wie man der Ausgabe von Blecua entnehmen kann,80 ist das Gedicht in den Manuskriptfassungen von Sevilla (bei Blecua = C),81 von Madrid (bei Blecua = D82 und D183) sowie von Paris (bei Blecua = E)84 mit dem Epigraph: «Décimas de D. Francisco de Quevedo contra la sátira que hizo Góngora que dice ‹¿Qué lleva el señor Esgueva? Yo diré lo que lleva›»

bzw. «Décimas de Quevedo contra Góngora por aquella letrilla ‹¿Qué lleva el señor Esgueva?›»

überschrieben, das explizit auf einen konkreten Text Góngoras referiert. Die vollständigste aller sechs Versionen, das Gedicht in einer weiteren Madrider Manuskriptfassung (bei Blecua = A),85 in der der Herausgeber den Text abdruckt, enthält als einunddreißigsten Vers die Zeile «Con Esgueva es vuestro enojo»;86 daneben existiert noch ein Manuskript aus Santander, das gerade in Bezug auf Quevedos Invektiven gegen Góngora berühmt-berüchtigte87 Manuskript 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo (bei Blecua = B),88 das keine explizite Referenz auf den entsprechenden Góngora-Text zulässt. Die eindeutigen Verweise auf die genannte Letrilla Góngoras lassen auf eine Datierung von 1603 als terminus post quem schließen.89

80 Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. III, 228). 81 Biblioteca Colombina, Signatur 83–4–39, fol. 164; in der Schrift von einer Hand aus dem 17. Jahrhundert, datiert nach 1664 (vgl. Blecua in Quevedo y Villegas, Obra poética, 1969, vol. I, 25). 82 Biblioteca Nacional Española, Signatur 4096, fol. 69; datiert auf das Ende des 17. Jahrhunderts (vgl. Blecua in Quevedo y Villegas, Obra poética, 1969, vol. I, 11s.). 83 Biblioteca Nacional Española, Signatur 3922, fol. 338v; in der Schrift von einer Hand aus dem 17. Jahrhundert (vgl. Blecua in Quevedo y Villegas, Obra poética, 1969, vol. I, 8). 84 Bibliothèque Nationale de France, Signatur 511, fol. 1; in der Schrift von einer Hand des 17. Jahrhunderts (vgl. Blecua in Quevedo y Villegas, Obra poética, 1969, vol. I, 30). 85 Biblioteca Nacional Española, Signatur 3917, fol. 184; Schriften von unterschiedlicher Hand aus dem 17. Jahrhundert (vgl. Blecua in Quevedo y Villegas, Obra poética, 1969, vol. I, 8). 86 Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. III, 229). 87 Berühmt-berüchtigt deshalb, da die meisten der als persönliche Invektiven gegen Góngora in diesem und teilweise nur in diesem Manuskript versammelt sind, was bei fast allen antigongorinischen Texten Quevedos die Zuschreibungsfrage aufwirft. 88 Hier fol. 178v; in der Schrift von einer Hand aus dem 17. Jahrhundert (vgl. Blecua in Quevedo y Villegas, Obra poética, 1969, vol. I, V. 23). 89 Carilla datiert die hier im Zentrum stehenden Dezimen exakt auf das Jahr 1603 (Carilla 1949, 56, Fn. 17). Jammes nennt in seinem Kommentar zu der betreffenden Letrilla Góngoras als Ent-

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 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren

3.1.2 Fragestellung Robert Jammes qualifiziert «Ya que coplas componéis» als Text, dem der Witz Góngoras und dessen Kunstfertigkeit bei der Vermeidung unschicklicher Ausdrücke abgehe,90 also als offensichtliche verbale Obszönität. Nach einer knapp gehaltenen Besprechung der Letrilla Góngoras, die lediglich eine inhaltliche und stilistische Situierung in Bezug auf das Obszöne bieten soll (3.2), wird die Dezimendichtung eingehend interpretiert werden (3.3). Dabei soll die Diskussion im Vordergrund stehen, inwieweit der hier besprochene Text vielleicht trotz seiner zuweilen formal-stilistischen Holprigkeit eine konzeptistische Dichte aufweist und sich hier Formen und Funktionen der obszönen Gestaltung bereits ankündigen, wie sie sich für die späteren Invektiven und Verssatiren Quevedos als charakteristisch erweisen mögen. Da «Ya que coplas componéis» meines Wissens in der Forschungsliteratur noch keine nähere Beachtung erfahren hat – gerade was die in dem Gedicht enthaltene, teilweise Fach- und Sondersprachen entstammenden Lexik anbelangt – wird die interpretatorische Arbeit durch Kurzkommentierungen begleitet, die mit Hilfe von zeitgenössischen lexikographischen Mitteln, aber auch anhand moderner Forschungen zum Wortschatz vor allem der Sondersprachen des Siglo de Oro den mehrfachen Sinngehalt erhellen sollen. Im Anschluss an die Analyse muss dann untersucht werden, ob der Einschätzung von Seiten Robert Jammes’ zuzustimmen ist, wie sich das Traktieren des Obszönen bei Quevedo gestaltet, welche Funktion diesem zukommt und in welchem Verhältnis Quevedos und Góngoras Verfahren zu sehen sind (3.4).

stehungszeit von «Ya que coplas componéis» «1603 o poco después» (Góngora y Argote, Letrillas, 1980, 139). 90 «[Sc. a las décimas] les falta el humor de Góngora y su habilidad en evitar las palabras indecentes» (Robert Jammes’ Kommentar in Góngora y Argote, Letrillas, 1980, 139). Mit dieser Bewertung der gongorinischen «habilidad en evitar las palabras indecentes» mag Jammes in Bezug auf die von ihm kommentierte Letrilla «¿Qué lleva el señor Esgueva?» richtig liegen, im Fall der Romanze «Cuando la rosada Aurora» liegt die Sache m. E. allerdings etwas anders, was bei der Besprechung von Quevedos Text ebenfalls Beachtung finden wird. Eine ähnlich gelagerte Bewertung findet sich ebenfalls mit Bezug auf die hier im Zentrum stehenden Dezimen bei Herrera (1999, 276): «Jamás pudo Quevedo igualar la gracia y el ingenio de Góngora y a menudo acababa respondiéndole con insultos y verdaderas majaderías.»

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3.2 Góngoras Vorlage Zuerst sei hier aber kurz referiert, worum es in der Vorlage Góngoras geht, auf die sich Quevedos «Ya que coplas componéis» bezieht: Robert Jammes zufolge wurde die Letrilla «¿Qué lleva el señor Esgueva? / Yo os diré lo que lleva» von Góngora während dessen Aufenthalts 1603 in Valladolid verfasst, anschließend vertont91 und wahrscheinlich auch auf den Straßen gesungen. Zumindest erfreute sie sich großer Beliebtheit, so Jammes. Sie beschreibt in personifizierter Art und Weise den Fluss Esgueva, der durch die damals dem Hof als Residenz dienende Stadt Valladolid fließt.92 In burlesker Manier wird der Fluss als Kloake des Hofes dargestellt, der sich vermittels dieser seiner Fäkalien entledigt. Die Exkremente werden nirgends in expliziter Form genannt, ein Spiel mit Ambiguitäten, die vorrangig auf der Basis der Höflings- und Rechtssprache, dem Bildrepertoire des petrarkistischen Frauenlobs und kulinarischen Motiven fußen, lässt aber die Konnotation des Verdauungsakts entstehen und die der Produkte desselben, welche dem Fluss überantwortet werden. Nichtsdestotrotz scheint diese Letrilla Góngora als in dem Maße anzüglich gegolten zu haben, dass sie von der Inquisition auf den Index librorum prohibitorum gesetzt wurde.93 Im Folgenden sei der gongorinische Text für einen besseren Überblick erst einmal in der Fassung von Jammes abgedruckt: «A – ¿Qué lleva el señor Esgueva? B – Yo os diré lo que lleva.

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      1 Lleva este río crecido, y llevará cada día las cosas que por la vía de la cámara han salido, y cuanto se ha proveído según leyes de Digesto, por jüeces que, antes desto,

91 Bei Jammes findet sich das Zitat aus einem Manuskript der Madrider Nationalbibliothek, das Anweisungen zur musikalischen Interpretetion beinhaltet (Góngora y Argote, Letrillas, 1980, 140, Fn. 2). 92 Weitere Bearbeitungen dieses Themas finden sich bei Góngora beispielsweise in den Sonetten Nr. 105 und 106 nach der Zählung Ciplijauskaités (Góngora y Argote, Sonetos completos, 1982, 173s.) sowie in der Romanze «Cuando la rosada Aurora» (Góngora y Argote, Romances, 1998, vol. II, 119–130); des Weiteren ridikülisieren die Sonette Nr. 104, 107 und 108 (Góngora y Argote, Sonetos completos, 1982, 171 sowie 175s.) den Valladolider Hof ohne die Nennung des Flusses Esgueva. 93 Gacto (1990, 159).

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le recibieron a prueba. A – ¿Qué lleva el señor Esgueva? B – Yo os diré lo que lleva.       2 Lleva el cristal que le envía una dama y otra dama, digo el cristal que derrama la fuente de mediodía, y lo que da la otra vía, sea pebete o sea topacio; que al fin damas de Palacio son ángeles hijos de Eva. A – ¿Qué lleva el señor Esgueva? B – Yo os diré lo que lleva.       3 Lleva lágrimas cansadas de cansados amores, que, de puro servidores, son de tres ojos lloradas; de aquél, digo acrecentadas que una nube le da enojo, porque no hay nube deste ojo que no truene y que no llueva. A – ¿Qué lleva el señor Esgueva? B – Yo os diré lo que lleva.       4 Lleva pescado de mar, aunque no muy de provecho, que, salido del estrecho, va a Pisuerga a desovar; si antes era calamar o si antes era salmón, se convierte en camarón luego que en el río se ceba. A – ¿Qué lleva el señor Esgueva? B – Yo os diré lo que lleva.       5 Lleva, no patos reales no otro pájaro marino, sino el noble palomino nacido en nobles pañales; colmenas lleva y panales, que el río les da posada;

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la colmena es vidrïada y el panal es cera nueva. A – ¿Qué lleva el señor Esgueva? B – Yo os diré lo que lleva.       6 Lleva, sin tener en su orilla árbol ni verde ni fresco, fruta que es toda de cuesco, y, de madura, amarilla; hácese de ella en Castilla conserva en cualquiera casa, y tanta ciruela pasa, que no hay quien sin ella beba. A – ¿Qué lleva el señor Esgueva? B – Yo os diré lo que lleva.»94

So führt der Fluss in der ersten Strophe die Dinge, die ihm auf dem (Dienst-) Weg der Kammer («cámara», V. 6) zugestellt wurden, wobei hier mit der Doppeldeutigkeit von cámara als Kammer (beispielsweise eines Gerichts) und Exkrement gespielt wird.95 Die Bedeutung der Gerichtskammer eröffnet dann das Wortfeld der Rechtssprache: «proveído» für ‘richterliche Verfügung’96 in Vers 7, «leyes» für ‘Gesetze’ in Vers 8, «jüeces» für ‘Richter’ in Vers 9 und «prueba» für ‘Beweisstück in Form von Zeugenaussagen oder Dokumenten’97 in Vers 10. Die daneben gesetzte Isotopie der Verdauung ergibt sich beispielsweise aus der Attribuierung in «Digesto» juristisch für ‘Digesten’ (V. 8),98 dann aber auch im wörtlichen Verständnis als Partizip Perfekt des Verbs digerir für ‘verdaut’:99 Es handelt sich hier also um keine richterliche Verfügung nach etwa dem Zivilrecht oder einer anderen

94 Góngora y Argote, Letrillas (1980, 139–142). 95 Diccionario de Autoridades (vol. II, 85a). 96 Vgl. etwa proveído2 für «el auto dado por el Juez» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 414b). 97 Vgl. prueba4 für «justificacion del derecho de alguna de las partes, hecha por declaraciones de testígos, ò por instrumentos» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 418b). 98 Vgl. digesto2: «Nombre que se dá à la famosa recopilacion de las decisiones del Derecho mas justas, hecha en cincuenta libros por mandado del Emperadór Justiniano, que empleó en esso los mas célebres Jurisconsultos de su tiempo. Llámase Digesto por el buen orden con que está dispuesto, y como digerido» (Diccionario de Autoridades, vol. I, 278a). 99 Vgl. digesto1: «part. pass. del verbo Digerir. Lo mismo que Digerido; pero tiene poco uso» (Diccionario de Autoridades, vol. I, 278a), und dann digerir1: «Disponer ò preparar en el estómago el alimento, desmenuzandole y desliendole para convertirle en chylo, separando las partes mas puras de la substáncia, de las excrementícias, para la nutricion del animál» (Diccionario de Autoridades, vol. I, 277b).

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Rechtsform, sondern nach den Gesetzen der Verdauung, so dass «proveído» als Nebenform zu provecho und «prueba» auch im medizinisch-kulinarischen Verständnis aufgefasst werden kann (erstes für ‘bekömmlich’ oder ‘der Gesundheit zuträglich’, zweites für eine Kostprobe).100 In der zweiten Strophe geht es dann sowohl um den Kristall (des Quells, «cristal que derrama / la fuente», V. 15–16), den die eine oder andere Hofdame dem Fluss zukommen lässt, als auch um die Räucherkerze («pebete», V. 18) oder den (gelben) Topas («topacio», V. 18), der diesem auf dem anderen Weg zuteil wird («la otra vía», V. 17), d. h. vermittels der zweiten Öffnung zur Ausscheidung von Verdauungsprodukten. In der dritten Strophe wird der höfische Liebesdiskurs parodistisch in Szene gesetzt. Die Doppeldeutigkeit von «servidores» (V. 25) als Minnediener und Aborte101 lässt neben den zwei weinenden Augen noch ein drittes hinzukommen,102 welches nur Wolken trägt, die donnern und regnen, d. h. flatulieren und evakuieren, so dass die Fluten des Flusses ständig Zuwachs erfahren. Die vierte Strophe verlässt den höfischen (Liebes-) Diskurs und spielt wiederum mit der Bedeutung von cámara als Exkrement, hier aber nicht im Zusammenhang der Jurisprudenz, sondern der Kulinaria des Hofes: Auf cámara wird in der Form «camarón» (V. 39) alludiert, das in seiner wörtlichen Bedeutung ‘Garnele’ heißt; daneben kann aber in dieser Form ein Augmentativ von cámara gesehen werden, die das Signifikat ‘großer Kothaufen’ aufbauen würde. So werden die vom Hof zu sich genommenen Meerfischspreisen («pescado de mar», V. 33) dem Fluss Esgueva als Verdauungsprodukte zurückgegeben, die nach dessen Mündung in den Fluss Pisuerga103 («Pisuerga», V.  36) dort wie der Lachs («salmón», V.  38) laichen («desovar», V.  36) und damit anscheinend den Artbestand aufrecht erhalten.104 In den letzten beiden Strophen wird der kulinarische Diskurs fortgesetzt, dabei geht es in der fünften Strophe zuerst darum, dass der Fluss kein edles Federvieh («patos reales», V.  43; «otro pájaro marino», V.  44) mit sich führt, sondern Taubenküken («palominos», V.  45). Diese letzte Nennung beinhaltet wiederum eine Doppeldeutigkeit, die in den Bereich der Skatologie führt, da palominos im burlesken Verständnis ebenfalls Kotflecken im Hemd bezeichnen können.105 Diese

100 Vgl. etwa prueba6 für «cantidad pequeña de algun género comestible, que se destina para examinar, si es bueno ò malo» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 418b). 101 Vgl. servidor2 und servidor4 (Diccionario de Autoridades, vol. VI, 100a). 102 ojo16 in der Bedeutung ‘After’ (Diccionario de Autoridades, vol. IV, 27b). 103 Der Fluss Esgueva mündet in Valladolid selbst in den Pisuerga. 104 Der dort aufwächst («en el río se ceba», V. 40). 105 Vgl. etwa palomino2 für «aquellas manchas del excremento que suelen quedar en las camisas» (Diccionario de Autoridades, vol. IV, 98b).

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figurative Bedeutung wird stark gemacht, indem gesagt wird, dass diese palominos zwar auch edler Herkunft («nacido en nobles pañales», V. 46)106 sind ähnlich wie die «königlichen» Enten («patos reales», V. 43); dabei verweist die Wendung nacer en pañales nobles, wenn man pañales wörtlich versteht, in unserem Kontext aber nicht auf die generische Abstammung und adelige Gattung der Taubenküken / Kotflecken, sondern auf ihr Entstehen in den Windeln107 respektive Hemdsschößen108 der Hofleute. Ähnlich verhält es sich bei der Nennung von Bienenstöcken («colmenas», V. 47) und Waben («panales», V. 47), die als im Fluss aufgestellt erscheinen: Der Bienenstock ist nämlich nicht ein solcher in wörtlicher Bedeutung, sondern er ist schwarzer Schusterteer,109 so wie die Wabe eigentlich keine solche ist, sondern neues, frisches Wachs («cera nueva», V.  50). Dabei mag der Schusterteer durch seine Farbe und Konsistenz auf den Kot verweisen, bei cera handelt es sich um eine im 17. Jahrhundert anscheinend etablierte Metapher für dieses Exkrement, die ebenfalls durch seine (gelb-braune) Farbe motiviert scheint.110 In der sechsten Strophe geht dann die Aufmerksamkeit von der Fauna auf die Flora über: Obwohl sich an den Gestaden des Esgueva keine Pflanzen befinden, trägt er trotzdem (Fall-) Obst, und zwar mit Kern («fruta que es toda de cuesco», V.  55). Dabei ist vor allem an die Mirabelle zu denken, die im Spanischen den Namen ciruela amarilla tragen kann.111 Sowohl die gelbe Farbe als auch die volksetymologische Ableitung von cera gemahnen an das Wachs,112 dessen skatologische Bedeutung oben bereits erwähnt wurde. Darüber hinaus ist die Pflaume als Dörrobst («ciruela pasa», V. 59) ein weitverbreitetes Laxativum.113

106 Dies legt die Wendung nacer en pañales nobles nahe: «Pañales. Figurativamente se toma por los primeros princípios de la crianza y nacimiento, especialmente en orden à la calidád» (Diccionario de autoridades, vol. V, 109b). 107 Vgl. pañal1: «La sabanilla ò pedazo de lienzo en que se envuelven los niños de teta» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 109b). 108 Vgl. pañal3: «Se llama assimismo la falda de la camisa por las caidas de ella» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 109b). 109 Bei «vidrïada» (V. 49) ist an die Substanz Vitriol zu denken. Vgl. hierzu Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana y española (1995, 970a), s. v. vitriolo: «Cierto género de goma de que se hace la tinta de zapateros, dicho por otro nombre caparrosa.» 110 Zu cera im skatologischen Verständnis siehe auch Carreiras Kommentar zu Góngoras Romanze «Cuando la rosada Aurora» (Góngora y Argote, Romances, 1998, vol. II, 122, Fn. 34). 111 Vgl. etwa Slaby/Grossmann/Illig (1998, vol. I, 289a). 112 «Díjose ciruela por la color amarilla de cera» (Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana y española, 1995, 317a; vgl. auch den Kommentar von Jammes in Góngora y Argote, Letrillas, 1980, 142, Fn. 59). 113 «[C]iruelas pasas, las cuales son muy sanas y ablandan el vientre» (Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana y española, 1995, 317a; vgl. auch Jammes’ Kommentar in Góngora

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Im Folgenden soll nun Quevedos Dezimendichtung Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dabei wird auch die Indienstnahme der direkten gongorinischen Vorlage hier sowie der weiteren burlesken Texte aus dem Jahr 1603, die den Valladolider Hof ridikülisieren, genauer untersucht.

3.3 Textanalyse 3.3.1 Popularität und Verbreitung Die hier besprochene Dezimendichtung Quevedos scheint sich ebenfalls – wie die Vorlage Góngoras – einer großen Beliebtheit erfreut zu haben, da in den verschiedenen Manuskripten eine Vielzahl von Varianten auszumachen sind, was auf eine ausgeprägte mündliche Tradition schließen lässt. Im Gegensatz zu Góngoras Werk ficht Antonio Carreira eine ausgeprägte orale Verbreitung von Quevedos Gedichten zu dessen Lebzeiten vehement an.114 Nimmt man Quevedos Autorschaft von «Ya que coplas componéis» als gegeben, spricht die hohe Variation in den verschiedenen auf uns gekommenen Manuskripten für eine ausgeprägte mündliche Tradition der quevedianischen satirisch-burlesken Versdichtung. Ob diese nun bereits zu Quevedos Lebzeiten einsetzte oder posthum zu veranschlagen ist, muss hier unbeantwortet bleiben. Allerdings sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass Quevedos Dezimendichtung «Ya que coplas componéis» in allen Handschriften auf Grund paläographischer Bestimmungen aus dem – wenn teilweise auch späten – 17. Jahrhundert datiert ist und sich neben den bei Blecua angegebenen Manuskripten115 zusätzlich mindestens noch in einem weiteren Manuskript, nämlich Manuskript  7 in der Biblioteca Aprosiana in Ventimiglia,116 befunden haben muss, das vorrangig gongorinische Texte versammelt.117 Die entsprechenden Folioseiten mit dem Dezimentext fehlen diesem letzten, mutilierten Manuskript aber. Daneben ist auffällig, dass in diesem letzterwähnten Manuskript sich der quevedianische Text «Ya que coplas componéis» direkt an die gongorinische Letrilla «¿Que lleva el señor Esgueva?» anschließt und es sich bei allen bei

y Argote, Letrillas, 1980, 142, Fn. 59). 114 Vgl. Carreira (2000). 115 Und den bei Jauralde Pou befindlichen Ergänzungen, s. o. 116 Geschrieben in einer Kursive ebenfalls des 17. Jahrhunderts. 117 Vgl. hierzu die Referenz auf den ersten Vers mit Angabe der Folioseite im Manuskript-Index abgedruckt bei Damonte (1986, vol. I, 441).

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Blecua berücksichtigten Manuskripten bis auf das Manuskript 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo um Anthologien vorrangig satirischer Dichtung verschiedener Autoren – darunter auch in einigen namentlich von Góngora – handelt.118 Aus diesen Daten ließe sich schließen, dass, wenn auch ein Zirkulieren des betreffenden Texts zu Quevedos Lebzeiten nicht beweisbar ist, zumindest für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts eine breite Divulgierung angenommen werden muss, und zwar größtenteils im Kontext von Góngoras Versen und sogar im Zusammenhang mit dem hier als Vorlage dienenden Text. So ist die Rezeption einer Kontroverse zwischen Quevedo und Góngora zumindest kein Konstrukt der Moderne, sondern schon in Anthologien des 17. Jahrhunderts belegt, auch wenn Quevedos erster Biograph Pablo Antonio de Tarsia 1663 noch nicht einmal den Namen Góngora erwähnt, geschweige denn von einer Kontroverse handelt.119 Zu verweisen ist aber auch auf die allgemeine Charakterisierung Quevedos als eines gnadenlosen Dichtungskritikers bei Cervantes, ohne dass sich dabei allerdings ein direkter Verweis auf die Person Góngoras findet: «Ese es hijo de Apolo, ese es hijo de Calíope Musa; no podemos irnos sin él, y en esto estaré fijo; es el flagelo de poetas memos y echará a puntillazos del Parnaso los malos que esperamos y tememos.»120

Soviel sei hier erst einmal bezüglich Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras neuen Dichtungsstil und der Frage der Verbreitung der Quevedo zugeschriebenen Dichtung festgestellt, und es handelt sich um keine Geringfügigkeit: Antonio Carreira mag auf den ersten Blick als nur ein Gongorist unter vielen gelten, der die Verbreitung von Quevedos Beitrag negiert. Darüber könnte man vielleicht hinwegsehen, wenn sich nicht eine ganze Linie daraus ergäbe, angefangen mit Robert Jammes, der Quevedos Werke zwar noch in seinen Katalog der Kontroverse aufnimmt, die Zuschreibung der Versdichtung aber systematisch in Frage stellt, bis hin zu Joaquín Roses Lozano, der in seiner Analyse der Polemik Quevedo vollkommen ausspart.121

118 Aus Blecuas Edition lässt sich leider nicht ablesen, welche nicht-quevedianischen Texte in diesen Anthologien noch anzutreffen sind. 119 Vgl. Tarsia, Vida de don Francisco de Quevedo y Villegas (1988). 120 Miguel de Cervantes y Saavedra, «Viaje del Parnaso», in: Cervantes y Saavedra, Poesías completas (1973, vol. I, 78). 121 Roses Lozano (1994).

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3.3.2 Quevedos Text Um wieder konkret auf den uns hier interessierenden Text zurück zu kommen: Im Folgenden seien hier die Dezimen Quevedos in der Fassung des Manuskripts A abgedruckt, wie dies auch Blecua tut, da diese die vollständigste ist. Dabei werden Varianten anderer Manuskripte in signifikanten Passagen unter Angabe von Blecuas Manuskript-Siglen (die weiter oben genannt wurden) zu Rate gezogen. 1

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«Contra don Luis de Góngora Ya que coplas componéis,122 ved que dicen los poetas que, siendo para secretas, muy públicas las hacéis. Cólica dicen tenéis,123 pues por la boca purgáis; satírico diz que estáis;124 a todos nos dais matraca: descubierto habéis la caca con las cacas que cantáis.125 De vos dicen por ahí Apolo y todo su bando126 que sois poeta nefando pues cantáis culos así. Por lo cual me han dicho a mí que desde hoy en adelante diga que obras vuestras cante,127 por el mandado de Apolo,128 con el son de un rabel sólo,129 un rabadán ignorante.130

122 Vos que coplas componéis in D, D1 und E. Diese Variante sucht die direkte und unvermittelte Anrede an den Adressaten der Invektive und ist als Reflex auf das Versprechen im zweiten Vers des Refrains von Góngoras Vorlage, «Yo os diré que lleva», zu werten. 123 diz que tenéis in B, D, D1 und E. 124 y que satírico estáis in D, D1 und E. 125 en las coplas que cantáis in B und C. 126 los de su bando in D, D1 und E. 127 vuestras obras yo no cante in D, D1, E und E1. 128 aunque me lo mande Apolo in D, D1, E und E1. 129 que es voz de un rabel tan sólo in D, D1, E und E1. 130 de un rabadán ignorante in D, D1, E und E1.

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No hay música donde estén vuestros inmundos trabajos: que si suenan bien los bajos, los tiples no suenan bien. Y cuando tonos les den de los que el vulgo levanta, ¿cuál hombre o mujer que canta, si tiene cabeza cuerda, a pies de coplas de mierda, hará pasos de garganta? Con Esgueva es vuestro enojo;131 nombre de sucio le dan,132 siendo, de puro galán, todos sus males de ojo.133 Con mucha razón me arrojo:134 que sólo los bien nacidos celebramos atrevidos; que en otra conversación, por ser sucios, como son, no pueden ser admitidos. Vuestros conceptos alabo, pues, de pura buena pesca, los hacéis a la gatesca, pues los hacéis por el rabo. Tenéis un ingenio bravo, hacéis cosas peregrinas, vuestras coplas son divinas; sino que dice un dotor que vuestras letras, señor, se han convertido en letrinas. Que alabe será muy justo vuestras coplas mi voz sola, pues por ser todas de cola, se pegan a cualquier gusto. Desde el scita al negro adusto y desde el Tajo dorado al Nilo tan celebrado,

131 O por gracia o por antojo in D, D1, E und E1. 132 el nombre de sucio os dan in D, D1, E und E1. 133 vuestros achaques de ojo in D, D1, E und E1. 134 Hacéis versos por antojo in D1, E und E1.

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no hay ingenio tan machucho ni crecido; mas ¿qué mucho, si crece de estercolado? Son tan sucias de mirar las coplas que dais por ricas, que las dan en las boticas para hacer vomitar. Un nombre os ando a buscar que os venga derechamente, y hallo que os llama un valiente, que de Córdoba os conoce, poeta de entre once y doce, que es cuando vacía la gente. ¿Adónde hallaréis excusa para lo que vemos todos, pues fue en verano y sin lodos135 tan rabiosa vuestra musa? Si acaso Circe o Medusa, o juntas ambas a dos, os han mudado, por Dios, que olvidéis tal prelacía antes que la pulicía venga a conocer de vos. Yo, por mí, no pongo duda en que las coplas pasadas, según están de cagadas, las hicisteis con ayuda. Más valdrá que tengáis muda la lengua en suciedades; dejad las ventosidades: mirad que sois en tal caso albañal por do el Parnaso purga sus bascosidades.»

Auf den ersten Blick spricht nichts dagegen, sich Robert Jammes’ Bewertung des hier abgedruckten Texts anzuschließen; die neun Dezimen scheinen eine recht kunstlose Aneinanderreihung von Attacken meist skatologischen Inhalts zu sein. Schaut man etwas genauer hin, so wird trotz der oberflächlichen Ungeschliffenheit des Stils und der klanglichen Holprigkeit einer Vielzahl der Verse

135 en invierno y con lodos in B und C.

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deutlich, in welchem Maße Quevedo sich Góngoras Letrilla zu eigen gemacht und die Stoßrichtung umgekehrt hat. Dabei kommt es auch zu einem in Ansätzen bereits ausgefeilten Spiel mit Ambiguitäten. Wie diese zu charakterisieren sind, muss im Folgenden herausgearbeitet werden.

3.3.3 Situierung des Themas Das Thema der hier betrachteten Dezimendichtung kündigt sich sogleich im ersten Satz an, der die ersten vier Verse in Strophe eins umspannt. Dieser beinhaltet folgende Attacke: Da Góngora sich schon erdreistet Lieder zu verfassen («Ya que coplas componéis», V.1), solle er sich auch anhören, was die Experten auf diesem Gebiet, eben die professionellen Dichter, dazu zu sagen hätten («ved que dicen los poetas», V. 2; Hervorhebung v. Vf.):136 Obgleich seine Liedchen doch für den Abort bestimmt seien («para secretas», V. 3),137 habe er sie ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt («muy públicas las hacéis», V. 4).138 Dabei bedient sich Quevedo direkt im dritten Vers einer expliziten Obszönität bei der Nennung des Aborts in «secretas», die gerade im Kontext von «publicas» darauf schließen lassen könnte, dass ein heimlicher, privater Gebrauch der Letrilla Góngoras mit gemeint sein müsste. Dies mag auch das Adjektiv secreto139 nahe legen, das aus der Wendung «para secretas» (V.  3) abzuleiten wäre. Aber die Nennung von «para secretas», wobei die Form des Femininum Plural, das seine Flexionsendung nicht wie «públicas» auf Grund von Kongruenz zu «las [sc. coplas]» erhält, muss zuerst in der Bedeutung ‘stilles Örtchen’ gelesen werden. Denn – wie auch der Diccionario de Autoridades anführt – wurde secreta in diesem Sinne fast ausschließlich in der Mehrzahl verwandt.140

136 Die Verwendung des bestimmten Artikels exkludiert Góngora aus der Gruppe der Dichter. 137 secretas: «Se toma también por lo mismo que necessaria, ò Letrina» (Diccionario de Autoridades, vol. VI, 61a). 138 público: in der Bedeutung von público1 «Notório, patente, y que lo saben todos» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 421a). 139 secreto: «Oculto, ignorado, escondido, y separado de la vista, ù del conocimiento de los mas» (Diccionario de Autoridades, vol. VI, 62a–b). 140 «[ú]sase [sc. secreta] casi siempre en plural» (Diccionario de Autoridades, vol. VI, 61a).

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 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren

3.3.4 Skatologisches Wortfeld Die explizite Nennung des Aborts eröffnet dann auch gleichsam das gesamte lexikalische Repertoire der Skatologie, das alle neun Dezimen durchzieht: «Cólica» (V. 5) für ‘vorrübergehende Kolik’,141 «purgáis» und «purga» (V. 6 und 90) für ‘Verdauungssäfte evakuieren’, ‘abführen’,142 «caca» und «cacas» (V.  9–10) für ‘Kot’, «culos» (V. 14) vulgär für ‘Gesäße’, «rabel» (V. 19) als kindersprachliche Bezeichnung des Gesäßes,143 inmundo als ‘schmutzig’, ‘ekelerregend’ in der Wendung «inmundos trabajos» (V. 22),144 bajos in «trabajos» (V. 22) und dann explizit «bajos» (V. 23) für tiefe Töne im Sinne von Flatulenzen und das lautverwandte tronar für ‘donnern’ in «tonos» (V. 25) ebenfalls als Metapher für das Flatulieren, «mierda» (V. 29) vulgär für ‘Kot’, das in «pasos» (V. 30) mitschwingende pasas für laxatives Dörrobst, der Wortbestandteil ojo in «enojo» und «arrojo» (V. 31 und 35), dann die explizite Nennung «ojo» (V. 34) in der umgangssprachlichen Bedeutung ‘After’,145 «sucios» und «sucias» (V. 39 und 61) für ‘schmutzig’, «letrinas» (V. 50) für ‘Latrinen’, «cola» (V. 53) für ‘Schwanz’,146 wiederholt cola in «estercolado» (V. 60) und dann dieses Partizip wörtlich für ‘mit Exkrementen gedüngt’, «vomitar» (V.  64) für ‘sich erbrechen’, «vacía» (V.  70) für ‘(Verdauungs-) Säfte evakuieren’,147 ano als Latinismus für ‘After’ in «verano» (V. 73) sowie apokopiert in «galán» (V. 33), «lodos» (V. 73) in der Bedeutung ‘Schmutz’, ‘Kot’,148 eventuell «pasadas» (V. 82) von pasar in der medizinischen Bedeutung ‘verdauen’ oder von pasarse für ‘dörren’,149

141 cólica: «Cólico pasajero determinado por indigestión y caracterizado por vómitos y evacuaciones de vientre, que resuelven espontáneamente la enfermedad» (DETEMA, vol. I, 336a). 142 purgar: hier wohl vorrangig in der Bedeutung purgar3 «Evacuar un humor, o residuos digestivos» (DETEMA, vol. II, 1304b). 143 rabel: in der Bedeutung von rabel2 «festiva y familiarmente se suele llamar al traséro, con especialidad hablando con los muchachos» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 478a). 144 inmundo: hier als inmundo1 «Puerco, asqueroso y sucio» (Diccionario de Autoridades, vol. IV, 218b). 145 ojo: hier als ojo16 «Llaman en el estilo familiar al orificio de la parte posteriór» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 27b). 146 Hier in die Liste aufgenommen wegen seiner anatomischen Nachbarschaft zum After, vgl. auch die Beschreibung des Schwanz’ als Augenbraue des Afters in Quevedos skatologischem Traktat Excelencias y desgracias del salvo honor (in: Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa, 1993, 358): «y con una [ceja] que puede ser cola de matalote o barba de un letrado.» 147 vaciar: vgl. in dieser Bedeutung vaciar2: «Evacuar(se), desocupar(se) o liberar(se) el cuerpo de una materia, humor» (DETEMA, vol. II, 1616a). 148 Vgl. hierzu Slaby/Grossmann/Illig (1998, vol. I, 763b). 149 pasar: pasar4 «Tragar, o digerir» (DETEMA, vol. II, 1181c); pasarse: «Por enjugarse, como pasar higos o uvas, que después de pasarse se llaman pasas» (Covarrubias Orozco, Tesoro de

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«cagadas» (V. 83) vulgär für ‘evakuierten Kot’, «ayuda» (V. 84) hier für ‘Klistier’,150 «suciedades» (V.  84) für ‘Schmutz’, «ventosidades» (V.  87) für ‘Blähungen’, «albañal» (V. 89) für ‘Kloake’, ‘Abflussrohr’151 und zu guter Letzt «bascosidades» (V. 90) ebenfalls für ‘Schmutz’.152

3.3.5 Verstoß gegen die Priesterwürde und akademische Grade Die Wendung «para secretas» und die damit evozierte Heimlichkeit ließe sich aber neben der Skatologie noch auf mindestens zwei weiteren Isotopieebenen ansiedeln, die beide mit der konkreten Biographie des polemisierten Dichters Góngora als Stiftsherrn des Domkapitels der Kathedrale von Córdoba in Verbindung stehen; auf den geistlichen Stand Góngoras spielt dann auch der Aufruf «que olvidéis tal prelacía» (‘vergesst eine solch geartete Prälatenwürde’) in Vers 78 an.153

la lengua castellana o española, 1995, 806b); damit stünde die betreffende Stelle im Bezug mit laxativem Dörrobst. 150 ayuda: für diese übertragene Bedeutung vgl. den Eintrag ayuda3 in DETEMA (vol. I, 180c). 151 Vgl. Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española (1995, 41b–42a), s.  v. albañar. 152 bascosidad: «Immundícia y suciedád» (Diccionario de Autoridades, vol. I, 568b). 153 Góngora wurde bereits mit vierzehn Jahren Kleriker. Von seinem Onkel übernahm er die Kirchenpfründe in Córdoba, empfing nach der Überprüfung seiner Rechtgläubigkeit (pruebas de limpieza) die höheren Weihen und erhielt Ämter im Domkapitel (Alonso 1967, vol. I, 40 und 42). Diese Biographie scheint die vierte Dezime der ebenfalls antigongorinischen Dichtung «En lo sucio que has cantado» (Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 1088s., Nr. 827) zu reflektieren, welche ebenfalls auf das Jahr 1603 datiert (vgl. hierzu Blecua in Quevedo y Villegas, Obra poética, 1969, vol. III, 231; für den Text vgl. ibid., vol. III, 232s.): «Dirás: ‹Yo soy Racionero en Córdoba de su iglesia›; pues no es maravilla efesia comprallo por el dinero. Longinos fue caballero, y Longinos fue judío; de tu probanza me río; al deán engañado has; mas podrá volverse atrás, que no es el cabildo río.» (Parallel dazu auch die Verse 37–40 der Nr. 828 in Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 1091: «Racionero dicen que eres, / mas yo irracional te hallo, / aunque en la cola y lo sucio / canónigo eres del Rastro.»)

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Zum einen verweist die Oppositon secreta—pública im liturgischen Kontext des römisch-katholischen Ritus auf die Unterscheidung von laut und leise gesprochenen Gebeten im Messkanon,154 so dass das Vorgehen Góngoras als ein Verstoß gegen die geistlichen Würden aufzufassen ist; zum anderen bezeichnen secreta und pública zwei unterschiedliche akademische Prüfungstypen, die erste als nicht öffentliche Disputation zwischen dem Kandidaten und den Doctores zur Erlangung einer Lizentiatur in Kanonischem Recht,155 die zweite als Prüfung in Öffentlichem Recht, die dem Grad eines Lizentiaten vorausgeht,156 so dass Góngora sich auch hier einen Formfehler erlaubt,157 indem er sich etwas anmaßt, für das er keine Lizenz genießt.158

3.3.6 «Poeta público y cantonero» Darüber hinaus ist bei der Nennung von «muy públicas las hacéis» (V. 4) auch an die satirische Beschreibung der Dichter in der Premática del Desengaño contra los poetas güeros zu denken, ebenfalls in einem Werk also des jungen Quevedo;159 dort liest man:

Die Bezweiflung von Góngoras Altchristentum in Vers 37 («de tu probanza me río») findet sich bei Quevedo ebenfalls im gesamten Sonett Nr. 829 (vgl. Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 1094). 154 secreta: für diese liturgische Bedeutung siehe secretas3: «En la Missa se llaman aquellas oraciónes, que se dicen en ella antes del Prefacio, porque se dicen en tono baxo», (Diccionario de Autoridades, vol. VI, 61a). 155 secreta: für diese akademische Bedeutung siehe secreta1 «Llaman en algunas Universidades al acto literario, que hace el que quiere graduarse de Licenciado de Cánones, en el qual se examina su suficiencia y habilidad, para aprobarle, ù reprobarle en la lección de puntos precisos, que hace, y los argumentos, que le proponen los graduados nombrados à la conclusion, que deduce. Llámase assi, porque se hace solo entre los Doctores de la facultad» (Diccionario de Autoridades, vol. VI, 61a). 156 pública: für diese akademische Bedeutung siehe pública5 «Usado como substantivo, se llama en las Universidades aquella funcion lucida, en que se defiende alguna qüestión del derecho público, y antecede à los demás exercicios para el grado de Licenciado» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 421a). 157 Quevedo wirft dieses Thema der akademischen Grade noch in einer weiteren Invektive gegen Góngora auf: In Vers 7 von Nr. 839 (Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 1101) heißt es «doctor de mierda, gradüado en pujos». 158 In der Tat ist nicht bekannt, dass Góngora mit seinen Studien in Salamanca irgendeinen akademischen Grad erlangt hätte (Alonso 1967, vol. I, 40). 159 Für diese Einschätzung siehe García-Valdés (in Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa, 1993, 41), die die Datierung durch Jauralde Pou auf das Jahr 1605 nicht für abwegig hält.

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«mandamos que la Semana Santa recojan a los poetas públicos y cantoneros, como a malas mujeres, y que los prediquen para convertirlos.»160

Während der Karwoche sollen also die öffentlichen Straßeneckenpoeten («los poetas públicos y cantoneros») wie unsittliche Frauen aufgesammelt und durch Predigten zur Umkehr bewegt werden. Wie García-Valdés anmerkt, ist diese Bezeichnung der Dichter eine Umbildung Quevedos der lexikalisierten Wendung mujeres públicas y cantoneras,161 also etwa ‘öffentliche Frauen, die sich an Straßenecken aufhalten’, die dadurch ihren Namen erhalten haben, dass sie immer von Straßenecke zu Straßenecke schlendern, um gesehen zu werden und leichter mit den Passanten und potentiellen Freiern zusammenstoßen zu können.162 So könnte hier auch gemeint sein, dass Góngora sich mit seiner Letrilla bei der breiten Bevölkerung anbiedert, prostituiert und gleichsam mit der Popularität seiner Verse und durch seine mündliche Verbreitung zu einem Straßenstrichpoeten Valladolids wird.

3.3.7 Missbrauch der Priesterwürde: weitere Stellen Der Vorwurf des Missbrauchs der geistlichen Würden findet sich am ausgeprägtesten ebenfalls in dem Sonett Nr. 833 von Quevedos Poesía original completa, für das bei Carilla die hypothetische Datierung auf das Jahr 1625 vorgenommen wird:163 «Tantos años y tantos todo el día; menos hombre, más Dios, Góngora hermano. No altar, garito sí; poco cristiano, mucho tahúr; no clérigo, sí harpía. Alzar, no a Dios, ¡extraña clerecía!, misal apenas, naipe cotidiano;

160 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 185). 161 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 185, Fn. 6). 162 Diccionario de Autoridades (vol. II, 127a), s. v. cantonera2: «Se llama también mugér perdida y pública, que anda de esquina en esquina, provocando à pecar. Dixose assi, porque andan siempre de cantón en cantón para estar à vista y servir mas facilmente de tropiezo à los que passan. Lat. Meretrix.» 163 Carilla (1949, 57, Fn. 17). – Als verbale Obszönität lässt sich hier allerhöchstens der Reim auf -ano in «hermano» (V. 2), «cristiano» (V. 3), «cotidiano» (V. 6) und «vano» (V. 7) ausmachen, weshalb auf eine ausführliche Besprechung dieses Sonetts in der vorliegenden Studie verzichtet wird.

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sacar lengua y barato, viejo y vano, son sus misas, no templo y sacristía. Los que güelen tu musa y tus emplastos cuando en canas y arrugas te amortajas, tal epitafio dan a tu locura: ‹Yace aquí el capellán del rey de bastos, que en Córdoba nació, murió en Barajas y en las Pintas le dieron sepultura.›»164

Vermittels eines Spiels mit Ambiguitäten aus unmarkierter Standardsprache und der Sondersprache des Kartenspiels (beispielsweise «tantos» für ‘Stiche’ gleich im ersten Vers) wird hier die Priesterwürde Góngoras in Zweifel gezogen und die Spielsucht desselben angeprangert, was in der Aussage kulminiert, dass dieser zwar capellán del rey (‘Hofkaplan’) sei, aber nicht seiner katholischen Majestät165 sondern des Eichel-Königs des Tarot-Blattes (rey de bastos).166 Auf diesen Punkt der Unangemessenheit in Grad und Würde wird später noch zurückzukommen sein.

164 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1096s.). Für eine Kurzkommentierung vgl. Arellano (2003, 596s.). Vgl. auch Etienvre (1985, bes. 64–66). 165 Die Ernennung zum capellán del rey erfuhr Góngora im Oktober des Jahres 1617 (vgl. Alonso 1967, vol. I, 51). 166 Neben dem hier angeführten Sonett und zusätzlichen Anspielungen auf die Priesterwürde Góngoras in «Verendo padre, a lástima movido» (Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 1098, Nr. 835) findet sich im quevedianischen Corpus noch ein weiterer Text, in dem gegen einen Kleriker polemisiert wird. Dabei handelt es sich um das Sonett «De Quevedo a un clérigo», das Blecua unter der Nr. 617 führt (laut Blecua ist der Text lediglich in dem in der Madrider Nationalbibliothek befindlichen Manuskript 3794 überliefert: «El ms., bastante autorizado, lo atribuye tajantemente a don Francisco, y pienso que la atribución puede ser acertada», Quevedo y Villegas, Obra poética, 1969, vol. II, 68) und hier kurz besprochen sei, da sich einige Überlappungen zu dem im Folgenden Skizzierten und zu weiteren Invektiven Quevedos gegen Góngora ergeben; die Kurzkommentierung bei Arellano 2003, 581) fällt äußerst spärlich aus: «Adoro, aunque te pese, galileo, el pan que muerden tus rabiosos dientes; adoro al que, en mortaja de accidentes, vivo en la muerte que le diste veo. Adoro a Cristo y sus preceptos creo, aunque de enojo y cólera revientes; espérenle, si quieren, tus parientes, que yo en el sacramento le poseo.

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3.3.8 Der Diskurs der Medizin Danach wird in den folgenden vier Versen der ersten Dezime der Attackierte in grotesker Form167 beschrieben, und es ergibt sich das Bild einer Figur, die an einer vorübergehenden Kolik («Cólica», V. 5) leidet und sich deshalb erbrechen muss respektive aus dem Mund ihre Exkremente abführt («por la boca purgáis», V. 6; dazu weiter unten mehr), sowie eines satyrhaften Narren mit Schnarre («satírico»,168

Mas ya que en muerte inominiosa y fiera, tus padres le abrieron el camino, no le persigas en el pan siquiera; pues en tu boca, a lo que yo imagino, no le tomaras nunca si él hubiera, no quedádose en pan, sino en tocino.» Das Sprecher-Ich geriert sich in diesen Zeilen als Katholik, der an die Realpräsenz Christi im Sakrament der Eucharistie glaubt («al que, en mortaja de accidentes, / vivo [...] veo», V. 3–4). Im Gegensatz dazu wird dem satirisierten Priester die Verhaftung im alttestamentarischen Glauben unterstellt. Das Kryptojudentum des Klerikers wird dann auch gleich im ersten Vers durch die Bezeichnung «galileo» für Galiläer expliziert. In Vers 4 wird durch die Volkszugehörigkeit der Vorwurf als Christusmörder aufgebaut («en la muerte que le diste»), was im ersten Terzett weiter ausgeführt wird. Das abschließende Resümee lautet dann im zweiten Terzett, dass der Priester Christus nicht mit seinen Zähnen zermalmen würde, wenn dieser sich in Schweinefleisch («tocino», V. 14) transsubstantiiert hätte. In Zusammenhang der Polemiken gegen Góngora interessiert hier, dass Quevedo in seinem Sonett «Yo te untaré mis versos con tocino» (Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 1094, Nr. 829) versuchen will seine eigenen Verse vor der Verunglimpfung von seiten Góngoras in dem Maße zu begegnen, diese mit Schweinefleisch zu bestreichen. In unserem konkreten Kontext ist von Belang, dass Quevedo in seiner Kleriker-Invektive ebenfalls das Fahrenlassen von Winden in Form von Flatulenzen oder Erbrechen («revientes», V. 6; Covarrubias gibt folgende Etymologie zu Spanisch reventar: «Es abrirse calquier cosa que tiene dentro alguna materia que reempuja y hace fuerza por salir. Díjose de RE y VIENTO, porque particularmente es calidad del aire encerrado [...]», Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española, 1995, 864b) in den Zusammenhang einer vorübergehenden Kolik («cólera», V. 6) und der Todsünde des Jähzorns («rabiosos dientes», V. 2; «enojo», V. 6) stellt. 167 Hier und im Folgenden soll eine nähere Charakterisierung des Grotesken ausgespart bleiben; vgl. hierzu die Anmerkungen in Kapitel 1 der vorliegenden Studie. 168 Dieses Wort befindet sich in der Liste der auszumusternden Ausdrücke (Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa, 1993, 153) in Quevedos Premática que este año de 1600 se ordenó («por ciertas personas del bien común y de que pase adelante la República sin tropezar ni usar de bordoncillos inútiles –pues se puede andar sin ellos y por camino llano en las conversaciones y en el escribir de cartas– con que algunos tienen la buena prosa cor[r]ompida y enfadado el mundo», Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa, 1993, 147).

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V.  7; «matraca»,169 V.  8). Diese Bilder, die sich vordergründig in das Repertoire des Karnevalsdiskurses à la Bachtin einschreiben lassen, eröffnen ebenfalls die Isotopie-Ebene der Medizin, die in der Mehrdeutigkeit des Ausdrucks componer im ersten Vers («Ya que coplas componéis») für in etwa das Verschreiben von Abführmitteln170 bereits anklingen mag. Da Góngora aus dem Mund abführe (gemeint ist natürlich die Letrilla Góngoras), so deduziert das sich hier als Arzt gerierende Ich, leide er an «Cólica», einer vorübergehenden Kolik, die auf Verstopfung beruht und sich durch Erbrechen auszeichnet,171 was beispielsweise durch Zorn («yra») ausgelöst werden kann.172 Auf Grund der parallelistischen Anordnung («Cólica dicen tenéis», V. 5; «satírico diz que estáis», V. 7) erwartet man für die Verse 7 und 8 nun ebenfalls eine Krankheitsbezeichnung bzw. die Nennung eines Krankheitszustandes. Dies wird darüber hinaus auch durch die Wahl der Kopula estar (Zustand) anstelle von ser (generischer Eigenschaft) noch verstärkt. Vielleicht evoziert hier das Adjektiv satírico die lautverwandte Krankheitsbezeichnung satiriasis für einen übermäßigen sexuellen Appetit,173 also ein nicht belegtes Adjektiv *satiriático oder Ähnliches.174 So wird hier das Satirische zum Satyrhaften hin verschoben und verweist

169 matraca1: «Cierto instrumento de madera con unas aldabas ò mazos, con que se forma un ruido grande y desapacible. Usan de ella los Religiosos para hacer señal à los Maitínes: y assimismo sirve en lugar de campana en los tres dias de la Semana Santa»; matraca2: «Significa tambien burla y chasco, que se dá à uno, zahiriendole y reprehendiendole alguna cosa que ha hecho»; matraca3: «Se llaman tambien el hombre porfiado con pesadéz y necedád» (für alle vorangegangene Zitate siehe Diccionario de Autoridades, vol. IV, 514b). 170 Componer kann nämlich auf die Tätigkeit der Herstellung von aus einfachen Drogen zusammengesetzten Heilmitteln verweisen (vgl. die Einträge in DETEMA, vol. I, 350b), die unter anderem auch zur kurativen Hervorrufung von Erbrechen eingesetzt wurden. 171 Vgl. die Definition in DETEMA (vol. I, 336a). 172 Für diese Deutung spricht auch die Nennung des Zorns in Vers 31 in Form von «enojo» und vor allem im Rahmen dieser ersten Dezime mit dem Wort sátira – und abgeleitet davon «satírico» in V. 7 –, aus dem sich als Segment das spanische Wort für Zorn, ira, isolieren lässt. 173 «exaltación exagerada del impulso sexual en el hombre» (DETEMA, vol. II, 1438b). Vgl. auch das zweite Kapitel des siebenten Buches von Lilium medicinae des okzitanischen Arztes Bernard de Gordon, das ebenfalls in einer spanischen Übersetzung aus dem 15.  Jahrhundert vorliegt: «Satiriasis es continuo arrechamiento dela verga con desseo e apetito para el coytu» (Bernardo de Gordonio, Lilio de medicina, 1993, vol. II, 1422, Z. 303s.). Vgl. auch den Eintrag satirión in Covarrubias Tesoro für «Yerba, SATYRION, dicha así por mover la lujuria» und den Eintrag sátiros «Un género de monstruos, o verdaderos o fingidos [...]. Díjose sátiro del verbo σατυρίζω, arrigo con que se significa su mucha lujuria» (für beide Zitate Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española, 1995, 886b). 174 Für Quevedos Vorwurf, dass Góngora den Leidenschaften verfallen sei, siehe auch den Vers 5 von Nr. 827 («Eres hombre apasionado», Quevedo y Villegas, Obra poética, 1969, vol. III, 232).

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auf eine permanente Erektion respektive einen ausgeprägten sexuellen Appetit, der ebenfalls in der Nennung der Geschlechtsteile in Ableitungen von ano für den After, von rabo für ebenfalls den After oder auch den Penis und von cola für das männliche Glied evoziert wird.175

3.3.9 Góngora und die Valladolider Hofmänner Daneben wird in der ersten Dezime die Opposition vos—nos aufgemacht,176 auf der einen Seite Góngora, der in seiner Letrilla eine Sache bezüglich des Valladolider Hofes aufgedeckt habe, die besser verschwiegen bleiben sollte («a todos nos dais matraca»,177 V. 8; «descubierto habéis la caca»,178 V. 9), auf der anderen Seite das Lager der Höflinge, zu denen sich ebenfalls das Sprecher-Ich dieser Dezimen rechnet, das den vorwitzig-kindischen Góngora in seine Schranken weisen müsse, d.  h. ihm auf die Finger zu schlagen, damit der von seinen Frotzeleien gegen sie ablasse (caca, caca in «caca» – «cacas», V. 9–10).179

175 Vgl. hierzu die Ausführungen zu den betreffenden Dezimen. 176 In der Variante der Manuskripte D, D1 und E geschieht dies bereits im ersten Vers: «Vos que coplas componéis». 177 dar matraca: «Burlarse con pesadéz de algúno, ò insistir con impertinéncia en alguna cosa que enfada» (Diccionario de Autoridades, vol. III, 18a). 178 decubrir la caca: «Phrase que significa descubrir alguna cosa ò falta, que no conviene se sepa [...]. Quev. Mus. 6. Romances 89. De esta vez amigos Condes, / descubierto haveis la caca» (Diccionario de Autoridades, vol. II, 35a). 179 Neben caca1 und caca2 («Propriamente el excremento que se vacia del vientre»; «Equivale tambien à cosa súcia, asquerosa y nociva: y en este sentído la usan las madres y amas que crian à los niños, para que no coman alguna cosa que les pueda hacer mal y daño: y para darselo à entender les dicen Caca, haciendo al mismo tiempo un gesto como de enfado [...] Quev. Entrem. del niño y Peralvillo. Mil sales tienes, eres lindo, daca, / daca tras lindo, caca, caca, caca») kann caca auch die Bedeutung tragen: «Voz con que el niño explica querer aliviar el vientre: y esto se llama decir ò pedir la caca, que es à lo que desde luego se les instruye» (alle Zitate Diccionario de Autoridades, vol. II, 35a). Die Varianten in B und C geben die Lesart «en las coplas que cantáis», die weniger schwerfällig-roh wirkt, aber vielleicht soll ja gerade durch den repetitiven Effekt Ähnliches erreicht werden wie bei einem Kind, dem die Mutter mit diesen Worten auf die Finger schlägt.

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3.3.10 Die Gesetze Apolls In der zweiten Dezime wird dann der Gott der Dichtkunst Apoll und sein Gesetz (bando1 in «bando», V.  12; «mandado», V.  18)180 respektive seine Anhänger (bando2)181 als autoritative Instanz ins Spiel gebracht, gemessen an deren Idealen Góngora ein unwürdiger, schändlicher Dichter («poeta nefando», V.  13) sei.182 Hier tritt neben den Vorwurf der Skatologie und Vulgarität seiner Letrilla auch der des Gekünstelten («cul[t]os», V. 14), des Effeminierten, der durch die implizite Anspielung auf das peccatum nefandum,183 die Sodomie, in der Bezeichnung «poeta nefando» bereits angedeutet und durch die Nennung des bei sodomitischen Sexualpraktiken184 im Zentrum stehenden Körperteils («culos» vulgär für ‘Gesäß’, V. 14; «rabel» kindersprachlich für ‘Gesäß’, V. 19; rabo185 in «rabadán», V. 20)186 fortgesetzt wird. All dies wird zum Ausdruck gebracht auf der Folie einer

180 bando1: «Edicto, ley ò mandato solemnemente publicado de orden superior: y al solemnidad y acto de publicarle se llama tambien assi» (Diccionario de Autoridades, vol. I, 545b). 181 bando2: «Significa tambien parcialidád, partído, y lo mismo que Banda en este sentído» (Diccionario de Autoridades, vol. I, 545b). Das gaunersprachliche bando bedeutet «Partida; grupo de jugadores» (Alonso Hernández 1976, 94a); die Variante in D, D1 und E «los de su bando» evoziert das gaunersprachliche los de la banda für «La gente del hampa» (Hernández Alonso/ Sanz Alonso 2002, 74b). 182 nefando: «Indigno, torpe, de que no se puede hablar sin empacho» (Diccionario de Autoridades, vol. IV, 658b). 183 pecado nefando: «Se llama el [pecado] de Sodóma, por su torpeza y obscenidad» (Diccionario de Autoridades, vol. IV, 658b). 184 Auf diese Sünde verweist auch die Nennung von «inmundos trabajos», hier vielleicht in der Bedeutung ‘unsittliche Bemühungen’, in Vers 22. Hierfür vgl. inmundo2: «Figuradamente, y en el sentido moral se dice de las acciones feas y obscénas», inmundo3: «Epitheto que se dá al Demonio, porque solicita y persuade á los pecádos de la impureza» (alle Zitate Diccionario de Autoridades, vol. IV, 218b). 185 rabo: Dieser Ausdruck kann in der Gaunersprache den Anus, aber auch das männliche oder weibliche Pudendum bezeichnen (vgl. hierzu Alonso Hernández 1976, 652a–b); gemäß Chamorro (2002, 691b) dient es nur als Bezeichnung der männlichen und weiblichen Scham, Hernández Alonso/Sanz Alonso (2002, 607a) geben nur die Bedeutung ‘weibliches Geschlecht’ an). Diese Bedeutungsvariation mag auf die diastratisch unmarkierte Verwendung von rabo für «La cola del animal, como la de la zorra» (Covarrubias Orozco 1995, 847b) zurückgehen, so dass alles dem Steißbein Benachbarte beim Menschen diese gaunersprachliche Bezeichnung erhalten kann. In einem der Sonette Góngoras gegen Valladolid und dessen Fluss findet man ebenfalls eine Nennung von rabo: «¿pasáis por tal que sirvan los balcones, / los días a los ojos de la cara, / las noches a los ojos de los rabos?» (Góngora y Argote, Sonetos completos, 1982, 175, V. 12–14). 186 rabadán: Neben der wörtlichen Bedeutung ‘Oberhirte’ (dazu weiter unten) spielt Quevedo noch mit den Segmenten des Wortes rab(o) und dan, so dass an seine übertragene burleske Be-

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satyrhaft, idyllischen Schäferszene mit dem entsprechenden Musikinstrument («rabel»,187 «rabadán»188). Das evozierte Schäferidyll189 sowie die Vorwürfe der Vulgarität auf der einen und der Effeminiertheit auf der anderen Seite setzen sich in der dritten Dezime fort: Auch wenn die tiefen Töne gut klängen («que si suenan bien los bajos», V. 23) – zu denken wäre hierbei gleich einem Donnern190 an Fürze (das lautverwandte tronar für ‘donnern’ in «tonos [...] los que el vulgo levanta», V. 25–26), – so seien die hohen, effeminierten Töne missgestimmt («los tiples no suenan bien», V. 24). Diese Aussagen knüpfen an die Vorwürfe der ersten Dezime an; dort war es unter anderem der Verstoß gegen die Würde eines Geistlichen und die Vorgabe falscher akademischer Grade, hier nun vermittels mythologischer Bezüge direkter die Maßregelung gegen das Übertreten von dichterischen Maximen: Niederer Inhalt in erhabener Form verstoßen gegen die Gesetze Apolls.

zeichnung für jemanden, der seine Geschlechtsteile respektive seinen Anus zur Verfügung stellt. Zur Komposition und Wortspielen mit den verbalen Bestandteilen dar und tomar vgl. u. a. auch die Romanze Nr. 694 (V. 1–4 für tomar): «Tomando estaba sudores / Marica en el hospital: / que el tomar era costumbre, / y el remedio es el sudar» (Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 758). 187 rabel: «Instrumento músico pastoríl. Es pequeño, de hechura como la del laúd. Cómponese de tres cuerdas solas, que se tocan con arco, y forman un sonido mui alto y agudo» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 478a). 188 rabadán: «El mayoral, que es sobrestante a todos los hatos del ganado de un señor» (Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española, 1995, 847a). 189 Vgl. etwa auch die Beschreibung des locus amoenus zu Beginn der Diana Montemayors (La Diana, 1996, 11s.): «Pues llegando el pastor a los verdes y deleitosos prados que el caudaloso río Esla con sus aguas va regando, le vino a la memoria el gran contentamiento de que en algún tiempo allí gozado había, siendo tan señor de su libertad como entonces sujeto a quien sin causa lo tenía sepultado en las tinieblas del olvido. Consideraba aquel dichoso tiempo que por aquellos prados y hermosa ribera apacentaba su ganado, poniendo los ojos en solo el interese que de traelle bien apacentado se le seguía, y las horas que le sobraban el pastor en sólo gozar del suave olor de las doradas flores, al tiempo que la primavera, con las alegres nuevas del verano, se esparce por el universo; tomando a veces su rabel, que muy pulido en un zurrón siempre traía, otras veces una zampoña, al son de la cual componía los dulces versos con que de las pastoras de toda aquella comarca era loado.» 190 Vgl. etwa die Verse 29 und 30 von Góngoras Vorlage: «porque no hay nube deste ojo [i. e. del culo] / que no truene y que no llueva» (Góngora y Argote, Letrillas, 1980, 141).

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 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren

3.3.11 Edelsteinmetaphern Quevedo spielt in diesem Kontext durch die Nennung von «culos» im vierzehnten Vers, die wörtlich verstanden erst einmal als explizite verbale Obszönität gewertet werden muss, auf die zweite Strophe von Góngoras Vorlage an, in der die Ausscheidungsprodukte der Hofdamen als Edelsteine bezeichnet werden.191 Aber bei Quevedo sind die Edelsteine, die Góngora besingt, eben keine echten, sondern «culos», falsche Edelsteine.192 In der wörtlichen Bedeutung von culo sind diese falschen Edelsteine – zumindest ist dies beim Topas der Fall – wenn nicht Gesäße, so doch zumindest Produkte derselben. Und die Affinität Góngoras zu diesen falschen Edelsteinen, Verdauungsprodukten und sogar dem Ausscheidungsorgan selbst wurde bereits im vorangegangenen Vers durch den Ausdruck poeta nefando – mit dem impliziten Verweis auch auf die Sodomie – angekündigt. Die oben zitierten Verse aus Góngoras Vorlage scheinen die Verse 120–126 von Petrarcas Triumphus Pudicitie zu parodieren:193 «D’un bel diaspro er’ivi una colonna, a la qual d’una in mezzo Lethe infusa catena di diamante e di topatio, che s’usò fra le donne, oggi non s’usa, legarlo vidi e farne quello stratio che bastò bene a mille altre vendette; ed io per me ne fui contento e satio.»194

Dieses Bild der «catena di diamante e de topatio» – der Diamant steht für die Standhaftigkeit Lauras, der Topas für deren Keuschheit –195 ist in der Frühen Neuzeit sehr präsent gewesen und öfters imitiert worden; so finden wir es beispielsweise an drei Stellen von Tassos Gerusalemme conquistata:196 «Voi da me di topazio infuso in Lete e d’adamante aspra catena avrete» [XII, 81, V. 7–8]

191 Der Urin als Kristall in den Versen 13 und 15 und der Kot als Topas im Vers 18. 192 Für diese übertragene Bedeutung von culo vgl. Slaby/Grossmann/Illig (1998, vol. I, 389b). 193 Zum Zyklus der Trionfi als zentraler Referenzinstanz der spanischen Petrarkisten neben den Rerum vulgarium fragmenta s. beispielsweise König (2004, bes. 241), und besonders König (1983, bes. 86 mit Belegen in Fn. 36). 194 Petrarca, Trionfi (1996, 248). 195 Vgl. den Kommentar von Pacca hierzu in Petrarca, Trionfi (1996, 249). 196 Vgl. die Edition in Auszügen in Tasso, Opere (1955, 626 und 632s.).

Textanalyse 

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«e con quel laccio sì tenace e saldo legò le braccia e i piè fugaci e snelli co’ nodi d’adamante e di topazio; né fece altra di lei vendetta o strazio» [XIII, 70, V. 5–8] «laccio di topazi e d’adamanti» [XIII, 75, V. 3]

Góngora ersetzt den Diamant durch den Kristall, der in seiner Beschaffenheit weiß-transparent und ebenfalls hart wie der Diamant ist. Die Parodie Góngoras197 scheint dann darin zu bestehen, dass die Edelsteine, die bei Petrarca die Keuschheit Lauras und deren Resistenz gegenüber Amors Pfeilen symbolisieren, durch ihre Ausscheidung in den Fluss eine Anspielung auf das Frönen der Fleischeslust von Seiten der Valladolider Hofdamen ist. Quevedo ist dieser Bezug auf Petrarca anscheinend bewusst; so finden wir in dem hier kommentierten Text ebenfalls Anspielungen auf Petrarcas Triumphus Pudicitie: Die Nennung von Medusa am Ende von Vers 75 entspricht dem Ausgang von Petrarcas Vers 119 («lo scudo in man che mal vide Medusa»);198 «ingenio bravo» in Vers 45 könnte eine Wiederaufnahme von «basso ingegno» (Vers 66)199 sein; «scita» in Vers 55 verweist eventuell auf «Scithia» (Vers 104),200 in «cosas pereginas» in Vers 46 könnte eine Anspielung auf «le donne pellegrine» (Vers 154)201 gesehen werden, «il vulgo ignorante» (Vers 157)202 könnte in «vulgo levanta» (Vers 26) und «rabadán ignorante» (Vers 20) wieder aufgenommen sein.

3.3.12 Geschliffenheit Darüber hinaus beinhaltet die Nennung von «culos» in diesem Kontext natürlich eine Anspielung auf das lautverwandte cultos, so dass der Vorwurf, den Quevedo Góngora hier macht, auch folgermaßen zusammengefasst werden könnte: Die Konzepte, die Góngora angeblich für geschliffen (cultos) ausgibt, seien im Grunde genommen aber niedrig, vulgär und unangemessen. Zu den Ergänzungen

197 Dass Góngora die Wirkungsweise der Steine durchaus bekannt war, zeigt beispielsweise die zweite Strophe einer ebenfalls 1603 verfassten Letrilla, in der die Heilkraft des Rubin beschrieben wird: «En el dedo de un doctor / engastado en oro vi / un finísimo rubí, / porque es siempre este color / el antídoto mejor / contra la melancolía [...]» (Góngora y Argote, Letrillas, 1980, 139). 198 Petrarca, Trionfi (1996, 248). 199 Petrarca, Trionfi (1996, 236). 200 Petrarca, Trionfi (1996, 246). 201 Petrarca, Trionfi (1996, 254). 202 Petrarca, Trionfi (1996, 254).

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zu Covarrubias’ Tesoro de la lengua castellana o española, die der Pater Benito Remigio Noydens in seiner Ausgabe von 1673 abdruckt, gehört auch der Eintrag culto. Dieses Lemma ist folgendermaßen definiert: «Viene del verbo COLO, que significa pulir y adornar; así que el lenguaje culto es un modo de hablar bien trabajado y cultivado para el púlpito, digno de las materias altas y divinas que en él se predican, apacible al oído, honesto y casto, no mal sonante ni descomedido.»203

Wenn man annimmt, dass Quevedo ein ähnlich gelagertes Verständnis des Begriffs culto hatte, so scheint der Vorwurf dahin abzuzielen, dass, auch wenn Góngoras Stil geschliffen daherkommt, er diesen eben nicht für «materias altas y divinas» (‘hohe und göttliche Gegenstände’) einsetzt, sondern für das genaue Gegenteil. Folgt man dem Noydens-Zusatz weiter, so findet sich noch eine umgangssprachliche Verwendung zu culto: «Porque los desvanecimientos de los que el vulgo llama cultos, son risa de un grave auditorio y endechas de la religión cristiana»,204 und es folgen mehrere Beispiele von Predigern, die die Heilsgeschichte durch ihre Darstellung ins Lächerliche ziehen. Diese Prediger, so weiter, erwartet die Amtsenthebung und Inhaftierung («privación de oficio y jaula del Nuncio en Toledo»).205 Falls diese umgangssprachliche Wendung auch bereits siebzig Jahre zuvor in Gebrauch war, so könnte man hier auch noch weiter deuten, dass Quevedo nicht nur den Dichter Góngora meint, sondern auch den Kleriker.206

203 Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española (1995, 383b). 204 Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española (1995, 383b). 205 Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española (1995, 383b). 206 In diesem Zusammenhang sei kurz darauf hingewiesen, dass schon der Trinitarierpater Hortensio Paravicino y Arteaga (Madrid 1580 – Madrid 1633), der im Jahr 1605 seine Predigttätigkeit aufnahm, seit 1609 eine intensive Freundschaft mit Luis de Góngora pflegte und fast zeitgleich zur Verleihung der Capellanía de Honor an Góngora (1617) von Philipp III. mit dem Titel eines Predicador Real bedacht wurde, ähnlich wie sein Freund wegen seines dunklen Stils angefeindet war (vgl. hierzu Celdan, «Introducción crítica», in: Paravicino, Sermones cortesanos, 1994, 9–32). Folgendes Sonett des Conde de Salinas mit dem Titel «A Fray Hortensio predicando un sermón oscuro del Sacramento» (abgedruckt in Celdans Einleitung von Paravicino, Sermones cortesanos, 1994, 15) weist auffällige Übereinstimmungen mit den antigongorinischen Invektiven auf: «¡Oh cuánto bien, oh cuánto cultamente (si culto llaman lo que no se alcanza) critiquizó Hortensio la alabanza del cuanto más oculto, más patente!

Textanalyse 

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Rhetorik und Poetik scheinen in Quevedos Kritik gegen Góngora eng miteinander verbunden gewesen zu sein.

3.3.13 Delinquenz, Folter und Exekution Die letzten vier Verse führen das exekutive Szenario, das sich aus dem Vorwurf des Kultismus als Verstoß gegen die Gesetze Apolls ableiten ließe, auf einer zweiten, gaunersprachlichen Ebene aus. Im unmarkierten, standardsprachlichen Kontext liest sich die rhetorische Frage, die diese Verse umfasst, wie folgt: Welcher Mensch («¿cuál hombre o mujer [...]?», V. 27), der noch recht bei Sinnen ist («que tiene la cabeza cuerda», V.  28), ließe sich schon dazu hinreißen, zu den Versfüßen von Góngoras schmutziger Vorlage («a pies de coplas de mierda», V.  29) zu singen, da dies bedeute, eine Art Krächzen («pasos de garganta», V.  30)207 von sich zu geben. Berücksichtigt man aber den diastratisch

Aturdió con sus términos la gente, desempreñó de muchos la esperanza, y obró su cultivez tanta mudanza, que arabigó todo cristiano oyente. Velada le fue a oír, ya es religioso; Alcañices también, ya es varón justo, monjas y damas se han hortensizado; hablo hebraísmos yo todo curioso. Salíme yo (que tengo muy mal gusto) con pedazos de luz aporreado.» Auffällig erscheint die Anapher von «¡Oh cuántos [...], oh cuántos [...]» gleich im ersten Vers als Parallelität zum ersten Vers von Quevedos weiter oben abgedruckten Sonett Nr. 833: «Tantos años y tantos todo el día», auffällig das parodistische Zitat des Latinismus término wie etwa in Quevedos antigongorinischem Sonett Nr. 832: «en término italiano» (V. 4). Darüber hinaus scheint sowohl beim Conde Salinas als auch bei Quevedo gerade das weibliche Auditorium besonders empfänglich für den kulteranistischen Stil (vgl. auch Quevedos Prosasatire La culta latiniparla. Catecisma de vocablos para instruir a las mujeres cultas y hembrilatinas [11629, València, Miguel de Sorolla], abgedruckt u. a. in Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa, 1993, 443–459, in der es an Latinismen gerade aus dem religiösen Bereich nicht mangelt). Zu Paravicino und der Kritik an den Neuerungen der spanischen Kanzelberedsamkeit des 17. Jahrhunderts vgl. auch Beilharz (2002). 207 pasos de garganta: «inflexión de la voz ó trinádo en el cantar» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 156a).

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 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren

markierten Nebensinn der Wörter cantar,208 cuerdas,209 a pie de210 und paso de garganta211 aus dem Bereich der Delinquenz (für ‘singen’ im Sinne von ‘gestehen’, ‘Strang’ bzw. ‘Folterbank’, ‘am Fuß von [sc. einem Galgen]’ und ‘Krächzen eines Gehängten’), so könnte sich auch die Aussage ergeben, dass Góngoras satirische Letrilla ungeeignet ist, Laster zu tadeln beziehungsweise als Pranger zu dienen, um jemanden dazu zu bewegen, die Wahrheit zu sagen. Dieses Bild scheint eine direkte Anspielung auf die erste Strophe von Góngoras Letrilla «Ya de mi dulce instrumento» aus dem Jahr 1595 zu sein. Bei Góngora wird das seinen Gesang begleitende Saiteninstrument zur Folterbank:

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«Ya que mi dulce instrumento cada cuerda es un cordel, y en vez de vihuela, él es potro de dar tormento; quizá con celoso intento de hacerme decir verdades, contra estados, contra edades, contra costumbres al fin. No las comente el ruin, ni las tuerza el enemigo, y digan que yo lo digo.»212

Ist es in Quevedos Dezimendichtung das Adjektiv cuerda in «cabeza cuerda» (für ‘gescheiten Kopf’, V. 28), das zu seiner Lautverwandtschaft zum substantivischen cuerdas in der Sondersprache der Delinquenz das Konnotat einer Folterbank aufbaut und damit beispielsweise das Bild eines Kopfes in der Schlinge evoziert, so wird bei Góngora jede Saite des Instruments, das Góngoras Letrilla begleitet («cada cuerda», V.  2), zur Schnur («cordel», V.  2),213 die den Dichter

208 cantar: das gaunersprachliche cantar2 für «Confesar; declarar un reo en el tormento los delitos que ha cometido y a veces los que no ha cometido» (Alonso Hernández 1976, 171a). 209 cuerdas: gaunersprachlich für «El potro de tormenta; haciendo referencia a que generalmente el tormento que se aplica al reo era una tormenta de cuerdas que se incrustaban apretándose en sus carnes hasta hacerle confesar lo que se le preguntaba o dejarlo manco de alguna manera» (Alonso Hernández 1976, 248a). 210 a pie de: pie2 «Pie vale lo bajo de cualquiera cosa, como el pie de la horca, al pie de la sierra» (Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española, 1995, 821a). 211 paso de garganta: gaunersprachlich auch für «gorjeo o inflexión de la voz en el canto, se dice en sentido fig. de los que son ahorcados» (Alonso Hernández 1976, 587a). 212 Góngora y Argote, Letrillas (1995, 81, V. 1–11). 213 Der Diccionario de Autoridades (vol. II, 593b) verzeichnet s.v cordel die Wendung apretar los cordéles: «Además del sentido recto, vale obligar à uno à que confiesse lo que le

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selbst dazu bringt, die unverblümte Wahrheit über Stände, Zeiten und Gebräuche («contra estados, contra edades, / contra costumbres», V.  7–8) zu sagen, indem sie nicht mehr als Laute fungiert («vihuela», V.  3), sondern sich in das Fleisch einschneidet und somit ein Martergerät ist («potro de dar tormento», V. 4).214 Ähnliche Exekutionsszenarien finden sich bei Quevedo noch in weiteren Attacken gegen Góngora: So wird in der Dezimendichtung Nr. 827 von Quevedos Poesía original completa es auf Grund der Leidenschaftlichkeit Góngoras für notwendig erachtet, dass dessen Helikon / Basstuba («Helicona», V. 10) auf den Kalvarienberg gehöre. Des Weiteren findet sich in einem Text,215 den Blecua kurz nach 1610 datiert,216 die Inszenierung des Sprecher-Ichs als (noch) kleinen Dichter («Yo, que soy un poetilla», V. 97), der, wie der Babierlehrling erst einmal an Karotten sein Geschick ausprobiert (V.  101–104), so als Opfer seiner ersten satirischen Dichtungsversuche («así yo poeticomienzo», V. 105) erst einmal den mutmaßlichen Neuchristen Góngora wählt, um den es anscheinend nicht schade ist, wenn einmal ein Schnitt zu tief angesetzt wird. Das Szenario der Exekution scheint aber auch ausgelöst durch den Diskurs der Jurisprudenz, den Góngora vor allem in der ersten Strophe seiner Letrilla «¿Qué lleva el señor Esgueva?» parodistisch bemüht.217 In diesem Zusammenhang ist dann auch die Aufforderung in der achten Dezime zu sehen, in der Góngora geraten wird, von seinem Stilgebaren (figurativ als «prelacía», V. 78) abzulassen, bevor das Ordnungsamt

está bien negar. Es metáphora de los cordéles que aprietan à los que ponen à qüestión de tormento.» 214 Quevedo greift diese Vorlage Góngoras ebenfalls in seiner Letrilla «Las cuerdas de mi instrumento» auf (Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, Nr. 652), die in der Anthologie Flores de poetas ilustres von Espinosa im Jahr 1603 zum erstenmal gedruckt erschien. Dort ist gleich die erste Strophe zu der oben abgedruckten von Góngora parallel zu lesen: «Las cuerdas de mi instrumento / ya son, en mis soledades, / locas en decir verdades, / con voces de mi tormento; / su lazo en mi cuello siento / que me aflige y me importuna / con los trastes de Fortuna; / mas, pues su puente, si canto, la hago puente de llanto / que vierte mi pasión loca, / punto en boca.» Blanco sieht in dieser Bearbeitung ein Musterbeispiel, wie der junge Quevedo sich die Texte Góngoras zu eigen macht (Blanco 2006, bes. 16). An Quevedos Letrilla lässt sich auch bereits die Verschiebung vom gongorinischen Marterinstrument zum Galgen hin ablesen, die hier in den Dezimen wieder bemüht wird («su lazo en mi cuello siento», V. 6). 215 I. e. Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, Nr. 828). 216 Vgl. Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. III, 232). 217 Vgl. hierzu die Ausführungen weiter oben.

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 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren

für Stadtreinigung218 davon Wind bekomme («antes que la pulicía / venga a conocer de vos», V. 79–80).

3.3.14 Hofmänner und Minnedienst Die vierte Dezime ist schwer zu entschlüsseln, nicht zuletzt wegen der Variation, die diese in den verschiedenen Manuskripten aufweist. Der erste Vers (in der Version A der Blecua-Edition) nimmt durch die Nennung des Flussnamens, der synekdochisch für die Residenz des Hofes und den Hof an und für sich gesetzt ist, explizit Bezug auf Góngoras Vorlage. Dies wird in den Bezeichnungen «galán» (V. 33) und «los bien nacidos» (V. 36) für den Höfling und den alteingesessenen Adel Kastiliens fortgeführt. Damit geht ein Wechsel in das Register der Hof- und Kanzleisprache einher: In diesem Zusammenhang ließe sich dar nombre als ‘berühmt machen’219 («nombre [...] dan», V.  32), «[c]on mucha razón» für ‘ganz zu Recht’, ‘mit Vollmacht’220 (V. 35), «celebramos» für ‘lobpreisen’ (V. 37), «conversación» für ‘Umgang’ (V. 38) und «ser admitidos» für ‘stattgegeben werden’ (V. 40) sehen. Vers 31 gibt das Thema vor, dass nämlich Góngoras Zorn sich gegen den Fluss Esgueva richtet. Dieser Zorn scheint in der ersten Dezime bereits durch die Nennung der Krankheit «Cólica» vorweggenommen, da er in der medizinischen Fachliteratur als einer der Ursachen für diese verstanden wurde. Dabei operiert das Reimwort «enojo» als Kakemphaton, aus dem sich das Wort ojo hier in der umgangssprachlichen Bedeutung von ‘After’ isolieren lässt. Diese verbale Obszönität durchzieht dann die erste Hälfte der vierten Dezime in der expliziten Nennung von «ojo» am Ende von Vers 34 und weiterer Kakemphata wie «arrojo» (V. 35) und «galán» (V. 33), das in apokopierter Form das Wort ano ebenfalls für ‘After’ beinhaltet (vgl. hierzu weiter oben), und tritt neben die wörtliche Aussage, dass die üblen Werke bzw. krankhaften Produkte des Afters («males de ojo», V.  34)221 den Fluss im Hinblick auf seine Schmutzigkeit berühmt machen, da

218 policía: policía2 für « consejo de policía, el que gobierna las cosas menudas de la ciudad y el adorno della y limpieza» (Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española, 1995, 827b). 219 dar nombre3 im Diccionario de Autoridades (vol. III, 18b) scheint diese Bedeutung nahe zu legen: «Aplaudir, ensalzar y celebrar à alguno sus obras: y assi se dice, que à un Autor le dá nombre la obra que saca à luz». 220 razón6: «se usa tambien por justicia en las operaciones, ù derecho à executarlas» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 500b). 221 In dieser Nennung schwingt natürlich die Wendung mal de ojo aus dem Bereich des Aberglaubens für ‘böser Blick’ oder ‘Vorfall als Resultat des bösen Blicks’ mit, der hier aber nicht

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sie von einem vollkommenen Minnediener stammten («siendo, de puro galán», V. 33).222 In diesem Zusammenhang ist auch an die volksetymologische Erklärung des Wortes enojo für ‘etwas Lästiges im Auge haben’223 zu denken, wobei, wenn man hier die Verschiebung vom Auge zum After berücksichtigt, es sich um eine Verdauungsstörung – wie eine vorrübergehende Kolik in der ersten Dezime – handeln könnte. Die Wendung «de puro galán» (V. 33) scheint auch auf Góngoras Vorlage zu rekurrieren: Dort ist im fünfundzwanzigsten Vers «de puro servidores» zu lesen, auf der einen Seite eine Anspielung auf den höfischen Minnedienst,224 auf der anderen Seite der skatologische Bezug.225 Galán behält diese Doppeldeutigkeit bei, wie oben angemerkt ist. Aber nicht nur diese Wendung, sondern der gesamte Kontext hier scheint ein Echo der dritten Strophe von Góngoras Vorlage zu sein, in der sich neben dem oben zitierten «de puro servidores» (V. 25) die Nennung von drei Augen («tres ojos», V.  26) wiederfindet, wobei das dritte Auge als ein solches beschrieben wird, das ständig regnet und donnert, skatologisch interpretiert Exkremente evakuiert und flatuliert – also der After.226 In der Variante zu den Versen 31–35 in den Manuskripten D, D1, E und E1 wird dieses Spiel mit der Doppeldeutigkeit von ojo auch geführt, als Kakemphaton fungiert hier aber das Wort antojo wohl in der Bedeutung ‘Vorurteil’. Die krankhafte Verdauung respektive deren Produkte sind hier in der Wendung «vuestros achaques de ojo» direkt auf Góngora bezogen und gereichen dann auch nicht dem Fluss sondern dem Dichter selbst in Sachen Schmutzigkeit zu aller Ehre («el nombre de sucio os dan»).

sinnvoll gedeutet werden kann: «Mal de ojo: Accidente que se padece, y dicen ser ocasionado de la vista de alguno, que ha mirado con ahinco, ò que tiene algun vício en ella: lo que mas regularmente sucede à los niños por tener mas ligéra la sangre» (Diccionario de autoridades, vol. V, 29b). 222 galán für «alguien que se dedica à cortejar, y servir a alguna mugér» (Diccionario de Autoridades, vol. IV, 5b). 223 «Dicese Enójo, porque assi como qualquiera cosa que nos lastima en los ojos la sentimos mucho: de la misma suerte los afectos fuertes de ira, cólera, y otros que causan inquietúd y pena, salen à los ojos, y se echan de vér en lo que los encienden, inflaman y commueven: y aun quando alguna cosa nos dá enójo decimos que apartamos los ojos de ella, como cosa que aborrecemos [...]. Lat. Iracundia. Stomachus» (Diccionario de Autoridades, vol. III, 483a). 224 servidor als jemand «que corteja, ò festeja alguna dama» (Diccionario de Autoridades, vol. VI, 100a). 225 servidor für «el bacín, ò el servicio» (Diccionario de Autoridades, vol. VI, 100a). 226 Vgl. ebenfalls auf das Sonett «¡Oh qué malquisto con Esgueva quedo»: «Camine ya con estos pliegos míos, / peón particular, quitado el parte, / y ejecute en mis versos sus enojos; / que le confesaré de cualquier arte / que, como el más notable de los ríos, tiene llenos los márgenes de ojos» (Góngora y Argote, Sonetos completos, 1982, 174, Nr. 106, V. 9–14).

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 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren

Die letzten sechs Verse der vierten Dezime deklinieren nur noch die Hofmanns- bzw. Kanzleisprache exemplarisch durch, wobei folgende Aussage getroffen wird: Nur wirkliche Adelige, wozu sich das Sprecher-Ich zählt, hätten das Recht kühn zu loben («sólo los bien nacidos / celebramos atrevidos», V. 36–37), und warnen den Dichter davor, sich nochmals dergestalt zu erdreisten (V. 38–40).

3.3.15 Plagiatsvorwurf Der erste Teil der fünften Dezime nimmt ebenfalls Bezug auf Góngoras Vorlage, indem sie gelobt wird in Bezug auf die in ihr enthaltenen Konzepte («Vuestros conceptos alabo», V. 41), die «de pura buena pesca» (V. 42) seien, wörtlich also ein äußerst guter Fang. Hierbei ist an die vierte Strophe der Letrilla zu denken: Góngora beschreibt in dieser die Exkremente der Höflinge, die der Fluss Esgueva mit sich trägt, als «pescado del mar» (‘Meeresfisch’), der unterwegs ist zu seinen Laichgründen im Fluss Pisuerga. Dieser sei allerdings nicht besonders bekömmlich. Was vorher «calamar» (‘Tintenfisch’) und «salmón» (‘Lachs’) gewesen sei, habe sich durch den Ausscheidungsvorgang der Hofleute in «camarón» verwandelt, also wörtlich in eine kleine Garnele und übertragen, wenn man an das lautverwandte «cámara» für Stuhlgang mitliest,227 in einen großen Kothaufen (vgl. hierzu die Ausführungen in 3.2).228

227 Vgl. etwa DETEMA (vol. I, 254b). 228 Die hier kurz besprochene Strophe aus Góngoras Letrilla kann auch eine sexuelle Konnotation tragen. War es in Vers 15 der Topas, der in Petrarcas Triumphus Pudicitie die Keuschheit Lauras chiffriert und in Góngoras Parodie auf das Frönen der fleischlichen Wonnen von Seiten der Valladolider Hofdamen verweist, so scheinen hier die Ausdrücke «Pisuerga» (aufgegliedert in die Bestandteile Pis-: lateinisch piscis oder spanisch pez für ‘Fisch’ als phallisches Symbol und Sinnbild der Fruchtbarkeit; -uerga: verga als Bezeichung des männlichen Glieds, vgl. etwa DETEMA (vol. II, 1649a) «desovar» (‘laichen’) und cebarse (‘sich nähren’, aber auch gaunersprachlich: «Vivir un chulo a costa de la prostituta», Hernández Alonso/Sanz Alonso (2002, 128b), die Lautverwandtschaft von «pescado» (‘Fisch’) und pecado (‘Sünde’), «mar» (‘Meer’) und mal (‘Übel’), «calamar» und gaunersprachlich calamita (‘Libido’, Chamorro 2002, 200b) sowie «camarón» (‘kleine Garnele’) und dem gaunersprachlichen cámara (del golpe / del ingesto) für mancebía (‘Bordell’, vgl. Chamorro 2002, 209a–b), ein sexuelles Konnotat aufzubauen, und zwar das einer übermäßigen Produktion von illegitimer Nachkommenschaft durch den Valladolider Hof, mit der dieser die gesamte Stadt überflutet. In Quevedos Dezime wäre dann diese sexuelle Konnotation in «conceptos» als gelehrtes Partizip Perfekt Passiv zu concebir wieder aufgenommen (vgl. concebir1 für «[d]ar principio la Madre à la formacion del feto», Diccionario de Autoridades, vol. II, 469a); eine solche Deutung sähe sich in der Nennung von «rabo» (V. 44) für den Anus oder die benachbarten Geschlechtsteile gestützt.

Textanalyse 

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Neben diesem Bezug auf Góngoras Text scheint, wenn man die gaunersprachliche Bedeutung von «de pura buena pesca»229 mit berücksichtigt, die Bewertung ironisch gebrochen zu sein und den Vorwurf zu beinhalten, dass Góngoras concetti in Wirklichkeit die Beute eines geglückten Diebstahls, also Plagiate seien. Auf diese Bedeutungsebene rekurriert auch die Nennung von «a la gatesca», das vom gaunersprachlichen gatear für ‘stehlen’, ‘betrügen’230 bzw. gato für ‘Dieb’231 abgeleitet scheint, sowie von bravo, das im Argot auch den Sinn von ‘Aufschneider’232 annehmen kann. Darüber hinaus könnte in der Aussage «las [sc. coplas] hicisteis con ayuda» (V.  84) in der neunten Dezime, wörtlich für ‘Ihr habt sie [die Letrilla] mit Hilfe gemacht’, ebenfalls in die Richtung des Plagiats deuten.

3.3.16 Wiederaufnahme des Medizindiskurses Der zweite Teil der fünften Dezime kehrt dann zur Indienstnahme des Medizindiskurses zurück, hier aber nicht in Bezug auf Krankheitsdiagnosen und Verordnung von Medikamenten, sondern auf die Untersuchungspraxis. Dabei ist dieser nicht nur bei Quevedo oftmals stark mit der Skatologie in Verbindung gebracht, da die Diagnose der zeitgenössischen Ärzte zumeist auf der Untersuchung der Exkremente beruhte. So werden die Verse Góngoras selbst – ursprünglich konzipiert als Letrilla – zu Latrinen. Dieser Medizindiskurs wird in den folgenden Dezimen Nummer sieben und neun weiter ausgeführt. Gleich zu Beginn der siebenten Dezime wird die Letrilla, die Góngora als besonders edel, köstlich und bekömmlich («las coplas que dais por ricas», V. 62) ausgebe, als so schmutzig gewertet, dass sie in den Apotheken als Brechmittel verkauft werden können. Dahinter steht nicht unbedingt der Gedanke des Ekels, der das Schmutzige hervorruft und der sich im Erbrechen entlädt, sondern vielmehr die gängige Praxis der so genannten Drecksapotheke, in der (Tier-) Exkremente und ähnliches kurativ eingesetzt werden. Dabei ist das Erbrechen als eine

229 pesca: wahrscheinlich eine Anspielung auf den gaunersprachlichen Ausdruck pescar für ‘stehlen’ (Chamorro 2002, 653a). 230 Alonso Hernández (1976, 396a). 231 Diccionario de Autoridades (vol. IV, 34a). 232 bravo: «Vulgar y comunmente se entiende y dice el que es preciado de valentón, guapo, jactancioso, y que gasta mucha fanfarronería y bravúra» (Diccionario de Autoridades, vol. I, 673a). Daneben auch bravo3: «Al hombre llamamos bravo cuando es valiente, o cuando está enojado, cuando sale muy galán y bizarro» (Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española, 1995, 204b).

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 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren

Form der Evakuierung von schädlichen Körpersäften hier durchaus eine medizinisch erwünschte Körperreaktion.233 Am Beginn der neunten Dezime wird dann eine weitere Form der Provozierung von Evakuationen angesprochen, und zwar die durch ein Klistier («ayuda», V.  84).234 Dass es sich bei der Letrilla um ein Verdauungsprodukt handele, ist bereits angeklungen, aber dieses sei eben auch nicht natürlich, das heißt ohne medizinische Unterstützung, zustande gekommen, worauf auch die Nennung von «pasadas» in Vers 82 hindeutet, wenn man diese als Abführung interpretiert. Diese Nennung stellt anscheinend wiederum ein Echo auf Góngoras Letrilla dar, in der in der sechsten Strophe von laxativem Dörrobst, vor allem der «ciruela pasa» (V. 61) gehandelt wird. Die neunte Dezime beschließt das Gedicht dann mit dem Ratschlag, dass es besser sei, wenn Góngora seinen Unrat für sich behalte, gleichsam an ihm ersticke («que tengáis muda / la lengua en suciedades», V. 85–86), da er sich ansonsten zum Abflussrohr des Parnass mache.

233 Dabei ist die Aussage in Vers 61 anscheinend zweideutig («Son tan sucias [sc. las coplas] de mirar»): Zum einen könnte gemeint sein, dass die Letrilla so schmutzig anzuschauen ist, dass allein das Anschauen die kurative Wirkung des Erbrechens auslöst; zum anderen könnte auch gemeint sein, dass die Letrilla als Dichtungsprodukt Góngoras schmutzig ist in Analogie zu den Exkrementen, die der Fluss Esgueva trägt. So wäre die Schmutzigkeit des von Góngora Beobachteten auf die Beobachtung Góngoras und damit auch auf seine literarische Produktion wesenhaft übergegangen. Ähnliches findet sich im Ärzteporträt des Sueño de la muerte, wenn dort gesagt wird, dass die Mediziner «[l]a vista asquerosa de puro pasear los ojos por orinales y servicios» hätten (vgl. hierzu Küpper 1992, 33s.), die Konstruktionen des Sueño de la muerte und der besprochenen Dezime hier erscheinen beinahe vollkommen parallel. Die Übereinstimmung der Beschreibung des Dichters Góngora und eines die Exkremente der Patienten untersuchenden Arztes ist auch in der zweiten Hälfte der siebenten Dezime gegeben, wenn Quevedo Góngora als einen Dichter der Exkremente benennt, die die Menschen zur Mittagszeit evakuieren (V. 69–70). Diese Nennung von «poeta de entre once y doce» (V. 69) ist darüber hinaus ein Echo auf die gongorinische Vorlage, wo der allmittägliche Stuhlgang der Hofdamen («la fuente de mediodía») thematisiert wird (V. 15–17). 234 ayuda: vgl. ayuda5 für «[l]os clísteles llaman ayudas porque ayudan a naturaleza cuando ella sola no puede descargar la ocupación del estómago y vientre» (Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española, 1995, 144b).

Formen und Funktionen verbaler Obszönität bei Góngora und Quevedo 

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3.4 Formen und Funktionen verbaler Obszönität bei Góngora und Quevedo – ein Vergleich Die Betrachtung des ersten Gedichts Quevedos, das als Invektive gegen Góngora zu lesen und als eine Replik auf dessen Satire gegen den Valladolider Hof zu verstehen ist, sollte deutlich gemacht haben, dass sich der Text nicht auf eine bloße, kunstlose Aneinanderreihung von expliziter verbaler Obszönität beschränkt. Auch wenn Quevedos Dezimendichtung teilweise stilistisch holprig und ungeschliffen daherkommt, muss dem Werk des noch jungen Dichters attestiert werden, dass er sich die Vorlage Góngoras einverleiben konnte und die Stoßrichtung der Satire in der Argumentation gegen diesen selbst auf vielfacher Ebene umzulenken vermochte. Dabei bedient er sich verschiedener Diskurse, die alle ein Repertoire bereithalten, Góngoras dichterische Unzulänglichkeit vorzuführen. Quevedo, der sich als ein Vertreter der in Góngoras Letrilla aufs Korn genommenen Hofgesellschaft versteht, weist diesen in die Schranken und gibt ihm geradezu einer Hinrichtung preis. Und die Dezimendichtung schließt mit dem Ratschlag, der nahezu einer Warnung gleichkommt, dass Góngora besser davon ablassen sollen, den Hof in den Schmutz zu ziehen. Wie ist es nun um das Obszöne und die satirische Qualität bestellt? Im Fall von Góngoras Letrilla kommt es an keiner Stelle zur expliziten Nennung von verbaler Obszönität. Das skatologische Konnotat vermittelt sich nur über ein Spiel mit Doppeldeutigkeit, also von Kakemphata des ersten Typs in der klassischen Rhetorik, im geringen Maße auch über Isolierungen von Wortbestandteilen, die das Derbe unvermittelt benennen, also Kakemphata des zweiten Typs, und dann vermehrt über metaphorische Umschreibungen. Zu den Ambiguitäten gehören die Begrifflichkeiten aus der Rechtssprache («cámara», V.  6; «proveído», V.  7; «Digesto», V. 8; «prueba», V. 10), aus dem Höflingsdiskurs («servidores», V. 25), der Fauna («palominos», V. 45) etc., die alle eine skatologische Nebenbedeutung tragen. Als Kakemphaton im engeren Sinne ist lediglich das Wort «enojo» (V. 28) zu veranschlagen, bei dem der Wortbestandteil ojo die derbe Bedeutung von ‘After’ annehmen kann. Diese Separierung wird im Kontext von Góngoras Letrilla auch forciert, da zwei Verse zuvor von «ojos» die Rede war und im folgenden Vers das Reimwort «ojo» eben diesen Wortbestandteil im Nachhinein unterstrichen hervortreten lässt. Im Gegensatz zu Quintilians Auffassung, dass das Erkennen von obszöner Ambiguität allein auf Seiten des Rezipienten zu veranschlagen ist und Kakemphata durch das Bestreben des Redner vermieden werden müssen, sind diese Mittel im Fall von Góngoras Letrilla aber bewusst eingesetzt, um eben die Isotopie der Skatologie aufzubauen und einen komischen Effekt zu erzielen. Der Großteil der Vermeidung expliziter Obszönität wird aber mit dem Verfahren der metaphorischen Umschreibung erreicht. Zu nennen wäre hier die

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 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren

gesamte zweite Strophe, die die Metaphorik des petrarkistischen Frauenlobs inszeniert, vermittels derer die Ausscheidungen der Hofdamen zur Mittagszeit beschrieben werden. Der spielerische Umgang gerade in Form der aus Ambiguitäten und Metaphorik aufgebauten Isotopie des Skatologischen, das an keiner Stelle explizit wird, und das Aneinanderreihen von Umschreibungen, die nur das eine sagen wollen, sich aber darin gefallen, es immer doch noch einmal ingeniöser verschlüsseln zu können, lässt die Letrilla Góngoras als ein Paradestück von dargebotenem Sprachwitz erscheinen. Auch wenn der Text eine satirische Tendenz aufweist, tritt diese hinter jenen Kaskaden von Bildern zurück, und das Stück nimmt eine vorrangig burleske Färbung an, der die Aggressivität eigentlich vollkommen abgeht. Von Zorn («enojo», V. 31), den Quevedo Góngora als Motiv für das Entstehen der Letrilla unterstellt, kann eigentlich nicht die Rede sein. Wie bei der Analyse bereits angeführt wurde, sind ähnliche Verfahren auch bei Quevedo anzutreffen, so etwa die bewusst gesetzten Kakemphata in der vierten Strophe, aus denen sich die Wortbestandteile an(o) und ojo, beide in der Bedeutung ‘After’, isolieren lassen. Dabei muss aber beachtet werden, dass gerade diese Dezime in einem direkten Bezug zur dritten Strophe von Góngoras Letrilla steht, in der dieses Verfahren ebenfalls zum Tragen kommt und der höfische Minnedienst in Szene gesetzt wird. So handelt es sich in diesem Fall bei Quevedo um eine Parodie von Góngoras Vorlage nicht nur in Bezug auf die Bildlichkeit sondern auch auf die Verfahren der Verschlüsselung von Obszönität. Ähnliches findet sich in der fünften Dezime, in der Quevedo auf die Thematisierung der Fischspeisen («pescado de mar», V. 33) am Hof in Góngoras vierter Strophe anspielt («buena pesca», V. 42). Vermittels einer gaunersprachlichen Einordnung der Lexik ergibt sich hier der Vorwurf des Kunstraubs, der dann einen als obszön zu veranschlagenden Nebensinn erhält, wenn man diesen Kunstraub in der Aneignung der Verdauungsprodukte des Hofes in Góngoras Letrilla sieht. Ein Spiel mit Ambiguitäten, die einen obszönen Nebensinn bereithalten, sind bei Quevedo allerdings nicht anzutreffen. Doppelsinn ist hier in eine andere Richtung funktionalisiert. Jammes charakterisiert Quevedos Dezimendichtung als Text, dem der Humor Góngoras abgehe und auch dessen Gewandtheit im Vermeiden unschicklicher Ausdrücke. Gegen beide Charakterisierungen ist im Grunde nichts einzuwenden: Der Großteil der Dezimendichtung ist von Nennungen expliziter verbaler Obszönität durchzogen; auf eine Wiederholung sei hier verzichtet. Diese sind aber nicht als ein Ausbruch des Tourette-Syndroms zu werten, sondern unterstreichen auf der einen Seite die aggressive Schärfe der Invektive und karikieren die Kaskaden von Ambiguitäten und die serielle Redundanz von metaphorischen Umschreibungen in der Letrilla Góngoras.

Formen und Funktionen verbaler Obszönität bei Góngora und Quevedo 

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Sind es bei Góngora Begriffe aus der gehobenen Sprache, die auf die niederen Produkte, die der Hof in den Fluss Esgueva abführt, verweisen, so ist ansatzweise bei zumindest einigen Beispielen der expliziten Indezenz Quevedos die umgekehrte Tendenz zu verzeichnen: Gleich zu Beginn des Gedichts wird durch die derbe Nennung des Aborts («para secretas», V. 3) das Thema der Skatologie eingeführt. «[S]ecretas» ist in diesem Kontext auf Grund der Flexionsendung erst einmal eindeutig als das Substantiv mit dieser Bedeutung zu verstehen. Durch die chiastische Nennung des Prädikatsnomens «públicas» gleich im darauf folgenden Vers, das seine Flexionsendung vom Objekt des Satzes auf der Grundlage von Kongruenz zugeschrieben bekommt, tritt das Adjektiv secreto an die Oberfläche und damit auch die Konnotation des Geheimen, das in Verbindung mit der Nennung von «prelacía» (V. 78) die Isotopie der Geistlichkeit aufbaut und ebenfalls in den akademischen Bereich führt. Dies verdichtet sich zu der Aussage, dass Góngora mit seinem Dichten sich etwas erlaubt, wozu er aber überhaupt keine Lizenz besitze. Und so müssten die wahren Dichter, zu denen sich auch Quevedo rechnet, das Ordnungsamt für Stadtreinigung («pulicía», V. 79) gegen Góngora bemühen, falls dieser von seinen Lizenzverstößen nicht ablasse. Ähnlich verhält es sich bei der unvermittelten verbalen Indezenz «culos» für ‘Gesäße’ (V. 14): Wenn Góngora auch keine Gesäße besingt, so doch metonymisch verschoben die Produkte derselben. So müsste eine unvermittelte Lesart lauten. Bringt man die Stelle aber in den Zusammenhang der Parodie des petrarkistischen Frauenlobs in der zweiten Strophe von Góngoras Letrilla, so erhält die explizite Obszönität den Nebensinn von (falschen) Edelsteinen. Dies setzt eine direkte Referenz auf die metaphorische Umschreibung von den Fäkalien der Hofdamen als Kristall und Topas. Diese Edelsteinmetaphern parodieren bei Góngora, wie gezeigt wurde, die Beschreibung Lauras in Petrarcas Triumphus Pudicitie, in der die Edelsteine für die Konstanz und Keuschheit der Dame stehen. Und so führt die Nennung von «culos» bei Quevedo indirekt den Rekurs auf Petrarcas Text ein, der dann im Laufe der Dezimendichtung mehrfach wörtlich zitiert wird. Als letztes Beispiel sei in diesem Zusammenhang auf die Häufung der Exkrementnennung am Ende der ersten Dezime hingewiesen (V. 8–10; Hervorhebungen v. Vf.): «a todos nos dais matraca: descubierto habéis la caca con las cacas que cantáis.»

Neben der expliziten Obszönität, die sich gegen Góngoras Verse wendet, ist die Wiederholung des kindersprachlichen caca aber noch anders funktionalisiert. Als erstes nimmt es den durch «matraca» in Vers 8 eingeleiteten Reim auf –aca auf; die Häufigkeit des Konsonanten [k], an der die doppelte Nennung von

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 Quevedos «Ya que coplas componéis» als Echo auf Góngoras Satiren

caca einen beträchtlichen Anteil hat, imitiert dann das Klappern der Schnarre («matraca»). Da aber schon «matraca» in eine Redewendung eingebettet ist (dar matraca für ‘gegen jemanden sticheln’), in der das entsprechende Wort übertragen verstanden wird, kehrt sich die wörtliche Bedeutung von ‘ihr habt den Kot entdeckt’ in Vers 9 figurativ in einen Phraseologismus, der besagen will, dass jemand etwas öffentlich gemacht hat, was verschwiegen bleiben sollte (hierzu die Analyse in 3.3), und unterstreicht damit die Aussage von «para secretas» und «públicas» in den Versen 3 und 4. Zu guter Letzt wird die verbale Obszönität in caca durch die Wiederholung desemantisiert und spiegelt die Geste wieder, mit der die Mutter dem Kind etwas untersagt, so dass Góngora hier in die Schranken gewiesen wird. Aus den letzten drei Beispielen sollte ersichtlich werden, dass der Einsatz expliziter Obszönität nicht bei einer einfachen Beleidigung verweilt, sondern auf Grund von Ambiguität außerhalb des Obszönen die Dichtungskritik gegen Góngora argumentativ stützt.

4 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte: «Este cíclope, no sicilïano» und die Fábula de Polifemo y Galatea In diesem Kapitel soll das Sonett «Este cíclope, no sicilïano» Behandlung finden, das in José Manuel Blecuas Ausgabe von Quevedos Poesía original completa die Nummer 832 trägt.235 Es ist bei Blecua wie die zuerst besprochene Dezimendichtung unter der Rubrik sátiras personales geführt und mit dem Epigraph «Contra D. Luis de Góngora y su poesía» überschrieben. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Gedichtüberschriften ähnlich wie weitere paratextuelle Elemente – marginale Annotationen und Quellenangaben – nicht in gesichertem Maße auf den Verfasser zurückgehen, sondern vielmehr auf den frühneuzeitlichen Kompilator von Textsammlungen respektive Herausgeber von Drucken. Dies ist zumindest beim Parnaso Español weitestgehend der Fall, in dem Jusepe González de Salas 1648 erstmals einen Großteil von Quevedos Gedichten edierte. In der holprigen Prosa des Herausgebers hört sich die Begründung für die eigenständige Setzung von Gedichtüberschriften folgendermaßen an: «De los títulos míos es que preceden a cada poesía, pues siendo ellos muy breves, dan grande luz para la noticia del argumento que contiene cada una [...]».236 González de Salas scheut sich auch nicht, einige Gedichte Quevedos aus stilistischen, moralischen und weiteren Gründen zu emendieren und fragmentarisch gebliebene Texte zu vervollständigen.237 Vor diesem Hintergrund kann der vermittels des Epigraphs gesetzte Bezug auf Góngora und seine Dichtung nicht als verbürgtes Wissen gelten. Auf das etwaige Verhältnis des Sonetts «Este cíclope, no sicilïano» zu Góngoras Werk sowie die Frage von Datierung und Zuschreibung soll im Folgenden näher eingegangen werden, auch wenn editionsphilologische Aspekte nicht den Kern der Behandlung bilden. Die folgenden philologischen Anmerkungen (in 4.1) sehen sich allerdings darin legitimiert, dass Daten zur Überlieferung des hier im

235 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1096). 236 Vgl. das Vorwort zum Parnaso, abgedruckt in Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. I, 94). 237 Vgl. Blecuas Einleitung in Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. I, xi–xxxviii, bes. xiv– xvi). Für eine detaillierte Analyse von Jusepe González de Salas’ Herausgebertätigkeit in Quevedos posthumem Parnaso Español und die Diskussion zum Verhältnis von Herausgeber und Dichter vgl. Cacho Casal (2001).

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 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte

Zentrum stehenden Texts in der Forschung mithin zu weitreichenden Urteilen bis hin zur Ausmusterung aus dem Werk Quevedos geführt haben. Der Versuch einer annähernden Datierung sowie die Analyse intertextueller Referenzen auf Góngoras Werk (in 4.2) sind zum einen für die Chronologie der Kontroverse von Belang und beleuchten zum anderen auch, wodurch sich der Einsatz verbaler Obszönität in Quevedos Attacken motiviert sieht. Somit tragen sie dazu bei, das Verständnis der satirischen Stoßrichtung zu befördern. Den Hauptteil dieses Kapitels (4.3) bildet die eingehende Analyse des betreffenden Sonetts im Hinblick auf die verschiedenen Wissensdiskurse, auf die rekurriert wird und die dieses als eine äußerst ausgefeilte Invektive erscheinen lassen. In einem abschließenden Teil (4.4) werden die Aussagen, die zu den einzelnen Diskursen zuvor getroffen wurden, noch einmal gebündelt und in den größeren Zusammenhang der Bewertung von Formen und Funktionen verbaler Obszönität in Quevedos Dichtungskritik gestellt.

4.1 Philologische Anmerkungen 4.1.1 Datierung Nach Blecuas Kenntnisstand ist das Gedicht «Este cíclope, no sicilïano» lediglich in dem Manuskipt 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo in Santander auf uns gekommen, er datiert es kurz nach 1613.238 Emilio Carilla nennt keine Jahreszahl, siedelt den Text aber nach dem Erscheinen von Góngoras Fábula de Polifemo y Galatea (1613) an, auf die Quevedos Sonett sich beziehe.239 James O. Crosby stellt die These auf, dass das Sonett wegen seiner Boshaftigkeit noch zu Góngoras Lebzeiten, also vor 1627, entstanden sein müsse.240 Diese Einschätzung mag in der Maxime «de mortuis nil nisi bene» begründet sein. Wenn man das Epitaph «Este que, en negra tumba, rodeado»241 als satirischen Nachruf auf Góngora für authentisch hält, scheint sich Quevedo an diese Maxime allerdings nicht zu halten. Antonio Carreira bezweifelt, dass sich das hier im Zentrum stehende Gedicht direkt auf Góngoras Fábula beziehe. Er nimmt eine Vermittlung des Stoffs via Góngoras Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero» (Nr. 124 nach der Zählung von

238 Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. III, 240). 239 Carilla (1949, 57, Fn. 17). 240 Crosby (1967, 163). 241 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, Nr. 840).

Philologische Anmerkungen 

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Biruté Ciplijauskaité) an,242 das auf das Jahr 1615 datiert. Somit ergibt sich bei Carreira ein späterer Zeitpunkt der Verfassung als bei Blecua.243 Den Rekurs auf Góngoras Sonett Nr. 124 und die daraus resultierende Datierung von Quevedos «Este cíclope, no sicilïano» hatte bereits Luis Astrana Marín angenommen: «Escrito hacia julio de 1615 contra el Polifemo de Góngora, novedad con que se encontró Quevedo en la corte a su regreso de Sicilia. Responde al soneto de Góngora: ‹Pisó las calles de Madrid...›».244 Aus ähnlich gelagerten Gründen unternimmt Cacho Casal eine Datierung auf die Jahre 1615–1616.245 Marie Roig Miranda sieht sich auf Grund ihrer Analyse der Stilentwicklung in Quevedos Sonetten dazu veranlasst, den hier im Zentrum stehenden Text als ein Produkt der letzten Schaffensphase anzusehen, und datiert ihn zwischen 1640 und 1645, also erst nach Góngoras Tod.246 Für Carilla bildet hingegen Góngoras Sonett Nr. 124 eine direkte Antwort auf «Este cíclope, no sicilïano»,247 womit sich bei ihm der Redaktionszeitraum von Quevedos Text letztendlich zwischen 1613 und 1615 eingrenzen ließe. Um das Gesagte noch einmal kurz zusammenzufassen, so ist für die Entstehung des Sonetts «Este cíclope, no sicilïano» 1613 als terminus post quem unstrittig. Das Datum der Abfassung durch Quevedo divergiert allerdings beträchtlich: kurz nach 1613 bei Blecua, 1613–1615 bei Carilla, 1615 bei Astrana Marín, 1615–1616 bei Cacho Casal, 1615 oder später bei Carreira, zwischen 1640 und 1645 bei Roig Miranda.

4.1.2 Quellenlage Wie bereits in den einleitenden Betrachtungen und im Zusammenhang der Dezimendichtung «Ya que coplas componéis» erwähnt wurde, bezweifelt Robert Jammes, dass die Zuschreibung aller nur im Manuskript 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo befindlichen antigongorinischen Texte in Quevedos Œuvre legitim sei.248 In der skizzierten Argumentationslinie von Jammes

242 Góngora y Argote, Sonetos completos (1982, 197). 243 Carreira (1988, 149). 244 Quevedo y Villegas, Obras completas de Don Francisco de Quevedo Villegas (1932, vol. II: Obras en verso, 153a, Fn. 2). 245 Cacho Casal (2003, 310). 246 Roig Miranda (1989, 448). 247 Carilla (1949, 57, Fn. 17). 248 Jammes (1994, 677).

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 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte

sieht sich dann auch Amelia de Paz dazu veranlasst, die Attribuierung des Sonetts 832 zurückzuweisen.249 Aus welchen Gründen auch immer stellt Jammes aber die Hypothese auf, dass es sich bei dem Herausgeber des Parnaso Español, Jusepe Antonio González de Salas, um den Autor der seines Erachtens fragwürdigen Zeilen handeln könne.250 Diese These von Jammes verwundert umso mehr, da der Herausgeber des Parnaso Español aus Gründen der Dezenz Emendierungen an Quevedos Gedichten vornahm,251 woraus ein gewisses Unbehagen gegenüber obszönen Themen auf Seiten González de Salas’ abzuleiten wäre. Wenn man diesen moralischen Vorbehalt aber außer Acht lässt, wäre es einem etwaigen Verfasser oder Vervollständiger González de Salas auch zuzumuten gewesen, dass dieser die betreffenden Texte in seine Edition von Quevedos Parnaso Español aufnimmt. Dort finden sie sich aber nicht. Neben dieser Ausmusterung, so Jammes, sei «Este cíclope, no sicilïano» unter Umständen eine der ein bis zwei Ausnahmen, die keine schlecht geschriebenen Gedichte sind, denen vollkommen der Witz abgehe.252 Jammes lässt uns leider im Unklaren, wie er zu dieser Auswahl kommt und welche die Kriterien für sein Urteil sind. Roig Miranda hält es zumindest für das schönste der insgesamt drei antigongorinischen Sonette.253 Carreira sieht in Bezug auf das Thema der betreffenden Zeilen und das etwaige Opfer der Invektive nicht den geringsten Grund gegeben, Góngora für den Besitzer des in dem Sonett beschriebenen Gesäßes zu halten.254 Es bliebe dann allerdings zu fragen, wie Carreira den dreizehnten Vers des Sonetts («éste es el culo, en Góngora y en culto») und die Epigraphe (siehe weiter oben) verstanden wissen will. Carreira ist auch meiner Kenntnis nach der einzige, der diese Meinung vertritt. Ansonsten sind sich Quevedisten wie Gongoristen, Befürworter der Zuschreibung des betreffenden Texts in Quevedos Werk wie deren Gegner darin einig, dass es sich beim Adressaten um Luis de Góngora handelt. Um die Attribuierungsfrage zu ergänzen: Fernando Plata Parga erweitert Blecuas Kenntnisstand der Quellenlage um das Vorkommen des betreffenden

249 Paz (1990, 38). 250 Jammes (1994, 678, Fn. 101). 251 Vgl. Blecuas Einleitung in Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. I, xiv). 252 Jammes (1994, 677). 253 Roig Miranda (1989, 448). Gemeint sind die Nummern 832, 833 und 834 von Quevedo y Villegas, Poesía original completa. 254 Carreira (1988, 149): «no hay la menor razón para pensar que el trasero descrito pertenezca a Góngora».

Philologische Anmerkungen 

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Sonetts in einem weiteren Manuskript,255 in dem es neben weiteren Texten vermittels des Titels «Versos satyricos de D[on] fran[cis]co de Queuedo q[ue] no estan en su Parnaso Impreso» in Quevedos Œuvre eingereiht wird.256 Dieser Fund räumt die Zweifel von Seiten Robert Jammes’ und Amelia Paz’ zwar nicht aus, mildern sie aber dahingehend, dass nicht nur von einer singulären Dokumentation des Sonetts auszugehen ist.

4.1.3 Quevedos Text Im Folgenden sei nun zuerst einmal der Text wie bei Blecua abgedruckt, um die entsprechenden Passagen, auf die sich die anschließenden Ausführungen beziehen, möglichst im Zusammenhang vor Augen zu haben; etwaige Varianten in der von Plata Parga aufgefundenen Version des Manuskripts March werden dabei nur eingeschränkt berücksichtigt, eine Edition dieser Fassung steht meines Wissens noch aus:257 1

«Este cíclope,258 no sicilïano, del microcosmo sí, orbe postrero; esta antípoda faz, cuyo hemisfero zona divide en término italiano;

5

este círculo vivo en todo plano; este que siendo solamente cero, le multiplica y parte por entero todo buen abaquista veneciano;

10

el minoculo259 sí, mas ciego vulto; el resquicio barbado de melenas; esta cima260 del vicio y del insulto;

255 Gemeint ist das Manuskript 87/V3/11 der Biblioteca de don Bartolomé March Servera in Palma de Mallorca, das im Folgenden kurz «Manuskript March» genannt wird. 256 Plata Parga (2000, 303). 257 Cacho Casal lag die Fassung im Manuskript March vor; er gibt einige Varianten an, die für seine Argumentation wichtig erscheinen (Cacho Casal 2003, 309, Fn. 324, und 314, Fn. 330). 258 Síclope im Manuskript March (Cacho Casal 2003, 309, Fn. 324). 259 monuculo im Manuskript March (Cacho Casal 2003, 314, Fn. 330). Cacho Casal nimmt in dem Abdruck des Sonetts die Setzung eines orthographischen Akzents vor: minóculo (Cacho Casal 2003, 309). Dieser sieht sich in dessen Interpretation des Worts als Zusammensetzung aus dem lateinischen Verb mino und dem Substantiv oculus legitimiert (Cacho Casal 2003, 314; zur Kritik dieser Interpretation siehe weiter unten im Abschnitt 4.3). 260 çima im Manuskript March (Cacho Casal 2003, 309, Fn. 324).

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 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte

éste, en quien hoy los pedos son sirenas, éste es el culo, en Góngora y en culto, que un bujarrón le conociera261 apenas.»

4.1.4 Lexikalische Frequenz Bei der Betrachtung des Sonetts scheint es neben den editionsphilologischen Einwänden bezüglich der Überlieferungslage vordergründig ein weiteres Argument gegen eine Einordnung des Sonetts 832 in Quevedos dichterisches Werk zu geben: die geringe Frequenz, mit der die hier benutzte Lexik in den übrigen Gedichten Quevedos anzutreffen ist.262 So ist gleich das zweite Wort, «cíclope» (V.  1), als Hapax legomenon in der Versdichtung zu werten; es findet sich daneben lediglich die Form «Ciclope» in Vers 871 des ersten Gesangs vom Poema heroico de las necedades y locuras de Orlando el enamorado,263 hier allerdings mit einer Betonungsverschiebung, wie sie das Reimwort «arrope» im darauf folgenden Vers nahelegt. Als Ableitung findet sich die adverbiale Wortneuschöpfung Quevedos «cíclopemente» ebenfalls als Hapax in einem antigongorinischen Epitaph,264 dessen Zuschreibung nach unter 3.1 aufgeführten Kriterien auf Grund seiner Dokumentation in dem Manuskript 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo (das einzige nach dem Kenntnisstand Blecuas)265 und darüber hinaus auch im Manuskript March266 ebenfalls zweifelhaft erscheinen müsste. Des Weiteren sind folgende Formen als Hapax legomena in Quevedos Versdichtung zu veranschlagen: «sicilïano» (V. 1),267 «microcosmos» (V. 2.),268 «antípoda» (V. 3), der Italianis-

261 Cacho Casal (2003, 309, Fn. 324) liest im Manuskript 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo conozera, was als Futur zu interpretieren wäre (in moderner Graphie also: conocerá). 262 Ein überaus nützliches Hilfsmittel bei der Ermittlung solcher Häufigkeiten sind die im Jahr 1993 von Santiago Fernández Mosquera und Antonio Azaustre Galiana veröffentlichten Indices de la poesía de Quevedo. 263 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1246, Nr. 875). 264 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1102, Nr. 840). 265 Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. III, 245). 266 Plata Parga (2000, 304). 267 Ohne Diärese kann man die weibliche Form einzig in der Epístola satírica y censoria contra las costumbres presentes de los castellanos (Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 134, Nr. 146, V. 124) antreffen, hier aber ohne derb-komische Konnotationen. 268 Die verbale Wortneuschöpfung microcosmar in der flektierten Form mit angehängtem Klitikum «microcosmóte» findet sich ebenfalls einzig in einem Text, der allerdings nicht ausschließlich in Manuskript 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo überliefert ist (Quevedo y Villegas, Poesía

Philologische Anmerkungen 

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mus «hemisfero» (V. 3),269 «abaquista» (V. 8), «veneciano» (V. 8), «insulto» (V. 11), «minoculo» (V. 9).270 «[V]ulto» (V. 9) erscheint nur noch in einer satirischen Dezimendichtung,271 die in zwei Handschriften und in den ersten beiden ParnasoDrucken von 1648 und 1649 überliefert ist,272 «cima» (V. 11) nur noch in einem Túmulo273 und dort in wörtlicher Bedeutung als ‘Bergspitze’, «plano» außerdem nur noch an zwei Stellen, «cero» in weiteren drei und zwar rein satirisch-burlesken Gedichten, wozu eines wiederum zu den nach Blecua nur im Manuskript 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo überlieferten Texten zählt, «círculo» (V. 5) außerdem nur noch an vier Stellen, um hiermit die exemplarische Aufzählung zu beenden. Die geringe Frequenz der in «Este cíclope, no sicilïano» verwandten Lexik in der restlichen Versdichtung Quevedos ist aber wie gesagt nur vordergründig ein Argument gegen die Zuschreibung des Sonetts in Quevedos Œuvre. Dagegen ließe sich behaupten, dass Quevedo hier ja gerade einen Stil respektive Wissensformationen in parodistischer Weise bemüht, die er kritisieren will. So darf es in letzter Konsequenz auch nicht verwundern, dass er die kritisierte Lexik selbst nicht verwendet, es sei denn innerhalb eines satirisch-burlesken Kontexts mit ridikülisierender und/oder korrektiver Tendenz.274 So findet sich – wie oben angeführt – das aus dem Italienischen entlehnte cero respektive das damit verbundene Konzept der Zahl Null in der Mathematik, welches über die italienischen Kaufleute in Spanien Einzug gehalten haben mag, nur in rein satirisch-burlesken Texten.275 Gestützt wird dieses Gegenargument in

original completa, 1996, 1100, Nr. 838, V. 5); Blecua nennt noch vier weitere Manuskripte (Quevedo y Villegas, Obra poética, 1969, vol. III, 243); im Manuskript March fehlt der Text. 269 Zur Einschätzung als Italianismus vgl. Carreira (1988, 149); das spanische «hemisferio» tritt daneben in Quevedos Versdichtung an drei Stellen auf. 270 Vielleicht ein Schreibfehler oder eine Minimalparodie zu monóculo – dazu weiter unten –, das ebenfalls in Quevedos Versdichtung nicht anzutreffen ist. 271 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 694, Nr. 672, V. 57). 272 Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. II, 198). 273 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 257, Nr. 231, V. 4). 274 Die Herkunftsbezeichnungen sowie das Wort cima scheinen mir ausgenommen von einer solchen Bewertung, da es sich nicht um Neologismen handelt (cima ist bereits bei Berceo belegt; vgl. DCECH, s.  v.). Bei insulto in der Bedeutung ‘(persönlicher) Angriff’ handelt es sich wahrscheinlich um eine frühneuzeitliche Entlehnung aus dem Italienischen (vgl. DCECH, s. v. saltar). 275 Ähnlich zu werten ist das Vorkommen von «Ciclope» in der Orlando-Parodie Quevedos. Die durch das Reimwort «arrope» forcierte Betonungsverschiebung könnte eine italienische Aussprache suggerieren. Im Spanischen war aber bereits in der Frühen Neuzeit die Betonung auf der Antepaenultima geläufig. Ein Beleg hierfür mag die Entlehung in renascimentalen katalanischen Texten sein (DCVB, s. v. ciclop): «En la literatura renaixentista anterior a la publicació

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der parodistischen Zuspitzung, die darin besteht, die benannten Kultismen und Neologismen wiederum einer eigenen Wortbildung zu unterziehen.276 So wird aus dem Substantiv cíclope ein Adverb «cíclopemente»,277 das gegen die Regeln der spanischen Wortbildung verstößt,278 aus dem Konzept des Mikrokosmos (microcosmo) eine analogische Operation per se (microcosmar in «microcosmote»).279

del diccionari Fabra, s’escrivia i pronunciava cíclop, amb accent damunt la i per influència castellana». 276 Am konzentriertesten kommt dieses Verfahren in dem ebenfalls, aber nicht ausschließlich im Manuskript 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo überlieferten antigongorinischen Sonett «¿Qué captas, nocturnal, en tus canciones...?» zum Tragen (Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 1100, Nr. 838; zum aktuellsten Forschungsstand bezüglich der Quellenlage vgl. Cacho Casal 2003, 346s., Fn. 38): «¿Qué captas, nocturnal, en tus canciones, Góngora bobo, con crepusculallas, si cuando anhelas más garcibolallas las reptilizas más y subterpones? Microcosmote Dios de inquiridiones, y quieres te investiguen por medallas como priscos, estigmas o antiguallas, por desitinerar vates tirones. Tu forasteridad es tan eximia, que te ha de detractar el que te rumia, pues ructas viscerable cacoquimia, farmacofolorando como [m]umia, si estomacabundancia das tan nimia, metamorfoseando el arcadumia.» So wird gleich im ersten Vers das gelehrte Adjektiv nocturno zu «nocturnal» substantiviert (vielleicht in Analogie zu Nomina wie albañal für ‘Kloake’ und orinal für ‘Nachttopf’). In Vers 2 befindet sich eine Verbalisierung aus dem Kakemphaton crepúsculo (‘Abenddämmerung’). Für eine ausführlichere Besprechung, die m.  E. nicht in allen Details überzeugend ist, vgl. Cacho Casal (2003, 346–355). 277 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1102, Nr. 840, V. 18). 278 Die spanischen Adverbien auf -mente sind deadjektivische Bildungen. 279 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1100, Nr. 838, V. 5). Gemeint ist hier die analogische Inbezugsetzung des Himmels mit seinen Gestirnen zum menschlichen Körper mit seinen Gliedern. Vgl. hierzu Rico (1970, mit Bezug auf die hier genannte Stelle bes. 235). Vgl. auch die weiteren Ausführungen im Zuge der folgenden Gedichtinterpretation. Auf die Parodie der analogischen Episteme wird in der abschließenden Bewertung in diesem Kapitel noch einmal zurückzukommen sein.

Philologische Anmerkungen 

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4.1.5 Werkinterne Kongruenzen Folgt man diesem Gegenargument allerdings nicht und sieht in der Betrachtung der lexikalischen Frequenz in Quevedos Versdichtung eher Jammes’ und Paz’ Ausmusterung des betreffenden Sonetts aus dem quevedianischen Œuvre bestätigt,280 könnte aber in internen Kongruenzen des quevedianischen Schaffens eine Abmilderung der vorgebrachten Zweifel gesehen werden. Der Reim von sirenas und (einer Ableitung von) penas beispielsweise ist in Quevedos Œuvre relativ häufig. In vier von fünf Stellen, an denen sich sirenas im Versausgang befindet, ist penas eines der unmittelbar benachbarten Reimwörter oder das entsprechende Reimwort am Ende der vorangegangenen Strophe: «sirenas» / «apenas» in V.  52–53 von Nr. 202 der Poesía original completa;281 «sirenas» / «las penas» in V.  37–38 von Nr. 291;282 «mis penas» / «sirenas» in V. 71–72 von Nr. 401;283 «las penas» / «mis sirenas» in V. 4 und V. 8 von Nr. 491.284 Des Weiteren lesen wir in der ersten Strophe eines satirisch-burlesken Sonetts, das in den ersten beiden Editionen des Parnaso Español von 1648 und 1649 abgedruckt ist und darüber hinaus nach Blecua noch in einem Manuskript vorliegt,285 also die philologischen Minimalanforderungen für eine Zuschreibung nach der Auffassung von Asensio und Paz erfüllt: «La esfera, en que divide bien compuestas repúblicas de luz el rayo elegante, entre vuesa excelencia y entre Atlante, uno la tiene a cargo y otro a cuestas.»286

Quevedo richtet sich mit diesen Zeilen an den Duque de Lerma, den derzeitigen Valido von Philipp III., dem er einen Himmelsglobus und ein Kästchen mit mathematisch-astronomischen Instrumenten geliehen hatte. Diese, so die Epigraphe von González de Salas im Parnaso Español, habe der Herzog Quevedo aber noch

280 In dieser Argumentation läge m.  E. ein Zirkelschluss vor: Denn wenn man die Zuschreibung beinahe aller Gedichte, die sich auf Góngora und dessen Dichtungsstil beziehen, in Zweifel zieht, wie sollte man dann nach der Eskamotierung dieses Themenkreises aus dem quevedianischen Œuvre die sich auf diesen Kontext beziehenden parodistischen Elemente an anderer Stelle vorfinden? 281 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 220). 282 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 311). 283 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 406). 284 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 492). 285 Vgl. Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. II, 234). 286 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, Nr. 678, 713).

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 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte

nicht wieder zurückgegeben.287 Die ersten beiden Verse dieses Quartetts weisen eine große Äquivalenz mit «esta antípoda faz, cuyo hemisfero / zona divide en término italiano» (V. 3–4) auf; im ersten Fall ist es ein eleganter Lichtstrahl, der wohlgeordnete (himmlische) Staaten auf der Himmelskugel teilt, im zweiten Fall eine Zone, die in Hemisphären spaltet. In der Romance de la Roma,288 die ebenfalls in den beiden ersten ParnasoDrucken und einem weiteren Manuskript dokumentiert ist und die Blecua unter der Angabe des Jahres 1623 als terminus ante quem zu datieren versucht,289 wird in den Versen 37–44 Ähnliches thematisiert wie in dem hier im Zentrum stehenden Text, und dies auch unter Verwendung äquivalenter Bilder:

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«La llaneza de tu cara en nada disimulo, pues profesara de culo, si un ojo no le sobrara. Extranjeros no eran buenos, aunque más te regalaran: que hay putos que no reparan en un ojo más o menos.»290

So wird hier bei der Gleichsetzung von Gesäß und Gesicht der (wahrscheinlich auf Grund einer syphilitischen Infektion) flachnäsigen Frau zum einen das derbe Wort culo in Vers 39 verwandt, zum anderen aber auch in dem Bild des siebenunddreißigsten Verses «llaneza de tu cara» (‘die Flachheit deines Gesichts’) analog zum «círculo vivo en todo plano» (‘lebendiger / leuchtender Kreis, gänzlich flach’) unseres Sonetts angesprochen, die Frage der Ein- oder Mehräugigkeit diskutiert und das Thema der Sodomie eingeführt.291 Verlässt man das Gebiet der Versdichtung und nimmt man sich der satirischburlesken Prosa Quevedos an, so finden sich zuerst einmal keine direkten Kongruenzen von «Este cíclope, no sicilïano» zu den Texten, die vorrangig das kul-

287 Vgl. Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. II, 234). Eine ausführliche Besprechung dieses Sonetts und der historischen Hintergründe findet sich in Martinengo (1983, 42–71). González de Salas datiert den Text auf das Jahr 1617 (vgl. Blecua in seiner Edition von Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 713, Nr. 678, Fn. *). 288 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1067–1070, Nr. 803). 289 Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. III, 208). 290 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1068). 291 Sodomiten scheinen sich nach der Aussage dieses Sonetts nicht daran zu stören, ob es ein ‘Auge’ mehr oder weniger gibt, Hauptsache es ist ein ojo im Sinne von ‘After’ vorhanden, das für die Penetration zur Verfügung steht.

Philologische Anmerkungen 

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teranistische Stilgebaren ridikülisieren, weder in der Aguja de navegar cultos292 noch in La culta latiniparla.293 Auch enthalten die Stellen weder der Kurzprosa noch der Sueños, an denen über die Dichter gehandelt wird, Übereinstimmungen zum hier besprochenen Sonett. Ebenfalls lassen sich keine Äquivalenzen feststellen in Bezug auf die Satirisierung der astronomisch-kosmographischen und medizinischen Diskurse, die in dem hier im Zentrum stehenden Text als Isotopien bemüht werden (vgl. 4.3). Lediglich in dem skatologischen Traktat Excelencias y desgracias del salvo honor [...] o Gracias y desgracias del ojo de culo, der aller Wahrscheinlichkeit nach bereits im Jahr 1620 vorlag, mit Gewissheit aber im Jahr 1626,294 finden wir einige analoge Stellen: Gleich zu Beginn der Auflistung der Vorzüge des Afters schreibt Quevedo «[...] pues su forma es circular, como la esfera y dividido en un diámetro o zodíaco como ella»,295 worin die Nennung von «círculo» (V. 5) und die Aussage «cuyo hemisfero / zona divide» (V. 3–4) des hier betrachteten Sonetts wieder aufgenommen erscheint. Weiter heißt es: «[...] tiene solo un ojo, por lo cual algunos le han querido llamar tuerto, y si bien miramos, por esto debe ser alabado, pues se parece a los cíclopes, que tenían un solo ojo y descendían de los dioses.»296

Die Bezeichnung des Afters als ‘blindes Auge’ («[ojo] tuerto») geht konform mit der Äußerung «ciego vulto» (‘blindes Gesicht’, V. 9). Die Ähnlichkeit des Gesäßes mit den Zyklopen («parece a los cíclopes») stellt wie die Nennung von «cíclope» gleich im ersten Vers des Gedichttexts den Bezug zum antiken Mythos her. Da es sich bei dem Gesäß um ein einäugiges Gesicht handelt, verfügt es auch über nur eine Augenbraue: «una [ceja] que puede ser cola de matalote o barba de un letrado [o médico].»297 Mit der Evozierung des Gesäßes als bärtig ist eine Übereinstimmung zu «resquicio barbado» (für ‘bärtiger Spalt’) in Vers 10 von «Éste cíclope, no sicilïano» gegeben. Dieser «resquicio barbado» geht konform mit der Beschreibung der Augen in Quevedos burleskem Traktat:

292 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 437s.). 293 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 443–459). 294 Vgl. hierzu Celsa Carmen García-Valdés’ Einleitung in Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 13–143, bes. 92). 295 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 357). 296 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 357). 297 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 358). Für die Hinzufügung von «o médico» in zwei Manuskripten und allen Drucken vgl. Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 358, Fn. 16).

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«Lo otro, se sabe que ha habido muchos filósofos que para vivir bien se han sacado los ojos, porque, comúnmente, ellos y los sabios cristianos los llaman ventanas del alma, por donde ella bebe veneno de vicios; por ellos hay enamorados, incestos, estrupos, adulterios, iras y robos [...]»298

Die Augen sind hier identifiziert mit den «ventanas del alma» (‘Fenstern der Seele’);299 im Sonett finden wir eine andere Hausöffnung an, nämlich die (Tür-) Spalte. Durch beide scheinen die Laster in die Seele Einzug zu halten, so dass auch der After in Quevedos Sonett als «esta cima del vicio y del insulto» (als ‘Spitze des Lasters und der Beleidigung’, V. 11) apostrophiert werden kann. Über die Namen des Gesäßes liest man dann in Excelencias y desgracias del salvo honor: «Los nombres, pues, que tiene son sin misterio: trasero, por serlo y llevar como sirvientes delante de sí a todos los miembros del cuerpo; culo, voz tan bien compuesta que llena la boca del que nombra; y [ha habido] quien le ha puesto nombre gravísimo y latino llamando a las nalgas antífonas, por ser dos [...]»300

Die erste Bezeichnung, trasero (wörtlich für ‘Hintern’), erinnert an die Nennung von postrero in «orbe postrero» (für ‘hinterer / letzter Weltkreis’, V. 2), der zweite Ausdruck, das derb-indezente Wort culo, das hier wegen seiner vorzüglichen lautlichen Beschaffenheit gepriesen wird, tritt im Sonett isoliert in Vers 13 und als Wortbestandteil in «círculo» (V.  5) und «minoculo» (V.  9) auf, und bei dem Latinismus antífonas für die Gesäßbacken («nalgas») lassen sich ähnliche lautliche und wortspielerische Charakteristika ausmachen wie bei der Nennung von «antípoda» im dritten Sonettvers. Als letztes Beispiel sei noch folgende Passage aus Quevedos Traktat angeführt: «Y lo merece todo. Porque también, sin ser abeja, hace cera [o cerote], que así dicen del que tiene miedo.»301 Hier sei das Augenmerk auf die Wörter cera und

298 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 359s.). 299 Dieser oculus-animae-fenestra-Topos geht wahrscheinlich auf das Matthäusevangelium (Mt 6,22–23) zurück. Für die Reihung «enamorados, incestos, estrupos, adulterios, iras y robos» vgl. auch die Behandlung der luxuria in Thomas von Aquins Summa Theologiae IIa–IIae q. 154: «Deinde considerandum est de luxuriae partibus. Et circa hoc quaeruntur duodecim. Primo, de divisione partium luxuriae. Secundo, utrum fornicatio simplex sit peccatum mortale. Tertio, utrum sit maximum peccatorum. Quarto, utrum in tactibus et osculis et aliis huiusmodi illecebris consistat peccatum mortale. Quinto, utrum nocturna pollutio sit peccatum. Sexto, de stupro. Septimo, de raptu. Octavo, de adulterio. Nono, de incestu. Decimo, de sacrilegio. Undecimo, de peccato contra naturam. Duodecimo, de ordine gravitatis in praedictis speciebus». 300 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 362s.). 301 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 370).

Philologische Anmerkungen 

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cerote gelenkt, das erste als Bezeichnung für das Bienenwachs, dann aber auch als Euphemismus für den Kot,302 das zweite für das Schusterpech, übertragen für eine große Angst und dann hier wohl auch als Euphemismus für den Kot.303 In dem Ausdruck «solamente cero» (V. 6) in Quevedos Sonett mag neben dem Zahlwert auf Grund der lautlichen Nähe zu cera und cerote auch eine skatologische Nuance mitschwingen.304 Aus der Gegenüberstellung des Sonetts «Este cíclope, no sicilïano» mit dem Traktat Excelencias y desgracias del salvo honor, dessen Zuschreibung in das Œuvre Quevedos als gesichert gilt,305 lassen sich auffällig viele Kongruenzen feststellen, was eine Attribuierung des Sonetts trotz der vorgebrachten editionsphilologischen Zweifel plausibel macht. Bei diesem Vergleich wurden bereits einige inhaltliche Aspekte angeschnitten, die im Laufe dieses Kapitels weiter ausgeführt werden sollen.

4.1.6 Stand der Forschung Trotz der Zuschreibungsfrage hat «Este cíclope, no sicilïano» schon mehrfach Aufmerksamkeit erfahren; die mir bekannten Arbeiten zu dem Sonett in seiner Ganzheit seien hier kurz angeführt:306 Eine erste Kurzkommentierung findet sich im Editionsteil von Ignacio Arellanos Inauguaraldissertation von 1984,307 die – wie die Einzelinterpretation im Folgenden zeigen wird – in Bezug auf das breite Spektrum semantischer Felder etwas oberflächlich bleibt.308 Eine knappe Interpretation des Texts findet sich

302 Für diese letzte Bedeutung s. Carreiras Kommentar zu den Versen 116–117 der Romanze «Cuando la rosada Aurora» in Góngora y Argote, Romances (1998, vol. IV, 128). 303 Vgl. für die ersten beiden Bedeutungen Diccionario de Autoridades (vol. II, 285b). Zur Beschreibung der analen Inkontinenz als Folge großer Angst siehe auch Quevedos Cid-Parodie Pavura de los condes de Carrión (Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 963–966, Nr. 764). 304 Vgl. die Ausführungen in Kapitel 3. 305 Vgl. García-Valdés’ Einleitung in Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 13–143, bes. 91). 306 Des Weiteren werden mit Verweis auf das erste Quartett bei Francisco Rico einige Aussagen gemacht, die eher einer oberflächlichen Einordnung und als Beispiel der literarischen Umsetzung der Mikrokosmos-Makrokosmos-Lehre dienen (Rico 1970, 232s.). Dabei verweist Rico anhand einer Stelle ebenfalls auf die Parallelität des ersten Quartetts zu einer Stelle von Quevedos skatologischen Traktat Gracias y desgracias del ojo de culo (Rico 1970, 233, Fn. 317). 307 Arellano (2003, 594). 308 Generell kann man sich bei Ignacio Arellanos Kurzkommentierungen des Eindrucks nicht

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auch im Kapitel 2.1.4 des Analyseteils bei Arellano.309 Zuvor wurde das Sonett bereits von Maria Gracia Profeti im Jahr 1980 ansatzweise gedeutet.310 Nach Arellanos umfassender Studie zur satirisch-burlesken Versdichtung Quevedos, die allerdings nur die Sonette behandelt, erfuhr der Text durch Marie Roig Miranda,311 Frank Savelsberg312 und Rodrigo Cacho Casal313 nähere Beachtung. Auf die Ergebnisse dieser Studien soll bei der Analyse an gegebener Stelle zurückgegriffen werden, so dass hier auf eine detaillierte Besprechung verzichtet werden kann. Es sei lediglich darauf hingewiesen, dass sich teilweise Überschneidungen zu den Ausführungen Cacho Casals ergeben, die hier vorgestellte Analyse ist jedoch unabhängig davon entstanden und basiert vorrangig auf eigenen Vorüberlegungen.314

4.2 Intertextuelle Bezüge auf Góngoras Fábula und das Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero» 4.2.1 Góngoras Fábula In dem Sonett «Este cíclope, no sicilïano» bezieht sich Quevedo bereits im ersten Vers explizit auf die 1613 erstmals veröffentlichte Fábula de Polifemo y Galatea Góngoras, die ihrerseits vor allem auf der ovidischen Beschreibung des Mythos in dessen Verwandlungen fußt.315 Dieser Stoff erfreute sich in der Frühen Neuzeit insgesamt, und auch im Spanien des beginnenden 17. Jahrhunderts anscheinend größerer Beliebtheit, so wurde beispielsweise zwei Jahre vor Erscheinen der gongorinischen Fassung die Fábula de Acis y Galatea von Luis Carrillo y Sotomayor veröffentlicht.316

erwehren, dass gerade obszöne Passagen wenig erhellend behandelt oder sogar nur mit einem Verweis wie etwa «alusión obscena» übergangen werden. 309 Arellano (2003, 243–245). 310 Profeti (1984b, bes. 210s.). 311 Roig Miranda (1989), vgl. für die einzelnen Stellen den Index auf Seite 621. 312 Savelsberg (1997/1998, 45s.; 2004, bes. 219–222). 313 Cacho Casal (2003, 308–314). 314 Savelsberg (1997/1998; 2004). 315 Gemeint ist Ovidius, Metamorphoses (Ov. met.) Buch XIII, V. 744–897; vgl. hierzu den ausführlichen Kommentar Dámaso Alonsos zu den einzelnen Strophen in Alonso (1967, vol. III). 316 Vgl. den Kommentar in Alonso, Góngora y el «Polifemo» (1967, vol. III, 38); zur Stoffgeschichte siehe Alonso, Góngora y el «Polifemo» (1967, vol. I, 186–207).

Intertextuelle Bezüge auf Góngoras Fábula und «Pisó las calles de Madrid el fiero» 

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Ein Bezug von Quevedos Text auf diese Fábula von Carrillo y Sotomayor scheint allerdings völlig ausgeschlossen, da in Carrillos Fassung im Gegensatz zur ovidischen Vorlage und der gongorinischen Fábula keine Beschreibung des Zyklopen erfolgt, auf der das Bildrepertoire Quevedos fußt. Anders als in Góngoras Version lassen sich bei Carrillo weder die explizite Nennung der Insel Sizilien finden,317 noch eine derart große Häufung an lexikalischen Kultismen.318 Auf die unterschiedliche Akzentsetzung bei der Rezeption des ovidischen Stoffes durch Carrillo y Sotomayor und Góngora hat auch Hanno Ehrlicher eindrücklich hingewiesen.319 Der Konnex zum Mythos kündigt sich bei Quevedo bereits durch die Nennung des Zyklopen im ersten Halbvers an. Das zweite Hemistichion evoziert dann die Heimat dieser mythischen Gestalt, nämlich Sizilien durch das Adjektiv «sicilïano» (‘sizilianisch’) am Ende des Verses.320 Dieses Reimwort mit Trema versehen bildet dann auch eine direkte Referenz auf den ersten Vers der vierten Strophe von Góngoras Fábula: «Donde espumoso el mar sicilïano» (V. 25), mit dem nach einer vierstrophigen Widmung die Narration erst einsetzt. Darüber hinaus findet sich in Quevedos Beschreibung des zyklopischen einen Auges als «orbe»321 eine Entsprechung in der Fábula Góngoras bei der Beschreibung der Stirn des Zyklopen («el orbe de su frente»), die nur ein Auge trägt («un ojo»).322 Aber nicht nur die Metapher wird hier parodistisch bemüht,323 sondern auch das Wortmaterial an und für sich: So handelt es sich bei orbe im Spanischen um einen Latinismus, der laut Joan Coromines zwar erstmals bei Dichtern des 15.  Jahrhunderts wie beispielsweise dem Marqués de Santillana belegt ist, vermehrt aber erst bei den Kulteranisten zu Beginn des 17. Jahrhundert Verwendung findet.324 Gerade dieser Worttyp ist es ja, der Quevedos Sonett vorrangig strukturiert, neben orbe sind in die Liste der gelehrten Entlehnungen zumindest noch micro-

317 Schon gar nicht vermittels des Adjektivs «sicilïano», das als Kakemphaton bei Quevedo die skatologische Isotopieebene mit aufbaut; vgl. dazu die weitere Interpretation in diesem Kapitel. 318 Für den Text Carrillos siehe etwa die Ausgabe: Carrillo y Sotomayor, Obras (1990, bes. 199– 216). 319 Ehrlicher (2002, 266s.). 320 Auch wenn hier gesagt wird, dass der Zyklop, um den es in diesem Sonett gehen soll, dort eben nicht anzusiedeln sei; dazu im nächsten Unterkapitel mehr. 321 Für geographisch ‘Weltkreis’, dann aber auch astronomisch für ‘Himmelssphäre’; vgl. hierzu die Einträge orbe1 und orbe2 in Diccionario de Autoridades (vol. IV, 47a–b). 322 Vers 51 in der siebenten Strophe; hier Góngora y Argote, Fábula de Polifemo y Galatea (1983, 135). 323 Um die Parodie wird es an gegebener Stelle noch zu tun sein. 324 DCECH (vol. IV, 290b).

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cosmo (für ‘Mikrokosmos’, V.  2), antípoda (für ‘Antipode’, V.  3), hemisfer(i)o (für ‘Hemisphäre’, V.  3), zona (für ‘Zone’ im kosmologischen Verständnis der Zeit, V.  4), término (u.  a. für ‘Bezirk’, V.  4), círculo (u.  a. für ‘Kreis’, V.  5), cero (für ‘Null’, V. 6), ábaco (für ‘Abakus’) in Quevedos Entlehnung anscheinend aus dem Venezianischen «abaquista» (‘Abakist’, V. 8) aufzunehmen, die sich womöglich wie orbe erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu etablieren beginnen.325 Als weitere gelehrte Ausdrücke finden sich in dem Sonett noch das Adjektiv «plano» (Dublette zum Erbwort llano für ‘flach’, im Siglo de Oro laut Coromines auch in der Bedeutung ‘offensichtlich’, V. 5),326 der rein dichterische Latinismus «vulto» (für ‘Gesicht’, V. 9) und «culto» (hier für den von Góngora vertretenen Dichtungsstil, V. 11). Bei der Durchsicht von Góngoras Fábula nach diesen Termini finden sich noch weitere Übereinstimmungen zwischen dem gongorinischen Langgedicht und Quevedos Sonett: So liest man im letzten Vers der dritten Strophe des Polifemo, als Abschluss des Widmungsteils gerichtet an den Conde de Niebla: «tu nombre oirán los términos del mundo» (V. 24);327 diese geographische Nennung von «términos del mundo» (für ‘Enden der Welt’) und die Wiederholung von «los términos» im Narrationsteil des Polifemo (Strophe 41, V. 323) scheint in Quevedos Äußerung «en término italiano» (für u. a. ‘im italienischen Bezirk’, V. 4) zumindest mitzuschwingen. Bei der Beschreibung des Zyklopen haben in der achten Strophe folgende Verse (V. 61–64) Polyphems Bart zum Thema: «un torrente es su barba impetüoso, que (adusto hijo de este Pirineo) su pecho inunda, o tarde, o mal, o en vano surcada aun de los dedos de su mano.»328

325 In diese Reihe gehören auf jeden Fall die Ausdrücke ábaco, antípoda, círculo und cero, hemisfer(i)o: Ábaco ist im Spanischen erstmals 1585 belegt (vgl. DCECH, vol. I, 3b). Laut Coromines tritt das auf das Spätlateinische (Isidor von Sevilla) zurückgehende Wort antípoda, wenn auch sporadisch schon vorher dokumentiert, vermehrt zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf (vgl. s. v. pie, DCECH, vol. IV, 533a). Der Ausdruck círculo ist erstmals in Alfonso de Palencias Universal vocabulario (Sevilla, 1490) belegt, Ableitungen wie etwa circular datieren erst auf den Beginn des 17. Jahrhunderts (vgl. s. v. cerco, DCECH, vol. II, 42a). Laut Coromines wurde das spanische cero für ‘Null’ erst um 1600 aus dem Italienischen entlehnt (DCECH, vol. II, 50a). Hemisferio ist bereits im 15. Jahrhundert belegt, der Italianismus hemisfero außer der hier bei Quevedo vorliegenden Stelle noch in einem Text von 1584 (vgl. s. v. semi-, DCECH, vol. V, 189a). 326 Plano ist als Kultismus etwa bei Quevedos und Góngoras Zeitgenossen Paravicino belegt (vgl. s. v. llano, DCECH, vol. IV, 722a). 327 Góngora y Argote, Fábula de Polifemo y Galatea (1983, 134). 328 Góngora y Argote, Fábula de Polifemo y Galatea (1983, 135s.).

Intertextuelle Bezüge auf Góngoras Fábula und «Pisó las calles de Madrid el fiero» 

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Dieser Bart, der bei Góngora als reißender Bergstrom («un torrente [...] impetüoso») die Brust des Zyklopen überflutet («su pecho inunda»), findet sich bei Quevedo in der Wendung «el resquicio barbado de melenas» (vorerst in etwa ‘mähnenartig bärtiger Spalt’, V. 10). Als weiteres Beispiel sei hier noch das Vorkommen von vulto und culto genannt, beide in der sechsunddreißigsten Strophe, in der sich Galatea in die ungepflegte Schönheit Acis’ verliebt: «En la rústica greña yace oculto el áspid, del intonso prado ameno, antes que del peinado jardín culto en el lascivo, regalado seno: en lo viril desata de su vulto lo más dulce el Amor, de su veneno; bébelo Galatea, y da otro paso por apurarle la ponzoña al vaso.»329

Culto ist hier bei der Nennung in Verbindung eines Gartens im Sinne von ‘bebaut, bestellt’ verwandt; im Kontrast zur Vollkommenheit des locus amoenus vermag das unvollkommene Gesicht («vulto») Acis’ zu bezaubern. Wie bei Góngora treten auch in Quevedos Sonett die Wörter culto und vulto als Reimwörter auf.330 Der Kaufmannsdiskurs mit dem semantischen Feld des Rechnungswesens («divide», «parte», «multiplica», «abaquista») und der Nennung italienischer Staaten («sicilïano», «italiano», «veneciano») scheint bei Quevedo ebenfalls motiviert durch die Vorlage Góngoras.331 Dort wird in der fünfundfünfzigsten Strophe der Schiffbruch eines Handelsschiffs vor den Gestaden Siziliens beschrieben (V. 433–436): «En tablas dividida, rica nave besó la playa miserablemente, de cuantas vomitó riquezas grave, por las bocas de Nilo el Orïente.»332

Dabei findet ebenfalls das Verb dividir Verwendung, hier aber in dem Kontext des durch den Schiffbruch in die einzelnen Planken zerteilten Rumpfs. Der Vers 449 nennt dann auch einen Vertreter einer italienischen Handelsnation (hier aber einen Genovesen: «ginovés»), der auf einer solcher Planke im Meer treibt.

329 Góngora y Argote, Fábula de Polifemo y Galatea (1983, 146). 330 Bei Quevedo am Ende jeweils der Verse 9 und 13. 331 Zum Kaufmannsdiskurs siehe die ausführlichere Besprechung im nächsten Unterkapitel. 332 Góngora y Argote, Fábula de Polifemo y Galatea (1983, 152).

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 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte

Als letztes Beispiel sei hier noch die Nennung von «viciosa cumbre» angeführt (für ‘lasterhafter Gipfel’ in Strophe 19, V. 145),333 die im ersten Terzett von Quevedos Text in der Wendung «esta cima del vicio y del insulto» (für ‘diese Spitze des Lasters und der Beleidigung’, V.  11) wieder aufgenommen zu sein scheint.

4.2.2 Góngoras Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero» Im Vergleich zu Góngoras Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero», das Astrana Marín, Carreira und Cacho Casal als direkten Auslöser von «Este cíclope, no sicilïano» erachten,334 lassen sich folgende Beobachtungen machen. Zuerst sei das Sonett Góngoras der besseren Verständlichkeit halber abgedruckt und der Inhalt kurz referiert: 1

«Pisó las calles de Madrid el fiero monóculo galán de Galatea, y cual suele tejer bárbara aldea soga de gozques contra forastero,

5

rígido un bachiller, otro severo (crítica tuba al fin, si no pigmea) su diente afila y su veneno emplea en el disforme cíclope cabrero.

10

A pesar del lucero de su frente, le hacen oscuro, y él en dos razones, que en dos truenos libró de Occidente: ‹Si quieren›, respondió, ‹los pedantones luz nueva en hemisferio diferente, den su memorïal a mis calzones›.»335

Góngora bezieht sich in diesem Sonett auf die Kritiker seiner Fábula de Polifemo y Galatea. Sein Text habe in Madrid, wo sich seit 1606 der Hof wieder niedergelassen hatte, zu zirkulieren begonnen, dies wird in dem Bild zum Ausdruck gebracht, dass die Fábula personifiziert in der Figur des Polyphem die Straßen

333 Góngora y Argote, Fábula de Polifemo y Galatea (1983, 139). 334 Quevedo y Villegas, Obras completas de Don Francisco de Quevedo Villegas (1932, vol. II, 153a, Fn. 2); Carreira (1988, 149); Cacho Casal (2003, 310). 335 Góngora y Argote, Sonetos completos (1982, 197).

Intertextuelle Bezüge auf Góngoras Fábula und «Pisó las calles de Madrid el fiero» 

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derselben betreten habe («Pisó las calles de Madrid el fiero / monóculo galán de Galatea», V. 1–2). Diese Stadt aber, die als ungebildetes, rohes Dorf apostrophiert wird («bárbara aldea», V. 3), sei so provinziell und borniert, dass sie nichts Anderes zu tun pflege, als gegen jedwedes Fremde («contra forastero», V.  4) Ränke zu schmieden («tejer [...] soga», V.  3–4)336 respektive seine Wachhunde («gozques», V. 4) zu hetzen. Diese Attitüde der Residenzstadt wird dann im zweiten Quartett weiter ausgeführt: So macht sich der eine oder andere strenge siebengescheite Bakkalaureus337 daran («rígido un bachiller, otro severo», V. 5), an dem hässlichen HirtenZyklopen («disforme cíclope cabrero», V. 8) als Fortführung der Hundemetapher in Vers 4 seine Zähne zu wetzen («su diente afila», V. 7) respektive sein Gift zu versprühen («su veneno emplea», V.  7). Dabei sei die vorgebrachte Kritik zu guter Letzt nichts weiter als ein kleinkariertes, unbedeutendes Herumposaunen («crítica tuba al fin, si no pigmea», V. 6). Dem Tatbestand zum Trotz, dass der Zyklop ein Gestirn auf seiner Stirn trage, werde er als dunkel und unverständlich («oscuro», V. 10)338 aufgenommen, so das Resümee im ersten Terzett, einer Argumentation, der der Zyklop mit zwei Gegenreden («dos razones», V. 10) begegnet,339 nämlich zwei Donnerschlägen, die er löste und zwar von der Seite des untergehenden Gestirns her («que en dos truenos libró de Occidente», V. 11). Welche diese Seite nun ist, von der das Donnern erschallt,

336 Tejer soga bedeutet wörtlich ‘den Strick drehen’ und evoziert damit auch das Exekutionsszenario eines Galgens. 337 Für diese pejorative Bedeutung von bachiller vgl. den Eintrag bachiller3 in Diccionario de Autoridades (vol. I, 527b): «Communmente, y por vilipéndio se dá este nombre, y se entiende por el que habla mucho fuera de propósito, y sin fundamento.» 338 Für die rhetorisch-poetologische Bedeutung von oscuro vgl. beispielsweise den Eintrag obscuridad5 in Diccionario de Autoridades (vol. V, 9b): «Se toma por la confusion de estilo, ò falta de explicación en lo que se escribe ò habla.» Damit ist natürlich das Konzept der obscuritas in der klassischen Rhetorik gemeint, die als Verstoß gegen die perspicuitas als Ausdruckslaster zu werten ist (vgl. hierzu die verschiedenen Arten in Lausberg 2008, §§ 1067–1070, 513s., und die Ausführungen in 2.2.2 der vorliegenden Studie). 339 Die Zweizahl bleibt in ihrer Signifikanz hier unklar, scheint aber im Spanien des 17. Jahrhunderts für den Bereich des Skatologischen konventionalisiert zu sein: vgl. hierzu auch die im Vorangegangenen bereits erwähnte Bezeichnung der Gesäßbacken als Antiphonen: «y [ha habido] quien le ha puesto nombre gravísimo y latino llamando a las nalgas antífonas, por ser dos [...]» (Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa, 1993, 363). Mithilfe einer metonymischen Verschiebung ist das Körperteil bei Quevedo wohl nach den Lauten benannt, die es als Instrument hervorbringt, also in wörtlicher Bedeutung Gegentöne, Antworten, die von der dem Gesicht entgegengesetzten Seite erzeugt werden. Dabei handelt es sich bei Quevedo und ggf. auch bei Góngora um ein Spiel mit dem liturgischen Ausdruck für die beiden Kehrverse, die einen Psalmvers umrahmen, und eben dessen wörtlicher Bedeutung.

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 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte

wird dann im zweiten Terzett klarer: Wenn diese großen Pedanten (pedantones hier als Augmentativ von pedante vor allem im Verständnis von kleingeistigen Lateinlehrern, eine Wiederaufnahme der Bakkalaurei des fünften Vers’)340 neues Licht in einer anderen Hemisphäre («hemisferio diferente», V. 13) haben wollten, sollten sie sich an dessen Kniehosen wenden («den su memorïal a mis calzones», V. 14). Ohne bereits zu viel von der Interpretation von «Este cíclope, no sicilïano» im folgenden Unterkapitel vorwegzunehmen, seien hier kurz einige Kongruenzen zwischen dem gongorinischen Sonett und Quevedos Text angeführt, die sich aus dem unvermittelten Rekurs auf Góngoras Polifemo nicht erklären lassen: Zuerst ist der skatologische Diskurs zu nennen, der Quevedos Sonett vorrangig strukturiert und der sich lediglich als parodistischer Reflex auf die Fábula Góngoras begründen ließe.341 Hier aber in Góngoras Sonett ist die Skatologie bereits vor-

340 Vgl. die Einträge pedante1 und pedante2 in Diccionario de Autoridades (vol. V, 180a): «El Maestro que enseña à los niños la Gramática por las casas» und «Llaman también al que se precia de sábio, no teniendo mas que unas cortas notícias de Latin». Es ist sehr verwunderlich, dass Cacho Casal (2003), der in seinem fünften Kapitel gerade das Thema der Pedanterie und seiner italienischen Vorlagen (Folengo und Fidenzio) in Bezug auf die Parodie des gongorinischen Stilgebarens von Seiten Quevedos analysiert, auf diese direkte Thematisierung in Góngoras Sonett nicht eingeht und dieses lediglich in Bezug auf die intertextuellen Verweise («monóculo», «cíclope», «hemisferio»; dazu weiter unten mehr) behandelt (Cacho Casal 2003, 310). Vielleicht liegt dieses Vorgehen darin begründet, dass der Vorwurf der Pendanterie, den Góngora den Kritikern seiner Fábula macht, gerade im Gegensatz dazu steht, Góngoras Stil holzschnittartig in die italienische pedanteske Tradition einzureihen, wie es Quevedo in seinen Invektiven unbestritten tut. Zu fragen wäre dann nur, ob der Pedanterie-Vorwurf nicht schon zu einer leeren Floskel der Dichtungskritik zu Beginn des 17. Jahrhunderts erstarrt ist, wenn er hier von beiden Lagern argumentativ eingesetzt werden kann. 341 Das stimmt eigentlich so nicht ganz. Wenn man noch einmal zu den Übereinstimmungen in der Lexik zwischen «Este cíclope, no sicilïano» und dem Polifemo zurückgeht, fällt auf, dass zumindest an zwei Stellen Quevedo auf Passagen der Fábula rekurriert, wo Góngora sich ebenfalls einen Stilbruch in Richtung verbale Obszönität erlaubt: Am offensichtlichsten ist das in den Versen 433–436 der Fall, wo der Schiffbruch eines Handelsschiffs thematisiert wird und sich Góngora des Verbs vomitar (‘erbrechen’) metaphorisch bedient, dann aber auch bei der Beschreibung des Gartens, in dem Acis schläft, wo das Adjektiv lascivo (Strophe 36) verwendet wird, bei dem sexuelle Konnotationen zumindest mitschwingen. Zu burlesken Elementen im zweiten Langgedicht Góngoras, den Soledades, vgl. Jammes (1983). Am Fall des Bedeutungswandels von lascivo lässt sich geradezu exemplarisch demonstrieren, welchen Einfluss Góngoras Dichtungsstil auf die Entwicklung des Spanischen in der Frühen Neuzeit gehabt hat: Der Diccionario de Autoridades (1734) verzeichnet unter lascivo1 die Definition: «Lo que excede en lo deleitoso ò lozáno. Dicese especialmente de los vegetábles: como la vid, la hiedra, &c.» (Diccionario de Autoridades, vol. IV, 365a). Im locus amoenus-Kontext des Polifemo ist genau dieses gemeint. Zu Quevedos Zeiten war aber diese Bedeutung sekundär,

Intertextuelle Bezüge auf Góngoras Fábula und «Pisó las calles de Madrid el fiero» 

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bereitet: in der Nennung der Donnerschläge, die anscheinend von der Rückseite des Zyklopen («Occidente», V. 11) gelöst werden, also als Flatulenzen des zyklopischen Gesäßes aufgefasst werden können,342 dann in der Beschreibung des Gesäßes selbst als «hemisferio diferente» (V. 13) und der expliziten Nennung der Kniehosen («calzones, V. 14). «[H]emisferio» (V. 13) hat dann auch fasst wörtlich in Quevedos Text Einzug gehalten («hemisfero», V. 3), und die Beschreibung des Gesäßes als «hemisferio diferente» könnte ihr Echo in Quevedos Wendungen «orbe postrero» (für ‘hinterer Weltkreis’, V. 2) und «antípoda faz» (für ‘gegenpoliges Gesicht’, V. 3) gefunden haben. Weitere beinahe wörtliche Übernahmen finden sich in der parodistischen Wiederaufnahme von Góngoras «monóculo galán» (V. 2) in «minoculo» zu Beginn des ersten Terzetts bei Quevedo, dann in der Auflösung des als Kakemphaton aufzufassenden «pedantones» (V.  12) als «pedos» (V.  12). Die Bezeichnungen aus dem Kleinheitsbereich (minus in «minoculo», V. 9; «cero», V. 6) könnten bei Quevedo durch die Nennung von «pigmea» (V. 6) in Bezug auf die Kritiker des Polifemo und im Kontrast zu der riesenhaften Gestalt des Zyklopen motiviert sein. Diese kurze Zusammenschau sollte deutlich gemacht haben, dass Astrana Marín, Carreira und Cacho Casal mit ihrer im Einzelnen nicht begründeten Einschätzung richtig liegen und Quevedos Sonett nicht nur einen Bezug auf Góngoras Fábula de Polifemo y Galatea beinhaltet, sondern auch ein Echo auf Góngoras Antwort auf die Vorwürfe seiner Gegner in «Pisó las calles de Madrid el fiero» bildet. Damit wäre die Datierung in Richtung Carreiras Vorschlag zu modifizieren, das Jahr 1615 als terminus post quem anzusetzen und Carillas Wertung von «Pisó las calles de Madrid el fiero» als Antwort auf «Este cíclope, no sicilïano» zurückzuweisen.343

eine Lehnbedeutung aus der klassisch-lateinischen Dichtungssprache. So findet sich im Tesoro de la lengua castellana o española von 1611 lediglich die Definition: «el que está afecto de tal pasión [i.  e. lascivia: vale lujuria, incontinencia de ánimo, inclinación y propensión a las cosas venéreas...]» (Covarrubias Orozco, Tesoro de la lengua castellana o española, 1995, 702a). Diese originäre spanische Bedeutung ist im Diccionario de Autoridades zur Sekundärbedeutung abgestiegen, belegt durch Quevedo-Zitate. Zum gongorinischen Gebrauch von lascivo vgl. auch Alonsos Kommentar zur sechsunddreißigsten Strophe des Polifemo (Alonso 1967, vol. III, 178). 342 Diese tiefen Töne sind bereits in der Nennung der Basstuba in Vers 6 vorbereitet. Cf. hierzu auch schon Dante in seiner Divina Commedia, Inferno XXI, 139 (vgl. König 1995). 343 Ob eine Festlegung des Entstehungszeitraums auf den etwa Juli 1615 (Astrana Marín in Quevedo y Villegas, Obras completas de Don Francisco de Quevedo Villegas, 1932, vol. II, 153a, Fn. 2) oder 1615–1616 (Cacho Casal 2003, 310) vorgenommen werden kann, muss hier unbeantwortet bleiben.

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 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte

4.3 Der gongorinische Zyklop und der Zyklop «Góngora» Wie bereits in den vorangegangenen Abschnitten angeklungen ist, wird in Quevedos Sonett «Este cíclope, no sicilïano» vermittels des ersten Verses ein intertexueller Bezug zu Góngoras 1613 veröffentlichter Fábula de Polifemo y Galatea gesetzt; dieser besteht zuerst in der Nennung des Zyklopen im ersten Halbvers («Este cíclope»). Damit wird auf eben einen der Protagonisten von Góngoras Fábula verwiesen, nämlich auf den einäugigen Riesen Polyphem, der die Insel Sizilien bewohnt. Darüber hinaus stellt aber die gesamte Phrase ein Zitat aus der Fábula Góngoras dar: Sie tritt ebenfalls bei der Beschreibung des zyklopischen Erscheinungsbildes in der siebenten Strophe auf (V. 50–53), ist aber dort durch ein extremes Hyperbaton besonders markiert: Zwischen Demonstrativpronomen und Substantiv befindet sich eine Parenthese von beinahe drei Versen. Neben den Kultismen und Neologismen sind es ja besonders die syntaktischen Sperrungen, die Góngoras neues Stilgebaren in den epischen Langgedichten von 1613 ausmachen,344 und so setzt Quevedo anscheinend bewusst an dieser Stelle mit seiner Invektive ein, indem er die Trennung zweier Satzglieder durch den Klammereinschub wieder in direkte Adjazenz überführt:345 «este (que, de Neptuno hijo fiero, de un ojo ilustra el orbe de su frente, émulo casi del mayor lucero) cíclope [...]»346

Der Inhalt der Parenthese ist dann – wie aus den näheren Ausführungen ersichtlich werden soll – neben dem Rekurs auf Góngoras «Pisó las calles de Madrid el fiero» dasjenige, was in Quevedos Sonett parodistisch auskomponiert wird. Des Weiteren steht im Ausgang ebenfalls dieses ersten Sonettverses das Adjektiv «sicilïano», das sich auch am Ende von Vers 25 in Góngoras Text befindet, mit dem nach den Widmungsstrophen die Narration der Fábula erst einsetzt. So viel noch einmal zur Situierung.

344 Vgl. hierzu Alonso (1967, vol. I, 150–156). 345 Quevedo korrigiert hiermit das vitium der obscuritas, die in einer langen Parenthese besteht (vgl. Quint. inst. 8,3,15: «Et quoniam orationis tam ornatus quam perspicuitas aut in singulis verbis est aut in pluribus positus, quid separata, quid iuncta exigant consideremus. Quamquam enim rectissime traditum est perspicuitatem propriis, ornatum tralatis verbis magis egere, sciamus nihil ornatum esse quod sit inproprium»; zur Kategorisierung s. auch Lausberg 2008, § 1069, 513). 346 Góngora y Argote, Fábula de Polifemo y Galatea (1983, 135; Hervorhebung v. Vf.).

Der gongorinische Zyklop und der Zyklop «Góngora» 

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Neben dieser Funktion der Inbezugsetzung zu Góngoras Polifemo scheint der konkrete mythologische Kontext in Quevedos Sonett – zumindest was die Hirtenszenerie um Polyphem, Acis und Galatea anbelangt – eher zweitrangig; er dient lediglich der Einführung des Merkmals der Einäugigkeit, durch das das Volk der Zyklopen sich auszeichnet. Als weitere Attribute des Zyklopen Polyphem erscheinen nur noch dessen Bart («barbado», V. 10), und eine weitere mythologische Anspielung beinhaltet die Nennung der Sirenen («sirenas», V. 12). Diese letzte setzt einen Verweis also nicht auf die Sage von Polyphem und Galatea, sondern auf den Kontext des Mythenkreises um Odysseus’ Irrfahrten, in einer von deren Stationen der zentrale Held und seine Gefährten demselben Riesen Polyphem als Gefangene in dessen Höhle dienen. Dieser Situation können sie nur nach der Blendung des Zyklopen durch einen glühenden Holzpfahl entkommen.347 In diesen zweiten Sagenzusammenhang lässt sich dann auch die Aussage «el minoculo si, mas ciego vulto» (V. 9) stellen: Wenn man «minoculo» als Schreibfehler oder Parodie interpretiert und das lautverwandte monóculo als Bezeichnung eines Einäugigen (so etwa in Góngoras «Pisó las calles de Madrid el fiero / monóculo galán de Galatea») mitliest, ist das einäugige, aber blinde Gesicht («ciego vulto») eben das des Polyphem nach der Pfählung durch Odysseus. Und diese Blindheit («ciego») des Gesichts («vulto») respektive von dessen einem Auge spiegelt sich neben der expliziten Nennung in Quevedos Sonett auch in der lautlichen Verwandtschaft von «orbe» (V.  2) zum lateinischen Adjektiv orbus mit der nachklassischen Bedeutung ‘blind’ wieder.348 Dass es Quevedo hier in erster Linie nicht um den Zyklopen Polyphem geht, der auf Sizilien beheimatet ist, macht dann auch das zweite Hemistichion explizit klar, denn es handele sich um einen nicht sizilianischen Zyklopen («no sicilïano»). Wer dieser nicht sizilianische Einäugige nun sein oder zu wem er gehören dürfte, mag das Epigraph des Sonetts deutlich machen: «Contra D. Luis de Góngora y su poesía»,349 also zum Verfasser des Polifemo oder zum Text selbst, wenn man diesem Paratext Aussagekraft zugesteht.350

347 Vgl. den neunter Gesang in Homers Odyssee und den dritten Gesang in Vergils Aeneis, hier V. 613–691. 348 Vgl. z. B. Niermeyer (1976, 743b). 349 Quevedo y Villegas, Obra poética (1956, vol. III, 240). 350 Zur Setzung der Gedichtüberschriften und anderer paratexueller Verweise im Parnaso Español siehe die Ausführungen zu Beginn von Kapitel 4.

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 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte

4.3.1 Das Motiv der Einäugigkeit und die Isotopie des Runden Das einen Vertreter aus dem Volk der Zyklopen erst ausmachende Attribut der Einäugigkeit und das damit verbundene semantische Feld des Runden strukturiert dann auch einen Großteil des Gedichttexts: ciclo für ‘Kreis’ in der Nennung von «cíclope» (‘Zyklop’, V. 1), «orbe» (‘Weltkreis’, V. 2), «zona» (griechisch-lateinisch wörtlich für ‘Gürtel’, V. 4),351 «círculo» (‘Kreis’, V. 5), die graphische Gestalt der Ziffer Null («cero», V.  6), das durch «minoculo» (V.  9) evozierte und parodierte monóculo (‘Einäugiger’) sowie das kreisförmige Gesäß («culo», V. 11). Diese Strukturiertheit vermittels des Runden setzt sich auch in der auffallend häufigen Verwendung des annähernd kreisförmigen Graphems fort, am augenscheinlichsten wohl gleich im zweiten Vers: «del microcosmo sí, orbe postrero»,352 dann aber auch in Vers 5: «este círculo vivo en todo plano» und nach Emendierung des Schreibfehlers oder unter Hinzuziehung der parodierten Folie in Vers 9: «el m[o]n[ó]culo sí, mas ciego vulto» (alle Hervorhebungen v. Vf.).353 Dass Quevedo die lautliche Beschaffenheit von Wörtern besonders präsent ist,354 belegt auch die bereits zitierte Stelle aus dem skatologischen Traktat Excelencias y desgracias del salvo honor, wo das Wort culo burlesk gelobt wird, da seine

351 Covarrubias Orozco, Tesauro de la lengua castellana o española (1995, 986b): «Nombre griego ζώνη, vale cinta, o cíngulo; 2. llamamos zonas los círculos de la esfera, como las pinta Ovidio, lib. I, Metamorphoseon.» Diccionario de Autoridades (vol. VI, 569a–b): «Lo mismo que Banda, ò Faxa» und «Los Astrónomos, y Geógraphos cuentan cinco celebérrimas, en que dividen la Esphera, dos formadas por los círculos Polares, hácia uno y otro Polo, que llaman Frias, por estár sumamente apartadas de la Eclíptica, ò camino del Sol: una formada de la distancia, que hai del un circulo Solsticial al otro, dividida por la Eclíptica en dos partes, una Septentrional, y otra Autral que llaman Torrida, ò mui ardiente, por estár tan immediata al Sol, y à su Eclíptica, y las otras dos, que llaman Templadas, por no estár tan distantes del Sol como la primera, ni tan immediatas como la segunda, formandose de la distancia, que hai desde el circulo Solsticial al Polar en una y otra parte de la Esphéra. Todas ellas se consideran en la Esphera terrestre, como que corresponden, que están debaxo de las de la Celeste.» 352 Diese Frequenz ließe sich in diesem Vers durch eine medizinterminologische Lesart (dazu weiter unten) noch steigern: «del microcosmo sí, orb[o] postrero» (Hervorhebung v. Vf). 353 Der erste Vers «Este cíclope, no sicilïano» (Hervorhebungen v. Vf.) scheint hingegen den Kontrast zwischen den von Góngora angeschlagenen hohen Tönen, d. h. den hohen Stil, und den runden Vokalen aufzubauen sowie dieses Stilgebaren mit einem no – no (‘nein – nein’) in die Schranken zu weisen (etwa analog zum «caca» – «caca» in «Ya que coplas componéis»; vgl. Kapitel 3.3). 354 Quevedo imitiert und parodiert mit diesem Verfahren die besondere Musikalität von Góngoras Polifemo, die sich u. a. in der symmetrischen Versstrukturierung bezüglich der Vokalqualitäten zeigt (vgl. hierzu Smith 1961; Parker 1983, bes. 121; Carreira 2012).

Der gongorinische Zyklop und der Zyklop «Góngora» 

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Äußerung den gesamten Mund fülle: «culo, voz tan bien compuesta que llena la boca del que nombra.»355 Damit aber nicht genug: Am Schluss des ersten Sonettverses steht wie gesagt das Wort «sicilïano». Die Setzung eines Tremas356 lässt die beiden den Reim bildenden Silben –ano noch unterstrichen hervortreten.357 Neben «sicilïano» lässt sich –ano auch noch aus den Reimwörtern «italiano» (V. 4), «plano» (V. 5) und «veneciano» (V. 8) isolieren,358 bei denen allerdings keine betonende Diärese die Separierung so nahe legt wie im Fall des ersten Verses. Die Bezeichnung ano reiht sich dann zuerst einmal in die Serie der von Latinismen durchzogenen humanistischen Wissenschaftssprachen ein, die das gesamte Sonett strukturiert.359 Sie geht auf das lateinische anus zurück, das in seiner wörtlichen Bedeutung erst einmal einen Ring oder Kreis bezeichnet.360 Damit ordnet sich ano in erster Linie in das semantische Feld der Beschreibung von etwas Abstrakt-Rundem ein.361

4.3.2 Die Gleichsetzung von Gesicht und Gesäß In zweiter Instanz kann dann das lateinische anus auch die Bedeutung ‘After’ tragen,362 und in dieser ist es auch in die humanistische spanische Medizinfach-

355 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 363). 356 Diese erfolgte aller Wahrscheinlichkeit durch den Herausgeber, die zugrunde liegende Diärese ist allerdings geboten, da ansonsten der Vers nach den Regeln der spanischen Metrik nicht die Bedingungen eines Elfsilbers erfüllt. 357 Antonio Fábregas Alfaro interpretiert «sicilïano» als cruce léxico, in dem Quevedo verschiedene Konzepte miteinander verbindet: «sicilïano, donde la diéresis convierte el gentilicio en un cruce entre Siciliano y ano, y culterano, formado sobre culto y luterano, y usado – como se sabe – para la condenación estilística y moral de la obra de Góngora y los gongorinos» (Fábregas Alfaro 2005, 378). 358 Dazu auch Profeti (1984b, 211). 359 Dazu mögen folgende Äußerungen zählen: «microcosmo» (V. 2), «orbe» (V. 2), «antípoda» (V. 3), «hemisfero» (V. 3), «zona» (V. 4), «divide» (V. 4), «término» (V. 4), «círculo» (V. 5), «plano» (V.  5), «cero» (V.  6), «multiplica» (V.  7) «parte» (V.  7), «abaquista» (V.  8), «m[o]nóculo» (V.  9) sowie «ciego» (V. 9) und «melenas» (V. 10) in der jeweils spezifisch medizinischen Bedeutung; zur einzelnen Einordnung in die Wissensdiskurse der Zeit und der damit verbundenen semantischen Implikate siehe weiter unten. 360 Vgl. beispielsweise OLD (vol. I, 144a). 361 Der umschließende Reim in den Quartetten mag diese Zirkularität noch stützen, ist aber für die Bauform von Sonetten im spanischen Siglo de Oro der Normalfall. Auffällig ist lediglich, dass sich der Reim auf -ano gerade in den umschließenden Versen 1, 4, 5 und 8 befindet. 362 Vgl. beispielsweise OLD (vol. I, 144a).

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sprache eingegangen.363 Dieser Sinn in der Medizinterminologie eröffnet dann – wie auch schon José Manuel Blecua in seinem lakonischen Kommentar zu diesem Sonett andeutet – den gesamten Rest des Sonetts,364 das heißt eine Verschiebung vom Gesicht zum Gesäß. Als möglicher Auslöser dieser Transposition ist wohl zuerst an das tertium comparationis des Runden zu denken, das wohl beiden Körperteilen in gewissem Maße zugeschrieben werden kann. Daneben entsprechen sich das Gesicht des Zyklopen und das Gesäß in der ‘Einäugigkeit’ dahin gehend, dass – wie bereits in vorangegangenen Analysen angesprochen – das spanische Wort ojo neben der Bedeutung ‘Auge’ auch die von ‘After’ tragen kann.365 Im Folgenden soll die Entwicklung vom Gesicht zum Gesäß im Sonett nachgezeichnet werden. Die Setzung des Themas beginnt im ersten Vers durch die Nennung von «cíclope». Die Griechen benannten das mythische Volk der Zyklopen nach dem physischen Charakteristikum, das dieses vom Menschengeschlecht unterschied, nämlich das einzige ‘Rundauge’ im Gesicht (vgl. griechisch κύκλωψ für ‘der Rundäugige’).366 Es handelt sich aber in diesem Vers nicht nur um einen Zyklopen, der nicht auf Sizilien beheimatet ist, sondern um überhaupt keinen Riesen,367 der nur ein Rundauge im Gesicht trägt, auch als totum pro parte um kein Auge im Gesicht, sondern um einen After (ano). Dies wird plausibel, wenn man das Komma an eine andere Stelle rückt; dann ergäbe sich folgende Lesart (Modifikation und Hervorhebung v. Vf.): «Este cíclope no, sí cili ano»

In dieser hypothetischen Version368 wäre als Chiasmus die oben skizzierte Aussage enthalten, wörtlich etwa: ‘Zyklop nicht, After doch.’369 Daneben würde

363 Joan Coromines sieht den Erstbeleg für das spanische ano in einem Text (Dioscurides-Übersetzung) von Andrés de Laguna aus dem Jahr 1555 (DCECH, vol. I, 275a). Es lässt sich aber bereits früher in spanischen Medizinfachtexten nachweisen, so etwa 1498 (vgl. DETEMA, vol. I, 112b). 364 «Pero las últimas sílabas de siciliano explican todo el soneto» (in Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, 1096, Fn. 1). 365 Vgl. Diccionario de Autoridades (vol. V, 27b). 366 Passow (1831, vol. I, 1368a). 367 Dass es sich nicht um einen Riesen handelt, sondern um etwas unbedeutend Kleines würde etwa der lateinische Elativ minus (für ‘ziemlich klein’) in Quevedos Wortschöpfung «minoculo» (V. 9) und das zweite Terzett nahe legen (hierzu detaillierter an gegebener Stelle). 368 Die Interpunktion geht wahrscheinlich auf Blecua zurück. In Carilla (1949, 57, Fn. 17), wird der erste Vers ebenfalls in der hypothetischen Form wie hier wiedergegeben: «Este cíclope no, sicili-ano». 369 Zu der Beliebheit der auf -ano endenden Wörter in der italienischen pedantesken Tradition und der Ridikülisierung dieses Sachverhalts (mit dem Vorwurf des Päderastentums) siehe Cacho

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die bei Góngora so häufig anzutreffende sí-no-Struktur parodistisch in Dienst genommen.370 Am Rande erwähnt sei, dass bei der Separierung des Wortes siciliano in die Bejahungspartikel sí und das Substantiv ano ein Rest bleibt, nämlich cili, der nur schwer einzuordnen ist, vielleicht auch nicht eingeordnet werden muss. Die Wahl des Adjektivs sículo (< lat. siculus) für ‘sizilisch’, hätte, wenn die metrischen Bedingungen es erlaubt hätten, diese Aussage ohne einen verbleibenden Rest noch expliziter gemacht, aber auch die graduelle Entwicklung von Kultismen in den Quartetten hin zu Standardsprache in den Terzetten (dazu weiter unten mehr) durchbrochen. Möchte man für diesen Rest eine Erklärung finden, so wäre sie etwa in dem lateinischen Wort cilia (Plural von cilium für ‘Augenlid’)371 zu suchen, auf das das spanische ceja (für ‘Lid’, ‘Augenbraue’) zurückgeht.372 Diese Interpretation erfährt ihre Plausibilität in der Tatsache, dass Quevedo dem After an anderer Stelle von Augenbutter borstig gewordene Wimpern zugesteht, die einem immer dann zuzwinkern, wenn man sich zum Defäkieren hinsetzt: «Tendrá [sc. el ojo de culo] legañas necesariamente la pestaña erizada como abrojo, y guiñará, con lo amarillo y flojo, todas las veces que a pujar se siente.»373

Die Zuschreibung der betreffenden Stelle ist allerdings umstritten, da der Text laut Blecua auch nur im Manuskript 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo überliefert ist. In ihrer Edition des skatologischen Traktats Excelencias y desgracias del salvo honor emendiert García-Valdes: «con una [ceja] que puede ser cola de matalote o barba de un letrado»,374 so dass sich ein ähnliches Bild des mit einer

Casal 2003, 312s.), woraus hier kurz ein Zitat aus Della Portas Tabernaria aus dem Munde eines Pedanten wiedergegeben sei: «Nomina desinentia in ano maximam dulcedinem significant et mihi summopere placent» (zitiert nach Cacho Casal 2003, 313). 370 Auch wenn man dieser Modifikation nicht folgen möchte, imitiert das Sonett Góngoras Struktur A, no B, sí C, sí D: «Este cíclope, no sicilïano» (V. 1), «del microcosmo sí, orbe postrero» (V.  2), «el minoculo sí, mas ciego vulto» (V.  9) [alle Hervorhebungen vom Vf.], worauf bereits Profeti (1984b, 210) und Cacho Casal (2003, 309) aufmerksam gemacht haben. Zur Beschreibung dieser Struktur in Góngoras Fábula vgl. Alonso (1967, vol. I, 159s.). 371 Vgl. ThLL (vol. III, 1057). 372 Vgl. etwa den Eintrag ceja1 in Diccionario de Autoridades (vol. II, 256a): «El medio círculo del superior del cóncavo del ojo, cubierto de pelo corto.» Vgl. auch das spanische Adjektiv ciliar in DRAE, s. v. 373 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 577, Nr. 608, V. 5–8). 374 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 358).

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Augenbraue versehenen Afters ergibt. Plausibilität erhält diese Interpretation von -cili- als mit blutigem Kot beflecktes Haar des Afters auch im Verlauf des hier besprochenen Sonetts (hierzu weiter unten).375 Nach diesem Exkurs nun wieder zurück zur Entwicklung vom Gesicht zum Gesäß in Quevedos Sonett: Góngora beschreibt in seinem Polifemo die Stirn des Riesen als «orbe» («en el orbe de su frente», V.  51). Wie bereits gesagt wurde, übernimmt Quevedo diese Metapher; durch die Attribuierung des Adjektivs «postrero» (V. 2) wird aber aus dem Kreis der auf der Vorderseite des Zyklopen befindlichen Stirn das hintere Rund des Gesäßes. Diese Verkehrung von Vorderund Rückseite findet sich auch in Vers 3: Zuerst wird das Gesicht vermittels der bereits im Spätmittelalter archaischen Bezeichnung faz wörtlich genannt;376 durch das beigestellte Wort «antípoda» wird die Verortung dieses Gesichts am Körper aber wiederum auf die diametral entgegengesetzte Seite verlagert.377 Ähnliches gilt für den Vers 5: Hier unterscheidet sich der Kreis zuerst einmal von der rein abstrakten geometrischen Form anscheinend durch seine Belebtheit («vivo»), die allerdings auch auf das runde Gesicht zutreffen würde. Doch handelt es sich nicht um ein Gesicht, da der hier beschriebene Kreis vollkommen eben ist («en todo plano»);378 gegen eine solche Ebenheit spräche beim Gesicht die hervorstechende Nase, die dem Gesäß fehlt, so dass bei ihm wirklich von einer planaren Form gesprochen werden kann.379 Daneben beinhaltet die Nennung von

375 Daneben kann das spanische ceja aber auch einen Kapodaster bezeichnen (vgl. Slaby/Großmann/Illig 1998, vol. I, 270b, s. v. ceja2; vgl. auch Diccionario de Autoridades, s. v.), mit dem man die Saiten beispielsweise einer Gitarre verkürzt, um höhere Töne zu erzielen. Im Zusammenhang mit der Dichtungskritik an Góngora könnte hier gemeint sein, dass in den Texten dieses Dichters die tiefen Töne höher gestimmt werden (vgl. hierzu auch die Ausführungen in 3.3) wie beispielsweise die Fürze im zweiten Terzett bei Góngora zum hohen Gesang der Sirenen: «éste, en quien hoy los pedos son sirenas, / éste es el culo, en Góngora y en culto» (V. 12–13). 376 Vgl. hierzu DCECH (vol. III, 329b). 377 Zur Antipodenfrage in Antike und Früher Neuzeit vgl. Vogel (1995); hier vor allem mit Bezug auf die Kirchenväter Laktanz und Augustinus das Kapitel II,6 und bezüglich der Revision des Weldbildes durch die Entdeckungen Kapitel V. 378 Wenn man hier «plano» als Adjektiv auffasst, das sich ebenfalls auf «círculo» bezieht, und «en todo» als adverbiale Steigerung davon (‘gänzlich’). 379 In der Romance de la Roma (Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, bes. 1068, Nr. 803) scheint der Beschreibung des Gesichts als eben wegen der Flachnäsigkeit der angesprochenen Frau nichts entgegen zu stehen (V. 37–40): «La llaneza de tu cara en nada disimulo, pues profesara de culo, si un ojo no le sobrara.»

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«círculo» eine Anspielung auf die lateinische Bezeichnung für den Schließmuskel circularis musculus.380 Ihren Abschluss findet diese Verschiebung vom Gesicht zum Gesäß in der expliziten Äußerung des als eindeutig obszön markierten Worts «culo» (‘Gesäß’) im zweiten, resümierenden Terzett. Diese direkte Nennung ist aber auch schon im Laufe des Sonetts materiell vorbereitet, wenn man «cír-culo» (V.  5) und «mino-culo» (V.  9) als Kakemphata auffasst, die eben jenen obszönen Ausdruck in sich bergen (Separierung und Hervorhebung v. Vf.). «[M]inoculo» zu Beginn des ersten Terzetts ließe sich dann in diesem Zusammenhang als eine Minimalparodie des gongorinischen «monóculo galán de Galatea» auffassen, womit wieder das Zyklopengesicht angesprochen wird, gleichzeitig aber als Kakemphaton interpretieren, welches das Bild eines besonders kleinen Gesäßes aufbaut (Wortschöpfung aus Lateinisch minus für ‘ziemlich klein’ und Spanisch culo vulgär für ‘Gesäß’).381 Im zweiten Terzett ist es dann auch, wo die Zugehörigkeit des After beim Namen genannt wird: «en Góngora y en culto» (‘bei Góngora und beim Kulteranisten’, V. 10). Auch die niederen, obszönen Produkte («pedos», für ‘Fürze’, V. 9) finden hier nun unverschleiert Erwähnung, obgleich

Doch auch wenn die planare Form des Gesichts der Flachnäsigen eine Verwechslung mit einem Gesäß zuließe, so stünde aber das Vorhandensein zweier Augen einer Identifizierung im Wege. Beim Zyklopen in unserem Sonett hier ist dieses Impedimentum der Identifizierung per definitionem von Anfang an ausgeräumt. 380 Vgl. hierzu die lateinische Übersetzung von griechisch κυκλοτερὴς μũς in Galens De anatomicis administrationibus (Gal. AA liber 5 in Galenus, Opera omnia, vol. II, 587). 381 Hierzu bereits Savelsberg (1997/1998, 45s.). Die Variante im Manuskript March monuculo würde einen Schreibfehler im Manuskript 108 der Biblioteca Menéndez Pelayo nahelegen, auch wenn diese selbst einen solchen beinhaltet. Nichtsdestotrotz soll hier an der Schreibung, wie sie Blecua wiedergibt, festgehalten werden, zum einen aus metrischen Gründen, was an anderer Stelle noch plausibel gemacht wird, zum anderen wegen der häufigen Wortneubildungen Quevedos diesen Typs gerade in Sprachsatiren. Auch in Cacho Casal (2003, 314) wird die Schreibung mit präferiert und ein Neologismus für wahrscheinlicher als ein Schreibfehler gehalten («Minóculo, pues, parecería más un malintencionado neologismo quevediano que la errata de un copista»), es wird aber eine Betonung des Wortes auf der Antepaenultima gewählt: minóculo. Dies erfährt seine Begründung darin, dass Cacho Casal eine Wortbildung aus dem (spät-)lateinischen Verb mino für ‘etwas vorantreiben’ (vgl. als Variante zu klassisch lateinischem minar ODL, vol. I, 1112c) und oculus für ‘After’ annimmt, wobei er eine Anspielung auf sodomitische Sexualpraktiken vermutet. Meines Wissens ist aber für oculus die aus dem Spanischen extrapolierte umgangssprachliche Bedeutung ‘After’ nicht belegt (hier findet sich vielmehr die Metapher des Mundes, os sedis, Gal. AA 5 in Galenus, Opera omnia, vol. II, 587: «reliquo omni tempore circularis his musculus constrictus sedis os claudit [...]»). Gegen die Betonung auf der Antepaenultima sprechen m. E. wie bei der Lesart monóculo metrische Gründe.

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deren Urheber sie uns als herrlich hohen Gesang von Sirenen («sirenas», V.  9) verkaufen wollen.382 Das hier besprochene Sonett scheint mit der Verschiebung vom zyklopischen Gesicht zum Gesäß erst einmal der Figur von Góngoras Fábula, dann aber auch metonymisch des Verfassers selbst und dessen Anhängerschaft («en Góngora y en culto», V. 10), der Aufforderung des monóculo galán aus Góngoras Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero» zu entsprechen: «‹Si quieren›, respondió, ‹los pedantones luz nueva en hemisferio diferente, den su memorïal a mis calzones›.»383

Damit wäre «Este cíclope, no sicilïano» als eine Eingabe verstanden, die sich an die Kniehosen und damit auch das Gesäß des gongorinischen Zyklopen richtet. Eine bei der Nennung der Kniehosen aufgebaute sexuelle Konnotation, wie sie sich dann ebenfalls im Bedeutungsfeld der Sodomie bei Quevedo entwickelt, scheint schon bei Góngora gegeben zu sein, wenn er die der Tradition nach sodomitischen Praktiken zugeneigten Pedanten auffordert, sich an das Gesäß des Zyklopen zu wenden. Bei Quevedo finden wir im ersten Gesang des Poema heroico de las necedades y locuras de Orlando el enamorado folgende Beschreibung der Kniehosen Reinaldos’, die den Blick auf dessen Gesäßbacken freigeben und damit den Sodomiten schmeicheln («requiebro de los putos»): «Reinaldos, que, por falta de botones, prende con alfileres la ropilla, cerniendo el cuerpo en puros desgarrones, el sombrero con mugre, sin toquilla; a quien, por entrepiernas, los calzones permiten descubrir muslo y rodilla, dejándola lugar por donde salga (requiebro de los putos) a la nalga [...]»384

382 Damit wird das Hauptargument aus der Dezimendichtung «Ya que coplas componéis» wieder aufgenommen. Hierzu auch die Bewertung Arellanos im Analyseteil seiner Dissertation (Arellano 2003, 244): «No hay que olvidar que una de las acusaciones contra Góngora en las polémicas suscitadas por las Soledades, era la de utilizar un lenguaje excesivamente elevado y pretencioso (ridículo por tanto) para determinados temas bajos que pedían un ‹bajo estilo› más familiar, o mediocre. El contraste del referente escatológico con el lenguaje utilizado para describirlo en el soneto [sc. 832], reproduce en clave paródica este supuesto defecto de la poesía gongorina, además de explotar el valor degradante de toda mención coprológica.» 383 Góngora y Argote, Sonetos completos (1982, 197, V. 12–14). 384 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, Nr. 875, V. 289–296).

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4.3.3 Der Diskurs der Kosmographie Die geometrische Isotopie des Abstrakt-Runden erschöpft sich aber nicht darin, als tertium comparationis für die Inbezugsetzung von zyklopischem Gesicht und kulteranistisch-gongorinischem Gesäß zu fungieren. Einige der Lexeme, die im semantischen Feld des Kreisförmigen anzusiedeln sind, lassen sich daneben auch der Fachsprache der Kosmographie zuordnen. Zu dieser Schnittmenge zwischen dem Wortfeld des Kreisförmigen und dem kosmographischen Diskurs gehört neben «orbe» in Vers 2 ebenfalls das Wort «círculo» in Vers 5. Außerhalb dieser Schnittmenge lassen sich noch die Äußerungen «microcosmo» (V. 2), «antípoda» (V. 3), «hemisfero» (V.3), «zona» (V. 4), «término» (V.  4) und «plano» (V.  5) dem kosmographischen Diskurs zuordnen. «[T]érmino» könnte dabei auch als eine wörtliche Referenz auf Góngoras Polifemo gewertet werden. Eine konzeptuelle Anspielung auf die gongorinische Vorlage bildet «microcosmo»: Microcosmo ist laut Diccionario de Autoridades ein «[m]undo abreviado. Dícese regularmente del hombre, por ser un compendio de las maravillas del mundo»,385 und nach dieser Theorie erst können das einäugige Gesicht des Zyklopen und die Sonne in Analogie zueinander gebracht werden. Diese Analogie von Zyklopenauge und Sonne lässt sich in Góngoras Fábula an zwei Stellen ausmachen. Die erste ist dabei die bereits mehrmals erwähnte Stelle bei der physischen Beschreibung des Zyklopen: Im Vers nach der Metapher des «de un ojo ilustra el orbe de su frente» wird «este [...] cíclope» respektive sein Rundauge als «émulo casi del mayor lucero» apostrophiert, also als Rivalen der Sonne, so dass Gestirn und Auge nach der Mikrokosmos-MakrokosmosLehre in Bezug zueinander gesetzt werden. Ein ähnliches Verfahren findet sich in Vers 424 bei Góngora: Dort heißt es «o al cielo humano, o al cíclope celeste». Bei dieser in Bezug auf die Syntax parallelistischen, in Bezug auf die Semantik aber chiastischen Antithese muss mit «cielo humano» wohl das Gesicht, mit «cíclope celeste» wohl die Sonne gemeint sein. Durch die Anspielung auf die Sonne könnte «círculo vivo» auch die Bedeutung ‘leuchtender Kreis’ erhalten,386 «en todo plano» müsste dann in dieser Gestirnsisotopie etwa als ‘auf der gesamten (Sternen-)Karte’ oder ‘völlig auf einer Ebene’ (dazu weiter unten) interpretiert werden. Diese Inbezugsetzung von Kosmos und Individuum ermöglicht es dann, den menschlichen Körper im Laufe des Sonetts anhand kosmographischer Begrifflichkeit zu kartographieren.

385 Diccionario de Autoridades (vol. IV, 563b). 386 Vgl. hierzu vivo4 in Diccionario de Autoridades (vol. VI, 510b): «Se aplica tambien à la materia encendida en tanto que arde, ò luce.»

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Darüber hinaus stehen auch die Rechenoperationen, die in dem Sonett vermittels der Verben dividir, multiplicar und partir angesprochen werden – dazu weiteres im nächsten Abschnitt –, im Zusammenhang mit der Kosmographie, hier speziell mit der Komputistik, die sich mit der Berechnung des Kalenders und damit auch der Gestirnsläufe beschäftigt. In diesem Kontext ließe sich das volkssprachliche cima im ersten Terzett auch als ‘Zenit’ interpretieren. Darin könnte dann eine Anspielung auf die Transformation des Ikarus-Mythos in der zweiten Soledad Góngoras gesehen werden (V. 137–143): «Audaz mi pensamiento el Cenit escaló, plumas vestido, cuyo vuelo atrevido, si no ha dado su nombre a tus espumas, de sus vestidas plumas conseverán el desvanecimiento los anales diáfanos del viento.»387

Gegen den Dichter selbst gewendet hieße dies, dass Góngora mit seinen Versen den Zenit überschritten, den Bogen überspannt habe, wie Ikarus zu nah an die Sonne (Apoll) gekommen sei, was den Sturz unausweichlich machte.388

4.3.4 Der Diskurs des Rechnungswesens Die Kosmographie bildet aber nur einen Wissensdiskurs, der in dem behandelten Sonett lexikalisch und – wie im Folgenden auch anklingen wird – argumentativ in Szene gesetzt wird. Der Diskurs des buchhalterischen Rechnungswesens, der während der Renaissance in den italienischen Handelsnationen und allen voran Venedig aufkam und mit dem Diskurs der Kosmographie im Teilbereich der Komputistik Überschneidungspunkte findet, durchzieht wie die Kosmographie die beiden Quartette des Sonetts. Motiviert scheint die Bemühung des Rechnungswesens in der Zahl Null («cero», V. 6), die Teil der Isotopie des Kreisförmigen ist. Zur Terminologie dieser Disziplin zählen neben dieser Zahl, deren Name im Spanischen erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus dem Italienischen entlehnt ist, zumindest noch die genannten mathematischen Operationen «divide»

387 Góngora y Argote, Soledades (1994, 439). 388 Zum Bezug Quevedos auf den Ikarus-Mythos in einer weiteren Invektive gegen Góngora siehe die Analyse in Cacho Casal (2003, 332s.). Zur Dichtungskritik, die der hier bemühte kosmographische Diskurs beinhaltet, siehe den entsprechenden Abschnitt weiter unten.

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(V. 4), «multiplica» (V. 7) und «parte» (V. 7), dann der Italianismus «abaquista» (V. 8) für jemanden, der mit Hilfe eines Abakus389 die erwähnten Rechenoperationen durchführt, dann die Nennung von Italien («italiano», V. 4) und speziell Venedig («veneciano», V. 8), die auf die Pioniere in dieser Disziplin verweisen.

4.3.5 Der Diskurs der Medizin und die Skatologie Eine weitere Wissensformation, die das Sonett durchzieht, ist der Diskurs der Medizin. Die Bemühung von medizinischem Fachvokabular scheint dahingehend motiviert, dass nach der Verschiebung des Inhaltsakzents vom zyklopischen Gesicht zum gongorinischen Gesäß auch die Produkte desselben in den Blickpunkt kommen. Das wird im ersten Vers des zweiten Terzetts auf unvermittelte und obszöne Weise vermittels von «pedos» (‘Fürze’, V.  12) zum Ausdruck gebracht. In der vormodernen Medizin, waren es vor allem die Ausscheidungsprodukte und der Puls, deren Untersuchung die Grundlage einer Diagnose bildete.390 Eine Anspielung auf die Ärzteschaft scheint auch in der Wendung «resquicio barbado» (V. 11) gegeben zu sein, da ein langer Bart als Standesmerkmal von Lizentiaten und vor allem auch Medizinern galt.391 Die Medizinterminologie ist dann in dem hier besprochenen Sonett erst auf den zweiten Blick erkennbar: Die dem einen Auge in «Este cíclope, no sicilïano» attestierte Blindheit in «ciego vulto» (V. 9) und dem in «orbe» (V. 2) mitschwingenden lateinischen Adjektiv orbus für ‘blind’ diente in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Medizinfachsprache analog zum deutschen Blinddarm als Bezeichnung der verkümmerten rudimentären Appendix zwischen Dünnund Dickdarm, der in Bezug auf die Verdauung keine Funktion zukommt, so sind für das Altspanische sowohl das Wort ciego als auch orbo in dieser Bedeu-

389 Zur Geschichte des Abakus vgl. Pullan (1969). Der Rechenstein heißt lateinisch calculus (Deminutiv von calx für ‘Kalk’), wobei es sich ebenfalls um ein Wort handelt, aus dem sich culus für ‘After’ separieren ließe. Zum Abacus a calculi vgl. auch Ifrah (2010, bes. 530). Darüber hinaus bemerkt Ifrah: «Schließlich wurde im 12. Jahrhundert auch die Null im Abendland eingeführt und verbreitet; vorher war sie durch die Benützung des Abakus des Gerbert überflüssig gewesen [...]» (Ifrah 2010, 534). 390 Für die Typensatire Quevedos bezüglich der Ärzte und deren Untersuchungs- und Therapiepraxis siehe Nolting-Hauff (1968, bes. 82–85). 391 Wie bereits angesprochen, beschreibt Quevedo in seinem skatologischen Traktat Excelencias y desgracias del salvo honor die Augenbraue, die dem einäugigen After zukommt, als Bart, dem in zwei Manuskripten und allen Drucken das Attribut «de médico» beigefügt wird (vgl. Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa, 1993, 358, Fn. 16).

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tung belegt.392 Daneben scheint die Einäugigkeit dieses Körperteils, die darin besteht, dass es nur einen Eingang aber keinen Ausgang besitzt, die Anatomen dazu veranlasst haben, den Blinddarm auch unter der Bezeichnung monóculo zu führen,393 die als Vorlage für das parodistische «minoculo» (V. 9) gedient haben mag (hierzu weiter oben). Des Weiteren können die Wörter «círculo» (V. 5) und «melenas» (V. 10) medizinisch interpretiert werden: Círculo bezeichnet in Bezug auf die Analyse des Urins, also des weiteren Ausscheidungsprodukts, die oberste Sedimentschicht im Uringlas.394 Melena geht auf das lateinische melaena zurück, was seinerseits eine Entlehnung von griechisch μέλαινα ‘schwarz’ ist; diese Bezeichnung verweist zum einen auf die schwarze Galle (bilis negra / atra bilis), die im Zusammenhang mit dem Laster des Zorns steht,395 zum anderen dient sie als Name für einen durch Blut respektive schwarze Galle dunkel gefärbten Stuhl,396 der als Effekt des Jähzorns ausgeschieden wird.397 Diese letzte Deutung findet ihre Plausibilität in einer annähernden Parallelstelle in einer weiteren persönlichen Invektive Quevedos gegen Góngora; in den Versen 141–144 der Romanze «Poeta de ¡Oh, qué lindicos!» heißt es: «Almorrana eres de Apolo, por donde el dios, soberano gracioso, purga inmundicias y sangre, si está enojado.»398

Hier wird Góngora als eine Hämorrhoide Apolls beschrieben, durch die der Dichtungsgott Unrat und Blut evakuiert, wenn dieser verärgert ist. So käme auch dem blutigen Stuhl («melenas») die Konnotation von Jähzorn zu, und der Vers 10 erhielte damit eine ekelerregend-obszöne Bedeutung, die kaum noch steigerbar

392 Vgl. DETEMA (vol. I, 309c) für ciego und DETEMA (vol. II, 1146c) für orbo. 393 Vgl. DETEMA (vol. II, 1063c). 394 «en la vrina se consideran quatro partes la primera dellas se llama superior la qual se llama circulo que es en lo mas alto» aus einem Text von 1492, zitiert nach DETEMA (vol. I, 314a). 395 Zur Charakterisierung Góngoras in Quevedos Invektiven als einer von Leidenschaften, vor allem Zorn, beherrschten Figur vgl. auch die Ausführungen in 3.3. 396 Vgl. Galens De sanitate tuenda (Gal. san. tuend.), liber 4 (in Galenus, Opera omnia, vol. VI, 277). Vgl. das modernspanische melena in der Bedeutung ‘Melaena’, ‘Schwarzruhr’ in Slaby/ Großmann/Illig (1998, vol. I, 801b), und die Definition von lat. melaena im Glossar zu Galens Opera omnia: «melaena, materies evomita ab atra bile quam plurimum differt» (s. v. im Indexband zu Galenus, Opera omnia, vol. XX, 385a, aus Galens De atra bile). 397 Im Indexband zu Galens Opera erscheint unter dem Lemma Iracundia (s.  v. in Galenus, Opera omnia, vol. XX): «succos crudos foras pellit». 398 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1090–1094, Nr. 828; hier 1093s.).

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ist: Der Spalt («resquicio»), durch den analog zu den Fenstern in Quevedos skatologischem Traktat die Laster in den Menschen Einzug halten, würde zum gongorinischen After, der so voller blutigem Kot ist, dass man ihn kaum noch erkennen kann. Diese Interpretation sieht sich auch in der Beschreibung des zyklopischen Auges nach der Blendung durch Odysseus gestützt; so heißt es etwa bei Vergil in dessen Aeneis: «postquam altos tetigit fluctus et ad aequora venit, luminis effossi fluidum lavit inde cruorem dentibus infrendens gemitu, graditurque per aequor iam medium, necdum fluctus latera ardua tinxit.»399

Nach der Flucht von Odysseus und dessen Gefährten wäscht sich Polyphem das geronnene Blut («fluidum [...] cruorum») aus dem erloschenen Auge («luminis effossi»). Damit wäre die Beschreibung des Rundauges beinahe deckungsgleich mit Quevedos Beschreibung der Ärzte im Sueño de la muerte aus dem Jahr 1621: «La vista asquerosa de puro passear los ojos por orinales, y seruicios; las bocas emboscadas en barbas, que apenas se las hallara vn braco [...]»400

Hier ist die Sicht der Ärzte Ekel erregend, da von ihrer Tätigkeit der Exkrementuntersuchung diese Eigenschaft auf die Augen übergegangen ist, die Münder sind in dem Maße mit Barthaar «bewaldet», dass nicht einmal ein Spürhund sie finden würde.401 Im Fall des Gesäßes in dem hier besprochenen Sonett gestaltet sich das Ähnlichkeitsverhältnis genau anders herum: Der After ist in dem Maße mit blutigem Kot übersäht, dass er als bärtig erscheinen könnte. In beiden Fällen ist die Öffnung (Mund / Anus) kaum auszumachen.

4.3.6 Die Sodomie Das Bild eines blutigen Afters wird auch in der Romanze «Cansado estoy de la Corte»402 entworfen, die sich des beatus-ille-Topos bedient und deren Zuschrei-

399 Verg. Aen. 3,662–665. 400 Quevedo y Villegas, Sueño de la muerte (2013, 107, Z. 111–113). 401 Vgl. Nolting-Hauff (1968, 83). Die Konstruktion des Nebensatzes «que apenas se las hallara un braco» geht auch weitgehend parallel mit «que un bujarrón le conociera apenas» (‘dass ein aktiver Sodomit ihn kaum erkennen / penetrieren könnte’, hierzu mehr im Folgenden) in Vers 14. 402 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, Nr. 749).

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bung den Minimalanforderung der Dokumentation in Druck und Manuskript entspricht;403 dort liest man in den Versen 81–84: «Si no mirara adelante ya me hiciera florentín: que el tener sangre en el ojo es calidad de por sí.»

Diese Verse wollen wörtlich besagen, dass das des Hofes überdrüssige Sprecher-Ich sich gerne zum Florentinertum – gemeint ist vielleicht das Republikanertum – bekennen würde, wenn er nicht vorwärts schauen würde, denn ‘Blut im Auge zu haben’ («el tener sangre en el ojo», V. 83) sei eine Qualität an und für sich. Dabei bedeutet die Wendung tener sangre en el ojo ‘sich pflichtbewusst verhalten’.404 Sieht man in der Nennung eines Italieners («florentín», V. 82) eine Anspielung auf die Sodomie, dann ergäbe sich bei der Doppeldeutigkeit von ojo folgende ironische Aussage: Wenn ich nicht vorwärts schauen würde, d. h. dem Hinterteil keine Beachtung schenken, würde ich schon zur Sodomie konvertieren, da, einen blutwunden After zu haben, eine Qualität an und für sich sei. Nicht nur in dieser Romanze schein der blutige After mit dem Thema der Sodomie verbunden, sondern auch in dem uns hier vorrangig interessierenden Sonett: Dies mag die Nennung beispielsweise der italienischen Handelsnation der Venezianer («veneciano», V. 8) unterstützen, da die Italiener und neben den Florentinern vor allem die Venezianer für Repräsentaten der Sodomie gehalten wurden.405 In diesen Themenbereich gehört dann auch die explizite Äußerung der Bezeichnung für einen aktiven Sodomiten («bujarrón», V. 14). So darf das derb skatologische Bild des «resquicio barbado de melenas» hier nicht nur medizinisch interpretiert werden, sondern es ist auch daran zu denken, dass die beschriebene Gesäßspalte auf Grund des maßlosen Zuspruchs an das vitium contra naturam blutig ist. Die astronomischen respektive mathematischen Teilungsoperationen («divide», V. 4; «parte», V. 7), die in den jeweils beiden letzten Versen der Quartette unter Einfluss im ersten Fall des Italienischen an und für sich («en término italiano», V.  4)406 und im zweiten Fall ausgelöst durch einen venezianischen

403 Vgl. Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. II, 513). 404 «Significa tener honra y punto, para cumplir con sus obligaciones conforme se debe» (Diccionario de Autoridades, vol. V, 31a). 405 Profeti (1984b, 211). 406 «En la Astromomía son ciertos grados, y limites, en que los Planetas tienen mayor fuerza en sus influxos», Diccionario de Autoridades (vol. VI, 256a). In Cacho Casal (2003, 311) wird die Doppeldeutigkeit in «en término italiano» genau so gedeutet.

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Buchhalter («todo buen abaquista veneciano», V. 8) vonstatten gehen, ließen sich dann auch als Metaphern für den Analverkehr auffassen.407 Das Verb conocer im letzten Sonettvers würde eine solche Deutung stützen, da es auch so viel wie ‘koitieren’ bedeuten kann.408 Der Sirenengesang («sirenas», V. 12) könnte in diesem Zusammenhang als ein Werben um die Aufmerksamkeit von aktiven Sodomiten aufgefasst werden, da er von dem für diese interessanten Körperteil («pedos», V. 12; «culo», V. 13) ausgeht.

4.3.7 Dichtungskritik Die verschiedenen Isotopieebenen, die in «Este cíclope, no sicilïano» bemüht werden, erschöpfen sich nicht lediglich im Effekt der Textüberstrukturierung anhand der Proliferation des semantischen Feldes des Abstrakt-Runden; jeder einzelne Diskurs scheint auch eine Argumentation bereit zu stellen, die der Dichtungskritik dienstbar gemacht werden kann. Wenn man allein den Aufbau des Sonetts betrachtet, scheinen die fachsprachlichen Neologismen vorrangig die Quartette zu durchziehen, die auch auf den ersten Blick – wenn man vom vielschichtigen Sinngehalt der einzelnen Elemente absieht, den diese durch die Einschreibung in die verschiedenen Wissensdiskurstypen erhalten – keine großartige satirische, geschweige denn aggressiv polemische Tendenz erkennen lassen. Erst im ersten Terzett, und da ausgelöst durch die Minimalparodie in «minoculo» (V. 9) wird der beschreibende Duktus durchbrochen. Dies wird zuerst einmal allein durch die Wortschöpfung Quevedos erreicht, die auf Grund der Verweigerung einer spontanen Zuschreibung von wörtlichem Sinn dem Lesefluss Einhalt gebietet. Diese Zäsur wird metrisch noch dadurch erreicht, dass durch die Akzentverschiebung, die sich in «minoculo» im Vergleich zur parodierten Folie monóculo ergibt, man gleichsam aus dem Rhythmus geworfen wird: Die Emendierung «m[o]n[ó]culo», die spontan mitgelesen werden dürfte, wenn man die mythologische Figur des einäugigen Riesen vor Augen und vielleicht sogar die ersten beiden Verse des gongorinischen Sonetts «Pisó las calles de Madrid el fiero» im Ohr hat, würde den Rhythmus betont-unbetont-betont-unbetont des Beginns der jeweils ersten Quartettverse fortführen. Die Minimalparodie forciert demhingegen einen Rhythmus von betont-unbetont-unbetont-betont, ändert damit das Paradigma dahingehend, dass es auch im ersten Vers des zweiten Quartetts Bestand hat.

407 Vgl. Savelsberg (1997/1998); Cacho Casal (2003, 311). 408 Vgl. Diccionario de Autoridades (vol. II, 520a): «Vale tambien tener acto carnál.»

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Ein Paradigmenwechsel besteht dann auch in der Lexik der Terzette: Es sind zwar gelegentlich noch Neologismen zu verzeichnen (etwa das rein dichtungssprachliche «vulto» in Vers 9 und «culto» in Vers 13), aber die Fachterminologien von Kosmographie, Kaufmannswesen und Medizin scheinen zu versiegen und mehr oder weniger standardsprachlichen Ausdrücken zu weichen, bis im zweiten Terzett, offensichtliche verbale Obszönitäten und Injurien in den Wörtern «pedos» (V. 12), «culo» (V. 13) und in «bujarrón» (V. 14) zu Tage treten.409 Diese verbale Obszönität wird teilweise vorher schon durch den Gebrauch der Kakemphata oder mots-valise – wie sie Profeti nennt –410 «sicilïano» (V. 1), «italiano» (V.  4), «círculo» (V.  5), «veneciano» (V.  8) und «minoculo» (V.  9) vorbereitet, wobei auch eine gewisse Tendenz auszumachen ist, ausgehend von Wörtern, aus denen sich das im Spanischen fachsprachlich markierte ano isolieren lässt, hin zu Ausdrücken, die als eine Ableitung auf der Basis der unvermittelten verbalen Indezenz «culo» (V. 13)411 erscheinen. Zusammenfassend ließe sich sagen, dass es in Quevedos Sonett eine Entwicklung von einer bloß auf Imitation des gongorinischen Stilgebarens beruhenden Parodie hin zur Beleidigung gibt, die unter die Gürtellinie geht: Góngora wird als Gesäß beschimpft, das so unbedeutend sei, dass es bei keinem aktiven Sodomiten («bujarrón») den sexuellen Appetit erwecken könne, und seine Produkte, womit wohl die Dichtung gemeint sein mag, folgerichtig als Fürze. Auf mythologischer Ebene ergibt sich ebenfalls eine Verschiebung, die wiederum im ersten Vers des ersten Terzetts ihre offensichtliche Vollendung erfährt. Evoziert auch bereits die Lautverwandtschaft von «orbe» (V. 2) zum lateinischen orbus das Signifikat der Blindheit und lassen auch die Metaphern für den After («orbe postrero», «antípoda faz»), der im Spanischen durch den Ausdruck ojo bezeichnet werden kann, den Vergleich zu einem Auge zu, dem allerdings die Sehfähigkeit abgeht, so ist es erst die Bezeichnung «vulto ciego» (V. 9), die den Zyklopen Polyphem aus der Einschreibung in den Acis und Galatea-Mythos löst und in den Kontext der Irrfahrten des Odysseus setzt. Diese Transposition bedeutet auch einen Wechsel von der idyllischen Hirtenszenerie in Góngoras Fábula hin zum Bild des derb Ekelerregenden, wie es die Beschreibung des menschen-

409 So auch Profeti (1984b, 211): «La «spiegazione» arriva alla fine del sonetto, con capriola satirica e con l’esplosione di un insieme di termini bassi che desnudano violentemente il raffinato annodarsi dell’eloquio prima sperimentato: pedos (V. 12), culo (V. 13), bujarrón (V. 14).» 410 Profeti (1984b, 210). 411 Dieser Vers bietet dann auch die direkte Konfrontation von Vulgarität («culo») und Geschliffenheit («culto»), wie Roig Miranda (1989, 131), bereits herausgestellt hat: «L’effet est burlesque ; l’assonance projette en quelque sorte sur deux mots de registres complètement différents une analogie et la leur impose.»

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fressenden412 Riesen mit seinen blutigen Eruktionen,413 der Höhle mit ihrem jauchigen Gestank414 und des nach der Blendung wunden Auges voller geronnenem Blut415 vor allem im dritten Gesang von Vergils Aeneis besonders nachhaltig prägt. Diese Verschiebung von Hirtenszenerie zu Odysseus’ Irrfahrten und die Transposition von zyklopischem Gesicht und Gesäß läuft in Quevedos Text parallel; ist nun Góngora ein Gesäß, so scheint er auch mit dem grauenhaften Monster gemeint zu sein. Das Attribut des Menschenfressers ließe sich figurativ auf die Verunstaltung der Sprache übertragen, in einem ähnlichen Bild bezeichnet Quevedo an anderer Stelle den kulteranistischen Dichter als «verdugo de vocablos» (‘Henker von Wörtern’),416 der diese nur durch Folter zum Reden bringt («que a puras vueltas de cuerda / los haces que digan algo», V. 3–4). Über die Inbezugsetzung von blindem After und wütendem Monster hinaus und damit der Beschimpfung Góngoras als Produzent von Texten, die von den Regeln der Dichtkunst abweichen – seien diese nun als Fürze oder blutige Eruktionen aufgefasst –, scheint auch das Ziel der Invektive selbst thematisiert zu werden: Im Fall der Odyssee ist der menschenfressende Zyklop noch nicht blind, er wird es erst durch die Pfählung von Seiten Odysseus. Vielleicht sieht sich Quevedo in diesem Sonett als den πολύτροπος ἀνήρ,417 den scharfsinnigen Satiriker, der durch das Sonett selbst das Monster Góngora exekutiert. Hier ist das Auge im Sinne von ‘After’ aber bereits blind, und bei der Pfählung muss an eine Schändung durch Analpenetration gedacht sein.418

412 «visceribus miserorum et sanguine vescitur atro. / vidi egomet, duo de numero cum corpora nostro / prensa manu magna medio resupinus in antro / frangeret ad saxum, sanieque aspersa natarent / limina; vidi atro cum membra fluentia tabo / manderet et trepidi tremerentur sub dentibus artus» (Verg. Aen. 3,622–627). 413 «nam simul expletus dapibus vinoque sepultus / cervicem inflexam posuit, iacuitque per antrum / immensus, saniem eructans et frustra cruento / per somnum commixta mero [...]» (Verg. Aen. 3,630–633). 414 «hic me, dum trepidi crudelia linquunt, / immemores socii vasto Cyclopis in antro / deseruere. domus sanie dapibusque cruentis, / intus opaca, ingens [...]» (Verg. Aen. 3,616–619). 415 «luminis effossi fluidum lavit inde cruorem» (Verg. Aen. 3,663). 416 Quevedo y Villegas, Poesía original completa, 1996, Nr. 828, V. 2. 417 Damit ließen sich die Vertextungsstrategien in diesem Sonett mit der List des Odysseus in Verbindung bringen, sich als οὔτις (‘Niemand’) zu bezeichnen, so dass dem geblendeten Polyphem seine Artgenossen trotz Hilfeschreie nicht zur Hilfe eilen. 418 Zur analen Penetration des Gegners als anthropologischer Konstante vgl. § 16 bei Duerr (1995, bes. 242–258). Dort auch mit Verweis auf Ps 77,66 («Et percussit inimicos suos in posteriora»): «Freilich wurden die fliehenden oder niedergeworfenen Feinde nicht nur mit Stöcken oder Lanzen penetriert – man entehrte sie auch durch anale Vergewaltigung mit dem Penis oder machte sie zumindest durch die Androhung des ‹Geficktwerdens› symbolisch ‹zur Frau›. Ein solches ‹Ficken› der Feinde war schon bei den Israeliten gang und gäbe, und entsprechend heißt es in Psalm 78,66 über den Herrn: ‹Er stieß die Feinde in den Hintern (āhōr) und gab sie ewiger Schande preis.› Im Mittel-

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Da es sich in Quevedos Invektive nicht um einen Zyklopen in mythologischem Verständnis handelt, sondern um den attackierten Góngora selbst, käme es auch zu einer Verschiebung der Beschreibung des einen Auges auf dem zyklopischen Stirnkreis als Rivalen des größten Sterns («émulo casi del mayor lucero»),419 die eine Aussage über den Autor der Fábula selbst beinhalten würde. Damit wäre Góngora als ein Wetteiferer mit Apoll aufzufassen, und zwar nicht in dessen Funktion als Sonnengott sondern als Gott der Dichtkunst. Diese Inbezugsetzung von Gestirn und Dichtkunst in der mythischen Figur scheint dann auch zu legitimieren, die kosmographischen Aussagen des Sonetts auf die Dichtung zu übertragen. Der von Quevedo bemühte kosmographische Diskurs erschöpft sich wie bereits angesprochen nicht in der Aufzählung von Fachtermini, er enthält auch als Schnittmenge zum Bereich des Rechnungswesens die Verben, die sowohl bei mathematischen Operationen als auch bei Berechnungen von Gestirnsbahnen Verwendung finden können. Darüber hinaus beinhaltet «plano» (V. 5), als Substantiv verstanden, die Konnotation einer Konstellation von Gestirnen, die sich auf einer Ebene, vielleicht sogar auf einer Linie befinden. Was könnte nun mit diesen astronomischen Konstellationen gemeint sein? Gesichertes kann hier nicht darüber gesagt werden. Wenn man allerdings weitere satirisch-burleske Texte Quevedos betrachtet, in denen ebenfalls der kosmographische Diskurs bemüht wird, fällt auf, dass die frühneuzeitliche Begeisterung für die Erscheinung von Sonnenfinsternissen ridikülisiert wird, beispielsweise im Sonett, das das Epigraph «Búrlase de la astrología de los eclipses» trägt.420 In unserem Zusammenhang hier scheint allerdings die Romanze «Mandan las leyes de Apolo»421 von besonderem Interesse, da sie Dichtungskritik und Astrologie miteinander verbindet. Dort liest man in den Versen 97–104: «¡Oh claridad infinita! ¡Oh esplendores coruscantes! (Revistiendo se me van en el cuerpo Soledades.) Menguó mi luna en mi esfera y mi sol vino a eclipsarse, Venus me dejó Vulcano, cornudo me dejó Marte.»422

alter wurde diese Szene auch häufig dadurch illustriert, daß ein Affe oder ein nacktes Mischwesen seinen Hintern darbot, auf den ein Schütze mit Pfeil und Bogen anlegte [...]» (Duerr 1995, 246). 419 Góngora y Argote, Fábula de Polifemo y Galatea (1983, V. 52). 420 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, Nr. 530). 421 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, Nr. 680). 422 Quevedo y Villegas, Obra poética (1969, vol. II, 238).

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Bei dieser Romanze handelt es sich wie bei dem Sonett «La esfera, en que divide bien compuestas»,423 das bereits bei der Analyse werkinterner Kongruenzen angeführt wurde, um eine Invektive gegen den Duque de Lerma. Dieser hatte zuvor in seiner Antwort auf Quevedos Sonett jenen auf dessen körperliche Unzulänglichkeiten aufmerksam gemacht, was Quevedo in dieser Romanze aufgreift. In den ersten beiden hier abgedruckten Versen apostrophiert Quevedo in kulteranistischer Manier die ihm schwindende Klarheit, womit die Sehfähigkeit gemeint sein mag. Diese zunehmende Verdunkelung seiner Augen bringt dann Quevedo zuerst in der Parenthese in das Bild, dass sein Körper durch Soledades verschleiert wird, primär durch sein Alter – Soledades ließe sich als Wortspiel mit edad für ‘Alter’ verstehen, dann aber auch durch den hermetischen Dichtungsstil der Kulteranisten, dessen er auch den Duque de Lerma als Protektor Góngoras am Hof bezichtigt. Die folgenden Strophen deklinieren dann die einzelnen körperlichen Verfallserscheinungen unter Bemühung des astronomisch-mythologischen Diskurses durch. Das Schwinden der Sehfähigkeit wird dabei in die Bilder des abnehmenden Mondes und der Sonnenfinsternis gebracht.424 Um wieder auf unseren Text hier zurückzukommen: Zu denken wäre damit an das Bild von Góngora als einem mit der Sonne wetteifernden Stern, wie etwa dem Mond,425 der sich gänzlich auf eine Ebene («en todo plano», V. 5) zwischen Erde und Sonne begibt. In der dreiundfünfzigsten Strophe des Polifemo beschreibt der Zyklop, wie er sich eines Tages im Meer spiegelte und dabei sein Rundauge betrachten konnte: «Marítimo alcïón roca eminente sobre sus huevos coronaba, el día que espejo de zafiro fue luciente

423 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 713, Nr. 678). 424 In dem Vers «Venus me dejó Vulcano» wäre analog zu dem in dem hier besprochenen Sonett bemühten medizinisch-skatologischen Diskurs daran zu denken, dass Venus Quevedo einen wunden After beschert habe. Diese Interpretation basiert auf der Deutung von «Vulcano» als Kakemphaton, aus dem sich der Bestandteil ano isolieren lässt. Der verbleibende Rest vulckönnte auf das spanische Verb volcar für ‘bis zum Zorn reizen’ weisen (vgl. den Eintrag volcar4 in Diccionario de Autoriades, vol. VI, 516b: «Vale tambien molestar, ò estrechar à alguno con zumba, ò chasco hasta hacerle prorrumpir en enfado»). Dabei wäre dann hier im Kontext der altersbedingten Verfallserscheinungen vorrangig an ein Hämorrhoidalleiden zu denken. Die sexuelle Konnotation der Sodomie scheint aber nicht ausgeschlossen, da die Göttin der Liebe für dieses Leiden verantwortlich gemacht wird. 425 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 525, Nr. 530, V. 1–4): «¿Porque el sol se arreboza con la luna / en la cabeza horrible del severo / dragón, pretendes, pérfido agorero, / amenazar de túmulo a la cuna?»

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la playa azul, de la persona mía. Miréme, y lucir vi un sol en mi frente, cuando en el cielo un ojo se veía: neutra el agua dudaba a cuál fe preste, o al cielo humano, o al cíclope celeste.»426

Hier ergibt sich eine ähnliche Konstellation: Der Planet Erde wäre hier die unbewegte, rezipierende Wasseroberfläche des Meeres. An der Himmelsphäre befindet sich die strahlende Sonne, die sich im Wasser reflektiert, dazwischen schiebt sich gleichsam wie auf einer anderen Sphäre das Gesicht des Zyklopen mit seinem einen Auge. Und die rezipierende Wasseroberfläche ist unentschlossen, wem sie Glauben schenken darf: entweder dem «menschlichen Himmel» (Zyklop) oder dem «himmlischen Zyklopen» (Sonne). Nach der Privation des einen Auges um die Leuchtkraft, die bei Quevedo durch die Verschiebung von Auge zu After bewirkt wird, konkurriert dieses nicht mehr als helles Gestirn mit der Sonne, sondern als dunkles, wie etwa der Mond. Damit sich aber dieser im Wasser spiegeln kann, muss er sich mit der Lichtquelle, der Sonne, und der Wasseroberfläche auf eine Linie begeben. Es kommt zu einer Sonnenfinsternis. Die Sonne ist in Folge dieser Konstellation fast vollkommen verdunkelt und nur als leuchtender Ring («círculo vivo», V. 5), als Korona des Mondes zu sehen.427 Die Dichtungskritik bestünde nach dieser Deutung darin, dass Góngora bei seiner Nachahmung in den Genuss der apollinischen Klarheit der Dichtkunst gelangt, den Lesern aber den direkten Zugang zu dieser versperrt und in seinen Gedichten nur noch als Schimmer hinter großer stilistischer obscuritas erkennbar ist, die die Erde einhüllt. In der ersten Soledad Góngoras findet sich das Bild des Feuers, das mit der Sonne wetteifert und die Nacht für einige Stunden zum Tag werden lässt: «Los fuegos (cuyas lenguas, ciento a ciento, desmintieron la noche algunas horas, cuyas luces, del Sol competidoras, fingieron día en la tiniebla oscura) murieron, y en sí mismos sepultados, piedras son, de su misma sepultura.»428

426 Góngora y Argote, Fabula de Polifemo y Galatea (1983, V. 417–424). 427 Vgl. den Eintrag eclipse annular [sic!] del Sol in Diccionario de Autoridades (vol. III, 366b): «Es quando en medio del eclipse, solo se dexa ver una orilla lucida del mismo Sol, à modo de anillo, y esta especie de eclipse no hai en los de la Luna». Ein ähnliches Bild findet sich in dem nicht satirisch-burlesken Sonett «Escondido debajo de tu armada», Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 249, Nr. 219). Dort lesen wir im dritten und vierten Vers des ersten Quartetts: «y a las lunas de Tracia con sangriento / eclipse ya rubrica tu jornada.» 428 Góngora y Argote, Soledades (1994, 338, V. 680–686).

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Hier scheitert also das von Menschenhand entzündete, letztendlich artifizielle Licht im Wetteifer mit der Sonne. Auch wenn es in Hunderten von Flammen über die Nacht hinwegzutäuschen versucht hat, bleibt am Ende nur Dunkelheit, und das Feuer selbst ist nur nichtige, schwarze Asche. Liest man diese Verse bezogen auf das Dichten Góngoras metapoetisch, so ergibt sich folgender Gedanke: Auch wenn die gongorinische Dichtung mit ihrem «neuen» Stilgebaren sich darin versucht, mit Hunderten von ingeniösen Metapherkaskaden die apollinische Klarheit zu sein, so scheitern diese Artefakte doch, und es bleibt nur Dunkelheit («tiniebla») und eitle Nichtigkeit («piedras son, de su misma sepultura»). Hier scheint Quevedos polemische Argumentation schon im Kern angelegt. Einen ähnlich gelagerten Vorwurf mag auch das erste Quartett des folgenden antigongorinischen Sonetts enthalten: «¿Socio otra vez? ¡Oh tú, que desbudelas del toraz veternoso inanidades, y en parangón de tus sideridades, equilibras tus pullas paralelas!»429

Góngora evakuiere («desbudelas», V. 1) aus seinem steinalten Thorax («del toraz veternoso», V.  2)430 Nichtigkeiten («inanidades», V.  2). Bei der Nennung von «inanidades» ist dann natürlich auch wieder an ein Kakemphaton zu denken, dass als Bestandteil das Wort ano in sich birgt.431 Diese Nichtigkeiten werden in Vers 4 in «tus pullas» wieder aufgenommen, was neben ‘deine geistreichen Äußerungen’ so viel wie ‘deine obszönen Scherze’ heißt.432 Diese obszönen Nichtigkeiten vergleiche («parangón», V. 3; «equilibras» und «paralelas», V. 4) Góngora dann mit den Gestirnen («sideridades», V. 3),433 d. h. er bringe sie in eine parallele Position zu jenen. Und als Effekt aus dieser Konstellation ergibt sich lediglich

429 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1097, Nr. 834). 430 Zur Verwendung des aus dem Lateinischen entlehnten veternoso vgl. Cacho Casal (2003, 327). 431 Cacho Casal hat darauf aufmerksam gemacht, dass «inanidades» auf den medizinischen terminus technicus inanición anspiele, was so viel wie ‘Magenentleerung’ bedeuten könne (Cacho Casal 2003, 327s., mit Verweis auf Diccionario de Autoridades). 432 Diccionario de Autoridades (vol. V, 429b): pulla1, «Dicho obscéno ù sucio de que comunmente usan los caminantes, quando se encuentran unos à otros, ù a los labradores que están cultivando los campos, especialmente en los tiempos de siega y vendímias. Y tambien se suelen usar entre famílias por burla de carnestolendas»; pulla2, «Se toma tambien por expression agúda y picante, dicha con prontitúd.» 433 Hierbei handelt es sich um eine Wortneubildung Quevedos.

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Dunkelheit, wie es bei der Anspielung auf das Schwarze Meer («póntico») in Vers 12 zum Ausdruck kommt.434 Die Nichtigkeit der Verse Góngoras wird in «Este cíclope, no sicilïano» durch die Nennung der Ziffer Null («cero», V.  6) zum Ausdruck gebracht. Der buchhalterische Diskurs, in den diese Nennung sich eingliedert, hält dann auch eine Argumentation zur Ausmusterung der gongorinischen Dichtung bereit: Gleich, was ein noch so findiger Rechenkünstler («abaquista», (V. 8) auch mit dieser Null anfange, multipliziere er sie («multiplica», V.  7), oder versuche er sie zu teilen («parte», V. 7), das Ergebnis ist immer dasselbe, es bleibt immer der Wert Null.435 Der Medizindiskurs stützt diese Bewertung der Nichtigkeit dahin gehend, dass es sich eben bei dem Gedärm nicht um einen der Verdauung dienlichen Trakt handele, sondern um den nutzlosen Blinddarm, was dann in den Anspielungen von «orbe» (V.  2) auf orbo, ciego und «minoculo» auf monóculo, alle in dieser anatomischen Bedeutung, zum Ausdruck gebracht wird. Explizit wird dann der Vorwurf, wie bereits mehrmals angesprochen, im resümierenden zweiten Terzett unter Verwendung verbaler Obszönitäten: Nicht einmal ein aktiver Sodomit würde einem so kleinen Gesäß Beachtung schenken.436 Und die Produkte des Gesäßes, die anscheinend nicht auf einer geordneten Verdauung beruhen, ließen sich zu guter Letzt auf den Wetteifer Góngoras mit dem Sonnengott Apoll zurückführen. So lesen wir im fünften Kapitel des zweiten Buchs von Galens De symptomatum causis: «Nam et sol et balneum et exercitatio excrementa, quae prius quieverant, ad motum excitant, queadmodum ex animi affectibus ira; a seipsis autem ad motum excitantur quae prius quieverant excrementa, dum calefiunt, attenuantur, et in flatulentum spiritum vertuntur.»437

434 Vgl. hierzu Cacho Casal (2003, 333). 435 Cacho Casal (2003, 313) deutet hier anders: «un veneciano sabría sacar mucho provecho de este cero, por sodomita y por su pericia en hacer cuentas.» Dem widerspricht das in diesem Kapitel Ausgeführte, wenn man ihm folgen mag, dahin gehend, dass erstens aus einer Null rechnerisch kein Nutzen gezogen werden kann und zweitens das mit der Kreisform und Nichtigkeit identifizierte Gesäß, wie es das abschließende Terzett explizit macht, keinen aktiven Sodomiten stimulieren könnte, sei es wegen eben der Klein- und Nichtigkeit des pudendum selbst, sei es auf Grund seiner unansehnlichen Gestalt durch Behaarung oder Blutstuhl. 436 Dieser für einen Sodomiten wegen seiner Winzigkeit wenig ansprechende After mag auch als ein Effekt des Jähzorns gewertet werden. Nach Galen zeichneten sie die iracundi – wie im Übrigen auch die Stammler – physiognomisch durch einen großen Kopf und kleine Augen aus: «Quibus caput magnum, oculi parvi, ii balbi et iracundi sunt» (aus Galens In Hippocratis librum de articulis commentarius, liber 2, in Galenus, Opera omnia, vol. XVII-A, 473). Durch die vulgäre Interpretation des Afters als Auge in der spanischen Umgangssprache, würde sich die Kleinheit der Augen im Gesicht auf das eine Auge des Gesäßes übertragen. 437 Vgl. Galens De naturalibus facultatibus, liber 3, in Galenus, Opera omnia (vol. II, 180s.).

Verbale Obszönität als Mittel der Dichtungskritik 

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Die Sonne erhitze die zuerst ruhenden Exkremente – wie nebenbei bemerkt der Affekt des Zorns –, veranlasse sie zur Bewegung und verwandele sie in Flatulenzen.

4.4 Verbale Obszönität als Mittel der Dichtungskritik von Góngoras stilistischer Dunkelheit In diesem Kapitel wurde das Sonett «Este cíclope, no sicilïano» näher betrachtet, das bei Blecua in die persönlichen Satiren eingereiht und gemeinhin zu den Invektiven gegen Góngora gezählt wird. Eine detaillierte Untersuchung dieses Sonetts im Kontext der quevedianischen satirischen Dichtung sowie in Bezug auf dessen obszönen Gehalt (zu den Ansätzen einer Deutung vgl. den skizzierten Forschungsstand) und eine ausführliche Diskussion der Zuschreibungsfrage standen bislang aus.

4.4.1 Zuschreibung und Datierung Auch wenn von einigen Forschern438 vorrangig auf Grund stilistisch-qualitativer und editionsphilologischer Kriterien die Zuschreibung des betreffenden Sonetts in Zweifel gezogen wird, so konnten doch nach einer detaillierten Untersuchung werkinterner Kongruenzen Evidenzen für die Attribuierung in Quevedos Œuvre zu Tage gefördert werden: Zum einen ergaben sich auffällige Parallelen in Bezug auf weitere Gedichte mit vorrangig satirisch-burlesker Prägung, deren Zuschreibung größtenteils über jeden Zweifel erhaben ist, dann aber auch vor allem im Vergleich zu dem skatologischen Traktat Excelencias y desgracias del salvo honor, das nicht nur eine thematische Nähe zu dem hier betrachteten Sonett, sondern auch beinahe deckungsgleiche Bilder und Vertextungsverfahren aufweist. Des Weiteren sollte die Interpretation verdeutlicht haben, dass es sich bei dem Sonett, das in Blecuas Ausgabe Poesía original completa die Nummer 832 trägt, um einen ausgefeilten, mehrstimmigen Text handelt, dem das Pauschalurteil von Jammes, dass es sich – vielleicht mit ein oder zwei Ausnahmen – bei den gemeinhin Quevedo zugeschriebenen antigongorinischen Texten um schwerfällige, schlecht geschriebene Gedichte handele,439 nicht gerecht wird.

438 Gemeint sind Robert Jammes und Amelia Paz. 439 Jammes (1994, 677).

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 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte

Das Sonett «Este cíclope, no sicilïano» ist in der Kontroverse um Góngoras Langgedichte aus dem Jahr 1613 anzusiedeln, hier besonders um die Fábula de Polifemo y Galatea. Trotz direkter Bezüge auf diesen Text ist Quevedos Beitrag auch eine Replik auf Góngoras Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero», das jener im Jahr 1615 gegen die Kritiker seiner Fábula richtete; einige Argumente von Quevedos Invektive lassen sich nicht allein aus dem Polifemo ableiten, sondern vermitteln sich über jenes Sonett Góngoras. So muss bezüglich einer Datierung der terminus post quem von 1615 angesetzt werden, eine Einordnung in die letzte Schaffensphase Quevedos zwischen 1640 und 1645, die Miranda Roig auf Grund ihrer stilistischen Analysen in Erwägung zieht,440 also in einem Zeitraum nach Góngoras Tod, verliert an Plausibilität, wenn man der im Vorangegangenen angestellten Darlegung werkinterner Kongruenzen bezüglich Thematik und Bildrepertoire folgt: Das Sonett an den Duque de Lerma, das mit dem hier im Zentrum stehenden Text den Bildbereich der Astronomie gemein hat, datiert auf das Jahr 1617,441 für die Entstehung der satrisch-burlesken Romance de la Roma gibt Blecua als terminus ante quem das Jahr 1623 an,442 der skatologische Traktat Excelencias y desgracias del salvo honor lag laut García-Valdés spätestens 1626 vor.443 Diese Nachbarschaft legt die Vermutung nahe, dass es sich bei «Este cíclope, no sicilïano» um eine Produktion aus Quevedos reifen Mannesjahren handelt, aber nicht um ein Alterswerk.

4.4.2 Thema und Stoßrichtung der Invektive Was das Thema respektive den Adressaten der Invektive betrifft, so konnte der Einschätzung Carreiras, dass es nicht den geringsten Grund gebe, dass es sich um das Gesäß Góngoras handele,444 nicht zugestimmt werden. Das Gedicht muss auf Grund seines Bezugs auf Góngoras Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero» als eine Eingabe an das Hinterteil des dort beschriebenen Zyklopen verstanden werden, das somit als Replik der Aufforderung im letzten Terzett Folge leistet. Dass es sich in «Este cíclope, no sicilïano» nicht um die mythologische Gestalt eines Zyklopen, sondern um einen After handelt, sollte die Interpretation deutlich gemacht haben. Dass dieser zu Góngora und den Kulteranisten gehört, wird

440 Roig Miranda (1989, 448). 441 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 713, Nr. 678, Fn. *). 442 Quevedo y Villegas, Poesía original completa (1996, 1067, Nr. 803, Fn. 1). 443 Quevedo y Villegas, Prosa festiva completa (1993, 92). 444 Carreira (1988, 149).

Verbale Obszönität als Mittel der Dichtungskritik 

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im Vers 13 explizit. Der Besitzer erweist sich aber auch im Kontext der weiteren antigongorinischen Texte als evident, in denen das Dichten Góngoras als ein Evakuieren und Flatulieren beschrieben wird. Der Hauptvorwurf gegen Góngora und dessen Dichtung, zu dem sich in «Este cíclope, no sicilïano» alle Aussagen verdichten lassen, ist der der (stilistisch-qualitativen) Nichtigkeit («totalmente cero», V. 6). Unter diesen subsumieren sich die Attribute von Flachheit («en todo plano», V. 5), Winzigkeit (der lateinische Elativ minus für ‘ziemlich klein’ in «minoculo», V. 9), Blindheit als Metapher für Dunkelheit («ciego», V. 9), Lasterhaftigkeit (V. «cima del vicio», V. 11), Beleidigung (etwa für die Ohren der Rezipienten; «insulto», V. 11), obszöner Niedrigkeit («pedos», V. 13), sexueller Devianz («bujarrón», V. 14) und des Ekelerregend-Abjekten («resquicio barbado de melenas», V. 10; in der Lesart als ‘blutwund-bärtiger Spalt’). Diese Attribute sind in verschiedene Diskurse eingebettet. Zu diesen gehören vorrangig die der Medizin und Astronomie, also Wissensformationen, die in der Vormoderne und in entfesselter Art und Weise besonders in der Spätrenaissance einer analogischen Episteme verpflichtet sind.445 Damit wird Góngoras Dichten zu diesen analogischen Operationen in Verbindung gesetzt, was keine Neuerung beinhaltet, da die Fábula Góngoras selbst zumindest mit dem Konzept der Mikrokosmos-Makrokosmos-Analogie durchzogen ist (beispielsweise: «o al cielo humano, o al cíclope celeste», V. 424).446 Um hier Quevedos Invektive nur noch einmal auf diese Aspekte konzentriert zusammenzufassen: Sowohl der Medizin- als auch der Astronomiediskurs halten eine Begründung bereit, warum Góngoras Produktion letztendlich nur obszöne Niedrigkeit und Dunkelheit hervorbringt. Als Dichter wetteifert Góngora in der Form von aemulatio mit dem Sonnengott Apoll, der hier in der Funktion als Inkorporation der dichterischen Wahrheit auftritt. Dieser Wetteifer führt dazu, dass der Dichter sich größtmöglich an diesen Gott annähert. Wenn man nun Apoll in der Sonne manifestiert sieht und Góngora ein Wetteiferer mit diesem Gestirn ist, dann lässt er sich nach dem Mikrokosmos-Makrokosmos-Prinzip mit einem

445 Vgl. hierzu die diskursarchäologischen Untersuchung von Michel Foucault in seinen Les mots et les choses (Foucault 1966; hier vor allem Kap. 2, «La Prose du monde», zur analogischen Episteme mit ihren vier Operationen; dazu auch die mit Blick auf Quevedos Sueños referierte Skizze bei Küpper (1992, Abschnitt 1.1, 7–12). 446 Quevedo stellt folglich den Dichter Góngora in eine Linie mit den Vertretern dieser prämodernen Wissenschaften wie etwa Paracelsus, der seinerseits etwa bei Quevedo im Sueño del infierno und in La Fortuna con seso y la hora de todos anzutreffen ist (vgl. hierzu Küpper 1992, 6, Fn. 18). Góngora wird im gleichen Zug also für Quevedo zum Vertreter einer Zeit, die – so Küpper – «diskurshistorisch eine Schwellenepoche darstellt, besser, eine Endzeit, in der die Apriori des herrschenden Diskurses problematisch geworden sind» (Küpper 1992, 6).

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anderen Gestirn in Analogie bringen, nämlich dem Mond. Die aemulatio findet dann ihre Vollendung, wenn auf ihrer Bahn beide Gestirne gleich aufliegen. Für die Rezipienten, hier jetzt identifiziert mit dem Planeten Erde, resultiert aus dieser Konstellation eine Sonnenfinsternis: Der Mond, repräsentiert in Góngora, verwehrt der Erde, d. h. dem Leser, das Sonnenlicht, die apollinische Klarheit der Dichtung. Als Resultat ist diese in Dunkelheit, dichterische obscuritas («ciego», V. 9) gehüllt, von der Sonne ist nur noch ein leuchtender Ring («círculo vivo», V. 5) zu erahnen. Medizinisch argumentiert bringt die Nähe zur Sonne durch die entstehende Hitze die ruhenden Exkremente in Góngoras Körper in Bewegung. Daraus resultiert das Entstehen von Flatulenzen («pedos», V. 12). Das Thema des Wetteifers mit dem Sonnengott Apoll wird aber durch Quevedo in «Este cíclope, no sicilïano» nicht neu eingeführt, sondern greift im Grunde nur den beinahe drei Verse umfassenden Klammereinschub zwischen dem Demonstrativum «este» und dem Substantiv «cíclope» in Góngoras Fábula de Polifemo y Galatea (Strophe 7, V.  50 und 53) wieder auf: «émulo casi del mayor lucero» (V. 52).447 Die Verschiebung der Aussage von der mythologischen Figur auf den Verfasser der Fábula ist dann wie vorher im Fall des Sonetts «Pisó las calles de Madrid el fiero» die satirische Operation Quevedos. Auf dieser Grundlage muss der Satiriker nur noch Schlüsse ziehen, die aus dem gongorinischen Wetteifer abzuleiten sind: astrologisch eine Sonnenfinsternis, medizinisch Flatulenzen. Dieses Verfahren des Sich-Einhakens in den gongorinischen Text und des anscheinend scharfsinnig-plausiblen Weiterspinnens, der allerdings eine Verschiebung vorausgegangen ist, bildet dann auch das Grundprinzip, nach dem sich Quevedos Sonett konstituiert. So gleich im ersten Vers bei der Einführung des Themas durch das Zitat des Reimwortes «sicilïano» des Vers’, mit dem der Narrationsteil des Polifemo beginnt: Die Diärese in diesem Wort ist in beiden Texten bewusst gewählt und vom Versmaß verlangt. Sie unterstreicht den Kakemphaton-Charakter, der von vornherein schon gegeben ist, auch wenn das Hervortreten verbaler Obszönitäten im Kontext des Polifemo nicht intendiert sein mag. Nach der Verschiebung von der Herkunftsbezeichnung des Zyklopen auf das zu isolierende ano für ‘After’ kann alles Weitere nur noch als folgerichtig erachtet werden. Ebenso beim Rekurs auf die italienischen Handelsnationen: In Góngora

447 Hier ist bei Góngora aber neben einem Wettstreit auch die aemultatio als zweites Prinzip der analogischen Episteme nach Foucault zu denken (hierzu Küpper 1992, 9: «es meint eine Ähnlichkeitsrelation, die von einem Realnexus der zwei involvierten Dinge emanzipiert ist, letztlich eine ‹spiegelbildliche Entsprechung› beliebiger Objekte»), wie es beispielsweise im bereits mehrfach zitierten Vers 424 aus Góngoras Fábula offensichtlich wird: «o al cielo humano, o al cíclope celeste».

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treibt ein Genovese nach dem Schiffbruch eines Handelsschiffs vor den Gestaden Siziliens auf den zerteilten Planken («[e]n tablas dividida», V.  433) im Meer (V. 433–436); die Nennung der Kaufmannsstadt Venedig bei Quevedo hakt genau hier ein, verschiebt die Bedeutung von dividir aber in Richtung einer Rechenoperation und dann auch übertragen auf sodomitische Sexualpraktiken, für die die Italiener im Siglo de Oro klischeehaft als Repräsentanten stehen. Alles Weitere erscheint wieder als selbstverständliche Schlussfolgerung. Als letzter Punkt sei hier noch auf die Bedingtheit der Satire selbst eingegangen: Ist es in Góngoras Fábula die mythologische Figur des Polyphem aus dem Zusammenhang der ovidischen Metamorphose des Acis durch die Nymphe Galatea, die im Zentrum steht, so ist es in Quevedos Text derselbe Zyklop, aber – wiederum nach einer Verschiebung – im Sagenzusammenhang um Odysseus und seine Gefährten. Was ergibt sich nun daraus anscheinend zwangsläufig? Zum einen die Transposition vom locus amoenus der Hirtenszenerie zur jauchig stinkenden Höhle mit einem menschenfressenden Riesen und dessen blutigen Eruktionen, zum anderen aber auch die Blendung des Zyklopen durch Pfählung. Ist nun Góngora der Zyklop, seine Dichtung die blutigen Eruktionen, wer ist dann Odysseus? Die Schlussfolgerung muss lauten: Der Satiriker Quevedo selbst ist der πολύτροπος ἀνήρ; was Odysseus mit dem glühenden Holzpfahl vollbringt, erledigt der Satiriker mit seiner Invektive. So muss Quevedo hier als Exekuteur gedacht werden, der den Produzenten von devianter, dunkler Dichtung zur Strecke bringt. Das Ergebnis dieses satirischen Verfahrens ist ein gepfählter Góngora mit einem blutwunden After, der wie Polyphem im Kontext der Odyssee nur «οὔτις» schreien kann. Diese Aussage würde sich dann – wiederum nach einer Verschiebung – auf diesen selbst beziehen und beinhaltet die Anerkennung des ihm in diesem Sonett gemachten, zentralen Nichtigkeitsvorwurfs («cero», V. 6).448

448 Dass hier neben dem Dichter und der Person Góngora und dessen Laster auch die Wissensformationen der Spätrenaissance an und für sich Ziel des Satirikers Quevedo sind, muss hier noch einmal mit Nachdruck gesagt werden. Wie Küpper im Hinblickt auf die Sueños festgestellt hat, legt Quevedo hier in den gongorinischen Langgedichten ebenfalls in Bezug «auf die diskursiven Praktiken dieser Zeit [...] deren Eigentümlichkeiten, vor allem aber Defizite [...] vermittels Outrierung und konterintentionaler Indienstnahme [bloß]. Die Gegenposition, von der aus die einer Satire stets implizite Kritik geführt wird, ist dabei die analogische Anschauungsform selbst, allerdings in ihrer ‹gezügelten› Variante, d. h. derjenigen, die vor dem bei M. Foucault in Les Mots et les choses beschriebenen Diskurs-Chaos der Spät-Renaissance herrschte und die der Nostalgiker Quevedo in zahlreichen seiner weniger bekannten Texten, den sogenannten ‹obras ascéticas› reproduziert. Es ist, so scheint es, die aus dieser Konstellation resultierenden Spezifik, die dem Text sodann sein eigentümliches Profil verleiht: Der Hohn, der dem Angeprangerten bzw. seinen

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 Quevedos Beitrag zur Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte

4.4.3 Formen und Funktionen verbaler Obszönität Wie ist es um das Obszöne in «Este cíclope, no sicilïano» bestellt? Die Einführung verbaler Obszönität erfährt – wie bereits mehrfach angesprochen – ihren Anfangspunkt durch die direkte Übernahme des Reimwortes «sicilïano» im ersten Sonettvers aus dem Vers Góngoras, mit dem der Narrationsteil der Fábula einsetzt. Auch wenn es im Kontext des Polifemo nicht obszön konnotiert sein mag, so legt die Diärese das Hervortreten des Wortbestandteils ano über den Reim noch in gesteigertem Maße nahe und setzt dann das Thema von Quevedos Sonett. Diese Stelle ist vielleicht die prominenteste, an der Quevedos parodistischer Rekurs auf Góngoras Dichtung und eine Umdeutung in Richtung verbaler Obszönität zu verzeichnen ist, aber bei weitem nicht die einzige: In Bezug auf die Vorlage des gongorinischen «Pisó las calles de Madrid el fiero» ist mit beinahe gleich starker Prominenz an die parodistische Übernahme des Wortes monóculo in «minoculo» (V. 9) zu denken; durch die Betonungsverschiebung wird zum einem ein Wechsel im metrischen Paradigma der Terzette im Kontrast zu den Quartetten bewirkt, zum anderen aber auch – ähnlich wie im Fall der Diärese in «sicilïano» – die Separarierung eines derb-obszönen Wortbestandteils forciert (hier im Gegensatz zum wissenschaftssprachlichen ano das vulgäre culo). Des Weiteren ist die Nennung der Flatulenzen («pedos», V. 12) keinesfalls unmotiviert; es lässt sich aus den «pedantones» (V. 12) von Góngoras Sonett ableiten. In unmittelbarerer Weise könnte man auch Anspielungen in Quevedos Gedicht auf Passagen des Polifemo finden, die bei Góngora zumindest doppeldeutig sind respektive mit dem landläufigen Sprachgebrauch brechen. Als erstes Beispiel wäre hier die durch die Nennung von «vulto» (V. 9) und «culto» (V. 13) gesetzte Referenz auf die sechsunddreißigste Strophe der Fábula hervor zu heben, in der Góngora das Wort lascivo verwendet. Die aus dem Lateinischen entlehnte Bedeutung von ‘üppig wuchernd’ in Bezug auf die Vegetation ist dem Spanischen im frühen 17. Jahrhundert unbekannt. Damals herrschte eine eindeutige Verwendung im Sinne von ‘den sexuellen Appetit stimulierend’ vor. Ähnlich verhält es sich im Fall von «divide» (V.  4) im Kontext von italienischen Handelsnationen («abaquista veneciano», V. 4), das auf die Verse 433–436 des Polifemo rekurriert. Dort benutzt Góngora das Wort vomitar in ungewöhnlicher, metaphorischer Weise, wobei die alltagssprachliche skatologische Bedeutung von ‘erbrechen’ aber nicht getilgt werden kann. Quevedos Übernahme des Verbs dividir, das in

Trägern, den Repräsentanten der Wissensformation des 15. und 16.  Jahrhunderts, zuteil wird, gewinnt seine erbarmungslosen Akzente gerade daraus, daß dieser Autor von einer Möglichkeit, die Welt anders als analogisch zu konzeptualisieren, noch nicht weiß» (Küpper 1992, 4).

Verbale Obszönität als Mittel der Dichtungskritik 

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Góngoras Fábula vollkommen neutral gebraucht wird, wird im Gegenzug obszön aufgeladen, indem es die Konnotation der sodomitischen Analpenetration mit aufbaut. In der Struktur von Quevedos Sonett lässt sich eine Entwicklung im Gebrauch und in der Form verbaler Obszönitäten ausmachen: In den Quartetten präsentiert sich das Obszöne versteckt in der Verwendung von Kakemphata als Reimwörter in den umschließenden Versen («sicilïano», V. 1; «italiano», V. 4; «plano», V. 5; «veneciano», V. 8), aus denen sich das wissenschaftssprachliche ano für ‘After’ isolieren lässt. Im zweiten Quartett tritt dann gleich zu Beginn als erstes Wort ein Typ von Kakemphaton hinzu, aus dem die vulgärsprachliche Entsprechung culo zu separieren wäre («círculo», V. 5). In den Terzetten weichen dann die Kakemphata des ersten Typs der Ableitung von culo in der parodistischen Wortneubildung «minoculo» (V.  9). Diese Tendenz zum Vulgärsprachlichen hin findet im zweiten Terzett dann ihren Abschluss, indem dort ohne die Verpackung in mots valise, wie Profeti die Kakemphata nennt,449 die verbale Obszönität offen zu Tage tritt («pedos», V. 12; «culo», V. 13; «bujarrón», V. 14). Dieses Entpacken der Kakemphata (círculo, monóculo, minoculo zu culo und pedantones zu pedos) verleiht der Invektive im Sonett «Este cíclope, no sicilïano» eine aggressive Schärfe, die sogar in Quevedos Schaffen ihresgleichen sucht und ihr Ziel erst erreicht zu haben scheint, wenn der Gegner vernichtet am Boden liegt. Darüber hinaus geht dieses satirische Verfahren auch mit der Überzeugung aus der klassischen Rhetorik konform, dass Kakemphata zu vermeiden seien und in dem Fall, dass verbale Obszönität nicht zu umgehen ist, man die direkte Nennung beim Namen der metaphorischen Umschreibung vorziehen solle:450 Quevedo nennt die Dinge also nur bei ihrem eigentümlichen Namen, sagt damit eigentlich dasselbe, was Góngora in Umschreibungen kleide, die das Schändliche nur noch schändlicher machten. Damit korrigiert er das Góngora unterstellte Ausdrucklaster, indem er den Gegenstand in eine sprachliche Form bringt, die den Vorgaben der klassischen Rhetorik entspricht.

449 Profeti (1984b, 210). 450 Vgl. die Ausführungen zu dieser Position in 2.2.2.

5 Formen und Funktionen verbaler Obszönität – Zusammenschau und Ausblick Im Zentrum der vorliegenden Studie stand der in der Forschungsliteratur bis dato zumeist ausgesparte Aspekt der verbalen Obszönität in der satirisch-burlesken Versdichtung Francisco de Quevedos, der sich vermehrt durch ein hohes Maß an Aggressivität und Schärfe auszeichnet. Der Schwerpunkt der Analyse lag dabei auf den persönlichen Invektiven Quevedos gegen seinen eine Generation älteren Dichterkollegen Luis de Góngora. Um das Panorama zu ergänzen und die Argumentation zu stützen, wurde die Analyse durch die Interpretation weiterer satirisch-burlesker Texte ergänzt, die nicht unter diesen engen Fokus fallen, aber auch durch den Vergleich mit Teilen der satirisch-burlesken Prosa. Da die Betrachtung des Obszönen in der vorliegenden Arbeit auf den Positionen zu dieser Kategorie in der klassischen Rhetorik basierte, erwies sich die Debatte um Stilfragen als das prädestinierte Feld für das verfolgte Vorhaben. Auf Grund der editionsphilologischen und stilistisch-qualitativen Zweifel, die beispielsweise von Jammes und Paz in Bezug auf die Zuschreibung vorgebracht wurden, kam es im Zuge der Gedichtanalysen auch zu Erwägungen philologischer Natur. Für den Fall des Sonetts «Este cíclope, no sicilïano» wurden durch die Betrachtung werkinterner Kongruenzen bei Quevedo Evidenzen für eine Zuschreibung ermittelt, auch die Datierung konnte dadurch und durch den intertextuellen Vergleich mit Góngoras Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero» auf eine Schaffensphase Quevedos im reifen Mannesalter eingegrenzt werden (4.1 und 4.2). Die interpretatorische Arbeit von Quevedos Dezimendichtung «Ya que coplas componéis» erfuhr eine Begleitung durch lexikographische Kurzkommentierungen, die gerade in Bezug auf Ausdrücke gaunersprachlicher Provenienz erhellende Ergebnisse zu Tage geförderten, die der Analyse dienstbar gemacht werden konnten. Unter 2.2 wurde die Frage nach dem Obszönen als ästhetischer Kategorie im Allgemeinen und im Spanien der Frühen Neuzeit im Besonderen aufgeworfen. Anhand der Sichtung zeitgenössischer lexikographischer Mittel fand der Begriff des Obszönen für das Siglo de Oro eine inhaltliche Eingrenzung; mit Hilfe von Paratexten wie dem nihil obstat Quevedos für ein Werk Lope de Vegas ließ sich daneben dokumentieren, dass verbale Obszönität als ästhetische Kategorie in der entsprechenden Epoche und bei dem Autor Geltung besaß (2.2.1). Quevedo selbst wurde von seinen Zeitgenossen in Bezug auf dessen Cuento de cuentos der Vorwurf von Obszönität gemacht, ihm sogar unterstellt, mit diesem Werk den fleischlichen Appetit der Leserschaft zu erwecken. Und ein Text seines Gegners Góngora, der unter 3.2 vorgestellt wurde und der unter 3.3 und 3.4 analysierten Dezimendichtung «Ya que coplas componéis» als Vorlage diente, gelangte sogar auf Grund seiner Charakterisierung als obszönes Werk auf den Index librorum prohibitorum.

Formen und Funktionen verbaler Obszönität – Zusammenschau und Ausblick 

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Nicht zuletzt wegen Quevedos humanistischer Bildung wurde im Anschluss untersucht, wie das Phänomen verbaler Obszönität bei den antiken Rhetoren behandelt wurde (2.2.2). Dabei standen Quintilian und Cicero im Vordergrund. Daneben kam auch eine Stelle aus Aristoteles’ Rhetorik in Betracht, von der das persönliche Exemplar Quevedos mit dessen handschriftlichen Marginalglossen erhalten ist. Quevedo kam mit dieser Tradition wahrscheinlich bereits in der Jesuitenschule vermittelt über die Rhetorik von Cipriano Suárez in Kontakt, die die Positionen Aristoteles’, Ciceros und Quintilians zusammenführt und in damaliger Zeit zum Basisunterricht gehörte. Aus den Bewertungen der klassischen Rhetorik ließ sich die folgende Klassifikation verbaler Obszönität herausarbeiten: erstens explizite verbale Obszönität in Form der Nennung der Dinge bei ihrem eigentümlichen Namen; zweitens implizite verbale Obszönität, die in der Ambiguität von Wörtern begründet liegt, die auch einen obszönen Nebensinn annehmen können (nach Quintilian Kakemphata des ersten Typs); drittens explizite verbale Obszönität, die sich aus der Verschiebung von Wortgrenzen respektive Segmentierung von Wörtern ergibt (nach Quintilian Kakemphata des zweiten Typs); implizite verbale Obszönität, bei der die explizite Indezenz durch metaphorische Umschreibung vermieden wird (also das Ding bei einem anderen Namen genannt wird). Generell ist festzustellen, dass nach Einschätzung aller klassischen Theoretiker der Gebrauch von Obszönität für einen Redner unwürdig sei. Aber folgende abstufende Bewertungen kann bei der Diskussion der verschiedenen Typen ausgemacht werden: Erstens fällt ein etwaiger auf Ambiguität beruhender obszöner Nebensinn – so Quintilian – nicht in die Verantwortung des Redners, diese ist allein beim Rezipienten veranschlagt, der nach einem solchen Nebensinn Ausschau hält. Zweitens sollen Kakemphata, die sich durch Verschiebung der Wortgrenzen ergeben, vom Redner durch Vermeidung oder syntaktische Umstellung umgangen werden. Und drittens sind direkte Nennungen des Dings bei seinem eigentümlichen Namen, also explizite verbale Obszönitäten, metaphorischen Umschreibungen vorzuziehen, wenn ein indezenter Gegenstand nicht zu vermeiden ist; metaphorische Umschreibung mache das Schändliche nur noch schändlicher. Auf diesen letzten Punkt bezieht sich eine marginale Glosse Quevedos in dessen privater Aristoteles-Ausgabe, wo er Dichtern wie Petronius und Martial ein solch noch schändlicheres Verfahren attestiert und somit signalisiert, dass er zumindest die dritte Einschätzung teilt.451 In den Analysekapiteln 3 und 4 wurde diese Klassifizierung der klassischen Rhetorik bei der Bestimmung von Formen und Funktionen verbaler Obszönität

451 Dies machte auch indirekt die Passage aus einem Brief Quevedos deutlich, wo er darauf insistiert, dass ein Dichter zu dem stehen müsse, was er sagt.

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 Formen und Funktionen verbaler Obszönität – Zusammenschau und Ausblick

in Quevedos Invektiven zu Grunde gelegt. Als Ergebnis soll hier noch einmal Folgendes festgehalten werden: Bei dem ersten Text, der hier näher untersucht wurde (3), handelt es sich um ein Werk des jungen Quevedo. Es bildet eine Replik auf die Letrilla Góngoras «¿Qué lleva el señor Esgueva?», die dieser im Jahr 1603 als Burleske auf den Valladolider Hof verfasst hatte. Dort wird der Fluss Esgueva als Kloake der königlichen Residenz beschrieben, durch den die Hofleute ihre Exkremente abführen. Dies wird aber nirgends explizit; das skatologische Denotat vermittelt sich nur über ein Spiel mit seriell redundanter Doppeldeutigkeit und metaphorischer Umschreibung sowie auch an einer Stelle im Gebrauch eines Kakemphaton (des zweiten Typs nach Quintilian). Quevedo scheint sich als Mitglied dieses Hofes durch die Letrilla persönlich angesprochen zu fühlen. Seine Replik in «Ya que coplas componéis» hakt dann an einigen Stellen in Góngoras Text ein und übersteigert parodistisch die dort verwendeten Verfahren. Der Großteil von Quevedos Dezimendichtung ist aber von expliziter verbaler Obszönität durchzogen. Diese vehemente Indezenz unterstreicht auf der einen Seite die Aggressivität der Invektive, auf der anderen Seite tendiert sie aber auch durch die kontextuelle Einbindung und vermehrten Wiederholung dazu, eine Abschwächung zu erfahren oder sogar beinahe desemantisiert zu werden. So erhalten explizite verbale Obszönitäten im Vertextungsprozess einen nicht obszönen Nebensinn, der die gegen Góngora vorgebrachte Dichtungskritik argumentativ stützt, oder generieren durch die Repetition lediglich Klangbilder, die im besten Fall als Warnung zu verstehen sind. Neben dem satirischen Verfahren bilden sie aber auch einen Paradigmenwechsel: Die Kaskaden von Ambiguitäten und metaphorischen Umschreibungen bei Góngora werden von Salven explizit obszönen Wortmaterials abgelöst, seien diese dann im Folgenden semantisch abgeschwächt oder nicht. Ähnliches lässt sich in komprimierter und ausgefeilter Form in Quevedos Sonett «Este cíclope, no sicilïano» beobachten, das im vierten Kapitel detailliert besprochen wurde. Dieser Text siedelt sich, wie gesagt, in der Kontroverse um Góngoras epische Langgedichte von 1613 an und bilden eine Replik auf Góngoras Sonett «Pisó las calles de Madrid el fiero» aus dem Jahre 1615. Dieses Sonett Góngoras beinhaltet verbale Obszönität wiederum lediglich in Form von Ambiguitäten, metaphorischen Umschreibungen und vermehrt hier jetzt auch von Kakemphata (des zweiten Typs nach Quintilian): «monóculo galán» (v. 2), «pedantones» (v. 12), aus denen sich die expliziten Bezeichnungen culo (vulgärsprachlich für ‘Gesäß’), ano (wissenschaftssprachlich für ‘After’) und pedo (vulgärsprachlich für ‘Furz’) isolieren lassen. Hier hakt Quevedo neben Rekursen auf die Fábula de Polifemo y Galatea Góngoras ein. In den Quartetten dominiert dann auch bei Quevedo der Gebrauch von Kakemphata. Dies beginnt mit dem Ausgang des ersten Verses, der durch die direkte Übernahme von «sicilïano», mit der der Nar-

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rationsteil des Polifemo beginnt, und endet mit der parodistischen Referenz auf den «monóculo galán» von Góngoras Sonett, die am Anfang des ersten Terzetts in der Form «minoculo» vorliegt. Bei Quevedos Gebrauch von Kakemphata ist dann auch eine Tendenz zu beobachten ausgegehend von solchen, aus denen sich das medizinfachsprachliche ano isolieren lässt, hin zu mots valise auf der Basis des vulgärsprachlichen culo. Die Parodie in «minoculo», bei der auch eine Betonungsverschiebung in Bezug auf die Folie vorliegt, die dann auch einen prosodischen Paradigmenwechsel der Terzette im Kontrast zu den Quartetten bewirkt, gibt dann gleichsam den Anstoß zum Auspacken dieser mots valise, so dass in den Terzetten dann nur noch explizite verbale Obszönitäten zu Tage treten. Diese Verschiebung zur offensichtlichen Indezenz vollzieht sich auch auf inhaltlicher Ebene, wenn beispielsweise der Zyklop Polyphem aus dem Schäferidyll der ovidischen Verwandlung in den Sagenzusammenhang von Odysseus und seinen Gefährten gesetzt wird, der gerade bei Vergil mit derb-ekelerregenden Beschreibungen ausgeschmückt ist. Im Gebrauch expliziter verbaler Obszönität kann man in beiden eingehend analysierten Gedichten neben der Unterstreichung der satirischen Stoßrichtung eine stilkorrigierende Tendenz im Sinne der klassischen Rhetorik verzeichnen, die dahin zielt, die Dinge bei ihrem eigentümlichen Namen zu nennen. Damit muss konstatiert werden, dass Quevedo das proliferierende Stilgebaren des Kulteranismus auf die klassischen Maximen der Rhetorik herunterbrechen will, einen schändlichen Sprachgebrauch wählt, um einen noch Schändlicheren in die Schranken zu weisen, alles um der perspicuitas willen. Durch dieses Verfahren geht er hier in den Invektiven mit seinem poetologischen Programm konform, das er in der Widmung an den Conde-Duque de Olivares entwirft und das Julian Smith in seiner Analyse als «radical archaism» charakterisiert.452

452 Smith (1987, 53). Der Herausarbeitung des Kontrasts des in der Widmung an den Conde-Duque de Olivares entworfenen poetologischen Programms und der Liebeslyrik Quevedos widmet sich dann die gesamte Studie von Smith. Die Frage, inwieweit die Traktierung des Obszönen, so wie sich hier in den Polemiken gegen Luis de Góngora zeigt, sich auch in der restlichen satirisch-burlesken Versdichtung mit hohem Anteil verbaler Obszönität widerspiegelt, musste in der vorliegenden Studie ausgespart bleiben. Eine Durchsicht der Gedichte aus den Themenbereichen der mit Schminke ihr Alter übertünchenden Greise und Greisinnen sowie der sexuellen Devianzen (Kastratentum, Sodomie), die man ebenfalls unter dem Rubrum eines Verstoßes gegen die althergebrachte (göttliche) Ordnung subsumieren könnte, lassen ähnliche Ergebnisse vermuten, wenn auch nicht in einer solchen Prägnanz. Mit Gewissheit anders gelagert ist die Präsenz des Obszönen in den als pikaresk zu veranschlagenden Romanzen aus dem Gauner- und Prostituiertenmilieu. Hierzu wurden erste Ansätze zu einer Einordnung in Savelsberg (2003) vorgeschlagen.

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