Heureka und Panta rhei, Alea iacta est und Carpe diem sind das meistzitierte, lebendigste Griechisch und Latein. Doch di
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German Pages 216 [218] Year 2019
Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Zu dieser Neuausgabe
«Kleingeflügel»
Geflügelt, entflogen
Einige Sammlungen
Schlagwortregister
Back Cover
Klaus Bartels
VENI VIDI VICI
Meiner Frau Annette unicae optimae
V
eni idi ici
Geflügelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen
zusammengestellt, übersetzt und erläutert von Klaus Bartels
16., durchgesehene und ergänzte Auflage
Die broschierte 1. Auflage dieser Sammlung, noch unter der Mitautorschaft von Ludwig Huber, und fünf weitere unveränderte Auflagen sind 1966ff. in der Reihe «Lebendige Antike» im Artemis Verlag, Zürich, herausgekommen. Die grundlegend erneuerte und auf mehr als den doppelten Umfang erweiterte 7. und eine unveränderte 8. Auflage sind 1989 und 1990 im gleichen Verlag erschienen. Zwei weitere unveränderte Auflagen sind 1992 und 1997 in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, Darmstadt, gefolgt. Die 11. Auflage, eine wiederum durchgehend erneuerte und beträchtlich erweiterte Neuausgabe, ist 2006 im Verlag Philipp von Zabern, Mainz, erschienen; vier weitere, jeweils durchgesehene und ergänzte Auflagen sind 2008, 2010, 2013 und 2016 gefolgt.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Philipp von Zabern ist ein Imprint der wbg. 16., durchgesehene und ergänzte Auflage 2019 © 2019 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Einbandgestaltung: Harald Braun, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8053-5229-1 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8053-52530-7 eBook (epub): 978-3-8053-5231-4
Inhaltsverzeichnis Zu dieser Neuausgabe
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Geflügelte Worte aus dem Griechischen
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Geflügelte Worte aus dem Lateinischen
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«Kleingeflügel»
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Geflügelt, entflogen
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Einige Sammlungen
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Schlagwortregister
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Zu dieser Neuausgabe Die Sammlung «Veni vidi vici» präsentiert sich in der 2006 vorgelegten Neuausgabe, ihrer 11. und nunmehr 16. Auflage, nochmals in neuer Gestalt, nicht lediglich «durchgesehen», sondern durchgehend redigiert und vielfältig erweitert. Eine Anzahl Worte wie das olympische Citius, altius, fortius, das E pluribus unum auf den US-Dollarnoten und das Dominus providebit auf dem Schweizer Fünf-Franken-Stück sind neu einbezogen worden, einem ungeflügelten Wort – dem großartig lapidaren Grabspruch Ut moriens viveret / vixit ut moriturus – sind die Flügel honoris causa verliehen worden; weit über hundert einzelne Erläuterungen haben teils beträchtliche Ergänzungen erfahren. Neu hinzugekommen ist auch ein Nachwort zur Charakteristik dieser buntgefiederten Vogelschar. Die nunmehr fünfzigjährige Volière griechischer und lateinischer Geflügelter Worte versammelt gegen fünfhundert mehr oder weniger geläufige Zitate, die dem heutigen Hörer und Leser eher als andere auch in der alten Originalsprache begegnen mögen, und dies ohne Unterschied ihrer Herkunft, ihrer Art und ihres Ranges. Caesars geschliffene Siegesdepesche Veni vidi vici steht hier neben einem stumpfen Vare, redde legiones!, ein Jahrtausendwort wie das Terenzische Homo sum, humani nil a me alienum puto neben einem formelhaften Quod erat demonstrandum, ein heidnisches Ab Iove principium neben einem christlichen Hoc signo vinces, der Archimedische Freudenruf Heureka! Heureka! neben Basedows, Riemers, Goethes feuchtfröhlicher Schlußfolgerung Ergo bibamus. Derlei Zitate sind das quicklebendigste, unverwüstlichste Griechisch und Latein. Aber diese Geflügelten Worte sind durchweg zugleich entflogene Worte; sie tragen kein Ringlein am Fuß, auf dem Autor und Werk, Kapitel und Paragraph säuberlich verzeichnet wären. Die Erläuterungen suchen die aus dem Blick geratenen Bezüge, soweit möglich und in einer solchen Sammlung sinnvoll, wieder vor Augen zu rücken. Sie begnügen sich darum nicht mit der Übersetzung und dem bloßen Stellennachweis. Je nachdem, wie die
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ZU DIESER NEUAUSGABE
Überlieferung es bietet und das Verständnis es fordert, werden die Geflügelten Worte in ihren ursprünglichen Kontext und ihre besonderen Bezüge eingebettet, wird die Geschichte einer Prägung, ihrer Zitierungen und Abwandlungen in der Antike und der manchmal verwunderlichen Bedeutungssprünge nachgezeichnet. Nicht immer ist die Ursprungsstelle eines Wortes nachgewiesen; hie und da müssen wir uns selbst bei so vielzitierten Prägungen wie Plenus venter non studet libenter oder De gustibus non est disputandum mit einem Ignoramus oder doch einem Non liquet begnügen. Die Sammlung bemüht sich im Ganzen um Verträglichkeit und Lesbarkeit auch für solche Leser, die nicht fließend lateinisch, geschweige denn griechisch träumen; sie möchte nicht nur zum Nachschlagen in der Not, sondern auch zum fröhlichen Blättern und Lesen einladen. Zahlreiche Verweise und ein deutsches Schlagwortregister mögen die Suche nach einem bestimmten Wort erleichtern. Gegen dreihundert geläufige lateinische Stereotype – sit venia verbo: «Kleingeflügel» – vom Schlage eines ad hoc oder eines vice versa sind in einem Anhang zusammengestellt. Habent sua fata libelli: Der Autor dankt dem Verlag Philipp von Zabern aufs Neue für das fortgesetzte Engagement an diesem «Veni vidi vici» und die ehrenvolle Gastfreundschaft in der traditionsreichen Mainzer Offizin. Nullus est liber tam malus, sagt ein Geflügeltes Wort, ut non aliqua parte prosit. Aus dieser Sicht ist die jüngste 16., wiederum durchgesehene und ergänzte Auflage gewiß nicht schlechter als die letzte. Auf die doppelt «lapidare» Ergänzung zu dem hier ehrenhalber aufgenommenen «Ut moriens viveret...» sei besonders hingewiesen. Ein – letzter? – banaler Druckfehler ist berichtigt worden. Nicht so der köstliche Schabernack, mit dem ein verliebtes Druckfehlerteufelchen aus Vergils Musenanruf Ab Iove principium, Musae auf Seite 31 ein amouröses Ab love principium, Musae gemacht hat: Omnia vincit Amor, et nos cedamus Amori!
Kilchberg am Zürichsee, den 6. März 2019
Klaus Bartels
A
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ÉAgevm°trhtow mhde‹w efis€tv (Ageometretos medeis eisito). «Keiner, der nichts von Geometrie versteht, trete hier ein!» (in dem Sinne: «Keiner, der nichts von Mathematik versteht, ...») Als Inschrift über dem Eingang der Platonischen «Akademie» angeführt bei Elias, Kommentar zu Aristoteles, Kategorien, in: Commentaria in Aristotelem Graeca, Band 18, S. 118, Zeile 18f.; ähnlich vorher bei Philoponos, Kommentar zu Aristoteles, De anima, in: Commentaria in Aristotelem Graeca, Band 15, S. 117, Zeile 27 (ÉAgevm°trhtow mØ efis€tv) und später bei Tzetzes, Historiarum variarum chiliades 8, 249, 973 (Mhde‹w égevm°trhtow efis€tv mou tØn st°ghn, «... betrete mein Haus»). Wenn die erst in der Spätantike bezeugte Inschrift erfunden ist, so ist sie gut erfunden: Die Mathematik und besonders die Geometrie, die den Blick von den vielerlei mehr oder weniger genau, größer oder kleiner gezeichneten Kreisen auf die eine unvergängliche Idee des Kreises lenkt, galt Platon als die unabdingbare Vorschule der philosophischen Dialektik, vgl. besonders Staat 7. 522 Cff. ÖAgnvstow yeÒw (Agnostos theos). «Unbekannter Gott.» Lukas, Apostelgeschichte 17, 23, aus dem Anfang der Rede des Apostels Paulus auf dem athenischen Areopag: «Denn als ich durch eure Stadt ging und eure Heiligtümer betrachtete, fand ich auch einen Altar, auf dem die Inschrift stand: Dem unbekannten Gott. Was ihr nun, ohne es zu kennen, verehrt, das verkündige ich euch.» ÖAgrafow nÒmow (Agraphos nomos). «Ungeschriebenes Gesetz.» Der Begriff des «ungeschriebenen Gesetzes» begegnet zuerst in einem bei Andokides, Rede über die Mysterien 85ff., angeführten Solonischen Gesetz, das die
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ÉAe€
Anwendung nicht schriftlich aufgezeichneter und öffentlich bekanntgemachter Gesetze ausschloß. In der Folge deutet der Begriff insbesondere auf das in der Natur begründete, besonderer Bestätigung nicht bedürftige «Naturrecht»; so bei Sophokles, Antigone 454f., wo Antigone sich gegenüber Kreons Gebot, den Leichnam des toten Polyneikes nicht zu bestatten, sondern den Vögeln und Hunden zu überlassen, auf die «ungeschriebenen, niemals wankenden Satzungen der Götter» (êgrapta késfal∞ ye«n / nÒmima) beruft, und bei Thukydides, Peloponnesischer Krieg 2, 37, 3, wo Perikles in seiner Rede auf die Gefallenen den von den Archonten erlassenen Gesetzen die «ungeschriebenen» zur Seite stellt, die, wenn sie übertreten werden, «nach allgemeinem Urteil Schande bringen» (... ˜soi êgrafoi ˆntew afisxÊnhn ımologoum°nhn f°rousin). ÉAe‹ går eÔ p€ptousin ofl DiÚw kÊboi (Aei gar eu piptusin hoi Dios kyboi). «Denn allemal gut fallen die Würfel des Zeus.» Sophokles, in: Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Fragment 809. Der in einem Scholion zu Euripides, Orest 603, dem Sophokles zugeschriebene, vielfach auch sonst – ohne Nennung eines Autors – angeführte Vers war nach dem Zeugnis des Eustathios, Kommentar zu Homers Ilias, S. 1084, Zeile 2f., und zur Odyssee, S. 1397, Zeile 18, «sprichwörtlich» geläufig. (Kén broto›w) / afl deÊtera€ pvw front€dew sof≈terai (Kan brotois / hai deuterai pos phrontides sophoterai). «(Und bei uns Menschen sind) die zweiten Gedanken irgendwie die klügeren.» Euripides, Hippolytos 435f.; die Amme zu Phädra. Cicero, 12. Philippische Rede 2, 5, zitiert den offenbar geläufigen Vers in lateinischer Version: Posteriores enim cogitationes, ut aiunt, sapientiores solent esse, «Die späteren Gedanken sind ja, wie man sagt, gewöhnlich die klügeren»; in einem Brief an seinen Bruder Quintus, 3, 1, 18, spielt er mit den zwei griechischen Worten deut°raw front€daw locker auf den Euripidesvers an. Vgl. Errare humanum est, unten S. 65. Afi¢n éristeÊein ka‹ Ípe€roxon ¶mmenai êllvn / mhd¢ g°now pat°rvn afisxun°men (Aien aristeuein kai hypeirochon emmenai allon / mede genos pateron aischynemen). «Immer der Beste zu sein und überlegen zu sein den anderen und dem Geschlecht der Väter nicht Schande zu machen.» Homer,
ÖAnyrvpow
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Ilias 6, 208f.; der lykische Heerführer Glaukos zitiert die Mahnung, mit der sein Vater Hippolochos, der Sohn des Bellerophontes, ihn in den Trojanischen Krieg ausgesandt hatte. Der erste der beiden Verse erscheint Ilias 11, 784 noch einmal; dort erinnert Nestor den Patroklos an die Mahnung, mit der Peleus seinen Sohn Achilleus in den Krieg ausgesandt hatte. Cicero führt das Mahnwort in einem Brief an seinen Bruder Quintus, 3, 5, 4, leicht variiert in griechischer Sprache an. ÉAllÉ ∑ toi m¢n taËta ye«n §n goÊnasi ke›tai (All’ etoi men tauta theon en gunasi keitai). «Aber wahrhaftig! Das liegt nun im Schoße der Götter.» Ein Homerischer Formelvers; Ilias 17, 514; Odyssee 1, 267 und öfter. ÖAndra moi ¶nnepe, MoËsa, polÊtropon ... (Andra moi ennepe, Musa, polytropon ...) «Den Mann nenne mir, Muse, den vielgewandten ...» Homer, Odyssee 1, 1; der Anfang der Homerischen «Odyssee», des – nach der «Ilias» – zweitältesten Werks der europäischen Literatur: «Den Mann nenne mir, Muse, den vielgewandten, der gar viel umgetrieben wurde, nachdem er Trojas heilige Stadt zerstörte ...» Homer kannte erst eine einzige Muse; zum Abschluß des Musenanrufs in Vers 10 wird sie noch einmal angesprochen: «Davon ..., Göttin, Tochter des Zeus, sage auch uns!» Der Name des «vielgewandten», listenreichen Odysseus wird erst in der folgenden Götterszene genannt. ÉAn°gnvn, ¶gnvn, kat°gnvn (Anegnon, egnon, kategnon). «Ich habe gelesen, ich habe verstanden, ich habe verworfen.» Kaiser Julianus Apostata, der vom Christentum «Abtrünnige», in einem (nicht datierbaren) Brief an die führenden christlichen Bischöfe, bei Sozomenos, Kirchengeschichte 5, 18, 7. Wie Sozomenos weiter berichtet, erwiderten die Bischöfe: «Du hast wohl gelesen, aber nicht verstanden; denn wenn du verstanden hättest, hättest du nicht verworfen.» Das kaiserliche Verdikt ist der prägnanten Kürze des Caesarischen Veni vidi vici (unten S. 176) nachgebildet. ÖAnyrvpow m°tron èpãntvn (Anthropos metron hapanton). «Der Mensch ist das Maß aller Dinge.» Der sogenannte «Homo-mensura-Satz» des Protagoras, des Archegeten der griechischen Sophistik (in: Diels-Kranz, Frag-
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ÖAriston
mente der Vorsokratiker, Fragment B 1). Der Eingangssatz der – verlorenen – Schrift «Wahrheit» ist im Wortlaut und vollständig zitiert bei Sextus Empiricus, Adversus mathematicos 7, 60, und bei Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 9, 51: Pãntvn xrhmãtvn m°tron (§st‹n) ênyrvpow, t«n m¢n ˆntvn, …w ¶stin, t«n d¢ oÈk ˆntvn, …w oÈk ¶stin, «Aller Dinge Maß ist der Mensch, sowohl der seienden, daß (wie) sie sind, als auch der nicht seienden, daß (wie) sie nicht sind». Zitate in abhängiger Rede finden sich bereits bei Platon, Kratylos 385 Ef. (nur der erste Teil) und Theaitetos 152 A. An der zweiten Stelle erklärt Platon dazu: «Er meint es doch ungefähr so: Wie die einzelnen Dinge mir erscheinen, so sind sie für mich, und wie sie dir erscheinen, so sind sie wiederum für dich: Ein Mensch bist du doch so gut wie ich?» Vgl. noch die sarkastischen Bemerkungen im «Theaitetos» 161 Cff. und die Platonische Gegenthese in den «Gesetzen», 4. 716 C: ÑO dØ yeÚw ≤m›n pãntvn xrhmãtvn m°tron ín e‡h mãlista, ka‹ polÁ mçllon ≥ poÊ tiw, Àw fasin, ênyrvpow, «Der Gott also wäre uns wohl am ehesten das Maß aller Dinge, und er viel eher als etwa, wie sie sagen, irgendein Mensch». ÖAriston m¢n Ïdvr, ı d¢ xrusÒw ... (Ariston men hydor, ho de chrysos ...) «Das Beste ist das Wasser, und das Gold ...» Pindar, Olympische Oden 1, 1. Die Eingangsworte des Siegesliedes für Hieron von Syrakus, Sieger mit dem Rennpferd im Jahre 476 v. Chr. ÉArxØ ¥misu pantÒw (Arche hemisy pantos). «Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen.» Bei Platon, Gesetze 6. 753 E, und Aristoteles, Politik 5, 4. 1303 b 29, ist der Satz als «sprichwörtlich» geläufig angeführt. Platon steigert das Wort an der Stelle noch über die «Hälfte» hinaus: TÚ dÉ ¶stin te, …w §mo‹ fa€netai, pl°on µ tÚ ¥misu, «(Ein guter Anfang) ist aber sogar, wie mir scheint, noch mehr als die Hälfte». Aristoteles, Nikomachische Ethik 1, 7. 1098 b 7, zitiert das Wort in der gleichen zugespitzten Fassung: Doke› går ple›on µ ¥misu toË pantÚw e‰nai ≤ érxÆ, «Denn der Anfang scheint noch mehr als die Hälfte des Ganzen zu sein». Vgl. Aristoteles, Sophistici elenchi 33. 183 b 22f.: «Das Wichtigste ist vielleicht der Anfang von jeder Sache.» Durch Horaz ist das Wort auch im Lateinischen zum Geflügelten Wort geworden; vgl. Dimidium facti, qui coepit, habet, unten S. 56.
Gn«yi
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AÈtÚw ¶fa (Autos epha). «Er selbst hat es gesagt.» Die alles bekräftigende oder auch widerlegende unwiderlegliche Formel, mit der die Mitglieder des Pythagoreischen Ordens, besonders die traditionalistischen «Akusmatiker», sich auch sachlichen Einwänden gegenüber auf die Autorität des Ordensgründers, des alten Pythagoras «selbst», zu berufen pflegten, so angeführt bei Clemens Alexandrinus, Stromata 2, 5, 24; vgl. Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 8, 46. Cicero, De natura deorum 1, 5, 10, und Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 11, 1, 27, zitieren die Formel in der gleichbedeutenden lateinischen Version Ipse dixit. Ghrãskv dÉ afie‹ pollå didaskÒmenow (Gerasko d’ aiei polla didaskomenos). «Ich werde alt und lerne stets noch vieles hinzu.» Ein vielfach – so in dem unter Platons Namen überlieferten Dialog «Amatores», 133 C, und bei Plutarch, Solon 2, 2 und 31, 7 – zitierter Vers aus Solons Elegien, in: Diehl, Anthologia Lyrica Graeca, Fragment 22, 7. Zitate in abhängiger Rede finden sich bereits bei Platon, Laches 188 B und 189 A; Staat 7. 536 D. Gn«yi seautÒn (Gnothi seauton). «Erkenne dich selbst!» (in dem Sinne: «Erkenne, daß du ein Mensch bist!») Platon, Protagoras 343 Af. und Charmides 164 Dff. (vgl. auch Philebos 48 C), zitiert die knappe Mahnung neben Mhd¢n êgan, «Nichts im Übermaß!» (unten S. 21), als Inschrift am Apollontempel in Delphi und schreibt sie den Sieben Weisen zu, als eine «gemeinsame Erstlingsgabe ihrer Weisheit» und Weihegabe an Apollon. Nach Pausanias, Reiseführer durch Griechenland 10, 24, 1, standen die beiden Inschriften in der Vorhalle des Tempels. Aristoteles, Rhetorik 2, 21. 1395 a 21f., nennt die Mahnung als ein Beispiel für «im Volk geläufige Worte» (dedhmosieum°na). Bei Stobaios, Anthologie 3, 1, 172 (in: Diels-Kranz, Fragmente der Vorsokratiker, Band I, S. 63, Zeile 25), eröffnet das Wort die Reihe der Weisheitssprüche des Lakedämoniers Chilon. An der genannten Stelle des Platonischen «Charmides» wird die Kardinaltugend der svfrosÊnh, der «Besonnenheit», als ein «Sich-selbst-Erkennen» definiert und der Appell «Erkenne dich selbst!» als ein Aufruf zu solcher «Besonnenheit», das heißt zu maßvollem Denken, Reden und Handeln erklärt. Der alte Weisheitsspruch «Erkenne dich selbst!» erinnert
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D€w
im Sinne der delphischen Theologie an das allseits eng begrenzte Maß der Menschendinge; er fordert nicht etwa, im Sinne der modernen Psychoanalyse, zur Bewußtmachung und Verarbeitung persönlicher Erlebnisse auf. Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. hatte der Tragiker Ion die delphische Inschrift zitiert (bei Plutarch, Consolatio ad Apollonium 28. 116 D; in: Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Fragment 55): TÚ Gn«yi sautÒn, toËtÉ ¶pow m¢n oÈ m°ga, / ¶rgon dÉ ˜son ZeÁw mÒnow §p€statai ye«n, «Der Spruch: Erkenne dich selbst!, dieses Wort ist nicht groß, das Werk aber so groß, daß Zeus als einziger der Götter sich darauf versteht». Weitere Zitate der beiden anfangs genannten Inschriften bei Plutarch, De E apud Delphos 2. 385 D; De Pythiae oraculis 29. 408 E; De garrulitate 17. 511 B. Vgl. die lateinische Version Nosce te ipsum, unten S. 111. D‹w ka‹ tr‹w tÚ kalÒn (Dis kai tris to kalon). «Zweimal und dreimal das Schöne!» (in dem Sinne: «Nicht nur einmal, sondern vielmals das Richtige sagen und tun»). Platon, Gorgias 498 E und Philebos 59 Ef., zitiert die Aufforderung als «sprichwörtlich» geläufig; ein Scholion zu der erstgenannten Stelle führt das Sprichwort auf Empedokles zurück (in: Diels-Kranz, Fragmente der Vorsokratiker, Fragment B 25): Ka‹ d‹w gãr, ˘ de›, kalÒn §stin §nispe›n, «Denn auch zweimal ist, was geboten ist, schön zu verkünden». DÒw moi poË st«, ka‹ kin« tØn g∞n (Dos moi pu sto kai kino ten gen). «Gib mir einen Ort, wo ich stehen kann, und ich bewege die Erde.» Archimedes bei Pappos, Collectio 8, 19, S. 1060, Zeile 3f. Hultsch, bei Simplicius zu Aristoteles, Physik (... pò b«, ka‹ kin« tån gçn, in: Commentaria in Aristotelem Graeca, Band 10, S. 1110, Zeile 5), und bei Tzetzes, Historiarum variarum chiliades 2, 35,130 (... pò b«, ka‹ xarist€vni tån gçn kinÆsv pçsan) und 3, 66, 62 (... ˜pa b«, ka‹ saleÊsv tØn xyÒna); vgl. Plutarch, Marcellus 14, 12. Mit der herausfordernd überhöhten Ankündigung, er werde die – im Weltmittelpunkt ruhend gedachte – Erde aus den Angeln heben können, wenn man ihm nur einen festen Standort, eine «zweite Erde», dazu biete, bekräftigt Archimedes seine These, jeder noch so schwere gegebene Körper müsse sich unter Zwischenschaltung einer entsprechenden Untersetzung durch jede noch so geringe gegebene Kraft
ÖEpea
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fortbewegen lassen. Plutarch, Marcellus 14, 12ff., schildert eine spektakuläre Demonstration dieses später zur «Goldenen Regel der Mechanik» erhobenen Satzes vor König Hieron. DÒsiw dÉ Ùl€gh te f€lh te / g€netai ≤met°rh (Dosis d’ olige te phile te / ginetai hemetere). «(Denn von Zeus her sind sie alle, wie die Gastfreunde, so auch die Bettler;) und so gering sie auch ist, so lieb ist doch unsere Gabe» (in dem Sinne: «... so gern wird sie gegeben und genommen»). Homer, Odyssee 14, 58f., wo der treue Sauhirt Eumaios das Wort an den in Bettlergestalt heimkehrenden Odysseus richtet. Der erste Halbvers erscheint auch Odyssee 6, 208, wo Nausikaa ihre Mägde zur Hilfeleistung für den schiffbrüchigen Odysseus aufruft. EÂw ofivnÚw êristow, émÊnesyai per‹ pãtrhw (Heis oionos aristos, amynesthai peri patres). «Ein einziges Vogelzeichen ist das beste: sich zu wehren um die väterliche Erde.» Homer, Ilias 12, 243; Hektor, der Vorkämpfer der Trojaner, zu seinem Landsmann Pulydamas, der ihn unter dem Eindruck eines unglückverheißenden Vogelzeichens (Vers 195ff.) aufgefordert hat, den Angriff auf das griechische Schiffslager abzubrechen. Aristoteles, Rhetorik 2, 21. 1395 a 14, zitiert den Vers als Beispiel für eine «allgemeine Sentenz» (koinØ gn≈mh), die «bei allen Zustimmung findet»; Plinius der Jüngere, Briefe 1, 18, 3f., erinnert sich daran, wie er sich vor seinem Auftritt in einem heiklen Strafprozeß mit diesem Vers gegen einen unheilverheißenden Traum seiner Schwiegermutter wappnete, «denn Vaterland, und wenn etwas noch teurer ist als das Vaterland, schien mir die Treue». Bei dem Komödiendichter Metagenes, Fragment 18 (in: Kock, Comicorum Atticorum Fragmenta, Band I, S. 709) ist der Homervers parodiert: ... émÊnesyai per‹ de€pnou, «... sich zu wehren um das (abendliche) Essen». ÖEpea pterÒenta (Epea pteroenta). «Gefiederte Worte.» Aus dem vielfach wiederholten Homerischen Halbvers ... ¶pea pterÒenta proshÊda, in Vossens Übersetzung: «... sprach er (sie) die geflügelten Worte», zur Einleitung einer wörtlich angeführten Rede, Ilias 1, 201 und öfter. Zugrunde liegt die bildhafte Vorstellung, daß die Worte wie auf Flügeln vom Mund
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ÉEp‹ juroË
des Sprechenden zum Ohr des Hörenden hinüber «fliegen». Die übertragene Bedeutung des «Geflügelten Wortes» im Sinne eines «geläufigen Zitates» geht auf Georg Büchmanns klassische Zitatensammlung «Geflügelte Worte. Der Citatenschatz des Deutschen Volkes» (1864) zurück. (NËn går dØ pãntessin) §p‹ juroË ·statai ékm∞w ... (Nyn gar de pantessin epi xyru histatai akmes ...) «(Denn jetzt) steht es (für uns alle) auf Messers Schneide: (entweder ein sehr trauriges Verderben für die Achaier, oder daß wir leben).» Homer, Ilias 10, 173f.; Nestor zu Diomedes, mit Bezug auf das trojanische Biwak unmittelbar vor dem griechischen Schiffslager. Herodot, Geschichte 6, 11, 2, hat das Wort wiederaufgenommen; dort ruft der phokäische Heerführer Dionysios auf dem Höhepunkt des ionischen Aufstandes, vor dem Fall von Milet im Jahre 494 v. Chr., seine ionischen Landsleute zum Widerstand gegen die Perser auf: ÉEp‹ juroË går ékm∞w ¶xetai ≤m›n tå prÆgmata ... µ e‰nai §leuy°roisi µ doÊloisi, «Denn auf Messers Schneide stehen für uns die Dinge, Männer Ioniens, ob wir freie Menschen bleiben oder zu Sklaven werden». ÖErgon dÉ oÈd¢n ˆneidow, éerg€h d¢ tÉ ˆneidow (Ergon d’ uden oneidos, aërgië de t’ oneidos). «Die Arbeit, die ist keine Schande; doch das Faulenzen, das ist Schande!» Hesiod, Werke und Tage 311. Plutarch, Solon 2, 6, zitiert den ersten Teil des Wortes. ÖEssetai ∑mar, ˜tÉ ên potÉ Ùl≈l˙ ÖIliow ·rh ... (Essetai emar, hot’ an pot’ olole Ilios hire ...). «Sein wird der Tag, da einst zugrunde geht die heilige Ilios (und Priamos und das Volk des lanzenguten Priamos).» Homer, Ilias 6, 448f.; der trojanische Vorkämpfer Hektor, ein Sohn des Königs Priamos, zu seiner Gattin Andromache, in der Abschiedsszene am Skäischen Tor. Vgl. Ilias 4, 164f., wo der griechische Heerführer Agamemnon diese gleichen Verse im entgegengesetzten Sinne der Siegeszuversicht an den verwundeten Menelaos richtet. Wie Polybios in seinem Geschichtswerk (38, 22) «als Ohrenzeuge» berichtet, hat Publius Cornelius Scipio Aemilianus, vom Untergang Karthagos im Jahre 146 v. Chr. tief erschüttert, angesichts des brennenden Karthago Hektors Worte zitiert und sie «ohne Rückhalt» auf seine eigene Vaterstadt Rom bezogen, «für die er demnach, auf das
KairÒn
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wechselnde Menschenlos hinblickend, fürchtete». Die Schilderung des Polybios ist bei Appian, Libyke 132, 628ff., überliefert; vgl. Diodor, Bibliothek 32, 24. EÏrhka, eÏrhka (Heureka, heureka). «Ich hab’s gefunden! Ich hab’s gefunden!» Der Entdeckerruf des Archimedes, bei Vitruv, Lehrbuch der Architektur 9, Einleitung 10: Auf eine Anzeige gegen den Lieferanten eines Weihekranzes hin habe König Hieron II. von Syrakus Archimedes aufgefordert, den Goldgehalt des bereits geweihten Kranzes zu überprüfen, ohne das Weihgeschenk selbst dabei im geringsten anzutasten. Archimedes habe die Lösung des Problems schließlich in einem öffentlichen Bad beim Einsteigen in eine bis zum Rand gefüllte Wanne gefunden: daß er durch Eintauchen des Kranzes in Wasser zunächst dessen Volumen und daraus das Verhältnis des Gewichts zum Volumen bestimmen könne. Glücklich über seine Entdeckung sei der Gelehrte darauf unverzüglich, nackt wie er war, mit dem wiederholten Freudenruf «Heureka! Heureka!» nach Hause gelaufen, um das so entdeckte spezifische Gewicht des zu dem Kranz verwendeten Edelmetalls zu bestimmen und mit dem spezifischen Gewicht reinen Goldes zu vergleichen. Plutarch, Non posse suaviter vivi secundum Epicurum 11, 1094 C, zitiert den Ruf, um die Entdeckerfreude des Gelehrten gegen die Gaumen- und Liebesfreuden der Genießer abzusetzen: Kein Feinschmecker, kein Liebhaber werde doch je wie toll mit dem Ruf «Ich hab es geschlürft!» oder «Ich hab sie geküsst!» durch die Stadt laufen. Z“on politikÒn (Zoon politikon): siehe ÑO ênyrvpow fÊsei politikÚn z“on, unten S. 22. Yãlatta, yãlatta (Thalatta, thalatta). «Das Meer, das Meer!» Xenophon, Anabasis 4, 7, 24. Der Freudenruf der griechischen Söldner, die sich nach der Schlacht bei Kunaxa nördlich von Babylon im Jahre 401 v. Chr. an die Südostküste des Schwarzen Meeres durchgeschlagen hatten. KairÚn gn«yi (Kairon gnothi). «Den (richtigen) Augenblick erkenne!» Bei Stobaios, Anthologie 3, 1, 172 (in: Diels-Kranz, Fragmente der Vor-
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Koinã
sokratiker, Band I, S. 64, Zeile 12), eröffnet das Wort die Reihe der Weisheitssprüche des Pittakos von Mytilene. Der «Kairos» bezeichnet den flüchtigen richtigen Augenblick des Sprechens und Handelns, in dem für kurze Zeit möglich wird, was vorher noch nicht und nachher nicht mehr möglich ist. In Olympia war dem vergöttlichten Kairos ein Altar geweiht, wohl nicht zuletzt im Gedanken an die Olympischen Wettkämpfe. Die berühmte Statue des Lysipp stellte den Gott im Laufen dar, wie er mit Flügeln an den Füßen auf Zehenspitzen dahinfliegt, mit einem Haarschopf über der Stirn und einem kahlgeschorenen Hinterkopf (vgl. das Epigramm des Poseidippos, Anthologia Graeca 16, 275). Daher die Redensart «die Gelegenheit beim Schopfe packen»: Wer den Kairos einmal vorübergelassen hat, bekommt ihn von hinten nicht mehr zu fassen. Koinå tå (t«n) f€lvn (Koina ta ton philon). «Gemeinsames (Gut) ist das (Gut) von Freunden» oder «... der Freunde». Ein griechisches, in der Spätantike mehrfach den Pythagoreern zugeschriebenes Sprichwort, zuerst zitiert bei Platon, Phaidros 279 C (als das Schlußwort des Dialogs) und Gesetze 5. 739 C, dort herausgehoben als «altes Sprichwort» und maßgebendes, verpflichtendes Leitwort des besten Staates und der besten Verfassung. Weitere griechische Zitate finden sich bei Aristoteles, Nikomachische Ethik 8, 11. 1159 b 31; 9, 8. 1168 b 7f.; Menander, Adelphoi, Fragment 10 Körte. Über die lateinische Version der Menandrischen Komödie ist das griechische Sprichwort auch in Rom geläufig geworden; bei Terenz, Adelphoe 804, führt Micio gegen Demea das «alte Wort» ins Feld: ... communia esse amicorum inter se omnia, «... daß alles (Gut) von Freunden unter ihnen gemeinsames (Gut) ist». Weitere lateinische Zitate finden sich bei Cicero, De officiis 1, 16, 51; 2. Rede gegen Verres 2, 36, 89, bei Seneca, De beneficiis 7, 4, 1; 7, 12, 1; Briefe an Lucilius 6, 3; 48, 2f., bei Symmachus, Briefe 9, 106, bei Ambrosius, De viduis 1, 4, und bei Hieronymus, Apologia adversus libros Rufini 3, 39. 485 B. Aristoteles, Politik 2, 5. 1263 a 30ff., bezieht das «Sprichwort» auf eine sinnvolle Verbindung von Gemeineigentum und Privateigentum. Kt∞mã te §w afie‹ mçllon µ ég≈nisma §w tÚ paraxr∞ma ékoÊein jÊgkeitai (Ktema te es aiei mallon e agonisma es to parachrema akuein
KÊklow
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xynkeitai). «Als ein Besitz für jegliche künftige Zeit eher denn als ein Wettkampf-Glanzstück für den Ohrengenuß im Vorübergehen ist es geschrieben.» Thukydides, Peloponnesischer Krieg 1, 22, 4. Mit einem deutlichen Seitenhieb auf die Effekthascherei in den Redewettkämpfen seiner Zeit erklärt Thukydides am Schluß der Einleitung zu seinem Geschichtswerk: «Zum Zuhören wird vielleicht diese undichterische Darstellung minder ergötzlich scheinen; wer aber das Gewesene klar erkennen will und damit auch das Künftige, das wieder einmal, nach der menschlichen Natur, gleich oder ähnlich sein wird, der mag es so für nützlich halten, und das soll mir genug sein: Zum dauernden Besitz, nicht als Prunkstück fürs einmalige Hören ist es aufgeschrieben.» (Übersetzung: Georg Peter Landmann.) Plinius der Jüngere, Briefe 5, 8, 11, nimmt die Gegenüberstellung auf: Nam plurimum refert, ut Thukydides ait, kt∞ma sit an ég≈nisma, quorum alterum oratio, alterum historia est, «Denn es kommt sehr darauf an, wie Thukydides sagt, ob etwas ein Besitz oder ein Wettkampf-Glanzstück ist, wovon das zweite die Rede, das erste das Geschichtswerk ist». KÊklow t«n ényrvph€vn prhgmãtvn (Kyklos ton anthropeïon pregmaton). «Der Kreislauf der Menschendinge» (in dem Sinne: «Der ständige Wechsel von Aufstieg und Niedergang»). Nach Herodot, Geschichte 1, 207, 2, wo der anfangs sprichwörtlich glückliche, schließlich ins Unglück gestürzte Lyderkönig Kroisos zu dem jungen Perserkönig Kyros spricht: ... §ke›no pr«ton mãye, …w kÊklow t«n ényrvph€vn §st‹ prhgmãtvn, periferÒmenow d¢ oÈk §ò afie‹ toÁw aÈtoÁw eÈtux°ein, «... mache dir dieses als erstes klar: Es gibt einen Kreislauf der Menschendinge, der läßt mit seinem Umlauf nicht zu, daß immer dieselben im Glück sind». Der nach seinem Sturz am Perserhof verbliebene Kroisos äußert sich zu dem bevorstehenden Feldzug der Perser gegen die Massageten, in dem Kyros den Tod finden wird. Dem strategischen Rat stellt er eine menschliche Lehre voran: «Mein Leid, so unerfreulich es war, ist mir zur Lehre geworden (vgl. PayÆmata mayÆmata, unten S. 24). Wenn du meinst, unsterblich zu sein und über ein ebensolches Heer zu gebieten, so wäre es sinnlos, daß ich dir riete. Wenn du dir aber bewußt bist, selbst ein Mensch zu sein und über andere ebensolche Menschen zu gebieten, so mache dir dieses als erstes klar: Es gibt einen Kreislauf der Menschendinge, der läßt
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Lãye
mit seinem Umlauf nicht zu, daß immer dieselben im Glück sind». Im lateinischen Mittelalter nimmt dieser Herodoteische «Kreislauf der Menschendinge» die Gestalt der Rota Fortunae, des «Rades der Glücksgöttin», an, so in den Carmina Burana, Nr. 16 und 17. Vgl. die Solonische, gleichfalls an Kroisos gerichtete Mahnung Nemo ante mortem beatus est, unten S. 103. Lãye bi≈saw (Lathe biosas). «Lebe zurückgezogen!» Epikur, Fragment 551 Usener. Ein Leitsatz der Epikureischen Ethik; im Unterschied zur Lehre der Stoa rät Epikur von jeglichem öffentlichen und zumal jeglichem politischen Engagement ab. Plutarch hat dem Leitsatz ein Essay gewidmet: «Ist die Maxime: Lebe zurückgezogen! richtig?» Vgl. die entsprechende lateinische Maxime Bene vixit, qui bene latuit, unten S. 44. L°gein tå legÒmena (Legein ta legomena). «Berichten, was berichtet wird.» Herodot, Geschichte 7, 152, 3. Eine für die Zeitgenossen der Perserkriegszeit heikle Kontroverse – es geht um das Verhalten von Argos gegenüber den Feinden – veranlaßt den «Vater der Geschichtsschreibung» (vgl. Pater historiae, unten S. 123), sich grundsätzlich zur Verantwortung des Historikers gegenüber der Überlieferung zu äußern: ÉEg∆ d¢ Ùfe€lv l°gein tå legÒmena, pe€yesya€ ge m¢n oÈ pantãpasin Ùfe€lv, «Ich fühle mich verpflichtet zu berichten, was berichtet wird; alles und jedes zu glauben jedoch fühle ich mich nicht verpflichtet; (und diese Erklärung hierzu soll Geltung haben für meine ganze Darstellung)». – Vgl. die lateinischen Versionen Prodenda, quia prodita (unten S. 132) und Relata refero (unten S. 144). M°ga bibl€on m°ga kakÒn (Mega biblion mega kakon). «Ein großes Buch ist ein großes Übel.» Kallimachos bei Athenaios, Deipnosophisten, Auszug aus dem 3. Buch, 72 A (Fragment 465 Pfeiffer): ... ˜ti Kall€maxow ... tÚ m°ga bibl€on ‡son ¶legen e‰nai t“ megãlƒ kak“, «... daß Kallimachos ... gesagt habe, das große Buch sei gleich dem großen Übel». Die alexandrinischen Dichter lehnten das Homerische Epos und überhaupt jedes voluminöse literarische Kunstwerk ab und bevorzugten stattdessen die weniger umfangreichen, dafür brillant geschliffenen kleinen Formen wie etwa die des Epigramms.
M∞nin
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M°tron êriston (Metron ariston). «Das Maß ist das Beste.» Bei Stobaios, Anthologie 3, 1, 172 (in: Diels-Kranz, Fragmente der Vorsokratiker, Band I, S. 63, Zeile 2), eröffnet das Wort die Reihe der Weisheitssprüche des Kleobulos von Lindos. Vgl. den entsprechenden Weisheitsspruch Mhd¢n êgan, «Nichts im Übermaß!», unten S. 21, und die Horazische Aurea mediocritas, unten S. 41. MØ kine›n kakÚn eÔ ke€menon (Me kinein kakon eu keimenon). «Ein Übel, das gut liegt, nicht bewegen» (in dem Sinne: «... nicht aufrühren»). Eine sprichwörtliche Mahnung, in dieser Fassung bezeugt bei Hypereides, Fragment 30 Jensen, zitiert in den Scholien zu Platon, Philebos 15 C. Neben der Anspielung in Platons «Philebos» vgl. die früheren Zitate bei Theognis, Elegische Verse 1, 423, und bei Sophokles, Ödipus auf Kolonos 510f., sowie die Abwandlung MØ kine›n tå ék€nhta, «Das Unbewegliche nicht bewegen», bei Platon, Gesetze 11. 913 B. Vgl. die lateinische Version Quieta non movere, unten S. 138. Mhd¢n êgan (Meden agan). «Nichts im Übermaß!» Platon, Protagoras 343 Af., zitiert die knappgefaßte Mahnung neben Gn«yi seautÒn, «Erkenne dich selbst!» (oben S. 13), als Inschrift am Apollontempel in Delphi und schreibt sie den Sieben Weisen zu, als eine «gemeinsame Erstlingsgabe ihrer Weisheit» und Weihegabe an Apollon. Weitere Zitate bei Platon, Charmides 165 A; Menexenos 247 Ef.; Philebos 45 D. Aristoteles, Rhetorik 2, 21. 1395 a 21f., zitiert den Spruch als ein Beispiel für «im Volk geläufige Worte» (dedhmosieum°na). Bei Stobaios, Anthologie 3, 1, 172 (in: Diels-Kranz, Fragmente der Vorsokratiker, Band I, S. 63, Zeile 14) eröffnet das Wort die Reihe der Weisheitssprüche des Solon von Athen. Vgl. die lateinische Version Ne quid nimis, unten S. 102, den entsprechenden Weisheitsspruch M°tron êriston, «Das Maß ist das Beste», oben S. 21, und die Horazische Aurea mediocritas, unten S. 41. M∞nin êeide, yeã, Phlhiãdev ÉAxil∞ow / oÈlom°nhn ... (Menin aeide, thea, Peleïadeo Achileos / ulomenen ...) «Den Zorn singe, Göttin, des Peleussohnes Achilleus, den verderblichen ...» Homer, Ilias 1, 1f.; der An-
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NÒmow
fangsvers des ältesten Werkes der europäischen Literatur. Sogleich das erste Wort bezeichnet den Gegenstand des Epos, den Zorn des griechischen Vorkämpfers Achilleus, der im 1. Gesang im Streit mit dem Heerführer Agamemnon ausgelöst und im 24. Gesang in der Begegnung mit dem trojanischen König Priamos beigelegt wird. Die Anrede «Göttin» gilt der Muse; die Dreizahl und schließlich die Neunzahl der Musen ist erst später aufgekommen. NÒmow ı pãntvn basileÁw ynat«n te ka‹ éyanãtvn / êgei dikai«n tÚ biaiÒtaton / Ípertãt& xeir€ (Nomos ho panton basileus thnaton te kai athanaton / agei dikaion to biaiotaton / hypertata cheiri). «Der (geltende, ordnende) Nomos, der König über alle, Sterbliche und Unsterbliche, führt mit sich, es rechtfertigend, das Gewalttätigste, in übermächtiger Hand.» Pindar, Fragment 169, 1ff. Snell, wörtlich zitiert bei Platon, Gorgias 484 B, bei Aelius Aristeides, Rede über die Rhetorik (2), 226, und in den Scholien zu Pindar, Nemeische Oden 9, 35 a. Der unübersetzbare griechische Grundbegriff «Nomos» bezeichnet alles, was allgemein in Geltung steht: Brauch und Sitte, Norm und Regel, Recht und Gesetz; vgl. auch ÖAgrafow nÒmow, «Ungeschriebenes Gesetz», oben S. 9. Im Anschluß an eine Gegenüberstellung griechischer und indischer Bestattungsbräuche erklärt Herodot, Geschichte 3, 38, 4: «... und Pindar scheint mir richtig zu dichten, wenn er sagt, daß der Nomos König über alle sei». In Platons «Gorgias», 484 Bff., sucht Kallikles, ein hitzköpfiger Anhänger des ruhigeren Gorgias, das Pindarwort in den Dienst seiner These vom uneingeschränkten Faustrecht des Stärkeren als dem ursprünglichen, eigentlichen «Gesetz der Natur» zu stellen. ÑO ênyrvpow fÊsei politikÚn z“on (§st€n) (Ho anthropos physei politikon zoon estin). «Der Mensch ist von Natur ein staatenbildendes Lebewesen.» Aristoteles, Politik 1, 2. 1253 a 1ff.: «Daraus ergibt sich nun deutlich, daß die Staatsgemeinschaft zu den naturgegebenen Dingen gehört und daß der Mensch von Natur ein staatenbildendes Lebewesen ist; wer aufgrund seiner inneren Anlage und nicht aufgrund äußerer Umstände außerhalb der Staatsgemeinschaft steht, der ist entweder mißraten oder aber ein Übermensch.» Vgl. Aristoteles, Politik 3, 6. 1278 b 19; Nikomachische Ethik 1, 5. 1097 b 11; 9, 9. 1169 b 18f.
OÈk égayÒn
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ÑO mØ dare‹w ênyrvpow oÈ paideÊetai (Ho me dareis anthropos u paideuetai). «Der Mensch, der nicht geschunden wird, wird nicht erzogen.» Menander, Sentenzen 573 Jäkel. O‰da oÈk efid≈w (Oida uk eidos). «Ich weiß, daß ich nicht(s) weiß.» Nach Platon, Apologie des Sokrates 21 B: ÉEg∆ går dØ oÎte m°ga oÎte smikrÚn sÊnoida §maut“ sofÚw \n, «Denn ich bin mir doch nicht bewußt, irgend etwas Großes oder Kleines zu wissen» (vgl. auch 21 D und 23 B). Sokrates stellt seine Einsicht in die Nichtigkeit alles menschlichen Wissens, diese spezifisch «menschliche Weisheit» (20 D; vgl. Gn«yi seautÒn, «Erkenne dich selbst!», oben S. 13), dem vermeintlichen, nicht stichhaltigen Wissen seiner Gesprächspartner gegenüber (21 D): «Im Vergleich zu diesem Menschen bin ich der Weisere. Denn es scheint ja keiner von uns beiden irgend etwas Schönes und Gutes zu wissen; dieser aber bildet sich ein, etwas zu wissen, obwohl er doch nichts weiß; ich dagegen, wie ich nun einmal nichts weiß, bilde mir auch nicht ein, etwas zu wissen. Offenkundig bin ich, verglichen mit diesem, um eben dieses kleine Bißchen weiser: daß ich, was ich nicht weiß, mir auch nicht einbilde zu wissen.» OÈk égayÚn polukoiran€h: eÂw ko€ranow ¶stv, / eÂw basileÊw (Uk agathon polykoiranie; heis koiranos esto, / heis basileus). «Nichts Gutes ist Vielherrscherei; einer sei Herrscher, einer König.» Homer, Ilias 2, 204f.; Odysseus zu den Männern aus dem Volk, die, in der Heeresversammlung von König Agamemnon auf die Probe gestellt, «mit wirrem Geschrei» zu den Schiffen davonstürzen. Aristoteles zitiert den Vers zweimal: in der «Politik», 4, 4. 1292 a 13ff., mit der Bemerkung, es sei unklar, welche «Vielherrscherei» Homer hier tadle: eine von Demagogen gelenkte «despotische» Herrschaft der Masse oder eine von gewählten Archonten geführte «demokratische» Herrschaft der Bürger; in der «Metaphysik», 11, 10. 1076 a 3f., zum Abschluß der Abhandlung über den ersten und höchsten Ursprung der Bewegung, den «unbewegten Beweger»: Tå d¢ ˆnta oÈ boÊletai politeÊesyai kak«w. OÈk égayÚn polukoiran€h: eÂw ko€ranow ¶stv, «Das Seiende will keiner schlechten Verfassung gehorchen: Nichts Gutes ist Vielherrscherei; einer sei Herrscher». Plutarch, Antonius 81, 5, überliefert eine Parodie des Verses: Nach der Einnahme von Alexandria im
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OÎtoi
Jahre 30 v. Chr. habe Areios Didymos dem Sieger, dem späteren Kaiser Augustus, mit dem Wortspiel: OÈk égayÚn polukaisar€h, «Nichts Gutes ist Vielcaesarei», die Beseitigung des jungen Kaisarion, eines Sohnes Gaius Julius Caesars und der Kleopatra, nahegelegt. Wie Sueton, Domitian 12, 3, berichtet, zitierte Kaiser Domitian den Homervers im griechischen Original, um damit seinen Unmut über herrscherliche Allüren eines Verwandten auszudrücken. OÎtoi sun°xyein, éllå sumfile›n ¶fun (Utoi synechthein, alla symphilein ephyn). «Nicht doch mitzuhassen, sondern mitzulieben bin ich geboren.» Sophokles, Antigone 523; die als Gefangene vorgeführte Antigone zu Kreon. Antigone rechtfertigt die kultische Bestattung ihres Bruders Polyneikes, den Kreon als Landesfeind geächtet hat; auf dem Höhepunkt des zugespitzten Wortstreits erwidert sie auf Kreons Wort, daß der Feind niemals, auch wenn er gefallen sei, zu einem Freunde werde. PayÆmata mayÆmata (Pathemata mathemata). «Leiden sind Lehren.» Nach Herodot, Geschichte 1, 207, 1, wo der anfangs sprichwörtlich glückliche, schließlich ins Unglück gestürzte Lyderkönig Kroisos zu dem jungen Perserkönig Kyros spricht: Tå d° moi payÆmata §Ònta éxãrita mayÆmata g°gone, «Meine Leiden, so unerfreulich sie waren, sind mir zu Lehren geworden». Kyros hat den alten Lyderkönig vor seinem Feldzug gegen die Massageten, in dem er den Tod finden wird, zu Rate gezogen; Kroisos erinnert, ehe er auf die strategische Frage zu sprechen kommt, an die «Lehren» seiner «Leiden» und illustriert sie mit dem einprägsamen Bild vom «Kreislauf der Menschendinge» (vgl. KÊklow t«n ényrvph€vn prhgmãtvn, oben S. 19). Das Herodoteische Wortspiel zitiert ein entsprechendes Wortspiel bei Aischylos, Agamemnon 177, wo der tragische Chor die beiden Worte pãyei mãyow, «durch Leid Lehre», als das tragische Gesetz anführt, unter dem Zeus «die Sterblichen auf den Weg der Einsicht gebracht» habe. Offensichtlich im Anschluß an das Kroisoswort bei Herodot stellt die «Moral» der Äsopischen Fabel vom Hund und dem Koch (Nr. 254 Perry) fest, ... ˜ti pollãkiw tå payÆmata to›w ényr≈poiw mayÆmata g€nontai, «... daß vielfach die Leiden für die Menschen zu Lehren werden». Eine Anspielung auf das Wortspiel findet sich bei Diony-
Pl°on
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sios von Halikarnass, Antiquitates Romanae 8, 33, 3, in einer Rede des Gnaeus Marcius Coriolanus: ... ka‹ témå payÆmata paideÊmata genÆsetai to›w êlloiw;, «... und werden meine Leiden zu Lehren werden für die anderen?» Ein entsprechendes Wortspiel findet sich in dem neutestamentlichen Brief eines namenlosen Autors an die Hebräer 5, 8. Pãnta =e› (Panta rhei). «Alles fließt» (in dem Sinne: «Alles ist im Fluß»). Nach verschiedenen Bezeugungen der Heraklitischen Lehre, so bei Aristoteles, De caelo 3, 1. 298 b 29f.: ... tå m¢n êlla pãnta g€nesya€ fasi ka‹ =e›n, «... die anderen Dinge alle seien beständig im Werden, sagen sie, und im Fließen», und Metaphysik 1, 6. 987 a 33f.: ... …w èpãntvn t«n afisyht«n ée‹ =eÒntvn, «... da ja alle wahrnehmbaren Dinge beständig im Fließen seien», und bei Simplicius, Kommentar zu Aristoteles, Physik, in: Commentaria in Aristotelem Graeca, Band 10, S. 1313, Zeile 11: ... ˜ti ée‹ pãnta =e›, «... daß beständig alles im Fließen sei». Die prägnante knappe Formel Pãnta =e› für die Vorstellung eines solchen beständigen Wandels und «Fließens» ist für Heraklit selbst nicht bezeugt; sie ist wohl erst in der Neuzeit aufgekommen. Platon, Kratylos 402 A, zitiert Heraklit mit dem schlichten Wort Pãnta xvre› ka‹ oÈd¢n m°nei, «Alles weicht, und nichts bleibt», und mit dem einprägsamen Bild «Zweimal kannst du wohl nicht in denselben Fluß steigen» (vgl. Diels-Kranz, Fragmente der Vorsokratiker, Fragment B 12, B 49 a und B 91). Lateinische Versionen finden sich bei Ovid, Metamorphosen 15, 177f.: Nihil est toto, quod perstet, in orbe; / cuncta fluunt ..., «Nichts ist auf der ganzen Welt, das Bestand hat; alles ist im Fluß ...», und vorher, Vers 165: Omnia mutantur, nihil interit, «Alles verwandelt sich, nichts geht zugrunde» (vgl. Tempora mutantur, et nos mutamur in illis, unten S. 163). (NÆpioi, oÈd¢ ‡sasin, ˜sƒ) pl°on ¥misu pantÒw ... (Nepioi, ude isasin, hoso pleon hemisy pantos). «(Die Toren! Und sie wissen nicht, um wieviel) die Hälfte mehr ist als das Ganze ...» (in dem Sinne: «Weniger wäre mehr»). Hesiod, Werke und Tage 40. Hesiod richtet das Wort an seinen Bruder Perses, mit dem er in einem Rechtsstreit um das Erbe liegt; der Vorwurf der «Torheit» gilt den von Perses bestochenen willfährigen Richtern. Zitate des Wortes finden sich bei Platon, Staat 5. 466 C und Gesetze 3. 690 E.
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Po›on Po›on
Po›Òn se ¶pow fÊgen ßrkow ÙdÒntvn; (Poion se epos phygen herkos odonPo›Òn«Was se ¶pow fÊgen ton?) für ein Wortßrkow entflohÙdÒntvn; dem Gehege deiner Zähne?» mehrfach (Poion se epos phygenEin herkos odonwiederholter Homerischer Formelvers; Ilias 4, 350 und öfter. ton?) «Was für ein Wort entfloh dem Gehege deiner Zähne?» Ein mehrfach wiederholter Homerischer Formelvers; Ilias 4, 350 und öfter. PÒlemow pãntvn m¢n patÆr §sti, pãntvn d¢ basileÊw (Polemos panton men pater pãntvn esti, panton basileus). ist d¢ Vater von allem, König über m¢nde patÆr §sti,«Krieg pãntvn basileÊw PÒlemow (Polemos panton alles, (undesti, die panton einen hat er zu Göttern die allem, anderen zu Menmen pater de basileus). «Kriegbestimmt, ist Vater von König über schen; die einen hat erhat zu erSklaven gemacht, die anderen zu Freien).» Healles, (und die einen zu Göttern bestimmt, die anderen zu Menraklit bei omnium haeresium 9, 9 (in: Diels-Kranz, schen; dieHippolytos, einen hat erRefutatio zu Sklaven gemacht, die anderen zu Freien).» HeFragmente der Vorsokratiker, B 53). Der und die raklit bei Hippolytos, Refutatio Fragment omnium haeresium 9, 9 «Krieg» (in: Diels-Kranz, der Menschen, Gegenüberstellung der Götter und Fragmente der Vorsokratiker, Fragment B 53). der DerFreigeborenen «Krieg» und und die Sklaven stehen hier bildhaftund fürder die Menschen, spannungsvolle «widersprüchliche der der Freigeborenen und Gegenüberstellung der Götter Harmonie» 51), infür derdie Heraklit das paradoxe, so offenbare Sklaven (Fragment stehen hier Bbildhaft spannungsvolle «widersprüchliche der wie verborgene Wesen der Weltin gesehen hat. Vgl.das Pãnta =e›, «Alles fließt», Harmonie» (Fragment B 51), der Heraklit paradoxe, so offenbare obenverborgene S. 25. wie Wesen der Welt gesehen hat. Vgl. Pãnta =e›, «Alles fließt», oben S. 25. Pollå tå deinå koÈd¢n ényr≈pou deinÒteron p°lei (Polla ta deina k’ uden anthropu deinoteron «Viel Ungeheures ist,p°lei doch nichts tå deinå koÈd¢npelei). ényr≈pou deinÒteron Pollå (Polla so ta Ungedeina heures wie der deinoteron Mensch». pelei). Sophokles, Antigone 332f., amnichts Anfang eines k’ uden anthropu «Viel Ungeheures ist, doch so UngeChorliedes, «ungeheuren» Kulturleistungen des Menschen voneines der heures wie das der die Mensch». Sophokles, Antigone 332f., am Anfang Schifffahrt staunend aufführt, um vor der Chorliedes, bis das zur die Heilkunst «ungeheuren» Kulturleistungen des schließlich Menschen von «Ungeheuerlichkeit» dieses nicht nur zuaufführt, vielem, sondern auch, wie Schifffahrt bis zur Heilkunst staunend um schließlich vorman der schaudern: «Insondern dem Erfinderischen der sagt, zu allem fähigendieses Menschen «Ungeheuerlichkeit» nichtzunur zu vielem, auch, wie man niefähigen erhoffteMenschen Gewalt besitzend, schreitet bald zum Bösen, bald Kunst zu schaudern: «In er dem Erfinderischen der sagt, zueine allem zum Guten ...» erhoffte (Übersetzung: Daszum hierBösen, mit «ungeeine nie GewaltWolfgang besitzend,Schadewaldt.) schreitet er bald bald Kunst heuer» wiedergegebene Adjektiv deinÒwSchadewaldt.) (deinos) deutet Dopzum Guten ...» (Übersetzung: Wolfgang Dasmit hierseiner mit «ungepelbedeutung «äußerst befähigt» «äußerst gefährlich» auf die tragische heuer» wiedergegebene Adjektiv und deinÒw (deinos) deutet mit seiner DopVerblendung, den Menschen immer wiedergefährlich» seine Grenzen überschrei pelbedeutung die «äußerst befähigt» und «äußerst auf die tragischeund in dieser scheitern ten Verblendung, dieGrenzüberschreitung den Menschen immer wieder läßt. seine Grenzen überschreiten und in dieser Grenzüberschreitung scheitern läßt. Pollå ceÊdontai éoido€ (Polla pseudontai aoidoi). «Vieles lügen die Dichter.» Der zumaléoido€ gegen (Polla die Homerische Epik und die lügen klassische Pollå ceÊdontai pseudontai aoidoi). «Vieles die Tragödie Satzgegen ist in dem Platons Namen überlieferten DiaDichter.» gerichtete Der zumal die unter Homerische Epik und die klassische log «De iusto», 374 Satz A, und beidem Aristoteles, Metaphysik 1,überlieferten 2. 983 a 3, alsDiaein Tragödie gerichtete ist in unter Platons Namen log «De iusto», 374 A, und bei Aristoteles, Metaphysik 1, 2. 983 a 3, als ein
Skiçw
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«altes Sprichwort» angeführt; Plutarch, Quomodo adulescens poetas audire debeat 2. 16 A, zitiert ihn als ein Schlüsselwort für den Umgang mit der Dichtung. Ein Scholion zu der erstgenannten Stelle weist das Wort Solons Elegien zu (daher auch in: Diehl, Anthologia Lyrica Graeca, Solon, Fragment 21). Jedenfalls gehört der Satz in die im 6. Jahrhundert v. Chr. von Xenophanes eröffnete, im 4. Jahrhundert v. Chr. von Platon fortgeführte philosophische Kritik am Götter- und Menschenbild des alten Mythos und der frühen Dichtung, wie es der archaischen und der klassischen griechischen Zeit zumal durch die beiden Homerischen Epen und die Hesiodeische «Theogonie» vermittelt wurde. Vgl. Poetica licentia, unten S. 129. Polumay€h nÒon (¶xein) oÈ didãskei (Polymathie noon echein u didaskei). «Vielwisserei lehrt nicht Vernunft (haben), (denn sonst hätte sie Hesiod Vernunft gelehrt und Pythagoras und wiederum Xenophanes und Hekataios).» Heraklit bei Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 9, 1, und bei Athenaios, Deipnosophisten 13, 91. 610 B (in: Diels-Kranz, Fragmente der Vorsokratiker, Fragment B 40). Demokrit hat die Kritik übernommen – Pollo‹ polumay°ew noËn oÈk ¶xousin, «Viele Vielwisser haben keine Einsicht» – und der Heraklitischen «Vielwisserei» eine danach neugeprägte poluno€h (polynoïe), «Vieldenkerei», gegenübergestellt: Poluno€hn, oÈ polumay€hn ésk°ein xrÆ, «Viel zu denken, nicht viel zu wissen sollte einer sich bemühen» (in: Diels-Kranz, Fragmente der Vorsokratiker, Fragment B 64 und 65). Pr«ton ceËdow (Proton pseudos). «Erster Irrtum» (in dem Sinne: «grundlegender Irrtum»). Aristoteles, Erste Analytik 2, 18. 66 a 16: ÑO d¢ ceudØw lÒgow g€netai parå tÚ pr«ton ceËdow, «Die irrige Schlußfolgerung ergibt sich entsprechend einem ersten Irrtum» (in dem Sinne: «... infolge eines Irrtums in einer der beiden Voraussetzungen»). Der «erste Irrtum» geht in alle unmittelbar oder mittelbar von ihm abgeleiteten Schlußfolgerungen ein; er kann damit – selbst bei einem völlig einwandfreien Schlußverfahren – zu zahlreichen weiteren Irrtümern führen. (ÉEpãmeroi: t€ d° tiw; t€ dÉ oÎ tiw;) skiçw ˆnar / ênyrvpow (Epameroi; ti de tis? ti d’ u tis? Skias onar / anthropos). «(Von Tag zu Tag Lebende: Was ist
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T°tlayi
einer? Was ist einer nicht?) Eines Schattens Traum ist der Mensch» (in dem Sinne: «Ein Schatten im Traum ist der Mensch»). Pindar, Pythische Oden 8, 135f. Das griechische Adjektiv §pãmerow, attisch §fÆmerow, eigentlich: «auf den Tag gestellt», bezieht sich hier nicht wie das davon abgeleitete «ephemer» auf die Kürze des Lebens, sondern auf den Wechsel des Glücks von einem Tag zum anderen. T°tlayi dÆ, krad€h: ka‹ kÊnteron êllo potÉ ¶tlhw ... (Tetlathi de, kradie, kai kynteron allo pot’ etles ...) «Halte denn aus, Herz! Noch Hündischeres anderes hast du schon ausgehalten, (an dem Tage, als mir der Kyklop ... die trefflichen Gefährten verzehrte).» Homer, Odyssee 20, 18f.; der in Bettlergestalt heimgekehrte Odysseus zu sich selbst, angesichts der unverschämten Dienerinnen, die lachend an ihm vorübergehen, um mit den Freiern zu schlafen. Der Gedanke – die Erinnerung an überstandenes Ungemach zur Wappnung gegen gegenwärtiges – begegnet mehrfach wieder; so bei Horaz, Satiren 2, 5, 20f. (Fortem hoc animum tolerare iubebo; / et quondam maiora tuli); Oden 1, 7, 30f. (O fortes peioraque passi / mecum saepe viri); Vergil, Aeneis 1, 198f. (O socii ... / o passi graviora); Ovid, Tristien 5, 11, 7 (perfer et obdura; multo graviora tulisti ...) Vgl. das Vergilische Forsan et haec olim meminisse iuvabit, unten S. 73. T∞w dÉ éret∞w fldr«ta yeo‹ propãroiyen ¶yhkan / éyãnatoi ... (Tes d’ aretes hidrota theoi proparoithen ethekan / athanatoi ...), «Vor die Tüchtigkeit haben die Götter den Schweiß gesetzt, die unsterblichen ...» Hesiod, Werke und Tage 289f. Hesiod stellt seinen Bruder Perses vor die Wahl zwischen Schlechtigkeit und Tüchtigkeit: «Ja, die Schlechtigkeit, die kann jeder gleich haufenweise sich nehmen, ganz leicht: eben und glatt ist der Weg, ganz nahebei wohnt sie; doch vor die Tüchtigkeit haben die Götter den Schweiß gesetzt, die unsterblichen; lang und steil ist der Weg zu ihr und rauh zu Anfang; doch wenn er die Höhe erreicht hat, fällt die Tüchtigkeit von da an leicht, so schwer sie sonst auch ist.» Der Sophist Prodikos von Keos hat Hesiods Bilder von dem ebenen, glatten Weg zur Schlechtigkeit und dem steilen, rauhen zur Tüchtigkeit zu der bekannten Erzählung von Herakles am Scheidewege ausgestaltet, die Xenophon, Memorabilien 2, 1, 20ff., im Anschluß an ein Zitat der sechs Hesiodverse in seinen eigenen Worten
âV je›nÉ
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nacherzählt. Platon, Gesetze 4. 718 E, zitiert die sechs Verse, von dem «geflügelten» Vers 289 an wörtlich, als Zeugnis für die Weisheit des alten Dichters. – Vgl. Per aspera ad astra, unten S. 126. T€w pÒyen e‰w éndr«n; pÒyi toi pÒliw ±d¢ tok∞ew; (Tis pothen eis andron? Pothi toi polis ede tokees?) «Wer, woher bist du von den Menschen? Wo hast du Heimat und Eltern?» Ein Homerischer, in der «Odyssee» mehrfach wiederholter Formelvers; Odyssee 1, 170; 10, 325 und öfter. Der erste Teil der Frage erscheint auch schon in der «Ilias», 21, 150. XrÊsea xalke€vn, •katÒmboiÉ §nneabo€vn (Chrysea chalkeion, hekatomboi’ enneaboion). «Goldene gegen bronzene, hundert-Rinder-werte gegen neun-Rinder-werte.» Homer, Ilias 6, 236. Auf dem Schlachtfeld vor Troja entdecken der lykische Heerführer Glaukos und der griechische Vorkämpfer Diomedes ihre einst von den Großvätern geschlossene, für die Enkel fortgeltende Gastfreundschaft und erneuern die Verbindung durch den Tausch von «Gastgeschenken»: Glaukos tauscht seine goldenen Waffen gegen die bronzenen des Diomedes. Das Wort gilt einem ungleichen Tausch: «Gold gegen Bronze» – so etwa bei Cicero, Briefe an Atticus 6, 1, 22, mit Bezug auf die gewechselten Briefe – oder auch umgekehrt: Xãlkea xruse€vn, «Bronze gegen Gold». Cux∞w fiatre›on (Psyches iatreion). «Heilstätte für die Seele.» Diodor, Bibliothek 1, 49, 3. Diodor zitiert das Wort – in einer von ägyptischen Priestern übernommenen Beschreibung alter Königsgräber – als Inschrift an der «heiligen Bibliothek» eines legendären ägyptischen Königs Osymandyas. Die Inschrift CUXHS IATPEION erscheint wieder über dem von Franz Anton Dirr gestalteten barocken Eingangsportal der Stiftsbibliothek St. Gallen aus dem Jahr 1781. âV je›nÉ, égg°llein Lakedaimon€oiw, ˜ti tªde / ke€meya to›w ke€nvn =Æmasi peiyÒmenoi (O xein’, angellein Lakedaimoniois, hoti tede / keimetha, tois keinon rhemasi peithomenoi). «Fremder, melde den Lakedämoniern, daß wir hier liegen, ihren Befehlen gehorsam.» Die von den Amphiktyonen an den Thermopylen angebrachte, bei Herodot, Geschichte 7, 228, 2, ohne
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âV je›nÉ
Nennung eines Autors angeführte, später dem Simonides zugeschriebene Inschrift zu Ehren der spartanischen Gefallenen. Das Epigramm ehrt den Opfermut der dreihundert Spartaner, die unter ihrem König Leonidas im Jahre 480 v. Chr. die Landenge der Thermopylen in Mittelgriechenland mehrere Tage lang gegen die persische Übermacht verteidigten und schließlich, nachdem eine persische Abteilung durch Verrat in ihren Rücken gelangt war, auf verlorenem Posten zuletzt «mit Händen und Zähnen kämpfend» bis auf den letzten Mann fielen. Das lakonisch knappe Epigramm fordert den Vorüberkommenden auf, den Ephoren in Sparta die Ausführung ihres Befehls zu melden. Weitere Zitate des griechischen Wortlauts finden sich bei Lykurgos, Rede gegen Leokrates 28, 109, bei Diodor, Bibliothek 11, 33, 2, und bei Strabon, Geographika 9, 4, 16 (jeweils mit dem Imperativ anstelle des militärischen Infinitivs und dem Schluß peiyÒmenoi nom€moiw, «ihren Gesetzen gehorsam»). Die Zuschreibung an Simonides erscheint zuerst bei Cicero, Tuskulanische Gespräche 1, 42, 101: In quos Simonides: Dic, hospes, Spartae nos te hic vidisse iacentes, / dum sanctis patriae legibus obsequimur, «Auf sie hat Simonides gedichtet: Sage, Fremder, in Sparta, du habest uns hier liegen gesehen, indem wir den heiligen Gesetzen des Vaterlandes Folge leisten». In der Anthologia Palatina, 7, 249, erscheint das Epigramm im Wortlaut Herodots und unter dem Namen des Simonides. Durch Friedrich Schillers Übersetzung in dem Gedicht «Der Spaziergang», Vers 97f., ist das klassische Epigramm auch im Deutschen zum Geflügelten Wort geworden: «Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest / uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl.»
Ab imo pectore. «Aus tiefster Brust.» Die Wendung begegnet mehrfach in epischer Sprache; vgl. zum Beispiel Catull, Gedichte 64, 198 (pectore ab imo); Lukrez, De rerum natura 3, 57 (pectore ab imo); Vergil, Aeneis 1, 371 (imo ... a pectore); 1, 485 (pectore ab imo). Ab love principium, Musae. «Von Jupiter her (nehmt) den Anfang, Musen». Vielleicht ist Musae auch als Genitiv zu verstehen: «Von Jupiter her (rührt) der Anfang (meiner) Muse.» Vergil, Bucolica 3, 60; vgl. den entsprechenden Versanfang Aeneis 7, 219: Ab Iove principium generis, «Von Jupiter her (rührt) der Anfang unseres Geschlechts». Der Vergilische Musenanruf nimmt den Eingangsvers der Aratischen «Phainomena» auf: ÉEk DiÚw érx≈mesya, «Von Zeus aus wollen wir beginnen», vgl. den gleichlautenden Musenanruf bei Theokrit, Idyllen 17, 1. Cicero, De legibus 2, 3, 7, zitiert den Aratvers in seiner eigenen Übersetzung: Ab Iove Musarum primordia, «Von Jupiter her (rühren) die Uranfänge der Musen»; Iulius Caesar Germanicus ist in seiner Übersetzung Vergil gefolgt: Ab Iove principium magno deduxit Aratus, «Von dem großen Jupiter hat Arat den Anfang hergeleitet». Vgl. weiterhin Cicero, De re publica 1, 36, 56 (Imitemur ergo Aratum, qui magnis de rebus dicere exordiens ab Iove incipiendum putat); Ovid, Metamorphosen 10, 148f. (Ab Iove, Musa parens, ... / carmina nostra move!), und Festkalender 5, 111 (Ab Iove surgat opus); Calpurnius Siculus, Eklogen 4, 82 (Ab Iove principium, si quis canat aethera, sumat); Statius, Silvae 1, Einleitung (Sumendum enim erat ab Iove principium); Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 10, 1, 46 (ut Aratus ab Iove incipiendum putat). Die Aratstelle geht ihrerseits wohl auf Alkman, Fragment 29 Page, zurück: ÉEg∆n dÉ ée€somai §k DiÚw érxom°na, «Ich will singen, von Zeus aus anfangend».
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AB OVO
Ab ovo. «Vom Ei (der Leda) an» (in dem Sinne: «vom ersten Anfang an», «von Adam und Eva an» etwas erzählen). Horaz, Ars poetica 147. Horaz illustriert die Kunst, ein episches Gedicht richtig anzufangen, am Beispiel Homers, der den Trojanischen Krieg nicht gemino ... ab ovo, «vom Zwillings-Ei (der Leda) an», zu erzählen beginne, sondern den Hörer sogleich in medias res, «mitten in die Dinge hinein» (unten S. 86), mit sich fortreiße. Nach ihrer Vereinigung mit Zeus in der Gestalt eines Schwans hatte Leda, die Gattin des spartanischen Königs Tyndareos, in einem einzigen Ei – oder auch in zweien – neben den Dioskuren Kastor und Polydeukes als dritte die schöne Helena geboren; um ihretwillen war es in der Folge, nach vielerlei Verwicklungen, zum Trojanischen Krieg gekommen. Die Horazische Prägung wurde sprichwörtlich; vgl. Atilius Fortunatianus, Ars metrica, in: Keil, Grammatici Latini, Band VI, S. 278, Zeile 13f.: Altius et ab ovo mihi, quod aiunt, repetenda res est, «Ich muß tiefer zurückgreifen und die Sache vom Ei an, wie man sagt, darlegen». Vgl. das hier folgende ebenfalls ursprünglich Horazische Ab ovo / usque ad mala. Ab ovo / usque ad mala. «Vom Ei bis zu den Äpfeln» (in dem Sinne: «Von der Vorspeise bis zum Dessert», vom Anfang der Mahlzeit bis zu ihrem Ende). Horaz, Satiren 1, 3, 6f. Vgl. das voraufgehende ebenfalls ursprünglich Horazische Ab ovo. Ab urbe condita (a. u. c.) «Seit Gründung der Stadt.» Die gelehrte römische Jahreszählung ging aus von dem Epochenjahr der Gründung der Stadt: 753 v. Chr. nach der «Varronischen» Zählung, die seit ihrer Einführung durch Marcus Terentius Varro im 1. Jahrhundert v. Chr. gebräuchlich geblieben ist, 752 v. Chr. nach der älteren «Kapitolinischen» Zählung der Fasti Capitolini. Livius gab seinem klassischen Geschichtswerk, das in 142 «Büchern» die römische Geschichte von der Gründung der Stadt bis zur Zeit des Augustus darstellte, den Titel «Ab urbe condita». Im alltäglichen Sprachgebrauch und selbst in der historischen Literatur wurden die Jahre allerdings nicht mit einer Jahreszahl «seit Gründung der Stadt», sondern jeweils einfach mit den Namen der Konsuln bezeichnet.
AD USUM
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Abusus non tollit usum. «Der Mißbrauch (eines Rechtes) hebt den Gebrauch (dieses Rechtes) nicht auf.» Der Ursprung des Wortes ist nicht nachgewiesen. Abusus optimi pessimus. «Der Mißbrauch des Besten ist der schlimmste.» Der Ursprung des Wortes ist nicht nachgewiesen. Das Muster des Gedankens findet sich bereits bei Aristoteles, Politik 1, 2. 1253 a 31ff.: «Wie der Mensch, zu seiner Vollendung gebracht, das höchste von allen Lebewesen ist, so ist er zugleich, geschieden von Gesetz und Recht, das niederste von allen.» Ad Kalendas Graecas. «An den griechischen Kalenden» (in dem Sinne: «Am St.-Nimmerleins-Tag»). Sueton, Augustus 87, 1. Sueton führt an der Stelle einige in den eigenhändigen Briefen des Augustus öfter begegnende Redensarten an. Um auszudrücken, daß manche Schuldner niemals mehr zahlen würden, habe Augustus wiederholt gesagt: ad Kalendas Graecas soluturos, «daß sie an den griechischen Kalenden zahlen würden». Die Kalendae, der Monatserste im römischen Kalender, waren der übliche Zahlungstermin; daher hießen sie bei den Schuldnern auch celeres Kalendae, die «rasenden Kalenden». Im griechischen Kalender figurierten solche römischen «Kalenden» natürlich nicht. Ad maiorem Dei gloriam (vicit pietas). «Zum größeren Ruhme Gottes (siegte die Frömmigkeit).» Papst Gregor I., der Große (590–604), Dialoge 1, 2 (in: Migne, Patrologia Latina, Band 77, Spalte 160 C). Die Formel Ad maiorem Dei gloriam erscheint später mehrfach in den Beschlüssen des Tridentinischen Konzils (1545–1563); durch Ignatius von Loyola wurde sie zum Wahlspruch des im Jahre 1534 gegründeten Jesuitenordens. Ad usum Delphini. «Für den Gebrauch des Dauphin», «Für die Hände des Dauphin». Die heute nur noch ironisch gebrauchte Wendung bezeichnet gekürzte oder bearbeitete Textausgaben, vornehmlich Schulausgaben, in denen sittlich oder sonstwie anstößige Stellen gestrichen oder geändert sind. Die Bezeichnung geht auf die Klassikerausgaben zurück, die Jacques Bénigne Bossuet (1627–1704) und Pierre Daniel Huet (1630–1721) im
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ADHUC
Auftrag Ludwigs XIV. für den französischen Thronfolger, den nach dem Fürstentum Dauphiné so benannten «Dauphin», besorgt haben. (Grammatici certant, et) adhuc sub iudice lis est. «(Die Philologen tragen ihre Kämpfe aus, und) noch ist der Streit nicht entschieden.» Horaz, Ars poetica 78; dort geht es um die Frage, wer das elegische Versmaß, das «Distichon», den «Zweizeiler» aus einem Hexameter und einem Pentameter, als erster eingeführt habe. Advocatus diaboli. «Anwalt des Teufels.» Im Prozeß einer Selig- oder einer Heiligsprechung steht dem Postulator, dem «Forderer» der Kanonisation, ein Promotor fidei, ein «Förderer des Glaubens», gegenüber. Der erste, volkstümlich auch als Advocatus Dei, «Anwalt Gottes», bezeichnet, vertritt die Sache der Selig- oder Heiligsprechung; der zweite, volkstümlich auch als Advocatus diaboli, «Anwalt des Teufels», bezeichnet, hat die Aufgabe, alle der Kanonisation etwa entgegenstehenden Umstände zu untersuchen und geltend zu machen. Aequam memento rebus in arduis / servare mentem, (non secus in bonis / ab insolenti temperatam / laetitia, moriture Delli). «Einen gleichmütigen Sinn gedenke allzeit zu bewahren in schweren Zeiten, (nicht anders in guten einen von überschwänglicher Freude gemäßigten, sterblicher Dellius)» (die Anrede in dem Sinne: «... da du ja in jedem Falle einmal sterben wirst»). Horaz, Oden 2, 3, 1ff. Aus der Schlußstrophe der Ode stammt das gleichfalls «geflügelte» Omnes eodem cogimur, unten S. 117. Agnosco veteris vestigia flammae. «Ich erkenne die Spuren der alten Flamme.» Vergil, Aeneis 4, 23. Dido, die Königin des neugegründeten Karthago, bekennt gegenüber ihrer Schwester Anna ihre neue Liebe zu dem im Seesturm vor Karthago schiffbrüchig gewordenen Trojaner Aeneas. Die «alte Flamme» hatte ihrem ersten, in ihrer phönizischen Heimat ermordeten Gatten Sychaeus gegolten. Alea iacta est. «Der Würfel ist geworfen» (ursprünglich in dem Sinne: «Das Wagnis ist eingegangen», nicht: «Die Entscheidung ist gefallen»). Sueton,
ALTER EGO
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Caesar 32 (Iacta alea est). Als Caesar am 10./11. Januar 49 v. Chr. den Grenzfluß Rubico nördlich von Ariminum (heute Rimini), überschritt und damit unwiderruflich den Bürgerkrieg gegen Pompeius eröffnete, rief er, ein verbreitetes griechisches Sprichwort aus Menanders Komödie «Arrhephoros» zitierend, in griechischer Sprache (so bezeugt bei Plutarch, Pompeius 60, 4): ÉAnerr€fyv kÊbow, «Aufgeworfen sei der Würfel!» (Plutarch, Caesar 32, 8; Pompeius 60, 4). Das Sprichwort bezeichnet den Augenblick des Wagnisses, da der Würfel aus der Hand «aufgeworfen», aber noch nicht zu Boden gefallen ist; die geläufige Übersetzung «Der Würfel ist gefallen» wird weder dem griechischen noch dem lateinischen Wortlaut gerecht. Der Menandervers (bei Athenaios, Deipnosophisten 13, 8. 559 E; Fragment 59, 4 Körte) lautet vollständig: Dedogm°non tÚ prçgmÉ: énerr€fyv kÊbow, «Beschlossen ist die Sache; aufgeworfen sei der Würfel!» Caesar erwähnt die Episode in seinem «Bürgerkrieg» nicht. Die dem griechischen Wortlaut nicht vollkommen entsprechende lateinische Fassung Iacta alea est, «... ist geworfen», findet sich zuerst bei Sueton; zur Angleichung der lateinischen Übersetzung an das griechische Original hat Erasmus für die Stelle die Lesung Iacta alea esto, «... sei geworfen», vorgeschlagen. Vgl. die Anspielung bei Petron, Satiricon 122, Vers 174: Iudice Fortuna cadat alea, «Fortuna sei Richterin, wenn der Würfel fällt». Einen anderen Bogen von der Glücksgöttin zum Würfelglück hat Erasmus, Lob der Torheit 61, geschlagen: Amat Fortuna parum cordatos, amat audaciores et quibus illud placet: Pçw §rr€fyv kÊbow, «Fortuna liebt die weniger Vernünftigen, liebt die Wagemutigeren und denen dieses Wort gefällt: Jeder Würfel sei geworfen!» Alter ego. «Ein zweites Ich.» Die Bezeichnung eines Freundes als eines «zweiten Ich» (wie umgekehrt die Bezeichnung des Ich als eines «ersten Freundes») geht auf griechische Gedanken zurück; vgl. zum Beispiel Aristoteles, Nikomachische Ethik 9, 4. 1166 a 31f.: ÖEsti går ı f€low êllow aÈtÒw, «Denn der Freund ist ein zweites Selbst», wiederaufgenommen 9, 9. 1169 b 6f.; auf die Kinder übertragen 8, 14. 1161 b 28f. Cicero, Laelius oder De amicitia 21, 80, hat diese Aristotelische Definition der Freundschaft ins Lateinische übertragen: Verus amicus ... est enim is, qui est tamquam alter idem, «Denn ein wahrer Freund ... ist der, der gleichsam ein zweites Selbst ist». Das heute eher gebräuchliche Alter ego erscheint zuerst bei Cicero,
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ALTERIUS
Briefe an Freunde 7, 5, 1, auf den Adressaten Caesar gemünzt: Vide, quam mihi persuaserim te me esse alterum, «Sieh, wie sehr ich überzeugt bin, daß du mein zweites Ich bist!» Alterius non sit, qui suus esse potest. «Einem anderen gehöre nicht, wer sich selbst gehören kann.» Aus dem «Äsop» des sogenannten Anonymus Neveleti 21 b, 22, einer im 12. Jahrhundert entstandenen, im Mittelalter weit verbreiteten Fabelsammlung; vgl. Werner, Sprichwörter, A 70. Der Aufruf zur Selbstbestimmung geht zurück auf Cicero, De re publica 3, 25, 37, bei Nonius, De compendiosa doctrina, Seite 109, Zeile 2 Mercier: Est enim genus iniustae servitutis, cum ii sunt alterius, qui sui possunt esse, «Es gibt nämlich eine Art ungerechtfertigter Sklavenschaft, wenn solche Menschen einem anderen gehören, die sich selbst gehören könnten». Im frühen 16. Jahrhundert hat Theophrast von Hohenheim alias Paracelsus die Sentenz zu seinem Wahlspruch erhoben; im frühen 17. Jahrhundert findet sie sich in der Emblemata-Sammlung von Jacob Cats (1627), vgl. HenkelSchöne, Emblemata, Spalte 266f. Vgl. das Horazische Leitwort Nullius addictus iurare in verba magistri, unten S. 89. Amantes amentes. «Liebende, Rasende.» Titel einer im Jahre 1609 erschienenen, in deutscher Sprache geschriebenen Komödie des lateinisch und deutsch schreibenden Magdeburger Dichters Gabriel Rollenhagen, nach Plautus, Mercator 82: amens amansque, «rasend und liebend», und Terenz, Andria 218, wo die aneinander anklingenden Worte einander entgegengesetzt sind: Nam inceptio est amentium, haud amantium, «Denn ein Beginnen Rasender ist es, nicht Liebender». Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 79. Amicus certus in re incerta cernitur. «Ein sicherer Freund wird in einer unsicheren Sache erkannt.» Ennius bei Cicero, Laelius oder De amicitia 17, 64 (Fragmente der Scenica 210 Vahlen). Der Vers des Ennius ist vielleicht die lateinische Version von Euripides, Hekabe 1226f.: ÉEn to›w kako›w går ègayo‹ saf°statoi / f€loi, «Denn im Unglück sind die guten Freunde am deutlichsten zu erkennen». Ähnliche Worte finden sich bei Plautus, Epidicus 113: Is est amicus, qui in re dubia re iuvat, ubi re est opus, «Das ist
AMOR
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ein Freund, der in zweifelhafter Lage mit einer Tat beisteht, wo es einer Tat bedarf», bei Publilius Syrus, Sentenzen A 41: Amicum an nomen habeas, aperit calamitas, «Ob du einen Freund oder nur das Wort hast, das offenbart eine Notlage» (in dem Sinne: «... oder nur einen, der so bezeichnet wird ...»), und bei Petron, Satiricon 61, 9: In angustiis amici apparent, «In der Bedrängnis zeigen sich die (wahren) Freunde». Amicus Plato, sed magis amica veritas. «Unser Freund ist Platon, aber mehr noch unser Freund die Wahrheit.» Die lateinische Version eines in der Antike dem Sokrates-«Schüler» Platon zugeschriebenen, in späterer Zeit auf den Platonschüler Aristoteles übertragenen Gedankens, aus einer anonymen spätantiken Aristotelesbiographie, der sogenannten Vita vulgata (in: Ingemar Düring, Aristotle in the ancient biographical tradition, 1957, S. 132), § 9: F€low m¢n Svkrãthw, éllå mçllon filtãth ≤ élÆyeia, «Unser Freund ist Sokrates, aber mehr noch (und) unser bester Freund die Wahrheit». Der Aristotelesbiograph rechtfertigt die Aristotelische Kritik an der Platonischen Lehre; er zitiert anschließend noch den sinnverwandten Ausspruch aus Platons «Phaidon», 91 C, wo Sokrates, zu Simmias und Kebes gewendet, sagt: «Nehmt nicht so sehr Rücksicht auf Sokrates, sondern vielmehr auf die Wahrheit.» Entsprechend erklärt Sokrates in Platons «Staat», 10. 595 C, mit Bezug auf die Homerische Dichtung: «Aber höher jedenfalls als die Wahrheit darf ein (noch so nah vertrauter und hoch verehrter) Mensch nicht geschätzt werden.» Aristoteles hat sich auch selbst zu dieser Platonischen Maxime bekannt; vgl. Nikomachische Ethik 1, 4. 1096 a 14ff., wo er die Kritik an den «Freunden, die die Ideen eingeführt haben», folgendermaßen einführt: «Dennoch scheint es vielleicht besser, ja notwendig zu sein, zur Wahrung der Wahrheit auch das nah Vertraute umzustürzen, zumal wir ja Philosophen sind. Beides (gemeint ist: Platons Ideenlehre und die Wahrheit) ist uns lieb; jedoch die Ehrfurcht fordert, der Wahrheit den Vorzug zu geben (émfo›n går ˆntoin f€loin ˜sion protimçn tØn élÆyeian)». Amor fati. «Liebe zum Schicksal.» Aus Nietzsche, Ecce homo (1908), Warum ich so klug bin, § 10, am Ende des Kapitels: «Meine Formel für die Größe am Menschen ist amor fati; daß man nichts anders haben will, vor-
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ANATHEMA
wärts nicht, rückwärts nicht, in alle Ewigkeit nicht. Das Notwendige nicht bloß ertragen, noch weniger verhehlen – aller Idealismus ist Verlogenheit vor dem Notwendigen –, sondern es lieben ...» Anathema sit! «Verflucht sei er!» Paulus, Brief an die Galater 1, 8f. (anathema sit) und 1. Brief an die Korinther 16, 22 (sit anathema) Vulgata (im griechischen Original: énãyema ¶stv beziehungsweise ≥tv énãyema). Vgl. Paulus, Brief an die Römer 9, 3 und 1. Brief an die Korinther 12, 3. Das Wort anathema bezeichnet eigentlich etwas «Aufgestelltes», in dem einen Sinne etwas dem Gott Geweihtes, ein im heiligen Bezirk «aufgestelltes» Weihgeschenk, in dem anderen Sinne etwas dem Gott Ausgeliefertes. Im Anschluß an die angeführten Stellen ist dieses Paulinische Anathema sit! zur festen Formel für die Exkommunikation aus der katholischen Kirche geworden. Ancilla theologiae: siehe Philosophia ancilla theologiae, unten S. 127. Anima naturaliter christiana. «Die natürlicherweise christliche Seele (des Menschen).» Nach Tertullian, Apologeticum 17, 6: O testimonium animae naturaliter christianae! «O welches Zeugnis für die natürlicherweise christliche Seele!» Als solche Zeugnisse für die christliche Natur der menschlichen Seele zitiert Tertullian alltägliche, geläufige Worte wie «der gute und große Gott», «was Gott geben möge», «Gott sieht es», die in aller Menschen Munde seien, und fügt hinzu, bei diesen Worten blicke der Mensch nicht zum Kapitol, sondern zum Himmel empor. Tertullians Schrift «De testimonio animae» führt den Gedanken weiter aus. Animula vagula blandula ... «Seelchen, du schweifendes, schmeichelndes ...» Historia Augusta, Hadrian 25, 9; der Anfangsvers eines durch seine unübersetzbaren Verkleinerungsformen (vgl. Vers 3f.: in loca / pallidula rigida nudula) reizvollen Hadrianischen Gedichts, das der Kaiser in Erwartung seines Todes an seine scheidende Seele gerichtet hat (in: Morel, Fragmenta Poetarum Latinorum, Hadrian, Fragment 3). Annuit coeptis: siehe E pluribus unum, unten S. 63.
AUDAX
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Ante portas: siehe Hannibal ante portas, unten S. 80. Aquila non captat muscas. «Ein Adler fängt keine Fliegen» (in dem Sinne der Rechtsregel Minima non curat praetor, «Um Kleinigkeiten kümmert sich der Prätor nicht», unten S. 97). Die Quelle der Sentenz, die den Adler als den König der Vögel anspricht, ist nicht nachgewiesen. Arma virumque cano, (Troiae qui primus ab oris ... ) «Die Waffen und den Mann besinge ich, (der als erster von den Küsten Trojas ...)» Vergil, Aeneis 1, 1. Zitate der Anfangsworte der «Aeneis» arma virum(que) finden sich bei Ovid, Tristien 2, 534; Persius, Satiren 1, 96; Martial, Epigramme 8, 55, 19; 14, 185, 2. In der «Aeneis» selbst, 1, 119 und 9, 777, klingt der Eingangsvers in der anderen Verknüpfung arma virum, «Waffen der Männer», unüberhörbar an. Mehrfach erscheint der erste Vers der «Aeneis» auf den Wänden von Pompeji (in: Corpus Inscriptionum Latinarum, Band IV, Nr. 4832 und 8831), einmal auch frech parodiert: Fullones ululamque cano, non arma virumque, «Die Walker und ihr Käuzchen besinge ich, nicht die Waffen und den Mann» (Nr. 9131); in der Eule, dem Wappentier der Athene alias Minerva, verehrten die Walker ihre Schutzgöttin Minerva. Vgl. die Anfangsworte der Homerischen Odyssee ÖAndra moi ¶nnepe ..., «Den Mann nenne mir ... », oben S. 11. Ars longa: siehe Vita brevis, ars longa, unten S. 179. Audacter calumniare, semper aliquid haeret. «Nur drauflos verleumden; etwas bleibt immer hängen.» Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen. Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum (1605/1623), 8, 2, 34, zitiert es als sprichwörtlich geläufig. Zum Gedanken vgl. Hesiod, Werke und Tage 763f.: «Ein Gerede vergeht niemals gänzlich, das einmal viele Leute geredet haben», und Plutarch, Quomodo adulator ab amico internoscatur 24. 65 D, wo die Verleumdung mit einem Biß verglichen wird: Selbst wenn die Wunde verheile, werde die Narbe doch bleiben. Audax omnia perpeti / gens humana ruit per vetitum nefas. «Tollkühn, alles (alle noch so schweren Strafen) zu durchleiden, stürzt das Men-
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AUDIATUR
schengeschlecht dahin durch den verbotenen Frevel.» Horaz, Oden 1, 3, 25f. In einer schaudernden Vergegenwärtigung hybrider Grenzüberschreitungen gegenüber der göttlichen Weltordnung führt Horaz vier mythische Exempel an, die den vier Elementen Wasser, Feuer, Luft und Erde entsprechen: die erste Schiffahrt der Argonauten, den Feuerdiebstahl des Prometheus, den Vogelflug des Dädalus und seines Sohnes Ikarus und den Abstieg des Hercules in die Unterwelt. In der Schlußstrophe gipfelt die Ode in dem gleichfalls «geflügelten» Nil mortalibus ardui est, «Nichts ist den Sterblichen unersteiglich» (unten S. 105), und in der Vision eines himmelstürmerischen Frevels: Caelum ipsum petimus stultitia ..., «Den Himmel selbst erstürmen wir in unserer Torheit ...» Audiatur et altera pars. «Auch die andere Partei soll gehört werden.» Die geläufige Fassung der vielzitierten Regel scheint nicht auf die Antike zurückzugehen. Am nächsten kommen ihr in der römischen Literatur Seneca, Medea 199f.: Qui statuit aliquid parte inaudita altera, / aequum licet statuerit, haud aequus fuit, «Wer einen Entscheid gefällt hat, ohne die andere Partei zu hören, mag er auch einen gerechten Entscheid gefällt haben, ist nicht gerecht gewesen», und Augustin, De duabus animabus 14, 22: Audi partem alteram!, «Höre (auch) die andere Partei!» Vgl. auch Corpus iuris civilis, Digesten 48, 17, 1: ... neque enim inaudita causa quemquam damnari aequitatis ratio patitur, «... denn daß irgend jemand, ohne daß sein Rechtsgrund gehört worden wäre, verurteilt wird, läßt das Prinzip von Recht und Billigkeit nicht zu». Die Regel ist auch für das griechische Recht bezeugt; in dem bei Demosthenes, Kranzrede (18) 2 und 6, und Isokrates, Antidosisrede (15) 21, zitierten attischen Richtereid heißt es: ÉAkroãsomai toË te kathgÒrou ka‹ toË épologoum°nou ımo€vw émfo›n, «Ich will den Kläger und den Beklagten beide in gleicher Weise anhören». Vgl. auch das griechische Sprichwort Mhd¢ d€khn dikãs˙w, pr‹n émfo›n mËyon ékoÊs˙w, «Urteile nicht, ehe du beide Seiten gehört hast!» (in: Leutsch-Schneidewin, Paroemiographi Graeci, Band II, S. 759). Aura popularis. Die «Volksgunst» (eigentlich: der «Volkswind», der – unbeständige – Rückenwind, mit dem das Volk seine Günstlinge in den sicheren Hafen eines Staatsamtes befördert). Zuerst bei Cicero, Rede über
AUT CAESAR
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das Gutachten der Opferschauer 20, 43 (Sulpicium ... longius quam voluit popularis aura provexit); dann bei Horaz, Oden 3, 2, 20 (arbitrio popularis aurae); bei Vergil, Aeneis 6, 816 (nimium gaudens popularibus auris); bei Livius, Ab urbe condita 3, 33, 7 (omnis aurae popularis captator) und öfter. Aurea mediocritas. «Goldenes Mittelmaß.» Nach Horaz, Oden 2, 10, 5f.: Auream quisquis mediocritatem / diligit ..., «Wer das goldene Mittelmaß wertschätzt», ist gleicherweise sicher auf der einen Seite vor erniedrigender Armut, auf der anderen vor neiderregendem Reichtum. Vgl. das Ovidische Medio tutissimus ibis, unten S. 94. Ein Zitat der paradoxen Horazischen Wortverbindung bei Ausonius, Gratiarum actio ad Gratianum imperatorem pro consulatu 6, 28: ... temperata et, quae vocatur, aurea ... mediocritas, «... ein maßvolles und, wie es genannt wird, goldenes Mittelmaß». Die hohe Wertung des «Mittleren» (m°son, mesÒthw) als des «Angemessenen» (m°trion) zwischen einem darüber hinausschießenden Zuviel und einem dahinter zurückbleibenden Zuwenig geht zurück auf Aristoteles, besonders Nikomachische Ethik 2, 5. 1106 a 14ff. und Politik 4, 11. 1295 a 35ff. Vgl. den knappen, dem Kleobulos von Lindos zugeschriebenen Spruch M°tron êriston, oben S. 21. (Quid non mortalia pectora cogis,) / auri sacra fames! «(Wozu nicht treibst du die sterblichen Herzen,) verfluchter Hunger nach Gold!» Vergil, Aeneis 3, 56f. Macrobius, Saturnalien 5, 16, 7, nennt das Zitat unter den Worten, die «sprichwörtlich in aller Munde» seien (vice proverbiorum in omnium ore funguntur). Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 221. Die einleitende rhetorische Frage erscheint nochmals in dem gleichfalls «geflügelten» Vergilzitat Improbe Amor, quid non mortalia pectora cogis!, unten S. 84. Aut Caesar aut nihil. «Entweder ein Caesar oder nichts» (in dem Sinne: Entweder der Erste oder nichts»). Die kompromißlose Alternative, die der machtbewußte Renaissance-«Principe» Cesare Borgia – Nomen est omen – zu seinem Wahlspruch gewählt – oder wahrscheinlich neu geprägt – und mit dem Bild Gaius Julius Caesars verbunden hat, dürfte zurückgehen auf eine entsprechende Alternative, mit der Kaiser Caligula seine extravagante
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AUT
Verschwendungssucht zu entschuldigen pflegte. Sueton, Caligula 37, 1, zitiert den Kaiser mit dem «häufig wiederholten» Ausspruch: aut frugi hominem esse oportere aut Caesarem, «entweder müsse einer ein haushälterischer Mensch sein oder ein Caesar». Der Kaiser Gaius Julius Caesar Germanicus mit dem Spitznamen Caligula, «Stiefelchen», bezieht sich hier auf seinen Beinamen «Caesar», der von dem vergöttlichten Gaius Julius Caesar und seinem Urgroßvater, dem Imperator Caesar mit dem Ehrentitel «Augustus», auf ihn gekommen war und in der Folge zum «Kaiser»-Titel wurde. Aut prodesse volunt aut delectare poetae / (aut simul et iucunda et idonea dicere vitae). «Entweder Nutzen bringen oder Freude bereiten wollen die Dichter (oder zugleich sowohl Vergnügliches als auch fürs Leben Brauchbares sagen).» Horaz, Ars poetica 333f. Horaz fordert eine Verbindung von beidem; vgl. Vers 343f.: Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci / lectorem delectando pariterque monendo, «Jeden Punkt (jede Stimme) hat der davongetragen, der das Nützliche dem Angenehmen beigemischt hat, indem er den Leser erfreut und zugleich ermahnt», unten S. 117. Entsprechend hatte Cicero, De optimo genere oratorum 1, 3, dem Redner drei Ziele vorgegeben: Optimus est orator, qui dicendo animos audientium et docet et delectat et permovet, «Der beste Redner ist, der mit seinem Sprechen die Zuhörer zugleich unterrichtet und erfreut und überzeugt.» Das Unterrichten sei ein debitum, eine «Schuldigkeit», das Erfreuen ein honorarium, eine «Ehrengabe», das Überzeugen ein necessarium, eine «Notwendigkeit». Ave, imperator, morituri te salutant: siehe ... morituri te salutant, unten S. 98.
Barba non facit philosophum. «Der Bart macht (noch) keinen Philosophen.» Vielleicht nach Plutarch, Über Isis und Osiris 3. 352 C: OÎte går filosÒfouw pvgvnotrof€ai ... ka‹ tribvnofor€ai poioËsin ..., «Denn das Lange-Bärte-wachsen-Lassen und das Abgewetzte-MäntelTragen macht (noch) keinen Philosophen ...» Vgl. Gellius, Attische Nächte 9, 2, 4: Video ... barbam et pallium, philosophum nondum video, «Ich sehe wohl ... den Bart und den Mantel, den Philosophen sehe ich noch nicht». Der ungeschorene, ungepflegte Bart und der «abgewetzte», löcherige Mantel, zur Schau getragene Symbole einer aufs Äußerste getriebenen Bedürfnislosigkeit, gehörten nach dem Vorbild des Erzkynikers Diogenes von Sinope zur Tracht der kynischen Bettelphilosophen. Beati possidentes. «Glücklich die Besitzenden.» Der Ursprung der lapidaren Prägung ist nicht nachgewiesen. Zugrunde liegt vielleicht ein Vers aus der «Danaë» des Euripides (bei Stobaios, Anthologie 4, 31, 29, in: Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Fragment 326, 8): KakÚw dÉ ı mØ ¶xvn, ofl dÉ ¶xontew ˆlbioi, «Übel dran ist der nicht Besitzende, die Besitzenden dagegen sind glücklich dran». Ein jeder, heißt es da zuvor, sei doch eher bereit, einem neureichen Taugenichts etwas zu geben als einem verarmten Tüchtigen. Bei Horaz, Oden 4, 9, 45f., ist der Gedanke in Epikureischem Sinne in sein Gegenteil verkehrt: Non possidentem multa vocaveris / recte beatum, «Nicht den, der vieles besitzt, kannst du mit Recht glücklich nennen»; eher könne der als glücklich gelten, «der die Gaben der Götter vernünftig zu gebrauchen und harte Armut zu ertragen» wisse. Mit Bezug auf den Vorrang des Besitzers, nun im besonderen juristischen Sinne, ist das Wort auch als Rechtsregel gebräuchlich geworden; vgl. Ulpian im Cor-
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BEATUS
pus iuris civilis, Digesten 50, 17, 126: Cum de lucro duorum quaeratur, melior est causa possidentis, «Wenn über den Gewinn zweier verhandelt wird, ist die Sache des Besitzenden die bessere»; vgl. Digesten 50, 17, 128 und 154. Beatus ille, qui procul negotiis, / (ut prisca gens mortalium,) / paterna rura bobus exercet suis / (solutus omni faenore). «Glücklich der Mann, der fern von (städtischen) Geschäften, (wie das alte Geschlecht der Sterblichen,) die väterlichen Felder mit seinen eigenen Ochsen bestellt, (frei von jeglichem Zins).» Horaz, Epoden 2, 1ff. Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube! / (Nam quae Mars aliis, dat tibi regna Venus). «Kriege mögen andere führen, du, glückliches Österreich, heirate! (Denn die Mars anderen gibt, die Königreiche gibt dir Venus.)» Das humanistisch geschliffene Epigramm eines unbekannten zeitgenössischen Autors ist auf die erfolgreiche Heiratspolitik Kaiser Maximilians I. (1459–1519, Kaiser seit 1493) gemünzt. Der erste Halbvers des Hexameters ist Zitat aus Ovid, Heroiden 13, 82 (Laodamia an Protesilaus): Bella gerant alii, Protesilaus amet, «Kriege mögen andere führen, Protesilaus möge lieben!» Der thessalische Heros Protesilaus ging im Trojanischen Krieg als erster an Land und wurde sogleich danach das erste Opfer des Krieges. Eine entsprechende Gegenüberstellung findet sich im gleichen Werk, Heroiden 17, 256 (Helena an Paris): Bella gerant fortes; tu, Pari, semper ama!, «Kriege mögen die Tapferen führen; du, Paris, liebe nur immerfort!» Bellum omnium contra omnes. «Der Krieg aller gegen alle.» Nach Thomas Hobbes, De cive (1642/1647) 1, 12 (bellum omnium in omnes), 5, 2 und sonst mehrfach. Der englische Philosoph kennzeichnet mit der Formel vom «Krieg aller gegen alle» den natürlichen Zustand der menschlichen Gesellschaft vor der Einführung einer vertraglichen Staats- und Rechtsordnung. Zugrunde liegt vielleicht Lucilius, Fragmente der Satiren, Vers 1234 Marx: ... ut si hostes sint omnibus omnes, «... wie wenn alle für alle Feinde wären». Vgl. Homo homini lupus, unten S. 82. Bene vixit, qui bene latuit. «Gut hat der sein Leben geführt, der sich gut verborgen gehalten hat» (in dem Sinne: «... der zurückgezogen gelebt hat,
BREVIS
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in der Öffentlichkeit nicht hervorgetreten ist»). Nach Ovid, Tristien 3, 4, 25: Bene qui latuit, bene vixit, «Der sich gut verborgen hat, der hat sein Leben gut geführt». Vgl. die Epikureische Maxime Lãye bi≈saw, «Lebe zurückgezogen!» (oben S. 20) und Horaz, Episteln 1, 17, 10: ... nec vixit male, qui natus moriensque fefellit, «... und nicht schlecht hat der sein Leben geführt, der unbemerkt geboren und gestorben ist» (in dem Sinne: «dessen Geburt und dessen Tod in der Öffentlichkeit nicht vermerkt worden ist»). Bis dat, qui cito dat. «Doppelt gibt, wer schnell gibt.» So lapidar verkürzt bereits bei Erasmus, Adagia 1, 8, 91, nach Publilius Syrus, Sentenzen I 6: Inopi beneficium bis dat, qui dat celeriter, «Dem Bedürftigen gibt der doppelt seine Wohltat, der sie schnell gibt». Vgl. auch Sentenzen D 19: Duplex fit bonitas, simul accessit celeritas, «Verdoppelt wird die Hilfsbereitschaft, wenn noch die Schnelligkeit hinzukommt». Der Gedanke begegnet bereits bei Ennius, Fragmente der Satiren 2 Vahlen: Dum quidquid, des celere, «Wenn (du) irgend etwas (gibst), gib es schnell!», und kehrt später bei Ausonius, Epigramme 17, 1, wieder: Si bene quid facias, facias cito, «Wenn du (einem) etwas Gutes tust, tu es schnell!» Vgl. auch das voraufgehende Epigramm 16; beide gehen vielleicht auf ein anonymes griechisches Epigramm in der «Anthologia Palatina», 10, 30, zurück. Bonus vir semper tiro. «Ein gutmütiger Mensch bleibt immer ein Anfänger» (eigentlich: «... ein Rekrut»). Nach Martial, Epigramme 12, 51: Tam saepe nostrum decipi Fabullinum / miraris, Aule? Semper homo bonus tiro est, «Daß unser Fabullinus so oft betrogen wird, das wundert dich, Aulus? Ein gutmütiger Mensch bleibt immer ein Anfänger». Die «geflügelte» Fassung des Wortes erscheint zuerst bei Julius Wilhelm Zincgref, Der Teutschen scharpfsinnige kluge Sprüch, oder: Apophthegmata (1626/1631), später bei Goethe, Maximen und Reflexionen, Nr. 283 Hecker, Hamburger Ausgabe Nr. 1343. Brevis esse laboro, / obscurus fio. «Ich bemühe mich, kurz zu sein, dunkel werde ich» (in dem Sinne: «Ich bemühe mich um Kürze, und unversehens geht darüber die Klarheit verloren»). Horaz, Ars poetica 25f.
Cacatum non est pictum. «Gekackt ist nicht gemalt.» Der Ursprung des Wortes ist nicht nachgewiesen. Caesar non supra grammaticos. «Der Kaiser (steht) nicht über den Philologen.» Das stolze Philologenwort in eigener Sache geht wahrscheinlich auf eine bei Sueton, De grammaticis 22, 2, und – etwas abweichend – Dio Cassius, Römische Geschichte 57, 17, 1ff. angeführte Anekdote zurück: Der Philologe Marcus Pomponius Marcellus rügte ein Wort, das Kaiser Tiberius gebraucht hatte, in Gegenwart des Kaisers freimütig als nicht gut lateinisch. Als der Jurist Gaius Ateius Capito beflissen schmeichelnd einwarf, das von Pomponius beanstandete Wort sei sehr wohl gutes Latein, und selbst wenn es im Lateinischen bis jetzt nicht heimisch gewesen wäre, so würde es dies durch die Rede des Kaisers doch jedenfalls von jetzt an sein, erwiderte Pomponius, zu Kaiser Tiberius selbst gewendet: «Einem Menschen, Caesar, kannst du das römische Bürgerrecht verleihen, einem Wort nicht.» Captatio benevolentiae. «Das Haschen nach dem Wohlwollen (der Zuhörer)» (in dem Sinne: «Der Versuch, das Wohlwollen der Zuhörer zu gewinnen». Nach Cicero, De inventione 1, 15, 21: Sin autem (causa) partem turpitudinis, partem honestatis habebit, benevolentiam captare oportebit, ut in genus honestum causa translata videatur, «Wenn (die Sache) aber teils Verächtliches, teils Ehrenhaftes an sich hat, wird man versuchen müssen, das Wohlwollen (der Zuhörer) zu gewinnen, damit die Sache derart auf die ehrenhafte Seite übertragen scheint».
CEDANT
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Caput mundi: siehe Roma caput mundi, unten S. 146. Carpe diem (quam minimum credula postero)! «Ergreife den Tag, (so wenig wie möglich vertrauend dem folgenden!» Horaz, Oden 1, 11, 8. Das vielzitierte Geflügelte Wort aus dem letzten Vers der kurzen Ode ruft dazu auf, den gegenwärtigen Tag zu «ergreifen» und zu genießen und die handgreifliche Chance, die das Heute bietet, nicht an die Sorge um eine ungewisse Zukunft und die Hoffnung auf das Morgen zu verlieren. Vgl. den gleichfalls «geflügelten» Anfangsvers der Ode: Tu ne quaesieris ..., unten S. 166, und die entsprechende, in Horazens Odenbuch nahe benachbarte Mahnung Quid sit futurum cras, fuge quaerere, unten S. 136. Cave canem! «Hüte dich vor dem Hund!» Beliebte Mosaik-Inschrift in römischen Hauseingängen, auch, witzigerweise, mit dem Bild eines bissigen Wachhundes. Ein prächtiges Exempel hat sich in Pompeji im Eingang zum «Haus des Tragödiendichters» (Regio VI, Insula 8) erhalten, unmittelbar gegenüber den Forumsthermen. Literarisch bezeugt ist die Warnung vor dem Wachhund bei Varro, Menippeische Satiren, Fragment 143 Bücheler, und bei Petron, Satiricon 29, 1f.: «Denn zu unserer Linken, vom Eingang her gesehen, war nicht weit von der Portiersloge ein riesiger an die Kette gelegter Wachhund auf die Wand gemalt, und darüber war in quadratischen Großbuchstaben geschrieben: Cave canem! ...» Cedant arma togae, concedat laurea laudi. «Weichen sollen die Waffen (des Legionärs) vor der Toga (des Bürgers), weichen soll der Lorbeer (des Triumphators) vor dem Lobpreis (des Politikers).» Cicero, De consulatu meo, so von ihm selbst zitiert in der Schrift De officiis 1, 22, 77 (in: Morel, Fragmenta Poetarum Latinorum, Cicero, Fragment 16). Zwei weitere Selbstzitate finden sich in der Rede gegen Piso 29, 72ff., wo Cicero die heftigen Vorwürfe zurückweist, die sein Gedicht über das eigene Konsulat und besonders dieser eine Vers ausgelöst hatte, und in der 2. Philippischen Rede 8, 20 (dort nur der erste Halbvers: Cedant arma togae). In der unter Sallusts Namen überlieferten «Invektive gegen Cicero» 3, 6 (vgl. die unter Ciceros Namen überlieferte «Invektive gegen Sallust» 2, 7), erscheint der Vers in der auf Ciceros Redekunst anspielenden Fassung: ... concedat laurea lin-
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guae, «... weichen soll der Lorbeer vor der Zunge (des Redners)»; diese vielleicht ursprüngliche Ciceronische und dann in den Selbstzitaten zurückgenommene Fassung begegnet wieder bei Plinius dem Älteren, Naturgeschichte 7, 117, bei Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 11, 1, 24, und bei Plutarch, Vergleich des Demosthenes und des Cicero 2. Servius zitiert den ersten Halbvers zu Vergil, Aeneis 1, 1. Vgl. besonders das anonym überlieferte Lobgedicht auf Piso («Laus Pisonis») 35f.: Sic etiam magno iam tunc Cicerone iubente / laurea facundis, cesserunt arma togatis, «So auch sind schon damals auf des großen Cicero Geheiß der Lorbeer den Redegewaltigen, die Waffen den Togabekleideten gewichen». Cedo maiori. «Ich weiche dem Stärkeren» (eigentlich: «dem Größeren»). Nach Martial, Epigramme, Spectaculorum liber 32: Cedere maiori virtutis fama secunda est. / Illa gravis palma est, quam minor hostis habet, «Dem Stärkeren zu weichen, ist (nach dem Sieg) der zweite Ruhm der Tüchtigkeit; schwer ist die Siegespalme (zu ertragen), die der schwächere Gegner (errungen) hat». In den spätantiken «Disticha Catonis» scheinen die Sprüche Maiori concede, Cede maiori, Cede locum maiori, Maiori cede, «Weiche dem Stärkeren!» (S. 14 Boas), den Anfang des Martialischen Epigramms aufzunehmen, vgl. auch das Distichon 4, 39, 1 (S. 245 Boas): Cede loco laesus, Fortunae cede potenti ..., «Weiche verwundet vom Kampfplatz, weiche der mächtigen Fortuna ...» Ceterum censeo Carthaginem esse delendam. «Im übrigen beantrage ich, daß Karthago zerstört werden soll.» Der stereotype Zusatzantrag des älteren Cato im Senat, nach Florus, Epitoma de Tito Livio 1, 31 (2, 15), 4f.: Cato inexpiabili odio delendam esse Carthaginem, et cum de alio consuleretur, pronuntiabat, «Cato verkündete in unversöhnlichem Haß, daß Karthago zerstört werden solle, auch wenn über etwas anderes verhandelt wurde». Das Ceterum censeo ist vorgeprägt in der unter dem Namen des Aurelius Victor überlieferten Schrift De viris illustribus urbis Romae 47, 8: Carthaginem delendam censuit, «Er stimmte dafür, daß Karthago zerstört werden solle». Vgl. Diodor, Bibliothek 34/35, 33, 3, und Plutarch, Marcus Cato 27, 2: Doke› d° moi ka‹ KarxhdÒna mØ e‰nai, «Ich stimme auch dafür, daß es Karthago nicht mehr geben darf». Wie mehrfach bezeugt, pflegte Cato bei
CITIUS
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der im römischen Senat üblichen Umfrage seinem aktuellen Beschlußantrag zu der jeweils verhandelten Sache regelmäßig den zitierten Zusatzantrag beizufügen. Seine Beharrlichkeit führte 149 v. Chr., kurz vor seinem Tode, zum 3. Punischen Krieg gegen Karthago und drei Jahre später zur völligen Zerstörung der mächtigen Rivalin. Die «geflügelte» Fassung Ceterum censeo ... hat sich erst allmählich im 19. Jahrhundert herausgebildet, wohl nicht zuletzt um des ohrenfälligen Gleichklangs willen. Seither sind die beiden ersten Worte – «mein, dein, sein, ihr Ceterum censeo» – zum eigenständigen Begriff für ein beharrlich wieder und wieder vorgebrachtes Votum geworden. Christianos ad leones! «Die Christen vor die Löwen!» Nach Tertullian, Apologeticum 40, 2 (ad leonem, «vor den Löwen»). Der Kirchenvater verwahrt sich dagegen, daß den Christen an allem und jedem, gleich ob möglich oder nicht, Schuld gegeben wird, und läßt der ironischen Übertreibung eine sarkastische Schlußpointe folgen: «Wenn der Tiber die Mauern überflutet hat, wenn der Nil die Felder nicht überflutet hat, wenn der Himmel stehen geblieben ist, wenn die Erde sich bewegt hat, wenn eine Hungersnot, eine Seuche ausgebrochen ist, sogleich schreit man: Die Christen vor den Löwen! So viele vor einen?» Circulus vitiosus. Eigentlich: «Fehlerhafter Kreis», der sogenannte «Zirkelschluß». Die Bezeichnung des «Kreisschlusses» für den Fehlschluß, bei dem die Schlußfolgerung bereits in einer der Prämissen enthalten ist, geht zurück auf Aristoteles, Analytica priora 2, 5. 57 b 18ff. Im übertragenen Sinne bezeichnet der Ausdruck heute den unentrinnbaren «Teufelskreis» wechselseitig einander bedingender Mißstände. Citius, altius, fortius. «Schneller, höher, stärker.» Die lapidare Devise der modernen Olympischen Spiele geht auf den französischen Dominikanerpater Henri Didon zurück. Didon hatte den anfeuernden Aufruf für das Sportfest eines Dominikanerkollegs 1891 in Arcueil nahe Paris geprägt; Pierre de Coubertin, der damals die Wettkämpfe leitete, hat ihn auf der Gründungsversammlung des Internationalen Olympischen Komitees 1894 in Paris zur Devise der 1896 wieder aufgenommenen Spiele erhoben.
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(Ego) cogito, ergo sum. «Ich denke, also bin ich.» René Descartes; das lateinische Wort erscheint zuerst in den «Principia philosophiae» (1644), 1. Teil, 7 und 10, die französische Version Je pense, donc je suis bereits in dem «Discours de la Méthode» (1637), 4. Teil, 3 und 5. Gerade aus dem unabwendbaren Zweifel am Sein der Dinge und so aus dem eigenen Denken gewinnt Descartes die unmittelbare Gewißheit des eigenen Seins, da das Sein des Zweifelnden und so des Denkenden selbst keineswegs mehr in Zweifel gezogen werden könne: Haec cognitio: Ego cogito, ergo sum, est omnium prima et certissima, «Diese Erkenntnis: Ich denke, also bin ich, ist die allererste und die verläßlichste». Communia ... amicorum inter se omnia: siehe Koinå tå t«n f€lvn, «Gemeinsames Gut ist das Gut der Freunde», oben S. 18. Compelle intrare, ut impleatur domus mea. «Nötige sie hereinzukommen, auf daß mein Haus voll werde.» Evangelium nach Lukas 14, 23 Vulgata, am Schluß des Gleichnisses von dem großen Gastmahl. Da die geladenen Gäste sich wegen allerlei anderer Verpflichtungen entschuldigen lassen, schickt der Herr seinen Knecht aus, die Armen und Verkrüppelten, die Blinden und Lahmen und schließlich die Ärmsten der Armen zu dem großen Gastmahl in sein Haus zu holen. (Rerum) concordia discors. «(Der Dinge) zwieträchtige Eintracht.» Horaz, Episteln 1, 12, 19. Die paradoxe Horazische Prägung bezieht sich auf die Kosmologie des Empedokles von Akragas, die den Naturprozeß aus einem im Wechsel stärkeren und schwächeren Wirken zweier entgegengesetzter Prinzipien, des vereinigenden der «Liebe» (fil€a) und des entzweienden des «Streites» (ne›kow), erklärt. Vgl. die Zitate bei Ovid, Metamorphosen 1, 433 (discors concordia), und Lukan, Bürgerkrieg 1, 98 (concordia discors), und die Umkehrung bei Manilius, Astronomica 1, 142: discordia concors, «einträchtige Zwietracht». (Nam) concordia parvae res crescunt, discordia maximae dilabuntur. «(Denn) durch Eintracht wachsen (selbst) kleine Dinge, durch Zwietracht zerfallen (selbst) die größten.» Sallust, Jugurthinischer Krieg 10, 6. Seneca,
CREDAT
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Briefe an Lucilius 94, 46, zitiert die Sentenz als ein Leitwort des Marcus Agrippa: M. Agrippa ... dicere solebat multum se huic debere sententiae: Nam concordia ..., «M. Agrippa pflegte zu sagen, viel verdanke er dieser Sentenz: Denn durch Eintracht ...» Vollends zugespitzt erscheint die Antithese bei Orosius, Historiae adversus paganos 2, 17, 17: ... concordia minimas res crescere, discordia maximas labi, «... daß durch Eintracht (selbst) die kleinsten Dinge wachsen, durch Zwietracht (selbst) die größten schwinden». Vgl. Publilius Syrus, Sentenzen I 59: Ibi semper est victoria, ubi concordia est, «Dort ist immer der Sieg, wo die Eintracht ist». Consuetudo est quasi altera natura. «Die Gewohnheit ist sozusagen eine zweite Natur.» Nach Cicero, De finibus bonorum et malorum 5, 25, 74: ... deinde consuetudine quasi alteram quandam naturam effici, «... daß sich danach durch die Gewohnheit sozusagen eine zweite Natur ausbilde». An die Stelle der altera natura tritt in der Spätantike die gleichbedeutende secunda natura, so bei Macrobius, Saturnalien 7, 9, 7, und bei Augustin, Contra Iulianum 1, 69; 1, 105; 4, 103; 6, 41; De musica 6, 7, 19. Die Ciceronische Prägung geht auf griechische Vorbilder zurück; vgl. etwa Aristoteles, Rhetorik 1, 11. 1370 a 6: Ka‹ går tÚ efiyism°non Àsper pefukÚw ≥dh g€gnetai, «Auch das Angewöhnte wird schließlich zu etwas gleichsam Natürlichem», und den bei Stobaios, Anthologie 2, 31, 10, als sprichwörtlich zitierten Vers eines nicht genannten Tragikers: Mel°th xronisye›sÉ efiw fÊsin kay€statai, «Übung geht, wenn sie lange Zeit gewährt hat, in Natur über» (in: Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Adespota 516). Contra vim mortis non est medicamen in hortis. «Gegen die Gewalt des Todes gibt es kein Heilkraut in den Gärten» (mit unserer Redenart: «... ist kein Kraut gewachsen»). Ein mittelalterliches Sprichwort in der Form eines Leoninischen Hexameters, in: Werner, Sprichwörter, C 103. Credat Iudaeus Apella, / non ego. «Das glaube der Jude Apella, nicht ich.» Horaz, Satiren 1, 5, 100f. Die ironische Skepsis bezieht sich auf ein in dem apulischen Städtchen Gnat(h)ia zu beobachtendes, noch von Plinius dem Älteren, Naturgeschichte 2, 240, ernsthaft verzeichnetes Naturwunder:
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CREDO
Dort sollte ein Stück Holz, das auf einem bestimmten heiligen Stein niedergelegt wurde, unverzüglich von selbst Feuer fangen und verbrennen. Der «Jude Apella», dem Horaz hier eine Anfälligkeit für einen derart abstrusen Wunderglauben unterschiebt, ist uns sonst nicht bezeugt. Credo, quia absurdum. «Ich glaube (es), weil es widersinnig (ist).» Vielleicht nach Tertullian, De carne Christi 5, 4: Et mortuus est Dei filius; credibile est, quia ineptum est, «Und gestorben ist Gottes Sohn: Das ist (darum) eine Sache des Glaubens, weil es in sich widersprüchlich ist». Vgl. das hier folgende Credo, ut intellegam. Credo, ut intellegam. «Ich glaube, um zu verstehen.» Anselm von Canterbury, Proslogion 1 (in: Migne, Patrologia Latina, Band 158, Spalte 227 B): Neque enim quaero intellegere, ut credam, sed credo, ut intellegam, «Denn ich suche nicht zu verstehen, um zu glauben, sondern ich glaube, um zu verstehen». Das Wort geht letztlich zurück auf Jesaja 7, 9 im Sinne der griechischen Übersetzung der Septuaginta: ÉEån mØ pisteÊshte, oÈd¢ mØ sun∞te, «Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht verstehen». (Einen anderen Sinn hat die Stelle in der lateinischen Übersetzung der Vulgata: Si non credideritis, non permanebitis, «... werdet ihr nicht fortbestehen».) Vgl. Augustin, De magistro 11, 37: Quod ergo intellego, id etiam credo; at non omne, quod credo, etiam intellego, «Was ich also verstehe, das glaube ich auch; aber nicht alles, was ich glaube, verstehe ich auch», und In evangelium Iohannis tractatus 40, 9 (in: Migne, Patrologia Latina, Band 35, Spalte 1690): Credimus enim, ut cognoscamus, non cognoscimus, ut credamus, «Denn wir glauben, um zu erkennen; wir erkennen nicht, um zu glauben». Cui bono? «Wem (hat die Tat) zum Vorteil (gereicht)?» Die auf die beiden Dative verkürzte Formel für die Frage nach dem Nutznießer einer kriminellen Handlung begegnet mehrfach bei Cicero, Rede für Sextus Roscius Amerinus 30, 84; Rede für Milo 12, 32; 2. Philippische Rede 14, 35. An der ersten Stelle führt Cicero diese Frage ausdrücklich auf den so angesehenen wie gefürchteten Richter Lucius Cassius Longinus Ravilla zurück, den Konsul des Jahres 127 v. Chr., der zur Ermittlung eines Täters regelmäßig die Schlüsselfrage nach dem Nutznießer der kriminellen Hand-
CUNCTATOR
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lung gestellt habe; an den beiden anderen Stellen zitiert Cicero dieses Cui bono? jeweils nur kurz als die «bekannte Cassianische Frage». Cuius regio, eius religio. «Wessen das Gebiet, dessen der Glaube» (in dem Sinne: «Wer die Herrschaft über das Gebiet hat, der soll auch Vollmacht über das Bekenntnis haben»). Der im Jahre 1555 auf dem Reichstag zu Augsburg beschlossene «Augsburger Religionsfrieden» sah vor, daß die weltlichen Landesherren jeweils in ihren Herrschaftsgebieten über das katholische oder reformierte Glaubensbekenntnis entschieden; Andersgläubigen stand die Auswanderung frei. Die auf dem Reichstag zu Augsburg dafür beschlossene knappe Formel hatte gelautet: Ubi unus dominus, ibi una religio, «Wo nur ein einziger Herrscher (ist), da (sei) nur ein einziger Glaube»; die in der Folge geläufig gewordene noch knappere Formel Cuius regio, eius religio ist erst im Nachhinein von dem Greifswalder Kanonisten Joachim Stephani geprägt worden. Cum tacent, clamant. «Indem sie schweigen, schreien sie.» Cicero, 1. Catilinarische Rede 8, 21. In der Rede vor dem Senat, mit der Cicero am 7. November 63 v. Chr. die Catilinarische Verschwörung aufdeckte, fordert er Catilina auf, in die Verbannung zu gehen, und deutet das Schweigen des Senats dazu als Zustimmung. Die paradoxe Wendung erscheint im Lateinischen zuerst bei Terenz, Eunuchus 476: Tacent, satis laudant, «Sie schweigen, sie loben genugsam». Einige weitere Abwandlungen: Cicero, 1. Catilinarische Rede 7, 18: (Patria) quodam modo tacita loquitur, «(Das Vaterland) spricht auf eine Weise schweigend»; Rede für Sestius 18, 40: tacendo loqui ... videbantur, «durch Schweigen schienen sie zu sprechen»; Ovid, Liebeskunst 1, 574: Saepe tacens vocem verbaque vultus habet, «Oft hat eine stumme Miene Stimme und Worte». Die lateinische Wendung ist im Griechischen vorgeprägt; vgl. Euripides, Orest 1592: Fhs‹n sivp«n, «Er spricht schweigend», und Iphigenie bei den Taurern 763: AÈtØ frãsei sig«sa, «Sie selbst (eine Schreibtafel) wird schweigend sprechen». Vgl. die Rechtsregel Qui tacet, consentire videtur, unten S. 135. Cunctator: siehe Unus homo nobis cunctando restituit rem, unten S. 169.
De gustibus non est disputandum. «Über den Geschmack läßt sich nicht streiten.» Der Ursprung des Wortes ist nicht nachgewiesen. De mortuis nil nisi bene. «Von den Toten (soll man) nur im Guten (sprechen)» (benedicere in dem Sinne «gut von jemandem sprechen», im Gegensatz zu maledicere, «schlecht von jemandem sprechen»). Ein Spruch aus dem Kreise der Sieben Weisen: Demosthenes, Rede gegen Leptines (20) 104, schreibt die Maxime MØ l°gein kak«w tÚn teyne«ta, «Einem Toten nichts Übles nachreden», dem Athener Solon zu (vgl. Plutarch, Solon 21, 1); Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 1, 70, zitiert sie fast gleichlautend unter den Weisheitssprüchen des Spartaners Chilon (TÚn teynhkÒta mØ kakologe›n). Der Ursprung des lateinischen Wortes ist nicht nachgewiesen. De profundis (clamavi ad te, Domine). «Aus der Tiefe (habe ich zu dir gerufen, Herr).» Psalm 130, 1 Vulgata. (Haec placuit semel, haec) deciens repetita placebit. «(Dieses Gedicht hat ein einziges Mal gefallen, dieses) wird auch zehnmal wieder vorgenommen noch gefallen.» Horaz, Ars poetica 365. Horaz illustriert die Unterscheidung mit einem Vergleich zwischen Malerei und Dichtung (vgl. Ut pictura poesis, unten S. 172): Wie manche Gemälde den Betrachter nur von ferne und im Halbdunkel für sich einnehmen und andere, die das strenge Urteil des Richters nicht zu scheuen brauchen, aus der Nähe und im hellen Licht betrachtet werden wollen, so hat ein Gedicht vielleicht beim ersten Lesen noch gefallen und wird ein anderes auch beim vielmaligen Wiederlesen noch gefallen.
DIEM
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Deo volente, nobis viventibus. «Wenn Gott will und wir leben.» Die sogenannte Condicio Iacobea, der «Jacobeische Vorbehalt», nach dem Brief des Jacobus 4, 15 Vulgata: Si Dominus voluerit et vixerimus, faciemus hoc aut illud, «Wenn Gott es dann so will und wenn wir dann noch leben, werden wir dieses oder jenes tun». Deus ex machina. «Der Gott aus dem Bühnenkran» (ursprünglich in dem Sinne: «Der Gott, der vom Bühnenkran herab spricht»). Nach dem unter Platons Namen überlieferten Dialog Kleitophon 407 A: ... Àsper §p‹ mhxan∞w tragik∞w yeÒw, in der lateinischen Übersetzung von Marsilio Ficino: ...veluti e machina tragica deus, «wie der Gott aus dem tragischen Bühnenkran». Euripides, der jüngste der drei großen attischen Tragiker, ließ am Schluß einer Tragödie vielfach einen Deus ex machina, einen «Gott vom Kran herab», auftreten, um einen verwickelten Handlungsknoten durch einen göttlichen Machtspruch im Sinne des Mythos aufzulösen oder eher durchzuhauen. Der Schauspieler, der den Gott darstellte, wurde dabei von einem Bühnenkran an Tragseilen herangeschwenkt. Platon, Kratylos 425 D, vergleicht den Versuch, die Sprache und die «ersten Wörter» für die damit bezeichneten Dinge aus einer göttlichen Festsetzung zu erklären, mit dem Verfahren der Tragiker, die, «wenn sie irgendwo nicht weiter wissen, zu ihren Bühnenkränen Zuflucht nehmen und irgendwelche Götter in die Höhe hieven» (§p‹ tåw mhxanåw katafeÊgousi yeoÁw a‡rontew). Heute bezeichnet der Deus ex machina einen unverhofft auftretenden Retter. Deus nobis haec otia fecit. «Ein Gott hat uns diese Muße geschaffen.» Vergil, Bucolica 1, 6; der Hirte Tityrus, dessen Besitz von der allgemeinen Landenteignung zugunsten der Bürgerkriegsveteranen verschont geblieben ist, zu dem aus seiner Heimat vertriebenen, an ihm vorüberziehenden Hirten Meliboeus. Dic, hospes, Spartae ...: siehe âV je›nÉ, égg°llein Lakedaimon€oiw ..., «Fremder, melde den Lakedämoniern ...», oben S. 29. (Amici,) diem perdidi. «(Freunde,) ich habe einen Tag verloren.» Sueton, Titus 8, 1: «... und als er (Kaiser Titus) sich an der abendlichen Tafel einmal
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DIES
darauf besann, daß er an diesem ganzen Tage keinem Menschen irgend etwas zugewendet hatte, sprach er jenes denkwürdige und mit Recht gerühmte Wort: Freunde, ich habe einen Tag verloren.» Ein Zitat findet sich bei Ausonius, Gratiarum actio ad Gratianum imperatorem pro consulatu 16, 72: Celebre fuit Titi Caesaris dictum perdidisse se diem, quo nihil boni fecerat, «Berühmt war der Ausspruch des Kaisers Titus, er habe den Tag verloren, an dem er nichts Gutes getan hatte». Dies ater. «Schwarzer Tag.» Im römischen Kalender galten zunächst die Tage nach den Iden (dem Vollmond), dann auch die Tage nach den Kalenden (dem Neumond) und den Nonen, also zunächst der 14. oder 16., dann auch der 2. und der 6. oder 8. Tag jedes Monats als unheilsträchtige «schwarze Tage», an denen jedenfalls kultische und staatliche Handlungen, vielfach auch der Antritt einer Reise oder ein Geschäftsabschluß vermieden wurden. Die Erklärung der Bezeichnung war schon in der Antike strittig; vgl. dazu Verrius Flaccus bei Gellius, Attische Nächte 5, 17, 1f.; Macrobius, Saturnalien 1, 16, 22ff. Dies diem docet. «Ein Tag lehrt den anderen.» Nach Publilius Syrus, Sentenzen D 1: Discipulus est prioris posterior dies, «Schüler des voraufgehenden ist der nachfolgende Tag». Dies irae, dies illa / solvet saeclum in favilla. «Der Tag des Zornes, jener (letzte) Tag, wird die Zeitlichkeit in Asche zerfallen lassen.» Die Anfangsverse eines dem Franziskaner Thomas von Celano (um 1190 – um 1260) zugeschriebenen Hymnus, der Sequenz des nach dem ersten Worte des Introitus Requiem aeternam dona eis, Domine, «Ewige Ruhe schenke ihnen, Herr», so benannten «Requiem». Difficile est saturam non scribere. «Es ist schwer, (da) keine Satire zu schreiben.» Juvenal, Satiren 1, 30, zum Abschluß einer bunten Aufzählung lächerlicher Verrücktheiten und Eitelkeiten. Dimidium facti, qui coepit, habet: (Sapere aude, / incipe!) «Die Hälfte des Getanen hat, wer (nur erst) angefangen hat: (Wage es einmal, Vernunft zu
DIVIDE
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üben, fang an!)» Horaz, Episteln 1, 2, 40f. Der vordere Teil des Hexameters, der mit dem gleichfalls «geflügelten» Sapere aude (unten S. 149) schließt, wird hie und da durch die Einfügung eines bene zu einem vollständigen Pentameter ergänzt: Dimidium facti, qui bene coepit, habet, «... wer (nur erst) gut angefangen hat». Ausonius, Epigramme 15, hat den Horazischen Aufruf aufgenommen und folgerichtig fortgeführt: Incipe! Dimidium facti est coepisse. Superfit / dimidium: rursum hoc incipe et efficies, «Fang nur erst an! Das ist schon die Hälfte des Werkes. Es bleibt dir / noch eine Hälfte. So fang noch einmal an, und du hast’s!» Horaz zitiert ein geläufiges griechisches Sprichwort: ÉArxØ ¥misu pantÒw, «Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen» (oben S. 12); ein weiteres lateinisches Zitat findet sich bei Seneca, Briefe an Lucilius 34, 3: Principia totius operis dimidium occupare dicuntur, «Die Anfänge nehmen die Hälfte des ganzen Werkes ein, wie man sagt». Dira Necessitas. «Grause Notwendigkeit.» Horaz, Oden 3, 24, 6; die personifizierte Unausweichlichkeit des Todes, vgl. Oden 1, 3, 32 und 3, 1, 14. Disiecta membra poetae. «Die zerstückelten Glieder des Dichters.» Nach Horaz, Satiren 1, 4, 62: ... disiecti membra poetae, «... die Glieder des zerstückelten Dichters». Das drastische Bild deutet auf den mythischen Sänger Orpheus, der in seiner thrakischen Heimat von rasenden Mänaden in Stücke gerissen wurde. Es geht an der Stelle um den mehr oder weniger poetischen Wortschatz der Dichtung: Anders als bei dem alten Ennius, erklärt Horaz, werde man in seiner eigenen Satirendichtung wie in der seines hundert Jahre älteren Vorläufers Lucilius, wenn man die Worte aus dem Versmaß löse und durcheinanderschüttle, nicht die «Glieder des zerstückelten Dichters» wiederfinden. Divide et impera. «Entzweie und gebiete!» Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen; der Gebrauch von dividere, eigentlich «teilen», in der Bedeutung «entzweien» läßt einen Ursprung im Mittelalter oder eher in der Renaissance vermuten. Eine französische Fassung des Wortes, die vielleicht die ursprüngliche ist, bezeugt Prosper Mérimée, Chronique du règne de Charles IX (1829, Nouvelle édition 1895), Vorrede S. 7, als einen
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DIXI
Ausspruch Ludwigs XI. von Frankreich (1461-1483): C’est Louis XI qui a dit: «Diviser pour régner». Die lateinische Fassung Divide et impera wird in Italien um das Jahr 1600 bei Traiano Boccalini (1556–1613), La bilancia politica, herausgegeben von L. Dumay (1678), Band I, S. 136, Band II, S. 225, und bei Tommaso Campanella (1568–1639), Della monarchia di Spagna, in der Ausgabe seiner Werke von A. d’Ancona, Band II (1854), S. 163, bereits als eine geläufige politische Maxime angeführt. Thomas Fitzherbert, An sit utilitas in scelere vel de infelicitate principis Macchiavelliani (1610), S. 79, zitiert neben und vor dieser «geflügelten» lateinischen Fassung noch die folgende, seither wieder verdrängte: Si vis regnare, divide, «Wenn du herrschen willst, entzweie!» Goethe hat dem sprichwörtlichen Divide et impera in seinen «Sprüchen» eine eigene Devise gegenübergestellt: «Entzwei’ und gebiete! Tüchtig Wort; / verein’ und leite! Bessrer Hort.» Dixi et salvavi animam meam. «Ich habe gesprochen und meine Seele gerettet.» Nach Ezechiel 3, 19 Vulgata: Tu autem animam tuam liberasti, «Du aber hast deine Seele (von der Schuld) befreit». Der Prophet berichtet von einem an ihn ergangenen Wort Gottes: Er, Ezechiel, solle jeden Frevler mahnen, von seinem frevelhaften Tun abzulassen; habe er ihn nicht verwarnt und in seinem Tun gewähren lassen, so werde der Frevler um seiner Schuld willen sterben, «sein Blut aber fordere ich von dir»; habe er ihn aber verwarnt und lasse dieser von seinem Tun nicht ab, so werde der Frevler um seiner Schuld willen sterben, «du aber hast deine Seele gerettet». Do (tibi), ut des. «Ich gebe (dir etwas), damit du (mir dafür wieder etwas) gibst.» Die einprägsame Formel erscheint bei dem Juristen Paulus im Corpus iuris civilis, Digesten 19, 5, 5, zur Bezeichnung des Kaufs und des Verkaufs von Waren gegen Geld und des Austauschs von Waren untereinander, neben entsprechenden Formeln für den Austausch von Geld oder Waren gegen Dienstleistungen und solchen untereinander: Aut enim do tibi, ut des, aut do, ut facias, aut facio, ut des, aut facio, ut facias, entsprechend auf die Verben verkürzt: «Denn entweder gebe ich dir, damit du gibst, oder ich gebe, damit du leistest, oder ich leiste, damit du gibst, oder ich leiste, damit du leistest».
DONEC
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Docendo discimus. «Durch Lehren lernen wir.» Nach Seneca, Briefe an Lucilius 7, 8: ... et homines dum docent, discunt, «... und indem die Menschen lehren, lernen sie». Das Wort bezieht sich an der Stelle nicht auf die Wissensvermittlung, sondern auf den Umgang mit der Masse und mit Einzelnen: «Zieh dich in dich selbst zurück, so weit du kannst. Verkehre mit denen, die dich besser machen können; laß die an dich heran, die du besser machen kannst. Wechselseitig geschieht dies, und indem die Menschen lehren, lernen sie.» Vgl. Ambrosius, De officiis ministrorum 1, 1, 4: Discendum igitur mihi simul et docendum est, «Ich muß also lernen und zur gleichen Zeit lehren». Dominus providebit. «Der Herr wird vorsorgen.» Nach dem Bericht von der Opferung Isaaks im 1. Buch Mose 22, 8 Vulgata: Deus providebit ..., «Gott wird vorsorgen ...» Auf die Frage Isaaks: Ecce ignis et ligna; ubi est victima holocausti?, «Siehe, hier ist der Feuerbrand und das Holz; wo ist das Opfertier zu dem Brandopfer?», erwidert Abraham, die Opferung des Sohnes verhüllend: Deus providebit sibi victimam holocausti, fili mi, «Gott wird sich das Opfertier zu dem Brandopfer selbst ersehen, mein Sohn». In der «geflügelten» Fassung Dominus providebit begegnet das Wort zunächst als Wahlspruch Kaiser Maximilians II. (1527–1576, Kaiser seit 1564), und darauf in der Emblemata-Sammlung von Joachim Camerarius (1596), wo das begleitende Epigramm das Wort von dem göttlichen Herrn auf den irdischen Herrn überträgt (in: Henkel-Schöne, Emblemata, Spalte 760): Et laetae simul et tristis provisio sortis / Inprimis virtus principe digna viro est, «Die Vorsorge sowohl für ein freudiges als auch zugleich für ein trauriges Geschick ist eine Tugend, die zuvörderst einem fürstlichen Mann wohl ansteht». Seit dem Jahre 1888 erscheint der Spruch im Sinne eines allgemeinen Gottvertrauens, nun vollends losgelöst von seinem bedeutungsträchtigen Ursprung in der alttestamentlichen Opferszene, auf dem Rand der schweizerischen Fünf-Franken-Münze. Donec eris sospes, multos numerabis amicos; / (tempora si fuerint nubila, solus eris). «Solange du noch wohlbehalten bist, wirst du viele Freunde zählen; (wenn die Zeiten einmal trübe geworden sind, wirst du allein sein).» Ovid, Tristien 1, 9, 5f.; eine bittere Sentenz aus dem einsamen Exil
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DUCUNT
in Tomi (heute Constanta) am Schwarzen Meer, wohin der Dichter seit dem Jahre 8 n. Chr. auf Lebenszeit verbannt war. Ducunt volentem fata, nolentem trahunt. «Den Willigen führt das Schicksal, den Widerwilligen zerrt es.» Seneca, Briefe an Lucilius 107, 11; der pointierte Abschluß einer Anrufung des Weltenlenkers in fünf Versen, die Seneca als Verse des griechischen Stoikers Kleanthes einführt und mit Berufung auf «Ciceros Beispiel» in einer eigenen metrischen Übersetzung zitiert: Duc, o parens celsique dominator poli, / quocumque placuit ..., «Führe mich, o Vater und Herrscher des hohen Himmels, wohin immer es Dir gefällt ...» Die ersten vier Verse erscheinen im griechischen Wortlaut bei Epiktet, Encheiridion 53, am Schluß des «Handbüchleins», wie die anderen drei dort angeführten Leitworte ohne Nennung eines Autors (auch in: von Arnim, Stoicorum Veterum Fragmenta, Kleanthes, Fragment 527), der Anfangsvers, wieder ohne Nennung eines Autors, auch in den «Diatriben», 2, 23, 42. Augustin, De civitate Dei 5, 8, zitiert die fünf lateinischen Verse aus Senecas «Briefen an Lucilius» irrtümlich als Verse Senecas: Annaei Senecae sunt, nisi fallor, hi versus, «Von Annaeus Seneca stammen, wenn ich mich nicht täusche, diese Verse». Für den «geflügelten» fünften Vers Ducunt volentem fata, nolentem trahunt dürfte dies tatsächlich gelten; es liegt nahe, in dieser so charakteristisch lateinisch-lapidaren Schlußpointe mit ihren gleichlautenden Endungen und ihrer spiegelsymmetrischen Wortfolge eine Zutat des römischen Übersetzers zu vermuten. (Misce stultitiam consiliis brevem:) / Dulce est desipere in loco. «(Mische kurzsichtige Torheit in dein überlegtes Planen:) Eine Wonne ist es, unvernünftig zu sein, wo es am Platz ist.» Horaz, Oden 4, 12, 27f., am Schluß der Ode. Vgl. das von Seneca, De tranquillitate animi 17, 10, als das Wort eines griechischen Dichters angeführte Aliquando et insanire iucundum est, «Zuweilen ist auch unvernünftig zu sein eine Lust», und das hier vielleicht zitierte griechische Dichterwort aus Menanders Komödie «Polumenoi», Fragment 354 Körte: OÈ pantaxoË tÚ frÒnimon èrmÒttei parÒn: / ka‹ summan∞nai dÉ ¶nia de›, «Nicht überall kommt das Vernünftige zupaß; man muß in manchem auch mit anderen rasen», sowie die Mahnung in den «Disticha Catonis», 2, 18, 1 (S. 120 Boas): Insipiens esto, cum tempus
DUM ROMA
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postulat ipsum; / stultitiam simulare loco prudentia summa est, «Sei (auch einmal) unvernünftig, wenn die Stunde selbst es fordert; am rechten Platz Torheit anzunehmen ist höchste Klugheit». Dulce et decorum est pro patria mori. «Beglückend und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben.» Horaz, Oden 3, 2, 13. Das Zitat aus der zweiten der sechs sogenannten «Römeroden» ist in Wilhelminischer und in nationalsozialistischer Zeit vielfach zur Verherrlichung eines «Heldentodes» missbraucht worden. Es hat bereits 1915 den siebzehnjährigen Bertolt Brecht zu einem kritischen Schulaufsatz herausgefordert. Horaz folgt hier einem Verspaar des griechischen, in Sparta tätigen Lyrikers Tyrtaios, das uns bei Lykurgos, Rede gegen Leokrates 28, 107, überliefert ist (in: Diehl, Anthologia Lyrica Graeca, Tyrtaios, Fragment 6, 1f.): Teynãmenai går kalÚn §n‹ promãxoisi pesÒnta / êndrÉ égayÚn per‹ ∏i patr€di marnãmenon, «Denn das Sterben ist schön, wenn einer in vorderster Reihe fällt, während er als tüchtiger Krieger für das eigene Vaterland kämpft». Dum Roma deliberat, Saguntum perit. «Während Rom berät, geht Sagunt verloren.» In anderer Fassung: Senatu deliberante Saguntum perit, «Während der Senat berät, geht Sagunt verloren». Das Wort deliberare bezeichnet eigentlich ein sorgsames «Abwägen». Nach Livius, Ab urbe condita 21, 7, 1: Dum ea Romani parant consultantque, iam Saguntum summa vi oppugnabatur, «Während die Römer sich so noch rüsteten und berieten, wurde Sagunt bereits mit äußerster Kraft bestürmt». Als der karthagische Feldherr Hannibal im Frühjahr 219 v. Chr. die Ibererstadt Sagunt (nördlich des heutigen Valencia) angriff, unterließen die Römer ungeachtet eines erst kurz zuvor geschlossenen Freundschaftsvertrags jede Hilfeleistung für die Stadt. Nach achtmonatiger Belagerung fiel Sagunt im Spätherbst des gleichen Jahres in die Hände der Karthager; sein Fall und der anschließende Vorstoß Hannibals über den Ebro im Frühjahr 218 v. Chr. führten zum 2. Punischen Krieg und zu den katastrophalen römischen Niederlagen am Trasimenischen See 217 v. Chr. und bei Cannae 216 v. Chr. Vgl. den Schreckensruf Hannibal ante portas, unten S. 80.
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DUM SPIRO
Dum spiro, spero. «Solange ich atme, hoffe ich.» Die Quelle des Wortspiels ist nicht nachgewiesen; der offenbar sprichwörtliche Gedanke findet sich bei Cicero, Briefe an Atticus 9, 10, 3: Ut aegroto, dum anima est, spes esse dicitur ..., «Wie man sagt, daß ein Kranker, solange er Atem hat, Hoffnung hat ...» Vgl. die Sentenz in den «Priapea», 80, 9 (in: Bährens, Poetae Latini minores, Band I, S. 87): Dum vivis, sperare decet, «Solange du lebst, darfst du hoffen», und den bei Seneca, Briefe an Lucilius 70, 6, angeführten Ausspruch eines menschenunwürdig eingekerkerten Rhodiers: Omnia ... homini, dum vivit, speranda sunt, «Alles ... ist für einen Menschen, solange er lebt, noch zu erhoffen». In der «geflügelten» Fassung Dum spiro, spero findet sich die Devise in der Emblemata-Sammlung von Jacob von Bruck (1615), in der Abwandlung Dum spiras spera, «Solange du atmest, hoffe!», in der Sammlung von Jacob Cats (1627); vgl. HenkelSchöne, Emblemata, Spalte 1559 und 1373. Duo cum faciunt idem, non est idem. «Wenn zwei dasselbe tun, ist es (deswegen noch) nicht dasselbe.» Nach Terenz, Adelphoe 821ff.: Multa in homine ... / signa insunt, ex quibus coniectura facile fit, / duo quom idem faciunt saepe, ut possis dicere: / Hoc licet inpune facere huic, illi non licet, / non quo dissimilis res sit, sed quo is, qui facit, «Viele Merkmale sind einem Menschen aufgeprägt, aus denen die Mutmaßung leicht wird, daß du, wenn vielmals zwei dasselbe tun, sagen kannst: Das ist dem hier ungestraft erlaubt zu tun, dem da ist es nicht erlaubt, nicht weil die Sache unterschiedlich ist, sondern der Mensch, der sie tut». Vgl. Terenz, Heautontimorumenos 797: Aliis si licet, tibi non licet, «Wenn es anderen erlaubt ist, ist es dir (deswegen noch) nicht erlaubt», und den wohl mittelalterlichen Reimspruch Quod licet Iovi, non licet bovi, unten S. 140.
E pluribus unum. «Aus Mehreren Eines.» Legende auf dem Großen Siegel der Vereinigten Staaten, auf dem Schriftband im Schnabel des Wappenadlers. Auf der Rückseite dieses Siegels finden sich zwei Vergilzitate: unter der Pyramide Novus ordo seclorum, «Eine neue Ordnung der Zeitalter», nach Vergil, Bucolica 4, 5, wo der prophetische Dichter die Wiederkehr der Goldenen Zeit verkündet: Magnus ab integro saeclorum nascitur ordo, «Die große Ordnung der Zeitalter wird von neuem geboren», und über dem Auge Gottes Annuit coeptis, «(Gott) nickte dem Beginnen zu», nach Vergil, Georgica 1, 40, wo der Dichter den jungen Caesar, den späteren Augustus, anruft: ... audacibus adnue coeptis, «... nicke dem kühnen Beginnen zu!», und Aeneis 9, 625, wo Ascanius vor seinem ersten Pfeilschuß mit den gleichen Worten Jupiter anruft. Im Verein mit diesen Vergilzitaten erinnert auch die Legende auf der Vorderseite an die Augusteische Romidee; vgl. etwa Namatian, De reditu suo 1, 63ff.: Fecisti patriam diversis gentibus unam, / ... urbem fecisti, quod prius orbis erat, «Vaterland hast du vielerlei Völkern ein einz’ges geschaffen, / ... du hast geschaffen zur Stadt, was einst gewesen die Welt» (vgl. Urbi et orbi, unten S. 170). Das Große Siegel mit den drei Legenden ist auf der Rückseite jeder Dollarnote wiedergegeben. Ecce homo! «Seht, da ist der Mensch!» Evangelium nach Johannes 19, 5 Vulgata; Pontius Pilatus zu den vor seinem Palast versammelten Juden, auf den von den Soldaten gegeißelten und zum Spott als «König der Juden» begrüßten, mit der Dornenkrone und dem Purpurmantel geschmückten Jesus weisend.
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EHEU
Eheu – fugaces, Postume, Postume, / labuntur anni ... «Eheu – flüchtig, Postumus, Postumus, gleiten die Jahre dahin ...» Horaz, Oden 2, 14, 1f. Epistula (enim) non erubescit. «(Denn) ein Brief errötet nicht.» Cicero an den langjährigen, engvertrauten Freund Lucius Lucceius, Briefe an Freunde 5, 12, 1. Der im Juni 56 v. Chr. geschriebene Brief beginnt: «Eine Sache, die ich schon oft in deiner Gegenwart mit dir hatte besprechen wollen – eine merkwürdige, fast etwas bäuerische Scham hat mich davor zurückschrecken lassen –, möchte ich dir heute in der Abwesenheit um so kühner vortragen; denn ein Brief errötet nicht.» Cicero bittet den Freund, der damals noch an einer Geschichte des Bundesgenossenkrieges und des römischen Bürgerkrieges arbeitete, um eine Verherrlichung seines politischen Wirkens in einer historischen Monographie, die von der Niederschlagung der Catilinarischen Verschwörung gegen Ende seines Konsulatsjahres 63 v. Chr. bis zu seiner Rückberufung aus dem Exil im Herbst des Jahres 57 v. Chr. reichen sollte. Vgl. Ambrosius, De virginibus 1, 1, 1: Liber enim non erubescit, «Denn ein Buch errötet nicht», und Historia Apollonii regis Tyri (Redactio B und C) 20: Per ceram mandavi, quae ruborem non habet, «Durch ein Wachstäfelchen (ein mit Wachs ausgegossenes Schreibtäfelchen) habe ich den Auftrag erteilt, das kein Erröten kennt». Ergo bibamus! «Also trinken wir!» Die trinkfreudige Schlußfolgerung ist Überschrift und Kehrreim eines im Jahre 1810 entstandenen Goetheschen Trinkliedes: «Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun; / drum, Brüderchen! Ergo bibamus!» Die erste Anregung zu dem Lied ist ausgegangen von der in Goethes «Farbenlehre» (Polemischer Teil, § 391) angeführten Anekdote, wonach der Pädagoge Johannes Bernhard Basedow (1724–1790) «stets zu behaupten pflegte, die Konklusion Ergo bibamus! passe zu allen Prämissen», und so bei schönem wie bei häßlichem Wetter, in guter wie in schlechter Gesellschaft stets zu der gleichen Schlußfolgerung kam. Friedrich Wilhelm Riemer, dem Goethe diese hübsche Anekdote diktierte, entdeckte in der Basedowschen Konklusion den Refrain eines Trinkliedes und ließ sich von Goethe zu einem poetischen Versuch ermuntern (Riemer, Mitteilungen über Goethe, herausgegeben von A. Pollmer, 1921, S. 363f.). Seinem eigenen Lied hat Goethe später die Stro-
ERRARE
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phenform des Riemerschen Liedes zugrunde gelegt. Die Basedowsche Schlußfolgerung, die durch Goethes Trinklied zum Geflügelten Wort geworden ist, begegnet bereits in den Carmina Burana 201, 2, 1: Ergo bibamus, ne sitiamus, vas repleamus ..., «Also laßt uns trinken, daß wir nicht Durst leiden, laßt uns den Becher wieder füllen ...» Eritis sicut Deus scientes bonum et malum. «Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.» 1. Mose 3, 5 Vulgata; die Schlange im Paradies, vor dem Sündenfall, zu Eva. Errare humanum est. «Irren ist menschlich.» Die heute geläufige knappe Fassung des Geflügelten Wortes ist aus der Antike nicht überliefert; sie geht zurück auf Prägungen wie bei Hieronymus, Briefe 57, 12, 3: ... quia et errasse humanum est et confiteri errorem prudentis, «... weil sowohl geirrt zu haben menschlich ist als auch, den Irrtum einzugestehen, klug», oder Augustin, Predigten 164, 10, 14 (in: Migne, Patrologia Latina, Band 38, Spalte 901f.): Humanum fuit errare, diabolicum est per animositatem in errore manere, «Menschlich war es zu irren, teuflisch ist es, in Leidenschaftlichkeit bei dem Irrtum zu bleiben». Der Gedanke ist griechischen Ursprungs; vgl. besonders Theognis, Elegische Verse 327f.: ÑAmartvla‹ går ëmÉ ényr≈poisin ßpontai / ynhto›w, «Denn Verfehlungen folgen den Menschen, den sterblichen, auf dem Fuße», Sophokles, Antigone 1023f.: ÉAnyr≈poisi går / to›w pçsi koinÒn §sti toÈjamartãnein, «Denn den Menschen, ihnen allen, ist gemeinsam, daß sie sich verfehlen», und Menander, Phanion, Fragment 432 Körte: ÖAnyrvpow Ãn ¥marton: oÈ yaumast°on, «Als ein Mensch, der ich bin, habe ich mich verfehlt – nichts, was uns verwundern müßte». Mit der griechischen Komödie kommt der Gedanke nach Rom; vgl. zum Beispiel Terenz, Adelphoe 579: Censesne hominem me esse? Erravi, «Glaubst du, daß ich ein Mensch bin? Ich habe mich geirrt», und Cicero, 12. Philippische Rede 2, 5: Cuiusvis hominis est errare, nullius nisi insipientis perseverare in errore, «Jeder beliebige Mensch kann sich irren, doch nur ein unkluger wird auf seinem Irrtum beharren»; Briefe an Atticus 13, 21a, 2: Possum falli, ut homo, «Ich kann mich irren, wie (eben) ein Mensch». Wie Plinius der Jüngere, Briefe 8, 22, 3, bezeugt, pflegte der aufrechte Stoiker Thrasea Paetus häufig zu sagen: Qui vitia odit,
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EST MODUS
homines odit, «Wer die Fehler nicht will, will die Menschen nicht»; vgl. Plinius der Jüngere, Briefe 9, 12, 1: Non omnes homines aliquo errore ducuntur?, «Lassen sich nicht alle Menschen von irgendeinem Irrtum leiten?» Vgl. ferner Quandoque bonus dormitat Homerus, unten S. 134. Est modus in rebus, sunt certi denique fines, / (quos ultra citraque nequit consistere rectum). «Es gibt ein Maß in den Dingen, es gibt letztlich feste Grenzen, (jenseits und diesseits deren das Richtige nicht bestehen kann).» Horaz, Satiren 1, 1, 106f. Vgl. den alten Weisheitsspruch M°tron êriston, «Das Maß ist das Beste», oben S. 21, und die Horazische Aurea mediocritas, oben S. 41. Est quaedam flere voluptas. «Es gibt eine Lust zu weinen.» Ovid, Tristien 4, 3, 37. Et in Arcadia ego. «Auch in Arkadien ich.» Das doppeldeutige Wort, das auf die im Inneren der Peloponnes gelegene, durch Vergils Hirtendichtung, die «Bucolica» oder «Eklogen», verklärte Landschaft verweist, geht auf zwei Gemälde des früheren 17. Jahrhunderts zurück. Auf einem Gemälde Guercinos (1591–1666) in Rom, Galleria Nazionale d’ Arte Antica, betrachten zwei Hirten einen Totenschädel auf einem zerfallenden Mauerwerk mit der Inschrift Et in Arcadia ego; auf einem etwas jüngeren Gemälde Nicolas Poussins (1594–1665) in Paris, Louvre, entziffert eine Hirtengruppe die gleiche Inschrift auf einem Sarkophag. Ursprünglich war hier der Tod als Sprechender gedacht, in dem Sinne: «Auch in dem glücklichen Arkadien bin ich, der Tod, zugegen.» Doch bereits seit dem späteren 17. Jahrhundert wurde nicht mehr der Tod, sondern der Tote oder überhaupt ein Mensch als der Sprechende verstanden, und nun – im Widerspruch zur Abfolge der lateinischen Worte – in dem Sinne: «Auch ich bin einmal in Arkadien gewesen; auch ich habe einmal das Glück genossen». So hat Schiller das Wort am Anfang seines Gedichtes «Resignation» zitiert: «Auch ich war in Arkadien geboren», und so hat Goethe es als Motto über die Erstausgabe seiner «Italienischen Reise» gesetzt: «Auch ich in Arkadien!»
EX ORIENTE
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Et tu, Brute? «Auch du, Brutus?» Nach dem in griechischer Sprache angeführten Zitat bei Sueton, Caesar 82, 2, und einem gleichlautenden Zitat bei Dio Cassius, Römische Geschichte 44, 19, 5: Ka‹ sÁ, t°knon;, «Auch du, mein Sohn?» Sowohl Sueton als auch Dio Cassius erwähnen Berichte, nach denen Caesar bei seiner Ermordung am 15. März (den «Iden des März») 44 v. Chr., als auch sein besonderer Schützling Marcus Brutus die Waffe gegen ihn erhob, diesen in griechischer Sprache mit den Worten «Auch du, mein Sohn?» angerufen habe. Beide Gewährsleute bestreiten jedoch die Authentizität des Zitates und halten ausdrücklich fest, daß Caesar unter den Dolchstößen der dreiundzwanzig Verschwörer zusammengebrochen sei, ohne ein einziges Wort, ja fast ohne einen Laut vernehmen zu lassen. Caesar hatte den etwa fünfzehn Jahre jüngeren Marcus Brutus tatsächlich «väterlich» gefördert: Er hatte ihm im Jahre 47 v. Chr. die Provinz Gallia Cisalpina übertragen, ihn für das Jahr 44 zum Prätor wählen lassen und ihm für das Jahr 41 das Konsulat in Aussicht gestellt. Plutarch erwähnt einen solchen an Brutus gerichteten Zuruf in seiner Caesarbiographie nicht. Vgl. Shakespeare, Julius Caesar, 3. Akt, 1. Szene, Vers 77. Ex nihilo nihil. «Aus nichts (wird) nichts.» Nach allgemeinen Sätzen wie bei Lukrez, De rerum natura 1, 156f.: ... nil posse creari / de nihilo, «... daß nichts aus nichts geschaffen werden kann», bei Persius, Satiren 3, 83f.: ... gigni / de nihilo nihilum, in nihilum nil posse reverti, «... daß nichts aus nichts erzeugt werden, nichts in nichts zurückkehren kann», und bei Boëthius, Trost der Philosophie 5, 1, 9: Nam nihil ex nihilo exsistere vera sententia est, cui nemo umquam veterum refragatus est, «Denn daß nichts aus nichts hervorgehen kann, ist ein wahrer Satz, dem keiner der Alten je widersprochen hat». Der Gedanke geht auf die frühe griechische Naturwissenschaft des 5. Jahrhunderts v. Chr. zurück; in seiner «Physik», 1, 4. 187 a 27ff., spricht Aristoteles von der «allgemeinen Überzeugung der Physiker, daß nichts aus dem Nicht-Seienden entstehen könne». Ex oriente lux. «Aus dem Osten (kommt) das Licht.» Vielleicht nach Matthäus 2, 2 Vulgata, wo die «Mager», die späteren «Drei Könige», nach dem «König der Juden» fragen und erklären: Vidimus enim stellam eius in oriente, «Denn wir haben seinen Stern im Osten gesehen».
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EX UNGUE
Ex ungue leonem (pingere). «Nach der Klaue den Löwen (malen)» (in dem Sinne: «aus einem – noch so kleinen – Teil das Ganze erschließen»). Nach der geläufigen griechischen Redewendung ÉEj ˆnuxow tÚn l°onta grãfein, so bei Sophron, Mimoi, Fragment 110 (in: Kaibel, Comicorum Graecorum Fragmenta, Band I, S. 172): ÉEk toË ˆnuxow går tÚn l°onta ¶gracen, «Denn nach der Klaue hat er den Löwen gemalt». Plutarch, De defectu oraculorum 3. 410 C, führt die Wendung als ein Zitat aus der frühgriechischen Lyrik ein: «mit Alkaios zu reden»; Lukian, Hermotimos 54, führt sie auf die klassische Bildhauerei zurück: Phidias – oder ein anderer der «alten Bildhauer» – habe aus der bloßen Klaue eines Löwen auf die Größe des ganzen Tieres schließen können. Die Quelle der lateinischen Version ist nicht nachgewiesen. Exegi monumentum aere perennius. «Geschaffen habe ich ein Denkmal, das dauerhafter ist als Bronze.» Horaz, Oden 3, 30, 1. Im Jahre 23 v. Chr. hat Horaz seine Oden in drei sorgsam komponierten «Büchern» herausgegeben. Der stolze Vers Exegi monumentum ... eröffnet das Schlußstück der Sammlung, in dem Horaz das Verdienst in Anspruch nimmt, «als erster» die griechischen lyrischen Versmaße in die lateinische Dichtung eingeführt zu haben. Die zweite Strophe der Ode beginnt mit dem gleichfalls «geflügelten» Non omnis moriar ..., «Nicht ganz werde ich sterben ...», unten S. 109. Vgl. Ovid, Metamorphosen 15, 871f.: Iamque opus exegi, quod nec Iovis ira nec ignis /nec poterit ferrum nec edax abolere vetustas, «Nun habe ein Werk ich geschaffen, das weder der Zorn Jupiters noch das Feuer noch das Eisen noch das nagende Alter wird zerstören können.» Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor. «Mögest du (einst), irgendeiner, aus unseren Gebeinen als Rächer erstehen.» Vergil, Aeneis 4, 625. Die von Aeneas verlassene, zum Flammentod entschlossene Dido verflucht den Geliebten und ruft ihre karthagischen Nachfahren zu unversöhnlicher Erbund Erzfeindschaft gegen die römischen Nachfahren des Aeneas auf. Die beschwörende Anrufung eines zukünftigen Rächers deutet voraus auf Hannibal, der den Römern im 2. Punischen Krieg am Trasimenischen See im Jahre 217 v. Chr. und bei Cannae im Jahre 216 vernichtende Niederlagen zufügte; vgl. den Schreckensruf Hannibal ante portas, unten S. 80.
EXTRA ECCLESIAM EXTRA ECCLESIAM
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Experto credite. «Glaubt es einem, der es (an sich) erfahren hat!» Vergil, Aeneis 283; «Glaubt der nachesdem Trojanischen in Apulien, Arpi, Experto11, credite. einem, der es (an Krieg sich) erfahren hat!»inVergil, herrschende griechische König Diomedes zu den Gesandten des Königs Aeneis 11, 283; der nach dem Trojanischen Krieg in Apulien, in Arpi, Latinus, die griechische ihn nach der Anlandung in LatiumdesalsKönigs Bunherrschende König DiomedesdeszuAeneas den Gesandten desgenossen die Trojaner gewinnen an Latinus, die gegen ihn nach der Anlandung deswollen. AeneasDiomedes in Latiumerinnert als Bun5, 432ff.) seinen Zweikampf vorgewinnen den Torenwollen. Trojas (Homer, Ilias desgenossen gegenmit die Aeneas Trojaner Diomedes erinnert an und rät den Latinern zu einem Bündnis mit den Trojanern. Vgl. bereits seinen Zweikampf mit Aeneas vor den Toren Trojas (Homer, Ilias 5, 432ff.) Cicero, 19, 74: Plerumque enimmit creditur eis, qui experti sunt, und rät Topica den Latinern zu einem Bündnis den Trojanern. Vgl. bereits «Denn denen geglaubt, enim die in creditur einer Sache haben». Cicero,meistens Topica wird 19, 74: Plerumque eis,Erfahrung qui experti sunt, Weite re Zitate des Vergilischen Experto credite bei Otto, Sprichwörter, «Denn meistens wird denen geglaubt, die in einer Sache Erfahrung haben». Nr. 615. Weite re Zitate des Vergilischen Experto credite bei Otto, Sprichwörter, Nr. 615. Extra ecclesiam nulla salus. «Außerhalb der Kirche (gibt es) kein Heil.» 21: ... quia salus der extraKirche ecclesiam nones) est,kein «... weil es Nach Extra Cyprian, ecclesiamBriefe nulla73, salus. «Außerhalb (gibt Heil.» ein Heil außerhalb der73, Kirche nicht war um dieest,Mitte des 3. 21: ... quiagibt». salus Cyprian extra ecclesiam non «... weil es Nach Cyprian, Briefe Jahrhunderts Bischof von Karthago; an der angeführten Stelle begründet er ein Heil außerhalb der Kirche nicht gibt». Cyprian war um die Mitte des 3. seine Forderung, Ketzer, dieangeführten wieder inStelle den begründet Schoß der Jahrhunderts Bischofreumütige von Karthago; an der er christlichen Gemeinde zurückkehren noch einmal zur Taufe seine Forderung, reumütige Ketzer,wollten, die wieder in den Schoßzuzuder ecclesia est, lassen. Vgl. Briefe 55, 24: Christianus wollten, non est, qui ineinmal Christizur christlichen Gemeinde zurückkehren noch Taufenon zuzu«Der ist kein Christ, der nicht in der Kirche Christi ist». lassen. Vgl. Briefe 55, 24: Christianus non est, qui in Christi ecclesia non est, «Der ist kein Christ, der nicht in der Kirche Christi ist».
Facies Hippocratica. «Hippokratisches Gesicht.» Das von dem nahe bevorstehenden Tode gezeichnete Gesicht eines Sterbenden, so genannt nach seiner klassischen Beschreibung bei Hippokrates, Prognostikon 2. Fama crescit eundo. «Das Gerücht wächst im Laufen.» Nach Vergil, Aeneis 4, 174f.: Fama ...: / mobilitate viget viresque adquirit eundo, «Das Gerücht ...: / von der Beweglichkeit lebt es, und Kräfte gewinnt es im Laufen». Vergil greift hier auf Bilder und Worte zurück, mit denen Lukrez, De rerum natura 6, 340ff., den Lauf des Blitzes beschrieben hatte: Denique quod longo venit impete, sumere debet / mobilitatem etiam atque etiam, quae crescit eundo / et validas auget viris ..., «Schließlich, da er mit langem Anlauf daherkommt, muß er Beweglichkeit gewinnen, noch und noch, die im Laufen wächst und seine gewaltigen Kräfte mehrt ...» Favete linguis! «Begünstigt (die Kulthandlung) mit euren Zungen!» (in dem Sinne: «... indem ihr eure Zungen stille haltet!») Horaz, Oden 3, 1, 2 (am Anfang der ersten der sechs «Römeroden», im Anschluß an den Eingangsvers Odi profanum volgus et arceo, unten S. 115). Bei öffentlichen Opfern gebot ein Herold mit dem Ruf Favete linguis! Schweigen, um eine Störung der Kulthandlung durch ein unbedachtes ominöses Wort auszuschließen. Seneca, De vita beata 26, 7, erklärt: «Dieses Wort leitet sich nicht, wie die meisten meinen, von der Gunst (a favore) her, sondern befiehlt Schweigen, damit die Opferhandlung nach den Kultgebräuchen vollzogen werden kann, ohne daß ein ungutes Wort sie etwa unterbräche.» Vgl. Cicero, De divinatione 1, 45, 102; 2, 40, 83; Ovid, Festkalender 2, 654; Plinius der Ältere, Naturgeschichte 28, 11. Donatus zu Terenz,
FIAT IUSTITIA
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Andria, Prolog 24, stellt dem kultischen Aufruf Favete linguis! den gleichbedeutenden Favete verbis! zur Seite. Felix, qui potuit rerum cognoscere causas / (atque metus omnes et inexorabile fatum / subiecit pedibus strepitumque Acherontis avari). «Glücklich, der es vermochte, die Urgründe des Seienden zu erkennen, (und der so alle Ängste und das unerbittliche Schicksal seinen Füßen unterwarf und das Waffenrasseln des raffgierigen Acheron).» Vergil, Georgica 2, 490ff. Eine Glücklichpreisung des Epikureischen Naturwissenschaftlers, der in der Erkenntnis der «Urgründe des Seienden» die Befreiung von Lebensangst und Todesfurcht findet. Die bildhafte, drastische Prägung subiecit pedibus verweist auf das Proömium des Lukrezischen Lehrgedichts «De rerum natura», 1, 78f.: Quare religio pedibus subiecta vicissim / obteritur ..., «Dadurch wird die Götterverehrung, den Füßen unterworfen, nun ihrerseits niedergetreten ...» Ovid, Metamorphosen 15, 67f., läßt die Vergilverse in der Einleitung zu der Rede des Pythagoras anklingen: ... magni primordia mundi / et rerum causas ... docebat, «... die Uranfänge der großen Welt und die Urgründe des Seienden lehrte er». – Das Motto Rerum cognoscere causas erscheint seit 1945 im Zeitungskopf des Berliner «Tagesspiegels». Festina lente! «Eile gemächlich!», in unserer gereimten Fassung: «Eile mit Weile». Die lateinische Version der griechischen Maxime SpeËde brad°vw, die Kaiser Augustus häufig zitierte (Sueton, Augustus 25, 4; Polyainos, Strategika 8, 24, 4; Gellius, Attische Nächte 10, 11, 5). Bei Sueton folgt auf dieses griechische Lieblingswort des Augustus ein sinnverwandtes lateinisches: Sat celeriter fieri, quidquid fiat satis bene, «Schnell genug geschehe, was nur gut genug geschehe». Fiat iustitia, et pereat mundus. «Die Gerechtigkeit soll ihren Lauf nehmen, und mag die Welt darüber zugrunde gehen» (ursprünglich in dem Sinne: «... und mag weltliche Eitelkeit darüber zuschanden werden»). Eine seit dem frühen 16. Jahrhundert offenbar geläufige Maxime; Zitate finden sich mehrfach bei Martin Luther, zuerst in der «Glosse auf das vermeinte kaiserliche Edikt», 1531 (Weimarer Ausgabe, Werke, Band 30, 3, S. 385); vgl. die Predigten vom 24. Mai 1534 (Band 37, S. 400) und vom 10. Mai
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FIAT LUX
1535 (Band 41, S. 138). Das geläufige Verständnis des Wortes im Sinne eines blinden Gerechtigkeitsfanatismus beruht auf der letztgenannten Stelle, wo Luther das lateinische Zitat als ein Wort der «Juristen und Weisen in weltlichen Sachen» einführt und mißverständlich übersetzt: «Es geschehe, was recht ist, und solt die Welt drob vergehen.» Die entsprechend drastische Abwandlung Fiat iustitia, et ruat caelum, «Die Gerechtigkeit soll ihren Lauf nehmen, und mag der Himmel darüber einstürzen», ist seit dem frühen 17. Jahrhundert geläufig geworden. Johannes Manlius, Locorum communium collectanea (1562), S. 419, führt die Maxime in der Fassung ... et pereat mundus als Wahlspruch Kaiser Ferdinands I. (1503–1564, Kaiser seit 1556) an; Zeitgenossen bezeugen sie bereits für dessen Lehrer Papst Hadrian VI. (1459–1523, Papst seit 1522), der es mit diesem Satz abgelehnt habe, eine Anklage gegen einen hochgestellten Mordverdächtigen niederzuschlagen. Vgl. Liebs, Rechtsregeln, F 23. Fiat lux! «Es werde Licht!» 1. Buch Mose, Genesis 1, 3 Vulgata; das Wort Gottes am Anfang der Schöpfungsgeschichte. Fide, sed cui, vide! «Vertraue, aber sieh zu, wem!», mit unserem Wortspiel: «Trau, schau, wem!» Die Quelle des lateinischen Wortspiels ist nicht nachgewiesen; es begegnet zuerst in den Emblemata-Sammlungen von Nicolas Reusner (1581) und Gabriel Rollenhagen (1611), sowie als Wahlspruch der sächsischen Kurfürsten Christian I. (1560–1591, Fide et vide!) und seines Sohnes Christian II. (1583–1611, Fide, sed vide!) Ein bei Nicolas Reusner angeführtes Epigramm tadelt die gleich schweren Fehler, allen und keinem zu vertrauen, und läßt den Weisen die Mitte zwischen beiden halten: Fide, sed ante vide, cui tuto fidere possis; / et quia non tutum est fidere, fide Deo, «Vertraue, aber sieh vorher zu, wem du sicher vertrauen kannst; und weil es nicht sicher ist zu vertrauen, vertraue Gott!» Vgl. Henkel-Schöne, Emblemata, Spalte 874 und 1010. Filia hospitalis. «Die Tochter der Wirtsleute.» Aus dem deutsch-lateinischen Kehrreim des Studentenliedes «O wonnevolle Jugendzeit» von Otto Kamp: «... und doch ist nichts aequalis / der filia hospitalis», «... und doch ist nichts vergleichbar der Tochter der Wirtsleute».
FORTES
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Forsan et haec olim meminisse iuvabit. «Vielleicht wird auch die Erinnerung hieran uns einst noch ein Trost sein.» Vergil, Aeneis 1, 203; der mit Mühe und Not dem Seesturm entronnene, an eine unbekannte Küste verschlagene Aeneas zu seinen Gefährten. Am Anfang seiner kurzen Trostrede hat Aeneas an die früher durchgestandenen Gefahren wie die Durchfahrt zwischen Skylla und Charybdis und den Kyklopenfelsen erinnert, im Fortgang seiner Rede deutet er auf das Ziel der langwierigen Irrfahrt voraus: auf Latium, wo die fata, die «Schicksalssprüche», ruhige Wohnsitze verheißen und die Herrschaft der Trojaner wiedererstehen soll. Vgl. das sprichwörtliche Iucundi acti labores, unten S. 89, den bei Cicero, De finibus bonorum et malorum 2, 32, 105, als «allen bekannt» eingeführten Vers aus der Euripideischen «Andromeda» (in: Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Fragment 133): ÉAllÉ ≤dÊ toi svy°nta memn∞syai pÒnvn, «Aber angenehm ist es doch, einmal gerettet, sich der Anstrengungen zu erinnern», und das Homerische T°tlayi dÆ, krad€h ..., «Halte denn aus, Herz! ...», oben S. 28. Fortes Fortuna adiuvat. «Den Mutigen hilft das Glück» oder: «... die Glücksgöttin». In dieser Form erscheint das ursprünglich griechische Sprichwort im Lateinischen zuerst bei Terenz, Phormio 203, später bei Cicero, Tuskulanische Gespräche 2, 4, 11: Fortes enim non modo Fortuna adiuvat, ut est in vetere proverbio, sed multo magis ratio ..., «Denn den Mutigen hilft nicht nur das Glück, wie es in dem alten Sprichwort heißt, sondern noch viel mehr die Vernunft ...» Vgl. Plinius der Jüngere, Briefe 6, 16, 11, wo der ältere Plinius bei seiner Rettungsaktion während des Vesuvausbruchs den Steuermann zur Weiterfahrt auffordert (Fortes Fortuna iuvat). Eine Anspielung auf diese Fassung findet sich bereits bei Plautus, Poenulus 972f.: Quin tu insistis fortiter? / Aliqua Fortuna fuerit adiutrix tibi, «Warum bestehst du nicht mutig (auf deiner Sache)? Irgendeine Glücksgöttin könnte dir eine Helferin sein». Neben der geläufigen Fassung stehen eine Reihe von Abwandlungen: Ennius, Fragmente der Annalen, Vers 257 Vahlen: Fortibus est Fortuna viris data, «Tapferen Männern ist das Glück gegeben»; Vergil, Aeneis 10, 284: Audentes Fortuna iuvat, «Den Wagemutigen hilft das Glück»; Ovid, Metamorphosen 10, 586: Audentes deus ipse iuvat, «Den Wagemutigen hilft der Gott selbst»; Tibull, Elegien 1, 2, 16: Audendum est: Fortes adiuvat ipsa Venus, «Man muß etwas wagen: Den Mutigen hilft
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FORTITER
Venus selbst». Den griechischen Ursprung des Sprichworts bezeugen Aischylos, Perser 742: ÉAllÉ, ˜tan speÊd˙ tiw aÈtÒw, x» yeÚw sunãptetai, «Aber wenn einer selbst sich müht, packt auch der Gott mit an», ein mehrfach überlieferter Vers aus einem verlorenen «Hippolytos» des Euripides (in: Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Fragment 432, 2): T“ går ponoËnti ka‹ yeÚw sullambãnei, «Denn dem Mann, der sich (selbst) anstrengt, kommt auch der Gott zu Hilfe», und Menander, Fragment 494 Körte: TÒlm˙ dika€& ka‹ yeÚw sullambãnei, «Einem Wagemut, der das Recht auf seiner Seite hat, kommt auch der Gott zu Hilfe». Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 702; vgl. Werner, Sprichwörter, A 138 und 140. Fortiter in re, suaviter in modo. «Entschieden in der Sache, verträglich in der Art und Weise (sie durchzusetzen)». Nach einer Maxime des jesuitischen Ordensgenerals Claudio Aquaviva, Industriae ad curandos animae morbos (1606), 2, 1: ... ut et fortes in fine consequendo et suaves in modo ac ratione assequendi simus, «daß wir (die Herrschenden) so entschieden seien in der Verfolgung des Ziels wie verträglich in der Art und Weise, es durchzusetzen». Die Entgegensetzung fortiter – suaviter geht vielleicht auf das apokryphe alttestamentliche «Buch der Weisheit», 8, 1, zurück: (Sapientia) attingit enim a fine usque ad finem fortiter et disponit omnia suaviter, «Denn (die Weisheit) erstreckt sich machtvoll von einem Ende zum anderen und ordnet alles milde». (Sed fugit interea), fugit inreparabile tempus. «(Aber es flieht unterdessen), es flieht die unwiederbringliche Zeit.» Vergil, Georgica 3, 284, im Übergang von der ersten zur zweiten Hälfte des Buches. Vgl. Aeneis 10, 467f.: Stat sua cuique dies, breve et inreparabile tempus / omnibus est vitae, unten S. 158. Fuimus Troes, (fuit Ilium et ingens / gloria Teucrorum). «Gewesen sind wir Troer, (gewesen ist Ilium und der ungeheure Ruhm der Teukrer).» Vergil, Aeneis 2, 325f.; der Priester Panthus angesichts der brennenden Vaterstadt zu Aeneas. Ilium ist ein anderer Name für Troja – daher auch die Homerische «Ilias» –; Teukrer heißen die Trojaner nach Teukros, dem ersten König des Landes.
FUROR
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Furor Teutonicus. «Teutonisches Wüten.» Nach Lukan, Bürgerkrieg 1, 255f.: ... cursumque furoris / Teutonici, «... und den Lauf des teutonischen Wütens». Die Teutonen, ein germanischer Volksstamm, zogen im späten 2. Jahrhundert v. Chr. von Jütland nach Gallien und wurden im Jahre 102 v. Chr. bei Aquae Sextiae (heute Aix-en-Provence) von Gaius Marius vernichtend geschlagen.
Gallia est omnis divisa in partes tres ... «Gallien ist als Ganzes in drei Teile gegliedert, (von denen einen die Belger bewohnen, einen anderen die Aquitaner, den dritten die Völker, die in ihrer eigenen Sprache Kelten, in unserer Gallier genannt werden).» Caesar, Gallischer Krieg 1, 1, 1. Gaudeamus igitur, iuvenes dum sumus ... «Freuen wir uns also (am Leben), solange wir jung sind ...» Der Anfangsvers eines vielgesungenen Studentenliedes, das Chr. W. Kindleben 1781 in die seither gebräuchliche Fassung gebracht hat: ... post iucundam iuventutem, / post molestam senectutem / nos habebit humus, «nach der vergnüglichen Jugend, nach dem mühseligen Alter wird die Erde uns haben ...» Gloria in excelsis Deo. «Ehre sei Gott in der Höhe!» Nach dem Evangelium nach Lukas 2, 14 (der Lobgesang der himmlischen Heerscharen in der Heiligen Nacht: Gloria in altissimis Deo ...) und 19, 38 Vulgata (der Lobgesang der Jünger beim Einzug in Jerusalem: ... gloria in excelsis). Gradus ad Parnassum. «Stufen zum Parnaß» (in dem Sinne: «Aufstieg zur Musenkunst»). Der bildhafte, Musenkuß und Dichterlorbeer verheißende Titel einer im Jahre 1687 von dem Jesuiten Paul Aler herausgegebenen Materialiensammlung für das Dichten in lateinischer Sprache, zumal im epischen Versmaß der Vergilischen «Aeneis» und dem elegischen der Liebesdichter, ist in der Folge zur allgemeinen Bezeichnung für entsprechende Handreichungen geworden. Ein solcher «Gradus ad Parnassum» für die lateinische und dann auch die griechische Dichtersprache bot dem angehenden Musenjünger über die Angabe von Vokallängen und -kürzen
GUTTA
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hinaus eine reiche Fundgrube dichterischer Synonyme und Metaphern, geläufiger Wortverbindungen und originaler vielfach verwendbarer Halbund Viertelverse. Der phokische Parnaß war neben dem böotischen Helikon durch das an seinem Südabhang gelegene Apollonheiligtum von Delphi zum zweiten heiligen Berg der musischen Künste geworden. Graeca non leguntur. «Griechisches wird nicht gelesen.» Mit dieser stereotypen Notiz übergingen die mittelalterlichen Glossatoren und Kommentatoren des Corpus iuris civilis regelmäßig und wie selbstverständlich griechische Textpartien, für die keine lateinische Übersetzung vorlag: Die griechische Weltsprache des byzantinischen Reichs wurde im lateinischen Westen nicht mehr verstanden. Grammatici certant, et adhuc sub iudice lis est: siehe ... adhuc sub iudice lis est, oben S. 34. Gutta cavat lapidem. «Der Tropfen höhlt den Stein (aus)», mit unserem Sprichwort: «Steter Tropfen höhlt den Stein». Das vielzitierte lateinische Sprichwort erscheint in dieser schlichten Fassung zuerst bei Ovid, Briefe vom Pontus 4, 10, 5, an erster Stelle in einer Reihe entsprechender Bilder, darunter das «geflügelte» Tempus edax, unten S. 163. Zwei frühere Ausprägungen finden sich bereits bei Lukrez, De rerum natura 1, 313: Stillicidi casus lapidem cavat, «Das Fallen des Tropfenfalls höhlt den Stein aus», und 4, 1286f., am Ende des Buches, in zwei Hexametern: Nonne vides etiam guttas in saxa cadentes / umoris longo in spatio pertundere saxa?, «Siehst du denn nicht, wie sogar auf Felsen fallende Tropfen von Wasser in einem langen Zeitraum die Felsen durchbohren?» Ovid, Liebeskunst 1, 476, hat das Sprichwort in kunstvoller Verschränkung der Gegensätze in einen Pentameter gefaßt: Dura tamen molli saxa cavantur aqua, «Harte Felsen werden dennoch vom weichen Wasser ausgehöhlt». Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 774. Ein vielleicht noch spätantiker unbekannter Autor hat den Ovidischen Halbvers Gutta cavat lapidem ... zum vollen Hexameter ergänzt: ... non vi, sed saepe cadendo, «Der Tropfen höhlt den Stein (aus), nicht durch Gewalt, sondern durch häufiges Fallen», und ein sicher erst mittelalterlicher Autor hat einen zweiten Hexameter darauf gereimt: Sic addiscit homo, non vi, sed
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GUTTA
saepe legendo, «So lernt der Mensch hinzu, nicht durch Gewalt, sondern durch häufiges Lesen» (in: Werner, Sprichwörter, G 36).
Habemus papam. «Wir haben einen Papst.» Die rituelle Formel, mit welcher der erste Kardinaldiakon nach dem Abschluß des Konklaves die Wahl eines neuen Pontifex maximus und den Namen des Gewählten bekanntgibt, nach Augustinus Patricius, Rituum ecclesiasticorum sive sacrarum caerimoniarum SS. Romanae ecclesiae libri III, 1516, Nachdruck 1965, Band I, Sectio 1, 4, Blatt VII: Annuntio vobis magnum gaudium: Papam habemus, «Ich verkündige euch große Freude: Wir haben einen Papst». (Pro captu lectoris) habent sua fata libelli. «Je nach der Fassungskraft des Lesers haben die Büchlein ihre Schicksale» (in dem Sinne: «Je nachdem, wie der Leser sie zu verstehen vermag ...») Terentianus Maurus, De litteris, syllabis et metris 1286 (in: Keil, Grammatici Latini, Band VI, S. 363). Die Überlieferung hat drei ursprünglich selbständige Schriften über Buchstaben, über Silben und über Versmaße unter einem Gesamttitel zusammengefaßt; das Geflügelte Wort findet sich am Schluß der zweiten Schrift «Über die Silben». In den voraufgehenden Versen hat der spätantike Metriker die Kollegenschelte vorweggenommen – das Buch mache zu viele Worte, es bringe zu wenig Neues, es sei schwer verständlich –, um mit diesem ironischen Pro captu lectoris ... den Ball an die Herren Kritikaster zurückzuspielen. Der «geflügelte» zweite Halbvers wird heute zitiert in dem allgemeinen Sinne: «Die Bücher haben – wie die Menschen – ihre je verschiedenen Schicksale»; seit 1888 erscheint er als Devise des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Haec placuit semel, haec deciens repetita placebit: siehe ... deciens repetita placebit, oben S. 54.
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HANNIBAL
Hannibal ante portas. «Hannibal vor den Toren.» Nach der Wendung Hannibal ad portas, «Hannibal an den Toren (Roms)», zur Bezeichnung eines äußersten Notstandes, wie bei Cicero, 1. Philippische Rede 5, 11: Hannibal, credo, erat ad portas, «Hannibal, glaube ich, stand an den Toren», und De finibus 4, 9, 22: Si Hannibal ad portas venisset ..., «Wenn Hannibal an die Tore gekommen wäre ...» Nach den katastrophalen Niederlagen der Römer 217 v. Chr. am Trasimenischen See und 216 v. Chr. beim apulischen Cannae hatte Hannibal sozusagen «vor den Toren» der wehrlos preisgegebenen Hauptstadt gestanden. Mit Bezug auf den 2. Punischen Krieg selbst begegnet die Wendung bei Livius, Ab urbe condita 21, 16, 2: ... velut si iam ad portas hostis esset, «... wie wenn der Feind (nach dem Fall von Sagunt) schon an den Toren wäre». An einer späteren Stelle im gleichen Geschichtswerk, 23, 16, 2, bezieht sich die Wendung (cum Hannibal ad portas esset) auf die kampanische Stadt Nola östlich von Neapel. Vgl. Vincere scis, Hannibal, victoria uti nescis, unten S. 179. Hic / iacet / pulvis / cinis / et / nihil. «Hier liegt Staub, Asche und nichts.» Inschrift auf der Grabplatte des Kardinals Antonio Barberini (gestorben 1646), eines Bruders Papst Urbans VIII. Maffeo Barberini (1568–1644, Papst seit 1623), in der Kirche S. Maria della Concezione (oder dei Cappuccini) in Rom, am Boden des Mittelschiffs vor den Stufen zum Chor. Die Grabplatte enthält lediglich die sechs untereinander gesetzten Worte; sie nennt weder den Namen noch die Lebensdaten des Toten. Hic Rhodus, hic salta! «Hier ist Rhodos, hier spring!» Die entlarvende Schlußpointe aus der Äsopischen Fabel vom Prahler, Nr. 33 Perry, im griechischen Original: AÈtoË går ÑRÒdow ka‹ pÆdhma, «Denn hier ist Rhodos und dein Sprung». Ein Fünfkämpfer, der sich in seiner Heimat nie mit olympiaverdächtigen Leistungen hervorgetan hatte, prahlt nach der Rückkehr von einer Tournee mit seinen Erfolgen in anderen Städten; auf der Insel Rhodos sei er einmal sogar so weit gesprungen, daß nicht einmal die Olympiasieger es ihm hätten nachtun können. Da unterbricht einer seiner Landsleute den Prahler und fordert ihn mit dem seither «geflügelten» Zwischenruf auf, seinen Rekordsprung auf der Stelle vorzuführen. Die Quelle der lateinischen Version ist nicht nachgewiesen.
HOC SIGNO
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Hinc illae lacrumae! «Daher jene Tränen!» Terenz, Andria 126. Bei der Bestattungsfeier für Chrysis, eine Nachbarin zweifelhaften Rufes, begegnet der alte Simo deren überaus reizvoller (vermeintlicher) Schwester Glycerium; ihm wird plötzlich klar, daß die Tränen seines Sohnes Pamphilus nicht der Trauer um die Verstorbene, sondern vielmehr der Liebe zu der schönen Glycerium entspringen. Cicero, Rede für Caelius 25, 61, und Horaz, Episteln 1, 19, 41, zitieren das Wort bereits in dem heute geläufigen Sinne: «Das also ist der wahre Grund!» Hoc erat in votis: (modus agri non ita magnus ...) «Das war in meinen Gebeten: (ein Stück Land, nicht so sehr groß ...)» (in dem Sinne: «Das hatte ich mir gewünscht ...») Horaz, Satiren 2, 6, 1. Maecenas hatte dem Dichter auf das Erscheinen des ersten, ihm gewidmeten Satirenbuches hin ein – vergleichsweise bescheidenes – Landgut in den Sabinischen Bergen zum Geschenk gemacht; zum Dank dafür widmet Horaz ihm diese Satire, die das einfache, menschlich erfüllte Leben auf dem Landgut von der Hektik in der Hauptstadt abhebt und in der bekannten Parabel von Stadtmaus und Landmaus ausklingt. Hoc signo vinces. «Mit diesem Zeichen wirst du siegen» oder: «In diesem Zeichen ...» Nach Eusebios, Vita Constantini 1, 28: ToÊtƒ n€ka, «Mit diesem (Zeichen) siege!», in der lateinischen Übersetzung: Hoc signo victor eris, «Mit diesem Zeichen wirst du Sieger sein». Der Kirchenvater berichtet in seiner Biographie Konstantins des Großen, einem verherrlichenden Panegyricus, nicht aber in seiner «Kirchengeschichte», vor dem Feldzug gegen seinen Rivalen Maxentius im Jahre 312 n. Chr. sei dem späteren Kaiser, während er zum Gott seines Vaters betete und ihn anflehte, sich ihm zu offenbaren und ihm Beistand zu leisten, am hellichten Tag über der Sonne ein aus Licht gebildetes Kreuz mit der Inschrift «Mit diesem (Zeichen) siege!» erschienen. Unter dem Eindruck dieser Kreuzesvision und einer sie bekräftigenden Christusvision in der folgenden Nacht habe Konstantin seine Legionen unter dem Zeichen Christi in den Entscheidungskampf gegen Maxentius geführt; das Feldzeichen aus Gold und Edelsteinen, das sogenannte «Labarum», habe das Leidenssymbol des Kreuzes, das Siegessymbol des Kranzes und das aus den griechischen Buchstaben X
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HOC VOLO
(Chi) und R (Rho) gebildete Christusmonogramm gezeigt. Nach seinem epochemachenden Sieg über Maxentius an der Milvischen Brücke im Norden der Hauptstadt am 28. Oktober des Jahres 312 n. Chr. stiftete Konstantin den christlichen Gemeinden großartige Kirchenbauten und sicherte ihnen im folgenden Jahr 313 im sogenannten «Mailänder Toleranzedikt» Verschonung von Verfolgung zu. Hoc volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas. «Das will ich, so fordere ich es, anstelle eines Grundes stehe mein Wille.» Juvenal, Satiren 6, 223. Die auftrumpfende Schlußpointe eines Wortstreits aus der frauenfeindlichen, ehefeindlichen sogenannten «Weibersatire»: Die herrische Frau will ihren Mann bestimmen, einen Sklaven ohne Grund ans Kreuz schlagen zu lassen: «Er mag nichts getan haben, sei’s drum: Das will ich ...» Das Hoc volo, sic iubeo zitiert die Formel velitis, iubeatis ...?, «Wollt ihr, fordert ihr ...?», mit der die römischen Magistraten der Volksversammlung ein Gesetz zur Abstimmung vorlegten, vgl. zum Beispiel Cicero, Rede über das eigene Haus 17, 44; 30, 80; Rede gegen Piso 29, 72; Livius, Ab urbe condita 1, 46, 1 (vellent iuberentne), und öfter. Hodie mihi, cras tibi. «Heute (geschieht es) mir, morgen dir.» Nach dem apokryphen alttestamentlichen Buch Jesus Sirach, 38, 23 (22) Vulgata: Memor esto iudicii mei, sic enim erit et tuum: mihi heri et tibi hodie, «Sei eingedenk des Richtspruches über mich, denn so wird auch der deine sein: Mir (geschah es) gestern und dir (geschieht es) heute». Homo homini lupus. «Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.» Nach Plautus, Asinaria 495: Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit, «Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, kein Mensch, wenn er nicht weiß, wie dieser geartet ist». Die Situation in der Komödie ist vergleichsweise harmlos: Ein Kaufmann begründet gegenüber dem Sklaven Leonida seine Weigerung, diesem – als einem ihm Unbekannten – eine Geldsumme auszuhändigen. Symmachus, Briefe 9, 114, 1, zitiert den Komödiendichter Caecilius mit dem entgegengesetzten Wort Homo homini deus est, si suum officium sciat, «Der Mensch ist dem Menschen ein Gott, wenn er seine Verpflichtung kennt.» Vgl. Bellum omnium contra omnes, oben S. 44.
HUMANI
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Homo sum: humani nil a me alienum puto. «Ich bin ein Mensch: Nichts Menschliches nenne ich mir fremd.» Terenz, Heautontimorumenos 77. Der nachbarlich besorgte alte Chremes, der den neu zugezogenen Menedemus über den Gartenzaun hinweg auf dessen auffällige Selbstquälerei angesprochen hat, verwahrt sich gegen die abweisende Gegenfrage: «Hast du denn bei deinen eigenen Dingen so viel Zeit übrig, daß du dich um fremde kümmern kannst, Dinge, die dich doch gar nichts angehen?» Chremes pariert den Ausfall mit einer grotesken Übersteigerung: Als Mensch, der er sei, zähle er nichts «Menschliches», nichts, was Menschen betrifft, zum «Fremden». Der Vers geht wie das ganze Stück auf den griechischen Komödiendichter Menander zurück. Die Sentenz war allgemein geläufig; Zitate finden sich bei Cicero, De officiis 1, 9, 30 (Quamquam Terentianus ille Chremes humani nihil a se alienum putat); De legibus 1, 12, 33 (Quod si ... homines humani, ut ait poeta, nihil a se alienum putarent ...); Seneca, Briefe an Lucilius 95, 53 (Ille versus et in pectore et in ore sit: Homo sum ...); vgl. auch die Anspielungen auf den Terenzvers bei Juvenal, Satiren 15, 140ff., und Ambrosius, De officiis ministrorum 3, 7, 45. Der Kirchenvater Augustin, Briefe 155, 14, bezeugt, «ganze Theater voll gewöhnlicher, ungebildeter Leute» hätten diesem Komödienvers auf offener Szene Beifall geklatscht, und das sei nicht verwunderlich: So «natürlich» sei es, ut nullus ... hominum nisi cuiuslibet hominis proximum se esse sentiret, daß «kein Mensch sich nicht als den Nächsten jedes beliebigen anderen Menschen verstehe». Homo-mensura-Satz: siehe ÖAnyrvpow m°tron èpãntvn, «Der Mensch ist das Maß aller Dinge», oben S. 11. Horas non numero nisi serenas. «Ich zähle nur die heiteren Stunden.» Inschrift auf Sonnenuhren; die Quelle des Spruches ist nicht nachgewiesen. Humani nil a me alienum puto: siehe Homo sum, humani nil a me alienum puto, oben S. 82.
Ignoramus, ignorabimus. «Wir wissen es nicht, wir werden es nie wissen». Nach Emil Du Bois-Reymond, Über die Grenzen des Naturerkennens (1872/73), am Schluß: «In Bezug auf die Rätsel der Körperwelt ist der Naturforscher längst gewöhnt, mit männlicher Entsagung sein Ignoramus auszusprechen. Im Rückblick auf die durchlaufene siegreiche Bahn trägt ihn dabei das stille Bewußtsein, daß, wo er jetzt nicht weiß, er wenigstens unter Umständen wissen könnte und dereinst vielleicht wissen wird. In Bezug auf das Rätsel aber, was Materie und Kraft seien und wie sie zu denken vermögen, muß er ein für allemal zu dem viel schwerer abzugebenden Wahrspruch sich entschließen: Ignorabimus!» Improbe Amor, quid non mortalia pectora cogis! «Unersättliche Liebe, wozu nicht treibst du die sterblichen Herzen!» Vergil, Aeneis 4, 412, im Anschluß an eine teilnehmende Hinwendung des Dichters zu der karthagischen Königin Dido, die sich in ihrem verzweifelten Liebeswerben vor dem zum Aufbruch entschlossenen Aeneas demütigt. Vgl. die Abwandlung bei Prudentius, Hamartigenia 149: Improba mors, quid non mortalia pectora cogis?, «Unersättlicher Tod, wozu nicht treibst du die sterblichen Herzen?», und die entsprechenden Vergilverse: Quid non mortalia pectora cogis, / auri sacra fames, oben S. 41. In cauda venenum. «Im Schwanz (steckt) das Gift» (in dem Sinne: «Das dicke Ende kommt nach»). Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen. Das Bild deutet auf den Skorpion, der seinen Giftstachel am Schwanzende trägt.
IN MAGNIS
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In dubio pro reo. «Im Zweifelsfall (ist) zugunsten des Angeklagten (zu entscheiden).» Die geläufige Fassung der vielzitierten Regel geht offenbar nicht auf die Antike zurück. Das Prinzip ist im römischen Recht mehrfach belegt, so im Corpus iuris civilis, Digesten 42, 1, 38, wo der Jurist Paulus unter Berufung auf Kaiser Antoninus Pius erklärt, bei Stimmengleichheit im Richterkollegium solle pro reo, «für den Angeklagten», entschieden werden (ein entsprechendes Verfahren bezeugen für das griechische Recht bereits die unter dem Namen des Aristoteles überlieferten «Problemata», 29, 13. 951 a 20ff.), und Digesten 48, 19, 5, wo Ulpian sich auf Trajan beruft: «Denn es sei besser, wenn die Tat eines Schuldigen unbestraft bleibe, als wenn ein Unschuldiger verurteilt werde». Vgl. auch die Regel des Juristen Gaius, Digesten 50, 17, 125: Favorabiliores rei potius quam actores habentur, «Eher zu begünstigen sind die Angeklagten, eher als die Ankläger, wie man meint» (vgl. auch Marcellus, Digesten 50, 17, 192), sowie ihre Wiederaufnahme bei Bonifatius VIII., Liber sextus decretalium 5, 12, 11: Cum sunt partium iura obscura, reo favendum est potius quam actori, «Wenn die Rechtsgründe der Parteien unklar sind, ist der Angeklagte eher zu begünstigen als der Ankläger». In dulci iubilo. «In süßem Jubel.» Die lateinischen Anfangsworte eines zuerst im 14. Jahrhundert bezeugten lateinisch-deutschen Weihnachtsliedes: «In dulci iubilo – Nun singet und seid froh ...» Die Worte werden heute vielfach zitiert im Sinne von «in Saus und Braus». (Quod si deficiant vires, audacia certe / laus erit:) In magnis et voluisse sat est. «(Wenn auch die Kräfte versagen, die Kühnheit wird sicher ein Ruhm sein:) In großen Dingen ist auch, (nur) gewollt zu haben, (schon) genug.» Properz, Elegien 2, 10, 5f. Der Liebesdichter Properz kündigt in dem Gedicht eine – dann nicht vollzogene – Wendung von der erotischen elegischen zur heroischen epischen Dichtung an. Zwei Abwandlungen finden sich in dem anonymen, unter Tibulls Elegien (3, 7) überlieferten «Panegyricus auf Messalla», Vers 2ff., besonders Vers 7: Est nobis voluisse satis, «Uns ist, (nur) gewollt zu haben, (schon) genug», und in dem gleichfalls anonymen «Lobgedicht auf Piso» («Laus Pisonis») 215: At voluisse sat est, «Aber (nur) gewollt zu haben, ist (schon) genug». Vgl. das Ovidische Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas, unten S. 172.
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IN MEDIAS
In medias res. «Mitten in die Dinge hinein.» Horaz, Ars poetica 148. Horaz erklärt, der gute Dichter eines heroischen Epos werde wie der alte Homer den Trojanischen Krieg nicht gemino ... ab ovo, «vom Zwillings-Ei» der Leda, und damit von der Geburt der Helena her zu erzählen beginnen (vgl. Ab ovo, oben S. 32), sondern seine Hörer sogleich im Eilschritt mitten in die Handlung des Epos hineinführen: Semper ad eventum festinat et in medias res / non secus ac notas auditorem rapit, «Immer dem Ausgang (der Handlung) entgegen eilt er, und mitten in die Dinge hinein, nicht anders, als seien sie bereits bekannt, reißt er den Zuhörer mit sich fort». In necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas. «In den notwendigen Dingen Einigkeit, in den umstrittenen Freiheit, in allen Liebe.» Nach Rupertus Meldenius, Paraenesis votiva pro pace ecclesiae ad Theologos Augustanae Confessionis (ohne Ort und Jahr in Rottenburg im Jahre 1626 gedruckt; ein Abdruck im Anhang zu: Friedrich Lücke, Über das Alter, den Verfasser ... des kirchlichen Friedensspruches In necessariis ..., 1850): Si nos servaremus in necessariis unitatem, in non necessariis libertatem, in utrisque caritatem, optimo certe loco essent res nostrae, «Wenn wir bewahrten in den notwendigen Dingen Einigkeit, in den nicht notwendigen Freiheit, in beiden Liebe, wären unsere Dinge gewiß am besten Orte». Hinter dem anagrammatischen Pseudonym Rupertus Meldenius verbirgt sich der Ephorus des Kollegiums bei St. Anna in Augsburg Petrus Meuderlinus (auch Meiderlinus). Vgl. dazu Gustav Krüger, Über den Friedensspruch In necessariis ..., Theologische Studien und Kritiken 100, 1927/28, S. 154ff. In partibus infidelium (i. p. i.) «In den Gebieten der Ungläubigen.» Ein Zusatz zum Titel der Bischöfe und Erzbischöfe, die der Papst auch für die an die «Ungläubigen», zumal die Araber, wieder verlorengegangenen Bistümer weiterhin einsetzte. Die erstmals im 7. Jahrhundert belegte Formel wurde von Papst Leo XIII. im Jahre 1882 abgeschafft; seither heißen die auf diese erloschenen Bistümer in partibus infidelium geweihten Bischöfe und Erzbischöfe «Titularbischöfe» beziehungsweise «Titularerzbischöfe».
INFANDUM
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In tyrannos! «Wider die Tyrannen!» Die Legende der Titelvignette für Schillers Schauspiel «Die Räuber». Die Vignette erschien zuerst in der «Zwoten verbesserten Auflage», die Tobias Löffler im Jahre 1782 in Mannheim (mit den fingierten Verlagsorten Frankfurt und Leipzig) herausbrachte. Weder das Bild der Vignette, ein zum Sprung ansetzender Löwe, noch ihre Legende sind von Schiller veranlaßt gewesen. In vino veritas. «Im Wein (ist) Wahrheit.» Die lateinische Version eines bei Zenobios 4, 5 (in: Leutsch-Schneidewin, Paroemiographi Graeci, Band I, S. 85) zitierten griechischen Sprichworts: ÉEn o‡nƒ élÆyeia, «Im Wein (ist) Wahrheit». Die Quelle der lateinischen, durch den gleichen Anlaut einprägsamen Version ist nicht nachgewiesen. Der Locus classicus für die Verknüpfung des Weines mit der Wahrheit ist ein Vers des Alkaios (Fragment 366 Voigt), den Theokrit, Idyllen 29, 1, ohne Nennung eines Autors anführt: O‰now, Œ f€le pa›, l°getai, ka‹ élãyea, «Wein, liebes Kind, wird gesagt, ist auch Wahrheit». Plinius der Ältere, Naturgeschichte 14, 141, nennt die Verbindung «volkstümlich»: ... vulgoque veritas iam attributa vino est, «... und schon im Volksmund ist die Wahrheit dem Wein zugeschrieben». Platon, Symposion 217 E, läßt den weinselig in später Stunde auftretenden Alkibiades in der Rede, in der er sich zu seiner Liebe zu Sokrates bekennt, auf das Sprichwort anspielen. Inesse quin etiam sanctum aliquid et providum putant ... «Ja, sie (die Germanen) glauben sogar, daß ihnen (den Frauen) etwas Heiliges und Voraussehendes innewohne ...» Tacitus, Germania 8, 2. Tacitus berichtet an der Stelle mit unverhohlener Verwunderung von der Wertschätzung der Frauen bei den Germanen; er fährt fort: ... nec aut consilia earum aspernantur aut responsa neglegunt, «... und weder verschmähen sie ihren Ratschlag noch gehen sie über ihren Bescheid hinweg». Infandum, regina, iubes renovare dolorem. «Unsägliches Leid, Königin, heißest du mich erneuern.» Vergil, Aeneis 2, 3; der aus dem zerstörten Troja flüchtige, in Karthago gastlich aufgenommene Aeneas zu der karthagischen Königin Dido, als diese ihn auffordert, vom Untergang Trojas und seinen Irrfahrten zu berichten. Vgl. das wenige Verse später fol-
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INQUIETUM
gende Quamquam animus meminisse horret luctuque refugit, / incipiam, unten S. 95. (... quia fecisti nos ad te et) inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te. «(... weil du uns zu dir hin geschaffen hast, und) unser Herz unruhig ist, bis es Ruhe findet in dir.» Augustin, Bekenntnisse 1, 1, 1. Der Schluß des Werkes, 13, 38, 53, greift auf den Anfang zurück: Tu autem bonum nullo indigens bono semper quietus es, quoniam tua quies tu ipse es, «Du aber, das Gute, das (weiter) keines Guten bedarf, bist immer ruhig, da ja deine Ruhe du selbst bist». Integer vitae scelerisque purus / (non eget Mauris iaculis neque arcu ...) «Wer unangetastet ist in seiner Lebensführung und von (jeglichem) Verbrechen rein, (der bedarf nicht maurischer Wurfspieße noch eines Bogens ...)» Horaz, Oden 1, 22, 1f. Der Dichter sieht den schuldlosen, musischen Menschen unter den Schutz der Götter und besonders der Musen gestellt, und ein im Fortgang der Ode so bedeutsam wie ironisch geschildertes Rettungserlebnis bestätigt ihn darin: Ein kapitaler Wolf habe im Sabinischen Wald, während der Dichter seine geliebte Lalage besang und über den Grenzstein hinaus geraten war, vor ihm, dem Unbewaffneten, Reißaus genommen – ein monströses Ungeheuer, wie nicht einmal die Wälder Apuliens es hervorbringen noch die Wüste Afrikas, «die trockene Nährerin der Löwen» ... Inter faeces et urinas nascimur. «Zwischen Kot und Urin werden wir geboren.» Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen. Interim fit aliquid. «Inzwischen geschieht irgend etwas.» Nach Terenz, Andria 314: Interea fiet aliquid, spero, «Inzwischen wird irgend etwas geschehen, hoffe ich». Der junge Charinus zu seinem Sklaven Byrria, zur Begründung seines Versuchs, die angekündigte Vermählung seiner Geliebten Philumena mit seinem Freund Pamphilus noch einige Tage hinauszuzögern. Ipse dixit: siehe AÈtÚw ¶fa, «Er hat es selbst gesagt», oben S. 13.
IURARE
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Iucundi acti labores. «Erfreulich sind (früher einmal) durchgestandene Anstrengungen» oder: «... durchgestandene Gefahren». Cicero, De finibus bonorum et malorum 2, 32, 105, dort eingeführt mit der Wendung Vulgo enim dicitur: ..., «Denn im Volk sagt man: ...» Cicero zitiert die sprichwörtlich geläufige Sentenz als eine erste Antwort auf die voraufgehende rhetorische Frage: Quid, si etiam iucunda memoria est praeteritorum malorum? «Wie, wenn die Erinnerung an vorübergegangene Übel sogar noch erfreulich ist?» Als eine zweite, dichterische Antwort läßt Cicero einen «nicht schlechten» Vers aus der «Andromeda» des Euripides folgen, erklärtermaßen in eigener Übersetzung: Suavis laborum est praeteritorum memoria, «Angenehm ist die Erinnerung an vorübergegangene Anstrengungen». Das, wie es an der Stelle heißt, «allen bekannte» griechische Original (in: Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Fragment 133) lautet: ÉAllÉ ≤dÊ toi svy°nta memn∞syai pÒnvn, «Aber angenehm ist es doch, einmal gerettet, sich der Anstrengungen zu erinnern». Vgl. das Vergilische Forsan et haec olim meminisse iuvabit, oben S. 73. (Nullius addictus) iurare in verba magistri. «(Nicht sklavisch gebunden), auf die Worte irgendeines Meisters zu schwören.» Horaz, Episteln 1, 1, 14. In der Widmung seiner poetischen «Briefe» an Maecenas bekennt sich Horaz zur Unabhängigkeit von den Lehren der großen Philosophenschulen; er fühle sich nicht addictus, «sklavisch gebunden», auf die Worte irgendeines Meisters zu schwören. Die Wendung iurare in verba magistri ist heiter ironisch von dem Eid übertragen, den die oft aus dem Sklavenstand rekrutierten Gladiatoren dem Fechtmeister der Gladiatorenschule nachzusprechen hatten, vgl. Petron, Satiricon 117, 5: In verba Eumolpi iuravimus: uri, vinciri, verberari ferroque necari ..., «Wir haben auf die Worte des Eumolpus geschworen: uns brennen, fesseln, prügeln, mit dem Schwert totschlagen ... zu lassen». Nullius in verba, «auf die Worte keines (Meisters eingeschworen)», ist das Motto der 1660 gegründeten Royal Society, der ältesten englischen Akademie der Wissenschaften. Vgl. Alterius non sit, qui suus esse potest, oben S. 36.
Labor omnia vicit / (improbus et duris urgens in rebus egestas). «Mühsal bezwang alles, unersättlich, und die in harten Zeiten bedrängende Bedürftigkeit», vielfach zitiert in der Form Labor omnia vincit, «Anstrengung bezwingt alles». Vergil, Georgica 1, 145f. Vergil schildert an der Stelle, Vers 118ff., den Wechsel von der paradiesischen Goldenen Zeit unter Saturns Regiment zu den folgenden härteren Weltaltern unter Jupiters Herrschaft. Jupiter drängt die üppige Fruchtbarkeit der Goldenen Zeit zurück und fordert den Erfindungsgeist des Menschengeschlechts heraus; er wollte nicht dulden – so die Vergilische Deutung des Mythos –, daß das Menschengeschlecht «in schwerer Altersträgheit erstarre». Die ersten, allmählich aufkommenden Künste, Ackerbau, Schifffahrt und Himmelsbeobachtung, Jagd und Fischfang, Bergbau und Schmiedehandwerk werden in einprägsamen Bildern berührt; die Schilderung gipfelt in dem «geflügelten» Labor omnia vicit ..., in dem Sinne: «Schwere Mühsal, unaufhaltsam um sich greifend, gewann Herrschaft über alles ...» Bei Macrobius, Saturnalien 5, 16, 7, figuriert das Wort unter den Vergilzitaten, die «sprichwörtlich in aller Munde» seien (vice proverbiorum in omnium ore funguntur); dort erscheint es erstmals in der präsentischen Form Labor omnia vincit und damit im Sinne des Allgemeinplatzes «Anstrengung bezwingt alles». Das gleichfalls Vergilische, gleichfalls dort genannte Omnia vincit Amor, «Alles bezwingt die Liebe» (unten S. 118) mag zu dem verflachenden Mißverständnis beigetragen haben, das sich seither, nicht zuletzt für den Schulgebrauch, allgemein durchgesetzt hat. Latet anguis in herba. «Verborgen liegt eine Schlange im Grase.» Vergil, Bucolica 3, 93; eine «bukolische» Warnung vor einer verborgenen Gefahr:
LUCUS
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«Die ihr hier Blumen sammelt und am Boden wachsende Erdbeeren: Kalt – o Knaben, flieht von hier! – liegt verborgen eine Schlange im Grase.» Laudator temporis acti. «Ein (steter) Lobredner der vergangenen Zeit.» Horaz, Ars poetica 173. Horaz schildert die Eigenheiten der verschiedenen Lebensalter; den senex, den «Alten», nennt er nach Aufzählung von allerhand anderen wenig schätzenswerten Eigenschaften «schwierig, nörglerisch, einen steten Lobredner der vergangenen Zeit, in der er aufgewachsen ist, einen strengen Zuchtmeister und Zensor der Jüngeren». Licentia poetica: siehe Poetica licentia, unten S. 129. Longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla. «Lang ist der Weg über Vorschriften, kurz und wirkungsvoll über Beispiele (in dem Sinne: über Vorbilder).» Seneca, Briefe an Lucilius 6, 5. Seneca gibt hier der viva vox, der «lebendigen Stimme» eines Lehrers, und dem Zusammenleben mit ihm den Vorzug vor dem bloßen Lehrvortrag: Der Stoiker Kleanthes hätte nicht so tief von Zenon von Kition geprägt sein können, wenn er den Gründer der Schule nur gehört und nicht zugleich an seinem Leben teilgenommen hätte. Vgl. Verba docent, exempla trahunt, unten S. 177, und Viva vox, unten S. 180. Lucus a non lucendo. Eine unübersetzbare Worterklärung: «Hain (lucus) nach dem Nicht-hell-Sein (a non lucendo).» Nach Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 1, 6, 34: Etiamne a contrariis aliqua sinemus trahi, ut lucus, quia umbra opacus parum luceat, et ludus, quia sit longissime a lusu ...? «Werden wir etwa manche Wörter auch aus dem Gegenteil sich herleiten lassen, wie den ‹Hain› (lucus), weil er, vom Schatten dunkel, nur wenig Licht hat (luceat), und die ‹Schule› (ludus), weil sie am weitesten vom Spiel (a lusu) entfernt ist?» Der spätantike Vergilkommentator Servius erklärt zu Aeneis 1, 22: Dictae sunt Parcae katÉ ént€frasin, quod nulli parcant, sicut lucus a non lucendo, bellum a nulla re bella, «Die Parzen (Parcae) sind im Sinne einer (euphemistischen) Verkehrung benannt, weil sie niemanden verschonen (parcant), wie der Hain (lucus) nach dem Nicht-hell-Sein (a non lucendo), der Krieg (bellum), weil er keine schöne (bella) Sache ist». Lucus, «Hain»,
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LUPUS
leitet sich tatsächlich von lucere, «leuchten», her; das Wort bezeichnet eigentlich eine «Lichtung» und ist von da auf den sie umgebenden «Hain» übertragen worden. Vgl. die hie und da zitierte entsprechende Ableitung Canis a non canendo, «Hund (canis) nach dem Nicht-Singen (a non canendo)», in scherzhafter Verkehrung einer von Varro, De lingua Latina 7, 32, gegebenen Worterklärung vom «Signal-Blasen» (signa canere) der Wachhunde. Lupus in fabula. «Der Wolf in der Geschichte.» So zuerst bei Terenz, Adelphoe 537; der Sklave Syrus zu dem jungen Ctesipho, während die beiden sich über den alten Demea lustig machen und ebendieser Demea unversehens auftritt. Ähnlich schon bei Plautus, Stichus 577: Eccum tibi lupum in sermone!, «Sieh, da hast du den Wolf im Gespräch!» Vgl. Cicero, Briefe an Atticus 13, 33a, 1: De Varrone loquebamur: lupus in fabula. Venit enim ad me ..., «Wir sprachen von Varro: Der Wolf in der Geschichte. Denn er kam zu mir ...» Ihren Ursprung hat die sprichwörtliche Wendung in dem alten Aberglauben, man locke den Wolf, den Teufel oder sonst ein Unglück herbei, wenn man von ihm spreche. Das griechische Sprichwort Efi ka‹ lÊkou §mnÆsyhw ... (bei Diogenianos 4, 64, in: Leutsch-Schneidewin, Paroemiographi Graeci, Band I, S. 241) bricht denn auch mitten im Satz ab, um die üblen Folgen gar nicht erst zu nennen: «Wenn du vom Wolf sprichst ...» Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 988.
Manum de tabula! «Die Hand von der Tafel!» (in dem Sinne: «Jetzt die Hände davon lassen! Jetzt aufhören!»). Nach einer bei Plinius dem Älteren, Naturgeschichte 35, 80, angeführten Anekdote: «(Der berühmte griechische Maler) Apelles sagte, in allem sei er allenfalls gleich gut wie (der ebenso berühmte) Protogenes oder jener sei sogar besser; aber in dem einen sei er jenem voraus: daß er (zur rechten Zeit) die Hand von der (Mal-)Tafel zu nehmen wisse, nach der beherzigenswerten Regel, daß allzu große Sorgfalt oft schade» (... quod manum de tabula sciret tollere, memorabili praecepto nocere saepe nimiam diligentiam). Cicero, Orator 22, 73, spielt auf den Ausspruch an: Wenn auch jedes Ding sein Maß habe, verletze das Zuviel doch mehr als das Zuwenig; Apelles habe öfter bemerkt, dagegen verstießen auch die Maler, die nicht merkten, was genug sei. Das Zitat bei Cicero, Briefe an Freunde 7, 25, 1, läßt auf eine geläufige Übertragung der sprichwörtlichen Wendung von der Maltafel auf die Schultafel schließen: Sed heus tu, manum de tabula! Magister adest citius quam putaramus, «Aber he du, die Hand von der Tafel! Der Lehrer ist schneller da, als wir gedacht hatten.» Petron, Satiricon 76, 9, bezeugt den geläufigen Gebrauch der Wendung: «Als ich anfing, mehr zu haben, als meine ganze Vaterstadt hat: Die Hand von der Tafel (manum de tabula)!» Manus manum lavat. «Die eine Hand wäscht die andere.» Seneca, Apocolocyntosis 9, 6, und Petron, Satiricon 45, 13. Die lateinische Version eines griechischen Sprichworts. Das griechische Original ist in zwei Komödienversen überliefert: in einem Vers des Epicharm (angeführt in dem unter Platons Namen laufenden Dialog «Axiochos», 366 C; in: DielsKranz, Fragmente der Vorsokratiker, Fragment 30): ÑA d¢ xe‹r tån xe›ra
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MASSA
n€zei: dÒw ti ka‹ lãboiw t€ ka, «Die eine Hand wäscht die andere; gib etwas, und du bekommst auch etwas», und in einem Vers des Menander, Sentenzen 832 Jäkel: Xe‹r xe›ra n€ptei, dãktuloi d¢ daktÊlouw, «Die eine Hand wäscht die andere, die einen Finger die anderen». Massa perditionis, (unde electi sumus). «Die Masse der Verdammnis, (aus der wir erwählt sind).» Augustin, Predigten 26, 12, 13 (in: Migne, Patrologia Latina, Band 38, Spalte 177) und öfter, neben massa peccati, massa irae, massa damnata, «Masse der Sünde», «Masse des Zorns», «verdammte Masse». Augustin bezieht die genannten Abwandlungen mehrfach auf Paulus, Brief an die Römer 9, 21 Vulgata: An non habet potestatem figulus luti ex eadem massa facere aliud quidem vas in honorem, aliud vero in ignominiam?, «Hat denn der Töpfer nicht die Macht, aus demselben Klumpen Ton das eine Gefäß zur Ehre, das andere dagegen zur Schande zu machen?» Vgl. besonders Enchiridion sive De fide, spe et caritate 1, 99. Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa. «Meine Schuld, meine Schuld, meine übergroße Schuld.» Die Schlußformel aus dem Schuldbekenntnis, dem «Confiteor», der katholischen Messe. Media vita in morte sumus. «Mitten im Leben sind wir im Tod.» Der Anfang einer anonymen, seit dem 17. Jahrhundert irrig Notker Balbulus zugeschriebenen Antiphon aus dem 10. oder 11. Jahrhundert. Martin Luther hat dem Wort in den Vorlesungen über Psalm 90 und über 1. Mose (Weimarer Ausgabe, Band 40 III, Seite 496, und Band 43, Seite 218f.) die gerade Umkehrung gegenübergestellt: Media morte in vita sumus, «Mitten im Tod sind wir im Leben.» Vgl. auch Luthers Kirchenlied «Mitten wir im Leben sind / mit dem Tod umfangen ...» Medicus curat, natura sanat. «Der Arzt behandelt, die Natur heilt.» Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen. Medio tutissimus ibis. «In der Mitte wirst du am sichersten gehen.» Ovid, Metamorphosen 2, 137. Der Sonnengott weist seinem Sohn Phaëthon, der sich für diesen einen Tag die Lenkung des Sonnenwagens auserbeten hat,
MENS AGITAT
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den für die Welt und seinen Sohn «sichersten» Weg: nicht zu hoch, daß er nicht den Himmel, und nicht zu tief, daß er nicht die Erde verbrenne. Vgl. den alten Weisheitsspruch M°tron êriston, «Das Maß ist das Beste», oben S. 21, und die Horazische Aurea mediocritas, oben S. 41. Memento mori. «Sei dir allzeit bewußt, daß du (einmal) sterben wirst.» Die Quelle der lateinischen Prägung, die in ihrer Knappheit an frühgriechische Weisheitssprüche erinnert, liegt im Dunkeln. Vgl. jedoch die bei Tertullian, Apologeticum 33, 4, angeführte Mahnung an den Imperator auf dem Triumphwagen, die ein Staatssklave, während er die schwere, aus Gold und Edelsteinen gefertigte Triumphkrone über das Haupt des Triumphators hielt, diesem zu den Beifallsrufen des Volkes ins Ohr zu flüstern hatte: Respice post te, hominem te memento!, «Sieh hinter dich, sei dir allzeit bewußt, daß du ein Mensch bist!» Zugrunde liegt letztlich die delphische Mahnung Gn«yi seautÒn, «Erkenne dich selbst!», oben S. 13, und ihre lateinische Version Nosce te ipsum!, unten S. 111. Vgl. den brillant geschliffenen Grabspruch Ut moriens viveret, vixit ut moriturus, unten S. 172. (Quamquam animus) meminisse horret (luctuque refugit, / incipiam). «(Wie sehr auch mein Sinn) schaudert, sich zu erinnern, (und in Trauer davor zurückweicht, so will ich doch beginnen).» Vergil, Aeneis 2, 12f.; der vor der Küste von Karthago schiffbrüchig gewordene, von der Königin Dido gastfreundlich empfangene Aeneas am Anfang seiner Erzählung vom Untergang seiner Vaterstadt. Seneca läßt die Vergilverse in seiner Tragödie «Agamemnon», 417f., mit entsprechendem Bezug am Anfang eines Botenberichts vom Untergang Trojas anklingen: Refugit loqui / mens aegra tantis atque inhorrescit malis, «Es scheut zurück zu sprechen mein kranker Sinn und erschaudert vor so großem Unglück». Plinius der Jüngere, Briefe 6, 20, 1, zitiert die Verse, leicht verkürzt, am Anfang seines zweiten an den Historiker Tacitus gerichteten Augenzeugenberichtes über den Vesuvausbruch 79 n. Chr.: Quamquam animus meminisse horret, ... incipiam. Vgl. das voraufgehende Infandum, regina, iubes renovare dolorem, oben S. 87. Mens agitat molem. «Der Geist bewegt die Masse.» Vergil, Aeneis 6, 726f.: ... totamque infusa per artus / mens agitat molem et magno se corpore miscet,
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MENS SANA
«... und hingegossen über die Glieder bewegt der Geist die ganze Masse und mischt sich mit dem großen Körper». Der tote Anchises zu seinem in die Unterwelt hinabgestiegenen Sohn Aeneas, am Anfang seiner Erklärungen zum himmlischen Ursprung der Seelen und zu ihrer Einkörperung, Läuterung und Wiedereinkörperung. (Orandum est, ut sit) mens sana in corpore sano. «(Bitten sollen wir allenfalls, daß) ein gesunder Sinn in einem gesunden Leib (wohne).» Juvenal, Satiren 10, 356. Juvenal rät, wir unwissenden Menschen sollten es den allwissenden Göttern überlassen zu erwägen, was für uns jeweils das Passende und das Nützliche sei, und sie im Gebet, wenn überhaupt um irgend etwas Besonderes, allenfalls um «einen gesunden Sinn in einem gesunden Leib» bitten. Der Gedanke war geläufig; vgl. den Stoßseufzer des Dichters Eumolpus bei Petron, Satiricon 88, 8: Ac ne bonam quidem mentem aut bonam valetudinem petunt ..., «Und sie bitten nicht einmal um eine gute Sinnesart oder um eine gute Gesundheit ...» Seiner Ursprungsstelle entflogen, wird das Wort seit dem Aufkommen der Turnbegeisterung im frühen 19. Jahrhundert vielfach in dem Sinne zitiert (und über Turnhallenportale gesetzt), daß zu einem «gesunden Geist» ein entsprechend «gesunder Körper» gehöre. Meum est propositum in taberna mori ... «Mein Vorsatz ist, in einer Taverne zu sterben ...» Archipoeta, Gedichte 10 («Vagantenbeichte»), Strophe 12. Die Strophe lautet weiter: ... ut sint vina proxima morientis ori. / Tunc cantabunt l(a)etius angelorum chori: / Sit Deus propitius huic potatori, «... daß die Weine ganz nahe sind dem Mund des Sterbenden. Dann werden fröhlicher die Engelschöre singen: Sei Gott diesem Trinker gnädig!» Miles gloriosus. «Der ruhmredige Soldat.» Titel einer Plautinischen Komödie. Wie Plautus den Sklaven Palaestrio in Vers 86f. erklären läßt, trug die griechische Vorlage der Komödie den Titel ÉAlaz≈n, «Der Aufschneider», «wofür wir auf lateinisch (Miles) gloriosus sagen». Militat omnis amans (et habet sua castra Cupido). «Kriegsdienst leistet jeder Liebende, (und auch Cupido hat seine Heerlager).» Ovid, Amores 1, 9, 1; die erste Hälfte des Hexameters ist in der zweiten Hälfte des folgen-
MISERA
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den Pentameters wiederholt. Die überraschende, ja herausfordernde These ist Auftakt und Thema einer reizvollen Elegie, in der Ovid den Liebesdienst unter dem Regiment der Venus und des Cupido, des Amor, unter vielerlei verschiedenen militärischen und mythologischen Aspekten als das genaue Spiegelbild des Kriegsdienstes unter dem Regiment des Mars beschreibt. Minima non curat praetor. «Um Geringfügiges kümmert sich der Prätor nicht» (in dem Sinne: «In Bagatellsachen treffen die Gerichte keine Entscheidungen»). Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen. Zur Sache vgl. Kallistratos im Corpus iuris civilis, Digesten 4, 1, 4: Scio illud a quibusdam observatum, ne propter satis minimam rem vel summam, si maiori rei vel summae praeiudicetur, audiatur is, qui in integrum restitui postulat, «Ich weiß, daß von manchen diese Regel beobachtet worden ist: daß wegen einer vergleichsweise geringfügigen Sache oder Summe, wenn (damit) für eine größere Sache oder Summe ein Präjudiz geschaffen werden könne, derjenige nicht gehört werden solle, der die Wiedereinsetzung in den ursprünglichen Besitzstand fordert». Die knappe Prägung der Rechtsregel folgt Cicero, De natura deorum 2, 66, 167: Magna di curant, parva neglegunt, «Um Großes kümmern sich die Götter, Kleines lassen sie außer acht», sowie 3, 35, 86: At enim minora di neglegunt ..., ne in regnis quidem reges omnia minima curant, «Aber ja doch: Kleineres lassen die Götter außer acht ..., nicht einmal in Königreichen kümmern sich die Könige ja um alle Kleinigkeiten». Der Gedanke hat griechischen Ursprung; vgl. das bei Plutarch, De cohibenda ira 16. 464 A und Praecepta gerendae rei publicae 15. 811 D, angeführte Zitat aus einer Euripideischen Tragödie (in: Nauck, Fragmenta Tragicorum Graecorum, Fragment 974): T«n êgan går ëptetai / yeÒw, tå mikrå dÉ efiw tÊxhn éfe‹w §ò, «Denn die ganz großen Dinge packt (der Gott) an, die kleinen übergeht er und überläßt sie dem Zufall». Vgl. das sinnverwandte Sprichwort Aquila non captat muscas, «Ein Adler fängt keine Fliegen», oben S. 39. Misera plebs. «Das armselige Volk.» Vielleicht aus Horaz, Satiren 1, 8, 10 (miserae plebi), wo der Ausdruck sich auf die armen, wenn auch freien Bürger bezieht.
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MONUMENTUM
Monumentum aere perennius: siehe Exegi monumentum aere perennius, oben S. 68. (Ave, imperator,) morituri te salutant. «(Heil, Imperator,) die sterben werden, grüßen dich.» Sueton, Claudius 21, 6; der Gruß der Gladiatoren, die zu dem Schauspiel einer Seeschlacht zwischen zwölf «sizilischen» und zwölf «rhodischen» Kriegsschiffen auf dem Fucinersee östlich von Rom angetreten waren, an Kaiser Claudius. Als Claudius darauf Aut non, «Oder nicht», erwiderte, verstanden die zu dem Schaukampf Verurteilten das leichthin gesprochene Wort zunächst als eine Begnadigung und weigerten sich zu kämpfen; erst nachdem der Kaiser persönlich mit Drohungen und Mahnungen eingegriffen hatte, konnte die Seeschlacht schließlich beginnen. Mors certa, hora incerta. «Der Tod ist gewiß, die Stunde ungewiß.» Inschrift auf Uhren, so auf der Uhr am neuen Rathaus von Leipzig. Die lapidare geflügelte Fassung des seit alters geläufigen Gedankens ist vorgeprägt bei Augustin, Enarratio in psalmum 38, 19 (in: Migne, Patrologia Latina, Band 36, Spalte 428), am Ende eines Katalogs von vielerlei Ungewißheiten im Menschenleben: Quocumque te verteris, incerta omnia; sola mors certa. ... Natus es: Certum est, quia morieris, et in hoc ipso, quia mors ipsa certa est, dies mortis incertus est. Inter haec incerta, ubi sola mors certa, cuius etiam hora incerta ..., omnis homo vivens vane conturbatur, «Wohin du dich wendest, alles ist ungewiß; einzig der Tod ist gewiß. ... Gewiß ist, daß du sterben wirst, und eben darin, daß der Tod selbst gewiß ist, ist doch der Tag des Todes ungewiß. Zwischen all diesen Ungewißheiten, wo einzig der Tod gewiß ist, von dem sogar die Stunde ungewiß ist ..., wird jeder Mensch sein Leben lang nichtig umgetrieben». Vgl. die entsprechende Uhreninschrift Ultima latet, unten S. 168. Mulier taceat in ecclesia. «Die Frau soll in der Gemeinde schweigen.» Nach Paulus, 1. Brief an die Korinther 14, 34 Vulgata: Mulieres in ecclesiis taceant, «Die Frauen sollen in den Gemeindeversammlungen schweigen». Multum, non multa. «Viel, nicht vielerlei» (im Lateinischen steht dem Singular multum, «viel», der Plural multa, «viele Dinge», gegenüber). Nach
MUTATO
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Plinius dem Jüngeren, Briefe 7, 9, 15: Tu memineris sui cuiusque generis auctores diligenter eligere! Aiunt enim multum legendum esse, non multa, «Sei du nur darauf bedacht, deine Vorbilder in jeder Gattung sorgfältig auszuwählen! Es heißt ja, man solle viel lesen, nicht vielerlei». Vgl. Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 10, 1, 59: Optimis adsuescendum est et multa magis quam multorum lectione formanda mens et ducendus color, «Mit den besten (Autoren) müssen wir uns vertraut machen und eher dadurch, daß wir viel, als daß wir viele lesen, unseren Geist bilden und Farbe gewinnen». Mundus vult decipi. «Die Welt will betrogen werden.» Martin Luther führt das Wort in seiner Predigt vom 24. Januar 1529 (Weimarer Ausgabe, Werke, Band 29, S. 40) als ein «wahres Sprichwort» auf lateinisch, in der Schrift «Der Prophet Sacharja ausgelegt», 1527 (Band 23, S. 571) mit der Einführung «wie man vor Zeiten sprach» in deutscher Übersetzung an. An der erstgenannten Stelle fährt Luther fort «Ich wil dazu helffen», eine Wendung, die dann in der ironischen Schlußfolgerung ... ergo decipiatur, «... also werde sie betrogen», sprichwörtlich geläufig wurde. Die deutsche Version „Die Weltt die will betrogen syn» erscheint bereits bei Sebastian Brant, Narrenschiff (1494, S. 65 Zarncke). Munera, crede mihi, capiunt hominesque deosque. «Geschenke, glaube es mir, nehmen Menschen und Götter für dich ein.» Ovid, Liebeskunst 3, 653. Das dritte Buch des Ovidischen Leitfadens für Liebende ist an die Frauen gerichtet; der Satz bezieht sich auf die Vereinnahmung unliebsamer Wächter. (Quid rides?) Mutato nomine de te / fabula narratur. «(Was lachst du?) Nur der Name ist geändert; von dir wird die Geschichte erzählt.» Horaz, Satiren 1, 1, 69f. Mit dem Einwurf bezieht Horaz den Mythos von dem Unterweltsbüßer Tantalus auf den habgierigen Reichen: Wie jener inmitten der vor seinen Lippen zurückweichenden Fluten ewig dürste, so wache dieser schlaflos über seine zusammengerafften Schätze und komme nicht dazu, seinen Reichtum zu genießen.
Natura non facit saltus. «Die Natur macht keine Sprünge.» Die Quelle des lateinischen Wortes ist nicht nachgewiesen. In der Form ... non facit saltum, «... macht keinen Sprung», begegnet es mehrfach seit dem früheren 17. Jahrhundert; in der Fassung ... non facit saltus ist es durch Carl von Linné, Philosophia botanica (1751), Nr. 77, zum Geflügelten Wort geworden. Zugrunde liegt die Aristotelische Vorstellung einer Scala naturae, einer «Stufenleiter der Natur», die in kleinen Stufen, ohne klare Abgrenzungen, von den unbelebten Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer über die vielerlei Ränge der Pflanzen- und Tiergattungen stetig bis zum Menschen als der ranghöchsten Spezies des Lebenden aufsteigt; vgl. Aristoteles, Historia animalium 8, 1. 588 b 4ff. und De partibus animalium 4, 5. 681 a 12ff. Aristoteles spricht an diesen Stellen von «kontinuierlichen Übergängen» (metãbasiw sunexÆw beziehungsweise metaba€nei sunex«w). Das entgegengesetzte Bild, die Ausschließung eines «Sprunges» von einer Stufe zur anderen, begegnet zuerst bei dem populärphilosophischen Literaten Maximus von Tyros, der in seinen «Philosophumena», 9, 4 a, diese «Stufenleiter der Natur» im Anschluß an Platon, Symposion 202 Dff., bis zu den Göttern hinauf erstreckt und unter Berufung auf die entsprechenden stetigen Übergänge zwischen Unbelebtem und Belebtem, Pflanzen und Tieren die Existenz von mancherlei vermittelnden «Dämonen» zwischen den kurzlebigen Menschen und den unsterblichen Göttern postuliert: ... …w oÈd¢ §ntaËya ≤ fÊsiw metaphdò éyrÒvw, «Auch hier springt die Natur nicht auf einmal von einem zum anderen über». Naturalia non sunt turpia. «Natürliches ist nicht schändlich» (in dem Sinne: «Natürliche Bedürfnisse und ihre Befriedigung sind nichts, dessen
NAVIGARE
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einer sich schämen müßte»). Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen. Der Gedanke ist kynischen Ursprungs; er verweist auf den notorisch schamlosen «Hund» Diogenes von Sinope, der nach der feinen Formulierung seines Namensvetters und Biographen Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 6, 69, «alles in der Öffentlichkeit zu verrichten pflegte, sowohl die Werke der (Korngöttin) Demeter als auch die der (Liebesgöttin) Aphrodite». Naturam expelles furca, tamen usque recurret / (et mala perrumpet furtim fastidia victrix). «Die Natur kannst du mit der Forke austreiben: Sie wird dennoch immer wieder zurückkehren (und unversehens die verderbliche Verwöhntheit durchbrechen, als die sichere Siegerin).» Horaz, Episteln 1, 10, 24f. In den beiden voraufgehenden Versen hat Horaz, der «Liebhaber des Landes», gegenüber seinem Freund Fuscus, dem «Liebhaber der Stadt» (Vers 1f.), erklärt, daß man doch auch zwischen die buntgeäderten Marmorsäulen eines städtischen Peristyls noch einen «Wald» von Bäumen und Sträuchern pflanze und ein mit städtischem Luxus eingerichtetes Haus dafür rühme, wenn es eine weite Aussicht auf offene Felder biete. Juvenal, Satiren 13, 239f., nimmt das Horazische Bild vom «Zurückkehren» der vertriebenen Natur in anderem Zusammenhang wieder auf: Tamen ad mores natura recurrit / damnatos fixa et mutari nescia, «Dennoch kehrt die Natur (eines Übeltäters) zu ihren verurteilten Handlungsweisen zurück, festgelegt und unfähig sich zu verändern». Zu dem Gedanken vgl. auch Terenz, Adelphoe 68ff. Navigare necesse est, (vivere non est necesse). «Zu segeln ist notwendig, (zu leben ist nicht notwendig).» Nach Plutarch, Pompeius 50, 2, und Aussprüche von Römern, Pompeius 11. 204 C; der Zuruf des Pompeius an die Seeleute, die angesichts eines drohenden Sturmes nicht ablegen wollen: Ple›n énãgkh, z∞n oÈk énãgkh. Während Pompeius sich im Jahre 56 v. Chr. in Sizilien, Sardinien und Nordafrika um die Getreideversorgung der Hauptstadt und des übrigen Italien bemüht, warnen die Seeleute ihn vor einem aufkommenden Sturm und äußern Bedenken, sein und ihr Leben darin aufs Spiel zu setzen; da geht Pompeius als erster an Bord, befiehlt, unverzüglich die Anker zu lichten, und ruft ihnen zu: «Daß wir segeln, ist
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NE BIS
notwendig, daß wir leben, ist nicht notwendig.» Einzig in der Wortstellung abweichend (Navigare est necesse, vivere necesse non est) findet sich die lateinische Version bereits in der frühen Plutarchübersetzung des Antonius Tudertinus (1478). Im frühen 20. Jahrhundert ist der Ausruf des Pompeius in Deutschland vielfach, auf den ersten Teil verkürzt, in dem Sinne der damals aktuellen Handels- und Rüstungspolitik zitiert worden: Navigare necesse est, «Seefahrt ist notwendig». In dieser Verkürzung hat Gorch Fock es zum Titel eines populären Romans gemacht: «Seefahrt ist not!» (1913). Ne bis in idem. «Es soll nicht zweimal gegen dasselbe Vergehen (ein Verfahren eingeleitet werden).» Die geläufige Fassung der alten Rechtsregel geht offenbar nicht auf die Antike zurück. Der Jurist Gaius, Institutionen 4, 108, bezeugt das Prinzip für das Legisaktionenverfahren der römischen Republik: Nam qua de re actum semel erat, de ea postea ipso iure agi non poterat, «Denn über eine Sache, über die (schon) einmal verhandelt worden war, konnte später von Rechts wegen nicht (noch einmal) verhandelt werden». Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 7, 6, 4, zitiert den Satz Bis de eadem re ne sit actio, «Zweimal soll wegen der gleichen Sache kein Verfahren eingeleitet werden», als Beispiel für einen dunklen Bezug; der Redner könne die Frage aufwerfen, ob sich dieses «Zweimal» hier auf den Kläger oder auf das Verfahren beziehe. Ein entsprechender Grundsatz findet sich auch im attischen Recht; vgl. Demosthenes, Rede gegen Leptines (20) 147: Ofl nÒmoi dÉ oÈk §«si d‹w prÚw tÚn aÈtÚn per‹ t«n aÈt«n oÎte d€kaw ... oÎtÉ êllo toioËtÉ oÈd¢n e‰nai, «Die Gesetze lassen es nicht zu, daß zweimal gegen denselben (Angeklagten) wegen derselben (Anschuldigung) ein gerichtliches Verfahren oder sonst eine Untersuchung eingeleitet wird». Auf diese Rechtsregel geht wohl auch ein noch knapper gefaßtes römisches Sprichwort zurück, das bei Terenz, Phormio 419, bezeugt ist: Actum, aiunt, ne agas, «Entschiedenes, heißt es, soll man nicht (noch einmal) zur Entscheidung stellen». Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 42. Ne quid nimis! «Nichts zu sehr!» oder «Nichts im Übermaß!» Terenz, Andria 61; die lateinische Version der am Tempel des delphischen Apollon angeschriebenen, den Sieben Weisen und besonders dem Solon zugeschriebenen griechischen Mahnung Mhd¢n êgan (oben S. 21). In
NEMO ANTE
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seinem Kommentar zu der Terenzstelle ergänzt Donatus ein agas: «Betreibe nichts zu sehr!», und nennt die Sentenz pervulgata, «sehr verbreitet». Zitate dieser lateinischen Version finden sich bei Ausonius, Ludus septem sapientium 155, bei Augustin, De beata vita 32, bei Hieronymus, Briefe 60, 7, 3; 108, 21, 4; 130, 11, 2, und bei Apollinaris Sidonius, Carmina 15, 47. Die gleichbedeutende Version Nihil nimis oder Nil nimis findet sich zuerst wiederum bei Terenz, Heautontimorumenos 519, später bei Cicero, De finibus bonorum et malorum 3, 22, 73, und bei Seneca, Briefe an Lucilius 94, 43. Plinius der Ältere, Naturgeschichte 7, 119, führt drei Weisheitssprüche des Spartaners Chilon an, darunter neben nosse se quemque (vgl. Nosce te ipsum!, unten S. 111) nihil nimium cupere, «nichts zu sehr wünschen». Ne sutor supra crepidam. «Ein Schuster (soll) nicht über den Schuh hinaus (urteilen).» Plinius der Ältere, Naturgeschichte 35, 84f., berichtet, der berühmte griechische Maler Apelles habe seine fertigen Gemälde vor seinem Atelier zur Schau gestellt und hinter der Staffelei verborgen die kritischen Äußerungen der Vorübergehenden eingefangen; dies habe er regelmäßig getan, da er das einfache Volk als einen aufmerksameren Kunstrichter geschätzt habe als sich selbst. Als einmal ein Schuster an einem Bild bemängelte, bei den Schuhen sei auf der Innenseite eine Öse zuwenig gemalt, und dieser am nächsten Tag, als er den Fehler berichtigt sah, frischweg auch an dem Bein darüber noch etwas auszusetzen hatte, soll Apelles aufgebracht hervorgeschaut und ihm Bescheid gegeben haben: Ein Schuster solle nicht über den Schuh hinaus urteilen (ne supra crepidam sutor iudicaret). Das sei sprichwörtlich geworden. Daher «Schuster, bleib bei deinem Leisten!» Vgl. Valerius Maximus, 8, 12, externa 3, und die Anspielung bei Ammianus Marcellinus, 28, 1, 10, die auf ein sprichwörtlich geläufiges supra plantam, «über den Leisten hinaus», deutet. Nemo ante mortem beatus est. «Niemand ist vor seinem Tode glücklich» (in dem Sinne: «Niemand kann vor seinem Tode vollends glücklich gepriesen werden»). Nach Ovid, Metamorphosen 3, 135ff.: Sed scilicet ultima semper / exspectanda dies hominis, dicique beatus / ante obitum nemo supremaque funera debet, «Aber natürlich muß immer der letzte Tag eines Menschen abgewartet werden und darf kein Mensch glücklich genannt werden
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NEMO CONTRA
vor seinem Hinscheiden und seinem Begräbnis». Ovid zitiert die Mahnung des Atheners Solon, eines der Sieben Weisen, an den reichen Lyderkönig Kroisos bei Herodot, Geschichte 1, 32, 7: Pr‹n dÉ ín teleutÆs˙, §pisxe›n mhd¢ kal°ein kv ˆlbion, éllÉ eÈtux°a, «Aber ehe (ein Mensch) das Ende seines Lebens erreicht hat, muß man sich zurückhalten und darf ihn noch nicht einen (vollends) glücklichen Menschen nennen, sondern (höchstens) einen, der Glück gehabt hat». Nemo contra deum nisi deus ipse. «Keiner (kann) gegen Gott (sein) außer Gott selbst.» Goethe, Dichtung und Wahrheit, Motto zum Vierten Teil, wiederholt im 20. Buch. Die Herkunft des Wortes ist nicht geklärt. Friedrich Wilhelm Riemer führt es zweimal, unter dem 16. Mai 1807 und dem 3. Juli 1810, in seinen Tagebüchern an, beide Male in der Fassung Nihil contra deum ..., «Nichts kann gegen Gott sein ...» In seinen «Mitteilungen über Goethe» (herausgegeben von A. Pollmer, 1921, S. 188) nimmt er die Idee, dieses Wort für den Vierten Teil von «Dichtung und Wahrheit» zum Motto zu wählen, für sich in Anspruch. Nervus rerum. «Die Sehne der Dinge» (in dem Sinne: «Die Spannkraft der Dinge», das Geld), Nach Cicero, Rede über den Oberbefehl des Gnaeus Pompeius 7, 17: Si vectigalia nervos esse rei publicae semper duximus ..., «Wenn wir die Steuern immer als die Sehnen des Staates angesehen haben ...», und 5. Philippische Rede 2, 5: ... nervos belli, pecuniam infinitam, «... die Sehnen des Krieges, unbegrenzte Geldmittel»; vgl. auch die 2. Rede über das Siedlergesetz 18, 47. Die lateinische Version geht auf eine griechische Prägung zurück; Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 4, 48, zitiert Bion von Borysthenes mit dem Ausspruch: ... tÚn ploËton neËra pragmãtvn (e‰nai), «... der Reichtum sei die Sehnen der Dinge»; Sextus Empiricus, Adversus ethicos 53, zitiert Krantor, der den Reichtum sprechend einführt: ÉEn m¢n efirÆn˙ par°xv tå terpnã, §n d¢ pol°moiw neËra t«n prãjevn g€nomai, «In Friedenszeiten biete ich alle Annehmlichkeiten, in Kriegszeiten werde ich zu den Sehnen der Unternehmungen». Entsprechend bemerkt Plutarch, Agis und Kleomenes 48 (27), 1: «Aber der erste, der die Geldmittel als die Sehnen der Dinge angesprochen hat (ÉAllÉ ı pr«tow tå xrÆmata neËra t«n pragmãtvn proseip≈n),
NIL MORTALIBUS
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scheint mir dies vor allem in Hinblick auf die Kriegsführung gesagt zu haben.» Nihil ad nos: siehe Quod supra nos, nihil ad nos, unten S. 141. Nihil est in intellectu, quod non fuerit prius in sensu. «Nichts ist im Verstand, was nicht zuvor in der Wahrnehmung gewesen wäre.» Nach Thomas von Aquin, Quaestiones disputatae de veritate (1256/1259) 2, 3, 19 (... quod non sit prius in sensu). Gottfried Wilhelm Leibniz, Nouveaux essais sur l’ entendement humain (1704), 2, 1, 2, hat dem Satz die Einschränkung zugefügt: ... nisi intellectus ipse, «... außer dem Verstand selbst». Nihil est (enim) simul et inventum et perfectum. «(Denn) nichts ist zugleich sowohl erfunden als auch vollendet worden.» Cicero, Brutus 18, 71. Nihil nimis: siehe Mhd¢n êgan, «Nichts im Übermaß», oben S. 21, und Ne quid nimis, oben S. 102. Nil admirari. «Vor nichts Verwunderung empfinden» oder: «Für nichts Bewunderung empfinden» (in dem Sinne: «Über nichts aus der Fassung geraten»). Horaz, Episteln 1, 6, 1. Dieses Nil admirari, so der programmatische Auftakt des Gedichtes, sei «nahezu das Eine und das Einzige, das es vermöge, einen Menschen glücklich zu machen und zu erhalten». Wie die folgenden Verse erklären, deutet die Formel auf die innere Unabhängigkeit dessen, der sich von exotischen Preziosen und den Beifallskundgebungen des römischen Volkes sowenig wie vom Aufgehen und Untergehen, Erscheinen und Verschwinden der Gestirne so oder so beeindrucken, zu Erwartungen oder Befürchtungen hinreißen läßt. Vgl. Seneca, Briefe an Lucilius 8, 5: Cogitate nihil praeter animum esse mirabile, cui magno nihil magnum est, «Bedenkt, daß nichts außer der Seele bewundernswert ist, für welche, wenn sie (nur selbst) groß ist, nichts (anderes) groß ist». Nil mortalibus ardui est: / (caelum ipsum petimus stultitia neque / per nostrum patimur scelus / iracunda Iovem ponere fulmina). «Nichts ist uns Sterblichen unersteiglich: (Am Himmel selbst vergreifen wir uns in un-
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NIL NOCERE
serer Torheit, und durch unseren Frevel lassen wir es nicht zu, daß Jupiter seine zürnenden Blitze niederlegt).» Horaz, Oden 1, 3, 37ff.; die Schlußstrophe des Gedichtes. In den voraufgehenden Strophen hat Horaz eine Reihe mythischer Grenzüberschreitungen – die Schifffahrt der Argonauten, den Flug des Dädalus und des Ikarus, den Feuerdiebstahl des Prometheus, den Abstieg des Herakles in die Unterwelt – angeführt; die letzte Strophe erinnert ominös an die himmelstürmerischen Kämpfe der erdgeborenen Giganten gegen die olympischen Götter. Aus derselben Ode Audax omnia perpeti / gens humana ruit per vetitum nefas, oben S. 39. Nil nocere: siehe Primum nil nocere, unten S. 130. Nil novi sub sole. «(Es gibt) nichts Neues unter der Sonne.» Nach dem Alten Testament, Prediger 1, 10 Vulgata (Nihil sub sole novum). Nil tam difficile est, quin quaerendo investigari possiet. «Nichts ist so schwierig, daß es nicht durch Nachforschen aufgespürt werden könnte.» Terenz, Heautontimorumenos 675; der Sklave Syrus zu sich selbst, beim Aussinnen einer neuen Intrige. Nitimur in vetitum semper cupimusque negata. «Immer drängen wir zum Verbotenen hin und begehren das Verweigerte.» Ovid, Amores 3, 4, 17. Nolens volens (im Plural: Nolentes volentes). «Nicht wollend (oder) wollend», «Widerwillig (oder) willig» (in dem Sinne: «gleichgültig, ob er/sie will oder nicht»). Nach Donat zu Terenz, Eunuchus 1059, war das unverbundene velit nolit, «mag er/sie wollen oder nicht», eine geläufige Wendung. Zahlreiche Beispiele – auch für die 1. und 2. Person und den Plural – finden sich bei Otto, Sprichwörter, Nr. 1852. Vgl. Ducunt volentem fata, nolentem trahunt, oben S. 60. Noli me tangere! «Rühre mich nicht an!» Evangelium nach Johannes 20, 17 Vulgata; der auferstandene Jesus zu Maria Magdalena. Im Pflanzenreich hat das Jesuswort dem Waldspringkraut (Impatiens noli tangere) seinen
NOMEN
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botanischen und der Schamhaften Mimose (Mimosa pudica) oder Noli me tangere einen volkstümlichen Namen gegeben. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein «Noli me tangere», ein «Rühr-mich-nicht-an», eine heikle, mit Behutsamkeit zu behandelnde Sache. Noli turbare circulos meos! «Verwische meine Kreise nicht!» (ursprünglich bezogen auf eine geometrische Konstruktion, wie man sie auf dem Zeichenbrett der Antike mit einem spitzen Griffel in den feinen Sand zeichnete). Nach Valerius Maximus, Denkwürdige Taten und Worte 8, 7, externi 7, das letzte Wort des Archimedes gegenüber dem auf ihn eindringenden römischen Legionär: ... protecto manibus pulvere: Noli, inquit, obsecro, istum disturbare, «... während er seine Hände schützend über den Sand hielt, rief er: Ich beschwöre dich: Verwische den (Sand) da nicht!» Bei der Plünderung von Syrakus 212 v. Chr., das nicht zuletzt durch die Archimedische Kriegsmaschinerie viele Monate lang der römischen Belagerung getrotzt hatte, wurde der geniale Mathematiker und Physiker entgegen dem ausdrücklichen Befehl des Feldherrn Marcus Claudius Marcellus von einem römischen Legionär getötet. Der von Valerius Maximus angeführte Ausruf stellt Archimedes als den sprichwörtlich weltfremden Gelehrten dar, den selbst Kriegsgeschrei und Waffenlärm nicht von seinem geometrischen Problem ablenken können. Das letzte Wort des Archimedes ist wahrscheinlich gut erfunden; Plutarch, der in seiner Biographie des Marcellus, 19, 8ff., drei verschiedene Versionen vom Tode des Archimedes überliefert, darunter auch die hier zugrunde liegende, zitiert den Ausruf nicht. Nachdem das Zeichenbrett, auf dem die Linien mit dem Griffel in den Sand gezeichnet und mit einem leichten Schlag an den Rand wieder gelöscht werden konnten, in Vergessenheit geraten war, wurde das Wort von den geometrischen Kreisen auf die persönliche Lebenssphäre eines Menschen übertragen; das lateinische Zitat und seine geläufige Übersetzung: «Störe meine Kreise nicht!» wird heute durchweg in dem Sinne: «Dring nicht in meine Sphäre ein!» angeführt und verstanden. Nomen est omen. «Der Name ist ein Vorzeichen» (in dem Sinne: «... hat gute oder schlechte Vorbedeutung»). Vielleicht nach Plautus, Persa 625, wo der Sklave Toxilus seinem Herrn, dem Kuppler Dordalus, dazu rät, ein
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NOMINA
Mädchen namens Lucris zu kaufen: Nomen atque omen quantivis iam est pretii, «Der Name und seine Vorbedeutung ist (allein) schon jeden Preis wert». Das lateinische Substantiv lucrum bedeutet «Gewinn»; der sprechende Name Lucris verheißt «lukrative» Geschäfte. Nomina sunt odiosa. «Namen sind anstoßerregend» (in dem Sinne: «Namen zu nennen ist anstoßerregend»). Nach Cicero, Rede für Sextus Roscius Amerinus 16, 47: Verum homines notos sumere odiosum est, cum et illud incertum sit, velintne ei sese nominari, et ..., «Aber bekannte Personen (als Beispiele) zu nehmen ist anstoßerregend, da sowohl das ungewiß ist, ob diese namentlich genannt werden möchten, als auch ...» Non liquet. «(Die Sache) ist (noch) nicht geklärt.» Cicero, Rede für Cluentius 28, 76, und öfter. Mit dieser Formel konnten die Richter im römischen Strafprozeß nach dem Abschluß der Beweisaufnahme, statt ein Urteil zu fällen, eine Erneuerung des Beweisverfahrens verlangen. Non nocere: siehe Primum non nocere, unten S. 130. Non olet. «Es stinkt nicht.» Nach einer Anekdote, mit der Sueton, Vespasian 23, 3, die phantasievolle Steuerpolitik Kaiser Vespasians illustriert: «Als sein Sohn Titus ihm einmal Vorhaltungen machte, daß er sich auch noch eine Urinsteuer (urinae vectigal) habe einfallen lassen, hielt dieser ihm eine Handvoll Münzen aus der ersten Erhebung dieser Steuer unter die Nase und forderte ihn auf zu sagen, ob er etwa an dem Geruch des Geldes Anstoß nehme; und als Titus das verneinte, sagte er: Und doch ist es aus Urin» (... sciscitans, num odore offenderetur; et illo negante: Atquin, inquit, e lotio est). Vgl. Dio Cassius, Römische Geschichte 65/66, 14, 5. Bei dieser anrüchigen «Urinsteuer» handelte es sich wohl um eine Abgabe, die Vespasian den Walkern und Gerbern für die gebräuchliche gewerbliche Nutzung des Urins aus den öffentlichen Bedürfnisanstalten neu auferlegt hatte. Wer aus dem Suetonischen illo negante, «als (Titus) das verneinte», das «geflügelte» Non olet gemacht hat, ist nicht nachgewiesen. Vgl. Juvenal, Satiren 14, 204f.: Lucri bonus est odor ex re / qualibet, «Gewinn hat einen guten Geruch, ganz gleich, woraus er stammt.»
NON PLUS
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Non omnia possumus omnes. «Nicht alles können wir alle.» Vergil, Bucolica 8, 63; Vergil zitiert einen bei Macrobius, Saturnalien 6, 1, 35, angeführten Halbvers des Lucilius, Fragmente der Satiren, Vers 218 Marx. Macrobius, Saturnalien 5, 16, 7, nennt die Stelle unter den Worten, die «sprichwörtlich in aller Munde» seien (vice proverbiorum in omnium ore funguntur). Ein Zitat findet sich bei Hieronymus, Briefe 52, 9, 3. Eine entsprechende auf verschiedene Landstriche und ihre Fruchtbarkeit bezogene Formel begegnet bei Lukrez, De rerum natura 1, 166 (ferre omnes omnia possent), und danach bei Vergil, Georgica 2, 109 (Nec vero terrae ferre omnes omnia possunt). Zum Gedanken vgl. Herodot, Geschichte 1, 32, 8f. Vgl. Livius, Ab urbe condita 22, 51, 4: Non omnia nimirum eidem di dedere, «Nicht alles haben – kein Wunder – demselben die Götter gegeben»; dort folgt das «geflügelte» Vincere scis, Hannibal, victoria uti nescis, unten S. 179. Non omnis moriar ... «Nicht ganz werde ich sterben ...» Horaz, Oden 3, 30, 6. Der Dichter beschließt die erste Ausgabe seiner Oden in drei «Büchern» in der stolzen Zuversicht auf die Unsterblichkeit seiner Dichtung: «... und ein großer Teil von mir wird der Todesgöttin entgehen: Immerfort werde ich durch den Nachruhm wachsen, frisch ...» Vgl. den Anfangsvers der Ode Exegi monumentum aere perennius, oben S. 68. Non plus ultra. «Nicht mehr darüber hinaus.» Die lateinische Version von Pindar, Nemeische Oden 3, 21f.: OÈk°ti prÒsv ..., «Nicht mehr weiter (über die Säulen des Herakles hinaus ist das ungangbare Meer leicht zu durchdringen)». Die «Säulen des Herakles», die Felsen beidseits der Meerenge von Gibraltar, bezeichneten in der Antike die westliche Grenze der «Oikumene», wie die «Säulen des Dionysos» in Indien die östliche Grenze der «bewohnten Welt». Kaiser Karl V. (1500–1558, Kaiser 1519–1556), der sein Reich über diese klassische Grenze der Alten Welt hinaus auf die Neue Welt jenseits des Atlantischen Ozeans ausdehnte, hat das Geflügelte Wort in seiner Umkehrung Plus ultra!, «Weiter darüber hinaus!», zu seinem Wahlspruch erhoben. Im Sprachgebrauch ist ein «Non plus ultra» heute etwas «Unübertreffliches, Unüberbietbares».
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NON POSSUMUS
Non (enim) possumus, (quae vidimus et audivimus, non loqui). «(Denn) wir können nicht, (was wir gesehen und gehört haben, nicht verkünden).» Lukas, Apostelgeschichte 4, 20 Vulgata; Petrus und Johannes gegenüber dem Hohen Rat, als dieser den Jüngern ein Rede- und Predigtverbot auferlegen will. Non scholae, sed vitae discimus. «Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.» Die gerade Umkehrung von Seneca, Briefe an Lucilius 106, 12: Non vitae, sed scholae discimus, «Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir». Senecas Brief, eine scheinbar ernste Erörterung der Frage, «ob das Gute ein Körper sei», gipfelt in einer bitteren Kritik an der Lebensferne der Philosophenschulen seiner Zeit: «Kinderspiele sind es, die wir da spielen. An überflüssigen Problemen stumpft sich die Schärfe und Feinheit unseres Denkens ab; derlei Erörterungen helfen uns ja nicht, richtig zu leben, sondern allenfalls, gelehrt zu reden. Lebensweisheit liegt offener zu Tage als Schulweisheit; ja sagen wir’s doch gerade heraus: Es wäre besser, wir könnten unserer gelehrten Schulbildung einen gesunden Menschenverstand abgewinnen. Aber wir verschwenden ja, wie alle unsere übrigen Güter an überflüssigen Luxus, so unser höchstes Gut, die Philosophie, an überflüssige Fragen. Wie an der unmäßigen Sucht nach allem anderen, so leiden wir an einer unmäßigen Sucht auch nach Gelehrsamkeit: Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir.» Wir wissen nicht, wer wann wo die Schlußpointe des Briefes in ihr Gegenteil verkehrt und so aus der vernichtenden Kritik ein hehres Leitwort gemacht hat. Non sum, qualis eram ... «Ich bin nicht, wie ich war ...» Horaz, Oden 4, 1, 3, am Anfang der an die Liebesgöttin Venus gerichteten ersten Ode des späten vierten Odenbuches. Nonum(que) prematur in annum ... «(Und) bis ins neunte Jahr werde es (das Gedicht) zurückgehalten ...» Horaz, Ars poetica 388. In scherzhafter Übertreibung mahnt Horaz den jungen Piso, sollte er je etwas schreiben, das Gedicht vor der Veröffentlichung noch lange zu prüfen: «Du kannst immer noch vernichten, was du noch nicht herausgegeben hast; das einmal hinausgelassene Wort weiß nicht mehr den Weg zurück». Das «neunte
NULLA DIES
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Jahr» spielt auf Gaius Helvius Cinna und sein Epos «Zmyrna» an; wie Catull, Gedichte 95, 1f., bezeugt, hatte der Dichterfreund aus dem Kreis der Neoteriker an diesem Werk, einem Muster alexandrinischer Gelehrsamkeit, neun Jahre lang gearbeitet. Quintilian zitiert die Horazische Mahnung im Vorwort zu seinem «Lehrbuch der Rhetorik», einem kurzen, an seinen Verleger Tryphon gerichteten Geleitbrief: Er habe sie beherzigt und sein Werk ruhen lassen, um es sodann, nachdem die Liebe des Autors zu der eigenen Erfindung abgekühlt sei, nochmals sorgfältiger durchzugehen und geradeso wie ein Leser auf die Waagschale zu legen. Nosce te (ipsum)! «Erkenne dich (selbst)!» Die lateinische Version des am Tempel des delphischen Apollon angeschriebenen, den Sieben Weisen und besonders dem Chilon zugeschriebenen Aufrufs Gn«yi seautÒn (oben S. 13), in dieser unabhängigen Form bei Cicero, Tuskulanische Gespräche 1, 22, 52: Cum igitur (Apollo) Nosce te! dicit, hoc dicit: Nosce animum tuum!, «Wenn (Apollon) also sagt: Erkenne dich!, sagt er das: Erkenne deine Seele!», sowie bei Seneca, Briefe an Lucilius 94, 27 (Te nosce); Ad Marciam de consolatione 11, 3 (Nosce te). Zitate und Anspielungen in verschiedenen abhängigen Formen finden sich bereits bei Plautus, Stichus 124 und Pseudolus 971ff., später bei Cicero, De finibus bonorum et malorum 3, 22, 73; 5, 16, 44; De legibus 1, 22, 58, sowie bei Ovid, Liebeskunst 2, 499f. Plinius der Ältere, Naturgeschichte 7, 119, führt die Mahnung (nosse se quemque) in seinem «Book of Records» neben zwei anderen Chilonischen Weisheitssprüchen als Zeugnis höchster Weisheit an. Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 1236. Novus ordo s(a)ec(u)lorum: siehe E pluribus unum, oben S. 63. Nulla dies sine linea. «Kein Tag (verstreiche) ohne eine Linie» (in dem Sinne: «Laß keinen Tag verstreichen, ohne wenigstens eine einzige Linie zu ziehen»). Die zu beständiger Übung – ursprünglich in der Malerei – mahnende Maxime wird bei Plinius dem Älteren, Naturgeschichte 35, 84, dem berühmten griechischen Maler Apelles, einem Zeitgenossen Alexanders des Großen, zugeschrieben: Apelli fuit alioqui perpetua consuetudo numquam tam occupatum diem agendi, ut non lineam ducendo exerceret artem, quod ab
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NULLA POENA
eo in proverbium venit, «Apelles hatte übrigens die dauernde Gewohnheit, niemals einen so vollbelegten Tag zu haben, daß er nicht wenigstens, indem er eine Linie zog, seine Kunst übte, was durch ihn zum Sprichwort wurde». Auf den gleichen Ursprung geht ein griechisches Sprichwort zurück: TÆmeron oÈdem€an grammØn ≥gagon, «Heute habe ich keine Linie gezogen», bei Apostolios 16, 44 C (in: Leutsch-Schneidewin, Paroemiographi Graeci, Band II, S. 670). Nulla poena sine lege. «Keine Strafe ohne Gesetz.» Paul Johann Anselm von Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts (1801), § 20. Vgl. Ulpian im Corpus iuris civilis, Digesten 50, 16, 131: Poena non irrogatur, nisi quae quaque lege vel quo alio iure specialiter huic delicto imposita est, «Eine Strafe wird nur dann verhängt, wenn sie durch irgendein Gesetz oder irgendein anderes Recht speziell für dieses Vergehen vorgesehen ist». Nullius in verba: siehe ... iurare in verba magistri, oben S. 89. (Denique) / nullum est iam dictum, quod non dictum sit prius. «(Schließlich) gibt es ja kein Wort mehr, das nicht früher schon gesagt worden wäre.» Terenz, Eunuchus, Prolog 41. In einer Erklärung in eigener Sache verwahrt sich der römische Komödiendichter gegen den Vorwurf eines Dichterkollegen, er habe die Figuren des schmeichlerischen Parasiten und des aufschneiderischen Offiziers aus älteren lateinischen Komödien gestohlen, und bekennt sich zugleich offen zur Übernahme der typischen Figuren aus der «Neuen» griechischen Komödie, im Falle dieses «Eunuchus» aus Menanders «Schmeichler». Der Kirchenvater Hieronymus, Kommentar zum Prediger Salomo 1, 9f. (in: Migne, Patrologia Latina, Band 23, Spalte 1071 A) zitiert den Terenzvers in der Fassung Nihil est dictum ... und führt einen Ausspruch seines Lehrers Donatus dazu an: Pereant, qui ante nos nostra dixerunt, «Zum Teufel mit denen, die vor uns unsere Gedanken ausgesprochen haben!» Vgl. Goethes «Faust», Zweiter Teil, Zweiter Akt, Vers 6809f.: «Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken, / das nicht die Vorwelt schon gedacht?»
NUNC
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Nullus est liber tam malus, ut non aliqua parte prosit. «Kein Buch ist so schlecht, daß es nicht in irgendeiner Hinsicht nützen könnte.» Nach dem Zeugnis des jüngeren Plinius, Briefe 3, 5, 10, ein Lieblingsausspruch seines Onkels, des älteren Plinius: Dicere etiam solebat nullum esse librum tam malum, ut non aliqua parte prodesset, «Er pflegte sogar zu sagen, kein Buch sei so schlecht ...» Für seine enzyklopädische «Naturgeschichte» hat der ältere Plinius, wie er in seinem Widmungsbrief an den Sohn Vespasians, den späteren Kaiser Titus (§ 17) erklärt, um die zweitausend Buchrollen durchgelesen und ausgewertet. Numquam plus ago, quam nihil cum ago; numquam minus solus sum, quam cum solus sum. «Niemals tue ich mehr, als wenn ich nichts tue; niemals bin ich weniger allein, als wenn ich allein bin.» Nach Cicero, De re publica 1, 17, 27 (... numquam se plus agere, quam nihil cum ageret, numquam minus solum esse, quam cum solus esset). Das reizvolle Paradox hebt die geistige Tätigkeit von der politischen ab; der jüngere Scipio Africanus zitiert es an der Stelle als einen Lieblingsausspruch seines Großvaters, des älteren Scipio Africanus. Nunc est bibendum, nunc pede libero / pulsanda tellus ... «Nun heißt es trinken, nun mit freiem Fuß die Erde stampfen ...» Horaz, Oden 1, 37, 1f. Die zu Trinkgelagen und Freudentänzen aufrufende Ode feiert den Sieg des jungen Imperator Caesar, des späteren Kaisers Augustus, im Bürgerkrieg gegen seinen Rivalen Marcus Antonius und die ägyptische Königin Kleopatra. Nach ihrer Niederlage in der Seeschlacht bei Actium im Jahre 31 v. Chr. und dem Fall von Alexandria am 1. August 30 v. Chr. hatten Antonius und Kleopatra sich das Leben genommen, er durch einen Schwerthieb, sie durch einen Schlangenbiß. Der Anfang der Ode nimmt den Jubel des griechischen Lyrikers Alkaios über den Tod des Tyrannen Myrsilos von Mytilene auf (bei Athenaios, Anthologie 10, 35. 430 C; Fragment 332 Voigt): NËn xrØ meyÊsyhn ..., «Nun heißt es trinken ...» Nunc vino pellite curas! «Nun vertreibt mit Wein die Sorgen!» Horaz, Oden 1, 7, 31. Ein Aufruf zum Lebensgenuß in der Rückschau auf überstandene und im Ausblick auf bevorstehende Gefahren.
O curas hominum, o quantum est in rebus inane! «O die Sorgen (und Mühen) der Menschen, o wieviel Leeres ist in den Dingen!» (in dem Sinne: «... o wieviel Nichtiges, Sinnloses ...»). Persius, Satiren 1, 1; vgl. Lucilius, Fragmente der Satiren, Vers 9 Marx. Wie eine antike Randnotiz zu der Stelle bezeugt, hat Persius den Vers «aus dem Anfang des Lucilius», des Begründers der literarischen Gattung, an den Anfang seiner Satiren übernommen. Der jüngere Satiriker läßt die selbstironische rhetorische Frage folgen: Quis leget haec? (unten S. 138). O matre pulchra filia pulchrior ... «O einer schönen Mutter schönere Tochter ...» Horaz, Oden 1, 16, 1. Die Ode richtet sich an eine namentlich nicht genannte Geliebte, wohl die in der folgenden Ode 1, 17 angeredete Tyndaris. O mihi praeteritos referat si Iuppiter annos! «O wenn doch Jupiter mir die vergangenen Jahre zurückbrächte!» Vergil, Aeneis 8, 560; Euander, der König der Arkader, am Anfang der Rede, mit der er seinen Sohn Pallas an der Seite des Aeneas in den Kampf gegen die Rutuler aussendet. In dem Wunsch des alten Euander spiegelt sich ein entsprechender Wunsch des alten Nestor bei Homer, Ilias 7, 132f. und 11, 670. O quae mutatio rerum! «O welche Veränderung der Dinge!» Der Kehrreim des vielgesungenen Studentenliedes «O alte Burschenherrlichkeit» von Eugen Höfling (1808-1880): O jerum, jerum, jerum, / O quae mutatio rerum!
ODI
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O tempora, o mores! «O ihr Zeiten, o ihr Sitten!» (in dem Sinne: «Welche Zeiten, welche Sitten!») Cicero, 1. Catilinarische Rede 1, 2, und sonst mehrfach in Ciceros Reden, vgl. Otto, Sprichwörter, Nr. 1757. Zitate des emphatischen Ausrufs finden sich bei Seneca dem Älteren, Suasoriae 6, 3: Tuis verbis, Cicero, utendum est: O tempora, o mores! ..., «Deine Worte, Cicero, müssen wir gebrauchen: ...», bei Martial, Epigramme 9, 70, 1: Dixerat «O mores, o tempora» Tullius olim ..., «Tullius (Cicero) hatte einst gesagt: ...», und in der spätantiken anonymen Komödie Querolus 5, 3, S. 54 Peiper. Oderint, dum metuant. «Mögen sie (mich) nur hassen, wenn sie (mich) nur fürchten.» Accius, Atreus (in: Ribbeck, Tragicorum Romanorum Fragmenta, Vers 203f.) Der Ausruf des mythischen Königs Atreus, des Stammvaters des Atridengeschlechts, ist überliefert bei Cicero, Rede für Sestius 48, 102; De officiis 1, 28, 97; 1. Philippische Rede 14, 34, und bei Seneca, De clementia 1, 12, 4 und 2, 2, 2; De ira 1, 20, 4. Sueton, Tiberius 59, 2 und Caligula 30, 1, führt das zynische Wort als ein Lieblingszitat der Kaiser Tiberius und Caligula an, für Tiberius in der milderen Abwandlung: Oderint, dum probent, «Mögen sie (mich) nur hassen, wenn sie (mich) nur anerkennen». Odi et amo. «Ich hasse und liebe.» Catull, Carmina 85, 1. Der widersprüchliche Auftakt des vielzitierten Distichons, in dem Catull die Qual seiner Haßliebe zu Clodia alias Lesbia in zwei Verse, vierzehn Wörter faßt: Odi et amo. Quare id faciam, fortasse requiris. / Nescio, sed fieri sentio et excrucior, «Ich hasse und liebe. Warum ich das tue, fragst du vielleicht. Ich weiß es nicht, doch daß es geschieht, fühle ich und werde (zu Tode) gefoltert». Odi profanum volgus et arceo. «Ich weise die ungeweihte Menge ab und schließe sie aus.» Horaz, Oden 3, 1, 1; der Eingangsvers der ersten der sechs sogenannten «Römeroden», in denen Horaz der römischen Jugend mit priesterlichem Ernst und prophetischem Pathos neue politische und religiöse Horizonte eröffnet. Petron, Satiricon 118, 4, legt dem Dichterling Eumolpus ein Zitat des feierlichen Horazverses in den Mund. Aus dem fol-
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ODIUM
genden Vers derselben Ode stammt die kultische Mahnung Favete linguis, oben S. 70. Vgl. das entsprechende Vergilische Procul, o procul este, profani, unten S. 132. Odium generis humani. «Haß gegen das Menschengeschlecht.» Nach Tacitus, Annalen 15, 44, 5: ... multitudo ingens (zu ergänzen: Christianorum) haud proinde in crimine incendii quam odio humani generis convicti sunt, «... eine ungeheure Menge (von Christen) wurde nicht so sehr des Verbrechens der Brandstiftung als vielmehr des Hasses gegen das Menschengeschlecht überführt». Tacitus berichtet an der Stelle von der Brandkatastrophe des Jahres 64 n. Chr. und der anschließenden Neronischen Christenverfolgung. Der Vorwurf des Menschenhasses mag sich daraus erklären, daß die Christen sich von den staatlichen Kultfeiern und den öffentlichen Spielen fernhielten; vgl. Tacitus, Historien 5, 5, 2, wo der Historiker denselben Vorwurf eines «feindseligen Hasses gegen alle anderen» (adversus omnes alios hostile odium) gegen die Juden erhebt. (Tum pol ego et) oleum et operam perdidi. «Dann habe ich, beim Pollux, sowohl Öl als auch Mühe vergeudet.» Plautus, Poenulus 332; der Einwurf einer Sklavin, die ihre kosmetischen Öle und Künste vergeblich hatte glänzen lassen. Cicero, Briefe an Atticus 13, 38, 1, bezieht die Verbindung von «Öl» und «Mühe» auf das Öl, das die Lampe bei der Nachtarbeit vor Tageslicht verbraucht: ... de eodem oleo et opera, «... vom gleichen Öl und der gleichen Mühe (habe ich etwas an dich geschrieben)»; so wohl auch in dem Brief an Atticus 2, 17, 1: ... ne et opera et oleum philologiae nostrae perierit, «... daß nicht Mühe und Öl unserer Philologie vergeudet ist»; vgl. Juvenal, Satiren 7, 99. In einem Brief an Marcus Marius, Briefe an Freunde 7, 1, 3, bezieht Cicero die Wendung auf die Gladiatorenspiele, die Pompeius zur Einweihung seines Theaters im Jahre 55 v. Chr. veranstaltete: ... in quibus ipse Pompeius confitetur se et operam et oleum perdidisse, «... bei denen Pompeius selbst eingesteht, Mühe und Öl vergeudet zu haben». Einige weitere Abwandlungen: Plautus, Rudens 24: Et operam et sumptum perdunt, «Mühe und Aufwand ...»; Aulularia 578: Ego faxo et operam et vinum perdiderit simul, «... Mühe und Wein ...»; Petron, Satiricon 134, 2: Et operam et sudorem ... perdidisti, «Mühe und Schweiß ... »; Ausonius, Epi-
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gramme 1, 7f.: perdere somnum / atque oleum, «Schlaf und Öl ...». Hieronymus, Briefe 57, 12, 3, führt die Redewendung als ein «abgedroschenes Sprichwort» (tritum vulgi sermone proverbium) an: Oleum perdit et impensas, qui bovem mittit ad ceroma, «Öl und Aufwand verliert, wer ein Rindvieh zum Ringkampf schickt». Die volkstümliche Wendung ist wahrscheinlich aus dem Gebrauch des Öls als Kosmetikum hervorgegangen und von da auf die Verwendung des Öls in Lampen und beim Ringkampf übertragen worden. Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci / (lectorem delectando pariterque monendo). «Jede Stimme hat der davongetragen, der das Nützliche dem Angenehmen beigemischt hat, (indem er den Leser erfreut und zugleich ermahnt).» Horaz, Ars poetica 343f. Das punctum, das «Eingestochene», bezeichnet eigentlich den «Punkt», der bei der Stimmenzählung für jede Stimme hinter dem Namen eines Kandidaten in ein Wachstäfelchen eingestochen wurde. Vgl. die in Vers 333f. voraufgehende Entgegensetzung: Aut prodesse volunt aut delectare poetae / aut simul et iucunda et idonea dicere vitae, «Entweder Nutzen bringen oder Freude bereiten wollen die Dichter oder zugleich sowohl Vergnügliches als auch fürs Leben Brauchbares sagen», oben S. 42. Omnes eodem cogimur. «Alle werden wir an den gleichen Ort gezwungen.» Horaz, Oden 2, 3, 25; die ersten Worte der in düsteren Tönen gehaltenen, die Gleichheit aller Menschen vor dem Tode unterstreichenden Schlußstrophe der Ode. Voraufgeht der Gedanke: Ob du reich bist und aus altem Königsgeschlecht oder arm und von niedrigster Abkunft – es ist kein Unterschied: Du wirst ein Opfer des unbarmherzigen Orcus. Vgl. den gleichfalls «geflügelten» Anfang der Ode Aequam memento rebus in arduis / servare mentem ..., oben S. 34, und das hier folgende Horazwort Sed omnes una manet nox ... (Sed) omnes una manet nox / (et calcanda semel via leti). «(Aber) alle (Menschen) erwartet eine einzige Nacht und der (nur) ein einziges Mal zu betretende Weg des Todes.» Horaz, Oden 1, 28, 15f. Vgl. das hier voraufgehende Omnes eodem cogimur.
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OMNIA
Omnia mea mecum porto. «Alle meine Habe trage ich bei mir.» Nach Cicero, Paradoxa 1, 1, 8: Nach der Eroberung seiner Vaterstadt erwidert Bias von Priëne, einer der Sieben Weisen, auf die Aufforderung eines Mitbürgers, er solle doch wie sie alle, soviel er nur könne, von seiner Habe mitnehmen: Ego vero facio; nam omnia mecum porto mea, «Aber das tue ich ja: Alle meine Habe trage ich bei mir»; vgl. Valerius Maximus, Denkwürdige Taten und Worte 7, 2, externi 3, wo Bias fast wortgleich antwortet: Ego vero bona omnia mea mecum porto, «Aber ich trage ja alle meine Güter bei mir». Bei Seneca, De constantia sapientis 5, 6, ist der Ausspruch Stilpon von Megara zugeschrieben; dort erwidert der Philosoph nach der Eroberung seiner Vaterstadt durch Demetrios Poliorketes, den «Städteeroberer», auf die Frage des Siegers, ob er etwas verloren habe: Nihil; omnia mea mecum sunt, «Nichts; alle meine Habe ist bei mir»; vgl. Briefe an Lucilius, 9, 18, wo die Antwort lautet: Omnia bona mea mecum sunt, «Alle meine Güter sind bei mir». Diogenes Laërtios, Leben und Lehre der Philosophen 2, 115, läßt Stilpon hinzufügen, seine Bildung habe ihm niemand davongetragen, und auch seine Vernunft und sein Wissen habe er noch; vgl. bereits Plutarch, Demetrios 9, 9. Phaedrus, Fabeln 4, 23, 14 und 26f. (Nr. 519 Perry), hat das souveräne Bekenntnis zur Selbstgenügsamkeit des geistigen Menschen von dem weisen Bias auf den Dichter Simonides übertragen; in seiner Fabel erklärt Simonides nach einem Schiffsuntergang auf die entsprechende Frage eines Leidensgenossen: Mecum mea sunt cuncta, «Bei mir ist alle meine Habe». Die Sentenz, die Phaedrus seiner Fabel voranstellt: Homo doctus in se semper divitias habet, «Ein gebildeter Mensch hat seine Reichtümer immer in sich», geht auf Menander, Sentenzen 569 Jäkel, zurück: ÑO sofÚw §n aÍt“ perif°rei tØn oÈs€an, «Der Weise trägt seinen Besitz in sich selbst (mit sich) herum». Vgl. die dem Varro zugeschriebene Sentenz unter Ubi bene, ibi patria, unten S. 168. Omnia vincit Amor. «Alles bezwingt die Liebe.» Vergil, Bucolica 10, 69, wieder aufgenommen in dem unter Vergils Namen überlieferten, in der «Appendix Vergiliana» überlieferten Gedicht «Ciris», Vers 437 (Omnia vicit Amor). Macrobius, Saturnalien 5, 16, 7, nennt die Sentenz unter den Worten, die «sprichwörtlich in aller Munde» seien (vice proverbiorum in omnium ore funguntur). Das dort gleichfalls angeführte Labor omnia vincit
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hatte ursprünglich anderen Bezug (vgl. Labor omnia vicit / improbus, oben S. 90) und ist erst im Nachhinein zum Zwillingswort dieses Omnia vincit Amor geworden. Omnis homo mendax. «Jeder Mensch ist lügenhaft.» Nach Paulus, Brief an die Römer 3, 4 Vulgata: Exstet autem Deus verax, omnis autem homo mendax, «Es gelte vielmehr: Gott ist wahrhaft, jeder Mensch aber lügenhaft». Paulus zitiert Psalm 116, 11 Vulgata: Omnis homo mendax (oder: mendacium). Ora et labora! «Bete und arbeite!» Ein mönchischer Leitspruch wohl erst neuzeitlichen Ursprungs. Vgl. die Benedictusregel 48, 1 und 8: Otiositas inimica est animae ... (Fratres) tunc vere monachi sunt, si labore manuum suarum vivunt, sicut et patres nostri et apostoli, «Müßiggang ist eine Feindin der Seele ... (Die Brüder) sind dann wahrhaft Mönche, wenn sie von der Arbeit ihrer Hände leben, so wie auch unsere Väter und die Apostel.» (Illud te reparat, quod cetera regna resolvit:) / Ordo renascendi est crescere posse malis. «Das stellt dich (Rom) wieder her, was andere Reiche wieder auflöst: Die Ordnung deiner Wiedergeburt ist, wachsen zu können durch Unglück.» Namatian, De reditu suo 1, 139f. Namatians poetischer Reisebericht, der mit einer beschwörenden Anrufung der Romgöttin beginnt, ist im Jahre 417 n. Chr. entstanden, wenige Jahre nach der Einnahme Roms durch den Westgotenkönig Alarich 410 n. Chr. Im Jahre 456 n. Chr., unmittelbar nach der Plünderung Roms durch den Vandalenkönig Geiserich 455 n. Chr., hat Apollinaris Sidonius dieses Gesetz der Wiedergeburt der Ewigen Stadt in seinem Panegyricus auf Kaiser Avitus, Carmina 7, 5ff., noch einmal beschworen: ... Quae (sidera) sicut mersa nitescunt, / adversis sic Roma micat, cui fixus ab ortu / ordo fuit crevisse malis, «Wie Gestirne, wenn sie versunken sind, wieder aufglänzen, so strahlt Rom aus Unglück wieder auf – die Stadt, der von Geburt an die Ordnung bestimmt war, zu wachsen durch Unglück». Vgl. Urbs aeterna, unten S. 171. Otium cum dignitate. «Muße, verbunden mit Würde» (in dem Sinne eines von öffentlichen Ämtern entlasteten, um der geleisteten Dienste willen
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OTIUM
angesehenen Lebens). Nach Cicero, De oratore 1, 1, 1. In dem weit ausholenden Eingangssatz zu seiner Schrift «Über den Redner» preist Cicero das herausragende Glück der alten Römer, die «in einem vorzüglich verfaßten Staat, während sie durch öffentliche Ehren und den Ruhm ihrer Leistungen glänzten, den Lauf ihres Lebens so zu lenken vermochten, daß sie entweder in ihrer Tätigkeit ohne Gefahr oder in ihrer Muße mit Würde leben konnten» (... ut vel in negotio sine periculo vel in otio cum dignitate esse possent). Nicht auf die «Muße» des Einzelnen, sondern entsprechend auf die von Belastungen und Bedrohungen verschonte «Muße» des Staates bezieht sich die gleiche Wendung in Ciceros Rede für Sestius, 45, 98: Id, quod est praestantissimum maximeque optabile omnibus sanis et bonis et beatis: cum dignitate otium, «Das, was für alle Vernünftigen, Rechtschaffenen und vom Glück Gesegneten an erster Stelle steht und höchstes Ziel der Wünsche ist: ein mit Würde gewahrter Frieden» (vgl. noch 46, 98: otiosae dignitatis). So auch in Ciceros Brief an Publius Cornelius Lentulus Spinther, Briefe an Freunde 1, 9, 21 (cum dignitate otium).
Pacta sunt servanda. «Verträge müssen eingehalten werden.» Vielleicht im Anschluß an Ulpian im Corpus iuris civilis, Digesten 2, 14, 7, 7, wo der große Jurist das Edikt des römischen Prätors zitiert: Ait praetor: Pacta, conventa ... servabo, «Der Prätor sagt: Verträge und Vereinbarungen ... werde ich einhalten». Vgl. den Anfang dieses Kapitels De pactis, «Über die Verträge», 2, 14, 1, 1, wo Ulpian die rhetorische Frage aufwirft: Quid enim tam congruum fidei humanae, quam ea, quae inter eos placuerunt, servare?, «Was entspricht denn der Verläßlichkeit unter Menschen so sehr wie dieses: die Vereinbarungen, die sie untereinander getroffen haben, einzuhalten?» Panem et circenses. «Brot und Wagenrennen.» Juvenal, Satiren 10, 81. Der Satiriker klagt über die verlorene Selbstachtung des einst so stolzen römischen Volkes, Vers 78ff.: Nam (ergänze: populus) qui dabat olim / imperium, fasces, legiones, omnia, nunc se / continet atque duas tantum res anxius optat: / panem et circenses, «Denn (das Volk), das einst gewohnt war, die Befehlsgewalt, die Rutenbündel, die Legionen, (überhaupt) alles zu vergeben, nimmt sich nun zurück und wünscht sich ängstlich nur noch diese beiden Dinge: Brot und Wagenrennen». Die kostenlose Verteilung von Getreide und die spektakulären Wagenrennen im Circus Maximus wie auch die Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen in den Amphitheatern waren seit der späten Republik bewährte Mittel, die Bedürfnisse der großen Massen zu befriedigen und die Gunst der hauptstädtischen Bevölkerung zu gewinnen. Fronto, Principia historiae 18 (20), A 260, bemerkt, Kaiser Trajan habe den Schauspielen besondere Aufmerksamkeit geschenkt, da er wußte, «daß das römische Volk sich vornehmlich durch zwei Dinge, die Getreideverteilung und Schauspiele, in Bann halten lasse» (populum Romanum duabus praecipue rebus, annona et
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PARCERE
spectaculis, teneri). Ursprünglich ist die knappe Formel offenbar auf entsprechende Verhältnisse in Alexandria gemünzt gewesen; Juvenals Zeitgenosse Dion Chrysostomos zitiert in seiner Rede an die Alexandriner (32), 31, ohne Nennung eines Autors ein «altes» Verdikt über die Bürger der ägyptischen Metropole: «Aber was soll einer zu der großen Masse der Alexandriner sagen, denen man einzig und allein eine Menge Brot vorwerfen muß (oÂw mÒnon de› parabãllein tÚn polÁn êrton) und das Schauspiel von Wagenrennen (ka‹ y°an ·ppvn), da sie ja an nichts sonst Interesse haben?» Parcere subiectis et debellare superbos: siehe Tu regere imperio populos ..., unten S. 166. Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus. «Es kreißen die Berge, geboren werden wird eine lächerliche Maus.» Nach Horaz, Ars poetica 139: Parturient montes, nascetur ..., «Kreißen werden die Berge, geboren werden wird ...» Horaz warnt die Dichter davor, den Mund mit großsprecherischen Ankündigungen allzu weit aufzureißen. Der – wider die Kunstregel – einsilbige Versschluß malt die Kläglichkeit der Ausgeburt; er folgt dem entsprechenden Versschluß ... saepe exiguus mus bei Vergil, Georgica 1, 181. Porphyrio führt die drastische Bildlichkeit in seinem Horazkommentar auf ein griechisches Sprichwort zurück; in der Sprichwortsammlung des Diogenianos 8, 75 (in: Leutsch-Schneidewin, Paroemiographi Graeci, Band I, S. 320) lautet es: ÖVdinen ˆrow, e‰ta mËn ép°teken, «Es kreißte der Berg, und dann gebar er eine Maus». Ursprünglich stammt das groteske, komische Bild von dem Berg, der eine Maus gebiert, offenbar aus einer Äsopischen Fabel, die Phaedrus, 4, 24 (Nr. 520 Perry), in knappe vier Verse gefaßt hat: Mons parturibat, ... / eratque in terris maxima exspectatio. / At ille murem peperit ..., «Der Berg kreißte, ... und es herrschte ringsum die größte Erwartung. Aber der gebar (nur) eine Maus ...» Bei Plutarch, Agesilaos 36, 8f., machen sich die zum Empfang des greisen Königs Agesilaos abgesandten Offiziere des ägyptischen Königs Tachos über den so hochgerühmten, dann doch so unscheinbaren Spartaner lustig; das sei ja wie in der Fabel: Es kreißt der Berg, und dann gebiert er eine Maus (vgl. auch Athenaios, Deipnosophisten 14, 6. 616 D). Zitate des Horazischen Verses finden sich bei Hieronymus, Adversus Iovinianum 1, bei Servius zu Vergil, Aeneis 8, 83,
PATER
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und bei Marius Mercator, Subnotationes in verba Iuliani 9, 14 (in: Migne, Patrologia Latina, Band 48, Spalte 172), als bissiges Schlußwort: ... parturisse te montes, unde nasceretur ridiculus mus, «... du seist mit Bergen schwanger gegangen, um dann eine lächerliche Maus zu gebären». Pater historiae. «Vater der Geschichtsschreibung.» Der von Cicero, De legibus 1, 1, 5, dem griechischen Historiker Herodot von Halikarnaß (vor 480 – nach 430 v. Chr.), dem Archegeten der europäischen Geschichtsschreibung, beigelegte Ehrentitel. Unter dem Leitwort vom «Kreislauf der Menschendinge» (vgl. KÊklow t«n ényrvph€vn prhgmãtvn, oben S. 19) geht das weit ausgreifende Herodoteische Geschichtswerk von Glück und Sturz des Lyderkönigs Kroisos um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. aus; in seiner ersten Hälfte beschreibt es den grandiosen Aufstieg des Perserreichs zum Weltreich; in seiner zweiten Hälfte schildert es die noch fast zeitgenössischen Perserkriege des frühen 5. Jahrhunderts v. Chr. Sein Titelwort flstor€h (historíe, «Augenschein, Erkundung») hat der nachfolgenden «Historiker»-Zunft und überhaupt allem «Historischen» den Namen gegeben. Vgl. das Herodoteische Leitwort l°gein tå legÒmena, «berichten, was berichtet wird», oben S. 20. Pater patriae. «Vater des Vaterlandes.» Der in der gleichbedeutenden ehrenden Bezeichnung parens patriae für Cicero (Rede gegen Piso 3, 6; vgl. Juvenal, Satiren 8, 243f.) und Caesar (Livius, Periochae 116; Appian, Bürgerkriege 2, 106, 442) vorgeprägte, am 5. Februar des Jahres 2 v. Chr. von Senat, Ritterschaft und Volk dem Kaiser Augustus verliehene Ehrentitel (Augustus, Monumentum Ancyranum 35; Sueton, Augustus 58, 1f.). Bereits ein Vierteljahrhundert zuvor hatte Horaz den Sieger im Bürgerkrieg gegen Antonius und Kleopatra in der Widmung seiner Oden, 1, 2, 50, pater atque princeps genannt. Tiberius, der Nachfolger des Augustus, hat den Titel wiederholt zurückgewiesen (Tacitus, Annalen 1, 72, 2: nomen patris patriae, und 2, 87, 2: parentis patriae ... vocabulum); die meisten späteren Kaiser haben ihn übernommen. Pater, peccavi (in caelum et coram te). «Vater, ich habe gesündigt (gegen den Himmel und vor dir).» Evangelium nach Lukas 15, 18 und 21 Vulgata;
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PATIOR
aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn; die ersten Worte, die der Heimkehrende an seinen Vater richtet. Patior, ut potiar. «Ich leide, um zu herrschen», in dem Sinne: «Ich unterwerfe mich, um zu überwinden». Das lateinische Wortspiel, das mit den beiden aneinander anklingenden Verben und den beiden hin und her springenden Vokalen das «Leiden» und das «Herrschen» so unübertrefflich und unübersetzbar prägnant aufeinander bezieht, deutet auf die Leidensgeschichte Christi und seine Überwindung des Todes. Die Quelle des wohl mittelalterlichen Spruches ist nicht nachgewiesen; er erscheint in der EmblemataSammlung von Gabriel Rollenhagen (1611); vgl. Henkel-Schöne, Emblemata, Spalte 445f. Patria est, ubicumque est bene: siehe Ubi bene, ibi patria, unten S. 168. Patriae inserviendo consumor. «Im Dienst für das Vaterland verzehre ich mich.» Der Wahlspruch des Reichsgründers und Reichskanzlers Otto von Bismarck (ein Faksimile in seinen «Gedanken und Erinnerungen», Band III, 1921), eine vaterländische Abwandlung der älteren Devise Aliis inserviendo consumor, «Im Dienst für andere verzehre ich mich», die mit dem Bild einer brennenden Kerze bereits in der Emblemata-Sammlung von Gabriel Rollenhagen (1613) erscheint. Eine ähnliche Fassung, Aliorum absumor in usus, «Zum Nutzen anderer verzehre ich mich», mit einem entsprechenden Bild findet sich bereits in der Sammlung von Nicolaus Taurellus (1602); vgl. Henkel-Schöne, Emblemata, Spalte 1363. Vgl. die entsprechende Devise Terar dum prosim, unten S. 164. (Sicelides Musae,) paulo maiora canamus. «(Sizilische Musen,) ein wenig Größeres wollen wir singen.» Vergil, Bucolica 4, 1. Der Dichter ruft die «sizilischen Musen» der Theokritischen und seiner Hirtendichtung zu einem Lied auf, das mit der prophetischen Ankündigung einer welthistorischen Zeitenwende, einer Wiederkehr des alten Goldenen Zeitalters, den Ton der Theokritischen «Idyllen» und seiner eigenen Hirtenlieder ins Heroische steigern soll.
PECTUS
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Pauper ubique iacet. «Der Arme liegt überall am Boden.» Ovid, Festkalender 1, 218; aus einer Rede des Janus über die Herrschaft des Geldes. Das Distichon, das in raffinierter rhetorischer Steigerung auf die Schlußpointe zuführt, lautet vollständig: In pretio pretium nunc est, dat census honores, / census amicitias; pauper ubique iacet, «Was heute gilt, ist das Geld, der Besitz verschafft Ämter und Würden, / Freunde verschafft der Besitz; arm giltst du überall nichts». Vgl. das daraus gewonnene mittelalterliche Sprichwort, einen vergleichsweise starr und streng gebauten «Leoninischen» Pentameter (in: Werner, Sprichwörter, D 128): Dives ubique placet, pauper ubique iacet, «Der Reiche findet überall Gefallen, der Arme liegt überall am Boden». Pax vobiscum! «Friede (sei) mit euch!» Nach dem Evangelium nach Lukas 24, 36 Vulgata: Pax vobis, «Friede (sei) euch!»; der Gruß des auferstandenen Jesus, als er nach der Rückkehr der Emmausjünger den Zwölfen erscheint. (Esto peccator,) pecca fortiter, (sed fortius fide et gaude in Christo, qui victor est peccati, mortis et mundi)! «(Sei allzeit ein Sünder,) sündige kräftig, (aber kräftiger noch glaube und freue dich in Christus, der Sieger ist über Sünde, Tod und Welt)!» Luther an Melanchthon, am 1. August 1521 (Weimarer Ausgabe, Briefwechsel, Nr. 424, Band 2, S. 372). Zum Abschluß einer Erörterung von Thesen seines Lehrers Karlstadt zu Zölibat und Abendmahl schreibt Luther: «Wenn du ein Prediger der Gnade bist, so predige nicht eine erdichtete, sondern eine wahrhaftige Gnade (gratiam non fictam, sed veram praedica); wenn diese eine wahrhaftige Gnade ist, so nehme sie eine wahrhaftige, nicht eine erdichtete Sünde hinweg (verum, non fictum peccatum ferto). ... Sei allzeit ein Sünder, sündige kräftig ...!» Luther schließt: Ora fortiter, etiam fortissimus peccator, «Bete kräftig, auch als der kräftigste Sünder!» Pectus est (enim), quod disertos facit, (et vis mentis). «(Denn) das Herz ist es, was den Redner macht, (und die Kraft des Geistes).» Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 10, 7, 15. Der Rhetorikprofessor fordert den angehenden Redner auf, er solle die Personen und die zu behandelnden Fragen, die
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PECUNIA
Hoffnungen und die Befürchtungen und überhaupt alles, wovon er sprechen wolle, bildhaft und lebhaft «vor Augen haben» und «in seine Empfindungen aufnehmen»; einzig und allein die lebendige Vergegenwärtigung aller Gegenstände seiner Rede und der daran geknüpften Empfindungen könne dem sorgsam ausgearbeiteten Kunstwerk beim Vortrag wieder Unmittelbarkeit und Eindringlichkeit verleihen. Pecunia non olet: siehe Non olet, oben S. 108. Per aspera ad astra. «Durch Rauhes zu den Sternen» (in dem Sinne: «Auf steinigem Weg, durch schwere Mühsal zur Vollkommenheit, zur Vergöttlichung»). Die Quelle der prägnanten, auf den lockeren Anklang zwischen aspera und astra und den Gegensatz von Irdischem und Himmlischem gestellten Prägung ist nicht nachgewiesen. Die mythische Vorstellung eines mühevollen Weges «zu den Sternen» deutet auf die Entrückung des Herakles an den Sternenhimmel; im Hintergrund stehen insbesondere die Mahnung des Hesiod: «Vor die Tüchtigkeit haben die Götter den Schweiß gesetzt ...; lang und steil ist der Weg zu ihr und rauh zu Anfang» (vgl. T∞w dÉ éret∞w fldr«ta yeo‹ propãroiyen ¶yhkan ..., oben S. 28), und die bei Xenophon, Memorabilien 2, 1, 21ff., überlieferte Fabel des Prodikos von Herakles am Scheideweg. Per aspera findet sich in einer lateinischen Wiedergabe der Hesiodstelle bei Cornelius Severus, Fragment 2, 1 (in: Morel, Fragmenta Poetarum Latinorum): Ardua virtuti longeque per aspera cliva / eluctanda via est, «Steil ist für die Tüchtigkeit und weithin über rauhe Anstiege zu erkämpfen der Weg»; ad astra begegnet in dem ermunternden Zuruf des Schutzgottes Apollo an den jungen Ascanius Sic itur ad astra, «So gelangt einer zu den Sternen» (unten S. 154). Die zugespitzte Prägung Per aspera ad astra scheint vorbereitet durch Seneca, Hercules furens 437: Non est ad astra mollis e terris via, «Es führt kein weicher Weg zu den Sternen von der Erde aus», und Silius Italicus, Punica 4, 603f.: ... perque aspera duro / nititur ad laudem virtus interrita clivo, «... und durch Rauhes strebt auf hartem Anstieg die Tüchtigkeit zum Ruhm, unerschrocken». Vgl. die Ordensregel des heiligen Benedikt 58, 8 Hanslik: Dura et aspera (sunt), per quae itur ad Deum, «Hart und rauh sind (die Wege), durch die einer zu Gott gelangt». In der Emblemata-Sammlung
PHILOSOPHIA
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von Gabriel Rollenhagen (1613) findet sich das Wortspiel Per angusta ad augusta, «Durch Bedrängendes zum Erhabenen»; vgl. Henkel-Schöne, Emblemata, Spalte 149. Per mutuum colloquium et consolationem fratrum. «Durch das Gespräch untereinander und die wechselseitige Tröstung der Brüder.» Martin Luther, Die Schmalkaldischen Artikel, Dritter Teil, Vom Evangelio (Weimarer Ausgabe, Werke, Band 50, S. 241); ein lateinischsprachiger Einschub im deutschsprachigen Text, zum Abschluß einer lockeren Aufzählung der vielerlei Mittel, durch die das Evangelium den Gläubigen mit seinem Rat und seiner Hilfe beistehen kann. Es folgt eine Berufung auf das Evangelium nach Matthäus, 18, 20: «Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind ...“ Perfer, obdura! «Halte durch, bleibe hart!» Catull, Carmina 8, 11; ein Aufruf des Dichters an sich selbst, in seinem quälenden Liebesschmerz um Clodia alias Lesbia. Das obdura ist im folgenden Vers und am Schluß des Gedichts wiederaufgenommen. Zitate finden sich bei Horaz, Satiren 2, 5, 39 (Persta atque obdura), und bei Ovid, Amores 3, 11, 7 (Perfer et obdura); Tristien 5, 11, 7 (Perfer et obdura, multo graviora tulisti). Perpetuum mobile. «Unaufhörlich Bewegliches». Die Bezeichnung Perpetuum mobile für eine ohne Antrieb unaufhörlich laufende Maschine findet sich zuerst bei Caspar Schott, Mechanica hydraulica-pneumatica (1657), S. 376, und Technica curiosa (1664), Buch 10 (mobile perpetuum). Die Vorstellung eines Perpetuum mobile geht bis ins 12. Jahrhundert zurück; anfänglich sprach man statt von einem «unaufhörlich Beweglichen» von «unaufhörlicher Bewegung» (perpetuus motus). Philosophia ancilla theologiae. «Die Philosophie (sei) die Dienerin der Theologie.» Wohl nach Petrus Damianus, De divina omnipotentia 5 (in: Migne, Patrologia Latina, Band 145, Spalte 603 Cf.): Quae tamen artis humanae peritia, si quando tractandis sacris eloquiis adhibetur, non debet ius magisterii sibimet arroganter arripere, sed velut ancilla dominae quodam famulatus obsequio subservire, «Diese Beschlagenheit in einer (nur) mensch-
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PIA
lichen Wissenschaft (der Philosophie) darf jedoch, wenn sie einmal zur Erklärung heiliger Schriftworte hinzugezogen wird, niemals das Recht des Lehramts anmaßend an sich reißen, sondern muß diesem vielmehr wie eine Dienerin ihrer Herrin in einer Art Gehorsam der Gehilfenschaft zu Diensten sein». Neben der «geflügelten» Formel erscheint auch die Abwandlung Philologia ancilla theologiae, «Die Philologie (sei) die Dienerin der Theologie». Pia desideria. «Fromme Wünsche» (heute zitiert in dem Sinne: «Unerfüllbare Wünsche»). Der Titel einer Schrift des lutherischen Theologen Philipp Jakob Spener: «Pia Desideria, oder: Herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen» (1675), eines weitverbreiteten Hauptwerks des lutherischen Pietismus. Speners Titel ist ein Zitat: Kurz zuvor war die fünfzig Jahre ältere Schrift «Pia Desideria» (1627) des belgischen Jesuiten Hermann Hugo in zwei deutschen Übersetzungen erschienen: «Das Klagen der büßenden Seel, oder: Die sogenannte Pia Desideria» (1672), und: «Himmelflammende Seelenlust, oder: Hermann Hugons Pia Desideria» (1675). Pia fraus. «Frommer Betrug.» Vielleicht aus Ovid, Metamorphosen 9, 711 (pia ... fraude). Der in sich widersprüchliche Ausdruck bezieht sich an der angeführten Stelle auf den mythischen «frommen Betrug» der Kreterin Telethusa: Ihr Gatte Ligdos, ein Mann aus dem Volk, hatte sich einen Sohn gewünscht und für den Fall der Geburt einer Tochter deren Tötung verfügt; als Telethusa ein Mädchen gebiert, gibt sie das Kind als Knaben aus und erzieht es unter dem Unisex-Namen Iphis als Knaben. Die pietas bezeichnet im Lateinischen neben der Ehrfurcht gegenüber den Göttern insbesondere auch die wechselseitige Ehrfurcht gegenüber den Eltern und den Kindern. Plenus venter non studet libenter. «Ein voller Bauch studiert nicht gern.» Der Ursprung des Wortes ist nicht nachgewiesen; seine gereimte Form verweist auf das Mittelalter, die versteckte Mahnung auf mönchische Askese. Die Sentenz geht letztlich auf einen sprichwörtlich geläufigen griechischen (Tragiker?)-Vers zurück: Paxe€a gastØr leptÚn oÈ t€ktei nÒon, «Ein
POETICA
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dicker Bauch bringt keinen feinen Sinn hervor», der mehrfach ohne Nennung eines Autors zitiert ist, so als ein «von allen im Munde geführtes, sehr wahres Wort» bei Galen, Utrum medicinae sit an gymnastices hygieine, Band V, S. 878 Kühn, bei Philoponos, Kommentar zu Aristoteles, De anima, in: Commentaria in Aristotelem Graeca, Band 15, S. 51, Zeile 10, sowie in der Sprichwortsammlung des Apostolios 5, 22 (in: LeutschSchneidewin, Paroemiographi Graeci, Band II, S. 337). Lateinische Versionen des griechischen Sprichworts finden sich bei Hieronymus, Briefe 52, 11, 4: Pinguis venter non gignit sensum tenuem, «Ein fetter Bauch bringt keinen feinen Sinn hervor», und in den Scholien zu Persius, Satiren 1, 56: ... ex ventre crasso tenuem sensum non nasci, «... aus einem dicken Bauch gehe kein feiner Sinn hervor». Poetica licentia. «Dichterische Freiheit.» Der Begriff erscheint so zuerst bei Seneca, Naturales quaestiones 2 (De fulminibus et tonitribus), 44, 1 (poeticam ... licentiam); vgl. Cicero, De oratore 3, 38, 153, wo es heißt, daß ungebräuchliche Wörter «der Freiheit der Dichter» (poetarum licentiae) eher freistehen als der rhetorischen, und Ovid, Amores 3, 12, 41f.: «Ins Unermeßliche hinaus geht die fruchtbare Freiheit der Dichter (licentia vatum), und bindet ihre Worte nicht durch historische Treue.» Die «geflügelte» lateinische Prägung ist eine Lehnübersetzung der griechischen poihtikØ §jous€a, die zuerst bei Agatharchides, De mari Erythraeo 1, 4 (in: Müller, Geographi Graeci minores, Band I, S. 112) erscheint. Das musische Postulat der dichterischen Freiheit tritt der unter dem alten Schlagwort Pollå ceÊdontai éoido€, «Vieles lügen die Dichter» (vgl. oben S. 26), von Xenophanes von Kolophon eröffneten und von Platon fortgeführten philosophischen Mythen- und Dichterkritik entgegen. Horaz, Ars poetica 9f., erklärt, Pictoribus atque poetis / quidlibet audendi semper fuit aequa potestas, «Malern und so auch Dichtern war schon immer, alles Mögliche zu wagen, gleiche Vollmacht gegeben», und Lukian, Pro imaginibus 18, spricht später von einem «alten Wort, daß Dichter und Maler niemandem Rechenschaft schuldig seien». Plinius der Jüngere, Briefe 6, 21, 6, sagt einmal geradezu: ... nisi quod tamen poetis mentiri licet, «... außer daß doch den Dichtern zu lügen erlaubt ist». Tertullian, Adversus Marcionem 1, 3, 1, stellt der poetica et pictoria licentia, der «dichterischen und malerischen
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POTIUS
Freiheit», ironisch als dritte im Bunde eine haeretica (licentia), eine «häretische Freiheit», zur Seite. Potius amicum quam dictum perdere. «Lieber einen Freund als ein Wort verlieren» (in dem Sinne: «Lieber einen Freund verlieren als ein Witzwort unterdrücken»). Nach Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 6, 3, 28: Laedere numquam velimus, longeque absit illud propositum potius amicum quam dictum perdendi, «Verletzen sollten wir niemals wollen, und fern sei uns jener (berüchtigte) Vorsatz, lieber einen Freund als ein Wort zu verlieren». Eine Anspielung auf die offenbar geläufige Wendung findet sich schon bei Horaz, Satiren 1, 4, 34f.: Dummodo risum / excutiat sibi, non hic cuiquam parcet amico, «Wenn er nur einen Lacher für sich herausschlagen kann, wird der seinen besten Freund nicht schonen». Praeceptor Germaniae. «Lehrer Deutschlands.» Der Ehrentitel Philipp Melanchthons (1497-1560), mit dem schon die Zeitgenossen – wir wissen nicht, wer als erster – die Verdienste des großen Humanisten, Theologen und Reformators um die Erneuerung der Universitäten und Lateinschulen gewürdigt haben. Melanchthons Gegenspieler Andreas Osiander stellt den Ruhmestitel in seinem «Bericht und Trostbrief» (1551) mit Spott und Hohn an den Pranger: «Da soll der Mann Praeceptor Germaniae und Magister veritatis heißen!» In der Folge ist der Ehrentitel eines Praeceptor Germaniae auf den sieben Jahrhunderte älteren gelehrten Mainzer Kleriker Hrabanus Maurus (780–856, seit 847 Erzbischof von Mainz) übertragen worden, der mit einer Vielzahl von pädagogischen, theologischen und philosophischen Schriften und zumal seinem Lehrbuch «De institutione clericorum» auf lange Zeit hinaus die Bildung des Klerus geprägt hatte. Primum nil (oder: non) nocere. «Als erstes: (dem Patienten) in nichts (oder: nicht) schaden.» Die auf die Schlußpointe verkürzte lateinische Version einer Hippokratischen ärztlichen Maxime, nach Hippokrates, Epidemien 1, 11: ÉAske›n per‹ tå nosÆmata dÊo: »fele›n µ mØ blãptein, «In allen Krankheitsfällen dieses doppelte Ziel im Auge haben: zu nützen oder doch (wenigstens) nicht zu schaden».
PRO DOMO
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Primum vivere, deinde philosophari. «Zuerst leben, dann erst philosophieren» (in dem Sinne: «In erster Linie ein tätiges Leben führen, in zweiter Linie philosophische Studien treiben»). Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen; vgl. jedoch Ciceros Mahnung an seinen Sohn Marcus (bei Laktanz, Divinae institutiones 3, 14, 17, Fragmente der Briefe 8, 4): ... philosophiae quidem praecepta noscenda, vivendum autem esse civiliter, «... daß man die Vorschriften der Philosophie zwar kennenlernen, sein Leben aber auf bürgerliche Weise führen müsse». Der Entgegensetzung des «Lebens» und des «Philosophierens» in der lateinischen Sentenz liegt letztlich die Aristotelische Entgegensetzung des «Lebensnotwendigen» (énagka›on) oder der «Unmuße» (ésxol€a) auf der einen Seite und des «Schönen» (kalÒn) oder der «Muße» (sxolÆ) auf der anderen Seite zugrunde; vgl. Politik 7, 14. 1333 a 30ff. Principiis obsta! «Den Anfängen tritt entgegen!» Ovid, Heilmittel gegen die Liebe 91; das erste der vielerlei Heilmittel, die Ovid in dem reizvollen Lehrgedicht den unglücklich Liebenden empfiehlt. Seneca, Briefe an Lucilius 72, 11, bezieht den Rat auf die zeitraubenden Ablenkungen von der Philosophie und beschließt mit ihm den Brief: Principiis illarum obstemus! Melius non incipient, quam desinent, «Den Anfängen dieser Ablenkungen wollen wir entgegentreten! Besser, sie fangen gar nicht erst an, als daß sie einmal aufhören.» Pro captu lectoris habent sua fata libelli: siehe ... habent sua fata libelli, oben S. 79. (Oratio) pro domo. «(Rede) für sein Haus.» Der Titel der Rede, die Cicero nach seiner Rückberufung aus dem Exil im Herbst 57 v. Chr. vor dem Kollegium der Oberpriester hielt, um die Rückgabe seines Stadthauses am Nordosthang des Palatin zu erwirken. Sein Erzfeind Publius Clodius Pulcher hatte die hervorragend gelegene Liegenschaft nach Ciceros Verbannung zugunsten der Staatskasse eingezogen, bei der Versteigerung durch einen Strohmann in seine Hand gebracht und einen Teil davon der Libertas, der Göttin der Freiheit, geweiht. Das Geflügelte Wort bewahrt den früher gebräuchlichen Titel der Rede; in neueren Ausgaben lautet der Titel
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PROCUL
De domo sua, «Über sein eigenes Haus». Daher «eine Oratio pro domo halten, pro domo sprechen» in dem Sinne: «ein Plädoyer in eigener Sache halten, im eigenen Interesse sprechen». Procul negotiis: siehe Beatus ille, qui procul negotiis ..., oben S. 44. Procul, o procul este, profani! «Fern, o fern bleibt, Unheilige!» Vergil, Aeneis 6, 258; der Zuruf der cumäischen Sibylle an die Umstehenden, ehe sie mit Aeneas den Abstieg in die Unterwelt antritt. Vielleicht nach Kallimachos, Hymne an Apollon 2: ÑEkåw •kåw ˜stiw élitrÒw, «Fern, fern, wer von Frevel befleckt ist!» Vgl. das Horazische Odi profanum volgus et arceo, oben S. 115. Prodenda, quia prodita. «Die Dinge sind (den Nachfahren) zu überliefern, weil sie (von den Vorfahren) überliefert sind.» Die lateinische Entsprechung des Herodoteischen Leitworts l°gein tå legÒmena, «berichten, was berichtet wird», oben S. 20. Die Quelle der lateinischen Version ist nicht nachgewiesen. Vgl. auch Relata refero, unten S. 144. Punctum saliens. «Der springende Punkt.» Aristoteles, Historia animalium 6, 3. 561 a 11ff., erklärt, bei der Entwicklung des Eies zeige sich als erstes «so groß wie ein Punkt, blutfarben im Weißen, das Herz»: ToËto d¢ tÚ shme›on phdò ka‹ kine›tai Àsper ¶mcuxon ..., «Dieser Punkt springt und bewegt sich wie ein lebendiges Wesen ...» Plinius der Ältere, Naturgeschichte 10, 148, nimmt die Beobachtung auf: In allen Eiern, in der Mitte des Gelben, finde sich ein kleiner wie blutfarbener Tropfen, den man in der Annahme, dieses werde in allen Körpern als erstes gebildet, für das Herz der Vögel halte: In ovo certe gutta ea salit palpitatque, «Im Ei jedenfalls springt dieser Tropfen und klopft.» Ein früher Beleg für die Prägung Punctum saliens findet sich in: Ulisse Aldrovandi, Ornithologia, Frankfurt/Main 1610, Band II, Buch 14, Kapitel 1 (Seite 101, rechte Spalte, Zeile 67). Im Sprachgebrauch der Gegenwart ist dieser «blutfarbene, springende Punkt», in dem das Leben zu pulsen beginnt, zum «wichtigsten, entscheidenden Punkt» einer Argumentation geworden.
Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat; quae ferrum non sanat, ignis sanat; (quae vero ignis non sanat, insanabilia reputari oportet). «Was Medikamente nicht heilen, heilt das Eisen; was das Eisen nicht heilt, heilt das Feuer; (was aber das Feuer nicht heilt, muß als unheilbar angesehen werden).» Aus den unter dem Namen des Hippokrates überlieferten «Aphorismen», 7, 87, das Schlußwort der Sammlung. Das Original des strenggebauten dreigliedrigen Spruches lautet: ÑOkÒsa fãrmaka oÈk fi∞tai, s€dhrow fi∞tai: ˜sa s€dhrow oÈk fi∞tai, pËr fi∞tai: ˜sa d¢ pËr oÈk fi∞tai, taËta xrØ nÒm€zein én€hta. Der frischernannte Regimentsmedicus Friedrich Schiller hat die ersten beiden Glieder des Aphorismus in ihrer lateinischen Version zum Motto seines Schauspiels «Die Räuber» gemacht. Qualis rex, talis grex. «Wie der König, so die Herde» oder in entsprechendem Gleichklang: «Wie der Herr, so das Gescherr». Die Quelle der «geflügelten» Prägung ist nicht nachgewiesen; die Reimwörter lassen mittelalterlichen Ursprung vermuten. Zugrunde liegt ein antikes Sprichwort; vgl. Petron, Satiricon 58, 3: Qualis dominus, talis et servus, «Wie der Herr, so auch der Sklave», und Cicero an Publius Cornelius Lentulus Spinther, Briefe an Freunde 1, 9, 12, mit Berufung auf Platon: ... quales in re publica principes essent, tales reliquos solere esse cives, «... wie im Staat die führenden Männer seien, so pflegten auch die übrigen Bürger zu sein», sowie die Umkehrung bei Hieronymus, Briefe 7, 5: ... talisque sit rector, quales illi, qui reguntur, «... und so sei der Herrscher, wie die, die beherrscht werden». Entsprechende Claudianzitate bei Otto, Sprichwörter, Nr. 1538. Cicero, Briefe an Atticus 5, 11, 5, spielt auf das Sprichwort in seiner
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QUAMDIU
reizvollen griechischen Fassung «Wie die Herrin, so die Hündin» an; vgl. Platon, Staat 8. 563 C. Quamdiu stat Colisaeus, stat et Roma; quando cadet Colisaeus, cadet et Roma; quando cadet Roma, cadet et mundus. «Solange das Kolosseum steht, steht auch Rom; wenn das Kolosseum (einmal) fällt, fällt auch Rom; wenn Rom (einmal) fällt, fällt auch die Welt.» Aus der unter dem Namen des Beda Venerabilis überlieferten Schrift «Flores ex diversis, quaestiones et parabolae» (in: Migne, Patrologia Latina, Band 94, Spalte 543 B). Vgl. Urbs aeterna, unten S. 171. Quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant. «Wenn sie auch unter Wasser sind, (noch) unter Wasser versuchen sie zu schmähen.» Ovid, Metamorphosen 6, 376. Von der eifersüchtigen Juno umgetrieben, hatte die Göttin Latona mit ihren neugeborenen Zwillingen Apollo und Diana in Lykien Zuflucht gesucht; als die lykischen Bauern ihr einen erfrischenden Trunk aus ihrem Teich verwehrten, die Göttin schmählich beleidigten und das Wasser mutwillig trübten, verwandelte Latona sie allesamt in lauthals quakende Frösche. Mit dem quamvis am Anfang und dem wiederholten sub aqua in der Mitte ist der Ovidische Vers ein Musterbeispiel der Lautmalerei. Quandoque bonus dormitat Homerus. «Dann und wann schläft (selbst) der (sonst so) gute Homer einmal» (in dem Sinne: «... unterläuft selbst dem Meister einmal ein Fehler»). Aus Horaz, Ars poetica 359f.: Indignor, quandoque bonus dormitat Homerus; / verum operi longo fas est obrepere somnum, «Ich nehme Anstoß, wenn der (sonst so) gute Homer einmal schläft; aber es ist verzeihlich, wenn in ein langes Werk der Schlaf sich einschleicht». In dem Geflügelten Wort wird der abhängige Satz als eigenständiger Satz, die Konjunktion quandoque, «wenn einmal», als Adverb, «dann und wann», genommen. Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 10, 1, 24, stellt dem Horazischen Indignor, quandoque bonus dormitat Homerus eine offenbar geläufige Bemerkung aus einem Freundesbrief Ciceros (Fragmente der Briefe IX A, 3 und 4) zur Seite: ... cum Ciceroni dormitare interim Demosthenes, Horatio vero etiam Homerus ipse videatur, «... da ja dem Cicero zuweilen (selbst)
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Demosthenes, dem Horaz sogar Homer selbst zu schlafen scheint»; vgl. auch Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 12, 1, 22 (quamquam neque ipsi Ciceroni Demosthenes videatur satis esse perfectus, quem dormitare interim dicit), und Plutarch, Cicero 24, 6. In Horazens «Ars poetica» folgt in Vers 361: Ut pictura poesis, unten S. 172, und in Vers 365: Haec placuit semel, haec deciens repetita placebit, oben S. 54. Quem di diligunt, / adulescens moritur. «Einer, den die Götter lieben, stirbt jung.» Plautus, Bacchides 816f. Die lateinische Sentenz ist Wort für Wort aus der griechischen Vorlage der Plautinischen Komödie, aus Menanders «Doppeltem Betrüger», übersetzt; das offenbar in der griechischen Welt vielzitierte, mehrfach als Einzelvers überlieferte griechische Original lautet: àOn ofl yeo‹ filoËsin, époynπskei n°ow, «Einer, den die Götter lieben, stirbt jung» (Menander, Fragment 111 Körte). Qui tacet, consentire videtur. «Wer schweigt, scheint zuzustimmen.» Papst Bonifatius VIII., Liber sextus decretalium 5, 12, 43. In Anlehnung an den Juristen Paulus im Corpus iuris civilis, Digesten 50, 17, 142 (Qui tacet, non utique fatetur, sed tamen verum est eum non negare, «Wer schweigt, gesteht nicht geradezu, aber es ist dennoch wahr, daß er nicht leugnet»), präzisiert die folgende Regel 5, 12, 44: Is, qui tacet, non fatetur, sed nec utique negare videtur, «Der, der schweigt, gesteht nicht, aber er scheint auch nicht geradezu zu leugnen». Vgl. Cicero, Rede für Sestius 18, 40: ... tacendo loqui, non infitiando confiteri videbantur, «... durch ihr Schweigen schienen sie zu sprechen, durch ihr Nicht-Leugnen zu gestehen»; De inventione 1, 32, 54: ... quoniam taciturnitas imitatur confessionem, «... da ja (beharrliches) Schweigen einem Geständnis gleichkommt», und Seneca der Ältere, Controversiae 10, 2, 6: Sed silentium videtur confessio, «Aber das Schweigen scheint ein Geständnis». Die Regel scheint auch im attischen Recht geläufig gewesen zu sein; darauf deutet Platon, Apologie des Sokrates 27 C: «Ich nehme nämlich an, daß du zustimmst, da du ja nicht antwortest.» Vgl. Cum tacent, clamant, oben S. 53. Quid est veritas? «Was ist Wahrheit?» Evangelium nach Johannes 18, 38 Vulgata; die Frage, mit der Pilatus das Verhör Jesu abschließt. Im Evan-
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QUID NON
gelium bleibt die Frage unbeantwortet. Ein aus den vierzehn Buchstaben ebendieses Quid est veritas? gebildetes sogenanntes «Anagramm» unbekannter Herkunft antwortet: Est vir, qui adest, «Es ist der Mann, der da ist». Vgl. das Jesuswort im gleichen Evangelium nach Johannes 14, 6 Vulgata: Ego sum via et veritas et vita, «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben». Quid non mortalia pectora cogis: siehe ... auri sacra fames, oben S. 41, und Improbe Amor, quid non mortalia pectora cogis, oben S. 84. Quid novi ex Africa? «Was (gibt es) Neues aus Afrika?» Nach einer ursprünglich auf die unerschöpfliche Vielfalt der afrikanischen Tierwelt bezüglichen griechischen Redensart, die Plinius der Ältere, Naturgeschichte 8, 42, in lateinischer Version zitiert: Unde etiam vulgare Graeciae dictum semper aliquid novi Africam adferre, «Daher auch die volkstümliche Redensart Griechenlands, Afrika bringe immer wieder etwas Neues hervor». Das griechische Original erscheint zweimal, beide Male als «Sprichwort» angeführt, in den zoologischen Schriften des Aristoteles: Historia animalium 8, 28. 606 b 19f.: ÉAe‹ LibÊh f°rei ti kainÒn, «Immer wieder bringt Libyen etwas Neues hervor», und De generatione animalium 2, 7. 746 b 7f.: ... …w ée€ ti t∞w LibÊhw trefoÊshw kainÒn, «... da Libyen immer wieder etwas Neues hervorbringe». Vgl. die witzige Übertragung bei dem Komödiendichter Anaxilas, Hyakinthos, Fragment 27 (in: Kock, Comicorum Atticorum Fragmenta, Band II, S. 272): «Die Musik bringt wie Libyen – bei den Göttern! – jedes Jahr wieder eine neue Spezies hervor.» Die Bezeichnung «Libyen» steht hier jeweils für den ganzen Kontinent. Quid sit futurum cras, fuge quaerere! «Was morgen sein wird, meide zu fragen!» Horaz, Oden 1, 9, 13. Im Sinne der Epikureischen Lebensphilosophie ruft Horaz einen jungen Freund auf, jeden einzelnen Tag, den das Schicksal ihm schenke, «zum Gewinn zu schlagen» und die Jugend – Liebe und Tanz – unbekümmert um die Zukunft zu genießen. Die Oden 1, 9 und 1, 11 stehen in naher Entsprechung zueinander; die Ode 1, 11 beginnt mit der Mahnung Tu ne quaesieris, ... quem mihi, quem tibi / finem di dederint, unten S. 166, und gipfelt in dem vielzitierten Epikureischen Imperativ Carpe diem!, «Ergreife den Tag!», oben S. 47.
QUIDQUID
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Quidquid agis, prudenter agas et respice finem. «Was du auch tust, tu es klug und habe acht auf das Ende.» Gesta Romanorum 103. Die hier als erste von drei Lebensregeln angeführte Mahnung geht vielleicht zurück auf das apokryphe alttestamentliche Buch Jesus Sirach, 7, 40 (36) Vulgata: In omnibus operibus tuis memorare novissima tua, et in aeternum non peccabis, «Bei allen deinen Handlungen denke an deine letzten Stunden, und du wirst auf ewig nicht fehlgehen». Der griechische Locus classicus für solches «Achthaben auf das Ende» ist die Mahnung des Atheners Solon, eines der Sieben Weisen, an den sprichwörtlich reichen Lyderkönig Kroisos bei Herodot, Geschichte 1, 32, 9: Skop°ein d¢ xrØ pantÚw xrÆmatow tØn teleutØn, kª épobÆsetai, «Auf das Ende einer jeden Sache muß man schauen, wie sie einmal ausgehen wird». Vgl. auch Äsops Fabel von dem Fuchs und dem Bock im Brunnen (Nr. 9 Perry) mit der Moral: «So sollen auch bei den Menschen die Klugen erst auf den Ausgang der Dinge schauen und dann erst sie anpacken.» Quidquid delirant reges, plectuntur Achivi. «Was immer die Könige Wahnwitziges tun, die Achäer (in dem Sinne: das gemeine Volk) haben dafür zu büßen.» Horaz, Episteln 1, 2, 14. Horaz bezieht sich auf den Streit zwischen Achilleus und Agamemnon, von dem die «Ilias» ausgeht, und den Zorn des Achilleus, der «zehntausend Schmerzen über die Achäer brachte und viele kraftvolle Seelen dem Hades vorwarf von Helden ...» (Homer, Ilias 1, 2ff.) Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes. «Was es auch ist, ich fürchte die Danaer (die Griechen), auch wenn sie Geschenke bringen.» Vergil, Aeneis 2, 49; der Warnruf des Laokoon. Bei ihrem hinterlistig vorgetäuschten Abzug von Troja hatten die Griechen ein riesiges hölzernes Pferd voller schwer gerüsteter Kämpfer in seinem Inneren am Strand zurückgelassen; als ein Trojaner rät, es in die Stadt zu ziehen, ruft der Priester Laokoon die unschlüssig schwankende Menge zum Mißtrauen auf (Vers 43f.): ... aut ulla putatis / dona carere dolis Danaum? Sic notus Ulixes?, «... oder glaubt ihr, irgendwelche Geschenke der Griechen seien frei von Arglist? Ist Odysseus so bekannt?» Das Geflügelte Wort bildet den pointierten Schluß seiner kurzen Rede. Die ersten Worte Quidquid id est ..., «Was das auch ist ...», beziehen sich in der Vergilischen Szene auf das
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QUIETA
«Danaergeschenk» dieses «Trojanischen Pferdes»; in dem Geflügelten Wort werden sie im Sinne eines allgemeinen «Was es auch ist ...» verstanden. Quieta non movere. «Ruhendes nicht aufrühren.» Die lateinische Version der griechischen Lebensregel MØ kine›n tå ék€nhta, «Das Unbewegte nicht bewegen», oben S. 21. Die Quelle des lateinischen Wortes ist nicht nachgewiesen; vgl. aber Sallust, Verschwörung des Catilina 21, 1: ... tametsi illis quieta movere magna merces videbatur, «... wenn ihnen (den Catilinariern) auch (schon dieses), die ruhigen Verhältnisse in Bewegung zu bringen, als ein großer Gewinn erschien». Quin(c)tili Vare, redde legiones!: siehe Vare, redde legiones!, unten S. 175. Quis custodit custodes? «Wer überwacht die Wächter?» Nach Juvenal, Satiren 6, 347f.: Sed quis custodiet ipsos / custodes?, «Aber wer wird die Wächter selbst überwachen?» (gleichlautend wiederholt gegen Ende eines an Vers 365 anschließenden, nur in einer Oxforder Handschrift enthaltenen Einschubs, Vers O 31f.). Der Satiriker spricht an der Stelle von Sklaven, die ein von Eifersucht geplagter Ehemann seiner abenteuerlustigen Frau als Aufpasser beigibt – an diesen werde sie, schlau wie sie ist, ihre Verführungskünste zuallererst versuchen. Die paradoxe Vorstellung einer Überwachung der Überwacher begegnet bereits bei Platon, Staat 3. 403 E, mit Bezug auf den herrschenden Stand der philosophisch gebildeten «Wächter»: «Es wäre ja auch lächerlich, wenn der Wächter wieder eines Wächters bedürfte.» Wohl in irrtümlicher Zurückführung auf diese sogenannten «Wächter» der Platonischen Staatsutopie und vielleicht sogar im Anschluß an diese beiläufige ironische Bemerkung wird Juvenals so schlicht wie scharf formulierte rhetorische Frage heute vielfach auf die höchsten Instanzen von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung bezogen, in dem Sinne: «Wer beaufsichtigt die Aufsichtsbehörden?» Quis leget haec? «Wer soll (all) das lesen?» Persius, Satiren 1, 2, in souveräner Selbstironie zur Eröffnung seines Buches. Vorausgeht in Vers 1 das Luciliuszitat O curas hominum, o quantum est in rebus inane, oben S. 114.
QUOD ERAT
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(Domine), quo vadis? «(Herr), wohin gehst du?» Pseudo-Linus, Martyrium beati Petri apostoli 6 (in: Acta apostolorum apocrypha, herausgegeben von R. A. Lipsius und M. Bonnet, Band I, 1891, Nachdruck 1959, S. 7). Die Legende berichtet, bei der ersten großen Christenverfolgung, die Kaiser Nero nach dem Brande Roms im Jahre 64 n. Chr. einleitete, habe der Apostel Petrus aus der Hauptstadt fliehen wollen. Am Stadttor sei Christus ihm entgegengekommen; Petrus habe ihn angebetet und ihn gefragt: Domine, quo vadis? «Herr, wohin gehst du?» Als Christus ihm antwortete: Venio iterum crucifigi, «Ich komme, mich noch einmal kreuzigen zu lassen», sei Petrus in die Stadt zurückgegangen, um sein Martyrium auf sich zu nehmen. Die kleine Kirche «Domine, quo vadis?» am Anfang der Via Appia Antica und ein Abdruck des Fußes Christi in der nahen Kirche San Sebastiano ad catacumbas erinnern an die legendäre Begegnung. Quod bonum, faustum, felix fortunatumque sit. «Was gut, glückbringend, erfolgreich und gesegnet sei.» Eine ehrwürdige Segensformel, in dieser viergliedrigen Form zitiert zum Beispiel bei Cicero, De divinatione 1, 45, 102 (... esset), und ähnlich bereits bei Plautus, Trinummus 40f. (ut nobis haec habitatio / bona, fausta, felix fortunataque evenat). Meist wird die Formel in der dreigliedrigen Form quod bonum, faustum felixque sit zitiert, so zum Beispiel bei Livius, Ab urbe condita 1, 17, 10, gelegentlich auch mit dem vierten Glied salutare, «heilbringend». Valerius Messalla gebrauchte die Formel quod bonum faustumque sit tibi domuique tuae, «was gut und glückbringend sei für dich selbst und dein Haus», als er Kaiser Augustus im Namen von Senat und Volk als pater patriae, «Vater des Vaterlandes» (oben S. 123), begrüßte (Sueton, Augustus 58, 2). Ein parodistisches Zitat bei Apuleius, Metamorphosen 2, 6, 8. Quod erat demonstrandum (q. e. d.) «... was zu zeigen war» (in dem Sinne: «... was zu beweisen war»). Euklid, Elemente 1, 4, am Ende, und öfter. Die lateinische Version der stereotypen Schlußformel ... ˜per ¶dei de›jai, mit der Euklid in seinem klassischen Lehrbuch der Geometrie jeweils am Ende des Beweises auf den eingangs aufgestellten Lehrsatz zurückweist. Im Gefolge der Jugendunruhen von 1968 ist die an «Demonstra-
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QUOD LICET
tion», kurz «Demo», anklingende Euklidische Formel hie und da ins Politische gewendet worden, in dem Sinne: «... was anzuprangern war». Quod licet Iovi, non licet bovi. «Was Jupiter erlaubt ist, ist einem Rindvieh nicht erlaubt» (in dem Sinne: «Was der Nr. 1 erlaubt ist, ist deswegen noch lange nicht jedem anderen erlaubt»). Die Quelle der Prägung ist nicht nachgewiesen; die Reimworte verweisen auf das Mittelalter. Eine Anspielung auf den Europamythos, in dem der Göttervater Zeus alias Jupiter in der Gestalt eines Stieres die phönizische Königstochter Europa über das Meer nach Kreta entführt, ist hinter dem Geflügelten Wort kaum zu vermuten. Eher mag Terenz, Heautontimorumenos 797, das vergleichsweise farblose Muster für das fröhliche Wortspiel mit Jupiter und dem Rindvieh geboten haben: Aliis si licet, tibi non licet, «Wenn es anderen erlaubt ist, ist es dir (deswegen noch lange) nicht erlaubt». Vgl. das gleichfalls Terenzische Duo cum faciunt idem, non est idem, oben S. 62. Quod non est in actis, non est in mundo. «Was nicht in den Akten ist, ist nicht auf der Welt» (in dem Sinne: «Was nicht in die Prozeßakten eingegangen ist, hat im Verfahren keine Gültigkeit»). Der Ursprung des Wortes ist nicht nachgewiesen, so wenig wie die Quelle der entsprechenden Regel Quod non legitur, non creditur, «Was nicht gelesen wird, wird nicht geglaubt» (in dem Sinne: «Was nicht schriftlich vorliegt, wird nicht anerkannt»). Vgl. Verba volant, scripta manent, unten S. 177. Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini. «Was (einst) die Barbaren nicht getan haben, das haben (jetzt) die Barberini getan.» Der dem Apostolischen Protonotar Carlo Castelli zugeschriebene zeitgenössische Spottvers ist gemünzt auf Papst Urban VIII. (1568-1644, Papst seit 1623) aus der römischen Adelsfamilie der Barberini; er brandmarkt als «barbarischen Vandalenakt», daß dieser die Vorhalle des Pantheons ihrer bronzenen Kassettendecke beraubt hatte, um daraus das Tabernakel über dem Hauptaltar der Peterskirche und achtzig Kanonen zur Aufstellung auf der Engelsburg gießen zu lassen. Die Westgoten unter Alarich hatten Rom im Jahre 410, die Vandalen unter Geiserich 455 n. Chr. geplündert. In einer Inschrift in der Vorhalle des Pantheon aus dem Jahre 1632 erklärt
QUOD SUPRA
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Papst Urban VIII. den so geschmähten «Vandalenakt» als ein sinnvolles Recycling: Er habe die aus dem alten Allgöttertempel überkommene bronzene Kassettendecke eingeschmolzen, ut decora inutilia / et ipsi prope Famae ignota / fierent / in Vaticano templo / Apostolici sepulchri ornamenta / in Hadriana arce / instrumenta publicae securitatis, «daß der unnütze und nahezu der Fama selbst unbekannte Zierat werde im Vatikanischen Tempel zu Schmuckstücken des Apostolischen Grabes, in der Hadrianischen Burg zu Werkzeugen der öffentlichen Sicherheit» (vgl. Bartels, Roms sprechende Steine, Nr. 4.4). Quod omnes tangit, debet ab omnibus approbari. «Was alle berührt, muß (auch) von allen gebilligt werden.» Papst Bonifatius VIII., Liber sextus decretalium 5, 12, 29, nach dem Corpus iuris civilis, Codex Iustinianus 5, 59, 5, 2: ... ut, quod omnes similiter tangit, ab omnibus comprobetur, «... daß, was alle gleicherweise berührt, (auch) von allen gebilligt werde». Quod scripsi, scripsi. «Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.» Evangelium nach Johannes 19, 22 Vulgata; der römische Statthalter Pontius Pilatus zu den jüdischen Hohepriestern, die den Text der Inschrift über dem Kreuz Jesu: Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum (INRI), «Jesus von Nazareth, der König der Juden», abgeändert haben wollten. Quod supra nos, nihil ad nos. «Was über uns (hinausgeht), (bedeutet) nichts für uns» (in dem Sinne: «Was über unser – menschliches – Erkenntnisvermögen hinausgeht, hat keine Bedeutung für unsere Lebensführung»). Die prägnante Maxime wird mehrfach als Ausspruch des Sokrates angeführt, so bei Minucius Felix, Octavius 13, 1, bei Laktanz, Divinae institutiones 3, 20, 10; Epitome divinarum institutionum 32, 3 (... quod supra nos esset, nihil ad nos pertinere, «... daß, was über uns hinausgeht, nichts für uns bedeute») und bei Hieronymus, Apologia adversus libros Rufini 3, 28. 478 B (Quae supra nos ...); lediglich Tertullian, Ad nationes 2, 4 (Quae super nos ...), führt das Wort – versehentlich? – als einen Ausspruch des Epikur an. Das der lateinischen Version genau entsprechende griechische Original ist in der Sprichwortsammlung des Apostolios 15, 95 C (in: Leutsch-Schneidewin, Paroemiographi Graeci, Band II, S. 654) überliefert:
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QUOS
Tå Íp¢r ≤mçw oÈd¢n prÚw ≤mçw. Die Maxime bezieht sich in erster Linie auf die im doppelten Sinne «über uns» hinausgehenden Himmelserscheinungen. In ihrer apodiktischen Schärfe wirkt sie eher kynisch als sokratisch; immerhin konnte sich ihre Absage an die Naturwissenschaft, wie das Zeugnis des Sextus Empiricus, Adversus mathematicos 7, 8, erkennen läßt, ohne weiteres an die verzerrende Apologetik anschließen, mit der Xenophon, Memorabilien 1, 1, 11ff. und 4, 7, 5ff., seinen Lehrer Sokrates von der Anklage gotteslästerlichen Astronomisierens zu entlasten trachtete. Nach dem Zeugnis des Stobaios, Anthologie 2, 1, 24, geht die Gegenüberstellung der Naturwissenschaft als «über uns hinausgehend» (Íp¢r ≤mçw, supra nos) und der Ethik als «uns angehend» (prÚw ≤mçw, ad nos) auf Ariston von Chios, einen Schüler des Zenon von Kition, zurück. Cicero, De re publica 1, 10, 15, lässt den jüngeren Scipio eine entsprechende Äusserung des Sokrates zitieren. Quos deus perdere vult, dementat prius. «Die der Gott verderben will, schlägt er zuvor mit Wahnsinn.» Nach Publilius Syrus, Sentenzen S 29: Stultum facit Fortuna, quem vult perdere, «Zum Toren macht Fortuna, den sie verderben will». Dem lateinischen Komödienvers liegt wohl ein griechisches Tragikerwort zugrunde, das ohne Nennung eines Autors in den Scholien zu Sophokles, Antigone 620 (in: Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Adespota, Fragment 455) angeführt wird: ÜOtan dÉ ı da€mvn éndr‹ porsÊn˙ kakã, / tÚn noËn ¶blace pr«ton, / ⁄ bouleÊetai, «Wenn der Gott einen Mann ins Unglück stürzen will, verstört er ihm zuerst den Verstand, mit dem er zu Rate geht». Quos ego ...! «Euch (werd’) ich ...!» Vergil, Aeneis 1, 135. Der Meergott Neptun herrscht die vier Winde an, die vor der Küste von Karthago ohne sein Geheiß das Meer aufgewühlt und die Flotte des Aeneas versprengt haben, oder vielmehr: Er setzt nur dazu an und bricht gleich wieder ab: Er hat zunächst die Wogen zu glätten. Das Wort ist das Musterbeispiel einer rhetorischen «Aposiopese», des plötzlichen Abbrechens und Verstummens in erregter Rede. Die klassische Drohung findet sich zweimal auf den Wänden von Pompeji (Corpus Inscriptionum Latinarum, Band IV, Nr. 4409, vgl. Nr. 8798).
QUOUSQUE
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Quot capita, tot sensus: siehe das hier folgende Quot homines, tot sententiae. Quot homines, tot sententiae. «Wie viele Menschen, so viele Meinungen.» In dieser knappen Fassung erscheint das lateinische Sprichwort zuerst bei Terenz, Phormio 454, später bei Cicero, De finibus bonorum et malorum 1, 5, 15, und bei Ambrosius, De virginibus 2, 5, 33. Horaz, Satiren 2, 1, 27f., erklärt: Quot capitum vivunt, totidem studiorum / milia, «Wie viele Köpfe leben, ebenso viele tausend Bestrebungen (gibt es)», wozu der antike Horazkommentator Porphyrio anmerkt: Dicit: Quot homines, tot esse sententias, «Er meint: Wie viele Menschen, so viele Meinungen gebe es». Ovid, Liebeskunst 1, 759, hat das Sprichwort in einen Hexameter gefaßt: Pectoribus mores tot sunt, quot in ore figurae, «Im Inneren (des Menschen) gibt es so viele Wesenszüge wie in seinem Äußeren Gesichtszüge». Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 826. Aus der Verbindung der Terenz- und der Horazstelle ist das vielzitierte Geflügelte Wort Quot capita, tot sensus, «Wie viele Köpfe, so viele Sinne», hervorgegangen. Quousque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? «Wie lange schließlich noch willst du, Catilina, unsere Geduld mißbrauchen?» Cicero, 1. Rede gegen Catilina 1, 1. Der dramatische Auftakt der Rede vor dem Senat, mit der Cicero am 7. November 63 v. Chr. die Catilinarische Verschwörung aufdeckte. Lucius Sergius Catilina, der Anführer der Verschwörung, nahm an der Senatssitzung teil; unter dem überwältigenden Eindruck der Ciceronischen Rede verließ er die Hauptstadt noch in der folgenden Nacht. Sallust, Verschwörung des Catilina 20, 9, hat die pathetische Frage dem Catilina in den Mund gelegt: Quae quousque tandem patiemini ...?, «Wie lange schließlich noch werdet ihr das dulden ...?»; Livius, Ab urbe condita 6, 18, 5, hat sie an den Anfang der Rede gestellt, mit der Marcus Manlius Capitolinus die Plebejer aufhetzt: Quousque tandem ignorabitis vires vestras ...?, «Wie lange schließlich noch werdet ihr eure Kräfte verkennen ...?» Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 9, 2, 7f., führt den dramatischen Auftakt der Ciceronischen Rede als das Musterbeispiel einer angriffigen, den Gegner bedrängenden rhetorischen Frage an.
Redde legiones!: siehe Vare, redde legiones!, unten S. 175. Relata refero. «Ich berichte das Berichtete». Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen. Die Berufung auf das «Berichtete» im Sinne des Überlieferten geht letztlich zurück auf die von Herodot, dem «Vater der Geschichtsschreibung» (vgl. Pater historiae, oben S. 123), vorgegebene Verpflichtung, «zu berichten, was berichtet wird» (l°gein tå legÒmena, oben S. 20), und das entsprechende lateinische Leitwort Prodenda, quia prodita, «Die Dinge sind zu überliefern, weil sie überliefert sind», oben S. 132. Rem tene, verba sequentur. «Halte dich an die Sache, die Worte werden folgen.» Cato der Ältere, Ad Marcum filium, Fragment 15, S. 80 Jordan, bei Julius Victor, Ars rhetorica 1 (in: Halm, Rhetores Latini minores, S. 374, Zeile 17f.), der die Regel als ein praeceptum paene divinum, eine «fast göttliche Vorschrift», anführt. Cato der Zensor, bekanntermaßen auch sonst kein Freund der griechischen Kultur, ermuntert seinen Sohn, sich über die subtilen Kunstregeln der griechischen Rhetorik hinwegzusetzen. Horaz, Ars poetica 310f., spielt in anderem Zusammenhang auf die Stelle an: Rem tibi Socraticae poterunt ostendere chartae, / verbaque provisam rem non invita sequentur, «Die Sache werden dir die Sokratischen Schriften zeigen können, und die Worte werden der im Vorhinein bedachten Sache nicht unwillig folgen». Repetitio est mater studiorum. «Die Wiederholung ist die Mutter der Wissenschaften.» Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen; es dürfte der Schule entflogen sein.
RIDENDO
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Rerum cognoscere causas: siehe Felix, qui potuit rerum cognoscere causas, oben S. 71. Res ad triarios venit (oder: rediit). «Die Sache ist an die Triarier gekommen.» Nach Livius, Ab urbe condita 8, 8, 8ff., wo die Redensart erklärt ist: Die römischen Legionen nahmen auf dem Schlachtfeld in drei tiefgestaffelten Linien hintereinander Aufstellung. Wurden die ersten beiden Linien, die sogenannten hastati und die principes, zurückgedrängt, zogen sie sich hinter die kampferprobten, erfahrenen triarii, wörtlich: «die Dreier, die in der dritten Linie», zurück, die dann überraschend zum Gegenangriff übergingen. Livius schließt, 8, 8, 11: Inde rem ad triarios redisse, cum laboratur, proverbio increbruit, «Daher ist die Redensart, die Sache sei an die Triarier gekommen, wenn es hart auf hart geht, gebräuchlich geworden». Res tantum cognoscitur, quantum diligitur. «(Jede) Sache wird nur soweit erkannt, soweit sie geschätzt wird.» Der Ursprung des Wortes ist nicht nachgewiesen. Reservatio mentalis. «Gedachter Vorbehalt». Der Begriff gilt einem lediglich gedachten, unausgesprochenen Vorbehalt, etwa bei einer Zusicherung oder einer Eidesleistung. Der Ursprung der Prägung ist nicht nachgewiesen; vgl. jedoch zum Beispiel Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation ... (Weimarer Ausgabe, Werke, Band 6, S. 425): «Der Bapst hat ein edlis fundlin, das heysset Pectoralis reservatio», «... in der Brust gehegter Vorbehalt», und besonders das Hauptwerk des jesuitischen Moraltheologen Hermann Busenbaum, Medulla theologiae moralis (1650), 3, 2, 2, 4, wo im entsprechenden Sinne von einer Restrictio mentalis, einer «gedachten Einschränkung», die Rede ist. Der französische Mathematiker, Physiker und Religionsphilosoph Blaise Pascal hat die Rechtfertigung einer solchen «gedachten Einschränkung» durch die Jesuiten in seinen «Lettres à un Provincial» (1656/1657), 9. Brief, scharf verurteilt. Ridendo dicere verum. «Mit Lachen die Wahrheit sagen.» Nach Horaz, Satiren 1, 1, 24f.: ... ridentem dicere verum / quid vetat?, «... lachend die Wahrheit zu sagen, was verbietet es?»
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RISUM
Risum teneatis, amici? «Könntet ihr das Lachen wohl unterdrücken, Freunde?» Horaz, Ars poetica 5. Der Dichter beginnt seinen Lehrbrief über die Dichtkunst mit einem drastischen Vergleich aus der Bildenden Kunst (vgl. Ut pictura poesis, unten S. 172): Wenn ein Maler «einen Menschenkopf auf einen Pferdehals setzen» und überhaupt groteske Mißgestalten aus lauter irgendwoher zusammengesuchten, irgendwie zusammengeflickten Gliedern vor Augen stellen wollte – «könntet ihr das Lachen wohl unterdrücken?» Auf den fiktiven Dialog folgt in Vers 23 das lapidare Postulat einer organischen Einheit: Denique sit quodvis, simplex dumtaxat et unum, «Schließlich: es sei, was du willst, solange es nur einfach und eines ist». Roma aeterna: siehe Urbs aeterna, unten S. 171. Roma caput mundi. «Rom, das Haupt der Welt.» Der Ehrentitel der «ewigen Stadt» (vgl. Urbs aeterna, unten S. 171) findet sich, barbarisch verschrieben zu Roma capus mundi, bereits in einer spätantiken, in der Via delle Botteghe Oscure gefundenen Inschrift (in: Bücheler, Carmina Latina epigraphica, Band III, Nr. 1941). Am Anfang des 11. Jahrhunderts erscheint er in der Grabinschrift für Papst Silvester II. in der Lateranbasilika: ... caput mundi culmina Romulea, «... das Haupt der Welt, die Romulischen Hügel» (in: Bartels, Roms sprechende Steine, Nr. 11.9), bald darauf, zu einem «Leoninischen» Hexameter mit Binnenreim ergänzt, auf der Rückseite des kaiserlichen Siegels: Roma caput mundi regit orbis frena rotundi, «Rom, das Haupt der Welt, führt die Zügel des runden Erdkreises». Die Wendung Roma ... caput orbis (terrarum), «... das Haupt des Erdkreises», begegnet bereits seit Augusteischer Zeit, zuerst bei Livius, Ab urbe condita 1, 16, 7, wo sie dem vergöttlichten Romulus in den Mund gelegt ist: Abi, nuntia ... Romanis caelestes ita velle, ut mea Roma caput orbis terrarum sit, «Geh, verkündige den Römern, daß die Himmlischen es so wollen, daß mein Rom das Haupt des Erdkreises sei»; vgl. 1, 45, 3, sowie Ovid, Amores 1, 15, 26; Festkalender 5, 93; Metamorphosen 15, 435. Vgl. Tu regere imperio, populos, Romane, memento ..., unten S. 166. Roma locuta (est), causa finita (est). «Rom hat gesprochen, die Sache ist abgeschlossen.» Nach Augustin, Predigten 131, 10, 10 (in: Migne, Patrolo-
ROTA
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gia Latina, Band 38, Spalte 734): «In dieser Sache (der des Pelagius) sind bereits zwei Synodalbeschlüsse an den Apostolischen Stuhl gesandt worden. Von dort sind auch die Entscheidungen eingetroffen: Die Sache ist abgeschlossen (causa finita est). Wenn doch einmal auch der Irrtum an sein Ende käme!» Die zweigliedrige «geflügelte» Fassung des Wortes erscheint zuerst in französischer Version bei Jean Baptiste Joseph Willart de Grécourt (1683–1743), in dem Gedicht «Philotanus», Vers 784: Rome a parlé, l’ affaire est terminée. Rota Fortunae. «Das Rad der Glücksgöttin». Das mittelalterliche Bild für den stetigen Wechsel des Glücks, vgl. den Herodoteischen KÊklow t«n ényrvph€vn prhgmãtvn, den «Kreislauf der Menschendinge», oben S. 19.
Sacrificium intellectus. «Opferung des Verstandes» (in dem Sinne: «Verzicht auf die Verstandeserkenntnis zugunsten der Glaubenserkenntnis»). Vielleicht nach Paulus, 2. Brief an die Korinther 10, 4f. Vulgata: ... consilia destruentes et omnem altitudinem extollentem se adversus scientiam Dei et in captivitatem redigentes omnem intellectum in obsequium Christi, «... indem wir Gedankengebäude niederreißen und jedes hochragende Bauwerk, das sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und indem wir in Gefangenschaft führen alles Verstandesvermögen zum Gehorsam gegenüber Christus». Saepe stilum vertas, (iterum quae digna legi sint / scripturus). «Oft kehre den Griffel um, (um danach etwas zu schreiben, das es verdient, wieder und wieder gelesen zu werden).» Horaz, Satiren 1, 10, 72f. Ähnlich praktisch wie unsere Bleistifte mit der gespitzten Mine am unteren und einem Radiergummi am oberen Ende hatten die Schreibgriffel der Antike, mit denen man auf wachsüberzogene hölzerne Täfelchen schrieb, ein spitzes und ein plattes Ende: Das spitze Ende diente dazu, die Buchstaben in die Wachsschicht einzuritzen, das platte dazu, das Wachs wieder glattzustreichen und damit einzelne Zeichen und Wörter wieder auszustreichen. (Ollis) salus populi suprema lex esto. «(Diesen, den höchsten Magistraten) soll das Wohl des Volkes das oberste Gesetz sein.» Cicero, De legibus 3, 3, 8; ein Leitsatz aus dem in altertümlicher Sprache – daher ollis statt illis – gehaltenen Gesetzes- oder eher Verfassungstext. Sancta simplicitas. «Heilige Einfachheit.» Hieronymus, Briefe 57, 12, 4: Venerationi mihi semper fuit non verbosa rusticitas, sed sancta simplicitas,
SAXA
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«Verehrungswürdig ist mir immer gewesen nicht die wortreiche Unbildung, sondern die heilige Einfachheit». Der Kirchenvater verteidigt an der Stelle die schlichte Sprache der Jünger Jesu: Illorum in loquendo simplicitatem excusabat sanctimoniae magnitudo, «Ihre Einfachheit im Reden war entschuldigt durch die Größe ihrer Heiligkeit». Zitate finden sich bei Rufinus, Historia ecclesiastica 10, 3 und öfter. Der ironische Gebrauch des Wortes im Sinne von: «Heilige Einfalt!» wird auf den tschechischen Reformer Jan Hus zurückgeführt, der im Jahre 1415 in Konstanz als Ketzer verbrannt wurde. Als Hus auf dem Scheiterhaufen stand und ein altes Weiblein ein Bündel Holz heranschleppen sah, soll er «Sancta simplicitas!» ausgerufen haben. Der Ausruf des Mephistopheles in Goethes «Faust», Erster Teil, Vers 3037, in eben diesem ironischen Sinne hat dem alten Wort aufs neue Flügel wachsen lassen. Sapere aude! «Wage es (einmal), Vernunft zu üben!» Horaz, Episteln 1, 2, 40. Vorauf geht die gleichfalls «geflügelte» sprichwörtliche Sentenz Dimidium facti, qui coepit, habet, «Die Hälfte des Getanen hat, wer (nur erst) angefangen hat» (oben S. 56); der aufmunternde knappe Aufruf zur Vernunft Sapere aude! bildet den pointierten Versschluß, und mit dem vollends knappen Incipe! «Fang (nur erst) an!» am Anfang des folgenden Verses schließt sich der Bogen: Auch für ein Leben unter dem Zeichen der Vernunft und der Philosophie ist der Anfang, wenn er denn einmal gewagt ist, bereits die Hälfte des Ganzen. (Dictum) sapienti sat (est). «Für den Verständigen (ist) genug (gesagt)». Plautus, Persa 729, und Terenz, Phormio 541, an beiden Stellen in dem Sinne: «Für einen, der einen hellen Kopf hat ...» Heute zitiert in dem Sinne: «Für einen, der die Hintergründe kennt ...» Saxa loquuntur. «Die Steine sprechen.» Nach dem Evangelium nach Lukas 19, 40 Vulgata; die Erwiderung Jesu auf die Aufforderung der Pharisäer, seinen Jüngern die Freudenkundgebungen über seinen Einzug in Jerusalem zu untersagen: Si hi tacuerint, lapides clamabunt, «Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien». Der Wortlaut Saxa loquuntur ist aus Lukan, Bürgerkrieg 6, 617f., übernommen, wo die thessalische Zauberin Erichtho sich
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SEMEN
anschickt, dem jungen Sextus Pompeius den Ausgang des Kampfes vorherzusagen: Tellus nobis aetherque chaosque / aequoraque et campi Rhodopaeaque saxa loquentur, «Die Erde und der Himmel und die Unterwelt und die Meere und die Felder und die Rhodopäischen Felsen werden zu uns sprechen». Semen est sanguis Christianorum. «Ein Same ist das Blut der Christen.» Tertullian, Apologeticum 50, 13, am Schluß des Werkes. Der christliche Kirchenvater ruft den römischen Statthaltern zu: Nec quicquam tamen proficit exquisitior quaeque crudelitas vestra; illecebra est magis sectae. Plures efficimur, quotiens metimur a vobis: Semen est sanguis Christianorum, «Und dennoch: nicht einen Schritt weiter bringt euch eure noch so ausgesuchte Grausamkeit; eine Verlockung ist sie vielmehr für unsere Gemeinde. Nur immer noch größer wird unsere Zahl, so oft wir von euch niedergemäht werden: Ein Same ist das Blut der Christen». Semper aliquid haeret: siehe Audacter calumniare, semper aliquid haeret, oben S. 39. Semper homo bonus tiro est: siehe Bonus vir semper tiro, oben S. 45. Semper idem. «Immer derselbe» oder «Immer dasselbe». Vielleicht aus Cicero, Tuskulanische Gespräche 3, 15, 31: Hic est enim ille vultus semper idem, quem dicitur Xanthippe praedicare solita in viro suo fuisse Socrate, «Denn das ist jene immer gleiche Miene, die Xanthippe, wie man erzählt, an ihrem Gatten Sokrates zu rühmen pflegte: (Sie habe ihn immer mit der gleichen Miene aus dem Hause gehen und wieder zurückkommen sehen)». Vgl. Cicero, De officiis 1, 26, 90: ... praeclaraque est aequabilitas in omni vita et idem semper vultus eademque frons, ut de Socrate idemque de C. Laelio accepimus, «... und ein leuchtendes Beispiel ist die Ausgeglichenheit in jeder Lebenslage und die immer gleiche Miene und die immer gleiche Stirn, wie wir es von Sokrates und ebenso von Gaius Laelius gehört haben». Semper sursum! «Immer aufwärts!» Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen; vgl. jedoch Platon, Staat 10. 621 C, den von Sokrates
SI FRACTUS
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gesprochenen bedeutsamen Schlußsatz des Werkes: «Aber wenn wir mir vertrauen in dem Glauben, daß die Seele unsterblich ist und die Kraft hat, allem Schlechten standzuhalten und ebenso allem Guten, so werden wir uns immer an den Weg nach oben halten (t∞w ênv ıdoË ée‹ •jÒmeya) und auf jede Weise Gerechtigkeit, verbunden mit Einsicht, üben wollen, auf daß wir sowohl uns selbst Freunde sind als auch den Göttern ...» Der hier gewiesene «Weg nach oben» bezeichnet den Weg von den bloßen Abbildern des Seienden, den Gegenständen um uns, zu den wirklich seienden Urbildern, den «Ideen» in der Ideenwelt, wie Platon ihn vorher, Staat 7. 514 Aff., in seinem «Höhlengleichnis» dargestellt hat. Sero venientibus ossa. «Den zu spät Kommenden die Knochen.» Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen. Sexagenarios de ponte (deicere). «Die Sechzigjährigen von der Brücke (hinabstoßen).» Der dunkle Ursprung des Schlagworts wurde bereits in klassischer Zeit verschieden gedeutet, vgl. Festus, De verborum significatione 334 Müller, und Varro bei Nonius, De compendiosa doctrina 523, Zeile 22ff. Mercier. Eine verbreitete legendäre Erklärung bezog die Wendung auf eine Tiberbrücke und ein urtümliches, bei der Ankunft des Herakles abgeschafftes Menschenopfer, eine andere, von den zitierten römischen Philologen bevorzugte Erklärung auf die Brücke, die zu den Stimmlokalen der Volksversammlung hinüberführte, und eine – nirgends bezeugte – Forderung, den Sechzigjährigen das Stimmrecht zu entziehen. Eine Anspielung auf die erstgenannte Deutung findet sich bei Cicero, Rede für Sextus Roscius Amerinus 35, 100. Anläßlich eines Ritus, bei dem jeweils am 14. Mai siebenundzwanzig Binsenpuppen vom Pons sublicius in den Tiber geworfen wurden, führt Ovid, Festkalender 5, 621ff., ohne Zitat des Schlagworts die beiden geläufigen Erklärungen an, allerdings nur, um sie beide abzulehnen und dem Tiber eine dritte, «wahre» Deutung in den Mund zu legen. Si fractus inlabatur orbis, / inpavidum ferient ruinae. «(Selbst) wenn geborsten die Weltkugel einstürzen sollte, einen Unerschrockenen werden die herabstürzenden Trümmer treffen.» Horaz, Oden 3, 3, 7f., am Anfang
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SI NATURA
der dritten der sechs sogenannten «Römeroden». Das grandiose Bild bezeichnet die – stoische – Unerschütterlichkeit und Unbeirrbarkeit des «gerechten», an seinen Werten festhaltenden Römers, den – mit den Bildern der voraufgehenden Verse – weder ein rasender Mob noch ein drohender Tyrann, weder der Sturm über der Adria noch selbst der Blitz des Jupiter von seinem geraden Weg abbringen können. Si natura negat, facit indignatio versum, / (qualemcumque potest, quales ego vel Cluvienus). «Wenn die Natur ihn versagt, macht die Empörung den Vers, (so schlecht und recht, wie sie es eben vermag, wie ich oder Cluvienus sie machen)» (in dem Sinne: «Wenn das natürliche Dichtertalent ihn versagt ...») Juvenal, Satiren 1, 79f. Der in souveräner Selbstironie mitgenannte Cluvienus war ein zeitgenössischer Satiriker, nach dem Zeugnis eines Scholiasten zu der Stelle ein miserabler Versemacher. Si parva licet componere magnis ... «Wenn wir Kleines mit Großem vergleichen dürfen ...» Vergil, Georgica 4, 176. Eine geläufige, im Griechischen wie im Lateinischen in vielfältigen Abwandlungen verbreitete Redewendung. Der zitierten Stelle stehen am nächsten: Vergil, Bucolica 1, 23 (Sic parvis componere magna solebam), Ovid, Metamorphosen 5, 416f. (Quod si componere magnis / parva mihi fas est), Statius, Silvae 1, 5, 61f. (Fas sit componere magnis / parva) und Apollinaris Sidonius, Episteln 8, 6, 2 (Si parva magnis componere licet). Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 1008. Si tacuisses, philosophus mansisses. «Wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben.» Nach Boëthius, Trost der Philosophie 2, 7, 20: Ein arroganter Mensch, der sich lediglich um des stolzen Ruhmestitels willen Rang und Namen eines «Philosophen» angemaßt hat, läßt die Schmähungen eines Spaßvogels, der seine echt philosophische Unerschütterlichkeit auf die Probe stellen will, eine ganze Weile scheinbar ruhig über sich ergehen; schließlich fragt er «gleichsam triumphierend» zurück: Iam tandem ... intellegis me esse philosophum?, «Siehst du jetzt endlich ein, daß ich ein Philosoph bin?» Darauf erwidert jener Herausforderer mit der von Boëthius als «äußerst bissig» eingeführten vernichtenden Pointe: Intellexeram ..., si tacuisses, «Ich hatte es (eben) einsehen wollen – wenn du
SIC ERAT
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geschwiegen hättest». In einer entsprechenden lateinischen Fabel (Nr. 623 Perry), wo der Möchte-gern-Philosoph nicht Schmähungen, sondern handfeste Schläge klaglos einzustecken hat, lautet die Pointe: Si tacuisses, philosophus esses, «Wenn du geschwiegen hättest, wärest du (jetzt) ein Philosoph»; sie mag zu der «geflügelten» Fassung ... philosophus mansisses geführt haben. Vgl. das alttestamentliche Buch Hiob 13, 5 Vulgata: Atque utinam taceretis, ut putaremini esse sapientes!, «Und daß ihr doch (nur) schweigen wolltet, daß ihr für weise gehalten werden könntet!», und das Buch der Sprüche 17, 28 Vulgata: Stultus quoque, si tacuerit, sapiens putabitur, «Auch ein törichter Mensch wird, wenn er (nur) hat schweigen wollen, für weise gehalten werden». Si vis amari, ama! «Wenn du geliebt werden willst, liebe!» Seneca, Briefe an Lucilius 9, 6. Seneca zitiert an der Stelle den stoischen Philosophen Hekaton: «Ich kann dir ein Liebesmittel zeigen ohne Pulver, ohne Kräuter, ohne den Zauberspruch irgendeiner Giftmischerin: Wenn du geliebt werden willst, liebe!» Vgl. Ovid, Liebeskunst 2, 107: Ut ameris, amabilis esto!, «Auf daß du geliebt wirst, sei liebenswert!», und Martial, Epigramme 6, 11, 10, die Schlußpointe des Epigramms: Ut ameris, ama!, «Auf daß du geliebt wirst, liebe!» Si vis pacem, para bellum! «Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor!» Nach Vegetius, Epitoma rei militaris 3, Einleitung 8: Qui desiderat pacem, praeparet bellum, «Wer den Frieden wünscht, bereite den Krieg vor!» Der Gedanke begegnet bereits bei Cicero, 7. Philippische Rede 6, 19: Si pace frui volumus, bellum gerendum est, «Wenn wir den Frieden genießen wollen, muß der Krieg geführt werden», und bei Livius, Ab urbe condita 6, 18, 7: Ostendite modo bellum; pacem habebitis, «Zeigt den Krieg nur eben vor; (sogleich) werdet ihr den Frieden haben». Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 244 und 245. – Daher die Bezeichnung «Parabellum» für eine Selbstlade-Pistole. Sic erat in fatis. «So war es in den Schicksalssprüchen» (im Sinne von: «So war es vorherbestimmt»). Ovid, Festkalender 1, 481; die an den Carmentalien am 11. und 15. Januar gefeierte altrömische Göttin Carmenta zu ihrem Sohn Euander.
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SIC ITUR
Sic itur ad astra, / (dis genite et geniture deos). «So wird zu den Sternen gegangen, (der du von Göttern hervorgebracht bist und Götter hervorbringen wirst).» Vergil, Aeneis 9, 641f.; Apollo, der Schutzgott der Trojaner (und später des Augustus) begrüßt den jungen Ascanius alias Iulus, den Sohn des Aeneas, der eben mit seinem ersten Bogenschuß den Rutuler Remulus getötet hat, vom Himmel herab im Kreis der Heroen. Der Zuruf Sic itur ad astra verweist auf die Entrückung großer Heroen an den Sternenhimmel, besonders auf die «Verstirnung» des vergöttlichten Herakles. Die Anrede spielt auf Venus, die Mutter des Aeneas, und auf die Nachfahren Romulus und den vergöttlichten Julius Caesar an. Zitate finden sich bei Seneca, Briefe an Lucilius 48, 11 (als ironische rhetorische Frage: Sic itur ad astra?) und 73, 15 (Hac itur ad astra, «Auf diesem Wege ...») Sic me servavit Apollo. «So rettete mich Apollo.» Horaz, Satiren 1, 9, 78, am Schluß der sogenannten «Schwätzersatire». Ein unverhofft auftretender wütender Kläger hatte den aufdringlichen Schwätzer buchstäblich vor Gericht «gezogen» und damit den Dichter von dem anhänglichen Begleiter befreit. Wie schon der antike Horazkommentator Porphyrio zu der Stelle bemerkt, nimmt Horaz hier einen von Lucilius (Fragmente der Satiren, Vers 231 Marx) auf griechisch zitierten Homerischen Halbvers, Ilias 20, 443, wieder auf: TÚn dÉ §jÆrpajen ÉApÒllvn, «Ihn aber entrückte Apollon», und nun mit besonderem Bezug: Apollon ist ja der Gott der Musenkunst und damit der Schutzgott des Dichters. Sic notus Ulixes? «Ist Odysseus so bekannt?» Vergil, Aeneis 2, 44; zum Zusammenhang vgl. Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes, oben S. 137. Sic transit gloria mundi. «So vergeht der Ruhm der Welt.» Augustinus Patricius, Rituum ecclesiasticorum sive sacrarum caerimoniarum SS. Romanae ecclesiae libri III, 1516, Nachdruck 1965, Band I, Sectio 1, 5, Blatt VII b. Das Wort bezieht sich auf einen seit dem 11. Jahrhundert immer wieder bezeugten, seit dem 15. Jahrhundert regelmäßig befolgten Ritus bei der Krönung eines Papstes: Dreimal nacheinander wird vor dem neuen Papst ein Bündel Werg verbrannt; dazu werden ihm dreimal nacheinander die
SIMILIA
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Worte «Heiliger Vater, so vergeht der Ruhm der Welt» zugerufen. Der rituelle Zuruf erinnert an den 1. Brief des Johannes 2, 17 Vulgata: Et mundus transit et concupiscentia eius, «Sowohl die Welt vergeht als auch ihre Begehrlichkeit». Silent (enim) leges inter arma. «Die Gesetze schweigen unter den Waffen» (in dem Sinne: «... im Umkreis der Waffen»). Cicero, Rede für Milo 4, 11; vgl. Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 5, 14, 17, wo die Stelle unter der Rubrik «Beweisführung» als Beispiel angeführt ist. Lukan, Bürgerkrieg 1, 277, hat das Bild wiederaufgenommen: At postquam leges bello siluere coactae ..., «Aber nachdem die Gesetze schwiegen, vom Kriegslärm bezwungen ...» Der knappen Ciceronischen Prägung liegt vielleicht ein Wort des Gaius Marius zu Grunde. Valerius Maximus, Denkwürdige Taten und Worte 5, 2, 8, berichtet, im Krieg gegen die Kimbern habe Marius zwei Kohorten der umbrischen Camerter für ihre Tapferkeit mit dem römischen Bürgerrecht ausgezeichnet; auf rechtliche Einwände habe er erwidert, inter armorum strepitum verba se iuris civilis exaudire non potuisse, «im Getöse der Waffen habe er die Worte des bürgerlichen Rechts nicht heraushören können». Vgl. dazu Plutarch, Marius 28, 3; Aussprüche von Römern, Marius 5. 202 Cf. Der Ursprung der Abwandlung Silent Musae inter arma, «Die Musen schweigen unter den Waffen», ist nicht nachgewiesen. Similia similibus curantur. «Gleiches wird durch Gleiches geheilt.» Der Grundsatz der von Samuel Hahnemann (1755–1843) in seinem «Organon der rationellen Heilkunde» (1810) begründeten «homöopathischen» Medizin: «Man ahme die Natur nach, welche zuweilen eine chronische Krankheit durch eine andere hinzukommende heilt, und wende in der zu heilenden (vorzüglich chronischen) Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andere, möglichst ähnliche künstliche Krankheit zu erregen imstande ist, und jene wird geheilt werden; similia similibus curantur.» Das Wortspiel similia similibus begegnet bereits bei Cicero, Partitiones oratoriae 21, 72: ... ut paria paribus et similia similibus ... referantur, «... daß Gleiches auf Gleiches und Ähnliches auf Ähnliches bezogen wird», und bei Macrobius, Saturnalien 7, 7, 12: similibus ... similia gaudent, «Ähnliches freut sich an Ähnlichem».
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SIMPLEX
Simplex sigillum veri. «Einfach ist das Siegel des Wahren» (in dem Sinne: «Die Einfachheit der Form verbürgt die Wahrheit der Sache»). Die Quelle des durch den Anklang im Anlaut ausgezeichneten Wortes ist nicht nachgewiesen; vgl. jedoch die entsprechende Sentenz bei Ammianus Marcellinus, Geschichte 14, 10, 13, in einer Rede Kaiser Constantius’ II.: Veritatis enim absoluta semper ratio est simplex, «Denn die vollkommene Gestalt der Wahrheit ist immer einfach». Sine ira et studio. «Ohne Erbitterung und Begeisterung.» Tacitus, Annalen 1, 1, 6. Am Schluß des Einleitungskapitels seines bis auf die letzten Jahre des Augustus zurückgreifenden Geschichtswerkes kündigt Tacitus eine unvoreingenommene Darstellung an: ... sine ira et studio, quorum causas procul habeo, «ohne Erbitterung und Begeisterung, wozu jede Veranlassung mir fern liegt». Entsprechend hatte er in der Einleitung seiner zeitgeschichtlichen «Historien», 1, 1, 3, eingeräumt, er sei von Vespasian, Titus und Domitian in seiner politischen Karriere gefördert worden, um dann fortzufahren: ... sed incorruptam fidem professis neque amore quisquam et sine odio dicendus est, «... doch wenn wir uns zu unbestechlicher Treue bekennen, darf von niemandem mit Liebe, muß von jedermann ohne Haß gesprochen werden». Cicero, Rede für Marcellus 9, 29, kennzeichnet das unbestechliche Urteil späterer Generationen mit der Gegenüberstellung: Nam et sine amore et sine cupiditate et rursus sine odio et sine invidia iudicabunt, «Denn ohne Liebe und zugleich ohne Beflissenheit, und wiederum ohne Haß und ohne Mißgunst werden sie urteilen». Die Taciteische Prägung geht letztlich auf griechische Vorbilder zurück; vgl. etwa die bei Demosthenes, Rede gegen Aristokrates (23) 96f., bezeugte Ausschließung einerseits von «Feindschaft» (¶xyra) und andererseits von «Wohlwollen» (eÎnoia) im attischen Richtereid. Im 13. Jahrhundert spricht der byzantinische Historiker Johannes Zonaras in seiner Epitome historiarum, 7, 19. 349 D, von einer eidlichen Verpflichtung der römischen Zensoren, «weder jemandem zu Gefallen noch aus Feindschaft zu jemandem» (oÎte prÚw xãrin oÎte prÚw ¶xyran) irgendwie tätig zu werden. Sint Maecenates, non deerunt, Flacce, Marones. «Mäzene müßte es geben, dann werden, Flaccus, Vergile nicht fehlen.» Martial, Epigramme 8,
SOCIETAS
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55, 5. Der allezeit auf mehr oder weniger großzügige Gönner angewiesene Epigrammatiker ruft nach einem Mäzen, wie Vergil (mit dem Beinamen Maro) ihn in Gaius Cilnius Maecenas gefunden hatte. Der Plural Maecenates, «Mäzene», begegnet hier zum ersten Mal. Sint, ut sunt, aut non sint. «Sie (die Jesuiten) sollen sein, wie sie sind, oder sie sollen nicht sein.» Die Antwort Papst Clemens’ XIII. (1693–1769, Papst seit 1758) auf die Forderung König Ludwigs XV. von Frankreich, die Societas Jesu von Grund auf zu erneuern. Nach einem zeitgenössischen Bericht hat der letzte Ordensgeneral Lorenzo Ricci den am 27. Januar 1762 ergangenen Bescheid an den französischen Gesandten übermittelt; daher wird das lakonisch knappe Wort gelegentlich auch ihm zugeschrieben. Die kompromißlose Haltung Clemens’ XIII. führte im Jahre 1764 zum Verbot des Ordens in Frankreich; am 21. Juli 1773 verfügte der nachfolgende Papst Clemens XIV. die Auflösung des Jesuitenordens. Sit pro ratione voluntas: siehe Hoc volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas, oben S. 82. Sit venia verbo. «Das Wort finde Nachsicht.» Vielleicht nach Plinius dem Jüngeren, Briefe 5, 6, 46: Venia sit dicto, «Das Wort finde Nachsicht», in dem Sinne eines «Unberufen»: Am Ende der Beschreibung seines toskanischen Landguts merkt Plinius an, daß ihm in diesem Landhaus bisher noch keiner der Seinen gestorben sei. Heute dient die Wendung zur Einführung einer irgendwie gewagten zugespitzten oder für die Zuhörer anstößigen Formulierung. Societas leonina. «Gesellschaft mit dem Löwen.» Nach Gaius Cassius Longinus bei Ulpian im Corpus iuris civilis, Digesten 17, 2, 29, 2: Aristo refert Cassium respondisse societatem talem coiri non posse, ut alter lucrum tantum, alter damnum sentiret, et hanc societatem leoninam solitum appellare, «Aristo berichtet, Cassius habe entschieden, eine Gesellschaft der Art, daß der eine nur den Gewinn, der andere nur den Verlust spüre, könne nicht eingegangen werden, und diese Gesellschaft häufig eine Gesellschaft mit
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SPECTATUM
dem Löwen genannt». Cassius, ein namhafter Jurist der frühen Kaiserzeit, spielt mit dieser Bezeichnung auf die Äsopische Fabel vom Löwen, dem Esel und dem Fuchs (Nr. 149 Perry) an, wo der Löwe von der gemeinsamen Jagdbeute den größten Anteil, den sogenannten «Löwenanteil» – und in der lateinischen Version des Phaedrus, Fabeln 1, 5, sogar die gesamte Beute – für sich allein beansprucht. Spectatum veniunt, veniunt, spectentur ut ipsae. «Um (die Spiele) anzuschauen, kommen sie, sie kommen, um sich selbst zur Schau zu stellen.» Ovid, Liebeskunst 1, 99. Ovid spricht vom Zustrom «gepflegtester Frauen» (Vers 97: cultissima femina) zu den Schauspielen in den Theatern, die er den Liebhabern wenige Verse zuvor als «ergiebige Jagdreviere» empfohlen hat. Vgl. Aelian, Varia historia 7, 10, wo Xanthippe, die berüchtigt schwierige Frau des Sokrates, eine feierliche Prozession anschauen möchte, sich aber nicht in dem ebenso berüchtigten alten Mantel der beiden zeigen will, und wo Sokrates erwidert: ÑOròw, …w oÈ yevrÆsousa, yevrhsom°nh d¢ mçllon bad€zeiw;, «Siehst du nun, daß du gar nicht um (die Prozession) zu sehen, sondern vielmehr um selbst gesehen zu werden, hingehen willst?» Es bleibt offen, ob der zwei Jahrhunderte jüngere Aelian hier die elegante Ovidische Prägung wiederaufnimmt oder ob die beiden Stellen unabhängig voneinander auf eine gemeinsame – kynische? – Quelle zurückgehen. Stat pro ratione voluntas: siehe Hoc volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas, oben S. 82. Stat sua cuique dies, (breve et inreparabile tempus / omnibus est vitae). «Fest steht jedem sein Tag, (kurz und unwiederbringlich ist für alle die Zeit des Lebens).» Vergil, Aeneis 10, 467f.; Jupiter zu Hercules, als der Rutulerkönig Turnus den jungen Pallas zum Zweikampf herausfordert und dieser den vergöttlichten Hercules, den Gastfreund seines Vaters Euander, anruft. Pallas findet in dem ungleichen Zweikampf den Tod. Macrobius, Saturnalien 5, 16, 7, nennt das Zitat unter den Worten, die «sprichwörtlich in aller Munde seien» (vice proverbiorum in omnium ore funguntur).
SUNT LACRIMAE
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Sub specie aeternitatis. «Unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit.» Baruch de Spinoza, Ethica more geometrico demonstrata (1677) 5, 29ff. Spinoza lehrt, das menschliche Denken könne und solle die endlichen Dinge, sei es durch Vernunftschlüsse, sei es durch Intuition, als vergängliche Erscheinungen der einzigen wahren Substanz, des ewigen Gottes beziehungsweise der ewigen Natur, und so «gewissermaßen unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit» betrachten und begreifen. Summum ius summa iniuria. «Das höchste Recht: das höchste Unrecht» (in dem Sinne: «Das strengste Recht: das schlimmste Unrecht»). Cicero, De officiis 1, 10, 33. Das von Cicero als «längst abgedroschenes Sprichwort» (iam tritum sermone proverbium) angeführte Paradox erscheint in ähnlich zugespitzter Form zuerst bei Terenz, Heautontimorumenos 796: Dicunt: Ius summum saepe summa est malitia, «Man sagt: Das höchste Recht ist oft die höchste Schlechtigkeit», und danach bei Hieronymus, Briefe 1, 14 (Ius summum summa malitia). Die Abwandlung bei Columella, De re rustica 1, 7, 2: ... nam summum ius antiqui summam putabant crucem, «... denn das größte Recht hielten die Alten für das größte Kreuz», läßt auf eine rhythmisch und lautlich vollends strenggefaßte «alte» Prägung Summum ius summa crux schließen. (Sunt hic etiam sua praemia laudi;) / sunt lacrimae rerum et mentem mortalia tangunt. «(Selbst hier hat die rühmliche Tat ihren verdienten Lohn;) es sind Tränen da für das Geschehene, und menschliches Leid berührt das Empfinden.» Vergil, Aeneis 1, 461f.; der aus dem Untergang Trojas geflüchtete, im Seesturm vor Karthago schiffbrüchige Aeneas, der im Schutze eines «Nebels» unsichtbar das neugegründete Karthago durchstreift, zu seinem Gefährten Achates. Im Skulpturenschmuck eines eben vollendeten Tempels hat Aeneas die Mühen und Leiden des sieben Jahre zurückliegenden Trojanischen Krieges dargestellt gefunden: Agamemnon, Priamus und den «für beide furchtbaren» Achilleus. Unter Tränen spricht er seinen Begleiter an: «Welcher Winkel, Achates, welche Gegend auf der Erde ist noch nicht erfüllt von unseren Leiden? Sieh: Priamus. Selbst hier hat die rühmliche Tat ihren verdienten Lohn ...» Die Szene ist der Homerischen Szene (Odyssee 8, 72ff.) nachgebildet, in welcher der schiff-
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SUNT PUERI
brüchige, bei den Phäaken gastfreundlich aufgenommene Odysseus den Sänger Demodokos von einem Streit singen hört, den er vor Troja mit Achilleus ausgefochten hatte. Neben die Verherrlichung der heroischen Ruhmestaten in der musischen und der plastischen Kunst stellt Vergil hier die Erwiderung, die das Leiden der Menschen, gleich ob Freund oder Feind, im Mitleiden der Mitmenschen findet. Sunt pueri pueri, pueri puerilia tractant. «Kinder sind Kinder, Kinder treiben Kindereien.» Die Quelle des Verses ist nicht nachgewiesen. Die «etymologische Figur» der zweiten Vershälfte lehnt sich an Horaz, Episteln 2, 1, 116, an: ... tractant fabrilia fabri, «... das Bauhandwerk betreiben die Bauleute». Die erste Vershälfte begegnet buchstäblich oder doch ähnlich in einem mittelalterlichen Sprichwort (in: Werner, Sprichwörter, S 219): Sunt pueri pu(e)ri: parvi parvo satiati / ludunt, conformant; cito dant, cito pacificantur, «Kinder sind Kinder: Klein sind sie von Kleinem gesättigt; sie spielen, sie ordnen; rasch geben sie, rasch sind sie befriedigt». Der hie und da als Quelle angeführte Satz des Paulus, 1. Brief an die Korinther 13, 11 Vulgata: Cum essem parvulus, loquebar ut parvulus, sapiebam ut parvulus, cogitabam ut parvulus, «Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, verstand ich wie ein Kind, dachte ich wie ein Kind», hat zu dem Geflügelten Wort kaum beigetragen. Sursum corda! «Empor die Herzen!» Beginn der Praefatio zum Canon missae, wohl nach den alttestamentlichen Klageliedern 3, 41 Vulgata: Levemus corda nostra cum manibus ad Dominum in caelos, «Erheben wir unsere Herzen zusammen mit unseren Händen zum Herrn in die Himmelssphären!» Sustine et abstine! «Halte aus und enthalte dich!» Das einprägsame Wortspiel ist die genaue Nachbildung der bei Gellius, Attische Nächte 17, 19, 6, als ein Wort Epiktets angeführten griechischen Maxime ÉAn°xou ka‹ ép°xou. Die lateinische Devise begegnet zuerst, mit dem Emblem von Amboß und Hammer, in der Emblemata-Sammlung des Sebastián de Covarrubias Orozco (1610). Die Abwandlung Sustine vel abstine, «Halte aus oder halte dich fern!», mit einem Dornenstrauch, erscheint bereits in der
SUUM
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Emblemata-Sammlung des Joachim Camerarius (1590); vgl. HenkelSchöne, Emblemata, Spalte 1410 und 354. Suum cuique. «Jedem das Seine.» Die Formel war in zweierlei Sinne gebräuchlich: In dem Sinne «Jedem gefällt das Seine» begegnet sie bei Cicero, Tuskulanische Gespräche 5, 22, 63: In hoc enim genere ... magis quam in aliis suum cuique pulchrum est, «Denn in dieser Gattung (der Tragödiendichtung) ... gilt noch mehr als in anderen jedem das Seine als schön», oder bei Plinius dem Älteren, Naturgeschichte 14, 71: ... quando suum cuique placet, «... da ja jedem das Seine gefällt»; vgl. dazu auch Cicero, Briefe an Atticus 14, 20, 3; Petron, Satiricon 15, 1. – In dem politischen, juristischen Sinne «Jedem das Seine zukommen lassen» erscheint die Formel bei Cicero, De legibus 1, 6, 19, wo an die Ableitung des griechischen Substantivs nÒmow, «Gesetz», von dem Verb n°mein, «zuteilen», erinnert wird: Eamque rem (legem) illi Graeco putant nomine a suum cuique tribuendo appellatam, «Und diese Sache (das Gesetz) sei, wie jene glauben, in ihrer griechischen Bezeichnung nach dem Jedem-das-Seine-Zuteilen benannt». Cicero, De officiis 1, 5, 15, umreißt den Geltungsbereich der Gerechtigkeit mit diesen drei Bestimmungen: in hominum societate tuenda tribuendoque suum cuique et rerum contractarum fide, «darin, die Gemeinschaft der Menschen zu bewahren und jedem das Seine zukommen zu lassen, sowie in der Verläßlichkeit des vertraglich Vereinbarten». Später definiert Ulpian im Corpus iuris civilis, Digesten 1, 1, 10: Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi, «Die Gerechtigkeit ist der beständige und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zukommen zu lassen».
Tabula rasa. «Glattgeschabte Tafel» (mit Bezug auf das glattgestrichene, zum Einritzen der Schrift mit dem spitzen Griffel vorbereitete Wachstäfelchen; vgl. die Horazische Mahnung Saepe stilum vertas, oben S. 148). Nach Albertus Magnus, De anima 3, 2, 17: Illius exemplar est ... tabula rasa et planata et polita, «Ein Modell (für das aufnahmebereite Verstandesvermögen) ... ist das glattgeschabte, glattgestrichene und auf Glanz polierte Wachstäfelchen», und Thomas von Aquin, Summa theologiae 1, 79, 2: (Intellectus humanus) ... in principio est sicut tabula rasa, in qua nihil scriptum est, «(Der menschliche Verstand) ... ist am Anfang wie ein glattgeschabtes Wachstäfelchen, auf dem nichts geschrieben ist». Das anschauliche Modell einer bildsamen Wachsmasse für die aufnahmebereite Seele begegnet zuerst bei Platon, Theaitetos 191 Cf., wo Sokrates das menschliche Gedächtnis mit einem bildsamen Wachsklumpen und den beim Kneten darin sich abzeichnenden Fingerabdrücken vergleicht. Die vorher angeführten Stellen gehen zurück auf Aristoteles, De anima 3, 4. 429 b 31ff., wo das Verstandesvermögen erstmals mit einem unbeschriebenen «Schreibtäfelchen» verglichen wird, «auf dem (noch) nichts Geschriebenes vorhanden ist». – Bei Ovid, Liebeskunst 1, 437, bezeichnen die tabellae rasae ganz unbildlich die völlig ausgeschabten, neu mit Wachs auszugießenden Holztäfelchen; daher die gebräuchliche Wendung «tabula rasa machen» in dem Sinne «reinen Tisch machen». Tantae molis erat Romanam condere gentem. «Solcher Mühsal bedurfte es, das Römergeschlecht zu begründen.» Vergil, Aeneis 1, 33; der schwergewichtige Schlußvers des Proömiums. Das Wort moles, eigentlich «große Masse, drückende Last», deutet auf die schweren Hindernisse, die der Zorn
TEMPUS EDAX
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der Juno den Anfängen Roms in den Weg gelegt hatte: auf die siebenjährige «Odyssee» des aus Troja geflüchteten Aeneas und seiner Gefährten bis hin zu dem Seesturm, den das Epos sogleich im Anschluß an das Proömium beschreibt, und darüberhinaus auf die schweren Kämpfe, die Aeneas und seine Gefährten nach ihrer glücklichen Landung in Latium gegen die dort ansässigen Rutuler auszufechten haben. Tempora mutantur, et nos mutamur in illis. «Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen.» (Die weniger geläufige Wortstellung ... nos et ... ist durch – nicht unbedingt gebotene – metrische Rücksichten bedingt; vgl. den Vers Omnia vincit Amor, et nos cedamus Amori, oben S. 118.) Der Ursprung des Wortes liegt im Dunkeln. Die «geflügelte» Fassung ... et nos mutamur in illis begegnet zuerst bei Andreas Gartner, Proverbialia dicteria (1566), 16. Dekade. Dahinter stehen auf der einen Seite das Leitwort der Ovidischen «Metamorphosen» («Verwandlungen»), 15, 165 und 214ff.: Omnia mutantur, «Alles ändert sich», auf der anderen Seite eine in der Gestalt entsprechende, in der Sache widersprechende spätantike Sentenz bei dem spätantiken Epiker Corippus, Johannis 7, 91: Tempora permutas nec tu mutaris in illis, «Die Zeiten wechselst du, doch du änderst dich nicht in ihnen». Matthias Borbonius zitiert das Wort in seinen «Dicta» (bei Jan Gruter, Delitiae poetarum Germanorum, 1612, S. 685) mit dem Ovidischen Halbvers am Anfang: Omnia mutantur, nos et mutamur in illis, «Alle (Dinge) ändern sich, und wir ändern uns in ihnen», und führt die Sentenz so auf Kaiser Lothar I. (795–855, Kaiser seit 840), einen Enkel Karls des Großen, zurück. John Owen hat den Hexameter in seinen «Epigrammen» (1615) zu einem pessimistischen Distichon ergänzt (8, 58): Tempora mutantur, nos et mutamur in illis. / Quomodo? Fit semper tempore peior homo, «Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen. In welcher Weise? Immerfort wird der Mensch mit der Zeit schlechter». Tempus edax. «Die gefräßige Zeit» (in dem Sinne unserer Redensart vom «Zahn der Zeit»). Ovid, Metamorphosen 15, 234 (tempus edax rerum, «die alle Dinge verzehrende Zeit»), und Briefe vom Pontus 4, 10, 7. An der zweiten Stelle geht das Sprichwort Gutta cavat lapidem (oben S. 77) vorauf.
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TEMPUS FUGIT
Tempus fugit. «Die Zeit flieht.» Inschrift auf Uhren, nach Vergil, Georgica 3, 284: Sed fugit interea, fugit inreparabile tempus, «Aber es flieht unterdessen, es flieht die unwiederbringliche Zeit», oben S. 74. Terar, dum prosim. «Mag ich mich (an der Sache) aufreiben, wenn ich (ihr) nur nütze!» Die Quelle der Devise ist nicht nachgewiesen. Vgl. Patriae inserviendo consumor, oben S. 124. Tertium non datur. «Ein Drittes wird nicht zugestanden» (in dem Sinne: «... ist ausgeschlossen»). Ein Grundsatz der Logik, der sogenannte «Satz vom ausgeschlossenen Dritten»: Jeder bejahende oder verneinende Satz muß entweder wahr oder falsch sein; ein Drittes gibt es nicht. Die Quelle der lateinischen Formel ist nicht nachgewiesen; vgl. jedoch Publilius Syrus, Sentenzen A 6: Aut amat aut odit mulier; nil est tertium, «Entweder liebt oder haßt eine Frau; ein Drittes gibt es nicht». Timeo Danaos et dona ferentes: siehe Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes, oben S. 137. Timeo lectorem unius libri. «Ich fürchte den Leser (nur) eines einzigen Buches» (in dem Sinne: «den, der nur ein einziges Buch gelesen hat»). Die Quelle des Wortes, das seit dem 17. Jahrhundert zitiert und seither hie und da aufs Geratewohl dem Kirchenvater Augustin oder Thomas von Aquin zugeschrieben wird, ist nicht nachgewiesen. Ein frühes Zitat in englischer Version (Wo be to him that reads but one book, «Wehe dem, der ...») findet sich bei dem englischen Dichter George Herbert (1593–1633), in seiner Sprichwortsammlung «Jacula Prudentum» (The Works of George Herbert, edited by F. E. Hutchinson, Oxford 1953, S. 360). Das Wort gilt der scheuklappenbewehrten Engstirnigkeit und zugleich der Dickköpfigkeit einer Bildung, die sich auf die – noch so gründliche – Lektüre «eines einzigen Buches» oder eines einzigen Autors stützt. Vgl. demgegenüber die Mahnung des jüngeren Plinius, man solle multum, non multa, «viel, nicht vielerlei» lesen, oben S. 98. Tolle, lege! «Nimm auf, lies!» Augustin, Bekenntnisse 8, 12, 29. Augustin schildert, wie er im Jahre 386 n. Chr. in einem kleinen Garten in Mailand
TU NE CEDE
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«in bitterster Zerknirschung des Herzens» von einem benachbarten Haus her eine Stimme wie von einem Knaben oder einem Mädchen vernahm, die in ihrem Singsang immer wieder die Worte «Nimm auf, lies!» wiederholte, und wie er diese kindliche Stimme als eine gottgesandte Aufforderung verstand, die vorher beiseitegelegte Schrift des Apostels Paulus wieder aufzuschlagen und die erste Stelle, die er darin finde, nachzulesen. Das Losorakel wies auf den Brief des Paulus an die Römer, 13, 13f.: «... nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Buhlereien und Ausschweifungen, nicht in Streit und Eifersucht, sondern ziehet den Herrn Jesus Christus an und pfleget das Fleisch nicht so, daß Begierden erwachen!» Die Mahnworte des Apostels gaben dem Mailänder Rhetor den letzten Anstoß zu seiner Bekehrung zum Christentum. Diese Form des Losorakels, den Homer, den Vergil oder später die Bibel an irgendeiner Stelle aufzuschlagen und nachzulesen (die sogenannten sortes Homericae, Vergilianae, Biblicae), war seit der Spätantike allgemein verbreitet. Vgl. im Griechischen die Formel Lab∆n énãgnvyi, «Nimm auf und lies vor!», die bei Demosthenes, Kranzrede (18) 118, und öfter begegnende Aufforderung eines Redners an den Schreiber, ein Schriftstück zu verlesen. Trahit sua quemque voluptas. «Jeden (einzelnen) zieht seine (besondere) Lust an.» Vergil, Bucolica 2, 65. Die Sentenz zieht die Schlußfolgerung aus der Paradigmenreihe: «Die Löwin verfolgt den Wolf, der Wolf wieder die Ziege, die Ziege verfolgt den blühenden Klee, dich (verfolgt) Corydon, o Alexis ...» Tres faciunt collegium. «Drei (Mitglieder) bilden einen Verein» (das heißt: Es bedarf wenigstens dreier Mitglieder, um einen Verein zu bilden). Nach Marcellus im Corpus iuris civilis, Digesten 50, 16, 85: Neratius Priscus tres facere existimat collegium, «Neratius Priscus erklärt, daß drei (Mitglieder) einen Verein bilden». An den Universitäten wohl schon des Mittelalters vielfach zitiert in dem Sinne: «Drei Zuhörer bilden eine Zuhörerschaft». Tu ne cede malis, sed contra audentior ito, / (quam tua te fortuna sinet). «Du weiche dem Unglück nicht, sondern geh allzeit kühner dagegen an, (als dein Geschick dich lassen will).» Vergil, Aeneis 6, 95. Die cumäische
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TU NE QUAESIERIS
Sibylle spricht dem aus seiner trojanischen Heimat flüchtigen, nach siebenjähriger Irrfahrt schließlich an die italische Küste gelangten Aeneas Mut zu, nachdem sie ihm für seine Ankunft in Latium neue furchtbare, blutige Kriege, einen «zweiten Achilleus» und eine weiterhin feindselige Juno vorausgesagt hat. Tu ne quaesieris, scire nefas, quem mihi, quem tibi / finem di dederint. «Du forsche dem nicht nach – es zu wissen ist uns verwehrt –, welches Ende mir, welches dir die Götter gegeben haben.» Horaz, Oden 1, 11, 1f. Der Dichter spricht zu einer Leuconoe, mit der er sich in dem feinen Versschluß quem mihi, quem tibi verbunden zeigt; sie solle sich in Epikureischer Lebensweisheit nicht um eine ungewisse Zukunft sorgen, sondern, was immer sein wird, hinnehmen und das gegebene Hier und Heute, die flüchtige Lebenszeit, frohgemut genießen. Die kurze Ode schließt mit dem vielzitierten Epikureischen Imperativ Carpe diem!, oben S. 47; vgl. auch die entsprechende, in Horazens Odenbuch nahe benachbarte Mahnung Quid sit futurum cras, fuge quaerere, oben S. 136. Tu regere imperio populos, Romane, memento / – hae tibi erunt artes – pacique imponere morem, / parcere subiectis et debellare superbos. «Du, Römer, richte deinen Sinn darauf, durch deine Herrschaft die Völker zu lenken – diese Künste werden dir zukommen – und dem Frieden eine Ordnung aufzuprägen, die Unterworfenen zu schonen und die Überheblichen niederzukämpfen.» Vergil, Aeneis 6, 851ff.; der tote Anchises zu dem in die Unterwelt hinabgestiegenen Aeneas, auf dem Höhepunkt der «Heroenschau», in der Anchises seinem Sohn die Zukunft Roms vor Augen stellt. In sieben bedeutungsträchtigen, mächtig fortwirkenden Versen (847ff.) benennt Vergil in der Mitte der «Aeneis» die historische Aufgabe der Römer und hebt sie von der besonderen Leistung der Griechen ab: Den Griechen wird der Vorrang in der Bildenden Kunst, der Literatur und den Wissenschaften zugestanden, den Römern bleibt die politische Ordnung der Welt vorbehalten. Selbst die Einnahme Roms durch den Westgotenkönig Alarich 410 n. Chr. hat diese Vergilverse nicht entkräften können; das bezeugt die auf das Jahr 417 n. Chr. datierte Anrufung der Stadtgöttin bei Namatian, De reditu suo 1, 47ff., besonders 71f.: ... Hinc tibi certandi bona
TUNICA
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parcendique voluptas: / quos timuit, superat, quos superavit, amat, «... Daher hast du rechte Freude zu kämpfen und zugleich zu schonen: die Rom gefürchtet hat, überwindet es, die es überwunden hat, liebt es.» Noch im 6. Jahrhundert n. Chr., nun mit Bezug auf das «neue Rom» Konstantinopel, läßt Corippus, In laudem Iustini 3, 331f., Kaiser Justinus II. stolz verkünden: Pax est subiectis, pereunt per bella superbi; / parcimus innocuis, sonti non parcimus ulli, «Friede wird den Unterworfenen zuteil, durch Kriege gehen die Überheblichen zugrunde; wir schonen milde die Unschuldigen, Schuldige schonen wir nicht einen». – Zwei Inschriften auf den Basen der Apostelstatuen an der Engelsbrücke in Rom aus dem Jahre 1534 nehmen die Gegenüberstellung von Verschonung und Vergeltung auf; da heißt es bei Petrus mit dem Schlüssel: Hinc / humilibus / venia, «Von hier den Demütigen Vergebung», und gegenüber bei Paulus mit dem Schwert: Hinc / retributio / superbis, «Von hier Vergeltung den Hochmütigen» (vgl. Bartels, Roms sprechende Steine, Nr. 14.2). Tua res agitur, (paries cum proximus ardet). «Um deine Sache geht es, (wenn die nächste Wand brennt).» Horaz, Episteln 1, 18, 84. Tunica propior pallio est. «Das Hemd ist (einem) näher als der Rock.» Plautus, Trinummus 1154. Der junge Lysiteles rechtfertigt sich mit der sprichwörtlichen Wendung dafür, daß er zuerst seinen künftigen Schwiegervater Charmides, dann erst dessen Freund und Altersgenossen Callicles begrüßt. Theokrit, Idyllen 16, 18, spielt mit der Umkehrung: ÉApvt°rv µ gÒnu knãma, «Weiter weg als das Knie ist das Schienbein», auf ein entsprechendes griechisches Sprichwort an.
Ubi bene, ibi patria. «Wo es einem gut geht, da ist das Vaterland.» Nach einem bei Cicero, Tuskulanische Gespräche 5, 37, 108, ohne Nennung eines Autors angeführten Tragikervers – wohl des Pacuvius – aus dem Munde des mythischen Teucer: Patria est, ubicumque est bene, «Das Vaterland ist, wo immer es einem gut geht» (in: Ribbeck, Tragicorum Romanorum Fragmenta, nicht zugewiesene Fragmente, Vers 92). Zitate des gleichen Tragikerverses erscheinen auch bei Seneca, De remediis fortuitorum 8, 2, und in der unter Senecas Namen überlieferten Schrift De moribus 43 (... ubicumque bene est). Ihren Ursprung hat die Prägung im Griechischen; wir lesen sie bei Aristophanes, Plutos 1151: Patr‹w gãr §sti pçsÉ, ·nÉ ín prãtt˙ tiw eÔ, «Denn Vaterland ist jedes, wo immer es einem gut geht», und bei Menander, Sentenzen 735 Jäkel (auch in: Nauck, Tragicorum Graecorum Fragmenta, Adespota 318): T“ går kal«w prãssonti pçsa g∞ patr€w, «Denn für einen, dem es gut geht, ist die ganze Erde Vaterland». Eine reizvolle Verknüpfung mit dem gleichfalls «geflügelten» Omnia mea mecum porto (oben S. 118) findet sich in den unter Varros Namen überlieferten Sentenzen 36: Vir bonus, quocumque it, patriam suam secum fert; omnia sua animus eius custodit, «Ein rechter Mann trägt, wohin immer er geht, sein Vaterland mit sich; sein Inneres birgt all seinen Besitz». Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 1356. Ultima (hora) latet. «Die letzte (Stunde) ist verborgen.» Inschrift auf Uhren; vgl. die entsprechende Uhreninschrift Mors certa, hora incerta, oben S. 98. Ultima Thule. «Das äußerste Thule» (in dem Sinne: «das am äußersten Rand der Welt gelegene Thule»). Vergil, Georgica 1, 30. Der griechische
UNUS
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Seefahrer Pytheas von Massilia (heute Marseille), der um 325 v. Chr. eine Erkundungsfahrt in den hohen Norden unternahm, hat in seinem Expeditionsbericht als den nördlichsten erreichten Punkt als erster eine Insel Thule genannt, die noch sechs Tagereisen nördlich von Britannien liege und auf der die Sonne im Sommer nur für kurze Zeit untergehe (bei Strabon, Geographica 1, 4, 2; 2, 5, 8; 2, 4, 1, und Plinius dem Älteren, Naturgeschichte 4, 104; Pytheas, Fragmente 6a, 6c, 7a und 11b Mette). Seitdem stand der Name Thule in der Antike für den äußersten Norden und den Rand der Welt. Ultra posse nemo obligatur. «Über sein Können hinaus wird niemand verpflichtet» (auch in der Form: Ultra vires ..., «Über seine Kräfte hinaus ...»). Nach Papst Bonifatius VIII., Liber sextus decretalium 5, 12, 6: Nemo potest ad impossibile obligari, «Niemand kann zu etwas Unmöglichem verpflichtet werden», was seinerseits zurückgeht auf den Juristen Celsus im Corpus iuris civilis, Digesten 50, 17, 185: Impossibilium nulla obligatio est, «Zu Unmöglichem gibt es keine Verpflichtung». Der Ursprung der heute geläufigen Prägung ist nicht nachgewiesen. Vgl. Herodot, Geschichte 7, 172, 3: OÈdamå går édunas€hw énãgkh kr°ssvn ¶fu, «Denn noch niemals ist eine Nötigung stärker gewesen als das Unvermögen». Una salus victis nullam sperare salutem. «Das einzige Heil für die Besiegten (ist), auf kein Heil mehr zu hoffen.» Vergil, Aeneis 2, 354; der Schluß der Rede, mit der Aeneas angesichts der brennenden, von den Griechen besetzten Vaterstadt die jungen Trojaner zum letzten Kampf aufruft: «Sterben wir und stürzen wir uns mitten in die Waffen; das einzige Heil ...» Unus homo nobis cunctando restituit rem. «Ein einziger Mann hat uns durch sein Zaudern den Staat wiederhergestellt.» Ennius, Fragmente der Annalen, Vers 370 Vahlen. Der Vers ist in zahlreichen Zitaten überliefert, zuerst mehrfach bei Cicero: De officiis 1, 24, 84; Cato oder De senectute 4, 10 (an diesen Stellen mit zwei folgenden Versen); Briefe an Atticus 2, 19, 2; weitere Zitate und Abwandlungen bei Otto, Sprichwörter, Nr. 479. Nach den katastrophalen Niederlagen gegen Hannibal im 2. Punischen Krieg – am Trasimenischen See im Jahre 217 und bei Cannae 216 v. Chr.
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URBI
(vgl. Hannibal ante portas, oben S. 80) – setzte Quintus Fabius Maximus Verrucosus als Dictator 217 und als Konsul 215 und 214 v. Chr. eine langfristige Strategie des beständigen Hinhaltens durch, die zunächst zu Einzelerfolgen auf Nebenkriegsschauplätzen und schließlich 202 v. Chr. in der Schlacht bei Zama südlich von Karthago zum entscheidenden Sieg über Hannibal führte. Der dem römischen Feldherrn anfänglich anhängende Spitzname Cunctator, «Zauderer», wurde in der Folge zu seinem Ehrentitel. Vergil hat dem «geflügelten» Enniusvers durch eine fast wörtliche Übernahme in die Heroenschau der «Aeneis» (6, 845f.) seine hohe Reverenz erwiesen: Tun Maximus ille es, / unus qui nobis cunctando restituis rem?, «Bist du jener Maximus, der du, als einziger, uns durch dein Zaudern den Staat wiederherstellst?» Vgl. Vincere scis, Hannibal, victoria uti nescis, unten S. 179. Urbi et orbi. «Der Stadt und dem (Erd-) Kreis» (in dem Sinne: «Rom und der Welt»). Die geschichtsträchtige, durch den lautlichen und rhythmischen Gleichklang ausgezeichnete Formel, mit welcher der Papst als Bischof von Rom und Pontifex maximus bei seiner Amtseinsetzung und an hohen kirchlichen Festtagen seinen Segen von der Peterskirche aus «an die Stadt und die Welt» richtet. Das Spiel mit dem Gleichklang der Wörter beginnt bei Cicero, 1. Catilinarische Rede 4, 9; dort nennt Cicero die Catilinarier Leute, qui de huius urbis atque adeo de orbis terrarum exitio cogitent, «die es auf den Untergang unserer Stadt, ja der ganzen Welt abgesehen haben». In seiner «Liebeskunst», 1, 174, rühmt Ovid die Seekriegsgefechte in Rom mit ihrer buntgemischten jungen Zuschauerschaft zugleich als Schauplatz für weltumspannende Liebesgeplänkel: ... atque ingens orbis in urbe fuit, «... und die weite Welt war in der Stadt (versammelt)»; in seinem «Festkalender», 2, 683f., schließt er die Schilderung des Grenzsteinfestes mit der stolzen Pointe: Gentibus est aliis tellus data limite certo: / Romanae spatium est urbis et orbis idem, «Anderen Völkern ist Land in festen Grenzen gegeben: Für das römische ist der Raum der Stadt und der Welt ein und derselbe». In der Spätantike greift Namatian, De reditu suo 1, 66, das Wortspiel zum Ruhme der Romgöttin auf: ... urbem fecisti, quod prius orbis erat, «... zur Stadt hast du gemacht, was vormals die Welt war»; etwas später zitiert Apollinaris Sidonius in seinem Panegyricus auf Kaiser Avitus,
URBS
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Carmina 7, 556f., ein offenbar geläufiges drastisches Bild: Captivus, ut aiunt, / orbis in urbe iacet, «Gefangen, wie sie sagen, liegt die Welt in der Stadt». Mit dem brillant geschliffenen Geschichtsprogramm des Orosius, Historia adversus paganos 1, 1, 14, geht das Wortspiel vom heidnischen in das christliche Geschichtsbild über: Dicturus igitur ab orbe condito usque ad urbem conditam, dehinc usque ad Caesaris principatum nativitatemque Christi, ex quo sub potestate urbis orbis mansit imperium, «Ich werde also Geschichte schreiben von der Gründung der Welt bis zur Gründung der Stadt, von da bis zum Prinzipat des Kaisers Augustus und der Geburt Christi, seit welcher Zeit die Herrschaft über die Welt unter der Hoheit der Stadt verblieben ist». Urbs aeterna. «Die ewige Stadt (Rom).» Im Sinne der Augusteischen römischen Reichsidee (vgl. Tu regere imperio populos, Romane, memento ..., oben S. 166) hat der Liebesdichter Tibull, Elegien 2, 5, 23f., als erster fast beiläufig von Rom als der «ewigen Stadt» gesprochen: Romulus aeternae nondum formaverat urbis / moenia ..., «Romulus hatte die Mauern der ewigen Stadt noch nicht aufgerichtet ...» Zur Idee der «ewigen Stadt» vgl. die Verheißung eines «Reiches ohne Ende», die Vergil, Aeneis 1, 278f., den Göttervater Jupiter gegenüber Venus, der Mutter des Aeneas, aussprechen läßt: His ego nec metas rerum nec tempora pono, / imperium sine fine dedi, «Diesen (den Römern) setze ich weder Wenden ihrer Dinge noch (begrenzte) Zeiten; Herrschaft ohne Ende habe ich ihnen gegeben». Die meta bezeichnet eigentlich die kegelförmige, an den Enden einer Wagenrennbahn aufgestellte Wendesäule. Selbst die Einnahme und Plünderung Roms durch den Westgotenkönig Alarich im Jahre 410 n. Chr. hat diese Prophezeiung nicht entkräften können; noch wenige Jahre später erklärt Namatian, De reditu suo 1, 137f., in seiner Hymne auf die Romgöttin: Quae restant, nullis obnoxia tempora metis, / dum stabunt terrae, dum polus astra feret, «Die Zeiten, die nun noch verbleiben, sind keinen Wenden mehr ausgesetzt, solange die Erde Bestand hat, solange der Himmel seine Sterne trägt». Vgl. das dort anschließende Illud te reparat, quod cetera regna resolvit: / Ordo renascendi est crescere posse malis, oben S. 119, und Quamdiu stat Colisaeus ..., oben S. 134.
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UT ALIQUID
Ut aliquid fiat. «Damit (doch wenigstens) irgend etwas geschieht.» Auch in der Form: Ut aliquid fieri videatur, «Damit es (doch wenigstens) den Anschein hat, irgend etwas geschehe». Der Ursprung der Wendung ist nicht nachgewiesen. Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas. «Wenn auch die Kräfte fehlen, so ist doch der Wille zu loben.» Ovid, Briefe vom Pontus 3, 4, 79; mit Bezug auf das eigene dichterische Schaffen in der Verbannung am Schwarzen Meer. Vgl. das Properzische In magnis et voluisse sat est, oben S. 85. Ut moriens viveret / vixit ut moriturus. «Daß er, wenn er sterbe, lebe, lebte er wie einer, der sterben wird.» Der Grabspruch auf dem Sarkophag des spanischen Kardinals Auxias de Podio (gestorben 1483) in der Kirche S. Sabina in Rom, im rechten Seitenschiff vorn (vgl. Bartels, Roms sprechende Steine, Nr. 12.5). Zwei Zeilen, sechs Wörter, zweimal «sterben», zweimal «leben», im Stein chiastisch und vielleicht bedeutsam übers Kreuz nebeneinander und übereinander gestellt, zweimal ein ut: Unübertrefflich knapp und streng, buchstäblich lapidar steht in dieser Inschrift die christliche Heilserwartung und Lebenserwartung vor dem Hintergrund delphischer Todesgewißheit. Ein Zitat – Ut moriens vivas, vive ut moriturus – findet sich auf einem Grabstein an der Nordwand der Husumer Marienkirche. – Eine Grabinschrift in S. Maria in Aracoeli, beim Seitenausgang zum Kapitolsplatz hinunter, scheint dieses Muster lapidaren Lateins noch überbieten zu wollen: Siste gradum, viator. Si probus es, morere victurus; si improbus es, vive moriturus, «Halt inne den Schritt, Fremder! Wenn du ein Guter bist, stirb nur – Du wirst leben (zugleich: siegen); wenn du ein Übler bist, lebe nur fort – Du wirst sterben!» Ut pictura poesis. «Wie die Malerei, (so) die Dichtung.» Horaz, Ars poetica 361. In der Malerei, führt Horaz aus, gebe es Gemälde, die den Betrachter nur von ferne und im Halbdunkel für sich einnehmen, und andere, die aus der Nähe und in hellem Licht betrachtet werden wollen, da sie das strenge Urteil des Richters nicht zu scheuen brauchen; entsprechend gebe es auch in der Musenkunst Gedichte, die beim ersten Lesen gerade
UT SEMENTEM
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noch gefallen, und andere, die beim vielmaligen Wiederlesen immer noch Gefallen finden. Auch diese Schlußsentenz ist zum Geflügelten Wort geworden: vgl. Haec placuit semel, haec deciens repetita placebit, oben S. 54. Ut sementem feceris, ita metes. «Wie du gesät hast, so wirst du ernten.» Cicero, De oratore 2, 65, 261, führt die sprichwörtliche Sentenz als Beispiel für eine schlagfertige bildhafte Entgegnung an; der dort genannte uns sonst unbekannte Marcus Pinarius Rusca ist kaum Urheber der Prägung. Aristoteles, Rhetorik 3, 3. 1406 b 9ff., tadelt das Bild von Aussaat und Ernte bei Gorgias, dem Archegeten der griechischen Rhetorik, noch als «allzu poetisch»: SÁ d¢ taËta afisxr«w m¢n ¶speiraw, kak«w d¢ §y°risaw, «Du hast das schändlich gesät und entsprechend übel geerntet». Vgl. Plautus, Captivi 661: Sator sartorque scelerum et messor maxume, «Du großer Säer und Jäter von Übeltaten und (jetzt) ihr Ernter!» Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 1104.
Vae victis! «Wehe den Besiegten!» Livius, Ab urbe condita 5, 48, 9; Florus, Epitoma de Tito Livio 1, 7 (oder 13), 17. Nach ihrer schweren Niederlage gegen die Gallier an der Allia im Jahre 387 v. Chr. und der Preisgabe der gesamten übrigen Stadt mit Ausnahme des Kapitols erkauften die Römer den Abzug der Feinde mit einem hohen, in Gold zu zahlenden Lösegeld. Als der römische Offizier Quintus Sulpicius gegen die gefälschten Gewichte der Gallier Einspruch erhob, warf der gallische Heerführer – Livius hat ihm als erster den Namen «Brennus» gegeben – auch sein Schwert noch dazu, «und da fiel das für Römer nicht zu duldende Wort: Vae victis!» Festus, De verborum significatione, S. 372 Müller, nennt den Ausruf «sprichwörtlich»; ein Zitat findet sich bei Plautus, Pseudolus 1317. Plutarch, Camillus 28, 6, führt den Ruf in seinem Bericht von der Abwägung des Goldes in griechischer Version an: To›w nenikhm°noiw ÙdÊnh, «Den Besiegten Wehe!», und bemerkt dazu, der Ausruf sei «nunmehr längst sprichwörtlich geworden». Vanitas vanitatum et omnia vanitas. «Eitelkeit der Eitelkeiten, und alles Eitelkeit», im Sinne von: «Nichtigkeit der Nichtigkeiten ...» Altes Testament, Prediger 1, 2 Vulgata (Vanitas vanitatum, dixit Ecclesiastes, vanitas vanitatum, omnia vanitas). Die bei Augustin, De vera religione 21, 41, zitierte Fassung Vanitas vanitantium ..., «Eitelkeit der in Eitelkeit Befangenen ...», geht auf eine falsche Lesart zurück (vgl. aber Augustin, Retractationes 1, 7, 3). Wie Prokop, Vandalenkrieg 2 (Kriege 4), 9, 11, berichtet, wiederholte der im Jahre 534 n. Chr. in Afrika von dem byzantinischen Feldherrn Belisar besiegte Vandalenkönig Gelimer, als er im Triumphzug noch im Purpurmantel vor den Thron Kaiser Justinians geführt wurde, im-
VARIATIO
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mer wieder die Worte des Predigers Salomo: «Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist Eitelkeit.» Vare, redde legiones! «Varus, gib (mir) meine Legionen wieder!» Nach Sueton, Augustus 23, 2: Quin(c)tili Vare, legiones redde!, und Orosius, Historiae adversus paganos 6, 21, 27: Quin(c)tili Vare, redde legiones! Auf die Nachricht von der katastrophalen Niederlage des Publius Quinctilius Varus im Jahre 9 n. Chr. «unweit des Teutoburger Waldes» (Tacitus, Annalen 1, 60, 5) gegen den Cheruskerfürsten Arminius habe Kaiser Augustus, so berichtet Sueton, sich mehrere Monate lang Bart und Haare wachsen lassen, immer wieder seinen Kopf gegen die Türen geschlagen und laut klagend gerufen: «Quinctilius Varus, gib mir meine Legionen wieder!» Mit der clades Variana, der «Varianischen Niederlage», war die Germanenpolitik des Augustus gescheitert. Drei Legionen mitsamt ihren Hilfstruppen waren auf dem Rückmarsch ins Winterlager gänzlich aufgerieben worden; Varus selbst hatte sich nach einer Verwundung auf dem Schlachtfeld den Tod gegeben. Der heute so bezeichnete «Teutoburger Wald» hat seinen Namen erst in der Neuzeit nach dem bei Tacitus genannten Teutoburgiensis saltus erhalten; der Schauplatz der Varusschlacht hat sich allen Bemühungen zum Trotz bis heute nicht mit letzter Sicherheit lokalisieren lassen. Variatio delectat. «Abwechslung erfreut.» Die sprichwörtliche Wendung begegnet im Lateinischen erstmals in der ohne Autornamen überlieferten «Rhetorik an Herennius», 3, 12, 22, mit Bezug auf den Wechsel der Lautstärke und Tonhöhe beim Sprechen: ... et auditorem quidem varietas maxime delectat, «... und den Hörer erfreut doch die Abwechslung ganz besonders». Cicero, De natura deorum 1, 9, 22, läßt den Epikureer Velleius mit Bezug auf einen Schöpfergott ironisch fragen: Varietatene eum delectari putamus, qua caelum et terras exornatas videmus? «Nehmen wir (etwa) an, daß er sich an der bunten Vielfalt erfreut, mit der wir Himmel und Erde ausgeschmückt sehen?» Vgl. Phaedrus, Fabeln 2, Einleitung 10 (ut delectet varietas); Valerius Maximus, Denkwürdige Taten und Worte 2, 10, externi 1 (ut ... ipsa varietate delectent); Justin, Epitoma historiarum Philippicarum Pompei Trogi, Einleitung 1 (sive varietate et novitate operis delectatus). Das lateinische Sprichwort geht zurück auf einen Halbvers des Euripides, Orest
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VARIUM
234: MetabolØ pãntvn glukÊ, «Veränderung ist in allem süß», der sich bei Aristoteles mehrfach zitiert findet: Eudemische Ethik 7, 1. 1235 a 16f.; Rhetorik 1, 11. 1371 a 28; als «Dichterwort» eingeführt und mit dem Superlativ glukÊtaton gesteigert: Nikomachische Ethik 7, 15. 1154 b 28f. Varium et mutabile semper / femina. «Ein buntschillerndes und wechselhaftes Wesen ist doch immer die Frau.» Vergil, Aeneis 4, 569f.; ein Traumbild des Götterboten Merkur zu dem schlafenden Aeneas, zur Warnung vor einer Verzweiflungstat der liebeskranken Dido. Veni vidi vici. «Ich kam, ich sah, ich siegte.» Sueton, Caesar 37, 2. Wie Plutarch, Caesar 50, 3f., berichtet, hat Caesar mit diesen drei syntaktisch gleichgeordneten, rhythmisch gleichgewichtigen, gleich an- und auslautenden Worten seinem Vertrauensmann Gaius Matius in Rom seinen Sieg über König Pharnakes II. von Bosporos mitgeteilt. Innerhalb von nur vier Stunden hatte Caesar am 2. August 47 v. Chr. bei der pontischen Tempelstadt Zela (heute Zile, im Nordosten Kleinasiens) das feindliche Heer aufgerieben und sein Lager eingenommen; König Pharnakes floh mit wenigen Getreuen und fand bald darauf den Tod. Plutarch zitiert Caesars Siegesbotschaft in griechischer Sprache: âHlyon, e‰don, §n€khsa, weist jedoch auf den «gleichlautenden Ausklang der Worte und die eindrückliche Kürze des Ausdrucks» im Lateinischen hin. Als Caesar im folgenden Jahr, 46 v. Chr., seinen vierfachen Triumph über Gallien und Ägypten und die Könige Pharnakes und Juba feierte, ließ er nach dem Zeugnis Suetons (Caesar 37, 2) für den Pontischen Triumphzug statt der Aufzählung einzelner Kriegstaten nur die drei Worte VENI VIDI VICI auf die vorangetragenen Siegestransparente setzen. Die brillante Prägung ist zitiert bei Seneca dem Älteren, Suasoriae 2, 22, und – wieder in der griechischen Version – bei Appian, Bürgerkriege 2, 91, 384; vgl. auch die Anspielungen bei Annius Florus, Epitoma de Tito Livio 2, 13, 61, und bei Dio Cassius, Römische Geschichte 42, 48, 1. – Eine entsprechende Formel findet sich in der Sprichwortsammlung des Apostolios 12, 58 (in: Leutsch-Schneidewin, Paroemiographi Graeci, Band II, S. 556): ÑO kÒsmow skhnÆ, ı b€ow pãrodow: ∑lyew, e‰dew, ép∞lyew, «Die Welt ist eine Bühne, das Leben ein Auftritt: Du kamst, sahst, gingst fort».
VESTIGIA
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Verba docent, exempla trahunt. «Worte belehren, Beispiele reißen mit.» Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen; vgl. jedoch Seneca, Briefe an Lucilius 6, 5: ... quia longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla, «... weil der Weg lang ist über Vorschriften, kurz und wirkungsvoll über Beispiele», oben S. 91. Vgl. das mittelalterliche Sprichwort (in: Werner, Sprichwörter, E 139): Exemplo melius quam verbo quisque docetur, «Durch das Beispiel wird jeder besser als durch das Wort belehrt». Verba volant, scripta manent. «(Gesprochene) Worte fliegen (davon), Geschriebenes bleibt.» Die Quelle der Sentenz ist nicht nachgewiesen. Vgl. Quod non est in actis, non est in mundo, oben S. 140. (Mihi crede,) verum gaudium res severa est. «Glaube mir, wahre Freude ist eine ernste Sache.» Seneca, Briefe an Lucilius 23, 4, mit Bezug auf die im Innern des Menschen begründete, «im eigenen Hause geborene» und darum einzig beständige «wahre Freude», im Gegensatz zu den von außen an den Menschen herangetragenen oberflächlichen und vorübergehenden, trügerischen Vergnügungen. Voraufgeht (23, 3) die auf den ersten Blick paradoxe Aufforderung: Hoc ante omnia fac, mi Lucili: Disce gaudere!, «Das mache vor allem, mein Lucilius: Lerne dich zu freuen!» Vestigia terrent. «Die Spuren schrecken.» Horaz, Episteln 1, 1, 74. Horaz zitiert die Antwort des Fuchses in der Fabel vom alten Löwen und dem Fuchs: Quia me vestigia terrent, / omnia te adversum spectantia, nulla retrorsum, «Weil mich die Spuren schrecken, die alle zu dir hinein weisen, keine wieder zurück». Die Äsopische Fabel (Nr. 142 Perry) erzählt von einem altersschwachen Löwen, der sich in eine Höhle zurückgezogen hat, den Kranken spielt und dort vielerlei Krankenbesuche empfängt. Als sich der Fuchs von draußen nach dem Befinden des Löwen erkundigt, fragt der Löwe ihn, warum er denn nicht hereinkomme. Der Fuchs erwidert: «Von mir aus käme ich ja gern herein, sähe ich nicht die Spuren von vielen, die zu dir hineingegangen sind, doch von keinem, der wieder herausgekommen wäre.» Aus der Erzählung der Fabel bei Lucilius hat sich die Frage des Fuchses erhalten (Fragmente der Satiren, Vers 988f. Marx): ... quare fit, ut intro vorsus ad te / spectent atque ferant vestigia se omnia prorsus?, «... wie
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VICTRIX
kommt es, daß nach drinnen gewendet zu dir weisen und führen die Spuren alle miteinander?» – Daher die Redensart von der «Höhle des Löwen». Victrix causa deis placuit, sed victa Catoni. «Die siegreiche Sache hat den Göttern gefallen, aber die besiegte dem Cato.» Lukan, Bürgerkrieg 1, 128. In der Einleitung zu seinem historischen Epos über den Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius wirft der Dichter die Frage nach dem Recht beider Bürgerkriegsparteien auf, Vers 126ff.: Quis iustius induit arma, / scire nefas: magno se iudice quisque tuetur; / victrix causa ..., «Wer mit größerem Recht die Waffen anlegte, das zu wissen ist uns verwehrt: Auf einen großen Richter beruft sich jeder (der Gegner); die siegreiche Sache ...» Marcus Porcius Cato war der leidenschaftlichste und unversöhnlichste Verteidiger der römischen Republik gegen den Machtanspruch Caesars. Nach der entscheidenden Niederlage der Pompejaner bei Thapsus (an der Ostküste Tunesiens) im Jahre 46 v. Chr. nahm er sich unmittelbar vor der Ankunft des Siegers in Utica (an der Nordküste Tunesiens) das Leben; daher sein rühmender Beiname «Uticensis». In der Folge, zumal unter der selbstherrlichen Willkürherrschaft Neros, ist dieser Cato Uticensis neben dem Caesarmörder Brutus zur Symbolgestalt des stoisch orientierten politischen Widerstandes gegen den Prinzipat der Caesaren geworden; Lukans – unvollendet gebliebenes – Epos hätte mit seinem Tod enden sollen. Ein Zitat der Lukanstelle bei Boëthius, Trost der Philosophie 4, 6, 33. Videant consules, ne quid res publica detrimenti capiat. «Die Konsuln mögen darauf sehen, daß der Staat keinen Schaden nehme.» Die festgeprägte Formel des senatus consultum ultimum, des «letzten, äußersten Senatsbeschlusses», mit dem der römische Senat im äußeren oder inneren Notstand die amtierenden Magistraten mit außerordentlichen Vollmachten zur Abwendung der Gefahren ausstatten konnte. Zitate in abhängiger Rede finden sich bei Cicero, 1. Catilinarische Rede 2, 4, bei Caesar, Bürgerkrieg 1, 7, 5, und bei Sallust, Verschwörung des Catilina 29, 2. Video meliora proboque: / deteriora sequor. «Ich sehe das Bessere und erkenne es an: Dem Schlechteren folge ich.» Ovid, Metamorphosen 7,
VITA BREVIS
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20f.; die zwischen Leidenschaft und Besinnung hin und her gerissene Medea vor der Entscheidung, ihrem Geliebten Jason, dem Führer der Argonauten, gegen ihren Vater Aietes, den König von Kolchis, mit ihren Zauberkünsten zur Gewinnung des Goldenen Vlieses zu verhelfen. Vgl. Euripides, Medea 1078ff. und Hippolytos 380ff. Bei Ovid steht die überraschende Pointe am betonten Versanfang; in einem mittelalterlichen Sprichwort, das die beiden Halbverse zu einem vollständigen Hexameter zusammenfügt, ist das Wort vom Schwanz aufgezäumt: Deteriora sequor, video meliora proboque (in: Werner, Sprichwörter, D 75). Vincere scis, Hannibal, victoria uti nescis. «Zu siegen weißt du, Hannibal, den Sieg zu nutzen weißt du nicht.» Livius, Ab urbe condita 22, 51, 4; Maharbal, der karthagische Reiteroberst, zu Hannibal, als dieser nach der katastrophalen Niederlage der Römer bei Cannae im Jahre 216 v. Chr. seine Aufforderung, noch gleichentags zum Marsch auf Rom aufzubrechen, unentschlossen ablehnt. Vorauf geht in Maharbals Erwiderung die Sentenz: Non omnia nimirum eidem di dedere ..., «Nicht alles – wen wundert’s? – haben die Götter dem gleichen (Mann) gegeben ...» Livius merkt an der Stelle an, der Aufschub dieses einen Tages habe nach allgemeiner Einschätzung für Rom und das Reich die Rettung bedeutet. Ein Zitat des Wortes findet sich bei Ammianus Marcellinus, Geschichte 18, 5, 6. Vgl. den Schreckensruf Hannibal ante portas, oben S. 80, und Unus homo nobis cunctando restituit rem, oben S. 169. Vita brevis, ars longa. «Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang» (ursprünglich bezogen auf die ärztliche Kunst). Nach Seneca, De brevitate vitae 1, 1: Inde illa maximi medicorum exclamatio est vitam brevem esse, longam artem, «Daher rührt jener Ausruf des größten der Ärzte, das Leben sei kurz, lang die Kunst». Seneca zitiert den ersten Aphorismus aus der unter dem Namen des Hippokrates überlieferten Sammlung. Das strenggebaute fünfgliedrige Original lautet: ÑO b€ow braxÊw, ≤ d¢ t°xnh makrÆ, ı d¢ kairÚw ÙjÊw, ≤ d¢ pe›ra sfalerÆ, ≤ d¢ kr€siw xalepÆ, «Das Leben ist kurz, die Kunst lang, die Gelegenheit flüchtig, der Versuch gefährlich, die Entscheidung schwer». Griechische Zitate des Hippokratischen Aphorismus finden sich bei Demetrios, De elocutione 4 und 238 (die ersten drei
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VITA VIGILIA
beziehungsweise vier Glieder, als Beispiel für einen «trockenen» Stil) und bei Lukian, Hermotimos 1 und 63 (die ersten beiden Glieder). Wie die Zitate bezeugen, sind die ersten beiden Glieder bereits in der Antike von den folgenden, deutlicher auf die ärztliche Kunst bezogenen Gliedern abgelöst und auf jede andere Wissenschaft und Lehre übertragen worden. In Goethes Roman «Wilhelm Meisters Lehrjahre», 7. Buch, 9. Kapitel, eröffnet der Aphorismus den Lehrbrief des Abbé: «Die Kunst ist lang, das Leben kurz, das Urteil schwierig, die Gelegenheit flüchtig.» Der Stoßseufzer des bemühten Famulus Wagner in Goethes «Faust», Vers 558f., hat dem Wort noch einmal Flügel verliehen: «Ach Gott! die Kunst ist lang, / und kurz ist unser Leben.» (Profecto enim) vita vigilia est. «(Denn wahrhaftig): Das Leben ist eine Wache» (in dem Sinne: «Nur das wache Leben ist ein wahres Leben»). Plinius der Ältere, Naturgeschichte, Widmungsbrief 18. In der Widmung seines Werkes an den späteren Kaiser Titus bekennt sich Plinius als fleißiger Nachtarbeiter; mit Berufung auf den gelehrten Marcus Varro erklärt er, wer auch diese Stunden zur Arbeit nutze, lebe um ebendiese Stunden länger. Vgl. Senecas Devise Vivere militare est, unten S. 181. Vitam impendere vero. «Das Leben einsetzen für die Wahrheit» (eigentlich: «Das Leben in die Waagschale werfen für die Wahrheit»). Juvenal, Satiren 4, 91. Viva vox. Die «lebendige Stimme» (das gesprochene Wort im Gegensatz zum geschriebenen Text). Die durch den Gleichlaut der Anlaute und den Wechsel der Vokale reizvolle Verknüpfung begegnet zuerst bei Seneca dem Älteren, Controversiae 1, Einleitung 11: alioqui ..., quod vulgo aliquando dici solet, sed in illo proprie debet, potui vivam vocem audire, «sonst hätte ich ..., was hie und da geläufig gesagt wird, aber bei diesem Mann – bei Cicero – im Wortsinn zu verstehen ist, seine lebendige Stimme hören können». Vgl. Seneca (den Jüngeren), Briefe an Lucilius 33, 9: «Warum soll ich auch (im Hörsaal) anhören, was ich doch (in Büchern) nachlesen kann? Viel, wird einer da erwidern, macht die lebendige Stimme aus.» Plinius der Jüngere, Briefe 2, 3, 9, spielt den Gegensatz vollends aus: Zum Lesen sei immer
VIVOS
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Gelegenheit, zum Hören nicht. Ausserdem vermittle die «lebendige Stimme», wie geläufig gesagt werde, den viel stärkeren Eindruck. Denn möge das Gelesene auch genauer ausgearbeitet sein, tiefer setze sich doch in der Seele fest, was die Stimmführung, die Mimik, die Erscheinung, die Gestik des Sprechenden ihr einpräge. Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 2, 2, 8, rühmt die «üppige Nährkraft» der «wie man sagt, lebendigen Stimme» zumal eines geliebten und verehrten Lehrers; Gellius, Attische Nächte 14, 2, 1, stellt die «wie man sagt, lebendige Stimme» den «stummen Lehrern», den geschriebenen Texten, gegenüber. Vgl. Seneca, Briefe an Lucilius 6, 5: Longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla, oben S. 91. – Bei Horaz, Ars poetica 318, ist die gleiche Wortverbindung (im Plural: vivas ... voces) auf die Lebenswahrheit der Dichtung bezogen. Vivat, crescat, floreat! «Er (sie) lebe, wachse, blühe!» Eine Steigerung des einfachen Vivat!, «Er (sie) lebe hoch!»; die – im Studentenleben zu vermutende – Quelle dieser dreigliedrigen Formel ist nicht nachgewiesen. Vivere militare est. «Leben heißt Kriegsdienst leisten.» Nach Seneca, Briefe an Lucilius 96, 5: Atqui vivere, Lucili, militare est, «Und doch: Leben, Lucilius, heißt Kriegsdienst leisten». Vgl. den Wahlspruch des älteren Plinius Vita vigilia est, oben S. 180, und das entsprechende Bild im Buch Hiob 7, 1 Vulgata: Militia est vita hominis super terram et sicut dies mercennarii dies eius, «Kriegsdienst ist das Leben des Menschen auf der Erde, und so wie der Tag eines Söldners ist sein Tag.» Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango. «Die Lebenden rufe ich. Die Toten beklage ich. Die Blitze breche ich.» Die Inschrift auf der im Jahre 1486 von Ludwig Peiger in Basel für das Schaffhauser Münster gegossenen, im Schaffhauser Museum zu Allerheiligen vor der St. Anna-Kapelle aufgestellten sogenannten «Schillerglocke». Die strenggebaute dreigliedrige Inschrift mit ihren gleichen Anlauten und Ausklängen, Entsprechungen und Entgegensetzungen inspirierte Schiller zu seinem «Lied von der Glocke»; Schiller kannte sie durch J. G. Krünitz, Öconomische Encyclopädie, Band 19, 1780, Seite 99. Das dritte Glied der Inschrift, Fulgura frango, deutet auf die alte Unheil abwehrende Bedeutung des Glockenläutens.
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VOCATUS
Vocatus atque non vocatus Deus aderit. «Gerufen und auch nicht gerufen, Gott wird da sein.» Nach einem bei Thukydides, Peloponnesischer Krieg 1, 118, 3, zitierten Delphischen Orakel: Der Gott selbst werde den Spartanern gegen die Athener beistehen, «herbeigerufen und auch ungerufen», und Horaz, Oden 2, 18, 36ff., am Ende der Ode: «(Der Tod) bezwingt den stolzen Tantalus und sein Geschlecht; er erhört den Armen, ihn von seiner Mühsal zu erlösen, gerufen und auch nicht gerufen», ... vocatus atque non vocatus audit. Erasmus, Adagia 2, 3, 32, zitiert das Wort als sprichwörtlich, in dem Sinne: etwas werde, ob wir wollen oder nicht, unfehlbar geschehen. Inschrift über dem Hauseingang C. G. Jungs in Küsnacht am Zürichsee. Volenti non fit iniuria. «Dem Einwilligenden geschieht kein Unrecht.» Nach Papst Bonifatius VIII., Liber sextus decretalium 5, 12, 27: Scienti et consentienti non fit iniuria neque dolus, «Dem Wissenden und Zustimmenden geschieht kein Unrecht und erst recht kein Betrug», was wiederum zurückgeht auf Ulpian im Corpus iuris civilis, Digesten 50, 17, 145: Nemo videtur fraudare eos, qui sciunt et consentiunt, «Niemand scheint diejenigen zu betrügen, die wissen und zustimmen». Die Quelle der geläufigen knappen Fassung ist nicht nachgewiesen; das einfache volenti hat seinen Ursprung wohl bei Ulpian im Corpus iuris civilis, Digesten 47, 10, 1, 5: ... quia nulla iniuria est, quae in volentem fiat, «... weil das kein Unrecht ist, was gegenüber einem Einwilligenden geschieht». Vox populi vox Dei. «Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes.» Petrus von Blois, Briefe 15 (in: Migne, Patrologia Latina, Band 207, Spalte 54): Scriptum est: Quia vox populi, vox Dei, «Geschrieben steht: Weil es die Stimme des Volkes ist, ist es die Stimme Gottes». Petrus von Blois ermahnt die Geistlichen, das Urteil der Gemeinde über sie zu beachten; er bezieht sich offenbar auf Jesaja 66, 6 in der lateinischen Übersetzung der «Vulgata»: Vox populi de civitate, vox de templo, vox Domini reddentis retributionem inimicis suis, «Stimme des Volkes von der Stadt, Stimme vom Tempel her, Stimme des Herrn, der Vergeltung übt an seinen Feinden». – Vgl. Seneca der Ältere, Controversiae 1, 1, 10: Crede mihi, sacra populi lingua est, «Glaube mir, heilig ist die Zunge des Volkes».
„Kleingeflügel“ Die hier zusammengestellten Stereotype vom Schlage eines ad hoc oder eines vice versa sind sozusagen die kleine Münze aus der Prägestätte der Juno Moneta. Sie haben keinen Ursprung, der nach Autor und Werk, Kapitel und Paragraph nachgewiesen werden könnte. Viele sind aus einer lateinischen Fachsprache in die Alltagssprache übergegangen, wie ad acta aus der Kanzleisprache, das Corpus delicti aus der Jurisprudenz oder die Persona non grata aus der Diplomatie. Speziell Fachsprachliches ist hier beiseite gelassen. Aus der vielfach unterschätzten Menge der einzelnen lateinischen und griechischen Wörter, die ganz oder fast unverändert, wenn auch oft mit einem Wechsel der Wortart oder des Geschlechtes in die Alltagssprache eingegangen sind, wie das «Alibi» oder das «Plazet», sind einige charakteristische, interessantere Beispiele einbezogen. A maiori: «vom Größeren her» gesehen, um so eher. A minori: «vom Kleineren her» gesehen, um so eher. A posteriori: «vom Späteren her», im Nachhinein. A potiori: «vom Mächtigeren her» gesehen, erst recht. A priori: «vom Früheren her», von vornherein. Absit: «Das sei ferne!» Ad absurdum führen: bis «ins Sinnlose» fortführen. Ad acta: «zu den Akten». Ad fontes!: «zu den Quellen!» Ad hoc: «(eigens) dazu», eigens zu dem Zweck. Ad hominem: «auf einen (bestimmten) Menschen, eine (bestimmte) Person» bezogen. Ad infinitum: bis «ins Unbegrenzte, ins Unendliche». Ad interim (ad i.): «für eine Zwischenzeit», vorläufig. Ad libitum: «nach Belieben». Ad litteram: «auf den Buchstaben» genau. Ad nauseam: «bis zur Seekrankheit, bis zum Erbrechen» (etwas treiben). Ad oculos demonstrieren: «vor Augen» führen.
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KLEINGEFLÜGEL
Ad personam: «auf eine (bestimmte) Person» bezogen. Ad rem: «zur Sache». Ad spectatores (als Regieanweisung): «zu den Zuschauern hin» gesprochen. Addendum (Plural: Addenda): «Hinzuzufügendes». Aetatis suae (auf Porträts, mit einer Altersangabe): «seines/ihres Alters», im Alter von ... Agenda: «zu erledigende (Dinge)», Terminkalender, Traktandenliste. Agens: «das Treibende», die treibende Kraft. Alias (mit einer Namensangabe): «anders, sonst», unter anderem Namen ... Alibi: «anderswo». Daher das «Alibi»: der Nachweis eines Tatverdächtigen, zur Tatzeit an einem anderen als dem Tatort gewesen zu sein. Allotria (éllÒtria) treiben: «andere», den eigentlichen Verpflichtungen «fremde (Dinge)» treiben. Alma mater: die «(akademische) Nährmutter», die Universität. Anni currentis (a. c., nach einer Tagesangabe): «des laufenden Jahres». Anno Domini (A. D., mit einer Jahreszahl): «im Jahre des Herrn ...» Anno salutis (mit einer Jahreszahl): «im Jahre des Heils ...» Annus horribilis: «entsetzliches Jahr». Annus mirabilis: «wunderbares Jahr». Ante Christum natum (mit einer Jahreszahl): «... vor Christi Geburt». Argumentum ad hominem: «auf die Person bezogenes Argument». Argumentum ad rem: «auf die Sache bezogenes Argument». Argumentum ex silentio: «Argument aus dem Schweigen» der Quellen. Artes liberales: die «freien Künste», die sieben einem freigeborenen Menschen zukommenden Wissenschaften: das Trivium aus Grammatik, Dialektik und Rhetorik und das Quadrivium aus Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Bona fide: «in guter Treue», in gutem Glauben. Bonus: ein «Guter», ein Pluspunkt, eine Gutschrift. Campus: «freies Feld», heute prägnant in dem Sinne «Universitätsgelände». Casus belli: ein «Fall für einen Krieg», ein Kriegsgrund. Caveat: «Er nehme sich in acht». Ein Caveat: eine Mahnung zur Vorsicht. Ceteris paribus: «unter im übrigen gleichen (Bedingungen)».
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Citissime: «schleunigst». Coincidentia oppositorum: das «Zusammenfallen der Gegensätze». Communis opinio: «allgemeine Meinung», verbreitete Ansicht. Condicio sine qua non (nach dem Aristotelischen o êneu oÈ, «ohne das nicht»): «Bedingung, ohne die (etwas) nicht (sein kann)», unerläßliche Bedingung. Confer (cf., mit einer Stellenangabe): «Vergleiche ...!» Consilium abeundi: «Ratschlag zum Abgehen», Empfehlung zur Abmeldung von einer Schule. Contra geben: «Gegenargumente» geben, widersprechen. Contradictio in adiecto: «Widerspruch im Beigefügten, im Adjektiv» (z. B. «weißer Rappe»). Coram publico: «angesichts des Publikums», in aller Öffentlichkeit. Corpus delicti: «Gegenstand des Vergehens» (das Tatwerkzeug oder das Diebesgut). Corpus: im Lateinischen sächlich, im Deutschen im Sinne des Büromöbels männlich gebraucht. Corrigendum (Plural: Corrigenda): «Zu Berichtigendes». Creatio ex nihilo: «Schöpfung aus dem Nichts». Credo: «Ich glaube». Das Credo: das Glaubensbekenntnis, die Grundüberzeugung. Crimen laesae maiestatis: «Vergehen der verletzten Majestät», Majestätsbeleidigung. Crux: «Kreuz», ein schwer oder nicht zu lösendes wissenschaftliches Problem. Cum grano salis: «mit einem Korn Salz», mit etwas «attischem Salz» gesagt, nicht ganz zum Wortlaut zu nehmen. Cum laude: «mit Lob», akademische Bewertung einer Doktorarbeit, entsprechend einem «gut». Cum tempore (c. t., nach einer Stundenangabe): «mit Zeit», d. h. mit «akademischem Viertel», eine Viertelstunde nach der vollen Stunde. Cura posterior: «spätere, zweitrangige Sorge». Currentis (nach einer Datumsangabe): «des laufenden» Monats oder Jahres. Curriculum vitae (C. v.): «Lebenslauf». Damnatio memoriae: «Verurteilung der Erinnerung», Auslöschung der Erinnerung an einen Geächteten.
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Datum: ursprünglich auf Urkunden, mit Angabe des Ausstellungstages: «Gegeben», ausgestellt am ... Daher das «Datum» zur Bezeichnung des Kalendertages. De facto: «von den Tatsachen her» gesehen, tatsächlich. De iure: «von der Rechtslage her gesehen», rechtlich. Dei gratia: «von Gottes Gnaden». Deo gratias: «Gott (sagen wir) Dank», Gott sei Dank. Differentia specifica: «artspezifisches Unterscheidungsmerkmal». Dominus vobiscum: «Der Herr (sei) mit euch!» Dono dedit oder Donum dedit (d. d., mit den Namen des Schenkenden und des Beschenkten): «... hat dies ... zum Geschenk gegeben». E contrario: «aus dem Gegenteil» (etwas beweisen). Ecce: «Siehe da!», «Seht da!» Eo ipso: «eben, gerade dadurch», eben aus diesem Grunde. Ergo (eine Schlußfolgerung einleitend): «Also: ...» Et alii, et aliter (et al.): «... und andere», «... und anders». Et cetera (etc.): «und das Übrige», und so weiter. Ex aequo (auf einer akademischen Berufungsliste): «aus dem Gleichen», im gleichen Rang. Ex aequo et bono: «nach Recht und Billigkeit». Ex ante: «aus früherer Sicht» gesehen. Ex cathedra: «vom (päpstlichen) Stuhl aus», aus päpstlicher Vollmacht. Ex eventu: «aus dem Ausgang» einer Sache (ebendiese Sache vorhersagen). Ex libris (in Büchern, mit dem Namen des Besitzers): «aus den Büchern», aus der Bibliothek des ... Das Ex libris: der besonders gestaltete, ins Buch eingeklebte Besitzervermerk Ex nunc: «von nun an», mit sofortiger Wirkung. Ex officio: «aus der Amtspflicht», von Amts wegen. Ex post: «aus späterer Sicht» gesehen. Ex professo: «aus dem öffentlich Erklärten», erklärtermaßen. Ex silentio: «aus dem Schweigen» der Quellen (etwas erschließen). Ex tunc: «von damals an», rückwirkend. Ex voto (auf Weihegaben): «aufgrund eines Gelübdes» geweiht. Exempli gratia (e. g.): «um des Beispiels willen», zum Beispiel.
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Exit, exeunt (bei Abgängen von der Bühne): «... geht ab, ... gehen ab». Experimentum crucis: «Experiment des Kreuzes», am Kreuzweg, ein Experiment, das zwischen zwei einander ausschließenden Hypothesen entscheidet. Explicite: eigentlich «ausgefaltet, entfaltet», mit ausdrücklicher Erwähnung. Exponat (ein aus lateinisch exponere, «ausstellen», destilliertes Retortenwort): Ausstellungsstück. Expressis verbis: «mit ausgedrückten Worten», ausdrücklich. Exsequatur: «Er übe (sein Amt) aus, er vollziehe (das Urteil)». Das Exsequatur: Beglaubigung eines auswärtigen Konsuls, oder Vollstreckungsbefehl für ein ausländisches Gerichtsurteil. Extra: «außerhalb (des Gewöhnlichen)», besonders, speziell. Das Extra: Dreingabe, Sonderausstattung, Sonderveranstaltung. Extremo (extr., in Stellenangaben): «am Ende» des Kapitels. Fabula docet (mit einer «Moral»): «Die Fabel, die Geschichte lehrt ...» Das Fabula docet: die «Moral» einer Fabel. Facit (zum Abschluß einer Rechnung): «Das macht ...» Das Fazit: das Ergebnis. Fecit (fec., mit dem Namen des Künstlers): «... hat es gemacht». Finis: «Ende». Floruit (mit einer Jahresangabe): «blühte um ... », hatte seine Hauptschaffenszeit um ... Fons et origo: «Quelle und Ursprung». Fulmen in clausula: ein «Blitz am Schluß», die brillante Schlußpointe einer Rede. Genius loci: der «Schutzgott des Ortes». Gratis: «für den (bloßen) Dank», unentgeltlich. Habeas-corpus-Akte: Der im Jahre 1679 vom englischen Parlament beschlossene, nach seinen Anfangsworten (wörtlich: «Dass du habest deinen Leib ...») benannte Verfassungsgrundsatz zum Schutz der persönlichen Freiheit vor willkürlicher Verhaftung. Hic et nunc: «hier und jetzt».
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Hoc est (mit einer Erklärung): «Das ist, das heißt: ...» Homo faber: der «Mensch als Werkmeister», der Mensch als Handwerker, Techniker, Künstler. Homo ludens: der «spielende Mensch», der Mensch als Spieler. Homo novus: ein «neuer Mensch», im alten Rom: politischer Emporkömmling, Neuling. Homo oeconomicus: der «wirtschaftlich denkende Mensch». Homo sapiens: der «vernunftbegabte Mensch», der Mensch als Vernunftwesen. Die Bezeichnung geht auf Carl von Linné zurück. Honoris causa (h. c., nach einem Titel): «ehrenhalber». Horribile dictu (zur Einleitung einer Mitteilung): «schrecklich zu sagen: ...» Horror vacui: «Schauder vor dem Leeren». Humus (im Lateinischen natürlicherweise weiblich, im Deutschen männlich gebraucht): «(fruchtbarer) Boden». Ibidem (ibid., in Stellenangaben): «ebenda», am gleichen Ort. Id est (i. e., mit einer Erklärung): «Das ist, das heißt: ...». Idem (Id., in Bibliographien): «Derselbe (Autor), dieselbe (Autorin)». Implicite: eigentlich «eingefaltet», ohne ausdrückliche Erwähnung. Imprimatur: «Es werde gedruckt». Das Imprimatur: das «Gut zum Druck». In absentia: «in Abwesenheit». In abstracto: «im Abstrakten», in allgemeinen Begriffen betrachtet. In actu: «in Tätigkeit». In aeternum: «auf ewig, in Ewigkeit». In concreto: «im Konkreten», am Einzelfall betrachtet. In contumaciam: (einen Angeklagten) «entgegen seiner Unbeugsamkeit (gegenüber der Vorladung)», d. h. in Abwesenheit (verurteilen). In corpore: «in Körperschaft», geschlossen (an etwas teilnehmen, ein Gremium wiederwählen). In cunabulis: «in der Wiege», uranfänglich. Daher die «Inkunabeln»: die «Wiegendrucke» aus den Anfängen der Buchdruckerkunst. In effigie: «im Abbild», in Gestalt einer Puppe (jemanden hinrichten). In extenso: «im Ausgedehnten», ausführlich. In extremis: «in den äußersten» Todesnöten. In flagranti: «auf brennender» (Tat), auf frischer Tat.
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In globo: «in der Kugel, im Klumpen», im Ganzen. In memoriam (mit dem Namen eines Verstorbenen): «Zum Gedenken an ...» In natura: «in Natur», in wirklicher Gestalt, nicht in künstlicher Nachbildung. In nuce: «in der Nuß», keimhaft, im Kleinen. In pectore: «in der Brust», noch unausgesprochen. Daher: etwas in petto haben. In perpetuum: eigentlich: «aufs Fortlaufende», auf unbegrenzte Zeit. In persona: «in Person», persönlich (erscheinen). In puncto (mit einem Stichwort): «im Punkte ...», betreffend ... In saecula saeculorum: «auf die Jahrhunderte der Jahrhunderte hinaus», in alle Ewigkeit. In situ (von Ausgrabungsfunden): «in der (ursprünglichen) Lage». In spe: «in der Hoffnung», in Aussicht genommen. In statu nascendi: «im Zustand des Geborenwerdens», im Entstehen. In toto: «in seiner/ihrer Gesamtheit», gänzlich. In vitro (von einem Experiment): «im (Reagenz-) Glas», unter künstlichen Bedingungen durchgeführt. In vivo (von einem Experiment): «am lebenden (Objekt)» durchgeführt. Individuum: «unteilbares» Einzelwesen. Initio (in., in Stellenangaben): «am Anfang» eines Kapitels. Inserat: ursprünglich ein Vermerk des Redaktors für den Setzer: «Er soll (das) einrücken». Daher das «Inserat». Inter alia: «unter anderem». Interim: «inzwischen». Das Interim: die Übergangsregelung. Ipsissima verba: «seine/ihre eigensten Worte». Ipso facto: «durch die Tat selbst», eben, gerade dadurch. Item (in Aufzählungen): «ebenso», des Weiteren. Iuris utriusque: Doktor «beider Rechte», des weltlichen und des (römisch-) kirchlichen Rechts. Ius gentium: «Völkerrecht». Ius primae noctis: «Recht auf die erste Nacht», das Recht eines Feudalherrn vor der Verheiratung einer Hörigen auf die erste Nacht mit ihr. Kat’ exochen (katÉ §joxÆn), «in hervorragender Weise», par excellence. Lapsus: «Ausgleiten», Versehen. Lapsus linguae: «Ausgleiten der Zunge», Versprecher.
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Lapsus memoriae: «Ausgleiten des Gedächtnisses», Gedächtnistäuschung. Lege artis: «nach dem Gesetz der (ärztlichen) Kunst», nach den Regeln der Kunst. Lex ... (mit einem Namen): «Gesetz ...», zur Bezeichnung eines von ... eingebrachten oder speziell auf ... gemünzten Gesetzes. Loco citato (l. c.): «an der (vorher) zitierten Stelle». Locus amoenus: ein «lieblicher Ort» unter schattenspendenden Bäumen, an einem munter plätschernden Bächlein. Locus classicus: «klassische (Beleg-)Stelle». Locus communis: «Gemeinplatz», allgemein anwendbare Argumentation. Magna cum laude: «mit großem Lob», akademische Bewertung einer Doktorarbeit, entsprechend einem «sehr gut». Mala fide: «in bösem Glauben», im Gegensatz zu Bona fide, «in gutem Glauben». Malus: ein «Schlechter», ein Minuspunkt, ein Abzug. Medium: ein «Mittleres»: Vermittler von Informationen; Träger physikalischer Schwingungen; spiritistischer Mittler zwischen Diesseits und Jenseits. Memorandum: «zu Bedenkendes», Denkschrift. Metabasis eis allo genos (metãbasiw efiw êllo g°now): «Übergang in eine andere Gattung». Minus: «weniger», abzüglich. Das Minus: der Fehlbetrag, der Nachteil. Mixtum compositum: «vermischtes Zusammengesetztes», kunterbuntes Durcheinander. Modus procedendi: «Weise des Vorgehens», Verfahrensweise. Modus vivendi: (erträgliche) «Weise des (Zusammen-) Lebens, des (Über-) Lebens». More geometrico: «nach geometrischer Art», nach Art der Geometrie. Mores lehren: (anständige) «Sitten» lehren. Mos maiorum: «Sitte der Väter». Motu proprio: «aus eigenem Antrieb». Mutatis mutandis: «nach Änderung des zu Ändernden», mit den entsprechenden Anpassungen.
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Nihil obstat: «(Dem Begehren) steht nichts entgegen». Nobile officium: «Ehrenpflicht, Ehrenamt». Nominatim: «namentlich», mit Namensnennung. Non placet: «Es gefällt nicht», im Sinne von «Ich bin nicht einverstanden». Nota bene (NB, zur Bekräftigung einer Aussage): «Merke wohl!», wohlgemerkt. Nova: die «Neuen», die Neuerscheinungen. Novissima verba: die «letzten Worte» eines Sterbenden. Novum: etwas «Neues», Noch-nicht-Dagewesenes. Numerus clausus: «geschlossene Anzahl», begrenzte Anzahl von Zulassungen. Opere citato (op. cit.): «in dem (vorher) zitierten Werk». Orbis terrarum: «Kreis der Länder» (um das Mittelmeer), aus der Perspektive der Antike: die Welt. Par pari: «Gleiches mit Gleichem» (vergelten). Pari passu (auf einer akademischen Berufungsliste): «mit gleichem Schritt», in gleichem Rang. Pars pro toto: «ein Teil für das Ganze» (z. B. pro «Kopf» im Sinne von «pro Person»). Passim (in Stellenangaben): «weithin», an zahlreichen verstreuten Stellen. Passus: «Schritt», Abschnitt eines Textes. Pater familias: «Vater, d. h. Haupt der Hausgemeinschaft» (familias: eine alte Genitivform). Pater noster ...: «Vater unser ...» Das Paternoster: das Gebet des Herrn. Daher – nach dem Rosenkranzbeten – «der Paternoster»: der endlose Aufzug. Patria potestas: «väterliche Gewalt». Pendente lite: «bei schwebendem Rechtsstreit», bei schwebendem Verfahren. Per definitionem: «(schon) durch die Definition». Per pedes (apostolorum): «mit den Füßen der Apostel», zu Fuß wie die Apostel. Per se: «durch sich selbst», ohne Weiteres. Pereat! Pereant!: «Er/sie möge, sie mögen zugrunde gehen!»
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Periculum in mora: «Gefahr (ist) im Verzuge», d. h. Gefahr liegt im Zögern. Persona grata, Persona non grata: «Willkommene» bzw. «unerwünschte Person». Pinxit (pinx., auf Gemälden, mit dem Namen des Künstlers): «... hat es gemalt». Placebo: «Ich werde dir einen Gefallen erweisen». Daher das «Placebo», ein scheinbar echtes Medikament ohne Wirkstoffe. Placet: «Es gefällt». Das Plazet: das Einverständnis. Plebs (im Lateinischen weiblichen, im Deutschen vielfach männlichen Geschlechts): das gewöhnliche Volk. Plus: «mehr», zuzüglich. Das Plus: der Überschuß, der Vorzug. Poeta laureatus: «lorbeerbekrönter Dichter». Post Christum natum (mit einer Jahreszahl): «... nach Christi Geburt». Post festum: «nach dem Fest», zu spät (kommen). Post hoc, non propter hoc: «danach, nicht deswegen». Post mortem: «nach dem Tode», nach Eintreten des Todes. Posteriora: «spätere, zweitrangige» Sorgen oder Pflichten. Postscriptum (PS., unter Briefen): «Nachgeschriebenes», Nachgetragenes. Postum veröffentlicht: als «letztes» Werk nach dem Tode des Autors veröffentlicht. Das Wort geht auf den lateinischen Superlativ postumus, «nachgeborener (Erbe)», zurück; die Schreibung «posthum» beruht auf einer irrigen Volksetymologie, die post, «nach», mit humus, «Erde», verbunden hat. Prae: «vor» (anderen). Das Prae: der Vorzug. Praemissis praemittendis (p. p., in Briefen anstelle von Titel und Anrede): «unter Vorausschickung des Vorauszuschickenden». Praeter propter: «vorbei an, nahe bei», etwa, ungefähr. Prima causa: «erste Ursache» in einer Kausalkette. Prima facie: «nach dem ersten Aussehen», nach dem ersten Eindruck. Primum movens: das «erste Bewegende», der erste Anstoß in der Kausalkette. Primus inter pares: der «Erste unter Gleichen» in einer Gruppe. Primus: der «Erste», der Klassenbeste. Pro anno (p. a., mit der Angabe einer zu zahlenden Summe): Pro Jahr. Pro forma: «für die Form», zur Wahrung der Form, auch: zum Schein.
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Pro Mann, pro Kopf, pro Nase: «für (jeden) Mann, (jeden) Kopf, (jede) Nase», für jeden. Pro memoria: «zur Erinnerung». Pro rata (parte): «nach festgesetztem Anteil», in festgesetztem Verhältnis. Daher die «Rate». Pro tempore: «für die (gegenwärtige) Zeit», einstweilen. Pro und Contra: «Für und Wider». Procedere (auch «Prozedere» geschrieben): das «Vorgehen», das Verfahren. Progressus ad infinitum: «Fortschreiten ins Unbegrenzte, ins Unendliche». Prosit!: «Es nütze!», zum Wohl! Puncto (mit einem Stichwort): «im Punkte ...», betreffend ... Qua: «Wo, wie», soweit, in seiner/ihrer Eigenschaft als ... Quantum: das «Wieviel», die Menge. Quasi: «gleichsam», sozusagen. Quiproquo, quidproquo: «Wer für wen?» bzw. «Was für was?» Das Quiproquo oder Quidproquo: die Verwechslung einer Person bzw. einer Sache mit einer anderen. Quodlibet: «was beliebt», ein Quodlibet: ein buntes Allerlei. Quorum: «von denen (der und der Bruchteil oder soundso viele Stimmen zur Beschlußfähigkeit erforderlich sind)», das Quorum: die jeweils vorgegebene Mindestzahl anwesender Stimmberechtigter oder abgegebener Stimmen. Rebus sic stantibus: «wenn (oder da) die Dinge so stehen», bei diesem Stand der Dinge. Redivivus: «wiederbelebt», wiedererstanden. Referat: ursprünglich ein Aktenvermerk: «Er soll (darüber) berichten». Daher das «Referat». Referendum: «(dem Volk) vorzulegende Sache», Volksentscheid. Requiescat in pace (R. i. p.): «Er/sie ruhe in Frieden». Rigorosum (Examen rigorosum): «strenge Prüfung», akademische Bezeichnung für die mündliche Doktorprüfung. Rite: «mit Recht», akademische Bewertung einer Doktorarbeit, entsprechend einem «befriedigend».
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Salvo errore et omissione (s. e. & o.): «mit Vorbehalt von Irrtum und Auslassung». Scilicet (sc., mit einer Erklärung): «zu wissen ist erlaubt», zu verstehen in dem Sinne: ..., zu ergänzen: ... Sculpsit (sculp. oder sc., auf graphischen Blättern oder Skulpturen, mit dem Namen des Stechers oder des Künstlers): «... hat es gestochen» bzw. «gemeißelt». Senatus populusque Romanus (SPQR): «Senat und Volk von Rom». Sic!: «so!», zur Bekräftigung eines Wortlauts, dessen Richtigkeit Zweifeln ausgesetzt sein könnte. Sine die: «ohne Tag», ohne Festsetzung eines neuen Termins (ein Treffen vertagen). Sine tempore (s. t., nach einer Stundenangabe): «ohne Zeit», d. h. ohne «akademisches Viertel», zur vollen Stunde. Spiritus rector: «lenkender Geist», führender Kopf. Stante pede: «stehenden Fußes», unverzüglich. Status nascendi: «Zustand des Geborenwerdens», das Entstehen. Status quo ante: der «Zustand, in dem (etwas) vorher (gewesen ist)», der vorherige Zustand. Status quo: der «Zustand, in dem (etwas ist)», der gegenwärtige Zustand. Status: «Zustand», rechtliche Qualifikation (z. B. Diplomatenstatus). Studium generale: «allgemeines Studium» im Gegensatz zum Fachstudium. Sub omni canone: «unter allem Maßstab», scherzhaft: «unter aller Kanone». Sub sigillo: «unter Siegel», vertraulich. Sub verbo (s. v., mit einem Lexikon-Stichwort): «Unter dem Stichwort ...». Sub voce (s. v., mit einem Lexikon-Stichwort): «Unter dem Stichwort ...». Subito!: «Sofort!», zur Bekräftigung einer politischen Forderung. Sui generis: (eine Sache) «eigener Art», besonderer Art. Sui iuris: (eine Person) «eigenen Rechts». Summa cum laude: «mit höchstem Lob», akademische Bewertung einer Doktorarbeit, entsprechend einem «ausgezeichnet». Summa summarum: die «Summe der Summen», die Gesamtsumme. Suo loco: «an seinem Ort», am gehörigen Ort. Suo tempore: «zu seiner Zeit», zur gehörigen Zeit.
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Taedium vitae: «Ekel vor dem Leben», Lebensüberdruß. Tale, quale: «So, wie (es ist)», unverändert. Terminus ante quem, Terminus post quem: der «Zeitpunkt, vor dem» bzw. «nach dem (etwas geschehen sein muß)». Terminus technicus: «fachsprachlicher Begriff». Terra incognita: «unbekanntes Land», unerforschtes Gebiet. Tertium comparationis: das «Dritte im Vergleich», der Punkt, in dem zwei Dinge miteinander verglichen werden. Testimonium paupertatis: «Nachweis der Bedürftigkeit», «Armutszeugnis». Tractandum (heute «Traktandum» geschrieben): auf einer Sitzung «zu behandelndes (Geschäft)». Ultima lima: «letzte Feile», letzte Glättung eines Textes. Ultima ratio: «letzte Verfahrensweise», letzter Ausweg. Ultimatum: «letzte», befristete Aufforderung vor einer Zwangsmaßnahme. Ultimo: «am letzten (Tag des Monats)». Der Ultimo: der Monatsletzte. Unicum: etwas «Einzigartiges», Unvergleichliches; ein seltsamer, kauziger (Mensch), ein Original. Ut exemplum docet, ut fabula docet: «wie das Beispiel bzw. die Fabel lehrt», die «Moral» einer Fabel. Utriusque generis (im Anschluss an die Nennung von Personengruppen): «beiderlei Geschlechts», zur Vermeidung von zwiegeschlechtigen Notbehelfen wie den unaussprechlichen «LehrerInnen» und den unpersönlichen «Lehrpersonen». Vademecum: ein «Geh-mit-mir», eine zum Mitführen bestimmte, entsprechend kurzgefaßte Spruchsammlung oder Anleitung. Varia: «verschiedene (Dinge)», Verschiedenes. Vaticinium ex eventu: «Voraussage (über eine Sache) nach dem Ausgang (eben dieser Sache)». Venia legendi: «Gunst des (Vor-) Lesens», Lehrberechtigung an Hochschulen. Verbatim: «wörtlich», im Wortlaut. Versus (v., vs., mit der Nennung einer Gegenpartei): «gegen». Veto: «Ich erhebe Einspruch». Das Veto: das Einspruchsrecht oder der Einspruch eines Einzelnen.
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Via (vor einer Ortsangabe): «Auf dem Wege über ...», über ... Vice versa: «umgekehrt». Videlicet (vid., mit einer Erklärung): «zu sehen ist erlaubt»; zu verstehen in dem Sinne ..., zu ergänzen ... Virus (im Lateinischen sächlich, im Deutschen vielfach männlich gebraucht): «Giftschleim», Virus. Visum: «Gesehen». Daher das «Visum» im Sinne eines Sichtvermerks. Vivant sequentes!: «Es leben die Nachfolgenden!» Vivat!, vivant!: «Er/sie lebe!» bzw. «Sie leben!» Ein Vivat: ein Hoch! Vulgo (v/o, mit einem Übernamen): «in der Menge, in der Gruppe», zur Bezeichnung eines Beinamens, Spitznamens, Pfadfindernamens oder dergleichen.
Geflügelt, entflogen Habent sua fata ... «Sie haben ihre Schicksale ...»: Das gilt, wie für die Menschen und ihre libelli, ihre «Büchlein», so für diese Geflügelten Worte mit ihren je besonderen, über viele Jahrhunderte hinwegreichenden Zitiergeschichten und Zitierschicksalen. Sogleich dieses Habent sua fata libelli, das wir heute in Goethes Sinne «Auch Bücher haben ihr Erlebtes» zitieren, ist dafür ein reizvolles Beispiel. Das Wort stammt von dem spätantiken Metriker Terentianus Maurus, aus dem Nachwort eines versifizierten Traktates «Über die Silben»; der Vers lautet vollständig Pro captu lectoris habent sua fata libelli und ist ursprünglich auf die Kritiklust der Kollegen gemünzt: Vielleicht, sagt Terentianus da, werde manch einer in seinem Buch zu viele Worte und zu wenig Neues finden, vielleicht werde ein träger und ungeduldiger Geist es für allzu schwierig halten: «Je nach der Fassungskraft des Lesers haben die Büchlein ihre Schicksale.» «Geflügelte Worte»: Der bildhafte Titel der Büchmannschen Zitatensammlung – nach dem Homerischen, Vossischen Formelvers «... und sprach die geflügelten Worte» (oben S. 15) –, ist zu einer Art Gattungsbegriff geworden. Doch längst zuvor hat es den Begriff von geläufigen Klassikerzitaten gegeben. Viele der hier gesammelten Worte werden schon in der Antike als «allgemein» oder «sprichwörtlich» geläufig eingeführt; Aristoteles, Rhetorik 2, 21. 1395 a 21f., spricht einmal von «im Volk verbreiteten» Worten wie den Sprüchen der Sieben Weisen; Macrobius, Saturnalien 5, 16, 7, nennt eine Reihe von Homer- und Vergilversen, die «sprichwörtlich in aller Munde seien». Tausendschaften solcher Zitate aus verlorenen Werken speisen unsere gelehrten Fragmentsammlungen. Aber erst durch Büchmanns 1864 erschienenen, rasch zum Klassiker avancierten «Citatenschatz des Deutschen Volkes» und weitere Sammlungen wie Lipperheides «Spruchwörterbuch» von 1907 und Zoozmanns «Zitatenschatz der Weltliteratur» von 1910 sind Mächtigkeit und Eigenart dieses klassischen Zitatenschatzes so recht in den Blick gekommen. Die «Adagia» des
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Erasmus, diese weitausgreifende Bestandsaufnahme des lateinischen Sprichwortschatzes, haben durchaus anderen Charakter. Die Geflügelten Worte aus den Alten Sprachen wie das Archimedische Heureka! Heureka! oder das Heraklitische Panta rhei, das Ciceronische Suum cuique oder das Horazische Carpe diem! sind das meistzitierte, sit venia verbo: das präsenteste Griechisch und Latein. Man muß nicht unbedingt mit Caesar durch das dreigeteilte Gallien gezogen sein, um einmal ein Tempora mutantur oder ein Pacta sunt servanda, ein Variatio delectat oder ein Si tacuisses ... in die Diskussion zu werfen; man muß nicht unbedingt sein amo, amas, amat durch alle Tempora konjugiert haben, um einmal den Advocatus diaboli zu spielen oder auf einem Ceterum censeo zu beharren, den Nervus rerum anzusprechen oder nach einem Deus ex machina Ausschau zu halten. Und wenn ein Referent erklärt, er wolle nicht ab ovo beginnen, sondern gleich in medias res gehen, heißt das noch lange nicht, daß er seine Vortragskünste an Horazens «Ars poetica» geschult hat. Viele dieser Worte aus der antiken Welt haben sich früh aus ihren ursprünglichen Bezügen gelöst; viele haben sich aus einem längst verlorenen oder vergessenen Werk beizeiten in den rettenden Zitatenhimmel aufgeschwungen. Die Geflügelten Worte sind zumeist entflogene, über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg uns zugeflogene Worte, und sie tragen kein Ringlein am Fuß, auf dem Autor und Werk, Buch und Kapitel, Paragraph oder Vers fein säuberlich verzeichnet wären. Bei dem einen oder anderen Wort ist die Herkunft vollends in Vergessenheit geraten. Wer ein Geflügeltes Wort zitiert, hört oder liest, weiß in der Regel nicht und fragt sich auch nicht lang, wer das wann wo in welchem Sinn einmal gesagt oder geschrieben hat, in welchem Kontext und in welchem Sinne. Die lächelnde Mahnung Principiis obsta! stammt aus Ovids literarischer Hausapotheke gegen Liebesschmerz und Liebesqual, die hintersinnige Frage Quis custodit custodes?, mit leicht zu erratendem Bezug, aus Juvenals berüchtigter «Weibersatire». Neuerdings sind diese Worte in die politische Arena übergewechselt und dort zu geschliffenen Hieb- und Stichworten geworden; von ihrem ursprünglichen Kontext, von Liebesschmerz und Eifersucht, klingt ihnen da kein leiser Seufzer nach.
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Da kann es nicht verwundern, daß manche derart entflogene, zugeflogene Worte – wie jenes eingangs angeführte Habent sua fata libelli – mit ihren Bezügen auch ihre ursprüngliche Bedeutung verändert haben. Das Archimedische Noli turbare circulos meos! gilt eigentlich den in feinsten Sand gezeichneten geometrischen Figuren und nicht, wie die geläufige Übersetzung «Störe meine Kreise nicht!» suggeriert, irgendwelchen persönlichen Sphären. Caesars Alea iacta est(o) heißt keineswegs «Der Würfel ist gefallen», sondern «Der Würfel ist (sei) geworfen»; der Ausruf meint nicht die Entscheidung, die mit dem Würfel fällt, sondern die für das Wagnis des Wurfs. Das Vergilische Labor omnia vicit ...; «Mühsal eroberte alles ...» deutete ursprünglich auf die Ablösung der Goldenen durch die Eiserne Zeit; erst die Schule, offenbar schon die antike, hat dem Wort eine simple Moral abgewonnen, und Büchmann hat noch kräftig nachgedoppelt: «Unablässige Arbeit besiegt alles». Und wieder die «Schule» hat irgendwann, irgendwo Senecas bittere Schulkritik Non vitae, sed scholae discimus in den goldenen Portalspruch Non scholae, sed vitae discimus verkehrt. Difficile est satiram non scribere! Die Geflügelten Worte sind eine artenreiche Ordnung. Sie erstreckt sich quer durch die literarischen Gattungen, durch die Zeiten, durch die Fächer und – erstaunlicherweise – auch durch alle Ränge. Von einem alltäglichen Plenus venter non studet libenter bis zu einem bedeutsamen Homo sum, humani nil a me alienum puto, von einem schlichten Hannibal ante portas bis zu dem geschliffenen Veni vidi vici sind da alle Grade vertreten. Voltaire hat einmal bemerkt: «Le latin est plus propre au style lapidaire que les langues modernes.» Worte wie Hic Rhodus, hic salta!; Primum vivere, deinde philosophari; Quot capita, tot sensus; Rem tene, verba sequentur; Ubi bene, ibi patria; Vita brevis, ars longa zeigen diesen charakteristisch lateinischen «lapidaren Stil». In Summum ius summa iniuria alias Summum ius summa crux kommt noch ein herausforderndes Paradox und der Gleichlaut hinzu. Wortspiele wie Dum spiro, spero; Nolens volens; Nomen est omen; Ora et labora; Qualis rex, talis grex; Urbi et orbi prägen sich durch ohrenfällige lautliche und rhythmische Gleichklänge ein. In dem christlichen Patior, ut potiar spiegeln sich die Vokale und mit ihnen die gleich anlautenden Verben. In die Reihe dieser aufs Äußerste verknappten «lapidaren» Worte gehört zu
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guter Letzt auch der hier ehrenhalber unter die Geflügelten Worte aufgenommene, auch unbildlich lapidare Grabspruch Ut moriens viveret / vixit ut moriturus (oben S. 172). Doch die meisten dieser Worte verdanken ihre Flügel keineswegs einer strenggefügten Prägung, sondern ihrer Lebensnähe, so zumal die sprichwörtlichen wie Fortes Fortuna adiuvat oder Gutta cavat lapidem oder Rechtsregeln wie Audiatur et altera pars oder In dubio pro reo. Je besser ein Zitat zu einer schlagenden oder beziehungsreichen Erwiderung, einem erhellenden oder erlösenden Einwurf taugt, desto höher ist sein Quotation Index. Ein Errare humanum est lebt – und lebt gut – von der menschlichen Fehlerhaftigkeit, ein In vino veritas von der weinseligen, redseligen Offenherzigkeit, ein Do, ut des oder ein Manus manum lavat von dem nüchternen Sinn für Gegenseitigkeit. Die Turnerbewegung hat sich Juvenals ... mens sana in corpore sano aufs Panier und an die Turnhallen geschrieben und für ihre Zwecke neu gedeutet; Drogenhandel und Geldwäscherei haben dem Vespasianischen Non olet neue anrüchige Bezüge gegeben. Manche Worte profitieren von einem speziellen Veredlungs- und Verfremdungseffekt: Ein Catonisches Ceterum censeo hat allemal mehr Gewicht als ein Im-Übrigen-muß-ich-immer-wieder-Sagen; ein Alea iacta est erhebt jedweden Abstimmungsentscheid zum schicksalhaften Schritt über den Rubikon; ein Veni vidi vici verleiht jedem raschen Verhandlungserfolg einen Abglanz Caesarischer Fortune. Und manch einer hört allenfalls doch lieber ein lateinisch chiffriertes Si tacuisses ... als unverblümten deutschen Klartext. Der im «Büchmann» dokumentierte Zitatenschatz und speziell seine griechische und lateinische Abteilung spiegelt die allgemeine bürgerliche Bildung des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, wie das humanistische Gymnasium und sein klassischer Lektürekanon sie damals über Generationen hinweg vermittelten. Eine Reihe von Terenzzitaten erinnern noch an die Anfangslektüre der Goethezeit («Anders lesen Knaben den Terenz, anders Grotius ...»), die dann der obligaten Caesarlektüre (Gallia est omnis divisa in partes tres ...) weichen mußte. Tempora mutantur: Mit dem Zurücktreten des altsprachlichen Unterrichts ist das angestammte Biotop dieser
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Zugvögel aus der griechischen und römischen Welt zusehends enger geworden. Es gibt die größeren oder kleineren Kreise nicht mehr, in denen jeder fröhliche Zitator auf ein Quentchen Schullatein im Hinterkopf seiner Zuhörer zählen könnte, die Kreise, in denen diese Geflügelten Worte im Sinne des Wortes «selbstverständlich» ein und aus fliegen könnten. Lateinisch zitierte Worte sind in der Öffentlichkeit zu seltenen Vögeln geworden, und griechisch zitierte vollends zu Paradiesvögeln. O tempora? O mores? Halten wir uns lieber an das Vergilische Non omnia possumus omnes, und wer jetzt den Horazischen Laudator temporis acti spielen wollte, brauchte nur hier oben auf S. 91 den Kontext nachzulesen, um diese Rolle sogleich erschreckt wieder fallen zu lassen. Nichtsdestoweniger scheint der Prestigewert der klassischen Antike diese Geflügelten Worte der Werbesprache zu empfehlen. Der Archimedische Entdeckerruf Heureka! hat mit seinem Vorderteil für einen Heuwender und mit seinem Hinterteil für Schweizer «Reka»- («Reisekassen»-) Checks herhalten müssen; Caesars Veni vidi vici kam, sah und warb einmal in der einen Anzeige für Apple und in der anderen für PC’s; eine Zigarettenkampagne lief unter dem Slogan Veni vidi fumi, die Spaßkampagne für Loriot als Bundespräsidenten unter dem Motto Veni vidi Vicco. Ein Inserat des alten «Punch» zeigte einen römisch gewandeten Caesar, der seinem ebenso drapierten Gegenüber eine Schachtel Konfekt anbietet, mit einem Et tu, Brute? in der Sprechblase. Ein Reisebüro firmiert mit Quo vadis?, und so geht es fort. De gustibus non est disputandum. Woher das nun wieder kommt? Da sind wir am Ende unseres Lateins. Stammte das Wort von Lucullus oder von Maecenas, dem Entdecker des Eselsfüllenbratens, oder von Petron, dem elegantiae arbiter an Neros Hof, so wüßten wir es. Vielleicht steckt ja nichts dahinter als ein Beispielsatz für ein verneintes Gerundivum. In fröhlichen englischen Versen, mit denen der junge Theodor Mommsen seinem Freund Heinrich Brunn in Rom zu seinen Fortschritten im Englischen gratulierte, ist der Titel dieser Sammlung zum Überraschungsreimwort geworden: «You may repeat the words too, which he/to Rome wrote: Veni vidi vici.»
Einige Sammlungen Die «Adagia» des Erasmus: Erasmus von Rotterdam, Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden, lateinisch und deutsch, herausgegeben von Werner Welzig, 3./4., unveränderte Auflage, Darmstadt 2006. Siebenter Band, S. 357–633: Adagiorum Chiliades (Adagia selecta). Mehrere tausend Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten (Auswahl), übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Theresia Payr. (Die Auswahl enthält 114 Adagia der insgesamt 4151 der Ausgabe von 1533). Erasmus von Rotterdam, Adagia, lateinisch/deutsch. Auswahl, Übersetzung und Anmerkungen von Anton J. Gail, Reclams Universal-Bibliothek, Stuttgart 1983. (10 Adagia der insgesamt 4151 der Ausgabe von 1533). Erasmus von Rotterdam, Adagia. Vom Sinn und vom Leben der Sprichwörter, ausgewählt, übersetzt und erläutert von Theodor Knecht, mit 50 Illustrationen, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Zürich, 2. Auflage 1985. (68 Adagia, teilweise stark gekürzt, der insgesamt 4151 der Ausgabe von 1533). Allgemeine Zitatensammlungen: Der neue Büchmann: Geflügelte Worte, gesammelt und erläutert von Georg Büchmann, fortgesetzt von Walter Robert-tornow und anderen, bearbeitet und weitergeführt von Eberhard Urban, München 2007. Franz Freiherr von Lipperheide, Spruchwörterbuch. Sammlung deutscher und fremder Sinnsprüche ..., Erstausgabe Berlin 1907; 9., unveränderter Nachdruck nach der Originalausgabe, Berlin 1982. Richard Zoozmann, Zitaten- und Sentenzenschatz der Weltliteratur alter und neuer Zeit, Erstausgabe Berlin 1910; Der Zitatenschatz der Weltliteratur, bearbeitet von Dieter Lemke, Köln 2005. Harenberg, Lexikon der Sprichwörter und Zitate, Redaktion: Brigitte Beier, Matthias Herkt und Bernhard Pollmann. Mannheim, 3. Auflage 2002, durchgesehener Nachdruck 2007. Giuseppe Fumagalli, Chi l’ha detto? 2327 citazioni italiane e straniere ..., 10., durchgesehene Auflage, Milano 1989.
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EINIGE SAMMLUNGEN
The Oxford Dictionary of Quotations, edited by Elisabeth Knowles, Sixth edition, Oxford 2004. Sammlungen griechischer und lateinischer Zitate: G. J. M. Bartelink, Latijnse citaten en gezegden, 4. Auflage, Utrecht 2002. Karl Bayer, Nota bene! Das (sic!) lateinische Zitatenlexikon. 3., erweiterte und überarbeitete Auflage, Düsseldorf und Zürich 1999; Lizenzausgabe Düsseldorf 2003. In medias res. Lexikon lateinischer Zitate und Wendungen, herausgegeben von Ernst Bury (CD-Rom), Digitale Bibliothek 27, 4., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 2006. Giuseppe Fumagalli, L’ape latina. Dizionarietto di 2948 sentenze, proverbi, motti, divise, frasi e locuzioni latine, 2. Auflage, Milano 1988. Christian Helfer, Crater Dictorum. Lateinische Sprich- und Schlagwörter, Wahlsprüche und Inschriften des 15.–20. Jahrhunderts, lateinisch/deutsch, 2., erweiterte Auflage, Saarbrücken 1995. Muriel Kasper, Reclams lateinisches Zitaten-Lexikon, 4., durchgesehene Auflage, Stuttgart 2003. Lexikon der lateinischen Zitate. 3500 Originale mit Übersetzungen und Belegstellen, herausgegeben von Hubertus Kudla, 3., durchgesehene Auflage, München 2007. Heinrich G. Reichert, Unvergängliche lateinische Spruchweisheit. Urban und human, 8., neugestaltete Auflage (Nachdruck der 4. Auflage) St. Ottilien 1997; Lizenzausgabe Wiesbaden 2004 (?). Renzo Tosi, Dizionario delle sentenze latine e greche, 10 000 citazioni dall’ antichità al Rinascimento nell’ originale e in traduzione. 13. Auflage, Mailand 2000. Weitere zitierte Sammlungen: Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer, gesammelt und erklärt von A. Otto, Leipzig 1890, Nachdruck Hildesheim 1962. Vgl. dazu: Nachträge zu A. Otto, Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten der Römer, eingeleitet und mit einem Register herausgegeben von Reinhard Häussler, Darmstadt 1968. Jakob Werner, Lateinische Sprichwörter und Sinnsprüche des Mittelalters, 2., überarbeitete Auflage von Peter Flury, Heidelberg 1966.
EINIGE SAMMLUNGEN
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Proverbia sententiaeque Latinitatis medii aevi. Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters, gesammelt und herausgegeben von Hans Walther, Teile 1–5, Göttingen 1963ff., Teil 6, Register der Namen, Sachen und Wörter, Göttingen 1969; Proverbia sententiaeque Latinitatis medii ac recentioris aevi, aus dem Nachlaß ... herausgegeben von Paul Gerhard Schmidt, Göttingen 1982ff. Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts, herausgegeben von Arthur Henkel und Albrecht Schöne, Stuttgart und Weimar 1967; ergänzte Neuausgabe 1976; Taschenausgabe 1996. Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter, zusammengestellt, übersetzt und erläutert von Detlef Liebs unter Mitarbeit von Hannes Lehmann, Praxedis Möhring und Gallus Strobel, 7., vollständig überarbeitete und verbesserte Auflage, München 2007. Roms sprechende Steine. Inschriften aus zwei Jahrtausenden, gesammelt, übersetzt und erläutert von Klaus Bartels, 5., durchgesehene und ergänzte Auflage, Mainz 2018.
Ein «Lesebuch» zum «Veni vidi vici»: Eine Reihe der seit 2007 in der Zeitschrift «Antike Welt» unter der Rubrik «Geflügelte Worte» erschienenen Kolumnen und einige weitere ornithophilologische Beiträge des Autors liegt gesammelt vor: Klaus Bartels, Geflügelte Worte aus der Antike – woher sie kommen und was sie bedeuten, Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz 2013. Die gegen fünfzig Kolumnen zitieren die Nistplätze und verfolgen die Flugrouten und Irrflüge der folgenden Worte: Ab ovo, in medias res – Alea iacta est – Amicorum communia sunt omnia – Ars latet arte sua – Aurea mediocritas – Carpe diem – Ceterum censeo – Citius, altius, fortius – Der springende Punkt – Dimidium facti, qui coepit, habet – Dominus providebit – Dulce est desipere in loco – E pluribus unum – Erkenne dich selbst! – Et tu, Brute? – Gib mir einen Punkt, wo ich stehen kann ... – Habent sua fata libelli – Hannibal ante portas – Heureka – Homo homini lupus – Homo sum, humani nil a me alienum puto – Ich weiss, dass ich nichts weiss – In hoc signo vinces – Labor omnia vincit – Manum de tabula – Mens sana in corpore sano – Nach uns die Sintflut – Natura non facit saltus – Noli turbare circulos meos – Nomen est omen – Non scholae, sed vitae discimus – Nulla dies sine linea – Omnia mea mecum porto – Panta rhei – Principiis obsta – Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes – Quis custodit custodes? – Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini – Rota Fortunae – Schuster, bleib bei deinem Leisten – Si, quod adest, gratum iuvat ... – Si tacuisses ... – Tempora tempore tempera – Ubi bene, ibi patria – Urbi et orbi – Ut moriens viveret, vixit ut moriturus – Vare, redde legiones – Veni, vidi, vici – Vita brevis, ars longa
Schlagwortregister Die griechischen und lateinischen Geflügelten Worte sind jeweils nach dem ersten Wort in alphabetischer Ordnung aufgeführt. Das Register erschließt die Sammlung über deutsche Schlagwörter. Wer von der geläufigen deutschen Version «Gib mir einen Punkt, wo ich stehen kann ...» ausgeht, gelangt über die Schlagwörter «geben», «Punkt», «stehen», «bewegen» oder «Erde» zu dem griechischen Original samt Stellennachweisen und Erläuterungen; entsprechend führen die Schlagwörter «stören» und «Kreise» zu dem lateinischen Noli turbare circulos meos.
absurd 52 Abwechslung 175 Achilleus 21 acht haben 137 Adler 39 Afrika 136 Akten 140 alle 44, 109, 117, 141 -alles 11, 25, 26, 90, 109, 118 -siehe auch jeder allein 113 alt werden 13 andere Partei 40 -ein anderer 36 ändern, sich 163 Anfang, Anfänge 12, 31, 131 -anfangen 56 -Anfänger 45 Angeklagter 85 angenehm 89, 117 anrühren 106 anschauen 158 Anstrengung 89, 90, 116, 126, 162 Anwalt 34 Apella 51 Äpfel 32 Apollo 154 Arbeit 16
-arbeiten 119 Arkadien 66 arm 125 -armselig 97 Art und Weise 74 Arzt 94 Asche 56, 80 atmen 62 auch 66, 67 aufheben 33 aufnehmen 164 aufreiben, sich 124, 164 aufrühren 138 aufspüren 106 aufwärts 150, 160 aufwerfen 34 Augenblick 17 aushalten 28, 127, 160 austreiben 101 Barbaren, Barberini 140 Bart 43 Bauch 128 Befehl 29 Beispiele 91, 177 Bekenntnis 53 beraten 61 beredt 125
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Berge 122 berichten 20, 132, 144 berühren 106, 141 Besiegte 169, 174 Besitz 18 -Besitzende 43 Bessere, das 178 Beste, der 10 -das Beste 12, 21, 33 beten 119 Betrug 128 -betrügen 99 bewahren 34 bewegen 14, 21, 95, 138 -Bewegliches 127 bewundern 105 bezwingen 90, 118 Bibliothek 29 billigen 141 Blitze 181 blühen 181 Blut 150 böse 65 Brief 64 Bronze 68 -bronzen 29 Brot 121 Brücke 151 Brust 31 Brutus 67 Buch, Bücher 20, 79, 113, 164 Bühnenkran 55 bunt 176 Caesar 41 -siehe auch Kaiser Catilina 143 Cato 178 Christen 49, 150 -christlich 38 Danaer 137
darüber hinaus 109, 169 dasselbe 62, 102, 150 dauerhaft 68 Dauphin 33 deine Sache 167 denken 50 Denkmal 68 derselbe 110, 150 Deutschland 130 Dichter 26, 42, 57 -dichterisch 129 -Dichtung 172 dienen 124 -Dienerin 127 doppelt 45 drei 165 -dreimal 14 Drittes 164 dunkel 45 Ehre 33, 76 -ehrenvoll 61 Ei 32 Eifer 156 eilen 71 Eines 63 einfach 156 -Einfachheit 148 Einfalt 149 einhalten 121 Einigkeit 86 Einsicht 27 einstürzen 151 Eintracht 50 eintreten 9, 50 einwilligen 135, 182 einzig 164, 169 Eisen 133 Eitelkeit 174 -Eitles 114 empor 150, 160 Empörung 152
SCHLAGWORTREGISTER
Ende 137, 166 -siehe auch Tod enthalten, sich 160 entzweien 57 Erde 14 -Erdkreis 170 -siehe auch Welt erfahren 69 erfinden 105 erfreuen 42, 175 -erfreulich 89, 117 ergreifen 47 erinnern, sich 73, 89, 95 erkennen 17, 34, 71, 145 -sich selbst 13, 111 erlaubt 140 erledigt 146 erneuern 87 ernst 177 ernten 173 erröten 64 erster Irrtum 27 erziehen 23 Euch werd’ ich ...! 142 ewige Stadt 171 -Ewigkeit 159 fallen 34 fangen 39 fern 44, 132 feststehen 158 Feuer 133 finden 17 Flamme 34 Fliege 39 fliehen 74, 164 fließen 25 flüchtig 64 Fortuna 73, 147 fragen 136, 166 Frau, Frauen 87, 98, 176 Freiheit 86, 129
fremd 82 Freude 42, 175, 177 freuen, sich 76 Freund, Freunde 18, 36, 37, 59, 130 Frevel 40 Frieden 125, 153, 166 fromm 128 Frösche 134 für uns 141 fürchten 115, 137, 164 Gabe 15 Gallien 76 Ganze, das 25 Gebeine 68 geben 14, 45, 58 Gebete 81 Gebiet 53, 86 gebieten 57 geboren 88, 122 Gebrauch 33 Gedanken 10 Geduld 143 gefallen 54 geflügelt 15 gefräßig 163 gehen 139, 154 gehören 36 Geist 34, 95, 96, 159 geklärt 108 Geld 108 gemächlich 71 Gemeinde 98 gemeinsames Gut 18 genug 85, 149 Geometrie 9 Gerechtigkeit 71 -siehe auch Recht gering 15 -geringfügig 97 Gerücht 70 Geschäfte 44
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SCHLAGWORTREGISTER
geschehen 88, 172 Geschenke 99, 137 Geschichte 92, 99 Geschichtsschreibung 123 Geschmack 54 Geschriebenes 177 gesegnet 139 Gesellschaft 157 Gesetz, Gesetze 9, 22, 112, 148, 155 Gesicht 70 Gespräch 127 gesund 96 gewiß 98 Gewohnheit 51 Gift 84 Glaube 53 -glauben 51, 52, 69 Gleiches 155 gleichmütiger Sinn 34 Glieder 57 Glück 34 -glücklich 43, 44, 71, 103 -glückbringend 139 -Glücksgöttin 73, 147 Gold 41 -golden 29, 41 Gott 9, 33, 55, 65, 76, 104, 142, 182 -Götter 11, 28, 135, 166, 178 -siehe auch Herr Grammatiker 34, 46 Gras 90 Grenzen 66 griechisch 33, 77 Griffel 148 groß 20 -Großes 85, 152 -Größeres 124 Gründe 71 gründen 162 -Gründung 32 grüßen 98 gut 21, 34, 54, 65, 139, 168
gutmütig 45 Hain 91 Hälfte 12, 25, 56 Hand 93 hängenbleiben 39 Hannibal 80, 179 Haß 116, 156 -hassen 24, 115 Haupt der Welt 146 Haus 131 Heil 69, 169 heilen 94, 133, 155 heilig 148 -Heiliges 87 Heilkraut 51 Heilstätte 29 heiraten 44 Hemd 167 Herde 133 hereinkommen 9, 50 Herr, der 59, 139 -siehe auch Gott -Herr 133 -herrschen 57, 124 -Herrscher 23 -Herrschaft 166 Herz, Herzen 28, 88, 125, 160 heute 82 Hippokratisch 70 hoffen 62, 169 höher 49 höhlen 77 Homer 134 hören 40 Hund 47, 91 -Hündisches 28 Hunger 41 hüten, sich 47 Ich, zweites 35 -ich 51, 66
SCHLAGWORTREGISTER
Ilios 16 -Ilium 74 -siehe auch Troja immer 18, 150 inzwischen 88 irren 65 -Irrtum 27 Jahre 64, 114 jeder/jede/jedes 96, 119, 158, 161, 165 -siehe auch alle Jesuiten 157 Jubel 85 Jude 51 jung 76, 135 Jupiter 31, 114, 140 -siehe auch Zeus kacken 46 Kairos 17 Kaiser 46 Kalenden 33 Karthago 48 keiner/keine/kein 9, 89, 103, 104, 111ff. Kinder 160 Kirche 69, 98 Klaue 68 Kleines 152 klug 10, 137 Knochen 151 Kollegium 165 Kolosseum 134 kommen 158, 176 König, Könige 22, 23, 26, 133, 137 können 109, 110, 169 Konsuln 178 Köpfe 143 Kot 88 Kräfte 172 Kreise 107 -Kreislauf 19 -Kreisschluß 49
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kreißen 122 Krieg, Kriege 26, 44, 153 Kriegsdienst 96, 181 kühn 39, 73, 165 kümmern, sich 97 künftige Zeit 18 Kunst 179 kurz 45, 179 Lachen 145, 146 Lakedämonier 29 lang 179 langsam 71 laufen 70 leben 20, 44, 55, 101, 131, 172 -Leben, das 88, 94, 110, 179, 180, 181 -Lebende 181 -lebendig 180 Leeres 114 Legionen 175 lehren 56, 59, 177 -Lehren 24 -Lehrer 89, 130 Leib 96 Leid, Leiden 24, 87 -leiden 39, 124 lernen 13, 59, 110 lesen 11, 77, 138, 164 -Leser 79, 164 letzte Stunde 168 Licht 67, 72 Liebe 34, 37, 84, 86, 118, 156 -lieben 24, 115, 135, 145, 153 -Liebende 36, 96 liegen 21, 29, 80, 125 Linie 111 Lob 47 -loben 172 -Lobredner 91 Lorbeer 47 Löwe, Löwen 49, 68, 157 lügen 26
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SCHLAGWORTREGISTER
-lügenhaft 119 Lust 165 Magd 127 malen 46 -Malerei 172 Mann 11, 39 Maß 11, 21, 41, 66, 102 Masse 94, 95 Mathematik 9 Maus 122 Mäzene 156 Medikamente 133 Meer 17 mehr 25, 109, 113 -mehrere 63 meine Habe 118 Meinungen 143 Meister 89 melden 29 Menge 115 Mensch, Menschen 11, 22, 23, 26, 28, 63, 83, 105, 119, 143 -menschlich 65 -Menschliches 83, 159 -Menschendinge 19 -Menschengeschlecht 39f., 116 Messers Schneide 16 mischen 117 Mißbrauch 33 Mißgunst 156 mithassen, mitlieben 24 Mitte 94 -Mittelmaß 41 -mitten 86, 94 morgen 82, 136 Mühe, Mühsal 89, 90, 116, 126, 162 Musen 11, 31, 124 Muße 55, 119 mutig 73 Mutter 114, 144
nachforschen 106, 166 Nachsicht 157 Nacht 117 Name 99, 107, 108 Natur 51, 94, 100, 101, 152 -Natürliches 100 -natürlicherweise 38 Nerv 104 Neues 106, 136 neuntes Jahr 110 Nichtiges 114 -Nichtigkeit 174 nichts 21, 23, 41, 67, 80, 102, 105f., 106, 113 niemals 113 niemand 103, 104 Nomos 22 notwendig 86, 101 -Notwendigkeit 57 nutzen 179 nützen 42, 113, 164 -Nützliches 117 Odysseus 154 ohne 156 Öl 116 Omen 107 Opferung 148 Osten 67 Österreich 44 Papst 79 Parnaß 76 Partei, die andere 40 pflücken, ergreifen 47 Philologen 34, 46 Philosoph 43, 152 -Philosophie 127 -philosophieren 131 Platon 37 Plebs 97 Prätor 97
SCHLAGWORTREGISTER
profan 115, 132 Punkt 14, 117, 132 Rächer 68 Rad der Fortuna 147 Rauhes 126 Recht 159 -siehe auch Gerechtigkeit Redner 125 rein 88 Rekrut 45 retten 58, 154 Rhodus 80 Rindvieh 140 Rock 167 Rom 61, 119, 134, 146, 170, 171 -Römer 166 -Römergeschlecht 162 rufen 182 Ruhe 88 -Ruhendes 138 Ruhm 33, 76, 154 -ruhmredig 96 Sache 74, 108, 144, 146 säen 173 sagen 13, 112 -siehe auch berichten Sagunt 61 Same 150 Satire 56 schaden 130 -Schaden 178 Schande 16 -schändlich 100 Schatten 28 schaudern 95 schauen 158 Schicksal 37, 60, 79, 153 schinden 23 schlafen 134 Schlange 90
schlecht 113 -das Schlechtere 178 schmähen 134 Schmerz 87 schnell 45 -schneller 49 schön 114 -Schönes 14 Schoß 11 schrecken 177 schreiben 141 -Geschriebenes 177 schreien 53 Schuld 94 Schule 110 Schuster 103 Schwanz 84 schwarz 56 schweigen 53, 70, 98, 135, 152, 155 Schweiß 28 schwer, schwierig 34, 56, 106 schwören 89 Sechzigjährige 151 Seele 29, 38, 58 segeln 101 sehen 176 Sehne 104 sein, so oder so sein 50, 110, 157 Seine, das 161 Seite, die andere 40 selbst 13, 111, 158 sicher 36, 94, 98 Siegel 156 siegen 81, 90, 118, 176, 178, 179 -siegreich 178 singen 39, 91, 124 Sitten 115 Soldat 96 Sonne 106 Sorgen 113, 114 Spartaner 29 spät 151
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SCHLAGWORTREGISTER
Spiele 121 sprechen 54, 58, 146, 149 springen 80 -springender Punkt 132 Sprünge 100 Spuren 34, 177 Staat 178 -staatenbildend 22 Stadt (Rom) 32, 170, 171 stärker 49 -der Stärkere 48 Staub 80 stehen 14, 158 Stein, Steine 77, 149 sterben 61, 95, 96, 98, 109, 135, 172 Sterbliche 105 -Sterbliches 159 Sterne 126, 154 Stimme 117, 180, 182 stinken 108 stören 107 Strafe 112 Streit 34 -streiten 54 studieren 128 -Studien 144 Stufen 76 Stunde, Stunden 83, 98, 168 sündigen 123, 125 süß 60, 61 Tafel 93, 162 Tag 16, 47, 55f., 111, 158 Taverne 96 Teile 76 teilen 57 Teufel 34 Teutonisch 75 Theologie 127 Thule 168 Tiefe 54 -aus tiefster Brust 31
Tochter 72, 114 Tod 51, 94, 98, 103, 117 -siehe auch Ende Toga 47 Tore 80 Tote 54, 181 tragen 118 Tränen 81, 159 trauen 68, 72 Traum 28 Triarier 145 trinken 64, 113 Troja 16 -Troer 74 Tropfen 77 Tröstung 127 Trümmer 151 Tüchtigkeit, Tugend 28 tun 113, 137 Tyrannen 87 Übel 20, 21 über uns 141 Überhebliche 166 überliefern 20, 132, 144 Übermaß 21, 102 überwachen 138 überwinden 124 Übrigen, im 48 umkehren 148 unaufhörlich 127 unbekannt 9 unerschrocken 151 ungeheuer 26 ungeschrieben 9 ungewiß 98 Ungläubige 86 Unglück 34, 119, 165 unheilig 115, 132 Unrecht 159, 182 unruhig 88 Unterworfene 166
SCHLAGWORTREGISTER
unvernünftig 60 Urin 88, 108 Varus 175 Vater 26, 123 Vaterland 15, 61, 123, 124, 168 Veränderung 114 verborgen 20, 44, 90, 168 Verbotenes 106 verbrauchen, sich 124, 164 Verbrechen 88 Verdammnis 94 verderben 142 verflucht 38, 41 vergangene Zeit 91 -Jahre 114 vergehen 154 vergeuden 116 vergleichen 152 verleumden 39 verlieren 55, 130 -verloren gehen 61 Vernunft 27, 148, 149 verpflichten 169 Vers 152 Verstand 27, 105, 148, 149 verständig 149 verstehen 11, 52 verteidigen 15 Vertrag 121 vertrauen 68, 72 verwerfen 11 verwundern, sich 105 verzehren, sich 124, 164 viel, vieles 98 Vielherrscherei 23 Vielwisserei 27 Vogelzeichen 15 Volk 97, 137, 148, 182 -Volksgunst 40 vollenden 105 Vorbehalt 145
Vorsatz 96 Vorschriften 91 vorsorgen 59 Vorteil 52 vorübergehen 154 Vorzeichen 107 Wache 180 wachsen 50, 119, 181 Wächter 138 Waffen 39, 47, 155 Wagenrennen 121 Wahnsinn 142 Wahrheit 37, 87, 135 -das Wahre 145, 156, 180 Wahrnehmung 105 Wand 167 waschen 93 Wasser 12, 134 wechselhaft 176 wechselseitig 127 Weg 126 Wehe! 174 wehren, sich 15 weichen 47, 48, 165 Wein 87, 113 weinen 66 -siehe auch Tränen Welt 71, 99, 140, 146, 151, 154, 170 weniger 113 wer 29, 138 widersinnig 52 widerwillig 60, 106 wie lange 143 Wiedergeburt 119 wiedergelesen 54 Wiederholung 144 Wille 82, 172 -willig 60, 106, 182 wissen 23, 65, 84, 149, 166, 179 woher 29 wohin 139
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SCHLAGWORTREGISTER
Wohl 148 Wohlwollen 46 Wolf 82, 92 wollen 55, 82, 85, 106, 182 Wort, Worte 15, 26, 89, 112, 130, 144, 157, 177 Wünsche 81, 128 Würde 119 Würfel 10, 34 Wüten 75 zählen 59, 83 Zähne 26 Zaudern 169 zehnmal 54 Zeichen 81 zeigen 139 Zeit, Zeiten 18, 74, 91, 115, 163f. -Zeitpunkt 17 zerfallen 50
zerstören 48 Zeus 10 -siehe auch Jupiter Zirkelschluß 49 Zorn 21, 56, 156 zu spät kommen 151 zugrundegehen 16, 71 zukünftige Zeit 18 Zunge 70 zurückgezogen 20, 44 zurückkehren 101 zustimmen 135, 181 zuverlässig 36 zwei 62 -zweimal 14, 102 Zweifel 85, 86 zweite Gedanken 10 -zweites Ich 35 Zwietracht 50